Erzählungen für unverdorbene Familien: Band 13 [Reprint 2018 ed.] 9783111424019, 9783111059242


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German Pages 495 [492] Year 1816

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Table of contents :
Inhalt
Fragmente aus den Briefen einer deutschen Fürstin an Lavater
Anekdoten aus Voltaire's Leben
Die Umstande
Die Trauer
Der Traum des Lebens
An eine Lerche
An eine Nachtigall
Bruchstücke aus den Briefen und dem Leben der Ninon de Lenclos
Gemälde aus dem Leben des Menschen
Die goldne Lyra
Die Wolken
Die Blätter
Die Ahnenfrau
Psyche
Selbstgeständnisse
Ueber Bildung der Frauen für Wissenschaften und Künste
Lieder der Unbekannten. Beschluß
Constanze Cezeli
Schiller Rekropompe
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Erzählungen für unverdorbene Familien: Band 13 [Reprint 2018 ed.]
 9783111424019, 9783111059242

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Erzählungen für

unverdorbene Familien,

Dreizehnter

Band.

Leipzig bei Georg Joachim Göschen 1816.

Inhalt des dreizehnten Bandes.

Fragmente aus den Briefen einer deutschen Fürstin an Lavater. Anekdoten aus Voltaire'- Leben. Die Umstande. Ueber die Trauer. Der Traum des Lebens. An eine Lerche. An eine Nachtigall. Bruchstücke aus den Briefen und dem Leben der Ninon de Lenclos.

Beschluß'.

Gemälde aus dem Leben des Menschen. Die goldne Lyra. Die Wolken.

Die Blätter. Die Ahnenfrau. Psyche. Selbstgeständnisse. Ueber Bildung der Frauen für WIffenschaften und Künste. Lieder der Unbekannten. Constanze Cezeli. Schiller» Rekropompe,

Beschluß.

Fragmente

aus den Briefen einer deutschen Fürstin an

Lavater.

Eine geistreiche und edelgesinnte deutsche Fürstin stand mit Lavater im Briefwechsel.

Line langsa­

me Krankheit ließ fie ihr Lnde voraussehen.

Sie

ordnete ihre Papiere und vernichtete auch jene Korrespondenz.

Doch zog sie eine Sammlung

fragmentarische Bemerkungen und Herzensergießun­ gen heraus, für die verchrte junge Fürstiy, wel­ cher sie immer als Mutter zugethan gewesen war, und durch welche die Blatter mir -ur Bekannt­ machung anvertrauet worden find. Ich wähle nur aus dem, was der Korrespondentin, nicht dem Korrespondenten anzugehören scheint;

da jedoch

zu den innern Merkmalen keine äußern kommen, kqnn rch nur dafür stehen, daß keine Zeile abge-

I. f. F. ix H.

I

druckt werbe, die beide Entschlafene ungern weiter verbreitet sehen möchten. Für di« Mittheilung dieser sehr interessanten Papiere würde ich öffent­ lich danken, wenn ich mir anmaßen dürfte auszu­ sprechen, was alle Leser und Leserinnen empfinden. 'Friedrich Rochlitz.

Je edler «in Ding in seiner Vollkommenheit, je schrecklicher in seinem Verderbe«. Et» ver­ wesendes Holz ist nicht so widrig, als eine ver­ wesende Blume; diese nicht so ekelhaft, als ein verwesendes Thier; und dieses nicht j» ent­ setzlich , als der Mensch in seiner Verwesung. Eben so im Moralischen. Und Hier sehe ich, Weib, die Parallele noch fort: kein Mann ich in seiner gänzlichen Ausartung so abscheulich, als ein Weib in der ihrigen.

„Vergleiche dich nie mit Schlechtem — im­ mer mit den Besten! Mit Festigkeit fang' an: mit Sanstmuth vollende! Vergiß das Große

nicht, wenn du das Kleine zu thun hast; und nicht das Kleine, wenn du auf das große Ganze schauest!"

Ich weiß nicht, wo ich das gelesen

habe: aber daß es bei einem der weisesten Men­ schen gewesen seyn müsse, das weiß ich.

0 du unentbehrliche, göttlich schöne Sonne: warum mußt du doch auch zugleich die armen Wanderer so schrecklich drücken?

Freundschaft

und Liebe, blühendste Töchter des Himmels: warum müßt ihr doch auch zugleich menschli­ che Herzen so tief verwunden? Warum? 0 wer möchte im heißen Durste nach Antwort auf diese Frage nicht den Tod mit Freuden umarmen? welch ein Gott könnte diesen Dürstenden Un­ sterblichkeit versagen?

Die tägliche Erfahrung lehrt mich, daß ich an meinen größten Leiden immer die meiste Schuld habe.

Es kommt ja am Ende alles

darauf an, wie unsre eigne Gemüthsstimmung sei.

Mit welcher Nachsicht, Güte und Liebe

kann man Andere behandeln, kann man dul­ den, tragen, leiden und ruhig

bleiben,

wenn

man Ln einer stillen, herzlichen, ernsten, hei­ tern Verfassung ist!

Und wie schlägt's nicht

im

Muth,

Gegentheil allen

Liebe darnieder,

alle Kraft und

wenn und die Schwachheiten

des Verstandes oder Herzens

Anderer begeg­

nen, und unsre eignen Leidenschaften und Man­ gel sind in Gährung in unserm Busen!

Frei­

lich werden unsre schlummernden Leidenschaften eben durch jenes

Begegnen gereizt!

Gereizt:

aber doch nicht unüberwindlich gemacht!

Und

eö kömmt ja auch zugleich mit ihnen die bes­ sere Stimme

des innersten

Herzens

empor,

wenn wir uns nur nicht schon so verwöhnt haben, diese dann ganz

zu überhören!

Sie

hat zwar dann die leichtere, die Leidenschaft hat die

schwerere Wagschale,

Kraft und Anstrengung,

und es

kostet

der leichtern so viel

Gewicht freiwillig zuzulegen,

daß sie nun die

entscheidende schwerere werde

aber wer darf je­

mals behaupten, es sei unmöglich? Zn diesem höhern, edlern Sinn, mein' ich, ist es gesagt unser Leben ist Mühe und Arbeit!

Aber wer

arbeitet, darf auch Ruhe hoffen — und auch Ruhe im höher», edlem Sinn!

Ich die

breche immer schnell ab mit denen,

nicht abbrechen

ausgezeichneter

wollen,

Menschen

mit Genuß auszumalen.

die

Schwachen

hervorzuheben und Es hat wenig, viel­

leicht gar keine großen Menschen gegeben, die nicht aus scheinbaren Widersprüchen zusammen­ gesetzt gewesen wären.

Die

Natur

ist



auch, und ist gleichwol die größte, herrlichste Einheit.

Die

Fortsetzung

folgt.

Anekdote t, aus Volta ire's Leben, allS den besten Memoiren gewählt und zusammen­ gestellt. *)

2fvouet,

Valtatre's Vater, war Advokat in

Paris, ein feiner und wohlhabender Mann. V. wurde im Februar 1694 geboren.

Schon

in seinen ersten Tagen schien sich das Wunder*)

Ich weiß wol,

zunächst

für

dieser Aufsatz

nicht

dieß Journal geeignet ist:

aber

was so angenehm

daß

unterhalt,

wie

Erzählungen

von Voltaire, findet überall seinen

Platz — zu

geschweigen, daß diese Anekdoten auch ein histori­ sches Interesse haben können, und die Leserinnen denn doch wol auch etwas einigermaßen Befrie­ digendes über den seltsamen Mann hören wollen, von dem gewiß jede Etwas, manche viel gelesen hat, und keine etwas, das ihr nicht angenehme

liche und Widersprechende, inneres

das

sein

ganzes

und äußeres Leben hernach begleitete,

anzukündigen.

Er war ein

so kleines

und

schwächliches Kind, daß man ihn jeden Augen­ blick verscheiden zu sehen fürchtete, und doch erreichte er hernach ein so hohes Alter.

Er

wurde zweimal getauft — erhielt erst von der Hebamme die Nothtaufe,

und

hernach, ein

halbes Zahr alt, die öffentliche.

Es war an

Einer zu viel, sagte er später, zweideutig, wie fast immer.

Er zeigte schon in den ersten

Jahren einen äußerst lebhaften Geist, und, was besonders in diesem Lebensabschnitt wol höchst selten damit verbunden ist, ein treffliches Ge­ dächtniß.

AIS ein Knabe von drei Zähren be­

hielt er z. D. schon ziemlich lange Gedichte, vorzüglich aber eins — gegen die himmlische Sendung Mosts. Von seinem zehnten Zahr' an schickte man ihn in die Jesuiten - Schule. Stunden gemacht hätte.

Er zeigte einen

Überdies; übergehe ich,

was sich in meiner Sammlung befindet, aber nicht Jedermann intercfsiren würde. D. Vers.

ausgezeichneten Kopf und vielen Fleiß: in so fern warm seine Lehrer sehr mit ihm zufrieden; aber seine immerwährenden Fragen und Ein­ würfe machten sie Keinen quälte er

zuweilen

desto

damit mehr,

ihn im Christenthum unterrichtete. einmal auf ihn zu, sammen, und

unwilliger.

als den,

der

Dieser fuhr

schüttelte ihn mächtig zu­

rief:

Bube, du wirst

einmal

der Herold des Deismus in Frankreich! Im zwölften Jahre wurde V. durch ein artiges Gedicht

zum

Lobe

des Dauphin —

erst der berühmten Ninon de Lenclos, hernach durch

sie in ganz

deren feiner Geist

Paris

bekannt.

die vortrefflichen

Ninon, Anlagen

des Knaben nicht verkannte, nahm sich seiner an, sprach fleißig mit ihm über seine Arbeiten, half sie ihm verbessern, empfahl ihn ihren ge­ lehrten Freunden, und vermachte ihm in ihrem Testamente 2002 Livres zu B r Hern. Er kam aus dem Kollegium und sollte nun eine bestimmte Lebensweise erwählen.

Sein

Vater drang um so viel mehr darauf, da es ihm

mir

indem

seinem

dieser

ältesten Sohne nicht glückte,

sich in

lächerlichen

theologischen

Klopffechtereien erschöpfte. Voltaire sollte da­ für ein desto tüchtigerer Advokat werden. Alles Zureden, aller Zwang war aber vergebens: V. machte Verse, und nichts als Verse. Er wollte privatisirender Gelehrter seyn und blei­ ben , zum großen Verdruß des Vaters. Nichts passirte in Paris, und besonders am Hofe, worüber er nicht Epigramme u. dergl. zuspitzte. Die verschiedenen, gegen einander gespanneten Parteien des Hofs begünstigten ihn sämmtlich, denn er schrieb für und wider jede, wie es ihm die Laune eingab, und je nachdem er für oder wider den witzigsten Einfall anbringen konnte. Der Prinz Conti ließ ihn oft mit sich speisen. Indem sich V. einst setzte und die Gesellschaft übersah, rief er mit seiner ge­ wöhnlichen , unaufhaltbaren Lebhaftigkeit: Ah schön! lauter Prinzen oder Dichter! — Als Jüngling beschäftigte er sich viel mit alter, klassischer Literatur — doch meistens nur in Uebersehungen. Eine Folge davon war sein Oedipus, den er im achtzehnten Jahre schrieb, und der die griechische Form nachahmte, so gut es gehen wollte. Das Gedicht gefiel, aber die

Theaterdirektion wollte es nicht geben, weil — nichts von Liebe darin vorkam. Oho! sagte V., fehlt's nur an einem Liebeshandel? Den zettl' ich überall an! Er setzte auch wirklich noch so etwas hinein und verdarb damit das Ganze- Es wurde aber doch späterhin mit vie­ lem Beifall sehr oft gegeben. Er drängte sich nun in Eitelkeit zu den Gelehrten von Nus, ihre Urtheile zu vernehmen — im Grunde aber wol nur, sich Komplimente sagen zu lassen; denn als ihm der alte Fontenelle mit vieler Artigkeit gestand, er finde nur noch zu viel unzweckmäßig aufwallende Zugendhihe darin, erwiederte er: Mich von diesem Fehler zu ent­ wöhnen, werd' ich Ihre Idyllen studiren! — Seine Eitelkeit trieb ihn nun, auch alles aufzubieten, um einen von der Akademie ausgesetzten Preis zu erringen. Es gelang nicht, und er rächte sich durch die giftigsten Epigramme. Er zog sich schlimme Händel zu, und der Vater jagte ihn aus dem Hause; doch sorgte er dafür, daß er bei der Gesandt­ schaft in Holland unterkam. Kaum war V. dort warm geworden, so verwickelte er sich

in noch schlimmere Händel, besonders durch eine Liebschaft. 0 Gott, rief der Vater, du strafst mich harr, da du mir zu Söhnen zwei Narren gegeben, den Einen in Prosa, den Andern in Versen! Der letzte soll nach Ame­ rika! beschloß der alte Herr, und hatte schon die Ordre dazu ausgewirkt. Da gab V. kurz zu, und versprach heilig — wenn man ihn nur wieder nach Paris ließ, ein tüchtiger Advo­ kat zu werden, und auch ein ehrlicher, so viel das möglich. Der Vater ließ ihn kommen, und der viel geschmeichelte junge Poet mußte — Amanuensis eines Prokurators werden, und Be­ richte, Kaufe, Kontrakte machen lernen. Was halsts? Ludwig XIV. starb und eine Unzahl Epigramme und Satyren folgte ihm ins Grab. V.'s waren unter den witzigsten, wenigstens unter den derbesten. Sie liefen durch die ganze Stadt: da hielt es der Eitle nicht langer bei den trockenen Akten aus, und entwischte. Einige mehr grobe, als witzige Zeilen, an den Herzog Regenten gerichtet, da er, der Verschwendung Einhalt zu thun. Lud-

wigs Pferde zur Hälfte abschaffte — ohngefähr: Zum Wohl de« Staat» schafft ihr de« König« Pferde ab? Macht'« mit den Eseln so, womit er fich umgab! diese Zeilen brachten ihn in die Dastille, wo er fast anderthalb Jahr saß. Daß ihm Feder und Tinte verweigert blieb, war seine größte Noth. Doch hatte es sehr gute Folgen. AIS epigrammatischer Dichter ging er inS Gefäng­ nis, als epischer heraus. Er hatte sich in der Dastille seine Henriade entworfen, und nicht nur den Plan in allen Detail«, sondern auch eine große Menge Verse selbst wörtlich ausge­ arbeitet. Der Regent hielt ihn nun für be­ straft genug, entließ und empfing ihn sehr gnädig. Einen Witzkopf, der fü r die Regent­ schaft schriebe und spräche, konnte man brau­ chen. WaS kann ich für Sie thun? fragte der Herzog. „Für meinen Unterhalt sorgen: aber sich mit meiner Wohnung nicht wieder bemühen" — sagte V. —

Nach Jahr und Tag erschienen die eben so witzigen, als beißenden Reden gegen den Re­ genten. Der Verfasser (la Gränze) wurde nicht errathen, und man hatte V. im Ver­ dacht. Da man aber keinen Grund dafür fand, ließ man es dabei bewenden, ihn auS Paris zu verweisen. V. ging und brachte »ach einem Zahre zwei interessante Neuigkeiten mit zurück: ein leidliches Trauerspiel (Artemire) und eine schöne Mätresse. Beide wollte er zugleich aufs Theater versetzen, durch beide triumphiren und seiner Eitelkeit geschmeichelt sehen. Sie werden nicht vereinzelt, sagte er der Direktion; eine in der andern, oder kein« von beiden. Die Artemire kam aufs Theater und die Dame in derselben. Nach dem zwei­ ten Akt stampfte und pfiff das liebe Publikum Helle weg; V., ganz außer sich, sprang aus den Kulissen hervor, hielt eine Schuh - und Trutzrede an das Parterre: man pfiff auch ihn aus. Er ließ sich nicht stören, haranguirte fort; endlich mußte man doch hören! Nun siegten sein Feuer und seine Schmeicheleien: man ließ weiter spielen, und applaudirte jetzt

dem Dichter

und

der

Schauspielerin.

So

war's gut, sagte V. zu dieser; aber nun sollt' ihr auch alle beide nur mein bleiben.

Er

nahm das Stück und die Dame von der Bühne zurück. Seine Mariane sollte den Flecken wie­ der abwaschen.

Man führte sie gut auf, das

Stück gefiel, die Feinde des Dichters wur­ den besorgt.

Die stärkste Scene war die, wo

Mariane das Gift trinkt.

Indem die Schau­

spielerin die Phiole ansetzt, ruft ein boshafter Witzbold: die Königin trinkt!*) Das Haus brach in ein so helles Gelächter aus, daß nicht fortgespielt

werden

konnte.

V. mußte eine

schwächere Scene unterschieben, worin die Ver­ giftung nur erzählt wird, und nun wurde das Trauerspiel vierzigmal gegeben. Jetzt war die Henriade fertig und er selbst hatte

schon

lange

dafür gesorgt,

daß ganz

Frankreich darauf, als auf fein Lieblingskind,

*)

>,Schnappst,müßt' ich wol übersetze»,

um den Doppelsinn im Deutschen bemcrklicher zu machen — wenn es nur nicht zu gemein klänge.

gespannet war.

Er wollte sich

den Genuß

davon in allen Arten bereiten und ikowomtsirt« sogar damit.

Er ließ sich öffentlich $ut Her­

ausgabe auffordern — that es auch wol unter der Hand selbst;

bat nun auserwählle Gesell­

schaften zu sich, denen er das Gedicht vorlas, um, wie er sagte, ihre Kritik noch zu benutzen, und unterhandelte mit mehrern Verlegern, deren jedem er das Werk als Manuscri'pt verkaufte. Bei jenen Vorlesungen

hatte er zwar immer

die Blcifeder bei der Hand, als schriebe er die Bemerkungen auf, sie zu gebrauchen; aber seine Heftigkeit ließ ihn diese Nolle nicht durchfüh­ ren.

Plötzlich sprang er einmal auf und warf

das Paket ins Kaminfeucr.

Er hätte es aber

wol selbst schnell genug gerettet,

wenn dieß

nicht einer der Anwesenden gethan hatte.

Die­

ser neckte hernach V.n damit und wollte etwas von der Belohnung haben, weil ihm die Ret­ tung König Heinrichs ein paar feine Manschet­ ten gekostet habe.

Die Gesellschaft suchte ihn

dadurch zu beruhigen — er möchte doch sein Gedicht nicht besser haben wollen, als den Held desselben, der bei allen Fehlern doch liebens-

würdig und groß gewesen sei;

25.

hätte sich

wol auch ohne diese nichtige Wendung beru» higt.

Ueber jene Unredlichkeit gegen die Dcr-

lcgcr entschuldigte er sich so:

Wenn jeder von

ihnen nur 1000 Exemplare abgesetzt hätte, hät­ ten sie, nach

dem, was ich erhalten, schon

Profit; nun konnte ich aber meinen Kopf ver­ wetten , daß jeder viel mehr verkaufen würde, und da wollt' ich auch 'was

davon

Er gerieth zwar darüber in Prozeß: die Herren so

haben. da aber

außerordentlich viel verkauften

und immer nachdrucken mußten, ließen sie allen­ falls fünf gerade seyn.

Man sagt, daß schon

in den ersten drei Monaten über 12000 Exem­ plare abginge».

Einer von den Verlegern, der

im voraus auf Abschlag bezahlt hatte, quälte ihn immerfort unanständig um die Herausgabe. Es ist alles fertig, sagte V. einst, mcht ganz niedergeschrieben. aber?" —

nur noch

„ Wann wird das

„Lassen Sie mich nur erst recht

für Sie zum Sitzen kommen!" —

„Wann

geschieht das aber?" — Ausbrechend antwor­ tete V.

„Wahrscheinlich schon morgen früh,

nach einer Taffe Kaffee! “ —

Das ungeheuere Glück, daS Me Henriade machte, ist weltbekannt; und nun ging es auch mit betn Glück des Dichters rasch aufwärts. Nicht als ob es ihm an mancher bittern Erfah­ rung gefehlt hätte — eine gewisse Tracht Schläge, sechsmonatliche neue Verhaftung in der Dastllle, und endlich Landesverweisung sind herbe und berüchtigt genug: aber alles das trug er leich­ ter, als mehrere äußerst bittere, und ach, nicht ganz grundlose Kritiken! Er ging nach Eng­ land, wo er drei Zahre blieb, und, theils immer durch neue Ausgaben der Henriade, theils durch Schmeicheleien, die er der „edeln, großherzi­ gen, freien Nation" unaufhörlich vorsagte, und in einigen Broschüren sogar englisch ihr vor­ sagte — Geld, Ruhm und Einfluß erwarb. Sein witziges, leichtsinniges, ihm so ganz zusagendes Paris lag ihm aber doch sehr am Herzen, und er seufzte im geheim unaufhörlich nach ihm, indeß er laut rief Nur unter Brit­ ten kann der freie Mann leben. Ganz leise wagte er 1728 nach Paris zurückzuschleichen er wollte sich im Verborgenen halten. Er — im Verborgenen! Die berüchtigte pabstliche Dulle

Unigeyitus war erschienen, ganz Frankreich ge­ riet!) in Streit darüber und schnitt fich ab in zwei Parteien:

V. — um verborgen zu blei­

ben— gab heraus: Die Narrheit beider Parteien. — Jetzt erschien seine berühmte Geschichte — oder vielmehr sein äußerst anziehender histori­ scher Halbroman,Karl derZwölfte, König von Schweden.

Es ist hier keine leere Re­

densart, wenn man sagt, ganz Europa ver­ schlang ihn.

Ueber zwanzig Ausgaben erschie­

nen in Einem Jahre, Nachdrücke.

ohne die Menge der

Mehrere der größten Fürsten be­

zeigten dem Verfasser ihre Achtung und mach­ ten ihm Geschenke; nun wäre man gern auch in Paris säuberlicher mit ihm verfahren, hätte er sich nur einigermaßen bequemen wollen. Aber das war nicht seine Sache.

Nur einige Belege

dazu! Eine berühmte Schauspielerin starb, und wurde, wie damals noch gesetzmäßig geschehen mußte, von den Geistlichen nicht in die gcweihete Erde begraben. rung,

V. schrieb ihre Verklä­

versetzte sie in den Himmel, und ließ

den geistlichen Herrn die Wahl,

wohin sie

einst wandern wollten, wenn sie von

der

Erde

genommen würden, und nun Ln den Himmel, der durch eine Aktrize entweihet sei, nicht könn­ ten.

V. mußte fliehen.

Er schrieb die phi­

losophischen Briefe, sie wurden öffentlich verbrannt:

V. mußte fliehen.

Das Merkchen,

worin er sich an der edlen Johanna d'Arc so schwer versündigt hatte, wurde unter der Hand bekannt;

man drohete V. mit einem ewigen,

unterirdischen Kerker, wenn er's drucken lieft: es hatte aber den Lüstlingen zu sehr gefallen, er lieft es dennoch drucken: er mußte fliehen. Sein Julius Casar sollte gedruckt werden, die Censur berichtete darüber, das strengste Ver­ bot gegen den Druck erschien: kam doch heraus:

Julius Cäsair

V. mußte fliehen — und

nun im vollen Ernst!

Fünf Jahre mußte er

mit seiner Geliebten, jetzt wirklich im Ver­ borgenen , auf dem Lande zubringen---------Von Einer Seite konnte er finden

— von ökonomischer.

sich

darein

Er war jetzt

schon im Zuge der reichste Dichter der Welt zu werden, ob er gleich



abgerechnet seine

ihm zur Liebhaberei gewordene Knauserei gerade

in dm lächerlichsten Kleinigkeiten — sehr gut, in der Folge splendid, und endlich fürstlich lebte. Seine Manuskripte — besonders wie Er damit handelte — trugen sehr viel ein;

jetzt hatte

er auch eins der großen Loose in der englischen Lotterie gewonnen, und mit diesem Gelde trieb er im geheim — Handlungsfpekulationen. hatte auch darin ungemeines Glück.

Er

Als er

seinen Brutus schreiben wollte, hatte er eben ein großes Schiff nach der Barbarei gesandt, Getreide

zu

kaufen;

freilich hieß er's auch

Brutus!

Das Trauerspiel wurde fertig, aber

das Schiff kam nicht und wurde fast für ver­ loren gegeben.

Das Trauerspiel wurde gege­

ben und gefiel nicht;

da bekam V. Nachricht,

sein Schiff sei glücklich und reich beladen in Marseille angekommen.

Mag der eine Brutus

zum Henker gehen, wenn der andere nur er­ halten wird! rief er. — Späterhin vermehrten «och große Pensionen von mehrern Höfen, deren einige ihm fröhnetcn,

wie, der alten

Sage

nach, die Indianer dem Teufel, damit er nicht schade — seine großen Reichthümer. — Jene fünfjährige Einsamkeit und Muße,

die durch nichts gestört wurde, als durch Kri­ tiken und Satyren seiner Gegner, worüber V. aber freilich zuweilen fast rasend werden woll­ te — jene Muße, sag' ich, war sehr fruchtbar für seinen Geist, oder vielmehr für die Welt: denn für sich arbeitete er eigentlich nie, son­ dern immer nur für die Welt, aber freilich — um sein selbst willen! Anstatt der Menge Wer­ ke, Merkchen

und Werkleinchen, die er hier

schrieb, mögen nur Gespräche über den Menschen, Zaire, Merope, Mahomet und Alzire genannt werden.

Vom letzten

Stssck hatte er vier Akte fertig, aber er scheuet^ sich vor dem letzten.

Eines Abends hatte er

mit seiner bekannten

Madam de Chatelet

gut gegessen und sehr angenehm sich unterhal­ ten — Ei, sagte er, jetzt bin ich froh genug, mjt das Trauerspiel fertig zu machen! Und er schrieb den fünften Akt wirklich in dieser Nacht, und er gehört unter sein Bestes.

UebrigenS

klagte, schmähete und schimpfte er immerfort, und nicht ohne Wohlbehagen, über die entsetz­ lichen Verfolgungen, die ihn, den Schuldlosen! träfen.

Doch erhielt er auch von anderer Seite

desto

schmeichelhaftem Ersatz — vornehmlich

durch Friedrich IL von Preußen. Dieser schrieb

eben jetzt,

noch als Kron­

prinz, eigenhändig an V.: „Möchte der größte Dichter und Denker doch mich seines Unterrichts würdig halten — mich, seinen Freund " rc. Das war ein Genuß! Es wäre aber nur ein halber gewesen, ganzen denn V.

Welt

wenn der Brief nicht in der

cirkulirt

hätte;

dafür

sorgte

Als bald darauf Friedrich den könig­

lichen Thron bestieg, gratulirte ihm V. in Ver­ sen und besuchte ihn im Clevischen — doch nur auf einige Tage, und man will wissen,

daß

die Zusammenkunft beiden bei weitem nicht die Herrlichkeit gewahrere, die sie davon erwartet haben mochten.

V. wendete die Sache klüglich

so, daß er unter der Hand seinen — Freunden unter den Fuß gab, er habe die Reise in ge­ heimen Aufträgen

feiner

Regierung

gemacht:

daher die baldige Rückreise, die eben die glück­ liche Vollführung beweise.

seines

wichtigen

Geschäfts

Wahr ist es indessen, daß das fran­

zösische Ministerium jetzt V. mit aller mögli­ chen Auszeichnung entgegen kam.

Womit kann

ich mich Ihnen gefällig bezeigen? fragte ihn der Minister in solenner Audienz. Durch, die Erlaubniß, daß mein Mahomet aufgeführt teer* de! antwortete V., dießmal wol mehr stolz, als eitel. Lächelnd erwiederte jener, er könne dazu nichts thun, als daß er ihm erlaube, sich sei­ nen Censor selbst zu wählen. „So wähl' ich den würdigen Crebillon!" antwortete V. Crebillon wagte aber nicht, die Aufführung auf sich zu nehmen, und V. rächte sich an „dem würdigen" eben so originell, als bitter. Cpebillon war nehmlich als Theaterdichter im un­ gestörten Besitz ausgezeichneter Gunst des Pu­ blikums, und fand darin sein Glück: V. ent­ riß es ihm, indem er seine Süjets alle selber bearbeitete, und ganz so, wie man sie eben haben wollte. So entstanden Semiramis, Orest, Roms Rettung rc. Da V. die Aufführung des Mahomet in Paris nicht erlan­ gen konnte, brachte er sie in Ltlle zu Stande, wo man über gewisse Anspielungen u. dergt. weniger ängstlich war. Das Publikum zeigte sich in den ersten beiden Akten ziemlich kalt V. wurde bange. Zwischen dem zweiten und

dritten Akte brachte ihm ein Kurier den Brief, worin König Friedrich ihm eigenhändig seinen Sieg bei Molwih meldete.

V. tritt vor in

seiner Loge, liefet den Brief laut ab:

das Par­

terre applaudirt dem König, dem Dichter, und nun auch dem Mahomet-

Hier hat das Mvl-

witzer Trauerspiel das Glück von meinem ge­ macht! sagte 25. — Als

man

in

Paris

bald

darauf

seine

Merope gab, erfand der Enthusiasmus zum erstenmal,

was

hernach

abgeschmackte Sitte

wurde: das Publikum rief den Dichter her­ aus.

23. konnte sich, des Unerhörten dieses

Verlangens wegen, nicht sogleich fassen — we­ nigstens that er so, und als ob er sich ver­ berge; doch wurde er aufgefunden — weg ge­ gangen war er nicht etwa! Ein Trupp Enrage S trug ihn in die erste Log.e, worin sich die ver­ ehrte Herzogin von Villars und ihre reihende Schwiegertochter befand: zwischen diese beiden Damen eskortirte man ihn,

und als ihn das

liebe ungezogene Parterre da erblickte, schriee es, die junge Herzogin müsse den Dichter küs­ sen.

Der Tumult wurde so ungeheuer, daß

sich die junge Dame wirklich dazu entschließen mußte. Die berühmte und berüchtigte Pompa­ dour hatte, nach manchen vergeblichen Ver­ suchen, endlich ihren Zweck erreicht: der König war in sie verliebt, und sie trat nun mit un­ geheuerm Pomp als erklärte Favorite auf. *) V., der die Mittelmäßigkeit dieser Dame, man mochte sie von einer Seite ansehen, von wel­ cher man immer wollte — keinen Augenblick verkennen konnte, auch wol unter vier Augey sich boshaft genug darüber äußerte, war doch so schwach und eitel, sich bei ihr aufs widrigste zuzudrängen, vor ihr im Staube sich zu schmie*)

Wenn diese kleine Folge Anekdoten und

Charakterzüge

nicht mißfällt,

wird im zweiten

Jahrgange dieses Journals eine ähnliche vom die­ ser Frau erscheinen.

Diese Sammlung kann zwar

durch die Heldin selbst nicht so intereffiren, wie gegenwärtige —

wofern ich meinen Stoff nicht

selbst verdorben habe; würdigen

wol aber durch die denk­

und großentheils einzigen Verhältnisse

des Hofs und der Großen, mit denen die Pompa­ dour verbunden war, seyn würden.

und die hier darzustellen

gen und öffentlich mit Auszeichnungen von ihr zu prahlen, die er nicht einmal, wenigstens nicht in dem Maße, erhalten hatte, denn die Pompadour konnte ihn nicht ausstehen.

Er

verlor acht Jahre seines Lebens damit, daß er auf diesem Wege ein Mann bet Hofe wer­ den wollte, wurde aber nur ein Hofmann, und allenfalls ein reichpensionirter Titular-Kammer­ herr.

Letztere« zunächst

seiner Schauspiele: Navarra, das

er

durch da« schlechteste

die Prinzessin

ein Pomp - und

auf Bestellung

von

Spektakelstück,

jener Dame machte.

V. selbst nannte es eine Jahrmarktsposse, und meinte, etwas Käufliches habe es Hierseyn müssen.

In diesen acht Jahren ließen ihm

jene Plane und Bemühungen nicht Zeit, etwas Bedeutendes zu schreiben. Ein zweites Lieblingsprojekt seiner Eitelkeit war, in die Akademie aufgenommen zu wer­ den.

Fünfzehn Jahre hatte er auf alle Weise

darnach gerungen: endlich glückte es ihm.

Nun

zogen aber seine Gegner, und großentheils die Herren Akademiker

selbst,

gegen diese Wahl

öffentlich oder in Familienzirkeln entsetzlich los.

Es ging ihm, wie einem deutschen

Schriftsteller

gleichen Fall.

gewissen bekannten in einem

vor kurzem

Was hat denn der Mann ge­

macht? hieß es.

Schauspiele und dergleichen!

Und dafür wird er unter uns ausgenommen? unter uns, die wir wenigstens Mathematiker — gewesen sind? —

V., statt das zu verachten,

ärgerte sich halbtodt darüber, und verging sich sogar so sehr gegen

sich selbst, daß er beim

Minister Klage führte.

Der Minister rieth

ihm lächelnd, er möchte doch die Leute machen lassen, was sie wollten; und der beißige Mensch rächte sich denselben Tag durch ein Epigramm auf den verständigen Nathgebcr, worin er ihn den

Minister

nannte,

machen ließ, was

der

die

Leute

sie wollten — und

welches nun in ganz Paris umherlief. Am Hofe des hochachtungswürdigen, leh­ ren Königs von Pohlen, dieses edeln Freun­ des der Musen und ächter Humanität, schrieb V. einige seiner schönsten Sachen, besonders den B a b o u c, diese beißende Satyr« auf Pa­ ris, und den niedlichen kleinen Roman, Zadig. V. gefiel sich an diesem Hofe der heitern Stille

und geistvollen Ruhe so wohl, daß er zwei Zahr« dort verweilete: da starb ihm seine vteljährtg« Geliebte, und er wußte nirgends Trost, als— im Gewühl von Paris.

Hier lernte er den

nachher so berühmten le Kain kennen, der, da­ mals noch ein junger Mensch, trotz allen Hin­ dernissen von Seiten seiner Familie u. bergt, zum Theater gehen wollte.

V. nahm sich sehr

brav dabei. Was treibt Sie dazu? sagte er dem jungen Manne mit väterlicher Schonung und Liebe. Eine unüberwindliche Neigung — Um dieser willen mögen Sie oft ins Thea­ ter gehen,

aber noch nicht

aufs

Theater!

Neigung dazu ist nicht Talent, Freude daran nicht Genie,

Eifer dafür nicht Fleiß,

zusammen noch nicht Beruf.

alles

Versuchen Sie'S

eine Zeit lang, sich vor der Scene zu halten, und damit Sie nicht durch Bedürfnisse zu jenem Schritt mit veranlaßt werden, biete ich Ihnen

ioooo Livres an. Le Kain folgte, besiegen.

aber er konnte sich nicht

Nun prüfte ihn D. und fand auch

alle erforderlichen Talente in ihm.

Von nun

an tvicB er ihn selbst vorwärts, gab ihm Un­ terricht in Deklamation unh Aktion, übernahm selbst die Leitung seiner frühern Versuche, und so wurde le Kain der vorzüglichste unter allen vorzüglichen französischen Komikern. — König Friedrich von Preußen hatte V. schon oft zu sich eingeladen, und ihn durch tausender­ lei feine Wendungen zur Reise ermuntert, un­ ter welchen das wol die schmeichelhafteste war, daß er sagte, alte Freunde müßten zusammen­ halten , und Er, Friedrich, wäre ja sein älte­ ster Freund.

V.,

der wol wissen mochte-

daß Dichter — besonders solche, wie er — gleich den Fasanen, aus der Ferne die schön­ sten Farben spielen, lehnte die Einladung im­ mer artig ab.

Der König drang auf Gründe;

V. schrieb, er fürchte das rauhe Klima, und Friedrich fertigte ihm ein beruhigendes Certifikat darüber aus, dem er, Beleg,

als aktenmäßigen

zwei Melonen zugab, die im Zunii

zu Potsdam gereift waren.

V. blieb beim

Entschuldigen,

Friedrich

neue Gründe;

da wendete jener — der Mil­

beim Dringen

lionen besaß — die Reisekosten vor!

auf

Der

König wieß ihm 16000 LivreS dazu an. *) ». bezog sie, immer.

zögerte aber unschlüssig

Endlich gab

noch

auch hier seine uner­

hörte Eitelkeit die Entscheidung.

Der noch

sehr junge Dichter Arnaud hatte eine poetische Epistel, voll Geist und Leben ^ an den König gerichtet.

Friedrich hatte ihm geantwortet und

unter anderm sich, vielleicht durch jene 93m nachläßigung beleidigt, geäußert: Voltaire ist im Untergehen, Arnaud im Aufsteigen. im Bett, als er dieß erfuhr.

93. lag

Wüthig sprang

er im bloßen Hemd heraus: Was? schriee er; Voltaire im Untergehen?

Um sein Land, nicht

um meine Würdigung soll sich der Friedrich bekümmern!

Wart', ich will hin und diesem

König zeigen, daß ich nicht im Untergehen bin! — So machte er sich plötzlich auf und kam *)

Einige erzählen, V. habe diese eingestri­

chen, sei dennoch geblieben, habe sich mit einem Bonmot beholfen, daß die Reisekosten zu Hause verzehrt worden waren, sei nun vom König zum zweitenmal damit beschenkt worden,

und nun

erst habe sich begebe», was oben erzählt wird.

nach Potsdam.

Die Auszeichnungen,

chen der König ihn empfing

wie

weU

und tromtrfort

behandelte, anzuführen, würde mehr Raum ein­ nehmen, habe.

als alles, was ich bisher geschrieben

Wie manchem hochverdienten und auch

geistreichen deutschen Manne geschahe hier wehe — vom König, aber noch mehr von dem über­ müthigen Franzosen! *)

Nur Eine seiner vie­

len Unverschämtheiten finde hier Platz! königliche Haus selbst

Das

that ihm die Ehre an,

sein Drama, Roms Rettung, aufzuführen, und D. spielte den Cicero.

Die Gardisten, die die

römischen Legionen vorstelleten und dabei so ganz andere Manöver machen mußten, als sie ge­ wohnt waren, versahen etwas dabei: ein

V. stieß

niedriges Schimpfwort aus und schriee:

*)

Sehr artig ist jedoch das Villet, das V.

an den König schrieb,

und das erst vor Jahr

und Tag

durch den

Freimüthigen bekannt

worden.

V. führt scherzhaft Klage, daß er im

Schlöffe — ich weiß nicht sogleich, wohin? habe gehen wollen:

aber die bärtigen deutschen Gre­

nadiere hatten

ihm den Paß verrennt und ihn

angeschnautzt: Sour-oucque! ( Zurück!)

„Menschen hab' ich verlangt und man hat mir D e u t sch e gegeben! “ Der Hof— schwieg und lächelte nur.

Doch kam V. auch bei eini­

gen biedern deutschen Männern nicht so leicht weg, sondern mußte herbe Pillen verschlucken — was er sich denn auch gefallen ließ, wenn er seinem Manne gegenüber stand. Geehrt durch glänzende Wohnung und Be­ dienung im königlichen Palast und durch tägli­ che» Platz (wenn es ihm sebft gefiel) an Frie­ drichs Tafel, geziert mit Orden und Kammer­ herrnschlüsseln, unterstützt durch eine Pension von jährlichen tausend Friedrichsd'or, reifete V. ab —

wie?

darüber sind die Erzähler zu

uneinig, alS daß ich irgend einem nacherzählen möchte.

So viel gehet aber aus allen Berich­

ten, selbst aus denen seiner Verehrer, hervor, daß er in gerechtester Unzufriedenheit des Kö­ nigs und mit dem Bewußtsein eines Beneh­ mens wegging, das durchaus nur in der größ­ ten Neitzbarkeit des übereiltesten, unbesonnen­ sten , nur immer vom augenblicklichen sinnlichen Eindruck abhängigen Menschen einigen entfern­ ten Grund zur Entschuldigung finden kann.

Vielleicht

brachte selbst dieß Bewußtsein die

Stimmung in ihm hervor, daß er erst noch «in» Zeit lang in der Welt umher jagte qnd dann sich ein stilles Landhaus bet Genf kaufte — welches aber bald nichts weniger als still blieb, sondern zum Sitz der Vergnügungen aller Art umgeschaffen wurde.

Hier schrieb er, außer

dem Tancred

und mehrerem andern, seinen

Candide

seinen Versuch über den

Geist

und

und die Sitten der Völker —

bekanntlich zwei seiner vorzüglichsten Schriften, die auch

den außerordentlichsten Beifall

durch ganz Europa fanden;

fast

hier kam er aber

auch mit Z. Z. Rousseau zusammen — im doppelten Sinne des Worts.

Ihr bekannter

Streit entspann sich gar bald, und es konnte auch wol nicht anders seyn.

Der großherzige

Rousseaü verachtete Voltaire'», und der glück­ liche Voltaire verlachte Roussrau'n; beide aber waren zu

stolz und auch zu heftig, einander

das verbergen zu können. seau

Als hernach Rous­

seinen Emil herausgab,

und deßhalb

die traurigsten Verfolgungen ausstehen mußte, bot ihm V. «ine Zuflucht bet sich an, aber R.

schlug sie streng aus.

Jener wollte gern groß­

müthig, dieser als Märtyrer erscheinen; beym Publikum aber zog sich V., wie immer, am besten aus der Sache, indem er die Lacher ge­ wann.

Freund Zean Zagues, sagte er, braucht

nicht Rath, nicht Gefälligkeiten, Bouillon!

den gebt ihm:

sondern —

der Mann ist

sehr krank! — Die schweizerische Geistlichkeit, die mehr Freiheit genoß als verstattete, fing an, 58. sein Landgut zu verleiden, und er zog, zum Theil wol ihr und andern Leuten

zum Trotz, auf

französischen Boden, aber hart an der schwei­ zerischen Gränze, nach dem späterhin weltbe­ rühmten Ferney, wo er sich ein Leben berei­ tete, wie es wenig Fürsten sich verschaffen könn­ ten,

auch wenn sie nur äußtre Hindernisse

abhielten.

Täglich war große offene Tafel für

jeden Gesitteten, der sich dran setzen wollte — nur war 58. selbst nicht oft unter diesen.

Er

ordnete für seine Gäste einen bunten Wechsel von Bällen, Spiel, Musik, lustigen Landparlieen, Schauspielen — bekanntlich hielt er seine eigene Truppe — und der Himmel weiß, von

was noch allem!

Er ergötzte sich an dem Vor-

genuffe beym Arrangement, und an der Zdee, wie diese Menschen erstaunen und dann hingehen und aller Welt die Wunder erzählen würden. Bei anderthalb - hunderttausend Livres jährlicher Einkünfte, für die man noch gar nichts zu thun braucht, und bei so großen Vermehrungen die­ ser Summe, wenn man etwas thun will — und V. that viel — dabei, und wenn man auch übrigens ein V. ist, läßt sich so 'was wol zu Stande bringen.

Die Genfer und schönen

Genferinnen wallfahrteten nach Ferney, Fremd« aller Nationen und jeden Standes mischten sich unter sie; man war froh, disponirte über allesund zog wieder ab, gemeiniglich ohne V. gese­ hen zu haben.

Mancher Fremde, der es er­

zwingen wollte, ihn selbst zu sprechen und viel­ leicht rin Bonmot von ihm aufzuhaschen, lebte mit Dienerschaft und Pferden wochenlang zu Ferney herrlich und in Freuden; aber er mußte doch, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, ab­ ziehen.

Bekannt ist jenes Epigramm, das ein

deutscher Gelehrter, dem es auch so ging, zu­ rückließ, worin er D. mit Jemand verglich,

den man auch esse und trinke, ohne ihn zu sehen;

bekannt auch, daß V., sobald er die

Verse erhielt, alles aufbot, ihn wieder zurück­ zubringen.

Sonst ließ sich der, nun endlich

am Körper, nicht am Geist, alternde Sybarit nur die letzten Resultate von dem, was in fefc nem Hause vorging, referiern, lag den größten Theil des Tages im Bett,

trank immerfort

Kaffee, und diktirte — Verse, Prosa, Gutes und Böses, Großes und Kleines, Witz, Phi­ losophie und Possen, wie es ihm nun eben jeden Tag und jede Stunde gemüthlich war. Sein kleines Dörfchen erwuchs zu einer der niedlichsten, freundlichsten, berührigsten Land­ städte;

besonders sehten sich viele junge Uhr­

macher, andere mechanische Künstler, und Kauf­ leute, mit denen man's in Genf, wie sie mein­ ten, zu genau genommen, dort fest, und V. half ihnen nach Möglichkeit auf, wobei er noch das Vergnügen hatte,

die gestrengen Genfer

Herren tüchtig zu ärgern. Doch ging es auch für ihn nicht ganz ohne Aerger ab.

Nicht, nur die bösen Kritiker mach­

ten ihm oft das Leben sauer und trieben ihn

nicht selten bis zur ausgelassensten Erboßung; sondern auch Andere ließen ihn, und tiefer, empfinden, er sei kein Gott. Nur Einiges davon! 93. verdankte einen beträchtlichen Theil seines Glücks, namentlich auch die ihm nun zu­ gesicherte Freiheit in Ferney, dem berühmten Minister Choifeul; hatte das immer und laut anerkannt, und diesem Allgewaltigen den Hof in aller Demuth gemacht, wie nur irgend Einer. Immer — das heißt: so lang' er dieser Allgewaltige war! Aber kaum war er gefallen, als sein zweideutiger, achselträgerischer Günstling nicht nur aus vollen Backen für bte neue Regierung blies, sondern auch etwas lei­ ser gegen die alte. Choiseul zog sich auf sein prächtiges Lustschloß, Chanteloup, zurück, und chat nichts gegen 93., als daß er auf daS Hauptgebäude einen sehr eleganten Wetterhahn setzen ließ, der V. zum sprechen gleich sahe, und der absichtlich so eingerichtet war, daß er beym veränderten Winde entsetzlich knarrte — theils, die Vorübergehenden auf sich aufmerk­ sam zu machen, theils dadurch noch mehr Aehnlichkeit mit dem Portraitirten zu gewinnen. —

SS

Joseph TI., auf den damals die Augen der gan­ zen Welt in dem Glauben gerichtet waren, er werde fortsetzen und vollenden, was sein Vorbüd, Friedrich U., begonnen — Joseph reifete in der Schweiz; er besuchte Hallern, und wen er von verdienten Männern kannte. V. rüstete sich in aller Stille zu seinem Empfang; Joseph kam hart bei Ferner- vorbei, und ging, ohne V. sehen zu wollen, vorüber. Das schmerzte, obschon man nur Witz darüber machte!— Sein junges, lockeres Völkchen zu Ferner- kultivirte, unter andern schlimmen Dingen, vornehmlich auch das — Stehlen. Der alte Herr bekam, nach manchen andern vergeblichen Versuchen, sie davon abzubringen, auch den wunderlichen, doch an sich gewiß gut gemeinten Einfall, ihnen selbst von der Kanzel die Gewissen zu rühren. Mit großer Feierlichkeit betrat er den geweiheten Ort, hielt, mit aller Gewalt seiner Be­ redsamkeit, eine väterliche, vortreffliche Rede gegen den Diebstahl, und die Predigt blieb gewiß nicht ganz ohne Erfolg. Sie blieb es aber auch für ihn nicht! Die Geistlichkeit hielt dieß für eine furchtbare Entheiligung des Got-

teShauses; steckte sich hinter den Erzbischof von Paris, der längst einen Giftzahn gegen D. hatte; dieser steckte sich hinter die fromme Kö­ nigin, und schob es ihr jetzt, auf ihrem Ster­ bebett, ins Gewissen:

die Königin ließ sich

sterbend von ihrem Gemahl zuschwören, daß er die Religion an V. rächen wolle, und Chviseul, damals noch Ludwigs rechte Hand und V.s Gönner, nach

hatte vollauf zu thun,

die Sache

dem Tode der Königin in Vergessenheit

zu bringen.

D. war von dem schrecklichen Un-

gewitter, das sich über ihm zusammenzog, un­ terrichtet, und ließ schon in aller Stille ein­ packen , als er einen Brief von jenem Minister erhielt, daß er sicher bleiben könne. recht gut:

So weit

aber was that V., um nun auch

die Geistlichkeit zu versöhnen?

Er stellete sich

krank, sprach vom Sterben, von Dereuung seines

Unglaubens

und Lebenswandels,

Sehnsucht nach Gnade und Trost:

von

man rief

den Pfarrer, V. beichtete, legte ein orthodoxes Glaubensbekenntnis ab, ließ es von allen An­ wesenden als Zeugen unterschreiben,

empfing

das Sakrament — die Theaterscene war aus,

4;o V. war wieder gesund, lachte,

und trieb es

nach wie vor. Hier thut es Noch, sich endlich auch nach etwas Gutem umzusehen, das er leistete!

Zn

dem, was aus seinem Kopfe kam, findet man bei ihm immer allenfalls einen Gegenhalt gegen das, was aus seinem Herzen floß.

Es ist

zum Erstaunen: in der Zeit dieses seines Auf­ enthalts in Ferney — das heißt, in den sech­ ziger und siebenziger Zähren seines Lebens — war sein Geist am allerfruchtbarsten, und wenn mehrere seiner neuesten Werke den besten ältern nickt beikommen, so

sind auch

einzelne unter

das Vorzüglichste zu stellen, was er nur je her­ vorbrachte.

Hier kann nur das Merkwürdigste

genannt werden.

Sein Kraft-Büchlein über

die Toleranz wirkte auf Millionen,

und

unter diesen auch auf die, die sich sonst

um

Bücher wenig bekümmern

ge­

und Toleranz

währen können; sein Wörterbuch — phi­ losophisch, nannte er's — verbreitete, freilich neben unwürdigen,

auch die herrlichsten und

damals neuen Zdeen; mane,

seine zwei kleinen Ro­

die Prinzessin von Babylon,

und noch mehr, der Hurone, erfreu«« «och immer >eden Leser; Parlements,

seine Geschichte des

und

seine

Fragen

über

die Encyklopädie, regten Gedanken und Wünsche auf, die in der Folge reichlich wucher­ ten.

Daß fast alle diese Schriften heftigen

Widerstand erregten, daß einige sogar von Hen­ kers Hand öffentlich verbrannt wurden, schadet dem Guten nicht, das sich in ihnen findet-------Aber auch das darf ich nicht übergehen, daß sich auch in seinem Leben aus dieser Zeit manche Züge finden, die groß und herrlich ge­ nannt werden dürfen, sollte er auch dabei nicht ganz frei von Ehrgeitz,

Ruhmsucht,

keit u. dergl. gehandelt haben. Beweggründe

und

Absichten

außer bei sich selbst?

Eitel­

Wer darf über entscheiden,

Und wie selten können

wir sogar da ganz sicher seyn!

Nicht nur

anführen will ich dergleichen Züge, sondern sie sorgsamer aufsuchen, als die Züge von Schwä­ che, Thorheit und Zweideutigkeit! — Der größte Tragiker der Franzosen, das Haupt ihrer Theaterdichter in jedem Sinne des Worts, Corneille, hatte eine Enkelin

hinterlassen, welche, hinausgestoßen in die Welt, die von ihr keine Notiz nahm, bei wahren Vorzügen des Geistes und Herzens, in bitte­ rer Armuth schmachtete.

Endlich gaben die

Pariser Schauspieler für sie eine Benefizvor­ stellung :

sie trug aber sehr wenig ein.

schrieb man V.

Ich

baue

zwar

Das

jetzt ein

Schloß und eine Kirche, antwortete er, und Leides beschäftigt mich reichlich:

aber ich alter

Waffenträger will schon noch für die Enkelin meines großen Heerführers fechten. soll sie nur zu mir kommen.

Vorerst

Sie kam: er

richtete ihr ein sehr anständiges, sorgenfreies, bequemes Leben

ein;

schrieb

den

bekannten

Kommentar zu den Werken ihres Großvaters zu ihrem Besten;

blies Lerm, errichtete eine

Subscription zu ihrer Aussteuer, wozu er fast alle Fürsten Europa's aufforderte, und hatte die Freude, auch wirklich fast von allen unter­ stützt zu werden. Bekannter ist, was er an der Familie deö unglücklichen, rechtschaffnen ZeanCalas that. Calas halbmelancholischer Sohn hatte sich selbst entleibt; Haß gegen den Vater, den Ketzer,

akS habe das Parlr-

hatte gegen diesen den Verdacht erregt, er selbst den Sohn umgebracht;

ment zu Toulouse hatte ihn auf diesen 98#y dacht hinrichten lassen.

Freilich konnte B. den

Hingeopferten nicht aus dem Grabe erwecken; aber er nahm die Akten vor, erwiest aus ihnen unwidersprechlich,

mit größter Kühnheit und

hinreißender Beredsamkeit, man habe einen Un­ schuldigen gemordet, rettete dadurch die Ehre des Unglücklichen und seiner Familie, und er­ zeigte

dieser

auch

Dafür segneten

sonst

noch

vieles

Gute,

ihn Gutgesinnte durch ganz

Europa. Nicht nur gegen dieses, sondern auch öfter gegen ähnliches Verfahren der vormaligen gräß­ lichen Kriminaljustiz der — feinsten,

aufge­

klärtesten Nation der Welt, zog V. die Sturm­ glocke.

Ein Hausvater, Sirven zu Languedoc,

hatte das Unglück, daß eine seiner Töchter sich ertränkte. Calas;

Man begann mit ihm, wie mit

aber es gelang ihm mit seiner Familie

zu entfliehen, ehe man die Todesstrafe vollzie­ hen konnte.

Doch es war der härteste Win­

ter, er mußte die unwegsamsten Gebirge auf-

suchen: fein Frau kam da um,

feine zweite

schwangere Tochter gebar ihr Kind im tiefen Gebirgsschnee — 95. schlug entsetzlichen Lerm: man revidirte den Prozeß, man fand die gänze Familie unschuldig. — Ein armer Taglöhner, Martin, wurde des Straßeizraubs angeklagt, und verhaftet, ohne daß man etwas, außer unbegründete Vermuthungen, auf ihn bringen konnte.

95. fuhr von neuem los, der wahre

Straßenräuber gab sich selbst an — aber bei­ des war zu spät, Martin war schon hingerich­ tet. —

Entsetzlich!

kurze Zeit darauf ermor­

dete ganz auf ähnliche Weise die Justiz zu St. Omer einen jungen Mann als Mörder seiner Mutter, ohngeachtet er bis zum letzten Augenblick Gott zum Zeugen seiner Unschuld aufrief, und sein schwangeres Weib wollte man nur erst niederkommen lasse», um sie dann eben­ falls zu hängen.

95. lief Sturm, ließ nicht ab,

bis er eine neue Untersuchung zu Stande brach­ te, und nun erkannte man die Unschuld beider. Und was wirkten diese Handlungen V.s auf das Publikum in Frankreich? Das Volk jubelte, vergötterte ihn, und — vergaß bald

darauf alles.

Die Gelehrten sammelten «ine

Subscription, ihm ein Ehrendrnkmal z« setzen. König Friedrich stimmen,

trug

d' Alembert auf, $# be­

wie viel er beitragen solle.

Sire,

antwortete dieser, Ihr Name und Ein Thaler find genug! — Die Gerichte erbitterten sich dagegen

und

riefen:

Atheist in Sachen,

Was mischt sich

dieser

die ihn nichts angehen?

Der König (Ludwig XV.) ließ sich von sei­ nen Maitressen die Sachen als Stadtgeschichtchen gegen die Langweile erzählen, und vergaß sie in ihren Armen gleich wieder — als Stadtgeschichtchen. drich II.,

Nicht so das Ausland! obgleich von V.

Frie­

beleidigt, schrieb

ihm vortrefflich darüber, ließ seine Statüe von Porzellan fertigen und setzte

eigenhändig auf

das Piedestal: Viro immortali wortete 23.,

„ Sire, ant­

Sie weisen mir ein Gütchen in

Ihren Domainen an! " — Katharina II. von Rußland, und

obgleich

von V.

vernachläßigt

mit zum Theil faden Schmeicheleien ab­

gespeiset, *), schrieb ihm mit eigener Hand: *)

So war er z. B. von der großen Kaiserin,

die unter anderm durch seinen Karl XII. bezau-

„ Wehe bcn Verfolgern! rc." schickte ihm die kostbarsten Zobel und ihr mit Brillanten reich besetztes Bildnis.--------Voltaire war vier und achtzig Zahr, und noch voll Lebenslust und Regsamkeit. Einer der Lieblingspline, mit welchen er seine Eitel­ keit kitzelte, war, noch einmal in Paris auf­ zutreten und gleichsam als Triumphator zu ster­ ben.

Er hatte alles sehr gut vorbereitet.

Es

hieß, er wolle nur seine geliebte Pflegetochter, die neuvermählte Marquisin de Vilette, besu­ chen; aber ganz Paris war davon unterrichtet und brannte, ihn zu sehen und ihm zu hul­ digen.

Auch hatte er für Gelegenheit, das

bert worden, ersucht, ein Seitenstück dazrz in ihrem glorreichen Vorfahren, aufzustellen. lich rc.

Peter dem Großen,

D. versprach es, pries fich glück­

Er ließ sich im voraus überreich dafür

belohnen, ließ sich die wichtigsten Dokumente zu dieser Geschichte anvertrauen:

das Buch erschien

nicht; und da er endlich gar keine Ausflucht mehr ersinnen konnte, kam die ärmliche, zusammenger stoppelte Anekdotensammlung aus dem Leben des Czars an's Tageslicht, die im Grunde wol weni­ ger als nichts genannt werden könnte.

hübsch öffentlich ju than, gesorgt, indem er zwei neue Trauerspiele, Zrene und Aga» thokles, mitbrachte, die aufgeführt werben sollten. Zm Winker 1777 machte er sich wirk­ lich auf und kam glücklich in das begierig har­ rende Paris. Er that fromm, beichtete erst, und hielt dann Proben zur Zrene. Sie versprachen nicht viel. ES wäre doch fatal, sagte er, wenn ich nach Paris gekommen wäre, um zu beich­ ten und mich auspfeifen zu lassen. Dahin ließ es aber der Enthusiasmus der Pariser kei­ neswegs kommen. Zm Gegentheil, da nun endlich Zrene erschien und 93. unter den Zu­ schauern, gränzten die Huldigungen aller Art an Wuth. Kein Gott konnte glorreicher em­ pfangen werden. Die Berauschung durch so unerhörten Beifall, die stete Anstrengung, alles das zu genießen, was man ihm veranstaltete, überall schöne Dinge zu sagen, jung zu thun, oder wenigstens über sein Alter jung zu scher­ zen — dieß zog ihm bald Unpäßlichkeiten zu. Er konnte den Wiederholungen der Zrene nicht beiwohnen: aber er unterhielt ab - und zuei­ lende Kuriere, die ihm von Akt zu Akt berich-

ten mußten, ob man hübsch applaudire. *) Minister,

Gelehrte,

ihm aufzuwarten:

Hofleute drängten sich,

er ließ nicht leicht Einen

ohne ein Bonmot weggehen, obschon er krank war.

Einige seiner alten Freunde und —

Kampfgenossen, die es zu keinem so glänzenden Siege gebracht hatten,

suchte

sobald er sich erholt hatte.

er selbst auf,

Der Eine, steif

und ausgetrocknet, wie Er, fand sich in ent­ legenem Viertel der Stadt in einem Dachstüb­ chen:

Freund,

sagte V. eintretend,

ich habe

meinen Todeskampf aufgeschoben. Sie zu um­ armen. — Franklin befand sich eben damals in Paris, um Beistand zur Befreiung seines Va­ terlandes zu unterhandeln.

Er kam zu V. und

brachte seinen Enkel mit.

Mein Sohn, fugte

er, kniee nieder vor diesem großen Manne! Der Knabe that es.

V. legte sehr gerührt die

Hand auf sein Haupt und sagte segnend: Gott und Freiheit! — *)

Die förmliche Apotheose D.s ist zu be­

kannt, so wie der Bericht über alle die glanzen­ de» Feste, die man ihm gab, zu einförmig, um hier wiederholt zu werden.

Es ist tu verwundern, daß gänzlich verän­ derte Lebensordnung, daß solche unaufhörlich» starke Eindrücke und heftige Reihe den ner­ venschwachen Greis nicht umbrachten, sondern nur mehr schwächten. Tod.

Doch war Paris sein

Er konnte sich von diesen Dealifikatio-

»e», er konnte sich auch von seiner so innig geliebten Pflegetochter,- die er und nachher die WettsprÜchwbrtlich Schöngntchen nannte— nicht trennen; er konnte aber auch sein liebeFerney nicht missen, dessen Einwohner Depu­ tationen an ihn sandten, ihn zurück zu erbitten, und sogar eine Art von tragbarem, höchste quemen Kabinet machen ließen, um ihn darin ans ihren Schultern recht sanft zurückzubringen. Dieses Schwanken seines Herzens setzte ihn in neue, heftige Spannung.

Er wollte sich durch

Arbeiten abziehen, schlug

der Akademie, die

eben mit Planen zu einem möglichst vollendeten Wörterbuche umging, vor, jedes Mitglied solle Einen Buchstaben bearbeiten, gleich A. behalten;

und Er wolle

man nahm den Vorschlag

an, V. arbeitete mit größtem Eifer, reihte sich 3 f- 3- ix. H.

4

noch mehr auf durch Opium: da mußte die alte, ausgelaufene Maschine zusammenbrechen. Seine letzten Stunden sollten noch durch einen Priester verbittert werden, der sich mit Gewalt herzudrängte, ihm das Gewissen zu rühren und ihn zu bekehren;

aber es sollte

ihm auch noch eine schöne Freude den Hingang versüßen.

Er hatte

in der wichtigen

und

furchtbaren Prozeßsache der Familie der Grafen Lally - Tolendal sich zum Vertheidiger aufgewor­ fen;

er lag im Hinscheiden,

als man ihm

die Nachricht brachte, er habe gesiegt — So giebt ihnen der König ihr Recht, sagte er: nun sterb' ich vergnügt.

Da verschied er, und

Friedrich II. schrieb ihm, mitten im Tumult des Kriegs, eine treffliche Trauerrede.

D i e Umstände.*)

Die Umstände sind, was Aufsehen machen läßt, was Leuten von Kopf zum Glück, Leu­ ten ohne Kopf zu Entschuldigungen verhilft. Der große Mensch beherrscht sie, der feine Mensch zieht Vortheile von ihnen, der gemeine Mensch läßt sich von ihnen tyrannisirrn. Lange vor Galilät hatte man die Umdre­ hung der Erde um die Sonne gemuthmaßt: Galilät wurde dieser Meinung wegen von der Inquisition eingekerkert, gequält, aufgeopfert: diesen Umständen verdankt er seinen Ruhm, als Erfinder dieses Systems. — Es hängt von den Umständen ab, ob eine Charlotte Corday eine Mörderin, oder eine thörichte Schwär*) Die ersten sechs bis acht Zeile» dieses Aufsatzes sind nach dem Französische».

nrerin, oder ein edles Opfer für das Vaterland genannt werden soll.

Und wie sehr vieles ver­

dankt der Mann, der jetzt, heimlich oder offen­ bar, vielleicht drei Viertel von Europa beherrscht, den Umstanden — oft sogar den kleinsten, aller­ zufälligsten?

Man weiß von Heerführern, die

vor einer Armee Helden, und für sich allein, äußerst furchtsame Menschen waren.

Wie man­

cher berühmte Schriftsteller verdankt nicht nur seinen Ruhm, sondern auch

den bedeutenden,

tiefen Eingang seiner Arbeiten — nicht dem, was er schrieb, auch nicht dem, wie er schrieb, sondern

den

Umständen,

mals, damals

daß er gerade da­

gerade das, vielleicht sogar,

damals gerade jenes unvollkommnere, aber Ln die, eben wieder durch Umstände herbeige­ führte Stimmung des Publikums eingreifende, schrieb!

Hätte Güthe vor fünf und zwanzig

Zähren die Eugenie,

und vor dreien den

Werther geschrLeben: wie würden sie aufge­ nommen worden seyn?

Vielleicht wären beide

vom Strome dahingeriffen, nur von wenigen be­ merkt worden.

Za, wahrscheinlich hätten wir

dann das noch vollkommnere, das zwischen bei-

den erschien, gar nicht erhalten; denn daß aus­ gezeichnete Aufnahme,

früher Ruhm —- kurz,

daß Umstände auch auf den Gang des Geistes, — auch des Geistes der ausgezeichnetsten Men­ schen, viel, sehr viel wirken, sowol in Absicht der Höhe, die Einer erklimmt, als auch in Absicht des WegeS, den er einschlägt:

das ist

wol offenbar----------

Solche Beispiele anzuführen, geziemt mir vielleicht nicht ganz.

Ich gebe andere.

Ein

Weib, das nie geliebt hat, ist ein Weib, daS den noch nicht gefunden,

den eS lieben sollte.

Eine herrschende Zuno bleibt in diesem ihrem Charakter, wenn sie keinen Jupiter findet, der s i e beherrschen mag.

Tausend treue Weiber

sind das nur, weil sie keine, wahrhaft

oder doch keine

gefährlichen Verlockungen von ihrer

Bahn erfahren;

so wie tausend Männer nur

darum ehrlich bleiben, weil es ihnen nicht all­ zunah gelegt wird, Schurken zu seyn.

Manche

läßt sich einen, und einen wirklich unbedeu­ tenden Fehltritt

zu Schulden kommen, kehrt

auch sogleich von ihm zurück:

die Umstände,

für die sie nicht kann, machen, daß ihr Ruf auf immer dadurch vernichtet wird.

Der 2(ii-

dern Gang ist ein fast unaufhörliches Ausglit­ schen auf selbstgewählter, schlüpfriger Dahn: eS vereinigen sich aber die Umstände, ohne ihr Verdienst, zu ihren Gunsten, und sie gilt im Urtheil der Welt für die schuldloseste, ehrenwertheste Frau. nöthig,

Ach, wie viel Thoren sind

ein Publikum

auszumachen!

seufzt

Champfort. — Zch gehe aus,

eine unglückliche Freundin

zu trösten; ich setze mich in die rechte Stim­ mung und zugleich in die Fassung, die mir Eingang verschaffen müssen.

Zch eile;

der

einzige Umstand —: ein rauher Wind wehet, rcitzt einen kranken Zahn, ich bekomme heftigen Zahnschmerz: und dahin ist, trotz aller meiner Bemühung, Stimmung, Fassung, Eingang; und vielleicht war dieß der einzige und letzte Moment,

die Unglückliche von Verzweiflung

zu retten. Der Umstand, daß mein Vater sich in der Antichambre des Ministers erkältete, hat mein

ganzes Lebensglück begründet.

Diese Erkältung

brachte nehmlich eine Schwäche in seinen Füßen hervor.

Diese zu heben,

riethen

Aerzte nach Karlsbad zu gehen. mich mit. nen,

ihm die Er nahm

Dort lernte mein Mann mich ken­

der sonst nie mich

zu sehen bekommen

hätte; und dieser mein Mann wurde eben mein Glück.

Eine meiner Freundinnen machte ihre

glänzende und vielbeneidete Carriere durch den Umstand, daß (ohngefahr achtzig Meilen von ihrem Wohnorte) die bekannte Proklamation des Herzogs von Draunschweig gegen die Fran­ zosen beym Einmarsch der verbundenen preußi­ schen und österreichischen Armee erlassen wurde. Ohne diese Proklamation waren nehmlich ge­ wisse politische ohne

Verhältnisse nicht eingetreten; die

preußische

Armee nicht zurückgezogen worden,

diese Verhältnisse

wäre

ohne dieß

wäre eine gewisse hohe Vermählung nicht zu Stande gekommen; ohne diese wären dem erha­ benen Paare gewisse Feierlichkeiten nicht ange­ stellt worden; ohne diese wäre meine Freundin als eins der gebildetsten und schönsten Mädchen nicht bekannt worden;

ohne dieß hätte der

junge, vornehme, reiche und treffliche Jüngling, der ihr hernach Herz und Hand bot, nicht« von ihr erfahren--------Zu was dieß alle« führen soll? Gott, dazu:

Will'«

daß die Leserinnen auf folgende

Sätze ernster aufmerken, und sie zu Grund­ sätzen und Maximen, wonach sie handeln, wer­ den lassen: Verweben sich die Umstände so ohne dein Zuthun und meistens selbst ohne dein Wissen: so rechne nie auf sie

Ein Thor seht in

die Lotterie mit der gewissen Erwartung, da« große Loos zu gewinnen; ein Thor seht über­ haupt in die Lotterie, wenn er nicht den Ein­ sah gleichgültig verlieren, und da« Ganze nur als eine Tändelei ansehen kann. Laß dich durch unglückliche

Umstände

nicht darniederschlagen, durch glückliche nicht sicher oder übermüthig machen. beide nicht,

hast

an

beide können und werden, schncll, wechseln.

Du kannst für

beiden kein Verdienst, und oft nur allzu-

Benutze die Umstände, sobald sie dir günstig werden, denn sie fliehen.

Dadurch

unterscheidet sich eben der Kluge und Gewandte vvn dem Unklugen und Saumseligen.

Dieser

sagt und thut vielleicht dasselbe Schöne und Gute,

wie jener: aber es bleibt ohne Erfolg

für ihn und für die Welt, denn er sagt's und thut'S zur Unzeit. Erhebe

dich

über

die Umstände.

Ze weniger du auf sie rechnen kannst, je mehr bilde und befestige dich, auf dich selbst Ln allen Umständen rechnen zu können.

Was

ist elender, als der Federball der ungezügelten, oft

muthwilligen

seyn?

Laune

der

Verhältnisse zu

Was ist edler, als dem Felsen zu glei­

chen, an den sie wie flüchtige Wellen spülen — dem sie höchstens das ihn

das

grüne,

artige Moos,

schmückte, entreißen, ihn selbst aber

nie umstürzen können? Erhalte die Hoffnung und nähre den Glau­ ben an eine höhere Macht, die dich, nach die­ ser Periode deiner ganzen Existenz, zu einer andern

erheben wird, wo du nicht mehr mit

solchen Umständen zu kämpfen hast.

Wie es

auch in jener Welt mit dir werden möge: Umstände sind nur Erzeugnisse von dieser, und mithin mußt du, wenn du ihren Schau­ platz verlässest, auch sie selbst verlassen. — Die Wittwe.

D i e

Trauer.

Es ist an vielen Orten zur herrschenden Mode geworden, nicht mehr bei dem Verlust geliebter Angehörigen zu trauern.

Soll es Aufklärung,

soll es Seelenstäcke seyn; ich finde diese Sitte weder edel, noch natürlich. gleichsam ein Opfer,

Die Trauer ist

das die Selbstliebe

der Liebe zu den verlornen Freunden bringt; und die wildesten, uncultivirtesten Nationen des Erdbodens fühlen diese Ueberlegenheit eines ed­ ler» Triebes.

Der Ueberlebende fühlt in dem

Augenblicke des Verlustes die Nichtigkeit dessen, was ihm selbst gehört, da er von seinem bessern Selbst, von denen die er liebte, schei­ den muß; er ist nicht mehr eitel, und achtet körperlichen Schmerz nicht mehr. wilden Nationen zerritzen

Einige der

sich die Stirn mit

Muschelschaalen, ihr Blut mit ihren Thränen

zu vermischen; die edlen, liebenswürdigen Bewohner von Euwa und den übrigen freund­ schaftlichen Inseln,

sie,

die sich so sanft, so

gefühlvoll gegen ihre Nebenmenschen zeigen, ver­ stümmeln fühllos ihren schönen Körper bet dem Verluste geliebter Menschen.

Sie

gehen zu

weit; allein es ist doch immer nur ein Ueber­ maß von Schwärmerei zu einer edeln Quelle fließt.

nennen, die aus

Die schönste, seelen­

vollste Art der Trauer scheint mir die Ge­ wohnheit, womit das weibliche Geschlecht einer der nordamerikanischen Nationen seinen Schmerz auszudrücken pflegt.

Die Mädchen, wenn ihre

Gatten oder Geliebten in der Schlacht geblie­ ben, oder sonst gestorben sind, berauben sich ihrer schönen, langen Locken, gehn hinaus auf das Todtenfeld und streuen den Haarschmuck auf die Gräber der Geliebten. wollten sie damit sagen meine Schönheit!

Gleich als

Nur dir gehörte

Ich will keinem Auge mehr

gefallen, da sich das Deinige geschlossen hat. Eine

gleiche,

nur schwächere Bedeutung

hat bei uns das Tragen dunkler, unscheinbarer Farben;

sie wollen sagen, daß der Schmerz

öl des Trauernden jeden Wunsch, selbst das na« türliche Verlangen zu gefallen, überwiegt.

Zw

Augenblick des Todes der Geliebten, tn bk» fern wichtigen, großen Augenblicke für jedes menschliche

Gemüth,

vergißt das Herz sich

selbst, um sich in Thränen heißer Liebe auf» zulSsen.

Der Egoismus hat auf einige Zeit

den alten Wohnsitz verlassen,

und so könnte

man die Trauer gleichsam das ausgesteckte Sie» gespanier der Liebe nennen.

Und sollten wir

eö verläugnen wollen, dieß Zeichen eines edle­ ren Gefühls?

Sollte nicht vor allen Andern

diejenige, die den verlor, den sie ihr Lebery den sie die Hälfte ihres Wesens

nannte, es

begierig auffassen, dieß schöne sprechende Zeichen, womit sie dem Geliebten noch über die Gruft hinüber den Schwur der liebenden Treue rufen kann? Mich dünkt, in keinem andern zärtlichen Verhältnis ist der Sinn der Trauer tiefer und bedeutungsvoller, als in diesem, die gänzliche Verschleierung der Reitze, die den Verstorbnen nur erfreuen sollten!

Der Brautkranz schmückt

die Zungfrau für ihren irdischen Geliebten; der

6l Witwenschleier zeugt gleichsam, daß sie sich zum zweitenmal« mit ihrem himmlischen Gatten vermählt. —

Wir bewundern die zarte Dlu-

mensprache der Indier,

diese Miniaturschrift

inniger, liebender Gefühle ;

und wir?

sollten

wir nicht einmal die großen kolossalen Lettern lesen können? sollte uns der zarte, treue Sinn jener wilden Amerikanerinnen beschänien,

die

den Schmuck ihrer Schönheit am Grabe der Geliebten opfern? schlecht von

3ft nicht das weibliche Ge­

der Natur dazu

geeignet, dazu

geschaffen, das Geistige auf eine edle Weise mit dem Sinnlichen zu verbinden?

und diese

edelste, erhabenste von allen sinnlichen Bezie­ hungen sollten wir verläugnen?

Möge den Männern, ihnen, die so empfäng­ lich

sind für alles Schöne

die

sich mit philosophisch

der Gegenwart,

freiem Sinn über

unsre liebende Beschränktheit zu er­ heben wissen;

möge ihnen auch die sinnliche

Bezeichnung eines Gefühls erlassen seyn, das sie nicht lange nähren können!

Uns sei der

Schmuck der Treue überlassen! — Mögen sie

in den lachenden Blumen der Gegenwart Er­ satz für den verblühten Frühling ihres vergan­ genen Lebens finden!

Uns bleibe treue Lieb'

und treuer Schmerz!

Louise Drachmann.

Der Traum des Lebens.

Beschluß Jetzt betrat das junge Ehepaar den Schau­ platz einer großen, glänzenden Hauptstadt, in der alle Elemente des Guten und Bösen ge­ mischt sind, und, wie im großen Weltall, nach Bereinigung streben. Alexis ward

Aline ward angebetet,

bewundert:

neuen Leben ganz hin.

er gab sich

diesem

Sein Volk und seine

Regentenpflichten machten ihm das Herz gar nicht schwer;

die lagen immer nur im Hinter­

gründe, wie das Nachtquartier für einen Rei­ senden.

Ze mehr Weg Einer macht, je wei­

ter kömmt er:

Er machte denn auch einen

weiten Weg! Weisheit hatte er bei den Prie­ stern des großen Tempels gelernt; es wär' sehr gemein gewesen,

die Thorheit nun bloß vom

Hörensagen zu kennen.

Cr war treulich be-

müht, sie bis auf den Grund anzufchaun. ihrer Serts

fand

in der

Aline

Anwendung ihrer

Kenntnisse auch wieder viel Genuß.

Auch in

der großen Stadt gab es Schüler der Weis­ heit, die aber noch um so viel liebenswürdiger waren, als sie tue Sache nicht so handwerks­ mäßig, nicht so schulgerecht trieben.

Sonder­

bar, daß die beiden Leute immer einerlei Zweck, einerlei Beschäftigung hatten, und doch täglich eins mit des andern Treiben unzufriedner wur­ den ! Was Alexis bei allen Weibern bezauberte, fand er bei seiner Frau ärgerlich; was sie bei allen Männern entzückte, schien ihr bei Alexis unrecht, erregte ihr Mißfallen, verleitete sie zu Vorwürfen.

Tausendschön ward ganz irre in

ihren Gedanken.

Sie sah gar nicht em, wie

aus dem allen endlich Regententugenden her­ auskommen sollten.

Oft wollte sie es mrt dem

Rührenden versuchen, um die beiden Leute zu vereinigen;

sie erinnerte sie an ihre Kmder-

jahre, an ihre Liebe — Aline erröthete, Alexis schenkte sich ungestüm Wein ein.

Sie entwarf

ein rührendes Gemählde von häuslichem Glück, einem Kreis von Kindern, Pflichten, Untertha% f. F. IX H.

5

nen — Alexis zuckte die Achseln, Mine lispelte etwas von prosaischem Leben . .. Tansendschöns Galle rege —

Das machte

Denn mit den

Feen ist's eben wie mit allen andern Urbetir» dischen, wovon wir armen Menschen schwatzen: wenn wir einer Gottheit recht viel Ehr« ange­ than haben,

haben wir ihr endlich doch nur

unsre Eigenschaften, unsre Leiden und Freuden gegeben.

Tausendschön war also bös, und weil

sie eine Fee war, recht feenmäßig bös ; sie er­ klärte ihren Zöglingen kurz und gut, sie soll­ ten jetzt zu ihren väterlichen Fluren, zu der Wieg« ihrer Kindheit zurückkehren,

oder sie

überließe sie ihrem Schicksal und verschlösse sich in ihren schönen Palast.

Aline verschluckte' ihre

Thränen und schwieg, Alexis machte eine höh­ nische Reverenz und

ging zur Thür hinaus.

Die Fee ließ ihren irdischen Schleier fallen, verschwand, und unsre Leutchen blieben nun allein, ihrer eignen Weisheit überlassen. — Anfangs schien es ihnen herrlich zu bekom­ men;

sie lebten sich einander fremd, jedes in

seinem Kreise.

Nur Alma war, seit Tausend­

schön verschwand, .sonderbar unruhig und rüh-

t'ig.

Sie ging vom Gatten in die Zimmer,

suchte in allen Winkeln de» Gatten», brachte endlich Blumen von hohem, wandelbaren Wachs, legte fit vor die Mutter,

und reichte sie dem

Vater, und fragte leise und ernst:

Sind es

die, die du suchst? Aline sah die Blumen und erschrak: solche Blumen waren es, unter denen Alexis «insank in ihrem Traum.

Alexis rief

voll Feuer:

Wo fandest du die Blumen? wo

blühen sie?



sagte das Kind; Boden:

Du kannst sie nicht pflücken, sie wachsen auf gefährlichem

nur so ein kleine» Kind kann dahin.

Ich hakte mich an die Zweige der Lilien, und klimme zum Haupt der Narzissen — Zch will dahin, ich will dahin, tief Alexis, als trieb' ihn ein Zauber, und fort floh er und Alma mit Zephyrschnelle ihm nach.

Aline blieb wri-

tttttb zurück; sie dachte, ihr Traum gehe nun in Erfüllung.

Ein schöner Mann, der ihr oft

Gesellschaft leistete, kam und fand sie in Thrä­ nen; er versuchte lange sie zu trösten, und wie es ihm endlich gelang, kam Alexis müde und ohne solche schöne Blumen nach Hause.

Er

fand Alinen getröstet und ward-böse, daß ein

andrer als er sie getröstet hatte;

sir wurden

sehr uneins, und endlich beschlossen sie, sich nie mehr zu sehen.

Kaum war das Wort gespro­

chen, so rief Alma mit bangem Ton im Gar­ ten vor dem Saal«: Vater! Mutter!

Beide

blickten zu den großen Fenstern hinaus auf den Rasen.

Sie sind alle verblüht die Blumen:

dort stehen die letzten, letzten! ich will sehen, ob ich sie euch pflücken kann. —

Das Kind

streckte seine Aermchen aus nach einem Grund, wo ein blendendes Licht auf ein stnaragdeneS Grün schien, das mit Zeitlosen durchblüht war; sie eilte dahin, und wie sie es betrat, wogte der Grund und wallten die Blumen, und das Kind sank in die grünen Wogen und: sein er­ habnes Haupt floß über dem Grün und ver­ schwand dann.

Aline war aus dem Saal in

den Garten gestürzt, aber wie sie heraus kam, war alles verschwunden; sie erkannte den Weg nicht mehr, sie lief und rief:

Alma! Alma!

und die Luft schwirrte und rauschte:

Alma!

und leise rieselten Blüthen von den Bäumen, und Aline fühlte sich wunderbar bewegt und beschämt.

Sie wußte, Alma sti da, und furch-

6y tete lief) nicht mehr vor dem wogenden Strunde. Nun Zehnte sie sich nach den Muren ihrer Kind­ heit zurück, und es fiel ihr plötzlich ein, wie sie einst auf Zeitlosens Schvoße gesessen, und mit den Perlen ihres Halsbands gespielt, und versprochen hätte,

Alexis immer zu verzeihen.

Ach das war aber ein anderer Aleris! rief sie, nicht der, welcher jede Freude verwirft, die ich ihm anbiete, >eden Vorzug tadelt, den ich be­ sitze,

dev mich nun verstößt und allein läßt!

Sü ging den Saiil,

sie fort und suchte den Rückweg in aber sie fand ihn nicht;

sie kam

vom Gebüsch auf Wiesen und vom Hügel in ein Thal.

Da wars Abend, und sie fand vor

der Thür eines niedlichen Hauses

ein junges

Weib sitzen mit einem säugenden Kinde;

ein

Mattn Im Bauerkleide stand vor ihnen und hielt dem Kind' eine Taube vor, mit ihr zu spielen. Aline grüßte sie und setzte sich neben sie.

Es

war ihr, als fei sie nun an ihre Herberge ge­ kommen.

Und so wars auch.

Die junge Frau

reichte ihr das Kind und ging hin,

ihm den

Drei zu kochen.

Der Mann stach Salatköpfe

im Garten aus.

Nachher nahm er den mun-

fern Knaben Aliyen von» Arm und schickte sie an den Brunnen, dry Salat zu waschen.

So

etwas war ihr Zeitlebens noch nicht vorgekom­ men,

und es war ihr doch recht natürlich.

Nur ganz still war sie in ihrem Gemüth und ihrem Wesen.

ES däucht' ihr,

sie

schliefe.

Rach dem vielen Weinen von gestern, über Alexis Forteilen nach den fremden Blumen, und seinen Zorn, und ihr« beschlossene Trennung, und Almas Verschwinden, dachte sie- sieträume einen sanften, hoffte immer,

schmerzstillenden Traum, und endlich

werde auch Alma im

Traum vorkommen, und ihr Blumen bringen, und dann wollte sie das Kind nicht wieder allein gehen lassen.

Drum that sie leise, als wenn

sie sich fürchtet«, den Traum zu stören.

Wie

sie nun einmal auf die Wiese ging, um Gras zu schneiden für die milchweißen Kühe, blühten viele Zeitlosen da, und sie bückte sich und pflückte eine Handvoll und steckte sie an den Busen, sin­ nend wo sie doch sonst schon die Blume gesehen hätte? Da kam ein junger Mann im Zägerkleide her, der hielt einen Strauß von Tausendschön in der Hand und sagte: Nimm diese Blumen,

sie sind schöner wie die deine«! sieh, wie die welken! — Aline sah ihre Blümchen: dt« hin­ ten ihr schon farbenlos am Busen, aber der Strauß widerstand ihr — Behalte deine Blu­ men , fremder Mann, sagte sie; ich will lieber meine verwelkten — mich däucht, es gab «inst Blymen der Art! — Sie schwieg sinnend, ihr war, als müßte sie sich erinnern, wo sie die Blumen gesehen hatte.

Der junge Mann warf

seinen Strauß von Tausendschön hinweg, und suchte Zeitlosen, wie Aline; aber wenn er hin­ griff zu einer, verschwand sie, und rS standen die steifen grünen Blätter da, die erst nach der Blume kommen und giftig sind.

Aline ging

täglich zur Arbeit auf die Wiese, in den Wald und in den Garten; und Abends nach der Ar­ beit kam der fremde Mann und sie saßen zusammq», spielten mit den Kindern vom Hause, und waren so froh, wie sie.

Aline glaubte nun bei­

nahe, jetzt wache sie und das Leben bei den Prie­ stern des Tempels und in der großen Stadt sei ein Traum gewesen; nur ihre Kindheit sei wahr, bis zu dem Tage, wo Alma geboren ward. Dann dachte sie traurig: wär' Alma doch auch wahr,

und Alexis wie an dem Tage, da ich sie ihm in dm Arm legte! Aber der fremde Mann sah sie bann so sanft an, und ihr warS oft, als hätte sie ihn einmal im Tranme gesehen; sie besann sich, und wenn er sie „ Delta “ rief -*• denn Delta nannten sie die Leute im Hause —«• so schauderte sie oft, denn so hatte es getönt, wenn Alexis sie rief in den Tagen der Liebe. Und es war auch Alexis, der Delta rief, aber sie erkannte ihn nicht, und er wußte nicht, daß es Aline war, die er Delia nannte. Wie nehmlich Alma hingeeilt war in den grünen Grund voll Zeitlosen, und Aline ihr nach, ward eS auf einmal dunkel um Alexis; er hörte rauhe Töne und tappte auf (Mm Pfaden, bis er oft an Säulen stoßend, an zackige Felsen sich haltend, in einem dichten Wald an das Licht kam. Da saß ein alter Jäger an einem Eichstamm und aß trocken Brot — Nun Erander, mich dürstet schon lange, wo hast du die Flasche? rief er ihm entgegen. Alexis erstaunte, eine Kürbisflasche an seinem Halse hängen zu sehen; aber er reichte sie dem Alten hin, und wie er ihm

«inen schweren Rehbock nach Jptnise geschleppt hatte, wars ihm in der "kleinen Hütte, als sei das eben seine Heimath. Die Hund« spran­ gen froh an ihn hinauf, wie an einen alten Bekannten, und wenn er Abends von der Jagd kam, sah er froh das kleine Dach unter den Buchen schimmern. Er mußte fleißig auf die Jagd, mußte Holz fällen, und viel arbeiten, so, daß er müde war am Abend, wie nie zuvor. Wenn er nun unter den hohen Eichen die schwere Axt führte und ausruhend durch die -wogenden Wipfel hinauf sah in den blauen Himmel, und die Blätter sanft rauschten, in­ deß seine heiße Wange kein Lüftchen kühlte! da ward sein Herz sehnsuchtsvoll und schwer. Ach in diese Einsamkeit hätte die Fee unö füh­ ren sollen, Alincn und mich! so müde vom Tagewerk an ein liebendes Her;! seufzte er in seinem Innern — und wenn er auf dem An­ stand war und ein fliehendes Reh durch das Gebüsch eilte, riefsein Herz: Alma! Alma! Ihm war's, als rausche Alma's Zephyrtritt im Gebüsch. Da ward ihm die Einsamkeit lieb, wie ein Traum von entrißnen Geliebten,

und sein Her; ward ernst, daß er gern den Alten pflegte, der oft matt war zur Zagd; und Abends, wakin die Flamme auf dem Hrer» de knisterte und alles still war, nur die Zagdhunde, die zu des Alten Füßen schliefen, im Träumen halblaut bellten oder schmeichelnd mit dem Schwänze wedelten — dann hörte er dem Alten gern zu, ihm lasse,

beschrieb,

der vom Tode redete, und wie gern der die Welt ver­

der sich müde gearbeitet habe in ihr.

Wenn der Alte dann einschlief mit dem hei­ tern Wunsche, nun bald einzuschlummern ohne müdes Erwachen, da sah Alexis in den dun­ keln Himmel voll blinkender Sterne, und ihm war's, als gab' es nur das Grab oder der Liebe Arm, um Ruhe zu finden fürs Herz. Da ging er einst weit durch den Wald, und unter den Büschen war ein heimlicher Ort, da fang ein bunter Vogel in schmetterndem Ton.

Alexis hörte ihn nicht gern, und riß

Blumen ab, sie nach ihm zu werfen.

Der

Vogel flog von der kahlen Gerte weg, eh' er die Blumen noch warf.

Da behielt sie Alexis

in der Hand und sann nach, wo er die frem-

den Blumen schon sonst gesehen hätte.

So

kam er auf die Wiese, wo Attne das frische Gras schneiden sollte für die milchweißen Kühe. Alexis ging zu ihr und lehrte zu ihr zurück, und im Walde unter dem Tempel der hohen Etchstämme

dachte

er nun:

Aline,

warum

gleichst du nicht ihr? und wenn der Alte vom Tode sprach am flackernden Feuer,

dachte er

voll Sehnsucht: O Delia, wie schrecklich wäre der Tod dem, der dich besäße! — Wenn sie aber zusammen saßen auf der Bank, den Abend nach der Arbeit, und Aline den Kindern Lie­ der sang vom Riefen im Vogelbauer, und vom Kindlein, das den Löwen am Faden fortzog — dann sah er sie sinnig an. hörte er einst singen;

So ein Liedchen

ihm däuchte,

er höre

Almen, wie sie Alma im Schvoß wiegte, in dtn Zeiten der ersten Vaterfreude — Aber das schien ihm ein Traum, zu dem er eingeschla­ fen sei auf der Wiese voll Zeitlosen, eh' er aufsprang und Alinen fand

mit

der

neuge-

bornen Tochter im Arm. Eines Abends gingen sie an das Ufer des Stroms, und Alexis warf sein Netz von einem

Felsen ins Wasser , indeß Aline mit den Kin­ dern am Ufer Blumen laS.

Da kam ifiltert

gegenüber rin altes Weibchen am Strom' Her und suchte Binsen am abschüssigen Ufer-.: und eh' Aline noch aussah, Ufet und sank.

glitt die Al«

über»

Aline hörte sie schreien; ihr

Blick eilte aus Alexis, der in dem Augenblick vom Felsen herab in den Strom sprang, um dem Weibchen zu helfen. Alexis!

Alexis, ries Delta,

denn jetzt hatte sie ihn erkannt r und

sie stürzte sich ihm nach in den Strom, dessen gelber Kicsgrund freundlich glänzte im seichten Gewässer.

Aline!

tönte es aus den kleinen

Wellen, meine Aline! schwunden

und

und Alexis war ver­

der Kiesgrund sank und

die

Wellen schlugen auch über AlinenS Haupte zu­ sammen. Wie sie sich wieder besann, einem schönen

großen Tempel,

faß

fle in

eine erhabne

Harmonie füllte das hohe Gebäude, der letzte Ton wirbelte durch das Gewölbe, rauschte an die schlanken Säulen hinauf, kräuselte sich um die leichten Schwibbögen, und schwirrte erster­ bend an den dunkeln Fenstern.

Aline ging ge-

rührt und traurig nach Hause.

Sie wußte

nicht-, wie sie dahin kam; alles war ihr neu, und nichts ihr fremd.

Ahr Haus war hübsch

pnd sie hielt es in Ordnung; ihre Leute hatte» sie

lieb,

und sie behandelte sie gut, mancher

Arme sah dankbar sie an: aber von so vielen Leuten, die sie sah in großen Sälen und in prächtigen Häusern, konnte sie

niemand

fra­

gen nach Atma's fremden Blumen und AleriS Schicksal im Strom, und sie dachte doch nur pn diese Dinge allein. Vielen Mensche«, ten;

Einmal war sie unter

die ihr gerne gefallen woll­

sie »»achten sie zur Königin des

Festes,

und wie ein Haufen schöner junger Mädche» ihr einen Kranz von bunten Blumen im Stet» hentanz reichte, fiel ihr der Kranz von Zeitlo­ sen ein, der aus dem Schnabel des hochfiir» genden

Schwans einst auf ihr Haupt sank.

9)tit nassen Augen wendete sie den Blick von dem bunten Kranz und den frohen Tänzern ab da erblickte sie einen schönen jungen

Mann,

der sich traurig an einen Lorbeerbaum lehnte, ein kleiner Strauß von Zeitlosen stak an seiner Brust.

O gieb mir deine Blumen, Fremd-

ling!

rief Aline;

Kranz!



ich gebe dir

Der traurige Mann

den

bunten

reichte ihr

bereitwillig die Blumen, aber den Kranz nahm er mcht:

«Ich hab« keine bunten Blumen lieb»

sagte er sanft;

und

keine-Blume

die den Frühling überlebt."

wie diese,

Aline sah nun

oft diesen Mann, er hieß Athener, und kam eben von dem Heere de« Königs zurück, wo er tapfer gefochten hatte, von Feinde» geehrt, und von seinen Soldaten geliebt war.

Wenn

die Menge in freudenloser Lustigkeit tobt«, saß Athenor neben Evadne — so nannten die Stute Atmen,

und sie sprachen von vielen Dingen.

Evadne hätte gern von Alexis gesprochen, und hätte gern nach Atma gefragt:

aber sie durfte

es nicht, ihr inneres Herz verbot e« ihr; und Athenor hätte gern von Aline gesprochen, aber ihm versagte seine Zunge den Dienst, wenn er Aline nennen

wollte.

Denn

tapfre Krieger, war Alexis;

Athenor,

der

aber er erkannte

Almen nicht und ward nicht von ihr erkannt. Wie er sich in den Strom stürzte, Weibchen zu

retten,

verschwand

da« alte

der Zauber,

der ihm Aline verbarg; er hörte ihre Stimme,

die: Alexis, Alexis! rief, und er antwortete: Aline, Aline! aber da schlugen die Wellen übe» sein Haupt, und wie er auftauchte aus dem Strom, sah er Rosse tummeln, und er schwang sich auf eins, und eilte in die Reihen, die voll Wuth eindrangen auf den Feind.

Er lebte

im Getümmel des Kriegs mit ernstem, verschlos­ senen Gemüthe; Gefühle,

die

er sah Größe und Elend,

über

die Menschheit erheben,

Menschen, die unter die Menschheit sanken, um sich;

er sehnte sich nach

den Fluren

seiner

Kindheit, nach dem Laude, das «inst sein Erbe war, und nach einem Herze«, das dem feinen Ruhe gab nach so vielem Kampf.

Er hals

Siege erfechten, welche den Frieden herbeiführ­ ten, und erhielt den Lohn der Ehre an deS Königs Thron.

Aber leer blieb sein Herz.

Er dachte den Traum feines Lebens

durch,

und wünschte sich noch einmal so süß zu träu­ men,

als da,

wo Aline,

den Kranz von

Zeitlosen auf den blonden Locken, armte,

und

da

zum Vaterkuß, —

sie

ihm

Alma

nur noch

Abend still zu ruhen,

ihn um­ hinreichte

einmal

einen

wie damals,

wann

SO

müde von Arbeit Delia ihn freundlich an der stillen Hütte empfing. —

Wenn die Menschen

um ihn her dann tanzten und lachten und im ge­ meinsamen Bemühen- lustig zu scheinen einander verbargen,, wie leev ihr Herz sei, ging er ein­ sam durch die Wiest und. dachte an den Traum seines Lebens.

Dn fand er einst einzelne Blu­

men^ die er mühstm pflückte, und sie schienen ihm den Blumen seiner.Träurne zu gleichen; da­ her behielt er nur sie, und die andern ließ er ste­ hen.

Wie aber Evadne sie von ihm erbat, ver­

gaß er den Traum, und das Leben hatte wieder eine Bedeutung für ihn;

er erwachte mit dem

Gedanken, am Ende des thätigen. Tages sei sie da, und er neben ihr.

Da lebten sie ein son­

derbares Leben voll giheimnißvoller Zeichen, die beide verstanden, verschwiegen.

und sich doch den Schlüssel

Denn beide hatten einen Zweifel,

was alles von ihrem.Traum Wahrheit sei oder Täuschung.

An einem Abend fanden sie sich un­

ter lärmend fröhlichen Menschen, mit denen sie freundlich sich gefreut hatten, und dann glücklich allein zu seyn in der Stille, längs einem kleinen Dache hingingen im duftenden Hain.

Durch

Las Gebüsch traten sie auf eine smaragdne Wiese, die von Zeitlosen durchblüht war.

Ein zartes

Mädchen eilte, wie geflügelt, darüber hin; ihr stolzer Hals hob sich schlank empor, ihr Blick drang tief in die Seele, ihr Mund lächelte himmlisch und seelenvofl, wie einer Liebenden Mund.

Evadne's Herz klopfte hoch auf, sie

erinnerte sich ihres Traums von Alma, Athenor sah Evadne entglühen und dachte mit einem Seufzer an seinen Traum von Aline.

Süßes

Mädchen, wo kommst du her? fragte Aline und umarmte das Kind — Aus den Arme» meiner Amme, antwortete sie; ich schlief, bis die Blumen wieder blühten.

Sieh di« lieb­

sten! sie grüßen dich zuerst, und lächeln noch zuletzt dich an — Komm mit uns, holdes Kind! sagte Athenor; wir wollen dich pflegen — Ich brauche keine Pflege, aber ich bedarf Liebe: so lieb' ich Euch! Und sie hüpfte mit zierlichen Füßchen, und sang wunderbare Lieder, die klan­ gen in Athenors Ohr wie die Harmonie auf der Wiese, am Tage, wo ihm Alma's Geburt träumte. Nun war ihr Leben voll Wonne, 3, f. F. ix. H.

denn

6

Psyche, so hieß daS wunderbare Kind, um­ webte es mit einem Zauber von Liebe.

Äther

norS Sehnsucht nach einem Herzen, das ihn ertrüge,

und Milde ihm gäbe, war erfüllt,

Evadne war nicht mehr allein; sie hätten im­ mer,

immer mögen zusammen leben :

lange

aber wagte es Athener nicht zu sagen,

lange

vermied es Evadne, wenn seine Lippen,

von

Liebe und Hoffnung bebend, es aussprechen woll­ ten.

Einst saßen sie im Abendstrale im Grase;

es war ruhig in ihrer Seele, wie nach gelung­ ner Arbeit; die Vögel sangen im Haine, schwei­ gend segelte ein Teiche.

Schwanenpaar im silbernen

Psyche schlüpfte durch die Sträuche,

pflückte farbige Blumen, und wand Ketten da­ von, die stillen Schwäne zu bekränzen.

Athe-

nor senkte sein Gesicht Liebe flehend auf Evadnes Schoos — O laß uns immer, immer so vereint leben — laß uns Eins seyn! er

leise

und

voll Sehnsucht.

sagte

Noch nicht,

»och nicht, rief Psyche, «nd mit flammendem Auge, hochgeröthet, wie

von einer Gottheit

belebt, flog sie aus dem Gebüsch auf sie zu — Noch blühen die Blnmen nicht alle, ihr zer-

»ratet sie zu sehr:

aber bald, baldl

Bis da­

hin will ich schlafen und will ruhen, denn daS! Warten ist dem Kinde zu schwer.

Dk»8 unb1

ermattet sank fie nieder in Evadne'S Schoos, und Athenor stützte ihr Hauvt, das herabhing, wir das Haupt der Lilie,

daS der Gewitter­

regen traf. — Legt mich auf meine Blumen, laßt mich schlafen auf meinem Rasen!

seufzte

sie mit lieblichem Lächeln, und wie Evadne mit bangem Herzen sich umsah, blühten Zeitlosen dicht vor ihnen auf.

Sanft legten sie Psyche

daraus, und Psyche lächelte, wie Kinder im Schlafe thun.

Evadne dachte an Alma, wie

sie dahinfloh in den smaragdenen Grund, der sie verschlang;

Athenor

dachte

des dunkeln

Schmetterlings, der über seine Stirn hinflat­ terte, wie der Schwan den Kranz sinken ließ auf Alinens blondlockiges Haupt — „ Jetzt sei ein Mann! “ flüsterte es plötzlich in sein Ohr, und er sah Psyche bleicher werden und blei­ cher, und um sie her sproßten wunderbare Blu­ men hoch auf und immer höher; sich

über sie,

durch

sie

ihr holdes Gebild

sie wölbten schimmerte

die bunten Häupter der Blumen

S4

neigten sich tmb wogten, und spielten krause Schatten auf ihrer weißen Brust, bis sie ganz verdeckt war, versunken in die Blumen, ver­ schwunden

vor

Athenors

ängstlichem

Blick.

Evadne hatte ihren Arm gelegt unter Psyche's schwer ruhendes Haupt: aber die Blumen hat­ ten sie fortgedrängt, das geliebte Haupt war herunter geglitten tiefer und tiefer, Evadne's Brust zerfloß in unendlichem Schmerz, denn der Blumenhügel war geschloffen, und Psyche verschwunden.

O Alma, meine Alma! drang

plötzlich der Ton des Schmerzens aus ihrem bebenden Mund — Aline, meine Aline, bist du mir nah?

rief Alexis und erkannte das

Weib seiner Jugend, und beide sanken einan­ der in die Arme und weinten an des andern Brust.

Der Zauber war gelöst und die Ver­

gangenheit hatte ihre Deutung erhalten,

sie

hatten einen Maßstab gefunden für den Werth des Lebens,

die beschrankte Menschheit hätte

ihnen genügt, die engen Grenzen der Welt sie erfreut

nur an dem Dlumenhügel, wo Alma

versank, flehten sie die Mächte der Feenwelt an, sich noch einmal — einmal — in ihr

Schicksal zu mischen.

Aber die Feen schwie­

gen, und je länger es dauerte, je klarer stand die verworrene Vergangenheit vor ihnen.

Br»

schämt und wehmuthsvoll lächelte Aline, wenn ihr

Alexis Tausendschöns

und sagte

ste

meinte

Lehren wiederholte

es

gut!

Erröthend

wünschte Alexis ihr dennoch zu danken, wenn ihn Aline an die Priesterinnen des großen Tem­ pels erinnerte; denn sie war's doch, sagte er, die uns der falschen Göttin entführte. an Alma's

Aber

Dlumenhügel saßen sie mit nas­

sen Augen in der heiligsten Feier der Liebe, und bestrebten sich die ersten Zahre ihrer Kind­ heit hell zu denken, und Zeitlosens hohe sanfte Gestalt, die ihnen immer näher zum Herzen trat,

herzuzaubern

mit

der Inbrunst

ihrer

Wünsche. Die Blumen waren verblüht, hatte geruht und da eilte Aline mcnbett, sprosse.

die Erde

der Frühling kam wieder

und

Alexis

um zu sehen,

zu Alma's Dlu-

wie

es

keime und

Aber schon von weitem sahen sie den

grünen Grund glänzen im Schein der goldenen Sonne;

Blumen aller Zonen blühten im zar-

tcn Grase, auch Alma's Hügel war zu einem Meere von Blumen geworden; weiße Schwäne durchschnitten hoch oben die Luft,

harmonisch

tönte es in Sträuchen, wie Alma's Kindergesang, Blüthen und Früchte schmückten di« Bäume.

Alexis und Alme bebten, hielten sich

fest umarmt und zitterten vor Entzücken, denn so lachte die Natur an der Feier ihrer Ver­ bindung in den Tagen ihrer ersten Liebe.

Plötz­

lich rauschte es in den Sträuchen: Alma, Alma hüpfte hervor, blühend wie die Gegend umher, Engels Freude im flammenden Blick; der wun­ derbare Ernst ihres AugeS, der erhabene Zau­ ber ihres Wesens, war von Kinderanmuth ver­ drängt ;

sie flog in die Arme der freudetrunk-

nen Eltern, und mit rauschendem Fittig schweb­ ten zwei weiße Schwäne hoch in der Luft; eine Kette von Rosen und Myrten sank aus ihren Schnäbeln und umschlang die drei glück­ lichen Menschen.

Doch jetzt fühlte Aline noch

ein paar liebende Zirme, die sie umschlangen; sie blickte auf, und ein erhabenes Weib stand neben ihnen;

rin Kranz von Zeitlosen durch­

flocht ihr Haar, und auf ihren Wangen gläuzt«

eine Schönheit, die Zugend und Frühling über­ lebt.

Liebe Amme, rief Alma mit kindlich

bittendem Ton — laß mich nun bet ihnen: sie haben das Land ihrer Zugend gefunden, sie haben die Blumen gefunden, die im ersten Stral der Sonne entglühen und die den Herbst überleben.

Und wie Alexis sich umsah, er­

kannte er des guten Königs Schloß, sein Volk, das sich versammelte, und Freudengeschret er­ tönte:

«Der Wille unsers guten Königs ist

erfüllt!

feine Kinder sind glücklich!" —

Zndeß öffnete sich die Thür

des

Schlosses:

ein Weibchen trat heraus, rin bischen nützlich und dürr, aber bunt angethan, und ein großer Strauß von Platz

Tausendschön

unter ihrem Kinn.

hatte vollkommen Mit malerischer

Stellung breitete sie die Arme

empor,

und

rief: Welche frohe Töne hört mein Ohr! Ge­ schieht endlich,

was mein ahnend Herz nie

bezweifelte-!. Alexis, Aline — Kinder meiner Pflege, meiner Sorgfalt — sind meine Lehren endlich lebendig geworden in euren Herzen? — Unter diesen Reden hatte sie sich der glücklichen

Gruppe genähert; sie blieb stehen und übersah sie mit entzückten Blicken.

Wie thr Auge

auf Zeitlose fiel, schnitt sie ein Gesicht, das aber bald von einem gutmüthigen Lächeln ver­ wischt ward —

Gute Schwester, nahm sie

mitleidig das Wort, Ihre Hülfe blieb unnbthig; meine Erziehung hat sich bewährt: nur die erste,

reine Kinderliebe ist die Aegide der

Tugend ....

Aber wie kommt ihr mir vor,

meine Geliebten? es ist so etwas .... ern­ stes, altfränkisches — und die albernen Blu­ men — Mütterchen, rief Alma, und hielt der Fee Tausendschön Hand zurück, die eben die Kette fassen wollte, die Eltern und Kind um­ schlang — Mütterchen, das sag' ich dir, laß mir die Blumen —

Welch ein bizarrer Ge­

schmack ! nahm das bunte Weibchen von neuem das Wort.

Zch vcrsprech' euch Tausendschin,

Rosen und Myrten — Die glücklichen Men­ schen

wiesen

das

wohlgemeinte

Sie

lebten

Anerbieten

freundlich

ab.

beglückend

und

glücklich;

schöne Geschwister spielte» mit der

kindlichen Alma, die Zeitlose blieb ihnen die

Blume

der

Liebe,

aber

mit

pflückten sie auch jede andere,

leichter

Hand

die der bele»

bende Stral der Sonne hervor rief zum Kranze ihres Glücks.

T.

F.

A n

eine

Lerche.

Da aber dieses zu gewinnen, zu beschäftigen, und festzuhalten wissen! Ihre schöne Adelaide freuet es, so lang' als immer möglich Verstekkens zu spielen; und das ist nicht Sache der Reflexion, sondern der Neigung, des Ge­ schmacks — ist Individualität. Nun, so scho­ nen Sie diese, und seyn Sie gew»ß, >e weni­ ger schnell die liebliche Pflanze nach außen her-

vortreibt, je tiefer faßt sie Wurzeln, und dann gehet's auch mit den sich aufschwingende» Ran­ ken desto schneller, und — sie habe« mehr Dauer. Aber freilich muß der Gärtner es ihr nicht an — ihr, gerade ihr zusagender Nah­ rung fehlen lassen! — Ich habe heute vielleicht etwas verworren geschrieben, und muß darum zu dem Nothbe­ helf greifen, am Schluß anzugeben, was ich eigentlich habe schreiben wollen. Das Sie haben sich selbst von zwei Seiten getäuscht: einmal, wenn Sie glaubten, Ihre große Ehr­ furcht werde Ihnen von der Gräfin hoch ange­ rechnet werden, und die Galanterieen des Cheva­ liers müßten nothwendig auf sie ohne alle Wirkung seyn; und dann, wenn Sie sich über gewisse Zerstreuungen, über Mangel an Auf­ merksamkeit, über Gleichgültigkeit, über unge­ wöhnliche Fassung, als Vorboten Ihres Un­ glücks , betrübten. Es giebt kein sichrereMerkmal geheimer Zuneigung, als das Bestre­ ben, sie zu verbergen. Seit die Gräfin Sie, bei den Beweisen Ihrer herzlichen Zuneigung, sanft behandelt, und nun vollends, feit sie bei

jenem Hervorbrechen Ihrer Wünsche nicht böse oder spöttisch worden ist —: auf'S Wort, seit­ dem liebt sie Siel------

Ein wochenlanges Stillschweigen, Marquis? Soll ich im Ernst besorgt werden? Doch nein; Sie sind ja glücklich! und noch mehr. Sie sind es, weil Sie meinem Rath folgten! Aber wenn Sie das nur auch ganz thäten! Ich wünsche Ihnen, Ihrem letzten Briefchen nach. Glück: doch ich bringe wieder mein Aber hin­ terdrein. Ich kann durchaus nicht billigen, daß jenes Körbchen Sie noch beunruhigt und wol gar beleidigt hat. Ist denn das Wört­ chen: Ich liebe dich, von so gar großem Werth in Ihren Augen? Seit Wochen ver­ kennen Sie das Herz der Gräfin nicht mehr; Sie wissen, daß sie Sie liebt. Was wollen Sie denn mehr? Welch ein Recht, oder welche neue Vortheile könnte Ihnen ein wörtlicheGeständnis über ihr Herz geben? Sie sind wunderlich' Wissen Sie wol, daß nichts eine

feine Frau mehr aufbringt, als ein hartnäcki­ ges Bestehen auf dem Geständnis, daS man Ihnen verweigert hat? Ich begreife Sie gar nicht:

müßte nicht einem zartfühlenden Lieben­

den diese Weigerung weit kostbarer seyn, als «ine recht kategorische Erklärung?

Wo man

das leidige Wörtchen so bestimmt heraussagen kann,

da könnte man Grillen fangen;

wo

aber das: Ich liebe dich, nicht über die Lippen will, sitzt es eben zu tief im Herzen und was sollen

da Grillen?

Weit entfernt»

ein Weib bis zu diesem Geständnis zu drän­ gest , solltet ihr lieber, wie ich schon sonst gesagt habe, die Fortschritte ihrer Neigung vor ihr selbst zu verbergen suchen. quis !

Und dann, Mar­

läßt sich denn eine anziehendere Situa­

tion nur denken, als die — ein Herz zu sehen, das ohne Besorgnisse, ohne aufgescheucht, beun­ ruhigt zu werden, sich mittheilt, sich erwärmt, sich erquickt, endlich sich hingiebt?

Welch ein

Glück, das im-Stillen beobachten, lenken, ver­ stärken zu können; seines schönen Siegs sich zu freuen, ohne daß dies liebe Herz durch Grillen, wie die Ihrigen, erst auf sich selbst aufmerksam

gemacht würde?

Aber so seid ihr Männer:

ihr ringet nach Einbildungen und zerstört dar­ über euer wahres Glück.

Brauchen Sie Ver­

nunft, Freund! und lernen Sie sich allenfalls selbst vorspiegeln, die Gräfin habe das so ent­ setzlich wichtige Wörtchen auch sylbenweiS aus­ gesprochen, wie sie es thätig ausgesprochen hat. Und dem gemäß benehmen Sie sich gegen das liebe Weibchen — — Sie wollen noch immer nicht hören? Ihr Glück, daß ich heute schreiblustig bin! denken

Sie

doch:

die Weiber

keiner geringen Verlegenheit.

sind

Be­

in gar

Sie wünschen

wenigstens eben so sehr ihre Neigung zu gestehen, als ihr , sie zu kennen; aber ihr selbst, ihr Männer, dle ihr euch so gern Hindernisse auüsinnet,

habt etwas Herabsehendes an das

Geständnis knüpft ;

uusrer Leidenschaft

und,

für

mögt ihr übrigens

euch ge­ von uns

denken, wie ihr wollt, mögen auch wir selbst noch so verschieden gesinnet seyn — jenes Ge­ ständnis wir

auch

erniedriget

uns allezeit;

und mögen

noch so wenig Erfahrung

unser Gefühl

sagt

uns

haben:

diese Folge voraus.

Da«: Ich liebe dich)— MN» ja, es bringt nicht ums Leben — wirklich nicht: ober die Folgen erschrecken uns; wir wollen vor euch nicht gedemüthigt erscheinen, ihr sollt auch keinen Anschein eines Grundes, uns zu verachten, bekommm. Und was haben Sie dagegen — Vernünftiges? Und wenn Sie nichts dagegen haben: wie müssen Sie sich benehmen? Wie ich oben sagte! Noch Eins! Nehmen Sie sich wohl i« Acht: wenn Sie auf jenem Geständnis ver­ harren, so ist das nicht Liebe, sondern Eitel­ keit; und dann trau' ich Ihnen zu, daß Sie die Gräfin und mich zu hintergehen im Stande wären. Nochmals: nehmen Sie sich wohl in Acht! Die Natur hat uns einen bewunderns­ würdigen Scharfsinn verliehen, um mit Sicher­ heit zu unterscheiden, was von Leidenschaft, oder was sonst woher stammt. Einer Liebe, die wir selbst eingeflößt haben, verzeihen wir Unbesonnenheiten, Uebereilungen, Aufbrausen, und wer weiß was sonst noch; trifft aber unsre Eigenliebe und die eurige zusammen, so ist das Lied am Ende. — Und endlich: wenn Sie

nun auch jene« Geständnis errängen, würden Ihre Zweifel damit gehoben? Bewahr«! Nun machten Sie sich neue, ob man Ihnen auch wirklich aus Liebe, nicht vielleicht aus Artig­ keit , aus Gefälligkeit nachgegeben habe. das ließe' sich auch höre»;

Hob

denn durch eine

wörtliche Erklärung kann man wirklich täuschen, aber nicht durch die «nwillkührlichen Aeußerun­ gen einer Leidenschaft,. die man zähme» will. Mit Einem Worte: die schönsten Geständnisse sind nicht, die wir ablegen, sondern die

UNS

entschlüpfen----------

Ich weiß ja recht gut, MarquiS, daß el» Mann in Ihren Verhältnissen, daß besonders ein Militair nicht immer vermeiden kann, in schlechte Gesellschaft — folglich auch zu den Schönhei­ ten gezogen zu werden, von welchen Sie schrei­ ben.

Dessen ungeachtet haben Sie ganz Recht:

ich würde Sie tüchtig ausschmälen, wenn ich nicht gewiß wäre, daß diese Theatergöttinnen Ihnen, wie

nun eben Ihr Herz beschäftigt

t(t> nicht gefährlich werden können. Die Grä­ fin ist weniger nachsichtig? Sanz natürlich 1 Und mich freuet das — auch darum, reell es mein Urtheil über solche platonisirende Lie­ bende unsers Geschlechts bestätigt. Denn was gingen ihr jene Dämchen an? Selbst im äußer­ sten Fall — was entzögen sie ihr? Hinter de« Kulissen hat man eben nicht die reingei­ stigsten Gefühle und diese Gefühle ganz allein will ja die Gräfin! Nun ja doch! — Wie doch die Weiber auch hierbei sich selbst widersprechen! Sie zwingen sich «in Vorgeben ab, als verachten sie die Theaterheldinne«, und doch zeigen sie dann in ihrem Benehmen wahre Furcht vor ihnen. Was man fürchtet, ver­ achtet man nicht. Aber haben sie denn nicht wirklich Grund zur Furcht? Empfinden die Männer wirklich so unfein, um den Umgang mit solchen Geschöpfchen dem Umgänge mit einer geistreichen, vernünftigen, anständigen, sittsa­ men Frau vorzuziehen? Wahr ists, dort las­ sen sich die Herren ungenirt gehen, scheinen in, ihnen sehr — natürlichen Verhältnissen zu seyn, hier müssen sie auf sich achten, sich zurückhat-

reit, ihre beste Seite vorzeigen. Wahr ists auch, so weit ich einige jener Wesen kenne, sind sie wol im Stande zu einer Untreue selbst an der innigst Geliebten zu verlocken. Aber bei einem Manne von Kopf und Herz ist das keine wahre Untreue — ist nicht von Dauer. Sie können einen lebhaften Hang erwecken, aber keine wahre Leidenschaft, noch weniger eine dauerhafte Anhänglichkeit. Die Operndamen würden wirklich gefähr­ lich seyn, wenn sie in ihre» Köpfchen und in ihren Launen etwas hätten, das euch immer­ fort so angenehm unterhielt, als das erstemal. Das Bischen Plauderei, Erfahrung, Witz und Anständigkeit in den Außendingen, das sie be­ sitzen, kann euch freilich anfänglich Wohlgefal­ len. Ihr seid zuweilen so wenig delikat \ die Freiheit ihrer Unterhaltung, die Lebhaftigkeit ihrer Neckereien, ihre Launen, alles das setzt euch in eine Situation, die euch behagt, und woraus ihr dann zu einer so hellen und pos­ senhaften Lustigkeit aufzureihen seyd, daß euch einige Stunden wie Minuten verfliegen. Zu

log eurrm Glück besitzen die Dämchen aber, fast ohne alle Ausnahme, viel ;u wenig in ihrein Innern, als daß sie diese ergötzende Roll« durchführen könnten. Es fehlt ihnen allen

In ewig junger Morgenröthen Licht' Erscheint der erste Lenz des schönen Lebens: Ihm naht der dunkle Gram sich nur vergebens, Er lächelt zu den Kränzen, die er flicht.

Zweiter

Brief.

Die Träume.

Ein Morgenroth verkündet uns den Tag. Der Jugend frohe, gold'ne Jahre steigen Am Horizont des Lebens prächtig auf, Mit jeder neuen Höre heller, schöner. Unt) so, wie vor der Sonne Sterne bleichen, Entfärbt sich leis das bunte Puppenspiel, Das unsern zarten Menschen füg erfreute. Kraft, Lebenswärm' umstratt den lungen Geist. Nicht mehr genügt ihm, was die äußern Sinne Bewegt; er sieht sich schon nach stärk'rer Nahrung Nach einem edlern Spielwerk sieht er um. Da treten vor das Aug' des jungen Forschers, — Gekleidet in bezaubernde Gewänder —

Gestalten, wie die Phantasie sie träumt. Der hohen Tugend schöne Ideale — Ein göttlich Muster der Vollkommenheit — Des Heldenmuths ruhmvolle Würd und Größe — Der Selbstbeherrschung schwer errungenes Ziel. Er staunt die Dinge an. —

Er fühlt mit Lust

Ein nie empfund'nes heftiges Verlangen, Die Götterbilder möcht' er gern umfangen; Ein fremdes Feuer wühlt in seiner Brust. Jedoch der jungen Kraft fehlt noch die Reife. Selbstständig wird der Mensch nach langem Streit. Ihn treibt noch eine Kraft; denn, ungestüm, Tritt kühn die Neigung mit der Pflicht in Kampf. Ihn locken früh schon der Sirenen Stimmen; Er schleicht den falschen Tönen langsam nach, Don seinen jungen Brüdern aufgemuntert, Die, so wie ihn, des Leichtsinns Tön bestimmt. Der Geist der Zeit bekämpft geerbte Tugend, Ja. selbst den leisen Ruf, der in ihm spricht. Doch, nein, nicht immer brennt beschämend Roth Des jungen Kämpfers weiche Wange — ihn Ilmschwebet heimlich eine stille Gottheit; Der Unschuld süß Gefühl erwacht in ihm. Als Sieger tritt er auf, eilt in die Schranken,

Uni) fordert, muthig, selbst das Laster auf, Ein zweiter Herkules an Heldenmuth. So bilden sich die Kräfte in dem Menschen; Der Widerstand führt zur Vollkommenheit. Die stille, immer unversuchte, Tugend Wird

dann

erst

groß,

wenn sie durch Kampf gesiegt.

Da steht mein junger Held



Sein munt'res

Auge Blickt freundlich in die weite Welt hinein, Wo alles lachend blüht. — Er seufzt und lächelt. Verlangen, Wunsche, Hoffnungen, Entschlüsse Bestürmen, wie der Liebe Wechselfieber, Die volle Seele und den weichen Busen, Sie lösen sich in sanfte Thränen auf, In leichte Seufzer, in der Lust Entzücken, In unwillkührlich froh erregten Schauder. Die Geister seiner künft'gen Thaten schweben Um den Begeisterten mit stiller Weihe; Geweihter sieht er die gebahnten Wege Der Sterblichen, die sich zum Glücke drängen, In Hellem Mittagsglanze vor sich liegen. Er sieht und staunt, und weilt im frohen An­ schaun. —

Hier winkt, mit seiner Schätze reichem Füllhorn, Der Handelsfleiß, zeigt gold'ne Quellen ihm: Dort malt ein Tempel sich mit Lorbeerkränzen, Mit Siegstrophäen, glänzend ausgeschmückt, Don muthigen Verehrern dicht umlagert; Doch, ach! auf blut'gen Boden hingebaut, Von rauchenden Ruinen aufgeführt. — Hier schwebet eine holde Gottheit auf; Ihr Lichtgewand erhellt die weite Ferne — Ihr Sonnenblick verdunkelt alle Sterne — Sie winkt ihn, schweigend, zum Olymp hinauf.'

Dem Jüngling schlägt das Herz,

ihm glüht

die Seele. Er möchte gern aus jeder Quelle trinken, Des weiten Busens heißen Durst zu stillen; Auf jedem Schauplatz männlich kühn versuchen Die Riesenkraft, die seine Nerven stählt. Rasch lenkt er feinen Flug nach allen Seiten, Im muth'gen Eifer schnell das Ziel zu finden, Das vielen dunkel, unerreichbar blieb, Das manchem sich vergebens glänzend zeigte. Doch, gleich dem jungen Aar, der sich verfliegt, Verirrt er bald sich auf verworrene Wege,

IO

In ungewohnte Höhen, grause Tiefen, Und, ach! ihm finkt der eitle wilde Muth. Die Höh'n erreichen, Tiefen zu ergründen, In mittler Region fich schwebend halten, Hat Uebung, hat das Beispiel nur gelehrt. Voll edler. Scham, senkt er die heiße Stirn; Ihm brennt im Aug' der Reue bitt're Jähre, Er fühlt den Irrthum, fühlt ihn wahr und tief. Jetzt wagt er prüfend stolze Kräfte ab; Wählt, mehr als mit Bedacht.

Doch was er

wählt, Trifft nie mit seiner Hoffnung überein. Denn kaum verfolgt er eine Bahn mit Eifer, So bieten sich der Widersprüche Heere, Gleich laut erklärten Neidern seines Glücks, Iu Tausenden auf seinen Wegen dar. So sieht er sich getauscht; denn die Erwartung, Vom Feuer seiner warmen Brust genährt, Fühlt sich betrogen bey der kalten Wahrheit, In der die Wirklichkeit, begranzt, erscheint; Die nie sich mit der Phantasie vereint. Nun engt der Kummer ihm die freie Brust; Nun stört ihm Unmuth jede Götterlust.

Wo weilet ihr, ihr süßen Huldgestatten! Du, holder Traum, in Himmelslicht ge­ taucht — Von FrühlingSatherdüften angehaucht? — O, möchten deine Bilder niemals alten! — Umsonst!

ich sehe sie wie Schatten schwin­ den! — Was mich int süßen Wahn so hoch beglückt, Was mich im Innersten so wahr entzückt, Laßt mich die Wirklichkeit jetzt anders finden! — Wen rührt — wer stillt das innerliche Toben, Den wilden Aufruhr in der engen Brust? — Wo ist die zarte, ewig heit're Lust, Aus süßen Phantasieen nur gewoben? Du, holde Freundschaft! schenkst dem armen Kranken Von deinem echten Lebens - Balsam ein. Dir wird er künftig seine Hoffnung weihn — Zu dir hinflüchten, klagend, die Gedanken.

Und eine Gottheit, reich an Himmelsfülle, Die Liebe, gießt ihm Nectar in das Herz: — Es schweigt Der Aufruhr, und es weicht der Schmer-; Und auf Den Sturm folgt linde Seelenstille. Du, Götterfunke! du belebst mit Wonne Den schlaffen Muth — Du stählst ihm jede Kraft. — Und nun gelingt das, was er wirkt und schafft; — Und nun erscheint, verschönt, der Freuden Sonne.

Dritter Brief. Licht und Schatten.

Hymne an die Liebe. Sie schwebt herab, in fyetyvem Sonnenglanze, Ihr Haupt umftralt mit einem Sternenkranze, Dem Licht entstammt — sich Sterblichen -u weihn! — Unter ihren leichten Schritten sprießen Tausend süße Blüthen auf — es fließen Me Wonnen sich an ihren Reihn! Sie weilet hier, und schenket uns von oben Den Göttertrank; die Freude, ganz gewoben Aus Aetherlicht, auch Irdischen gewahrt. — Denn in diesen nebelvollen Gründen, Müssen alle dunkle Schatten schwinden, Die sie, schaffend, uns zu Glanz verklärt! Sie träntet hier die durst'gen Erdenfluren Mit Himmelsthau; und ihren Segensspuren Entkeimt das Glück, — entkeimet jede Kraft. —

J4

Selbst den Muth, sie weiß ihn zu beflü­ geln; — Des Betrübten tiefen Gram zu zügeln; Alles dient, wo ihre Allmacht schafft! Wem sie den Blick zur fernen Heimath lenket, Dem reift ein Glück, das hohe Wonnen schenket; Der ist schon hier dem engen Thal entfloh«. Sie erhebt ihn! — Laßt auf Aetherschwingen Kühner ihn durch alle Raume dringen — Und er wähnt, er sei bei Göttern schon!

Verfolge nun mit mir, mein edler Freund! Den raschen Pilger auf der Bahn des Glücks, Die er mit neuem Muth betritt. Denn ihn, Ihn lächelten des Lebens reinste Freuden, Der Freundschaft und der Liebe Wonnen an! Sie haben diesen Glücklichen verklärt! Ihm ward ein Freund, an dessen treuem Busen Er Schmerz und Lust, und jede Wonne theilte; Dem er der Neigung tiefsten Quell verrieth; Den gleich Vertraun zu seinem Herzen führte. Sie waren Eines Sinns! — Gefühl für Tugend,

Für Schönheit, Wahrheit, jede Trefflichkeit, Beseelte Beider Geist zu Recht und Pflicht Im Denken, Handeln, Leiden und Genießen! — In Freundes Gegenwart reift schnell zu That Der aufgeblühte Wille, der Gedanke! Geeinte Kräfte führen rasch zum Ziel, Denn das Vertrauen hebt sich durch Vertrauen, Lebend'ger aus der Seele Grund die That! So tönen wohlgestimmte reine Saiten, Als hier der Einklang dieser beiden Herzen. Die Liebe schwebt' in noch verklärterm Lichte, In reiner Göttlichkeit, zu ihm hernieder! Sie flocht ihm ihre hochgeweihten Kranze, Die schöner blühenden, die nie verwelken! O sieh das Bild von seiner holden Gattin, In matten Tinten nur! Zu fein dem Pinsel Sind Reitze, die des Schönen Urbild gleichen. Ein sanftes Weib int Stillen blühte sie, Mit jedem Reitz an ihrer Mutter Seite — Und Unschuld, süße Unschuld! und Natur — Sie blühte unter reinem Himmel auf, Am Meergestade, in der Städte Nahe — Erfüllt mit Grazie ihr ganzes Seyn. Unwissend lenkt sie jedes Aug' auf sich —



Unwiderstehlich zieht sie Herzen an. — Der hohe Adel ihrer reinen Seele, Die Kindlichkeit des unbefangnen Sinn's, Der Himmel ihres schönen edlen Herzens, Vag unverschleiert jedem Auge offen. Die inn're Charis leiht der äußern Würde, Die mit Bewunderung das Aug' entzückt, Doch das gefang'ne Herz auf ewig fesselt. Co war die Seine.' nenne mir den Mann, Den diese Seligkeit nicht ganz beglückt! Doch, nein, nicht immer fließt der Quell des Glücks Still, klar und eben hin. — Sein rein Gewässer Wird auch vom Sturm so heftig oft erschüttert, Daß sich der Grund, der feste Grund, bewegt. Wo ist das Glück, das ohne Neider blüht? Wo stellt die Falschheit nicht der Unschuld Netze ? Wo laurt Verderben nicht im Hinterhalt? Doch, zitt're nicht, mein Freund! — denn diese Unschuld, Erhaben über alle Gaukeleien Der fatschen Tugend und der fremden Thorheit, Sie, eine stille Gottheit, schreitet hin Mit Blicken voller Huld, mit süßem Lächeln.—

Umsonst liegt hier ein Abgrund neben ihr — Sie kennt sie nicht, die drohende GefahrJ Umsonst ruft ihr ein Retter warnend zu — Sie

giebt

Gesetze



sie

bedarf

sie

nicht! Ihr Herz, ihr reiner Sinn, sind ihre Lenker, Ihr unbefleckter Wandel ist ihr Richter! Ihn trifft der Sturm,

der Beide hart bedroht;

An seinem Haupte streift der Wetterstral, Der schnell verderbende, vorüber! —

Denn

Der hohe Glückliche ehrt nicht, genießend, Sein selt'nes Glück, ihm träumt, er könn' Ein theureü Gut vertieren — fühlt

ein Gut,

im Wahn,

Im tödlich irren Wahne, sich gekrankt. Sein Freund,

sein treuer Freund

gebiert

ihm

Qual; Und Mißtraun haucht die reinste Tugend an. So lagern bei des Lebens schönsten Freuden Sich Sorge, Furcht und Argwohn lauernd hin. — Je mehr beglückt, je mehr ist zu verlieren.— Oft darbt der Mensch in vollem Ueberfluß; Denn selten weiß er Schatze recht zu nutzen. Dem reinen Sinn und dem gesunden Herzen Ward es .allein gegeben Glück zu schätzen, I. f- F.

x. H.

2

Allein, die Macht des Irrthums zu zerstreuen/ Die jeder Wonne Morgenroth umnebelt, Den Mittag der Erinn'rung schwarz verschleiert, Den Irrenden zum sichern Opfer fordert, Den nicht der Gottheit helle Fackel leuchten: Vernunft, und Glauben an der Menschen Tugind. Hier ward der Kranke sich sein eigner Arzt. Sein schnell gesundend Auge sah sein Glück In uugewelkter Schöne herrlich prangen: Mit jedem Tage blüht' es frischer ihm, Mit jedem Tage fühlt' er es erhöhter. Sein liebend Weib füllt seine Wünsche aus; Sie fühlt sich glücklich einzig nur durch ihn? Lr liebt die Thätigkeit — den regen Fleiß; Sie liebt die Ordnung — stille Häuslichkeit, Und beide bieten sich zum Glück die Hand, Jum dauerndsten in diesem Lebenöwechset. Vereinigt wirken hier die schönsten Kräfte, Mit der Natur im ungetrennten Bunde. Sie stahlen sich zum künft'gen Ungemach, Sie starken jede Fiber zum Genusse, Genießen zwiefach, schöner und erhöhter, Und spenden Andern gern aus ihrer Fülle. Der Liebe Allmacht wirkt auf alle Wesen,

Ihr heili Feuer fördert Kraft zu Thaten. Mit Lust sieht man sie eifrig wirken , Beide Für And're nützlich seyn in That und Wort. Und wenn, wo sie gesa't, auch keiner erntet; Da Undank lohnt, wo jedes Dank erwartet; So lasten sie nicht ab. —

Verfehlter Zweck

Hat wahre Thätigkeit noch nie gestört.

Geist der Ordnung!

reges Wirken — Stre­ ben —

Du erhellst des dunkeln Daseyns Leben, Schüttelst uns aus trägem Schlummer auf! — Dir verdanken wir die reinsten Freuden; Du verminderst jedes unsrer Leiden; Alles Wissens Schatze thust du auf!

Göttern ähnlich schafft des Menschen Wollen l Selbst die regen Elemente zollen Ihrem Herrscher, sind ihm Unterthan! Ihre Kräfte dienen ihm zum Segen — Auf des Oceanes irren Wegen Schafft der Mensch sich eine sich're Bahn!

Adlern gleich bewegt er sich in Höhen, Wiegt den Aether, sieht Gebirge, Seen, Kleine Punkte — Wolken um ihn -Lehn ! Aus dem Todten lockt er Feuerfunken: Wo Gewitter drohen, feuertrunken, Muß, auf seinen Wink, Gefahr entflieh».'

und

die Körperwett, sie ist ihm eigen.

Das Belebte muß vor ihm sich beugen; Er durchwühlt der Erde innern Raum! In den Sternen fleht er Sonnen glanzen; Weitet, messend, unter Sphärentänzen — Und umfaßt des Aethers weilen Saum!

Und Gedanken weiß er zu beflügeln! Schlösse nicht, den raschen Muth zu zügeln, Tiefe Nacht die ferne Zukunft ein, Würde den Olymp er kühn besteigen. — Alles nennt der Mächtige sein eigen, Selbst das Reich der Geister nennt er fein!

Vierter Brief. Freude und Schmerz.

Welch süßes Glück erwartet Beide nun! Die Stille ihrer Seele läßt es ahnen, Der Wonne Lust, die aus den Augen spricht. So kündiget der warmen Lüfte Wehen Den holden Lenz mit allen Freuden an; Es lebt der Wald, das Feld, und laufend Stimmen, In wechselnden Accorden Freude wirbelnd, Ertönen nun von neuem Lebenswonnen. Melodisch klagt das Lied der Nachtigall; Sie klagt der Liebe Gram, jedoch mit Lust, Mit süßer Lust im freudetrunknen Wechsel. So regt sich in dem Schooß der jungen Frau Ein neulebend'ges zartes Wesen, das sie Mit Sorge liebend, zu beschützen strebt, daAll ihre Sinne ernst und froh beschäftigt. Doch kaum nur wagt, erröthend, halb beschämt, Die junge MuttLr ein Gefühl zu nennen,

Das neu und schön, entzückend, sie beglückt, (reibst ihrem Gatten nur im leisen LiSpel. Wohl uns, Natur! du gabst dies Zartgefühl; Und reizender blüht jede Tugend auf! Doch heimlich nährt sie gern ein stark Verlangen, Den zarten Liebling innigst zu umfangen, Mit tausend Augen, mit der Lust Entzücken An ihren Mutterbusen ihn zu drücken. Wie schlagt ihr Herz, wie jubelt ihre Seele, Weit ihres Lebens Pulse zwiefach schlagen! Nun malen Beide sich das schönste Glück, Das die Natur für alle Staubgeborne Auf ihrer ungezählten Stufenleiter, Zum süßesten für jedes ausersah — Es füllt die hellsten Stunden ihres Lebens Fast überirdisch aus; — denn sie genießen — Von Phantasie und Hoffnungen umgaukett, Der noch Erfahrung nicht die Blüthe raubte —In Unschuld reiner Freuden echte Lust, Und trinken sie in langen, vollen Zügen! —* So weilet froh auf weichen Sammetrasen Die

Unschuld,

träumt

von

lauter Frühlingü-

wonnen! Sie horcht dem Murmeln nah geleg'ner Quellen,

Des Sängers Wirbeln über ihr in Lüsten l — Sie blickt zum Aether, auf die blühn'den Fluren, Und ahnet nicht ihr nahes Mißgeschick. Da schleicht, verborgen unter dichten Blumen, Die Natter, farbig glanzend, leis' herbei: Das holde Kind will nach der Falschen greifen Und'.fühlt den gift'gen Stich int süßen Lächeln. So nahte hier die bittersüße Stunde, Wo die Natur ihr ernstes Werk vollendet! — Wohl uns, daß sich der Augenblick verbirgt, Die nächste Stunde, uns bestimmt zur Freude, Zum Gram, zur Folterpein, zur Seelenmarter! — Da liegt die junge Mutter.

Weh auf Weh

Durchzuckt den zarten Bau —sie seufzet —ächzet— Sie zittert, jede Muskel leidet, jede Fiber Wird angestrengt, wird folternd ausgespannt. Sie leidet viel, doch füllt noch hoher Muth Den Mutterflnn; sie leidet um den Liebling, Und bald wird seiner Stimme lauter Schrei Die Angst, die Todesangst, ihr reich vergelten. — Sanfttröstend steht ihr Gatte ihr zur Seite; Er leidet tief, vielleicht noch mehr als sie. Verhalt'ner Schmerz'zersprengt ihm fast die Brust, In der ein Stral der Hoffnung kaum nur glimmt,

Wert noch entfernt ist der Erlösung Stunde. Denn, ach! die Sonne flieg, und langsam, wandelt Sie ihre Bahn — finkt — steigt noch einmal auf, Gebiert den Tag — doch unsre Mutter, nicht! Ihr zartes Leben, fast dahin gemartert, An einem Faden hangt es, lechzend, kaum. Da naht der schöne, große Augenblick, — Der schwer erkaufte,

mit

Gefahr des Le­

bens! — Ein holdes Kind liegt — lächelnd ihr im Schooß, Ach! mit dem Lächeln eines jungen Todten. — Des Weinens süße Laute hört sie nicht! Ihr Schmerz ist stumm. —

Der wahren Leiden

Stimme Erstickt, dumpf folternd, fich in unsrer Brust.

O klage die Natur nicht an!

Sie zog

Feindselig nicht, uns nur zu Qualen auf. Geerbte Uebel, Clima, Lebensart, Sind hier die Würger unsers schönsten Glücks. Sieh dich umher in ihrem Allgebiet; Was hier Gesetzen frei fich unterwirft, Von ihr geordnet, fühlt fich auch beglückt.

Doch nun erwacht der Schmerz! —

In lau­

ten Klagen Bestürmt, die sonst so Sanfte, jetzt den Himmel ; Sie fordert kühn den Liebling nun von ihm; Und rechtet mit der ew'gen Weisheit selbst. — Nothwendigkeit lehrt endlich Unterwerfung, Vernunft bestegt den wilden herben Schmerz. — Ohnmächtig fühlt der Mensch die höh're Hand, Und fügt sich, leidend, ihren stillen Zwecken.

O Zeit, du heilst mit deinem Batsamather Der Seele Wunden langsam, aber sicher! Du lehrst Erinnerung, der schwer besiegten, Sich nur umflort dem wunden Herzen nahen! Du führest im Gewand von Morgenröthen Die lächelnde, die Freude, leiser näher, Die tiefgesenkten Blicke zu beleben! Und wenn am wolkenlosen reinen Himmel Sie nun in voller Glorie sich malt, — Die schönste Sonne in azurner Bläue! —

Wenn sie das Auge staunend an sich zieht, Den Busen weitet, jede Muskel schwellet — Dann, neu, ein dicht Gewölk, in Nacht gelagert, Der Hehren breiten Stratensaum erfaßt,

So stichst du / durch den immer stücht'gen Wechsel, Den Kranz der Rosen, wo die dunkeln Moose Die zartsten Farben nur zum Schutz umschließen, Daß langer sie und duftender verblühen.

So nahte hier auf dunkeln Gram die Freude Mit ihren Silberfittigen, im Lichte! Nicht immer handelt strenge das Geschick! Sie schmeckt das hohe Glück der Mutterwonnen, In voller, reicher, aufgeblühter Fülle! Sie sieht in edlen Söhnen, holden Töchtern Sich neu verjüngt, und widmet sich mit Lust Zur Führerin der ersten Jugendzeit. Da blühen neue Freuden um sie her. So überschwenglich hold, daß sie die Welt Mit allen Schätzen, die sie beut, vergißt. Versuch' es nicht, dies zarte Glück zu malen, Es tragt gar nichts von irdischem Gewand: Es flieht die Worte, wie den Blick der Menge, lind fühlt sich wahrer, tiefer, unentwickelt. Nur einzig theilt sie ihre stillen Freuden An des geliebten Gatten treuem Busen, Und beider Lust wird noch dadurch erhöht. Doch hier auch lauert manchmal unter Blumen

Die falsche Natter, deren neid'scher Stich Oft ihre höchsten Wonnen so vergiftet, Daß sich in Mermuth jede Freude taucht. O sieh, bei aller treuen Mutterpflege Wachst dennoch Unkraut neben Weihen auf; Erstickt des Guten Keim zuletzt wol gar — Und lohnt die Muttersorg' mit Weh und Gram. — Hinweg, zu traurig Bild! nur selten arten Auf gutem Boden gute Pflanzen aus; So wirkt nicht die Natur im Widerspruch. Doch and're Sorgen drohn dem Mutterherzen. Verhältnisse — ein weit umfassend Wort — Vielleicht verpflichten sie nun beide Aeltern, Ihr Kind der Fremden Aufsicht zu vertraun. Nicht immer gluckt die Wahl. - Der Klugheit Auge Sieht scharf — doch tief verbirgt sich auch der Mensch. Wohl ihnen, wenn der Zögling, nicht der Strenge, Nicht roher Freiheit hingegeben ist; Die bildet Sklaven, schwächt die Kraft, den Muth, Und diese wachst zu Ungebundenheit; Das sittlich Schöne ruhet zwischen beiden. So kämpfen in dem zarten Mutterherzen Abwechselnd Schmerz und Freude, Wohl und Weh, Die stetigen Gefährten unsers Senns,

Die, stets verbündet, niemals sich getrennt* Da droht ein neuer Kummer ihrer Seele: Ein blühend Kind, es welkt dahin, erkrankt. Sie pflegt es. — Auf das brennend heiße Auge Sank lang' kein Schlaf, wohlthuend, sanft herab, Denn sie, sie selbst ist ihres Kindes Wache — Wie konnte dieser echte Muttersinn Erkaufter Sorge jemals es vertraun? — Doch, ach! umsonst. Es sinkt dahin und stirbt. All ihre Pflege hatt' es nicht geschützt — Nicht eines treuen Arztes kluges Walten. Der Unerbittliche, noch nie Besiegte, Nimmt aus dem Arm der Mutter seinen Raub! Ihn jammert nicht ihr bleicher, stummer Schmerz! Er horcht nicht ihrer Weisung: „süßes Leben, „Das Licht der Sonne fei ein Recht der Jugend; „Ins Schattenreich zu wallen fei dem Alter „Von der Natur gesetzlich auferlegt; „Die junge Blüte harre noch der Reife!16 Er hat kein Aug' für ihre Seelenleiden — Ihm ward kein Ohr für ihre lauten Klagen —• Er kennt nicht Rechte, achtet kein Gesetz! Den kalten Rest birgt nun ein dunkles Grab; Und mit ihm sank die Hoffnung auch hinab! ~

Warum, Natur! erschufst du die Gesetze? Sott dieser Gram das Mutteraug' entweihn? Verschwenderisch verspendest du uns Schätze, Und weihst sie, ungenützt, zum Sterben ein.

Wohin ich seh' in deinen weiten Reichen, Ist Alles dieser Ordnung Unterthan: Beim Thier, wie beim Insekt, erblick' ich Leichen; An Blüten schließt sich die Verwesung an.

O murre nicht, kurzsichtiger Bewohner Des kleinsten Punkts!

Nur Ein Verstand durch­ schaut

Das Wie? — Warum? — Vergelter heißt Er — Löhner! Auf Kummer hat er dauernd Glück gebaut.

Fünfter Brief. Genuß und Täuschung.

Komm / laß uns dieses unruhvolle Seyn Des Menschen, fast zum Spiel dahingegeben Der Ebb' und Fluth der Dinge rings um ihn; Wo Well' auf Welle seinen Nachen treibt, Dem Ufer naher bringt, ihn jetzt entfernt; Wo lauer Wind der Hoffnung Segel schwellt, Und nun ein Sturm dasselbe Segel bricht, Vertrauend auf den milden Sonnenschein Beim wolkenlosen Himmel ausgespannt — Laß uns ihn fern vom engen Kreis beschaun! Ward ihm vielleicht da ungestörtes Glück? Er schaut umher, und findet überall Ein weites Feld, noch ganz nicht angebaut, Die rasche Kraft, den kühnen, muth'gen Willen Ruhmwürdig zu beschaft'gen.

Dahin eilt er,

Beflügelt mit den immer regen Schwingen Der Thätigkeit an seinen Sohlen, will Sich seinen Wirkungskreis bis an den Rand Der Erd', des Meers erweitern — dahin fliegen

Auf seinen Wink Die Schiffe wie die Rosse. Es glückt ihm auch, er sieht um sich herum Zehntausend Hände froh beschäftigt, die Den reichen Unterhalt fast einzig ihm, Fast einzig seinem klugen Muth verdanken. Wie eilt er rüstig fort auf einer Bahn, Die sich der Thätigkeit wohlthätig weitet; Die reichlich lohnt bei Klugheit, Mäßigung; Und die das Unglück selten gänzlich hemmt. Doch, ach! je mehr das Glück ihn hier anlacht, Je mehr trifft er auch feine Neider an; Ein häßliches Gezücht — ein Afterbitd — Der Menschheit Züge sind darin verwischt. Sie regen Unmuth ihm im stillen Busen, Drohn dem Gebäude seines Glücks den Umsturz, Und hemmen seiner Thätigkeit die Kräfte. Er sieht sich um nach einer andern Bahn. Des Ruhmes Lorbeerkränze sieht er flattern, In Prachtgebäuden, lockend, aufgehängt, Doch neben Trümmern, unter blut'gen Waffen. Der Anblick füllt mit Weh — er mag sie nicht Sein Herz ist weich, so schuf es die Natur! In seiner Seele hallen Klagestimmeii, Vom Krieg geboren, vieler Millionen!

Er denkt des Jammers, denkt bet tausend Leichen, Der Menschenleichen, die das Saatfeld düngen, Das eben dieser Hände froh bestellten! Er steht in ruhig heit're, sanfte Züge Der holden Braut, der itzt verlaß'nen Mutter, Verzweifelung und wilden Gram fich prägen! Bleich / dürr vom Hunger — denn das Feld liegt öde — Die munt're Jugend! — steht sie langsam wel­ ken! — Geschwächt, entnervt die kommenden Geschlechter! Die Seele blutet ihm — sein Auge weint Dem falschen Ruhm,

der

heut' die Menschheit schändet,

Des Mitleids und dys Unmuths brtt're Zähre. „Was sinnst du," denkt er, „was beklagst du dich ? „Wo der Gewinn auf Schätze Schätze häuft, „Die nur die Körperwelt dem Fleiße zollt, „Da wund're fich doch nie der kluge Mensch, „Wenn er den niedern Neid in Thätigkeit, Er klebt an diesen Gütern — überrascht! „Wo wilder Ehrsucht Rausch den Muth entflammt, „Und Herrschbegierde eine Welt in Feffeln „Zu ihren Füßen fleht — da regen fich

„Die Kraföe in dem Menschen zum Verderben „Für Tausende, indeß nur Einer schwelget. „Ich wähle mir ein and'res, höhers Ziel, „Ein

Feld,

wo

schön're

Blüthen

ftd/vcr

rei­

fen — „Unendlichkeit füllt ihre Dauer aus!

„Hier liegen sie

vor

mir,

die

ungezählten

Schätze: „Der Wissenschaften Buch entfalt'

ich,

schwei­

gend, hier: „Enthüllet zeigt es mir von Mem die Gesetze; „Das Wie? — Warum? — in mir, und außer mir.

„Hier sä'L der Geist die Kraft! —

Es erndec

Segensfülle „Der

Denker,

wie

der

Sinn,

der,

fühlend,

jenen ehrt: „Der Friede blüht,

das Glück,

die heit're

Seelenstille, „Wo Wissenschaft das Universum nährt.

2. f 5. x.H.

3

,, Hier kriecht der finst're Neid beschämt tu seine Höhle; .Ein

Sinn ist'S,

btt,

vereint,

dem Ganzen

Kräfte lieh: „Denn hier wirkt

Alles,

Geist,

Ver­

nunft, Natur und Seele, „In ungetrennter Götterharmonie."

Versenge nicht, mein Freund!

beim raschen

Fluge Die Schwingen deiner heißen Phantasie; Und träume dir ein Glück nicht allzuleicht, Das, wohl ihm! schwer errungene Kränze beut. Der Kämpfer waren viel, der Sieger nicht — Hub Neider wachen l;tet, wie überall. Denn kaum erhebt dein stolzer Adlerflug Sich über die gewohnte Region, So meldet sich der dreisten Krittler Heer, — Ein dichter Schwarm, zerstörend ist ihr Blick — Scheucht dich vielleicht von einer Bahn herab, Die dich zum Quell des reinen Lichts geführt. Doch wenn du sie auch riesenhaft bekämpfst; Wenn dein Gefühl auch anders dich belehrt, Dein Genius sich über sie erhebt,

In welchen finstern Labyrinthen irrend Weilt hier dein Fuß? — und — ohne Freundes Hand? — Wo hilft ein Genius dem andern auf? Wo wrrd Talent mit Warme aufgemuntert? Vielleicht zertrat es früh ein starker Fuß — Es welkte hin, was herrlich blühen sollte. — Du seufzest, Freund? — O lies, ich bitte dich, O blatt're nur im Buch der Zeitgeschichte! Du findest überall die tiefen Spuren, Von diesen Geistesschwächen eingedrückt. Oft wird dre Kraft geschützt; — allem warum? Jur Schande für der Freien hohe Würde, Wird fie zu niederm Sklavendienst verbraucht, An And'rer Götterwagen muß sie ziehn.

Dem Genius, dem kühnen Feuergeist, Ward et, in höchster Region zu schweben, Dem Adler gleich, allein, in sicherm Fluge. Er trinkt den Aether, trrnkt der Sonne Gluth, Die freie Flamme seines Busens nährend! Ihn fesieln nicht an nied'rer Heimath Fluren Dre Bande strenger Regeln; das Gesetz, Der Freiheit Siegel, glanzt an seiner Stirn.

Die Kraft spricht aus den Fittigen der Starke. Und im geweihten, warmen Busen trägt er Erkenntniß jedes Rechts und aller Wahrheit, Gefühl für Schönheit, Größe, Sittlichkeit. Des Freigebornen frei geschaffnes Werk Tragt jeder Göttlichkeit erkannt' Geprag, Und lehrt Bewunderung die stumme Menge. Ihm staunt der Geister ungeseh'ne Schaar. Sie ehret der Begeist'rung selt'ne Weihe, Sie horcht den neuen Tönen seiner Lieder, Sie weht ihm mit dem Hauch der reinsten Liebe, Im Flammenwechsel seiner Brust — Entzücken. — Doch diesen Genius, der Zeiten Stolz, Jahrtausenden zur Fackel wohl geboren, Erschafft Natur, wie jedes Große, selten.

Ach!

krönt Euch selbst mit hohem Edelmuth,

Ihr Geister, deren Ruhm von Pol zu Pol Aus Famens schallender Trompete tönt! Verkümmert nicht dem keimenden Talent Das werdende Verdienst — es blühe auf! Es bilde schöner sich an Eurer Seite, Hut) spiele mit den Lorbeern Eures Ruhms! Wohlthat'ge Warme ström' von Euch ihm zu;

Es sonne sich; — blickt Ihr voll Huld herab! Und wenn Ihr gar die Hand dem Bruder reicht, Dem Bruder, der an gleicher Brust geruht; Wenn Ihr ihn schützt vor der Cabale Wuth; Wenn Ihr das Gute laut an ihm verehrt — Zum Wettlauf ihn ermuntert — fernem Spiele Begeisterung zujauchzet — und am Ziele Ihm, selbst, die Krone reicht; Euch in dem atv dern ehrt: Dann seid Ihr Götter! seid beneidenewerth!

Der Wissenschaften reich erhellte Nacht Hat noch kein sterblich Auge ganz durchschaut: Des Handels Glück, so hold es immer lacht, Ist, schwankend, oft auf leichten Sand gebaut. Der Ehre Ruhm, wie glanzend er auch scheint, Ist oft ein Dünstbild, trüg'risch ausgeschmückt: Der Lorber, ach! um den die Waise weint, Hat oft des Siegers Scheitel wund gedrückt! Ein Weiser wähle sich Vas schone Feld, Und nähre sich von seiner Hände Frucht!

Dem Range fjat noch keiner nachgestellt; Da lebst du, von der Thorheit unbesucht.

Natur, bei dir, an deiner Mutter-Brust, Da saug' der Mensch der Freude Balsam ein: D u bleibst dir gleich — und deiner stillen Lust Kann sich die Kindheit, wie das Mer, freun.

Sechster

Brief.

Der W i d e r s p r u ch.

o lebt denn alles hier im Widerspruch? So ist.denn jede Bahn des Lebens rauh, Oie unserm Auge glatt tmb eben schien, Eh' die Erfahrung anders uns belehrte? Da steht der Mensch.

In seinen Freudenbecher

Tropft ihm dieselbe Gottheit Wermuth ein, Die ihn, fast bis zum Rand', mit Lust gefüllt, Und nun mit wenig Tropfen ihn vergällt. So tönen disharmonisch Instrumente;

3V Ein reiner Einklang ist noch nie gegeben. Was wird er thun? — Sein ewig reger Geist Forscht immer noch, sucht noch umher nach Glück; Mahnt immer noch, es ungetrübt zu finden. Da ficht er, in gedrängten dichten Haufen, Ein glanzend Prachtgewichl, umgeben Mit tausend Dingen, die das Aug' ergötzen, Mit allem Zauber, der das Ohr entzückt, Au einem reich vergold'ten Tempel eilen. — Er mischt sich gern in diese muntern Haufen, Fragt nach den Namen, fragt nach dem Geschäft; — Doch alle lächeln — keiner sagt es an. Da raunt dem Neuling einer leis' in's Ohr: „Wir nennen uns die große feine Wett, „Und mitten immer, immer erndten wir; „ Die Luft ist fast ernährend rund um uns. „ Uns hat die Kunst in jeder Kunst geübt, „ Zu ihren zarten Lieblingen erzogen." Hier glaubt er fich beglückt; hier lacht die Freude Aus tausend Augen ihn, gefällig, an. Doch bald erfüllt ihn Ekel, Ueberdruß. Der Glanz, die Pracht, fie blenden seine Augen, — An reines Licht gewöhnt — den edlen (sinn, Auf kurze Stunden nur —* ach ! er bemerkt,

Daß ihnen falsches Licht den Schimmer lieh. Wie schaal,

wie leer,

wie

tändelnd find

die

Freuden, Mit Ueppigkeit und Thorheit einverstanden, Wie unbefriedigend für edlern Sinn! So kinderhaft erscheint der ernste Mensch: Er huldigt nur der Gottheit dieses Tempels, Der ewig angebeteten, der Mode. Gebrauch rechtfertigt hier die schlimmen Sitten; Entschleiert selbst der Jungfraun Sittsamkeit, Besiegt des feinern Sinn's, der edlen Scham Gefühltes, tief entzückendes Erröthen. So wird die zarte Weiblichkeit verletzt. — Weh ihr! sie fühlt die tiefe Wunde nicht, Hier hat der Ton selbst die Natur erstickt. Du wendest ein:

Hier sei auch viel zu lernen."

Ja! wahre Klugheit erndtet immer ein — Doch die Erfahrung läßt Erinnerungen, Die Viederherzige mit Anmuth füllt. Die Thorheit glaubt, hier sei der Bildung Schule. Die achte Anmuth braucht die Bildung nicht; Sie huldigte den bessern Charitinnen, Denn jene ist nur teere Ziererei. Ein reiner Sinn ist für das wahre Schöne

Empfänglich, aus Natur und Härmend, Aus Harmonie in ihm, nicht außer ihm. Die Kunst bleibt Kunst, und ewig leer und arm. — Jedoch verlieren wir uns nicht vom Ziel? Wo blieb mein wack'rer Freund? Ich sah' ihn dort, Ich sah' ihn lächeln — doch mit bitterm Unmuts;; Denn seine schönsten Stunden sind geraubt. Wohl ihm, wenn er sich aus dem Taumel rettet, Wo sich, ein Schwacher,' fortgerissen fühlt, Und oft an Glück und Ehre Schiffbruch leidet, Ein ewig unersetzlicher Verlust!

Sohn der Natur, zurück aus dem Getümmel, Mo alles durch einander wogt und treibt! Wo Glanz an Glanz, an Lust sich Lust zerreibt — In deiner stillen Brust da blüht ein Himmel, Ein Himmel, der dir ewig bleibt!

Hier gleicht die bunte Welt dem reichsten Masken­ balle, Wo jeder für sich glanzt, doch schöner noch für alle: Wo jeder sich so ganz in seiner Larv' gefallt, Um and're heimlich lacht, sie nur für Thoren hatt.

Hier wechseln mit dem Glück die Zeiten, Monden, Stunden. Die Meinung, das Gefühl, glaubt sich an nichts gebunden. Hier gilt für Wesen Schein; der Irrthum glanzt im Licht, Da Folie des Glücks die falschen Strahlen bricht. Die Wahrheit ist verdrängt.

Der stillen reinen

Freude Wird keine Nahrung hier auf kahler, dürrer Weide; Denn Jeder schließt, mit Recht, Gefühle, Weis­ heit ein; Ein volles Hirn scheint leer — ein weiches Herz ein Stein. Umsonst wirst du — zu kühn — nach Treu und Glauben fragen, Nicht Einer wird dir hier die nackte Wahrheit sagen. Ein Lächeln wird dir gern — doch ach! die Muskel log — Es war die Maske, die den kühnen Forscher trog, Der Beschluß folgt.

Fragmente aus den Briefen einer deutschen Fürstin an Lavater.

Fortsetzung

Wie oft hat mich die Schwachheit Tage lang unglücklich gemacht, leichtverschwindenden Klei­ nigkeiten durch leidenschaftliche Berührung blei­ bende Wichtigkeit zu geben'. Wie Vielen erge­ het es, wie mir, und wie vieles Unheil kömmt folglich dadurch in die Weltl

Wir alle kennen

wol die Thorheit dieses unsers Benehmens; wir alle haben uns selbst darüber ausgescholten, wenn wir uns nun wieder einmal dazu hatten hinreißen lassen und das Uebel geschehen war und doch — wie schwer wird eS, das Alte nicht immer von neuem zu wiederholen? O solche Kleinigkeiten in der weisen Führung

des Lebens — wie wichtig, wie nothwendig, aber auch wie schwierig sind sie! —

Wer die

Nähe der Besten nicht ertragen

mag, der gehört gewiß auch nicht zu den Besten.

Za, ich glaube Ihnen, ... ist ein guter Mensch, und dennoch — diese seine erstarrende Kälte! —

O, solche Kälte guter Menschen

drückt reine,

aber

weiche Seelen oft mehr,

giebt ihnen schmerzlichere Leiden, als Bosheit schlechter Menschen!

. ♦. gehört, unter jene raffinirtesten Welt­ menschen, die in der leichten, ganz absichtlos scheinenden Unterhaltung ein zweideutiges Wort hinwerfen,

das

von

Allen

im

schlimmsten

Sinn genommen werden muß, und dem sie doch,

sobald man sie dabei faßt,

einen ganz

unschuldigen Sinn — aber auch selbst diesen wieder so geben können, daß der böse Sinn nur desto

tiefer in die Seele deren gedrückt

4*3 werde, auf die es abgesehen ist.

Zrr solchen

Künsten taugt doch keine Sprache so, wie die französische.

Ist

es

nicht

sonderbar,

daß

schon

seit

lange her in der einzigen französischen Sprache die Wortverbindungen: un bon

bomme,

un

bon

schimpflich gehalten sind, als

bon prince, un man

u. dgl.

für

und so viel heißen,

ein einfältiger Tropf?

Seltsam;

Zn der Gesellschaft,

selbst iy

der gewähltesten, befreundetsten, besten, findet man jetzt eher alles, als Jemand, mit dem man ganz frei und

unbefangen,

ohn' alles

Fürchten, Stocken und geheimes Widerstreben, von Religion und dem Heiligsten, Ehrwürdig­ sten, sprechen könnte! Liegt das mehr an uns oder den Andern? Die Fortsetzung

folgt.

Sevigne, DeShoulieres, Dacier, oder die goldne Lyra.

Auf jener Flur entsank sie Phöbus Hand, Wo Lyda weidete, die u»gesucht sie fand.

Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, ungefähr

gegen

das

Jahr

1656,

lud die

Marquise de Sevigne an einem festlichen Tage Mademoiselle de Scudery zu sich, um einem gewählten Cirkel von Freunden und Freundin­ nen einige Stellen

aus

ihrem neuesten Ro­

mane, ich weiß nicht, war es Artamenes oder Almahide,

vorzulesen.

Ach,

diese Romane

waren so voluminös, daß man sie nur stellen­ weise genießen, konnte!

Doch sie waren da­

mals in der Mode, und ihre Weitschweifigkeit

überstieg nicht allzusehr die Geduld des Publi­ kums. Ohne Einladung der Marquise,

und dies­

mal gewiß gegen den Wunsch der gUtMüthige« Dame,

erschienen

nach

und

nach auch

einige andere Personen, die der guten Scudery die zugedachte Freude verdarben, einmal ganz allein unter denen zu seyn, die ihr Pu­ blikum ausmachte«;

eS erschien der Verfasser

des Cid, der große Corneille, es erschien ein Gelehrter

aus

der

Provinz,

der

berühmte

le Fevre, ein Mann, der mehr Geschmack für Wahrheit als romantische Dichtung hatte, es trat endlich auch ein

der alte Moliere und

mit ihm der Gedanke an seine Pretiösen, die gestern mit dem lautesten Beifall gegeben wor­ den waren.

Viele

der

Damen waren

im

Schauspiele gewesen, manches weibliche Genie, das sich nicht ganz sicher wußte, in doppelten Schleier.

hüllte sich

Leise steckte die Scu-

dery ihre Hefte beiseite, und begann sich emsig mit einer weiblichen Arbeit zu beschäftigen, die sie sehr übel verfertigte.

Viele der jünger»

Anwesenden, die Scuderys Romane, besonders

------------

48

von ihr selbst gelesen,

nicht ungern hörten,

murrten heimlich, und die edle Sevigne warf auf alle einen mitleidigen Blick. Die vorgehabte Lust war gestört, man be­ schäftigte sich so gut mqn konnte.

Herr U

Fevye hatte seine Gemqhlin, ein« junge (ie* bensrvürdige Frau ohne alle Ansprüche, mit sich gebracht, und bisse legte ihre kleine Toch­ ter der Marquise, ihr« Pache, in die Arme. Anne le Fcvre, kaum ein Jahr alt, war daschönste Kind, das man sehen kann, und gab, wahrend die Männer mit ihrem Gespräch schon tief in den Wissenschaften waren, den Frauen hinlängliche Unterhaltung, indessen die jünger» Leute einen schönen Knaben von ungefähr fünf Jahren, den Zögling des Herrn le Fevre, zwi­ schen sich genommen hatten; es war der junge Andre Datier,

der durch seine naiven Ant­

worten einen Geist verrrcth,

welchen in der

Folge nur tiefe Gelehrsamkeit mit Wolken umschleiern konnte. An einem Fenster stand das liebenswür­ digste Paar im ganzen Saale

ein

junger

Mann, von damals noch unberühmlcm Namen,

Johann Racine, und ein reizende- Mädchen, Antoinette dü LigierS.

Sie

sprachen

sehr

emsig, und es war unmöglich zu verkennen, wie sehr die aufblühende Schönheit von acht­ zehn Jahren den neunzehnjährigen Jüngling interessirte. Stand und Glück beider war verschieden, die Sach« schien nicht gefährlich; er, rin jun­ ger Dichter,

der sich vor kurzem erst durch

eine wohlgerathene Ode *) auf die Vermäh­ lung des Königs ein kleines Einkommen ge­ wonnen. hatte, das ihn in den Stand setzte, «in Talent, ahnete,

dessen Größe er schwerlich selbst

auszubilden;

sie, eine junge Dam«

von großem Hause, von ansehnlichem Vermö­ gen, und die versprochene Braut des Herrn DeshouliereS.

Auch betrafen bei diesen Ver­

hältnissen ihre Gespräche nichts,

was einige

lauschende Tanten hätte beunruhigen können

*)

Racinens Ode führte den Titel, Ia Nim-

phe de la Seine; sie brachte ihm hundert goidue Louis und ein« Pension von sechshundert Livres ein. %

f F.

X. H.

4

Racine sagte der reizenden Antoinette nichts weiter, als einige verbindliche Worte über ein Kleinod in Gestalt einer Lyra, daS sie im braunen, lockigen Haar trug — ein niedliches Epigramm, das wörtlich nicht auf uns gekom­ men ist, daS aber, der Sage nach, unge­ fähr den Sinn der Worte des alten Dich­ ters haben mochte, welche wir schon erwähnt haben: Auf jener Flur entfiel sie Phöbus Hand, Wo Lyda weidete, die u«gesucht sie fand. Man konnte nichts wahrers, nichts passendersagen. Antoinette war die süßeste Dichterin: der zarteste Ton der ländlichen Poesie, der zauberischen Idylle, war ihr Eigenthum, und ungesucht, ungesucht hatte sie das himmlische Saitenspiel gefunden. Die Natur war ihre einzige Lehrerin. Regellos und wild waren die ersten Versuche der holden Sappho, aber man sah, man fühlte hier keinen Fehler wider Regeln, die Antoinette nie gelernt hatte; man berauschte sich in ihren süßen Gefühlen, in ihren zauberischen Bildern, und — die Schön-

heit des Mundes, der so sang, gab den Vor­ zügen dieser Lieder keinen kleinen Zusah. Sie waren wenigen bekannt; Racine hatte durch Zufall, durch schalkhaften Raub, durch freundschaftliche Verrätherei einer Freundin An­ toinettens vielleicht, sich zum Eigner einiger ihrer Idylle» gemacht, und in reizender Be­ stürzung stand sie jetzt ihm gegenüber. Sie fühlte die ganze Feinheit eines Lobes, das ihr aus diesem Munde, so unberühmt er noch war, unmöglich mißfallen konnte, und die glühende Nöthe, die ihr schönes Gesicht überzog, gab ihr so sehr das Ansehn einer Person, die durch eine nicht unwillkommene Liebeserklärung überrascht wird, daß man in einer nicht allzugroßen, nicht übermäßig beschäftigten Gesell­ schaft, aufmerksam werden mußte. Deshonlieres, der Verlobte des schönen Mädchens, war gegenwärtig; ohne Eifersucht, doch aufmerksam trat er herzu. Die Tanten drangen aus Erklärung. Racine schwieg voll Beschämung, Antoinette ward noch röther, Madame de Sevigne, die das Ganze errieth, mischte sich in die Sache, und so geschah es,

daß die junge bescheidene Dichterin — nicht um noch mehr Lob einzuerndten, nein, um sich zu rechtfertigen, alles gestehen, endlich sogar er­ lauben mußte, daß die Marquise einige ihrer Gedichte, die in ihrer Hand waren, hervor­ suchte, und sie mit der Liebe, mit dem Wohl­ laut,

die der G.und

waren,

der

ihres

horchenden

ganzen Wesens

Gesellschaft

vorlas.

Arme Antoinette! welch ein Schicksal, sich vor Corneille, vor Moliere, vor der berühmten Scudery vorlesen zu hören! — Wie mitleidig wird der

Verfasser des Cid die Reime eines acht­

zehnjährigen Mädchens ansehen!

Moliere wird

wenigstens heimlich an sein letztes Stück den­ ken !

und die Seudery — ?

Ach was

sind

einige Strophen gegen so viele Bände! Die Beschämung, die Antoinette besorgte, erfolgte nicht.

Corneille lächelte beifällig, Mo­

liere versicherte, in einer Bescheidenheit, die so sorgfältig verhehlte, was andere zur Schau trügen, das reizende Gegenbild zu seinen Pre­ tiosen gefunden zu haben, und Seudery be­ theuerte mit einer Gutmüthigkeit, die ihr häß­ liches Gesicht ungemein verschönerte, sie wolle

der jungen Dichterin gern ihre dicke Clette für eine einzige ihrer Idyllen hingeben. Nur Eins, setzte sie hinzu, nur Ein< er­ lauben Sie einer ältern Freundin zu bemerken. Noch zu ungebildet ist Ihr herrliches Talent; lernen Sie nach Regeln, was Ihnen die Natur regellos gab; schmücken Sie aus, umschreiben Sie, wo Sie nicht

anders können.

Nicht

Aller- Geschmack ist fein genug für Quintessen­ zen; nicht fein genug, um die Fülle des Ge­ fühls, in wenig geistige Tropfen concentrirt, ganz genießen zu können. 0, ums Himmels willen, rief Corneille, umschreiben Sie nicht; feilen Sie lieber, com centriren Sie noch mehr'.

Wir hassen bogen­

lange Ausarbeitungen einer Dame'. Und bilden Sie nicht zu viel an einem Talent, das Ihnen die Muse so rein und treu darbot: Sie möchten es verbilden; sagte ganz leise der bescheidene Racine. Und feilen Sie erst dann, wenn Sie nicht mehr schön sind, sehte Möllere hinzu; schönen Hand

wird

einer

jeder Mißgriff auf der

goldnen Lyra verziehen!

Sehr galant war, was der verbindliche Greis sagte, ob auch wahr? —

Was küm­

mert das die Männer bei ihren Complimenten! Antoinette hatte hier keine Stimme;

sie

schwieg, aber der laute Beifall hatte ihr Herz nicht verfehlt; der Rath ward in Uebcrlegung genommen:

welcher? —-

das

entschied

die

Liebe. DeshouliereS, entzückt, in dem angebeteten Mädchen auch die Dichterin zu sehen, stahl ihr heimlich alle ihre Zdyllen,

und da diese

bald in den Händen des ganzen Hofs waren, so pränumerirte man der Verfasserin geschwind den Namen einer gelehrten Dame. Gütiger Gott, welch ein Wort, kluge Be­ scheidenheit von jedem unschuldigen Versuch in die tiefste Dunkelheit zurückzuschrecken! Welch­ em Wort, thörichte Einbildung zu den gewag­ testen Dingen zu beflügeln! Zum Glück waren unter denen, welche die neue Muse kennen lernten, auch unbestochene Forscher;

nicht alle hatten die schöne Antoi­

nette gesehen, nicht alle liebten sie, weil sie

schön war.

An der Seite des Beifalls und

der Bewunderung erhob sich auch mancher- ach so gerechte Tadel, daß DeshvuliereS, der an seiner

Gottheit

keinen

Tadel

leiden konnte,

darauf drang, Antoinetten schulgerechten Un» terricht in der Kunst geben zu lassen, die sie die Natur so schön, so ganz befriedigend zu ihrem Glück, gelehrt hatte. Madame de Sevigne

fand

sie einst an

der Seite ihres Lehrers, des Dichters Henau.lt. Was machst du, mein Kind?

rief sie.

Du

zählst Sylben? du zerkauest Federn? du streichst aus?

willst du verderben, was du ungebef-

sert lassen solltest? Aber, Madam,

wie können diese Verse

sich in dieser Form sehen lassen? Sie sollen sich gar nicht sehen lassen! Für deinen Deshoulieres, für deine Freundinnen ist der reine Ausfluß

deines Herzens

das beste;

singe ihnen deine Lieder mit deiner bezaubern­ den Stimme, und sie werden entzückt seyn Und mein Gott! mit aller Gewalt

wie lang!

Willst du denn

der armen Senden- glei-

chen? *) Das verhüte der Himmel! rief An­ toinette mit einem Blick in den Spiegel. Die gute Scudery, fuhr die Marquise fort, ist so häßlich,, daß sie uns bloß durch ihren Geist interessiern kann, und ihre Schrei­ bereien sind so lang, daß wir sie bloß auShören, weil wir ihr gut sind. Um zu gefal­ len, brauchst du weder bloß zu unserm Ver­ stände, noch viel weniger zu unserer Nachsicht Zuflucht zu nehmen; du gefällst durch dein liebenswürdiges Selbst, und Gefallen ist nicht allein der Wunsch des WeibeS, nein, auch feine Bestimmung. Gefallen, Madam, aber wodurch? Einem Manne von Geist, wie mein DeShouliereS ! — Nichts unvollendetes hält bei ihm die Probe, *) Me wenig Vorzüge die Gestalt der gu­ ten Scudery hatte, das beweißt folgendes kleine Gedicht von ihr, auf ihr von Nanteuil gefertig­ tes Portrait. Nanteuil, en faisant mon Image, A de son art divin signale le pouvoir; Je hals mes traits dans mon miroir; Je les aime dans son ouvrage!

besonders wenn sich die angebetete Braut in die alltägliche Ehefrau verwandelt hat! Du gefällst ihm dann gar nicht mehr durch steife Erudition.

Du wirst dann die Fürstin

seines Hauses, die Mutter seiner Kinder seyn, keine Dichterin. O meine Ginnerin, nur ein wenig- Poesie, wenn ich bitten darf, in die fade Alltäglichkeit des Lebens! Rur keine studirte, Antoinette! Die hei­ tre Phantasie, die dir überall ein Elisium bil­ det, die dich mitten in einem verderbten Zeit» alter in einer unschuldigen Hirtenweil leben lißt; die dich selbst Sitten lehrt, die des goldnen Alters würdig sind, diese ist dein, diese er­ halte dir.

Eigentliche Schriftstellcrei ist dazu

ynnüthig.— Dein Mann kommt nach Hause: du vernachlässigst ihn über der Strophe, die dir noch zum Gemälde des häuslichen Glücks fehlt!

Dein«. Kinder rufen nach dir: du fer­

tigst sie kurz ab, weil du den Kopf voll Zdeen zu einem vortrefflichen Erziehungs-Plane hast! Ach, und Gott, welche gelehrte Falten auf die­ ser jetzt so heitern Stirn!

Wie sieht man

diesem schönen Kopfe die Beugung am Schreib­ tisch an! Wie leidet deine Gesundheit l Um deinen Pflichten nichts zu rauben, opferst du am Ende die Zeit unschuldiger Erholungen der Feder! opferst ihr vielleicht die Nacht und den frühsten Morgen! Also dürfte eine Dame nie die Feder füh­ ren? Führt sie nicht die unterrichtete Sevigne selbst? Unterrichtet bin ich, auch führe ich die Feder, und werde sie, trennt mich das Schick» sät einmal von meiner Tochter, noch fleißiger führen; aber nur für sie, nicht zum Prunk. Und ist nicht meine gelehrte Freundin mehr, als unterrichtet? Vielleicht, Antoinette! aber niemand weiß davon, als allenfalls du und meine alten Lehrer. Das unnbthige Gerüste von Wissenschaften, die das Weib nicht braucht, ist abgebrochen und sorgfältig versteckt, denn das heitre Ge­ bäude steht da, das man, unter uns gesrgt, mit leichtern Kosten hätte aufführen können; es ist, frohe, genau berechnete Erfüllung mei­ ner Pflichten, Wachsamkeit auf die Bildung

meiner Kinder

und — Muth im

UWüek! Fra»

Glaube mir, manche ganz gewöhnliche übertrifft mich hierin!

Die Marquise verließ Antoinetten mit eine» Thräne im Auge; das Andenken an ihre Lei­ den, die nicht gemein waren, obgleich ihr ho­ her Muth

den

größten Theil

derselben der

Welt gänzlich zu entziehen wußte, erschütterte sie zu sehr,

um eine Unterredung fortsetzen

zu können, die bei dem jungen Mädchen we­ nig fruchtete, wenig fruchten konnte, da all ihre

andern Rathgebrr

der

entgegengesttztm

Meinung waren. Die meisten Verwandten Antoinettens, be­ sonders die Damen, drangen auf das Streben nach dem höchsten Gipfel eines Beifalls, der ihrer Eitelkeit weit mehr schmeichelte, als der Eitelkeit der jetzt noch unbefangenen Dichterin; wie die Derwandtinnen riechen, so auch der Verlobte, so noch vielmehr der Lehrer, so am meisten Mademoiselle Scudery, die in einem aufblühenden Genie ihren eignen Frühling wie­ der zu finden glaubte.

Antoinette mußte sich

also entschließen, den schönen, blumigten Pfad

6o zu verlassen, den sie bisher betreten hatte, und der so gut auf weibliche Kräfte, auf weiblich« Tugenden berechnet war.

Sie forschte, sie

fühlte, wie viel ihr noch ju der neuen Lauf­ bahn fehlte, die man ihr vorzeichnete. war schon achtzehn Zahr, und sollte von neuem zu traten beginnen.

Und muß ich, muß ich

denn all diese Tiefen ergründen, ttm etwas zu seyn? diese

fragte sie,

Kann, darf das Weib

dornigen Pfade wandeln?

Winkt ihr

der Kranz der Vollendung nicht weit näher, im Arm des liebenden Gatten? im Kreise blü­ hender Kinder? Die junge Gemahlin des Herrn le Fevre, Antoinettens Busenfreundin,

versicherte,

sie

habe ihr Glück sehr leicht auf diese Art ge­ funden, und gem möchte sie ihre kleine Annette den nehmlichen Weg fähren, aber leider for­ derten manche Männer mehr, und Herr le Fevre bestehe darauf, dem Kinde eine durchaus ge­ lehrte Erziehung zu geben, ganz die nehmliche, wie ihren älter» Brüdern, und dem jungen Datier. Ach, seufzte Antoinette^ dann hak sie sieb-

zehn Jahre vor mir voraus; ich komm» zu spät, ich werde sie nie erreichen! Henault und DeshouliereS versicherte«

bst

Muthlose, hier sei nichts versäumt, Antoinette sei gemacht, alles zu verdunkeln, und Made­ moiselle Scudery, die jetzt stets um die junge Dichterin war, stimmte ein, und feuerte sie an, sich in nichts zu beschranken, keine der Wis­ senschaften zu versäumen, die der Dichtkunst schwesterlich die Hand bieten.

Sie bat, da

Antoinetten ein wenig vor diesen Labyrinthen schauderte, nur wenigstens sich nicht auf Zdylle einzuschränken;

höhere,

bis

weitläuftigrr«

Dichtungen bedürften ihrer Meisterhand, und gern, gern würde sie sich von ihr übertreffen sehen. Antoinette, die Scuderys Winke sehr wohl verstand, hatte keine Lust zur Nachahmung ihrer dicken Romane.

Sie entschloß sich in der Folge

zum Trauerspiel.— Ach unglücklicher Entschluß! Arme Dcshoulieres, welche schöne Zahre raubte er dir!

Wie fruchtlos war er! und wie son­

derbar ist cs,

daß wir noch heut zu Tage,

nicht deine Eclogen, deine Madrigale, deine

Trauerspiele,

nur

noch

deine Idylle» lesen,

von welchen uns noch vielleicht deine unjeitiqe Bedenklichkeit die süßen Erstlinge raubte, die dir die Muse ungefordert gab! Corneille, der zuweilen das Haus Ligiere besuchte, sahe mit Unwillen, wie das liebliche Mädchen auf Irrwege geleitet ward.

Er sprach

unaufhörlich von den Gränzen der Wissenschaft des WeibeS, und da er auf die alte unbeantwörtliche Frage: ob Bestimmung und Fähigkeit beider Geschlechter nicht

die

nehmliche sei?

nicht anders als durch die gewöhnlichen Ein­ schränkungen antworten konnte, so sagten sich die Damen ins Ohr: nicht alle Männer seyen so vernünftig, als Herr le Fevre;

dieß sei

männlicher Neid, dieß sei Wunsch das Weib blos zur Haushälterin, blos zur Kinderpflegerin herabzuwürdigen. Herabzuwürdigen? rief die liebenswürdige Madame le Fevre, indem sie die Arme ausbrei­ tete, um alle gegenwärtige Kinder, die sich ihr entgegenstürzten, an sich zu ziehen. ES war gut, daß die armen Kleinen eine Zuflucht bei ihr hatten — Antoinettens kleine

6.5

mutterlose Geschwister sowol, als die eigenen Kinder der holden le Fevre. Sie war die Mutter aller; hier hatte man vor Nachdenken über die große Streitfrage keine Zeit an so unbedeutende Wesen zu denken. Racine, überdem zu jung, um ein entschei­ dendes Wort zu sagen, besuchte das Haus Ligiere nicht mehr so fleißig, seit sich die Grazie des Hauses in eine Muse verwandelt hatte; ihm wars, als sei sie nicht mehr so schön, nicht mehr so gut, als in den Augen­ blicken, da sie die gvldne Lyra ungesucht ge­ funden hatte. Deshoulieres fühlte keine Veränderung; An­ toinette beglückte ihn mit ihrer Hand, und er fand die gelehrte Gemahlin so entzückend, als die anspruchlose Braut. Er war stolz darauf, eine Frau, die allgemach berühmt zu «erden begann, sein Eigenthum nennen zu können. Gelehrt? berühmt? War das die neun­ zehnjährige Deshoulieres so geschwind gewor­ den? — Ach man kannte damals noch nicht den goldnen Spruch •

A little learmng is a dangerons tlung! Drink deep or taste not tlie Pierian Spring!

Man kostete den kastalischen Brunnen ein we­ nig,

und

weil

man

sich

berauscht fühlte,

glaubte man chn erschöpft zu haben, oder man schöpfte noch tiefer, und befand sich desto übler dabei.

Die Feindin jeder Vollkommenheit, die

Schmeichelei, brachte zu zeitig den Kranz, man richtete

sich

Männern,

hoch und

auf, da

man maß

nun

sich mit

auch unter diesen

zu den damaligen Zeiten so mancher war, der sich auf halbem Wege zum Tempel des Ruhms bereits am Ziel glaubte, so bewunderte man sich selbst, einige Schritte weiter zu seyn, und die halbgelehrte Pedantin war fertig. Madame DeshouliereS, sich jedes männli­ chen Versuchs fähig haltend,

hatte sich um

diese Zeit in politische Händel gemischt, und war unglücklich genug,

als

nach Brüssel zu kommen.

Staatsgefangene

Zhr zärtlicher Ge­

mahl glaubte ihr Leben bedroht, und unter­ nahm ihre Rettung ganz im Geschmack jener romantischen Zeiten.

Zhre Schönheit,

ihre

_--------Jugend,

ihr Unglück,

6r>

die Zärtlichkeit eine«

Gemahls, der, ganz wider die Mode, nie auf­ hörte ihr Liebhaber j» seyn — alles vereinigte sich

mit

dem Ruhme,

Schriftstellerin besaß,

den

sie

bereits

als

bei ihrer Rückkehr nach

Pari- einen glänzenden Hof um sie zu vcrfanzmeln.

Er blieb nicht lange die Schule

des guten Geschmacks,

denn,

ach,

der be­

kannt« Pradon führte hier neben der Gottheit des Tempels das Wort.

Corneille kam nicht

hieher, Racine schwieg, der schmeichlerische Rei­ mer Pradon redete.

Deshoulieres war schwach

genug, das wahre Verdienst gegen das falsch« zu vertauschen,

sie

gegen den Dichter.

begünstigte

den

Reimer

Um Pradon neben, wo

möglich über Racine» zu heben, veranlaßte sie jenen, den nehmlichen Gegenstand zu bearbeiten, den Racine bearbeitet hatte.

Die Sache fiel

aus, wie man denken kann: die Phädra Pradons ist vergessen; wer kennt nicht die Phä­ dra Racinens! Was für Künste der niedrigsten Cabale wur­ den nicht gebraucht, dies Meisterstück jener Zeit zustürzen! Falsche Abschriften, Auslassung der

I f. F. x H.

r,

besten Stellen, eingeschobene Platcheiten, tau­ send andere niedrige Kunstgriffe können wir un­ möglich auf die Rechnung der armen DeShouUeres schreiben; Pradon mag sie allein tragen. Ob die Dame jemals Leute besoldete, RacinenS Schauspiele auszupfeifen, wissen wir nicht, aber gutmüthig genug war sie, kein Geld zu scho­ nen,

den armen Pradon,

den

das Unglück

ausgepfiffen zu werden regelmäßig bei Auffüh­ rung aller seiner Stücke traf, von dieser De­ müthigung zu befreien.

Eines Tages hätte

diese Großmuth ihrem Schuhbefohlnen fast das Leben gekostet; er war bei der Vorstellung eines seiner Lieblingsschauspiele, und weil alles pfiff, so pfiff er in der Zerstreuung, die sein gewöhn­ licher Gemüthszustand war, getrost mit.

Des-

houlierens Freunde, die ihn nicht kannten, und denen er sich auch nicht zu erkennen gab, wehr­ ten ihm, und endigten, als er sich nicht weh­ ren

lies,

mit Beleidigungen

und

Schlägen.

Seiner Peruque und seines Huts beraubt, ging er pfeifend von dannen.

Es kann seyn, sagte

er, als man ihm die Sache auseinander setzte, es kann seyn,

daß ich irre

war;

aber mich

dünkte gar eigen ein Stück von Racine zu hören. Läßt sich wol Bosheit, Eigendünkel und Dummheit in wenigere Worte zusammen drän­ gen? DeShoulicres gab in der Folge einer Menge mittelmäßigen und einigen schlechten Versuchen das Daseyn; ihr fehlte der Rath des treuen Freundes. Sie hatte den guten Genius von sich gescheucht der böse, in Gestalt des schmeich­ lerischen Pradons, war an ihrer Seite. Mittlerweile ging die edle Sevigne ehren königlichen Weg, ohne nach Celebrität zu stre­ ben. Sie war unterrichtet, um andere unter­ richten zu können, oder vielmehr, man kam, sich des heitern Lichts zu freuen, das sie umstralte, ohne daß cs ihr einfiel, jemals Lebrerin zu seyn, als derer, die ihr die Natur verbunden hatte. Sie schrieb nur aus der Fülle deS edelsten Herzens, nie für de» Ruhm. Sie triumphrrte einzig in Erfüllung ihrer Pfiichten, und in ihrer vollkommenen Tochter, der Gräfin von Grignan. Deshonlieres bekam auch eine Tochter die

sie zum Unglück zu dem erziehen wollte, was sie selbst war — zur berühmten Frau.

Die

arme kleine DeshoulicreS! Sie war nicht geist­ reich genug, um, wie ihre Mutter, gute Idyl­ len zu machen, und nicht schön genug, damit man ihr schlechte Trauerspiele verzieh! Sie ward Mitglied verschiedener gelehrten Gesellschaften, erhielt in ihrem fünf und zwanzigsten Jahre den Preis in der französischen Akademie, und starb im fünf und fünfzigsten, unvermählt, an einer Krankheit, die auch. das Leben ihrer Mutter höchst traurig geendet hatte,

und die,

wie

viele wollen, Folge, durch zweckloses Studiren verderbter Säfte war. Indessen war die kleine Annette zur be­ rühmten le Fevre herangewachsen.

Ihr Vater

hatte ihr ganz die gelehrte Erziehung gegeben, die er ihr zudachte.

Sie war die Gattin Da-

«icrs geworden, den wir in jener sonderbaren Gesellschaft, welche die damaligen größten Gei­ ster Frankreichs, theils in voller Reife, theils in noch unenthüllter Blüthe versammelte, als Knaben gesehen haben.

Der Pfad, den sie von

der frühsten Kindheit an, an der Hand eines

6y gelehrten Vaters, eines noch gelehrter» Gemahls betrat, ließ sie Fortschritte in den Wissenschaf­ ten machen, die wir — wenigstens die meisten unter unS, ohne Neid und ohne Nacheiferungs­ trieb anstaunen.

Die Dahn, die dieser berühm­

ten Frau das Schicksal bestimmt hatte, war eigen.

Sich den tiefsten Studien zu widmen,

war für sie die heiligste Pflicht

gegen einen

Vater, gegen einen Gemahl, denen sie nichts gewesen wäre,

hätte sie nicht m.it ihnen glei­

chen Schritt gehalten.

Zm Grunde war Ma­

dame Datier weit mehr als ihr Gemahl, und nie ließ sie ihn den -Vorzug ahnen, der jedem in die Augen fiel,

und der ihr

möglich entgehen konnte.

selbst

un­

Pflichten gegen Kin­

der hatte sie nur kurze Zeit.

Einen hoffnungs­

vollen Sohn und eine liebenswürdige Tochter, die sie nicht für den dornigen Pfad der Wis­ senschaften bestimmt hatte,

nahm rin frühes

Grab; eine zweite Tochter bestimmte sich eben so früh zum Schleier.

Madame Datier fand

in den Wissenschaften Trost für diese Verluste. Ein Gedräng von gelehrten Geschäften, und die Stimme der mit Beifall lohnenden Welt,

rissen sie schnell von den Gräbern ihrer Geliebten zurück. Lange blieb bei dem Weihrauch, der sie umduftete, noch die Bescheidenheit auf ih­ rer Seite. Sie hatte dem guten Moliere einen kriti­ schen Streich über feinen Amphitryo zugedacht, und zog sich gutmüthig oder vorsichtig zurück, um nicht mit seinen gelehrten Frauen, die damals das Publikum zuerst sah, ins Gedränge zu kommen. Weiterhin kannte die Geißel ihrer Critik weniger Schonung. Armer Hardouin! armer Lamotte! ihr erführet die Streiche der zürnenden Muse! Der frevelhafte Träumer, wie der redliche, vielleicht irrende Mann, ward von ihr mit gleicher Strenge behandelt. Voila un dispute bien inutil, sagt ein Philosoph späterer Zeit, qui n’a rien appris au genre Immain, sinon que Madame Da» r.ier

avait encore moins de logique que

la Motte ne savoit du Grec.

Wir Frauen, die wir gern das Andenken unserer gelehrten Schwestern feiern, und mit unk rer Dacier beweisen können, was eine Frau

Vermochte, die sich entschloß, den leichten lieb­ lichen Pfad zu verlassen, den unS die Natur vorzeichnet, gestehen uns gleichwol vertraulich, daß sie uns. weit weniger in ihren gelehrten Streitigkeiten gefällt, als in der bescheidenen Aeußerung, welche ihr einst der Vorschlag eines Freundes abnöthigte, auch über unsere heiligen Bücher kritisch zu schreiben: Une femme, sagte sie, doit lire et mediter Vecriture,

pour regier sa conduite

sur ce qu* eile eilseigne,

mais eile doit

garder le silence, suivant le precepte de St. Paul.

B. N.

D i e

Wolken.

Wolke», lustige Gestalten, Ewig wechselnd, rastlos eilend; Ihr wandelt hin auf nie betreinen Bahnen, Erfüllt mich bald mit heiterm, bald mit ban­ gem Ahne».'

Riesen scheint ihr jetzt, im Sonnenglanz ge­ lagert ,

tauchend in das Stralenmeer;

nun,

ausgedehnt, genießet ihr der Ruhe, und gebt euch Kunde bald,

von

entzweit,

vergangne» Thaten;

doch

tretet ihr auf zum Kampf,

kleidet euch in Dunkelheit, verfolgt, zerstört einander, nach

jaget

die Flüchtigen wirbelnd hin

allen Winden,

und

berührt,

eilenden

Schritts, kaum die eisigen Gipfel der höchsten Erdengcbtrge.

Doch Blumen seid ihr mm, mit denen Engel

spielen,

sie scherzend in

den Aether

streuen, dann sie sammeln, bunte Krtiqe dar­ aus winden, und die goldnen Pforten damit schmücken, durch welche Helios uns erscheint, und verschwindet. Oder seid ihr Träume wol, ihr formlos Vielgestaltigen? tur? —

Träume der wirkenden Na­

oder Skizzen,

welche

diese

hohe

Bildnerin entwirft, zu Wesen, die ferne Wel­ ten,

unbevölkerte Wandelsterne, einst beleben

sollen? — Aber ist nicht das, was ich Ln euch er­ blicke, ein Abglanz nur, meiner eignen innern Welt? —

Darum wol scheint ihr mir bald

trübe, graue Schreckensbilder, bald freundlich lächelnde Engelsgestalten; bisweilen gefallt es meinem Geist, wenn ihr phantastisch gaukelnd, schaarenweise herbeizieht, und er sieht in euch bald ein theures Bild,

bald einen geliebten

Namen; doch andremale sucht mein forschender Blick euch zu durchdringen, um in das reine, wolkenlose, tiefe Blau deö Aethers zu schauen, denn nach Wahrheit strebt in diesen ernsten

Stunden der denkende Geist! —

Seid mir

gegrüßt und willkommen; nur verwandelt euch für mich nie in leere, nichtssagende Dünste! nie in schwarze, Unglückbringend» Wetter! —

Emilie.

D t e

Blätter.

Freundlich grünende Blätter, BlüteNbeschützerinnen, Schartenspenderinnen, euch will ich diese Zeilen weihen. Und sollt' ich nicht? ähnelt ihr nicht so vielfach meinem Geschlecht? Sanft und wohlthätig stärkt eure milde Farbe da< Auge, so wie der sanfte Ton und Blick deS Weibeö jede Strenge mildert, jede kleinliche Sorge verscheucht. Die zierlichge­ formten Blätter der Buche und Linde bieten erfrischenden Schatten, wie die stille, häusliche Gattin dem Gatten; ernster und dunkler ist das Laub der Eiche: gleich dem Verdienste des Welt­ bürgers, kränzt es am würdigsten sein Haupt. Würzig und labend ist der Duft der Me­ lisse, des Basilikum, des Muskatenkrautes; anspruchlos verbreiten ihn diese Blätter, ohne durch prangende Farben die Blicke auf sich ziehen zu wollen: geistvolle, wahrhaft gebildete

Mädchen, laßt diese euer Bild seyn, und hütet euch den Blättern

des Rosenstrauchs zü glei­

chen, welche, indem sie den Geruch der schön­ sten Blume nachahmen wollen, Insektenschwärme an sich ziehen, und, von wenigen Dornen geschützt, aus minder ätherischem Stoff gebil­ det, als die Rose, wehrlos ihren giftigen Fein­ den unterliegen. Immer lispelnd, immer rauschend, schwatzt die bewegliche Espe, unaufhörlich,

die

glänzende Pappel,

und sagt doch dem Herzen —>

nichts;

aber,

sanft

von Farbe,

formt,

säuselt das weiche

reizend ge­

Laub der Akazie,

jeden leisen Hauch des scherzenden Zephyrs ver­ stehend , und versinkt dann wieder in süße Ruhe. Gleicht dem letztem, ihr heitern, gesprächigen Wesen! Hoch wölbt sich das schirmende Blatt der segensreichen Palme, gend,

gleich

euch,

schmückend und versor­ ihr

edlen,

wohlthätigen

weiblichen Seelen, die ihr Frieden, Schutz und Segen über alles um euch her verbreitet! Geistig

und zart,

freundliche Geselligkeit

befördernd, nützen und'erfreuen die Blatter des

Theestrauchs; nur finstere Grillenfänger tadeln dir Arglosen, während Zuneigung von Tausen­ den ihnen lohnt. Niedlich und klein,

aber dennoch dauer­

haft, unverwelklich, sind die der Liebe geweih­ ten Myrtenblätter;

kräftig und stark sie, die

bestimmt wurden,

die herrlichen Blüten der

Orange zu beschützen: aber es giebt auch steife Aloe,

farblos

Brennnesseln,

mattes und

Nelkenlaub,

giftige

stechende

Wolfsmilch,

im

Reiche der Blatter —! Endlich erscheint der stürmende Herbst, und fie fallen alle dahin, die Blätter, welkend

und

fahl: doch „ Nichts ist verloren und verschwunden, Was die geheimnißvoll waltenden Stunden In den dunkelschaffenden Schoos aufnahmen — Die Zeit ist eine blühende Flur, Ein großes Lebendiges ist die Natur, Und

Alles

ist Frucht, und Alles ist Saamen! —"

Emilie.

D i e

Ahnenfrau.

Eine Erzählung.

Das FörsterhauS stand im dunkelsten Theil des Waldes.

Auf den Ruinen einer alten,

schon im Hussitenkriege zerstörten Stadt war es gebaut;

und Niemand bewohnte es, als

mein Vater, bursch, und ich. Reisende nicht.

die alte Erdmuth,

der Jäger­

Es kam auch Niemand zu uns.

besuchten

diesen Theil

des Forstes

Nur jährlich um die Zeit der heiligen

drei Könige zogen zwei alte Mönche die Straße herab, knieten an einer uralten Linde nieder, und beteten.

Darauf wanderten sie weiter.

Wir wußten nicht,

woher sie kamen,

noch

wohin sie gingen, denn sie sprachen niemals. Mein Vater speißte sie, und störte sie nicht in ihrer Andacht.

Wir waren ihrer abenteuerli­

chen Erscheinung gewohnt.

Zch sah sie immer mit sonderlicher Theil­ nahme die beschneite Straße herabziehen, wem» Erdmuth mir sagte, daß sie weit her au- fer­ nen Landen kamen, die hinter unsern Bäume« lägen.

Erdmuth war vor langer Zeit auch

einmal dort gewesen, und erzählte gern von jenen Tagen:

ich kannte nur den Wald.

Der Sonnenschein gukle freundlich durch die Stämme,

die Blätterschatten spielten an

den Wänden unsers Hauses hernieder, meine Freuden gaukelten, wie dunkle Schmetterlinge, einförmig

hin um meine träumende Zugend;

und die Bilder der Fremde zogen,

wie die

siiehendcn Wolken, unerreichbar hoch, über mein Haupt

und meine Wipfel,

in

wunderbarer

Klarheit schwebend dahin. So verfloß meine erste Kindheit. Jährlich

einmal

einer nicht fern

reißte mein Vater nach

entlegenen Stadt.

Er blieb

dann zwei, bis drei Tage weg, — der Zäger mußte ihn begleiten, die Alte bewachte mich, und hütete das HauS. sonderlich auf mich Acht:

Einst hatte sie nicht ich spielte mit dem

Hunde vor der Thür, und ging dann längs

dem Hause fort, bis an einen hohen Wald­ abhang,

von dem ein ungebahnter Weg zu

uns hernieder in die Tiefe führte.

Der Regen

hatte die Wurzeln blos gespült und untekgraben, dir Baume ragten über die Tiefe hi», wilder Hopfen rankte sich dazwischen, und daS dunkle Erdreich war von den Wetterbächen ge­ furcht. Ich setzte mich nieder, und blickte hinauf nach der Höhe: dieser Platz zog mich unwillkührlich an.

Es war mir, als müßte mir

hier etwas Bedeutendes widerfahren, und ich wartete darauf, so oft ich herkam.

Vielleicht

war es auch, daß der Vater, wenn er aus der Stadt zurückkehrte, hier Herabstieg, mit seinen Gaben von Band die ich

mit

und

und Kleidern,

einer scheuen Neugier empfing,

die einzige bedeutende Epoche in meinem Leben machte. Als ich so saß, fing mein Medor an zu bellen.

Gebell von Hunden und Hörnerklang

antwortete von der Höhe.

Drei schöne Tiger­

hunde schossen den Abhang herunter, und ihnen folgte eine Dame auf einem weißen Pferde.

Zhr^ blondes Haar sank auf da- grüne Zagdkleid nieder,

ein weißer Fcderbusch schwankte

von dem Hute im Winde: eine Feder flatterte herab, ich haschte sie, und staunte wechselnd sie und die Dame a», die geschickt das Pferd lenkte, daß es mit behenden Füßen den Ab­ hang nieder schritt. Als es dicht vor mir stand, hielt sie stille, stieg ab, und faßte mich bei der Hand. Fragen

dünkten

mich

sonderbar:

Ihre

ich mußte

lächeln, daß sie mich nicht kannte, und Medor nicht, und meinen Vater nicht.

Sie fährte

ihr Pfetd am Zügel und begleitete mich nach Hause.

Zch betrachtete Alles, was sie umgab,

mit großer Andacht — ihren Zelter, ihr Kleid, wie vielmehr sie selbst in ihrer Schöne! An der Brust trug sie ein kleines Bild, an vielen goldnen Ketten.

Es

stellte einen

jungen Mann vor, in schöner fremder Tracht. Ein Federhut, den er trug, stand ihm son­ derbar stolz und unmuthig.

Die fremde Dame

blieb den ganzen Tag bei uns, bis der Vater zurückkehrte.

Er war sehr ehrerlietig gegen

sie; sie sprach viel mit ihm in einer Sprache,

die ich nicht verstand: doch wußt' ich, daß eS mich betraf, denn beide blickten während des Sprechens oft nach mir, und die Dame sah bald froh, bald traurig dazu aus. Als cs dunkelte, und die Sonne nur noch in den Wipfeln Am Morgen,

weilte,

nahm sie Abschied.

als ich erwachte, glaubt' ich

beinahe geträumt zu haben: dennoch ging ich »ach dem Waldabhang.

Da klangen die Hör­

ner wieder frisch von oben her, und die Dame auf ihre», weißen Pferde erschien und grüßte mich freundlich. Sie sprach viel mit mir,

und licbkoßte

mich, und immer guter mußt' ich ihr werden. Ich suchte nach dem Bilde an ihrem Halse; aber sie trug ein fremdes

an seiner Stelle.

Es stellte ein Kind vor im schwarzen Fallhut. Es war mir recht zuwider, und ich möcht' cs nicht leiden, daß sie es trug. Mädchen, wie ich;

Es war ein

in der Hand hatte sie

einen Vogel, und sah so hämisch drein, als wollte sie ihm eben ein Leid zufügen.

Die

Dame lächelte, als ich sie bat, mir künftig den schönen Mann wieder mitzubringen, und auch

den Vogel, zufüge.

damit das Kind ihm Mit Leid

Von nun an kam sie beinahe jeden

Tag, und ich erwartete sie immer mit herzli­ cher Sehnsucht,

wenn

sie

einmal

ausblieb»

Sie sprach mit mir von fremden Landen, wo keine Bäume ständen, von großen, unabseh­ baren Wasserflächen, und von Männern und Frauen, die schon längst gestorben wären, und viel weite Länder beherrscht, und viel Men­ schen glücklich

gemacht hätten.

Sie gab mir

auch viel gute Lehren, und erzählte mir von heiligen Männern und Frauen, die lieber ge­ storben wären, als von ihnen gelassen hätten. Der Sommer ging zu Ende.

Eines Tages

kam sie wie gewöhnlich, und als sie Abschied nahm,

umarmte sie mich

besonders

zärtlich,

und sagte mir, daß ich sie nun lange nicht sehen würde — so lange als der Winter dauerte. Dann schenkte sie mir einen wie der, den ich

schönen

Vogel,

auf dem Gemälde gesehen

hatte, bestieg ihr Roß

und verschwand oben

in den Bäumen. Der Winter kam; und in den langen Aben­ den lernte ich allerhand kleine weibliche Arbeiten

von der alten Erdmuth. Ich begriff Alles ziemlich geschwind: der Gedanke, der schönen, guten Dame Freude zu machen, war mir ein beständiger Sporn. Wenn ich dann so bei dem Kamine saß, die Flamme lustig in die Höhe spielte, und große dunkle Schatten an den Wänden umherschweiften, draußen der Sturm heulte, und den Regen rauschend gegen die Fen­ ster trieb, erzählte ich mir in Gedanken die Ge­ schichten, welche ich von der fremden Dame gehört hatte. Dann sah ich mich mitten unter hohen, vornehmen Leuten, in wunderbaren Lan­ den, und vollbrachte große und gute Thaten, worüber mich Jedermann sehr lobte. Oder ich sah den Mann, dessen Bild die Dame getra­ gen hatte. Alle meine Helden glichen diesem Bilde, und sie thaten immer die edelsten Hand­ lungen. Mein Vogel sang dazwischen seinen hellen, vieltönigen Gesang: ich verstand ihn nicht, und verstand ihn doch recht gut; es war ein Lied von der Fremde, und alle Ge­ stalten daraus belebten sich bei dem Gesang in meiner Seele. Nun kam der Frühling wieder, und blickte

mit freundlichen Augen aus den Zweige», und streckte die kleinen Dlätterarme hervor.

Di»

Blumen richteten sich auf, und hoben schüchtern ihre Häupter auS dem lichten Grün.

Dt»

Schwalben kehrten zurück in ihre Nester und schwirrten vor unsern Fenstern. rauschten, und

ich

die Lüfte erwartete

Die Bäume

und Gewässer klangen; mit

jedem

Tage

meine

Freundin. Ich erzählte mir oft, wenn ich allein war, wie ich an dem Abhang sitzen, sie herab fönt» men,

ich ihr entgegen fliegen würde.

Ich

sah ihr grünes Kleid und ihren Federbusch im Winde wehen.

Jeden Morgen ging ich hin

und blickte unverwandt nach den Buchen, wo sie meinen Blicken entschwunden war; es war mir gewiß, daß sie von dort an einem Mor­ gen wieder kommen müsse---------So richten wir die Blicke auf die Stelle, wo uns ein schönes Glück untergegangen ist, nnd erwarten es wieder daher; indeß tritt ein neues ungesehen, von ferne zu uns; umfängt uns freundlich, und wir vergessen nun das alte nur zu leicht.

Eines Abends faß ich auf der Bank vor unserm Hause; vor mir.

da stand die Dame plötzlich

Sie war nicht zu Pferde, und

trug ein anderes Gewand.

Zch konnte Anfangs

kaum glauben, daß sie rS fei.

Aber als mich

die liebe Stimme grüßte, flog ich auf sie zu, und erdrückt« sie fast vor Freude.

Sie er­

kundigte sich nach meinen Fortschritten.

Zch

kramte meine kleinen Geschicklichkeiten vor ihr aus; sie lobte mich sehr und schenkte mir ein schönes goldnes Halsband. DaS alte Leben nahm nun wieder seinen Ansang;

ich

wurde

nicht

müde zu lernen,

noch die Dame, mich zu belehren.

Sie gab

mir Bücher, ich mußte ihr darau« erzählen; manches war mir unverständlich: sie sagte dann, ich würd' es mit der Zeit verstehen, und so führte sie meinen Geist zuerst hinaus in die Zukunft. Der Winter kam wieder: die Dame ver­ ließ unS;

ich lernte und dachte fleißig, und

so vergingen mehrere Jahre.

Ich war an sie

gewöhnt, wie an Schmetterlinge und Blumen. Meine Sehnsucht nach der Fremd« wurde im-

wer heißer

ich lebte in Gedanken unter lauter

großen und bedeutenden Menschen; kam es mir sonderbar vor,

und est

daß ich hier im

Walde sei, und von jeher hier gewesen seyn sollte.

Es ward mir dann beinahe

gewiß,

daß ich noch einst in der Ferne ein recht be­ deutendes Daseyn leben würde.

Zuweilen trieb

ich meine Gedanken ängstlich an die äußersten Gränze» meines Bewußtseyns, als ob dahin­ ter schon solch ein Daseyn ruhen müßte, das ich nur

nicht

erreichen könnte.

Der Wald

umfing mit seinem dämmrigen Dunkel und sei­ nem ahnungsvollen Rauschen mein Leben, fb lange ich mich dessen entsann.

Meine Träum»

waren so lebhaft, daß ich oft an mir selbst irre ward, wenn mir Erinnerungen von hohen Gestalten,

prächtigen Gemächern und Kriegs­

getümmel lebendig werden wollten, ob es nicht auch

nur

Bilder

meiner

Phantasie

Dann betrachtete ich sorgfältig,

wären.

sinnend, eine

Laute, die mir die Unbekannte geschenkt hatte. Wunderbar verschlungne Gebilde von Elfenbein waren in das dunkle Holz eingelegt; und mir war, als ob dies« Bilder und Zeichen sich einst

entwickeln, und mir in ihnen alles klar wer­ den müßte.

Die Dame hatte mich gelehrt,

dem Instrumente Töne zu entlocken;

es war

meine liebste Beschäftigung: wenn sie um^bie Saiten summten, und der Wind durch die Wip­ fel strich und in den Blättern rauschte, so dünkte mich, beide kämen au« der vielersehnten Fremde, und dort spräche und verstände man die Worte, womit sie dunkel ahnend mein Herz berührten. Es ward mir dann immer einsamer im Walde, und die Dame, die meinen Wunsch errieth, fragte mich

einst,

nachdem sie lange insge­

heim mit meinem Vater gesprochen hatte, ob ich mit ihr gehen wollte, wenn der Herbst käme? —

Zch erschrak beinahe vor der Er­

füllung meiner Sehnsucht: was weit hinaus lag, trat plötzlich in naher Wirklichkeit zu mir. Anfangs fühlte ich nichts als Freude, aber je näher der entscheidende Augenblick kam, je ban­ ger und wehmüthiger ward mirs im Herzen. Der Herbst kam, die Wipfel wurden lichter, die Blätter färbten sich röthlich, die goldnen Nebel zogen durch den Forst, und er ward mir nun wieder so lieb, es that mir so weh

ihn zu verlassen, daß ich gern Alles aufgege­ ben hätte. Es ist so, daß des Menschen Geist hinaus strebt über die eng und freundlich begränzt« Gegenwart, vorwärts, in die Zukunft, und, blüht ihm dort die liebliche Erfüllung, zurück will in die Vergangenheit Liebe.

mit wehmüthiger

Die Zeit nimmt immer ihr Theil des

Genusses voraus:

sie ist dann arm, als Ge­

genwart. Mir waren di« alten Umgebungen noch einmal so lieb,

nun

ich

sie

lassen

sollte.

Meine Kindheit war so friedlich dazwischen hingezogen! Alle Liebe meines VaterS und der alten Erdmuth kam recht

traurig,

über

mich;

ich fühlte

wie einsam sie seyn würden,

wenn ich fort wäre, wie mich der gute Medor vergebens suchen würde, die Blumen umsonst die bunten, glühenden Augen nach mir aufthun, der Schatten mich nicht mehr umfan­ gen,

und

die Bäume

flüstern würden.

mit

Niemand

mehr

Zum erstenmal fühlt' ich mich

unglücklich. Endlich erschien der Tag der Abreise.

Das

Posthorn erschallte, vier wüthige Rosse stampf­ ten schnaubend vor dem Wagen, und ich drückte den Vater,

die Alte, den Zäger — alle im­

mer wieder an mein Her;.

Alle weinten, so­

gar Medor war traurig, und eS ward mir ganz besonder« schmerzlich, wenn ich ihn ansah —er wußte ja nicht, warum er so kläglich that, und sah mich mit seinen ehrlichen Augen so treuherzig an, und schmeichelte mir so zutrau­ lich,

als wollte er sagen: du bleibst bet uns!

Da that es mir so weh, ihn zu täuschen ! Wir stiegen in den Wagen

und er flog

davon, an allen wohlbekannten Plätzen vorüber; und bei jedem ward der Schmerz wieder neu. Endlich war

es

als ob ein großes

hinter den Bäumen schimmerte.

Wasser

Zch zeigte es

der Dame, aber sie sagte, es sei die Luft.

Der

Wald ward lichter und wir kamen in das freie Feld.

Mir ward bange,

mich sah.

als ich so weit um

Ich kam mir so allein vor, und

so klein, in dieser ungeheuren Weite.

Alles

war so still — kein Rauschen, kein Flüstern; der Wind schlug mit breiten Flügeln an mein Gesicht,

und kreischte in mein Ohr,

daß mir

Immer bänger ward. Ei» Heer von drohen­ den Gestalten zog himmelan, als wollte es uns überfallen: die Dame lächelte zu meiner Furcht. Als wir eine ganze Weile gefahren waren, erblickte ich am fernen Horizont rothe Dächer in dunkle Bäume versteckt. Wir fuhren darauf zu, und als wir naher kamen, seitab über das Feld, stand vor uns ein schönes Schloß. Der Vor­ hof war mit Ketten umzogen, die zwischen kleinen Säulen wie Gewinde schwankten; ein Graben schloß ihn tief gemauert ei«. Wir rollten über eine Zugbrücke hinein; dt« Thorflügel wurden aufgerissen, prächtig gekleidete Lakeyen stürzten hervor, halfen uns au« dem Wagen, und vor uns her wurden die Thüren alle geöffnet, bis in die innern Gemächer. — Alles war mir fremd und sonderbar. Zch hatte mir es viel anders gedacht, und mir war beklommen in dieser neuen, prachtvollen Umgebung. An den Wänden hingen Gemälde in breiten goldnen Rahmen, die in ihrer leben­ digen Unbeweglichkeit durch Zauberei in das umschließende goldne Viereck gebannt schienen.

Zn langen Spiegeln sah ich mich an mir selbst vorüberschreiten, und die Dame auch.

Sie zog

bald an einer bunten seidnen Schnur, die am Kamine herabhing.

Ein Lakey erschien, sie

sagte ihm einige Worte, er ging, und kehrte bald mit einer alten Frau zurück, der sie mich übergab. Die Alte führte mich eine breite, Hellerleuchtete Treppe hinauf, in ein großes Zimmer. Als ich die Dame nicht mehr sah, ward mir völlig fremd zu Muth: ich hätte zurück gemocht in den Wald, wo ich noch vor so kurzer Zeit war, und begriff nicht, warum es nicht seyn tonnte.



Die Matrone ließ mich allein.

Ich schaute im Zimmer umher, und gewahrte wieder viele Gemälde an den Wänden.

Es

waren lauter einzelne Figuren: Männer, und Frauen, und Kinder.

Manche kamen mir vor,

als ob ich sie schon ehemals gesehen: in dem Einen erkannte ich

den schönen unbekannten

Mann, in einem andern das häßliche Kind; aber der Mann trug eine andere Kleidung, und das Kind schien älter zu seyn.

Zwischen beiden

hing das Bild einer Dame von seltner Schön-

heit: sie war sehr blaß, hatte einen schwarzen Schleier um Haupt und Nacken geschlungen, und hielt eine Laute in den Armen, die der weinigen vollkommen ähnlich war.

Dabei sah

sie mich immer an, wohin ich ging, und lä­ chelte mir zu, als ob sie mich liebte.

Ich

konnte nicht müde werden sie anzuschauen, so bedeutend ergriff mich ihr Blick, und traf mich im innersten Herzen.

Als die Alte mit mei­

nen Sachen zurückkehrte, fand sie mich noch vor dem Bilde.

Sie rief mich zur Tafel.

Zch speißte allein mit der Dame.

Viel Ker»

zen brannten in dem Zimmer, und vielerlei Speisen wurden aufgetragen: mir war alle­ neu und merkwürdig, und mein Erstaunm schien sie zu ergötzen. Als ich wieder hinauf kam, fand ich mich von meinen Sachen umgeben, wie ich es im Walde gewohnt gewesen war;

und kam mir

nun um vieles heimischer vor.

Zch ergriff die

kaute, sehte mich vor das Bild der Dame, und spielte;

sie schien mir freundlich zuzuhö­

ren : darauf ging ich zur Ruhe und entschlum­ merte süß.

Die Sonne stand am nächsten Morgen schon hoch am Himmel, als ich erwachte. öffnete

die Vorhänge

und

die Fenster:

Ich ein

Nußbaum stand davor; der Wind regte hüpfend die Blatter, und sie nickten und spielten freund­ lich in mein Zimmer hinein, und ihre Schat­ ten tanzten über die Gemälde nieder, wie Er­ innerungen aus dem Walde. —

Unten lag

ein weiter Rasenplan, mit Orangerie besetzt, und

Granatenblüthen

schwankten

Flammen Ln dem Hellen Laube.

wie

rothe

Rechts erhob

ein Wald sich, wie eine grüne Mauer, in die blaue Luft.

Zn der Mitte der Orangenbäume

spielte ein Springbrunn lustig in die Höhe, und eine hohe Schilfstaude zitterte freudig in dem Bassin,

in der Berührung

der nieder­

schießenden Stralen. — Zch kleidete mich eilig an,

und hinaus

in Luft

und

Waldesnacht

und Rauschen! Fremde, kostbar duftende Blu­ men drangen auf mich an;

mein Herz war

froh und leicht in stolzem Hoffen.

Ich wand

einen Kranz von den schönsten Blumen, und brachte ihn dem Gemälde: dankend dafür an.

eö lächelte mich

Ein Monat verging, und ich ward bald einheimisch in all' der Pracht.

Die Blumen

verblühten, die Düfte verflogen, die Orangerie ward hinweggenommen, der Springquell erstarr­ te, Nebel schritten über die Ebene, die dunklen Wolken hingen schwer am Himmel, es blieben nur noch die leeren Gerüste der Freudenbühne: da verließ die Dame mich und das Schloß. Ich trennte mich ungern von ihr.

Zin

Schlosse ward es stiller, als sie fort war; die prächtigen Zimmer wurden verschlossen, das kost­ bare Gerath verdeckt, nur wenig Bedient.? blie­ ben zurück, die Alte führte die Herrschaft im Hause.

Gewöhnlich war ich allein; und wie

vor alter Zeit verging mir der Winter unter Beschäftigung und Einsamkeit. Zuweilen schrieb mir die Gräfin, so nannte man die Dame im Schlosse, und schickte mir Geschenke, und gab mir Bücher und Lehren. Zuletzt meldete sie mir im frühsten Frühling ihre Rückkehr.

Sie kam auch bald darauf,

und nun wurde es wieder lebendig.

Die Zim­

mer wurden gereinigt und geschmückt, der Park aufgeputzt; Handwerker erneuten die Schönheit

des Alten, und brachten manches Neue.

Mehr

Bediente wurden angenommen, und ich bekam einen mir ganz unbekannten Theil des Gebäu­ des zu sehen — den großen Saal und die Paradezimmer. —

Der Saal war mit dunk­

lem Holze verkleidet, in den Wänden sah man Wappenschilder, und Bilder von alten Rittern. Einer davon, auf einem Hochbaumenden Rosse, glich wieder

dem schönen

Unbekannten.

Es

traf mich sonderbar, daß der Zeitstrom in sei­ nem Laufe mir immer sein Bild wieder empor spülte, so oft es in meiner Seele zu erlöschen begann. Die Gräfin sagte mir, daß alle diese An­ stalten den Besuch

einer

vornehmen Fürstin

bedeuteten, die mit ihrer Familie den Sommer über einige Monate bei uns zubringen würde. Dabei ermahnte sie mich, mich vorzüglich um ihre Gunst zu bewerben. machte mir bange. erworben:

Diese Ermahnung

Noch nie hatte ich etwas

ich kannte keine Mittel,

fragte ängstlich, wie es anzufangen?

und

Sie er­

wiederte: durch dein Betragen! und diese Rede verwirrte mich völlig.

Frei war ich in das

Lebe« geschritten, ohne je zu denken, daß mein Thun und Lassen für mich Bedeutung sei:

und Andre von

nun sollte ich esn wichtiges

Gut damit erwerben!

Ich kümmerte mich>

und schämte mich dennoch, der Gräfin neu« Fragen zu thun.

Als ich mir endlich ein

Herz dazu faßte, sprach sie, ich möchte nur ruhig bleiben,

wie immer;

müth wurde nicht still,

aber mein Ge­

und ängstlich verbarg

ich mich im Grunde des Vorsaals, als sie die Fürstin empfing. Es war eine ältliche Frau: eine große Ge­ stalt, mit scharfen, bedeutenden Gesichtszügen. Die kalte Ruhe der Hoheit und des innern Bewußtseyns von Würde lag über ihr Wesen verbreitet, welches mich mit Ehrfurcht erfüllte. Ich staunte nur sie ehrerbietig an, und hatte nicht Acht auf ihr Gefolge, als die Gräfin sie an mir vorüber führte.

Aber alles Stau­

nen verschwand vor der Freude, als eine Dame aus dem Gefolge zu mir trat, und ich die schöne Unbekannte des Gemäldes erblickte.

Zch

siel ihr um den Hals, ich sprach zu ihr, wie zu einer Bekannten. 3- f. F- x. H

Man

umringte

uns.

7

erstaunt, und wollte wissen, wer ich sei, und woher ich die Prinzessin kenne?

Ganz

unbefangen erklärte ich das Räthsel, und sagte, wie ich sie im Bilde schon lange gekannt und geliebt hätte.

Man lachte laut. — Ich errö-

thete vor Scham, und schlug die Augen nieder. Die Unbekannte nahm mich in Schutz, und liebkosete Blicke

mich.

zu

erheben

Allmählich wagt' ich,

die

und im Kreise umherzu­

schauen : da stand dicht hinter mir der schön« Mann,

und

an

seinem Arme das häßliche

Kind — Es war kein Kind mehr,

«S war «in«

erwachsene Jungfrau, größer und schöner als ich:

allein ich erkannte sie dennoch: derselbe

widrige Ausdruck beherrscht« ihre Züge, und dasselbe unangenehme Gefühl, daS ich empfand, als ich zuerst ihr Gemälde am Halse der Dame erblickte, regte sich aufs neue in mir, sie an dem Arme des schönen Mannes zu sehen — meinen Haß und meine Liebe vertraulich bei einander i Der Unbekannte glich ganz.

dem ersten Bilde

Er trug auch dasselbe Kleid, und stolz

schwankten die Fedem auf seine« Hute. Er lachte nicht über mich, sondern blickte mich mild an. Die Jungfrau sah stolz von feinte Seite auf mich nieder, und zog ihn mit sich fort, der Fürstin nach, in das Zimmer. Ihr seidnes Gewand rauschte hinter ihr drein, als sie ging; und ich fühlte mich gedemüthigt vor ihr, und wagte kaum die Hand der Prinzes­ sin zu berühren, die mich ihnen nachführte. Die Uebrigen folgten uns flüsternd. Als wir herein kamen, stellte mich die Prinzessin der Fürstin vor, und erzählte ihr den Vorfall im Dorziminer in einer fremden Sprache: ich errieth ihre Reden aus ihrem lebhaften Mienenspiel. Die alte Fürstin grüßte mich ohne sonderliche Theilnahme, und Hirte thv mit einem halben Lächeln zu. Sie war gegen alle gleich ernst, außer gegen den Unbe­ kannten, den man Prinz Zago hieß, und gegen die Jungfrau, die sie Valeska nannte. Ich hatte mich kaum besonnen, so drang ein neues Gefühl überraschend auf mich ein: Va­ leska nannt« die Prinzessin Mutter. — Es that mir im Herzen weh, als ich eö

hörte: auch diese wollte sie mir entreißen! und ich fühlte mich so verlassen und allein in der Welt, daß mir Thränen in die Augen kamen. Zago betrachtete niich oft lange mit sonderba­ rem Ausdruck in den Blicken, aber er sprach nicht mit mir : er blieb in der Ferne neben Valeska, die vertraulich zu ihm redete. Seine Blicke machten mich immer wehmüthiger; ich war froh, als alle sich an kleine Tische sehten, die alte Fürstin mit Zago und Baleska, und Niemand mehr auf mich Acht hatte, so daß ich mich entfernen durfte. Zch ging in den Park. Ein naher Dach quoll murmelnd dahin; «in leises Summen regte sich in den Zweigen: ich schloß di« Au­ gen, lehnte mich an einen Baum, und mir war, als ob ich wieder in dem Forst fei. Aber die Ruhe war nicht in meiner Brust, die ich damals empfand. Zch verglich mit geheimem Schmerz mein LooS und Valeska's. Hier stand ich einsam und betrübt: sie war dort mit ihm; die Unbekannte war ihre Mut­ ter; sie war geschmückt und geehrt: ich ver­ gessen und vernachlässigt; sie war in ihrer

Heimach bei den Ihren, ich der meihfgen ent­ rissen ------ Es zog mich nnaufhaltfam fort, zu fliehen in meine Wälder, und nicht zu rasten, bis ich dort sei. Ich begriff nicht, wie ich alle« so leichtsinnig hatte verlassen (ine nen: eS ward mir nun so lebendig, so sehn­ süchtig lieb! Ich fing an zu laufen, so sehr ich Vermochte, um bet meinem Vater, bei Erd­ much, bei Medor zu seyn. Da traten plötz­ lich die Prinzessin und die Gräfin aus dem Dickicht auf mich zu. Sie fragten, was ich weine, und wohin ich wolle? Ich fiel ihnen schluchzend um den Hals und entdeckte ihnen alles. Die Prtn» zessin weinte mit mir, und tröstete mich: sie nannte mich ihre Tochter, ihr liebstes Kind. Ich mußte ihr von meinem Vater erzählen, von meinem Kindesleben; ich vergaß meinen Vorsah und mein Weh, war wieder zufrieden und ganz mit meinem Schicksal ausgesöhnt. Als wir wieder zurückkehrten auf das Schloß, ruhten Aller Augen mit sonderbarer Neugier auf mir; auch die alte Fürstin sah mich während der Tafel oft an. Ich saß ihr

so fern, daß sie mich nicht recht bemerken konn­ te; nach einer Pause sagte sie plöhlich: wenn sie mich erblicke, sei ihr, als wolle irgend eine Erinnerung in ihrer Seele wach werden; es wäre ein Dunkel, worein: sie sich nicht zu sin» den wisse, und sie ängstig« sich nach einem Worte, das ihr alles deutlich Mache. Dies verstand ich recht gut, aber aus den andern Gesprächen konnte ich mich nicht fin­ den. Sie klangen mir fremd und bedeutend; es wurden große Namen genannt, und hatte irgend einer meine Aufmerksamkeit aufs höchste gespannt, und ich erwartete etwas recht Merk­ würdiges von ihm zu vernehmen, so war die Rede schon beendigt, das Gespräch ging auf andre Dinge über, und Niemand schien dabei etwas zu vermissen. Unter andern nannte man oft einen Fürsten Lothar, und sprach von seiner sonderbaren Aehnlichkeit mit Prinz Zago. Zch konnte dem Zuge nicht widerstehen, der mich trieb, mehr von diesem Manne zu er­ fahren: es war, als würde mir mein Glück verkündigt werden. Ich wandte mich zu mei, nem Nachbar und fragte, wer dieser Fürst

gewesen, und ob er noch am Leben sei ? — Er sah mich erst verwundert an; dann ant­ wortete er: Fürst Lothar sei der Onkel dePrinjen Zage, und schon vor sechzehn Zäh­ ren, als jener nur noch ein Knabe gewesen, im Felde geblieben. Er habe eine Schrift hinterlassen, worin er den Prinzen zum Erben seiner Güter ernannt, unter der unbegreiflichen Bedingung, daß er dereinst die älteste Enkelin der Fürstin heirathe; weigre er sich dessen, so fielen seine Güter dem D — fchcn Hause zu, und so sei Zago mit Valeska verlobt. Zch hatte keinen deutlichen Begriff deWortes verlobt; aber eine dunkle Ahnung seiner Bedeutung zog durch meinen Sinn und berührte alle schlummernde Empfindungen, daß sie stürmisch durch einander klangen und ein­ ander erweckten. Zn diesem Augenblick ward ich um viele Zahre älter: in einem ungeheuren Weh sonderte sich, was dunkel und verworren war, in mit; ich ward mir meiner selbst bewußt, «6# war mir vieles klar, und vor allem, daß ich Zago lieben und Valeska has­ sen müsse, di«, wie ein dunkler Schatten, im-

mer zwischen mir und meine- Lebens Licht und Freude trat. Ich fühlte mein Schicksal ent­ schieden, mein Daseyn dem Kummer geweiht, und doch wollte die Hoffnung nicht von mir lassen, daß ich da- nimmer verlieren möchte, was ich so glühend umfaßte. Alle Verstellung war mir bis dahin fremd gewesen: jetzt fühlte ich die Nothwendigkeit, mein Inneres zu ver­ bergen, und eine Reihe kämpf» und qualvoller Tage begann.

Der Beschluß folgt.

Psyche. E i n

Räthsel.

Kennst du die Königin von jenem Reich, Des Reichs Gefangene und Herrscherin zugleich? Sie wohnt im Dunkel einer schönen Stadt, Die sie doch nur im Bild gesehen hat. Die ewig offnen Thore lassen ein Diel Fremde, die sie oft mit Untergang bedräun. Die Einfuhr zu versperren hat sie wenig Macht: Gnug, wenn sie fleißig ob der Contrebande wacht! Das Reich bedroht ein alter mächt'ger Feind; Er siegt zuletzt, wenn sie's am mindsten meint. Er treibt sie aus, wenn das Verhängnis spricht; Die Arme flieht — wohin? das weiß man nicht.

Genug, sie ist für Lin Land nicht geboren; Wohin sie wallt: sie bleibt sich unverloren !

Entflieh zum Vaterland, du Himmlische, entflieh, Und laß dein Reich der ew'gen Anarchie.' Sie siegt, sie herrschet; kaum bist du entflohn, Zusammmen stürzt dein wunderbarer Thron l Es hemmt sich deiner Ströme stolzer Lauf, Und Kräfte reiben sich mit Kräften auf! O welch ein Schauspiel bietet dir die Wohnung dar, Die oft dich drückte, dich beengte zwar, Und doch so innig — innig lieb dir war!

Warum so lieb? — Du hast dich matt ge­ weint Ob innerer Verschwörung mit dem äußern Feind; Hast zu den Sternen sehnender geschaut, Als nach dem Bräutigam die junge Braut; Die schöne Wohnung Kerker oft genannt. Geseufzt: Ach, hier ist nicht mein Vaterland! Hinauf nun, Sehnende!

Entflieh! entflieh?

Und laß dein Reich zum Raub der Anarchie.' Dort unten fandst du deine Ruhe nie.' War' dieses nicht der letzte Scheidevuck, Und kehrte Psyche siegend einst zurück, Und nahm' sie ihren Thron dort wieder ein: Wie wundervoll würd' alles sich erneun, Wie alles — altes anders seyn! B. N.

Bruchstücke

aus

den

Briefen

und dem Leben der Ninon de Lenclos.

Fortsetzung.

An die Marquise,

vormalige Gräfin.

Das war eine lange Pause in unserm Brief­ wechsel, meine Freundin! Nun, es thut nichts. Ich habe mich unterdessen auch recht wohl be­ funden und die Frühlings - und Sommermo­ nate höchst angenehm auf dem Lande verlebt. Mein öfteres Andenken an Sie, Ihren liebens­ würdigen Genial und Ihr beiderseitiges Glück hat nicht wenig zu diesen Annehmlichkeiten bei­ getragen.

Wie können Sie fürchten, ich sei

bös, daß Sie beide mir so lange nicht ge-

log schrieben?

Die feurige Liebe, weiß ich recht

gut, überläuft die bedächtige Freundschaft; hat sie diese aber den Morgen und Mittag am Wege stehen lassen, so kehrt sie auch den Abend, wenn's kühler wird und man denn doch etwamüde werden will, wieder zu ihr zurück.

Da­

ist in der Ordnung, folglich gut, folglich mir recht. Sie schreiben mir nun eben über Zhr Glück, und zwar schildern Sie es so hübsch ausführ­ lich, ordentlich, zierlich---------Nun ja doch, meine junge Ehefrau, ich verstehe! Ich schmäle aber nicht etwa; ich sage nicht einmal heraus, was ich verstehe;

ich rathe nicht einmal:

nichts thu' ich, als daß ich aus meinen kost­ barsten Papieren einen Brief des geistreichen und seelenvollen St. Evremont an mich her­ vorsuche und ihn hier, mit bestem Empfehl, beilege.

St. Evrcmont an Rinon. Ich bin ganz Ihrer Meinung, Mademoi­ selle: nicht die Ehe, der gesicherte Besitz des Geliebten, löset die Liebe auf, sondern die Unklugheit in den Aeußerungen seiner Empfin­ dungen, der gar zu vollständige, gar zu leichte und bequeme, der gar zu ununterbrochene Be­ sitz thut es. Sobald man sich ohne allen Rückhalt jeder Aufwallung, jeder Laune einer Leidenschaft hingiebt, so muß nothwendig, wie auf Ueberreiznng durch Opium und Uebermaas an geistigen Getränken, eine Art der Abspan­ nung erfolgen, die ich tiefe Oede, hohle Einsamkeit nennen würde, wenn Sie dieser wunderlichen Ausdrücke nicht lachten. Dann stockt vornehmlich auch das erkältete Herz; und wird es ja noch durch 'was bewegt, so geschieht es durch die Unruhe über diesen Zu­ stand selbst. Vergeblich suchen wir dann die Ursache dieser Ruhe in der — Wüste außer uns; nur unsere Enthaltsamkeit hätte unS ein gleichmäßigeres und dauerhafteres Glück ver-

schaffen können. Zergliedern Sie, was in Ihnen vorgeht, wenn Sie sich naeh etwas sehnen; Sie werden finden, daß rin Haaytingredienz dieses Affekts nichts ist, als — Neugierde. Sie ist die Feder des gehei­ men Mechanismus. Ist sie gestillt, so lassen die Wünsche nach. Soll mithin ein Gatte, soll eine Gattin gefesselt bleiben, müssen sie immer noch irgend etwas zu wünschen haben; es muß wenigstens scheinen, als ob ihnen für morgen noch etwas zu hoffen übrig sei. Wahrhaftig, man sollte auch mit Geist, nicht nur mit Gefühl, gewähren und genießen! Inzwischen gesteh' ich — für ein alltäg­ liches Weib kann die Ehe nicht anders, als das Grab der Liebe seyn. Aber bei weitem in den meisten dieser Fälle ist nicht der Be­ klagte, sondern die Klägerin Schuld. Diese schreibt der Verderbtheit des Herzens, dem Wankelmuch, der Sittenlosigkeit zu, was doch Folge ihrer eigenen Ungeschicklichkeit, Nach­ lässigkeit, und besonders ihrer wenigen Ent­ haltsamkeit ist. Sie hat in einem Tage ver-

schwendet, wovon sich lange Zeit leben ließ. Was soll sie nun ihrem Gatten seyn — be­ sonders in Absicht auf den genannten Haupt­ theil der Zuneigung?

Sie bleibt nun dieselbe,

wenn auch schöne — Statüe. auswendig.

Er weiß sie

Aber bei einer Frau, wie ich

mir sie denke, ist die eheliche Vereinigung das Morgenroth

des

schönsten Tages.

Sie

erwartet jene nahen Herzensergießungcn, jene ungerufrnen, gegenseitigen, kleinen Vertraulich­ keiten,

die die Seele so lieblich beschäftigen,

jene Wünsche, jene Geständnisse ohne Worte, jene Belebung der Gewißheit, den Andern ganz glücklich machen zu können

und

Ergebenheit des Geliebten zu das erwartet sie,

darum

die

verdienen:

und dann erst

wird dem

Gatten verstattet, die Schätze sich zuzueignen, die man ihm bisher verborgen, entzogen hat; ja dann auch, bei aller Innigkeit - ihrer Ge­ fühle, bei aller seelenvollen Erkenntlichkeit, wird meine Frau den Kopf nicht verlieren und den Geschmack keinen Augenblick beleidigen.

So

wird die Zeit, statt Gleichgültigkeit (wo nicht gar geheimen Ucbcrdruß,) nur neue Ursachen

herbeiführen, sie noch mehr z» lieben.

Aber

freilich, dazu gehört, ich sag' es noch einmal, Geist, dazu gehört Charakter, um den eigenen Hang zu beherrschen, dazu gehört Feinheit «nd Delikatesse, um dies nicht auf zurückstoßende, beleidigende Weise zu äußern.

Wahrhaftig,

sittsame Schamhaftigkeit

auch in der

wäre,

Ehe, das raffinirteste aller künstlichen Mittel, wenn sie nicht zum Glück das natürlichste Ge­ fühl wäre;

man müßte alles aufwenden, sie

sich anzubilden, wäre sie nicht zartem Seelen angeboren.

Aber sich selbst in dem Geliebten

gleichsam vernichten, heißt nicht lieben, heißt nicht ihn glücklich machen wollen, sondem nur ihn zu einem eigensinnigen Kinde verwöhnen. Die thörigte Mutter überfüllet es nur gleich mit allem Ersinnlichen, damit's nicht schreiet. Wie soll ich eine Frau achten, die sich selbst nicht Mehr achtet?

Die Lebhaftigkeit ihrer

Leidenschaft kann sie nicht mehr entschuldigen, als die Lebhaftigkeit der Mutterliebe jene Un­ besonnene;

der Beobachter bedauert sie und

siehet schon voraus, welche Noth sie sich für die Folge bereitet. 3. f. R. x. S}.

g

Hierzu kömmt, daß ja sie selbst, wie der Genial, nach solchen Ueberladungen jene Unbe­ haglichkeit

empfindet,

die gar zu leicht ge­

heimer Widerwille wird, und dann nur durch «inen neuen Sturm der Empfindung übertäubt werden

kann,

der nun

noch

tiefer

sinken

läßt---------Mit Einem Worte: es gehört mehr Geist dazu, als man glaubt,

um zu lieben,

durch Liebe glücklich zu seyn.

und

Di« zu dem

entscheidenden Z a bedarf es keiner Kunst, den Geliebten zu fesseln.

Jenes unerklärliche sym­

pathetische Gefühl führt ihn herzu, Neugierde (meiner Meinung nach) reizt ihn mehr auf, Wünsche hallen ihn fest, Hoffnung macht ihn muthig.

Ist er aber einmal glücklich, dann,

meine Schöne, gilt es, daß du alle die Sorg­ falt aufwendest, ihn zu erhalten, die er auf­ wendete, dich zu erlangen — und mehr! Das Herz ist wie die großen Festungen: sie zu er­ obern ist nicht so schwer,

als sie zu behal­

ten — Tausendmal hört man die Klage: durch Ver­ nachlässigung belohnen die undankbaren Männer

die innigste Ergebung der Frauen; und nun knüpfen sie daran ausgemalte Schilderung«» der ungestörten Freuden aus der «rstm Zeit glück­ licher Liebe. Gutmüthige Blinde! bemerkt ihr denn nicht, daß ihr diese euch so theure Zeit wieder zurückrufen könnt — vorausgesetzt, ihr habt die Wunde durch eure Schuld nur nicht schon allzutief unter sich fressen lassen? Vor dem Brüten über dem, was ihr für uns ge­ than, vergesset ihr, was ihr noch zu thun habt, oder überlaßt euch trägem Seufzen, ent­ stellendem Weinen, und gebt wol alles gar auf. Umgekehrt: erreget Unruhen, Besorg­ nisse, legt Hindernisse, Schwierigkeiten; ein Gut, das uns durch steten und gar zu sichern Besitz gleichgültig geworden, wird uns von neuem werth, wenn wir seinetwegen in Sorge gerathen. Soll ichs rund heraus sagen? Alles wird gut gehen, wenn die Gattin nie ver­ gißt, daß die Rolle ihres Geschlechts ist, sich bedrängen zu lassen, die des unsrigen, zu bitten und neue Gunst zu verdienen; daß aber ein Preis nie entgegengctragen werden darf — —

Wenn Vermählte, die die Liebe verbunden, hernach so bald wie entzaubert dastehn und einander wol gar vermeiden, so gehen gewöhn­ lich beide von gleich falschen Vorstellungen auS. Der «ine Theil glaubt, er könne nichts mehr erhalten; der andere, er könne nichts mehr gewahren. Nun hört freilich jener auf, zu wünschen und zu suchen; dieser vernachlässigt sich, sucht nicht mehr sich geltend zu machen, oder will nun auf einmal nur durch «ine ge­ wisse prüde Solidität und vornehme Gleichmüthigkeit, wo nicht gar durch affektirte, drükkende Kälte, bedeutend werden. Unmittelbar nach der versengenden Leidenschaft soll der er­ starrende Verstand die Regierung bekommen! Der Vernunft gebt das Zepter! Nach dem Allerrrizendsten soll das Allerentfernendste eintreten! Zwischen beiden hin führt der recht« Weg! Kleine Unebenheiten mag'S geben — da« thut nichts; «S kann sogar, als Unter­ brechung, wohlthätig seyn. Nur werden sie nicht durch Verkehrtheit drückend gemacht, aber auch nicht mit allzugefügiger, unbedachtsamer, gänzlich verzichtleistender Ergebung beseitigt.

Selbst bei einem wahren Fehltritt des Man­ nes sollte die Frau eben so weniz in ganz unverwüstlicher Duldung alles über sich erge­ hen lassen, als in leidenschaftlichem Ungestüm Klugheit und Schonung vergessen. Undankbare,

dieser Trohkipfe,

Jene macht die nun erst

aus Erbitterung und um Uebermacht, Freiheit, Hcrrenrecht zu zeigen, auf einem Wege weiter fortgehen, dm fie sonst von selbst oder auch aus stillschweigender Erkenntlichkeit gar bald ver­ lassen hätten---------Und nun endlich die Schlußsentenz:

„Zu

allem, was Liebe betrifft, müssen die Frauen Herrinnen seyn, und wir müssen ihnen unser Glück zu verdanken bekommen.

Das wird

ihnen unfehlbar gelingen, wenn sie nicht nur durch Schönheit und Artigkeit unsere Sinn­ lichkeit und Phantasie, sondern auch durch in­ nere Vorzüge unser Herz gewinnen, nun über dieses mit Geist, Klugheit und Sitte schalten, und um dies zu vermögen, ihre eigenen Affek­ ten mäßigen

und

sich

in einer Achtung zu

erhalten wissen, welche sie eben so wenig preis­ geben, als mißbrauchen"----------

So

weit

mein Freund St.

Evremont.

Vielleicht scheint Ihnen in diesem feinen Brie­ fe ,

vielleicht

auch

in meinem

letztern

an

Ihren Gemal — den er Ihnen doch mitgetheilt hat? — manches zu frei und undelikat.

Er­

lauben Sie un« aber, den innern Menschen zu behandeln, wie der Anatom den äußern: wird Er sich Bedenken machen auch die Theile zu

zergliedern,

die rohen oder verdorbenen

Menschen allerdings verborgen werden müssen? Nicht in den Dingen, auch nicht einmal in dem Sprechen darüber liegt das Unanständige, sondern in der Absicht

und Art, wie man

spricht, und in der Verderbtheit dessen, der hört.

Die Fortsetzung folgt.

Selbstgeständnisfe, anzufehn

als ein kleiner,

sehr unpoetischer Roman.

Zweites

Buch.

(Kann, wie das erst-, allenfalls auch für sich bestehen.)

Erstes

Kapitel.

Allerhand aus der seltsamsten und kürzesten Periode de» jungfräulichen Lebens. Ern Kapitel, das etwas lang ist. «Ach lpar in dieser Einen Nacht um einige Zahre älter geworden."

So beschloß ich das

vorige Buch: mit dem Kommentar dazu fang' ich das neu« an. Ich war nehmlich in die Periode des jung­ fräulichen Lebens getreten, welche ich in der Ucbcrschrift die seltsamste und kürzeste genannt 2. f. F. XI. H

T

habe.

Meiner Meinung nach ist das die, wo

man gleichsam mit

den Füßen noch

in

der

Kindheit, mit dem Herzen in der Jungfräu­ lichkeit,

mit dem Kopfe

wol schon

in

dem

Frauenstande stehet; wo man von den Leuten (nur nicht von Acltern, Onkels und Tanten,) als erwachsen und vollbürtig

angesehen wird,

sich darüber erstaunlich freuet, und sich im ge­ heim doch noch nicht so fühlt; wo man alt­ klug — nicht mehr scheinen mag, aber es ist; wo man zu empfinden — nicht mehr affektirt, sondern sichs selbst überredet; wo man wie auS hoher Ferne auf seine Kindereien und kindi­ schen

Vergnügungen

herabsiehet,

und

doch,

sobald man nicht auf sich achtet, wieder in sie verfällt; wo man nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht im Himmel,

nicht auf Erden zu Hause,

aber fast immer gereizt, gespannet, gehoben, ahnend, lauernd ist, ohne es sich im gering­ sten merken zu lassen, und sehr glücklich, ohne sichs selbst zu gestehen. Ich kann mir denken,

daß viele meiner

Leserinnen diesen Zustand aus

eigener Erfah­

rung gar nicht kennen, und ihn, besonders an

einem schon fast volle fünfzehn Jahre alten, hochaufgeschossenen, blühenden Mädchen, höchst albern finden. Es fei drum; diese Leserinnen sind ohne Zweifel in großen Städten aufge­ wachsen, wo man alles, wie in Treibhäuser^» zu frühzeitigem Blühen und — Abfallen bringt; wo das Mädchen von zwölf Zähren schon Schmeicheleien hinzunehmen versteht, schon sich wie eine Dame zu produziren weiß-, mit­ hin die reiferen Zungfraunjahre, so gut sichs thun lassen will, im voraus hinwegnimmt, und jenen Mittelzu stand überspringt. Ein an­ deres ist es aber mit denen, die den Händen der Natur, nicht der Großstädter, überlassen bleiben; und noch ein anderes mit denen, wel­ chen, wie mir bis dahin, obendrein auch die Hülfen abgeschnitten sind, die sich sonst überall »on außen darbieten — mit denen, welche, wie ich, ganz auf sich selbst angewiesen, ganz in sich selbst zurückgedrängt sind. Giebt ti eine, nicht nur kunstlose, sondern sogar bewußtlose Verstellung, so findet sie sich an Mädchen in jener Periode ihres Daseins. Wie mir um'S Herz war, hab' ich ehrlich

genug gestanden; baß ich aber gar im geringsten nicht darnach aussähe, hat eben so seine Richtig­ keit, als daß ich vorsätzlich durchaus keine Maske vornahm.

Mein AeußereS schien auS meinem

Znnern nothwendig und von selbst zu resultiren: gleichwol war eins vom andern fast ganz ver­ schieden.

Entziffern kann ich das nicht:

wol

aber Materialien zur Entzifferung geben.

Mein ganzes Benehmen verrieth eine ge­ wisse heitere Ruhe,

eine stille Gemüthlichkeit,

eine gelassene Gesetztheit,

in

welcher ich mir

meiner selbst immer bewußt und mächtig, mit­ hin auch zu allem fähig und aufgelegt blieb, waS ich selbst billigte.

Wenn ich zuweilen alles um

mich her auf mich achtend, mit mit zufrieden sahe; wenn ich dies besonders auch aus Theo­ dors Miene las: so gab mir das ein so süßes und doch ruhiges Entzücken, ein so erquickendes und doch nur heimliches Genügen,

daß ichs

durchaus nicht durch

(meinen

Worte,

nur

Schwestern) durch den Vergleich kenntlich ma­ chen kann:

es war, im mindern Grade, das­

selbe Gefühl, das mir späterhin in höherm zu

Theil wurde, ward,

als ich jtitn erstenmal gewiß

ich dürfe hoffen,

Mutter zu «erden.

Mir allem, was mich umgab, war Ich dann — nicht nur im Frieden überhaupt, fondem in dem Wen Frieden, der auf Zwist und herzliche Aus­ söhnung unter Liebenden folgt. Nichts von dem, waS ich zu thun hatte,

selbst das Gemeinste,

war mir zuwider; kein Opfer, selbst das schwie­ rigste, mir zu sauer.

Was eS auch war, das

man von mir forderte: ich richtete es aus, nicht nur sorgfältig, sondern sogar mit einer gewissen Achtung,

Anhänglichkeit, Freude.

Das ge­

meine Leben, mit allen seinen kleinliche» Drrhältniffen und neckenden Hudeleien,

verklärte

sich im Spiegel meiner Seele zu einem höhern; das höhere fand in dem gemeinen fein verklei­ nertes Abbild.

Ich kochte und nähere eben so

willig und mit Lust, behandelte die Schwächen des Onkels und der Tante eben so sorgfältig und treu, wie ich mich mit dem Edelsten und Schön­ sten beschäftigte, womit mich mein lieber Lehrer, zur Erhebung imb Bildung meines Geistes und Herzens, allmählig bekannt machte; kurz, ich ging mit dem Alltäglichstm um — ohngefähr, wie

weise Männer mit klekken Kindern mnzugehen Pflegen. Da» alle- konnte nun nicht unbemerkt -lei­ ben. Endlich wirke« meine tausendfältigen Ke» flexions und Avertissemens! sagt« die Tante. Da- Mädchen wird «irthschaftlich und fleißig. Endlich findet da-' Beispiel meiner ruhigen Würd« und Energie seinen Eingang! sagte der Onkel. Da- Mädchen wird anständig und ge­ setzt. Endlich gehet der Saame solider Geiste-Nahrung auf, den ich in ihre Seel« grstreuet habe! sagte der Consistorialis. Da- Fräulein bekömmt Charakter und Moralität. Theodor sagte nicht«; aber seine Zufriedenheit fand ich in der Achtung und in dem Anstande, womit er mich nun behandelte, und gerade die- war mir jetzt die allerwertheste Aeußerung derselben. So war Fräulein Emma, die Große: aber wie sehr verschieden von ihr war Fräulein Emma, die Klein«! Diese kam zum Vor­ schein, wenn ich allein und unbeobachtet war. Dann trat — erst der bloße kindische Sinn her­ vor und macht« manche alberne Streiche. Diese sind schwerlich interessant und auch von

keimn» Erfolg für das Ganze; dämm übergehe ich sie.

Allgemach rückte die Phantasie -et

meinen Kindereien aus Reih' und Glied und fing an zu kommandiren. ihr die kleine Emma!

Ach wie gern folgte

Davon erzähll ich Ei­

niges. Theodor hatte einmal im Garten in einem Buche gelesen.

Zch hatte ihn durch die Du»

chenhecken ungesehen «ine feine Weile beobachtet, und nicht ohne Freude bemerkt, wie sich über dein Lesen seine Miene oft zu einem sanften, geistigen Lächeln erheiterte.

Er wurde abgeru­

fen, ließ das Buch, weil er sogleich zurückzukommen gedachte, liegen, kam aber nicht wie­ der.

Kaum war er weg, so schlich ich herzu,

«ahm das Buch —: es war ein Band von GeßmrS Idyllen, und zwar der, worin die klei­ nern Stücke stehen. zückt.

ich war ent­

Das Buch mußt du ganz, mit Muße,

mußt eS selbst.

Zch las:

hundertmal lesen!

sagte ich zu mir

Du willst dir's ausbitten! Das war

nun zwar schon gar oft der Fall bei andern Bü­ chern gewesen; aber bei diesem sagte mir eine innere Stimme, das ließe, sich nicht thun. Frei-

sich war in jenen Büchern, die mich mein Leh­ rer hatte sehen lassen, nicht von dem und jenem die Rede, wovon hier die Rede war; und wiewol ich mir ganz sicher bewußt war, es ist das Schuldloseste, was die Daphnen und LykonS da sprechen: so wurde ich doch blutroth, wenn ich mir dachte, du sollst gerade ihn, Theodoren, um dies Buch bitten. warum aber nicht?

Zch fragte mich oft:

ich wußte feine bestimmte

Ursache; aber— kurz und gut, es ging nicht ! Es heimlich wegzunehmen, ging auch nicht: er mußte es ja vermissen und Nachfrage halten!

Die kleine Emma, die so weit fast wie die große gedacht und empfunden hatte, that dies nun noch

mehr, . indem sie einen leidlichen

Schleichweg ersann.

Sie sehte sich sehr unbe­

fangen in die Laube, wo Theodor gesessen; las, so gut sichs bei der geheimen Beängstigung der Schleicherei thun ließ; wollte sich von Theodor dabei überraschen lassen, wollte einiges,

doch

nur leichte Interesse daran äußern, und trauere nun seiner Gefälligkeit zu, er werde es ihr las­ sen.

Gesagt, gethan; alles gerieth, und Theo-

bor ließ mir, nach einem kurzen Bedenken, das Buch. War eS doch, als ob meine Phantasie nur auf solch einen Stoff gelauert hätte! Ich lad mit Heißhunger, mit schwelgerischem Genuß; eben darum war ich bald gesättigt. Ich wollte weiter dringen: ich spielte nun Idyllen — freilich, ganz im geheim — und dabei wurde die große Emma wieder zur kleinen. Vor allem wählte ich mir ein schönes, schneeweißes Lämmchen eus des Onkels HseiLe, und bat diese«, es mir zu schenken, weil ich etwas füttern wollw, das mich lieb hätte, und zuweilen auf einsame« Spaziergängen um mich wäre. Der Onkel war letzt gütig genüg gegen mich gesinnet, nur den Kopf zu schüt­ teln. Za, er schlug mir sogar zu jenem Be­ huf vor, lieber seinen großen schwarzen Pudel an mich zu gewöhnen, der ein gar treues Thier sei, mir gewiß nichts zu Leide thun lasse, und obendrein apportire und spashafte Männchen mache; da ich aber mit schmeichelnde« Bitten fortfuhr, gestand er mir das Lamm mit der Bemerkung, ich sei nicht klug, zu. Nun wur-

den tausenderlei schöne Dinge in Mass« an da« liebe Thier verschwendet — wenn ich nehmlich mit ihm allein war! Ich lauschte, ob mich Niemand sähe; ich zog schüchtern da« rofm» rothe Band meiner Nachthaube hervor, knüpfte da« Lämmchen been, und führte es so zur Weide und an die Quelle, die durch unsern Garten floß. Während sichs mein Lamm hier wohl seyn ließ und ihm wol noch mancher Blumenflraus gepflückt 'Und gereicht wurde, rich­ tete die wartende Daphne, Phyvts oder Glyce (ich war unschlüssig, welchen von biefirn drei Namen ich mir zulegen sollte,) schöne Geßuersche Reden an da« unachtsame Thier, und beklagte nichts, als daß es so viele Zärtlichkeit nicht in gleichem Maas erwiederte. Länge geuügten mir diese Tändeleien nicht. Die Phantasie wollte weiter in unbekannte Länder, und dazu Hülfsvölker im Herzen werbe«. Es war mir, al« müsse derselbe Geßner, der mir denn doch schon dies und da« verrathen hatte, noch mehr verrathen. Daß mir mein Lehrer den einen Theil willig über-

lassen hatte, machte mich so muthig, ihn um den »weiten zu bitten — Ich hab' ihn eben jetzt verliehen, sagte er leichthin, und sprach von etwas anderm. So? verliehen? Hm! ists denn auch wahr? dacht' ich, muß aber meine Zweifel sehr gut verborgen haben, denn sonst hätt« Theodor gewiß diesen zweiten Theil aus dem Schranke Weggenommen, so gewohnt er auch war, daß ich nicht wagte, unter feinen Sa­ chen zu kramen. Diesmal aber war die Brrsuchung für die — große Emma zu gefähr­ lich. Sie schlich sich in ihres Meisters Zimmer, sobald er den Rücken gewendet hatt«; und wollte — nicht etwa das Buch stehlen, sondern nur sehen, ob eS da wäre; und als sie «s wirklich fand, stahl sie'« doch, las von Stund' an darin mit vollem Genuß, der durch die Verheimlichung noch einen neuen Reiz be­ kam, so oft der redliche Theodor wegging; ja, sie empfand sogar einen ganz eigenen Ki» hel darin, daß sie ihn, der ihr überall so sehr, zuweilen sogar drückend, überlegen war, hier überlisten und sonach doch von Einer Seite

sich eine« Übergewichts bewußt werden könnt«. Freilich wurde daS Buch, sobald der Beßker nährte, wieder an ftinen Platz gestrllk, und Emma, die groß«, schlich mit dem unschub digsten Gesichtchen auf den Vorsaal, nad verWvcht' es sogar, nach einigen yelutegeven Pro» tot, dem Kommenden unbefangen Rede anzubieten. In diesem Bande der Geßnerfchen Werke war mm mehr, als all die lieblichen «nd frorn» mell Tändeleien der Areten und der Philemons. Daphnis stand darin, und der erste Schiffer. Daphnis entzündete mich — ich muß dies Wort brauchen, wenn ich ehrlich seyn will; aber eigentlich zusagen wollte er mir n«ht. Daß er wirklich keinen beträchtli­ ch,« dichterischen Werth hat, war gewiß nicht die Ursache davon! Aber der erst« Schiffer —! ach, dieser erste Schiffer! Und seine Melida — seine himmlische Melida — ! Nein, darüber ging nichts! Dies gab nun mehr, dies gab länger, gab volleres Genüge. Es schien mir, als könne die Poesie hier ins wirkliche Leben, wie eine

blühende Akazie in das hölzerne Skelett einer Laube, heruntergebogen werden.

Ich legte so­

gleich Hand an und etablirte mir ctwai, da§ Melida's Lebensweise gleichen,

und mich zu

ihr ausprägen sollte. Auf

einem

hübschen

Rasenplatz«

unsers

weitläufigen Gartens stand «in halbverfallenes Lusthaus.

Don

diesem

aus sahe man durch

eine lange Lindenallee,

und diese wurde, so

wie der ganze Garten, mit einem Teiche be­ schlossen, dessen Spiegel, wenn ihn die Sonne beschien, lerte.

wirklich sehr angenehm Herüberschil­ Zch

gab dem Gärtner gute Worte,

(weiter hatt' ich nichts) daß er mir die wüste Hütte ein wenig aufräumte, und die Nesseln und

Fiiederbüsche

am

Eingang

hinausband.

Nun war mir diese Klause .»die fchimmemde Höhle am Ufer, wohl»,ausgeschmückt in dem Felsen —- und vor „betn Eingang flatterten blühende Stau„den luftig empor." Ich

knüpfte mein Lamm an

und sahe wie

die Thürpfoste,

„um mich her sich lagerten . Fasse dich, und versprich mir das Einzige, daß du gegen Jedermann über das schweigen willst, was du hier siehest! Es war vergebens, ihr zuzureden.

Sie

kam immer wieder in ihr Jammern, und ver­ suchte

zwischendurch

wankend zu machen.

alles,

meinen Entschluß

Erst sagte sie, der junge

Herr sei doch so übel ganz und gar nicht: er sei munter und zuthulich, und hübsch gewach­ sen, und so schön gekleidet, wie Salomon in aller seiner Herrlichkeit,

und reich, wie der

große Mogul, und habe die große Welt ge­ sehn, wie sie gleich beim ersten Anblick weg­ gehabt habe,

und mit

solchen Ehemännern

könne man sich ja auf allerlei Weise einrich­ ten —; und als ich darüber bös wurde, fuhr sie

in demselben Tone fort:

freilich sei

der

junge Herr ein Lasse, und unausstehlich, und habe 'was von einem Kreuzkanker,

und sie.

ihres Theils, möchte lieber eine Stachelraupe am Halse leiden, als ihn, wenn er ihr auch nur die Fingerspitze berühren wollte: aber dar­ um müsse man ja noch nicht sich in die Despe­ ration werfen----------Weil aber auch das kei­ nen Eingang fand, so versuchte sie es, mich durch die Gefahren einer Flucht abzuschrecken: Was? rief sie,

jetzund,

in nachtschlafender

Zeit? in stock - pech - rabenschwarzer Finsterniß ? wo der liebe Gott selber die Menschen ins Bette verweist, und nur die Schelme draußen ihr Wesen treiben, die sich seiner Ordnung wider­ setzen ? und wo die Zrlichter 'rausspringen, wo­ hin man den Fuß setzt, und die Feuerwürmer die Kreuz' und die Queer' den Leuten ums Gesicht fahren, als wollten sie Einem die Au­ genbraunen versengen? — sonst

und

ihre

Lunge

Als auch das um­

erschöpft

war,

sie mir endlich den Willen und rief: netwegen!

Nu mei­

Zch wasche meine Handel

weil Sie's wollen,

Zhr'

Gnaden,

that

Und,

gnädigs

Feölen, so geh' ich, und lege nur erst stehends Fußes den körperlichen Eid ab, daß man mich eher in Kvchstückchen zerschneiden soll und mir

bm Hals umdrehen, wie einer Taube, als daß ich einer Christcnseele ein Sterbenswort sage, daß ich weiß, was ich weiß. Damit ging sie, und hielt den Eid treulich, bis sie — sechs Schritte nach der Treppe ge­ than hatte. Es kam nehmlich eben Herr Willich herauf, der, ohne von irgend etwas zu wissen, das seit seinem Weggehen vorgefallen, nach sei­ nem Zimmer wollte. Ach lieber, gvldger Herr! rief ihm Dorothee leise, aber heftig zu. Sie sind ein Engelsgcsicht, das der liebe Gott durch den blauen Himmel lugen läßt, eben, wcnn's Gewitter kömmt! Laufen Sie, rennen Sie, thun Sie mehr, als möglich isi: oder 's ist zu spät. Erstaunt fragte Theodor, wozu es zu spat sei? Ohne darauf zu hören, zischte aber Do­ rothee weiter: Unten sitzen sie in Sauß und Brauß, und oben wohnt's gebrannte Herzeleid! Und ich darf nichts verrathen — will's auch nicht: über meine Lippen soll kein Hauch fahren, ge­ schweige wie's hier aussieht! Wenn Sie aber nicht Wunder thun, so will ich nichts gesagt

haben, als daß es die Heilgen Engel wissen mögen, ob wir sie morgen in England oder draußen im Wehre finden! Wen denn? um alles in der Welt, wen? rief Theodor. Wen?

wen anders, als das liebe Zucker­

kind, Frölen Emmchen? Frau, ist sie rasend? und faßte sie derb an.

fuhr Theodor auf Beleidigt fiel Doro­

thee ein: Nun»,

gestrenger Herr!

belieben'» nicht

die Wände 'nauf zu rennen!

Rasend bin ich

nicht:

ich

weiß mir gar zu gut, waS ich

weiß, und könnte sehen, Äugen zumachte!

auch wenn ich die

Und Frau bin ich auch

nicht, daß Sie's nur wissen! Hatt's hundert­ mal werden können! hab' aber nicht gewollt — nein, habe nicht gewollt! Lieber Gott, ich will Sie ja nicht beleidi­ gen:

Sie haben mich nur so sehr erschreckt,

liebe Dorothee! — Also geschwind, was ists? Auf einmal wieder gut, zog ihn Dorothee leise nach meiner Thür und flüsterte hin

Hier­

gehen Sie, und sehen und hören Sie

selbst! und reden Sie ihr in'S Gewissen, wie sichs geziemt für einen Herrn, der sie hat hel­ fen mit geistlichen Gütern schmücken, und der einmal an Heilger Stätte steht und die Kanzel betritt. Dabei öffnete sie

di« Thür leise,

schob

Herrn Wtllich hinein, machte wieder zu, und blieb auf der Gallerie, Wache haltend — wirk­ lich aus Kammerjungfern - Instinkt, denn irgend ein verborgenes Verhältniß zwischen uns ahnete sie keineswegs. Sobald ich meinen Freund erblickte, fühlte ich mich unbeschreiblich bewegt. 0 Gott sei Dank, rief ich, daß ich von Ihnen noch Abschied nehmen kann — Noch ganz blaß vor Schrecken, wiederholte er nur: Abschied — Abschied nehmen?

Das

wolle Gott nicht! Nicht anders! für mich.

Hier ist keine Rettung

Man will mich aufopfern, man

will mich hinwerfen — einem Geschöpf hin­ werfen ,

das ich

hasse,

das ich verabscheue,

vor dem mich schaudert — Alle Menschen ver­ lassen mich:

so werff ich mich

denn in die

Arme Gottes!

Er führe mich, wie eS ihm

wohlgefällt! Hier faßte Theodor meine beiden Hände fest und männlich:

Fräulein, Sie sind außer

sich Diese Kälte — dafür nahm ichs, daß er nicht, gleich mir, aufsprudelte — diese Kälte riß unbeschreiblich schmerzhaft in mein Herz. Was soll ich hier, rief ich, und wollte einen Ton erzwingen, der ebenfalls Kälte verrathen sollte — hier, wo ich verachtet, ausgestoßen bin? wo Niemand sich nur die Mühe geben mag, mich kennen zu lernen?

Ich will mir

Theilnahme, Achtung, Freundschaft unter Frem­ den suchen! Sehr erschüttert fiel Theodor ein, indem er, vielleicht bewußtlos, die Arme nach mir aus­ breitete:

Fräulein—! Emma! liebste, beste

Emma! Sie hätten keinen Freund? Nun freilich —- das brach das wunde Herzchcn!

Ich — was kann's helfen?

es muß

heraus! — ich flog in seine Arme; ich preßte ihn an mich; ich verbarg mein glühendes Ge­ sicht an seiner Brust; ich flüsterte im süßesten,

schmeichelndsten Sprachton:

Za, wenn Sie

nud) eines andern versichern —! Zch war viel zu sehr hingerissen, tim die große, peinliche Verlegenheit meines Freundes zu bemerken.

Indeß, er hielt mich sanft, als

ich an seiner Brust ruhete;

er trocknete, als

ich still zu weinen anfing, meine Thränen, und that es, ach, so mild!

Er führte mich nach

einer feinen Weile zum Sopha, wo er sich neben mich setzte und um genauern Bericht des Vorgefallenen bat. Zch war nun ruhig genug, diesen zu ge­ ben;

dann,

seinen Zuredungen Eingang zu

verstatten; endlich auch auf seine Erweise, daß gerade

meine Maasregeln

wären, zu hören.

die unglücklichsten

Zch hatte ja nun Jemand,

auf welchen ich meine Sorge werfen konnte: warum hatte ichs nicht thun und am Ende sogar beinahe ruhig werden sollen, ohne daß ich noch einen einzigen Schritt wußte,

wie

dem Hauptübel für den Augenblick auszuweichen sei?

Eben schien es, als ob mein Freund auf

solche geheime Traktaten kommen wollte, als Lorken ganz leise hcreintrat und zischelte:

O sachtchen! sachtchen!

bei LeibeSleben reden Sie

Was ich ausgestanden hab« ffir

Todesangst:

nee, das geht über menschliche

Kräfte und keine Zunge kann's malen! Wir fragten schnell, was vorgefallen sei; sie antwortete: Je du mein Himmel: wissen's denn, wer dagewest ist, draußen bei mich?

Dir gnädge

Tante, wie sie Gott erschaffen hat, leibhaftig! Ich sprang erschrocken auf; sie suchte mich zu beruhigen:

Getrauen Sie mich doch zu,

daß ich in der großen Welt dabei gewesen bin, wenn ich auch jetzunder nur eine Jungfer hier im Hause heiße!

Nun also — die gnädge

Tante kommt 'ran mit dem Licht in der Hand: Was machst du hier?

schnautzt's mich an.

Ich dachte: brausi du nur, und 's war als wenn mir's vom blauen Himmel zugerufen wurde, daß ich sagte: ich hätt' nur hier war­ ten wollen, bis sie geklingelt hätte, zum aus­ kleiden, weil sie den großen Schlumper noch antrüge.

Nun fragte sie, ob Sie schon schlie­

fen , Ihr' Gnaden, gnädigs Frölen!

Und

ebenst, wie ich Ja sagen wollte, spitzt' sie die

6o Ohren und sagte: Was ist das? Das spricht noch!

Und 's ist eine Mannsperschon derbei!

Nee, so war mir's doch nicht anderst, als wenn mich eine eiskalte Hand hinten den blan­ ken Rücken 'nunter führe!

Aberst, wie nun

unser Herrgott allemal hilft, wenn die Noth am größten ist, so sichte sie gleich selbst darzu:

Es ist einer von den Fremden! gestch's

nur! sie:

Und da sagt' ich: Za!

Und da sagte

Der alte Herr oder der junge?

da sagt' ich: Der Alte.

Und

Und da---------

Aber, mein Gott, warum hat Sie denn nicht die Wahrheit gesagt? fiel Theodor ein. Dorothee stand da, wie ptötzlich aus den Wol­ ken gefallen.

Theils war es Entrüstung, daß

sie über das getadelt wurde, was sie doch so fein eingefädelt zu haben glaubte;

theils lag,

was Willich sagte, so ganz natürlich und nahe da,

daß

sie

davor

erschrak

und ganz ver­

blüffte, wie es oft Leuten gehet, die krumme Wege gewohnt sind. Willich eine Minute

Kurz, sie sahe Herrn starr

hielt den Mund offen,

ins Gesicht

als ob

sie

wollte und nur der Ton versagte.

und

sprechen Endlich

6i

behielt die Entrüstung, wie bei selche» Wei­ bern immer, die Oberhand, und nun fand sich auch sogleich die Sprache, und desto ge­ läufiger, wieder. Ze, daß du mir nicht aus dem Köberche» hüpfst! rief sie. Mein lieber HerrWillich: ein großer Gelehrter mögen Sie seyn und keine andern als 'rabifche Bücher lesen — da hab' ich nichts wider! Aberst, wie's bei so 'was hergehen muß, und wie so 'was anstellig zu machen ist: da lassen'S lieber eine Zungfer von reden, die dabei gewesen ist — So 'was! so 'was! Was denn? fiel mein Freund sehr ernsthaft ein. Das war nun wieder so ganz natürlich gefragt, daß sie, wie vorhin, stecken blieb, und dann vor Grimm sich kaum zu lassen wußte. Sie rief: Und kurz und gut: ich hab' gesagt, 's ist der alte Herr, und sie hat's geglaubt, und hat freundlich ausgesehn, und ist ihrer Wege gegangen, und hat sich niedergelegt! Und nun ist das mein Dank —! setzte sie hinzu, indem ihre heißen Thränen hervorbrachen.

Sie dauerte mich und ich gab mir alle Mühe, sie zu besänftigen.

Herr Willich trat

indessen an das Fenster und schien unruhig zu seyn.

Endlich wendete er sich mit der Frage

an Dorotheen:

Welcher

der Herren wohnt

dort drüben in der grünen Stube, wo noch Licht ist? Der alte!

antwortete sie.

Mit Fassung

und edlem Anstand fuhr nun mein Freund zu mir fort: beste.

Der gerade Weg ist immer der

Allem thörigten Geschwätz vorzubeugen,

erlauben Sie mir, mein Fräulein, daß ich zu dem alten Herrn gehe,

und ihm ehrlich das

sage, was ihn bei dieser Sache angeht. Er sagte das so fest und bedeutend, daß weder ich noch Dorothee zu widersprechen wag­ ten, obgleich wir vielleicht beide gleich über­ rascht davon waren. Za, gehen Sie nur hin, schluchzte jene; er wird Sie schöne bekomplimentiren! ein Mann,

wie

der

Er ist

große Christophe! von

Goslar, und rin entsetzlicher Zäger, der sein Lebelang mit nichts zu thun hat, als mit Löwe» und Pantherthieren!

Gehn Sie nur hin!

Wie heißt der Mann? fragte mich Willich. Forstmeister von

3E

. . .,

antwortete ich

furchtsam. Wie? Forstmeister vonX... ? fuhr Theo­ dor auf.

Der Kammerjunker? dem die Herr­

schaft U.

bei . .. gehört?

Derselbe! kennen Sie ihn?

Sie scheinen

vergnügt — fragte ich sehr befremdet. 0 ich bin es auch! rief er.

Jetzt, mein

Fräulein, seyn Sie ganz ruhig! Er wollte eilig fort, Was ists denn?

ich hielt ihn auf:

Sie irren fich gewiß!

Er

ist die roheste, gemeinste Seele — Meine gute Emma, sagte er in edlem Ton: wir versündigen uns so oft mit diesen herab­ setzenden Worten an achtbaren Menschen!

Vom

Nohen ist wahrlich weit mehr Gutes zu er­ warten , als vom Verbildeten! Und geniein — ? Wahre Gemeinheit ist nicht in angenommenen äußern Sitten

und

Gewohnheiten:

Denkungs - und Sinnesart ist sie;

in

der

und da

steh' ich für unsern ehrlichen Nimrod! —

Sechstes Kapitel. Noch Mit wenig

mehr

Nachtvisiten.

der zuletzt angeführten, beschämenden Rede

mich nicht

machte

sich Herr

Willich los, nahm #-----

2t

linnen wählen, und nun, bei äffet Achtung dafür, doch wünschen, däß sie nur ihnen und ihren Kindern angehören soffen? Wie wikd sich der freie Flug ihrer Phantasie zu dm einfachen Deschäftiqungen des Hauswesens und ihr schaf­ fender Geist )u den gemeinsten Singen ökono­ mischer Thätigkeit und Sorgfalt herablassen können? Dies wird die moralische Ausbildung ihres Charakters in dem heiligsten Pflichtgefühl be­ wirken, auf welches ich sie juerst hinweise. Sie werden in jeder Lage des Lebens ihre Pflich­ ten kennen und üben lernen; und wenn Zeit und Verhältnisse ihren Lieblings - Beschäftigun­ gen in den Weg treten, so wird zwar das Me­ chanische der Kunst zusammenfallen; sie werden aufhören sichtbar zu gestalten: allein der ewige Geist, die Seele ihrer Kunstübungen wird ih­ nen bleiben und Alles verschönern und veredeln, was sie umgiebt. Und ist dieser Gewinn nicht des Aufwandes von Zeit und Kraft werth, wel­ che etwa eine solche weibliche Erziehung kosten dürfte? Allerdings wenn die Ausführung in der

Wirklichkeit so gelänge, wie das Gefühl einer gerührten weiblichen Natur Ln Ihnen sie jetzt ahnet!

Indessen ist es schon eines Anstrebens

zu diesem Ideale der Weiblichkeit werth, denn wahr ists: Tausend Keime zerstreut

der Herbst,

doch

bringt kaum einer Früchte, zum Element kehren die meisten zu­ rück ; Aber entfaltet sich auch nur Einer, der ein­ zige streuet Eine lebendige Welt ewiger Bildungen aus!

C.

Lieder der Unbekannten. Beschluß IO.

Dämon. (Ruf Veranlassung von Gvt'>e'4 Mein Mädchen war mir ungetreu.)

Mein Dämon liebte mich nicht mehr; Nichte konnte meinem Kummer gleichen.! Mich trieb's, den Felsen, -u ersteigen. In schaun in öder Fluth umher. Mich rührte nicht die treue Schaar So vieler mir geweihten Herzen; Ich fühlte nichts als meine Schmerzen, Nahm nichts als seine Untreu wahr. Mein Auge sank, vou Thränen schwer, 2(u? meine wund gerungnen Hände — O Jammer, Jammer sonder Ende: Mein Dämon liebte mich nicht mehr!

Mir war's, als bebt' um mich die Welt Als trat der Mond aus seiner Sphäre: Weiß nicht, was noch geworden wäre — Was wird aus der, die nichts mehr halt?

Da tönt' cs wie Gesang um mich, Und bebend schloß michs in die Arme; Ach, fleht' es innig, ach erbarme, Erbarme meines Lebens dich!

Dein Freund, er kehrt zu dir zurück! Sein Leben hangt an deinem Leben! Vergieb ihm, Chloe' — Dir vergeben? Rief ich mit thranenvollem Blick.

Du kennst mein Herz, das langst vergab Nur deinem Undank wollt' ich weichen. O, rief er, Liebe sonder gleichen! Uitb — stieß vom Felsen mich hinab.

Ich stürzte in den wüsten Raum; Er rief mir nach mit bitterm Hohne; Glück zu, du neue Alcyone! Und ich erwacht': o-schwerer Traum! —

II,

Grablied meiner Wachtel. Ruhe sanft im Schatten dieses Baumes, Du, die Ins mir geschenkt; Iris, die nicht dein, und nicht des Traumes Unsrer fußen Iugendfreundschaft denkt; Die dir nicht ein kleines Blümchen streute Auf dein Grab, wo einst sie glücklich faß z Die ihr Lied der Welt, dir keines weihte, Im Gewühle dein und mein vergaß. Wenn der Frühling deine Ruhestätte Mit den ersten Blüthen überstreut; Wenn die Mohnsaat, die ich weinend sa'te, Mit den Blumen der Vergessenheit Roth und weiß die kleine Höhle krönet, Die rch selbst zum Ruhplatz dir gemacht: Dann — du Kleine, tröste dich - ertönet Harfenspiel durch deines Grabes Nacht;

Und ich komm', und meine Turteltaube, Deine Freundin, klagend auf dein Grab, Und es flattert aus dem jungen Laube Dann dein Schatten still zu uns herab; Deine Schwestern kommen nun, und picken, Was ich dir zu Ehren ausgestreut, Und ein Kränzchen will ich dann mir pflücken Von den Blumen, die dem Grab mir beut.

12.

Warnung. Scherze nie mit deines Freundes Liebe; Wahne nie, daß feine Zärtlichkeit Ewig fest und unerfchüttert bliebe, Trotz dem Leichtsinn, der Vergessenheit!

Wagst du je, was heilig ihm, zu stören, O so baust du eurer Liebe Grab. Ti-aure nur! denn keiner Reue Zähren Löschen Jemals dem Verbrechen ab.

Ach, er wird mit tiefem, düsterm Schweigen/ Matt/ erbleichend dir zur Seite gehn; Wird / wie vormals — zwar die Hand dir reichert. Aber forschend dir ins Antlitz sehn.

Nur Vertrauen kann ein Herz ergründen: Sern Vertrauen hast du weggelacht! Liebe heißt ihn zwar dich schuldlos finden/ Doch gerechter Stolz bricht ihre Macht —

Ihre Macht/ und endlich ihre Kette; Eures Bundes Friedensengel flrehn, An verborgner Freuden Rosenbette Tritt der Zweifel, tritt Verachtung hin.

Zwar er wankt, er ringt, dein Vielgetreuer — Ach, er k a n n dir nie sein Herz entzieh«; Sehnend weinst du, und mit welchem Feuer Wird er nun in deine Arme fliehn r

Doch die wonnevollen Himmelsfiunden Reiner, unentweihter Sympathie Sind für dich auf ewig hingeschwunden — Deine Schuld, dein Leichtsinn scheuchte sie.

Deine Schuld — auch wenn sie langst vergeben, Wird bei jebent Druck von seiner Hand Wie ein Schreckbild dräuend vor dir schweben, IInb du bebest, von 2hm abgewandt.

Treuer Liebe reine Gluthen stammen Vom Olymp, der Geister Vaterland; Sie sind hehr und heilig, wie die Flammen, Dre in Desta's Heiligthum gebrannt:

Einmal ausgelöscht — wie sie entzünden? Wer vermag m strahlenloser Nacht Jenen Hrmmelsfunken aufzufinden, Den der Gottheit Hauch zur Flamme facht?

Keine Macht auf Erden, keine Reue Macht erblühn entflohner Liebe Glück; Kaum in ferner Zukunft, führt die Treue Ernst zur stillern Freundschaft euch zurück.

13*

Am Grabe meiner Mutter. Nimm noch diesen Blick, noch diese Thräne, Noch den letzten, letzten Kuß der Hand: Und nun lebe wohl! und rede, jede Scene, Die mich inniger mit dir verband. Jede Stunde, die uns froh verflossen/ Jedes Wort, das Mutterliebe sprach Alles werd' in meiner Seele wach. Was ich, Mutter, je durch drch genossen! Schon dein Blick war meiner Freuden Quelle, Meines Kummers sieggewohnter Feind; Auf dein Lächeln ward die Seele helle — Und wie gern hast du mit mir gemeint! Von der Zeit, da ich zuerst empfunden. Da rch still an deiner Serte saß, Deines Anblicks froh, mein Spiel vergaß, Bis auf heute — o, wre schone Stunden!

Und sie sind nun alle hingegangen; Sind verschwunden, wie ein Morgentraum! Wie mich bimst, erst gestern angefangen: Nun vorbei! — Ach, noch vermag ichs kaum Von der süßen Hoffnung mich zu trennen, Immer ungestört bei dir zu seyn: Und bin schon verlassen — bin allein----Mutter! wie werd' ich dich missen können s Gute Mutter! ivie wird mir geschehen, Wenn ich nun in merner Einsamkeit Stets dich suchen werde, nirgends sehen? O wie freudenleer und öd' und weit Wird mir jedes Lieblingsplatzchen dünken, Wo mich tausendfache Lust umfing, Wenn ich nur an deiner Seite ging, Lauernd deines Auges mrldem Winken I Ach umsonst ruft mich dre Abendkühte Und der Mdnd in unsern Lrndengang! Ach vergebens lockt zum Saitenspiele Mich ein neuer, festlicher Gesang! Selbst der Ton von deinen Lieblingsliedern Hat für mich nun kerne Rerye mehr:

3i Still' und Schweigen wünsch' ich um mich her — Todesahnung bebt in meinen Gliedern,

-r-

Todtesahnung! — O wie gern, wie gerne Folg' ich, schön verklärte Mutter, dir! — Ist es Täuschung? oder winkt von ferne, Dort, aus Sternen, mir dein Geist von hier? Schweigst du? Rief ich nicht in deinen Armen Ohne dich ist mir die Welt ein Grab? — Todtesengel, steigt denn ihr herab, Euch getrennter Liebe zu erbarmen!------ *

Ich muß weilen! — Nimm noch diese Zähre, Noch den letzten, letzten Scheideblick! — Euch entlass' ich, meiner Freuden Chöre: Hier am Grabe lass' ich euch zurück! — Ahnung beßrer Welten

Wiedersehen:

O vermöchtet ihr den finstern Gram, Der den stillen Schmerz der Seele nahm, Mrt dem Engelsfittrch zu verwehen! —

Constanze (Zeit

C e z e l i.

von i58o an.)

Francisca

de

Lezeli

au ihren

Ge mal.

Die Reise ist geendigt,

und ich verspreche

dir, mein Geliebter, es soll die letzte seyn, so wie es die erste war, zu der ich die Einwilli­ gung

deiner bessern Ueberzeugung entriß.

0

wie weit richtiger beurtheiltest du die Dinge, als

ich,

vom

blinden Glauben

geblendet

wie in mir alles der Veränderlichkeit

trotze,

so müsse eS auch außer mir seyn! Die Freundin, die ich vor zwanzig Zäh­ ren aus meinen Armen ließ und die, welche ich wiederzusehen brannte, »e Castelli,

die fromme Znes

meine Klostergefahrtin,

und die

stolze Herzogin von Alba waren noch immer «in Wesen in meiner Phantasie; nichts konnte diesen süßen Wahn stören, ein ununterbroche­ ner Briefwechsel erhielt mir immer daS seltne Bild, und noch weiß ich nicht, ob ich mei­ nen Augen trauen, noch weiß ich nicht, ob ich es für ganz verschwunden halten soll. Nein nein, mein Gemal, ganz hast du doch wol nicht recht. Aeußere völlig so,

Es ist wahr: hier ist das wie du mir es schildertest,

als du mich von der Reise abhalten wolltest,, zu der mich die alte Freundin zuletzt fast mit Unwillen aufforderte; hier ist nichts als Größe und Glanz, der meine Beschränktheit beschämt; hier sind Cirkel, in welchen die bescheidene Aus­ länderin

sich

einsam

und unbehaglich fühlt,

weil die, welche ihr in denselben eine Existenz geben könnte, sich immer ihr fern stellt, und ihr nicht öffentlich seyn will, was sie ihr heim­ lich ist.

Selbst in Gegenwart des Herzogs

ist Ines nicht das, was sie mir gegen ihn seyn sollte, um sein stolzes Herabschauen aus mich zu mildern: aber — sind wir allein, o mein Geliebter, sind wir allein, o dann ganz I. f. F. XII. H.

3

wieder das Alte, ganz nur die Znes, die alle ihre Geheimnisse in meinen Busen niederlegte, nichts von der stolzen Dame, die das Glück so hoch über mich erhob. Das

Glück

sie erhob?



Verzeihe,

Freund meines Herzens, der Satz gilt umge­ kehrt :

-as Glück erhob mich über sie!

Denn was ist ihr ihr Gemal, du mir!

Die arme, arme Znes!

mußte sie Glanz



und was bist wie theuer

und Größe um das schönste

Glück des Weibes kaufen! Mündlich sage ich dir hiervon mehr, denn bald bin ich wieder bei dir. ganz kurzer Besuch, ob

Dies ist nur ein

gleich die Herzogin

Anstalt macht, ihn sehr lang auszudehnen. Wir wollen diesen ganzen langen Sommer zusam­ men auf dem Lande leben, so sagte sie heut, und

dann

feiern.

erst die Feste

der

Zch glaube ihr, daß

Vergangenheit sie Ruhe an

einem freundschaftlichen Busen bedarf, aber — ich sehne mich nach dir.

Zhr bin ich ja doch

nicht alles, wie ichs dir bin! für mich hat sie ja doch nur Stunden, da du mir dein ganzes Leben weihst!

O

wie konnte ich dich verlas-

fett; verlassen in diesen Zeiten, da die Ruhe der Waffen so unzuverlässig ist, da vielleicht die nächste Action uns ewige Trennung bringet« könnte! — Nein nein! dies nicht! zu eilig will ich wiederkommen!

Auf längere Zeit, auf Aus­

führung größerer Plane war der Zuschnitt ge­ macht, das verhele ich dir jetzt nicht; aber, verlaß dich darauf, ich komme bald — zu wenig finde ich hier alles wie ichs erwartete! Constanzen

habe

ich

absichtlich noch in

Zünglingskleidern gelassen: die ganze Mumme» rei gilt nun nichts..

Keine Erklärung gegen

JneS, sie tvürde ihres ganzen Endzwecks ver­ fehlen ! Daß sie einen Endzweck hatte, noch einen andern, als Bequemlichkeit auf der Reise, un­ schuldigen Scherz, und tvas ich dir etwa an­ gab — daß Constanzens Verkleidung noch einen andern Endzweck hatte,

o daß ich dir dieses

bekennen, daß ich Heimlichhaltung verborgener Absichten mir vorwerfen muß! — Genial!

O mein

dich schütze die Gottheit! würdest du

jetzt mir entrissen, ich müßte vergehen;

um



-

Verstand und Leben wär's gethan, weil ich Geheimnisse vor dir hatte! schen wollte! — (Entfernung,

weil ics) dich täu­

O wie ganz anders macht

macht

der

Gedanke

an

ewige

Trennung, die Gestalt dessen, was wir uns oft ohne Bedenken gegen theure. LebenSgefärthen

erlauben ! ' Wahrheit!

Wahrheit!

du

rächst dich fürchterlich! Du belachtest immer mit Achselzucken die Sorgfalt, mit der ich der Herzogin verschwieg, daß ich

eine Tochter habe.

Ich sagte dir

oft, ich wollte sie einst mit Constanzen fröh­ lich überraschen.

Du konntest noch weniger

begreifen, was hier für süße Ueberraschung liegen sollte; du wußtest nicht, daß dieses in einem uralten Mädchen * Versprechen lag :

gäb unö

Gott einst Kinder von verschiedenem Geschlecht, so sollten sie eins für das andre leben.

Ern­

ster gefaßt, und fester beschworen ward dieser Einfall,

als sonst bei jugendlichen Träumen

der Fall ist; ich hielt ihn für unumstößlich. — 3cf) ward bald nach Ines verheirathet,

ich

schneb ihr von meinem Glück, schrieb ihr von der Geburt meiner ersten Söhne, die der Tod

nahm. noch,

Gott schenkte uns Constanzen. und noch kein Mädchen?"

„Und

schrieb

die

Herzogin, der das Gerücht wieder von einem Sohne gesagt hatte.

„Und noch kein Mäd­

chen !u antwortete ich, und ein Gedanke nahm in der Folge Platz in meiner Seele, der nicht unvernünftig war, und den ich dir nicht hatte zu verhelen gebraucht. ren, ten

Wir hatten geschwo­

nicht unsre Kinder. sich

mußten

sehen, sich

wenn

Diese Kmder muß­ sie

erwachsen

waren,

lieben, wenn das Glück unsern

Schwur bestätigen sollte;

nichts mußte Hier

Zwang, alles freier Wille seyn:

so entstand

mein Geheimniß, dessen Entwickelung du nun errathen kannst. Constanze ist Pedro,

durch unsern Eid für Don

den Sohn der Herzogin,

bestimmt.

Die Bestimmten einander in fremder Gestalt zu zeigen, und wenn alles so wär' wie ich wünsch­ te, dann erst, dann erst meinen Constans in eine Constanrie zu verwandeln — dies war mein Plan:

ach

er verdiente

schon

dadurch sein

Mißlingen, daß er sich dir unbewußt in meine Seele stahl.

Trauter Genial, in manchen Augenblicke» ist mirs fast gewiß, dieser thörigte, auf jugend­ liche Träume gegründete brochen werden.

Schwur mußte ge­

Don Pedro gefällt mir nicht

ganz; wer weiß ob Constanze ihm jemals ge­ fallen wird.

Auf die Herzogin scheint sie als

Knabe sehr gleichgültig zu wirken; was würde sie erst als Mädchen thun! — O wie hat sich in diesem Herzen alles geändert —! Und doch wieder — wenn wir länger um sie, wenn wir in der Einsamkeit um sie und Don Pedro wä­ ren , würden da sich nicht vielleicht Gefühle ent­ wickeln, würden nicht Plane gedeihen, wie wir sie ehemals träumten?

Ganz gleichgültig sind

die Kinder einander nicht. Aber kann ich dies wünschen? ichs wirklich?

Wünsche

Nein! nein! nein! —

Mein

Herz reißt sich in diesem Augenblick von allem los,

was deine

Wahl nicht heiligte,

was also auch nicht glücken konnte.

und

Rechne

darauf, in unerwarteter Kürze liegen wir wie­ der in deinen Armen.

Wohl mir, daß Cou-

stantiens Kleid das Geheimnis deckt.

D i e Frau von Cezeli an die

Herzogin

von Alba

Theure Ines, die schrecklichste Zeitung reißt von hinnen. Es ist unmöglich, mein Kind mit mir zu nehmen. Zch empfehle es dir! Hast du noch Gefühl ehemaliger Freund­ schaft, so schicke dieses Pfand alter Gelübde unablästig mir nach. Die Gefmtdhett dieses zarten Wesens fordert andre Reiseanstaltrn, als ich in diesem Augenblick der fürchterlichsten Eile machen kann! Leb ewig wohl. Mich

Nachschrift eines

Briefes

des Herzogs von Alba

an seine

Gemalin.

^)hre räthselhafte Freundin ist diesen Morgen so schnell wieder verschwunden, als sie ankam. Wie ist es möglich, Madam, daß dies Wesen ehemals war? nicht

eine Dusenfreundin

meiner Gemalin

Doch ich hätte diese Gemeinheiten auch der Frage

gewürdigt,

wenn ich nicht

vorstehende wichtigere Dinge Ihnen hätte mel» den müssen. Es soll ein Brief der Madam Cezeli an Sie vorhanden seyn, kann;

den man nicht finden

ich denke es thut nichts, denn sie hat

den faden Constans, Pathen,

Ihren

zurückgelassen,

alles mündlich sagen wird.

mädchenhaften

der Ihnen ja

wol

Ich bin nicht da­

gegen, daß wir das Kind hier behalten.

Don

Pedro kann es leiden; zeug.

er braucht

eia

Spiel­

Dem Knaben ein Unterkommen zu schaf­

fen, war ja wol die einzige Absicht, warum ihre demüthige Klosterbekannte herüber kam. Nun, es sei: aber das war nicht wohl gethan, daß dir Herzogin von Alba mich an ehemalige geringfügige Freundschaften erinnert.

Constanze

an

ihre Mutter.

iO meine Matter, in welchen Verlegenheiten haben Sie mich zurückgelassen!

War'S dem»

keine Möglichkeit Sie zu begleiten?

Ddeine

Zugend — die Schwäche meiner kaum wieder­ hergestellten Gesundheit — die rauhe Jahrszeit — ja, eS ist wahr, Ursachen genug mich hier zurück za halten; aber galt es nicht vielleicht den letzten Blick eines Vaters?

Die nehm­

liche Eile, die die treue Gemalin nach Mont­ pellier rief, hätte auch die zärtliche Tochter von hier reißen sollen, und, sorgen Sie nicht, aus

dem Wege der Pflicht würde mich keine Ge­ fahr getödtet haben. 0 Mutter!

Gefahren wollten Sie mich

entreißen, und welchen haben Sie mich hier zum Raube gelassen! — Es ist nicht möglich, die schnelle Nachricht von der tödtlichen Ver­ wundung meines Vaters

muß

diesen

Hellen

Verstand auf einige Augenblicke verdunkelt, die­ ses zärtliche Herz auf einige Augenblicke gegen die arme Constanze erkaltet haben!

Sie rie­

fen mir beim letzten Scheidekusse zu, den ich mehr Ihnen entriß, gegeben hätten:

als daß Sie mir

ihn

Sei ruhig, ich lasse dich in

den Armen der Herzogin!— Der Herzogin? in ihren Armen? —

Mutter, mit Erröthen

sehe ich auf das Kleid, das ich trage, und das mir es allenfalls erlaubt, zu ihren Füßen zu knieen oder ihre Hand an mein Herz zu drükken; mich in ihre Arme zu werfen, dürfte ich das wagen, ohne mich ihr genannt zu haben? Wie

würde der Sohn auch

der geliebtesten

Freundin von der Stelle zurückgestoßen werden, die allenfalls nur die Tochter einnehmen dürf­ te! — —

Durfte, dürste ich mich ihr nur

entdecken! Könnte ich nur das Herz fassen, eS zu thun! — 0 warum ward ich in diese legenheit gestürzt!

Ver­

Die Kleidung -es momrfW

chen Geschlechts diente recht gut, unsere Reise bis hierher sicher und bequem zu machenaber nun hätte sie auch sogleich abgelegt wer­ den sollen. — fröhliche

Ein ausgedachteS Spiel! eine

Ueberraschung,

Freundin bestimmten!

die

Sie

0 Gott!

der

alten

mußte dieser

Kinderei meine ganze Ruhe aufgeopfert wer­ den?

Mutter,

ich

bin

vielleicht

zu

kühn,

aber gewiß. Sie hätten wenigstens in dem letz­ ten Augenblicke reden sollen! — wen?

Zwar gegen

gegen den Herzog, den finstern, mm«

schenfeindlichen, stolzen? — dro ? —

Gegen Don Pe­

Die Herzogin war nicht anwesend,

als Sie das Geschick so schnell von hinnen riß! Eine Stunde war ja der Zeitraum, der mich noch ruhig an der Seite derjenigen sah, von der ich mich nie trennte, und die — noch dünkt michs ein Traum! —

Meilen zwischen uns

lagerte! Als die Herzogin des andern Tages von To­ ledo zurück kam,

machte der schnelle Abschied

der Freundin, auf deren langen Umgang man gerechnet hatte, einen Eindruck auf sie, den ich nicht erwartet hatte! — Nicht gekränkte Freund­ schaft,

nicht getäuschte Hoffnung:

beleidigter

Stolz war dieses! — O Mutter!

diese Her­

zogen ist die Gemalin des hochherabschauenden Alka!

Jetzt,

da Sie nicht mehr hier sind,

jetzt erst werde ichs gewahr, und — ich Herz finden, dieser zu bekennen:

wo soll Constans

de Cezeli, den sie sehr weniger Achtung wür­ diget, sei ein verkleidetes Mädchen? Je mehr ich cs überdenke, je gewisser über­ zeuge ich mich,

ich muß bleiben wer ich bin,

bis meine Mutter, meine gute Mutter zurück­ kehrt, oder mich abfordert. — Auch noch aus andern Ursachen muß ich cs. —

Ach, dieser

Don Pedro! meine Kleidung erlaubt ihm, mich so vertraulich

zu behandeln!

Ich

Freund, wir find unzertrennlich!

bin sein

wie müßte

ich erröthen, ihm zu gestehen, ein Mädchen sei.es., gegen die er Gestern küßte er mich! mich als Jahr,

ein Kind!

sich dies alles erlaubte! 0 gewiß, er behandelt Ich bin schon fünfzehn

man halt mich hier kaum für zwölf!

0 Mutter!

Mutter!

holen Sie mich eilend

ab, oder ich muß fliehen, fliehen, und ob der weite Weg, und die ungewöhnliche Witterung, und meine arme, noch immer leidende Brust mir den Tod gab.

Constanze

an

dieselbe.

Drei Wochen vorüber, und noch keine Ant­ wort! — O Mutter! das bedeutet mir nimmer kein Gutes! Den Tag quälen mich die peinigendsten Besorgnisse; des Nachts, meine Träume! Ich ging diese Nacht allein, ganz allein durch eine weite unabsehliche Fläche — kalt, feucht, herbstlich, wie man die nordischen Gegenden mahlt. das mich

Es war dunkel um mich; alles Licht, zuweilen umlcuchtete) wie vorüber­

gebende Blitze, kam von zwei Skralengestalken, die über mir schwebten, — bald,

ach bald

verschwanden sie ganz aus meinen Augen. — Ich kenne, o ich kenne euch wol, ihr himm-

lischt» Sterne: Vater - und Mutterliebe heißt ihr, und ihr seid mir so fern! und ich bin hier unter Fremden! Dann war's, als wollte ich Blumen pflükken in einer schönern Gegend: da wand sich eine Schlange um meine Hand; ich wußte lange nicht, daß sie es war; ich hielt sie für eine zarte Liane, und wollte sie mit Blumen zum Kranze für mich durchwinden; aber schnell nagte das Ungeheuer an meinem Herzen, und anstatt es von mir zu schleudern, liebkoßte ich as lange, und drückte es fester und fester an mich, bis ein unnennbarer Schmerz mich über­ machte und ich mit einem lauten Geschrei auffuhr. Mutter! dies sind Träume: aber sie zei­ gen Ihnen den Zustand meines Herzens. Kom­ men Sie, o kommen Sie zurück! Der Va­ ter wird leben; die kindlichsten Gebete erhal­ ten ihn, und ach! — sollte das ärgste ge­ schehen — entriß ihn uns das Schicksal — Don Pedro hat heute sehr bedenklich mit mir über seinen Zustand gesprochen — o dann habe ich ja Sie noch! Kommen, kommen Sie

mir,

oder lassen

Sie mich abholen.

Mich

dünkt, ich kann hier keinen Tag langer blei­ ben! —

Don Pedro

Brief durch

verspricht

mir diesen

einen Eilboten abzuschicken.

der Bote möchte ich selbst seyn! —

O,

Ich wär

es, dürfte ich mir die schnelle Bewegung des Reitens

erlauben!



O hätte ich dieses ge­

durft, so hätte ich Ihnen folgen können! so wär ich in all diese schrecklichen Verlegenhei­ ten,

von

welchen

ich Ihnen

die wenigsten

melde, gar nicht gerathen!

Constans

de

Cezeli

a n Donna

Helena

de

Toledo

Gnädiges Fräulein, erlauben Sie einem armen fremden Knaben, sich in der peinlichsten Ver­ legenheit an Sie zu wenden, welcher Sie zuweilen

an

die Huld, mit

meinen verweinten

Augen hingen, macht mir Muth zu der Bitte,

zu welcher mir der Herzog und die Herzogin zu hoch sind, Don Pedro zu wenig aufrichtig scheint.

Zch weis, der Bote ans Möntpellier ist

zurück.

Man sagt mir nicht, was er bringt.

Ach Gott, ich zittere vor dem schrecklichsten! — Nur ein Wort zur Antwort.

Oder habe ich

zu kühn gebeten?

Donna

Men eia

an

Consians.

Es ist Verwegenheit, wenn ein Züngling

m

ein so zartes Fräulein schreibt, wie meine junge Dame. gen

an

Constans wende sich mit seinen Fra­ andre.

mehr angenommen.

Hier

werden keine-Briefe

Constans

b e

Cejeli

« n de»

Herzog

von

Alba.

Erlauben Sie, gnädiger Herr, dem, der nicht das Herz fassen kann. schriftliche Bitte. da ich

Sie anzureden, eine

Zwei Wochen sind vorüber,

die entsetzliche

Nachricht erhielt,

mich ganz zum Waisen machte. —

die

Wie es

möglich war sie zu überleben, weiß ich nicht, und, o wollte Gott, ich wär' mit denen ge­ storben, nach denen ich nun nichts mehr hier zu thun habe'. —

Doch, wie dürfte ich Kla­

gen wagen, da mir nur eine kurze Bitte er­ laubt ist. Man sagt mir,

mir sei das Glück zuge

dacht, unter die Pagen Don Pedro's aufge­ nommen zu werden;

darf ich das Geständnis

wagen, daß dies kein Glück für mich ist? — Ich bitte um einen Aufenthalt,

einen kurze»

Aufenthalt in einem Kloster, bis ich einem ent­ fernten Verwandten, dem Bruder meiner Mut-

ter, Nachricht von mir gegeben habe; erwirb mich abholen, und

dem großen

Manne, an

den ich zu schreiben wagte, den Dank für die Nachsicht gegen einen blöden Knaben abstat­ ten, den ich selbst nicht auszudrücken im Stande bin.

Don

Pedro a n

Consta ns

de

Cezeli.

Das muß man dir lassen, mein Kind, daß du

die Feder zu führen weißt,

Doktor von Salamanca. mit großem

trotz einem

Mein Vater hat mir

Lachen tieine Btttschrift gezeigt,

und wahrscheinlich hast du dieses Lachen voraus­ gesehen, und aus Mißtrauen in die Erhörung Flucht

genommen.

Aber wie ist das, lieber Knabe?

deiner

Man sagt,

du

Bitte,

lieber

die

hattest dich verirrt, und Zutritt bei den

königlichen Nonnen von Toledo gesucht.

Für-

5T wahr, der lächerlichste Misgriff, der sich den­ ken läßt!

Du mußt unmöglich noch weit jün­

ger seyn als merkst,

du scheinst, daß du sogar nicht

wie sehr du der Zucht der Frauen

entwachsen bist. —

Daß man dich zu den

Carmelitern geschickt hat, das hast du, wie man mir sagt, mit heißen Thränen aufgenom­ men, und wahrscheinlich wirst du wieder wei­ nen, wenn

dir dieser Brief meldet, daß Lu

dort nicht bleiben kannst. Schäme dich, Constans! Ein zwölfjähriger Knabe darf nicht mehr weinen!

Bedenke, aus

was für einem Heldengeschlecht du entsprossen bist.

Dein edler Vater starb an ehrenvollen

Wunden, nach einer gewonnenen Schlacht; deine großmüthige Mutter opferte den Pflichten ge­ gen einen tapfern Gemal ihr jugendliches Leben auf,

und

du hast nichts

als Thränen

und

Klostergedanken? Komm zurück, geliebtes Kind, du darfst mir nicht fern, du mußt meinem Herzen wie­ der nahe seyn!

Laß den Namen eines Pagen

Don Pedrö's deinen Stolz nicht schrecken; ich will in dir nie etwas als den Freund, deir

Waffcngefährtei, sehen.

Ich bin jetzt siebzehn

Jahr, noch können wir zusammen lernen; -uch ich bin noch nicht vollkommen!

Komm, klei­

ner Heldensohn; die Waffen ziemen dir, nicht das Kloster! an mein.

Du bist von diesem Augenblick Kümmere dich weder um meinen

Vater, noch um meine Mutter; der erste fin­ det deine Bedrängnisse lächerlich, die ich ehre, die andre hat schwerlich deine treffliche Mutter so geliebt, wie sie sie. ner mehr achten.

Sie würde sonst dei­

O Constans, ich möchte mit

dir weinen! Was hast du verloren! Doch sorge nicht, ich will dir Vater und Mutter ersetzen!

Constanze

;ö mein bester,

an

ihren

Oheim.

mein einziger Verwandter!

Mann, den ich mir nicht anders, als das mil­ deste, Sie

hülfreichste Wesen denken kann, sind

Mutter;

ja

denn

der Bruder meiner verewigten

hören Sie die Stimme eines Ret­

tung bittenden Wesens, das die Natur Zhnen

so nahe ans Her; legte! hören Sie die Stimme Ihrer Nichte, der unglücklichen Constanze Cezeli!

Durch ein Nichts, einen Zufall, eine

Grille derjenigen, die ich keiner Unvorsichtig­ keit beschuldigen darf, bin ich in einen Zu­ stand

verwickelt,

für mich nach

der die höchsten Gefahren

sich zieht; der mich in Noth­

wendigkeiten seht, die weder mit meinem Ge­ schlecht, noch meinem Alter, noch meiner wan­ kenden Gesundheit übereinstimmen! Retten, ret­ ten Sie mich aus demselben, umkommen!

oder ich muß

Meine Mutter führte mich in

dem Hause ihrer Jugendfreundin, der Herzo­ gin -on Alba, die das Glück so sehr über sie erhob,

als einen Jüngling ein.

Der

Tod

meiner Aeltern traf mich wie ein vernichtender Wetterschlag:

ich sah nie die wieder, aus de­

ren Armen mich das Schicksal riß!

Die selt­

samste Verkettung von schauervollen Umstanden hält mich hier Ln täuschender Gestalt noch jetzt zurück, und ich bin ein Mädchen!

Die Eil,

mit der ich dieses schreibe, verhindert Ausein­ andersetzung meiner ganzen Lage; ich mag die­ sem so strengen als milden Herzen, in dem

Augenblicke,

da

es

meine

Klagen

erreichen,

vielleicht als eine Leichtsinnige, als eine Ver­ brecherin erscheinen;

o Gott!

wie wenig bin

ich dies, und wie unglücklich bin ich, keinen Zeugen

zu haben als Gott und mein Herz.

Sie können niemand über mich befragen, nie­ mand

weiß

als ich;

von meinem eigentlichen Selbst,

aber kommen Sie, mich abzuholen.

Ein Kloster ist die einzige Wohlthat, bitte.

die ich

Man sagt mir, Sie ständen jetzt als

Capitän unter den königlichen Truppen bei. . . Andre melden mir, gehauste Unglücksfälle, und eine durch viele Deschwerlrchkeiten geschwächte Gesundheit, habe Sie bewogen,

den Degen

niederzulegen, und Sie lebten unter den Reli­ giösen zu. . . — Es sei eins oder das andre, so sehe ich wol, daß es mcht in meines theu­ ren Oheims Macht ist,

großen Aufwand für

mich Verlassene zu machen, aber ich bitte nur um den Aufwand einer einzigen Reise. rer Oheim, das Kloster, gönnen wollen!

Theu­

wenn Sie mir es

oder auch, wenn Sie dieses

nicht vermögen, wenn Sie vielleicht den Degen noch nicht niederlegten, nur das Leben an Ihrer

Seite!

Ich will selbst, wenn Sie es ver­

langen, bleiben, was ich hier scheine, wenn Sie es fordern, fortfahren

will,

den Degen

zu führen, den man mir hier aufzwingt; nur unter Ihnen, nur von Ihnen gekannt, nur nicht hier, wo

mit jedem Tage meine Lage

peinlicher wird. Leben Sie wohl, mein Retter!

Don Pe­

dro verspricht mir, diesen Brief in Ihre Hände zu bringen, Sie möchten seyn wo Sie woll­ ten. —

Ach, ich zittre, dieses Blatt in seine

Hände zu legen!

Mir ist, als könnte er ihm

seinen Inhalt ansehen, der niemand mehr als ihm verborgen bleiben muß.

Constanze

an

denselben.

.

12 8 1

Eie erhielten seit meinem ersten Briefe noch einen.

Er setzte Ihnen meine Lage umständ­

licher aus einander.

Er schilderte Ihnen mei­

nen Zustand, von dem schrecklichen Augenblicke

au, da sich meine Mutter aufs Pferd schwang — zu Pferde mußte sie die Reise zu einem sterbenden Gemal alttreten, die Reise, die nicht den Aufschub einer einzigen Minute erlaubte. — Von diesem Augenblicke an bis auf jenen, da Don Pedro mich von den Carmelitern zurück holte, wissen Sie alles; Sie kennen Ln dem Charakter derer, die mich umgeben, die Un­ möglichkeit, mich einem einzigen zu entdecken, und ach. Sie errathen vielleicht, was mein Leben an Don Pedros Seite am peinlichsten macht. Dieser liebenswürdige Züngling, dieser Mensch ohne Gleichen ist mein Freund, ein Freund, der sich meinem Herzen mit jedem Tage naher drangt! O mein Oheim! dieses Herz ist kein Fels, und ich bin kaum sechzehn Jahr. Was ich für Don Pedro fühle, weiß ich nicht, aber dieses weiß ich, verwandelte sich Constans in eine Constanze, so könnte auf Don Pedro's Seite sich sehr schnell Freundschaft in Liebe verwandeln. Und welch eine unglück­ liche, von keinem Hoffnungsstral beleuchtete Lie­ be! Don Pedro, Sohn des großen Herzogs

von Alba?

Constanze Cezelt? —

Nein, dies

Herz muß

zum Schweigen gebracht werden,

und das scinige darf nie reden ! Nach seinem Willen wär ich unablässig um ihn.

Ich entferne ihn, so viel ich kann, durch

trockene Kälte; leidigungen,

oft erlaube ich mir halbe Be­

die er

keinem andern

lassen würde, und o Gott! verbirgt diese rauhe Hülle!

hingehen

welche Gefühle Jede Stunde der

Einsamkeit sieht meine Thränen!

Du, Gott,

kennest sie, und ihr, ihr heiligen Altäre, theu­ re Zufluchtsorte,

deren Stufen

nur flüchtig berühren darf.

diese Stirn

O wie gern würde

ich ewig dort verweilen! Man sagt mir, ich sei schön, zu schön für einen Züngling;

ich glaube es,

und spare

nichts, diese verrätherischen Reize zu entstelle». Ich sorge wenig um meine Gesundheit; möchte sie doch mit meinem Leben vergehen!

Zch mu-

the mir die größten Beschwerlichkeiten zu: sie vernichten nicht, was ich gern vernichten möch­ te, sie stärken mich mehr, und gesellen zu der Zartheit meines Baues einen ungewöhnlichen Wuchs, und eine gewisse Frischheit, die seltsam

zu dem matten, gesunkenen Zustand meines In­ nern pas;t.

Meine Arme werden

führe die Waffen mit Kraft, ich

stark,

ich

habe Don

Frederic, den ältern Bruder meines Pedro, schon einmal ins Feld begleitet.

0 mein Oheim,

welch ein Posten für mein schwaches Geschlecht! Gleichwol begeisterte uns ein Trieb, mich und den jungen Helden, oder vielmehr, es schien uns der nehmliche zu begeistern.

Ach, ihn trieb

Begierde nach Ruhm und Sieg, mich, Be­ gierde zu

sterben.

Er sandte mich

zu dem

Herzoge seinem Vater, mit Bitte, die Rebellen angreifen zu dürfen. Herzog mit einem

Geh, Lezeli! sagte der entzündeten

Gesicht, dem

der unerklärliche Widerwille, mit dem er mich immer ansieht, eine neue Furchtbarkeit gab — geh, lwd sage Don Frederic, daß ich ihm seine Bitte nur wegen seiner Zugend und Unerfah­ renheit verzeihe, aber er hüte sich wol, wegen Befehlen in mich zu dringen, deren Zeit nur ich zu bestimmen weiß. wegner ,

dir

und

Wisse, junger Ver­

jedem seiner Abgeschickten

kostet die Wiederholung einer solchen Gesandschaft das Leben!

0 wie gern hätte ich mir auf diese Art dm Tod geholt, wie gern wär' ich nachmals im Getümmel der Schlacht gestorben!

Möch­

ten sie mich doch nach meinem Tode gekannt haben; mich dünkt, ich fühle eine süße Be­ friedigung in den Thränen, die dann um mich geflossen seyn würden — in meines Pedro Thrä­ nen !

Dann würde er mich geliebt haben,

dann hätte er mich lieben dürfen, und hätte ihm dann eine freundschaftliche Seele verrathen: Constanze liebte auch dich — nichts dagegen gehabt.

nun, ich hätte

Liebe im Reiche der

Schatten ist Liebe der Engel, sie ist keinem Tadel unterworfen. Zch men

vertiefe mich in diesen seligen Träu­



worden. —

Sie sind nicht zur Wirklichkeit ge­ Zch lebe noch, ich bin wieder in

meiner alten Lage.

Verwundet bin ich gewe­

sen, schwer verwundet; ich habe mich meinem alten treuen Wundarzte vertrauen müssen.

Zch

fühle Erleichterung, daß mein Geheimniß nun noch in einer treuen Seele ruht. Bald, bald werde ich es auch der andern vertrauen müssen.

Seit ich aus dem Felde

6o zurück bin, bin ich viel um mein eignes Ge­ schlecht.

Mir ist wohl bei ihnen, und man­

chen unter ihnen, ich fürchte es, nur gar zu wohl in meiner Nahe.

Ich fliehe Don

Pedro, um Verlegenheiten auszuweichen.

Ich

stürze mich in die Arme der Frauen; sie sind mir lieb, sind meine Schwestern, und neuen, neuen Verlegenheiten eile ich entgegen.

0

He­

lene! Helene!

Constanze a n Donna

Helena

de

Toledo.

1 5 8 2. Kennst du mich, kennst du mich nun, Freun­ din meines Herzens? mich erriethst!

Wie, daß du nicht längst

Ich nahte mich dir mehr als

den andern, weil ein unnennbarer Zauber in deiner Nähe liegt. lichen Don Pedro!

Tbeures Ebenbild des herr­ Aber ich nahte mich dir

6i nitftt mit den gewöhnlichen Schmeicheleien der Männer; schon in der Zartheit meiner Zunei­ gung hättest du das Mädchen erkennen sollen. Doch du wurdest getäuscht, obschon ich dich nicht

täuschen

wollte;

dein Herz hätte sich

vielleicht in Liebe zu einem Gegenstände ver­ strickt, den deine Phantasie schuf, mußte sich deln.

Constans

und nun

in Constantien verwan­

Heil dem göttlichen Bande, das uns

seitdem verbindet!

Man hält uns für Lie­

bende; uns vereinigt die heiligste Freundschaft! An deinem treuen Herzen ruhe ich aus, wenn der Zwang meine Kräfte fast aufgezehrt hat! du bist meine Trösterin, meine Rathgeberin, wenn die Nähe deines gefährlichen Bruders meine Ruhe bedroht!

0

Helena, du wirst auch

meine Retterin werden, denn, — soll ich dirs gestehen? ich fürchte Entdeckung! noch mehr, ich fürchte mich selbst entdecken zu

müssen,

weil ich besorge, Unglück droht uns, uns bei­ den, dir und mir von einer andern Seite. — Siehe in diesem letzten die Ursach, ich dich heute und sehe.

warum

die folgenden Tage nicht

Schriftliche Nachricht sollst du haben.

ausführlicher als diese, die mir die Eil in die Feder sagt.

Wird es möglich seyn, diese Zei­

len von deiner allen Mencia »»gesehn in deine Hände zu bringen?

An

dieselbe.

Helena, deine Freundin wirft sich in deine Arme, eile mich dem Unglück zu entreißen'. Nur zu wahr ist, was ich besorgte, und nur zu schnell naht sich

das Verderben! —

Ncttung ich wünsche? ster! —

Welche

Keine, als das Klo­

Die königlichen Nonnen zu Toledo

werden mich nicht verstoßen, wenn du mich empfiehlst; sie werden mich nicht zu den Carmelitern schicken, wie sie damals thaten, als der Anfang meines Unglücks mich zu ihnen trieb.

Ihre Oberin, die Prinzessin von * * *

ist deine Verwandte.

Sie wird mich, wenn

du mich ihr vorstellst, nicht mit dem kalten verachtenden Blick zurückschrecken, der das Be­ kenntniß, wer ich sei, in dem Augenblicke, da

ich es zu ihren Füßen ablegen wollte, meinen Lrppen stahl.

von

Genug, ich werde auf­

genommen werden, denn Donna Helena führt mich ein.

Ueber die Mittel zu meiner Auf­

nahme sei unbesorgt; ich kenne jetzt die For­ derungen

dieses

reichen Klosters,

und Don

Frederic gönnte mir so reichen Antheil an der Beute seiner Siege, daß ich in Rücksicht mei­ ner Ausstattung

auf keine fremde Großmuth,

selbst nicht auf die deinige, zu rechnen brauche. Daß es mein ganzer, mein völliger Ernst ist, nicht nur auf einige Zeit in die Schatten zu

treten,

nein,

daß

ich

mich

ganz

dem

Schleier widme, davon überzeuge dich immer mehr.

Ich entsage der Welt, weil ein Don

Pedro in ihr ist;

ich wähle Toledo, um mei­

ner Helena bis ans Ende meines Lebens nahe zu seyn.

Hüte-dich,

dem Gelübde untreu zu

werden, dem einzigen, das ich derte,

von dir for­

als du die unstatthaftesten

Hand ablegen wolltest.

in

meine

Die Welt darf dich

darum nicht verlieren, weil Constans eine Constantie war, aber vergiß Nie, daß du mir ge­ lobtest, keinen Gemal zu wählen, der dich aus

meiner Nähe bringt.

Helena, unsre Freund­

schaft steht fest, wie die Ewigkeit! dir zu den Schatten.

ich folge

Wie Chloris und Thya

wollen wir auch dort noch die Feste der Freund­ schaft feiern. Freundschaft! Freundschaft! Hirngespinst.

Liebe ist ein

Ach selbst Don Pedro konnte

mich täuschen!

An

dieselbe.

Mit Recht nennst du meine letzte Zuschrift kalt, rathselhaft, unzulänglich! —

Ach werde ich

heute im Stande seyn, dir befriedigender zu schreiben? Länger als eine Stunde liegt dieses Blatt vor mir; ich beginne, streiche aus, meine Thränen fließen, kaum wirst du im Stande seyn diese Züge zu lesen. Daß man Constans und Helena für Lie­ bende hält, daß nichts uns, dich und mich, nichts von der Wuth

deines stolzen Hauses

retten kann, als wenn ich bekenne, daß wir

Freundinnen sind, das weißt du. Ich werde dieses Bekenntniß thun, ich muß es thun, wenn kein andrer Ausweg ist; aber denke dir mein brennendes Erröchen, denke dir di« demüthigendste Beschämung, unter denen als Mädchen aufzutreten, in deren Gesellschaft ich bisher, ein Mann unter Männern lebte!-----Hiervon jetzt kein Wort mehr; kannst du mich nicht retten durch das Kloster, so weiß ich, wozu ich gezwungen bin. kHöre jetzt, was mich weit mehr bedrängt als dieses, was ich noch kaum im Stande bin dir zu sagen. Wahrscheinlich, mehr als wahr« scheinlich kennt mich Don Pedro, und — ist meiner Liebe, auch des kleinsten Gedankens von mir unwürdig. — Wer mich ihm verrathen hat? — Gott weiß es! nicht ich! — Du wärest die Verrätherin nicht! vielleicht der Wundarzt, der einzige außer dir, der mich kennt, vielleicht — genug, hier mag ich nicht forschen. — Höre den Vorgang. Gestern, als wir von der Zagd kamen, begleitete ich die andern nicht zur Tafel: ich vertiefte mich in die Schatten des königlichen

Gartens. Tödtlich ermüdet — ach zu oft büße ich in der Stille für den Frevel, wribttchen Kräften männliche Arbeit zujumuthen — lödtlich ermüdet warf ich mich auf eine Nasenbank, und wie ein Todter hatte ich geschlafen. Die Sicherheit, in der ich mich hier in dem ent­ ferntesten Tdeil des Orangenwaldes, während die andern zechten, wußte, gab mir die Tiefe dieser erquickenden Ruhe. Der Hut war mir entfallen. Meine Haare, deren Länge und Reichthum ich aus Furcht, man möchte' sie für einen Jüngling ungewöhnlich finden, nie sehen lasse, hatten sich aus dem seidnen Netz gedrängt, und schwammen um mich her. Ich fuhr auf, ich weiß nicht, welcher Traum mich schreckte. Don Pedro kniete vor mir, und drückte eine meiner Hände an seine Lippen. Pedro! schrie ich und sprang auf, schwärmst du? — Was machst du hier? — Ich dachte, dachte, dachte — stammelte er. — Und was dachtest du? erwiederte ich mit glühender Nöthe. — Ich dachte, wenn Constans eine Constantie wär'!

Und was dann? O! Freundschaft würde dann Liebe seyn! Darnach hätte dann ich zu fragen.

Con-

stantie wär' meine Schwester, wenn eine extstirte, und der sollte nicht leben, der sie ohne meine Einwilligung liebte! Constans, rief Pedro immer noch kniend, kennst du Constantien? 0

.

steh auf! was sollen diese Possen?

Wenn nun eine Constantie lebte, und ich liebte sie, sie mich? O die unseligste, von den feindlichsten Ster­ nen beherrschte Liebe! schrie ich, und Thränen waren nahe, mich zu verrathen. Unselig? Warum? Welches

Band

könnte sie ehren?

Das

Haus der Cezeli, so edel es ist, könnte dir keine Herzogin von Alba geben. Eine Herzogin? wer redet hier von Her­ zoginnen ?

Wir sprechen von der Liebe, von

der schönen, freien, «ngefesselten Liebe! Don Pedro! Die

künftige

meine Frau seyn.

Herzogin

von Alba

wird

Constantie de Cezeli mir

6s durch weit süßere, weit festere Bande verbun­ den — — Don

Pedro!

denkst

du,

mit wem du

Mein Degen ward bloß,

da ich dieses

sprichst?

sagte.

Er ließ de« setnigen in der Scheide

und strebte mich in seine Arme ju schließen. Wir hörten Leute.

Wir beide entflohen! —

Helena! du weißt nun alles ! —

Noch vor

Abend das Kloster oder den Tod!

Consta n t i e

an

Helena.

§)ank dir, Freundin meines Herzens, für die Ruhe, die du hier mir gabst! —

Ganz wa­

ren meine Kräfte aufgezehrt, als du mich in diese Schatten brachtest. gerettet! —

Du hast mein Leben

Auf wie lange, das weiß die

Gottheit! Zch bin also verschwunden aus dem Kreise, in welchem ich lebte.

Niemand weiß, wo ich

hinkam! — nicht? —

Don Pedro forscht nicht? fragt

Recht gut! —

Mehr braucht ti

nicht, mich zu überzeugen, daß er alles weiß. — 0 Himmel! Himmel! wo soll ich hin mit dieser Beschämung! Er erfuhr — es gilt gleich, wie? — ConstanS sei ein Mädchen.

Seine

Eitelkeit spiegelte ihm vor, dies Mädchen liebte ihn; absichtlich, vielleicht blos, um immer ihm nahe zu seyn, blieb sie was sie schten, und daher, daher die Kühnheit, mit der er sich mir in seiner wahren Gestalt zeigte.

0 dies ver­

stehe ich jetzt alles, sehe all den bösen Schein, der auf mich Unschuldige fällt, kann niemand anklagen, niemand belehren, niemand überzeu­ gen; will es auch nicht. —

0 Helena, den

Tod für i diese Beschämung! Kommst du diesen Abend ans Sprachgitter? —

Vielleicht

daß

du mich noch fin­

dest !--------Späterhin wahrscheinlich nicht! — Wo ist der Engel, der mich aus diesen Laby­ rinthen führen kann? — Lebens ist dahin! sagt mit

Die Ruhe meines

Die Ehre auch! — Eben

eine der Schwestern:

Schwerlich

werde ich hier die Gnade erhalten den Schleier

nehmen

zu

dürfen. —

Die Domina finde

bedenklich, mich hier aufzunehmen! Wie ist das — Helena?

Mein unschuldi­

ges Leben mitten in den Stricken der Ver­ führung, verdiente es dieses Urtheil?

Oder

steht hier Don Pedro im Hintergründe? scheut man sich, ihm, dem Mächtigen, «in Wesen zu entzieh», das er verfolgt? — Gieb mir Ant­ wort, Helena; wo nicht, so erwarte, daß ich auch dich unter diejenigen rechn», die sich wi­ der mich verschworen haben!

Grimaldo

de

Lonpian

a n Constanze

de Cezeli.

Daß ich weiß, daß eine Constantie lebt, wo jedermann nur von einem Constans redet, das diene mir zur Beglaubigung, daß ich es wis­ sen darf-

Mit tausendfacher Mühe erfuhr ich,

wo die Nichte meines Freundes lebt, der, an

sein

Kloster

gebunden,

nicht

kann sie zu retten, ach,

der

selbst

kommen

an kern Kloster

gedacht haben würde; hätte er gewußt, daß noch eine so nahe Verwandte von chm lebte» Das Gerücht Don Pedro,

wies mich hier zuerst ms

jedermann wußte, Constans sei

sein Busenfreund gewesen.

Ich erhielt Zittritt,

aber fein Betragen gegen mich war so seltsam, er that in allem

so fremde, und am Ende,

wie ich merkte, daß er mich ausforschen wollteda doch ich gekommen.war,

mir Kragen von

ihm

da entfernte ich

beantworten zu lassen,

mich kalt,

tinb mutzte Nachforschungen von

neuem beginnen, von- denen ich nicht mutzte, wie sie einzuleiten waren. ein Gerücht, gab:

das

Endlich erfuhr ich

mir über alles

Aufschluß

Constans de Cezeli und Donna Helena

de Toledo, Don Pedro's Schwester, lebten in heimlicher Liebe.

Sie zu zerstören habe man

Helenen in ein Kloster gebracht, und Constans sei verschwunden, niemand wisse wohin. kam

mir alles darauf an,

sprechen.

Jetzt

Donna Helena zu

Ich strebte umsonst, denn ihr Ge­

schick ist so, wie man sagt;

aber eine ihrer

Frauen, als sie in mir den redlichen Mann sah, ist mitleidig genug gewesen, mir Mittel zu verschaffen, dieses in Constantiens Hände z« bringen. des all

Traut die edle Nichte meines Freun­ den Pwben von meiner Redlichkeit,

die jede Zeile

dieses Briefs enthalten muß,

traut sie dem Wappen ihres HauseS, das dieser Brief versiegelt, und das ihr Oheim mir zu diesem Ende anvertraute, so findet sie sich mor­ gen am Sprachgitter ein, mit mir das wei­ tere zu ihrer Befreiung aus

einem Hause zu

bewirken, für das ihr Oheim sie nicht bestimmt. Erhalte ich Zutritt, so werde ich freilich auch einige Fragen an Constantien thun. Zhk Oheim ist

streng,

ihre

Briefe

unzusammenhängend, der Reihe fehlten.

war«« «ngnüglich,

wo nicht mehrere aus Auf der Rechtfertigung

der geliebten Nichte, auf Ergänzung jener Lükkcn,

beruht ihr Geschick.

wird glänzend seyn,

wen»

Es wird gut, es sie

dem Oheim

Gnüge leistet in seinem Abgeschickten. Loupian.

Constanze

an

ihren Oheim.

1 5 8 5. Wie die Jahre fliehen! mein zwanzigstes,

Heute beschließe ich

und nicht viel über

fieb-

zchn war ich, als Sie, mein Retter, mich in Ihre Arme riefen.

Nie vergesse ich

jener

Zeit, da Trost und Verzweiflung so nahe an einander gränzten. rufen,

mir

ihn

Mir jenen Tag zurückzu­ in

allen seinen Theilen zu

denken, dies mache einen Theil der Feier des heutigen aus. — Wo war ich damals?

Wie

nahe stand ich an einem Abgrunde, an dessen Rand mich Hirngespinste schreckten.

Sre droh­

ten mich hinabzustoßen, und ich wär' gestor­ ben, in der vollen Ueberzeugung, meine Ver­ zweiflung sei eine Frucht der unausweichbaren Nothwendigkeit, wär' nicht ein Engel erschie­ nen, der die Nacht um mich erhellte, der mir zeigte,

um wie vieles meine Phantasie mir

meinen Zustand schrecklicher malte, als er war. — Ich glaubte meine Ruhe unwiederbringlich

verloren, sie war es nicht, die Hand der ewi­ gen Tugend sicherte sie jenseit der Nächte, die mich umgaben, wenn ich nur Muth hatte , diese Nächte festen Fußes zurückzulegen, ohne Glau­ ben an Gott und an mich selbst zu verlieren. Ich glaubte mich rettungslos der Leiden­ schaft zu etnrm Unwürdigen hingegeben; war es nicht,

ich

hatte ich Muth gehabt, das

Chaos meiner Gefühle zu entwickeln; die Ver­ achtung gegen Don Pedro,, die überall sein von der Phantasie mir aufgedrungenes Mtd verhöhnte, der heilige Unwille gegen ihn, wär' mir Bürge für eine Heilung gewesen, die frei­ lich nur die Zeit vollenden konnte. Ich glaubte mich von dem Geliebten ver­ achtet,'von der Freundin verrathen; ich war es nicht.

Helena,

die man in ein Kloster

geschickt hatte, konnte nichts mehr für mich thun, und Don Pedro mußte wenigstens durch meine Flucht über mich belehrt werden.

Selbst

die Widersetzlichkeit der Domina, mich unter ihre Fräulein aufzunehmen, gründete sich nicht auf Verdacht in meine Sitten, in die Regel­ mäßigkeit

meines

Lebens;

nicht in Einvrr-

ständniß

mit Don

Pedro,

ganz einfachen Umstand,

nein,

daß

auf

ich

nur

den eine

Französin, daß meine Abkunft nicht hoch ge» nug war, mir eine Stelle unter den königlt» chen Damen von Toledo zu verschaffen.

So

dichtete ich mir eine Menge Schrecknisse, die ein einziger Lichtstral zerstreuen mußte. Dieser

Lichtstral

war

der

Brief unsers

Lvupian, dieses treuen Freundes, den ich wol meinen Lebensretter nennen kann. becher stand schon bereit. und Constanze,

Der Gift­

Eine Stunde später,

die ihre Ehre,

ihr besserer

Selbst nicht überleben wollte, sie, die sich un­ wiederbringlich einer Leidenschaft dahin gegeben glaubte, die sie zu ewig freudenlosem Leben oder zum Laster führen mußte — Constanze wär' verloren gewesen. Da kam dieser rettende Engel, und brachte die Botschaft, es lebe noch eine Seele, die um mich sorge und mich zu retten suche.

Längst

hatte ich meinen theuern Oheim, der mir nie antwortete, für todt gehalten; jeht erfuhr ich, daß er bei weitem nicht alle meine Briefe — (ach einige derselben hatten mich vielleicht an

Don Pedro verrathen) daß er am Ende die ersten und den letzten auf einmal, daß er alle vor so kurzer Zeit erst erhalten hatte, daß ich die Rettungseil der väterlichsten Liebe bewundern mußte. O mein Oheim, einziger, einziger Freund, wenn all« «ndre falsch sind! traure nicht, daß der Wahn, keine Seele lebe mehr, die dir ange­ höre, dich zu dem übereilten Schritte verleitete, der dir nichts mehr übrig läßt mir zu geben, als deine Fürsorge; du hast mir das größere aufbe­ halten.

Du mußtest freilich irre werden an dem

Gerücht, das dir immer nur von einem Neffen sprach, da du doch wußtest, daß meine Mutter nie einen Sohn hatte. drr vorenthalten,

Meine Briefe wurden

ö war hier Pedro's Hand

wirksam, so waren seine Ansprüche auf meine Verachtung schon alt; sie hätten die regelloseste Leidenschaft besiegen müssen, wie vielmehr die heilige Liebe, die Constanze für ihn hatte. Alle der Heilmittel, die in Loupians Briefe, die noch mehr in seiner mündlichen Unterhaltung lagen, war ich mir nicht lebhaft bewußt, aber ich fühlte ihre Wirkung.

Das Zutrauen, da6

f’tn ehrwürdiges Gesicht schon einflößte,

und

die gänzliche Abspannung, in der ich war, mach­ ten , daß ich mich ihm ganz überließ. Man entließ mich gern und ehrenvoll aus dem Kloster, er brachte mich in die Arme des väterlichen Freundes, und heute, heute, da ich diese Dinge noch einmal vor meinen Augen über­ gehen lasse, sehe ich mich staunend um und frage, frage freilich jetzt mit ganz geheiltem Herzen: Wo waren die Schrecknisse, die mich jenesmal zur Verzweiflung Macht, täuschte? ben?

trieben?

Wars »ine böse

die meine Augen mit Hirngespinsten Weßwegen wär' ich jenesmal gestor­

Zch weiß es nicht, aber dies weiß ich:

Nie darf der Mensch aufhören zu hoffen, über ihm waltet eine Hand, die jede Nacht,

die

wahre, und die selbstgeschaffene, zu zerstreuen vermag.

O du, der mich aus jener rettete, er­

halte mir diese Ueberzeugung in all den Näch­ ten, die in ferner Zukunft noch Mein Daseyn umschatten könnten! Jetzt, mein Oheim, ist alles bei mir vol­ ler heller Tag.

2luf die lange Ruhe in dem

schönen heitern Kloster der Cölestinerinnen, das auö dem wilden Constans eine Lonstantie bil-

bete, kam ich an diesen frohen, wohlgeregelten »nd doch so zwanglosen Hof. das Glück,

Zch hatte hier

meine Helena wieder zu finden,

die man nicht ins Kloster, sondern hieher zu ihrer Verwandtin, der Marquise von Entragues, schickte! 0 dies find der Freuden fast zu vielt Ich mag heute an keine Leiden denken — es sind einige vorhanden, aber ich verspäte die Nachricht davon für einen künftigen Brief; nur Freude und Dank sollen mein Zahresfest bekrönen.

An

denselben.

3«, mein Oheim, auch Leiden habe ich, und meinem Zustande fehlt es nicht an Bedenklich­ keiten.

Rathen, rathen Sie mir, denn große

Selbstüberwindungen, kluge,

wohl überdachte

Schritte werden von mir gefordert. Mein Schicksal hier ist glänzend.

Zch bin

noch immer nichts mehr als Constanze de Cezeli, gleichwol sieht hier niemand stolz auf mich herab

wie m Spanien, und Männer bewerben sich um meine Hand,

die sich mit Don Pedro messen

können, mit Don Pedro, der für das Mädchen, das ihm schwärmerisch ergeben war, das ihn an­ betete, keine Erwiederung hatte, als schimpfliche Liebe. Die Herzogin von Montmorenci, in deren Hause ich lebe, billigt rechtmäßige Absichten, die ihr Sohn auf mich hat, und — ich würde sagen, mein Herz spricht für ihn, wenn dieses Herz feit der frühen grausamen Täuschung, die es erfuhr, noch eine Stimme hätte. Es würde Anschein des Stolzes haben, wenn ich so manchen riennte, für den ich entscheiden könnte, wann und wie ich wollte;

es sei mir

also erlaubt, nach dem höchsten meiner Bewer­ ber auch den zu nennen, der dem Range nach am niedrigsten steht — nicht dem Werthe nach. Sie kennen den Herrn de Saint Aunex, mein Oheim, und die redliche Wahrheit seines Cha­ rakters;

der Ruhm eines

thatenvollen Lebens

entschädigt ihn so sehr für die glänzende Ver­ goldung, die andern das Glück gab, entschä­ digt ihn so

sehr für die Politur oer großen

8o Welt, für die flüchtigen Reize der Jugend, daß ich fast sagen möchte, die Mühe, di« er sich um meine Hand giebt, ehret mich mehr, als die Anbetungen all der andern.

Welcher

von beiden soll siegen, mein Oheim — er oder Montmorenci? Er hat einen gefährlichen Ne­ benbuhler an dem jungen Herzoge.

Zch selbst

bin noch jung, bin erst zwanzig, bin schön, eine Freundin der Freude und des Glanzes, liebe den Hof, hasse die Einsamkeit. Wahl zwischen ihm

Welche

und dem kalten ernsten

Manne, der mir nichts anzubieten hat, als den Genuß eines sehr eingeschränkten Vermö­ gens, und den Aufenhalt in einer alten, weit entlegnen Festung, die ihm anvertraut ist, und wo ich auf ewig für alle meine Freunde, für alle Freuden der Zugend verloren wäre. Glauben Sie nicht, mein Oheim, daß ich Ihnen dies« Parallele aus Eitelkeit ziehe, wenn es etwa geschehen sollte, daß ich dem edeln, dem schönen Montmorenci entsagte; ich will meinen Sieg bei Ihnen nicht vertheuern: aber Gott, und alle Mächte der Tugend und Freund­ schaft werden helfen, daß ich ihn davon trage.

-------

bi

Zch kann mich nicht weiter hierüber erklä­ ren; ich Kälte

scheine Zhnen vielleicht mit ruhiger

über diese Dinge geschrieben zu haben,

aber, Gott, was leidet dieses Herz, indem ich mich zu dieser Kälte zwinge,

zu einer Kälte,

die gleichwol nöthig ist, wenn ich gerecht, wenn ich den heiligsten Gesetzen der Freundschaft treu seyn will. Noch wissen Sie

eigentlich

Nichts

von

dem Innern der Sache, die ich Zhnen vor­ legen wollte, als ich die Feder ergriff: aber es ist mir heute unmöglich? unmöglich! —

Sie

kennen jetzt die Namen der beide», unter de« nen ich wählen will, weil beide die würdigsten sind; Rach zu dieser Wahl wollte ich holen, — wie es uns oft geht, Herz oder bessere Vernunft haben schon gewählt, indem wir noch fragen. Kann

ich

zweifeln, ob

ich Montmorenci

entsagen muß, da Helena, meine Helena, in ihm den Geliebten beweint, der ihr treulos ward, treulos um meimtwillen? Helena,



das soll man nicht sagen,

Nein, daß ich

mein Glück auf deine Verzweiflung baute!

3. f. F. xil. H.

6

A ir

denselben.

Aa, die Wahl war fest: te,

Montmorenei wuß­

daß ich gegen ihn entschieden hatte, und

jeder Tag giebt mir neue Hoffnung, daß er sich beruhigen, daß er zu seiner vorigen Liebe zurückkehren wird. ja

nur

der

warum zögre St. Aunex!

Aber wie ist das: dies ist

erste Theil ich

mit

bin ich

meines Entschlusses, dem andern?

Edler

dir denn so gar abge­

neigt , daß ich das Wort nicht über die Lippen bringen kann:

ich will dein seyn?

Ach, mein Oheim,

es beginnen sich Um­

stände um mich zu drängen, gen könnten,

schnell zu

Sie die Vorgänge des bewundern

Sie,

wie

die mich nöthi­

entscheiden.

Hören

letzten Hoftages, und ich

zu

dem getrieben

werde, was mein Schicksal heischt. nicht vielleicht Glück, wenn ein Ende das schwankende Schiff in den Hafen schleudert,

O, ists

Sturm am

faßt,

und es

der zwar nicht der

gewählte war, der aber doch wol in ein Land

führt, wo wenigstens Ruhe wohnt, wenn auch keine Glückseligkeit? Halb entzückt über einen gewonnenen Sieg, halb entkräftet von dem schweren Kampfe — denn Ihnen gestehe ichs, ich liebte Montmorenci — entschloß ich mich, meine traute Donna Helena nach Hofe zu begleiten.

Zch mußte ihr zei­

gen, daß der Entschluß, ihr einen entfremde­ ten Geliebten wieder zu geben, mir nicht so gar schwer geworden war;

ich mußte ihr zei­

gen — was nicht wahr war. Es

gab

unter

beiden

Wiedervereinigten

noch mancherlei zu berichtigen, manche Miß­ verständnisse zu lösen, manche lose gewordene Bande

neu zu verschlingen,

Fehler zu

ver­

decken, Vollkommenheiten ans Licht zu ziehen; genug, es kam darauf an, beide ganz wieder einander anzueignen, und in beiden die Ueber­ zeugung zu wecken, die ich wenigstens für meine Helena wünsche: die Treulosigkeit ihres Mont­ morenci sei

nur

flüchtige

Verirrung jugend­

licher Phantasie, nicht volle Entfremdung des Herzens gewesen. Alles gelang zum Verwundern wohl,

und

mir lag zu viel daran, daß meine arme Helena heute »och des öffentlichen Triumphs über mich genoß, als daß ich nicht beide hätte nach Hofe begleiten sollen. Helena war schön zum Entzücken; glück­ liche Liebe,

wirderauflebende

schönten sie. —

Hoffnung

ver­

Ich, die sich nie in Reizen

mit ihr messen konnte, wollte just das sey», was ick war, und gab den Schein, den ich gebe» wollte. Schwer ist es, erkünstelte Fröhlichkeit nicht zu übertreiben; ich war vielleicht zu lebhaft — ein Fehler, der mir überhaupt, sobald mein Herz zu wahrer

oder erkünstelter Ruhe ge­

bracht ist, von den Zeiten, da ich die Klei­ dung jenes freieren Geschlechts trug, noch et­ was anhängt. Zch stürzte mich bald in den Haufen der Tanzenden.

Dem

spanischen Gesandten

zu

Ehren — (ich hatte ihn noch nicht gesehen, seinen Namen noch nicht einmal gehört) — war heute zahlreiche Gesellschaft zum freiern Tanz. Der frohe Wirbel, in dem ich schwamm, sollte vollenden, was ich in dem einsamen Ge-

mach

mit

Es gelang;

tausend Thränen mein Herz

erkämpft hatte.

blutete

nicht

mehr,

meine Schritte beflügelten sich, meine Augen logen die unbefangenste Fröhlichkeit. —

Da

führte mich der Tanz vor dem Könige über, der in einer Ecke des Saals mit dem Nuntius rpid noch einem Herrn sprach; ich ward gewahr, daß ich bemerkt wurde, ich hörte, daß man von mir sprach. dung

Bald darauf, als die Wen­

des Tanzes mich

auf der nehmlichen

Stelle müßig stehen machte, hörte ich, daß der König zu dem Römer sagte:

Nie habe

ich ein schöneres Escadron als diese Damen, nie ein gefährlicheres gesehen!

Ja, Sire, ant­

wortete eine Stimme, die wie ein Pfeil durch mein Herz fuhr — und die Anführerin der schö­ nen Kriegerinnen, die göttliche Constanze, trägt nicht nur Cytherens Waffen, Degen

auch mit dem

in der Hand kann sie Ihren Feinden

gefährlich werden! schon sehr frühzeitig lernte fle ihn führen! Wie, Don Pedro? rief der König, und, o Gott, er hätte nicht nöthig gehabt diesen fürchterlichen Namen zu nennen, um mir zu

S6

------------

sagen, in wessen Nahe ich war; meitt weissa­ gendes Herz fühlte es bei den ersten Tönen dieser Stimme, und unfähig war ich mehr zu hören. Die Kette der Tanzenden kam jetzt um mich herum; halb bewußtlos schlang ich mich in sie ein, und nahm der ersten Gelegenheit war, mich aus dem Wirbel loszumachen, und unter dem Vorwand von Unpäßlichkeit nach Hause zu fahren. Hier sei es genug für heute: mir fehlen die Kräfte! Morgen die Fortsetzung, und diese Nacht noch ernste Rücksprache mit mei­ nem Genius, wie ich mich schnell genug aus einer Verkettung von Umständen losmachen will, deren Gefahrvolles sich Zhnen jetzt noch nicht ganz darstellt.

Kaum war ich nach Hause, kaum hatte ich den lastenden Schmuck, und die das gepreßte Herz

noch

mehr

beengenden Prachtgewande

von mir gelegt und mich

auf ein Ruhebette

geworfen, als ich die Thür des Gemachs leise aufgehen

hörte.

fortgeschickt.

All

meine Leute hatte ich

Die Lichter

brannten

dunkel;

mein Gesicht, von Thränen überströmt, hatte ich mit meinem Schleier verhüllt: ich sah nicht wer eintrat,

aber ich vermuthete St. Annex,

dem vielleicht meine schnelle Entfernung Sorge gemacht haben konnte, men gewesen wär'.

und der mir willkom­

Er war der einzige, der

in so einem Augenblicke Zutritt bei mir hatte. Selbst Montmorenci durfte mich nie so zwang­ los besuchen;

nur dem Freunde, dem

ernsten,

gesetzten Freunde, in dem mich mein Genius schon

so

oft

ahnen ließ,

den

künftigen

Lebensgefährten

nur ihm gebührte das vollkom­

menste Zutrauen.

Man nctfjte sich leise, man ließ sich vor nur auf ein Knie nieder. Annex!

rief

ich,

Ach, theurer St.

und streckte meine Hand

nach dem Knieenden aus. Constanze!

meine

Constanze!

war

die

Antwort. Gerechter Gott! schrie ich und winde mich aus meinen Hüllen los, und reiße mich aus mich heftig Pedro ,

umfangenden Armen!

Don Pedro ists!



Act-

Seine Stimme

verkündigt mir ihn! noch mehr seine Gewalt­ that ! Er hält mich im Fliehen auf, und ich — ju sehr verachte ics) ihn, um nicht zu bleiben. Ich beruhige mein klopfendes Herz, ich bringe Fassung in meine zerstörten Blicke.

Eine Un­

terhaltung beginnt, die ich wörtlich zu wieder­ holen keine Geduld habe, deren Resultat aber auf seiner Trotz

Seite,

Wunsch erneuerter Liebe,

auf jene unglückliche. Gottlob,

langst

getilgte Leidenschaft, war, die ihm meine treu­ los behandelten Briefe, die ihm — (zittern Sie, Oheim, vor einem treugeglaubten Freun­ de!) die ihm noch weit mehr der Vertraute

meiner Leiden, der Zeuge meiner Kämpfe, der Verräther Loupian verrieth. — O Gott! ses

ehrwürdige

Gesicht!

die­

diese Augen eines

Heiligen, die ich sorglos in »wein Herz blicken ließ! dieser Mund der Weisheit, der mir Trost und Rath verlieh — dieser, dieser konnte mich täuschen!

Soll ich denn

überall nichts

als

Falschheit finden? Pedro trotzte auf eine Neigung,

deren

Starke er kannte, und an deren Besiegung er nicht glauben wollte. —

Zch widersprach den

Ueberzeugungen nicht, die seine Eitelkeit un­ umstößlich machte,

aber ich sagte ihm kalt,

daß der Name einer Herzogin von Alba jetzt sehr gleichgültig sei, innigere

Bande,

als die

mir

und daß ich weit einer jugendlichen

Phantasie, der Pflicht und Tugend zu Liebe zu zerreißen wüßte.

Ach Gott, mein Oheim!

ich dachte an Montmorenci. Eine seltsame Verwirrung verbreitete sich über sein glühendes Gesicht, er wiederholte die Worte: Herzogin von Alba! vermuthlich, weil er gar nicht wußte, was er sagen sollte, und

ich verließ dad Zimmer, ohne

daß er wagte,

mich aufzuhalten. Welch

eine Nacht folgte diesem Auftritt!

Nur der Morgen, der sich an dieselbe knüpfte — cd war der vorgestrige — konnte meine Verle­ genheiten vermehren. werde ich Ihnen

0 Gott, mein Oheim,

alles

sagen,

werde ich den

edelsten der Menschen, ihn, den ich innig ver­ ehre, ihn, der lausend königliche Tugenden mit einem

einzigen Fehler verbindet, der höchsten

Beleidigung

anklagen

dürfen,

lichen Ehrgefühl widerfahren

die dem weib­ kann!

Mit dem frühesten Morgen war Helenens Base, die Marquise von Entragues bei mir. Sie

sagte

mir,

Königs, die

sie sei die

Abgesandte des

Dolmetscherin der Gefühle, die

ihm gestern, ein in meinen Augen sehr unbe­ deutender, ach höchst unglücklicher Gegenstand, erregt habe.

Zn einer Stunde werde er selbst

erscheinen, ein Herz zu meinen Füßen zu legen, das — das----------.

Hier wären indessen die

ersten Opfer dessen, der mir die Kronen Welt

aufsehen würde,

nicht!----------

wenn





der

wenn

9i

ö Gott! so schimpflich! so ganz gemein behandelt zu werden! Ich wählte aus einem Frühling von Blu­ men, den man der rauhen Zahrszeit abgenöIhigt hatte, und der eine Menge schimmernder Edelsteine verbarg, eine Rose. — Sie soll, sagte ich, indem ich einen Dorn aus dem Fin­ ger zog, mit dem sie mich (o wie deutungs­ voll!) — verwundete, sie soll mich an mei­ nem Hochzeittage schmücken: ich bin die Ver­ lobte des Herrn Darri de St. Aunex! Und dies, rief die Marquise, indem sie erzürnt aufstand, dies die ganze Antwort, die ich dem König zu bringen habe? Die ganze! An der Hand meines Gemals, in dem Augenblicke, wenn ich den Hof verlasse, bringe ich dem größten und besten der Könige noch selbst den gerührtesten Dank für seine Parteilichkeit gegen eine Unwürdige. Oheim, ich weiß nicht, ob ich mich ver­ nünftig, ob schicklich betrug! Ich konnte mich in diesen Augenblicken der schrecklichsten Ver­ wirrung hinter nichts verstecken, als— hinter

eine Lüge, die ich — jeden Augenblick zur Wahrheit machen konnte. Einmal in meinem Leben war das Glück mir günstig.

St. Annex trat ein.

Wie ein

Schutzengel erschien er mir, ich empfing ihn mit Entzücken!

Ich sagte ihm alles!

Ich

verschwieg ihm nichts, als die Thorheit, mit der ich mich bereits für seine Verlobte ausge­ geben hatte, ehe ich noch wußte, ob er, nach dem vollen Gestandniß der verworrensten Um­ stande, mich noch seiner Neigung würdigen, ob er mir das lange Zögern in einem Ent­ schlüsse

verzeihen

würde,

den mein besseres

Selbst schon längst gefaßt hatte. Selten sind wir so unbemerkt,

als wir

glauben; das Räthsel in uns kennt der redliche Freund oft besser, als wir selbst.

St. Annex

wußte alle meine Verhältnisse zu Don Pedro und zu Montmorenci;

er nannte mich, mit

einer Thräne im Auge, ein Wesen ohne glei­ chen. Nur das einzige, der unglückliche Blick, den der König gestern auf mich geworfen hat­ te, war ihm noch

ein Geheimniß.

Zitternd

fragte er mich, was ich thun wolle? — Ach Gott, ich verschwieg ihm nichts; ich sagt«, daß ich mich mit seinem Namen geschützt hätt«. Und wär' dies möglich, rief er, indem er mich in seine Arme drückte; wär's möglich, daß die selbstständige Tugend Zuflucht an mei­ nem Herzen suchen wollte? Ich weinte an seinem Halse, heiße, v heiße Thränen der Reue, meinen Schutzengel so lange verkannt, ihn so lange über mein Herz zweifelhaft gelassen zu haben! — Nein, St. Armer, ich täusche nicht dich! nicht mich selbst! Nicht Nothwendigkeit ists, die mich in deine Arme wirft! nicht Mangel an an­ derer Zuflucht! Diese unglücklichen Umstände thaten nichts, als den Schleier zerreißen, der die Gottheit in meinem Innersten verhüllte! Freilich mußten erst alle Leidenschaften schwei­ gen, ehe mir die Stimme des Göttlichen, das immer in unserm Herzen redet, hörbar werden konnte! — Ich bin St. Aunexs Verlobte; diesen Abend werde ich seine Gcmalin, mor­ gen verlassen wir den Hof!

Za, die edle, die treffliche Constanze, tue Siegerin so mancher

von unserm Geschlecht

unbesiegbar geglaubter Leidenschaften, ward die Gemalin des braven St. Annex — eines Man­ nes ,

der außer dem Charakter

Redlichkeit und Wahrheit ihn dem ersten

der

reinsten

wenig hatte, das

aller weiblichen Wesen jener

Zeit hätte empfehlen können. Der erste Schritt in die Welt aus dem Heiligthum,

das sie zur Gattin

ihres Ge­

wählten machte, zeigte ihr erst, was sie be­ siegt hatte.

O weit größer war der Sieg in

der Vorstellung,

die sie

von

dem

Ganzen

hatte, in dem was ihr Wahrheit war, als in dem was sich ihr nun entdeckte.

Mit

einer kleinen Beschämung, mit einer Demüthi­ gung,

die

nicht ihrem

bessern Selbst galt,

denn ihr schrieb der alles aufzeichnende Engel die Sache so an, wie sie sie gefühlt hatte — mit Beschämung, Demüthigung, Befremdung, sah sie, daß — sie fliehen mußte, und frei­ lich am besten am Arme eines edel» Gemals — um einer eifersüchtigen Freundin, der sie die heiligste, wahrste Liebe, die Liebe zu Mont-

morenci opferte, Ruhe zu sichern.

Sie sah,

daß, war' sie auch klein genug gewesen König Heinrichs Ltebe anzunehmen, Henriette d' Entragues

ihn

hiebt, um

noch

zu

fest in ihren Banden

ihn leichten Kaufs los

zu geben;

sah, daß Don Pedro ihr nicht den Namen einer Herzogin von Alba — (er war nun sckon vermählt) — nein, nichts als die Reckte auf sein Herz antrug, die sie schon längst verächt­ lich von sich gestoßen hatte. Arme Constanze,

du hattest der Tugend

heilige und schwere Opfer gebracht, und mit brennendem Erröthen sahst du,

daß sie nur

auf den Altar der Klugheit gehörten! dir:

Wohl

dies gesellte zu all deinen Tugenden noch

die Demuth, und die Wage, die droben wagt, rechnete dir darum nicht minder, o nein noch mehr, den Werth an, den du im Augenblicke des Opferns fühltest. Constanze, nachdem sie einen langen, pein­ lichen

Abend

Pedro's, Montmorenci's,

und

Heinrichs Blicken ausgesetzt gewesen war — Blicken, die über ihrem anschauen die Herzogin

von Alba, und Helenen, und Henrietten von Entragues gänzlich vergaßen, folgte ihrem Gemal nach der Festung Leucate, einem wichtigen ihm anvertrauten Platze,

der aber für eine

Constanze, wär' sie nichts weiter gewesen, als die erste Schönheit ihrer Zeit, zu den größten Hoffnungen

der Ehre und

der Liebe erzogen,

rin Kerker gewesen seyn würde. Er war cs nicht, er war ihr das Heiligthnm

des

schönsten

häuslichen Lebens.

Zn

den kleinsten Pflichten der Hausfrau stieg die Heldin herab; alternden

nach den kleinsten Launen eines

Gemals

bequemte

der glänzendsten Feste.

sich

die Göttin

Sie fühlte sich weder

als Heldin, noch als Göttin, blos als ein gu­ tes

weibliches Wesen, das nach der Vollkom­

menheit strebt

und

hinzu —

erst die Ewigkeit



dein — dies sehen wir den Kranz

aufsetzen konnte. Sie sollte ihn noch nicht so bald erhal­ len;

es

warteten

ihrer

hier

noch

schwere

Pflichten. Die

Zeit

ward

immer

stürmischer

und

kriegerischer, Don Pedro, der so kühn *) spre­ chen konnte, konnte noch kühner handeln; hatte einer den Waffen Heinrich des IV. Gefahr gedroht, so wär's Don Pedro gewesen. Alles zitterte vor ihm. Auch die Festung, die dem Gemal der schönen Constanze anvertraut war — Constanze war damals kaum 25 Jahr, — sah diesem fürchterlichen Feinde entgegen. Der Herzog von Montmorenci, Generalcommandant von Languedoc, wußte seine Gemalin und sei­ nen neugebornen Sohn nicht besser zu schützen, *) Als Don Pedro einst dem großen Hein­ rich von der Macht seines Königs zu viel Rühmens machte, antwortete jener: Tour cela ne nVimpose pas. Si le roi, votre maitre, continue ses attentats, je porterai le feu jusque dans l’Escurial, et on me verra bientöt a Madrit. Francois I. y fut bien! antwortete der un­ bescheidene Don Pedro. C’est pour cela, versetzte Heinrich in dem königlichen Ton, der ihm eigen war, c'est pour cela, que j’y veux aller, venger son in jure, celles de la France, et les ttüennes.

2- f- F-

XII. H.

7

als in den Armen der alten Freundin.

Helena

lag noch einmal in Constanzens Armen.

Der

Herr de St. Annex war genöthigt, auf «in« Nachricht, die die Herzogin mitbrachte, selbst zu Montmorenci zu eilen, um die beiderseiti­ gen Plane, die kein fremdes Auge duldetenmit einander zu vergleichen.

Kurz war die

Reise, die Festung blieb indessen in Constan­ zens Aufsicht. Noch sind Briefe von Helmen und Con­ stanzen vorhanden, welche die ganz unvorher­ gesehenen Ereignisse, die 1590 diesem Schritte folgten,

schön

und

lebhaft genug schildern;

doch der Raum, der diese Geschichte beschränkt, ist zu klein,

nur

wenige Worte enden den

Heldenruhm derjenigen, die eS verdimt, unter den Genien unsers Geschlechts aufgestellt zu werden. Der edle St. Annex fiel bei der Rückkehr in die Hände der Liguisten. Anführer

des

Wichtigkeit Schatze,

Don Pedro, der

spanischen Heers,

der Festung Leucate,

kannte

die

kannte die

die sie barg, MontmorenciS Gema-

(m und Sohn, und — die ewig unvergeßliche

Constanze, ihm, wie er meinte, jetzt eine gar leichte Beute! —

Er rückte auf die Festung

an, sie mußte, seines Erachtens, sogleich die Thore

öffnen,

der Commandant war ja in

seinen Händen.

Kaum war hier eine ordent­

liche Aufforderung nöthig; doch um der Förm­ lichkeit willen, doch um der Sache ihr Recht zu thun, geschah was bräuchlich war. Helena fiel in den Armen ihrer Freundin in Ohnmacht, als die Aufforderung der Festung, und die Nachricht von der Gefangenschaft des Mannes, auf dem hier,

so schien rS, jede

Hoffnung der Sicherheit beruhte, zu gleicher Zeit da war.

Helena wußte, wie sehr sie

Don Pedro haßte, seit sie Mvntmorencis Gemalin war. Constanze ward bleich, zitterte, schwankte, nahm ihr Kind, mit Helenens Sohn vhngcfähr von gleichem Alter, und legte es in der Freundin Arme. Kann ich

darauf rechnen,

sagte sie mit

ernstem Blick, daß du diesem verlassenen Kinde auf jeden Fall Mutter seyn willst?

daß du

cs schützen wirst gegen deinen grausamen Bruder? Helena schwieg und sah sie mit Erstau­ nen an. Willst du mir schwören, fuhr Constanze fort, das; der kleine St. Armer und der junge Montmorenci, auch wenn ich nicht mehr bin, bei dir gleiche Rechte haben sollen? schwören, bei jenem großen Opfer, das ich einst dir brachte ? Helena schwur. Nun so ist alles gut! rief Constanze mit erheitertem Blick, man lasse den spanischen Abgesandten vor mich kommen. Saget eurem Herrn, sprach sie mit ruhi­ ger Kalte, er solle sich der Worte erinnern, die er einst beim Tanze zum Könige von Frankreich sagte. Diese Arme verstehen den Degen recht gut. Leucate ist des Feinds ge­ wärtig , und Constanze wird zugleich die Rechte ihres Königs und den gefangenen Gemal aus Don Pedro'ö Handen fordern. — — Keine weitern Worte, ihr und euer Herr haben die gehörige Abfertigung!

Noll Erstaunen entfernte sich der Bote. Constanze küßte die Freundin und die Kinder, und eilte aus dem Gemach, ihren heldenmüthigen Worten Nachdruck zu geben. Constanze versammelte die Garnison , sie stellte ihr ihre Pflicht vor, zeigte ihr in dem guten Zustande der Festung und in der nachtheiligen Lage, die sie dem Feinde zuschrieb, die Möglichkeit sich zu halten. Alles jauchzte ihr den Ruf der Treue und Bewunderung zu. Schnell waffnete sie sich, und die Pike in der Hand vereinigte sie die Pflicht des Anfüh­ rers mit der des selbst angreifenden Kriegers so gut, daß die Belagerer überall zurückgetrie­ ben wurden. Wuth und Beschämung, einer Dame wei­ chen zu müssen, übermochte die Feinde. Es war weit gegen den Morgen, als Don Pedro Constanzen zuentbieten ließ: Es gelte hier das Leben ihres Gemals. Sie habe die Wahl, die Festung zu übergeben, oder ihn bluten zu sehen. Dies war zu viel für die Heldin, sie zer­ floß in Thränen. Ich bin reich, rief sie

mit gewundenen Händen: man nehme mir alles, o man nehme mein Leben; nur ihn, nur ihn schone man, den ewig Geliebten! — Doch würde er dulden, daß ich mit einer Nieder­ trächtigkeit ihm ein Leben erkaufte, dessen er sich schämen würde? Würde Don Pedro, der klein genug denkt, mich in die schrecklichste aller Verlegenheiten zu stürzen, mir, wenn ich ihm Ehre »ind Pflicht aufopferte und meinen König verrieth, Glauben halten? — Hinweg jeder Anschein von Rettung, als durch das Schwerd! ------- Doch nein, ich bin schwach, bin ein Weib! ich kann irren! — Nur der Wille des Gemals kann mich leiten. Wird der grausame Don Pedro, wird er mir die letzte Befriedi­ gung versagen? Man verstand Constanzen, und glaubte des Erfolgs einer solchen Rücksprache so ganz gewiß zu seyn, daß man sie sich gefallen ließ. Du hast als eine Heldin begonnen, ließ St. Annex seiner Gemalin sagen, mein Wille ist, daß du als eine Heldin endigest. Das will ich, erwiederte Constanze, und

bald sehen wir uns wieder! sei es nun hier oder dort! DaS Stürmen hatte einige Augenblicke nachgelassen. Constanze eilte von den Wällen und warf sich Helenen in die Arme; schon blutete sie aus mehrern Wunden. Halte dei­ nen Schwur, rief sie. Die Festung erhalle ich dir und dem König! Mein Genial muß sterben, aber ich folge ihm. — Helena reichte ihr, unfähig zu sprechen, den kleinen St. An­ nex, der seine Arme, Nahrung fordernd, nach der Mutter ausstreckte. Hinweg! Hinweg! schrie sie. Hier nichts, das mich erweiche! Diese Milch müßte ihm Tod seyn! Für ihn bin ich nun schon nicht mehr! Helena! fei ganz seine Mutter!

Constanze ssog auf die Wälle, der Sturm begann von neuem. Verzweiflung begeisterte den Widerstand. Gegm den Mittag trieb ein mächtiger Ausfall den fliehenden Feind vollcnds in die Flucht. St. Aunex blutete, und

die Heldin

ward

leblos

in HelenenS Arme

gelegt. Nach einigen Stunden ermunterte sie sich. — Wo ist mein Gemal? rief sie in halber Bewußtlosigkeit. —

Man

schwieg. — —

Wohl, wohl l antwortete sie, da, wo ich auch bald seyn werde! Gegen die Nacht fühlte sie sich stärker, sie konnte einige Befehle geben, und versprach der verzweifelnden Helena, so lange ju leben, bis sie sie in Montmorencis Hände geliefert hätte. Man sagte ihr von einem Gefangenen von Bedeutung,

den

man

gemacht

hätte,

und

schlug ihr als Linderungsmittel ihres Schmer­ zes

vor,

ihn

den

Manen St. Aunexs zu

opfern. — Abscheulich! schrie sie mit aller Kraft, die ihre schwache Brust enthielt. — ihn zu mir,

Man führe

ich wist von ihm hören,

St. Aunex starb,

damit

ich

wie

sterben lerne;

dann mag er friedlich ziehen! Der Gefangene trat ein, es war, — ach sollte die kaum noch athmende Constanze noch

diese Erschütterung erfahren? — es war der Sieur Loupian. Wie, rief sie, und ein Strom von Blut entquoll ihren Wunden. Wie? du, der einst die Unschuld an das Laster verrieth, du mußt mir auch noch die letzten Augenblicke erschweren? Zch komme zu büßen, komme zu vergü­ ten! rief der Gefangene, indem er sich bei ihrem Lager niederwarf. St. Annex lebt, die­ ser Arm war's, der ihn rettete, er ist nahe, er ist hier, vermögt ihr seine Erscheinung auszuhalten? 0 meine Leserinnen, Euch und mir nichts mehr nach dieser Entwickelung! *) *) Die Geschichte, die über St. AunerS Ret­ tung sich nicht deutlich erklärt, sichert uns we­ nigstens Constanzens Leben. Sle blieb/ so sagt sie, Commandantm von Leucate, wie wir über­ zeugt sind, durch das Leben ihres guten Gemals, und alsdann haben wir auch nichts dagegen, daß König Heinrich ihrem Sohne die Sürvivance in dieser Stelle sicherte. Weniger konnte er mcht thun.

Fragmente aus den Briefen

einer deutschen Fürstin an Lavater.

Beschluß der erste» Sammlung»

Ein äußeres Merkmal einer schönen, guten, weiblichen Seele hat mich bisher noch nie ge­ täuscht: wenn das Weib mit ruhiger, heitrer, lieblicher Freude anhaltend von andern Gutes erzählen hörte. erzählte:

Hörte, sag'ich, nicht selbst denn da achtet man mehr auf

sich und kann durch feine Bildung der Außenwcrke täusche». sagen Sie?

«Und

doch auch dort —“

Zch glaube nicht: denn da würde

die Täuschung so

unendlich

die Wahrheit selbst:

schwieriger,

als

warum sollte man als»

nicht lieber diese annehmen?

Sie haken Recht: die meiste Zeitverschwen­ dung rührt her von Unbestimmtheit des Zwecks oder der Mittel — wir sind mit uns selbst nicht einig, was wir wollen, oder wie wir es zu erreichen haben.

Klare Bestimmtheit de-

Zwecks mit Uebersicht und kluger Wahl der Mittel, und ernstem Willen, ihn zu erreichen, thut fast Wunder und schafft zugleich Zeit, un­ endlich mehr zu genießen, als sonst nur mög­ lich wäre.

Einen Mann

hab' ich gesehen,

dem dies unwandelbarer, nie im Handeln ver­ letzter Grundsatz — der darin vollkommen war; einen Mann, der, wie gesagt, eben dadurch fast Wunder that, und zugleich viel Zeit übrig be­ hielt für Lebensgenuß aller Art: F r i e d r i ch II. von Preußen war der Mann! —

Es mag Klugheit seyn, Anderer

zu

die Schwachen

seinem Vortheil

zu benutzen:

Liebe aber benutzt sie zu ihrem Vortheil.

Wer nicht Herzensfreude hat, wenn sein Feind etwas Vorzügliches versucht, und es ge­ lingt und Beifall findet: der nenne sich doch ja noch keinen guten Menschen, viel weniger einen Christen.

Böse Menschen werden nie gut in der (Gesellschaft der bösen. Döse, näher mit ein­ ander vereinigt, werden unverbesserlich. Aber ach, wie viele Gute werden auch bös im Ge­ tümmel von jenen! So viele Anstalten brin­ gen leider Döse einander nahe: wo ist eine, die Gute einander nahe bringt? Ich weiß wol, daß eine gestiftet worden und daß auch ihr Name noch da ist: aber wo ist sie selbst?

Als beim heuigen Gottesdienst .... das gewöhnliche Kirchengebet las — wie im Tief­ sten der Seele erschütterten mich die Worte: Wir empfehlen dir, o Gott, alle, die in die­ ser Zeit unrecht leiden, und denen, Gew alt geschiehet, und die ohne dich keinen

Helfer noch Retter haben--------Welch ein

Wort!

Wie viele Tausende werden eben

jetzt (1792) in diesen einigen Seufzer zusam­ mengefaßt !

(1792.)

Alles Wahrscheinliche

geschieht

nicht, und alles Unwahrscheinliche hat seinen raschen Fortgang:

heißt das nicht, es giebt

noch Wunder?

Zch erwarte von dem leidenschaftlichsten, rohesten Menschen eher etwas Gutes, als von dem kaltblütigen Schiefkopfe, dem Seitenblikker, dem Lauerer.

Hat dieser nun noch oben­

drein

Neid, und etwas Zurück­

Schlauheit,

stoßendes,

und weiß,

tere hat: von ihm.

daß er das letz­

so fürchte ich das Allerschlimmste

Zch erstaune, wie Schiller, damals

noch ein kaum heranwachsender Züngling, und ehe er nur einen Blick in die Welt hatte thun können, alle diese Momente ;u seinem Franz Moor zu vereinigen gewußt hat.

Komm' ich in Gefahr durch irgend etwas innig erbittert zu werden, so ist es durch die ganz natürlich scheinende Freundlichkeit, die ganz unnatürlich ist und eine ganz natür­ liche Feindlichkeit verdecken soll.

Alle meine redlichen und schonenden Be­ mühungen, .. . wieder zu gewinnen, sind ver­ geblich gewesen. Zch bin sehr betrübt. Zch sinne und sinne: warum mußte das kommen? wohin wird es führen? Zch finde keinen Grund und der Boden unter mir wird nur immer wankender. — 's kluges Auge bemerkt ohne Zweifel die Verhältnisse. Er schont mein Schweigen und gehet gern auf alles ein, wor­ auf ich mit Heiterkeit — die mir so schwer wird vorzugeben — das Gespräch lenke, und was freilich immer die fernsten, bezugloftsten Dinge betrifft. Gestern hielt er — was die Leute eine sehr schöne Predigt nennen, worin einige verborgene Wendungen wahrscheinlich mein Herz beruhigen helfen sollten: mein Ver­ stand folgte ihm, mein Gefühl blieb todt und

kalt. Da schloß er mit dem gewöhnlichen, apostolischen Seegenswunsch: Der Friede Got­ tes, welcher höher ist als alle Vernunft u. s. w. Zum erstenmal griffen diese Worte tief in mein Innerstes. Hab' ich Recht, wenn ich sie so verstehe: Friede in Gott ist erhab­ ner, (folglich auch wirksamer) als alles, was sich Menschen vernünfteln, ersinnen können u. s. w.? Nach diesem Frieden will ich streben und jenes Sinnens und Grübelns mich ent» schlagen. Za, schon in diesem Augenblick, da ich mir's vornehme, fühl' ich mich erleichtert, gestärkt, und folglich bestätigt sich jenes: „welcher höher ist als alle Vernunft"------

Klage nicht, mein Herz-------Es lebte Einer, der sich, um Gottes und der Zukunft willen, jeder Freude entäußerte, im guten Willen seines Vaters ruhete, an ihn bei jeder Aufopferung sich hielt, die Menschen mit un­ aussprechlicher Liebe umfaßte — auch die ihm unbeschreiblich wehe thaten; Einer, der sich selbst und jede Freude, worauf er Anspruch

hatte, vergaß, und Ueber litt, um dann seine Freuden mit Andern theilen zu können — — Auf ihn siehe, mein Auge!

Wir alle wer­

den durch Leiden für uns und Andere genuß­ fähiger.

Der erste Schritt zu — sogar unnatürli­ chen Lastern ist, daß man sie an Andern ver­ de ck t;

der zweite,

entschuldigt;

daß man sie an ihnen

der dritte, daß man fürch­

tet, Laster, Laster zu nennen;

der vierte, daß

man

Vorwände gut

sie unter irgend

heißet.

einem

Nun verliert man selbst den Boden

unter den Füßen, den man so wankend gemacht hat, und stürzt unaufhaltsam hinab---------

Man ist nie mehr geneigt. zu richten,

Andere scharf

als wenn man mit sich selbst un­

zufrieden zu seyn Ursach hat und darüber in übler Laune ist.

II3 Der Zuschauer vor dem Schauplatz hat es besser,

als der in der Kulisse lauscht.

Wahr

ist es, dieser erkennet Einzelnes weit deutlicher, aber das Ganze überstehet er nicht, und die böse Schminke, und der Flitterstaat,

die er

nun Ln ihrer Armseligkeit bemerkt —!

Das

Suchen nach Wahrheit macht glücklich; Gefundenhaben kalt.

macht

oft

satt,

das trage,

So vielleicht bei nichts mehr, als bei

Menschenkenntnis.



Wie

wohlthätig

Lsts

auch darum, daß die Natur ihre Geheim­ nisse mit einem ewigen, aber durchschimmern­ den Schleier verhüllt! Ihr nachzugehen, ihre hohen Gesetze — erst zu ahnen, dann zu be­ merken, jetzt sie tausendfach bestätigt zu finden, neu anzuwenden, lieb zu gewinnen, und sie sich

selbst anzubilden:

das eben macht

den Werth und das Glück des einsamen, be­ sonders des Landlebens.

Alles, was sich liebt, verähnlicht sich ein­ ander.

Wie zwei Farben zusammensiralen, daß

I. f. F. xti. H.

3

eine dritte, mittlere werde: so werden auch auf eine wunderbare Weise, schon durch das bloße theilnehmende Beisammenseyn, menschliche Ge­ müther, ja sogar Gebehrden, Gesichtszüge und die feinsten Uebergänge der Denkart, der Hand­ lungsweise, einander ähnlich.

Wahnsinn, alle

Gemüths-Krankheiten,. Schwärmerei, Furcht, alle Affekten, sind ansteckende Uebel —: aber, Gott sei Dank, auch das freundschaftliche Beifammenseptt mit guten Menschen verähnlicht, bessert uns so ohne Gewalt, selbst ohne Worte. — So versteh' ich, was Sie mir letztlich etwas dunkel schrieben; und so wird es mir unendlich wichtig und trostreich, wenn es mir schwer auf die Seele fällt, wie vieles Menschen von mir erwarten, und wie weniges ich leisten kann. Dann versteh' ich auch, was Zhr Autor in der Folge sagt —



Za, auch mein bloßes

Daseyn kann nicht ohne Wirkung bleiben; und je mehr Ordnung, Gesetzmäßigkeit und Gutes ich selbst beweise, je wohlthätiger muß diese Wirkung werden.

auch

auf meine Umgebungen

Es kann nicht anders seyn: der beste

Mensch müsste eben darum wie Gott wirken — unwiderstehlich, und so, daß er ein gährendes Chaos um ihn her ordnete, Finsternis vertrieb, Licht werden hieß.

Bruchstücke

au 6

den

Briefen

und dem Leben der Ninon de Lenelos.

B e s ch l u ß.

Vielleicht wünschen schluß

die Leserinnen zum Be­

dieser Reihe von Briefen auch

fahren,

wie diese geistreiche,

die sich für die

zu er­

seltsame Frau,

Herzensangelegenheiten ihrer

Freunde so theilnehmend beeiferte, ihre eigenen betrieb?

Gut genug; wovon schon das anstatt

aller Beweise dienen kann, daß ihr noch fast

in

Matronenjahren die gebildetste männliche Zu­

gend, und das geistreiche männliche Alter nicht minder, huldigte, bekam,

und

sie sogar Gelegenheit

in den fünfziger Zähren einem könig­

lichen Prinzen kaum in den zwanzigen, der all­ gemein als äußerst liebenswürdig galt, förmlich das Körbchen zu flechten.

Zcner — Wißbe-

gierde Genüge zu leisten, stehe hier so etwas von Billet-doux, wo nicht in optima forma, denn doch in bester Form. Es wird dadurch noch anziehender, daß es zu einer Zeit geschrie­ ben worden, wo Ninon gar leicht hätte Groß­ mutter seyn können. „Nein, guter Freund, wenn Sie aus die­ sem Tone mit mir sprechen wollen, so ists aus. Was für ein Dämon heißt Sie denn mich zu furchten machen, wie gestern Abend? Ich weiß nicht, was Sie alles für Thorheiten begangen haben;, ich weiß nur, daß ich nicht recht von Herzen bös darüber seyn konnte, daß ich das aber werden muß. Nein, sagen Sie, was soll das? Machen Sie, was Sie wollen: so viel ist richtig, ich will Sie nicht lieben, und das ist mehr gesagt, als, ich werd' es nicht. Im Ernst, ists nicht thörigt, ein Frauenzimmer überreden wollen, sie sei traurig, brauche Auf­ heiterung, wenn sie selbst versichert, es sei nicht wahr? Was zu arg ist, ist zu arg. Ich däch­ te, Sie wären so gut und überdächten ein Augenblickchen, welche Grille Ihnen durch dm Kopf läuft. Mir, Ihrem Mentor, mir, die

IIS

ich so mütterlich mit Ihnen verfahren bin, sol­ che Dinge vorzuschwatzen? mir altem Mädchen? Wollen Sie mich etwa in Versuchung führen, vb ich meine Theorie der Liebe auch durch die Praxis zu erweisen im Stande fei? O mein Freund, so weit sehen wir noch------ Kurz nnd gut, das kann zu nichts führen Bleiben Sie auf Ihrer glanzenden Laufbahn. Der Hof bietet Ihnen hundert Schönheiten, bei denen Sie wahrhaftig nicht, wie bei mir, wagen, sich zu langweilen, weil man Ihnen vorraisonnirte, oder wo sie sich zusammennehmen müßten, weil Sie Geist zeigen sollten. Das also ist abgethan unter uns und davon weiter keine Rede! N u n aber will ich Ihnen nicht verheim­ lichen, daß ich nicht bös seyn würde, wenn ich Sie heute sähe. Die Herren haben mir gestern mit ihren Dispüten über die Alten und Modernen ganz den Kopf verdrehet, besonders über die leidigen Alten. Wissen Sie etwas darüber zu sagen, das ihn wieder zurecht fetzte? Wenn Sie nur hübsch ernsthaft seyn wollen, jo möcht' ich mich freilich lieber von Ihnen, als von Andern belehren lassen. Aber ich weiß

schon, Sie sind so unruhig, so untraktabel, daß ichs gar nicht wage, Sie ;u bitten, morgen Abend bei mir zu essen. Nein, nid)t morgen Abend — ich bin irrig: es ist ja schon zwei Uhr nach Mitternacht, und gegen Mittag erhalten Sie mein Blatt erst. So wär' es denn heute — — Also ein förmliches Rendez­ vous ! Daß ich das zugestehe, beweiset Ihnen hoffentlich, man scheue Sie eben nicht und man wisse von all den schönen Dingen, die Sie sagen, nur das für sich auszuwählen, was paßt. Ich kenn' euch, ihr Herren!“-----Das ohngefähr blieb Ninon — und auch das schönste Weib — bis gegen ihr sechzigste» Jahr; und selbst hernach war sie noch äußerst angenehm, immer geistreich, heiter, und leich­ ten Sinne» bis in das späteste Alter. Aus ihren letzten Jahren nur noch einige Züge, die wenig bekannt zu seyn scheinen. Ludwig der XIV., der nun auch alt wor­ den war und nicht selten von Langeweile und Lebensüberdruß gedrückt wurde, wünschte, und die Freundin seines Alters, von der schon frü­ her geredet worden, wollte selbst vermitteln.

daß Ninon nach Versailles zöge, damit er, der König, sich ihres belebenden Umgangs er­ freuen könnte. Ninon schlug es aus, weil sie zu alt sei, um sich an den Zwang des Hoflebens gewöhnen zu können — wahrscheinlich aber noch mehr, um nicht einen alten Herrn unterhalten zu sollen, der nicht mehr unter­ haltbar war, weil nichts an ihm haftete. Der König wünschte sie also nur noch einmal zu sehen, und Ninon erschien wirklich vor ihm mit schönem Anstand, mit einnehmender Würde, xmb war damals eben — achtzig Zahr' alt. Der König unterhielt sich mit ihr in einem leichten Anflug jugendlicher Artigkeit, und nannte sie selbst eins der ausgezeichnetsten Wunder seiner Periode. Einige Zeit nachher lief ein artiges Ge­ dicht auf den Dauphin umher, das ein alter Offizier diesem übergeben hatte, um sich zu einer Pension zu empfehlen. Es gefiel so sehr, daß man nachfragte, wer es gemacht habe, und der Offizier nannte einen Knaben von zwölf Zähren, den Sohn eines Advokaten, der sein Freund sei. Ninon wollte den Kna-

ben sehen, ließ ihn kommen, l-Mg' und in

unterhielt sich

Nr Folge öfter mit ihm, ging

seine Arbeiten mit ihm durch', und sagte Jeder­ mann , dieser Knabe werde zuverlässig einer der größten Männer der Nation. sie

den

jungen

Dadurch brachte

Menschen in Ruf,

mehrere

Reiche und Große nahmen sich seiner an — daS hatte Ninon gewollt:

aber sie begnügte

sich nicht damit, sondern nahm an seinen Be­ schäftigungen so lange sie noch lebte Theil, em­ pfahl ihn auf dem TodeSbette ihrem gelehrten Freunde, Chateauneuf, und sehte dem jun­ gen

Dichter eine ansehnliche Summe aus zu

Büchern Und

und

andern gelehrten Hülfsmitteln.

der junge Mensch war — Voltaire.

Ohne Ninon wäre er vielleicht in seiner Zesuiten - Schule zu Grunde gegangen, wenigstens ganz gewiß bei weitem

das nicht geworden,

was er wurde. Ninon war fast immer ganz gesund, und, wie sie selbst sagte, nur zweimal unglücklich gewesen — das einemal durch ihren Sohn, wie im ersten Hefte dieses Journals erzählt worden,

das zwettemal früher, wie es hier

nicht wohl erzählt werden kann. Endlich nah­ men ihre körperlichen Kräfte plötzlich und von Tag' zu Tage ab; aber ihre geistigen Ver­ mögen blieben ihr bis zum letzten Moment. Sie fühlte ihr Ende herannahen: sie erwar­ tete es mit Fassung — mit Heiterkeit sogar. Sie hatte vom September 1615 bis zum siebzehnten Oktober 1706, folglich ein und neunzig Jahre gelebt: da machte sie noch die Verse, die wenigstens durch diese Umstände interessant sind: Qii’un vain espoir ne vienne point s offiir Qui puisse ebranler inon courage: Je suis en äge de mourir, Que serois-je ici davantage ?

wendete sich, schied.

legte sich zurecht, und ver­