Erhebung der Pädagogik zur philosophischen Wissenschaft: Oder Einleitung in die Philosophie der Pädagogik. Zum Behuf seiner Vorlesungen [Reprint 2019 ed.] 9783111640235, 9783111257600


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German Pages 226 [228] Year 1845

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Vorrede
Erhebung der Pädagogik zur philosophischen Wissenschaft. Oder Einleitung in die Philosophie der Pädagogik
Eintheilung
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Erhebung der Pädagogik zur philosophischen Wissenschaft: Oder Einleitung in die Philosophie der Pädagogik. Zum Behuf seiner Vorlesungen [Reprint 2019 ed.]
 9783111640235, 9783111257600

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Erhebung der Pädagogik zur

philosophischen Wissenschaft. Oder

Einleitung in die

Philosophie der Pädagogik.

Zum Behuf seiner Vorlesungen.

Von

Dr. Gustav Thaulow, P r i v a l d o e e n l e n an der Universität

u

H i e 1.

o?; ya() iöu ntqi oiov fhioieoov

uv äv&qcujroQ ßoi)Xtb(7aiT(> /; jrtol jruidtsac xal avvov xaf imr uvlov o ixt (cur. Platon.

Beeiln.

Verlag von Veit u n d (5 o m p. IMS.

ÄJ0 r 11 ft e. Es liegt in der Bemerkung, daß in vorliegender Schrift eine Bearbeitung der Pädagogik angestrebt wird, welche von Allem, was bis jetzt auf diesem Gebiete erschienen ist, einen sehr ver­

schiedenen Charakter hat, nichts, was Vertrauen einflößen könnte.

Denn auf andern Gebieten der Wissenschaft haben in neuerer Zeit neue Versuche nur zu oft bewiesen,

daß sie nicht zum

Heile der Wissenschaft ausfielen. Wenn der Verfasser nun gar sich dahin ausspricht, daß

er von der Ueberzeugung ausgegangen ist, bis jetzt eristire noch keine Pädagogik als Wissenschaft und eben solche zu schaffen sey seine Aufgabe gewesen und sie auch wirklich geschaffen zu

haben sey ihm gelungen, so ist eS so unmöglich, daß er von

Anfang an Vertrauen einflößen kann, daß vielmehr nur der eine Trost ihm bleibt, man werde ihm die Gerechtigkeit wider­

fahren lassen, mit dem Vertrauen denn überhaupt jedes Vor-

IV urtheil fahren zu

lassen und ohne jede

Erwartung für und

wider die Schrift in die Hand zu nehmen.

Diese Bitte ist um so natürlicher, als sie beim Beginn

des Studiums dieser Schrift aufhört eine Bitte zu seyn und sich vielmehr in eine Forderung

verwandelt, welche die von

dem Verfasser befolgte Methode an die Leser macht-

Denn

von Grund aus und ganz von unten auf die Untersuchung beginnend, hat der Verfasser nicht etwas Neues an die Spitze

gestellt, sondern er sucht selbst und erst am Schluß wird der

Begriff der Pädagogik gefunden.

Deshalb ist sogleich anzu­

geben, daß die vorliegende Schrift damit endet, womit sonst

Werke über Pädagogik beginnen.

Es führt diese Schrift bis

zum Begriff der Pädagogik und ihrer systematischen Eintheilung.

Indem nun nach solcher Methode an keinem Punkte inner­ halb der Abhandlung selbst ein Ruhepunkt ist, an keiner Stelle. gewußt werden kann, was eigentlich herauskommen wird und

Keinem bevor

über

er

das

einen einzelnen Theil ein Urtheil möglich ist, , Ganze

im Zusammenhänge

überschaut

hat,

so braucht wohl nicht weiter bemerkt zu werden, daß der Titel

dieser Schrift wirklich urgirt werden soll und daß eS sich in

ihr um Philosophie handelt.

Näher ist daher das Vorhaben,

des Verfassers so zu bezeichnen, daß er die Pädagogik in den Rang einer reinen philosophischen Wissenschaft erhebm

und

V

damit ihr ihre bestimmte Stelle in dem Gesammtgebiete der

philosophischen Wissenschaft hat anweisen wollen.

Wie nun sich erweisen wird, daß die Pädagogik einmal die letzte und höchste Wissenschaft der Philosophie ist, zweitens

aber, daß die moderne Philosophie sich eben deshalb nicht als vollendet und beendet ansehen kann, weil sie bis jetzt noch

keine Pädagogik in diesem Sinne geschaffen hat, das ist etwas,

was hier im Vorwort nur angedeutet werden kann. Indem auf diese Weise der neuern Philosophie Erwäh­ nung geschehen ist, so hat der Verfasser vor Allem zunächst in Beziehung auf sie anzuführen, daß er nicht durch pädagogische

Studien, sondern einzig und allein durch das Studium der Philosophie auf die Pädagogik als die nothwendig von der Philosophie geforderte Wissenschaft hingeführt ^worden ist. Und

dies auf eine zwiefache Weise.

Erstens nemlich schien ihm der

innere Gang der Philosphie selbst in ihrem letzten Ziele diese

Wissenschaft zu fordern.

Dies war freilich für ihn die Haupt­

sache. . Dazu kam aber die Betrachtung, auf welche entsetzliche Weise die moderne Philosophie das religiöse Bewußtseyn em­

pört und den Zugang zu den Gemüthern versperrt hat. Ohne nun hier mich näher darauf einzulassen, wie mei­

ner Meinung nach diese Schuld auf der jüngern Hegel'schen

Schule lastet, so mußte es mir, da ich Hegel selbst über Alles liebe, nicht aber in dem Sinne, als ob ich es in seinem Geiste

VI gehandelt dächte, wenn man auf seine Worte schwört und ihn

nachbetet, sondern in dem Sinne, daß ich seinen wundervollen Genius

und seine ursprüngliche Schöpferkraft für den allei­

nigen Quell ansehe, aus dem, was in unserer Zeit in wissen­

schaftlicher Beziehung Gehalt und Wahrheit haben soll, ent­

springen muß, in dem Sinne, fasser der

sage ich,

mußte

dem

Ver­

Widerspruch des Einflusses seiner Philosophie mit

dem, welchen sie haben könnt« und sollte, unerträglich seyn und daher vor

Allem

ihm das

Bedürfniß

entstehen, nach seinen

Kräften dazu beizutragen, sie aus diesem Mißverhältniß her-

Wenn aber

auSzuheben.

eine Philosophie nicht im Stande

ist, sich an das Leben zu wenden und seine höchsten Aufgaben

zu lösen, so muß sie daS allgemeine Bewußtseyn gegen sich aufreizen und von sich abwenden.

Wenn es mir daher ge­

lungen seyn sollte, nachgewiesen zu haben, wie die Philosophie nicht allein den Muth haben darf,

höchsten Lebensftage ohne

sie diese

sich

an

heranzumachen, sondern

die wie

Lösung

der

überhaupt

gar nicht gelöst werden kann, so wäre mein

Wunsch in Erfüllung gegangen, den Manen desjenigen Man­ nes, den ich für den größten Genius und Wohlthäter unseres

Jahrhunderts halte, einen kleinen Tribut abgestattet zu haben. Es ist

doch

wohl

nicht abzuleugnen,

daß

selbst

diejenigen,

welche gegen Hegel auftreten, das, was sie sind, durch ihn sind.

Wie nun aber

in

neuerer

Zeit

aus

der

Hegel'schen

vir Schule selbst Einige, wie z. B. Gabler, selbstständig

auf­

treten und den Titel eines Hegelianer desavouiren, so kommt es allerdings darauf an, daß dieser Titel von Grund aus auf­

gehoben werde, wenn die Philosophie Kraft gewinnen soll.

wieder

ihre

belebende

Es wird daher auch aus der vorliegen­

den Schrift ersehen werden, wie der Verfasser bei

aller Ab­

hängigkeit von der Hegelschen Philosophie und aller Anhäng­

lichkeit an sie doch seinen durchaus selbstständigen Weg einge­ schlagen hat. In der vorliegenden

Schrift finden

sich manche bittere

Aeußerungen über den Mangel an pädagogischer Bildung in

unserer Zeit.

Diese dürfen nicht mißverstanden werden.

Auch

der Ausspruch, daß an Universitäten die Pädagogik so gut

wie gar nicht gelesen wird,

darf nicht mißverstanden werden.

Ich meine das so, daß in der That nicht behauptet werden kann,

es seyen die pädagogischen Vorlesungen wie andere Vorlesungen an den Universitäten zu Hause; ich meine das so, daß die Staaten solche Vorlesungen nicht wie andere fordern, daß im

Ganzen unter der studirenden Jugend kein Bedürfniß für pä­

dagogische Vorlesungen vorhanden ist.

Was das Andere be­

trifft, daß ich über den Mangel pädagogischer Bildung klage, so ist damit ja nicht ausgesprochen, daß es nicht auch aus­

gezeichnete Pädagogen und Lehrer giebt.

Erinnerung an diese

zu den liebsten,

Vielmehr gehört die

welche ich habe und

VIII

möchten die theuren Lehrer in Deutschland und in fremden

Ländern, welche mich so freundlich aufnahmen, wenn diese Schrift in ihre Hände kommen sollte, sich davon überzeugt

halten, daß ich wenigstens den Glauben habe, für ihre Sache zu wirken.

Selbst diejenigen, welche die Ueberzeugung haben,

daß eine Pädagogik als selbstständige Wissenschaft unmöglich ist, möchten dann, wenn sie auch nicht durch diese Schrift vom

Gegentheil überzeugt werden, meinem Bestreben als solchem nicht unhold seyn.

Bemerkungen endlich, wie die z. B. über

Belgien, daß das Unterrichtswesen dort in einer furchtbaren

Lage sich befindet, muß ich festhalten, obwohl gerade in Bel­

gien gegenwärtig das regste pädagogische Leben ist, und in einzelner Weise ganz besonders Ausgezeichnetes dort geleistet wird.

Im Ganzen aber muß ich dabei bleiben, daß das Prin­

cip der Freiheit des Unterrichts in Belgien über kurz oder

lang nicht nur eine schreckliche Crisis hervorrufen wird, son­

dern daß man schon recht mitten darin ist.

Ich könnte mich

in dieser Beziehung auch auf das Urtheil bedeutender Männer

in Belgien berufen. — Es war zuerst meine Absicht, das ganze System der

Pädagogik im Grundrisse zum Behuf meiner Vorlesungen her­

auszugeben und wäre dies wohl auch geschehen, wenn nicht meine pädagogische Reise dazwischen gekommen wäre.

Ich

will es nicht leugnen, daß ich es sehr bedaure, dies nicht

rx haben durchführen zu können.

Denn immer mehr macht sich

die Anforderung an einen Docenten überhaupt geltend, daß er

den Inhalt seiner Vorlesungen den Zuhörern vorausgeben und selbst nur lehren soll, den Inhalt

wissenschaftlich aufzufassen

und zu verarbeiten, die sich stets verjüngende Begeisterung in und an dem philosophischen Denken in seiner eigenen Person

darstellend; — für die Pädagogik, als eine neue Wissenschaft, wäre solcher Grundriß

besonders

erforderlich.

wäre die vollkommene Durchführung

Das Höchste

der Wissenschaft selbst.

Aber, wenn auch die Erfindung eines Systems nur in dem­

jenigen Alter möglich ist, wo der Geist in seiner productiven Frische steht, so sind doch noch

gar viele Jahre erforderlich,

bevor die Durchführung im Einzelnen erschöpft seyn kann. Da­ zwischen

liegt nun als Mitte,

was die vorliegende

Schrift

beabsichtigt, nemlich eine Einleitung zu geben in den Grundriß.

Aus ihr wird dann die Gesammtauffassung deö Verfassers so­

weit hervorgehen, wie für die nächste Aufgabe erforderlich war. Indem ich also diese Schrift mit besonderer Rücksicht auf

meine Vorlesungen herausgebe, will ich überhaupt im nächsten

Umkreis Folgendes durch sie bezwecken: erstens, daß in mei­ nem Vaterlande und auf der Ilniversität, an welcher ich lese,

auf die

Bedeutung

und

Nothwendigkeit des

Studiums

der

Pädagogik aufmerksam gemacht werde; zweitens, daß dieje­ nigen unter den Studirenden, welche mich zu hören gedenken,

im Voraus wissen, was sie zu erwarten haben; dritens, daß die ferneren

pädagogischen

Schriften,

welche ich

zum Theil

schon unter Händen habe und im Verlauf der nächsten Jahre

herauszugeben beabsichtige, auf diese meine Gesammtauffassung

der Pädagogik, wie sie in der vorliegenden Schrift niederge-

gelegt ist, zurückgeführt und dadurch erst ihren Zusammenhang gewinnen sollen.

Denn das scheint mir der Mangel der gan­

zen pädagogischen Litteratur zu seyn, daß in ihr fast unzähl­

bare

einzelne

pädagogische

Themata

behandelnde

Bücher

und Broschüren erscheinen, nach dem pädagogischen Wissen in seiner

Totalität aber nicht gefragt wird. Deshalb habe ich auch nicht ge­ wagt, eine Schrift über den Zustand des Unterrichts in Frankreich

mit) Belgien und über die pädagogischen Verhandlnngen in den Kammern zu Paris und Brüssel zuerst herauszugeben. Um freilich

zu ersehen, wie eine Wissenschaft der Pädagogik an der Zeit ist, dazu

möchten

jene Verhandlungen

besonders

Auch, waS die deutschen Staaten betrifft,

geeignet seyn.

so zeigt das In­

teresse, mit welchem jetzt in allen Kammern pädagogische Fragen

ventilirt werden, daß es an der Zeit ist, dieser Frage einen wissenschaftlichen Mittelpunkt zu geben.

Besonders aber ist als Gegengewicht gegen diejenigen, welche die Möglichkeit dessen, was der Verfasser beabsichtigt,

leugnen, das Wort eines Mannes entgegen zu halten, welcher für die wissenschaftliche Behandlung einzelner Theile der Pä-

XI

dagogik, wie namentlich auch durch Aufmerksammachung auf das, was noch geleistet werden müßte, wohl das Bedeutendste

in der pädagogischen Welt geleistet hat. der Kapp,

Das ist Alexan­

Prorector am Gymnasium zu Soest.

Er sagt

nemlich in seiner Vorrede zu seiner Staatspädagogik des Aristo-teleö: „Auf Eins hier schon genauer einzugehn, möchte

als nothwendig erscheinen, wenn dasselbe auch Gegenstand ei­

ner eigenen Darstellung zu werden verdiente; denn es betrifft eine ganz neue Aufgabe und zwar eine so umfassende und wichtige, daß mit ihrer allmählichen Lösung im Leben die Lö­

sung aller andern großen Aufgaben der im Staate lebenden

Menschheit vollbracht werden wird — der Verfasser meint die Staatöpädagogik." Allerdings, das ist die Aufgabe, auf deren Lösung ich

ausgehe — Rückkehr zu Plato und Aristoteles auch auf diesem Gebiet.

Unsere deutsche Wissenschaft ging am Schluß

des. vorigen Jahrhunderts

auf Plato

zurück und schuf eine neue Welt. mit

und

Aristoteles

Damals traten aber und

Äecht andere Interessen in den Vordergrund, die Me­

taphysik und die Theologie jener Männer.

Wo wäre aber

jemals die Pädagogik als das Letzte uud Höchste

in einer

energischeren Weise geltend gemacht worden, als bei Plato und Aristoteles! —

Erinnern wir nun auch noch daran, wie

Sch le i er macher mit Entschiedenheit ausgesprochen hat, daß

XII die Pädagogik die Vollendung der Ethik sey, wie von Hegel in dem

dritten Theil seiner Rechtsphilosophie die Pädagogik

selbst als das Unentbehrliche für die Erreichung der Sittlich­

keit angegeben wird, so kann auf dem Gebiete der Wissenschaft das Werk des Verfassers wohl verschwinden (darauf käme es

denn auch nicht an), nur soll und kann die Philosophie es nicht abweisen, daß die Aufgabe als solche gefordert ist. Die Theologie wird dann erst auch dieser Forderung Ge­

hör geben, wenn die Philosophie damit voran geht.

Es liegt

wohl noch fern die Zeit, wo die Theologie ihre Freude an der Philosophie

haben wird.

Der Pastor Harms in Kiel ist

ein großer Mann, eine bewundrungSwürdige Erscheinung, ein Ebenbild Luther's, wenn irgend eins.

Daß er lutherische Natur

hat, ersieht man aus seinem schönen „Einer gegen Sieben und Achtzig" in der Berliner Zeitung; daß aber ein solcher Theolog

niemals mit der Philosophie sich vertragen wird und auf eine sehr bittere Weise gegen sie aufzntteten vermag, ersieht man

aus seiner Bemerkung über das einschmeichelnde Wort der „Ent­ wicklung."

Allerdings hat Harms den Nagel auf den Kopf

getroffen — dies Wort wird entsetzlich gemißbraucht und all

die unglückseligen Bewegungen

unserer Zeit stammen daher.

Aber ebenso ist aus nichts mehr Unheil entsprungen, als aus dem Christenthum und doch bleibt wohl das Christenthum das

Höchste, was es giebt. — Da nun für die Theologen

die

Pädagogik eine sehr wichtige Wissenschaft seyn möchte, so wird

es d. h., wenn sie wirklich nur durch Philosophie möglich ist, lange dauern, bis die Theologen sich ihr zuwenden.

Was die Schulmänner betrifft, so braucht wohl nicht be­

merkt zu werden, wie eine Philosophie für den höheren Lehrerstand seyn kann.

der Pädagogik nur

Wie dennoch aus ihr eine

Beziehung zu dem ganzen Schullehrerstande hervortritt, kann nur die Wissenschaft selbst nachweisen.

Es liegt aber nur zu

nah, wenn von einer neuen Bestrebung auf dem Gebiete der Pädagogik vernommen wird, daß etwa eine Rousseau'sche oder Basedowsche Analogie

vorhanden

sey.

Aber einen

ganz umgekehrten Weg von Rousseau schlägt, der Verfasser ein.

Allerdings empfand Rousseau die tiefen Leiden der Heu-,

tigert Menschheit und wollte die Unnatur unterdrücken.

Das

Mittel, welches Rousseau aber dazu darbot, war selber Un­ natur, der Geschichte und dem Geiste Hohn sprechend."

Ihm

ging ganz das Vertrauen ab, wie Dahlmann sehr richtig

bemerkt, „daß dieselbe geheimnißvolle durchdringende Kraft der bürgerlichen Gesellschaft, die allein die Tugenden der Menschen

entfaltet, auch durch die Wege und Irrwege der Bildung den

Rückweg zur Natur finden und den Kreis glücklich vollenden werde."

So deckte Rousseau die Wunden seiner Zeit auf,

aber das, was die Wunden allein heilen konnte, schien ihm gerade besonders die Quelle des Uebels zu seyn,

nemlich die

XIV Bildung und Wissenschaft.

Nur aber die Liebe zur Wissen­

schaft, die Liebe zum wahren Licht kann die gefährlichen und

oberflächlichen Entwicklungsbewegungen in unserer Zeit hem­ Denn die Wissenschaft hat Scheu vor dem Alten und

men.

Heiligen und die scheint allerdings unserer Zeit zu fehlen.

Zum Schluß erlaubt sich der Verfasser nun noch anzuzei­

gen, daß mit dieser Schrift zugleich eine zweite erscheint unter

dem Titel „Nothwendigkeit und Bedeutung eines pädagogischen Seminars auf Universitäten, nebst der Geschichte des von ihm

errichteten," welche besonders auch den Zweck hat, des Ver­ fassers Auffassung von der Pädagogik mehr in concreto dar­

zustellen und auch in ihrer praktischen Bedeutsamkeit aufzu­

weisen.

Berlin, auf seiner pädagogischen Reise, im September 1845.

Der Verfasser.

Darin liegt überhaupt das Wesen der Philosophie, daß sie keine subjectivrn Einfälle und Willkürlichkeiten duldet.

ES

handelt sich in ihr allein nur um den Begriff, welcher aber wiederum nichts anderes,

als die sich gliedernde und

cirende Totalität der Sache selbst ist.

Name ist das Zeichen eines Begriffs.

erpli-

Ein Wort oder ein

Ob ich ein Wort oder

einen Namen richtig gebrauche, hängt also davon ab,

ob in

mir, dem Subject, welches das Wort ausspricht, ebenso viele Momente als bewußte und gedachte und derselben Gliederung

nach vorhanden sind, wie in dem Objecte.

Wissen ist daher

nichts anderes als die Identität von Object und Subject; Wis­

senschaft nichts anderes als das Wissen von solchem Wissen und die Form, mit Nothwendigkeit in Andern dasselbe Wissen

zu erzeugen. Laut.

An sich also ist ein Name nur ein sinnloser

Wenn z. B. „Gott" gesagt wird, dann kommt es zu­

nächst darauf an, wer es sagt, da er im Munde des Negers,

des Griechen, deS Christen etwas sehr Verschiedenes ist.

So

wird mit dem Worte „Gott" etwas sehr Geringes gesagt, wäh­ rend wiederum der Name „Gott" das Absolute selbst bezeich­ nen soll, und dieser Name so groß ist, daß ohne ihn gar nichts anderes weder gedacht noch gesagt werden kann. Thaiilow, Philos. o. Pädagogik.

f

Es kommt

demnach aus das Prädicat an,

„was Gott ist",

d. h. eS

kommt auf die Erplication des Begriffes von Gott an.

Denn

ein Prädicat ist etwas durch den Begriff selber Gesetztes, der Begriff ist thätig und ein so

lange von sich Prädicirendes,

bis eben das Prädicirte gleich dem Begriffe selber ist.

Bei

dem Gebrauche eines Wortes oder eines Namens kommt es also darauf an, wie viel es mir prädicirt, und das Wort, an sich ein Inhaltsleeres, wird, wenn dasjenige, was es prädi­

cirt, unter denen, welche sich dieses Wortes bedienen, bekannt

ist, auf solche Weise das Inhaltvollste.

Wenn Christus den

Namen „Gott" aussprach, dann war sicherlich dieses Wort gleich dem Begriff Gottes; wenn ein Kind von vier Jahren

dagegm sagt:

„Gott im Himmel ist es, der da donnert, der

uns Brod giebt",

dann ist das allerdings auch ein Prädicat

von Gott zu nennen, und doch ist es nur ein Minimum des

Begriffes „Gott".

Wenn ein eben immatriculirter Student

sagt: „Ich studire Jurisprudenz, oder Theologie", und ein an­

derer Student, der im Begriff ist, seine Studien zu beschließen, sagt:

„Ich studire Jurisprudenz, oder Theologie",

so sagen

beide dasselbe, und doch sagt der Erste nicht das, was er sagt; denn von dem Worte „Jurisprudenz", „Theologie" weiß er so

gut wie nichts zu prädiciren, und das Wort ist ihm also ein bloßes Zeichen, noch ohne Inhalt.

Ich habe daher gar kein Recht, auch nur das geringste

Prädicat mit dem Namen „Pädagogik" zu verbinden,

so

lang ich nicht andere Subjecte habe, die mit mir auf gleiche Weise bei diesem Worte denken.

Diesen letzten Satz zu gewinnen war nothwendige Auf­ gabe.

Denn da es sich für uns um Philosophie handelt,

Philosophie aber etwas sich selbst Beweisendes ist, so hat der­

jenige, der über einen Gegenstand philosophiren will, wie viel

3

er auch durch Erziehung, Hörensagen und Gewohnheit über diesen Gegenstand schon in sich ausgenommen hat, alles dieses von sich abzuweisen und gänzlich darauf ztl verzichten. Wegen dieser Anforderung an die Wissenschaft ist Cartesius der An­ führer der neuern Philosophie. Da es sich nun um eine Philosophie der Pädagogik han­ delt, so muß es zuvörderst erwiesen seyn, daß eine solche mög­ lich ist. Würde gefunden, daß sie unmöglich sey, dann wäre damit gar nicht gegen die herrschende Vorstelluitg angestoßen, weil bis jetzt von einer solchen noch nirgends die Rede gewe­ sen ist. — Vielmehr könnte man sich wundern, daß nach sol­ cher gesucht wird, da es natürlich scheint, daß, wenn sie über­ haupt möglich gewesen wäre, sie längst schon hätte gefunden seyn müssen. Nach unserer Methode, welche also darin besteht, ganz und gar von Allem $u abstrahiren, was der Eine oder der Andere mit dem Namen.„Pädagogik" bezeichnet und ganz allein die Sache selbst sich erpliciren zu lassen, ist es überflüssig, vorher zu sagen: „es ist möglich, oder eS ist nicht möglich", da eben solche Sätze nur Behauptungen sind, eine Behauptung aber nach solcher Methode gar kein Gewicht hat. Umgekehrt, wenn nach dieser Methode das Resultat an irgend einer Stelle sich zeigt: „es ist das, was gesucht wird, unmöglich", so ist dieses Resultat etwas Beruhigendes, da die Wissenschaft nicht mehr und nicht weniger geben darf, als im Object ist. Wenn bei solcher Methode etwas an sich Falsches heraus kommt, so ist das nicht Schuld der Methode, sondern dessen, der sie anwen­ det, des in und nach ihr denkenden Subjects. Denn weil diese Methode nichts anderes als die innere Begriffsbewegung selber ist, so muß, weil der Begriff nicht verändert werden oder ver­ schieden seyn kann, sondern ein ewiger und immer derselbe ist, 1*

4

so muß, sage ich, a priori die Möglichkeit eingestanden werden, daß ein Object adäquat seinem Begriff abgehandelt werden könne. Dieses ist etwas so sehr jedem einfachen Bewußtseyn Einleuchtendes, daß nur diejenigm, welche überhaupt die Mög­ lichkeit des Erkennens leugnen, von solcher Methode nichts wissen wollen. Wohl aber ist es möglich, daß dieser Methode gemäß nicht immer verfahren wird, Irrthümer und Abweichun­ gen sich einschleichen. — Unmöglich aber kann auf philosophi­ schem Gebiet eine Annäherung an die Wahrheit eingeleitet werden von Solchen, welche nicht die erste und obenan stehende Ueberzeugung gewonnen haben, daß diese Methode die allein richtige ist. Indem wir uns also zu dieser Methode bekennen, soll damit angedeutet seyn, daß die Wissenschaft, auf deren Be­ gründung wir ausgehen, wenn sie von uns auch nicht voll­ kommen erschöpft wird, doch eben als Wissenschaft angefangen und in den Rang einer philosophischen Wissenschaft erhoben werden möchte. Der Satz: „wir wissen gar nicht, weder daß noch was Pädagogik ist", ist demnach nun nicht mehr ein bloß belie­ biger Ausgangspunkt, ein bloßer Einfall, ein zufälliger An­ fang, sondern ein wirklich Gesetztes, d. h. aus dem Be­ griffe dessen, was Wissenschaft ist, zu allererst und mit Nothweirdigkeit Gefolgertes. Gesetzt, daß dieser oder jener wirklich schon zur Evidenz erwiesen hätte, daß und was Pädagogik ist, so müßte doch, wenn jemand diese Evidenz auch für sich selbst nachconstruiren wollte, sein erster Satz auf obige Weise lauten, und so bald er fände, daß derjenige, welcher ihm in seiner Behandlung Evidenz verspricht, nicht mit diesem Satz angefangen hätte, deshalb schon Zweifel nicht nur in diese ver­ heißene Evidenz setzen, sondern ihr mit entschiedener Sicherheit den Stempel der Nicht-Evidenz a priori aufdrücken, da eine

5

einzelne Wissenschaft nicht Wissenschaft seyn kann, wenn sie nicht participirt an dem allgemeinen Charakter der Wissen­ schaft überhaupt, d. h. gar nichts aus dem Object, über das gehandelt werden soll, als bewiesen voraussetzen zu dürfen. Denn um ein wissenschaftliches Ganzes handelte es sich ja nach unserer Ankündigung allein, oder was dasselbe sagen will, um ein philosophisches System. Sonst nämlich, wenn es bloß auf guten Rath für Erziehung, auf edle hingebende Be­ geisterung für das Wohl der Menschheit, auf vortreffliche Winke ankäme, könnte man nichts besseres thun, als dem edlen Schwarz und Niemeyer und Andern sich anzuschließen, so daß sogar, da bis jetzt nur betont wird, daß ich Wissenschaft will, hier meinerseits eingeräumt werden könnte, daß von jenen trotz ih­ rer Nnwissenschaftlichkeit für nützliche Anwendung und gedeih­ liche Erziehung mehr gewonnen werden könne, als von einer Pädagogik, welche wirklich philosophische Wissenschaft ist. Ja daö ist, damit die Aufgabe recht fest firirt werde, vorläufig ganz gleichgültig, ob solche Wissenschaft nützt oder nicht nützt, während natürlich später, wenn sie gefunden ist, die Frage nach ihrem Nutzen von der größten Wichtigkeit seyn wird. Es könnte aber hier auch die Bemerkung gemacht werden, daß, wenn es sich um Nutzen handelt, welcher durch persönlichen Rath und durch Erfahrung gebracht wird, die Universitäten ein sehr verfehltes Institut wären, da ihr Wesen ganz allein darin besteht, die reine Wissenschaft zu vertreten und fortzupflanzen. Für diejenigen, welche gleich mit Definitionen beginnen, gleich das Resultat haben wollen, muß die bisherige Zurüstung allerdings unwillkommen seyn. Nach unserer Methode aber ist eine Definition erst am Schluffe möglich. Mit dem Satz: „wir wissen weder daß noch waS Pädagogik ist", haben wir

6 überhaupt nur den Anfang des Planirens und der Bodenge­

winnung

gemacht,

zum Aufbau

selber

noch

keinen

Stein

gelegt.

Es wird aber einleuchten, daß zuerst unsere Untersuchung 'um den Punkt sich dreht, ausfindig zu machen, ob Philosophie der Pädagogik möglich ist, oder zu beweisen, daß sie möglich

ist.

Danach erst wird davon die Rede seyn können, was sie

ist und wie sie sich eintheilt.

Es tritt demnach das was zu

dem daß in Beziehungen, welche näher und deutlicher aus einander zu setzen für uns von größter Wichtigkeit seyn muß. Indem mit dem daß

derjenige Theil der Untersuchung

bezeichnet ist, welcher uns zu dem Resultat hinsühren soll, daß Philosophie der Pädagogik möglich ist,

hiemit also nur die

Ueberzeugung gewonnen wird, daß sie, weil Wissenschaft, in Fonn anderer philosophischen Disciplinen behandelt zu werden verdient, so muß allerdings innerhalb dieser Untersuchung auch dasjenige vorkommen, was im Systeme selber behandelt wird,

vieles aber auch berührt werden, was im Systeme selbst keine Berücksichtigung weiter finden kann.

Dies kommt daher, weil,

wie sehr auch in dem ersten Theil ein immanentes Fortschreiten Aufgabe seyn wird,

dennoch

auf früher Geleistetes und

etwaige Zeitverhältnisse Rücksicht genommen werden muß und das kritische Verfahren oft die Oberhand gewinnen wird,

so

daß in der vorliegenden Schrift bis zur Eintheilung hin die

Methode in ihrer dialektischen Reinheit nicht so wird auftreten

können, wie von dem Augenblicke an, wo die Wissenschaft der

Pädagogik in ihrer Totalität gefunden ist.

Denn das in ei­

ner Einleitung zu einer philosophischen Wissenschaft Gefundene

wird eben der Inhalt der Wissenschaft selber, welcher innerhalb

des Systems durch die reine dialektische Methode seine Probe erhält.

ES stellt sich demnach das Verhältniß des daß zum

was näher so, daß eigentlich nur Ersteres Inhalt der Einlei­

tung ist, dadurch

aber die Einsicht in das was gewonnen

wird, daß der Begriff der Philosophie der Pädagogik gefunden

wird und sich zur künstlerischen Durchführung im Einzelnen

anmeldet.

den,

Setzen wir also hier voraus, daß wir finden wer­

was wir suchen, so würde das Resultat unserer Unter­

suchung seyn,

daß es eine Philosophie der Pädagogik giebt,

und was ihr Begriff ist.

In der That fallen daher das

daß und was nur scheinbar aus einander; es kann nicht gewußt werden, daß es eine Philosophie der Pädagogik giebt,

Nur kann auf keinem

ohne zugleich zu wissen, was sie ist.

Punkte innerhalb der Untersuchung,

ob und daß Pädagogik

ist, gesagt werden, was sie ist, bis eben die ganze Untersuchung über das daß beendigt ist.

Darin besteht das Spannende,

Ungeduldige, aber allein Wissenschaftliche unserer Methode. Demnach nun glaube ich Alles angedeutet zu haben, was zur Untersuchung selbst berechtigen darf.

Wie ist nun von dem Satz: „wir wissen weder daß noch was Pädagogik ist", los und weiter zu kommen,

wenn wir

unserer Methode gemäß so fortschreiten müssen, daß wir durch­ aus gar nichts in den Namen Pädagogik hineintragen, er nicht selbst von sich prädicirte? diesem Satz das Wort „Pädagogik"

was

ES leuchtet ein, daß in doch

immer noch

als

Name gebraucht ist, und wäre demnach die letzte Möglichkeit,

daß dieser Name nirgends auf der Welt wäre und daß wir

ihn zum ersten Male gebrauchten.

Wenn wir also fragen,

wo ist dieser Name, wie wird er gebraucht, dann tragen

wir von unserer Seite

gar nichts

in den Namen hinein.

Ja in der That ist diese Frage so sehr der letztmöglichste Aus­ gangspunkt, daß gar kein anderer gedacht werden kann.

Wird

nun dieses auch von Jedem zugegeben, so könnte dagegen ge-

8 fragt werden, wozu diese Frage dienen soll.

Aber wir brau­

chen nur dem bezeichneten letztmöglichsten Ausgangspunkte ein

anderes Kleid zu geben, und auch über die Bestimmung der Frage wird dann weiter kein Zweifel seyn.

Daß nämlich die

Frage: „wo ist der Name Pädagogik, und wie behandelt man

ihn"? ganz zusammenfällt mit der Frage: „wie ist im Ganzen die Anerkennung,

welche

die Pädagogik in unserer Zeit

findet"? ist einleuchtend; danach aber wird auch schwerlich je­

mandem die Frage müßig scheinen, die wir bezeichneten. Doch

sage ich das nur für diejenigen, welche über die Trockenheit und Dürftigkeit unsers Anfanges Bedenken tragen möchten; denn an sich ist es gleichgültig,

wie trocken der Anfang ist,

da, wenn wir durchaus keine willkürliche Anticipation dulden

dürfen und nichts überschlagen wollen, gar kein anderer An­ fang möglich ist.

Fragen z. B., was ist Pädagogik, was will

sie, und andere der Art, sind so beschaffen, daß sie mit dem

Begriff der Pädagogik selbst coincidiren, welchen wir ja eben suchen wollen, und von dem wir nicht einmal wissen, ob wir ihn finden werden.

Bei der Frage aber, wo findet sich der

Name Pädagogik, wo hört man ihn, wie schätzt man ihn, ist über den Inhalt und das Wesen der Pädagogik noch gar

nichts gesagt. Man sagt nun, daß die Pädagogik eine Wissenschaft sey,

und zwar die Wissenschaft von der Erziehung des Menschen.

Wenn nun wirklich die Pädagogik eine Wissenschaft ist, wie man sagt, so muß sie auch alle Beziehungen mit den an­ dern Wissenschaften gemein haben, d.h. so muß sie gelehrt und

gelernt werden.

Da ferner von der Wissenschaft der Päda­

gogik gesagt wird, daß sie zum Inhalte die Erziehung des

Menschen hat, so muß außerdem die Pädagogik noch eine dritte Beziehung haben,

nämlich eine Beziehung zu den Familien;

9

denn es müßten vorzugsweise die Eltern seyn, welche die Pä­ dagogik, da sie ihnen einen solchen Inhalt bietet, hochschätzten, sie fleißig im Munde führten und priesen. Wir haben also in der Kürze anzugeben, wie es um die Pädagogik in diesen drei Verhältnissen steht. In Bezug auf das erste Verhältniß, daß sie nämlich, weil sie Wissenschaft ist, auch gelehrt werden muß, ist demnach erst statistisch anzugeben, auf welchen Universitäten sie gelehrt wird, da die Universitäten der Ort der Wissenschaften sind. Wir wären also verpflichtet von jeder Universität in Europa zu berichten. Dies ist aber um so weniger nothwendig, da vorläufig Ausschließung ganzer Länder möglich ist, und über­ haupt ja dieses erste geforderte Verhältniß nur der Vollstän­ digkeit der Untersuchung wegen berührt wird, im Uebrigen eS hinreichend bekannt ist, daß die Pädagogik auf den meisten Universitäten gar nicht, hie und da nur sehr theilweise gelehrt wird. In Norwegen, Schweden, Dänemark ist der Name der Pädagogik verschollen. Was Frankreich bArifft, so könnte viel­ leicht gesagt werden, daß überhaupt nur ein Mal in diesem Lande der Name gesprochen und gehört worden ist. Dieser Fall ist so charakteristisch, daß ich ihn mitzutheilen nicht unter­ lassen kann. Dubois in seinem Berichte an die Kammer über den Gang des öffentlichen Unterrichts bei Gelegenheit seines Budgets") vom Jahre 1836 sagt S. 415: „Wir wis„sen/ daß es schwieriger ist als je die Grundlage der Erzie„hung zu gewinnen, wegen des unermeßlichen Widerspruchs, „in welchen alle Arten des Glaubens, der Ueberzeugung und „der Lehre mit einander gerathen sind — eine schlimme, aber *) Cf. Thiersch:

Ueber den gegenwärtigen Zustand des öffentlichen

Unterrichts >c. Bd. If. S. 231

10 „Alles beherrschende Bedingung der Civilisation des Jahrhun-

„derts und unserer politischen Verfassung selbst.

Aber eben

„weil die Schwierigkeit größer ist, muß sie der Gegenstand ei„ner ernsten Aufmerksamkeit und tieferer Studien seyn.

Seit

„Rousseau, welcher die alte Erziehung auf eine so lebhafte „und schreckliche Art erschüttert hat, hat ein einziges Volk

„in Europa sich mit religiöser Wärme und mit einer Beharr„lichkeit oft glücklicher Anstrengungen bemüht, in dem Kinde „den Mann vorzubereiten und den Bürger, welchen die Mensch­ scheit und das Vaterland erwartet.

Alle Lehren der Vergan-

„genheit sind wieder ausgenommen, naher bestimmt, mit der „Wissenschaft, der Zeit in Einklang gebracht, zu einer festen

„Form der Lehre gestaltet worden. Deutschland hat nichts von „den religiösen Gefühlen zerstört, welche die Schulen belebten „und hat zugleich den Wünschen der Gesellschaft entsprochen,

„so wie die Zeit sie entwickelt hatte.

Wir haben also seinem

„Beispiele zu folgen, nicht sein Werk abzudrucken, sondern von

„ihm zu nehmen, was unserm Lande und unseren Sitten zusagt.

„Die Kunst der Erziehung, die Pädagogik, wie man jenseits „deö Rheins sich ausdrückt, ist bei uns ganz neu zu schaffen. „Wo würden diese Lectionen besser hingestellt werden als in

„die Normalschule?

Bereiten wir uns also vor, nicht etwa,

„wie eS vielleicht schon geschehen ist, für den äußern Schein,

„sondern ernsthaft und für die Wirklichkeit, daß das Princip „der Erziehung und ihre Methode wieder zu Ehren gebracht

„und daß ihre Entwickelung in allen Graden unserer Anstalten „verfolgt werden, von den Schulen für kleine Kinder bis zu

„unsern Facultäten, von der Normalschule bis zur Akademie

„der moralischen und politischen Wissenschaften." — In Bel­ gien werden keine pädagogische Vorlesungen gehalten; in Hol­

land zuweilen.

Aber auf deutschen Universitäten vielleicht ste-

11 hm sie neben andern Wissenschaften im Lectionskatalog? Nur

sehr selten.

Auf den meisten Universitäten wird die Pädago­

gik nicht gelehrt, und eingeräumt muß werden, daß das erste Verhältniß der Wissenschaft, welche den Namen Pädagogik führt,

ein sehr trauriges und armseliges ist. Die Ministerien haben sich von jeher auf eine merkwür­ dige Weise zur Pädagogik gestellt.

So ist es z. B. eigen­

thümlich, aus der Vorrede zu Kant's Pädagogik, herausge­

geben von Rink, zu ersehen, wie einer Verordnung des Mi­ nisterium gemäß aus der Universität zu Königsberg abwech­ selnd von einem Professor der Philosophie die Pädagogik vor­

getragen werden mußte.

Selbst der edle Kant, der sonst in

der That hoch genug von der Erziehung dachte — wir brau­ chen nur zu erinnern an sein Wort: „Hinter der Education steckt daö große Geheimniß der Vollkommenheit der mmschlichen

Natur;" „die Erziehung ist das größte Problem, das schwerste,

was dem Menschen kann aufgegeben werden; denn Einsicht hängt von der Erziehung und die Erziehung

hängt wieder

von der Einsicht ab;" „eS ist entzückend sich vorzustellen, daß die menschliche Natur immer besser durch Erziehung werde ent­ wickelt werden, und daß man diese in eine Form bringen kann,

die der Menschheit angemessen ist; dies eröffnet uns den Pro-

spect zu einem künftigen, glücklicheren Menschengeschlechte" — der edle Kant selbst, der

so hoch von der Erziehung dachte,

respectirte eben nicht sehr dieses Commando des Ministerium,

da seine Pädagogik doch bitterlich arm ist.

Ein ähnliches mi­

nisterielles Verfahren ersieht man aus der Geschichte des für

die Pädagogik sich aufopfernden Brzoska, dem das Weimarsche Ministerium in seinen Vorschlägen über Einführung pä­

dagogischer Vorlesungen in Jena nach rein numerischen Gut-

12 achten zwei Vorlesungen strich.

Es ließen fich solcher Geschich­

ten mehrere anführen.

So aber steht eS mit der Pädagogik auf Universitäten, sie wird nicht wie die andern Wissenschaften gelehrt. Aber es giebt doch pädagogische Werke, und es wird doch

hie und da auf Universitäten die Pädagogik gelesen! So wie

nun die Wissenschaft der Medicin dazu vorhanden ist, damit diejenigen, welche Aerzte werden wollen, durch das Studium

dieser Wissenschaft sich zu ihrem Beruft befähigen, oder wie das Studium der Theologie Bedingung ist für den Theologen u. s. f., so muß die Pädagogik, wenn sie, wie gesagt wird,

die Lehre von der Erziehung ist, von denjenigen, welche Leh­ rer und Erzieher werden wollen, doch studirt werden, und ist

es vielleicht möglich, daß dies der Fall ist.

Wir wissen bis

jetzt nur, daß die Pädagogik auf Universitäten außeror­ dentlich stieftöchterlich behandelt wird.

Tausende von Menschen,

Außerdem giebt es ja

welche überhaupt die Universitäten

für überflüssig halten und davon überzeugt sind, daß bei der vorhandenen Masse von Büchern jeder viel leichter und besser

für sich zu Hause studiren könne, welche denn anch mit dem Beweis, daß die Pädagogik auf Universitäten so gut wie gar

nicht vorhanden ist, noch keineswegs die Ueberzeugung gewon­ nen haben werden, daß sie als Wissenschaft wenig respectirt

wirdFür solche wird daher viel mehr Gewicht haben die Frage nach dem oben angegebenen zweiten Verhältnisse: „wie wird

die Pädagogik gelernt; wird sie gelernt?" Direct läßt sich freilich nur in einer Beziehung eine Antwort geben.

Keine Vorlesungen nämlich werden spärlicher

besucht als die pädagogischen-

Wir dürfen uns aber erinnern,

daß jeder Staat an die Studirenden seine Forderungen stellt,

13

und in der Aufrechthaltung dieser Forderungen haben die Eramina ihre Entstehung und ihre Vernünftigkeit. Nun wird aber das Studium der Pädagogik mit Ausnahme von wenigen Ländern von den Theologen, und Philologen nicht gefordert, sondern es ist vielmehr faktisch, daß in den meisten Ländern Theologen und Philologen in ihrem Fache etwas Eminentes leisten können, ohne jemals eine pädagogische Vorlesung gehört oder ein pädagogisches Werk gelesen zu haben. Faktisch scheint also die Pädagogik auch nicht gelernt zu werden und können wir auch über das Privatstudium der Philologen und Theo­ logen nicht zureichend urtheilen, so mag doch wohl hinreichen­ der Grund zu dem Schluß vorhanden seyn, daß der Mangel des pädagogischen Studium bei Philologen und Theologen im Grunde überall derselbe ist. An welchen Mängeln bei solcher Vernachlässigung der Pädagogik die Schulen leiden, welche entsetzliche Mißgriffe des­ halb Lehrer und Erzieher begehen und nothwendiger Weise begehen müssen, welche ungeheure Schuld deshalb die Länder auf sich laden, wie endlich dadurch die gegenwärtige traurige Spannung und Erbitterung zwischen Schule und Kirche hervorgerusen worden ist, kann von uns hier nicht gewürdigt werden, da wir noch gar nicht wissen, ob die Pädagogik eine Wissenschaft ist oder nicht, sondern wir nur ganz formell ihr diesen Titel beilegen mußten bei der Frage, wo ist ihr Name und wie wird er gebraucht. So bleibt endlich noch das bezeichnete dritte Verhältniß zu betrachten übrig, daö Verhältniß der Pädagogik zu den Familien. Denn die Familien sind es, welche ihre Kinder in die Schule schicken und Lehrer für ihre Kinder im Hause haben. Man sollte nun meinen, daß so gut wie das Bewußtseyn

14 allgemein ist, bei Krankheitsfällen sich an einen Arzt zu wenden, weil man dem zutraut, daß er seine Wissenschaft studirt

habe, oder wie mmr sonst in speciellen Fällen,

z. B. wenn

ein Haus gebaut werden soll, sich immer an solche wendet, deren Fach es ist, wie also immer für einen bestimmten Fall

ein bestimmtes Allgemeines sogleich sich einstellt, unter welches der bestimmte Fall subsumirt wird, so nun auch die Ueberzeu­ gung allgemein seyn müßte, daß ein Lehrer und Erzieher die Erziehungs- und Unterrichtskunst müsse studirt haben, um als

Lehrer und Erzieher austreten zu können.

Zufolge der beiden

vorhergehenden Verhältnisse aber ist es wohl kaum zu bemer­ ken nöthig, daß solche Ueberzeugung nicht allgemein, oder ei-

gentlich gar nicht vorhanden ist.

Die Erfahrung lehrt, daß

die Familien den Theologen qua Theologen, den Philologen qua Philologen diese Kunst bona fide zutrauen, mithin, daß

die Pädagogik von diesen gar nicht als Wissenschaft oder Kunst vorausgesetzt wird.

Dies ist allerdings, da sonst die Familien

egoistisch genug sind und über einen Lehrer der Scrupel sich gar viel machen, ob er auch streng orthodox sey u. s. w., eine höchst merkwürdige Erscheinung.

Lehrer und Erzieher könnten

eigenthümliche Geschichten erzählen, was für Fragen alle von den Eltern an sie gemacht, wie viele Zeugnisse über sie einge­ zogen worden sind; ein Zeugniß aber darüber, ob sie die Pä­

dagogik studirt hätten, möchte schwerlich jemals von den Fa­ milien den Lehrern abgefordert worden seyn.

Da hier, weil immer wiederholt werden muß, daß wir noch gar nicht wissen, ob Pädagogik eine Wissenschaft sey oder

nicht, gar kein Recht für uns vorhanden ist, weder anzuklagen noch zu vertheidigen, so kann doch soviel wenigstens gesagt

werden, daß dieses dritte Verhältniß ein ganz natürliches Re­ sultat der beiden ersten ist.

Genösse nämlich die Pädagogik

15 ein größeres Ansehen, wäre eS durch die Universitäten und durch den Staat ausdrücklich ausgesprochen, daß jeder, welcher

Lehrer oder Erzieher werden will, die Pädagogik müsse studirt haben, wie der Arzt seine Medicin und der Advocat seine Ju­

risprudenz, dann würde sicherlich auch bei den Familien der

Name Pädagogik gepriesen seyn und alle Lehrer und Erzieher, welche nicht auf diesen Namen getauft wären, würden gleich

den Winkeladvocaten und den Quacksalbern in den verdienten Mißkredit gerathen. Das sind die drei Verhältnisse, durch deren Betrachtung wir zu dem Resultat gelangt sind, daß die Pädagogik gegen­

wärtig ein matter Name, ein Bettlername, wie ein Fremdling ist, der nirgends Heimath hat. Wie sorgfältig wir nun auch die drei Verhältnisse aus­ einander gehalten, und für Jeden, dem es um die Sache zu

thun ist, zur Genüge werden abgehandelt haben,

wir in der Untersuchung doch nicht weiter gehen, Einiges zur Erläuterung hinzugefügt ist.

so dürfen

bevor noch

Erstens nämlich ist

das dritte Verhältniß sehr äußerlich von uns genommen und

muß

daher hier erwähnt werden, daß die Frage nach dem

Nutzen der Pädagogik sonst lediglich und allein aus dem Be­

griffe des Staates begriffen werden kann.

Aber wie konn­

ten wir berechtig seyn, hier diese philosophische Erörterung zu

machen, wo es sich nur handelte um eine empirische Betrach­ tung.

Zweitens dürfen wir nicht übersehen,

daß wenn hier

die Untersuchung über die äußere Anerkennung der Pädagogik nur um ihrer selbst willen,

d. h. weil erfordert durch unsere

Methode, angestellt worden ist, später, wenn vielleicht die Pä­ dagogik in unserer Untersuchung den Charakter einer philoso­

phischen Wissenschaft gewinnen wird, dann eine detailirte Dar­

stellung der von uns angegebenen Verhältnisse ganz besonders

IG geeignet seyn muß, auf die Nothwendigkeit des Studium der Pädagogik hinzuweisen und ihrer Anerkennung Eingang zu ver­

Hier aber ist nicht der Ort dazu.

schaffen.

Wir haben demnach nun wieder an das oben gefundene

Resultat anzuknüpfen und nach einem weitern Fortschritt für die Untersuchung uns umzusehen.

Die Möglichkeit zu eine Weise vorhanden.

das

diesem Fortschritt ist aber nur auf

Denn die einfachste Reflexion über

gefundene Resultat: „die Pädagogik findet eine sehr ge­

ringe Anerkennung", muß sogleich die Frage hervorrufen: „wird

ihr diese geringe Anerkennung mit Recht zu Theil oder mit Un­ recht?" Es ist ja möglich, verdient;

daß sie gar keine Anerkennung

es ist aber eben so gut möglich,

daß sie ein helles

Licht ist, welches nur unter dem Scheffel steht, vor dessen Glanz und Wärme

die Menschen

absichtlich sich verstecken.

Oder

wollte jemand einen andern Gesichtspunkt auffinden als die­

„wie gering auch

sen:

die

Pädagogik geachtet wird,

so

könnte es doch seyn, daß fie eine vollendete Wissenschaft ist,

für welche nur jede Empfänglichkeit fehlt.

Wir stehen hier aber an einem sehr wichtigen Wende­

punkt.

Erfolgt nämlich auf die entstandene Frage, ob der Pä­

dagogik die

geringe

Theilnahme mit Recht zu

Theil wird

oder mit Unrecht," die Antwort: „sie wird ihr mit Unrecht zu

Theil," dann ist sie vollendete Wissenschaft, gleichen Ranges mit allen andern Wissenschaften, und es wäre schon da, was wir suchen.

Erfolgt aber die Antwort: „es wird ihr diese

geringe Anerkennung mit Recht zu Theil", dann begönne jetzt

erst

unsere

eigentliche

Arbeit und

die wirkliche wissenschaft­

liche Berechtigung zu unserm Unternehmen überhaupt wäre

dargeboten. Es hängt also nun Alles davon ab, ob wir den Aus-

spruch wagen: „die Pädagogik selbst in ihrer gegenwärtigen

Verfassung ist Schuld an ihrer geringen Anerkennung,

sie ist

noch keine Wissenschaft", und ob wir uns gewaffnet fühlen, diesen Ausspruch zu vertheidigen.

Erfreulich und angenehm kann

demjenigen, welcher die Pädagogik auf Universitäten liest, wel­

cher für ihre Anerkennung mit aller Kraft arbeitet, keineswegeS solcher Ausspruch seyn; aus bloßer Neurungssucht kann ein sol­ cher solchen Ausspruch auch nicht thun.

Denn Niemand möchte

wohl bezweifeln, daß die Freude der akademischen Wirksamkeit darin besteht, dasjenige zu bekennen, was lieb ist, was all­ gemein geachtet ist, dasjenige, dem man mit Begehren und

Durst entgegen kommt, da nur unter solchen Verhältnissen von Seiten des Lehrers und der Hörenden dasjenige mitgebracht wird, was allein die fortwährende Spannung und Freudig­

keit möglich macht.

Daß also demjenigen,

der eine Wissen­

schaft bekennt, nur willkommen seyn müßte, wenn dieselbe schon

allgemeine Anerkennung fände,

liegt klar vor der Hand und

unnatürlich wäre das Gegentheil. ist

natürliche Lust

und Unlust

Aber in der Wissenschaft

nicht das

Höchste;

sondern

das Höchste in ihr ist die wirklich wissenschaftlich begründete

Ueberzeugung.

Diese allein hebt

mich

nun auch über die

vielen delicaten Rücksichten hinweg, die in diesem Augenblicke

auf mich eindringen, wo nunmehr der Würfel geworfen ist.

Daß nämlich die Pädagogik bis jetzt noch keine Wissenschaft ist, und daher mit Recht keine Anerkennung findet, ist nun aus­

gesprochen, und der Beweis dieser Behauptung abzuwarten.

Dieser Beweis scheint auf den ersten Anblick nur geführt werden zu können durch eine Kritik aller bis jetzt erschienenen Werke über die

Pädadogik, und wir befinden uns in einem

ähnlichen Falle wie Schleiermacher, welcher eine philosophi­ sche Ethik gründen wollte, und deshalb vorher nachweisen mußte, Thaulow, Philos. d. Pädagogik.

2

18 daß bis dahin noch keine solche vorhanden sey und nach der Beschaffenheit der philosophischen Systeme auch nicht hätte vor­

handen seyn können.

Denn, aus diesem Bedürfniß entstand

seine Kritik der bisherigen Sittenlehre, ein auf diesem Gebiete

so Epoche machendes Buch, wie Hegel's Geschichte der Phi­

losophie auf dem Gebiete der geschichtlichen Philosophie und

damit der Philosophie überhaupt.' Wiederum aber könnte auch eingeräumt werden, daß, wenn mit Uebergehung dieser Untersuchung eine Untersuchung über

den Inhalt und die Form d§r Pädagogik selbst begonnen würde, welche

ein so abgerundetes Ganzes lieferte, daß der Begriff

der Pädagogik in ihr vollkommen erschöpft würde,

dann aber

der Vergleich dieser Untersuchung mit den übrigen Werken über

Pädagogik, welche vorhanden sind, zeigte, daß bei diesen so­ wohl wesentliche Theile fehlen, wie jedes methodische Verfahren

— dann müßte eingeräumt werden, daß wir zu solcher kriti­ schen Untersuchung über alle bis jetzt

schen Werke nicht verpflichtet sind.

erschienenen pädagogi­

Dazu kommt, daß das in­

nere Wesen der Kritik selber und von der kritischen Untersuchung

der bis jetzt erschienenen pädagogischen Werke abhalten muß. Denn eine Kritik, mag sie auch die Form, die künstlerische Durch­

führung in einer Schrift allerdings berücksichtigen, hat doch vor'

Allem als das

oberste Allgemeine, wodllrch sie begründet und

gehalten wird, den Begriff selber, und ein Kritiker kann nicht

unterlassen ein fremdes Werk zu beurtheilen, ohne es an sei­ ner eigenen

wesentlichen Ansicht von der Sache zu messen.

Er muß also entweder schon diese angegeben haben, oder in­

nerhalb der Kritik sie, so weit es möglich ist, hervortreten lassen.

Ersteres ist nun nicht vorhanden und letzteres würde hier nur ein wenig belohnendes Werk seyn, während später innerhalb des pädagogischen Systems selber eine solche Kritik aller schon

19 vorhandenen

pädagogischen

Werke ihre bestimmte und noth­

wendige Stelle haben wird. Wir müßten also ganz von allen andern Werken abstra-

hiren und gradenwegs in unserer Untersuchung fortfahren, bis wir den Begriff unsrer Wissenschaft gefunden haben. cs

Allein

stellt sich dennoch ein Ausweg ein, welcher einigermaßen

und vorläufig wenistens eine unserm Zwecke genügende Kritik

der übrigen pädagogischen Werke vertreten kann.

Wie näm­

lich, wenn bewiesen werden könnte, daß eine Wissenschaft der

Pädagogik überhaupt erst seit nicht gar langer Zeit möglich geworden ist und dann das Bekenntniß der Verfasser früherer pädagogischer Werke ausreichte, zu bestätigen, daß selbige von

dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen wollten, sondern im Gegentheil entschieden dieselbe von sich abgewiesen haben? Die­ ser Beweis wird mit einer wesentlichen Einsicht in das Wesen der Pädagogik zusammen fallen und so von hier an Schritt

für Schritt unsere Untersuchung für die Pädagogik als Wis­

senschaft den eigentlichen Boden gewinnen.

Wir haben für diesen Beweis zunächst nun daran zu erin­

nern, daß alle Wissenschaften überhaupt in einer hohem Ein­ heit zusammenkommen und somit alle gleich ewig sind, daß

aber die Wissenschaften, um in die Erscheinung zu treten, vom

menschlichen Geiste concipirt und auf die Welt gesetzt werden mußten und weder alle zugleich noch in willkürlicher Ordnung

haben erscheinen können. Wenn die Wissenschaften von einer *) Wurzel sämmtlich ausgehen,

so sind sie doch einem schönen

Baume zu vergleichen, welcher allmählich erst zu seiner ganzen Erscheinung gelangt, wenn auch in seinem Keime alle Wissen-

*) Man vergl. die vierte Verlesung Schell ing'S über die Methode des akademischen Studinm.

20

schäften potentia enthaltend. Auf diese Weise seht immer eine Wissenschaft die andere voraus und keine wäre ohne die andere *). ES giebt nun kein einziges Werk über die Pädagogik, welches nicht dieselbe unter das große Gebiet der praktischen Philosophie subsumirte und ebenso giebt es wohl keinen, der wenn er hört, daß die Pädagogik als Erziehungswissenschaft sich mit der Erziehung des Menschen beschäftigt, sich nicht so­ gleich beifallen ließe, daß eine solche Wissenschaft die Kenntniß des sittlichen Lebensgebietes vorausseht. Das Wissen des sittlichen Lebensgebieteö ist aber der Inhalt der Ethik, welche die Idee des Guten in seiner ganzen systematischen Gliederung nachzuweisen hat. Man mag für die Pädagogik noch mehrere andere Wissenschaften voranssetzen; hier kommt eS nur darauf an, ob eS gewiß ist, daß keine praktische Anwendung möglich ist, bevor dasjenige vorhanden ist, wovon man Anwendung machen will, daß mithin die Art und Weise, wie erzogen wer­ den soll, nicht bestimmt werden kann, bevor überhaupt die Idee des an und für sich seyenden Guten vollkommen erkannt ist, daß also die Pädagogik nicht denkbar ist ohne die Ethik und die Vollkommenheit der Pädagogik abhängig seyn muß von der Vollkommenheit der Ethik. Daß die Ethik nun aber ferner der Philosophie angehört, wird niemand bezweifeln, welcher be­ denkt, daß ihre Basis wieder die Lehre von der Freiheit ist und daß sie selbst, um Wissenschaft zu seyn, eine leitende obere Idee haben muß, welche diejenige Beschaffenheit deS Handelns •) So sagt Schleiern,acher in seiner Kritik der Sittenlehre S. 348: „Keine Wissenschaft kann im strengsten Sinne vollendet seyn für sich

allein, sondern nur in Vereinigung mit allen andern unter einer höchsten, welche für alle den gemeinschaftliche» Grund de» Daseins enthält, und eine jede bestätigt durch den Zusammenhang mit allen übrigen.

21 aussagt, durch welche jedes Einzelne als gut gesetzt wird, was

aber nur durch philosophische Methode möglich ist.

Denn ohne

diese scheint dem Einen das gut, dem Andern jenes und ist

das höchste Gut schon oft aufgehoben und daö einzelne Gute

der menschlichen Willkür überlassen worden. Nun ist aber Will­ kür Negation der Wissenschaft überhaupt.

Diejenigen pädago­

gischen Werke, welche um Philosophie sich gar nicht beküm­ merten, wären damit eo ipso bei der Aufgabe, nach der wir streben, jeder Berücksichtigung natürlicher Weise unwürdig. Solche

Pädagogen konnten wohl praktische Rathgebungen ertheilen, psychologisch richtige und feine Bemerkungen machen, für das

Wohl der Menschheit begeistern, auf Wissenschaft aber keinen

Anspruch machen.

Aber eS ist auch nicht genug, daß eine Pä­

dagogik bekennt, die Ethik sey allerdings ihre Voraussetzung,

sondem es mußte diese Voraussetzung selbst wieder der Nntersuchung unterworfen werden, ehe sie (die Pädagogik) beginnen durfte.

Denn nur die Einsicht in ihre Genesis konnte eine

richtige Taxation ihrer Begründung und ihres fernern Werthes

Hervorrufen, d. h. nur die Einsicht in das Wesen der Ethik machte eine Einsicht in das Wesen der Pädagogik möglich.

Ja

wir werden innerhalb der folgenden Untersuchung finden, daß die Ethik selbst in ihrem Schluß die Pädagogik als die Voll­ endung ihrer selbst fordern muß.

Die Frage nach

richtigen Weg führen,

der Ethik allein also konnte auf den oder sollte man sich davor gefürchtet

haben, diesen zu betreten, weil auf ihm kaum zehn Schritte

möglich waren?!

Man sieht aber nunmehr, daß, wenn der

Beweis, daß bis vor gar kurzem die Pädagogik als Wissen­

schaft gar nicht möglich gewesen ist,

richtig geführt werden

sott, dieses wieder davon abhängt, daß wir beweisen, wie erst

seit gar kurzer Zeit die Ethik möglich geworden ist.

22 Sehr viele nun,

welche Schleiermacher

hochschätzen

und wohl davon überzeugt sind, daß er als Kritiker von selt­ ner Schärfe und musterhafter Wahrheitsliebe gewesen ist, wür­

den gar nicht verlangen, daß wir eine Kritik der Sittenlehre bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts anstellten, da

Schleiermacher in seinen „Grundlinien einer Kritik der bis­ herigen Sittenlehre" hinlänglich bewiesen hat, daß bis dahin

keine den höchsten Forderungen entsprechende Ethik vorhanden war.

Ja, daß Schleiermacher in einer Zeit austrat,

wo

überhaupt die Ethik als besondere philosophische Wissenschaft verneint wurde, ist aus seinen Werken zu ersehen; er selbst aber

hatte starken Glauben an die Möglichkeit dessen, was noch nicht zur Wirklichkeit gekommen war. *)

Dessenungeachtet,

wie sehr ich

auch Schleiermacher

beistimme und glaube, daß sicher auf ihn weiter gebaut wer­

den könne, läßt sich doch auf eine andere Weise in großen Zügen das Geforderte finden, so daß diese Weise geschickt seyn möchte diejenigen, welche nicht mit Schleiermacher's Kri­ tik der bisherigen Sittenlehre bekannt sind, auch ohne die Kennt­

niß dieses Werkes zu überzeugen, diejenigen aber, welche dieses

Werk kennen, in dem, was sie schon wissen, nur noch mehr zu

bestärken.

Die Weise aber, welche wir meinen, ist eine philosophisch­ geschichtliche, d. h. eine solche, welche nicht so sehr sich darum

bekümmert, wie der jedesmalige Standpunkt einer Zeitperiode

beschaffen war, diese Kenntniß vielmehr voraussetzt und darin allein ihre Aufgabe findet, nachzuwcisen, warum dieser Stand­ punkt einer Zeit nicht anders seyn konnte, als er gerade war.

') Vcrgl. Schleiern«acher, Grundlinien einet Kritik der bisherigen Sittenlehre, Vorrede S. III.

23 Solche philosophisch-geschichtliche Auffassung hat als ihre ein­

zige Voraussetzung die Präsumtion, daß es eine Vernunft giebt

und daß diese in dem Menschengeschlecht ihre Verwirklichung finden muß.

senes,

Diese Voraussetzung ist etwas a priori Bewie­

welches

nun eben durch die philosophisch-geschichtliche

Betrachtung der Entwickelung des Bestätigung a posteriori findet.

Menschengeschlechts seine

Freilich hat der allmählich

sich besinnende menschliche Geist erst auf aposteriorischem Wege, d. h. durch die Geschichte selbst zu dem apriorischen Beweis den Anstoß erhalten, worin aber eben nur eine Bestätigung

mehr liegt, daß die scheinbar verwirrte Geschichte dennoch in

ihrem Innersten wahrt hat.

einen

ununterbrochenen

Seit dieser kostbaren,

Vernunstfaden

be­

ja köstlichen Entdeckung,

welche je der menschliche Geist gemacht hat, ist außer den un­ berechenbaren Folgen, welche aus ihr für alle Wissenschaften

und die Zukunft selbst erwachsen, die Versöhnung des mensch­ lichen Geistes mit der göttlichen Weltregierung eingetreten und

ist es kaum abzusehen, wie redliche Menschen, welche sonst in der ganzen vorchristlichen Geschichte nichts als Abfall und stets

zunehmende Entfernung vom wahrhaften Ziele fanden, bei die­ sem Widerspruch gegen die göttliche Liebe und Weisheit nicht

verzweifelten oder, .wenn sie durch den überschwänglichen Be­ weis der Liebe Gottes in der Sendung seines Sohnes

die

ganze vorhergehende Geschichte vergaßen, nun nicht nachher

gänzlich irre wurden, weil ja doch in der That die empirische Anschauung der nachchristlichen Geschichte scheinbar nur in

wenig Augenblicken

Christenthum, in

den meisten vielmehr

seine Entartung, ja oft Vernichtung deö Christenthums finden muß. Durch eine philosophisch-geschichtliche Betrachtung wird es

nicht schwer, in großen Zügen einleuchtend zu machen, weshalb

24 die Ethik bis auf die neuste Zeit eine so dürftige Behandlung

gefunden hat und warum erst feit einiger Zeit ihre eigentliche

Entstehung als Wissenschaft in der christlichm Welt möglich

geworden ist.

Natürlich kommt es für uns hier nur darauf

an, dieses eben in der allgemeinsten Uebersicht zu beweisen. Mit der Erscheinung des Christenthums Anfang einer christlichen Welt

und mit dem

trat die Wissenschaft in dm

Hintergrund und blieb überhaupt nur noch so lange in matter Kraft, als eben griechische und römische Völker in der christli-

lichen Welt noch sortvegetirten. lich ganz.

Dann verschwand sie allmäh­

Warum nahm nun das Christenthum die griechische

Wissenschaft nicht sogleich in sich auf, aus ihr ausscheidend,

was unchristlich war, und von ihr annehmend,

waS ewige

Bedeutung hatte, die Liebe nämlich zur Wissenschaft überhaupt, welche bei den Griechen eine so erhabene war? Man muß sich

doch wirklich verwundern, daß in der griechischen Welt mehrere Wissenschaften eine Höhe erreichten, zu welcher die christliche Welt erst nach vielen Jahrhunderten sich hinaufschwang.. Diese

Verwunderung schwindet aber bei einer philosophisch-geschicht­ lichen Untersuchung.

Das

Christenthum nämlich als die vollendete Religion

überhaupt, als die vollendete Offenbarung des Geistes mußte innerhalb seiner selbst eben auch den reinsten Beweis von sei­

ner Anerkennung der Gesetze deS Geistes führen.

Diese Prä­

sumtion ist eine geringe für denjenigen, welchem daS Christen­

thum wirklich absolute Religion ist, und für wen sie daS nicht ist, für den können wir freilich hier den Beweis nicht liefern,

daß sie es ist.

Ist aber das Christenthum absolute Religion,

so muß eö auf der doppelten Potenz der absoluten Reli-

giösität und der absoluten Sittlichkeit beruhen, d. h.

das Christenthum muß sowohl das religiöse Bewußtseyn auf

25

eine absolute Weise befriedigen, wie das gestimmte Gebiet alles Lebens und Handelns auf eine absolute Weise sittlich zu machen im Stande seyn. Die Realisirung dieser beiden Potenzen muß demnach das Ziel und die Vollendung des Christenthums seyn. Anfang und Beginn kann daS aber nicht seyn, was Ziel seyn muß, anders als potentiä; es hätte denn das Christen­ thum die menschliche Freiheit und die Gesetze deS Geistes auf­ heben müssen, was seinem Begriffe zuwider läuft. Auch konnte und durfte innerhalb des Christenthums das Verhältniß der einen geistigen Thätigkeit zur andern nicht versetzt werden und die Abhängigkeit der Sittlichkeit von der Religiosität mußte in der christlichen Religion in demselben Verhältniß bleiben, wie in jeder andern Religion. So mußte das Christenthum über­ haupt mit Allem von Neuem anfangen, und ehe von christ­ licher Wissenschaft, oder auch nur von der Fähigkeit, fremde Wissenschaft in sich aufzunehmen, innerhalb des Christenthums die Rede seyn konnte, hatte es erst einen ganz andern Boden zu bebauen. Um nun aber abstrakt denjenigen Gang anzugeben, welchen das Christenthum nehmen mußte, haben wir uns des Verhältnisses einer Religion zu einem Volke überhaupt zu er­ innern. Die Religion ist einem Volke etwas Vorzeitliches. Ein Volk weiß sich wohl zu erzählen, woher seine Religion gekommen ist, aber es hat seine Religion nicht selbst entste­ hen sehen — es hat wohl die Mnemosyne seiner Religion, allein diesen Tempel hat es sich nicht selbst aufgebaut. Ein Volk wurde daher dann überhaupt erst Volk, wenn eine gemein­ schaftliche Gesammtheit dieselbe Religion bekannte; von diesem Anfang eines gemeinschaftlichen Bekennens hat aber noch nie ein Volk Bewußtseyn gehabt und sich Rechenschaft abgelegt und auch nie ablegen können. Niemals hat eine Gesammt­ heit von Menschen- gesagt: „morgen wollen wir ein Volk bil-

26 den." Daö ist eben das Ueberirdische einer Religion und da­

unsichtbare Walten der Vorsehung in der Geschichte.

Volk

und Religion fallen so zusammen, daß beide von einander gar nicht getrennt oder ohne einander gedacht werden können. Mit dieser gemeinschaftlichen Erinnerung

zeigt ein Volk in

seinem Cultus seine Selbstständigkeit, beginnt sich zu wissen

und so allmählich aus seinem bestimmten Volksgeiste die übrigen Typen seiner selbst aus der Mutter Religion abzuklä-

ren, als Sitte, Kunst, Wissenschaft u. s. w.

Dieser Gang ist

ein gesetzmäßiger, dem menschlichen Geiste vorgeschriebener und unabänderlicher.

Die Wissenschaft ist die letzte Stufe in je­

dem Volk, indem sie aus der Besinnung überhaupt resultirt, aus der Reife des Volkes.

Im Christenthum mußte nun ganz besonders dieser Gang sich abspiegeln und daß keine Religion so langsam sich ent­ wickelt, ausgebreitet und ihre Peripherie in Kunst und Wis­

senschaft gezogen hat, als eben die christliche, zeugt für ihre Gründlichkeit und Gediegenheit.

Wohl erstellen noch frühreife

Kinder'schwache Eltern, gesund aber sind allein die gesetzmä­ ßig, langsam und sicher sich entwickelnden. Der Gang des Christenthums mußte also seyn: erstens

die Gemüther mit seinem religiösen Inhalt zu erfüllen und ein Volk sich zu bereiten; zweitens in einem solchen Volke

aus dem christlich-religiösen Gemüth alle andem Formen des

Geistes entspringen zu lassen, bis endlich drittens der ganze Erdkreis die christliche Religion christliche Sittlichkeit darstellt.

bekennt und

Deim

da

in Allem

die

das Christenthum

absolute Religion ist, muß eS in seinem Begriff solche All­ herrschast und Alldurchdringung als Potenz in sich tragen. Es ist wohl daS erfreulichste Geschäft der Philosophie,

diesen Gang in der Entwickelung der Menschheit in concreto

nachzuweisen.

Wir haben hier nur die vorhergehende Unter­

suchung anstellen müssen, um zu beweisen, warum die Wissen­ schaft überhaupt und besonders die Ethik in der christlichen

Welt spät erst hat auftauchen und behandelt werden können.

Es mußte nämlich, wie der oben bezeichnete Gang uns vorschreibt, in der christlichen Welt zuerst

einzig und allein

darum zu thun seyn, daß die Gemüther und Herzen von der christlichen Religion ergriffen würden und ein christliches Volk bereitet wurde.

Nirgends tritt uns die Vorsehung sichtbarer

entgegen und nichts bestätigt mehr die Richtigkeit unserer For­ derung eines ganz neuen Anfanges bet der Erscheinung des

Christenthums, als daß ein ganz roheS Volk, ohne alle Bil­

dung, zum Träger und Organ der geoffenbarten Religion

auSerwählt wurde.

Ein nacktes neugebornes Kind zum edlen

Menschen zu erziehen ist einem geübten Pädagogen ein Ge­

ringes, wenn ihm volle Macht und alleiniger Einfluß auf das

Kind gelassen wird; ein in Fehlern, Vorurtheilen, Sünden, Lastern schon groß gewordenes Kind wieder

auf die rechte

Bahn zu bringen ist aber selbst dem geübtesten Pädagogen

fast immer die Klippe des Scheiterns. — Besonders aber ist zu bedenken, daß der Inhalt des Christenthums eben Geist ist, daß der Geist aber nicht natürlich ist, sondern nur das,

wozu er sich macht.

Das Natürliche ist eben daö Unmit­

telbare, Geistlose — Geist ist also Negation dieses Un­

mittelbaren und Natürlichen.

Ist der Geist aber dieses und

ist das Christenthum Geist, so mußte auch in den Indivi­

duen und dem Volke dieser Prozeß sich darstellen, welcher Prozeß die christliche Idee selber ist.

Und darum mußte ein

ganz rohes, ganz neues Menschengeschlecht vorhanden seyn, weil sonst nicht der ganze Prozeß des Geistes von seiner er­ sten Unmittelbarkeit an vor sich gehen konnte.

Die gründ-

28

lichste, gediegenste Arbeit war erforderlich, wie denn auch der sauerste Kampf uud der schönste Sieg in dem christlichen Princip der Wiedergeburt ausgesprochen ist. Darum mußte das menschliche Bewußtseyn ganz in den Anfang der Cul­ tur zurückgeworfen werden. Hegel, welcher der wahre Be­ gründer der Philosophie der Geschichte ist, sagt in dieser Be­ ziehung: „Der germanischen Nation hatte der Weltgeist diese seine saure Arbeit aufgetragen — die Arbeit, den Embryo zur Gestalt des denkenden Mannes zu vollführen." *) In der ersten Epoche des Christenthums, in seinem Kin­ desalter, konnte sicherlich von keiner Wissenschaft, und am aller­ wenigsten von einer Ethik die Rede seyn. In der zweiten Epoche, dem sogenannten Mittelalter konnte nun vollends an eine Ethik nicht gedacht werden. Denn daö christlich-religiöse Princip hatte noch lange nicht zum klaren Bewußtseyn in den Gemüthern sich geläutert. Im Gegentheil stellt das Mittelalter denjenigen Standpunkt des menschlichen Geistes dar, wo er beweisen will, daß er es redlich meint, alle Schätze und alles Irdische für das Höchste in die Schanzen schlagen will, nicht aber sich klar bewußt ist, was er eigentlich soll, und so erst durch die bittersten Täuschungen, nach entsetzlich langer Noth, nach beispiellosen Irrungen zum Frieden kommt. Die germa­ nische Nation war vom Anfang an eine rohe, aber eine kräf­ tige, voll der tiefsten Innigkeit und des reichsten Gemüths. Noch immerfort können wir gerade an solchen Menschen die­ selbe Lebensentwickelung finden, wie an der germanischen Na­ tion im Großen, daß sie nämlich gerade die schwersten Kämpfe durchzumachen, die größten Verirrungen zu bestehen haben, bis der Morgen der Klarheit und Wahrheit in ihrem Selbst-

29 bewußtseyn sich

sichern Pfad zu finden weiß. eben die gediegensten.

telalter das

das festgewordne Auge den

ankündigt und

Solche Menschen aber werden

So sehen wir die Menschheit im Mit­

religiöse Bewußtseyn auf eine aufrichtige, aber

höchst traurige Weise in sich verarbeiten. Parrhesie,

Die mit so starker

aber bei ihrer ersten Erscheinung in solcher Form

mit Recht, ausgesprochenen

harten Sätze des N. T. werden

im Mittelalter mit aller erdenkbaren Abstraction factisch an­ genommen und ausgeführt. achtung des Irdischen,

Das Christenthum ist die Ver­

die Liebe zum Himmlischen — dies

wird buchstäblich und in der größten Schärfe im Mittelalter

anerkannt.

Niemals ruhte aus der Welt ein schwereres Ge­

witter als im Mittelalter und allerdings könnte der Philosoph bei der Betrachtung jener Zeit verzweifeln, wenn nicht gerade

dieser ungeheure Kampf für

die Realisirung des christlichen

Princips nothwendig gewesen wäre.

Wir werden sogleich se­

hen, wie nur durch solchen Kampf ein vom christlichen Princip bestimmt gefordertes Resultat hervorgehen konnte.

Daß aber

in einer solchen Epoche, wo alle sittlichen Verhältnisse aus re­

ligiösem Princip vernichtet wurden, wo Ehelosigkeit, Armuth, Aufopferung der persönlichen Freiheit höher standen als Gegentheil,

ihr

daß in einer solchen Epoche der Ethik jede Basis

genommen war, braucht wohl nicht weiter bewiesen zu werden.

Derm das Christenthum und daher auch die christliche Ethik ist als

weltüberwindendes Princip

nicht Vernichtung

der

Welt, sondern Einbildung des Geistlichen in das Weltliche, Vergeistigung des Weltlichen.

Das Mittelalter aber war

Entgeistigung des Weltlichen, und daher freilich auch Entgeistigung des Geistes.

Dann aber beginnt eine dritte Periode.

Es ist in der

That keine leere Formel und gesuchte Phrase der neuern Phi-

30 losophie, daß zu einer wahren, energischen, dauerhaften Ver­ söhnung eine ebenso kräftige Trennring und Spaltung in die

Ertreme vorhergehen muß. Gang des Geistes

Dies ist vielmehr der nothwendige

und daher war es auch der nothwendige

Gang des Christenthums.

Im Mittelalter war das christliche

Princip in seine absoluten Ertreme zerrissen.

Daß das Dies­

seits und Jenseits ganz aus einander lagen, war ausge­

sprochen.

Da nun aber das Christenthum die Einbildung des

einen in das andere ist, so war damit das christliche Princip

in seine Ertreme aufgelöst und keine Zeit war eigentlich un­

christlicher als die Zeit des Mittelalters.

So müßte das Mit­

telalter angesehen werden, wenn man es aus dem Zusammen­

hang der Geschichte herauörisse.

Nun aber ist es vielmehr als

ein nothwendiges Moment in der Entwickelung des Christen­

thums selbst anerkannt, wodurch allein die dritte Periode ent­ stehen konnte, die Periode der Versöhnung.

Denn daß die

Reformation die Versöhnung der beiden Ertreme ist, unter deren Spannung die Menschheit im Mittelalter gehalten wurde,

ist wohl nicht zu bestreiten.

Es wird nun das Princip aus­

gesprochen, daß im Bewußtseyn allein die Stätte des Him­ mels ist, und daß das Bewußtseyn in dieser Welt sich zu

bethätigen habe. wurde gefeiert.

Die Versöhnung des Diesseits und Jenseits

Damit wurde das letzte und vollendetste Prin­

cip der Weltgeschichte gewonnen, d. h. es wurde das christliche Princip nunmehr in seiner eigentlichen Wahrheit begriffen. Etwas eigentlich Neues kann daher von der Zukunft nicht

mehr erwartet werden, sondern Alles, was seit der Reformation geschehen ist, und bis in alle Zukunft geschehen wird, ist nichts als eine neue Thätigkeit des in der Reformation ausgesproche­

nen höchsten Princips: „im Bewußtseyn die Freiheit zu erzeu­ gen und aus diesem Bewußtseyn rind durch dasselbe eine adä-

31 quate vernünftige Wirklichkeit

zu bilden".

Die Realisirung

dieses Princips kann allein die Vollendung der Geschichte seyn

und solche vollkommen vernünftig gewordene Wirklichkeit wird das seyn, was mit dem Reiche Gottes äuf Erden ange­

kündigt ist.

Mit der Reformation einer Ethik gegeben.

erst die Möglichkeit

war also

Nur ist hier wohl zu bedenken, daß die

wirkliche Erfüllung dieser Möglichkeit sogleich noch nicht statt­

finden konnte, sondern ziemlich weit in der Feme liegen mußte. Denn nun erst mit der Erscheinung des reformatorischen Prin­

cips war christliche Wissenschaft überhaupt erst möglich.

Der

Geist, der als christlicher nun zum Bewußtseyn über sich er­

wachte, wurde nun erst zum freien Denken fähig gemacht.

Die

Natur und der Geist, die beiden Gegensätze der Idee überhaupt,

wurden die beiden Gebiete, auf deren Ergründung das Denken ausging.

Nur aber durch Ergründung und durch Versöhnung

dieser beiden Gegensätze ist die Ethik.

Wie großartig auch

Spinoza solche Versöhnung anstrebte, so wurde diese theilweise von seiner Zeit nicht verstanden, theils war auch seine Me­ thode nicht dazu geeignet, seine oberste und erhabene Idee sei­

ner Ethik so durchzuführen,

daß

nichts ausgeschlossen blieb,

was ethisch gebildet werden konnte.

Dennoch blieb der Spi-

nozismus die einzig richtige Grundlage für die Philosophie

überhaupt und für die Ethik insbesondere, wir denn auch, daß

erst

als

und daher finden

der Spinozismus wieder zur

rechten Zeit in erneuerter, concreterer Form in die Wissenschaft eingeführt wurde, jene großartige Epoche da war, welche mit

dem Anfänge unsers Jahrhunderts unter Schelling anhob. Seit Spinoza bis auf Schelling

hatte keine Philosophie

etwas Genügendes in der Ethik zu leisten vermocht; erst als Schelling die Natur als das Abbild des Geistes proclamirth

32 die Natur ebenso als ein System des Vernünftigen aufstellte

wie das Wissen selbst,

Schelling hat aber selbst nie eine Ethik geschrie­

feiern. —

ben.

konnte die Ethik ihre rechte Geburt

Aber

in

gleicher Abhängigkeit von Spinoza waren

Um vorläufig von Letzterem

Schleiermacher und Hegel.

nicht zu sprechen, so weiß wohl Jeder, daß kein Mensch um die Ethik größere Verdienste gehabt hat, als der unsterbliche Schleiermacher.

Nun wissen wir aber, wie Schleierma­

cher die Allgemeingültigkeit einer abgeleiteten Wissenschaft ab­ hängen läßt von der obersten Wissenschaft, Natur und Vernunft

ihm aber die Gegensätze überhaupt sind, deren vollständige

Durchdringung darum der Einheit vollkommenste Auffassung ist, alles ethische Wissen aber von dieser Einheit abhängt. *) Schleiermacher

giebt sich denn auch Mühe genug in der

Gestaltung seiner Ethik als Güter-, Tugend- und Pflichtenlehre jede dieser Lehren auf gleiche Weise als den vollständigen Aus­

druck der

gesammten Einheit der Vernunft und Natur und

diese dreierlei Entwickelung auf dieselbe Weise in der Natur­

wissenschaft darzustellen. haupt Alles ethisch. Twesten's

Schleiermachern gestaltete sich über­

Dies ist aus der meisterhaften Darstellung

zu ersehen in seinem Vorwort zu der von ihm

herausgegebenen kleinen Schleiermacher'schen Ethik.

Dessenun­

geachtet hat Schleiermacher die Ethik nicht zur Vollendung ausgeführt, wie er selbst wollte, sondern sind seine Werke nur

Fermente zu neuen Behandlungen. ehe er das ausgesührt hatte,

Der Tod riß ihn hinweg,

was er zu einer Zeit für die

wichtigste Aufgabe seines Lebens hielt. Besonders von Bedeutung ist für uns die Gewißheit, daß

*) Vergl. Schleiermacher Ethik, heransgegeben von Twesten, S. 24.

33

Schleiermacher selbst zur letzten Stufe den Grundstein legte, indem er in einer Vorlesung über die Ethik die Pädagogik für ein nothwendiges Resultat der Ethik und als ihre eigentliche Vollendung aussprach, •) und können wir dadurch unsern Be­ weis bestätigt finden, daß die Pädagogik die Ethik zur Vor­ aussetzung hat und ohne Wissenschaft der Ethik keine Wissen­ schaft der Pädagogik möglich war. Daß übrigens zu der Zeit, wo Schleiermacher austrat,, auch von Lehrern der Pädagogik bekannt wird, sie sey noch nicht als Wissenschaft vollmdet, ist besonders aus zwei Zeugnissen zu ersehen. Es sagt nämlich Lehne:") „Das Geschäft, „der Pädagogik eine wissenschaftliche Form, ihr innern Zusam„menhang und festere Begründung zu geben, würde verdienst„lich und Vortheilhaft seyn, aber seine Ausführung enthält doch „manche Schwierigkeiten. Denn obgleich seit Mitte des acht„zehnten Jahrhunderts mehr über Erziehung als über einen „andern Gegenstand geschrieben ist, so ist doch weder der Um„sang der Pädagogik bestimmt, noch sind die Grenzen bezeich„net, bis wohin sie sich erstreckt, noch ihre Quellen angegeben". Ebenso verlangt P ö litz, *”*) welcher unstreitig einer der besten Pädagogen ist, eine tiefere Begründung der praktischen Philo­ sophie für die Begründung einer Wissenschaft der Pädagogik und meint, daß durch Kant's Umsturz der bis dahin herr­ schenden Metaphysik eine Bcgründrmg der Pädagogik erst möglich sey. In der letzten Zeit hat denn Wirth in seiner Ethik die Pädagogik als den letzten Theil seiner Ethik aufge­ wiesen. Was nun den Zeitgenossen Schleiermacher's, Hegel, •) Bergt. Michelet Geschichte der Philos. Bd. II. h tt e Handbuch der Pädagogik, Th. I. S. 14. *”) Pölitz Erziehungswissenschaft, Bd. I. Vorrede S. VI. Thaulow, Philos. d. Pädagogik. 3

34 betrifft, so könnte man sich verwundern, wie wir ihn mit der Ethik in Verbindung setzen, da er doch keine Ethik geschrieben

hat,; aber schwerlich wird doch jemand Hegel absprechen, daß

seine

Philosophie durchweg aufs Ethische hinzielt,

wie denn

auch ost genug von ihm ausgesprochen ist, daß es an der Zeit

sey, das Vernünftige wirklich und die Wirklichkeit vernünftig zu machen, daß aber die Tendenz alles ethischen Strebens, wie

die Ethik als Wissenschaft, eben darin besteht, die Wirklichkeit theoretisch

in die Vernünftigkeit

zu erheben.

Niemals aber

können beide Bestrebungen ohne einander gedacht werden, viel­

mehr haben sie in der Geschichte immer gleichen Schritt gehal­ ten.

Die Wirklichkeit bedingt das Bewußtseyn und das Be­

wußtseyn wieder die Wirklichkeit, und ist es charakteristisch, wie mit und seit der Schlciermacher'schen und Hegel'schen Zeit Be­

handlungen der Ethik öfter erschienen und bis auf diesen Au­

genblick dieses Fach mit einer Vorliebe behandelt wird wie sonst niemals.

Das Streben unserer Zeit, den Gedanken und die

Vernunft in die Wirklichkeit einzuführen in allen Lebensver­ hältnissen, ist unverkennbar. Lange genug hat der deutsche Geist

in seiner Innerlichkeit gebrütet,

aber er hat die ihm von der

Vorsehung zu Theil gewordene Mitgift treu verwaltet.

Denn

dazu war er berufen, in seiner innern Werkstatt die Ideen und das Gedankenreich zur Reife zu bringen, außen bethätigen durfte.

bevor er sich

nach

Nachdem nun aber endlich nach lan­

ger Arbeit das Denken zu sich selber gekommen ist, ist es nun auch im Stande,

aus seinem Schacht das geläuterte Metall

ans Licht zu führen,

die realen Verhältnisse des Lebens, das

ganze Lebensgebiet zur entsprechenden Gestaltung in sich auf­ zunehmen.

Denn „wie die Natur in den Begriff übergeht

und in den Gedanken erhoben wird, so geht der Gedanke als Gedanke der bewußten Wirklichkeit über in die Realität, so daß

35 sein Wachsthum oder Nahrung, Selbsterhaltung eben dies ist, in solcher Substanz zu seyn und sich gegen sie so zu verhalten,

daß es iy ihr allgemeines Selbstbewußtseyn wird". Was nun meiner Ansicht nach noch fehlt, um dieses Ueber-

gehen des Gedankens in die Realität mit bewußter Sicherheit zu leiten, ist hier nicht der Ort auseinander zu sehen.

DaS

aber möchte nunmehr als bewiesen angesehen werden können, daß die Pädagogik in dieser ihrer Abhängigkeit von der Phi­

losophie und Ethik überhaupt erst seit kurzer Zeit als Wissen­ schaft möglich gewesen ist. Nun bleibt nur noch übrig, die Stellung der berühmtesten

pädagogischen Werke zu dem gefundenen Resultate anzugeben.

Pölitz, wie aus seiner Vorrede zu ersehen ist, erwartete alles

von der Umwälzung der Kantischen Philosophie.

Schwarz

und Niemeyer haben eine antiphilosophische Richtung über­

haupt und Benecke und Herbart

der ganzen speculativen Richtung,

Fichte durch Schelling hat.*)

und

sind

wenigstens Feinde

welche die Philosophie seit

Hegel hindurch

genommen

Blasche begann eine Pädagogik von der Hegel'schen

Philosophie aus, vollendete sie aber nicht.

Wir sprechen hier

ja von der Pädagogik als einer gestimmten, vollen Wissenschaft;

denn in speciellen Gebieten der Pädagogik, wie z. B. in der

Geschichte der Pädagogik, der Gymnasial-Pädagogik u. s. w. ist

viel Ausgezeichnetes geleistet und überhaupt ja auf diesem Ge­ biete in den letzten zehn Jahren eine überaus große Regsamkeit,

wovon namentlich BrzoSka'S Centralbibliothek und die gegen­

wärtig in Deutschland erscheinenden sechsunddreißig pädagogi­ schen Zeitschriften Zeugniß ablegen.

Irrig wäre es daher zu

meinen, daß zu seiner Zeit auch nur eine Erscheinung dieser

*) Vergl. ChalybaeuS Gesch. der fpccul. Philosoph!«