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German Pages 612 [649] Year 2015
Philosophische Bibliothek
Baruch de Spinoza Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt Lateinisch–Deutsch
Meiner
B A RUCH DE SPINOZ A
Smtliche Werke Band 2
FE L I X M E IN E R V E R L AG H A M BURG
B A RUCH DE SPINOZ A
Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt Neu ˇbersetzt, herausgegeben, mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat
Lateinisch ^ Deutsch
FE L I X M E IN E R V E R L AG H A M BURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 92
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet ˇber abrufbar. ISBN 978-3-7873-2795-9 ISBN eBook: 978-3-7873-2823-9 4. durchgesehene Auflage Felix Meiner Verlag. Hamburg 2015. Alle Rechte an dieser Ausgabe, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen W|dergabe und der bersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfltigung und bertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und bertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bnder, Platten und andere Medien soweit es nicht ‰‰ 53 und 54 URG ausdrˇcklich gestatten. Satz: H & G, Hamburg. Druck und Bindung: Hubert & Co., G˛ttingen. Werkdruckpapier: alterungsbestndig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706 hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
INH A LT
Einleitung. Von Wolfgang Bartuschat . . . . . . . . . . . . . . . . VII Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
B A RUCH DE SPINOZ A Ethica Ordine Geometrico demonstrata et in quinque Partes distincta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt und gegliedert in fˇnf Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ethices pars prima. De DEO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Teil der Ethik. Von GOTT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ethices pars secunda. De Natura et Origine MENTIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Teil der Ethik. Von der Natur und dem Ursprung des GEISTES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethices pars tertia. De Origine et Natura AFFECTUUM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Teil der Ethik. Von dem Ursprung und der Natur der AFFEKTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethices pars quarta. De SERVITUTE HUMANA seu de AFFECTUUM VIRIBUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierter Teil. Von MENSCHLICHER KNECHTSCHAFT oder von den KRFTEN DER AFFEKTE . . . Ethices pars quinta. De POTENTIA INTELLECTUS seu de LIBERTATE HUMANA . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fˇnfter Teil der Ethik. Von der MACHT DES VERSTANDES oder von MENSCHLICHER FREIHEIT . .
98 99 218 219 372 373 526 527
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Inhalt
Register W˛rterverzeichnis lateinisch ^ deutsch . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E IN L E I T U NG
1. Inhalt und Darstellungsform der Ethikß Die >Ethik< ist Spinozas Hauptwerk, an dem er seit 1662, fˇr fˇnf Jahre (1665-1670) unterbrochen fˇr die Arbeit an dem >Theologisch-Politischen TraktatAbhandlung ˇber die Verbesserung des VerstandesEthik< nennen wird. In der Tat enthlt dieses Werk das Ganze der Philosophie Spinozas, die er, wie kein anderer bedeutender Philosoph, in einem einzigen Werk zusammengefat hat. Die anderen Werke, die Spinoza nach einem ersten in vielen Hinsichten noch unzulnglichen Entwurf seiner Philosophie (>Kurzer Traktat ˇber Gott, den Menschen und dessen GlˇckDescartes’ Prinzipien der PhilosophieTheologisch-Politischer TraktatAbhandlung ˇber die Verbesserung des Verstandes< in ein solches umfassendes Konzept integrieren lieen 2 oder sich wie die des Vgl. meine Einleitung in: B. de Spinoza, Kurzer Traktat ˇber Gott, den Menschen und dessen Glˇck, Hamburg 2014 (Phil. Bibl. Bd. 94). 2 Vgl. meine Einleitung in: B. de Spinoza, Abhandlung ˇber die Verbesserung des Verstandes, Hamburg 1993, 2 2003 (Phil. Bibl. Bd. 95a). 1
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Wolfgang Bartuschat
>Politischen Traktats< auf Prinzipien stˇtzen, die sich einer solchen Integration sperren. 3 Dem eigenen Selbstverstndnis nach hat Spinoza mit der >Ethik< seine Philosophie zu einem definitiven Abschlu gebracht. Im Aufbau streng komponiert und in einer Fˇlle stndiger Querverweise auf schon Bewiesenes prsentiert sie sich als ein Werk, in dem nicht nur alles bewiesen ist, sondern auch alles, was relevant ist, bewiesen wird. Nur ganz vereinzelt kommt so etwas wie Unsicherheit zum Ausdruck, etwa in der Anmerkung zum Folgesatz zu Lehrsatz 7 des 2. Teils, die Spinoza mit dem Satz beschliet: Fˇr jetzt kann ich das nicht klarer darlegenß. Gemeint ist die These, da Gott die Ursache von Dingen ist, insofern er aus unendlichen Attributen besteht, von denen es ihrerseits unendlich viele gibt, die allesamt je unterschiedliche Aspekte eines und desselben Dinges sind; und es ist nicht klar, worauf Spinoza sein einschrnkendes fˇr jetztß bezogen wissen will, ob nur auf den Stand des bislang Bewiesenen oder auch auf den des eigenen Nachdenkens ˇber diesen Sachverhalt. Eine solche vereinzelt bleibende Zurˇckhaltung, mag sie auch einen zentralen Punkt betreffen, gibt kaum Veranlassung zu der Annahme, Spinoza habe sein Werk in der Form, in der er es dem Druck ˇbergeben hat, nicht als vollendet angesehen. Es ist ein Grundprinzip, unter dem er es organisiert hat und das dem Werk eine innere Konsistenz verleiht, ein Grundprinzip, das zweifach gegliedert ist und sich unter die beiden Stze bringen lt: Alles ist intelligibelß und Das gelingende menschliche Leben ist ein solches, das dieser Intelligibilitt verpflichtet istß. Im Dienst dieses grundlegenden Konzepts steht das Konzept Gottes, mit dem die >Ethik< unvermittelt beginnt und das an deren Ende sich als das erweist, in dem der Mensch, wenn er sich an ihm orientiert, sein h˛chstes Glˇck findet. Das in fˇnf Teile gegliederte Werk enthlt im 1. Teil eine Ontologie elementarer Strukturen der Vgl. meine Einleitung in: B.de Spinoza, Politischer Traktat, Hamburg 1994, 2 2010 (Phil. Bibl. Bd. 95b). 3
Einleitung
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Welt, im 2. Teil eine Theorie menschlichen Erkennens und in den restlichen drei Teilen eine Ethik vernˇnftigen menschlichen Handelns, auf die, wie der Titel >Ethik< signalisiert, die gesamte Philosophie hinausluft und im Hinblick auf die Ontologie und Erkenntnistheorie konzipiert sind. Prinzip der Ontologie ist der Begriff Gottes als einer unbedingt unendlichen Substanz, als die Gott wesentlich Macht (potentiaß) ist, eine Macht, die allein darin besteht, Dinge zu produzieren, und die sich in dieser Produktion restlos erfˇllt (immanente Kausalitt Gottesß). Demzufolge sind alle Dinge, die Spinoza Modiß nennt, in der Substanz und, verstanden als eine interne Relation von Substanz, so notwendig wie die Substanz selbst. Und demzufolge sind alle Dinge prinzipiell begreifbar, weil ihr unbedingtes Prinzip, das ihnen nicht transzendent ist, in ihnen begriffen werden kann. Weder mit einem sch˛pferischen Verstand noch mit einem Willen, der zwischen M˛glichem auswhlte, ausgestattet, ist Gott keine Instanz, die gegenˇber der tatschlichen Welt etwas fˇr sich zurˇckbehielte. Gott, der nur zusammen mit dem Insgesamt aller Modi ist, ist die selbstgenˇgsame Ursache seiner selbst (causa suiß, I, Def. 1) nur, insofern er zugleich die Ursache aller Dinge ist (causa omnium rerumß, I, Lehrs. 25, Folges.). Andersartige Konzepte Gottes, die die wirkliche Welt eine Sch˛pfung sein lassen, zu der sich Gott aus blo m˛glichen Welten in seinem Verstand eigens entschieden htte, seien, sagt Spinoza, ein groes Hindernis fˇr die Wissenschaftß (I, Lehrs. 33, Anm.). Sie gefhrden die Rationalitt menschlichen Wissens und verweisen den Menschen in seiner Lebensfˇhrung auf unbegreifbare Sachverhalte, die er hinzunehmen habe und die hinzunehmen ihn in Spinozas Augen unmˇndig machen und ihn letztlich einen Zufluchtsort der Unwissenheit (asylum ignorantiaeß, I, Anhang) aufsuchen lassen. Die Erkenntnistheorie des 2. Teils stˇtzt sich auf eine Geist-K˛rper-Relation, die mit Hilfe der Ontologie des 1. Teils ˇber die Lehre eines attributiven Bestimmtseins der Substanz als ein Reprsentationsverhltnis gedacht wird,
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demzufolge Ideen und k˛rperliche Ereignisse, hervorgebracht von unterschiedlichen Attributen der einen Substanz, in strenger Korrelation zueinander stehen, mit der Folge, da alle Ideen auch wahr sind, weil sie notwendigerweise mit ihren Objekten ˇbereinstimmen. Zum Problem wird dann nicht die (cartesische) Frage, wie sich Ideen des Geistes auf Dinge der Auenwelt beziehen k˛nnen, auf die sie ja immer schon bezogen sind, sondern die Frage, wie der endliche menschliche Geist mit den Ideen, die er faktisch hat, um diese allem seinem Erkennen schon vorausliegende Wahrheit auch wissen kann, generell gesagt, wie das, was an sich ist, etwas fˇr ihn in seiner Endlichkeit sein kann. Dieses Problem bestimmt den ganzen weiteren Untersuchungsgang der >EthikEthik< zeigen wird, das eigene Sein in Form eines Strebens nach Selbsterhaltung (conatus in suo esse perseverandiß) auch artikuliert. Spinoza hatte sein Hauptwerk ursprˇnglich als ein dreiteiliges Werk konzipiert, dessen dritter Teil die Ethik im engeren Sinne ausmachen sollte. 4 Aus diesem dritten Teil sind dann drei weitere Teile geworden, was sicherlich bedingt ist durch die Wichtigkeit der Affektenlehre, die dort aus einer Theorie menschlichen Strebens hergeleitet wird. Unser affektives Befangensein ist der gr˛te Hinderungsgrund, die uns m˛gliche adquate Erkenntnis so zu ˇbernehmen, da wir uns von ihr im Ganzen unseres Lebens auch leiten lassen; und Affekten unterworfen zu sein, ist die natˇrliche Konsequenz der Grundverfassung eines Individuums, in dem Streben nach Selbsterhaltung auf die Steigerung der eigenen Wirkungsmacht (potentia agendiß) so aus zu sein, da es sich gegen das, was es von auen zu zerst˛ren droht, zur Geltung zu bringen sucht. Dieses Streben ist nmlich relativ auf die Perspektive, in der dem Individuum das uere erscheint; dadurch getrˇbt lt es das Individuum Erfahrungen von Steigerungen der eigenen Macht machen, die instabil und schwankend sind und in ihm Emotionen hervorrufen, denen es folgt, ohne da diese eine tatschliche Steigerung der eigenen Macht anzeigten. In ihnen steht der Mensch, fern von der Rationalitt eines freien Vgl. Brief 28 (an J. Bouwmeester vom Juni 1665). In: B. de Spinoza, Briefwechsel, Hamburg 1986 (Phil. Bibl. Bd. 96a). 4
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und selbstbestimmten Lebens, in Abhngigkeit von ihn uerlich bestimmenden Zusammenhngen, die er nicht durchschaut und die ihn deshalb nicht handeln, sondern leiden lassen. Im 3. Teil der >Ethik< entwickelt Spinoza zunchst die Struktur einer internen Zusammengeh˛rigkeit der Affekte, die er ˇber deren Herleitung aus dem Prinzip des conatus perseverandi gewinnt, wobei er insbesondere zeigt, da ein Individuum nichts gegen seinen eigenen conatus und damit gegen die aus ihm jeweils resultierenden Affekte vermag. Im 4. und 5. Teil untersucht er dann, wie der Mensch in vernˇnftiger Weise mit seinen Affekten umgehen kann und inwiefern er dabei einserseits in Anbetracht der Affekte ohnmchtig und unfrei bleibt (4. Teil) und andererseits doch eine tatschliche Macht ˇber sie erlangen kann, in der er frei ist (5. Teil). Von dieser Macht zeigt Spinoza, da sie allein in einer Form adquaten Erkennens grˇndet, in der der Mensch seinen eigenen conatus als eine Ttigkeit adquaten Erkennens begreift und in der er alle dieser Form des Erkennens im Wege stehende Affekte zu beherrschen vermag. Er kann es dann, wenn mit ihr in Form einer geistigen Liebe zu Gott selbst eine emotionale Komponente verbunden ist, die das affektive menschliche Leben nicht ˇberfliegt, sondern durchdringt und darin zu einer h˛heren Form bringt, in der der Mensch sein Leben in anderer Weise als zuvor zu gestalten vermag. Die >Ethik< erweist sich darin als ein Werk, das einen doppelten Ausgangspunkt hat, einen Ausgang von Gott und einen Ausgang vom Menschen, die am Ende zusammengeschlossen werden. 5 Insofern applizieren die Darlegungen zur Erkenntnistheorie und Ethik nicht etwas im 1. Teil im allgemeinen Erwiesenes auf den konkreten Fall des menschlichen Geistes; sie beschreiben vielmehr im Ausgang vom Menschen einen Weg, den der Mensch durchlaufen mu, um das, was ihn immer schon bestimmt, als etwas zu begreifen, das die BedinVgl. meine Untersuchung Spinozas Theorie des Menschenß, Hamburg 1992. 5
Einleitung
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gungen enthlt, von denen her er sich im Ganzen seines Lebens auch bestimmen kann. Und dieser Weg ist, wie es am Ende der >Ethik< heit, schwer und mˇhevoll; denn er ist, so zeigen Spinozas vielschichtige Analysen, gepflastert mit viel Material, auf das es sich in rechter Weise einzulassen gilt. Da dieser Stoff in seiner Vielfalt blo ein durch unser mangelhaftes Erkennen bedingter wirklichkeitsloser Schein sei und da, gem der allesbeherrschenden einen Substanz, in Wahrheit alles eins sei ^ Spinoza so interpretieren zu wollen, heit seine Philosophie auf den Kopf zu stellen. Am Ende der >EthikEthik< sehr schematisch und erweckt leicht den Eindruck einer klappernden Sterilitt. Der an der Euklidischen Geometrie orientierten Darstellungsform haben sich viele philosophische Autoren der
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Zeit bedient; Spinoza hat es nur in besonders radikaler Weise getan. Er hat sie gewi nicht nur als eine der Sache uerliche Darstellungsform verstanden, die einen blo didaktischen Gesichtspunkt verfolgt und den Leser zu einem Nachvollzug n˛tigen soll, der ihm kein Ausweichen in ihm liebgewordene Vormeinungen und Vorurteile erlaubt. Er hat damit demonstrieren wollen, da das, was er in Form von Lehrstzen folgert, genau das ist, was aus der Natur Gottes folgt, und das lateinische sequiß deshalb in der doppelten Bedeutung von logischem folgernß und sachlichem folgenß gebraucht. Doch hlt sich diese methodische Form nicht durch. Denn es kann nicht ˇbersehen werden, da endliche Modi nicht in der Weise aus der Natur Gottes folgen, wie das Prdikat der Winkelsumme gleich 180 Gradß aus der Natur des Dreiecks folgt. Und es ist verfehlt, der >Ethik< ein Programm zu unterstellen, das sich anheischig machte, die Fˇlle der konkreten Bestimmungen des endlichen Modus Mensch aus der Natur Gottes deduzieren zu k˛nnen. Hervorzuheben ist auch, da die den einzelnen Teilen vorangestellten Definitionen nicht einen Gehalt in Anspruch nehmen, der dann blo analytisch in Form von Lehrstzen aus ihnen entwickelt werden k˛nnte. So formuliert die Definition von Substanz nicht mehr als Kriterien, die erfˇllt sein mˇssen, um von einem Ding sagen zu k˛nnen, da es eine Substanz ist; sie behauptet aber nicht, da es so etwas wie eine Substanz gibt. Des weiteren ist deutlich, da die nicht beweisbaren Axiome zum Teil einen empirischen Gehalt haben, der etwas zur Geltung bringt, das sich aus der bloen Natur Gottes ˇberhaupt nicht gewinnen lt; evident ist das in den Axiomen 2 und 4 des 2. Teils, die den Tatbestand einfˇhren, da der Mensch denkt und einen K˛rper hat, im Hinblick worauf die die Natur Gottes ausmachenden Attribute als Prinzipien der Erklrung dieses phnomenalen Tatbestandes erst ihre inhaltliche Bestimmung erlangen, nmlich Denkenß und Ausdehnungß zu sein. Was von der geometrischen Ordnung bleibt und augenfllig ist, ist der stndige Verweis bei nahezu allen Schritten im
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Beweisverfahren auf zuvor Definiertes, axiomatisch Eingefˇhrtes oder schon Bewiesenes, womit Spinoza deutlich machen will, da alles, was behauptet wird, streng bewiesen worden ist. Dieses Verfahren hat zumindest den Vorteil, den Leser darauf aufmerksam zu machen, wie eng miteinander verfugt smtliche Lehrstze sind, aber auch welches Argument es ist, das eine bestimmte Folgerung trgt. Insofern sollte man sich bei der Lektˇre des Werkes an Spinozas Bitte halten, mit ihm langsam voranzugehen und ˇber bestimmte Aussagen kein Urteil zu fllen, bis nicht alles durchgelesen worden ist (vgl. II, Lehrs. 11, Folges., Anm.). Allerdings birgt dies zugleich die Gefahr, im mˇhsamen Nachvollzug aller Argumentationsschritte im einzelnen sich auch in Einzelheiten zu verlieren und den berblick ˇber die leitenden Thesen zu verlieren. Offenbar wute das auch Spinoza selbst, denn manchmal sieht er sich, etwa bei der Vorstellung der Gebote der Vernunft, gen˛tigt, Kernstze unabhngig von seiner sonst praktizierten weitlufigen geometrischen Ordnungß (IV, Lehrs. 18, Anm.) pointiert zusammenzufassen, um vielleicht die Aufmerksamkeit derer zu gewinnenß, die sonst glauben, andere Schlˇsse aus seinen Darlegungen ziehen zu mˇssen (ebd.). So findet sich, um einer besseren bersicht willen, am Ende des 3. Teils eine Liste der Definitionen aller wichtigen Affekte und am Ende des 4. Teils eine Zusammenstellung von Hauptstzen, die all das enthalten, was eine vernˇnftige menschliche Lebensfˇhrung ausmacht. Das sind Zusammenfassungen, die nichts Neues enthalten, sondern schon Erwiesenes nur in anderer Form prsentieren, von der Spinoza wohl meinte, da sie leichter zugnglich sei als jene, die sich in die angesprochene Weitlufigkeit einer geometrischen Ordnung verliert. Die wichtigste Lesehilfe findet sich ohnehin auerhalb des Deduktionsganges more geometrico, in den zahlreichen Anmerkungen und in dem Anhang des 1. Teils. Die Anmerkungen gehen, anders als sonst ˇblich, nicht auf etwas ein, das weniger wichtig wre und deshalb nur eine beilufige Erwhnung verdiente; sie setzen sich in der Regel mit einem
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anderen Verstndnis des von Spinoza entwickelten Sachverhalts auseinander, also im wesentlichen mit fehlerhaften Meinungen. Sie verdeutlichen in diesem Bezug sehr sch˛n und oft sehr eindringlich die Absicht, die Spinoza mit seinen Darlegungen verfolgt, eine Absicht, die aus den Lehrstzen selbst und ihrer Abfolge nicht immer deutlich wird. In erster Linie geht es dabei nicht darum, den eigenen Lehrgehalten ˇber den Kontrast zu anderen Ansichten ein deutlicheres Profil zu geben, sondern darum, die anderen Ansichten als bloe Vorurteile zu entlarven, die sich durch die dargelegte Sache korrigieren lassen. Einerseits wei Spinoza, wie sehr seine Theorie der gew˛hnlichen Auffassung zuwiderluft, andererseits glaubt er zugleich sicher zu sein, da sein Beweisverfahren, wenn es nur in rechter Weise nachvollzogen wird, zur Preisgabe der gegenlufigen Auffassungen fˇhrt. Deutlich wird das in der zweiten Anmerkung zu Lehrsatz 33 des 1. Teils. Wenn er sich auch darˇber im klaren sei, sagt Spinoza dort, da viele seine Theorie, die Welt unterliege einer aus der bloen Natur Gottes folgenden notwendigen Ordnung, verwerfen, weil sie Gott die Freiheit eines unbedingten sch˛pferischen Willens zusprechen, sei er sich doch sicher, da sie, wenn sie die Sache recht bedenken und die Abfolge unserer Beweise geh˛rig erwgen wollten, eine solche Freiheit, die sie jetzt Gott zuschreiben, schlielich nicht blo als t˛richt, sondern als ein groes Hindernis fˇr die Wissenschaft gnzlich verwerfen wˇrdenß. Diese Anmerkung verdeutlicht die Strategie nicht nur des 1. Teils, der von Gott handelt, sondern der gesamten >EthikEthik< entwickelt, kˇmmert sich um keine Meinungen, weder um gute noch um schlechte, der es insofern auch gleichgˇltig ist, ob sich Menschen auf Wissenschaft und damit Rationalitt verpflichten oder nicht. Aber Spinoza kˇmmert sich darum, und hierfˇr entwickelt er ein Konzept Gottes, das dem dient, dem Menschen durchgngige Rationalitt zu erm˛glichen.
Einleitung
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Noch deutlicher wird dies aus dem Anhang des 1. Teils, der von den menschlichen Vorurteilen handelt, die es fˇr das Verstndnis des 1. Teils der >Ethik< auszurumen gegolten hat. Wenn nun Spinoza in der nheren Explikation des Anhangs die Vorurteile auf das eine Vorurteil einer anthropomorphen Vorstellung Gottes zurˇckzufˇhren sucht, die Gott ein zweckorientiertes Handeln unterstellt, wie Menschen es an sich selbst erfahren und dann auf Gott ˇbertragen, dann wird darin zugleich die eigentˇmliche Spannung sichtbar, die die Darlegungen der >Ethik< beherrscht. Als Hindernisse fˇr das Verstndnis der Beweise, die Spinoza im 1. Teil der >Ethik< gegeben hat, k˛nnen die Vorurteile nmlich nur durch die Beweise selbst ausgerumt werden, von deren Richtigkeit Spinoza ˇberzeugt ist, nicht aber diejenigen, die Vorurteilen unterliegen. Sie mˇssen von der Wichtigkeit vernˇnftigen Argumentierens erst ˇberzeugt werden; das kann nur so geschehen, da sie die von Spinoza beanspruchte theoretische Haltung auch selbst ˇbernehmen, dem ihr Vorurteil, das ja gerade an der behaupteten Macht der Vernunft zweifelt, aber entgegensteht. Wenn Vorurteile auch nicht wahre Sachverhalte zum Gegenstand haben, sondern bloen Schein, so sind sie doch selbst kein Schein, sondern eine Wirklichkeit, die aus der Verfatheit des Menschen resultiert und die Spinoza in den folgenden Teilen der >Ethik< im h˛chsten Ma auch anerkennt. Erst wenn gezeigt wird, da der Mensch von diesem Boden aus sich in seinem Denken und Handeln von jenem Begriff Gottes, wie er im 1. Teil der >Ethik< entwickelt wird, her tatschlich verstehen kann, ist Spinozas Programm einer Befreiung des Menschen von unzureichendem Wissen durch zureichendes Wissen an sein Ziel gelangt. Erreichen k˛nnen dieses Ziel nur ganz wenige, daran lt Spinoza keinen Zweifel, und insofern ist seine Ethik elitr. Doch ist es nicht glˇckliches Geschick, das einige wenige in den Genu des H˛chsten kommen lt, sondern das mˇhsame Geschft der Arbeit des Gedankens. Und dieses Geschft ist nicht erst dann gerechtfertigt, wenn es sein Endziel auch erreicht, sondern ganz unabhngig davon, sofern es nur in
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Gang kommt. Was Spinoza in seiner >Ethik< beschreibt, ist zweifellos etwas, das es in Gang bringt. Bemerken wird es freilich nur der, der dieses Werk nicht zu hastig liest. 2 . Text und Textgestaltung Spinozas >Ethik< ist im Jahr seines Todes (1677) posthum erschienen, in den von Spinozas Freunden herausgegebenen >Opera posthuma< bei Jan Rieuwertsz in Amsterdam. Spinoza hat das Werk 1675 fertiggestellt und als vollendet angesehen. Anfang Juli 1675 teilt er Heinrich Oldenburg in einem uns nicht erhaltenen Schreiben 6 mit, da er die Absicht habe, seine fˇnfteilige Abhandlung zu ver˛ffentlichen, und berichtet ihm auf dessen dahingehende Nachfrage Ende Juli /Anfang August 1675, 7 da er nach Amsterdam gereist sei, um das Manuskript dieses Werkes, der >EthikEthik< dort aufzunehmen, wie einer der Herausgeber, Jarrig Jelles, berichtet. 8 Spinozas Manuskript der >Ethik< ist nicht erhalten; wir wissen also nicht, ob es in der Druckvorbereitung Eingriffe der Editoren gegeben hat und ob diese eventuell Spinoza zur Prˇfung vorgelegt worden sind. Angewiesen sind wir auf den Text der >Opera posthumaDe Nagelate Schriften< vergleichen k˛nnen. Sicher ist, da die niederlndische bersetzung, in demselben Jahr wie die lateinische Ausgabe erschienen, sich nicht auf den gedruckten Text der >Opera posthuma< gestˇtzt hat, was schon aus zeitlichen Grˇnden unm˛glich ist. Wahrscheinlich sind beide Ausgaben gleichzeitig vorbereitet worden und haben sich auf verschiedene Abschriften oder auch verschiedene Manuskripte des Textes gestˇtzt. An mehreren Stellen weicht die niederlndische bersetzung vom lateinischen Text der >Opera posthuma< nicht unerheblich ab ^ teilweise handelt es sich hier um Miverstndnisse des lateinischen Textes, teilweise um erluternde Ergnzungen, teilweise um Wendungen, die tatschlich eine Verbesserung darstellen. Im Ganzen kann gesagt werden, da es sich bei dieser bersetzung, wie bei jeder bersetzung, um eine Interpretation durch die bersetzer handelt. Auf jeden Fall ist die Entscheidung, wieweit der lateinische Text im Rˇckgriff auf die frˇhe niederlndische bersetzung zu modifizieren oder gar zu korrigieren ist, uerst schwierig. Nach Vorarbeiten durch J. H. Leopold, 9 einem hollndischen Philologen, ist es Carl Gebhardt gewesen, der fˇr die Im Vorwort zur niederlndischen Ausgabe, das Lodewijk Meyer, der andere magebliche Herausgeber, in lateinischer bersetzung der lateinischen Ausgabe vorangestellt hat; deutsch in: Spinoza ^ Lebensbeschreibungen und Dokumente, Hamburg 1998 (Phil. Bibl. Bd. 96 b), S. 11-15. Vgl. dazu Akkerman, F. / Hubbeling, H. G., The preface to Spinoza’s posthumous works 1677 and its author Jarg Jelles. In: Lias 6, Amsterdam 1979, S. 103 -172. 9 Ad Spinozae Opera posthuma, Den Haag 1902. 8
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>Ethik< in der von ihm besorgten Heidelberger Ausgabe der Opera Spinozas den Text der >Nagelate schriften< berˇcksichtigt und ausgewertet hat, teils durch Verweise in den Anmerkungen zur Textgestaltung, teils durch Integration von Passagen der niederlndischen Fassung in den lateinischen Text selbst. Gebhardt hat damit die unglˇckliche These verbunden, da die Text-Abweichungen eine Weiterarbeit Spinozas am Text bezeugten und die beiden Fassungen Ausdruck zweier unterschiedlicher Fassungen der >Ethik< aus Spinozas Hand seien. Fokke Akkerman, 10 ein Philologe, hat diese These zurˇckgewiesen und mit Mitteln philologischer Textanalyse zeigen k˛nnen, da die meisten der Ergnzungen, die die niederlndische bersetzung enthlt, bloe Erluterungen sind, die nicht auf Spinoza selbst zurˇckgehen und es nicht erlauben, von einer doppelten Fassung der >Ethik< zu sprechen. Plausibilitt hat insbesondere Akkermans Hinweis, da die bersetzung der beiden ersten Teile der >EthikEthik< gilt, nur deren letzte drei Teile ˇbersetzt hat, wenn auch vielleicht mit Eingriffen in die frˇhe bersetzung Ballings. Wird dies akzeptiert, dann lassen sich nicht nur die Abweichungen der niederlndischen bersetzung vom lateinischen Text, die in den beiden ersten Teilen besonders offenkundig sind, aus der Manier des bersetzers Balling erklren, sondern auch die These aufstellen, da Spinoza die ontologischen und erkenntnistheoretischen Elemente seiner Philosophie schon frˇh zu einem definitiven Abschlu gebracht hat und die weitere Ausarbeitung, die er nach 1670 in Angriff genommen hat, der Ethik im engeren Sinne gegolten hat. Akkerman hat in seiner Abhandlung schon viele wertvolle Vorschlge zur Verbesserung des Textes gemacht. Seine Untersuchungen, spter unterstˇtzt von dessen Schˇler Piet
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Studies in the posthumous works of Spinoza, Groningen 1980.
Einleitung
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Steenbakkers, 11 die auf eine kritische Neu-Ausgabe der lateinischen Fassung der >Ethik< zielen, haben in zwei Jahrzehnten aber nicht dazu fˇhren k˛nnen, das erstrebte Ziel zu realisieren, wenn auch mittlerweile die Neu-Ausgabe vor ihrem Abschlu zu stehen scheint. Sie wird einerseits viele Eingriffe Gebhardts rˇckgngig machen, andererseits auch mehrere seiner Verbesserungsvorschlge ˇbernehmen k˛nnen und schlielich manches in neuer Lesart bringen. Sicher ist dabei, da wir uns auf keine wirklich neue Lektˇre des Textes einstellen mˇssen, die die Grundzˇge der Philosophie Spinozas betrfe. Kontroverse Punkte, auch der Textgestaltung, werden ohnehin einer philosophischen Interpretation ˇberlassen bleiben, die der philologischen Analyse allein nicht traut. Nur zwei Punkte m˛chte ich in diesem Zusammenhang erwhnen. Der eine betrifft die berschrift des 3. Teils der >EthikVon dem Ursprung und der Natur der Affekte< lautet, in der niederlndischen bersetzung, vielleicht in Analogie zur berschrift des 2. Teils (>Von der Natur und dem Ursprung des GeistesVon der Natur und dem Ursprung der Affekte< umgestellt worden ist. Akkerman folgend, tendiert Steenbakkers hier zur niederlndischen Version; 12 Martial Gueroult verteidigt in philosophischer Interpretation die Abfolge Ursprung ^ Naturß. 13 Unabhngig davon sei bemerkt, da man meines Erachtens hier kaum wird analogisieren k˛nnen, weil in den beiden Fllen der Ursprung ein unterschiedliches Gewicht hat und insofern in Bezug auf Geist und Affekte auch einen unterschiedlichen Ort. Der Ursprung des Geistes ist Gott, und der Geist ist ein Modus Gottes, den Gott hervorbringt. Doch handelt der 2. Teil der >Ethik< evidentermaen nicht von dem Geist im allgemeinen, sondern von dem menschlichen Geist (mens humaVgl. Piet Steenbakkers, Spinoza’s Ethica from manuscript to print, Assen 1994. 12 A.a. O., S. 33ff. 13 Aus dem Nachla: Le Spinoza de Martial Gueroult. In: Revue philosophique de la France et de l’e¤ tranger (167), 1977, S. 285 -302. 11
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naß), wie schon die Vorrede zu diesem Teil deutlich macht; und dessen Natur in ihrer Besonderheit ist durch empirische Sachverhalte bestimmt, die sich nicht aus Gott als dem Ursprung des Geistes allein ergeben. Der Ursprung der Affekte (und auch hier handelt es sich evidentermaen um menschliche Affekte) ist jedoch nicht Gott, sondern der conatus der Individuen und zwar in der spezifisch menschlichen Ausgestaltung des Vorstellens und meinenden Sichwissens, aus der die Affekte resultieren, mit der Folge, da ihre Natur mit ihrem Ursprung zusammenfllt. So interpretiert, liegt es nahe, an der ˇberlieferten lateinischen Fassung festzuhalten, nmlich Spinoza so zu lesen, da er die Natur der Affekte ganz von ihrem Ursprung her versteht und nicht als etwas, das zu ihm noch hinzukommt, whrend dies im Fall des menschlichen Geistes nicht m˛glich ist, dessen Spezifikation nicht aus seinem Ursprung folgt, sondern ein Faktum darstellt, auf das es sich einzulassen gilt, will man zeigen, wie der Mensch unter den Bedingungen seiner spezifischen Endlichkeit seines Ursprungs auch inne werden kann. Ein anderer Punkt ist eine in der lateinischen und niederlndischen Fassung dokumentierte Inkonsequenz, die aus sachlichen Grˇnden so kaum stehen bleiben kann. Sie findet sich in dem bergang zur zweiten Hlfte des 5. Teils der >EthikEthik< enthlt. Eine neue bersetzung der Ethicaß ins Deutsche, die hier vorgelegt wird, ist seit lngerem ein Desiderat. Lt man die jˇngst erfolgte und durchaus verdienstvolle Revision der alten Sternschen bersetzung unberˇcksichtigt, dann ist die letzte deutsche bersetzung, die von Baensch, bald hundert
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Jahre alt; 14 weit besser als die frˇheren deutschen bersetzungen, ist sie in der Terminologie dennoch vielfach ungenau und auch inkonsistent. Ich hoffe, aus der Kenntnis der Philosophie Spinozas und unter Berˇcksichtigung der neuesten SpinozaInterpretationen eine bersetzung vorgelegt zu haben, die nicht nur den Zugang zu der uerst schwierigen Philosophie Spinozas erleichtert, sondern auch den Gehalt dieser Philosophie angemessen erschliet. Dankbaren Gebrauch habe ich von neueren bersetzungen ins Franz˛sische und Englische gemacht, insbesondere von der vorzˇglichen bersetzung, die Edwin Curley im 1. Band der Collected Works of Spinozaß vorgelegt hat und die, wie keine andere, eine philosophische bersetzung ist. Eine explizite Interpretation der Philosophie Spinozas kann diese Studienausgabe nicht enthalten, weder in der Einleitung, noch in Form von Anmerkungen, auf die deshalb ganz verzichtet wird. Die Auswahl-Bibliographie nennt die wichtigsten Untersuchungen zur >EthikEthik< noch nicht erschienen ist, habe ich fˇr die 3. Auflage den lateinischen Text lediglich an einigen Stellen typographisch verndert. Die deutsche bersetzung habe ich erneut durchgesehen und, wo es mir n˛tig zu sein schien, auch verbessert. Die Auswahl-Bibliographie habe ich auf den neuesten Stand gebracht. Hamburg, im Juni 2010
Wolfgang Bartuschat
Fˇr die 4. Auflage habe ich den lateinischen Text und meine bersetzung erneut durchgesehen und auf m˛gliche Korrekturen ˇberprˇft. Ein schon sehr frˇh der r˛mischen Kirche zugespieltes, der Denunziation Spinozas dienendes zeitgen˛ssisches Manuskript der Ethicaß ist uns jˇngst aus den Verliesen des Vatikans zugnglich geworden (Leen Spruit / Pina Totaro, The Vatican manuscript of Spinoza’s Ethica, Leiden 2011). Paolo Cristofolini hat es in seiner kritischen Ausgabe der Ethicaß (2014) gebˇhrend berˇcksichtigt, doch macht es meines Erachtens (vgl. meine Rezension in Historia Philosophica 2012, S. 93 f.) an keiner Stelle eine substantielle Revision des lateinischen Textes erforderlich. Die Auswahlbibliographie habe ich ˇberarbeitet und neu geordnet. Hamburg, im Mai 2015
Wolfgang Bartuschat
AU S WA H L B I B L I O GR A P H I E
1. Ausgaben Erstver˛ffentlichung [OP] in: B[enedictus] D[e] S[pinoza] Opera posthuma, ohne Ort und Drucker [Amsterdam: Jan Rieuwertsz 1677]. Niederlndische bersetzung [NS] in: De Nagelate Schriften van B[aruch] D[e] S[pinoza], ohne Ort und Drucker [Amsterdam: Jan Rieuwertsz 1677]. Kritische Ausgabe in: Spinoza Opera. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. von Carl Gebhardt, Heidelberg 1925, Nachdruck 1973, Bd. II, S. 41-308. 2 . bersetzungen deutsch von B. Auerbach (1870) in: Spinoza, Opera ^ Werke, Bd. 2, hg. von K. Blumenstock, Darmstadt 1980. deutsch von J. Stern (1888), revidiert von I. Rauthe-Welsch, in: Spinoza, Die Ethik (lat./dt.), Stuttgart 1977. deutsch von O. Baensch (1905), zuletzt Hamburg 1994 (Phil. Bibl. 92). engl.: Ethics, in: The Collected Works of Spinoza, Bd. 1, hg. und ˇbers. von E. Curley, Princeton 1985, S. 408-617. frz.: Ethique, hg. und ˇbers. von Ch. Appuhn, Paris [1934]. frz.: Ethique, hg. und ˇbers. von B. Pautrat, Paris 1999. ital.: Etica, hg. und ˇbers. von P. Cristofolini, Pisa 2014 [mit kritischem lat. Text]. niederlnd.: Ethica, hg. und ˇbers. von H. Kroop, Amsterdam 2002. portug.: Etica, hg. und ˇbers. von T. Tadeu, Belo Horizonte 2007. span.: Etica, hg. und ˇbers. von A. Dom|¤ nguez, Madrid 2000, 22005.
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1 Multi] kein Absatz in OP
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Indessen wird es vielen wohl nicht leicht fallen, die Evidenz dieses Beweises zu sehen, weil sie gewohnt sind, allein diejenigen Dinge zu betrachten, die aus ueren Ursachen hervorgehen; und hier bemerken sie, da Dinge, die schnell entstehen, d. h. die ohne viel Umstnde existieren, auch leicht vergehen; und umgekehrt meinen sie, da diejenigen Dinge schwerer herzustellen sind, also nicht so ohne weiteres existieren, zu denen ihrer Ansicht nach mehr geh˛rt. Um sie von diesen Vorurteilen zu befreien, mu ich hier gewi nicht zeigen, in welchem Sinn der Satz Was schnell entsteht, vergeht schnellß wahr ist; auch nicht, ob im Hinblick auf die ganze Natur alles gleichermaen leicht ist oder nicht. Es genˇgt die knappe Bemerkung, da ich hier nicht von Dingen spreche, die aus ueren Ursachen entstehen, sondern allein von Substanzen, die (nach Lehrsatz 6) von keiner ueren Ursache hervorgebracht werden k˛nnen. Dinge nmlich, die aus ueren Ursachen entstehen, m˛gen sie aus vielen Teilen bestehen oder aus wenigen, verdanken alles, was sie an Vollkommenheit oder Realitt haben, der Beschaffenheit ihrer ueren Ursache; mithin entspringt ihre Existenz allein der Vollkommenheit der ueren Ursache, nicht aber einer eigenen. Was andererseits eine Substanz auch immer an Vollkommenheit hat, verdankt sie keiner ueren Ursache; deshalb mu sich aus ihrer bloen Natur auch ihre Existenz ergeben, die somit nichts anderes ist als ihre Essenz. Vollkommenheit hebt also die Existenz eines Dinges nicht auf, sondern setzt sie im Gegenteil, whrend es Unvollkommenheit ist, die sie aufhebt. Mithin k˛nnen wir der Existenz keines Dinges gewisser sein als der Existenz eines unbedingt unendlichen oder vollkommenen Seienden, d. h. Gottes. Denn weil seine Essenz nun einmal alle Unvollkommenheit ausschliet und unbedingte Vollkommenheit in sich schliet, ist sie es, die jeden Grund, an seiner Existenz zu zweifeln, beseitigt und diesbezˇglich h˛chste Gewiheit verschafft. Ich glaube, das wird denen, die nur halbwegs aufmerksam sind, einleuchten.
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P r o p o s i t i o X I I . Nullum substantiae attributum potest vere concipi, ex quo sequatur substantiam posse dividi. D e m o n s t ra t i o . Partes enim, in quas substantia, sic concepta, divideretur, vel naturam substantiae retinebunt, vel non. Si primum, tum (per prop. 8.) unaquaeque pars debebit esse infinita et (per prop. 7.) causa sui et (per prop. 5.) constare debebit ex diverso attributo, adeoque ex una substantia plures constitui poterunt, quod (per prop. 6.) est absurdum. Adde, quod partes (per prop. 2.) nihil commune cum suo toto haberent et totum (per defin. 4. et prop. 10.) absque suis partibus et esse et concipi posset, quod absurdum esse nemo dubitare poterit. Si autem secundum ponatur, quod scilicet partes naturam substantiae non retinebunt; ergo, cum tota substantia in aequales partes esset divisa, naturam substantiae amitteret et esse desineret, quod (per prop. 7.) est absurdum. P r o p o s i t i o X I I I . Substantia absolute infinita est indivisibilis. D e m o n s t ra t i o . Si enim divisibilis esset, partes, in quas divideretur, vel naturam substantiae absolute infinitae retinebunt, vel non. Si primum, dabuntur ergo plures substantiae ejusdem naturae, quod (per prop. 5.) est absurdum. Si secundum ponatur, ergo (ut supra) poterit substantia absolute infinita desinere esse, quod (per prop. 11.) est etiam absurdum. C o r o l l a r i u m . Ex his sequitur nullam substantiam et consequenter nullam substantiam corpoream, quatenus substantia est, esse divisibilem. S c h o l i u m . Quod substantia sit indivisibilis, simplicius ex hoc solo intelligitur, quod natura substantiae non potest concipi nisi infinita, et quod per partem substantiae nihil
5 primum,] NS ergnzen namelijk dat zy de natuur van de zelfstandigheit behouden, 6 prop. 7.] prop. 6. korr.W. B., Curley folgend
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L e h r s a t z 1 2 . Kein Attribut einer Substanz kann richtig begriffen werden, wenn aus ihm folgte, da die Substanz geteilt werden kann. B e w e i s : Die Teile nmlich, in die eine so verstandene Substanz zerfiele, werden die Natur der Substanz entweder behalten oder nicht. Im ersten Fall [NS: da sie nmlich die Natur der Substanz behalten] wird jeder Teil (nach Lehrsatz 8) unendlich und (nach Lehrsatz 7) Ursache seiner selbst sein und (nach Lehrsatz 5) aus einem je unterschiedlichen Attribut bestehen mˇssen; mithin werden sich aus einer Substanz mehrere [Substanzen] bilden k˛nnen, was (nach Lehrsatz 6) widersinnig ist. berdies htten die Teile (nach Lehrsatz 2) mit ihrem Ganzen nichts gemein, und das Ganze k˛nnte (nach Definition 4 und Lehrsatz 10) ohne seine Teile sein und begriffen werden, was, niemand wird daran zweifeln k˛nnen, widersinnig ist. Im zweiten Fall, demzufolge die Teile die Natur der Substanz nicht behalten, verl˛re diese, da die ganze Substanz in gleichartige Teile geteilt wre, die Natur von Substanz und h˛rte auf zu existieren, was (nach Lehrsatz 7) widersinnig ist. L e h r s a t z 13 . Eine unbedingt unendliche Substanz ist unteilbar. B e w e i s : Wre sie nmlich teilbar, werden die Teile, in die sie geteilt wˇrde, die Natur einer unbedingt unendlichen Substanz entweder behalten oder nicht. Im ersten Fall wird es mehrere Substanzen derselben Natur geben, was (nach Lehrsatz 5) widersinnig ist. Im zweiten Fall wird (wie oben [Lehrsatz 12]) eine unbedingt unendliche Substanz aufh˛ren k˛nnen zu existieren, was (nach Lehrsatz 11) ebenfalls widersinnig ist. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da keine Substanz, und folglich auch keine k˛rperliche Substanz, insofern sie eine Substanz ist, teilbar ist. A n m e r k u n g : Da eine Substanz unteilbar ist, lt sich noch einfacher allein daraus verstehen, da die Natur von Substanz nur als unendlich begriffen werden kann und da
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aliud intelligi potest quam sub|stantia finita, quod (per prop. 8.) manifestam contradictionem implicat.
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P r o p o s i t i o X I V. Praeter Deum nulla dari neque concipi potest substantia. D e m o n s t ra t i o . Cum Deus sit ens absolute infinitum, de quo nullum attributum, quod essentiam substantiae exprimit, negari potest (per defin. 6.), isque necessario existat (per prop. 11.), si aliqua substantia praeter Deum daretur, ea explicari deberet per aliquod attributum Dei, sicque duae substantiae ejusdem attributi existerent, quod (per prop. 5.) est absurdum; adeoque nulla substantia extra Deum dari potest et consequenter non etiam concipi. Nam si posset concipi, deberet necessario concipi ut existens; atqui hoc (per primam partem hujus demonst.) est absurdum. Ergo extra Deum nulla dari neque concipi potest substantia. Q. e. d. C o r o l l a r i u m I . Hinc clarissime sequitur I°. Deum esse unicum, hoc est (per defin. 6.) in rerum natura non nisi unam substantiam dari eamque absolute infinitam esse, ut in scholio prop. 10. jam innuimus. C o r o l l a r i u m I I . Sequitur II°. rem extensam et rem cogitantem vel Dei attributa esse, vel (per axiom. 1.) affectiones attributorum Dei. P r o p o s i t i o X V. Quicquid est, in Deo est, et nihil sine Deo esse neque concipi potest. D e m o n s t ra t i o . Praeter Deum nulla datur neque concipi potest substantia (per prop. 14.), hoc est (per defin. 3.) res, quae in se est et per se concipitur. Modi autem (per defin. 5.) sine substantia nec esse nec concipi possunt; quare hi in sola divina natura esse et per ipsam solam concipi possunt. Atqui
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unter einem Teil von Substanz nichts anderes verstanden werden kann als eine endliche Substanz, was (nach Lehrsatz 8) einen offenen Widerspruch enthlt. L e h r s a t z 14 . Auer Gott kann es keine Substanz geben und keine begriffen werden. B e w e i s : Da Gott ein unbedingt unendliches Seiendes ist, von dem kein Attribut, das eine Essenz von Substanz ausdrˇckt, verneint werden kann (nach Definition 6), und da er notwendigerweise existiert (nach Lehrsatz 11), mˇte, wenn es irgendeine Substanz auer Gott gbe, diese durch irgendein Attribut Gottes erklrt werden; und dann existierten zwei Substanzen desselben Attributes, was (nach Lehrsatz 5) widersinnig ist; mithin kann es keine Substanz auer Gott geben und folglich auch keine begriffen werden. Denn k˛nnte eine solche begriffen werden, mˇte sie zwangslufig als existierend begriffen werden; das ist aber (nach dem ersten Teil dieses Beweises) widersinnig. Also kann es auer Gott keine Substanz geben und keine begriffen werden. W. z. b. w. Fo l g e s a t z 1 : Hieraus folgt ganz klar, 1. da Gott einzig ist, d. h. (nach Definition 6), da es in der Natur nur eine Substanz gibt und diese unbedingt unendlich ist, wie wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 10 schon angedeutet haben. Fo l g e s a t z 2 : Es folgt 2., da ein ausgedehntes Ding und ein denkendes Ding entweder Attribute Gottes sind oder (nach Axiom 1) Affektionen der Attribute Gottes. L e h r s a t z 15 . Was auch immer ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein oder begriffen werden. B e w e i s : Auer Gott gibt es keine Substanz und kann auch keine begriffen werden (nach Lehrsatz 14), d. h. (nach Definition 3) kein Ding, das in sich selbst ist und durch sich selbst begriffen wird. Modi andererseits k˛nnen (nach Definition 5) ohne eine Substanz weder sein noch begriffen werden; sie k˛nnen deshalb allein in der g˛ttlichen Natur sein und allein durch diese begriffen werden. Auer Substanzen und
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praeter substantias et modos nil datur | (per axiom. 1.). Ergo nihil sine Deo esse neque concipi potest. Q. e. d. S c h o l i u m . Sunt, qui Deum instar hominis corpore et mente constantem atque passionibus obnoxium fingunt; sed, quam longe hi a vera Dei cognitione aberrent, satis ex jam demonstratis constat. Sed hos mitto; nam omnes, qui naturam divinam aliquo modo contemplati sunt, Deum esse corporeum negant. Quod etiam optime probant ex eo, quod per corpus intelligimus quamcunque quantitatem, longam, latam et profundam, certa aliqua figura terminatam, quo nihil absurdius de Deo, ente scilicet absolute infinito, dici potest. Attamen interim aliis rationibus, quibus hoc idem demonstrare conantur, clare ostendunt se substantiam ipsam corpoream sive extensam a natura divina omnino removere, atque ipsam a Deo creatam statuunt. Ex qua autem divina potentia creari potuerit, prorsus ignorant; quod clare ostendit illos id, quod ipsimet dicunt, non intelligere. Ego saltem satis clare, meo quidem judicio, demonstravi (vide coroll. prop. 6. et schol. 2. prop. 8.) nullam substantiam ab alio posse produci vel creari. Porro prop. 14. ostendimus praeter Deum nullam dari neque concipi posse substantiam; atque hinc conclusimus substantiam extensam unum ex infinitis Dei attributis esse. Verum, ad pleniorem explicationem adversariorum argumenta refutabo, quae omnia huc redeunt. Primo, quod substantia corporea, quatenus substantia, constat, ut putant, partibus; et ideo eandem infinitam posse esse et consequenter ad Deum pertinere posse negant. Atque hoc multis exemplis explicant, ex quibus unum aut alterum afferam. Si substantia corporea, ajunt, est infinita, concipia-
21 hinc] NS ergnzen (in de tweede Toegift van de zelfde Voorstelling in dit deel) 25 Primo] kein Absatz in OP
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Modi gibt es aber nichts (nach Axiom 1). Also kann nichts ohne Gott sein oder begriffen werden. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Manche bilden sich einen Gott ein, der, ganz wie ein Mensch, aus einem K˛rper und einem Geist besteht und Leidenschaften unterworfen ist. Wie weit diese Leute von der wahren Erkenntnis Gottes entfernt sind, geht aber aus dem bisher Erwiesenen zur Genˇge hervor. So gehe ich auf sie nicht weiter ein; denn alle, die ˇber die g˛ttliche Natur einigermaen nachgedacht haben, verneinen, da Gott k˛rperlich ist. Sie beweisen das ˇbrigens sehr gut daraus, da wir unter K˛rper irgendeine Quantitt verstehen, die lang, breit und tief ist und die Grenzen einer bestimmten Gestalt hat, was von Gott als einem unbedingt unendlichen Seienden zu sagen h˛chst widersinnig wre. Indessen machen die anderen Grˇnde, mit denen sie dies zu beweisen suchen, doch deutlich, da sie gerade k˛rperliche oder ausgedehnte Substanz von der g˛ttlichen Natur ganz fernhalten, mit der Behauptung, sie sei geschaffen von Gott. Kraft welcher g˛ttlichen Macht sie aber hat geschaffen werden k˛nnen, wissen sie ganz und gar nicht, was klar zeigt, da sie nicht recht verstehen, was sie selbst sagen. Was mich angeht, so habe ich, nach meinem Urteil wenigstens, klar genug bewiesen (siehe Folgesatz zu Lehrsatz 6 und Anmerkung 2 zu Lehrsatz 8), da keine Substanz von etwas anderem hervorgebracht oder geschaffen werden kann. Ferner haben wir in Lehrsatz 14 gezeigt, da es auer Gott keine Substanz geben und keine begriffen werden kann; und daraus haben wir [NS: in Folgesatz 2 zu dem genannten Lehrsatz] geschlossen, da ausgedehnte Substanz eines von Gottes unendlichen Attributen ist. Allein, um die Sache besser zu erlutern, will ich die Argumente meiner Gegner eigens widerlegen, die alle auf folgendes hinauslaufen. Erstens meinen sie, k˛rperliche Substanz bestehe, insofern sie Substanz ist, aus Teilen, und verneinen deshalb, da sie unendlich sein und folglich zu Gott geh˛ren k˛nne. An zahlreichen Beispielen erlutern sie dies, von denen ich einige anfˇhren will. Angenommen, sagen sie, eine k˛rperliche
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tur in duas partes dividi; erit unaquaeque pars vel finita, vel infinita. Si illud, componitur ergo infinitum ex duabus partibus finitis, quod est absurdum. Si hoc, datur ergo infinitum duplo majus alio infinito, quod etiam est absurdum. Porro, si quantitas infinita mensuratur partibus pedes aequantibus, infinitis talibus partibus constare debebit ut et, si partibus mensuretur digitos aequantibus; ac propterea unus numerus infinitus erit duodecies major alio infinito. Denique, si ex uno puncto infinitae cujus|dam quantitatis concipiatur, duas lineas, ut AB, AC, certa ac determinata in initio distantia in infinitum protendi; certum est distantiam inter B et C continuo B augeri et tandem ex determinata indeterminabilem fore. Cum igitur haec absurA C da sequantur, ut putant, ex eo, quod quantitas infinita supponitur, inde concludunt substantiam corpoream debere esse finitam et consequenter ad Dei essentiam non pertinere. Secundum argumentum petitur etiam a summa Dei perfectione. Deus enim, inquiunt, cum sit ens summe perfectum, pati non potest: atqui substantia corporea, quandoquidem divisibilis est, pati potest; sequitur ergo ipsam ad Dei essentiam non pertinere. Haec sunt, quae apud scriptores invenio argumenta, quibus ostendere conantur substantiam corpoream divina natura indignam esse nec ad eandem posse pertinere. Verumenimvero, si quis recte attendat, me ad haec jam respondisse comperiet; quandoquidem haec argumenta in eo tantum fundantur, quod substantiam corpoream ex partibus componi supponunt, quod jam (prop. 12. cum coroll. prop. 13.) absurdum esse ostendi. Deinde, si quis rem recte perpendere velit, videbit omnia illa absurda (siquidem omnia absurda sunt, de
3 hoc,] NS ergnzen te weten dat yder deel oneindig is, 8 infinito.] NS ergnzen ’t welk niet minder ongerijmt is 22 Haec] kein Absatz in OP
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Substanz ist unendlich, so nehme man einmal an, da sie in zwei Teile geteilt wird; jeder Teil wird dann entweder endlich oder unendlich sein. Gilt das erste, dann ist ein Unendliches aus zwei endlichen Teilen zusammengesetzt, was widersinnig ist. Gilt das andere [NS: da nmlich jeder Teil unendlich ist], dann gibt es ein Unendliches, das doppelt so gro ist wie ein anderes Unendliches, was ebenfalls widersinnig ist. Ferner, wenn eine unendliche Gr˛e nach Teilen von der Lnge eines Fues gemessen wird, wird sie aus unendlich vielen solchen Teilen bestehen mˇssen und ebenso, wenn sie nach Teilen von der Lnge eines Zolls gemessen wird; und dann wird eine unendliche Zahl zw˛lfmal gr˛er sein als eine andere unendliche Zahl, [NS: was nicht weniger widersinnig ist]. Schlielich, wenn man annimmt, da von einem Punkt irgendeiner unendlichen Gr˛e aus zwei Linien, wie AB und AC, mit festbestimmten Anfangsabstnden ins Unendliche B verlngert werden, dann wird der Abstand zwischen B und C stndig wachA C sen und schlielich aus einem bestimmten zu einem unbestimmbaren werden. Da ihrer Meinung nach derartiger Widersinn aus der Annahme einer unendlichen Gr˛e folgt, schlieen sie daraus, da k˛rperliche Substanz endlich sein mu und folglich nicht zu Gottes Essenz geh˛rt. Ihr zweites Argument ist ebenfalls Gottes h˛chster Vollkommenheit entnommen. Gott nmlich, sagen sie, kann als h˛chstvollkommenes Seiendes nichts erleiden; eine k˛rperliche Substanz kann aber etwas erleiden, da sie ja teilbar ist, woraus folgt, da sie zu Gottes Essenz nicht geh˛rt. Das sind die Argumente, die ich bei Autoren finde, mit denen sie zu zeigen suchen, da k˛rperliche Substanz der g˛ttlichen Natur unwˇrdig ist und zu ihr nicht geh˛ren kann. Allein, wer recht acht gibt, wird bemerken, da ich hierauf bereits geantwortet habe, da ja die genannten Argumente allein auf der Annahme beruhen, k˛rperliche Substanz bestehe aus Teilen, deren Widersinn ich schon (in Lehrsatz 12 und Folgesatz zu Lehrsatz 13) aufgezeigt habe. Noch einmal, wer die Sache recht bedenkt, wird sehen, da alle jene Widersinnigkei-
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quo jam non disputo), ex quibus concludere volunt substantiam extensam finitam esse, minime ex eo sequi, quod quantitas infinita supponatur, sed quod quantitatem infinitam mensurabilem et ex partibus finitis conflari supponunt; quare ex absurdis, quae inde sequuntur, nihil aliud concludere possunt, quam quod quantitas infinita non sit mensurabilis et quod ex partibus finitis conflari non possit. Atque hoc idem est, quod nos supra (prop. 12. etc.) jam demonstravimus. Quare telum, quod in nos intendunt, in se ipsos revera conjiciunt. Si igitur ipsi ex suo hoc absurdo concludere tamen volunt substantiam extensam debere esse finitam, nihil aliud hercle faciunt, quam si quis ex eo, quod finxit circulum quadrati proprietates habere, concludit circulum non habere centrum, ex quo omnes ad circumferentiam ductae lineae sunt aequales. Nam substantiam corpoream, quae non nisi infinita, non nisi unica et | non nisi indivisibilis potest concipi (vid. prop. 8., 5. et 12.), eam ipsi ad concludendum, eandem esse finitam, ex partibus finitis conflari et multiplicem esse et divisibilem concipiunt. Sic etiam alii, postquam fingunt lineam ex punctis componi, multa sciunt invenire argumenta, quibus ostendant lineam non posse in infinitum dividi. Et profecto, non minus absurdum est ponere, quod substantia corporea ex corporibus sive partibus componatur, quam quod corpus ex superficiebus, superficies ex lineis, lineae denique ex punctis componantur. Atque hoc omnes, qui claram rationem infallibilem esse sciunt, fateri debent, et imprimis ii, qui negant dari vacuum. Nam si substantia corporea ita posset dividi, ut ejus partes realiter distinctae essent; cur ergo una pars non posset annihilari, manentibus reliquis ut ante inter se connexis? Et cur omnes ita aptari debent, ne detur vacuum? Sane rerum, quae
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ten (wenn sie denn alle wirklich widersinnig sind, worˇber ich jetzt nicht streiten will), aus denen sie schlieen wollen, da eine ausgedehnte Substanz endlich ist, keineswegs aus der Annahme einer unendlichen Gr˛e folgen, sondern aus der Annahme, eine unendliche Gr˛e sei mebar und aus endlichen Teilen zusammengesetzt. Aus den daraus sich ergebenden Widersinnigkeiten k˛nnen sie deshalb nur dies folgern, da eine unendliche Gr˛e weder mebar ist noch aus endlichen Teilen zusammengesetzt sein kann. Und das ist dasselbe, was wir oben (Lehrsatz 12 usw.) schon bewiesen haben. Das Gescho, das sie gegen uns richten, trifft daher in Wahrheit sie selbst. Wenn sie also aus ihrer widersinnigen Annahme noch immer schlieen wollen, da eine ausgedehnte Substanz endlich sein mu, so tun sie fˇrwahr genau dasselbe wie jemand, der sich einbildet, ein Kreis habe die Eigenschaften eines Vierecks, und daraus schliet, da der Kreis keinen Mittelpunkt hat, von dem aus alle nach der Peripherie gezogenen Linien einander gleich sind. Denn sie denken sich k˛rperliche Substanz, die nur als unendlich, nur als einzig und nur als unteilbar begriffen werden kann (siehe Lehrsatz 8, 5 und 12), als aus endlichen Teilen zusammengesetzt, als vielfach und als teilbar, um daraus auf deren Endlichkeit zu schlieen. So wissen auch andere, nachdem sie sich einbilden, eine Linie setze sich aus Punkten zusammen, vielerlei Argumente beizubringen, die zeigen sollen, da eine Linie nicht ins Unendliche geteilt werden kann. Und gewi ist es nicht minder widersinnig zu behaupten, da eine k˛rperliche Substanz aus K˛rpern oder Teilen sich zusammensetzt, als zu behaupten, ein K˛rper setze sich aus Flchen, Flchen aus Linien und Linien endlich aus Punkten zusammen. Das mˇssen alle, die wissen, da klare Vernunft untrˇglich ist, zugeben, insbesondere diejenigen, die bestreiten, da es einen leeren Raum gibt. Denn liee sich eine k˛rperliche Substanz so teilen, da ihre Teile real unterschieden wren, warum k˛nnte dann nicht ein Teil vernichtet werden, whrend die ˇbrigen, wie zuvor, miteinander verbunden bleiben? Und warum mˇssen dann alle so zueinander passen, da es einen leeren
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realiter ab invicem distinctae sunt, una sine alia esse et in suo statu manere potest. Cum igitur vacuum in natura non detur (de quo alias), sed omnes partes ita concurrere debent, ne detur vacuum, sequitur hinc etiam easdem non posse realiter dinstingui, hoc est substantiam corpoream, quatenus substantia est, non posse dividi. Si quis tamen jam quaerat, cur nos ex natura ita propensi simus ad dividendam quantitatem, ei respondeo, quod quantitas duobus modis a nobis concipitur, abstacte scilicet sive superficialiter, prout nempe ipsam imaginamur, vel ut substantia, quod a solo intellectu fit. Si itaque ad quantitatem attendimus, prout in imaginatione est, quod saepe et facilius a nobis fit, reperietur finita, divisibilis et ex partibus conflata; si autem ad ipsam, prout in intellectu est, attendimus et eam, quatenus substantia est, concipimus, quod difficillime fit, tum, ut jam satis demonstravimus, infinita, unica et indivisibilis reperietur. Quod omnibus, qui inter imaginationem et intellectum distinguere sciverint, satis manifestum erit; praecipue si ad hoc etiam attendatur, quod materia ubique eadem est nec partes in eadem distinguuntur, nisi quatenus materiam diversimode affectam esse concipimus, unde ejus partes modaliter tantum distinguuntur, non autem realiter. Ex. gr. aquam, qua|tenus aqua est, dividi concipimus ejusque partes ab invicem separari; at non, quatenus substantia est corporea; eatenus enim neque separatur, neque dividitur. Porro aqua, quatenus aqua, generatur et corrumpitur; at, quatenus substantia nec generatur nec corrumpitur. Atque his me ad secundum argumentum etiam respondisse puto; quandoquidem id in eo etiam fundatur, quod ma-
7 Si] kein Absatz in OP 10 ipsam] NS ergnzen gemenelijk 11 intellectu] NS ergnzen zonder behulp van d’inbeelding 18 Quod] kein Absatz in OP 29 Atque] kein Absatz in OP
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Raum nicht gibt? In der Tat, wenn Dinge real voneinander unterschieden sind, dann kann das eine ohne das andere sein und in seinem Zustand verbleiben. Weil es also einen leeren Raum in der Natur nicht gibt (was [ich] an anderer Stelle [er˛rtert habe]), sondern alle Teile so zusammentreffen mˇssen, da es ihn nicht gibt, folgt daraus auch, da sie nicht real unterschieden sein k˛nnen, d. h. da k˛rperliche Substanz, insofern sie Substanz ist, nicht geteilt werden kann. Wenn indes jemand fragt, warum wir von Natur aus so geneigt sind, Quantitt zu teilen, so erwidere ich ihm, da Quantitt auf zweierlei Weise von uns aufgefat wird, nmlich einmal abstrakt, also oberflchlich, wie wir sie [NS: gew˛hnlich] vorstellen, zum anderen als Substanz, was von dem Verstand allein [NS: ohne Hilfe der Vorstellungskraft] geleistet wird. Wenn wir daher Quantitt ins Auge fassen, wie sie in der bloen Vorstellung ist, was hufig geschieht und uns leichter fllt, dann wird sie als endlich, teilbar und aus Teilen zusammengesetzt erfahren werden. Fassen wir sie aber ins Auge, wie sie im Verstand ist, und begreifen wir sie, insofern sie Substanz ist, was sehr schwierig ist, dann wird sie, wie wir schon zur Genˇge bewiesen haben, als unendlich, einzig und unteilbar erfahren werden. Das wird allen, die gelernt haben, zwischen Vorstellungskraft und Verstand zu unterscheiden, hinreichend klar sein, besonders wenn noch berˇcksichtigt wird, da die Materie ˇberall dieselbe ist und Teile sich in ihr nur insofern unterscheiden lassen, als wir die Materie als in verschiedener Weise affiziert begreifen, worin ihre Teile nur modal, nicht aber real unterschieden sind. Beispielsweise begreifen wir, da Wasser, insofern es Wasser ist, sich teilen lt und seine Teile sich voneinander trennen lassen, nicht aber, insofern es k˛rperliche Substanz ist; in dieser Hinsicht lt es sich nmlich weder teilen noch trennen. Ferner, insofern es Wasser ist, entsteht und vergeht Wasser; doch insofern es Substanz ist, entsteht und vergeht es nicht. Hiermit glaube ich auch auf das zweite Argument geantwortet zu haben, beruht es doch ebenfalls auf der Annahme,
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teria, quatenus substantia, divisibilis sit et ex partibus confletur. Et quamvis hoc non esset, nescio, cur divina natura indigna esset; quandoquidem (per prop. 14.) extra Deum nulla substantia dari potest, a qua ipsa pateretur. Omnia, inquam, in Deo sunt et omnia, quae fiunt, per solas leges infinitae Dei naturae fiunt et ex necessitate ejus essentiae (ut mox ostendam) sequuntur; quare nulla ratione dici potest Deum ab alio pati aut substantiam extensam divina natura indignam esse; tametsi divisibilis supponatur, dummodo aeterna et infinita concedatur. Sed de his impraesentiarum satis. P r o p o s i t i o X V I . Ex necessitate divinae naturae infinita infinitis modis (hoc est omnia, quae sub intellectum infinitum cadere possunt) sequi debent. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio unicuique manifesta esse debet, si modo ad hoc attendat, quod ex data cujuscunque rei definitione plures proprietates intellectus concludit, quae revera ex eadem (hoc est ipsa rei essentia) necessario sequuntur, et eo plures, quo plus realitatis rei definitio exprimit, hoc est, quo plus realitatis rei definitae essentia involvit. Cum autem natura divina infinita absolute attributa habeat (per defin. 6.), quorum etiam unumquodque infinitam essentiam in suo genere exprimit, ex ejusdem ergo necessitate infinita infinitis modis (hoc est omnia, quae sub intellectum infinitum cadere possunt) necessario sequi debent. Q. e. d. C o r o l l a r i u m I . Hinc sequitur Deum omnium rerum, quae sub intellectum infinitum cadere possunt, esse causam efficientem.| C o r o l l a r i u m I I . Sequitur II°. Deum causam esse per se, non vero per accidens.
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da die Materie, als Substanz, teilbar sei und sich aus Teilen zusammensetze. Aber auch unabhngig davon wˇte ich nicht, warum die Materie der g˛ttlichen Natur unwˇrdig wre, da es doch (nach Lehrsatz 14) auerhalb von Gott keine Substanz geben kann, von der her [die g˛ttliche Natur] etwas erleiden k˛nnte. Alle Dinge, sage ich, sind in Gott, und alle Dinge, die sich ereignen, ereignen sich durch die bloen Gesetze der unendlichen Natur Gottes, folgen also aus der Notwendigkeit seiner Essenz, wie ich gleich zeigen werde. Man kann daher in keiner Weise sagen, Gott erleide etwas von einem anderen oder ausgedehnte Substanz sei der g˛ttlichen Natur unwˇrdig, selbst wenn deren Teilbarkeit angenommen wird, solange nur anerkannt wird, da sie ewig und unendlich ist. Doch fˇr jetzt genug hiervon. L e h r s a t z 16 . Aus der Notwendigkeit der g˛ttlichen Natur mu unendlich vieles auf unendlich viele Weisen folgen (d. h. alles, was unter einen unendlichen Verstand fallen kann). B e w e i s : Dieser Lehrsatz mu jedem einleuchten, der beachtet, da der Verstand aus der gegebenen Definition eines jeden Dinges mehrere Eigenschaften erschliet, die auch wirklich aus ihr (d. h. genau aus der Essenz des Dinges) notwendigerweise folgen, und zwar umso mehr, je mehr Realitt die Definition des Dinges ausdrˇckt, d. h. je mehr Realitt die Essenz des definierten Dinges in sich schliet. Weil nun die g˛ttliche Natur in unbedingter Weise unendliche Attribute hat (nach Definition 6), von denen jedes ebenfalls eine unendliche Essenz in seiner eigenen Gattung ausdrˇckt, mu aus ihrer Notwendigkeit unendlich vieles auf unendlich viele Weisen (d. h. alles, was unter einen unendlichen Verstand fallen kann) notwendigerweise folgen. W. z. b. w. Fo l g e s a t z 1 : Hieraus folgt [erstens], da Gott die bewirkende Ursache aller Dinge ist, die unter einen unendlichen Verstand fallen k˛nnen. Fo l g e s a t z 2 : Es folgt zweitens, da Gott Ursache durch sich ist, nicht aber Ursache durch Zufall.
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C o r o l l a r i u m I I I . Sequitur III°. Deum esse absolute causam primam.
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P r o p o s i t i o X V I I . Deus ex solis suae naturae legibus et a nemine coactus agit. D e m o n s t ra t i o . Ex sola divinae naturae necessitate vel (quod idem est) ex solis ejusdem naturae legibus infinita absolute sequi, modo prop. 16. ostendimus; et prop. 15. demonstravimus nihil sine Deo esse nec concipi posse, sed omnia in Deo esse; quare nihil extra ipsum esse potest, a quo ad agendum determinetur vel cogatur, atque adeo Deus ex solis suae naturae legibus et a nemine coactus agit. Q. e. d. C o r o l l a r i u m I . Hinc sequitur I°. nullam dari causam, quae Deum extrinsece vel intrinsece, praeter ipsius naturae perfectionem, incitet ad agendum. C o r o l l a r i u m I I . Sequitur II°. solum Deum esse causam liberam. Deus enim solus ex sola suae naturae necessitate existit (per prop. 11. et coroll. 1. prop. 14.) et ex sola suae naturae necessitate agit (per prop. praeced.). Adeoque (per defin. 7.) solus est causa libera. Q. e. d. S c h o l i u m . Alii putant Deum esse causam liberam, propterea quod potest, ut putant, efficere, ut ea, quae ex ejus natura sequi diximus, hoc est quae in ejus potestate sunt, non fiant sive ut ab ipso non producantur. Sed hoc idem est, ac si dicerent, quod Deus potest efficere, ut ex natura trianguli non sequatur ejus tres angulos aequales esse duobus rectis; sive ut ex data causa non se|quatur effectus, quod est absurdum. Porro infra absque ope hujus propositionis ostendam ad Dei naturam neque intellectum neque voluntatem pertinere. Scio equidem plures esse, qui putant se posse demonstrare ad Dei naturam summum intellectum et liberam voluntatem
17 coroll. 1.] coroll.
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Fo l g e s a t z 3 : Es folgt drittens, da Gott in unbedingter Weise erste Ursache ist. L e h r s a t z 17. Gott handelt nach den bloen Gesetzen seiner Natur und von niemanden gezwungen. B e w e i s : Da aus der bloen Notwendigkeit der g˛ttlichen Natur oder (was dasselbe ist) aus den bloen Gesetzen dieser Natur unendlich vieles in unbedingter Weise folgt, haben wir soeben in Lehrsatz 16 gezeigt; und in Lehrsatz 15 haben wir bewiesen, da nichts ohne Gott sein oder begriffen werden kann, da vielmehr alles in Gott ist. Deshalb kann nichts auerhalb von ihm sein, von dem her er zum Handeln bestimmt oder gezwungen wˇrde. Mithin handelt Gott nach den bloen Gesetzen seiner Natur und von niemanden gezwungen. W. z. b. w. Fo l g e s a t z 1 : Hieraus folgt erstens, da es neben der Vollkommenheit seiner Natur keine weitere Ursache gibt, die Gott von auen oder von innen zum Handeln antreibt. Fo l g e s a t z 2 : Es folgt zweitens, da allein Gott eine freie Ursache ist. Allein Gott existiert nmlich aus der bloen Notwendigkeit seiner Natur (nach Lehrsatz 11 und Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14), und allein er handelt aus der bloen Notwendigkeit seiner Natur (nach vorigem Lehrsatz). Mithin ist (nach Definition 7) allein er eine freie Ursache. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Andere meinen, Gott sei eine freie Ursache, weil er, so meinen sie, zuwege bringen kann, da das, was uns zufolge aus seiner Natur folgt, d. h. was in seiner Gewalt steht, nicht geschieht, also von ihm nicht hervorgebracht wird. Aber dies ist gerade so, als ob sie sagten, Gott k˛nne zuwege bringen, da aus der Natur des Dreiecks nicht folgt, da seine drei Winkel gleich zwei rechten sind, oder da aus einer gegebenen Ursache die Wirkung nicht erfolgt, was widersinnig ist. Im ˇbrigen werde ich unten, ohne diesen Lehrsatz heranzuziehen, zeigen, da weder Verstand noch Wille zu Gottes Natur geh˛ren. Ich wei allerdings, da viele glauben beweisen zu k˛nnen, da zu Gottes Natur ein h˛chster Verstand und ein freier Wille geh˛ren. Sie sagen nmlich,
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pertinere; nihil enim perfectius cognoscere sese ajunt, quod Deo tribuere possunt, quam id, quod in nobis summa est perfectio. Porro, tametsi Deum actu summe intelligentem concipiant, non tamen credunt eum posse omnia, quae actu intelligit, efficere, ut existant; nam se eo modo Dei potentiam destruere putant. Si omnia, inquiunt, quae in ejus intellectu sunt, creavisset, nihil tum amplius creare potuisset, quod credunt Dei omnipotentiae repugnare; ideoque maluerunt Deum ad omnia indifferentem statuere nec aliud creantem praeter id, quod absoluta quadam voluntate decrevit creare. Verum ego me satis clare ostendisse puto (vid. prop. 16.) a summa Dei potentia sive infinita natura infinita infinitis modis, hoc est omnia, necessario effluxisse vel semper eadem necessitate sequi, eodem modo ac ex natura trianguli ab aeterno et in aeternum sequitur ejus tres angulos aequari duobus rectis. Quare Dei omnipotentia actu ab aeterno fuit et in aeternum in eadem actualitate manebit. Et hoc modo Dei omnipotentia longe, meo quidem judicio, perfectior statuitur. Imo adversarii Dei omnipotentiam (liceat aperte loqui) negare videntur. Coguntur enim fateri Deum infinita creabilia intelligere, quae tamen nunquam creare poterit. Nam alias, si scilicet omnia, quae intelligit, crearet, suam, juxta ipsos, exhauriret omnipotentiam et se imperfectum redderet. Ut igitur Deum perfectum statuant, eo rediguntur, ut simul statuere debeant ipsum non posse omnia efficere, ad quae ejus potentia se extendit, quo absurdius aut Dei omnipotentiae magis repugnans non video, quid fingi possit. Porro, ut de intellectu et voluntate, quos Deo communiter tribuimus, hic etiam aliquid dicam; si ad aeternam Dei essen-
11 Verum] kein Absatz in OP 28 Porro] kein Absatz in OP
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da sie nichts Vollkommeneres kennen, das sich Gott zuschreiben lt, als das, was in uns die h˛chste Vollkommenheit ist. Andererseits glauben sie, m˛gen sie auch Gott als ein in Wirklichkeit h˛chstintelligentes Wesen auffassen, doch nicht, er k˛nne zuwege bringen, da alle Dinge, die er wirklich erkennt, auch existieren, glauben sie doch, mit einer solchen Annahme Gottes Macht zu vernichten. Htte er, sagen sie, alle Dinge, die in seinem Verstand sind, geschaffen, dann htte er nichts darˇber hinaus erschaffen k˛nnen, was ihrer Meinung nach Gottes Allmacht widerstreitet; so nehmen sie lieber einen Gott an, der gegen alles indifferent ist und nur solches erschafft, das er nach irgendeinem unbedingten Willen zu erschaffen beschlossen hat. Ich glaube jedoch klar genug gezeigt zu haben (siehe Lehrsatz 16), da aus Gottes h˛chster Macht, d. h. aus seiner unendlichen Natur, unendlich vieles auf unendlich viele Weisen, also alles, notwendigerweise geflossen ist, anders formuliert, immer mit derselben Notwendigkeit und auf dieselbe Weise folgt, wie aus der Natur eines Dreiecks von Ewigkeit her und in Ewigkeit folgt, da seine drei Winkel gleich zwei rechten sind. Daher ist Gottes Allmacht von Ewigkeit her wirklich gewesen und wird in Ewigkeit in derselben Wirklichkeit verbleiben. So wird man Gottes Allmacht, nach meiner Ansicht wenigstens, in h˛herem Mae gerecht. Ja (wenn ich offen reden darf), es sieht so aus, als ob meine Gegner Gottes Allmacht leugnen, sind sie doch gezwungen zuzugestehen, da Gott unendlich vieles erkennt, das sich erschaffen lt, er aber niemals wird erschaffen k˛nnen. Denn sonst (wenn er alles, was er erkennt, erschˇfe) wˇrde er ihnen zufolge seine Allmacht aussch˛pfen und sich selbst unvollkommen machen. Um Gott als vollkommen hinzustellen, sehen sie sich also gen˛tigt, zugleich zu behaupten, er k˛nne nicht alles, worauf seine Macht sich erstreckt, auch zuwege bringen. Ich sehe nicht, da sich etwas ersinnen lt, das widersinniger wre oder Gottes Allmacht mehr zuwiderluft. Jetzt will ich ˇber den Verstand und den Willen, den wir Gott gew˛hnlich zusprechen, noch einiges sagen. Wenn Ver-
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tiam intellectus scilicet et voluntas pertinent, aliud sane per utrumque hoc attributum intelligendum est, quam quod vulgo solent homines. Nam intellectus et voluntas, qui Dei essentiam constituerent, a nostro intellectu et volunta|te toto coelo differre deberent nec in ulla re praeterquam in nomine convenire possent; non aliter scilicet quam inter se conveniunt canis, signum coeleste, et canis, animal latrans. Quod sic demonstrabo. Si intellectus ad divinam naturam pertinet, non poterit uti noster intellectus posterior (ut plerisque placet) vel simul natura esse cum rebus intellectis, quandoquidem Deus omnibus rebus prior est causalitate (per coroll. 1. prop. 16.); sed contra, veritas et formalis rerum essentia ideo talis est, quia talis in Dei intellectu existit objective. Quare Dei intellectus, quatenus Dei essentiam constituere concipitur, est revera causa rerum tam earum essentiae quam earum existentiae; quod ab iis videtur etiam fuisse animadversum, qui Dei intellectum, voluntatem et potentiam unum et idem esse asseruerunt. Cum itaque Dei intellectus sit unica rerum causa, videlicet (ut ostendimus) tam earum essentiae quam earum existentiae, debet ipse necessario ab iisdem differre tam ratione essentiae quam ratione existentiae. Nam causatum differt a sua causa praecise in eo, quod a causa habet. Ex. gr. homo est causa existentiae, non vero essentiae alterius hominis; est enim haec aeterna veritas; et ideo secundum essentiam prorsus convenire possunt, in existendo autem differre debent; et propterea, si unius existentia pereat, non ideo alterius peribit; sed, si unius essentia destrui posset et fieri falsa, destrueretur etiam alterius essentia. Quapropter res, quae et essentiae et existentiae alicujus effectus est causa, a tali effec-
22 habet.] NS ergnzen daar˛m het een gewrocht van zulk een oorzaak gezegt word
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stand und Wille zu Gottes ewiger Essenz geh˛ren, dann ist unter diesen beiden Attributen natˇrlich etwas anderes zu verstehen, als was Menschen gew˛hnlich damit zu verbinden pflegen. Denn ein Verstand und ein Wille, die Gottes Essenz ausmachten, mˇten von unserem Verstand und unserem Willen himmelweit verschieden sein und k˛nnten mit ihm h˛chstens im Namen ˇbereinkommen, so wie das bei dem Sternbild Hundß und dem bellenden Tier Hundß der Fall ist. Ich will dies wie folgt beweisen. Wenn Verstand zur g˛ttlichen Natur geh˛rt, wird er nicht, wie der unsrige, seiner Natur nach spter als die erkannten Dinge sein k˛nnen (wie die meisten m˛chten), aber auch nicht gleichzeitig mit ihnen, da ja Gott in seiner Kausalitt allen Dingen vorangeht (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 16). Vielmehr sind Dinge in ihrer Wahrheit und ansichseienden Essenz so beschaffen, wie sie sind, weil sie genau so in objektiver Weise in Gottes Verstand existieren. Deshalb ist Gottes Verstand, begriffen als etwas, das Gottes Essenz ausmacht, die Ursache sowohl der Essenz wie der Existenz der Dinge. Das scheinen auch diejenigen bemerkt zu haben, die Gottes Verstand, Wille und Macht fˇr ein und dasselbe erklrten. Ist demnach Gottes Verstand die einzige Ursache der Dinge und zwar (wie gesagt) ihrer Essenz wie ihrer Existenz, dann mu er sowohl seiner Essenz wie seiner Existenz nach unausweichlich von ihnen verschieden sein. Denn was verursacht ist, unterscheidet sich von seiner Ursache genau in dem, was es von der Ursache hat. [NS: Deshalb wird es die Wirkung einer solchen Ursache genannt.] Ein Mensch z. B. ist die Ursache der Existenz eines anderen Menschen, nicht aber seiner Essenz, die nmlich eine ewige Wahrheit ist; so k˛nnen sie hinsichtlich ihrer Essenz v˛llig ˇbereinstimmen, als existierende mˇssen sie dagegen verschieden sein. Und deshalb wird, wenn die Existenz des einen zugrunde geht, damit nicht die des anderen zugrunde gehen; k˛nnte hingegen die Essenz des einen zerst˛rt und nichtig werden, wˇrde auch die Essenz des anderen zerst˛rt werden. Aus diesem Grund mu das Ding, das die Ursache der Essenz wie der Existenz irgendeiner Wirkung ist, von
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tu differre debet tam ratione essentiae quam ratione existentiae. Atqui Dei intellectus est et essentiae et existentiae nostri intellectus causa: ergo Dei intellectus, quatenus divinam essentiam constituere concipitur, a nostro intellectu tam ratione essentiae quam ratione existentiae differt nec in ulla re praeterquam in nomine cum eo convenire potest, ut volebamus. Circa voluntatem eodem modo proceditur, ut facile unusquisque videre potest. P r o p o s i t i o X V I I I . Deus est omnium rerum causa immanens, non vero transiens. | D e m o n s t ra t i o . Omnia, quae sunt, in Deo sunt et per Deum concipi debent (per prop. 15.), adeoque (per coroll. 1. prop. 16. ) Deus rerum, quae in ipso sunt, est causa, quod est primum. Deinde extra Deum nulla potest dari substantia (per prop. 14.), hoc est (per defin. 3.) res, quae extra Deum in se sit, quod erat secundum. Deus ergo est omnium rerum causa immanens, non vero transiens. Q. e. d. P r o p o s i t i o X I X . Deus sive omnia Dei attributa sunt aeterna. D e m o n s t ra t i o . Deus enim (per defin. 6.) est substantia, quae (per prop. 11.) necessario existit, hoc est (per prop. 7.), ad cujus naturam pertinet existere sive (quod idem est) ex cujus definitione sequitur ipsum existere, adeoque (per defin. 8.) est aeternus. Deinde per Dei attributa intelligendum est id, quod (per defin. 4.) divinae substantiae essentiam exprimit, hoc est id, quod ad substantiam pertinet: id ipsum, inquam, ipsa attributa involvere debent. Atqui ad naturam substantiae (ut jam ex prop. 7. demonstravi) pertinet aeternitas. Ergo unumquodque attributorum aeternitatem involvere debet, adeoque omnia sunt aeterna. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec propositio quam clarissime etiam patet ex modo, quo (prop. 11.) Dei existentiam demonstravi; ex ea, inquam, demonstratione constat Dei existentiam, sicut 13 prop. 16.] prop. 6.
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einer solchen Wirkung der Essenz wie der Existenz nach verschieden sein. Gottes Verstand ist aber die Ursache sowohl der Essenz wie der Existenz unseres Verstandes; also ist Gottes Verstand, begriffen als etwas, das die g˛ttliche Essenz ausmacht, sowohl seiner Essenz wie seiner Existenz nach von unserem Verstand verschieden und kann h˛chstens im Namen mit ihm ˇbereinkommen, wie wir behaupteten. Fˇr den Willen luft der Beweis genauso, wie jeder leicht sehen kann. L e h r s a t z 18 . Gott ist die immanente, nicht aber die ˇbergehende Ursache aller Dinge. B e w e i s : Alles, was ist, ist in Gott und mu durch Gott begriffen werden (nach Lehrsatz 15); mithin ist (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 16) Gott die Ursache der Dinge, die in ihm sind. Das ist das erste. Sodann kann es auerhalb Gottes keine Substanz geben (nach Lehrsatz 14), d. h. (nach Definition 3) kein Ding, das auerhalb Gottes in sich selbst ist. Das war das zweite. Gott ist also die immanente Ursache aller Dinge, nicht aber die ˇbergehende. W. z. b. w. L e h r s a t z 19. Gott [ist ewig], d. h. alle Attribute Gottes sind ewig. B e w e i s : Gott ist nmlich (nach Definition 6) eine Substanz, die (nach Lehrsatz 11) notwendigerweise existiert, d. h. (nach Lehrsatz 7) zu deren Natur es geh˛rt zu existieren, oder (was dasselbe ist) aus dessen Definition folgt, da er existiert; mithin ist er (nach Definition 8) ewig. Sodann ist unter Gottes Attributen das zu verstehen, was (nach Definition 4) eine Essenz der g˛ttlichen Substanz ausdrˇckt, d. h. was zu Substanz geh˛rt; genau das, sage ich, mˇssen die Attribute selbst in sich schlieen. Zur Natur von Substanz geh˛rt aber (wie ich schon aus Lehrsatz 7 erwiesen habe) Ewigkeit. Also mu jedes der Attribute Ewigkeit in sich schlieen; mithin sind alle ewig. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dieser Lehrsatz ist auch aus der Weise, in der ich (in Lehrsatz 11) Gottes Existenz bewiesen habe, so evident wie m˛glich. Kraft dieses Beweises, sage ich, ist aus-
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ejus essentiam, aeternam esse veritatem. Deinde (prop. 19. >Principiorum Cartesiiquot capita tot sensussuo quemque sensu abundarenon minora cerebrorum quam palatorum esse discriminacommunes< vocantur quaeque ratiocinii nostri fundamenta sunt, explicui. Sed aliae quorundam axiomatum sive notionum causae dantur, quas hac nostra methodo explicare e re foret; ex iis namque constaret, quaenam notiones prae reliquis utiliores, quaenam vero vix ullius usus essent. Deinde quaenam communes, et quaenam iis tantum, qui praejudiciis non laborant, clarae et distinctae, et quaenam denique male fundatae sint. Praeterea constaret, unde notiones illae, quas >secundas< vocant, et consequenter axiomata, quae in iisdem fundantur, suam duxerunt originem, et alia, quae circa haec aliquando meditatus sum. Sed quoniam haec alii dicavi tractatui et etiam ne propter nimiam hujus rei prolixitatem fastidium crearem, hac re hic supersedere decrevi. Attamen ne quid horum omittam, quod scitu necessarium sit, causas breviter addam, ex quibus termini >transcendentales< dicti suam duxerunt originem, ut ens, res, aliquid. Hi termini ex hoc oriuntur, quod scilicet humanum corpus, quandoquidem limitatum est, tantum est capax certi imaginum
10 constituit] NS ergnzen en dieshalven moet het evenmatig wezen 11 S c h o l i u m I .] keine Numerierung in OP und NS 25 Attamen] kein Absatz in OP
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L e h r s a t z 4 0 . Ideen, welche auch immer, die im Geist aus Ideen folgen, die in ihm adquat sind, sind ebenfalls adquat. B e w e i s : Das ist evident. Denn wenn wir sagen, eine Idee folge in dem menschlichen Geist aus Ideen, die in ihm adquat sind, sagen wird nichts anderes (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils), als da es eben im g˛ttlichen Verstand eine Idee gibt, deren Ursache Gott ist, nicht insofern er unendlich ist, noch insofern er von den Ideen sehr vieler Einzeldinge affiziert ist, sondern insofern er nur die Essenz des menschlichen Geistes ausmacht [NS: und deshalb mu sie adquat sein]. A n m e r k u n g 1 : Hiermit habe ich die Ursache derjenigen Begriffe erklrt, die Gemeinbegriffeß genannt werden und die die Grundlagen unseres Schluverfahrens sind. Es gibt von einigen Axiomen oder Begriffen freilich auch andere Ursachen, die nach unserer Methode darzulegen gewi von Vorteil wre; sie so darzulegen wˇrde nmlich klar machen, welche Begriffe nˇtzlicher sind als andere und welche tatschlich von nahezu gar keinem Nutzen sind; ferner welche Begriffe [allen Menschen] gemeinsam sind, welche Begriffe nur denen, die nicht an Vorurteilen kranken, klar und deutlich sind, und endlich welche schlecht begrˇndet sind. Auerdem wre ausgemacht, worin diejenigen Begriffe, die man zweiteß Begriffe nennt, und folglich auch die in ihnen grˇndenden Axiome ihren Ursprung haben, und noch manch anderes zu diesen Sachverhalten, worˇber ich frˇher einmal nachgedacht habe. Allein da ich dies fˇr eine andere Abhandlung bestimmt habe und auch nicht durch zu groe Weitlufigkeit lstig fallen m˛chte, habe ich mich entschieden, hier darˇber hinwegzugehen. Um aber doch nichts fortzulassen, was zu wissen n˛tig ist, will ich wenigstens noch kurz etwas zu den Ursachen hinzufˇgen, in denen die sogenannten transzendentalen Begriffeß ihren Ursprung gehabt haben, also Termini wie Seiendesß, Dingß, Etwasß. Termini dieser Art entspringen dem, da der menschliche K˛rper, der ja beschrnkt ist, nicht fhig ist, in
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numeri (quid imago sit, explicui in schol. prop. 17. hujus) in se distincte simul formandi, qui si excedatur, hae imagines confundi incipient, et si hic imaginum numerus, quarum corpus est capax, ut eas in se simul | distincte formet, longe excedatur, omnes inter se plane confundentur. Cum hoc ita se habeat, patet ex coroll. prop. 17. et prop. 18. hujus, quod mens humana tot corpora distincte simul imaginari poterit, quot in ipsius corpore imagines possunt simul formari. At, ubi imagines in corpore plane confunduntur, mens etiam omnia corpora confuse sine ulla distinctione imaginabitur et quasi sub uno attributo comprehendet, nempe sub attributo entis, rei, etc. Potest hoc etiam ex eo deduci, quod imagines non semper aeque vigeant, et ex aliis causis his analogis, quas hic explicare non est opus; nam ad nostrum, ad quem collimamus, scopum unam tantum sufficit considerare. Nam omnes huc redeunt, quod hi termini ideas significent summo gradu confusas. Ex similibus deinde causis ortae sunt notiones illae, quas >universales< vocant, ut homo, equus, canis, etc., videlicet quia in corpore humano tot imagines, ex gr. hominum formantur simul, ut vim imaginandi non quidem penitus, sed eo usque tamen superent, ut singulorum parvas differentias (videlicet uniuscujusque colorem, magnitudinem, etc.) eorumque determinatum numerum mens imaginari nequeat et id tantum, in quo omnes, quatenus corpus ab iisdem afficitur, conveniunt, distincte imaginetur; nam ab eo corpus maxime, scilicet ab unoquoque singulari, affectum fuit; atque hoc no-
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sich mehr als eine bestimmte Anzahl von Vorstellungsbildern deutlich auf einmal zu bilden (was ein Vorstellungsbild ist, habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils erklrt). Wird diese Anzahl ˇberschritten, werden die Vorstellungsbilder sich zu verwirren beginnen. Und wird die Anzahl der Vorstellungsbilder, die der K˛rper deutlich auf einmal in sich zu bilden fhig ist, erheblich ˇberschritten, werden sich alle untereinander gnzlich verwirren. Weil das so ist, ist aus Folgesatz zu Lehrsatz 17 und aus Lehrsatz 18 dieses Teils evident, da der menschliche Geist gerade so viele K˛rper auf einmal deutlich wird vorstellen k˛nnen, wie sich Vorstellungsbilder in seinem K˛rper auf einmal bilden k˛nnen. Sobald sich nun die Vorstellungsbilder in dem K˛rper gnzlich verwirren, wird auch der Geist all jene K˛rper verworren und ohne jegliche Unterscheidung vorstellen und sie gewissermaen unter einem einzigen Attribut zusammenfassen ^ und das sind dann Attribute wie Seiendesß, Dingß usw. Dies lt sich auch daraus herleiten, da Vorstellungsbilder nicht immer gleich lebhaft sind, und aus anderen analogen Ursachen, die hier zu erlutern nicht erforderlich ist. Denn fˇr unser Ziel genˇgt es, blo eine in Betracht zu ziehen, laufen doch alle auf einen Sachverhalt hinaus: Begriffe dieser Art geben Ideen zu erkennen, die im h˛chsten Ma verworren sind. hnlichen Ursachen sind auch diejenigen Begriffe entsprungen, die man allgemeine Begriffeß nennt, wie Menschß, Pferdß, Hundß usw., nmlich weil sich in dem menschlichen K˛rper so viele Vorstellungsbilder, z. B. von Menschen, zugleich bilden, da sie die Kraft des Vorstellens ˇbersteigen, zwar nicht v˛llig, aber doch so weit, da der Geist weder die minimalen Unterschiede zwischen den einzelnen [Menschen] (also die Farbe, Gr˛e usw. eines jeden) noch ihre bestimmte Anzahl vorzustellen vermag und nur das deutlich vorstellt, worin sie alle ˇbereinkommen, insofern sie den K˛rper affizieren; [von einer solchen Gemeinsamkeit] ist der K˛rper nmlich am strksten affiziert worden, einfach weil er von jedem einzelnen Menschen [mit dieser Eigenschaft] affiziert worden ist; das ist es, was [der Geist] mit dem Wort Menschß
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mine hominis exprimit hocque de infinitis singularibus praedicat. Nam singularium determinatum numerum, ut diximus, imaginari nequit. Sed notandum has notiones non ab omnibus eodem modo formari; sed apud unumquemque variare pro ratione rei, a qua corpus affectum saepius fuit, quamque facilius mens imaginatur vel recordatur. Ex. gr. qui saepius cum admiratione hominum staturam contemplati sunt, sub nomine hominis intelligent animal erectae staturae; qui vero aliud assueti sunt contemplari, aliam hominum communem imaginem formabunt, nempe hominem esse animal risibile, animal bipes sine plumis, animal rationale; et sic de reliquis unusquisque pro dispositione sui corporis rerum universales imagines formabit. Quare non mirum est, quod inter philosophos, qui res naturales per solas rerum imagines explicare voluerunt, tot sint ortae controversiae.| S c h o l i u m I I . Ex omnibus supra dictis clare apparet nos multa percipere et notiones universales formare: I°. Ex singularibus nobis per sensus mutilate, confuse et sine ordine ad intellectum repraesentatis (vide coroll. prop. 29. hujus); et ideo tales perceptiones cognitionem ab experientia vaga vocare consuevi. II°. Ex signis, ex. gr. ex eo, quod auditis aut lectis quibusdam verbis rerum recordemur et earum quasdam ideas formemus similes iis, per quas res imaginamur (vide schol. prop. 18. hujus). Utrumque hunc res contemplandi modum cognitionem primi generis, opinionem vel imaginationem in posterum vocabo. III°. Denique ex eo, quod notiones communes rerumque proprietatum ideas adaequatas habe-
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ausdrˇckt und unendlich vielen einzelnen Menschen zuschreibt. Denn eine bestimmte Anzahl einzelner Menschen kann er, wie gesagt, nicht vorstellen. Doch ist zu beachten, da Begriffe dieser Art nicht von allen in gleicher Weise gebildet werden, sondern untereinander variieren, je nachdem wovon der K˛rper eines jeden hufiger affiziert worden ist und was der Geist [daher] leichter vorstellt oder ins Gedchtnis ruft. Wer z. B. hufiger die Statur der Menschen mit Bewunderung betrachtet hat, wird unter dem Wort Menschß ein Tier von aufrechter Statur verstehen; wer dagegen gewohnt ist, an Menschen etwas anderes ins Auge zu fassen, wird sich ein anderes allgemeines Vorstellungsbild bilden, etwa der Mensch sei ein Tier, das lachen kann, ein federloses zweifˇiges Tier oder ein vernˇnftiges Tier. Und so wird auch bei anderen Dingen ein jeder sich je nach der Disposition seines K˛rpers allgemeine Vorstellungsbilder bilden. Kein Wunder also, da unter den Philosophen, die natˇrliche Dinge durch bloe Vorstellungsbilder von Dingen haben erklren wollen, so viele Streitereien entstanden sind. A n m e r k u n g 2 : Aus allem, was oben gesagt worden ist, ist offensichtlich, da wir [einerseits] viele Dinge wahrnehmen und [andererseits] Begriffe bilden, die allgemein sind: 1. aus Einzeldingen, die uns durch die Sinne in einer Weise vergegenwrtigt worden sind, die verstˇmmelt ist, verworren und ohne Ordnung fˇr den Verstand (siehe Folgesatz zu Lehrsatz 29 dieses Teils); schon lnger pflege ich deshalb Wahrnehmungen dieser Art Erkenntnis aus unbestimmter Erfahrung zu nennen. 2. aus Zeichen, z. B. daraus, da wir, nachdem wir gewisse Worte geh˛rt oder gelesen haben, uns an Dinge erinnern und aus ihnen gewisse Ideen bilden, die denen gleichen, durch die wir Dinge vorstellen (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 18 dieses Teils). Diese beiden Weisen, Dinge zu betrachten, werde ich kˇnftig Erkenntnis der ersten Gattung, Meinung oder Vorstellung nennen. 3. endlich daraus, da wir Gemeinbegriffe und adquate Ideen der Eigenschaften von Dingen haben (siehe Folgesatz zu
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mus (vide coroll. prop. 38. et 39. cum ejus coroll. et prop. 40. hujus); atque hunc rationem et secundi generis cognitionem vocabo. Praeter haec duo cognitionis genera datur, ut in sequentibus ostendam, aliud tertium, quod scientiam intuitivam vocabimus. Atque hoc cognoscendi genus procedit ab adaequata idea essentiae formalis quorundam Dei attributorum ad adaequatam cognitionem essentiae rerum. Haec omnia unius rei exemplo explicabo. Dantur ex. gr. tres numeri, ad quartum obtinendum, qui sit ad tertium ut secundus ad primum. Non dubitant mercatores secundum in tertium ducere et productum per primum dividere; quia scilicet ea, quae a magistro absque ulla demonstratione audiverunt, nondum tradiderunt oblivioni, vel quia id saepe in numeris simplicissimis experti sunt, vel ex vi demonstrationis prop. 19. lib. 7. Euclid., nempe ex communi proprietate proportionalium. At in numeris simplicissimis nihil horum opus est. Ex. gr. datis numeris 1, 2, 3 nemo non videt quartum numerum proportionalem esse 6, atque hoc multo clarius, quia ex ipsa ratione, quam primum ad secundum habere uno intuitu videmus, ipsum quartum concludimus. P r o p o s i t i o X L I . Cognitio primi generis unica est falsitatis causa, secundi autem et tertii est necessario vera. | D e m o n s t ra t i o . Ad primi generis cognitionem illas omnes ideas diximus in praeced. schol. pertinere, quae sunt inadaequatae et confusae; atque adeo (per prop. 35. hujus) haec cognitio unica est falsitatis causa. Deinde ad cognitionem secundi et tertii illas pertinere diximus, quae sunt adaequatae; adeoque (per prop. 34. hujus) est necessario vera. Q. e. d.
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Lehrsatz 38, Lehrsatz 39 mit Folgesatz und Lehrsatz 40 dieses Teils); diese Weise der Betrachtung werde ich Vernunft oder Erkenntnis der zweiten Gattung nennen. [4.] Auer diesen beiden Gattungen von Erkenntnis gibt es, wie ich im folgenden zeigen werde, noch eine dritte Gattung, die wir intuitive Erkenntnis nennen wollen. Und diese Gattung des Erkennens schreitet von der adquaten Idee dessen, was die Essenz gewisser Attribute Gottes ausmacht, weiter zu der adquaten Erkenntnis der Essenz von Dingen. Ich will dies alles an einem Beispiel erlutern. Es sind drei Zahlen gegeben, zu denen man eine vierte finden m˛ge, die sich zu der dritten verhlt wie die zweite zu der ersten. Kaufleute multiziplieren ohne Z˛gern die zweite mit der dritten und dividieren das Produkt durch die erste, und dies, weil sie entweder noch nicht vergessen haben, was sie von ihren Lehrern ohne irgendeinen Beweis geh˛rt haben, oder weil sie es oft bei ganz einfachen Zahlen herausgefunden haben, oder endlich kraft des Beweises von Lehrsatz 19 im 7. Buch des Euklid, nmlich aus der gemeinsamen Eigenschaft von Proportionalzahlen. Bei ganz einfachen Zahlen ist freilich nichts davon erforderlich. Sind z. B. die Zahlen 1, 2 und 3 gegeben, gibt es niemanden, der nicht sieht, da 6 die vierte Proportionalzahl ist, und das sehen wir viel klarer, weil wir gerade diese Zahl, die vierte, allein aus dem Verhltnis der ersten zur zweiten Zahl, das wir mit einem Blick sehen, erschlieen. L e h r s a t z 4 1 . Die Erkenntnis der ersten Gattung ist die einzige Ursache von Falschheit, whrend die der zweiten und dritten notwendigerweise wahr ist. B e w e i s : Zur Erkenntnis der ersten Gattung, sagten wir in der vorigen Anmerkung, geh˛ren all diejenigen Ideen, die inadquat und verworren sind; mithin ist (nach Lehrsatz 35 dieses Teils) diese Erkenntnis die einzige Ursache von Falschheit. Zur Erkenntnis der zweiten und dritten Gattung, sagten wir weiter, geh˛ren diejenigen Ideen, die adquat sind; mithin ist (nach Lehrsatz 34 dieses Teils) diese Erkenntnis notwendigerweise wahr. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X L I I . Secundi et tertii, et non primi generis cognitio docet nos verum a falso distinguere. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio per se patet. Qui enim inter verum et falsum scit distinguere, debet adaequatam veri et falsi habere ideam, hoc est (per schol. 2. prop. 40. hujus) verum et falsum secundo aut tertio cognitionis genere cognoscere. P r o p o s i t i o X L I I I . Qui veram habet ideam, simul scit se veram habere ideam nec de rei veritate potest dubitare. D e m o n s t r a t i o . Idea vera in nobis est illa, quae in Deo, quatenus per naturam mentis humanae explicatur, est adaequata (per coroll. prop. 11. hujus). Ponamus itaque dari in Deo, quatenus per naturam mentis humanae explicatur, ideam adaequatam A. Hujus ideae debet necessario dari etiam in Deo idea, quae ad Deum eodem modo refertur ac idea A (per prop. 20. hujus, cujus demonstratio universalis est). At idea A ad Deum referri supponitur, quatenus per naturam mentis humanae explicatur; ergo etiam idea ideae A ad Deum eodem modo debet referri, hoc est (per idem coroll. prop. 11. hujus), haec adaequata idea ideae A erit in ipsa mente, quae ideam adaequatam A habet; adeoque qui adaequatam habet ideam, sive (per prop. 34. hujus) qui vere rem cognoscit, debet simul suae |cognitionis adaequatam habere ideam sive veram cognitionem, hoc est (ut per se manifestum) debet simul esse certus. Q. e. d. S c h o l i u m . In scholio propositionis 21. hujus partis explicui, quid sit idea ideae; sed notandum praecedentem propositionem per se satis esse manifestam. Nam nemo, qui
17 est)] NS ergnzen en tot alle denkbeelden toegepast kan worden
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L e h r s a t z 4 2 . Die Erkenntnis der zweiten und dritten Gattung und nicht die der ersten lehrt uns das Wahre von dem Falschen unterscheiden. B e w e i s : Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst evident. Wer nmlich zwischen dem Wahren und Falschen zu unterscheiden wei, mu von dem Wahren und Falschen eine adquate Idee haben, d. h. (nach Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 dieses Teils) von dem Wahren und Falschen in der zweiten oder dritten Erkenntnisgattung Kenntnis haben. L e h r s a t z 4 3 . Wer eine wahre Idee hat, wei zugleich, da er eine wahre Idee hat, und kann nicht an der Wahrheit der Sache zweifeln. B e w e i s : Eine wahre Idee in uns ist diejenige, die adquat in Gott ist, insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklrt wird (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Nehmen wir also an, da es in Gott, insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklrt wird, eine adquate Idee A gibt. Von dieser Idee mu es notwendigerweise auch in Gott eine Idee geben, die auf dieselbe Weise auf Gott bezogen ist wie Idee A (nach Lehrsatz 20, dessen Beweis allgemein ist [NS: und auf alle Ideen angewendet werden kann]). Nun ist der Voraussetzung nach Idee A auf Gott bezogen, insofern er durch die Natur des menschlichen Geistes erklrt wird; also mu auch die Idee der Idee A auf dieselbe Weise auf Gott bezogen sein; d. h. (nach dem genannten Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils), diese adquate Idee der Idee A wird genau in dem Geist sein, der die adquate Idee A hat. Wer eine adquate Idee hat, d. h. (nach Lehrsatz 34 dieses Teils), wer eine Sache wahrhaft erkennt, mu mithin zugleich eine adquate Idee und damit wahre Erkenntnis seiner eigenen Erkenntnis haben, d. h. (wie von selbst einleuchtet) zugleich [ihrer] gewi sein. W. z. b. w. A n m e r k u n g : In der Anmerkung zu Lehrsatz 21 dieses Teils habe ich erklrt, was die Idee einer Idee ist; doch ist zu bemerken, da der vorige Lehrsatz durch sich selbst einleuchtend genug ist. Denn niemand, der eine wahre Idee hat,
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veram habet ideam, ignorat veram ideam summam certitudinem involvere; veram namque habere ideam nihil aliud significat quam perfecte sive optime rem cognoscere; nec sane aliquis de hac re dubitare potest, nisi putet ideam quid mutum instar picturae in tabula et non modum cogitandi esse, nempe ipsum intelligere; et quaeso, quis scire potest se rem aliquam intelligere, nisi prius rem intelligat? hoc est, quis potest scire se de aliqua re certum esse, nisi prius de ea re certus sit? Deinde quid idea vera clarius et certius dari potest, quod norma sit veritatis? Sane sicut lux seipsam et tenebras manifestat, sic veritas norma sui et falsi est. Atque his me ad has quaestiones respondisse puto; nempe, si idea vera, quatenus tantum dicitur cum suo ideato convenire, a falsa distinguitur, nihil ergo realitatis aut perfectionis idea vera habet prae falsa (quandoquidem per solam denominationem extrinsecam distinguuntur), et consequenter neque etiam homo, qui veras, prae illo, qui falsas tantum ideas habet? Deinde unde fit, ut homines falsas habeant ideas? Et denique unde aliquis certo scire potest se ideas habere, quae cum suis ideatis conveniant? Ad has, inquam, quaestiones me jam respondisse puto. Nam quod ad differentiam inter ideam veram et falsam attinet, constat ex propositione 35. hujus illam ad hanc sese habere ut ens ad non-ens. Falsitatis autem causas a propositione 19. usque ad 35. cum ejus scholio clarissime ostendi. Ex quibus etiam apparet, quid homo, qui veras habet ideas, homini, qui non nisi falsas habet, intersit. Quod denique ultimum attinet, nempe undenam homo scire
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ist unwissend darˇber, da eine wahre Idee die h˛chste Gewiheit in sich schliet. Eine wahre Idee haben bedeutet nmlich nichts anderes, als eine Sache vollkommen oder bestens erkennen; hieran kann sicherlich niemand zweifeln, es sei denn, er glaubte, eine Idee sei etwas Stummes wie ein Gemlde auf einer Tafel und nicht ein Modus des Denkens, nmlich der Akt des Einsehens selbst. Und ich bitte: Wer kann wissen, da er irgendeine Sache einsieht, wenn er nicht vorher die Sache einsieht? D. h.: Wer kann wissen, irgendeiner Sache gewi zu sein, wenn er nicht vorher dieser Sache gewi ist? Ferner, was kann es geben, das klarer und gewisser wre, um als Norm der Wahrheit zu dienen, als eine wahre Idee? Wahrlich, wie das Licht sich selbst und die Finsternis deutlich macht, so ist die Wahrheit die Norm ihrer selbst und des Falschen. Und hiermit glaube ich auch folgende Fragen beantwortet zu haben: Wenn die wahre Idee sich von der falschen nur insofern unterscheidet, als man von ihr sagt, da sie mit dem Gegenstand, dessen Idee sie ist, ˇbereinstimmt, dann hat die wahre Idee an Realitt oder Vollkommenheit gegenˇber der falschen nichts voraus (da sie sich ja nur durch ein ueres Merkmal unterscheiden) ^ folgte dann nicht, da auch der Mensch, der wahre Ideen hat, gegenˇber demjenigen, der nur falsche hat, nichts [an Realitt und Vollkommenheit] voraus hat? Ferner, woher kommt es, da Menschen falsche Ideen haben? Und schlielich, woher kann jemand mit Gewiheit wissen, da er Ideen hat, die mit den Gegenstnden, deren Ideen sie sind, ˇbereinstimmen? Auf diese Fragen glaube ich, wie gesagt, bereits geantwortet zu haben. Denn was den Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Idee anbelangt, ist seit Lehrsatz 35 dieses Teils ausgemacht, da jene sich zu dieser wie Seiendes zu Nichtseiendem verhlt. Und die Ursachen von Falschheit habe ich von Lehrsatz 19 bis Lehrsatz 35 einschlielich seiner Anmerkung so klar wie nur m˛glich aufgezeigt. Daraus ist auch klar, wodurch sich ein Mensch, der wahre Ideen hat, von einem, der nur falsche hat, unterscheidet. Was schlielich das letzte betrifft, nmlich wo-
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potest se habere ideam, quae cum suo ideato conveniat, id modo satis superque ostendi ex hoc solo oriri, quod ideam habet, quae cum suo ideato convenit, sive quod veritas sui sit norma. His adde, |quod mens nostra, quatenus res vere percipit, pars est infiniti Dei intellectus (per coroll. prop. 11. hujus); adeoque tam necesse est, ut mentis clarae et distinctae ideae verae sint, ac Dei ideae. P r o p o s i t i o X L I V. De natura rationis non est res ut contingentes, sed ut necessarias contemplari. D e m o n s t ra t i o . De natura rationis est res vere percipere (per prop. 41. hujus), nempe (per axiom. 6. p. 1.) ut in se sunt, hoc est (per prop. 29. p. 1.) non ut contingentes, sed ut necessarias. Q. e. d. C o r o l l a r i u m I . Hinc sequitur a sola imaginatione pendere, quod res tam respectu praeteriti quam futuri ut contingentes contemplemur. S c h o l i u m . Qua autem ratione hoc fiat, paucis explicabo. Ostendimus supra (prop. 17. hujus cum ejus coroll.) mentem, quamvis res non existant, eas tamen semper ut sibi praesentes imaginari, nisi causae occurrant, quae earum praesentem existentiam secludant. Deinde (prop. 18. hujus) ostendimus, quod, si corpus humanum semel a duobus corporibus externis simul affectum fuit, ubi mens postea eorum alterutrum imaginabitur, statim et alterius recordabitur, hoc est ambo ut sibi praesentia contemplabitur, nisi causae occurrant, quae eorum praesentem existentiam secludant. Praeterea nemo dubitat, quin etiam tempus imaginemur, nempe ex eo, quod corpora alia aliis tardius vel celerius vel aeque celeriter moveri imaginemur. Ponamus itaque puerum, qui heri
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her denn ein Mensch wissen kann, da er eine Idee hat, die mit dem Gegenstand, dessen Idee sie ist, ˇbereinstimmt, so habe ich gerade erst zur Genˇge gezeigt, da dies allein dem entspringt, da er eine Idee hat, die mit dem Gegenstand, dessen Idee sie ist, ˇbereinstimmt, anders formuliert, da die Wahrheit ihre eigene Norm ist. Hinzu kommt, da unser Geist, insofern er Dinge wahrhaft wahrnimmt, ein Teil von Gottes unendlichem Verstand ist (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 dieses Teils); mithin mˇssen klare und deutliche Ideen des Geistes so wahr sein, wie es Gottes Ideen sind. L e h r s a t z 4 4 . Es liegt in der Natur der Vernunft, Dinge nicht als zufllig, sondern als notwendig zu betrachten. B e w e i s : Es liegt in der Natur der Vernunft, Dinge wahrhaft wahrzunehmen (nach Lehrsatz 41 dieses Teils), nmlich (nach Axiom 6 des 1. Teils) wie sie in sich selbst sind, d. h. (nach Lehrsatz 29 des 1. Teils) nicht als zufllig, sondern als notwendig. W. z. b. w. Fo l g e s a t z 1 : Hieraus folgt, da es allein auf der Vorstellungskraft beruht, da wir Dinge im Hinblick auf die Vergangenheit wie auf die Zukunft als zufllig betrachten. A n m e r k u n g : Warum das so ist, will ich hier kurz erklren. Wir haben oben (Lehrsatz 17 dieses Teils einschlielich Folgesatz) gezeigt, da der Geist Dinge, selbst wenn sie nicht existieren, doch jederzeit als ihm gegenwrtig vorstellt, wenn nicht Ursachen eintreten, die deren gegenwrtige Existenz ausschlieen. Ferner haben wir gezeigt (Lehrsatz 18 dieses Teils), da, wenn der menschliche K˛rper einmal von zwei ueren K˛rpern gleichzeitig affiziert worden ist, der Geist, wenn er spter einen von ihnen vorstellt, sich auf der Stelle auch des anderen erinnern wird, also beide K˛rper als ihm gegenwrtig betrachten wird, wenn nicht Ursachen eintreten, die deren gegenwrtige Existenz ausschlieen. Auerdem zweifelt niemand daran, da wir auch Zeitliches vorstellen, deshalb nmlich, weil wir einige K˛rper, verglichen mit anderen, als langsamer, schneller oder gleich schnell bewegt vorstellen. Nehmen wir also an, da ein Junge gestern zum er-
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prima vice hora matutina viderit Petrum, meridiana autem Paulum et vespertina Simeonem atque hodie iterum matutina hora Petrum. Ex propositione 18. hujus patet, quod simulac matutinam lucem videt, illico solem eandem caeli, quam die praecedenti viderit, partem percurrentem, sive diem integrum, et simul cum tempore matutino Petrum, cum meridiano autem Paulum et |cum vespertino Simeonem imaginabitur, hoc est Pauli et Simeonis existentiam cum relatione ad futurum tempus imaginabitur; et contra, si hora vespertina Simeonem videat, Paulum et Petrum ad tempus praeteritum referet eosdem scilicet simul cum tempore praeterito imaginando; atque haec eo constantius, quo saepius eos eodem hoc ordine viderit. Quod si aliquando contingat, ut alia quadam vespera loco Simeonis Jacobum videat, tum sequenti mane cum tempore vespertino jam Simeonem, jam Jacobum, non vero ambos simul imaginabitur. Nam alterutrum tantum, non autem ambos simul tempore vespertino vidisse supponitur. Fluctuabitur itaque ejus imaginatio, et cum futuro tempore vespertino jam hunc, jam illum imaginabitur, hoc est neutrum certo, sed utrumque contingenter futurum contemplabitur. Atque haec imaginationis fluctuatio eadem erit, si imaginatio rerum sit, quas eodem modo cum relatione ad tempus praeteritum vel praesens contemplamur, et consequenter res, tam ad tempus praesens quam ad praeteritum vel futurum relatas, ut contingentes imaginabimur. C o r o l l a r i u m I I . De natura rationis est res sub quadam aeternitatis specie percipere. D e m o n s t ra t i o . De natura enim rationis est res ut necessarias et non ut contingentes contemplari (per prop. praeced.). Hanc autem rerum necessitatem (per prop. 41. hujus) vere, hoc est (per axiom. 6. p. 1.), ut in se est, percipit. Sed (per prop. 16. p. 1.) haec rerum necessitas est ipsa Dei aeter-
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sten Mal Peter am Morgen, Paul am Mittag und Simon am Abend gesehen hat und heute Peter wieder am Morgen sieht. Aus Lehrsatz 18 dieses Teils ist klar, da er beim Anblick des Morgenlichts sogleich die Sonne in demselben Himmelslauf vorstellen wird, den er tags zuvor gesehen hat; er wird also den ganzen Tag vorstellen und Peter zusammen mit dem Morgen, Paul mit dem Mittag und Simon mit dem Abend, d. h. da er die Existenz von Paul und Simon in einer Relation auf die zukˇnftige Zeit vorstellen wird; und andererseits wird er, wenn er Simon am Abend sieht, Paul und Peter auf die vergangene Zeit beziehen, indem er sie zusammen mit der vergangenen Zeit vorstellt, und dies umso bestndiger, je hufiger er diese Personen in ebendieser Ordnung gesehen hat. Sollte es sich nun einmal treffen, da er an einem anderen Abend Jakob statt Simon sieht, dann wird er am folgenden Morgen bald Simon, bald Jakob zusammen mit der Abendzeit vorstellen, aber nicht beide zugleich; denn der Voraussetzung nach hat er abends immer nur einen von beiden, nicht aber beide zugleich gesehen. Seine Vorstellung wird daher hin und her schwanken, und er wird bald diesen, bald jenen zusammen mit der kˇnftigen Abendzeit vorstellen; d. h., in ihrem zukˇnftigen Kommen wird er keinen von beiden als gewi, sondern beide als zufllig betrachten. Und eine solche Schwankung der Vorstellung wird auch bei Dingen auftreten, die wir in der genannten Weise relativ auf die vergangene oder gegenwrtige Zeit betrachten. Folglich werden wir Dinge hinsichtlich ihrer Gegenwart wie ihrer Vergangenheit und Zukunft als zufllig vorstellen. Fo l g e s a t z 2 : Es liegt in der Natur der Vernunft, Dinge unter einem bestimmten Aspekt von Ewigkeit wahrzunehmen. B e w e i s : Es liegt nmlich in der Natur der Vernunft, Dinge als notwendig und nicht als zufllig zu betrachten (nach vorigem Lehrsatz), und diese Notwendigkeit von Dingen nimmt sie (nach Lehrsatz 41 dieses Teils) wahrhaft wahr, d. h. (nach Axiom 6 des 1. Teils) so, wie sie ist. Diese Notwendigkeit von Dingen ist aber (nach Lehrsatz 16 des 1. Teils) genau die Notwendigkeit der ewigen Natur Gottes; also liegt
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nae naturae necessitas; ergo de natura rationis est res sub hac aeternitatis specie contemplari. Adde, quod fundamenta rationis notiones sint (per prop. 38. hujus), quae illa explicant, quae omnibus communia sunt quaeque (per prop. 37. hujus) nullius rei singularis essentiam explicant; quaeque propterea absque ulla temporis relatione, sed sub quadam aeternitatis specie debent concipi. Q. e. d.| P r o p o s i t i o X LV. Unaquaeque cujuscunque corporis, vel rei singularis actu existentis, idea Dei aeternam et infinitam essentiam necessario involvit. D e m o n s t ra t i o . Idea rei singularis actu existentis ipsius rei tam essentiam quam existentiam necessario involvit (per coroll. prop. 8. hujus): At res singulares (per prop. 15. p. 1.) non possunt sine Deo concipi; sed, quia (per prop. 6. hujus) Deum pro causa habent, quatenus sub attributo consideratur, cujus res ipsae modi sunt, debent necessario earum ideae (per axiom. 4. p. 1.) ipsarum attributi conceptum, hoc est (per defin. 6. p. 1.) Dei aeternam et infinitam essentiam involvere. Q. e. d. S c h o l i u m . Hic per existentiam non intelligo durationem, hoc est existentiam, quatenus abstracte concipitur et tanquam quaedam quantitatis species. Nam loquor de ipsa natura existentiae, quae rebus singularibus tribuitur, propterea quod ex aeterna necessitate Dei naturae infinita infinitis modis sequuntur (vide prop. 16. p. 1.). Loquor, inquam, de ipsa existentia rerum singularium, quatenus in Deo sunt. Nam, etsi unaquaeque ab alia re singulari determinetur ad certo modo existendum, vis tamen, qua unaquaeque in existendo perseverat, ex aeterna necessitate naturae Dei sequitur. Qua de re vide coroll. prop. 24. p. 1.
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es in der Natur der Vernunft, Dinge unter diesem Aspekt von Ewigkeit zu betrachten. Hinzu kommt, da die Grundlagen der Vernunft Begriffe sind (nach Lehrsatz 38 dieses Teils), die Merkmale erlutern, die allen Dingen gemeinsam sind und (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) nicht die Essenz eines Einzeldinges erklren; deshalb mˇssen sie ohne jede Relation auf Zeitlichkeit allein unter einem bestimmten Aspekt von Ewigkeit begriffen werden. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 5 . Jede Idee eines wirklich existierenden K˛rpers, generell eines wirklich existierenden Einzeldinges, schliet notwendigerweise eine ewige und unendliche Essenz Gottes in sich. B e w e i s : Die Idee eines wirklich existierenden Einzeldinges schliet notwendigerweise sowohl die Essenz wie die Existenz genau dieses Dinges in sich (nach Folgesatz zu Lehrsatz 8 dieses Teils). Nun k˛nnen Einzeldinge (nach Lehrsatz 15 des 1. Teils) ohne Gott nicht begriffen werden; im Gegenteil, weil sie (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) Gott zur Ursache haben, insofern er unter dem Attribut betrachtet wird, dessen Modi sie sind, mˇssen ihre Ideen (nach Axiom 4 des 1. Teils) notwendigerweise den Begriff ihres Attributes, d. h. (nach Definition 6 des 1. Teils) eine ewige und unendliche Essenz Gottes, in sich schlieen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Unter Existenz verstehe ich hier nicht Dauer, d. h. Existenz, insofern sie abstrakt und als eine bestimmte Art von Gr˛e begriffen wird. Denn wovon ich spreche, ist jene Natur von Existenz, die Einzeldingen deshalb zukommt, weil aus der ewigen Notwendigkeit der Natur Gottes unendlich vieles auf unendlich viele Weisen folgt (siehe Lehrsatz 16 des 1. Teils). Ich spreche, sage ich, von genau der Existenz von Einzeldingen, [die ihnen eigen ist,] insofern sie in Gott sind. Denn wenn auch jedes Ding von einem anderen Einzelding bestimmt wird, in einer bestimmten Weise zu existieren, folgt doch die Kraft, mit der ein jedes im Existieren verharrt, aus der ewigen Notwendigkeit der Natur Gottes. Siehe dazu Folgesatz zu Lehrsatz 24 des 1. Teils.
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P r o p o s i t i o X LV I . Cognitio aeternae et infinitae essentiae Dei, quam unaquaeque idea involvit, est adaequata et perfecta. D e m o n s t ra t i o . Demonstratio praecedentis propositionis universalis est, et, sive res ut pars sive ut totum consideretur, ejus idea, sive totius sit sive partis (per prop. praeced.), Dei aeternam et infinitam essentiam involvet. Quare id, quod cognitionem aeternae et infinitae essentiae | Dei dat, omnibus commune et aeque in parte ac in toto est, adeoque (per prop. 38. hujus) erit haec cognitio adaequata. Q. e. d. P r o p o s i t i o X LV I I . Mens humana adaequatam habet cognitionem aeternae et infinitae essentiae Dei. D e m o n s t ra t i o . Mens humana ideas habet (per prop. 22. hujus), ex quibus (per prop. 23. hujus) se suumque corpus (per prop. 19. hujus) et (per coroll. prop. 16. et per prop. 17. hujus) corpora externa ut actu existentia percipit; adeoque (per prop. 45. et 46. hujus) cognitionem aeternae et infinitae essentiae Dei habet adaequatam. Q. e. d. S c h o l i u m . Hinc videmus Dei infinitam essentiam ejusque aeternitatem omnibus esse notam. Cum autem omnia in Deo sint et per Deum concipiantur, sequitur nos ex cognitione hac plurima posse deducere, quae adaequate cognoscamus, atque adeo tertium illud cognitionis genus formare, de quo diximus in scholio 2. propositionis 40. hujus partis, et de cujus praestantia et utilitate in quinta parte erit nobis dicendi locus. Quod autem homines non aeque claram Dei ac notionum communium habeant cognitionem, inde fit, quod Deum imaginari nequeant ut corpora, et quod nomen >Deus< junxerunt imaginibus rerum, quas videre solent; quod homines vix vitare possunt, quia continuo a corporibus externis
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L e h r s a t z 4 6 . Die Erkenntnis der ewigen und unendlichen Essenz Gottes, die jede Idee in sich schliet, ist adquat und vollkommen. B e w e i s : Der Beweis des vorigen Lehrsatzes ist allgemein, und mag ein Ding als ein Teil oder als ein Ganzes angesehen werden, seine Idee, ob die des Ganzen oder eines Teils, wird (nach vorigem Lehrsatz) eine ewige und unendliche Essenz Gottes in sich schlieen. Deshalb ist das, was Erkenntnis einer ewigen und unendlichen Essenz Gottes verschafft, allen Dingen gemeinsam und gleichermaen im Teil wie im Ganzen; mithin wird (nach Lehrsatz 38 dieses Teils) diese Erkenntnis adquat sein. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 7. Der menschliche Geist hat eine adquate Erkenntnis der ewigen und unendlichen Essenz Gottes. B e w e i s : Der menschliche Geist hat Ideen (nach Lehrsatz 22 dieses Teils), aus denen er (nach Lehrsatz 23 dieses Teils) sich selbst und (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) seinen eigenen K˛rper und (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 16 und nach Lehrsatz 17 dieses Teils) uere K˛rper als wirklich existierend wahrnimmt; mithin hat er (nach Lehrsatz 45 und 46 dieses Teils) eine adquate Erkenntnis der ewigen und unendlichen Essenz Gottes. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wir sehen hieraus, da Gottes unendliche Essenz und seine Ewigkeit jedermann bekannt sind. Und weil alles in Gott ist und durch Gott begriffen wird, folgt, da wir aus dieser Kenntnis [Gottes] sehr viele Dinge ableiten k˛nnen, die wir adquat erkennen, mithin jene dritte Erkenntnisgattung bilden k˛nnen, von der wir in Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 dieses Teils gesprochen haben und von deren Vorzˇglichkeit und Nutzen wir im 5. Teil zu sprechen haben werden. Da Menschen von Gott nicht eine ebenso klare Erkenntnis haben wie von den Gemeinbegriffen, das liegt daran, da sie Gott nicht vorstellen k˛nnen, wie sie es bei K˛rpern k˛nnen, und da sie den Namen Gottß mit den Vorstellungsbildern von Dingen verknˇpft haben, die sie zu sehen gewohnt sind, was Menschen kaum vermeiden k˛nnen, werden sie doch fort-
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afficiuntur. Et profecto plerique errores in hoc solo consistunt, quod scilicet nomina rebus non recte applicamus. Cum enim aliquis ait lineas, quae ex centro circuli ad ejusdem circumferentiam ducuntur, esse inaequales, ille sane aliud, tum saltem, per circulum intelligit quam mathematici. Sic cum homines in calculo errant, alios numeros in mente, alios in charta habent. Quare si ipsorum mentem spectes, non errant sane; videntur tamen errare, quia ipsos in mente putamus habere numeros, qui in charta sunt. Si hoc non essent, nihil eosdem errare crederemus; ut non credidi quendam errare, quem nuper audivi clamantem suum atrium | volasse in gallinam vicini, quia scilicet ipsius mens satis perspecta mihi videbatur. Atque hinc pleraeque oriuntur controversiae, nempe quia homines mentem suam non recte explicant vel quia alterius mentem male interpretantur. Nam revera, dum sibi maxime contradicunt, vel eadem, vel de diversis rebus cogitant, ita ut, quos in alio errores et absurda esse putant, non sint. P r o p o s i t i o X LV I I I . In mente nulla est absoluta sive libera voluntas; sed mens ad hoc vel illud volendum determinatur a causa, quae etiam ab alia determinata est, et haec iterum ab alia, et sic in infinitum. D e m o n s t ra t i o . Mens certus et determinatus modus cogitandi est (per prop. 11. hujus), adeoque (per coroll. 2. prop. 17. p. 1.) suarum actionum non potest esse causa libera, sive absolutam facultatem volendi et nolendi habere non potest; sed ad hoc vel illud volendum (per prop. 28. p. 1.) determinari debet a causa, quae etiam ab alia determinata est, et haec iterum ab alia, etc. Q. e. d.
16 de diversis rebus] diversa korr. W. B., Appuhn und Curley folgend, nach NS
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whrend von ueren K˛rpern affiziert. In derTat bestehen die meisten Irrtˇmer nur darin, da wir Namen und Dinge nicht richtig zusammenfˇgen. Denn wenn jemand sagt, die vom Mittelpunkt eines Kreises nach seiner Peripherie gezogenen Linien seien ungleich, wird er sicherlich, in diesem Augenblick wenigstens, unter einem Kreis etwas anderes verstehen als Mathematiker. Ebenso haben Menschen, wenn sie Rechenfehler machen, andere Zahlen im Kopf als auf dem Papier. Wenn man also darauf achtet, was sie im Geist haben, irren sie sich tatschlich nicht; uns scheint es indes so zu sein, weil wir glauben, sie htten diejenigen Zahlen im Kopf, die auf dem Papier stehen. Andernfalls wˇrden wir nicht glauben, da sie sich irren, ebensowenig wie ich geglaubt habe, da jener Mann sich irrte, den ich neulich rufen h˛rte, sein Hof sei auf des Nachbars Henne geflogen, weil mir nmlich ziemlich klar war, was er meinte. Und das ist es, woraus die meisten Streitereien entspringen: da Menschen ihre eigenen Gedanken nicht richtig ausbreiten oder die eines anderen schlecht deuten. Denn in der Tat, wenn sie einander am heftigsten widersprechen, haben sie entweder dieselben Gedanken oder denken an verschiedene Dinge, so da die Irrtˇmer und Widersinnigkeiten, die sie bei dem anderen vermuten, gar keine sind. L e h r s a t z 4 8 . Im Geist gibt es keinen unbedingten oder freien Willen, sondern der Geist wird von einer Ursache bestimmt, dieses oder jenes zu wollen, die ebenfalls von einer anderen bestimmt ist und diese wiederum von einer anderen und so weiter ins Unendliche. B e w e i s : Der Geist ist ein wohlbestimmter Modus des Denkens (nach Lehrsatz 11 dieses Teils), mithin kann er (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 17 des 1. Teils) nicht eine freie Ursache seiner Handlungen sein, anders formuliert kein unbedingtes Verm˛gen zu wollen und nicht zu wollen haben; vielmehr mu er, um dieses oder jenes zu wollen (nach Lehrsatz 28 des 1. Teils), von einer Ursache bestimmt werden, die ebenfalls von einer anderen bestimmt ist, und diese wiederum von einer anderen usw. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Eodem hoc modo demonstratur in mente nullam dari facultatem absolutam intelligendi, cupiendi, amandi, etc. Unde sequitur has et similes facultates vel prorsus fictitias, vel nihil esse praeter entia metaphysica sive universalia, quae ex particularibus formare solemus. Adeo ut intellectus et voluntas ad hanc et illam ideam vel ad hanc et illam volitionem eodem modo sese habeant ac lapideitas ad hunc et illum lapidem, vel ut homo ad Petrum et Paulum. Causam autem, cur homines se liberos esse putent, explicuimus in appendice partis primae. Verum, antequam ulterius pergam, venit hic notandum me per voluntatem affirmandi et negandi facultatem, non autem cupiditatem intelligere; facultatem, inquam, intelligo, qua mens, quid verum | quidve falsum sit, affirmat vel negat, et non cupiditatem, qua mens res appetit vel aversatur. At postquam demonstravimus has facultates notiones esse universales, quae a singularibus, ex quibus easdem formamus, non distinguuntur, inquirendum jam est, an ipsae volitiones aliquid sint praeter ipsas rerum ideas. Inquirendum, inquam, est, an in mente alia affirmatio et negatio detur praeter illam, quam idea, quatenus idea est, involvit, qua de re vide sequentem propositionem ut et definitionem 3. hujus, ne cogitatio in picturas incidat. Non enim per ideas imagines, quales in fundo oculi et, si placet, in medio cerebro formantur, sed Cogitationis conceptus intelligo.
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P r o p o s i t i o X L I X . In mente nulla datur volitio, sive affirmatio et negatio, praeter illam, quam idea, quatenus idea est, involvit. D e m o n s t ra t i o . In mente (per prop. praeced.) nulla datur absoluta facultas volendi et nolendi, sed tantum singula-
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11 Verum] kein Absatz in OP 25 intelligo] NS ergnzen of het voorwerpelijk wezen van een zaak, voor zo veel ’t alleenlijk in denking bestaat
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A n m e r k u n g : In gleicher Weise lt sich beweisen, da es im Geist kein unbedingtes Verm˛gen einzusehen, zu begehren, zu lieben usw. gibt. Daraus folgt, da diese und hnliche Verm˛gen entweder reine Einbildungen oder nichts als metaphysische Entitten sind, anders formuliert nichts als Allgemeinbegriffe, die wir aus besonderen Dingen zu bilden gewohnt sind. So haben Verstand und Wille zu dieser und jener Idee oder zu diesem und jenem Wollen denselben Bezug wie Steinheit zu diesem und jenem Stein oder wie Mensch zu Peter und Paul. Was die Ursache ist, da Menschen sich fˇr frei halten, haben wir im Anhang zum 1. Teil dargelegt. Bevor ich indes fortfahre, sollte hier vermerkt werden, da ich unter Willeß ein Verm˛gen zu bejahen und zu verneinen verstehe und nicht Begierde, das Verm˛gen, sage ich, kraft dessen der Geist bejaht, was wahr ist, oder verneint, was falsch ist, und nicht die Begierde, mit der er Dinge erstrebt oder vermeidet. Nachdem wir nun bewiesen haben, da diese Verm˛gen allgemeine Begriffe sind, die sich von den einzelnen Dingen, aus denen wir sie bilden, nicht absondern lassen, gilt es jetzt zu untersuchen, ob die Akte des Wollens etwas sind, das ˇber das, was die Ideen der Dinge sind, hinausreicht. Wir mˇssen untersuchen, sage ich, ob es im Geist noch eine andere Bejahung und Verneinung gibt auer der, die die Idee, insofern sie eine Idee ist, in sich schliet (siehe dazu den folgenden Lehrsatz und auch Definition 3 dieses Teils) ^ schlielich soll [unser] Denken nicht in Gemlde verfallen. Unter Ideen verstehe ich nmlich nicht die Vorstellungsbilder, die sich auf dem Hintergrund des Auges und, wenn es euch beliebt, inmitten des Gehirns bilden, sondern Begriffe, die unter das [Attribut] Denken fallen [NS: oder das gegenstndliche Sein eines Dinges, insofern es allein in Denken grˇndet]. L e h r s a t z 4 9. Im Geist gibt es keinen Akt des Wollens, anders formuliert keine Bejahung und Verneinung auer der, die die Idee in sich schliet, insofern sie eine Idee ist. B e w e i s : Im Geist gibt es (nach vorigem Lehrsatz) kein unbedingtes Verm˛gen zu wollen und nicht zu wollen, son-
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res volitiones, nempe haec et illa affirmatio et haec et illa negatio. Concipiamus itaque singularem aliquam volitionem, nempe modum cogitandi, quo mens affirmat tres angulos trianguli aequales esse duobus rectis. Haec affirmatio conceptum sive ideam trianguli involvit, hoc est, sine idea trianguli non potest concipi. Idem enim est, si dicam, quod A conceptum B debeat involvere, ac quod A sine B non possit concipi. Deinde haec affirmatio (per axiom. 3. hujus) non potest etiam sine idea trianguli esse. Haec ergo affirmatio sine idea trianguli nec esse nec concipi potest. Porro haec trianguli idea hanc eandem affirmationem involvere debet, nempe quod tres ejus anguli aequentur duobus rectis. Quare et vice versa haec trianguli idea sine hac affirmatione nec esse nec concipi potest, adeoque (per defin. 2. hujus) haec affirmatio ad essentiam ideae trianguli pertinet nec aliud praeter ipsam est. Et quod de hac volitione diximus (quandoquidem eam ad libitum sumpsimus), dicendum etiam est de quacunque volitione, nempe quod praeter ideam nihil sit. Q. e. d.| C o r o l l a r i u m . Voluntas et intellectus unum et idem sunt. D e m o n s t ra t i o . Voluntas et intellectus nihil praeter ipsas singulares volitiones et ideas sunt (per prop. 48. hujus et ejusdem schol.). At singularis volitio et idea (per prop. praeced.) unum et idem sunt, ergo voluntas et intellectus unum et idem sunt. Q. e. d. S c h o l i u m . His causam, quae communiter erroris esse statuitur, sustulimus. Supra autem ostendimus falsitatem in sola privatione, quam ideae mutilatae et confusae involvunt, consistere. Quare idea falsa, quatenus falsa est, certitudinem non involvit. Cum itaque dicimus hominem in falsis acquies-
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dern nur einzelne Akte des Wollens, nmlich diese und jene Bejahung und diese und jene Verneinung. Denken wir uns also irgendeinen einzelnen Akt des Wollens, also einen Modus des Denkens, mit dem der Geist [etwas] bejaht, [z. B.] da die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten sind. Diese Bejahung schliet den Begriff, d. h. die Idee des Dreiecks in sich, kann also ohne die Idee des Dreiecks nicht begriffen werden. Denn es ist dasselbe zu sagen, da A den Begriff von B in sich schlieen mu, wie zu sagen, da A ohne B nicht begriffen werden kann. Des weiteren kann diese Bejahung (nach Axiom 3 dieses Teils) auch nicht ohne die Idee des Dreiecks sein. Ohne die Idee des Dreiecks kann diese Bejahung also weder sein noch begriffen werden. Sodann mu diese Idee des Dreiecks ebendiese Bejahung in sich schlieen, da nmlich seine drei Winkel gleich zwei rechten sind. Daher kann auch umgekehrt diese Idee des Dreiecks ohne diese Bejahung weder sein noch begriffen werden. Mithin geh˛rt (nach Definition 2 dieses Teils) diese Bejahung zur Essenz der Idee des Dreiecks, ist also nichts ˇber sie hinaus. Und was wir von diesem Akt des Wollens gesagt haben (den wir ja beliebig herausgegriffen haben), ist gleichermaen von jeglichem Akt des Wollens zu sagen, da er nmlich getrennt von der Idee nichts ist. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Der Wille und der Verstand sind ein und dasselbe. B e w e i s : Der Wille und der Verstand sind nichts jenseits der einzelnen Akte des Wollens und der einzelnen Ideen selbst (nach Lehrsatz 48 dieses Teils einschlielich Anmerkung). Nun sind ein einzelner Akt des Wollens und die einzelne Idee (nach vorigem Lehrsatz) ein und dasselbe; also sind der Wille und der Verstand ein und dasselbe. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Damit haben wir weggerumt, was gemeinhin fˇr die Ursache von Irrtum gehalten wird. Und oben haben wir gezeigt, da Falschheit blo in dem Mangel besteht, den verstˇmmelte und verworrene Ideen in sich schlieen. Daher schliet eine falsche Idee, insofern sie falsch ist, keine Gewiheit in sich. Wenn wir sagen, ein Mensch
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cere nec de iis dubitare, non ideo ipsum certum esse, sed tantum non dubitare dicimus, vel quod in falsis acquiescit, quia nullae causae dantur, quae efficiant, ut ipsius imaginatio fluctuetur. Qua de re vide scholium propositionis 44. hujus partis. Quantumvis igitur homo falsis adhaerere supponatur, nunquam tamen ipsum certum esse dicemus. Nam per certitudinem quid positivum intelligimus (vide prop. 43. hujus cum ejusdem schol.), non vero dubitationis privationem. At per certitudinis privationem falsitatem intelligimus. Sed ad uberiorem explicationem praecedentis propositionis quaedam monenda supersunt. Superest deinde, ut ad objectiones, quae in nostram hanc doctrinam objici possunt, respondeam; et denique, ut omnem amoveam scrupulum, operae pretium esse duxi hujus doctrinae quasdam utilitates indicare. Quasdam, inquam; nam praecipuae ex iis, quae in quinta parte dicemus, melius intelligentur. Incipio igitur a primo lectoresque moneo, ut accurate distinguant inter ideam, sive mentis conceptum, et inter imagines rerum, quas imaginamur. Deinde necesse est, ut distinguant inter ideas et verba, quibus res significamus. Nam quia haec tria, imagines scilicet, verba et ideae, a multis vel plane confunduntur, | vel non satis accurate, vel denique non satis caute distinguuntur, ideo hanc de voluntate doctrinam, scitu prorsus necessariam tam ad speculationem quam ad vitam sapienter instituendam, plane ignorarunt. Quippe, qui putant ideas consistere in imaginibus, quae in nobis ex corporum occursu formantur, sibi persuadent ideas illas rerum, quarum similem nullam imaginem formare possumus, non esse ideas,
4 fluctuetur] fluctuatur korr. Gebhardt 5 supponatur,] NS ergnzen dat men hem geensins daar aan kan doen twijffelen, 10 Sed] kein Absatz in OP 26 corporum] NS ergnzen uitterlijke
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habe in falschen Ideen seine Ruhe und zweifle nicht an ihnen, dann sagen wir damit also noch nicht, da er [ihrer] gewi ist, sondern nur da er nicht zweifelt oder da er in falschen Ideen seine Ruhe hat, weil es keine Ursachen gibt, die seine Vorstellung ins Schwanken bringen. Siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 44 dieses Teils. Angenommen also, ein Mensch hngt noch so sehr an etwas Falschem, [NS: so da er in keiner Weise dazu gebracht werden kann, daran zu zweifeln,] so werden wir doch niemals sagen, da er dessen gewi ist. Denn unter Gewiheit verstehen wir etwas Positives (siehe Lehrsatz 43 dieses Teils einschlielich Anmerkung), nicht einen Mangel an Zweifel. Aber unter Mangel an Gewiheit verstehen wir Falschheit. Zur ausfˇhrlicheren Erluterung des vorigen Lehrsatzes ist jedoch noch an einiges zu erinnern. Darˇber hinaus mu ich auf die Einwnde antworten, die sich gegen unsere hier entwickelte Lehre vorbringen lassen. Und endlich habe ich, um alle Bedenken auszurumen, es der Mˇhe wert befunden, auf einige nˇtzliche Seiten dieser Lehre hinzuweisen; einige, sage ich, denn die wichtigsten werden sich besser aus den Ausfˇhrungen des 5. Teils verstehen lassen. Ich beginne also mit dem ersten und erinnere meine Leser daran, zwischen einer Idee, d. h. einem Begriff des Geistes, und den Bildern von Dingen, die wir vorstellen, sorgfltig zu unterscheiden. Auch ist es erforderlich, zwischen Ideen und Worten, mit denen wir Dinge bezeichnen, zu unterscheiden. Denn weil diese drei, nmlich Bilder, Worte und Ideen, von vielen entweder ganz und gar durcheinandergeworfen werden oder nicht genau genug oder wenigstens nicht sorgfltig genug voneinander unterschieden werden, ist die hier vorgebrachte Theorie des Willens gnzlich unbekannt geblieben, so unerllich ihre Kenntnis fˇr unser theoretisches Wissen wie fˇr eine weise Fˇhrung des eigenen Lebens auch ist. In der Tat, wer meint, da Ideen in Vorstellungsbildern bestehen, die sich in uns durch Einwirkung [NS: uerer] K˛rper bilden, ist ˇberzeugt, da Ideen solcher Dinge, von denen wir uns kein Bild dieser Art machen k˛nnen, nicht Ideen
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sed tantum figmenta, quae ex libero voluntatis arbitrio fingimus; ideas igitur veluti picturas in tabula mutas aspiciunt, et, hoc praejudicio praeoccupati, non vident ideam, quatenus idea est, affirmationem aut negationem involvere. Deinde, qui verba confundunt cum idea vel cum ipsa affirmatione, quam idea involvit, putant se posse contra id, quod sentiunt, velle; quando aliquid solis verbis contra id, quod sentiunt, affirmant aut negant. Haec autem praejudicia exuere facile is poterit, qui ad naturam cogitationis attendit, quae Extensionis conceptum minime involvit; atque adeo clare intelliget ideam (quandoquidem modus cogitandi est) neque in rei alicujus imagine neque in verbis consistere. Verborum namque et imaginum essentia a solis motibus corporeis constituitur, qui Cogitationis conceptum minime involvunt. Atque haec pauca de his monuisse sufficiat, quare ad praedictas objectiones transeo. Harum prima est, quod constare putant voluntatem latius se extendere quam intellectum atque adeo ab eodem diversam esse. Ratio autem, cur putant voluntatem latius se extendere quam intellectum, est, quia se experiri ajunt se non majore assentiendi, sive affirmandi, et negandi facultate indigere ad infinitis aliis rebus, quas non percipimus, assentiendum, quam jam habemus, at quidem majore facultate intelligendi. Distinguitur ergo voluntas ab intellectu, quod finitus hic sit, illa autem infinita. Secundo nobis objici potest, quod experientia nihil clarius videatur docere, quam quod nostrum judicium possumus suspendere, ne rebus, quas percipimus, assentiamur; quod hinc etiam confirmatur, quod nemo dicitur decipi, quatenus aliquid percipit, sed tantum quatenus assentitur aut dissenti-
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sind, sondern nur Einbildungen, die wir aus freier Willkˇr fingieren; diese Leute betrachten dann Ideen wie stumme Gemlde auf einer Tafel und sehen, befangen in diesem Vorurteil, nicht, da eine Idee, insofern sie eine Idee ist, eine Bejahung oder Verneinung in sich schliet. Leute sodann, die Worte mit der Idee oder mit genau der Bejahung, die die Idee in sich schliet, verwirren, glauben, da sie etwas gegen das, was sie empfinden, wollen k˛nnen, aber allein deshalb, weil sie etwas gegen das, was sie empfinden, mit bloen Worten bejahen oder verneinen. Diese Vorurteile wird jedoch leicht ablegen k˛nnen, wer auf die Natur eines Gedankens acht gibt, der den Begriff von Ausdehnung nicht im mindesten in sich schliet; dann wird er klar einsehen, da eine Idee (da sie ja ein Modus des Denkens ist) weder in dem Bild von irgendetwas noch in Worten besteht. Was die Essenz von Worten und Bildern ausmacht, sind nmlich blo k˛rperliche Bewegungen, die den Begriff von Denken nicht im mindesten in sich schlieen. Zur Erinnerung an diesen Sachverhalt mag dies Wenige genˇgen; ich gehe also jetzt zu den erwhnten Einwnden ˇber. Ihr erster ist der: Ihre Vertreter glauben, es sei ausgemacht, da der Wille sich weiter erstreckt als der Verstand, mithin von ihm verschieden ist. Der Grund, warum sie glauben, da er sich weiter erstreckt als der Verstand, ist folgender. Ihre eigene Erfahrung zeige, da sie keines gr˛eren Verm˛gens des Zustimmens, d. h. Bejahens, und des Verneinens bedˇrfen, als wir bereits haben, um unendlich vielen anderen Dingen, die wir nicht wahrnehmen, zuzustimmen, wohl aber eines gr˛eren Verm˛gens des Erkennens, um sie wahrzunehmen. Der Wille unterscheidet sich also von dem Verstand, ist doch dieser endlich, er selbst aber unendlich. Zweitens kann man uns entgegnen, da Erfahrung nichts klarer zu lehren scheint, als da wir unser Urteil zurˇckhalten k˛nnen, mit der Folge, da wir Dingen, die wir wahrnehmen, unsere Zustimmung nicht geben, was auch dadurch besttigt werde, da man nicht sagt, jemand tusche sich, insofern er etwas wahrnimmt, sondern nur, insofern er [dem
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tur. Ex. gr. qui equum alatum fingit, non ideo concedit dari equum|alatum, hoc est, non ideo decipitur, nisi simul concedat dari equum alatum; nihil igitur clarius videtur docere experientia, quam quod voluntas sive facultas assentiendi libera sit et a facultate intelligendi diversa. Tertio objici potest, quod una affirmatio non plus realitatis videtur continere quam alia, hoc est, non majore potentia indigere videmur ad affirmandum verum esse id, quod verum est, quam ad aliquid, quod falsum est, verum esse affirmandum; at unam ideam plus realitatis sive perfectiontis quam aliam habere percipimus; quantum enim objecta alia aliis praestantiora, tantum etiam eorum ideae aliae aliis perfectiores sunt; ex quibus etiam constare videtur differentia inter voluntatem et intellectum. Quarto objici potest, si homo non operatur ex libertate voluntatis, quid ergo fiet, si in aequilibrio sit ut Buridani asina? Famene et siti peribit? Quod si concedam, viderer asinam vel hominis statuam, non hominem concipere; si autem negem, ergo seipsum determinabit, et consequenter eundi facultatem et faciendi quicquid velit habet. Praeter haec alia forsan possunt objici; sed quia inculcare non teneor, quid unusquisque somniare potest, ad has objectiones tantum respondere curabo, idque quam potero breviter. Et quidem ad primam dico, me concedere voluntatem latius se extendere quam intellectum, si per intellectum claras tantummodo et distinctas ideas intelligant; sed nego voluntatem latius se extendere quam perceptiones sive concipiendi
10 at] NS ergnzen met de denkbeelden is ’t anders gestelt: want
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Wahrgenommenen] zustimmt oder nicht zustimmt. Wer sich z. B. ein geflˇgeltes Pferd einbildet, rumt deswegen noch nicht ein, da es so etwas wie ein geflˇgeltes Pferd gibt, tuscht sich also noch nicht deswegen; er tut es erst dann, wenn er zugleich einrumt, da es ein geflˇgeltes Pferd gibt. Erfahrung scheint also nichts klarer zu lehren, als da der Wille oder das Verm˛gen des Zustimmens frei ist und verschieden von dem Verm˛gen des Erkennens. Drittens kann man einwenden, da allem Anschein nach eine Bejahung nicht mehr Realitt enthlt als eine andere, d. h. da wir offenbar keiner gr˛eren Macht bedˇrfen, um das, was wahr ist, als wahr zu behaupten, wie um etwas Falsches als wahr zu behaupten. Aber [NS: mit Ideen verhlt es sich anders, denn] wir sind dessen inne, da die eine Idee mehr Realitt oder Vollkommenheit hat als die andere; je vorzˇglicher nmlich einige Gegenstnde gegenˇber den anderen sind, umso vollkommener sind auch deren Ideen gegenˇber den anderen. Auch hieraus ergibt sich, so sieht es aus, ein Unterschied zwischen dem Verstand und dem Willen. Viertens kann man einwenden: Wenn der Mensch nicht aus Freiheit des Willens handelt, was wird dann geschehen, wenn er im Gleichgewicht ist wie Buridans Esel? Wird er vor Hunger und Durst umkommen? Gebe ich dies zu, dann scheint meine Theorie von einem Esel oder von einer Bildsule des Menschen, nicht aber vom Menschen zu handeln. Verneine ich es hingegen, dann bestimmt der Mensch, so wird man folgern, sich selbst und hat folglich das Verm˛gen zu gehen, wohin er will, und zu tun, was er will. Man kann auer diesen vielleicht noch andere Einwnde machen; weil ich jedoch nicht verpflichtet bin, hier alle m˛glichen Trumereien beizubringen, will ich nur die angefˇhrten Einwnde zu beantworten mich bemˇhen und zwar so kurz wie m˛glich. Zum ersten ist zu sagen, da ich einrume, da der Wille sich weiter erstreckt als der Verstand, wenn sie unter Verstand nur klare und deutliche Ideen verstehen; ich verneine jedoch, da der Wille sich weiter erstreckt als Wahrnehmun-
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facultatem; nec sane video, cur facultas volendi potius dicenda est infinita quam sentiendi facultas; sicut enim infinita (unum tamen post aliud; nam infinita simul affirmare non possumus) eadem volendi facultate possumus affirmare, sic etiam infinita corpora (unum nempe post aliud) eadem sentiendi facultate possumus sentire sive percipere. Quod si dicant infinita dari, quae percipere non possumus, regero nos ea ipsa nulla cogitatione et consequenter nulla volendi facultate posse assequi. At dicunt, si Deus vellet efficere, ut ea etiam perciperemus, majorem quidem facultatem percipiendi deberet nobis dare, sed non majorem, quam dedit, volendi facultatem; quod idem est, ac si dicerent, quod si Deus velit efficere, ut infi|nita alia entia intelligeremus, necesse quidem esset, ut nobis daret majorem intellectum, sed non universaliorem entis ideam, quam dedit, ad eadem infinita entia amplectendum. Ostendimus enim voluntatem ens esse universale sive ideam, qua omnes singulares volitiones, hoc est id, quod iis omnibus commune est, explicamus. Cum itaque hanc omnium volitionum communem sive universalem ideam facultatem esse credant, minime mirum, si hanc facultatem ultra limites intellectus in infinitum se extendere dicant. Universale enim aeque de uno ac de pluribus ac de infinitis individuis dicitur. Ad secundam objectionem respondeo negando nos liberam habere potestatem judicium suspendendi. Nam cum dicimus aliquem judicium suspendere, nihil aliud dicimus,
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gen, d. h. weiter als [ihr] Verm˛gen des Begreifens. Auch sehe ich wahrlich nicht, warum das Verm˛gen des Wollens eher unendlich genannt werden sollte als das Verm˛gen des Empfindens. Denn so gut wie wir unendlich vieles (freilich eins nach dem anderen, denn unendlich vieles zugleich k˛nnen wir nicht bejahen) mit demselben Verm˛gen des Wollens bejahen k˛nnen, so gut k˛nnen wir auch unendlich viele K˛rper (auch hier einen nach dem anderen) mit demselben Verm˛gen des Empfindens empfinden, also wahrnehmen. Sagen sie darauf, es gibt unendlich vieles, was wir nicht wahrnehmen k˛nnen, so erwidere ich, da wir gerade dieses mit keinem Gedanken und folglich auch mit keinem Verm˛gen des Wollens erreichen k˛nnen. Doch sagen sie weiter, da Gott, wenn er zuwege bringen wollte, da wir auch dieses wahrnehmen, uns zwar ein gr˛eres Verm˛gen des Wahrnehmens geben mˇte, aber kein gr˛eres Verm˛gen des Wollens, als er uns gegeben hat. Das ist jedoch dasselbe, als wenn sie sagten: Wenn Gott zuwege bringen wollte, da wir Einsicht in unendlich viele weitere Entitten haben, wre es zwar n˛tig, da er uns, damit wir diese unendlich vielen Entitten unter einen Begriff bringen, einen gr˛eren Verstand gibt, aber nicht eine Idee von Seiendem, die mehr umfat als die, die er uns gegeben hat. Wir haben nmlich gezeigt, da der Wille den Status eines allgemeinen Seienden hat, anders formuliert eine Idee ist, mit der wir alle einzelnen Akte des Wollens, d. h. das, was ihnen allen gemeinsam ist, erlutern. Weil sie nun glauben, diese gemeinsame oder allgemeine Idee aller Akte des Wollens sei ein Verm˛gen, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn sie sagen, dieses Verm˛gen dehne sich ˇber die Grenzen des Verstandes hinaus ins Unendliche aus. Das Allgemeine wird in der Tat gleichermaen von einem, von mehreren und von unendlich vielen Individuen ausgesagt. Auf den zweiten Einwand antworte ich so, da ich verneine, da wir eine freie Gewalt haben, unser Urteil zurˇckzuhalten. Denn wenn wir sagen, jemand hlt sein Urteil zurˇck, sagen wir nichts anderes, als da er sieht, da er die
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quam quod videt se rem non adaequate percipere. Est igitur judicii suspensio revera perceptio et non libera voluntas. Quod ut clare intelligatur, concipiamus puerum equum alatum imaginantem nec aliud quicquam percipientem. Quandoquidem haec imaginatio equi existentiam involvit (per coroll. prop. 17. hujus), nec puer quicquam percipit, quod equi existentiam tollat, ille necessario equum ut praesentem contemplabitur; nec de ejus existentia poterit dubitare, quamvis de eadem non sit certus. Atque hoc quotidie in somnis experimur, nec credo aliquem esse, qui putet se, dum somniat, liberam habere potestatem suspendendi de iis, quae somniat, judicium efficiendique, ut ea, quae se videre somniat, non somniet; et nihilominus contingit, ut etiam in somnis judicium suspendamus, nempe cum somniamus nos somniare. Porro concedo neminem decipi, quatenus percipit, hoc est, mentis imaginationes, in se consideratas, nihil erroris involvere concedo (vide schol. prop. 17. hujus); sed nego hominem nihil affirmare, quatenus percipit. Nam quid aliud est equum alatum percipere quam alas de equo affirmare? Si enim mens praeter equum alatum nihil aliud perciperet, eundem sibi praesentem contemplaretur, nec causam haberet ullam dubitandi de ejusdem existentia, nec ullam dissentiendi facultatem, nisi imaginatio equi alati juncta sit ideae, quae existentiam ejusdem equi tollit, vel quod percipit ideam equi alati, quam habet, esse inadaequatam, atque tum vel ejusdem equi existentiam necessario negabit vel de eadem necessario dubitabit.| Atque his puto me ad tertiam etiam objectionem respondisse, nempe quod voluntas universale quid sit, quod de omnibus ideis praedicatur; quodque id tantum significat, quod omnibus ideis commune est, nempe affirmationem, cujus
3 - 4 alatum] Hinzufˇgung Gebhardt
II. Teil ˝ Von der Natur und dem Ursprung des Geistes
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Sache nicht adquat wahrnimmt. Urteilsenthaltung ist also in Wahrheit eine Wahrnehmung und nicht [ein Akt des] freien Willens. Um dies klar zu verstehen, wollen wir uns einen Jungen denken, der ein geflˇgeltes Pferd vorstellt und sonst nichts weiter wahrnimmt. Da diese Vorstellung die Existenz des Pferdes in sich schliet (nach Folgesatz zu Lehrsatz 17 dieses Teils) und der Junge nichts wahrnimmt, was die Existenz des Pferdes aufhebt, wird er zwangslufig das Pferd als gegenwrtig betrachten; und er wird an dessen Existenz nicht zweifeln k˛nnen, obwohl er ihrer nicht gewi ist. Dies erfahren wir ja tglich in unseren Trumen, und es wird wohl kaum jemanden geben, der glaubt, er habe, whrend er trumt, die freie Gewalt, das Urteil ˇber das, was er trumt, zurˇckzuhalten und zu bewirken, da er, was er zu sehen trumt, nicht trumt; freilich kommt es vor, da wir sogar in Trumen unser Urteil zurˇckhalten, nmlich wenn wir trumen, da wir trumen. Ich gebe ferner zu, da niemand sich tuscht, insofern er wahrnimmt, d. h., ich gebe zu, da die Vorstellungen des Geistes, in sich selbst gesehen, keinen Irrtum in sich schlieen (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils); aber ich verneine, da ein Mensch nichts bejaht, insofern er wahrnimmt. Denn was ist ein geflˇgeltes Pferd wahrzunehmen anderes, als vom Pferd Flˇgel zu bejahen? Wenn der Geist auer dem geflˇgelten Pferd nmlich nichts weiter wahrnhme, wˇrde er es als gegenwrtig betrachten und htte weder irgendeinen Anla, an seiner Existenz zu zweifeln, noch irgendein Verm˛gen, die Zustimmung zurˇckzuhalten, es sei denn, da die Vorstellung des geflˇgelten Pferdes mit einer Idee verbunden wre, die die Existenz ebendieses Pferdes aufhebt, oder da der Geist wahrnimmt, da seine Idee eines geflˇgelten Pferdes inadquat ist; und dann wird er zwangslufig die Existenz des Pferdes entweder verneinen oder bezweifeln. Und hiermit glaube ich zugleich auf den dritten Einwand geantwortet zu haben: da nmlich der Wille etwas Allgemeines ist, das allen Ideen zugesprochen wird und nur dasjenige bezeichnet, was allen Ideen gemeinsam ist, und das ist die Be-
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propterea adaequata essentia, quatenus sic abstracte concipitur, debet esse in unaquaque idea et hac ratione tantum in omnibus eadem, sed non quatenus consideratur essentiam ideae constituere; nam eatenus singulares affirmationes aeque inter se differunt ac ipsae ideae. Ex. gr. affirmatio, quam idea circuli ab illa, quam idea trianguli involvit, aeque differt ac idea circuli ab idea trianguli. Deinde absolute nego nos aequali cogitandi potentia indigere ad affirmandum verum esse id, quod verum est, quam ad affirmandum verum esse id, quod falsum est. Nam hae duae affirmationes, si mentem spectes, se habent ad invicem ut ens ad non-ens; nihil enim in ideis positivum est, quod falsitatis formam constituit (vide prop. 35. hujus cum ejus schol. et schol. prop. 47. hujus). Quare hic apprime venit notandum, quam facile decipimur, quando universalia cum singularibus et entia rationis et abstracta cum realibus confundimus. Quod denique ad quartam objectionem attinet, dico me omnino concedere, quod homo in tali aequilibrio positus (nempe qui nihil aliud percipit quam sitim et famem, talem cibum et talem potum, qui aeque ab eo distant), fame et siti peribit. Si me rogant, an talis homo non potius asinus quam homo sit aestimandus, dico me nescire, ut etiam nescio, quanti aestimandus sit ille, qui se pensilem facit, et quanti aestimandi sint pueri, stulti, vesani, etc. Superest tandem indicare, quantum hujus doctrinae cognitio ad usum vitae conferat, quod facile ex his animadvertemus. Nempe:
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jahung. Deren angemessen verstandene Essenz, solchermaen in abstrakter Weise begriffen, mu deshalb in jeder Idee sein; und nur in dieser Hinsicht ist sie in allen dieselbe, nicht jedoch, insofern sie als etwas angesehen wird, das die Essenz einer [einzelnen] Idee ausmacht; denn in dieser Hinsicht unterscheiden sich die einzelnen Bejahungen ebenso voneinander, wie es die Ideen selbst tun. Die Bejahung z. B., die die Idee eines Kreises in sich schliet, unterscheidet sich von der, die die Idee eines Dreiecks in sich schliet, ebenso, wie sich die Idee des Kreises von der Idee des Dreiecks unterscheidet. Sodann verneine ich kategorisch, da wir einer gleich groen Macht des Denkens bedˇrfen, um als wahr zu behaupten, was wahr ist, wie um als wahr zu behaupten, was falsch ist. Denn diese beiden Behauptungen verhalten sich, hat man den Geist im Blick, zueinander wie Seiendes zu Nichtseiendem. In Ideen ist nmlich nichts Positives, das die Form von Falschheit ausmacht (siehe Lehrsatz 35 dieses Teils einschlielich Anmerkung und die Anmerkung zu Lehrsatz 47 dieses Teils). Daher ist hier besonders anzumerken, wie leicht wir uns tuschen, wenn wir Allgemeinbegriffe mit einzelnen Dingen und Seiendes der Vernunft, Abstraktionen also, mit wirklich Seiendem vermengen. Was endlich den vierten Einwand anbelangt, so sage ich, da ich durchaus einrume, da ein Mensch, der sich in einem solchen Gleichgewicht befindet (der also nichts anderes wahrnimmt als Hunger und Durst und solche Speise und Trank, die gleich weit entfernt von ihm sind), vor Hunger und Durst umkommen wird. Fragen sie mich, ob ein solcher Mensch nicht eher fˇr einen Esel als fˇr einen Menschen gehalten werden sollte, dann sage ich, da ich es nicht wei, wie ich auch nicht wei, was von jemandem zu halten ist, der sich erhngt, und was von Kindsk˛pfen, Narren, Verrˇckten usw. zu halten ist. Schlielich bleibt noch ˇbrig, darauf hinzuweisen, welchen Nutzen die Kenntnis dieser Lehre fˇr unser Leben hat, was wir leicht den folgenden Bemerkungen entnehmen werden. Sie ist nmlich von Nutzen:
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I °. Quatenus docet nos ex solo Dei nutu agere divinaeque naturae esse participes et eo magis, quo perfectiores actiones agimus et quo magis magisque Deum intelligimus. Haec ergo doctrina, praeterquam quod animum omnimode quietum reddit, hoc etiam habet, quod nos docet, in quo nostra summa felicitas sive beatitu|do consistit, nempe in sola Dei cognitione, ex qua ad ea tantum agenda inducimur, quae amor et pietas suadent. Unde clare intelligimus, quantum illi a vera virtutis aestimatione aberrant, qui pro virtute et optimis actionibus, tanquam pro summa servitute, summis praemiis a Deo decorari exspectant, quasi ipsa virtus Deique servitus non esset ipsa felicitas et summa libertas. II °. Quatenus docet, quomodo circa res fortunae, sive quae in nostra potestate non sunt, hoc est circa res, quae ex nostra natura non sequuntur, nos gerere debeamus; nempe utramque fortunae faciem aequo animo exspectare et ferre: nimirum, quia omnia ab aeterno Dei decreto eadem necessitate sequuntur ac ex essentia trianguli sequitur, quod tres ejus anguli sunt aequales duobus rectis. III °. Confert haec doctrina ad vitam socialem, quatenus docet neminem odio habere, contemnere, irridere, nemini irasci, invidere. Praeterea quatenus docet, ut unusquisque suis sit contentus et proximo auxilio, non ex muliebri misericordia, partialitate neque superstitione, sed ex solo rationis ductu, prout scilicet tempus et res postulat, ut in quarta parte ostendam. IV °. Denique confert etiam haec doctrina non parum ad communem societatem, quatenus docet, qua ratione cives gu-
25 quarta] tertia korr. Gebhardt
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Erstens, insofern sie uns lehrt, da wir allein nach dem Wink Gottes handeln und an der g˛ttlichen Natur teilhaben, und dies umso mehr, je vollkommener unsere Handlungen sind und je mehr und mehr wir Gott einsehen. Abgesehen davon, da diese Lehre das Gemˇt ganz friedlich stimmt, hat sie also auch noch den Nutzen, uns zu lehren, worin unser h˛chstes Glˇck oder unsere Glˇckseligkeit besteht, nmlich allein in der Erkenntnis Gottes, die uns anleitet, nur das zu tun, was Liebe und Moralitt empfehlen. Von hier aus verstehen wir klar, wie weit von der wahren Schtzung der Tugend diejenigen entfernt sind, die erwarten, von Gott fˇr ihre Tugend und ihre guten Handlungen wie fˇr eine groartige Dienstleistung mit gr˛ten Belohnungen ausgezeichnet zu werden, als ob die Tugend selbst und der Dienst Gottes nicht genau Glˇck und h˛chste Freiheit wre. Zweitens, insofern sie uns lehrt, wie wir gegen Fˇgungen des Schicksals uns verhalten mˇssen, anders formuliert gegen das, was nicht in unserer Gewalt steht, d. h. im Hinblick auf Dinge, die nicht aus unserer Natur folgen: nmlich das eine wie das andere Antlitz des Schicksals mit Gleichmut erwarten und ertragen, weil ja alles aus dem ewigen Beschlu Gottes mit derselben Notwendigkeit folgt, wie aus der Essenz eines Dreiecks folgt, da seine drei Winkel gleich zwei rechten sind. Drittens leistet diese Lehre ihren Beitrag zum menschlichen Zusammenleben, insofern sie uns lehrt, niemanden zu hassen, niemanden geringzuschtzen, niemanden zu verspotten, niemandem zu zˇrnen und niemanden zu beneiden, aber auch insofern sie uns lehrt, da ein jeder mit dem Seinen zufrieden sein und seinem Nchsten helfen soll, nicht aus weichlicher Barmherzigkeit, aus Privatinteresse oder aus Aberglauben, sondern allein nach der Leitung der Vernunft, und natˇrlich so, wie Zeit und Umstnde es erfordern, was ich im 4. Teil zeigen will. Viertens endlich leistet diese Lehre auch einen nicht geringen Beitrag zum gemeinsamen Leben im Staat, insofern sie lehrt, auf welche Weise Bˇrger zu regieren und zu leiten sind,
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bernandi sint et ducendi, nempe non ut serviant, sed ut libere ea, quae optima sunt, agant. Atque his, quae in hoc scholio agere constitueram, absolvi, et eo finem huic nostrae secundae parti impono, in qua puto me naturam mentis humanae ejusque proprietates satis prolixe, et quantum rei difficultas fert, clare explicuisse, atque talia tradidisse, ex quibus multa praeclara, maxime utilia et cognitu necessaria concludi possunt, ut partim ex sequentibus constabit.
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Finis secundae partis
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nmlich nicht so, da sie Sklaven sind, sondern so, da sie frei dasjenige tun, was das beste ist. Damit habe ich erledigt, was ich in dieser Anmerkung behandeln wollte, und schliee unseren 2. Teil. Ich glaube, in ihm die Natur und Eigenschaften des menschlichen Geistes ausfˇhrlich genug und so klar dargelegt zu haben, wie die Schwierigkeit der Sache es irgend erlaubt, und Sachverhalte mitgeteilt zu haben, aus denen sich viel Vortreffliches gewinnen lt, das h˛chst nˇtzlich ist und das zu kennen unabdingbar ist, wie sich teilweise aus dem Folgenden ergeben wird. Ende des zweiten Teils
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E T H I C E S PA RS T E R T I A De Origine et Natura A F F E C T U U M
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Plerique, qui de affectibus et hominum vivendi ratione scripserunt, videntur non de rebus naturalibus, quae communes naturae leges sequuntur, sed de rebus, quae extra naturam sunt, agere. Imo hominem in natura, veluti imperium in imperio, concipere videntur. Nam hominem naturae ordinem magis perturbare quam sequi, ipsumque in suas actiones absolutam habere potentiam nec aliunde quam a se ipso determinari credunt. Humanae deinde impotentiae et inconstantiae causam non communi naturae potentiae, sed nescio cui naturae humanae vitio tribuunt, quam propterea flent, rident, contemnunt vel, quod plerumque fit, detestantur; et, qui humanae mentis impotentiam eloquentius vel argutius carpere novit, veluti divinus habetur. Non defuerunt tamen viri praestantissimi (quorum labori et industriae nos multum debere fatemur), qui de recta vivendi ratione praeclara multa scripserint et plena prudentiae consilia mortalibus dederint; verum affectuum naturam et vires et quid contra mens in iisdem moderandis possit, nemo, quod sciam, determinavit. Scio equidem celeberrimum Cartesium, licet etiam crediderit mentem |in suas actiones absolutam habere potentiam, affectus tamen humanos per primas suas causas explicare simulque viam ostendere studuisse, qua mens in affectus absolutum habere possit imperium; sed,
2 - 3 NS haben als Titel Van de Natuur en Oorsprong der Hartstochten [De Natura et Origine Affectuum] 4 Praefatio] fehlt in OP und NS 18 Non] kein Absatz in OP
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DRITTE R TE IL DER ETHI K Von dem Ursprung und der Natur der A F F E KT E
Vo r w o r t Die meisten, die ˇber die Affekte und die Lebensweise der Menschen geschrieben haben, behandeln, so sieht es aus, nicht natˇrliche Dinge, die den allgemeinen Gesetzen der Natur folgen, sondern Dinge, die auerhalb der Natur liegen; eher scheinen sie den Menschen in der Natur wie einen Staat im Staat zu verstehen. Denn sie glauben, da der Mensch die Ordnung der Natur mehr st˛rt als befolgt und da er ˇber seine Handlungen eine unbedingte Macht hat und von nichts anderem als von sich selbst bestimmt wird. Und die Ursache menschlicher Ohnmacht und Unbestndigkeit schreiben sie nicht der allgemeinen Macht der Natur zu, sondern ich wei nicht welchem Fehler der menschlichen Natur, die sie deswegen bejammern, verlachen, geringschtzen oder, was die Regel ist, verdammen; und wer die Schwche des menschlichen Geistes besonders eloquent oder geschickt durchzuhecheln wei, der wird fˇr unvergleichlich gehalten. Indessen hat es nicht an ausgezeichneten Mnnern gefehlt (und wir bekennen, ihrer Arbeit und ihrem Flei viel zu verdanken), die manch Vortreffliches ˇber die rechte Lebensweise geschrieben und uns Menschen Ratschlge voller Klugheit gegeben haben. Doch was die Natur und die Krfte der Affekte sind und was andererseits der Geist vermag, um sie zu migen, das hat, soviel ich wei, noch niemand bestimmt. Natˇrlich wei ich, da der berˇhmte Descartes, wenngleich auch er glaubte, da der Geist ˇber seine Handlungen eine unbedingte Macht habe, sich immerhin bemˇht hat, menschliche Affekte durch ihre ersten Ursachen zu erklren und in eins damit den Weg aufzuzeigen, auf dem der Geist eine unbedingte Herrschaft ˇber [seine] Affekte haben k˛nne. Er hat
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mea quidem sententia, nihil praeter magni sui ingenii acumen ostendit, ut suo loco demonstrabo. Nam ad illos revertere volo, qui hominum affectus et actiones detestari vel ridere malunt quam intelligere. His sine dubio mirum videbitur, quod hominum vitia et ineptias more geometrico tractare aggrediar et certa ratione demonstrare velim ea, quae rationi repugnare quaeque vana, absurda et horrenda esse clamitant. Sed mea haec est ratio. Nihil in natura fit, quod ipsius vitio possit tribui; est namque natura semper eadem et ubique una eademque ejus virtus et agendi potentia, hoc est, naturae leges et regulae, secundum quas omnia fiunt et ex unis formis in alias mutantur, sunt ubique et semper eaedem, atque adeo una eademque etiam debet esse ratio rerum qualiumcunque naturam intelligendi, nempe per leges et regulas naturae universales. Affectus itaque odii, irae, invidiae etc. in se considerati ex eadem naturae necessitate et virtute consequuntur ac reliqua singularia; ac proinde certas causas agnoscunt, per quas intelliguntur, certasque proprietates habent, cognitione nostra aeque dignas ac proprietates cujuscunque alterius rei, cujus sola contemplatione delectamur. De affectuum itaque natura et viribus ac mentis in eosdem potentia eadem methodo agam, qua in praecedentibus de Deo et mente egi, et humanas actiones atque appetitus considerabo perinde, ac si quaestio de lineis, planis aut de corporibus esset.|
3 Nam] kein Absatz in OP
III. Teil ˝ Von dem Ursprung und der Natur der Affekte
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aber, wenigstens meiner Ansicht nach, dabei nichts weiter dargetan als die Gewandtheit seines groen Geistes, wie ich an geeigneter Stelle zeigen werde. Fˇr jetzt m˛chte ich mich wieder jenen zuwenden, die die Affekte und Handlungen der Menschen lieber verdammen oder verlachen als begreifen wollen. Ihnen wird es zweifellos sonderbar vorkommen, da ich mich anschicke, Fehler und Torheiten von Menschen auf geometrische Weise zu behandeln, und durch ein Verfahren der Vernunft Dinge beweisen will, von denen sie lauthals bekunden, da sie der Vernunft widerstreiten und eitel, ungereimt und schrecklich sind. Doch habe ich dafˇr folgenden Grund: Es geschieht nichts in der Natur, was ihr selbst als Fehler angerechnet werden k˛nnte; denn die Natur ist immer dieselbe, und was sie auszeichnet, ihre Wirkungsmacht, ist ˇberall ein und dasselbe; d. h. die Gesetze und Regeln der Natur, nach denen alles geschieht und aus einer Form in eine andere sich verndert, sind ˇberall und immer dieselben. Mithin mu auch die Weise ein und dieselbe sein, in der die Natur eines jeden Dinges, von welcher Art es auch sein mag, zu begreifen ist, nmlich durch die allgemeingˇltigen Gesetze und Regeln der Natur. Also folgen die Affekte des Hasses, des Zorns, des Neides usw., in sich betrachtet, aus derselben Notwendigkeit und internen Beschaffenheit der Natur wie andere Einzeldinge auch. Somit unterliegen sie bestimmten Ursachen, durch die sie sich verstehen lassen, und haben bestimmte Eigenschaften, die unserer Erkenntnis so wˇrdig sind wie die Eigenschaften jedes beliebigen anderen Dinges, an dessen bloer Betrachtung wir uns erfreuen. Die Natur und die Krfte der Affekte und die Macht des Geistes ˇber sie werde ich deshalb nach derselben Methode behandeln, nach der ich in den vorigen Teilen von Gott und dem Geist gehandelt habe, und ich werde menschliche Handlungen und Triebe geradeso betrachten, als ginge es um Linien, Flchen oder K˛rper.
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Pars Tertia ˝ De Origine et Natura Affectuum
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Definitiones
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I. Causam adaequatam appello eam, cujus effectus potest clare et distincte per eandem percipi. Inadaequatam autem seu partialem illam voco, cujus effectus per ipsam solam intelligi nequit. II. Nos tum agere dico, cum aliquid in nobis aut extra nos fit, cujus adaequata sumus causa, hoc est (per defin. praeced.), cum ex nostra natura aliquid in nobis aut extra nos sequitur, quod per eandem solam potest clare et distincte intelligi. At contra nos pati dico, cum in nobis aliquid fit vel ex nostra natura aliquid sequitur, cujus nos non nisi partialis sumus causa. III. Per affectum intelligo corporis affectiones, quibus ipsius corporis agendi potentia augetur vel minuitur, juvatur vel coercetur, et simul harum affectionum ideas. Si itaque alicujus harum affectionum adaequata possimus esse causa, tum per affectum actionem intelligo, alias passionem. Postulata
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I. Corpus humanum potest multis affici modis, quibus ipsius agendi potentia augetur vel minuitur, et etiam aliis, qui ejusdem agendi potentiam nec majorem nec minorem reddunt. Hoc postulatum seu axioma nititur postulato 1. et lemmat. 5. et 7., quae vide post prop. 13. p. 2.
III. Teil ˝ Von dem Ursprung und der Natur der Affekte
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Definitionen 1. Adquat nenne ich diejenige Ursache, deren Wirkung durch sie klar und deutlich wahrgenommen werden kann. Inadquat oder partial nenne ich dagegen diejenige, deren Wirkung nicht durch sie allein eingesehen werden kann. 2. Ich sage, wir sind aktiv, wenn etwas in uns oder auer uns geschieht, dessen adquate Ursache wir sind, d. h. (nach voriger Definition), wenn aus unserer Natur etwas in uns oder auer uns folgt, das durch sie allein klar und deutlich eingesehen werden kann. Dagegen, sage ich, erleiden wir etwas, wenn in uns etwas geschieht oder aus unserer Natur etwas folgt, wovon wir nur eine partiale Ursache sind. 3. Unter Affekt verstehe ich Affektionen des K˛rpers, von denen die Wirkungsmacht des K˛rpers vermehrt oder vermindert, gef˛rdert oder gehemmt wird, und zugleich die Ideen dieser Affektionen. Wenn wir also die adquate Ursache einer dieser Affektionen sein k˛nnen, dann verstehe ich unter dem Affekt eine Aktivitt, im anderen Fall eine Leidenschaft. Postulate 1. Der menschliche K˛rper kann auf viele Weisen affiziert werden, in denen seine Wirkungsmacht vermehrt oder vermindert wird, und auch auf andere, die seine Wirkungsmacht weder vergr˛ern noch verkleinern. Dieses Postulat oder Axiom stˇtzt sich auf Postulat 1 und Hilfssatz 5 und 7, die man nach Lehrsatz 13 des 2. Teils findet.
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Pars Tertia ˝ De Origine et Natura Affectuum
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II. Corpus humanum multas pati potest mutationes et nihilominus retinere objectorum impressiones seu ve|stigia (de quibus vide post. 5. p. 2.) et consequenter easdem rerum imagines; quarum defin. vide schol. prop. 17. p. 2. P r o p o s i t i o I . Mens nostra quaedam agit, quaedam vero patitur, nempe quatenus adaequatas habet ideas, eatenus quaedam necessario agit, et quatenus ideas habet inadaequatas, eatenus necessario quaedam patitur. D e m o n s t ra t i o . Cujuscunque humanae mentis ideae aliae adaequatae sunt, aliae autem mutilatae et confusae (per schol. prop. 40. p. 2.). Ideae autem, quae in alicujus mente sunt adaequatae, sunt in Deo adaequatae, quatenus ejusdem mentis essentiam constituit (per coroll. prop. 11. p. 2.), et quae deinde inadaequatae sunt in mente, sunt etiam in Deo (per idem coroll.) adaequatae, non quatenus ejusdem solummodo mentis essentiam, sed etiam quatenus aliarum rerum mentes in se simul continet. Deinde ex data quacunque idea aliquis effectus sequi necessario debet (per prop. 36. p. 1.), cujus effectus Deus causa est adaequata (vid. defin. 1. hujus), non quatenus infinitus est, sed quatenus data illa idea affectus consideratur (vid. prop. 9. p. 2.). At ejus effectus, cujus Deus est causa, quatenus affectus est idea, quae in alicujus mente est adaequata, illa eadem mens est causa adaequata (per coroll. prop. 11. p. 2.). Ergo mens nostra (per defin. 2. hujus), quatenus ideas habet adaequatas, quaedam necessario agit, quod erat primum. Deinde quicquid necessario sequitur ex idea, quae in Deo est adaequata, non quatenus mentem unius hominis tantum, sed quatenus aliarum rerum mentes simul
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2. Der menschliche K˛rper kann vielen Vernderungen unterliegen und gleichwohl Eindrˇcke oder Spuren der Objekte behalten (siehe dazu Postulat 5 des 2. Teils) und folglich von Dingen dieselben Vorstellungsbilder (siehe deren Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils). L e h r s a t z 1 . Unser Geist bringt einiges aktiv hervor, anderes erleidet er jedoch; insofern er nmlich adquate Ideen hat, bringt er notwendigerweise einiges aktiv hervor, und insofern er inadquate Ideen hat, erleidet er notwendigerweise anderes. B e w e i s : In jedem menschlichen Geist sind einige Ideen adquat, andere verstˇmmelt und verworren (nach den Anmerkungen zu Lehrsatz 40 des 2. Teils). Ideen, die in jemandens Geist adquat sind, sind nun in Gott adquat, insofern er [nur] die Essenz ebendieses Geistes ausmacht (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 des 2. Teils); und die, die in dem Geist inadquat sind, sind (nach dem genannten Folgesatz) in Gott ebenfalls adquat, nicht insofern er nur die Essenz dieses Geistes ausmacht, sondern insofern er zugleich auch den Geist anderer Dinge in sich enthlt. Ferner mu (nach Lehrsatz 36 des 1. Teils) aus jeder gegebenen Idee notwendigerweise irgendeine Wirkung erfolgen, von welcher Wirkung Gott die adquate Ursache ist (siehe Definition 1 dieses Teils), nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er als von dieser gegebenen Idee affiziert angesehen wird (siehe Lehrsatz 9 des 2. Teils). Nun ist von einer Wirkung, deren Ursache Gott ist, insofern er von einer Idee affiziert ist, die in jemandens Geist adquat ist, ebendieser Geist die adquate Ursache (nach Folgesatz zu Lehrsatz 11 des 2. Teils). Also bringt unser Geist (nach Definition 2 dieses Teils), insofern er adquate Ideen hat, notwendigerweise einiges aktiv hervor. Dies war das erste. Ferner, wenn etwas notwendigerweise aus einer Idee folgt, die in Gott adquat ist, nicht insofern er den Geist nur eines einzigen Menschen in sich hat, sondern insofern er den Geist anderer Dinge zusammen mit dem Geist
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cum ejusdem hominis mente in se habet, ejus (per idem coroll. prop. 11. p. 2.) illius hominis mens non est causa adaequata, sed partialis, ac proinde (per defin. 2. hujus) mens, quatenus ideas inadaequatas habet, quaedam necessario patitur. Quod erat secundum. Ergo mens nostra, etc. Q. e. d.| C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur mentem eo pluribus passionibus esse obnoxiam, quo plures ideas inadaequatas habet, et contra eo plura agere, quo plures habet adaequatas. P r o p o s i t i o I I . Nec corpus mentem ad cogitandum, nec mens corpus ad motum neque ad quietem, nec ad aliquid (si quid est) aliud determinare potest. D e m o n s t ra t i o . Omnes cogitandi modi Deum, quatenus res est cogitans et non quatenus alio attributo explicatur, pro causa habent (per prop. 6. p. 2.); id ergo, quod mentem ad cogitandum determinat, modus cogitandi est et non Extensionis, hoc est (per defin. 1. p. 2.), non est corpus. Quod erat primum. Corporis deinde motus et quies ab alio oriri debet corpore, quod etiam ad motum vel quietem determinatum fuit ab alio, et absolute, quicquid in corpore oritur, id a Deo oriri debuit, quatenus aliquo Extensionis modo et non quatenus aliquo cogitandi modo affectus consideratur (per eand. prop. 6. p. 2.), hoc est, a mente, quae (per prop. 11. p. 2.) modus cogitandi est, oriri non potest. Quod erat secundum. Ergo nec corpus mentem etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec clarius intelliguntur ex iis, quae in scholio propositionis 7. partis 2. dicta sunt, quod scilicet mens et corpus una eademque res sit, quae jam sub Cogitationis, jam sub Extensionis attributo concipitur. Unde fit, ut
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dieses Menschen in sich hat, dann ist davon (nach dem genannten Folgesatz zu Lehrsatz 11 des 2. Teils) der Geist dieses Menschen nicht die adquate, sondern die partiale Ursache. Insofern der Geist inadquate Ideen hat, erleidet er somit (nach Definition 2 dieses Teils) notwendigerweise einiges. Dies war das zweite. Unser Geist also usw. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da der Geist umso mehr Formen des Erleidens unterworfen ist, je mehr inadquate Ideen er hat, und umgekehrt umso mehr aktiv hervorbringt, je mehr adquate Ideen er hat. L e h r s a t z 2 . Der K˛rper kann den Geist nicht zum Denken bestimmen und der Geist nicht den K˛rper zu Bewegung und Ruhe oder zu irgendetwas anderem (wenn es noch etwas anderes gibt). B e w e i s : Alle Modi des Denkens haben Gott zur Ursache, insofern er ein denkendes Ding ist, nicht aber insofern er von einem anderen Attribut her erklrt wird (nach Lehrsatz 6 des 2. Teils). Was also den Geist zum Denken bestimmt, ist ein Modus des Denkens und nicht ein Modus von Ausdehnung, d. h. (nach Definition 1 des 2. Teils), es ist nicht der K˛rper; das war das erste. Ferner, die Bewegung und Ruhe des K˛rpers mu von einem anderen K˛rper herrˇhren, der auch wieder von einem anderen zu Bewegung und Ruhe bestimmt worden ist; und ˇberhaupt mute alles, was in dem K˛rper sich ereignet, von Gott herrˇhren, insofern er als von einem Modus von Ausdehnung und nicht von einem Modus des Denkens affiziert angesehen wird (nach dem genannten Lehrsatz 6 des 2. Teils), d. h., von dem Geist, der (nach Lehrsatz 11 des 2. Teils) ein Modus des Denkens ist, kann es nicht herrˇhren; das war das zweite. Also kann der K˛rper den Geist nicht usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dies lt sich noch klarer aus dem in der Anmerkung zu Lehrsatz 7 des 2. Teils Gesagten verstehen, da nmlich der Geist und der K˛rper ein und dasselbe Ding sind, das bald unter dem Attribut Denken, bald unter dem Attribut Ausdehnung begriffen wird. Das macht es, da die
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ordo sive rerum concatenatio una sit, sive natura sub hoc, sive sub illo attributo concipiatur, consequenter ut ordo actionum et passionum corporis nostri simul sit natura cum ordine actionum et passionum mentis: Quod etiam patet ex modo, quo propositionem 12. partis 2. demonstravimus. At, quamvis haec ita se habeant, ut nulla dubitandi ratio supersit, vix tamen credo, nisi rem experientia comproba|vero, homines induci posse ad haec aequo animo perpendendum, adeo firmiter persuasi sunt corpus ex solo mentis nutu jam moveri jam quiescere plurimaque agere, quae a sola mentis voluntate et excogitandi arte pendent. Etenim, quid corpus possit, nemo hucusque determinavit, hoc est, neminem hucusque experientia docuit, quid corpus ex solis legibus naturae, quatenus corporea tantum consideratur, possit agere, et quid non possit, nisi a mente determinetur. Nam nemo hucusque corporis fabricam tam accurate novit, ut omnes ejus functiones potuerit explicare, ut jam taceam, quod in brutis plura observentur, quae humanam sagacitatem longe superant, et quod somnambuli in somnis plurima agant, quae vigilando non auderent; quod satis ostendit ipsum corpus ex solis suae naturae legibus multa posse, quae ipsius mens admiratur. Deinde nemo scit, qua ratione quibusve mediis mens moveat corpus, neque quot motus gradus possit corpori tribuere quantaque cum celeritate idem movere queat. Unde sequitur, cum homines dicunt hanc vel illam actionem corporis oriri a mente, quae imperium in corpus habet, eos nescire, quid dicant, nec aliud agere quam speciosis verbis fateri se veram illius actionis causam absque admiratione ignorare.
6 At] kein Absatz in OP
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Ordnung oder Verknˇpfung von Dingen ein und dieselbe ist, ob nun die Natur unter diesem oder unter jenem Attribut begriffen wird, und folglich da die Ordnung der Aktivitten und des Erleidens unseres K˛rpers mit der Ordnung der Aktivitten und des Erleidens des Geistes von Natur aus zugleich ist. Evident ist dies auch daraus, wie wir Lehrsatz 12 des 2. Teils bewiesen haben. Aber obgleich es sich so verhlt, da kein Grund zum Zweifel mehr bleibt, glaube ich doch kaum, da Menschen dahin gebracht werden k˛nnen, den Sachverhalt unbefangen zu erwgen, solange ich ihn nicht durch Erfahrung bekrftigt habe; so fest sind sie ˇberzeugt, da der K˛rper blo auf Gehei des Geistes bald sich bewegt, bald ruht und sehr vieles verrichtet, was allein von dem Willen des Geistes und dessen Erfindungskunst abhngt. Allerdings, was der K˛rper kann, hat bislang noch niemand bestimmt; d. h., die Erfahrung hat bislang niemanden darˇber belehrt, was der K˛rper blo nach Gesetzen der Natur, insofern diese allein als k˛rperlich angesehen wird, verrichten kann und was allein dadurch, da er von dem Geist bestimmt wird. Denn bislang kennt niemand den Bau des K˛rpers so genau, da er alle seine Funktionen erklren k˛nnte, ganz zu schweigen davon, da man in niederen Lebewesen vieles beobachtet, was menschliche Erfindungsgabe weit ˇbersteigt, und Nachtwandler im Schlaf vieles tun, was sie sich im wachen Zustand nicht zutrauen wˇrden. Das zeigt zur Genˇge, da gerade der K˛rper blo nach Gesetzen seiner Natur vieles kann, worˇber sein Geist staunt. Noch einmal, niemand wei, in welcher Weise und mit welchen Mitteln der Geist den K˛rper bewegt, auch nicht, wie viele Grade von Bewegung er dem K˛rper mitteilen und mit welcher Geschwindigkeit er ihn bewegen kann. Daraus folgt, da Menschen, die sagen, diese oder jene Ttigkeit des K˛rpers rˇhre von einem Geist her, der die Herrschaft ˇber den K˛rper hat, nicht wissen, was sie sagen, und nichts anderes tun, als mit hochtrabenden Worten einzugestehen, da sie die wahre Ursache einer solchen Ttigkeit nicht kennen und an ihr auch nicht interessiert sind.
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At dicent, sive sciant sive nesciant, quibus mediis mens moveat corpus, se tamen experiri, quod, nisi mens humana apta esset ad excogitandum, corpus iners esset. Deinde se experiri in sola mentis potestate esse tam loqui quam tacere, et alia multa, quae proinde a mentis decreto pendere credunt. Sed, quod ad primum attinet, ipsos rogo, num experientia non etiam doceat, quod si contra corpus iners sit, mens simul ad cogitandum sit inepta. Nam cum corpus somno quiescit, mens simul cum ipso sopita manet nec potestatem habet, veluti cum vigilat, excogitandi. Deinde omnes expertos esse credo mentem non semper aeque aptam esse ad cogitandum de eodem objecto; sed, prout corpus aptius est, ut in eo hujus vel illius objecti imago excitetur, ita mentem aptiorem esse ad hoc vel illud objectum contemplandum. At dicent ex solis legibus naturae, quatenus corporea tantum consideratur, fieri non posse, ut causae aedificiorum, picturarum rerumque hujus|modi, quae sola humana arte fiunt, possint deduci, nec corpus humanum, nisi a mente determinaretur ducereturque, pote esset ad templum aliquod aedificandum. Verum ego jam ostendi ipsos nescire, quid corpus possit quidve ex sola ipsius naturae contemplatione possit deduci, ipsosque plurima experiri ex solis naturae legibus fieri, quae nunquam credidissent posse fieri, nisi ex mentis directione, ut sunt ea, quae somnambuli in somnis agunt quaeque ipsi, dum vigilant, admirantur. Addo hic ipsam corporis humani fabricam, quae artificio longissime superat omnes, quae humana arte fabricatae sunt, ut jam taceam, quod supra ostenderim, ex natura, sub quovis attributo considerata, infinita sequi.
1 At] kein Absatz in OP 12 objecto] subjecto korr. Gebhardt
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Nun werden sie sagen: Ob sie wˇten oder nicht, mit welchen Mitteln der Geist den K˛rper bewegt, jedenfalls machten sie die Erfahrung, da der K˛rper inaktiv wre, wenn der menschliche Geist nicht zum Planen und Erfinden fhig wre. Des weiteren erfˇhren sie, da es allein in der Gewalt des Geistes steht, zu reden oder zu schweigen und noch vieles andere zu tun, das somit, so glauben sie, von einer Entscheidung des Geistes abhngt. Was das erste betrifft, frage ich sie, ob die Erfahrung nicht auch lehrt, da, wenn andererseits der K˛rper inaktiv ist, zugleich der Geist unfhig zum Denken ist. Denn wenn der K˛rper im Schlaf ruht, bleibt zugleich der Geist im Schlummer und hat, anders als im wachen Zustand, nicht die Fhigkeit zu planen und zu erfinden. Des weiteren haben wohl alle schon die Erfahrung gemacht, da der Geist nicht immer gleich fhig ist, an denselben Gegenstand zu denken, sondern da je fhiger der K˛rper ist, das Bild dieses oder jenes Gegenstandes in sich entstehen zu lassen, entsprechend fhiger der Geist ist, diesen oder jenen Gegenstand zu betrachten. Auch werden sie wohl sagen, allein den Gesetzen der Natur, insofern sie nur als k˛rperlich angesehen wird, k˛nnten nicht die Ursachen von Gebuden, Gemlden und anderen Dingen dieser Art, die allein aus menschlicher Kunst entstehen, entnommen werden, und der menschliche K˛rper wre doch nie imstande, eine Kirche zu erbauen, ohne dazu von dem Geist bestimmt und angeleitet zu werden. Allein ich habe schon darauf hingewiesen, da sie gar nicht wissen, was der K˛rper kann oder was sich aus der Betrachtung allein seiner Natur herleiten lt, ja da sie selbst erfahren, da allein nach den Gesetzen der Natur vieles geschieht, von dem sie niemals geglaubt htten, es k˛nne ohne Anleitung des Geistes geschehen, z. B. was Nachtwandler im Schlaf tun, worˇber sie sich dann im wachen Zustand wundern. Es sei noch hinzugefˇgt, da gerade der Bau des menschlichen K˛rpers in seiner Kunstfertigkeit alles weit ˇbertrifft, was menschliche Kunst je gebaut hat, ganz davon zu schweigen, da ich oben erwiesen habe, da aus der Natur, unter welchem Attribut auch immer betrachtet, unendlich vieles folgt.
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Quod porro ad secundum attinet, sane longe felicius sese res humanae haberent, si aeque in hominis potestate esset tam tacere quam loqui. At experientia satis superque docet homines nihil minus in potestate habere quam linguam, nec minus posse quam appetitus moderari suos; unde factum, ut plerique credant nos ea tantum libere agere, quae leviter petimus, quia earum rerum appetitus facile contrahi potest memoria alterius rei, cujus frequenter recordamur, sed illa minime, quae magno cum affectu petimus, et qui alterius rei memoria sedari nequit. Verumenimvero nisi experti essent nos plura agere, quorum postea paenitet, nosque saepe, quando sc. contrariis affectibus conflictamur, meliora videre et deteriora sequi, nihil impediret, quominus crederent nos omnia libere agere. Sic infans se lac libere appetere credit, puer autem iratus vindictam velle, et timidus fugam. Ebrius deinde credit se ex libero mentis decreto ea loqui, quae postea sobrius vellet tacuisse: sic delirans, garrula, puer et hujus farinae plurimi ex libero mentis decreto credunt loqui; cum tamen loquendi impetum, quem habent, continere nequeant, ita ut ipsa experientia non minus clare quam ratio doceat, quod homines ea sola de causa liberos se esse credant, quia suarum actionum sunt conscii et causarum, a quibus determinantur, ignari; et praeterea quod mentis decreta nihil sint praeter ipsos appetitus, quae propterea varia sunt pro varia corporis dispositione. Nam unusquisque ex suo affectu omnia moderatur, et qui praeterea contra|riis affectibus conflictantur, quid velint nesciunt; qui autem nullo, facili momento huc atque illuc pelluntur. Quae omnia profecto clare ostendunt mentis tam
1 Quod] kein Absatz in OP
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Was den zweiten Punkt betrifft, so wre es sicherlich weit besser um menschliche Angelegenheiten bestellt, wenn es gleichermaen in der Gewalt des Menschen stˇnde, zu schweigen wie zu reden. Aber die Erfahrung lehrt genug und ˇbergenug, da Menschen nichts weniger in ihrer Gewalt haben als ihre Zunge und nichts weniger k˛nnen als ihre Triebe beherrschen. Daher ist es gekommen, da die meisten glauben, frei tten wir blo diejenigen Dinge, die wir schwach begehren (weil sich das Verlangen nach ihnen von der Erinnerung an ein anderes Ding, an das wir hufig zurˇckdenken, leicht dmpfen lt), keineswegs aber diejenigen, die wir mit einem starken Affekt begehren, der sich von der Erinnerung an ein anderes Ding nicht beruhigen lt. Und in der Tat, htten sie nicht die Erfahrung gemacht, da wir vieles tun, was wir nachher bereuen, und oft, wenn wir von entgegengesetzten Affekten bedrngt werden, das Bessere sehen und dem Schlechteren folgen, wˇrde sie nichts von dem Glauben abhalten, wir tten alles frei. So glaubt das kleine Kind, es verlange frei nach der Milch, der zornige Junge, er wolle die Rache, und der ngstliche Mensch, er wolle die Flucht. So glaubt der Trunkene, er rede aus freier Entscheidung des Geistes, was er nachher, wieder nˇchtern, lieber verschwiegen haben wollte. So glauben der Faselhans, das Plappermaul, der Kindskopf und viele Leute dieses Schlages aus freier Entscheidung des Geistes zu reden, whrend sie doch blo ihrem Rededrang, den sie nun einmal haben, nicht widerstehen k˛nnen, so da gerade die Erfahrung nicht weniger klar als die Vernunft lehrt, da Menschen sich allein deshalb fˇr frei halten, weil sie sich ihrer Handlungen bewut sind, aber die Ursachen nicht kennen, von denen sie bestimmt werden. Auerdem [lehrt sie], da die Entscheidungen des Geistes nichts sind als die Triebe selbst, die entsprechend der vielfltigen Disposition des K˛rpers verschiedenartig sind. Denn ein jeder handhabt alles von seiner Affektivitt her; wer von entgegengesetzten Affekten bedrngt wird, wei nicht, was er will, und wer von gar keinem Affekt [angetrieben wird], lt sich aus nichtigem Anla hierhin oder dorthin treiben. Dies alles zeigt in der Tat klar, da
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decretum quam appetitum et corporis determinationem simul esse natura, vel potius unam eandemque rem, quam, quando sub Cogitationis attributo consideratur et per ipsum explicatur, decretum appellamus, et quando sub Extensionis attributo consideratur et ex legibus motus et quietis deducitur, determinationem vocamus; quod adhuc clarius ex jam dicendis patebit. Nam aliud est, quod hic apprime notari vellem, nempe, quod nos nihil ex mentis decreto agere possumus, nisi ejus recordemur. Ex. gr. non possumus verbum loqui, nisi ejusdem recordemur. Deinde in libera mentis potestate non est rei alicujus recordari vel ejusdem oblivisci. Quare hoc tantum in mentis potestate esse creditur, quod rem, cujus recordamur, vel tacere vel loqui ex solo mentis decreto possumus. Verum cum nos loqui somniamus, credimus nos ex libero mentis decreto loqui, nec tamen loquimur, vel, si loquimur, id ex corporis spontaneo motu fit. Somniamus deinde nos quaedam homines celare idque eodem mentis decreto, quo, dum vigilamus, ea, quae scimus, tacemus. Somniamus denique nos ex mentis decreto quaedam agere, quae, dum vigilamus, non audemus, atque adeo pervelim scire, an in mente duo decretorum genera dentur, phantasticorum unum et liberorum alterum. Quod si eo usque insanire non libet, necessario concedendum est hoc mentis decretum, quod liberum esse creditur, ab ipsa imaginatione sive memoria non distingui, nec aliud esse praeter illam affirmationem, quam idea, quatenus idea est, necessario involvit (vide prop. 49. p. 2.). Atque adeo haec mentis decreta eadem necessitate in mente
8 Nam] kein Absatz in OP
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beide, die Entscheidung oder der Trieb des Geistes und die Bestimmung des K˛rpers, der Natur nach zusammen bestehen oder vielmehr ein und dieselbe Sache sind; Entscheidung nennen wir sie, wenn sie unter dem Attribut Denken betrachtet wird und sich durch dieses erklren lt, und Bestimmung, wenn sie unter dem Attribut Ausdehnung betrachtet wird und sich aus den Gesetzen von Bewegung und Ruhe herleiten lt, was sich noch klarer aus dem ergeben wird, was jetzt zu sagen ist. Denn es gibt noch etwas anderes, auf das ich hier besonders aufmerksam machen m˛chte, da wir nmlich aus einer Entscheidung des Geistes gar nichts verrichten k˛nnen, es sei denn, wir erinnern uns an es. So k˛nnen wir ein Wort, dessen wir uns nicht erinnern, nicht aussprechen. Und es steht nicht in der freien Gewalt des Geistes, sich eines Dinges zu erinnern oder es zu vergessen. Daher glaubt man nur, es stehe in der Gewalt des Geistes, ˇber eine Sache, deren wir uns erinnern, aus bloer Entscheidung des Geistes schweigen oder reden zu k˛nnen. Indessen, wenn wir trumen, da wir reden, glauben wir aus freier Entscheidung des Geistes zu reden ^ und doch reden wir gar nicht, oder es geschieht, wenn wir doch reden, aus einer spontanen Bewegung des K˛rpers heraus. Auch trumen wir, da wir anderen manches verheimlichen, und das aus derselben Entscheidung des Geistes, aus der wir im Wachen verschweigen, was wir wissen. Schlielich trumen wir, da wir aus einer Entscheidung des Geistes manches tun, das zu tun wir im wachen Zustand nicht wagen wˇrden. Mithin m˛chte ich gern wissen, ob es im Geist zwei Arten von Entscheidung gibt, eingebildete und freie. Wer sich bis zu diesem Unsinn nicht versteigen will, mu zwangslufig zugeben, da diese fˇr frei gehaltene Entscheidung des Geistes sich von der Vorstellung selbst oder von der Erinnerung nicht unterscheidet und nicht irgendetwas ˇber jenes Bejahen hinaus ist, das die Idee, insofern sie eine Idee ist, notwendigerweise in sich schliet (siehe Lehrsatz 49 des 2. Teils). Die erwhnten Entscheidungen des Geistes entstehen im Geist mithin mit derselben Notwendigkeit wie die Ideen von wirklich existie-
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oriuntur ac ideae rerum actu existentium. Qui igitur credunt se ex libero mentis decreto loqui vel tacere vel quicquam agere, oculis apertis somniant.
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P r o p o s i t i o I I I . Mentis actiones ex solis ideis adaequatis oriuntur; passiones autem a solis inadaequatis pendent.| D e m o n s t ra t i o . Primum, quod mentis essentiam constituit, nihil aliud est quam idea corporis actu existentis (per prop. 11. et 13. p. 2.), quae (per prop. 15. p. 2.) ex multis aliis componitur, quarum quaedam (per coroll. prop. 38. p. 2.) sunt adaequatae, quaedam autem inadaequatae (per coroll. prop. 29. p. 2.). Quicquid ergo ex mentis natura sequitur et cujus mens causa est proxima, per quam id debet intelligi, necessario ex idea adaequata vel inadaequata sequi debet. At quatenus mens (per prop. 1. hujus) ideas habet inadaequatas, eatenus necessario patitur; ergo mentis actiones ex solis ideis adaequatis sequuntur, et mens propterea tantum patitur, quia ideas habet inadaequatas. Q. e. d. S c h o l i u m . Videmus itaque passiones ad mentem non referri, nisi quatenus aliquid habet, quod negationem involvit, sive quatenus consideratur ut naturae pars, quae per se absque aliis non potest clare et distincte percipi; et hac ratione ostendere possem passiones eodem modo ad res singulares ac ad mentem referri nec alia ratione posse percipi; sed meum institutum est de sola mente humana agere. P r o p o s i t i o I V. Nulla res, nisi a causa externa, potest destrui. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio per se patet; definitio enim cujuscunque rei ipsius rei essentiam affirmat, sed non
20 ut] Hinzufˇgung Gebhardt
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renden Dingen. Wer also glaubt, er rede oder schweige oder tue sonst etwas aus einer freien Entscheidung des Geistes, der trumt mit offenen Augen. Lehrsatz 3. Die Aktivitten des Geistes entspringen allein adquaten Ideen, whrend die Formen des Erleidens allein auf inadquaten Ideen beruhen. B e w e i s : Das erste, was die Essenz des Geistes ausmacht, ist nichts anderes als die Idee eines wirklich existierenden K˛rpers (nach Lehrsatz 11 und 13 des 2. Teils), die (nach Lehrsatz 15 des 2. Teils) aus vielen Ideen zusammengesetzt ist, von denen einige (nach Folgesatz zu Lehrsatz 38 des 2. Teils) adquat und andere (nach Folgesatz zu Lehrsatz 29 des 2. Teils) inadquat sind. Was auch immer aus der Natur des Geistes folgt und den Geist zu seiner nchsten Ursache hat, durch die es erkannt werden mu, mu also notwendigerweise aus einer adquaten oder aus einer inadquaten Idee folgen. Doch insofern der Geist (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) inadquate Ideen hat, erleidet er notwendigerweise etwas. Also folgen die Aktivitten des Geistes allein aus adquaten Ideen, und der Geist erleidet nur deshalb etwas, weil er inadquate Ideen hat. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wir sehen also, da Formen des Erleidens dem Geist nur insofern zukommen, als er etwas hat, das eine Verneinung in sich schliet, anders formuliert, insofern er als ein Teil der Natur angesehen wird, der durch sich selbst, ohne die anderen Teile, nicht klar und deutlich wahrgenommen werden kann. Darauf gestˇtzt k˛nnte ich zeigen, da Formen des Erleidens sich in gleicher Weise auf Einzeldinge wie auf den Geist beziehen und nicht andersartig aufgefat werden k˛nnen. Meine Absicht ist jedoch, nur von dem menschlichen Geist zu handeln. L e h r s a t z 4 . Kein Ding kann anders als von einer ueren Ursache zerst˛rt werden. B e w e i s : Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst evident; die Definition eines jeden Dinges bejaht nmlich die Essenz
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negat; sive rei essentiam ponit, sed non tollit. Dum itaque ad rem ipsam tantum, non autem ad causas externas attendimus, nihil in eadem poterimus invenire, quod ipsam possit destruere. Q. e. d. 5
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P r o p o s i t i o V. Res eatenus contrariae sunt naturae, hoc est eatenus in eodem subjecto esse nequeunt, quatenus una alteram potest destruere. | D e m o n s t ra t i o . Si enim inter se convenire vel in eodem subjecto simul esse possent, posset ergo in eodem subjecto aliquid dari, quod ipsum posset destruere, quod (per prop. praeced.) est absurdum. Ergo res etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o V I . Unaquaeque res, quantum in se est, in suo esse perseverare conatur. D e m o n s t ra t i o . Res enim singulares modi sunt, quibus Dei attributa certo et determinato modo exprimuntur (per coroll. prop. 25. p. 1.), hoc est (per prop. 34. p. 1.) res, quae Dei potentiam, qua Deus est et agit, certo et determinato modo exprimunt; neque ulla res aliquid in se habet, a quo possit destrui, sive quod ejus existentiam tollat (per prop. 4. hujus); sed contra ei omni, quod ejusdem existentiam potest tollere, opponitur (per prop. praeced.); adeoque quantum potest et in se est, in suo esse perseverare conatur. Q. e. d. P r o p o s i t i o V I I . Conatus, quo unaquaeque res in suo esse perseverare conatur, nihil est praeter ipsius rei actualem essentiam. D e m o n s t ra t i o . Ex data cujuscunque rei essentia quaedam necessario sequuntur (per prop. 36. p. 1.), nec res aliud possunt quam id, quod ex determinata earum natura necessario sequitur (per prop. 29. p. 1.); quare cujuscunque rei poten-
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des Dinges, verneint sie aber nicht, anders formuliert, sie setzt die Essenz des Dinges, hebt sie aber nicht auf. Solange wir demnach nur auf das Ding selbst und nicht auf uere Ursachen achten, werden wir in ihm nichts finden k˛nnen, das es zerst˛ren k˛nnte. W. z. b. w. L e h r s a t z 5 . Dinge sind von entgegengesetzter Natur, d. h. k˛nnen nicht in demselben Subjekt sein, insoweit das eine das andere zerst˛ren kann. B e w e i s : Wenn sie nmlich untereinander ˇbereinstimmen oder in demselben Subjekt zugleich sein k˛nnten, dann k˛nnte in demselben Subjekt etwas sein, das es zerst˛ren k˛nnte, was (nach vorigem Lehrsatz) widersinnig ist. Dinge also usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 6 . Jedes Ding strebt gem der ihm eigenen Natur in seinem Sein zu verharren. B e w e i s : Einzeldinge sind nmlich Modi, von denen Gottes Attribute auf bestimmte und geregelte Weise ausgedrˇckt werden (nach Folgesatz zu Lehrsatz 25 des 1. Teils), d. h. (nach Lehrsatz 34 des 1. Teils) Dinge, die die Macht Gottes, durch die Gott ist und handelt, auf bestimmte und geregelte Weise ausdrˇcken; und kein Ding hat etwas in sich, von dem es zerst˛rt werden k˛nnte oder das seine Existenz aufh˛be (nach Lehrsatz 4 dieses Teils); vielmehr steht es allem, was seine Existenz aufheben kann, entgegen (nach vorigem Lehrsatz); mithin strebt es, soviel es kann, d. h. gem der ihm eigenen Natur, in seinem Sein zu verharren. W. z. b. w. L e h r s a t z 7. Das Streben, mit dem jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, ist nichts anderes als die wirkliche Essenz ebendieses Dinges. B e w e i s : Aus der gegebenen Essenz eines jeden Dinges erfolgt notwendigerweise einiges (nach Lehrsatz 36 des 1. Teils), und Dinge k˛nnen nichts anderes als das, was aus ihrer bestimmten Natur notwendigerweise folgt (nach Lehrsatz 29 des 1. Teils); die Macht jedes Dinges, anders formu-
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tia sive conatus, quo ipsa, vel sola vel cum aliis, quidquam agit vel agere conatur, hoc est (per prop. 6. hujus) potentia sive conatus, quo in suo esse perseverare conatur, nihil est praeter ipsius rei datam sive actualem essentiam. Q. e. d.| 5
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P r o p o s i t i o V I I I . Conatus, quo unaquaeque res in suo esse perseverare conatur, nullum tempus finitum, sed indefinitum involvit. D e m o n s t ra t i o . Si enim tempus limitatum involveret, quod rei durationem determinaret, tum ex sola ipsa potentia, qua res existit, sequeretur, quod res post limitatum illud tempus non posset existere, sed quod deberet destrui; atqui hoc (per prop. 4. hujus) est absurdum; ergo conatus, quo res existit, nullam tempus definitum involvit; sed contra, quoniam (per eandem prop. 4. hujus), si a nulla externa causa destruatur, eadem potentia, qua jam existit, existere perget semper; ergo hic conatus tempus indefinitum involvit. Q. e. d. P r o p o s i t i o I X . Mens, tam quatenus claras et distinctas quam quatenus confusas habet ideas, conatur in suo esse perseverare indefinita quadam duratione, et hujus sui conatus est conscia. D e m o n s t ra t i o . Mentis essentia ex ideis adaequatis et inadaequatis constituitur (ut in prop. 3. hujus ostendimus), adeoque (per prop. 7. hujus) tam quatenus has quam quatenus illas habet, in suo esse perseverare conatur; idque (per prop. 8. hujus) indefinita quadam duratione. Cum autem mens (per prop. 23. p. 2.) per ideas affectionum corporis necessario sui sit conscia, est ergo (per prop. 7. hujus) mens sui conatus conscia. Q. e. d.
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liert das Streben, mit dem es, entweder allein oder zusammen mit anderen, handelt oder zu handeln strebt, d. h. (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) die Macht oder das Streben, mit dem es in seinem Sein zu verharren strebt, ist daher nichts anderes als die gegebene oder wirkliche Essenz ebendieses Dinges. W. z. b. w. L e h r s a t z 8 . Das Streben, mit dem jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, schliet keine endliche, sondern eine unbestimmte Zeit in sich. B e w e i s : Wenn es nmlich eine begrenzte Zeit in sich schl˛sse, die die Dauer des Dinges bestimmte, dann wˇrde allein aus der Macht, mit der das Ding existiert, folgen, da das Ding nach jener beschrnkten Zeit nicht existieren k˛nnte, sondern htte zerst˛rt werden mˇssen. Das ist aber (nach Lehrsatz 4 dieses Teils) widersinnig. Also schliet das Streben, mit dem ein Ding existiert, keine bestimmte Zeit in sich; im Gegenteil, weil es (nach dem genannten Lehrsatz 4 dieses Teils) mit derselben Macht, mit der es jetzt existiert, immer fortfahren wird zu existieren, wenn es nicht von einer ueren Ursache zerst˛rt wird, schliet dieses Streben eine unbestimmte Zeit in sich. W. z. b. w. L e h r s a t z 9. Der Geist strebt, sowohl insofern er klare und deutliche, als auch insofern er verworrene Ideen hat, auf eine unbestimmte Dauer in seinem Sein zu verharren, und seines Strebens in dieser Form ist er sich bewut. B e w e i s : Die Essenz des Geistes machen adquate und inadquate Ideen aus (wie wir in Lehrsatz 3 dieses Teils gezeigt haben). Mithin strebt er (nach Lehrsatz 7 dieses Teils), sowohl insofern er diese, als auch insofern er jene Ideen hat, in seinem Sein zu verharren und zwar (nach Lehrsatz 8 dieses Teils) auf eine unbestimmte Dauer. Und weil der Geist (nach Lehrsatz 23 des 2. Teils) durch die Ideen der Affektionen des K˛rpers notwendigerweise sich seiner selbst bewut ist, ist er (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) sich seines Strebens bewut. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Hic conatus, cum ad mentem solam refertur, voluntas appellatur; sed cum ad mentem et corpus simul refertur, vocatur appetitus, qui proinde nihil aliud est quam ipsa hominis essentia, ex cujus natura ea, quae ipsius conservationi inserviunt, necessario sequuntur; atque adeo homo ad eadem agendum determinatus | est. Deinde inter appetitum et cupiditatem nulla est differentia, nisi quod cupiditas ad homines plerumque referatur, quatenus sui appetitus sunt conscii, et propterea sic definiri potest, nempe: Cupiditas est appetitus cum ejusdem conscientia. Constat itaque ex his omnibus, nihil nos conari, velle, appetere neque cupere, quia id bonum esse judicamus; sed contra, nos propterea aliquid bonum esse judicare, quia id conamur, volumus, appetimus atque cupimus. P r o p o s i t i o X . Idea, quae corporis nostri existentiam secludit, in nostra mente dari nequit, sed eidem est contraria. D e m o n s t ra t i o . Quicquid corpus nostrum potest destruere, in eodem dari nequit (per prop. 5. hujus), adeoque neque ejus rei idea potest in Deo dari, quatenus nostri corporis ideam habet (per coroll. prop. 9. p. 2.), hoc est (per prop. 11. et 13. p. 2.), ejus rei idea in nostra mente dari nequit; sed contra, quoniam (per prop. 11. et 13. p. 2.) primum, quod mentis essentiam constituit, est idea corporis actu existentis, primum et praecipuum nostrae mentis conatus est (per prop. 7. hujus) corporis nostri existentiam affirmare; atque adeo idea, quae corporis nostri existentiam negat, nostrae menti est contraria etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o X I . Quicquid corporis nostri agendi potentiam auget vel minuit, juvat vel coercet, ejusdem rei idea mentis nostrae cogitandi potentiam auget vel minuit, juvat vel coercet.
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A n m e r k u n g : Bezieht sich dieses Streben allein auf den Geist, wird es Wille genannt, bezieht es sich aber auf den Geist und zugleich auf den K˛rper, Trieb. Er, der Trieb, ist somit nichts anderes als genau die Essenz des Menschen, aus dessen Natur das, was der eigenen Erhaltung dient, notwendigerweise folgt; mithin ist der Mensch bestimmt, es zu tun. Zwischen Trieb und Begierde besteht kein Unterschied, blo da der Ausdruck Begierdeß gew˛hnlich dann gebraucht wird, wenn Menschen sich ihres Triebes bewut sind; deshalb kann Begierde definiert werden als Trieb mit dem Bewutsein des Triebes. Aus all dem steht also fest, da wir etwas weder erstreben noch wollen, weder nach ihm verlangen noch es begehren, weil wir es fˇr gut halten; im Gegenteil, wir halten etwas fˇr gut, weil wir es erstreben, es wollen, nach ihm verlangen und es begehren. L e h r s a t z 10 . Eine Idee, die die Existenz unseres K˛rpers ausschliet, kann nicht in unserem Geist sein, sondern ist ihm entgegengesetzt. B e w e i s : Was auch immer unseren K˛rper zerst˛ren kann, kann nicht in ihm sein (nach Lehrsatz 5 dieses Teils); mithin kann es dessen Idee nicht in Gott geben, insofern er die Idee unseres K˛rpers hat (nach Folgesatz zu Lehrsatz 9 des 2. Teils); d. h. (nach Lehrsatz 11 und 13 des 2. Teils), dessen Idee kann es nicht in unserem Geist geben. Weil umgekehrt (nach Lehrsatz 11 und 13 des 2. Teils) das erste, was die Essenz des Geistes ausmacht, die Idee eines wirklich existierenden K˛rpers ist, ist erstes und ausschlieliches Merkmal des Strebens unseres Geistes (nach Lehrsatz 7 dieses Teils), die Existenz unseres K˛rpers zu bejahen; mithin ist eine Idee, die die Existenz unseres K˛rpers verneint, unserem Geist entgegengesetzt. W. z. b. w. L e h r s a t z 11 . Was auch immer die Wirkungsmacht unseres K˛rpers vermehrt oder vermindert, f˛rdert oder hemmt, dessen Idee vermehrt oder vermindert, f˛rdert oder hemmt unseres Geistes Macht des Denkens.
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D e m o n s t ra t i o . Haec propositio patet ex propositione 7. partis 2. vel etiam ex propositione 14. partis 2. S c h o l i u m . Videmus itaque mentem magnas posse pati mutationes et jam ad majorem, jam autem ad minorem perfectionem transire, quae | quidem passiones nobis explicant affectus laetitiae et tristitiae. Per laetitiam itaque in sequentibus intelligam passionem, qua mens ad majorem perfectionem transit. Per tristitiam autem passionem, qua ipsa ad minorem transit perfectionem. Porro affectum laetitiae ad mentem et corpus simul relatum, titillationem vel hilaritatem voco; tristitiae autem dolorem vel melancholiam. Sed notandum titillationem et dolorem ad hominem referri, quando una ejus pars prae reliquis est affecta; hilaritatem autem et melancholiam, quando omnes pariter sunt affectae. Quid deinde cupiditas sit, in scholio propositionis 9. hujus partis explicui, et praeter hos tres nullum alium agnosco affectum primarium: nam reliquos ex his tribus oriri in seqq. ostendam. Sed antequam ulterius pergam, lubet hic fusius propositionem 10. hujus partis explicare, ut clarius intelligatur, qua ratione idea ideae sit contraria. In scholio propositionis 17. partis 2. ostendimus ideam, quae mentis essentiam constituit, corporis existentiam tamdiu involvere, quamdiu ipsum corpus existit. Deinde ex iis, quae in coroll. prop. 8. part. 2. et in ejusdem schol. ostendimus, sequitur praesentem nostrae mentis existentiam ab hoc solo pendere, quod sc. mens actualem corporis existentiam involvit. Denique mentis potentiam, qua ipsa res imaginatur earumque recordatur, ab hoc etiam pendere ostendimus (vid. prop. 17. et 18. p. 2. cum ejus scholio), quod ipsa actualem corporis existentiam involvit. Ex quibus sequitur mentis
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B e w e i s : Dieser Lehrsatz ist aus Lehrsatz 7 des 2. Teils oder auch aus Lehrsatz 14 des 2. Teils evident. A n m e r k u n g : Wir sehen also, da der Geist groe Vernderungen erleiden und bald zu einer gr˛eren, bald zu einer geringeren Vollkommenheit ˇbergehen kann; diese beiden Formen des Erleidens erklren uns die Affekte der Freude und Trauer. Unter Freude will ich demnach im folgenden diejenige Leidenschaft verstehen, in der der Geist zu einer gr˛eren Vollkommenheit ˇbergeht; unter Trauer hingegen diejenige, in der er zu einer geringeren Vollkommenheit ˇbergeht. Des weiteren nenne ich den Affekt der Freude, der auf den Geist und zugleich auf den K˛rper bezogen ist, Lust oder Heiterkeit und den diesbezˇglichen der Trauer Schmerz oder Schwermut. Dabei ist zu bemerken, da Lust und Schmerz einem Menschen dann zugesprochen werden, wenn einer seiner Teile mehr affiziert ist als die ˇbrigen, Heiterkeit und Schwermut dagegen, wenn alle Teile gleichermaen affiziert sind. Ferner habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils erklrt, was Begierde ist; und auer diesen dreien [Begierde, Freude, Trauer] lasse ich keinen weiteren Affekt als Grundaffekt gelten. Denn ich werde im folgenden zeigen, da alle ˇbrigen diesen drei entspringen. Doch ehe ich fortfahre, m˛chte ich hier noch Lehrsatz 10 dieses Teils ausfˇhrlicher erlutern, damit man klarer versteht, in welcher Weise eine Idee einer anderen entgegengesetzt ist. In der Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils haben wir gezeigt, da die Idee, die die Essenz des Geistes ausmacht, die Existenz des K˛rpers so lange in sich schliet, wie der K˛rper selbst existiert. Aus dem, was wir in Folgesatz zu Lehrsatz 8 des 2. Teils einschlielich Anmerkung dargelegt haben, folgt des weiteren, da die gegenwrtige Existenz unseres Geistes allein darauf beruht, da der Geist die wirkliche Existenz des K˛rpers in sich schliet. Schlielich haben wir gezeigt, da die Macht des Geistes, mit der er Dinge vorstellt und sich ihrer erinnert, ebenfalls darauf beruht, da er die wirkliche Existenz des K˛rpers in sich schliet (siehe Lehrsatz 17 und 18 des 2. Teils mit Anmerkung). Daraus folgt, da die gegenwr-
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praesentem existentiam ejusque imaginandi potentiam tolli, simulatque mens praesentem corporis existentiam affirmare desinit. At causa, cur mens hanc corporis existentiam affirmare desinit, non potest esse ipsa mens (per prop. 4. hujus), nec etiam quod corpus esse desinit. Nam (per prop. 6. p. 2.) causa, cur mens corporis existentiam affirmat, non est, quia corpus existere incepit; quare per eandem rationem nec ipsius corporis existentiam affirmare desinit, quia corpus esse desinit; sed (per prop. 8. p. 2.) hoc ab alia idea oritur, quae nostri corporis et consequenter nostrae mentis praesentem existentiam secludit quaeque adeo ideae, quae nostrae mentis essentiam constituit, est contraria.| P r o p o s i t i o X I I . Mens, quantum potest, ea imaginari conatur, quae corporis agendi potentiam augent vel juvant. D e m o n s t ra t i o . Quamdiu humanum corpus affectum est modo, qui naturam corporis alicujus externi involvit, tamdiu mens humana idem corpus ut praesens contemplabitur (per prop. 17. p. 2.), et consequenter (per prop. 7. p. 2.) quamdiu mens humana aliquod externum corpus ut praesens contemplatur, hoc est (per ejusdem prop. 17. schol.) imaginatur, tamdiu humanum corpus affectum est modo, qui naturam ejusdem corporis externi involvit; atque adeo, quamdiu mens ea imaginatur, quae corporis nostri agendi potentiam augent vel juvant, tamdiu corpus affectum est modis, qui ejusdem agendi potentiam augent vel juvant (vid. post. 1. hujus); et consequenter (per prop. 11. hujus) tamdiu mentis cogitandi potentia augetur vel juvatur; ac proinde (per prop. 6. vel 9. hujus) mens, quantum potest, eadem imaginari conatur. Q. e. d.
9 prop. 8.] vielleicht prop. 10.
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tige Existenz des Geistes und seine Macht des Vorstellens aufgehoben werden, sobald der Geist aufh˛rt, die gegenwrtige Existenz des K˛rpers zu bejahen. Nun kann die Ursache, die den Geist aufh˛ren lt, die so verstandene Existenz des K˛rpers zu bejahen, weder der Geist selbst sein (nach Lehrsatz 4 dieses Teils), noch der Umstand, da der K˛rper aufh˛rt zu existieren. Denn die Ursache, die den Geist die Existenz des K˛rpers bejahen lt, ist (nach Lehrsatz 6 des 2. Teils) nicht der Tatbestand, da der K˛rper angefangen hat zu existieren; aus demselben Grund h˛rt er deshalb auch nicht auf, die Existenz des K˛rpers zu bejahen, weil der K˛rper aufh˛rt zu existieren; dies rˇhrt vielmehr (nach Lehrsatz 8 [?] des 2. Teils) von einer anderen Idee her, die die gegenwrtige Existenz unseres K˛rpers und folglich unseres Geistes ausschliet, von einer Idee also, die der Idee, die die Essenz unseres Geistes ausmacht, entgegengesetzt ist. L e h r s a t z 1 2 . Der Geist strebt, soviel er kann, sich das vorzustellen, was die Wirkungsmacht des K˛rpers vermehrt oder f˛rdert. B e w e i s : Solange der menschliche K˛rper in einer Weise affiziert ist, die die Natur irgendeines ueren K˛rpers in sich schliet, wird der menschliche Geist ebendiesen K˛rper als gegenwrtig betrachten (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils); und folglich ist (nach Lehrsatz 7 des 2. Teils) der menschliche K˛rper, solange der menschliche Geist irgendeinen ueren K˛rper als gegenwrtig betrachtet, d. h. (nach der Anmerkung zu jenem Lehrsatz 17) vorstellt, in einer Weise affiziert, die die Natur dieses ueren K˛rpers in sich schliet; solange der Geist das vorstellt, was die Wirkungsmacht unseres K˛rpers vermehrt oder f˛rdert, ist der K˛rper mithin in Weisen affiziert, die seine Wirkungsmacht vermehren oder f˛rdern (siehe Postulat 1 dieses Teils); und folglich wird (nach Lehrsatz 11 dieses Teils) solange des Geistes Macht des Denkens vermehrt oder gef˛rdert. Somit strebt (nach Lehrsatz 6 oder 9 dieses Teils) der Geist, soviel er kann, sich solches vorzustellen. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X I I I . Cum mens ea imaginatur, quae corporis agendi potentiam minuunt vel coercent, conatur, quantum potest, rerum recordari, quae horum existentiam secludunt. D e m o n s t ra t i o . Quamdiu mens quicquam tale imaginatur, tamdiu mentis et corporis potentia minuitur vel coercetur (ut in praeced. prop. demonstravimus), et nihilominus id tamdiu imaginabitur, donec mens aliud imaginetur, quod hujus praesentem existentiam secludat (per prop. 17. p. 2.), hoc est (ut modo ostendimus), mentis et corporis potentia tamdiu minuitur vel coercetur, donec mens aliud imaginetur, quod hujus existentiam secludit, quodque adeo mens (per prop. 9. hujus), quantum potest, imaginari vel recordari conabitur. Q. e. d.| C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur, quod mens ea imaginari aversatur, quae ipsius et corporis potentiam minuunt vel coercent. S c h o l i u m . Ex his clare intelligimus, quid amor quidque odium sit. Nempe amor nihil aliud est quam laetitia concomitante idea causae externae; et odium nihil aliud quam tristitia concomitante idea causae externae. Videmus deinde, quod ille, qui amat, necessario conatur rem, quam amat, praesentem habere et conservare; et contra, qui odit, rem, quam odio habet, amovere et destruere conatur. Sed de his omnibus in seqq. prolixius. P r o p o s i t i o X I V. Si mens duobus affectibus simul affecta semel fuit, ubi postea eorum alterutro afficietur, afficietur etiam altero. D e m o n s t ra t i o . Si corpus humanum a duobus corporibus simul affectum semel fuit, ubi mens postea eorum alterutrum imaginatur, statim et alterius recordabitur (per prop. 18. p. 2.). At mentis imaginationes magis nostri corpo-
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L e h r s a t z 13 . Wenn der Geist das vorstellt, was die Wirkungsmacht des K˛rpers vermindert oder hemmt, dann strebt er, soviel er kann, sich an Dinge zu erinnern, die dessen Existenz ausschlieen. B e w e i s : Solange der Geist einen Sachverhalt dieser Art vorstellt, wird die Macht des Geistes und des K˛rpers vermindert oder gehemmt (wie wir in vorigem Lehrsatz bewiesen haben); gleichwohl wird der Geist ihn so lange vorstellen, bis er etwas anderes vorstellt, das dessen gegenwrtige Existenz ausschliet (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils), d. h. (wie wir soeben gezeigt haben), die Macht des Geistes und des K˛rpers wird so lange vermindert oder gehemmt, bis der Geist etwas anderes vorstellt, das die Existenz des genannten Sachverhaltes ausschliet; mithin wird der Geist (nach Lehrsatz 9 dieses Teils), soviel er kann, danach streben, sich dieses Andere vorzustellen oder an es sich zu erinnern. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da es dem Geist zuwider ist, sich das vorzustellen, was die eigene und des K˛rpers Macht vermindert oder hemmt. A n m e r k u n g : Hieraus verstehen wir klar, was Liebe und Ha sind: Liebe ist nichts anderes als Freude unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache und Ha nichts anderes als Trauer unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache. Wir sehen sodann, da der, der liebt, notwendigerweise strebt, das Ding, das er liebt, gegenwrtig zu haben und zu erhalten und andererseits der, der hat, strebt, das Ding, das er hat, zu beseitigen und zu zerst˛ren. Doch ˇber all dies im folgenden ausfˇhrlicher. L e h r s a t z 14 . Wenn der Geist einmal mit zwei Affekten zugleich affiziert worden ist, wird er spter, wenn er mit einem von ihnen affiziert wird, auch mit dem anderen affiziert werden. B e w e i s : Wenn der menschliche K˛rper einmal von zwei K˛rpern zugleich affiziert worden ist und der Geist spter einen von ihnen vorstellt, wird er sich auf der Stelle auch des anderen erinnern (nach Lehrsatz 18 des 2. Teils). Nun zeigen
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ris affectus quam corporum externorum naturam indicant (per coroll. 2. prop. 16. p. 2.); ergo si corpus et consequenter mens (vide defin. 3. hujus) duobus affectibus semel affecta fuit, ubi postea eorum alterutro afficietur, afficietur etiam altero. Q. e. d. P r o p o s i t i o X V. Res quaecunque potest esse per accidens causa laetitiae, tristitiae vel cupiditatis. D e m o n s t ra t i o . Ponatur mens duobus affectibus simul affici, uno scilicet, qui ejus agendi potentiam neque auget neque minuit, et altero, qui eandem vel auget vel minuit (vide post. 1. hujus). Ex praecedenti propositione patet, quod ubi mens postea illo tanquam a sua vera causa, quae | (per hypothesin) per se ejus cogitandi potentiam nec auget nec minuit, afficietur, statim et hoc altero, qui ipsius cogitandi potentiam auget vel minuit, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) laetitia vel tristitia afficietur; atque adeo illa res non per se, sed per accidens causa erit laetitiae vel tristitiae. Atque hac eadem via facile ostendi potest rem illam posse per accidens causam esse cupiditatis. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Ex eo solo, quod rem aliquam affectu laetitiae vel tristitiae, cujus ipsa non est causa efficiens, contemplati sumus, eandem amare vel odio habere possumus. D e m o n s t ra t i o . Nam ex hoc solo fit (per prop. 14. hujus), ut mens hanc rem postea imaginando affectu laetitiae vel tristitiae afficiatur, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) ut mentis et corporis potentia augeatur vel minuatur, etc. Et
12 tanquam] Hinzufˇgung W. B., Akkerman folgend
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die Vorstellungen des Geistes mehr den Affekte hervorrufenden Zustand unseres K˛rpers als die Natur uerer K˛rper an (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 des 2. Teils). Wenn der K˛rper, und folglich der Geist (siehe Definition 3 dieses Teils), einmal mit zwei Affekten [zugleich] affiziert worden ist und spter mit einem von ihnen affiziert wird, wird [der Geist] also auch mit dem anderen affiziert werden. W. z. b. w. L e h r s a t z 15 . Jegliches Ding kann durch Zufall die Ursache von Freude, Trauer oder Begierde sein. B e w e i s : Man nehme an, der Geist werde [von einem Ding] mit zwei Affekten zugleich affiziert, und zwar mit einem, der seine Wirkungsmacht weder vermehrt noch vermindert, und mit einem anderen, der sie vermehrt oder vermindert (siehe Postulat 1 dieses Teils). Nach vorigem Lehrsatz ist klar: Wenn der Geist spter mit dem erstgenannten als von der wahren Ursache seines Zustandes affiziert wird, die (der Voraussetzung nach) durch sich selbst seine Macht zu denken weder vermehrt noch vermindert, wird er sofort auch mit dem anderen Affekt, der seine Macht zu denken vermehrt oder vermindert, affiziert werden, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) mit Freude oder mit Trauer. Mithin wird jenes Ding nicht durch sich selbst, sondern durch Zufall die Ursache von Freude oder Trauer sein. Und auf demselben Weg lt sich leicht zeigen, da jenes Ding durch Zufall die Ursache von Begierde sein kann. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Allein deshalb, weil wir ein Ding mit einem Affekt der Freude oder Trauer, dessen bewirkende Ursache es gar nicht ist, betrachtet haben, k˛nnen wir es lieben oder hassen. B e w e i s : Denn dies resultiert allein daraus (nach Lehrsatz 14 dieses Teils), da der Geist, wenn er dieses Ding spter vorstellt, mit einem Affekt der Freude oder Trauer affiziert wird, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) da die Macht des Geistes und des K˛rpers vermehrt oder ver-
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consequenter (per prop. 12. hujus) ut mens eandem imaginari cupiat vel (per coroll. prop. 13. hujus) aversetur, hoc est (per schol. prop. 13. hujus) ut eandem amet vel odio habeat. Q. e. d. S c h o l i u m . Hinc intelligimus, qui fieri potest, ut quaedam amemus vel odio habeamus absque ulla causa nobis cognita; sed tantum ex sympathia (ut ajunt) et antipathia. Atque huc referenda etiam ea objecta, quae nos laetitia vel tristitia afficiunt ex eo solo, quod aliquid simile habent objectis, quae nos iisdem affectibus afficere solent, ut in seq. prop. ostendam. Scio equidem auctores, qui primi haec nomina sympathiae et antipathiae introduxerunt, significare iisdem voluisse rerum occultas quasdam qualitates; sed nihilominus credo nobis licere per eadem notas vel manifestas etiam qualitates intelligere. P r o p o s i t i o X V I . Ex eo solo, quod rem aliquam aliquid habere imaginamur simile objecto, quod mentem laetitia vel tristitia afficere solet, | quamvis id, in quo res objecto est similis, non sit horum affectuum efficiens causa, eam tamen amabimus vel odio habebimus. D e m o n s t ra t i o . Id, quod simile est objecto, in ipso objecto (per hypothesin) cum affectu laetitiae vel tristitiae contemplati sumus; atque adeo (per prop. 14. hujus), cum mens ejus imagine afficietur, statim etiam hoc vel illo afficietur affectu, et consequenter res, quam hoc idem habere percipimus, erit (per prop. 15. hujus) per accidens laetitiae vel tristitiae causa; adeoque (per praec. coroll.), quamvis id, in quo objecto est similis, non sit horum affectuum causa efficiens, eam tamen amabimus vel odio habebimus. Q. e. d.
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mindert wird usw. Das hat zur Folge, da (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) der Geist dieses Ding sich vorzustellen begehrt oder (nach Folgesatz zu Lehrsatz 13 dieses Teils) es sich vorzustellen ihm zuwider ist, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) da er es liebt oder hat. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Von hier aus verstehen wir, wie es kommen kann, da wir manche Dinge lieben oder hassen, ohne hierfˇr irgendeine Ursache zu kennen, nur, wie man sagt, aus Sympathie und Antipathie. Hierzu sind auch diejenigen Gegenstnde zu zhlen, die uns blo deshalb mit Freude oder Trauer affizieren, weil sie Gegenstnden, die uns mit diesen Affekten gew˛hnlich affizieren, irgendwie hnlich sind, wie ich in den folgenden Lehrstzen zeigen will. Ich wei freilich, da die Autoren, die die Worte Sympathie und Antipathie zuerst eingefˇhrt haben, damit gewisse verborgene Qualitten von Dingen haben bezeichnen wollen; allein ich glaube, es wird uns erlaubt sein, darunter auch bekannte oder klar vor Augen liegende Qualitten zu verstehen. L e h r s a t z 16 . Wir werden ein Ding allein aus dem Grund lieben oder hassen, da wir es uns als etwas vorstellen, das mit einem Gegenstand, der den Geist gew˛hnlich mit Freude oder Trauer affiziert, irgendeine hnlichkeit hat, selbst dann, wenn diese hnlichkeit nicht die bewirkende Ursache dieser Affekte ist. B e w e i s : Was dem Gegenstand hnlich ist, haben wir (der Voraussetzung nach) in dem Gegenstand selbst mit einem Affekt der Freude oder Trauer betrachtet. Wenn der Geist von dessen Vorstellungsbild affiziert wird, wird er mithin auf der Stelle (nach Lehrsatz 14 dieses Teils) auch mit diesem oder jenem Affekt affiziert werden, und folglich wird das Ding, an dem wir dieses [Merkmal] wahrnehmen, (nach Lehrsatz 15 dieses Teils) durch Zufall die Ursache von Freude oder Trauer sein; obwohl diese hnlichkeit nicht die bewirkende Ursache dieser Affekte ist, werden wir es mithin (nach vorigem Folgesatz) dennoch lieben oder hassen. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X V I I . Si rem, quae nos tristitiae affectu afficere solet, aliquid habere imaginamur simile alteri, quae nos aeque magno laetitiae affectu solet afficere, eandem odio habebimus et simul amabimus. D e m o n s t ra t i o . Est enim (per hypothesin) haec res per se tristitiae causa, et (per schol. prop. 13. hujus) quatenus eandem hoc affectu imaginamur, eandem odio habemus; et quatenus praeterea aliquid habere imaginamur simile alteri, quae nos aeque magno laetitiae affectu afficere solet, aeque magno laetitiae conamine amabimus (per prop. praec.); atque adeo eandem odio habebimus et simul amabimus. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec mentis constitutio, quae scilicet ex duobus contrariis affectibus oritur, animi vocatur fluctuatio, quae proinde affectum respicit ut dubitatio imaginationem (vid. schol. prop. 44. p. 2.); nec animi fluctuatio et dubitatio inter se differunt nisi secundum majus et minus. Sed notandum me in propositione praecedenti has animi fluctuationes ex causis deduxisse, quae per se unius et per accidens alterius affectus sunt causa; quod ideo feci, quia sic facilius ex praecedentibus deduci poterant; at non, quod negem animi fluc|tuationes plerumque oriri ab objecto, quod utriusque affectus sit efficiens causa. Nam corpus humanum (per post. 1. p. 2.) ex plurimis diversae naturae individuis componitur, atque adeo (per axiom. 1. post. lem. 3., quod vide post prop. 13. p. 2.) ab uno eodemque corpore plurimis diversisque modis potest affici; et contra, quia una eademque res mul-
1 rem] res korr. Gebhardt 17 Sed] kein Absatz in OP
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L e h r s a t z 17. Wenn wir ein Ding, das uns gew˛hnlich mit einem Affekt der Trauer affiziert, uns als etwas vorstellen, das irgendeine hnlichkeit mit einem anderen Ding hat, das uns gew˛hnlich mit einem gleich groen Affekt der Freude affiziert, werden wir es hassen und zugleich lieben. B e w e i s : Dieses Ding ist nmlich (der Voraussetzung nach) durch sich selbst die Ursache einer Trauer, und sofern wir es (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) uns mit diesem Affekt vorstellen, hassen wir es. Sofern wir es uns auerdem als etwas vorstellen, das irgendeine hnlichkeit mit dem anderen Ding hat, das uns gew˛hnlich mit einem gleich groen Affekt der Freude affiziert, werden wir es (nach vorigem Lehrsatz) mit einem gleich groen Ausma an Freude lieben; mithin werden wir es hassen und zugleich lieben. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Der beschriebene Zustand des Geistes, der zwei entgegengesetzten Affekten entspringt, heit Schwankung des Gemˇts, die sich somit zu dem Affekt verhlt wie der Zweifel zur Vorstellung (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 44 des 2. Teils); und beide, Schwankung des Gemˇts und Zweifel, unterscheiden sich voneinander nur durch ein Mehr oder Minder. Es ist noch anzumerken, da ich in vorigem Lehrsatz diese Schwankungen des Gemˇts aus Ursachen hergeleitet habe, von denen die eine durch sich selbst die Ursache des einen Affektes ist und die andere durch Zufall die Ursache des anderen Affektes; das habe ich getan, weil sie sich so aus den vorigen Lehrstzen leichter ableiten lieen, nicht aber, weil ich abstreiten m˛chte, da Schwankungen des Gemˇts meistens von einem Gegenstand herrˇhren, der die bewirkende Ursache des einen wie des anderen Affektes ist. Denn der menschliche K˛rper ist (nach Postulat 1 des 2. Teils) aus sehr vielen Individuen verschiedener Natur zusammengesetzt und kann mithin (nach Axiom 1 hinter Hilfssatz 3, den man hinter Lehrsatz 13 des 2. Teils nachsehen m˛ge) von ein und demselben K˛rper auf mannigfach verschiedene Weisen affiziert werden; und andererseits wird ein und dasselbe Ding,
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tis modis potest affici, multis ergo etiam diversisque modis unam eandemque corporis partem afficere poterit. Ex quibus facile concipere possumus unum idemque objectum posse esse causam multorum contrariorumque affectuum. 5
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P r o p o s i t i o X V I I I . Homo ex imagine rei praeteritae aut futurae eodem laetitiae et tristitiae affectu afficitur ac ex imagine rei praesentis. D e m o n s t ra t i o . Quamdiu homo rei alicujus imagine affectus est, rem ut praesentem, tametsi non existat, contemplabitur (per prop. 17. p. 2. cum ejusdem coroll.), nec ipsam ut praeteritam aut futuram imaginatur, nisi quatenus ejus imago juncta est imagini temporis praeteriti aut futuri (vid. schol. prop. 44. p. 2.). Quare rei imago, in se sola considerata, eadem est, sive ad tempus futurum vel praeteritum, sive ad praesens referatur, hoc est (per coroll. 2. prop. 16. p. 2.), corporis constitutio seu affectus idem est, sive imago sit rei praeteritae vel futurae, sive praesentis; atque adeo affectus laetitiae et tristitiae idem est, sive imago sit rei praeteritae aut futurae, sive praesentis. Q. e. d. S c h o l i u m I . Rem eatenus praeteritam aut futuram hic voco, quatenus ab eadem affecti fuimus aut afficiemur. Ex. gr. quatenus ipsam vidimus aut videbimus, nos refecit aut reficiet, nos laesit aut laedet, etc. Quatenus enim eandem sic imaginamur, eatenus ejus existentiam affirmamus, hoc est, corpus nullo affectu afficitur, qui rei existentiam secludat; atque adeo (per prop. 17. p. 2.) corpus ejusdem rei imagine eodem modo afficitur, ac si res ipsa praesens adesset. Verumenimvero, quia plerumque fit, ut ii, qui plura sunt experti, fluc-
20 Scholium I] Scholium Hinzufˇgung Gebhardt
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weil es auf viele Weisen affiziert werden kann, auch einen und denselben Teil des K˛rpers auf viele verschiedene Weisen affizieren k˛nnen. Daraus ist leicht ersichtlich, da ein und derselbe Gegenstand die Ursache von vielen und einander entgegengesetzten Affekten sein kann. L e h r s a t z 18 . Der Mensch wird von dem Vorstellungsbild eines vergangenen oder zukˇnftigen Dinges mit demselben Affekt der Freude und Trauer affiziert wie von dem Vorstellungsbild eines gegenwrtigen Dinges. B e w e i s : Solange der Mensch von dem Vorstellungsbild eines Dinges affiziert ist, wird er das Ding als gegenwrtig betrachten, selbst wenn es nicht existiert (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils einschlielich Folgesatz); und er stellt es als vergangen oder zukˇnftig nur insofern vor, als dessen Bild mit dem Bild einer vergangenen oder zukˇnftigen Zeit verbunden ist (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 44 des 2. Teils). In sich allein betrachtet ist das Vorstellungsbild eines Dinges deshalb dasselbe, ob es sich nun auf zukˇnftige, vergangene oder gegenwrtige Zeit bezieht; d. h. (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 des 2. Teils), der Zustand des K˛rpers oder Affekt ist derselbe, mag das Vorstellungsbild das eines vergangenen, zukˇnftigen oder gegenwrtigen Dinges sein; mithin ist der Affekt der Freude und Trauer derselbe, ob nun das Vorstellungsbild das eines vergangenen, zukˇnftigen oder gegenwrtigen Dinges ist. W. z. b. w. A n m e r k u n g 1 : Ich nenne hier ein Ding vergangen oder zukˇnftig, insofern wir von ihm affiziert gewesen sind oder erst affiziert werden, z. B. insofern wir es gesehen haben oder sehen werden, es uns erquickt hat oder erquicken wird, uns gekrnkt hat oder krnken wird usw. Sofern wir es nmlich so vorstellen, bejahen wir seine Existenz, d. h., der K˛rper wird nicht mit einem Affekt affiziert, der die Existenz des Dinges ausschliet; mithin wird (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils) der K˛rper von dem Vorstellungsbild dieses Dinges in gleicher Weise affiziert, wie wenn das Ding selbst gegenwrtig wre. In der Tat, weil diejenigen, die viele Erfahrungen
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tuent, quamdiu rem ut futuram vel praeteritam con|templantur deque rei eventu ut plurimum dubitent (vid. schol. prop. 44. p. 2.), hinc fit, ut affectus, qui ex similibus rerum imaginibus oriuntur, non sint adeo constantes, sed ut plerumque aliarum rerum imaginibus perturbentur, donec homines de rei eventu certiores fiant. S c h o l i u m I I . Ex modo dictis intelligimus, quid sit spes, metus, securitas, desperatio, gaudium et conscientiae morsus. Spes namque nihil aliud est quam inconstans laetitia orta ex imagine rei futurae vel praeteritae, de cujus eventu dubitamus. Metus contra inconstans tristitia ex rei dubiae imagine etiam orta. Porro si horum affectuum dubitatio tollatur, ex spe fit securitas et ex metu desperatio; nempe laetitia vel tristitia orta ex imagine rei, quam metuimus vel speravimus. Gaudium deinde est laetitia orta ex imagine rei praeteritae, de cujus eventu dubitavimus. Conscientiae denique morsus est tristitia opposita gaudio. P r o p o s i t i o X I X . Qui id, quod amat, destrui imaginatur, constristabitur; si autem conservari, laetabitur. D e m o n s t ra t i o . Mens, quantum potest, ea imaginari conatur, quae corporis agendi potentiam augent vel juvant (per prop. 12. hujus), hoc est (per schol. prop. 13. hujus) ea, quae amat. At imaginatio ab iis juvatur, quae rei existentiam ponunt, et contra coercetur iis, quae rei existentiam secludunt (per prop. 17. p. 2.); ergo rerum imagines, quae rei ama-
22 prop. 13. hujus] ejusdem prop. korr. Gebhardt
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gemacht haben, in der Regel so lange schwanken, wie sie ein Ding als zukˇnftig oder als vergangen betrachten, und sehr hufig ˇber den Ausgang einer Sache im Zweifel sind (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 44 des 2. Teils), sind Affekte, die solchen Vorstellungsbildern von Dingen entspringen, nicht gerade bestndig, sondern werden in der Regel von den Vorstellungsbildern anderer Dinge irritiert, bis Menschen ˇber den Ausgang der Sache mehr Gewiheit erlangen. A n m e r k u n g 2 : Aus dem soeben Gesagten verstehen wir, was Hoffnung und Furcht, Zuversicht und Verzweiflung, Fr˛hlichkeit und Gewissensbi sind. Hoffnung ist nmlich nichts anderes als eine unbestndige Freude, die dem Vorstellungsbild einer zukˇnftigen oder vergangenen Sache entsprungen ist, ˇber deren Ausgang wir im Zweifel sind; Furcht andererseits ist eine unbestndige Trauer, die ebenfalls dem Vorstellungsbild einer ungewissen Sache entsprungen ist. Ferner, wenn der mit diesen Affekten verbundene Zweifel wegfllt, wird Hoffnung zu Zuversicht und Furcht zu Verzweiflung, nmlich zu einer Freude oder Trauer, die dem Vorstellungsbild einer Sache entsprungen ist, die wir befˇrchtet oder erhofft haben. Fr˛hlichkeit schlielich ist eine Freude, die dem Vorstellungsbild einer vergangenen Sache entsprungen ist, ˇber deren Ausgang wir im Zweifel gewesen sind, whrend Gewissensbi eine Trauer ist, die der Fr˛hlichkeit entgegengesetzt ist. L e h r s a t z 19. Wer sich vorstellt, da das, was er liebt, zerst˛rt wird, wird traurig sein; stellt er sich aber vor, da es erhalten wird, wird er sich freuen. B e w e i s : Der Geist strebt (nach Lehrsatz 12 dieses Teils), soviel er kann, sich das vorzustellen, was die Wirkungsmacht des K˛rpers vermehrt oder f˛rdert, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) dasjenige, was er liebt. Nun wird die Vorstellungskraft von dem, was die Existenz eines Dinges setzt, gef˛rdert und andererseits gehemmt von dem, was die Existenz eines Dinges ausschliet (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils). Also f˛rdern die Vorstellungsbilder von Dingen, die
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tae existentiam ponunt, mentis conatum, quo rem amatam imaginari conatur, juvant, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) laetitia mentem afficiunt; et quae contra rei amatae existentiam secludunt, eundem mentis conatum coercent, hoc est (per idem schol.) tristitia mentem afficiunt. Qui itaque id, quod amat, destrui imaginatur, constristabitur, etc. Q. e. d.| P r o p o s i t i o X X . Qui id, quod odio habet, destrui imaginatur, laetabitur. D e m o n s t ra t i o . Mens (per prop. 13. hujus) ea imaginari conatur, quae rerum existentiam, quibus corporis agendi potentia minuitur vel coercetur, secludunt, hoc est (per schol. ejusdem prop.) ea imaginari conatur, quae rerum, quas odio habet, existentiam secludunt; atque adeo rei imago, quae existentiam ejus, quod mens odio habet, secludit, hunc mentis conatum juvat, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) mentem laetitia afficit. Qui itaque id, quod odio habet, destrui imaginatur, laetabitur. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X I . Qui id, quod amat, laetitia vel tristitia affectum imaginatur, laetitia etiam vel tristitia afficietur; et uterque hic affectus major aut minor erit in amante, prout uterque major aut minor est in re amata. D e m o n s t ra t i o . Rerum imagines (ut in prop. 19. hujus demonstravimus), quae rei amatae existentiam ponunt, mentis conatum, quo ipsam rem amatam imaginari conatur, juvant. Sed laetitia existentiam rei laetae ponit, et eo magis, quo laetitiae affectus major est: est enim (per schol. prop. 11. hujus) transitio ad majorem perfectionem; ergo imago laeti-
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die Existenz eines geliebten Dinges setzen, dasjenige Streben des Geistes, mit dem er strebt, das geliebte Ding sich vorzustellen, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) sie affizieren den Geist mit Freude; andererseits hemmen die Vorstellungsbilder, die die Existenz eines geliebten Dinges ausschlieen, ebendieses Streben des Geistes, d. h. (nach der genannten Anmerkung) sie affizieren den Geist mit Trauer. Wer sich vorstellt, da das, was er liebt, zerst˛rt wird, wird also traurig sein usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 0 . Wer sich vorstellt, da das, was er hat, zerst˛rt wird, wird sich freuen. B e w e i s : Der Geist strebt (nach Lehrsatz 13 dieses Teils), sich dasjenige vorzustellen, was die Existenz von Dingen, von denen die Wirkungsmacht des K˛rpers vermindert oder gehemmt wird, ausschliet, d. h. (nach Anmerkung zu dem genannten Lehrsatz) dasjenige, was die Existenz von Dingen, die er hat, ausschliet. Mithin f˛rdert das Vorstellungsbild eines Dinges, das die Existenz dessen, was der Geist hat, ausschliet, dieses Streben des Geistes, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) es affiziert den Geist mit Freude. Wer sich vorstellt, da das, was er hat, zerst˛rt wird, wird sich also freuen. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 1 . Wer sich vorstellt, da das, was er liebt, mit Freude oder Trauer affiziert ist, wird selbst auch mit Freude oder Trauer affiziert werden; und beide Affekte werden in dem Liebenden gr˛er oder kleiner sein, je nachdem sie in dem geliebten Ding gr˛er oder kleiner sind. B e w e i s : Die Vorstellungsbilder von Dingen, die die Existenz eines geliebten Dinges setzen, f˛rdern (wie wir in Lehrsatz 19 bewiesen haben) dasjenige Streben des Geistes, mit dem er strebt, sich dieses geliebte Ding vorzustellen. Freude setzt aber die Existenz des erfreuenden Dinges und umso mehr, je gr˛er der Affekt der Freude ist; Freude ist nmlich (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) ein bergang zu einer gr˛eren Vollkommenheit. Also f˛rdert das Vorstel-
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tiae rei amatae in amante ipsius mentis conatum juvat, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) amantem laetitia afficit, et eo majori, quo major hic affectus in re amata fuerit. Quod erat primum. Deinde quatenus res aliqua tristitia afficitur, eatenus destruitur, et eo magis, quo majori afficitur tristitia (per idem schol. prop. 11. hujus); adeoque (per prop. 19. hujus) qui id, quod amat, tristitia affici imaginatur, tristitia etiam afficietur, et eo majori, quo major hic affectus in re amata fuerit. Q. e. d.| P r o p o s i t i o X X I I . Si aliquem imaginamur laetitia afficere rem, quam amamus, amore erga eum afficiemur. Si contra eundem imaginamur tristitia eandem afficere, econtra odio etiam contra ipsum afficiemur. D e m o n s t ra t i o . Qui rem, quam amamus, laetitia vel tristitia afficit, ille nos laetitia vel tristitia etiam afficit, si nimirum rem amatam laetitia illa vel tristitia affectam imaginamur (per praeced. prop.). At haec laetitia vel tristitia in nobis supponitur dari, concomitante idea causae externae; ergo (per schol. prop. 13. hujus), si aliquem imaginamur laetitia vel tristitia afficere rem, quam amamus, erga eundem amore vel odio afficiemur. Q. e. d. S c h o l i u m . Propositio 21. nobis explicat, quid sit commiseratio, quam definire possumus, quod sit tristitia orta ex alterius damno. Quo autem nomine appellanda sit laetitia, quae ex alterius bono oritur, nescio. Porro amorem erga illum, qui alteri bene fecit, favorem, et contra odium erga illum, qui alteri male fecit, indignationem appellabimus. Denique notandum nos non tantum misereri rei, quam amavimus
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lungsbild der Freude des geliebten Dinges in dem Liebenden das Streben seines Geistes, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) es affiziert den Liebenden mit Freude und umso mehr, je gr˛er dieser Affekt in dem geliebten Ding war. Dies war das erste. Weiter, insofern ein Ding mit Trauer affiziert wird, wird es zerst˛rt und umso mehr, je gr˛er die Trauer ist, mit der es affiziert wird (nach der genannten Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Wer sich vorstellt, da das, was er liebt, mit Trauer affiziert wird, wird mithin (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) ebenfalls mit Trauer affiziert werden und umso mehr, je gr˛er dieser Affekt in dem geliebten Ding war. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 2 . Wenn wir uns vorstellen, da jemand ein Ding, das wir lieben, mit Freude affiziert, werden wir mit Liebe zu ihm affiziert werden.Wenn wir uns andererseits vorstellen, da er es mit Trauer affiziert, werden wir hingegen mit Ha auf ihn affiziert werden. B e w e i s : Wer ein Ding, das wir lieben, mit Freude oder Trauer affiziert, affiziert uns auch mit Freude oder Trauer, wenn wir uns nmlich vorstellen, da das geliebte Ding mit jener Freude oder Trauer affiziert worden ist (nach vorigem Lehrsatz). Nun wird angenommen, da diese Freude oder Trauer in uns von der Idee einer ueren Ursache begleitet ist. Also werden wir (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), wenn wir uns vorstellen, da jemand ein Ding, das wir lieben, mit Freude oder Trauer affiziert, mit Liebe zu ihm oder Ha auf ihn affiziert werden. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Lehrsatz 21 macht deutlich, was Mitleid ist, das wir als eine Trauer definieren k˛nnen, die dem Mibefinden eines anderen entsprungen ist. Einen Namen fˇr die Freude, die dem Wohlbefinden eines anderen entspringt, wei ich dagegen nicht anzugeben. Des weiteren wollen wir Liebe zu dem, der einem anderen Gutes erwiesen hat, Gunst nennen und Ha auf den, der einem anderen Schaden zugefˇgt hat, Entrˇstung. Schlielich ist noch anzumerken, da wir nicht nur ein Ding bemitleiden, das wir geliebt haben
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(ut in prop. 21. ostendimus), sed etiam ejus, quam antea nullo affectu prosecuti sumus; modo eam nobis similem judicemus (ut infra ostendam). Atque adeo ei etiam favere, qui simili bene fecit, et contra in eum indignari, qui simili damnum intulit. P r o p o s i t i o X X I I I . Qui id, quod odio habet, tristitia affectum imaginatur, laetabitur; si contra idem laetitia affectum esse imaginetur, contristabitur; et uterque hic affectus major aut minor erit, prout ejus contrarius major aut minor est in eo, quod odio habet.| D e m o n s t ra t i o . Quatenus res odiosa tristitia afficitur, eatenus destruitur, et eo magis, quo majori tristitia afficitur (per schol. prop. 11. hujus). Qui igitur (per prop. 20. hujus) rem, quam odio habet, tristitia affici imaginatur, laetitia contra afficietur, et eo majori, quo majori tristitia rem odiosam affectam esse imaginatur; quod erat primum. Deinde laetitia existentiam rei laetae ponit (per idem schol. prop. 11. hujus), et eo magis, quo major laetitia concipitur. Si quis eum, quem odio habet, laetitia affectum imaginatur, haec imaginatio (per prop. 13 hujus) ejusdem conatum coercebit, hoc est (per schol. prop. 11. hujus), is, qui odio habet, tristitia afficietur, etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec laetitia vix solida et absque ullo animi conflictu esse potest. Nam (ut statim in propositione 27. hujus ostendam) quatenus rem sibi similem tristitiae affectu affici imaginatur, eatenus contristari debet, et contra, si eandem laetitia affici imaginetur. Sed hic ad solum odium attendimus.
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(wie wir in Lehrsatz 21 gezeigt haben), sondern auch ein Ding, mit dem wir vorher nicht affektiv verbunden gewesen sind, wenn wir es nur als uns hnlich ansehen (wie ich weiter unten zeigen werde); mithin sind wir auch demjenigen gˇnstig gesonnen, der unseresgleichen Gutes erwiesen hat, und entrˇstet ˇber denjenigen, der unseresgleichen Schaden zugefˇgt hat. L e h r s a t z 2 3 . Wer sich vorstellt, da das, was er hat, mit Trauer affiziert ist, wird sich freuen; sollte er sich andererseits vorstellen, da es mit Freude affiziert ist, wird er traurig sein; und jeder dieser beiden Affekte wird gr˛er oder kleiner sein, je gr˛er oder kleiner der ihm entgegengesetzte in dem verhaten Ding ist. B e w e i s : Insofern ein verhates Ding mit Trauer affiziert wird, wird es zerst˛rt und umso mehr, je gr˛er die Trauer ist, mit der es affiziert wird (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Wer sich also (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) vorstellt, da ein Ding, das er hat, mit Trauer affiziert wird, wird seinerseits mit Freude affiziert werden und umso mehr, je gr˛er er sich die Trauer vorstellt, mit der das verhate Ding affiziert ist. Dies war das erste. Des weiteren setzt Freude die Existenz des erfreuenden Dinges (nach der genannten Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) und umso mehr, fˇr je gr˛er die Freude gehalten wird. Wenn sich [daher] jemand vorstellt, da das, was er hat, mit Freude affiziert ist, wird diese Vorstellung (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) sein Streben hemmen; d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), der, der hat, wird mit Trauer affiziert werden usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Eine solche Freude kann kaum dauerhaft und ohne inneren Konflikt des Gemˇts sein. Denn (wie ich sogleich in Lehrsatz 27 dieses Teils beweisen werde) insofern sich jemand vorstellt, da ein ihm hnliches Ding mit einem Affekt der Trauer affiziert wird, mu er traurig sein und umgekehrt [sich freuen], wenn er sich vorstellt, da es mit Freude affiziert wird. Hier haben wir aber nur Ha im Auge.
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P r o p o s i t i o X X I V. Si aliquem imaginamur laetitia afficere rem, quam odio habemus, odio etiam erga eum afficiemur. Si contra eundem imaginamur tristitia eandem rem afficere, amore erga ipsum afficiemur. D e m o n s t ra t i o . Demonstratur eodem modo haec propositio ac propositio 22. hujus, quam vide. S c h o l i u m . Hi et similes odii affectus ad invidiam referuntur, quae propterea nihil aliud est quam ipsum odium, quatenus id consideratur hominem ita disponere, ut malo alterius gaudeat et contra ut ejusdem bono constristetur.| P r o p o s i t i o X X V. Id omne de nobis deque re amata affirmare conamur, quod nos vel rem amatam laetitia afficere imaginamur; et contra id omne negare, quod nos vel rem amatam tristitia afficere imaginamur. D e m o n s t ra t i o . Quod rem amatam laetitia vel tristitia afficere imaginamur, id nos laetitia vel tristitia afficit (per prop. 21. hujus). At mens (per prop. 12. hujus) ea, quae nos laetitia afficiunt, quantum potest, conatur imaginari, hoc est (per prop. 17. p. 2. et ejus coroll.) ut praesentia contemplari; et contra (per prop. 13. hujus), quae nos tristitia afficiunt, eorum existentiam secludere; ergo id omne de nobis deque re amata affirmare conamur, quod nos vel rem amatam laetitia afficere imaginamur, et contra. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V I . Id omne de re, quam odio habemus, affirmare conamur, quod ipsam tristitia afficere imaginamur, et id contra negare, quod ipsam laetitia afficere imaginamur. D e m o n s t ra t i o . Sequitur haec propositio ex propositione 23. ut praecedens ex propositione 21. hujus.
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L e h r s a t z 2 4 . Wenn wir uns vorstellen, da jemand ein Ding, das wir hassen, mit Freude affiziert, werden wir mit Ha auch auf ihn affiziert werden. Wenn wir andererseits uns vorstellen, da er es mit Trauer affiziert, werden wir mit Liebe zu ihm affiziert werden. B e w e i s : Dieser Lehrsatz wird ebenso bewiesen wie Lehrsatz 22 dieses Teils (siehe oben). A n m e r k u n g : Diese und hnliche Affekte des Hasses werden als Neid bezeichnet, der deshalb nichts anderes ist als eben Ha von der Art, da er einen Menschen dazu bringt, ˇber das Mibefinden eines anderen froh und ˇber dessen Wohlbefinden traurig zu sein. L e h r s a t z 2 5 . Wir streben, von uns und dem geliebten Ding all das zu bejahen, von dem wir uns vorstellen, da es uns oder das geliebte Ding mit Freude affiziert, und umgekehrt all das zu verneinen, von dem wir uns vorstellen, da es uns oder das geliebte Ding mit Trauer affiziert. B e w e i s : Wovon wir uns vorstellen, da es das von uns geliebte Ding mit Freude oder Trauer affiziert, das affiziert uns selbst mit Freude oder Trauer (nach Lehrsatz 21 dieses Teils). Nun strebt der Geist (nach Lehrsatz 12 dieses Teils), soviel er kann, sich das, was uns mit Freude affiziert, vorzustellen, d. h. (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils einschlielich Folgesatz) als gegenwrtig zu betrachten, und umgekehrt (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) die Existenz dessen, was uns mit Trauer affiziert, auszuschlieen. Also streben wir, von uns und dem geliebten Ding all das zu bejahen, von dem wir uns vorstellen, da es uns oder das geliebte Ding mit Freude affiziert, und umgekehrt. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 6 . Wir streben, von einem Ding, das wir hassen, all das zu bejahen, von dem wir uns vorstellen, da es dieses mit Trauer affiziert, und umgekehrt all das zu verneinen, von dem wir uns vorstellen, da es dieses mit Freude affiziert. B e w e i s : Dieser Lehrsatz folgt aus Lehrsatz 23 wie der vorige aus Lehrsatz 21 dieses Teils.
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S c h o l i u m . His videmus facile contingere, ut homo de se deque re amata plus justo et contra de re, quam odit, minus justo sentiat, quae quidem imaginatio, quando ipsum hominem respicit, qui de se plus justo sentit, superbia vocatur, et species delirii est, quia homo oculis apertis somniat se omnia illa posse, quae sola imaginatione assequitur, quaeque propterea veluti realia contemplatur iisque exultat, quamdiu ea imaginari non potest, quae horum existentiam secludunt et ipsius agendi potentiam determinant. Est igitur superbia laetitia ex eo orta, quod homo de se plus justo sentit. | Deinde laetitia, quae ex eo oritur, quod homo de alio plus justo sentit, existimatio vocatur; et illa denique despectus, quae ex eo oritur, quod de alio minus justo sentit. P r o p o s i t i o X X V I I . Ex eo, quod rem nobis similem et quam nullo affectu prosecuti sumus, aliquo affectu affici imaginamur, eo ipso simili affectu afficimur. D e m o n s t ra t i o . Rerum imagines sunt corporis humani affectiones, quarum ideae corpora externa veluti nobis praesentia repraesentant (per schol. prop. 17. p. 2.), hoc est (per prop. 16. p. 2.) quarum ideae naturam nostri corporis et simul praesentem externi corporis naturam involvunt. Si igitur corporis externi natura similis sit naturae nostri corporis, tum idea corporis externi, quod imaginamur, affectionem nostri corporis involvet similem affectioni corporis externi; et consequenter, si aliquem nobis similem aliquo affectu affectum imaginamur, haec imaginatio affectionem nostri corporis huic affectui similem exprimet; adeoque ex hoc, quod rem
III. Teil ˝ Von dem Ursprung und der Natur der Affekte
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A n m e r k u n g : Hieraus sehen wir, wie leicht ein Mensch von sich selbst und von dem, was er liebt, mehr hlt als recht ist und andererseits von dem, was er hat, weniger hlt als recht ist. Bezogen auf den, der von sich selbst mehr hlt als recht ist, heit eine solche Vorstellung Hochmut und ist eine Art Wahnsinn, weil dann der Mensch mit offenen Augen trumt, er k˛nne all das, was er in seiner bloen Vorstellung zustandebringt, auch tun, das er deshalb betrachtet, als ob es real wre, und angesichts dessen er vor Freude triumphiert, solange er nicht solche Dinge vorstellen kann, die die Existenz [dessen, was er sich einbildet,] ausschlieen und die eigene Wirkungsmacht bestimmen. Hochmut ist also eine Freude, die dem entspringt, da ein Mensch von sich selbst mehr hlt als recht ist. Ferner heit die Freude, die dem entspringt, da ein Mensch von einem anderen mehr hlt als recht ist, berschtzung und diejenige schlielich, die dem entspringt, da er von einem anderen weniger hlt als recht ist, Verachtung. L e h r s a t z 2 7. Wenn wir uns ein uns hnliches Ding, mit dem wir nicht affektiv verbunden gewesen sind, als mit irgendeinem Affekt affiziert vorstellen, werden wir allein dadurch mit einem hnlichen Affekt affiziert. B e w e i s : Die Vorstellungsbilder von Dingen sind Affektionen des menschlichen K˛rpers, deren Ideen uere K˛rper uns als gegenwrtig darstellen (nach Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils), d. h. (nach Lehrsatz 16 des 2. Teils) deren Ideen die Natur unseres K˛rpers und zugleich die gegenwrtige Natur des ueren K˛rpers in sich schlieen. Wenn also die Natur des ueren K˛rpers der Natur unseres K˛rpers hnlich ist, dann wird die Idee des ueren K˛rpers, den wir vorstellen, eine Affektion unseres K˛rpers in sich schlieen, die der Affektion des ueren K˛rpers hnlich ist. Wenn wir uns jemanden, der uns hnlich ist, als mit einem Affekt affiziert vorstellen, wird diese Vorstellung folglich eine Affektion unseres K˛rpers ausdrˇcken, die diesem Affekt hnlich ist. Mithin werden wir dadurch, da wir uns ein uns hnliches
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aliquam nobis similem aliquo affectu affici imaginamur, simili cum ipsa affectu afficimur. Q. e. d. ^ Quod si rem nobis similem odio habeamus, eatenus (per prop. 23. hujus) contrario affectu cum ipsa afficiemur, non autem simili. S c h o l i u m . Haec affectuum imitatio, quando ad tristitiam refertur, vocatur commiseratio (de qua vide schol. p. 22. hujus), sed ad cupiditatem relata aemulatio, quae proinde nihil aliud est quam alicujus rei cupiditas, quae in nobis ingeneratur ex eo, quod alios nobis similes eandem cupiditatem habere imaginamur. C o r o l l a r i u m I . Si aliquem, quem nullo affectu prosecuti sumus, imaginamur laetitia afficere rem nobis similem, amore erga eundem afficiemur. Si contra eundem imaginamur eandem tristitia afficere, contra odio erga ipsum afficiemur.| D e m o n s t ra t i o . Hoc eodem modo ex propositione praecedente demonstratur ac propositio 22. hujus ex propositione 21. C o r o l l a r i u m I I . Rem, cujus nos miseret, odio habere non possumus ex eo, quod ipsius miseria nos tristitia afficit. D e m o n s t ra t i o . Si enim ex eo nos eandem odio habere possemus, tum (per prop. 23. hujus) ex ipsius tristitia laetaremur, quod est contra hypothesin. C o r o l l a r i u m I I I . Rem, cujus nos miseret, a miseria, quantum possumus, liberare conabimur. D e m o n s t ra t i o . Id, quod rem, cujus nos miseret, tristitia afficit, nos simili etiam tristitia afficit (per prop. praeced.); adeoque omne id, quod ejus rei existentiam tollit sive quod rem destruit, comminisci conabimur (per prop. 13. hujus), hoc est (per schol. prop. 9. hujus) id destruere appetemus,
2 Q. e. d.] OP und NS am Ende der demonstratio korr. W. B., Baensch folgend 14 contra] von Gebhardt gestrichen
III. Teil ˝ Von dem Ursprung und der Natur der Affekte
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Ding als mit irgendeinem Affekt affiziert vorstellen, mit einem hnlichen Affekt affiziert werden. W. z. b. w. ^ Wenn wir freilich ein uns hnliches Ding hassen, werden wir in dem Mae (nach Lehrsatz 23 dieses Teils) mit einem Affekt affiziert, der dem Affekt dieses Dinges entgegengesetzt und nicht hnlich ist. A n m e r k u n g : Diese Nachahmung der Affekte heit, bezogen auf Trauer, Mitleid (siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 22 dieses Teils); bezogen auf Begierde heit sie Wetteifer, der somit nichts anderes ist als die Begierde nach einem Ding, die in uns dadurch hervorgerufen wird, da wir uns andere, die uns hnlich sind, als Wesen vorstellen, die dieselbe Begierde haben. Fo l g e s a t z 1 : Wenn wir uns vorstellen, da jemand, mit dem wir nicht affektiv verbunden gewesen sind, ein uns hnliches Ding mit Freude affiziert, werden wir mit Liebe zu ihm affiziert werden. Stellen wir uns andererseits vor, da er es mit Trauer affiziert, werden wir hingegen mit Ha auf ihn affiziert werden. B e w e i s : Dieser Folgesatz wird in gleicher Weise aus vorigem Lehrsatz bewiesen wie Lehrsatz 22 dieses Teils aus Lehrsatz 21. Fo l g e s a t z 2 : Ein Ding, das wir bemitleiden, k˛nnen wir nicht deshalb hassen, weil sein Unglˇck uns mit Trauer affiziert. B e w e i s : K˛nnten wir es nmlich deswegen hassen, wˇrden wir uns (nach Lehrsatz 23 diesesTeils) an seinerTrauer erfreuen, was gegen die Voraussetzung ist. Fo l g e s a t z 3 : Ein Ding, das wir bemitleiden, werden wir, soviel wir k˛nnen, von seinem Unglˇck zu befreien suchen. B e w e i s : Was ein Ding, das wir bemitleiden, mit Trauer affiziert, affiziert auch uns mit einer hnlichen Trauer (nach vorigem Lehrsatz); mithin werden wir (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) streben, uns all das auszudenken, was dessen Existenz aufhebt, d. h. das Ding zerst˛rt; wir werden also (nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils) danach verlangen, es
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sive ad id destruendum determinabimur; atque adeo rem, cujus miseremur, a sua miseria liberare conabimur. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec voluntas sive appetitus benefaciendi, qui ex eo oritur, quod rei, in quam beneficium conferre volumus, nos miseret, benevolentia vocatur, quae proinde nihil aliud est quam cupiditas ex commiseratione orta. Caeterum de amore et odio erga illum, qui rei, quam nobis similem esse imaginamur, bene aut male fecit, vide schol. prop. 22. hujus. P r o p o s i t i o X X V I I I . Id omne, quod ad laetitiam conducere imaginamur, conamur promovere ut fiat; quod vero eidem repugnare sive ad tristitiam conducere imaginamur, amovere vel destruere conamur. | D e m o n s t ra t i o . Quod ad laetitiam conducere imaginamur, quantum possumus, imaginari conamur (per prop. 12. hujus), hoc est (per prop. 17. p. 2.), id, quantum possumus, conabimur ut praesens sive ut actu existens contemplari. Sed mentis conatus seu potentia in cogitando aequalis et simul natura est cum corporis conatu seu potentia in agendo (ut clare sequitur ex coroll. prop. 7. et coroll. prop. 11. p. 2.); ergo, ut id existat, absolute conamur sive (quod per schol. prop. 9. hujus idem est) appetimus et intendimus; quod erat primum. Deinde si id, quod tristitiae causam esse credimus, hoc est (per schol. prop. 13. hujus), si id, quod odio habemus, destrui imaginamur, laetabimur (per prop. 20. hujus), adeoque idem (per primam hujus partem) conabimur destruere sive (per prop. 13. hujus) a nobis amovere, ne ipsum ut praesens contemplemur; quod erat secundum. Ergo id omne, quod ad laetitiam, etc. Q. e. d.
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zu zerst˛ren, d. h. dazu bestimmt sein, es zu zerst˛ren; mithin werden wir ein Ding, das wir bemitleiden, von seinem Unglˇck zu befreien suchen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dieser Wille oder Trieb des Wohltuns, der unserem Mitleid mit dem Ding, dem wir eine Wohltat erweisen wollen, entspringt, heit Wohlwollen, das deshalb nichts anderes ist als eine dem Mitleid entsprungene Begierde. Zu Liebe und Ha gegenˇber dem, der einem Ding, das wir uns als uns hnlich vorstellen, Gutes oder Schlechtes zugefˇgt hat, siehe die Anmerkung zu Lehrsatz 22 dieses Teils. L e h r s a t z 2 8 . All das, von dem wir uns vorstellen, da es zur Freude beitrgt, streben wir herbeizufˇhren; all das aber, von dem wir uns vorstellen, da es ihr widerstreitet, also zur Trauer beitrgt, streben wir zu beseitigen oder zu zerst˛ren. B e w e i s : Was wir uns als zur Freude beitragend vorstellen, streben wir, soviel wir k˛nnen, uns vorzustellen (nach Lehrsatz 12 dieses Teils), d. h. (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils), wir werden, soviel wir k˛nnen, streben, es als gegenwrtig oder als wirklich existierend zu betrachten. Das Streben des Geistes, d. h. seine Macht im Denken, und das Streben des K˛rpers, d. h. seine Macht im Wirken, sind aber von Natur aus gleich und auf einmal (wie klar aus Folgesatz zu Lehrsatz 7 und Folgesatz zu Lehrsatz 11 des 2. Teils folgt). Wir streben also uneingeschrnkt danach [zuwege zu bringen], da es existiert, anders formuliert (was nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils dasselbe ist), wir verlangen danach und sind darauf bedacht. Dies war das erste. Ferner, wenn wir uns die Zerst˛rung dessen, was wir fˇr die Ursache von Trauer halten, vorstellen, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) dessen, was wir hassen, werden wir uns (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) freuen; mithin werden wir (nach dem ersten Teil dieses Beweises) streben, es zu zerst˛ren oder (nach Lehrsatz 13 dieses Teils) von uns fernzuhalten, um es nicht als gegenwrtig zu betrachten. Dies war das zweite. Folglich all das, was zur Freude usw. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X X I X . Nos id omne etiam agere conabimur, quod homines 1 cum laetitia aspicere imaginamur, et contra id agere aversabimur, quod homines aversari imaginamur. D e m o n s t ra t i o . Ex eo, quod imaginamur homines aliquid amare vel odio habere, nos idem amabimus vel odio habebimus (per prop. 27. hujus), hoc est (per schol. prop. 13. hujus) eo ipso ejus rei praesentia laetabimur vel contristabimur; adeoque (per praec. prop.) id omne, quod homines amare sive cum laetitia aspicere imaginamur, conabimur agere, etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Hic conatus aliquid agendi et etiam omittendi ea sola de causa, ut hominibus placeamus, vocatur ambitio, praesertim quando adeo impense vulgo placere conamur, ut cum nostro aut alterius damno quaedam agamus vel omittamus; alias humanitas appel|lari solet. Deinde laetitiam, qua alterius actionem, qua nos conatus est delectari, imaginamur, laudem voco; tristitiam vero, qua contra ejusdem actionem aversamur, vituperium voco. P r o p o s i t i o X X X . Si quis aliquid egit, quod reliquos laetitia afficere imaginatur, is laetitia concomitante idea sui tanquam causa afficietur; sive se ipsum cum laetitia contemplabitur. Si contra aliquid egit, quod reliquos tristitia afficere imaginatur, se ipsum cum tristitia contra contemplabitur. D e m o n s t ra t i o . Qui se reliquos laetitia vel tristitia afficere imaginatur, eo ipso (per prop. 27. hujus) laetitia vel tristitia afficietur. Cum autem homo (per prop. 19. et 23. p. 2.) 1
N. B. Intellige hic et in seqq. homines, quos nullo affectu prosecuti sumus.
28-29 prosecuti] prosequuti
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L e h r s a t z 2 9. Wir werden streben, auch all das zu tun, von dem wir uns vorstellen, da Menschen 1 es mit Freude anblikken, und andererseits wird es uns zuwider sein, das zu tun, von dem wir uns vorstellen, da es Menschen zuwider ist. B e w e i s : Allein dadurch, da wir uns vorstellen, da Menschen etwas lieben oder hassen, werden [auch] wir es lieben oder hassen (nach Lehrsatz 27 dieses Teils), d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) allein deshalb werden wir ˇber die Gegenwart dieses Dinges uns freuen oder traurig sein; mithin werden wir (nach vorigem Lehrsatz) streben, all das zu tun, von dem wir uns vorstellen, da Menschen es lieben, d. h. mit Freude anblicken, usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dieses Streben, etwas allein deshalb zu tun oder auch zu unterlassen, um Menschen zu gefallen, heit Ehrgeiz, besonders wenn das Streben, den Leuten ringsherum zu gefallen, derart heftig ist, da wir manches zu unserem oder dem des anderen Nachteil tun oder unterlassen; in anderen Fllen pflegt man es Menschenfreundlichkeit zu nennen. Ferner nenne ich die Freude, mit der wir uns die Handlung eines anderen, mit der er uns zu erfreuen bestrebt war, vorstellen, Lob, whrend ich die Trauer, mit der wir seine Handlung mibilligen, Tadel nenne. L e h r s a t z 3 0 . Wenn jemand etwas getan hat, von dem er sich vorstellt, da es andere mit Freude affiziert, wird er mit einer Freude affiziert werden, die von der Idee seiner selbst als der Ursache hierfˇr begleitet ist; anders formuliert, er wird sich selbst mit Freude betrachten. Wenn er andererseits etwas getan hat, von dem er sich vorstellt, da es andere mit Trauer affiziert, wird er hingegen sich selbst mit Trauer betrachten. B e w e i s : Wer sich vorstellt, da er andere mit Freude oderTrauer affiziert, wird ebendadurch (nach Lehrsatz 27 dieses Teils) mit Freude oder Trauer affiziert werden. Da nun 1
Hier und im folgenden verstehe man unter Menschen diejenigen, mit denen wir noch nicht affektiv verbunden gewesen sind.
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sui sit conscius per affectiones, quibus ad agendum determinatur, ergo qui aliquid egit, quod ipse imaginatur reliquos laetitia afficere, laetitia cum conscientia sui tanquam causa afficietur, sive seipsum cum laetitia contemplabitur, et contra. Q. e. d. S c h o l i u m . Cum amor (per schol. prop. 13. hujus) sit laetitia concomitante idea causae externae, et odium tristitia concomitante etiam idea causae externae, erit ergo haec laetitia et tristitia amoris et odii species. Sed quia amor et odium ad objecta externa referuntur, ideo hos affectus aliis nominibus significabimus; nempe laetitiam concomitante idea causae internae gloriam et tristitiam huic contrariam pudorem appellabimus. Intellige, quando laetitia vel tristitia ex eo oritur, quod homo se laudari vel vituperari credit; alias laetitiam concomitante idea causae internae acquiescentiam in se ipso, tristitiam vero eidem contrariam poenitentiam vocabo. Deinde quia (per coroll. prop. 17. p. 2.) fieri potest, ut laetitia, qua aliquis se reliquos afficere imaginatur, imaginaria tantum sit, et (per prop. 25. hujus) unusquisque de se id omne conatur imaginari, quod se laetitia afficere imagina|tur, facile ergo fieri potest, ut gloriosus superbus sit et se omnibus gratum esse imaginetur, quando omnibus molestus est. P r o p o s i t i o X X X I . Si aliquem imaginamur amare vel cupere vel odio habere aliquid, quod ipsi amamus, cupimus vel odio habemus, eo ipso rem constantius amabimus, etc. Si autem id, quod amamus, eum aversari imaginamur, vel contra, tum animi fluctuationem patiemur.
12 internae] externae korr. nach NS, Gebhardt hlt an externae fest 15 internae] externae korr. Gebhardt 27 contra,] NS ergnzen dat hy’t geen bemint, ’t welk wy haten,
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der Mensch (nach Lehrsatz 19 und 23 des 2. Teils) durch die Affektionen, von denen er zum Handeln bestimmt wird, um sich selbst wei, wird der, der etwas getan hat, wovon er sich vorstellt, da es andere mit Freude affiziert, mit einer Freude affiziert werden, zu der das Bewutsein seiner selbst als deren Ursache geh˛rt; anders formuliert, er wird sich selbst mit Freude betrachten, und umgekehrt. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Weil Liebe (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) Freude ist unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache und Ha Trauer ebenfalls unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache, sind die hier beschriebene Freude und Trauer Arten von Liebe und Ha. Freilich, weil Liebe und Ha [in ihrer generellen Form] sich auf uere Objekte beziehen, wollen wir die beschriebenen Affekte mit anderen Namen bezeichnen; Freude, die von der Idee einer inneren Ursache begleitet ist, wollen wir Ruhm nennen und die ihr entgegengesetzte Trauer Scham ^ wohlgemerkt, wenn die Freude oder Trauer dem entspringt, da der Mensch [lediglich] glaubt, gelobt oder getadelt zu werden; ist es anders, will ich die von der Idee einer inneren Ursache begleitete Freude Selbstzufriedenheit nennen und die ihr entgegengesetzte Trauer Reue. Ferner, weil es (nach Folgesatz zu Lehrsatz 17 des 2. Teils) vorkommen kann, da die Freude, mit der jemand seiner Vorstellung nach andere affiziert, blo eingebildet ist, und ein jeder (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) strebt, in Bezug auf sich selbst sich all das vorzustellen, von dem er sich vorstellt, da es ihn mit Freude affiziert, kann es leicht geschehen, da der Ruhmsˇchtige hochmˇtig wird und sich einbildet, allen willkommen zu sein, whrend er doch allen blo lstig fllt. L e h r s a t z 31 . Wenn wir uns vorstellen, da jemand etwas liebt, begehrt oder hat, das wir selbst lieben, begehren oder hassen, werden wir es ebendeshalb bestndiger lieben usw. Wenn wir uns andererseits vorstellen, da ihm das, was wir lieben, zuwider ist, oder umgekehrt [NS : da er liebt, was wir hassen] , werden wir einer Schwankung des Gemˇts erliegen.
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D e m o n s t ra t i o . Ex eo solo, quod aliquem aliquid amare imaginamur, eo ipso idem amabimus (per prop. 27. hujus). At sine hoc nos idem amare supponimus; accedit ergo amori nova causa, a qua fovetur; atque adeo id, quod amamus, hoc ipso constantius amabimus. Deinde ex eo, quod aliquem aliquid aversari imaginamur, idem aversabimur (per eandem prop.). At si supponamus nos eodem tempore id ipsum amare, eodem ergo tempore hoc idem amabimus et aversabimur, sive (vid. schol. prop. 17. hujus) animi fluctuationem patiemur. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc et ex prop. 28. hujus sequitur unumquemque, quantum potest, conari, ut unusquisque id, quod ipse amat, amet et quod ipse odit, odio etiam habeat; unde illud poetae: Speremus pariter, pariter metuamus amantes; Ferreus est, si quis, quod sinit alter, amat.ß
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S c h o l i u m . Hic conatus efficiendi, ut unusquisque probet id, quod ipse amat vel odio habet, revera est ambitio (vid. schol. prop. 29. hujus); atque adeo videmus unumquemque ex natura appetere, ut reliqui ex ipsius ingenio vivant, quod dum omnes pariter appetunt, pariter sibi impedimento, et dum omnes ab omnibus laudari seu amari volunt, odio invicem sunt.|
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P r o p o s i t i o X X X I I . Si aliquem re aliqua, qua unus solus potiri potest, gaudere imaginamur, conabimur efficere, ne ille illa re potiatur.
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B e w e i s : Der bloe Tatbestand, da wir uns vorstellen, da jemand etwas liebt, macht es, da wir es ebendeshalb lieben werden (nach Lehrsatz 27 dieses Teils). Nun setzen wir voraus, da wir es schon ohne diese [Ursache] lieben, so da zu unserer Liebe eine neue Ursache hinzu kommt, von der sie genhrt wird; mithin werden wir das, was wir lieben, ebendeshalb bestndiger lieben. Ferner, wenn wir uns vorstellen, da jemandem etwas zuwider ist, wird es uns ebendeshalb zuwider sein (nach dem genannten Lehrsatz). Wenn wir aber voraussetzen, da wir es zur gleichen Zeit lieben, werden wir ein und dasselbe Ding zugleich lieben und verabscheuen, d. h. wir werden (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils) einer Schwankung des Gemˇts erliegen. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus und aus Lehrsatz 28 dieses Teils folgt, da ein jeder, soviel er kann, danach strebt, da ein jeder liebt, was er selbst liebt, und hat, was er selbst hat; daher jenes Dichterwort [Ovid, Amores II,19]: Als Liebende lat uns zusammen hoffen und zusammen fˇrchten; Eisernen Herzens ist, wer liebt, was dem anderen gleichgˇltig ist. A n m e r k u n g : Dieses Streben zuwege zu bringen, da ein jeder den Gegenstand der eigenen Liebe oder des eigenen Hasses gutheit, ist in Wahrheit Ehrgeiz (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 29 dieses Teils). Wir sehen mithin, da ein jeder von Natur aus danach verlangt, alle anderen sollten nach seinem Sinn leben, und da, wenn alle gleichermaen danach verlangen, alle sich gleichermaen im Wege stehen, und wenn alle von allen gelobt oder geliebt werden wollen, alle in wechselseitigen Ha geraten. L e h r s a t z 3 2 . Wenn wir uns vorstellen, da jemand an einem Ding Vergnˇgen findet, das nur einer allein besitzen kann, werden wir streben zuwege zu bringen, da er es nicht besitzt.
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D e m o n s t ra t i o . Ex eo solo, quod aliquem re aliqua gaudere imaginamur (per prop. 27. hujus cum ejusdem coroll. 1.), rem illam amabimus eaque gaudere cupiemus. At (per hypothesin) huic laetitiae obstare imaginamur, quod ille eadem hac re gaudeat; ergo (per prop. 28. hujus) ne ille eadem potiatur, conabimur. Q. e. d. S c h o l i u m . Videmus itaque cum hominum natura plerumque ita comparatum esse, ut eorum, quibus male est, misereantur et quibus bene est, invideant, et (per prop. praec.) eo majore odio, quo rem, qua alium potiri imaginantur, magis amant. Videmus deinde ex eadem naturae humanae proprietate, ex qua sequitur homines esse misericordes, sequi etiam eosdem esse invidos et ambitiosos. Denique, si ipsam experientiam consulere velimus, ipsam haec omnia docere experiemur; praesertim si ad priores nostrae aetatis annos attenderimus. Nam pueros, quia eorum corpus continuo veluti in aequilibrio est, ex hoc solo ridere vel flere experimur, quod alios ridere vel flere vident; et quicquid praeterea vident alios facere, id imitari statim cupiunt, et omnia denique sibi cupiunt, quibus alios delectari imaginantur; nimirum quia rerum imagines, uti diximus, sunt ipsae humani corporis affectiones sive modi, quibus corpus humanum a causis externis afficitur disponiturque ad hoc vel illud agendum. P r o p o s i t i o X X X I I I . Cum rem nobis similem amamus, conamur, quantum possumus, efficere ut nos contra amet. D e m o n s t ra t i o . Rem, quam amamus, prae reliquis, quantum possumus, imaginari conamur (per prop. 12. hujus). Si igitur res nobis sit similis, |ipsam prae reliquis laetitia affi-
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B e w e i s : Der bloe Tatbestand, da wir uns vorstellen, da jemand an einem Ding Vergnˇgen findet, macht es (nach Lehrsatz 27 dieses Teils einschlielich Folgesatz 1), da wir jenes Ding lieben werden und begehren werden, an ihm Vergnˇgen zu finden. Nun stellen wir uns (der Voraussetzung nach) sein Vergnˇgen an diesem Ding als ein Hindernis unserer eigenen Freude vor; wir werden also (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) streben [zuwege zu bringen], da er es nicht besitzt. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wir sehen also, da Menschen von Natur aus meistens so verfat sind, da sie die Unglˇcklichen bemitleiden und die Glˇcklichen beneiden, und (nach vorigem Lehrsatz) [bei Neid] mit umso gr˛erem Ha, je mehr sie das Ding lieben, von dem sie sich vorstellen, da der andere es besitzt. Wir sehen des weiteren, da dieselbe Eigenschaft der menschlichen Natur, die Menschen mitleidig sein lt, sie auch neidisch und ehrgeizig sein lt. Schlielich wˇrden wir im Rˇckgriff auf die Erfahrung finden, da sie dies alles besttigt, allemal wenn wir die Kindheit unseres Lebens ins Auge fassen. Denn an Kindern, deren K˛rper sich ja anhaltend nahezu im Gleichgewicht befindet, erfahren wir, da sie ebendeshalb lachen oder weinen, weil sie andere lachen oder weinen sehen; auch begehren sie auf der Stelle all das nachzuahmen, was sie andere tun sehen, und endlich begehren sie fˇr sich selbst all das, wovon sie sich vorstellen, da andere sich daran erfreuen ^ den Grund hierfˇr habe ich schon genannt: Die Vorstellungsbilder von Dingen sind genau die Affektionen des menschlichen K˛rpers, d. h. die Weisen, in denen der menschliche K˛rper von ueren K˛rpern affiziert und disponiert wird, dieses oder jenes zu tun. L e h r s a t z 3 3 . Wenn wir ein Ding lieben, das uns hnlich ist, streben wir, soviel wir k˛nnen, zuwege zu bringen, da es uns wiederliebt. B e w e i s : Das Ding, das wir lieben, streben wir, soviel wir k˛nnen, uns mehr als alle anderen vorzustellen (nach Lehrsatz 12 dieses Teils). Wenn ein Ding uns also hnlich ist, wer-
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cere conabimur (per prop. 29. hujus) sive conabimur, quantum possumus, efficere ut res amata laetitia afficiatur concomitante idea nostri, hoc est (per schol. prop. 13. hujus) ut nos contra amet. Q. e. d. 5
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P r o p o s i t i o X X X I V. Quo majori affectu rem amatam erga nos affectam esse imaginamur, eo magis gloriabimur. D e m o n s t ra t i o . Nos (per prop. praeced.) conamur, quantum possumus, ut res amata nos contra amet, hoc est (per schol. prop. 13. hujus) ut res amata laetitia afficiatur concomitante idea nostri. Quo itaque rem amatam majori laetitia nostra de causa affectam esse imaginamur, eo magis hic conatus juvatur, hoc est (per prop. 11. hujus cum ejus schol.), eo majore laetitia afficimur. At cum ex eo laetemur, quod alium nobis similem laetitia affecimus, tum nosmet cum laetitia contemplamur (per prop. 30. hujus); ergo quo majori affectu rem amatam erga nos affectam esse imaginamur, eo majori laetitia nosmet contemplabimur sive (per schol. prop. 30. hujus) eo magis gloriabimur. Q e. d. P r o p o s i t i o X X X V. Si quis imaginatur rem amatam eodem vel arctiore vinculo amicitiae, quo ipse eadem solus potiebatur, alium sibi jungere, odio erga ipsam rem amatam afficietur et illi alteri invidebit. D e m o n s t ra t i o . Quo quis majore amore rem amatam erga se affectam esse imaginatur, eo magis gloriabitur (per
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den wir streben, es mehr als alle anderen mit Freude zu affizieren (nach Lehrsatz 29 dieses Teils), anders formuliert, wir werden streben, soviel wir k˛nnen, zuwege zu bringen, da das geliebte Ding mit einer Freude affiziert wird, die von der Idee unserer selbst [als Ursache] begleitet ist, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) da es uns wiederliebt. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 4 . Je gr˛er wir uns den Affekt vorstellen, mit dem ein geliebtes Ding uns gegenˇber affiziert ist, desto mehr werden wir uns brˇsten. B e w e i s : Wir streben (nach vorigem Lehrsatz), soviel wir k˛nnen, [zuwege zu bringen], da ein geliebtes Ding uns wiederliebt, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) da ein geliebtes Ding mit einer Freude affiziert wird, die von der Idee unserer selbst [als Ursache] begleitet ist. Je gr˛er wir uns die Freude, mit der ein geliebtes Ding unseretwegen affiziert ist, vorstellen, desto mehr wird daher dieses Streben gef˛rdert, d. h. (nach Lehrsatz 11 dieses Teils einschlielich Anmerkung) mit desto gr˛erer Freude werden wir affiziert. Wenn wir uns aber freuen, weil wir einen anderen, der uns hnlich ist, mit Freude affiziert haben, dann betrachten wir uns selbst mit Freude (nach Lehrsatz 30 dieses Teils). Je gr˛er der Affekt ist, von dem wir uns vorstellen, da mit ihm ein Ding uns gegenˇber affiziert ist, mit desto gr˛erer Freude werden wir uns daher selbst betrachten, anders formuliert (nach Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils), desto mehr werden wir uns brˇsten. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 5 . Wenn jemand sich vorstellt, da ein geliebtes Ding sich mit einem anderen freundschaftlich so eng wie er oder noch enger als er, der es bislang allein besa, verbindet, wird er mit Ha auf das geliebte Ding affiziert werden und jenen anderen beneiden. B e w e i s : Je gr˛er jemand sich die Liebe vorstellt, mit der das geliebte Ding ihm gegenˇber affiziert ist, desto mehr
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praeced. prop.), hoc est (per schol. prop. 30. hujus) laetabitur; adeoque (per prop. 28. hujus) conabitur, quantum potest, imaginari rem amatam ipsi quam arctissime devinctam, qui quidem conatus sive appetitus fomentatur, si alium idem sibi cupere imaginatur (per prop. 31. hujus). | At hic conatus sive appetitus ab ipsius rei amatae imagine concomitante imagine illius, quem res amata sibi jungit, coerceri supponitur; ergo (per schol. prop. 11 hujus) eo ipso tristitia afficietur concomitante idea rei amatae tanquam causa et simul imagine alterius, hoc est (per schol. prop. 13. hujus) odio erga rem amatam afficietur et simul erga illum alterum (per coroll. prop. 15. hujus), cui propterea (per prop. 23. hujus), quod re amata delectatur, invidebit. Q. e. d. S c h o l i u m . Hoc odium erga rem amatam invidiae junctum zelotypia vocatur, quae proinde nihil aliud est quam animi fluctuatio orta ex amore et odio simul concomitante idea alterius, cui invidetur. Praeterea hoc odium erga rem amatam majus erit pro ratione laetitiae, qua zelotypus ex reciproco rei amatae amore solebat affici, et etiam pro ratione affectus, quo erga illum, quem sibi rem amatam jungere imaginatur, affectus erat. Nam si eum oderat, eo ipso rem amatam (per prop. 24. hujus) odio habebit, quia ipsam id, quod ipse odio habet, laetitia afficere imaginatur; et etiam (per coroll. prop. 15. hujus) ex eo, quod rei amatae imaginem imagini ejus, quem odit, jungere cogitur, quae ratio plerumque locum habet in amore erga faeminam; qui enim imaginatur mulierem, quam amat, alteri sese prostituere, non solum ex eo,
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wird er sich brˇsten (nach vorigem Lehrsatz), d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils) desto mehr wird er sich freuen; mithin wird er (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) streben, soviel er kann, sich vorzustellen, da das geliebte Ding aufs engste mit ihm verbunden ist; und dieses Streben oder dieser Trieb wird noch gesteigert, wenn er sich vorstellt, da ein anderer dasselbe Ding begehrt (nach Lehrsatz 31 dieses Teils). Nun wird vorausgesetzt, da dieses Streben oder dieser Trieb von dem Vorstellungsbild des geliebten Dinges, begleitet vom Vorstellungsbild des anderen Liebhabers, gehemmt wird; er wird also (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) ebendadurch mit einer Trauer affiziert werden, die von der Idee des geliebten Dinges als der Ursache und zugleich von dem Vorstellungsbild jenes anderen begleitet wird, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), er wird mit Ha auf das geliebte Ding affiziert werden und zugleich (nach Folgesatz zu Lehrsatz 15 dieses Teils) mit Ha auf jenen anderen, den er, weil er sich an dem geliebten Ding erfreut, beneiden wird (nach Lehrsatz 23 dieses Teils). W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dieser mit Neid verbundene Ha auf ein geliebtes Ding heit Eifersucht, die somit nichts anderes ist als eine aus Liebe und Ha zugleich entsprungene Schwankung des Gemˇts unter Begleitung der Idee eines anderen, den man beneidet. Darˇber hinaus wird dieser Ha auf das geliebte Ding proportional zu der Freude vergr˛ert, mit der der Eifersˇchtige von der Gegenliebe des geliebten Dinges gew˛hnlich affiziert wurde, und auch proportional zu dem Affekt, den er gegenˇber demjenigen schon hatte, von dem er sich vorstellt, da mit ihm das geliebte Ding sich verbindet. Denn wenn er ihn hate, wird er ebendeshalb das geliebte Ding hassen (nach Lehrsatz 24 dieses Teils), stellt er sich doch vor, da es das, was er hat, mit Freude affiziert, aber auch (nach Folgesatz zu Lehrsatz 15 dieses Teils) deshalb, weil er gezwungen wird, das Bild des geliebten Dinges mit dem Bild desjenigen, den er hat, zu verbinden. Der letztgenannte Grund findet sich meistens bei der Liebe zu einer Frau; wer sich nmlich vorstellt, da die von ihm geliebte Frau sich einem anderen hingibt,
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quod ipsius appetitus coercetur, contristabitur, sed etiam quia rei amatae imaginem pudendis et excrementis alterius jungere cogitur, eandem aversatur; ad quod denique accedit, quod zelotypus non eodem vultu, quem res amata ei praebere solebat, ab eadem excipiatur, qua etiam de causa amans contristatur, ut jam ostendam.
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P r o p o s i t i o X X X V I . Qui rei, qua semel delectatus est, recordatur, cupit eadem cum iisdem potiri circumstantiis, ac cum primo ipsa delectatus est. D e m o n s t ra t i o . Quicquid homo simul cum re, quae ipsum delectavit, vidit, id omne (per prop. 15. hujus) erit per accidens laetitiae causa; adeo|que (per prop. 28. hujus) omni eo simul cum re, quae ipsum delectavit, potiri cupiet, sive re cum omnibus iisdem circumstantiis potiri cupiet, ac cum primo eadem delectatus est. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Si itaque unam ex iis circumstantiis deficere compererit, amans contristabitur. D e m o n s t ra t i o . Nam quatenus aliquam circumstantiam deficere comperit, eatenus aliquid imaginatur, quod ejus rei existentiam secludit. Cum autem ejus rei sive circumstantiae (per prop. praec.) sit prae amore cupidus, ergo (per prop. 19. hujus), quatenus eandem deficere imaginatur, contristabitur. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec tristitia, quatenus absentiam ejus, quod amamus, respicit, desiderium vocatur.
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P r o p o s i t i o X X X V I I . Cupiditas, quae prae tristitia vel laetitia, praeque odio vel amore oritur, eo est major, quo affectus major est. D e m o n s t ra t i o . Tristitia hominis agendi potentiam (per schol. prop. 11. hujus) minuit vel coercet, hoc est (per
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wird nicht nur traurig sein, weil sein eigenes Verlangen gehemmt wird, sondern auch die Frau verabscheuen, weil er gezwungen wird, das Bild der Geliebten mit dem Bild der Schamteile und Ausscheidungen des anderen zu verbinden. Schlielich kommt noch hinzu, da der Eifersˇchtige von der geliebten Frau nicht mit derselben Miene empfangen wird, die sie ihm sonst zeigte, auch dies eine Ursache, die den Liebenden traurig stimmt, wie ich jetzt zeigen werde. L e h r s a t z 3 6 . Wer sich eines Dinges erinnert, an dem er sich einmal erfreut hat, begehrt es unter denselben Gegebenheiten zu besitzen wie damals, als er sich zum ersten Mal an ihm erfreute. B e w e i s : Was auch immer ein Mensch zusammen mit einem Ding, das ihn erfreut hat, gesehen hat, wird (nach Lehrsatz 15 dieses Teils) eine zufllige Ursache von Freude sein; mithin wird er (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) begehren, all das zusammen mit dem Ding, das ihn erfreut hat, zu besitzen, anders formuliert, er wird begehren, das Ding unter denselben Gegebenheiten zu besitzen wie damals, als er sich zum ersten Mal an ihm erfreute. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Wenn der Liebende also bemerkt hat, da eine dieser Gegebenheiten fehlt, wird er traurig sein. B e w e i s : Sofern er nmlich bemerkt, da irgendeine Gegebenheit fehlt, stellt er sich etwas vor, das die Existenz dieses Dinges ausschliet. Weil er nun dieses Ding in seiner Gegebenheit (nach vorigem Lehrsatz) aus Liebe begehrt, wird er (nach Lehrsatz 19 dieses Teils), sofern er das Fehlen dieser Gegebenheit vorstellt, traurig sein. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Diese Trauer in Anbetracht der Abwesenheit dessen, was wir lieben, heit Sehnsucht. L e h r s a t z 3 7. Die Begierde, die aus Trauer oder Freude, aus Ha oder Liebe entspringt, ist umso gr˛er, je gr˛er der Affekt ist. B e w e i s : Trauer vermindert oder hemmt des Menschen Wirkungsmacht (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses
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prop. 7. hujus) conatum, quo homo in suo esse perseverare conatur, minuit vel coercet; adeoque (per prop. 5. hujus) huic conatui est contraria; et quicquid homo tristitia affectus conatur, est tristitiam amovere. At (per tristitiae defin.) quo tristitia major est, eo majori parti hominis agendi potentiae necesse est opponi; ergo quo major tristitia est, eo majore agendi potentia conabitur homo contra tristitiam amovere, hoc est (per schol. prop. 9. hujus), eo majore cupiditate sive appetitu conabitur tristitiam amovere. Deinde, quoniam laetitia (per idem schol. prop. 11. hujus) hominis agendi potentiam auget vel juvat, facile eadem via demonstratur, quod homo laetitia affectus nihil aliud cupit quam eandem conservare, idque eo majore |cupiditate, quo laetitia major erit. Denique, quoniam odium et amor sunt ipsi tristitiae vel laetitiae affectus, sequitur eodem modo, quod conatus, appetitus sive cupiditas, quae prae odio vel amore oritur, major erit pro ratione odii et amoris. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X X V I I I . Si quis rem amatam odio habere inceperit, ita ut amor plane aboleatur, eandem majore odio, ex pari causa, prosequetur, quam si ipsam nunquam amavisset, et eo majori, quo amor antea major fuerat. D e m o n s t ra t i o . Nam si quis rem, quam amat, odio habere incipit, plures ejus appetitus coercentur, quam si eandem non amavisset. Amor namque laetitia est (per schol. prop. 13. hujus), quam homo, quantum potest, (per prop. 28. hujus) conservare conatur; idque (per idem schol.) rem amatam ut praesentem contemplando eandemque (per prop. 21. hujus) laetitia, quantum potest, afficiendo, qui quidem cona-
14 tristitiae vel laetitiae] laet. v. trist. korr. Gebhardt nach NS
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Teils), d. h. (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) vermindert oder hemmt das Streben, mit dem ein Mensch in seinem Sein zu verharren strebt; mithin ist sie (nach Lehrsatz 5 dieses Teils) diesem Streben entgegengesetzt; und alles, wonach ein mit Trauer affizierter Mensch strebt, ist, Trauer zu beseitigen. Je gr˛er nun die Trauer (nach der Definition von Trauer) ist, desto gr˛er ist zwangslufig der Teil der menschlichen Wirkungsmacht, dem sie entgegensteht; je gr˛er die Trauer ist, desto gr˛er wird also die Wirkungsmacht sein, mit der der Mensch seinerseits strebt, die Trauer zu beseitigen, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils) desto gr˛er wird die Begierde oder der Trieb sein, mit dem er strebt, sie zu beseitigen. Ferner, weil Freude (nach der genannten Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) des Menschen Wirkungsmacht vermehrt oder f˛rdert, lt sich andererseits auf demselben Weg leicht beweisen, da der mit Freude affizierte Mensch nichts anderes begehrt, als sie zu erhalten und zwar mit umso gr˛erer Begierde, je gr˛er die Freude ist. Schlielich, weil Ha und Liebe selbst Affekte der Trauer oder Freude sind, folgt in gleicher Weise, da das Streben, also der Trieb oder die Begierde, die aus Ha oder Liebe entspringt, umso gr˛er sein wird, je gr˛er der Ha und die Liebe sind. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 8 . Wenn jemand ein geliebtes Ding so zu hassen beginnt, da die Liebe v˛llig verdrngt wird, wird er, bei gleicher Ursache, einen gr˛eren Ha auf es haben, als wenn er es nie geliebt htte, einen Ha, der umso gr˛er sein wird, je gr˛er die Liebe vorher war. B e w e i s : Denn wenn jemand ein Ding, das er liebt, zu hassen beginnt, werden mehr seiner Triebe gehemmt, als wenn er es nicht geliebt htte. Liebe ist nmlich (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) eine Freude, die der Mensch, soviel er kann (nach Lehrsatz 28 dieses Teils), zu erhalten strebt, indem er (nach der genannten Anmerkung) das geliebte Ding als gegenwrtig betrachtet und es (nach Lehrsatz 21 dieses Teils), soviel er kann, mit Freude affiziert; und
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tus (per prop. praec.) eo est major, quo amor major est, ut et conatus efficiendi, ut res amata ipsum contra amet (vid. prop. 33. hujus). At hi conatus odio erga rem amatam coercentur (per coroll. prop. 13. et per prop. 23. hujus); ergo amans (per schol. prop. 11. hujus) hac etiam de causa tristitia afficietur, et eo majori, quo amor major fuerat, hoc est, praeter tristitiam, quae odii fuit causa, alia ex eo oritur, quod rem amavit; et consequenter majore tristitiae affectu rem amatam contemplabitur, hoc est (per schol. prop. 13. hujus) majori odio prosequetur, quam si eandem non amavisset, et eo majori, quo amor major fuerat. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X X I X . Qui aliquem odio habet, ei malum inferre conabitur, nisi ex eo majus sibi malum oriri timeat; et contra, qui aliquem amat, ei eadem lege benefacere conabitur. | D e m o n s t ra t i o . Aliquem odio habere est (per schol. prop. 13. hujus) aliquem ut tristitiae causam imaginari; adeoque (per prop. 28. hujus) is, qui aliquem odio habet, eundem amovere vel destruere conabitur. Sed si inde aliquid tristius sive (quod idem est) majus malum sibi timeat idque se vitare posse credit non inferendo ei, quem odit, malum, quod meditabatur, a malo inferendo (per eandem prop. 28. hujus) abstinere cupiet; idque (per prop. 37. hujus) majore conatu, quam quo tenebatur inferendi malum, qui propterea praevalebit, ut volebamus. Secundae partis demonstratio eodem modo procedit. Ergo qui aliquem odio habet, etc. Q. e. d.
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dieses Streben ist (nach vorigem Lehrsatz) umso gr˛er, je gr˛er die Liebe ist und in eins damit das Streben, bei dem geliebten Ding eine Gegenliebe zu erwecken (siehe Lehrsatz 33 dieses Teils). Beide Formen dieses Strebens werden aber (nach Folgesatz zu Lehrsatz 13 und nach Lehrsatz 23 dieses Teils) von dem Ha auf das geliebte Ding gehemmt; also wird der Liebende (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) auch von dieser Ursache mit Trauer affiziert werden und umso mehr, je gr˛er seine Liebe war; d. h., neben der Trauer, die die Ursache seines Hasses war, entspringt eine weitere dem Tatbestand, da er das Ding geliebt hat; und folglich wird er das geliebte Ding mit einem gr˛eren Affekt der Trauer betrachten, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) einen gr˛eren Ha auf es haben, als wenn er es nicht geliebt htte, einen Ha, der umso gr˛er sein wird, je gr˛er die Liebe war. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 9. Wer jemanden hat, wird streben, ihm Schlechtes zuzufˇgen, es sei denn er fˇrchtet, da daraus ihm selbst ein gr˛erer Schaden entsteht; wer andererseits jemanden liebt, wird streben, ihm nach demselben Gesetz [der Motivation] Gutes zu erweisen. B e w e i s : Jemanden hassen heit (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) ihn sich als die Ursache einer Trauer vorstellen; wer jemanden hat, wird somit (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) streben, ihn wegzudrngen oder zu ruinieren. Allein wenn er fˇrchtet, da daraus ihm selbst mehr Trauer, also (was dasselbe ist) ein gr˛erer Schaden entsteht, und glaubt, dieser Trauer dadurch entgehen zu k˛nnen, da er dem Verhaten das ihm zugedachte Schlechte nicht zufˇgt, wird er (nach dem genannten Lehrsatz 28 dieses Teils) begehren, von dieser Schdigung abzusehen; und dieses Streben wird (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) gr˛er sein als dasjenige, das ihn n˛tigte, dem anderen Schlechtes zuzufˇgen; deshalb wird es mchtiger sein als jenes, wie wir behaupteten. Der Beweis des 2. Teils des Lehrsatzes wird in gleicher Weise gefˇhrt. Wer jemanden hat, wird folglich usw. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Per bonum hic intelligo omne genus laetitiae et quicquid porro ad eandem conducit, et praecipue id, quod desiderio, qualecunque illud sit, satisfacit. Per malum autem omne tristitiae genus, et praecipue id, quod desiderium frustratur. Supra enim (in schol. prop. 9. hujus) ostendimus nos nihil cupere, quia id bonum esse judicamus, sed contra id bonum vocamus, quod cupimus; et consequenter id, quod aversamur, malum appellamus; quare unusquisque ex suo affectu judicat seu aestimat, quid bonum, quid malum, quid melius, quid pejus, et quid denique optimum quidve pessimum sit. Sic avarus argenti copiam optimum, ejus autem inopiam pessimum judicat. Ambitiosus autem nihil aeque ac gloriam cupit, et contra nihil aeque ac pudorem reformidat. Invido deinde nihil jucundius quam alterius infelicitas et nihil molestius quam aliena felicitas; ac sic unusquisque ex suo affectu rem aliquam bonam aut malam, utilem aut inutilem esse judicat. Caeterum hic affectus, quo homo ita disponitur, ut id, quod vult, nolit, vel ut id, quod non vult, velit, timor vocatur, qui proinde nihil aliud est quam metus, quatenus homo ab eodem disponitur ad malum, quod futurum judicat, minore vitandum (vid. prop. 28. hujus). Sed si malum, quod timet, pudor sit, tum timor appellatur verecundia. Denique si cupiditas malum futurum vitandi coercetur ti|more alterius mali, ita ut quid potius velit, nesciat, tum metus vocatur consternatio, praecipue si utrumque malum, quod timetur, ex maximis sit. P r o p o s i t i o X L . Qui se odio haberi ab aliquo imaginatur nec se ullam odii causam illi dedisse credit, eundem odio contra habebit.
17 Caeterum] kein Absatz in OP
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A n m e r k u n g : Unter gut verstehe ich hier jede Art von Freude und zudem alles, was zu ihr beitrgt, und besonders das, was eine Sehnsucht, welche auch immer, erfˇllt, und unter schlecht jede Art von Trauer, und besonders das, was diese Sehnsucht unbefriedigt lt. Oben nmlich (in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils) haben wir gezeigt, da wir nicht etwas begehren, weil wir es fˇr gut halten, sondern im Gegenteil etwas gut nennen, weil wir es begehren; und folglich nennen wir das, was uns zuwider ist, schlecht. Deshalb beurteilt oder erachtet ein jeder von seinem je eigenen Affekt her, was gut ist und was schlecht, was besser ist und was schlechter, und schlielich was am besten ist und was am schlechtesten. So hlt der Habgierige einen Haufen Geld fˇr das Beste und Geldmangel fˇr das Schlechteste. Der Ehrgeizige begehrt nichts so sehr wie Ruhm und fˇrchtet nichts so sehr wie Scham. Dem Neidischen ist nichts angenehmer als des anderen Unglˇck und nichts rgerlicher als des anderen Glˇck. Und so ist es bei einem jeden, da er von seinem je eigenen Affekt her ein Ding als gut oder schlecht, als nˇtzlich oder schdlich beurteilt. brigens heit dieser Affekt, der einen Menschen so disponiert, da er das, was er m˛chte, nicht will oder das, was er nicht m˛chte, will, ngstlichkeit, die daher nichts anderes ist als Furcht, insofern sie einen Menschen disponiert, einen Schaden, den er fˇr erst kommend hlt, durch einen kleineren zu vermeiden (siehe Lehrsatz 28 dieses Teils). Ist der befˇrchtete Schaden aber Scham, dann wird die ngstlichkeit Schamgefˇhl genannt. Wird schlielich die Begierde, einen kommenden Schaden zu vermeiden, von ngstlichkeit vor einem anderen Schaden so gehemmt, da man nicht wei, was man lieber m˛chte, dann heit die Furcht Bestˇrzung, besonders wenn beide befˇrchteten Schden fˇr sehr gro gehalten werden. L e h r s a t z 4 0 . Wer sich vorstellt, von jemandem gehat zu werden, und glaubt, ihm keinen Anla zum Ha gegeben zu haben, wird ihn seinerseits hassen.
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D e m o n s t ra t i o . Qui aliquem odio affectum imaginatur, eo ipso etiam odio afficietur (per prop. 27. hujus), hoc est (per schol. prop. 13. hujus) tristitia concomitante idea causae externae. At ipse (per hypothesin) nullam hujus tristitiae causam imaginatur praeter illum, qui ipsum odio habet; ergo ex hoc, quod se odio haberi ab aliquo imaginatur, tristitia afficietur concomitante idea ejus, qui ipsum odio habet, sive (per idem schol.) eundem odio habebit. Q. e. d. S c h o l i u m . Quod si se justam odii causam praebuisse imaginatur, tum (per prop. 30. hujus et ejusdem schol.) pudore afficietur. Sed hoc (per prop. 25. hujus) raro contingit. Praeterea haec odii reciprocatio oriri etiam potest ex eo, quod odium sequatur conatus malum inferendi ei, qui odio habetur (per prop. 39. hujus). Qui igitur se odio haberi ab aliquo imaginatur, eundem alicujus mali sive tristitiae causam imaginabitur; atque adeo tristitia afficietur seu metu concomitante idea ejus, qui ipsum odio habet tanquam causa, hoc est odio contra afficietur, ut supra. C o r o l l a r i u m I . Qui, quem amat, odio erga se affectum imaginatur, odio et amore simul conflictabitur. Nam quatenus imaginatur ab eodem se odio haberi, determinatur (per prop. praeced.) ad eundem contra odio habendum. At (per hypothesin) ipsum nihilominus amat; ergo odio et amore simul conflictabitur.| C o r o l l a r i u m I I . Si aliquis imaginatur ab aliquo, quem antea nullo affectu prosecutus est, malum aliquod prae odio sibi illatum esse, statim idem malum eidem referre conabitur. D e m o n s t ra t i o . Qui aliquem odio erga se affectum esse imaginatur, eum contra (per praeced. prop.) odio habebit et
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B e w e i s : Wer sich vorstellt, da jemand mit Ha affiziert ist, wird ebendeshalb gleichfalls mit Ha affiziert werden (nach Lehrsatz 27 dieses Teils), d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) mit Trauer unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache. Nun stellt er sich (der Voraussetzung nach) keine andere Ursache dieser Trauer vor als jenen einen, der ihn hat; also wird er dadurch, da er sich vorstellt, von jemandem gehat zu werden, mit Trauer affiziert werden, die von der Idee desjenigen, der ihn hat, [als Ursache der Trauer] begleitet wird, d. h. (nach der genannten Anmerkung), er wird ihn hassen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wenn er sich vorstellt, hinlngliche Ursache fˇr diesen Ha gewesen zu sein, wird er (nach Lehrsatz 30 dieses Teils einschlielich Anmerkung) mit Scham affiziert werden, was freilich selten vorkommt (nach Lehrsatz 25 dieses Teils). Darˇber hinaus kann dieser gegenseitige Ha auch dem entspringen, da Ha ein Streben zur Folge hat, dem Verhaten Schlechtes zuzufˇgen (nach Lehrsatz 39 dieses Teils). Wer sich also vorstellt, von jemandem gehat zu werden, wird ihn sich als die Ursache von etwas Schlechtem, also einer Trauer vorstellen; mithin wird er mit Trauer oder Furcht affiziert werden, die von der Idee desjenigen, der ihn hat, als deren Ursache begleitet wird, d. h., er wird seinerseits mit Ha affiziert werden, wie oben. Fo l g e s a t z 1 : Wer sich vorstellt, da jemand, den er liebt, mit Ha auf ihn affiziert ist, wird von Ha und Liebe zugleich bedrngt werden. Denn sofern er sich vorstellt, von demjenigen, [den er liebt], gehat zu werden, wird er dazu bestimmt (nach vorigem Lehrsatz), ihn seinerseits zu hassen. Nun liebt er ihn (der Voraussetzung nach) gleichwohl; also wird er von Ha und Liebe zugleich bedrngt werden. Fo l g e s a t z 2 : Wenn jemand sich vorstellt, da ihm von jemandem, mit dem er vorher nicht affektiv verbunden war, ein Schaden aus Ha zugefˇgt worden ist, wird er auf der Stelle streben, dieser Person denselben Schaden zuzufˇgen. B e w e i s : Wer sich vorstellt, da jemand mit Ha auf ihn affiziert ist, wird ihn seinerseits hassen (nach vorigem Lehr-
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(per prop. 26. hujus) id omne comminisci conabitur, quod eundem possit tristitia afficere, atque id eidem (per prop. 39. hujus) inferre studebit. At (per hypothesin) primum, quod hujusmodi imaginatur, est malum sibi illatum; ergo idem statim eidem inferre conabitur. Q. e. d. S c h o l i u m . Conatus malum inferendi ei, quem odimus, ira vocatur; conatus autem malum nobis illatum referendi vindicta appellatur. P r o p o s i t i o X L I . Si quis ab aliquo se amari imaginatur nec se ullam ad id causam dedisse credit (quod per coroll. prop. 15. et per prop. 16. hujus fieri potest), eundem contra amabit. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio eadem via demonstratur ac praecedens. Cujus etiam scholium vide. S c h o l i u m . Quod si se justam amoris causam praebuisse crediderit, gloriabitur (per prop. 30. hujus cum ejusdem schol.), quod quidem (per prop. 25. hujus) frequentius contingit, et cujus contrarium evenire diximus, quando aliquis ab aliquo se odio haberi imaginatur (vide schol. prop. praeced.). Porro hic reciprocus amor et consequenter (per prop. 39. hujus) conatus benefaciendi ei, qui nos amat quique (per eandem prop. 39. hujus) nobis benefacere conatur, gratia seu gratitudo vocatur; atque adeo apparet homines longe paratiores esse ad vindictam quam ad referendum beneficium.| C o r o l l a r i u m . Qui ab eo, quem odio habet, se amari imaginatur, odio et amore simul conflictabitur. Quod eadem via qua primum propositionis praecedentis coroll. demonstratur. S c h o l i u m . Quod si odium praevaluerit, ei, a quo amatur, malum inferre conabitur, qui quidem affectus crudelitas
27 propositionis] Hinzufˇgung Gebhardt nach NS
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satz) und (nach Lehrsatz 26 dieses Teils) streben, sich an all das zu erinnern, was diese Person mit Trauer affizieren kann, also darauf aus sein (nach Lehrsatz 39 dieses Teils), es ihr zuzufˇgen. Nun ist (der Voraussetzung nach) in diesem Zusammenhang das erste, was er sich vorstellt, der ihm selbst zugefˇgte Schaden; also wird er auf der Stelle streben, dem anderen denselben Schaden zuzufˇgen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Das Streben, demjenigen Schaden zuzufˇgen, den wir hassen, heit Zorn, und das Streben, einen uns zugefˇgten Schaden zu erwidern, Rache. L e h r s a t z 4 1 . Wenn jemand sich vorstellt, von jemandem geliebt zu werden, und nicht glaubt, dafˇr einen Anla gegeben zu haben (was nach Folgesatz zu Lehrsatz 15 und nach Lehrsatz 16 dieses Teils geschehen kann), wird er diese Person seinerseits lieben. B e w e i s : Dieser Lehrsatz wird auf gleichem Weg bewiesen wie der vorige. Siehe auch dessen Anmerkung. A n m e r k u n g : Wenn er glaubt, hinlngliche Ursache fˇr diese Liebe gewesen zu sein, wird er sich rˇhmen (nach Lehrsatz 30 dieses Teils einschlielich Anmerkung); dies kommt in der Tat (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) hufiger vor und ist das Gegenteil von dem, was, wie gesagt, eintritt, wenn jemand sich vorstellt, von jemandem gehat zu werden (siehe Anmerkung zu vorigem Lehrsatz). Diese gegenseitige Liebe und folglich (nach Lehrsatz 39 dieses Teils) das Streben, demjenigen, der uns liebt und der (nach dem genannten Lehrsatz 39 dieses Teils) strebt, uns Gutes zu erweisen, seinerseits Gutes zu erweisen, heit Dank oder Dankbarkeit. Dies macht deutlich, da Menschen viel eher zur Rache als zur Erwiderung einer Wohltat bereit sind. Fo l g e s a t z : Wer sich vorstellt, von dem, den er hat, geliebt zu werden, wird von Ha und Liebe zugleich bedrngt werden. Dieser Satz wird auf gleichem Weg bewiesen wie Folgesatz 1 zu vorigem Lehrsatz. A n m e r k u n g : berwiegt der Ha, wird er streben, dem, der ihn liebt, Schlechtes zuzufˇgen. Dieser Affekt wird Grau-
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appellatur, praecipue si illum, qui amat, nullam odii communem causam praebuisse creditur.
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P r o p o s i t i o X L I I . Qui in aliquem, amore aut spe gloriae motus, beneficium contulit, contristabitur, si viderit beneficium ingrato animo accipi. D e m o n s t ra t i o . Qui rem aliquam sibi similem amat, conatur, quantum potest, efficere, ut ab ipsa contra ametur (per prop. 33. hujus). Qui igitur prae amore in aliquem beneficium contulit, id facit desiderio, quo tenetur, ut contra ametur, hoc est (per prop. 34. hujus) spe gloriae sive (per schol. prop. 30. hujus) laetitiae; adeoque (per prop. 12. hujus) hanc gloriae causam, quantum potest, imaginari sive ut actu existentem contemplari conabitur. At (per hypothesin) aliud imaginatur, quod ejusdem causae existentiam secludit; ergo (per prop. 19. hujus) eo ipso contristabitur. Q. e. d. P r o p o s i t i o X L I I I . Odium reciproco odio augetur, et amore contra deleri potest. D e m o n s t ra t i o . Qui eum, quem odit, odio contra erga se affectum esse imaginatur, eo ipso (per prop. 40. hujus) novum odium oritur, durante (per hypothesin) adhuc primo. Sed si contra eundem amore erga se affectum esse imaginetur, quatenus hoc imaginatur, eatenus (per prop. 30. hujus) se ipsum cum laetitia contemplatur, et | eatenus (per prop. 29. hujus) eidem placere conabitur, hoc est (per prop. 41. hujus) eatenus conatur ipsum odio non habere nullaque tristitia afficere; qui quidem conatus (per prop. 37. hujus) major vel minor erit pro ratione affectus, ex quo oritur; atque adeo si major fuerit illo, qui ex odio oritur et quo rem, quam odit (per
24 prop. 41.] prop. 40. korr. Gebhardt
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samkeit genannt, besonders unter der Annahme, der, der liebt, habe keinen weithin akzeptierten Anla zu Ha gegeben. L e h r s a t z 4 2 . Wer aus Liebe oder in der Hoffnung auf Ruhm jemandem Gutes erwiesen hat, wird traurig sein, wenn er sieht, da sein Wohltun mit undankbarer Haltung aufgenommen wird. B e w e i s : Wer ein ihm hnliches Ding liebt, strebt, soviel er kann, zu erreichen, da er von ihm wiedergeliebt wird (nach Lehrsatz 33 dieses Teils). Wer also jemandem Gutes aus Liebe erwiesen hat, tut es aus ihn einnehmender Sehnsucht, wiedergeliebt zu werden, d. h. (nach Lehrsatz 34 dieses Teils) aus Hoffnung auf Ruhm, anders formuliert (nach Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils) [in Erwartung] von Freude; mithin wird er (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) streben, soviel er kann, sich diese Ursache von Ruhm vorzustellen, d. h. sie als wirklich existierend zu betrachten. Nun stellt er sich (der Voraussetzung nach) aber etwas vor, das die Existenz dieser Ursache ausschliet; also wird er (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) ebendeshalb traurig sein. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 3 . Ha wird ˇber Erwiderung von Ha vermehrt und kann andererseits von Liebe getilgt werden. B e w e i s : Wer sich vorstellt, da der, den er hat, mit Ha auf ihn affiziert ist, wird ebendeshalb (nach Lehrsatz 40 dieses Teils) mit neuem Ha erfˇllt, whrend der erste (der Voraussetzung nach) noch anhlt. Wenn er sich andererseits vorstellt, da jener mit Liebe zu ihm affiziert ist, betrachtet er, insofern er sich dies vorstellt (nach Lehrsatz 30 dieses Teils), sich selbst mit Freude und wird (nach Lehrsatz 29 dieses Teils) insofern streben, jenem zu gefallen; d. h., in diesem Mae strebt er (nach Lehrsatz 41 dieses Teils), ihn nicht zu hassen und nicht mit Trauer zu affizieren; und dieses Streben wird (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) gr˛er oder kleiner sein je nach der Gr˛e des Affekts, dem es entspringt; ist es gr˛er als dasjenige, das Ha entspringt und mit dem er das verhate
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prop. 26. hujus), tristitia afficere conatur, ei praevalebit et odium ex animo delebit. Q. e. d.
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P r o p o s i t i o X L I V. Odium, quod amore plane vincitur, in amorem transit; et amor propterea major est, quam si odium non praecessisset. D e m o n s t ra t i o . Eodem modo procedit ac propositionis 38. hujus. Nam qui rem, quam odit sive quam cum tristitia contemplari solebat, amare incipit, eo ipso, quod amat, laetatur, et huic laetitiae, quam amor involvit (vide ejus defin. in schol. prop. 13. hujus), illa etiam accedit, quae ex eo oritur, quod conatus amovendi tristitiam, quam odium involvit (ut in prop. 37. hujus ostendimus), prorsus juvatur concomitante idea ejus, quem odio habuit, tanquam causa. S c h o l i u m . Quamvis res ita se habeat, nemo tamen conabitur rem aliquam odio habere vel tristitia affici, ut majori hac laetitia fruatur; hoc est, nemo spe damnum recuperandi damnum sibi inferri cupiet, nec aegrotare desiderabit spe convalescendi. Nam unusquisque suum esse conservare et tristitiam, quantum potest, amovere semper conabitur. Quod si contra concipi posset hominem posse cupere aliquem odio habere, ut eum postea majori amore prosequatur, tum eundem odio habere semper desiderabit. Nam quo odium majus fuerit, eo amor erit major, atque adeo desiderabit semper, ut odium magis magisque augeatur, et eadem de causa homo magis ac magis aegrotare conabitur, ut majori laetitia ex restauranda valetudine postea fruatur; atque adeo semper aegrotare conabitur, quod (per prop. 6. hujus) est absurdum.|
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Ding (nach Lehrsatz 26 dieses Teils) mit Trauer zu affizieren strebt, wird es mithin das andere ˇberwiegen und den Ha in seinem Gemˇt tilgen. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 4 . Ha, der von Liebe vollstndig besiegt wird, geht in Liebe ˇber; und die Liebe ist dann gr˛er, als wenn Ha ihr nicht vorausgegangen wre. B e w e i s : Der Beweis wird in gleicher Weise gefˇhrt wie bei Lehrsatz 38 dieses Teils. Denn wer ein Ding, das er hat, also mit Trauer zu betrachten gewohnt war, zu lieben beginnt, freut sich allein deshalb schon, weil er liebt; und zu dieser in Liebe enthaltenen Freude (siehe deren Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) kommt noch jene hinzu, die dem entspringt, da das Streben, die in Ha enthaltene Trauer zu beseitigen, gerade (wie wir in Lehrsatz 37 dieses Teils gezeigt haben) gestrkt wird, [wenn] es begleitet wird von der Idee desjenigen, den man gehat hat und [jetzt] als eine Ursache [von Freude ansieht]. A n m e r k u n g : Gleichwohl, wenn es sich auch so verhlt, niemand wird deshalb streben, ein Ding zu hassen, d. h. sich selbst mit Trauer zu affizieren, nur um die beschriebene gr˛ere Freude zu genieen; d. h. niemand wird begehren, Unrecht zu erleiden in der Hoffnung auf Entschdigung, oder wˇnschen, krank daniederzuliegen in der Hoffnung auf Genesung. Denn ein jeder wird von jeher streben, sein Sein zu erhalten und Trauer, soviel er kann, zu beseitigen. Liee sich demgegenˇber denken, ein Mensch k˛nnte begehren, jemanden zu hassen, um ihm spter mit gr˛erer Liebe zugetan zu sein, dann wre es so, da dieser Mensch allzeit wˇnschte, ihn zu hassen. Denn je gr˛er der Ha war, desto gr˛er wird die Liebe sein und er also allzeit wˇnschen, da sein Ha gr˛er und gr˛er wird; und dieselbe Ursache machte es, da ein Mensch streben wird, mehr und mehr krank zu werden, um nachher aus der Wiederherstellung seiner Gesundheit eine gr˛ere Freude zu genieen; mithin wird er allzeit streben, krank daniederzuliegen, was (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) widersinnig ist.
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P r o p o s i t i o X LV. Si quis aliquem sibi similem odio in rem sibi similem, quam amat, affectum esse imaginatur, eum odio habebit. D e m o n s t ra t i o . Nam res amata eum, qui ipsam odit, odio contra habet (per prop. 40. hujus); adeoque amans, qui aliquem imaginatur rem amatam odio habere, eo ipso rem amatam odio, hoc est (per schol. prop. 13. hujus) tristitia, affectam esse imaginatur, et consequenter (per prop. 21. hujus) contristatur idque concomitante idea ejus, qui rem amatam odit, tanquam causa, hoc est (per schol. prop. 13. hujus), ipsum odio habebit. Q. e. d. P r o p o s i t i o X LV I . Si quis ab aliquo cujusdam classis sive nationis a sua diversae laetitia vel tristitia affectus fuerit concomitante ejus idea, sub nomine universali classis vel nationis, tanquam causa, is non tantum illum, sed omnes ejusdem classis vel nationis amabit vel odio habebit. D e m o n s t ra t i o . Hujus rei demonstratio patet ex propositione 16. hujus partis. P r o p o s i t i o X LV I I . Laetitia, quae ex eo oritur, quod scilicet rem, quam odimus, destrui aut alio malo affici imaginamur, non oritur absque ulla animi tristitia. D e m o n s t ra t i o . Patet ex prop. 27. hujus. Nam quatenus rem nobis similem tristitia affici imaginamur, eatenus contristamur. S c h o l i u m . Potest haec propositio etiam demonstrari ex corollario propositionis 17. partis 2. Quoties enim rei recordamur, quamvis | ipsa actu non existat, eandem tamen ut praesentem contemplamur, corpusque eodem modo afficitur; quare quatenus rei memoria viget, eatenus homo deter-
27 tamen] tantum korr. Gebhardt nach NS
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L e h r s a t z 4 5 . Wenn jemand sich vorstellt, da jemand, der ihm hnlich ist, mit Ha auf ein ihm hnliches Ding, das er liebt, affiziert ist, wird er diese Person hassen. B e w e i s : Denn das geliebte Ding hat seinerseits den, der es hat (nach Lehrsatz 40 dieses Teils); mithin stellt sich der Liebende, der sich vorstellt, da jemand das geliebte Ding hat, ebendeshalb das geliebte Ding als mit Ha, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) mit Trauer, affiziert vor; und folglich ist er (nach Lehrsatz 21 dieses Teils) traurig und zwar unter Begleitung der Idee desjenigen, der das geliebte Ding hat und den er als die Ursache [der Trauer ansieht], d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils), er wird ihn hassen. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 6 . Wenn jemand von jemandem eines anderen Standes oder einer fremden Nation mit Freude oder Trauer affiziert worden ist und dies unter Begleitung der Idee dieser Person als Ursache unter dem allgemeinen Namen des Standes oder der Nation, wird er nicht blo diesen einen, sondern alle Angeh˛rigen desselben Standes oder derselben Nation lieben oder hassen. B e w e i s : Der Beweis dieses Sachverhalts ist aus Lehrsatz 16 dieses Teils evident. L e h r s a t z 4 7. Die Freude, die dem entspringt, da wir uns vorstellen, ein verhates Ding werde zerst˛rt oder erleide irgendeinen Schaden, entsteht nicht ohne einige Trauer des Gemˇts. B e w e i s : Der Beweis ist aus Lehrsatz 27 dieses Teils evident. Denn insofern wir uns ein Ding, das uns hnlich ist, als mit Trauer affiziert vorstellen, sind wir selbst traurig. A n m e r k u n g : Dieser Lehrsatz lt sich auch aus dem Folgesatz zu Lehrsatz 17 des 2. Teils beweisen. Sooft wir uns nmlich eines Dinges erinnern, betrachten wir es, selbst wenn es nicht wirklich existiert, als gegenwrtig, wobei auch der K˛rper in gleicher Weise affiziert wird. Sofern die Erinnerung an das Ding lebhaft ist, wird der Mensch deshalb dazu
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minatur ad eandem cum tristitia contemplandum, quae determinatio, manente adhuc rei imagine, coercetur quidem memoria illarum rerum, quae hujus existentiam secludunt, sed non tollitur; atque adeo homo eatenus tantum laetatur, quatenus haec determinatio coercetur; et hinc fit, ut haec laetitia, quae ex rei, quam odimus, malo oritur, toties repetatur, quoties ejusdem rei recordamur. Nam, uti diximus, quando ejusdem rei imago excitatur, quia haec ipsius rei existentiam involvit, hominem determinat ad rem cum eadem tristitia contemplandum, qua eandem contemplari solebat, cum ipsa existeret. Sed quia ejusdem rei imagini alias junxit, quae ejusdem existentiam secludunt, ideo haec ad tristitiam determinatio statim coercetur, et homo de novo laetatur, et hoc toties, quoties haec repetitio fit. Atque haec eadem est causa, cur homines laetantur, quoties alicujus jam praeteriti mali recordantur, et cur pericula, a quibus liberati sunt, narrare gaudeant. Nam ubi aliquod periculum imaginantur, idem veluti adhuc futurum contemplantur et ad id metuendum determinantur, quae determinatio de novo coercetur idea libertatis, quam hujus periculi ideae junxerunt, cum ab eodem liberati sunt, quaeque eos de novo securos reddit, atque adeo de novo laetantur. P r o p o s i t i o X LV I I I . Amor et odium, ex. gr. erga Petrum, destruitur, si tristitia, quam hoc, et laetitia, quam ille involvit, ideae alterius causae jungatur; et eatenus uterque diminuitur, quatenus imaginamur Petrum non solum fuisse alterutrius causam. D e m o n s t ra t i o . Patet ex sola amoris et odii definitione; quam vide in schol. prop. 13. hujus. Nam propter hoc solum laetitia vocatur amor et tristitia odium erga Petrum, quia scilicet Petrus hujus vel illius affectus causa esse consideratur.
31 affectus] effectus korr. Gebhardt nach NS
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bestimmt, es mit Trauer zu betrachten, ein Bestimmtsein, das, solange das Vorstellungsbild des Dinges andauert, von der Erinnerung an Dinge, die seine Existenz ausschlieen, zwar gehemmt, aber nicht aufgehoben wird. Mithin freut sich der Mensch nur in dem Mae, wie dieses Bestimmtsein gehemmt wird. Daher kommt es, da die Freude, die dem Unglˇck des verhaten Dinges entspringt, sich so oft erneuert, wie wir uns an dieses Ding erinnern. Denn, wie gesagt, sobald das Vorstellungsbild dieses Dinges wieder auftaucht, bestimmt es, weil es die Existenz des Dinges in sich schliet, den Menschen, das Ding mit derselben Trauer zu betrachten, mit der er es zu betrachten pflegte, als es existierte. Weil er aber mit dem Vorstellungsbild dieses Dinges andere Vorstellungsbilder verbunden hat, die dessen Existenz ausschlieen, wird dieses Bestimmtsein zu trauern auf der Stelle gehemmt, und der Mensch freut sich erneut und das so oft, wie sich dies wiederholt. Dies ist auch die Ursache, warum Menschen sich freuen, sooft sie sich einer bereits vergangenen Schdigung erinnern, und weshalb sie so gern von Gefahren erzhlen, aus denen sie befreit worden sind. Denn sobald sie sich eine Gefahr vorstellen, betrachten sie sie als zukˇnftig und werden bestimmt, sie zu fˇrchten, welches Bestimmtsein von der Idee des Befreitwerdens wiederum gehemmt wird, die sie mit der Idee dieser Gefahr verbunden hatten, als sie aus ihr befreit wurden, und die ihnen neue Sicherheit gibt, so da sie sich von neuem freuen. L e h r s a t z 4 8 . Liebe oder Ha, z. B. gegenˇber Peter, wird aufgehoben, wenn die Trauer, die der eine Affekt einschliet, oder die Freude, die der andere einschliet, mit der Idee einer anderen Ursache verbunden wird; und beide Affekte werden in dem Mae schwcher, wie wir uns vorstellen, da nicht allein Peter deren Ursache gewesen ist. B e w e i s : Das ist aus der bloen Definition von Liebe und Ha evident ^ siehe Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils. Denn allein deshalb heit die Freude Liebe zu Peter und die Trauer Ha auf ihn, weil Peter es ist, der als die Ursache des
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Hoc itaque prorsus vel | ex parte sublato, affectus quoque erga Petrum prorsus vel ex parte diminuitur. Q. e. d.
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P r o p o s i t i o X L I X . Amor et odium erga rem, quam liberam esse imaginamur, major ex pari causa uterque debet esse quam erga necessariam. D e m o n s t ra t i o . Res, quam liberam esse imaginamur, debet (per defin. 7. p. 1.) per se absque aliis percipi. Si igitur eandem laetitiae vel tristitiae causam esse imaginemur, eo ipso (per schol. prop. 13. hujus) eandem amabimus vel odio habebimus, idque (per prop. praeced.) summo amore vel odio, qui ex dato affectu oriri potest. Sed si rem, quae ejusdem affectus est causa, ut necessariam imaginemur, tum (per eandem defin. 7. p. 1.) ipsam non solam, sed cum aliis ejusdem affectus causam esse imaginabimur, atque adeo (per prop. praec.) amor et odium erga ipsam minor erit. Q. e. d. S c h o l i u m . Hinc sequitur homines, quia se liberos esse existimant, majore amore vel odio se invicem prosequi quam alia; ad quod accedit affectuum imitatio, de qua vide prop. 27., 34., 40. et 43. hujus. P r o p o s i t i o L . Res quaecunque potest esse per accidens spei aut metus causa. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio eadem via demonstratur qua propositio 15. hujus, quam vide una cum schol. 2. propositionis 18. hujus. S c h o l i u m . Res, quae per accidens spei aut metus sunt causae, bona aut mala omina vocantur. Deinde quatenus haec eadem omina sunt spei aut metus causae, eatenus (per
23 schol. 2.] schol. Hinzufˇgung W. B., Baensch und Curley folgend 27 causae] causa korr.W. B., Akkerman folgend
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einen oder des anderen Affekts angesehen wird. Entfllt diese Ansicht also ganz oder zum Teil, wird auch der Affekt gegenˇber Peter ganz oder zum Teil schwcher. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 9. Liebe oder Ha gegenˇber einem Ding, von dem wir uns vorstellen, es sei frei, mu bei gleicher Ursache gr˛er sein als gegenˇber einem Ding, [von dem wir uns vorstellen, es sei] notwendig. B e w e i s : Ein Ding, von dem wir uns vorstellen, es sei frei, mu (nach Definition 7 des 1. Teils) durch sich selbst ohne andere Dinge wahrgenommen werden. Wenn wir es also als die Ursache von Freude oder Trauer vorstellen, werden wir es ebendeshalb (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) lieben oder hassen und zwar (nach vorigem Lehrsatz) mit dem h˛chsten Grad von Liebe oder Ha, der dem gegebenen Affekt entspringen kann. Wenn wir uns hingegen das Ding, das die Ursache dieses Affekts ist, als notwendig vorstellen, dann werden wir (nach der genannten Definition 7 des 1. Teils) es uns als etwas vorstellen, das nicht allein, sondern zusammen mit anderen Dingen die Ursache dieses Affekts ist; mithin wird (nach vorigem Lehrsatz) unsere Liebe oder unser Ha ihm gegenˇber kleiner sein. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Hieraus folgt, da Menschen, weil sie sich fˇr frei halten, eine gr˛ere Liebe oder einen gr˛eren Ha zueinander als gegenˇber anderen Dingen haben; hinzu kommt noch die Nachahmung der Affekte ^ siehe dazu Lehrsatz 27, 34, 40 und 43 dieses Teils. L e h r s a t z 5 0 . Ein jedes Ding kann durch Zufall die Ursache von Hoffnung oder Furcht sein. B e w e i s : Dieser Lehrsatz wird auf gleichem Weg bewiesen wie Lehrsatz 15 dieses Teils; siehe diesen zusammen mit Anmerkung 2 zu Lehrsatz 18 dieses Teils. A n m e r k u n g : Dinge, die durch Zufall Ursachen von Hoffnung oder Furcht sind, heien gute oder schlechte Vorzeichen. Sind diese Vorzeichen Ursachen von Hoffnung oder Furcht, dann sind sie auch Ursachen von Freude oder Trauer
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defin. spei et metus, quam vid. in schol. 2. prop. 18. hujus) laetitiae aut tristitiae sunt causae, et | consequenter (per coroll. prop. 15. hujus) eatenus eadem amamus vel odio habemus et (per prop. 28. hujus) tanquam media ad ea, quae speramus, adhibere, vel tanquam obstacula aut metus causas amovere conamur. Praeterea ex propositione 25. hujus sequitur nos natura ita esse constitutos, ut ea, quae speramus, facile, quae autem timemus, difficile credamus, et ut de iis plus minusve justo sentiamus. Atque ex his ortae sunt superstitiones, quibus homines ubique conflictantur. Caeterum non puto operae esse pretium animi hic ostendere fluctuationes, quae ex spe et metu oriuntur; quandoquidem ex sola horum affectuum definitione sequitur non dari spem sine metu neque metum sine spe (ut fusius suo loco explicabimus); et praeterea quandoquidem quatenus aliquid speramus aut metuimus, eatenus idem amamus vel odio habemus; atque adeo quicquid de amore et odio diximus, facile unusquisque spei et metui applicare poterit. P r o p o s i t i o L I . Diversi homines ab uno eodemque objecto diversimode affici possunt, et unus idemque homo ab uno eodemque objecto potest diversis temporibus diversimode affici. D e m o n s t ra t i o . Corpus humanum (per post. 3. p. 2.) a corporibus externis plurimis modis afficitur. Possunt igitur eodem tempore duo homines diversimode esse affecti; atque adeo (per axiom. 1., quod est post lemma 3., quod vide post prop. 13. p. 2.) ab uno eodemque objecto possunt diversimode affici. Deinde (per idem post.) corpus humanum potest jam hoc, jam alio modo esse affectum; et consequenter (per
2 causae] causa korr.W. B., Akkerman folgend
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(nach der Definition von Hoffnung und Furcht in Anmerkung 2 zu Lehrsatz 18 dieses Teils); folglich lieben oder hassen wir sie (nach Folgesatz zu Lehrsatz 15 dieses Teils) und streben (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) sie entweder als Mittel fˇr von uns Erhofftes zu gebrauchen oder als etwas, das dem im Wege steht, d. h. als Ursachen von Furcht, zu beseitigen. Des weiteren sind wir, wie aus Lehrsatz 25 dieses Teils folgt, von Natur aus so verfat, da wir das, was wir erhoffen, leicht und das, wovor wir uns fˇrchten, nur schwer glauben, und da wir von dem einen mehr, von dem anderen weniger halten als recht ist. Das ist der Ursprung von mancherlei Aberglauben, von dem Menschen allenthalben mitgenommen werden. brigens ist es wohl nicht der Mˇhe wert, hier die Hoffnung und Furcht entspringenden Schwankungen des Gemˇts aufzuzeigen, da ja aus der bloen Definition dieser Affekte folgt, da es keine Hoffnung ohne Furcht und keine Furcht ohne Hoffnung gibt (wie wir ausfˇhrlicher an seinem Ort darlegen werden); und auerdem, insofern wir etwas erhoffen oder befˇrchten, lieben oder hassen wir es auch, so da jeder das zu Liebe und Ha Gesagte leicht auf Hoffnung und Furcht wird ˇbertragen k˛nnen. L e h r s a t z 51 . Verschiedene Menschen k˛nnen von ein und demselben Gegenstand verschiedenartig affiziert werden; und ein und derselbe Mensch kann von ein und demselben Gegenstand zu verschiedenen Zeiten verschiedenartig affiziert werden. B e w e i s : Der menschliche K˛rper wird (nach Postulat 3 des 2. Teils) von ueren K˛rpern auf sehr viele Weisen affiziert. Demnach k˛nnen zwei Menschen zu derselben Zeit verschiedenartig affiziert sein; mithin k˛nnen sie (nach Axiom 1 hinter Hilfssatz 3, den man hinter Lehrsatz 13 des 2. Teils nachsehen m˛ge) von ein und demselben Gegenstand verschiedenartig affiziert werden. Ferner kann der menschliche K˛rper (nach dem genannten Postulat) bald auf diese, bald auf eine andere Weise affiziert sein; folglich kann der Mensch (nach dem genannten Axiom) von ein und demsel-
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idem axiom.) ab uno eodemque objecto diversis temporibus diversimode affici. Q. e. d. S c h o l i u m . Videmus itaque fieri posse, ut quod hic amat, alter odio habeat; et quod hic metuit, alter non metuat; et ut unus idemque homo jam amet, quod antea oderit, et ut jam audeat, quod antea timuit, etc. Deinde, quia unusquisque ex suo affectu judi|cat, quid bonum, quid malum, quid melius et quid pejus sit (vide schol. prop. 39. hujus), sequitur homines tam judicio quam affectu variare 1 posse; et hinc fit, ut cum alios aliis comparamus, ex sola affectuum differentia a nobis distinguantur, et ut alios intrepidos, alios timidos, alios denique alio nomine appellemus. Ex. gr. illum ergo intrepidum vocabo, qui malum contemnit, quod ego timere soleo; et si praeterea ad hoc attendam, quod ejus cupiditas malum inferendi ei, quem odit, et benefaciendi ei, quem amat, non coercetur timore mali, a quo ego contineri soleo, ipsum audacem appellabo. Deinde ille mihi timidus videbitur, qui malum timet, quod ego contemnere soleo, et si insuper ad hoc attendam, quod ejus cupiditas coercetur timore mali, quod me continere nequit, ipsum pusillanimem esse dicam, et sic unusquisque judicabit. Denique ex hac hominis natura et judicii inconstantia, ut et quod homo saepe ex solo affectu de rebus judicat et quod res, quas ad laetitiam vel tristitiam facere credit quasque propterea (per prop. 28. hujus) ut fiant promovere vel amovere conatur, saepe non nisi imaginariae sint, ut jam taceam alia, quae in 2. parte ostendimus de rerum incertitudine, fa1
N. B. Posse hoc fieri, tametsi mens humana pars esset divini intellectus, ostendimus in schol. prop. 17. p. 2.
21 Denique] kein Absatz in OP 9 prop. 17.] Gebhardt liest prop. 13. 28
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ben Gegenstand zu verschiedenen Zeiten verschiedenartig affiziert werden. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wir sehen also, wie es kommen kann, da der eine liebt, was der andere hat, und der eine fˇrchtet, was der andere nicht fˇrchtet, und da ein und derselbe Mensch jetzt liebt, was er frˇher hate, und jetzt wagt, wovor er sich frˇher fˇrchtete, usw. Da ferner ein jeder nach seinem je eigenen Affekt urteilt, was gut, was schlecht, was besser und was schlechter ist (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 39 dieses Teils), folgt, da Menschen im Urteil so verschieden 1 sein k˛nnen wie im Affekt; das macht es, da wir sie, wenn wir sie miteinander vergleichen, allein nach einer Verschiedenheit ihrer Affekte unterscheiden und einige als unerschrocken, andere als ngstlich bezeichnen, andere schlielich mit einem anderen Wort. Z. B. werde ich denjenigen unerschrocken nennen, der einen Schaden, den ich in der Regel fˇrchte, nicht weiter beachtet; berˇcksichtige ich auerdem, da seine Begierde, einem Verhaten Schlechtes zuzufˇgen und einem Geliebten Gutes zu erweisen, von Furcht vor einem Schaden, der mich in der Regel zurˇckhlt, nicht gehemmt wird, werde ich ihn waghalsig nennen. Des weiteren wird mir derjenige als ngstlich erscheinen, der einen Schaden, den ich nicht weiter beachte, fˇrchtet; und berˇcksichtige ich auerdem, da seine Begierde von Furcht vor einem Schaden, der mich in der Regel nicht zurˇckhlt, gehemmt wird, werde ich ihn feige nennen; und so wird ein jeder urteilen. Schlielich: Bei einer solchen Natur des Menschen und der Unbestndigkeit seines Urteils, die es machen, da der Mensch Dinge hufig aus bloem Affekt beurteilt und da die Dinge, die seiner Meinung nach zu Freude oder Trauer fˇhren und die er deshalb (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) voranzubringen oder niederzuhalten strebt, oft nichts als Einbildungen sind ^ von anderem, was wir ˇber die Ungewiheit 1
Bemerkung: Da dies m˛glich ist, obwohl der menschliche Geist Teil des g˛ttlichen Verstandes ist, haben wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils gezeigt.
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cile concipimus hominem posse saepe in causa esse, tam ut constristetur quam ut laetetur, sive ut tam tristitia quam laetitia afficiatur concomitante idea sui tanquam causa; atque adeo facile intelligimus, quid poenitentia et quid acquiescentia in se ipso sit. Nempe poenitentia est tristitia concomitante idea sui, et acquiescentia in se ipso est laetitia concomitante idea sui tanquam causa, et hi affectus vehementissimi sunt, quia homines se liberos esse credunt (vid. prop. 49. hujus). P r o p o s i t i o L I I . Objectum, quod simul cum aliis antea vidimus, vel quod nihil habere imaginamur, nisi quod commune est pluribus, non tamdiu contemplabimur ac illud, quod aliquid singulare habere imaginamur.| D e m o n s t ra t i o . Simulatque objectum, quod cum aliis vidimus, imaginamur, statim et aliorum recordamur (per prop. 18. p. 2., cujus etiam schol. vide), et sic ex unius contemplatione statim in contemplationem alterius incidimus. Atque eadem est ratio objecti, quod nihil habere imaginamur, nisi quod commune est pluribus. Nam eo ipso supponimus nos nihil in eo contemplari, quod antea cum aliis non viderimus. Verum cum supponimus nos in objecto aliquo aliquid singulare, quod antea nunquam vidimus, imaginari, nihil aliud dicimus, quam quod mens, dum illud objectum contemplatur, nullum aliud in se habeat, in cujus contemplationem ex contemplatione illius incidere potest; atque adeo ad illud solum contemplandum determinata est. Ergo objectum, etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec mentis affectio sive rei singularis imaginatio, quatenus sola in mente versatur, vocatur admiratio,
5 ipso] ipsa korr. Gebhardt
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von Sachverhalten im 2. Teil dargelegt haben, ganz zu schweigen ^ , begreifen wir leicht, da der Mensch oft selbst die Ursache [seiner Affektivitt] sein kann, sowohl da er traurig ist wie da er sich freut, anders formuliert, da die Idee seiner selbst die Ursache dafˇr ist, da er mit Trauer wie mit Freude affiziert wird. So verstehen wir leicht, was Reue und was Selbstzufriedenheit ist; Reue [eines Menschen] ist Trauer unter Begleitung der Idee seiner selbst als deren Ursache und Selbstzufriedenheit Freude unter Begleitung der Idee seiner selbst als deren Ursache; diese Affekte sind besonders heftig, weil Menschen sich fˇr frei halten (siehe Lehrsatz 49 dieses Teils). L e h r s a t z 5 2 . Einen Gegenstand, den wir frˇher zusammen mit anderen gesehen haben oder von dem wir nur das vorstellen, was er mit vielen anderen Dingen gemeinsam hat, werden wir nicht so lange betrachten wie einen, an dem wir etwas Einzigartiges vorstellen. B e w e i s : Sobald wir einen Gegenstand, den wir zusammen mit anderen gesehen haben, vorstellen, erinnern wir uns sofort auch der anderen (nach Lehrsatz 18 des 2. Teils einschlielich Anmerkung), und so verfallen wir von der Betrachtung des einen Gegenstandes auf der Stelle in die Betrachtung eines anderen. Und ebenso ist es bei einem Gegenstand, von dem wir nur das vorstellen, was er mit vielen anderen Dingen gemeinsam hat. Denn ihn so vorzustellen setzt voraus, da wir in ihm nichts betrachten, was wir nicht schon frˇher zusammen mit anderen Dingen gesehen haben. Setzen wir aber voraus, da wir in einem Gegenstand etwas Einzigartiges vorstellen, das wir frˇher niemals gesehen haben, dann sagen wir lediglich dies, da der Geist whrend der Betrachtung dieses Gegenstandes nichts Weiteres in sich hat, in dessen Betrachtung er aus der Betrachtung jenes Einzigartigen verfallen kann; mithin ist er bestimmt, nur dieses zu betrachten. Einen Gegenstand also, usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Diese Affektion des Geistes, anders formuliert diese Vorstellung eines Einzeldinges, insofern allein
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quae si ab objecto, quod timemus, moveatur, consternatio dicitur, quia mali admiratio hominem suspensum in sola sui contemplatione ita tenet, ut de aliis cogitare non valeat, quibus illud malum vitare posset. Sed si id, quod admiramur, sit hominis alicujus prudentia, industria vel aliquid hujusmodi, quia eo ipso hominem nobis longe antecellere contemplamur, tum admiratio vocatur veneratio; alias horror, si hominis iram, invidiam etc. admiramur. Deinde, si hominis, quem amamus, prudentiam, industriam etc. admiramur, amor eo ipso (per prop. 12. hujus) major erit, et hunc amorem admirationi sive venerationi junctum devotionem vocamus. Et ad hunc modum concipere etiam possumus odium, spem, securitatem et alios affectus admirationi junctos; atque adeo plures affectus deducere poterimus, quam qui receptis vocabulis indicari solent. Unde apparet affectuum nomina inventa esse magis ex eorum vulgari usu quam ex eorundem accurata cognitione. Admirationi opponitur contemptus, cujus tamen causa haec plerumque est, quod sc. ex eo, quod aliquem rem aliquam ad|mirari, amare, metuere etc. videmus, vel ex eo, quod res aliqua primo aspectu apparet similis rebus, quas admiramur, amamus, metuimus etc. (per prop. 15. cum ejus coroll. et prop. 27. hujus), determinamur ad eandem rem admirandum, amandum, metuendum etc. Sed si ex ipsius rei praesentia vel accuratiore contemplatione id omne de eadem negare cogamur, quod causa admirationis, amoris, metus etc. esse potest, tum mens ex ipsa rei praesentia magis ad ea cogitandum, quae in objecto non sunt, quam quae in ipso sunt, determinata manet; cum tamen contra ex objecti praesentia id
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sie im Geist ist, heit Erstaunen. Wird sie von einem Gegenstand hervorgerufen, den wir fˇrchten, heit sie Bestˇrzung, weil das Erstaunen ˇber etwas Schlechtes einen Menschen so an dessen Betrachtung fesselt, da er nicht imstande ist, an anderes zu denken, womit er dieses Schlechte vermeiden k˛nnte. Ist das, worˇber wir staunen, eines Menschen Klugheit, Flei oder dergleichen, etwas also, worˇber wir staunen, weil wir ihn darin als uns weit ˇberlegen betrachten, heit das Erstaunen Hochachtung; im anderen Fall, wenn wir ˇber eines Menschen Zorn, Neid und dergleichen staunen, heit es Entsetzen. Ferner, wenn wir ˇber die Klugheit, den Flei und dergleichen eines Menschen, den wir lieben, staunen, wird dadurch (nach Lehrsatz 12 dieses Teils) unsere Liebe gr˛er werden; und diese mit Erstaunen oder Hochachtung verbundene Liebe nennen wir Verehrung. Auf diese Weise k˛nnen wir uns auch Ha, Hoffnung, Zuversicht und andere Affekte als mit Erstaunen verbunden denken; mithin werden sich mehr Affekte herleiten lassen als die, die man mit den gebruchlichen W˛rtern zu bezeichnen pflegt. Daraus ist deutlich, da die Namen der Affekte mehr nach dem gew˛hnlichen Sprachgebrauch als aus einer genauen Kenntnis [der Affekte] gebildet worden sind. Erstaunen entgegengesetzt ist Geringschtzung, deren Ursache in den meisten Fllen jedoch die ist: Weil wir sehen, da jemand ˇber ein Ding staunt, es liebt, fˇrchtet usw., oder weil ein Ding auf den ersten Blick Dingen, ˇber die wir staunen, die wir lieben, fˇrchten usw., hnlich zu sein scheint (nach Lehrsatz 15 einschlielich Folgesatz und nach Lehrsatz 27 dieses Teils), werden wir bestimmt, ˇber dieses Ding zu staunen, es zu lieben, zu fˇrchten usw. Wenn wir aber von der Prsenz dieses Dinges oder von dessen genauerer Betrachtung her gezwungen werden, von ihm all das zu verneinen, was die Ursache von Erstaunen, Liebe, Furcht usw. sein kann, dann bleibt der Geist von der Prsenz des Dinges bestimmt, mehr an das zu denken, was in dem Gegenstand nicht ist, als an das, was in ihm ist (obwohl in der Regel, anders als hier, die Prsenz eines Gegenstandes [den Geist] be-
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praecipue cogitare soleat, quod in objecto est. Porro sicut devotio ex rei, quam amamus, admiratione, sic irrisio ex rei, quam odimus vel metuimus, contemptu oritur, et dedignatio ex stultitiae contemptu, sicuti veneratio ex admiratione prudentiae. Possumus denique amorem, spem, gloriam et alios affectus junctos contemptui concipere atque inde alios praeterea affectus deducere, quos etiam nullo singulari vocabulo ab aliis distinguere solemus. P r o p o s i t i o L I I I . Cum mens se ipsam suamque agendi potentiam contemplatur, laetatur, et eo magis, quo se suamque agendi potentiam distinctius imaginatur. D e m o n s t ra t i o . Homo se ipsum non cognoscit nisi per affectiones sui corporis earumque ideas (per prop. 19. et 23. p. 2.). Cum ergo fit, ut mens se ipsam possit contemplari, eo ipso ad majorem perfectionem transire, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) laetita affici supponitur, et eo majori, quo se suamque agendi potentiam distinctius imaginari potest. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Haec laetitia magis magisque fovetur, quo magis homo se ab aliis laudari imaginatur. Nam quo magis se ab aliis laudari imaginatur, eo majori laetitia alios ab ipso affici imaginatur idque | concomitante idea sui (per schol. prop. 29. hujus); atque adeo (per prop. 27. hujus) ipse majore laetitia concomitante idea sui afficitur. Q. e. d. P r o p o s i t i o L I V. Mens ea tantum imaginari conatur, quae ipsius agendi potentiam ponunt. D e m o n s t ra t i o . Mentis conatus sive potentia est ipsa ipsius mentis essentia (per prop. 7. hujus); mentis autem essentia (ut per se notum) id tantum, quod mens est et potest,
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stimmt, hauptschlich an das zu denken, was in dem Gegenstand ist). Ferner, wie dem Erstaunen ˇber ein Ding, das wir lieben, Verehrung entspringt, so entspringt der Geringschtzung eines Dinges, das wir hassen oder fˇrchten, Spott, und wie der Geringschtzung von Torheit Verachtung entspringt, so dem Erstaunen ˇber Klugheit Hochachtung. Schlielich k˛nnen wir uns Liebe, Hoffnung, Ruhm und andere Affekte als mit Geringschtzung verbunden denken und daraus noch weitere Affekte herleiten, die wir gew˛hnlich auch nicht mit einem eigenen Namen von den anderen unterscheiden. L e h r s a t z 5 3 . Wenn der Geist sich selbst und seine Wirkungsmacht betrachtet, freut er sich und umso mehr, je deutlicher er sich und seine Wirkungsmacht sich vorstellt. B e w e i s : Ein Mensch erkennt sich selbst nur durch die Affektionen seines K˛rpers und deren Ideen (nach Lehrsatz 19 und 23 des 2. Teils). Geschieht es also, da der Geist sich selbst betrachten kann, ist damit unterstellt, da er zu einer gr˛eren Vollkommenheit ˇbergeht, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), da er mit Freude affiziert wird und mit umso gr˛erer Freude, je deutlicher er sich und seine Wirkungsmacht sich vorstellen kann. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Diese Freude wird mehr und mehr genhrt, je mehr der Mensch sich vorstellt, von anderen gelobt zu werden. Denn je mehr er sich vorstellt, von anderen gelobt zu werden, desto gr˛er stellt er sich die Freude vor, mit der er andere affiziert, eine Freude, die begleitet ist von der Idee seiner selbst (nach Anmerkung zu Lehrsatz 29 dieses Teils); mithin wird (nach Lehrsatz 27 dieses Teils) er selbst mit einer gr˛eren Freude unter Begleitung der Idee seiner selbst affiziert. W. z. b. w. L e h r s a t z 5 4 . Der Geist strebt, sich nur das vorzustellen, was seine eigene Wirkungsmacht setzt. B e w e i s : Das Streben, d. h. die Macht, des Geistes ist genau die Essenz des Geistes selbst (nach Lehrsatz 7 dieses Teils). Nun bejaht die Essenz des Geistes (wie sich von selbst
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affirmat; at non id, quod non est neque potest; adeoque id tantum imaginari conatur, quod ipsius agendi potentiam affirmat sive ponit. Q. e. d.
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P r o p o s i t i o LV. Cum mens suam impotentiam imaginatur, eo ipso contristatur. D e m o n s t ra t i o . Mentis essentia id tantum, quod mens est et potest, affirmat, sive de natura mentis est ea tantummodo imaginari, quae ipsius agendi potentiam ponunt (per prop. praeced.). Cum itaque dicimus, quod mens, dum se ipsam contemplatur, suam imaginatur impotentiam, nihil aliud dicimus, quam quod, dum mens aliquid imaginari conatur, quod ipsius agendi potentiam ponit, hic ejus conatus coercetur, sive (per schol. prop. 11. hujus) quod ipsa contristatur. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Haec tristitia magis ac magis fovetur, si se ab aliis vituperari imaginatur; quod eodem modo demonstratur ac coroll. prop. 53. hujus. S c h o l i u m . Haec tristitia concomitante idea nostrae imbecillitatis humilitas appellatur; laetitia autem, quae ex contemplatione nostri | oritur, philautia vel acquiescentia in se ipso vocatur. Et quoniam haec toties repetitur, quoties homo suas virtutes sive suam agendi potentiam contemplatur, hinc ergo etiam fit, ut unusquisque facta sua narrare suique tam corporis quam animi vires ostentare gestiat, et ut homines hac de causa sibi invicem molesti sint. Ex quibus iterum sequitur homines natura esse invidos (vide schol. prop. 24. et schol. prop. 32. hujus), sive ob suorum aequalium imbecillitatem gaudere et contra propter eorundem virtutem contristari. Nam quoties unusquisque suas actiones imaginatur, toties laetitia (per prop. 53. hujus) afficitur, et eo majore, quo actio-
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versteht) allein das, was der Geist ist und kann, und nicht das, was er nicht ist und nicht kann. Mithin strebt der Geist, sich nur das vorzustellen, was seine eigene Wirkungsmacht bejaht oder setzt. W. z. b. w. L e h r s a t z 5 5 . Wenn der Geist sich seine Ohnmacht vorstellt, ist er ebendeshalb traurig. B e w e i s : Die Essenz des Geistes bejaht nur das, was der Geist ist und kann, anders formuliert, es liegt in der Natur des Geistes, sich nur das vorzustellen, was seine eigene Wirkungsmacht setzt (nach vorigem Lehrsatz). Wenn wir also sagen, da sich der Geist beim Betrachten seiner selbst seine Ohnmacht vorstellt, dann sagen wir nichts anderes, als da des Geistes Streben, sich das vorzustellen, was seine eigene Wirkungsmacht setzt, gehemmt wird, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), da er traurig ist. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Diese Trauer wird mehr und mehr genhrt, je mehr der Mensch sich vorstellt, von anderen getadelt zu werden; dies wird in gleicher Weise bewiesen wie beim Folgesatz zu Lehrsatz 53 dieses Teils. A n m e r k u n g : Diese von der Idee unserer eigenen Schwche begleitete Trauer wird Demut genannt, whrend die der Betrachtung unserer selbst entspringende Freude Eigenliebe oder Selbstzufriedenheit heit. Und weil dies sich so oft wiederholt, wie ein Mensch seine Ttigkeiten, d. h. seine Wirkungsmacht, betrachtet, kommt es auch, da jeder sich danach drngt, von seinen eigenen Taten zu erzhlen und seine eigenen Krfte, die des K˛rpers wie die des Geistes, zur Geltung zu bringen, und da Menschen deshalb einander lstig fallen. Hieraus folgt abermals, da Menschen von Natur aus neidisch sind (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 24 und 32 dieses Teils), anders formuliert, da sie ˇber die Schwche von ihresgleichen frohlocken, ˇber deren K˛nnen hingegen betrˇbt sind. Denn ein jeder wird (nach Lehrsatz 53 dieses Teils), sooft er sich seine eigenen Handlungen vorstellt, mit Freude affiziert und mit umso gr˛erer Freude, je
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nes plus perfectionis exprimere et easdem distinctius imaginatur, hoc est (per illa, quae in schol. 1. prop. 40. p. 2. dicta sunt), quo magis easdem ab aliis distinguere et ut res singulares contemplari potest. Quare unusquisque ex contemplatione sui tunc maxime gaudebit, quando aliquid in se contemplatur, quod de reliquis negat. Sed si id, quod de se affirmat, ad universalem hominis vel animalis ideam refert, non tantopere gaudebit; et contra constristabitur, si suas ad aliorum actiones comparatas inbecilliores esse imaginetur, quam quidem tristitiam (per prop. 28. hujus) amovere conabitur, idque suorum aequalium actiones perperam interpretando vel suas, quantum potest, adornando. Apparet igitur homines natura proclives esse ad odium et invidiam, ad quam accedit ipsa educatio. Nam parentes solo honoris et invidiae stimulo liberos ad virtutem concitare solent. Sed scrupulus forsan remanet, quod non raro hominum virtutes admiremur eosque veneremur. Hunc ergo ut amoveam, sequens addam corollarium. C o r o l l a r i u m . Nemo virtutem alicui nisi aequali invidet. D e m o n s t ra t i o . Invidia est ipsum odium (vid. schol. prop. 24. hujus) sive (per schol. prop. 13. hujus) tristitia, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) affectio, qua hominis agendi potentia seu conatus coercetur. At homo (per schol. prop. 9. hujus) nihil agere conatur neque cupit, nisi quod ex data sua natura sequi potest; ergo homo nul|lam de se agendi potentiam seu (quod idem est) virtutem praedicari cupiet, quae naturae alterius est propria et suae aliena; adeoque ejus cupidi-
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mehr Vollkommenheit seine Handlungen ausdrˇcken, also je deutlicher er sie sich vorstellt, d. h. (nach dem in Anmerkung 1 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils Gesagten) je mehr er sie von den Handlungen anderer unterscheiden und in ihrer Einzigartigkeit betrachten kann. Deshalb wird jeder bei der Betrachtung seiner selbst das gr˛te Vergnˇgen dann erlangen, wenn er etwas in sich betrachtet, das er von anderen verneint. Wenn er dagegen das, was er von sich bejaht, als zur allgemeinen Idee von Mensch oder Lebewesen geh˛rend ansieht, wird er darˇber nicht so frohlocken; und er wird andererseits betrˇbt sein, sollte er sich vorstellen, da seine eigenen Handlungen, verglichen mit denen anderer, schwchlicher sind. Gewi wird er dann streben, diese Trauer zu beseitigen (nach Lehrsatz 28 dieses Teils), so nmlich, da er entweder die Handlungen von seinesgleichen falsch auslegt oder die eigenen, soviel er kann, hochjubelt. Es ist demnach klar, da Menschen von Natur aus zu Ha und Neid neigen; und zu dieser natˇrlichen Neigung kommt gerade die Erziehung noch hinzu: Eltern spornen ja im allgemeinen ihre Kinder blo ˇber den Stachel von Ehre und Neid zu Tˇchtigkeiten an. Vielleicht bleibt aber noch dieses Bedenken: Nicht selten [staunen wir nicht nur ˇber] die Taten von Menschen, [sondern] bewundern und achten sie als Tugenden. Um dieses Bedenken auszurumen, will ich diesen Folgesatz hinzufˇgen: Fo l g e s a t z : Niemand beneidet einen anderen, der nicht seinesgleichen ist, um eine Tugend. B e w e i s : Neid ist eben Ha (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 24 dieses Teils), also (nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils) eine Trauer, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils) eine Affektion, von der die Wirkungsmacht oder das Streben eines Menschen gehemmt wird. Nun strebt und begehrt ein Mensch (nach Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils) allein das zu tun, was aus seiner Natur, wie sie ist, folgen kann. Also wird kein Mensch begehren, da an ihm eine Wirkungsmacht (und das ist ja unter Tugendß zu verstehen) gepriesen wird, die der Natur eines anderen eigentˇmlich und der eigenen fremd ist. Mithin kann seine Begierde
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tas coerceri, hoc est (per schol. prop. 11. hujus) ipse constristari nequit ex eo, quod aliquam virtutem in aliquo ipsi dissimili contemplatur, et consequenter neque ei invidere poterit. At quidem suo aequali, qui cum ipso ejusdem naturae supponitur. Q. e. d. S c h o l i u m . Cum igitur supra in scholio propositionis 52. hujus partis dixerimus nos hominem venerari ex eo, quod ipsius prudentiam, fortitudinem etc. admiramur, id fit (ut ex ipsa prop. patet), quia has virtutes ei singulariter inesse et non ut nostrae naturae communes imaginamur; adeoque easdem ipsi non magis invidebimus quam arboribus altitudinem et leonibus fortitudinem, etc. P r o p o s i t i o LV I . Laetitiae, tristitiae et cupiditatis, et consequenter uniuscujusque affectus, qui ex his componitur, ut animi fluctuationis vel qui ab his derivatur, nempe amoris, odii, spei, metus etc., tot species dantur, quot sunt species objectorum, a quibus afficimur. D e m o n s t ra t i o . Laetitia et tristitia, et consequenter affectus, qui ex his componuntur vel ex his derivantur, passiones sunt (per schol. prop. 11. hujus); nos autem (per prop. 1. hujus) necessario patimur, quatenus ideas habemus inadaequatas; et quatenus easdem habemus (per prop. 3. hujus), eatenus tantum patimur, hoc est (vid. schol. prop. 40. p. 2.), eatenus tantum necessario patimur, quatenus imaginamur, sive (vid. prop. 17. p. 2. cum ejus schol.) quatenus afficimur affectu, qui naturam nostri corporis et naturam corporis externi involvit. Natura igitur uniuscujusque passionis ita necesssario debet explicari, ut objecti, a quo afficimur, natura
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unter diesem Aspekt nicht gehemmt werden, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils), er kann nicht deshalb traurig sein, weil er irgendeine Tugend bei einem anderen, der nicht seinesgleichen ist, betrachtet. Folglich wird er ihn auch nicht um sie beneiden k˛nnen, wohl aber seinesgleichen, von dem ja vorausgesetzt ist, von derselben Natur zu sein wie er. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wenn wir also oben in der Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils gesagt haben, da wir einen Menschen hochachten, weil wir ˇber seine Klugheit, Charakterstrke usw. staunen, dann deshalb (wie aus dem Lehrsatz selbst evident ist), weil wir diese Tugenden als gerade ihm eigentˇmlich vorstellen, nicht aber als allgemeine Eigenschaften unserer Natur; mithin werden wir ihn um sie so wenig beneiden wie Bume um ihre H˛he und L˛wen um ihre Strke, usw. L e h r s a t z 5 6 . Es gibt so viele Arten von Freude, Trauer und Begierde und folglich auch von jedem Affekt, der aus ihnen zusammengesetzt (wie Schwankung des Gemˇts) oder von ihnen abgeleitet ist (wie Liebe, Ha, Hoffnung, Furcht usw.), wie es Arten von Gegenstnden gibt, von denen wir affiziert werden. B e w e i s : Freude und Trauer und folglich auch die aus ihnen zusammengesetzten oder von ihnen abgeleiteten Affekte sind Leidenschaften (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Nun erleiden wir notwendigerweise etwas (nach Lehrsatz 1 dieses Teils), insofern wir inadquate Ideen haben, und nur insofern wir sie haben (nach Lehrsatz 3 dieses Teils), erleiden wir etwas; d. h. (siehe Anmerkung 1 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils), notwendigerweise erleiden wir etwas nur, insofern wir vorstellen, anders formuliert (siehe Lehrsatz 17 des 2. Teils einschlielich Anmerkung), insofern wir mit einem Affekt affiziert werden, der die Natur unseres K˛rpers und die eines ueren K˛rpers in sich schliet. Die Natur einer jeden Leidenschaft mu also notwendigerweise so erklrt werden, da die Natur des Gegenstandes, von dem wir affiziert
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exprimatur. Nempe laetitia, quae ex objecto, ex. gr. A oritur, naturam ipsius | objecti A, et laetitia, quae ex objecto B oritur, ipsius objecti B naturam involvit; atque adeo hi duo laetitiae affectus natura sunt diversi, quia ex causis diversae naturae oriuntur. Sic etiam tristitiae affectus, qui ex uno objecto oritur, diversus natura est a tristitia, quae ab alia causa oritur, quod etiam de amore, odio, spe, metu, animi fluctuatione etc. intelligendum est; ac proinde laetitiae, tristitiae, amoris, odii etc. tot species necessario dantur, quot sunt species objectorum, a quibus afficimur. At cupiditas est ipsa uniuscujusque essentia seu natura, quatenus ex data quacunque ejus constitutione determinata concipitur ad aliquid agendum (vid. schol. prop. 9. hujus); ergo, prout unusquisque a causis externis hac aut illa laetitiae, tristitiae, amoris, odii etc. specie afficitur, hoc est prout ejus natura hoc aut alio modo constituitur, ita ejus cupiditas alia atque alia esse, et natura unius a natura alterius cupiditatis tantum differre necesse est, quantum affectus, a quibus unaquaeque oritur, inter se differunt. Dantur itaque tot species cupiditatis, quot sunt species laetitiae, tristitiae, amoris etc. et consequenter (per jam ostensa) quot sunt objectorum species, a quibus afficimur. Q. e. d. S c h o l i u m . Inter affectuum species, quae (per prop. praec.) perplurimae esse debent, insignes sunt luxuria, ebrietas, libido, avaritia et ambitio, quae non nisi amoris vel cupiditatis sunt notiones; quae hujus utriusque affectus naturam explicant per objecta, ad quae referuntur. Nam per luxuriam, ebrietatem, libidinem, avaritiam et ambitionem nihil aliud intelligimus quam convivandi, potandi, coeundi, divitiarum et gloriae immoderatum amorem vel cupiditatem. Praeterea
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werden, zum Ausdruck kommt. So schliet die Freude, die von einem Gegenstand, z. B. A, herrˇhrt, die Natur genau dieses Gegenstandes A in sich, und die Freude, die von dem Gegenstand B herrˇhrt, die Natur genau dieses Gegenstandes B; mithin sind diese beiden Affekte der Freude ihrer Natur nach verschieden, entstehen sie doch aus Ursachen verschiedener Natur. Ebenso ist der Affekt der Trauer, der von dem einen Gegenstand herrˇhrt, seiner Natur nach von der Trauer verschieden, die sich aus einer anderen Ursache ergibt; und dasselbe mu von Liebe, Ha, Hoffnung, Furcht, Schwankung des Gemˇts usw. gelten; somit gibt es notwendigerweise so viele Arten von Freude, Trauer, Liebe, Ha usw., wie es Arten von Gegenstnden gibt, von denen wir affiziert werden. Begierde nun ist genau die Essenz eines jeden [Menschen], d. h. genau dessen Natur, insofern sie so begriffen wird, da sie aus seiner gegebenen Verfassung, welcher auch immer, bestimmt ist, etwas zu tun (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils); je nachdem also ein jeder von ueren Ursachen mit dieser oder jener Art von Freude, Trauer, Liebe, Ha usw. affiziert wird, d. h. gem seiner je unterschiedlich verfaten Natur, mu seine Begierde bald so, bald anders sein, und die Natur der einen Begierde mu sich von der Natur der anderen in dem Mae unterscheiden, wie die Affekte, denen eine jede entspringt, sich voneinander unterscheiden. Also gibt es so viele Arten von Begierde, wie es Arten von Freude, Trauer, Liebe usw. gibt, und folglich (gestˇtzt auf das bereits Gezeigte) wie es Arten von Gegenstnden gibt, von denen wir affiziert werden. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Unter diesen Arten von Affekten, die (nach vorigem Lehrsatz) sehr zahlreich sein mˇssen, sind hervorhebenswert Schwelgerei, Trunksucht, Lˇsternheit, Habgier und Ehrgeiz, die nur Begriffe von Liebe oder Begierde sind, die die Natur dieser Affekte durch die Gegenstnde erklren, auf die sie sich beziehen. Denn unter Schwelgerei, Trunksucht, Lˇsternheit, Habgier und Ehrgeiz verstehen wir nichts anderes als eine zˇgellose Liebe oder Begierde zum Schmausen, Zechen, Koitieren, zu Reichtum und
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hi affectus, quatenus eos per solum objectum, ad quod referuntur, ab aliis distinguimus, contrarios non habent. Nam temperantia, quam luxuriae, et sobrietas, quam ebrietati, et denique castitas, quam libidini opponere solemus, affectus seu passiones non sunt, sed animi indicant potentiam, quae hos affectus moderatur. Caeterum reliquas affectuum species hic explicare nec possum (quia tot sunt, quot objectorum species), nec, si possem, necesse est. Nam ad id, quod intendimus, nempe |ad affectuum vires et mentis in eosdem potentiam determinandum, nobis sufficit uniuscujusque affectus generalem habere definitionem. Sufficit, inquam, nobis affectuum et mentis communes proprietates intelligere, ut determinare possimus, qualis et quanta sit mentis potentia in moderandis et coercendis affectibus. Quamvis itaque magna sit differentia inter hunc et illum amoris, odii vel cupiditatis affectum, ex. gr. inter amorem erga liberos et inter amorem erga uxorem, nobis tamen has differentias cognoscere et affectuum naturam et originem ulterius indagare non est opus. P r o p o s i t i o LV I I . Quilibet uniuscujusque individui affectus ab affectu alterius tantum discrepat, quantum essentia unius ab essentia alterius differt. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio patet ex axiom. 1., quod vide post lem. 3. schol. prop. 13. p. 2. At nihilominus eandem ex trium primitivorum affectuum definitionibus demonstrabimus. Omnes affectus ad cupiditatem, laetitiam vel tristitiam referuntur, ut eorum, quas dedimus, definitiones ostendunt. At cupiditas est ipsa uniuscujusque natura seu essentia (vide ejus defin. in schol. prop. 9. hujus); ergo uniuscujusque individui cupiditas a cupiditate alterius tantum discrepat, quan-
7 Caeterum] kein Absatz in OP
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zu Ansehen. Auerdem gibt es zu diesen Affekten, sofern wir sie blo durch den Gegenstand, auf den sie sich beziehen, von den anderen unterscheiden, keine gegenstzlichen Affekte. Denn Migkeit, die wir Schwelgerei, Nˇchternheit, die wir Trunkenheit, und schlielich Keuschheit, die wir Lˇsternheit entgegenzusetzen pflegen, sind nicht Affekte im Sinne von Leidenschaften, sondern zeigen eine Macht des Gemˇts an, die diese Affekte zˇgelt. Im ˇbrigen kann ich hier die weiteren Arten von Affekten nicht erklren, gibt es doch von ihnen so viele, wie es Arten von Gegenstnden gibt; und selbst wenn ich es k˛nnte, wre es nicht erforderlich. Denn fˇr unser Vorhaben, die Krfte der Affekte und des Geistes Macht ˇber sie zu bestimmen, reicht es aus, fˇr jeden Affekt ˇber eine allgemeine Definition zu verfˇgen. Fˇr uns reicht es aus, sage ich, Einsicht in die gemeinsamen Eigenschaften der Affekte und des Geistes zu haben, um bestimmen zu k˛nnen, wie beschaffen und wie gro die Macht des Geistes ist, die Affekte zu zˇgeln und zu hemmen. Obwohl also ein groer Unterschied zwischen diesem und jenem Affekt der Liebe, des Hasses oder der Begierde besteht, z. B. zwischen der Liebe zu den eigenen Kindern und der Liebe zur Ehefrau, so ist es fˇr uns doch nicht n˛tig, diese Unterschiede zu kennen und der Natur und dem Ursprung der Affekte noch weiter nachzugehen. L e h r s a t z 5 7. Jeder Affekt eines jeden Individuums weicht von dem Affekt eines anderen in dem Mae ab, wie die Essenz des einen sich von der Essenz des anderen unterscheidet. B e w e i s : Dieser Lehrsatz ist aus Axiom 1 evident, das man hinter Hilfssatz 3 nach Anmerkung zu Lehrsatz 13 des 2. Teils nachsehen m˛ge. Wir wollen ihn aber trotzdem aus den Definitionen der drei ursprˇnglichen Affekte beweisen. Alle Affekte geh˛ren zu Begierde, Freude oder Trauer, wie deren Definitionen zeigen. Nun ist Begierde genau die Natur oder Essenz eines jeden [Individuums] (siehe ihre Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils); also weicht die Begierde eines jeden Individuums von der Begierde eines an-
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tum natura seu essentia unius ab essentia alterius differt. Laetitia deinde et tristitia passiones sunt, quibus uniuscujusque potentia seu conatus in suo esse perseverandi augetur vel minuitur, juvatur vel coercetur (per prop. 11. hujus et ejus schol.). At per conatum in suo esse perseverandi, quatenus ad mentem et corpus simul refertur, appetitum et cupiditatem intelligimus (vide schol. prop. 9. hujus); ergo laetitia et tristitia est ipsa cupiditas sive appetitus, quatenus a causis externis augetur vel minuitur, juvatur vel coercetur, hoc est (per idem schol.), est ipsa cujusque natura; atque adeo uniuscujusque laetitia vel tristitia a laetitia vel tri|stitia alterius tantum etiam discrepat, quantum natura seu essentia unius ab essentia alterius differt, et consequenter quilibet uniuscujusque individui affectus ab affectu alterius tantum discrepat, etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Hinc sequitur affectus animalium, quae irrationalia dicuntur (bruta enim sentire nequaquam dubitare possumus, postquam mentis novimus originem), ab affectibus hominum tantum differre, quantum eorum natura a natura humana differt. Fertur quidem equus et homo libidine procreandi; at ille libidine equina, hic autem humana. Sic etiam libidines et appetitus insectorum, piscium et avium alii atque alii esse debent. Quamvis itaque unumquodque individuum sua, qua constat natura, contentum vivat eaque gaudeat, vita tamen illa, qua unumquodque est contentum, et gaudium nihil aliud est quam idea seu anima ejusdem individui; atque adeo gaudium unius a gaudio alterius tantum natura discre-
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deren in dem Mae ab, wie die Natur oder Essenz des einen Individuums sich von der Essenz des anderen unterscheidet. Freude und Trauer sodann sind Leidenschaften, von denen eines jeden Macht, also dessen Streben in seinem Sein zu verharren, vermehrt oder vermindert, gef˛rdert oder gehemmt wird (nach Lehrsatz 11 dieses Teils einschlielich Anmerkung). Nun verstehen wir unter dem Streben in seinem Sein zu verharren, insofern es auf den Geist und den K˛rper zugleich bezogen ist, Trieb und Begierde (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils); also sind Freude und Trauer die Begierde (oder der Trieb) selbst, insofern sie von ueren Ursachen vermehrt oder vermindert, gef˛rdert oder gehemmt wird, d. h. (nach der genannten Anmerkung), sie sind genau die Natur eines jeden [Individuums]. Mithin weicht die Freude oder Trauer eines jeden [Individuums] von der Freude oder Trauer eines anderen in dem Mae ab, wie die Natur oder Essenz des einen sich von der Essenz des anderen unterscheidet, und folglich weicht jeder Affekt eines jeden Individuums von dem Affekt eines anderen in dem Mae ab, usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Hieraus folgt, da die Affekte der Lebewesen, die vernunftlos genannt werden (denn da die niederen Lebewesen empfinden, k˛nnen wir keinesfalls bezweifeln, nachdem wir den Ursprung des Geistes kennen), von den Affekten der Menschen so verschieden sind, wie deren Natur von der menschlichen Natur verschieden ist. So wird das Pferd wie der Mensch von einem Drang sich fortzupflanzen angetrieben, doch jenes von einem pferdhaften Drang, dieser aber von einem menschlichen. Ebenso mˇssen der Geschlechtsdrang und die Triebe von Insekten, Fischen und V˛geln untereinander variieren. Obgleich also jedes Individuum mit der ihm eigenen Natur zufrieden lebt und ˇber sie frohgestimmt ist, ist dieses Leben, mit dem ein jeder zufrieden ist, und dieses Frohgefˇhl dennoch nichts anderes als die Idee oder Seele gerade dieses Individuums; und so weicht das Frohgestimmtsein eines Individuums von dem Frohgestimmtsein eines anderen der Natur nach in dem Mae ab,
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pat, quantum essentia unius ab essentia alterius differt. Denique ex praecedenti propositione sequitur non parum etiam interesse inter gaudium, quo ebrius ex. gr. ducitur, et inter gaudium, quo potitur philosophus, quod hic in transitu monere volui. Atque haec de affectibus, qui ad hominem referuntur, quatenus patitur. Superest, ut pauca addam de iis, qui ad eundem referuntur, quatenus agit. P r o p o s i t i o LV I I I . Praeter laetitiam et cupiditatem, quae passiones sunt, alii laetitiae et cupiditatis affectus dantur, qui ad nos, quatenus agimus, referuntur. D e m o n s t ra t i o . Cum mens se ipsam suamque agendi potentiam concipit, laetatur (per prop. 53. hujus); mens autem se ipsam necessario contemplatur, quando veram sive adaequatam ideam concipit (per prop. 43. p. 2.). At mens quasdam ideas adaequatas concipit (per schol. 2. prop. 40. p. 2.); ergo eatenus etiam laetatur, qua|tenus ideas adaequatas concipit, hoc est (per prop. 1. hujus) quatenus agit. Deinde mens tam quatenus claras et distinctas, quam quatenus confusas habet ideas, in suo esse perseverare conatur (per prop. 9. hujus). At per conatum cupiditatem intelligimus (per ejusdem schol.); ergo cupiditas ad nos refertur, etiam quatenus intelligimus sive (per prop. 1. hujus) quatenus agimus. Q. e. d. P r o p o s i t i o L I X . Inter omnes affectus, qui ad mentem, quatenus agit, referuntur, nulli sunt, quam qui ad laetitiam vel cupiditatem referuntur. D e m o n s t ra t i o . Omnes affectus ad cupiditatem, laetitiam vel tristitiam referuntur, ut eorum, quas dedimus, definitiones ostendunt. Per tristitiam autem intelligimus, quod mentis cogitandi potentia minuitur vel coercetur (per
29 potentia minuitur vel coercetur] Gebhardt hat den Text der OP verflscht zu einem potentia[m] minuit, vel coercet
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wie die Essenz des einen Individuums sich von der Essenz des anderen unterscheidet. Schlielich folgt aus vorigem Lehrsatz, da auch kein geringer Unterschied besteht zwischen der frohen Stimmung, von der z. B. ein Sufer sich leiten lt, und der frohen Stimmung, die ein Philosoph sich verschafft, was ich hier beilufig erwhnen wollte. Soviel zu den Affekten, die dem Menschen zukommen, insofern er etwas erleidet. Es bleibt noch einiges ˇber diejenigen hinzuzufˇgen, die ihm zukommen, insofern er aktiv ist. L e h r s a t z 5 8 . Auer [den Affekten] der Freude und der Begierde, die Leidenschaften sind, gibt es andere Affekte der Freude und Begierde, die uns zukommen, insofern wir aktiv sind. B e w e i s : Wenn der Geist sich selbst und seine Wirkungsmacht begreift, freut er sich (nach Lehrsatz 53 dieses Teils); der Geist betrachtet sich aber notwendigerweise selbst, wenn er eine wahre oder adquate Idee begreift (nach Lehrsatz 43 des 2. Teils). Nun begreift der Geist einige adquate Ideen (nach Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils). Also freut er sich auch in dem Mae, wie er adquate Ideen begreift, d. h. (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) wie er aktiv ist. Des weiteren strebt der Geist, in seinem Sein zu verharren, sowohl insofern er klare und deutliche, als auch insofern er verworrene Ideen hat (nach Lehrsatz 9 dieses Teils); nun verstehen wir unter Streben (nach Anmerkung zu dem genannten Lehrsatz) Begierde; Begierde kommt uns also auch zu, insofern wir einsehen, d. h. (nach Lehrsatz 1 dieses Teils), insofern wir aktiv sind. W. z. b. w. L e h r s a t z 5 9. Unter allen Affekten, die dem Geist zukommen, insofern er aktiv ist, gibt es keine, die nicht zu Freude oder Begierde geh˛ren. B e w e i s : Alle Affekte geh˛ren zu Begierde, Freude oder Trauer, wie unsere Definitionen zeigen. Unter Trauer verstehen wir aber den Tatbestand (nach Lehrsatz 11 dieses Teils einschlielich Anmerkung), da des Geistes Macht zu denken
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prop. 11. hujus et ejus schol.); adeoque mens, quatenus contristatur, eatenus ejus intelligendi, hoc est ejus agendi potentia (per prop. 1. hujus) minuitur vel coercetur; adeoque nulli tristitiae affectus ad mentem referri possunt, quatenus agit; sed tantum affectus laetitiae et cupiditatis, qui (per prop. praec.) eatenus etiam ad mentem referuntur. Q. e. d. S c h o l i u m . Omnes actiones, quae sequuntur ex affectibus, qui ad mentem referuntur, quatenus intelligit, ad fortitudinem refero, quam in animositatem et generositatem distinguo. Nam per animositatem intelligo cupiditatem, qua unusquisque conatur suum esse ex solo rationis dictamine conservare. Per generositatem autem cupiditatem intelligo, quod unusquisque ex solo rationis dictamine conatur reliquos homines juvare et sibi amicitia jungere. Eas itaque actiones, quae solum agentis utile intendunt, ad animositatem, et quae alterius etiam utile intendunt, ad generositatem refero. Temperantia igitur, sobrietas et animi in periculis praesentia etc. animositatis sunt species; modestia autem, clementia etc. spe|cies generositatis sunt. Atque his puto me praecipuos affectus animique fluctuationes, quae ex compositione trium primitivorum affectuum, nempe cupiditatis, laetitiae et tristitiae, oriuntur, explicuisse perque primas suas causas ostendisse. Ex quibus apparet nos a causis externis multis modis agitari nosque, perinde ut maris undae a contrariis ventis agitatae, fluctuari nostri eventus atque fati inscios. At dixi me praecipuos tantum, non omnes, qui dari possunt, animi conflictus ostendisse. Nam eadem via qua supra procedendo facile possumus ostendere amorem esse junctum poenitentiae, dedignationi, pudori, etc. Imo unicuique ex jam dictis clare constare credo, affectus tot mo-
20 Atque] kein Absatz in OP 26 tantum] NS ergnzen hartstochten
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vermindert oder gehemmt wird; insofern der Geist traurig ist, wird mithin seine Macht einzusehen, d. h. (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) seine Wirkungsmacht, vermindert oder gehemmt. Mithin kann es keine Affekte der Trauer geben, die dem Geist zukommen, insofern er aktiv ist, sondern allein Affekte der Freude und Begierde, die (nach vorigem Lehrsatz) insoweit auch dem Geist zukommen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Alle Ttigkeiten, die aus Affekten folgen, die dem Geist zukommen, insofern er einsieht, rechne ich zur Charakterstrke, die ich in Selbstvertrauen und Edelmut einteile. Denn unter Selbstvertrauen verstehe ich die Begierde, mit der ein jeder strebt, sein eigenes Sein allein nach dem Gebot der Vernunft zu erhalten, und unter Edelmut die Begierde, mit der ein jeder strebt, andere Menschen allein nach dem Gebot der Vernunft zu unterstˇtzen und mit ihnen ein Band der Freundschaft zu knˇpfen. Diejenigen Handlungen also, die nur auf den Vorteil des Handelnden zielen, rechne ich zu Selbstvertrauen und diejenigen, die auch auf den Vorteil eines anderen zielen, zu Edelmut. So sind Selbstbeherrschung, Nˇchternheit, Geistesgegenwart in Gefahren usw. Arten von Selbstvertrauen, whrend Geflligkeit, Mildttigkeit usw. Arten von Edelmut sind. Und hiermit glaube ich die wichtigsten Affekte und Schwankungen des Gemˇts, die einer internen Verknˇpfung der drei ursprˇnglichen Affekte, nmlich Begierde, Freude und Trauer, entspringen, erlutert und durch ihre ersten Ursachen erklrt zu haben. Meine Darstellung macht deutlich, da wir von ueren Ursachen auf viele Weisen bewegt und hierhin und dorthin getrieben werden wie von entgegengesetzten Winden bewegte Wellen auf dem Meer, unkundig unseres Ausgangs und Schicksals. Nun sagte ich schon, da ich nur die wichtigsten [NS: Affekte] er˛rtert habe und nicht alle Konflikte des Gemˇts, die sich ergeben k˛nnen. Demselben Verfahren wie oben folgend, k˛nnten wir freilich leicht zeigen, da Liebe mit Reue, Verachtung, Scham usw. verbunden ist. Ja, ich glaube, aus dem bereits Gesagten wird jedem klar sein, da die verschiedenen Affekte sich auf so viele Wei-
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dis alii cum aliis posse componi indeque tot variationes oriri, ut nullo numero definiri queant. Sed ad meum institutum praecipuos tantum enumeravisse sufficit; nam reliqui, quos omisi, plus curiositatis quam utilitatis haberent. Attamen de amore hoc notandum restat, quod scilicet saepissime contingit, dum re, quam appetebamus, fruimur, ut corpus ex ea fruitione novam acquirat constitutionem, a qua aliter determinatur et aliae rerum imagines in eo excitantur; et simul mens alia imaginari aliaque cupere incipit. Ex. gr. cum aliquid, quod nos sapore delectare solet, imaginamur, eodem frui, nempe comedere cupimus. At quamdiu eodem sic fruimur, stomachus adimpletur corpusque aliter constituitur. Si igitur corpore jam aliter disposito ejusdem cibi imago, quia ipse praesens adest, fomentetur, et consequenter conatus etiam sive cupiditas eundem comedendi, huic cupiditati seu conatui nova illa constitutio repugnabit, et consequenter cibi, quem appetebamus, praesentia odiosa erit, et hoc est, quod fastidium et taedium vocamus. Caeterum corporis affectiones externas, quae in affectibus observantur, ut sunt tremor, livor, singultus, risus etc., neglexi, quia ad solum corpus absque ulla ad mentem relatione referuntur. Denique de affectuum definitionibus quaedam notanda sunt, quas propterea hic ordine repetam, et quid in unaquaque observandum est, iisdem interponam.|
5 Attamen] kein Absatz in OP 19 Caeterum] kein Absatz in OP
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sen untereinander kombinieren lassen und daraus so viele Varianten entstehen k˛nnen, da sich dafˇr keine bestimmte Zahl angeben lt. Fˇr mein Vorhaben genˇgt es indessen, nur die wichtigsten aufgezhlt zu haben; denn die anderen, die ich nicht erwhnt habe, [zu er˛rtern], befriedigte mehr unsere Wibegierde, als da es jenem Vorhaben diente. Doch mu ich zu Liebe noch folgendes bemerken. Es kommt sehr hufig vor, da, whrend wir etwas, wonach wir verlangten, genieen, der K˛rper ˇber diesen Genu in einen neuen Zustand gert, der ihn anders bestimmt und von dem her andere Vorstellungsbilder von Dingen in ihm hervorgerufen werden; und zugleich beginnt der Geist dann anderes sich vorzustellen und anderes zu begehren. Wenn wir z. B. uns etwas vorstellen, das uns in der Regel von seinem Geschmack her angenehm ist, begehren wir es zu genieen, nmlich zu konsumieren. Nun fˇllt sich, whrend wir es so genieen, der Magen, und der Zustand des K˛rpers wird ein anderer. Wenn also bei jetzt vernderter Verfassung des K˛rpers die noch gegenwrtige Speise ihr Vorstellungsbild lebhaft sein lt und folglich das Streben oder die Begierde sie zu konsumieren f˛rdert, dann wird dieser Begierde jener neue Zustand des K˛rpers entgegenstehen, mit der Folge, da uns die Speise, nach der wir verlangten, jetzt widerwrtig sein wird; das ist es, was wir berdru und Ekel nennen. brigens habe ich die uerlichen Affektionen des K˛rpers, die sich bei den Affekten beobachten lassen, wie Zittern, Erblassen, Schluchzen, Lachen usw. beiseite gelassen, weil sie sich, ohne jeden Bezug auf den Geist, allein auf den K˛rper beziehen. Schlielich mu noch einiges zu den Definitionen der Affekte bemerkt werden; ich will sie deshalb hier der Reihe nach wiederholen und einfˇgen, was bei einer jeden noch zu beachten ist.
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I. Cupiditas est ipsa hominis essentia, quatenus ex data quacunque ejus affectione determinata concipitur ad aliquid agendum. E x p l i c a t i o . Diximus supra in scholio propositionis 9. hujus partis cupiditatem esse appetitum cum ejusdem conscientia; appetitum autem esse ipsam hominis essentiam, quatenus determinata est ad ea agendum, quae ipsius conservationi inserviunt. Sed in eodem scholio etiam monui me revera inter humanum appetitum et cupiditatem nullam agnoscere differentiam. Nam sive homo sui appetitus sit conscius sive non sit, manet tamen appetitus unus idemque; atque adeo, ne tautologiam committere viderer, cupiditatem per appetitum explicare nolui; sed eandem ita definire studui, ut omnes humanae naturae conatus, quos nomine appetitus, voluntatis, cupiditatis vel impetus significamus, una comprehenderem. Potueram enim dicere cupiditatem esse ipsam hominis essentiam, quatenus determinata concipitur ad aliquid agendum; sed ex hac definitione (per prop. 23. p. 2.) non sequeretur, quod mens possit suae cupiditatis sive appetitus esse conscia. Igitur, ut hujus conscientiae causam involverem, necesse fuit (per eandem prop.) addere quatenus ex data quacunque ejus affectione determinata etc.ß. Nam per affectionem humanae essentiae quamcunque ejusdem essentiae constitutionem intelligimus, sive ea sit innata, sive quod ipsa per solum Cogitationis, sive per solum Extensionis attributum concipiatur, sive denique quod ad utrumque simul referatur. Hic igitur cupiditatis nomine intelligo hominis quoscunque conatus, impetus, appetitus et volitiones, qui pro varia ejus-
26 innata,] NS ergnzen of van buiten aangekomen,
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D e f i n i t i o n e n d e r A ff e k t e 1. Begierde ist des Menschen Essenz selbst, insofern diese begriffen wird als von irgendeiner ihrer gegebenen Affektionen dazu bestimmt, etwas zu tun. E r l u t e r u n g : Wir haben oben in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils gesagt, da Begierde Trieb mit dem Bewutsein des Triebes ist und da Trieb des Menschen Essenz selbst ist, insofern sie bestimmt ist, das zu tun, was der Erhaltung des Menschen dient. Doch habe ich in derselben Anmerkung zugleich darauf aufmerksam gemacht, da ich zwischen menschlichem Trieb und menschlicher Begierde in Wirklichkeit keinen Unterschied gelten lasse. Denn mag ein Mensch sich seines Triebes bewut sein oder nicht, der Trieb bleibt doch ein und derselbe. Mithin habe ich, um nicht eine offensichtliche Tautologie zu begehen, Begierde nicht durch Trieb erklren wollen, sondern war darauf bedacht, sie so zu definieren, da ich alle Formen menschlichen Strebens, die wir mit dem Namen Trieb, Wille, Begierde oder Antrieb bezeichnen, zusammenfate. Ich htte ja sagen k˛nnen, Begierde ist des Menschen Essenz selbst, insofern diese begriffen wird als dazu bestimmt, etwas zu tun; doch wˇrde aus dieser Definition (nach Lehrsatz 23 des 2. Teils) nicht folgen, da der Geist sich seiner Begierde oder seines Triebes bewut sein kann. Um also die Ursache dieses Bewutseins in der Definition mit zu berˇcksichtigen, war es erforderlich (nach dem genannten Lehrsatz) hinzuzufˇgen insofern diese von irgendeiner ihrer gegebenen Affektionen bestimmt ist, usw.ß. Denn unter einer Affektion der menschlichen Essenz verstehen wir jedweden Zustand dieser Essenz, ob er nun angeboren [NS: oder von auen erworben] ist, ob er allein durch das Attribut Denken oder allein durch das Attribut Ausdehnung begriffen wird oder ob er auf beide zugleich sich bezieht. Hier verstehe ich also unter dem Wort Begierde smtliche Formen von Streben, Antrieb, Trieb und Wollen des Menschen, die entsprechend dem unterschiedlichen Zustand desselben
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dem hominis constitutione varii et non raro adeo sibi invicem oppositi sunt, ut homo diversimode trahatur et, quo se vertat, nesciat.| II. Laetitia est hominis transitio a minore ad majorem perfectionem. III. Tristitia est hominis transitio a majore ad minorem perfectionem. E x p l i c a t i o . Dico transitionemß. Nam laetitia non est ipsa perfectio. Si enim homo cum perfectione, ad quam transit, nasceretur, ejusdem absque laetitiae affectu compos esset; quod clarius apparet ex tristitiae affectu, qui huic est contrarius. Nam quod tristitia in transitione ad minorem perfectionem consistit, non autem in ipsa minore perfectione, nemo negare potest, quandoquidem homo eatenus contristari nequit, quatenus alicujus perfectionis est particeps. Nec dicere possumus, quod tristitia in privatione majoris perfectionis consistat; nam privatio nihil est; tristitiae autem affectus actus est, qui propterea nullus alius esse potest quam actus transeundi ad minorem perfectionem, hoc est actus, quo hominis agendi potentia minuitur vel coercetur (vide schol. prop. 11. hujus). Caeterum definitiones hilaritatis, titillationis, melancholiae et doloris omitto, quia ad corpus potissimum referuntur et non nisi laetititae aut tristitiae sunt species. IV. Admiratio est rei alicujus imaginatio, in qua mens defixa propterea manet, quia haec singularis imaginatio nullam cum reliquis habet connexionem. Vide prop. 52. hujus cum ejusd. schol.
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Menschen unterschiedlich sind und nicht selten einander derart entgegengesetzt, da der Mensch in verschiedene Richtungen gezogen wird und nicht wei, wohin er sich wenden soll. 2. Freude ist ein bergang des Menschen von einer geringeren zu einer gr˛eren Vollkommenheit. 3. Trauer ist ein bergang des Menschen von einer gr˛eren zu einer geringeren Vollkommenheit. E r l u t e r u n g : Ich sage bergangß. Denn Freude ist nicht die Vollkommenheit selbst. Wenn nmlich ein Mensch mit der Vollkommenheit, zu der er ˇbergeht, geboren wˇrde, wˇrde er sie ohne einen Affekt der Freude besitzen. Klarer ist dies noch aus dem Affekt der Trauer, der dem der Freude entgegengesetzt ist. Denn da Trauer in einem bergang zu einer geringeren Vollkommenheit besteht und nicht in der geringeren Vollkommenheit selbst, kann niemand in Abrede stellen, da ja ein Mensch nicht insofern in Trauer geraten kann, als er an irgendeiner Vollkommenheit teilhat. Auch lt sich nicht sagen, da Trauer in dem Mangel einer gr˛eren Vollkommenheit besteht; denn ein Mangel ist nichts, whrend der Affekt der Trauer ein Vorgang ist, der als Vorgang kein anderer sein kann als der eines bergehens zu einer geringeren Vollkommenheit, d. h. ein Vorgang, bei dem des Menschen Wirkungsmacht vermindert oder gehemmt wird (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils). Die Definitionen von Heiterkeit und Lust, von Schwermut und Schmerz lasse ich ˇbrigens auer acht, weil sie sich in erster Linie auf den K˛rper beziehen und nur Arten von Freude oder Trauer sind. 4. Erstaunen ist die Vorstellung eines Dinges, in der der Geist deshalb fixiert bleibt, weil es sich um eine einzelne Vorstellung handelt, die keine Verknˇpfung mit den ˇbrigen hat. Siehe Lehrsatz 52 dieses Teils einschlielich Anmerkung.
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E x p l i c a t i o . In scholio propositionis 18. partis 2. ostendimus, quaenam sit causa, cur mens ex contemplatione unius rei statim in alterius rei cogitationem incidat, videlicet quia earum rerum imagines invicem concatenatae et ita ordinatae sunt, ut alia aliam sequatur, quod quidem concipi nequit, quando rei imago nova est; sed mens in ejusdem rei contemplatione detinebitur, donec ab aliis causis ad alia cogitandum determinetur. Rei itaque novae imaginatio in se considerata ejusdem naturae est ac reliquae, et hac de causa ego admi|rationem inter affectus non numero nec causam video, cur id facerem, quandoquidem haec mentis distractio ex nulla causa positiva, quae mentem ab aliis distrahat, oritur; sed tantum ex eo, quod causa, cur mens ex unius rei contemplatione ad alia cogitandum determinatur, deficit. Tres igitur (ut in schol. prop. 11. hujus monui) tantum affectus primitivos seu primarios agnosco, nempe laetitiae, tristitiae et cupiditatis; nec alia de causa verba de admiratione feci, quam quia usu factum est, ut quidam affectus, qui ex tribus primitivis derivantur, aliis nominibus indicari soleant, quando ad objecta, quae admiramur, referuntur; quae quidem ratio me ex aequo movet, ut etiam contemptus definitionem his adjungam. V. Contemptus est rei alicujus imaginatio, quae mentem adeo parum tangit, ut ipsa mens ex rei praesentia magis moveatur ad ea imaginandum, quae in ipsa re non sunt, quam quae in ipsa sunt. Vid. schol. prop. 52. hujus. Definitiones venerationis et dedignationis missas hic facio, quia nulli, quod sciam, affectus ex his nomen trahunt.
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E r l u t e r u n g : In der Anmerkung zu Lehrsatz 18 des 2. Teils haben wir die Ursache aufgezeigt, weshalb der Geist von der Betrachtung eines Dinges auf der Stelle in den Gedanken eines anderen Dinges verfllt: die Vorstellungsbilder dieser Dinge sind miteinander verkettet und so geordnet, da ein Bild auf das andere folgt. Natˇrlich ist dies nicht denkbar, wenn das Vorstellungsbild eines Dinges neu ist; dann wird der Geist vielmehr in der Betrachtung dieses Dinges festgehalten werden, bis er von anderen Ursachen bestimmt wird, an andere Dinge zu denken. Die Vorstellung eines neuen Dinges, in sich betrachtet, ist also von derselben Natur wie die ˇbrigen [Vorstellungen], und aus diesem Grund zhle ich Erstaunen nicht zu den Affekten; ich sehe auch keinen Grund, es zu tun, da ja die erwhnte Ablenkung des Geistes keiner positiven Ursache, die den Geist von anderen Dingen ablenkte, entspringt, sondern allein dem Fehlen einer Ursache, die den Geist bestimmt, bei der Betrachtung eines Dinges an anderes zu denken. Ich lasse somit (wie ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 dieses Teils hervorgehoben habe) lediglich drei ursprˇngliche oder primre Affekte gelten, nmlich Freude, Trauer und Begierde; und Worte ˇber Erstaunen habe ich allein deshalb verloren, weil es fˇr einige ˇblich geworden ist, einige Affekte, die sich aus den drei ursprˇnglichen herleiten lassen, anders zu benennen, wenn sie sich auf Gegenstnde beziehen, ˇber die wir staunen. Aus demselben Grund will ich hier auch noch die Definition von Geringschtzung hinzufˇgen. 5. Geringschtzung ist die Vorstellung eines Dinges, die den Geist so wenig berˇhrt, da die Prsenz des Dinges ihn mehr dazu bringt, das vorzustellen, was in diesem Ding nicht ist, als das, was in ihm ist. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils. Die Definitionen von Hochachtung und Verachtung lasse ich hier beiseite, weil von ihnen her, soweit ich wei, keine Affekte ihren Namen haben.
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VI. Amor est laetitia concomitante idea causae externae. E x p l i c a t i o . Haec definitio satis clare amoris essentiam explicat; illa vero auctorum, qui definiunt amorem esse voluntatem amantis se jungendi rei amatae, non amoris essentiam, sed ejus proprietatem exprimit, et, quia amoris essentia non satis ab auctoribus perspecta fuit, ideo neque ejus proprietatis ullum clarum conceptum habere potuerunt, et hinc factum, ut eorum definitionem admodum obscuram esse omnes judicaverint. Verum notandum, cum dico proprietatem esse in amante se voluntate jungere rei amatae, me per voluntatem non intelligere consensum vel animi deliberationem seu liberum decretum (nam hoc fictitium esse demonstravimus propositione 48. partis 2.), nec etiam cupiditatem sese jungendi | rei amatae, quando abest, vel perseverandi in ipsius praesentia, quando adest; potest namque amor absque hac aut illa cupiditate concipi; sed per voluntatem me acquiescentiam intelligere, quae est in amante ob rei amatae praesentiam, a qua laetitia amantis corroboratur aut saltem fovetur.
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VII. Odium est tristitia concomitante idea causae externae. E x p l i c a t i o . Quae hic notanda sunt, ex dictis in praecedentis definitionis explicatione facile percipiuntur. Vide praeterea schol. prop. 13. hujus.
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VIII. Propensio est laetitia concomitante idea alicujus rei, quae per accidens causa est laetitiae.
24 prop. 13.] prop. 11. korr. Gebhardt
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6. Liebe ist Freude unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache. E r l u t e r u n g : Diese Definition erklrt die Essenz von Liebe hinreichend klar; die Definition solcher Autoren, die Liebe als den Willen des Liebenden, sich mit dem geliebten Ding zu verbinden, definieren, drˇckt dagegen nicht die Essenz von Liebe aus, sondern eine ihrer Eigenschaften; und weil diese Autoren die Essenz von Liebe nicht klar genug durchschaut haben, konnten sie auch von ihrer Eigenschaft keinen klaren Begriff haben, so da jedermann ihre Definition fˇr ziemlich obskur gehalten hat. Wenn ich sage, es sei eine Eigenschaft in dem Liebenden, sich mit dem geliebten Ding verbinden zu wollen, sollte freilich festgehalten werden, da ich unter Wille nicht eine Zustimmung oder berlegung des Gemˇts verstehe, also nicht so etwas wie eine freie Entscheidung (denn da das eine Fiktion ist, haben wir in Lehrsatz 48 des 2. Teils gezeigt); ich verstehe darunter freilich auch nicht eine Begierde, sich mit dem geliebten Ding zu verbinden, wenn es abwesend ist, oder in dessen Gegenwart zu verweilen, wenn es anwesend ist. Liebe kann nmlich ohne diese Formen von Begierde begriffen werden; unter Wille verstehe ich vielmehr eine Zufriedenheit, die den Liebenden angesichts der Gegenwart des geliebten Dinges erfˇllt und von der seine Freude bestrkt oder wenigstens genhrt wird. 7. Ha ist Trauer unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache. E r l u t e r u n g : Was hier anzumerken ist, lt sich leicht dem in der Erluterung zur vorigen Definition Gesagten entnehmen. Siehe auerdem die Anmerkung zu Lehrsatz 13 dieses Teils. 8. Zuneigung ist eine Freude unter Begleitung der Idee eines Dinges, das durch Zufall die Ursache von Freude ist.
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IX. Aversio est tristitia concomitante idea alicujus rei, quae per accidens causa est tristitiae. De his vide schol. prop. 15. hujus.
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X. Devotio est amor erga eum, quem admiramur. E x p l i c a t i o . Admirationem oriri ex rei novitate ostendimus propositione 52. hujus. Si igitur contingat, ut id, quod admiramur, saepe imaginemur, idem admirari desinemus; atque adeo videmus devotionis affectum facile in simplicem amorem degenerare. XI. Irrisio est laetitia orta ex eo, quod aliquid, quod contemnimus in re, quam odimus, ei inesse imaginamur. E x p l i c a t i o . Quatenus rem, quam odimus, contemnimus, eatenus de eadem existentiam negamus (vide schol. prop. 52. hujus) et eatenus (per prop. 20. hujus) laetamur. Sed quoniam supponimus hominem id, quod irridet, odio tamen habere, sequitur hanc laetitiam solidam non esse. Vid. schol. prop. 47. hujus.| XII. Spes est inconstans laetitia orta ex idea rei futurae vel praeteritae, de cujus eventu aliquatenus dubitamus. XIII. Metus est inconstans tristitia orta ex idea rei futurae vel praeteritae, de cujus eventu aliquatenus dubitamus. Vide de his schol. 2. prop. 18. hujus. E x p l i c a t i o . Ex his definitionibus sequitur non dari spem sine metu neque metum sine spe. Qui enim spe pendet
8 imaginemur] imaginamur korr. Gebhardt 13 ei inesse] Gebhardt streicht ei und setzt Komma nach contemnimus
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9. Abneigung ist eine Trauer unter Begleitung der Idee eines Dinges, das durch Zufall die Ursache von Trauer ist. Siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 15 dieses Teils. 10. Verehrung ist eine Liebe zu einem, ˇber den wir staunen. E r l u t e r u n g : Da Erstaunen der Neuheit eines [vorgestellten] Dinges entspringt, haben wir in Lehrsatz 52 dieses Teils gezeigt. Geschieht es also, da wir das, worˇber wir staunen, hufig vorstellen, werden wir schlielich aufh˛ren, darˇber zu staunen; mithin erleben wir, da der Affekt der Verehrung leicht zu einfacher Liebe herunterkommt. 11. Spott ist eine Freude, die dem entsprungen ist, da wir uns etwas, das wir geringschtzen, in einem Ding vorstellen, das wir hassen. E r l u t e r u n g : Insofern wir ein Ding, das wir hassen, geringschtzen, sprechen wir ihm Existenz ab (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils), und insoweit freuen wir uns (nach Lehrsatz 20 dieses Teils). Unter der Voraussetzung, da der Mensch gleichwohl hat, was er verspottet, ist eine solche Freude allerdings nicht dauerhaft. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 47 dieses Teils. 12. Hoffnung ist eine unbestndige Freude, die der Idee einer zukˇnftigen oder vergangenen Sache entsprungen ist, ˇber deren Ausgang wir in bestimmter Hinsicht im Ungewissen sind. 13. Furcht ist eine unbestndige Trauer, die der Idee einer zukˇnftigen oder vergangenen Sache entsprungen ist, ˇber deren Ausgang wir in bestimmter Hinsicht im Ungewissen sind. Siehe dazu Anmerkung 2 zu Lehrsatz 18 dieses Teils. E r l u t e r u n g : Aus diesen [beiden] Definitionen folgt, da es weder Hoffnung ohne Furcht noch Furcht ohne Hoff-
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et de rei eventu dubitat, is aliquid imaginari supponitur, quod rei futurae existentiam secludit; atque adeo eatenus contristari (per prop. 19. hujus) et consequenter, dum spe pendet, metuere, ut res eveniat. Qui autem contra in metu est, hoc est de rei, quam odit, eventu dubitat, aliquid etiam imaginatur, quod ejusdem rei existentiam secludit; atque adeo (per prop. 20. hujus) laetatur et consequenter eatenus spem habet, ne eveniat. XIV. Securitas est laetitia orta ex idea rei futurae vel praeteritae, de qua dubitandi causa sublata est. XV. Desperatio est tristitia orta ex idea rei futurae vel praeteritae, de qua dubitandi causa sublata est. E x p l i c a t i o . Oritur itaque ex spe securitas et ex metu desperatio, quando de rei eventu dubitandi causa tollitur, quod fit, quia homo rem praeteritam vel futuram adesse imaginatur et ut praesentem contemplatur; vel quia alia imaginatur, quae existentiam earum rerum secludunt, quae ipsi dubium injiciebant. Nam tametsi de rerum singularium eventu (per coroll. prop. 31. p. 2.) nunquam possumus esse certi, fieri tamen potest, ut de earum eventu non dubitemus. Aliud enim esse ostendimus (vide schol. prop. 49. p. 2.) de re non dubitare, aliud rei certitudinem habere; atque adeo fieri potest, ut ex imagine rei praeteritae aut futurae eodem laetitiae vel tristi-
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nung gibt. Wer nmlich in Hoffnung schwebt und ˇber den Ausgang einer Sache im Ungewissen ist, von dem nimmt man an, da er sich etwas vorstellt, das die Existenz der ausstehenden Sache ausschliet, mithin da er traurig ist (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) und folglich, whrend er in Hoffnung schwebt, fˇrchtet, da die Sache einen schlechten Ausgang nimmt. Wer umgekehrt in Furcht ist, d. h. im Ungewissen ist ˇber den Ausgang einer Sache, die er hat, stellt sich auch etwas vor, das die Existenz dieser Sache ausschliet; mithin freut er sich (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) und hofft folglich insoweit auf einen guten Ausgang der Sache. 14. Zuversicht ist eine Freude, die der Idee einer zukˇnftigen oder vergangenen Sache entsprungen ist, in Bezug auf die die Ursache unserer Ungewiheit aufgehoben ist. 15. Verzweiflung ist eine Trauer, die der Idee einer zukˇnftigen oder vergangenen Sache entsprungen ist, in Bezug auf die die Ursache unserer Ungewiheit aufgehoben ist. E r l u t e r u n g : Aus Hoffnung wird also Zuversicht und aus Furcht Verzweiflung, wenn die Ursache der Ungewiheit ˇber den Ausgang der Sache aufgehoben wird; das geschieht, weil der Mensch sich vorstellt, das vergangene oder zukˇnftige Ding sei anwesend, und es als gegenwrtig betrachtet, oder auch, weil er sich andere Dinge vorstellt, die die Existenz der Dinge, die einen Zweifel in ihm erregten, ausschlieen. Denn wenn wir auch (nach Folgesatz zu Lehrsatz 31 des 2. Teils) darˇber, wie Einzeldinge ausgehen, niemals Gewiheit erlangen k˛nnen, kann es doch vorkommen, da wir ˇber ihren Ausgang keinen Zweifel hegen. Wie wir gezeigt haben (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 49 des 2. Teils), ist es nmlich eine Sache, an einem Sachverhalt nicht zu zweifeln, und eine andere, ˇber ihn Gewiheit zu haben; mithin kann es vorkommen, da wir von dem Vorstellungsbild eines vergangenen oder zukˇnftigen Dinges mit demselben Affekt der Freude oder Trauer affiziert
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tiae|affectu afficiamur ac ex rei praesentis imagine, ut in propositione 18. hujus demonstravimus, quam cum ejusdem scholio vide. XVI. Gaudium est laetitia concomitante idea rei praeteritae, quae praeter metum evenit. XVII. Conscientiae morsus est tristitia concomitante idea rei praeteritae, quae praeter spem evenit. XVIII. Commiseratio est tristitia concomitante idea mali, quod alteri, quem nobis similem esse imaginamur, evenit. Vid. schol. prop. 22. et schol. prop. 27 hujus. E x p l i c a t i o . Inter commiserationem et misericordiam nulla videtur esse differentia nisi forte, quod commiseratio singularem affectum respiciat, misericordia autem ejus habitum. XIX. Favor est amor erga aliquem, qui alteri benefecit. XX. Indignatio est odium erga aliquem, qui alteri malefecit. E x p l i c a t i o . Haec nomina ex communi usu aliud significare scio. Sed meum institutum non est verborum significationem, sed rerum naturam explicare easque iis vocabulis indicare, quorum significatio, quam ex usu habent, a significatione, qua eadem usurpare volo, non omnino abhorret, quod semel monuisse sufficiat. Caeterum horum affectuum causam vide in corollario 1. propositionis 27. et scholio propositionis 22. hujus partis.
3 scholio] Gebhardt verndert in scholiis 6 metum] spem korr. Gebhardt in den Corrigenda
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werden wie von dem Vorstellungsbild eines gegenwrtigen Dinges, wie wir in Lehrsatz 18 dieses Teils bewiesen haben, den man einschlielich Anmerkung [1] nachsehen m˛ge. 16. Fr˛hlichkeit ist eine Freude unter Begleitung der Idee einer vergangenen Sache, die besser als befˇrchtet abgelaufen ist. 17. Gewissensbi ist eine Trauer unter Begleitung der Idee einer vergangenen Sache, die schlechter als erhofft abgelaufen ist. 18. Mitleid ist eine Trauer unter Begleitung der Idee eines Schadens, der einem anderen, den wir uns als uns hnlich vorstellen, geschehen ist. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 22 und Anmerkung zu Lehrsatz 27 dieses Teils. E r l u t e r u n g : Zwischen Mitleid und Barmherzigkeit scheint kein Unterschied zu bestehen, es sei denn vielleicht der, da Mitleid den einzelnen Affekt im Blick hat und Barmherzigkeit den zu Mitleid neigenden Habitus. 19. Gunst ist eine Liebe zu jemandem, der einem anderen Gutes erwiesen hat. 20. Entrˇstung ist ein Ha auf jemanden, der einem anderen Schlechtes zugefˇgt hat. E r l u t e r u n g : Da diese W˛rter im alltglichen Sprachgebrauch eine andere Bedeutung haben, wei ich wohl. Indessen ist es mein Vorhaben, nicht die Bedeutung von W˛rtern, sondern die Natur von Dingen zu erklren; diese Dinge will ich mit Ausdrˇcken bezeichnen, deren gew˛hnliche Bedeutung nicht gnzlich von der Bedeutung, in der ich sie gebrauchen will, abweicht; ein Hinweis darauf sollte ein fˇr allemal genˇgen. Zu der Ursache dieser Affekte siehe im ˇbrigen Folgesatz 1 zu Lehrsatz 27 und Anmerkung zu Lehrsatz 22 dieses Teils.
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XXI. Existimatio est de aliquo prae amore plus justo sentire.
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XXII. Despectus est de aliquo prae odio minus justo sentire.| E x p l i c a t i o . Est itaque existimatio amoris et despectus odii effectus sive proprietas; atque adeo potest existimatio etiam definiri, quod sit amor, quatenus hominem ita afficit, ut de re amata plus justo sentiat, et contra despectus, quod sit odium, quatenus hominem ita afficit, ut de eo, quem odio habet, minus justo sentiat. Vide de his schol. prop. 26. hujus. XXIII. Invidia est odium, quatenus hominem ita afficit, ut ex alterius felicitate contristetur, et contra ut ex alterius malo gaudeat. E x p l i c a t i o . Invidiae opponitur communiter misericordia, quae proinde, invita vocabuli significatione, sic definiri potest. XXIV. Misericordia est amor, quatenus hominem ita afficit, ut ex bono alterius gaudeat, et contra ut ex alterius malo contristetur. E x p l i c a t i o . Caeterum de invidia vide schol. prop. 24. et schol. prop. 32. hujus. Atque hi affectus laetitiae et tristitiae sunt, quos idea rei externae comitatur tanquam causa per se vel per accidens. Hinc ad alios transeo, quos idea rei internae comitatur tanquam causa.
23 Atque] kein Absatz in OP
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21. berschtzung ist von jemandem aus Liebe mehr zu halten als recht ist. 22. Unterschtzung ist von jemandem aus Ha weniger zu halten als recht ist. E r l u t e r u n g : berschtzung ist also eine Wirkung oder Eigenschaft von Liebe und Unterschtzung eine Wirkung oder Eigenschaft von Ha; mithin kann berschtzung auch definiert werden als Liebe, insofern sie einen Menschen derart affiziert, da er von dem geliebten Ding mehr hlt als recht ist, und andererseits Unterschtzung als Ha, insofern er einen Menschen derart affiziert, da er von dem, den er hat, weniger hlt als recht ist. Siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 26 dieses Teils. 23. Neid ist Ha, insofern er einen Menschen derart affiziert, da er angesichts des Glˇcks eines anderen traurig und umgekehrt angesichts des Unglˇcks eines anderen froh ist. E r l u t e r u n g : Neid stellt man gew˛hnlich dem Mitgefˇhl gegenˇber, das man dann, gegen die eigentliche Bedeutung des Wortes, wie folgt definieren kann: 24. Mitgefˇhl ist Liebe, insofern sie einen Menschen derart affiziert, da er angesichts des Glˇcks eines anderen froh und umgekehrt angesichts des Unglˇcks eines anderen traurig ist. E r l u t e r u n g : Zu Neid siehe im ˇbrigen die Anmerkung zu Lehrsatz 24 und die zu Lehrsatz 32 dieses Teils. Dies sind die Affekte der Freude und Trauer, die von der Idee eines ueren Dinges als Ursache begleitet werden, wobei die Ursache entweder Ursache durch sich oder Ursache durch Zufall ist. Ich gehe jetzt zu den Affekten ˇber, die von der Idee einer inneren Sache als Ursache begleitet werden.
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XXV. Acquiescentia in se ipso est laetitia orta ex eo, quod homo se ipsum suamque agendi potentiam contemplatur.
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XXVI. Humilitas est tristitia orta ex eo, quod homo suam impotentiam sive imbecillitatem contemplatur. E x p l i c a t i o . Acquiescentia in se ipso humilitati opponitur, quatenus per | eandem intelligimus laetitiam, quae ex eo oritur, quod nostram agendi potentiam contemplamur; sed quatenus per ipsam etiam intelligimus laetitiam concomitante idea alicujus facti, quod nos ex mentis libero decreto fecisse credimus, tum poenitentiae opponitur, quae a nobis sic definitur. XXVII. Poenitentia est tristitia concomitante idea alicujus facti, quod nos ex libero mentis decreto fecisse credimus. E x p l i c a t i o . Horum affectuum causas ostendimus in schol. prop. 51. hujus, et prop. 53., 54. et 55. hujus ejusque schol. De libero autem mentis decreto vide schol. prop. 35. p. 2. Sed hic praeterea notandum venit mirum non esse, quod omnes omnino actus, qui ex consuetudine pravi vocantur, sequatur tristitia, et illos, qui recti dicuntur, laetitia. Nam hoc ab educatione potissimum pendere facile ex supra dictis intelligimus. Parentes nimirum, illos exprobrando liberosque propter eosdem saepe objurgando, hos contra suadendo et laudando, effecerunt, ut tristitiae commotiones illis, laetitiae vero his jungerentur. Quod ipsa etiam experientia comprobatur. Nam consuetudo et religio non est omnibus eadem; sed contra quae apud alios sacra, apud alios
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25. Selbstzufriedenheit ist eine Freude, die dem entsprungen ist, da ein Mensch sich selbst und seine Wirkungsmacht betrachtet. 26. Demut ist eine Trauer, die dem entsprungen ist, da ein Mensch seine eigene Ohnmacht oder Schwche betrachtet. E r l u t e r u n g : Selbstzufriedenheit steht der Demut gegenˇber, insofern wir unter ihr eine Freude verstehen, die dem entsprungen ist, da wir unsere Wirkungsmacht betrachten. Insofern wir unter ihr aber auch eine Freude verstehen, die von der Idee irgendeiner Tat begleitet wird, von der wir glauben, sie aus einer freien Entscheidung des Geistes vollbracht zu haben, steht sie der Reue gegenˇber, die wir wie folgt definieren: 27. Reue ist eine Trauer unter Begleitung der Idee einer Tat, von der wir glauben, sie aus einer freien Entscheidung des Geistes vollbracht zu haben. E r l u t e r u n g : Die Ursachen dieser Affekte haben wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 51, in Lehrsatz 53 und 54 und in Lehrsatz 55 einschlielich Anmerkung dieses Teils aufgezeigt. Zur freien Entscheidung des Geistes siehe andererseits die Anmerkung zu Lehrsatz 35 des 2. Teils. Auerdem sollte aber hier angemerkt werden, da es kein Wunder ist, da auf alle Handlungen, die gew˛hnlich unrecht genannt werden, generell Trauer folgt, und auf alle, die recht genannt werden, Freude. Denn da dies hauptschlich von der Erziehung abhngt, ist dem oben Gesagten leicht zu entnehmen. Eltern, die die erstgenannten Handlungen tadeln und ihre Kinder derentwegen oft schelten und andererseits die zweitgenannten empfehlen und loben, haben natˇrlich dafˇr gesorgt, da mit den einen Regungen von Trauer und mit den anderen Regungen von Freude verbunden werden. Gerade die Erfahrung besttigt dies ebenfalls. Denn Sitte und Religion sind nicht bei allen Menschen gleich; im Gegenteil, was den einen heilig ist, ist anderen profan, und was fˇr die einen eh-
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profana, et quae apud alios honesta, apud alios turpia sunt. Prout igitur unusquisque educatus est, ita facti alicujus poenitet vel eodem gloriatur.
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XXVIII. Superbia est de se prae amore sui plus justo sentire. E x p l i c a t i o . Differt igitur superbia ab existimatione, quod haec ad objectum externum, superbia autem ad ipsum hominem de se plus justo sentientem referatur. Caeterum, ut existimatio amoris, sic superbia philautiae effectus vel proprietas est, quae propterea etiam definiri potest, quod sit amor sui sive acquiescentia in se ipso, quatenus hominem ita afficit, ut de se plus justo sentiat (vid. |schol. prop. 26. hujus). Huic affectui non datur contrarius. Nam nemo de se prae odio sui minus justo sentit; imo nemo de se minus justo sentit, quatenus imaginatur se hoc vel illud non posse. Nam quicquid homo imaginatur se non posse, id necessario imaginatur, et hac imaginatione ita disponitur, ut id agere revera non possit, quod se non posse imaginatur. Quamdiu enim imaginatur se hoc vel illud non posse, tamdiu ad agendum non est determinatus; et consequenter tamdiu impossibile ei est, ut id agat. Verumenimvero si ad illa attendamus, quae a sola opinione pendent, concipere poterimus fieri posse, ut homo de se minus justo sentiat; fieri enim potest, ut aliquis, dum tristis imbecillitatem contemplatur suam, imaginetur se ab omnibus contemni, idque dum reliqui nihil minus cogitant quam ipsum contemnere. Potest praeterea homo de se minus justo sentire, si aliquid de se in praesenti neget cum relatione ad futurum tempus, cujus est incertus; ut quod neget se nihil certi posse concipere nihilque nisi prava vel turpia posse cu-
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renhaft ist, ist fˇr die anderen ungeh˛rig. Seine Erziehung ist es also, der gem ein jeder eine Tat bereut oder sich ihrer rˇhmt. 28. Hochmut ist aus Liebe zu sich selbst mehr von sich zu halten als recht ist. E r l u t e r u n g : Hochmut unterscheidet sich von berschtzung also dadurch, da diese sich auf einen ueren Gegenstand bezieht, Hochmut aber auf den Menschen selbst, der von sich mehr hlt als recht ist. Wie im ˇbrigen berschtzung eine Wirkung oder Eigenschaft von Liebe ist, so ist Hochmut eine Wirkung oder Eigenschaft von Eigenliebe, der deshalb auch definiert werden kann als Selbstliebe oder Selbstzufriedenheit, insofern sie einen Menschen derart affiziert, da er von sich mehr hlt als recht ist (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 26 dieses Teils). Zu diesem Affekt gibt es keinen Gegensatz. Denn niemand hlt aus Selbstha weniger von sich als recht ist. In der Tat hlt niemand von sich weniger als recht ist, insofern er sich vorstellt, er k˛nne dies oder das nicht. Denn was auch immer der Mensch sich vorstellt nicht zu k˛nnen, stellt er sich notwendigerweise vor; und von einer Vorstellung dieser Art wird er so disponiert, da er tatschlich das nicht tun kann, von dem er sich vorstellt, es nicht zu k˛nnen. Solange er sich nmlich vorstellt, dies oder das nicht zu k˛nnen, ist er auch nicht bestimmt, es zu tun, und folglich ist es ihm solange unm˛glich, es zu tun. Richten wir jedoch unsere Aufmerksamkeit auf Sachverhalte, die auf bloer Meinung beruhen, werden wir begreifen k˛nnen, wie es m˛glich ist, da ein Mensch weniger von sich hlt als recht ist. Es kann nmlich vorkommen, da jemand, whrend er traurig seine Schwche betrachtet, sich vorstellt, von allen anderen gering geschtzt zu werden, whrend die anderen gar nicht daran denken, ihn gering zu schtzen. Auerdem kann ein Mensch weniger von sich halten als recht ist, wenn er jetzt etwas von sich in Anbetracht einer ihm ungewissen Zukunft verneint, z. B. wenn er verneint, etwas mit Gewiheit begreifen zu k˛nnen oder etwas anderes als Unrechtes oder Unan-
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pere vel agere, etc. Possumus deinde dicere aliquem de se minus justo sentire, cum videmus ipsum ex nimio pudoris metu ea non audere, quae alii ipsi aequales audent. Hunc igitur affectum possumus superbiae opponere, quem abjectionem vocabo, nam ut ex acquiescentia in se ipso superbia, sic ex humilitate abjectio oritur, quae proinde a nobis sic definitur. XXIX. Abjectio est de se prae tristitia minus justo sentire. E x p l i c a t i o . Solemus tamen saepe superbiae humilitatem opponere; sed tum magis ad utriusque effectus quam naturam attendimus. Solemus namque illum superbum vocare, qui nimis gloriatur (vide schol. prop. 30. hujus), qui non nisi virtutes suas et aliorum non nisi vitia narrat, qui omnibus praeferri vult et qui denique ea gravitate et ornatu incedit, quo solent alii, qui longe supra ipsum sunt positi. Contra illum humilem vocamus, qui saepius erubescit, qui sua vitia fatetur et aliorum virtutes narrat, qui omnibus cedit et qui denique submisso capite ambulat et se ornare negligit. Cae|terum hi affectus, nempe humilitas et abjectio, rarissimi sunt. Nam natura humana, in se considerata, contra eosdem, quantum potest, nititur (vide prop. 13. et 54. hujus); et ideo, qui maxime creduntur abjecti et humiles esse, maxime plerumque ambitiosi et invidi sunt. XXX. Gloria est laetitia concomitante idea alicujus nostrae actionis, quam alios laudare imaginamur.
21 prop. 13.] prop. 15. korr. Gebhardt
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stndiges begehren oder tun zu k˛nnen, usw. Schlielich k˛nnen wir sagen, da jemand weniger von sich hlt als recht ist, wenn wir sehen, da er aus ˇbertriebener Furcht vor Scham nicht wagt, was andere seinesgleichen wagen. Diesen Affekt, den ich Kleinmut nennen will, k˛nnen wir also dem Hochmut gegenˇberstellen; denn wie der Selbstzufriedenheit Hochmut entspringt, so der Demut Kleinmut, den wir somit wie folgt definieren k˛nnen: 29. Kleinmut ist aus Trauer weniger von sich zu halten als recht ist. E r l u t e r u n g : Zwar ist es Hochmut, dem wir Demut oft gegenˇberzustellen pflegen, aber dann haben wir mehr die Wirkungen als die Natur beider Affekte im Auge. Gew˛hnlich nennen wir nmlich hochmˇtig denjenigen, der sich allzusehr rˇhmt (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils), der von nichts spricht als von seinen eigenen Vorzˇgen und den Fehlern der anderen, der ˇber alle anderen gestellt sein m˛chte und der schlielich so wˇrdevoll und ausstaffiert einherschreitet, wie es die zu tun pflegen, die weit ˇber ihm stehen. Demˇtig nennen wir hingegen denjenigen, der sehr oft vor Scham rot wird, der die eigenen Fehler eingesteht und von den Vorzˇgen anderer spricht, der allen Platz macht und schlielich gesenkten Hauptes daherluft und auf alle Ausstaffierung nichts gibt. Im ˇbrigen sind diese Affekte, Demut und Kleinmut, uerst selten. Denn die menschliche Natur, in sich betrachtet, stemmt sich gegen sie, soviel sie kann (siehe Lehrsatz 13 und 54 dieses Teils), und so sind die, die als besonders kleinmˇtig und demˇtig gelten, in der Regel nur besonders ehrgeizig und neidisch. 30. Ruhm ist eine Freude unter Begleitung der Idee einer von uns vollbrachten Handlung, von der wir uns vorstellen, da andere sie loben.
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XXXI. Pudor est tristitia concomitante idea alicujus actionis, quam alios vituperare imaginamur. E x p l i c a t i o . De his vide scholium propositionis 30. hujus partis. Sed hic notanda est differentia, quae est inter pudorem et verecundiam. Est enim pudor tristitia, quae sequitur factum, cujus pudet. Verecundia autem est metus seu timor pudoris, quo homo continetur, ne aliquid turpe committat. Verecundiae opponi solet impudentia, quae revera affectus non est, ut suo loco ostendam. Sed affectuum nomina (ut jam monui) magis eorum usum quam naturam respiciunt. Atque his laetitiae et tristitiae affectus, quos explicare proposueram, absolvi. Pergo itaque ad illos, quos ad cupiditatem refero. XXXII. Desiderium est cupiditas sive appetitus re aliqua potiundi, quae ejusdem rei memoria fovetur et simul aliarum rerum memoria, quae ejusdem rei appetendae existentiam secludunt, coercetur. E x p l i c a t i o . Cum alicujus rei recordamur, ut jam saepe diximus, eo ipso disponimur ad eandem eodem affectu contemplandum, ac si res praesens adesset; sed haec dispositio seu conatus, dum vigilamus, plerumque cohibetur ab imaginibus rerum, quae existentiam ejus, cujus recordamur, secludunt. Quando itaque rei meminimus, quae nos aliquo laetitiae genere afficit, eo ipso conamur eandem cum | eodem laetitiae affectu ut praesentem contemplari, qui quidem conatus statim cohibetur memoria rerum, quae illius existentiam
12 Atque] kein Absatz in OP
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31. Scham ist eine Trauer unter Begleitung der Idee einer vollbrachten Handlung, von der wir uns vorstellen, da andere sie tadeln. E r l u t e r u n g : Siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils. Hier ist noch der Unterschied zwischen Scham und Schamgefˇhl zu erwhnen. Scham ist nmlich eine Trauer, die auf eine Tat folgt, deren man sich schmt, whrend Schamgefˇhl eine Furcht oder ngstlichkeit vor Scham ist, von der ein Mensch zurˇckgehalten wird, etwas Ungeh˛riges zu begehen. Schamgefˇhl stellt man gew˛hnlich Schamlosigkeit gegenˇber, die jedoch in Wahrheit kein Affekt ist, wie ich an geeigneter Stelle zeigen will. Allein die Namen der Affekte haben (was ich schon erwhnt habe) mehr den Sprachgebrauch als die Sache im Blick. Und damit bin ich mit den Affekten der Freude und Trauer, die zu erklren ich mir vorgenommen hatte, fertig. So gehe ich zu denen ˇber, die ich der Begierde zuordne. 32. Sehnsucht ist eine Begierde, nmlich ein Trieb, irgendein Ding zu besitzen, die von der Erinnerung an dieses Ding genhrt und zugleich von der Erinnerung an andere Dinge, die die Existenz des ersehnten Dinges ausschlieen, gehemmt wird. E r l u t e r u n g : Wenn wir uns eines Dinges erinnern, werden wir, wie wir schon oft gesagt haben, dadurch disponiert, es mit demselben Affekt zu betrachten, als wenn es gegenwrtig wre; doch wird im Zustand des Wachens diese Disposition oder dieses Streben in der Regel von Vorstellungsbildern von Dingen zurˇckgedrngt, die die Existenz dessen, woran wir uns erinnern, ausschlieen. Wenn wir uns also eines Dinges erinnern, das uns mit irgendeiner Art von Freude affiziert, streben wir ebendeshalb, es mit demselben Affekt der Freude als gegenwrtig zu betrachten, ein Streben, das von der Erinnerung an Dinge, die die Existenz jenes Dinges ausschlieen, allerdings sofort zurˇckgehalten wird.
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secludunt. Quare desiderium revera tristitia est, quae laetitiae opponitur illi, quae ex absentia rei, quam odimus, oritur, de qua vide scholium propositionis 47. hujus partis. Sed quia nomen desiderium cupiditatem respicere videtur, ideo hunc affectum ad cupiditatis affectus refero. XXXIII. Aemulatio est alicujus rei cupiditas, quae nobis ingeneratur ex eo, quod alios eandem cupiditatem habere imaginamur. E x p l i c a t i o . Qui fugit, quia alios fugere, vel qui timet, quia alios timere videt, vel etiam ille, qui ex eo, quod aliquem manum suam combussisse videt, manum ad se contrahit corpusque movet, quasi ipsius manus combureretur, eum imitari quidem alterius affectum, sed non eundem aemulari dicemus; non quia aliam aemulationis, aliam imitationis novimus causam, sed quia usu factum est, ut illum tantum vocemus aemulum, qui id, quod honestum, utile vel jucundum esse judicamus, imitatur. Caeterum de aemulationis causa vide propositionem 27. hujus partis cum ejus scholio. Cur autem huic affectui plerumque juncta sit invidia, de eo vide propositionem 32. hujus cum ejusdem scholio. XXXIV. Gratia seu gratitudo est cupiditas seu amoris studium, quo ei benefacere conamur, qui in nos pari amoris affectu benificium contulit. Vide prop. 39. cum schol. prop. 41. hujus.
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XXXV. Benevolentia est cupiditas benefaciendi ei, cujus nos miseret. Vide schol. prop. 27. hujus.
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Sehnsucht ist deshalb in Wirklichkeit eine Trauer, die jener Freude gegenˇbersteht, die der Abwesenheit eines verhaten Dinges entspringt (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 47 dieses Teils). Weil das Wort Sehnsucht aber offenbar eine Begierde im Blick hat, zhle ich diesen Affekt zu den Affekten der Begierde. 33. Wetteifer ist eine Begierde nach einem Ding, die in uns erzeugt wird, weil wir uns vorstellen, andere htten dieselbe Begierde. E r l u t e r u n g : Wenn jemand flieht, weil er andere fliehen sieht, oder ngstlich ist, weil er andere in Angst sieht, oder wenn er, weil er sieht, da ein anderer sich die Hand verbrannt hat, seine eigene Hand zurˇckzieht und seinen K˛rper bewegt, als htte er sich selbst die Hand verbrannt, dann werden wir zwar sagen, da er den Affekt des anderen nachahmt, aber nicht, da er mit ihm wetteifert; nicht, weil wir fˇr Wetteifer eine andere Ursache kennen als fˇr Nachahmung, sondern weil es durch den Wortgebrauch so gekommen ist, da wir wetteifernd nur denjenigen nennen, der solches nachahmt, was wir fˇr anstndig, nˇtzlich oder erfreulich halten. Zur Ursache von Wetteifer siehe im ˇbrigen Lehrsatz 27 dieses Teils einschlielich Anmerkung. Und warum mit diesem Affekt im allgemeinen Neid verbunden ist, siehe dazu Lehrsatz 32 dieses Teils einschlielich Anmerkung. 34. Dank oder Dankbarkeit ist eine Begierde oder ein Bestreben, demjenigen aus Liebe Gutes zu erweisen, der uns aus einem gleichen Affekt von Liebe heraus Gutes erwiesen hat. Siehe Lehrsatz 39 und Anmerkung zu Lehrsatz 41 dieses Teils. 35. Wohlwollen ist eine Begierde, demjenigen Gutes zu erweisen, den wir bemitleiden. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 27 dieses Teils.
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XXXVI. Ira est cupiditas, qua ex odio incitamur ad illi, quem odimus, malum inferendum. Vide prop. 39. hujus.|
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XXXVII. Vindicta est cupiditas, qua ex reciproco odio concitamur ad malum inferendum ei, qui nobis pari affectu damnum intulit. Vide coroll. 2. prop. 40. hujus cum ejusdem schol. XXXVIII. Crudelitas seu saevitia est cupiditas, qua aliquis concitatur ad malum inferendum ei, quem amamus vel cujus nos miseret. E x p l i c a t i o . Crudelitati opponitur clementia, quae passio non est, sed animi potentia, qua homo iram et vindictam moderatur. XXXIX. Timor est cupiditas majus, quod metuimus, malum minore vitandi. Vide schol. prop. 39. hujus. XL. Audacia est cupiditas, qua aliquis incitatur ad aliquid agendum cum periculo, quod ejus aequales subire metuunt.
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XLI. Pusillanimitas dicitur de eo, cujus cupiditas coercetur timore periculi, quod ejus aequales subire audent. E x p l i c a t i o . Est igitur pusillanimitas nihil aliud quam metus alicujus mali, quod plerique non solent metuere; quare ipsam ad cupiditatis affectus non refero. Eandem tamen hic explicare volui, quia quatenus ad cupiditatem attendimus, affectui audaciae revera opponitur.
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36. Zorn ist eine Begierde, von der wir aus Ha angespornt werden, demjenigen Schlechtes zuzufˇgen, den wir hassen. Siehe Lehrsatz 39 dieses Teils. 37. Rache ist eine Begierde, von der wir aus der Erwiderung von Ha angespornt werden, demjenigen Schlechtes zuzufˇgen, der uns aus einem gleichen Affekt heraus verletzt hat. Siehe Folgesatz 2 zu Lehrsatz 40 dieses Teils einschlielich Anmerkung. 38. Grausamkeit oder Rohheit ist eine Begierde, von der jemand angespornt wird, demjenigen Schlechtes zuzufˇgen, den wir [anderen] lieben oder bemitleiden. E r l u t e r u n g : Grausamkeit steht der Mildttigkeit gegenˇber, die keine Leidenschaft ist, sondern eine Macht des Gemˇts, mit der ein Mensch Zorn und Rache migt. 39. ngstlichkeit ist eine Begierde, einen befˇrchteten gr˛eren Schaden ˇber einen kleineren zu vermeiden. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 39 dieses Teils. 40. Kˇhnheit ist eine Begierde, von der jemand angespornt wird, etwas Gefhrliches zu tun, dem sich auszusetzen andere seinesgleichen fˇrchten. 41. Feigheit schreibt man dem zu, dessen Begierde von ngstlichkeit vor einer Gefahr gehemmt wird, die andere seinesgleichen auf sich zu nehmen wagen. E r l u t e r u n g : Feigheit ist also nichts anderes als Furcht vor irgendeinem Schaden, den die meisten gew˛hnlich nicht fˇrchten; deshalb rechne ich sie nicht zu den Affekten der Begierde. Doch habe ich sie hier erklren wollen, weil sie, insofern wir auf die Begierde achten, in der Tat der Kˇhnheit gegenˇbersteht.
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XLII. Consternatio dicitur de eo, cujus cupiditas malum vitandi coercetur admiratione mali, quod timet. E x p l i c a t i o . Est itaque consternatio pusillanimitatis species. Sed quia consternatio ex duplici timore oritur, ideo commodius definiri potest, quod sit metus, qui hominem stupefactum aut fluctuantem ita|continet, ut is malum amovere non possit. Dico stupefactumß, quatenus ejus cupiditatem malum amovendi admiratione coerceri intelligimus. Fluctuantemß autem dico, quatenus concipimus eandem cupiditatem coerceri timore alterius mali, quod ipsum aeque cruciat; unde fit, ut quodnam ex duobus avertat, nesciat. De his vide schol. prop. 39. et schol. prop. 52 hujus. Caeterum de pusillanimitate et audacia vide schol. prop. 51. hujus. XLIII. Humanitas seu modestia est cupiditas ea faciendi, quae hominibus placent, et omittendi, quae displicent. XLIV. Ambitio est immodica gloriae cupiditas. E x p l i c a t i o . Ambitio est cupiditas, qua omnes affectus (per prop. 27. et 31. hujus) foventur et corroborantur; et ideo hic affectus vix superari potest. Nam quamdiu homo aliqua cupiditate tenetur, hac simul necessario tenetur. Optimus quisqueß, inquit Cicero, maxime gloria ducitur. Philosophi etiam libris, quos de contemnenda gloria scribunt, nomen suum inscribuntß, etc. XLV. Luxuria est immoderata convivandi cupiditas vel etiam amor.
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42. Bestˇrzung schreibt man dem zu, dessen Begierde, einen Schaden zu vermeiden, von dem Erstaunen ˇber einen Schaden, den er befˇrchtet, gehemmt wird. E r l u t e r u n g : Bestˇrzung ist also eine Art von Feigheit. Weil Bestˇrzung aber doppelter ngstlichkeit entspringt, lt sie sich treffender als eine Furcht definieren, die den verdutzten oder unschlˇssigen Menschen derart festhlt, da er den Schaden nicht abwenden kann. Ich sage verdutztß, insofern seine Begierde, einen Schaden abzuwenden, als von Erstaunen gehemmt verstanden wird, und unschlˇssigß, insofern wir begreifen, da sie von ngstlichkeit vor einem anderen, ihn ebenso qulenden Schaden gehemmt wird, so da er nicht wei, welchen der beiden Schden er abwenden sollte. Siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 39 und die zu Lehrsatz 52 dieses Teils. Zu Feigheit und Kˇhnheit siehe im ˇbrigen die Anmerkung zu Lehrsatz 51 dieses Teils. 43. Menschenfreundlichkeit oder Geflligkeit ist eine Begierde zu tun, was Menschen gefllt, und zu unterlassen, was ihnen mifllt. 44. Ehrgeiz ist eine malose Begierde nach Ruhm. E r l u t e r u n g : Ehrgeiz ist eine Begierde, von der alle Affekte genhrt und bestrkt werden (nach Lehrsatz 27 und 31 dieses Teils); somit ist dieser Affekt kaum zu ˇberwinden. Denn solange ein Mensch ˇberhaupt von einer Begierde erfat ist, ist er notwendigerweise zugleich von dieser mit erfat. Gerade der Besteß, sagt Cicero [Pro Archia 11], wird vornehmlich von Ruhmsucht geleitet. Selbst die Philosophen setzen auf die Bˇcher, die sie ˇber die Verchtlichkeit des Ruhmes schreiben, ihren Namenß. 45. Schwelgerei ist eine zˇgellose Begierde oder auch Liebe zum Schmausen.
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XLVI. Ebrietas est immoderata potandi cupiditas et amor. XLVII. Avaritia est immoderata divitiarum cupiditas et amor. 5
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XLVIII. Libido est etiam cupiditas et amor in commiscendis corporibus. E x p l i c a t i o . Sive haec coeundi cupiditas moderata sit sive non sit, libido appellari solet. Porro hi quinque affectus (ut in schol. prop. 56. hujus monui) contrarios non habent. Nam modestia species est ambitionis, de qua vide schol. prop. 29. hujus, temperantiam deinde, | sobrietatem et castitatem mentis potentiam, non autem passionem indicare, jam etiam monui. Et tametsi fieri potest, ut homo avarus, ambitiosus vel timidus a nimio cibo, potu et coitu abstineat; avaritia tamen, ambitio et timor luxuriae, ebrietati vel libidini non sunt contrarii. Nam avarus in cibum et potum alienum se ingurgitare plerumque desiderat. Ambitiosus autem, modo speret fore clam, in nulla re sibi temperabit, et si inter ebrios vivat et libidinosos, ideo quia ambitiosus est, proclivior erit ad eadem vitia. Timidus denique id, quod non vult, facit. Nam quamvis mortis vitandae causa divitias in mare projiciat, manet tamen avarus; et si libidinosus tristis est, quod sibi morem gerere nequeat, non desinit propterea libidinosus esse. Et absolute hi affectus non tam ipsos actus convivandi, potandi etc. respiciunt quam ipsum appetitum et
10 Porro] kein Absatz in OP 17 libidini] castitati korr. Gebhardt 18 se] Hinzufˇgung Gebhardt
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46. Trunksucht ist eine zˇgellose Begierde und Liebe zum Zechen. 47. Habgier ist eine zˇgellose Begierde und Liebe zu Reichtum. 48. Lˇsternheit ist, nun ja, eine Begierde und Liebe zu k˛rperlicher Vereinigung. E r l u t e r u n g : Mag diese Begierde zum Koitieren mavoll sein oder nicht, gew˛hnlich nennt man sie nun einmal Lˇsternheit. Weiter, diese fˇnf Affekte haben (wie ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 56 dieses Teils erwhnt habe) keinen Gegensatz. Denn Geflligkeit ist eine Art von Ehrgeiz (siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 29 dieses Teils); und da Migkeit, Nˇchternheit und Keuschheit eine Macht des Geistes anzeigen, nicht aber eine Leidenschaft [sind], habe ich auch schon erwhnt. Und wenn es auch vorkommen kann, da ein habgieriger, ehrgeiziger oder ngstlicher Mensch sich zˇgellosen Schmausens, Zechens und Koitierens enthlt, sind Habgier, Ehrgeiz und ngstlichkeit doch nicht der Gegensatz zu Schwelgerei, Trunkenheit oder Lˇsternheit. Denn der Habgierige wˇnscht in der Regel an anderer Leute Essen und Trinken sich vollzufressen und vollzusaufen. Und der Ehrgeizige wird in nichts Ma halten, wenn er nur hoffen kann, unentdeckt zu bleiben, und wenn er unter Trunkenbolden und Lˇstlingen lebt, wird er, weil er ehrgeizig ist, nur umso mehr zu diesen Lastern neigen. Der ngstliche endlich tut das, was zu tun er nicht wˇnscht. Denn wenn er auch, um dem Tod zu entgehen, seine Reichtˇmer ins Meer wirft, bleibt er doch habgierig; und wenn der Lˇstling traurig ist, weil er seiner Neigung nicht fr˛nen kann, h˛rt er deshalb nicht auf lˇstern zu sein. berhaupt hat man mit diesen Affekten nicht so sehr die tatschlichen Akte des Schmausens, Zechens usw. im Blick wie den Trieb selbst und die Liebe [zu diesen Genˇssen]. Also lt sich diesen Affekten nichts ge-
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amorem. Nihil igitur his affectibus opponi potest praeter generositatem et animositatem, de quibus in seqq. Definitiones zelotypiae et reliquarum animi fluctuationum silentio praetermitto, tam quia ex compositione affectuum, quos jam definivimus, oriuntur, quam quia pleraeque nomina non habent, quod ostendit ad usum vitae sufficere easdem in genere tantummodo noscere. Caeterum ex definitionibus affectuum, quos explicuimus, liquet eos omnes a cupiditate, laetitia vel tristitia oriri, seu potius nihil praeter hos tres esse, quorum unusquisque variis nominibus appellari solet propter varias eorum relationes et denominationes extrinsecas. Si jam ad hos primitivos et ad ea, quae de natura mentis supra diximus, attendere velimus, affectus, quatenus ad solam mentem referuntur, sic definire poterimus. A ff e c t u u m G e n e ra l i s D e f i n i t i o Affectus, qui animi pathema dicitur, est confusa idea, qua mens majorem vel minorem sui corporis vel alicujus ejus partis existendi vim quam antea affirmat, et qua data ipsa mens ad hoc potius quam ad illud cogitandum determinatur.| E x p l i c a t i o . Dico primo affectum seu passionem animi esse confusam ideamß. Nam mentem eatenus tantum pati ostendimus (vide prop. 3. hujus), quatenus ideas inadaequatas sive confusas habet. Dico deinde qua mens majorem vel minorem sui corporis vel alicujus ejus partis existendi vim quam antea affirmatß. Omnes enim corporum ideae, quas habemus, magis nostri corporis actualem constitutionem (per
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genˇberstellen auer Edelmut und Selbstvertrauen, worˇber spter zu handeln sein wird. Die Definitionen der Eifersucht und der sonstigen Schwankungen des Gemˇts ˇbergehe ich hier stillschweigend, teils weil sie einer Verknˇpfung von Affekten, die wir bereits definiert haben, entspringen, teils weil die meisten von ihnen keine Namen haben. Das zeigt, da es fˇr unsere Lebensfˇhrung reicht, sie nur im allgemeinen zu kennen. Aus den hier erluterten Definitionen der Affekte geht im ˇbrigen klar hervor, da sie alle in Begierde, Freude oder Trauer ihren Ursprung haben, oder besser, da sie nichts neben diesen drei sind; doch wird jeder von ihnen wegen der unterschiedlichen Bezˇge und uerlichen Merkmalen, die er hat, in der Regel mit einem je anderen Namen bezeichnet. Achten wir jetzt auf die genannten ursprˇnglichen Affekte und das oben ˇber die Natur des Geistes Gesagte, werden wir die Affekte, insofern sie allein auf den Geist bezogen sind, wie folgt definieren k˛nnen: A l l g e m e i n e D e f i n i t i o n d e r A ff e k t e Ein Affekt, der eine Leidenschaft des Gemˇts genannt wird, ist eine verworrene Idee, mit der der Geist von seinem K˛rper oder irgendeinem seiner Teile eine gr˛ere oder geringere Kraft des Existierens als vorher bejaht, und von der, wenn sie gegeben ist, der Geist bestimmt wird, eher an dieses als an jenes zu denken. E r l u t e r u n g : Ich sage erstens, da ein Affekt im Sinne einer Leidenschaft des Gemˇts eine verworrene Ideeß ist. Denn wir haben gezeigt (siehe Lehrsatz 3 dieses Teils), da der Geist nur insofern etwas erleidet, als er inadquate oder verworrene Ideen hat. Ich sage zweitens, mit der der Geist von seinem K˛rper oder irgendeinem seiner Teile eine gr˛ere oder geringere Kraft des Existierens als vorher bejahtß. Alle Ideen, die wir von K˛rpern haben, zeigen nmlich mehr den wirklichen Zustand unseres eigenen K˛rpers (nach Fol-
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coroll. 2. prop. 16. p. 2.) quam corporis externi naturam indicant; at haec, quae affectus formam constituit, corporis vel alicujus ejus partis constitutionem indicare vel exprimere debet, quam ipsum corpus vel aliqua ejus pars habet ex eo, quod ipsius agendi potentia sive existendi vis augetur vel minuitur, juvatur vel coercetur. Sed notandum, cum dico majorem vel minorem existendi vim quam anteaß, me non intelligere, quod mens praesentem corporis constitutionem cum praeterita comparat; sed quod idea, quae affectus formam constituit, aliquid de corpore affirmat, quod plus minusve realitatis revera involvit quam antea. Et quia essentia mentis in hoc consistit (per prop. 11. et 13. p. 2.), quod sui corporis actualem existentiam affirmat, et nos per perfectionem ipsam rei essentiam intelligimus, sequitur ergo, quod mens ad majorem minoremve perfectionem transit, quando ei aliquid de suo corpore vel aliqua ejus parte affirmare contingit, quod plus minusve realitatis involvit quam antea. Cum igitur supra dixerim mentis cogitandi potentiam augeri vel minui, nihil aliud intelligere volui, quam quod mens ideam sui corporis vel alicujus ejus partis formaverit, quae plus minusve realitatis exprimit, quam de suo corpore affirmaverat. Nam idearum praestantia et actualis cogitandi potentia ex objecti praestantia aestimatur. Addidi denique et qua data ipsa mens ad hoc potius quam ad aliud cogitandum determinaturß, ut praeter laetitiae et tristitiae naturam, quam prima definitionis pars explicat, cupiditatis etiam naturam exprimerem. Finis tertiae partis
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gesatz 2 zu Lehrsatz 16 des 2. Teils) als die Natur des ueren K˛rpers an. Nun mu diejenige, die die Form des Affekts ausmacht, einen Zustand des K˛rpers (oder eines seiner Teile) anzeigen oder ausdrˇcken, den der K˛rper (oder einer seiner Teile) daraus hat, da seine Wirkungsmacht und damit seine Kraft zu existieren vermehrt oder vermindert, gef˛rdert oder gehemmt wird. Allerdings ist anzumerken, da, wenn ich sage eine gr˛ere oder geringere Kraft des Existierens als vorherß, ich darunter nicht verstehe, da der Geist den gegenwrtigen Zustand seines K˛rpers mit einem vorhergehenden vergleicht, sondern da die Idee, die die Form des Affekts ausmacht, von dem K˛rper etwas bejaht, was tatschlich mehr oder weniger Realitt in sich schliet als vorher. Und weil die Essenz des Geistes darin besteht (nach Lehrsatz 11 und 13 des 2. Teils), die wirkliche Existenz seines K˛rpers zu bejahen, und wir unter Vollkommenheit genau die Essenz eines Dinges verstehen, folgt, da der Geist zu einer gr˛eren oder geringeren Vollkommenheit dann ˇbergeht, wenn sich ereignet, da er von seinem K˛rper (oder einem seiner Teile) etwas bejaht, das mehr oder weniger Realitt in sich schliet als zuvor. Wenn ich also oben gesagt habe, da des Geistes Macht zu denken vermehrt oder vermindert wird, dann meinte ich damit nichts anderes, als da der Geist von seinem K˛rper (oder von einem seiner Teile) eine Idee gebildet hat, die mehr oder weniger Realitt ausdrˇckt, als er von seinem K˛rper [zuvor] bejaht hatte. Denn die Vorzˇglichkeit der Ideen und [des Geistes] wirkliche Macht zu denken wird an der Vorzˇglichkeit des Objekts [dieser Ideen und damit des Denkens] gemessen. Schlielich habe ich noch hinzugefˇgt und von der, wenn sie gegeben ist, der Geist bestimmt wird, eher an dieses als an jenes zu denkenß, um auer der Natur von Freude und Trauer, die der erste Teil der Definition erklrt, auch die Natur von Begierde zum Ausdruck zu bringen. Ende des dritten Teils
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E T H I CE S PA RS QUA R TA De SE RV I T U T E H U M A NA seu de A F F E C T U U M V I R I B US
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Pra efati o Humanam impotentiam in moderandis et coercendis affectibus servitutem voco; homo enim affectibus obnoxius sui juris non est, sed fortunae, in cujus potestate ita est, ut saepe coactus sit, quanquam meliora sibi videat, deteriora tamen sequi. Hujus rei causam, et quid praeterea affectus boni vel mali habent, in hac parte demonstrare proposui. Sed antequam incipiam, pauca de perfectione et imperfectione, deque bono et malo praefari lubet. Qui rem aliquam facere constituit eamque perfecit, rem suam perfectam esse non tantum ipse, sed etiam unusquisque, qui mentem auctoris illius operis et scopum recte noverit aut se novisse crediderit, dicet. Ex. gr. si quis aliquod opus (quod suppono nondum esse peractum) viderit noveritque scopum auctoris illius operis esse domum aedificare, is domum imperfectam esse dicet, et contra perfectam, simulatque opus ad finem, quem ejus auctor eidem dare constituerat, perductum viderit. Verum si quis opus aliquod videt, cujus simile nunquam viderat, nec mentem opificis novit, is sane scire non poterit, opus|ne illud perfectum an imperfectum sit. Atque haec videtur prima fuisse horum vocabulorum significatio. Sed postquam homines ideas universales formare et domuum, aedificiorum, turrium etc. exemplaria excogitare et
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VIERT ER T EIL DER ETHIK Von M E NS CH L I CH E R K N E CH T S CH A F T oder von den K R F T E N DE R A F F E KT E Vo r w o r t Die menschliche Ohnmacht, die Affekte zu migen und zu hemmen, nenne ich Knechtschaft; der Affekten unterworfene Mensch ist nmlich nicht Herr seiner selbst, sondern unterliegt dem blindem Geschick, in dessen Gewalt er so sehr steht, da er oft gezwungen ist, dem Schlechteren zu folgen, selbst wenn er das Bessere sieht. In diesem Teil habe ich mir zum Ziel gesetzt, darzulegen, was die Ursache dieses Sachverhaltes ist und ˇberdies was es in den Affekten an Gutem oder Schlechtem gibt. Doch bevor ich damit beginne, m˛chte ich einiges ˇber Vollkommenheit und Unvollkommenheit und ˇber gut und schlecht vorausschicken. Wenn jemand sich vorgenommen hat, etwas herzustellen, und es vollendet hat, wird nicht nur er selbst sagen, da seine Sache vollendet ist, sondern auch jeder, der Geist und Absicht des Urhebers dieses Werkes richtig kennt oder zu kennen glaubt. Wenn z. B. jemand ein Werk (von dem ich voraussetze, da es noch nicht fertig ist) sieht und wei, da es die Absicht seines Urhebers ist, ein Haus zu bauen, wird er sagen, da das Haus unvollendet ist; andererseits wird er es vollendet nennen, sobald er sieht, da das Werk zu dem Abschlu gelangt ist, den ihm zu geben sein Urheber sich vorgenommen hatte. Wenn aber jemand ein Werk sieht, desgleichen er noch nie gesehen hat, und nicht den Geist seines Herstellers kennt, wird er natˇrlich nicht wissen k˛nnen, ob dieses Werk vollendet oder unvollendet ist. Und dies scheint die erste Bedeutung dieser W˛rter [perfectus und imperfectus] gewesen zu sein. Nachdem aber Menschen begonnen hatten, allgemeine Ideen zu bilden und sich Musterbilder von Husern, Gebuden, Tˇrmen und dergleichen auszuden-
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alia rerum exemplaria aliis praeferre inceperunt, factum est, ut unusquisque id perfectum vocaret, quod cum universali idea, quam ejusmodi rei formaverat, videret convenire, et id contra imperfectum, quod cum concepto suo exemplari minus convenire videret, quanquam ex opificis sententia consummatum plane esset. Nec alia videtur esse ratio, cur res naturales etiam, quae scilicet humana manu non sunt factae, perfectas aut imperfectas vulgo appellent; solent namque homines tam rerum naturalium quam artificialium ideas formare universales, quas rerum veluti exemplaria habent, et quas naturam (quam nihil nisi alicujus finis causa agere existimant) intueri credunt sibique exemplaria proponere. Cum itaque aliquid in natura fieri vident, quod cum concepto exemplari, quod rei ejusmodi habent, minus convenit, ipsam naturam tum defecisse vel peccavisse remque illam imperfectam reliquisse credunt. Videmus itaque homines consuevisse res naturales perfectas aut imperfectas vocare magis ex praejudicio quam ex earum vera cognitione. Ostendimus enim in primae partis appendice naturam propter finem non agere; aeternum namque illud et infinitum ens, quod Deum seu Naturam appellamus, eadem, qua existit, necessitate agit. Ex qua enim naturae necessitate existit, ex eadem ipsum agere ostendimus (prop. 16. p. 1.). Ratio igitur seu causa, cur Deus seu Natura agit et cur existit, una eademque est. Ut ergo nullius | finis causa existit, nullius etiam finis causa agit; sed ut existendi, sic et agendi principium vel finem habet nullum. Causa autem, quae finalis dicitur, nihil est praeter ipsum humanum appetitum, quatenus is alicujus rei veluti principium seu cau-
17 Videmus] kein Absatz in OP
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ken und einige Musterbilder von Dingen anderen vorzuziehen, ist es gekommen, da jeder das, was er mit der allgemeinen Idee ˇbereinstimmen sah, die er von einem Ding dieser Art gebildet hatte, vollkommen nannte und andererseits unvollkommen, was er mit seinem entworfenen Musterbild nicht so sehr ˇbereinstimmen sah, mochte es auch nach Ansicht seines Herstellers ganz fertiggestellt sein. Noch scheint es einen anderen Grund zu geben, warum Menschen allenthalben auch natˇrliche Dinge, Dinge also, die nicht von Menschenhand verfertigt sind, vollkommen oder unvollkommen nennen; sie pflegen nmlich auch von natˇrlichen Dingen, nicht anders als von kˇnstlichen, allgemeine Ideen zu bilden, die sie dann als Musterbilder dieser Dinge ansehen, die die Natur (die ihrer Ansicht nach alles um eines Zweckes willen tut), so glauben sie, im Blick hat und sich als Musterbilder vorgibt. Wenn sie also etwas in der Natur sich ereignen sehen, das mit ihrem entworfenen Musterbild eines Dinges dieser Art nicht so recht ˇbereinstimmt, glauben sie, da die Natur dann selbst gefehlt habe, anders formuliert etwas verkehrt gemacht und [insofern] jenes Ding unvollkommen gelassen habe. Wir sehen also, da Menschen gewohnt gewesen sind, natˇrliche Dinge mehr aus einem Vorurteil heraus vollkommen oder unvollkommen zu nennen als aus deren wahrer Erkenntnis. Im Anhang zum 1. Teil haben wir nmlich gezeigt, da die Natur nicht um eines Zweckes willen handelt; denn jenes ewige und unendliche Seiende, das wir Gott oder Natur nennen, handelt aus derselben Notwendigkeit heraus, aus der es existiert, haben wir doch gezeigt (Lehrsatz 16 des 1. Teils), da es dieselbe Notwendigkeit seiner Natur ist, aus der heraus er existiert und handelt. Also ist der Grund oder die Ursache, warum Gott, d. h. die Natur, handelt und warum er existiert, ein und dieselbe. Wie er also um keines Zweckes willen existiert, so handelt er auch um keines Zweckes willen; vielmehr hat sein Handeln genau so wenig wie sein Existieren ein Prinzip, das ein Zweck wre. Was Zweckursache genannt wird, ist nichts weiter als der menschliche Trieb selbst, insofern er als das Prinzip oder die wesentliche Ursa-
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sa primaria consideratur. Ex. gr. cum dicimus habitationem causam fuisse finalem hujus aut illius domus, nihil tum sane intelligimus aliud, quam quod homo ex eo, quod vitae domesticae commoda imaginatus est, appetitum habuit aedificandi domum. Quare habitatio, quatenus ut finalis causa consideratur, nihil est praeter hunc singularem appetitum, qui revera causa est efficiens, quae ut prima consideratur, quia homines suorum appetituum causas communiter ignorant. Sunt namque, ut jam saepe dixi, suarum quidem actionum et appetituum conscii, sed ignari causarum, a quibus ad aliquid appetendum determinantur. Quod praeterea vulgo ajunt naturam aliquando deficere vel peccare resque imperfectas producere, inter commenta numero, de quibus in appendice partis primae egi. Perfectio igitur et imperfectio revera modi solummodo cogitandi sunt, nempe notiones, quas fingere solemus ex eo, quod ejusdem speciei aut generis individua ad invicem comparamus; et hac de causa supra (defin. 6. p. 2.) dixi me per realitatem et perfectionem idem intelligere; solemus enim omnia naturae individua ad unum genus, quod generalissimum appellatur, revocare, nempe ad notionem entis, quae ad omnia absolute naturae individua pertinet. Quatenus itaque naturae individua ad hoc genus revocamus et ad invicem comparamus et alia plus entitatis seu realitatis quam alia habere comperimus, eatenus alia aliis perfectiora esse dicimus; et quatenus iisdem aliquid tribuimus, quod negationem involvit, ut termi|nus, finis, impotentia etc., eatenus ipsa imperfecta appellamus, quia nostram mentem non aeque afficiunt ac illa, quae perfecta vocamus, et non quod ipsis aliquid, quod suum sit, deficiat, vel quod natura peccaverit. Nihil enim na-
15 Perfectio] kein Absatz in OP
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che von irgendetwas angesehen wird. Wenn wir z. B. sagen, das Bewohnen war die Zweckursache dieses oder jenes Hauses, dann verstehen wir darunter doch wohl nichts anderes, als da ein Mensch, weil er sich die Annehmlichkeit des huslichen Lebens vorstellte, einen Trieb hatte, ein Haus zu bauen. Demnach ist das Bewohnen, insofern es als eine Zweckursache angesehen wird, nichts weiter als dieser einzelne Trieb, der der Sache nach eine bewirkende Ursache ist, die blo deshalb als erste Ursache angesehen wird, weil Menschen in der Regel die Ursachen ihrer Triebe nicht kennen. Denn sie sind, wie ich schon oft gesagt habe, sich ihrer Handlungen und Triebe bewut, ohne die Ursachen zu kennen, von denen sie bestimmt werden, nach etwas zu verlangen. Das ˇbrige Gerede ^ da die Natur manchmal fehle oder etwas verkehrt mache und unvollkommene Dinge hervorbringe ^ zhle ich zu jenen Erdichtungen, die ich im Anhang zum 1. Teil behandelt habe. Vollkommenheit und Unvollkommenheit sind also in Wahrheit nur Modi des Denkens, nmlich Begriffe, die wir aufgrund dessen zu fingieren pflegen, da wir Individuen derselben Art oder Gattung miteinander vergleichen; und aus diesem Grund habe ich oben (Definition 6 des 2. Teils) gesagt, da ich unter Realitt und Vollkommenheit dasselbe verstehe. Wir sind nmlich gewohnt, alle Individuen in der Natur auf eine einzige Gattung zurˇckzufˇhren, die die allgemeinste genannt wird, nmlich auf den Begriff von Seiendem, der allen Individuen in der Natur ausnahmslos zukommt. Sofern wir also Individuen in der Natur auf diese Gattung zurˇckfˇhren, sie miteinander vergleichen und dabei erfahren, da einige mehr Sein oder Realitt haben als andere, sagen wir, da einige vollkommener sind als andere. Und sofern wir ihnen etwas zuschreiben, was Verneinung enthlt, wie eine Grenze, ein Ende, Ohnmacht usw., nennen wir sie unvollkommen; wir tun dies, weil diese Dinge unseren Geist nicht in dem Mae affizieren wie diejenigen, die wir vollkommen nennen, und nicht etwa, weil ihnen etwas fehlte, das eigentlich zu ihnen geh˛rt, oder weil die Natur et-
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turae alicujus rei competit nisi id, quod ex necessitate naturae causae efficientis sequitur, et quicquid ex necessitate naturae causae efficientis sequitur, id necessario fit. Bonum et malum quod attinet, nihil etiam positivum in rebus, in se scilicet consideratis, indicant, nec aliud sunt praeter cogitandi modos seu notiones, quas formamus ex eo, quod res ad invicem comparamus. Nam una eademque res potest eodem tempore bona et mala, et etiam indifferens esse. Ex. gr. musica bona est melancholico, mala lugenti; surdo autem neque bona neque mala. Verum, quamvis se res ita habeat, nobis tamen haec vocabula retinenda sunt. Nam quia ideam hominis tanquam naturae humanae exemplar, quod intueamur, formare cupimus, nobis ex usu erit haec eadem vocabula eo, quo dixi, sensu retinere. Per bonum itaque in seqq. intelligam id, quod certo scimus medium esse, ut ad exemplar humanae naturae, quod nobis propronimus, magis magisque accedamus. Per malum autem id, quod certo scimus impedire, quominus idem exemplar referamus. Deinde homines perfectiores aut imperfectiores dicemus, quatenus ad hoc idem exemplar magis aut minus accedunt. Nam apprime notandum est, cum dico aliquem a minore ad majorem perfectionem transire et contra, me non intelligere, quod ex una essentia seu forma in aliam mutatur. Equus namque ex. gr. tam destruitur, si in hominem quam si in insectum mutetur; sed quod ejus agendi potentiam, quatenus haec per ipsius naturam intelligitur, augeri vel mi|nui concipimus. Denique per
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was verkehrt gemacht htte. Nichts geh˛rt nmlich zur Natur eines Dinges als das, was aus der Notwendigkeit der Natur der bewirkenden Ursache folgt; und was auch immer aus der Notwendigkeit der Natur der bewirkenden Ursache folgt, ereignet sich mit Notwendigkeit. Was gut und schlecht betrifft, so zeigen auch diese Ausdrˇcke nichts Positives in Dingen an, wenigstens wenn diese in sich selbst betrachtet werden; sie sind nichts anderes als Modi des Denkens, d. h. Begriffe, die wir daraus bilden, da wir Dinge miteinander vergleichen. Denn ein und dasselbe Ding kann zu derselben Zeit gut und schlecht und auch indifferent sein. Musik z. B. ist gut fˇr den, der schwermˇtig ist, schlecht fˇr den, der in Trauer ist, und weder gut noch schlecht fˇr den, der taub ist. Allein, obgleich dies so ist, mˇssen wir doch diese W˛rter beibehalten. Denn weil wir eine Idee des Menschen bilden m˛chten, gleichsam als ein Musterbild der menschlichen Natur, auf das wir hinschauen sollten, wird es fˇr uns von Vorteil sein, an diesen W˛rtern in der genannten Bedeutung festzuhalten. Unter gut werde ich daher im folgenden das verstehen, wovon wir mit Sicherheit wissen, da es ein Mittel ist, dem Musterbild der menschlichen Natur, das wir uns selbst vor Augen halten, nher und nher zu kommen; unter schlecht dagegen das, wovon wir mit Sicherheit wissen, da es uns im Wege steht, diesem Musterbild zu entsprechen. Des weiteren werde ich Menschen in dem Mae vollkommener oder unvollkommener nennen, wie sie dem genannten Musterbild mehr oder minder nahekommen. Auf eins ist allerdings besonders aufmerksam zu machen: Wenn ich sage, jemand gehe von einer geringeren zu einer gr˛eren Vollkommenheit ˇber und umgekehrt, dann verstehe ich darunter nicht, da er sich von einer Essenz oder Form zu einer anderen verndert ^ denn ein Pferd geht gleichermaen zugrunde, ob es sich nun in einen Menschen oder in ein Insekt verwandelt. Vielmehr [heit bergehen], da seine Wirkungsmacht, insofern sie sich durch seine Natur verstehen lt, als vermehrt oder vermindert begriffen wird. Schlie-
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perfectionem in genere realitatem, uti dixi, intelligam, hoc est rei cujuscunque essentiam, quatenus certo modo existit et operatur, nulla ipsius durationis habita ratione. Nam nulla res singularis potest ideo dici perfectior, quia plus temporis in existendo perseveravit; quippe rerum duratio ex earum essentia determinari nequit; quandoquidem rerum essentia nullum certum et determinatum existendi tempus involvit; sed res quaecunque, sive ea perfectior sit sive minus, eadem vi, qua existere incipit, semper in existendo perseverare poterit, ita ut omnes hac in re aequales sint. Definitiones I. Per bonum id intelligam, quod certo scimus nobis esse utile.
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II. Per malum autem id, quod certo scimus impedire, quominus boni alicujus simus compotes. De his praecedentem vide praefationem sub finem. III. Res singulares voco contingentes, quatenus, dum ad earum solam essentiam attendimus, nihil invenimus, quod earum existentiam necessario ponat vel quod ipsam necessario secludat. IV. Easdem res singulares voco possibiles, quatenus, dum ad causas, ex quibus produci debent, attendimus, nescimus an ipsae determinatae sint ad easdem producendum.
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lich, unter Vollkommenheit im allgemeinen werde ich, wie schon gesagt, Realitt verstehen, d. h. die Essenz eines jeden Dinges, insofern es in bestimmter Weise existiert und etwas bewirkt, ohne da dabei seine Dauer eine Rolle spielte. Denn kein Einzelding kann deshalb vollkommener genannt werden, weil es eine lngere Zeit im Existieren verharrt hat, lt sich doch die Dauer von Dingen nicht aus deren Essenz bestimmen, da nun einmal die Essenz von Dingen keine wohlbestimmte Zeit des Existierens in sich schliet. Vielmehr wird jegliches Ding, mag es mehr oder weniger vollkommen sein, mit derselben Kraft, mit der es zu existieren beginnt, immer weiter im Existieren verharren k˛nnen, so da in dieser Hinsicht alle Dinge gleich sind. Definitionen 1. Unter gut werde ich das verstehen, wovon wir mit Sicherheit wissen, da es uns nˇtzlich ist. 2. Unter schlecht dagegen werde ich das verstehen, wovon wir mit Sicherheit wissen, da es uns im Wege steht, in den Besitz von etwas Gutem zu gelangen. (Siehe zu diesen beiden Definitionen das vorangehende Vorwort gegen Ende.) 3. Einzeldinge nenne ich zufllig, insofern wir, wenn wir blo ihre Essenz ins Auge fassen, nichts finden, was ihre Existenz notwendigerweise setzt oder notwendigerweise ausschliet. 4. Dieselben Einzeldinge nenne ich m˛glich, insofern wir, wenn wir die Ursachen, von denen sie hervorgebracht werden mˇssen, ins Auge fassen, nicht wissen, ob diese Ursachen bestimmt sind, sie hervorzubringen.
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In schol. 1. prop. 33. p. 1. inter possibile et contingens nullam feci differentiam, quia ibi non opus erat haec accurate distinguere. V. Per contrarios affectus in seqq. intelligam eos, qui|hominem diversum trahunt, quamvis ejusdem sint generis ut luxuries et avaritia, quae amoris sunt species; nec natura, sed per accidens sunt contrarii. VI. Quid per affectum erga rem futuram, praesentem et praeteritam intelligam, explicui in schol. 1. et 2. prop. 18. p. 3., quod vide. Sed venit hic praeterea notandum, quod ut loci sic etiam temporis distantiam non nisi usque ad certum quendam limitem possumus distincte imaginari; hoc est, sicut omnia illa objecta, quae ultra ducentos pedes a nobis distant, seu quorum distantia a loco, in quo sumus, illam superat, quam distincte imaginamur, aeque longe a nobis distare et perinde, ac si in eodem plano essent, imaginari solemus; sic etiam objecta, quorum existendi tempus longiore a praesenti intervallo abesse imaginamur, quam quod distincte imaginari solemus, omnia aeque longe a praesenti distare imaginamur et ad unum quasi temporis momentum referimus. VII. Per finem, cujus causa aliquid facimus, appetitum intelligo. VIII. Per virtutem et potentiam idem intelligo, hoc est (per prop. 7. p. 3.), virtus, quatenus ad hominem refertur, est ipsa hominis
18 longe] Hinzufˇgung Gebhardt nach NS
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(In Anmerkung 1 zu Lehrsatz 33 des 1. Teils habe ich zwischen m˛glich und zufllig keinen Unterschied gemacht, weil es dort nicht erforderlich war, dies genau zu unterscheiden.) 5. Unter entgegengesetzten Affekten werde ich im folgenden solche verstehen, die einen Menschen in verschiedene Richtungen treiben, m˛gen sie auch zu derselben Gattung geh˛ren ^ wie Schwelgerei und Habgier, die Arten von Liebe sind und nicht ihrer Natur nach, sondern durch Zufall einander entgegengesetzt sind. 6. Was ich unter einem Affekt gegenˇber einem zukˇnftigen, gegenwrtigen und vergangenen Ding verstanden wissen will, habe ich in den Anmerkungen 1 und 2 zu Lehrsatz 18 des 3. Teils erlutert, die man nachsehen m˛ge. (Es sollte hier aber zustzlich darauf aufmerksam gemacht werden, da wir auch zeitliche Entfernung, nicht anders als rumliche, nur bis zu einer gewissen Grenze deutlich vorstellen k˛nnen. D. h.: All die Gegenstnde, die mehr als zweihundert Fu von uns entfernt sind, deren Entfernung von dem Ort, an dem wir sind, also das ˇbersteigt, was wir deutlich vorstellen k˛nnen, stellen wir in der Regel als gleich weit von uns entfernt vor, ganz so, als wren sie in derselben Ebene; nicht anders stellen wir all die Gegenstnde als gleich weit von der Gegenwart entfernt vor, deren Zeitpunkt wir als von der Gegenwart ˇber eine Zeitspanne getrennt vorstellen, die lnger ist als diejenige, die wir in der Regel deutlich vorstellen; sie beziehen wir auf gleichsam einen Zeitraum). 7. Unter dem Zweck, um dessentwillen wir etwas tun, verstehe ich Trieb. 8. Unter Tugend und Macht verstehe ich dasselbe; d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils): Tugend, bezogen auf den Menschen, ist genau des Menschen Essenz oder Natur, insofern es in sei-
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essentia seu natura, quatenus potestatem habet quaedam efficiendi, quae per solas ipsius naturae leges possunt intelligi. Axioma
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Nulla res singularis in rerum natura datur, qua potentior et fortior non detur alia. Sed quacunque data datur alia potentior, a qua illa data potest destrui.| P r o p o s i t i o I . Nihil, quod idea falsa positivum habet, tollitur praesentia veri, quatenus verum. D e m o n s t ra t i o . Falsitas in sola privatione cognitionis, quam ideae inadaequatae involvunt, consistit (per prop. 35. p. 2.), nec ipsae aliquid habent positivum, propter quod falsae dicuntur (per prop. 33. p. 2.); sed contra, quatenus ad Deum referuntur, verae sunt (per prop. 32. p. 2.). Si igitur id, quod idea falsa positivum habet, praesentia veri, quatenus verum est, tolleretur, tolleretur ergo idea vera a se ipsa, quod (per prop. 4. p. 3.) est absurdum. Ergo nihil, quod idea etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Intelligitur haec propositio clarius ex coroll. 2. prop. 16. p. 2. Nam imaginatio idea est, quae magis corporis humani praesentem constitutionem quam corporis externi naturam indicat, non quidem distincte, sed confuse; unde fit, ut mens errare dicatur. Ex. gr. cum solem intuemur, eundem ducentos circiter pedes a nobis distare imaginamur; in quo tamdiu fallimur, quamdiu veram ejus distantiam ignoramus; sed cognita ejusdem distantia tollitur quidem error, sed non imaginatio, hoc est idea solis, quae ejusdem naturam eatenus tantum explicat, quatenus corpus ab eodem afficitur;
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ner Gewalt steht, etwas zuwege zu bringen, das durch die Gesetze seiner Natur allein eingesehen werden kann. Axiom Es gibt kein Einzelding in der Natur, in Bezug auf das es nicht ein anderes gbe, das mchtiger und strker ist. Welches auch immer gegeben sein mag, es gibt ein anderes, mchtigeres, von dem es zerst˛rt werden kann. L e h r s a t z 1 . Nichts von dem, was eine falsche Idee an Positivem hat, wird von der Gegenwart des Wahren, insofern es wahr ist, aufgehoben. B e w e i s : Falschheit besteht blo in dem Mangel an Erkenntnis, den inadquate Ideen in sich schlieen (nach Lehrsatz 35 des 2. Teils), und sie haben nichts Positives, dessentwegen sie falsch genannt werden (nach Lehrsatz 33 des 2. Teils). Insofern sie auf Gott bezogen sind, sind sie im Gegenteil wahr (nach Lehrsatz 32 des 2. Teils). Wˇrde also das, was eine falsche Idee an Positivem hat, von der Gegenwart des Wahren, insofern es wahr ist, aufgehoben werden, wˇrde eine wahre Idee von sich selbst aufgehoben werden, was (nach Lehrsatz 4 des 3. Teils) widersinnig ist. Folglich wird nichts von dem, was eine falsche Idee usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dieser Lehrsatz lt sich klarer aus Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 des 2. Teils verstehen. Denn eine Vorstellung ist eine Idee, die mehr den gegenwrtigen Zustand des menschlichen K˛rpers als die Natur eines ueren K˛rpers anzeigt, natˇrlich nicht deutlich, sondern verworren. Das macht es, da man sagt, der Geist irrt. Wenn wir z. B. die Sonne anschauen, stellen wir sie als ungefhr zweihundert Fu von uns entfernt vor; hierin tuschen wir uns so lange, wie wir ihre wahre Entfernung nicht kennen. Ist ihre Entfernung bekannt, wird der Irrtum natˇrlich aufgehoben, nicht aber die Vorstellung, also nicht die Idee der Sonne, die ja deren Natur nur in dem Mae erklrt, wie der K˛rper von ihr
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adeoque, quamvis veram ejusdem distantiam noscamus, ipsum nihilominus prope nobis adesse imaginabimur. Nam ut in schol. prop. 35. p. 2. diximus, non ea de causa solem adeo propinquum imaginamur, quia ejus veram distantiam ignoramus, sed quia mens eatenus magnitudinem solis concipit, quatenus corpus ab eodem afficitur. Sic cum solis radii aquae superficiei incidentes ad nostros oculos reflectuntur, eundem perinde, ac si in aqua esset, imaginamur, tametsi verum ejus locum noverimus; et sic reliquae imaginationes, quibus mens fallitur, sive eae naturalem corporis constitutionem, sive quod ejusdem agendi potentiam augeri vel minui indicant, vero non | sunt contrariae nec ejusdem praesentia evanescunt. Fit quidem, cum falso aliquod malum timemus, ut timor evanescat audito vero nuntio; sed contra etiam fit, cum malum, quod certe venturum est, timemus, ut timor etiam evanescat audito falso nuntio; atque adeo imaginationes non praesentia veri, quatenus verum, evanescunt, sed quia aliae occurrunt, iis fortiores, quae rerum, quas imaginamur, praesentem existentiam secludunt, ut prop. 17. p. 2. ostendimus. P r o p o s i t i o I I . Nos eatenus patimur, quatenus naturae sumus pars, quae per se absque aliis non potest concipi. D e m o n s t ra t i o . Nos tum pati dicimur, cum aliquid in nobis oritur, cujus non nisi partialis sumus causa (per defin. 2. p. 3.), hoc est (per defin. 1. p. 3.) aliquid, quod ex solis legibus nostrae naturae deduci nequit. Patimur igitur, quatenus naturae sumus pars, quae per se absque aliis nequit concipi. Q. e. d.
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affiziert wird; selbst wenn wir ihre wahre Entfernung kennenlernen, werden wir sie mithin nichtsdestoweniger als uns nah vorstellen. Denn wie wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 35 des 2. Teils gesagt haben, stellen wir die Sonne nicht als so nah vor, weil wir ihre wahre Entfernung nicht kennen, sondern weil der Geist die Gr˛e der Sonne in dem Mae begreift, wie der K˛rper von ihr affiziert wird. So stellen wir die Sonne, wenn ihre auf eine Wasserflche fallenden Strahlen von dort gegen unsere Augen zurˇckgeworfen werden, so vor, als ob sie im Wasser wre, auch wenn wir ihren wahren Ort kennen. Und so ist es auch mit den anderen Vorstellungen, von denen der Geist getuscht wird, ob sie nun den natˇrlichen Zustand des K˛rpers oder eine Mehrung oder Minderung seiner Wirkungsmacht anzeigen: dem Wahren sind sie nicht entgegengesetzt und verschwinden nicht bei dessen Gegenwart. Natˇrlich kommt es vor, da, wenn wir irgendeinen Schaden flschlicherweise befˇrchten, unsere Furcht verschwindet, sobald wir darˇber wahre Nachrichten h˛ren; indessen auch das Umgekehrte kommt vor, da, wenn wir einen mit Sicherheit kommenden Schaden befˇrchten, die Furcht ebenfalls verschwindet, sobald wir darˇber falsche Nachrichten h˛ren. Mithin verschwinden Vorstellungen nicht infolge der Gegenwart des Wahren, insofern es wahr ist, sondern weil andere Vorstellungen auftreten, die, strker als sie, die gegenwrtige Existenz der Dinge, die wir vorstellen, ausschlieen, wie wir in Lehrsatz 17 des 2. Teils gezeigt haben. L e h r s a t z 2 . Wir erleiden etwas, insofern wir ein Teil der Natur sind, der durch sich ohne die anderen Teile nicht begriffen werden kann. B e w e i s : Wir sagen, da wir etwas erleiden, wenn in uns etwas anhebt, wovon wir nur die partiale Ursache sind (nach Definition 2 des 3. Teils), d. h. (nach Definition 1 des 3. Teils) etwas, das sich aus den Gesetzen allein unserer Natur nicht herleiten lt. Also erleiden wir etwas, insofern wir ein Teil der Natur sind, der durch sich ohne die anderen Teile nicht begriffen werden kann. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o I I I . Vis, qua homo in existendo perseverat, limitata est et a potentia causarum externarum infinite superatur. D e m o n s t ra t i o . Patet ex axiomate hujus. Nam dato homine datur aliquid aliud, puta A, potentius, et dato A datur deinde aliud, puta B, ipso A potentius, et hoc in infinitum; ac proinde potentia hominis potentia alterius rei definitur et a potentia causarum externarum infinite superatur. Q. e. d. P r o p o s i t i o I V. Fieri non potest, ut homo non sit naturae pars et ut nullas possit pati mutationes, nisi quae per solam suam naturam possint intelligi quarumque adaequata sit causa. | D e m o n s t ra t i o . Potentia, qua res singulares et consequenter homo suum esse conservat, est ipsa Dei sive Naturae potentia (per coroll. prop. 24. p. 1.), non quatenus infinita est, sed quatenus per humanam actualem essentiam explicari potest (per prop. 7. p. 3.). Potentia itaque hominis, quatenus per ipsius actualem essentiam explicatur, pars est infinitae Dei seu Naturae potentiae, hoc est (per prop. 34. p. 1.) essentiae. Quod erat primum. Deinde si fieri posset, ut homo nullas posset pati mutationes, nisi quae per solam ipsius hominis naturam possint intelligi, sequeretur (per prop. 4. et 6. p. 3.), ut non posset perire, sed ut semper necessario existeret; atque hoc sequi deberet ex causa, cujus potentia finita aut infinita sit, nempe vel ex sola hominis potentia, qui scilicet potis esset, ut a se removeret reliquas mutationes, quae a causis externis oriri possent, vel infinita naturae potentia, a qua omnia singularia ita dirigerentur, ut homo nullas alias posset pati mutationes, nisi quae ipsius conservationi inserviunt. At pri-
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L e h r s a t z 3 . Die Kraft, mit der der Mensch im Existieren verharrt, ist begrenzt und wird von der Macht uerer Ursachen unendlich ˇbertroffen. B e w e i s : Dies ist aus dem Axiom dieses Teils evident. Gibt es nmlich einen Menschen, dann gibt es etwas anderes, sagen wir A, das mchtiger ist, und gibt es A, dann gibt es wiederum etwas anderes, das mchtiger ist als A, sagen wir B, und so weiter ins Unendliche; somit wird die Macht des Menschen von der Macht eines anderen Dinges eingeschrnkt und von der Macht uerer Ursachen unendlich ˇbertroffen. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 . Es ist unm˛glich, da der Mensch kein Teil der Natur ist und blo solche Vernderungen erleiden kann, die durch seine eigene Natur allein eingesehen werden k˛nnen und deren adquate Ursache er ist. B e w e i s : Die Macht, kraft deren Einzeldinge und folglich der Mensch sein Sein erhlt, ist genau Gottes Macht, d. h. die der Natur (nach Folgesatz zu Lehrsatz 24 des 1. Teils), nicht insofern sie unendlich ist, sondern insofern sie durch des Menschen wirkliche Essenz erklrt werden kann (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils). Des Menschen Macht ist also, insofern sie sich durch seine wirkliche Essenz erklren lt, Teil von Gottes oder der Natur unendlicher Macht, d. h. (nach Lehrsatz 34 des 1. Teils) Essenz. Dies war das erste. Zweitens, wre es m˛glich, da der Mensch nur solche Vernderungen erleiden k˛nnte, die durch seine eigene Natur allein eingesehen werden k˛nnen, ergbe sich (nach Lehrsatz 4 und 6 des 3. Teils), da er nicht vergehen k˛nnte, sondern notwendigerweise immer existierte. Und dies mˇte aus einer Ursache folgen, deren Macht entweder endlich oder unendlich ist, nmlich entweder aus der Macht des Menschen allein, der dann fhig wre, alle sonstigen Vernderungen, die aus ueren Ursachen entstehen k˛nnen, von sich fernzuhalten, oder aus der unendlichen Macht der Natur, von der alle Einzeldinge derart eingerichtet wren, da der Mensch blo solche Vernderungen erleiden k˛nnte, die der eigenen Erhaltung dienen. Nun ist das erste (nach vorigem Lehrsatz,
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mum (per prop. praeced., cujus demonstratio universalis est et ad omnes res singulares applicari potest) est absurdum; ergo si fieri posset, ut homo nullas pateretur mutationes, nisi quae per solam ipsius hominis naturam possent intelligi, et consequenter (sicut jam ostendimus) ut semper necessario existeret, id sequi deberet ex Dei infinita potentia: et consequenter (per prop. 16. p. 1.) ex necessitate divinae naturae, quatenus alicujus hominis idea affectus consideratur, totius naturae ordo, quatenus ipsa sub Extensionis et Cogitationis attributis concipitur, deduci deberet; atque adeo (per prop. 21. p. 1.) sequeretur, ut homo esset infinitus, quod (per 1. part. hujus demonstrationis) est absurdum. Fieri itaque nequit, ut homo nullas alias patiatur mutationes, nisi quarum ipse adaequata sit causa. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur hominem necessario passionibus esse semper obnoxium communemque naturae ordinem sequi et eidem parere seseque eidem, quantum rerum natura exigit, accommodare.| P r o p o s i t i o V. Vis et incrementum cujuscunque passionis ejusque in existendo perseverantia non definitur potentia, qua nos in existendo perseverare conamur, sed causae externae potentia cum nostra comparata. D e m o n s t ra t i o . Passionis essentia non potest per solam nostram essentiam explicari (per defin. 1. et 2. p. 3.), hoc est (per prop. 7. p. 3), passionis potentia definiri nequit potentia, qua in nostro esse perseverare conamur; sed (ut prop. 16. p. 2. ostensum est) definiri necessario debet potentia causae externae cum nostra comparata. Q. e. d.
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dessen Beweis allgemein ist und fˇr alle Einzeldinge gilt) widersinnig. Wre es also m˛glich, da der Mensch blo solche Vernderungen erlitte, die durch seine eigene Natur allein eingesehen werden k˛nnen, und folglich (wie gerade gezeigt) da er notwendigerweise immer existierte, mˇte dies aus Gottes unendlicher Macht folgen; und folglich mˇte (nach Lehrsatz 16 des 1. Teils) aus der Notwendigkeit der g˛ttlichen Natur, insofern sie als von der Idee irgendeines Menschen affiziert betrachtet wird, sich die Ordnung der ganzen Natur, insofern sie unter den Attributen von Ausdehnung und Denken begriffen wird, herleiten lassen; mithin wˇrde (nach Lehrsatz 21 des 1. Teils) folgen, da der Mensch unendlich wre, was (nach dem ersten Teil dieses Beweises) widersinnig ist. Also ist es unm˛glich, da der Mensch blo solche Vernderungen erlitte, deren adquate Ursache er selbst ist. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da der Mensch notwendigerweise immer Formen des Erleidens unterworfen ist und der gemeinsamen Ordnung der Natur folgt und gehorcht und sich ihr in dem Mae anpat, wie die Natur der Dinge es verlangt. L e h r s a t z 5 . Die Kraft und das Anwachsen eines jeden Erleidens und dessen Beharrlichkeit wird nicht von der Macht her definiert, mit der wir im Existieren zu verharren streben, sondern von der Macht einer ueren Ursache her, die mit unserer eigenen auf einer Stufe steht. B e w e i s : Was ein Erleiden ausmacht, kann nicht durch unsere Essenz allein erklrt werden (nach Definition 1 und 2 des 3. Teils), d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils), die Macht eines Erleidens kann nicht von der Macht her definiert werden, mit der wir in unserem Sein zu verharren streben; sie mu vielmehr (wie in Lehrsatz 16 des 2. Teils gezeigt wurde) notwendigerweise von der Macht einer ueren Ursache her definiert werden, die mit unserer eigenen auf einer Stufe steht. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o V I . Vis alicujus passionis seu affectus reliquas hominis actiones seu potentiam superare potest, ita ut affectus pertinaciter homini adhaereat. D e m o n s t ra t i o . Vis et incrementum cujuscunque passionis ejusque in existendo perseverantia definitur potentia causae externae cum nostra comparata (per prop. praec.); adeoque (per prop. 3. hujus) hominis potentiam superare potest, etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o V I I . Affectus nec coerceri nec tolli potest nisi per affectum contrarium et fortiorem affectu coercendo. D e m o n s t ra t i o . Affectus, quatenus ad mentem refertur, est idea, qua mens majorem vel minorem sui corporis existendi vim quam antea affirmat (per generalem affectuum definitionem, quae reperitur sub finem tertiae partis). Cum igitur mens aliquo affectu conflictatur, corpus afficitur simul affectione, qua ejus agendi potentia auge|tur vel minuitur. Porro haec corporis affectio (per prop. 5. hujus) vim a sua causa accipit perseverandi in suo esse; quae proinde nec coerceri nec tolli potest nisi a causa corporea (per prop. 6. p. 2.), quae corpus afficiat affectione illi contraria (per prop. 5. p. 3.) et fortiore (per axiom. hujus); atque adeo (per prop. 12. p. 2.) mens afficietur idea affectionis fortioris et contrariae priori, hoc est (per general. affectuum defin.), mens afficietur affectu fortiori et contrario priori, qui scilicet prioris existentiam secludet vel tollet; ac proinde affectus nec tolli nec coerceri potest nisi per affectum contrarium et fortiorem. Q. e. d.
9 nec coerceri] coerceri Ergnzung Gebhardt nach NS 22 afficietur] afficitur korr. Gebhardt nach NS
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L e h r s a t z 6 . Die Kraft eines jeden Erleidens oder Affekts, [der eine Leidenschaft ist,] kann die ˇbrigen Handlungen eines Menschen, d. h. dessen Macht, derart ˇbersteigen, da der Affekt an dem Menschen hartnckig haftet. B e w e i s : Die Kraft und das Anwachsen eines jeden Erleidens und dessen Beharrlichkeit wird von der Macht einer ueren Ursache her definiert, die mit unserer eigenen auf einer Stufe steht (nach vorigem Lehrsatz); mithin kann sie (nach Lehrsatz 3 dieses Teils) die Macht eines Menschen derart ˇbersteigen usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 7. Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden als durch einen Affekt, der dem zu hemmenden Affekt entgegengesetzt ist und strker ist als dieser. B e w e i s : Ein Affekt ist, insofern er dem Geist angeh˛rt, eine Idee, mit der der Geist von seinem K˛rper eine gr˛ere oder geringere Kraft des Existierens als vorher bejaht (nach der allgemeinen Definition der Affekte am Ende des 3. Teils). Wenn also der Geist von irgendeinem Affekt bedrngt wird, wird zugleich der K˛rper mit einer Affektion affiziert, von der seine Wirkungsmacht vermehrt oder vermindert wird. Des weiteren erhlt diese Affektion des K˛rpers (nach Lehrsatz 5 dieses Teils) von ihrer Ursache die Kraft in ihrem Sein zu verharren; somit kann sie nur von einer k˛rperlichen Ursache gehemmt oder aufgehoben werden (nach Lehrsatz 6 des 2. Teils), die den K˛rper mit einer Affektion affiziert, die ihr entgegengesetzt ist (nach Lehrsatz 5 des 3. Teils) und strker ist als sie (nach dem Axiom dieses Teils). Mithin wird der Geist (nach Lehrsatz 12 des 2. Teils) mit der Idee einer Affektion affiziert werden, die strker ist als die erste und ihr entgegengesetzt ist, d. h. (nach der allgemeinen Definition der Affekte), der Geist wird mit einem Affekt affiziert, der strker ist als der erste Affekt und ihm entgegengesetzt ist, mit einem Affekt also, der die Existenz des ersten Affekts ausschliet oder aufhebt; somit kann ein Affekt nicht anders als durch einen ihm entgegengesetzten und strkeren Affekt aufgehoben oder gehemmt werden. W. z. b. w.
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C o r o l l a r i u m . Affectus, quatenus ad mentem refertur, nec coerceri nec tolli potest nisi per ideam corporis affectionis contrariae et fortioris affectione, qua patimur. Nam affectus, quo patimur, nec coerceri nec tolli potest nisi per affectum eodem fortiorem eique contrarium (per prop. praec.), hoc est (per gen. affect. defin.) nisi per ideam corporis affectionis fortioris et contrariae affectioni, qua patimur. P r o p o s i t i o V I I I . Cognitio boni et mali nihil aliud est quam laetitiae vel tristitiae affectus, quatenus ejus sumus conscii. D e m o n s t ra t i o . Id bonum aut malum vocamus, quod nostro esse conservando prodest vel obest (per defin. 1. et 2. hujus), hoc est (per prop. 7. p. 3.) quod nostram agendi potentiam auget vel minuit, juvat vel coercet. Quatenus itaque (per defin. laetitiae et tristitiae, quas vide in schol. prop. 11. p. 3.) rem aliquam nos laetitia vel tristitia afficere percipimus, eandem bonam aut malam vocamus; atque adeo boni et mali cognitio nihil aliud est quam laetitiae vel tristitiae idea, quae ex ipso laetitiae vel tristitiae affectu necessario sequitur (per prop. 22. p. 2.). At haec idea eodem modo unita est affectui, ac mens unita est corpori (per prop. 21. p. 2.), hoc est (ut in schol. ejusdem prop. ostensum), haec idea ab ipso af|fectu sive (per gen. affect. defin.) ab idea corporis affectionis revera non distinguitur nisi solo conceptu; ergo haec cognitio boni et mali nihil est aliud quam ipse affectus, quatenus ejusdem sumus conscii. Q. e. d.
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Fo l g e s a t z : Ein Affekt kann, insofern er dem Geist angeh˛rt, nur durch die Idee einer Affektion des K˛rpers gehemmt oder aufgehoben werden, die der Affektion, von der wir etwas erleiden, entgegengesetzt ist und strker ist als diese. Denn ein Affekt, von dem wir etwas erleiden, kann nur durch einen strkeren und ihm entgegengesetzten Affekt gehemmt oder aufgehoben werden (nach vorigem Lehrsatz), d. h. (nach der allgemeinen Definition der Affekte) nur durch die Idee einer Affektion des K˛rpers, die strker ist als die Affektion, von der wir etwas erleiden, und dieser entgegengesetzt ist. L e h r s a t z 8 . Die Erkenntnis des Guten und Schlechten ist nichts anderes als ein Affekt der Freude und Trauer, insofern wir uns seiner bewut sind. B e w e i s : Wir nennen gut oder schlecht, was der Erhaltung unseres Seins dienlich oder abtrglich ist (nach Definition 1 und 2 dieses Teils), d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) was unsere Wirkungsmacht vermehrt oder vermindert, f˛rdert oder hemmt. Insofern wir also (nach den Definitionen von Freude und Trauer in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) wahrnehmen, da ein Ding uns mit Freude oder Trauer affiziert, nennen wir es gut oder schlecht; mithin ist die Erkenntnis des Guten und Schlechten nichts anderes als die Idee der Freude oder Trauer, die notwendigerweise aus dem Affekt der Freude oder Trauer selbst folgt (nach Lehrsatz 22 des 2. Teils). Nun ist diese Idee mit dem Affekt in gleicher Weise vereinigt, wie der Geist mit dem K˛rper vereinigt ist (nach Lehrsatz 21 des 2. Teils); d. h. (wie in der Anmerkung zu dem genannten Lehrsatz gezeigt wurde), diese Idee unterscheidet sich nicht wirklich, sondern nur begrifflich von dem Affekt selbst, d. h. (nach der allgemeinen Definition der Affekte) der Idee der Affektion des K˛rpers. Also ist die so verstandene Erkenntnis des Guten und Schlechten nichts anderes als der Affekt selbst, insofern wir uns seiner bewut sind. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o I X . Affectus, cujus causam in praesenti nobis adesse imaginamur, fortior est, quam si eandem non adesse imaginaremur. D e m o n s t ra t i o . Imaginatio est idea, qua mens rem ut praesentem contemplatur (vide ejus defin. in schol. prop. 17. p. 2.), quae tamen magis corporis humani constitutionem quam rei externae naturam indicat (per coroll. 2. prop. 16. p. 2.). Est igitur affectus (per gen. affect. defin.) imaginatio, quatenus corporis constitutionem indicat. At imaginatio (per prop. 17. p. 2.) intensior est, quamdiu nihil imaginamur, quod rei externae praesentem existentiam secludit; ergo etiam affectus, cujus causam in praesenti nobis adesse imaginamur, intensior seu fortior est, quam si eandem non adesse imaginaremur. Q. e. d. S c h o l i u m . Cum supra in propositione 18. partis 3. dixerim nos ex rei futurae vel praeteritae imagine eodem affectu affici, ac si res, quam imaginamur, praesens esset, expresse monui id verum esse, quatenus ad solam ipsius rei imaginem attendimus; est enim ejusdem naturae, sive rem ut praesentem imaginati simus sive non simus; sed non negavi eandem debiliorem reddi, quando alias res nobis praesentes contemplamur, quae rei futurae praesentem existentiam secludunt, quod tum monere neglexi, quia in hac parte de affectuum viribus agere constitueram. C o r o l l a r i u m . Imago rei futurae vel praeteritae, hoc est rei, quam cum relatione ad tempus futurum vel praeteritum secluso praesenti contemplamur, caeteris paribus, debilior est imagine rei praesentis, et con|sequenter affectus erga rem futuram vel praeteritam, caeteris paribus, remissior est affectu erga rem praesentem.
19 - 20 rem ut praesentem imaginati] res imaginati korr.W. B., Akkerman folgend; Gebhardt liest res und ergnzt ut praesentes
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L e h r s a t z 9. Ein Affekt, dessen Ursache wir als uns gegenwrtig angehend vorstellen, ist strker, als wenn wir sie als uns nicht angehend vorstellten. B e w e i s : Eine Vorstellung ist eine Idee, kraft deren der Geist ein Ding als gegenwrtig betrachtet (siehe ihre Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils), die gleichwohl (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 des 2. Teils) mehr den Zustand des menschlichen K˛rpers als die Natur des ueren Dinges anzeigt. Also ist ein Affekt (nach der allgemeinen Definition der Affekte) eine Vorstellung, insofern sie den Zustand des K˛rpers anzeigt. Nun ist eine Vorstellung (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils) intensiver, solange wir nichts vorstellen, was die gegenwrtige Existenz des ueren Dinges ausschliet. Also ist auch ein Affekt, dessen Ursache wir als uns gegenwrtig angehend vorstellen, intensiver oder strker, als wenn wir sie als uns nicht angehend vorstellten. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Als ich oben in Lehrsatz 18 des 3. Teils sagte, da wir von dem Vorstellungsbild eines zukˇnftigen oder vergangenen Dinges mit demselben Affekt affiziert werden, wie wenn wir ein Ding als gegenwrtig vorstellen, erwhnte ich ausdrˇcklich, da dies wahr ist, insofern wir blo das Vorstellungsbild des Dinges selbst ins Auge fassen; es ist nmlich von derselben Natur, ob wir das Ding als gegenwrtig vorgestellt haben oder nicht; ich habe indessen nicht verneint, da es schwcher wird, wenn wir andere Dinge als uns gegenwrtig betrachten, Dinge, die die gegenwrtige Existenz des zukˇnftigen Dinges ausschlieen; dies dort zu erwhnen habe ich unterlassen, weil ich erst in diesem Teil von den Krften der Affekte handeln wollte. Fo l g e s a t z : Das Vorstellungsbild eines zukˇnftigen oder vergangenen Dinges (d. h. eines Dinges, das wir in Beziehung auf eine zukˇnftige oder vergangene Zeit unter Ausschlu der gegenwrtigen betrachten) ist bei sonst gleichen Umstnden schwcher als das eines gegenwrtigen Dinges; und folglich ist ein Affekt gegenˇber einem zukˇnftigen oder vergangenen Ding bei sonst gleichen Umstnden milder als ein Affekt gegenˇber einem gegenwrtigen Ding.
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P r o p o s i t i o X . Erga rem futuram, quam cito affuturam imaginamur, intensius afficimur, quam si ejus existendi tempus longius a praesenti distare imaginaremur; et memoria rei, quam non diu praeteriisse imaginamur, intensius etiam afficimur, quam si eandem diu praeteriisse imaginaremur. D e m o n s t ra t i o . Quatenus enim rem cito affuturam vel non diu praeteriisse imaginamur, eo ipso aliquid imaginamur, quod rei praesentiam minus secludit, quam si ejusdem futurum existendi tempus longius a praesenti distare, vel quod dudum praeterierit, imaginaremur (ut per se notum); adeoque (per praeced. prop.) eatenus intensius erga eandem afficiemur. Q. e. d. S c h o l i u m . Ex iis, quae ad definitionem 6. hujus partis notavimus, sequitur nos erga objecta, quae a praesenti longiori temporis intervallo distant, quam quod imaginando determinare possumus, quamvis ab invicem longo temporis intervallo distare intelligamus, aeque tamen remisse affici. P r o p o s i t i o X I . Affectus erga rem, quam ut necessariam imaginamur, caeteris paribus, intensior est quam erga possibilem vel contingentem sive non necessariam. D e m o n s t ra t i o . Quatenus rem aliquam necessariam esse imaginamur, eatenus ejus existentiam affirmamus, et contra rei existentiam negamus, quatenus eandem non necessariam esse imaginamur (per schol. 1. prop. 33. p. 1.); ac proinde (per prop. 9. hujus) affectus erga |rem necessariam, caeteris paribus, intensior est quam erga non necessariam. Q. e. d.
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L e h r s a t z 10 . Gegenˇber einem zukˇnftigen Ding, das wir uns als bald eintreffend vorstellen, werden wir intensiver affiziert, als wenn wir uns vorstellten, da es spter eintreffen wird; und ebenso werden wir von der Erinnerung an ein Ding, das wir uns als noch nicht lange vergangen vorstellen, intensiver affiziert, als wenn wir uns vorstellten, da es schon lange vergangen ist. B e w e i s : Insofern wir uns nmlich ein Ding als bald eintreffend oder als noch nicht lange vergangen vorstellen, stellen wir uns ebendamit etwas vor, das die Gegenwart des Dinges in geringerem Mae ausschliet, als wenn wir uns vorstellten, da es spter eintreffen wird oder schon lngst vergangen ist (wie sich von selbst versteht); mithin werden wir (nach vorigem Lehrsatz) in dem Mae ihm gegenˇber intensiver affiziert werden. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Aus den Hinweisen zu Definition 6 dieses Teils ergibt sich, da wir gleichermaen mild auch gegenˇber Gegenstnden affiziert werden, die von der Gegenwart ˇber eine Zeitspanne getrennt sind, die zu lang ist, um im Medium des Vorstellens von uns bestimmt werden zu k˛nnen, selbst dann, wenn wir uns denken k˛nnen, da die Zeitspanne, die sie trennt, lang ist. L e h r s a t z 11 . Ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als notwendig vorstellen, ist bei sonst gleichen Umstnden intensiver als ein Affekt gegenˇber einem m˛glichen oder zuflligen, d. h. nicht notwendigen Ding. B e w e i s : Insofern wir uns ein Ding als notwendig vorstellen, bejahen wir seine Existenz, und andererseits verneinen wir sie, insofern wir es uns als nicht notwendig vorstellen (nach Anmerkung 1 zu Lehrsatz 33 des 1. Teils); somit ist (nach Lehrsatz 9 dieses Teils) bei sonst gleichen Umstnden ein Affekt gegenˇber einem notwendigen Ding intensiver als ein Affekt gegenˇber einem nicht notwendigen Ding. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X I I . Affectus erga rem, quam scimus in praesenti non existere et quam ut possibilem imaginamur, caeteris paribus, intensior est quam erga contingentem. D e m o n s t ra t i o . Quatenus rem ut contingentem imaginamur, nulla alterius rei imagine afficimur, quae rei existentiam ponat (per defin. 3. hujus); sed contra (secundum hypothesin) quaedam imaginamur, quae ejusdem praesentem existentiam secludunt. At quatenus rem in futurum possibilem esse imaginamur, eatenus quaedam imaginamur, quae ejusdem existentiam ponunt (per defin. 4. hujus), hoc est (per prop. 18. p. 3.) quae spem vel metum fovent; atque adeo affectus erga rem possibilem vehementior est. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Affectus erga rem, quam scimus in praesenti non existere et quam ut contingentem imaginamur, multo remissior est, quam si rem in praesenti nobis adesse imaginaremur. D e m o n s t ra t i o . Affectus erga rem, quam in praesenti existere imaginamur, intensior est, quam si eandem ut futuram imaginaremur (per coroll. prop. 9. hujus), et multo vehementior est, si tempus futurum a praesenti non multum distare imaginaremur (per prop. 10. hujus). Est itaque affectus erga rem, cujus existendi tempus longe a praesenti distare imaginamur, multo remissior, quam si eandem ut praesentem imaginaremur, et nihilominus (per prop. praec.) intensior est, quam si eandem rem ut contingentem imaginaremur; atque adeo affectus erga rem contingentem multo remissior erit, quam si rem in praesenti nobis adesse imaginaremur. Q. e. d.| P r o p o s i t i o X I I I . Affectus erga rem contingentem, quam scimus in praesenti non existere, caeteris paribus, remissior est quam affectus erga rem praeteritam.
20 si tempus ... multum] Gebhardt setzt vor si ein quam und streicht non
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L e h r s a t z 1 2 . Ein Affekt gegenˇber einem Ding, von dem wir wissen, da es gegenwrtig nicht existiert, und das wir uns als m˛glich vorstellen, ist bei sonst gleichen Umstnden intensiver als ein Affekt gegenˇber einem zuflligen Ding. B e w e i s : Insofern wir uns ein Ding als zufllig vorstellen, werden wir von keinem Vorstellungsbild eines anderen Dinges affiziert, das die Existenz des Dinges setzt (nach Definition 3 dieses Teils); vielmehr stellen wir uns (der Voraussetzung nach) einige Dinge vor, die seine gegenwrtige Existenz ausschlieen. Hingegen, insofern wir uns ein Ding als in der Zukunft m˛glich vorstellen, stellen wir uns einige Dinge vor, die seine Existenz setzen (nach Definition 4 dieses Teils), d. h. (nach Lehrsatz 18 des 3. Teils) die Hoffnung oder Furcht nhren; mithin ist ein Affekt gegenˇber einem m˛glichen Ding heftiger. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Ein Affekt gegenˇber einem Ding, von dem wir wissen, da es gegenwrtig nicht existiert, und das wir uns als zufllig vorstellen, ist viel milder, als wenn wir uns das Ding als uns gegenwrtig angehend vorstellten. B e w e i s : Ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als gegenwrtig existierend vorstellen, ist intensiver, als wenn wir es uns als zukˇnftig vorstellten (nach Folgesatz zu Lehrsatz 9 dieses Teils), und [gegenˇber Zukˇnftigem] sehr viel heftiger, wenn wir uns dessen Zukunft als nicht sehr weit von der Gegenwart entfernt vorstellen (nach Lehrsatz 10 dieses Teils). Also ist ein Affekt gegenˇber einem Ding, dessen Eintreffen wir uns als weit von der Gegenwart entfernt vorstellen, viel milder, als wenn wir es uns als gegenwrtig vorstellten; und gleichwohl ist er (nach vorigem Lehrsatz) intensiver, als wenn wir uns jenes Ding als zufllig vorstellten; mithin wird ein Affekt gegenˇber einem zuflligen Ding viel milder sein, als wenn wir uns das Ding als uns gegenwrtig angehend vorstellten. W. z. b. w. L e h r s a t z 13 . Ein Affekt gegenˇber einem zuflligen Ding, von dem wir wissen, da es gegenwrtig nicht existiert, ist bei sonst gleichen Umstnden milder als ein Affekt gegenˇber einem vergangenen Ding.
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D e m o n s t ra t i o . Quatenus rem ut contingentem imaginamur, nulla alterius rei imagine afficimur, quae rei existentiam ponat (per defin. 3. hujus). Sed contra (secundum hypothesin) quaedam imaginamur, quae ejusdem praesentem existentiam secludunt. Verum quatenus eandem cum relatione ad tempus praeteritum imaginamur, eatenus aliquid imaginari supponimur, quod ipsam ad memoriam redigit sive quod rei imaginem excitat (vide prop. 18. p. 2. cum ejusdem schol.), ac proinde eatenus efficit, ut ipsam, ac si praesens esset, contemplemur (per coroll. prop. 17. p. 2.). Atque adeo (per prop. 9. hujus) affectus erga rem contingentem, quam scimus in praesenti non existere, caeteris paribus, remissior erit quam affectus erga rem praeteritam. Q. e. d. P r o p o s i t i o X I V. Vera boni et mali cognitio, quatenus vera, nullum affectum coercere potest, sed tantum, quatenus ut affectus consideratur. D e m o n s t ra t i o . Affectus est idea, qua mens majorem vel minorem sui corporis existendi vim quam antea affirmat (per gen. aff. defin.); atque adeo (per prop. 1. hujus) nihil positivum habet, quod praesentia veri tolli possit, et consequenter vera boni et mali cognitio, quatenus vera, nullum affectum coercere potest. At quatenus affectus est (vide prop. 8. hujus), si fortior affectu coercendo sit, eatenus tantum (per prop. 7. hujus) affectum coercere poterit. Q. e. d.| P r o p o s i t i o X V. Cupiditas, quae ex vera boni et mali cognitione oritur, multis aliis cupiditatibus, quae ex affectibus, quibus conflictamur, oriuntur, restingui vel coerceri potest.
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B e w e i s : Insofern wir uns ein Ding als zufllig vorstellen, werden wir von keinem Vorstellungsbild eines anderen Dinges affiziert, das die Existenz des Dinges setzt (nach Definition 3 dieses Teils); vielmehr stellen wir uns (der Voraussetzung nach) einige Dinge vor, die seine gegenwrtige Existenz ausschlieen. Insofern wir es uns aber in seinem Bezug auf die vergangene Zeit vorstellen, ist vorausgesetzt, da wir uns etwas vorstellen, das es in unsere Erinnerung bringt, anders formuliert, das das Vorstellungsbild des Dinges herbeiruft (siehe Lehrsatz 18 des 2. Teils einschlielich Anmerkung) und somit zuwege bringt, da wir es betrachten, als ob es gegenwrtig wre (nach Folgesatz zu Lehrsatz 17 des 2. Teils). Mithin wird (nach Lehrsatz 9 dieses Teils) ein Affekt gegenˇber einem zuflligen Ding, von dem wir wissen, da es gegenwrtig nicht existiert, bei sonst gleichen Umstnden milder sein als ein Affekt gegenˇber einem vergangenen Ding. W. z. b. w. L e h r s a t z 14 . Die wahre Erkenntnis des Guten und Schlechten kann keinen Affekt hemmen, insofern sie wahr ist, sondern allein, insofern sie als ein Affekt angesehen wird. B e w e i s : Ein Affekt ist eine Idee, mit der der Geist von seinem K˛rper eine gr˛ere oder geringere Kraft des Existierens als vorher bejaht (nach der allgemeinen Definition der Affekte); mithin hat er (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) als etwas Positives nichts, was von der Gegenwart des Wahren aufgehoben werden k˛nnte; und folglich kann die wahre Erkenntnis des Guten und Schlechten, insofern sie wahr ist, keinen Affekt hemmen. Insofern sie hingegen ein Affekt ist (siehe Lehrsatz 8 dieses Teils) und zugleich strker ist als der zu hemmende Affekt, allein in dem Mae wird sie (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) diesen Affekt hemmen k˛nnen. W. z. b. w. L e h r s a t z 15 . Eine Begierde, die einer wahren Erkenntnis des Guten und Schlechten entspringt, kann von vielen anderen Begierden unterdrˇckt oder gehemmt werden, die Affekten entspringen, die uns bedrngen.
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D e m o n s t ra t i o . Ex vera boni et mali cognitione, quatenus haec (per prop. 8. hujus) affectus est, oritur necessario cupiditas (per 1. affect. def.), quae eo est major, quo affectus, ex quo oritur, major est (per prop. 37. p. 3.). Sed quia haec cupiditas (per hypothesin) ex eo, quod aliquid vere intelligimus, oritur, sequitur ergo ipsa in nobis, quatenus agimus (per prop. 3. p. 3.); atque adeo per solam nostram essentiam debet intelligi (per defin. 2. p. 3.), et consequenter (per prop. 7. p. 3.) ejus vis et incrementum sola humana potentia definiri debet. Porro cupiditates, quae ex affectibus, quibus conflictamur, oriuntur, eo etiam majores sunt, quo hi affectus vehementiores erunt; atque adeo earum vis et incrementum (per prop. 5. hujus) potentia causarum externarum definiri debet, quae, si cum nostra comparetur, nostram potentiam indefinite superat (per prop. 3. hujus); atque adeo cupiditates, quae ex similibus affectibus oriuntur, vehementiores esse possunt illa, quae ex vera boni et mali cognitione oritur, ac proinde (per prop. 7. hujus) eandem coercere vel restinguere poterunt. Q. e. d. P r o p o s i t i o X V I . Cupiditas, quae ex cognitione boni et mali, quatenus haec cognitio futurum respicit, oritur, facilius rerum cupiditate, quae in praesentia suaves sunt, coerceri vel restingui potest. D e m o n s t ra t i o . Affectus erga rem, quam futuram imaginamur, remissior est quam erga praesentem (per coroll. prop. 9. hujus). At cupiditas, quae ex vera boni et mali cognitione oritur, tametsi haec cognitio circa res, quae in praesentia bonae sunt, versetur, restingui vel | coerceri potest aliqua temeraria cupiditate (per prop. praeced., cujus dem. universa-
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B e w e i s : Einer wahren Erkenntnis des Guten und Schlechten, insofern sie (nach Lehrsatz 8 dieses Teils) ein Affekt ist, entspringt notwendigerweise eine Begierde (nach Definition 1 der Affekte), die umso gr˛er ist, je gr˛er der Affekt ist, dem sie entspringt (nach Lehrsatz 37 des 3. Teils). Weil diese Begierde (der Voraussetzung nach) aber dem Tatbestand entspringt, da wir etwas wahrhaft einsehen, folgt sie in uns, insofern wir aktiv sind (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils); mithin mu sie durch unsere Essenz allein eingesehen werden (nach Definition 2 des 3. Teils); und folglich mu (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) ihre Kraft und ihr Anwachsen allein von menschlicher Macht her definiert werden. Ferner sind Begierden, die Affekten, die uns bedrngen, entspringen, ebenfalls umso gr˛er, je heftiger diese Affekte sind; mithin mu deren Kraft und deren Anwachsen (nach Lehrsatz 5 dieses Teils) von der Macht uerer Ursachen her definiert werden, die, mit der unsrigen auf einer Stufe stehend, unsere Macht unbestimmt ˇbertrifft (nach Lehrsatz 3 dieses Teils). Mithin k˛nnen Begierden, die solchen Affekten entspringen, heftiger sein als diejenige, die einer wahren Erkenntnis des Guten und Schlechten entspringt, und werden diese somit (nach Lehrsatz 7 dieses Teils) hemmen oder unterdrˇcken k˛nnen. W. z. b. w. L e h r s a t z 16 . Eine Begierde, die einer [wahren] Erkenntnis des Guten und Schlechten entspringt, insofern sich diese Erkenntnis auf die Zukunft richtet, kann von einer Begierde nach Dingen, die im Augenblick Angenehmes verheien, ganz leicht gehemmt oder unterdrˇckt werden. B e w e i s : Ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als zukˇnftig vorstellen, ist milder als ein Affekt gegenˇber einem gegenwrtigen Ding (nach Folgesatz zu Lehrsatz 9 dieses Teils). Nun kann eine Begierde, die der wahren Erkenntnis des Guten und Schlechten entspringt, selbst wenn diese Erkenntnis sich um Dinge dreht, die augenblicklich gut sind, von irgendeiner unbesonnenen Begierde unterdrˇckt oder gehemmt werden (nach vorigem Lehrsatz, dessen Beweis all-
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lis est); ergo cupiditas, quae ex eadem cognitione, quatenus haec futurum respicit, oritur, facilius coerceri vel restingui poterit, etc. Q. e. d.
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P r o p o s i t i o X V I I . Cupiditas, quae oritur ex vera boni et mali cognitione, quatenus haec circa res contingentes versatur, multo adhuc facilius coerceri potest cupiditate rerum, quae praesentes sunt. D e m o n s t ra t i o . Propositio haec eodem modo ac prop. praeced. demonstratur ex coroll. prop. 12. hujus. S c h o l i u m . His me causam ostendisse credo, cur homines opinione magis quam vera ratione commoveantur, et cur vera boni et mali cognitio animi commotiones excitet et saepe omni libidinis generi cedat; unde illud poetae natum: Video meliora proboque, deteriora sequorß. Quod idem etiam Ecclesiastes in mente habuisse videtur, cum dixit: Qui auget scientiam, auget doloremß. Atque haec non eum in finem dico, ut inde concludam praestabilius esse ignorare quam scire, vel quod stulto intelligens in moderandis affectibus nihil intersit; sed ideo quia necesse est nostrae naturae tam potentiam quam impotentiam noscere, ut determinare possimus, quid ratio in moderandis affectibus possit et quid non possit; et in hac parte de sola humana impotentia me acturum dixi. Nam de rationis in affectus potentia separatim agere constitui. P r o p o s i t i o X V I I I . Cupiditas, quae ex laetitia oritur, caeteris paribus, fortior est cupiditate, quae ex tristitia oritur.
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gemein ist). Also wird eine Begierde, die der genannten Erkenntnis, insofern sie sich auf die Zukunft richtet, entspringt, ganz leicht gehemmt oder unterdrˇckt werden k˛nnen usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 17. Eine Begierde, die einer wahren Erkenntnis des Guten und Schlechten entspringt, kann, insofern diese Erkenntnis sich mit zuflligen Dingen abgibt, noch viel leichter von einer Begierde nach Dingen, die gegenwrtig sind, gehemmt werden. B e w e i s : Dieser Lehrsatz wird in gleicher Weise wie der vorige aus dem Folgesatz zu Lehrsatz 12 dieses Teils bewiesen. A n m e r k u n g : Hiermit glaube ich die Ursache aufgezeigt zu haben, warum Menschen sich mehr von Meinung als von wahrer Vernunft bewegen lassen, und warum die wahre Erkenntnis des Guten und Schlechten im Gemˇt Unruhe hervorruft und oft aller Art sinnlicher Lust weicht, woher denn jenes Dichterwort [Ovid, Metamorphosen VII] rˇhrt: Ich sehe das Bessere und billige es, dem Schlechteren aber folge ichß. Dasselbe scheint auch der Prediger [Salomo Kap. I,18] im Sinn gehabt zu haben, wenn er sagte: Wer Wissen mehrt, mehrt Schmerzß. Dies sage ich allerdings nicht, um daraus zu schlieen, da Nichtwissen besser sei als Wissen oder zwischen dem Dummen und dem, der sich auskennt, kein Unterschied bestˇnde, wenn es um die Migung der Affekte geht, sondern deshalb, weil es n˛tig ist, auer der Macht ebensosehr die Ohnmacht unserer Natur zu kennen, um bestimmen zu k˛nnen, was die Vernunft im Migen der Affekte vermag und was nicht. Dabei werde ich in diesem Teil, wie schon gesagt, blo von der menschlichen Ohnmacht handeln; denn von der Macht der Vernunft ˇber die Affekte will ich getrennt handeln. L e h r s a t z 18 . Eine Begierde, die der Freude entspringt, ist bei sonst gleichen Umstnden strker als eine Begierde, die der Trauer entspringt.
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D e m o n s t ra t i o . Cupiditas est ipsa hominis essentia (per 1. affect. defin.), hoc est (per prop. 7. p. 3.) conatus, quo homo in suo esse perseverare co|natur. Quare cupiditas, quae ex laetitia oritur, ipso laetitiae affectu (per defin. laetitiae, quam vide in schol. prop. 11. p. 3.) juvatur vel augetur; quae autem contra ex tristitia oritur, ipso tristitiae affectu (per idem schol.) minuitur vel coercetur; atque adeo vis cupiditatis, quae ex laetitia oritur, potentia humana simul et potentia causae externae, quae autem ex tristitia, sola humana potentia definiri debet, ac proinde hac illa fortior est. Q. e. d. S c h o l i u m . His paucis humanae impotentiae et inconstantiae causas et cur homines rationis praecepta non servent, explicui. Superest jam, ut ostendam, quid id sit, quod ratio nobis praescribit, et quinam affectus cum rationis humanae regulis conveniant, quinam contra iisdem contrarii sint. Sed antequem haec prolixo nostro geometrico ordine demonstrare incipiam, lubet ipsa rationis dictamina hic prius breviter ostendere, ut ea, quae sentio, facilius ab unoquoque percipiantur. Cum ratio nihil contra naturam postulet, postulat ergo ipsa, ut unusquisque seipsum amet, suum utile, quod revera utile est, quaerat, et id omne, quod hominem ad majorem perfectionem revera ducit, appetat, et absolute, ut unusquisque suum esse, quantum in se est, conservare conetur. Quod quidem tam necessario verum est, quam quod totum sit sua parte majus (vide prop. 4. p. 3.). Deinde quandoquidem virtus (per defin. 8. hujus) nihil aliud est quam ex legibus propriae naturae agere, et nemo suum esse (per prop. 7. p. 3.) conservare conetur nisi ex propriae suae naturae legibus; hinc sequitur
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B e w e i s : Begierde ist genau des Menschen Essenz (nach Definition 1 der Affekte), d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) ein Streben, mit dem ein Mensch in seinem Sein zu verharren strebt. Deshalb wird eine Begierde, die der Freude entspringt, von dem Affekt der Freude selbst (nach der Definition von Freude in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) gef˛rdert oder vermehrt, whrend eine, die der Trauer entspringt, von dem Affekt der Trauer selbst (nach der genannten Anmerkung) vermindert oder gehemmt wird; mithin mu die Kraft einer Begierde, die der Freude entspringt, von menschlicher Macht zusammen mit der Macht uerer Ursachen her definiert werden, die einer Begierde, die der Trauer entspringt, hingegen blo von menschlicher Macht her; und somit ist jene strker als diese. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Mit diesen wenigen Stzen habe ich die Ursachen menschlicher Ohnmacht und Unbestndigkeit erklrt und warum Menschen die Vorschriften der Vernunft nicht beachten. Es bleibt mir noch zu zeigen, was es denn ist, das die Vernunft uns vorschreibt und welche Affekte mit den Regeln menschlicher Vernunft ˇbereinstimmen und welche andererseits ihnen entgegengesetzt sind. Ehe ich jedoch beginne, dies in unserer weitlufigen geometrischen Ordnung zu beweisen, m˛chte ich zunchst die Gebote der Vernunft selbst hier kurz darlegen, damit jeder leichter versteht, was ich meine. Die Vernunft fordert nichts gegen die Natur; sie fordert also, da jedermann sich selbst liebt, seinen eigenen Vorteil sucht, also dasjenige, was wirklich nˇtzlich fˇr ihn ist, und nach all dem verlangt, was einen Menschen wirklich zu gr˛erer Vollkommenheit fˇhrt; generell gesprochen, da jedermann sein Sein gem der ihm eigenen Natur zu erhalten erstrebt. Das ist ja so unausweichlich wahr, wie da das Ganze gr˛er ist als sein Teil (siehe Lehrsatz 4 des 3. Teils). Da des weiteren Tugend (nach Definition 8 dieses Teils) ja nichts anderes ist als nach den Gesetzen der eigenen Natur handeln und niemand sein Sein (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) anders als nach den Gesetzen seiner eigenen Natur zu erhalten erstrebt, folgt daraus:
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primo virtutis fundamentum esse ipsum conatum proprium esse conservandi et felicitatem in eo consistere, quod homo suum esse conservare potest. Secundo sequitur virtutem propter se esse appetendam nec quicquam, quod ipsa praestabilius aut quod utilius nobis sit, dari, cujus causa deberet appeti. Tertio denique sequitur eos, qui se interficiunt, animo esse impotentes eosque a causis externis suae naturae repugnantibus prorsus vinci. Porro ex postulato 4. partis 2. sequitur nos efficere nunquam posse, ut nihil extra nos indigeamus ad nostrum esse conservandum et ut ita vivamus, ut nullum commer|cium cum rebus, quae extra nos sunt, habeamus; et, si praeterea nostram mentem spectemus, sane noster intellectus imperfectior esset, si mens sola esset nec quicquam praeter se ipsam intelligeret. Multa igitur extra nos dantur, quae nobis utilia quaeque propterea appetenda sunt. Ex his nulla praestantiora excogitari possunt quam ea, quae cum nostra natura prorsus conveniunt. Si enim duo ex. gr. ejusdem prorsus naturae individua invicem junguntur, individuum componunt singulo duplo potentius. Homini igitur nihil homine utilius; nihil, inquam, homines praestantius ad suum esse conservandum optare possunt, quam quod omnes in omnibus ita conveniant, ut omnium mentes et corpora unam quasi mentem unumque corpus componant et omnes simul, quantum possunt, suum esse conservare conentur omnesque simul omnium commune utile sibi quaerant; ex quibus sequitur homines, qui ratione gubernantur, hoc est homines, qui ex ductu rationis suum utile quaerunt, nihil sibi appetere, quod reliquis hominibus non cupiant, atque adeo eosdem justos, fidos atque honestos esse.
9 Porro] kein Absatz in OP
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Erstens, da die Grundlage von Tugend genau dieses Streben ist, das eigene Sein zu erhalten, und das Glˇck darin besteht, da ein Mensch imstande ist, sein Sein zu erhalten. Zweitens, da wir nach Tugend um ihrer selbst willen verlangen sollten und da es nichts gibt, das ihr vorzuziehen ist oder das nˇtzlicher fˇr uns ist, dessentwegen nach ihr verlangt werden mˇte. Drittens schlielich, da diejenigen, die sich selbst das Leben nehmen, ohnmchtigen Gemˇts sind und v˛llig ˇberwltigt werden von ueren Ursachen, die ihrer eigenen Natur entgegenstehen. Ferner folgt aus Postulat 4 des 2. Teils, da wir es nie dahin bringen k˛nnen, zur Erhaltung unseres Seins nichts auerhalb unserer selbst zu bedˇrfen und so zu leben, da wir uns um Dinge auerhalb von uns nicht kˇmmern mˇten. Betrachten wir auerdem unseren Geist ^ unser Verstand wre sicherlich weniger vollkommen, wenn der Geist allein wre und nichts als sich selbst verstˇnde. Es gibt also viele Dinge auerhalb von uns, die nˇtzlich fˇr uns sind und deshalb aufgesucht werden sollten. Unter ihnen lassen sich keine vorzˇglicheren ausfindig machen als solche, die mit unserer Natur v˛llig ˇbereinstimmen. Wenn nmlich z. B. zwei Individuen von ganz derselben Natur sich miteinander verbinden, dann bilden sie ein Individuum, das doppelt so mchtig ist wie jedes einzelne fˇr sich. Dem Menschen ist also nichts nˇtzlicher als der Mensch; nichts Geeigneteres, sage ich, k˛nnen sich Menschen zur Erhaltung ihres Seins wˇnschen, als da alle in allem so ˇbereinstimmten, da die Geister und K˛rper von allen zusammen gleichsam einen einzigen Geist und einen einzigen K˛rper bilden, da alle zusammen, soviel sie k˛nnen, strebten, ihr Sein zu erhalten, und alle zusammen fˇr sich selbst den gemeinsamen Nutzen aller suchten. Daraus folgt, da Menschen, die sich von der Vernunft leiten lassen, d. h. Menschen, die vernunftgeleitet ihren eigenen Vorteil suchen, fˇr sich selbst nach nichts verlangen, was sie nicht auch fˇr andere Menschen begehren, da sie mithin gerecht, zuverlssig und anstndig sind.
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Haec illa rationis dictamina sunt, quae hic paucis ostendere proposueram, antequam eadem prolixiori ordine demonstrare inciperem, quod ea de causa feci, ut, si fieri posset, eorum attentionem mihi conciliarem, qui credunt hoc principium, quod scilicet unusquisque suum utile quaerere tenetur, impietatis, non autem virtutis et pietatis esse fundamentum. Postquam igitur rem sese contra habere breviter ostenderim, pergo ad eandem eadem via, qua huc usque progressi sumus, demonstrandum. P r o p o s i t i o X I X . Id unusquisque ex legibus suae naturae necessario appetit vel aversatur, quod bonum vel malum esse judicat. D e m o n s t ra t i o . Boni et mali cognitio est (per prop. 8. hujus) ipse laetitiae vel tristitiae affectus, quatenus ejusdem sumus conscii; ac proinde (per prop. 28. p. 3.) id unusquisque necessario appetit, quod | bonum, et contra id aversatur, quod malum esse judicat. Sed hic appetitus nihil aliud est quam ipsa hominis essentia seu natura (per defin. appetitus, quam vide in schol. prop. 9. p. 3. et 1. aff. defin.). Ergo unusquisque ex solis suae naturae legibus id necessario appetit vel aversatur, etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X . Quo magis unusquisque suum utile quaerere, hoc est suum esse conservare conatur et potest, eo magis virtute praeditus est; et contra quatenus unusquisque suum utile, hoc est suum esse conservare negligit, eatenus est impotens. D e m o n s t ra t i o . Virtus est ipsa humana potentia, quae sola hominis essentia definitur (per defin. 8. hujus), hoc est (per prop. 7. p. 3.) quae solo conatu, quo homo in suo esse perseverare conatur, definitur. Quo ergo unusquisque magis suum esse conservare conatur et potest, eo magis virtute praeditus est, et consequenter (per prop. 4. et 6. p. 3.), quate-
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Dies sind die Gebote der Vernunft, die ich hier kurz darlegen wollte, bevor ich beginne, sie in einer weitlufigeren Ordnung zu beweisen; ich habe es deshalb getan, um vielleicht die Aufmerksamkeit derer zu gewinnen, die glauben, da dieses Prinzip ^ da jedermann gehalten ist, seinen eigenen Vorteil zu suchen ^ die Grundlage nicht von Tugend und Moralitt, sondern von Lasterhaftigkeit sei. Nachdem ich also kurz gezeigt habe, da das Gegenteil der Fall ist, fahre ich fort, dies auf dem bisher beschrittenen Weg zu beweisen. L e h r s a t z 19. Ein jeder verlangt nach den Gesetzen seiner eigenen Natur notwendigerweise nach dem, was er fˇr gut hlt, und verschmht das, was er fˇr schlecht hlt. B e w e i s : Die Erkenntnis des Guten und Schlechten ist (nach Lehrsatz 8 dieses Teils) selbst ein Affekt der Freude oder der Trauer, insofern wir uns seiner bewut sind; somit verlangt (nach Lehrsatz 28 des 3. Teils) ein jeder notwendigerweise nach dem, was er fˇr gut hlt, und verschmht umgekehrt das, was er fˇr schlecht hlt. Allein dieser Trieb ist nichts anderes als genau des Menschen Essenz oder Natur (nach der Definition von Trieb in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 des 3. Teils und in Definition 1 der Affekte). Also verlangt ein jeder nach den bloen Gesetzen seiner eigenen Natur notwendigerweise nach dem oder verschmht das usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 0 . Je mehr ein jeder danach strebt und dazu imstande ist, seinen eigenen Vorteil zu suchen, d. h. sein Sein zu erhalten, desto mehr ist er mit Tugend ausgestattet; und umgekehrt insofern ein jeder seinen eigenen Vorteil [zu suchen], d. h. sein Sein zu erhalten, vernachlssigt, ist er ohnmchtig. B e w e i s : Tugend ist genau menschliche Macht, die von des Menschen Essenz allein her definiert wird (nach Definition 8 dieses Teils), d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) allein von dem Streben her, mit dem der Mensch in seinem Sein zu verharren strebt. Je mehr also ein jeder sein Sein zu erhalten strebt und dazu imstande ist, desto mehr ist er mit Tugend ausgestattet; und folglich gilt (nach Lehrsatz 4 und 6 des
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nus aliquis suum esse conservare negligit, eatenus est impotens. Q. e. d. S c h o l i u m . Nemo igitur, nisi a causis externis et suae naturae contrariis victus, suum utile appetere sive suum esse conservare negligit. Nemo, inquam, ex necessitate suae naturae, sed a causis externis coactus alimenta aversatur vel se ipsum interficit, quod multis modis fieri potest; nempe interficit aliquis se ipsum coactus ab alio, qui ejus dexteram, qua ensem casu prehenderat, contorquet et cogit versus cor ipsum gladium dirigere; vel quod ex mandato tyranni, ut Seneca, cogatur venas aperire suas, hoc est majus malum minore vitare cupiat; vel denique ex eo, quod causae latentes externae ejus imaginationem ita disponunt et corpus ita afficiunt, ut id aliam naturam priori contrariam induat et cujus idea in mente dari nequit (per prop. 10. p. 3.). At quod homo ex necessitate suae naturae conetur non existere vel in aliam formam mutari, tam est | impossibile, quam quod ex nihilio aliquid fiat, ut unusquisque mediocri meditatione videre potest. P r o p o s i t i o X X I . Nemo potest cupere beatum esse, bene agere et bene vivere, qui simul non cupiat esse, agere et vivere, hoc est actu existere. D e m o n s t ra t i o . Hujus propositionis demonstratio seu potius res ipsa per se patet et etiam ex cupiditatis definitione. Est enim cupiditas (per 1. aff. defin.) beate seu bene vivendi, agendi, etc. ipsa hominis essentia, hoc est (per prop. 7. p. 3.) conatus, quo unusquisque suum esse conservare conatur. Ergo nemo potest cupere, etc. Q. e. d.
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3. Teils): insofern jemand sein Sein zu erhalten vernachlssigt, ist er ohnmchtig. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Niemand also, es sei denn er ist von ueren und seiner Natur entgegengesetzten Ursachen besiegt, unterlt es, seinen eigenen Vorteil zu suchen oder sein Sein zu erhalten. Niemand, sage ich, verschmht Nahrung oder nimmt sich das Leben aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur; nur die tun es, die von ueren Ursachen dazu gezwungen werden, was auf viele Weisen geschehen kann. Einer mag sich selbst t˛ten, weil er von einem anderen dazu gezwungen wird, der ihm die rechte Hand, die zufllig ein Schwert hlt, umdreht und ihn zwingt, die Spitze gegen das eigene Herz zu richten; ein anderer, weil er, wie Seneca, auf Befehl eines Tyrannen gezwungen wird, sich die Adern zu ˛ffnen, d. h. weil er begehrt, ein geringeres bel [auf sich zu nehmen], um ein gr˛eres zu vermeiden; ein dritter schlielich, weil verborgene uere Ursachen seine Vorstellungskraft so disponieren und seinen K˛rper so affizieren, da dieser eine andere Natur annimmt, die der frˇheren entgegengesetzt ist und von der es im Geist keine Idee geben kann (nach Lehrsatz 10 des 3. Teils). Da aber ein Mensch aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur danach strebte, nicht zu existieren oder sich in eine andere Gestalt zu verwandeln, ist so unm˛glich, wie da aus nichts etwas kommen k˛nnte, wie jeder mit nur geringem Nachdenken sehen kann. L e h r s a t z 2 1 . Niemand kann begehren, glˇcklich zu sein, gut zu handeln und gut zu leben, der nicht zugleich begehrte, zu sein, zu handeln und zu leben, d. h. wirklich zu existieren. B e w e i s : Der Beweis dieses Lehrsatzes oder vielmehr die Sache selbst ist durch sich selbst evident, aber auch aus der Definition von Begierde; die Begierde, glˇcklich, d. h. gut zu leben, zu handeln usw., ist nmlich (nach Definition 1 der Affekte) genau des Menschen Essenz, d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) das Streben, mit dem ein jeder sein Sein zu erhalten strebt. Also kann niemand begehren usw. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X X I I . Nulla virtus potest prior hac (nempe conatu sese conservandi) concipi. D e m o n s t ra t i o . Conatus sese conservandi est ipsa rei essentia (per prop. 7. p. 3.). Si igitur aliqua virtus posset hac, nempe hoc conatu, prior concipi, conciperetur ergo (per defin. 8. hujus) ipsa rei essentia se ipsa prior, quod (ut per se notum) est absurdum. Ergo nulla virtus, etc. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Conatus sese conservandi primum et unicum virtutis est fundamentum. Nam hoc principio nullum aliud potest prius concipi (per prop. praec.), et absque ipso (per prop. 21. hujus) nulla virtus potest concipi. P r o p o s i t i o X X I I I . Homo, quatenus ad aliquid agendum determinatur ex eo, quod ideas habet inadaequatas, non potest absolute dici ex virtute agere; sed tantum, quatenus determinatur ex eo, quod intelligit.| D e m o n s t ra t i o . Quatenus homo ad agendum determinatur ex eo, quod inadaequatas habet ideas, eatenus (per prop. 1. p. 3.) patitur, hoc est (per defin. 1. et 2. p. 3.) aliquid agit, quod per solam ejus essentiam non potest percipi, hoc est (per defin. 8. hujus) quod ex ipsius virtute non sequitur. At quatenus ad aliquid agendum determinatur ex eo, quod intelligit, eatenus (per eandem prop. 1. p. 3.) agit, hoc est (per defin. 2. p. 3.) aliquid agit, quod per solam ipsius essentiam percipitur, sive (per defin. 8. hujus) quod ex ipsius virtute adaequate sequitur. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X I V. Ex virtute absolute agere nihil aliud in nobis est quam ex ductu rationis agere, vivere, suum esse conservare (haec tria idem significant) ex fundamento proprium utile quaerendi.
28 ex fundamento] Gebhardt ergnzt nach NS davor idque
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L e h r s a t z 2 2 . Keine Tugend kann vor dieser [Tugend] (nmlich dem Streben, sich selbst zu erhalten) begriffen werden. B e w e i s : Das Streben, sich selbst zu erhalten, ist genau die Essenz eines Dinges (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils). K˛nnte also irgendeine Tugend vor dieser [Tugend], nmlich diesem Streben, begriffen werden, dann liee sich (nach Definition 8 dieses Teils) die Essenz eines Dinges als sich selbst vorangehend begreifen, was (wie sich von selbst versteht) widersinnig ist. Folglich keine Tugend usw. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Das Streben, sich selbst zu erhalten, ist die erste und einzige Grundlage von Tugend. Denn kein anderes Prinzip kann vor diesem einen Prinzip begriffen werden (nach vorigem Lehrsatz), und ohne es kann (nach Lehrsatz 21 dieses Teils) keine Tugend begriffen werden. L e h r s a t z 2 3 . Insofern ein Mensch zu irgendeinem Tun von dem her bestimmt wird, da er inadquate Ideen hat, lt sich nicht unbedingt sagen, er handle aus Tugend; sondern nur, insofern er [dazu] von dem her bestimmt wird, da er einsieht. B e w e i s : Insofern ein Mensch zu einem Tun von dem her bestimmt wird, da er inadquate Ideen hat, erleidet er etwas (nach Lehrsatz 1 des 3. Teils), d. h. (nach Definition 1 und 2 des 3. Teils) tut er etwas, das durch seine Essenz allein nicht wahrgenommen werden kann, d. h. (nach Definition 8 dieses Teils) etwas, das nicht aus seiner Tugend folgt. Insofern er dagegen zu irgendeinem Tun von dem her bestimmt wird, da er einsieht, ist er aktiv (nach dem genannten Lehrsatz 1 des 3. Teils), d. h. (nach Definition 2 des 3. Teils) tut er etwas, das durch seine Essenz allein wahrgenommen wird, anders formuliert (nach Definition 8 dieses Teils) etwas, das sich aus seiner Tugend adquat folgern lt. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 4 . Unbedingt aus Tugend handeln ist nichts anderes in uns als nach der Leitung der Vernunft handeln, leben und sein Sein erhalten (diese drei bedeuten dasselbe) auf der Grundlage, den eigenen Vorteil zu suchen.
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D e m o n s t ra t i o . Ex virtute absolute agere, nihil aliud est (per defin. 8. hujus) quam ex legibus propriae naturae agere. At nos eatenus tantummodo agimus, quatenus intelligimus (per prop. 3. p. 3.). Ergo ex virtute agere, nihil aliud in nobis est quam ex ductu rationis agere, vivere, suum esse conservare, idque (per coroll. prop. 22. hujus) ex fundamento suum utile quaerendi. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V. Nemo suum esse alterius rei causa conservare conatur. D e m o n s t ra t i o . Conatus, quo unaquaeque res in suo esse perseverare conatur, sola ipsius rei essentia definitur (per prop. 7. p. 3.), eaque sola data, non autem ex alterius rei essentia necessario sequitur (per prop. 6. p. 3.), ut unusquisque suum esse conservare conetur. Patet praeterea haec propositio ex coroll. prop. 22. hujus partis. Nam si homo alterius rei causa suum esse conservare conaretur, tum res illa primum | esset virtutis fundamentum (ut per se notum), quod (per praedictum coroll.) est absurdum. Ergo nemo suum esse etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V I . Quicquid ex ratione conamur, nihil aliud est quam intelligere; nec mens, quatenus ratione utitur, aliud sibi utile esse judicat nisi id, quod ad intelligendum conducit. D e m o n s t ra t i o . Conatus sese conservandi nihil est praeter ipsius rei essentiam (per prop. 7. p. 3.), quae quatenus talis existit, vim habere concipitur ad perseverandum in existendo (per prop. 6. p. 3.) et ea agendum, quae ex data sua natura necessario sequuntur (vide defin. appetitus in schol. prop. 9. p. 3.). At rationis essentia nihil aliud est quam mens nostra, quatenus clare et distincte intelligit (vide ejus defin.
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B e w e i s : Unbedingt aus Tugend handeln ist nichts anderes (nach Definition 8 dieses Teils) als nach den Gesetzen der eigenen Natur ttig sein. Nun sind wir allein insofern aktiv, als wir einsehen (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils). Also ist aus Tugend handeln nichts anderes in uns als nach der Leitung der Vernunft handeln, leben und sein Sein erhalten und dies (nach Folgesatz zu Lehrsatz 22 dieses Teils) auf der Grundlage, den eigenen Vorteil zu suchen. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 5 . Niemand strebt sein Sein wegen irgendetwas anderem zu erhalten. B e w e i s : Das Streben, mit dem jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, wird allein von des Dinges Essenz her definiert (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils), und allein daraus, da diese [Essenz] gegeben ist, nicht aber aus der Essenz irgendeines anderen Dinges, folgt notwendigerweise (nach Lehrsatz 6 des 3. Teils), da ein jeder sein Sein zu erhalten strebt. Dieser Lehrsatz ist auerdem aus Folgesatz zu Lehrsatz 22 dieses Teils evident. Denn wenn ein Mensch wegen etwas anderem sein Sein zu erhalten strebte, dann wre (wie sich von selbst versteht) jenes Andere die erste Grundlage von Tugend, was (nach dem erwhnten Folgesatz) widersinnig ist. Also strebt niemand usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 6 . Wonach auch immer wir aus Vernunft streben, ist nichts anderes als einzusehen; und der Geist urteilt, sofern er Vernunft gebraucht, da nichts anderes fˇr ihn nˇtzlich ist, als was dem Einsehen dient. B e w e i s : Das Streben, sich selbst zu erhalten, ist nichts weiter als die Essenz des Dinges selbst (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils), das, insofern es existiert, wie es ist, als etwas begriffen wird, das eine Kraft hat, im Existieren zu verharren (nach Lehrsatz 6 des 3. Teils) und das zu tun, was aus seiner gegebenen Natur notwendigerweise folgt (siehe die Definition von Trieb in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 des 3. Teils). Nun ist das, was Vernunft ausmacht, nichts anderes als unser Geist, insofern er klar und deutlich einsieht (siehe ihre in Anmer-
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in schol. 2. prop. 40. p. 2.). Ergo (per prop. 40. p. 2.) quicquid ex ratione conamur, nihil aliud est quam intelligere. Deinde quoniam hic mentis conatus, quo mens, quatenus ratiocinatur, suum esse conatur conservare, nihil aliud est quam intelligere (per primam partem hujus), est ergo hic intelligendi conatus (per coroll. prop. 22. hujus) primum et unicum virtutis fundamentum, nec alicujus finis causa (per prop. 25. hujus) res intelligere conabimur; sed contra mens, quatenus ratiocinatur, nihil sibi bonum esse concipere poterit nisi id, quod ad intelligendum conducit (per defin. 1. hujus). Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V I I . Nihil certo scimus bonum aut malum esse nisi id, quod ad intelligendum revera conducit vel quod impedire potest, quominus intelligamus. D e m o n s t ra t i o . Mens, quatenus ratiocinatur, nihil aliud appetit quam intelligere, nec aliud sibi utile esse judicat nisi id, quod ad intelligendum conducit (per prop. praec.). At mens (per prop. 41. et 43. p. 2., | cujus etiam schol. vide) rerum certitudinem non habet, nisi quatenus ideas habet adaequatas sive (quod per schol. prop. 40. p. 2. idem est) quatenus ratiocinatur; ergo nihil certo scimus bonum esse nisi id, quod ad intelligendum revera conducit; et contra id malum, quod impedire potest, quominus intelligamus. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V I I I . Summum mentis bonum est Dei cognitio, et summa mentis virtus Deum cognoscere. D e m o n s t ra t i o . Summum, quod mens intelligere potest, Deus est, hoc est (per defin. 6. p. 1.) ens absolute infinitum, et sine quo (per prop. 15. p. 1.) nihil esse neque concipi
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kung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils gegebene Definition). Wonach auch immer wir aus Vernunft streben, ist also (nach Lehrsatz 40 des 2. Teils) nichts anderes als einzusehen. Ferner, da dieses Streben des Geistes, mit dem der Geist, sofern er vernˇnftig denkt, sein Sein zu erhalten strebt, nichts anderes als Einsehen ist (nach dem ersten Teil dieses Beweises), ist das als Einsehen sich artikulierende Streben (nach Folgesatz zu Lehrsatz 22 dieses Teils) die erste und einzige Grundlage von Tugend; und Dinge einzusehen werden wir (nach Lehrsatz 25 dieses Teils) nicht irgendeines [vom Einsehen verschiedenen] Zweckes wegen erstreben. Im Gegenteil, der Geist wird, insofern er vernˇnftig denkt, als gut fˇr sich selbst nur das begreifen k˛nnen, was dem Einsehen dient (nach Definition 1 dieses Teils). W. z. b. w. L e h r s a t z 2 7. Nur von dem wissen wir, da es unbestreitbar gut oder schlecht ist, was wirklich dem Einsehen dient oder uns daran hindern kann einzusehen. B e w e i s : Sofern der Geist vernˇnftig denkt, verlangt er nach nichts anderem als einzusehen und urteilt, da nichts anderes fˇr ihn nˇtzlich ist, als was dem Einsehen dient (nach vorigem Lehrsatz). Nun hat der Geist (nach Lehrsatz 41 und Lehrsatz 43 einschlielich Anmerkung des 2. Teils) Gewiheit von Dingen nur, insofern er adquate Ideen hat, d. h. (was nach Anmerkung [2] zu Lehrsatz 40 des 2. Teils dasselbe ist), insofern er vernˇnftig denkt. Nur von dem wissen wir also, da es unbestreitbar gut ist, was wirklich dem Einsehen dient; und umgekehrt nur von dem, da es unbestreitbar schlecht ist, was uns daran hindern kann einzusehen. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 8 . Das h˛chste Gut des Geistes ist die Erkenntnis Gottes und die h˛chste Tugend des Geistes, Gott zu erkennen. B e w e i s : Das H˛chste, was der Geist einsehen kann, ist Gott, d. h. (nach Definition 6 des 1. Teils) ein Seiendes, das unbedingt unendlich ist und ohne das (nach Lehrsatz 15 des
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potest; adeoque (per prop. 26. et 27. hujus) summum mentis utile sive (per defin. 1. hujus) bonum est Dei cognitio. Deinde mens, quatenus intelligit, eatenus tantum agit (per prop. 1. et 3. p. 3.) et eatenus tantum (per prop. 23. hujus) potest absolute dici, quod ex virtute agit. Est igitur mentis absoluta virtus intelligere. At summum, quod mens intelligere potest, Deus est (ut jam jam demonstravimus). Ergo mentis summa virtus est Deum intelligere seu cognoscere. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X I X . Res quaecunque singularis, cujus natura a nostra prorsus est diversa, nostram agendi potentiam nec juvare nec coercere potest, et absolute res nulla potest nobis bona aut mala esse, nisi commune aliquid nobiscum habeat. D e m o n s t ra t i o . Cujuscunque rei singularis et consequenter (per coroll. prop. 10. p. 2.) hominis potentia, qua existit et operatur, non determinatur nisi ab alia re singulari (per prop. 28. p. 1.), cujus natura (per prop. 6. p. 2.) per idem attributum debet intelligi, per quod |natura humana concipitur. Nostra igitur agendi potentia, quomodocunque ea concipiatur, determinari et consequenter juvari vel coerceri potest potentia alterius rei singularis, quae aliquid commune nobiscum habet, et non potentia rei, cujus natura a nostra prorsus est diversa; et quia id bonum aut malum vocamus, quod causa est laetitiae aut tristitiae (per prop. 8. hujus), hoc est (per schol. prop. 11. p. 3.) quod nostram agendi potentiam auget vel minuit, juvat vel coercet, ergo res, cujus natura a nostra prorsus est diversa, nobis neque bona neque mala esse potest. Q. e. d.
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1. Teils) nichts sein oder begriffen werden kann; mithin ist (nach Lehrsatz 26 und 27 dieses Teils) der h˛chste Nutzen des Geistes, anders formuliert (nach Definition 1 dieses Teils) dessen h˛chstes Gut, die Erkenntnis Gottes. Ferner, der Geist ist nur aktiv, insofern er einsieht (nach Lehrsatz 1 und 3 des 3. Teils), und nur in dieser Hinsicht lt sich (nach Lehrsatz 23 dieses Teils) uneingeschrnkt sagen, da er aus Tugend handelt. Die unbedingte Tugend des Geistes ist also Einsehen. Nun ist das H˛chste, was der Geist einsehen kann, Gott (wie wir gerade bewiesen haben). Also ist die h˛chste Tugend des Geistes, Gott einzusehen oder zu erkennen. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 9. Ein Einzelding, dessen Natur von der unsrigen ganz verschieden ist, kann unsere Wirkungsmacht weder f˛rdern noch hemmen; und ˇberhaupt kann kein Ding gut oder schlecht fˇr uns sein, wenn es nicht irgendetwas mit uns gemeinsam hat. B e w e i s : Die Macht eines jeden Einzeldinges, und folglich (nach Folgesatz zu Lehrsatz 10 des 2. Teils) die Macht des Menschen, kraft deren er existiert und etwas bewirkt, lt sich nur von einem anderen Einzelding her bestimmen (nach Lehrsatz 28 des 1. Teils), dessen Natur (nach Lehrsatz 6 des 2. Teils) durch dasselbe Attribut verstanden werden mu, durch das die menschliche Natur begriffen wird. Unsere Wirkungsmacht, wie sie auch begriffen werden mag, kann also bestimmt und folglich gef˛rdert oder gehemmt werden von der Macht eines anderen Einzeldinges, das etwas mit uns gemeinsam hat, nicht aber von der Macht eines Dinges, dessen Natur von der unsrigen ganz verschieden ist. Und weil wir gut oder schlecht nennen, was die Ursache von Freude oder Trauer ist (nach Lehrsatz 8 dieses Teils), d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) was unsere Wirkungsmacht vermehrt oder vermindert, f˛rdert oder hemmt, kann ein Ding, dessen Natur von der unsrigen ganz verschieden ist, weder gut noch schlecht fˇr uns sein. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X X X . Res nulla per id, quod cum nostra natura commune habet, potest esse mala; sed quatenus nobis mala est, eatenus est nobis contraria. D e m o n s t ra t i o . Id malum vocamus, quod causa est tristitiae (per prop. 8. hujus), hoc est (per ejus defin., quam vide in schol. prop. 11. p. 3.) quod nostram agendi potentiam minuit vel coercet. Si igitur res aliqua per id, quod nobiscum habet commune, nobis esset mala, posset ergo res id ipsum, quod nobiscum commune habet, minuere vel coercere, quod (per prop. 4. p. 3.) est absurdum. Nulla igitur res per id, quod nobiscum commune habet, potest nobis esse mala; sed contra quatenus mala est, hoc est (ut jam jam ostendimus) quatenus nostram agendi potentiam minuere vel coercere potest, eatenus (per prop. 5. p. 3.) nobis est contraria. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X X I . Quatenus res aliqua cum nostra natura convenit, eatenus necessario bona est. D e m o n s t ra t i o . Quatenus enim res aliqua cum nostra natura convenit, non potest (per prop. praec.) esse mala. Erit ergo necessario vel bona vel | indifferens. Si hoc ponatur, nempe quod neque bona sit neque mala, nihil ergo (per axiom. 3. hujus) ex ipsius natura sequetur, quod nostrae naturae conservationi inservit, hoc est (per hypothesin) quod ipsius rei naturae conservationi inservit; sed hoc est absurdum (per prop. 6. p. 3.); erit ergo, quatenus cum nostra natura convenit, necessario bona. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur, quod, quo res aliqua magis cum nostra natura convenit, eo nobis est utilior seu magis bona, et contra quo res aliqua nobis est utilior, eatenus cum nostra natura magis convenit. Nam quatenus cum nostra natura non convenit, erit necessario a nostra natura diversa vel eidem contraria. Si diversa, tum (per prop. 29. hujus) neque
21 axiom. 3.] vielleicht Bezug auf ein spter von Spinoza gestrichenes Axiom
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L e h r s a t z 3 0 . Kein Ding kann durch das, was es mit unserer Natur gemeinsam hat, schlecht sein; vielmehr ist es, insofern es schlecht fˇr uns ist, uns entgegengesetzt. B e w e i s : Wir nennen schlecht, was die Ursache von Trauer ist (nach Lehrsatz 8 dieses Teils), d. h. (nach der Definition von Trauer in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) was unsere Wirkungsmacht vermindert oder hemmt. Wre also ein Ding durch das, was es mit uns gemeinsam hat, schlecht fˇr uns, dann k˛nnte das Ding ebendas, was es mit uns gemeinsam hat, vermindern oder hemmen, was (nach Lehrsatz 4 des 3. Teils) widersinnig ist. Kein Ding kann also durch das, was es mit uns gemeinsam hat, schlecht fˇr uns sein; im Gegenteil, insofern es schlecht ist, d. h. (wie wir soeben bewiesen haben) insofern es unsere Wirkungsmacht vermindern oder hemmen kann, ist es (nach Lehrsatz 5 des 3. Teils) uns entgegengesetzt. W. z. b. w. L e h r s a t z 31 . Insofern ein Ding mit unserer Natur ˇbereinstimmt, ist es zwangslufig gut. B e w e i s : Insofern ein Ding nmlich mit unserer Natur ˇbereinstimmt, kann es (nach vorigem Lehrsatz) nicht schlecht sein. Es wird also entweder gut oder indifferent sein mˇssen. Im zweiten Fall, da es nmlich weder gut noch schlecht ist, wˇrde (nach Axiom 3 [?] dieses Teils) aus seiner Natur nichts folgen, was der Erhaltung unserer Natur dient, d. h. was (der Voraussetzung nach) der Erhaltung der Natur des Dinges selbst dient. Doch ist das (nach Lehrsatz 6 des 3. Teils) widersinnig. Also wird es, insofern es mit unserer Natur ˇbereinstimmt, gut sein mˇssen. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da je mehr ein Ding mit unserer Natur ˇbereinstimmt, es umso nˇtzlicher oder besser fˇr uns ist, und umgekehrt, da je nˇtzlicher ein Ding fˇr uns ist, es umso mehr mit unserer Natur ˇbereinstimmt. Denn insofern es mit unserer Natur nicht ˇbereinstimmt, wird es von unserer Natur verschieden oder ihr entgegengesetzt sein mˇssen. Ist es von unserer Natur verschieden, wird es (nach Lehrsatz 29 dieses Teils) weder gut noch schlecht
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bona neque mala esse poterit; si autem contraria, erit ergo etiam ei contraria, quae cum nostra natura convenit, hoc est (per prop. praeced.) contraria bono seu mala. Nihil igitur, nisi quatenus cum nostra natura convenit, potest esse bonum, atque adeo, quo res aliqua magis cum nostra natura convenit, eo est utilior, et contra. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X X I I . Quatenus homines passionibus sunt obnoxii, non possunt eatenus dici, quod natura conveniant. D e m o n s t ra t i o . Quae natura convenire dicuntur, potentia convenire intelliguntur (per prop. 7. p. 3.), non autem impotentia seu negatione, et consequenter (vide schol. prop. 3. p. 3.) neque etiam passione; quare homines, quatenus passionibus sunt obnoxii, non possunt dici, quod natura conveniant. Q. e. d. S c h o l i u m . Res etiam per se patet; qui enim ait album et nigrum in eo solummodo convenire, quod neutrum sit rubrum, is absolute affirmat album et nigrum nulla in re convenire. Sic etiam si quis ait lapidem et hominem in hoc tantum convenire, quod uter|que sit finitus, impotens, vel quod ex necessitate suae naturae non existit, vel denique quod a potentia causarum externarum indefinite superatur, is omnino affirmat lapidem et hominem nulla in re convenire; quae enim in sola negatione sive in eo, quod non habent, conveniunt, ea revera nulla in re conveniunt. P r o p o s i t i o X X X I I I . Homines natura discrepare possunt, quatenus affectibus, qui passiones sunt, conflictantur, et eatenus etiam unus idemque homo varius est et inconstans.
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sein k˛nnen; und ist es ihr entgegengesetzt, wird es auch dem, was mit unserer Natur ˇbereinstimmt, entgegengesetzt sein, d. h. (nach vorigem Lehrsatz) dem Guten entgegengesetzt sein, also schlecht sein. Etwas kann also nur gut sein, insofern es mit unserer Natur ˇbereinstimmt; je mehr mithin ein Ding mit unserer Natur ˇbereinstimmt, umso nˇtzlicher ist es, und umgekehrt. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 2 . Insofern Menschen Formen des Erleidens unterworfen sind, lt sich von ihnen nicht sagen, da sie ihrer Natur nach ˇbereinstimmen. B e w e i s : Unter Dingen, von denen es heit, da sie ihrer Natur nach ˇbereinstimmen, werden Dinge verstanden, die in ihrer Macht ˇbereinstimmen (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils), nicht aber in einer Ohnmacht oder Verneinung, und folglich (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 3 des 3. Teils) auch nicht in einem Erleiden. Von Menschen, insofern sie Formen des Erleidens unterworfen sind, lt sich deshalb nicht sagen, da sie ihrer Natur nach ˇbereinstimmen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Die Sache ist auch durch sich selbst evident. Denn wer sagt, da wei und schwarz lediglich darin ˇbereinstimmen, da beide nicht rot sind, der versichert uneingeschrnkt, da wei und schwarz in nichts ˇbereinstimmen. Ebenso, wenn jemand sagt, da ein Stein und ein Mensch allein darin ˇbereinstimmen, da beide endlich sind, ohnmchtig sind, nicht aus der Notwendigkeit ihrer Natur heraus existieren, oder schlielich da sie von der Macht uerer Ursachen unbestimmt ˇbertroffen werden, dann versichert er in jeder Hinsicht, da ein Stein und ein Mensch in nichts ˇbereinstimmen; Dinge nmlich, die allein in einer Verneinung oder in dem, was sie nicht haben, ˇbereinstimmen, stimmen in Wahrheit in nichts ˇberein. L e h r s a t z 3 3 . Menschen k˛nnen ihrer Natur nach voneinander abweichen, insofern sie von Affekten, die Leidenschaften sind, bedrngt werden; und selbst ein und derselbe Mensch ist in dieser Hinsicht wankelmˇtig und unbestndig.
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D e m o n s t ra t i o . Affectuum natura seu essentia non potest per solam nostram essentiam seu naturam explicari (per defin. 1. et 2. p. 3.), sed potentia, hoc est (per prop. 7. p. 3.) natura causarum externarum cum nostra comparata definiri debet; unde fit, ut uniuscujusque affectus tot species dentur, quot sunt species objectorum, a quibus afficimur (vide prop. 56. p. 3.), et ut homines ab uno eodemque objecto diversimode afficiantur (vide prop. 51. p. 3.) atque eatenus natura discrepent, et denique ut unus idemque homo (per eandem prop. 51. p. 3.) erga idem objectum diversimode afficiatur atque eatenus varius sit, etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X X I V. Quatenus homines affectibus, qui passiones sunt, conflictantur, possunt invicem esse contrarii. D e m o n s t ra t i o . Homo ex. gr. Petrus potest esse causa, ut Paulus constristetur, propterea quod aliquid habet simile rei, quam Paulus odit (per prop. 16. p. 3.), vel propterea quod Petrus solus re aliqua potitur, quam ipse Paulus etiam amat (vide prop. 32. p. 3. cum ejusdem schol.), vel ob alias causas (harum praecipuas vide in schol. prop. 55. p. 3.); atque adeo inde fiet (per defin. 7. affect.), ut Paulus Petrum odio habeat, et consequenter facile fiet (per prop. 40. p. 3. | cum ejus schol.), ut Petrus Paulum contra odio habeat, atque adeo (per prop. 39. p. 3.) ut invicem malum inferre conentur, hoc est (per prop. 30. hujus) ut invicem sint contrarii. At affectus tristitiae semper passio est (per prop. 59. p. 3.); ergo homines, quatenus conflictantur affectibus, qui passiones sunt, possunt invicem esse contrarii. Q. e. d.
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B e w e i s : Was Affekte ausmacht oder was sie ihrer Natur nach sind, kann durch unsere Essenz oder Natur allein nicht erklrt werden (nach Definition 1 und 2 des 3. Teils), sondern mu von der Macht, d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) der Natur uerer Ursachen, die auf einer Stufe mit unserer Macht steht, her definiert werden. Das macht es, da es von jedem Affekt so viele Arten gibt, wie es Arten von Gegenstnden gibt, von denen wir affiziert werden (siehe Lehrsatz 56 des 3. Teils), und da Menschen von ein und demselben Gegenstand verschiedenartig affiziert werden (siehe Lehrsatz 51 des 3. Teils), da sie also in diesem Mae ihrer Natur nach voneinander abweichen; und das macht es auch, da ein und derselbe Mensch (wiederum nach Lehrsatz 51 des 3. Teils) in Bezug auf denselben Gegenstand verschiedenartig affiziert wird und in dieser Hinsicht wankelmˇtig ist, usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 4 . Insofern Menschen von Affekten, die Leidenschaften sind, bedrngt werden, k˛nnen sie einander entgegengesetzt sein. B e w e i s : Ein Mensch, sagen wir Peter, kann eine Ursache dafˇr sein, da Paul traurig ist, sei es da er einem Ding irgendwie hnlich ist, das Paul hat (nach Lehrsatz 16 des 3. Teils), sei es da Peter etwas allein besitzt, das auch Paul liebt (siehe Lehrsatz 32 des 3. Teils einschlielich Anmerkung), oder auch aus anderen Ursachen (zu den hauptschlichen siehe Anmerkung zu Lehrsatz 55 des 3. Teils). Das wird zur Folge haben (nach Definition 7 der Affekte), da Paul Peter hat; und folglich (nach Lehrsatz 40 des 3. Teils einschlielich Anmerkung) wird es leicht geschehen, da Peter seinerseits Paul hat, mithin (nach Lehrsatz 39 des 3. Teils) da beide darauf aus sind, sich wechselseitig Schlechtes zuzufˇgen, da sie also (nach Lehrsatz 30 dieses Teils) einander entgegengesetzt sind. Nun ist ein Affekt der Trauer immer eine Leidenschaft (nach Lehrsatz 59 des 3. Teils); also k˛nnen Menschen, insofern sie von Affekten, die Leidenschaften sind, bedrngt werden, einander entgegengesetzt sein. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Dixi, quod Paulus odio Petrum habeat, quia imaginatur id eundem possidere, quod ipse Paulus etiam amat; unde prima fronte videtur sequi, quod hi duo ex eo, quod idem amant, et consequenter ex eo, quod natura conveniunt, sibi invicem damno sint; atque adeo, si hoc verum est, falsae essent propositio 30. et 31. hujus partis. Sed si rem aequa lance examinare velimus, haec omnia convenire omnino videbimus. Nam hi duo non sunt invicem molesti, quatenus natura conveniunt, hoc est quatenus uterque idem amat, sed quatenus ab invicem discrepant. Nam quatenus uterque idem amat, eo ipso utriusque amor fovetur (per prop. 31. p. 3.), hoc est (per 6. affect. defin.) eo ipso utriusque laetitia fovetur. Quare longe abest, ut, quatenus idem amant et natura conveniunt, invicem molesti sint. Sed hujus rei causa, ut dixi, nulla alia est, quam quia natura discrepare supponuntur. Supponimus namque Petrum ideam habere rei amatae jam possessae et Paulum contra ideam rei amatae amissae. Unde fit, ut hic tristitia et ille contra laetitia afficiatur; atque eatenus invicem contrarii sint. Et ad hunc modum ostendere facile possumus reliquas odii causas ab hoc solo pendere, quod homines natura discrepant, et non ab eo, in quo conveniunt. P r o p o s i t i o X X X V. Quatenus homines ex ductu rationis vivunt, eatenus tantum natura semper necessario conveniunt. D e m o n s t ra t i o . Quatenus homines affectibus, qui passiones sunt, conflictantur, possunt esse natura diversi (per prop. 33. hujus) et invicem con|trarii (per prop. praeced.). Sed eatenus homines tantum agere dicuntur, quatenus ex
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A n m e r k u n g : Ich habe gesagt, da Paul Peter hat, weil er sich vorstellt, da dieser etwas besitzt, das Paul selbst auch liebt. Daraus scheint auf den ersten Blick zu folgen, da die beiden sich wechselseitig verletzen, weil sie dasselbe Ding lieben und folglich weil sie ihrer Natur nach ˇbereinstimmen, so da, wre dies wahr, Lehrsatz 30 und 31 falsch wren. Allein, wenn wir den Sachverhalt richtig abwgen wollen, werden wir sehen, da dies alles v˛llig konsistent ist. Denn diese beiden fallen einander nicht lstig, insofern sie ihrer Natur nach ˇbereinstimmen, d. h. insofern jeder dasselbe Ding liebt, sondern insofern sie voneinander abweichen. Denn insofern jeder dasselbe Ding liebt, wird ebendamit die Liebe eines jeden genhrt (nach Lehrsatz 31 des 3. Teils); d. h. (nach Definition 6 der Affekte), ebendamit wird die Freude eines jeden genhrt. Weit entfernt davon, da diese beiden einander lstig fallen, insofern sie dasselbe Ding lieben und ihrer Natur nach ˇbereinstimmen, ist die Ursache hierfˇr vielmehr, wie gesagt, gerade der Tatbestand, da sie, der Voraussetzung nach, ihrer Natur nach voneinander abweichen. Wir setzen nmlich voraus, da Peter die Idee eines geliebten Dinges hat, das er jetzt besitzt, Paul dagegen die Idee eines geliebten Dinges, das ihm entgangen ist. Das macht es, da der eine mit Trauer und der andere mit Freude affiziert wird; und in dieser Hinsicht sind sie einander entgegengesetzt. In dieser Weise k˛nnen wir leicht zeigen, da auch die anderen Ursachen von Ha allein darauf beruhen, da Menschen ihrer Natur nach voneinander abweichen, nicht aber auf dem, worin sie ˇbereinstimmen. L e h r s a t z 3 5 . Insofern Menschen nach der Leitung der Vernunft leben, und nur insofern, stimmen sie ihrer Natur nach notwendigerweise immer ˇberein. B e w e i s : Insofern Menschen von Affekten, die Leidenschaften sind, bedrngt werden, k˛nnen sie ihrer Natur nach verschieden (nach Lehrsatz 33 dieses Teils) und einander entgegengesetzt sein (nach vorigem Lehrsatz). Von Menschen lt sich jedoch nur insofern sagen, da sie aktiv sind, als sie
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ductu rationis vivunt (per prop. 3. p. 3.), atque adeo quicquid ex humana natura, quatenus ratione definitur, sequitur, id (per defin. 2. p. 3.) per solam humanam naturam, tanquam per proximam suam causam, debet intelligi. Sed quia unusquisque ex suae naturae legibus id appetit, quod bonum, et id amovere conatur, quod malum esse judicat (per prop. 19. hujus), et cum praeterea id, quod ex dictamine rationis bonum aut malum esse judicamus, necessario bonum aut malum sit (per prop. 41. p. 2.), ergo homines, quatenus ex ductu rationis vivunt, eatenus tantum ea necessario agunt, quae humanae naturae et consequenter unicuique homini necessario bona sunt, hoc est (per coroll. prop. 31. hujus) quae cum natura uniuscujusque hominis conveniunt; atque adeo homines etiam inter se, quatenus ex ductu rationis vivunt, necessario semper conveniunt. Q. e. d. C o r o l l a r i u m I . Nihil singulare in rerum natura datur, quod homini sit utilius quam homo, qui ex ductu rationis vivit. Nam id homini utilissimum est, quod cum sua natura maxime convenit (per coroll. prop. 31. hujus), hoc est (ut per se notum) homo. At homo ex legibus suae naturae absolute agit, quando ex ductu rationis vivit (per defin. 2. p. 3.), et eatenus tantum cum natura alterius hominis necessario semper convenit (per prop. praeced.); ergo homini nihil inter res singulares utilius datur quam homo, etc. Q. e. d. C o r o l l a r i u m I I . Cum maxime unusquisque homo suum sibi utile quaerit, tum maxime homines sunt sibi invicem utiles. Nam quo magis unusquisque suum utile quaerit et se conservare conatur, eo magis virtute praeditus est (per
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nach der Leitung der Vernunft leben (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils). Was auch immer aus der menschlichen Natur, insofern sie von der Vernunft her definiert wird, folgt, das ist es mithin (nach Definition 2 des 3. Teils), was durch die menschliche Natur allein, als durch seine nchste Ursache, eingesehen werden mu. Weil aber ein jeder nach den Gesetzen seiner eigenen Natur nach dem verlangt, was er fˇr gut hlt, und das zu beseitigen strebt, was er fˇr schlecht hlt (nach Lehrsatz 19 dieses Teils), und weil darˇber hinaus das, was wir nach dem Gebot der Vernunft als gut oder schlecht beurteilen, der Sache nach gut oder schlecht ist (nach Lehrsatz 41 des 2. Teils), tun Menschen, insofern sie nach der Leitung der Vernunft leben, zwangslufig nur das, was fˇr die menschliche Natur und folglich fˇr einen jeden Menschen der Sache nach gut ist, d. h. (nach Folgesatz zu Lehrsatz 31 dieses Teils) was mit der Natur eines jeden Menschen ˇbereinstimmt; mithin stimmen Menschen, insofern sie nach der Leitung der Vernunft leben, auch untereinander notwendigerweise immer ˇberein. W. z. b. w. Fo l g e s a t z 1 : Nichts Einzelnes gibt es in der Natur, das dem Menschen nˇtzlicher wre als ein Mensch, der nach der Leitung der Vernunft lebt. Denn am nˇtzlichsten ist dem Menschen, was im h˛chsten Mae mit seiner Natur ˇbereinstimmt (nach Folgesatz zu Lehrsatz 31 dieses Teils), d. h. (wie sich von selbst versteht) ein Wesen wie der Mensch. Nun handelt ein Mensch dann vollstndig nach den Gesetzen seiner eigenen Natur, wenn er nach der Leitung der Vernunft lebt (nach Definition 2 des 3. Teils), und nur in diesem Mae stimmt er mit der Natur eines anderen Menschen notwendigerweise immer ˇberein (nach vorigem Lehrsatz). Also gibt es unter Einzeldingen nichts, was dem Menschen nˇtzlicher wre als ein Mensch usw. W. z. b. w. Fo l g e s a t z 2 : Wenn jeder Mensch im h˛chsten Mae seinen eigenen Vorteil sucht, dann sind sich Menschen im h˛chsten Mae wechselseitig nˇtzlich. Denn je mehr ein jeder seinen eigenen Vorteil sucht und sich selbst zu erhalten strebt, umso mehr ist er mit Tugend ausgestattet (nach Lehrsatz 20
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prop. 20. hujus), sive quod idem est (per defin. 8. hujus), eo majore potentia praeditus est ad agendum ex suae naturae legibus, hoc est (per prop. 3. p. 3.) ad vivendum ex ductu rationis. At homines tum maxime natura conveniunt, cum ex ductu rationis vivunt (per prop. praeced.); ergo (per praeced. coroll.) tum maxime homines erunt sibi invicem utiles, cum maxime unusquisque suum utile sibi quaerit. Q. e. d.| S c h o l i u m . Quae modo ostendimus, ipsa etiam experientia quotidie tot tamque luculentis testimoniis testatur, ut omnibus fere in ore sit: hominem homini Deum esse. Fit tamen raro, ut homines ex ductu rationis vivant, sed cum iis ita comparatum est, ut plerumque invidi atque invicem molesti sint. At nihilominus vitam solitariam vix transigere queunt, ita ut plerisque illa definitio, quod homo sit animal sociale, valde arriserit; et revera res ita se habet, ut ex hominum communi societate multo plura commoda oriantur quam damna. Rideant igitur, quantum velint, res humanas satyrici, easque detestentur theologi, et laudent, quantum possunt, melancholici vitam incultam et agrestem hominesque contemnant et admirentur bruta; experientur tamen homines mutuo auxilio ea, quibus indigent, multo facilius sibi parare et non nisi junctis viribus pericula, quae ubique imminent, vitare posse; ut jam taceam, quod multo praestabilius sit et cognitione nostra magis dignum hominum quam brutorum facta contemplari. Sed de his alias prolixius. P r o p o s i t i o X X X V I . Summum bonum eorum, qui virtutem sectantur, omnibus commune est, eoque omnes aeque gaudere possunt.
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dieses Teils) oder, was (nach Definition 8 dieses Teils) dasselbe ist, mit umso gr˛erer Macht ist er ausgestattet, nach den Gesetzen seiner eigenen Natur zu handeln, d. h. (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) nach der Leitung der Vernunft zu leben. Nun stimmen Menschen dann ihrer Natur nach ˇberein, wenn sie nach der Leitung der Vernunft leben (nach vorigem Lehrsatz). Also werden (nach vorigem Folgesatz) Menschen sich dann im h˛chsten Mae wechselseitig nˇtzlich sein, wenn ein jeder im h˛chsten Mae seinen eigenen Vorteil sucht. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Was wir soeben gezeigt haben, besttigt auch die tgliche Erfahrung, die dafˇr so viele offensichtliche Zeugnisse beibringt, da es in fast jedermanns Munde ist: Der Mensch ist dem Menschen ein Gott. Dennoch geschieht es selten, da Menschen nach der Leitung der Vernunft leben; vielmehr ist es mit ihnen so bestellt, da sie in den meisten Fllen einander beneiden und sich lstig fallen. Gleichwohl k˛nnen sie ein isoliertes Leben kaum durchstehen, so da jene Definition, die den Menschen zu einem geselligen Tier macht, bei den meisten viel Beifall gefunden hat. Und in der Tat ist es so, da die gesellschaftliche Gemeinschaft der Menschen viel mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. M˛gen also Satiriker die menschlichen Angelegenheiten noch so verlachen, m˛gen Theologen sie verdammen und m˛gen Melancholiker ein unkultiviertes und lndliches Leben noch so rˇhmen, m˛gen sie die Menschen verachten und die niederen Lebewesen bewundern ^ Menschen werden doch die Erfahrung machen, da sie sich in wechselseitiger Hilfe die Dinge, die sie brauchen, viel leichter verschaffen und die ˇberall drohenden Gefahren nur mit vereinten Krften vermeiden k˛nnen; ganz davon zu schweigen, da es weit vortrefflicher ist und unserer Erkenntnis weit wˇrdiger, die Taten der Menschen als die der niederen Lebewesen zu betrachten. Doch hiervon anderenorts ausfˇhrlicher. L e h r s a t z 3 6 . Das h˛chste Gut derer, die den Weg der Tugend gehen, ist allen gemeinsam, und an ihm k˛nnen sich alle gleichermaen innerlich erfreuen.
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D e m o n s t ra t i o . Ex virtute agere est ex ductu rationis agere (per prop. 24. hujus), et quicquid ex ratione conamur agere, est intelligere (per prop. 26. hujus); atque adeo (per prop. 28. hujus) summum bonum eorum, qui virtutem sectantur, est Deum cognoscere, hoc est (per prop. 47. p. 2. et ejusdem schol.) bonum, quod omnibus hominibus commune est et ab omnibus hominibus, quatenus ejusdem sunt naturae, possideri aeque potest. Q. e. d. S c h o l i u m . Si quis autem roget, quid si summum bonum eorum, qui virtutem sectantur, non esset omnibus commune, an non inde, ut | supra (vide prop. 34. hujus) sequeretur, quod homines, qui ex ductu rationis vivunt, hoc est (per prop. 35. hujus) homines, quatenus natura conveniunt, essent invicem contrarii? Is hoc sibi responsum habeat non ex accidenti, sed ex ipsa natura rationis oriri, ut hominis summum bonum omnibus sit commune, nimirum, quia ex ipsa humana essentia, quatenus ratione definitur, deducitur, et quia homo nec esse nec concipi posset, si potestatem non haberet gaudendi hoc summo bono. Pertinet namque (per prop. 47. p. 2.) ad mentis humanae essentiam adaequatam habere cognitionem aeternae et infinitae essentiae Dei. P r o p o s i t i o X X X V I I . Bonum, quod unusquisque, qui sectatur virtutem, sibi appetit, reliquis hominibus etiam cupiet, et eo magis, quo majorem Dei habuerit cognitionem. D e m o n s t ra t i o . Homines, quatenus ex ductu rationis vivunt, sunt homini utilissimi (per coroll. 1. prop. 35. hujus); atque adeo (per prop. 19. hujus) ex ductu rationis conabimur necessario efficere, ut homines ex ductu rationis vivant. At
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B e w e i s : Aus Tugend handeln ist nach der Leitung der Vernunft handeln (nach Lehrsatz 24 dieses Teils), und was auch immer wir aus Vernunft erstreben, ist Einsehen (nach Lehrsatz 26 dieses Teils); mithin ist (nach Lehrsatz 28 dieses Teils) das h˛chste Gut derer, die den Weg der Tugend gehen, Gott zu erkennen, d. h. (nach Lehrsatz 47 des 2. Teils einschlielich Anmerkung) ein Gut, das allen Menschen gemeinsam ist und von allen Menschen, insofern sie von derselben Natur sind, gleichermaen besessen werden kann. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Vielleicht fragt aber jemand: Was, wenn das h˛chste Gut derer, die den Weg der Tugend gehen, nicht allen gemeinsam wre? Wˇrde daraus nicht wie oben (siehe Lehrsatz 34 dieses Teils) folgen, da Menschen, die nach der Leitung der Vernunft leben, d. h. (nach Lehrsatz 35 dieses Teils) Menschen, insofern sie ihrer Natur nach ˇbereinstimmen, einander entgegengesetzt wren? Darauf ist zu antworten, da nicht zuflligerweise des Menschen h˛chstes Gut allen gemeinsam ist, sondern da dies der Natur von Vernunft selbst entspringt, weil es sich unstreitig aus des Menschen Essenz selbst, insofern sie von Vernunft her definiert wird, ableiten lt und weil der Mensch weder sein noch begriffen werden k˛nnte, wenn es nicht in seiner Gewalt stˇnde, sich an dem beschriebenen h˛chsten Gut innerlich zu erfreuen. Es geh˛rt nmlich (nach Lehrsatz 47 des 2. Teils) zur Essenz des menschlichen Geistes, eine adquate Erkenntnis der ewigen und unendlichen Essenz Gottes zu haben. L e h r s a t z 3 7. Das Gut, nach dem ein jeder, der den Weg der Tugend geht, fˇr sich selbst verlangt, wird er auch fˇr andere Menschen begehren und umso mehr, je gr˛er seine Erkenntnis Gottes ist. B e w e i s : Menschen, insofern sie nach der Leitung der Vernunft leben, sind es, die dem Menschen am nˇtzlichsten sind (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 35 dieses Teils); vernunftgeleitet werden wir mithin (nach Lehrsatz 19 dieses Teils) notwendigerweise streben zuwege zu bringen, da Menschen nach der Leitung der Vernunft leben. Nun ist das Gut, nach
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bonum, quod unusquisque, qui ex rationis dictamine vivit, hoc est (per prop. 24. hujus) qui virtutem sectatur, sibi appetit, est intelligere (per prop. 26. hujus); ergo bonum, quod unusquisque, qui virtutem sectatur, sibi appetit, reliquis hominibus etiam cupiet. Deinde cupiditas, quatenus ad mentem refertur, est ipsa mentis essentia (per 1. affect. defin.); mentis autem essentia in cognitione consistit (per prop. 11. p. 2.), quae Dei cognitionem involvit (per prop. 47. p. 2.) et sine qua (per prop. 15. p. 1.) nec esse nec concipi potest; adeoque quo mentis essentia majorem Dei cognitionem involvit, eo cupiditas, qua is, qui virtutem sectatur, bonum, quod sibi appetit, alteri cupit, etiam major erit. Q. e. d. A l i t e r . Bonum, quod homo sibi appetit et amat, constantius amabit, | si viderit alios idem amare (per prop. 31. p. 3.); atque adeo (per coroll. ejusdem prop.) conabitur, ut reliqui idem ament; et quia hoc bonum (per prop. praec.) omnibus commune est eoque omnes gaudere possunt, conabitur ergo (per eandem rationem), ut omnes eodem gaudeant, et (per prop. 37. p. 3.) eo magis, quo hoc bono magis fruetur. Q. e. d. S c h o l i u m I . Qui ex solo affectu conatur, ut reliqui ament, quod ipse amat, et ut reliqui ex ipsius ingenio vivant, solo impetu agit et ideo odiosus est, praecipue iis, quibus alia placent quique propterea etiam student et eodem impetu conantur, ut reliqui contra ex ipsorum ingenio vivant. Deinde quoniam summum, quod homines ex affectu appetunt, bo-
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dem ein jeder, der nach dem Gebot der Vernunft lebt, d. h. (nach Lehrsatz 24 dieses Teils) der den Weg der Tugend geht, fˇr sich selbst verlangt, Einsehen (nach Lehrsatz 26 dieses Teils); also wird ein jeder, der den Weg der Tugend geht, das Gut, nach dem er fˇr sich selbst verlangt, auch fˇr andere Menschen begehren. Ferner ist Begierde, insofern sie dem Geist angeh˛rt, genau die Essenz des Geistes (nach Definition 1 der Affekte); und die Essenz des Geistes besteht (nach Lehrsatz 11 des 2. Teils) in einer Erkenntnis, die die Erkenntnis Gottes in sich schliet (nach Lehrsatz 47 des 2. Teils) und ohne die (nach Lehrsatz 15 des 1. Teils) [die Essenz des Geistes] weder sein noch begriffen werden kann. Je gr˛er mithin die Erkenntnis Gottes ist, die die Essenz des Geistes in sich schliet, umso gr˛er wird auch die Begierde sein, mit der derjenige, der den Weg der Tugend geht, das Gut, nach dem er fˇr sich selbst verlangt, fˇr einen anderen begehrt. W. z. b. w. A n d e r e r B e w e i s : Das Gut, nach dem ein Mensch fˇr sich selbst verlangt und das er liebt, wird er bestndiger lieben, wenn er sieht, da andere es lieben (nach Lehrsatz 31 des 3. Teils); mithin wird er (nach Folgesatz zu dem genannten Lehrsatz) streben [zuwege zu bringen], da die anderen es lieben; und weil dieses Gut (nach vorigem Lehrsatz) allen gemeinsam ist und alle an ihm sich innerlich erfreuen k˛nnen, wird er (aus demselben Grund) streben [zuwege zu bringen], da alle an ihm sich innerlich erfreuen; und er wird dies (nach Lehrsatz 37 des 3. Teils) umso mehr tun, je mehr er dieses Gut geniet. W. z. b. w. A n m e r k u n g 1 : Wer aus bloem Affekt danach strebt, da andere lieben m˛gen, was er selbst liebt, und da andere nach seinem Sinn leben sollten, handelt blo aus ungestˇmer Leidenschaft und macht sich darin verhat, insbesondere bei denen, die an anderen Dingen Gefallen finden und deshalb ihrerseits eifrig und aus derselben ungestˇmen Leidenschaft heraus danach streben, da andere nach ihrem Sinn leben sollten. Ferner, da das, was Menschen aus [bloem] Affekt erstreben und als h˛chstes Gut [ausgeben], oft etwas ist, das
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num saepe tale est, ut unus tantum ejus possit esse compos, hinc fit, ut qui amant, mente sibi non constent, et dum laudes rei, quam amant, narrare gaudent, timeant credi. At qui reliquos conatur ratione ducere, non impetu, sed humaniter et benigne agit et sibi mente maxime constat. Porro quicquid cupimus et agimus, cujus causa sumus, quatenus Dei habemus ideam sive quatenus Deum cognoscimus, ad religionem refero. Cupiditatem autem bene faciendi, quae eo ingeneratur, quod ex rationis ductu vivimus, pietatem voco. Cupiditatem deinde, qua homo, qui ex ductu rationis vivit, tenetur, ut reliquos sibi amicitia jungat, honestatem voco, et id honestum, quod homines, qui ex ductu rationis vivunt, laudant, et id contra turpe, quod conciliandae amicitiae repugnat. Praeter haec civitatis etiam quaenam sint fundamenta ostendi. Differentia deinde inter veram virtutem et impotentiam facile ex supra dictis percipitur; nempe quod vera virtus nihil aliud sit quam ex solo rationis ductu vivere; atque adeo impotentia in hoc solo consistit, quod homo a rebus, quae extra ipsum sunt, duci se patiatur et ab iis ad ea agendum determinetur, quae rerum externarum communis constitutio, non autem ea, quae ipsa ipsius natura, in se sola considerata, postulat. Atque haec illa sunt, quae in scholio propositionis 18. hujus partis demonstrare promisi, ex quibus apparet legem illam de non mactandis brutis magis vana superstitione et muliebri misericordia quam |sana ratione fundatam esse. Docet quidem ratio nostrum utile quaerendi necessitudinem cum hominibus jungere, sed non cum brutis aut rebus, quarum na-
6 Porro] kein Absatz in OP 16 Differentia] kein Absatz in OP 24 Atque] kein Absatz in OP
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nur einer ganz besitzen kann, kommt es, da die, die [in dieser Weise] lieben, in ihrem Inneren mit sich nicht einig sind: whrend es sie vergnˇgt, auf das geliebte Ding Loblieder zu singen, fˇrchten sie, da man ihnen glaubt. Wer dagegen aus Vernunft andere zu leiten strebt, handelt nicht aus ungestˇmer Leidenschaft, sondern menschenfreundlich und gˇtig und ist in seinem Inneren mit sich vollkommen einig. Des weiteren: Was auch immer wir begehren und tun ^ wenn wir seine Ursache sind, insofern wir die Idee Gottes haben, oder besser, insofern wir Gott erkennen, rechne ich es zur Religion. Und die Begierde, Gutes zu tun, die sich dem verdankt, da wir nach der Leitung der Vernunft leben, nenne ich Moralitt. Die Begierde schlielich, die einen Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, dazu bringt, mit anderen Menschen ein Band der Freundschaft zu knˇpfen, nenne ich Anstand, und anstndig nenne ich, was Menschen, die nach der Leitung der Vernunft leben, loben, unanstndig andererseits, was dem entgegensteht, Freundschaft zu schlieen. ^ Auerdem habe ich auch sehen lassen, was die Grundlagen des Staates sind. Aus dem oben Gesagten ist ferner der Unterschied zwischen wahrer Tugend und Ohnmacht leicht ersichtlich: wahre Tugend ist nichts anderes als allein nach der Leitung der Vernunft leben, und mithin besteht Ohnmacht allein darin, da ein Mensch sich von Dingen leiten lt, die auerhalb seiner selbst sind, da er also von ihnen bestimmt wird zu tun, was die gemeinsame Beschaffenheit uerer Dinge ihm abverlangt, nicht aber, was seine eigene Natur, in sich allein betrachtet, fordert. Dies ist es, was ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 18 dieses Teils versprochen habe zu beweisen. Daraus ist [auch] klar, da jenes Gesetz, das das Schlachten von Tieren untersagt, mehr auf eitlem Aberglauben und weichlichem Mitgefˇhl als auf gesunder Vernunft basiert. Das rationale Prinzip, das uns unseren eigenen Vorteil suchen lt, lehrt uns gewi, eine enge Verbindung mit Menschen einzugehen, nicht aber mit niederen Lebewesen oder mit Dingen, deren Natur von der
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tura a natura humana est diversa; sed idem jus, quod illa in nos habent, nos in ea habere. Imo quia uniuscujusque jus virtute seu potentia uniuscujusque definitur, longe majus homines in bruta quam haec in homines jus habent. Nec tamen nego bruta sentire, sed nego, quod propterea non liceat nostrae utilitati consulere et iisdem ad libitum uti eademque tractare, prout nobis magis convenit; quandoquidem nobiscum natura non conveniunt et eorum affectus ab affectibus humanis sunt natura diversi (vide schol. prop. 57. p. 3.). Superest ut explicem, quid justum, quid injustum, quid peccatum et quid denique meritum sit. Sed de his vide seq. scholium. S c h o l i u m I I . In appendice partis primae explicare promisi, quid laus et vituperium, quid meritum et peccatum, quid justum et injustum sit. Laudem et vituperium quod attinet in scholio propositionis 29. partis 3. explicui; de reliquis autem hic jam erit dicendi locus. Sed prius pauca de statu hominis naturali et civili dicenda sunt. Existit unusquisque summo naturae jure, et consequenter summo naturae jure unusquisque ea agit, quae ex suae naturae necessitate sequuntur; atque adeo summo naturae jure unusquisque judicat, quid bonum, quid malum sit, suaeque utilitati ex suo ingenio consulit (vide prop. 19. et 20. hujus), seseque vindicat (vide coroll. 2. prop. 40. p. 3.), et id, quod amat, conservare et id, quod odio habet, destruere conatur (vide prop. 28. p. 3.). Quod si homines ex ductu rationis viverent, potiretur unusquisque (per coroll. 1. prop. 35. hujus) hoc suo jure absque ullo alterius damno. Sed quia affectibus
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menschlichen Natur verschieden ist; ihm zufolge haben wir vielmehr auf sie dasselbe Recht, das sie auf uns haben. Weil das Recht eines jeden von genau dessen Tugend oder Macht her definiert wird, ist es sogar so, da Menschen ein weit gr˛eres Recht auf niedere Lebewesen haben als diese auf Menschen. Damit leugne ich zwar nicht, da niedere Lebewesen Empfindungen haben, wohl aber, da es uns deswegen nicht erlaubt sein sollte, unseren eigenen Vorteil zu erwgen, also diese Wesen nach Belieben zu gebrauchen und so zu behandeln, wie es uns am besten pat. Denn sie stimmen nun einmal ihrer Natur nach nicht mit uns ˇberein, und ihre Affekte sind der Natur nach von menschlichen Affekten verschieden (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 57 des 3. Teils). Es bleibt noch ˇbrig zu erklren, was gerecht und was ungerecht ist, was Sˇnde und was Verdienst. Doch siehe dazu die folgende Anmerkung. A n m e r k u n g 2 : Im Anhang zum 1. Teil habe ich versprochen zu erklren, was Lob und was Tadel ist, was Verdienst und was Sˇnde, was gerecht und was ungerecht. Was Lob und Tadel betrifft, diese Begriffe habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 29 des 3. Teils erklrt; von den anderen zu sprechen, wird hier der richtige Ort sein. Doch zunchst sei einiges ˇber den natˇrlichen und den staatlichen Zustand des Menschen gesagt. Ein jeder existiert mit dem h˛chsten Recht der Natur, und folglich tut ein jeder mit dem h˛chsten Recht der Natur, was aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur folgt; mit h˛chstem Recht der Natur urteilt mithin ein jeder, was gut und was schlecht ist, hat seinen eigenen Vorteil nach eigener Sinnesart im Blick (siehe Lehrsatz 19 und 20 dieses Teils), vergilt mit eigener Hand erlittenen Schaden (siehe Folgesatz 2 zu Lehrsatz 40 des 3. Teils) und strebt zu erhalten, was er liebt, und zu zerst˛ren, was er hat (siehe Lehrsatz 28 des 3. Teils). Lebten Menschen nach der Leitung der Vernunft, wˇrde jeder (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 35 dieses Teils) dieses ihm zukommende Recht ohne jeden Schaden fˇr den anderen innehaben. Weil sie jedoch Affekten unterworfen sind (nach
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sunt obnoxii (per coroll. prop. 4. hujus), qui potentiam seu virtutem humanam longe superant (per prop. 6. hujus), ideo saepe diversi trahuntur (per prop. 33. hujus) atque sibi invicem sunt contrarii (per prop. 34. hujus), mutuo dum auxilio indigent (per schol. prop. 35. hujus). Ut igitur homines concorditer vivere et sibi auxilio esse possint, necesse est, ut jure suo na|turali cedant et se invicem securos reddant se nihil acturos, quod possit in alterius damnum cedere. Qua autem ratione hoc fieri possit, ut scilicet homines, qui affectibus necessario sunt obnoxii (per coroll. prop. 4. hujus) atque inconstantes et varii (per prop. 33. hujus), possint se invicem securos reddere et fidem invicem habere, patet ex propositione 7. hujus partis et propositione 39. partis 3. Nempe quod nullus affectus coerceri potest nisi affectu fortiore et contrario affectui coercendo, et quod unusquisque ab inferendo damno abstinet timore majoris damni. Hac igitur lege societas firmari poterit, si modo ipsa sibi vendicet jus, quod unusquisque habet, sese vindicandi et de bono et malo judicandi; quaeque adeo potestatem habeat communem vivendi rationem praescribendi, legesque ferendi easque non ratione, quae affectus coercere nequit (per schol. prop. 17. hujus), sed minis firmandi. Haec autem societas, legibus et potestate sese conservandi firmata, civitas appellatur, et, qui ipsius jure defenduntur, cives; ex quibus facile intelligimus nihil in statu naturali dari, quod ex omnium consensu bonum aut malum sit; quandoquidem unusquisque, qui in statu est naturali, suae tantummodo
17 vendicet] vindicet korr.W. B., Akkerman folgend 23 Haec] kein Absatz in OP
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Folgesatz zu Lehrsatz 4 dieses Teils), die menschliche Macht und damit menschliche Tugend weit ˇbertreffen (nach Lehrsatz 6 dieses Teils), werden sie oft in verschiedene Richtungen getrieben (nach Lehrsatz 33 dieses Teils) und sind einander entgegegengesetzt (nach Lehrsatz 34 dieses Teils), whrend sie doch wechselseitiger Hilfe bedˇrfen (nach Anmerkung zu Lehrsatz 35 dieses Teils). Damit Menschen eintrchtig leben und einander hilfreich sein k˛nnen, ist es also n˛tig, da sie ihr natˇrliches Recht aufgeben und einander sicher stellen, kˇnftig nichts zu tun, was den anderen schdigen k˛nnte. Auf welche Weise sich das bewerkstelligen lt, da nmlich Menschen, die notwendigerweise Affekten unterworfen sind (nach Folgesatz zu Lehrsatz 4 dieses Teils) und deshalb unbestndig und wankelmˇtig sind (nach Lehrsatz 33 dieses Teils), sich einander Sicherheit gewhren und zueinander Vertrauen haben k˛nnen, ist aus Lehrsatz 7 dieses Teils und Lehrsatz 39 des 3. Teils evident: da kein Affekt anders als mit Hilfe eines strkeren Affekts gehemmt werden kann, der dem zu hemmenden entgegengesetzt ist, und da ein jeder sich des Schdigens aus Furcht vor einem gr˛eren Schaden enthlt. ber ein solches Gesetz wird also eine Vereinigung von Menschen dauerhaft gemacht werden k˛nnen, vorausgesetzt, sie nimmt fˇr sich selbst das Recht in Anspruch, das ein jeder hat: erlittenen Schaden mit eigener Hand zu vergelten und zu beurteilen, was gut und schlecht ist. Dann htte sie die Gewalt, eine allen gemeinsame Lebensregel vorzuschreiben sowie Gesetze zu erlassen und diese nicht im Appell an die Vernunft, die Affekte nicht zu hemmen vermag (nach Anmerkung zu Lehrsatz 17 dieses Teils), sondern mit Hilfe von Drohungen aufrecht zu erhalten. Eine solche Vereinigung, gefestigt ˇber erlassene Gesetze und die ihr zukommende Gewalt, sich selbst zu erhalten, heit Staat, und diejenigen, die mit Hilfe seines Rechts geschˇtzt werden, heien Staatsbˇrger. Hieraus ist leicht ersichtlich, da es im natˇrlichen Zustand nichts gibt, was nach ˇbereinstimmender Ansicht aller gut oder schlecht ist, da nun einmal in diesem Zustand ein jeder nur seinen
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utilitati consulit et ex suo ingenio et quatenus suae utilitatis tantum habet rationem, quid bonum quidve malum sit decernit, et nemini nisi sibi soli obtemperare lege ulla tenetur; atque adeo in statu naturali peccatum concipi nequit. At quidem in statu civili, ubi et communi consensu decernitur, quid bonum quidve malum sit, et unusquisque civitati obtemperare tenetur. Est itaque peccatum nihil aliud quam inobedientia, quae propterea solo civitatis jure punitur, et contra obedientia civi meritum ducitur, quia eo ipso dignus judicatur, qui civitatis commodis gaudeat. Deinde in statu naturali nemo ex communi consensu alicujus rei est dominus, nec in natura aliquid datur, quod possit dici hujus hominis esse et non illius, sed omnia omnium sunt; ac proinde in statu naturali nulla potest concipi voluntas unicuique suum tribuendi aut alicui id, quod ejus sit, eripiendi, hoc est, in statu naturali nihil fit, quod justum aut injustum possit dici; at quidem in statu civili, ubi ex communi consensu decernitur,|quid hujus quidve illius sit. Ex quibus apparet justum et injustum, peccatum et meritum notiones esse extrinsecas, non autem attributa, quae mentis naturam explicent. Sed de his satis. P r o p o s i t i o X X X V I I I . Id, quod corpus humanum ita disponit, ut pluribus modis possit affici, vel quod idem aptum reddit ad corpora externa pluribus modis afficiendum, homini est utile, et eo utilius, quo corpus ab eo aptius redditur, ut pluribus modis afficiatur aliaque corpora afficiat; et contra id noxium est, quod corpus ad haec minus aptum reddit. D e m o n s t ra t i o . Quo corpus ad haec aptius redditur, eo mens aptior ad percipiendum redditur (per prop. 14. p. 2.);
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eigenen Vorteil im Blick hat und von seiner eigenen Sinnesart her und unter Berˇcksichtigung nur des eigenen Vorteils entscheidet, was gut und was schlecht ist, und von keinem Gesetz her gehalten ist, irgendeinem anderen als sich selbst Folge zu leisten. Mithin lt sich so etwas wie Sˇnde im natˇrlichen Zustand nicht begreifen, wohl aber im staatlichen, wo zum einen nach ˇbereinstimmender Ansicht entschieden wird, was gut und was schlecht ist, und zum anderen jeder gehalten ist, sich dem Staat zu fˇgen. Sˇnde ist also nichts anderes als Ungehorsam und deshalb etwas, das nur nach staatlichem Gesetz geahndet wird. Andererseits ist es Gehorsam, aus dem sich der Begriff von Verdienst herleiten lt, weil er es ist, ˇber den ein Bˇrger fˇr wˇrdig gehalten wird, die Vorteile des Staates zu genieen. Ferner, im natˇrlichen Zustand ist niemand nach allgemeiner bereinstimmung Eigentˇmer von irgendetwas, noch gibt es in der Natur irgendetwas, von dem sich sagen liee, es geh˛re diesem und nicht jenem Menschen; vielmehr geh˛ren dort alle Dinge allen. Somit lt sich im Naturzustand kein Wille begreifen, jedem das Seine zu geben oder jemandem das Seine zu nehmen; d. h. im natˇrlichen Zustand wird nichts getan, was gerecht oder ungerecht genannt werden k˛nnte, wohl aber im staatlichen, wo nach allgemeiner bereinstimmung festgelegt wird, was diesem und was jenem Menschen geh˛rt. Daraus ist deutlich, da gerecht und ungerecht, Sˇnde und Verdienst uerliche Begriffe sind, nicht aber Attribute, die die Natur des Geistes erklren. Doch genug hiervon. L e h r s a t z 3 8 . Was den menschlichen K˛rper so disponiert, da er auf vielfache Weise affiziert werden kann, oder was ihn fhig macht, uere K˛rper auf vielfache Weise zu affizieren, ist dem Menschen nˇtzlich und umso nˇtzlicher, je fhiger es den K˛rper macht, auf vielfache Weise affiziert zu werden und andere K˛rper zu affizieren, whrend andererseits schdlich ist, was den K˛rper dazu weniger fhig macht. B e w e i s : Je mehr diese Fhigkeit des K˛rpers gesteigert wird, umso mehr wird der Geist zum Wahrnehmen fhig ge-
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adeoque id, quod corpus hac ratione disponit aptumque ad haec reddit, est necessario bonum seu utile (per prop. 26. et 27. hujus), et eo utilius, quo corpus ad haec aptius potest reddere, et contra (per eandem prop. 14. p. 2. inversam, et prop. 26. et 27. hujus) noxium, si corpus ad haec minus aptum reddat. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X X I X . Quae efficiunt, ut motus et quietis ratio, quam corporis humani partes ad invicem habent, conservetur, bona sunt; et ea contra mala, quae efficiunt, ut corporis humani partis aliam ad invicem motus et quietis habeant rationem. D e m o n s t ra t i o . Corpus humanum indiget, ut conservetur, plurimis aliis corporibus (per post. 4. p. 2.). At id, quod formam humani corporis constituit, in hoc consistit, quod ejus partes motus suos certa quadam ratione sibi invicem communicent (per defin. ante lem. 4., quam vide post prop. 13. p. 2.). Ergo quae efficiunt, ut motus et |quietis ratio, quam corporis humani partes ad invicem habent, conservetur, eadem humani corporis formam conservant et consequenter efficiunt (per post. 3. et 6. p. 2.), ut corpus humanum multis modis affici et ut idem corpora externa multis modis afficere possit; adeoque (per prop. praec.) bona sunt. Deinde, quae efficiunt, ut corporis humani partes aliam motus et quietis rationem obtineant, eadem (per eandem defin. p. 2.) efficiunt, ut corpus humanum aliam formam induat, hoc est (ut per se notum et in fine praefationis hujus partis monuimus), ut corpus humanum destruatur et consequenter ut omnino ineptum reddatur, ne possit pluribus modis affici; ac proinde (per prop. praec.) mala sunt. Q. e. d.
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macht (nach Lehrsatz 14 des 2. Teils). Mithin ist das, was den K˛rper auf diese Weise disponiert und befhigt, notwendigerweise gut oder nˇtzlich (nach Lehrsatz 26 und 27 dieses Teils) und umso nˇtzlicher, je mehr es diese Fhigkeit des K˛rpers steigern kann, whrend andererseits schdlich ist (in Umkehrung des genannten Lehrsatzes 14 des 2. Teils und nach Lehrsatz 26 und 27 dieses Teils), was diese Fhigkeit des K˛rpers mindert. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 9. Was bewirkt, da die Regel von Bewegung und Ruhe, die die Teile des menschlichen K˛rpers untereinander haben, erhalten wird, ist gut, whrend andererseits schlecht ist, was bewirkt, da die Teile des menschlichen K˛rpers eine andere Regel von Bewegung und Ruhe untereinander haben. B e w e i s : Um erhalten zu werden, bedarf der menschliche K˛rper sehr vieler anderer K˛rper (nach Postulat 4 des 2. Teils). Was die Form des menschlichen K˛rpers ausmacht, ist nun dies, da seine Teile ihre Bewegungen nach einer bestimmten Regel untereinander verknˇpfen (nach der Definition vor Hilfssatz 4, die man nach Lehrsatz 13 des 2. Teils nachsehen m˛ge). Was also bewirkt, da die Regel von Bewegung und Ruhe, die die Teile des menschlichen K˛rpers untereinander haben, erhalten bleibt, erhlt die Form des menschlichen K˛rpers und bewirkt folglich (nach Postulat 3 und 6 des 2. Teils), da der menschliche K˛rper auf vielfache Weise affiziert werden kann und er selbst uere K˛rper auf vielfache Weise affizieren kann; mithin ist es (nach vorigem Lehrsatz) gut. Was andererseits bewirkt, da die Teile des menschlichen K˛rpers eine andere Regel von Bewegung und Ruhe erhalten, bewirkt (nach der genannten Definition des 2. Teils), da der menschliche K˛rper eine andere Gestalt annimmt, d. h. (wie sich von selbst versteht und wie wir am Ende des Vorworts zu diesem Teil herausgestellt haben) da der menschliche K˛rper zerst˛rt wird und folglich ganz unfhig gemacht wird, auf vielfache Weise affiziert zu werden; und somit ist es (nach vorigem Lehrsatz) schlecht. W.z.b.w.
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S c h o l i u m . Quantum haec menti obesse vel prodesse possunt, in quinta parte explicabitur. Sed hic notandum, quod corpus tum mortem obire intelligam, quando ejus partes ita disponuntur, ut aliam motus et quietis rationem ad invicem obtineant. Nam negare non audeo corpus humanum, retenta sanguinis circulatione et aliis, propter quae corpus vivere existimatur, posse nihilominus in aliam naturam a sua prorsus diversam mutari. Nam nulla ratio me cogit, ut statuam corpus non mori nisi mutetur in cadaver; quin ipsa experientia aliud suadere videtur. Fit namque aliquando, ut homo tales patiatur mutationes, ut non facile eundem illum esse dixerim, ut de quodam hispano poeta narrare audivi, qui morbo correptus fuerat, et quamvis ex eo convaluerit, mansit tamen praeteritae suae vitae tam oblitus, ut fabulas et tragoedias, quas fecerat, suas non crediderit esse, et sane pro infante adulto haberi potuisset, si vernaculae etiam linguae fuisset oblitus. Et si hoc incredibile videtur, quid de infantibus dicemus? Quorum naturam homo provectae aetatis a sua tam diversam esse credit, ut persuaderi non posset se unquam infantem fuisse, nisi ex aliis de se conjecturam faceret. Sed ne superstitiosis materiam suppeditem movendi novas quaestiones, malo haec in medio relinquere.| P r o p o s i t i o X L . Quae ad hominum communem societatem conducunt sive quae efficiunt, ut homines concorditer vivant, utilia sunt; et illa contra mala, quae discordiam in civitatem inducunt. D e m o n s t ra t i o . Nam quae efficiunt, ut homines concorditer vivant, simul efficiunt, ut ex ductu rationis vivant
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A n m e r k u n g : Wieviel dies dem Geist schaden oder nˇtzen kann, wird im 5. Teil erlutert werden. Hier sei jedoch bemerkt, wie ich das Sterben des K˛rpers verstehe: es liegt vor, wenn seine Teile so disponiert werden, da sie eine andere Regel von Bewegung und Ruhe untereinander erhalten. Denn ich wage nicht abzustreiten, da der menschliche K˛rper, selbst wenn die Zirkulation des Blutes und andere [Anzeichen], derentwegen der K˛rper fˇr lebend gehalten wird, fortdauern, sich doch zu einer anderen Natur verndern kann, die von der eigenen ganz verschieden ist. Denn kein Grund zwingt mich zu behaupten, der K˛rper sterbe nur, wenn er sich in einen Kadaver verwandelt. Gerade die Erfahrung legt offenbar etwas anderes nahe, kommt es doch mitunter vor, da ein Mensch solchen Vernderungen unterliegt, da ich kaum gesagt htte, er sei noch derselbe Mensch. Geh˛rt habe ich die Geschichte eines spanischen Dichters, der von Krankheit befallen war und, obgleich er sich von ihr erholte, doch die Erinnerung an sein bisheriges Leben verloren hatte, so sehr, da er nicht glaubte, die Erzhlungen und Theaterstˇcke, die er geschrieben hatte, stammten von ihm, und in der Tat fˇr ein groes Kind htte gehalten werden k˛nnen, htte er auch noch seine Muttersprache vergessen. Mag dies unglaubwˇrdig klingen, was sollen wir dann von Kindern sagen? Deren Natur hlt ein Erwachsener fˇr so verschieden von der eigenen, da ihm gar nicht glaubhaft gemacht werden k˛nnte, er selbst sei einmal ein Kind gewesen, schl˛sse er nicht von anderen, [die er heranwachsen sieht,] auf sich selbst. Um aber den Aberglubischen nicht Stoff fˇr neue Fragen zu liefern, will ich hier lieber abbrechen. L e h r s a t z 4 0 . Was zu einer Gemeinsamkeit stiftenden Vereinigung der Menschen beitrgt, was also zuwege bringt, da Menschen eintrchtig leben, ist nˇtzlich, whrend andererseits schlecht ist, was Zwietracht in den Staat bringt. B e w e i s : Denn was zuwege bringt, da Menschen eintrchtig leben, bringt zugleich zuwege, da sie nach der Lei-
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(per prop. 35. hujus), atque adeo (per prop. 26. et 27. hujus) bona sunt, et (per eandem rationem) illa contra mala sunt, quae discordias concitant. Q. e. d.
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P r o p o s i t i o X L I . Laetitia directe mala non est, sed bona; tristitia autem contra directe est mala. D e m o n s t ra t i o . Laetitia (per prop. 11. p. 3. cum ejusdem schol.) est affectus, quo corporis agendi potentia augetur vel juvatur; tristitia autem contra est affectus, quo corporis agendi potentia minuitur vel coercetur; adeoque (per prop. 38. hujus) laetitia directe bona est, etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o X L I I . Hilaritas excessum habere nequit, sed semper bona est, et contra melancholia semper mala. D e m o n s t ra t i o . Hilaritas (vide ejus defin. in schol. prop. 11. p. 3.) est laetitia, quae quatenus ad corpus refertur, in hoc consistit, quod corporis omnes partes pariter sint affectae, hoc est (per prop. 11. p. 3.) quod corporis agendi potentia augetur vel juvatur, ita ut omnes ejus partes eandem ad invicem motus et quietis rationem obtineant; atque adeo (per prop. 39. hujus) hilaritas semper est bona nec excessum habere potest. At melancholia (cujus etiam | defin. vide in eodem schol. prop. 11. p. 3.) est tristitia, quae, quatenus ad corpus refertur, in hoc consistit, quod corporis agendi potentia absolute minuitur vel coercetur; adeoque (per prop. 38. hujus) semper est mala. Q. e. d. P r o p o s i t i o X L I I I . Titillatio excessum habere potest et mala esse; dolor autem eatenus potest esse bonus, quatenus titillatio seu laetitia est mala. D e m o n s t ra t i o . Titillatio est laetitia, quae, quatenus ad corpus refertur, in hoc consistit, quod una vel aliquot ejus
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tung der Vernunft leben (nach Lehrsatz 35 dieses Teils); mithin ist es (nach Lehrsatz 26 und 27 dieses Teils) gut, whrend andererseits (aus demselben Grund) schlecht ist, was Formen von Zwietracht herbeiruft. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 1 . Freude ist nicht unmittelbar schlecht, sondern gut; Trauer andererseits ist unmittelbar schlecht. B e w e i s : Freude ist (nach Lehrsatz 11 des 3. Teils einschlielich seiner Anmerkung) ein Affekt, von dem die Wirkungsmacht des K˛rpers vermehrt oder gef˛rdert wird; Trauer andererseits ist ein Affekt, von dem die Wirkungsmacht des K˛rpers vermindert oder gehemmt wird. Mithin ist (nach Lehrsatz 38 dieses Teils) Freude unmittelbar gut, usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 2 . Heiterkeit kann kein berma haben, sondern ist immer gut; Schwermut andererseits ist immer schlecht. B e w e i s : Heiterkeit (siehe ihre Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) ist eine Freude, die, insofern sie sich auf den K˛rper bezieht, darin besteht, da alle Teile des K˛rpers gleichmig affiziert sind, d. h. (nach Lehrsatz 11 des 3. Teils) da die Wirkungsmacht des K˛rpers vermehrt oder gef˛rdert wird, so da alle seiner Teile dieselbe Regel von Bewegung und Ruhe untereinander behalten. Mithin ist (nach Lehrsatz 39 dieses Teils) Heiterkeit immer gut und kann kein berma haben. Schwermut hingegen (siehe seine Definition ebenfalls in der genannten Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) ist eine Trauer, die, insofern sie sich auf den K˛rper bezieht, darin besteht, da die Wirkungsmacht des K˛rpers gnzlich vermindert oder gehemmt wird. Mithin ist sie (nach Lehrsatz 38 dieses Teils) immer schlecht. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 3 . Lust kann ein berma haben und schlecht sein, whrend Schmerz insofern gut sein kann, als die Lust oder Freude schlecht ist. B e w e i s : Lust ist eine Freude, die, insofern sie sich auf den K˛rper bezieht, darin besteht, da einer oder mehrere
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partes prae reliquis afficiuntur (vide ejus defin. in schol. prop. 11. p. 3.), cujus affectus potentia tanta esse potest, ut reliquas corporis actiones superet (per prop. 6. hujus) eique pertinaciter adhaereat, atque adeo impediat, quominus corpus aptum sit, ut plurimis aliis modis afficiatur, adeoque (per prop. 38. hujus) mala esse potest. Deinde dolor, qui contra tristitia est, in se solo consideratus, non potest esse bonus (per prop. 41. hujus). Verum quia ejus vis et incrementum definitur potentia causae externae cum nostra comparata (per prop. 5. hujus), possumus ergo hujus affectus infinitos virium concipere gradus et modos (per prop. 3. hujus); atque adeo eundem talem concipere, qui titillationem possit coercere, ut excessum non habeat, et eatenus (per primam partem prop. hujus) efficere, ne corpus minus aptum reddatur; ac proinde eatenus erit bonus. Q. e. d. P r o p o s i t i o X L I V. Amor et cupiditas excessum habere possunt. D e m o n s t ra t i o . Amor est laetitia (per 6. affect. defin.) concomitante idea causae externae; titillatio igitur (per schol. prop. 11. p. 3.) concomitante idea causae externae amor est; atque adeo amor (per prop. praec.) excessum habere potest. Deinde cupiditas eo est major, quo | affectus, ex quo oritur, major est (per prop. 37. p. 3.). Quare ut affectus (per prop. 6. hujus) reliquas hominis actiones superare potest, sic etiam cupiditas, quae ex eodem affectu oritur, reliquas cupiditates superare ac proinde eundem excessum habere poterit, quem in praecedenti propositione titillationem habere ostendimus. Q. e. d. S c h o l i u m . Hilaritas, quam bonam esse dixi, concipitur facilius quam observatur. Nam affectus, quibus quotidie conflictamur, referuntur plerumque ad aliquam corporis partem,
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seiner Teile mehr als die anderen affiziert werden (siehe ihre Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils). Die Macht [Kraft?] dieses Affekts kann so gro sein, da er die ˇbrigen Ttigkeiten des K˛rpers ˇbertrifft (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) und an ihm hartnckig haftet und mithin die Fhigkeit, auf sehr viele andere Weisen affiziert zu werden, beeintrchtigt; mithin kann sie (nach Lehrsatz 38 dieses Teils) schlecht sein. Schmerz andererseits, der eine Trauer ist, kann, in sich allein betrachtet, nicht gut sein (nach Lehrsatz 41 dieses Teils). Weil aber seine Kraft und sein Anwachsen von der Macht einer ueren Ursache her definiert wird, die mit unserer Macht auf einer Stufe steht (nach Lehrsatz 5 dieses Teils), k˛nnen wir unendlich viele Abstufungen und Formen der Krfte dieses Affekts begreifen (nach Lehrsatz 3 dieses Teils). Mithin k˛nnen wir ihn als einen Affekt begreifen, der die Lust so hemmen kann, da sie kein berma hat, und in diesem Mae (nach dem ersten Teil diesese Lehrsatzes) verhindert, da der K˛rper weniger fhig wird; und somit wird er in diesem Mae gut sein. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 4 . Liebe und Begierde k˛nnen ein berma haben. B e w e i s : Liebe ist Freude (nach Definition 6 der Affekte) unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache; Lust unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache ist also (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) Liebe. Mithin kann Liebe (nach vorigem Lehrsatz) ein berma haben. Begierde sodann ist umso gr˛er, je gr˛er der Affekt ist, dem sie entspringt (nach Lehrsatz 37 des 3. Teils). Wie ein Affekt (nach Lehrsatz 6 dieses Teils) die ˇbrigen Ttigkeiten des Menschen ˇbertreffen kann, wird deshalb auch die Begierde, die ihm entspringt, die ˇbrigen Begierden ˇbertreffen und somit ein solches berma haben k˛nnen, wie wir es in vorigem Lehrsatz fˇr die Lust aufgezeigt haben. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Heiterkeit, die ich gut genannt habe, lt sich leichter begreifen als beobachten. Denn die Affekte, mit denen wir tglich zu kmpfen haben, beziehen sich in der Re-
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gel auf einen Teil des K˛rpers, der mehr als die anderen affiziert wird. Somit haben Affekte in der Regel ein berma und nehmen den Geist in der Betrachtung nur eines Gegenstandes so sehr ein, da er nicht an andere denken kann. Und obgleich Menschen sehr vielen Affekten unterworfen sind, man also selten welche antrifft, die immer mit ein und demselben Affekt zu kmpfen haben, gibt es doch einige, denen ein und derselbe Affekt hartnckig anhaftet. Wir sehen nmlich, da Menschen bisweilen von einem Gegenstand so affiziert werden, da sie, obwohl er nicht gegenwrtig ist, doch glauben, ihn vor sich zu haben. Passiert dies einem Menschen, der nicht schlft, nennen wir ihn wahnsinnig oder verrˇckt; nicht minder werden die fˇr verrˇckt gehalten, die in Liebe entbrannt sind und Tag und Nacht nur von einem Liebchen oder einer Hure trumen, weil sie gew˛hnlich Gelchter erregen. Einen Habsˇchtigen, der an nichts als an Profit oder Bargeld denkt, und einen Ehrgeizling, der an nichts als an Ruhm denkt, hlt man dagegen nicht fˇr wahnsinnig, weil diese Typen gew˛hnlich zudringlich sind und als hassenswert angesehen werden. Der Sache nach sind Habgier, Ehrgeiz, Lˇsternheit usw. aber Arten von Wahnsinn, mag man sie auch nicht zu den Krankheiten zhlen. L e h r s a t z 4 5 . Ha kann niemals gut sein. B e w e i s : Einen Menschen, den wir hassen, streben wir zu vernichten (nach Lehrsatz 39 des 3. Teils); d. h. (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) wir erstreben etwas, das schlecht ist. Also usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Man beachte, da ich hier und im folgenden unter Ha nur Ha auf Menschen verstehe. Fo l g e s a t z 1 : Neid, Spott, Verachtung, Zorn, Rache und die ˇbrigen Affekte, die mit Ha verbunden sind oder ihm entspringen, sind schlecht, was ebenfalls aus Lehrsatz 39 des 3. Teils und aus Lehrsatz 37 dieses Teils evident ist. Fo l g e s a t z 2 : Wonach auch immer wir, mit Ha affiziert, verlangen, ist unanstndig und, in einem Staat, ungerecht. Auch dies ist evident aus Lehrsatz 39 des 3. Teils und
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patet ex prop. 39. p. 3. et ex defin. turpis et injusti, quas vide in schol. prop. 37. hujus. S c h o l i u m . Inter irrisionem (quam in coroll. 1. malam esse dixi) et risum magnam agnosco differentiam. Nam risus ut et jocus mera est laetitia; adeoque, modo excessum non habeat, per se bonus est (per prop. 41. hujus). Nihil profecto nisi torva et tristis superstitio delectari prohibet. Nam qui magis decet famem et sitim extinguere quam melancholiam expellere? Mea haec est ratio, et sic animum induxi meum. Nullum numen nec alius nisi invidus mea impotentia et incommodo delectatur, nec nobis lacrimas, singultus, metum et alia hujusmodi, quae animi impotentis sunt signa, virtuti ducit; sed contra, quo majori laetitia afficimur, eo ad majorem perfectionem transimus, hoc est eo nos magis de natura divina participare necesse est. Rebus itaque uti et iis, quantum fieri potest, delectari (non quidem ad nauseam usque, nam hoc delectari non est) viri est sapientis. Viri, inquam, sapientis est moderato et suavi cibo et potu se reficere et recreare, ut et odoribus, plantarum virentium amaenitate, ornatu, musica, ludis exercitatoriis, theatris et aliis hujusmodi, quibus unusquisque absque ullo alterius damno uti potest. Corpus namque humanum ex plurimis diversae naturae partibus componitur, quae continuo novo alimento indigent et vario, ut totum corpus ad omnia, quae ex ipsius natura sequi possunt, aeque aptum sit, et |consequenter ut mens etiam aeque apta sit ad plura simul intelligendum. Hoc itaque vivendi institutum et cum nostris principiis et cum communi praxi optime convenit; quare, si quae alia, haec vivendi ratio optima
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aus den Definitionen von unanstndig und ungerecht, die man in den Anmerkungen zu Lehrsatz 37 dieses Teils nachsehen m˛ge. A n m e r k u n g : Zwischen Spott (in Folgesatz 1 von mir schlecht genannt) und Lachen mache ich einen groen Unterschied. Denn Lachen, wie auch Scherzen, ist reine Freude; mithin ist es, wenn es nur kein berma hat, an sich gut (nach Lehrsatz 41 dieses Teils). Fˇrwahr, nur ein finsterer und trˇbsinniger Aberglaube verbietet, sich zu erfreuen. Denn warum sollte es sich mehr geziemen, Hunger und Durst zu stillen als Schwermut zu vertreiben? In dieser Sache bin ich zu folgender Auffassung gekommen: Keine Gottheit, noch sonst irgendwer, der nicht neidisch ist, erfreut sich meiner Ohnmacht oder meines Unglˇcks, noch rechnet er Trnen, Schluchzen, Furcht und anderes dieser Art, die Zeichen eines ohnmchtigen Gemˇts sind, zu Tugend. Im Gegenteil, je mehr wir mit Freude affiziert werden, umso gr˛er ist die Vollkommenheit, zu der wir ˇbergehen, d. h. umso mehr partizipieren wir zwangslufig an der g˛ttlichen Natur. Dinge zu gebrauchen und sich ihrer soweit wie m˛glich zu erfreuen (natˇrlich nicht bis zum Widerwillen, denn das heit nicht, sich ihrer erfreuen), ist also Sache eines weisen Menschen. Sache des weisen Menschen ist es, sage ich, sich mahaltend mit schmackhaftem Essen und Trinken zu strken und zu erfrischen, wie auch Wohlgeruch, die Sch˛nheit grˇnender Natur, Dekoration, Musik, Sport, Theater und andere Dinge dieser Art zu genieen, Dinge, denen sich ein jeder ohne irgendeinen Schaden fˇr den anderen hingeben kann. Der menschliche K˛rper setzt sich nmlich aus sehr vielen Teilen verschiedener Natur zusammen, die fortwhrend neuer und abwechslungsreicher Nahrung bedˇrfen, damit der ganze K˛rper zu allem, was aus seiner Natur folgen kann, gleichmig befhigt ist und folglich auch der Geist gleich fhig ist, mehreres auf einmal einzusehen. In dieser Weise sein Leben zu fˇhren, stimmt also sowohl mit unseren Prinzipien wie mit tglicher Praxis bestens ˇberein. M˛gen auch andere Lebensweisen [zu empfehlen sein], diese ist die beste und in je-
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est et omnibus modis commendanda, nec opus est de his clarius neque prolixius agere.
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P r o p o s i t i o X LV I . Qui ex ductu rationis vivit, quantum potest, conatur alterius in ipsum odium, iram, contemptum, etc. amore contra sive generositate compensare. D e m o n s t ra t i o . Omnes odii affectus mali sunt (per coroll. 1. praec. prop.); adeoque, qui ex ductu rationis vivit, quantum potest, conabitur efficere, ne odii affectibus conflictetur (per prop. 19. hujus), et consequenter (per prop. 37. hujus) conabitur, ne etiam alius eosdem patiatur affectus. At odium odio reciproco augetur et amore contra extingui potest (per prop. 43. p. 3.), ita ut odium in amorem transeat (per prop. 44. p. 3.). Ergo qui ex ductu rationis vivit, alterius odium etc. amore contra compensare conabitur, hoc est generositate (cujus defin. vide in schol. prop. 59. p. 3.). Q. e. d. S c h o l i u m . Qui injurias reciproco odio vindicare vult, misere profecto vivit. At qui contra studet odium amore expugnare, ille sane laetus et secure pugnat; aeque facile pluribus hominibus ac uni resistit et fortunae auxilio quam minime indiget. Quos vero vincit, ii laeti cedunt, non quidem ex defectu, sed ex incremento virium; quae omnia adeo clare ex solis amoris et intellectus definitionibus sequuntur, ut opus non sit eadem sigillatim demonstrare. P r o p o s i t i o X LV I I . Spei et metus affectus non possunt esse per se boni.| D e m o n s t ra t i o . Spei et metus affectus sine tristitia non dantur. Nam metus est (per 13. affect. defin.) tristitia; et spes (vide explicationem 12. et 13. affect. defin.) non datur sine
18 - 19 pluribus hominibus ac uni] uni homini ac pluribus
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der Hinsicht zu empfehlen, und es ist nicht n˛tig, deutlicher und ausfˇhrlicher darˇber zu sprechen. L e h r s a t z 4 6 . Wer nach der Leitung der Vernunft lebt, strebt, soviel er kann, des anderen gegen ihn gerichteten Ha, Zorn, Verachtung usw. mit Liebe oder Edelmut zu vergelten. B e w e i s : Alle Affekte des Hasses sind schlecht (nach Folgesatz 1 zu vorigem Lehrsatz). Wer nach der Leitung der Vernunft lebt, wird mithin streben, soviel er kann, es dahin zu bringen, da er nicht von Affekten des Hasses mitgenommen wird (nach Lehrsatz 19 dieses Teils), und folglich (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) streben, da auch der andere diese Affekte nicht erleidet. Nun wird Ha durch Erwiderung von Ha vermehrt, whrend er andererseits von Liebe so ausgel˛scht werden kann (nach Lehrsatz 43 des 3. Teils), da der Ha in Liebe ˇbergeht (nach Lehrsatz 44 des 3. Teils). Wer nach der Leitung der Vernunft lebt, wird also streben, des anderen Ha mit Liebe zu vergelten, d. h. mit Edelmut (siehe dessen Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 59 des 3. Teils). W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wer Schlechtigkeiten rchen will, indem er ihnen Ha entgegenbringt, fˇhrt sicherlich ein armseliges Leben. Wer andererseits darauf aus ist, Ha mit Liebe zu besiegen, kmpft gewi freudig und zuversichtlich; gleich leicht hlt er vielen wie einem stand und bedarf am wenigstens der Hilfe des Schicksals. Die er aber besiegt, die fallen freudig, nicht aus einem Mangel an Kraft, sondern aus einem Zuwachs ihrer Krfte. Das alles folgt so klar aus der bloen Definition von Liebe und Verstand, da es nicht n˛tig ist, es im einzelnen zu beweisen. L e h r s a t z 4 7. Affekte der Hoffnung und Furcht k˛nnen nicht an sich gut sein. B e w e i s : Affekte der Hoffnung und Furcht gibt es nicht ohne Trauer. Denn Furcht ist (nach Definition 13 der Affekte) Trauer, und Hoffnung (siehe Erluterung zu Definition 12
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metu, ac proinde (per prop. 41. hujus) hi affectus non possunt esse per se boni, sed tantum quatenus laetitiae excessum coercere possunt (per prop. 43. hujus). Q. e. d. S c h o l i u m . Huc accedit, quod hi affectus cognitionis defectum et mentis impotentiam indicant; et hac de causa etiam securitas, desperatio, gaudium et conscientiae morsus animi impotentis sunt signa. Nam, quamvis securitas et gaudium affectus sint laetitiae, tristitiam tamen eosdem praecessisse supponunt, nempe spem et metum. Quo itaque magis ex ductu rationis vivere conamur, eo magis spe minus pendere et metu nosmet liberare et fortunae, quantum possumus, imperare conamur nostrasque actiones certo rationis consilio dirigere. P r o p o s i t i o X LV I I I . Affectus existimationis et despectus semper mali sunt. D e m o n s t ra t i o . Hi enim affectus (per 21. et 22. affect. defin.) rationi repugnant; adeoque (per prop. 26. et 27. hujus) mali sunt. Q. e. d. P r o p o s i t i o X L I X . Existimatio facile hominem, qui existimatur, superbum reddit. D e m o n s t ra t i o . Si videmus aliquem de nobis plus justo prae amore sentire, facile gloriabimur (per schol. prop. 41. p. 3.) sive laetitia afficiemur (per 30. affect. defin.), et id boni, quod de nobis praedicari audimus, facile credemus (per prop. 25. p. 3.); atque adeo de nobis prae amore nostri plus justo sentiemus, hoc est (per 28. affect. defin.) facile superbiemus. Q. e. d.| P r o p o s i t i o L . Commiseratio in homine, qui ex ductu rationis vivit, per se mala et inutilis est.
2 excessum] excessus korr. Gebhardt
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und 13 der Affekte) gibt es nicht ohne Furcht; somit k˛nnen (nach Lehrsatz 41 dieses Teils) diese Affekte nicht an sich gut sein, sondern nur, insofern sie ein berma an Freude hemmen k˛nnen (nach Lehrsatz 43 dieses Teils). W. z. b. w. A n m e r k u n g : Hinzu kommt noch, da diese Affekte einen Mangel an Erkenntnis und eine Ohnmacht des Geistes anzeigen; aus diesem Grund sind auch Zuversicht, Verzweiflung, Fr˛hlichkeit und Gewissensbi Zeichen einer Ohnmacht des Gemˇts. Denn obwohl Zuversicht und Fr˛hlichkeit Affekte der Freude sind, setzen sie doch eine vorangegangene Trauer voraus, nmlich Hoffnung und Furcht. Je mehr wir also streben, nach der Leitung der Vernunft zu leben, umso mehr streben wir, auf Hoffnung uns weniger zu stˇtzen, von Furcht uns zu befreien, das Schicksal, soviel wir k˛nnen, zu beherrschen und unsere Handlungen nach der sicheren Weisung der Vernunft zu gestalten. L e h r s a t z 4 8 . Affekte der berschtzung und Unterschtzung sind immer schlecht. B e w e i s : Diese Affekte widerstreiten nmlich (nach Definition 21 und 22 der Affekte) der Vernunft; mithin sind sie (nach Lehrsatz 26 und 27 dieses Teils) schlecht. W. z. b. w. L e h r s a t z 4 9. berschtzung lt den Menschen, der ˇberschtzt wird, leicht hochmˇtig werden. B e w e i s : Wenn wir bemerken, da jemand von uns aus Liebe mehr hlt als recht ist, werden wir uns leicht brˇsten (nach Anmerkung zu Lehrsatz 41 des 3. Teils), also mit Freude affiziert werden (nach Definition 30 der Affekte), und jenes Gute leicht glauben, das wir uns zugesprochen h˛ren (nach Lehrsatz 25 des 3. Teils). Mithin werden wir von uns aus Eigenliebe mehr halten als recht ist, d. h. (nach Definition 28 der Affekte) leicht hochmˇtig werden. W. z. b. w. L e h r s a t z 5 0 . Mitleid in einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, ist an sich schlecht und nutzlos.
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D e m o n s t ra t i o . Commiseratio enim (per 18. affect. defin.) tristitia est, ac proinde (per prop. 41. hujus) per se mala; bonum autem, quod ex ea sequitur, quod scilicet hominem, cujus nos miseret, a miseria liberare conamur (per coroll. 3. prop. 27. p. 3.), ex solo rationis dictamine facere cupimus (per prop. 37. hujus), nec nisi ex solo rationis dictamine aliquid, quod certo scimus bonum esse, agere possumus (per prop. 27. hujus); atque adeo commiseratio in homine, qui ex ductu rationis vivit, per se mala est et inutilis. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur, quod homo, qui ex dictamine rationis vivit, conatur, quantum potest, efficere ne commiseratione tangatur. S c h o l i u m . Qui recte novit omnia ex naturae divinae necessitate sequi et secundum aeternas naturae leges et regulas fieri, is sane nihil reperiet, quod odio, risu aut contemptu dignum sit, nec cujusquam miserebitur; sed, quantum humana fert virtus, conabitur bene agere, ut ajunt, et laetari. Huc accedit, quod is, qui commiserationis affectu facile tangitur et alterius miseria vel lacrimis movetur, saepe aliquid agit, cujus postea ipsum poenitet; tam quia ex affectu nihil agimus, quod certo scimus bonum esse, quam quia facile falsis lacrimis decipimur. Atque hic expresse loquor de homine, qui ex ductu rationis vivit. Nam, qui nec ratione nec commiseratione movetur, ut aliis auxilio sit, is recte inhumanus appellatur. Nam (per prop. 27. p. 3.) homini dissimilis esse videtur.| P r o p o s i t i o L I . Favor rationi non repugnat, sed cum eadem convenire et ab eadem oriri potest. D e m o n s t ra t i o . Est enim favor amor erga illum, qui alteri benefecit (per 19. affect. defin.); atque adeo ad mentem re-
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B e w e i s : Mitleid ist nmlich (nach Definition 18 der Affekte) eine Trauer; somit ist es (nach Lehrsatz 41 dieses Teils) an sich schlecht. Was das Gute, das aus ihm folgt, anbelangt, da wir nmlich den Menschen, den wir bemitleiden, von seinem Unglˇck zu befreien streben (nach Folgesatz 3 zu Lehrsatz 27 des 3. Teils), dies zu tun begehren wir aus bloer Vorschrift der Vernunft (nach Lehrsatz 37 dieses Teils); und nur aus bloer Vorschrift der Vernunft k˛nnen wir etwas tun, von dem wir wissen, da es unbestreitbar gut ist (nach Lehrsatz 27 dieses Teils). Mithin ist Mitleid in einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, an sich schlecht und nutzlos. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da ein Mensch, der nach der Vorschrift der Vernunft lebt, soviel er kann strebt, nicht von Mitleid berˇhrt zu werden. A n m e r k u n g : Wer richtig wei, da alles aus der Notwendigkeit der g˛ttlichen Natur folgt und gem den ewigen Gesetzen und Regeln der Natur sich ereignet, wird gewi nichts finden, was Ha, Gelchter oder Verachtung verdient, noch wird er jemanden bemitleiden. Er wird vielmehr, soweit menschliche Tugend es erlaubt, streben, gut zu handeln, wie man sagt, und in Freude zu sein. Hinzu kommt, da wer leicht mitleidig wird und sich von des anderen Unglˇck oder Trnen bewegen lt, oft etwas tut, das er spter bereut, zum einen weil wir aus einem Affekt heraus nichts tun, von dem wir wissen, da es unbestreitbar gut ist, zum anderen weil wir uns leicht von falschen Trnen tuschen lassen. Freilich spreche ich hier ausdrˇcklich von einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt. Wer nmlich weder von Vernunft noch von Mitleid bewegt wird, anderen zu helfen, wird zu Recht unmenschlich genannt. Denn er ist (nach Lehrsatz 27 des 3. Teils), so sieht es aus, einem Menschen nicht hnlich. L e h r s a t z 51 . Gunst widerstreitet nicht der Vernunft, sondern kann in Einklang mit ihr sein und ihr entspringen. B e w e i s : Gunst ist nmlich eine Liebe zu dem, der einem anderen Gutes erwiesen hat (nach Definition 19 der Affekte);
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ferri potest, quatenus haec agere dicitur (per prop. 59. p. 3.), hoc est (per prop. 3. p. 3.) quatenus intelligit, ac proinde cum ratione convenit, etc. Q. e. d. A l i t e r . Qui ex ductu rationis vivit, bonum, quod sibi appetit, alteri etiam cupit (per prop. 37. hujus); quare ex eo, quod ipse aliquem videt alteri benefacere, ipsius benefaciendi conatus juvatur, hoc est (per schol. prop. 11. p. 3.) laetabitur, idque (ex hypothesi) concomitante idea illius, qui alteri benefecit, ac proinde (per 19. affect. defin.) ei favet. Q. e. d. S c h o l i u m . Indignatio, prout ipsa a nobis definitur (vide 20. affect. defin.), est necessario mala (per prop. 45. hujus); sed notandum, quod quando summa potestas desiderio, quo tenetur, tutandae pacis civem punit, qui alteri injuriam fecit, eandem civi indignari non dico, quia non odio percita ad perdendum civem, sed pietate mota eundem punit. P r o p o s i t i o L I I . Acquiescentia in se ipso ex ratione oriri potest, et ea sola acquiescentia, quae ex ratione oritur, summa est, quae potest dari. D e m o n s t ra t i o . Acquiescentia in se ipso est laetitia orta ex eo, quod homo se ipsum suamque agendi potentiam contemplatur (per 25. affect. defin.). At vera hominis agendi potentia seu virtus est ipsa ratio (per prop. 3. p. 3.), quam homo clare et distincte contemplatur | (per prop. 40. et 43. p. 2.). Ergo acquiescentia in se ipso ex ratione oritur. Deinde nihil homo, dum se ipsum contemplatur, clare et distincte
7 schol.] Hinzufˇgung Gebhardt
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mithin kann sie zu dem Geist geh˛ren, insofern es von ihm heit, da er aktiv ist (nach Lehrsatz 59 des 3. Teils), d. h. (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) insofern er einsieht, und somit ist sie in Einklang mit der Vernunft. W. z. b. w. A n d e r e r B e w e i s : Wer nach der Leitung der Vernunft lebt, begehrt das Gute, nach dem er fˇr sich selbst verlangt, auch fˇr den anderen (nach Lehrsatz 37 dieses Teils). Deshalb wird daraus, da er sieht, da jemand einem anderen Gutes erweist, sein eigenes Streben, Gutes zu tun, gef˛rdert; d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 11 des 3. Teils) er wird sich freuen und dies (der Voraussetzung nach) unter Begleitung der Idee desjenigen, der einem anderen Gutes erwiesen hat, so da er ihm gˇnstig gesonnen ist (nach Definition 19 der Affekte). W. z. b. w. A n m e r k u n g : Entrˇstung, wie sie von uns definiert wird (siehe Definition 20 der Affekte), ist notwendigerweise schlecht (nach Lehrsatz 45 dieses Teils). Doch ist zu bemerken, da, wenn die h˛chste Gewalt, gebunden durch ihr Verlangen, den inneren Frieden zu sichern, einen Bˇrger bestraft, der einem anderen Schaden zugefˇgt hat, ich nicht sage, da sie ˇber den Bˇrger entrˇstet ist. Denn sie bestraft ihn, nicht weil sie ihn, von Ha erregt, zugrunde richten will, sondern weil die Pflicht, [fˇr den Staat Sorge zu tragen,] ihr Antrieb ist. L e h r s a t z 5 2 . Selbstzufriedenheit kann der Vernunft entspringen, und nur diese der Vernunft entspringende Form von Zufriedenheit ist die h˛chste, die es geben kann. B e w e i s : Selbstzufriedenheit ist eine Freude, die dem entsprungen ist, da der Mensch sich selbst und seine Wirkungsmacht betrachtet (nach Definition 25 der Affekte). Nun ist des Menschen wahre Wirkungsmacht, d. h. Tugend, die Vernunft selbst (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils), eine Vernunft, die der Mensch klar und deutlich betrachtet (nach Lehrsatz 40 und 43 des 2. Teils). Also ist es die Vernunft, der Selbstzufriedenheit entspringt. Ferner, nur das nimmt ein Mensch, whrend er sich selbst betrachtet, klar und deutlich,
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sive adaequate percipit nisi ea, quae ex ipsius agendi potentia sequuntur (per defin. 2. p. 3.), hoc est (per prop. 3. p. 3.) quae ex ipsius intelligendi potentia sequuntur; adeoque ex sola hac contemplatione summa, quae dari potest, acquiescentia oritur. Q. e. d. S c h o l i u m . Est revera acquiescentia in se ipso summum, quod sperare possumus. Nam (ut prop. 25. hujus ostendimus) nemo suum esse alicujus finis causa conservare conatur, et quia haec acquiescentia magis magisque fovetur et corroboratur laudibus (per coroll. prop. 53. p. 3.), et contra (per coroll. prop. 55. p. 3.) vituperio magis magisque turbatur, ideo gloria maxime ducimur et vitam cum probro vix ferre possumus. P r o p o s i t i o L I I I . Humilitas virtus non est sive ex ratione non oritur. D e m o n s t ra t i o . Humilitas est tristitia, quae ex eo oritur, quod homo suam impotentiam contemplatur (per 26. affect. defin.). Quatenus autem homo se ipsum vera ratione cognoscit, eatenus suam essentiam intelligere supponitur, hoc est (per prop. 7. p. 3.) suam potentiam. Quare si homo, dum se ipsum contemplatur, aliquam suam impotentiam percipit, id non ex eo est, quod se intelligit, sed (ut prop. 55. p. 3. ostendimus) ex eo, quod ipsius agendi potentia coercetur. Quod si supponamus hominem suam impotentiam concipere ex eo, quod aliquid se potentius intelligit, cujus cognitione suam agendi potentiam determinat, tum nihil aliud concipimus, quam quod homo se ipsum distincte intelligit, sive (per prop. 26. hujus) quod ipsius agendi potentia juvatur. Quare humilitas seu tristitia, quae ex eo oritur, quod homo suam im-
27 sive] Hinzufˇgung Gebhardt nach NS
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also adquat, wahr, was aus der eigenen Wirkungsmacht folgt (nach Definition 2 des 3. Teils), d. h. (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) aus der ihm eigenen Macht einzusehen. Mithin entspringt allein dieser reflektierenden Betrachtung die h˛chste Zufriedenheit, die es geben kann. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Selbstzufriedenheit ist in der Tat das H˛chste, worauf sich unsere Hoffnung richten kann. Denn (wie wir in Lehrsatz 25 dieses Teils gezeigt haben) niemand strebt, sein Sein um irgendeines Zweckes willen zu erhalten; und weil diese Zufriedenheit von Lob mehr und mehr genhrt und gestrkt wird (nach Folgesatz zu Lehrsatz 53 des 3. Teils) und andererseits (nach Folgesatz zu Lehrsatz 55 des 3. Teils) von Tadel mehr und mehr niedergehalten wird, ist es [das Verlangen nach] Ruhm, das uns in erster Linie bewegt, whrend wir ein Leben in Schande kaum ertragen k˛nnen. L e h r s a t z 5 3 . Demut ist keine Tugend, anders formuliert, sie entspringt nicht der Vernunft. B e w e i s : Demut ist eine Trauer, die dem entspringt, da ein Mensch seine eigene Ohnmacht betrachtet (nach Definition 26 der Affekte). Nun ist vorausgesetzt, da ein Mensch, insofern er sich selbst aus wahrer Vernunft erkennt, Einsicht in seine eigene Essenz hat, d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) in seine eigene Macht. Wenn deshalb ein Mensch, whrend er sich selbst betrachtet, irgendeine Ohnmacht an sich wahrnimmt, dann nicht deshalb, weil er Einsicht in sich selbst hat, sondern (wie wir in Lehrsatz 55 des 3. Teils gezeigt haben) weil seine Wirkungsmacht gehemmt wird. Nehmen wir aber an, da der Mensch die eigene Ohnmacht daraus begreift, da er Einsicht in etwas hat, das mchtiger ist als er selbst, und er aus dieser Erkenntnis die eigene Wirkungsmacht bestimmt, dann ist darunter nichts anderes zu verstehen, als da der Mensch deutliche Einsicht in sich selbst hat, anders formuliert (nach Lehrsatz 26 dieses Teils), da seine Wirkungsmacht gef˛rdert wird. Weil Demut oder Trauer, die dem entspringt, da ein Mensch seine eigene Ohnmacht betrachtet, also nicht einer wahren Reflexion, d. h. nicht der
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potentiam contemplatur, non ex vera contemplatione seu ratione oritur, nec virtus, sed passio est. Q. e. d.|
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P r o p o s i t i o L I V. Poenitentia virtus non est sive ex ratione non oritur; sed is, quem facti poenitet, bis miser seu impotens est. D e m o n s t ra t i o . Hujus prima pars demonstratur ut praeced. propositio. Secunda autem ex sola hujus affectus definitione (vide 27. affect. defin.) patet. Nam primo prava cupiditate, deinde tristitia vinci se patitur. S c h o l i u m . Quia homines raro ex dictamine rationis vivunt, ideo hi duo affectus, nempe humilitas et poenitentia, et praeter hos spes et metus, plus utilitatis quam damni afferunt; atque adeo, quandoquidem peccandum est, in istam partem potius peccandum. Nam, si homines animo impotentes aeque omnes superbirent, nullius rei ipsos puderet nec ipsi quicquam metuerent, qui vinculis conjungi constringique possent? Terret vulgus nisi metuat; quare non mirum, quod prophetae, qui non paucorum, sed communi utilitati consuluerunt, tantopere humilitatem, poenitentiam et reverentiam commendaverint. Et revera, qui hisce affectibus sunt obnoxii, multo facilius quam alii duci possunt, ut tandem ex ductu rationis vivant, hoc est ut liberi sint et beatorum vita fruantur. P r o p o s i t i o LV. Maxima superbia vel abjectio est maxima sui ignorantia. D e m o n s t ra t i o . Patet ex 28. et 29. affect. defin. P r o p o s i t i o LV I . Maxima superbia vel abjectio maximam animi impotentiam indicat. |
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Vernunft, entspringt, ist sie eine Leidenschaft, nicht eine Tugend. W. z. b. w. L e h r s a t z 5 4 . Reue ist keine Tugend, anders formuliert, sie entspringt nicht der Vernunft; wer bereut, was er getan hat, ist vielmehr doppelt unglˇcklich oder ohnmchtig. B e w e i s : Der erste Teil dieses Lehrsatz wird so wie der vorige Lehrsatz bewiesen, der zweite ist aus der bloen Definition dieses Affekts evident (siehe Definition 27 der Affekte). Denn zuerst lt man sich von einer ˇblen Begierde und dann von Trauer besiegen. A n m e r k u n g : Weil Menschen selten nach dem Gebot der Vernunft leben, bringen diese beiden Affekte, Demut und Reue, und darˇber hinaus noch Hoffnung und Furcht mehr Vorteile als Nachteile mit sich ^ mithin, wenn schon zu fehlen ist, dann besser in dieser Richtung. Denn wenn Menschen ohnmchtigen Gemˇts alle gleichermaen hochmˇtig wren, sich vor nichts schmten und auch nichts fˇrchteten, mit welchen Banden k˛nnten sie dann ˇberhaupt verbunden und zusammengehalten werden? Schrecklich ist der P˛bel, der nichts fˇrchtet; kein Wunder also, da die Propheten, die den gemeinsamen Vorteil, nicht den einiger weniger im Auge hatten, so sehr Demut, Reue und Ehrfurcht empfohlen hatten. Und in der Tat, wer diesen Affekten unterworfen ist, kann viel leichter als andere dazu gebracht werden, schlielich doch noch nach der Leitung der Vernunft zu leben, d. h. frei zu sein und das Leben der Glˇckseligen zu genieen. L e h r s a t z 5 5 . Sehr groer Hochmut wie auch sehr groer Kleinmut sind Zeichen dessen, da man sich selbst sehr wenig kennt. B e w e i s : Dies ist aus Definition 28 und 29 der Affekte evident. L e h r s a t z 5 6 . Sehr groer Hochmut wie auch sehr groer Kleinmut zeigen eine eminente Ohnmacht des Gemˇts an.
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D e m o n s t ra t i o . Primum virtutis fundamentum est suum esse conservare (per coroll. prop. 22. hujus), idque ex ductu rationis (per prop. 24. hujus). Qui igitur se ipsum ignorat, omnium virtutum fundamentum et consequenter omnes virtutes ignorat. Deinde ex virtute agere nihil aliud est quam ex ductu rationis agere (per prop. 24. hujus), et qui ex ductu rationis agit, scire necessario debet se ex ductu rationis agere (per prop. 43. p. 2.); qui itaque se ipsum et consequenter (ut jam jam ostendimus) omnes virtutes maxime ignorat, is minime ex virtute agit, hoc est (ut ex defin. 8. hujus patet) maxime animo est impotens; atque adeo (per prop. praec.) maxima superbia vel abjectio maximam animi impotentiam indicat. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc clarissime sequitur superbos et abjectos maxime affectibus esse obnoxios. S c h o l i u m . Abjectio tamen facilius corrigi potest quam superbia, quandoquidem haec laetitiae, illa autem tristitiae est affectus; atque adeo (per prop. 18. hujus) haec illa fortior est. P r o p o s i t i o LV I I . Superbus parasitorum seu adulatorum praesentiam amat, generosorum autem odit. D e m o n s t ra t i o . Superbia est laetitia orta ex eo, quod homo de se plus justo sentit (per 28. et 6. affect. defin.), quam opinionem homo superbus, quantum potest, fovere conabitur (vide schol. prop. 13. p. 3.); adeoque superbi parasitorum vel adulatorum (horum definitiones omisi, quia nimis noti sunt) praesentiam amabant et generosorum, qui de ipsis, ut par est, sentiunt, fugient. Q. e. d.|
25 superbi] Einfˇgung Gebhardt
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B e w e i s : Die erste Grundlage von Tugend ist, das eigene Sein zu erhalten (nach Folgesatz zu Lehrsatz 22 dieses Teils) und das nach der Leitung der Vernunft (nach Lehrsatz 24 dieses Teils). Wer also sich selbst nicht kennt, verkennt die Grundlage aller Tugenden und folglich alle Tugenden. Ferner, aus Tugend handeln ist nichts anderes als vernunftgeleitet handeln (nach Lehrsatz 24 dieses Teils), und wer vernunftgeleitet handelt, mu zwangslufig wissen, da er vernunftgeleitet handelt (nach Lehrsatz 43 des 2. Teils). Wer also sich selbst und folglich (wie wir schon gezeigt haben) alle Tugenden ˇberhaupt nicht kennt, handelt ˇberhaupt nicht aus Tugend, d. h. (wie aus Definition 8 dieses Teils evident ist), er ist im h˛chsten Mae ohnmchtigen Gemˇts. Mithin zeigen (nach vorigem Lehrsatz) sehr groer Hochmut wie auch sehr groer Kleinmut eine eminente Ohnmacht des Gemˇts an. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt ganz klar, da hochmˇtige und kleinmˇtige Menschen im h˛chsten Mae Affekten unterworfen sind. A n m e r k u n g : Dennoch ist es so, da Kleinmut leichter als Hochmut korrigiert werden kann, da ja dieser ein Affekt der Freude und jener einer der Trauer ist und mithin (nach Lehrsatz 18 dieses Teils) dieser strker ist als jener. L e h r s a t z 5 7. Der Hochmˇtige liebt die Nhe von Schmarotzern oder Schmeichlern, whrend er die Nhe nobler Menschen hat. B e w e i s : Hochmut ist eine Freude, die dem entsprungen ist, da der Mensch von sich mehr hlt als recht ist (nach Definition 28 und 6 der Affekte), eine Auffassung, die der hochmˇtige Mensch, soviel er kann, zu nhren strebt (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 13 des 3. Teils); mithin werden hochmˇtige Leute die Nhe von Schmarotzern oder Schmeichlern (deren Definitionen ich ˇbergangen habe, weil sie allzu bekannt sind) lieben und die nobler Menschen meiden, die von ihnen die Meinung haben, die sie verdienen. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Nimis longum foret hic omnia superbiae mala enumerare, quandoquidem omnibus affectibus obnoxii sunt superbi; sed nullis minus quam affectibus amoris et misericordiae. Sed hic minime tacendum est, quod ille etiam superbus vocetur, qui de reliquis minus justo sentit, atque adeo hoc sensu superbia definienda est, quod sit laetitia orta ex falsa opinione, quod homo se supra reliquos esse putat. Et abjectio huic superbiae contraria definienda esset tristitia orta ex falsa opinione, quod homo se infra reliquos esse credit. At hoc posito facile concipimus superbum necessario esse invidum (vide schol. prop. 55. p. 3.) et eos maxime odio habere, qui maxime ob virtutes laudantur, nec facile eorum odium amore aut beneficio vinci (vide schol. prop. 41. p. 3.) et eorum tantummodo praesentia delectari, qui animo ejus impotenti morem gerunt et ex stulto insanum faciunt. Abjectio quamvis superbiae sit contraria, est tamen abjectus superbo proximus. Nam, quandoquidem ejus tristitia ex eo oritur, quod suam impotentiam ex aliorum potentia seu virtute judicat, levabitur ergo ejus tristitia, hoc est laetabitur, si ejus imaginatio in alienis vitiis contemplandis occupetur, unde illud proverbium natum: solamen miseris socios habuisse malorumß, et contra eo magis contristabitur, quo se magis infra reliquos esse crediderit; unde fit, ut nulli magis ad invidiam sint proni quam abjecti; et ut isti maxime hominum facta observare conentur ad carpendum magis quam ad eadem corrigendum, et ut tandem solam abjectionem laudent eaque glorientur; sed ita, ut tamen abjecti videantur. Atque haec ex hoc affectu tam necessario sequuntur quam ex natura trianguli, quod ejus tres anguli aequales sint duo-
23 magis] Hinzufˇgung Gebhardt nach NS 28 Atque] kein Absatz in OP
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A n m e r k u n g : Es ginge zu weit, hier alles Schlechte, das dem Hochmut eigen ist, aufzuzhlen, sind die Hochmˇtigen doch allen Affekten unterworfen, wenn auch keinen weniger als denen der Liebe und des Mitgefˇhls. Doch sollte hier nicht verschwiegen werden, da auch hochmˇtig genannt wird, wer von anderen weniger hlt als recht ist; mithin ist Hochmut in diesem Sinne als eine Freude zu definieren, die der falschen Meinung eines Menschen entsprungen ist, er stehe ˇber anderen Menschen. Und der dieser Form von Hochmut entgegengesetzte Kleinmut wre als eine Trauer zu definieren, die der falschen Meinung eines Menschen entsprungen ist, er stehe unter anderen Menschen. Unter dieser Voraussetzung begreifen wir leicht, da der Hochmˇtige zwangslufig neidisch ist (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 55 des 3. Teils) und vor allem diejenigen hat, die ihrer Tugenden wegen besonders gelobt werden, aber auch da sein Ha auf sie sich von Liebe oder Wohltun nicht leicht besiegen lt (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 41 des 3. Teils) und er sich der Nhe nur derer erfreut, die der Ohnmacht seines Gemˇts willfahren und aus einem Narren einen Gr˛enwahnsinnigen machen. Obwohl Kleinmut dem Hochmut entgegengesetzt ist, steht der Kleinmˇtige dem Hochmˇtigen doch sehr nahe. Denn da ja seine Trauer dem entspringt, da er seine eigene Ohnmacht an der Macht, d. h. Tugend, anderer mit, wird ihm die Trauer ertrglicher werden, d. h. zu Freude werden, wenn seine Vorstellungskraft sich mit der Betrachtung der Fehler anderer abgibt, woher jenes Sprichwort rˇhrt: Den Unglˇcklichen sind Gefhrten im Unglˇck Trostß. Andererseits wird er umso trauriger sein, je mehr er glaubt, unter anderen Menschen zu stehen, woher es kommt, da gerade die Kleinmˇtigen zu Neid tendieren, da diese Leute besonders darauf aus sind, die Taten der Menschen zu belauern, mehr um sie zu bekritteln als eines besseren zu belehren, und da sie schlielich nichts als Kleinmut preisen und rˇhmen, aber so, da sie auch darin immer noch als kleinmˇtig erscheinen. Dies folgt so notwendig aus diesem Affekt wie aus der Natur des Dreiecks folgt, da dessen drei Winkel gleich zwei
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bus rectis; et jam dixi me hos et similes affectus malos vocare, quatenus ad solam humanam utilitatem attendo. Sed naturae leges communem naturae ordinem, cujus homo pars est, respiciunt; quod hic in transitu monere volui, ne quis putaret me hic hominum vitia et absurda facta narrare, non autem rerum naturam et proprietates demonstrare voluisse. Nam, ut in praefatione partis tertiae | dixi, humanos affectus eorumque proprietates perinde considero ac reliqua naturalia. Et sane humani affectus, si non humanam, naturae saltem potentiam et artificium non minus indicant quam multa alia, quae admiramur quorumque contemplatione delectamur. Sed pergo de affectibus ea notare, quae hominibus utilitatem adferunt vel quae iisdem damnum inferunt. P r o p o s i t i o LV I I I . Gloria rationi non repugnat, sed ab ea oriri potest. D e m o n s t ra t i o . Patet ex 30. affect. defin. et ex definitione honesti, quam vide in schol. 1. prop. 37. hujus. S c h o l i u m . Vana, quae dicitur, gloria est acquiescentia in se ipso, quae sola vulgi opinione fovetur, eaque cessante cessat ipsa acquiescentia, hoc est (per schol. prop. 52 hujus) summum bonum, quod unusquisque amat; unde fit, ut qui vulgi opinione gloriatur, quotidiana cura anxius nitatur, faciat, experiatur, ut famam conservet. Est namque vulgus varius et inconstans, atque adeo, nisi observetur fama, cito abolescit; imo quia omnes vulgi captare applausus cupiunt, facile unusquisque alterius famam reprimit, ex quo, quandoquidem de summo, quod aestimatur, bono certatur, ingens libido oritur
24 observetur] conservetur korr.W. B., Akkerman folgend
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rechten sind. Und ich habe schon gesagt, da ich diese und hnliche Affekte schlecht nenne, sofern ich nur den menschlichen Vorteil ins Auge fasse. Die Gesetze der Natur berˇcksichtigen dagegen die gemeinsame Ordnung der Natur, von der der Mensch ein Teil ist; daran wollte ich beilufig erinnern, falls jemand auf den Gedanken kme, ich htte mich hier ˇber die Fehler der Menschen und ihre absonderlichen Taten ergehen, nicht aber die Natur und Eigenschaften von Dingen kenntlich machen wollen. Denn ich betrachte, wie ich im Vorwort zum 3. Teil gesagt habe, menschliche Affekte und deren Eigenschaften ganz so wie andere natˇrliche Dinge. Immerhin zeigen menschliche Affekte, wenn sie schon nicht des Menschen Macht anzeigen, wenigstens die Macht und Kunstfertigkeit der Natur an, nicht weniger als viele andere Dinge, die wir bewundern und die zu betrachten uns Freude bereitet. Doch fahre ich fort, an Affekten das herauszustellen, was den Menschen Nutzen bringt und was ihnen Schaden zufˇgt. L e h r s a t z 5 8 . Ruhm widerstreitet nicht der Vernunft, sondern kann ihr entspringen. B e w e i s : Evident ist dies aus Definition 30 der Affekte und aus der Definition dessen, was anstndig ist, die man in Anmerkung 1 zu Lehrsatz 37 dieses Teils nachsehen m˛ge. A n m e r k u n g : Der Ruhm, den man eitel nennt, ist eine Selbstzufriedenheit, die nur von der Meinung des Volkes genhrt wird, mit deren Schwinden auch die Zufriedenheit schwindet, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 52 dieses Teils) das h˛chste Gut, das ein jeder liebt. Daher kommt es, da wer seinen Ruhm auf die Meinung des Volkes stˇtzt, sich in steter Sorge angstvoll abmˇht und alles M˛gliche macht und erprobt, um sein Ansehen zu erhalten, das, weil des Volkes Meinung schwankend und unbestndig ist, schnell dahin ist, wenn man nicht auf es Acht gibt. Mehr noch, weil alle begehren, den Beifall des Volkes zu erhaschen, ist ein jeder bereit, das Ansehen des anderen schon im Keim zu ersticken, und weil hier um ein Gut, das fˇr das h˛chste gehalten wird,
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se invicem quocunque modo opprimendi, et qui tandem victor evadit, gloriatur magis, quod alteri obfuit, quam quod sibi profuit. Est igitur haec gloria seu acquiescentia revera vana, quia nulla est. Quae de pudore notanda sunt, colliguntur facile ex iis, quae de misericordia et poenitentia diximus. Hoc tantum addo, quod ut commiseratio sic etiam pudor, quamvis non sit virtus, bonus tamen est, quatenus indicat homini, qui pudore suffunditur, cupiditatem inesse honeste vivendi, sicut dolor, qui eatenus bonus dicitur, quatenus indicat partem laesam nondum esse putrefactam; quare, quamvis homo, quem facti alicujus pudet, re|vera sit tristis, est tamen perfectior impudenti, qui nullam habet honeste vivendi cupiditatem. Atque haec sunt, quae de affectibus laetitiae et tristitiae notare susceperam. Ad cupiditates quod attinet, hae sane bonae aut malae sunt, quatenus ex bonis aut malis affectibus oriuntur. Sed omnes revera, quatenus ex affectibus, qui passiones sunt, in nobis ingenerantur, caecae sunt (ut facile colligitur ex iis, quae in schol. prop. 44. hujus diximus), nec ullius usus essent, si homines facile duci possent, ut ex solo rationis dictamine viverent, ut jam paucis ostendam. P r o p o s i t i o L I X . Ad omnes actiones, ad quas ex affectu, qui passio est, determinamur, possumus absque eo a ratione determinari. D e m o n s t ra t i o . Ex ratione agere nihil aliud est (per prop. 3. et defin. 2. p. 3.) quam ea agere, quae ex necessitate nostrae naturae, in se sola consideratae, sequuntur. At tristitia eatenus mala est, quatenus hanc agendi potentiam minuit vel coercet (per prop. 41. hujus); ergo ex hoc affectu ad nul-
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gestritten wird, entspringt daraus eine ungeheure Sucht, sich gegenseitig auf jegliche Weise zu unterdrˇcken; und wer schlielich daraus als Sieger hervorgeht, rˇhmt sich mehr, weil er dem anderen geschadet hat, als weil er sich selbst genˇtzt hat. Der beschriebene Ruhm, d. h. diese Form von Zufriedenheit, ist also tatschlich eitel, weil er nichts ist. Was ˇber Scham zu bemerken ist, lt sich leicht dem zu Mitgefˇhl und Reue Gesagten entnehmen. Hinzugefˇgt sei nur noch, da Scham, obwohl sie keine Tugend ist, doch, wie auch Mitleid, gut ist, insofern sie in dem von Scham ergriffenen Menschen eine Begierde, anstndig zu leben, zu erkennen gibt, wie auch Schmerz gut genannt wird, insofern er anzeigt, da der verletzte Teil noch nicht abgestorben ist. Deshalb ist ein Mensch, der sich einer Handlung schmt, obwohl er tatschlich traurig ist, doch vollkommener als der, der sich nicht schmt und keine Begierde kennt, anstndig zu leben. Das ist es, was ich zu den Affekten der Freude und Trauer bemerken wollte. Was die Begierden anbelangt, ist klar, da sie in dem Mae gut oder schlecht sind, wie sie guten oder schlechten Affekten entspringen. Tatschlich sind sie aber alle, insofern sie in uns aus Affekten, die Leidenschaften sind, erzeugt werden, blind (wie dem in der Anmerkung zu Lehrsatz 44 dieses Teils Gesagtem leicht zu entnehmen ist); und Nutzen htten sie ˇberhaupt keinen, k˛nnten Menschen leicht dazu gebracht werden, allein nach dem Gebot der Vernunft zu leben, wie ich jetzt mit wenigen Worten zeigen will. L e h r s a t z 5 9. Zu allen Handlungen, zu denen wir aus einem Affekt heraus, der eine Leidenschaft ist, bestimmt werden, k˛nnen wir ohne ihn von der Vernunft her bestimmt werden. B e w e i s : Aus Vernunft handeln ist nichts anderes (nach Lehrsatz 3 und Definition 2 des 3. Teils) als aktiv hervorzubringen, was aus der Notwendigkeit unserer Natur, in sich allein betrachtet, folgt. Nun ist Trauer schlecht, insofern sie diese Wirkungsmacht vermindert oder hemmt (nach Lehr-
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lam actionem possumus determinari, quam non possemus agere, si ratione duceremur. Praeterea laetitia eatenus tantum mala est, quatenus impedit, quominus homo ad agendum sit aptus (per prop. 41. et 43. hujus); atque adeo eatenus etiam ad nullam actionem determinari possumus, quam non possemus agere, si ratione duceremur. Denique quatenus laetitia bona est, eatenus cum ratione convenit (consistit enim in eo, quod hominis agendi potentia augetur vel juvatur), nec passio est, nisi quatenus hominis agendi potentia non eo usque augetur, ut se suasque actiones adaequate concipiat (per prop. 3. p. 3. cum ejus schol.). Quare si homo laetitia affectus ad tantam perfectionem duceretur, ut se suasque actiones adaequate conciperet, ad easdem actiones, ad quas jam ex affectibus, qui passiones sunt, determinatur, aptus, imo aptior esset. At omnes affectus ad laetitiam, tristitiam vel cupiditatem referuntur (vide explicationem quartae | affect. defin.), et cupiditas (per 1. affect. defin.) nihil aliud est quam ipse agendi conatus; ergo ad omnes actiones, ad quas ex affectu, qui passio est, determinamur, possumus absque eo sola ratione duci. Q. e. d. A l i t e r . Actio quaecunque eatenus dicitur mala, quatenus ex eo oritur, quod odio aut aliquo malo affectu affecti sumus (vide coroll. 1. prop. 45. hujus). At nulla actio, in se sola considerata, bona aut mala est (ut in praefatione hujus ostendimus), sed una eademque actio jam bona, jam male est; ergo ad eandem actionem, quae jam mala est sive quae ex aliquo malo affectu oritur, ratione duci possumus (per prop. 19. hujus). Q. e. d.
2 tantum] von Gebhardt gestrichen
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satz 41 diesesTeils); also k˛nnen wir aus einem solchen Affekt heraus zu keiner Handlung bestimmt werden, die wir nicht tun k˛nnten, wenn wir uns von der Vernunft leiten lieen. berdies ist Freude nur insofern schlecht, als sie die Fhigkeit des Menschen, ˇberhaupt zu handeln, behindert (nach Lehrsatz 41 und 43 dieses Teils); mithin k˛nnen wir auch in dieser Hinsicht zu keiner Handlung bestimmt werden, die wir nicht tun k˛nnten, wenn wir uns von der Vernunft leiten lieen. Schlielich, insofern Freude gut ist, stimmt sie mit der Vernunft ˇberein (besteht sie doch darin, da eines Menschen Wirkungsmacht vermehrt oder gef˛rdert wird); eine Leidenschaft ist sie nur, insofern eines Menschen Wirkungsmacht nicht bis zu dem Punkt gesteigert wird, in dem er sich und seine Handlungen adquat begreift (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils einschlielich Anmerkung). Wˇrde daher ein mit Freude affizierter Mensch zu einer so groen Vollkommenheit gebracht werden, da er sich und seine Handlungen adquat begreift, wre er zu denselben Handlungen fhig (und sogar fhiger), zu denen er jetzt aus Affekten heraus, die Leidenschaften sind, bestimmt wird. Nun gehen alle Affekte auf Freude, Trauer oder Begierde zurˇck (siehe Erluterung zu Definition 4 der Affekte), und Begierde ist (nach Definition 1 der Affekte) nichts anderes als genau das Streben, ˇberhaupt zu handeln; also k˛nnen wir zu allen Handlungen, zu denen wir aus einem Affekt heraus, der eine Leidenschaft ist, bestimmt werden, von der Vernunft allein, d. h. ohne ihn, gebracht werden. W. z. b. w. A n d e r e r B e w e i s : Eine jede Handlung heit schlecht, insofern sie dem entspringt, da wir mit Ha oder irgendeinem schlechten Affekt affiziert sind (siehe Folgesatz 1 zu Lehrsatz 45 dieses Teils). Nun ist keine Handlung, in sich selbst betrachtet, gut oder schlecht (wie wir im Vorwort zu diesem Teil gezeigt haben), vielmehr ist ein und dieselbe Handlung bald gut, bald schlecht; also k˛nnen wir zu derselben Handlung, die jetzt schlecht ist, also irgendeinem schlechten Affekt entspringt, von der Vernunft gebracht werden (nach Lehrsatz 19 dieses Teils). W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Explicantur haec clarius exemplo. Nempe verberandi actio, quatenus physice consideratur, et ad hoc tantum attendimus, quod homo brachium tollit, manum claudit totumque brachium vi deorsum movet, virtus est, quae ex corporis humani fabrica concipitur. Si itaque homo, ira vel odio commotus, determinatur ad claudendam manum vel brachium movendum, id, ut in parte secunda ostendimus, fit, quia una eademque actio potest jungi quibuscunque rerum imaginibus; atque adeo tam ex iis imaginibus rerum, quas confuse quam quas clare et distincte concipimus, ad unam eandemque actionem determinari possumus. Apparet itaque, quod omnis cupiditas, quae ex affectu, qui passio est, oritur, nullius esset usus, si homines ratione duci possent. Videamus jam, cur cupiditas, quae ex affectu, qui passio est, oritur, caeca a nobis appellatur. P r o p o s i t i o L X . Cupiditas, quae oritur ex laetitia vel tristitia, quae ad unam vel ad aliquot, non autem ad omnes corporis partes refertur, rationem utilitatis totius hominis non habet.| D e m o n s t ra t i o . Ponatur ex. gr. corporis pars A vi alicujus causae externae ita corroborari, ut reliquis praevaleat (per prop. 6. hujus), haec pars vires suas amittere propterea non conabitur, ut reliquae corporis partes suo fungantur officio. Deberet enim vim seu potentiam habere vires suas amittendi, quod (per prop. 6. p. 3.) est absurdum. Conabitur itaque illa pars, et consequenter (per prop. 7. et 12. p. 3.) mens etiam, illum statum conservare; adeoque cupiditas, quae ex tali affectu laetitiae oritur, rationem totius non habet. Quod si contra supponatur pars A coerceri, ut reliquae praevaleant, eodem
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A n m e r k u n g : Anhand eines Beispiels lt sich das klarer machen. Die Handlung des Schlagens ist, sofern sie physikalisch betrachtet wird und wir nur den Tatbestand beachten, da der Mensch seinen Arm erhebt, seine Faust ballt und seinen ganzen Arm kraftvoll niedersausen lt, eine Tugend, die sich aus dem Bau des menschlichen K˛rpers begreifen lt. Wenn also ein Mensch, von Zorn oder Ha erregt, bestimmt wird, seine Faust zu ballen oder seinen Arm zu bewegen, dann deshalb, wie wir im 2. Teil gezeigt haben, weil ein und dieselbe Handlung sich mit beliebigen Vorstellungsbildern von Dingen verbinden lt; mithin k˛nnen wir zu ein und derselben Handlung sowohl von solchen Vorstellungsbildern von Dingen, die wir verworren begreifen, bestimmt werden wie von solchen, die wir klar und deutlich begreifen. Es ist also klar, da jegliche Begierde, die einem Affekt entspringt, der eine Leidenschaft ist, ohne jeden Nutzen wre, wenn Menschen sich von der Vernunft leiten lassen k˛nnten. Sehen wir jetzt, warum wir eine Begierde, die einem Affekt, der eine Leidenschaft ist, entspringt, blind nennen. L e h r s a t z 6 0 . Eine Begierde, die einer Freude oder Trauer entspringt, die sich auf einen oder einige, nicht aber auf alle Teile des K˛rpers bezieht, hat nicht den Vorteil des ganzen Menschen im Blick. B e w e i s : Nimm z. B. an, da Teil A des K˛rpers von der Kraft irgendeiner ueren Ursache so gestrkt wird, da er die anderen Teile ˇberwiegt (nach Lehrsatz 6 dieses Teils); bei diesem Sachverhalt wird dieser Teil nicht streben, seine Krfte aufzugeben, damit die ˇbrigen Teile ihre Funktion erfˇllen k˛nnen. Er mˇte nmlich eine Kraft oder Macht haben, seine Krfte aufzugeben, was (nach Lehrsatz 6 des 3. Teils) widersinnig ist. Also wird jener Teil, und folglich (nach Lehrsatz 7 und 12 des 3. Teils) auch der Geist, streben, jenen Status zu erhalten; mithin hat die Begierde, die einem solchen Affekt der Freude entspringt, nicht das Ganze im Blick. Wird andererseits angenommen, da Teil A gehemmt wird, so da die anderen Teile ˇberwiegen, dann lt sich in
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modo demonstratur, quod nec cupiditas, quae ex tristitia oritur, rationem totius habeat. Q. e. d. S c h o l i u m . Cum itaque laetitia plerumque (per schol. prop. 44. hujus) ad unam corporis partem referatur, cupimus ergo plerumque nostrum esse conservare, nulla habita ratione integrae nostrae valetudinis; ad quod accedit, quod cupiditates, quibus maxime tenemur (per coroll. prop. 9. hujus), temporis tantum praesentis, non autem futuri habent rationem. P r o p o s i t i o L X I . Cupiditas, quae ex ratione oritur, excessum habere nequit. D e m o n s t ra t i o . Cupiditas (per 1. affect. defin.), absolute considerata, est ipsa hominis essentia, quatenus quocumque modo determinata concipitur ad aliquid agendum; adeoque cupiditas, quae ex ratione oritur, hoc est (per prop. 3. p. 3.) quae in nobis ingeneratur, quatenus agimus, est ipsa hominis essentia seu natura, quatenus determinata concipitur ad agendum ea, quae per solam hominis essentiam adaequate concipiuntur (per defin. 2. p. 3.); si itaque haec cupiditas excessum habere posset, posset ergo humana natura, in se sola considerata, se ipsam excedere, sive plus posset quam potest, quod manifesta est contradictio; ac proinde haec cupiditas excessum habere nequit. Q. e. d.| P r o p o s i t i o L X I I . Quatenus mens ex rationis dictamine res concipit, aeque afficitur, sive idea sit rei futurae vel praeteritae sive praesentis. D e m o n s t ra t i o . Quicquid mens ducente ratione concipit, id omne sub eadem aeternitatis seu necessitatis specie concipit (per coroll. 2. prop. 44. p. 2.) eademque certitudine afficitur (per prop. 43. p. 2. et ejus schol.). Quare, sive idea sit
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gleicher Weise beweisen, da auch die Begierde, die einer Trauer entspringt, nicht das Ganze im Blick hat. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Weil also Freude sich in der Regel (nach Lehrsatz 44 dieses Teils) auf einen Teil des K˛rpers bezieht, begehren wir gew˛hnlich, unser Sein in einer Weise zu erhalten, die auf unsere Gesundheit im Ganzen keine Rˇcksicht nimmt; hinzu kommt noch, da die Begierden, die uns am meisten festhalten (nach Folgesatz zu Lehrsatz 9 dieses Teils), nur die Gegenwart und nicht die Zukunft im Blick haben. L e h r s a t z 6 1 . Eine Begierde, die der Vernunft entspringt, kann kein berma haben. B e w e i s : Begierde, blo als solche betrachtet, ist des Menschen Essenz selbst (nach Definition 1 der Affekte), insofern diese als in irgendeiner Weise zu einem Handeln bestimmt begriffen wird; mithin ist eine Begierde, die der Vernunft entspringt, d. h. (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) in uns erzeugt wird, insofern wir aktiv sind, des Menschen Essenz oder Natur selbst, insofern diese als dazu bestimmt begriffen wird, solches zu tun, das durch des Menschen Essenz allein adquat begriffen wird (nach Definition 2 des 3. Teils). K˛nnte deshalb eine solche Begierde ein berma haben, dann k˛nnte die menschliche Natur, allein in sich betrachtet, ˇber sich selbst hinausgehen, d. h., sie k˛nnte mehr als sie kann, was ein offensichtlicher Widerspruch ist; somit kann diese Begierde kein berma haben. W. z. b. w. L e h r s a t z 6 2 . Insofern der Geist Dinge nach dem Gebot der Vernunft begreift, wird er gleichmig affiziert, mag die Idee die eines zukˇnftigen, gegenwrtigen oder vergangenen Dinges sein. B e w e i s : Was auch immer der Geist, geleitet von Vernunft, begreift, begreift er unter demselben Gesichtspunkt von Ewigkeit oder Notwendigkeit (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 44 des 2. Teils), und er wird dabei mit derselben Gewiheit affiziert (nach Lehrsatz 43 des 2. Teils einschlielich An-
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rei futurae vel praeteritae sive praesentis, mens eadem necessitate rem concipit eademque certitudine afficitur, et, sive idea sit rei futurae vel praeteritae sive praesentis, erit nihilominus aeque vera (per prop. 41. p. 2.), hoc est (per defin. 4. p. 2.) habebit nihilominus semper easdem ideae adaequatae proprietates; atque adeo quatenus mens ex rationis dictamine res concipit, eodem modo afficitur, sive idea sit rei futurae vel praeteritae sive praesentis. Q. e. d. S c h o l i u m . Si nos de rerum duratione adaequatam cognitionem habere earumque existendi tempora ratione determinare possemus, eodem affectu res futuras ac praesentes contemplaremur, et bonum, quod mens ut futurum conciperet, perinde ac praesens appeteret, et consequenter bonum praesens minus pro majori bono futuro necessario negligeret, et quod in praesenti bonum esset, sed causa futuri alicujus mali, minime appeteret, ut mox demonstrabimus. Sed nos de duratione rerum (per prop. 31. p. 2.) non nisi admodum inadaequatam cognitionem habere possumus, et rerum existendi tempora (per schol. prop. 44. p. 2.) sola imaginatione determinamus, quae non aeque afficitur imagine rei praesentis ac futurae; unde fit, ut vera boni et mali cognitio, quam habemus, non nisi abstracta sive universalis sit, et judicium, quod de rerum ordine et causarum nexu facimus, ut determinare possimus, quid nobis in praesenti bonum aut malum sit, sit potius imaginarium quam reale; atque adeo mirum non est, si cupiditas, quae | ex boni et mali cognitione, quatenus
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merkung). Deshalb gilt: Mag die Idee die eines zukˇnftigen, gegenwrtigen oder vergangenen Dinges sein, der Geist begreift das Ding mit derselben Notwendigkeit und wird mit derselben Gewiheit affiziert; und mag die Idee die eines zukˇnftigen, gegenwrtigen oder vergangenen Dinges sein, sie wird dessen ungeachtet gleichermaen wahr sein (nach Lehrsatz 41 des 2. Teils), d. h. (nach Definition 4 des 2. Teils) dessen ungeachtet immer dieselben Eigenschaften einer adquaten Idee haben; mithin ist der Geist, insofern er Dinge nach dem Gebot der Vernunft begreift, in gleicher Weise affiziert, mag die Idee die eines zukˇnftigen, gegenwrtigen oder vergangenen Dinges sein. W. z. b. w. A n m e r k u n g : K˛nnten wir von der Dauer von Dingen adquate Erkenntnis haben und deren zeitliche Existenz von der Vernunft her bestimmen, wˇrden wir zukˇnftige Dinge mit demselben Affekt betrachten wie gegenwrtige, und nach dem Guten, das der Geist als zukˇnftig begreift, genauso verlangen wie nach dem, das er als gegenwrtig begreift; und folglich wˇrde er notwendigerweise ein geringeres gegenwrtiges Gutes mit Blick auf ein gr˛eres zukˇnftiges hintansetzen und nach dem, was gegenwrtig gut, aber Ursache eines zukˇnftigen Schlechten ist, ˇberhaupt nicht verlangen, wie wir bald beweisen werden. Doch k˛nnen wir von der Dauer von Dingen (nach Lehrsatz 31 des 2. Teils) nur eine ganz inadquate Erkenntnis haben, und deren zeitliche Existenz bestimmen wir (nach Anmerkung zu Lehrsatz 44 des 2. Teils) nur von der Vorstellungskraft her, die von dem Vorstellungsbild eines gegenwrtigen und zukˇnftigen Dinges nicht gleichermaen affiziert wird. Das macht es, da die wahre Erkenntnis, die wir von dem Guten und dem Schlechten haben, lediglich abstrakt oder allgemein ist und unser Urteil ˇber die Ordnung von Dingen und die Verknˇpfung von Ursachen fˇr die Bestimmung dessen, was in der Gegenwart fˇr uns gut oder schlecht ist, eher imaginr als von wirklicher Bedeutung ist. Mithin ist es kein Wunder, wenn die Begierde, die einer Erkenntnis des Guten und Schlechten unter Berˇcksichtigung der Zu-
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haec futurum prospicit, oritur, facilius rerum cupiditate, quae in praesentia suaves sunt, coerceri potest, de quo vide propositionem 16. hujus partis.
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P r o p o s i t i o L X I I I . Qui metu ducitur et bonum, ut malum vitet, agit, is ratione non ducitur. D e m o n s t ra t i o . Omnes affectus, qui ad mentem, quatenus agit, hoc est (per prop. 3. p. 3.) qui ad rationem referuntur, nulli alii sunt quam affectus laetitiae et cupiditatis (per prop. 59. p. 3.); atque adeo (per 13. affect. defin.) qui metu ducitur et bonum timore mali agit, is ratione non ducitur. Q. e. d. S c h o l i u m . Superstitiosi, qui vitia exprobrare magis quam virtutes docere norunt, et qui homines non ratione ducere, sed metu ita continere student, ut malum potius fugiant quam virtutes ament, nil aliud intendunt, quam ut reliqui aeque ac ipsi fiant miseri, et ideo non mirum, si plerumque molesti et odiosi sint hominibus. C o r o l l a r i u m . Cupiditate, quae ex ratione oritur, bonum directe sequimur et malum indirecte fugimus. D e m o n s t ra t i o . Nam cupiditas, quae ex ratione oritur, ex solo laetitiae affectu, quae passio non est, oriri potest (per prop. 59. p. 3.), hoc est ex laetitia, quae excessum habere nequit (per prop. 61. hujus), non autem ex tristitia, ac proinde haec cupiditas (per prop. 8. hujus) ex cognitione boni, non autem mali oritur; atque adeo ex ductu rationis bonum directe appetimus et eatenus tantum malum fugimus. Q. e. d.
IV. Teil ˝ Von menschlicher Knechtschaft
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kunft entspringt, von einer Begierde nach Dingen, die im Augenblick angenehm sind, ziemlich leicht gehemmt werden kann, worˇber man Lehrsatz 16 dieses Teils nachsehen m˛ge. L e h r s a t z 6 3 . Wer von Furcht geleitet wird und Gutes tut, um Schlechtes zu vermeiden, wird nicht von der Vernunft geleitet. B e w e i s : Alle Affekte, die dem Geist, insofern er aktiv ist, d. h. (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) der Vernunft zuzurechnen sind, sind lediglich solche der Freude und Begierde (nach Lehrsatz 59 des 3. Teils); wer von Furcht geleitet wird und Gutes aus Angst vor etwas Schlechtem tut, wird mithin (nach Definition 13 der Affekte) nicht von der Vernunft geleitet. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Die Aberglubischen, die sich besser darin auskennen, Menschen Laster vorzuhalten als ihnen Tugenden zu lehren, und die danach trachten, Menschen nicht aus Vernunft zu leiten, sondern ˇber Furcht so in Schranken zu halten, da sie lieber das Schlechte meiden als an Tugenden Gefallen finden, sind auf nichts anderes aus, als da andere ein ebenso rmliches Leben fˇhren wie sie selbst, so da es nicht verwunderlich ist, da sie in der Regel den Menschen lstig fallen und verhat sind. Fo l g e s a t z : In einer Begierde, die der Vernunft entspringt, folgen wir unmittelbar dem Guten und meiden mittelbar das Schlechte. B e w e i s : Denn eine Begierde, die der Vernunft entspringt, kann allein einem Affekt der Freude, der keine Leidenschaft ist, entspringen (nach Lehrsatz 59 des 3. Teils), d. h. einer Freude, die kein berma haben kann (nach Lehrsatz 61 dieses Teils); nicht aber kann sie einer Trauer entspringen, und deshalb entspringt diese Begierde (nach Lehrsatz 8 dieses Teils) einer Erkenntnis des Guten und nicht des Schlechten. Mithin verlangen wir vernunftgeleitet unmittelbar nach dem Guten und meiden nur in diesem Mae das Schlechte. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Explicatur hoc corollarium exemplo aegri et sani. Comedit aeger id, quod aversatur, timore mortis; sanus autem cibo gau|det et vita sic melius fruitur, quam si mortem timeret eamque directe vitare cuperet. Sic judex, qui non odio aut ira etc., sed solo amore salutis publicae reum mortis damnat, sola ratione ducitur. P r o p o s i t i o L X I V. Cognitio mali cognitio est inadaequata. D e m o n s t ra t i o . Cognitio mali (per prop. 8. hujus) est ipsa tristitia, quatenus ejusdem sumus conscii. Tristitia autem est transitio ad minorem perfectionem (per 3. affect. defin.), quae propterea per ipsam hominis essentiam intelligi nequit (per prop. 6. et 7. p. 3.); ac proinde (per defin. 2. p. 3.) passio est, quae (per prop. 3. p. 3.) ab ideis inadaequatis pendet, et consequenter (per prop. 29. p. 2.) ejus cognitio, nempe mali cognitio, est inadaequata. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur, quod si mens humana non nisi adaequatas haberet ideas, nullam mali formaret notionem. P r o p o s i t i o L X V. De duobus bonis majus et de duobus malis minus ex rationis ductu sequemur. D e m o n s t ra t i o . Bonum, quod impedit, quominus majore bono fruamur, est revera malum; malum enim et bonum (ut in praefat. hujus ostendimus) de rebus dicitur, quatenus easdem ad invicem comparamus, et (per eandem rationem) malum minus revera bonum est, quare (per coroll. prop. 63. hujus) ex rationis ductu bonum tantum majus et malum minus appetemus seu sequemur. Q. e. d.
26 - 27 prop. 63. hujus] prop. praec. korr. Gebhardt
IV. Teil ˝ Von menschlicher Knechtschaft
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A n m e r k u n g : Dieser Folgesatz sei am Beispiel eines Kranken und eines Gesunden erlutert. Der Kranke schluckt, aus Angst vor dem Tod, was ihm zuwider ist, whrend der Gesunde seine Freude am Essen hat und so sein Leben besser geniet, als wenn er vor dem Tod sich ngstigte und unmittelbar begehrte, ihm zu entgehen. hnlich wird ein Richter, der nicht aus Ha oder Zorn und dergleichen, sondern blo aus Liebe zum ˛ffentlichen Wohl einen Schuldigen zum Tod verurteilt, allein von der Vernunft geleitet. L e h r s a t z 6 4 . Die Erkenntnis des Schlechten ist eine inadquate Erkenntnis. B e w e i s : Die Erkenntnis des Schlechten ist (nach Lehrsatz 8 dieses Teils) Trauer selbst, insofern wir uns ihrer bewut sind. Und Trauer ist ein bergang zu einer geringeren Vollkommenheit (nach Definition 3 der Affekte), die deshalb durch des Menschen Essenz selbst nicht eingesehen werden kann (nach Lehrsatz 6 und 7 des 3. Teils); somit ist sie (nach Definition 2 des 3. Teils) eine Leidenschaft, die (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) auf inadquaten Ideen beruht. Und folglich ist (nach Lehrsatz 29 des 2. Teils) deren Erkenntnis, nmlich die Erkenntnis des Schlechten, inadquat. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Daraus folgt, da, wenn der menschliche Geist nichts als adquate Ideen htte, er keinen Begriff des Schlechten bildete. L e h r s a t z 6 5 . Vernunftgeleitet werden wir von zwei Gˇtern das gr˛ere und von zwei beln das kleinere befolgen. B e w e i s : Etwas Gutes, das uns daran hindert, ein gr˛eres Gut zu genieen, ist in Wahrheit etwas Schlechtes. Gut und schlecht werden Dinge nmlich (wie wir im Vorwort zu diesem Teil gezeigt haben) insofern genannt, als wir sie miteinander vergleichen. Und ein kleineres bel ist (aus demselben Grund) in Wahrheit ein Gut; deshalb werden wir (nach Folgesatz zu Lehrsatz 63 dieses Teils) vernunftgeleitet nur nach dem gr˛eren Gut und dem kleineren bel verlangen, d. h. es befolgen. W. z. b. w.
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C o r o l l a r i u m . Malum minus pro majore bono ex rationis ductu sequemur et bonum minus, quod causa est majoris mali, negligemus. Nam malum, quod hic dicitur minus, revera bonum est et bonum | contra malum, quare (per coroll. prop. 63. hujus) illud appetemus et hoc negligemus. Q. e. d. P r o p o s i t i o L X V I . Bonum majus futurum prae minore praesenti et malum praesens minus prae majore futuro ex rationis ductu appetemus. D e m o n s t ra t i o . Si mens rei futurae adaequatam posset habere cognitionem, eodem affectu erga rem futuram ac erga praesentem afficeretur (per prop. 62. hujus); quare quatenus ad ipsam rationem attendimus, ut in hac propositione nos facere supponimus, res eadem est, sive majus bonum vel malum futurum sive praesens supponatur; ac proinde (per prop. 65. hujus) bonum futurum majus prae minore praesenti etc. appetemus. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Malum praesens minus, quod est causa majoris futuri boni, ex rationis ductu appetemus et bonum praesens minus, quod causa est majoris futuri mali, negligemus. Hoc coroll. se habet ad praeced. prop. ut coroll. prop. 65. ad ipsam prop. 65. S c h o l i u m . Si igitur haec cum iis conferantur, quae in hac parte usque ad propositionem 18. de affectuum viribus ostendimus, facile videbimus, quid homo, qui solo affectu seu opinione, homini, qui ratione ducitur, intersit. Ille enim, velit nolit, ea, quae maxime ignorat, agit; hic autem nemini,
5 prop. 63. hujus] prop. praec. korr. Gebhardt 7 prae majore futuro] quod causa est futuri alicujus mali korr. Gebhardt (mit Druckfehler : majori statt majore)
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Fo l g e s a t z : Vernunftgeleitet werden wir ein kleineres bel um eines gr˛eren Gutes willen befolgen und ein kleineres Gut, das die Ursache eines gr˛eren bels ist, liegen lassen. Denn das bel, das hier kleiner genannt wird, ist in Wahrheit gut und das [erwhnte] Gut andererseits schlecht, weshalb wir (nach Folgesatz zu Lehrsatz 63 dieses Teils) nach jenem verlangen und dieses liegen lassen werden. W. z. b. w. L e h r s a t z 6 6 . Vernunftgeleitet werden wir nach einem gr˛eren zukˇnftigen Gut, es einem kleineren gegenwrtigen vorziehend, verlangen und nach einem kleineren gegenwrtigen bel, es einem gr˛eren zukˇnftigen vorziehend. B e w e i s : K˛nnte der Geist eine adquate Erkenntnis eines zukˇnftigen Dinges haben, wˇrde er ihm gegenˇber mit demselben Affekt affiziert werden wie gegenˇber einem gegenwrtigen Ding (nach Lehrsatz 62 dieses Teils). Insofern wir die Vernunft selbst im Blick haben ^ was in diesem Lehrsatz vorausgesetzt ist ^ , bleibt es sich deshalb gleich, ob das gr˛ere Gut oder bel als zukˇnftig oder gegenwrtig angenommen wird; somit werden wir (nach Lehrsatz 65 dieses Teils) nach einem gr˛eren zukˇnftigen Gut, es einem kleineren gegenwrtigen vorziehend, verlangen usw. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Vernunftgeleitet werden wir nach einem kleineren gegenwrtigen bel verlangen, das die Ursache eines gr˛eren zukˇnftigen Gutes ist, und ein kleineres gegenwrtiges Gut liegen lassen, das die Ursache eines gr˛eren zukˇnftigen bels ist. Dieser Folgesatz verhlt sich zu vorigem Lehrsatz wie der Folgesatz zu Lehrsatz 65 zu diesem Lehrsatz. A n m e r k u n g : Vergleichen wir das zuletzt Dargelegte mit dem, was wir in diesem Teil bis zu Lehrsatz 18 hinsichtlich der Krfte der Affekte gezeigt haben, werden wir leicht sehen, was der Unterschied ist zwischen einem Menschen, der blo von Affektivitt, d. h. von bloer Meinung, geleitet ist, und einem, der sich von der Vernunft leiten lt. Jener nmlich tut, mag er wollen oder nicht, Dinge, von denen er im h˛chsten Mae nichts wei, whrend dieser niemandem
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nisi sibi, morem gerit et ea tantum agit, quae in vita prima esse novit quaeque propterea maxime cupit, et ideo illum servum, hunc autem liberum voco, de cujus ingenio et vivendi ratione pauca adhuc notare libet.| 5
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P r o p o s i t i o L X V I I . Homo liber de nulla re minus quam de morte cogitat, et ejus sapientia non mortis, sed vitae meditatio est. D e m o n s t ra t i o . Homo liber, hoc est, qui ex solo rationis dictamine vivit, mortis metu non ducitur (per prop. 63. hujus), sed bonum directe cupit (per coroll. ejusdem prop.), hoc est (per prop. 24. hujus) agere, vivere, suum esse conservare ex fundamento proprium utile quaerendi; atque adeo nihil minus quam de morte cogitat; sed ejus sapientia vitae est meditatio. Q. e. d. P r o p o s i t i o L X V I I I . Si homines liberi nascerentur, nullum boni et mali formarent conceptum, quamdiu liberi essent. D e m o n s t ra t i o . Illum liberum esse dixi, qui sola ducitur ratione; qui itaque liber nascitur et liber manet, non nisi adaequatas ideas habet, ac proinde mali conceptum habet nullum (per coroll. prop. 64. hujus) et consequenter (nam bonum et malum correlata sunt) neque boni. Q. e. d. S c h o l i u m . Hujus propositionis hypothesin falsam esse nec posse concipi, nisi quatenus ad solam naturam humanam seu potius ad Deum attendimus, non quatenus infinitus, sed quatenus tantummodo causa est, cur homo existat, patet ex 4. propositione hujus partis. Atque hoc et alia, quae jam demonstravimus, videntur a Mose significari in illa primi hominis historia. In ea enim nulla alia Dei potentia concipitur quam
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folgt als sich selbst und nur das tut, von dem er wei, da es das Wichtigste im Leben ist, und das er deshalb im h˛chsten Mae begehrt. Und deshalb nenne ich jenen einen Knecht, diesen aber einen Freien, ˇber dessen Sinnesart und Lebensfˇhrung ich noch einiges mehr bemerken m˛chte. L e h r s a t z 6 7. Ein freier Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod; und seine Weisheit ist ein Nachdenken ˇber das Leben, nicht ˇber den Tod. B e w e i s : Ein freier Mensch, d. h. ein solcher, der blo nach dem Gebot der Vernunft lebt, lt sich nicht von Furcht vor dem Tod leiten (nach Lehrsatz 63 dieses Teils), sondern begehrt unmittelbar das Gute (nach Folgesatz zu dem genannten Lehrsatz); d. h. (nach Lehrsatz 24 dieses Teils) er begehrt zu handeln, zu leben und sein Sein zu erhalten auf der Basis, den eigenen Vorteil zu suchen. Mithin denkt er an nichts weniger als an den Tod; seine Weisheit ist vielmehr ein Nachdenken ˇber das Leben. W. z. b. w. L e h r s a t z 6 8 . Wˇrden Menschen frei geboren, wˇrden sie, solange sie frei blieben, keinen Begriff von gut und schlecht bilden. B e w e i s : Den habe ich frei genannt, der sich blo von der Vernunft leiten lt. Wer also frei geboren wird und frei bleibt, hat nur adquate Ideen und somit keinen Begriff von schlecht (nach Folgesatz zu Lehrsatz 64 dieses Teils); und folglich (da gut und schlecht korrelierende Begriffe sind) hat er auch keinen von gut. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Aus Lehrsatz 4 diesesTeils ist evident, da die Voraussetzung dieses Lehrsatzes falsch ist und sich nur begreifen lt, wenn wir allein die menschliche Natur im Blick haben oder, besser gesagt, Gott, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er blo Ursache der Existenz des Menschen ist. Dieses und anderes, was wir jetzt bewiesen haben, scheint von Moses in jener Geschichte vom ersten Menschen angedeutet worden zu sein. In ihr ist nmlich von keiner anderen Macht Gottes die Rede als von der, mit der er
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illa, qua hominem creavit, hoc est potentia, qua hominis solummodo utilitati consuluit; atque eatenus narratur, quod Deus homini libero prohibuerit, ne de arbore cognitionis boni et mali comederet, et quod, simulac de ea comederet, statim mortem metueret potius quam vivere cuperet. | Deinde, quod inventa ab homine uxore, quae cum sua natura prorsus conveniebat, cognovit nihil posse in natura dari, quod ipsi posset illa esse utilius; sed quod, postquam bruta sibi similia esse credidit, statim eorum affectus imitari inceperit (vide prop. 27. p. 3.), et libertatem suam amittere, quam Patriarchae postea recuperaverunt, ducti spiritu Christi, hoc est Dei idea, a qua sola pendet, ut homo liber sit et ut bonum, quod sibi cupit, reliquis hominibus cupiat, ut supra (per prop. 37. hujus) demonstravimus. P r o p o s i t i o L X I X . Hominis liberi virtus aeque magna cernitur in declinandis quam in superandis periculis. D e m o n s t ra t i o . Affectus coerceri nec tolli potest nisi affectu contrario et fortiore affectu coercendo (per prop. 7. hujus). At caeca audacia et metus affectus sunt, qui aeque magni possunt concipi (per prop. 5. et 3. hujus). Ergo aeque magna animi virtus seu fortitudo (hujus definitionem vide in schol. prop. 59. p. 3.) requiritur ad audaciam quam ad metum coercendum, hoc est (per 40. et 41. affect. defin.), homo liber eadem animi virtute pericula declinat, qua eadem superare tentat. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Homini igitur libero aeque magnae animositati fuga in tempore ac pugna ducitur; sive homo liber
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den Menschen geschaffen hat, d. h. von der, mit der er auf den Vorteil blo des Menschen bedacht gewesen ist. Unter diesem Gesichtspunkt wird uns erzhlt, da Gott einem freien Menschen verboten habe, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Schlechten zu essen, und da der Mensch, sobald er davon e, auf der Stelle den Tod fˇrchtete, eher als da er zu leben begehrte; ferner, da der Mensch, nachdem er eine Frau gefunden hatte, die mit seiner Natur v˛llig ˇbereinstimmte, wute, da es in der Natur nichts geben k˛nne, das ihm nˇtzlicher sein k˛nnte als sie; da er aber, als er glaubte, die niederen Lebewesen seien ihm hnlich, sich auf der Stelle daran gemacht hatte, deren Affekte nachzuahmen (siehe Lehrsatz 27 des 3. Teils), womit er seine Freiheit zu verlieren begann, die spter die Patriarchen wiedererlangt haben, geleitet vom Geist Christi, d. h. von der Idee Gottes, auf der unserem Nachweis zufolge (in Lehrsatz 37 dieses Teils) es allein beruht, da der Mensch frei ist und das Gute, das er fˇr sich begehrt, [auch] fˇr andere Menschen begehrt. L e h r s a t z 6 9. Die Tugend eines freien Menschen erweist sich als gleich gro im Vermeiden wie im berwinden von Gefahren. B e w e i s : Gehemmt oder aufgehoben werden kann ein Affekt nur von einem entgegengesetzten Affekt, der strker ist als der zu hemmende Affekt (nach Lehrsatz 7 dieses Teils). Nun sind blinde Kˇhnheit und Furcht Affekte, die als gleich gro begriffen werden k˛nnen (nach Lehrsatz 5 und 3 dieses Teils). Also ist eine gleich groe Tugend des Geistes oder Charakterstrke (siehe deren Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 59 des 3. Teils) erforderlich, um mit Kˇhnheit wie mit Furcht zu Rande zu kommen, d. h. (nach Definiton 40 und 41 der Affekte), ein freier Mensch weicht Gefahren mit derselben Tugend des Geistes aus, mit der er ihrer Herr zu werden sucht. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Einem freien Menschen wird also eine Flucht zur rechten Zeit als ebenso groes Selbstvertrauen angerechnet wie das Sicheinlassen in ein Gefecht; anders for-
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eadem animositate seu animi praesentia qua certamen fugam eligit. S c h o l i u m . Quid animositas sit vel quid per ipsam intelligam, in scholio prop. 59. p. 3. explicui. Per periculum autem id omne intelligo, quod potest esse causa alicujus mali, nempe tristitiae, odii, discordiae, etc. P r o p o s i t i o L X X . Homo liber, qui inter ignaros vivit, eorum, quantum potest, beneficia declinare studet. | D e m o n s t ra t i o . Unusquisque ex suo ingenio judicat, quid bonum sit (vide schol. prop. 39. p. 3.); ignarus igitur, qui in aliquem beneficium contulit, id ex suo ingenio aestimabit, et si minoris ab eo, cui datum est, aestimari videt, contristabitur (per prop. 42. p. 3.). At homo liber reliquos homines amicitia sibi jungere (per prop. 37. hujus), nec paria hominibus beneficia ex eorum affectu referre, sed se et reliquos libero rationis judicio ducere et ea tantum agere studet, quae ipse prima esse novit; ergo homo liber, ne ignaris odio sit et ne eorum appetitui, sed soli rationi obsequatur, eorum beneficia, quantum potest, declinare conabitur. Q. e. d. S c h o l i u m . Dico quantum potestß. Nam quamvis homines ignari sint, sunt tamen homines, qui in necessitatibus humanum auxilium, quo nullum praestabilius est, adferre queunt; atque adeo saepe fit, ut necesse sit ab iisdem beneficium accipere et consequenter iisdem contra ex eorum ingenio congratulari; ad quod accedit, quod etiam in declinandis beneficiis cautio esse debet, ne videamur eosdem contemne-
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muliert, ein freier Mensch whlt die Flucht mit demselben Selbstvertrauen oder derselben Geistesgegenwart wie den Kampf. A n m e r k u n g : Was Selbstvertrauen ist, oder was ich darunter verstehe, habe ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 59 des 3. Teils erlutert. Und unter Gefahr verstehe ich all das, was die Ursache von irgendetwas Schlechtem wie Trauer, Ha, Zwietracht und dergleichen sein kann. L e h r s a t z 7 0 . Ein freier Mensch, der unter Unwissenden lebt, ist, soviel er kann, darauf aus, deren Wohltaten von sich fernzuhalten. B e w e i s : Ein jeder beurteilt nach seiner Sinnesart, was gut ist (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 39 des 3. Teils). Der Unwissende, der jemandem eine Wohltat erwiesen hat, wird dies also nach seiner Sinnesart einschtzen und traurig sein, wenn er sieht, da sein Tun von dem Adressaten weniger geschtzt wird (nach Lehrsatz 42 des 3. Teils). Nun ist ein freier Mensch darauf aus, mit anderen Menschen ein Band der Freundschaft zu knˇpfen (nach Lehrsatz 37 dieses Teils), nicht aber sich ihnen mit Wohltaten zuzuwenden, die in ihren Augen gleichwertig sind; er ist vielmehr darauf aus, sich und die anderen nach dem freien Urteil der Vernunft zu leiten und nur das zu tun, von dem er selbst wei, da es das Wichtigste ist. Um den Unwissenden nicht Anla zu Ha zu geben und um nicht ihrem Verlangen, sondern der Vernunft allein zu willfahren, wird ein freier Mensch also streben, soviel er kann, deren Wohltaten von sich fernzuhalten. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Ich sage soviel er kannß. Denn m˛gen Menschen auch unwissend sein, sie sind doch Menschen, die in Fllen der Not eine menschliche Hilfe, die nun einmal die beste ist, leisten k˛nnen. Mithin ist es oft unumgnglich, von ihnen eine Wohltat anzunehmen und folglich ihnen dafˇr in einer Weise Dank zu sagen, die [sie] nach ihrer Sinnesart [akzeptieren]. Hinzu kommt noch, da auch im Ausschlagen von Wohltaten Vorsicht geboten ist, soll doch nicht der An-
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re vel prae avaritia remunerationem timere, atque ita dum eorum odium fugimus, eo ipso in eorum offensionem incurramus. Quare in declinandis beneficiis ratio utilis et honesti habenda est. 5
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P r o p o s i t i o L X X I . Soli homines liberi erga se invicem gratissimi sunt. D e m o n s t ra t i o . Soli homines liberi sibi invicem utilissimi sunt et maxima amicitiae necessitudine invicem junguntur (per prop. 35. hujus et ejus coroll. 1.) parique amoris studio sibi invicem benefacere conantur (per prop. 37. hujus); adeoque (per 34. affect. defin.) soli homines liberi erga se invicem gratissimi sunt. Q. e. d. S c h o l i u m . Gratia, quam homines, qui caeca cupiditate ducuntur, invi|cem habent, mercatura seu aucupium potius quam gratia plerumque est. Porro ingratitudo affectus non est. Est tamen ingratitudo turpis, quia plerumque hominem nimio odio, ira, vel superbia vel avaritia etc. affectum esse indicat. Nam qui prae stultitia dona compensare nescit, ingratus non est et multo minus ille, qui donis non movetur meretricis, ut ipsius libidini inserviat, nec furis, ut ipsius furta celet, vel alterius similis. Nam hic contra animum habere constantem ostendit, qui scilicet se nullis donis ad suam vel communem perniciem patitur corrumpi. P r o p o s i t i o L X X I I . Homo liber nunquam dolo mali, sed semper cum fide agit. D e m o n s t ra t i o . Si liber homo quicquam dolo malo, quatenus liber est, ageret, id ex dictamine rationis ageret
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schein erweckt werden, man verachte diese Menschen oder scheue aus Geiz eine Gegenleistung ^ die Einstellung, mit der wir ihrem Ha auszuweichen suchen, wˇrde ihn dann gerade provozieren. Deshalb ist im Ausschlagen von Wohltaten nicht nur zu berˇcksichtigen, was nˇtzlich ist, sondern auch was sich geh˛rt. L e h r s a t z 7 1 . Nur freie Menschen sind einander im h˛chsten Mae dankbar. B e w e i s : Nur freie Menschen sind einander im h˛chsten Mae nˇtzlich und mit einem wirklich festen Band von Freundschaft miteinander verbunden (nach Lehrsatz 35 dieses Teils einschlielich Folgesatz 1), und nur sie streben mit gleichem Liebeseifer einander wohlzutun (nach Lehrsatz 37 dieses Teils); mithin sind (nach Definition 34 der Affekte) nur freie Menschen einander im h˛chsten Mae dankbar. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Die Dankbarkeit, die von blinder Begierde geleitete Menschen einander entgegenbringen, ist in der Regel eher ein Kaufmannsgeschft im Stil der Vogelfngerei als Dankbarkeit. Was Undankbarkeit anbelangt, sie ist kein Affekt; unanstndig ist sie gleichwohl, weil sie in der Regel einen Menschen zu erkennen gibt, der mit zu viel Ha, Zorn, Hochmut und Habgier affiziert ist. Denn wer aus Dummheit nicht versteht, Geschenke zu vergelten, ist nicht undankbar; viel weniger ist es der, der von den Geschenken einer Lebedame sich nicht bewegen lt, ihrer Lust gefllig zu sein, noch von denen eines Diebes, dessen Diebsthle zu verhehlen, noch von denen anderer Leute dieses Zuschnitts. Im Gegenteil zeigt der einen standhaften Sinn, der sich von keinen Geschenken verfˇhren lt, sich selbst oder sich zusammen mit anderen zu ruinieren. L e h r s a t z 7 2 . Ein freier Mensch handelt niemals arglistig, sondern stets loyal. B e w e i s : Wenn ein freier Mensch etwas arglistig tte, insofern er frei ist, tte er es nach dem Gebot der Vernunft
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(nam eatenus tantum liber a nobis appellatur); atque adeo dolo malo agere virtus esset (per prop. 24. hujus), et consequenter (per eandem prop.) unicuique ad suum esse conservandum consultius esset dolo malo agere, hoc est (ut per se notum), hominibus consultius esset verbis solummodo convenire, re autem invicem esse contrarios, quod (per coroll. prop. 31. hujus) est absurdum. Ergo homo liber etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Si jam quaeratur, quid si homo se perfidia a praesenti mortis periculo posset liberare, an non ratio suum esse conservandi omnino suadet, ut perfidus sit? Respondebitur eodem modo, quod si ratio id suadeat, suadet ergo id omnibus hominibus, atque adeo ratio omnino suadet hominibus, ne nisi dolo malo paciscantur, vires conjungere et jura habere communia, hoc est ne revera jura habeant communia, quod est absurdum. P r o p o s i t i o L X X I I I . Homo, qui ratione ducitur, magis in civitate, ubi ex communi decreto vivit, quam in solitudine, ubi sibi soli obtemperat, liber est. | D e m o n s t ra t i o . Homo, qui ratione ducitur, non ducitur metu ad obtemperandum (per prop. 63. hujus); sed quatenus suum esse ex rationis dictamine conservare conatur, hoc est (per schol. prop. 66. hujus) quatenus libere vivere conatur, communis vitae et utilitatis rationem tenere (per prop. 37. hujus) et consequenter (ut in schol. 2. prop. 37. hujus ostendimus) ex communi civitatis decreto vivere cupit. Cupit ergo homo, qui ratione ducitur, ut liberius vivat, communia civitatis jura tenere. Q. e. d.
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(denn nur insofern nennen wir ihn frei); mithin wre arglistig handeln eine Tugend (nach Lehrsatz 24 dieses Teils), und folglich wre es (nach dem genannten Lehrsatz) fˇr jeden ratsamer, arglistig zu handeln, um sein Sein zu erhalten. D. h. (wie sich von selbst versteht), es wre fˇr Menschen ratsamer, blo in Worten ˇbereinzukommen, in der Sache aber einander entgegengesetzt zu sein, was (nach Folgesatz zu Lehrsatz 31 dieses Teils) widersinnig ist. Also, ein freier Mensch usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Fragte jetzt jemand: Was ist, wenn sich ein Mensch aus momentaner Todesgefahr mit Unredlichkeit befreien k˛nnte ^ riete dann nicht das Prinzip der Selbsterhaltung durchaus, unredlich zu sein? Die Antwort darauf wird dieselbe sein. Wenn die Vernunft dies riete, riete sie es allen Menschen; mithin riete sie ohne Einschrnkung, Menschen sollten bereinkˇnfte mit dem Ziel, ihre Krfte zu verbinden und gemeinsame Rechtsgesetze zu besitzen, nur arglistig treffen, d. h. so, da sie in Wirklichkeit gar keine gemeinsamen Rechtsgesetze haben, was widersinnig ist. L e h r s a t z 7 3 . Ein Mensch, der sich von der Vernunft leiten lt, ist freier in einem Staat, wo er nach einem gemeinsamen Beschlu lebt, als in einem Alleinsein, in dem er nur sich selbst gehorcht. B e w e i s : Ein Mensch, der sich von der Vernunft leiten lt, wird nicht von Furcht dazu gebracht zu gehorchen (nach Lehrsatz 63 dieses Teils); insofern er strebt, sein Sein nach dem Gebot der Vernunft zu erhalten, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 66 dieses Teils) insofern er strebt, frei zu leben, begehrt er vielmehr, an dem Prinzip eines gemeinsamen Lebens und eines gemeinsamen Vorteils festzuhalten (nach Lehrsatz 37 dieses Teils) und folglich (wie wir in der Anmerkung 2 zu Lehrsatz 37 dieses Teils gezeigt haben) nach dem gemeinsamen Beschlu des Staates zu leben. Ein Mensch, der sich von der Vernunft leiten lt, begehrt also, um freier zu leben, die gemeinsamen Rechtsgesetze des Staates einzuhalten. W. z. b. w.
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S c h o l i u m . Haec et similia, quae de vera hominis libertate ostendimus, ad fortitudinem, hoc est (per schol. prop. 59. p. 3.) ad animositatem et generositatem referuntur. Nec operae pretium duco omnes fortitudinis proprietates hic separatim demonstrare, et multo minus, quod vir fortis neminem odio habeat, nemini irascatur, invideat, indignetur, neminem despiciat minimeque superbiat. Nam haec et omnia, quae ad veram vitam et religionem spectant, facile ex propositione 37. et 46. hujus partis convincuntur; nempe quod odium amore contra vincendum sit, et quod unusquisque, qui ratione ducitur, bonum, quod sibi appetit, reliquis etiam ut sit cupiat. Ad quod accedit id, quod in scholio propositionis 50. hujus partis et aliis in locis notavimus, quod scilicet vir fortis hoc apprime consideret, nempe quod omnia ex necessitate divinae naturae sequantur, ac proinde quicquid molestum et malum esse cogitat, et quicquid praeterea impium, horrendum, injustum et turpe videtur, ex eo oritur, quod res ipsas perturbate, mutilate et confuse concipit; et hac de causa apprime conatur res, ut in se sunt, concipere et verae cognitionis impedimenta amovere, ut sunt odium, ira, invidia, irrisio, superbia et reliqua hujusmodi, quae in praecedentibus notavimus; atque adeo, quantum potest, conatur, uti diximus, bene agere et laetari. Quousque autem humana virtus ad haec consequenda se extendat et quid possit, in sequenti parte demonstrabo.|
13 Ad] kein Absatz in OP
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A n m e r k u n g : Dies und hnliches, was wir im Hinblick auf die wahre Freiheit des Menschen aufgezeigt haben, geh˛rt zur Charakterstrke, d. h. (nach Anmerkung zu Lehrsatz 59 des 3. Teils) zu Selbstvertrauen und Edelmut. Ich halte es nicht fˇr n˛tig, alle Eigenschaften der Charakterstrke hier fˇr sich darzulegen, viel weniger noch, da ein Mensch von starkem Charakter niemanden hat, niemandem zˇrnt, niemanden beneidet, sich ˇber niemanden entrˇstet, niemanden unterschtzt und ˇberhaupt nicht hochmˇtig ist. Denn dies und all das, was mit wahrem Leben und mit Religion zu tun hat, lt sich leicht aus Lehrsatz 37 und 46 dieses Teils ˇberzeugend dartun: da nmlich Ha von ihm entgegengesetzter Liebe zu besiegen ist und da ein jeder, der von der Vernunft sich leiten lt, das Gute, nach dem er fˇr sich verlangt, auch fˇr andere begehrt. Hinzu kommt noch, was wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 50 dieses Teils und an anderen Stellen bemerkt haben: Ein Mensch von starkem Charakter bedenkt in erster Linie, da alles aus der Notwendigkeit der g˛ttlichen Natur folgt und somit alles, was er als lstig und schlecht ansieht und was ˇberdies unmoralisch, schrecklich, ungerecht und unanstndig zu sein scheint, dem entspringt, da er die Dinge selbst in einer Weise begreift, die ungeordnet, verstˇmmelt und verworren ist; und genau deshalb strebt er vor allem, die Dinge zu begreifen, wie sie in sich selbst sind, und die Hindernisse wahrer Erkenntnis zu beseitigen, also Ha, Zorn, Neid, Spott, Hochmut und die anderen Affekte, die wir vorhin erwhnt haben. Mithin strebt er, wie gesagt, soviel er kann, gut zu handeln und im Zustand der Freude zu sein. Wieweit nun menschliche Tugend reicht, um dies zu erreichen, und was sie vermag, das will ich im folgenden Teil nachweisen.
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Quae in hac parte de recta vivendi ratione tradidi, non sunt ita disposita, ut uno aspectu videri possint; sed disperse a me demonstrata sunt, prout scilicet unum ex alio facilius deducere potuerim. Eadem igitur hic recolligere et ad summa capita redigere proposui. C a p u t I . Omnes nostri conatus seu cupiditates ex necessitate nostrae naturae ita sequuntur, ut vel per ipsam solam, tanquam per proximam suam causam, possint intelligi, vel quatenus naturae sumus pars, quae per se absque aliis individuis non potest adaequate concipi. C a p u t I I . Cupiditates, quae ex nostra natura ita sequuntur, ut per ipsam solam possint intelligi, sunt illae, quae ad mentem referuntur, quatenus haec ideis adaequatis constare concipitur; reliquae vero cupiditates ad mentem non referuntur, nisi quatenus res inadaequate concipit, et earum vis et incrementum non humana, sed rerum, quae extra nos sunt, potentia definiri debet; et ideo illae recte actiones, hae autem passiones vocantur; illae namque nostram potentiam semper indicant et hae contra nostram impotentiam et mutilatam cognitionem. C a p u t I I I . Nostrae actiones, hoc est cupiditates illae, quae hominis potentia seu ratione definiuntur, semper bonae sunt, reliquae autem tam bonae quam malae possunt esse.|
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C a p u t I V. In vita itaque apprime utile est intellectum seu rationem, quantum possumus, perficere, et in hoc uno sum-
16 earum] quarum korr. Gebhardt
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Anhang Was ich in diesem Teil ˇber die rechte Lebensweise dargelegt habe, ist nicht so geordnet worden, da es sich auf einen Blick erfassen liee; stattdessen habe ich es da und dort bewiesen, so wie ich am leichtesten das eine aus dem anderen ableiten konnte. Ich will es deshalb hier zusammenfassen und in Hauptstze von Wichtigkeit bringen. H a u p t s a t z 1 . Unser Streben insgesamt, d. h. alle unsere Begierden folgen so aus der Notwendigkeit unserer Natur, da sie entweder durch sie allein als durch ihre nchste Ursache eingesehen werden k˛nnen oder insofern, als wir ein Teil der Natur sind, der durch sich ohne andere Individuen nicht adquat begriffen werden kann. H a u p t s a t z 2 . Die Begierden, die aus unserer Natur so folgen, da sie durch sie allein eingesehen werden k˛nnen, sind diejenigen, die sich auf den Geist beziehen, insofern er als aus adquaten Ideen bestehend begriffen wird. Die ˇbrigen Begierden beziehen sich hingegen auf ihn nur insofern, als er Dinge inadquat begreift; ihre Kraft und ihr Anwachsen lt sich nicht von menschlicher Macht her definieren, sondern mu von der Macht der Dinge her definiert werden, die auerhalb von uns sind. Die ersten werden deshalb zu Recht Aktivitten und die zweiten Leidenschaften genannt; denn die ersten zeigen immer unsere Macht an, die anderen hingegen unsere Ohnmacht und verstˇmmelte Erkenntnis. H a u p t s a t z 3 . Unsere Aktivitten, d. h. jene Begierden, die von des Menschen Macht oder Vernunft her definiert werden, sind immer gut, whrend die ˇbrigen [Begierden] bald gut, bald schlecht sein k˛nnen. H a u p t s a t z 4 . Im Leben ist es deshalb besonders nˇtzlich, unseren Verstand in Gestalt der Vernunft, soviel wir k˛nnen, zu vervollkommnen, worin allein des Menschen h˛chstes
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ma hominis felicitas seu beatitudo consistit; quippe beatitudo nihil aliud est quam ipsa animi acquiescentia, quae ex Dei intuitiva cognitione oritur; at intellectum perficere nihil etiam aliud est quam Deum Deique attributa et actiones, quae ex ipsius naturae necessitate consequuntur, intelligere. Quare hominis, qui ratione ducitur, finis ultimus, hoc est summa cupiditas, qua reliquas omnes moderari studet, est illa, qua fertur ad se resque omnes, quae sub ipsius intelligentiam cadere possunt, adaequate concipiendum.
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C a p u t V. Nulla igitur vita rationalis est sine intelligentia, et res eatenus tantum bonae sunt, quatenus hominem juvant, ut mentis vita fruatur, quae intelligentia definitur. Quae autem contra impediunt, quominus homo rationem perficere et rationali vita frui possit, eas solummodo malas esse dicimus.
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C a p u t V I . Sed quia omnia illa, quorum homo efficiens est causa, necessario bona sunt, nihil ergo mali homini evenire potest nisi a causis externis, nempe quatenus pars est totius naturae, cujus legibus humana natura obtemperare et cui infinitis modis pene sese accommodare cogitur.|
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C a p u t V I I . Nec fieri potest, ut homo non sit naturae pars et communem ejus ordinem non sequatur; sed si inter talia individua versetur, quae cum ipsius hominis natura conveniunt, eo ipso hominis agendi potentia juvabitur et fovebitur. At si contra inter talia sit, quae cum ipsius natura minime conveniunt, vix absque magna ipsius mutatione iisdem sese accommodare poterit.
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Glˇck, d. h. seine Glˇckseligkeit, besteht. In der Tat, Glˇckseligkeit ist nichts anderes als jene Zufriedenheit des Gemˇts, die der intuitiven Erkenntnis Gottes entspringt. Und den Verstand vervollkommnen, ist nichts anderes als Gott, Gottes Attribute und Gottes Handlungen, die aus der Notwendigkeit seiner Natur folgen, einsehen. Deshalb ist des vernunftgeleiteten Menschen letztes Ziel, d. h. seine h˛chste Begierde, mit der er alle ˇbrigen zu migen sucht, diejenige, die ihn dahin bringt, sowohl sich wie alle Dinge, die unter seine Einsicht fallen k˛nnen, adquat zu begreifen. H a u p t s a t z 5 . Kein Leben ist also vernˇnftig ohne Einsicht, und Dinge sind allein in dem Mae gut, wie sie dem Menschen helfen, das Leben des Geistes zu genieen, ein Leben, das sich von Einsicht her definieren lt. Schlecht nennen wir andererseits allein die Dinge, die den Menschen daran hindern, seine Vernunft zu vervollkommnen und das vernˇnftige Leben zu genieen. H a u p t s a t z 6 . Weil aber alles, dessen bewirkende Ursache der Mensch [selbst] ist, notwendigerweise gut ist, kann einem Menschen Schlechtes nur von ueren Ursachen her widerfahren, insofern also, als er ein Teil der ganzen Natur ist, deren Gesetzen zu gehorchen und der sich in nahezu unendlich vielen Weisen anzupassen die menschliche Natur gezwungen wird. H a u p t s a t z 7. Es ist unm˛glich fˇr den Menschen, kein Teil der Natur zu sein und der [allen Dingen] gemeinsamen Ordnung der Natur nicht zu folgen. Wenn er sich aber unter solchen Individuen aufhlt, die mit seiner eigenen Natur ˇbereinstimmen, wird eben damit des Menschen Wirkungsmacht gef˛rdert und genhrt werden. Wenn er andererseits unter solchen ist, die mit des Menschen Natur so gut wie gar nicht ˇbereinstimmen, wird er sich ihnen kaum anpassen k˛nnen, ohne sich selbst sehr zu verndern.
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C a p u t V I I I . Quicquid in rerum natura datur, quod judicamus malum esse sive posse impedire, quominus existere et vita rationali frui queamus, id a nobis removere ea via, quae securior videtur, licet, et quicquid contra datur, quod judicamus bonum sive utile esse ad nostrum esse conservandum et vita rationali fruendum, id ad nostrum usum capere et eo quocumque modo uti nobis licet; et absolute id unicuique summo naturae jure facere licet, quod ad ipsius utilitatem conferre judicat. C a p u t I X . Nihil magis cum natura alicujus rei convenire potest quam reliqua ejusdem speciei individua; adeoque (per caput 7.) nihil homini ad suum esse conservandum et vita rationali fruendum utilius datur quam homo, qui ratione ducitur. Deinde quia inter res singulares nihil novimus, quod homine, qui ratione ducitur, sit praestantius, nulla ergo re magis potest unusquisque ostendere, quan|tum arte et ingenio valeat, quam in hominibus ita educandis, ut tandem ex proprio rationis imperio vivant. C a p u t X . Quatenus homines invidia aut aliquo odii affectu in se invicem feruntur, eatenus invicem contrarii sunt, et consequenter eo magis timendi, quo plus possunt quam reliqua naturae individua. C a p u t X I . Animi tamen non armis, sed amore et generositate vincuntur.
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C a p u t X I I . Hominibus apprime utile est consuetudines jungere seseque iis vinculis astringere, quibus aptius de se
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H a u p t s a t z 8 . Was auch immer in der Natur ist und von uns fˇr schlecht gehalten wird, anders formuliert, als etwas angesehen wird, das uns daran hindert, zu existieren und ein vernˇnftiges Leben zu genieen, dˇrfen wir in der Weise, die uns die sicherste zu sein scheint, beseitigen; und andererseits, was auch immer dort vorhanden ist und von uns fˇr gut gehalten wird, anders formuliert, als etwas angesehen wird, das tauglich ist, unser Sein zu erhalten und ein vernˇnftiges Leben zu genieen, dˇrfen wir in unseren eigenen Gebrauch nehmen und in jeder Weise nutzen; uneingeschrnkt formuliert: Einem jeden ist erlaubt, mit h˛chstem Recht der Natur dasjenige zu tun, wovon er meint, da es seinem eigenen Vorteil dient. H a u p t s a t z 9. Nichts kann mehr mit der Natur eines Dinges ˇbereinstimmen als andere Individuen derselben Art; mithin gibt es (nach Hauptsatz 7) nichts, das dem Menschen bei der Erhaltung seines Seins und im Genu eines vernˇnftigen Lebens nˇtzlicher ist als ein Mensch, der sich von der Vernunft leiten lt. Ferner, weil wir unter den Einzeldingen nichts kennen, das vorzˇglicher ist als ein Mensch, der sich von der Vernunft leiten lt, kann jeder den Wert seiner Fertigkeit und seines Talents nicht besser zeigen, als wenn er Menschen so erzieht, da sie am Ende gem der Weisung ihrer eigenen Vernunft leben. H a u p t s a t z 10 . Insofern Neid oder sonst ein Affekt des Hasses Menschen gegeneinander treibt, sind sie einander entgegengesetzt, und folglich sind sie umso mehr zu fˇrchten, je mehr sie, verglichen mit anderen Individuen in der Natur, k˛nnen. H a u p t s a t z 11 . Herzen werden jedoch nicht mit Waffen, sondern mit Liebe und Edelmut besiegt. H a u p t s a t z 1 2 . Den Menschen ist besonders nˇtzlich, Verbindungen einzugehen und sich mit solchen Banden zusam-
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omnibus unum efficiant, et absolute ea agere, quae firmandis amicitiis inserviunt.
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C a p u t X I I I . Sed ad haec ars et vigilantia requiritur. Sunt enim homines varii (nam rari sunt, qui ex rationis praescripto vivunt) et tamen plerumque invidi et magis ad vindictam quam ad misericordiam proclives. Unumquemque igitur ex ipsius ingenio ferre et sese continere, ne eorum affectus imitetur, singularis animi potentiae opus est. At qui contra homines carpere et vitia potius exprobrare quam virtutes docere et hominum animos non firmare, sed frangere norunt, ii et sibi et reliquis molesti sunt; unde multi prae nimia scilicet animi impatientia falsoque|religionis studio inter bruta potius quam inter homines vivere maluerunt; ut pueri vel adolescentes, qui parentum jurgia aequo animo ferre nequeunt, militatum confugiunt et incommoda belli et imperium tyrranidis prae domesticis commodis et paternis admonitionibus eligunt et quidvis oneris sibi imponi patiuntur, dummodo parentes ulciscantur. C a p u t X I V. Quamvis igitur homines omnia plerumque ex sua libidine moderentur, ex eorum tamen communi societate multo plura commoda quam damna sequuntur. Quare satius est eorum injurias aequo animo ferre et studium iis adhibere, quae concordiae et amicitiae conciliandae inserviunt. C a p u t X V. Quae concordiam gignunt, sunt illa, quae ad justitiam, aequitatem et honestatem referuntur. Nam homines praeter id, quod injustum et iniquum est, etiam aegre fe-
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menzuschlieen, die aus ihnen allen am ehesten eine Einheit machen, also ausnahmslos das zu tun, was der Festigung von Freundschaft dient. H a u p t s a t z 13 . Doch sind hierfˇr Fertigkeit und Wachsamkeit erforderlich. Menschen sind nmlich wankelmˇtig (nur wenige gibt es, die nach der Vorschrift der Vernunft leben), dabei aber in der Regel doch voller Neid und mehr zur Rache als zum Mitgefˇhl geneigt. Also ist eine besondere Macht des Gemˇts erforderlich, einen jeden in dessen Sinnesart zu ertragen und sich selbst davor zu hˇten, die Affekte der anderen nachzuahmen. Leute dagegen, die sich darauf verstehen, Menschen zu bekritteln und eher Laster anzuprangern als Tugenden zu lehren, also Menschen in ihrem Gemˇt zu brechen statt zu strken, sind sowohl sich selbst wie den anderen lstig. Das ist es, weshalb viele, aus zu groer Ungeduld und aus falschem religi˛sen Eifer, lieber unter Tieren als unter Menschen haben leben wollen. Wie Kinder sind sie oder wie junge Mnner, die die Vorwˇrfe ihrer Eltern nicht gelassen ertragen k˛nnen und in der Armee Zuflucht suchen ^ sie ziehen die Beschwernisse des Krieges und den Oberbefehl eines tyrannischen Herrschers den Annehmlichkeiten des huslichen Lebens und den Ermahnungen eines Vaters vor; alle Arten von Beschwerlichkeit lassen sie sich auferlegen, nur um Rache an ihren Eltern zu nehmen. H a u p t s a t z 14 . Mag es also auch so sein, da Menschen in der Regel alles nach ihrer sinnlichen Lust gestalten, aus ihrer Gemeinsamkeit in einer Vereinigung ergeben sich dennoch mehr Vorteile als Nachteile. Besser ist es deshalb, Schlechtigkeiten der Menschen mit Gleichmut zu ertragen und seinen Eifer auf das zu richten, was hilft, Menschen in Eintracht und Freundschaft zusammenzubringen. H a u p t s a t z 15 . Was Eintracht hervorbringt, hat im Feld von Gerechtigkeit, Billigkeit und Anstndigkeit seinen Ort. Denn nicht nur was ungerecht und unbillig ist, k˛nnen Men-
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runt, quod turpe habetur sive quod aliquis receptos civitatis mores aspernatur. Amori autem conciliando illa apprime necessaria sunt, quae ad religionem et pietatem spectant. De quibus vide schol. 1. et 2. prop. 37. et schol. prop. 46. et schol. prop. 73. p. 4.
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C a p u t X V I . Solet praeterea concordia ex metu plerumque gigni, sed sine fide. Adde, quod metus ex animi impotentia ori|tur et propterea ad rationis usum non pertinet, ut nec commiseratio, quamvis pietatis speciem prae se ferre videatur.
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C a p u t X V I I . Vincuntur praeterea homines etiam largitate, praecipue ii, qui non habent, unde comparare possint illa, quae ad vitam sustentandam necessaria sunt. Attamen unicuique indigenti auxilium ferre, vires et utilitatem viri privati longe superat. Divitiae namque viri privati longe impares sunt ad id suppeditandum. Unius praeterea viri facultas ingenii limitatior est, quam ut omnes sibi possit amicitia jungere; quare pauperum cura integrae societati incumbit et ad communem tantum utilitatem spectat. C a p u t X V I I I . In benificiis accipiendis et gratia referenda alia prorsus debet esse cura, de qua vide schol. prop. 70. et schol. prop. 71. p. 4. C a p u t X I X . Amor praeterea meretricius, hoc est generandi libido, quae ex forma oritur, et absolute omnis amor, qui
17 ingenii] von Gebhardt in Anlehnung an die Errata gestrichen
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schen kaum ertragen, sondern auch was fˇr unanstndig gehalten wird oder gegen die geltenden Sitten des Gemeinwesens verst˛t. Um nun Menschen in Liebe zusammenzubringen, sind vor allem die Dinge erforderlich, die zu Religion und Moralitt geh˛ren. Siehe dazu Anmerkung 1 und 2 zu Lehrsatz 37, Anmerkung zu Lehrsatz 46 und Anmerkung zu Lehrsatz 73 des 4. Teils. H a u p t s a t z 16 . In der Regel entsteht Eintracht darˇber hinaus hufig aus Furcht, wobei ihr dann aber das Vertrauen fehlt. Hinzu kommt, da Furcht einer Ohnmacht des Gemˇts entspringt und deshalb nicht zur Praxis der Vernunft geh˛rt, nicht anders als Mitleid, mag es auch den Anschein von Moralitt fˇr sich haben. H a u p t s a t z 17. Menschen lassen sich auerdem auch ˇber Freigebigkeit gewinnen, besonders diejenigen, die nicht ˇber die Mittel verfˇgen, sich das fˇr den Lebensunterhalt Erforderliche zu verschaffen. Jedem Notleidenden Hilfe zu leisten, ˇbersteigt freilich nicht nur die Krfte eines Privatmanns bei weitem, sondern ist auch nicht vorteilhaft fˇr ihn. Dieser Aufgabe ist der Reichtum eines Privatmanns nmlich bei weitem nicht gewachsen, abgesehen davon, da das moralische Verm˛gen eines Einzelnen viel zu beschrnkt ist, um mit allen Bande der Freundschaft knˇpfen zu k˛nnen. Die Armenfˇrsorge obliegt deshalb der ganzen Gesellschaft als eine Angelegenheit, in der es allein um den allgemeinen Nutzen geht. H a u p t s a t z 18 . Im Annehmen von Wohltaten und im Danksagen ist eine ganz andere Achtsamkeit an den Tag zu legen. Siehe dazu Anmerkung zu Lehrsatz 70 und zu Lehrsatz 71 des 4. Teils. H a u p t s a t z 19. Auerdem geht eine rein sinnliche Liebe, d. h. eine der ueren Erscheinung entspringende Zeugungslust, uneingeschrnkt gesagt, alle Liebe, die eine andere Ursa-
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aliam causam praeter animi libertatem agnoscit, facile in odium transit, nisi, quod pejus est, species delirii sit atque tum magis discordia quam concordia fovetur. Vide coroll. prop. 31. p. 3. 5
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C a p u t X X . Ad matrimonium quod attinet, certum est ipsum cum ratione convenire, si cupiditas miscendi corpora non ex |sola forma, sed etiam ex amore liberos procreandi et sapienter educandi ingeneretur; et praeterea, si utriusque, viri scilicet et foeminae, amor non solam formam, sed animi praecipue libertatem pro causa habeat. C a p u t X X I . Gignit praeterea adulatio concordiam, sed foedo servitutis crimine vel perfidia; nulli quippe magis adulatione capiuntur quam superbi, qui primi esse volunt, nec sunt.
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C a p u t X X I I . Abjectioni falsa pietatis et religionis species inest. Et quamvis abjectio superbiae sit contraria, est tamen abjectus superbo proximus. Vide schol. prop. 57. p. 4. C a p u t X X I I I . Confert praeterea concordiae pudor in iis tantum, quae celari non possunt. Deinde, quia ipse pudor species est tristitiae, ad rationis usum non spectat. C a p u t X X I V. Caeteri tristitiae erga homines affectus directe justitiae, aequitati, honestati, pietati et religioni oppununtur, et, quamvis indignatio aequitatis speciem prae se ferre videatur, ibi tamen sine lege vivitur, ubi unicuique de
3 coroll.] Gebhardt ndert grundlos in schol.
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che gelten lt als Geistesfreiheit, leicht in Ha ˇber, wenn sie nicht gar, was schlimmer ist, eine Art Wahnsinn ist und dann mehr von Zwietracht als von Eintracht genhrt wird. Siehe Folgesatz zu Lehrsatz 31 des 3. Teils. H a u p t s a t z 2 0 . Was die Ehe anbelangt, im Einklang mit der Vernunft ist sie sicherlich, wenn die Begierde nach k˛rperlicher Vereinigung nicht nur von der ueren Erscheinung hervorgerufen wird, sondern auch von einer Liebe, Kinder zu zeugen und sie weise zu erziehen, insbesondere aber dann, wenn beider Liebe, die des Mannes wie der Frau, nicht blo die uere Erscheinung, sondern vor allem Geistesfreiheit zu ihrer Ursache hat. H a u p t s a t z 2 1 . Auch Schmeichelei bringt Eintracht hervor, wenn auch ˇber Servilitt, ein ekelhaftes Laster, oder Unredlichkeit; kein Wunder, lt sich doch niemand mehr von Schmeichelei einfangen als die Hochmˇtigen, die die ersten sein m˛chten, es aber nicht sind. H a u p t s a t z 2 2 . In Kleinmut steckt ein falscher Schein von Moralitt und Religion. Und wenn auch Kleinmut Hochmut entgegengesetzt ist, steht der Kleinmˇtige dem Hochmˇtigen doch sehr nahe. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 57 des 4. Teils. H a u p t s a t z 2 3 . Scham, auch das sei noch erwhnt, f˛rdert Eintracht nur in Dingen, die sich nicht verbergen lassen. Ferner, weil Scham selbst eine Art von Trauer ist, hat sie nichts mit der Praxis der Vernunft zu tun. H a u p t s a t z 2 4 . Die anderen gegen Menschen gerichteten Affekte der Trauer sind Gerechtigkeit, Billigkeit, Anstndigkeit, Moralitt und Religion unmittelbar entgegengesetzt. Und obwohl es aussieht, als habe Entrˇstung einen Schein von Billigkeit fˇr sich, gilt doch: Wo es einem jeden erlaubt ist, ˇber die Taten eines anderen ein Urteil zu fllen und ein
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factis alterius judicium ferre et suum vel alterius jus vindicare licet.
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C a p u t X X V. Modestia, hoc est cupiditas hominibus placendi, quae | ex ratione determinatur, ad pietatem (ut in schol. prop. 37. p. 4. diximus) refertur. Sed, si ex affectu oriatur, ambitio est sive cupiditas, qua homines falsa pietatis imagine plerumque discordias et seditiones concitant. Nam qui reliquos consilio aut re juvare cupit, ut simul summo fruantur bono, is apprime studebit eorum sibi amorem conciliare, non autem eos in admirationem traducere, ut disciplina ex ipso habeat vocabulum, nec ullas absolute invidiae causas dare. In communibus deinde colloquiis cavebit hominum vitia referre et de humana impotentia non nisi parce loqui curabit; at largiter de humana virtute seu potentia et qua via possit perfici, ut sic homines, non ex metu aut aversione, sed solo laetitiae affectu moti, ex rationis praescripto, quantum in se est, conentur vivere. C a p u t X X V I . Praeter homines nihil singulare in natura novimus, cujus mente gaudere et quo nobis amicitia aut aliquo consuetudinis genere jungere possumus; adeoque quicquid in rerum natura extra homines datur, id nostrae utilitatis ratio conservare non postulat; sed pro ejus vario usu conservare, destruere, vel quocunque modo ad nostrum usum adaptare nos docet. C a p u t X X V I I . Utilitas, quam ex rebus, quae extra nos sunt, capimus, est praeter experientiam et cognitionem,
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Privatrecht, das eigene oder das des anderen, in Anspruch zu nehmen, dort leben wir ohne ein Rechtsgesetz. H a u p t s a t z 2 5 . Geflligkeit, d. h. die vernunftbestimmte Begierde, den Menschen zu gefallen, geh˛rt zur Moralitt (wie wir in Anmerkung 1 zu Lehrsatz 37 des 4. Teils gesagt haben). Entspringt sie aber einem Affekt, ist sie Ehrgeiz, d. h. eine Begierde, mit der Menschen ˇber ein falsches Bild von Moralitt in der Regel Zwietracht und Aufruhr herbeirufen. Denn wer andere mit Rat oder Tat zu unterstˇtzen begehrt, damit sie zusammen das h˛chste Gut genieen m˛gen, wird vor allem darauf aus sein, ihre Liebe zu gewinnen, nicht aber sie in Bewunderung zu bringen, damit seine Unterweisung nach ihm benannt werde, und schon gar nicht, ihnen irgendeinen Anla zu Neid zu geben. Auch wird er sich im alltglichen Gesprch davor hˇten, die Laster der Menschen aufzuzhlen, und darum bemˇht sein, zurˇckhaltend von der Ohnmacht eines Menschen zu sprechen, ausgiebig aber von menschlicher Tugend oder Macht und davon, auf welchem Weg sie sich vervollkommnen lt, damit Menschen, nicht von Furcht oder Abneigung, sondern allein von einem Affekt der Freude bewegt, soviel sie k˛nnen streben m˛gen, nach der Vorschrift der Vernunft zu leben. H a u p t s a t z 2 6 . Abgesehen von Menschen kennen wir kein Einzelding in der Natur, an dessen Geist wir uns innerlich erfreuen und mit dem wir uns in Freundschaft oder sonst einer Form von Gemeinsamkeit verbinden k˛nnen. Was auch immer neben Menschen in der Natur ist, es [unbedingt] zu erhalten, verlangt das Prinzip, unseren eigenen Vorteil zu suchen, mithin nicht. Vielmehr lehrt es uns, es [allein] nach dessen Brauchbarkeit zu erhalten oder auch zu vernichten, anders formuliert, es in beliebiger Weise zu unserem Nutzen zu gebrauchen. H a u p t s a t z 2 7. Der Hauptnutzen, den wir aus ueren Dingen ziehen, liegt ^ neben der Erfahrung und Kenntnis,
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quam acquirimus ex eo, quod easdem observamus et ex his for|mis in alias mutamus, praecipua corporis conservatio; et hac ratione res illae imprimis utiles sunt, quae corpus ita alere et nutrire possunt, ut ejus omnes partes officio suo recte fungi queant. Nam quo corpus aptius est, ut pluribus modis possit affici et corpora externa pluribus modis afficere, eo mens ad cogitandum est aptior (vide prop. 38. et 39. p. 4.). At hujus notae perpauca in natura esse videntur, quare ad corpus, ut requiritur, nutriendum necesse est multis naturae diversae alimentis uti. Quippe humanum corpus ex plurimis diversae naturae partibus componitur, quae continuo alimento indigent et vario, ut totum corpus ad omnia, quae ex ipsius natura sequi possunt, aeque aptum sit, et consequenter ut mens etiam aeque apta sit ad plura concipiendum. C a p u t X X V I I I . Ad haec autem comparandum vix uniuscujusque vires sufficerent, nisi homines operas mutuas traderent. Verum omnium rerum compendium pecunia attulit, unde factum, ut ejus imago mentem vulgi maxime occupare soleat; qui vix ullam laetitiae speciem imaginari possunt nisi concomitante nummorum idea tanquam causa. C a p u t X X I X . Sed hoc vitium eorum tantum est, qui non ex indigentia nec propter necessitates nummos quaerunt, sed quia lucri artes didicerunt, quibus se magnifice efferunt. Caeterum corpus ex consuetudine pascunt, sed parce, quia tan|tum de suis bonis se perdere credunt, quantum sui corporis conservationi impendunt. At qui verum nummorum
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die wir erlangen, wenn wir sie beobachten und aus einer Form in eine andere verndern ^ in der Erhaltung unseres K˛rpers. In dieser Hinsicht sind solche Dinge besonders nˇtzlich, die den K˛rper so krftigen und nhren k˛nnen, da alle seiner Teile ihre Funktionen geh˛rig zu verrichten in der Lage sind. Denn je fhiger der K˛rper ist, auf vielfache Weise affiziert zu werden und uere K˛rper seinerseits auf vielfache Weise zu affizieren, umso fhiger ist der Geist zu denken (siehe Lehrsatz 38 und 39 des 4. Teils). Offenbar gibt es jedoch sehr wenige Dinge dieser Art in der Natur. Um den K˛rper in der geforderten Weise zu nhren, ist es deshalb erforderlich, viele Nahrungsmittel verschiedener Art zu sich zu nehmen. Der menschliche K˛rper setzt sich nun einmal aus sehr vielen Teilen verschiedener Natur zusammen, die einer fortwhrenden und abwechslungsreichen Nahrung bedˇrfen, damit der ganze K˛rper gleichmig befhigt ist zu allem, was aus seiner Natur erfolgen kann, und folglich auch der Geist gleichmig befhigt ist zum Begreifen sehr vieler Dinge. H a u p t s a t z 2 8 . Um sich diese Dinge zu verschaffen, wren die Krfte eines einzelnen Menschen kaum ausreichend, leisteten Menschen sich nicht gegenseitig Hilfe. Indessen ist fˇr all diese Dinge Geld ein angemessenes Instrument geworden, mit der Folge, da den Geist der Menge sein Vorstellungsbild gew˛hnlich mehr als sonst etwas einnimmt; die meisten k˛nnen sich kaum irgendeine Form von Freude vorstellen, wenn sie nicht von der Idee des Geldes als ihrer Ursache begleitet wird. H a u p t s a t z 2 9. Ein Laster ist dies aber nur bei denen, die nicht aus Bedˇrftigkeit oder in Notlagen sich Geld zu verschaffen suchen, sondern weil sie die Kunst des Geldscheffelns gelernt haben und sich damit brˇsten. Ihren K˛rper nhren diese Leute ˇbrigens nach herk˛mmlicher Art, wenn auch krglich, weil sie glauben, der Aufwand fˇr die Erhaltung ihres K˛rpers minimiere ihren Gewinn. Wer jedoch den
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usum norunt et divitiarum modum ex sola indigentia moderantur, paucis contenti vivunt.
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C a p u t X X X . Cum igitur res illae sint bonae, quae corporis partes juvant, ut suo officio fungantur, et laetitia in eo consistat, quod hominis potentia, quatenus mente et corpore constat, juvatur vel augetur, sunt ergo illa omnia, quae laetitiam afferunt, bona. Attamen, quoniam contra non eum in finem res agunt, ut nos laetitia afficiant, nec earum agendi potentia ex nostra utilitate temperatur, et denique, quoniam laetitia plerumque ad unam corporis partem potissimum refertur, habent ergo plerumque laetitiae affectus (nisi ratio et vigilantia adsit) et consequenter cupiditates etiam, quae ex iisdem generantur, excessum; ad quod accedit, quod ex affectu id primum habeamus, quod in praesentia suave est, nec futura aequali animi affectu aestimare possumus. Vide schol. prop. 44. et schol. prop. 60. p. 4. C a p u t X X X I . At superstitio id contra videtur statuere bonum esse, quod tristitiam, et id contra malum, quod laetitiam affert. Sed, ut jam diximus (vide schol. prop. 45. p. 4.), nemo nisi invidus mea impotentia et incommodo delectatur. Nam quo majori laetitia afficimur, eo ad majorem perfectionem transimus; et consequenter eo magis de natura divina participamus, nec laetitia unquam mala |esse potest, quam nostrae utilitatis vera ratio moderatur. At qui contra metu ducitur et bonum, ut malum vitet, agit, is ratione non ducitur. C a p u t X X X I I . Sed humana potentia admodum limitata est et a potentia causarum externarum infinite superatur; atque adeo potestatem absolutam non habemus res, quae extra
14 praesentia] praesenti korr. Gebhardt
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wahren Nutzen des Geldes kennt und die Gr˛e des Reichtums nach dem Bedarf bemit, lebt mit wenig zufrieden. H a u p t s a t z 3 0 . Weil also jene Dinge gut sind, die die Teile des K˛rpers in der Verrichtung ihrer Funktionen bef˛rdern, und Freude darin besteht, da die Macht des Menschen, insofern er aus Geist und K˛rper besteht, gef˛rdert oder vermehrt wird, ist alles, was Freude bringt, gut. Gleichwohl, weil Dinge nicht wirken, um uns mit Freude zu affizieren, ihre Wirkungsmacht sich also nicht nach unserem Vorteil richtet, aber auch weil Freude in der Regel sich vornehmlich auf nur einen Teil des K˛rpers bezieht, haben die meisten Affekte der Freude (wenn nicht Vernunft und Wachsamkeit dabei sind) und folglich auch die daraus entstehenden Begierden ein berma. Hinzu kommt, da wir, affektiv bestimmt, am wichtigsten nehmen, was momentan angenehm ist, und in dieser affektiven Haltung Zukˇnftiges nicht ebenso gutheien k˛nnen. Siehe Anmerkung zu Lehrsatz 44 und zu Lehrsatz 60 des 4. Teils. H a u p t s a t z 31 . Demgegenˇber behauptet Aberglaube, so sieht es aus, da gut sei, was Trauer bringt, und schlecht, was Freude bringt. Doch hat, wie wir schon gesagt haben (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 45 des 4. Teils), niemand, es sei denn er ist neidisch, Freude an meiner Ohnmacht und meinem Unglˇck. Denn je gr˛er die Freude ist, mit der wir affiziert werden, umso gr˛er ist die Vollkommenheit, zu der wir ˇbergehen, und umso mehr haben wir folglich Anteil an der g˛ttlichen Natur. Noch kann eine Freude, die von dem wahren Prinzip unseres Vorteils gesteuert wird, jemals schlecht sein. Wer andererseits von Furcht geleitet wird und Gutes tut, um Schlechtes zu vermeiden, lt sich nicht von der Vernunft leiten. H a u p t s a t z 3 2 . Freilich ist menschliche Macht sehr begrenzt und wird von der Macht uerer Ursachen unendlich ˇbertroffen; mithin haben wir nicht eine unbedingte Gewalt,
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nos sunt, ad nostrum usum aptandi. Attamen ea, quae nobis eveniunt contra id, quod nostrae utilitatis ratio postulat, aequo animo feremus, si conscii simus nos functos nostro officio fuisse et potentiam, quam habemus, non potuisse se eo usque extendere, ut eadem vitare possemus, nosque partem totius naturae esse, cujus ordinem sequimur. Quod si clare et distincte intelligamus, pars illa nostri, quae intelligentia definitur, hoc est pars melior nostri, in eo plane acquiescet et in ea acquiescentia perseverare conabitur. Nam, quatenus intelligimus, nihil appetere nisi id, quod necessarium est, nec absolute nisi in veris acquiescere possumus; adeoque quatenus haec recte intelligimus, eatenus conatus melioris partis nostri cum ordine totius naturae convenit. Finis quartae partis
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uere Dinge fˇr unserem Gebrauch zurechtzuschneiden. Gleichwohl werden wir alle Ereignisse, die dem, was das Prinzip unseres Vorteils verlangt, zuwiderlaufen, mit Gleichmut ertragen, wenn wir uns dessen bewut sind, da wir unsere Pflicht getan haben und die Macht, die wir haben, nicht so weit sich hat ausdehnen lassen, da wir Geschehnisse dieser Art htten vermeiden k˛nnen, und da wir ein Teil der ganzen Natur sind, deren Ordnung wir folgen. Wenn wir das klar und deutlich einsehen, wird der Teil von uns, der sich von Einsicht her definieren lt, d. h. der bessere Teil von uns, damit vollkommen zufrieden sein und streben, in dieser Zufriedenheit zu verharren. Denn, insofern wir einsehen, k˛nnen wir nur nach dem verlangen, was notwendig ist, und nur mit dem uneingeschrnkt zufrieden sein, was wahr ist. Mithin ist, insofern wir diesen Sachverhalt richtig einsehen, das Streben unseres besseren Teils in bereinstimmung mit der Ordnung der ganzen Natur. Ende des vierten Teils
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E T H ICE S PA RS QU IN TA De P OT E N T I A IN T E L L E C T US seu de L I B E R TAT E H U M A NA
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Transeo tandem ad alteram Ethices partem, quae est de modo sive via, quae ad libertatem ducit. In hac ergo de potentia rationis agam ostendens, quid ipsa ratio in affectus possit, et deinde quid mentis libertas seu beatitudo sit, ex quibus videbimus, quantum sapiens potior sit ignaro. Quomodo autem et qua via debeat intellectus perfici et qua deinde arte corpus sit curandum, ut possit suo officio recte fungi, huc non pertinet; hoc enim ad medicinam, illud autem ad logicam spectat. Hic igitur, ut dixi, de sola mentis seu rationis potentia agam et ante omnia, quantum et quale imperium in affectus habeat ad eosdem coercendum et moderandum, ostendam. Nam nos in ipsos imperium absolutum non habere jam supra demonstravimus. Stoici tamen putarunt eosdem a nostra voluntate absolute pendere nosque iis absolute imperare posse. Attamen ab experientia reclamante, non vero ex suis principiis coacti sunt fateri usum et studium non parvum requiri ad eosdem coercendum et moderandum; quod quidam exemplo duorum canum (si recte memini), unius scilicet dome|stici, alterius venatici, conatus est ostendere; nempe quia usu efficere tandem potuit, ut domesticus venari, venaticus contra a leporibus sectandis abstinere assuesceret.
14 Hic] kein Absatz in OP
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FNFTE R T EIL DER ETHIK Von der M ACH T D E S V E RSTA N D E S oder von M E NS CH L ICH E R F R E I H E I T Vo r w o r t Ich gehe endlich zu dem anderen Teil der Ethik ˇber, der von der Weise, zur Freiheit zu gelangen, handelt, d. h. von dem Weg, der zu ihr fˇhrt. In diesem Teil werde ich also von der Macht der Vernunft handeln, indem ich zeige, was die Vernunft als solche gegen die Affekte vermag, und dann, was die Freiheit des Geistes oder auch die Glˇckseligkeit ist. Daraus werden wir sehen, wieviel mehr der Weise vermag als der, der unwissend ist. Wie und auf welchem Weg der Verstand zu vervollkommnen ist und mit welcher Kunst der K˛rper zu pflegen ist, damit er seine Funktionen angemessen ausˇben kann, das geh˛rt freilich nicht hierher. Von dem zweiten handelt die Medizin, von dem ersten die Logik. Hier werde ich also, wie gesagt, allein von der Macht des Geistes handeln, d. h. seiner Vernunft, und vor allem zeigen, wie gro ihre Herrschaft ˇber die Affekte ist und von welcher Art, um sie zu hemmen und zu migen. Denn da wir ˇber sie eine unbedingte Herrschaft nicht haben, haben wir schon oben bewiesen. Die Stoiker haben gleichwohl gemeint, da sie v˛llig von unserem Willen abhngig sind, wir sie also in unbedingter Weise beherrschen k˛nnen. Die Erfahrung, die dem widersprach, hat sie freilich, allen Prinzipien zum Trotz, gezwungen einzurumen, da es einer nicht geringen bung und mˇhevollen Anstrengung bedarf, die Affekte zu hemmen und zu migen. Einer hat, wenn ich mich recht erinnere, dies am Beispiel zweier Hunde, eines Haus- und eines Jagdhundes, zu belegen versucht; durch bung hatte er es nmlich schlielich dahin bringen k˛nnen, den Haushund an das Jagen zu gew˛hnen und den Jagdhund daran, von der Verfolgung der Hasen abzulassen.
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Huic opinioni non parum favet Cartesius. Nam statuit animam seu mentem unitam praecipue esse cuidam parti cerebri, glandulae scilicet pineali dictae, cujus ope mens motus omnes, qui in corpore excitantur, et objecta externa sentit, quamque mens eo solo, quod vult, varie movere potest. Hanc glandulam in medio cerebri ita suspensam esse statuit, ut minimo spirituum animalium motu possit moveri. Deinde statuit, quod haec glans tot variis modis in medio cerebro suspendatur, quot variis modis spiritus animales in eandem impingunt, et quod praeterea tot varia vestigia in eadem imprimantur, quot varia objecta externa ipsos spiritus animales versus eandem propellunt, unde fit, ut si glans postea ab animae voluntate, illam diversimode movente, hoc aut illo modo suspendatur, quo semel fuit suspensa a spiritibus, hoc aut illo modo agitatis, tum ipsa glans ipsos spiritus animales eodem modo propellet et determinabit, ac antea a simili glandulae suspensione repulsi fuerant. Praeterea statuit unamquamque mentis voluntatem natura esse unitam certo cuidam glandis motui. Ex. gr. si quis voluntatem habet objectum remotum intuendi, haec voluntas efficiet, ut pupilla dilatetur; sed si de sola dilatanda pupilla cogitet, nihil proderit ejus rei habere voluntatem, quia natura non junxit motum glandis, qui inservit impellendis spiritibus versus nervum opticum modo conveniente dilatandae vel contrahendae pupillae cum voluntate eandem dilatandi vel contrahendi; sed demum cum voluntate intuendi objecta remota vel proxima. Denique statuit, quod, etsi unusquisque motus hujus glandulae videatur connexus esse| per naturam singulis ex nostris cogitationibus ab initio nostrae vitae, aliis tamen per habitum possunt jungi, quod probare conatur art. 50. p. 1. de Pass. Ani-
1 Huic] kein Absatz in OP
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Diese Meinung teilt weitgehend auch Descartes. Er behauptet nmlich, die Seele (oder der Geist) sei in besonderer Weise mit einem gewissen Teil des Gehirns vereinigt, mit der sogenannten Zirbeldrˇse, mit deren Hilfe der Geist alle im K˛rper hervorgerufenen Bewegungen und die ueren Objekte wahrnimmt und die der Geist allein dadurch, da er will, verschiedenartig bewegen kann. Diese Drˇse, behauptet er, hnge so in der Mitte des Gehirns, da sie von der kleinsten Bewegung der Lebensgeister bewegt werden k˛nne. Des weiteren behauptet er, da diese Drˇse in so viel verschiedenen Weisen in der Mitte des Gehirns hnge, wie es verschiedene Weisen gibt, in denen die Lebensgeister auf sie treffen, und da auerdem so viel verschiedene Spuren in sie eingedrˇckt wˇrden, wie es verschiedene uere Objekte gibt, die diese Lebensgeister zu ihr hintreiben; daher komme es, da, wenn die Drˇse spter von dem Willen der Seele, der sie verschiedenartig bewegt, in diese oder jene Lage gebracht wird, in die sie schon einmal von den auf diese oder jene Weise bewegten Lebensgeistern gebracht worden ist, die Drˇse die Lebensgeister in gleicher Weise antreibe und bestimme, wie sie zuvor von einer hnlichen Lage der Drˇse zurˇckgestoen worden sind. Ferner behauptet er, da jeder einzelne Wille des Geistes von Natur aus mit einer bestimmten Bewegung der Drˇse vereinigt ist. Wenn z. B. jemand den Willen hat, ein entferntes Objekt anzuschauen, dann bringe dieser Wille zuwege, da die Pupille sich erweitert; wenn er aber nur an die Pupille denkt, die zu erweitern ist, werde es ihm nichts nˇtzen, dazu den Willen zu haben, weil die Natur die Bewegung der Drˇse, die dazu dient, die Lebensgeister so gegen den Sehnerv zu treiben, da die Pupille sich erweitert oder verengt, nicht mit dem Willen, sie zu erweitern oder zu verengen, verbunden hat, sondern lediglich mit dem Willen, fern oder nahe liegende Objekte anzuschauen. Endlich behauptet er, da, obwohl jede Bewegung der Drˇse offenbar mit jedem einzelnen unserer Gedanken durch die Natur seit Beginn unseres Lebens verknˇpft ist, sie doch durch Gewohnheit mit anderen Gedanken verbunden werden kann, was er in Die Leidenschaften der Seeleß (Art.
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mae. Ex his concludit nullam esse tam imbecillem animam, quae non possit, cum bene dirigitur, acquirere potestatem absolutam in suas passiones. Nam hae, ut ab eo definiuntur, sunt perceptiones aut sensus aut commotiones animae, quae ad eam speciatim referuntur, quaeque NB. producuntur, conservantur et corroborantur per aliquem motum spirituumß (vide art. 27. p. 1. Pass. Anim.). At quandoquidem cuilibet voluntati possumus jungere motum quemcunque glandis et consequentur spirituum, et determinatio voluntatis a sola nostra potestate pendet; si igitur nostram voluntatem certis et firmis judiciis, secundum quae nostrae vitae actiones dirigere volumus, determinemus et motus passionum, quas habere volumus, hisce judiciis jungamus, imperium acquiremus absolutum in nostras passiones. Haec est clarissimi hujus viri sententia (quantum ex ipsius verbis conjicio), quam ego vix credidissem a tanto viro prolatam esse, si minus acuta fuisset. Profecto mirari satis non possum, quod vir philosophus, qui firmiter statuerat nihil deducere nisi ex principiis per se notis et nihil affirmare, nisi quod clare et distincte perciperet, et qui toties Scholasticos reprehenderat, quod per occultas qualitates res obscuras voluerint explicare, hypothesin sumat omni occulta qualitate occultiorem. Quid, quaeso, per mentis et corporis unionem intelligit? Quem, inquam, clarum et distinctum conceptum habet cogitationis arctissime unitae cuidam quantitatis portiunculae? Vellem sane, ut hanc unionem per proximam suam causam explicuisset. Sed | ille mentem a corpore adeo distinctam conceperat, ut nec hujus unionis nec ipsius mentis
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50 des 1. Teils) nachzuweisen sucht. Das bringt ihn zu dem Schlu, keine Seele sei so schwach, da sie nicht, bei guter Leitung, eine unbedingte Gewalt ˇber ihre Leidenschaften erlangen k˛nne. Diese sind nmlich seiner Definition zufolge Wahrnehmungen oder Empfindungen oder Emotionen der Seele, die ihr in besonderer Weise angeh˛ren und die ^ wohlgemerkt! ^ hervorgebracht, erhalten und verstrkt werden durch irgendeine Bewegung der Lebensgeisterß (vgl. Die Leidenschaften der Seeleß, Art. 27 des 1. Teils). Weil wir nun mit jedem beliebigen Willen jede beliebige Bewegung der Drˇse (und damit der Lebensgeister) verbinden k˛nnen und die Bestimmung des Willens von unserer Gewalt allein abhngt, werden wir, so folgert er, auch eine unbedingte Herrschaft ˇber unsere Leidenschaften erlangen, dann nmlich wenn wir unseren Willen von sicheren und festen Urteilen her bestimmen, nach denen wir unser Tun und Lassen regeln wollen, und die Bewegungen der Leidenschaften, die wir haben wollen, mit diesen Urteilen verbinden. Das ist die Ansicht dieses hochberˇhmten Mannes (soweit ich sie aus seinen Worten herauslese); ich htte kaum geglaubt, da sie von einem so groen Mann vorgebracht worden ist, wenn sie nicht so subtil wre. Ich kann mich wahrlich nicht genug wundern, da ein Philosoph dieses Kalibers, einer, der sich fest vorgenommen hatte, alles allein aus durch sich selbst einleuchtenden Prinzipien herzuleiten und nichts zu behaupten, was er nicht klar und deutlich wahrgenommen htte, einer, der so oft die Scholastiker getadelt hatte, weil sie dunkle Dinge durch verborgene Qualitten hatten erklren wollen, da solch ein Philosoph eine Hypothese aufstellt, die geheimnisvoller ist als jede verborgene Qualitt. Was, frage ich ihn, versteht er denn unter der Vereinigung von Geist und K˛rper? Was fˇr einen klaren und deutlichen Begriff, frage ich, hat er denn von einem Gedanken, der so eng mit einem Stˇckchen Ausdehnung vereinigt ist? Ich wˇnschte freilich, er htte diese Vereinigung durch ihre nchste Ursache erklrt. Er hatte aber den Geist als so verschieden von dem K˛rper konzipiert, da er weder fˇr die fragliche Vereinigung noch fˇr den Geist
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ullam singularem causam assignare potuerit; sed necesse ipsi fuerit ad causam totius universi, hoc est ad Deum recurrere. Deinde pervelim scire, quot motus gradus potest glandulae isti pineali mens tribuere et quanta cum vi eandem suspensam tenere potest. Nam nescio, an haec glans tardius vel celerius a mente circumagatur quam a spiritibus animalibus, et an motus passionum, quos firmis judiciis arcte junximus, non possint ab iisdem iterum a causis corporeis disjungi, ex quo sequeretur, ut, quamvis mens firmiter propusuerit contra pericula ire atque huic decreto motus audaciae junxerit, viso tamen periculo glans ita suspendatur, ut mens non nisi de fuga possit cogitare; et sane, cum nulla detur ratio voluntatis ad motum, nulla etiam datur comparatio inter mentis et corporis potentiam seu vires; et consequenter hujus vires nequaquam viribus illius determinari possunt. His adde, quod nec haec glans ita in medio cerebro sita reperiatur, ut tam facile totque modis circumagi possit, et quod non omnes nervi ad cavitates usque cerebri protendantur. Denique omnia, quae de voluntate ejusque libertate asserit, omitto, quandoquidem haec falsa esse satis superque ostenderim. Igitur quia mentis potentia, ut supra ostendi, sola intelligentia definitur, affectuum remedia, quae omnes experiri quidem, sed non accurate observare nec distincte videre credo, sola mentis cognitione determinabimus et ex eadem illa omnia, quae ad ipsius beatitudinem spectant, deducemus.|
21 Igitur] kein Absatz in OP
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selbst irgendeine einzelne Ursache angeben konnte, sondern gen˛tigt war, auf die Ursache des ganzen Universums, d. h. auf Gott, zurˇckzugreifen. Weiter htte ich sehr gern gewut, wie viele Grade von Bewegung der Geist jener Zirbeldrˇse ˇbermitteln kann und eine wie groe Kraft erforderlich ist, sie in ihrer Lage zu erhalten. Denn ich wei nicht, ob diese Drˇse von dem Geist langsamer hin und her gedreht wird als von den Lebensgeistern oder ob dies schneller geschieht, noch wei ich, ob die Bewegungen der Leidenschaften, die wir eng mit festen Urteilen verbunden haben, nicht wieder von k˛rperlichen Ursachen von ihnen getrennt werden k˛nnen; wre dem so, dann wˇrde die Drˇse, selbst wenn der Geist sich fest vorgenommen htte, Gefahren entgegenzutreten, und mit diesem Entschlu die Bewegungen von Kˇhnheit verbunden htte, angesichts der Gefahr gleichwohl in eine solche Lage gebracht, da der Geist nur an Flucht denken k˛nnte. Und in der Tat, weil es kein gemeinsames Ma zwischen dem Willen und der Bewegung gibt, gibt es auch kein Vergleichen zwischen der Macht oder den Krften des Geistes und denen des K˛rpers; und folglich k˛nnen die Krfte des einen von denen des anderen ˇberhaupt nicht bestimmt werden. Hinzufˇgen liee sich noch, da man diese Drˇse nicht so in der Mitte des Gehirns gelegen findet, da sie sich so leicht und in so vielen Weisen hin und her drehen lt, und da sich nicht alle Nerven bis zu den H˛hlen des Gehirns erstrecken. All das schlielich, was er ˇber den Willen und dessen Freiheit versichert, lasse ich beiseite, habe ich doch schon mehr als genug gezeigt, da es falsch ist. Weil sich die Macht des Geistes, wie ich oben gezeigt habe, allein von dem, was Einsicht ist, her definieren lt, werden wir, wie gesagt, die Heilmittel fˇr die Affekte, die, wie ich glaube, alle Menschen aus Erfahrung zwar kennen, aber nicht genau beachten und deutlich vor Augen haben, allein von der dem Geist zukommenden Erkenntnis her bestimmen und aus ihr all das, was seine Glˇckseligkeit betrifft, ableiten.
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A x i omata
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I. Si in eodem subjecto duae contrariae actiones excitentur, debebit necessario vel in utraque, vel in una sola mutatio fieri, donec desinant contrariae esse.
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II. Effectus potentia definitur potentia ipsius causae, quatenus ejus essentia per ipsius causae essentiam explicatur vel definitur. Patet hoc axioma ex prop. 7. part. 3.
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P r o p o s i t i o I . Prout cogitationes rerumque ideae ordinantur et concatenantur in mente, ita corporis affectiones seu rerum imagines ad amussim ordinantur et concatenantur in corpore. D e m o n s t ra t i o . Ordo et connexio idearum idem est (per prop. 7. p. 2.) ac ordo et connexio rerum, et vice versa ordo et connexio rerum idem est (per coroll. prop. 6. et 7. p. 2.) ac ordo et connexio idearum. Quare sicuti ordo et connexio idearum in mente fit secundum ordinem et concatenationem affectionum corporis (per prop. 18. p. 2.), sic vice versa (per prop. 2. p. 3.) ordo et connexio affectionum corporis fit, prout cogitationes rerumque ideae ordinantur et concatenantur in mente. Q. e. d. P r o p o s i t i o I I . Si animi commotiones seu affectus a causae externae cogitatione amoveamus et aliis jungamus cogitationibus, tum amor seu odium erga causam externam ut et animi fluctuationes, quae ex his affectibus oriuntur, destruentur. |
24 commotiones seu affectus] commotionem seu affectum korr. W. B., Akkerman folgend
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Axiome 1. Wenn in demselben Subjekt zwei entgegengesetzte Handlungen hervorgerufen werden, wird notwendigerweise entweder in beiden Handlungen oder in einer allein eine Vernderung eintreten mˇssen, bis sie nicht mehr einander entgegengesetzt sind. 2. Die Macht einer Wirkung wird von der Macht ihrer Ursache her definiert, insofern ihre Essenz durch die Essenz ihrer Ursache erklrt oder definiert wird. (Dieses Axiom ist aus Lehrsatz 7 des 3. Teils evident.) L e h r s a t z 1 . Gerade so wie sich Gedanken und Ideen von Dingen im Geist ordnen und verketten, so ordnen und verketten sich, genau entsprechend, die Affektionen des K˛rpers oder die Vorstellungsbilder von Dingen im K˛rper. B e w e i s : Die Ordnung und Verknˇpfung von Ideen ist dieselbe (nach Lehrsatz 7 des 2. Teils) wie die Ordnung und Verknˇpfung von Dingen, und umgekehrt ist die Ordnung und Verknˇpfung von Dingen dieselbe (nach den Folgestzen zu Lehrsatz 6 und 7 des 2. Teils) wie die Ordnung und Verknˇpfung von Ideen. Daher gilt: So wie die Ordnung und Verknˇpfung von Ideen im Geist gem der Ordnung und Verknˇpfung von Affektionen des K˛rpers geschieht (nach Lehrsatz 18 des 2. Teils), so geschieht umgekehrt (nach Lehrsatz 2 des 3. Teils) die Ordnung und Verknˇpfung von Affektionen des K˛rpers gerade so, wie Gedanken und Ideen von Dingen sich im Geist ordnen und verketten. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 . Wenn wir Gemˇtsbewegungen oder Affekte von dem Gedanken an eine uere Ursache trennen und mit anderen Gedanken verbinden, dann werden die Liebe zu der ueren Ursache oder der Ha auf sie wie auch die Schwankungen des Gemˇts, die diesen Affekten entspringen, zerst˛rt werden.
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D e m o n s t ra t i o . Id enim, quod formam amoris vel odii constituit, est laetitia vel tristitia concomitante idea causae externae (per 6. et 7. affect. defin.); hac igitur sublata amoris vel odii forma simul tollitur; adeoque hi affectus et qui ex his oriuntur destruuntur. Q. e. d. P r o p o s i t i o I I I . Affectus, qui passio est, desinit esse passio, simulatque ejus claram et distinctam formamus ideam. D e m o n s t ra t i o . Affectus, qui passio est, idea est confusa (per gen. affect. defin.). Si itaque ipsius affectus claram et distinctam formemus ideam, haec idea ab ipso affectu, quatenus ad solam mentem refertur, non nisi ratione distinguetur (per prop. 21. p. 2. cum ejusdem schol.); adeoque (per prop. 3. p. 3.) affectus desinet esse passio. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Affectus igitur eo magis in nostra potestate est, et mens ab eo minus patitur, quo nobis est notior. P r o p o s i t i o I V. Nulla est corporis affectio, cujus aliquem clarum et distinctum non possumus formare conceptum. D e m o n s t ra t i o . Quae omnibus communia sunt, non possunt concipi nisi adaequate (per prop. 38. p. 2.); adeoque (per prop. 12. et lemma 2., quod habetur post schol. prop. 13. p. 2.) nulla est corporis affectio, cujus aliquem clarum et distinctum non possumus formare conceptum. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur nullum esse affectum, cujus non possumus aliquem clarum et distinctum formare conceptum. Est namque af|fectus corporis affectionis idea (per gen. affect. defin.), quae propterea (per prop. praec.) aliquem clarum et distinctum involvere debet conceptum.
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B e w e i s : Was nmlich das Sein von Liebe oder Ha ausmacht, ist Freude oder Trauer unter Begleitung der Idee einer ueren Ursache (nach Definition 6 und 7 der Affekte); mit dem Aufheben dieser Idee wird also zugleich das Sein von Liebe oder Ha aufgehoben; mithin werden diese Affekte und diejenigen, die ihnen entspringen, zerst˛rt. W. z. b. w. L e h r s a t z 3 . Ein Affekt, der eine Leidenschaft ist, h˛rt auf, eine Leidenschaft zu sein, sobald wir von ihm eine klare und deutliche Idee bilden. B e w e i s : Ein Affekt, der eine Leidenschaft ist, ist eine verworrene Idee (nach der allgemeinen Definition der Affekte). Wenn wir also von diesem Affekt eine klare und deutliche Idee bilden, wird diese Idee sich von dem Affekt selbst, insofern er allein auf den Geist bezogen ist, nur durch die Weise [unserer Betrachtung] unterscheiden (nach Lehrsatz 21 des 2. Teils einschlielich Anmerkung); mithin wird (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils) der Affekt aufh˛ren, eine Leidenschaft zu sein. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Je bekannter uns also ein Affekt ist, umso mehr ist er in unserer Gewalt und umso weniger erleidet der Geist von ihm. L e h r s a t z 4 . Es gibt keine Affektion des K˛rpers, von der wir nicht irgendeinen klaren und deutlichen Begriff bilden k˛nnen. B e w e i s : Merkmale, die allen Dingen gemeinsam sind, k˛nnen nur adquat begriffen werden (nach Lehrsatz 38 des 2. Teils); mithin gibt es (nach Lehrsatz 12 und Hilfssatz 2 hinter der Anmerkung zu Lehrsatz 13 des 2. Teils) keine Affektion des K˛rpers, von der wir nicht irgendeinen klaren und deutlichen Begriff bilden k˛nnen. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da es keinen Affekt gibt, von dem wir nicht irgendeinen klaren und deutlichen Begriff bilden k˛nnen. Denn ein Affekt ist eine Idee einer Affektion des K˛rpers (nach der allgemeinen Definition der Affekte), die deshalb (nach vorigem Lehrsatz) irgendeinen klaren und deutlichen Begriff in sich schlieen mu.
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S c h o l i u m . Quandoquidem nihil datur, ex quo aliquis effectus non sequatur (per prop. 36. p. 1.), et quicquid ex idea, quae in nobis est adaequata, sequitur, id omne clare et distincte intelligimus (per prop. 40. p. 2.), hinc sequitur unumquemque potestatem habere se suosque affectus, si non absolute, ex parte saltem clare et distincte intelligendi et consequenter efficiendi, ut ab iisdem minus patiatur. Huic igitur rei praecipue danda est opera, ut unumquemque affectum, quantum fieri potest, clare et distincte cognoscamus, ut sic mens ex affectu ad illa cogitandum determinetur, quae clare et distincte percipit et in quibus plane acquiescit; atque adeo ut ipse affectus a cogitatione causae externae separetur et veris jungatur cogitationibus; ex quo fiet, ut non tantum amor, odium, etc. destruantur (per prop. 2. hujus), sed ut etiam appetitus seu cupiditates, quae ex tali affectu oriri solent, excessum habere nequeant (per prop. 61. p. 4.). Nam apprime notandum est unum eundemque esse appetitum, per quem homo tam agere quam pati dicitur. Ex. gr. cum natura humana ita comparatum esse ostendimus, ut unusquisque appetat, ut reliqui ex ipsius ingenio vivant (vide schol. prop. 31. p. 3.); qui quidem appetitus in homine, qui ratione non ducitur, passio est, quae ambitio vocatur nec multum a superbia discrepat; et contra in homine, qui ex rationis dictamine vivit, actio seu virtus est, quae pietas appellatur (vide schol. 1. prop. 37. p. 4. et 2. demonstrat. ejusdem prop.). Et hoc modo omnes appetitus seu cupiditates eatenus tantum passiones sunt, quatenus ex ideis inadaequatis oriuntur; atque eaedem virtuti accensentur, quando ab ideis adaequatis excitantur vel generantur. Nam omnes cupiditates, quibus ad aliquid agendum determinamur, tam oriri possunt ab adaequatis
20 schol.] Gebhardt liest coroll.
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A n m e r k u n g : Da es nun einmal nichts gibt, woraus nicht irgendeine Wirkung erfolgt (nach Lehrsatz 36 des 1. Teils), und weil wir alles, was aus einer Idee, die in uns adquat ist, folgt, klar und deutlich einsehen (nach Lehrsatz 40 des 2. Teils), hat ein jeder die Gewalt, sich und seine Affekte ^ wenn nicht v˛llig, so doch wenigstens teilweise ^ klar und deutlich einzusehen, und folglich die Gewalt, es dahin zu bringen, da er von ihnen weniger erleidet. Deshalb mˇssen wir uns vornehmlich bemˇhen, jeden Affekt, soweit es geht, klar und deutlich zu erkennen, damit der Geist so von dem Affekt her bestimmt wird, an das zu denken, was er klar und deutlich wahrnimmt und worin er v˛llig zufrieden ist, damit also der Affekt selbst von dem Gedanken einer ueren Ursache getrennt und mit wahren Gedanken verbunden wird; das wird dazu fˇhren, da nicht nur Liebe, Ha und dergleichen zerst˛rt werden (nach Lehrsatz 2 dieses Teils), sondern da auch die Triebe oder Begierden, die einem solchen Affekt gew˛hnlich entspringen, kein berma haben k˛nnen (nach Lehrsatz 61 des 4. Teils). Denn vor allem mu beachtet werden, da es ein und derselbe Trieb ist, der es macht, da ein Mensch zum einen aktiv und zum anderen leidend genannt wird. Ein Beispiel: Wir haben gezeigt, da die menschliche Natur so beschaffen ist, da ein jeder danach verlangt, alle anderen sollten nach seiner Sinnesart leben (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 31 des 3. Teils); dieser Trieb ist bei einem Menschen, der sich nicht von der Vernunft leiten lt, die Leidenschaft, die Ehrgeiz heit und nicht weit von Hochmut entfernt ist, whrend er andererseits bei einem Menschen, der nach dem Gebot der Vernunft lebt, eine Aktivitt ist, nmlich die Tugend, die Moralitt genannt wird (siehe Anmerkung 1 zu Lehrsatz 37 des 4. Teils und den anderen Beweis des genannten Lehrsatzes). So verstanden sind alle Triebe oder Begierden Leidenschaften nur insofern, als sie inadquaten Ideen entspringen, whrend sie der Tugend zugerechnet werden, wenn sie von adquaten Ideen hervorgerufen oder erzeugt werden. Denn alle Begierden, von denen wir bestimmt werden, etwas zu tun, k˛nnen adquaten Ideen wie
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quam ab inadaequatis ideis (vide prop. 59. p. 4.). Atque hoc (ut eo, unde digressus sum, revertar) affectuum remedio, quod scilicet in eorum vera cognitione consistit, nullum praestantius aliud, quod a nostra|potestate pendeat, excogitari potest, quandoquidem nulla alia mentis potentia datur quam cogitandi et adaequatas ideas formandi, ut supra (per prop. 3. p. 3.) ostendimus. P r o p o s i t i o V. Affectus erga rem, quam simpliciter et non ut necessariam neque ut possibilem neque ut contingentem imaginamur, caeteris paribus, omnium est maximus. D e m o n s t ra t i o . Affectus erga rem, quam liberam esse imaginamur, major est quam erga necessariam (per prop. 49. p. 3.), et consequenter adhuc major quam erga illam, quam ut possibilem vel contingentem imaginamur (per prop. 11. p. 4.). At rem aliquam ut liberam imaginari nihil aliud esse potest, quam quod rem simpliciter imaginamur, dum causas, a quibus ipsa ad agendum determinata fuit, ignoramus (per illa, quae in schol. prop. 35. p. 2. ostendimus); ergo affectus erga rem, quam simpliciter imaginamur, caeteris paribus, major est quam erga necessariam, possibilem vel contingentem, et consequenter maximus. Q. e. d. P r o p o s i t i o V I . Quatenus mens res omnes ut necessarias intelligit, eatenus majorem in affectus potentiam habet seu minus ab iisdem patitur. D e m o n s t ra t i o . Mens res omnes necessarias esse intelligit (per prop. 29. p. 1.) et infinito causarum nexu determinari ad existendum et operandum (per prop. 28. p. 1.); adeoque (per prop. praec.) eatenus efficit, ut ab affectibus, qui ex iis
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inadquaten entspringen (siehe Lehrsatz 59 des 4. Teils). Und wir k˛nnen (um zum Ausgangspunkt zurˇckzukommen) uns kein Heilmittel fˇr die Affekte ausdenken, das von unserer Gewalt abhngt und vortrefflicher wre als das, welches in ihrer wahren Erkenntnis besteht, weil es nun einmal im Geist keine andere Macht gibt als die zu denken und adquate Ideen zu bilden, wie wir oben (in Lehrsatz 3 des 3. Teils) gezeigt haben. L e h r s a t z 5 . Ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als beziehungslos vorstellen und nicht als notwendig, m˛glich oder zufllig, ist bei sonst gleichen Umstnden von allen der gr˛te. B e w e i s : Ein Affekt gegenˇber einem Ding, von dem wir uns vorstellen, es sei frei, ist gr˛er als ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als notwendig vorstellen (nach Lehrsatz 49 des 3. Teils), und folglich erst recht gr˛er als ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als m˛glich oder zufllig vorstellen (nach Lehrsatz 11 des 4. Teils). Ein Ding sich als frei vorstellen kann aber nichts anderes sein, als es sich als beziehungslos vorstellen in Unkenntnis der Ursachen, von denen es zum Handeln bestimmt worden ist (nach dem, was wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 35 des 2. Teils gezeigt haben). Also ist ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als beziehungslos vorstellen, bei sonst gleichen Umstnden gr˛er als ein Affekt gegenˇber einem Ding, das wir uns als notwendig, m˛glich oder zufllig vorstellen; und folglich ist er der gr˛te. W. z. b. w. L e h r s a t z 6 . Insofern der Geist einsieht, da alle Dinge notwendig sind, hat er eine gr˛ere Macht ˇber die Affekte, anders formuliert, erleidet er weniger von ihnen. B e w e i s : Der Geist sieht ein, da alle Dinge notwendig sind (nach Lehrsatz 29 des 1. Teils) und von einer unendlichen Verknˇpfung von Ursachen zum Existieren und Wirken bestimmt werden (nach Lehrsatz 28 des 1. Teils); mithin bringt er (nach vorigem Lehrsatz) in diesem Mae zuwege,
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oriuntur, minus patiatur et (per prop. 48. p. 3.) minus erga ipsas afficiatur. Q. e. d. S c h o l i u m . Quo haec cognitio, quod scilicet res necessariae sint, magis circa | res singulares, quas distinctius et magis vivide imaginamur, versatur, eo haec mentis in affectus potentia major est, quod ipsa etiam experientia testatur. Videmus enim tristitiam boni alicujus, quod periit, mitigari, simulac homo, qui id perdidit, considerat bonum illud servari nulla ratione potuisse. Sic etiam videmus, quod nemo miseretur infantis, propterea quod nescit loqui, ambulare, ratiocinari et quod denique tot annos quasi sui inscius vivat. At si plerique adulti et unus aut alter infans nascerentur, tum unumquemque misereret infantum, quia tum ipsam infantiam non ut rem naturalem et necessariam, sed ut naturae vitium seu peccatum consideraret; et ad hunc modum plura alia notare possemus. P r o p o s i t i o V I I . Affectus, qui ex ratione oriuntur vel excitantur, si ratio temporis habeatur, potentiores sunt iis, qui ad res singulares referuntur, quas ut absentes contemplamur. D e m o n s t ra t i o . Rem aliquam ut absentem non contemplamur ex affectu, quo eandem imaginamur, sed ex eo, quod corpus alio afficitur affectu, qui ejusdem rei existentiam secludit (per prop. 17. p. 2.). Quare affectus, qui ad rem, quam ut absentem contemplamur, refertur, ejus naturae non est, ut reliquas hominis actiones et potentiam superet (de quibus vide prop. 6. p. 4.); sed contra ejus naturae est, ut ab iis affectionibus, quae existentiam externae ejus causae secludunt, coerceri aliquo modo possit (per prop. 9. p. 4.). At affectus,
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da er von den Affekten, die ihnen entspringen, weniger erleidet und (nach Lehrsatz 48 des 3. Teils) angesichts der Dinge nicht so leicht in Affekte gert. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Je mehr diese Erkenntnis ^ da Dinge notwendig sind ^ sich auf Einzeldinge erstreckt, die wir deutlicher und lebhafter vorstellen, umso gr˛er ist die mit ihr verbundene Macht des Geistes ˇber die Affekte, was auch die Erfahrung selbst besttigt. Wir sehen nmlich, da die Trauer, irgendein Gut verloren zu haben, gemildert wird, sobald der Mensch, der es verloren hat, sich klar macht, da dieses Gut auf keine Weise erhalten werden konnte. In hnlicher Weise sehen wir, da niemand ein Kleinkind bemitleidet, weil es nicht sprechen, laufen oder vernˇnftig denken kann und so viele Jahre nahezu ohne Selbstbewutsein verbringt. Wˇrden hingegen die meisten von uns als Erwachsene geboren und nur der eine oder andere als Kind, dann wˇrde jeder Kinder bemitleiden, weil er dann das, was Kindheit ist, nicht als einen natˇrlichen und notwendigen Sachverhalt, sondern als einen Fehler oder ein Gebrechen der Natur anshe. In dieser Richtung k˛nnten wir noch manch anderes anfˇhren. L e h r s a t z 7. Affekte, die der Vernunft entspringen oder von ihr hervorgebracht werden, sind, trgt man der Zeit Rechnung, mchtiger als Affekte, die sich auf Einzeldinge beziehen, die wir als abwesend betrachten. B e w e i s : Als abwesend betrachten wir ein Ding nicht aufgrund des Affekts, mit dem wir es vorstellen, sondern weil der K˛rper von einem anderen Affekt affiziert wird, der die Existenz dieses Dinges ausschliet (nach Lehrsatz 17 des 2. Teils). Deshalb ist ein Affekt, der sich auf ein Ding bezieht, das wir als abwesend betrachten, nicht von einer solchen Natur, da er des Menschen ˇbrige Handlungen und Macht ˇbersteigt (siehe Lehrsatz 6 des 4. Teils), sondern im Gegenteil von einer solchen Natur, da er (nach Lehrsatz 9 des 4. Teils) von Affektionen, die die Existenz seiner ueren Ursache ausschlieen, in gewissem Ausma gehemmt werden
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qui ex ratione oritur, refertur necessario ad communes rerum proprietates (vide rationis defin. in schol. 2. prop. 40. p. 2.), quas semper ut praesentes contemplamur (nam nihil dari potest, quod earum praesentem existentiam secludat) et quas semper eodem modo contemplamur (per prop. 38. p. 2.). Quare talis affectus idem semper manet, et consequenter (per axiom. 1. hujus) affectus, qui eidem sunt contrarii quique a suis causis externis non foventur, eidem magis magisque sese accomodare debebunt, | donec non amplius sint contrarii, et eatenus affectus, qui ex ratione oritur, est potentior. Q. e. d. P r o p o s i t i o V I I I . Quo affectus aliquis a pluribus causis simul concurrentibus excitatur, eo major est. D e m o n s t ra t i o . Plures causae simul plus possunt, quam si pauciores essent (per prop. 7. p. 3.); adeoque (per prop. 5. p. 4), quo affectus aliquis a pluribus causis simul excitatur, eo fortior est. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec propositio patet etiam ex axiomate 2. hujus partis. P r o p o s i t i o I X . Affectus, qui ad plures et diversas causas refertur, quas mens cum ipso affectu simul contemplatur, minus noxius est, et minus per ipsum patimur et erga unamquamque causam minus afficimur, quam alius aeque magnus affectus, qui ad unam solam vel pauciores causas refertur. D e m o n s t ra t i o . Affectus eatenus tantum malus seu noxius est, quatenus mens ab eo impeditur, quominus possit cogitare (per prop. 26. et 27. p. 4.); adeoque ille affectus, a quo mens ad plura simul objecta contemplandum determinatur, minus noxius est quam alius aeque magnus affectus, qui men-
5 contemplamur] imaginamur korr. W. B., weil imaginariß hier sinnlos ist
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kann. Nun bezieht sich ein Affekt, der der Vernunft entspringt, notwendigerweise auf die gemeinsamen Eigenschaften von Dingen (siehe die Definition von Vernunft in Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils), die wir immer als gegenwrtig betrachten (kann es doch nichts geben, was deren gegenwrtige Existenz ausschliet) und immer in gleicher Weise (nach Lehrsatz 38 des 2. Teils). Ein solcher Affekt bleibt daher immer derselbe, mit der Folge (nach Axiom 1 dieses Teils), da die ihm entgegengesetzten und von ihren ueren Ursachen nicht genhrten Affekte sich ihm mehr und mehr werden anpassen mˇssen, bis sie ihm nicht lnger entgegengesetzt sind; in diesem Mae ist ein Affekt, der der Vernunft entspringt, mchtiger. W. z. b. w. L e h r s a t z 8 . Je mehr ein Affekt von einer Vielzahl zusammentreffender Ursachen hervorgerufen wird, umso gr˛er ist er. B e w e i s : Mehrere Ursachen zusammen verm˛gen mehr, als wenn es weniger wren (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils); mithin ist (nach Lehrsatz 5 des 4. Teils) ein Affekt umso strker, je mehr er von einer Vielzahl zusammentreffender Ursachen hervorgerufen wird. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dieser Lehrsatz ist auch aus Axiom 2 dieses Teils evident. L e h r s a t z 9. Wenn ein Affekt sich auf viele und verschiedene Ursachen bezieht, die der Geist zusammen mit diesem Affekt betrachtet, ist er weniger schdlich; wir leiden weniger durch ihn und geraten gegenˇber jeder einzelnen seiner Ursachen nicht so leicht in Affekte, als dies bei einem anderen gleichgroen Affekt der Fall ist, der sich nur auf eine einzige oder auf nicht so viele Ursachen bezieht. B e w e i s : Ein Affekt ist nur insofern schlecht oder schdlich, als er den Geist hindert, denken zu k˛nnen (nach Lehrsatz 26 und 27 des 4. Teils); mithin ist der Affekt, der den Geist dazu bestimmt, viele Objekte zugleich zu betrachten, weniger schdlich als ein anderer gleichgroer Affekt, der
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tem in sola unius aut pauciorum objectorum contemplatione ita detinet, ut de aliis cogitare nequeat, quod erat primum. Deinde, quia mentis essentia, hoc est (per prop. 7. p. 3.) potentia, in sola cogitatione consistit (per prop. 11. p. 2.), ergo mens per affectum, a quo ad plura simul contemplandum determinatur, minus patitur quam per aeque magnum affectum, qui mentem in sola unius aut pauciorum objectorum contemplatione occupatum tenet, quod erat secundum. Denique | hic affectus (per prop. 48. p. 3.), quatenus ad plures causas externas refertur, est etiam erga unamquamque minor. Q. e. d. P r o p o s i t i o X . Quamdiu affectibus, qui nostrae naturae sunt contrarii, non conflictamur, tamdiu potestatem habemus ordinandi et concatenandi corporis affectiones secundum ordinem ad intellectum. D e m o n s t ra t i o . Affectus, qui nostrae naturae sunt contrarii, hoc est (per prop. 30. p. 4.) qui mali sunt, eatenus mali sunt, quatenus impediunt, quominus mens intelligat (per prop. 27. p. 4.). Quamdiu igitur affectibus, qui nostrae naturae contrarii sunt, non conflictamur, tamdiu mentis potentia, qua res intelligere conatur (per prop. 26. p. 4.), non impeditur, atque adeo tamdiu potestatem habet claras et distinctas ideas formandi et alias ex aliis deducendi (vide schol. 2. prop. 40. et schol. prop. 47. p. 2.); et consequenter (per prop. 1. hujus) tamdiu potestatem habemus ordinandi et concatenandi affectiones corporis secundum ordinem ad intellectum. Q. e. d. S c h o l i u m . Hac potestate recte ordinandi et concatenandi corporis affectiones efficere possumus, ut non facile malis affectibus afficiamur. Nam (per prop. 7. hujus) major vis
1 in] vi korr. Gebhardt nach NS
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den Geist in der Betrachtung nur eines oder einiger weniger Objekte derart festhlt, da er an andere Objekte nicht denken kann. Dies war das erste. Ferner, weil die Essenz des Geistes, d. h. (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) seine Macht, allein darin besteht, da er denkt (nach Lehrsatz 11 des 2. Teils), leidet der Geist durch einen Affekt, der ihn dazu bestimmt, viele Dinge zugleich zu betrachten, weniger als durch einen gleichgroen Affekt, der den Geist in der Betrachtung nur eines oder einiger weniger Objekte festgebannt hlt. Dies war das zweite. Schlielich ist dieser Affekt (nach Lehrsatz 48 des 3. Teils), insofern er sich auf viele uere Ursachen bezieht, auch angesichts jeder einzelnen dieser Ursachen geringer. W. z. b. w. L e h r s a t z 10 . Solange wir nicht von Affekten bedrngt werden, die unserer Natur entgegengesetzt sind, steht es in unserer Gewalt, die Affektionen des K˛rpers gem einer Ordnung zu ordnen und zu verketten, die dem Verstand gem ist. B e w e i s : Affekte, die unserer Natur entgegengesetzt sind, d. h. (nach Lehrsatz 30 des 4. Teils) die schlecht sind, sind insofern schlecht, als sie den Geist daran hindern, da er einsieht (nach Lehrsatz 27 des 4. Teils). Solange wir also nicht von Affekten bedrngt werden, die unserer Natur entgegengesetzt sind, wird die Macht des Geistes, mit der er strebt, Dinge einzusehen (nach Lehrsatz 26 des 4. Teils), nicht behindert; mithin steht es solange in seiner Gewalt, klare und deutliche Ideen zu bilden und weitere Ideen aus anderen herzuleiten (siehe Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 und die Anmerkung zu Lehrsatz 47 des 2. Teils); und folglich steht es (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) solange in unserer Gewalt, die Affektionen des K˛rpers gem einer Ordnung zu ordnen und zu verketten, die dem Verstand gem ist. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Kraft dieser Gewalt, die Affektionen des K˛rpers richtig zu ordnen und zu verketten, k˛nnen wir es dahin bringen, da wir nicht so leicht mit schlechten Affekten affiziert werden. Denn es ist (nach Lehrsatz 7 dieses Teils)
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requiritur ad affectus secundum ordinem ad intellectum ordinatos et concatenatos coercendum quam incertos et vagos. Optimum igitur, quod efficere possumus, quamdiu nostrorum affectuum perfectam cognitionem non habemus, est rectam vivendi rationem seu certa vitae dogmata concipere eaque memoriae mandare et rebus particularibus in vita frequenter obviis continuo applicare, ut sic nostra imaginatio late iisdem afficiatur et nobis in promptu sint semper. Ex. gr. inter vitae dogmata posuimus (vide prop. 46. p. 4. cum ejusdem schol.) odium amore seu generositate vincendum, non autem reciproco odio compensandum. Ut autem hoc rationis praescri|ptum semper in promptu habeamus, ubi usus erit, cogitandae et saepe meditandae sunt communes hominum injuriae et quomodo et qua via generositate optime propulsentur; sic enim imaginem injuriae imaginationi hujus dogmatis jungemus et nobis (per prop. 18. p. 2.) in promptu semper erit, ubi nobis injuria afferetur. Quod si etiam in promptu habuerimus rationem nostri veri utilis ac etiam boni, quod ex mutua amicitia et communi societate sequitur, et praeterea quod ex recta vivendi ratione summa animi acquiescentia oriatur (per prop. 52. p. 4.) et quod homines, ut reliqua, ex naturae necessitate agant, tum injuria sive odium, quod ex eadem oriri solet, minimam imaginationis partem occupabit et facile superabitur; vel si ira, quae ex maximis injuriis oriri solet, non adeo facile superetur, superabitur tamen, quamvis non sine animi fluctuatione, longe minore temporis spatio, quam si haec non ita praemeditata habuisse-
9 Ex. gr.] kein Absatz in OP
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eine gr˛ere Kraft erforderlich, um Affekte zu hemmen, die gem einer dem Verstand gemen Ordnung geordnet und verkettet sind, als solche, die ungewi und unstet sind. Das Beste also, was wir tun k˛nnen, solange wir nicht eine vollkommene Erkenntnis unserer Affekte haben, ist ein richtiges Prinzip, d. h. sichere Regeln, fˇr unsere Lebensfˇhrung zu konzipieren, diese unserem Gedchtnis einzuprgen und sie bestndig auf die besonderen Flle, die im Leben hufig vorkommen, anzuwenden, damit so unsere Vorstellungskraft weitgehend von ihnen affiziert wird und sie uns jederzeit zur Verfˇgung stehen. Wir haben es uns z. B. zur Lebensregel gemacht (siehe Lehrsatz 46 des 4. Teils einschlielich Anmerkung), da Ha mit Liebe oder Edelmut zu besiegen, nicht aber mit Erwiderung von Ha zu vergelten ist. Um nun diese Vorschrift der Vernunft jederzeit, wenn es n˛tig ist, verfˇgbar zu haben, sollten wir die gew˛hnlichen Schlechtigkeiten der Menschen erwgen und immer wieder bedenken und [ˇberlegen], wie sie sich mit Edelmut am besten abwenden lassen. So werden wir nmlich das Vorstellungsbild einer Schlechtigkeit mit der Vorstellung dieser Regel verbinden, die uns (nach Lehrsatz 18 des 2. Teils) dann jederzeit verfˇgbar ist, wenn uns ein Schaden zugefˇgt wird. Denken wir auch noch an das Prinzip unseres wahren Vorteils und des Guten, das sich aus wechselseitiger Freundschaft und staatlicher Gemeinschaft ergibt, und machen wir uns auerdem klar, da der richtigen Lebensweise die h˛chste Zufriedenheit des Gemˇts entspringt (nach Lehrsatz 52 des 4. Teils) und da Menschen wie die ˇbrigen Dinge aus der Notwendigkeit der Natur heraus handeln, dann wird die Schlechtigkeit oder der Ha, der ihr gew˛hnlich entspringt, nur einen sehr kleinen Teil der Vorstellungskraft einnehmen und leicht ˇberwunden werden. Und mag der Zorn, der in der Regel besonders groen Schlechtigkeiten entspringt, sich auch nicht so leicht ˇberwinden lassen, er wird sich doch, wenn auch nicht ohne Schwankung des Gemˇts, in viel kˇrzerer Zeit ˇberwinden lassen, als wenn wir vorher nicht in der beschriebenen Weise
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mus, ut patet ex propositione 6., 7. et 8. hujus partis. De animositate ad metum deponendum eodem modo cogitandum est; enumeranda scilicet sunt et saepe imaginanda communia vitae pericula et quomodo animi praesentia et fortitudine optime vitari et superari possunt. Sed notandum, quod nobis in ordinandis nostris cogitationibus et imaginibus semper attendendum est (per coroll. prop. 63. p. 4. et prop. 59. p. 3.) ad illa, quae in unaquaque re bona sunt, ut sic semper ex laetitiae affectu ad agendum determinemur. Ex. gr. si quis videt se nimis gloriam sectari, de ejus recto usu cogitet et in quem finem sectanda sit et quibus mediis acquiri possit, sed non de ipsius abusu et vanitate et hominum inconstantia vel aliis hujusmodi, de quibus nemo nisi ex animi aegritudine cogitat; talibus enim cogitationibus maxime ambitiosi se maxime afflictant, quando de assequendo honore, quem ambiunt, desperant; et dum iram evomunt, sapientes videri volunt. Quare certum est eos gloriae maxime esse cupidos, qui de ipsius abusu et mundi vanitate maxime clamant. Nec hoc ambitiosis proprium, sed omnibus commune est, quibus fortuna est adversa et qui animo impotentes sunt. Nam pauper etiam avarus de abusu pecuniae et divitum vitiis non cessat loqui; quo nihil aliud efficit quam se afflictare et aliis ostendere se non tantum paupertatem suam, | sed etiam aliorum divitias iniquo animo ferre. Sic etiam, qui male ab amasia excepti sunt, nihil cogitant quam de mulierum inconstantia et fallaci animo et reliquis earundem de-
6 Sed] kein Absatz in OP 20 qui] Hinzufˇgung Gebhardt
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nachgedacht htten, wie aus Lehrsatz 6, 7 und 8 dieses Teils evident ist. Um Furcht abzulegen, mˇssen wir in gleicher Weise ˇber Selbstvertrauen nachdenken; d. h. wir mˇssen die im Leben gew˛hnlich auftretenden Gefahren durchgehen und uns immer wieder vorstellen und [ˇberlegen], wie sie durch Geistesgegenwart und Charakterstrke am besten vermieden und ˇberwunden werden k˛nnen. Es ist aber darauf hinzuweisen, da wir beim Ordnen unserer Gedanken und Vorstellungsbilder (nach Folgesatz zu Lehrsatz 63 des 4. Teils und nach Lehrsatz 59 des 3. Teils) immer das beachten mˇssen, was gut in jedem Ding ist, damit wir so immer aus einem Affekt der Freude heraus zum Handeln bestimmt werden. Wenn z. B. jemand sieht, da er zu sehr nach Ruhm trachtet, dann sollte er ˇber dessen rechte Funktion nachdenken, zu welchem Zweck nach ihm getrachtet werden sollte und mit welchen Mitteln er erreicht werden kann, nicht aber ˇber seinen Mibrauch und seine Eitelkeit, noch ˇber menschliche Unbestndigkeit und anderes dieser Art, worˇber nur jemand nachdenkt, der gramvollen Gemˇts ist. Gerade die, die am ehrgeizigsten sind, werden nmlich von Gedanken dieser Art besonders heimgesucht, wenn sie ohne Hoffnung sind, die Ehre, die sie erflehen, zu erlangen, Leute, die, whrend sie ihren Zorn ausspeien, auch noch als weise erscheinen wollen. Deshalb ist es zweifellos so, da die am meisten nach Ruhm gieren, die am lautesten ˇber seinen Mibrauch und ˇber die Eitelkeit der Welt krakeelen. Freilich ist dies keine Eigenart nur der Ehrgeizigen, verbreitet ist es bei allen, denen kein Glˇck beschieden ist und die [zugleich] ohnmchtigen Gemˇts sind. Denn der Arme redet, wenn er zudem habgierig ist, ohne Unterla ˇber den Mibrauch von Geld und die Laster der Reichen, womit er nichts bewirkt, als sich selbst zu qulen, und anderen zeigt, da er nicht nur die eigene Armut, sondern auch den Reichtum anderer nicht mit Gleichmut tragen kann. So denken auch Mnner, die von ihrem Liebchen schlecht aufgenommen worden sind, an nichts als an die Unbestndigkeit der Frauen, an ihre Heuchelei und die ande-
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cantatis vitiis, quae omnia statim oblivioni tradunt, simulac ab amasia iterum recipiuntur. Qui itaque suos affectus et appetitus ex solo libertatis amore moderari studet, is, quantum potest, nitetur virtutes earumque causas noscere et animum gaudio, quod ex earum vera cognitione oritur, implere, at minime hominum vitia contemplari hominesque obtrectare et falsa libertatis specie gaudere. Atque haec qui diligenter observabit (neque enim difficilia sunt) et exercebit, nae ille brevi temporis spatio actiones suas ex rationis imperio plerumque dirigere poterit. P r o p o s i t i o X I . Quo imago aliqua ad plures res refertur, eo frequentior est seu saepius viget et mentem magis occupat. D e m o n s t ra t i o . Quo enim imago seu affectus ad plures res refertur, eo plures dantur causae, a quibus excitari et foveri potest, quas omnes mens (per hypothesin) ex ipso affectu simul contemplatur; atque adeo affectus eo frequentior est seu saepius viget et (per prop. 8. hujus) mentem magis occupat. Q. e. d. P r o p o s i t i o X I I . Rerum imagines facilius imaginibus, quae ad res referuntur, quas clare et distincte intelligimus, junguntur quam aliis. D e m o n s t ra t i o . Res, quas clare et distincte intelligimus, vel rerum communes proprietates sunt, vel quae ex iis deducuntur (vide rationis defin. in schol. 2. prop. 40. p. 2.), et consequenter saepius (per prop. praec.) in nobis excitantur; adeoque facilius fieri potest, ut res alias simul cum his quam
3 Qui] kein Absatz in OP 8 observabit] observavit korr. Gebhardt nach NS
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ren vielbesungenen Laster, was alles sofort vergessen ist, sobald das Liebchen sich ihrer wieder annimmt. Wer darauf aus ist, seine Affekte und Triebe allein aus Liebe zur Freiheit zu migen, wird also, soviel er kann, danach trachten, die Tugenden und ihre Ursachen kennenzulernen und das Gemˇt mit jenem Frohgefˇhl zu erfˇllen, das ihrer wahren Erkenntnis entspringt, keineswegs aber bei der Betrachtung menschlicher Laster zu verweilen oder Menschen herabzusetzen und sich eines falschen Scheins von Freiheit zu erfreuen. Und wer diese [Regeln] sorgfltig beachtet (denn sie sind nicht schwer) und einˇbt, wird sicher in kurzer Zeit imstande sein, seine Handlungen meistens unter der Herrschaft der Vernunft zu regeln. L e h r s a t z 11 . Auf je mehr Dinge sich ein Vorstellungsbild bezieht, umso hufiger ist es, anders formuliert, umso ˛fter lebt es auf und umso mehr nimmt es den Geist ein. B e w e i s : Auf je mehr Dinge sich nmlich ein Vorstellungsbild oder ein Affekt bezieht, umso mehr Ursachen gibt es, von denen es hervorgerufen und genhrt werden kann, die alle der Geist (der Voraussetzung nach) zusammen mit diesem Affekt betrachtet; mithin ist der Affekt entsprechend hufiger, anders formuliert, umso ˛fter lebt er auf und umso mehr nimmt er (nach Lehrsatz 8 dieses Teils) den Geist ein. W. z. b. w. L e h r s a t z 1 2 . Die Vorstellungsbilder von Dingen werden leichter mit den Vorstellungsbildern verbunden, die sich auf Dinge beziehen, die wir klar und deutlich einsehen, als mit anderen. B e w e i s : Dinge, die wir klar und deutlich einsehen, sind entweder gemeinsame Eigenschaften von Dingen oder etwas, das sich aus ihnen ableiten lt (siehe die Definition von Vernunft in Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils), und folglich werden sie (nach vorigem Lehrsatz) ˛fter in uns hervorgerufen. Mithin kann es leichter geschehen, da wir weitere Dinge zusammen mit solchen Dingen als mit anderen betrachten und folglich (nach Lehrsatz 18 des 2. Teils) deren Vor-
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cum aliis contemplemur et conse|quenter (per prop. 18. p. 2.) ut facilius cum his quam cum aliis jungantur. Q. e. d.
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P r o p o s i t i o X I I I . Quo imago aliqua pluribus aliis juncta est, eo saepius viget. D e m o n s t ra t i o . Nam, quo imago aliqua pluribus aliis juncta est, eo (per prop. 18. p. 2.) plures causae dantur, a quibus excitari potest. Q. e. d. P r o p o s i t i o X I V. Mens efficere potest, ut omnes corporis affectiones seu rerum imagines ad Dei ideam referantur. D e m o n s t ra t i o . Nulla est corporis affectio, cujus aliquem clarum et distinctum non possit mens formare conceptum (per prop. 4. hujus); adeoque efficere potest (per prop. 15. p. 1.), ut omnes ad Dei ideam referantur. Q. e. d. P r o p o s i t i o X V. Qui se suosque affectus clare et distincte intelligit, Deum amat, et eo magis, quo se suosque affectus magis intelligit. D e m o n s t ra t i o . Qui se suosque affectus clare et distincte intelligit, laetatur (per prop. 53. p. 3.), idque concomitante idea Dei (per prop. praeced.); atque adeo (per 6. affect. defin.) Deum amat, et (per eandem rationem) eo magis, quo se suosque affectus magis intelligit. Q. e. d. P r o p o s i t i o X V I . Hic erga Deum amor mentem maxime occupare debet. D e m o n s t ra t i o . Est enim hic amor junctus omnibus corporis affectionibus|(per prop. 14. hujus), quibus omnibus fovetur (per prop. 15. hujus); atque adeo (per prop. 11. hujus) mentem maxime occupare debet. Q. e. d.
4 eo] Hinzufˇgung Gebhardt 10 - 11 aliquem] aliquod korr. Gebhardt 13 referantur] referuntur
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stellungsbilder leichter mit Vorstellungsbildern dieser Art als mit anderen verbunden werden. W. z. b. w. L e h r s a t z 13 . Je mehr ein Vorstellungsbild mit anderen Vorstellungsbildern verbunden ist, umso ˛fter lebt es auf. B e w e i s : Denn je mehr ein Vorstellungsbild mit anderen Vorstellungsbildern verbunden ist, umso mehr Ursachen gibt es (nach Lehrsatz 18 des 2. Teils), von denen es hervorgerufen werden kann. W. z. b. w. L e h r s a t z 14 . Der Geist kann zuwege bringen, da alle Affektionen des K˛rpers, d. h. alle Vorstellungsbilder von Dingen, auf die Idee Gottes bezogen werden. B e w e i s : Es gibt keine Affektion des K˛rpers, von der der Geist nicht irgendeinen klaren und deutlichen Begriff bilden k˛nnte (nach Lehrsatz 4 dieses Teils); mithin kann er zuwege bringen (nach Lehrsatz 15 des 1. Teils), da alle auf die Idee Gottes bezogen werden. W. z. b. w. L e h r s a t z 15 . Wer sich und seine Affekte klar und deutlich einsieht, liebt Gott und umso mehr, je mehr er sich und seine Affekte einsieht. B e w e i s : Wer sich und seine Affekte klar und deutlich einsieht, freut sich (nach Lehrsatz 53 des 3. Teils) und dies unter Begleitung der Idee Gottes (nach vorigem Lehrsatz); mithin liebt er (nach Definition 6 der Affekte) Gott und (aus demselben Grund) umso mehr, je mehr er sich und seine Affekte einsieht. W. z. b. w. L e h r s a t z 16 . Diese Liebe zu Gott mu den Geist am meisten einnehmen. B e w e i s : Diese Liebe ist nmlich mit allen Affektionen des K˛rpers verbunden (nach Lehrsatz 14 dieses Teils), von denen sie insgesamt genhrt wird (nach Lehrsatz 15 dieses Teils); mithin mu sie (nach Lehrsatz 11 dieses Teils) den Geist am meisten einnehmen. W. z. b. w.
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P r o p o s i t i o X V I I . Deus expers est passionum nec ullo laetitiae aut tristitiae affectu afficitur. D e m o n s t ra t i o . Ideae omnes, quatenus ad Deum referuntur, verae sunt (per prop. 32. p. 2.), hoc est (per defin. 4. p. 2.) adaequatae; atque adeo (per gen. affect. defin.) Deus expers est passionum. Deinde Deus neque ad majorem neque ad minorem perfectionem transire potest (per coroll. 2. prop. 20. p. 1.); adeoque (per 2. et 3. affect. defin.) nullo laetitiae neque tristitiae affectu afficitur. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Deus proprie loquendo neminem amat neque odio habet. Nam Deus (per prop. praec.) nullo laetitiae neque tristitiae affectu afficitur, et consequenter (per 6. et 7. affect. defin.) neminem etiam amat neque odio habet. P r o p o s i t i o X V I I I . Nemo potest Deum odio habere. D e m o n s t ra t i o . Idea Dei, quae in nobis est, est adaequata et perfecta (per prop. 46. et 47. p. 2.); adeoque quatenus Deum contemplamur, eatenus agimus (per prop. 3. p. 3.), et consequenter (per prop. 59. p. 3.) nulla potest dari tristitia concomitante idea Dei; hoc est (per 7. affect. defin.), nemo Deum odio habere potest. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Amor erga Deum in odium verti nequit. S c h o l i u m . At objici potest, quod dum Deum omnium rerum causam in|telligimus, eo ipso Deum tristitiae causam consideramus. Sed ad hoc respondeo, quod quatenus tristitiae causas intelligimus, eatenus (per prop. 3. hujus) ipsa desinit esse passio, hoc est (per prop. 59. p. 3.), eatenus desinit esse tristitia; atque adeo, quatenus Deum tristitiae causam esse intelligimus, eatenus laetamur.
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L e h r s a t z 17. Gott ist ohne jedes Erleiden und wird mit keinem Affekt der Freude und Trauer affiziert. B e w e i s : Alle Ideen sind, insofern sie auf Gott bezogen sind, wahr (nach Lehrsatz 32 des 2. Teils), d. h. (nach Definition 4 des 2. Teils) adquat; mithin ist Gott (nach der allgemeinen Definition der Affekte) ohne jedes Erleiden. Des weiteren kann Gott weder zu einer gr˛eren noch zu einer geringeren Vollkommenheit ˇbergehen (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 20 des 1. Teils); mithin wird er (nach Definition 2 und 3 der Affekte) mit keinem Affekt der Freude und Trauer affiziert. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Streng genommen liebt Gott niemanden und hat niemanden. Denn Gott wird (nach vorigem Lehrsatz) mit keinem Affekt der Freude und Trauer affiziert, und folglich liebt und hat er auch niemanden (nach Definition 6 und 7 der Affekte). L e h r s a t z 18 . Niemand kann Gott hassen. B e w e i s : Die Idee Gottes, die in uns ist, ist adquat und vollkommen (nach Lehrsatz 46 und 47 des 2. Teils); mithin sind wir, insofern wir Gott betrachten, aktiv (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils), und folglich kann es (nach Lehrsatz 59 des 3. Teils) keine Trauer unter Begleitung der Idee Gottes geben; d. h. (nach Definition 7 der Affekte), niemand kann Gott hassen. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Liebe zu Gott kann sich nicht in Ha kehren. A n m e r k u n g : Hiergegen lt sich vielleicht einwenden, da, wenn wir Gott als die Ursache aller Dinge verstehen, wir ebendamit Gott als die Ursache von Trauer betrachten. Doch darauf antworte ich, da, insofern wir die Ursachen von Trauer einsehen, sie in dem Mae (nach Lehrsatz 3 dieses Teils) aufh˛rt, eine Leidenschaft zu sein, d. h. (nach Lehrsatz 59 des 3. Teils) aufh˛rt, Trauer zu sein. Insofern wir mithin einsehen, da Gott die Ursache von Trauer ist, freuen wir uns.
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P r o p o s i t i o X I X . Qui Deum amat, conari non potest, ut Deus ipsum contra amet. D e m o n s t ra t i o . Si homo id conaretur, cuperet ergo (per coroll. prop. 17. hujus), ut Deus, quem amat, non esset Deus, et consequenter (per prop. 19. p. 3.) contristari cuperet, quod (per prop. 28. p. 3.) est absurdum. Ergo, qui Deum amat, etc. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X . Hic erga Deum amor neque invidiae neque zelotypiae affectu inquinari potest; sed eo magis fovetur, quo plures homines eodem amoris vinculo cum Deo junctos imaginamur. D e m o n s t ra t i o . Hic erga Deum amor summum bonum est, quod ex dictamine rationis appetere possumus (per prop. 28. p. 4.), et omnibus hominibus commune est (per prop. 36. p. 4.), et omnes, ut eodem gaudeant, cupimus (per prop. 37. p. 4.); atque adeo (per 23. affect. defin.) invidiae affectu maculari nequit neque etiam (per prop. 18. hujus et defin. zelotypiae, quam vide in schol. prop. 35. p. 3.) zelotypiae affectu; sed contra (per prop. 31. p. 3.) eo magis foveri debet, quo plures homines eodem gaudere imaginamur. Q. e. d. S c h o l i u m . Possumus hoc eodem modo ostendere nullum dari affectum, qui huic amori directe sit contrarius, a quo hic ipse amor possit destrui; atque adeo concludere possumus hunc erga Deum amo|rem omnium affectuum esse constantissimum, nec, quatenus ad corpus refertur, posse destrui nisi cum ipso corpore. Cujus autem naturae sit, quatenus ad solam mentem refertur, postea videbimus. Atque his omnia affectuum remedia, sive id omne, quod mens, in se sola considerata, adversus affectus potest, com-
28 Atque] kein Absatz in OP
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L e h r s a t z 19. Wer Gott liebt, kann nicht streben, da Gott ihn seinerseits liebt. B e w e i s : Wenn ein Mensch danach strebte, wˇrde er (nach Folgesatz zu Lehrsatz 17 dieses Teils) begehren, da Gott, den er liebt, nicht Gott wre; folglich wˇrde er (nach Lehrsatz 19 des 3. Teils) begehren, in Trauer zu geraten, was (nach Lehrsatz 28 des 3. Teils) widersinnig ist. Also, wer Gott liebt usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 0 . Diese Liebe zu Gott kann von einem Affekt des Neides oder der Eifersucht nicht getrˇbt werden; vielmehr wird sie umso mehr genhrt, von je mehr Menschen wir uns vorstellen, da sie mit demselben Band der Liebe mit Gott verbunden sind. B e w e i s : Diese Liebe zu Gott ist das h˛chste Gut, nach dem wir nach dem Gebot der Vernunft verlangen k˛nnen (nach Lehrsatz 28 des 4. Teils); es ist allen Menschen gemeinsam (nach Lehrsatz 36 des 4. Teils), und wir begehren, da alle sich seiner innerlich erfreuen (nach Lehrsatz 37 des 4. Teils). Mithin kann sie von einem Affekt des Neides (nach Definition 23 der Affekte) nicht befleckt werden und ebensowenig von einem Affekt der Eifersucht (nach Lehrsatz 18 dieses Teils und nach der Definition von Eifersucht, die man in der Anmerkung zu Lehrsatz 35 des 3. Teils nachsehen m˛ge), sondern mu im Gegenteil (nach Lehrsatz 31 des 3. Teils) umso mehr genhrt werden, von je mehr Menschen wir uns vorstellen, da sie sich an ihr innerlich erfreuen. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wir k˛nnen in gleicher Weise zeigen, da es keinen Affekt gibt, der dieser Liebe unmittelbar entgegengesetzt ist und von dem sie zerst˛rt werden k˛nnte; mithin k˛nnen wir den Schlu ziehen, da diese Liebe zu Gott von allen Affekten der bestndigste ist und, insofern sie sich auf den K˛rper bezieht, nur mit dem K˛rper selbst zerst˛rt werden kann. Von welcher Natur sie ist, insofern sie sich allein auf den Geist bezieht, werden wir spter sehen. Und damit habe ich alle Heilmittel fˇr die Affekte zusammengefat, anders formuliert all das, was der Geist, allein in
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prehendi; ex quibus apparet mentis in affectus potentiam consistere: I°. In ipsa affectuum cognitione (vide schol. prop. 4. hujus). II°. In eo, quod affectus a cogitatione causae externae, quam confuse imaginamur, separat (vide prop. 2. cum eodem schol. prop. 4. hujus). III°. In tempore, quo affectiones, quae ad res, quas intelligimus, referuntur, illas superant, quae ad res referuntur, quas confuse seu mutilate concipimus (vide prop. 7. hujus). IV°. In multitudine causarum, a quibus affectiones, quae ad rerum communes proprietates vel ad Deum referuntur, foventur (vide prop. 9. et 11. hujus). V°. Denique in ordine, quo mens suos affectus ordinare et invicem concatenare potest (vide schol. prop. 10. et insuper prop. 12., 13. et 14. hujus). Sed ut haec mentis in affectus potentia melius intelligatur, venit apprime notandum, quod affectus a nobis magni appellantur, quando unius hominis affectum cum affectu alterius comparamus et unum magis quam alium eodem affectu conflictari videmus; vel quando unius ejusdemque hominis affectus ad invicem comparamus eundemque uno affectu magis quam alio affici sive moveri comperimus. Nam (per prop. 5. p. 4.) vis cujuscunque affectus definitur potentia causae externae cum nostra comparata. At mentis potentia sola cognitione definitur, impotentia autem seu passio a sola cognitionis privatione, hoc est ab eo, per quod ideae dicuntur inadaequatae, aestimatur; ex quo sequitur mentem illam maxime pati, cujus maximam partem ideae inadaequatae constituunt, ita ut magis per id, quod patitur, quam per id, quod agit, dignoscatur; et illam contra maxime agere, cujus maximam partem ideae adaequatae constituunt, ita ut, quamvis
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sich betrachtet, gegen die Affekte vermag. Daraus ergibt sich, da die Macht des Geistes ˇber die Affekte in folgendem besteht: 1. allein schon in der Erkenntnis der Affekte (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 4 dieses Teils); 2. darin, da er die Affekte von dem Gedanken an eine uere Ursache, die wir verworren vorstellen, trennt (siehe Lehrsatz 2 und die genannte Anmerkung zu Lehrsatz 4 dieses Teils); 3. in der Zeit, die es macht, da die Affektionen, die auf Dinge, die wir einsehen, bezogen sind, diejenigen Affektionen ˇberwinden, die auf Dinge bezogen sind, die wir in verworrener oder verstˇmmelter Weise auffassen (siehe Lehrsatz 7 dieses Teils); 4. in der groen Zahl von Ursachen, von denen Affektionen, die auf gemeinsame Eigenschaften von Dingen oder auf Gott bezogen sind, genhrt werden (siehe Lehrsatz 9 und 11 dieses Teils); 5. in der Ordnung schlielich, in der der Geist seine Affekte ordnen und verketten kann (siehe Anmerkung zu Lehrsatz 10 und des weiteren Lehrsatz 12, 13 und 14 dieses Teils). Um diese Macht des Geistes ˇber die Affekte aber besser zu verstehen, ist vor allem darauf hinzuweisen, da wir Affekte gro nennen, wenn wir den Affekt eines Menschen mit dem eines anderen vergleichen und sehen, da von demselben Affekt der eine mehr bedrngt wird als der andere; oder wenn wir die Affekte eines und desselben Menschen miteinander vergleichen und finden, da er von einem Affekt mehr affiziert oder bewegt wird als von einem anderen. Denn die Kraft eines jeden Affekts wird (nach Lehrsatz 5 des 4. Teils) von der Macht der ueren Ursache her definiert, die mit unserer Macht auf einer Stufe steht. Hingegen wird die Macht des Geistes allein von der Erkenntnis her definiert, whrend es allein der Mangel an Erkenntnis ist, der uns von Ohnmacht oder Erleiden sprechen lt, dasjenige also, was es macht, da Ideen inadquat heien. Daraus folgt, da derjenige Geist im h˛chsten Mae leidet, dessen gr˛ten Teil inadquate Ideen ausmachen, so da er mehr durch das, was er erleidet, als durch das, was er aktiv hervorbringt, kenntlich ist; und da andererseits derjenige Geist im h˛chsten Mae aktiv ist, dessen gr˛ten Teil adquate Ideen ausmachen, so da,
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huic tot inadaequatae ideae quam illi insint, magis tamen per illas, quae humanae virtuti tribuuntur, quam per has, quae humanam impotentiam arguunt, dignoscatur. Deinde notandum animi aegritudines et infortunia |potissimum originem trahere ex nimio amore erga rem, quae multis variationibus est obnoxia et cujus nunquam compotes esse possumus. Nam nemo de re ulla, nisi quam amat, sollicitus anxiusve est, neque injuriae, suspiciones, inimicitiae etc. oriuntur nisi ex amore erga res, quarum nemo potest revera esse compos. Ex his itaque facile concipimus, quid clara et distincta cognitio et praecipue tertium illud cognitionis genus (de quo vide schol. prop. 47. p. 2.), cujus fundamentum est ipsa Dei cognitio, in affectus potest, quos nempe, quatenus passiones sunt, si non absolute tollit (vide prop. 3. cum schol. prop. 4. hujus), saltem efficit, ut minimam mentis partem constituant (vide prop. 14. hujus). Deinde amorem gignit erga rem immutabilem et aeternam (vide prop. 15. hujus) et cujus revera sumus compotes (vide prop. 45. p. 2.), qui propterea nullis vitiis, quae in communi amore insunt, inquinari, sed semper major ac major esse potest (per prop. 15. hujus) et mentis maximam partem occupare (per prop. 16. hujus) lateque afficere. Atque his omnia, quae praesentem hanc vitam spectant, absolvi. Nam quod in hujus scholii principio dixi me his paucis omnia affectuum remedia amplexum esse, facile poterit unusquisque videre, qui ad haec, quae in hoc scholio diximus, et simul ad mentis ejusque affectuum definitiones et denique ad propositiones 1. et 3. partis 3. attenderit. Tempus igitur jam est, ut ad illa transeam, quae ad mentem sine relatione ad durationem corporis pertinent.
4 Deinde] kein Absatz in OP 23 Atque] kein Absatz in OP 29 - 30 mentem ... corporis] mentis durationem sine relatione ad corpus korr.W. B., um Sinn in den Text zu bekommen
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selbst wenn in ihm ebenso viele inadquate Ideen sind wie in jenem, er doch mehr durch Ideen kenntlich ist, die sich menschlicher Tugend zuschreiben lassen, als durch Ideen, die von menschlicher Ohnmacht zeugen. Dann sollte noch hervorgehoben werden, da Gram und Unglˇck ihren Ursprung vor allem in zu groer Liebe zu einem Ding haben, das vielen Vernderungen unterworfen ist und das wir niemals ganz besitzen k˛nnen. Denn niemand ist um das besorgt oder beunruhigt, was er nicht liebt, und Schlechtigkeiten, Verdchtigungen, Feindseligkeiten usw. entspringen nur der Liebe zu Dingen, die keiner tatschlich ganz besitzen kann. Daraus begreifen wir leicht, was klare und deutliche Erkenntnis und insbesondere jene dritte Erkenntnisgattung (siehe dazu die Anmerkung zu Lehrsatz 47 des 2. Teils), deren Grundlage genau die Erkenntnis Gottes ist, gegen die Affekte vermag. Zwar hebt sie diese, insofern sie Leidenschaften sind, nicht gnzlich auf (siehe Lehrsatz 3 und Anmerkung zu Lehrsatz 4 dieses Teils), doch bringt sie zuwege, da sie den kleinsten Teil des Geistes ausmachen (siehe Lehrsatz 14 dieses Teils). Sodann erzeugt sie eine Liebe zu einem unvernderlichen und ewigen Ding (siehe Lehrsatz 15 dieses Teils), das wir tatschlich ganz besitzen (siehe Lehrsatz 45 des 2. Teils), und die deshalb von all den Fehlern, die der gew˛hnlichen Liebe innewohnen, nicht getrˇbt werden kann; sie kann vielmehr immer gr˛er und gr˛er werden (nach Lehrsatz 15 dieses Teils), also den gr˛ten Teil des Geistes einnehmen (nach Lehrsatz 16 dieses Teils) und ihn weithin affizieren. Hiermit habe ich alles erledigt, was unser gegenwrtiges Leben angeht. Da ich, wie ich eingangs dieser Anmerkung sagte, mit diesen wenigen Stzen alle Heilmittel fˇr die Affekte zusammengefat habe, wird in der Tat jeder leicht sehen k˛nnen, der das in dieser Anmerkung Gesagte und zugleich die Definitionen des Geistes und seiner Affekte und schlielich Lehrsatz 1 und 3 des 3. Teils beachtet. Es ist also an der Zeit, zu dem ˇberzugehen, was den Geist ohne Beziehung auf die Dauer des K˛rpers betrifft.
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P r o p o s i t i o X X I . Mens nihil imaginari potest neque rerum praeteritarum recordari nisi durante corpore. D e m o n s t ra t i o . Mens actualem sui corporis existentiam non exprimit, neque etiam corporis affectiones ut actuales concipit nisi durante corpore (per coroll. prop. 8. p. 2.), et consequenter (per prop. 26. p. 2.) nullum corpus ut actu existens concipit nisi durante suo corpore, ac proinde nihil imaginari (vide imaginationis defin. in schol. | prop. 17. p. 2.) neque rerum praeteritarum recordari potest nisi durante corpore (vide memoriae defin. in schol. prop. 18. p. 2.). Q. e. d. P r o p o s i t i o X X I I . In Deo tamen datur necessario idea, quae hujus et illius corporis humani essentiam sub aeternitatis specie exprimit. D e m o n s t ra t i o . Deus non tantum est causa hujus et illius corporis humani existentiae, sed etiam essentiae (per prop. 25. p. 1.), quae propterea per ipsam Dei essentiam necessario debet concipi (per axiom. 4. p. 1.), idque aeterna quadam necessitate (per prop. 16. p. 1.), qui quidem conceptus necessario in Deo dari debet (per prop. 3. p. 2.). Q. e. d. P r o p o s i t i o X X I I I . Mens humana non potest cum corpore absolute destrui; sed ejus aliquid remanet, quod aeternum est. D e m o n s t ra t i o . In Deo datur necessario conceptus seu idea, quae corporis humani essentiam exprimit (per prop. praec.), quae propterea aliquid necessario est, quod ad essentiam mentis humanae pertinet (per prop. 13. p. 2.). Sed menti humanae nullam durationem, quae tempore definiri potest, tribuimus, nisi quatenus corporis actualem existentiam,
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L e h r s a t z 2 1 . Etwas vorstellen und sich vergangener Dinge erinnern, das kann der Geist nur whrend der Dauer des K˛rpers. B e w e i s : Nur whrend der Dauer des K˛rpers drˇckt der Geist die wirkliche Existenz seines K˛rpers aus und auch nur dann begreift er die Affektionen des K˛rpers als wirklich (nach Folgesatz zu Lehrsatz 8 des 2. Teils), und folglich begreift er (nach Lehrsatz 26 des 2. Teils) jeglichen K˛rper als wirklich existierend nur whrend der Dauer seines eigenen K˛rpers. Somit kann er nur whrend der Dauer des K˛rpers etwas vorstellen (siehe die Definition von Vorstellung in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils) und sich vergangener Dinge erinnern (siehe die Definition von Erinnerung in der Anmerkung zu Lehrsatz 18 des 2. Teils). W. z. b. w. L e h r s a t z 2 2 . Gleichwohl gibt es in Gott notwendigerweise eine Idee, die die Essenz dieses und jenes menschlichen K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit ausdrˇckt. B e w e i s : Gott ist die Ursache nicht nur der Existenz dieses und jenes menschlichen K˛rpers, sondern auch seiner Essenz (nach Lehrsatz 25 des 1. Teils), die deshalb zwangslufig genau durch Gottes Essenz begriffen werden mu (nach Axiom 4 des 1. Teils) und zwar nach einer gewissen ewigen Notwendigkeit (nach Lehrsatz 16 des 1. Teils), und diesen Begriff mu es notwendigerweise in Gott geben (nach Lehrsatz 3 des 2. Teils). W. z. b. w. L e h r s a t z 2 3 . Der menschliche Geist kann mit dem K˛rper nicht v˛llig zerst˛rt werden, sondern es bleibt von ihm etwas bestehen, das ewig ist. B e w e i s : In Gott gibt es notwendigerweise einen Begriff oder eine Idee, die die Essenz des menschlichen K˛rpers ausdrˇckt (nach vorigem Lehrsatz), eine Idee, die deshalb notwendigerweise etwas ist, das zur Essenz des menschlichen Geistes geh˛rt (nach Lehrsatz 13 des 2. Teils). Dem menschlichen Geist sprechen wir eine von Zeitlichkeit her definierbare Dauer aber nur insofern zu, als er die wirkliche
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quae per durationem explicatur et tempore definiri potest, exprimit, hoc est (per coroll. prop. 8. p. 2.) ipsi durationem non tribuimus nisi durante corpore. Cum tamen aliquid nihilominus sit id, quod aeterna quadam necessitate per ipsam Dei essentiam concipitur (per prop. praec.), erit necessario hoc aliquid, quod ad mentis essentiam pertinet, aeternum. Q. e. d. S c h o l i u m . Est, uti diximus, haec idea, quae corporis essentiam sub specie aeternitatis exprimit, certus cogitandi modus, qui ad mentis essentiam pertinet quique necessario aeternus est. Nec tamen fieri | potest, ut recordemur nos ante corpus exstitisse, quandoquidem nec in corpore ulla ejus vestigia dari, nec aeternitas tempore definiri, nec ullam ad tempus relationem habere potest. At nihilominus sentimus experimurque nos aeternos esse. Nam mens non minus res illas sentit, quas intelligendo concipit, quam quas in memoria habet. Mentis enim oculi, quibus res videt observatque, sunt ipsae demonstrationes. Quamvis itaque non recordemur nos ante corpus exstitisse, sentimus tamen mentem nostram, quatenus corporis essentiam sub aeternitatis specie involvit, aeternam esse, et hanc ejus existentiam tempore definiri sive per durationem explicari non posse. Mens igitur nostra eatenus tantum potest dici durare ejusque existentia certo tempore definiri potest, quatenus actualem corporis existentiam involvit, et eatenus tantum potentiam habet rerum existentiam tempore determinandi easque sub duratione concipiendi.
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Existenz des K˛rpers ausdrˇckt, die durch Dauer erklrt wird und von Zeitlichkeit her definiert werden kann; d. h. (nach Folgesatz zu Lehrsatz 8 des 2. Teils), nur whrend der Dauer des K˛rpers sprechen wir ihm Dauer zu. Gleichwohl, weil das, was nach einer gewissen ewigen Notwendigkeit durch Gottes Essenz selbst begriffen wird, dessenungeachtet etwas ist (nach vorigem Lehrsatz), wird dieses Etwas, das zur Essenz des Geistes geh˛rt, notwendigerweise ewig sein. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Wie wir gesagt haben, ist diese Idee, die die Essenz des K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit ausdrˇckt, ein gewisser Modus des Denkens, der zur Essenz des Geistes geh˛rt und der notwendigerweise ewig ist. Und obwohl es nicht m˛glich ist, da wir uns erinnern, vor dem K˛rper existiert zu haben, da es davon ja keine Spuren in dem K˛rper geben kann und Ewigkeit weder von Zeitlichkeit her definiert werden noch ˇberhaupt irgendeine Beziehung auf Zeitlichkeit haben kann, empfinden und erfahren wir nichtsdestoweniger, da wir ewig sind. Denn der Geist empfindet die Dinge, die er im Akt des Einsehens begreift, nicht weniger als die, die er in der Erinnerung hat. Die Augen des Geistes nmlich, mit denen er die Dinge sieht und beobachtet, sind eben die Beweise. Wenngleich wir uns also nicht erinnern, vor dem K˛rper existiert zu haben, empfinden wir dennoch, da unser Geist, insofern er die Essenz des K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit in sich schliet, ewig ist und seine so verstandene Existenz nicht von Zeitlichkeit her definiert oder durch Dauer erklrt werden kann. Unser Geist kann deshalb nur insofern dauernd genannt werden und seine Existenz nur insofern von einer gewissen Zeit her definiert werden, als er die wirkliche Existenz des K˛rpers in sich schliet; und nur in dem Mae kommt ihm die Macht zu, die Existenz von Dingen von der Zeit her zu bestimmen und Dinge unter [der Bestimmung von] Dauer zu begreifen.
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P r o p o s i t i o X X I V. Quo magis res singulares intelligimus, eo magis Deum intelligimus. D e m o n s t ra t i o . Patet ex coroll. prop. 25. p. 1.
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P r o p o s i t i o X X V. Summus mentis conatus summaque virtus est res intelligere tertio cognitionis genere. D e m o n s t ra t i o . Tertium cognitionis genus procedit ab adaequata idea quorumdam Dei attributorum ad adaequatam cognitionem essentiae rerum (vide hujus defin. in schol. 2. prop. 40. p. 2.); et quo magis hoc modo res intelligimus, eo magis (per prop. praec.) Deum intelligimus, ac proinde (per prop. 28. p. 4.) summa mentis virtus, hoc est (per defin. 8. p. 4.) mentis potentia seu natura sive (per prop. 7. p. 3.) summus conatus est res intelligere tertio cognitionis genere. Q. e. d.| P r o p o s i t i o X X V I . Quo mens aptior est ad res tertio cognitionis genere intelligendum, eo magis cupit res eodem hoc cognitionis genere intelligere. D e m o n s t ra t i o . Patet. Nam quatenus concipimus mentem aptam esse ad res hoc cognitionis genere intelligendum, eatenus eandem determinatam concipimus ad res eodem cognitionis genere intelligendum, et consequenter (per 1. affect. defin.), quo mens ad hoc aptior est, eo magis hoc cupit. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V I I . Ex hoc tertio cognitionis genere summa, quae dari potest, mentis acquiescentia oritur. D e m o n s t ra t i o . Summa mentis virtus est Deum cognoscere (per prop. 28. p. 4.) sive res tertio cognitionis genere intelligere (per prop. 25. hujus); quae quidem virtus eo major est, quo mens hoc cognitionis genere magis res cognoscit
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L e h r s a t z 2 4 . Je mehr wir Einzeldinge einsehen, desto mehr sehen wir Gott ein. B e w e i s : Das ist aus Folgesatz zu Lehrsatz 25 des 1. Teils evident. L e h r s a t z 2 5 . Das h˛chste Streben des Geistes und seine h˛chste Tugend ist, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung einzusehen. B e w e i s : Die dritte Erkenntnisgattung schreitet von der adquaten Idee gewisser Attribute Gottes weiter zu der adquaten Erkenntnis der Essenz von Dingen (siehe ihre Definition in Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils); und je mehr wir in dieser Weise Dinge einsehen, desto mehr sehen wir (nach vorigem Lehrsatz) Gott ein. Somit ist (nach Lehrsatz 28 des 4. Teils) die h˛chste Tugend des Geistes, d. h. (nach Definition 8 des 4. Teils) des Geistes Macht oder Natur, anders formuliert (nach Lehrsatz 7 des 3. Teils) sein h˛chstes Streben, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung einzusehen. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 6 . Je fhiger der Geist ist, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung einzusehen, desto mehr begehrt er, sie in dieser Erkenntnisgattung einzusehen. B e w e i s : Das ist evident. Denn insofern wir begreifen, da der Geist fhig ist, Dinge in dieser Erkenntnisgattung einzusehen, begreifen wir ihn als dazu bestimmt, Dinge in ebendieser Erkenntnisgattung einzusehen. Je fhiger folglich (nach Definition 1 der Affekte) der Geist dazu ist, desto mehr begehrt er dies. W. z. b. w. L e h r s at z 2 7. Der genannten dritten Erkenntnisgattung entspringt die h˛chste Zufriedenheit des Geistes, die es geben kann. B e w e i s : Die h˛chste Tugend des Geistes ist Gott zu erkennen (nach Lehrsatz 28 des 4. Teils), anders formuliert, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung einzusehen (nach Lehrsatz 25 dieses Teils); und diese Tugend ist umso gr˛er, je mehr der Geist Dinge in dieser Erkenntnisgattung erkennt
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(per prop. 24. hujus); adeoque qui res hoc cognitionis genere cognoscit, is ad summam humanam perfectionem transit et consequenter (per 2. affect. defin.) summa laetitia afficitur, idque (per prop. 43. p. 2.) concomitante idea sui suaeque virtutis; ac proinde (per 25. affect. defin.) ex hoc cognitionis genere summa, quae dari potest, oritur acquiescentia. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X V I I I . Conatus seu cupiditas cognoscendi res tertio cognitionis genere oriri non potest ex primo, at quidem ex secundo cognitionis genere. D e m o n s t ra t i o . Haec propositio per se patet. Nam quicquid clare et distincte |intelligimus, id vel per se, vel per aliud, quod per se concipitur, intelligimus, hoc est, ideae, quae in nobis clarae et distinctae sunt sive quae ad tertium cognitionis genus referuntur (vide schol. 2. prop. 40. p. 2.), non possunt sequi ex ideis mutilatis et confusis, quae (per idem schol.) ad primum cognitionis genus referuntur, sed ex ideis adaequatis sive (per idem schol.) ex secundo et tertio cognitionis genere; ac proinde (per 1. affect. defin.) cupiditas cognoscendi res tertio cognitionis genere non potest oriri ex primo, at quidem ex secundo. Q. e. d. P r o p o s i t i o X X I X . Quicquid mens sub specie aeternitatis intelligit, id ex eo non intelligit, quod corporis praesentem actualem existentiam concipit, sed ex eo, quod corporis essentiam concipit sub specie aeternitatis. D e m o n s t ra t i o . Quatenus mens praesentem sui corporis existentiam concipit, eatenus durationem concipit, quae tempore determinari potest, et eatenus tantum potentiam habet concipiendi res cum relatione ad tempus (per prop. 21.
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(nach Lehrsatz 24 dieses Teils). Wer mithin Dinge in dieser Erkenntnisgattung erkennt, geht zu der gr˛ten menschlichen Vollkommenheit ˇber und wird folglich (nach Definition 2 der Affekte) mit der gr˛ten Freude affiziert und das (nach Lehrsatz 43 des 2. Teils) unter Begleitung der Idee seiner selbst und seiner Tugend. Somit entspringt (nach Definition 25 der Affekte) dieser Erkenntnisgattung die h˛chste Zufriedenheit, die es geben kann. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 8 . Das Streben oder die Begierde, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung zu erkennen, kann nicht der ersten, wohl aber der zweiten Erkenntnisgattung entspringen. B e w e i s : Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst evident. Denn was auch immer wir klar und deutlich einsehen, das sehen wir entweder durch sich selbst ein oder durch etwas anderes, das durch sich selbst begriffen wird. D. h.: Die Ideen, die in uns klar und deutlich sind oder der dritten Erkenntnisgattung zuzurechnen sind (siehe Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils), k˛nnen nicht aus verstˇmmelten und verworrenenen Ideen folgen, die (nach der genannten Anmerkung) der ersten Erkenntnisgattung zuzurechnen sind; sie k˛nnen jedoch aus adquaten Ideen folgen und damit (nach der genannten Anmerkung) aus der zweiten und dritten Erkenntnisgattung. Somit kann (nach Definition 1 der Affekte) die Begierde, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung zu erkennen, nicht der ersten, wohl aber der zweiten Erkenntnisgattung entspringen. W. z. b. w. L e h r s a t z 2 9. Was auch immer der Geist unter einem Aspekt von Ewigkeit einsieht, das sieht er nicht daraus ein, da er die gegenwrtige wirkliche Existenz des K˛rpers begreift, sondern daraus, da er die Essenz des K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift. B e w e i s : Insofern der Geist die gegenwrtige Existenz seines K˛rpers begreift, begreift er Dauer, die von Zeitlichkeit her bestimmt werden kann, und allein in dem Mae kommt ihm die Macht zu, Dinge in Beziehung auf Zeitlich-
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hujus et prop. 26. p. 2.). At aeternitas per durationem explicari nequit (per defin. 8. p. 1. et ipsius explication.). Ergo mens eatenus potestatem non habet concipiendi res sub specie aeternitatis; sed quia de natura rationis est res sub specie aeternitatis concipere (per coroll. 2. prop. 44. p. 2.) et ad mentis naturam etiam pertinet corporis essentiam sub specie aeternitatis concipere (per prop. 23. hujus) et praeter haec duo nihil aliud ad mentis essentiam pertinet (per prop. 13. p. 2.); ergo haec potentia concipiendi res sub specie aeternitatis ad mentem non pertinet, nisi quatenus corporis essentiam sub specie aeternitatis concipit. Q. e. d. S c h o l i u m . Res duobus modis a nobis ut actuales concipiuntur, vel quatenus easdem cum relatione ad certum tempus et locum existere, vel quatenus ipsas in Deo contineri et ex naturae divinae necessitate | consequi concipimus. Quae autem hoc secundo modo ut verae seu reales concipiuntur, eas sub aeternitatis specie concipimus, et earum ideae aeternam et infinitam Dei essentiam involvunt, ut propositione 45. partis 2. ostendimus, cujus etiam scholium vide. P r o p o s i t i o X X X . Mens nostra, quatenus se et corpus sub aeternitatis specie cognoscit, eatenus Dei cognitionem necessario habet scitque se in Deo esse et per Deum concipi. D e m o n s t ra t i o . Aeternitas est ipsa Dei essentia, quatenus haec necessariam involvit existentiam (per defin. 8. p. 1.). Res igitur sub specie aeternitatis concipere est res concipere, quatenus per Dei essentiam ut entia realia concipiun-
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keit zu begreifen (nach Lehrsatz 21 dieses Teils und Lehrsatz 26 des 2. Teils). Ewigkeit kann aber nicht durch Dauer erklrt werden (nach Definition 8 des 1. Teils einschlielich Erluterung). Also hat der Geist in diesem Mae nicht die Gewalt, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen. Er hat sie vielmehr, weil es in der Natur der Vernunft liegt, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 44 des 2. Teils), und es auch zur Natur des Geistes geh˛rt, die Essenz des K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen (nach Lehrsatz 23 dieses Teils), und auer diesen beiden [Idee und K˛rper] nichts anderes zur Essenz des Geistes geh˛rt (nach Lehrsatz 13 des 2. Teils). Also kommt die in Frage stehende Macht, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen, dem Geist nur insofern zu, als er die Essenz des K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Dinge werden von uns in zwei Weisen als wirklich begriffen: entweder insofern wir sie als existierend in Beziehung auf eine gewisse Zeit und einen gewissen Raum begreifen oder insofern wir sie als in Gott enthalten und aus der Notwendigkeit der g˛ttlichen Natur folgend begreifen. Die Dinge nun, die wir in der beschriebenen zweiten Weise als wahr oder real begreifen, begreifen wir unter einem Aspekt von Ewigkeit, und deren Ideen schlieen Gottes ewige und unendliche Essenz in sich, wie wir in Lehrsatz 45 des 2. Teils gezeigt haben, dessen Anmerkung man auch heranziehen sollte. L e h r s a t z 3 0 . Unser Geist hat, insofern er sich und den K˛rper unter einem Aspekt von Ewigkeit erkennt, notwendigerweise Erkenntnis von Gott und wei, da er in Gott ist und durch Gott begriffen wird. B e w e i s : Ewigkeit ist genau Gottes Essenz, insofern diese notwendige Existenz in sich schliet (nach Definition 8 des 1. Teils). Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit begreifen heit also, Dinge begreifen, insofern sie durch Gottes Essenz als reale Seiende begriffen werden, d. h. insofern sie
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tur, sive quatenus per Dei essentiam involvunt existentiam; adeoque mens nostra, quatenus se et corpus sub specie aeternitatis concipit, eatenus Dei cognitionem necessario habet scitque, etc. Q. e. d. 5
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P r o p o s i t i o X X X I . Tertium cognitionis genus pendet a mente, tanquam a formali causa, quatenus mens ipsa aeterna est. D e m o n s t ra t i o . Mens nihil sub aeternitatis specie concipit, nisi quatenus sui corporis essentiam sub aeternitatis specie concipit (per prop. 29. hujus), hoc est (per prop. 21. et 23. hujus) nisi quatenus aeterna est; adeoque (per prop. praec.) quatenus aeterna est, Dei habet cognitionem, quae quidem cognitio est necessario adaequata (per prop. 46. p. 2.); ac proinde mens, quatenus aeterna est, ad illa omnia cognoscendum est apta, quae ex data hac Dei cognitione consequi possunt (per prop. 40. p. 2.), hoc est ad res tertio cognitionis genere cognoscendum (vide hujus defin. in schol. 2. prop. 40. p. 2.), cujus propterea mens (per defin. 1. p. 3.), quatenus aeterna est, causa est adaequata seu formalis. Q. e. d.| S c h o l i u m . Quo igitur unusquisque hoc cognitionis genere plus pollet, eo melius sui et Dei conscius est, hoc est eo est perfectior et beatior, quod adhuc clarius ex seqq. patebit. Sed hic notandum, quod, tametsi jam certi sumus mentem aeternam esse, quatenus res sub aeternitatis specie concipit, nos tamen, ut ea, quae ostendere volumus, facilius explicentur et melius intelligantur, ipsam, tanquam jam inciperet esse et res sub aeternitatis specie intelligere jam inciperet, considerabimus, ut huc usque fecimus; quod nobis absque ullo erroris periculo facere licet, modo nobis cautio sit nihil concludere nisi ex perspicuis praemissis.
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durch Gottes Essenz Existenz in sich schlieen. Mithin hat unser Geist, insofern er sich und den K˛rper unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift, notwendigerweise Erkenntnis von Gott und wei usw. W. z. b. w. L e h r s a t z 31 . Die dritte Erkenntnisgattung beruht auf dem Geist als auf einer Ursache, die selbst etwas ist, insofern der Geist selbst ewig ist. B e w e i s : Der Geist begreift etwas unter einem Aspekt von Ewigkeit nur insofern, als er die Essenz seines K˛rpers unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift (nach Lehrsatz 29 dieses Teils), d. h. (nach Lehrsatz 21 und 23 dieses Teils) nur insofern, als er ewig ist. Mithin hat er (nach vorigem Lehrsatz), insofern er ewig ist, Erkenntnis von Gott, eine Erkenntnis, die notwendigerweise adquat ist (nach Lehrsatz 46 des 2. Teils), und somit ist der Geist, insofern er ewig ist, fhig, all das zu erkennen, was aus dieser gegebenen Erkenntnis Gottes folgen kann (nach Lehrsatz 40 des 2. Teils), d. h. fhig, Dinge in der dritten Erkenntnisgattung zu erkennen (siehe deren Definition in Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils), von der deswegen der Geist, insofern er ewig ist, die adquate Ursache ist (nach Definition 1 des 3. Teils), anders formuliert eine Ursache, die selbst etwas ist. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Je weiter es also ein jeder in dieser Erkenntnisgattung zu bringen vermag, desto besser ist er sich seiner selbst und Gottes bewut, d. h. desto vollkommener und glˇckseliger ist er, was noch klarer aus dem Folgenden zu Tage treten wird. Doch sollte hier angemerkt werden: Obgleich wir nunmehr Gewiheit haben, da der Geist ewig ist, insofern er Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift, werden wir ihn fˇr eine leichtere Erluterung und ein besseres Verstndnis dessen, was wir zeigen wollen, doch betrachten, als ob er erst jetzt anfinge zu sein und erst jetzt anfinge, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen, wie wir es bis hierher getan haben. Das dˇrfen wir ohne jede Gefahr von Irrtum tun, wenn wir nur darauf achten, unsere Schlˇsse allein aus evidenten Prmissen zu ziehen.
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P r o p o s i t i o X X X I I . Quicquid intelligimus tertio cognitionis genere, eo delectamur et quidem concomitante idea Dei tanquam causa. D e m o n s t ra t i o . Ex hoc cognitionis genere summa, quae dari potest, mentis acquiescentia, hoc est (per 25. affect. defin.) laetitia oritur, eaque concomitante idea sui (per prop. 27. hujus) et consequenter (per prop. 30. hujus) concomitante etiam idea Dei tanquam causa. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Ex tertio cognitionis genere oritur necessario amor Dei intellectualis. Nam ex hoc cognitionis genere oritur (per prop. praec.) laetitia concomitante idea Dei tanquam causa, hoc est (per 6. affect. defin.) amor Dei, non quatenus ipsum ut praesentem imaginamur (per prop. 29. hujus), sed quatenus Deum aeternum esse intelligimus, et hoc est, quod amorem Dei intellectualem voco. P r o p o s i t i o X X X I I I . Amor Dei intellectualis, qui ex tertio cognitionis genere oritur, est aeternus. | D e m o n s t ra t i o . Tertium enim cognitionis genus (per prop. 31. hujus et axiom. 3. p. 1.) est aeternum; adeoque (per idem axiom. p. 1.) amor, qui ex eodem oritur, est etiam necessario aeternus. Q. e. d. S c h o l i u m . Quamvis hic erga Deum amor principium non habuerit (per prop. praes.), habet tamen omnes amoris perfectiones, perinde ac si ortus fuisset, sicut in coroll. prop. praec. finximus. Nec ulla hic est differentia, nisi quod mens easdem has perfectiones, quas eidem jam accedere finximus, aeternas habuerit idque concomitante idea Dei tanquam causa aeterna. Quod si laetitia in transitione ad majorem perfectionem consistit, beatitudo sane in eo consistere debet, quod mens ipsa perfectione sit praedita.
23 prop. praes.] prop. praec. korr.W. B.
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L e h r s a t z 3 2 . Was auch immer wir in der dritten Erkenntnisgattung einsehen, es verschafft uns Freude und zwar unter Begleitung der Idee Gottes als [ihrer] Ursache. B e w e i s : Dieser Erkenntnisgattung entspringt die h˛chste Zufriedenheit des Geistes, die es geben kann (nach Lehrsatz 27 dieses Teils), d. h. (nach Definition 25 der Affekte) Freude, eine Freude unter Begleitung der Idee von einem selbst und folglich (nach Lehrsatz 30 dieses Teils) auch der Idee Gottes als [ihrer] Ursache. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Der dritten Erkenntnisgattung entspringt notwendigerweise eine geistige Gottesliebe. Denn dieser Erkenntnisgattung entspringt (nach vorigem Lehrsatz) Freude unter Begleitung der Idee Gottes als ihrer Ursache, d. h. (nach Definition 6 der Affekte) Gottesliebe, nicht insofern wir Gott als gegenwrtig vorstellen (nach Lehrsatz 29 dieses Teils), sondern insofern wir einsehen, da er ewig ist; und genau das nenne ich geistige Gottesliebe. L e h r s a t z 3 3 . Die geistige Gottesliebe, die der dritten Erkenntnisgattung entspringt, ist ewig. B e w e i s : Die dritte Erkenntnisgattung ist nmlich (nach Lehrsatz 31 diesesTeils und Axiom 3 des 1. Teils) ewig; mithin ist (nach dem genannten Axiom des 1. Teils) zwangslufig auch die Liebe, die ihr entspringt, ewig. A n m e r k u n g : Obwohl diese Liebe zu Gott keinen Anfang gehabt hat (nach diesem Lehrsatz), hat sie doch alle Vollkommenheiten von Liebe, ganz als wre sie so entstanden, wie wir in dem Folgesatz zu vorigem Lehrsatz unterstellt haben. Hier gibt es keinen Unterschied, auer da der Geist dieselben Vollkommenheiten, von denen wir unterstellt haben, da er sie jetzt erlangt, als ewige immer schon gehabt hat und zwar unter Begleitung der Idee Gottes als einer Ursache, die ewig ist. Wenn Freude in dem bergang zu einer gr˛eren Vollkommenheit besteht, dann mu Glˇckseligkeit fˇrwahr darin bestehen, da der Geist mit Vollkommenheit immer schon versehen ist.
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P r o p o s i t i o X X X I V. Mens non nisi durante corpore obnoxia est affectibus, qui ad passiones referuntur. D e m o n s t ra t i o . Imaginatio est idea, qua mens rem aliquam ut praesentem contemplatur (vide ejus defin. in schol. prop. 17. p. 2.), quae tamen magis corporis humani praesentem constitutionem quam rei externae naturam indicat (per coroll. 2. prop. 16. p. 2.). Est igitur affectus (per gen. affect. defin.) imaginatio, quatenus corporis praesentem constitutionem indicat; atque adeo (per prop. 21. hujus) mens non nisi durante corpore obnoxia est affectibus, qui ad passiones referuntur. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur nullum amorem praeter amorem intellectualem esse aeternum. S c h o l i u m . Si ad hominum communem opinionem attendamus, videbimus eos suae mentis aeternitatis esse quidem conscios, sed ipsos eandem |cum duratione confundere eamque imaginationi seu memoriae tribuere, quam post mortem remanere credunt. P r o p o s i t i o X X X V. Deus se ipsum amore intellectuali infinito amat. D e m o n s t ra t i o . Deus est absolute infinitus (per defin. 6. p. 1.), hoc est (per defin. 6. p. 2.), Dei natura gaudet infinita perfectione idque (per prop. 3. p. 2.) concomitante idea sui, hoc est (per prop. 11. et defin 1. p. 1.) idea suae causae, et hoc est, quod in coroll. prop. 32. hujus amorem intellectualem esse diximus. P r o p o s i t i o X X X V I . Mentis amor intellectualis erga Deum est ipse Dei amor, quo Deus se ipsum amat, non quatenus infinitus est, sed quatenus per essentiam humanae
24 defin. 1.] axiom. 1. korr. Gebhardt
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L e h r s a t z 3 4 . Nur whrend der Dauer des K˛rpers ist der Geist Affekten unterworfen, die den Leidenschaften zuzurechnen sind. B e w e i s : Eine Vorstellung ist eine Idee, mit der der Geist ein Ding als gegenwrtig betrachtet (siehe ihre Definition in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 des 2. Teils), die dennoch mehr den gegenwrtigen Zustand des menschlichen K˛rpers anzeigt, als da sie die Natur des ueren Dinges [erklrt] (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 des 2. Teils). Also ist es die einen gegenwrtigen Zustand des K˛rpers anzeigende Vorstellung, die (nach der allgemeinen Definition der Affekte) einen Affekt [eine Leidenschaft sein lt]. Mithin ist (nach Lehrsatz 21 dieses Teils) der Geist nur whrend der Dauer des K˛rpers Affekten unterworfen, die den Leidenschaften zuzurechnen sind. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da nur geistige Liebe und keine andere ewig ist. A n m e r k u n g : Achten wir auf die unter Menschen verbreitete Auffassung, werden wir sehen, da sie sich zwar der Ewigkeit ihres Geistes bewut sind, sie aber mit der Dauer vermengen und der Vorstellungskraft oder Erinnerung beimessen, die, so glauben sie, ˇber den Tod hinaus Bestand hat. L e h r s a t z 3 5 . Gott liebt sich selbst mit einer unendlichen geistigen Liebe. B e w e i s : Gott ist unbedingt unendlich (nach Definition 6 des 1. Teils), d. h. (nach Definition 6 des 2. Teils), die Natur Gottes erfreut sich intern unendlicher Vollkommenheit und zwar (nach Lehrsatz 3 des 2. Teils) unter Begleitung der Idee seiner selbst, d. h. (nach Lehrsatz 11 und Definition 1 des 1. Teils) der Idee einer Ursache, die er selbst ist; und das ist es, was wir im Folgesatz zu Lehrsatz 32 dieses Teils als geistige Liebe bezeichnet haben. L e h r s a t z 3 6 . Des Geistes geistige Liebe zu Gott ist genau die Liebe Gottes, mit der Gott sich selbst liebt, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er durch die unter einem
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mentis, sub specie aeternitatis consideratam, explicari potest, hoc est, mentis erga Deum amor intellectualis pars est infiniti amoris, quo Deus se ipsum amat. D e m o n s t ra t i o . Hic mentis amor ad mentis actiones referri debet (per coroll. prop. 32. hujus et per prop. 3. p. 3.), qui proinde actio est, qua mens se ipsam contemplatur concomitante idea Dei tanquam causa (per prop. 32. hujus et ejus coroll.), hoc est (per coroll. prop. 25. p. 1. et coroll. prop. 11. p. 2.) actio, qua Deus, quatenus per mentem humanam explicari potest, seipsum contemplatur concomitante idea sui; atque adeo (per prop. praec.) hic mentis amor pars est infiniti amoris, quo Deus seipsum amat. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur, quod Deus, quatenus seipsum amat, homines amat, et consequenter quod amor Dei erga homines et mentis erga Deum amor intellectualis unum et idem sit.| S c h o l i u m . Ex his clare intelligimus, qua in re nostra salus seu beatitudo seu libertas consistit, nempe in constanti et aeterno erga Deum amore sive in amore Dei erga homines. Atque hic amor seu beatitudo in sacris codicibus gloria appellatur, nec immerito. Nam sive hic amor ad Deum referatur, sive ad mentem, recte animi acquiescentia, quae revera a gloria (per 25. et 30. affect. defin.) non distinguitur, appellari potest. Nam quatenus ad Deum refertur, est (per prop. 35. hujus) laetitia, liceat hoc adhuc vocabulo uti, concomitante idea sui, ut et quatenus ad mentem refertur (per prop. 27. hujus). Deinde quia nostrae mentis essentia in sola cognitione consistit, cujus principium et fundamentum Deus est (per
28 Deinde] kein Absatz in OP
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Aspekt von Ewigkeit betrachtete Essenz des menschlichen Geistes ausgedrˇckt werden kann, d. h., des Geistes geistige Liebe zu Gott ist Teil der unendlichen Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. B e w e i s : Diese dem Geist zukommende Liebe mu zu seinen Aktivitten gerechnet werden (nach Folgesatz zu Lehrsatz 32 dieses Teils und nach Lehrsatz 3 des 3. Teils); sie ist somit eine Aktivitt, in der der Geist sich selbst betrachtet unter Begleitung der Idee Gottes als seiner Ursache (nach Lehrsatz 32 dieses Teils einschlielich Folgesatz), d. h. (nach Folgesatz zu Lehrsatz 25 des 1. Teils und Folgesatz zu Lehrsatz 11 des 2. Teils) eine Aktivitt, in der Gott, insofern er durch den menschlichen Geist erklrt werden kann, sich selbst betrachtet unter Begleitung der Idee seiner selbst [als der Ursache]. Mithin ist (nach vorigem Lehrsatz) diese dem Geist zukommende Liebe Teil der unendlichen Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da Gott, insofern er sich selbst liebt, Menschen liebt, und folglich da Gottes Liebe zu den Menschen und des Geistes geistige Liebe zu Gott ein und dasselbe ist. A n m e r k u n g : Hieraus verstehen wir deutlich, worin unser Heil besteht, anders formuliert unsere Glˇckseligkeit oder Freiheit, nmlich in einer bestndigen und ewigen Liebe zu Gott, die zugleich Gottes Liebe zu den Menschen ist. Diese Liebe oder Glˇckseligkeit wird in den Heiligen Schriften Ruhmß genannt ^ nicht ohne Grund. Denn mag man diese Liebe auf Gott beziehen oder auf den Geist, sie kann zu Recht Zufriedenheit des Gemˇts genannt werden, die sich in der Tat von Ruhm (nach Definition 25 und 30 der Affekte) nicht unterscheidet. Denn bezogen auf Gott ist sie (nach Lehrsatz 35 dieses Teils) Freude ^ falls diesen Ausdruck zu gebrauchen noch gestattet ist ^ unter Begleitung der Idee seiner selbst [als ihrer Ursache], wie sie auch bezogen auf den Geist Freude ist (nach Lehrsatz 27 dieses Teils). Noch ein Punkt: Weil die Essenz unseres Geistes allein in Erkenntnis besteht, deren Anfang und Fundament Gott ist
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prop. 15. p. 1. et schol. prop. 47. p. 2.), hinc perspicuum nobis fit, quomodo et qua ratione mens nostra secundum essentiam et existentiam ex natura divina sequatur et continuo a Deo pendeat; quod hic notare operae pretium duxi, ut hoc exemplo ostenderem, quantum rerum singularium cognitio, quam intuitivam sive tertii generis appellavi (vide schol. 2. prop. 40. p. 2.), polleat potiorque sit cognitione universali, quam secundi generis esse dixi. Nam quamvis in prima parte generaliter ostenderim omnia (et consequenter mentem etiam humanam) a Deo secundum essentiam et existentiam pendere, illa tamen demonstratio, tametsi legitima sit et extra dubitationis aleam posita, non ita tamen mentem nostram afficit, quam quando id ipsum ex ipsa essentia rei cujuscunque singularis, quam a Deo pendere dicimus, concluditur. P r o p o s i t i o X X X V I I . Nihil in natura datur, quod huic amori intellectuali sit contrarium sive quod ipsum possit tollere. D e m o n s t ra t i o . Hic intellectualis amor ex mentis natura necessario sequitur, quatenus ipsa ut aeterna veritas per Dei naturam consideratur (per prop. 33. et. 29. hujus). Si quid ergo daretur, quod huic amori esset contrarium, id contrarium esset vero, et consequenter id, | quod hunc amorem posset tollere, efficeret, ut id, quod verum est, falsum esset, quod (ut per se notum) est absurdum. Ergo nihil in natura datur, etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Partis quartae axioma res singulares respicit, quatenus cum relatione ad certum tempus et locum considerantur, de quo neminem dubitare credo.
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(nach Lehrsatz 15 des 1. Teils und Anmerkung zu Lehrsatz 47 des 2. Teils), wird uns durchsichtig, wie, d. h. in welcher nachvollziehbaren Weise, unser Geist der Essenz wie der Existenz nach aus der g˛ttlichen Natur folgt und fortwhrend auf Gott beruht. Dies hier eigens zu erwhnen hielt ich der Mˇhe wert, wollte ich doch an diesem Beispiel zeigen, wie viel die Erkenntnis von Einzeldingen, die ich intuitiv oder die der dritten Erkenntnisgattung genannt habe (vgl. Anmerkung 2 zu Lehrsatz 40 des 2. Teils), auszurichten vermag und wieviel mchtiger sie ist als die auf Allgemeines gerichtete Erkenntnis, die ich die der zweiten Erkenntnisgattung genannt habe. Denn obwohl ich im ersten Teil im allgemeinen gezeigt habe, da alles (und folglich auch der menschliche Geist) der Essenz und Existenz nach auf Gott beruht, affiziert jener Beweis, mag er auch in Ordnung und ˇber allen Zweifel erhaben sein, doch unseren Geist nicht so, wie wenn ebendies gerade aus der Essenz irgendeines Einzeldinges geschlossen wird, von dem wir sagen, da es auf Gott beruht. L e h r s a t z 3 7. Es gibt nichts in der Natur, was dieser geistigen Liebe entgegengesetzt ist, d. h. was sie aufheben k˛nnte. B e w e i s : Die beschriebene geistige Liebe folgt notwendigerweise aus der Natur des Geistes, insofern er durch Gottes Natur und damit als eine ewige Wahrheit betrachtet wird (nach Lehrsatz 33 und 29 dieses Teils). Gbe es also etwas, das dieser Liebe entgegengesetzt ist, wre es dem Wahren entgegengesetzt; was diese Liebe aufheben k˛nnte, brchte es folglich mit sich, da was wahr ist, falsch wre, was (wie sich von selbst versteht) widersinnig ist. Also gibt es nichts in der Natur usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Das Axiom des 4. Teils handelt von Einzeldingen, insofern sie in Relation auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort betrachtet werden, was jedermann klar sein sollte.
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P r o p o s i t i o X X X V I I I . Quo plures res secundo et tertio cognitionis genere mens intelligit, eo minus ipsa ab affectibus, qui mali sunt, patitur et mortem minus timet. D e m o n s t ra t i o . Mentis essentia in cognitione consistit (per prop. 11. p. 2.); quo igitur mens plures res cognoscit secundo et tertio cognitionis genere, eo major ejus pars remanet (per prop. 23. et 29. hujus), et consequenter (per prop. praec.) eo major ejus pars non tangitur ab affectibus, qui nostrae naturae sunt contrarii, hoc est (per prop. 30. p. 4.) qui mali sunt. Quo itaque mens plures res secundo et tertio cognitionis genere intelligit, eo major ejus pars illaesa manet et consequenter minus ab affectibus patitur, etc. Q. e. d. S c h o l i u m . Hinc intelligimus id, quod in schol. prop. 39. p. 4. attigi et quod in hac parte explicare promisi; nempe, quod mors eo minus est noxia, quo mentis clara et distincta cognitio major est, et consequenter quo mens magis Deum amat. Deinde, quia (per prop. 27. hujus) ex tertio cognitionis genere summa, quae dari potest, oritur acquiescentia, hinc sequitur mentem humanam posse ejus naturae esse, ut id, quod ejus cum corpore perire ostendimus (vide prop. 21. hujus), in respectu ad id, quod ipsius remanet, nullius sit momenti. Sed de his mox prolixius. P r o p o s i t i o X X X I X . Qui corpus ad plurima aptum habet, is mentem habet, cujus maxima pars est aeterna. | D e m o n s t ra t i o . Qui corpus ad plurima agendum aptum habet, is minime affectibus, qui mali sunt, conflictatur (per prop. 38. p. 4.), hoc est (per prop. 30. p. 4.) affectibus, qui naturae nostrae sunt contrarii; atque adeo (per prop. 10. hujus) potestatem habet ordinandi et concatenandi corporis affectiones secundum ordinem ad intellectum, et consequen-
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L e h r s a t z 3 8 . Je mehr Dinge der Geist in der zweiten und dritten Erkenntnisgattung einsieht, umso weniger erleidet er von Affekten, die schlecht sind, und umso weniger fˇrchtet er den Tod. B e w e i s : Die Essenz des Geistes besteht in Erkenntnis (nach Lehrsatz 11 des 2. Teils). Je mehr Dinge der Geist also in der zweiten und dritten Erkenntnisgattung erkennt, umso gr˛er ist der Teil von ihm, der bestehen bleibt (nach Lehrsatz 23 und 29 dieses Teils); und umso gr˛er ist folglich der Teil von ihm, der nicht von Affekten berˇhrt wird, die unserer Natur entgegengesetzt sind, d. h. (nach Lehrsatz 30 des 4. Teils) die schlecht sind. Je mehr Dinge der Geist also in der zweiten und dritten Erkenntnisgattung einsieht, umso gr˛er ist der Teil von ihm, der unangefochten bleibt; und folglich erleidet er weniger von Affekten usw. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Daraus verstehen wir, was ich in der Anmerkung zu Lehrsatz 39 des 4. Teils angeschnitten und in diesem Teil zu erlutern versprochen habe, da nmlich der Tod umso weniger schdlich ist, je gr˛er die klare und deutliche Erkenntnis des Geistes ist, und folglich je mehr der Geist Gott liebt. Weil ferner (nach Lehrsatz 27 dieses Teils) der dritten Erkenntnisgattung die h˛chste Zufriedenheit entspringt, die es geben kann, folgt daraus, da der menschliche Geist von einer solchen Natur sein kann, da das von ihm, was, wie wir gezeigt haben (siehe Lehrsatz 21 dieses Teils), mit dem K˛rper vergeht, im Verhltnis zu dem, was von ihm bestehen bleibt, von keiner Bedeutung ist. Doch hiervon gleich ausfˇhrlicher. L e h r s a t z 3 9. Wer einen K˛rper hat, der zu sehr vielem befhigt ist, hat einen Geist, dessen gr˛ter Teil ewig ist. B e w e i s : Wer einen K˛rper hat, der fhig ist, sehr vieles zu tun, wird weniger von Affekten bedrngt, die schlecht sind (nach Lehrsatz 38 des 4. Teils), d. h. (nach Lehrsatz 30 des 4. Teils) von Affekten, die unserer Natur entgegengesetzt sind. Mithin hat er (nach Lehrsatz 10 dieses Teils) die Gewalt, die Affektionen des K˛rpers gem einer Ordnung zu ord-
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ter efficiendi (per prop. 14. hujus), ut omnes corporis affectiones ad Dei ideam referantur, ex quo fiet (per prop. 15. hujus), ut erga Deum afficiatur amore, qui (per prop. 16. hujus) mentis maximam partem occupare sive constituere debet, ac proinde (per prop. 33. hujus) mentem habet, cujus maxima pars est aeterna. Q. e. d. S c h o l i u m . Quia corpora humana ad plurima apta sunt, non dubium est, quin ejus naturae possint esse, ut ad mentes referantur, quae magnam sui et Dei habeant cognitionem et quarum maxima seu praecipua pars est aeterna, atque adeo ut mortem vix timeant. Sed ut haec clarius intelligantur, animadvertendum hic est, quod nos in continua vivimus variatione et prout in melius sive in pejus mutamur, eo felices aut infelices dicimur. Qui enim ex infante vel puero in cadaver transiit, infelix dicitur, et contra id felicitati tribuitur, quod totum vitae spatium mente sana in corpore sano percurrere potuerimus. Et revera qui corpus habet, ut infans vel puer, ad paucissima aptum et maxime pendens a causis externis, mentem habet, quae in se sola considerata nihil fere sui nec Dei nec rerum sit conscia; et contra, qui corpus habet ad plurima aptum, mentem habet, quae in se sola considerata multum sui et Dei et rerum sit conscia. In hac vita igitur apprime conamur, ut corpus infantiae in aliud, quantum ejus natura patitur eique conducit, mutetur, quod ad plurima aptum sit quodque ad mentem referatur, quae sui et Dei et rerum plurimum sit conscia; atque ita ut id omne, quod ad ipsius memoriam
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nen und zu verketten, die dem Verstand gem ist, und folglich zuwege zu bringen (nach Lehrsatz 14 dieses Teils), da alle Affektionen des K˛rpers auf die Idee Gottes bezogen werden. Das hat zur Folge (nach Lehrsatz 15 dieses Teils), da er mit einer Liebe zu Gott affiziert wird, die (nach Lehrsatz 16 dieses Teils) den gr˛ten Teil des Geistes einnehmen, anders formuliert ausmachen mu. Somit hat er (nach Lehrsatz 33 dieses Teils) einen Geist, dessen gr˛ter Teil ewig ist. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Weil menschliche K˛rper zu sehr vielem befhigt sind, besteht kein Zweifel, da sie von einer solchen Natur sein k˛nnen, da sie Geistern korrespondieren, die eine groe Erkenntnis von sich und von Gott haben und deren gr˛ter Teil, der Hauptteil also, ewig ist, die mithin den Tod kaum fˇrchten. Um dies aber klarer zu verstehen, ist hier darauf hinzuweisen, da wir in stndiger Vernderung leben und da wir, je nachdem wir uns zum Besseren oder zum Schlechteren verndern, glˇcklich oder unglˇcklich genannt werden. Wer nmlich vom Zustand eines Kleinkindes oder Kindes in den eines Kadavers ˇbergegangen ist, wird unglˇcklich genannt, whrend es andererseits als Glˇck angesehen wird, wenn wir die ganze Spanne unseres Lebens mit einem gesunden Geist in einem gesunden K˛rper haben durchlaufen k˛nnen. Und in der Tat, wer, wie ein Kleinkind oder Kind, einen K˛rper hat, der zu sehr wenigem befhigt ist und in sehr hohem Mae von ueren Ursachen abhngt, hat einen Geist, der, allein in sich betrachtet, von sich, von Gott und von den Dingen nahezu nichts wei; wer andererseits einen K˛rper hat, der zu sehr vielem befhigt ist, hat einen Geist, der, allein in sich betrachtet, von sich, von Gott und von den Dingen sehr viel wei. In diesem Leben sind wir deshalb hauptschlich darauf aus, da der K˛rper unserer Kindheit sich in einen anderen verwandelt, soweit seine Natur es erlaubt und soweit es ihm zutrglich ist, in einen solchen, der zu sehr vielem befhigt ist und darin einem Geist korrespondiert, der von sich, von Gott und von den Dingen sehr viel wei, mithin da all das, was zu sei-
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vel imaginationem refertur, in respectu ad intellectum vix alicujus sit momenti, ut in schol. prop. praeced. jam dixi.|
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P r o p o s i t i o X L . Quo unaquaeque res plus perfectionis habet, eo magis agit et minus patitur, et contra, quo magis agit, eo perfectior est. D e m o n s t ra t i o . Quo unaquaeque res perfectior est, eo plus habet realitatis (per defin. 6. p. 2.) et consequenter (per prop. 3. p. 3. cum ejus schol.) eo magis agit et minus patitur; quae quidem demonstratio inverso ordine eodem modo procedit, ex quo sequitur, ut res contra eo sit perfectior, quo magis agit. Q. e. d. C o r o l l a r i u m . Hinc sequitur partem mentis, quae remanet, quantacunque ea sit, perfectiorem esse reliqua. Nam pars mentis aeterna (per prop. 23. et 29. hujus) est intellectus, per quem solum nos agere dicimur (per prop. 3. p. 3.); illa autem, quam perire ostendimus, est ipsa imaginatio (per prop. 21. hujus), per quam solam dicimur pati (per prop. 3. p. 3. et gen. affect. defin.); atque adeo (per prop. praec.) illa, quantacunque ea sit, hac est perfectior. Q. e. d. S c h o l i u m . Haec sunt, quae de mente, quatenus sine relatione ad corporis existentiam consideratur, ostendere constitueram; ex quibus et simul ex prop. 21. p. 1. et aliis apparet, quod mens nostra, quatenus intelligit, aeternus cogitandi modus sit, qui alio aeterno cogitandi modo determinatur, et hic iterum ab alio, et sic in infinitum; ita ut omnes simul Dei aeternum et infinitum intellectum constituant.
7 defin. 6.] axiom. 6. korr. Gebhardt
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ner Erinnerung oder Vorstellungskraft geh˛rt, verglichen mit dem Verstand, kaum von Bedeutung ist, wie ich schon in der Anmerkung zu vorigem Lehrsatz gesagt habe. L e h r s a t z 4 0 . Je mehr an Vollkommenheit ein jedes Ding hat, umso aktiver ist es und umso weniger erleidet es etwas, und umgekehrt, je aktiver es ist, umso vollkommener ist es. B e w e i s : Je vollkommener ein jedes Ding ist, umso mehr Realitt hat es (nach Definition 6 des 2. Teils) und folglich (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils einschlielich Anmerkung) umso aktiver ist es und umso weniger erleidet es etwas; der zweite Teil des Beweises wird in umgekehrter Ordnung in gleicher Weise gefˇhrt, woraus umgekehrt folgt, da ein Ding umso vollkommener ist, je aktiver es ist. W. z. b. w. Fo l g e s a t z : Hieraus folgt, da der Teil des Geistes, der bestehen bleibt, wie gro er auch sein mag, vollkommener ist als der andere. [ B e w e i s : ] Denn der ewige Teil des Geistes ist (nach Lehrsatz 23 und 29 dieses Teils) der Verstand, durch den allein sich von uns sagen lt, da wir aktiv sind (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils), whrend der andere, von dem wir gezeigt haben, da er vergeht, eben die Vorstellungskraft ist (nach Lehrsatz 21 dieses Teils), durch die allein sich von uns sagen lt, da wir etwas erleiden (nach Lehrsatz 3 des 3. Teils und der allgemeinen Definition der Affekte). Mithin ist (nach vorigem Lehrsatz) jener Teil, wie gro er auch sein mag, vollkommener als dieser. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Das ist es, was ich mir vorgenommen hatte, von dem Geist, insofern er ohne Beziehung auf die Existenz des K˛rpers betrachtet wird, zu zeigen. Hieraus ^ und zugleich aus Lehrsatz 21 des 1. Teils und aus anderem ^ ist deutlich, da unser Geist, insofern er einsieht, ein ewiger Modus des Denkens ist, der von einem anderen ewigen Modus des Denkens bestimmt wird, und dieser wiederum von einem anderen und so ins Unendliche, so da alle zusammen Gottes ewigen und unendlichen Verstand ausmachen.
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P r o p o s i t i o X L I . Quamvis nesciremus mentem nostram aeternam esse, pietatem tamen et religionem et absolute omnia, quae ad animositatem et generositatem referri ostendimus in quarta parte, prima haberemus. D e m o n s t ra t i o . Primum et unicum virtutis seu recte vivendi rationis fundamentum (per coroll. prop. 22. et per prop. 24. p. 4.) est suum utile quaerere. Ad illa autem determinandum, quae ratio utilia esse dictat, nullam rationem habuimus mentis aeternitatis, quam de|mum in hac quinta parte novimus. Quamvis igitur tum temporis ignoraverimus mentem esse aeternam, illa tamen, quae ad animositatem et generositatem referri ostendimus, prima habuimus; atque adeo, quamvis etiam nunc hoc ipsum ignoraremus, eadem tamen rationis praescripta prima haberemus. Q. e. d. S c h o l i u m . Communis vulgi persuasio alia videtur esse. Nam plerique videntur credere se eatenus liberos esse, quatenus libidini parere licet, et eatenus de suo jure cedere, quatenus ex legis divinae praescripto vivere tenentur. Pietatem igitur et religionem et absolute omnia, quae ad animi fortitudinem referuntur, onera esse credunt, quae post mortem deponere et pretium servitutis, nempe pietatis et religionis, accipere sperant; nec hac spe sola, sed etiam et praecipue metu, ne diris scilicet suppliciis post mortem puniantur, inducuntur, ut ex legis divinae praescripto, quantum eorum fert tenuitas et impotens animus, vivant; et nisi haec spes et metus hominibus inessent, at contra si crederent mentes cum corpore interire nec restare miseris, pietatis onere confectis, vivere
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L e h r s a t z 4 1 . Selbst wenn wir nicht wˇten, da unser Geist ewig ist, wˇrden wir doch Moralitt und Religion und ˇberhaupt alles, wovon wir im 4. Teil gezeigt haben, da es mit Selbstvertrauen und Edelmut zu tun hat, fˇr das Wichtigste halten. B e w e i s : Die erste und einzige Grundlage von Tugend, d. h. einer richtigen Lebensfˇhrung, ist (nach Folgesatz zu Lehrsatz 22 und nach Lehrsatz 24 des 4. Teils), den eigenen Vorteil zu suchen. Um das, was die Vernunft hierfˇr als nˇtzlich vorschreibt, zu bestimmen, haben wir der Ewigkeit des Geistes aber nicht Rechnung getragen, die wir erst im 5. Teil kennengelernt haben. Obwohl wir also damals nicht gewut hatten, da der Geist ewig ist, haben wir das, von dem wir gezeigt haben, da es mit Selbstvertrauen und Edelmut zu tun hat, doch fˇr das Wichtigste gehalten. Mithin gilt: Selbst wenn wir es auch jetzt nicht wˇten, wˇrden wir doch dieselben Vorschriften der Vernunft fˇr das Wichtigste halten. W. z. b. w. A n m e r k u n g : Die gelufige berzeugung der Menge scheint eine andere zu sein. Denn die meisten glauben, so sieht es aus, da sie in dem Mae frei sind, wie es ihnen gestattet ist, ihrer sinnlichen Lust zu fr˛nen, und da sie ihr Recht in dem Mae aufgeben, wie sie gehalten werden, nach der Vorschrift des g˛ttlichen Gesetzes zu leben. Moralitt also und Religion und ˇberhaupt alles, was zur Charakterstrke geh˛rt, halten sie fˇr Bˇrden, die sie hoffen nach dem Tode abzulegen, zugleich in der Hoffnung, dann einen Lohn fˇr ihren Dienst, als den sie Moralitt und Religion verstehen, zu empfangen. Aber nicht diese Hoffnung allein ist es, sondern auch und hauptschlich die Furcht, nach dem Tode schrecklich bestraft zu werden, die sie dazu bringt, nach der Vorschrift des g˛ttlichen Gesetzes zu leben, soweit ihre rmlichkeit und Charakterschwche ihnen das ˇberhaupt erlaubt. Wˇrden Menschen diese Hoffnung und Furcht nicht haben, sondern stattdessen glauben, da der Geist mit dem K˛rper zugrunde geht und da den Nichtswˇrdigen, m˛gen sie sich auch unter den Bˇrden der Moralitt verausgabt ha-
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longius, ad ingenium redirent et ex libidine omnia moderari et fortunae potius quam sibi parere vellent. Quae mihi non minus absurda videntur, quam si quis propterea, quod non credit se posse bonis alimentis corpus in aeternum nutrire, venenis potius et lethiferis se exsaturare vellet; vel quia videt mentem non esse aeternam seu immortalem, ideo amens mavult esse et sine ratione vivere; quae adeo absurda sunt, ut vix recenseri mereantur. P r o p o s i t i o X L I I . Beatitudo non est virtutis praemium, sed ipsa virtus; nec eadem gaudemus, quia libidines coercemus, sed contra quia eadem gaudemus, ideo libidines coercere possumus. D e m o n s t ra t i o . Beatitudo in amore erga Deum consistit (per prop. 36. hujus et ejus schol.), qui quidem amor ex tertio cognitionis genere oritur |(per coroll. prop. 32. hujus), atque adeo hic amor (per prop. 59. et 3. p. 3.) ad mentem, quatenus agit, referri debet; ac proinde (per defin. 8. p. 4.) ipsa virtus est, quod erat primum. Deinde quo mens hoc amore divini seu beatitudine magis gaudet, eo plus intelligit (per prop. 32. hujus), hoc est (per coroll. prop. 3. hujus), eo majorem in affectus habet potentiam et (per prop. 38. hujus) eo minus ab affectibus, qui mali sunt, patitur; atque adeo ex eo, quod mens hoc amore divino seu beatitudine gaudet, potestatem habet libidines coercendi; et quia humana potentia ad coercendos affectus in solo intellectu consistit, ergo nemo beatitudine gaudet, quia affectus coercuit; sed contra potestas libidines coercendi ex ipsa beatitudine oritur. Q. e. d.
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ben, kein kˇnftiges Leben bevorsteht, dann wren sie wieder bei ihrer natˇrlichen Disposition und z˛gen es vor, alles nach ihrer sinnlichen Lust zu regeln und mehr blindem Geschick als sich selbst zu gehorchen. Das kommt mir nicht weniger widersinnig vor, als wenn jemand, weil er nicht glaubt, mit guter Kost seinen K˛rper auf Ewigkeit ernhren zu k˛nnen, sich lieber mit Giften und anderem t˛dlichen Zeug vollstopfen wollte, oder weil er sieht, da der Geist nicht ewig oder unsterblich ist, es vorzieht, geistlos zu sein und vernunftlos zu leben: Ansichten, die so widersinnig sind, da sie kaum der Erwhnung wert sind. L e h r s a t z 4 2 . Glˇckseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern genau Tugend; noch haben wir eine innere Freude an ihr, weil wir unsere sinnlichen Lˇste hemmen; sondern umgekehrt, weil wir an ihr eine innere Freude haben, k˛nnen wir unsere sinnlichen Lˇste hemmen. B e w e i s : Glˇckseligkeit besteht in Liebe zu Gott (nach Lehrsatz 36 dieses Teils einschlielich Anmerkung), in einer Liebe, die der dritten Erkenntnisgattung entspringt (nach Folgesatz zu Lehrsatz 32 dieses Teils). Mithin mu diese Liebe (nach Lehrsatz 59 und 3 des 3. Teils) dem Geist angeh˛ren, insofern er aktiv ist; somit ist sie (nach Definition 8 des 4. Teils) genau Tugend. Das war das erste. Ferner, je mehr der Geist an dieser g˛ttlichen Liebe oder Glˇckseligkeit eine innere Freude hat, umso mehr sieht er ein (nach Lehrsatz 32 dieses Teils), d. h. (nach Folgesatz zu Lehrsatz 3 dieses Teils) eine umso gr˛ere Macht hat er ˇber die Affekte und umso weniger erleidet er (nach Lehrsatz 38 dieses Teils) von Affekten, die schlecht sind. Weil der Geist an dieser g˛ttlichen Liebe oder Glˇckseligkeit eine innere Freude hat, hat er mithin die Gewalt, sinnliche Lˇste zu hemmen; und weil die menschliche Macht, die Affekte zu hemmen, allein in dem Verstand besteht, hat niemand an Glˇckseligkeit eine innere Freude, weil er die Affekte gehemmt hat; sondern umgekehrt, Glˇckseligkeit selbst ist es, der die Gewalt, sinnliche Lˇste zu hemmen, entspringt. W. z. b. w.
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5
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15
Pars Quinta ˝ De Potentia Intellectus
308
S c h o l i u m . His omnia, quae de mentis in affectus potentia quaeque de mentis libertate ostendere volueram, absolvi. Ex quibus apparet, quantum sapiens polleat potiorque sit ignaro, qui sola libidine agitur. Ignarus enim, praeterquam quod a causis externis multis modis agitatur nec unquam vera animi acquiescentia potitur, vivit praeterea sui et Dei et rerum quasi inscius, et simulac pati desinit, simul etiam esse desinit. Cum contra sapiens, quatenus ut talis consideratur, vix animo movetur, sed sui et Dei et rerum aeterna quadam necessitate conscius nunquam esse desinit, sed semper vera animi acquiescentia potitur. Si jam via, quam ad haec ducere ostendi, perardua videatur, inveniri tamen potest. Et sane arduum debet esse, quod adeo raro reperitur. Qui enim posset fieri, si salus in promptu esset et sine magno labore reperiri posset, ut ab omnibus fere negligeretur? Sed omnia praeclara tam difficilia quam rara sunt. Finis
5 quod] Hinzufˇgung Gebhardt
V. Teil ˝ Von der Macht des Verstandes
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A n m e r k u n g : Damit habe ich alles erledigt, was ich hinsichtlich der Macht des Geistes ˇber die Affekte und hinsichtlich seiner Freiheit hatte zeigen wollen. Daraus ist klar, wie viel der Weise vermag und wieviel mchtiger er ist als der nur von sinnlicher Lust getriebene Unwissende. Wer nmlich unwissend ist, lebt, auer da er von ueren Ursachen auf vielfache Weise umhergetrieben wird und nie seinen inneren Frieden findet, auch in einer Weise, da er von sich, von Gott und von den Dingen fast nichts wei; er ist einer, der, sobald er aufh˛rt, etwas zu erleiden, zugleich auch aufh˛rt zu sein. Der Weise andererseits, als ein solcher betrachtet, ist nahezu ruhigen Gemˇts; sich seiner selbst, Gottes und der Dinge nach einer gewissen ewigen Notwendigkeit bewut, h˛rt er niemals auf zu sein, sondern geniet immer wahren inneren Frieden. Wenn auch der dahin fˇhrende Weg, den ich aufgezeigt habe, sehr schwer zu sein scheint, gefunden werden kann er doch. Und natˇrlich mu das, was so selten gefunden wird, schwer sein. Wenn das Heil einfach dalge und ohne groe Anstrengung gefunden werden k˛nnte, wie wre es dann m˛glich, da fast jeder es fahren lt? Aber alles, was vortrefflich ist, ist ebenso schwierig wie selten. Ende
WR T E RV E R Z E ICH N IS lateinisch-deutsch
abjectio Kleinmut absolutus unbedingt, uneinge-
schrnkt (per) accidens zufllig acquiescentia Zufriedenheit acquiescentia in se ipso Selbstzu-
friedenheit actio (agere) Handlung; Aktiviactualis; actu wirklich [tt admiratio (admirari) Erstaunen; Bewunderung aemulatio Wetteifer aequitas Billigkeit aequus; aequalis gleich; gleichmig aequus animus Gleichmut aeternitas, aeternus Ewigkeit, ewig affectio (afficere) Affektion affectus Affekt affirmatio (affirmare) Bejahung ambitio, ambitiosus Ehrgeiz, ehrgeizig amicitia Freundschaft amor (amare) Liebe anima, animatus Seele, beseelt animi libertas Geistesfreiheit animi praesentia Geistesgegenwart animositas Selbstvertrauen animus Gemˇt appetitus (appetere) Trieb, verlangen aptus fhig
ars Kunst attributum Attribut audacia, audax Kˇhnheit, kˇhn avaritia, avarus Habgier, habgieaversio Abneigung [rig axioma Axiom beatitudo, beatus Glˇckseligkeit,
glˇckselig benevolentia Wohlwollen bonus gut brutum Tier, niederes Lebewe-
sen castitas Keuschheit causa Ursache cerebrum Gehirn certitudo, certus Gewiheit,
gewi certo et determinato modo auf
bestimmte und geregelte Weise circulus Kreis civitas Staat clare et distincte klar und deutlich clementia Mildttigkeit coactus gezwungen coercere hemmen Cogitatio Denken [Attribut] cogitatio (cogitare) Denken, Gedanke [Akt] cognitio (cognoscere) Erkenntnis commiseratio (misereri) Mitleid communis gemein, gemeinsam
598
W˛rterverzeichnis
comparatus auf einer Stufe ste-
hend componere, compositus zusam-
mensetzen, zusammengesetzt conatus (conari) Streben concatenatio Verkettung conceptus (concipere) Begriff concordia Eintracht conflictari bedrngt, mitgenommen werden confusio, confusus Verwirrung, verworren connexio Verknˇpfung conscientia Bewutsein conscientia sui Selbstbewutsein conscientiae morsus Gewissensbi conservatio (conservare) Erhaltung consternatio Bestˇrzung constituere ausmachen constitutio Zustand, Verfassung consuetudo Gewohnheit contemplari betrachten contemptus (contemnere)
Geringschtzung contingentia, contingens Zufall,
zufllig continuus kontinuierlich contradictio Widerspruch contrarius entgegengesetzt convenire ˇbereinkommen; ˇber-
einstimmen corollarium Folgesatz corpus K˛rper corruptio, corruptibilis Vergehen,
vergnglich crudelitas Grausamkeit cupiditas (cupere) Begierde
damnum (damnum inferre) Scha-
den decretum Beschlu; Entschei-
dung dedignatio Verachtung definitio Definition delirium Wahnsinn demonstratio (demonstrare)
Beweis dependere abhngen von; beru-
hen auf desiderium Sehnsucht despectus Unterschtzung desperatio Verzweiflung destruere zerst˛ren determinatio (determinare)
Bestimmung Deus Gott devotio Verehrung dictamen rationis Gebot der Vernunft discordia Zwietracht distinctus (distinguere) unterschieden diversitas, diversus Verschiedenheit, verschieden divisibilis (dividere) teilbar dolor Schmerz dubitatio (dubitare) Zweifel duratio (durare) Dauer ebrietas Trunksucht educatio Erziehung effectus Wirkung ens Seiendes, Entitt error (errare) Irrtum esse Sein essentia Essenz excessus berma exemplar Musterbild
W˛rterverzeichnis
599
existentia (existere) Existenz existimatio berschtzung experientia (experiri) Erfahrung explicatio (explicare) Erluterung
hilaritas Heiterkeit homo, humanus Mensch,
(erklren) exprimere ausdrˇcken Extensio Ausdehnung [Attribut] extensus ausgedehnt
Anstndigkeit, anstndig horror Entsetzen humanitas Menschenfreundlichkeit humilitas Demut
facultas Verm˛gen falsitas, falsus Falschheit,
falsch fastidium berdru fatum Schicksal favor (favere) Gunst felicitas Glˇck fictio (fingere), figmentum Fik-
tion; Einbildung fides, fidus Vertrauen, zuverlssig, loyal finis Zweck finitus endlich fluctuatio animi Schwankung des Gemˇts forma Form, Sein formalis seiend; ansichseiend fortitudo animi Charakterstrke fortuna Schicksal, Geschick frui genieen fundamentum Grundlage futurus Zukunft, zukˇnftig gaudium (gaudere) Fr˛hlichkeit,
Frohgefˇhl; sich innerlich erfreuen generositas Edelmut genus Gattung gloria (gloriari) Ruhm gratia; gratitudo Dank; Dankbarkeit
menschlich honestas, honestus Anstand,
idea Idee ideatum Gegenstand ignorantia, ignarus Unwissen-
heit, unwissend imaginatio Vorstellung; Vorstellungskraft imaginari vorstellen imago Vorstellungsbild, Bild imbecillitas Schwachheit imitatio (imitari) Nachahmung imperfectio, imperfectus Unvollkommenheit, unvollkommen imperium Herrschaft impossibilis unm˛glich impotentia Ohnmacht inconstantia, inconstans Unbestndigkeit, unbestndig indefinitus unbestimmt indignatio Entrˇstung individuum Individuum indivisibilis unteilbar infans Kind infinitus unendlich; unendlich viel ingenium Sinnesart ingratitudo Undankbarkeit injuria Schaden injustus ungerecht intellectualis geistig intellectus Verstand
600
W˛rterverzeichnis
intelligere einsehen, Einsicht
haben invidia (invidere), invidus Neid,
neidisch ira (irasci) Zorn irrisio (irridere) Spott
molestus lstig mors Tod motus (moveri) Bewegung mutatio (mutari) Vernderung natura Natur [Universum];
Natur [Essenz] judicium (judicare) Urteil jus Recht justitia, justus Gerechtigkeit,
gerecht laetitia (laetari) Freude laus (laudare) Lob lemma Hilfssatz lex Gesetz libertas, liberus Freiheit, frei libido Lˇsternheit, sinnliche
Lust, Gelˇst luxuria Schwelgerei malum Schaden; bel malus schlecht materia Materie mathematica; mathesis Mathema-
tik medium Mittel melancholia Schwermut memoria (meminisse) Erinne-
rung, Gedchtnis mens Geist meritum Verdienst methodus Methode metus Furcht misericordia Barmherzigkeit,
Mitgefˇhl moderari migen, zˇgeln modestia Geflligkeit modificatio Modifikation modus Modus; Weise
necessitas, necessarius Notwen-
digkeit, notwendig negatio (negare) Verneinung nomen Name norma Norm notio communis Gemeinbegriff notio universalis Allgemeinbegriff oboedientia Gehorsam objective objektiv objectum Objekt, Gegenstand odium (odio habere) Ha operari (aliquid) wirken; etwas
bewirken opinio Meinung opus Werk ordo (ordinare) Ordnung origo Ursprung oriri entspringen pars Teil particularis besonders passio (pati) Erleiden; Leiden-
schaft peccatum Sˇnde pecunia Geld perceptio (percipere) Wahrneh-
mung perfectio, perfectus Vollkommen-
heit, vollkommen perfectissimus h˛chstvollkommen
W˛rterverzeichnis periculum Gefahr perseverare verharren philautia Eigenliebe pietas Moralitt poenitentia Reue positivus positiv possibilis m˛glich postulatum (postulare) Postulat
(fordern) potentia Macht potentia agendi Wirkungsmacht potestas Gewalt praejudicium Vorurteil praemium Lohn, Belohnung praesentia, praesens Gegenwart,
gegenwrtig praeteritus Vergangenheit, vergangen privatio Mangel propensio Zuneigung propositio Lehrsatz proprietas Eigenschaft proprius eigentˇmlich prudentia Klugheit pudor Scham pusillanimitas Feigheit quantitas Quantitt, Gr˛e quies (quiescere) Ruhe ratio Vernunft; Grund realitas Realitt recordari sich erinnern religio Religion remedia affectuum Heilmittel fˇr
die Affekte res Ding, Sache res singularis Einzelding reverentia Ehrfurcht risus (ridere) Lachen, Gelchter
601
saevitia Rohheit salus Heil sapientia, sapiens Weisheit,
weise scholium Anmerkung scientia Wissenschaft scientia intuitiva intuitive
Erkenntnis scire wissen securitas Zuversicht sensus Sinn, Sinnlichkeit sentire empfinden servitus, servus (servire) Knechtschaft, Knecht signum Zeichen; Merkmal similitudo, similis hnlichkeit, hnlich simplex einfach sobrietas Nˇchternheit somnium (somniare) Traum spatium Raum species Art; Anschein species aeternitatis Aspekt von Ewigkeit spes Hoffnung substantia Substanz summum bonum h˛chstes Gut superbia, superbus Hochmut, hochmˇtig superstitio Aberglaube temperantia Migkeit; Selbstbe-
herrschung tempus Zeit timor (timere) Angst, ngstlich-
keit; auch Furcht titillatio Lust totum Ganzes transitio (transire) bergang tristitia (contristari) Trauer
602
W˛rterverzeichnis
unicus, unus einzig unio, unitus Vereinigung, verei-
nigt unitas Einheit universalis allgemein usus Gebrauch; Praxis utilitas, utile Vorteil; Nutzen,
nˇtzlich vacuum leerer Raum veneratio Hochachtung verbum Wort verecundia Schamgefˇhl
veritas, verus Wahrheit, wahr vestigium Spur via Weg vindicta (vindicare) Rache virtus Tugend; Tˇchtigkeit vis Kraft vita (vivere) Leben vitium Fehler, Laster vituperium Tadel voluntas (velle) Wille vulgus Volk, Menge
zelotypia Eifersucht
S ACHR E GIST E R
Aberglaube 83, 215, 309, 441, 451, 459, 489, 523 Abneigung def. 345; 519 Affekt def. 223, 369 f.; 15, 103, 219 f., 233, 245-335, 383, 393405, 479 f., 493, 527, 535-563, 579, 585, 593 f. ursprˇngliche Affekte 245, 327, 333, 341, 369 Affektion 5-13, 31, 57, 65, 93, 125, 141-165, 171-175, 223, 337, 393 f., 535-547, 555, 565, 585 f. hnlichkeit, hnlich 149, 253 f., 265-273, 281f., 299, 303, 315, 349, 429, 497 Aktivitt, aktiv sein def. 223; 101, 225 f., 331f., 405, 417-423, 431, 467, 479, 485, 489, 507, 539, 557 f., 589 allgemein 179 f., 209, 219f, 303, 321, 373 f., 515, 583 Allgemeinbegriff 199, 213 Angst, ngstlichkeit def. 293, 363; 311, 361-367, 489 f. Anstand, Anstndigkeit, anstndig def. 441; 361, 411, 479, 513, 517 Aspekt von Ewigkeit 191f., 485, 565-581 Attribut def. 5; 9 f., 19 f., 29, 4955, 103-113, 227-235 siehe auch Gott in seinen Attributen
Ausdehnung [Attribut] 31, 105, 111f. 125, 153, 205, 227, 235, 337, 391 siehe auch Substanz, k˛rper[liche Barmherzigkeit 215, 349 Begierde, begehren def. 243, 337; 65, 81f. 103, 199, 251, 281-293, 323-335, 371, 403-409, 415, 439 f., 455, 479-489, 569 f. Begriff 5, 9, 15, 99-103, 109, 175181, 193, 199-205, 325, 377 f., 531, 537, 555, 565 Bejahung, bejahen 15, 199-213, 235, 243, 247, 267, 371, 399 Beschlu 73 f., 215, 503 besondere [Dinge] 57, 167, 199 Bestimmung 127, 235, 487, 531, 567 Bestˇrzung def. 365; 293, 315 Bewegung und Ruhe 67 f., 129137, 227, 235, 449-453 Bewunderung 181, 321, 519 Bewutsein, bewut 81, 171, 233, 241f., 337, 377, 395, 413, 491, 525, 579 Billigkeit 513, 517 Charakterstrke 323, 333, 497, 505, 551, 591 Dank, Dankbarkeit def. 297, 361; 499 f., 515 Dauer, dauern def. 101; 7, 51-57,
604
Sachregister
113, 145, 165 f., 193, 241, 381, 487, 563-573, 579 Definition 7, 17 f., 41, 71 Demut def. 319, 353; 357, 469 f. Denken [Attribut] 51f., 65 f., 103-113, 151f., 199, 205, 227, 235, 273, 337, 391 Denken, Gedanke [Akt] 5, 65 f., 101, 109-115, 149, 153, 187, 197, 205, 227, 341, 377, 535, 539, 551, 561, 567 siehe auch Macht des Geistes, des Denkens Descartes 219 f., 529-533 Dreieck 17, 23, 43 f., 201, 213 f., 475 Edelmut 333, 369, 461, 505, 511, Ehrfurcht 471 [549, 591 Ehrgeiz, ehrgeizig def. 275, 365; 279 f., 325, 357, 367, 457, 519, 539 Eigenliebe def. 319; 355, 463 Eigenschaft 101, 167, 179-183, 221, 327, 343, 351, 355, 477, 487, 545, 553, 561 eigentˇmlich 175, 321f. Einbildung, Fiktion 85, 119, 143, 199, 205, 311 einfach 133, 137, 141, 183, 345 Einsicht haben, einsehen 67, 95, 127, 187, 215, 331f., 417-423, 469, 509, 525, 533, 539 f., 553561, 569 f., 577, 585, 589 Eintracht, eintrchtig 445-451, 513-517 Einzelding def. 101; 59 f., 103, 113117, 121, 151-157, 167, 173, 177, 193, 237 f., 313, 381, 385, 389 f., 423, 433, 511, 543, 569, 583
einzig 11f., 17-21, 31, 37 f., 47, 77 f., 101, 107, 111 empfinden 103, 125, 145, 205, 209, 329, 443, 567 endlich def. 5; 15, 25, 59-67, 101, 205, 241, 427 entgegengesetzt 239-247, 289, 333, 383, 393 f., 409, 415, 425431, 437, 445, 511, 535, 545 f., 559, 583 f. Entrˇstung def. 263, 349; 467, 505, 517 Entscheidung 231-237, 343, 353 Entsetzen 315 Erfahrung, erfahren 85, 145, 229 f., 257, 281, 353, 435, 451, 519, 527, 533, 543, 567 (sich innerlich) erfreuen 435439, 515, 579, 593 Erhaltung, (sich) erhalten 139, 243, 249, 259, 289, 303, 337, 389, 395, 409-421, 433, 443-451, 483 f., 495, 503, 511, 519 f., 531f., 543 Erinnerung, sich erinnern def. 147; 93, 181, 189, 233 f., 249, 287, 305 f., 359, 399, 451, 565 f., 579, 589 Erkenntnis, erkennen 9, 15, 71, 85, 99, 109 f., 117, 123, 151-157, 169 f., 183 f., 505, 533, 539, 553 adquate 125, 157-167, 183, 195, 437, 487, 493, 507 f., 575 inadquate 123, 165-169, 487, 491, 507 intuitive [auch: der dritten Gattung] 183 f., 195, 509, 563585 rationale [auch: der zweiten Gattung] 183 f., 571, 583 f.
Sachregister Gottes 33, 195, 215, 421f., 437441, 509, 563, 575 f. des Guten und Schlechten 395, 403-407, 413, 487-491, 497 Erleiden def. 223; 225-229, 237, 245, 387-395, 427, 537-543, 557, 561, 585, 589, 595 Erstaunen, staunen def. 315; 89, 229, 313-323, 339-345, 365, 369 Erziehung 321, 353 f., 511, 517 Ewigkeit, ewig def. 7; 21f., 45-51, 55, 59-67, 73, 85, 99, 103, 193 f., 215, 375, 437, 465, 563-595 siehe auch Aspekt von Ewigkeit; Wahrheit, ewige Existenz (von Dingen), existieren 7 f., 13-19, 23-27, 47 f., 57, 71, 101, 113-117, 125, 145, 189, 193, 243-249, 369 f., 389, 393, 403, 511, 565 f., 571f. siehe auch Gott in seiner Existenz Essenz (von Dingen) def. 99; 7 f., 47 f., 57, 71, 101, 117-121, 145, 173, 193, 237-241, 327-331, 337, 379 f., 389, 415-419, 565 f., 571f. siehe auch Gott in seiner Essenz fhig 127, 139 f., 175-179, 231, 389, 447, 455, 481, 521, 569, 575, 585 Falschheit, falsch 17, 169, 183, 187, 197-203, 213, 385, 583 Fehler 147, 219 f., 357, 475 f., 543 Feigheit, feige 311, 363 f. Form 15, 117, 133-137, 153, 157, 169, 221, 371, 379, 449, 455 Freiheit, frei def. 7; 215 f., 307, 471, 527, 553, 581, 595
605
siehe auch Ursache, freie; Wille, freier; Mensch, freier Freude def. 245, 339; 249-283, 287-361, 369 f., 395, 407 f., 413, 423, 431, 453-491, 519-523, 537, 551, 557, 571, 577, 581 Fr˛hlichkeit, Frohgefˇhl def. 259, 349; 329 f., 463, 553 Freundschaft 333, 441, 499 f., 513-519, 549 Furcht def. 259, 345; 293 f., 307315, 323 f., 357 f., 363 f., 387, 401, 445, 459-463, 471, 489, 495 f., 503, 515-523, 551, 559 Ganzes 23, 29, 161, 173 f., 195, 409, 483 f. Gattung 5 f., 41, 61, 137, 377, 383 Gebot der Vernunft 333, 433, 439, 471, 479, 485 f., 495, 501f., 539, 559 Gedchtnis 181, 549 Gefahr 303, 333, 363, 435, 497 f., 533, 551, 575 Geflligkeit def. 365; 333, 367, 519 Gegenwart, gegenwrtig 143147, 189 f., 245-249, 257, 267275, 303, 383-387, 397-407, 457, 485 f., 493, 545, 571, 577 f. Gehirn 93 f., 199, 529, 533 Gehorsam 447 Geist 125 f., 197-203, 227-237, 241, 395, 563 f. menschlicher 81, 99, 121, 139165, 185, 195, 225 f., 243-251, 259-267, 313-319, 331f., 369 f., 419-423, 437, 541, 555, 565-589 siehe auch Macht des Geistes, des Denkens
606
Sachregister
Geistesfreiheit 517 Geistesgegenwart 333, 499, 551 Geld 293, 521f., 551 gemein, gemeinsam 9, 13, 25, 29, 163-167, 173-177, 193 f., 209 f., 313, 323, 327, 391, 411, 423 f., 435-441, 471, 477, 503, 509, 537, 545, 553, 559 f. Gemeinbegriff 15, 177, 181, 195 Gemeinschaft 435, 549 Gemˇt 103, 215, 265, 301f., 327, 343, 363, 369, 407, 411, 459, 463, 471-475, 509-515, 549 f., 581, 595 genieen 301, 335, 439, 447, 459, 471, 491, 509 f., 519, 595 Gerechtigkeit, gerecht 45, 411, 443, 447, 513, 517 Geringschtzung def. 341; 315 f. Gesetz 41f., 95, 219 f., 229-235, 441, 445 f., 465, 477, 509 der eigenen Natur 291, 385 f., 409, 413, 419, 433 f. Gestalt 33, 133, 147, 415, 449 Gewalt 43, 77 f., 105, 209-215, 231-235, 373, 385, 437, 445, 467, 523, 531, 537-541, 547, 573, 585, 593 Gewissensbi def. 259, 349; 463 Gewiheit, gewi 27, 71, 185 f., 201f., 259, 347, 355, 421, 485 f., 575 Gewohnheit 149, 529 gezwungen 7, 43 f., 67, 71, 87, 135, 285 f., 315, 373, 415, 509, 527 Gleichmut 215, 513, 525, 551 Glˇck 215, 281, 293, 351, 411, 509, 551, 587 Glˇckseligkeit, glˇckselig 99,
215, 415, 471, 509, 527, 533, 575 f., 581, 593 Gott def. 5; 31f., 41, 67-71, 79, 95, 555-559, 573, 579-583 in seiner Essenz [Natur] 41f., 51, 63, 69-79, 105, 193 f., 215, 459, 523, 565, 573 f., 583 in seinen Attributen 21, 49 f., 57, 65 f., 103-113, 119, 183, 329 in seiner Existenz 5, 23-27, 51 als Macht 45 f., 77 f., 105 f., 111, 239, 389 f., 495 als Ursache 41-49, 57-65, 107113 als Natur 375, 389 als modifiziert 51-55, 59-63, 115 f., 123, 151-159 Idee Gottes [gen. subj.] 51f., 107-113 Liebe Gottes [gen. subj.] 579 f. in bloer Vorstellung 33, 43 f., 73-77, 83, 91, 105, 195 siehe auch Erkenntnis Gottes; Idee Gottes [gen. obj.]; Liebe zu Gott; Gottesliebe Grausamkeit def. 363; 297 Gr˛e, Quantitt 33-39, 133, 179, 193, 299, 387 Grund 19, 23-27, 285, 375, 451, 505 Grundlage 25, 85, 177, 193, 411421, 441, 473, 563, 591 Gunst def. 263; 265, 349, 465 f. gut def. 381; 91-95, 215, 243, 293, 311, 379 f., 413 f., 421-427, 433, 439 f., 445-449, 453-465, 479 f., 487-499, 505-511, 523 siehe auch Erkenntnis des Guten und Schlechten
Sachregister Gut, h˛chstes 421, 435-439, 477, 519, 559 Habgier, habgierig def. 367; 325, 383, 457, 501, 551 Handlung, handeln 7, 43, 77 f., 105-111, 171, 197, 207, 215, 239 f., 319 f., 333, 375, 409, 415419, 433-441, 465, 473, 479-483, 501-505, 535, 549 Ha def. 249, 343; 262-309, 311-325, 349 f., 363, 431, 457467, 475, 481f., 517, 535-539, 557 Heil 581, 595 Heilmittel 533, 541, 559, 563 Heiterkeit 245, 339, 453 f. Herrschaft 219, 229, 527, 531, 553 Hochachtung def. 315; 317, 341 Hochmut def. 269, 355; 277, 463, 471-475, 501, 505, 517, 539 Hoffnung def. 259, 345; 299 f., 307 f., 315 f., 323 f., 345 f., 401, 461f., 551, 591 Idee def. 99; 103-115, 121-127, 141, 151-169, 193 f., 199-205, 223, 241f. Gottes [gen. obj.] 497, 555 f., 577, 587 adquate def. 101; 169-185, 225 f., 237, 241, 323, 369, 385, 417, 491, 539 f., 561f. inadquate 169-173, 211, 225 f., 237, 241, 323, 369, 385, 417, 491, 539 f., 561f. wahre def. 9; 17, 65, 167 f., 185189, 331, 385 Individuum 17 f., 101f., 121, 125,
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133-141, 153-161, 209, 255, 329, 377, 411, 507-511 Irrtum 147, 169 f., 197, 201, 211, 385, 575 Keuschheit 327, 367 Kind 213, 281, 321, 327, 353, 451, 513, 517, 543, 587 klar und deutlich 17, 167-177, 189, 207, 223, 237, 241, 331, 419, 467, 483, 531-539, 547, 553 f., 563, 571, 585 Kleinmut def. 357; 471-475, 517 Klugheit 219, 315 f., 323 Knecht, Knechtschaft 3, 217, 373, 495 K˛rper def. 99; 5, 23, 103, 123 f., 127-147, 157-167, 173 f., 223, 227235, 243-249, 273, 335, 339, 395, 411, 451, 529-533, 547, 563567, 573, 585 f., menschlicher 89, 127, 139-179, 223 f., 231, 243, 249 f., 269, 281, 385, 397, 447 f., 459, 483, 521, 565, 571, 579, 587-593 Kraft 179, 193, 219 f., 319, 327, 369 f., 381, 389-393, 403-409, 419, 455, 461, 483, 493, 503, 507, 515, 521, 533, 549, 461 Kreis 23, 37, 111-115, 197, 213 Kˇhnheit def. 363; 365, 497, 533 Kunst 89, 231, 477, 521, 527 Lachen, Gelchter 171, 219 f., 335, 457 f., 465 lstig 177, 277, 319, 431, 435, 489, 505, 513 Leben 203, 213 f., 329, 415-419, 431-441, 459, 469 f., 489 f., 495, 505-511, 549 f., 563, 587, 593 Leidenschaft def. 223; 245, 323,
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Sachregister
331, 363, 367 f., 393, 429, 439 f., 479-483, 489 f., 509, 537 f., 557, 579 Liebe def. 249, 343; 65, 103, 215, 263-309, 315 f., 323-327, 333 f., 431, 455-465, 475, 505, 535-539, 549-559, 577-583, 587, 593 zu Gott 555-559, 577-581 geistige (Gottesliebe) 579-583 Lob, loben def. 275; 81, 91, 317, 353, 441f., 469 Lohn, Belohnung 215, 591f. Lust def. 245; 339, 453 f. Lˇsternheit, sinnliche Lust 325 f., 367, 407, 457, 501, 505, 513, 591-595
393, 409 f., 427-447, 451, 463 f., 469-479, 483, 495, 507-521, 549, 581 freier 495-505 siehe auch Geist, menschlicher; K˛rper, menschlicher Menschenfreundlichkeit def. 365; 275, 441 Merkmal 21, 187 Methode 177, 221 Mildttigkeit 333, 363 Mitgefˇhl 351, 441, 475, 479, 513 Mitleid def. 263; 271f., 349, 361f., 463 f., 515, 543 Mittel 81-89, 379 Modifikation 15 f., 55, 61, 119 Modus def. 5; 57-63, 99, 103, 109Macht 25, 95, 105 f., 207, 219, 241, 113, 119, 193, 589 273, 329, 363, 367, 383, 389-393, unendlicher 51-55 405-409, 413, 423, 427 f., 435, 443, m˛glich def. 71; 67, 75, 381-391, 455, 469, 477, 507, 519, 523 f., 535, 401, 541 541f., 567, 571f., 593 Moralitt def. 441; 215, 413, 515des Geistes, des Denkens 103, 519, 539, 591 147, 153, 213, 221, 243-251, 317, Musterbild 75, 375, 379 327, 331f., 367, 371, 469, 527, 533, 543, 547, 561, 569, 595 Nachahmung, nachahmen 271, siehe auch Gott als Macht; 307, 361 Wirkungsmacht Name 47 f., 95, 195 f., 277, 303, Mangel 169 f., 201f., 339, 385, 315 f., 341 461f., 561 Natur [Universum] 11, 31, 63, Migkeit 327, 367 111f., 163 f., 219 f., 375 f., 387Materie 39 f. 391, 477, 509 f., 525 Mathematik 85, 95 Natura naturans ^ Natura natuMeinung def. 181; 355, 407, 473rata 63-67 477, 493 Neid def. 267, 351; 215, 281-285, Mensch 33, 47, 79-95, 101f., 117 f., 315, 321f., 435, 457, 475, 503 f., 125, 149, 175, 179 f., 187 f., 207, 511f., 519, 559 213, 219 f., 233, 257, 269, 275, Norm 85, 187 f. Notwendigkeit, notwendig def. 281, 293, 301, 305-311, 321f., 71; 7, 41-45, 53-57, 63 f., 69, 77 f., 329 f., 337 f., 355, 373-379, 389-
Sachregister 105, 109, 153, 171f., 189-193, 221, 375, 379, 391, 427, 443, 507, 549, 565 f., 573-577, 595 Nˇchternheit 327, 333, 367 Nutzen, nˇtzlich 83 f., 293, 381, 409 f., 419-427, 433 f., 447-451, 507, 511, 519-23, 591 Objekt, Gegenstand 9, 101, 107 f., 121-127, 225, 253-257, 309-317, 325 f., 383, 429, 529, 545 f. objektiv 47, 65, 111 Ohnmacht 25, 107, 219, 319, 353, 373, 377, 407 f., 413 f., 427, 441, 459, 463, 469-475, 507, 515, 519, 523, 561f. Ordnung 23, 69-75, 91, 101, 109119, 149-157, 163 f., 219, 229, 391, 477, 487, 509, 525, 535, 547 f., 561, 585 positiv 59, 169, 203, 213, 341, 379, 385, 403 Rache def. 297, 363; 233, 457, 461, 513 Raum 383, 573 leerer Raum 37 f. Realitt, real def. 101; 19 f., 25 f., 37-41, 103, 127, 187, 207, 269, 371, 377, 381, 573, 589 Recht 105 f., 443 f., 511, 517 f., 591 Religion 353, 441, 505, 515 f., 591 Reue def. 277, 353; 233, 313, 333, 471, 479 Ruhe siehe Bewegung und Ruhe Ruhm def. 277, 357; 293, 299, 317, 365, 457, 469, 477 f., 551, 581
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Schaden 263 f., 291-297, 303, 311, 365 f., 387, 443 f., 459, 467, 477 f., 549 Scham def. 277, 359; 293 f., 333, 479, 517 Schamgefˇhl 293, 359 Schicksal, Geschick 77, 463 schlecht def. 381; 81, 91, 293, 311, 373, 379, 395, 413, 421-427, 443467, 477-481, 491-495, 505 f., 545-561, 595 siehe auch Erkenntnis des Guten und Schlechten Schmerz def. 245; 339, 407, 453 f., 479 Schwche 219, 319, 353 f. Schwankung des Gemˇts def. 255; 277 f., 285, 309, 323 f., 333, 369, 535, 549 Schwelgerei 325 f., 365 f., 383 Schwermut def. 245; 339, 379, 453, 459 Seele 125, 171, 329 Sehnsucht def. 287, 359; 293, 299, 361 Sein, Ansichsein 47, 107-113, 141, 183, 575 Selbstbewutsein 277, 543, 575, 595 Selbstvertrauen def. 333; 369, 497 f., 505, 551, 591 Selbstzufriedenheit def. 277, 353; 313, 319, 355 f., 467 f., 477 Sinne, Sinnlichkeit 91-95, 119, 181 Sinnesart 81f., 443, 447, 495, 499, 513, 539 Spott def. 345; 215, 317, 457 f., 505 Spur 139, 147, 225, 529, 567
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Sachregister
Staat 215, 219, 445 f., 451, 457, 467, 503, 549 Stoiker 527 Streben def. 239; 241f., 247 f., 261-301, 317-321, 329-337, 409421, 461-469, 569 f. Substanz def. 5; 9-31, 49, 65 f., 111, 117 f., 129 k˛rperliche 29-39 Sˇnde 81, 91, 95, 443, 447 Tadel def. 275; 81, 91, 319, 443, 469, 531 Teil 29-39, 121f., 133-147, 157-163, 173 f., 195, 581 des Geistes 525, 561, 585-589 der Natur 237, 387 f., 477, 507 f., 525 teilbar 29, 35-41 Tier, niederes Lebewesen 47, 181, 229, 329, 435, 441f., 497 Tod 367, 451, 491-497, 505, 579, 585-591 Trauer def. 245, 339; 251-277, 285-313, 319-361, 395, 453, 461475, 491, 543, 557 Traum, trumen 81, 211, 235 f., 269, 457 Trieb, verlangen def. 243; 221, 233 f., 285-289, 329, 337, 367, 375 f., 383, 413, 437 f., 467, 487493, 499, 505, 525, 539, 553 Trunksucht 325, 367 Tugend def. 383; 215, 321f., 409413, 417-423, 433-445, 459, 465483, 497, 503 f., 513, 519, 539, 553, 563, 569 f., 591f. bel 415, 491 berdru 171, 335
ˇbereinkommen 47 f., 93, 129, 175, 179, 505 ˇbereinstimmen 9, 47, 101, 163, 187 f., 239, 375, 409 f., 425-437, 443, 481, 497, 509 f., 525 bergang, ˇbergehen 245, 261, 339, 371, 379, 491, 577 berma 453-463, 485, 489, 523, 539 berschtzung def. 351; 269, 355, 463 unbedingt 51-63, 73, 79, 115, 165, 169, 417-423 unbedingt unendlich 5 f., 15, 21-33, 67, 421, 579 Unbestndigkeit, unbestndig 73, 219, 259, 311, 345, 409, 427, 445, 477, 511 unbestimmt 59, 63, 101, 181, 241, 405, 427 Undankbarkeit 299, 501 unendlich 13 f., 21, 33-41, 55-69, 103, 115 f., 137, 193 f., 389 f., 437, 523, 573, 579 f. siehe auch unbedingt unendlich; Modus, unendlicher; Verstand, unendlicher unendlich viel 5, 21, 35, 41-45, 69, 91, 99, 103-107, 115, 137, 181, 193, 205, 209, 231, 455, 509 ungerecht 443, 447, 457 f., 505, 513 unm˛glich 9, 23, 63, 71, 87, 389 f., 415, 509 unteilbar 29, 37 f., 117 Unterschtzung def. 351; 463, 505 Unterschied, unterscheiden 11, 15, 21, 37 f., 47, 127 f., 133, 145, 185 f., 327, 331, 441, 493, 577
Sachregister Unvollkommenheit, unvollkommen 27, 45, 71-75, 373-379 Unwissenheit, unwissend 85-89, 169, 499, 527, 595 Ursache 9, 13, 23-27, 57-61, 71-77, 107-115, 177 f., 183, 227, 275 f., 381, 535, 545 adquate def. 223; 225 f., 389 f., 575 uere 19, 27, 71, 131, 237-241, 249, 277, 281, 329, 389, 409, 415, 509, 535, 539, 547, 587, 595 bewirkende 41, 57 f., 101, 251255, 377 f., 509 durch sich selbst 41, 251, 255 erste 15, 41, 77, 219, 377 freie 43, 65 f., 77 f., 197 immanente 49 nchste 61, 113, 237, 433, 507, 531 partiale def. 223; 227, 387 seiner (ihrer) selbst def. 5; 13, 29, 57, 77 zufllige 41, 251f., 287, 307, 345, 351 Zweckursache 81-85, 375 f. siehe auch Gott als Ursache Urteil, urteilen 95, 205-211, 311, 419 f., 443, 487, 499, 517, 531f. Verachtung def. 269; 317, 333, 341, 435, 457, 461, 465 Vernderung, sich verndern 51, 133-143, 225, 245, 389 f., 451, 509, 521, 535, 563, 587 Verdienst 81, 91, 443, 447 Verehrung def. 345; 83, 89 f., 315 f. Vereinigung, vereinigt 125, 133 f.,
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153, 365, 445, 451, 513, 517, 529 f. Vergangenheit, vergangen 189 f., 257 f., 305, 345-349, 383, 397403, 485 f., 565 verharren 57, 193, 239 f., 289, 329 f., 381, 389-393, 409, 413, 419, 525 Verkettung, verkettet 79, 147151, 535, 547, 561, 587 Verknˇpfung, verknˇpft 61, 109117, 135, 153, 195, 229, 339, 487, 529, 535, 541 Verm˛gen 197-211 Verneinung, verneinen 7, 15, 199-205, 237, 243, 267, 315, 377, 427 Vernunft 75, 189 f., 199, 215, 407411, 417-421, 431-435, 441, 461471, 479-493, 499, 503, 507-517, 543 siehe auch Gebot der Vernunft Verschiedenheit, verschieden 9 f., 21, 39, 47 f., 111, 131139, 169, 197, 205 f., 255 f., 309 f. 325-329, 423 f., 451, 521, 545 Verstand 5, 11, 17, 39, 45-49, 65 f., 199 f., 507 f., 583 unendlicher [auch g˛ttlicher] 41, 65, 97, 107, 111, 121, 177, 189, 311, 589 Vertrauen, zuverlssig, loyal 411, 445, 501, 535 Verwirrung, verworren 15, 67, 81, 91f., 161-171, 179-183, 201, 241, 369, 505, 561 Verzweiflung def. 259, 347; 463 Vollkommenheit, vollkommen def. 101; 27, 35, 43 f., 71-77, 87, 95, 169, 187, 207, 245, 261, 317,
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Sachregister
339, 371-381, 409, 459, 523, 557, 571, 579 f., 589 Vorstellung, vorstellen def. 147; 91f., 161, 171, 179 f., 189 f., 195, 211, 247-323, 335, 385 f., 397404, 541-551, 559-565, 577 f. Vorstellungsbild, Bild def. 145f.; 149, 179 f., 199-205, 225, 253261, 269, 281-287, 305, 335, 349, 397-403, 487, 519 f., 535, 549-555 Vorstellungskraft 39, 91-95, 189, 259, 415, 475, 487, 549, 579, 589 Vorteil 81, 333, 409-419, 433 f., 441-447, 483, 495 f., 511-515, 523 f., 591 Vorurteil 27, 79-85, 97, 205, 375 Wahnsinn 269, 457, 517 Wahrheit, wahr 11-17, 47, 85, 183189, 403-407, 427, 525, 583 ewige Wahrheit 7, 17, 47, 51, 583 siehe auch Idee, wahre Wahrnehmung, wahrnehmen 99, 121f., 139 f., 155, 159, 181 Weisheit, weise 459, 495, 527, 551, 595 Weg 219, 527, 595 Wetteifer def. 271; 361 Widerspruch 23 f., 31, 71, 197, 485 Wille, wollen def. 243; 43-49, 75 f., 89, 171, 199-211, 229, 273, 337, 343, 447, 527-533 freier Wille 67 f., 73, 105, 125, 197 f., 205 f., 211, 233-237, 533 wirken; etwas bewirken 7, 59-69, 77, 167, 381 wirklich 17, 45, 65 f., 75, 111, 115, 121-125, 151, 159 f., 193 f., 237245, 371, 415, 565, 573
Wirkung 9, 43-49, 61, 79, 87, 101, 109 f., 125, 223 f., 351-357, 535, 539 Wirkungsmacht 221f., 243-251, 259 f., 269, 287 f., 317-321, 331f., 339, 353, 371, 379, 387, 393 f., 423 f., 453, 467 f., 479 f., 509, 523 wissen 155, 185-189, 407 Wissenschaft 73 Wohlwollen def. 273, 361; 457 Wort 149, 181, 203 f., 235 Zeichen 181, 459, 463, 471 Zeit 7, 191f., 215, 241, 257, 279, 309 f., 379-383, 397, 403, 487, 497, 543, 549, 553, 561-573, 583 zerst˛ren 105, 237-243, 249, 259265, 273 f., 291, 303, 385, 443, 535-539, 559, 565 Zorn def. 297, 363; 215, 315, 457, 461, 483, 491, 501, 505, 549 f. Zufall, zufllig def. 71; 63, 69, 89, 105, 165 f., 189 f., 251-255, 381f., 399-403, 407, 437, 541 Zufriedenheit 329, 343, 467 f., 477 f., 509, 523 f., 549, 569 f., 577-585, 595 Zukunft, zukˇnftig 189 f., 257 f., 305, 345 f., 383, 397-405, 485493 Zuneigung def. 343 zusammensetzen 35-41, 133-141, 157-163, 237, 255, 323, 333, 369 Zuversicht def. 343; 259, 315, 461f. Zweck 81-89, 375, 383, 551 Zweifel, zweifeln 27, 145, 185189, 203, 211, 255, 259, 347 Zwietracht 451f., 499, 517 f.