Erhard Weigels Philosophie: Denken und Werk eines Lehrers von Leibniz und Pufendorf. Mit zwei Beiträgen von Wolfgang Detel 3787344004, 9783787344000


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Erhard Weigels Philosophie: Denken und Werk eines Lehrers von Leibniz und Pufendorf. Mit zwei Beiträgen von Wolfgang Detel
 3787344004, 9783787344000

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Erhard Weigels Philosophie Rainer Specht

Meiner

Rainer Specht

Erhard Weigels Philosophie Denken und Werk eines Lehrers von Leibniz und Pufendorf

Mit zwei Beiträgen von Wolfgang Detel

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie ; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-4400-0 ISBN eBook  978-3-7873-4401-7

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2023. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ­soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: mittelstadt 21, Vogtsburg-Burkheim. Druck und Bindung: Stückle, Ettenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werk­druck­papier, hergestellt aus 100 % chlorfrei ­gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Zur Zitierweise bei Weigel-Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Zur Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Biographische Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Weigels Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Wiedereinführung der Mathematik und der Realienfächer an den Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Lernen ist Spielen mit der göttlichen Weisheit . . . . . . . . . . . . 29 Die Kunst- und Tugendschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Denominative und ästimative Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . 41 Zwei Stufen der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Implikationen der ästimativen Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Schwierigkeiten mit Weigelschen Werten . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Implikationen des Übergangs zum ästimativen Verfahren . . . 56 4. Das pythagoreische Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Pythagoreische Prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Zählen und Rechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Rechnen und Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Jedes Ding hat seine Quantität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Das Erbe Aristoteles’ und Euklids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Zur Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Erläuterung des Begriffs »Syllogismus« (Beitrag von Wolfgang Detel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Der Konflikt aus Anlass der Analysis aristotelica . . . . . . . . . . 77

Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica . . . . 81 Weigels erste Maßnahme zur Erneuerung des A ­ ristotelismus: ­Neueinschätzung von Artefakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Weigels zweite Maßnahme zur Erneuerung des A ­ ristotelismus: ­korpuskularistische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6. Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie (Beitrag von Wolfgang Detel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 7. Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge  . . . . . 114 Materie und Form  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Denominative Wesenserkenntnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Das wahre Wesen kann man nur ästimativ erfassen . . . . . . . 124 8. Erschaffung und Erhaltung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Nichts und Etwas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Schöpfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Erhaltung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Zeit und Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 9. Okkasionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Zusammenspiel von Gott und Geschöpfen . . . . . . . . . . . . . . . 148 Weigels Okkasionalismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Umgang mit Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 10. Imposition und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Imposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Klassen von Werten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Körperliche Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Weigels Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Notionale Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Moralische Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Bürgerliche Werte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Ontologischer Status von Werten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Samuel Pufendorf über moralische Entitäten . . . . . . . . . . . . . 187 6 | Inhalt

11. Topische Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Aristotelische Topik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Lullische Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Das Lullische Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Petrus Ramus. Topische Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 12. Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Alsteds Enzyklopädie von 1630 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Johann Amos Comenius’ Enzyklopädie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Comenius’ Pansophiae Prodromus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 13. Weigels Enzyklopädie-Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Die Analysis aristotelica als Compendium einer Enzyklopädie . 243 Weigels Versuch einer Gesamtwissenschaft in Gestalt einer ­Mathesis universalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Weigels Versuch einer pansophischen Enzyklopädie . . . . . . . 251 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Verzeichnis der verwendeten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Zeitgenössische Drucke von Werken Weigels  . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Schülings Sammlung pädagogischer Schriften Weigels . . . . . . . . . 297 Die neue Werkausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Ältere Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Literatur ab 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Ressourcen der Erhard-Weigel-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Dank  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Inhalt | 7

Unserem Lehrer Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker gewidmet

Zur Zitierweise bei Weigel-Texten Für Leser, die keinen Zugang zu der neuen Ausgabe philosophischer Schriften Weigels (B-Ausgabe) haben und deshalb den Text in den im Internet erreichbaren Digitalisaten alter Weigel-Drucke einsehen möchten, nenne ich bei Zitaten in der Regel die in der BAusgabe nicht vermerkte Seitennummer meines Digitalisats. Das genügt meistens zusammen mit den Angaben zu Teil, Abschnitt, Kapitel und Paragraph zur Orientierung. Manchmal verfahren aber Weigels Drucker bei Paginierung und Paragraphenzählung nicht sorgfältig, auch beginnen in eini­ gen Ausgaben mitten im Band Neupaginierungen, durch die Angaben wie »S.  23« uneindeutig werden. Dann sind Suchbefehle hilfreich, sofern das Digitalisat sie zulässt. Für alle Fälle gebe ich außer der Seitennummer des Altdrucks die PDF-Seitennummer meines Digitalisats an. Auch das führt aber nicht unbedingt zu eindeutigen Informationen. Die Digitalisate zählen nämlich in der Regel auch Leerseiten mit, die der Buchbinder der Vorlage je nach Wohlgefallen oder Kundenwunsch vor der Titelseite eingeschossen hat. Verschiedene Digitalisierungen von Exemplaren derselben Auflage können also verschiedene PDF-Paginierungen haben. Dann helfen Suchbefehle, sofern das Digitalisat sie zulässt. In anderen Fällen hilft die Berücksichtigung der Differenz zwischen der Anzahl der vor der Titelseite meines Digitalisats und der Anzahl der vor der Titelseite des Leser-Digitalisats eingeschossenen Leerseiten. Soweit ich sehe, gibt es keine bequemere Lösung. Angesichts dieser Sachlage sehen meine Zitierungen von Weigel-­ Stellen schlimmstenfalls so aus: »Tugendspiegel, Der Grund, obs.  4, coroll.  4; 30  f. / PDF 263  f. | B5.1, 161  f.« Zu beachten sind dabei die Trennzeichen »;« »/« und »|«. Auf »;« folgt die Seitennummer des Altdrucks, auf »/« die PDF-Seitennummer meines Digitalisats und auf »|« die Seitennummer der Neuausgabe. Die Zitate haben also die Form: »;« Seitennummer des Altdrucks / Seitennummer meines Digitalisats | Seitennummer der B-Ausgabe.« 10

1. Einleitung Zur Forschungslage Erhard Weigel ist in Deutschland nicht sehr bekannt. Seine auf Deutsch geschriebenen Werke werden als schwierig empfunden, weil sie in der Morgenfrühe der modernen deutschen Wissenschaftssprache entstanden sind, und seine lateinischen Texte sind in einem Latein verfasst, das dem heute kaum mehr geschätzten Schullatein nahesteht. Seit Ende des vorigen Jahrhunderts hat sich jedoch das Interesse an diesem Autor belebt. Sein visionäres und manchmal urtümlich und gewaltsam wirkendes Vorhaben, nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch das, was wir heute als Geisteswissenschaften bezeichnen, zu quantifizierender Forschung anzutreiben, seine pädagogischen Versuche, seine Bemühungen um die Verbesserung des allgemeinen, gewerblichen und technischen Bildungswesens im Reich und seine Anstrengungen zur Behebung der Komplikationen, zu denen das Nebeneinander protestantischer (julianischer) und römisch-katholischer (gregorianischer) Datierungen führte, werden mit Respekt zur Kenntnis genommen, sobald sie aus der Vergessenheit auftauchen. Die bis vor kurzem maßgebliche Bibliographie gedruckter Werke Weigels von Hermann Schüling erschien 1970 in Gießen.1 Schüling ergänzte seine chronologisch nummerierte Auflistung von Weigels philosophischen Schriften (S.  8–61) durch ein Verzeichnis kleinerer Gelegenheitsarbeiten (Dissertationen, Grab­ reden, Gedichte usw., S.  67–71). Bei der Vorbereitung durchsuchte er 44 in- und ausländische Bibliothekskataloge, überprüfte die älteren Weigel-Bibliographien und listete die infolge von Kriegsverlusten nicht mehr nachweisbaren Titel auf (S.  82–85). Weigelsche Manuskripte wurden nicht aufgenommen, doch findet man Hinweise auf mögliche Fundorte (S.  86–87). Die Sekundärliteratur wurde in zwei Gruppen erfasst: Schrifttum des 17. und 18. Jahrhunderts und Schrifttum des 19. und 20. Jahrhunderts (S.  98–102); die 11

Nennungen enden mit Voisés Rezension der Arbeit von Hildegart Schlee über Weigels süddeutschen Schülerkreis und mit Wolfgang Röds Aufsatz über Weigels Lehre von den Entia moralia. Zur Erleichterung von Suchvorgängen tragen Hilfsmittel bei: Alphabetisches Verzeichnis der im Hauptteil chronologisch geordneten Titel (S.  103–109), Verzeichnis der Adressaten von Weigels Widmungen und Vorreden (S.  112–113) und Verzeichnis von Weigel übernommener Texte anderer Autoren (S.  114). Viele Veröffentlichungen Weigels sind Hochschulschriften; dem trägt Schülings Respondentenliste (S.  110  f.) Rechnung, die Vorarbeiten von Hildegart Schlee berücksichtigt. Die Bibliographie wurde durch weitere Materialien ergänzt: biographische Skizze (S.  118–121), Abgrenzung von Weigels Schaffensperioden (S.  122–124), Tabelle zur zeitlichen Verteilung der Schriften unter Berücksichtigung der Sachgebiete (S.  124–125). Mehr als dreißig Jahre später erschien Konrad Molls Darstellung von Erhard Weigels Philosophie im Grundriss der Geschichte der Philosophie 2 mit Bibliographien zu Weigels philosophischen und philosophienahen Schriften (210 Titel; S.  948–951) und zur Sekundärliteratur (71 Titel; S.  987–989); das zweite Verzeichnis ist in Biographien (letzte Nennung: 1970), Methodologie, Natur- und Moralphilosophie (letzte Nennung: 1978), Anthropologie, Pädagogik, Bildungs- und Schulreform (letzte Nennung: 1971) und Mathematik, Astronomie und Technik (letzte Nennung: 1983) unterteilt. Die Darstellung berücksichtigt neue Erkenntnisse und nicht zuletzt Ergebnisse der Forschungen Molls über das Verhältnis der Philosophie des jungen Leibniz zu der Weigels, mit denen er sich in den siebziger Jahren als Kenner dieses Zweigs der Weigel- und Leibniz-Forschung ausgewiesen hatte. Seit 2003 erscheint eine von Thomas Behme besorgte Neuausgabe ausgewählter Werke Weigels, 3 die inzwischen auf sieben Bände angewachsen ist. Es handelt sich nicht um editorisch begleitete fotomechanische Neudrucke, sondern um neu gesetzte lateinische und teils aus Fraktur in Antiqua transkribierte Texte. Solche Transkriptionen empfehlen sich grundsätzlich, denn deutsche Leser zeigen wenig Neigung, das Lesen kurrenthandschriftlicher Texte und deutscher Frakturdrucke zu lernen. Dadurch wird ein beträchtlicher Teil der deutschen Überlieferung bis zu der Zeit, als Adolf Hitler im Blick auf das geplante Großreich die deutschen 12 | Einleitung

Schreib- und Druckgepflogenheiten europäisieren ließ, also bis zu Anfang der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts, für sie unzugänglich. Hinzu kommt, dass Weigel, der viel publizierte, anscheinend preiswerte Druckverfahren vorzog; deshalb ist die Qualität mancher alter Drucke seiner Schriften nicht gut (es gibt auch Ausnahmen, zum Beispiel das schöne Druckbild der Analysis aristotelica). Einige der weniger gepflegten Originaldrucke enthalten außer ­Autor- und Druckerfehlern und fehlerhaften Nummerierungen auch Druckerschwärze-Verschmierungen; die Entzifferung befallener Stellen bereitet manchmal Schwierigkeiten. Es ist ein Problem bei Editionen, die mit Transkriptionen und namentlich mit Fraktur-Antiqua-Transkriptionen arbeiten, dass sie viel Zeit verschlingen. Ein spezieller Zweig der OCR, die Frak­ tur­erken­nung, ist noch nicht so ausgereift, dass ihn auch Nichtfachleute sicher nutzen können. Inzwischen erfordern solche Unternehmungen noch mühselige Schreibarbeiten und aufwendige Korrekturen. Erst danach kann man die üblichen Editionsaufgaben in Angriff nehmen, die bei Texten aus fremd gewordenen Epochen ohnehin aufwendig sind. Für alle diese Arbeiten war bei der Weigel-Ausgabe nur eine einzige Person vorgesehen, der keine Hilfskräfte zur Verfügung standen. Was unter diesen Umständen erreicht wurde, ist bemerkenswert. Es gibt jetzt gut und angenehm lesbare Texte auch abgelegener Schriften Weigels mit schönem Druckbild und solider Ausstattung. Seit Band 5 sind elektronische Versionen der Buchausgaben verfügbar, die Suchbefehle zulassen und dadurch manchen Arbeitsschritt erleichtern. Die Texte wurden schon von vielen Fehlern und Fehlpaginierungen bereinigt, auch wurden entstellte Texte umstrukturiert und dringliche Konjekturen eingefügt. Es handelt sich noch nicht um eine definitive Edition, aber das ist ohne eine ungleich bessere Personalausstattung auch nicht zu erwarten. Einen ansehnlichen Teil der Vorarbeiten hat der Herausgeber der Neuausgabe schon in Ein-MannArbeit erledigt. Seine Einleitungen, die Zusammenhänge des Weigelschen Denkens und seiner Entwicklung unter Verweis auf ältere und spätere Phänomene der deutschen und europäischen Literatur herausarbeiten, erleichtern heutigen Lesern den Zugang. Die Sachkommentare bestehen aus Anmerkungen zu Textstellen mit Hinweisen auf einschlägige Überlieferungen, personelle ZuZur Forschungslage | 13

sammenhänge und vergleichbare zeitgenössische Phänomene, die auch Fachleute mit hilfreichen Informationen versehen. Ein Handicap der schönen Ausgabe ist ihr hoher Preis, den vermutlich nur wenige Privatpersonen aufbringen mögen; die Bände und die zugehörigen PDF-Dateien werden allerdings, wie es inzwischen üblich ist, in der Regel nur von thematisch zuständigen öffentlichen Bibliotheken angeschafft. Wer deren Präsenzbestände oder die elektronischen Fassungen nicht nutzen kann, hat kaum Chancen, über die Fernleihe Originaldrucke zu bekommen oder Bände der Neuausgabe lange genug behalten zu dürfen. Wer sich intensiv mit Weigel beschäftigen möchte, braucht aber dauerhaften Zugriff auf die Texte. Dieser bereitet erfreulicherweise seit Jahren keine unüberwindlichen Probleme mehr, denn zu den meisten Originaldrucken liegen öffentlich zugängliche Digitalisate vor. Wer sie benutzt, kommt mit gelegentlichen Kontrollen seiner Interpreta­ tio­nen an der Neuausgabe aus, die sich auch unter den gegenwärtigen Bedingungen realisieren lassen. Seit 1999 informieren Tagungsbände, die den Text der meisten bei den Kolloquien der Erhard-Weigel-Gesellschaft gehaltenen Vorträge publizieren, über das breite Spektrum aktueller Bemühungen. In den vergangenen zwanzig Jahren ist es der Gesellschaft gelungen, zur Erleichterung von Weigelforschungen eine breite elektronische Infrastruktur aufzubauen, die über die Website der Erhard-Weigel-Gesellschaft erreichbar ist.4 Damit »ist ein organisatorischer Rahmen geschaffen worden, der die Beschäftigung mit diesem vielseitigen Gelehrten auch außerhalb universitärer Projekte ermöglichen soll«5 und der vermutlich beträchtlichen privaten Einsatz und Arbeitsaufwand erfordert hat. Namen der an den Arbeiten Beteiligten werden nicht genannt. Es handelt sich u. a. um ein fortlaufend aktualisiertes Verzeichnis von Weigels erhaltener Korrespondenz, eine fortlaufend aktualisierte Bibliographie von Weigels Schriften, ein fortlaufend aktualisiertes Verzeichnis der Sekundärliteratur, eine Liste der Hörer Weigels und eine Auflistung von Weigels Himmelsgloben. Hier ist ein komfortabler Apparat von Hilfsmitteln entstanden, der die Arbeit beträchtlich erleichtern kann. Bei der neueren Sekundärliteratur handelt es sich fast nur um Detailuntersuchungen, und das ist beim gegenwärtigen Stand der 14 | Einleitung

Forschung wohl auch angemessen. Neuere ausführliche Untersuchungen zu Weigels Arbeiten auf bestimmten Fachgebieten gibt es bislang vor allem im Bereich der Pädagogik und Astronomie. Auf der Website der Erhard-Weigel-Gesellschaft wird unter anderem auf das Fehlen einer Darstellung der Kunst- und Tugendschule auf der Grundlage der handschriftlichen Quellen hingewiesen, ferner auf das Ausstehen einer abschließende Darstellung der Grundlagen von Weigels spezifischer Pansophie und auf das Fehlen einer ausführlichen technikgeschichtlichen Darstellung von Weigels Erfindungen auf der Grundlage handschriftlicher Quellen. 6 Angesichts der Desiderate ist mit einer umfassenden Darstellung von Weigels Gesamtwerk in absehbarer Zeit kaum zu rechnen.

Biographische Skizze Erhard Weigel wurde am 16. Dezember 1625 in Weiden als Sohn ­eines Tuchmachers geboren. Zwei Jahre später besetzten kaiserliche Truppen die Oberpfalz. Bekehrungsunwillige mussten die Stadt verlassen, und zwar vermutlich, wie die Bedürftigkeit der Familie in der neuen Heimat vermuten lässt, im Widerspruch zum geltenden Recht ohne Besitz.7 Die Stadt Weiden war mit den Rekatholisierungsmaßnahmen der Besatzungsmacht anscheinend nicht glücklich; sie schickte dem Migrantenkind Erhard Weigel noch viele Jahre später aus Anlass seiner Promotion zum Magister ein Ehrengeld, und der damalige Landesherr ernannte Weigel (wiederum viele Jahre später) zum Pfalz-Sulzbachischen Rat. Die Wanderung der Familie endete in Wunsiedel. Dort fand der Vater zwar kein Auskommen als Tuchmacher, aber die Stadt bot ihm wegen seiner guten Schulbildung die Lehrerstelle an der deutschen Schule an, während sein Sohn die örtliche Lateinschule besuchte. Der Junge Erhard trug durch Schreib- und Kopierarbeiten und durch Erteilung von Nachhilfestunden zu dem knappen Familieneinkommen bei. Weil es an seiner Lateinschule wie an den meisten damaligen Gymnasien keinen Unterricht in Rechnen gab, lernte er bei seinem Vater die einfachen Rechenoperationen und das Einmaleins. Der Vater starb 1636, die Mutter übernahm die Lehrerstelle, und der elfjährige Erhard half in der Schule aus. Von Biographische Skizze | 15

1644–1646 wechselte er an das Lutherische Gymnasium in Halle; um die Kosten aufzubringen, verdingte er sich bei dem Astronomen Bartholomäus Schimpfer als Schreiber. Schimpfer lebte von Horoskopen, gab Weigel Zugang zu seiner gut ausgestatteten Bibliothek und seinem Instrumentar und ergänzte die Mathematikkenntnisse des Jungen. 1645 gingen diesem die Mittel aus, und er verbrachte seine Ferien in Wunsiedel, wo der Archidiakon Jacob Ellrod, ein bekannter Mathematiker und Astronom, der ihn schon früher gefördert hatte und später im Kalenderstreit eine Rolle spielte, sich seiner annahm und ihn im Berechnen von Horoskopen unterrichtete. 8 Weigel lernte bei Ellrod so viel, dass ihm sein Arbeitgeber Schimpfer nach der Rückkehr nach Halle »das ganze astrologische Geschäft mitsammt dem Kalendermachen übertrug«.9 Döring macht darauf aufmerksam, dass Weigel mit seinen Kritiken an ungebildeten Kalenderschreibern und ihren Vorhersagen über das Walten der Sterne nicht die fachgerechte Kunst der Astrologie, sondern ihren Missbrauch durch Beutelschneider bekämpfen wollte; er hatte auch später gegen die Berechnung fachgerechter Horoskope nichts einzuwenden. »Ich behielte diese Stern-Bestallung / als von Hauß auß / auch in Leipzig auff der Universitet / daselbst mir / als Juniori, die Astrologi bey den Penal-Putzern guten Wind; und die Astronomie / nechst der Geometrie / bey den frommen Studenten / auch in ersten Jahren private Auditores, mit Indulgentz der Obern / zuwege gebracht.« Er war der Meinung, dass »die Kunst an und vor sich richtig sey / nur die Künstler fehleten bißweilen.«10 Durch seine neuen Tätigkeiten bei Schimpfer wurde Weigel zu einer bekannten Person. Studenten aus Leipzig nahmen bei ihm Mathematikunterricht, und seine Mittel ermöglichten es ihm, sich in Leipzig als Student der Mathematik immatrikulieren zu lassen. Das Fach wurde in der Philosophischen Fakultät betrieben. In Leipziger Philosophievorlesungen lernte Weigel Autoren der damals führenden spanischen und portugiesischen RenaissanceSchulphilosophie wie Fonseca, Suárez und Hurtado de Mendoza kennen. Wichtig wurde für ihn die Freundschaft mit dem gelehrten Ingenieur Basilius Titel, der im Rang eines Obristen Kommandant der Festung Pleißenburg war; er gewährte Weigel Zutritt zu seiner reich ausgestatteten Bibliothek und zu seinen Instrumenten.11 Titel 16 | Einleitung

war ein angesehener Gelehrter; er korrespondierte mit der Royal Society in London und mit Hevelius in Danzig, war Mitarbeiter an Otto Menckes Acta eruditorum, der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift in Deutschland, und verkehrte mit Ehrenfried Walther von Tschirnhaus. Weigel widmete ihm 1669 die Idea matheseos universae. Später übermittelte Christian Wolff, der in Jena Schüler von Weigels Freund und Schwiegerenkel Hamberger gewesen war, eine Anekdote über die Entstehung dieser Freundschaft. Weigel beobachtete mit Studenten im Freien den Nachthimmel, wurde aber von der Wache der Pleißenburg festgenommen, die annahm, dass es sich um Lattendiebe handelte. Der Kommandant erkannte beim Verhör am folgenden Morgen, dass dieser Verdacht nicht begründet war, unterhielt sich ausführlich mit Weigel, war von dessen Kenntnissen beeindruckt und empfahl ihn dem Gothaischen Hof für die Nachfolge des verstorbenen Jenaer Mathematikers Heinrich Hofmann (auch: Hoffmann); Ernst der Fromme von Sachsen-­Gotha gab damals bei den drei Nutritoren (den Fürsten, die die Universität Jena finanzierten) den Ton an. Wegen Titels Empfehlung soll Weigel später gesagt haben, er verdanke seine Jenaer Professur den Leipziger Häschern.12 1650 promovierte Weigel in Leipzig zum Magister artium. Das teilte er dem Rat seiner Geburtsstadt Weiden mit, die ihm zur Gratulation einen Dukaten aus der Stadtkasse schickte.13 Er kündigte mit Erlaubnis der Fakultät Vorlesungen an, die gut besucht wurden, und habilitierte sich 1652 mit der Dissertatio metaphysica prior de existentia und der Dissertatio posterior de modo existentiae, qui dicitur duratio.14 Beide Themen spielen in Weigels späterer Philosophie eine wichtige Rolle. Ein Jahr später fand Weigels Heirat mit Elisabeth Bayer verwitweter Hartmann statt, die acht Kinder mit in die Ehe brachte und Weigel zwei Töchter gebar. 1653 wurde der Siebenundzwanzigjährige auf den verwaisten Lehrstuhl für Mathematik in Jena berufen, das in den Kriegsjahren verhältnismäßig glimpflich davongekommen war und bei Weigels Amtsantritt gegenüber dem Stand von 1618 nur etwas mehr als ein Viertel seiner Einwohner verloren hatte.15 Die Vorgänge, die zu Weigels Berufung führten, waren bis vor kurzem weitgehend ungeklärt. Man pflegte sich mit zwei Angaben zu begnügen, nämlich mit Wolffs Mitteilung, dass Titels Empfehlung für Weigels BeBiographische Skizze | 17

rufung ausschlaggebend war, und mit einem Bericht von Georg Andreas Will im Nürnbergischen Gelehrtenlexikon von 1755, der auf einer Mitteilung des späteren Nürnberger Predigers Conrad Feuerlein beruhte. Feuerlein hatte drei Jahre lang in Leipzig studiert und erwarb danach den Magistertitel in Jena. Beim Examen machte er einen so guten Eindruck, dass ihn die Prüfer fragten, woher er denn »solche herrliche mathematische Wissenschafften« habe. Feuerlein nannte Weigel, der seitdem in Jena gut beleumdet war. Allerdings konnte die Fakultät gar nicht nach Belieben berufen, denn zunächst waren die Nutritoren im Spiel. Deren Rolle hat Stefan Kratochwil inzwischen geklärt; er setzte dabei Bemühungen des Astronomen und Kryptologen Walter Fricke fort, die in einem unveröffentlichten Manuskript im Jenaer Universitätsarchiv erhalten sind.16 Heinrich Hofmann, der verstorbene Inhaber des Jenaer Mathematiklehrstuhls, hatte nie den Magistergrad erworben, und deshalb konnte man bei ihm nicht promovieren; das wirkte sich negativ auf die Anziehungskraft des Faches aus, und es war klar, dass als Nachfolger nur ein Magister in Frage kam. Kratochwil fand einen Brief des Dekans der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Jena vom 17. November 1652, der eine Liste möglicher Nachfolgekandidaten enthält. Dort werden an erster und zweiter Stelle je ein Magister aus Gotha und Hamburg genannt; aus Altersgründen würden allerdings beide vermutlich einen Ruf nach Jena ablehnen. An dritter Stelle steht der Name Weigels, über dessen Bildungsgang, Begabung und didaktische Eignung der Dekan gut informiert ist.17 Drei Tage später wendet sich Weigel brieflich an die Nutritoren Herzog Ernst den Frommen in Gotha und Herzog Friedrich Wilhelm in Altenburg und bittet sie, sich für seine Berufung zu entscheiden. Dem entspräche es unter heutigen Umständen, dass ein Bewerber dem Hochschulministerium in aktenfähiger Form seine eigene Berufung nahelegt; doch haben sich inzwischen die Usancen verändert. Woher Weigel den Inhalt des Berichts der Universität an die Herzöge kannte, ist nicht bekannt; er beschreibt seine besondere Eignung jedenfalls mit ähnlichen Ausdrücken wie der Dekan in seinem Brief an den Rektor.18 Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar diktierte am 8. Dezember an Herzog Ernst den Frommen in Gotha und Herzog 18 | Einleitung

Friedrich Wilhelm in Altenburg einen Brief, in dem er die Aufstellung einer neuen Liste empfahl, weil ihm keine der bisher vorgeschlagenen Personen bekannt sei. Bei dieser Lösung wäre Weigel wahrscheinlich nicht mehr im Rennen gewesen. In seiner Antwort an Wilhelm IV. umriss Herzog Friedrich Wilhelm zunächst die Kriterien für die Jenaer Nachfolge: Der Kandidat muss nicht nur theoretisch ausgewiesen, sondern auch in praktischer Mathematik erfahren sein, er muss zum Beispiel etwas von der Baukunst verstehen. Ferner muss er nicht nur in den theoretischen Disziplinen, sondern auch in Lehre und Disputation Gutes leisten. Diese Kriterien erfülle am ehesten Weigel, und das spreche dafür, ihn zu berufen.19 Friedrich Wilhelm gab keine Auskunft über die Herkunft seiner Informationen, überzeugte aber Wilhelm IV., denn dieser entschied sich nun für Weigels Berufung und ordnete noch am selben Tag in einem Schreiben an die Universität Jena dessen Installation an. Sechs Tage später bekräftigte das Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Altenburg in seinem eigenen Namen und im Namen des Herzogs Ernst von Sachsen-Gotha.20 Titel hatte sich seinerzeit an diesen gewandt, um Weigel als begabten Mathematiker zu empfehlen, an Weigels Berufung scheint er aber nicht intensiv beteiligt gewesen zu sein. Die Nutritoren betrachteten nun den Fall als abgeschlossen und ließen keine Diskussion mehr zu.21 Der Zustrom zu den Vorlesungen des neuen Mathematikprofessors war groß. Dorschner vermutet, dass sie inhaltlich nicht sehr anspruchsvoll waren, dass aber die Studenten sie gerade deshalb gut verstanden. Weigel ging pädagogisch geschickt vor und konnte seine Hörer fesseln. Sein Ruf, ein besonders begabter Mathematiker und Astronom zu sein, brachte viele Studenten nach Jena, dessen Immatrikulationszahlen sich binnen kurzer Zeit verdoppelten.22 Weigel beteiligte sich intensiv an dem, was man heute Selbstverwaltung nennt. Schon 1654 wurde er Stipendiatorum et Alumnorum Inspector; zu seinen Aufgaben gehörte die Aufsicht über das Collegium Jenense, ein Konvikt für unbemittelte Studenten. In dieser Funktion ergriff er harte Maßnahmen gegen studentische Unsitten wie Sauferei und nächtliches Randalieren. Auch wurde er Baubeauftragter der Universität, hatte sich also um die Universitätsbauten zu kümmern. Er leitete unter anderem den Umbau des Collegium Jenense und richtete auf der Plattform des aufgestockten Biographische Skizze | 19

Torgebäudes ein Observatorium ein. Mehrmals war er Dekan und wurde 1657 zum ersten Mal Rektor der Universität; später folgten noch zwei weitere Rektorate. Es kam auch zu Konflikten. 1658 veröffentlichte Weigel seine Programmschrift Analysis aristotelica ex Euclide restituta und löste dadurch Streitigkeiten mit der Fakultät aus, die sich über seine Versuche beklagte, »alle disciplinas philosophicas seinem Gefallen nach zu reformiren«; auch habe er »den Statuten zuwider auf ganz neue Art zu lehren angefangen«. Weigel versprach nach langen Verhandlungen Besserung. Die TetractysSchrift von 167323 verursachte einen Konflikt mit der theologischen Fakultät, »weil er das mysterium trinitatis aus den principiis geometricis zu demonstriren sich unterfangen«. Weigel erhielt deshalb von der Aufsichtskommission eine Rüge, wies sie aber sofort zurück: Nachdem mir von den fürstlichen Kommissären vorgehalten wurde, dass die Theologische Fakultät sich über mich beschwert, weil ich mir bei der Erklärung der Heiligen Schrift anmaße, heterodox aus arithmetischen Prinzipien das Geheimnis der Trinität zu demonstrieren, erkläre ich, dass ich diesem mit Nachdruck wider­ spreche.24 Er wurde auch im administrativen Dienst des Landes tätig. Wilhelm IV. bat ihn um Privatunterricht in Astronomie und ernannte ihn 1657 zum Hofmathematicus. 1661 bestellte ihn der neue Herzog Bernhard zum Artium Architectonicarum Director supremus (Oberbaudirektor); in diesem arbeitsaufwendigen Amt leitete Weigel von 1659–1661 den Neubau des Jenaer Schlosses. Dessen Dachaltan verzierte er mit einem drehbaren Himmelsglobus aus Eisenblech, dessen Durchmesser bei fünfeinhalb Metern lag; in seinem Inneren konnten mehrere Personen bei Tag einen ausgestanzten künstlichen Sternenhimmel betrachten. Dieses Planetarium musste allerdings nach 30 Jahren aus Stabilitätsgründen wieder entfernt werden.25 Im Zusammenhang mit seinen späteren Tätigkeiten knüpfte Weigel auch Verbindungen zum Reichstag und zum kaiserlichen Hof. 1681 ernannte ihn Kaiser Leopold I. zum kaiserlichen Rat, 26 nachdem ihm schon vorher der Pfalzgraf von Pfalz-Sulzbach den Titel eines Pfalzgräflichen Rats verliehen hatte; Weigels Geburtsstadt Weiden gehörte damals zur Grafschaft PfalzSulzbach. Die Kalenderverhandlungen mit dem Hof in Wien und den Evangelischen Ständen erforderten Reisen, doch reiste Weigel 20 | Einleitung

nicht selten auch in eigener Sache. 1691 plante er eine Reise nach London, um der Royal Society seine Erkenntnisse vorzutragen; er brach sie aber wegen stürmischen Wetters ab, hielt sich stattdessen eine Weile in den Niederlanden auf und besuchte unter anderem Christian Huyghens, der seinen Eindruck in einem Brief an Leibniz beschrieb.27 Seine Philosophia mathematica widmete Weigel 1693 der Royal Society. Eine für das Reich wichtige Leistung waren Weigels Bemühungen um eine Kalenderreform. Der von Julius Caesar eingeführte Julianische Kalender war jährlich etwa 11 Minuten langsamer als die Sonne, und das führte nach jeweils 130 Jahren zu einer Differenz von etwa einem Tag. Die dadurch bedingte Verzögerung des kalendarischen Frühlingsanfangs hatte Folgen für den Ostertermin, den das Konzil von Nicäa auf den Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gelegt hatte. Dieser Termin hatte sich schon 1267 kalendarisch auf den 17. April verschoben, obwohl der erste Frühlingsvollmond auf den 9. April fiel. Die Differenz zwischen astronomischem und kalendarischem Datum hatte sich zu Weigels Zeit auf zehn Tage erhöht und führte zu Komplikationen im kirchlichen und bürgerlichen Alltag. Nach mehreren erfolglosen Ansätzen erarbeitete eine päpstliche Kommission unter Vorsitz des Mathematikers und Astronomen Christoph Clavius (Clau), der aus Bamberg oder der Umgebung von Bamberg stammte und dem Jesuitenorden angehörte, einen sachlich überzeugenden Vorschlag zur Kalenderverbesserung, den Papst Gregor XIII. 1582 durch Dekret seiner Kirche verordnete. Dass seitdem Katholiken nach dem Gregorianischen und Protestanten, die keinen päpstlich verordneten Kalender übernehmen wollten, nach dem Julianischen Kalender lebten, erschwerte den nationalen und internationalen Verkehr und den Alltag in konfessionell gemischten Gebieten. Deshalb pflegte man bald nach 1583 zur besseren Übersicht bei Datierungen sowohl das päpstliche als auch das protestantische Datum anzugeben.28 Gegen Versuche, den Datumswirrwarr durch die allgemeine Einführung des Gregorianischen Kalenders zu beenden, wehrten sich protestantische Geistliche und Laien mit polemischen Druckschriften, aber auch mit Handgreiflichkeiten. Die Evangelischen Stände beschlossen, den päpstlichen Kalender abzulehnen, und ließen durch universitäre Gutachten seine KorrekturbedürftigBiographische Skizze | 21

keit nachweisen.29 Man erwog die Einführung eines verbesserten Einheitskalenders im ganzen Reich; der Archidiakon Jacob Ellrod, der vor Jahren den Knaben Weigel betreut hatte, entwarf einen »Mittel-Calender«. 30 »Die zentrale Gestalt bei der letztlich erfolgten faktischen Übernahme des Gregorianischen Kalenders in allen deutschen Ländern« war Weigel.31 Er hatte sich schon früher für die »Zeit-Einigkeit« eingesetzt, aber seine Bemühungen traten 1681 in ein neues Stadium. Im November dieses Jahres hielt er sich in Dresden auf, um seinen neuen Kalender vorzustellen und um für Sachsens Beteiligung an einem Collegium von Kalenderspezialisten (Collegium Eruditorum) zu werben. Damit hatte er Erfolg, denn der sächsische Landtag beschloss, die Kalenderreform vor den Regensburger Reichstag zu bringen. Weigel ging davon aus, dass der päpstliche Kalender für Protestanten auch weiterhin unannehmbar blieb, und arbeitete an einer Alternative, deren Datierungen mit denen des päpstlichen Systems übereinstimmten. 1687 legte er dem kaiserlichen Hof eine Denkschrift vor und verband darin die Kalenderreform mit seinem Projekt des Collegium artis consultorum, das sozusagen als Deutsche Akademie gedacht war. Es sollte für alle Kalenderfragen zuständig sein und zugleich als Patentamt dienen; mit den Einnahmen aus beiden Aufgaben konnte die Akademie sich selbst finanzieren. Zu beiden Vorschlägen äußerte sich ein kaiserliches Dekret zustimmend. 1696 reiste Weigel nach Dänemark und Schweden, um auch diese protestantischen Länder für seine Reform zu gewinnen. In Schweden erreichte er wenig, aber in einem KöniglichDänischen Reskript wurde dieser »bequeme Vorschlag zur Kalenderreform« approbiert.32 Daraufhin diskutierte Weigel sein Projekt mit den Evangelischen Reichsständen; zur Vorbereitung der Gespräche diente seine Schrift »Unmaßgebliche Vorschläge Herrn Raths Erhard Weigels« von 1697. Da ohnehin im Jahr 1700 wichtige Ephemeridentafeln ausliefen, empfahl er, in Zukunft alle Kalenderdaten auf der Grundlage der von Kepler vollendeten Rudolphinischen Tafeln zu berechnen, denn wenn beide konkurrierenden Systeme eine gemeinsame astronomische Grundlage hatten, war die Übereinstimmung ihrer Ergebnisse gesichert. Für die Ansetzung von Schaltjahren sah Weigel eine andere Regelung vor als Clavius, der in jedem vollen Jahrhundert, dessen Zahl nicht ohne 22 | Einleitung

Rest durch 400 teilbar war, einen Schalttag ausfallen ließ. Weigel sah vor, stattdessen alle 130 Jahre einen Schalttag zu streichen. Obwohl sein Vorschlag bis auf wenige unbedeutende Veränderungen mit dem Gregorianischen Kalender übereinstimmte, nahmen die Reformgespräche einen guten Verlauf; das Collegium wurde praktisch als gegründet und Weigel als dessen Direktor angesehen. Am 4./14. Oktober 1698 formulierte er noch einmal seine wichtigsten Vorschläge für die evangelischen Gesandten beim Reichstag und fügte hinzu: »[…] das übrige gibt sich nach Anleytung des corrigirten Julianischen Cycli selbst«. Es ging nicht um die Einführung des Gregorianischen Kalenders im ganzen Reich, sondern um die des »Verbesserten Julianischen« Kalenders bei den Protestanten, und dieses Detail war entscheidend. In seinem »Abermahligen Schreiben an das Evangelische Corpus zu Regenspurg« setzte sich Weigel für den baldigen Abschluss der Verhandlungen ein, damit der neue Kalender schon 1700 in Kraft treten konnte; er befürchtete für den Fall, dass zwischen der Verabschiedung und der Einführung viel Zeit lag, den Eingang zu vieler Änderungsvorschläge, die die Verabschiedung noch mehr verzögern würden; sein Vorschlag sei ja so beschaffen, »daß er den Haupt-Mangel des Julianischen Calenders auff einmahl hebt«. 33 Dieses Dokument vom Januar 1699 ist Weigels letzte bekannte schriftliche Äußerung zur Kalenderreform. Er starb am 21. März in Jena. Um die Vollendung des Unternehmens zu sichern, überzeugten Weigels Schüler Albrecht Georg Hamberger und Johann Christoph Sturm sowie der Experte Johann Meyer aus Regensburg das Gremium davon, dass sie selbst und weitere Gelehrte in der Lage waren, Weigels Arbeit fortzuführen. Die Stände beschlossen die Reform in der Sitzungsperiode vom 18. Februar bis 1. März 1700. Weil man annahm, dass bei der Einführung einer Regelung für das ganze Reich mit Widerstand von katholischer Seite zu rechnen war, denn der Gregorianische Kalender bedurfte nach katholischer Meinung keiner Reform, begnügte man sich mit einem Beschluss der evangelischen Reichsstände, der nur die nichtkatholischen Länder betraf; damit war die von Weigel gewünschte »Zeit-Einigkeit« im ganzen Reich verwirklicht.34

Biographische Skizze | 23

2. Weigels Pädagogik Wiedereinführung der Mathematik und der Realienfächer an den Schulen Weigel war vermutlich kein mathematisches Genie. Er beherrschte anscheinend die Grundrechenarten, euklidische Geometrie, Potenz- und Proportionalrechnung, Trigonometrie, analytische Geometrie, Logarithmenrechnung und die mathematischen Verfahren der damaligen Astronomen. Dass Weigel von den mathematischen Umwälzungen, die sich zu seiner Zeit in Italien, den Niederlanden, Frankreich und England anbahnten, kaum etwas wusste, bemerkte Christian Huyghens wohl schon bei der einzigen Begegnung der beiden.1 Auf der anderen Seite darf man annehmen, dass Weigel ein begnadeter Mathematiklehrer war.2 Dafür spricht unter anderem die Entwicklung der Immatrikulationszahlen an der Universität Jena, die allerdings mehr als einen Grund hatte, zum Beispiel Jenas zentrale Lage, die niedrigen Lebenshaltungskosten und die modernen Trends der dortigen Theologie. Die Fachleute sind sich aber einig, dass einer der wichtigsten Anlässe für Jenas Aufstieg das von Weigel vertretene naturwissenschaftliche Denken war. Die Neuberufung erwies sich als Publikumsmagnet. Das Observatorium auf dem Dach des Kollegiengebäudes zog viele Studenten an. Weigels astronomische und physikalische Experimentalkurse, die später Sturm in Altdorf weiterführte, waren etwas Neues, Weigels Vortrag war lebhaft, fesselnd, verständlich und praxisnah und zog Kenner und Wissbegierige an. Es heißt in einem Zeugnis, das die Universitätsbibliothek Jena aufbewahrt: Kaum war von uns »das astrognostisch-heraldische Colleg angekündigt worden, als auch schon über 400 Studenten sofort zu unserem Hause strömten«, 3 alle von einer ungewöhnlichen Wissbegierde erfüllt. Da für eine so große Anzahl nicht genug Platz »vorhanden war, musste man umgehend vor den Stadttoren im Freien eine Art von Hörsaal im­ provisieren«.4 24

Weigels Bauten und Erfindungen beeindruckten weit über Jena hinaus. Sein technisch hervorragend ausgestattetes Wohnhaus galt als mathematisch gestalteter Mikrokosmos; man bewunderte den Personenaufzug, den Ausschankautomaten und das aus verschließbaren Hähnen fließende Wasser. Vor allem aber beschäftigte sich Weigel mit Möglichkeiten der Einführung oder Verbesserung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts an Elementarschulen, Gymnasien und Hochschulen und setzte sich, um einen heutigen Ausdruck zu verwenden, bei Politikern als Lobbyist für Reformen des Erziehungswesens ein. Er steht in der Tradition einer zu Beginn des 17. Jahrhunderts einsetzenden Reformbewegung in der Pädagogik, die den Unterricht in Inhalt und Form verändern wollte: Aufwertung des Sachwissens gegenüber dem Wortwissen, Insistieren auf einer engen Verbindung von Theorie und Praxis in allen Lehrbereichen, Berücksichtigung der Muttersprache auch an sekundären und tertiären Anstalten, Ablehnung der exzessiven Schätzung des Lateinischen und lebendige Unterrichtsgestaltung an Stelle des Paukbetriebs.5 In den letzten 18 Jahren seines Lebens entfernte sich Weigel wegen anhaltender Zwistigkeiten immer mehr vom Universitätsbetrieb und konzentrierte sich auf pädagogische Tätigkeiten. Von 42 bekannten Schriften aus dieser Zeit beschäftigen sich 30 mit der Reform von Schulen und Kalenderwesen; 23 davon sind Eingaben an den Landtag, den Reichstag und den Kaiser oder Anleitungen für Eltern und Lehrer seiner Versuchsschule. 6 Er klagt in der Analysis aristotelica über »das elende Los unserer Jugend« und moniert, dass man in Deutschland Kinder unter zwanzig Jahren mit Grammatikübungen belastet, die sie mehr verwirren als fördern. Weil seine Eltern arm waren, musste er schon mit elf Jahren Nachhilfeunterricht erteilen, er kam also nicht nur durch Berichte anderer, sondern auch durch eigene Erfahrung zu der Überzeugung, dass hierzulande beim Unterricht von Knaben manches ganz verkehrt läuft.7 Daran gibt er aber weder den Lehrern noch den Obrigkeiten die Schuld, denn diese tun nur, was ihnen der Lehrplan (»das Schulregister«) vorschreibt. Weigel erklärt, dieses Register sei »nach altem Schrot und Korn gemünzt« und nur deshalb noch in Geltung, weil es schon so lange gilt. Die Gelehrten hätten es besser wissen können, denn sie wurden bestellt, um zu empfehlen, was Wiedereinführung von Mathematik und Realienfächern an Schulen | 25

dem Gemeinwesen Nutzen bringt, und um auf Fehlentwicklungen hinzuweisen; dabei seien sie auch keineswegs chancenlos. Er selber habe schon vor mehr als zwanzig Jahren die Mathematikprofessoren von Wittenberg und Leipzig um ein Treffen gebeten, um mit ihnen über die Verbesserung des Kalenders zu beraten. Auf eine Eingabe dieser Gruppe hin wurde für den Reichstag die Diskussion über die Kalenderreform auf die Tagesordnung gesetzt. Ferner habe Weigel beim Landtag in Dresden Vorschläge zur Wiedereinführung von Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik an den Schulen eingereicht; auch daraufhin sei einiges unternommen worden. 8 Die Überzeugung, dass man an deutschen Schulen den Unterricht in Mathematik und in den Realienfächern wieder einführen muss, gehört zu den Impulsen für Weigels pädagogische Bemühungen. Von den Werken Gottes in der Schöpfung und von den körperlichen und geistigen Werken kluger Menschen, berichtet er, kommt in deutschen Schulen seit Jahrhunderten wenig oder gar nichts mehr vor, obwohl die klassischen Autoren in vielen erhaltenen Texten ausführlich darüber berichten. Diese hat man bei uns zwar gelesen, aber nicht im Blick auf ihren Inhalt;9 die Gelehrten beschäftigten sich lieber mit Streitigkeiten über die Bedeutung von Vokabeln als mit der Kunst von Handwerkern und Mechanikern oder mit der Natur. Wenn man sich hier vernünftiger verhalten hätte, herrschte heute in der Welt Friede und Eintracht, und die Gelehrten interessierten sich nicht für die Verehrung sterblicher Autoritäten, sondern für das Lob und die Erkenntnis Gottes;10 das Gemeinwesen aber wäre um Tausende von nützlichen Produkten reicher.11 Weigel nimmt an, dass die wachsende Macht Europas in anderen Erdteilen unmittelbar mit seiner Überlegenheit in mathematiknahen Künsten wie Mechanik, Technik und Militärwesen zusammenhängt. Das sei aber nicht für alle Zeit genug. In einem Land, auf dessen Boden die Nationen Europas noch vor wenigen Jahrzehnten ihre Auseinandersetzungen austrugen und das noch immer unter den Folgen leidet, ließe sich durch mechanische Erleichterungen der Arbeit und durch Verbesserungen in der Produktion eine Menge erreichen. Schon jetzt aber lebten in Europa die Menschen wie das Vieh, wenn die Wissenschaft nicht die sogenannten bürgerlichen Künste erfunden hätte, die letztlich alle auf 26 | Weigels Pädagogik

Mathematik beruhen. Erst sie haben es möglich gemacht, Arbeit und Mühe mit mechanischen Mitteln zu erleichtern, geschützt zu wohnen und Feinde dauerhaft abzuwehren.12 Trotzdem dreht man in deutschen Schulen weiter die Wirklichkeit um und möchte möglichst allen Kindern Latein in die Köpfe hämmern; dabei vernachlässigt man die Natur, die Gott geschaffen hat, mit ihren Pflanzen, Tieren und Mineralien und sogar die Formung des Charakters der Schüler.13 Wer nicht Latein gelernt hat, ist ein Tropf, und wer nicht deklinieren kann, ein Idiot oder (noch schlimmer) ein Laie. Solche Qualifikationen durch Lehrer sind schon deshalb unangebracht, weil sie maßlosen Hochmut stiften.14 Auf diesen Missstand geht Weigel häufig ein, denn nicht nur als Erfinder, sondern auch als Architekt, als Verantwortlicher für große öffentliche Bauten und als Bauherr eines technisch anspruchsvollen Privathauses war er auf leistungsfähige Handwerker angewiesen. Er schätzte ihr Können15 und wusste, dass wir in vieler Hinsicht auf sie angewiesen sind. Zwar hielt er es wegen der Verständigung zwischen Menschen verschiedener Völker für gut, dass man überall in Europa Latein versteht, erklärte es aber für falsch, dass man es den Schülern mit Hilfe von Grammatiken einbläut, die eigentlich für Erwachsene geschriebenen wurden; das sei genau so klug, wie wenn man unmündige Kinder beim Lesenlernen nicht die Buchstaben, sondern die Regeln für ihre Artikulation (Zunge an Gaumen, Mund weit öffnen) nachsprechen ließe.16 Deswegen lerne man bei uns Latein, bis man am Ende zwanzig Jahre alt ist, obwohl man alle anderen Sprachen, falls man es richtig macht, schon nach zwei Jahren passabel sprechen könne.17 Nach dem langen Krieg mit Mühsal und Armut müsste man endlich wieder Mathematik und Realienfächer in die Schulen bringen. Die richtigen Mittel, um sie leicht und mit Lust zu lernen, haben schon die weisen Griechen und Römer, unsere Lehrer in den freien Künsten Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Harmonielehre, gesucht und gefunden.18 Weigel bezieht sich auf die sieben Künste (Artes), also auf Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie, die im Mittelalter als propädeutische Fächer an den Artes-Fakultäten gelehrt wurden, den Vorläufern der heutigen philosophischen Fakultäten. Diese Künste üben nach seiner Meinung den Verstand darin, gern Wiedereinführung von Mathematik und Realienfächern an Schulen | 27

nachzudenken, und wenn er das gelernt hat, kann er die anderen Unterrichtsstoffe leichter begreifen. Für Kinder, die nicht weiterstudieren, sondern nach der Schulzeit eine mechanische Kunst, ein Handwerk oder ein Gewerbe lernen wollen, wäre die Wiedereinführung dieser Fächer von besonderem Nutzen.19 Weigel führte in den siebziger Jahren literarisch nicht überlieferte Untersuchungen über die Vorteile und Lernchancen durch, die mathematische und naturwissenschaftliche Fächer bieten. Bei seiner Beschäftigung mit dem Pythagoreismus war er zu der Überzeugung gelangt, dass Zahlen und mathematische Strukturen sozusagen der Seinsgrund der Welt sind. Das fand er durch ein Bibelzeugnis bestätigt, nach dem Gott alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet hat.20 Die Mathematik ist ein sicheres Mittel zur Erkenntnis dessen, was Gott getan hat. Weigel wies ferner darauf hin, dass sich Kinder durch Mathematikunterricht an bestimmte Tugenden gewöhnen und dass deswegen dieses Fach, wie man heute sagen würde, bei der Charakterbildung hilfreich ist. Auch deshalb und nicht nur im Blick auf Mathematik, Ökonomie und Politik ist es nach Weigel wichtig, die Artes oder Künste bei der Bildung von Kindern wieder einzusetzen.21 Das wäre außerdem ein großer Schritt zur Verbesserung der beruflichen Bildung. Solche Ansätze Weigels wurden von Schülern fortgeführt. Paulus Pater gründete in Danzig erfolgreich eine technische Lehranstalt, und Christoph Semler, Professor für Mathematik, Philosophie und Theologie und städtischer Schulinspektor in Halle, setzte sich für die Verbesserung des Realwissens der Jugend ein und warb für die Einrichtung von Handwerks- und Realschulen. 1705 gründete auch er mit gutachtlicher Unterstützung durch Leibniz eine Realschule mit den Schwerpunkten Mathematik und Mechanik. In der Umgebung von August Hermann Francke, dem Gründer der Franckeschen Stiftungen in Halle, erweiterte Julius Hecker das Weigelsche Schulkonzept und gründete 1747 in Berlin eine ökonomisch-mathematische Realschule. Auch bildete sich eine Kette von Multiplikatoren, die Weigels Anregungen weiterentwickelten; die Darstellung von Hildegart Schlee enthält außer den genannten Hinweisen eine Graphik zur Ausstrahlung Weigelscher Reformideen bis nach Amsterdam, Riga, Pressburg und London.22 Die Bemühungen Weigels und seiner Schüler für die Ziele der damals blühenden »Realismus«-Be28 | Weigels Pädagogik

wegung, die verlangte, in Elementarschulen und Gymnasien auch mathematische, naturwissenschaftliche, ökonomische, historische und musische Kenntnisse zu vermitteln, waren ein Versuch, manuelle und geistige Tätigkeit miteinander zu verbinden, und nahmen spätere berufspädagogische Bestrebungen vorweg.23

Lernen ist Spielen mit der göttlichen Weisheit Zu Weigels pädagogischen Impulsen gehörte die Überzeugung, dass beim Erkenntnisvorgang die göttliche Weisheit und der menschliche Geist miteinander spielen. Weil sein Land konfessio­ nell gespalten war, war es nicht angebracht, in Schriften, die sich an die gesamte deutsche Öffentlichkeit richteten, konfessionell zu argumentieren. Er konnte sich aber erstens auf Bibelstellen berufen, denn die Bibel gehörte allen Konfessionen, und er konnte zweitens vernunfttheologische Begründungen verwenden. Die Vernunfttheologie, nach der sich die Existenz eines höchsten Wesens mit Vernunftargumenten beweisen lässt, gilt seit Kant und seit den heute schon wieder fast vergessenen Auseinandersetzungen über das Erste Vatikanische Konzil in Deutschland 24 als obsolet. In Weigels Nachkriegsgesellschaft erleichterte sie das Zusammenleben und die Zusammenarbeit von Menschen verschiedener Konfessionen. Auf heutige Leser, die unter anderen Bedingungen leben, wirken Weigels vernunftfromme Äußerungen manchmal abgestanden, aber damalige Gelehrte, die auf Kontakte mit Kollegen aus ideologisch verfeindeten Nationen und Glaubensrichtungen angewiesen waren, fanden in der Vernunfttheologie eine Verständigungsbasis, die sich sogar mit Bibelzitaten bereichern ließ. Sie erörtert, was unsere Vernunft nach damaliger Überzeugung auch ohne Hilfe göttlicher Offenbarung und kirchlicher Beschlüsse von Gott und seinem Willen erkennen kann. Damals beugte sie Kollisionen zwischen Gläubigen verschiedener Richtungen vor, überbrückte konfessionelle Feindschaften und konnte sogar zur Grundlage einer konfessionsunabhängigen Frömmigkeit werden, wie sich heutige Leser noch an Samuel Reimarus’ zwei Generationen jüngerer Schrift Von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion klarmachen können.25 Die Vernunftreligion hatte darüber hinaus den Vorzug, Lernen ist Spielen mit der göttlichen Weisheit | 29

überkonfessionelle Argumente gegen den Atheismus bereitzuhalten, dessen Ausbreitung damals vielen Gebildeten Furcht einflößte. Er wurde trotz der Bemühungen von Gelehrten wie Baruch Spinoza, Christian Thomasius, Christian Wolff und David Hume als Gefährdung von Moral und Gesetzestreue wahrgenommen, denn Atheisten können ohne Furcht vor jenseitiger Vergeltung Böses tun und keine Eide im Namen Gottes leisten. Weigels Äußerungen über die göttliche Weisheit stützen sich auf den Text 8, 22–31 aus den Sprüchen Salomonis: Der Herr hat mich gehabt im Anfang seiner Wege; ehe er etwas schuf, war ich da. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit, von Anfang, vor der Erde. Da die Tiefen noch nicht waren, da war ich schon geboren; da die Brunnen noch nicht mit Wasser quollen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln war ich geboren. Da er die Erde noch nicht gemacht hatte und was darauf ist, noch die Berge des Erdbodens, da er die Himmel bereitete, war ich daselbst. Da er die Tiefe mit seinem Ziel fasste, da er die Wolken droben festete, da er festigte die Brunnen der Tiefe, da er dem Meer das Ziel setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl, da er den Grund der Erde legte, da war ich der Werkmeister bei ihm und hatte meine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit. Und spielte auf seinem Erdboden, und meine Lust ist bei den Menschenkindern.

Jüdische und christliche Theologen haben über das Verhältnis dieser spielenden Weisheit zu Gott nachgedacht. Weigel identifizierte sie mit dem Gott der Schöpfungsgeschichte und ging davon aus, dass das Spielen nicht nur ihr, sondern auch uns unerschöpfliche Freude bringt. »Wer nur dieselbe recht bedenckt / und dieses / was bishero gemeldet / offtmals überlegt / bis er die That (die Freud im Werck und in der That / die nicht eher kommt / es habe dann der Mensch die Liebe dazu / durch offters daran dencken / und sich darnach sehnen / durch offtmaliges Verlangen / als zum Voraus / ernstlich bezeiget) bis er / sage ich / diese Freud / durch Angewehnung steter Denckung an die Güte GOttes / selbst empfindet / welche denn nicht / wie Lust des Fleisches / flüchtig / sondern immerwährend und beständig ist / davon der Mensch / ders recht versteht / nicht lassen kan / und GOtt lässt nicht ihm / dieweil Er / der Mit-Freude wegen / die Er von den Menschen-Kindern haben will / das Spiel geordnet / und so lang bisher getrieben hat.«26 30 | Weigels Pädagogik

Diese Überzeugung prägt Weigels Wissenschaftsverständnis, aber auch seine Pädagogik und die Organisation seiner Versuchsschule, bei der er wie Comenius27 davon ausgeht, dass Lernen, wenn man es richtig beginnt, zum Spiel wird. Erkenntnisgewinn ist ein Spiel, Spielen macht Freude, und diese Freude darf man Kindern nicht verderben. Sie lernen am besten, wenn man sie mit Vergnügen der Weisheit zuhören lässt. Weigel entwickelt geradezu eine Mystik der göttlichen Weisheit. Lernen ist ein Spiel mit ihr und muss ein Spiel bleiben. Wenn man den Unterricht wie ein Spiel gestaltet, lernen schon kleine Kinder alles, was sie im Gedächtnis behalten sollen, in Gesellschaft von ihresgleichen und mit guter Körperhaltung, die sie ebenfalls durch Bewegungsspiele lustvoll erwerben. Solange sie Lust behalten, erfassen sie den Lehrstoff leicht und schnell und bewahren ihn dauerhaft im Gedächtnis; auch bei hoher Klassenstärke lernen sie gern Latein, das man in den üblichen Schulen selbst älteren Kindern kaum einprügeln kann, schon in der dritten Klasse, außerdem aber auch elementare Mathematik, und zwar ohne Prügel und doppelt so schnell wie andere Kinder.28 Dabei gewöhnen sie sich unvermerkt an den Gedanken, dass Freude an und mit Gott unser höchstes Gut ist. Wenn man versteht, dass Gott sehr gnädig mit uns ist (denn er will immer durch seine Weisheit mit uns spielen), nimmt man am Ende auch seine Schickungen als Spiel. Das ist dann allerdings kein Kinderspiel mehr, sondern ein Ernstspiel. Ein Weiser spielt auch dieses mit Verstand und in Verantwortung vor Gott.29 Hier öffnet sich ein Ausblick auf Weigels Spiritualität: Das Ergebnis der Betrachtung Gottes ist Freude, die beim Weisen so stark ist, dass sie auch Schicksalsschläge übersteht und erträglich macht. Weigel spielt nicht selten auf sie an, erörtert sie aber nicht ausführlich. Stattdessen verweist er auf die zu seiner Zeit bei Katholiken und Protestanten gleich geschätzte und auch für Leibniz und Wolff belangreiche Schrift Ars semper gaudendi eines belgischen Mathematikers spanischer Herkunft, des Jesuiten Alfonso Antonio de Sarasa.30 Aus ihr zitiert er im Wienerischen Tugendspiegel und in der Philosophia mathematica ausführlich.31 Ob Kinder merken, dass Lernen Spielen mit der göttlichen Weisheit ist und Freude bringt, hängt weitgehend von der Gestaltung des Unterrichts ab. Wenn sie diesen zunächst als mühsam Lernen ist Spielen mit der göttlichen Weisheit | 31

empfinden, muss sie der Lehrer durch Freude motivieren. Spielen hängt meist mit Bewegung zusammen, und deshalb tut der Lehrer gut daran, Lernen mit Bewegung und überhaupt mit Tätigkeit zu verbinden. Wenn er die Schüler nie etwas selbständig tun lässt, sie immer passiv hält und sie lediglich Vorgesprochenes auswendig lernen lässt, werden sie faul und träge, verdrossen und mutwillig. Weil man ihren natürlichen Tatendrang durch Stillsitzen unterdrückt, geben sie beim Heimweg auf der Straße sofort ihrem Mutwillen freie Bahn – je seltener man Kälber ins Feld treibt, desto frecher werden sie.32 Wer in seinen Unterricht Spiel und Bewegung einbringen will, muss allerdings bei Schülern verschiedener Altersstufen ganz verschieden vorgehen. Ehe sich bei etwa Fünfjährigen der Verstand ereignet, wünschen sich Kinder außer Essen und Trinken vor allem Gesellschaft und gemeinsame Bewegung. Sie sitzen erst still, wenn man ihnen etwas zum Spielen in die Hand gibt oder ihnen Geschichten erzählt. Wer sich das zunutze macht, kann erreichen, dass sie Dinge, die sonst für sie und ihre Erzieher verdrießlich wären, unversehens mit Lust tun. 33 Demgegenüber sind Kinder von fünf bis sechs Jahren zwar noch etwas kindlich, aber schon verständig. Sie interessieren sich für Werke der Natur und für Werke von Menschenhand, weil es ihren Sinnen Freude macht, sie anzuschauen, anzuhören, zu betasten, zu schmecken und zu riechen. Auch setzen sie gern ihren Geist ein, denn sie wollen Dinge zählen, messen und nach Gruppen ordnen. Ihr Tatendrang treibt sie dazu, manches umzubauen oder durch Schnitzen und Kneten zu verändern. Eltern und Lehrer sind bald damit ausgelastet, ihren Tatendrang im Zaum zu halten. Im Grunde zeigt sich aber so, dass ihr Verstand und ihre Urteilskraft heranwachsen, denn Tiere tun so etwas in der Regel nicht. Wenn man ihren Verstand unterstützen und ihre Geschicklichkeit und Tugend fördern will, kann man für Kinder in diesem Alter nichts Nützlicheres und Angenehmeres tun, als sie mit dem Aussehen und der Wirkung von Dingen, besonders von ungewöhnlichen, vertraut zu machen. Man kann zum Beispiel mit ihnen durch Feld, Wald, Garten oder Wiesen streifen und sie Naturdinge oder liegengebliebene Werkstücke von Menschen sammeln und ordnen lassen, oder man kann ihnen bei Dunkelheit die Sterne zeigen. Man kann ihnen ferner beibringen, mit Sachen richtig umzugehen, nur muss man ihnen 32 | Weigels Pädagogik

dabei die Gründe nennen. Daran haben sie nicht weniger Freude als an den Sachen selbst. 34 Ihre Freude am Lernen wächst, wenn sie gelegentlich auch von Jugendlichen unterrichtet werden. Viele von diesen unterrichten gern. Wenn man in einer Stadt zwei oder drei Stipendiaten oder in einem Dorf zwei oder drei arme Schüler zu Schulhelfern macht, erfährt man, dass ihnen das Unterrichten sogar an den heißesten Tagen und selbst bei kleinen Kindern Freude macht. Wenn Sechsjährige, die auf die beschriebene Weise unterrichtet wurden, danach in eine normale Schule kommen, sind sie in Sprache, Wissen und Verhalten schon deutlich weiter als die dortigen Unterklassenschüler.35 Sie haben bereits als kleine Kinder, bevor ihnen der Verstand kam, im Spiel nicht nur den Grund der Gottesfurcht und aller Tugenden, sondern auch Dinge gelernt, die man ihrem Gedächtnis sonst kaum einprägen könnte, und wünschen sich außer ihren Schulspielen weder mutwillige Gassenspiele noch andere unvernünftige Beschäftigungen. Wenn sich danach der Verstand bei etwa Zehnjährigen weiter entfaltet, muss man sie wiederum anders unterrichten. Bei jeder Altersstufe und in jedem Unterrichtsfach muss sich der Lehrer neue Motivationen ausdenken. Zum Beispiel ist Auswendiglernen für Kinder eine unangenehme Erfahrung, es kommt also darauf an, dass man es in ein Spiel verwandelt. Dazu muss man es mit einer Nebenlust verbinden und mit angenehmer Tätigkeit versüßen, denn sonst schleppt man wie im Sprichwort den Hund zum Jagen. 36 Vielen Kindern macht der Mathematikunterricht keine Freude, weil sie dabei in der Regel sitzen oder stehen müssen. Der Lehrer kann aber hin und wieder praktische Übungen einlegen, die letztlich auf Arithmetik und Geometrie hinauslaufen, er kann sie zum Beispiel Bälle in eine bestimmte Richtung schlagen oder Billardkugeln mit dem Spielstock lenken lassen. Solche Unterbrechungen sind, wenn man sie gut erklärt, nur Fortsetzungen des Lernens und bringen mehr Nutzen als bloßes Weiterunterrichten.37 Religiöse Erziehung ist wichtig, man muss aber bedenken, dass sich Kinder durch Gottesdienstbesuche nicht leicht motivieren lassen. Die Erfahrung zeigt, dass bei der Predigt nur Erwachsene zuhören. Die Kinder singen allenfalls im Chor oder müssen so lange in der Kirche warten, bis ihr Lehrer den Gottesdienst zu Ende gehört hat und wieder in die Schule kommt. Während der Wartezeit haben Lernen ist Spielen mit der göttlichen Weisheit | 33

sie weder einen eigenen Platz noch genug Geduld, um eine Predigt anzuhören, die sie nicht verstehen. 38 Solche Erfahrungen sind für sie keine Freude. Man muss einem Schüler nicht wie einem Klotz alles einbläuen, was er tun soll, sondern ihm vormachen, wie man sich richtig verhält, und ihn in Güte dazu bringen, es so zu machen. Das gelingt vielleicht nicht gleich auf einmal, aber wenigstens Stück für Stück. Richtige Bewegungen trainiert man nicht anders. Wenn die Füße tanzen, die Finger schreiben oder Laute spielen, die Arme fechten oder die Hände handwerkliche Tätigkeiten einüben sollen, gibt man am Anfang oft Ermahnungen, aber wenn man es dabei belässt, bleiben die Füße lahm, die Beine tölpelhaft und Finger, Hände und Arme auf ewig ungeschickt.39 Manche Kinder gewöhnen sich an die Schule nur schwer. Man könnte ihren Willen auf vielerlei Weise beugen und brechen, aber man versucht am besten nie, sie mit den üblichen Überredungskünsten, mit Gewalt oder Strafandrohung, mit falschen Vorspiegelungen oder durch Missbrauch vorübergehender Situationen gefügig zu machen, denn die Gewohnheit, tugendhaft zu handeln, erwirbt man nur durch tugendhaftes Handeln. Hilfreich sind angenehme Tätigkeiten. Man kann in Kindern durch positive Einwirkungen, zum Beispiel durch lebhafte Unterhaltung, Tugenden wecken.40 Mit Ermahnungen und Befehlen erreicht man höchstens ihren Verstand. Sie merken dann, dass sie das, was man ihnen befiehlt, am besten jetzt tun, aber dadurch wissen sie noch nicht, wie man es richtig tut.41 Bei der Gewöhnung des Willens von Kindern geht es nicht darum, ein wildes Füllen ans Bereiten oder einen Bären ans Tanzen zu gewöhnen, man muss vielmehr die Freiheit ihres Willens achten und sie von innen her lenken. Dann tun sie das, was vernünftig ist, nicht deshalb, weil es ihnen befohlen wird, weil es im Gesetz steht oder weil ihnen sonst eine Strafe droht. Sie müssen es aus innerem Antrieb und letzten Endes aus Liebe zu Gott tun.42 Beim Einlernen und Angewöhnen gibt es keine schlechteren Mittel als Belohnungen und Drohungen. Beides lenkt den Geist vom Zweck des Unterrichts ab und bewirkt, dass Kinder nicht aus Lust und Liebe zur göttlichen Weisheit lernen, sondern im Fall von Belohnungen aus Gewinnsucht und im Fall von Drohungen aus Furcht. Greift man am Ende zu Bestrafungen, macht man sie wi34 | Weigels Pädagogik

derspenstig und halsstarrig und hat nicht den geringsten Nutzen davon, denn Wissen lässt sich nicht erzwingen.43 Manche Eltern unterstützen den Lehrer, aber manche auch nicht. Einige schicken ihre Kinder schon zur Schule, wenn sie noch sehr klein sind, aber nur, damit sie lernen, stillzusitzen, denn sonst sind sie zu Hause hinderlich oder treiben auf der Straße Unfug. Die Schule dauert kaum sechs Stunden am Vor- und Nachmittag, und der Unsinn, den Kinder danach zu Hause treiben, wiegt das, was sie in der Schule lernen, bei weitem auf. Die Lehrer halten sie mit Stöcken auf der Sitzbank, und diesen Verdruss vergelten sie nach der Schule mit doppeltem Unfug.44 Bei wenig gebildeten Leuten ist es ohnehin die geringste Sorge, ob ihre Kinder geistig gefördert werden oder nicht. Sie haben genug damit zu tun, ihnen den Bauch vollzustopfen, damit sie stark werden, und ihnen die Haut zu putzen, damit sie schön werden. Man schickt sie in die Schule, damit jemand auf sie aufpasst, denn Schulen sind fast überall kostenlos oder kosten im Vergleich zu dem, was für den Körper der Kinder aufgewendet wird, nur wenig. Andererseits haben manche Eltern Bedenken, ihr Kind überhaupt in die Schule zu schicken, und wenn sie das endlich tun, ist es bereits verwöhnt und halsstarrig. 45 In den meisten Fällen sind nicht die Lehrer, sondern die Eltern schuld, wenn Schulkinder sich ungebührlich benehmen. Wenn Eltern nicht zu Hause für Ordnung sorgen, ist die Ordnung, die ihre Kinder in der Schule lernen, ganz umsonst. Wenn die Eltern sie nicht wie Äffchen lieben, sondern um ihrer vernünftigen Seele willen, behandeln sie sie wie vernünftige Wesen und verwöhnen sie nicht.46 Hier zeigt sich eine Seite Weigels, die viele heutige Eltern für verfehlt halten dürften, während man sie noch vor wenigen Generationen für normal hielt. Weigel teilt nicht die Meinung, dass sich Jugendliche erst einmal austoben müssen und dass später ihr Mutwille irgendwie von selber aufhört. Solche Ansichten beruhen nach Weigel auf Gleichgültigkeit. Nachlässigkeit bei der Erziehung von Kleinkindern kann schlimme Folgen haben, denn wenn man ihrem Willen freie Bahn gibt, kommen sie schon verdorben in die Schule. In Wirklichkeit muss man vor allem ihre Vernunft zur Geltung kommen lassen. Sie haben das Privileg einer vernünftigen Seele, das Gott den Tieren nicht gewährt hat, und müssen erkennen, dass sie besser gestellt sind als diese und dass sie sich Lernen ist Spielen mit der göttlichen Weisheit | 35

durch vernünftiges Verhalten dafür erkenntlich zeigen müssen – Geschenke legen Verpflichtungen auf. Wem das Glück zuteilwird, vernünftig zu sein, der ist im Gegenzug verpflichtet, sich vernünftig zu verhalten. Deshalb darf man Kinder nicht einfach toben und Unfug treiben lassen, sondern muss sie nach Möglichkeit mit vernünftigen Spielen unterhalten, die Tiere nicht spielen können. Es ist nicht richtig, dass sie zu Hause wie Zicklein oder Böckchen spielen, und zwar nicht deshalb, weil Tiere verächtlich sind, denn das sind sie nicht, sondern deshalb, weil man Gott zeigen muss, dass man seine Gaben schätzt. Wenn Kinder aus der Schule nach Hause kommen, könnten sie zum Beispiel, statt herumzutollen, in der Zeit vor Abendessen und Schlafengehen ihren Eltern die geometrischen Figuren vorführen, die sie tagsüber in der Schule gebastelt haben. Dafür könnte man ihnen kleine Belohnungen für ihre Sparbüchse aussetzen.47

Die Kunst- und Tugendschule48 Weigels Schulversuche erfolgten in zwei Etappen. 1683 reiste er zum Reichstag nach Regensburg. Dort wurde seine »Unmaßgebliche Erinnerung« gut aufgenommen und später einigen Fürsten von ihren in Regensburg anwesenden Gesandten empfohlen. Weigel nennt mehrere Landesherren, die ihn ihrer Zustimmung versicherten. Daraufhin nahm er an, dass der von ihm geplante Schulversuch auch finanziell gesichert war, zumal da er sein Privathaus als Unterrichtsort zur Verfügung stellte 49 – er organisierte den Versuch zur Überprüfung seiner pädagogischen Vorstellungen nach 1683 in seinem eigens dafür umgebauten Wohnhaus. Nur Kinder von zwei, drei oder höchstens vier Jahren durften teilnehmen, damit die vorhandenen Schulen keinen Nachteil hatten. Die ausgewählten Kinder sollten in vernünftiger Freude und »nicht in Thiereslust« unterrichtet werden, dabei in ständiger Tätigkeit (und nicht in ständigem Erleiden) bleiben und nur zur Tisch- und Schlafenszeit nach Hause kommen.50 An dem Versuch nahmen zehn Kinder teil; sie wurden anfangs von drei und später von zwei Lehrern in drei Klassen betreut. Für die meisten Personalkosten kam das Fürstlich-Sachsen-Jenische 36 | Weigels Pädagogik

Consistorium auf, aber Weigel schoss einiges zu. Für seine Helfer schrieb er kurze Anweisungen zur Methode, für die Eltern Blätter mit Ratschlägen, wie sie den Schulversuch unterstützen konnten. Die Kinder wurden von besonders ausgewählten und ausgebildeten Lehrern unterrichtet. Anscheinend verlief der Versuch erfolgreich, wie Zeugnisse kompetenter Beobachter wie Christian Thomasius belegen. Professor Petrus Mueller erklärte, dass er nach einem Besuch der Schule seine Söhne zu seiner größten Zufriedenheit dort unterrichten ließ. Auch ein von der Behörde angefordertes Professorengutachten äußerte sich positiv. Gegner der Schule waren vor allem die Lehrer der Lateinschule in Jena; Weigel deutet an, dass vorgesehene Verbesserungen oft »durch die Bosheit der Schulleute« verhindert wurden. Auch gab es Schwierigkeiten mit den Lateinschülern. Sie rotteten sich zusammen, und wenn die Versuchsschule nachmittags schloss, riefen sie den kleinen Schülern nach: »Teutsche Michel!« Es kam zu Streit und Handgreiflichkeiten, und weil die Versuchsschüler dabei in der Minderheit waren, blieben schließlich immer mehr von ihnen zu Hause. Um dieser Misslichkeit zu begegnen, schulte Weigel nur noch sehr junge Kinder ein, die sich nichts aus den Schimpfwörtern machten, weil sie sie nicht verstanden. Er konzentrierte sich also auf die Unterrichtung von Kleinkindern.51 Da er das Projekt von 1683 als geglückt ansah, hielt er es für richtig, weitere Versuche mit fünfzig oder hundert Schülern zu organisieren. Auch diesmal nahm er nur Kinder von zwei, drei oder vier Jahren auf, die ohnehin zu keiner anderen Anstalt Zutritt hatten. Er brauchte jetzt mehr Platz für Klassen, vier hinreichend ausgebildete und besoldete Lehrer, geeignete Lehrmittel und schließlich ein paar Dienstboten, die die Kinder pflegen und in der Schule Hilfsdienste leisten sollten. Für den Unterricht wurde die Zeit von sieben oder acht Uhr morgens und von dreizehn bis achtzehn Uhr nachmittags angesetzt. Weigel stellte nach einem geeigneten Umbau auch diesmal sein Haus zur Verfügung. Er legte eine Spenderliste an, stellte jährliche Berichte in Aussicht und sah eine Vorlesung zur Ausbildung geeigneter Lehrkräfte vor. Der Kaiser beteiligte sich an den Spenden, auch Weigel steuerte wieder Mittel zu. Sobald die Finanzierung des zweiten Versuchs gesichert schien, 52 wurde er ab 1689 in Form einer offenen Ganztagsschule Die Kunst- und Tugendschule | 37

durchgeführt. Sie hieß Kunst- und Tugendschule, denn sie sollte einerseits die Fertigkeiten der Kinder fördern (Kunst – Können) und andererseits zur moralischen Erziehung beitragen, also mehr leisten als übliche Elementarschulen, die in der Regel nur einen für den Alltag hinreichenden Wortschatz und ordentliches Sprechen und Schreiben vermittelten. An den Wänden des neuen Unterrichtsraums hingen Bilder von Naturobjekten, die Decke war mit Sternbildern bemalt, auch gab es Darstellungen von Tieren und Pflanzen, und die Mechanik kam durch Abbildungen von Handwerksarbeiten und mathematischen Motiven zur Geltung. Dadurch glich der Raum einem der damals beliebten Naturalien- und Instrumentenkabinette53 und entsprach den Bestrebungen von Comenius, den Kindern einen Orbis pictus an die Hand zu geben. Weigel entwarf auch eigene Lehrmittel, deren Verwendung die Kinder in Bewegung und Tätigkeit hielt;54 die Fertigstellung nahm fast noch ein ganzes Jahr in Anspruch. Er konstruierte eine mechanische »Schreib- und Rechenregul« (»regula« bedeutet auch »Lineal«), die es dem Lehrer ermöglichte, sechzehn oder zweiunddreißig Kindern gleichzeitig die Hände so genau zu führen, dass ihre Buchstaben denen des Lehrers glichen. Auch baute er eine »Schweb-Class«, die sich nicht nur beim rhythmischen Aufsagen des Einmaleins, sondern auch bei der Einübung von Deklination und Konjugation als hilfreich erwies, aber bald wieder abgeschafft wurde; wahrscheinlich war ihre Bedienung zu aufwendig, denn man brauchte dazu zwei externe Schaukelschieber. Diese Schweb-Class bestand aus kleinen Bänken auf einem Bretterboden, der mit Balken beweglich an einem Tragbalken befestigt war. Man konnte sie durch wiederholtes Anschieben in Schaukelbewegungen versetzen und bei jeder Bewegungsphase eine Silbe oder Endung zu deklinierender Wörter aufsagen lassen. Ferner verfügte man über zwei galoppfähige mechanische Pferde, die zunächst den Reitunterricht in »rittermäßiger Haltung« unterstützen sollten, trainierte damit aber auch Vokabel- und Grammatikkenntnisse und ließ die Kinder beim Reiten lateinische und griechische Grammatikregeln, Vokabeln und Merksprüche einüben, die sie am Ende nach Noten singen mussten. Bei der sittlichen Erziehung dienten diese Pferde als Inbilder der Beherrschung der Leidenschaften – man muss sie so erziehen, wie ein Reiter sein Pferd erzieht. Zur Übung im 38 | Weigels Pädagogik

Lesen und Schreiben ließ Weigel »Selb-Schreibpapier« herstellen: Auf Schreibbögen waren Buchstaben, Wörter und Ziffern schwach vorgedruckt, und die Kinder schrieben sie mit Tinte und Feder nach. Auch wurden gebackene Buchstaben verwendet, die in einen Setzkasten eingeordnet waren; die Schüler durften damit Wörter zusammenbauen, die sie sozusagen mit Augen, Nase, Tastsinn und Zunge lasen, um sie schließlich durch Aufessen zu einem Teil ihrer selbst zu machen.55 Auf das Buchstabieren verzichtete Weigel und ersetzte es durch die sogenannte Lautiermethode.56 Die Schule wurde am 10. November 1690 feierlich eingeweiht, und zwei Wochen später begann der Unterricht.57 Die erste Tätigkeit bestand in einem Gebet und in Katechismusunterricht mit Fragen und Antworten sowie in der Erörterung des Wochenspruchs. Danach wurde beim Gehen rhythmisch gezählt und das Einmaleins trainiert, dann übte man gute Haltung beim Stehen, Gehen und Verbeugen ein. Vor dem Frühstück schnitten die Kinder HellerSemmeln zu geometrischen Körpern, die sie schon richtig benennen konnten, und erst danach lernten sie, anständig zu essen und vorher zu beten. Alle Unterrichtsstoffe wurden spielerisch gestaltet.58 Im Lehrplan spielten erwartungsgemäß die lange vernachlässigten Fächer des alten Quadriviums, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, eine wichtige Rolle. 59 Wie es den Bestrebungen der zeitgenössischen Reformpädagogik entsprach, wurden diese Fächer in der Muttersprache gelehrt; das passte zur Naturgemäßheit des Unterrichts und wurde auch von Leibniz und Christian Thomasius empfohlen. Wenig später wurde an deutschen Gymnasien Deutsch als Unterrichtsfach eingeführt. 60 Weigel berichtete, dass die Kinder der Vernunft- und Tugendschule schon mit sechs Jahren Leistungen zeigten, die die von Schülern der »gemeinen Schul« bei weitem übertrafen. 61 Auch zehn- bis zwölfjährige Kinder wurden zeitweise in einer besonderen Klasse unterrichtet; weil sie schon Latein gelernt hatten, konzentrierte sich bei ihnen der Unterricht auf Rechnen, Messen und mechanische Künste. Weil die Geldmittel für die Besoldung des Lehrers bald ausgingen, musste man diesen Schulzweig wieder aufgeben, »welches denn mit solcher Kinder auch mit Tränen hoch gezeigtem Leid geschehen«. 62 Im November 1691 hielt Weigel das erste öffentliche Schulexamen ab. Die Erfolge waren erstaunlich, und die anwesenden Eltern Die Kunst- und Tugendschule | 39

unterzeichneten einen Text, nach dem Kinder, die sonst nur mutwillig waren, in dieser Schule mit lauter Lust und Freude Kunst und Tugend übten – es trieb sie so vom Elternhaus in die Schule, wie es andere Kinder aus der Schule nach Hause treibt. Nach Weigels erstem Jahresbericht enden seine Mitteilungen über die Kunstund Tugendschule. Dass er die Eltern um positive Äußerungen bat, legt den Gedanken an Schwierigkeiten vonseiten bestehender Schulen oder vonseiten der Fakultät nahe; einige Unterlagen scheinen das zu bestätigen. Es könnte aber der Schule auch einfach nur das Geld ausgegangen sein. Weil Weigel sich nie darüber geäußert hat, ist es lediglich sicher, dass der Schulversuch vorzeitig abgebrochen wurde. 63

40 | Weigels Pädagogik

3. Denominative und ästimative Erkenntnis Zwei Stufen der Erkenntnis Weigel geht davon aus, dass es zwei Arten von Genauigkeit gibt, nämlich spezifische oder denominative und maßgerecht genaue oder ästimative. Die erste grenzt den Gattungsbegriff durch Nennung von Artbegriffen ein (»Pflanze« durch »Konifere«), die zweite grenzt die Qualität eines Objekts auf ein bestimmtes Maß ein; zum Beispiel präzisiert man eine Angabe dadurch, dass man etwas abwiegt und das ungenaue »ist schwer« durch die genauere ästimative Angabe »ist zweieinhalb Pfund schwer« ersetzt.1 Unser Verstand arbeitet zunächst denominativ. Wenn er neue Dinge sieht, vergleicht er sie mit anderen, damit er sie eindeutig mit Art- oder Gattungsnamen benennen kann. Zur Bildung von Gattungen und Arten braucht er Merkmale, in denen Dinge dauerhaft einander ähnlich sind. Manchmal findet er auch Unähnlichkeiten, die es ihm erlauben, einem Ding seinen Namen abzusprechen (»Das ist kein Stein«), oder er findet neue Merkmale, die es ihm ermöglichen, zu einer Dingvorstellung ein weiteres Merkmal hinzuzufügen (»Das ist ein roter Stein«). Auf diese Weise kann er auf die Frage: »Was ist das für ein Gegenstand?« die noch nicht sehr genaue Antwort geben: »Das ist ein Stein« oder »Das ist ein roter Stein«. Später gelangt er zu weiteren denominativen Präzisierungen der Qualitätsangabe wie »mohnrot«, »sehr rot« oder »blassrot«. Weil es nach Weigel auf der ersten Stufe vor allem um das Finden eindeutiger Namen für Dinge geht, bezeichnet er sie als Stufe der denominativen (benennenden) Erkenntnis.2 Hier wie an anderen Stellen verwendet er das Wort »Prädikat« auch für die mit einem Prädikatsausdruck bezeichneten Eigenschaften oder Relationen. Irgendwann untersucht der Verstand jedoch die gefundenen Prädikate genauer und ermittelt, in welchem Maß sie ihren Subjekten (den Substanzen, die sie haben) zukommen: Wie schwer sind sie genau? Sind sie gleich groß oder ist das eine 2,3 Zoll kleiner oder 41

größer als das andere? Mit solchen Fragen begibt er sich auf die zweite Stufe der Erkenntnis, 3 die Weigel als Stufe des ästimativen Erkennens bezeichnet; wer sie erstiegen hat, lässt die Bestimmung von nächsthöherer Gattung und Art hinter sich und konzentriert sich auf die Bestimmung von Quantitäten, und weil diese bei jedem Individuum zumindest ein bisschen anders sind, bedeutet das auch: er konzentriert sich nicht mehr auf Gattungen und Arten, sondern auf Individuen. Bei der Benennung dieser neuen Aufgabe greift Weigel auf das lateinische Verbum »aestimare« zurück, das »taxieren« oder »den Wert von etwas ermitteln« bedeuten kann. Bei »Wert« denkt er nicht an moderne Bedeutungen wie die, die Nicolai Hartmann oder Max Scheler verwendet haben, oder wie die, die man heute mit Public-relations-Ausdrücken wie »gemeinsame Werte« verbindet, sondern schlicht an Zahlenwerte, genauer: an numerische und alphanumerische Werte. Die ästimative Erkenntnis ermittelt den Wert individueller Dinge, die denominative kommt über ungenaue spezifische Angaben nicht hinaus, die sie bestenfalls durch Schätzung von Mittelwerten gewinnt (Fritz hat überdurchschnittlich große Hände).4 Nach Weigel ist sinnliches Wahrnehmen die Perzeptionsweise der denominativen Stufe, Zählen die Perzeptionsweise der ästimativen. Wahrnehmungswerte bestehen aus Sinnesdaten, ästimative aus Zahlen. Die ästimative Erkenntnis konzentriert sich nicht auf Qualitäten, sondern auf deren Maß;5 bei ihr bedeutet »etwas bestimmt erkennen«: »es quantitativ genau erkennen«. Deswegen ging das Römische Recht, das mit der alten Philosophie verschwistert war, von der Annahme aus, dass Gewissheit erst vorliegt, wenn man von einem Gegenstand nicht nur weiß, wie er beschaffen ist, sondern auch, in welchem Maß er so beschaffen ist. 6 Weigel unterstellt darüber hinaus, dass man nicht nur physisch vorhandene Dinge (zum Beispiel Äpfel) ästimativ betrachten kann, sondern auch erdachte Entitäten wie den Wert von Gütern (Preise von Waren) oder das Ansehen von Personen, und dass man nicht nur mit positiven, sondern auch mit negativen Werten operieren kann, indem man beispielsweise den Wert dessen, was man an einem Gegen­stand vermisst, von dessen positivem Wert subtrahiert.7 Die denominative Erkenntnis wird durch das ästimative Verfahren nicht überflüssig, denn ehe man Dinge zählen und messen 42 | Denominative und ästimative Erkenntnis

kann, muss man sie mit Hilfe ihrer Art- oder Gattungsnamen unterscheiden können, und wenn man abzählt, muss man die Klasse der Dinge, die gezählt werden sollen, von der Klasse der Dinge, die nicht gezählt werden sollen, absondern können. Denominationen bleiben also auch weiterhin erforderlich. Diese Überzeugung macht es möglich, Philosophien früherer Epochen, die denominativ verfahren, nicht kurzerhand zu verwerfen, sondern als Vorläufer des aktuellen Wissensstands zu deuten. Man gelangt zu einer Einstellung gegenüber der Überlieferung, die freundlicher ist als die, die uns von heute noch bekannten Philosophen wie Descartes und Locke vertraut ist. Man kann zum Beispiel wie Weigel ein Aristoteliker oder Pythagoreer sein, ohne sich modernen Veränderungen gegenüber zu verschließen. Auch in den Niederlanden, in Frankreich, England, Italien und Spanien gab es Autoren, die in diesem Sinn versöhnlich waren. Die meisten davon sind vergessen, weil man umwälzungsfreundliche Autoren interessanter findet. Ein heute noch bekannter Vertreter der versöhnlichen Haltung ist Weigels Schüler Leibniz. Bei denominativer Erkenntnis gab man auf die Frage, was der Mensch ist, eine qualitative Antwort wie »Er ist ein ungefiedertes Sinneswesen, das auf zwei Füßen geht«; auf der neuen Stufe gibt man die Quantitäten an, in denen die Qualitäten ihren Substanzen zukommen, und gewinnt deren Gesamtwert rechnerisch. Man könnte beispielsweise formulieren: »Wilhelmine ist ein zweibeiniges ungefiedertes Sinneswesen, das 150 Pfund wiegt, 60 Zoll lang ist und einen IQ von 105 hat; daraus ergibt sich durch Addition als Wert Wilhelmines: 315.« Man merkt allerdings auf den ersten Blick, dass es so einfach nicht geht; elementare Regeln der Gewichtung und Vergleichbarkeit darf man nicht übergehen. Weigel befürchtet, dass uns rebus sic stantibus wegen unserer konstitutionell und historisch eingeschränkten Messmöglichkeiten bei den meisten Dingen der genaue Wert verborgen bleibt; er hat einen Eindruck von den Grenzen des menschlichen Verstandes und kennt weder hinreichend viele Messinstrumente und Messverfahren noch Gewichtungskriterien für Quantitäten komplexer Objekte. Trotzdem müssen wir irgendwo mit der Arbeit beginnen. Dabei macht es uns Mut, dass auch unvollkommenes menschliches Wissen nützlich sein kann. Wenn etwas theoretisch nicht geklärt ist, unser WisZwei Stufen der Erkenntnis | 43

sen aber ausreicht, um uns beim praktischen Umgang mit ihm zu orientieren, spricht man von Gebrauchswissen. Wer versucht, zumindest auf kleinen Einzelgebieten Gebrauchswissen zu gewinnen, befolgt das Beispiel der damals in der Regel privaten Naturkundigen, die mit Hilfe von Experimenten und Beobachtungen bisher unbekannte quantitative Informationen über Naturobjekte und Naturvorgänge aufspürten; man bezeichnete sie in Frankreich als Curieux (bei Weigel heißen sie »Curiosi«), in Italien und England als »Virtuosi«. Sie vermittelten gesicherte Teileinblicke in Geheimnisse der Natur, bestimmten die Quantität bestimmter Qualitäten ihrer Objekte so genau, wie sie konnten, aber auch die näheren Umstände des Beobachters und der Beobachtung, des Experimentators und des Experiments, und entwickelten dabei Schritt für Schritt die moderne Empirie. Jetzt wird es wichtig, Konstruktion und Maße des Ganzen und seiner Teile sowie deren Anordnung so genau wie möglich zu ermitteln und begründete Vermutungen darüber anzustellen, in welchem Umfang und auf welche Weise das untersuchte Objekt an einem Ereignis beteiligt ist. Dadurch erkennt der Verstand sein Objekt zwar nicht vollkommen, aber jedenfalls vollkommener und mit größerem Nutzen – er erweitert sein Gebrauchswissen. Weigel begrüßt die Hinwendung der Wissenschaft zur Empirie, bemüht sich aber außer im Bereich der Erziehung kaum um die Analyse von Einzelschritten empirischer Verfahren. Die Entwicklung empirischer Methoden interessiert ihn weniger als die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit von Ergebnissen zu prüfen. Wenn man Weigels Schriften mit denen Robert Boyles vergleicht, der einer von Lockes Lehrern war, bemerkt man, dass die Entwicklung und Durchsetzung neuer Regeln für Beobachtung und Experiment, ohne die eine Erfahrungswissenschaft nicht ästimativ werden kann, bei Weigel kaum eine Rolle spielt. Sein Modell für Wissenschaft ist die Mathematik, die er noch als System schlechthin gewisser Urteile versteht. Gelegentlich hebt er die Wichtigkeit der Erfahrung für die Forschung hervor, verteidigt Kausaldefinitionen und weist bei seinen Beweisen A-posteriori-Argumenten, also empirischen Begründungen (»observationes«, »axiomata experimentalia«), eine wichtige Rolle zu. Aber er entwickelt kein Corpus empirischer Verfahrensregeln. Zu seiner Bevorzugung von Gewissheit und Genau44 | Denominative und ästimative Erkenntnis

igkeit trug es vermutlich bei, dass er in einer Epoche gewaltsamer ideologischer Auseinandersetzungen lebte, in der nicht wenige Gelehrte theoretische Gewissheit für ein Instrument der Friedenssicherung hielten – sobald Gewissheit über umstrittene Sachverhalte vorliegt, kann man nicht mehr über sie streiten. Dass das ein Irrtum ist, wusste schon Aristoteles, 8 aber zu Weigels Zeit gehörte es für viele Autoren noch zum Lernpensum der Zukunft. Auch in Deutschland war die Meinung, dass der für gewiss gehaltene traditionelle Aristotelismus die bestehende Ordnung stabilisierte, bei Obrigkeiten und Kirchenleuten verbreitet; man versuchte, zu Streit verleitende Gewissheitsdefizite durch behördliche und kirchliche Festsetzung dessen, was richtig ist, zu beheben. Weil man auf der neuen Stufe wirkliche oder geplante Dinge unter dem Aspekt ihrer Maße erkennen wollte, brauchte man Messinstrumente, Messverfahren und Maßeinheiten, von denen die meisten noch zu erfinden waren. Im Bereich der Naturwissenschaften hat man sich, wie Weigel annimmt, bei der Erklärung von Naturvorgängen Jahrhunderte lang mit denominativen (alltagssprachlichen) Erklärungen zufriedengegeben, bis man im 16. und 17. Jahrhundert unter dem Eindruck politischer und natürlicher Katastrophen und veränderter Ansichten über die Bestimmung des Menschen zu der Meinung gelangte, die Wissenschaft müsse nicht nur beschaulicher Theorie, sondern auch der Erleichterung von Krankheit und Mühsal und friedlichem Zusammenleben dienen. Man war lange davon ausgegangen, dass Gott in seiner unergründlichen Weisheit den Individuen Armut oder Reichtum, Krankheit oder Gesundheit und Muße oder Mühsal zugemessen hat und dass es vor allem darauf ankommt, wie man solche Schickungen erträgt. Nun beginnt man, Armut als behebbaren Missstand, Krankheit als überwindbares Übel und mühselige Arbeit als vermeidbare Folge von Unwissenheit anzusehen. Die einzige Wissenschaft, die damals nach Meinung der Neuerer weit genug entwickelt war, um theoretische Mittel zur allgemeinen Verbesserung der Lage des Menschen zu liefern, war die mathematisch organisierte Mechanik, die viele Theoretiker als Knechts- und Handwerkerkunst verachteten. Neuerer wie Weigel setzten sich für die Wiederaufwertung und Weiterentwicklung von Mechanik und Mathematik an Schulen und Universitäten ein, denn diesen Wissenschaften trauten sie zu, Zwei Stufen der Erkenntnis | 45

die von Arbeit, Seuchen und konfessionellen Bürgerkriegen geplagte Menschheit in eine bessere Zukunft zu führen. Das lief unter anderem auf eine Mechanisierung der Physik hinaus. Die dadurch ausgelöste ideologische Veränderung bezeichnete im vori­gen Jahrhundert E. J. Dijksterhuis als Mechanisierung des Weltbilds.9 Dahinter stand die Hoffnung, dass sich die Entwicklung neuer technischer und medizinischer Produkte, Geräte und Verfahren mit wissenschaftlichen Mitteln so planen und steuern ließ, dass man nicht mehr auf zufällige Erfindungen Einzelner angewiesen war. Auf Wissen über die Quantität von Qualitäten wird sich nach Weigels Meinung die Wissenschaft der Zukunft konzentrieren, denn Messung macht verfügbar und berechenbar, und Mechaniker, Chemiker, Architekten und Mediziner können ihre Künste schnell durch genaue Messungen verbessern. Allerdings befindet sich die Messtechnik noch in einem relativ frühen Stadium, und schon deshalb wirken Weigels Hoffnungen auf einen allgemeinen Übergang zu quantitativen Methoden verwegen und visionär. Er ahnt, welche Richtung der Weg nun nehmen wird, weiß aber nicht, wohin er führt und wie er endet, welche unerwarteten Aufgaben sich unterwegs noch stellen und wie man sie bewältigen kann. Er ahnt aber nicht nur, dass ästimativen Verfahren und quantitativen Methoden die Zukunft gehört, sondern er kennt auch ihre große Vergangenheit. Platon und Aristoteles sieht er auf dem Weg zum ästimativen Wissen und versucht, die von Aristoteles in den Analytica posteriora entwickelte Methodologie als Fortentwicklung der euklidischen Methode und als allgemein verwendbares Wissenschaftsverfahren zu interpretieren. Er glaubt, dass irgendwann dem Aristotelismus das Wissen vom mathematischen Ursprung der aristotelischen Philosophie abhanden kam und dass ihre Vertreter dadurch in eine aussichtslose Defensive gerieten, als es im 16. und 17. Jahrhundert zu einer dramatischen Wiederbelebung der Mathematik kam. Heute kann die Mediävistik zeigen, dass nicht wenige von Weigels Bemerkungen zur Wissenschaftsgeschichte unzutreffend sind, aber zu dessen Zeit war es schwerer als heute, das zu bemerken. Dadurch, dass Weigel versuchte, die aristotelische Philosophie durch Mathematik und Mechanik zu retten, reihte er sich in die Gruppe von Autoren ein, die auf unterschiedliche Weise hofften, die überlieferte Philosophie mit modernen Philosophien des 46 | Denominative und ästimative Erkenntnis

Umbruchs zu versöhnen. Seine Analysis aristotelica entsprang dem Wunsch, den Aristotelismus überlebensfähig zu halten und ihn von seinem Autoritätenwahn und seiner Disputiersucht zu erlösen.10 In Weigels späteren Werken traten diese Bemühungen in den Hintergrund. Er neigte nun zu der Meinung, dass Schlussfolgerungen in Syllogismen Sachverhalte ausdrücken, die im Grund durch die Prämissen schon vorher bekannt sind, und dass sie infolgedessen nicht prinzipiell geeignet sind, neues Wissen aufzuspüren und als Findekunst zu dienen.11 Diese Meinung gelangte durch Weigels Schüler Hamberger zu dem jungen Christian Wolff, aber Weigels Schüler Leibniz teilte sie nicht. Manche Erkenntnisfortschritte kommen nämlich dadurch zustande, dass jemand die Präsenz der Lösung in den Prämissen überhaupt bemerkt. Der spätere Weigel zieht jedenfalls Beweise more geometrico syllogistischen Beweisen vor. Am ehesten identifiziert er sich mit der pythagoreischen Schule. Die Pythagoreer, für die sich damals viele Gelehrte interessierten,12 verstanden sich nach Weigel auf beide Stufen der Erkenntnis. Ihre erste Erkenntnisstufe befasste sich mit Definitionen und Benennungen, aber durch diese gelangt man nicht bis zum Wesen der Dinge. Deshalb lehrten die Pythagoreer Philosophie auf zweierlei Weise. Zuerst übermittelten sie Außenstehenden, die sie als Akusmatiker (bloße Zuhörer) oder Exoteriker bezeichneten, die Ergebnisse der theoretischen und praktischen Philosophie auf denominative Weise. Aber der innere Kreis der Schüler, der nach den strengen Vorschriften des Pythagoras lebte und dessen Mitglieder man als Akroamatiker (Hörer) oder Esoteriker bezeichnete, erlernte die Philosophie auch ästimativ und bekam dadurch Zugang zu beiden Stufen der Erkenntnis. Man nannte sie bisweilen Mathematiker, denn sie beschäftigten sich mit Mehr oder Weniger, Minimum und Maximum, Größe oder Gleichheit.13 Bei den Scholastikern kam es dann zum Niedergang der Philosophie. Weil sie schlechte Texte hatten, verstanden sie Aristoteles falsch,14 und weil sie deshalb einen zu engen Begriff von Quantität bekamen und die Mechanik als Domäne von Handwerkern und Arbeitern verachteten, kam bei ihnen die ästimative Erkenntnis nicht mehr voran. Weigels Äußerungen beziehen sich auf nicht näher benannte Schulphilosophen. Tatsächlich braucht er sie nicht zu nennen, denn er bezieht sich auf Mainstream-Annahmen über den GegenZwei Stufen der Erkenntnis | 47

stand und die Reichweite der Mathematik, die viele Scholastiker für richtig hielten. Allgemeine Skizzen des Sachverhalts sind riskant, weil die Scholastik kein monolithischer Block von Meinungen war, sondern aus vielen sehr unterschiedlichen Phänomenen mit sehr verschiedenen Meinungen bestand. Deren Koexistenz überrascht heutige Leser, sobald sie überhaupt etwas davon erfahren. Sie wurde durch leistungsfähige Verfahren traditioneller Legitimität ermöglicht. In solchen Scholastikblöcken war auch die Quantitätslehre umstritten; man kann aber kaum Pauschalbehauptungen darüber äußern, gegen die sich keine Gegentexte finden ließen. Also begnüge ich mich mit dem Versuch, Weigels Vorbehalte gegen die Scholastik im Blick auf Mainstream-Belege als verständliche Reaktionen erscheinen zu lassen. Nach Meinung scholastischer Autoren, die in unterschiedlichen Terminologien zum Ausdruck kam, hat ein Körper seine Quantität von der Materie und seine Qualitäten von der Form.15 Was keine Materie hat, hat keine Quantität und kann sie auch nicht haben: Quantitas in nullo spiritu recipi potest, kein Geist kann Quantität bekommen. Schon diese Meinung schließt es aus, Produkten des Geistes wie notionalen oder moralischen Entitäten eine Quantität, einen Weigelschen Wert, zuzuschreiben. Die vernünftige Seele ist keiner quantitativen Bestimmungen fähig; sie kann auf keine Weise Quantität in sich aufnehmen oder zum Beziehungspunkt einer Vereinigung mit der Quantität werden.16 Folgende Unterscheidung ist hier wichtig: Absolute Quantität liegt vor, wenn etwas an sich und nicht erst im Vergleich mit etwas anderem quantitativ ist. Absolute Quanta sind entweder Größen (kontinuierliche Quanta) oder Zahlen (diskrete Quanta). Kontinuierliche Quanta sind entweder extensiv (messbar nach Länge, Breite oder Höhe) oder intensiv (messbar nach Graden) – ein bestimmtes Brett ist 16 cm breit, und (anachronistisch) eine bestimmte Menge Wasser ist 18° Celsius warm. Nicht-absolute Quantität oder Quantität durch Vergleich liegt dann vor, wenn etwas nicht an sich, sondern erst beim Vergleich mit etwas anderem als Quantum erscheint17 (»Der Erzengel Michael wird öfter verehrt als der Erzengel Rafael«). In Wirklichkeit ist Michaels und Rafaels Verehrung kein absolutes Quantum, denn man kann sie, wenn man sie je für sich nimmt, weder wiegen noch messen, noch zählen. Deshalb drückt man das Ergebnis solcher Vergleiche weder 48 | Denominative und ästimative Erkenntnis

durch Maßeinheiten noch durch Zahlen aus, sondern durch unbestimmte Ausdrücke wie »größer  /  k leiner« oder »mehr  /  weniger«. Es handelt sich nämlich gar nicht um wirkliche Quanta, also um Dinge, die von Natur aus quantitativ sind, sondern um Quanta per accidens, die erst durch zufällige Vergleiche dem Anschein nach zu Quanta werden, obwohl sie von Natur aus keine Quanta sind. Solche Meinungen sind mit den Interessen Weigels, der die Quantifizierung der Wissenschaften wünscht, nicht in Einklang zu bringen. Für ihn ist es falsch zu sagen, dass nur Körper quantitativer Bestimmungen fähig sind, denn alles, was ist, ist von Natur aus quantitativ – »seiend« und »quantitativ« bedeuten für ihn dasselbe.18 Es ist ferner nach ihm falsch zu sagen, dass die Quantität von der Materie und die Qualität von der Form kommt, denn die reale Form ist, ästimativ gesehen, eine Menge quantifizierter Eigenschaften, die die Materie von Natur aus hat und für deren Erwerb sie keine substantielle Form braucht. Und schließlich ist es nach Weigel müßig, zwischen absoluten und komparativen Quantitäten zu unterscheiden, denn nichts wird erst durch zufällige Vergleiche quantitativ. Solange das nicht allen Beteiligten klar ist, bleibt die Quantifizierung der Wissenschaften unerreichbar. Wer will, dass diese eine Zukunft hat, muss sich von Vorstellungen trennen, die Scholastiker seit Generationen lieben.

Implikationen der ästimativen Erkenntnis Weigel betrachtet alles, was denkbar ist, als seiend. Es gibt zwar keine Feenschlösser, aber man kann sie denken, und folglich müssen sie irgendetwas sein. Hier greift er auf frühere Autoren wie Pedro de Fonseca und Clemens Timpler zurück und interpretiert deren Anregungen auf seine Weise, denn er legt fest, dass »seiend« und »denkbar« dasselbe reale Korrelat entspricht wie »quantitativ« und »messbar«. Wer die Metaphysik als Lehre vom Seienden und seinen obersten Bestimmungen versteht, findet auf der neuen Erkenntnisstufe als deren ästimatives Pendant die Lehre vom Messbaren und seinen obersten Einteilungen, die Weigel als »Pantometrie« bezeichnet. Gegenstände der Pantometrie sind nicht Abstraktionen wie Gattungs- oder Artbegriffe, sondern gemessene Implikationen der ästimativen Erkenntnis | 49

Werte individueller Dinge. Dinge entstehen, denominativ gesprochen, durch das Zusammenwachsen (concrescere) von Materie mit einer sie gestaltenden Form, das beide zusammen in etwas Konkretes verwandelt (concretum, Zusammengewachsenes). Aber das ist eine denominative Erzählung, und auf der ästimativen Stufe stellt sich die Wirklichkeit präziser dar: Die wirkliche Form, das reale Wesen, das aus ungestalteter Materie bestimmte Dinge macht, ist die Anordnung der Teilchen (dispositio partum), die nun die Rolle der alten denominativen Form übernimmt. So haben es Descartes und Gassendi gelehrt. Unter »Anordnung der Teilchen« verstehen diese Neuerer die Struktur, in der das Zusammenspiel der Materieteilchen eines Körpers organisiert ist; sie bestimmt deren Lage, Größe, Gestalt und Bewegung. Diese Organisation (status) der korpuskularen Zustände ist mathematisch erfassbar, denn sie bestimmt Gestalten (figurae) und Zahlenwerte. In der Sprache der Analysis speciosa, Descartes’ neuer Algebra, entspricht das reale Wesen der Unbekannten x, deren Wert sich durch eine Gleichung aus den Werten von Lage, Größe, Gestalt, Bewegung und Richtung der Teilchen ermitteln lässt. Nach Descartes ist die Welt erfüllt, und es gibt keine leeren Räume. Alle Eigenschaften, die wir von der Materie sinnlich erkennen, beruhen darauf, dass sie aus unendlich vielen unendlich teilbaren Teilchen besteht, die Gott am Anfang der Welt in Bewegung versetzt hat.19 Durch Kollision mit anderen Korpuskeln werden sie zersplittert oder zu neuen Teilchen zusammengepresst; dabei verändert sich nicht nur ihre Größe und Gestalt, sondern auch ihre Lage, Bewegung und Richtung. Wenn sie zum Beispiel schmal und spitz geraten und sehr schnell bewegt sind, handelt es sich um zerstörerische Feuerteilchen. Für Gassendi besteht die Welt dagegen nach demokritischer und epikureischer Tradition aus dem Leeren und aus Atomen von verschiedener Gestalt, die sich im Leeren bewegen und nicht teilbar, sondern hart und undurchdringlich sind. Sie haben Eigenschaften wie Gestalt, Größe, Bewegung, Lage und Gewicht und können bei Kollisionen zu größeren Körpern verklumpen, aber diese können auch wieder bis auf ihre Atome zertrümmert werden. Weigel zieht rebus sic stantibus die cartesische Raumtheorie vor, lässt aber die Möglichkeit offen, dass die Gassendis und Epikurs die richtige ist. Beide Richtungen 50 | Denominative und ästimative Erkenntnis

gehen davon aus, dass sich die Teilchen ähnlich wie Buchstaben nach unterschiedlichen Mustern (coordinationes dispositionesque particularum, auch: texturae, contexturae) gruppieren. Dadurch, dass man ein Z um 90 Grad nach links dreht, verwandelt es sich in ein N, und schon durch die Veränderung der Lage eines einzigen Buchstabens verändern sich Wortbedeutungen (ZIMMER  – NIMMER). Ähnlich verändern sich Elemente durch die Veränderung der Lage einer einzigen Korpuskel, wie Aristoteles bei seiner Auseinandersetzung mit antiken Atomisten erwähnt. Weil sich der Bewegungszustand der Teilchen durch Kollisionen und neue Nachbarschaften immer wieder verändert, lösen Korpuskelverbindungen sich immer wieder auf; darauf beruht das Entstehen und Vergehen sichtbarer Körper. Deren reales Wesen besteht in berechenbaren Mustern und Strukturen, nach denen ihre Teilchen angeordnet sind und sich bewegen. Wenn sich beispielsweise sehr glatte längliche Atome locker nebeneinander bewegen, erscheinen sie den Sinnen als fließendes Wasser, sobald jedoch dieselben Teilchen dicht aneinanderrücken, erscheinen sie den Sinnen als Eis. Texturen (Anordnungen) von Korpuskeln, in denen das reale Wesen von Körpern besteht, sind messbar und berechenbar. Man kann aber etwas nur dadurch messen, dass man es mit etwas anderem vergleicht, zum Beispiel einen Körper mit einer Messlatte. Deshalb weist jede Messung über den gemessenen Körper hinaus auf einen weiteren Körper, und deshalb erkennt man auf der ästimativen Stufe nicht nur wie auf der denominativen einzelne Arten und Artexemplare, sondern einzelne (individuelle) Körper mit Hilfe benachbarter Körper. Das bedeutet, dass man bei konsequentem ästimativem Vorgehen am Ende die ganze Welt mit allen Dingen und deren Wechselwirkungen erkennt.20 Alle Dinge müssen mit jedem anderen Ding in der Welt verträglich sein, denn Gott passieren keine Widersprüche in seinem Weltplan. Weil die denominative Welt aus Gattungen und Arten besteht, bleibt der alten Metaphysik als Lehre vom Seienden und seinen allgemeinsten Bestimmungen das real existierende individuelle Sein verborgen. Aber es existiert trotzdem und ist messbar, und das bedeutet: Man kann es grundsätzlich erfassen, und zwar ästimativ. Mit Hilfe des ästimativen und quantifizierenden Denkens kann man, wenn man bedenkt, dass jedes Gemessene über sich selbst auf das Messende Implikationen der ästimativen Erkenntnis | 51

hinausweist, von Gott erdachte Wirkungszusammenhänge wie das Universum oder die Natur grundsätzlich erkennen. Wie und wann das auch gelingen mag – das wirkliche Universum und die wirkliche Natur lassen sich nur ästimativ verstehen und sind der denominativen Wissenschaft verschlossen.21

Schwierigkeiten mit Weigelschen Werten Weigel hielt den Übergang zu der neuen Erkenntnisstufe, auf der man Zahlenwerte ermittelt, für dringlich. Das oberste Ziel der Naturwissenschaft ist für ihn (nicht anders als für Autoren wie Boyle und Locke) die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes. Dieser hat die Welt nicht bloß erschaffen, sondern er hat sie laut Auskunft der Bibel nach Maß, Gewicht und Zahl erschaffen. Auf diesen Topos greift man im 17. Jahrhundert gern zurück. Ein endlicher Geist, der die von Gott beschlossenen Maße zu ermitteln versucht, spürt den Gedanken des Schöpfers nach und lernt, dessen Rechenkunst zu verehren. Darüber hinaus gewinnt er neues Wissen, das ihn dazu befähigt, dem Gemeinwohl aufzuhelfen und Mittel zur Erleichterung der Menschheitsplagen zu entdecken, die nach dem langen Krieg drückend geworden sind. Solche Erleichterungen, die man manchmal durch Magie zu erreichen versuchte, 22 erreicht man sicherer mit Mitteln der mathematisch verfahrenden Mechanik, der seit der Wiedergeburt der Mathematik schon viele Erfindungen geglückt sind. Allerdings wurde dann, wenn man wie Weigel auch moralische und semiotische Objekte (Objekte aus dem Bereich der Moral und der Zeichensysteme, zum Beispiel Phoneme) auf Zahlenwerte zurückführen wollte, bereits die Messung zum Problem. Nach Weigel ist das öffentliche Ansehen einer Person ein für die Gesellschaft wichtiger moralischer Wert; in unserer Zeit versucht man, ihn demoskopisch zu ermitteln. Zu Weigels Zeit stand die Statistik erst am Anfang; man verfügte nur über nicht ästmativ geprüfte Publikumsakklamationen verschiedenster Art. Nicht weniger schwierig war die Messung notionaler Phänomene, zum Beispiel die Vermessung von Phonemen; heute gibt es dafür verschiedene Möglichkeiten, die vermutlich hinter Weigels Erwartungen zurückbleiben. 52 | Denominative und ästimative Erkenntnis

Hinzu kommt die bei Weigel nicht einmal erwähnte Schwierigkeit, sich bei der Auswertung statistischen Materials auf Kriterien zur Gewichtung einzelner Datengruppen zu einigen. Man konnte aus Mangel an Instrumenten, Verfahren und Maßeinheiten nur vergleichsweise wenige Phänomene messen. Weigels Konzeption quantitativer Wissenschaften beruhte also auf verwegenen Hoffnungen. Aber immerhin gab es Entwicklungen, die man noch wenige Jahrzehnte zuvor für unmöglich gehalten hätte; man konnte plötzlich urtümliche Thermometer, Hygroskope und Barometer einsetzen, deren Entwicklung erst durch den Verdacht ermöglicht wurde, dass die schulphysikalische Meinung, Luft sei gewichtslos, falsch ist. Erst dadurch entstand Bedarf an Barometern. Für Weigels Zuversicht spielt die Vorannahme, dass Gott alles nach Maß und Zahl geordnet hat, eine wichtige Rolle. Wir können zurzeit noch nicht alle Phänomene messen, aber Gott kennt deren Zahlenwert, denn er hat ihn selbst bestimmt. Der Mensch als Ebenbild Gottes muss Gottes Wege nachverfolgen, so gut er kann. Vielleicht können wir niemals alles messen, aber jede gelungene Messung lässt uns die Werke Gottes besser verstehen und bringt uns Nutzen. Schon in der Dissertatio de tempore in genere sind freilich die Angaben darüber, wie man beim Messen vorzugehen hat, ziemlich allgemein und geben wenig praktische Orientierung: Bei der Ausführung einer Messung sei es vor allem wichtig, dass das Messinstrument in geeigneter Weise an das zu Messende angelegt wird, dass Angaben über Quantitäten formal korrekt sind und dass man den Zeitpunkt der Messung vermerkt. Genaueres wird nicht mitgeteilt, weil nach Weigels Meinung die Vielfalt möglicher Ansätze keine Klassifikationen zulässt.23 Je klarer es wird, worin die richtige Methode besteht, desto heftiger versuchen scholastische Kollegen bei der Erwähnung von Artefakten wie einer Uhr, die Kraft der Argumente durch ihre falsche Unterscheidung von Naturdingen und Artefakten auszuhebeln: Die von Weigel befürwortete wissenschaftliche Methode lasse sich zwar bei mechanisch entstandenen Artefakten verwenden, aber nicht bei natürlichen Körpern, die sich spontan bewegen und entwickeln können. Artefakte entstehen dagegen durch gewaltsame Bewegung unterschiedlicher Materialien, die auf kontingenten Willensentscheidungen der sie zusammenbauenden Handwerker beruhen, und lassen sich Schwierigkeiten mit Weigelschen Werten | 53

keiner bestimmten Art oder Gattung zuordnen, das heißt, ihr Wesen ist nicht definierbar.24 Nach Weigel haben solche Autoren noch nicht bemerkt, dass zwischen Organismen und Automaten trotz aller Verschiedenheit in Detail und Leistungsfähigkeit kein prinzipieller Unterschied besteht, denn beide hängen gleichermaßen von der richtigen Anordnung ihrer Teilchen (dispositio partium) und von den Einwirkungen benachbarter Körper ab. Das kann sich jedermann am Beispiel einer mechanischen Uhr klarmachen.25 Außer natürlichen und künstlichen Körpern gibt es nach Weigel auch moralische Körper wie Gemeinwesen, ferner notionale Körper (Körper, die aus Zeichen bestehen) wie Wörter oder mathematische und musikalische Notationen. In den Schriften der frühen und mittleren Zeit begnügt er sich noch mit der Annahme, dass moralische und notionale Werte wie Tugenden, öffentliches Ansehen, Preise und Orthographien auf Einsetzung (impositio) durch Vernunften beruhen, und zwar teils auf Einsetzung durch Gott (Dekalog und Naturrecht) und teils auf Einsetzung durch Menschen. Notionale Werte wie Sprachen, Phoneme und Silben gehen zum Beispiel seit dem Untergang der paradiesischen Sprache, in der Gott Adam vor dem Sündenfall unterrichtete, 26 auf menschliche Einsetzung zurück. In späteren Schriften geht Weigel aber weiter und erklärt auch Körper zu Werten, die eine Vernunft eingesetzt hat, 27 und zwar Gottes Vernunft natürliche Körper und geschöpfliche Vernunften materielle Artefakte. Die neue These, dass auch natürliche Körper nicht anders als moralische und notionale von Vernunften durch Einsetzung (Imposition) erzeugt werden, lässt sich sogar mit Weigels früherer Meinung vereinbaren: Gott hat alle Körper genau dadurch erschaffen, dass er ihnen Zahlenwerte auferlegte.28 Doch ist der Zahlenwert für Weigel nicht irgendetwas am Ding, sondern das Ding selbst, das in der sinnlichen Welt als Komplex wahrnehmbarer Qualitäten und in der ästimativen Welt als Zahlenwert erscheint. Alle Werte von Körpern sind endlich und existieren in den durch ihren Wert bestimmten Grenzen, die ihnen ihr Schöpfer auferlegt hat. Diese Grenzen bestimmen Wesen und Leistungsfähigkeit benachbarter Dinge mit und greifen insofern über sich selbst hinaus. Wer etwas von der Leistungsfähigkeit ­eines Dings ermittelt hat, hat etwas von ihm in der Hand, das er auf benachbarte Körper ansetzen kann. 54 | Denominative und ästimative Erkenntnis

Das ästimative Denken bringt Weigel zu der Überzeugung, dass materielle Körper aus beweglichen Materieteilchen verschiedener Art bestehen. Physiker und Chemiker, die diese Meinung teilten, hatten damals noch keine andere Wahl, als ihre Korpuskulartheorien mit Mitteln der Mechanik zu organisieren, denn nur sie war für Übersetzungsversuche dieser Art schon weit genug entwickelt. Eins der Probleme war dabei, dass bisher noch niemand die Anordnung, Richtung, Gestalt oder Geschwindigkeit von Materieteilchen beobachten und messen konnte – Äußerungen darüber waren spekulativ. Inzwischen hat man einen weiten Weg zurückgelegt, und es liegt nahe zu fragen, ob sich dabei irgendeine von Weigels Hoffnungen erfüllt hat. Diese Frage lässt sich ebenfalls nur spekulativ beantworten, denn den am ehesten zuständigen Experten Weigel kann man nicht mehr befragen. Als moderne Ausdrücke für das, was er als Anordnung der Teilchen von Elementen bezeichnen würde, könnte man seit mehreren Generationen die zu Weigels Zeit noch nicht gebildete Summenformel von Wasser (H2O) und die zugehörige Strukturformel betrachten. Beide bilden Anordnungen von Materieteilchen alphanumerisch ab und entsprechen insoweit dem, was Weigel von seinen realen Formen erwartete. Es handelt sich allerdings um die Darstellung chemischer Arten und Gattungen und nicht um die Darstellung individueller Substanzen, während Weigel bis zur Abbildung von Individuen vordringen wollte. Seit der vorigen Jahrhundertmitte kann man als Versuch, die Anordnung der Teilchen belebter Individuen zu erfassen, die DNA betrachten, deren Bestimmungen zum größten Teil generisch oder spezifisch sind, die aber auch individuierende Komponenten berücksichtigen. Die DNA kann Fachleute mit praktisch gewissen Auskünften über vergangene Ereignisse eines Individuums (Täterschaft, Vaterschaft) versorgen und erlaubt darüber hinaus Prognosen wie die, dass der Organismus mit dieser bestimmten DNA mit ca. x Prozent Wahrscheinlichkeit irgendwann an einem bestimmten Leiden erkranken wird. Das entspricht zwar in der Tendenz den Hoffnungen Weigels, erfüllt sie aber nur zum Teil, denn dessen reales Wesen leistet mehr – es vermittelt gewisse Informationen über den Zustand eines Individuums in jedem Augenblick seines Daseins, über die allerdings wegen ihrer Komplexität bislang nur Gott verfügt. In diesem Fall hat die Geschichte die Phantasie noch nicht eingeholt. Schwierigkeiten mit Weigelschen Werten | 55

Implikationen des Übergangs zum ästimativen Verfahren Ästimatives und denominatives Verfahren haben dasselbe Objekt. »Seiend« und »quantitativ« bedeuten der Sache nach dasselbe, weil alle endlichen Dinge begrenzt, das heißt, mit einer Quantität versehen sind. Die Dicke oder Schwere eines Steins bleibt dieselbe, gleichgültig, ob man sie denominativ (»Dieser Stein ist ziemlich dick und schwer«) oder ästimativ (»Dieser Stein ist zwei Zoll dick und drei Unzen schwer«) beschreibt. Durch den Übergang zur ästimativen Methode kommt es aber trotzdem zu Verschiebungen. Zum Beispiel präsentieren sich Prädikate von Körpern bei denominativer Betrachtung als Qualitäten und bei ästimativer Betrachtung als Quantitäten. Wenn man »mehr« und »weniger« im denominativen Sinn verwendet, darf man wie ein Schulphilosoph sagen, dass es für Substanz und Ausdehnung kein Mehr oder Weniger gibt – etwas ist eine Substanz oder nicht, das heißt, es kann für sich existieren oder nicht, auch ist es ausgedehnt oder nicht. In der Umgangssprache ist es allerdings wie in der ästimativen Sprache üblich zu sagen, dass ein Objekt in größerem Maße ausgedehnt ist als ein anderes, und zwar dann, wenn es länger, breiter oder höher ist. Dass es intensive Quantitäten gibt, haben Scholastiker bemerkt und die Lehre von der intensio und remissio der Qualitäten entwickelt.29 In Wirklichkeit sind aber viel mehr Qualitäten intensivierbar und abschwächbar, als man damals meinte. Bei denominativen Betrachtern, für die die Intensität kaum eine Rolle spielt, sind zwei Substanzen gleichermaßen weiß, wenn beiden überhaupt die Qualität Weiß inhäriert. Bei ästimativer Betrachtung sind solche Körper dagegen, falls sie in verschiedenen Graden weiß sind, mehr oder weniger weiß. Der Unterschied der Betrachtungsweisen wirkt sich also auf die sprachliche Darstellung aus. Beim denominativen Verfahren versteht man das Prädikat »schwer« als Eigenschaft der Substanz und sagt es von ihr aus (»Dieser Stein ist nicht sehr schwer«). Beim ästimativen Verfahren bezieht man dagegen das Prädikat auf die Qualität, betrachtet es als deren Eigenschaft und sagt es von ihr aus (»Das Gewicht dieses Steins beträgt drei Unzen«). 30 Eine in der Spätscholastik auftretende Meinung, die eini­gen heutigen Lesern noch durch David Hume bekannt ist, läuft darauf hinaus, dass »Substanz« ein Name für Mengen bestimmter 56 | Denominative und ästimative Erkenntnis

Eigenschaften ist 31 (»ein Bündel von Eigenschaften«). Wenn man auf dieser Grundlage Qualitäten ästimativ betrachtet, ergibt sich so, wie Weigel behauptet, dass man das Wesen oder den Wert ­einer Substanz als Unbekannte x durch die gemessenen Werte ihrer Qualitäten ermitteln kann. Das ästimative Verfahren hat den Nachteil, dass es mehr Arbeit kostet als das denominative. Bei der Erforschung seiner Quantitäten muss man ein Ding genauer untersuchen als bei der Ermittlung seiner Qualitäten, die man in der Regel durch bloßen Augenschein wahrnimmt; es geht im Grund nur darum, einen geeigneten Namen für etwas zu finden, und nicht darum, mit zeitraubenden Messungen zu ermitteln, in welchem Maß ihm seine Qualitäten zukommen.32 Boyle klagt darüber, dass Schulphilosophen sich diese Mühe ersparen und lieber Theorien erfinden, als Dinge sorgfältig zu untersuchen; er spricht vom lazy Aristotelian way. 33 Weigel weiß, dass das ästimative Verfahren mühsam ist, macht aber klar, dass es nicht unbelohnt bleibt, denn durch es bekommen nicht nur Qualitäten deutlichere Nuancen, sondern auch die sogenannten mittelbaren Qualitäten (Bestimmungen wie Gleichheit und Ungleichheit, Einfachheit und Zusammensetzung), die nach Weigel bei denominativer Erkenntnis kaum oder gar nicht zur Geltung kommen, treten nun in den Vordergrund und wären vielleicht ohne ästimative Betrachtung gar nicht im Spiel. 34 Erst auf der zweiten Erkenntnisstufe gelangen wir zum Inneren der Natur und können die realen Formen der Werke Gottes erkennen. Wer ein Ding zuerst denominativ und danach ästimativ erkennt, erkennt es von innen und außen; zugleich erkennt er seine Verknüpfung mit anderen Dingen, denn die Untersuchung der Wirkungen eines Dings vermittelt nicht nur Informationen über das Leistungsvermögen der Ursache, sondern auch über die Veränderbarkeit der von einer Wirkung betroffenen Dinge und von ihrem Eingewobensein in den Komplex aller anderen Dinge.35 Die neuen Gewissheiten, die man der ästimativen Erkenntnis verdankt, müssten Anhängern der weniger mühsamen denominativen Erkenntnis als Ansporn dienen.36

Implikationen des Übergangs zum ästimativen Verfahren | 57

4. Das pythagoreische Erbe Pythagoreische Prägung Weigel war davon überzeugt, dass zwischen seiner und der pythagoreischen Philosophie eine enge Verwandtschaft besteht. Auf diesen Aspekt seines Denkens gehen in der Neuausgabe viele Hinweise und Anmerkungen des Herausgebers ein. Die Würdigung des Weigelschen Pythagoreismus bereitet unter anderem deshalb Schwierigkeiten, weil die Interpretation der antiken Mitteilungen noch heute umstritten ist. Zur Verfügung standen Weigel außer Zitaten klassischer Autoren die aus der Antike überlieferten Biographien,1 die mit großer zeitlicher Distanz über Pythagoras berichteten, und das damals maßgebliche Handbuch De natura et constitutione philosophiae Italicae seu Pythagoricae von Johannes Scheffer.2 Der Elsässer Scheffer wurde 1648 (ähnlich wie Descartes als Hofphilosoph nach Stockholm) von Königin Christina von Schweden als Professor der Rhetorik und Politik nach Uppsala berufen und entfaltete dort eine vielseitige literarische Tätigkeit; er verfasste zum Beispiel das erste Standardwerk über Lappland. Weigel war weniger an der philologischen Erforschung des Pythagoreismus als an dessen Nutzung für die eigenen Bestrebungen interessiert. Das wirkte sich auf die Aufgabenstellung der 1672 von ihm mitgegründeten Societas Pythagoraea in Jena aus, der es weniger um die Pflege und Sicherung überlieferter Textbestände als um die Erforschung der Idee der Einheit der Wissenschaften und des Zusammenhangs von Mathematik und Philosophie ging. Dass Weigel pythagoreische Themen aufnahm, zeigt sich an seiner Einschätzung des Zahlenwerts von Dingen und an der Annahme, dass das reale Wesen der Dinge in Zahlen besteht; damit hängt seine Konstruktion des ontologischen Status der Zahlen als substantiae secundae und ihre Unterbringung in einem virtuellen Raum, dem Zahlenraum, zusammen, ferner die Unterscheidung zwischen denominativem und ästimativem Verfahren, die Weigel 58

mit der pythagoreischen Unterscheidung von exoterischer und esoterischer Philosophie gleichsetzt. Der Verstand versucht, die Welt mit unterschiedlichen Zeichensystemen zu erfassen, zum Beispiel mit dem System der menschlichen Sinnlichkeit, mit den Systemen natürlicher Sprachen und mit den alphanumerischen Konstruktionen quantifizierender Wissenschaften. Weigels Entscheidung, einen dieser Versuche, den alphanumerischen, als den eigentlich angemessenen zu privilegieren, ist nicht selbstverständlich und beruht nicht auf Beweisen. Es handelt sich um eine der metaphysischen Vorentscheidungen, auf die Philosophien und Wissenschaften angewiesen sind und die am Ende deren Schicksal mitbestimmen. Weigels Entscheidung hatte Implikationen. Wenn sich alle Wissenschaften gleichermaßen mit alphanumerischen Phänomenen beschäftigen, dann handelt es sich im Grunde um eine einzige Wissenschaft; sie alle müssen, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, analog konstruiert sein und miteinander harmonieren. Vom pythagoreischen Harmoniegedanken inspiriert ist die für Weigel wie für die großen Enzyklopädisten seines Jahrhunderts charakteristische Überzeugung von der Harmonie aller Sachbereiche und der mit ihnen befassten Wissenschaften; sie konkretisiert sich bei Weigel in der Annahme, dass beide sturkturanalog sind, und erlaubt es ihm, aus Sachverhalten in der einen Einzelwissenschaft auf entsprechende Sachverhalte in einer anderen zu schließen. Pythagoreisierend wirkt schließlich die Hervorhebung des Zusammenhangs von mathematischem Denken und Tugend und die Neigung, Themen der Mathematik und Philosophie mit vernunfttheologischen Motiven zu verbinden. Indem Menschen rechnen, zählen sie nach, was Gott ihnen in der Schöpfung vorgezählt hat; er ist der große Rechenmeister, der alles nach Maß, Zahl und Gewicht erschuf. Menschen, die rechnen, sind in besonderer Weise seine Ebenbilder, denn sie reproduzieren in ihrem Geist die bei der Schöpfung nach Maß und Zahl bestimmten Taten Gottes; sie tun es manchmal sogar durch sichtbare Arte­ fakte, die die Natur nachahmen. Gott will mit Menschen spielen und Freude an ihnen haben;3 er flößt ihnen beim Spielen sachte die Axiome und Korollarien euklidischer Beweise ein und stellt ihnen immer neue Aufgaben. Wir müssen also mathematische und mechanische Probleme als etwas begrüßen, das uns die göttliche Pythagoreische Prägung | 59

Weisheit aufgibt, und dürfen Wissenschaft nicht wie die Heiden betreiben, die von unserer völligen Abhängigkeit von Gott noch nichts ahnten und glaubten, ihre Weisheit käme aus ihrem eigenen Hirn4 – eine Erinnerung an die Philosophia moysaica, die schon zu Alsteds geistigem Hintergrund gehörte. Dass uns die Weisheit unerschöpfliche Freude bringt, gehört zu Weigels Grundüberzeugungen und prägt sein Wissenschaftsverständnis, aber auch die Organisation seiner Versuchsschule, die davon ausgeht, dass Kinder am besten lernen, wenn sie an dem, was ihnen die Weisheit einflößen möchte, ihre Freude haben. Die Mathematik beschäftigt sich mit Quantitäten; ihren Namen erfand Pythagoras, und sie vermittelt die Theorie des Zählens und Messens, aber auch Theorie und Praxis des Rechnens, denn sie zeigt, wie man mit Zahlen und Ausdehnungen umgeht. Das zu lernen, dient zugleich der sittlichen Formung von Kindern. Beim Umgang mit Zahlen üben sie Respekt vor festen Regeln ein, 5 aber Rechnen trägt auch insofern zum Erwerb von Tugend bei, als es Wissensdurst und Bedachtsamkeit (philomathia und considerantia) vermittelt. 6 Nicht alle Menschen sind zu mathematischem Denken begabt. Gott gab zwar allen das Vermögen zu rechnen, aber nicht alle beherrschen es gleichermaßen, denn immer kann der eine besser rechnen als der andere. Trotzdem darf jeder mit dem, was er bekommt, zufrieden sein, wenn nur seine Hauptrechnung stimmt, die Rechenschaft über sein Leben. Wie man diese erstellt, sagt uns die christliche Religion zwar nicht in Zahlen, wohl aber mit Worten der Schrift; sonst hätten Tausende von Menschen gar nicht die Möglichkeit, ihre Hauptrechnung aufzustellen.7 Weigel hält es also für möglich, fundamentale Überlegungen, die jemand nicht ästimativ durch Rechnen vollziehen kann, notfalls denominativ zu führen. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass er zu den Indizien für unsere Gottebenbildlichkeit die Sprache hinzufügt. 8 Damit kommt auch das denominative Denken zu seinem Recht. Die Sprache erzeugt Benennungen für Artexemplare und Individuen, die es möglich machen, sie voneinander zu unterscheiden. Inwiefern uns die Fähigkeit zu sprechen von den Tieren unterscheidet, erörtert Weigel an einer anderen Stelle. Das Reden überhaupt ist uns mit den Tieren gemeinsam, denn jedes Tier kann Zeichen geben, um anzudeuten, was es will, und solche Zeichen von ande60 | Das pythagoreische Erbe

ren wahrnehmen. Einige Tiere können sogar lernen, wie Menschen zu sprechen, aber rechnen können sie nicht. Dass wir es können, ist mehr auf unsere vernünftige Seele als auf unseren tierischen Teil zurückzuführen. »Wenn beym Sprechen mitgerechnet wird / wie denn geschieht / wenn nicht nur / was man im Gedächtnuß hat / erzehlt / und repetirt wird / durch Benennungen / Enunciationen und durch Syllogismen; sondern wenn man einen Text analysirt / interpretirt / und commendirt darüber; wenn man Briefe stylisirt / Orationes macht und Carmina schreibt; so ist das Sprechen auch ein Geistes-Werck.«9 Die Stelle deutet an, dass Weigel das Sprechvermögen der Tiere für beträchtlich hält: Sie können Geschehenes behalten und im Ernst oder Spiel repetieren, was sie im Gedächtnis haben, und zwar durch etwas, das Benennungen, Aussagen und Schlussfolgerungen gleicht; sie können es allerdings nicht grammatisch analysieren und keine formal korrekten Aussagen und Syllogismen bilden.

Zählen und Rechnen Weigel unterscheidet mehrere Bedeutungen des Ausdrucks »Rech­ nen«. In einem weiten Sinn bezeichnet er die Ausübung der Rechenkunst. Rechnen ist Operieren mit Zahlen, und das lehrt uns die Arithmetik (von ἀριθμóς, arithmós, Zahl). Weigels Philosophie führt die Zahlen auf das materiale Prinzip der Dinge zurück, denn er hält wie die Thomistenschule die Materie für das Individuationsprinzip, durch das jedes Ding es selbst und kein anderes ist. Die Individuation ist für die Entstehung vieler Einer (ein Mensch, ein Hund) und damit für die Entstehung von Vielheiten oder Mengen von Einern verantwortlich, und Zahlen stehen für Mengen. Der Mensch kommt schon auf einer frühen Erkenntnisstufe mit ihnen in Berührung. Am Anfang interessiert er sich, wenn er mehrere Objekte gleichzeitig sieht, noch nicht für deren Materie oder Form, sondern beim Anblick eines Objekts und noch eines Objekts und noch eines Objekts beschäftigt ihn fürs Erste nur eins: Er will sie in ihrer naturgegebenen Ordnung anschauen, also eins nach dem anderen. Indem er das versucht, übt er sich in die Tätigkeit des Zählens ein.10 Die generischen und spezifischen Unterschiede Zählen und Rechnen | 61

zwischen den Dingen nimmt er erst später wahr, denn zwischen Zahlen herrscht von Natur aus Friede und Freundschaft. Sobald man sich aber auch für Wesenheiten interessiert, entdeckt man Freundschaft und Feindschaft zwischen diesen, zum Beispiel bei Feuer und Öl und bei Wasser und Feuer. Weigel unterscheidet wie üblich Zahlen, sofern sie Zählungen ermöglichen (numeri numerabiles oder numerandi, also »1, 2, 3, 4, 5, 6, 7«, von Zahlen, sofern sie Resultate von Messen, Zählen oder Rechnen sind (numeri numerati: 5 Schafe, 26 Esel).11 Den Vorgang des Zählens deutet er als Messung von Objekten mit der Maßeinheit Eins. Er unterscheidet natürliche Zahlen, nämlich Zahlen, deren Spezifizierung sich wie die von geraden und ungeraden Zahlen von Natur aus ergibt, von künstlichen Zahlen, die erst durch Festlegung auf bestimmte Zahlensysteme wie das duale oder dekadische entstehen – »daß eine Ziffer gegen der anderen ihren gewissen Stand / und darinnen ihre gewisse Geltung und dergleichen habe«.12 Unser Verstand kann die unabzählbare Vielheit zählbarer Objekte nicht in direkter Anschauung erfassen. Deswegen geht er die Sache indirekt an und verwendet den Trick, zu dem er schon bei der Bildung von Gattungen und Arten griff. Damals verzichtete er auf den Versuch, von jedem Exemplar der Menge menschlicher Individuen dasselbe auszusagen. Stattdessen erfand er neue Wörter, die für mehrere Exemplare einer Menge stehen können, zum Beispiel »Mensch«, und bezeichnete sie als Art- oder Gattungsnamen. Danach verband er diese Namen mit Prädikaten, die nach bisheriger Erfahrung jedem Exemplar der von ihm gebildeten Menge zukommen, bei »Mensch« zum Beispiel: »sterblich«. Jetzt konnte er sagen: »Jeder Mensch ist sterblich« und verfügte fortan über die Fähigkeit, statt lange Zeit mit der Vervollständigung einer endlosen Reihe von Einzelaussagen zu vertun, nur noch wenige Sekunden für einen allgemeinen Satz zu verbrauchen, der dasselbe leistet.13 Wörter wie »Mensch« stehen für Mengen ähnlicher Dinge, die man je nach Situation als Gattung oder Art bezeichnen kann. Gattungen und Arten sind keine wirklichen Dinge, sondern Abstrakta, etwas Gedachtes. Platon bezeichnete sie als Ideen und glaubte, dass sie an einem überirdischen Ort existieren und unvergänglich sind, und das ist gar nicht unplausibel, denn viele Mengen von Dingen, mit denen der Verstand zu tun bekommt, gibt es irgendwann nicht 62 | Das pythagoreische Erbe

mehr, doch kann er, wenn er will, die Vorstellung von ihnen immer wieder erwecken. Insofern sind Ideen unvergänglich.14 Mit demselben Trick erfindet der Mensch die Zahlen, ästimative Gegenstücke zu den Gattungen und Arten, durch die er den Vorteil bekommt, Mengen von Dingen genauer zu bestimmen als mit denominativen Ausdrücken wie »einige« oder »alle«. Weil er nicht alle Glieder einer Menge einzeln aufzählen mag, ernennt er Zahlen zu Stellvertretern mehrerer Einer oder Einzelner und lässt zum Beispiel »4 Schafe« für »ein Schaf und noch ein Schaf und noch ein Schaf und noch ein Schaf« stehen.15 Zwar könnte er vier Exemplare ohne hohen Aufwand einzeln aufzählen, aber schon bei dem Versuch, dreitausend Einheiten zu bedienen, lernte er, die Arbeitserleichterung zu schätzen, die er der Notation »3000« verdankt. Mit Zahlen erfasst man ohne Mühe auch große Mengen von Einern ästimativ. Weigel hält Zahlen für die Wahrnehmungsdaten des Mathematikers, während er Sinnesdaten für die Wahrnehmungsdaten des natürlichen Menschen hält. Der terminus a quo von Zahlen ist nach Weigel »rein gar nichts«. Er wird nicht mit Zahlenzeichen notiert, sondern mit »0«, dem Zeichen für Nichtzahl. Die Eins ist der Stoff, aus dem die Zahlen sind, und wenn sie der Verstand als Minimum entdeckt und merkt, dass durch bloßes Hinzutreten solcher Minima neue Zahlen entstehen, die man ihrerseits wieder in Einer auflösen kann, vermag er mit jeder Einheit jede Vielheit zu messen. Ausgedehntes, das ein Kontinuum ist, kann er durch Zählen in ein diskretes Quantum verwandeln, zum Beispiel dann, wenn er eine Strecke, die von Natur aus ein Kontinuum ist, als drei Ellen lang bestimmt.16 Dabei ist zu beachten, dass Weigel dazu neigt, die Zahlen von Dingen im Geist pythagoreischer Überlieferungen mit deren Wesen gleichzusetzen. Er denkt dabei nicht an kabbalistische Entitäten oder Zahlenmystiken, die man in Geheimwissenschaften lehrt, sondern schlicht an alphanumerische Zahlen. Einzeldingen entsprechen Zahlenwerte, gebildet aus der Berechnung ihrer Quantitäten, und jedem Einzelding entspricht sein eigenes > 0, das sich vom Wert jedes anderen Dings unterscheidet. Zählen ist die ästimative Entsprechung zum Wahrnehmen: Dasselbe Ding erscheint im Sinnesraum als sinnlich wahrnehmbares Individuum, im Raum der Abstracta als Gattungsoder Artexemplar (»ein Mensch«) und in der arithmetischen Welt Zählen und Rechnen | 63

als Zahl. Heutige Leser empfinden es nicht in allen Fällen als ungewöhnlich, wenn jemand Dinge mit Zahlen identifiziert; in der Alltagssprache geschieht das sogar nicht selten, denn man sagt im Blick auf Antiquitäten: »Es handelt sich hier um beträchtliche Werte«, und ein Schüler, den man nach der Bedeutung des alphanumerischen Ausdrucks H2O fragt, sagt in der Regel: »Das ist Wasser.« Leider lassen sich die Zahlenwerte so komplexer Dinge wie Menschen bislang durch Menschen weder exakt ermitteln noch vergleichen; trotzdem versucht Weigel, die Gleichsetzung von Zahlen und Dingen durch Analogien plausibel zu machen. Zum Beispiel setzt Zählen eine Anzahl spezifisch bestimmter Objekte voraus, deren Artzugehörigkeit denominativ durch Angabe der nächsthöheren Gattung und der spezifischen Differenz bestimmt wird und die durch Ähnlichkeiten miteinander verbunden sind. Zahlen verwandeln Vielheiten in Einheiten, und Gattungs- und Artbegriffe tun das auch. Zahlen sind nicht anders als Gattungen und Arten Abstraktionen, mit deren Hilfe man Vielheiten (Mengen von Einern) verhältnismäßig bequem erfassen kann. Wenn man innerhalb eines Zahlensystems die Gruppe der Zwanziger konstruiert, sind 20, 21 und 22 dadurch zur Gruppe der Zwanziger vereinigt, dass ihre Ziffern mit dem Zeichen »2« beginnen; ähnlich werden alle Artexemplare durch eine gemeinsame Eigenschaft vereinigt. Weigel weist nicht selten darauf hin, dass man Zahlen nicht nur dekadisch, sondern auch dual, quaternal oder anders organisieren kann; er hält wie die Pythagoreer das quaternale System, das auf der pythagoreischen heiligen Vierheit oder Tetraktys beruht, für das vorzüglichste und praktischste aller Zahlensysteme.

Rechnen und Mathematik Der Ausdruck »rechnen« steht nach Weigel in seiner ersten Bedeutung für das Operieren mit Zahlen. Dieses zu lernen, bedeutet allerdings im Vergleich zum Rechnen im Sinn der sogleich zu erwähnenden weiteren Bedeutung nur wenig, denn man kann mit Hilfe angelernter Operationen Rechnungen durchführen, ohne zu verstehen, was man da tut. In solchen Fällen sind Zahlen wie Stöcke, mit denen sich ein Blinder aus einem Labyrinth heraustas64 | Das pythagoreische Erbe

tet, ohne am Ende zu wissen, wie er das gemacht hat.17 Die zweite Weigelsche Bedeutung von »rechnen«, einen Grund nennen, verbinden heutige Sprecher nicht unmittelbar mit diesem Ausdruck,18 doch kann man sie etymologisch rechtfertigen. Weigel formuliert sie nämlich im Blick auf den auch bei uns noch üblichen Ausdruck »Rechenschaft«, in dem die Wurzel »rech*« vorkommt; diese verbindet man allerdings heute eher mit Wörtern wie »Abrechnung«. Zur Herkunft von »rechnen« teilt der Duden mit: »mittelhochdeutsch rech(en)en, althochdeutsch rehhanōn, ursprünglich = in Ordnung bringen, ordnen, zu einem Adjektiv mit der Bedeutung ›ordentlich‹, verwandt mit recht.« Diesen Sinn greift Weigels zweite Bedeutung auf: »Rechenschaft geben« bedeutet »etwas begründen; als lateinische Entsprechung nennt er »rationem reddere«: Wenn man ein Ergebnis begründet, leitet man es aus etwas anderem ab. Die dritte Bedeutung ist nach Weigel für Philosophen maßgeblich, denn sie berücksichtigt nicht nur die Wirkursache von etwas, sondern auch sein Cur,19 (warum, zu welchem Zweck), das man damals zu den Umständen einer Handlung rechnete, und bezieht sich nicht zuletzt auf den Wunsch vieler damaliger Autoren, dass die Wissenschaft nun endlich praktisch zu werden hat. Des Näheren betrachtet »rechnen« in seiner dritten Bedeutung nicht nur das quantitativ Erkannte und seine quantitativ erfassbaren Wirkungen (Zahlenrechnung), sondern auch die Intentionen des Handelnden. Zu deren Berechnung nimmt Weigel ein Verfahren an, das er Zielrechnung nennt; es hat zu ermitteln, mit welcher Absicht und zu welchem Zweck man Forschungsergebnisse in der Praxis einsetzt.20 Das entspricht Weigels Überzeugung, dass Erkenntnis und Anwendung untrennbar miteinander zusammenhängen.21 Was Weigel hier vorschlägt, kann mit der bei uns erwünschten Freiheit der Forschung kollidieren. Röd äußert das Bedenken, dass er hier die Grenze zwischen theoretischer Erkenntnis und Moral überschreitet.22 In der Tat behindern zu schnelle Maßnahmen ­gegen chancenreiche Aktivitäten, die zunächst schädliche Folgen haben, die Neutralisierung solcher Folgen durch weitere Forschung. Weigel konstruiert an anderer Stelle den Sachverhalt so: »Moralphilosophie« steht einerseits für eine praktische und andererseits für eine theoretische Disziplin. Zum Beispiel ist die Lehre von den moralischen Entitäten als solchen eine theoretische Disziplin, aber Rechnen und Mathematik | 65

die Mitteilung und Erörterung geltender Normen eine praktische. Bezogen auf diesen Fall: Die Wertung von Intentionen und die Berechnung des mit ihnen zusammenhängenden Schadens und Nutzens ist eine theoretische Tätigkeit, denn ihr Gegenstand sind Relationen, und das Betrachten von Relationen ist ein theoretischer Akt.23 Bei seiner Darstellung verwendet Weigel »Rechnen« in einem weiten und eigenwilligen Sinn, der manchmal an Formulierungen von Hobbes erinnert. Der Herausgeber der Neuausgabe bemerkt zu vergleichbaren Fällen, dass Weigel Hobbes zwar nirgends zitiert, dass er aber vermutlich dessen Annahmen über die Bedeutung von »rechnen« kannte und billigte;24 sein Freund und Schüler Samuel Pufendorf war ja mit Hobbesschen Texten vertraut. Außer den inzwischen genannten führt Weigel aber auch noch eine vierte Bedeutung von »Rechnen« ein, die für seine praktische Philosophie sehr wichtig ist: »Rechnen« kann auch ›imputieren‹, ›anrechnen‹ oder ›zurechnen‹ bedeuten. Das zeigt sich dann, wenn jemand bittet: »Rechne mir das nicht an« oder »Rechne mir das nicht zu«.25 Erst durch Zurechnung wird eine Tätigkeit moralisch relevant; eine Verletzung, die man keiner Person zurechnet, ist in Weigels Augen kein moralisches, sondern ein physisches Phänomen. Die Bezeichnung der Wissenschaft vom Rechnen als Mathematik geht nach Weigel auf Pythagoras und die Weltweisen der Antike zurück; »Weltweiser« ist eine damals noch nicht unübliche Bezeichnung für Philosophen, das heißt, für Wissenschaftler. Die Mathematik beschäftigt sich mit dem Maß und der Ordnung von Dingen, sie zeigt aber auch, wie man Anzahlen mit Einheiten misst und wie man Messergebnisse mit nutzbaren Wirkungen verbindet. Nach Weigel umfasst sie mehr Einzelwissenschaften, als die Lehrpläne vermuten lassen, zum Beispiel Physik. Physik ist schon nach Descartes natürliche Geometrie, nämlich Geometrie der natürlichen Körper im Unterschied zur Wissenschaft der Geometrie, die sich als Geometrie gedachter Körper versteht. Gegen Descartes’ Interpretation hegt Weigel Vorbehalte, weil sie Wissenschaftler zu dem abwegigen Versuch verführen kann. physikalische Probleme mit Mitteln der Geometrie zu lösen. Auch in diesem Punkt ist Weigels Verhältnis zu Descartes, von dem er nicht wenige mathematische, physikalische und metaphysische Anregungen übernahm, 66 | Das pythagoreische Erbe

gespalten. Der Herausgeber der Neuausgabe weist darauf hin, dass Weigel bei solchen Übernahmen weder Namen noch Text Descartes’ zu erwähnen pflegt, obwohl er ihn gewöhnlich beim Namen nennt, wenn er gegen ihn polemisiert.26 Beides könnte damit zusammenhängen, dass Descartes in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei vielen weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten und an vielen Universitäten als gefährlicher Autor galt. Auch Weigel moniert, dass Descartes bei einigen seiner physikalischen Gesetze die Freiheit Gottes unterschätzt und dass er zwar die Tiefe der Mathesis begriffen hat und ästimativ verfährt, dass er sich aber zu sehr auf die Quantität der Körper konzentriert und nicht bemerkt, dass in Wirklichkeit alle Dinge quantitativ sind. Deshalb sei es unwahrscheinlich, dass man bei Descartes die Prinzipien der gesamten Philosophie lernen kann – eine Anspielung auf Descartes’ Titel »Principia philosophiae«.27 Auch Politikwissenschaft, Moral und Ökonomie sind nach Weigel im Grunde mathematische Disziplinen, nämlich moralische Arithmetiken, deren Aufgabe die Ermittlung von Schuldigkeiten im Verhältnis zu dem ist, was jemand leisten kann; zum Beispiel lässt sich nach Weigel mit Hilfe der ästimativen Moral die Höhe von Strafen und Belohnungen errechnen, 28 und das läuft letztlich auf Proportionalrechnung hinaus. Aber nicht nur die Wissenschaften sind voll von Mathematik, sondern auch die alltägliche Praxis. Eins der mathematischen Grundverfahren ist Trennen und Zusammensetzen, aber genau genommen bestehen alle unsere Tätigkeiten in nichts anderem, und deshalb kann man auch alltägliche Aktivitäten als »Rechnen« bezeichnen: Der Wind addiert oder subtrahiert Staub, beim Essen oder Trinken subtrahiert man etwas aus der Schüssel oder Kanne und addiert es zum Magen, und beim Wandern subtrahiert man Stücke des Weges, multipliziert Schritte und dividiert eine Reise in Tagesmärsche.29 Solche Ansichten über die universale Präsenz der Mathematik sind zu Weigels Zeit nicht ungewöhnlich; ähnliche Äußerungen findet man im Bereich lullistischer, neupythagoreischer und kabbalistischer Theorien, und viele davon stammten von berühmten Autoren. Zum Beispiel hielt der Reformpädagoge, Reformtheologe und Mathematiker Johann Valentin Andreae (1586–1654), den Comenius schätzte, die Mathematik für den Schlüssel zur wahRechnen und Mathematik | 67

ren Erkenntnis der Natur und ihrer Harmonie, aber auch für den Schlüssel zum Aufweis der Harmonie zwischen allen Wissenschaften.30 Juan Caramuel Lobkowitz (1606–1680) hielt Zählen für die fundamentale Form der Selbstentfaltung des Verstandes; Gott hat die Arithmetik erschaffen und in die Natur eingesenkt, und nun strukturiert sie das menschliche Denken.31 Für Athanasius Kircher (1602–1680) war die Welt ein nach Zahlen und Zahlenverhältnissen geordneter Komplex, der sich ins Physische und Intelligible entfaltet. 32 Weigel hebt sich allerdings dadurch hervor, dass er versucht, nichtmathematische Einzelwissenschaften auch im Detail mathematisch zu organisieren. Er pflegt zu betonen, dass die Mathesis keine der Philosophie fremde Sonderdisziplin ist – jeder Wissenschaftler in jeder Disziplin greift auf irgendeinen Teil von ihr zurück. Philosophie ist die Wissenschaft von Wesen und Beschaffenheit der Dinge, Mathesis die Wissenschaft von der Quantität, in der den Dingen ihre Qualitäten und Relationen zukommen. Ursprünglich war für beide Wissenschaftsaufgaben die Mathesis allein zuständig, wie das Beispiel der Pythagoreer zeigt, aber später hat man beide Zweige voneinander getrennt, und Philosophie und Mathesis stehen seitdem einander eher unfreundlich gegenüber. Wegen der Trennung von Mathematik und Philosophie kam man in den Gemeinwesen mit der Herstellung von Geräten und Maschinen, die Arbeit und Leben erleichtern, nur langsam voran, und nicht zuletzt deshalb ist die Fähigkeit der Bürger, Artefakte wie Maschinen auch nur annähernd zu begreifen, so schwach entwickelt. Viele durchschauen nicht einmal, wie mechanische Uhren funktionieren, und ahnen nicht, dass deren Leistung lediglich von der richtigen Größe und Anordnung vieler Teile abhängt, zum Beispiel so oder so großer Rädchen und hier und da angebrachter Zähnchen und Zapfen von bestimmter Größe, die genau an eine bestimmte Geschwindigkeit angepasst sind. Um diese Teile der Reihe nach aufzuzählen und zu charakterisieren, braucht man Tage, aber bisher kann nicht einmal jeder Hundertste das Wesen einer Uhr verstehen, und bei vielen anderen Produkten von Menschenhand ist es nicht anders.33

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Jedes Ding hat seine Quantität Dass das reale Wesen jedes geschaffenen Seienden quantitativ ist, schließt ein, dass es endlich ist. Die denominative Ontologie kann zwar allgemeine Begriffe von Endlichem bilden, aber Einzelnes nicht angemessen begreifen. Die Mathematik begreift dagegen ein Individuum als diesen bestimmten messbaren Gegenstand, der mit diesen bestimmten Eigenschaften existiert. Jedes Individuum ist für das Ganze unentbehrlich, denn ein Ganzes ohne dieses Individuum ist nicht dieses Ganze. Ein reales Individuum hat nicht nur überhaupt eine Ausdehnung und einen Ort, sondern genau diesen Ort und diese messbare Ausdehnung. Indem Gott es begreift, denkt er alle existierenden individuellen Gegenstände mit ihm zusammen, denn es steht zu ihnen allen in Beziehung und kann nur zusammen mit ihnen begriffen werden. Wie sich später zeigt, versteht Weigel solche umfassenden Beziehungsgeflechte als Räume.34 Räume ergeben sich aus der Anordnung von Substanzen, die von ihrem Zusammenspiel mit anderen oder von ihrem Wechselverhältnis zu diesen geprägt sind.35 Ein Raum ist voll von Dingen, die miteinander in Beziehung stehen, und Gott erschafft sie nicht vereinzelt, sondern als Bestandteile ihrer Welt.36 Den Wert oder die Quantität von Dingen ermittelt man nach Weigel durch die Vermessung ihrer Qualitäten. Quantität ist auf den ersten Blick ein Modus von Qualitäten, die ihrerseits Modi von Substanzen sind. Der Sache nach sind aber Quantität und Qualität nicht voneinander verschieden; die Schwere eines Steins ist von den drei Unzen, die er auf die Waage bringt, genau so wenig real verschieden wie die Länge einer Tafel von den drei Fuß, die sie lang ist. ›Quantität‹ und ›Qualität‹ sind verschiedene Begriffsansätze für dasselbe; in Wirklichkeit bildet jedes Ding eine Einheit, an der das Denken nachträglich Unterscheidungen trifft. 37 Natürliche Quanta sind von der Natur eingesetzt, zum Beispiel Kraft, Ausdehnung, Schwere, Licht und dergleichen. Moralische und notionale Quanta hat irgendein Wille durch Verfügung oder aufgrund von Konsens eingesetzt. Moralische Quanta sind zum Beispiel Würde, Macht und Verdienst von Bürgern; die Frage, ob und in welchem Maß ein Mensch begabt, begütert, parasitär oder anderweitig für das Gemeinwesen nützlich oder schädlich ist, lässt Jedes Ding hat seine Quantität | 69

sich nach Weigel mathematisch beantworten.38 Notionale Quanta sind Begriffsumfänge, Längen und Kürzen von Silben, Betonungen, Tonlagen und Versfüße.39 Diskrete Quanta wie Zahlen haben Teile, die nicht durch eine gemeinsame Grenze miteinander verbunden sind; die Teile kontinuierlicher Quanta sind dagegen durch eine gemeinsame Grenze miteinander verbunden (Zeitspannen, Flächen, Körper). Kontinuierliche Quanta haben Teile außerhalb von Teilen, die entweder simultan nebeneinander liegen (Linien, Flächen, Körper und Winkel) oder sukzessiv nach der Ordnung des Früher oder Später aufeinander folgen wie Dauer und Zeit. Intensivierbare Quanta wie Wärme haben Grade, die sozusagen Teile innerhalb von Teilen sind, denn beim Untergang des vorigen Grades geht der neue aus diesem hervor; das gilt für Schwere, Geschwindigkeit, Licht, Töne, Wärme, Feuchtigkeit und andere Qualitäten.40 Jedes Etwas ist dadurch bestimmt, dass es Gott aus dem Nichts ausgrenzte. Weil aber die ästimative Methode Dinge nicht isoliert, sondern immer auch im Blick auf andere Dinge betrachtet, begnügt sie sich nicht mit der Ermittlung einzelner Quantitäten, sondern ermittelt auch das Verhältnis mehrerer Quantitäten und mehrerer Verhältnisse zueinander; »a : b = c bezeichnet ein Verhältnis (ratio), »a : b = b : c« eine Proportion oder ein Verhältnis mehrerer Verhältnisse (rationes) zueinander. Weigels Vorstellungen vom Gegenstandsbereich der Mathematik gehen weit. Nach ihm haben von den Philosophen der Antike die Pythagoreer am deutlichsten gesehen, dass Mathematik immer und überall im Spiel ist. Alles Endliche ist Gegenstand der Mathematik – nicht nur natürliche Körper, sondern auch geistige Erzeugnisse des Menschen, denn jedes davon hat seinen eigenen Zahlenwert. Von diesen erscheinen in Weigels gedruckten Werken vor allem die notionalen und mora­ lischen Werte (heute kann man sagen: die semiotischen und moralischen Entitäten). Es handelt sich um von Vernunften erzeugte Objekte, deren Ort der Verstand ist; sie sind für die Abwicklung kommunikativer und moralischer Aufgaben unentbehrlich, und Menschen akzeptieren sie so lange, wie sie sie übereinstimmend schätzen.41 Die bekannteste Quantität im Bereich des bürgerlichen Seienden ist der Preis von Dingen oder von Tätigkeiten, 42 die heute unter Begriffe wie ›Arbeit‹ und ›Dienstleistung‹ fallen. Weigel bezeich70 | Das pythagoreische Erbe

net Preise als moralische Qualitäten, denn der Ausdruck »Moral« kann bei ihm für »praktische Philosophie überhaupt« stehen, und zu dieser gehören außer der Lehre von den Tugenden auch die Politikwissenschaft und die politische Ökonomie, die inzwischen neben die traditionelle Ökonomie des Hausstands (Hausverwaltungslehre) getreten ist. 43 Auch Qualitäten wie Bequemlichkeit, Nutzbarkeit, Gewinnträchtigkeit oder Strafe für Handlungen kann man quantifizieren. Ergebnisse von Rechenoperationen bestimmen grundsätzlich den Preis und die Wert- oder Geringschätzung von etwas, aber weil man in einem Gemeinwesen nicht immer alles genau bestimmen kann, erstellt man solche Rechnungen oft über den Daumen oder übernimmt die Werte kurzerhand vom Markt (»Marck«).44 Um den durch Preise geregelten Austausch von Waren zu erleichtern, schrieben Gemeinwesen speziell bearbeiteten Metallen wie Gold und Silber genaue Werte zu, bestimmten sie unter dem Namen »Geld« zum Maß des Wertes von Dingen und teilten sie in Wertstufen wie 10-Heller-Münzen und 2-Gulden-Stücke ein. Der Umgang mit Geld erfordert arithmetische Kenntnisse, es gibt aber bislang für diesen Bereich, der auch für die Politik von Bedeutung ist, noch keine mathematische Disziplin; bisher behandeln ihn nur gewöhnliche Schulrechenbücher. Die Wichtigkeit von Quantitäten für die Wissenschaft wird man in Zukunft immer besser erkennen.45 Eigentlich müsste man alle Menschen sorgfältig im Umgang mit Quantitäten unterweisen und der Mathematik an allen Lehranstalten den Rang einer Grundwissenschaft zubilligen. Doch die Erfahrung zeigt, dass es anders ist. Mathematik wird nur an wenigen Gelehrtenschulen gepflegt und hat an den Universitäten viel weniger Gewicht als Theologie, Medizin und Jurisprudenz. Zu den Gründen dafür gehört nach Weigel die falsche Überzeugung, dass zu den Gegenständen der Mathematik nur Zahlen und geometrische Figuren gehören. Aristoteles, auf den sich Scholastiker gern berufen, war mit Sicherheit anderer Meinung.46 Tatsächlich ist Ausdehnung nur eine unter vielen Sorten von Quantität; außerdem steht sie bei Autoren wie Descartes in dem Ruf, schlechthin passiv zu sein.47 Wenn man der Mathematik nur diese passive Ausdehnung und die Zahlen als Gegenstände zuweist, gelangen Studenten mit Recht zu dem Schluss, dass sie sich besser um eine andere Disziplin bemühen. Aber wenn man wüsste, Jedes Ding hat seine Quantität | 71

dass alle Dinge quantitativ bestimmt sind, interessierte man sich vor allem für Mathematik, die schon deshalb keine der Philosophie ganz fremde Sonderdisziplin sein kann, weil alle philosophischen Disziplinen in irgendeiner Weise auf sie zugreifen.

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5. Das Erbe Aristoteles’ und Euklids Zur Ausgangslage Weigel erstrebte nicht wie einige seiner westeuropäischen Kollegen einen abrupten Neubeginn der Philosophie, sondern nur die Wiederherstellung der von der Scholastik entstellten aristotelischen Überlieferung, denn er hielt es für möglich, ihr so den Zugang zu zukunftsträchtigen westeuropäischen Neuansätzen zu öffnen. Unter »Scholastik« verstand er ohne nähere Spezifikation an Aristoteles orientierte Philosophiehandbücher, die in Europa an Universitäten aller Konfessionen mit kirchlicher und obrigkeitlicher Billigung verwendet wurden. Den ursprünglichen Aristoteles fand er in der Methodenlehre der Analytica posteriora, die er für eine geglückte Anpassung der wenig später durch Euklid vollendeten Methode der frühen griechischen Mathematiker an die Aufgaben der Philosophie hielt. Die Analytica posteriora sahen in dem von Aristoteles in den Analytica priora entwickelten demonstrativen Syllogismus das wichtigste Mittel zur Erzielung wissenschaftlicher Beweise; allerdings war diese Syllogistik nicht selten unter den Händen von Scholastikern zu einem Coaching für Disputanten verkommen und musste wiederhergestellt werden. Im 17. Jahrhundert galt bei vielen Neuerern die Methode Euklids als das sicherste Beweisverfahren; ihre heute bekannteste philosophische Anwendung fand sie in Spinozas Ethica more geometrico. Es zeigte sich aber, dass Beweise more geometrico oder methodo geometrica weniger sicher waren, als die Zeitgenossen hofften; sobald man bei Definitionen mit konnotationsreichen Alltagstermen arbeitet, ­besteht die Gefahr, dass unvermerkt Nebenbedeutungen in den Beweis miteinsickern. Weigel hoffte anscheinend, die Konkurrenz des euklidischen und syllogistischen Verfahrens dadurch zu beenden, dass er beide für substituierbar erklärte. Die Meinung, dass Gewissheit eine notwendige Bedingung für Wissenschaftlichkeit ist, ist inzwischen zugunsten empiristischer 73

und trial-and-error-Konzeptionen in den Hintergrund getreten. Zu Weigels Zeit befand sich der Katalog der Wahrheitskriterien, von dem es abhängt, ob ein Satz gewiss ist oder nicht, im Umbruch; das Kriterium »konform mit der Meinung anerkannter Autoritäten« verlor zunehmend an Bedeutung, und das Kriterium »in Übereinstimmung mit der Erfahrung« wurde durch die Präzisierung des Empiriebegriffes radikal umgedeutet. Weigel ging davon aus, dass die Theoreme ausgereifter Wissenschaften gewiss sein müssen; das ändert aber nichts daran, dass man sich nach seiner Meinung in Mangellagen und bei Wissenschaften, die sich im Wachstum befinden, auf Hypothesen einlassen darf; man muss aber den Unterschied zwischen bewiesenen Theoremen und Hypothesen respektieren. In der Philosophie galten gewöhnlich sowohl demonstrative Syllogismen als auch bestimmte Wenn-dann-Funktionen als Verfahren, mit denen sich Aussagen als wahr und gewiss erweisen ließen; Gelehrte, die Syllogismen vorzogen, erkennt man daran, dass sie über die Notwendigkeit von maior (Prämisse, die das Prädikat der Konklusion enthält), minor (zweiter Prämisse) und conclusio diskutieren, während Autoren, die lieber mit Wenndann-Funktionen arbeiteten, die Zuverlässigkeit von antecedens und consequens erörtern. Heutige Leser haben bei Wenn-dannFunktionen kaum Verständnisschwierigkeiten, denn sie sind auch in der Umgangssprache noch üblich, obgleich sie oft nicht mehr verstanden werden – nicht selten eine Quelle von Skandalen aus Anlass nicht verstandener Wenn-dann-Äußerungen. Dass Aristoteles die Syllogistik erarbeitet und entwickelt hat, war unbestritten. Dagegen wurde die von Weigel geteilte Meinung über den Ursprung der Syllogistik in der frühen griechischen Geometrie kontrovers diskutiert. Weigel glaubte, dass Aristoteles seine Methode nach geometrischen Vorbildern gestaltet hatte und dass sie im Prinzip der Methode Euklids entsprach. Aristoteles sah, heißt es in der Analysis aristotelica, dass sich nur die Geometer seiner Zeit mit der Begründung wissenschaftlicher Behauptungen beschäftigten und dass sie nicht Ruhe gaben, bis sie zur ersten Ursache und zu den letzten Prinzipien gelangten. Weil auch er selbst so arbeiten wollte, folgte er dem Vorbild der Geometer und entwickelte mit einzigartigem Scharfsinn aus der speziellen geometrischen Analyse eine allgemeine logische.1 Diese Meinung war nicht 74 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

neu, wurde aber zumal seit dem Erscheinen des Proklos-Kommentars zum ersten Buch von Euklids Elementa (1533) nicht weniger bestritten 2 als die ebenfalls von Weigel vertretene Meinung, Aristoteles habe die in den Zweiten Analytiken entwickelte Methode für ein universales und für alle Künste und Wissenschaften geeignetes Verfahren gehalten. Weigel zeigte im Gegenzug, dass man auch im Rahmen der Geometrie syllogistische Beweise führen kann; dazu verglich er einen etwas umständlichen syllogistischen Beweis des Winkelsummensatzes mit dem euklidischen und mit der knappen Lösung Isaac Barrows und erklärte, dass das Verfahren des einen Autors mit dem der anderen substituierbar ist.3 Er war davon überzeugt, dass eine Scholastik, die den neuen Philosophieentwürfen keine Argumente entgegenzusetzen hatte, nicht überlebensfähig war. Sie interpretierte einen Aristoteles, den sie nicht verstand, und war durch eine angemessenere Auslegung zu ersetzen. Weigel sah seine Aufgabe in der Wiederherstellung des wahren Antlitzes der aristotelischen Philosophie im Ausgang von der Erkenntnis, dass die Methodenlehre der Zweiten Analytiken bei angemessener Deutung auf Euklids Methodenlehre hinauslief. Das hielt man in Weigels Fakultät für verfehlt. Weigel dagegen glaubte, dass die Scholastik den Niedergang der Philosophie dadurch verschuldet hatte, dass sie der Quantität ihren Platz verweigerte, autoritätshörig und wortspalterisch geworden war und die Studenten durch üble Disputationsgepflogenheiten verdarb.4 Wenn ein Kandidat bei Disputen beliebige Thesen oder Schriften gegen beliebige Einwürfe verteidigt und durchsetzt, läuft er Gefahr, im Skeptizismus zu enden.

Zur Ausgangslage | 75

Erläuterung des Begriffs »Syllogismus« (Beitrag von Wolfgang Detel)

Syllogismen bestehen aus syllogistischen Sätzen. Ein syllogistischer Satz hat eine der folgenden vier Formen: A kommt allen B zu (abgekürzt AaB); A kommt keinem B zu (abgekürzt AeB); A kommt einigen B zu (abgekürzt AiB); A kommt einigen B nicht zu (abgekürzt AoB).5 Ein Syllogismus besteht genauer aus drei syllogistischen Sätzen, nämlich aus zwei Prämissen (Voraussetzungen) und einer Konklusion (Schlussfolgerung). In jedem Syllogismus kommen genau drei Begriffe vor (A, B und C). Die beiden Prämissen eines Syllogismus haben einen dieser drei Begriffe (den Mittelbegriff ) gemeinsam. Dabei sind A, B und C Variablen für allgemeine Begriffe, also Leerstellen, für die beliebige konkrete Begriffe eingesetzt werden können; und a = kommt allen zu, e = kommt keinem zu, i = kommt einigen zu und o = kommt einigen nicht zu sind die syllogistischen Operatoren. Syllogismen können drei verschiedene Figuren aufweisen, nämlich: (1) AxB, BxC → AxC; (2) BxA, BxC → AxC; (3) AxB, CxB → AxC (dabei ist x eine Variable, für die einer der syllogistischen Operatoren eingesetzt wird). Schreibt man alle möglichen Einsetzungen auf, so ergeben sich genau 192 mögliche Syllogismen. Aber längst nicht alle Syllogismen sind logisch gültige Schlüsse, das heißt Argumente, für die gilt: Wenn ihre Prämissen wahr sind, dann muss auch ihre Konklusion notwendigerweise wahr sein. Es gibt allerdings vier perfekte Syllogismen, deren logische Gültigkeit evident zu sein scheint. Sie alle weisen die erste Figur auf. Die beiden grundlegenden perfekten Syllogismen sind:

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AaB, BaC → AaC A kommt allen B zu; B kommt allen C zu → A kommt allen C zu). AeB, BaC → AeC (A kommt keinem B zu; B kommt allen C zu → A kommt keinem C zu). Wie Aristoteles ausdrücklich bemerkt, sind die perfekten Syllogismen evident, weil ihre logische Gültigkeit aus der Bedeutung ihrer logischen Operatoren folgt, also aus der Art und Weise, wie wir die Ausdrücke »kommt allen zu« und »kommt keinem zu« verstehen. Damit ist das Prinzip einer formalen Logik erfasst. Jede formale Logik arbeitet mit Argumenten, deren Sätze lediglich Variablen und logische Operatoren enthalten, und die logische Gültigkeit der Argumente folgt allein aus der Bedeutung der logischen Operatoren. Die perfekten Syllogismen sind aber nicht die einzigen logisch gültigen Syllogismen. In der zweiten und dritten Figur gibt es noch 14 weitere logisch gültige Syllogismen, die sich mit Hilfe der perfekten Syllogismen beweisen lassen.

Der Konflikt aus Anlass der Analysis aristotelica Weigels Analysis aristotelica erschien 1658 und erregte in der Jenaer Fakultät großen Unwillen; dieser war umso größer, als die fürstlichen Nutritoren bei Weigels Berufung die Fakultät praktisch übergangen hatten. 6 Die Gründe der Auseinandersetzung werden in einem erhaltenen Fakultätsprotokoll7 so umrissen: Demnach zwischen der Löblichen Philosophischen Fakultät und Herrn M. Weigelio, Mathem. P. P. einige Mißhelligkeiten entstanden, in deme selbiger nicht alleine hierbevor zu unterschiedenen mahlen, sondern auch neulich in seiner außgegangenen Analysi Aristotelica Euclidea unterfangen, alle disciplinas philosophicas seinem Gefallen nach zu reformiren und denen Statutis zuwider auf ganz neue Art zu lehren, welches dan bey der studirenden Jugend große Confusion erwecket und viel andere Inconvenientien nach sich ziehet, daß dannen hero obgemeldete Facultas ihm zu erkennen geben, wie sie dergestallt mit Der Konflikt aus Anlass der Analysis aristotelica | 77

ihm nicht zufrieden seyn, noch ihn in ihrem Collegio dulten könne und hierinne berurter Herr M. Weigelius nach angeführten vielen Exceptionibus und excusationibus (denen aber sobalden die andern Herren Collegae genugsam begegnet) sich endlich dahin erkläret: Er wolle nit allein gedachtes Buch hier nicht lassen verkaufen, sondern auch inskünftig keine Collegia außer seiner Profession, ohne dessen Collegae, welcher darüber bestelt, Vorbewußt und Consens halten, auch weder er für sich selbsten, noch durch andere die Philosophiae Peripateticae recepta dogmata impugniren, refutiren oder anstechen, sondern einig und allein der Matheseos Professioni also obwarten, daß kein Collega eines Ein- oder Vorgrieffes sich zu beschweren haben solle. Zu Urkund und Bekräftigung dessen den er diesen Revers ad acta Facultatis zu bringen, eigenhändig unterschrieben und mit seinem gewöhnlichen Petschafte bedrucket. Geschehen Jehna, den 30. Julii 1658.

Später berief sich Weigel auf einen Spezialbefehl, 8 den ihm einer der Nutritoren der Universität erteilt hatte. Dieser Fürst war anscheinend an einer Reform der akademischen Lehre interessiert, und unter seinem Schutz konnte Weigel seine Arbeit fortsetzen. Moll bemerkt, das gebe »sowohl Einblick in Aktionen fürstlicher Bildungspolitik in der Zeit des Absolutismus wie in die Sonderstellung Weigels an der Universität Jena, an der er als Exponent einer zumindest von einer Seite angestrebten Universitätsreform angesehen werden muss.«9 In dem genannten Protokoll werden die Streitpunkte nur knapp umrissen. Dass Weigel alle Fächer der Fakultät nach seinem Gefallen reformieren wollte, bezieht sich wohl darauf, dass er es für wichtig hielt, deren Beziehungen zur Mathematik hervorzuheben; nicht zuletzt darauf war es vermutlich zurückzuführen, dass seit seiner Berufung die Immatrikulationszahlen in Jena stark anstiegen und dass sich so viele Hörer zu seinen Vorlesungen drängten. Dass die Studenten unruhig wurden, könnte damit zusammenhängen, dass sie Weigels Vortrag mit dem seiner Kollegen verglichen. Dass er sich über Fächer außerhalb seiner Venia legendi äußerte, ohne sich vorher mit den zuständigen Kollegen zu verständigen, trifft sicher zu und hängt mit seiner Überzeugung zusammen, dass in praktisch allen universitären Fächern Lehrgegenstände der Mathematik verhandelt und mathematische Verfahren verwendet werden, obgleich die Fachvertreter das nicht merken. Ein Mathe78 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

matiklehrer sei verpflichtet, seine Hörer über die Bedeutung der Mathematik für alle Zweige des Wissens zu informieren; das könne er aber nicht tun, ohne auf die betreffenden Fächer einzugehen.10 Wenn er seine Pflicht erfüllen wolle, müsse es beim bestehenden Zustand bleiben, den die Fakultät als übergriffig empfand. Schließlich wird Weigels Umgang mit Aristoteles moniert. Die Statuten verlangten von den Professoren, sich an Aristoteles zu halten und ihn in der üblichen Weise auszulegen; dabei wurde allerdings die Bedeutung von »übliche Weise« nicht genau umrissen. Dieser Auflage widersprachen anscheinend sowohl Weigels Meinungen über Herkunft und Reichweite der aristotelischen Methode als auch sein Versuch, Artefakte zum Gegenstand einer theoretischen Wissenschaft zu erheben und sie mit Mitteln moderner Korpuskularisten wie Gassendi und Descartes zu erörtern; dabei wurde beispielsweise die rezipierte Lehre von der Entelechie in Frage gestellt. Bei den Beschwerden der Fakultät waren auch Fachinteressen im Spiel. Bei Zugriffen Fachfremder auf ihre Fächer sind Fakultätsmitglieder auch heute noch empfindlich, und die Frage, wer eigentlich Studienordnungen verbindlich interpretieren darf, wird noch immer bei passender Gelegenheit gestellt. Unbeschadet der Verdienste Weigels muss man anmerken, dass die Situation der Fakultät durch seine Polarisierungen sehr schwierig geworden war und dass Kollegen wie er auch heute noch für jeden Dekan ein Albtraum sind. In dieser Situation gab es zwei Möglichkeiten. Weigel konnte entweder seine Meinungen über die Tragweite der aristotelischen Methode und seine Hoffnung auf wissenschaftliche Beweise bei Aussagen über Artefakte aufgeben, oder er konnte Aristotelestexte zur Rechtfertigung seines Vorgehens suchen. Er entschied sich für die zweite Möglichkeit und behauptete: Beweisende Syllogismen sind nach Aristoteles nicht nur bei Gegenständen der Physik wie dem Blau des Himmels, Mondfinsternissen oder dem Reflexionswinkel geworfener Bälle möglich.11 In Wirklichkeit sind sie auch bei Artefakten und bei moralischen und notionalen Entitäten unter der Bedingung möglich, dass die dabei verwendeten Prädikate notwendig mit einem anderen Prädikat oder mit ihrem Subjekt verbunden sind. Wissenschaftliche Theoreme sind im Grunde nichts anderes als Erkenntnisse von notwendigen Zusammenhängen; in solchen Zusammenhängen stehen alle Dinge, und deshalb sind alle Der Konflikt aus Anlass der Analysis aristotelica | 79

Dinge Gegenstände möglicher demonstrativer Beweise, das heißt, theoretischer Wissenschaft.12 Eine Entscheidung darüber, ob sich Weigel mit Recht auf aristotelische Texte berief, ist heute weniger einfach als um die Mitte des 17. Jahrhunderts, denn heute hat bei uns keine Instanz mehr das Recht, eine Aristoteles-Auslegung verbindlich für zutreffend oder unzutreffend zu erklären. Das allgemeine Urteil darüber beruht inzwischen, sofern es sich nicht um offensichtliche Ungereimtheiten handelt, auf Akklamationen einiger Fachgelehrter, aber nicht alle Fachgelehrten sind gezwungen, mit diesen einverstanden zu sein. Anders als heute spielten sich zu Weigels Zeit Dispute über Aristotelestexte in Systemen traditioneller Legitimität ab, die Innovationen tolerierten, solange man sie durch zugelassene Interpretation eines kanonischen Autors legitimieren konnte. Wenn das misslang, bestand noch die Möglichkeit, eine sperrige Interpretation von der Obrigkeit für akzeptabel erklären zu lassen; dazu brauchte man aber verlässliche Beziehungen zur politischen Macht, und daran hat es Weigel nicht gefehlt, bis ihm das akademische Glück so hart den Rücken kehrte, dass er das Interesse an der Universität verlor. Seine Interpretationen waren eigenwillig und nicht konziliant. Er betonte, er selber schreibe niemandem für seine Aristotelesinterpretation etwas vor, denn es gehe nur darum, was Aristoteles gemeint hat. Wenn zum Beispiel jemand an dem für Weigel unverständlichen aristotelischen Monstrum »Quod quid erat esse« (τò τί ἦν εἶναι)13 Vergnügen habe, dann dürfe er gern wie die Päpstlichen dessen Sinn bis ins Letzte ergründen. Er selbst verstehe aber Aristoteles von Euklid her, und man werde noch sehen, wem Aristoteles mehr Dank für seine Mühen weiß. Für die Interpretation von Aristotelestexten sei das allerdings nicht wichtig, denn die seien denkunabhängig so, wie sie sind, und brauchten dazu keine Kommentatoren. Ähnlich: Es gibt nirgends eine gewissere, sicherere, verständlichere und bequemere Darstellung der ersten Grundbegriffe der Physik als die von Aristoteles, man muss sie allerdings so verstehen, wie Aristoteles sie gemeint hat.14 Das lief darauf hinaus, dass Weigel gegenüber der Mehrheitsmeinung den Vorzug der richtigen Auslegung für sich in Anspruch nahm. Von der Möglichkeit, sich auf die politische Macht zu berufen, machte Weigel bei seinen Auseinandersetzungen mit Fachleuten 80 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

mehrmals Gebrauch, denn er wollte seine Treue zu Aristoteles wahren, ohne seine Aristotelesinterpretation aufzugeben. Das musste er unter erschwerten und nicht ungefährlichen Umständen tun. Korpuskularistische Philosophien wie die Gassendis und Descartes’ setzten sich zwar nicht ohne öffentlichen Beifall über Aristoteles hinweg, und viele Autoren verlangten von der philosophischen Kerndisziplin Physik, die sich bislang in der Regel als strikt theoretische Disziplin verstanden hatte, praktische Beiträge zur Verbesserung der Gesundheit und des Alltagslebens (deshalb erklärte Weigel Physik zu einer theoretischen Disziplin mit unmittelbarer Tendenz zu Anwendung und Praxis). Ähnliche Bestrebungen hatte Descartes verfolgt: Wenn man die spekulative Physik der Schulen durch eine praktische (mechanische, handwerklich rekonstruierbare) ersetzte, begriffe man die Kraft und das Wirken von Feuer, Wasser, Luft, Sternen, Sphären und allen anderen uns umgebenden Körpern genau so deutlich wie die Tätigkeiten unserer Handwerker und könne sie zu allen möglichen Zwecken einsetzen; dadurch würde man sozusagen zum Herrn und Meister der Natur und könne Maschinen erfinden, die uns die Früchte der Erde und alle auf ihr verfügbaren Annehmlichkeiten ohne Mühe genießen lassen.15 Viele Obrigkeiten und Universitäten widersetzten sich solchen Bestrebungen. Zudem war der Streit um das wahre Himmelssystem, den Kopernikus entfacht hatte, in allen Konfessionen theologisch brisant; Kopernikanern und Tychonikern (Anhängern des vermittelnden Systems, das der kaiserliche Hofastronom ­Tycho de Brahe vorgeschlagen hatte) drohten in allen Konfessionen Probleme. Nicht wenige Professoren mussten ihre Universität verlassen oder schlimmere Beeinträchtigungen auf sich nehmen, wie Beispiele aus Frankreich, Italien, Deutschland und selbst aus den liberalen Niederlanden zeigen.

Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica Die Analysis aristotelica ist in drei Abschnitte unterteilt. Der erste behandelt Definitionen und definierbare Gegenstände, der zweite die Prinzipien von Beweisen, der dritte in Membrum 1 Einzelbeweise und in Membrum 2 miteinander verknüpfte Beweise Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica | 81

(demonstratio continuata). Beweisen besteht nach Weigel in der Herleitung der Gewissheit von Sätzen aus notwendigen Ursachen.16 Demonstrative syllogistische Beweise, bei denen die Schlussfolgerung auf notwendigen Prämissen (Marginalie: meris necessariis effatis) beruht,17 dienen diesem Ziel, nicht aber dichterische und rhetorische Syllogismen, die auch wahrscheinliche Prämissen zulassen; aus diesen kann man keine notwendig wahren und zugleich informativen allgemeinen Schlussfolgerungen gewinnen. Bei demonstrativen Syllogismen sind ferner nach Weigel Nominaldefinitionen nicht als Prämissen zugelassen, also zum Beispiel denominative Definitionen mit Angabe der nächsthöheren Gattung und der spezifischen Differenz, die Scholastiker als Wesensdefinitionen bezeichnen. Diese stehen in Wirklichkeit nicht für das wahre und reale Wesen von Dingen, sondern vertreten es bis auf weiteres als denominative Platzhalter (bei Locke heißt das: als nominal essences). Zwar machen sie Artexemplare von Exemplaren anderer Arten sprachlich unterscheidbar, zum Beispiel Pferde von Menschen, doch bleiben sie trotzdem Nominaldefinitionen, die dem Verstehen von Wortbedeutungen und nicht dem Sachwissen dienen. Gegen diesen Grundsatz verstoßen Scholastiker alle Tage.18 Aussagen über einzelne Naturgegenstände, die unmittelbar auf sinnlicher Erfahrung beruhen, kommen ebenfalls als Prämissen beweisender Syllogismen nicht in Frage, denn sie sind nicht allgemein und werden nicht durch Beweis gewonnen – man erkennt unmittelbar, dass es jetzt hell ist, und kann und muss es nicht syllogistisch beweisen. Zu den Beweismitteln, die bei der Bildung von Syllogismen im Spiel sind, gehören zunächst die Definitionen, von denen die wichtigsten angeben, für was Subjekt- und Prädikatsausdrücke in den betreffenden Syllogismen stehen sollen. Sie enthalten Informationen über Zustände, Eigenschaften und Attribute von Dingen, andere teilen außerdem mit, weshalb dem zu definierenden Subjekt das ihm zugesprochene Prädikat tatsächlich zukommt (Kausaldefinitionen). Solche Definitionen geben für den Fall, dass Subjekt und Prädikat schon durch Erfahrung bekannt sind, ohne dass man beider Ursachen kennt, auch diese an; das kann zum Beispiel so lauten: »Die Ursache einer Mondfinsternis ist ein diametraler Aufenthalt der Erde zwischen Sonne und Mond.« Sowohl die zu82 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

erst genannten Definitionen als auch Kausaldefinitionen sind nach Weigel Realdefinitionen.19 Wie es seinerzeit üblich war, geht Weigel davon aus, dass wissenschaftliche Disziplinen durch die Verknüpfung wissenschaftlich bewiesener Aussagen entstehen. Das Verfahren bei der Verknüpfung bezeichnete man als Methode und baute seine Darstellung so weit aus, dass die Methode sich schließlich als Gegenstand eines Vierten Teils der Logik präsentierte, die vorher nur als Lehre von Begriffen, Urteilen und Schlussfolgerungen galt. Nun wurde sie um einen vierten Teil, die Methodologie (De methodo), erweitert, 20 der sich außer mit nützlichen Ratschlägen für wissenschaftliches Vorgehen mit der Herstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse befasste und als Vorläufer der heutigen Wissenschaftstheorie gilt. Als Wissenschaft oder Philosophie bezeichnet Weigel die Gesamtheit alle wissenschaftlich beweisenden Einzeldisziplinen einschließlich der juristischen und medizinischen.21 Bei der Bildung von Syllogismen (syllogisatio) sind außer den Subjekt- und Prädikatbegriffen, die in den Definitionen erscheinen, noch weitere Beweisprinzipen im Spiel, zum Beispiel Postulate und Axiome, die Weigel als abschließende (perfectiva) Beweisprinzipien bezeichnet.22 Postulate hängen von Sachverhalten außerhalb des Syllogismus ab, tragen aber zum Beweis etwas bei, denn sie informieren über dessen Bedingungen und über die zugelassenen Verfahren. Von Hypothesen unterscheiden sie sich dadurch, dass sie nicht wie diese irgendetwas hypothetisch behaupten, das wahr oder falsch, möglich oder unmöglich sein kann, sondern dass sie vom Hörer verlangen, etwas zu akzeptieren, das zwar nicht unmittelbar den Beweisgegenstand betrifft, das aber hilft, die Zugehörigkeit des Prädikats zum Satzsubjekt zu beweisen.23 Weigel verweist hier auf die Postulate Euklids, zum Beispiel: 1.  Gefordert soll sein: Daß man von jedem Punkt nach jedem Punkte die Strecke ziehen kann, Daß man eine begrenzte gerade Linie zusammenhängend gerade verlängern kann, Daß man von jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis ziehen kann […].24

Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica | 83

Axiome sind die wichtigsten Prinzipien dieser Gruppe. Ihre Bezeichnung geht auf das griechische Wort »ἄξιος«, (áxios, würdig) zurück, denn sie sind, wie Weigel erklärt, im höchsten Maß vertrauenswürdig. Ihre Wahrheit ist nach der damals üblichen Meinung von Natur aus bekannt, denn sie entfließen der Vernunft ohne Mithilfe von Erfahrung oder Diskurs. Weigel weitet den Umfang des Axiombegriffs insofern aus, als er Vernunftaxiome, die immer zutreffen, von den weniger gewissen Erfahrungsaxiomen unterscheidet, deren Behauptungen nur in aller Regel zutreffen, denn sie entsprechen dem gewöhnlichen Lauf der Natur und werden induktiv aus Sammlungen von Einzelerfahrungen gewonnen;25 das gilt zum Beispiel für das, was man inzwischen als Naturgesetze bezeichnet. Induktion führt nur zu bedingter Gewissheit, denn sie steht unter der Bedingung, dass kein bekannter Fall dem induzierten Satz widerspricht. Außerdem nennt Weigel noch die Verstandeserfahrung. Sie beruht auf der reinen Perzeption von Sachverhalten (rerum habitudines), das heißt, auf einer Art von Perzeption, an der die Sinneswahrnehmung nicht beteiligt ist; auf diese Weise perzipiert man zum Beispiel das Überdauern von Geschöpfen und von Eigenschaften und Relationen geometrischer Körper, aber auch metaphysische Entitäten.26 Schließlich nimmt Weigel noch impositive Erfahrung an; sie entsteht durch ausgiebigen Umgang mit Entitäten, die von befugten Instanzen eingesetzt wurden. Im Bereich der moralischen Entitäten gibt es zum Beispiel die juristische Erfahrung, die auf der Vertrautheit mit positiven Gesetzen beruht und die schnelle Feststellung ermöglicht, ob Vorschriften und Zeichen auf ordnungsgemäßer Einsetzung durch Autoritäten oder durch allgemeinen Konsens beruhen, und im Bereich der notionalen Entitäten gibt es die notionale Erfahrung, durch die man zum Beispiel leicht erkennt, ob sprachliche Formulierungen mit den Regeln der Sprachgemeinschaft im Einklang stehen; man erwirbt sie durch häufigen Umgang mit den Regeln von Grammatik und Rhetorik und mit dem Wortschatz einer Sprache.27 Die Wissenschaften, die durch Aneinanderreihung von Schlussfolgerungen entstehen, haben unterschiedliche Grade von Notwendigkeit, von denen ihr wissenschaftlicher Rang abhängt. In der Philosophie kommt der oberste Wissenschaftsrang den reinen Vernunftwissenschaften wie Metaphysik, Mathematik und Logik 84 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

zu, die sich nicht auf sinnliche Erfahrung, sondern nur auf Axiome berufen (Wissenschaften vom Unbewegten). Den zweiten Rang nehmen Wissenschaften wie die Physik ein, deren Theoreme nur bedingt (»hypothetisch«) notwendig sind, weil sie etwas Kontingentes betreffen; allerdings kommt diese Kontingenz von Gott, der sich in Freiheit für die Erschaffung der Welt mit diesen und keinen anderen Naturgesetzen entschieden hat. Der Naturphilosophie kommt deshalb immerhin ein höherer Rang zu als beispielsweise notionalen Wissenschaften, deren hypothetische Notwendigkeit in der Regel bloß auf geschöpflicher Imposition beruht. Aus den Wissenschaften der beiden obersten Ränge besteht die wahre, wirkliche und ewige Philosophie.28 Zu den Beweisinstrumenten gehören schließlich noch die Hypo­ thesen. Weigel unterscheidet beweisende (demonstrativae) und erklärende (declarativae) Hypothesen; beide werden ohne besondere Begründung bei Einzelbeweisen mitverwendet. Man schickt sie einem Syllogismus ausdrücklich oder stillschweigend voraus, und er ruht auf ihnen wie auf einem Bett (»ist eingebettet in Hypo­t hesen«). Zum Beispiel gehen wir vor dem Beweis einer Mondfinsternis oder des Winkelsummensatzes stillschweigend oder ausdrücklich davon aus, dass es den Mond oder dass es Dreiecke gibt.29 Erklärungshypothesen sind dagegen kluge Meinungen von Gelehrten, die eine durch Erfahrung gesicherte, aber noch nicht theoretisch begründete Aussage mit einem möglichen Beweisgrund unterbauen. Man verwendet sie, wenn ein erfahrenes Phänomen sich vorerst noch mit verschiedenen Annahmen begründen lässt, von denen bislang keine gewiss ist. Als Beispiel nennt Weigel das Nebeneinander von ptolemäischer, kopernikanischer und tychonischer Deutung der Himmelsphänomene, die bisher gleichermaßen unbewiesen sind. Unterdessen bleibt es offen, ob sich die Erde nicht bewegt, während die Gestirne sie umkreisen, oder ob sie sich um die Sonne dreht. Für beide Fälle nennen die drei konkurrierenden Erklärungshypothesen mögliche Ursachen. Inzwischen gibt es nach Weigel zuverlässige Argumente zumindest dafür, dass die ptolemäische Hypothese in den meisten Punkten falsch ist. In einer ähnlichen Lage wie die Astronomie befindet sich die allgemeine Physik, denn hier konkurrieren ebenfalls drei deklarative Hypothesen miteinander, nämlich die aristotelische, die annimmt, dass die nach Elementen Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica | 85

unterschiedene Materie kontinuierlich ist und von substantiellen Formen gestaltet wird, die Atomtheorie Epikurs mit ihren unteilbaren Körperchen im sonst leeren Raum, die Gassendi wieder aufgegriffen hat (recoxit), und die cartesische Korpuskulartheorie, die unendlich teilbare Materieteilchen in ­einem erfüllten Raum annimmt und das Vorhandensein von Vakuen bestreitet. 30 Die aristotelische Hypothese trifft zwar in Fragen der speziellen Physik oft daneben, zum Beispiel bei den meisten ihrer Behauptungen über die Natur des Himmels, der Sterne, der Galaxie und der Kometen, wie neuerdings die Astronomen mit ihren Instrumenten bewiesen haben. Aber im allgemeinen Teil der Physik, also bei den allgemeinsten und abstraktesten Grundannahmen zur ersten Materie und zu Formen, Privationen, Quantitäten und dergleichen und schließlich bei Prinzipien, Termen und Ursachen des Entstehens und Vergehens sowie der Gestalt natürlicher Körper ist die aristotelische Hypothese keineswegs absurd. Welche der konkurrierenden Hypothesen wahr ist, weiß man noch nicht, aber sowohl mit der gassendischen als auch mit der cartesischen kann man zu ungewöhnlich genauen Beweisen gelangen. 31 Auch kann man unabhängig davon, ob man die Sonne für beweglich oder unbeweglich hält, Quantität und Besonderheiten himmlischer Phänomene exakt vermessen und aus ihren Ursachen beweisen, ohne zu einer der beiden noch konkurrierenden Möglichkeiten in Widerspruch zu geraten. Hypothesen sind nicht unnütz, denn sie machen es leichter, durch Beobachtung gewonnene abstrakte Ursachen im Gedächtnis zu behalten und das Verhältnis spezieller Ursachen zueinander zu erkennen. Auch Weigel wird (besonders im speziellen Teil seiner Physik) mit Hypothesen arbeiten; sie sind zwar keine bewiesenen Aussagen, erweisen sich aber bei noch nicht ausgereiften Wissenschaften in Forschung und Lehre als hilfreich.32 Die physikalische Methodenlehre unterteilt Weigel in zwei Abteilungen. Die allgemeine Methodenlehre beschäftigt sich mit Verfahren, die allen naturwissenschaftlichen Disziplinen gemeinsam sind, die spezielle mit Methoden einzelner Disziplinen. Grundsätzlich verlässt man sich beim Beweis reiner Vernunftaussagen am besten auf die natürliche Führung durch die Vernunft, bei Erfahrungsaussagen sucht man dagegen besser eine Brückenlösung. Scholastiker empfehlen die sogenannten Eselsbrücken (ars inveni86 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

endi medium), die versprechen, mit Hilfe mnemonischer (erinnerungstechnischer), geometrischer oder mechanischer Hilfsmittel geeignete Mittelbegriffe für Syllogismen zu generieren; das hilft jedoch, wie Weigel glaubt, nicht wirklich weiter. 33 Heute gibt es nach ihm nicht mehr nur Brücken für Esel, sondern auch Brücken für Gescheite, und zwar Verfahren zur Entdeckung und Bestimmung ästimativer Prädikate, die einem zunächst unbekannten x zukommen; man bezeichnet diese Kunst als analysis speciosa (Descartes’ analytische Geometrie).34 Für die allgemeine Abteilung der Naturphilosophie sieht Weigel die Erörterung der allgemeinsten Prinzipien der aristotelischen Physik vor, der speziellen weist er dagegen die Aufgabe zu, unter Verwendung der Hypothesen Descartes’ und Gassendis, die er für die seinerzeit leistungsfähigsten hält, Phänomene beweglicher Substanzen mathematisch zu analysieren und gegebenenfalls zu beweisen. Dieser Ansatz wird später, wie Konrad Moll gezeigt hat, die Philosophie des jungen Leibniz prägen, ihr aber zugleich das Problem der Vereinbarkeit so heterogener Ansätze bescheren, 35 um das sich Weigel wenig gekümmert hat. Zum Wortgebrauch ist anzumerken, dass dieser wie seine Zeitgenossen »Naturphilosophie« auch da verwendet, wo man heute von »Naturwissenschaft« sprechen würde, und dass er »Physik« sowohl in einem engen (»wissenschaftliche Physik«) als auch in einem weiten Sinn verwendet, nämlich als Synonym von »Naturphilosophie überhaupt«. Als bewegliche Substanzen und Gegenstände der Physik gelten erstens die sublunarischen Körper (Körper unterhalb des Mondes) und die kreisenden Himmelskörper (Nicht-Fixsterne), zweitens natürliche Körper, darunter der menschliche Körper, und drittens die reinen (nach üblicher Meinung nicht mit einem Körper verbundenen) Geister wie Engel und Dämonen, die in Wirklichkeit vielleicht doch mit Materie verbunden sind, allerdings mit sehr feiner.36 Leibniz wird ähnliche Meinungen äußern, zum Beispiel in einem seiner frühen Briefe an Christian Wolff, einen jungen Schüler von Weigels Schwiegerenkel, Freund und Nachfolger Georg Albrecht Hamberger. 37 Ungefähr zu dieser Zeit begannen einige Autoren, die Geist- und Engellehre von der Physik in die Metaphysik (»spezielle Ontologie«) oder in eine neue Disziplin namens Pneumatologie zu verlagern. Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica | 87

Im Vordergrund der Betrachtung stehen in Weigels restaurierter Physik die Körper mit ihren beiden konstituierenden Prinzipien: dem formalen (der Form), dem die Idee des Wesens von Dingen entspricht, und dem materialen (der Materie), 38 aus dem die Zahlen hervorgehen, denn die Materie ist das Prinzip der Individuation und damit das Prinzip der Vielheit und der Zahlen. Die Materie besteht nach Weigel aus Elementen, die Elemente aber bestehen aus raumerfüllenden unendlich teilbaren Teilchen außerhalb von Teilchen, deren Korpuskeln nebeneinander liegen, jedoch einander nicht durchdringen können. Der Raum hat demgegenüber Fassungsvermögen, ist also nicht wie die Körper undurchdringlich, sondern kann sie aufnehmen, ohne zu zerspringen. Die Dimensionen von Körpern belegen die Raumdimensionen so, dass Lage und Ausdehnung jeder Korpuskel der Lage und Ausdehnung des Raumteilchens entspricht, in dem sie sich aufhält; deswegen sagt man, dass Materie und Raum koextensiv sind.39 Die Meinung von der Koextensivität von Materie und Raum findet sich gut zwei Generationen früher auch bei Francisco Suárez, und zwar in fünf Paragraphen gegen Ende der Fünften Sektion der Metaphysischen Disputation 40, in denen sich der Autor nicht auf Autoritäten beruft. Nach Suárez ist es communis opinio, dass Punkte Linien konstituieren, Linien Flächen und Flächen Körper. Suárez unterscheidet aber zwei Bedeutungen von »Quantität« beziehungsweise »Ausdehnung«. Das Korrelat der ersten Bedeutung ist habere partes extra partes; darauf beruht die Teilbarkeit der Materie. Es ist von ihr nicht real verschieden, sondern gehört zu ihren natürlichen Eigenschaften, sozusagen zu ihrer Grundausstattung (vorkategoriale oder entitative Quantität). Das Korrelat der zweiten Bedeutung von »Quantität« ist die Quantität, von der in Aristoteles’ Kategorienschrift die Rede ist, des Näheren die Eigen­schaft der Undurchdringlichkeit oder Raumerfüllung. Sie ist dreidimensional und von der Materie real verschieden. Deshalb sind außer den materiellen Körpern auch Undurchdringlichkeitskörper (dreidimensionale Undurchdringlichkeiten) anzunehmen.40 Bei dieser Konzeption setzt man noch keine Eigenbewegungen der Korpuskeln an, und deshalb sind sie mechanisch unerheblich. Jedem Teil des Undurchdringlichkeitskörpers entspricht ein Teil des Materiekörpers. Beide müssen genau zueinander passen (Mate88 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

rieteile müssen für Undurchdringlichkeitsteile geeignete subiecta inhaesionis sein), denn nur dann kann sich der Materiekörper mit dem Undurchdringlichkeitskörper so passgenau umkleiden, dass dessen Teilchen ihn sauber umschließen. Auf diese Weise wird die Materie undurchdringlich.41 Suárez’ Lösung wurde wohl dadurch veranlasst, dass er die Überzeugung nicht aufgeben wollte, habere partes extra partes gehöre von Natur aus zur Materie, dass er aber zugleich die Eucharistielehre des Tridentinums zu vertreten hatte, die für die nach der Konsekration substanzlos gewordenen Eigenschaften von Brot und Wein einen real verschiedenen und von der Wandlung nicht betroffenen Stellboden erforderte. Weshalb sich Weigel, der als Lutheraner aus theologischen Gründen nicht dazu genötigt war, für eine ähnliche Konstruktion entschied, kann ich nicht sagen. Descartes, der eine eigene nichttridentinische Eucharistielehre entwickelte, 42 redete nicht einmal mehr über Suárez’ Probleme – Erkenntnisfortschritt besteht manchmal einfach darin, dass man etwas vergisst. Spuren einer vergleichbaren Doppelkonstruktion finden sich bei John Locke, der im Essay ohne Kommentar die Ausdehnung der Materie (extension) von der des Raums (expansion) unterscheidet.43 Vielleicht bewahrte ihn das Misstrauen der von ihm bevorzugten britischen Tradition gegen theoretische Entitäten vor solchen spekulativen Exkursionen.

Weigels erste Maßnahme zur Erneuerung des ­ ristotelismus: Neueinschätzung von Artefakten A Das oben abgedruckte Protokoll der Verhandlung der Fakultät mit Weigel gibt nicht im Einzelnen an, in welchen Punkten Weigels Projekt von der üblichen Aristotelesauslegung abweicht. Das kann man jedoch rekonstruieren, indem man auf Stellen zurückgreift, an denen Weigel auf scholastische Einwürfe gegen seine Aristotelesauslegung eingeht. Er erstrebt demonstrative Wissenschaften nicht nur von theoretischen, sondern auch von technischen, moralischen und notionalen Entitäten (Entitäten von Zeichensystemen). Einerseits kennt Aristoteles theoretische (beweisende) Wissenschaften, deren Ziel Erkenntnis um ihrer selbst willen ist (ἐπιστήμη, epistḗmē, Vernunfterkenntnis); man betreibt sie im Rahmen eines Weigels erste Maßnahme zur Erneuerung des A ­ ristotelismus | 89

beschaulichen Lebens (βίος θεωρητικός, bíos theōrētikós). Von solchen Wissenschaften unterscheidet Aristoteles technische Disziplinen, deren Ziel nicht Erkenntnis, sondern Kompetenz zur Produktion von Gütern (ποίησις, poíēsis) ist und die von Handwerkern und Mechanikern verwaltet werden. Ihr Prinzip ist nicht epistḗmē, sondern τέχνη (téchnē, Kunstfertigkeit, technisches Geschick), und sie verfolgen Ziele, die ihnen von außen her (durch Auftraggeber) vorgegeben werden. Zum Beispiel ist das Ziel der Schiffsbaukunst die Produktion von Schiffen, das Ziel der Strategie das Erringen von Siegen und das Ziel der Baukunst die Errichtung von Häusern. Die Lehre von der Herstellung von Gütern ist keine Wissenschaft, sondern eine Kunstlehre, die Anweisungen und Verfahren übermittelt; aber auch zwischen ihren Gegenständen gibt es notwendige Zusammenhänge, die Gegenstände von Theorie werden können. Drittens gibt es nach Aristoteles praktische Disziplinen wie Moral, Politikwissenschaft und Ökonomie, in denen es weder um epistḗmē noch um téchnē, sondern um richtiges menschliches Handeln (πρᾶξις, prāxis) geht. Ihr Gegenstand ist nicht wie bei den poietischen Künsten das Produkt des Handelns, sondern das Handeln selbst, nämlich das tugendhafte Handeln, und ihr leitendes Prinzip ist die φρόνησις (phrónēsis, Fähigkeit zu richtiger Planung von Handlungen, praktische Klugheit). Poietische und praktische Disziplinen sind etwas anderes als die Wissenschaften, deren Prinzip epistḗmē ist, die Domäne der Wissensfreunde. Praxis ist dagegen die Domäne von Privaten, Hausherren und Politikern, und téchnē ist die Domäne der Erwerbstätigen. Nach Meinung der Scholastiker, gegen die sich Weigel wendet, verstößt der Plan, technische Künste und praktisches Wissen als theoretische Wissenschaften zu betreiben, gegen die aristotelische Dreiteilung der Wissenschaften und Künste. Das bezieht sich zunächst auf Weigels Ziel, das Zunft-know-how zur Herstellung von Werkzeugen, Maschinen und Automaten, die für Erleichterungen des menschlichen Lebens wichtig sind, irgendwie der Wissenschaft Physik zuzuschlagen. Der Widerstand dagegen kann nicht darauf beruhen, dass menschliche Produkte, die von Zufällen und unprognostizierbaren Entscheidungen abhängen, kontingente und veränderliche Phänomene sind und deshalb nicht zu Korrelaten notwendiger Aussagen werden können. Denn in den Augen 90 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

christlicher, jüdischer und muslimischer Aristoteliker ist die ganze Welt kontingent, weil ihre Existenz von einer freien Entscheidung des Schöpfers abhängt. Aristoteles zeigt jedoch, dass es auch bei kontingenten Dingen notwendige Sachverhalte gibt, und notwendige Sachverhalte sind von Natur aus Gegenstände der Theorie. Ob ein veränderliches Ding zum Gegenstand wissenschaftlicher Beweise werden kann, hängt nach Aristoteles davon ab, ob die Eigen­schaft, die von ihm bewiesen werden soll, logisch mit seiner Veränderlichkeit zusammenhängt (»ob sie in das Veränderlichsein eingebunden ist«) oder nicht. »Nichteingebundensein« bedeutet zum Beispiel, dass es für den Beweis der Gleichschenkligkeit eines Dreiecks gleichgültig ist, ob man ihn an einem bronzenen oder an einem anderen Beispiel präsentiert, denn die Eigenschaft, bronzen zu sein, spielt logisch gesehen für die Eigenschaft, gleichschenklig zu sein, keine Rolle – hölzerne Dreiecke können nicht weniger gleichschenklig sein als bronzene oder gedachte. Ob ein Sachverhalt an einem veränderlichen Ding zum Gegenstand einer demonstrativen Aussage werden kann, hängt vielmehr davon ab, ob die Eigenschaft, die von ihm bewiesen werden soll, logisch von seiner Veränderlichkeit abhängt oder nicht. Dass eine Eigenschaft eines bronzenen Körpers nicht in sein Bronzesein eingebunden ist, bedeutet, dass sie nicht logisch von dem Umstand abhängt, dass er bronzen ist. »Mathematische Dinge«, sagt Aristoteles, werden von »Formen ausgesagt, nicht nämlich von einem Zugrundeliegenden, denn wenn die geometrischen Dinge auch von einem Zugrundeliegenden ausgesagt sind, so doch jedenfalls nicht als von einem Zugrundeliegenden«.44 Zum Beispiel betrachtet auch der Geometriker den Menschen, aber nicht als Menschen, sondern als geometrischen Körper, und fragt danach, was für den Menschen als geometrischen Körper zutrifft.45 Auf dieses aristotelische Kriterium beruft sich Weigel bei seinem Projekt. Bei der Techniklehre geht es zunächst um poietische Anweisungen, aber diese fußen auf notwendigen Zusammenhängen. Ein lateinisches Äquivalent zu »Nichteingebundensein« kommt in Weigels Argumentation nicht vor, doch spricht er von »entitativen Zusammenhängen« (concernentia realis oder praedicati cum subjecto coincidentia vel dissociatio entitativa). Auch über Sachverhalte an veränderlichen Körpern und Materialien Weigels erste Maßnahme zur Erneuerung des A ­ ristotelismus | 91

kann man notwendige und allgemeine Urteile bilden, 46 die mit der Veränderlichkeit dieser Körper nicht entitativ zusammenhängen. Dass infolgedessen wissenschaftliche Beweise auch bei körperlichen Artefakten möglich sind, folgert Weigel unter Berufung auf einen Grundsatz, den Aristoteles selbst vertreten hat. Es war eine Grundüberzeugung aristotelischer Scholastiker, dass nur natürliche Körper, die das Prinzip ihrer Ruhe und Bewegung (ihre Entelechie) in sich selber tragen, Gegenstände einer wissenschaftlichen Physik sein können. Artefakte tragen demgegenüber das Prinzip ihrer Bewegung und Ruhe nicht in sich selber, ihr formales Prinzip ist keine Entelechie (das-Ziel-in-sich-selber-Habung), sondern es befindet sich außerhalb ihrer – der Produzent oder der Benutzer. Beide machen von Artefakten Gebrauch, und dann werden diese bewegt, oder sie legen sie wieder in den Schrank, und dann ruhen sie. Deshalb sind sie Gegenstände der poiētikḗ oder Herstellungskunst und können keine Gegenstände der Physik als theoretischer Wissenschaft sein. Weigel rechtfertigt seine Abweichung vom Schulgebrauch mit dem Nachweis der modernen Wissenschaft, dass die Unterscheidung zwischen natürlicher Bewegung von innen her und gewaltsamer Bewegung durch ein äußeres Prinzip abwegig ist, denn jede körperliche Bewegung ist gewaltsam, weil der erste Beweger den Körpern Bewegung geradezu aufgezwungen hat – er versetzte ihnen am Anbeginn der Zeit den Stoß oder Anstoß, der das ganze Universum in Bewegung brachte. Man kann also heute niemanden mehr dazu verpflichten, sich auf die peripatetische Entelechielehre einzulassen. In der Tat ist zu Weigels Zeit die Zahl der Argumente dafür angewachsen, dass sich sowohl natürliche Körper als auch Artefakte nach mathematisch darstellbaren Gesetzen bewegen. Weil Körper aber keine Mathematik können, kommen sie als Prinzipien mathematisch geordneter Bewegungen gar nicht in Frage (Geulincx: Ich kann nicht der Urheber von etwas sein, von dem ich nicht weiß, wie man es macht).47 Descartes hat ferner gezeigt, dass das Universum keine Vakuen zulässt, die als Spielräume für Ortsbewegungen von Einzelkörpern dienen könnten. Weil es folglich im Weltall keine freien Örter gibt, kann sich kein Körper aus eigenem Drang von einem Ort zum anderen bewegen, denn dazu müsste er alle benachbarten Körper aus ihrem Ort verdrängen, das 92 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

heißt, er müsste in dieser von Materie ganz erfüllten Welt zugleich alle anderen Körper mitbewegen.48 Die einzige Instanz, deren Kraft dazu ausreicht, ist Gott. Weil mithin weder ein natürlicher Körper noch ein Artefakt das Prinzip seiner örtlichen Bewegungen sein kann, hat Aristoteles eine unerfüllbare Bedingung gestellt, und deshalb spricht heute nichts mehr dagegen, gesichertes Wissen über Maschinen und Automaten der Physik zuzuschlagen. Weigel teilt trotz seiner Vorbehalte gegen Descartes viele von dessen physikalischen Positionen; er versteht zum Beispiel die ästimativ gedeutete substantielle Form nicht mehr als Prinzip von Bewegung und Ruhe. Wegen seiner geometrischen (korpuskularistischen) Interpretation der Form, bei der er sie wie Descartes und Gassendi mit der Bewegung und Anordnung der Korpuskeln gleichsetzt und als berechenbar darstellt, kann er auch körperliche Artefakte als normale Objekte der Physik betrachten.49 Der These, dass natürliche Körper das Prinzip ihrer Ortsbewegung nicht in sich selber tragen, würden heutige Beurteiler spontan beistimmen. Schon ein Kind beantwortet inzwischen die Frage, weshalb ein Stein nach unten fällt, nicht damit, dass er seinem inneren Drang nach unten folgt, sondern damit, dass er von der Erde angezogen wird. Durch die Erarbeitung präziserer Begriffe von Kraft und Masse ist die Sachlage komplizierter geworden als zu Weigels Zeit, aber der Ablehnung der scholastischen Position stimmen auch heutige Leser zu. Vermutlich billigen sie dagegen nicht Weigels vernunfttheologische Begründung, die auf dessen Okkasionalismus vorausweist. Einige von Weigels Argumenten sind sehr allgemein: Gott, die unendliche und unbewegte Substanz, die alles Übrige im Sein, Werden und Tun erhält, ist Quelle und Ursprung von allem.50 Wir sind, leben und bewegen uns in ihm, denn jedem von uns ist er nahe.51 Die entsprechende Stelle aus der Apostelgeschichte52 wird damals zur Parole fast aller Okkasionalisten (»ist er nahe« kann für Schulphilosophen bedeuten: »ist er präsent«, aber »praesentia« ist seit Pierre d’Ailly und dem Speyrer Propst Gabriel Biel mit der Vorstellung von Gottes Wirken bei der Präsenz verbunden). Andere Äußerungen Weigels sind spezieller. Die sinnlich wahrnehmbare Materie ist von Natur aus träge und kann daher nichts anderes bewegen, denn nur der unbewegte Gott ist ein Beweger. Die neue Weigels erste Maßnahme zur Erneuerung des A ­ ristotelismus | 93

Physik bemüht sich sehr um die wissenschaftliche Behandlung der primären und ursprünglichen Eigenschaften von Körpern, aber nicht so oberflächlich wie die Scholastiker, die glauben, die Fähigkeit zur Verursachung von Bewegung und Ruhe liege im Wesen natürlicher Körper. Inzwischen erkennen Physiker die wunderbare Ordnung der Welt genauer. Sie zu erforschen, ist die Aufgabe der Phoronomie, des edelsten und tiefsten Teils der Physik, dessen Kern die Scholastiker nicht begriffen haben. Das beweist der unordentliche Aufbau ihrer Physikkurse.53 Damit hat Weigel zwar die Zuständigkeit der Physik auch für Artefakte nachgewiesen, aber noch nicht die Möglichkeit, immaterielle Vernunfterzeugnisse wie notionale und moralische Entitäten wie Etymologien und Preise und zu Gegenständen theoretischer Wissenschaften zu erheben. Hier entscheidet er sich erneut dafür, auf Aristoteles’ Annahme über das Nichteingebundensein bestimmter Eigenschaften zurückzugreifen. Alle Sachverhalte, bei denen einer der Terme notwendig mit etwas anderem zusammenhängt, können zu Gegenständen wissenschaftlicher Beweise werden. Allerdings steht bei moralischen und notionalen Entitäten der Ausdruck »notwendig« nicht wie in der Metaphysik und Mathematik für ›absolut notwendig‹ oder wie in der Physik und ihren Unterdisziplinen für ›real notwendig‹, sondern nur für ›impositiv notwendig‹ (aufgrund von göttlicher oder geschöpflicher Einsetzung notwendig). Trotzdem eignen sich viele Gegenstände moralischer und notionaler Disziplinen zu Gegenständen der Theorie, denn die Beschäftigung mit theoretisch notwendigen Sachverhalten ist immer eine Leistung der epistḗmē 54 – Weigel schwebt unter anderem eine Ethica demonstrativa vor.55

Weigels zweite Maßnahme zur Erneuerung des ­ ristotelismus: korpuskularistische Erklärungen A Beim zweiten Vorhaben Weigels, das seine Fakultät erzürnte, ging es um die Verwendung korpuskularistischer Erklärungen in der Physik. Der spezielle Teil der geplanten neuen Physik sollte die Phänomene unter Rückgriff auf Hypothesen Descartes’ und Gassendis korpuskularistisch erklären. Weigel ging dabei schonend vor, denn 94 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

er hielt an der aristotelischen Unterscheidung von vier Elementen fest und erklärte erst diese und nicht schon die Materie überhaupt methodo corpuscularistica; vielleicht versuchte er so, den Verdruss möglichst klein zu halten. Die Verwendung einer deklarativen Hypothese schloss ein, dass die Ergebnisse der Weigelschen speziellen Physik noch nicht bewiesen waren. Das war Weigel völlig klar. Konrad Moll bemerkt, 56 Weigel habe mit seiner Einteilung von allgemeiner und spezieller Physik implizit den wissenschaftlichen Rang der aristotelischen Physik bestimmt. Gleichzeitig zeigt er aber, dass man bislang auch in der modernen speziellen Physik nur selten zu etwas gelangt ist, das sich schon als Wissenschaft bezeichnen lässt. Was unter dieser Voraussetzung seine Akroasis physica zu würdigen lehrt, ist die geschichtliche Funktion der aristotelischen Physik. Sie ist nicht die moderne Physik, aber diese verdankt ihr fundamentale Begriffe wie »Ursache« und »Wirkung«, »Eigenschaft« und »Relation«, Verfahren wie Empirie, Induktion und Beweis und inhaltliche Anregungen zu weiterer Forschung, darunter Reizpositionen, die später dadurch fruchtbar wurden, dass sie bei Wissenschaftlern die Überzeugung bestärkten, es könne so nicht sein. Weigel würde, wenn diese Auslegung zutrifft, unter anderem daran erinnern, dass Aristoteles’ Vorarbeiten entscheidende Beiträge zur Entwicklung der mittelalterlichen muslimischen und neuzeitlichen Physik gewesen sind. Um die Verwendung cartesischer und gassendischer Hypothesen zu rechtfertigen, behauptet Weigel, dass sich Aristoteles bei der Verwendung fremder deklarativer Hypothesen nicht anders verhalten hat als moderne Neuerer. »Copernicus entlehnte seine Hypothese von Philolaos und den alten Pythagoreern und schmückte sie bloß ansehnlicher aus, und Gassendi übernahm die seine von Demokrit und den alten Epikureern, verfeinerte sie aber immerhin; den gleichen älteren Quellen pflichtete auch Aristoteles bei, freilich nicht in den Begründungen, aber wohl in der Sache.«57 Man muss auch weiterhin auf Aristoteles’ Fundamenten weiterbauen und tut gut daran, die Phänomene auf die von ihm entwickelten Prinzipien zurückzuführen, aber abgesehen davon muss man auch dafür sorgen, dass die Naturwissenschaft endlich zu praktisch verwendbaren Ergebnissen gelangt. Das entsprach einem europäischen Trend, der auf die Mechanisierung des Weltbilds hinauslief. Weigels KolWeigels zweite Maßnahme zur Erneuerung des ­Aristotelismus | 95

legen betraf dieser Vorschlag unmittelbarer als uns; sie empfanden ihn als Eingriff in ihre Fachkompetenz, als Zugriff eines Mathematikers auf Fächer, für die er nicht zuständig war. Die Chancen dafür, dass Weigel sich durchsetzen konnte, standen nicht hoch, und dazu trug die Fakultät ihr Bestes bei. Aber Weigel hatte das Glück, dass er sich zunächst auf den Schutz eines reformwilligen Fürsten verlassen konnte, der die Universität alimentierte. Es ist nicht abwegig, die hier skizzierten Geschehnisse als Weigels Versuch zur Ausweitung der Gedankenfreiheit in einem System traditioneller Legitimität zu verstehen. Das gelang allerdings erst mit obrigkeitlicher Nachhilfe, also auf ähnliche Weise wie wenig später die bürgerliche Befreiung in unserem Land, die sich zunächst unrevolutionär, nämlich kooperativ, und nicht selten auf obrigkeitliche Weisung hin vollzog. Das hat uns einiges Blut erspart. In den folgenden Generationen verlief die Entwicklung verhältnismäßig rasch. Schon Weigels Schüler Leibniz, der kein Universitätslehrer, aber, wie man heute sagt, ein einflussreicher Multiplikator war, durfte Aristoteles so auslegen, wie er es für richtig hielt, und Hambergers Schüler Christian Wolff, den sein König (allerdings nicht wegen seiner Aristotelesauslegung) von der Universität Halle entfernen ließ, konnte sich 1725 bei einer Auseinandersetzung mit pietistischen Gegnern auf die an deutschen Universitäten »heute zu Tage eingeführte Freyheit zu philosophiren« berufen, in modernerer Redeweise: auf die Freiheit der Wissenschaft.58 Auf die Frage, wie sich Weigels Wissenschaftsprogramm, das den Anspruch erhebt, aristotelisch zu sein, zu den Einwürfen seiner scholastischen Gegner verhält, lässt sich leichter eine Antwort geben als auf die Frage, wie es sich zum historischen Aristoteles verhält, denn nicht nur die Rekonstruktion des aristotelischen Denkens insgesamt, sondern auch die Interpretation seiner Wissenschaftstheorie ist umstritten. Eine Untersuchung über deren Verhältnis zu Weigels Ansätzen müsste sich möglichst auf Texte berufen. Weil ich weder mit aristotelischen Texten noch mit heutigen Wissenschaftstheorien vertraut genug bin, um hier eine fundierte Antwort zu geben, hat sich Wolfgang Detel, der manche Positionen Weigels mit Sicherheit ablehnen würde, freundlicherweise zu einer Stellungnahme bereiterklärt (s. den folgenden Abschnitt). Dafür bin ich ihm dankbar. Detels Beitrag verweist auf 96 | Das Erbe Aristoteles’ und Euklids

Beispiele dafür, dass Aristoteles Beweise führt, die ein Aristoteliker nach Meinung von Weigels Kritikern gar nicht führen dürfte, zum Beispiel Beweise zu sozialen, mechanischen und technischen Themen. Dadurch, dass es Weigel mit ähnlichen Beweisgegenständen versucht, verstößt er nach Meinung seiner Kritiker gegen Grundsätze der aristotelischen Überlieferung; er möchte ohnehin »die Philosophiae Peripateticae recepta dogmata impugniren, refutiren oder anstechen«. Traditionen überleben dadurch, dass sie sich immer wieder an neue Situationen anpassen; dabei können sie das Missgeschick erleiden, sich zu weit von den Intentionen ihres Stifters zu entfernen. Detel kommt in seinem Beitrag trotz klarer Vorbehalte zu dem Schluss, dass Weigels Versuch dem historischen Aristoteles nähersteht als die Einwürfe seiner Gegner. Weil Detel kein Weigelkenner ist, stützt er sich, was Weigel betrifft, primär auf meine Darstellung »Skizze der Wissenschaftslehre der Analysis aristotelica«, vor allem aber auf authentischere Zeugnisse, nämlich auf vier in dieser Sache maßgebliche Texte Weigels. Für Leser, die sich eingehender mit dem Thema beschäftigen möchten, gebe ich die lateinischen Texte mit deutscher Übersetzung wieder. Analysis aristotelica, prooemium § 14; 6 / B3, 20: Et ut tum temporis solos Geometras, ἀναλύειν, i. e. causas et principia Propositionum indagare, neque prius inquirendo desinere, quam ad primam causam et ultima ac immediata principia sit deventum, observavit, eaque ἀναλύσει profundissimam mathematum scientiam e Naturae penetralibus feliciter erutam intellexit Aristoteles, ipse ut idem, quae singularis fuit ejus sagacitas, obtineret in omnibus, facta mathematicarum rerum ἀναλύσει quasi physica, geometricam hanc ἀνάλυσιv penitius inspexit, atque ita ex speciali generalem, h. e. logicam effecit. Analysis aristotelica, prooemium § 14; 6 | B3, 20: Aristoteles beobachtete, dass damals nur die Geometriker analysierten, das heißt, nach den ersten Ursachen und Gründen ihrer Theoreme forschten und keine Ruhe gaben, bis sie zur ersten Ursache und zu den letzten und unmittelbaren Gründen gelangten; auch erkannte er, dass es ihnen durch diese Analysis glückte, aus dem Inneren der Natur tiefstes mathematisches Wissen ans Licht zu fördern. Um auch seinerseits mit seinem einzigartigen Spürsinn dasselbe für alle WissensgeWeigels zweite Maßnahme zur Erneuerung des ­Aristotelismus | 97

biete zu leisten, unterwarf er mathematische Objekte sozusagen einer physikalischen Analyse und verwandelte so die spezielle geometrische Analysis in eine allgemeine, nämlich eine logische. Analysis aristotelica s.  1, c.  4, § 17; 30 | B3, 45: Ante vero quam hinc abeamus, imprimis distinguendum monemus inter subjectum demonstrationis, h. e. enunciationem demonstran­ dam, quam veram, certam, necessariam et theoreticam esse necessum est vel maxime; et inter subjectum propositionis demonstrandae, quod, sive sua natura contingens sit, sive prorsus impossibile, sive secundum ordinarium naturae cursum necessario existat, sive absolute non possit non esse, sive item theoreticum sit sive practicum, modo habeat affectionem a se dum est, aut esse ponitur, necessario dependentem, et aliunde indubitato cognoscibilem, demonstrationis omnino particeps est, quod inter Hypotheses pluribus confirmatum ibimus. Nec enim arbitrandum est subjectum enunciationis demonstrandae, sicut ipsum effatum demonstrativum est, debere semper esse ultimato θεωρητόν, sic enim in practicis nulla esset conclusionum certitudo, nulla demonstratio, cujus tamen contrarium vel sola potest Ethica (sed realis, non vocabularia) docere. Analysis aristotelica s.  1, c.  4, § 17; 30 | B3, 45: Bevor ich weitergehe, weise ich insbesondere darauf hin, dass man zwischen dem Gegenstand eines Beweises, also der zu beweisenden Aussage, die im höchsten Maße wahr, gewiss, notwendig und theoretisch sein muss, und dem Subjekt des Urteils, das zum Beweis ansteht, unterscheiden muss. Mag dieses nämlich seiner Natur nach kontingent oder ganz unmöglich sein oder beim gewöhnlichen Verlauf der Natur notwendig existieren oder schlechthin nicht nichtexistieren können, und mag es theoretisch oder praktisch sein – wenn es irgendeine Relation oder Eigenschaft hat, die notwendig von ihm abhängt, falls es ist oder als seiend gesetzt wird, und wenn man das zweifelsfrei erkennen kann, dann ist es durchaus beweisbar, und das werde ich im Abschnitt über Hypothesen mehrmals beweisen. Auch darf man nicht meinen, das Subjekt der zu beweisenden Aussage müsse unbedingt so wie der von ihr ausgedrückte Sachverhalt zu den Stoffen der theoretischen Philosophie gehören, denn dann gäbe es für Schlussfolgerungen in der praktischen Philosophie weder Gewissheit noch Beweis; das Gegenteil davon kann aber schon die Ethik lehren (und zwar die wirkliche, nicht die, die bloß dem Namen nach eine Ethik ist).

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Analysis aristotelica s.  1, c.  4, § 18; 31 | B3; 45  f.: Nempe cum rerum non tantum in esse suo necessariarum, sed et contingentium, si ponantur, et ipsarum etiam operationum, sua sint attributa vel consecutiva necessaria, ut experientia rationali constat, perinde est, ex illarum an ex harum classe sit subjectum propositionis demonstrandae, modo suppetant principia, e quibus attributa subjectis suis necessario competere indubitato cognoscantur. Distinguendum autem hic est, inter operationis exercitium aut rei contingentis esse, et inter utriusque, si ponatur esse, necessarium attributum. Operationis exercitium in genere quidem liberorum agentium ex arbitrio dependet, nec propterea demonstratione confirmari potest, nec etiam quisquam sanorum est, qui demonstrationem ejus requirat (nemo siquidem Petrum syllogisare, eumve datorum trium terminorum tertium cum secundo multiplicare, et productum per primum dividere, demonstrabit). In genere vero naturalium saepius ipsum etiam demonstratur aut ex demonstratione subsumitur exercitium, ut: Solem oriri, Lunam pati eclipsin, aerem nostrum dato tempore illustrari seu lucere, ex situ Solis super Horizonte necessario. Esse tamen rei contingentis, quoniam non necessario cum suo supposito cohaeret, v. g. tegulam de tecto cadere, h. e. esse casum tegulae de tecto, nemo sanus, ut demonstretur, requiret unquam. Analysis aristotelica s.  1, c.  4, § 18; 31 | B3; 45  f.: Weil nicht nur notwendige, sondern auch kontingente Dinge, sofern man sie setzt, und ebenso deren Tätigkeiten stets notwendige Attribute oder Folgen haben, wie durch Vernunfterfahrung feststeht, ist es beim Beweis anstehender Aussagen ganz gleich, ob sie zu dieser oder jener Klasse von Subjekten gehören, wenn es nur Gründe gibt, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass ihnen die betreffenden Attribute notwendig zukommen. Man muss jedoch hier gegebenenfalls zwischen der Ausübung einer Tätigkeit beziehungsweise dem Sein eines kontingenten Dings, wenn man es als seiend setzt, und zwischen einem notwendigen Attribut der einen wie des anderen unterscheiden. Denn bei freien Agentien hängt die Ausübung gemeinhin vom freien Willen ab und kann infolgedessen nicht durch Beweis bestätigt werden: es wird ja auch niemand, der bei Sinnen ist, einen theoretischen Beweis dafür verlangen (niemand will ja wissenschaftlich beweisen, dass Peter ­einen Syllogismus aufstellt oder dass er den dritten von drei gegebenen Termen mit dem zweiten multipliziert und durch den ersten dividiert.) Dagegen wird bei der Gattung natürlicher [nichtfreier] Dinge öfters auch die Ausübung von Tätigkeiten bewiesen oder unter

Weigels zweite Maßnahme zur Erneuerung des ­Aristotelismus | 99

Berufung auf einen Beweis unterstellt, zum Beispiel, dass die Sonne aufgeht, dass eine Mondfinsternis bevorsteht, dass unsere Luft zu gegebener Zeit erhellt wird oder leuchtet, und zwar mit Notwendigkeit, denn die Sonne steht dann über dem Horizont. Analysis aristotelica s.  1, c.  4, § 21; 32 | B3, 46  f.: Summa. Igitur paucis: Quaecunque est enunciatio certa et necessaria, quae non per se sed aliunde indubitato cognosci potest, illa subjectum Demonstrationis idoneum consti[t]uit, sive de se practicum sit ejus subjectum, sive Theoreticum. Non enim in theoreticis solum, sed imprimis etiam in practicis rebus inter se eo latis suum certitudo locum habet et tuetur. Nec Theorematum tantum est necessitas, sed Problematum etiam et Canonum. Imo nullum ego Canonem, aut saltem spurium esse dixerim, cui sua non constet necessitas et certitudo, quod mecum omnes, qui canones suos pro verissimis venditant, scio, fatebuntur. Quod si certi sint canones, ut neccssario veri, neque tamen per se clari vel per experientiam constituti, ut multi sunt, demonstrationis beneficio certi erunt et necessarii, cum absque demonstratione nulla sit conclusionum certitudo, nulla indubitato cognita necessitas. Analysis aristotelica s.  1, c.  4, § 21; 32 | B3.1, 46  f.: Ergebnis. Kurzum: Jede gewisse und notwendige Aussage, die nicht durch sich selbst, sondern durch etwas anderes [zum Beispiel durch Prämissen] zweifelsfrei erkennbar ist, kann zum Gegenstand eines Beweises werden, mag auch ihr Subjekt als solches praktisch oder theoretisch sein. Denn nicht nur bei theoretischen, sondern besonders auch bei miteinander zu vergleichenden praktischen Dingen hat und behält Gewissheit ihren Platz. Nicht nur Theoreme können nämlich notwendig sein, sondern auch Aufgabenstellungen und Normen (canones). Daher möchte ich sagen, dass es außer den unechten keine Normen gibt, deren Notwendigkeit und Gewissheit nicht feststünde, und wie ich weiß, bekennen das sogar Leute, die ihre eigenen Normen als die wahrsten anpreisen. Wenn aber Normen gewiss sind, weil sie notwendig wahr, obgleich (wie ihrer viele) nicht unmittelbar einsehbar sind und auch nicht aufgrund von Erfahrung erlassen wurden, kann ihre Gewissheit nur auf Beweis beruhen, denn ohne Beweis gibt es bei Schlussfolgerungen keine Gewissheit und keine zweifelsfrei erkannte Notwendigkeit.

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6. Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie (Beitrag von Wolfgang Detel)

Aus der vorangehenden Darstellung des von Weigel vorgeschlagenen neo-aristotelischen Wissenschaftsprogramms geht unter anderem hervor, dass Weigel folgende Thesen vertritt: (1) Wissenschaftliche Argumente müssen als Beweise formuliert werden. (2) Beweise leiten aus Prämissen gewisse Konklusionen ab, und die Regeln dieser Ableitungen müssen einer formalen Logik entnommen werden. (3) Die einzig verfügbare formale Logik ist die aristotelische Syllogistik. (4) Prämissen und Konklusionen wissenschaftlicher Beweise müssen aus notwendigen Sätzen bestehen.1 (5) Die Thesen (1) – (4) gelten für die Mathematik, die einzige Wissenschaft, die durchgehend in beweisender Form argumentiert. (6) Doch die Thesen (1) – (4) treffen auch auf empirische Wissenschaften zu.2 (7) Insbesondere treffen die Thesen (1) – (4) auf die Mechanik zu. Ferner behauptet Weigel in historischer Hinsicht: (8) Aristoteles hat in seinen Analytica Posteriora zum Ausdruck gebracht, dass er sein eigenes Wissenschaftsprogramm an frühen Formen einer beweisenden Geometrie orientiert hat, die in der kurz nach Aristoteles’ Tod verfassten euklidischen Mathematik kulminierte. (9) Die Beweistechnik der Geometrie kann und sollte nach Aristoteles auch auf empirische Wissenschaften angewen-

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det werden, selbst wenn Aristoteles dies nicht explizit artikuliert hat. (10) Zu diesen empirischen Wissenschaften könnte auch die Mechanik gehören, selbst wenn Aristoteles dies nicht explizit artikuliert hat. Aufgrund von (8) – (10) war Weigel davon überzeugt, dass sein methodologisches Wissenschaftsprogramm (1) – (7) durch die Analytica posteriora des Aristoteles gedeckt ist. Er verstand seine eigenen Vorstellungen als Erneuerung des Aristotelismus. Im Folgenden soll geprüft werden, ob diese Überzeugung historisch korrekt ist. Wie auch immer diese Prüfung ausfallen mag, sie bezieht sich nicht auf die Vorzüge oder Nachteile des von Weigel entworfenen Wissenschaftsprogramms, sondern lediglich auf Weigels historischen Anspruch, dass sich sein eigenes Wissenschaftsprogramm auf die aristotelische Wissenschaftstheorie zurückführen lässt. Ein klassischer Beleg für die Orientierung der aristotelischen Wissenschaftstheorie an der axiomatisierten Geometrie sind Passagen, in denen Aristoteles drei verschiedene Arten von Prinzipien unterscheidet: (i) Hypothesen, die angeben, welche Dinge im Gegenstandsbereich einer Wissenschaft existieren, (ii) Definitionen, die bestimmte Dinge explizieren oder identifizieren, und (iii) Postulate, die gewisse evidente Voraussetzungen beschreiben, die für viele und nicht nur jeweils eine bestimmte Wissenschaft gelten.3 Ähnlich unterscheidet Euklid zu Beginn des ersten Buches seiner Elemente drei Arten von Prinzipien: (i)* Definitionen; (ii)* Postulate; (iii)* allgemeine Grundsätze. Allerdings sind Euklids allgemeine Grundsätze die Prinzipien, die Aristoteles Postulate nennt. Und Euklids Postulate sind nicht, wie die aristotelischen Hypothesen, basale Existenzannahmen, sondern grundlegende geometrische Konstruktionsanweisungen (wie etwa, dass wir zwischen zwei Punkten eine gerade Linie ziehen dürfen). Da allerdings in der euklidischen Geometrie jede Figur als existent gilt, die mit Zirkel 102 | Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie

und Lineal konstruiert werden kann, kommen Euklids Postulate geometrischen Existenzannahmen recht nahe. Es ist also vertretbar, (i) = (i)*, (iii) = (ii)* und (ii) = (iii)* zu setzen. Im Übrigen verwendet Aristoteles für seine wissenschaftstheoretischen Begriffe oft mathematische Beispiele. Die wichtigste antike Quelle für die Geschichte der Mathematik vor Euklid, der Kommentar des neuplatonischen Philosophen und Mathematikers Proklos (5. Jh. n. Chr.) zu Buch I der euklidischen Elemente, gibt keinen Aufschluss darüber, welche Art von Geometrie zu Aristoteles’ Lebzeiten im Umlauf war. Immerhin berichtet er, dass Hippokrates von Chios (spätes 5. Jh. v. Chr.) als erster Elemente der Geometrie verfasst hat, die wahrscheinlich zusammenhängende logische Beweise enthielten. Es ist daher auch wahrscheinlich, dass die Geometrie zwischen Hippokrates und Euklid sukzessive immer strikter organisiert wurde und um 350 v. Chr., als die Analytica Posteriora geschrieben wurden, bereits eine Art axiomatischer Organisation aufwies. Es gibt daher deutliche Indizien dafür, dass Weigels These (8) korrekt ist.4 Weigel hat – offenbar aufgrund seiner Thesen (5) und (8) – auch syllogistische Rekonstruktionen geometrischer Beweise vorgeschlagen. Das ist umso bemerkenswerter, als Euklid und viele andere mathematische Theorien Beweise führen, die zwar durchaus überzeugend sind, aber keine explizite Angabe der verwendeten logischen Schlussformen enthalten. In den Analytica Posteriora hat Aristoteles an vielen Stellen Beispiele für wissenschaftliche Beweise in syllogistischer Form angeführt. 5 Dabei betrachtet er wissenschaftliche Beweise allerdings als Erklärungen. Das heißt, wissenschaftliche Beweise sind nicht lediglich logisch gültige Syllogismen, sondern logisch gültige Syllogismen, die zusätzlich Ursachen angeben, die wir syllogistische Erklärungen nennen können. Angenommen zum Beispiel, ein wissenschaftlicher Beweis hat die Form eines der perfekten Syllogismen, nämlich AaB, BaC → AaC, dann wird dieser Beweis zu einer syllogistischen Erklärung, wenn zusätzlich gilt, dass BaC eine Ursache für AaC ist – und zwar eine der vier Ursachen, die Aristoteles unterschieden hat (eine formale oder materielle oder kinetische oder teleologische Ursache). Setzen wir zum Beispiel A = schwer sein, B = aus Bronze oder Stein bestehen, und C = Statue, von Wolfgang Detel | 103

so gilt: (i) Schwersein kommt allen Dingen zu, die aus Bronze oder Stein bestehen; (ii) aus Bronze oder Stein zu bestehen, kommt allen Statuen zu; → (iii) Schwersein kommt allen Statuen zu. Dieses Argument ist ein logisch gültiger Syllogismus und folglich ein Beweis, aber zusätzlich erklärt dieser Syllogismus, warum Statuen schwer sind: Die Ursache ist, dass Statuen aus Bronze oder Stein bestehen (wie Prämisse (ii) konstatiert), und diese Ursache ist in diesem Beispiel eine materielle Ursache. Prämisse (ii) erklärt Konklusion (iii), gesetzt die allgemeine Regularität (i) ist wahr. Wir könnten auf diese Weise auch wissenschaftlich erklären, warum einige Statuen schwer sind, wenn wir annehmen, dass einige Statuen aus Bronze bestehen: (i)* Schwersein kommt allen Dingen zu, die aus Bronze bestehen; (ii)* aus Bronze zu bestehen, kommt einigen Statuen zu; → (iii)* Schwersein kommt einigen Statuen zu. Die Erklärung (i)*, (ii)* → (iii)* hat die Form des perfekten Syllogismus AaB, BiC → AiC und ist natürlich schwächer als die Erklärung (i), (ii) → (iii), welche die Form des perfekten Syllogismus AaB, BaC → AaC hat, aber auch die schwächere Erklärung ist methodologisch betrachtet tadellos. In den Analytica Posteriora gibt es an einer Stelle eine Skizze, die einen mathematischen Beweis in syllogistischer Form umreißt (der Beweis, dass der Winkel im Halbkreis ein rechter Winkel ist). 6 Mathematische Beweise verweisen nach Aristoteles auf formale Ursachen. Im Übrigen führt er in den Analytica Posteriora für seine wissenschaftstheoretischen Überlegungen des Öfteren mathematische Beispiele an, jedoch ohne spezifische mathematische Beweise syllogistisch zu rekonstruieren.7 Damit wird Weigels These (8) zusätzlich gestützt. Aber es gibt in den Analytica Posteriora auch viele Beispiele für syllogistische Erklärungen, die auf andere Ursachen verweisen und nicht aus der Mathematik stammen, und fast alle diese Beispiele werden bemerkenswerterweise explizit syllogistisch formalisiert. Eine syllogistische Erklärung zum Beispiel, die auf eine materielle Ursache verweist, bezieht sich auf das Gefrieren von Wasser: Warum wird Wasser (= C) hart bzw. zu Eis (= A)? Weil das Warme gänzlich ausbleibt (= B): AaB, BaC → AaC. 8 Mehrmals präsentiert Aristoteles eine syllogistische Erklärung, die auf eine kinetische Ursache (einen Bewegungsursprung) verweist: Der Mond (= C) ist manchmal verfinstert (= A), weil, erstens, wann 104 | Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie

immer die Erde zwischen einen nicht-leuchtenden Stern und die Sonne tritt (= B), dieser Stern verfinstert ist und weil, zweitens, die Erde manchmal zwischen den Mond und die Sonne tritt: AaB, BiC → AiC.9 Interessant ist eine Passage aus An.Post.  1 13: Wiederum, wie sie vom Mond beweisen, dass er kugelförmig ist, durch die Zunahmen – wenn nämlich das so Zunehmende kugelförmig ist, der Mond aber zunimmt, so ist einleuchtend, dass er kugelförmig ist –, so ist auf diese Weise nun die Deduktion des Dass entstanden, wenn dagegen der Mittelbegriff umgekehrt festgesetzt ist, die des Weshalb. Denn nicht aufgrund der Zunahmen ist er kugelförmig, sondern aufgrund des Kugelförmig-Seins nimmt er derartige Zunahmen an – Mond C, kugelförmig B, Zunahme A.10

Man kann also beweisen, dass der Mond (= C) kugelförmig (= B) ist, weil er bestimmte Zunahmen aufweist (= A): BaA, AaC → BaC. Aber die Zunahmen sind nicht die Ursache der Kugelförmigkeit – es liegt keine kinetische Ursache vor. Vielmehr ist die Kugelförmigkeit eine formale Ursache für die Zunahmen: AaB, BaC → AaC. Tatsächlich ist BaC die formale Ursache für AaC. Derselbe Fall liegt in Hinsicht auf nicht-funkelnde Planeten vor. Das Nicht-Funkeln (= A) kommt allen leuchtenden Dingen zu, die nahe sind (= B); und zu leuchten sowie nahe zu sein kommt allen Planeten (= C) zu; es gilt dann AaB, BaC → AaC, also ist bewiesen, dass das NichtFunkeln den Planeten zukommt, und die Ursache dafür ist BaC, also dass das Leuchten und Nahe-Sein allen Planeten zukommt. Es gilt aber auch BaA, also das Leuchten und Nahe-Sein kommt allen nicht-funkelnden Dingen zu; es gilt dann BaA, AaC → BaC, und damit ist bewiesen, dass die Planeten leuchten und nahe sind. Doch der »Mittelbegriff« A, genauer AaC (also dass das Nicht-Funkeln den Planeten zukommt), verweist nicht auf eine Ursache.11 Ein anderer interessanter Fall, den Aristoteles beschreibt, betrifft die Möglichkeit, ein Faktum auf zwei verschiedene Weisen zu beweisen und zu erklären. Folgendes Beispiel wird herangezogen: A = sich ändern, D = sich bewegen, B = Lust empfinden, G = zur Ruhe kommen. Es ist zu beweisen, dass das Sich-Ändern jeder Lustempfindung zukommt (AaB). Zum einen kann das dadurch bewiesen werden, dass das Sich-Ändern jeder Bewegung und die Bewegung jeder Lustempfindung zukommt (AaD, DaB → AaB), von Wolfgang Detel | 105

oder dadurch, dass das Sich-Ändern der Beruhigung und die Beruhigung jeder Lustempfindung zukommt (AaG, GaB → AaB).12 Aristoteles beschreibt auch teleologische Erklärungen in syllogistischer Form: Warum gehen wir nach dem Essen spazieren? Weil wir gesund bleiben, wenn wir nach dem Essen spazieren gehen, und dies deshalb, weil der Spaziergang das Verdauen von Nahrung fördert und diese wiederum gesund für uns ist.13 Für die syllogistische Rekonstruktion legt Aristoteles fest: Spaziergang nach dem Essen C, dass die Speisen nicht unverdaut bleiben B, das Gesundbleiben A. Das Ziel ist A, aber dieses Ziel wird nur erreicht, wenn B gilt, und B wird nur erreicht, wenn C gilt. Man kann nun logisch die allgemeine Formel XaY so beschreiben, dass Y nur auf eine Sache S zutrifft, wenn X auf S zutrifft. Zum Beispiel gilt sterblich a Mensch (sterblich zu sein trifft auf alle Menschen zu), und das heißt auch: Mensch trifft auf etwas zu nur dann, wenn auch sterblich darauf zutrifft. Für das Beispiel mit dem Spazierengehen heißt das: Wir wollen erklären, warum Gesundbleiben als Ziel nur dann erreicht wird, wenn wir nach dem Essen spazieren gehen, das heißt, warum AaC gilt. Die Erklärung lautet: weil Gesundbleiben nur dann erreicht wird, wenn die Speisen nicht unverdaut bleiben (= BaC), und weil die Speisen nur dann nicht unverdaut bleiben, wenn wir nach dem Essen spazieren gehen (= AaB). Diese Erklärung hat also die syllogistische Form AaB, BaC → AaC und ist logisch gültig. Dabei müssen wir aber davon ausgehen, dass ein Ding, sagen wir d, die Ereigniskette C(d), B(d), A(d) durchläuft, dass ferner A(d) das Ziel dieser Ereigniskette ist und dass C(d) und B(d) notwendige Bedingungen dafür sind, das Ziel A(d) zu erreichen. Die teleologische Erklärung dafür, dass C(d) notwendig für Ziel A(d) ist, lautet dann, dass B(d) notwendig für A(d) und C(d) notwendig für B(d) sind. Und daran wird deutlich, was Aristoteles unter einer teleologischen Erklärung versteht. Ein Zustand ist teleologisch erklärt, wenn sich zeigen lässt, dass er ein notwendiger Bestandteil eines zielgerichteten Prozesses ist. Und diese Erklärung hat die Form eines syllogistischen Beweises. Diese Art der teleologischen Erklärung impliziert keineswegs, dass das Ziel eine gegen den Zeitpfeil gerichtete wirkende Ursache ist und somit nur als physikalischer Unsinn eingestuft werden kann, wie viele neuzeitliche Kritiker behauptet haben. Die teleologische Be106 | Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie

weis- und Erklärungsform, wie Aristoteles sie konzipiert, enthält vielmehr keinerlei Probleme.14 In den Analytica Posteriora werden eine Reihe weiterer empirischer Phänomene genannt, die syllogistisch erklärt werden können. Dabei deutet Aristoteles selbst stets an, wie die Formalisierung vor sich gehen soll (was ist das A, das B, das C): das schnelle Ausbreiten des Feuers,15 die Sonnenfinsternis,16 die Beleuchtung des Mondes durch die Sonne,17 das Harmonieren des Hohen und Tiefen in der Musik,18 Donner (als Geräusch in den Wolken),19 der Kreislauf feuchte Erde → Dunst → Wolken → Regen → feuchte Erde  …, 20 der Vormagen und die Hörner gewisser Tiere, 21 doppelte Zahnreihen gewisser Tiere (ibid.), das Echo, der Spiegel, der Regenbogen und das Anschwellen des Nils, 22 breite Blätter gewisser Pflanzen, das Abwerfen von Blättern, 23 aber auch: dass jemand seine Schulden bezahlt, 24 dass jemand mit Reichen spricht, dass Freundschaften entstehen 25 und dass der Persische Krieg ausbrach.26 Vergleicht man die Anzahl der Stellen, an denen auf mathematische Beweise und in denen auf naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Beweise angespielt wird, so sind die naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Beispiele bei weitem in der Überzahl. Dem entspricht es, dass im letzten Kapitel II 19 der Analytica Posteriora ein Weg zur Etablierung wissenschaftlicher Prinzipien beschrieben wird, der auf Wahrnehmung, Induktion und Gedächtnis beruht, also eindeutig empiristisch orientiert ist.27 Ist also Weigels oben genannte These (9), die so zentral für sein eigenes Wissenschaftsprogramm ist, korrekt? Allerdings, das steht außer Frage. Insbesondere gilt diese These auch für syllogistische Erklärungen von Phänomenen im sozialen Bereich (wie von Weigel gefordert). Und dieser Befund beruht keineswegs auf einer raffinierten professionellen Interpretation der Analytica Posteriora, die kontrovers diskutiert werden kann. Vielmehr stehen die genannten Beispiele zweifelsfrei im Text, man muss – wie offenbar Weigel (aus heutiger Sicht sehr zu Recht) ausdrücklich betont hat – einfach nur hinschauen. Wie steht es mit der Mechanik? Im Corpus Aristotelicum ist bekanntlich die Schrift Mechanische Probleme überliefert. Vieles spricht dafür, dass diese Schrift nicht, wie lange Zeit angenommen, von einem Autor des 3. Jh. v. Chr. verfasst wurde (zum Beispiel wird von Wolfgang Detel | 107

oft Strato genannt, Schulhaupt des Peripatos von 288–260), sondern erheblich früher. Eine neuere Studie schreibt die Mechanischen Probleme Aristoteles selbst zu, allerdings ohne jede historische Begründung.28 Der Inhalt der Schrift spricht gegen diesen Vorschlag, denn es handelt sich um ein frühes, erstklassiges Beispiel der mathematischen Physik mit zum Teil genialen physikalischen Einsichten und rigorosen mathematischen Beweisen im Stil von Archimedes, der wohl als Erster das Projekt der mathematischen Physik explizit artikuliert, voll erfasst und sorgfältig durchgeführt hat (tragischerweise hat für lange Zeit niemand nach ihm dieses Projekt verstanden, so dass es viel später von Galilei wiederentdeckt werden musste). Von Logik und Syllogismen ist an keiner Stelle dieser Schrift auch nur ansatzweise die Rede. Im Vorwort zu einer neuen englischen Übersetzung der Mechanischen Probleme argumentiert der Autor überzeugend dafür, einen Zeitgenossen Platons, der starb, als Aristoteles die Analytica Posteriora schrieb, als Verfasser der Mechanischen Probleme anzusehen: Archytas von Tarent.29 In den Analytica Posteriora gibt es – auf weitaus niedrigerem Niveau – immerhin drei Beispiele, in denen Aristoteles das Entstehen und den Bau von Artefakten in Gestalt syllogistischer Beweise traktiert. So bemerkt Aristoteles, dass der Bau von Häusern teleologisch erklärt werden kann – auf syllogistische Weise, wie oben erläutert. Als Ziel nennt Aristoteles das Aufbewahren von Geräten.30 An anderer Stelle wird das Entstehen eines Hauses dagegen durch Verweis auf seine materiellen Bedingungen erklärt. Diese Erklärung läuft auf wichtige technische Schritte des Bauens von Häusern hinaus, und dies wird jeweils, wie Aristoteles sagt, »durch den Mittelbegriff bewiesen«. Es soll erklärt werden, warum, wenn ein Haus gebaut worden ist, dafür Steine geschnitten werden mussten. Erklärung: Wenn ein Haus gebaut wird, so muss ein Fundament gebaut werden. Und wenn dies der Fall ist, so müssen Steine geschnitten werden. Syllogistische Rekonstruktion: Hausbau = A, Fundament bauen = B (der erklärende Mittelbegriff), Steine schneiden = C; dann gilt: AaB, BaC → AaC. 31 Tatsächlich kann man sagen, dass diese Erklärung sowohl materiell als auch teleologisch ist. Es handelt sich um eine teleologische Reihe von Ereignissen, aber zugleich stellen diese Ereignisse materielle Aktivitäten dar. Diese Ereignisse stehen zugleich in einer zeitlichen Ordnung, derart dass das Ziel zuletzt kommt. 108 | Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie

Auch diskutiert Aristoteles kurz den Bau von Laternen. 32 Interessanterweise weist er hier explizit darauf hin, dass in diesem Fall sowohl eine teleologische als auch eine formal-materielle Erklärung möglich ist. Als Ziel für eine teleologische Erklärung gibt er an, dass wir nicht ins Straucheln kommen. Andererseits tritt auch »aus Notwendigkeit das Ding mit den feineren Teilen durch die größeren Poren« (sc. der Laterne). Weil Licht Teile hat, deren Durchmesser kleiner ist als die Poren der Laterne, kann das Licht durch diese Poren gelangen, und die Laterne vermag zu leuchten. Eine syllogistische Konstruktion dieses Arguments liegt nahe: Setzen wir A = von materiellem Objekt mit Löchern vom Durchmesser d* durchgelassen, B = Teilchen vom Durchmesser d mit d < d*, C = Lichtteilchen, D = von Laterne mit Poren vom Durchmesser d* durchgelassen, so gilt: (i) AaB, (ii) BaC → (iii) AaC; ferner (iv) DaA, und (iii), (iv) → DaC, und DaC bedeutet gerade, dass Lichtteilchen von Laternen mit Poren vom Durchmesser d* durchgelassen werden. Also dass Laternen leuchten – u. a., damit wir, wie wir schon aus der teleologischen Erklärung wissen, nicht straucheln. Tatsächlich stellt Aristoteles diese Mischung von teleologischer und materieller syllogistischer Erklärung als generelle Form der Erklärung des Entstehens von Dingen oder Ereignissen in Gestalt einer Ereigniskette dar, deren letztes Glied meist ein Ziel ist: D erfordert C, und C erfordert A, und daher erfordert D auch A (DaC, CaA → DaC, wobei CaA hier die Ursache von DaC und D das Ziel ist. 33 Das Hausbeispiel schließt unmittelbar an diese allgemeine Erläuterung an. Das bedeutet: Aristoteles liefert eine Blaupause für alle syllogistischen Erklärungen von Prozessen, die das Bauen ­eines Artefakts darstellen. Aristoteles hält es also, soweit es die Analytica Posteriora betrifft, für durchaus möglich, das Entstehen von Artefakten syllogistisch zu beweisen und zu erklären. Die drei Einzelbelege sowie die allgemeine Blaupause stehen zweifelsfrei im Text, und es gibt nicht den Hauch einer Andeutung, dass Artefakte aus diesem Beweisverfahren herausfallen. Weigel steht also mit seiner These (10) sehr viel besser da als seine entrüsteten zeitgenössischen Kritiker. Wir dürfen im Übrigen nicht übersehen, dass Weigels Thesen (1) – (3) und (5) weder trivial noch selbstverständlich sind. Sie besagen ja, dass mathematische Beweise zwar nicht explizit auf lovon Wolfgang Detel | 109

gisch gültige Schlussformen zurückgreifen, dass sie aber implizit auf ihnen beruhen. Dies gilt nicht nur nach Weigels Auffassung, und auch nicht nur nach Auffassung von Aristoteles, sondern es gilt bis jetzt. Bis zu diesem Tag studiert man jedoch gewöhnlich Mathematik, liest mathematische Lehrbücher, in denen sich Beweis an Beweis reiht, und versucht sich auch selbst an der Konstruktion von Beweisen, ohne jemals auf logische Schlussregeln zu stoßen, und doch steht fest, dass mathematische Beweise stets auf einer formalen Logik beruhen. Und wenn es unterschiedliche formale Logiken gibt, kann dies die mathematische Beweistechnik sehr wohl tangieren. Zum Beispiel sind indirekte Beweise in der Mathematik sehr beliebt (auch Aristoteles verwendete sie schon). Indirekte Beweise beruhen auf dem logischen Schluss nicht-nichtp → p (für alle Sätze p). Aber dieser Schluss ist äquivalent mit dem logischen Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten: p oder nicht-p (für alle Sätze p). Nun gibt es aber starke Gründe für die Annahme, dass das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten nicht für jeden Satz gilt. Sollte dies richtig sein, so dürfte die Mathematik nicht mehr indirekt beweisen. Weigels Thesen (1) – (3) und (5) sind also ebenfalls korrekt, und konsequenterweise hat er sich bemüht, die logische Struktur mathematischer Beweise auf der Grundlage der Syllogistik herauszuarbeiten. Das ist in jedem Fall äußerst mühsam, wenn nicht sogar unmöglich. Denn zwar ist die aristotelische Syllogistik aus heutiger Sicht eine einstellige Quantorenlogik und als solche ohne Fehl und Tadel, aber viele mathematische Termini sind zwei- oder mehrstellige Begriffe (wie etwa »x < y«), die nur von der heute verfügbaren mehrstelligen Quantorenlogik erfasst werden können. Außerdem braucht man auch die Aussagenlogik (zum Beispiel heutzutage für die Fundierung der Mengenlehre), die wohl von dem Stoiker Chrysipp als formale Logik entwickelt wurde, aber leider nicht überliefert worden ist. Einzig Weigels These (4) trifft nicht auf jede Auslegung der aristotelischen Wissenschaftstheorie zu, stimmt allerdings durchaus mit einer einflussreichen Lesart der Analytica Posteriora überein. Vieles hängt in diesem Kontext davon ab, welcher Begriff von Notwendigkeit im Spiel ist. Die oben angeführten Zitate scheinen anzudeuten, dass Weigel von einem epistemologischen Notwenigkeitsbegriff ausgeht: Thesen sind notwendig, wenn sie unbezwei110 | Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie

felbar und damit notwendigerweise wahr sind. Die – oft fundamentalistisch genannte – Vision, dass Wissenschaft das Ziel hat, infallibles Wissen zu produzieren, ist in der europäischen Tradition des Denkens weit verbreitet. Im Mittelalter meinten einflussreiche Kommentatoren, diese Auffassung in den Analytica Posteriora entdecken zu können, und haben sie auf diese Weise durch die Autorität des Aristoteles begründet, so etwa Johannes Philoponus, Boethius, Johannes von Salisbury und Boethius a Dacia. In der Frühmoderne haben zum Teil gerade jene Denker, die maßgeblich zum Sturz der aristotelischen Philosophie beigetragen und insbesondere auch die Verwendung der Syllogistik in der Wissenschaft abgelehnt haben, die fundamentalistische Wissenschaftskonzeption ausdrücklich propagiert, zum Beispiel Thomas Hobbes, Blaise Pascal und vor allem René Descartes, der diese Konzeption in der ersten und dritten Regula ad directionem ingenii sowie in seinem Schreiben an Picot, den Übersetzer der Principia Philosophiae, besonders pointiert formuliert. Im 20. Jahrhundert haben auch führende Aristoteles-Experten der fundamentalistischen Lesart der Analytica Posteriora zugestimmt, so zunächst Eduard Zeller, Friedrich Ueberweg und Heinrich Scholz, 34 später Lloyd, Guthrie, Düring und Irwin.35 Weigel befindet sich mit seiner These (4) also in bester Gesellschaft. Aristoteles war kein Skeptiker. Vielmehr ging er davon aus, dass ausgebildete Wissenschaftler durchaus in der Lage sind, Wahrheiten zu ermitteln. Doch zugleich lassen einige Bemerkungen aufhorchen. Zum Beispiel betont Aristoteles, dass es oft schwer ist zu erkennen, ob wir etwas wissen, 36 und dass unsere Vernunft auf wissenschaftliche Prinzipien blickt wie die Fledermaus auf Dinge am hellichten Tag.37 Er weist darauf hin, dass empirische Allsätze der Form AaB (»Das A kommt allen B’s zu«, also: »Alle B’s sind A«) nur so lange als wahr angesehen werden dürfen, als kein B bekannt wird, das kein A ist. Diese Fallibilität gilt auch für wissenschaftliche Prinzipien empirischer Wissenschaften in Form von Definitionen der Form A := B, weil diese Definitionen die empirischen Allsätze AaB und BaA implizieren. Tatsächlich erwähnt Aristoteles, dass die Entdeckung neuer Fakten dazu zwingen kann, postulierte Prinzipien zu verändern. 38 Er diskutiert den »Irrtum, der durch Deduktion zustande kommt«, 39 der dann eintritt, wenn von Wolfgang Detel | 111

ein syllogistischer Beweis etwa der Form AaB, BaC → AaC postuliert wird und sich die Konklusion als falsch erweist, weil sie mit akzeptierten und als wahr begründeten allgemeinen Sätzen, also hier mit AeC (das A kommt keinem C zu) unvereinbar sind, so dass aus logischen Gründen mindestens eine der Prämissen falsch sein muss.40 Und er zählt weitere Fehler auf, die in der Wissenschaft oft vorkommen: zirkuläre Beweise; unwissenschaftliche Fragen; Beweise, welche die Grenzen des spezifischen Gegenstandsbereichs der betreffenden Wissenschaft übertreten; mangelnde Berufung auf Wahrnehmungen; Verzicht auf Induktionen; Verwendung der platonischen Methode der Begriffsteilung, um Definitionen zu finden; die Meinung, dass es zu jedem erklärbaren Faktum eine und nur eine angemessene syllogistische Erklärung gibt.41 Aristoteles scheint also davon auszugehen, dass die wissenschaftliche Aktivität zwar bemüht sein sollte, unbezweifelbares, notwendigerweise wahres Wissen zu etablieren, jedoch zu jedem Zeitpunkt konkreter Forschung selten sicher sein kann, dass die vorgeschlagenen Beweise unbezweifelbares Wissen garantieren. In An. Post. I4 und I6 diskutiert Aristoteles allerdings auch den Fall, dass wir die syllogistischen Sätze von Beweisen modal qualifizieren – in der Form »es ist notwendig (möglich, kontingent), dass p« (für bestimme Sätze p). Die Deutung dieser Passagen ist umstritten, zumal Aristoteles drei Arten von Notwendigkeit unterscheidet, epistemologische Notwendigkeit, logische Notwendigkeit von Konklusionen syllogistischer Beweise (falls die Prämissen wahr sind) und metaphysische Notwendigkeit (wenn »essentielle« Definitionen etabliert werden können, die eine Identität von Definiens und Definiendum postulieren). Die metaphysische Notwendigkeit ist jedoch in den empirischen Wissenschaften eine bedingte Notwendigkeit. Denn wie bereits bemerkt, involvieren Definitionen empirische Allsätze, die sich als falsch erweisen könnten. Daher kann man sagen, dass Definitionen, wenn sie überhaupt wahr sind, auch notwendigerweise wahr sind. 42 In jedem Fall präsentiert Aristoteles in den Analytica Priora sowohl eine assertorische Syllogistik als auch eine modale Syllogistik. In allen Beispielen für Beweise und Erklärungen in den empirischen Wissenschaften benutzt er jedoch die assertorische Syllogistik und skizziert Beweise, deren syllogistische Sätze nicht modal qualifi112 | Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie

ziert sind. Daher gibt es starke Gründe für Vorbehalte gegenüber Weigels These (4). Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass Weigel sich mit seinem methodologischen Wissenschaftsprogramm durchaus zu Recht auf die Analytica Posteriora berufen hat.

von Wolfgang Detel | 113

7. Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge Materie und Form Wie Weigel bei seinem Versuch vorgeht, die Aristoteles-Überlieferung im Blick auf moderne Erkenntnisse umzugestalten, kann man sich an seiner Lehre von der Konstitution der Dinge klarmachen. Nach Meinung peripatetischer Philosophen beginnt die Existenz von Dingen damit, dass Materie mit einer Form vereinigt wird. Materie ist ein passives und gestaltbares Prinzip, und die Form als formendes Prinzip ist die Kraft, ungestaltete Materie spezifisch zu gestalten. Die Form bestimmt, welche Qualitäten einem Ding zukommen, und ist das bewegende Prinzip bei dessen örtlichen Bewegungen und inneren Veränderungen (auch diese gelten bei Peripatetikern als Bewegungen: »innere Bewegungen«). Aristoteles versteht die Form als Entelechie (ἐντελέχεια, Ziel-in-sich-Habung), als wirkendes Prinzip, das nicht nur das Vermögen zu wirken, sondern auch das Ziel seines Wirkens in sich trägt und den Körper von innen her gestaltet. Sie verfügt über den Organisationsplan und ist das organisierende Prinzip. Demgegenüber ist die Materie, für sich genommen, nicht mehr als die noch unerfüllte Möglichkeit, zu einer Art bestimmt zu werden.1 Die Bestimmung zu einer Art beschreiben Peripatetiker so: Das Agens führt eine Form in die Materie ein.2 Heute würde man eher sagen, dass das Agens die Materie in eine Form bringt; dieser traditionellen Vorstellung entspricht der noch übliche Ausdruck »der Materie eine Form geben«. Weil aber die Form dem Körper nicht übergestülpt wird, kann sie nicht einfach von außen her zu ihm hinzukommen, sondern sie wird aus seiner Materie herausgearbeitet (educitur); man stellt aus Holz eine Statue her, indem man an ihm die Form einer Statue freilegt.3 Die Schulphilosophie unterschied unter Berufung auf Aristoteles zwischen Erster und Zweiter Materie; diese Ausdrücke wurden von verschiedenen Autoren verschieden expliziert. Nach Weigels 114

Deutung bezeichnet man als Erste Materie den noch ganz unbestimmten und unabgegrenzten Begriff einer ausgedehnten Substanz ohne die Konnotation einer Gattung, also etwas, das gegebenenfalls zum Exemplar einer Gattung werden kann.4 Das biblische Gegenstück zur Ersten Materie findet Weigel im biblischen Chaos (Genesis 1, 2: ‫תהו ובהו‬, tohu wabohu), das Gott am ersten Schöpfungstag als wüste und leere Erde erschuf. Dass die Erde wüst und leer war, bedeutet für Weigel, dass sie noch ohne jede Form war. Bei ihrer Erschaffung schwebte Gott nicht das reine Nichts vor, sondern ein qualitativ noch unbestimmter Träger möglicher Eigen­ schaften5 – etwas Mögliches, das bei der Bestimmung zu einer Gattung gegebenenfalls zu einem Sinneswesen oder einem Stein wird. Wenn Gott es danach noch etwas bestimmter denkt, nämlich spezifisch, wird es vielleicht zu einem Elch oder Feuerstein. Aber das ist nicht mehr Erschaffung aus Nichts, sondern Fortgestaltung ­eines Materials, das seit dem ersten Schöpfungstag schon da war – er formt Tohuwabohu-Erstmaterie zu Weigelscher Zweitmaterie um, die man heute kürzer als Material bezeichnet. Das biblische Buch Genesis behandelt diesen Vorgang auf seine Art im Bericht über Gottes Tätigkeiten am zweiten bis sechsten Schöpfungstag. Bei der Zweitmaterie kann man noch entfernte und unmittelbare Zweitmaterie unterscheiden. Sofern man Erde, Schlamm, Wasser und Ausdünstungen (evaporationes) noch ohne die Form eines Steins betrachtet, bilden sie die entferntere Zweitmaterie des Steins: »Dies hier ist Wasser, Erde, Schlamm und Ausdünstung.« Von nächster Zweitmaterie spricht Weigel dagegen, wenn die genannten Komponenten schon als das betrachtet werden, was den betreffenden Stein zusammensetzt, also als sein Material, seine Bestandteile – er besteht aus den vier genannten schon existierenden Stoffen, die so vermischt und umgeformt wurden, dass sie am Ende dem Begriff und dem Namen des betreffenden Körpers entsprachen:6 »Dieser Stein besteht aus Wasser, Erde, Schlamm und Ausdünstungen.« Der Begriff eines materialen Prinzips ermöglicht eine knappe Antwort auf die Frage, ob da etwas ist: »Ja, irgendetwas«. Der Begriff der Form oder des Wesens ermöglicht eine Antwort auf die Frage »Was für ein Etwas?«: »Ein so und so beschaffenes Etwas«.7 »Wenn ein Wesen würcklich wird und existirt / so ist es alsdenn erst im Werk und in der That ein rechtes Wesen; ehe es aber würcklich wird Materie und Form | 115

/ und ehe es existirt / so ist es nichts / ob man gleich daran denckt. Und also muß die Wirklichkeit und Existenz das Wesen (wenn es nicht gar nichts sein soll) erst auf die Bahne bringen / mit sich auf den Rücken führen / und darstellen in der Welt / so ist es alsdenn was / und zwar dasjenige / was sein Name zeiget / da es sonst ein blosser leerer Namen und ein Denck-Bild ist vom Ding in unserem Gemüth.«8 Die Existenz, will Weigel mitteilen, nimmt das Wesen sozusagen huckepack und wirft es als etwas Wirkliches in die Welt. In professionellerer Formulierung beschreiben Weigels Kollegen das so: Ein Agens führt eine Form in eine geeignete Zweitmaterie ein, und beide wachsen zusammen. Durch beider Zusammenwachsen (concrescere) tritt ein konkretes (concretum), ein aus Materie und Form zusammengewachsenes Ding, in die Existenz.9 Dabei fungiert die Materie als Substrat, als Arbeitsplatz für die Form; sobald das Agens diese der Form aufprägt, existiert das Ding. Man sagt, dass die Existenz der letzte Begriff eines Dings ist; in ihr ist es wirklich geworden, befindet es sich in der Realität.10 Weigel bezeichnet diesen Vorgang so, wie es üblich ist, als »exsistere« im Sinn von »heraustreten«. Gewöhnlich deuten Autoren das als »heraustreten aus den Ursachen«, während es Weigel eher als »heraustreten aus dem Bereich des bloß Möglichen« interpretiert. Ein Wesen ist als solches nur etwas Gedachtes, und zwar zunächst etwas von Gott Gedachtes; durch die Existenz wird es zu etwas Wirklichem. Der Gedanke, dass Dinge durch das Zusammenwachsen einer Materie mit einer Form zu etwas Konkretem werden, wurde vielfältig interpretiert. Alle Dinge werden durch ein materiales11 und ein formales Prinzip konstituiert, und das formale Prinzip wird unter dem Aspekt, dass es für die Artbestimmungen eines Dings verantwortlich ist, als Natur oder Wesen bezeichnet. Das materiale Prinzip, den Grund der Zuschreibung von etwas zu einer Gattung, bezeichnet Weigel als Substanz (Substrat) der Form, also als das, dem die spezifischen Bestimmungen beigebracht werden. Wenn diese Substanz von der Form ihre Eigenschaften und Relationen bekommen hat, bezeichnet Weigel sie so, wie es damals üblich war, als Subjekt. Ein Subjekt (Unterliegendes, niederländisch damals: »onerwerp«) ist alles, was über Modi und Relationen verfügt, zum Beispiel über Größe, Farbe, Gedanken und Nachbarschaften.12 Diese weite Bedeutung ist heute nicht mehr gebräuchlich. Man 116 | Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge

verwendet »Subjekt« inzwischen in einem viel engeren Sinn, denn etwa zu Weigels Zeit trat das menschliche Bewusstsein ins Zentrum der philosophischen Aufmerksamkeit. Man interpretierte dessen Gedanken und freie Willensakte als seine Modi und die bewusste Vernunft, die diese Modi hatte, als »das Subjekt«. Bei der Lehre von Materie und Form handelt es sich um eine denominative Hypothese. Weigel will aber von der denominativen Erkenntnisstufe zur ästimativen Stufe aufsteigen und die frühere Stufe aus der Distanz betrachten. Kennzeichnend ist, dass er sie nicht verwirft; sie ist ein Teil des Weges, den der Verstand zu gehen hat. Bei den geschilderten Funktionen von Materie, Form und Agens handelt es sich um Konstruktionen des Verstandes, nämlich um Versuche zu begreifen, wie Dinge entstehen. Weder das materiale noch das formale Prinzip ist wirklich, beide sind nur Begriffe, die der Verstand in Analogie zur allgemeinen Erfahrung bildet: Dinge sind nicht einfach da, sondern jedes Ding ist auf seine besondere Weise da – als dieser Baum oder dieser Mensch oder als irgendetwas anderes. Man weiß aus Erfahrung, dass Produkte entstehen, wenn man vorgefundenes Material in bestimmte Gestalten (Formen) bringt – Ton in die von Krügen, Holz in die von Tischen und Eisen in die von Pflügen. Solche Erfahrungen überträgt der Verstand auf seine Vorstellungen von der Entstehung der Dinge. So wird die Materie zum Substrat einer Form, die sie von einem Agens auferlegt bekommt.13 Man denkt sich etwas Passives, das sich so oder so gestalten lässt, und erfindet dafür den Term »Materie« (»materia« bedeutet ursprünglich »Holz«). Man denkt sich ferner etwas Aktives, das dieses materiale Prinzip nach seiner Art gestaltet, und erfindet dafür den Namen »Form«, der unter Umständen durch den Namen »Wesen« (essentia) ersetzbar ist.14 Es geht bei solchen Überlegungen nicht um Dinge, sondern um Gedanken in unserem Geist, die auf irgendeine Weise über ein reales Korrelat verfügen. Sie bilden nicht wirkliche Dinge, sondern nur Aspekte wirklicher Dinge ab. In diesem Sinn schreibt Weigel: Das Wesen ohne die Wirklichkeit ist nur die Ankündigung eines Dings, eine Vorstellung von ihm. Klarer: Das Wesen ist in Wirklichkeit gar nichts, solange ihm die Existenz fehlt. Dabei bleibt es in den meisten Fällen, denn nur wenige mögliche Dinge werden wirklich. Alles ist wirklich, möglich oder unmögMaterie und Form | 117

lich – es existiert, es existiert nicht, aber könnte existieren, oder es existiert nicht und könnte auch nicht existieren, weil es widersprüchlich ist. Reden und nachdenken kann man aber über Wirkliches, Mögliches und Unmögliches gleichermaßen, denn sie alle haben die Eigenschaft, vorstellbar zu sein. Die Beschäftigung von Verstand und Einbildungskraft mit Dingen, die es nicht gibt, ist in den Augen des Konstrukteurs und Architekten Weigel weder unnütz noch sonderbar; nicht selten hängt von ihm das Gemeinwohl ab. Sie gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten des Menschen, der die Zukunft plant, und nicht umsonst sagt man von mittelmäßigen Ingenieuren, dass es ihnen an Phantasie fehlt.

Denominative Wesenserkenntnis Die Form oder das Wesen ist nicht das ganze Ding, sondern nur ein gedachtes Prinzip von ihm, und zwar das gestaltende. Das wirkliche Wesen, das man erst auf der ästimativen Erkenntnisstufe entdeckt, besteht aus Zahlen, die Artzugehörigkeit, Gattungszugehörigkeit und Individualität bestimmen. Jedes Individuum von jeder Art und Gattung hat seinen eigenen Zahlenwert. Weigel bezeichnet diesen Wert als reales und physisches Wesen: Es konstituiert die Dinge in Wahrheit und lässt ihre Eigenschaften, ihre Wirkungen und ihre inneren und äußeren Relationen, figürlich gesprochen, aus ihnen wie aus einem Quell entspringen. Wir kennen uns mit Objekten, die wir mit Gottes Hilfe zu unserem Gebrauch erzeugen, besser aus als mit Dingen, die Gott ohne unsere Beteiligung erschafft, und deshalb kann uns alles, was wir von menschlichen Artefakten wissen, beim Verstehen von durch Gott erschaffene Naturdinge helfen. Bei diesen ist uns in der Regel das wahre Wesen verborgen. Zumal bei beseelten Wesen ist es so subtil, dass wir deren unendlich viele Eigenschaften nur mit unendlich vielen Einzelbegriffen erfassen könnten. Das Wesen des Menschen besteht zum Beispiel in der Vereinigung einer Seele mit einem Organismus, aber was genau damit gemeint ist, könnte in allen Einzelheiten nur jemand sagen, dem Gott vollkommene Erkenntnis gewährt.15 Deshalb lässt sich das menschliche Wesen nicht so, wie Schulphilosophen glauben, kurzerhand mit zwei Wörtern charakterisieren; man 118 | Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge

erkennt es erst dann, wenn man es ästimativ erfasst.16 Im Kreis um den damals in Deutschland geschätzten Robert Boyle, der anders als Weigel Grundregeln für empirische Forschung entwickelte und aufschrieb, dachte man über diesen Punkt im Grunde kaum anders als Weigel, zog aber radikalere Konsequenzen aus der Annahme, dass das Wesen für uns unerkennbar ist, konzentrierte sich auf Gebrauchswissen17 und überließ das Übrige mehr oder weniger der natürlichen oder übernatürlichen Offenbarung. Überlegungen über die Unzulänglichkeit unserer Wesenserkenntnis und die Wichtigkeit von Gebrauchswissen sind in dieser Umbruchszeit nicht selten; man macht sich klar, dass es ein Über­ ange­bot an Theorien und ein Defizit an Sachwissen gibt. Descartes bemüht sich in Apotheken, Werkstätten und Schlachtereien um empirisches Wissen und experimentiert regelmäßig, und in England weist Boyle fast gewohnheitsmäßig darauf hin, dass man Wissen über die Besonderheiten von Materialien und Organismen am besten nicht bei Wissenschaftlern und in Büchern, sondern bei Handwerkern, Händlern, Bauern und Apothekern erfragt. Weil sich Schulperipatetiker diese Mühe zu ersparen pflegen, spricht ­Boyle vom lazy Aristotelean way.18 Er betont, dass Wissenschaftler nur dann kompetent über Sachen reden können, wenn sie einschlägige experimentelle Erfahrungen haben. Auch nach Weigel entdeckt der Verstand selbst dann, wenn er sich intensiv um Sachwissen bemüht, vom wirklichen Wesen nur wenig. Vielleicht kommt er bei Naturdingen nie über Gebrauchswissen hinaus,19 aber schon das ist viel; es könnte ja sein, dass nicht einmal Engel das verborgene Wesen von Korpuskeln wirklich begreifen.20 Schulphilosophen glauben nach Weigel trotzdem, dass sie mit ihren Definitionen das Wesen von Dingen erfassen, doch mit der Erkenntnis, dass ein Hund ein sinnesbegabtes Wesen ist, das bellen kann (Canis est animal latrabile), hat man zwar etwas Wichtiges mitgeteilt, aber sicher nicht das wirkliche Wesen eines Hundes erkannt. Auf der ersten Erkenntnisstufe muss man sich zwar mit vorläufigen Explikationen zufriedengeben, die nicht das wirkliche Wesen offenbaren, aber immerhin als Mittel zur Identifikation (agnitio) von Dingen geeignet sind, denn dazu genügt ein Hinweis auf charakteristische Wirkungen oder die Nennung eines hervorstechenden Prädikats.21 Dass unser Wissen so bescheiden anfängt, Denominative Wesenserkenntnis | 119

ist nicht schlimm, denn der Verstand muss irgendwo beginnen. Wenn er nicht gleich das wahre Wesen erfasst, denkt er sich zu seiner Beruhigung einen vorläufigen Begriff aus und expliziert ihn nach Gattung und Art. So grenzt er den Begriff von Gegenständen ein, zum Beispiel den Begriff des Menschen durch die Differenz »sinnesbegabt und vernunftbegabt« und den von Tieren durch die Differenz »sinnesbegabt, aber nicht vernunftbegabt;22 »nicht vernunftbegabt« bedeutet allerdings in diesem Fall für Weigel wohl nur: »nicht in der Lage sein, formal korrekte Aussagen und Syllogismen zu bilden«. Bloße Syllogismen (informelle Schlussfolgerungen) können auch Tiere bilden, aber Vernunft im engen Sinn ist nicht das Vermögen der Begriffe und Urteile überhaupt (so etwas gibt es bei Tieren in rudimentärer Form durchaus), sondern das Vermögen, formale Urteile und Vernunftschlüsse zu bilden, und da halten Tiere nicht mit. Definitionen wie die der Scholastiker kommen der Alltagssprache zugute, doch gelangt man durch sie nicht zum wirklichen Wesen der Dinge. Das vermeintliche Wesen in Gestalt des erstbesten Art- oder Gattungsprädikats repräsentiert das wahre Wesen nur dem Titel nach. Wir geben ihm den Titel »Wesen« und setzen es bis auf weiteres als Platzhalter an die Stelle des wahren Wesens. Ein Gesandter handelt in der Vollmacht seines Fürsten, ein Adoptivkind bekommt den Namen dessen, der es adoptiert; auf ähnliche Weise ist bei Schuldefinitionen die Angabe von Gattung und Art so etwas wie ein Gesandter oder Adoptivkind des wirklichen Wesens der Dinge.23 Die definierenden Philosophen hoffen, dass hinter den Wörtern ihrer Definition das wahre Wesen steht, in Wirklichkeit liefern sie aber nur einen schwachen Versuch, ein Ding tatsächlich zu begreifen, und bieten so den ersten Ansatz zu einem angemessenen Begriff. Weigel nennt solche provisorischen Begriffe »Denklichkeiten« (Denkbarkeiten, conceptibilitates), und »denklich« ist fast alles. Das Wort »Ding« stammt, wie Weigel glaubt, von »Denken«. Es bezeichnet bei ihm wie bei Fonseca und Timpler alles, was denkbar ist, kann also nicht nur für extramentale Entitäten wie Hunde, sondern auch für Privationen und Gedankendinge mitsamt Chimären und Impossibilien stehen.24 Im Folgenden übersetze ich »conceptibilitas« mit »Begriffsansatz«. Ein Begriffsansatz ist ein mehr oder weniger gelungener Versuch, ein Ding zu begrei120 | Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge

fen. Der Begriffsansatz ›res‹ oder ›seiend‹ bei Fonseca und Timpler ist ein Versuch, für extramental Wirkliches und intramental Wirkliches (Vorstellungen) einen gemeinsamen Namen zu finden. Im Glücksfall wirkt ein Begriffsansatz nach Weigel so wie ein Buchtitel, der für einen vorerst noch verborgenen Inhalt steht und zum Lesen einlädt.25 Das wahre Wesen eines Dings deckt sich nicht mit dem, was Scholastiker dafür halten. Im Deutschen kann man heute für das lateinische Wort »essentia« sowohl die Übersetzung »Wesen« als auch die Übersetzung »Wesenheit« verwenden. Ich wähle dann, wenn anscheinend das wahre und reale Wesen (essentia realis) gemeint ist, die Übersetzung »Wesen«, wenn aber nur ein Platzhalter gemeint ist, die Übersetzung »Wesenheit«. Platzhalter-Wesenheiten, die Weigel als »logisches Wesen« bezeichnet, bildet der denominativ verfahrende Verstand aufgrund von Vergleichen als provisorische Begriffe. Er vergleicht ein Objekt mit anderen, greift ein gemeinsames Merkmal heraus, abstrahiert es und hält diese Abstraktion, wenn er mutig ist, für ein Abbild des wahren Wesens. Er kann tatsächlich mit Hilfe seiner Platzhalter-Wesenheit bis auf weiteres die Frage nach der Beschaffenheit eines Dings bequem mit qualitativen Angaben beantworten.26 In Wirklichkeit handelt es sich aber um eine Anfängerleistung, und deshalb bezieht Weigel eine aristotelische Charakterisierung auf sie, nach der die Wesenheit nur der erste (für Weigel: der noch nicht ausgereifte) Begriff von einem Ding ist.27 Damit deutet er aber an, dass die PlatzhalterWesenheit trotz ihrer Schwächen ein erster Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis ist. Dass das denominative Denken, das sie produziert, nie überflüssig wird, bestätigt die Arithmetik: Man kann ein Objekt erst dann quantitativ bestimmen, wenn man vorher seine Gattung oder Art bestimmt hat, denn beim Zusammenzählen darf man nur Exemplare einer und derselben Gattung oder Art berücksichtigen. Es war deshalb gut, dass Descartes in seiner neuen Algebra nicht mehr nur spezifisch unbestimmte Angaben wie »9 Quadrate« oder »3 Wurzeln«, sondern spezifisch bestimmte Notationen wie »9b22« oder »3c3« verwendete. Doch ist es eine unbehebbare Schwäche von Platzhalter-Wesenheiten, dass sie auch im besten Fall nur einen Teil des Definierten berücksichtigen, nämlich sein Wesen oder formales Prinzip. Dieses bezeichnet man als ersDenominative Wesenserkenntnis | 121

ten Begriff von einem Individuum, während »Existenz« der letzte Begriff von ihm ist, vor dessen Bildung man es nicht angemessen erfassen kann.28 Dadurch, dass denominative Wesensdefinitionen immer abstrakt sind, weil sie individuierende Bestimmungen wie Quantität, Ort und Zeit übergehen, vernachlässigen sie die Belange der Existenz, die immer eine Existenz von Individuen ist. Erst beim ästimativen Erkennen kommen auch die individuellen Bestimmungen zur Geltung; es kann den Wert von Einzeldingen in Zahlen darstellen, die bei jedem Individuum verschieden, aber immer größer sind als Null (< 0).29 Den für Menschen in den meisten Fällen noch nicht oder nie erkennbaren wahren Begriff vom wirklichen Wesen bezeichnet Weigel manchmal mit dem Ausdruck »conceptus«; Begriffsversuche oder Begriffsansätze sind dagegen nur conceptibilitates. Ein nach scholastischem Brauch als Wesensdefinition bezeichneter Begriffsansatz repräsentiert einige Bestandteile des Wesens denominativ und selektiv, und deshalb bezeichnet ihn Aristoteles nach Weigels Interpretation von 4 Metaph., 1017 b 17 als μόρια ἐνυπάρχοντα (mória enhypárchonta, bereits vorhandene Teile) – ein solcher Begriff steht für das bisher schon erworbene Wissen. Bei Scholastikern nennt man den definitorischen Begriffsansatz Wesensform, obgleich er nur die Kurzdarstellung einer Platzhalter-Wesenheit ist. 30 Viele Scholastiker glauben jedoch, dass sie mit ihrer Definition das Wesen wirklich begreifen. Sie versuchen zum Beispiel, sich das Wesen des Menschen dadurch klarzumachen, dass sie ihn zuerst wie ein Tier als animal bezeichnen und dann hinzufügen, dass dieses Tier außerdem vernunftbegabt ist. Vom wirklichen Wesen eines Menschen erfasst man auf diese Weise nicht mehr als vom wirklichen Wesen eines Pferdes, das man als wiehernkönnendes Sinneswesen (animal hinnibile) bezeichnet.31 Wörter wie »des Bellens fähig« oder »des Wieherns fähig« geben die innere Natur von Hunden oder Pferden nicht zu erkennen, sie machen es aber möglich, Hunde und Pferde im Alltag von anderen Gegenständen zu unterscheiden, denn Hunde oder Pferde bellen oder wiehern in der Tat.32 Eine Definition, mit der man die nächsthöhere Gattung und die spezifische Differenz von etwas angibt, repräsentiert jedoch das Wesen eines Objekts nur selektiv und gibt keinen Hinweis auf die individuelle Konstitution von Hundeindividuen wie Bonnie. Um 122 | Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge

im Alltag Individuen unterscheidbar zu machen, verwendet man heute empirisch bewährte Werkzeuge wie Kennkarten, Finger­ abdrücke, DNA-Befunde und Produktnummern, die Gegenständen aufgedruckt oder aufprägt werden; für Weigel wäre das längst nicht genug. Letzten Endes sind scholastische Wesensdefinitionen nur Nominaldefinitionen, die angeben, was ein Wort bedeutet. Für Locke, der das ebenfalls glaubt, sind sie nominal essences, Wesenheiten, die den Namen einer Sache explizieren; für Weigel sind sie denominative Wesenheiten, die dasselbe tun. Sie haben den Vorzug, mit geringem Aufwand, nämlich mit wenigen Termen, die Artzugehörigkeit von Dingen zu bestimmen33 und im Gebrauch robust zu sein, denn man kann ihre Terme umstellen oder ersetzen, ohne dass ihre Funktion darunter leidet. Das zeigt sowohl die aristotelische Definition »Der Mensch ist ein zweifüßiges auf Füßen gehendes Wesen« als auch die scholastische Definition »Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Sinneswesen«.34 An solchen Beispielen kann man übrigens sehen, dass unsere üblichen Bestimmungen von Objekten nach Gattung oder Art situationsabhängig und gebrauchsbezogen sind; bei der ersten Definition interessiert man sich vor allem für die Art der Fortbewegung, bei der zweiten vor allem für das Denkvermögen. Trotzdem kann unser Verstand mit Hilfe so weniger Merkmale einzelne Objekte von zahllosen anderen unterscheiden und zugleich bemerken, mit welchen sonstigen Objekten sie verwandt sind. Er kann sogar, wenn jemand in der Folgezeit noch mehr von der Natur eines Gegenstands entdeckt, neue Erkenntnisse zu seiner selektiven Gebrauchsdefinition hinzufügen. 35 Etwas ausführlicher heißt es in Weigels Philosophia mathematica: Der Verstand kann Dinge mit Hilfe der Wesensdefinition voneinander unterscheiden, abstrakt miteinander vergleichen, das, was er schon herausgefunden hat, mit anderen Menschen erörtern und das noch Unbekannte zielbewusst erforschen. Auch kann er im Rahmen seines Gebrauchswissens Definitionen zur Erzielung nützlicher Wirkungen einsetzen. Solche Definitionen vermitteln keine Wesenserkenntnis, aber nützliches Wissen, 36 man darf sie also nicht verachten. Verächtlich werden sie erst, wenn man sie missbraucht. Weil sie mitteilen, was Dinge zu bewirken pflegen, gleichen sie wahren Definitionen insofern, als Gott, der nichts Denominative Wesenserkenntnis | 123

ohne Zweck und Ziel erschafft, mit den Wesen von Dingen zugleich deren Zweck bestimmt.

Das wahre Wesen kann man nur ästimativ erfassen Während die denominative Erkenntnis einen Körper als etwas vorstellt, das aus den Konstituentien Materie und Form entsteht, erfasst ihn die ästimative Erkenntnis als etwas, das aus Korpuskeln besteht. Sein wahres Wesen ergibt sich aus den Werten von Lage, Größe, Anordnung, Bewegung und ähnlichen quantitativ erfassbaren Zuständen der beteiligten Korpuskeln. Bei der Aufzählung einzelner Ingredientien ist man bislang in keiner guten Lage, weil in Ermangelung geeigneter Messverfahren und Messinstrumente in der Regel nur wenige Ergebnisse registriert werden können. Eine Definition des wirklichen Wesens, die alle relevanten Werte berücksichtigt, müsste die Beziehungen des Definierten zu anderen Dingen mitberücksichtigen, denn Informationen über Lage, Anordnung, Bewegung, Geschwindigkeit und Wirkung gewinnt man nur durch ihre Vergleichung mit benachbarten Dingen;37 die Länge eines Objekts ermittelt man zum Beispiel dadurch, dass man es mit einem angelegten Zollstock vergleicht. In diesem Sinn weist das ästimative Wesen eines Objekts über sich hinaus, und Menschen können es schon deshalb in der Regel nicht adäquat erkennen. Doch erfassen sie verhältnismäßig leicht das Wesen von Artefakten wie mechanischen Uhren, die sie selber hergestellt haben.38 Mit Hilfe von Analogieschlüssen aus Artefakten kann man Naturdinge besser verstehen. Weigel stützt sich hier der Sache nach auf die These »verum est ipsum factum«, einen Slogan mit wechselhafter Geschichte, der nun durch die Veränderung der Forderungen an die Wissenschaft neue Aktualität bekommt. Zu den wichtigsten Wissenschaftszielen gehörte einst die reine Erkenntnis des wahren Wesens, aber jetzt verlangen viele Autoren, dass man dieses Ziel aufgibt, weil es unerreichbar ist, und sich stattdessen auf Gebrauchswissen und praktische Aspekte konzentriert. Man arbeitete schon seit Jahrtausenden mit mechanisch funktionierenden Pflügen, Sägen, Hämmern und Schaufeln, um den Widerstand der Dinge gegen die Befriedigung unserer Bedürfnisse zu 124 | Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge

brechen; auf ähnliche Weise muss man nun die Wissenschaft nach dem Vorbild der Mechanik rekonstruieren, um den Widerstand von Dingen gegen das Erkanntwerden zu brechen. Dann werden Wissenschaftler nicht mehr Dispute und Streitigkeiten, sondern nützliche Erkenntnisse und Erfindungen produzieren. Damit die Wissenschaft auch wirklich praktisch werden kann, konzentriert sich Weigel auf die ästimative Methode, die Körper mit Mitteln der Mechanik interpretiert, doch verwirft er nicht die hergebrachte denominative Methode, sondern betrachtet sie als unübergehbaren ersten Schritt. Vielleicht wird sich die Hoffnung auf volle Erkenntnis des Wesens von Dingen eines Tages erfüllen, vielleicht auch nicht, auf jeden Fall aber werden die Versuche, sie zu erreichen, schwieriger sein, als es sich Scholastiker vorstellen – man braucht erstaunlich viel Forschungszeit, um das Wissen auch nur wenige Schritte voranzutreiben. Die realen Formen der Körper entsprechen nach Weigel dem, was cartesische und gassendische Korpuskularphilosophen als Anordnung der Teilchen (dispositio partium) bezeichnen; sie meinen damit das Zusammenspiel von Lage, Größe, Gestalt, Bewegung und Richtung der Korpuskeln eines Körpers bei Ortsbewegung und Ruhe, also Details, die mathematisch bestimmbar sind;39 Gassendi bezeichnet diese Anordnung wie später Boyle und Locke als Textur.40 Sie haben nicht wie die alte Form die Funktion, Körper von innen her zu gestalten und zu bewegen, sondern die, für den ersten Beweger die Informationen bereitzuhalten, die er braucht, um zu wissen, wie im nächsten Augenblick bei der Erhaltung der Welt jeder Einzelkörper zu bewegen ist, wenn die Ordnung des Ganzen erhalten bleiben soll. Nur in diesem schwachen Sinn bestimmt die Form noch die Anordnung der Korpuskeln und die Bewegung und Ruhe von Körpern.41 Eine der Kollisionen von Weigels Neuansatz mit Prinzipien der Schulphilosophie betrifft den ontologischen Status der Form: die Weigelsche reale Form besteht in Wirklichkeit aus Akzidentien und hört in Weigels »wiederhergestelltem Aristotelismus« auf, etwas wirklich Substantielles zu sein. Nach der dritten Definition der Physica pansophica 42 sind ›dispositio partium‹ und ›status‹, die unter der Kategorie der Akzidentien stehen, trotzdem ästimative Synonyma von ›Form‹. Weigel rechtfertigt diese Meinung im SchoDas wahre Wesen kann man nur ästimativ erfassen | 125

lion von § 11: »Obgleich die Form nichts anderes ist als eine Modifikation der Materie, spricht dennoch nichts dagegen, sie, einen Modus, als substantielles Konstitutiv des Körpers anzusehen, und zwar ähnlich wie Schärfe bei Messern und Rundheit bei Kugeln. Eine Kugel, die nicht rund ist, und ein Messer, das nicht scharf ist, ist keine Kugel und kein Messer; das haben Autoren wie Soner und Caesalpin längst bemerkt. Man kann die Form also durchaus als Substanz bezeichnen, auch wenn sie in anderer Hinsicht nur ein Akzidens ist.«43 Mit solchen Explikationen kann man, wenn man Glück hat, auch unter Bedingungen traditioneller Legitimität einer Aristotelesinterpretation Legitimität verschaffen; es kommt darauf an, ob die zuständige Herrschaft das duldet oder nicht. Weigel erprobt es hier. Aristoteles behandelt in Kapitel 4 des Ersten Buchs der Metaphysik, in dem er das wahre Wesen sinnlich wahrnehmbarer Dinge zu bestimmen versucht, die Meinung des Atomisten Demokrit, dass das Wesen von Körpern in ihrer Gestalt (σχῆμα, schḗma), ihren Korpuskeln und deren Stellung (θέσις, thésis) sowie in ihren Bewegungszuständen besteht, und verwirft sie mit der Begründung, dass sie nicht den Ursprung der Bewegung klärt. Das zugehörige Buchstabenbeispiel zeigt, dass eine Drehung um 90 Grad bestimmt, ob ein bestimmter Buchstabe ein Z oder N ist; auch Weigel verwendet es gern, und Aristoteles führt es auf Leukipp und Demokrit zurück. Weigel geht davon aus, dass Aristoteles’ Kritik nicht ihn trifft, denn er hat im Unterschied zu den Atomisten den Ursprung der Bewegung mit seinem Okkasionalismus bestimmt. Ausführlich äußert er sich 1673 in der Physica pansophica: »Der Zustand (status) eines Körpers ist eine bestimmte Anordnung seiner Teile, die zur Erzielung der ihm von Gott bestimmten Bewegungs- oder Ruhezustände geeignet ist.«44 »Zustand« ist kein eindeutiger Ausdruck, und deshalb fügt Weigel hinzu: Den inneren Zustand eines Körpers und seinen Inbegriff bezeichnet Aristoteles als Natur und definiert ihn als inneres Prinzip der Bewegung und Ruhe des Körpers, dem dieser Zustand nicht zufällig, sondern immer und notwendigerweise innewohnt. Dagegen ist die vorübergehende Anordnung von Teilchen, die sich verändern kann, ohne dass der Körper vergeht, nicht der Grund seiner Natur, sondern nur ein zeitweiliger Modus des Körpers, während der innere Zustand, die 126 | Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge

reale Form, diesen quantitativ bestimmt. Ihr entfließen seine Eigenschaften und Wirkungen wie einem Brunnen und konstituieren ihn so, dass er gerade dieser und kein anderer ist.45

Weigel unterscheidet hier den bleibenden inneren Status eines Körpers, den Aristoteles als dessen Natur bezeichnet, von unerheblichen vorübergehenden Umordnungen der Teilchen in bestimmten Situationen. Der bleibende innere Zustand gibt dem Körper seine reale Form (ist sein wirkliches formales Prinzip) und bestimmt seine Eigenschaften und Wirkungen, wie man leicht am Beispiel einer mechanischen Uhr begreifen kann.46 Der Körper behält seinen bleibenden inneren Status in jedem Augenblick seines Daseins; sobald er zerstört wird, vergeht auch der Körper. Dagegen können bestimmte momentane Körperzustände ohne ernste Folgen vergehen; man kann zum Beispiel eine gerade gewachsene Weidengerte kurvenförmig verbiegen, ohne ihren inneren Status zu beschädigen. Auf diesen wirken sich solche vorübergehenden Veränderungen nicht aus. Sie tangieren nicht sein Wesen, sondern sind mit ihm verträgliche Akzidentien, die kommen und gehen. Der folgende Paragraph macht klar, dass dieser innere Status, die reale Form, quantitativ bestimmt ist. Aus der Biegsamkeit der genannten Gerte kann man schließen, dass ihre Korpuskeln lockerer zusammenhängen als die Korpuskeln eines Steins, denn anders als ein Stein behält sie ihre innere Form auch dann, wenn man sie biegt; einen Stein kann man nicht biegen, sondern nur brechen. Ferner lässt sich daraus, dass ein Körper wie Honig, der ceteris pari­bus schneller in die Breite läuft als die meisten anderen Körper, der Schluss ziehen, dass die Korpuskeln von Honig gerundet sind, denn gerundete Korpuskeln können leichter fortrollen als eckige. Weigel fährt fort: Man bezeichnet die Natur eines Körpers insofern als bestimmt, als er durch sie sowohl in Hinsicht auf die innere Lage (situs) seiner Teilchen als auch in Hinsicht auf seine äußere Lage zu ästimativ erfassbaren Quantitäten determiniert wird. Erst dann, wenn man sich klar macht, dass nicht nur die Quantität der Anordnung aller Teilchen eines Körpers, sondern auch die Quantität seiner Bewegung und Ruhe von außen her mitbestimmt wird, versteht man sein reales Wesen vollkommen.47 Das wahre Wesen kann man nur ästimativ erfassen | 127

Wer den Wert der inneren Korpuskelbewegungen eines Körpers zum Wert der äußeren Bewegungen seiner Nachbarn ins Verhältnis setzen kann, erhält eine Gleichung, mit der er dessen reales Wesen, das vorher nur als Unbekannte x erschien, aber auch etwas vom Wesen der benachbarten Körper berechnen kann.

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8. Erschaffung und Erhaltung der Welt Nichts und Etwas Weigel hat geklärt, dass die Existenz das denominative Wesen ­eines Dings aus dem Nichts hervorholt und es dazu bringt, in der Wirklichkeit so Fuß zu fassen, wie es sein Begriff von Ewigkeit her in Aussicht stellte. Jetzt ist über den Ursprung der Wirklichkeit als ganzer zu sprechen. Dass im Zusammenhang mit der Weltentstehung auch das Nichts zur Sprache kommt, hängt nicht nur mit Weigels Kenntnis zeitgenössischer Autoren wie Timplers und auch nicht nur mit bloßer Freude am Hypostasieren zusammen, sondern zunächst mit dem biblischen Buch Genesis. Dort wird am Anfang von Kapitel 1 Gottes Tätigkeit bei der Herstellung der Welt nicht mit dem üblichen Verb für »machen« (‫עשה‬, ‘asah), sondern mit dem seltenen Verb ‫( ברה‬barah) ausgedrückt, und zwar nach Meinung jüdischer und christlicher Exegeten deshalb, weil der Verfasser auf eine Besonderheit dieser Tätigkeit hinweisen wollte: Im Unterschied zum Menschen, der Dinge nur aus vorgegebenem Material herstellen kann, erschafft Gott die Welt aus Nichts, denn vor der Schöpfung gab es noch kein Material. Nach Meinung der genannten Autoritäten wählt die Bibel deshalb als Bezeichnung für Gottes Schöpfungstätigkeit den ungewöhnlichen Ausdruck ‫ברה‬. Gott hat die Materie des Weltalls am ersten Schöpfungstag erschaffen, denn da erschuf er Himmel und Erde. Danach wurden die wüsten und leeren Geschöpfe Himmel und Erde zum Material der Dinge, die Gott am zweiten bis sechsten Schöpfungstag produzierte, zum Beispiel des Lehms, den er für die Erschaffung des Menschen brauchte. Für die Rolle des Nichts in Weigels Kosmogonie gibt es außer dem biblischen aber auch den angedeuteten philosophiehistorischen Anlass. Wenige Jahrzehnte zuvor hatte Clemens Timpler (1563–1624) in Anlehnung an Pedro de Fonseca das Nichts zu einem Gegenstand der Metaphysik erklärt. Timpler gelten als Gegenstände der allgemeinen Metaphysik sowohl das Seiende als auch 129

das Intelligible (Denkbare). Intelligibel ist alles, was der Verstand denken kann, also auch Nichts und Harpyien.1 Nun ist im strengen Sinn zwar Etwas das, was schlechthin nicht Nichts ist, und Nichts ist das, was schlechthin nicht Etwas ist. Das macht die Sprache der Niederlande klar; in ihr bedeutet »iets« (nordrheinisch: »jet«, hochdeutsch als Rest in »etwas«) dasselbe wie »etwas« und »niets« dasselbe wie »nicht-etwas«. Doch muss die Philosophie genauer unterscheiden als die gewöhnliche Sprache und eine zweite Art von Nichts ansetzen, die nicht schlechthin, sondern nur in dem eingeschränkten Sinne nichts ist, dass sie nicht existiert. Das Intelligible oder Erkennbare hat dann zwei oberste Gattungen: die Gattung dessen, was durch seinen eigenen Begriff erkennbar ist, und die Gattung dessen, was nur durch den Begriff von etwas anderem erkennbar ist. Zur zweiten Gattung gehört die zweite Art von »Nichts«. Während das absolute Nichts schlechthin unbestimmt und unerkennbar ist, ist das andere Nichts zwar nicht existent und auch nicht unmittelbar erkennbar, wohl aber mittelbar. Das gilt für Privationen und Negationen. Sie existieren zwar nicht (was fehlt, ist nicht da), aber sie werden erkennbar durch den Begriff dessen, das sie verneinen.2 »Blind« bedeutet »Ermangelung von Sehen«, und wer nicht »blind«, aber »Sehen« und »Ermangelung« versteht, kann auch »blind« verstehen. In diesem Sinn präzisiert die Metaphysik den Befund der Alltagssprache. Dass eine Privation (etwas, das fehlt, von Rechts wegen aber vorhanden sein müsste) in einem bestimmten Sinne doch etwas ist, denn sie kann gedacht werden, hat Pedro de Fonseca im ersten Teil und zweiten Kapitel seiner Schrift In V Metaphysicorum gezeigt.3 Unter Philosophen, erklärt Timpler nach ihm, bedeutet »seiend« einerseits »schlechthin seiend« und andererseits »gewissermaßen seiend« – Gedankendinge sind gewissermaßen seiend, denn Feenschlösser existieren nicht, aber man kann sie denken.4 Weigels Unterscheidung zwischen absolutem und eingeschränktem Nichts entspricht der Timplerschen Unterscheidung zwischen schlechthin Nichtseiendem und gewissermaßen Nichtseiendem. Das absolute Nichts beschreibt Weigel in mehreren Ansätzen. Es ist das, woran wir denken, wenn wir gar nichts denken (heute kann man sagen: ein zerebrales Leersignal), und das läuft auf die absolute Verneinung bestimmter Erkennbarkeit hinaus. 5 Es hat keinen be130 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

stimmten Begriff und kann ihn auch nicht haben, denn es hat keine Bestimmungen und Eigenschaften und ist folglich schlechthin unerkennbar. Das eingeschränkte Nichts ist dagegen erkennbar, und zwar mittelbar, nämlich durch den Begriff dessen, was ihm fehlt. 6 Auch nach Weigel ist vom absoluten Nichts das eingeschränkte Nichts zu unterscheiden, bei dem sich eine negative Begriffskomponente mit einem positiven Term verbindet, zum Beispiel »un-« mit »-recht« oder »-wissend«. Wenn man sagt: »Dieser Stein ist unwissend«, teilt man mit, dass ihm, der seinerseits etwas Positives ist, die Eigenschaft »wissend« abgeht. Unwissenheit ist allerdings bei einem Stein kein Mangel, denn dass er nicht wissend ist, ergibt sich schon aus seiner Definition. Trotz seiner Unwissenheit kann er ein vollkommener Stein sein, dem nichts zu seinem Steinsein fehlt. Diese unschuldige Art des Nichtvorhandenseins von etwas bezeichnet man als »Negation« oder »bloße Negation«. Wenn man dagegen von einem Menschen sagt, dass er unwissend ist, spricht man über etwas Ernsteres. Ein Mensch ist ein vernunftbegabtes Sinneswesen und hat schon deshalb etwas zu wissen; wenn er trotzdem nichts weiß, dann fehlt es ihm an etwas, das er eigentlich haben müsste. Dadurch entsteht in seinem Wesen eine Lücke, ein partielles Nichts, das es dort von Rechts wegen nicht geben dürfte. Das Fehlen von etwas, das dasein müsste, bezeichnet man seit Aristoteles im Unterschied zur bloßen Negation als Privation (Aristoteles: στέρησις, stérēsis, Beraubung, lateinisch »privatio«). Auch eine Privation ist etwas anderes als das absolute Nichts, denn sie setzt etwas Positives voraus, dem sie anhängt – auch ein unwissender Mensch ist ein Mensch. Bei Negationen und Privationen, die mit »un-« ausgedrückt werden, schreibt Weigel, denkt man immer etwas Positives mit (in den erwähnten Fällen: einen Stein, dem etwas fehlt, was Steine sowieso nicht haben, oder einen Menschen mit ­einem Defekt). Trotz ihres Angewiesenseins auf etwas Positives sind Ausdrücke wie »unrecht« oder »unwissend« nicht positiv, obwohl sie für die Beurteilung von Situationen so nützlich sein können wie Nullen für das Zahlenrechnen, bei dem sie die Stellen ausfüllen, in die weder eine Einheit noch eine Vielheit passt.7 Weigels eingeschränkt Nichtseiendes ist nicht das, als was es sich vorstellt, sondern dessen Gegenteil; zum Beispiel ist »unwissend« das Gegenteil von »wissend«. Diese Denkfigur, bei der an Nichts und Etwas | 131

etwas Positivem eine Komponente, Eigenschaft oder Relation negiert wird, lässt sich nach Weigel vielfältig verwenden. 8 Sie spielt zum Beispiel im bürgerlichen Leben eine wichtige Rolle (»unehrlich«, »unbescholten«) und macht einen Großteil der Gegenstände bürgerlicher Klugheitslehren aus.9 Die negative Partikel, die bei ihm vor einen positiven Term tritt, kann exklusiv sein (»Nur die Sonne macht den Tag«), und dann wird alles außer der Sonne indefinit negiert (»Nichts als die Sonne«). Als negative Partikel kann aber auch eine Vorsilbe wie »Nicht-« in »Nichtmensch« dienen (»Ein Stein ist ein Nicht-Mensch«).10 Negative und privative Sachverhalte wirken sich unterschiedlich auf den Wert von etwas aus. Dinge verlieren durch das Fehlen einer Eigenschaft oder Relation, die ihnen laut Definition ohnehin nicht zukommt, nichts von ihrem Wert, ihr Wertverlust durch die Negation ist = 0. Etwas kann ein vollkommener Smaragd sein, obwohl es nicht sprechen kann. Wenn dagegen ein Ding eine Privation erleidet, durch die ihm etwas fehlt, das ihm von Rechts wegen (Weigel sagt: »laut Befehl oder Bedingung«) nicht fehlen dürfte, dann ist seine Werteinbuße nicht gleich Null, sondern kommt durch eine dem Wert des Fehlenden entsprechende negative Zahl zum Ausdruck. Für die schulphilosophisch interpretierte Schöpfungsgeschichte ergibt sich durch die Unterscheidung zwischen absolutem und eingeschränktem Nichts, dass Gott am ersten Schöpfungstag aus dem absoluten Nichts die Tohuwabohu-Materie erschuf, danach aber im Sechs-Tage-Werk aus diesem Material die durch Formen konstituierten Arten produzierte.

Schöpfung Die Frage, wie Existenz zustande kommt oder wie etwas dazu kommt, zu sein, statt nichts zu sein, die schon in der Konstitutionslehre zur Sprache kam, lässt sich auch im Blick auf das Verfahren Gottes bei der Erschaffung der natürlichen Dinge stellen. Weil die Anzahl möglicher Dinge grundsätzlich größer ist als die Anzahl wirklicher, muss der Schöpfer zunächst zwischen bloß-möglichen (widerspruchsfreien) Wesen und zu verwirklichenden Wesen unterscheiden. Solange man Wesen ohne Rücksicht darauf betrachtet, 132 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

ob sie wirklich oder bloß-möglich sind, befinden sie sich gleichermaßen im Zustand des Vorgestelltseins (status signatus). Dadurch, dass der Schöpfer einige mögliche Dinge verwirklicht, überführt er sie in den Zustand der Verwirklichung (status exercitus). Jedes Wesen, schreibt Weigel, befindet sich in einem dieser beiden Grundzustände. Wesen im Zustand des Vorgestelltseins stehen dem Verstand als Ideen zur Verfügung, sind aber tief im Schoß ihrer Ursachen verborgen. Wesen im Zustand der Verwirklichung befinden sich dagegen in der Welt und existieren dort. Einem Wesen im Zustand des Vorgestelltseins schreibt man Sein nur mit dem Vorbehalt zu, dass es nicht in der wirklichen Welt existiert, denn dort existieren nur Wesen im Zustand der Verwirklichung.11 Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen unserem Denken und dem Denken Gottes. Wenn wir etwas denken, wird es nicht schon dadurch verwirklicht. Gott wirkt dagegen durch bloßes Denken – sooft er will, was er denkt, denkt er es als existierend, und es wird existent. Es existiert nicht schon deshalb, weil Gott es überhaupt denkt, denn sonst wäre die Welt so ewig und unveränderlich wie er selbst. Es existiert vielmehr deshalb, weil Gottes freier Wille sich für es entschieden hat und deshalb in seinen Gedanken befiehlt, dass es mehr ist als Nichts.12 Alle wirklich gewordenen Dinge sind individuell. Die Schul­defi­ nition von »Individuum« lautet: »Individuum est indivisum in se et divisum a quolibet alio« (»Ein Individuum ist ungeteilt in sich und abgeteilt von jedem anderen«). Dementsprechend unterscheidet man im Blick auf die Zustände des Bloß-Vorgestelltseins und der Verwirklichung zwei Arten von Setzung. Bei der ersten setzt der Verstand ein Ding als Artexemplar rein für sich (indivisum in se); seine Verschiedenheit von anderen Dingen spielt noch keine Rolle. Bei der zweiten Art von Setzung erfasst der Verstand das Wesen unter Berücksichtigung seiner Verschiedenheit von allen anderen (divisum a quolibet alio), also als etwas, das anderen Wesen unähnlich ist, und nicht mehr nur als etwas, das sich selbst ähnlich ist. Damit greift der Verstand über sein Objekt hinaus auf andere Objekte zu, denn er kalkuliert mögliche Affektionen von außen mit ein. Die erste Setzung bezeichnet Weigel als reine Setzung, denn sie erfolgt ohne Beteiligung der Sinnlichkeit, die zweite als modale Setzung, denn sie erfasst ein Ding zugleich mit seinen Schöpfung | 133

Eigenschaften und relationes ad extra (Außenrelationen), die unter die Gattung der Modi fallen.13 Bei modaler Setzung wird ein Ding in seinem Zusammenhang mit anderen Dingen und letztlich in seinem Zusammenhang mit der ganzen Welt erfasst. Durch das Zusammenspiel unendlich vieler Wesen und Zwecke entsteht in ihr die universale Wechselbeziehung, die man als Natur (natura rerum) bezeichnet. Bei deren Konzeption denkt man den Raum als Behältnis aufeinander reagierender wirklicher Dinge.14 Gott kennt alle Dinge, die sich im Zustand des Vorgestelltseins befinden, also die Gesamtheit aller möglichen Dinge (scientia simplicis intelligentiae). Aus deren Fülle hat er von Ewigkeit her einen Bruchteil zur Existenz bestimmt, und diesen überführt er in den Zustand der Verwirklichung, in dem er alle Dinge und ihre Geschichte simultan (in einem Nu) erkennt (scientia visionis). Einige Autoren sind der Ansicht, dass Gottes Wissensarten mit diesen beiden Termen noch nicht vollständig erfasst sind, denn außer Möglichem und Faktischem erkennt Gott auch bedingt zukünftige Ereignisse (scientia media, Erkenntnis des bedingt Zukünftigen: Wird morgen bei Salamis eine Seeschlacht stattfinden oder nicht?). Gottes Selektionskriterien für die Verwirklichung oder Nichtverwirklichung von Wesen sind uns verborgen, wir dürfen aber davon ausgehen, dass sie seiner Weisheit und Güte entsprechen, denn die Vernunfttheologie kann zeigen, dass er unendlich weise und gütig ist. Weigels Schüler Leibniz wird das präzisieren und schreiben, dass Gott sich immer für das jeweils Beste (Bestmögliche) entscheidet und dass die bestehende Welt unter den gegebenen Kompatibilitätsbedingungen die beste aller möglichen ist. Der erste Schritt bei der Schöpfung besteht darin, dass Gott einige mögliche Dinge zur Existenz bestimmt. In einem zweiten Schritt bestimmt er deren Wert. Sie alle bekommen einen bestimmten Wert an Gewicht, Maß und Zahl und sind durch diesen von allen anderen Dingen verschieden. Traditionell konnte man schreiben, dass jedes Ding sein eigenes Maß an Vollkommenheit besitzt, aber diese quantitativ noch unbestimmte Aussage gehört zur denominativen Erkenntnisstufe.15 Auf der zweiten Erkenntnisstufe nimmt man an, dass man Dinge erst dann wirklich erkennt, wenn man ihre Quantitäten oder Werte kennt. Bei der ästimativen Bestimmung des Werts von Dingen durch den Rechenmeister Gott 134 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

ist zu beachten, dass er Werte nicht willkürlich festsetzt, sondern sie durch Rechenoperationen ermittelt. Die Ergebnisse solcher Berechnungen lassen sich in positiven Zahlen darstellen, doch sind sie unserem Verstand nur in begrenztem Maße zugänglich. Die Tatsache, dass jedes endliche Wesen durch seine Zahl bestimmt ist, erweist die Richtigkeit der pythagoreischen Überzeugung, dass Wesen und Zahlen im Grund dasselbe sind. Gott erschafft jede endliche Existenz, aber er erschafft sie in Grenzen; das kann man so ausdrücken: Jede endliche Existenz ist durch ihren Wert mehr als Nichts (> 0). Der dritte Schritt ist die Verwirklichung der Werte, die Gott zur Existenz ausgewählt hat. Die Gedanken, durch die er das Wirkliche erschafft, verhalten sich zu ihm wie unsere Gedankendinge zu unserem Geist – wirkliche Dinge sind verwirklichte Gedanken Gottes. Wir können zwar durch Denken keine wirklichen Dinge erschaffen, aber immerhin Romane mit erdachten Welten (Gedankendinge). Einige seiner Gedanken setzt Gott existierend in die Welt, und zwar durch Denken, verbunden mit dem Vernunftakt des Befehlens (»Es werde!«). Auch zu Weigels Zeit gingen einige Autoren davon aus,16 dass im Paradies das menschliche Denken und Sprechen noch in einem weiteren Sinn als heute schöpferisch war und einiges in die Welt hineindenken konnte, denn der Mensch beherrschte noch die paradiesische Ursprache, die Gott Adam bei der Benennung der Dinge gelehrt hatte.17 Nach dem Sündenfall gilt aber nur noch für Gott, dass das, was er will und sagt, auch geschieht. Trotzdem gleicht unser Geist nach der Vertreibung aus dem Paradies dem göttlichen Geist noch immer, denn auch wir können etwas in sie hineindenken, zum Beispiel Legenden und Gedankendinge. Dabei erzeugen wir aber keine extra­mentalen Gegenstände; wir stellen uns solche Kreationen nur in unserem Inneren vor, und sie können sogar ins Bewusstsein anderer gelangen, wenn wir sie ihnen sprechend oder schreibend zugänglich machen.18 Die Frage des cartesischen Zweiflers, ob Gott tatsächlich eine wirkliche Welt erschaffen hat oder ob wir sie nur träumen, läuft unter den gegebenen Bedingungen auf die von Descartes erörterte Frage nach den Existenzgewissheiten hinaus. Weigel behandelt sie in seinem mathematischen Gottesbeweis, von dem es verschiedene Versionen gibt. Er geht davon aus, dass die Existenz der Welt Schöpfung | 135

ein allmächtiges Agens voraussetzt. Wie Augustinus und Thomas von Aquin übernimmt er die These von der Neuerschaffung der Welt in jedem Augenblick, und sein Gedankengang lässt sich so skizzieren: Jede jetzige Existenz der Welt kommt aus Nichts, aber Nichts kann nichts bewirken.19 Weil die vorige Existenz schon zu Nichts geworden ist, wenn die neue beginnt, kann sie nicht von jener verursacht sein, 20 denn die Ursache von etwas muss bei dessen Entstehung präsent sein.21 Auch kann sich das neue Seiende nicht selbst in den Zustand der Existenz versetzen, denn vor seiner eigenen Existenz existierte es noch gar nicht. Ferner kann die Verwirklichung der Welt nicht von selbst erfolgt sein, denn alles, was entsteht, hat eine Ursache.22 Folglich muss außer der Welt noch ein Wesen mit unendlicher Macht existieren, das jeden Wandel überdauert und von Moment zu Moment eine neue Welt an die Stelle von Nichts setzen kann.23 Dieses Wesen muss unendlich seiend und ein unermüdlicher (infatigabilis)24 Schöpfer sein.25 Weigel geht fortan wie ­Descartes davon aus, dass Gottes Existenz demonstrativ gewiss ist. Mit der Erkenntnis, dass wir mehr sind als Nichts, nämlich Etwas, denn Gott hat uns einen Wert > 0 gegeben, lässt sich nach Weigel Descartes’ Bezweiflung der eigenen Existenz als unbegründet erweisen. Obwohl jeder existierende Mensch aus eigener Kraft zwar nur Nichts ist, kann er sicher sein, dass er real existiert, weil er klar wahrnimmt, dass er sich quantifizierbarer Eigenschaften und eines Geistes erfreut.26 Wir sind uns also nicht nur der Existenz Gottes, sondern auch unserer eigenen Existenz intuitiv bewusst – was denkt, existiert. Das gilt jedoch nicht für die nach Descartes demonstrativ erweisbare Existenz einer Außenwelt und für die Existenz anderer Geister, denn hier ist das Traumargument zu berücksichtigen. Das erörtert Weigel in einer Disputation von 1679 mit dem Titel »De veritate multitudinis extra mentem apparentis« (Schüling Nr.  68). Der Herausgeber der Neuausgabe weist darauf hin, dass die beiden ersten Kapitel dieser Schrift den ersten beiden Kapiteln von »De supputatione multitudinis« von 1679 (Schüling Nr.  67) entsprechen. In De veritate behandelt ein zusätzliches Kapitel die Frage nach der Existenz einer Außenwelt und nach der Existenz anderer Geister. Weigel hat gezeigt, dass jeder Einzelmensch (homo solitarius) der Existenz seiner selbst und der Existenz Gottes 136 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

gewiss sein kann, aber mit der Existenz einer Außenwelt verhält es sich anders, denn es könnte trotz aller cartesischen Argumente sein, dass wir beides nur träumen, weil Gott uns allen die entsprechenden Vorstellungen im Schlaf einflößt.27 Deshalb kann man die Existenz der Außenwelt nach Weigel nur empirisch nachweisen, und zwar durch eine proba socialis: Wenn mehrere Menschen gleichzeitig dasselbe perzipieren und sich das gegenseitig bestätigen, darf man annehmen, dass es sich um ein sozial wahrnehmbares und mithin reales Phänomen handelt. Unser Vertrauen auf die Existenz dessen, was wir für die Außenwelt oder für die Existenz anderer Geister halten, wird dadurch bestätigt, dass wir es mit anderen Menschen teilen. Es ist aber nur empirisch begründet, denn Gott könnte die Traumvorstellungen, die er uns einflößt, zugleich auch anderen Menschen einflößen.28 Unser Tatsachenwissen, auf das wir uns täglich erfolgreich verlassen, ist nicht besser begründet als unser Wissen von der Existenz der Außenwelt.

Erhaltung der Welt Damit die Dinge, die Gott in die Welt hineingedacht hat, nicht sogleich wieder in das Nichts zurücksinken, aus dem sie gekommen sind, muss er sie beständig im Sein erhalten. Augustinus vertrat die Meinung, dass die Erhaltung der Welt (conservatio mundi) keine erneute Tätigkeit Gottes erfordert, sondern als bloße Fortsetzung der Ersterschaffung bereits im ursprünglichen Schöpfungsakt enthalten ist; er prägte den Ausdruck »creatio continua«. Thomas von Aquin schloss sich in Summa Theologiae I, q.  104, a.  1, ad.  1, der Meinung an, dass Erschaffung und Erhaltung der Welt durch eine und dieselbe Tätigkeit Gottes erfolgen, und auch Descartes vertrat sie in der Dritten Meditation.29 Weigel, der den Ausdruck »creatio continuata« verwendet, übernahm sie ebenfalls. gab ihr aber eine neue Deutung, die sein Schüler Leibniz für unbegründet und willkürlich hielt: Die Existenz der Welt und jedes Dings in ihr vergeht in jedem Augenblick, wird aber nicht durch Nichtexistenz, sondern durch eine neue Existenz ersetzt.30 Nichts Erschaffenes besteht länger als einen Augenblick, kaum ist es entstanden, vergeht es schon wieder, aber unverzüglich tritt Erhaltung der Welt | 137

aus dem Nichts, das wir Zukunft nennen, eine neue Existenz an seine Stelle. Auch diese vergeht sogleich und ebenso die nächste und übernächste, obwohl wir glauben, immer dieselbe Weltexistenz wahrzunehmen. Dass jede Existenz, in der die Welt gegenwärtig wird, eine neue Existenz ist, 31 kann man sich heute am Beispiel kontinuierlich und schnell aufeinander folgender Bilder vorstellen (Daumen-Kino und Kinematographie)32 . Dass jede Existenz neu ist und nicht alt wird, weiß nach Weigel schon der gewöhnliche Sprachgebrauch, denn Äußerungen über kurz vorhergehende Ereignisse pflegt man mit dem Wort »jüngst« zu beginnen. 33 Wenn nicht nach jedem Vergehen sogleich eine neue Existenz entstände, gäbe es inzwischen die Welt nicht mehr. Aber jedes neue Gegenwärtigwerden ist von ihrer früheren Gegenwart so verschieden wie Nichtseiendes von Seiendem – das eine ist jetzt da, das andere nicht mehr. 34 Das kann man sich auch am Vergehen der Zeit klarmachen, das sich zwar den Sinnen entzieht, das aber der Geist leicht bestätigen kann: Jeder Augenblick vergeht, und auf jeden bis auf irgendeinen folgt ein neuer, nämlich der nächste. Der Welt kommt ihre Existenz nicht mit absoluter, sondern nur mit hypothetischer Notwendigkeit zu – solange Gott sie will, will er sie, und zwar aus freien Stücken. Weigel verwirft nicht nur die aristotelische Meinung, dass die Bewegung der Himmelskörper ewig währt, sondern auch Descartes’ Annahme, dass die Summe aller Bewegungen im Universum konstant ist, weil beide Behauptungen nicht die Freiheit Gottes berücksichtigen.35 Dank dieser ist alles in der Welt kontingent – Gott will es, solange er es will. Wenn aber die Existenz aller Dinge nicht immer dieselbe ist und wenn auf jede momentane Existenz im Nu eine andere folgt, ist jede unserer momentanen Existenzen schon wieder vergangen, wenn wir im Blick auf sie behaupten, dass wir existieren. Kaum hat die neue Existenz begonnen, bemerken wir, dass sie schon wieder vorüber ist und dass an ihre Stelle eine andere trat, die ebenfalls im Nu vergeht. 36 Trotz dieses unablässigen Entstehens und Vergehens bleibt das Wesen der Welt stets dasselbe.37 Die Erkenntnis, dass sie immer denselben Namen und dasselbe Wesen behält und trotz ihres unablässigen Entstehens und Vergehens in Gattung, Art und Anzahl dieselbe bleibt, 38 führt zur Bildung eines neuen Begriffs vom Wesen endlicher Dinge. 39 Diese Meinung lebt ähnlich 138 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

im Wesensbegriff von Weigels Schüler Leibniz fort, 40 der Weigels Neuerschaffungstheorie ablehnt. Unser Verstand ist endlich und kann Objekte, die in Wirklichkeit nur eines sind, nicht anders als mit mehreren Begriffen denken, zum Beispiel die Wesenheit eines Dings, die eine einzige ist, mit den Begriffen seiner Gattung und spezifischen Differenz. Eine einzige gekrümmte Linie denken wir mit zwei Vorstellungen, nämlich ›gekrümmt‹ und ›Linie‹. Wir begreifen nur sukzessiv, nämlich in mehreren Schritten. Auch eine weit gespannte mathematische Folge erfassen wir nicht simultan, sondern sukzessiv, nämlich ein Glied nach dem anderen. Gottes unendlicher Verstand denkt dagegen jede sukzessiv geordnete Vielfalt auf einmal; das Wesen geschaffener Dinge, das bei jeder momentanen Neuerschaffung dasselbe bleibt, und seine unendlich vielen sukzessiven Existenzen erfasst er mit einem Blick. Menschen können erst nach vielen Denkschritten erkennen, dass die Einheit der Welt auf der Verwirklichung immer desselben Wesens in jeder neuen Existenz beruht und dass die Welt so lange nicht zugrunde geht, wie an die Stelle ihrer momentanen Existenz sogleich eine andere tritt. Bei allem Wandel bleibt die Welt als Ganzes dieselbe, 41 und auch dann, wenn sie sich eines Tages nicht mehr ereignet, kann sie ein Geist, der sie überlebt, sich weiterhin als Einheit vorstellen42 – die Erinnerung meistert die Zeit. Unabhängig davon existiert das Wesen der Welt für uns genau so wie unser eigenes Wesen sukzessiv von einer Existenz zur anderen. Aber Gottes gesamte und einzige Existenz ist simultan, er ist unwandelbar der unbewegte Beweger, dessen Existenz nie vergeht. Geschöpfe existieren sozusagen von der Hand in den Mund, aber weil sich in jeder ihrer momentanen Existenzen ihr ganzes Wesen verwirklicht, hat jede von ihnen für ihren Moment die ganze Kraft des Wesens.43 Man kann daher sagen, dass sich das Wesen oder das formale Prinzip von einem Augenblick in den anderen ergießt; es ist ein fließendes Wesen (forma fluxa oder fluens), ein Wesen im Fluss.44 Gott sorgt dafür, dass es während seiner Dauer von Augenblick zu Augenblick von neuem verwirklicht wird, und diese Tätigkeit heißt in den Schulen »Erhaltung der Geschöpfe durch Gott«.45 Aber das ergibt sich nicht nach Gottes freiem Belieben, sondern es geht in der Welt vernünftig zu: Jede momentane Existenz ist Teil Erhaltung der Welt | 139

eines kontinuierlichen Verlaufs (tractus).46 Der Mathematiker Weigel scheint sich bei seiner Konzeption am Modell der endlichen Folge orientiert zu haben. Ich finde dafür keinen Beleg in den Texten, halte es aber für die einleuchtendste Möglichkeit, den Sachverhalt zu illustrieren. Das kann man sich am Beispiel der Folge gerader Zahlen klarmachen. Es sei a1 = 2 und n > 1. Dann lautet die Herstellungsanweisung oder (feierlicher) das Bildungsgesetz für die Folge gerader Zahlen von 1 bis 20, die als Folge (a1–10) bezeichnet wird: an–1 + 2 Entfaltet man diese Herstellungsanweisung in ihre einzelnen Glieder, so ergibt sich: a1 = 2, a 2 = 4, a 3 = 6 … a10 = 20. Bezieht man dieses Beispiel auf Weigels Konzeption von Wesen und Existenz, dann entspricht das Wesen der Herstellungsanweisung oder dem Bildungsgesetz. Die in ihre Einzelglieder entfaltete Folge entspricht der geordneten Aufeinanderfolge individuell verschiedener Existenzen in jedem Augenblick, in dem das Wesen neu verwirklicht wird. So, wie in jedem Glied der Folge das ganze Bildungsgesetz verwirklicht ist, erscheint in jeder Einzelexistenz das ganze Wesen. Weil aber das Wesen auch endlicher Dinge unendlich komplex ist, kann es unser Verstand in der Regel nicht fassen. Gottes unendlicher Verstand kennt es dagegen genau. Weil er nie willkürlich verfährt, berücksichtigt seine unendliche Rechenkraft bei der Erhaltung der Welt und ihrer Elemente die Gesamtheit der unendlich vielen Herstellungsanweisungen oder Bildungsgesetze von Individuen, die er bei der Planung der Welt erdacht hat – jedes davon ist mit jedem anderen und mit dem Ganzen kompatibel, denn die Welt ist vom göttlichen Rechenmeister erdacht und enthält keine Widersprüche. Das erinnert zunächst an Leibniz, in Wirklichkeit bestehen aber zwischen Schüler und Lehrer Meinungsverschiedenheiten. Leibniz verwirft zum Beispiel jeden Okkasionalismus und hält Weigels Behauptung, dass die Existenz der Geschöpfe nach jedem Augenblick wieder untergeht und bis auf weiteres von Gott durch eine von der vorigen real verschiedene Existenz ersetzt wird, für will140 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

kürlich und unbewiesen. Eine Ähnlichkeit gibt es jedoch bei der Annahme beider Autoren, dass beim gewöhnlichen Lauf der Welt (cursus ordinarius naturae), also außer im Fall göttlicher Wundertaten, in jedem Seienden die Abfolge der Ereignisse stetig und nicht sprunghaft erfolgt. Wenn man nur diesen Aspekt berücksichtigt, könnte man sogar sagen, dass eine Leibniz-Stelle wie die Beschreibung des Wesens von Caesar in § 13 des Discours de Metaphysique (GP IV, 438) ein instruktives Beispiel für Weigels Lehre vom Wesen ist. Dadurch sind allerdings die Dissense zwischen beiden Autoren nicht behoben. Die für Leibniz ganz wichtige Harmonie aller Dinge und Bewegungen im Universum, die sich im Grunde schon aus der Vollkommenheit des Weigelschen Rechenmeisters ergäbe, erwähnt Weigel zwar, 47 sie gehört aber keineswegs zu seinen zentralen Themen, und Ausdrücke wie »concinnum«, »compossibile« und »compatibile« spielen keine zentrale Rolle bei ihm. Weigels Konzeption von Wesen und Existenz, in der sich die Rückkehr der Mathematik in die Philosophie manifestiert, unterscheidet sich beträchtlich von der in den Schulen üblichen Theorie, die jedem endlichen Wesen über alle seine Augenblicke hinweg nur eine einzige Existenz zuweist. Die einzelnen Instanzen der Aufeinanderfolge momentaner Existenzen heißen bei Weigel Male (vices). Weil das lateinische »vices« keinen Nominativ Singular kennt, verwendet Weigel für ein einziges Mal den Ausdruck »semel«. Das von einem Mal zum anderen fließende Wesen durchläuft im Rahmen der göttlichen Welterhaltung eine kontinuierliche Folge von Malen, die wie die Momente der Zeit aufeinander folgen und sozusagen eine Linie bilden. Jedes frühere Mal muss dem späteren weichen, hängt aber kontinuierlich mit ihm zusammen. Jedes Wesen durchläuft unzählbar viele Male in einem einzigen kontinuierlichen Verlauf.48 Sobald ein Mal existiert, existieren alle vergangenen nicht mehr und alle zukünftigen noch nicht. Nur gegenwärtige Male existieren, aber kaum sind sie da, existieren sie schon nicht mehr – kein Mal ist vor dem folgenden gefeit.49 Weil in jedem Mal wie in jedem Glied einer Folge das ganze Bildungsgesetz (das ganze Wesen) verwirklicht ist, schreibt Weigel: Ein Mal ist das auf einmal angeschaute ganze Wesen eines Dings, und dieses Wesen verbindet die unendlich vielen Wiederholungen der Existenz zu einer Einheit. 50 Weil die unermessliche Menge der Male die Fassungskraft des Erhaltung der Welt | 141

menschlichen Verstandes übersteigt, neigen wir zu der Vorstellung, dass die Male dem Wesen wie Akzidentien zufallen, aber in Wirklichkeit kann das Wesen von Geschöpfen nur in Malen existieren; Male sind keine Nebensachen wie ein Akzidens, sondern viel mehr, nämlich das Ding selbst; Wesen, die nicht in Malen existieren, sind nicht mehr als Begriffe oder Begriffsansätze.51

Zeit und Dauer Weigels Meinungen über Dauer und Zeit hängen eng mit seiner Lehre von der Neuerschaffung der Dinge in jedem Augenblick zusammen. Bei seiner Erörterung der Bedeutung von »Zeit« spielen Sonderverwendungen wie die Zuordnung des Ausdrucks nicht zu »χρóνος« (chrónos), sondern zu »καιρóς« (kairós, einmalige Gelegenheit oder richtiger Zeitpunkt), aber auch der Wortgebrauch der Grammatiken, die Präsens, Präteritum und Futur als Zeiten bezeichnen, keine Rolle.52 Nach Weigel beruht die Zeit auf dem kontinuierlichen Übergang von einer früheren Existenz zur späteren, bei dem die Momente oder Augenblicke so angeordnet sind, dass der spätere die Stelle des früheren einnimmt. »Zeit« bedeutet die Verbindung von Augenblicken nach der Ordnung des Früher und Später. Weil jede augenblickliche Existenz in eine kontinuierliche Folge eingebunden ist, bilden alle Augenblicke zusammen ein li­nien­ förmiges Kontinuum mit Teilen außerhalb von Teilen, von denen jeder aufgrund des Wesens (sozusagen der Herstellungs­anwei­sung oder des Bildungsgesetzes der Folge) durch eine innere Relation mit dem vorhergehenden und dem folgenden verbunden ist.53 Gottes Plan, ein solches Wesen zu verwirklichen, wird nach Weigel durch einen göttlichen Willensakt in Kraft gesetzt. Weigel neigt nicht zu der Position, die man im radikalen Sinn des heutigen Sprachgebrauchs als Voluntarismus bezeichnet. Der entsprechende Verdacht hängt vielleicht damit zusammen, dass er Meinungen von Descartes übernahm, der dem Willen eine wichtige Rolle bei der Urteilsbildung zusprach, und sicher damit, dass er die Theorie fast unmittelbar in Praxis übergehen ließ. In Wirklichkeit gehen seine Texte detailliert auf das Verhältnis von Verstand und Willen ein. »Es hat das Gemüth des Menschen zwey Haupt-Kräffte und Poten142 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

tien / Verstand und Willen / (Intellectum, Voluntatem.) Der Verstand ist anfangs nur passiv [rezeptiv], und vom Vermögen unsers Leib-Thiers [unseres animalischen Anteils] (welches unserm Geist zum Werckzeug angeschaffen worden) nicht viel unterschieden. Beydes ist von der Gebuhrt wie eine rohe Schreibe-Tafel an und vor sich / die empfängt nur / was von aussen her ihr eingedruckt und eingeschrieben wird.«54 Derselbe Verstand wird zum »Intellectus AGENS« [activus], zum tätigen Verstand, sobald er Erkenntnis erstrebt. Mit diesem Streben rückt er nahe an den Willen heran und wird sozusagen zu dessen Einleitung.55 Denn der Wille sagt nur im Blick auf Ideen des Verstandes, die ihm Dinge so oder so vorstellen, dass er dies oder jenes will. Wenn er etwas will, unterstellt er, dass es so ist, wie der Verstand es ihm vorstellt.56 »Wenn der Geist ie eine Sach nicht nur erkennen will / […] sondern […] exequirt was er verlangt / entschleust sich würcklich dazu / greift das Werk selbst an / so viel an ihm ist / […] das ist von uns entschlossene und angebrachte freye That / davor wir billig stehen müssen.«57 Während der intellectus patiens »unfrey und von dem Willen gäntzlich unterschieden« ist, ist Weigels intellectus agens, der spontane Verstand, sozusagen ein Vorschein des Willens, der auf den Dingen entsprechende Vorstellungen aus ist. Demgegenüber ist der »eigentliche Wille« (»Voluntas principalis«) ein freies Vermögcn, das etwas als gut erstrebt oder als ungut meidet. Das Urteil über Gut und Ungut erfolgt allerdings schon vorher durch den intellectus agens selbst und geht nach Weigel nicht fehl, sofern dieses Vermögen »rechnend« auf der Grundlage »sicherer, unveränderlicher und deutlicher, also mathematisch gewisser Prinzipien«, urteilt.58 An der Ausübung der Fähigkeit zu rechnen (»vis computandi«) ist sowohl der Verstand, der das richtige Ergebnis erarbeitet, als auch der Wille beteiligt, der es sozusagen promulgiert, indem er dafür steht, dass es richtig ist. Weigels Darstellung steht inhaltlich der Willenstheorie nahe, die Francisco Suárez bei seiner Auseinandersetzung mit Gabriel Vásquez entwickelt hat und die man als suaristischen Voluntarismus bezeichnet. 59 Ob das auf bloßer Analogie oder auf Rezeption beruht, weiß ich nicht. Zeit ist ein kontinuierliches Quantum, und »Zeit« bedeutet: kontinuierliche Aneinanderreihung von Malen der Existenz. 60 »Tempus«, der lateinische Ausdruck für »Zeit«, hängt nach Weigel Zeit und Dauer | 143

mit »temperare« (mäßigen) zusammen: Dass die Existenz der Welt zeitlich begrenzt ist, hat zur Folge, dass sie immer wieder durch ihr Nichtsein im nächsten Augenblick gemäßigt und in die Schranken gewiesen wird – niemand soll glauben, dass seine Existenz notwendig ist.61 »Dauer« wird schon in Weigels früher Dissertatio posterior als Fortsetzung der Existenz definiert (diese Explikation kennen einige Leser von John Locke 62); Dauer kommt bei Dingen vor, die nicht immer, sondern nur eine Weile sukzessiv im Sein verharren. In der Philosophie verwendet man das Wort noch in einer weiteren Bedeutung, denn dort kann man auch Dingen Dauer zuschreiben, die nur für einen einzigen Augenblick oder wie Gott simultan existieren. Dann steht »Dauer« nicht für »Weile« als Anzahl von Malen oder die Sukzession von Malen, sondern für »Existenz« mit der Konnotation einer Länge. 63 Wenn unser Verstand den Ausdruck »Zeit« hört, stellt er sich unwillkürlich eine Bewegung vor und überträgt deren Sukzessivität auf die unsichtbare Zeit von Dingen. 64 Zwar ist die Dauer der Fortbewegung der Sonne nicht mit der Dauer der Welt identisch, sie gleicht ihr aber in der Gleichmäßigkeit ihres Fließens, und ihr perio­discher Wechsel ist Menschen so zugänglich, dass selbst Blinde den Tag von der Nacht und den Winter vom Frühling unterscheiden können. 65 Bewegung steht in enger Analogie zur Zeit, vor allem Ortsbewegung, die dem Fluss der Zeit am ehesten gleicht. Aber Ortsbewegung und Zeit sind nicht dasselbe, auch kann man nicht behaupten, Naturdinge seien nur aufgrund ihrer Bewegungen und Tätigkeiten zeitlich. Bewegung ist schon deshalb nicht dasselbe wie Dauer, weil sie manchmal schnell und manchmal langsam erfolgt; oft liegt sie sogar bei Null, während die Zeit in allen Dingen und Orten sich selber gleich bleibt, wie Aristoteles bewiesen hat. 66 Allerdings entfällt bei Weigels Theorie der beständigen Neuerschaffung die These, dass Ortsbewegung ein ursprüngliches Phänomen ist; jetzt ist sie nur noch etwas Sekundäres, denn nun gilt der Übergang von einem Mal zum anderen durch Neuerschaffung als ursprüngliche Bewegung (motus primus), aus der sich die Ortsbewegung als motus secundus ergibt: Gott erschafft ein Objekt, das wir als bewegt empfinden, im nächsten Augenblick an einem Ort, der seinem Ort im vorhergehenden Augenblick benachbart ist; das nehmen wir als Ortsbewegung wahr (Kino-Effekt). 67 144 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

Die Momente der Zeit folgen nach der Ordnung des Früher und Später aufeinander, doch gleicht ihre Anordnung insofern der räumlichen, als jedes einzelne Mal außerhalb seines schon vergangenen Vorgängers existiert. Die Ordnung der unmittelbaren Zeitmomente kann aber schon deshalb nicht räumlich sein, weil jede spätere Einheit den Ort der gerade vergangenen übernimmt – das wäre bei Korpuskeln unmöglich, denn sie sind undurchdringlich. Darin, dass die Gegenwart keine Zeit ist, stimmen alle Peripatetiker überein. So, wie ein Punkt nicht ausgedehnt ist, obwohl er das Prinzip der Ausdehnung ist, ist der Augenblick (»Zeitpunkt«) das Prinzip der Zeit, aber nicht die Zeit selbst. Die Sprache weicht von dieser Vorgabe manchmal ab, denn sie verwendet manchmal »jetzt«, das ursprünglich nur für den gegenwärtigen Augenblick steht, für eine Zeitspanne oder Weile, also für Anzahlen von Augen­blicken wie den heutigen Tag oder das laufende Jahr, 68 aber ein üblicher Sprachgebrauch ändert nichts am Prinzip. Auch ist es falsch, die Zukunft als Zeit zu bezeichnen – sie ist noch keine Zeit, kann aber zu einer Zeit werden. 69 Weigel unterscheidet innere und äußere Zeit. Die innere Zeit ist die fortgesetzte Existenz, also beim Menschen das immer wieder erneuerte Leben (Lebenszeit). Diese innere Zeit ist kein Akzidens, das zufällig, sondern etwas, das Menschen notwendigerweise zukommt, denn sie ergibt sich aus der sukzessiven Verwirklichung des Wesens. Weigel zeigt, dass die innere Zeit von etwas zwar nicht wie eine natürliche Substanz in der räumlichen Wirklichkeit existiert, aber dass sie dem Verstand sozusagen als Behältnis für Momente erscheint (»erfüllte Zeit«); deshalb deutet er die Zeit als abstrakte (gedachte) Substanz mit nur einer Dimension, die Momente beherbergt, und gibt ihr einen ähnlichen Status wie der Natur als dem Behältnis des Geschaffenen, der Zahlenwelt als Behältnis der Einer und Zahlen und dem natürlichen Raum als Behältnis existierender Körper.70 Im Lateinischen kann man deshalb von Zeiträumen sprechen (spatium temporis). Während der Raum der natürlichen Körper nach drei Dimensionen hin offen ist, ist der eindimensionale Raum der Zeit nur am Anfang und am Ende offen.71 Die äußere Zeit messen wir im Gegensatz zur inneren von außen her; Gott hat uns dafür mit dem Lauf der Sonne und des Mondes einen bequemen Maßstab gegeben.72 Sukzessive örtliche Bewegungen wie die Zeit und Dauer | 145

der Planeten umschreiben am Himmel einen Raum, den Tierkreis, und jede gemessene äußere Zeit beschreibt eine Strecke auf dessen Peripherie (eine Spanne).73 Wann-Fragen beziehen sich in ähnlicher Weise auf einen Punkt dieser Strecke, wie Wo-Fragen, die Himmelskörper betreffen, sich auf einen Punkt im Himmelsäther beziehen.74 Die äußere Zeit wird aber auch mit anderen Maßstäben gemessen. Man verwendet, wenn man nach Jahren zählt, als äußeres Maß die Bewegung der Sonne durch den Tierkreis, und wenn man nach Tagen zählt, die Bewegung der Sonne bei ihrem täglichen Umlauf um die Erde. Außer solchen sachlich plausiblen Maßen gibt es noch sogenannte übertragene Maße; dazu gehört zum Beispiel die vierfache Dauer der Zeitspanne, die man braucht, um das Alphabet herzusagen; damit kann man die Kochzeit für Hühnereier bemessen.75 Schließlich kann man die Dauer von etwas unter Zuhilfenahme eines von Menschen geschaffenen Kalenders bestimmen; die Kunst, Kalender zu erstellen, heißt Chronologie beziehungsweise Chronographie76 und war für Weigel von besonderer Bedeutung.77 Die Zeitspanne, in der endliche Dinge existieren, ist nicht endlos, sondern begrenzt, aber manchmal überlisten wir die Vergänglichkeit mit Hilfe von Einbildungskraft und Erinnerung. Erinnerung besteht für Weigel darin, dass Gott auf unseren Wunsch hin frühere Sinneseindrücke in uns wiederholt.78 Wenn er jedoch die Erinnerung an frühere Zeitspannen wieder aufleben lässt, indem er sie sozusagen aus dem Fluss der Zeit herausfischt, nehmen wir sie als Nebeneinander vergangener Augenblicke räumlich wahr – unsere Erinnerung überspielt die Sukzessivität der Zeit und verwandelt sukzessive Male in simultane. Wenn sich der Geist auf diese Weise erinnert und frühere Existenzen ähnlich wie Inhalte des natürlichen Raums nebeneinanderstellt, werden ihm vergangene Existenzen fast so präsent wie die jetzige. Deshalb bezeichneten die Lateiner den Raum, den erinnerte Male erfüllen, als Zeitraum.79 Aber auch in einem anderen Sinn bleibt uns Vergangenes gegenwärtig. Erinnerte Zeit kann, obwohl sie vergangen ist, in einem anderen Sinn gegenwärtig bleiben, denn manchmal werden Dinge so affiziert, dass Spuren davon viele Augenblicke überdauern. Dann affiziert ein längst vergangener Augenblick unser gegenwärtiges Leben. 80 Ein einfaches Beispiel dafür sind Narben. 146 | Erschaffung und Erhaltung der Welt

Eine Weile ist eine Spanne Zeit, die sich über mehrere Augenblicke erstreckt – eine Strecke auf der Linie der Zeit. In Weigels Angabe, dass Dauer die Fortsetzung der Existenz wirklicher Dinge über eine Zeitspanne hinweg ist, ist die Einschränkung »wirklicher Dinge« nicht überflüssig, denn das Mögliche steht außerhalb der Zeit. 81 Weigel unterscheidet wie die Schulwissenschaft drei Arten von Dauer. Die erste, Gottes Dauer, ist unveränderlich und nicht sukzessiv, sondern sie ereignet sich in einem unendlichen Augenblick und ist unbegrenzt; man bezeichnet sie als Ewigkeit (aeternitas). Die zweite, die Dauer von Geschöpfen, ist begrenzt. Bei unsterblichen Geschöpfen wie der menschlichen Seele ist sie dadurch begrenzt, dass die Seele zwar kein Ende, aber einen Anfang hat; diese Art von nur zur Zukunft offener Dauer nennt man aeviternitas. Bei anderen Geschöpfen ist die Dauer sogar nach Anfang und Ende begrenzt, und das bezeichnet man als Zeitlichkeit. 82 Das Ende der Dauer, schreibt Weigel, heißt Vergehen; ob ein Geschöpf vergänglich oder unvergänglich ist, entscheidet Gott. Als er am Anbeginn der Welt die Materie hervorbrachte, bestimmte er sie zu Arten; Exemplare der Art Fixstern erhält er stets im Sein, aber andere vergehen nach einiger Zeit. Zu diesen gehören die meisten Körper unterhalb des Mondes; sie entstehen, vergehen, ändern sich, wachsen und nehmen ab. 83 Bei einigen sublunarischen Dingen wie Gold oder Asbest gehört die Zeitlichkeit nicht zum Wesen, doch kann man sie trotzdem mit besonders starken Ursachen zerstören84 (so geschah es bei Asbest im Jahr 1687 durch Ehrenfried Walther von Tschirnhaus unter Verwendung von Hochleistungsbrennspiegeln). 85

Zeit und Dauer | 147

9. Okkasionalismus Zusammenspiel von Gott und Geschöpfen Weigel betrachtet die Mitwirkung Gottes bei allen Tätigkeiten, die Geschöpfen zugeschrieben werden, als Begleiterscheinung von Gottes Erhaltung der Welt. Bis weit ins 17. Jahrhundert hielten die meisten christlichen Theologen und Philosophen Geschöpfe nicht so, wie es heute üblich ist, für Vollursachen ihrer Wirkungen. Sie galten im Normalfall als Teilursachen und in Sonderfällen als völlig wirkungsunfähig. Weil Gott sie aus dem Nichts erschaffen hat, reicht ihre Kraft zur selbständigen Fertigstellung von Tätigkeiten nicht aus. Aber das, was ihnen an Kraft fehlt, steuert Gott nach der bis vor fünfhundert Jahren herrschenden Meinung zu den von ihnen gewünschten Handlungen bei; diesen Vorgang bezeichnete man als concursus divinus oder göttliche Mitwirkung bei den Tätigkeiten der Geschöpfe. Man unterschied zwei Arten geschöpflicher Tätigkeit, nämlich solche, die Geschöpfe ihrer Natur nach miterbringen können, und solche, bei denen sie versagen. Im ersten Fall fungieren sie als Mitursachen, zum Beispiel Feuer beim Brennen, Hunde beim Bellen und Menschen bei der Verrichtung ihrer Alltagsarbeit. Manchmal übersteigt aber eine gewünschte Tätigkeit ihre Kraft, zum Beispiel dann, wenn Menschen sich fliegend in die Luft erheben wollen oder wenn ein Mann nicht nur einen Organismus, sondern einen Organismus mit einer vernunftbegabten Seele zeugen möchte. In solchen Fällen sind Menschen nicht einmal Mitursachen, Ihr Wunsch zu fliegen widerstreitet der Ordnung der Natur und wird von Gott nicht berücksichtigt. Das Verlangen, einen vollständigen Menschen mit einer vernünftigen Seele zu zeugen, widerstreitet zwar nicht der Ordnung der Natur, denn diese verlangt nach Genesis 1.28, dass wir wachsen und uns mehren. Ein menschlicher Vater kann aber nach Meinung vieler Autoren (vor allem römischer Konfession) nur den Leib seiner Kinder zeugen, denn Zeugung ist ein körperlicher Akt, und Körperli148

ches bringt nichts Geistiges hervor. Deshalb kann der Vater den Leib seines Kindes nicht selbst mit der vernünftigen Seele versehen, die es braucht, um ein Mensch zu sein. Weil aber die Ordnung der Natur nun einmal verlangt, dass Menschen eine vernünftige Seele haben, springt Gott in solchen Fällen notgedrungen ein und wird dadurch zur alleinigen Ursache der vernünftigen Beseelung, der die Kraft von Menschen nicht gewachsen ist.1 Den Beitrag, den Geschöpfe in solchen Fällen leisten, kann man nicht ernsthaft als Mitursächlichkeit bezeichnen; er gehört vielmehr in eine Grauzone von Kausalität (Quasikausalität), die man heute unter Bezeichnungen wie »anstiften«, »Drähte ziehen«, »auslösen«, »steuern«, »Lobbyarbeit leisten«, »Schreibtischtäter sein«, »influenzen« oder »verführen« kennt. Ihr Ziel ist es, andere Ursachen dazu zu bewegen, dass sie Tätigkeiten übernehmen, die man selbst nicht erbringen kann oder mag. Damals wird diese Art zu wirken den Nebenursachen oder Beiursachen zugerechnet und erscheint in der Gattung causae per accidens sehr differenziert unter Bezeichnungen wie »Beiursache«, »Gelegenheit« (occasio), »vermittelnde Ursache« (causa media, bei Weigel: medium), Instrumentalursache (causa instrumentalis), »anstiftende oder anreizende Ursache« (causa procatarctica)«, »Anreiz« (excitatio) oder Verführung (seductio, occasio). Bei Malebranche bekommt sie den Namen »cause occasionnelle«; im 18. Jahrhundert setzt sich dieser Ausdruck als »Gelegenheits­ursache« auch bei uns durch.2 Quasiursachen oder Beiursachen stiften die wirkliche Ursache von außen dazu an, tätig zu werden. Die wirkliche Ursache aller vernünftigen Seelen ist Gott; irgendetwas reizt ihn von außen dazu an, die Aufgabe der Beseelung anstelle des hier unvermögenden menschlichen Vaters zu übernehmen, denn sie muss nach der Ordnung der Natur geleistet werden. Im Fall der Eingießung einer Seele durch Gott übt der Foetus die auslösende Beiursächlichkeit oder Quasi-Kausalität dadurch aus, dass er sich einen bestimmten Organisationsgrad erarbeitet; dieser ist das Mittel, die mittelbare Ursache oder occasio, die Gott dazu veranlasst, ihm eine vernünftige Seele einzugießen. Schon in den üblichen Concursuslehren wird in Sonderfällen wie diesem die kausale Situation vorkonstruiert, die Okkasionalisten zur Normalsituation erklären. Vertreter üblicher Concursuslehren halten das Zusammenwirken von Gott und GeschöpZusammenspiel von Gott und Geschöpfen | 149

fen in der Weise von Mitursachen oder Partnerursachen für den Normalfall, während die Anstiftung Gottes zur vollen Übernahme von Tätigkeiten, die die Fähigkeit von Geschöpfen übersteigen, als Ausnahme gilt. Wirkungen Gottes, bei denen er für Geschöpfe einspringt, hält man aber bis weit ins 17. Jahrhundert für natürliche Wirkungen, weil sie zur Wahrung der Ordnung der Natur erforderlich sind. Im Rahmen einer folgenreichen ideologischen Neuorientierung, an der für unser Land Leibniz nicht unbeteiligt ist, gab man jedoch im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts diese Meinung auf und ging dazu über, nur noch unmittelbare Wirkungen natürlicher Ursachen als natürlich zu bezeichnen und alle durch deren Versagen ausgelösten Eingriffe Gottes in den üblichen Lauf der Natur (ordinarius cursus naturae) als übernatürliche Wunder (not of course) anzusehen. Mit dem Themenkomplex der Einwirkung von Geschöpfen auf Gott hängt der der Einwirkung Gottes auf Geschöpfe zusammen. Bei dieser werden ähnliche Quasi-Kausalitäten wie die oben skizzierten konstruiert. Im Mittelpunkt der theologischen Diskussionen, die Philosophen als Anregung dienten, stand die sogenannte helfende Gnade Gottes (auxilium), bei der sich die Frage stellt, wie der rechtfertigende Gott auf Menschen einwirkt, ohne ihre Freiheit anzutasten. Vorschläge von Dominikanern und Jesuiten fanden breite Beachtung; noch Leibniz diskutierte sie in der Théodicée. Der Dominikaner Domingo de Báñez begründete in Anlehnung an Thomas von Aquin den sogenannten Bañezianismus, und die Jesuiten Luis de Molina, Francisco Suárez und Robert Bellarmin erarbeiteten den sogenannten Molinismus und seine Modifikationen. Der Vorschlag der römisch-katholischen Bañezisten wurde auch von Jansenisten und reformierten Theologen gebilligt, während das Angebot der Jesuiten bei niederländischen Remonstranten, Calvinern, die Calvins Rechtfertigungslehre ablehnten, und auch bei deutschen Lutheranern Anhänger fand. Bañezisten gehen davon aus, dass Menschen nur dann aktiv werden können, wenn Gott sie bei der Erhaltung der Welt als Handelnde berücksichtigt – er befähigt sie dadurch zum Handeln, dass er ihren Willen bei der Neuerschaffung der Welt in jedem Augenblick zu bestimmten Handlungen determiniert (praedeterminatio physica); die Alternative wäre eine moralische Motivation von außen her. Weil kein Ge150 | Okkasionalismus

schöpf der göttlichen Vorherbestimmung widerstehen kann, weiß Gott im Voraus, wie sich Menschen in beliebigen Situationen entscheiden werden. Dadurch wird die menschliche Willensfreiheit nicht angetastet, sondern erst ermöglicht, denn Gott erschafft die Kraft des Menschen, die es sonst nicht gäbe, und setzt sie für die von Menschen gewünschten Tätigkeiten ein. Das impliziert jedoch, dass er bei der kontinuierlichen Neuerschaffung der Welt alle individuellen Situationen mitberücksichtigt, damit keine Inkompatibilitäten entstehen. Nach der Gegenmeinung der Molinisten determiniert Gott Vernunften nicht physisch zu bestimmten Handlungen, denn er vermeidet Zwang gegenüber Vernunften; Willensentscheidungen beeinflusst er nur durch Motivation von außen. Moralische Subjekte bestimmen sich selbst zum Handeln, aber Gott trägt als Mitursache (concausa) zur Verwirklichung ihrer Entscheidungen bei. Diese wartet er ab, danach aber kooperiert er aus Respekt vor der Freiheit des Menschen. Er selbst bleibt frei, obwohl er sich hier von Geschöpfen abhängig macht, denn er hat von Ewigkeit her in Freiheit beschlossen, freie Entscheidungen vernünftiger Wesen zu respektieren und auch dann zu kooperieren, wenn er selbst sie nicht billigt. Nach Meinung auch der Molinisten erkennt Gott die Entscheidungen freier Geschöpfe im Voraus, aber nicht deshalb, weil er sicher ist, dass seine physischen Vorkehrungen erfolgreich sein werden, sondern weil sich sein Vorherwissen auch auf kontingent zukünftige Ereignisse (futuribilia, futura contingentia) erstreckt. Weil er im Gegensatz zur Meinung der Bañezisten vernünftige Geschöpfe nicht physisch vorherbewegt, kann er ihre freien Entscheidungen weder mit seinem unendlichen Faktenwissen (scientia visionis) noch mit seinem unendlichen Wissen über Mögliches (scientia simplicis intelligentiae) vorauserkennen. Deshalb müssen Molinisten noch eine dritte göttliche Wissensart konstruieren, die Gott zur Erkenntnis bedingt zukünftiger Handlungen befähigt. Weil dieses Wissen zwischen dem Vorherwissen notwendiger Fakten und der Kenntnis aller Möglichkeiten sozusagen in der Mitte steht, bezeichnet man es als scientia media (mittleres Wissen). Darüber, ob es anzunehmen ist, wird heftig gestritten. Die billigende Verwendung des Ausdrucks »scientia media« ist ein Indiz dafür, dass der betreffende Autor wie viele Lutheraner und RemonstranZusammenspiel von Gott und Geschöpfen | 151

ten den Vorschlag der Jesuiten akzeptiert. Seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts schwindet der Glaube an Gottes Mitwirkung bei allen geschöpflichen Tätigkeiten allmählich dahin. Dadurch kommt es zu einer fundamentalen Veränderung des Selbstverständnisses der Europäer.

Weigels Okkasionalismus Weigel entscheidet sich weder für die Theorie der Dominikaner noch (wie sein Schüler Hebenstreit) für die der Molinisten, sondern entwickelt eine Lösung, die man seit dem Ende des 17. Jahrhundert als okkasionalistisch bezeichnet. Er schließt sich also einer vielgestaltigen Bewegung mit einer langen Geschichte an, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts anlässlich der DescartesRezeption eine neue Blüte erlebte; sie tritt allerdings erst in Weigels späten Schriften sehr deutlich hervor. Schüler wie Johann Christoph Sturm und Georg Albrecht Hamberger folgten Weigel bei dieser Wendung, während Hebenstreit sie ablehnte. Der junge Christian Wolff übernahm sie von seinem Lehrer Hamberger, doch wurde sie ihm bald durch Leibniz wieder ausgetrieben3 . Weigels Okkasionalismus zieht Konsequenzen daraus, dass Erhaltung der Welt und creatio continua dasselbe sind. Eine Ursache ist das, was etwas anderem Sein zufließen lässt, eine Wirkung das, was dem Sein von etwas anderem zufließt.4 Bei Mitwirkungsfragen geht es vor allem um die Wirkursache (causa efficiens, causa a qua).5 Gott erschafft alle Dinge in jedem Augenblick von neuem. Er ist in der Welt die einzige wirkliche Wirkursache. Mit dieser Folgerung verträgt sich nicht die Annahme, dass auch Geschöpfe effizient sein können, denn wenn sie zuträfe, gäbe es nicht nur eine, sondern viele Wirkursachen. Für den Übergang zu okkasionalistischen Lösungen sprechen im 17. Jahrhundert auch nicht-vernunfttheologische Argumente, zum Beispiel physikalische. Viele neue Autoren ziehen Konsequenzen aus der Meinung, dass sich alle Körper nach mathematisch erfassbaren Naturgesetzen bewegen. Körper können aber keine Mathematik; sie haben keinen Verstand, und trotzdem entsprechen ihre Bewegungen solchen Gesetzen. Folglich können sie nicht die Ursachen ihrer eigenen Ortsbewegungen sein. 6 Abge152 | Okkasionalismus

sehen davon lehrt Descartes, dass das Universum erfüllt ist und keine Vakuen zulässt. Dann aber ist ein natürlicher Körper aus eigener Kraft gar nicht zu Ortswechseln in der Lage, denn im erfüllten Universum müsste er, um einen benachbarten Körper aus seinem Ort zu verdrängen, alle anderen Körper mitbewegen. Die einzige Instanz, die dazu genug Kraft hat, ist Gott. Folglich kann nur er die Ursache der Ortsbewegungen von Körpern sein. Damit ist über die Fähigkeit von Geistern, ihre spezifischen Tätigkeiten Denken und Wollen aus eigener Kraft zu vollziehen, noch nichts entschieden; sie wird in der Regel weiter akzeptiert, damit auch weiterhin die Annahme der Verdienstlichkeit und Schuldfähigkeit von Menschen möglich bleibt. Weigel unterscheidet, um das Problem zu beheben, Effektivität (efficacia) von Quasieffektivität (effectivitas). Gott allein hat wirkliche Kausalität oder efficacia, Geschöpfe haben nur effectivitas, erborgte Kausalität.7 Diese ist sozusagen ein Kredit Gottes, den wir schnell verbrauchen, den Gott aber wieder auffüllt, solange er mag. 8 Kredite Gottes beantragen Geschöpfe durch Mittel (Weigel spricht von »media«; üblicher wäre »causae mediae« oder »occasiones«), die sozusagen als Gutscheine für Leistungen Gottes fungieren. Gott wird in der gewünschten Weise tätig, sobald ein Geschöpf das von ihm eingesetzte Mittel vorlegt.9 Durch diese Annahme gerät man erneut mit einem Herzstück aristotelischer Philosophien in Schwierigkeit, nämlich mit der Lehre von der substantiellen Form als Entelechie (Ziel-in-sich-Habung): Ein Okkasionalist kann nicht mehr behaupten, dass etwas Geschaffenes wie die substantielle Form die Wirkursache der Bewegungen des Körpers ist. Weigel deutet auch deshalb die Form von Naturdingen um und versteht sie als Anordnung der Korpuskeln und Teile. Sie wird nun nicht mehr als zweckgerichtete innere Bewegungskraft verstanden, sondern als Orientierung für Tätigkeiten Gottes bei der Verteilung der Bewegung auf Einzelkörper (»distribution des mouvements«). Gott ist der alleinige Beweger, aber er orientiert sich, wenn er Dinge bewegt, an ihrer Form im neuen Sinn.10 Das Einzige, was vernünftige Geschöpfe nach Weigel noch unmittelbar hervorbringen können, sind immanente Denk- und Willensakte; durch diese Annahme wird ihre persönliche Freiheit und Verantwortlichkeit gesichert. Der Verstand kann denken, was er Weigels Okkasionalismus | 153

will, er kann sogar entia rationis erzeugen, und der Wille kann unmittelbar zwischen möglichen Handlungen wählen. Aber die Verwirklichung seiner Wahl hängt nicht von ihm, sondern von Gott ab, des Näheren von den Mitteln oder occasiones, die er eingesetzt hat und die Weigel gelegentlich auch Zeichen nennt, denn sie dienen als Signale, mit denen endliche Wesen Gott dazu ver­ anlassen, die von ihnen gewünschten Wirkungen hervorzubringen. Das tut er freilich nicht ad hoc durch Einzelmaßnahmen, sondern er erschafft die Welt im nächsten Augenblick so, dass alle übrigen Elemente mit der Erfüllung menschlicher Wünsche verträglich sind. Mittel stiften Gott zum Handeln an, Geschöpfe senden ihm Signale, die man Mittel nennt, um ihn zu bestimmten Tätigkeiten anzureizen. Menschliche effectivitas, das Gegenstück zu Gottes efficacia, besteht (unbeschadet der Fähigkeit zu geschöpflichen Verstandes- und Willensakten) nur in dem Vermögen, göttliche Wirkungen durch Mittel auszulösen.11 Geschöpfe wären den Aufgaben, die die Erhaltung der Verträglichkeit aller Teile des Universums miteinander stellt, gar nicht gewachsen. Aber sie haben wenigstens die Fähigkeit, mit Denk- und Willensakten passende Mittel auszuwählen und einzusetzen. Bei vergleichbaren Autoren heißt das, was Weigel Mittel nennt, notwendige Bedingung (condicio sine qua non) oder occasio; auch Weigel verwendet gelegentlich diese Terme. Er ist nach konzeptualistischer Tradition wie später David Hume davon überzeugt, dass zwischen natürlichen Ursachen und Wirkungen kein kausaler Nexus besteht: Kausale Verknüpfungen beruhen nicht auf der Natur von Dingen, sondern auf Gottes Gutdünken;12 bei Hume wird ein halbes Jahrhundert später die Natur an Gottes Stelle treten – ihre Weisheit setzt kausale Verknüpfungen ein. Weigels häufige Hinweise darauf, dass Gott uns eine Fülle von Mitteln zur Verfügung stellt, sind implizit auch Hinweise auf die Wichtigkeit mathematischer und mechanischer Forschungen, denn nicht zuletzt von diesen hängen Privatwohl und Gemeinwohl ab. Im Glücksfall entdecken Forscher vorher unbekannte mechanische Mittel, mit denen sie Gott dazu veranlassen können, bei der Erleichterung ihres Lebens durch die Verwirklichung neuer ­Maschinen und Verfahren mitzuhelfen und dadurch das private und öffentliche Wohl zu fördern. Von jemandem, dem die Entdeckung solcher Mittel gelingt, sagt man mit Recht, dass 154 | Okkasionalismus

er etwas geleistet hat, wenn auch nicht aus eigener Kraft.13 Dass Weigel gelegentlich »occasio« als Synonym von »medium« verwendet, ist ein Zeichen dafür, dass er sich an der damals mächtigen Richtung des Okkasionalismus orientiert, allerdings nicht an dem etwas späten Malebranche, denn dann spräche er nicht von occasiones, sondern mit Malebranches Wortwahl von causae occasionales. Noch im späten 17. Jahrhundert wurde der Okkasionalismus als Systema causarum occasionalium bezeichnet; Bilfinger verkürzte das zu »Systema occasionale«,14 aber erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich bei uns neben vielen anderen *musAusdrücken der an Malebranche orientierte Ausdruck »Okkasionalismus« durch, den auch Kant verwendet.15 Das Wort entstand anscheinend unter dem Eindruck der späten Bildung »causa occasionalis«, durch den der Mediziner Jean Baptiste van Helmont den traditionellen Term »causa procatarctica« ersetzten wollte. Der cartesianische Mediziner Louis de La Forge verwendete das neue Wort zweimal in philosophischen Zusammenhängen,16 aber erst durch den viel einflussreicheren Malebranche wurde es zum Regelausdruck, den man in Deutschland noch heute wie Schiller mit »Gelegenheitsursache« übersetzen kann. Bei cartesianischen Autoren wurden okkasionalistische Theorien in der Regel nicht wie bei Weigel im Blick auf die creatio continua formuliert, sondern dort dienten sie zunächst zur Behebung systematischer Schwierigkeiten bei der Wechselwirkung zwischen materieller und geistiger Substanz. Die meisten dieser Schwierigkeiten sind heute schwer zu verstehen, aber viele damalige Wissenschaftler hielten sie für beachtenswert. Von der Qualität seiner okkasionalistischen Theo­ rie war Weigel so überzeugt, dass er sie in die Liste seiner theoretischen Erfindungen aufnahm.17 Die Bestimmung, in welchem Umfang Gott an unseren natürlichen Handlungen beteiligt ist, hat Folgen für die private Frömmigkeit. Eine okkasionalistische Lösung macht es nach Weigel leichter, dem heimlichen Heidentum, das sich in Astro- und Geomantik, in Aberglauben und anderen Irrtümern äußert, ein Ende zu bereiten.18

Weigels Okkasionalismus | 155

Umgang mit Mitteln Gott wirkt im Rahmen seiner allgemeinen Erhaltungstätigkeit immer und überall mit den Geschöpfen zusammen, solange sie die Gesetze der Natur respektieren und die von Gott bereitgestellten Mittel oder occasiones verwenden. Nur dann, wenn er ein Wunder wirken will, reagiert er mit Ad-hoc-Maßnahmen; in allen anderen Fällen verfährt er sozusagen global: Bei der Erstellung der nächsten momentanen Weltexistenz berücksichtigt er gegebenenfalls den gewünschten individuellen Bewegungszustand und sorgt dafür, dass dieser mit den Bewegungszuständen aller anderen Körper im Universum harmoniert. Damit die Botschaft von der grundsätzlichen Ineffizienz des Menschen nicht entmutigend wirkt, macht Weigel klar, dass das quasikausale Auslösen von Wirkungen Gottes und das Finden der richtigen Mittel für die damalige Nachkriegsgesellschaft besonders nützlich ist. Denn es gibt Geschöpfen, die keine eigene Wirkkraft haben, die Möglichkeit, trotzdem ihre Ziele zu verfolgen und ihre persönlichen Bedürfnisse und die ihrer Mitbürger zu befriedigen.19 Durch Anzünden einer Kerze löst man Licht aus, durch Abbrennen von Holz Erwärmung. Der sachgemäße Einsatz solcher Mittel zur Auslösung göttlicher Wirkungen ist für Gewerbe und Manufakturen wichtig. Der Mensch plant Kunst- und Handwerksprodukte oder Bauwerke nach den Gesetzen der Natur und informiert am Ende durch Anwendung geeigneter Mittel Gott darüber, dass er ihre Verwirklichung wünscht. Zuerst hat er den Willen, eine klare Vorstellung von dem geplanten Objekt zu bekommen, danach den Wunsch, dass es realisiert wird, und er drückt ihn durch geeignete Zeichen oder Mittel aus. Wenn man sich an Gottes Mittelangebot hält, verwirklicht er die Wünsche so, wie es die Kompatibilitäten erlauben.20 So entstehen Maschinen und sonstige Artefakte jeder Art, auch chemische Arte­ fakte, die bei Krankheitsfällen hilfreich sein können. Mechanische Mittel führen zur Erleichterung der Arbeitslast, denn man kann durch sie mit verhältnismäßig geringer Mühe Materialien in die Größe, Gestalt und Lage versetzen, die für das Funktionieren von Maschinen und Automaten erforderlich ist.21 So treten neben natürliche Dinge, deren Existenz unmittelbar auf Gottes Wirken zurückgeht, Produkte von Geschöpfen, deren Verwirklichung den 156 | Okkasionalismus

Einsatz manchmal sehr komplizierter Mittel voraussetzt. Menschen erschaffen sie, aber nicht mit eigener Hand; sie geben sie sozusagen bei Gott in Auftrag, das können sie jedoch nur, wenn sie mit den passenden Mitteln vertraut sind. Diese zu erforschen, gehört zu den Aufgaben wissenschaftlicher Forschung und Lehre. Weigel betont, dass man darüber hinaus bereits gefundene Mittel ständig verbessern muss; es genügt nicht, sich mit einem einzigen Mittel zufriedenzugeben, das man irgendwann mehr oder weniger zufällig entdeckt hat. Man muss vielmehr lernen, stets auf der Suche nach einfacheren und ertragreicheren Mitteln zu sein, um die Herstellung von Artefakten zu optimieren. Das macht Mühe, die man nicht scheuen darf. Zwar hat uns Gott für Wirkungen, die für unser Überleben wichtig sind, sehr einfache Verfahren zugewiesen, zum Beispiel Essen bei Hunger und Trinken bei Durst. In anderen Fällen hat er uns aber mit Absicht die kürzesten Wege verborgen, damit wir Übung im Entdecken von Mitteln bekommen und uns noch intensiver freuen, wenn wir bisher verborgene Erkenntnisse ans Licht befördern. Dann aber freut sich auch Gott darüber, dass wir gern mit seiner Weisheit spielen und dass es uns Freude macht, mit ihr zusammenzuarbeiten.22 Ob sich Menschen um die Entdeckung und Verfeinerung von Mitteln bemühen, ist nach Weigel nicht in ihr Belieben gestellt, denn das Gemeinwesen ist auf ihre Beiträge angewiesen. Genügend viele Menschen müssen die zum Finden von Mitteln erforderlichen Forschungsmethoden lernen; Weigel schwebt weniger das Recht zu lernen als die Pflicht zu lernen vor, die ihrerseits die Pflicht zu guter Lehre einschließt. Wir dürfen bei der Suche nach Mitteln nicht träge werden und die Hilfen verschmähen, die Gott uns dauerhaft vorhält, und müssen immer besser lernen, mit welchen Mitteln man Gottes Tätigkeiten zum größten allgemeinen Nutzen auslöst. Weigels Schüler Johann Christoph Sturm äußert sich so: Nur jemand, der sich mit Mitteln auskennt, kann würdigen, was Konstrukteure leisten. Ihre Willensakte sind zwar nicht die wahren Wirkursachen, aber sie sind occasiones oder Bedingungen dafür, dass Maschinen so funktionieren, wie sie es planten. Das schmälert ihre Leistung nicht, denn ohne ihre Erfahrung mit Mitteln hätte Gott ihre Projekte nie fertiggestellt. Es bleibt also genug, das wir uns bei Erfolgen als Leistung zuschreiben können.23 Weigel Umgang mit Mitteln | 157

denkt so praktisch, dass er sogar auf die Müdigkeit eingeht, die auf das Suchen nach Mitteln und auf die Anstrengungen zu ihrer Optimierung folgt. Wenn wir uns lange mit dem Auffinden von Mitteln abgemüht haben, lässt Gott zwar nicht unser Interesse erlahmen, doch legt er uns häufig Ermüdungen auf, denn er möchte vermeiden, dass ein einzelner Mensch zu vieles will – auch für andere soll Arbeit übrigbleiben.24

158 | Okkasionalismus

10. Imposition und Werte Imposition Jedes Ding ist von Natur aus mehr als Nichts (> 0), denn Gott hat bei seiner Erschaffung seinen positiven Wert bestimmt, um es aus dem Nichts auszugrenzen. Die Bibel bestätigt das durch die Mitteilung, dass er die Welt nach Gewicht, Maß und Zahl erschaffen hat. Die Auferlegung von Werten, genauer, von Zahlenwerten, bezeichnet Weigel als Imposition (impositio). Göttliche Wertimpositionen gehen zwar auf Gottes Willen zurück, sind aber nicht willkürlich, sondern ergeben sich aus der Berechnung des Wertes aller Quantitäten und Relationen von Dingen.1 Sofern es sich um körperliche Werte handelt, erkennen wir sie in der Sinneswelt denominativ als sinnlich wahrnehmbare ausgedehnte Objekte, aber wenn wir sie ästimativ ermitteln, erscheinen sie als numerische oder alphanumerische Zeichen. Auch für unkörperliche Schöpfungen legt Gott einen Wert fest, zum Beispiel für reine Geister oder Naturrechtsgebote.2 Materielle menschliche Produkte, deren Wert von Menschen bestimmt wurde, bezeichnet man als Artefakte, im Grunde sind sie aber ebenfalls natürlich, denn sie gehorchen denselben Gesetzen wie natürliche Entitäten3 und zählen daher zu den Gegenständen der Physik. Niemand, der seiner Sinne mächtig ist, käme auf den Gedanken, von Tieren hergestellte Artefakte wie Spinnweben, Bienenwaben, Seidenfäden oder Muschelschalen für weniger natürlich zu halten als Sandhügel, die der Wind aufträgt;4 für menschliche Artefakte hat dasselbe zu gelten. Bei einigen nur gedachten Entitäten wie Naturrechtsgeboten ist die Lage allerdings komplizierter. Sie heißen bei Weigel nicht Artefakte, denn sie sind nicht materiell. Hergestellt werden können sie von Gottes Vernunft oder von geschöpflichen Vernunften. Gott hat zum Beispiel bestimmt, dass Menschen gesellig leben sollen, 5 und deshalb gehört dieses Naturrechtsgebot zu dem Teil des Seienden, den Gott unmittelbar erschaffen hat. Nun können Gesellschaften monarchisch, aristo159

kratisch oder republikanisch organisiert sein, denn dass uns Gott auf keine dieser Regelungen festgelegt hat, ist ein Zeichen dafür, dass er ihre Imposition uns anvertrauen wollte. Regierungsformen gehören mithin zu dem von menschlichen Vernunften geschaffenen Seienden, 6 obwohl ihre Einsetzung letztlich auf einem göttlichen Gebot beruht. Anfangs führte Weigel nur notionale und moralische Werte auf Imposition zurück; natürliche Körper galten ihm weiterhin als unmittelbar von Gott geschaffen. Später deutete er auch ihre Erschaffung in eine Imposition um. Die neue Theorie entstand vermutlich gegen Mitte der siebziger Jahre; in den Spätschriften wurde sie näher ausgeführt, zum Beispiel in der Aretologistica von 1687 und in der Philosophia mathematica von 1693. Behme nennt eine Stelle aus der Aretologistica, in der Weigel versucht, die neue Meinung mit der alten zu versöhnen: »Und so besteht die Würcklichkeit / Realitet und Existenz der endschafftlichen Dinge / Ursprünglich zwar im Schaffen / das ist / im Befehlen, daß ein Denkbild an statt nichts dasselbe / was es bildet / würcklich seyn / und davor gelten soll / und die Darstellung ohne Mittel heißt Creatio, die Schaffung; durch gewisse Mittl / heists Productio, die Darstellung eines Wesens an statt nichts durch was. Selbst aber an dem Ding besteht die Würcklichkeit in Actu, in der That der Geltung vor was an statt nichts […].«7 Zur Erweiterung des Bereichs der impositiven Geltung über moralische und notionale Werte hinaus bewog Weigel vermutlich das Interesse an der Behandlung aller Erkenntnisgegenstände nach den gleichen Regeln. Wenn man ein Ding als endlichen Zahlenwert anstelle von Nichts definiert, macht man es zum Gegenstand der Mathematik. Sofern auch der Mensch durch Imposition moralische und notionale Werte wie Wörter, Zahlen und andere Zeichen einsetzen kann, erweist er sich als Ebenbild des Schöpfers. Wir produzieren aus vorgegebenem Material körperliche Artefakte wie Brote und Uhren durch Imposition, aber wir erzeugen durch Imposition auch unkörperliche Entitäten wie Begriffe, bürgerliche Gesetze und andere Konstruktionen, die sich ebenfalls ästimativ erfassen lassen, denn jedes von ihnen hat seinen Wert. Ein großer Teil aller Schöpfungen und Produkte fällt unter die Gattungen der Geister und ihrer Modi, ein weiterer unter die Gat160 | Imposition und Werte

tungen künstlicher Substanzen und ihrer Modi, vor allem solche, die der menschliche Verstand zu natürlichen Substanzen hinzudenkt und sozusagen in sie hineinimponiert (er vermehrt zum Beispiel die Eigenschaften eines Werkzeugs um den Modus ›für diesen Zweck besonders geeignet‹). Gegenstände der Wissenschaft sind nicht nur Engel, Steine, Tiere und Menschen, sondern auch Rollen, die die Vernunft des Menschen zu ihnen hinzudenkt, zum Beispiel die, Erzengel oder Wetzstein, Leittier oder Bürgermeister zu sein. Solche Rollen haben Substanzen nicht von Natur aus; sie werden ihnen von endlichen Vernunften auferlegt und sozusagen zu ihnen hinzugedacht (»Siegfried, der Drachentöter« oder »Purcell, der führende Komponist der englischen Hochrenaissance«). So entsteht eine Vielfalt immaterieller künstlicher Entitäten, die endliche Geister kaum überblicken können, deren Elemente aber bei aller Verschiedenheit in Weigels Augen zumindest eine Eigenschaft gemeinsam haben: Sie sind quantitativ bestimmt. Weil jeder Bestandteil der Welt auf göttliche oder geschöpfliche Imposition zurückgeht, hat jeder Gegenstand den Wert, den ihm sein göttlicher oder geschaffener Urheber auferlegt und der sich in Zahlen ausdrücken lässt, obwohl ihn endliche Geister nur selten errechnen können. 8 Auf dieser Grundlage ließe sich ein sachlich begründetes Kriterium für Priorität bei konkurrierenden Werten formulieren, weil aber endliche Intelligenzen mit Wertentscheidungen oft Schwierigkeiten haben, denn sie erkennen nur wenige Werte genau, sieht Weigel für den Fall, dass göttliche Hervorbringungen mit menschlichen Produkten oder menschliche Produkte mit anderen menschlichen Produkten konkurrieren, eine pragmatische Regelung vor: Je mächtiger der Geist ist, der einen Wert eingesetzt hat, desto vorrangiger ist er.9 Eine solche Regelung ist kaum sehr tröstlich. Nach Meinung von Wolfgang Röd, der in den fünfziger Jahren über Weigels Theorie der moralischen Entitäten gearbeitet hat, ist die Annahme, dass alle Körper und alle unkörperlichen Erzeugnisse gleichermaßen auf Imposition beruhen, der zentrale Punkt von Weigels später Ontologie. Die These, dass körperlichen Entitäten nicht anders als moralische und notionale ihr Wert durch Imposition zufällt, ermöglicht einen einheitlichen Begriff von Realität: Die Seinsweise von erdachten Entitäten und von NaturdinImposition | 161

gen ist gleichermaßen das Gelten oder Etwas-wert-Sein. Das führt zur Annahme der strukturellen Ähnlichkeit aller Gattungen – eine Überzeugung Weigels und der Enzyklopädien seiner Zeit: Die Natur verfährt bei der Erzeugung natürlicher Körper nach denselben Gesetzen wie die Vernunft bei der Erzeugung immaterieller Produkte.10 Weigels Idee einer Mathesis universalis beruht auf der Verknüpfung von Zahlenwert und Wesen der Dinge (conviventia numerorum cum essentiis), die die Brücke für einen leichten Übergang von einer Gattung zur anderen ist.11

Klassen von Werten Werte können körperlich (zum Beispiel Mäuse oder mechanische Uhren) oder unkörperlich sein (zum Beispiel reine Geister oder Naturrechtsgebote). Bei den von Menschen eingesetzten Werten, von denen Weigel zunächst die moralischen und notionalen interessieren, hängen Geltung und Wirksamkeit von der Verfügung befugter Einzelner oder von der Zustimmung aller oder beinahe aller ab. Das bedeutet nicht immer, dass sie mit Zustimmung aller eingesetzt wurden, es bedeutet aber, dass sie zur Zeit von allen oder fast allen anerkannt werden. Das gilt für Gegenstände der Moral und Politik, aber auch für notionale Entitäten wie Großschreibung und Kleinschreibung.12 Dass alle Wertbereiche ähnlich strukturiert sind, versucht Weigel in seiner Lehre von den Körpern klarzumachen. Kontinuierlich ausgedehnte Quanta wie Körper haben Teile außerhalb von Teilen, die durch einen gemeinsamen Term miteinander verbunden sind.13 Das gilt für die vier Gattungen von Körpern, die Weigel hier unterscheidet (mathematische, physische, moralische und notionale), gleichermaßen. Sie alle stimmen darin überein, dass sie ausgedehnt sind, das heißt, dass sie Teile außerhalb von Teilen haben. Moralische Körper wie Genossenschaften und notionale Körper wie Aussagen bestehen nicht anders als natürliche Körper, deren Teile Korpuskeln sind, aus Teilen außerhalb von Teilen, nämlich aus Genossen oder Buchstaben beziehungsweise Lauten, und deshalb kann man oft im Ausgang von einem Befund bei natürlichen Körpern auf einen analogen Befund bei bürgerlichen oder notionalen Körpern schließen.14 Das teilt eine 162 | Imposition und Werte

Stelle aus der Physica pansophica mit: Manchmal kann man beim Anhören notionaler Produkte wie Wörter nicht verstehen, was die andere Seite sagen will; man bemerkt nur, dass sie irgendetwas sagt. Diese Situation ist das notionale Gegenstück zu der noch unbestimmten Ersten Materie in der Physik, von der man nur weiß, dass sie ausgedehnt ist und dass ihr jede nähere Bestimmung fehlt.15 Diskrete Quanta oder Werte sind Mengen, deren Teile auch für sich allein bestehen könnten. Sie werden entweder von der Natur (zum Beispiel Steinhalden) oder von dazu fähigen Wesen zusammengebracht (zum Beispiel Buchstaben aus dem Setzerkasten zu Büchern); im bürgerlichen Bereich kann als Beispiel der Reichtum dienen, der aus Mengen von Besitztümern besteht.16 Die Strukturähnlichkeit körperlicher, notionaler und moralischer Objekte ist nicht immer vollkommen; zum Beispiel unterscheiden sich moralische Entitäten von körperlichen dadurch, dass moralische Körper nicht wie natürliche undurchdringlich sind, sondern Penetration erlauben; deswegen kann sich manchmal die Bosheit unter dem Schein der Ehrbarkeit verstecken, aber wohl nicht lange.17 Weigel behauptet nicht, dass seine Dreiteilung der Seinsgattungen in natürliches, notionales und moralisches Seiendes vollständig ist, seine Leser dürfen vielmehr davon ausgehen, dass es noch weitere Gattungen gibt. Er erwähnt zum Beispiel die Gattung der mystischen Entitäten, die das theologische Seiende umfasst;18 dieses offenbart die Heilige Schrift, und die Philosophie ist nicht für es zuständig. Bürgerliche Entitäten wie Gemeinwesen, Gesetze, Besitz und Sanktionen, bemerkt der Herausgeber der Neuausgabe, bestehen aus Relationen zwischen Dingen, Personen und Handlungen, die Vernunften Gegenständen einmütig zurechnen. Das notionale Seiende besteht aus Abstraktionen, die wir zu Entitäten hinzudenken, zum Beispiel Bedeutungen zu Lautgestalten. Beide künstlichen Seinsklassen werden von Geistern erzeugt, existieren in deren Vernunften sozusagen interpersonal und können trotzdem auch extramental wirken, wie der Vollzug körperlicher Strafen für Verstöße gegen erdachte Gesetze zeigt. Weigel versucht anders als Comenius, seine Wertklassen auch ontologisch zu organisieren. Der Verstand deutet Personen und Sachen, wenn er sie unter moralischem Aspekt betrachtet, sozusagen als moralische Substanzen mit moralischen Modi; was in der natürlichen Welt als menschliKlassen von Werten | 163

ches Individuum erscheint, erscheint in der Welt der moralischen Entitäten als Bürger. Im Bereich des Notionalen deutet der Verstand Wörter als notionale Körper, bei denen als Korpuskeln Laute beziehungsweise Buchstaben dienen, während Wortbedeutungen die Seelen sind, die ihnen eingegossen werden. So entstehen in neuen Welten von Menschen konstituierte Dingbereiche, zum Beispiel Wörter in der Welt der Zeichen.19 Comenius nahm in seiner Pansophia ähnliche Welten an, zum Beispiel die moralische Welt und die Welt der Artefakte.20 Weigels Konzeption weist allerdings, soweit ich sehe, weniger auf Comenius zurück als auf renaissancescholastische Überlieferungen zur Seinsweise der entia rationis, die man zum Beispiel bei Fonseca und Timpler fand.21 Notionale und moralische Substanzen und Qualitäten haben wie körperliche Substanzen und Qualitäten die Eigenschaft, berechenbar zu sein. Wer sie berechnen kann, kennt nach Meinung Weigels ihre zahlenmäßigen Werte und Unwerte.22 Allerdings werden im Bereich der Moral Wert und Unwert aus Zeitmangel oder Nachlässigkeit oft nur nach Gutdünken bestimmt, zum Beispiel Preise durch Feilschen. Ästimativ erfassbare moralische Entitäten fallen bei der bestehenden Fakultätsorganisation unter die Lehrgegenstände der Mathematik, und damit ist Weigel zumindest rebus sic stantibus nicht ganz einverstanden.23 Weil die Mathematik aber grundsätzlich die Regeln für den Umgang mit allen Quanta zur Verfügung stellt, steht sie der Sache nach über allen Disziplinen, die sich sonst noch mit ihnen befassen.24 Am ersten Tag des Schöpfungswerks erschuf Gott Himmel und Erde aus Nichts; diesen Schöpfungsakt bezeichnet man als erste Schöpfung. Bei Gottes späteren Schöpfungsakten handelt es sich nicht mehr um Schöpfungen, sondern um Produktionen, denn Dinge, die in dieser Episode hervorgebracht wurden, gingen nicht mehr aus dem Nichts hervor, sondern aus der Tohuwabohu-Materie von Himmel und Erde, die Gott am ersten Schöpfungstag als etwas Wüstes und Leeres erschaffen hatte. Weigel interpretiert alle materiellen Entitäten, die er am zweiten bis sechsten Tag des Schöpfungswerks hervorbrachte, aber auch die, die später unmittelbar durch ihn oder durch Geschöpfe neu entstanden, als zweite Schöpfung. Er hat auf der Stufe der Pantologie noch nicht den einheitlichen Realitätsbegriff der Spätschriften, der es ermöglicht, 164 | Imposition und Werte

alle moralischen und notionalen Entitäten als strukturanalog zu betrachten.25 Die Ausgestaltung der natura naturata im Rahmen des Sechstagewerks oder der zweiten Schöpfung hat Gott teils mittelbar und teils unmittelbar vollzogen, während er die Erschaffung der Tohuwabohu-Materie am ersten Tag ganz allein vollzog. Der Ausdruck »Zweite Schöpfung« hat mehrere Konnotationen. Im weitesten Sinn kann er dasselbe bedeuten wie »Erhaltung der Welt«, aber im engeren Sinn konzentriert er sich auf das, was im Rahmen der zweiten Schöpfung entstand und entsteht. Gott bringt es zum Teil unmittelbar hervor, aber anderes produziert er mittelbar unter Einschaltung von Geschöpfen, und zwar von nicht erkenntnisfähigen, zum Beispiel Bewuchs, Früchten und Nachwuchs von Lebendigem; aber einiges bringt er mittelbar durch Einschaltung erkenntnisfähiger Geschöpfe hervor, von denen manche nicht vernunftbegabt sind; er lässt zum Beispiel Spinnen Netze, Bienen Waben und Vögel Nester produzieren. Andere von ihm eingeschaltete Geschöpfe sind vernunftbegabt, nämlich Engel und Menschen, die er Handwerkserzeugnisse, mechanische Kunstprodukte und Handarbeiten hervorbringen lässt.26 Dass Weigel nicht auch immaterielle Produkte von Vernunften der zweiten Schöpfung zuordnet, hängt damit zusammen, dass er die cartesische Trennung von Materie und Geist übernimmt. Das Wort »natura naturata« bezeichnet bei ihm zunächst eine materielle Entität, nämlich die Welt der Körper, und kann in einem weiten oder engen Sinn verwendet werden. Beim weiten Sinn gehört alles, was der Mensch aus natürlicher Materie herstellt, also jedes Artefakt, zur Natur und gilt als natürlich. Beim zweiten Sinn rechnet man dagegen materielle Kunstprodukte nicht zur Natur, er umfasst nur die sich selbst überlassene Natur, die ohne Hinzutreten menschlicher Bemühungen operiert. Wenn Lehm zum Beispiel durch Sonne oder natürliches Feuer hart wird, gilt das Produkt als natürlicher Stein, aber wenn ihn ein Mensch im Ofen brennt, entsteht ein künstlicher Stein. Weigel vertritt die Meinung, dass beide Arten von Stein gleichermaßen Naturprodukte sind; dasselbe gilt für Automaten. Dagegen kann man Erzeugnisse der menschlichen Vernunft wie moralische und notionale Entitäten nicht als Produkte der zweiten Schöpfung bezeichnen, 27 denn sie sind Vernunft­ erzeugnisse, die materielle Agentien nicht hervorbringen können. Klassen von Werten | 165

Körperliche Werte Nach Weigels Darstellung ist ein Körper eine bewegliche Substanz, die aus beweglichen und undurchdringlichen, aber unendlich vielfältig gestalteten teilbaren Teilchen (partes, particulae) besteht, welche ebenfalls Körper sind;28 man bezeichnet sie deshalb auch als Korpuskeln (corpuscula, Körperlein) oder moleculae (Kleinmassen). Auch sie haben Teile außerhalb von Teilen, sind aber nach vielen Autoren im Gegensatz zur Meinung der Atomisten bis ins Unendliche teilbar, 29 obwohl man sie mit menschlichen Mitteln nicht bis ins Letzte teilen kann. Weil jeder Körper mittelbar oder unmittelbar jeden anderen berührt, ist für diese Autoren die Welt ein Kontinuum, das kein Vakuum duldet, doch haben Körper unzählige größere oder kleinere Poren, die noch kleineren Körpern Durchschlupf gewähren. Ein Vakuum ist nichts Reales, sondern etwas Gedachtes, nämlich die Vorstellung der Abwesenheit von Materie an einem Ort. Es spricht für Weigels Offenheit, dass er auch andere Annahmen zumindest für möglich hält. 30 Ursprünglich befanden sich alle Körper in Ruhe – eine Erinnerung an Des­cartes’ Zurückführung der Bewegung im Universum auf einen ursprünglichen Anstoß Gottes. 31 Wenn man einen Körper sich selbst überlässt, verbleibt er unverändert in dem Zustand der Ruhe oder Bewegung, in dem er sich gerade befindet, bis er von außen her daran gehindert wird, denn Körper sind schlechthin passiv (träge). Es ist nach Weigel falsch, wie die Scholastiker zu meinen, dass eine innere substantielle Form sie in spontane Bewegung versetzen kann; Körper können, wie Descartes gelehrt hat, Bewegung nur empfangen, aber nicht erzeugen, und sie bewegen sich erst dann, wenn sie von anderen Körpern und letztlich von Gott durch Druck oder Stoß dazu genötigt werden (im Grund sind alle Bewegungen von Körpern gewaltsame Bewegungen).32 Alle Korpuskeln haben eine Gestalt; sie ist nach Weigel entweder gerundet oder eckig (angularis). Gerundete wie eckige Körper können im Übrigen auf vielerlei Weise gestaltet sein. Es ist eine der Pointen bei der Zuweisung dieser Eigenschaften, dass man Bewegung messen und Gestalten berechnen kann; die Quantifizierung der Körperlehre ist also möglich. Nach aristotelischer Lehre bestehen Körper aus einem oder mehreren der vier Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser. Kör166 | Imposition und Werte

per, die aus mehreren Elementen bestehen, heißen gemischte Körper. Jedem Element kommen von Natur aus zwei Grundqualitäten (peri­patetische qualitates primae) zu; diese unterscheiden sich zwar von Boyleschen primary qualities, sind aber zumindest insofern primär, als sie allen Körpern unmittelbar inhärieren, während sich die sogenannten sekundären Qualitäten auf irgendeine Weise aus dem Zusammenspiel primärer Qualitäten ergeben. Zu diesen zählen Aristoteliker Wärme  /  Kühle und Trockenheit  /  Nassheit. Feuer ist warm und trocken, Luft warm und nass (flüssig), Erde kühl und trocken, Wasser kühl und flüssig. 33 Wenn man »humidum« nicht mit »feucht«, sondern mit »nass« übersetzt, kommt die Konnotation »flüssig« (liquidum) eher zur Geltung, die einen der beiden damals angenommenen Aggregatzustände bezeichnet – Luft ist noch flüssig; der Ausdruck »Gas« wurde zwar schon von Jean-Baptiste van Helmont eingeführt, war aber noch nicht rezipiert. Als Übersetzung des Weigelschen Ausdrucks »rotundum« wähle ich nicht »rund«, sondern »gerundet«, denn Weigel denkt auch an nichtkreisförmige Objekte wie Ellipsen. Weigels Term für »ungerundet« oder »eckig« ist »angularis« (gewinkelt). Dieses Wort betrifft bei ihm nicht nur Körper, deren Begrenzungslinien Quadrate oder Rechtecke sind, sondern auch Körper mit ungleich großen Eckwinkeln. Zu den Zweitqualitäten gehören vor allem wahrnehmbare Qualitäten wie Farben und Töne. Die überkommenen Elemente und Primäreigenschaften führt Weigel im Sinn der korpuskularistischen Neuerer auf Gestalt- und Bewegungszustände zurück, die eine ästimative Behandlung erlauben. Qualitäten wie warm  /  kalt und nass  /  trocken bereiten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in dieser Hinsicht schon keine grundsätzlichen Probleme mehr, denn seit kurzem gibt es Thermoskope oder Thermometer, mit denen man Wärme und Kühle, und Hygrometer, mit denen man Nassheit und Trockenheit quantitativ bestimmen kann; umstritten bleiben noch lange die Festpunkte. Bei seiner Darstellung hält sich Weigel an das Vorbild von Gassendi und Descartes, die mit Begriffen wie Größe, Gestalt, Bewegung, Lage, Stellung etc. (bei Cartesianern kurz: motus et figura) zu arbeiten pflegten. Die peripatetischen Primär- oder Erstqualitäten warm  /  kühl und trocken  /  nass werden durch die Moduspaare ›gerundet  / eckig‹ Körperliche Werte | 167

und ›schnell  /  langsam‹ charakterisiert. Wärme ist eine Erstqualität, die Homogenes sammelt und Heterogenes abstößt, Kälte eine Erstqualität die beides zusammenbringt. Nassheit ist eine Erstqualität, bei der sich ein Körper nur schwer in seinem Bereich halten lässt und leicht in andere Bereiche eindringt. Trockenheit ist eine Erstqualität, dank der ein Körper leicht in seinem Bereich zu halten ist. Wärme  /  Kälte hängen davon ab, ob sich Korpuskeln in schneller, langsamer oder gar keiner Bewegung befinden; Verlangsamung der Bewegung führt zu Abkühlung, Beschleunigung zu Erwärmung. 34 Rückschlüsse aus dem Bewegungszustand von Korpuskeln auf die Temperatur von Makrokörpern sind möglich (heißer Körper: Körper mit schnell bewegten Korpuskeln). Ähnliche Rückschlüsse erlaubt die Korpuskelgestalt: Gerundete Korpuskeln geraten leichter in Bewegung als eckige35 und lassen sich schwerer an ihrem Ort halten als diese. Eckige Korpuskeln bleiben bald wieder stehen; sie liegen dann anderen Korpuskeln im Weg und halten sie auf. Andererseits erlaubt der Bewegungszustand von Korpuskeln Rückschlüsse auf deren Gestalt 36 – eine Kugel oder ein elliptisch begrenzter Körper rollt besser als ein Würfel. Darüber hinaus entdeckt Weigel Beziehungen zwischen den Ortsveränderungen von Korpuskeln und ihren Grundqualitäten nass  /  trocken. Flüssigsein erschwert es einem Körper, seine Gestalt zu bewahren, während es Trockenheit erleichtert.37 Auch hier folgt Weigel seiner Tendenz, bei wissenschaftlichen Umwälzungen überlieferte Theorien nicht kurzerhand zu verwerfen, sondern sie durch Neuinterpretation überlebensfähig zu halten. Dass allerdings sein physikalischer Versuch noch nicht ausgereift ist, zeigt eine schematische Darstellung. Nach def.  9, schol.  § 2, erschwert Trockenheit Gestaltveränderungen; im Gegensatz zu dieser Meinung zeigt jedoch die Erfahrung, dass Feuer trotz seiner Trockenheit und seiner Feindschaft zu Wasser besonders leicht seine Gestalt verändert – es flackert. Element

Erstqualitäten

Korpuskelgestalt

Größe

Bewegung

Feuer

trocken und warm

eckige Korpuskeln

groß

langsam

Luft

nass und warm

gerundete Korpuskeln

klein

schnell

Wasser

nass und kühl

gerundete Korpuskeln

klein

schnell

Erde

trocken und kühl

eckige Korpuskeln

groß

langsam

168 | Imposition und Werte

Nach Weigels Darstellung sind Feuerteilchen eckig, aber Wasserteilchen sind gerundet und bewegen sich leicht. Eckige Teilchen bewegen sich nach Weigels Theorie langsamer als gerundete, und die Gestalt von Körpern mit eckigen Teilchen ist weniger veränderlich als die von Körpern mit gerundeten Teilchen. Aber Feuerteilchen, die eckig, nämlich spitz sind, bewegen sich trotzdem laut Augenschein nicht langsamer als Wasserteilchen, und ihre sichtbare Gestalt ist schon auf den ersten Blick erstaunlich veränderlich.

Weigels Physik Nach den damals üblichen Vorstellungen gehört zur Naturphilo­ sophie oder Physik im weiten Sinn die Lehre von den reinen Geistern, also den Engeln und Dämonen, vom Menschen als einer Zusammensetzung von Geist und Materie und von den Körpern, die nur aus Materie bestehen. Im Grunde geht es in dem jetzt zu erwähnenden Teil der Analysis aristotelica um Körper. Weil diese Kontinua sind, die nach dem Vorbild geometrischer Körper gestaltet wurden und sich mit messbarer Geschwindigkeit fortbewegen, setzt die wissenschaftliche Physik die Geometrie als Lehre von Linien, Flächen und Körpern voraus. Auf deren Grundlage kann man Körper und ihre Bewegungen mit Messinstrumenten bestimmen, das heißt, Kontinua in etwas Diskretes übersetzen, nämlich in Zahlen. Die wahrnehmbare Materie existiert im Raum, von dem sie sich in einem wichtigen Punkt unterscheidet: Der Raum ist durchdringlich und unbeweglich, aber die Dinge, die er beherbergt, sind undurchdringlich und beweglich und können ihn durchdringen. Zu Körpern zusammengeratene Teilchen pflegen sich irgendwann wieder zu trennen; darauf beruht das Entstehen und Vergehen wahrnehmbarer Körper. In der Physik nimmt man deshalb an, dass Bewegung und Ruhe die ursprünglichsten Eigenschaften der Körper sind. 38 Es gelten folgende Grund­ annahmen: Das Fundament der wissenschaftlichen Physik ist die Geometrie. Physikalische Phänomene lassen sich mit ihrer Hilfe unter Bezugnahme auf Bewegung und Ruhe der an ihnen beteiligten Materieteilchen quantitativ erfassen und wissenschaftlich erklären. Weigels Physik | 169

Als Prinzip der Ausdehnung und Raumerfüllung von Körpern dient nach der üblichen Meinung das, was Aristoteles als Form bezeichnete. Ästimativ gesehen ist aber die Form nicht mehr das Prinzip der qualitativen Bestimmungen der Materie, sondern nur noch ein Mittel zur Orientierung Gottes bei der Verwaltung des Weltalls, des Näheren, bei der Verteilung der Bewegung auf einzelne Körper (distribution des mouvemens). Diese ist für die Art­ zugehörigkeit von Einzelkörpern insofern entscheidend, als die Anordnungen von Korpuskeln (dispositio partium), aus denen sich die Zustände von Körpern ergeben, letztlich von ihrer Bewegung und Ruhe abhängen – Licht, Schatten, Klang, Lautlosigkeit, Schwere, Leichtigkeit, Süße, Bitterkeit, Links- oder Rechtsposition, Viskosität, Geruch und viele andere. 39 Letztlich erzeugt also der unbewegte Beweger die Zustände aller Einzeldinge, die er verwirklichen will.40 Die Physik oder Naturphilosophie legt ihren Gegenstand, wie angedeutet, in zwei verschiedenen Abschnitten (sectiones) vor. Der erste behandelt das, was allen Naturdingen gemeinsam ist, und heißt Allgemeine Naturphilosophie. Auch diese unterteilt Weigel in zwei Abschnitte. Der erste dient der Einführung von Neulingen und beschäftigt sich mit den einfachsten Ursachen und konstitutiven Prinzipien wie Materie und Form sowie mit Grundthemen wie Molekülen, Mikroräumen, Elementen und allgemeinsten Eigen­schaften der Körper, allerdings nur in der Weise einer ersten Näherung (acroasis pysica). Der darauffolgende wissenschaftliche Teil der allgemeinen Naturphilosophie, die wissenschaftliche Physik (Physica scientia), behandelt das, was ein Fachmann von Naturdingen wissen muss, und zwar exakt, denn er beweist Behauptungen, wo immer das erforderlich und schon möglich ist, mit wissenschaftlichen Beweisen.41 Die sinnlich wahrnehmbare Materie befindet sich in einem gedachten Raum, der sozusagen als intelligible Materie fungiert. Die Teile der Materie verhalten sich zu ihrem Raum koextensiv, das heißt, jedes Materieteilchen entspricht dem Raumteilchen, das es aufnimmt, bei allen seinen Bewegungen nach Länge, Breite, Höhe, Tiefe und Lage. Aber das können Materieteilchen nicht exakt, sondern nur repräsentativ, also ähnlich wie ein Ektyp im Verhältnis zu seinem Archetyp, ein Abbild im Verhältnis zu seiner Vorlage, 170 | Imposition und Werte

kurzum, sie tun es mehr oder weniger genau. Deshalb nimmt die Naturwissenschaft bei der Bestimmung von Differenzen die Geometrie zur Hilfe und ermittelt mit ihr, so gut sie kann, die eigentlichen Größenverhältnisse. Denn kein gezeichneter rechter Winkel misst genau 90° und kein natürlicher Körper fällt exakt mit der Geschwindigkeit ½ gt². Bei ihren Versuchen zur Korrektur ermittelter Werte bedient sich die wissenschaftliche Physik gut durchdachter Messinstrumente. Sie leidet an der Unfähigkeit der Materie zu geometrischer Genauigkeit, bittet darum, ihr diese nicht anzurechnen, und bemüht sich, ihre Ektypen den Archetypen so ähnlich wie möglich zu denken.42 Der zweite Abschnitt der Naturphilosophie, die spezielle Physik, behandelt die Methoden der physikalischen Einzeldisziplinen, bei denen Hypothesen bislang noch eine große Rolle spielen. Die sinnlich wahrnehmbare Materie unterscheidet sich von dem Raum, der sie aufnimmt, vor allem dadurch, dass dieser unbeweglich, aber durchdringlich ist, so dass sich die bewegliche, aber undurchdringliche Materie in ihm bewegen kann. Dabei verknüpfen sich ihre Teilchen gegebenenfalls zu einem Ganzen, verändern ihre Anordnung oder stieben wieder auseinander, und darauf beruhen Entstehen, Wachstum, Schwinden, Veränderung und Vergehen natürlicher Körper.43 Einer der Hauptgegenstände der wissenschaftlichen Physik ist die Ortsbewegung (phorá, latio), die von den neuen Wissenschaftlern nicht so oberflächlich behandelt wird wie von den Scholastikern, die behaupten, dass Bewegung und Ruhe natürlicher Körper zum Teil aus deren innerem Antrieb hervorgehen. Die wissenschaftliche Physik behandelt die Begriffe, die vorher in der physica acroasis vorgestellt wurden, nun wissenschaftlich, also mit Beweisen, und leitet ihre Argumente aus den Ursachen ab, um dem Ersten Beweger die Ehre zu geben und das gesicherte menschliche Wissen zu mehren. Scholastiker haben dagegen die Phoronomie oder Wissenschaft von den Bewegungsgesetzen, dieses edelste Glied der Physik, noch gar nicht begriffen.44 Die Behandlung von Bewegung und Ruhe erfolgt in drei Wissenschaften, nämlich in der Mechanik (Wissenschaft von den Ursachen der Bewegung), der Phoronomie (Wissenschaft von den Bewegungsgesetzen) und der Statik (Wissenschaft von der Schwere). Die Mechanik, die demonstrativ die Ursachen der Ortsbewegung Weigels Physik | 171

behandelt, erarbeitet im Blick auf diese praktikable Problemlösungen; sie zeigt zum Beispiel, wie man beliebig große Gewichte von einem Ort zum anderen transportiert. In ihr wurzeln alle wissenschaftlichen Erklärungen von Naturdingen, zum Beispiel die des Entstehens und Vergehens von Körpern.45 Als grobes Stemma von Weigels Naturphilosophie oder Physik im weiten Sinn ergibt sich: Allgemeine Naturphilosophie oder Allgemeine Physik. a Acroasis physica. b Wissenschaftliche Physik. Die Acroasis versteht sich nicht als Wissenschaft, sondern als verständliche und allgemeine Einführung; die wissenschaftliche Physik verfährt dagegen beweisend. Nach der Einführung der Grundeigenschaften der Körper durch die allgemeine Naturphilosophie geht sodann die spezielle Physik zu den übrigen Körpereigenschaften über. Die Materie unterscheidet sich vom Raum unter anderem dadurch, dass sie immer mit Qualitäten verbunden ist, mit denen sie unsere Sinnesorgane affiziert, während der Raum nicht sinnlich wahrnehmbar ist und nur vom Verstand mit der Vorstellung ›intelligible Materie‹ erkannt wird. Auf die Behandlung der Phoronomie folgt zunächst die physikalische Lehre von den sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten. 46 In vieler Hinsicht ist die spezielle Naturphilosophie komplizierter als die allgemeine. Grundsätzlich geht es zwar nur darum, die Erkenntnisse der allgemeinen Physik durch Subsumption auf einzelne Klassen von Körpern zu übertragen, aber dazu sind häufig weitere Forschungen erforderlich, denn nicht alle Grundeinsichten der allgemeinen Physik lassen sich problemlos und unmittelbar übertragen – es fehlt den Einzelwissenschaften noch an gesichertem Wissen. Man teilt die spezielle Physik in so viele Abteilungen ein, wie es Gattungen und Arten natürlicher Körper gibt. Dabei ist, wenn man im Sinn korpuskularistischer Hypothesen verfährt, der Unterschied zwischen elementalischen Körpern (corpora elementalia, Mikrokörpern, Korpuskeln) und sichtbaren Körpern (corpora mundana, wahrnehmbaren Makrokörpern) zu beachten.47 Nicht wenige Disziplinen die Weigel in seinem Katalog der philosophischen Wissenschaften in Kapitel 10, § 6, anführt, 48 hält er bislang für noch nicht wissenschaftlich im strengen Sinn, denn 172 | Imposition und Werte

ihre Ergebnisse sind nicht hinreichend bewiesen. Die Astronomie behandelt die Substanz des Himmels und der Sterne mit ihren Qualitäten und Quantitäten, aber weil es bei deren Behandlung rebus sic stantibus mehr Hypothesen als Beweise gibt, empfiehlt es sich vorerst, die wissenschaftliche Astronomie nur als Wissenschaft von der Erklärung himmlischer Bewegungen und Phänomene zu definieren, denn dabei sind schon Beweise möglich.49 Man darf sich nicht damit begnügen, einzelne Himmelskörper zu betrachten, sondern muss sie als Teile eines Systeme verstehen, aber auch dafür stehen bislang nur Beschreibungen (historiae) zur Verfügung; deshalb ist die Astronomie bisher noch keine wirkliche Wissenschaft, sondern eine Sammlung beschreibender Kapitel. Hevelius geht zum Beispiel in seiner Selenographia bewusst beschreibend vor.50 Im Bereich der unteren Himmelsphänomene sind die sogenannten Meteora (Phänomene oberhalb der Wolken) für die Naturphilosophie und für uns alle wichtig, aber die Lehre von ihnen ist noch nicht weit entwickelt. Sie sind den Himmelskörpern zwar sehr nahe, können aber im Gegensatz zu diesen entstehen und vergehen. Hierher gehören traditionell Kometen, Blitze, Donner, Regenbögen, Erdbeben, Wirbelwinde und Fluten; Weigel fügt die Neusterne hinzu. Auch bei ihnen müsste man (außer bei Darstellungen für Jugendliche) Beweise vorlegen, die gibt es aber noch nicht, und sie wären auch schwierig, denn dabei wären Optik, Phoronomie, Statik und Mechanik sowie die Prinzipien der Astronomie und Astrologie zu berücksichtigen.51 Weigel betrachtet solche noch unvollkommenen Teilgebiete der speziellen Physik immerhin als Wissenschaftskandidaten. Bei natürlichen Körpern kommt es uns zunächst auf Anwendung und Nutzung an (imitatio et applicatio); so hat es Gott den ersten Menschen auch befohlen. Er hat uns einen inneren Drang gegeben, an der Natur zu arbeiten, der schon bei Kindern zu beobachten ist. Zwar können wir ihr keine substantiellen Formen entlocken, verfügen aber über die Fähigkeit, sie in Nachbauten nachzuahmen und durch Anwendung nutzbar zu machen. Das Können und die Künste, die wir dabei erwerben, sind nicht dasselbe wie wissenschaftliche Physik, denn sie beruhen nicht zuletzt auf Ursachen, die wir nicht kontrollieren können (casus), und glücklichen Fügungen (fortuna). Für beides hat die wissenschaftliche Physik Weigels Physik | 173

nicht sehr viel übrig. Aber Aristoteles definiert Kunst als erworbene Fähigkeit, etwas mit treffsicherer Vernunft zu bewirken (habitus cum recta ratione effectivus), und Vernunft schließt das Vermögen zu Theorie ein, auf das auch die Kunst nicht verzichten kann. Denn dass ihr dies oder jenes gelingt, beruht darauf, dass die Natur so funktioniert, wie sie funktioniert, und das ist ein Gegenstand der Theorie. Jede Praxis und Poíesis (Güterherstellung) hat theoretische Aspekte. Bisher verfügt die allgemeine Physik über mehr Beweise als die vorerst noch vornehmlich beobachtende spezielle. Deshalb ruht die Kunst der Nachahmung auf gewisseren Fundamenten als die Kunst der Anwendung und Nutzung der Natur.52 Manche Autoren mögen Körper, die nicht von Natur, sondern durch Kunst entstanden sind, nicht als Gegenstände der Physik anerkennen. Aber künstliche Körper bestehen nicht anders als natürliche aus Elementen, deren Teilchen Demokrit einst als Atome und samenhafte Mikrokörper ansah. Sie sind zwar ausgedehnt, für uns aber unsichtbar und können nach Demokrit wegen ihrer Härte nicht weiter geteilt werden. Je nach Gestalt werden sie durch Bewegung durcheinandergewürfelt und hakeln sich dabei zu dieser oder jener Art natürlicher Körper zusammen oder bilden unvermischte Arten. Im Grund verläuft die Entstehung von Artefakten nicht anders als die natürlicher Körper; nur übernimmt in diesem Fall der Mensch die Steuerung der Ortsbewegungen. Wenn sich elementalische Teilchen auf eine bestimmte Weise zu sichtbaren Gestalten verweben (figuratio), entsteht ein neuer Körper, dessen Eigenschaften sich nicht darum scheren, ob Natur oder Kunst sie erzeugt hat. Wenn durch Bewegungen der Moleküle sogar organische Körper entstehen, die durch göttlichen Anhauch Lebensgeister aufnehmen, handelt es um einen natürlichen Vorgang, doch ist es ist kein Zufall, dass man solche Lebewesen besser versteht, wenn man sie mit mechanischen Uhren vergleicht. Man kann sie übrigens auch mit sprachlichen Artefakten vergleichen. Wenn man artikulierte Laute (sprachliche Moleküle) mit anderen Lauten zu Wörtern verbindet, die zunächst noch gar nichts bedeuten, kann man sie durch menschliche Einsetzung mit einer Bedeutung versehen, die sie sozusagen beseelt. Die Ähnlichkeit von Physik und Grammatik ist sehr groß. 53 Von den Künsten, die bleibende Produkte hervorbringen, sind einige zergliedernd, und zwar vor al174 | Imposition und Werte

lem Anatomie und Starstechkunst, aber andere zusammensetzend, vor allem die Künste des Zeichnens, Druckens und der Skulptur.54 Immer, wenn unterschiedliche Moleküle zusammenwachsen, entstehen verschiedene sichtbare Körper, die je nach Anordnung der Teilchen verschiedene Arten bilden. Gott lässt sie vielfältig miteinander kommunizieren, einander abstoßen, anziehen, erzeugen oder in andere Wirkzusammenhänge eintreten.55 Nach Weigels Meinung ist inzwischen die Zahl möglicher Gegenstände der speziellen Naturphilosophie überaus umfangreich geworden, denn die Zahl der Beobachtungsergebnisse wuchs in den letzten Jahrzehnten fast ins Unermessliche. Der Umfang des wissenschaftlichen allgemeinen Teils der Physik hält sich demgegenüber in Grenzen. Den speziellen Disziplinen stehen meist nur unbewiesene deklarative Hypothesen zur Verfügung. In dieser Mangelsituation ist man versucht, bei der Verarbeitung des neuen Reichtums an Empirie auf bloßes Meinen auszuweichen, das dann neben dem wissenschaftlichen und hypothetischen Teil sozusagen zum dritten Abschnitt der Naturphilosophie wird. 56 Mit dieser Bemerkung weist Weigel darauf hin, dass sich Hypothesen wie die, auf die er sich bei seinen atomistischen Versuchen einlässt, nach Möglichkeit an der Erfahrung orientieren – anders als bloße Meinungen, zu denen oft Autoritätenmeinungen gehören.

Notionale Werte Nach der heute üblichen Klassifikation fiele Weigels Lehre von den notionalen Entitäten unter die Semiotik oder Wissenschaft von den Zeichen und Zeichensystemen; sie fungiert sozusagen als Weigelsche Philosophie der symbolischen Formen und behandelt im weitesten Sinn Kommunikationsmittel und ihre Entstehung per Einsetzung oder Gewohnheit. Zu ihren Gegenständen gehören nach Weigel die weite oder enge Bedeutung von Termen, aber auch der Wert von Würfelaugen, Spielkarten oder Dominosteinen, sofern man diese nicht lieber unter den moralischen Werten aufführt. Für heutige Leser ist der Ausdruck »notional« nicht unmittelbar verständlich. Bei Weigel beruht er auf einer weiten Bedeutung von »notio«: Eine notio wird im Geist erkennender Wesen mit der Absicht Notionale Werte | 175

gebildet, etwas zu bezeichnen. Wenn man statt »notio« das griechische Pendant »σῆμα« (sḗma, Zeichen) einsetzt, lautet das zugehörige Adjektiv nicht mehr »notional«, sondern so, wie es heutigen Sprechern vertraut ist, »semiotisch« beziehungsweise »se­mantisch«. Weigels Angaben über Arten und Gattungen notionaler Quanta wirken provisorisch, sind über viele Texte verstreut und stecken ein weites Feld ab; zur Ausarbeitung einer überzeugenden Systematik ist es nicht gekommen. In der Pantologie von 1673 werden unter »Classis substantiarum notionalium« nur Wörter und Wortbedeutungen genannt und im Rahmen eines sprachphilosophischen Kompendiums systematisch dargestellt; kurz zuvor geht auch das Scholion über notionales Seiendes nur auf Wörter und Begriffe ein.57 Weigel teilt mit, dass der Verstand früh lernt, modifizierte Laute (Phoneme) zu bilden und mit Buchstaben visuelle Entsprechungen für sie einzusetzen; beides kombiniert er zu Silben und Wörtern, die unmittelbar für Gedanken und mittelbar für Dinge stehen. Gesprochene Wörter gelangen durch die Ohren und geschriebene durch die Augen in den Verstand des Hörers oder Lesers. Lautkombinationen und ihre visuellen Merkzeichen (»Grapheme«) sind die Materie, aus der ihre schriftlichen Formen bestehen; zu ihr denkt der Verstand die Wortbedeutungen als Formen oder Seelen von Phonemen und Graphemen hinzu – sie gesellen sich auf ähnliche Weise zu Graphemen und Phonemen wie Seelen zu Organismen.58 So entsteht eine Art beseelter Körper, nämlich Wörter, die aus Bedeutungsseelen und Lautkörpern zusammengesetzt sind und deren wichtigste Modi die grammatischen Flexionen bilden. Durch sie entsteht in den Vernunften einer Sprachgemeinschaft eine neue interpersonale Welt, die ähnlich konstruiert ist wie die natürliche.59 Nach einem früheren Text gehören zum notionalen Seienden außer den Gegenständen der traditionellen Logik und der Logistik zunächst die Sprachen mit ihren Silben und Wörtern; neben diesen gibt es auch Systeme und Kategorien von Zahlen, die auf verschiedene Weisen Mengen von Einern darstellen. In einem dualen System steht »10« für einen kleineren Wert als in einem dezimalen, aber in der Sache macht das keinen Unterschied, denn Zahlensysteme sind nicht von Natur aus da, sondern werden durch mathematische Kunst erzeugt. 60 Zahlen sind eng mit Universalien verwandt, die Weigel ebenfalls im Bereich des Notionalen ansiedelt, und zwar 176 | Imposition und Werte

nicht zuletzt deshalb, weil das notionale System der Sprache wie das der Zahlen auf Art- und Gattungsnamen gründet, denen man der Einfachheit halber etwas zuschreibt, das in Wirklichkeit den Art- oder Gattungsindividuen zukommt. Universalien deponiert man im Gedächtnis ähnlich wie Geld in einer Gemeinschaftskasse, das zwar von den Repräsentanten der Gemeinschaft verwaltet wird, in Wirklichkeit aber den Einlegern gehört. 61 Eine Tabelle der notionalen Entitäten im Bereich der Grammatik nennt Vokabeln, Silben, Nomina, Adjektive, Verben, Präpositionen und Partikel. 62 Die Skizze der notionalen Künste in Kapitel 9 der Analysis aristotelica enthält mehr Angaben. Sie erwähnt zum Beispiel sprachliche Künste, Logik, cartesische Analytik, Wertermittlungskunst, Logistik oder Kunst des Zählens, Geodäsie oder Kunst des Messens, Steganographie oder Geheimschriftkunst, Kurzschrift oder Schnellschreibkunst. 63 Insgesamt bekommt man den Eindruck, dass es sich bei Weigels Bemerkungen zum Notionalen eher um gelegentliche Hinweise als um Skizzen eines durchkonstruierten Systems handelt.

Moralische Werte Die zweite künstliche Welt, die Weigel häufig erwähnt, ist die des moralischen Seienden, die ebenfalls ähnlich strukturiert ist wie die natürliche Welt. In dieser existieren natürliche Körper und sind durch vielfältige Beziehungen miteinander verknüpft. Der Raum der moralischen Welt beherbergt moralische Personen und andere moralische Substanzen und Modi, die ebenfalls vielfältig miteinander verknüpft sind. Auch hier setzt Weigel Substanzen und Modi an; im Unterraum des Gütertauschs gelten zum Beispiel Waren als moralische Substanzen mit dem Modus oder der Eigenschaft Preis. Es handelt sich allerdings nicht um Erstsubstanzen im Sinn der Schulphilosophie (wirkliche Einzeldinge), sondern um Relationen und Eigenschaften, die zu realen Gegenständen hinzugedacht oder ihnen aufgeprägt werden. 64 Man denkt zum Beispiel zu einem geprägten Stück Silber die Eigenschaft hinzu, einen bestimmten Tauschwert zu haben; deshalb kann man andere Dinge gegen es eintauschen. Durch seine neue Funktion wird es zu etwas andeMoralische Werte | 177

rem als einem bloßen Stück Silber. Dass Weigel auch politischen und ökonomischen Objekten das Attribut »moralisch« zuweist, befremdet heutige Leser zunächst, leuchtet aber ein, wenn man sich klarmacht, dass er sich auf die peripatetische Einteilung der Wissenschaften bezieht: Im weiten Sinn dient »Moral« als Synonym von »praktische Philosophie«, und zu dieser gehören bei Aristotelikern Tugendlehre, Politiklehre und Ökonomie. Ökonomie war ursprünglich die Lehre von der Führung des Familienhaushalts (Verwaltung von Hausstand, Sippe und Besitz), aber später dehnte man ihren Bereich auf die Haushaltsführung menschlicher Verbände aus. Moralische Werte entstehen wie alle Werte durch Imposition oder Einsetzung; sie werden von Gott nach Gutdünken verfügt oder mit allgemeinem Konsens eingesetzt beziehungsweise durch Verfügung erlassen. 65 Es gibt private und öffentliche moralische Werte. Ehrencodes kleiner Gruppen werden durch Willensakte von Privatpersonen an die Stelle von Nichts gesetzt und sind in der Regel kurzlebig, denn sobald die Erinnerung an sie in dem kleinen Kreis erlischt, dem sie bekannt waren, erlöschen auch sie selbst. 66 Daneben gibt es öffentliche moralische Werte, die teils von Gott und teils von Menschen eingesetzt wurden. Sie betreffen die Gesellschaft insgesamt, und Weigel bezeichnet sie gern als bürgerliche Werte (valores civiles). Sie setzen zwar ein Gemeinwesen voraus, werden aber oft durch Verstand und Willen Einzelner hervorgebracht und affizieren nicht unmittelbar die Sinnlichkeit, aber umso kräftiger Verstand und Willen, denn manche Menschen haben mehr Freude an ihnen als an delikaten Speisen und beklagen ihr Fehlen mehr als Tod und Schmerzen. 67 Aristoteles hat nach Weigel in seiner Tugendlehre die moralischen Werte ernstgenommen, und ohne seine Autorität gäben heute viele Menschen vielleicht überhaupt nicht zu, dass es moralische Quanta gibt. 68 Zu Weigels Zeit wurde Moralphilosophie in der Regel als Tugendlehre verstanden, und zwar auch dann, wenn sie sich als Lehre von der Beherrschung der Leidenschaften präsentierte, denn durch Leidenschaften entstehen Laster, und Laster sind das Gegenteil von Tugenden. Weigel schätzt es sehr, dass Aristoteles in der Tugendlehre zu mathematischen Verfahren griff; seine distributive und kommutative Gerechtigkeit sind im Grunde nur durch Proportionenrechnung herzustellen, denn Tugend besteht 178 | Imposition und Werte

in der richtigen Mitte zwischen zwei Extremen (μεσóτης, mesótes) und Laster im Zuviel oder Zuwenig. Beide werden gewöhnlich mit denominativen Termen charakterisiert, die man allerdings in Kasuistiken durch ästimative ersetzen kann. Ein Tugendhafter hat mutig zu sein, und dabei kommt es auf das richtige Maß an, denn zu wenig Tapferkeit ist Feigheit und zu viel Tapferkeit ist Tollkühnheit; beide sind Laster. Ohne Berücksichtigung der Quantität kann man nach Weigel aristotelische Tugenden nicht einmal definieren, denn ein mittleres Maß ist ein Quantum. Ein Mensch ist eine natürliche Substanz, ein Bürger eine bürgerliche. Natürlichen Substanzen fallen natürliche Eigenschaften zu, moralischen Substanzen moralische. Ein Mensch hat natürliche Eigenschaften wie die, schwarzhaarig zu sein, ein Bürger moralische Eigenschaften wie die, angesehen, reich oder bedürftig zu sein. Das Ansehen (die Achtbarkeit) ist sozusagen die Wesenheit des Bürgers. Sie ist eine moralische Entität und beruht auf bürgerlichen Eigenschaften wie Einfluss, Verdienst, Frömmigkeit und dergleichen. 69 Bei oberflächlicher Betrachtung ist das Ansehen eines Menschen zwar nur ein denominativer Begriff, aber wenn man mit ihm in der Wirklichkeit umgehen will, muss man zumindest denominativ seine Quantität bestimmen – dieser ist sehr angesehen, jener hat wenig Ansehen, und beides lässt sich ästimativ erfassen. Bei Waren ist der Wert die wichtigste moralische Qualität; er erscheint am Markt als Preis.70 Wie man bei Preiskalkulationen im Einzelnen vorgeht, sagt Weigel nicht, doch ist er davon überzeugt, dass man Ansehen und Preise berechnen kann, auch wenn sie bisher oft nur über den Daumen gepeilt oder unbesehen von den Leuten oder vom Markt übernommen werden.71 Auch heute noch beruhen sie auf spontanen Akklamationen, auf Markterhebungen oder demoskopischen Untersuchungen. Moralische Bewertungen von Dienstleistungen sind kompliziert, weil man nach Weigel bei adäquater Erfassung den Wert von Handlungen nicht nur im Weg der Zahlenrechnung, sondern auch im Weg der »Zielungsrechnung« beurteilen muss; es geht also nicht nur um die Verrichtungen selbst, sondern auch um die Intention ihrer Urheber.72 Das klingt abstrakt, aber etwas, das für Weigels Mitteilung spricht, stimmt noch heute: besondere Einsatzfreudigkeit kann sich noch immer auf die Vergütung von Dienstleistenden auswirken. Moralische Werte | 179

Weigel schreibt vernünftigen Subjekten ein eigenes Vermögen moralischer Wahrnehmung zu, aber auch die passive Qualität, moralisch wahrnehmbar zu sein (vielleicht ein vager Vorgriff auf das, was man nun bald als guten Geschmack bezeichnen wird) – »nehmlich die Krafft etwas Moralisch zu leiden und zu empfangen […]. Es ist aber solche Krafft nichts anders als eine Moralische Empfindung / welche der natürlichen Empfindungs-Krafft als der Fühlung / (dem sehen / dem hören / dem schmecken / dem riechen) der Erkennung / der Einbildung / der Erinnerung: der Darandenckung / der zu Gemütheziehung und Vorstellung / gleichförmig ist; aber nicht in einer solchen natürlichen / sondern einer angenommenen Moralischen Thätigkeit / bestehet.« 73 Mit diesem moralischen Wahrnehmungsvermögen sieht man etwas als gut oder böse an und rechnet es einer Person, einer Gruppe oder einer Sache zu.74 Es leistet nicht nur die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Gut und Böse, die man gewöhnlich als Gewissen bezeichnet, sondern auch die Zurechnung dessen, was das Gewissen als gut oder böse empfindet, zu Personen oder Institutionen. Zurechnung gehört unabdingbar zu dem, was Weigel als moralische Wahrnehmung bezeichnet, denn solange man etwas, und sei es auch nur ein Schimpfwort, nicht einer Person oder Gruppe zurechnet, nimmt man es nicht als moralisches, sondern als physisches Ereignis wahr.75 Während man durch das natürliche Wahrnehmungsvermögen natürliche Erfahrung erwirbt, erwirbt man durch das moralische impositive Erfahrung (Erfahrung mit Impositionen). Diese beruht auf dem Wissen, dass etwas, das grundsätzlich freigestellt wäre, zum Beispiel der Aufenthalt an einem bestimmten Ort, durch eine befugte Instanz verboten wurde. Man erwirbt diese Art von Erfahrung vor allem durch regelmäßige Beachtung der Zeichen, an denen man eine gültige Imposition erkennt, zum Beispiel geltende Gesetze an der ordnungsgemäßen Promulgation.76 Weigels Annahme eines moralischen Wahrnehmungsvermögens hat viele Implikationen. Es macht zum Beispiel verständlich, weshalb kein Widerspruch entsteht, wenn jemand dem Verstand in der natürlichen Welt als Mensch, aber in der moralischen Welt als Null erscheint oder wenn jemandem etwas in der natürlichen Welt als ansehnliche Menge von Geld, aber in der moralischen Welt als peanuts erscheint. 180 | Imposition und Werte

Der Entstehung nach unterteilt Weigel moralische Werte in solche, die unmittelbar auf Gottes Willen beruhen, und solche, die auf menschliche Willensakte zurückgehen. Die ersten gibt es deshalb, weil Gott nicht wollte, dass unsere von Natur aus unstete Freiheit aus dem Ruder läuft; deshalb versorgte er uns mit moralischen Weisungen, durch die ein wacher und besonnener Mensch erkennen kann, in welche Richtung er seine Intentionen zu lenken hat.77 Die elementarsten Wegweisungen erhalten wir durch angeborene (»ins Herz geschriebene«) erste Begriffe, die man moralische Axiome nennt, zum Beispiel die Information, die dem Sprichwort »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu« entspricht.78 Auch von Menschen eingesetzte moralische Werte hängen nicht ganz von deren Gutdünken ab, denn Gott hat uns so eingerichtet, dass wir schon aus Instinkt zu moralischen Regelungen neigen, auch hat er uns sehr allgemeine Vorschriften für unser eigenes Verhalten und für unser Zusammenleben mit anderen eingegeben, die er nicht nur in den Herzen der Menschen, sondern zur Sicherheit auch in der Heiligen Schrift promulgiert hat (Gewissen, Tafeln Mosis und Goldene Regel);79 man pflegt ihre Inhalte heute gern als Naturrecht zu bezeichnen. Weigel stützt sich bei seinen Überlegungen auf Naturrechtsautoren seiner Zeit, zum Beispiel bei der Mitteilung, dass Menschen die Aufgabe haben, je nach Situation praktikable Einzellösungen für Gottes sehr allgemeinen Bestimmungen zu erarbeiten. 80 Er unterscheidet in Kapitel 17 der Arithmetischen Beschreibung81 das Jus naturae primaevum, das sich auf unumgängliche Schuldigkeiten von und gegenüber Menschen bezieht, vom Jus gentium primaevum, das das Zusammenleben von Menschen regelt. Zum Jus naturae primaevum gehören die Gebote, sich selbst zu erhalten und zu verteidigen, ferner Kinder zu zeugen und so lange zu ernähren, bis sie sich selber helfen können. Zum Jus gentium primaevum, dem »eigentlichen menschlichen natürlichen Recht« oder »ersten Völcker-Recht«, gehören die vier Gebote »Deum colere«, »Honeste vivere«, »Neminem laedere« und »Suum cuique tribuere« (Gott verehren, anständig leben, niemanden verletzten, jedem das Seine geben). Was mit der Aufgabe gemeint ist, aus allgemeinen Naturrechtsvorschriften Einzellösungen herzuleiten, 82 können sich heutige Leser am Beispiel von Rechtsund Linksverkehr klarmachen. Ob sich eine Gesellschaft für die Moralische Werte | 181

eine oder andere Art von Verkehr entscheidet, ist ihre Sache, sie muss sich aber für eine von beiden entscheiden, weil sie sonst gegen das allgemeine Gebot »Neminem laedere« verstieße. Auf ähnliche Weise lassen sich menschliche Gesetze in der Regel auf von Gott erlassene Naturrechtsgebote zurückführen.83 Weigel bemerkt, dass es nicht nur in der Theologie Gebote gibt, die scheinbar auf menschlichem Gutdünken beruhen, jedoch aufgrund ihrer Einsetzung durch die Schrift oder durch die Kirche als unverletzlich gelten, 84 zum Beispiel die Heiligung des Sabbats bei Juden, des Sonntags bei Christen und des Freitags bei Muslimen. Grundsätzlich gelten auch nach Weigel moralische Werte nur mit hypothetischer Notwendigkeit. Ihre Geltung hängt davon ab, ob sie ordnungsgemäß eingesetzt wurden, also entweder von jemandem, der dazu befugt ist, oder von den Betroffenen durch Konsens. 85 Vorschriften aus moralischer Imposition können als unabänderlich gelten, wenn sie (wie beispielsweise Verfügungen des Gemeinwesens, die allgemeine Naturrechtsvorschriften präzisieren) korrekt aus göttlichen Vorgaben von höherer Allgemeinheit abgeleitet wurden.

Bürgerliche Werte In Weigels bürgerlicher Welt, die ein Unterraum der moralischen Welt ist, gibt es wie in allen Welten Substanzen und Modi. Zu den bürgerlichen Substanzen gehört das Gemeinwesen selbst; moralische Werte, die es betreffen, bezeichnet Weigel gern als bürgerliche Werte. Ein Gemeinwesen ist eine geordnete Verbindung freier Menschen, von denen die einen befehlen und die anderen gehorchen. So wie Zahlen Verbindungen selbständiger Einer sind, die ein Zahlensystem miteinander verbindet, sind Menschen in Gemeinwesen selbständige Einzelwesen, die das Interesse am Gemeinwohl miteinander verbindet. 86 Weil Weigels politische Vorstellungen von gutartigen Überlieferungen wie der von der »treumeynenden Regierung« geprägt sind, neigt man heute unter dem Eindruck von Interessenpolitik, Meinungsmanipulation und Partisanengehabe dazu, sie als kindlich zu empfinden, vor allem dann, wenn man sie mit Entwürfen wie dem von Machiavelli oder von Hobbes vergleicht. Man tendiert zu dem Urteil, dass es Weigel an182 | Imposition und Werte

gesichts seiner Kindheitserfahrungen besser hätte wissen können, doch ist zu berücksichtigen, dass er nach seiner Vertreibung aus einem katholisch gewordenen Land mit Fürsten, die ihn schützten, gute Erfahrungen machte. Er hält das Gemeinwesen für einen moralischen Körper, der durch die Einführung des bürgerlichen Zustands entstanden ist; unabhängig davon, ob dieser gewaltsam oder einvernehmlich verwirklicht wurde, haben sich die vorher ohne umgreifende Ordnung planlos vereinzelt lebenden Menschen und Sippen (Entsprechungen zum biblischen Chaos und zur ersten Materie in der Physik der Körperwelt) durch ihren Beitritt zum Gemeinwesen dazu verpflichtet, ihre Handlungen am Gemeinwohl zu orientieren. 87 Weigel unterscheidet zwei moralische Körper, den inneren, nämlich die Kirche, bei dem es um die Belange Gottes geht, und den äußeren, das Gemeinwesen, bei dem es um das Gemeinwohl geht. Als astronomisches Gegenstück zum bürgerlichen Gemeinwesen versteht er den unveränderlichen Fixsternhimmel unterhalb des Empyreums oder Feuerhimmels. Neben diesen gibt es noch den moralischen Raum des Privaten, in dem es um die Belange von Individuen und Familien geht; sein natürliches Gegenstück ist nach Weigel die bewegliche und vergängliche Welt unterhalb des Mondes. 88 Die Kirche besteht aus Einzelpersonen, die zunächst eine diskrete Vielheit bilden, sich aber durch das gemeinsame Interesse an der Einheit des Glaubens in eine kontinuierliche Einheit verwandeln; das bürgerliche Gemeinwesen verwandelt sich dagegen durch das Interesse am Gemeinwohl in eine kontinuierliche Einheit. 89 Der äußere moralische Körper enthält mehrere Unterkörper, zum Beispiel den militärischen (Corps) und den akademischen (Lehrkörper), die ebenfalls aus Teilen außerhalb von Teilen (Soldaten und Lehrern) bestehen. Gott hat die Welt so eingerichtet, dass sich Menschen in einem sehr unvollkommenen Zustand befinden, solange sie keinem Gemeinwesen angehören und sich dessen Ordnung unterwerfen.90 Sie sollen in Gesellschaft leben und schließen sich gegebenenfalls aus eigenem Antrieb zu etwas zusammen, das man als moralischen oder bürgerlichen Körper bezeichnen kann.91 Wohlbestellt ist eine bürgerliche Gesellschaft in dem Maß, in dem ihre Mitglieder zum Zweck des Gemeinwohls kooperieren. Regierungskunst und Gehorchenskunst sind sozusagen angeBürgerliche Werte | 183

wandte Rechenkunst, des Näheren die Kunst, zwischen freien, aber politisch miteinander verbundenen Befehlenden und Gehorchenden im Blick auf das Gemeinwohl Harmonie zu stiften. Die Kunst der Proportionalrechnung ist im Kern nichts anderes als die Kunst, zu befehlen und zu gehorchen.92 Diese bringt den Bürgern viele Vorteile. Zum Beispiel bieten wohlbestellte Gemeinwesen günstige Bedingungen für die Ausübung der Wissenschaften, und zwar sowohl der ganz gewissen als auch der weniger gewissen, die sich mit Realien beschäftigen. Bei mechanischen Künsten und in der Medizin sind viele Schlussfolgerungen nicht schlechthin gewiss, denn sie wurden nicht im Rahmen eines axiomatischen Systems hergeleitet; aber weil sie die sinnliche Wahrnehmung bei vielen Experimenten und Beobachtungen bestätigt, sind sie nicht weniger gewiss als der gewöhnliche Lauf (cursus) der Natur (sie sind of course), und man darf sie nicht gegenüber axiomatischen Wissenschaften verachten, die auf Vernunftschlüssen beruhen. Das ist ein Plädoyer für die damals noch umstrittene Anerkennung von Tatsachenwissenschaften als Wissenschaften, die Weigel selbst durch häufigen Gebrauch von observationes auch in Beweisen methodo geometrica zum Ausdruck bringt; darüber hinaus unterstützt er sie praktisch, und zwar nicht zuletzt durch die Verfechtung des Realschulgedankens, die seiner Überzeugung entsprang, dass es uns Christen gerade die Erfahrungswissenschaften ermöglichen, wie Menschen zu leben. Nach seiner Meinung lebten auch wir wie das Vieh, wenn nicht die Wissenschaft mit Hilfe der Mathematik die sogenannten bürgerlichen Künste erfunden hätte. Das beweisen noch heute Amerikaner, Afrikaner und Asiaten. Sie leben zwar in einigermaßen befriedeten Gesellschaften und verfügen über gute Heilmittel, die sie den Unsrigen nicht einmal unter schwerer Tortur verraten, auch schont ihre einfache Lebensweise die Gesundheit so sehr, dass sie oft ein höheres Lebensalter erreichen als wir. Aber trotzdem führen sie ein elendes Leben, weil sie nicht wie wir die Künste beherrschen, mit deren Hilfe man das Gemeinwesen und den eigenen Körper gegen innere und äußere Feinde schützt und Arbeit und Mühsal durch mechanische Mittel erträglicher macht.93

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Ontologischer Status von Werten Arten und Gattungen von Seiendem sind Abstrakta, und geordnete Systeme von Abstrakta bezeichnet Comenius manchmal als Welten; Weigel spricht öfter von Räumen. Er vertritt einen vor-newtonschen Raumbegriff, nach dem Räume nichts Reales, sondern Systeme von Relationen zur Ordnung koexistierender Elemente sind. In vergleichbaren Zusammenhängen nennt er diese »consortia« und »commercia« von Dingen. In der Pantologie zählt er virtuelle Räume auf,94 die er als complexus situales, Lagebereiche, betrachtet. Manchmal verwendet er wie Comenius statt »Raum« den Ausdruck »Welt«, und solche Verwendungen verstehen wir noch heute, denn auch wir sprechen von Zeichenwelten oder Klangwelten. Räume können Unterräume enthalten. Die Zahlen siedelt Weigel im numerischen oder quotitativen (nach »quot«) Unterraum der notionalen Welt an, Figuren im geometrischen Raum, reale Körper im natürlichen Raum und Augenblicke im quanditativen (nach »quando«) Raum der Zeit. Der Herausgeber der Neuausgabe bezeichnet Weigelsche Räume als Ordnungsstrukturen, denn eins ihrer wichtigsten Merkmale ist die Anordnung von Elementen nach Kriterien. Die Überzeugung der großen Enzyklopädie-Autoren des 17. Jahrhunderts, die den Gedanken der inneren und äußeren Harmonie aller Sachbereiche und Wissenschaften verfochten, bekräftigt Weigel mit der Erklärung, dass alle genannten Räume strukturanalog sind. Zum Beispiel sind die Elemente des Zahlenraums nach höherer oder niedrigerer Stellung im Zahlensystem angeordnet, die Elemente des Zeitraums in der Reihenfolge des Früher oder Später. Die Ordnung des natürlichen Raums bestimmt die Lage der in ihm befindlichen natürlichen Körper, und in allen Räumen ist die Lage der Füllsel durch eine analoge Ordnung bestimmt. Weigel ist es nicht entgangen, dass der natürliche Raum in seiner Interpretation ein Denkprodukt ist; manche Autoren halten ihn aber für etwas Reales, und zwar selbst dann, wenn er keine Elemente enthält. Epikur und Demokrit, an die sich Gassendi hält, betrachten den Raum als eins der beiden Prinzipien der Welt, die aus dem leeren Raum und aus den sich im Leeren bewegenden Materieteilchen besteht.95 In der Tat gibt es nach Weigel Indizien dafür, dass der natürliche Raum vielleicht doch etwas von unserem Ontologischer Status von Werten | 185

Denken Unabhängiges ist, nur ist er mit Sicherheit kein Modus, denn er inhäriert keiner Substanz. Einstweilen ist es nach Weigel das Sicherste, ihn für eine abstrakte Wechselbeziehung zu halten, die man theoretisch als etwas an sich begreifen kann, die aber in Wirklichkeit nichts an sich ist. Sicherheit über die wahre Natur des Raums wird es erst nach vielen weiteren Forschungen und Experimenten geben.96 Trotzdem bezeichnet Weigel auch Räume als Substanzen. Sie sind gedachte Behälter (exceptoria) zur Aufnahme von Zahlen, geometrischen Figuren, natürlichen Körpern und Ereignissen, aber auch von moralischen und notionalen Gebilden, von denen sich viele wie Substanzen verhalten, denn sie haben Eigenschaften und Quasiwirkungen. Das gilt zum Beispiel im Bereich der notionalen Entitäten für Vokabeln und die ihnen zugeordneten Bedeutungen: sie bewohnen eine notionale Welt mit Ordnungen und Sphären, deren Fassungsvermögen (capacitas) dem des Raums der natürlichen Welt entspricht.97 Dabei kann sich Weigel auf Aristoteles berufen, der in der Kategorienschrift wirkliche Dinge als Erstsubstanzen, aber Gattungen und Arten, die Abstraktionen sind, als Zweitsubstanzen bezeichnete.98 Zweitsubstanzen, nämlich Abstraktionen, sind unter anderem die moralischen und notionalen Entitäten. Dem Verdacht, dass Weigel sich hier einer unzulässigen Hypostasierung schuldig macht, widerspricht schon seine Wortwahl; er redet nicht nur von substantiae secundae (Zweitsubstanzen), sondern auch von substantiae suppositivae (angenommenen Substanzen) und substanzähnlichen Objekten (substantiae analogae). Die Frage, ob man entia rationis als Substanzen bezeichnen darf, hatten Kollegen von ihm schon vor Generationen erörtert, zum Beispiel Pedro de Fonseca, der die Aristoteles-Kommentare von Coimbra (Commentaria Conimbricensium) veranlasst hat.99 Unter dem Vorbehalt, dass er von analogen Substanzen redet, geht Weigel davon aus, dass die Substanzen in künstlichen Räumen über Grundmerkmale von Substanzen verfügen: Sie haben Eigenschaften und stehen in Relationen. Bei der Behandlung solcher Modi bleibt Weigel allgemein, die Texte erlauben aber keinen Zweifel daran, dass er seinen Zweitsubstanzen Eigenschaften zuschreibt: Waren haben Preise und Silben Längen und Kürzen. Die Texte erlauben darüber hinaus keinen Zweifel daran, dass sol186 | Imposition und Werte

che Entitäten wirken können: Gebote regeln das Verhalten realer Menschen, Gesetze darf niemand missachten, bürgerliche Werte bereiten einigen Menschen die gleiche Freude, die anderen delikate Speisen machen, und ihr Fehlen ist für sie schlimmer als Tod und Schmerz.100 Es geht also bei einigen nichtkörperlichen Artefakten, die Vernunften zu realen Gegenständen hinzugedacht haben, um mehr als um bloße Abstraktionen – ein Todesurteil ist nicht weniger gefährlich als eine Waffe aus Stahl. Die künstlichen Welten des notionalen und moralischen Seienden sind erfüllt von abstrakten Substanzen und Modi, die die natürliche Welt verändern können, obgleich Einzelmenschen sie ausgedacht haben.101

Samuel Pufendorf über moralische Entitäten Samuel Pufendorf wurde am 8. Januar 1632 in Dorfchemnitz im Erzgebirge (heute ein Ortsteil von Zwönitz) als Sohn eines lutherischen Pfarrers geboren. Er besuchte die Fürstenschule in Grimma und studierte seit 1650 in Leipzig zunächst Theologie, wechselte aber bald zur Jurisprudenz und beschäftigte sich auch mit Naturphilosophie und Kameralistik. 1656 übersiedelte er mit seinem älteren Bruder Esaias, mit dem Weigel schon in der Leipziger Zeit bekannt war102 und der später als Diplomat in schwedischen und dänischen Diensten stand, nach Jena. Samuel Pufendorf beschäftigte sich mit Galilei, Descartes, Grotius und Hobbes und promovierte bei Weigel zum Magister. Danach wurde er Hauslehrer beim schwedischen Gesandten in Kopenhagen. Während des dänisch-schwedischen Krieges wurde er interniert; nach seiner Entlassung begleitete er den schwedischen Gesandten nach Den Haag und nahm 1661 einen Ruf auf den neuen Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht an der philosophischen Fakultät in Heidelberg an. Dort machte er sich nicht zuletzt durch seine herbe Kritik an der deutschen Reichsverfassung103 unbeliebt und übernahm an der neu gegründeten Universität Lund den philosophischen Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht; 1670 wurde er deren Rektor. 1672 erschien sein Hauptwerk De jure naturae et gentium libri octo (Acht Bücher über Natur- und Völkerrecht), das in viele europäische Sprachen übersetzt wurde. 1677 berief ihn der König als Hofhistoriographen und StaatssekreSamuel Pufendorf über moralische Entitäten | 187

tär nach Stockholm. Wegen seines Eintretens für Toleranz und für die Unabhängigkeit der Wissenschaft von der Theologie zog er sich auch dort kirchliches Missfallen zu und übernahm zum Bedauern des Königs von Schweden, der ihn noch 1684 in den Adelsstand erhob, das Amt des Hofhistoriographen bei Friedrich Wilhelm von Brandenburg, dem Großen Kurfürsten. Am 26. Oktober 1694 starb er in Berlin. In den vergangenen Jahrzehnten ist eine umfangreiche Pufendorf-Literatur und eine Werkausgabe erschienen.104 Pufendorfs Vernunftrechtslehre ist insofern säkular, als sie dieses Recht nicht unmittelbar auf göttliche Verordnung, sondern auf die gesellige Natur des Menschen zurückführt; zugleich betont sie jedoch, dass das Vernunftrecht mit den Weisungen der Offenbarung übereinstimmt. Die Bildung von Gemeinwesen ergab sich nach Pufendorf aus dem natürlichen Drang zur Geselligkeit des von Natur aus freien Menschen, dessen Sicherheit im Naturzustand so gefährdet war, dass ihm nur die Wahl blieb, sich mit Artgenossen zusammenzutun und Regeln für das Zusammenleben zu erfinden. Pufendorfs Vernunftrechtslehre beeindruckte Thomasius und Wolff und direkt und indirekt Gesetzgeber des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts; sie wurde in den amerikanischen Kolonien kaum weniger geschätzt als Lockes Treatises of civil government, trat aber später in den Hintergrund – die Kant-Rezeption überwucherte sie sozusagen. Die Meinung, dass sich Pufendorf in seiner Vernunftrechtstheorie auf Weigel stützt, vertrat schon Leibniz. Behme erörtert sie in seinem Aufsatz »Pufendorf als Weigel-Schüler«,105 der die biographische Situation rekonstruiert und unter anderem auf die Schwierigkeit hinweist,106 dass in Weigels Schriften, die älter sind als Pufendorfs Elementa,107 die Lehre von den moralischen Entitäten weniger weit entwickelt ist als auf Pufendorfs einschlägigen Seiten.108 Theoretisch bestände also die Möglichkeit, dass sie zunächst Pufendorf und nicht Weigel zuzuschreiben ist, doch sprechen bislang mehr Argumente für die Annahme, dass sich Pufendorf in seiner Wertlehre auf Weigel stützte; auch Behme neigt zu der Meinung, dass Pufendorfs Idee eines wissenschaftlichen Naturrechts more geometrico unter dem Eindruck von Weigels aristotelisch-euklidischer Methode entstand.109 Im Rahmen dieser Einführungsschrift genügt es, Stellen aus Pufendorfs De Jure natu188 | Imposition und Werte

rali et gentium vorzulegen, um einen Eindruck von der Nähe dieser Äußerungen zu Weigels Lehre von den moralischen Entitäten zu vermitteln. Zur Lenkung menschlicher Willensakte und Veränderungen, schreibt Samuel Pufendorf, gibt es eine besondere Art von Attributen, die man als moralische Entitäten (entia moralia) bezeichnet. Sie haben die Aufgabe, Sitten und freie Handlungen von Menschen durch Hinweise zu lenken110 und zu zeigen, wie man freie Tätigkeiten gestalten soll. Im Unterschied zu Körpern entstehen sie nicht durch Schöpfung, sondern durch Imposition111 (Weigel war damals noch nicht der Meinung, dass auch die physische Welt durch Imposition entsteht). Der erste Urheber moralischer Entitäten war Gott, der nicht wollte, dass die Menschen wie Tiere leben; die meisten wurden aber später von Menschen eingeführt, die glaubten, man könne das Leben dadurch in geordnetere Bahnen lenken.112 Moralische Entitäten, die auf menschlicher Imposition beruhen, verdanken der Imposition nicht nur ihr Entstehen, sondern auch ihr Vergehen, denn sobald die Kraft des Auferlegers schwindet, schwindet auch die auferlegte Entität wie Schatten vor dem Licht. Menschliche Impositionen gewinnen nie die Kraft physischer Qualitäten; nur Menschen ohne Erfahrung glauben, dass jemand, dem irgendjemand etwas auferlegt, dadurch so etwas wie ein unauslöschliches Siegel empfängt.113 Nach Pufendorf empfiehlt es sich, moralische Entitäten nicht anders als physische unter Kategorien zu bringen. Physisch gesehen sind sie Modi, die Substanzen inhärieren und sich nach deren Veränderungen richten. Einige von ihnen ergeben sich aus der Natur der Sache, andere wurden von verständigen Wesen zu physischen Dingen und Modi hinzugedacht, um die Freiheit des Menschen mit einem anständigen Leben vereinbar zu machen.114 Obwohl alle moralischen Entitäten in Wirklichkeit Modi sind, denken wir einige von ihnen so, als wären sie Substanzen; zum Beispiel verwandeln wir einen Menschen mit der Eigenschaft, ­einem Gemeinwesen anzugehören, in die moralische Substanz Bürger, und ein natürliches Ding dadurch, dass wir einen Preis zu ihm hinzudenken, in die moralische Substanz Ware. Substanzen brauchen einen Raum, in dem sie existieren und sich bewegen können; deswegen erfinden wir so etwas wie einen moralischen Samuel Pufendorf über moralische Entitäten | 189

Raum.115 Andere moralische Entitäten begreifen wir als Modi. Zum Beispiel bilden wir die moralischen Modi Preis und Ansehen, und weil auch diese quantifizierbar sind, bezeichnen wir sie ebenfalls als Werte.116 Später erörtert Pufendorf im Fünften Buch von De jure naturae et gentium die moralische Entität Preis. Nach der Einführung der Institution des Eigentums bemerkten die Menschen, dass nicht alle Dinge, die ihnen gehörten, den gleichen Nutzen bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse brachten; auch wurden manchmal Güter von einem Eigentümer auf den anderen übertragen, und wieder andere gingen an mehrere Menschen. Deshalb wurde es nötig, den Dingen Eigenschaften aufzuerlegen (impon*), durch die sie vergleichbar wurden.117 Im Alltagsleben bezeichnet man Dinge nicht nur dann als gleich, wenn sie nach Länge, Breite und Höhe miteinander übereinstimmen, sondern man redet auch von gleichen Würden und Handlungen und von gleichwertigen Waren. Es muss also neben der physischen und mathematischen Quantität noch eine weitere geben, die nicht die Zahl oder Ausdehnung von Substanzen betrifft, sondern den Wert von etwas. Die Werte sehr guter Pferde sind zum Beispiel einander gleich oder ähnlich, aber die Werte sehr guter Pferde und sehr guter Esel nicht. Dabei ist in manchen Fällen die physische Quantität von etwas für seine moralische Bewertung unerheblich. Ein großer Diamant ist mehr wert als ein kleiner, aber ein großer Hund ist nicht unbedingt mehr wert als ein kleiner, und ein großes Stück Blei ist weniger wert als ein kleines Stück Gold. Das Ergebnis solcher Bewertungen kommt in der moralischen Quantität Preis zum Ausdruck; dieser entspricht dem Wert von Dingen und Tätigkeiten, die am Markt gehandelt werden, und hat den Vorzug, sie vergleichbar zu machen.118 Pufendorfs Darlegung ist detailliert; er unterscheidet zum Beispiel den Tauschpreis (pretium vulgare), der in Sachwerten gemessen wird, vom Preis im engeren Sinn (pretium eminens), der die Erfindung des Geldes voraussetzt und in Währungseinheiten notiert wird.119

190 | Imposition und Werte

11. Topische Logik Aristotelische Topik Schon um die Jahrhundertmitte fasste Weigel den Gedanken einer Enzyklopädie, die er zu realisieren versuchte und die nie abgeschlossen wurde. Sie fügt sich, sofern sie realisiert wurde, in die Reihe mitteleuropäischer Enzyklopädien des 17. Jahrhunderts ein. Weigels Rolle bei diesem heute fast vergessenen Phänomen der mitteleuropäischen (in diesem Fall: der deutschen und tschechischen Geistesgeschichte) lässt sich besser einschätzen und würdigen, wenn man zuvor an Alsted und Comenius erinnert, und zu Alsteds Hintergrund gehören Petrus Ramus und Ramón Lull, der eine allgemeine Topik (topica universalis) entwickelt hatte. Der Ausdruck »Topos« (Plural: Topoi, von τόπος, tópos, Ort) wird noch heute verwendet und kann inzwischen vielerlei bedeuten, zum Beispiel »Gemeinplatz« (locus communis), »stereotype Redewendung«, »literarisches Motiv«, »Argumentationsmuster«, »Gesichtspunkt bei Argumentationen« und »Ansatzpunkt für Argumentationen«. Aristoteles hat als zuständige Disziplin die Topik (τοπική, topikḗ) begründet. Er benutzt den Ausdruck in einem spezielleren Sinn als heutige Sprecher, der von der Diskussionspraxis im Schülerkreis Platons bestimmt ist und den man so umschreiben kann: »Geeigneter Angriffspunkt bei der Widerlegung gegnerischer Argumente«. Die Wahl des Terms begründet er so: Man muss den Ort, den τόπος, finden, von dem aus man den Angriff auf die Gegenposition am besten beginnt (τόπος ὅθεν ἐπιχειρητέον, tópos hóthen epicheirētéon).1 Mit »Gegenposition« ist eine Diskussionsbehauptung gemeint, die man nicht akzeptieren will. Die Topik hat ihren ursprünglichen Ort in Diskussion und Rhetorik und nicht in der Lehre von den wissenschaftlichen Beweisen. Grundsätzlich kann man jeden Satz durch Umformung zu einer Streitfrage machen, zum Beispiel den Satz »S ist P« dadurch, dass man ihn zu »Ist S wirklich P?« umformt;2 auf diese Weise können auch rezipierte wissenschaftliche Theoreme 191

zu Streitfragen werden. Als häufige Streitanlässe nennt Aristoteles in Buch 2 der Topik Behauptungen über Eigenschaften, die nicht notwendig mit einem Ding verbunden sind, in Buch 3 Behauptungen, nach denen etwas gut ist, in Buch 4 Behauptungen, nach denen es zu einer bestimmten Gattung gehört, in Buch 5 Behauptungen, nach denen es notwendigerweise eine bestimmte Eigenschaft hat, in Buch 6 Definitionen und in Buch 7 Behauptungen, nach denen ein Ausdruck »A« dasselbe bedeutet wie der Ausdruck »B«. Für solche Fälle gibt Aristoteles Topoi an, also Angriffspunkte für Widerlegungen. Um einen flüchtigen Eindruck zu vermitteln, skizziere ich einige Topoi aus dem ersten Kapitel des Vierten Buchs der Topik.3 Bei Behauptungen über die Gattungszugehörigkeit von etwas, die man zu widerlegen wünscht, rät Aristoteles zu überprüfen, ob deren Prädikat geeignet ist, eine Gattung oder Art abzugeben. Zum Beispiel kann man die Behauptung, dass das Wesen von Schnee in Weißsein besteht, durch den Nachweis widerlegen, dass einiges Weiße kein Schnee ist. Auch kann man damit operieren, dass das betreffende Ding und seine angebliche Gattung unter verschiedene Kategorien fallen – Schnee ist ein Ding und Weiß eine Eigenschaft, und eine Eigenschaft kann nicht die Gattung eines Dings sein. Auch kann man überprüfen, ob eine Art tatsächlich zu der Gattung gehören kann, die ihr die Gegenseite zuweist. Was jemand unter einem bestimmten Gesichtspunkt als Art betrachtet, kann man unter einem anderen als Gattung ansehen, und Arten können unter Gattungen fallen, aber Gattungen nicht unter Arten – jeder Mensch ist ein Lebewesen, aber nicht jedes Lebewesen ist ein Mensch; Vögel sind Zweifüßler, aber nicht jeder Zweifüßler ist ein Vogel. In strittigen Fällen kann die Artangabe richtig sein, die Gattungsangabe aber falsch und umgekehrt. Auch ist zu prüfen, ob das, was angeblich die Art einer bestimmten Gattung ist, überhaupt deren Art sein kann. Wenn jemand sagt, dass Lust eine Art von Bewegung ist, kann man ihn mit der Frage angreifen, welche bekannte Art von Bewegung er denn meint – Ortsbewegung, Veränderung oder irgendeine andere. Auch empfiehlt es sich zu prüfen, ob eine Art, die angeblich unter eine bestimmte Gattung fällt, den gleichen oder vielleicht einen größeren Umfang hat als ihre angebliche Gattung; der Umfang einer Gattung ist nämlich nicht kleiner als der ihrer Arten. 192 | Topische Logik

Aristoteles’ Topik konkurriert nicht mit Aristoteles’ formaler Logik. Diese gehört in den Bereich der Wissenschaft und Forschung und entscheidet über Wahrheit oder Falschheit wissenschaftlicher Aussagen; die Topik richtet sich dagegen an Disputanten und Verfasser öffentlicher Reden. Deswegen galt die Topik als Hilfsmittel in Dialektik und Rhetorik. Die Bedeutung von »Topos« beziehungsweise – im lateinischen Sprachbereich – von »locus« veränderte sich im Lauf der Zeit; das Wort bezog sich nicht mehr nur auf das Finden und den Einsatz von Argumenten zur Widerlegung gegnerischer Behauptungen, sondern bezeichnete auch Argumentmengen überhaupt; Topoi wurden zu »Wohnstätten von Argumenten, in denen sie sich verbergen und aus denen man sie herausholen muss«;4 man verstand sie als Nester noch unfertiger Argumente. Zu den Autoren, die dem lateinischen Mittelalter Topikkonzepte und Topikdiskussionen überlieferten, gehörten ­Cicero, Boethius und Quintilian. Weil die Wissenschaftsentwicklung und Wissenschaftspräsentation weitgehend in Disputationen erfolgte, ist das Interesse an Topoi oder loci nicht erstaunlich. Für die Entwicklung der neuzeitlichen Topik und der neuzeitlichen Enzyklopädien (Versuche zu einer Gesamtwissenschaft) waren die Wissenschaftskonzeptionen von Raimundus Lullus (Ramón Llull beziehungsweise Lull) und Petrus Ramus wichtig; beide haben die Enzyklopädieprojekte von Comenius und Alsted mitgeprägt, und beide wurden mit der Absicht entwickelt, die strenge formale Logik durch etwas Wirklichkeitsnäheres zu ersetzen.

Lullische Kunst Ramón Lull (Llull) wurde 1232 in Palma de Mallorca geboren.5 Dort­ hin war sein Vater, ein Kaufmann aus Barcelona, 1229 nach der Eroberung der Balearen durch den König von Aragón übergesiedelt. Ramón war vermutlich zunächst im Geschäft seines Vaters tätig, heiratete 1257 und hatte zwei Kinder. Während er ein Minnelied für eine geliebte Dame komponierte, bekam er die Vision, neben sich Jesus am Kreuz zu erblicken, und als sich diese Erscheinung wiederholte, beschloss er, sein Leben zu ändern, sich von seiner Habe zu trennen und sich auf die Bekehrung der Ungläubigen und der AnLullische Kunst | 193

hänger nichtchristlicher monotheistischer Religionen zu verlegen. Die Trennung Lulls von seiner Familie verlief nicht friedlich. Über die Folgezeit ist wenig Genaues bekannt. Um für die Missionsarbeit gerüstet zu sein, lernte er bei einem gebildeten maurischen Sklaven Arabisch und studierte arabische Autoren; unklar ist, wo er seine schulphilosophischen und schultheologischen Kenntnisse erwarb. Seine Ars (Kunst) der Wahrheitsfindung, die ihm nach seiner Überzeugung Gott einflößte, erschaute er laut Autobiographie während eines Meditationsaufenthalts auf dem Berg Puig de Randa; die erste Fassung schrieb er in einem benachbarten Kloster nieder. Er verfasste zahlreiche Werke auf Latein, Katalanisch und Arabisch. Zur Verbreitung seiner Methode unternahm er mit eher geringem Erfolg mehrere Reisen; in Tunis brachten ihn Versuche zur Bekehrung prominenter Muslime ins Gefängnis. Er studierte und las in Montpellier und Paris, und 1310 sprachen sich 40 Magister und Baccalaurei der Sorbonne für die Nützlichkeit seiner Methode aus; König Philipp IV. schrieb ihm einen Empfehlungsbrief, und der Kanzler der Universität erklärte, dass seine Werke der katholischen Theologie nicht widersprechen. Später wurden sie zeitweise von der Inquisition verboten, doch am Ende wurde Lull, der dem Dritten Orden der Franziskaner angehörte, von der römischen Kirche beatifiziert. Während seiner Vorlesungen in Montpellier und Paris gewann er den Eindruck, dass seine Kunst für die Hörer schwer zu verstehen war, und versuchte immer wieder, sie umzuformen und zu vereinfachen. Deshalb trat sie zu verschiedenen Zeiten unter sehr verschiedenen Gestalten auf, und das erschwert heutigen Lesern den Zugang. 1311 empfahl Lull in einer Eingabe an das Konzil von Vienne zur Erleichterung der Nordafrika- und Nahostmission die Einrichtung von Schulen für Arabisch, Hebräisch und Chaldäisch, und auf Beschluss des Konzils wurden entsprechende Lehrstühle in Paris, Bologna, Oxford und Salamanca eingerichtet; einer der berühmtesten Lehrer am Salmantiner Lehrstuhl war der klassische Dichter Luis de León. 6 1313 reiste Lull erneut nach Tunis; dieser Aufenthalt verlief ohne Zwischenfälle, doch über seinen Verlauf ist wenig bekannt. Auch der Ort und die näheren Umstände von Lulls Tod sind unbekannt; vermutlich starb er in Mallorca Anfang 1316. Über die Todesursache kursierten Spekulationen, zum Beispiel die, dass ihn erboste Muslime steinigten. 194 | Topische Logik

Lull war davon überzeugt, dass sein System auf einer Privatoffenbarung Gottes beruhte, und verzichtete deshalb darauf, es mit hergebrachten Autoritäten zu rechtfertigen. Eine verlässliche Bestimmung seiner Quellen ist kaum möglich. Klar ist, dass er sich nicht dem damals aufblühenden Aristotelismus anschloss; wahrscheinlich ist, dass er Zugang zu Augustinus und neuplatonischen Quellen wie Dionysius Areopagita sowie zu wichtigen von diesen beeindruckten Autoren des zwölften Jahrhunderts hatte. Die ihm bekannten Ansätze zu einer von Aristoteles geprägten Scholastik vernachlässigten nach seiner Meinung die philosophische Invention und gaben zu sehr der Opinio von Autoren den Vorzug; auch schränkten sie die Möglichkeit von Beweisen dadurch ein, dass sie als Grundlage von Schlussfolgerungen nur logisch beweisbare Prämissen zuließen. Für diese Einschränkungen fehlte es nicht an Gründen, aber für Lull waren nicht Beweise aus Büchern, sondern eigenes Nachdenken und mystische Meditation die wichtigsten Impulse. Schon am Anfang seiner literarischen Tätigkeit ging er davon aus, dass man alle Glaubenswahrheiten mit Vernunftgründen erklären kann und dass man dabei zur Erhöhung der Transparenz mit Figuren und Buchstaben arbeiten soll. Durch die Erarbeitung eines durch Vernunftgründe bestätigten trinitarischen Gottesbegriffs wollte er alle Anhänger monotheistischer Religionen von der Wahrheit des Christentums überzeugen. Damit widersprach er der Meinung, dass die biblische Offenbarung die maßgebliche Erkenntnisquelle der Theologie ist; auch hielt er sich nicht an Fachvokabulare, und nicht zuletzt seine extravagante Verwendung theologischer und philosophischer Terme trug dazu bei, dass seine Texte nicht nur schwer verständlich, sondern auch missverständlich waren. Lull glaubt, dass Gott dem Menschen zunächst verborgen ist. Aber wer erkennt, dass alle geschaffenen Dinge nach dem Vorbild der göttlichen Trinität konstruiert sind, kann aus ihren Attributen auf Attribute Gottes schließen. Dann hat er Leitern, auf deren Sprossen er die Stufen des Seins hinauf- und hinabsteigen kann. Auf diesen Stufen erkennt man Gott, und zwar mehr oder weniger deutlich, aber diese Beziehung verkettet alles Seiende von Gott bis hin zum Stein. Geschöpfliche innere Aktivitäten wie Wissen, Erkennen und Lieben, augustinisch gedeutet als Hervorbringungen Lullische Kunst | 195

der obersten Seelenvermögen Verstand, Erinnerung und Wille, bilden letztlich Gottes Selbstergießung in die Dreifaltigkeit ab, und geschöpfliche Aktivitäten nach außen wie die Hervorbringung von Artefakten sind Ebenbilder der Emanation der Schöpfung aus Gott. Lull plante eine leicht zu erlernende Kunst, die dies erweisen kann und für alle Wissensbereiche als Instrument zur Wahrheitsfindung geeignet ist. Sie sollte eine unabzählbare Menge von Argumenten generieren können und so die Funktion einer universalen Topik erfüllen. Weil ihre kombinatorischen Mechanismen unendlich erfinderisch sind, kam ihr die Funktion einer ars inveniendi zu. Weil sie aber auch Beweise erzeugen konnte, erfüllte sie zugleich die Funktion einer Logik. Weil sie allgemein anwendbar war und mit beliebigen realen und logischen Objekten umgehen konnte, war sie als strukturierende Komponente einer Gesamtwissenschaft geeignet (topica universalis, scientia generalis), die man im 17. Jahrhundert als Enzyklopädie zu bezeichnen pflegte.

Das Lullische Werkzeug Im Mittelpunkt des Verfahrens steht das Lullische Alphabet. Es umfasst in seiner Spätform in jeweils sieben Spalten neun Terme (Prinzipien), die in der ersten Spalte durch die Buchstaben B bis K (ohne J) vertreten werden; der Buchstabe A ist für Gott reserviert. In Spalte 2 stehen die Namen allgemeinster Begriffe, die Objekten aller Seinsstufen in unterschiedlichem Maße zukommen können. Das Lullische Alphabet. B

Bonitatem

Deum

Justitiam

Avaritiam

C

Magnitudinem Concordantiam Quid

Differentiam

Angelum

Prudientiam

Gulam

D

Durationem

Contrarietatem

De quo

Firmamentum

Fortitudinem

Luxuriam

E

Potestatem

Principium

Quare

Animam

Temperantiam Superbiam

F

Sapientiam

Medium

Quantum

Imaginationem Fidem

Accidiam

G

Voluntatem

Finem

Quale

Sensitivam

Spem

Invidiam

H

Virtutem

Majoritatem

Quando

Vegetativam

Caritatem

Iram

I

Veritatem

Aequalitatem

Ubi

Elemantativam Patientiam

K

Gloriam

Minoritatem

Quocunque Artificium

196 | Topische Logik

Utrum

Pietatem

Mendaciam Inconstantiam

Spalte 3 verzeichnet die wichtigsten Relationen zwischen ihnen. Spalte 4 enthält neun Fragepartikel, die vermutlich von dem unter Juristen und Moralisten üblichen Siebenerkatalog der Umstände (circumstantiae) inspiriert sind.7 Spalten 5, 6 und 7 listen die Anwendungsbereiche der Lullischen Kunst auf, nämlich Seinsstufen, Tugenden und Laster. Daraus ergeben sich 54 Terme, mit denen Lullisten operieren können. 8 Lullisten arbeiten mit vier Figuren. Figur 1 enthält vier konzen­ trische Kreise mit neun Sektoren; sie heißt auch Figur A. Den ersten Kreis besetzen die Majuskeln der obersten Terme des Lullischen Alphabets, den zweiten und dritten diesen zugeordnete Begriffe in Gestalt von Substantiven und Adjektiven; den vierten füllt ein Beziehungsgeflecht zwischen diesen. Im Zentrum der Figur steht der Buchstabe A (Bedeutung: Gott). Figur 1 B

Bonitas K

Bonum

Ma g

Ma gn

Verum

H

E Pot est as Pot en s

s rtu Vi m osu r tu i V

D

A

Duratio

Durans

Veritas

Gl o

um F a ienti Sap iens Sap

Volu nta s Vole ns G

I

C ni t

o ud

ia lor um G s rio

Das Lullische Werkzeug | 197

Figur 2

B

M

Finis ntr. Co

d. Me

Aequ .

Privation ens. . Termina is s tion & int S ns. s. & Perfection is In ubs Se r sen int. is ter e & Ac s nt nt. c I

t.

T

H C st. & subst. Se n s. Sub t. & acc. & I n t e r subs r se sen Inte . & acc. s. In ns. t Acc . & i & in nt .

Maior. Conc .

I F S u b s t. nis & nctio n iu nis Inter subs subst. t. & Co suratio n A m c c . & a acc Me emitatu cc. . I tr Ex

D

us

c.

G

a s ta

Sens. & sens . E t s K nter sens. & int sub acc. I nt. & int. . Q Ca u I & u s t. st. & c. Te anti ub & ac m p . Diff. Pri r. n ino

Figur 2 besteht aus drei konzentrischen Kreisen. Der erste enthält die Majuskeln des Alphabets, der zweite die zugehörigen geschöpflichen Seinsstufen, von denen folgende genannt werden: B: Sensuale-Sensuale (für niedere Seinsstufen), Intellectuale-Intellectuale (für reine Geister), Sensuale-Intellectuale (für Menschen), E: Causa, Quantitas, Tempus, H: Substantiale-Substantiale, Substantiale-Accidentale, Accidentale-Accidentale, C: Sensuale-Sensuale, Sensuale-Intellectuale, Intellectuale-Intellectuale, F: Conjunctionis, Mensurationis, Extremitatum, I: Substantiale-Substantiale, Substantiale-Accidentale, Accidentale-Accidentale, D: Sensuale-Sensuale, Intellectuale-Sensuale, Intellectuale-Intellectuale, G: [Causa] Privationis, Terminationis, Perfectionis, 198 | Topische Logik

K: Substantiale-Substantiale, Substantiale-Accidentale, Accidentale-Accidentale. Den dritten Kreis füllen allgemeinste Relationen, den vierten Beziehunsgeflechte zwischen den Termen des dritten. Die Geflechte enthalten neun Dreiecke, die mit ihren Scheitelwinkeln Sektoren des dritten Kreises berühren. Mit den Basiswinkeln berühren sie jeweils zwei weitere Sektoren; dadurch erhält man Tripel von Buchstaben, die man als Dreiecksnamen verstehen kann, aber auch als Begriffstripel zur Verwendung bei Argumentationen. Den dritten Kreis füllen allgemeine Relationen, vorgestellt als Beschriftungen der Scheitelwinkel von Dreiecken, deren Basiswinkel auf weitere Vorkommen in Lullischen Begriffstripeln verweisen (Reihenfolge B, E, H, C, F, I, D, G, K). Figur 3 ist eine Auflistung binärer Kombinationen der lullischen Alphabetbuchstaben. Die Majuskeln stehen hier für ihre jeweils sechs Bedeutungen, zum Beispiel B für Güte, Unterschied, Ob, BC

CD

DE

EF

FG

GH

HI

BD

CE

DF

EG

FH

GI

HK

BE

CF

DG

EH

FI

GK

BF

CG

DH

EI

FK

BG

CH

DI

EK

BH

CI

DK

BI

CK

BK

IK

Figur 3 Das Lullische Werkzeug | 199

Gott, Gerechtigkeit und Habsucht, und C für Größe, Übereinstimmung, Was, Engel, Klugheit und Völlerei. Schon mit dieser Tafel gewinnt man 12 Topoi, denen man Terme für passende Argumente wie »Güte ist das Gegenteil von Bosheit« oder »Güte ist unter anderem eine Eigenschaft von Engeln« entnehmen kann. Das gleiche Verfahren lässt sich auch auf die übrigen Spalten anwenden. Solche Aufstellungen erleichtern Anfängern die Auswahl zweistelliger Kombinationen, die zu ihrer Diskussion passen. Wer schon Erfahrung hat, kennt allerdings die Spalten auswendig und braucht solche Hilfsmittel nicht. Kombinationen aus B, Sp.  1,

Kombinationen aus B, Sp.  2,

und C, Sp.  1

und C, Sp.  2

B1C1 B1C2 B1C3 B1C4 B1C5 B1C6

B2C1 B2C2 B2C3 B2C4 B2C5 B2C6

Güte + Größe Güte + Gegensatz Güte + Wovon? Güte + Engel Güte + Tapferkeit Güte + Wollust

Größe + Unterschied Größe + Übereinstimmung Größe + Was Größe + Engel Größe + Klugheit Größe + Völlerei.

Figur 4 ermöglicht die mechanische Herstellung von Buchstabentripeln, und das erlaubt, da die Tripel für Alphabetbegriffe stehen, die mechanische Herstellung von Loci, sedes argumentorum oder Nestern für Terme möglicher Argumente. Diese Figur enthält drei (gegebenenfalls auch mehr) konzentrische Kreise, die sich um eine gemeinsame Achse drehen und gewöhnlich mit zentral gelochten Pappscheiben realisiert wurden, die eine Metallklamer zusammenhält. Bei der hier abgedruckten Illustration ist die Anfangseinstellung B, I|K, F. Dreht man die zweite und dritte Scheibe um je ein Segment weiter, erhält man B, K|B und H. Die drehbaren Kreise erlauben die mechanische Herstellung von Lullischen Begriffstripeln wie IDF oder BGH; was man mit diesen anfangen kann, zeige ich in den folgenden Absätzen. Lullisten, die ihre Tripel nicht selbst herstellen mögen, können stattdessen zu den Tabulae generales greifen, in denen 84 Zwanzigergruppen von Tripeln aufgeführt werden (1688 Tripel) und die nicht in allen Ausgaben abgedruckt werden, wohl aber beispielsweise in Band 5 der 200 | Topische Logik

Figur 4

B K

I

K

C

F G

E

D

D

H

I

H

B

G

C

C

I

H

E

D

K F

F

B E

G

Mainzer Werkausgabe vom 1729.9 Bei den in der Tabula aufgeführten Kombinationen wird in die meisten Tripel ein T eingefügt (zum Beispiel: BCDT, HTKT). Dieses T teilt mit, dass jeder Buchstabe, vor dem es steht, im Sinn der ersten Bedeutungsspalte des Lullischen Alphabets und jeder Buchstabe, hinter dem es steht, im Sinn von dessen zweiter Bedeutungspalte zu verstehen ist. Bei nicht von einem T betroffenen Tripeln bleiben alle Möglichkeiten im Spiel. In der vorliegenden sehr allgemein Übersicht werden die Tafeln nicht reproduziert; um einen Eindruck vom ihnen zu vermitteln, zähle ich stattdessen (allerdings in horizontaler Anordnung) die Tripel von Spalte 84 auf: 1. HIK, 2. HITH, 3. HITI, 4. HITK, 5. HKTH, 6. HKTI, 7. HKTK, 8.  HTHI, 9. HTHK, 10. HTIK, 11. IKTH, 12. IKTI, 13. IKTK, 14. ITHI, 15. ITHK, ITIK, 17. KTHI, 18. KTHK, 19. KTIK, 20. THIK. Das Lullische Werkzeug | 201

Bei der Übersetzung T-freier Buchstabentripel in Terme darf man im Lullischen Alphabet beliebige Spalten verwenden; ich benutze in den beiden folgenden Beispielen bei der Übersetzung des ersten Tripels HIK Terme der vierten Spalte des Lullischen Alphabets: Vegetativam. Elementativam, Artificium. Beim zweiten Tripel HITH bin ich durch das T vor dem zweiten H gebunden und muss schreiben: Vegetativum, Veritatem, Aequalitatem. Außer auf die hier genannten Werkzeuge berufe ich mich bei den folgenden Anwendungen auf die Definitionen und Regeln der Lullischen Kunst, die ich in dieser knappen Darstellung nicht berücksichtigt habe. Zweier- und Dreierkombinationen kann der Anwender aus Figur 3 und aus der Tabula generalis übernehmen, die ihrerseits mechanisch erstellt ist, oder durch Drehung der Kreise von Figur 4 erzeugen. Danach erfolgt die Verarbeitung nicht mehr mechanisch, sondern obliegt dem Geschick des Anwenders, den Lull allerdings mit Beispielen berät. Ich skizziere einige seiner Vorschläge für die Verwendung von Figuren und Definitionen, und zwar nach der Ars inventiva veritatis seu ars intellectiva veri und nach der Tabula generalis.10 Zu Lulls Beispielen für die Beantwortung von Streitfragen unter Rückgriff auf Figur 1 gehört eine Quaestio der Schrift Tabula generalis: Wann ist Wahrheit ohne Tugend? Als Adresse für loci oder Nester von Argumenten dient die binäre Kombination HI: H: Virtus, majoritas, Quando, vegetativa, caritas, ira. I: Veritas, aequalitas, Ubi, elementativa, patientia, mendacia. Lull entscheidet sich für dialektisch-rhetorische Argumente mit virtus, veritas, caritas und mendacia und schlägt als Lösung vor: Wahrheit entbehrt der Tugend, wenn der Verstand das Wahre erkennt, der Wille aber die Lüge liebt, und zwar so, wie ein falscher Richter das wahre Urteil kennt, aber trotzdem ein falsches spricht, weil sein Wille die Falschheit liebt und die Wahrheit hasst.11 Bei den Beispiellösungen mit Hilfe von Figur 4 geht es unter anderem um die Streitfrage, ob es nur einen einzigen Intellekt oder mehrere gibt; sie hängt mit Lulls Hauptanliegen während sei202 | Topische Logik

nes letzten Pariser Aufenthalts zusammen, der Widerlegung des Averroismus, der die Meinung vertrat, der tätige Intellekt sei ein himmlisches Wesen, das Menschen aus Güte an seinen Operationen und Erkenntnissen teilhaben lässt. Daraus folgt, dass niemand mit seinem eigenen Verstand denkt, sondern dass ein und derselbe kosmische Verstand in allen Menschen wirkt. Lull entscheidet sich für eine Lösung, der die Kombination CDG zugrunde liegt, C: Magnitudo, concordantia, quid, angelus, prudentia, gula. D: Duratio. contrarietas, de quo, coelum, fortitudo, luxuria G: Voluntas, finis, quale, sensitiva, spes, invidia. Er wählt für die Bildung seines didaktisch-rhetorischen Arguments die Terme voluntas, magnitudo, finis, duratio, concordantia, contrarietas und prudentia aus: Wenn es nur einen einzigen Intellekt gäbe, dann gäbe es zugleich in allen Menschen nur einen einzigen Willen (denn in Gott gibt es keinen Realunterschied zwischen Verstand und Willen). Dieser Wille wäre genau so groß wie der Intellekt, und deshalb herrschte zwischen allen Menschen natürliche Übereinstimmung, Wollen ohne Hass und Klugheit ohne Ignoranz, auch hätten mit dem Ende eines einzigen Menschen auch alle übrigen ihre ewige Ruhe. Weil das nicht möglich ist, ist die Frage mit Nein zu beantworten.12 Man kann aber auch mit Hilfe der Definitionen des Systems dia­ lektisch-rhetorische Argumente bilden. Zum Beispiel verwendet Lull Definition 1 für den Beweis, dass Gott nicht böse sein kann. Definition 1: Güte ist dasjenige, aufgrund dessen Gutes Gutes tut. Die Frage lautet: Ist Gott böse? Lösung aufgrund von Definition 1: Im Fünften Teil der Fünften Distinktion wurde schon bewiesen, dass Gott gut ist.13 Wenn es außerdem einen Gott gäbe, der böse ist, dann gäbe es zwei Götter, einen guten und einen bösen, und beide wären einander unendlich entgegengesetzt. Daraus folgte, dass Sein gut und zugleich böse ist und dass das Gute nicht gut und das Böse nicht böse ist. Das wäre widersprüchlich. Also kann Gott nicht böse sein.14 Mit Definition 1 argumentiert Lull auch für die Allgemeinheit seiner Methode: Es wurde schon bewiesen, dass Güte ein allgemeines Prinzip ist.15 Mit demselben Argument kann man aber auch Das Lullische Werkzeug | 203

beweisen, dass die übrigen Prinzipien der Ars ebenfalls allgemein sind. Weil diese sich mit allen allgemeinen Prinzipien beschäftigt und auf ihnen allen gründet, folgt notwendig, dass auch sie selbst allgemein ist. Sonst wären ihre Teile allgemein, aber sie selbst als deren Ganzheit partikulär, und das ist unmöglich. Also ist diese Kunst eine allgemeine Wissenschaft.16 Lull ist darüber hinaus der Meinung, dass man auch die Regeln seines Systems als Topoi oder Loci, als Nester von Argumenten, betrachten kann. Er tut das beispielsweise bei seinem dritten Vorschlag zur Anwendung der ersten Regel in der Schrift Tabula generalis. Weil diese Regel ausführlich formuliert ist, referiere ich sie nur knapp und etwas frei. Sie ist eine frühe Explikation dessen, was man heute Objektivität nennt. Regel 1. Es ist gut, sich schon zu Anfang einer Forschung klar zu machen, dass die Annahme, die man beweisen will, wahr oder falsch sein kann. Darauf müssen sich die Seelenvermögen einstellen und immer die Tätigkeit von Erinnerung und Verstand der Tätigkeit des Willens vorausgehen lassen. Beide tragen gleichermaßen zur Urteilsbildung bei, aber erst dann. wenn die Wahrheit über den Forschungsgegenstand ermittelt ist, darf ihn der Wille (außer in Fällen, in denen uns Erkenntnis versagt ist) in dem Maß lieben, das Verstand und Er­ innerung zulassen, und erst, wenn Erinnerung und Verstand befinden, dass die Anfangsannahme nicht zu halten ist, darf der Wille sie in dem Maße hassen, das Erkenntnis und Erinnerung zulassen. Die Spielregeln sind nämlich so: Die Erinnerung erinnert in Kraft des Verstandes, der Wille liebt in Kraft von Erinnerung und Verstand, und der Verstand unterscheidet in Kraft von Erinnerung und Willen. Jedes dieser Vermögen bewegt das andere und sich selbst auf sein eigenes Ziel und auf das der anderen hin.17

Die Frage lautet: »Kann man über Gott mehr wahre negative Aussagen bilden als wahre positive?« und ist belangreich für die Einschätzung der negativen Theologie. Lulls Lösungsvorschlag geht von Regel B aus: Gott ist Ewigkeit, und Ewigkeit ist Gott. Dasselbe gilt für seine Wahrheit, die mit ihm selbst und seiner Ewigkeit zusammenfällt. An der Behauptung »Gott ist Wahrheit und Ewigkeit« zeigt sich, dass sich aus ihr mehr Erkenntnisse über 204 | Topische Logik

Gottes Erinnerbarkeit, Erkennbarkeit und Liebenswürdigkeit ergeben als aus der Negation »Gott ist kein Stein«, denn Gott ist nicht deshalb in Ewigkeit das, was er ist, weil er kein Stein ist. Sonst wäre es sein einziges Ziel, kein Stein zu sein. Aber das ist unmöglich. Also besteht der größere Teil der wahren Aussagen über Gott aus Affirmationen und nicht aus Negationen.18

Petrus Ramus. Topische Logik Petrus Ramus (Pierre de la Ramée) wurde 1515 in dem picardischen Dorf Cuts in der Nähe von Noyon geboren; sein Vater stammte aus einer verarmten Familie, war Landarbeiter und starb früh. Mit zwölf Jahren wurde Pierre Dienstbursche mit Studiererlaubnis am Collège de Navarre in Paris; 1536 promovierte er zum Magister der Universität. Er kritisierte die Nutzlosigkeit, Inkonsequenz und Wirklichkeitsferne der Studienpläne und geriet dadurch in Konflikt mit seiner Institution. Eine königliche Kommission befand, dass er durch seine Lehre die Grundlagen von Philosophie und Religion untergrub, und entzog ihm die Lehrbefugnis für Dialektik. Auch die Universität Paris verurteilte seine Entwürfe einer reformierten Logik, die Dialecticae institutiones und die Animadversiones aristotelicae. Einen großen Teil seines Sachwissens, zum Beispiel seine Kenntnis der lateinischen und griechischen Literatur, hat Ramus anscheinend autodidaktisch erworben. Er beschäftigte sich auch mit Mathematik, die er für eine besonders wichtige Grundwissenschaft hielt, und setzte sich für ihre Etablierung als Universitätsdisziplin ein; doch hatte er Probleme beim Lernen und Verstehen. Auf Bitten des Kardinals Karl von Lothringen annullierte der König den Beschluss seiner Kommission und berief Ramus 1551 auf eine Professur am Collège Royal, dem heutigen Collège de France, das Franz  I. als humanistische Gegeninstitution zur Universität gegründet hatte. Dort war man unabhängig von universitären Reglements, und Ramus warb vor großem Publikum für eine in seinem Sinn erneuerte Dialektik. Um 1561 trat er zum Calvinismus über. Damit verzichtete er auf die Unterstützung des Kardinals vom Lothringen, seines bisheriPetrus Ramus. Topische Logik | 205

gen Gönners, und begab sich in persönliche Gefahr; er verlor durch Brandstiftung Haus und Besitz. Auch mit seiner neuen Konfession geriet er in Streit, denn er setzte sich für die Selbstverwaltung der reformierten Gemeinden ein und lehnte eine geplante Presbyterial­ verfassung ab; Theodor Beza, Calvins Nachfolger in Genf, stellte ihm die Exkommunikation in Aussicht. Wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen des Königreichs mit den Hugenotten wich Ramus für einige Jahre nach Deutschland und der Schweiz aus. Er bemühte sich mit Unterstützung des Kurfürsten von der Pfalz um einen Lehrstuhl in Heidelberg, aber die Universität lehnte seine Berufung ab. Auch Bemühungen um eine Professur an der Akademie in Straßburg scheiterten. Nach mehreren missglückten Versuchen einer Heimkehr reiste Ramus nach dem Friedensschluss von Saint-Germain-en-Laye, der den dritten Hugenottenkrieg beendete, nach Paris zurück und nahm seine Lehre am Collège Royal wieder auf. 1572 starb er entgegen einer Weisung des Königs als Opfer der Bartholomäusnacht. Ramus lag viel daran, dass die von ihm gelehrte Dialektik sich nicht zu weit von der natürlichen entfernte, die uns durch den richtigen Verstand gegeben ist. Die Dialektik darf sich von dieser natürlichen Gabe nicht abwenden, sondern muss sie nachahmen und natürlich (das heißt auch: verständlich) bleiben. Ramus wendet sich gegen den Schularistotelismus, dessen Irrtümer er wie später Weigel auf die Verderbtheit der seinerzeit verfügbaren Aristotelestexte zurückführte; er tadelt aber auch Aristoteles dafür, dass er nicht natürlich vorgeht. Deswegen gibt es nach seiner Meinung im aristotelischen Organon in Wirklichkeit gar keine Dialektik.19 Risse verweist auf eine mildere Stelle, nach der Aristoteles nur wenig falsch gemacht, aber vieles unangemessen dargestellt hat.20 Erst wenn Dialektik und Rhetorik wieder natürlich werden, können sie dem Gemeinwesen Nutzen bringen, denn dann bewirken sie, dass das akademische Studium leichter wird und der Bedarf an guten Verwaltern und Beamten sich besser decken lässt. Zu solchen Forderungen kam es durch eine folgenreiche gesellschaftliche Veränderung. Vor damals etwa 2000 Jahren waren Logik und Dialektik von griechischen Forschern erfunden und gut 500 Jahre später von römischen Gelehrten ausgebaut und modifiziert worden. Im Mittelalter waren die einzigen Gruppen der 206 | Topische Logik

Bevölkerung, die mit solchen Errungenschaften etwas anfangen konnten, Theologen und Angehörige der Artes-Fakultäten. Nur diese betrieben Logik und entwickelten sie zu einer hochprofesssionalisierten Kunst; zugleich verfeinerte sich die Fertigkeit, die Logik durch unzulässige Operationen zu missbrauchen. Mit dem Humanismus kamen neue Interessenten ins Spiel, gebildete Privatleute, die gern diskutierten. Das Logikangebot der Universitäten passte nicht zu ihnen, denn formale Schlussfolgerungen setzen Training und Freude an Abstraktionen voraus; dadurch erklärt sich die Tendenz der neuen Projekte, formale Logiken in materiale umzuinterpretieren, die über die Annehmbarkeit von Schlussfolgerungen nicht mit formalen, sondern mit alltagssprachlichen Plausibilitätskriterien entschieden. Man brauchte keine rigorosen Verfahren zur Überprüfung der Genauigkeit und Richtigkeit von Argumenten, denn unter Liebhabern der Künste (dilettanti) gehörte es sich nicht, pedantisch zu sein und so wie Theologen abweichende Meinungen mit eiserner Faust zu bekämpfen. Diskussion haben frei und anmutig zu sein. Ramus21 definiert die Kunst der Dialektik, die er der natürlichen Dialektik gegenüberstellt, ciceronianisch als ars disserendi. »Dis­serere« bedeutet im klassischen Latein so viel wie »etwas mit Wörtern auseinandersetzen«; im Mittelalter wurde die Bedeutung weiter und wandelte sich in »geistig tätig sein«. Die griechische Entsprechung ist »διαλέγεσθαι« (dialégesthai, disputieren, aber auch: die Vernunft gebrauchen). Risse expliziert »disserere« so: »Ars disserendi« bedeutet bei Ramus »Kunst der Erörterung einer Frage zum Zweck des Erkenntnisgewinns«; insofern ist die ars zugleich eine ars cognoscendi. Die von Ramus gelehrte Dialektik überträgt das, was sie der dialectica naturalis verdankt, in Lehrsätze, behandelt aber nicht wie die Rhetorik die Gestaltung von Reden, sondern von wissenschaftlichen Argumenten. Nach ciceronianischem Vorbild besteht die Dialektik aus einer Abhandlung über die inventio, das Finden von Argumenten, und einer Abhandlung über das iudicium, die die Präsentation und Beurteilung des Gefundenen behandelt und in späteren Auflagen dispositio heißt. Ein dritter Teil, das exercitium, behandelt Fragen der Anwendung. Ramus betrachtet die Dialektik weiterhin als Teil der freien Künste. Philosophie hält er für die Lehre von den Artes insgesamt, Petrus Ramus. Topische Logik | 207

und schon deshalb bleibt die Dialektik ein Teil der Philosophie. Aber wenn man davon ausgeht, dass unsere natürlichen Begriffe mit den Dingen übereinstimmen, verliert in der Philosophie die übliche Unterscheidung von Metaphysik und Logik ihren Sinn. Die Dialektik, die Ramus als Kunst der Auseinandersetzung definiert, wurde nach seiner Meinung bei den Griechen für dasselbe wie die Logik gehalten, und den Lateinern war das offenbar recht, denn sie erfanden keinen neuen Namen. Die Dialektik als Kunst ist nicht wie die natürliche Dialektik ein Geschenk der Natur, das uns der gütige Gott in Gestalt der richtigen Vernunft als Richtschnur des Denkens ins Herz geschrieben hat. Sie ist auch nicht wie die angewandte Dialektik (exercitium) eine Frucht der Erfahrung, sondern eine Nachahmung der natürlichen Dialektik, und sie verdient nur in dem Maß Vertrauen, in dem sie mit dieser übereinstimmt. Was Ramus als richtige Vernunft bezeichnet, läuft allerdings nach Ong nicht selten auf Erinnerung hinaus, denn die Dialektik arbeitet mit Topoi, und Topoi hält man in der Erinnerung vor; nicht ohne Grund spielt die Mnemonik in der Geschichte des Ramismus eine so bedeutende Rolle.22 Die Kunst der Dialektik, die an den Schulen gelehrt wird, hat sich an der natürlichen Dialektik zu orientieren und sachgemäße Verfahren gebildeter Auseinandersetzung zu entwickeln, den Blick für deren natürliche Gesetze zu öffnen und Lehrer und Schüler vor Irrwegen in Lehre und Praxis zu schützen. Dispute führt man nicht über Selbstverständlichkeiten, sondern über Streitfragen. Eine Frage ist nach Ramus der sprachliche Anfang des Versuchs, etwas Zweifelhaftes zu klären, und bei der Klärung geht man in zwei Phasen vor. Die Kunst der ersten Phase, die Findekunst, soll Fertigkeit im Aufspüren von Quellen passender Argumente vermitteln; Cicero hatte loci als sedes argumentorum beschrieben, und Ramus bezeichnet sie nun als fontes argumentorum, Brunnen von Argumenten. Die Lehre von der inventio erfüllt die Funktion einer Topik. Schon hier zeigt sich der Unterschied zur herkömmlichen Logik. Bei Aristoteles geht der Topik die Wahrheits- und Urteilslehre voraus, bei Ramus nicht; auch spricht Ramus in seiner Topik, der inventio, nicht wenigstens ersatzweise von demonstrativen Schlüssen und wahrscheinlichen Argumenten. Es geht um die Grundlegung einer topischen Logik, die weit von Prädikatenlogik und wissenschaftlicher Quantifizierung entfernt ist.23 208 | Topische Logik

Bei Ramus’ Brunnen von Argumenten, den Topoi oder loci, die man in der ersten Phase mit Hilfe der Findekunst aufspürt, handelt es sich einerseits um Grundargumente (loci principes), die auf den vier Ursachen und Wirkungen, den beteiligten Dingen und ihren Eigenschaften sowie auf deren Gegenteil (loci dissentanei) beruhen.24 Von ihnen sind die Folgeargumente zu unterscheiden; sie ergeben sich aus den Grundargumenten (orta a principe) und betreffen Gattung und Art, Benennungen und Bedeutungen (notationes), abgeleitete Wortbildungen (conjugati) und mögliche Vergleiche (comparati); ferner ergeben sie sich aus Einteilungen (distributi) und Definitionen, 25 die Ramus für dasselbe wie Beweise hält, denn Definitionen als Wesensbestimmungen von Dingen aus ihren Gründen enthalten bereits das Ergebnis der demonstratio.26 Unter »notatio« versteht Ramus die Interpretation von Namen, unter conjugati Wörter, die aus anderen Wörtern durch Veränderung gebildet werden (Mensch, menschlich, Menschlichkeit). Vergleiche (comparati) beziehen sich auf Qualitäten (ähnlich-unähnlich) oder Quantitäten (größer-gleich-kleiner); auf ihnen beruhen die meisten loci. Auch bei der Einteilung von Ganzen in Teile beziehungsweise der Zuordnung von Teilen zu Ganzen (distributi) ergeben sich loci, und zwar vier. Der erste entsteht dadurch, dass man Gattungen, Arten oder Individuen (Mensch, Tier, Cicero) bestimmte Ursachen zuordnet, die zweite dadurch, dass man ihnen bestimmte Wirkungen zuweist (einige Abbilder werden von Malern, andere von Bildhauern hergestellt). Die dritte Quelle von loci ist die Zuordnung von Eigenschaften zu Subjekten, und bei der vierten teilt man umgekehrt Subjekten Eigenschaften zu.27 Die Lullische Findekunst setzt Ramus nicht ein, weil er es für überflüssig hält, der Vernunft durch mechanische Mittel auf die Sprünge zu helfen. Einen raschen Überblick darüber, wie man Loci findet, ermöglicht seine Tafel der Dialektik.28 Danach versucht der Verstand auf der zweiten Stufe der Dialektik, der Stufe des Urteils (iudicium), das auf der ersten Stufe gefundene Material in die Form von Urteilen und Syllogismen zu bringen, die man bei Disputen einsetzen kann.29 Er geht auch hier in drei Stufen vor. Auf der ersten Stufe des iudiciums entwickelt er seine Vorstellung eines Systems von Syllogismen in einem sehr weiten Sinn, der Induktionen und Enthymeme (unvollständige Petrus Ramus. Topische Logik | 209

Syllogismen, bei denen eine Prämisse fehlt) miteinschließt; eine eigene Urteilslehre und damit eine Explikation von »Wahrheit« entwickelt er auch hier nicht. Auf der nächsten Stufe des iudiciums behandelt er die nichtsyllogistische Verarbeitung gefundener loci zu einsetzbaren Argumenten, und auf der dritten Stufe trägt er eine vernunfttheologische Begründung seines Projekts im Geiste Platons vor. Diese hält er für den edelsten Teil seiner Dialektik, denn wir erkennen durch ihn die Würde der menschlichen Natur und befreien uns aus dem engen Kerker des Leibes.30 Den Gegenstand der ersten Stufe des iudiciums, die Syllogistik, formuliert Ramus knapp.31 Syllogismen sind für ihn nicht Anordnungen von Begriffen zur Darstellung formaler Relationen, zum Beispiel Gattungs- und Artbeziehungen, sondern Anordnungen von Sätzen, in deren beiden ersten dasselbe Wort einmal als Subjekt und einmal als Prädikat erscheint. Er unterscheidet kategorische, individuelle und zusammengesetzte Syllogismen. Bei einfachen Syllogismen, die nur aus kategorischen Urteilen bestehen, setzt er vier Figuren an; solche Syllogismen kann man, wenn es nützlich ist, mit zusätzlichen Informationen anreichern, und dann erhält man verbundene (coniuncti) Syllogismen. Bei den Anreicherungen kann es sich um Einzelbegriffe oder um Sätze handeln. Die Frage, ob jeder Mensch ein Dialektiker ist, kann man mit einem Syllogismus im ersten Modus der ersten Figur beantworten, wie das erste Beispiel zeigt. Er behält den schulphilosophischen Term »modus« bei, ersetzt aber in der ersten Auflage den üblichen Term »figura« durch »species«. Um einen Eindruck von dieser Syllogistik zu vermitteln, skizziere ich Ramus’ vier Modi der ersten Figur. Erster Modus der ersten Figur: Alle Vernunftbegabten sind Dialektiker. Alle Menschen sind vernunftbegabt. Also sind alle Menschen Dialektiker. Als Merkmale dieses und der übrigen Modi der ersten Figur setzt Ramus an, dass bei den Prämissen die mit dem maius-Prädikat (Prädikat der Konklusion) der mit dem minor-Prädikat (Subjekt der Konklusion) vorausgeht. In den beiden ersten Modi müssen beide Prämissen allgemein sein, die zweite außerdem affirmativ. 210 | Topische Logik

Nach den hergebrachten Quantitätssymbolen a-e-i-o hat dieser ramistische Modus die Form MaP, SaM, SaP und gleicht insofern dem schulphilosophischen Modus Barbara. Zweiter Modus der ersten Figur: Kein Vernunftbegabter ist ein Nicht-Dialektiker. Jeder Mensch ist vernunftbegabt. Also ist jeder Mensch ein Dialektiker. Hier enthält die erste Prämisse eine doppelte Verneinung, aber wenn man sagt: »Keiner der Anwesenden war ein Nichtmensch«, sagt man genau genommen nichts anderes als »Alle Anwesenden waren Menschen.« Unter dieser Voraussetzung ist Ramus’ zweiter Modus kein eigener Modus, sondern gibt sich den Anschein, einer zu sein, und zwar mit Hilfe der Vermummung einer Barbara durch doppelte Verneinung. In Wirklichkeit bedeutet er, unvermummt betrachtet, nichts anderes als der erste Modus. Dritter Modus der ersten Figur: Alle Vernunftbegabten sind Dialektiker. Irgendein Mensch ist vernunftbegabt. Also ist irgendein Mensch ein Dialektiker. Die erste Prämisse ist allgemein, die zweite ist wie die Schlussfolgerung partikulär. Der Modus hat also die Form MaP, SiM, SiP und gleicht insofern dem schulphilosophischen Modus Darii. Vierter Modus der ersten Figur: Kein Vernunftbegabter ist ein Nicht-Dialektiker. Irgendein Mensch ist vernunftbegabt. Also ist irgendein Mensch ein Dialektiker. Auch hier entsteht der Anschein eines eigenen Modus durch Vermummung, nämlich durch die Vermummung eines Darii mit ­einer doppelten Verneinung; genau genommen hat also auch Ramus’ vierter Modus der ersten Figur nur die Form MaP, SiM, SiP und gleicht einem normalen Darii. Die übrigen Modi der schulphilosophischen ersten Figur, Celarent, Ferio und Baralipton, bleiben in der ersten Auflage der Institutiones auf der Strecke; beim Lesen bekommt man den Eindruck, dass Ramus die erste Figur der Schullogik dadurch einfacher und natürlicher macht, dass er drei Petrus Ramus. Topische Logik | 211

ihrer Modi auslässt, dass er aber, um diesen Eindruck zu mildern, zugleich durch Redundanzen den Anschein von Vielfalt erweckt. Nimmt man hinzu, dass Ramus auch die komplizierten Reduktio­ nen nicht unmittelbar einsehbarer syllogistischer Modi auf Modi der ersten Figur als unnatürlich und künstlich verwirft und durch Plausibilitätsprüfungen ersetzt, so verstärkt sich der Eindruck, dass er die Syllogistik auf Kosten ihrer Zuverlässigkeit natürlicher macht. Wer mit einfachen Syllogismen nicht auskommt, kann zu verbundenen (coniuncti) greifen. Diese bestehen aus komplexeren Prämissen; zwei ihrer Figuren gleichen kategorischen Syllogismen, nämlich der copulatus und der relatus. Bei diesen enthält eine der Prämissen zwei durch »oder« verbundene Subjekte oder ein einziges Subjekt und außerdem einen eingehängten Relativsatz. Bei der dritten und vierten Figur, dem syllogimus hypotheticus und disiunctus, besteht der maior-Satz aus zwei Teilsätzen, die durch »wenn« oder »oder« miteinander verbunden sind; der minor-Satz bleibt kategorisch, und die conclusio zeigt, ob die hypothetische Prämisse zutreffend war, oder bestimmt im Fall der Disjunktion das angebrachte Prädikat. Im Einzelnen: Ein zusätzliches Nomen wird durch »oder« eingehängt. Alle Menschen sind Dialektiker. Jeder Mensch ist ein Mann, oder er ist eine Frau. Also ist jeder Mann und jede Frau ein Dialektiker. Man kann aber auch eine der Prämissen durch einen relativen Ausdruck erweitern (syllogismus relatus), im folgenden Beispielfall geschieht das durch einen Identitätsausdruck. Derselbe Mensch, der vernunftbegabt ist, ist ein Dialektiker. Jeder, der ein Mensch ist, ist vernunftbegabt. Also ist jeder, der ein Mensch ist, ein Dialektiker. Man kann den Zusatz auch disjunktiv einbinden (syllogismus disiunctus), und zwar auf zweierlei Weise. Ramus’ erstes Beispiel lautet so: Ein Mensch ist nicht-vernunftbegabt oder ein Dialektiker. Er ist aber vernunftbegabt. Also ist er kein Nicht-Dialektiker. 212 | Topische Logik

Das zweite Beispiel für disjunktive Verbindung (Ein Mensch ist vernunftbegabt oder ein Dialektiker) präsentiert sich als Wenndann-Verbindung: Wenn ein Mensch kein Nicht-Dialektiker ist, ist er vernunft­ begabt. Er ist aber vernunftbegabt. Also ist er kein Nicht-Dialektiker. Darüber hinaus kann man allgemeine Modi nach Wunsch zu singulären Modi umformulieren (Syllogismus proprius). Solche Modi heißen später Modi Ramistarum.32 Nachdem das System der Syllogismen erörtert ist, betritt der Dialektiker die zweite Stufe des iudiciums. Wer die Funde aus der Phase der inventio nicht syllogistisch organisieren möchte, hat verschiedene Alternativen. Er kann sie zum Beispiel mit anderen Funden vergleichen (collatio) oder die innere Verbundenheit aller Künste mit Gott (conjunctio artium omnium et ad Deum relatio) herausarbeiten. Auf der zweiten Stufe des iudiciums arbeitet man unter anderem mit Vergleichen.33 Dabei beginnt man mit der Definition des Gegenstands und subsumiert diesen danach unter Oberbegriffe, die je nach Stand der Diskussion von Nutzen sein können. Bei der Sichtung der Erträge der inventio stößt man manchmal auf Funde, die irgendwie miteinander zusammenhängen, und im besten Fall kann man sie einander so zuordnen, dass eine unauflösbare Verknüpfung zwischen ihnen erkennbar wird, und dann entsteht der Eindruck von Notwenigkeit. Für diese zweite Stufe des iudiciums entwickelt Ramus in der Ausgabe von 1543 kein System von Regeln, sondern sieht flexible Lösungen vor, die dem Schüler Freiheit lassen. Doch gibt er Ratschläge zur didaktischen und rhetorischen Bewältigung der Aufgaben bei Argumentation, Definition, Teilung und Erklärung. Am Ende der zweiten Stufe bleiben Fragen offen, auf die Ong hinweist. Man neigt gemeinhin zu der Meinung, dass auch alltägliche Argumentationen irgendwie auf einen Hintergrund von Axiomen zurückführbar sind, aber Ramus spricht im Rahmen des iudiciums weder von Axiomen noch von Beweisen. Er erklärt auch nicht, was Gewissheit ist. Solche Unterlassungen gehen vermutlich darauf zurück, dass Ramus auf der dritten Stufe des iudiciums eine Petrus Ramus. Topische Logik | 213

pauschale Sicherung von Wahrheit und Gewissheit aller Teile seiner dialektischen Kunst in Angriff nimmt. Das weiß der Leser auf der ersten und zweiten Stufe aber noch nicht. Auf der dritten Stufe des iudiciums beschäftigt sich Ramus mit den Grundlagen der Erkenntnis; dabei wird der spirituelle Hintergrund der ersten Auflage sichtbar. Er macht klar, weshalb die Wissenschaften ihr oberstes Ziel erreichen und die Güte des Urhebers aller Dinge erkennen können. Auf den drei Stufen des iudiciums durchläuft der Verstand jede Wissenschaft bis hin zu ihrem obersten Ziel, der Erkenntnis und Verehrung Gottes, und diese Erfahrung zieht geradezu gewaltsam Religion an. Zwar können wir die unzählbaren Dinge der Welt nicht auf einen Blick erkennen, aber weil wir in jeder Wissenschaft am Ende zu Gott gelangen, werden sie alle für uns am Ende zu einer einzigen; hier kündigt sich die für Enzyklopädien des 17. Jahrhunderts wichtige Vorstellung einer verzweigten Gesamtwissenschaft an. Wir leben anfangs wie die Menschen in Platons Höhlengleichnis in Fesseln und Finsternis, aber je mehr wir uns hocharbeiten, desto klarer erblicken wir die Geschöpfe in Gottes Licht – nicht mehr als zarte und schwankende Schatten, sondern als Ebenbilder Gottes. Unter dem Eindruck der großen Autoren wenden wir uns mehr und mehr den ewigen Ideen Platons zu und lernen auf dem Weg von der Grammatik bis hin zur Mathematik, die Spuren der Wahrheit immer besser zu lesen.34 Bei der Anschauung der Ideen gelangen wir über drei Stufen zur reinen Erkenntnis; auf der ersten Stufe schauen wir die Welt, auf der zweiten ihre Gesetze und auf der dritten erkennen wir, dass Gott alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet hat. So erblickt der Dialektiker am Ende seines Weges die ewige Wahrheit, die vorher unter Schatten verborgen lag, und wendet sich Gott als dem Archetyp aller Dinge zu, um ihn auch denen zu zeigen, die noch nicht sehen können.35 Nach Ong ist Ramus’ Entscheidung, die Begründungsfrage nicht in der nüchternen Sprache der Philosophie, sondern in e­ iner beinahe mystischen Sprache zu behandeln, so etwas wie ein Signal: Er zieht den dichterisch formulierten Text des dritten Teils des iudi­ciums einem nüchtern formulierten wie der aristotelischen Metaphysik vor und schreibt untechnisch und in leichter Form; das entspricht der von ihm angestrebten Kombination von Philosophie 214 | Topische Logik

und Rhetorik. 36 Tatsächlich scheint aber auch Ramus selbst die Angemessenheit seines literarisch schönen Textes über die dritte iudicium-Stufe bezweifelt zu haben, denn er tilgt ihn schon in der zweiten Auflage. Danach taucht er nie wieder auf. In der ersten Auflage der Institutiones folgt nun deren letzte Stufe, die Exercitatio oder Einübung, auf der Fragen der praktischen Anwendung erörtert werden; bezeichnend ist, dass die Beispiele, mit denen Ramus seine Vorschläge illustriert, in der Regel nicht aus logischen Termen, sondern aus Versen von Dichtern bestehen. Die Wirkung der Erstausgabe ist gering, und die späten Fassungen des Werks, die ich grob nach Risses Angaben skizziere, weichen von der ersten und auch voneinander stark ab. Viele Veränderungen bringt schon die Zweitauflage von 1546. Es entfällt der dritte Teil zusammen mit der Berufung auf Platon. Risse hält es für denkbar, dass Ramus die platonische Begründung 1546 nicht abschaffen, sondern in einen Text über Voraussetzungen des Systems verlagern wollte. Die dialectica naturalis bleibt weiterhin das Vorbild der dialectica artificialis und muss sie nun auch unmittelbar fundieren; Risse nimmt an, dass dies dem späteren Übergang zu einer aristotelischen Begründung Vorschub leistet.37 In der Erstauflage spielt Ramus’ berühmte Methodenlehre noch keine Rolle, aber in der Ausgabe von 1554 erscheint sie schon als dritter Teil der dispositio und füllt als methodus doctrinae zehn und als methodus prudentiae sechs Seiten.38 In der französischen Ausgabe von 1555 und in der lateinischen von 1556 wird sie zum Kern der Dialektik; die methodus prudentiae wird als Notform der methodus doctrinae interpretiert, deren letztes Ziel eine gut definierende und zweckmäßig eingeteilte Problemdarstellung ist. Ong skizziert diese beiden Zweige der Methodenlehre.39 Die prudentia doctrinae lehrt die Anordnung mehrerer Argumente; diese ist wichtig, denn im 16. und 17. Jahrhundert betrachte man die Wissenschaft oft als geordnete Aneinanderreihung vieler Theoreme; unter diesem Gesichtspunkt entwickelt sich die Methodenlehre zum vierten Teil der Logik. Die Klugheitsmethode kann man nicht einüben; ihre Qualität hängt allein vom natürlichen Urteil und von der Klugheit des Lehrers ab. Bei der Lehrmethode geht es um die optimale Anordnung und Einteilung der Lehrgegenstände; es soll gesichert werden, dass Schüler den Lernstoff leichter begreifen und lernen können als bisher. Als Petrus Ramus. Topische Logik | 215

einzige feste Regel gilt, dass Beispiele, Definitionen und Zusammenfassungen am Anfang stehen. Erst danach geht es um die Aufteilung des Lehrstoffs in Unterabschnitte und um die Illustration seiner Besonderheiten. Die Methoden sind eine Art von Didaktik und behandeln die Vermittlung von Unterrichtsgegenständen unter Berücksichtigung der Umstände und des Personenkreises, der Unterrichtszeiten und der örtlichen Besonderheiten. Man kann nicht immer das Beste realisieren, denn oft sind die Hörer unbegabt, jemand hat ihnen den Stoff schon widersprüchlich erklärt, die Unterrichtszeit passt nicht gut oder man ist nicht mit den örtlichen Besonderheiten vertraut. Bei solchen Schwierigkeiten muss man klug verfahren und überlegen, was unter den gegebenen Umständen möglich und förderlich ist.40 Die Begründung der künstlichen Dialektik durch die natürliche als Ausdruck der richtigen Vernunft hatte Ramus in der Auflage von 1546 nur summarisch und eher implizit vertreten; in Wirklichkeit brauchte das System jedoch nach dem Verzicht auf die Ideenlehre eine neue Grundlage, zumal da Ramus die Dialektik inzwischen zur Theorie der Wahrheitsfindung erklärt hatte. Deshalb rückte in der Auflage von 1565 die Behandlung des Wahrheitsbegriffs an den Anfang der Institutiones; die früher kaum behandelte Lehre vom Urteil findet nun ihren Ort im ersten Teil der wieder dreiteiligen dispositio, die in der ersten Auflage iudicium hieß.41 Nach der neuen Begründung beruht die Wahrheit allgemeiner Urteile auf einer unlöslichen Verbindung von Subjekt und Prädikat. Mit diesem Wahrheitskriterium kann die Dialektik sogar die Wahrheit von Systemen wie der aristotelischen Logik oder der Mathematik überprüfen, und dadurch verwandelt sie sich aus einer topischen Logik in eine topica universalis. Zunächst aber hat sie jetzt dadurch, dass sie die unlösbare Verbindung von Subjekt und Prädikat zum Kriterium wissenschaftlicher Wahrheit ernennt, ein solides Fundament gewonnen. Nach Risse hat vermutlich kein Ramist außer den sogenannten Systematikern wie Keckermann, Alsted und Jungius die Bedeutung dieser Neuorientierung verstanden, die auf metaphysische Begründungen verzichtete und die Logik als Theorie der Relationen zwischen Begriffen verstand.42 Die Auslotung ihrer Konsequenzen hätte der ramistischen Logik im Glücksfall neue Horizonte öffnen können. Mit Ramus’ gewaltsamem Tod entfielen 216 | Topische Logik

solche Möglichkeiten, und ob er sie unter glücklicheren Umständen genutzt hätte, kann niemand sagen. In der Auflage von 1572 unterteilt Ramus die dispositio in die Urteilslehre und in ein zunächst noch unbenanntes Gegenstück, das er 1572 als dianoeticum bezeichnet. Die Syllogistik, die er nach 1543 mehrfach geändert hatte, unterscheidet jetzt nur noch explizite Syllogismen von impliziten, die sich als Enthymeme präsentieren und nur bei Modi der dritten aristotelischen Figur zulässig sind. Als Modi überleben Barbara und die drei negativen Modi Cesare, Camestres und Celarent; partikuläre und singuläre Modi werden als Spezialfälle 43 gedeutet. Die letzte vollständige Fassung des Werks bietet die Auflage von 1569, aber in der ramistischen Schule benutzte man meist die letzte und noch von Ramus veranstaltete Auflage von 1572 als Lehrbuch. Ihr Schema galt als exemplarisch, und ihre Vereinfachungen beanspruchten das Fassungsvermögen von Studenten weniger als das aristotelische Organon.44 Die hier nach Risse referierten Veränderungen der Institutiones von Auflage zu Auflage wirken zum Teil dramatisch, aber dieser, der einer der besten Kenner ist, entdeckt trotz allem Wandel der Systemgestalt mehrere bleibende Züge. Er unterstellt, dass sich die frühe platonische Rechtfertigung mit der späteren aristotelischen verträgt, denn beide beziehen sich auf Verschiedenes; die eine betrifft die ontologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Dialektik, die andere die Struktur von Argumenten; beide ergänzen sich sozusagen. Darüber hinaus trägt das Werk in allen Phasen seiner Entwicklung Merkmale, die für das 16. Jahrhundert charakteristisch sind: Kritik an geltenden Autoritäten, Zuwendung zu ciceronischen Positionen und Ersetzung von Formeln und formelhaften Formulierungen durch allgemeinverständliche Darstellungsmittel. Ramus erstrebt anders als Aristoteles eine angewandte Logik, die eine Anordnungslehre und keine Beweislehre ist. Ihre theoretischen Aspekte eröffnen Möglichkeiten zur Neu­ gestaltung der Wissenschaften, doch zeigt sie auf der anderen Seite systematische Schwächen: Sowohl ihr Aufbau als auch die Begründung ihrer Theoreme ist schwach. Trotzdem hat sie einen großen Teil der philosophischen Literatur ihrer Zeit geprägt, und nach Risse gibt es gute Gründe dafür, Ramus neben Zabarella für den bedeutendsten Logiker des 16. Jahrhunderts zu halten.45 Petrus Ramus. Topische Logik | 217

Andere Autoren sehen das anders; für sie gibt bei der Beurteilung das Verhältnis dieser Dialektik zur formalen Logik den Ausschlag. Zwar ist gegen Versuche, ein System von Regeln für Auseinandersetzungen zwischen Gebildeten zu erarbeiten, nicht viel einzuwenden, auch richtet sich die Ablehnung der ramistischen Dialektik nicht unmittelbar gegen die Ausgestaltung solcher Regelsysteme zu topischen Logiken für bestimmte Disziplinen. Sie richtet sich vielmehr gegen den Versuch, eine topische Logik zur topica universalis zu ernennen und sie zu einem für alle Wissenschaften geeigneten Nachfolger der formalen Logik zu erheben. Das ist der Anlass von Ongs Polemik, die Ramus’ Dialektik schon im Titel als Verfallsphänomen begreift: Ramus’ Method, and the decay of Dialogue. Auch die Würdigung des ramistischen Vorstoßes durch den Mathematiker Weigel ist nicht positiv. Er teilt dem Leser der Archimetria in gehobener Sprache mit, dass Ramus ihm leidtut. Er sei im blühenden Alter in die Mathesis eingetaucht, aber später habe ihm der seimige Schaum der Dialektik die Augen so verdunkelt, dass er den ganzen Euklid verwarf, um sich das Blendwerk zu eigen zu machen, mit dem die blinde Gewohnheit der Schulen seine Augen überzogen hatte. Deswegen werde Ramus inzwischen auch von den Logikern abgelehnt; schon deren Schulbuben prügelten mit Recht so auf ihn ein, wie sie es zu Unrecht bei Priscian tun.46 Zunächst fanden Ramus’ Vorschläge viel Zustimmung. An etablierten Universitäten hatten sie keine großen Chancen, aber bei kleinen Universitäten und akademischen Gymnasien (Akademien), sekundären Anstalten mit einem tertiären Zweig, die stärker auf die Zufriedenheit ihrer Studenten angewiesen waren, begrüßte man sie. Einerseits bildete sich die Richtung der Ramisten, andererseits versuchte man auf verschiedenen Wegen, bestehende philosophische Formationen durch ramistische Positionen anzureichern, zum Beispiel auf lutherischer Seite durch die Verbindung melanchthonischer und ramistischer Elemente (Philippo­ ramismus) oder durch die Verbindung anderer schularistotelischer Richtungen mit ramistischen Ansätzen. Solche teils umstrittenen Versuche bezeichnete man als semiramistisch.47 Die Umwandlung der Logik in eine allgemeine Topik hatte Folgen für die Qualität der Lehre. Weil man die Schullogik als kompliziert und gekünstelt empfand, reduzierte man den Bestand an Mitteln zur Überprü218 | Topische Logik

fung der Wahrheit von Theoremen, wie es sich schon bei Ramus’ Ersetzung der Reduktion intuitiv nicht einsehbarer Syllogismen durch Plausibilitätskontrollen angekündigt hatte. Diese Renaturierung der Logik verband sich auf Kosten der Zuverlässigkeit von Argumentationen mit der Geringschätzung formaler Disziplinen. Das brachte später, poetisch gesprochen, die Geschichte dadurch in Ordnung, dass sie auf fast hundert Jahre ramistischer Dominanz ein halbes Jahrhundert cartesischer Dominanz folgen ließ.

Petrus Ramus. Topische Logik | 219

12. Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien Alsteds Enzyklopädie von 1630 Sowohl Lull als auch Ramus verstanden ihre Methode als topisches Werkzeug, das sich als Wegbereiter einer Gesamtwissenschaft verwenden ließ (topica univeralis). Eine Gesamtwissenschaft in diesem Sinn legte Johann Heinrich Alsted vor. Er wurde 1588 als Sohn eines Pfarrers in Ballersbach bei Herborn geboren und studierte in Herborn, Marburg und Basel Philosophie, Theologie und Mathematik. 1608 wurde er Leiter des Herborner Paedagogiums, 1610 Professor für Philosophie und 1619 Professor für Theologie an der Herborner Akademie. 1620 erschien in Herborn die erste Auflage seiner Encyclopaedia und 1630 sein berühmtestes Werk, deren Zweitauflage; sie erschien in einer Auswahlausgabe auch in England und fand in Frankreich Beachtung.1 1629 verließ Alsted auf Bitten des Fürsten von Siebenbürgen das vom Dreißigjährigen Krieg geplagte Deutschland und lehrte bis zu seinem Tod im Jahr 1638 an der neugegründeten Akademie zu Weißenburg in Siebenbürgen Theologie und Philosophie. Einer von Alsteds Bezugsautoren war Lull. Die Lullische Kunst hatte sich als allzuständige Disziplin und göttlich inspiriertes System verstanden; das erinnerte an neuplatonische Spekulationen. Nikolaus von Kues und Jacques Lefèvre d’Étaples hatten Lull als Mystiker geschätzt, und Pico della Mirandola, Agrippa von Nettesheim und Giordano Bruno interpretierten ihn als Kabbalisten. In der Zetznerschen Ausgabe von Lulls Werken, mit der Alsted arbeitete, waren unter anderem die Lull-Kommentare von Agrippa und Giordano Bruno mitabgedruckt;2 das wirkte sich auf Alsteds Lullinterpretationen aus. Er orientierte sich zunächst am Ars-brevisKommentar von Agrippa, erfand neue kombinatorische Kreise, die er später in die Encyclopaedia von 1830 übernahm, und erweiterte die lullistische Tabula um die aristotelischen Kategorien. Schließ220

lich verknüpfte er die lullischen und aristotelischen Elemente seiner Konzeption mit Ramus’ Dialektikversuchen.3 Als Frucht dieser Versöhnungen plante Alsted eine universale Enzyklopädie mit einer umfassenden Darstellung allen menschlichen Wissens. Schon 1610 hatte er ein gesamtwissenschaftliches Projekt als Buch allen Wissens charakterisiert;4 1612 identifizierte er Philosophie und Weisheit und deutete sie als Teilhabe an der göttlichen Weisheit. 5 Er war davon überzeugt, dass der Mensch an Gottes Erkenntnis teilhaben und Gottes Schöpfungsplan erkennen kann. 6 Als er 1619 in Herborn calvinischer Theologieprofessor wurde, konnte er solche Meinungen nicht mehr vertreten, weil sie die Schädigung der Vernunft durch den Sündenfall nicht ernst genug nahmen; die frühere Position spielte in der Erstauflage der Encyclopaedia keine Rolle mehr, die Theologie und Philosophie sauber voneinander trennte. Ob diese Wendung mit Alsteds konservativer Position während der Dordrechter Synode zusammenhing, die zur Trennung der orthodoxen Calviner von den Remonstranten führte und an der Alsted als Abgesandter des Wetterauer Grafenkollegiums teilnahm, ist nicht geklärt. Jetzt konnte man Wissen nicht mehr lullistisch begründen, denn theologische Vorgaben schränkten die zulässigen Meinungen über Chancen menschlicher Erkenntnis ein: Der Gegenstand der Philosophie war nicht mehr alles Wissbare, denn die Theologie reklamierte ihren eigenen Bereich von Wissbarkeit. In der zweiten Auflage von 1630 vertrat Alsted erneut eine Theorie der Teilhabe des Menschen am göttlichen Schöpfungswissen. Vor allem kam nun das lullische Prinzip der Allzuständigkeit wieder zur Geltung: Die Encyclopaedia hat alles Wissbare zu behandeln, also nicht nur die Gegenstände der Artes, sondern auch die Gegenstände der höheren Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Also wurden darüber hinaus in der neuen Encyclopaedia außer den traditionellen Philosophiedisziplinen nicht nur freie, sondern auch dienende Künste behandelt und als Wissenschaften akzeptiert. Durch die geschichtlich bedingte Begrenzung des Gegenstands der Physik auf mechanisch erklärbare Phänomene (Disziplinen wie Elektrizitätslehre, Elektronik, Magnetismuslehre und Chemie waren noch nicht vorhanden oder noch nicht vorzeigbar) und durch interessante Ansätze zu neuen Disziplinen blieb am Alsteds Enzyklopädie von 1630 | 221

Ende ein Sammelsurium von noch unverorteten Künsten übrig, das in Band 7 der neuen Enzyklopädie abgehandelt wird.7 Von den philosophischen Vorlieben des jungen Alsted hat in der Ausgabe von 1630 nur einiges überlebt. Klar ist, dass Alsted Lull nach wie vor schätzt, denn er erwähnt ihn oft und achtungsvoll. Auch beschäftigt ihn weiterhin die lullische Logik, die er für einen Teil der Rhetorik hielt, 8 und zwar so sehr, dass er seine früheren Versuche zu deren Anpassung an moderne Bedürfnisse durch neue topische Kreise in die zweite Encyclopaedia aufnahm. In diesen Arbeiten, die an Vorschläge von Pacius anknüpften,9 wird die ursprüngliche Kunst um sieben weitere Kreise erweitert. Die Verbundenheit mit Lull wird auch an anderer Stelle sichtbar: Alsted schätzt Paracelsus, dessen Philosophie in seinen Augen besonders eng mit der Lehre Lulls verbunden ist.10 Die wahre Chemie zählt er zu den vier Säulen der höheren Philosophie;11 und sie ist spagirisch, das heißt, paracelsisch. Alsted weist darauf hin, dass »unser Landsmann« Theophrastus Paracelsus, der sich in der Wissenschaft auf wunderbare Weise hervorgetan hat, der spagirischen Kunst ihren Namen gab.12 Behauptungen wie die, Alsted habe in der Encyclo­ pae­d ia hemmungslos paracelsische Philosopheme ausgebreitet, sind unbegründet; in den Artikeln der Encyclopaedia finden sich (abgesehen von dem nicht sehr ausführlichen Artikel über Alchymie) nur stichwortartige Hinweise auf paracelsisches Gut, zum Beispiel auf die drei obersten Prinzipien der stagirischen Chymie. Von Lulls Mystik und seinen neuplatonischen Tendenzen, die Nikolaus von Kues und Jacques Lefèvre d’Étaples beeindruckten, kommt kaum noch etwas zur Geltung – die Spiritualität ist in die Theologie abgewandert. Alsteds Verhältnis zu Ramus entwickelt sich weniger freundlich. Er bleibt von dessen Bedeutung überzeugt, formuliert das aber reserviert, denn er schreibt, dass Ramus gewiss kein Philosoph der untersten Klasse war.13 In seiner Didaktik weist er darauf hin, dass Ramus allein keinem Menschen zu philosophischer Vollkommenheit verhelfen kann; man sage mit Recht, dass niemand ein Großer wird, der nur Ramus für groß hält.14 Das neue Werk von 1630 wurde in Herborn sehr sorgfältig gedruckt und bietet zweckmäßige Orientierungshilfen für den Leser. Der erste Band beginnt mit Tabellen (sciagraphiae) zur graphischen Skizzierung des Aufbaus der einzelnen Bücher, die allerdings 222 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

erst hilfreich sind, wenn man die Bedeutung der Beschriftungen kennt. Der ausführlichen Darstellung der Künste und Wissenschaften geht sozusagen als Kurzfassung ein Compendium voraus, das in rudimentärer Dialogform verfasst ist. Alsted unterteilt es in Bücher und Paragraphen, aber manche Bücher sind kürzer als eine halbe Spalte. Trotz solcher Sonderbarkeiten hat die Benennung den praktischen Vorzug, die Orientierung zu erleichtern. Der im Compendium skizzierte Stoff wird im Hauptteil unter der gleichen Buchnummer behandelt. Das Compendium skizziert zunächst die Praecognita (was muss man schon vorher wissen, wenn man die Enzyklopädie mit Gewinn benutzen will) und beginnt mit einem Abriss der Hexilogia (ἕξις, héxis, ist ein griechischer Ausdruck, den gelehrte Lateiner mit »habitus« übersetzten). Auf diesen folgen Skizzen der Technologie, Archelogie und Didaktik. Die Hexilogie ist die Lehre von den Fähigkeiten, die Menschen mitbringen müssen, wenn sie sich erfolgreich mit theoretischen und praktischen Fächern beschäftigen wollen; sie öffnet den Weg zur Polymathia (vielseitigen Bildung). Zwar kann nur Gott allein alles wissen, doch hat er seinem Ebenbild den Durst nach Wissen als Abglanz seiner Allwissenheit eingeprägt. Die Hexilogie behandelt des Näheren die Fähigkeiten, die man braucht, um viele erkennbare Dinge zu erkennen und vernünftig zu handeln. Davon zählt Alsted neunzehn auf, darunter Intelligenz, Synteresis, Bewusstsein, Weisheit, Wissen und Klugheit.15 Wissen ist der lernbare Habitus, theoretische Schlussfolgerungen zu akzeptieren, die auf unmittelbaren Ursachen beruhen, Synteresis der angeborene Habitus, die obersten praktischen Prinzipien zu akzeptieren. Bewusstsein ist der angeborene Habitus, das zu akzeptieren, dessen wir uns bewusst sind, Kunst der lernbare Habitus, poietische (im Text: »poetische«) Schlussfolgerungen zu akzeptieren; bei Aristoteles könnte das bedeuten: auf die Herstellung von Gütern bezogene Schlussfolgerungen zu akzeptieren. Von solchen und ähnlichen theoretischen und praktischen Habitus wird das Verhalten wissbegieriger Menschen bestimmt – wer lernen will, braucht etwas, das ihn lernfähig macht.16 Darauf skizziert das zweite Buch des Compendiums das Praecognitum Technologie. Es handelt sich um ein neues Wort, das Alsted in dieser Bedeutung wohl von Timpler übernimmt.17 Dieser Alsteds Enzyklopädie von 1630 | 223

beschreibt die Technologie als Lehre von den Eigenschaften der Wissenschaften und Künste, auch der dienenden, und von ihrer Ordnung und Einteilung; ob die Sprachgemeinschaft eine Disziplin als oder als Kunst bezeichnet, gilt dabei als unerheblich. Das dritte Buch des Compendiums umreißt die Archelogie, die Lehre von den Prinzipien aller Wissenschaften; auf diesen gemeinsamen Prinzipien ruht die Gesamtwissenschaft. Alsted unterscheidet zwei Arten von Wissenschaftsprinzipien, nämlich Seinsprinzipien und Erkenntnisprinzipien. Seinsprinzipien aller Wissenschaften sind die vier aristotelischen Ursachen. Zweckursache ist die Vervollkommnung des Menschen durch wahre Erkenntnis und die vernünftige Verwendung der von Gott zugemessenen irdischen Güter unter Bemühung von Verstand, Willen und Kommunikation. Die erste Wirkursache aller wissenschaftlichen Disziplinen ist Gott, weil er uns das natürliche Licht des Verstandes und der Sinne schenkt. Die zweite Wirkursache ist der Mensch, den die Wertschätzung von Wissen und das Bewusstsein der natürlichen Bedürftigkeit seiner Gattung zur Entwicklung von Wissenschaften motiviert.18 Das vierte Buch ist dem letzten allgemeinen praecognitum, der Didaktik, gewidmet, die Alsted als Lehre von der Gestaltung des Lehrens und Lernens deutet. Dabei geht es einerseits um günstige Studienvoraussetzungen und andererseits um Hindernisse des Lernens. Als äußere Hindernisse nennt Alsted den Teufel und seine Bagage, als innere Hindernisse natürliche Schwäche oder Bosheit von Schülern.19 Heute erwähnt man andere und deutlich zahlreichere innere und äußere Hindernisse für einen guten Lernverlauf. Auf Alsteds allgemeine praecognita folgen im Compendium knappe Skizzen der Einzeldisziplinen. Am Anfang stehen die freien Künste des Triviums, und zwar in Buch 6 die formale Disziplin Grammatik, der Alsted allerdings im Fünften Buch des Compendiums einen Blick auf die Semantik vorausschickt, den er als Lexik bezeichnet: es handelt sich um die Kunst, beim Sprechen genau auf die Wortbedeutungen zu achten.20 Das siebte Buch skizziert die Rhetorik, zu der sich in Buch 9 die neue Disziplin der Oratorik gesellt; ihr Gegenstand ist die Kunst des freien Sprechens. Das achte Buch des Compendiums skizziert eine ramistische Logik, verstanden als Kunst der richtigen Auseinandersetzung; ihre In­stru­mente 224 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

sind Invention und Disposition. Auf diese Logik folgt die Poetik als die Kunst, gute gebundene Rede herzustellen.21 Die aristotelische Disziplin der Metaphysik gibt Alsted nicht wie Ramus auf. Seine eigene Metaphysik ist unter anderem von Timpler geprägt: Metaphysik ist die Lehre vom Seienden als Seienden, und seiend ist alles, was ein Wesen hat. Dieses kann real existieren, es kann aber auch objektiv sein (»objektiv« bezeichnet damals noch etwas, das dem Erkennenden als Vorstellung gegeben ist).22 Die Metaphysik wird sowohl im Compendium als auch im Hauptteil verhältnismäßig ausführlich dargestellt.23 Auf sie folgt die neue Disziplin Pneumatik, deren Einführung (ähnlich wie die Konzeption der Geistlehre als Teil der speziellen Ontologie) durch die Herauslösung der Geistlehre aus der Physik erforderlich wurde. Die allgemeine Pneumatik behandelt Eigentümlichkeiten aller Geister: Sie sind immateriell, unsichtbar und unteilbar und führen ein intellektives (später sagt man: ein intelligibles) Leben. Die spezielle Pneumatik behandelt die drei Arten der Geister, nämlich den ungeschaffenen Geist Gott, die geschaffenen Geister der Engel, die nicht mit einem Körper verbunden sind, und die geschaffenen menschlichen Geister, die Gott mit einem Körper vereinigt hat. Engel bezeichnet man als reine Geister, weil ihre Erkenntnis nicht von Körper und Sinnen verunreinigt wird – sie haben nur eine reine Vernunft. Menschen sind mit einem Leib verbundene und nach dem Tod fürs Erste von ihm abgeschiedene Geister (animae separatae); diese Nomenklatur lebt noch heute in Ausdrücken wie »die Dahingeschiedenen« fort, bei denen »scheiden« zunächst nicht die Bedeutung von »Abschied nehmen«, sondern eine ähnliche Bedeutung wie in »Scheidekunst« (scheikunde) als Synonym für »Chemie« hat. Zu unterscheiden sind gute und böse Engel. Die Gattung der bösen Engel entstand durch den in der Bibel mehrfach bezeugten Aufstand und Absturz einiger von ihnen. Deren Fürst ist der Teufel, der zahllose Diener und unendlich viele Zugriffsmöglichkeiten auf geistige und körperliche Objekte hat.24 Nach der Abtrennung der Pneumatik darf man die Physik, deren Skizze nun folgt, in einer neuen und verengten Bedeutung als Lehre von den natürlichen Körpern bezeichnen. Unterteilt wird sie in Physiologie und Kosmologie, das heißt, in die Lehre von den Körpern als Teilen der Welt und die Lehre von der Welt als solcher Alsteds Enzyklopädie von 1630 | 225

mit ihren Prinzipien und Eigenschaften.25 Alle Körper bestehen, paracelsisch gesehen, aus Salz, Schwefel und Quecksilber.26 Die spezielle Physik ermittelt, ob ein Körper aus nur einem oder aus mehreren der aristotelischen Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde besteht, das heißt, ob er ein einfacher oder gemischter Körper ist. Einfache Körper sind der Himmel und die Elemente. Gemischte Körper sind vollkommen oder unvollkommen gemischt. Bei unvollkommen gemischten Körpern bleiben die Elemente nur kurze Zeit beisammen, zum Beispiel bei feurigen Meteoren, fallenden Sternen, Kometen und Blitzen; in vollkommen gemischten Körpern wie unserem sind sie mehr oder weniger dauerhaft verbunden. Die Lehre vom Himmel heißt Uranologie; er besteht aus Sphären und Sternen. Diese können unbeweglich sein wie die zehnte Sphäre und der Himmel der Seligen, sie können aber auch beweglich sein wie die Sphäre der sieben Planeten.27 Mineralien entstehen, alchymisch gesehen, durch Schwefel im Wasser; man nennt sie gewöhnlich Fossilien, und ihre Arten sind Steine, Metalle und solche, die zwischen beiden stehen. Sie sind aus lebendiger irdischer Materie gebildet und können kostbar oder weniger kostbar sein. Kostbar sind Diamanten, Smaragde und dergleichen; daneben gibt es weniger kostbare Steine nichttierischer Herkunft wie Magneten, Marmor und Kristall sowie Steine tierischer Herkunft wie Schwalbenstein (chelidonium) und Streichstein (bufonites). Schließlich können Steine ganz gewöhnliche Mineralien sein wie die gemeinen Steine, die entweder porös wie Bimsstein oder fest wie Kiesel sind. Von Metallen gibt es sieben, ein vollkommenes, nämlich Gold, und sechs weniger vollkommene, nämlich Silber, Zinn, Blei, Eisen, Kupfer und Quecksilber (mercurius).28 Außer solchen Körpern gibt es auch beseelte, die (nicht wie Mineralien, die immerhin im Verborgenen wachsen können) auch sichtbar lebendig sind. Die Lehre von den Pflanzen, die keine sinnliche Seele, sondern nur eine Pflanzenseele (anima vegetans) haben, heißt Botanik oder Phytologie. Sie leben unterschiedlich lange, kommen zum Teil nur in bestimmten Bereichen wie Bergen oder Gewässern vor und können männlich oder weiblich und zueinander freundlich oder unfreundlich sein. Sinneswesen haben eine sinnliche Seele und einen in Organe gegliederten Körper, den beim Menschen die Anatomie erforscht. Einige Sinneswesen, nämlich Menschen, sind 226 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

vernunftbegabt, und die Lehre von ihnen, sofern sie Naturwesen sind, heißt Anthropologie. Die übrigen Tiere sind nicht vernunftbegabt; bei ihnen unterscheidet man fliegende Tiere, Wassertiere, Landtiere und Amphibien. Fliegende Tiere sind zum Beispiel Vögel, geflügelte Insekten und geflügelte Schlangen wie der Basilisk, Wassertiere zum Beispiel Fische, Wasserzoophyten wie die Seelunge sowie Wasserschlangen und Wasserinsekten.29 Auf die einfache Physik folgt die vergleichende Physik oder Physiognomie; sie erklärt die Natur von Körpern anhand bestimmter Zeichen (Signaturen). Man unterscheidet zwischen himmlischer und sublunarischer Physiognomie. Die erste beschäftigt sich mit Zeichen am Himmel, die sublunarische mit Zeichen an Elementen, Mineralien und Pflanzen, insbesondere aber mit Zeichen an Gliedern und mit Zeichen von Krankheiten bei Mensch und Tier. Besonders wichtig ist die Physiognomie des Menschen, die sich teils auf den ganzen Körper und teils auf einzelne Glieder richtet und Zeichen an diesen als Hinweise auf bestimmte Temperamente und Affekte deutet.30 Die Arithmetik- und Geometrie-Skizzen in Buch 14 und 15 des Compendiums vermitteln einen Eindruck von vorcartesischer Mathematik (erst sieben Jahre nach Alsteds Encyclopaedia erschien Descartes’ Publikation La geometrie). Die anschließende Skizze in Buch 16 befasst sich mit der Kosmographie, 31 der Wissenschaft von der wirklichen Beschaffenheit der Weltsphäre und ihrer Darstellung. Bei den Beobachtungsinstrumenten werden 1630 Teleskop und Mikroskop noch nicht erwähnt. Die Skizze der Uranometrie mit ihren beiden Teilen Astronomie und Astrologie in Buch 17 betrachtet unter anderem die Abhängigkeit der Zeit von der Himmelsbeobachtung und bestimmt die Länge des Sonnenjahrs mit 365 Tagen, 5 Stunden und 49 Minuten. In diesem Zusammenhang erwähnt Alsted das Kalenderproblem: Im Julianischen Kalender hatte sich die Datierung von Äquinoktien und Sonnenwenden um zehn Tage verschoben. Papst Gregor XIII. versuchte, mit seinem neuen Kalender diesem Missstand dadurch abzuhelfen, dass er zehn Tage ausließ. Um aber zu einer korrekten Datierung zu gelangen, hätte er mehr Tage auslassen müssen. 32 Nach Alsteds Skizze geht es in der Uranometrie um die Vermessung der Quantität und der Bewegungen der Himmelskörper. Der Streit über die Alsteds Enzyklopädie von 1630 | 227

Weltsysteme kommt weder hier noch im entsprechenden Artikel des Hauptteils oder in der Kosmographie zur Sprache. Zwar werden Forschungsergebnisse von Kopernikus und Tycho de Brahe oft erwähnt, auch wird angedeutet, dass die ptolemäische Lösung unzulänglich ist. Aber nur in weit von der Physik entfernten Artikeln kommt der Streit über die drei Weltsysteme wenigstens nebenbei zur Sprache. In der Abhandlung über Didaktik empfiehlt Alsted den Mathematikstudenten unter anderem die Lektüre des auch in protestantischen Kreisen nicht überall geschätzten Tycho de Brahe (»nostri saeculi Atlas«33), den er zu den Vorkämpfern der Astronomie zählt, 34 und in der Archelogie erklärt er den Kopernikanismus für falsch.35 Er meidet dieses schon damals heiße Thema, bei dem auch protestantische Autoren ihre akademische Existenz aufs Spiel setzen konnten. Die nächste Disziplin, die Astrologie, ist die Lehre von den Kräften der Sterne unter dem Gesichtspunkt der Geschicke von Menschen. Bei astrologischen Voraussagen ist nach Alsted zu beachten, dass Urteile von Astrologen weniger verlässlich sind als richterliche Urteile.36 Buch 18 des Compendiums umreißt die Geographie, deren Aufgabe die Vermessung des Erdballs nach Größe, Entfernungen und Einwohnerzahlen ist. Sie beschreibt Meere, Seen, Flüsse, Quellen und Bäche und berichtet über Völker und Einwohner bekannter Länder, auch bestimmt sie die Grenzen bislang noch unbekannter Regionen.37 Auf die Skizzierung von Optik, Musik, Ethik, Ökonomie und Politik 38 folgt in Buch 24 eine neue Disziplin, die Scholastik. Ihr Gegenstand ist die Schule als Gemeinschaft von Personen, die sich zu Frömmigkeit und menschlicher Bildung bekennen. Die Mittel, die sie einzusetzen lehrt, sind Gründung, Erhaltung, Erweiterung und Unterstützung von Schulen. Bei Lehrern aller Schulen kommt es auf die Qualität an, das heißt, auf Wissen, Gewissenhaftigkeit und Klugheit. Schüler brauchen Liebe zum Wissen, zu ihrem Lehrer und zu gebildeter Konversation; sie müssen Bewunderung für Wissen und Wissenschaftler empfinden, schnell begreifen und ausdauernd arbeiten können. Lehrer sind verpflichtet, sich Autorität zu verschaffen, aber auch zu zeigen, dass sie vertrauenswürdig sind; sie müssen nach jeder Unterrichtsstunde überlegen, ob ihr Unterricht diesmal gut oder schlecht war. Bei den Schulen unterscheidet man Grundschulen, die elementar unterrichten und 228 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

die Kinder im Schreiben und Lesen in der Muttersprache unterweisen, und klassische oder lateinische Schulen, in denen man außer Frömmigkeit und guten Sitten auch Sprachen, vornehmlich alte, ferner Musik und Arithmetik lernt. Schließlich gibt es Akademien (Hochschulen), an denen grundsätzlich alle Disziplinen betrieben werden. Die Qualität der Lehrpläne (curricula) ist für alle drei Schularten besonders wichtig.39 Es folgen Beschreibungen der höheren Fakultäten Theologie, Juris­prudenz und Medizin und danach der Artes mechanicae in genere. 40 Buch 29 skizziert die mathematisch-mechanischen Künste, die aus den freien Künsten hervorgegangen sind, zum Beispiel die Gnomonie oder Lehre von den Sonnenquadranten, die Typografik oder Kunst der Gestaltung von Druckwerken mit beweglichen Lettern und die Automatopo[i]etica oder Kunst der Automatenherstellung. Die physico-mathematischen Disziplinen beschäftigen sich nach Buch 30 mit Künsten wie Agrikultur, Schäfereikunde und Jagdkunde. Die Mnemonik ist die Kunst, das Gedächtnis richtig auszubilden; ihre Mittel sind vor allem medizinischer Natur (zum Beispiel: richtige Ernährung), aber auch philologischer, lexischer und logischer und schließlich sogar ethischer Natur, sofern ein Mnemoniker für seine Arbeit auf maßvolle Lebensführung und innere Ruhe angewiesen ist. Ferner sind sie physikalischer Natur, denn ein Mnemoniker braucht eine lebhafte Einbildungskraft, häufige Wiederholung und richtige Auswahl von Ort und Zeit; und schließlich sind sie mechanischer Natur, denn für die Mnemonik ist die graphische Gestaltung von Büchern und die Fähigkeit, Sachverhalte dauerhaft im Gedächtnis zu behalten, von großer Bedeutung. Die spezielle Mnemonik hat die Aufgabe, die Instrumente der Mnemonik an bestimmte Personen, Sprachen und Fakultäten anzupassen. Die Disziplin Historik lehrt das richtige Lesen und Schrei­ben von Geschichten (wenig später sagt man: »von Geschichte«); sie sollen angenehm und nützlich sein, und ihr Gegenstand ist alles, was in Gesellschaft, Wirtschaft, Kirche, Politik und Schulwesen geschieht. Die Chronologie beschäftigt sich mit der Verbesserung von Datierungen in der Geschichtswissenschaft und im bürgerlichen Leben (Kalenderwissenschaft). Die ausführlich behandelte Architektonik ist die Wissenschaft vom guten Bauen. 41 Buch  35 behandelt zum Schluss ganz unterschiedliche WisAlsteds Enzyklopädie von 1630 | 229

senschaften, die übriggeblieben sind. Alsted bezeichnet das Buch euphemistisch als Quodlibet von Wissenschaften;42 das kann man, wenn man will, mit »Sammelsurium von Wissenschaften« übersetzen. Die meisten davon werden im Compendium nur erwähnt, aber nicht skizziert, und erst in Band 7 der Encyclopaedia beschrieben. Auf das Compendium folgen in Band 1 der Encyclopaedia von 1830 43 Darstellungen von Wissenschaften wie Hexilogie, Technologie, Archelogie und Didaktik. 44 Im zweiten Band45 folgt die Darstellung der Philologie: Lexik (lexica), Grammatik. Rhetorik, Logik, Oratorik und Poetik; er enthält Wörterbücher, Grammatikgrundrisse wichtiger Sprachen und Fachwörterbücher. Band 346 beschäftigt sich mit theoretischer Philosophie, des Näheren mit Metaphysik, Pneumatik, Physik, Arithmetik und Geometrie, und danach mit Spezialdisziplinen wie Kosmographie, Uranometrie, Geographie, Optik und Musiklehre. Band 4 47 ist der praktischen Philosophie gewidmet; er informiert über Ethik, gute Hauswirtschaft, Politik und Scholastik (Lehre vom Bildungswesen). Eine schematische Inhaltsdarstellung dieser Fächer schließt die Behandlung der damals am wenigsten geschätzten und am schlechtesten besoldeten Philosophischen Fakultät ab. Dass Alsted mit den Künsten und Wissenschaften gerade dieser Fakultät vier seiner sieben Bände füllt, ist ein Signal. Erst Band 5 beschäftigt sich vergleichsweise knapp mit Gegenständen der vornehmen Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin.48 Band 649 bewegt sich schon wieder im Umfeld der Philosophie, denn er enthält eine knappe Darstellung der allgemeinen Mechanologie, 50 der physikalischen Mechanologie mit ihren Künsten, die Ernährung, Bekleidung, Ausstattung und Behausung des Menschen betreffen  – Agrarwissenschaft, Gartenkunst, Viehzuchtkunst, Bäckerkunst, Winzerei, Braukunst, Heilmittelherstellung, Chirurgie, Erzeugung und Verarbeitung von Metallen. 51 Schließlich werden im Rahmen der mathematischen Mechanologie52 Typographie, Gnomonik, optisch-mathematische Grundlagen der Malerei, Automatenherstellung, Eichkunst, Orgelbaukunst, Nautik, Kriegskunst, Kunst der natürlichen und gewaltsamen Ruhe und Bewegung, Spielkunst, Jagdkunst, Vogelfangkunst und Fischereikunst behandelt. Besonders in diesem Band wird eine Veränderung sichtbar, die für Reformbewegungen im 16. 230 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

und 17. Jahrhundert charakteristisch ist: Alsted würdigt die mechanischen Künste, die bis ins 17. Jahrhundert hinein oft als knechtische Künste verachtet wurden und nun sehr schnell an Bedeutung gewannen, und stellt sie im Rang den Wissenschaften gleich. Eine empiriebedürftige Naturwissenschaft entdeckt, dass Bauern, Handwerker und Händler über enormes empirisches Wissen von Materialien und Verfahren verfügen, das sich die hergebrachten Wissenschaften nun endlich aneignen müssen. Band 753 erweckt gelegentlich den Eindruck einer bunten Nachlese, denn er behandelt die Wissenschaften und Künste, die nun noch übrig sind, zum Beispiel historische Grundlagenwissenschaften, Rechts- und Philosophiegeschichte und Weltgeschichte von der Schöpfung bis zur Gegenwart. Auch skizziert er viele Randwissenschaften, auf deren Darstellung Alsted im Compendium verzichtet hatte, von der Apodemik bis zur Stratagematographie.54 Apodemik ist die Kunst, richtig zu reisen. (7, 2209a–2213b)55 Kritik ist die Kunst der richtigen Beurteilung klassischer Redner, Dichter und Philosophen sowie der Bibel; die Bibelkritik heißt auch Ma­so­rah. (7, 2214a–2266b) Magie ist die Kunst, Wunderbares zu vollbringen. Die allgemeine Magie befasst sich mit dem, was allen Magien gemeinsam ist, die spezielle mit erlaubter oder philosophischer Magie einerseits und verbotener oder teuflischer Magie andererseits. Erlaubte Magie ist die Herstellung wunderbarer Dinge durch scharfsinnige Anwendung von Mitteln erlaubter Künste. Unerlaubte Magie ist eine gottlose und frevelhafte Kunst, die mit Hilfe des Teufels in dem von Gott geduldeten Rahmen Wunderbares vollbringt. Sie heißt auch nekromantische, übeltätige oder zaubernde Magie. (7, 2266a–2270b) Kabbala ist eine mündlich überlieferte geheime Interpretation des Alten Testaments. Die allgemeine Kabbala beschreibt das Ziel und die Mittel der Kabbala. Die spezielle Kabbala, die theoretisch oder praktisch sein kann, ist unterteilt in Gematria, Notarikon und Temurah, die praktische in Bereschith und Merkabah. Die Bereschith beruft sich auf das alttestamentliche Buch Bereschith, das Christen als Genesis bezeichnen, und entwickelt auf dessen Grundlage eine esoterische Physik (Physiologia moysaica), die die Lehre von der Welt als Wohnung der Geschöpfe und die Lehre von den fünfzig Pforten der Erkenntnis vermittelt; eine Erinnerung daran sind die am äußersten Rand des heutigen Erinnerungsspektrums noch angesiedelten mosaiAlsteds Enzyklopädie von 1630 | 231

schen oder christlichen Physiologien des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Merkabah ist die Lehre von den Namen Gottes und der Engel. Juden und Christen haben unterschiedliche praktische Kabbalen entwickelt. (7, 2270a–2273b) Alchymie oder Chemie ist die Lehre von der richtigen Zubereitung ganz reiner Mittel zur Vervollkommnung menschlicher Körper und unvollkommener Metalle. Die allgemeine Alchymie behandelt Ziel, Instrumente (Öfen, Gefäße und Feuer) und Tätigkeiten (Auflösen und Koagulieren) der Alchymisten. Die besondere Alchymie beschäftigt sich mit der Herstellung von Medikamenten und mit Möglichkeiten zur Verbesserung von Metallen. (7, 2274a–2277b) Magnetographie oder magnetische Philosophie, eine physico-mathematico-mechanische Disziplin, ist die Lehre von Vermessung, Natur und Gebrauch des kleinen und des großen Magneten (der große Magnet ist die Erde). (7; 2277a–2283b) Pyrotechnie oder Pyronomie ist die Lehre von der Erzeugung und Beherrschung der verschiedenen Arten von Feuer. (7; 2283a–2285b) Gnomologie oder Gnomographie ist die Kunst des Sammelns von Gnomen, das heißt, von berühmten kurzen und scharfsinnigen Sprüchen. Die spezielle Gnomologie ist die Lehre von den verschiedenen Arten solcher Sprüche, geordnet nach Sprachen und Disziplinen. (7, 2285a–2295b) Aenigmatographie ist die Kunst des Sammelns von Rätseln. (7; 2295a– 2297b) Paradoxologie ist die Kunst der Erklärung von Paradoxen. (7, 2297a– 2298b) Dipnosophistik ist die Lehre von den Festreden. (7, 2298a–2309b) Ethische Arithmologie ist die Kunst der nach Nummern angeordneten Aufzählung von Texten, die in jeder Lebenslage lehrreich sein können. (7, 2310a–2318b) Parömiographie ist die Kunst, Sprichwörter zu schreiben und zu verwenden. (7, 2318a–2324b) Hieroglyphik ist die Kunst, Hieroglyphen zu entziffern. (7, 2324a– 2325b) Polyanthea oder Florilegium ist die Kunst, erinnerungswürdige Texte jeder Art wie Blumensträuße zusammenzubinden. (7, 2325a–2326b) Mythologie oder Mythistorie ist die Kunst, poetische Fabeln richtig auszulegen. (7, 2326a–2327b) Zyklognomonik ist die Kunst, mit Hilfe didaktischer oder dialektischer Kreise über alles Wissbare richtig zu diskutieren; in ihr wird vor allem die lullische Kunst verhandelt. (7, 2328a–2337b)

232 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

Die Kunst des Reichtums an Wörtern gibt Ratschläge für das schnelle und ergiebige Finden von Wörtern. (7, 2338ab) Die Kunst des Reichtums an Dingen gibt Ratschläge für das schnelle und ergiebige Finden von Dingen. (7, 2338a–2340b) Polygraphie oder Kryptomenitik ist die Kunst der Geheimschriften. (7, 2340a–2341b) Analytik ist die Kunst, Schriften anderer zu entziffern. (7, 2341a–2344b) Meletetik ist die Kunst, richtig zu meditieren. (7; 2345a–2346b) Dioristik ist die Kunst der guten Unterscheidung oder Definition. (7, 2346ab) Syzetetik ist die Kunst, bei Disputationen tüchtig mitzureden. (7, 2347a–2348b) Symbuleutik ist die Kunst, in der richtigen Weise Rat zu suchen. (7, 2348a–2349b) Die Physik von Mose, Hiob und David ist eine Naturwissenschaft, die sich vor allem auf Mose, Hiob und David beruft. (7, 2350ab) Salomonische Theosophie, Philosophie, Harmonie und Ökonomie ist eine Philosophie, die sich hauptsächlich auf die Sprüche Salomonis und auf das Buch Kohelet stützt. (7, 2351a–2356) Mimetik ist die Kunst, gut nachzuahmen. (7, 2356ab) Biographie oder Euzoia ist die Kunst, gut zu leben. (7, 2357a–2359b) Euthanasie ist die Kunst, gut zu sterben. (7, 2359a–2360b) Pathologie ist die Kunst, Affekte zu erkennen und zu verbessern. (7, 2360a–2371b) Gymnastik oder Exercitatoria ist die Kunst der Anwendung von Leibesübungen zum Nutzen der Gesundheit. (7, 2372a–2383b) Tabakologie ist die Lehre von der Natur, der Verwendung und dem Missbrauch von Tabak. (7, 2383a–2386b) Zoopädie ist nicht etwa die Lehre von der Erziehung oder Dressur von Tieren durch Menschen, sondern von der Belehrung des Menschen durch Tiere. Die allgemeine Zoopädie erklärt, was Tiere uns lehren, und die spezielle Zoopädie erklärt, was ihnen Gott an Spuren von Vernunft gegeben hat, nämlich Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Grausamkeit, Freude, Gottesfurcht, Sinn für Würde, Erziehung, Liebe von Eltern zu Kindern und von Kindern zu Eltern, Zornmütigkeit, Großmütigkeit und Gehorsam. (7, 2386a–2389b) Charientologie oder Amphitheater der lustig-ernsten sokratischen Weisheit ist die Lehre vom lustig-ernsten Sprechen. (7, 2389a–2391b) Spagirische Archelogie ist die Lehre von den drei alchymischen Prinzipien der Körper nach Paracelsus. (7, 2391a–2394) Stratagematographie ist die Lehre von der Verwendung von Stratagemata oder Listen. (7, 2394a–2397a) Alsteds Enzyklopädie von 1630 | 233

Den Abschluss des Gesamtwerks bilden Appendices, und zwar zunächst eine Abhandlung des Breslauer Mediziners Heinrich Mylphort über den aphoristischen Sorites oder die Methode der Enzyklopädie. 56 Es folgen unpaginierte ausführliche Gesamtverzeichnisse, die 121 Seiten füllen: ein Personenverzeichnis (Index authorum), ein Verzeichnis der erwähnten Bücher, Kapitel und loci communes, ein Verzeichnis der behandelten Quaestiones und ein Verzeichnis der erwähnten Sachen und Wörter. Damit sind praktisch alle Wissenschaften und Künste erschlossen. Die Enzyklopädie hat ihre Darstellung der gesamten Wissenschaft, die »methodische Erfassung von allem, was man in diesem Leben zu lernen hat«, 57 zu Ende gebracht, und weitere Bücher braucht man nicht zu kaufen.

Johann Amos Comenius’ Enzyklopädie Alsteds tschechischer Schüler Johann Amos Comenius (1592–1670) studierte in Herborn bei Alsted und in Heidelberg. Er gehörte zur Glaubensgemeinschaft der böhmischen Brüder, deren Bischof er später wurde. Diese Gruppe spielte nach dem langen Krieg unter anderem wegen ihrer Beteiligung an Zinzendorfs Herrnhut-Projekt auch in Deutschland eine Rolle; in Nordamerika betrieb sie eine Brüdermission, die im Lederstrumpfzyklus von John F. Cooper, der den Versuchen zur Zivilisierung von Indianern kritisch gegenüberstand, mehrmals anerkennend erwähnt wird. Wegen der Rekatholisierung Böhmens musste Comenius 1629 als bekehrungsunwilliger Häretiker seine Heimat verlassen und floh nach Lissa (Leszno) im toleranten Polen. Dort und in Ungarn wirkte er als Prediger und Leiter von Reformschulen. Im Lauf seines bewegten Lebens trafen ihn Schicksalsschläge, von denen einige zum Anlass verbreiteter Trostschriften wurden. Comenius verstand sich vor allem als Theologe, verfasste aber auch Schriften zur Pädagogik, Didaktik und Philosophie, die in Europa schnell Verbreitung fanden. Er nahm Anregungen von Autoren wie Dionysius Areopagita, Nikolaus von Kues, Thomas Campanella, Paracelsus und Jacob Böhme auf, teilte neuplatonische Vorstellungen von Emanation, Wiederaufstieg und Rückkehr des Emanierten zum Ursprung und 234 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

glaubte, dass der Mensch, der als Mikrokosmos alle Vollkommenheiten der Natur in sich vereinigt, für die niedrigeren Geschöpfe die Rückkehr zum Ursprung mitzuvollziehen hat. Das kann er aber nur mit Hilfe der wahren Erkenntnis tun, und deshalb ist Lehren und Lernen ganz wichtig. Alsteds Bemühungen um neue Lern- und Lehrmethoden setzte Comenius fort; seine Konzeption des Lernens durch Spielen und unmittelbare Anschauung, die auch Weigel aufgriff, wirkt bis heute fort. Er entwickelte eine Pansophie (Universalweisheit, Gesamtwissenschaft), die Spuren von Lull und seinen Anhängern, aber auch von Francis Bacon, Descartes, Alsted und Tobias Andreae trägt. Sie sollte der Menschheit zu umfassendem Wissen und zur Herrschaft über die Erde verhelfen, vor allem aber zur Erkenntnis und Verehrung Gottes. Wenn man im Buch der Welt liest, gelangt man nach Comenius Schritt für Schritt von den Sinnen zur intelligiblen Welt, allerdings nicht dann, wenn man nur Teilerkenntnisse aufeinanderstapelt. Vielmehr muss man den inneren Zusammenhang aller Einzelwissenschaften begreifen, um die von Gott geschaffene Harmonie der Natur und aller Wissenschaften und Künste zu verstehen. Comenius glaubte, dass dank seiner neuen Lehr- und Lernkunst, die er an mehreren osteuropäischen Reformschulen erprobte und verbesserte, alle Menschen die Pansophie erlernen können, und war davon überzeugt, dass man auf diesem Weg bis an die Grenze zum ewigen Heil gelangen kann, hielt aber an dem Vorbehalt fest, dass dieses nicht durch Pan­sophie, sondern nur durch göttliches Erbarmen erreichbar ist. Doch erwartete er von der Pansophie zumindest einen Umbruch in der Weltgeschichte: Wenn eines Tages alle Menschen Pansophiker sind, wird ihnen allen die Wahrheit offenbar. Dann gibt es nichts mehr, über das man streiten kann, und damit sind Kriege und Streitigkeiten auf immer beendet.58 Comenius band seine Pansophie in ein umfassendes Reformprogramm ein, dessen Darstellung er in der Consultatio catholica de rerum humanarum emendatione (Weltumfassende Beratschlagung über die Verbesserung der Situation des Menschen) veröffentlichen wollte. An diesem Werk arbeitete er seit 1645; das erste Manuskript ging 1665 bei der Brandschatzung Lissas verloren. Sieben Teile waren vorgesehen, nämlich der Weckruf Panergesia, die Lichttheorie Panaugia, der Hauptteil Pansophia, die pansophische Johann Amos Comenius’ Enzyklopädie | 235

Erziehungslehre Pampaedia, die Panglottia, die eine harmonische Vernunftsprache verbreiten sollte, die Panorthosia mit Überlegungen zur allgemeinen Reform von Kirchen, Staaten und Gesellschaften und schließlich die geistliche Mahnschrift Panuthesia. Im Druck erschienen 1656 die Panergesia und 1660 die Panaugia.59 Die übrigen Teile zirkulierten als Manuskripte, galten aber nach Comenius’ Tod als verschollen. Doch wurden sie nach und nach wieder aufgefunden; zuletzt entdeckte der Heidelberger Slawist Dmitrij Tschižewskij in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle eine Abschrift der Pampaedia, die 1960 erschien. 60 Die Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften konnte daraufhin 1966 die erste vollständige Ausgabe der Consultatio catholica publizieren61 und tat das in würdiger Form. »Panergesia« bedeutet »Allerweckung«; der literarisch schöne Text vermittelt einen Eindruck von Comenius’ Mahnliteratur. Kurze summarische Inhaltsangaben von Panergesia, Panaugia und Pansophiae Prodromus wie die folgenden werden der Qualität der Texte nicht gerecht, reichen aber aus, um den Eindruck zu vermitteln, dass sich Comenius’ Argumentationen von denen Weigels deutlich unterscheiden. Die Panergesia geht davon aus, dass es um die Lage des Menschen schlecht bestellt ist. Über ihre Verbesserung wurde im Himmel und auf Erden schon immer beratschlagt, aber jetzt muss man es von neuem versuchen, allerdings auf neuen Wegen und mit den richtigen Verfahren. Deshalb sind alle Menschen zur erneuten Beratung über ihr Wohl eingeladen, vor allem Philosophen, Theologen und Politiker. Das Thema dieser Beratung ist überaus wichtig: Es geht um das Heil des Menschen und der Welt. »Panaugia« bedeutet »Allerleuchtung«. Die Schrift weist darauf hin, dass sich alle Menschen um die Erlangung des vollen Verstandeslichts bemühen müssen. Dessen erste Quelle ist die Natur, die zweite die Vernunft, Gottes Ebenbild. Die dritte Quelle ist Gottes Wort. Wir nehmen das Licht mit unserem dreifachen Auge wahr: die Natur mit dem Auge der Sinne, das Intelligible mit dem Auge des Verstandes und das Göttliche mit dem Auge des Glaubens. Man findet das Licht leichter, wenn man den Schlüssel zur Allharmonie entdeckt; diese besteht in einer Mischung der Strahlen, durch die das Licht fließend wird und Dunst und Makel des Irr236 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

tums und der Vorurteile überstrahlt. Diese Harmonie muss man von Gott erflehen. Der inzwischen wieder zugängliche Dritte Teil der Consultatio, die Pansophia, lag Weigel vermutlich nur teilweise vor, doch übernahm er ihren Titel. Comenius’ Werk ist eine Enzyklopädie besonderer Art, denn sie enthält nicht nur Beschreibungen aller Wissenschaften, sondern auch Predigtelemente und Heilsverkündigungen. Es geht nicht nur um die Vervollkommnung des Menschen und der Welt durch Wissenschaft, sondern auch um die Rückkehr der Welt zu ihrem Ursprung. Deshalb vermischen sich in Comenius’ Pansophie homiletische mit gelehrten Elementen. Er versteht die Pansophie als Leiter oder Treppe, auf der man zur Vollendung des Wissens aufsteigt, und teilt deshalb das Werk nicht in Bücher, sondern in Stufen (gradus) ein; auch Weigel deutet später sein denominatives und ästimatives Verfahren als Stufen des Erkennens. Comenius, der schon vor Weigel mit virtuellen Welten arbeitete, behandelt auf der ersten Stufe die Welt des Möglichen (Mundus possibilis), auf der zweiten die Welt der Ideen im göttlichen Geist (Mundus idealis seu archetypus, die Welt der Archetypen oder Urbilder des Geschaffenen), auf der dritten Stufe die Engellehre (Mundus intelligibilis angelicus, die intelligible Welt, die bei Alsted noch »intellektive Welt« hieß – die Welt der guten und der bösen Engel), auf der vierten Stufe die materielle oder die Körperwelt (Mundus materialis seu corporeus), auf der fünften Stufe die künstliche Welt (Mundus artificialis, die Welt der Artefakte), auf der sechsten Stufe die moralische Welt (Mundus moralis), auf der siebten Stufe die spirituelle Welt (Mundus spiritualis, die Welt Gottes, der reinen Geister und der menschlichen Seelen) und auf der achten Stufe die ewige Welt Gottes (Mundus aeternus). Comenius’ Welten der Körper, der Ideen, der moralischen und notionalen Entitäten und der Artefakte gleichen grundsätzlich Weigelschen Räumen oder Welten, unterscheiden sich aber von ihnen unter anderem dadurch, dass Comenius seine Welten nicht ontologisch bestimmt. Am Ende der letzten Stufe heißt es: »Nachdem wir so viele Welten durchwandert haben, wollen wir endlich die Frage aufwerfen, ob wir einen Ort finden, an dem wir zu Hause sein können – nicht als Gäste, sondern als Bürger, und nicht im Getümmel, sondern in Frieden.«62 Der letzte Teil der Pansophie behandelt deren vielfältigen Nutzen. Johann Amos Comenius’ Enzyklopädie | 237

Weil alle Welten, die der Leser durchlaufen hat, analog konstruiert sind, befinden sie sich in voller Harmonie, und wer das erkennt, kann die eine von der anderen her verstehen. Dieser Gedanke spielt bei Alsted und später bei Weigel eine wichtige Rolle. Der Sache nach entsprechen Comenius’ Fünfter und Sechster Stufe bei Weigel die Räume des Notionalen und Moralischen, während Weigel für körperliche Artefakte keine eigene Welt vorsieht, sondern sie den natürlichen Körpern zuschlägt. Comenius lehrt, dass Gott den Tieren alles für sie erforderliche Material und uns alles Material der Welt zur Verfügung gestellt hat. Nun müssen wir unsere Künste, Techniken und Wissenschaften zur Vollendung bringen und zum Wohl der Welt und der Menschen nutzen. Vor allem aber müssen wir als Ebenbilder Gottes die von ihm erschaffene und uns anvertraute natürliche Welt in ihrem Bestand erhalten und vervollkommnen. Deshalb haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, bei Gebrauch, Nachahmung und Umformung der Natur Gottes Weisheit nachzuahmen, also einerseits mit Materie, Geist, Feuer und Elementen vernünftig und sorgsam umzugehen und andererseits die Kunst des Haltens und der Aufzucht von Pflanzen und Tieren, der Nutzung meteorischer und mineralischer Phänomene und alle anderen Künste zur Vollkommenheit bringen, um die körperliche und geistige Natur des Menschen als Ebenbild Gottes erkennbar zu machen. Zu den Aufgaben, die sich aus dieser Zielsetzung ergeben, gehört nicht nur die Fortentwicklung von Medizin und Bekleidungskunst, sondern auch von Erziehung, Bildung und Didaktik, ferner die Fortentwicklung der Fähigkeit, zu erkennen, zu reden, zu argumentieren, richtig mit Meinungen umzugehen, andere zu überzeugen und Begabungen zu entdecken. Menschen müssen Gedächtniskunst, Sprach- und Sprechkunst, Buchschreibekunst und Bibliothekskunde lernen und nicht zuletzt die Kunst, Eigenschaften der Körper zu nutzen und in technischen Artefakten zu rekonstruieren. Alle Künste und Erfindungen stammen ursprünglich von Gott und müssen am Ende zu ihm zurückkehren. Er will, dass wir unser Werk mit Hilfe von Sinnlichkeit, Vernunft und Offenbarung zur bestmöglichen Entfaltung bringen. Sobald uns das gelungen ist, klappt er das Buch der Natur, das Buch der Vernunft und das Buch der Offenbarung für immer zu und gibt 238 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

uns Einblick in das große Buch der Ewigkeit, in dem wir ihn und seine Mysterien erkennen. Die sechste Stufe der Pansophia bezeichnet Comenius als moralische Welt. Seit sechstausend Jahren streiten die Menschen in unzähligen Kriegen über die richtige Art zu regieren, denn sie haben das Recht, nach Maßgabe ihres klaren Verstandes, ihres freien Willens und ihrer inneren Kräfte über sich selbst zu bestimmen und in ihrem Land die Art von Herrschaft zu errichten, die sie für die richtige halten. Die moralische Welt passt insofern zur menschlichen Natur, als sie uns lehrt, dass Menschen nicht viehisch, sondern sittlich zu leben haben. Gegenstand der Moral ist immer der Mensch, gleichgültig, ob allein oder in Gesellschaft. Die Seele der Moral ist die angeborene Sehnsucht des Menschen nach Frieden. Ihr Licht ist Gottes dreifache Wegweisung durch Gewissen, Selbsterhaltungstrieb und göttliches Recht. Die Klugheit, sich selbst zu bezähmen, ist der Gegenstand der Unterdisziplin Ethik, und die Klugheit, sich selbst und andere zu leiten, der Gegenstand der Unterdisziplin Symbiotik (Lehre vom Zusammenleben). Die Fähigkeit, den Besitz menschlicher Verbände und Familien klug zu verwalten, heißt Ökonomie, und die Kunst, den Nachwuchs des Gemeinwesens auf den richtigen Weg zu bringen, heißt ähnlich wie bei Alsted Scholastica. Die Kunst, das Gemeinwesen zu lenken, heißt Politik, und die Kunst, ein Reich zu lenken, Monarchik. Zu berücksichtigen sind in allen Bereichen unsere natürlichen Gefährdungen und die Grenzen unserer Fähigkeit, die moralische Welt zu gestalten. Diese Aufgabe üben zwar weitgehend Menschen aus, aber auch von Gott beauftragte Engel und schließlich Gott selbst, der bei unseren Handlungen vielfältig mitwirkt. Die höchste Glückseligkeit kann man aber durch ein moralisches Leben allein nicht erlangen. Selbst dann, wenn wir alles Übrige verwirklicht haben, übersteigt die Sicherung unseres Überdauerns (perpetuitas) unsere Kraft. Deshalb müssen wir uns vor Gottes Zorn und Strafe hüten und unsere Hoffnung auf seinen Lohn und seine Hilfe setzen, ohne darüber die eigenen Pflichten zu vergessen. Am Ende müssen wir unsere Geschicke so zu Gott heimkehren lassen wie Flüsse zum Meer.

Johann Amos Comenius’ Enzyklopädie | 239

Comenius’ Pansophiae Prodromus Während Comenius’ Pansophia bis vor wenigen Generationen verschollen war, blieb ihre Ankündigung durch den Pansophiae Prodromus (Vortrab der Pansophie; »Vortrab« ist ein kavalleristischer Ausdruck, den Weigel später für seine Pantognosia übernimmt) dank einer Eigenmächtigkeit von Samuel Hartlib zugänglich. Hartlib stammte aus Elbing (heute: Elbląg) in Ostpreußen und studierte zunächst in Brieg (heute: Brzeg), der Heimatstadt von Christoph Wittich, und später bei Alsted in Herborn. Wegen der Kriegswirren emigrierte er nach England und wurde dort einer der bedeutendsten Virtuosi; er verkehrte mit Robert Boyle und war Nachbar von Samuel Pepys. Hartlib führte ausgedehnte Korrespondenzen mit europäischen Gelehrten und organisierte einen ausgedehnten internationalen Austausch neuer Erkenntnisse;63 sein wissenschaftlicher Zirkel, zu dessen Mitgliedern auch Boyle zählte, gehörte zu den Vorläufern der Royal Society. Er kannte Comenius und ließ 1637 das Manuskript von dessen Prodromus Pansophiae ohne Wissen des Autors unter dem Titel Conatuum Comenianorum praeludia mit einem achtungsvollen Vorwort erscheinen. 64 Unter dem heute bekannten Titel erschien es 1639 und wurde 1644, vermehrt um weitere Comenius-Texte, in Leiden nachgedruckt. 65 Die Aufgabe der an Predigtelementen reichen Schrift umreißt Comenius so: Da man die Weisheit den Werkmeister aller Dinge nennt, der uns alles lehrt, müssen wir zum Besten der Wissenschaft bis zu der allumfassenden Erkenntnis der Dinge vordringen, die πανσοφία (pansophía) heißt und eine alles umfassende und die in sich konsistente Weisheit ist. Wenn uns das gelingt, bleibt uns nichts Offenes oder Verborgenes ungewusst, und der Geist des Menschen wird in Wahrheit sein, was er sein soll, nämlich ein Ebenbild des Philosophen Gott. 66 Man sagt, dass die Weisheit Heranwachsenden Verstand und Wissen schenkt und dass sie uns glücklich macht. Aber die Gelehrsamkeit, die heutige Schulen vermitteln, ist zeitaufwendig, umfangreich und mühsam; man kann durch sie allein die Wahrheit nicht erlangen. Sie passt auch nicht zu den Erfordernissen des Lebens, denn die Philosophie ist inzwischen zu einer Schulphilosophie geworden. Logik und Rhetorik sind weit von den Bedürfnis240 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

sen des Alltags entfernt, und das Studium lenkt uns nicht mehr zu Gott, der unser letztes Ziel ist. Deshalb wurde Studieren zu einer Beschäftigung ohne Ende und Ziel, denn man hat die Wissenschaft bis zur Unverständlichkeit zerstückelt; sie hält die Menschen bei der Besorgung ihrer Lebensbedürfnisse nur auf und wird für viele zum Anlass des Abfalls von Gott. 67 Die ungebührliche Länge des Studiums hängt mit der Unfähigkeit zusammen, das Nötige vom Unnötigen zu unterscheiden, ferner damit, dass wissenschaftliches Arbeiten wegen der Unstrukturiertheit des Lehrstoffs labyrinthisch geworden ist; schließlich ist der übertriebene Aufwand für Bagatellen von Übel. 68 Wenn junge Leute außerdem keinen Wissensdurst mitbringen, wird ihr Studium zu einer knechtischen Verrichtung, und wenn man ihnen den Lehrstoff nur langatmig beschreibt, statt ihnen die Dinge selbst vor Augen zu führen, prägt er sich ihrem Gedächtnis nicht tief genug ein. Wenn schließlich auch noch die Lehrmethode weder zum menschlichen Verstand noch zu den Sachen selbst passt, verstehen die Lernenden überhaupt nicht mehr, um was es geht. 69 Diese Mängel soll die christliche Pansophie beheben, und damit hat sie schon begonnen, denn sie fängt an, alles auf Zahl, Maß und Gewicht zurückführen. Gott hat unseren Herzen die Sehnsucht eingepflanzt, die Welt zu erkennen, die uns untertan ist, und das ist in einigen Fällen bereits gelungen.70 Aber beim Forschen muss man Regeln beachten. Das Wahre findet man leichter, wenn man Meinungen miteinander vergleicht und keine davon auf Anhieb verwirft, denn auch Irrtümer können nützlich sein. Man muss immer das Geschriebene mit dem Beschriebenen vergleichen und braucht Kriterien für die Entscheidung darüber, was nötig ist und was nicht.71 Am Ende muss die Wissenschaft zur vollkommenen Erkenntnis Gottes, der Natur und der Produkte des Menschen gelangen. Gott hat alles zu einem bestimmten Zweck erschaffen; seine Werke und die Erzeugnisse menschlicher Kunst verhalten sich, sofern man sie nicht durcheinanderbringt, gerade so, wie es ihre Idee verlangt. Wegen des Zusammenhangs aller Ideen ist die Welt ein Abbild Gottes. Die Dinge haben durch nichts anders als durch ihre Ideen aneinander Anteil und verhalten sich zueinander proportional. Ihre Ideen unterscheiden sich von den ewigen Ideen Gottes im Grunde nur durch die Art ihres Gegebenseins: in Gott sind sie Comenius’ Pansophiae Prodromus | 241

als Archetypen (Urbilder), in unserer Vorstellung und in der Natur als Ektypen (Abbilder) und schließlich in den Werken menschlicher Kunst als Antitypen (Gegenstücke, Reproduktionen).72 Weigel übernimmt anscheinend den Titel »Pansophiae prodromus« und verwendet ihn im Titelblatt seiner Pantognosia von 1672: Universi corporis pansophici Prodromus de gradibus humanae cognitionis, quem dicere posses Pantognosiam.

242 | Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien

13. Weigels Enzyklopädie-Projekte Die Analysis aristotelica als Compendium einer Enzyklopädie Auch Weigel beschäftigte sich mit Enzyklopädieprojekten und interessierte sich für die Idee einer Gesamtwissenschaft. Alsteds Enzy­ klopädie ist ihm nicht unbekannt, er kennt sie gut genug, um sie zu kritisieren; wahrscheinlich gehört sie trotzdem zu den Anregern seiner Enzyklopädieversuche. Allerdings war er kein Schüler oder Anhänger Alsteds, obgleich er in keiner der mir bekannten Druckschriften gegen ihn polemisiert. Er schreibt ihm sogar eine positive Eigenschaft zu, nämlich Fleiß (aber nur diese).1 Anders verhält er sich gegenüber Lull; von dessen Kunst setzt er sich schon im Titelblatt und im Ad lectorem des Caput summum ab, denn er bezeichnet sein eigenes Corpus pansophicum als wirkliches und nicht nur eingebildetes Beispiel einer Ars magna: Die von mir angekündigte Pansophie ist etwas anderes »als Lulls wirrer Traum, dieses Chaos von Begriffen, die dasselbe bedeuten, und dieses Pflanzbeet von Streit um Worte«.2 Weigel erläutert das an einer anderen Stelle, die man etwas frei so wiedergeben kann: Lulls Ars magna bleibt im Abstrakten hängen; erst wenn man die Quantität von Dingen ästimativ bestimmt, bekommt man praktisch verwendbare Angaben. Lull gibt zum Beispiel folgenden Rat: Wenn jemand fragt »Was erfahre ich durch ›Wo‹?«, so antworte: »Den Ort«, und wenn er fragt: »Was durch ›Quando‹?«, so antworte: »Die Zeit«. Das Problem ist, dass der Fragende auf diese Weise weder eine Adresse noch eine Uhrzeit erfährt. Lull verspricht etwas, das er nicht leistet, und deshalb mag inzwischen niemand mehr über seine Eselsbrücken gehen.3 Schlimmer ergeht es Ramus. Dessen Euklid-Kritik hat Weigel davon überzeugt, dass er inkompetent ist: Der »unangenehme und unfähige Ramus« (ingratus, ineptus)4 hat sich mitsamt seinen Anhängern darüber beklagt, dass Euklid in seinen Beweisen viele Einzelschritte einlegt, die man eigentlich auslassen könnte, und 243

dass er keine syllogistischen Beweise führt. In Wirklichkeit hat Euklid solche Einzelschritte eingefügt, um auch die Schwächeren mitzunehmen, aber diesen nützlichen Kunstgriff hat Ramus nicht begriffen.5 Auch hat er genau so wenig wie seine Ramisten gemerkt, dass der logische Syllogismus nicht deshalb erfunden wurde, weil er das beste Beweisverfahren ist, sondern weil man mit ihm Unbelehrbare und Dumme am leichtesten außer Gefecht setzen kann. Solche Kritiken treffen indirekt auch Autoren, die sich wie Alsted an Ramus orientieren, und dürften zu den Gründen dafür gehören, dass Weigel es nicht bei Alsteds Encyclopaedia belassen mochte. Als ersten enzyklopädischen Versuch kann man mit Weigel die Analysis Aristotelica von 1658 ansehen. Schon das Titelblatt der ersten Auflage teilt mit, dass der Verfasser nicht nur die von den Schulen entstellte aristotelische Philosophie restaurieren und einen Grundriss ihrer ursprünglichen Gestalt vorlegen, sondern dass er auch »alle Disziplinen und Fakultäten grundrissartig beschreiben möchte«. Das Wort »Philosophie« hat damals eine weitere Bedeutung als heute, denn es bedeutet auch »Wissenschaft überhaupt«; noch Newton bezeichnete die Disziplin, die er vertrat, als Natural philosophy. Bei Weigel bedeutet »Grundriss der restaurierten Philosophie« so viel wie »Grundriss der wiederhergestellten aristotelischen Wissenschaft«. Von der Analysis aristotelica, die heftige Animositäten veranlasste und Weigel privaten und dienstlichen Verdruss einbrachte, erschien 1671 ein Neudruck unter anderem Titel, der bestätigt, dass es hier um ein Enzyklopädievorhaben geht: »Idee der ganzen mathematisch-philosophischen Enzyklopädie, das ist, aristotelisch-euklidische Analysis, die das echte Beweisverfahren und die volle Gestalt der richtigen Philosophie mit allen ihren Disziplinen und Fakultäten im Grundriss nachzeichnet.«6 Bei Alsted behandelte der erste Band der Encyclopedia Präliminarien zur Wissenschaftslehre, zum Beispiel Verfahren des Verstandes, Didaktik und einzelne Wissenschaftsdisziplinen. Auch Weigels Analysis aristitelica erörtert die Verfahren des wissenschaftlich arbeitenden Verstandes, nämlich Definition, Beweis und Methode, und skizziert danach wie Alsted und Comenius die Wissenschaftsdisziplinen als Verzweigungen einer einzigen Gesamtwissenschaft. Es handelt sich freilich nur um etwas wie eine Projektbeschreibung mit Abschnitten von sehr unterschiedlichem Umfang. 244 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

Definitionslehre (Abschnitt 1) Beweislehre (Abschnitt 2) Methodenlehre (Abschnitt 3) Allgemeine Methodenlehre (Abschnitt 3.1) Spezielle Methodenlehre (9 Disziplinen, 3.2) Didaktik (Abschnitt 3.2, 2. Teil)

40 Seiten 87 Seiten 121 Seiten 127 Seiten 94 Seiten 24 Seiten.

Nach Weigel ist die oberste Wissenschaftsdisziplin die Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis (Kap.  2), die zweite die Erste Philosophie oder Metaphysik (Kap.  3). Deren Gegenstand, das im Sinn Fonsecas und Timplers verstandene Seiende, ist zugleich der fundamentale Gegenstand aller anderen Wissenschaften, die aus der Ersten Philosophie wie Zweige aus einem Baum herauswachsen. Die obersten Kategorien des Seienden sind Substanz, Modus, Relation, Zahlen und Idee; »Zahlen« verrät eine Affinität der herkömmlichen Metaphysik zur Arithmetik; im neuen System der Wissenschaften erscheint die Arithmetik als ästimatives Pendant zur Metaphysik. Als dritte Disziplin folgt die mathematische Philosophie (Kap.  4), die Weigel hier als Lehre vom Wo-Raum nach der Ordnung des Nebeneinander und vom Wann-Raum nach der Ordnung des Nacheinander beschreibt; auch wird erörtert, in welchem Sinn man beide Räume als Substanzen bezeichnen darf. Als eigentliche Wissenschaft vom Raum fungiert die Geometrie. Damit ist die Lehre von den unveränderlichen Entitäten skizziert, und Weigel kann zum veränderlichen Sein übergehen. Kapitel 5 umreißt die Naturphilosophie mit ihrem Gegenstand, den veränderlichen Substanzen wie Körpern, Menschen und reinen Geistern sowie deren Eigenschaften. Von der Anlage her ist die Physik eine theoretische Disziplin, sie drängt jedoch zur Praxis, denn ihr entwachsen die praktischen Künste zur Erzeugung von Artefakten. Kapitel 6 ist diesen Künsten gewidmet und erinnert thematisch an Comenius’ Stufe des Mundus humani opificii oder Mundus artificialis. Erwähnt werden zunächst die nachahmenden Künste von der Tanz- und Schwertkunst bis hin zu Malerei, Gesangskunst und Architektonik, danach die produktiven Anwendungskünste Feuer­ werks­kunst, Chymie, Botanik und Heilkunst. Kapitel 7 umreißt Weigels Moralphilosophie und Kapitel 8 seine Sprachphilosophie. Die Skizze der notionalen Entitäten in Kapitel 9 enthält mehr DeDie Analysis aristotelica als Compendium einer Enzyklopädie | 245

tailangaben als andere Weigelsche Darstellungen des Notionalen, denn sie erwähnt neben sprachlichen Künsten auch Logik, cartesische Analytik, Wertermittlungskunst, Logistik oder Kunst des Zählens, Geodäsie oder Messkunst, Steganographie oder Geheimschriftkunst. Diese Künste der Kommunikation und Praxis des Menschen versteht Weigel als Folgekünste (pedisequae) von Philosophie und Mathematik. In den Kapiteln 10, 11 und 12 skizziert er die Ordnung der Wissenschaftsdisziplinen sowie die wissenschaftlichen Lehrberufe und ihre Organisation; das entspricht inhaltlich der Scholastica bei Alsted und Comenius. Das Werk schließt mit zwei Kapiteln über die Methode des Lehrens und Lernens (Kapitel 13 und 14). Es wirkt gedrängt und summarisch, doch knüpfen die späteren Projekte einer Mathesis universalis und einer enzyklopädischen Pansophie hier an.

Weigels Versuch einer Gesamtwissenschaft in Gestalt einer Mathesis universalis Die Bemühungen um eine Gesamtwissenschaft in Gestalt einer Mathesis universalis sind in der Idea matheseos universae von 1669 festgehalten. Wegen der Gleichsetzung von Sein und Quantität lag das nahe – wenn Zahlen das Wesen aller Dinge sind, kann man die Wissenschaft von allen Dingen als Zahlenwissenschaft konzipieren. Äußerungen dieser Art finden sich bei Weigel nicht selten. Als ausgearbeitetes Konzept erscheint die Idea Matheseos universalis allerdings erst in der Pansophie-Zeit; deshalb kann man bei Weigel kaum von einer eigenen Mathesis-universalis-Phase sprechen. Der Gedanke an eine solche Mathesis ist ihm früh präsent; bei Gelegenheit spielt er ihn auch in der Pansophie-Zeit noch aus. In der Idea matheseos universae hält er die Struktur der Schulphilosophie für so dauerhaft, dass er sie auf die neue Mathesis als deren ästimative Entsprechung überträgt. Wenn alle Dinge qualitativ erfasst sind, stellt die herkömmliche Philosophie ihre Bemühungen ein; die Mathematik verarbeitet dann die entsprechenden Quantitäten. Von der Sache her sind aber Mathematik und Philosophie genau so wenig voneinander verschieden wie Quantität und Qualität, sie wurden nur unter dem Eindruck falscher Auslegungen klassischer 246 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

Texte voneinander getrennt, und die Folgen sind schwer zu beheben. Dass die neue ästimative Wissenschaft ähnlich aufgebaut ist wie die alte denominative, zeigt schon eine grobe Inhaltsskizze: Nach jeder Einzeldisziplin der alten Philosophie wird die entsprechende Disziplin der neuen Philosophie umrissen. Die erste denominative Disziplin, die Metaphysik, behandelt denominativ die allgemeinsten Prädikate des Seienden; die Regeln dafür bezieht sie von der Logik als Lehre vom richtigen Verbinden und Trennen von Subjekten und Prädikaten. Analog dazu betreibt die Mathesis universalis zuerst eine Disziplin namens Pantometrie oder Arithmetik, die die allgemeinsten ästimativen Prädikate der Dinge erforscht; sie ist die ästimative Schwester der Metaphysik. Weil sie mit der ästimativen Behandlung von Einheit und Vielheit, Eins und Zahlen beginnt, heißt sie Arithmetik; danach behandelt sie ästimativ noch weitere Gegenstände der alten Metaphysik, nämlich Ganzes und Teil, Endliches und Unendliches, Rest und Differenz, Defizit und Überschuss, Gleichheit und Ungleichheit, auch geht sie auf die zugehörigen Rechenoperationen wie Addition und Subtraktion, Multiplikation und Division ein. Ihre allgemeinsten Regeln entnimmt sie der Logistik, einer Schwester der denominativen Logik, die letzten Endes auf die Kunst hinausläuft, bisher Verborgenes nach dem Vorbild von »x =« aufzuspüren. Die Logik behandelt die Lehre von der Apprehension (üblich: von Begriff) und von Urteil und Schluss, den drei Verfahren des denominativen Verstandes. Logistik ist dagegen die Lehre von den Verfahren des ästimativen Verstandes, nämlich erstens vom Ästimieren (Größenbestimmung durch Zählen und Messen) als Gegenstück zur denominativen Apprehension, zweitens von Addition und Subtraktion als Gegenstücken zur denominativen Urteilslehre (Urteilen besteht im Verbinden und Trennen von Subjekt und Prädikat durch »ist« und »ist nicht«, und die ästimativen Operationen Addieren und Subtrahieren bestehen im Verbinden und Trennen von Größen durch »+« und »–«). Schließlich behandelt der dritte Teil der Logistik die Lehre vom Analogismus, dem Gegenstück zur denominativen Syllogistik (in der Syllogistik ermittelt man aus Termen gegebener Prämissen etwas vorher Unbekanntes, nämlich die Konklusion; beim Analogismus ermittelt man aus gegebenen Größen vorher unbekannte Versuch einer Gesamtwissenschaft in Gestalt einer Mathesis universalis | 247

Größen wie x, y oder z).7 Analog zur denominativen Physik, der Lehre von den gemeinsamen Prädikaten der Naturdinge, ermittelt ihr ästimatives Gegenstück, die mathesis secunda, die Quantitäten dieser Prädikate. Bislang ist sie noch nicht ausgereift, denn für viele quantitativ erfassbare Gegenstände gibt es noch keine Messverfahren und keine mathematische Disziplin – der menschliche Verstand ist durch den Sündenfall geschädigt und kann nicht alle Aufgaben auf einmal bewältigen. Inzwischen hat aber die ästimative Schwester der Physik schon einige ihrer Unterdisziplinen weit entwickelt, zum Beispiel die Lehre von den Gegenständen der Geometrie und von der Ausdehnung, 8 in der Phoronomie oder der Lehre von Bewegung und Ruhe, in der Statik die Lehre von der Schwere, in der Mechanik die Lehre von der Bewegungskraft, in der ästimativen Musikwissenschaft die Lehre von den Tönen und in der ästimativen Optik die Lehre von Licht und Schatten. Zu anderen Disziplinen gibt es bisher nur Vorarbeiten. Die Grund­ legung einer ästimativen Disziplin für Wärme und Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit wurde durch die kürzliche Erfindung von Thermoskop und Hygroskop sehr gefördert, aber andere ästimative Disziplinen sind weniger weit gediehen.9 Immerhin werden in der Architektonik Qualitäten wie Härte, Haltbarkeit (tenacitas), Abriebfestigkeit (friabilitas), Rauheit (scabrities), Biegsamkeit (ductilitas) und Starrheit (rigiditas) schon nicht mehr nur denominativ, sondern auch mathematisch behandelt (Wie belastbar ist eine Traverse von bestimmter Länge, Breite und Höhe aus diesem oder jenem Material? Wie abriebfest muss ein Schleifstein für welches Schleifgut sein? Wie starr muss ein Eisenträger sein, der diese oder jene Last tragen soll? Wie rau muss ein Mühlstein für Getreide sein, wie rau eine Feile für Holz oder Metall?).10 Die Stärke einer effektiven Physik liegt in der Beachtung der Quantität gegebener Qualitäten. Wenn sie diese erkennt, besteht Aussicht, dass dann, wenn die quantitative Erforschung der natürlichen Qualitäten oder Vermögen eines Tages abgeschlossen ist, jeder Vertreter einer speziellen Physik in seiner Disziplin sein eigener Mathematiker wird.11 Die Geometrie als Unterdisziplin der Physik besteht aus drei Teilen, nämlich aus der Lehre von den Linien und Winkeln, von den ebenen Figuren (Planimetrie) und von den Körpern und ihren Gestalten (Stereometrie). Vor anderen Disziplinen zeichnet sich 248 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

die Geometrie durch ihre Fähigkeit aus, das Verhältnis beliebiger Größen durch Linien, Flächen und dreidimensionale Figuren klar und fassbar darzustellen;12 heute nennt man solche Darstellungen geometrische Diagramme. Weil Weigel nicht nach dem Vorbild der Cartesianer die Geometrie, sondern die Arithmetik zur mathematischen Grundwissenschaft ernennt, erhält die Geometrie zwar nur den Status einer Unterdisziplin der Physik; das hängt vielleicht mit Weigels schwierigem Verhältnis zu Descartes zusammen. Der Herausgeber der Neuausgabe weist darauf hin, dass Weigel immerhin der Geometrie insofern eine Vorrangstellung einräumt, als sie die Prinzipien der allgemeinen Mathesis in repräsentativer Weise veranschaulicht und als Wissenschaft vom Raum die Unterbringung von Zahlen, Gattungen und Arten,13 also auch von moralischen, notionalen und sonstigen Entitäten, in gedachten Räumen ermöglicht. Auch weist ihr Weigel durch seine Theorie der realen Formen als geometrisch erfassbarer Grundentitäten in der Körperlehre eine besondere Rolle zu. Schließlich beruht das Vorhandensein der Produkte Gottes letztlich darauf, dass ihr Erzeuger ihnen Grenzen zuweist, denn »endlich sein« bedeutet »Grenzen haben«, und die Geometrie ist eine Wissenschaft von den Grenzen. Also bleibt sie in Weigels System zumindest eine der wichtigsten ästimativen Wissenschaften von endlichen Dingen. Auf die Behandlung von Pantometrie und Geometrie folgt die von Phoronomie, Mechanik, Statik, Optik, Akustik und Astronomie, ferner von Chronologie, der Wissenschaft von den Einteilungen der Zeit, Gnomonik als Kunst der Quadranten und Sonnenuhren; von Geographie, Aerometrie, Hydrometrie und Pyrologie und schließlich die Behandlung der Architektonik als Kunst der Nutzung irdischer Körper bei Bauten. Die praktische Philosophie ist nach Metaphysik, Logik und Physik die dritte Kerndisziplin der denominativ verfahrenden Wissenschaft. Weil Gott die Welt und ihre Phänomene nach Maß, Gewicht und Zahl erschaffen und alle Sachbereiche analog kon­stru­iert hat, müssen auch die Entitäten der praktischen Philosophie ästimativ erfassbar sein. Weigels moralische Werte sind ästimative Pendants zu den Entitäten der denominativen Moralphilosophie. Zu ihrer Behandlung gibt es bislang noch keine mathematische Wissenschaft, doch hat man wenigstens einige von ihnen bereits der MaVersuch einer Gesamtwissenschaft in Gestalt einer Mathesis universalis | 249

thematik (genauer: den Rechenfibeln) zugewiesen. Weil die Einschätzung bürgerlicher Verdienste und öffentlicher Belohnungen oder Strafen mehr als die Ästimation natürlicher Eigenschaften auf menschlicher Festsetzung beruht, werden solche Phänomene bislang in der Regel denominativ behandelt (hohe Strafe, niedrige Strafe, fühlbare Geldbuße). Dass sich moralische Werte aber überhaupt ästimativ behandeln lassen, zeigt das Beispiel der aristotelischen Tausch- und Verteilungsgerechtigkeit (justitia commutativa, distributiva), bei deren Realisierung man auf Proportionalrechnung angewiesen ist.14 Auch bei Straftaten, die sozusagen Negativhandlungen sind, könnte man nach Weigel das Strafmaß ästimativ ermitteln, indem man den Wert der vom Gemeinwesen vorgeschriebenen Handlungen negativ setzt und als Defizit vom Delinquenten bezahlen oder verbüßen lässt.15 Juristen werden solche Annahmen nicht ganz überzeugend finden; auch sie müssen gelegentlich rechnen, halten das aber nicht für den wichtigsten Teil ihrer Tätigkeit; das bringen sie in dem Leitspruch »Judex non calculat« zum Ausdruck. Auch den Bereich des notionalen Wissens nimmt Weigel in seinen Katalog ästimativer Wissensgebiete auf. Man verfährt dort zwar schon lange ansatzweise ästimativ, doch werden Begriffe, Wörter, Buchstaben und Silben bislang nur in den zuständigen denominativen Disziplinen und nicht im Rahmen der Mathesis behandelt (Umfang von Begriffen und Wörtern, lange und kurze Silben, lange und kurze Vokale, Wechsel der Tonhöhe beim Sprechen, Versmaße). Immerhin hält man sich auch beim Umgang mit diesen notionalen Werten an die Grundregeln der Mathesis.16 Weigel beklagt es sehr, dass sich die Meinung verbreitet hat, die Philosophie, die im Augenblick die Mathematik als Unterdisziplin beherbergt, sei im Vergleich zu den übrigen Fakultäten von bloß theoretischem Interesse und bringe dem bürgerlichen Leben keinen Gewinn, denn beschauliche Theorie passe eher zu einem zurückgezogenen Leben als zum Leben in der bürgerlichen Gesellschaft. Aber wenn man an die Praxis der Mathesis als ganzer und an das Gute denkt, das ihr das bürgerliche Leben verdankt, dann muss man zugeben, dass sie, die ohne weiteres eine eigene Fakultät bilden könnte, fundamentale Bedürfnisse des menschlichen Lebens befriedigt.17 Eine Fakultät ist nichts anderes als ein 250 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

Vermögen (facultas), menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Zu diesen gehört erstens das Wohl der Menschen, und zwar das ewige, für das die Theologie zuständig ist, aber auch das zeitliche, für das die Jurisprudenz in Hinsicht auf bürgerlichen Frieden und Anstand und die Medizin in Hinsicht auf die Gesundheit zu sorgen hat. Das wissen alle, aber kaum jemand macht sich klar, wie viele fundamentale Bedürfnisse des Menschen durch die Philosophie befriedigt werden. Sie kümmert sich mit Hilfe der Mathematik um das Grundbedürfnis nach einem erträglichen und sicheren Leben, denn sie erleichtert durch Arithmetik die Arbeit von Handel und Wandel, Künsten und Handwerken, die für ein menschenwürdiges Leben unentbehrlich sind, und liefert zugleich die mechanischen und statischen Grundlagen für mehrere Zünfte. Auch bereichert sie das Leben durch immer neue Erfindungen. Städte und andere Voraussetzungen für ein bürgerliches Leben ermöglicht sie durch ihre Architektonik, und der Gewalt der Feinde tritt sie mit ihrer Verteidigungs- und Befestigungskunst entgegen. Die bürgerliche Zeit bestimmt sie mit Hilfe der Astronomie, Reiche beschreibt sie in der Geographie, und Grenzen ermittelt sie durch Geometrie und Stereometrie. Für ehrbare Erfreuung und geistige Entspannung sorgt sie durch Optik und Akustik, auf denen Malerei und Musik beruhen, auch bereichert sie das menschliche Leben durch viele weitere Wissenschaften; jede ehrbare Kurzweil verdankt ihren Ursprung letztlich der Mathematik.18 Dieser Passus ist vermutlich auch als Wink an die Philosophischen Fakultäten gedacht, und zwar als Hinweis darauf, dass man in Wirklichkeit dafür dankbar sein muss, die Mathesis beherbergen zu dürfen, weil keine andere Disziplin in vergleichbarem Umfang dafür sorgt, dass der gesellschaftliche Nutzen der Philosophie gewürdigt wird.

Weigels Versuch einer pansophischen Enzyklopädie Comenius versteht die Pansophia als Universalwissenschaft. Alle Menschen haben von Natur aus gemeinsame Begriffe und Wünsche, auch haben sie eine natürliche Ausstattung, die es ihnen ermöglicht, diese Wünsche richtig wahrzunehmen und im Rahmen des Zulässigen zu erfüllen. Sie können klar erkennen, was für sie Weigels Versuch einer pansophischen Enzyklopädie | 251

gut und schlimm ist, und mit Hilfe irrtumssicherer Verfahren das Gute verwirklichen und dem Schlimmen entfliehen. Bedingung dafür, dass sie das einsehen, ist ihre Unterweisung in der Pansophie, die ihnen Aufschluss über Bestimmung und Möglichkeiten des Menschen vermittelt. Das comenische Corpus pansophicum, teilt dessen Titelblatt mit, ist allen Völkern der Welt gewidmet und soll dem ganzen menschlichen Geschlecht zu vollkommenem Vernunftgebrauch und vollkommener Kommunikation verhelfen; auch soll es irgendwann den allgemeinen Konsens aller Menschen verwirklichen und so mit Gottes Hilfe die Zwietracht unter den Völkern beenden.19 Auch Weigel hofft, dass die Pansophie eines Tages so vollkommen wird, dass für alle Menschen das Wahre und Rechte auf der Hand liegt, denn dadurch werden Kriege ihren Sinn verlieren. Heutige Leser haben noch mehr Erfahrung mit ideologischen Kriegen als Weigel, der immerhin die Einschränkung machte, man müsse auf das Ende aller Zwistigkeiten so lange warten, bis Mathematik und strenges Denken wieder überall heimisch werden. Comenius hegt ähnliche Hoffnungen, aber sie sind nur die eine Seite der Medaille, denn auf der anderen Seite steht die Hoffnung, dass die Pansophie auch für das ewige Heil belangreich ist – sie ist die letzte Etappe auf dem Weg zu ihm und führt den Menschen nahe an seine Erlösung heran; hier setzen die predigtähnlichen Texte der Consultatio catholica an. Gott hat bei der Schöpfung die Welt aus sich entlassen, und ihre Geschichte wird mit der Heimkehr zum Ursprung enden, bei der der Mensch als Mikrokosmos eine Schlüsselrolle zu spielen hat. Diesen Weg von Ausfahrt und Heimkehr beschreibt Comenius mit sprachlichen Mitteln neuplatonischer Traditionen von der Antike bis zu Jacob Böhme. Alle Regionen der Schöpfung sind analog strukturiert, und die Erfassung der gemeinsamen Struktur vermittelt uns fundamentale Erkenntnisse über den Schöpfer und führt uns an den Rand des Heils. Weigels Pansophie unterscheidet sich deutlich von der comenischen. Weil sie unspekulativer ist, erinnert sie eher an den Geist der devotio moderna als an den Geist spekulativer Mystiken. Das ewige Heil ist der Kirche anvertraut und nicht der Pansophie. Aber diese zeigt den Weg zum zeitlichen Heil. Zunächst ist sie eine Darstellung aller Wissenschaften, und Wissenschaften wer252 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

den nicht gepredigt, sondern gelehrt. Schon der Umstand, dass für Weigel Pansophie keine Propädeutik zum ewigen, sondern nur zum zeitlichen Heil ist, grenzt sie von der Comenischen ab. Gewiss gibt es Bedingungen ihrer Möglichkeit, über die man reden muss, zum Beispiel das Spiel mit der göttlichen Weisheit und die praktischen Folgen der Gottesgewissheit, aber Bedingungen sind nicht die Sache selbst. Gott hat unsere Vernunft als Ebenbild seiner eigenen Vernunft erschaffen, und beim Erkennen der Welt, die unser Ort im Leben ist, unterstützt er uns freundlich. Soweit ich sehe, ist dieser Aspekt der alttestamentlichen Weisheitslehre der spirituelle Anker von Weigels Pansophie. Seine Meinungen über comenische Spiritualität sind aus den mir bekannten gedruckten Werken nicht zu ermitteln; in den Briefen kann man vielleicht mehr erfahren. Er selbst macht bei seinem Projekt von neuplatonischen Spekulationen keinen Gebrauch, es scheint jedoch, dass sie ihm nicht ganz ferne lagen. Dafür spricht die Verve, mit der er den Philosophen Marcus Marci preist, auch muss es kein Zufall sein, dass der mystische Dichter Quirinus Kuhlmann zu seinen Hörern gehörte.20 1673 erschien bei Bauhofer in Jena die Programmschrift Universi corporis pansophici caput summum (Schüling Nr.  51).21 Sie hat nur achtzehn Druckseiten, aber schon das dicht bedruckte Titelblatt bezieht Position: Erstes Kapitel (oder: Oberstes Haupt) des Corpus pansophicum, abstrahiert aus dem denominativ und ästimativ erkennbaren Bereich des Natürlichen, Moralischen und Notionalen; dreieinig-kombinatorisches Beispiel einer Ars magna sciendi, die das nicht nur in der Einbildung, sondern auch in Wirklichkeit ist: ein Band zur Wahrung des Friedens unter den Gelehrten durch beständiges Wachstum der Wissenschaften, eine feste Verbindung der bewährten und vom Unfug der Schulen gereinigten Fäden antiker Philosophie durch euklidische Verknüpfung; Ariadne-Faden der Wahrheit, der selbst Descartes Einhalt gebietet, sofern er von der Wahrheit abweicht.22 Der vierseitige Text Ad lectorem nennt wichtige Ziele von Weigels pansophischen Bemühungen: Einheit der Wissenschaft, Anerkennung der Theoriefähigkeit des Notionalen und Moralischen, Aufnahme der Artefakte unter die Gegenstände der Physik und Akzeptierung der Einheit von Philosophie und Mathematik. Weigels Versuch einer pansophischen Enzyklopädie | 253

Ein Philosoph, sagt der Text, muss sich darum bemühen, alle Glieder des Corpus pansophicum zusammenzuhalten 23 und zu dessen Gedeihen beizutragen. Das Miteinander aller Glieder, dessen Überwachung die Aufgabe des Hauptes ist, muss er sorgfältig rekonstruieren, damit sich der durch die motorischen Nerven vermittelte Einfluss der Lebensgeister vom Haupte aus auf alle Glieder des pansophischen Körpers verteilen kann;24 zu einem pansophischen Haupt gehört ja ein pansophischer Körper. Weigel spielt dessen Strukturanalogie zum menschlichen Körper an dieser Stelle nur zurückhaltend aus, aber später geht er entschlossen ins Einzelne, und das empfinden heutige Leser wohl eher als geschmacklos. Wie ernst solche Vergleiche gemeint waren, ist schwer zu entscheiden; sie entsprechen jedenfalls der Lehre von der Strukturgleichheit aller Bereiche des Seienden und aller mit ihnen befassten Wissenschaften, die Alsted und Comenius als Harmonie bezeichneten. Die Pansophie, heißt es im Vorwort zur Physica pansophica, gleicht insgesamt einem menschlichen Körper. In diesem spielt die Theorie des Unbeweglichen die Rolle des Hauptes. Als rechtes Auge dient die Arithmetik, als linkes die Logistik. Das rechte Ohr entspricht der Metaphysik beziehungsweise der Pantometrie, das linke der Logik. Unterhalb des Hauptes gibt es eine Engstelle, an der Adern und Nervenbahnen eng zusammenrücken; beim menschlichen Körper nennt man sie Hals, und dem Hals entspricht die Geometrie, die zwischen dem unbeweglichen Abstrakten und der natürlichen Welt vermittelt. In der Pansophie steht die Theorie des Unbeweglichen (Unveränderlichen) über der des Beweglichen, also über der Lehre von der Körperwelt, der moralischen Welt und der Welt des Notionalen, die nach Weigel dem Bauch mit Oberbauch, Mittelbauch und Unterbauch des pansophischen Körpers entsprechen. Dem Oberbauch gleicht die allgemeine Physik, dem Mittelbauch die Lehre von den Körpern überhaupt und dem Unterbauch die Lehre von den vergänglichen Körpern. Zu diesen gehört der Körper des Menschen, der eine immaterielle Seele hat; sie steht in der Mitte zwischen Körpern und Geistern. Von der Theorie des Menschen aus gelangt man durch strenge Beweise zu den Geistern und schließlich zum ersten Beweger.25 Weigel widmet das Caput summum der Philosophischen Fakultät zu Jena; 26 es ist kaum anzunehmen, dass alle Adressaten sich darüber freuten. 254 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

Das Haupt der Pansophie, fährt Weigel in seinem Brief an den Leser des Caput summum fort, muss nicht nur alle Glieder des pansophischen Körpers durch Abstraktion gemeinsamer Terme und Lehrsätze zusammenhalten, sondern außer der natürlichen Welt auch die moralischen und notionalen Entitäten berücksichtigen, die die Scholastik von ihr abtrennen wollte. Um den pansophischen Körper fertigzustellen, muss man in allen Wissenschaften den denominativen Bestimmungen die entsprechenden ästimativen zur Seite stellen. Das gelingt aber nur, wenn endlich an Schulen, Akademien und Universitäten die Wichtigkeit der Mathematik wieder anerkannt wird. Dann werden einige junge Personen Feuer fangen, und das kommt dem Ausbau der Mathematik zugute. So wird die lebensgefährliche Wunde allmählich verheilen, die die Scholastiker der Philosophie dadurch zugefügt haben, 27 dass sie ihr die wichtigsten Teile entrissen. Wenn einst der pansophische Körper voll wiederhergestellt ist, gewinnt er seine alte Kraft zurück.28 Die Scholastiker vergleicht Weigel mit Anatomen. Im menschlichen Körper fungiert das Blut als Vehikel der Seele, 29 aber die Anatomen lassen es bei der Sektion aus den Leichen herausrinnen, damit sie einzelne Glieder leichter präsentieren können. Scholastiker arbeiten nicht anders: Sie entfernen aus ihren Traktaten die Quantität, weil nach ihrer Meinung die Darstellung der Einzelthemen dadurch erleichtert wird. Aber gerade deshalb gelingt ihnen allenfalls der denominative Teil der Metaphysik, der allgemeinen Physik und der Ethik. Die Quantität verschließen sie fest in einem Gefäß, das sie als Mathesis bezeichnen, 30 aber ein pansophischer Körper, aus dem man das Blut, die Quantität, ausrinnen lässt, ist ein toter Körper. Wenn es der Pansophie eines Tages gelingt, die Anerkennung der Strukturgleichheit aller Wissenschaften, die quantitative Behandlung notionaler und moralischer Entitäten und die Wiedereingliederung der Mathematik in die erneuerte Philosophie durchzusetzen, wird man sie mit Recht als Ars magna sciendi bezeichnen, während man die Lullische Kunst zu Unrecht so nennt. Inzwischen aber muss man zugeben, dass sie schon jetzt mit Lulls’ wirrem Traum einer Ars magna nicht zu vergleichen ist.31 Die noch unvollendete Pansophie wird die Mathematik der natürlichen, notionalen und moralischen Welt ergründen und versuchen, auf diesem Weg vollkomWeigels Versuch einer pansophischen Enzyklopädie | 255

mene Erkenntnis zu erlangen. Das bedeutet jedoch: Vollkommene Erkenntnis wird es nicht geben, bevor die Wissenschaft konsequent zu quantitativen Verfahren übergeht. Die Skizzen im Caput summum erfassen nur einen Teil der neuen Philosophie, den Weigel in vier Traktate einteilt: Pantognosia, Pantologia, Pantometria und Logistica. Die Pantognosia soll laut Caput summum in der ersten und zweiten Sektion die denominative und ästimative Erkenntnis und in der dritten Sektion die Hauptoperationen des Geistes behandeln. Sie erschien allerdings schon vor dem Caput summum, in dem sie noch mit folgendem Themenbereich angeführt wird: Stufen der menschlichen Erkenntnis und dreifache Tätigkeit des Geistes. Der zweite Traktat, die Pantologia, beschreibt die einfachen und komplexen Gegenstände der natürlichen, moralischen und notionalen Welt sowie die Gattungen und Arten natürlicher und künstlicher Objekte; sie soll denominativ die »praedicata communissima […] signate tantum et acusmatice« entwickeln.32 Der dritte Traktat, die Pantometria, soll allgemeinste Lehrsätze über alles quantitativ Erfassbare mitsamt den zugehörigen Beweisen enthalten, der vierte die Logistik oder pansophische Logik, das Gegenstück zur denominativen Logik. Im Caput summum berücksichtigt Weigel die pansophische Physik noch nicht, doch darf man annehmen, dass deren Grund­linien im Physicae pansophicae specimen primum von 1673 skizziert sind. Dieser Text, den Weigel nach der geometrischen Methode kon­stru­ iert hat, war nach Meinung Molls nicht als Teil des Corpus pansophicum gedacht, sondern als Beispiel für die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten der Pansophie.33 Weigels pansophischer Körper ist ein Torso geblieben, aber einzelne Positionen kommen in vielen seiner späteren Texte zur Geltung. Aus dem dort vertretenen Leitgedanken der Einheit aller Wissenschaften folgt, dass alle mit Einzelwissenschaften befassten Personen in Wirklichkeit an einer gemeinsamen Sache arbeiten und deshalb Eintracht wahren und unnötige Konflikte vermeiden müssen, denn zivilisierte Gemeinwesen sind drauf angewiesen, dass Wissen erzeugt wird und nicht stattdessen Streit. Man muss die Pansophie so organisieren, dass möglichst viele Personen sie lernen und sich an dem uns aufgetragenen gemeinsamen Werk beteiligen können; diesem Ziel dienen letztlich auch Weigels pädago256 | Weigels Enzyklopädie-Projekte

gische und didaktische Bemühungen. Dass es ihm nicht vergönnt war, seinen pansophischen Körper fertigzustellen, ist vermutlich sub specie aeterni kein unverschmerzbarer Verlust. In einer Zeit mit so rapidem Wissenszuwachs wie dem siebzehnten Jahrhundert wäre er schon nach wenigen Jahren veraltet gewesen und bald nicht anders als Weigels übrige Publikationen aus dem kulturellen Gedächtnis Deutschlands in die Vergessenheit abgesunken. Es spricht jedoch einiges dafür, dass unabhängig davon und unabhängig von den Einzelheiten dieser frühe Versuch einer zählenden, messenden und rechnenden Gesamtwissenschaft, die auch das, was man heute Geisteswissenschaften nennt, quantitativ zu erfassen versucht, zu den eindrucksvolleren Visionen unseres 17. Jahrhunderts gehört und der Erinnerung wert ist.

Weigels Versuch einer pansophischen Enzyklopädie | 257

ANMERKUNG EN 1. Einleitung 1  Schüling, Hermann, Erhard Weigel (1625–1699). Materialien zur Erforschung seines Wirkens. 2  Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, § 25; II 948–957. 3  Die Werkausgabe ist ein Teil der Sammlung Clavis Philosophiae. Eine Bibliothek der Universalwissenschaften in Renaissance und Barock, herausgegeben von Charles Lohr und Wilhelm Schmidt-Biggemann. 4  http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/ (19. 01. 2023) 5  http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/desiderate/ausblick/ (19. 01. 2023) 6  http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/desiderate/ausblick/ (19. 01. 2023) 7  Dazu Christa Schaper, Neue archivalische Forschungen zur Lebensgeschichte von Professor Erhard Weigel (1625–1699); 104 (Hinweis von Thomas Behme). 8  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit; 12. 9  Robert Knott, Art. Weigel, Erhard in: Allgemeine Deutsche Biographie Bd.  41; 406–409. 10  Döring, Erhard Weigels Zeit an der Universität Leipzig: 82. Die Zitate stammen aus Weigels »Himmels-Zeiger«, Jena 1681; 48, und »Fortsetzung des Himmels-Zeiger«, Jena 1681. 11  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit; 14. 12  Döring, Erhard Weigels Zeit an der Universität Leipzig; 74  f. Wolffs Mitteilung findet sich in einem Brief an den Grafen Manteuffel vom 4. Oktober 1748, der heute im Besitz der Universität Leipzig ist und in Wuttkes »Christian Wolffs eigene Lebensbeschreibung« abgedruckt wurde. 13  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit; 14. 14  De existentia; Neuausgabe B6; 4–21. – De duratione; Neuausgabe B6; 25–46. 15  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit; 14–16. 16  Fricke, Die Mathematik an Academie und Universität Jena 1548–1930, erwähnt nach Kratochwil, Die Berufung Erhard Weigels, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 92  f. 17  Kratochwil, Die Berufung Erhard Weigels, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 95. 18  Ebd. 96.

259

19  Ebd.

97. Ebd. 97  f. 21  Wilhelm IV.: »Als ist vor uns und Hochgedachtes unsers geliebten Herrn Bruders, Herzogs Ernsts zu Sachsens Begier und unser gnediges begehren, Ihr wollet Crafft dieses obgenannten M. Weicheln gebürlich vociren, und do er solche vocation mit unterthenigen danck annehmen wirdt, dem Herkommen gemees installiren, befähigen, zu schuldigen unverdroßenen fleis ermahnen, und wie Ihr dieses zu werck gestellet in schriften unterthenige relation einschicken, Den dann geschieht unsere meinung, und wir sind Euch mit gnaden gewogen« (zitiert nach Kratochwil, Die Berufung Erhard Weigels; 100). – Friedrich Wilhelm: »Alß begehren Wir hirmit gnädig, Ihr wollet denselben nunmehr darzu vociren, ihn in gewöhnliche pflicht nehmen, undt dem Hehrkommen gemeß gebührlich installiren, auch zu schuldigen treuen fleiß erinnern, undt anmahnen. Daran geschieht unsere meinung, undt wir seindt Euch mit gnaden wohl gewogen« (zitiert nach Kratochwil, Die Berufung Erhard Weigels; 101). 22  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit; 18. 23  Es handelt sich um: Theodixis pythagorica, h. e. demonstratio mathematica dari Deum, Jena 1675. Dort generiert Weigel aus einer Einheit eine Dreiheit, indem er zunächst die erste Einheit mit sich selbst multipliziert. Die dadurch entstandene zweite Einheit ist nicht weniger eine Einheit als die erste, aber nicht dieselbe, denn man kann beide unterscheiden. Wenn man schließlich noch die zweite Einheit mit der ersten multipliziert, hat man drei Einheiten, die einander gleich und gleichermaßen aus der ersten generiert, aber dennoch voneinander verschieden sind. Weigel schreibt dazu (s. p. / PDF 7 | B6, 368), diese Dreiheit in der Einheit bilde das Mysterium der Trinität in Gott besonders gut ab, und er wolle an ihrem Beispiel über das geoffenbarte Mysterium nachdenken, um es mit Hilfe der Analogie zwischen der rechnerisch erzeugten und der göttlichen Dreiheit sozusagen in Spiegel und Gleichnis zu verstehen. Im Gegensatz zur Behauptung der Theologischen Fakultät sagt er hier nur, dass die genannte Rechenoperation das geoffenbarte Mysterium in Spiegel und Gleichnis so gut abbilde, wie es ihm möglich ist (also schlecht und recht); auch stellt er seinen Hörern nicht etwa einen Beweis, sondern nur eine Erkenntnis in Spiegel und Gleichnis in Aussicht. 24  Moll, Der junge Leibniz I; 72. 25  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 23. 26  Ebd. 28  f. 27  Leibniz, AA III, 5, Christiaan Huyghens an Leibniz, 4. September 1691 (165–169); 167: »Vorgestern besuchte mich hier Herr Weigelius, Professor in Jena, der mich mit seinen großen Absichten zur Förderung der Wissenschaften unterhielt und mit seinen, wie er glaubt, gewissen Beweisen der Existenz Gottes und der Vorsehung äußerst zufrieden schien. Ich werde ihn in Den 20 

260 | Anmerkungen

Haag besuchen; er hat dort, wie er sagt, ein Kissen voller Spiralfedern und andere Sehenswürdigkeiten, die er mir zeigen will. Er sagt, dass er die Ehre hat, Sie seit der Zeit zu kennen, in der Sie unter ihm Mathematik studierten. Viel lieber hätte ich seinen Schüler hier gesehen […].« 28  Hamel, Erhard Weigel und die Kalenderreform, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 135–137. 29  Auch Weigels Förderer Jacob Ellrod listete Fehler des Gregorianischen Kalenders auf; s. dazu in Gaabs Arbeit: Jacob Ellrod (1601–1671) in: Erhard Weigel und die Theologie, den Abschnitt: Ellrods Auflistung der Fehler des gregorianischen Kalenders; 151  f. – Zu Ellrods Beziehung zu Weigel ebd.: Jacob Ellrod und Erhard Weigel; 144–146, und: Erhard Weigels Stellung zu Ellrods Vorschlägen; 154  f. 30  S. dazu Gaab, Jacob Ellrod (1601–1671) in: Erhard Weigel und die Theologie, den Abschnitt: Der Mittelkalender von 1659; 148  f. 31  Hamel, Erhard Weigel und die Kalenderreform, in: Erhard Weigel, ba­ rocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 140. 32  Ebd. 140–142. 33  Ebd. 144. 34  Ebd. 144  f.

2. Weigels Pädagogik 1 

S. o. S.  14, Anm.  28. Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 19: »Beim genaueren Betrachten seines mathematischen und astronomischen Schaffens gelangt man nämlich schnell zu der Einsicht, dass letztgenanntes [Weigels mathematisches Können] in keinem Verhältnis zu seinem Ruf bei seinen Zuhörern stand. So muss man bei Weigels Wirkung genau unterscheiden zwischen der großen Ausstrahlung seiner Persönlichkeit zum Wohle von Mathematik und Astronomie und der positiven Auswirkung dieses Umstandes auf das Ansehen der Jenaer Universität und seinem (geringen) Beitrag zur Entwicklung dieser Wissenschaften.« 3  Kollegs fanden oft im Haus des Dozenten statt. 4  Dorschner, Erhard Weigel in seiner Zeit, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 18. 5  Döring, Weigels Zeit an der Universität Leipzig, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 84  f. 6  Hestermeyer, Paedagia mathematica; 34  f. 7  Analysis aristotelica, s.  3, memb.  2 , c.  1 4, § 3; 288; B3, 297. 8  Wegweiser zu der Unterweisungskunst 8  f. / SWPS 133ab. 9  Wegweiser zu der Unterweisungskunst 6 / SWPS 132a. – Von der Wissenschaft der Kunst- und Handwercke; 110 | SWPS 30b–31a. 2 

Anmerkungen | 261

10  Dieses Motiv spielt schon bei Descartes eine Rolle; s. Principes de la philosophie, Lettre de l’Autheur; AT IX/2; 18): »Die Wahrheiten, die sie [die Principes de la philosophie] enthalten, sind sehr klar und sehr gewiss. Sie schließen deshalb alle strittigen Themen aus und stimmen die Gemüter zu Freundlichkeit und Eintracht, ganz anders als scholastische Kontroversen, die diejenigen, die sie lernen, unmerklich pedantischer und rechthaberischer machen und daher vielleicht die erste Ursache der Zwistigkeiten und Häresien sind, die im Augenblick die Welt verheeren.« – S. ferner Descartes, Gespräch mit Burman, 16. 4. 1648; AT V, 176: »[…] die Mönche haben durch ihre scholastische Philosophie, die vor allem zu beseitigen wäre, den Anlass zu allen Parteiungen und Häresien gegeben.« 11  Von der Wissenschaft der Kunst- und Handwercke; 110 / SWPS 31a. 12  Idea matheseos universae c.  6, § 8; 30  f. | B7, 84. 13  Rechenschafftliche Forschung § 33; 25 (im Druck irrtümlich: 35) / SWPS 112b–113a. 14  Rechenschafftliche Forschung § 34; 36  f. / SWPS 113ab. 15  Von der Wissenschafft der Kunst- und Handwercke 106  f. / SWPS 29ab 16  Weigel spielt an der betreffenden Stelle in SWPS 111b  f. auf den Taubstummenunterricht in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Franciscus Mercurius van Helmont, Sohn des berühmten Arztes Jean-Baptiste van Helmont, verfasste das illustrierte Werk »Een zeer korte afbeelding van het ware natuurlijke Hebreuwse A. B. C.«, das die Artikulation von Vokalen und Konsonanten beschrieb und in Illustrationen vergegenwärtigte; es wurde neben den bekannteren Arbeiten von Conrad Ammann aus Schaffhausen, der in Amsterdam als Mediziner praktizierte, auch in Deutschland bei der Spracherziehung und beim Taubstummenunterricht berücksichtigt, während man in England nach den Anweisungen des Theologen, Mathematikers und Kryptographen John Wallis verfuhr. S. Conrad Ammann, De loquela (1700), und John Wallis: Tractatus Grammatico-Physicus de loquela sive de sonorum Formatione (1653). Mercurius van Helmont besuchte in Amsterdam Ammanns Unterricht, um sich über dessen Methode zu informieren; dieser erwähnt ihn achtungsvoll im Vorwort zu seiner Dissertatio de loquela, Lectori; s.  p. | PDF 12  f. 17  Rechenschafftliche Forschung § 31; 23  f. / SWPS 111b  f. 18  Wegweiser zu der Unterweisungskunst; 6 / SWPS 132 a. 19  Von der Wissenschafft der Kunst- und Handwercke, Anhang; SWPS 31ab. 20  AT, Buch der Sprüche 11, 21 »Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.« – Dem entspricht der hexametrische Merkvers: »Pondere, mensura, numero Deus omnia fecit«, den Weigel in Idea matheseos universae c.  6, § 4; 29 | B7, 83, zitiert. 21  Hestermeyer, Paedagogia mathematica; 36. 22  Schlee, Erhard Weigel und sein süddeutscher Schülerkreis; 142. Nähere Angaben ebd. 114–117.

262 | Anmerkungen

23  Leonhard, Pädagogische Perspektiven zwischen Barock und Aufklärung, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 65  f. 24  Denzinger, Enchiridion Symbolorum Can. 1806, 1; 498  f.: »Si quis dixerit, Deum unum et verum, creatorem et Dominum nostrum, per ea, quae facta sunt, naturali rationis humanae lumine certo cognosci non posse: anathema sit.« 25  Eine Neuausgabe, herausgegeben von Günter Gawlick, erschien 1985 bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. 26  Tugendspiegel, Der Grund, obs.  4 , coroll.  4 , Der vierdte Bey-Schluß; 30  f. / PDF 263  f. | B5.1, 161  f. 27  Zum Beispiel Johann Amos Comenius: Schola ludus seu Encyclopaedia viva, Frankenthal (Redinger) 1659. Das Werk wurde mehrmals ins Deutsche übersetzt, zum Beispiel: Die Schule als Spiel, übertragen von Wilhelm Bötticher, Langensalza (Beyer) 21907. 28  Philosophia mathematica, specimina IV: Ludus vere ludus; 3 / PDF 229 | B4.1, 142  f. 29  Tugendspiegel, Der Grund, Propositio, Cor.  4 , Auslegung; 30 / PDF 263 | B5.1, 161  f. 30  Ars semper gaudendi demonstrata ex sola consideratione divinae providentiae et per eventuales conciones exposita ab Alfonso Antonio de Sarasa Societatis Jesu, Antverpiae, apud Iacobum Meursium, anno 1617. Dazu Corrado Rosso, Un Précurseur de la Théodicée: Alphonse Antoine de Sarasa, in: Studia Leibnitiana 3, 1971, sowie den an Rezeptionshinweisen reichen Beitrag von Günter Gawlick: Theodizee für den Alltag, Bemerkungen zur Rezeption von A. A. Sarasas Ars semper gaudendi in der deutschen Aufklärung. 31  In der Philosophia mathematica: Excerpta; 89–128 – PDF 315–354 | B4.1, 201–226. – Mit diesen Exzerpten stehen die Testimonia scripturae sacrae und die Testimonia operationis divinae; 66–89 / PDF 297. 315 | B4.1, 184–199, in engem Zusammenhang. – S. dazu Behmes Anmerkungen in Philosophia mathematica: B4,1, LXV, Anm.  221  f. – Entsprechend im Wienerischen Tugendspiegel: Excerpta; B5.1, 165–211. – Testimonia scripturae sacrae und Testimonia operationis divinae; B5.1, 224–275. – Dazu Behmes Anmerkungen B5,1, 201–226. 32  Der allerleichteste Vorschlag; 3 / SWPS 93a. 33  Kurtzer Entwurff, Satz 1, § 2; s.  p. / SWPS 65ab. 34  Kurtzer Entwurff, Satz 2, §§ 1  f.; s.  p. / SWPS 67ab. 35  Der allerleichteste Vorschlag; 4 / SWPS 93b  f. 36  Kurtzer Entwurff, Satz 1, § 1; s.  p. / SWPS 65a. 37  Kurtzer Entwurff, Satz 2, § 7; s.  p. / SWPS 69ab. 38  Rechenschafftliche Forschung § 4; 2 / SWPS 101a. 39  Unmaßgeblicher Entwurff § 8; 3  f. / SWPS 74b  f. 40  Philosophia mathematica, specimina III: Ars flectendi voluntatem hominis; 3 / PDF 229 | B4, 1; 142.

Anmerkungen | 263

41 

Unmaßgeblicher Entwurff § 5; 2  f. / SWPS 74ab. Rechenschafftliche Forschung § 18; 11  f. / SWPS 105b  f. 43  Unmaßgeblicher Entwurff § 2; 1  f. / SWPS 73b  f. 44  Rechenschafftliche Forschung § 27; 20 / SWPS 110a. 45  Rechenschafftliche Forschung § 26; 19 / SWPS 109b. 46  Rechenschafftliche Forschung § 28; 20  ff. / SWPS 110 a. 47  Hestermeyer, Paedagogia mathematica; 43. 48  S. die allgemeine Charakterisierung durch einen Augenzeugen (»Auf eingenommenen Augenschein«) im Wienerischen Tugendspiegel: Johannes Meyer, Von dem Muster einer auf die Aretologistic gegründeten Tugend-Schul zu Jena; 99–112 / PDF 332–345 | B5.1, 213–223. 49  Hestermeyer, Paedagogia mathematica; 42. 50  Wegweiser zu der Unterweisungskunst; 18  f. / SWPS 138ab. 51  Hestermeyer, Paedagogia mathematica; 40. 52  Ebd. 41. 53  Leonhard, Pädagogische Perspektiven zwischen Barock und Aufklärung, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 54. 54  Zu Einzelheiten s. Hestermeyer, Paedagia mathematica; 42  f., und Leonhard, Pädagogische Perspektiven zwischen Barock und Aufklärung; 54  f. 55  Kurtzer Entwurff, Satz 1, § 3; s. p. / SWPS 65b: »Das verdrüßlichste von der Lehr / den Anfang aller Künste / das Schreiben und Lesen / lernen junge und alte Leute / und zwar ihrer viel zugleich / vermittelst der Bewegung einer neu erfundenen / anderweit beschriebenen Spiel-und schreibe-Regel / da ein einiger Director vielen Leuten auf einmahl die Hand führen / und die Buchstaben ihnen unvermerckt einbringen; ja durch alle Sinnen / als mit einem Trichter / leicht einflößen und eintrichtern kan: als mit dem sprechen durch die Ohren / mit der Vorschrift durch die Augen / mit dem Nachzug durch die Hände / mit dem Nachspruch durch die Zunge; und dabei mit eben so formirten Brod=Buchstaben auch durch Maul und Nase / Schlund und Magen / wenn die Kinder sie / als aus Buchdrucker=Kästen / ordentlich zuvor / ehe sie dieselben essen dürfen / setzen / und gewisse Wörter daraus buchstabiren müssen. Damit können denn die Kinder die Buchstaben allerdings perfect gar leicht und bald entfangen / ja sich einverleiben / oder sich in sie verwandeln / und sie mündlich oder schrifftlich wieder von sich geben und so mit Spielen / ja mit Wohlschmack / lesen und schreiben lernen.« 56  Bei der sogenannten Lautiermethode trat etwas an die Stelle des Aufsagens der Nennformen von Buchstaben, das in etwa der heutigen Ganzwortmethode gleicht. Zum Vorgang siehe: Der europäische Wappenhimmel; s. p. / SWPS 143b  f. Nach Weigels Bericht konnten die Drei- und Vierjährigen, nachdem man das ABC fast acht Tage lang lustig behandelt hatte, ohne Buchstabierübungen, mit denen man sonst zwei ganze Jahre in Unlust zubringt, innerhalb weniger Wochen richtig lesen. Sie stellten die Buchstaben nicht um, übersprangen keinen und drückten sich beim Schreiben zehnmal besser aus 42 

264 | Anmerkungen

als Buchstabierer. Im zweiten Jahr lernten sie das Einmaleins, griechisches und lateinisches Deklinieren und Konjugieren und alles, was ihnen sonst noch aufgegeben wurde, in gemeinsamem Spiel mit Gesten und Bewegungen, mit Umzügen und manchmal beim Fahren auf der Schweb-Class; sie sprachen die Sätze nach und sangen sie schließlich gemeinsam nach Melodien, die sie kannten. Das Auswendiglernen und Behalten, das Kindern sonst Verdruss und Ärger macht, fiel ihnen leicht – es wurde einfach zum Spiel. 57  Hestermeyer, Paedagia mathematica; 42. 58  Ebd.; 42  f. 59  Kurtzer Entwurff, Satz 2, § 3; s. p. / SWPS 67b  f.: Weigel erklärt dort, förderlich seien die von den weisen Alten eingeführten vier freien Künste Arithmetik, Geographie, Astronomie und Musiklehre, wenn man sie in dem Maß betreibt, das für Kinder angemessen ist. Diese haben es gern, wenn man ihre Begabung mit solchen Künsten fordert und ihre Urteilskraft schärft, und dabei lernen sie nicht nur, die Weisheit von Natur und menschlichen Künsten, sondern auch die Klugheit und Umsicht gesellschaftlicher Üblichkeiten zu begreifen und ihnen beim täglichen Tun und Lassen Rechnung zu tragen. Die freien Künste müssten, weil die Menschen sie brauchen, von der Obrigkeit besonders gefördert und gut ausgestattet werden. Sie könnten schon allein eine große Einzelfakultät bilden, man schlägt sie aber der Artes-Fakultät zu, in der es ohnehin zu viele Fächer gibt, weil in ihr fast alle Lehrstoffe zusammenkommen, für die keine andere Fakultät verantwortlich sein will. 60  Leonhard, Pädagogische Perspektiven zwischen Barock und Aufklärung, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 64. 61  Ebd.; 56  f. 62  Hestermeyer, Paedagogia mathematica; 43  f. 63  Ebd. 44.

3. Denominative und ästimative Erkenntnis 1 

Pantognosia s.  2, c.  3, § 2; 68  f. | B1, 84  f. Pantognosia s.  1, c.  1, § 9; 3 | B1, 23. 3  Pantognosia s.  1, c.  1, § 10; 3 | B1, 23. 4  Pantognosia s.  2 , c.  3, § 6; 70 | B1, 86. 5  Pantognosia s.  2 , c.  3, § 2; 68  f. | B1, 84  f. 6  Pantognosia s.  2 , c.  3, § 5; 70 | B1, 85  f. – Behme gibt in B1, 285, Anm.  1 24, folgende Fundstelle an: Dig.  6  ff. und 44  ff. 7  Pantologia s.  1, def.  20, § 4; 127 | B1, 253. 8  Aristoteles, Topik 1.4; 101a 34–37. 9 Eduard Jan Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbilds, Berlin (Springer) 1956. 10  Zum Beispiel Analysis Aristotelica, Prooemium, B3, 16–22. 2 

Anmerkungen | 265

11 

Zum Beispiel Philosophia mathematica, B4.1, 116. Interesse ist noch im 18. Jahrhundert lebhaft, s. zum Beispiel Art. »Pythagoras« in: Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon, Halle und Leipzig 1731–1754, Bd.  29, der viele Pythagoras betreffende Artikel enthält, z. B. »Pythagorica societas«, col.  1861, und Art. »Pythagorische Philosophie«, col.  1862–1896. – S. ferner Art. »Philosophie« in Johann Georg Walch, Philosophisches Lexicon, Der andere Theil, Leipzig (Gleditsch) 1726; dort gibt es 705 Nennungen. – S. auch Herrn Peter Baylens Historisches und critisches Wörterbuch Bd.  3, Leipzig (Breitkopf) 1743, Dritter Theil; 756–764. 13  Pantognosia, Ad lectorem; s.  p. (6.–10. Seite) / PDF 13–17 | B1, 17–20. 14  Pantognosia, Ad lectorem; s.  p. (1.–2. Seite) / PDF 10 | B1, 15. 15  Thomas von Aquin, Summa theologiae 3, q.  7 7, a.  2 , c. 16  Suárez, Disputationes metaphysicae disp.  1 4, s.  3, n.  4 ; 25, 476 a. 17  Timpler, Metaphysica l.  5, c.  2 ; 320–322. 18  Zum Beispiel B4.1, 36. 19  Descartes, Principia philosophiae II, § 22; AT VIII, 52. 20  Weichenhan, Mathematische Philosophie und Theologie; 66. Es heißt dort, unser Geist erkenne den Wert der Koeffizienten durch eine Art Offenbarung. Richtiger wäre es vermutlich zu sagen, dass er ihn durch Messung erkennt, aber weil die erforderlichen Messinstrumente noch fehlen, erkennt er rebus sic stantibus fast gar keinen Wert und muss die Ermittlung des realen Wesens (computatio essentiarum) fürs Erste Gott überlassen. 21  S. Weichenhan, Mathematische Philosophie und Theologie; 65  f. 22  Weil man erwartete, dass sich durch mechanische Forschungen zuverlässig das erreichen ließ, was man früher aufs Geratewohl durch Magie zu erreichen hoffte, betitelte der damals berühmte deutsche Wissenschaftsautor Caspar Schott sein vierbändiges Handbuch der Physik als »Magia vniversalis Naturae et Artis«. 23  Dissertatio de tempore in genere, thes.  33–39; B6, 64–67. 24  Pantognosia s.  2 , c.  9, § 5; 93  f. | B1, 106. 25  Physica pansophica def.  3, schol. § 2; 9 | B6, 96  f. 26  AT, Genesis 2, 19  f. 27  Philosophia mathematica, pars generalis, def.  5; B4.1, 44  f. 28  Philosophia mathematica, pars generalis, def.  1, observ. I; B4.1, 36  f., und ebd., Einleitung; XXII  ff. 29  Die Theorie der Intensivierung und Abschwächung von Qualitäten wie Liebe oder Bewegung wurde im 14. Jahrhundert in Oxford arithmetisch mit den heute noch gebräuchlichen Formeln wie »v = b.t« und »s=1/2 bt²« und in Paris geometrisch mit den heute noch üblichen geometrischen Darstellungen entwickelt. »Bewegung« stand aber nicht nur für räumliche Bewegung, sondern für Veränderungen jeder Art. Weil räumliche Bewegung zu den intensivierbaren Qualitäten gehört (man kann sie intensivieren und abschwächen, nämlich beschleunigen und verlangsamen), spricht man nicht anders als 12  Dieses

266 | Anmerkungen

Physiker des 14. Jahrhunderts noch heute von gleichförmiger und ungleichförmiger Bewegung (motus uniformis und motus difformis) und nicht von gleichmäßiger und ungleichmäßiger Bewegung, wie es inzwischen eher zu erwarten wäre. 30  Pantognosia s.  2  f., c.  8, § 3; 64 | B1, 80. 31  HWPh 10, Art. Substanz; Substanz  / A kzidentien; 517  f. (B. Wald). 32  Pantognosia s.  2, c.  8, §  2  f.; 86  f. | B1, 100  f. 33  Boyle, Considerations and Experiments touching the Origin of Qualitites and Forms, The Historical Part, Section II; Birch III, 75: Durch die neuen Verfahren der Korpuskularphilosophie »innumerable particulars are discovered and observed which in the lazy Aristotelian way of philosophizing would not be heeded«. 34  Pantognosia s.  2 , c.  8, § 7; 89 | B1, 102  f. 35  Pantognosia s.  2 , c.  9, § 1; 91  f. | B1, 104  f. 36  Pantognosia s.  2 , c.  8, § 5; 88 | B1, 101  f.

4. Das pythagoreische Erbe 1 

Iamblichus, De Vita Pythagorica, Erstdruck 1598. – Porphyrius, De vita Pythagorae, Erstdruck 1610. – Diogenes Laertius, De vita et moribus Philosophorum VIII, viele Drucke seit 1546. 2  Uppsala (Curius) 1664. Deutsche Drucke erschienen erst nach Weigels Tod: Wittenberg (Ludwig) 1701 und 1710. 3  Aretologistica, s.  1, Cap.  5, § 18; 167  f. / PDF 610  f. | B5.2, 415  f. 4  Philosophia mathematica, Ad lectorem; s. p. / PDF 24  f. | B4.1, 7  f. 5  Titelblatt der Tugend erzeugenden Areto-Logistik; s. p. / PDF 432 | B5. 2, XII: »Aretologistica, Die Tugend-übende Rechen-Kunst. Darinnen nicht allein die allgemeine Theorie der zähl- und meßbaren Dinge / wie auch der Verstandes- und Willens-Würckungen darüber kurtz beschrieben; sondern auch die Rechen-Prax / wie man zahlmäßig rechnen / und dadurch die Tugenden der Jugend fertig angewöhnen möge / mit gewissen Regeln angewiesen wird.« – Dazu Aretologistica Th.  2, s.  2, c.  2; 185 / PDF 628 | B5.2, 430  f.: »Was vor Tugenden beym Computirn formaliter und eigentlich geübet / und damit directe / geradezu / den Kindern angewehnet werden«. 6  Aretologistica Th.  1, c.  5, §§ 12 und 13; 94–96 / PDF 537–539 | B5.2, 357  f. 7  Aretologistica, An den geneigten Leser; s.  p. / PDF 435  f. | B5.2, 279  f. 8  Ich zitiere die Stelle, auf die Behme aufmerksam macht (B3, LIII, mit Verweis auf Anm.  217; dort »§ 11« statt »§ 1«): Analysis aristotelica s.  3, memb.  2, c.  7, §. 1; 213  f. | B3, 224  f.: »Utramque Facultatem in sola Mente radicatam comitatur tertia simul in corpore (mentis officina velut organica) fundata, qua Homo animi sensa inaestimabili Divini Numinis beneficio singulari signorum externorum specie prae ceteris animalibus omnibus artificialiter expriAnmerkungen | 267

mere, linguae praesertim et oris adjumento suas quascunque intentiones intus formare Verbis et Vocabulis (ita enim hanc signorum speciem appellamus) ad placitum includere atque ita Oratione (sic enim verborum interpretativam complexionem vocamus) quicquid voluerit aliis communicare et ab aliis communicatum intelligere potest. Unde tria comprimis resultant Hominis quatenus Homo est propria: Contemplatio. Intentio. Oratio.« 9  Tugendspiegel Cap.  2 8; 112 / PDF 193 | B5. 1, 114  f. 10  Pantognosia s.  1, c.  2 , § 4; 5  f. | B1, 25  f. 11  Pantologia s.  1, def.  2 , schol. § 1; 3  f. | B1, 139. 12  Arithmetische Beschreibung Cap.  9, § 1; 51 | B2, 64  f. 13  Pantognosia s.  1, c.  6, § 7; 20 | B1, 42: Der Nutzen des Allgemeinen liegt darin, dass es den Erkenntnisvorgang verkürzt. 14  Pantognosia s.  1, c.  10, § 1; 32  f. | B1, 52  f. 15  Pantognosia s.  1, c.  6, § 3; 19 | B1, 40  f. 16  Pantognosia s.  2 , c.  6, § 2; 81 | B1, 95. 17  Aretologistica Th.  1, Cap.  1, § 1; 1  f. / PDF 444  f. | B5.2, 283. 18  S. https://www.duden.de/rechtschreibung/rechnen/ (21. 07. 2022): »Bedeutungen, 1.a: Zahlen verknüpfen und nach Anwendung eines der Verknüpfungsart entsprechenden Verfahrens eine Zahl oder Zahlenverbindung als jeweiliges Ergebnis der Verknüpfung ansetzen.« 19  Der Schulkatalog der Umstände lautet: »Quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando«. 20  Aretologistica Th.  1, Cap.  1, § 2; 2  f. / PDF 445  f. | B5.2, 283  f. 21  Aretologistica Th.  1, Cap.  1, § 3; 3  f. / PDF 446  f. | B5. 2, 285. 22  Röd, Weigels Lehre von den entia moralia; 76  f. 23  Zum Beispiel Analysis aristotelica s.  1, c.  4 , § 21; 32 | B3, 46  f., und Analysis aristotelica s.  1, c.  1, § 1; 23 | B3, 29. 24  Wienerischer Tugendspiegel, Einleitung; B5.1, XV  f. 25  Aretologistica Theil 1, Das erste Capitel, § 4; 6 / PDF 449 | B5.2, 286  f. 26  S. Behme, B4.2, LIV  f. 27  Pantognosia, Ad lectorem; s.  p. / PDF 10  f. | B.1, 16  f. 28  Pantognosia, Inclytae facultatis, s.  p. / PDF 5  f. | B1, 11  f. 29  Aretologistica Th.  1, Cap.  1, § 4; 6 / PDF 449 | B5.2, 286  f. 30  Ueberweg Bd.  4 , Das 17. Jahrhundert in Deutschland, 1.2.4; 159  f. 31  Ebd., 1.3.6; 248  f. 32  Ebd., 1.3.7; 271–273. 33  Pantognosia s.  1, c.  3, § 4; 9 | B1, 29. 34  Systeme von Zahlen und Begriffen werden als raumanaloge Gefüge (commercia) oder als spatia bezeichnet, und zwar nicht anders als der natürliche Raum der Ausdehnung und der Raum der Zeit. Solche Ordnungsstrukturen werden als hypothetische (suppositivae) Substanzen verstanden, denn die in ihnen enthaltenen Beziehungen spiegeln Strukturen der Wirklichkeit wider. S. Behme, Natürliche Theologie und ens civile bei Erhard Weigel; 108  f. 268 | Anmerkungen

35 

Pantologia s.  1, def.  8, § 9; 30–31 | B1, 163  f. Mathematische Philosophie und Theologie bei Erhard Weigel, in: Erhard Weigel und die Theologie; 78  f. 37  Idea matheseos universae c.  3, § 1  f.; 6 | B7, 61. 38  Arithmetische Beschreibung Cap.  8, § 2; 42–44 | B2, 55  f. 39  Idea matheseos universae c.  3, § 4; 8 | B7, 63. 40  Idea matheseos universae c.  3, §§ 8–12; 8–11 | B7, 64–66. 41  De veritate c.  3, § 46 | B6, 444. 42  Pantognosia s.  2 , c.  2 , § 8; 66  f. | B1, 82. 43  Aretologistica Th.  1, Cap.  3, 4. Hauptdivision, § 26; 63 / PDF 506 | B5.2, 332. 44  Arithmetische Beschreibung Cap.  1 4, § 7; 98  f. | B2, (§ 8) 116  f. 45  Aretologistica Th.  1, Cap.  3, § 2; 32  f. / PDF 476 | B5.2; 308: »Denn GOtt schafft nichts ohne Ziel und Zweck. Der Mensch / der GOttes Geist nachahmt / desgleichen.« 46  Pantognosia, Widmung an die Fakultät; s. p. / PDF 6 | B1, 12  f. 47  Descartes, Principia Philosophiae II, §§ 23 und 25; AT VIII, 52  f. und 53  f. 36 Weichenhan,

5. Das Erbe Aristoteles’ und Euklids 1 

Analysis aristotelica, prooem., § 14; 6 | B3, 20. Schüling, Die Geschichte der axiomatischen Methode, 9: Die mangelnde Unterscheidung von aristotelischer Apodeixis und geometrischer Methode; 41–56. – S. auch Behme; B3, XXII–XXIV. 3  Analysis aristotelica s.  3, memb.  1, c.  3, § 13; 167 | B3, 179 (Barrows Beweis). – Ebd. § 12; 163–167 | B3, 175–179 (syllogistischer Beweis). – Ebd. §§ 9–11; 162 | B3, 174 (euklidischer Beweis). 4  Weigel lobt das Wissenschaftsverhalten der antiken Mathematiker als Gegenstück zu dem der Scholastiker, s. Analysis aristotelica, prooemium § 8; 4 | B 3, 18 5  Aristoteles, An. Prior. I 2, 25a1 4–5. 6  Behme; B3, XII  f.: »Das universitäre Bestallungsrecht, das eine Nominierung durch den Dekan in Zusammenarbeit mit den übrigen Fakultätsmitgliedern sowie die letztendliche Berufung durch die Universität vorsah, wurde zwar nicht ausdrücklich verletzt, aber weitgehend ausgehöhlt; im Ergebnis war die Universität Jena an der Berufung nur noch als beratendes Gremium beteiligt. Dies ist einer der Hauptgründe für die universitätsinternen Konflikte um Weigels Lehrtätigkeit, von denen der eingangs erwähnte Streit mit der Philosophischen Fakultät um die Analysis Aristotelica nicht der letzte gewesen ist.« 7  Moll, Der junge Leibniz I; 72  f. 8  Spieß, Erhard Weigel; 13  f. 2 

Anmerkungen | 269

9 

Moll, Der junge Leibniz I; 73. Analysis aristotelica s.  3, memb.  2, c.  11, §§ 17 und 19; 258  f. | B3, 269  f. 11  Analysis aristotelica s.  1, c.  2 , § 13; 17 | B3, 31  f. 12  Analysis aristotelica s.  1, c.  1, § 1; 23 | B3, 29. 13  Analysis aristotelica s.  2 , c.  5, § 12  f.; 80  f. | B3, 93  f. – Weigel legt allerdings auch selbst einen Vorschlag vor, dieses Monstrum vernünftig zu interpretieren: Analysis aristotelica s.  2, c.  5, § 9; 79 | B3, 92. 14  Analysis aristotelica s.  2 , c.  5, § 13; 81 | B3, 94. 15  Descartes, Discours de la methode; AT VI, 61–62. 16  Analysis aristotelica s.  1, c.  1, § 1; 8 | B3, 23. 17  Analysis aristotelica s.  1, c.  1, § 11; 10 | B3, 26. 18  Analysis aristotelica s.  2 , c.  5, § 1: 75  f. | B3, 89. 19  Analysis aristotelica s.  2 , c.  5, § 3; 76  f. | B3, 89  f. 20  S. HWPh, Art. Methode V: Neuzeit, in HWPh 5; 1316 (Hans-Werner Arndt). 21  Die überlieferte Gleichsetzung der Philosophie mit den Artes kommt bei Weigel zwar vor (z. B. Facultas Artium et Philosophiae), aber an Stellen, die sich auf die »wahre Philosophie« beziehen, begreift Weigel auch Jurisprudenz und Medizin als Teile der philosophia seu mathesis, z. B. in der Genalogia Matheseos Universae (§§ V–X, B7, 268  ff.). In der Arithmetischen Beschreibung der Moral-Weißheit spricht er von »dreyerlei Doctores Philosophiae«, die zu »der dreyfachen zeitlichen Wohlfahrt« bestellt sind, »nemlich die Doctores Juris, Doctores Medicinae, und Doctores Artium« (B2, 37). Zur wahren Philosophie oder Mathesis gehören alle auf natürliche Vernunft gegründeten Disziplinen, denn sie ist eine »scientiarum naturali ratione constitutarum … comprehensio« (B3, 188) (Hinweis von Thomas Behme). 22  Analysis aristotelica s.  2 , c.  8, § 1; 96 | B3, 109  f. 23  Analysis aristotelica s.  2 , c.  8, § 3; 97 | B3, 110  f. 24  Euklid, Die Elemente; 2. 25  Analysis aristotelica s.  2 , c.  9. § 1; 105 | B3, 117  f. 26  Analysis aristotelica s.  2 , c.  10, § 3; 110 | B3, 123. 27  Analysis aristotelica s.  2 , c.  10, §§ 8 und 9; 113  f. | B 3, 126  f. 28  Analysis aristotelica s.  1, c.  3, §§ 1–13; 19–23 | B3, 33–38. 29  Analysis aristotelica s.  2 , c.  6; 84–92 | B3, 97–105. 30  Wenig später äußert sich Weigel über diese Hypothesen noch einmal; s.  A nalysis aristotelica s.  2, c.  7, §§ 7–8; 95 | B3, 108: »§ 7. Porro sicut Copernicus a Philolao veteribusque Pythagoraeis (quos in multis ipse sequitur Ptolemaeus) suam mutuatus est hypothesin, quam speciosius saltem adornavit; ita Gassendus a Democrito, veteribusque Epicuraeis (quibus in plerisque realibus ipse adstipulatur Aristoteles) olim inventam cultiorem fecit. § 8. Denique sicut Tycho Ptolemaicam cum Copernicana contemperans novam quasi per transsumptionem introduxit hypothesin; ita Cartesius Aristotelicam et Gassendianam seu Democriteam quasi miscendo speciosam inde cogitabundus 10 

270 | Anmerkungen

produxit aliam. Ramaea hypothesis, quoniam conceptibilitates potius quam realia sectatur, huc referri non meretur.« 31  Analysis aristotelica s.  2 , c.  7, §§ 3  f.; 93 | B3, 105  f. 32  Analysis aristotelica s.  2, c.  7, §§  1  f.; 92  f. | B3, 105  f. 33  Analysis aristotelica s.  3, memb.  1, c.  3, § 1 f.; 158 f. | B 3, 170 f. – Dazu B 3, 331, Anm.  262. »Unter der Eselsbrücke (pons asinorum) versteht man ein graphisches Schema, das von mittelalterlichen Aristoteleskommentatoren entwickelt wurde, um die aristotelische Lehre von der Auffindung eines Mittelbegriffes (inventio medii) zum Beweis der verschiedenen Schlußsätze im Syllogismus zu veranschaulichen« (Schepers, Art. Eselsbrücke in HWPh 2, 743–745). – S. auch die Beispiele in I. M. Bocheński, Formale Logik (Orbis academicus III, 2), Freiburg (Alber) 1956, 24.35; 164, und 32.35; 254–256 (mit Tafel). – S. schließlich in diesem Buch den Abschnitt über lullistische Werkzeuge. 34  Behme, B3, 311, Anm.  93: »Als allgemeiner, Arithmetik und Geome­t rie überspannender Größenlehre verband sich mit der Analysis speciosa im 17. Jahrhundert ein universaler Anspruch, der sie in die Nähe der lullistischen Ars magna rückte. Sie wurde Ausgangspunkt für die Entwicklung einer mathematischen Logik, die sich am algebraischen Kalkül orientierte und diesen über die Mathematik hinaus auf alle Wissensbereiche anwendbar machen sollte.« S. Christian Thiel, Art. Speciosa in HWPh 9, Sp.  1350; es folgen bei Behme weitere Literaturangaben. 35  Moll, der junge Leibniz I; 103. 36  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, §§ 1  f.; 190  f. | B. 3, 202  f. 37  Leibniz berichtet Wolff, er glaube, dass die gesamte Natur von beseelten Organismen erfüllt ist; genau so, wie alle Seelen unvergänglich sind, sind auch alle beseelten Wesen unvergänglich, und Zeugung und Tod sind nur Metamorphosen, bei denen sie nicht vergehen, sondern sich verwandeln. Vernünftige Seelen leben unter ihrem Monarchen Gott im besten aller möglichen Gemeinwesen, im Reich der Geister. Das gilt auch für die Engel, obgleich sie leistungsfähiger und vollkommener sind als wir; vielleicht bestimmen sie sogar den Zeitpunkt ihrer Metamorphosen selbst. S. Gerhardt, Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolff, Brief 8 vom 9. 11. 1705; 46. 38  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 5; 192  f. | B3, 204  f. 39  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  4 , § 3; 186 | B3,198. 40  Suárez, DM 40, s.  5  , n.  50; 26, 565 b: Die Teilchen der kategorialen Quantität Undurchdringlichkeit verhalten sich so zu den Teilchen der Materie, dass diese sich an demselben Ort wie sie befinden (beide sind koextensiv). 41  Suárez, DM 40, s.  5, n.  54; 26, 566 b: Der substantielle Körper ist eine Zusammensetzung aus zueinander passenden Teilen und Begrenzungen und wird vom quantitativen Körper so umhüllt, dass seine Ausgedehntheit undurchdringlich wird. Ähnlich verhält es sich bei jeder Qualität, die der Quantität aufruht, denn auch dort gibt es Indivisibilien, die auf die Entität abgepasst sind und sich zu deren Indivisibilien proportional verhalten. Anmerkungen | 271

42  S. Vf., Kategorienlehre und Eucharistie, in: Vf., Innovation und Folgelast: 69–91. 43  An Essay concerning human Understanding II 4, besonders § 5, der vor dem Hintergrund von Suárez’ Überlegungen wie eine noch nicht geöffnete Pandora-Büchse wirkt. 44  Aristoteles, Analytica posteriora; 79a 7–9. 45  Detel, Aristoteles, Analytica posteriora I (1993); 198  f. 46  Analysis aristotelica s.  1, c.  3, § 13; 23 | B 3, 38: »Licet autem effatum quocunque gradu necessarium, quatenus ipsum demonstrationis est subjectum, formalem contemplativitatis rationem semper obtineat, dum hic, quatenus demonstratur ejusdem nuda saltem partium concernentia realis, h. e. praedicati cum subjecto coincidentia vel dissociatio entitativa et consequenter praedicativa necessaria, per causas necessarias, a quibus necessario dependet, indubitato cognoscitur, in quo Mentis Contemplatio realiter consistit et formaliter acquiescit, unde Subjectum demonstrationis dici solet ultimato θεωρητόν […].« 47  Zum Beispiel Geulincx, Opera philosophica (Land); II 150: »Quod nescis quomodo fiat, id non facis […]«. 48  Descartes, Principia philosophiae II, § 33; AT VIII, 58  f. – Entsprechend Weigel, Archimetria, p. spec., s.  2, c.  4, scitum 1, schol. § 3; 452 / PDF 942 | B4.2, 321: Die Welt ist ein kontinuierlicher Körper. Wird einer ihrer Teile bewegt, werden gleichzeitig alle anderen mitbewegt. 49  Pantognosia sect.  2 , c.  9, § 6; 94 / B  107: Artefakte sind nicht anders als Berge, Sand und Wolken erkennbar. Man kann sie nicht weniger als Naturdinge zu Gegenständen wissenschaftlicher Verfahren machen, denn auch sie haben notwendige Prädikate und besitzen außerdem den Vorzug, leichter erkennbar zu sein als Naturdinge. 50  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  2 , § 1; 174  f. | B3, 187. 51  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  4 , § 3; 186  f. | B3, 197 (Anspielung auf Apg.  17, 28). 52  NT, Apostelgeschichte 17, 28. 53  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 14; 197 | B3, 208. 54  Analysis aristotelica s.  1, c.  3, § 12; 23 | B 3, (§ 13), 38. 55  Analysis aristotelica s.  1, c.  4 , § 21; 32 | B3, 46  f. 56  Moll, der junge Leibniz I; 95  f. 57  Analysis aristotelica s.  2 , c.  7, § 7; 95 | B3, 108. 58  Christian Wolff, Klarer Beweiß, daß Herr D. Budde die ihm gemachten Vorwürffe einräumen und gestehen muss, Frankfurt a. M. (Andreä) 1725, Vorrede; s.  p. (vorletzte Seite): »[…] weßwegen ich es auch der auf den deutschen Universitäten heute zu Tage eingeführten Freyheit zu philosophiren nicht entgegen geachtet, sie [die prästabilierte Harmonie] mit zu erklären […]«.

272 | Anmerkungen

6. Weigel und die aristotelische Wissenschaftstheorie 1  Vgl. z. B. Weigel, Analysis aristotelica s.  1, c.  1, § 17, B3, 45: Man muss den Gegenstand eines Beweises, die zu beweisende Aussage, die gewiss, notwendig und theoretisch sein muss, von deren Subjekt unterscheiden, das notwendig, praktisch oder kontingent, vielleicht sogar unmöglich oder nur nach der natürlichen Ordnung notwendig sein darf. Denn wann immer der Beweisgegenstand eine notwendig von ihm abhängende Eigenschaft hat, ist er beweisfähig und letzten Endes theoretisch, denn sonst wären bei praktischen Objekten keine gewissen Schlüsse und Beweise möglich (referiert von Rainer Specht). 2  So schreibt Weigel zum Beispiel in der Analysis aristotelica s.  1, c.  1, § 20; B3, 46  f.: Jede gewisse und notwendige Aussage, die nicht als solche, wohl aber aus anderen Gründen zweifelsfrei erkennbar ist, kann Gegenstand eines Beweises werden, und zwar unabhängig davon, ob das Subjekt der zu beweisenden Aussage unter die praktische oder unter die theoretische Philosophie fällt. Denn nicht nur bei deren Gegenständen, sondern auch bei Gegenständen der praktischen Philosophie lässt sich immer dann, wenn ein Attribut zu ihnen in einer notwendigen Beziehung steht, Gewissheit erzielen. Und ibid.  1, c.  1, § 18, B3, 45  f. heißt es: Bei Dingen und Tätigkeiten ist es für Beweise gleichgültig, ob sie aus dieser oder jener Klasse von Objekten stammen, solange ihnen ihre Attribute oder Folgen zumindest nach vernünftiger Erfahrung notwendig zukommen. Weil die Ausübung von Tätigkeiten freier Agentien und das Sein von Kontingentem überhaupt nicht notwendig von dem jeweiligen Agens abhängt, verlangt kein vernünftiger Mensch für das Herabfallen eines Ziegels vom Dach einen wissenschaftlichen Beweis (referiert von Rainer Specht). 3  An. Post I 2, 72a15–24; I 10, 76b11–16. 4  Vgl. dazu Ian Mueller: Greek Mathematics (Arithmetic, Geometry, Proportion Theory) to the Time of Euclid, in: Mary Louise Gill, Pierre Pellegrin (Hrsg.), A companion to ancient philosophy; Oxford 2006, 686–718. 5  Vgl. zum Folgenden W. Detel, Aristotle’s logic and theory of science. In: M. L. Gill, P. Pellegrin (Eds.). A companion to ancient philosophy, 245–269. 6  Vgl. An. Post II 11, 94a27–36. 7  Vgl. z. B. An. Post I 4, 73a35–36, b25–39, I 5, 74a13–33, I 7, 75b28–12, I 10, 76b8–11, I 14, 78b38–79a9, I 14, 79a20, I 22, 84a15–25, I 24, 85a–85b1, b5–15, b38– 86a2, a25–28, II 2, 90a23–24, 33–34, II 3, 91a2–5, II 7, 92b16–18, II 10, 93b32–33, II 13, 96a27–b21. 8  Vgl. An. Post II 12, 95a17–22. 9  Vgl. An. Post I 31, 87b37–40; II 2, 90a2–18; II 8, 93a29–b8; II 12, 95a13–17. 10  Vgl. An. Post I 13, 78a5–11. 11  Vgl. An. Post I 13, 78a26–b4. 12  Vgl. An. Post I 29, 87b5–16. 13  Vgl. An. Post II 11, 94b8–26.

Anmerkungen | 273

14  Vgl. A. Gotthelf (1987 b), Aristotle’s Conception of Final Causality, In: A. Gotthelf und J. G. Lennox (Eds.), Philosophical issues in Aristotle’s biology, 204–242. Cambridge. 15  Vgl. An. Post I 12, 77b40–78a7. 16  Vgl. An. Post II 1, 89b27–30. 17  Vgl. An. Post I 34, 89b16–20. 18  Vgl. An. Post II 2, 90a19–23. 19  Vgl. An. Post II 8, 93b8–14, II 10, 94a3–11. 20  Vgl. An. Post. II 12, 95b38–96a9. 21  Vgl. An. Post. II 14, 98a17–19. 22  Vgl. An. Post. II 15, 98a27–29. 23  Vgl. An. Post. II 16, 98a37–b17. 24  Vgl. An. Post. I 24, 85b31–33. 25  Vgl. An. Post. I 34, 89b12–16. 26  Vgl. An. Post. II 11,94a38–b8. An einer Stelle wird ein etwas künstliches Beispiel benutzt, um zu zeigen, dass auch gültige Syllogismen der zweiten Figur explanatorisch zum Einsatz kommen können: Warum atmet eine Mauer nicht? Weil sie kein Lebewesen ist und nur Lebewesen atmen. Aristoteles gibt folgende syllogistische Formalisierung an: Lebewesen = A, Atmen können = B, Mauer = C und den Syllogismus AaB, AeC → BeC (An. Post. I 13, 78b23–27). 27  Vgl. auch das Kapitel An. Post. I 18. 28  Vgl. Jürgen Renn, Peter Damerow, Peter McLaughlin: Aristotle, Archimedes, Euclid, and the Origin of Mechanics: The Perspective of Historical Epistemology. In: José Luis Montesinos Sirera (ed.), Symposium Arquímedes. Fundación Canaria Orotava de Historia de la Ciencia, Congreso de la Real Sociedad Matemática Española 31. 02. 2002, 43–60, Max Planck Institute for the History of Science, Preprint 238. 29  Vgl. Thomas Nelson Winter, »The Mechanical Problems in the Corpus of Aristotle« (2007). Faculty Publications, Classics and Religious Studies Department. 68, https://digitalcommons.unl.edu/classicsfacpub/68. 30  Vgl. An. Post. II 11 94b10–12. 31  Vgl. An. Post. II 12, 95b34–38. In Metaph. VII 17 geht es darum, dass die Substanz einer Sache auch die Ursache bestimmter Eigenschaften dieser Sache ist. Hier wird erneut das Donnerbeispiel genannt, das in den Analytica Posteriora als Fall einer syllogistischen Erklärung beschrieben wird. Aber Aristoteles weist auch auf das Beispiel des Hauses hin und noch auf ein weiteres Artefakt: das Bett (1041a30). 32  Vgl. An. Post. 94b27–33. 33  Vgl. An. Post. II 12, 95b13–33. 34  F. Ueberweg (121925): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Erster Band: Die Philosophie des Altertums, Halle, S.  374, 378. Ferner H. Scholz (1931): Die Axiomatik der Alten, in: Blätter für deutsche Philosophie Nr.  4 , 159–278, bes. 261  f. In der neuesten, von Flashar besorgten Auflage des Ueber­

274 | Anmerkungen

weg-Bandes von 1983 klingt der Kommentar nicht anders (vgl. H. Flashar (1983), Aristoteles, in: H. Flashar, Die Philosophie der Antike, Band 3. Basel  /  Stuttgart, S.  332  f.). 35  Vgl. G. E. R. Lloyd (1968): Aristotle. The Growth and Structure of his Thought, Cambridge, bes. 124  f.; W. K. C. Guthrie (1981): A History of Greek Philosophy, Volume VI: Aristotle, Cambridge, bes. 183–185; T. Irwin (1988): Aristotle’s First Principles, Oxford, bes. 119, 130  f., I. Düring (1966): Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg, 92  f. Zu weiterer Literatur vgl. W. Detel (1993): Aristoteles, Analytica Posteriora (Übersetzung und Anmerkungen), 2 Bde. Berlin, Bd.  I, 157–158. 36  An. Post. I 9, 76a26–30. 37  Metaph. II 1, 993b9–11. 38  An. Post. I 12, 78a14–22. 39  Diesem Thema sind zwei volle Kapitel der Zweiten Analytik gewidmet, nämlich An. Post. I 16–17. 40  Aristoteles konzentriert sich in diesem wissenschaftstheoretischen Kontext darauf, dass die Falsifikatoren allgemeiner Sätze ebenfalls wissenschaftliche allgemeine Sätze sein sollten, obgleich logisch gesehen natürlich auch partikuläre oder singuläre Sätze für eine Falsifikation ausreichen. 41  Diese Fehler werden nacheinander in An. Post. I 3, I 6, I 7, I 12, I 18, II 3–7, II 5, II 16–18 angesprochen. 42  Genauso reden moderne Autoren wie Saul Kripke und Hilary Putnam, die Aristoteles’ essentialistische Metaphysik wiederbelebt haben. Wenn zum Beispiel die Chemie feststellt, dass Wasser identisch ist mit H2O, so heißt das: Es ist ein Postulat empirischer Forschung, dass die chemische Mikrostruktur von Wasser H2O ist. Sofern und solange dieser Befund als wahr angesehen werden kann, muss behauptet werden, dass Wasser metaphysisch notwendigerweise (das heißt in allen möglichen Welten) H2O ist. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sich der chemische Befund irgendwann als falsch erweist.

7. Denominative Lehre von der Konstitution der Dinge 1 

Analysis aristotelica s.  3, memb.  2, c.  5, § 7; 193 | B3, 205. Schultexte sprechen einerseits von der inductio formae in materiam und andererseits von der eductio formae e materia und geben dadurch Anlass zu hilfreichen Überlegungen darüber, wie sich beides zugleich denken lässt. Später, auf der ästimativen Stufe, tritt bei Weigel die Anordnung (Lage, Bewegung, Gestalt und Größe) der Korpuskeln (gassendistisch: die Textur) des Körpers an die Stelle der denominativen forma substantialis. 3  Physica pansophica def.  4 , schol. § 12; 17  f. | B6: § 13; 107. – Die AristotelesStelle: Phys. A 7, 190 b, 5–10. 4  De corpore II, c.  4 , § 4; 21 | B6, 301. 2 

Anmerkungen | 275

5  Weigel findet in Genesis 1, 1 und 2 eine Entsprechung zur ersten Materie vor ihrer Gestaltung zu Zweitmaterie: Pantologia s.  1, def.  5, schol. § 4; 17  f. | B1, 152. 6  De corpore II c.  4 , § 6; 21  f. | B6, 302. 7  Aretologistica Th.  1, Cap.  3, § 6; 27 / PDF 470 | B5.2, 317  f. – S. auch ebd.  1. Von unangenehm angesehenen Dingen § 1; 42 / PDF 485 | B5. 315: »[…] und wird mit einem sonderlichen Namen / welcher die Beschaffenheiten alle sämtlich / aber heimlich / unter sich begreifft / bedeutet.« – De corpore I c.  1, § 5; 3 | B6, 230  f. 8  Tugendspiegel, Der Grund Def.  2 , Auslegung; 7  f. / PDF 240  f. | B5.1, 106. 9  S. dazu De Existentia, Thes. I, B6, 7. 10  Philosophia mathematica, demonstratio, def.  2 und schol. § 1; 43  f. / PDF 270 | B4.1, 169. 11  Im Deutschen sind die Adjektive »formal« und »formell« und das Adjektiv »materiell« geläufig, während »material« kaum gebräuchlich ist. In diesem Fall kann man aber »materiell« nicht verwenden, weil es zunächst »aus Materie bestehend« oder »auf Materie bezogen« bedeutet. Deshalb benutze ich das unübliche Adjektiv »material«, denn es geht nicht um reale Materie, sondern um etwas, das in Analogie zu ihr gedacht wird. 12  Aretologistica Th.  1, Cap.  3, § 1; 31  f. / PDF 474  f. | B5.2, 315. 13  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , schol. § 1; 44 / PDF 270 | B4.1, 169. 14  Ausführlich: Tugendspiegel, Der Grund Def.  2 , Auslegung; 8 / PDF 241 | B5.1, 146. 15  Pantognosia s.  1, c.  3, § 3; 9 | B1, 29. – Weigel interpretiert die Vereinigung von Körper und Geist cartesisch – die Seele ist auch für ihn die substantielle Form ihres Körpers. Dass bei dieser Interpretation Probleme entstehen, zeigt schon Descartes’ forma-substantialis-Streit mit Regius. Um sie zu umgehen, deutete Clauberg anders als Descartes die Einheit von Leib und Seele als Einheit durch Wechselwirkung. Als Form des Menschen dient nun nicht mehr die Seele, die wie die Materie als Substanz gedacht wird, sondern eine Relation. La Forge wandte ein, dass diese Relation oft (zum Beispiel bei Lethargie, Ekstase und Meditation) unterbrochen wird und deshalb keine dauerhafte Verbindung begründen kann. Stattdessen erklärte er die beständigere wechselseitige Abhängigkeit von Körper und Seele, also ebenfalls eine Relation, zur Form des Menschen. Clauberg entgegnete, dass während des Lebens Leib und Seele immer in Wechselwirkung stehen, manchmal intensiver und manchmal weniger intensiv, und dass sich die Verbindung von Seele und Körper erst löst, wenn der Körper seine Rolle nicht mehr spielen kann. S. Clauberg, Corporis et animae conjunctio 25, Schalbr.  229–230, und La Forge, Traitté de l’esprit de l’homme c.  13; 211. 16  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  1, schol. § 5; 37 / PDF 253 | B4.1, 164  f.

276 | Anmerkungen

17  Boyle, Of the usefulness of natural philosophy part 2, sect.  2 , essay 2; Opera (Birch) II 64: »I shall not dare to call myself a good naturalist, till my skill can make my garden yield better herbs and flowers, or my orchard better fruit, or my fields better corn, or my dairy better cheese, than theirs that are strangers to philosophy.« 18  Considerations and experiments touching the origin of qualities and forms. The historical part, sect.  1, advertisements; Opera (Birch) III, 75. 19  Pantognosia s.  1, c.  3, § 2; 8  f. | B1, 28  f. 20  Physica pansophica def.  2 , schol.; 3  f. | B6, 95. 21  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  1, schol. § 6; 37  f. / PDF 258  f. | B4.1, 165. 22  Mit dieser Definition hat Weigel Schwierigkeiten, die mit der Übernahme des cartesischen Dualismus zusammenhängen. Er ist der Ansicht, dass man nicht einerseits Vernunftbegabung zur spezifischen Differenz des Menschen erklären und andererseits behaupten kann, der Mensch sei ein Tier (animal). Die menschliche Seele ist ein Geist, und Geist und Körper  /  Tiere fallen unter verschiedene Gattungen. – Bei »animal« entscheide ich mich für die Übersetzung »Sinneswesen« oder »sinnesbegabtes Wesen«, weil weder die Übersetzung »Tier« (damals meist: »brutum« oder »brutum animal«) noch die Übersetzung »Lebewesen« ganz korrekt ist – die erste nicht, weil auch der Mensch, der kein Tier ist, als animal gilt, und die zweite, weil Pflanzen, schulphilosophisch gesehen, im Besitz einer vegetativen Seele sind, die Leben verleiht; aber Menschen und Tiere sind darüber hinaus im Besitz einer sinnlichen Seele. Deshalb verwende ich bei ihnen, um sie von bloßen Lebewesen wie Pflanzen zu unterscheiden, als Übersetzung den Ausdruck »Sinneswesen«. 23  Pantognosia s.  1, c.  9, § 3; 30 | B1, 50  f. 24 Pantologia s.   1, def.  4 , schol. §§ 3–5; 14 | B1, 148  f. – Zu möglichen spätscholastischen Bezugsautoren s. B1, 278, Anm.  63. 25  Pantologia s.  1, def.  3, schol. § 1; 12 | B1, 147. – Weigel verwendet in diesem Paragraphen den von Clauberg bevorzugten Term »vicarius«. 26  Pantognosia s.  1, c.  4 , § 1; 10 | B1, 30. 27  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  1: »Essentia rei primus est conceptus rei«; 33 / PDF 259 | B4.1, 162. 28  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  1, schol. § 13; 43 / PDF 264 | B4.1, 168. 29  S. Behme, B4.1, Einleitung; XXXV–XXXVII. 30  Pantognosia s.  1, c.  4 , § 5; 11 | B1, 31. 31  Pantognosia s.  1, c.  4 , § 4; 11 | B1, 31. 32  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  1, schol. § 9; 40  f. / PDF266  f. | B4.1, 166  f. 33  Pantognosia s.  1, c.  10, § 7; 35  f. | B1, 55. 34  Pantognosia s.  1, c.  10, § 8; 36 | B1, 55  f. 35  Pantognosia s.  1, c.  4 , § 3; 10  f. | B1, 30  f.

Anmerkungen | 277

36 

Aretologistica Th.  1, Cap.  3, § 2; 32  f. / PDF 475  f. | B5. 2, 308. Philosophia mathematica s.  1, def.  6, schol. § 7; 23  f. / PDF 84  f. | B4.1, 48. 38  Pantognosia s.  2 , c.  9, § 2; 92 | B1, 105. 39  S. die Aufzählung in Physica pansophica def.  3, schol. § 2; 4 | B6, 96. 40  Zum Beispiel Gassendi, Opera 2; Syntagma s.  3, memb.  1, l.  1; De globo ipso telluris; 61 b. 41  Physica pansophica def.  3, schol. § 3; 5 | B6 96–97: Das Wesen eines natürlichen Compositums kann man nicht klarer darstellen als mit dem aristotelischen Beispiel der Rede und ihrer Prinzipien, denn auch die Rede ist auf ihre Weise eine Substanz und der unmittelbare Träger ihrer Prädikate. 42  Physica pansophica def.  3; B6, 96–101. 43  Physica pansophica def.  4 , schol. § 11; 17 | B6, (§ 12) 107: »Utut enim forma nihil nisi materiae modificatio sit, nihil tamen obstat, quominus certus modus certo corpori constituendo substantialis haberi debeat, ut acies cultro, rotunditas globo. Ablata enim rotunditate a globo, acie a cultro, globus ne quidem globus, nec culter esse culter, poterit. Id quod Sonerus, Caesalpinus, aliique dudum perspexerunt. Et hoc sensu Forma Substantialis omnino dici potest, etsi seorsim et pro se pura sit materiae modificatio.« – Dazu auch Metaph. 1085b 4–20. 44  Physica pansophica def.  3; 4 | B6, 96: »Status Corporis est certa dispositio partium ad certum motum et quietem Corpori competentem.« 45  Physica pansophica def.  3, schol. § 1; 4 | B6, 96: »Status Corporis, sc. internus, ejusque Ratio qua constat, ab Aristotele dicitur Natura, definiturque propterea, quod sit principium motus et quietis in Corpore, cui inest non secundum accidens, i. e. semper et necessario. Nam illa dispositio, quae temporalis est et mutari potest, salvo manente hoc eodem Corpore, non est genuina ratio Status ipsius corporis, h. e. non est ejus natura, sed accidens. Et haec ipsa partium dispositio largitur illam formam realem, quae corpus determinate constituit, ut sit hoc potius quam aliud quodcunque Corpus, ex qua dispositione proprietates et effectus corporis tanquam e fonte promanant, ut postea pluribus explicabitur.« 46  Physica pansophica def.  3; 4 | B6 96. 47  Physica pansophica def.  3, schol. § 2; 9 | B6, 96: »Certa vero [natura] dicitur, ipsumque Corpus determinat, quatenus partium Situs tum internus, nimirum Extensio; tum externus quicunque, rectitudo, curvitas, concursus, distantia, directio, transversalitas, intersectio, parallelismus, convergentia, divergentia, figuratio, non nude sed aestimate sub certa quantitate, si non absoluta, tamen respectiva, nimirum sub certa ratione et proportione, naturam et statum Corporis absolvit, quae quantitas dispositionis, non unius, sed omnium partium, tum inter se, tum in se, una cum quantitate motus et quietis ipsis partibus ita dispositis impressa, si perfecte cognoscatur, ipsa corporis essentia realis et vera, perfecte cognita demum intelligitur, quod exemplo Horo­logii clarissime concipere licet.« 37 

278 | Anmerkungen

8. Erschaffung und Erhaltung der Welt 1 

Timpler, Metaphysicae systema p.  1, c.  2: De Nihilo et Essentia; 22  f. Timpler, Metaphysicae systema p.  1, In caput 2, q.  1: An NIHIL sit imtelligibile, q.  1; 23  f. 3  Commentaria Petri Fonsecae Lusitani in libros metaphysicorum Aristotelis Stagiritae tomi quatuor, Quinti libri explicatio, c.  1, q.  1, s.  2; 14 A: Ein Prinzip ist das, »unde aliquid aut est, aut fit, aut cognoscitur«. 4  Timpler, Metaphysicae systema p.  1, c.  2 , q.  3; 23  f. 5  Pantologia s.  1, def.  22, schol. § 4; 136 | B1, 262. 6  Pantologia s.  1, def.  22, schol. § 1; 135 | B1, 261. 7  Pantologia s.  1, def.  22, schol. § 4; 136 | B1, 262. 8  Pantologia s.  1, def.  20, schol. § 8; 128  f. | B1, 254. 9  Pantologia s.  1, def.  20, schol. § 10; 129 | B1, 255. 10  Pantologia s.  1, def.  22, schol. § 3; 135  f. | B1, 261  f. 11  De corpore I c.  1, § 1; 1 | B6, 229. 12  Archimetria, pars specialior s.  1, c.  2. consect.  2 ; 385  f. / PDF 875  f. | B4.2, 276. 13  De corpore I c.  1, § 2; 1  f. | B6, 229  f. 14  Pantologia s.  1, def.  8, schol. § 7; 30 | B1, 163. 15  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  I, schol. § 12; 42  f. / PDF 263  f. | B4.1, 168. 16  Das gilt zum Beispiel für den Taubstummenlehrer Dr. Johann Conrad Ammann aus Schaffhausen in dessen Dissertatio de loquela (ich berichte nach der späten Ausgabe Leiden, Delbeek, 1740, aus dem Kapitel De loquela et voce in genere; 10): Man muss zugeben, die Sprache »primo Hominum ab aeterno illo Verbo, cujus imago erat, creando fuisse infusam, integram in posteros, nisi peccasset, propagandam. Verum Loquela, qualis hodie inter homines viget, adeo a pristina illa degeneravit, ut vix ejus umbra appellari mereatur, merumque sit artificium, sine quo, ut testantur Surdi nati, plane essemus muti […].« Zu Einzelheiten der Schädigung des Sprachvermögens s. ebd.; 13–17. 17  AT, Genesis 2, 19–20. 18  Tugendspiegel, Der Grund, Propositio, Coroll.  2 , Auslegung; 24  f. / PDF 257  f. | B5, 157  f. 19  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , obs.  2 , coroll.  1, schol.; 52–53  f. / PDF 273  f. | B4.1; 174. 20  Philosophia mathematica, Demonstratio ax.  1 und schol.; 58 / PDF 284 | B4.1, 178. 21  Philosophia mathematica, Demonstratio ax.  2 und schol.; 59 / PDF 285 | B4.1, 179. 22  Philosophia mathematica, Demonstratio ax.  3 und schol.; 59  f. / PDF 285  f. | B4.1, 179. 23  Philosophia mathematica, Demonstratio ax.  4 ; 60 / PDF 286 | B4.1, 180. 2 

Anmerkungen | 279

24  Übersetzung von »ἀκάματος« (akámatos), einem Hauptattribut der stoischen Weltseele. 25  Philosophia mathematica, Demonstratio, propositio, coroll.  4 ; 61  f. / PDF 287  f. | B4.1, 181. 26  De supputatione multitudinis c.  3; B6, 427. 27  De supputatione multitudinis c.  3 §§ 2–6; B6, 428  f. 28  De supputatione multitudinis c.  3, §§ 7–10; B6, 429  f. – Ebd. c.  3, § 12; B6, 430  f. 29  AT VII, 49, 5–10. 30  Tugendspiegel, Der Grund, Def.  2 , obs.  2 ; 10  f. / PDF 243  f. | B5, 148. 31  Tugendspiegel, Der Grund, Def.  2 , obs.  2 , Auslegung; 11 / PDF 244  f. | B5, 149. 32  B6. CXV S. Behme, III  f. 33  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , obs.  2 , cor.  1; 51  f. / PDF 272  f. | B4.1; 174. 34  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , obs.  2 , schol.; 50  f. / PDF 271  f. | B4.1; 174. 35  Archimetria II. Principiata, s.  2 , c.  2 , § 4; 420  f. / PDF 910  f. | B4.2, 299  f. – Die Theorie des einen beruht auf Geringschätzung der Freiheit und Allmacht Gottes, die des anderen unterstützt den Glauben an die Ewigkeit der Welt. 36  Die berühmteste moderne Darstellung des Phänomens findet sich in Hegels Text »Die sinnliche Gewissheit« in der Ersten Erörterung von Abschnitt A der »Phänomenologie des Geistes«. 37  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , obs.  2 ; 50 / PDF 271 | B4.1, 173  f. 38  Aretologistica Th.  1, Cap.  3, § 7; 27  f. / PDF 470  f. | B5.2, 304. 39  De corpore I c.  2 , § 27; 26  f. | B6, 254  f. 40  Discours de metaphysique § 13. 41  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  I, schol. § 4; 35 (Druck: 3) /36 / PDF 256  f. | B4.1, 163  f. 42  Tugendspiegel, Der Grund, Axiom 1, Auslegung; 13 / PDF 246 | B5, 151. 43  De corpore I, c.  1, § 22; 9  f. | B6 237  f. 44  Der Ausdruck »forma fluens«, bei Weigel »forma fluxa«, wird im 14. Jahrhundert im Bereich der lateinischen Kirche zum Gegenstand heftiger Diskussionen; er steht zunächst für das Wesen von Bewegung nicht nur im Sinn von Ortsveränderung, sondern auch im Sinn von Veränderung überhaupt. In Philosophien, die den Realunterschied zwischen Körper und Bewegung bestreiten, betrifft die Benennung »forma fluens« auch die Form des Körpers. Weigel verwendet den Ausdruck für das Fließen des Wesens von einer Existenz zur anderen; s. zum Beispiel De Corpore I c.  1, § 22; 10 | B6, 237  f. 45  De corpore I c.  1, § 22; 10 | B6 237  f. 46  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , coroll.  3; 53 / PDF 279 | B4.1, 175.

280 | Anmerkungen

47  Zum Beispiel Aretologistica, 2. Theil, S.  3, c.  2 | B5.2, 558, De corpore II. c.  7, § 53 | B6, 340, Von der Würckung des Gemüths C.  1, § 2 | B7, 137  f., und ebd. C.  7, § 13 | B7, 173. 48  De corpore II c.  7, § 9; 42 | B6, 324. 49  De corpore II c.  7, § 13; 42  f. | B6, 325. 50  De corpore II c.  7, § 6; 40  f. | B6, 322  f. 51  De corpore II c.  7, § 33; 50 | B6, 332. 52  Dissertatio de tempore in genere thes.  1 und 2; B6, 52. 53  De corpore I c.  2 , § 29; 27 | B6, 254  f. 54  Frühlings-Quartal, Der I. Satz, § 1; B7, 319. 55  Frühlings-Quartal, Der I. Satz, § 11; B7, 323  f. 56  Philosophia Mathematica, Pars generalis, s.  1, def.  6, obs.  2 , schol. § 2  f.; B4,1, 50  f. 57  Frühlings-Quartal, Der I. Satz, § 11; B7, 323  f. 58  B7, Einleitung; XXXI. 59  S. Vf., Zur Kontroverse zwischen Suárez und Vásquez über den Grund der Verbindlichkeit von Gesetzen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie XLV (1959), S.  235–255, und: El sentido del llamado voluntarismo en Suárez. In: Revista de estudios políticos CXLIV (1965), S.  143–151. 60  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , coroll.  3, schol.; 54  f. / PDF 279  f. | B4.1, 177  f. 61  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , coroll.  3, schol.; 54 / PDF 275 | B4.1, 175. 62  Essay 2.7.10; Nidditch 131  f. 63  Dissertatio de duratione, §§ 4 und 5; B6, 27. 64  Dissertatio de tempore in genere thes.  15; B6, 59. 65  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , coroll.  3, schol.; 573 / PDF 274  f. | B4.1, 177  f. 66  Dissertatio de tempore in genere § 12; B6, 58. – Der Hinweis auf die KinoAnalogie findet sich bei Behme, B4.2, LI  f. 67  B6. CXV S. Behme, III  f. 68  Dissertatio de tempore in genere § 54; B6, 71  f. 69  Dissertatio de tempore in genere § 53; B6, 71. 70  Pantologia s.  1, def.  8, schol. § 5; 29 | B1, 162. 71  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , coroll.  3, schol.; 56 / PDF 277 | B4.1, 177. 72  Tugendspiegel, Der Grund, Def.  2 , obs.  2 , Auslegung; 12 / PDF 245 | B5.1, 149. 73  Dissertatio de duratione § 60; B6, 41. 74  Dissertatio de duratione § 53; B6, 39. 75  Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2 , coroll.  3, schol.; 54  f. / PDF 275  f. | B4.1, 177. 76  Idea matheseos c.  15, § 1; 57  f. | B7, 108  f.

Anmerkungen | 281

77  Hamel, Erhard Weigel und die Kalenderreform des Jahres 1700, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung; 145. 78  Archimetria s.  1, c.  7, § 9; 49 / PDF 539 | B4.2, 32. 79  De corpore I c.  2 ; § 28; 27 | B6, 255. – Philosophia mathematica, Demonstratio def.  2, coroll.  3, schol.; 54  f. / PDF 281  f. – Spatium temporis: zum Beispiel Physica pansophica def.  10, § 3; 43  f. | B 129. 80  Dissertatio de tempore § 55; B6, 72. 81  Dissertatio metaphysica de duratione § 4; B6, 27. 82  Dissertatio metaphysica de duratione § 25; B6, 32. 83  Analysis aristotelica s.  3, membr.  2 , c.  5, § 8; 193  f. | B3, 205. 84  Dissertatio metaphysica de duratione § 46; B6, 37. 85  Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von, Medicina mentis sive artis inveniendi praecepta generalia; 17.

9. Okkasionalismus 1  S. Vf., Über Funktionen des Vaters nach Thomas von Aquino, in: Das Vaterbild im Abendland, hrsg. von H. Tellenbach, Stuttgart (Kohlhammer) 1978, S.  203–221. 2  S. Vf., Über »occasio« und verwandte Begriffe vor Descartes, in: Archiv für Begriffsgeschichte XV (1971), S.  215–255. – Über »occasio« und verwandte Begriffe bei Zabarella und Descartes, in: Archiv für Begriffsgeschichte XVI (1972), S.  1–27. – Über »occasio« und verwandte Begriffe im Cartesianismus, in: Archiv für Begriffsgeschichte XVI (1972), S.  198–226. 3  Wolff, De loquela, Epilog; 263–293. 4  Philosophia mathematica p.  1, def.  10; 77 / PDF 13 | B4.1, 84. 5  Physica pansophica def.  1 2, schol. § 1; 61  f. | B6, 144. 6  S. oben S.  83, Anm.  45, die Position von Geulincx. 7  Physica mathematoca, B4.1, pars generalis, s.  1, memb.  2 , observ.  3, coroll.  universale; 70  f. 8  De corpore I c.  1, § 21; 9 | B6, 237. 9  Philosophia mathematica s.  1, def.  7, cor. univ., schol. § 8; 57  f. / PDF 118  f. | B4.1: p. gen., s.  1, memb.  2, § 8; 70  f. 10  Philosophia mathematica s.  1, def.  10, § 7; 81  f. / PDF 142  f. | B4,1, 86  f. 11  Philosophia mathematica s.  1, def.  10, schol. § 17; 89–90 / PDF 150–151 | B4.1; 92. – De supputatione multitudinis c.  3, § 35; B6, 440. 12  Philosophia mathematica s.  1, def.  7, schol. § 8; 57–58 / PDF 118  f. | B4.1: p. gen., s.  1, memb.  2, §  8; 70  f. 13  Philosophia mathematica s.  2 , memb.  3, § 4; 146  f. / PDF 211  f. | B4.1, 133  f. – S. auch De supputatione multitudinis c.  3, § 34; B6, 440: Keine Handlung eines Menschen ist wirklich seine Handlung. Handlungen, die in der Absicht eines Menschen liegen, werden durch Zeichen (characteres), die er Gott gibt, aus-

282 | Anmerkungen

gelöst (modus operationis characteristicus). Durch die Verwendung der von Gott vorgesehenen Zeichen drückt man den Wunsch aus, dass das betreffende Ereignis geschehen möge. Danach handelt man scheinbar selbst, in Wirklichkeit wird aber die gewünschte Handlung von Gott erbracht. 14  Zum Beispiel Bilfinger, Dilucidationes philosophicae, s.  3, c.  4 , § 322; 323. 15  Kant, Kritik der Urteilskraft, 2. Teil, Anh. § 81; Akademie-Textausgabe V, 422. 16  S. Vf., Commercium mentis et corporis; 165–172. 17 Philosophia mathematica, Specimina novarum inventionum V: Demonstratio mathematica; 1 / PDF 237 | B 141. 18  Philosophia mathematica, Specimina novarum inventionum I: Doctrinalia, V: Concursus Naturae Naturantis et Naturatae, ad amussim revocatus; 4 / PDF 225 | B5,1, 143. 19  Philosophia mathematica s.  1, def.  10, schol. § 6; 80  f. / PDF 146  f. | B4.1, 87. 20  Aretologistica Th.  1, Cap.  2 , § 5; 22  f. / PDF 465  f. | B5.2, 300. 21  Pantologia s.  1, Tabula substantiarum naturalium, § 8; 41–42 / PDF 50–51 | B1, 173–174. 22  Archimetria, pars specialis, s.  2 , c.  3, def., schol. § 2; 427  f. / PDF 912  f. | B4.2, 304  f. 23  Sturm, Theosophia c.  3, prop.  4 ; 42  f. – Ders., Physica electiva l.  1, s.  1, c.  4, V, 4; 194  f. 24  De supputatione multitudinis c.  3, § 35; B6, 440.

10. Imposition und Werte 1 

Idea matheseos c.  6, § 4; 29 | B7 (§ 5), 83. De supputatione multitudinis, Abacus Reflexe Supputabilium III; B6, 379. – Ferner c.  3, § 1; B6, 427. 3  De supputatione multitudinis c.  3, § 30; B6, 439. 4  Caput summum, Ad lectorem; s.  p. – PDF 4  f. | B1, 4  f. – Pantologia s.  1, def.  5, schol. § 6; 18 | B1, 152  f. 5  AT, Genesis 2, 18: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.« 6  De supputatione multitudinis c.  3, § 47; B6, 444. 7  Aretologistica Th.  1, c.  2 , def.  4 , § 2; 20  f. / PDF 463 | B5.2, 298. 8  Idea matheseos universae c.  3, § 3; 7  f. | B7, 63. 9  Philosophia mathematica s.  1, def.  5, und schol. § 3; 18  f. / PDF 78  f. | B4.1, 44  f. 10  Pantognosia s.  2 , c.  9, § 1; 91  f. | B 104  f. 11  Röd 1951; 64, 78  f. und 81  f. 12  Pantologia s.  1, def.  4 , schol. § 8; 15  f. | B1, 150. 13  Pantognosia s.  2 , c.  4 , §§ 9  f.; 76 | B1, 90  f. 14  De corpore I c.  3, § 10; 44 | B6, 273. 2 

Anmerkungen | 283

15 

Physica pansophica def.  4, schol. § 2; 62 | B6 (§ 3), 102. De corpore I, c.  3  f.; 38–42 | B6, 266–269. 17  Arithmetische Beschreibung, Cap.  13, § 9; 94 | B2 (§ 10) 111. 18  Pantologia s.  1, def.  4, schol. § 8; 15  f. | B1, 150. – Tetractys, essentiae; B6, 219. 19  Pantologia, s.  1, def.  6, schol. § 3; 21  f. | B 155  f. 20  Comenius charakterisiert seinen Mundus ideatus des Möglichen als »cogitationum systema plenum«, geht aber nicht auf seinen ontologischen Status ein. S. Comenius, Pansophia, Mundus possibilis c.  1, § 1; PAA 199. 21  Zum Beispiel Petrus de Fonseca, Commentaria in Libros Metaphysicorum Aristotelis, l.  3, c.  5; 622 B–623 A: »Sintne numeri, et corpora, et plana, atque puncta, substantiae quaedam, necne.« 22  Arithmetische Beschreibung Kap.  1 4, § 7; 99 | B2, 117. 23  Weigel beklagt sich darüber, dass man zurzeit die quantitativen Aspekte fast aller Fächer der ohnehin überlasteten Mathematikprofessur aufbürdet (Analysis Aristotelica s.  3, memb.  2, c.  9, § 7; B3, 263  f.). Moralische Aspekte wären rebus sic stantibus eben bei der Moralphilosophie unterzubringen. Diese wird allerdings dann, wenn sich die wahre Philosophie oder Mathesis erst einmal durchgesetzt hat, als deren Einzeldisziplin erscheinen (Hinweis von Thomas Behme). 24  Idea matheseos universae c.  5, § 19; 26 (Druck: 24) – 27 | B7: § 20, 80. 25  Hinweis von Thomas Behme. 26  Pantologia def.  5, §§ 4; B1, 152  f. 27  Atque sic Artificia et Artefacta v. g. Automata, quoque naturalia sunt, quia neque moralia, neque notionalia, commode dici possunt. 28  Physica pansophica prop.  7 und demonstr.; 83 | B6, 165. 29  Physica pansophica prop.  3 und 4; 78 | B6, 160. 30  Physica pansophica, Axiomata propria, hypothesis, schol.; 77 | B6, 158. – Physica pansophica def.  5, schol § 3; 21 | B6, 110. 31  Descartes, Principia philosophiae II 36; AT 8, 61  f. 32  Physica pansophica def.  1 2, schol. § 2; 62 | B6, 145. 33  Physica pansophica def.  8, schol. § 2; 28  f. | B6. 137. – Physica pansophica prop 19, coroll.  4; 104 | B6, 185. 34  Physica pansophica def.  9 und schol., § 3; 41  f. | B6, 127  f. 35  Physica pansophica def.  9, schol. § 3; 42 | B6, 128. 36  Physica pansophica def.  9, schol. § 2; 41  f. | B6, 127  f. 37  Physica pansophica def.  9, schol. § 2: 41  f. | B6, 127  f. 38  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 12; 196 | B3, 207. 39  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 7; 193 | B3, 205. 40  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 8; 193  f. | B3, 205. 41  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 9; 194 | B3, 205  f. 42  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 11; 195  f. | B3, 206  f. 43  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 12; 196 | B3, 207. 44  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 14; 197 | B3, 208. 16 

284 | Anmerkungen

45 

Analysis aristotelica s.  3, memb.  2, c.  5, §§ 15–17; 197  f. | B3, 208  f. Analysis aristotelica s.  3, memb.  2, c.  5, §§ 18–20; 198  ff. | B3, 209  ff. 47  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 24; 201  f. | B3, 212  f. 48  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  19; 246 | B3, 256  f. 49  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 27; 203 | B3, 214. 50  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 32; 205  f. | B3, 216. 51  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  5, § 35; 207 | B3, 217  f. 52  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  6, § 2; 209  f. | B3, 220  f. 53  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  6, § 2; 209  f. | B3, 220  f. 54  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  8, § 4; 226  f. | B3, 237. 55  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  8, § 5; 227  f. | B3, 238. 56  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  13, § 44; 284  f. | B3, 293  f. 57  Pantologia s.  1, def.  8, Tabula substantiarum notionalium; 45 (Druck: 42)–55 | B1, 176–185. – Ebd. def.  7, schol.; 23–26 | B1, 157–160. 58  Diesen Vergleich verwendet Lamy, La rhetorique ou l’art de parler (1676), Amsterdam (Marret) 41699, l.  1, c.  1; 4  f. 59  Pantologia s.  1, def.  7, § 4; 25 | B1, 158  f. 60  Arithmetische Beschreibung Cap.  9, § 1; 51 | B2 64  f. 61  Pantognosia s.  1, c.  6, § 1; 18 | B1, 39  f. 62  Pantologia def.  8, III: Classis substantiarum notionalium, §§ 1–15; 45 (Druck: 42)–53 | B1, 176–183. 63  Analysis aristotelica s.  3, memb.  2 , c.  9; 231–243 | B3, 241–253. 64  Pantologia s.  1, def.  6, schol. § 3; 21  f. | B1, 155  f. – Ebd. s.  1, def.  7, § 8; 26 | B 160. 65  Pantognosia s.  2 , c.  4 , § 3; 73  f. | B 88  f. 66  Philosophia mathematica s.  1. def.  5, schol. § 2; 18 / PDF 79 | B4.1, 44. 67  Arithmetische Beschreibung Cap.  11, § 4; 75 | B2, 90. 68  Pantognosia s.  2 , c.  4 , § 3; 73  f. | B1, 88  f. 69  Arithmetische Beschreibung Cap.  9, § 2; 51  f. | B2, 65. 70  Arithmetische Beschreibung Cap.  18, § 1; 131 | B2, 150. 71  Arithmetische Beschreibung Cap.  1 4, § 7; 99 | B2, 116. 72  Aretologistica Th.  1, Cap.  1, § 3; 3  f. / PDF 446  f. | B5.2, 285. 73  Arithmetische Beschreibung Cap.  20, § 1; 142  f. | B2, 163. 74  Arithmetische Beschreibung Cap.  11, § 8; 76 | B2, 91  f. 75  Arithmetische Beschreibung Cap.  20, § 2; 143 | B2, 163. 76  Analysis aristotelica s.  2 , c.  10, § 8; 113  f. | B3, 126. 77  De supputatione multitudinis c.  1, § 10; B6, 384  f. 78  De supputatione multitudinis c.  1, § 11; B6, 385  f. 79  NT, Römer 2.14  f. 80  Pantologia s.  1, def.  6, schol. § 5; 22  f. | B1, 156  f. 81  Arithmetische Beschreibung Cap.  17, §§ 21  f.; 124–126 | 143  f. 82  Zum Beispiel Suárez, De legibus ac Deo legislatore l.  1, c.  3, n.  5; 65bD– 66aA, Coimbra 1612. 46 

Anmerkungen | 285

83 

De veritate c.  3, § 47; B6, 444. Analysis aristotelica s.  1, c.  3, § 9; 22 | B3, 37. 85  Analysis aristotelica s.  1, c.  3, § 6; 21 | B3, 36. 86  Aretologistica Th.  2 , c.  11, § 1; 328 / PDF 771  f. | B5.2, 546  f. 87  Behme, Natürliche Theologie und ens civile bei Erhard Weigel, in: Erhard Weigel und die Theologie; 110. 88  Pantologia s.  1, def.  6, schol. § 4; 22 | B1, 156. 89  Behme weist mehrmals, zum Beispiel in B2, XXIV  f., darauf hin, dass für Weigel unabhängig von seinen gelegentlichen vertragstheoretischen Formulierungen die Staatsgewalt auf einem wechselseitigen Pflichtenverhältnis von Obrigkeit und Untertanen beruht, das beide Seiten an den Zweck des Gemeinwohls bindet. Es gibt in seinen Texten zwar Ansätze zu einer Vertragstheorie, doch betrachtet er Herrschaft vor allem als treumeynende Regierung, als Amt im lutherischen Sinn. Die Untertanen sind dazu verpflichtet, die Obrigkeit zu lieben und zu ehren und ihr treumeynend zu gehorchen. Dem entspricht Weigels Bestimmung der wahren Staatsräson als Eintracht von Obrigkeit und Untertanen, die auf der Erfüllung der beiderseitigen Verpflichtungen beruht; hier übernimmt Weigel einen Grundzug der deutschen ratio-status-Rezeption. Behme verweist auf Paul Weinacht, Staat. Studien zur Bedeutungsgeschichte eines Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert (Beiträge zur politischen Wissenschaft, 2), Berlin 1968; 105  ff. und 135  ff. 90  De supputatione multitudinis c.  3, § 17; B6, 433. 91  Pantologia s.  1, def.  6, schol. § 4; 22 | B1, 156. 92  Aretologistica Th.  2 , Cap.  11, § 2; 342 / PDF 785 | B5.2, 556. 93  Idea matheseos c.  6, § 8; 30  f. | B7, 84, 94  Pantologia def.  13, Classis situum purorum, § 16 ; 73  f. | B1 (§ 15) 201  f. 1 95  Pantologia, s.  1, def.  8, § 11; 31 | B1, 164. 96  Pantologia, s.  1, def.  8, § 14; 33 | B1, 165. 97  Pantologia s.  1, Classis substantiarum notionalium § 1; 45 (Druck: 42) | B1, 176  f. 98  Aristoteles, Kateg.  5; 2a 11–18 (πρώτη, δευτέρα οὐσία, prṓtē, deutéra ousía, substantia prima, secunda). 99  Petrus de Fonseca, Commentaria in Libros Metaphysicorum Aristotelis, tom.  1 (Zetzner 1615), In l.  3. c.  5; 622 B–623 A: »Sintne numeri, et corpora, et plana, atque puncta, substantiae quaedam, necne.« 100  Behme B2, 189  f., Anm.  80. 101  Pantologia s.  1, def.  6, schol. § 3; 21  f. | B1, 155  f. 102  Döring, Erhard Weigels Zeit an der Universität Leipzig; 74: »Im März 1651 stellt Weigel zusammen mit Esaias Pufendorf, dem Bruder des später so berühmten Samuel Pufendorf, bei der Fakultät den Antrag, pro loco disputieren zu können, was in etwa unserer heutigen Habilitation entspricht. Das Ersuchen wird abgelehnt, da die für Weigels Anliegen zuständige Physikprofessur zur Zeit unbesetzt ist, auch solle Weigel warten, bis ein Jahr seit seiner 84 

286 | Anmerkungen

Magisterpromotion verstrichen ist. Dies entsprach durchaus den an der Leipziger Universität gültigen Regeln.« 103  Pufendorf bezeichnete in seiner unter Pseudonym herausgegebenen Reformschrift De statu imperii Germanici ad Laelium fratrem (Den Haag 1667) die deutsche Reichsverfassung als »irregulare aliquod corpus et monstro simile« (ein regelwidriger politischer Körper, der gleichsam aus einer unnatürlichen Kreuzung hervorgegangen ist). Das wirkt heute noch schlimmer als zu Weigels Zeit, weil monstrum bei uns inzwischen so viel wie »Monster« bedeutet, während es zunächst viel neutraler für »unnatürliche Kreuzung zwischen biologischen Arten« stand (zum Beispiel für eine Kreuzung von Fröschen und Eidechsen). 104 Pufendorf, Gesammelte Werke, hrsg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Detlef Döring, Akademie-Verlag / De Gruyter, Berlin 1996  ff. 105  Thomas Behme, Samuel Pufendorf als Weigel-Schüler, in: Katharina Habermann u. a., Erhard Weigel (1625–1699) und seine Schüler. Beiträge des 7. Erhard-Weigel-Kolloquiums 2014, Göttingen (Universitätsverlag) 2016; 83–111. 106  Ebd. 98  f. 107  Elementorum jurisprudentiae universalis libri duo, Den Haag (Vlacq) 1660. 108  Behme, Thomas, Samuel Pufendorf als Weigel-Schüler; 98. 109  Ebd. 110  f. 110  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 2; 3. 111  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 4; 4  f. 112  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 3; 3  f. 113  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 23; 20  f. 114  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 3; 3  f. 115  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 6; 5  f. – Behme, Pufendorf als Weigel-Schüler; 97. 116  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  1, c.  1, § 22; 20. 117  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  5, c.  1, § 1: 666. 118  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  5, c.  1, § 2; 666  f. 119  Pufendorf, De jure naturae et gentium l.  5, c.  1, §§ 11  f.; 680–682.

11. Topische Logik 1 

Aristoteles, Topik 8.1; 155b 4  f. Aristoteles, Topik 1.4; 101a 34–37. 3  Aristoteles, Topik 4.1; 120 b12 – 121 b23. 4  Quintilian, Institutio oratoria 5, 20: »[…] sedes argumentorum, in quibus latent, ex quibus sunt petenda«. S. auch Cicero, De oratore II, 161: »Sin ab eo, quod rem attingit, plures sunt argumentorum sedes ac loci, nam et coniuncta quaeremus et genera et partis generibus subiectas et similitudines et dissimi2 

Anmerkungen | 287

litudines et contraria et consequentia et consentanea et quasi praecurrentia et repugnantia et causas rerum vestigabimus et ea, quae ex causis orta sint, et maiora, paria, minora quaeremus.« 5  Kurze Einführungen: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des Mittelalters, Bd.  4: 13. Jahrhundert, Kap.  8: Ramón Lull (Fer­ nando Domínguez Reboiras und Jorge Uscatescu Barrón). – Ernesto Priani, Ramón Lull. in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2021 Edition), URL https://plato.stanford.edu/entries/llull/ (21. 08. 2022) 6  Karl Vossler, Luis de León, München (Schnell und Steiner) 1946. 7 Der Lernvers »Quis-quid-ubi-quibus auxiliis-cur-quomodo-quando« entspricht allerdings nicht Lulls Reihenfolge »Quid«, »Utrum«, »De quo«, »Quantum« und Quale«; auch wird der Ort von »Quibus auxiliis« verlegt. 8  Mit deutschen Termen: B: Güte, Differenz, Ob, Gott, Gerechtigkeit, Geiz, C: Größe, Übereinstimmung, Was, Engel, Klugheit, Völlerei, D: Dauer, Gegensatz, Von was, Firmament, Tapferkeit, Genussucht, E: Macht, Anfang, Warum, Seele, Mäßigkeit, Stolz, F: Weisheit, Mitte, Wie groß, Einbildungskraft, Glaube, Trägheit, G: Wille, Ende, Wie beschaffen, Sinnlich, Hoffnung, Neid, H: Tugend, Majorität, Wann, Vegetativ, Liebe, Zorn, I: Wahrheit, Gleichheit, Wo, Elementarisch, Geduld, Verlogenheit, K: Ruhm, Minorität, Womit auch immer, Kunsterzeugnis, Frömmigkeit, Unbeständigkeit. 9  Den größten Teil der 84 Spalten druckt Band 5 (1729) der Werkausgabe Mainz 1721–1742 (Ivo Salzinger / Franz Philipp Wolff (in: Neuer Ueberweg Bd.  4 , Kap.  8; 1058, unter Nr.  452) auf den unpaginierten Seiten zwischen 210|PDF 225 (der letzten Seite der Ars inventiva) und 211|PDF 236 (der ersten Seite von Raymundi Lulli Tabula generalis). Die im Folgenden nach dieser Ausgabe zitierten Texte Ars inventiva und Tabula generalis werden in der Bibliographie von Grundriss der Geschichte der Philosophie (Neuer Ueberweg) Bd. 4, Kap.  8; 1053, 321 und 327 zu den echten Schriften gerechnet. 10  Ars inventiva, Montpellier 1290. – Raymundi Lulli Tabula generalis, ebenfalls Montpellier 1290. 11  Raymundi Lulli Tabula generalis dist.  5; Mainz 1729, 23a / PDF 224ab. 12  Raymundi Lulli Tabula generalis, dist.  5; Mainz 1729, 59a / PDF 294 a. 13  Raymundi Lulli Tabula generalis, dist.  5, p.  5, 1; Mainz 1729, 28a / PDF 263 a. 14  Raymundi Lulli Tabula generalis, dist.  5, p.  8, 1; Mainz 1729, 59a / PDF 294a. 15  Raymundi Lulli Tabula generalis, dist.  5, p.  8, 2; Mainz 1729, 59b / PDF 294 b. 16  Raymundi Lulli Tabula generalis, dist.  5, p.  8, 2; Mainz 1729, 57b / PDF 292 b. 288 | Anmerkungen

17  Gekürzte Wiedergabe von Lullus, Ars inventiva veritatis seu ars intellectiva veri, dist.  3 de regulis, regula prima; Mainz 1729, 37b–38a / PDF 52b–53a. 18  Lullus, Tabula generalis, dist.  5, pars 6, 3; Mainz 1729, 34a / PDF 269a. 19  Ong 1958; 197, Anm.  2. 20  Risse 1960; 38 und ebd., Anm.  9. 21  Der folgenden Skizze liegt die Erstausgabe sowohl als solche als auch in der Fassung der Basler Ausgabe von 1575 zugrunde, in der der Verleger Sebastianus Henricus Petri ein von dem Ramus-Biographen Thomas Freigius übermitteltes Exemplar der Erstausgabe nachdruckte. Beide sind im Internet verhältnismäßig leicht zugänglich. Die Pariser Ausgabe wurde 1964 mit einer Einführung von Wilhelm Risse photomechanisch nachgedruckt (Dialecticae institutiones  / A ristotelicae animadversiones, Stuttgart-Bad Cannstatt, Frommann. 1964). Die Wirkung der Erstausgabe war gering, sie bietet aber eine Skizze des ramistischen Systems in seiner embryonalen Form und ist sozusagen die Matrix späterer Auflagen (Ong 1958; 175, und Risse1960; 37). In der folgenden Skizze beziehe ich mich auf Walter J. Ongs Ramus-Monographie von 1958 und auf den Aufsatz des Logikhistorikers Wilhelm Risse: Die Entwicklung der Dialektik bei Petrus Ramus, AGPh Jg. 1960; 36–72. Ongs Darstellung ist kritisch, und der Aufsatz Risses, der Ramus schätzt, ist wohl als Antwort auf Ong zu verstehen. 22  Ong 1958; 194. 23  Ong 1958; 196. 24  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543, 12a–14b – Basel 1575; 13–17. 25  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 14a–15a – Basel 1575; 17–18. 26  Risse 1960; 45. 27  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 15a–18a – Basel 1575; 18–24. 28  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 57 b – Basel 1575; 100. 29  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 20 a – Basel 1575; 28. 30  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 20a – Basel 1575; 28. 31  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 20b–27b – Basel 1575; 29–43. 32  Risse 1960; 48. 33  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 27b–35b – Basel 1575; 43–57. 34  Ramus, Dialecticae Institutiones; Paris 1543; 35b–41b – Basel 1575, 57–69. 35  Ramus, Dialecticae Institutiones: Paris 1543; 42a – Basel 1575; 72  f. 36  Ong 1958; 192. 37  Rissse 1960; 56  f. 38  Ramus, Institutionum dialecticarum, Paris 1554; 193–202 (methodus doctrinae) und 202–207 (methodus prudentiae). 39  Ramus, Instititionum dialecticarum, Paris 1554; 202: »Methodus prudentiae sequitur, quae vix arte certa regi potest, ideoque prudentiae dicitur, quod naturali hominis prudentia fere contineatur.« 40  Ong 1958; 245  f. 41  Risse 1960; 63.

Anmerkungen | 289

42 

Risse 1960; 63–65. Ebd. 68. 44 Ebd. 45  Ebd. 71–73. 46  Weigel, Archimetria s.  1, c.  6, Epilogus; B4.2, 108: »O quantum miseret me Rami, qui Mathesi quidem florido intinctus erat; Dialecticae spumoso tamen smegmate obductus totum potius rejicere Euclidem, quam glaucoma, coeca consuetudine Scholarum suis oculis obductum, (tubi optici aut microscopii defectu) tunc agnoscere discupiebat. Non immerito propterea, ab ipsis Logicis rejicitur, imo a Logicorum pueris aeque ac Priscianus (ille tamen jure, hic injuria) in Scholis vapulat.« 47  S. Art. Ramismus, Semiramismus, in HWPh Bd.  8; 15–17 (Riccardo Pozzo). 43 

12. Alsteds und Comenius’ Enzyklopädien 1  Pierre Bayle, Dictionnaire historique et critique Bd.  I, Rotterdam (Leers) 1697, Art. Alstedius A; 214: »Son Encyclopédie trouva grace devant les Catholiques Romains, car elle fut reimprimée à Lyon et a eu asssez de debit en France.« – Englische Auswahlübersetzung »Templum musicum« von John Birchensha, London (Godbid) 1664. 2  Schmidt-Biggemann, Topica universalis; 158  f. 3  Ebd. 167  f. 4  Ebd. 175. 5  Ebd. 102. 6  Ebd. 134. 7  Ebd. 132  f. 8  Alsted, Encyclopaedia 1630, Historica c.  10; 7, 2021a: »Ad illos quod attinet, qui dicuntur Lullistae, illorum Logica mihi post diligentem et diuturnam hac super re meditationem ad oratoriam pertinere videtur.« 9  Alsted, Encyclopaedia 1630, Cyclognomica; 7, 2328b: Wir aber schlagen einen Mittelweg ein und folgen dabei Julius Pacius, der quatuor libros Artis Lullianae emendatae verfasste. 10  Alsted, Encyclopaedia 1630, Historica c.  9; 7, 2010a: Galenisten und viele andere Medizinerschulen bekämpfen die nach Theophrastus Paracelsus benannten Paracelsisten. Paracelsus aber »omnem suam doctrinam hausit ex operibus Chymicis Raimundi Lullii, Arnoldi de villa nova, qui claruit anno Christi 1300«. Die Zuordnung von Arnold von Villanova zu Lull ist inzwischen umstritten. 11  Alsted, Encyclopaedia 1630, Alchymia, Regulae; 7, 2274a. 12  Alsted, Encyclopaedia 1630, Alchymia, Regulae 1; 7, 2274a  f. 13  Alsted, Encyclopaedia 1630, Geometria 2, c.  3; 1–3, 934a. 14  Alsted, Encyclopaedia 1630, Didactica 2, c.  8; 1–3, 114b.

290 | Anmerkungen

15 

Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l, 1; §§ 1–11; V1–3, 27a. Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium I, 1, §§ 12–32; V1–3, 27a–b. 17  Timplers Technologia findet man in mehreren Ausgaben von Timplers Metaphysicae systema methodicum vor dem Haupttext, zum Beispiel in der Ausgabe Marburg (Kezelius) 1607 (Digitalisat UB Halle, 37 S., URN: nbn:de:gbv:3:1–601391.– vd17 3:315517). (22. 12. 2022) 18  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium 1.3, § 5; V1–3, 28a. 19  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  4 , § 2; V7, 96ab. 20  L.  5: Lexica, l.  6: Grammatica; beide Encyclopaedia V1–3, 28b. 21  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium. – Rhetorik: l.  7; 28b–29a. – Oratorik: 1–3; 29 ab. – Ramistische Logik: 1–3, 29a. – l.  19: Poetik; V1–3, 29b. 22  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  11; V1–3, 29b–31a. – Zur essentia imaginaria s. im Hauptteil l.  11, c.  2: De essentia; V1–3, 576 ab. 23  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium; V1–3, 29b–31a. – Im Hauptteil: V1–3, 573–630 (57 eng bedruckte große zweispaltige Seiten). 24  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  1 2, § 24; V1–3, 31ab. 25  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  13, §§ 1–13; V1–3, 31 b. 26  Alsted, Encyclopaedia 1630, l.  13, c.  5, praecepta; V1–3, 674 b. 27  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  13. §§ 14–30; V1–3, 31b–32a. 28  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  13. §§ 31–46; V1–3, 32ab. 29  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  13, §§ 47–68; V1–3, 32b–33a. 30  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  13, §§ 69–72; V1–3, 33a. 31  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  16; V1–3, 34b. 32  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  17, § 27; V1–3, 35b. 33  Alsted, Encyclopaedia 1630, l.  16, c.  5; V1–3, 980 b. 34  Alsted, Encyclopaedia 1630, Didactica c.  13, regula 2; V1–3, 130a. 35  Alsted, Encyclopaedia 1630, Archelogia c.  7, XII; V1–3, 81b: Als Postulate bezeichnet man Thesen, an denen man zweifeln oder die man ablehnen kann. Sie sollten aber nicht falsch sein wie das Postulat von Kopernikus. 36  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  17, §§ 30–33; V1–3, 35b. 37  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  18; V1–3, 35b–37a. 38  Alsted, Encyclopaedia 1630, Compendium l.  19–23; V1–3, 37a–38b. 39  Alsted, Encyclopaedia 1630, l.  2 4; V1–3, 39ab. 40  Alsted, Encyclopaedia 1630, l.  25–28; V1–3, 39a–42a. 41  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 42a–46b. 42  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 46b. 43  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 47–130. 44  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 131–570. 45  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 131–570. 46  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 571–1216. 47  Alsted, Encyclopaedia 1630; V4, 1216–1552. 48  Alsted, Encyclopaedia 1630; V5, 1555–1858. Theologie: V5, 1555–1690. Jurisprudenz: 1691–1772. Medizin; 1773–1858. 16 

Anmerkungen | 291

49 

Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 1859–1956. Alsted, Encyclopaedia 1630; V6, 1861–1867. 51  Alsted, Encyclopaedia 1630; V6, 1868–1912; zur Lehre von den Metallen und Mineralien s. die Aufstellung in V6, 1912. 52  Alsted, Encyclopaedia 1630; V6, 1913–1965. 53  Alsted, Encyclopaedia 1630; V7, 1957–2404. 54  Alsted, Encyclopaedia 1630, Peroratio libri trigesimi quinti; V7, 2397b. 55  Bei dieser und den folgenden Stellenangaben steht »7« für »Alsted, Encyclopaedia 1630, Vol.  7.« 56  Alsted, Encyclopaedia 1630; V7, 2397–2404. 57  Alsted, Encyclopaedia 1630; V1–3, 49. 58  Paolo Rossi, Clavis universalis, Paris (Millon) 21993, chap. VI: Encyclopédisme et pansophie; 147–170. 59  Comenius, De emendatione rerum humanarum consultationis catholicae Panergesia, excitatorium universale (Amsterdam 1656). De rerum humanarum emendatione […] pars secunda, Panaugia (Amsterdam 1660). 60  Comenius, Pampaedia. Lateinischer Text und deutsche Übersetzung, hrsg. von Dmitrij Tschižewskij in Gemeinschaft mit Heinrich Geisler und Klaus Schaller. Heidelberg (Quelle und Meyer) 1960. 61  Iohannis Amos Comenii de rerum humanarum emendatione consultatio catholica. Editio princeps, Tomus I und II, Prag (Academia Scientiarum Bohemoslocvaca) 1966 (zitiert als PAA). 62  Comenius, Pansophici Luminis Gradus Octavus Septimum Mundum ideatum Aeternum (ceu Mundos praecedentes omnes absorbentem abyssum) mortalium Oculis spectandum exhibens; PAA 1; 725, col.  1262. 63  The Hartlib Papers on CD Rom, hrsg. von J. Crawford u. a., Michigan 1995 (Sammlung von Briefen und hinterlassenen Manuskripten Hartlibs). 64  Operis pansophici a Johanne Amos Comenio coepti, prodromus, biennio abhinc, Praeludiorum titulo publicatus, London (o. D.) 1639. 65  Joannis Amos Comenii Pansophiae Prodromvs. Accedunt Didactica Dissertatio de Sermonis Latini Studio perfecte absolvendo, aliaqve eivsdem, Leiden (Lopez de Haro) 1644. 66  Comenius, Prodromus 1644; 6  f. 67  Comenius, Prodromus 1644; 6–17. 68  Comenius, Prodromus 1644; 17–22. 69  Comenius, Prodromus 1644; 22–25. 70  Comenius, Prodromus 1644; 36–48. 71  Comenius, Prodromus 1644; 55–62. 72  Comenius, Prodromus 1644; 62–68. 50 

292 | Anmerkungen

13. Weigels Enzyklopädie-Projekte 1  Pantognosia s.  1, c.  2 , c.  10; B1, 108: Wenn man die Kompendien aller Wissenschaften, die der fleißige Alsted unter dem Namen Encyclopedia zusammengeschrieben hat, nur unter dem Gesichtspunkt der Seitenzahl anschaut, wird man bemerken, dass er viel mehr Seiten mit ästimativen als mit denominativen Argumenten füllt, aber nur ganz wenige davon wirklich durchrechnet. 2  Caput summum, Ad lectorem; s.  p. / PDF 6 | B1, 6. 3  Philosophia mathematica, p. generalis, s.  2 , memb.  1, § 25; 124  f. / PDF 190 | B.  4.1, 115. 4  Archimetria, de proportione tractuum, prooem.; 138 / PDF 622 | B4.2, 97. 5  Philosophia mathematica; 236  f. / PDF 452  f. | B4.1, 304: Nach Ramus hat Aristoteles zu viel Wert auf die Bestätigung von Theoremen gelegt. – Ferner Archimetria, principiata, s.  1, c.  6; 138 / PDF 628 | B4, 2, 97: Ramus hat Euklid deshalb abgelehnt, weil er nicht mit Syllogismen gearbeitet hat. – Principiata s.  2, c.  u lt.; 230 / PDF 739 | B4, 2, 166: Euklid hat einige Beweisschritte als Hilfen für schwache Schüler eingebaut. 6  Idea totius Encyclopaediae mathematico-philosoph., hoc est, Analysis Aristotelico-Euclidea genuinum demonstrandi modum et plenam solidioris philosophiae faciem per omnes disciplinas et facultates ichnographice depingens, Jena (Meyer) 1671. 7  Compendium Logisticae, praemissa doctrina de tribus mentis operationibus in computando, quibus latens veritas eruitur, Jena (Bauhofer) 1691|B7, 181–261. 8  Weigel unterscheidet zwischen sinnlicher und intelligibler Ausdehnung. Gedachte Linien, Flächen und Körper sind intelligibel ausgedehnt. Natürliche Körper, die den natürlichen Raum erfüllen, sind sinnlich ausgedehnt. Sinnliche Ausdehnung ist immer unvollkommen, weil die Sinne ihre Objekte nicht ästimativ genau abbilden können. 9  Idea matheseos universae c.  5, § 9 ; 22 | B7, 76  f. 1 10  Idea matheseos universae c.  5, § 9 22  f. | B7 (§ 10) 77. 2; 11  Idea matheseos universae c.  5, § 14; 25 | B7 (§ 15), 78  f. 12  Idea matheseos universae c.  8, § 14; 44 | B7, (§ 9) 97  f. 13  Behme in B2, IX. 14  Idea matheseos universae c.  5, § 16; 25  f. (Druck: 25–24) | B7 (§ 17), 79. 15  Aretologistica Th.  1, Cap.  3, 2. Haupt-Division, § 3; 30  f. / PDF 474 | B5.2, 306. 16  Idea matheseos universae c.  5, § 19: 26  f. (Druck: 24–27) | B7 (§ 20); 80. 17  Idea matheseos universae c.  6, § 9; 31 | B7, 84  f. 18  Idea matheseos universae c.  6, § 10; 31  f. | B7, 85. 19  Der Text auf dem Titelblatt von Comenius’ Pansophie (PAA I, 245) lautet in deutscher Übersetzung etwa so: Pansophia, das ist allumfassende Weisheit, gegründet auf der menschlichen Natur derart, dass alle Menschen mit Hilfe

Anmerkungen | 293

ihrer richtig erkannten und auf alle Einzelfälle passend angewandten angeborenen Erkenntnisse und guten Wünsche sowie des Drangs und der Mittel zur Verwirklichung des von ihnen Gewünschten in der Lage sind, klar zu erkennen, was für sie das Gute und Böse ist, aber auch mit völlig irrtumsfreien Verfahren das Gute durch Befolgung zu erlangen und dem Bösen durch Abwendung zu entrinnen. Das Werk ist allen Völkern der Erde gewidmet und soll dazu beitragen, dem ganzen Menschengeschlecht zu vollkommener Vernunft und vollkommenem Sprechen zu verhelfen, um dadurch irgendwann den völligen Konsens der Menschen zu erzielen und, so Gott will, die Zwietracht in der Welt zu beheben. 20 S. http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/personen/studenten/# (19. 01. 2023). 21  Dazu Behme, Weigels Corpus pansophicum, in: Philosophia mathematica, hrsg. von Stefan Kratochwil; 23–38. 22  Caput summum, Titelblatt, s. p. / PDF 2 | B1, 3: »UNIVERSI CORPORIS PANSOPHICI CAPUT SUMMUM , à Rebus Naturalibus, Moralibus et Notionalibus, Denominativo simul et Aestimativo gradu cognoscendis, abstractum, Exhibens Reale, non imaginarium, ARTIS MAGNAE SCIENDI Specimen Trin-uno-combinatorium: Pacis inter Eruditos perpetuo Scientiarum incremento conservandae Vinculum: Probatorum antiquae Philosophiae staminum [Weigels Vater war Tuchmacher], a Scholarum tricis purgatorum, ad Euclideam catenam adstrictione consolidatum Filum Veritatis Ariadneum, Quo simul et CARTESIUS , ubi declinat, constringitur. Labor ultra vicennalis ERHARDI VVEIGELII , Prof. Publ. 23  Diese und die folgenden Anspielungen Weigels stützen sich auf Descartes’ Physiologie des Menschen. Zu dieser kann man bequem die von dem Physiologen und Medizinhistoriker Karl E. Rothschuh besorgte und kommentierte deutsche Textausgabe des Traité de l’Homme und der Description du corps humain (Heidelberg, Lambert Schneider, 1969) konsultieren. 24  Caput summum, Ad lectorem; s. p. / PDF 4 | B1, 4. 25  Physica pansophica, Ad lectorem; s. p. / PDF 10  f. | B1, 86  f. 26  Dazu Stefan Wallentin, Weigelius mit seinen Grillen, in: Idea matheseos universae, hrsg. von Klaus-Dieter Herbst u. a.; 77–88. 27  Erst im 19. und 20. Jahrhundert hat die Philosophiehistorie gelernt, die mechanischen Errungenschaften von Scholastikern wahrheitsgemäßer einzuschätzen, als es Weigel konnte. 28  Caput summum, Ad lectorem; s.  p. / PDF 6 | B1, 6. 29  Nach Descartes’ Physiologie filtert die Zirbeldrüse die feinsten Blutteilchen aus und verwendet sie als Lebens- oder Animalgeister; aus ihnen besteht nach Meinung der Neuerer das, was die Scholastiker als vegetative und sensitive Seele bezeichnen. Die immaterielle Vernunftseele kann so agieren, dass Animalgeister über die Nervenbahnen zu den gewünschten Sensorien und Muskeln strömen, sie sozusagen aufblasen, sodass sie sich verkürzen, oder 294 | Anmerkungen

wieder entleeren, so dass sie schlaff und länger werden. Auf diese Weise werden die Sehnen, die an den Muskeln befestigt sind, angezogen oder abgesenkt, und das ermöglicht dem Organismus motorische Aktivitäten. 30  Physica pansophica, Ad lectorem; s.  p. / PDF 12 | B6.1, 87  f. 31  Immerhin hält Weigel die Pansophie für die Vollendung des Lullischen Traums; s. Behme in B1, 269, Anm.  2. 32  S. Pantologia, Prooemium; B1, 137. 33  Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts in Deutschland, Weigel-Darstellung von Konrad Moll; 953 b.

Anmerkungen | 295

Verzeichnis der verwendeten Literatur Am Ende eines Eintrags wird gegebenenfalls die in den Anmerkungen verwendete Kurzform genannt.

Zeitgenössische Drucke von Werken Weigels Analysis aristotelica ex Euclide restituta, genuinum sciendi modum, et nativam restauratae philosophiae faciem per omnes disciplinas et facultates ichnographice depingens, Jena (Gross) 1658. Idea matheseos universae cum speciminibus inventionum mathematicarum, Jena (Bauhofer) 1669 Universi corporis pansophici caput summum, a rebus naturalibus, moralibus et notionalibus, denominativo simul et aestimativo gradu cognoscendis, abstractum, Jena (Bauhofer) 1671 (Caput summum). Idea totius Encyclopaediae mathematico-philosoph., hoc est, Analysis Aristotelico-Euclidea genuinum demonstrandi modum et plenam solidioris philosophiae faciem per omnes disciplinas et facultates ichnographice depingens, Jena (Meyer) 1671. Universi corporis pansophici prodromus de gradibus humanae cognitionis […] quem dicere possis Pantognosiam, Jena (Bauhofer) 1672 (Pantognosia). Corporis pansophici Pantologia, Jena (Bauhofer) 1673 (Pantologia). Physicae pansophicae specimen, quod exponit Johannes Wülfer, No­ rimb., Jena (Bauhofer) 1673. (Physica pansophica). Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen, worauf das gemeine Wesen bestehet, Jena (Bielcken) 1674. Dissertatio academica de corpore divini numinis (Werenberg), Jena (Bauhofer) 1675 (De corpore I). Dissertationem academicam de Corpore divini numinis charactere demonstrativo […] examini subjiciet Georgius Schneider, Jena (Bau­hofer) 1675 (De corpore II). 296

De supputatione multitudinis […] publice disputabunt Praeses Erhardus Weigelius et respondens Caspar Bussingius, Jena (Bauhofer) 1679. Wienerischer Tugendspiegel, Nürnberg (Endter) 1687. Aretologistica; Die Tugend-übende Rechen-Kunst, Nürnberg (Endter) 1687 (gedruckt im Anschluss an den Text des Wienerischen Tu­ gend­spiegels: das Werk füllt die PDF-Seiten 432–895). Compendium logisticae, praemissa doctrina de tribus mentis operationibus in computando, quibus latens veritas eruitur, (1Jena, Bauhofer, 1691) Jena (Cröker) 1705. Philosophia mathematica, theologia naturalis solida … Jena (Birckner) 1693. Philosophiae mathematicae secunda disciplina specialis, videlicet Archimetria, Jena (Birckner) 1693 (Archimetria. Gedruckt in meinem Digitalisat im Anschluss an die Philosophia mathematica auf PDF 488–1002).

Schülings Sammlung pädagogischer Schriften Weigels Schüling, Hermann (Hrsg.), Erhard Weigel. Gesammelte pädagogische Schriften (Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek Gießen, 19), Gießen (Universitätsbibliothek) 1970 (zitiert als SWPS). – Das Werk ist auch als Digitalisat verfügbar, und zwar unter folgender URN: urn:nbn:de:hebis:26-opus-36864 – URL: http:// geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/3686/ (14. 06. 1921). (SWPS).

Die neue Werkausgabe Die neue Werkausgabe, die Thomas Behme herausgibt, bildet die Dritte Abteilung der Sammlung Clavis Philosphiae. Eine Bibliothek der Universalwissenschaften in Renaissance und Barock, herausgegeben von Charles Lohr und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Band 1 (2003), B1: Universi corporis pansophici caput summum. Pantognosia. Pantologia. Die neue Werkausgabe | 297

Band 2 (2004), B2: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen. Band 3 (2008). B3: Analysis aristotelica ex Euclide restituta. Band 4.1 (2013), B4.1: Philosophia mathematica theologia naturalis solida. Band 4.2 (2013), B4.2: Philosophiae mathematicae secunda disciplina specialis, purae matheseos pars altera. Band 5.1 (2016), B5.1: Wienerischer Tugendspiegel. Band 5.2 (2016), B5.2: Aretologistica, Die Tugend-übende Rechen-Kunst, Band 6 (2018), B6: Kleine Schriften zu Gott, Zeit und Existenz Dissertatio metaphysica prior de existentia. Dissertatio metaphysica posterior de modo existentiae, qui dicitur duratio. Dissertatio de tempore in genere. Physicae pansophicae specimen primum. Tetractys, Summum tum arithmeticae tum philosophiae discursivae, compendium. De corpore divini numinis tomus I. De corpore divini numinis tomus II. Theodixis pythagorica. De supputatione multitudinis. Band 7: Kleine Schriften zur Logik, Logistik und zum Begriff der Mathesis (2021), B7: De natura logicae. Exercitatio logica de proprio. Idea Matheseos universae. Von der Würckung des Gemüths / die man das Rechnen heist. Compendium logisticae. Genealogia matheseos universae. Quartalische Vorbereitung. Frühlings-Quartal des 1699sten Jahrs.

298 | Verzeichnis der verwendeten Literatur

Ältere Literatur Alsted. Johannis-Henrici Alstedii Encyclopaedia septem tomis distincta. Herborn 1630. – ND Stuttgart-Bad Cannstatt (FrommannHolzboog), 1989 und 1990. Ammann, Johann Conrad: Dissertatio de loquela, Amsterdam (Wolters) 1700. Aristoteles:  – Analytica priora.  – Analytica posteriora.  – Kategorien.  – Metaphysik.  – Physik.  – Topik. Bayle, Pierre, Dictionnaire historique et critique Bd.  I, Rotterdam (Leers) 1697. Herrn Peter Baylens Historisches und Critisches Wörterbuch Bd.  3, Leipzig (Breitkopf) 1743. Bibel. AT:  – Genesis.  – Buch der Weisheit.  – Sprüche Salomonis (Proverbia). NT:  – Apostelgeschichte. Bilfinger, Georg Bernhard, Dilucidationes philosophicae, Tübingen (Cotta) 31746. Boyle, Robert, Of the usefulness of natural philosophy, part 2, sect.  2, essay 2; Opera (Birch) II 64.  – Considerations and experiments touching the origin of qualities and forms, Opera (Birch) III 75. Clauberg, Johannes, Corporis et animae conjunctio, in: Opera (Schalbruch), Amsterdam, (Wolfgang u. a.) 1692. Comenius, Johannes Amos, Operis pansophici a Johanne Amos Comenio coepti, prodromus, biennio abhinc, Praeludiorum titulo publicatus, hrsg. von Samuel Hartlib, London (o. V.) 1639.  – Pansophiae Prodromus, accedunt Didactica, Dissertatio de Ser-

Ältere Literatur | 299

monis Latini Studio perfecte absolvendo, aliaqve eivsdem, Leiden (Lopez de Haro) 1644.  – De rerum humanarum emendatione consultatio catholica, editio princeps, tomus I, II, Prag (Academia Scientiarum Bohemoslovacae) 1966 (PAA).  – Schola ludus seu Encyclopaedia viva, Frankenthal (Redinger) 1659. (Mehrmals ins Deutsche übersetzt, zum Beispiel: Die Schule als Spiel, übertragen von Wilhelm Bötticher, Langensalza (Beyer) 21907.)  – Pampaedia, lateinischer Text und deutsche Übersetzung, hrsg. von Dmitrij Tschižewskij in Gemeinschaft mit Heinrich Geisler und Klaus Schaller. Heidelberg (Quelle und Meyer) 1960. Descartes, René, Gespräch mit Burman, 16. 4. 1648 (Adam-Tannery, Paris 1996, Vrin; V, 146–179), kommentierter deutscher und lateinischer Text mit einer Einleitung von Hans Werner Arndt, Hamburg (Meiner) 1982 (Philosophische Bibliothek, 325).  – Discours de la methode, Adam-Tannery VI, Paris (Vrin) 1996.  – Principia philosophiae, Adam-Tannery VIII, Paris (Vrin) 1996; 1–353.  – Über den Menschen (1632) sowie Beschreibung des menschlichen Körpers (1649), nach der ersten französischen Ausgabe von 1664 übersetzt und mit einer historischen Einleitung und Anmerkungen versehen von Karl E. Rothschuh, Heidelberg (Schneider) 1969. Euklid, Die Elemente Buch I–XIII, herausgegeben und übersetzt von Clemens Thaer (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften). – ND Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1962. Fonseca, Petrus de, Commentaria in libros Metaphysicorum Aristotelis, Bd.  1–4, Köln (Zetzner) 1615–1629. – ND, 2 Bde., Hildesheim (Olms) 1964. Gassendi, Petrus, Opera Bd.  2, Leiden (Anisson) 1658. – ND Stuttgart (Frommann-Holzboog) 1964. Geulincx, Arnold, Opera philosophica, recognovit J. P. N. Land, Bd.  II, Den Haag (Nijhoff) 1892. Helmont, Fanciscus Mercurius van, Een zeer korte afbeelding van het ware natuurlijke hebreuwse A. B. C , Amsterdam (Rotterdam) 1697. Kant, Immanuel, Kritik der Urteilskraft, Akademie-Textausgabe Bd.  5, Berlin (De Gruyter) 1968.

300 | Verzeichnis der verwendeten Literatur

Knott, Robert, Weigel, Erhard, in: Allgemeine Deutsche Biographie Bd.  41 (1896); 406–409. La Forge, Louis de, Traitté de l’esprit de l’homme, de ses facultés et fonctions, et de son vnion avec le corps, suivant les principes de René Descartes, Paris (Bobin u. a.) 1666. Lamy, La rhetorique ou l’art de parler (1676), Amsterdam (Marret) 4 1699. Leibniz, Akademie-Ausgabe (AA) III, 5, Berlin (De Gruyter) 2003. Leibniz, Gottfried Wilhelm, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie II, hrsg. von Ernst Cassirer, Hamburg (Meiner) 1996 (Philosophische Bibliothek, 497).  – Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolff, hrsg. von C.  I. Gerhardt, Halle (Schmidt) 1860, – ND Hildesheim (Olms) 1963. Lull, Ramón, Dialecticae institutiones  / Aristotelicae animadversiones, Faksimile-Nachdruck der Ausgabe Paris 1543, mit einer Einleitung herausgegeben von Wilhelm Risse, Stuttgart-Bad Cannstatt (Frommann-Holzboog) 1964.  – Raymundi Lulli Ars inventiva (Montpellier 1290), und ders., Raymundi Lulli Tabula generalis (Montpellier 1290), in: Beati Raymundi Lulli operum tom.  5, hrsg. von Ivo Salzinger und Franz Philipp Wolff, Mainz (Häffner) 1729. Lullus, Raimundus, Ars brevis, Lateinisch-Deutsch hrsg. von Alexander Fidora, Hamburg (Meiner) 2001 (Philosophische Bibliothek 518). Pufendorf, Samuel, De jure naturae et gentium, Frankfurt a. M. (Knoche) 1684. Ramus, Petrus, Dialecticae institutiones  / A ristotelicae animadversiones, ND der Ausgabe von 1543, Stuttgart-Bad Cannstatt (Frommann-Holzboog) 1964.  – Institutiones dialecticae, Paris (Grandin) 1554.  – Dialecticae Institutiones, Basel (Henricpetri) 1575 (ND der Ausgabe von 1543). Reimarus, Samuel, Von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion, hrsg. von Günter Gawlick, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1985. Scheibler, Christoph, Metaphysica duobus libris, Oxford (Hall) 1665. Schott, Caspar S. J.: Magia universalis, naturae et artis, sive recondita naturalium et artificialium rerum scientia, Thaumaturgus physi-

Ältere Literatur | 301

cus, sive Magia universalis, naturae et artis pars quarta, Bamberg (Schönwetter) 1677. Spieß, Edmund, Erhard Weigel, weiland Professor der Mathematik und Astronomie zu Jena, der Lehrer von Leibnitz und Pufendorf. Ein Lebensbild aus der Universitäts- und Gelehrtengeschichte des 17. Jahrhunderts, gleichzeitig ein Beitrag zur Geschichte der Erfindungen sowie zur Geschichte der Pädagogik, Leipzig (Klinckhardt) 1881. Sturm, Johann Christoph, Theosophiae, h. e. cognitionis de Deo naturalis specimen methodo mathematica conceptum, Altdorf (Meyer) 1689. Suárez, Franciscus, Tractatus De legibus ac Deo legislatore in decem libros distributus, vol.  1, Coimbra (Gomez de Loureyro) 1612.  – Disputationes metaphysicae, in: Franciscus Suárez, Opera omnia Bd.  25, Paris (Vivès) 1861. – ND Hildesheim (Olms) 1965. Thomas von Aquin, Summa theologiae, pars prima et prima secundae (cum textu ex recensione Leonina), hrsg. von Petrus Caramellus, s.  l. (Marietti) o. J. (1952).  – Summa theologiae (Leonina minor), pars tertia, Rom (Forzani) 1894. Timpler, Clemens, Metaphysicae systema methodicum libris quinque comprehensum, Steinfurt (Caesar) 1604.  – Technologia, abgedruckt vor dem Haupttext von: Metaphysicae systema methodicum, Marburg (Kezelius) 1607. Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von, Medicina mentis sive artis inveniendi praecepta generalia (Leipzig 1695), deutsche Übersetzung von Johannes Hausleiter, hrsg. von Rudolph Zaunick, Halle (Barth) 1963; 17. Walch, Johann Georg, Philosophisches Lexicon, Der andere Theil, Leipzig (Gleditsch) 1733. Wallis, John: Tractatus grammatico-physicus de loquela sive de sonorum formatione, in: Grammatica linguae anglicanae, Hamburg (Schultz) 1688. Wolff, Christian, Klarer Beweiß, daß Herr D. Budde die ihm gemachten Vorwürffe einräumen und gestehen muss, Frankfurt a. M. (An­ dreä u. a.) 1725. – ND in: Schutzschriften gegen Johann Franz Budde, Christian Wolff, Gesammelte Werke Abt.  I, Bd.  18, Hildesheim (Olms) 1980.

302 | Verzeichnis der verwendeten Literatur

 – Disquisitio philosophica de loquela. Philosophische Untersuchung über die Sprache, Lateinisch-Deutsch, hrsg. von Rainer Specht, Hamburg (Meiner) 2019 (Philosophische Bibliothek, 727). Wuttke, Heinrich (Hrsg.), Christian Wolffs eigene Lebensbeschreibung, in: Wuttke, Heinrich, Über Christian Wolff den Philosophen, Leipzig (Weidmann) 1841; 107–208. – ND in: Christian Wolff, Gesammelte Werke Abt.  I, Bd.  9. Zedler, Heinrich, Universal-Lexicon, Halle und Leipzig 1731–1754, Bd.  29 (1741).

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 – (Hrsg.), Philosophia mathematica. Die Philosophie im Werk von Erhard Weigel (Edition Paideia), Jena (IKS Garamond) 2005  – u. a., Erhard Weigel und die Theologie (Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie, 12), Münster (LIT) 2015.  – (Hrsg.), Philosophia mathematica. Die Philosophie im Werk von Erhard Weigel, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung, Leonhard, Friedrich, Pädagogische Perspektiven zwischen Barock und Aufklärung, in: Erhard Weigel, barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung, hrsg. von Reinhard E. Schielicke u. a.; 39–68. Moll, Konrad, Der junge Leibniz I. Die wissenschaftstheoretische Problemstellung seines ersten Problementwurfs. Der Anschluss an Erhard Weigels Scientia generalis, Stuttgart-Bad Cannstatt (Frommann-Holzboog) 1978.  – Der junge Leibniz II. Der Übergang vom Atomismus zu einem mechanistischen Aristotelismus. Der revidierte Anschluss an Pierre Gassendi, Stuttgart-Bad Cannstatt (Frommann-Holzboog) 1982.  – Erhard Weigel, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, Die Philosophie des 17. Jahrhunderts 4.2: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Ost- und Mitteleuropa, hrsg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von Vilem Mudroch, Basel (Schwabe) 2001; 948–957 und 987–989. Ong, Walter J., S. J., Ramus. Method, and the decay of dialogue. From the art of discourse to the art of reason, Chicago (The University of Chicago Press) 1958. Priani, Ernesto, Ramón Lull, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2021 Edition); URL: https://plato.stanford.edu/entries/llull/ (20. 07. 2202). Risse, Wilhelm, Die Entwicklung der Dialektik bei Petrus Ramus, in: Archiv für Geschichte der Philosophie (AGPh) 1960; 36–72. Röd, Wolfgang, Erhard Weigels Lehre von den entia moralia, in: Archiv für Geschichte der Philosophie (AGPh) 1969; 58–84. Rossi, Paolo, Clavis universalis, Paris (Millon) 21993. Rosso, Corrado, Un Précurseur de la Théodicée: Alphonse Antoine de Sarasa, in: Studia Leibnitiana 3, 1971. Sarasa, Alfonso Antonio de, Societatis Jesu, Ars semper gaudendi demonstrata ex sola consideratione divinae providentiae et per eventuales conciones, Antverpiae, apud Iacobum Meursium, anno 1617. Literatur ab 1900 | 305

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306 | Verzeichnis der verwendeten Literatur

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Ressourcen der Erhard-Weigel-Gesellschaft (Auswahl; vollständige Angaben in: http://www.erhard-weigel-gesell schaft.de/ ) (19. 01. 2023). Studenten, die bei Weigel studierten: http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/personen/studenten/ (19. 01. 2023). Weigel-Korrespondenz: http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/weigeliana/erhard-weigelkorrespondenz/ (19. 01. 2023). Literaturverzeichnis zu Erhard Weigel (Schriften, Neue Werkausgabe, Sekundärliteratur): http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/weigeliana/literaturver zeichnis/ (19. 01. 2023). Himmelsgloben von Erhard Weigel: http://www.erhard-weigel-gesellschaft.de/weigeliana/himmelsgloben/ (19. 01. 2023)

Ressourcen der Erhard-Weigel-Gesellschaft | 307

Personenregister Adam  54, 135 Alsted, Johann Heinrich  60, 101, 220–235, 242 f., 290–292 Ammann, Conrad  262 Andreae. Johann Valentin  62, 35 Bayer, Elisabeth  17 Behme, Thonas  12 f., 58, 66 f., 136, 160, 163, 185, 189, 249, 269 f., 271, 277, 280 f., 284, 286 f., 293 f., 295 f. Boyle, Robert  44, 52, 57, 11ß, 125, 167, 240 Christina, Königin von Schweden 58 Clavius, Christoph 21 f. Comenius, Johann Amos  31, 38, 67, 165, 188, 191, 193, 234–242, 244 f., 246, 251 f., 54, 290–203 Denzinger, Heinrich  266 Descartes, René, cartesisch  50, 66 f., 71, 79, 81, 92–95,, 119, 122, 135–138, 152, 155, 165 f., 177, 235, 249, 276 Diogenes Laertius  46 Dijksterhuds, E. J.  46 Döring, Detlef  16, 259, 261, 285 f. Dorschner, Johann  19, 255 f., 26 Ellrod, Jakob  1, 6, 22, 261 Epikur, epikureisch  50, 86, 99, 185 Ernst der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha  18 f. Euklid, euklidisch  73–75, 80, 83, 102 f., 243 f.

Fonseca, Pedro de  16, 49, 20 f., 129 f., 164, 188, 245, 289 Francke, August Hermann  26 Fricke, Walter  18 Friedrich Wilhelm, Herzog von Sachsen-Altenburg  9, 19 Gaab, Hans  261 Gassendi, Pierre  50, 29, 81, 86 f., 93–96, 125, 167, 185, 270, 275, 278 Gawlick, Günter  21, 23 f. Gregor XIII., gregorianisch  11, 21 f., 23 f., 227, 261 Hamberger, Georg Albrecht  17, 21–23, 41, 87, 96, 152 Hamel, Jürgen  261, 282, 304 Hecker, Julius  28 Helmont, Francisis Mercurius van 262 Helmont, Jean-Baptiste van  155, 167 Hestermeyer, Wilhelm  261 f., 264 f. Hevelius, Johannes  17, 113 Hobbes, Thomas  55, 111 f., 187 Hofmann (Hoffmann), Heinrich  18 Hurtado de Mendoza, Pedro de  18 Huyghens, Christiaan  21, 24, 260 Iamblichus 288 Julius Caesar, julianisch  11, 21, 23, 227 Kepler, Lohanees  22 Knott, Robert  259 Kratochwil, Stefan  18, 259 f., 294 Leibniz, Gottfried Wilhelm  12, 21, 309

28, 31, 39, 43, 47, 87, 96, 134, 137, 139–141, 150, 152, 186, 260, 269 f., 271 f., 301, 305 Leonhard, Frierich  203–205 Leopold I., Kaiser  20 Locke, John  43 f., 52, 82, 89, 123, 125, 127, 141, 173, 188 Lukrez 110 Lull, Ramón, lullistisch  67, 191, 193, 205, 209, 220–222, 232 f., 243, 255, 271, 288–220, 43, 255, 271, 288–290, 295 Menke (Mencke), Otto  17 Moll, Konrad  12, 78, 87, 95, 256, 260, 269, 270–272, 295 Mueller, Petrus  37 Pater, Paulus  26 Platon, platonisch  46, 62, 103, 108, 112, 191 Porphyrius 267 Pufendorf, Esaias  16, 286 Pufendorf, Samuel  66, 187–190, 281, 287 Pythagoras, Pythagoreer  28, 43, 47, 58–60, 63 f., 65, 68, 70, 95, 135, 260, 266–270

310 | Personenregister

Reimarus, Samuel  29 Röd, Wolfgang  12, 65, 161, 268, 283 Sarasa, Alfonso Antonio de  31, 263 Schaper, Christa  259 Scheffer, Johannes  259 Schimpfer, Bartholomaeus  16 Schlee, Hildegart  12, 28, 261 Schmidt-Biggemann, Wilhelm  25, 287, 294 Schüling, Hermann  12, 136, 250, 259, 269 Semler, Christoph  28 Spinoza, Baruch  30, 73 Suárez, Francisco  16, 83, 88 f., 143, 150, 266, 271 f., 281, 285 Thomas von Aquin  136 f., 150, 266, 282 Timpler, Clemens  49, 120 f., 164, 223, 225, 245, 266, 279, 291 Titel, Basilius  16 f., 19 Tschirnhaus, Ehrenfried Walther 17, 147, 282 Wallus, John  19 Weichenhan, Michael  266, 269 Wilhelm IV.  18–20, 269 Will, Georg Andreas  18

Sachregister Die Kapitel über Topik und über Alsted und Comenius dienen eher der Beschreibung des Hintergrunds als der Weigeldarstellung und werden daher im Sachverzeichnis nur kursorisch berücksichtigt. Abhängigkeit, abhängen  60, 84, 91, 125, 157, 170, 188, 205 Abstraktion, abstrakt  49, 64, 86, 122, 145, 163, 185–187, 243, 254 Ähnlichkeit, ähnlich  41, 62, 64, 133, 145, 162 f., 171, 174, 186 Akzidens, per accidens, akzidentell 125 f., 142, 145 Allgemeinheit, allgemein  178, 189 f., 218, 247, 252, 268 Analogie, analog  59, 64, 121, 144, 162, 165, 185 f., 238, 251, 280, 268, 281 Analogismus 247 Analysis speciosa  50, 87, 271 Amalytica posteriora  46, 73, 101– 113, 272, 274 Anatomie, Anatom  125, 226, 255 Anordnung der Teilchen  44, 50, 54 f., 65, 69, 93, 124–127, 171, 175, 215 Ansehen, bürgerliches  42, 52, 54, 179, 190 Anwendung  65, 81, 156, 171, 174 Architekt, Architektonik  27, 46, 118, 229, 245, 248 f., 251 Aristotelismus, aristotelisch  43, 45, 47, 73, 75, 79 f., 85 f., 90, 91 f.,

95–101, 114, 121, 125, 153, 166 f., 178 f., 188, 191–193, 195, 244, 250, 267, 270 Arithmetik, arithmetisch  20, 29, 33, 61, 63, 67 f., 121, 229 f. 245, 249, 251, 266, 271 Artefakt  53 f., 59, 79, 92–94, 108 f., 118, 124, 156 f., 159 f., 164 f., 174, 187, 196, 237 f., 245, 253 Ästimation, ästimativ  41–57, 60, 63, 67, 70, 93, 118 f., 122, 124–127, 134, 159 f., 164, 170, 243, 245–250, 255, 275, 290 Astrologie  16, 172, 227 f. Astronomie  16, 20, 22, 24, 26 f., 39, 173, 228, 261 Atom, Atomismus  50 f., 86, 126, 128, 166, 174 f. Augenblick  55, 125, 127, 136–147, 150, 152–154, 185, 250 Außenwelt 136 Automat  25, 54, 90, 93, 158, 165, 229 f. Autorität  26, 47, 74 f., 84, 88, 111, 129, 178, 195, 217, 225 Axiom, axiomatisch  44, 59, 83–85, 102 f., 181, 184, 213, 269, 274, 289, 283 311

Barometer 53 Begriff 41, 47, 49, 64, 69 f., 74, 76, 81, 83 f., 87, 93, 95, 103, 105, 108, 110, 112, 115 f., 117 f., 120–122, 129–131, 139, 160 f., 164, 169, 178–181, 185, 195–197, 208, 210, 216, 240, 250 f., 268, 271 Begriffsansatz, Denklichkeit  69, 120–122, 142 Bewegung  25, 31 f., 34, 38, 50 f., 53, 85, 87 f., 92–94, 104 f., 114, 123–128, 138–141, 144–146, 149, 151–153, 156, 166–174, 189, 192, 204, 226 f., 229 f., 234, 248, 254, 264–268, 272., 275, 280 Beweis  29, 44, 47, 59, 73, 75, 77, 79– 81, 83, 85–88, 91 f., 94–100, 103–112, 135, 170–174, 184, 191, 195 f., 293 f., 209, 213, 217, 243–245, 254–256, 260, 269, 271, 273, 293 Bibel, Heilige Schrift  20, 28 f., 52, 60, 129, 159, 163, 181 f., 225, 231 Blut  90, 152, 255, 294 Buchstaabe, buchstabieren  27, 38 f., 126, 162–164, 176, 195, 220–201, 250, 264 f. Bürger, bürgerlich  21, 26, 46, 68–70, 96, 132, 156, 160, 162–164, 178 f., 182–184, 187, 189, 229, 237, 250 f. cartesisch, cartesianisch  50, 86, 95, 125, 135, 137, 155, 167, 171, 219, 237, 246, 249, 270, 276 Chaos (Tohuwabohu)  115, 183, 245 Chemie, chemisch, Chemiker  46, 55, 156, 221, 221 f., 232, 275 Creatio continua (comtinuata)  137, 152, 155 312 | Sachregister

Dauer  70, 139, 142–144 Durchdringlich, undurchdringlich 50, 86, 88 f., 165, 171, 271 Eckig  121, 166–169 Efficacia, effectivitas  153 f. Einheit, einheitlich  45 f., 53, 58, 62–64, 66, 69, 131, 139, 141, 143, 145, 151, 164, 182 f., 242, 253, 256, 260, 276 Einsetzung, einsetzen  54, 65, 76, 81, 94, 154, 160, 174–176, 178, 182, 209, 210 Element, elementalisch  51, 55, 85, 95, 166–168, 170, 172, 174, 226 f., 238 Eltern  25, 32, 35–37, 39, 40, 235 Empirie, empirisch  44, 73 f., 95, 101 f., 107, 111 f., 119, 123, 132, 175, 231, 275 Engel  87, 119, 161, 165, 169, 200, 225, 232, 232, 237, 239 Entelechie  77, 92, 114, 153 Enzyklopädie  59, 162, 185, 191, 195 f., 214, 221–224, 237, 242 f., 246, 257 Epikureer, epikureisch  50, 86, 95, 185 Erfahrung  44, 74, 82–86, 99 f., 117, 119, 157, 162, 168, 175, 180 f., 184, 208, 214, 275 Erhaltung  125, 137, 139–150, 148, 150, 152, 154, 158, 165, 228 Erinnerung, erinnern  81, 139, 146, 161, 178, 180, 191, 196 Existenz, existieren  29, 46, 51, 54, 56, 62, 68 f., 91, 98, 101 f., 114 f., 111–18, 122, 125, 130, 132–147 f., 160, 163, 169, 177, 185, 189, 225, 228, 258, 26o, 289

Experiment, experimentieren  24, 44, 112, 119, 184, 186 Fakultät  16–18, 20, 27, 40, 75, 77– 79, 89, 94, 96, 164, 187, 207, 221, 229–230, 244, 250, 254, 260, 265, 269 Feuer  148, 165–167, 226, 232, 238 Form  48–50, 53, 55, 57, 86, 89, 93, 114–118, 120–127, 132, 130, 153, 166, 170, 173, 176, 249, 275 f., 278, 280 Freude, sich freuen  30–34, 36, 40, 52, 178, 187 Gassendismus, gassendistisch  50, 79, 81, 86 f., 93–95, 125, 167, 185, 275, 278 Gedankending (ens rationis)  126, 130, 135, 154, 167, 186 Gegenwart, gegenwärtig  138, 141, 145 f., 237 Geist, geistig  29, 32, 34, 35, 48, 52, 59, 61, 76, 87, 135–139, 143, 149, 153, 155 f., 160–163, 165, 169, 174 f., 198, 207, 225, 136–138, 240, 254, 256, 269, 271, 176, 294 Geld  71, 177, 180, 190, 250 Gemeinwesen  26, 54, 68 f., 71, 157, 153, 182, 188 f., 206, 230, 256, 271 Gemeinwohl  52, 118, 154, 182–184 Geometrie, geometrisch  16, 20, 24, 26 f., 33, 36, 39, 47, 66, 71, 73–75, 84, 97, 91, 93, 97 f., 101–103, 169, 171, 184–186, 221, 236, 245, 248 f., 251, 154, 256, 265, 169, 271 Geschöpf, geschöpflich, geschaffen  54, 69, 84 f., 94, 129, 132, 139 f., 141 f., 145–156, 159, 160 f., 164 f.,

169, 171, 176, 195 f., 198, 214, 225, 231, 235, 237 Gesetz  30, 34 f., 67, 81, 85, 92, 140– 142, 152, 156, 159–163, 171, 180, 182, 187 f., 208, 214, 281 Gestalt (σχῆμα, figura)  25, 50, 55, 74, 86, 108, 114 f., 117 f., 120, 125 f., 156, 163, 166–168, 174, 189, 19, 197, 207 f., 228, 248, 275 Gewalt, gewaltsam  34, 45, 53, 92, 166, 183, 214, 230, 251, 286 Gewicht, gewichten  28, 43, 50, 52, 56, 59, 71, 134, 159, 172, 214, 249 Gott  26–31, 33–36, 45, 50–55, 57, 59 f., 67–71, 85, 93 f., 115 f., 118, 123, 126, 129, 132–156, 164–166, 170, 173–178 Grenze, begrenzt  41, 43, 54, 56, 65, 70, 115, 125, 135, 144–146, 159, 167 f., 175, 221, 228, 235, 239, 251, 271 Größe, groß  41, 47–50, 68, 109, 116, 122, 124 f., 132, 150 f., 162, 155–168, 171, 175, 190, 200, 209, 222, 228, 232, 247–249, 271, 265 Handwerk, Handwerker  26–28, 34, 38, 45, 47, 53, 81, 90, 119, 156, 165, 234 Harmonie, harmonisch  27, 50, 68, 107, 141, 156, 184, 186, 233, 235 f., 238, 254, 272 Hygrometer, Hygroskop  53, 167, 248 Hypothese, hypothetisch  74, 83, 85 f., 88, 94–96, 98, 102, 117, 133, 172 f., 175, 170–173, 175, 182, 212, 268, 270 Imposition  85, 159–162, 166, 178, 180, 182, 189 Sachregister | 313

Imputieren, anrechnen, zurechnen  65 f., 163, 175 Individuum, individuieren, individuell  42, 45, 50 f., 55, 60–63, 68, 86, 118, 122, 133, 140, 151, 156, 162, 177, 183, 205 f. Induktion  84, 95, 107, 112, 209 Intention  65 f., 97, 175, 181, 268 Jurisprudenz  71, 87, 221, 229 f., 251, 270, 297 Kabbala  23, 63, 67, 200 Kalender  16, 20, 21–23, 25, 26, 146, 227, 261, 287, 304 Kirche, kirchlich  2, 29, 33, 45, 67 f., 75, 182 f., 188, 194, 229, 236, 252, 280 Kontingenz, kontingent  53, 85, 90 f., 98 f., 112, 151, 273 Körper  66 f., 70, 81, 86–89, 91–94, 114 f., 124–128, 138, 145–158 Kopuskel  51 f., 55, 79, 81, 86, 88, 93 f., 115, 124–128, 145, 155, 162, 164, 166–168, 170, 172, 275 Kunst  16, 19 f., 26, 28, 34, 38, 45–47, 53, 54, 61 f., 75, 87, 90, 92, 146, 156, 161, 163, 165, 173–177, 183 f., 186 f., 193–197, 202, 204, 207 f., 212–216 f., 220–225, 229–241, 243–249, 251, 255 f. Kunst- und Tugendschule  15, 36–41 Latein  15, 25, 27, 31, 37–39, 49, 63, 91, 97, 121, 131, 141, 143, 145 f., 193 f., 205, 207 f., 215, 223, 229, 265, 283 Lehre  19, 36, 78, 86, 208, 218 Lehrer  24 f., 27, 32–35, 208, 215, 228 314 | Sachregister

Logik, logisch  74, 76 f., 83 f., 91, 97, 101, 103 f., 106, 108, 110, 112.121, 170 f., 182, 193, 1ß5 f., 205–209, 211, 215–219m 222, 224–226, 229 f., 245, 249, 254, 256, 271 f., 275, 287, 290 f., 293 Mal 141–146 Material  55, 83, 91, 115–117, 129, 132, 156, 201, 231, 248 Materie, materia  48 f., 50, 55, 86–89, 93, 95, 103 f., 118–110, 114–117, 119, 124, 126, 137, 147, 159, 161 f., 178, 225 f., 237 f., 255, 271, 275 f., 278, 294 Mathematik, mathematisch  12, 16– 19, 21, 24–27, 31, 38, 44–48, 50, 52, 54, 58–60, 63 f., 66–73, 78 f., 84, 87, 91 f. 94, 96–98, 101–104, 107–110, 123, 135, 139–141, 143, 152, 154, 160, 162, 164, 176, 178, 184, 190, 205, 214, 216, 218, 220, 227–230, 232, 244–246, 248–253, 255, 260–264, 268 Mathesis  62 f., 162, 216, 246 f., 255, 270, 284, 296, 299–301 Mechanik, mechanisch  26–28, 38 f., 45–47, 52 f., 59, 81, 87 f., 90, 95, 97, 101 f., 124 f., 154, 156, 171, 181, 200, 220 f., 231 Mensch  26, 29 f., 41, 45, 53 f., 59, 61–63, 70, 90, 118, 124, 129, 131, 135, 142 f., 154, 159 f., 173, 179, 181–184, 224, 228, 237 f., 246, 252, 265, 276, 282, 293–295 Metaphysik, metaphysisch  49, 51, 59, 66, 84, 94, 112, 129 f., 208, 214, 225, 230, 245, 247, 254 f., 275

Mittel  45 f., 52, 55, 60, 75, 119, 125, 149, 153 f., 156–158, 170, 184, 231 f., 252 Mitwirkung (concursus divinus) 148 f., 276 Möglichkeit, möglich  25, 36, 43, 48, 63, 73, 86, 92, 114 f., 116 f., 132–134, 141 f., 166, 175, 195, 237, 252 f., 256, 284 Moment, momentan 136, 138–142, 145, 156 Moral, moralisch  30, 38, 48, 52, 54, 65–67, 69–71, 79, 84, 89 f., 94, 150 f., 160, 163–165, 171–182, 186 f. 190 f., 197, 237–239, 245, 249 f., 253–255, 268–270, 284, 294 Natur, natürlich  26 f., 32, 44, 49, 52, 57, 59, 62 f., 69, 84, 86, 89, 93, 97, 122 f., 127, 134, 146, 148–156, 159–163, 165–177, 179–181, 185–190, 203, 207 f., 210–213, 215 f., 224 f., 251 Naturphilosophie  85, 87, 169–172, 175, 187, 245 neuplatonisch  103, 195, 220, 222, 234, 252 f. Nichts  7, 115–157, 125 f., 129–133, 135–137, 149, 153, 159, 164, 166, 174, 178, 180, 185 f., 240 Notation, notional  38, 42–44, 34 f., 48, 52, 54, 69 f., 79, 84 f., 89, 94, 160–174, 245, 249 f., 254 Nutzten, nützlich  13 f., 28, 32 f., 35, 43 f., 53, 58, 66, 71, 83, 86, 92, 118, 123, 125, 131, 156, 173 f., 190 f., 194, 206, 210 f., 217, 223, 229, 237 f., 241, 244

Okkasionalismus, okkasionalistisch 93, 128, 146, 148–158 Ökonomie, ökonomisch  28 f., 67, 71, 90, 178, 228, 235, 239 Ontologie  53, 69, 97, 125, 161, 163, 211, 225, 237, 284 Pansophie, pansophisch  125 f., 163 f., 235–237, 239–241, 243, 246, 251–257 Phoronomie  94, 171–173, 284 f. Physik, Physiker (s. a. Naturphilo­ sophie)  85, 97, 169–173, 175, 187, 245 Pneumatik, Pneumatologie  74, 106–108 Preis  42, 54, 70 f., 94, 200, 264, 277, 279, 188–290, 233 Proportion, Proportionalrechnung 24, 67, 70, 78, 84, 241, 250, 271 Punkt  80, 102, 145 f. Pythagoras, pythagoreisch  28, 43, 47, 58–60, 63–70, 98, 135, 260 Qualität, qualitativ  13, 41 f., 48 f., 56 f., 68–72, 114 f., 121, 155, 164, 167–170, 172 f., 179 f., 189, 198, 199, 215, 218, 228 f., 236, 246, 248, 266 f. 271, 277 Quantität  42–44, 46–51, 53, 56–60, 63, 65–71, 75, 86, 88, 121 f., 124, 127, 134, 159, 161, 166 f., 169, 173, 179, 190, 208 f., 211, 221, 245 f., 248, 255 f., 271, 278, 284 Realität, real  50, 55, 58, 69, 82, 116, 121, 126 f., 136, 146, 161, 166, 177, 184 f., 187, 191 196, 225, 266 Sachregister | 315

Raum  50, 56, 63, 69, 79, 86, 88 f., 92, 134–137, 143, 145 f., 169–172, 177, 182 f., 185, 188 f., 237–239, 266, 268, 293 Rechnung, rechnen  39, 43, 59–67, 71, 128, 131, 135, 143, 149, 159, 161, 163–165, 171, 178–180, 184, 257, 260, 267 f., 288, 293 Scholastik, scholastisch  47–49, 56, 71, 73, 75, 82, 86, 89 f., 92–94, 120– 123, 125, 164, 166, 171, 193, 228, 230, 239, 246, 255, 262, 269, 277, 294 Schöpfer, Schöpfung  26, 30, 52, 59 f., 84 f., 91, 94, 115, 129, 132, 134–137, 142, 147–153, 156, 159–162, 165 f., 189, 195, 198, 214, 221, 231, 235, 252 Schule  51, 33–40, 47, 60, 71, 81, 96, 134, 137, 139 f., 152, 157, 187, 191, 208, 234 f., 240, 244, 259, 159, 263 Spiel, spielen  28–36, 39, 41, 59, 61, 157, 235, 264 f. Sprache  27, 33, 36, 45, 50, 54, 56, 59 f., 64, 74, 82, 84, 120, 129 f., 132, 139, 142, 145, 155, 174, 176 f., 187, 192–194, 207 f., 214, 218, 224, 228–229, 230, 238, 243, 252, 279 Strafe, strafen  34, 67, 71, 163, 236, 250 Substanz  41, 43, 39, 55–59, 69–72, 86–93, 113, 116, 125 f., 145, 155, 161, 163 f., 173, 176 f., 179, 182, 186, 188–190, 268, 271, 274, 276, 278 Syllogismus  47, 61, 73–77, 79 f., 82 f., 85, 87, 101–113, 120 f., 209–212, 217, 219, 241, 244, 247, 269, 274, 289 Technologie 223 316 | Sachregister

Theologie  20, 24, 28–30, 59, 67, 71, 81, 89, 93, 134, 137, 148, 150, 152, 163, 182, 187 f., 194 f., 204, 207, 210, 220–222, 229 f., 234, 251 Ursache  57, 65, 74, 82, 85–87, 95, 97, 103–105, 109, 116, 133, 136, 147–150, 152–145, 157, 170 f., 173, 194, 209, 223 f., 262, 274 Vergleich, vergleichen  41, 43 f., 48 f., 51, 64, 100, 121, 123 f., 154, 174, 182, 185, 190, 213, 227, 230, 241, 250, 254 f., 285 Vernunft, vernünftig, vernunft­ begabt  26, 29, 33–36, 48, 54, 59, 61, 76, 84, 86, 89, 93 f., 99, 111, 117, 120, 122 f., 131, 134 f., 139, 148 f., 153, 159–165, 174, 176, 180, 184, 187–189, 195, 207–210, 216, 221, 223, 236, 238, 252, 270 f., 273, 277, 294 Verstand  27, 31–34, 41, 43 f., 47 f., 59, 62 f., 68, 70, 73–75, 84, 117–123, 130, 133, 135, 139–145, 152–154, 161, 163, 176, 178, 202–204, 206, 209, 214, 224, 234, 236, 239–241, 244 f., 247 f., 267 f. Wahrheit, wahr  62, 74, 76, 82–86, 98, 100, 104, 118, 120–124, 126, 157, 182–196, 202, 204 f., 208, 219 f., 238, 240 f., 252 f., 262, 270–275, 284 Wahrnehmung, wahrnehmen  42, 54, 61, 63, 84, 93, 107, 112, 126, 137, 159, 167, 170–172, 180, 184 Wahrscheinlichkeit, wahrscheinlich 82, 208

Weisheit  29–33, 33 f., 45, 60, 131, 154, 221, 223, 233, 235, 238, 246, 253, 269, 293 Wert  42 f., 48, 50, 52–55, 57 f., 63 f., 66, 69–71, 118, 122, 124, 128, 132, 134–136, 159–166, 171, 175–183, 190, 194, 224, 246, 249–251 Wesen  29, 45, 50 f., 54 f., 57 f., 63, 68 f., 88, 94 f., 115–129, 131–135, 138–142, 147, 162, 179–192, 209, 225, 245, 266, 276, 289 Wille, wollen  29, 34 f., 69, 89, 99, 117, 133, 142 f., 150–154, 156 f., 159, 178, 187, 189, 196, 202–204, 239, 267, 288 Wirklichkeit, wirklich  49–52, 62, 85, 98, 116–125, 127, 129, 132–135, 139–142, 145, 147–56, 170, 173, 177, 179, 183, 186, 189, 227, 239, 243, 252 f., 268, 282, 294

Wirkung, wirken  32, 34, 51 f., 56–58, 65 f., 81, 93, 95, 106, 111, 116–119, 123bf., 127, 132 f., 136, 148–150, 152, 154–157, 163, 174–176, 186 f., 203, 206, 209, 215, 217, 220–235, 239, 261, 276, 289 Wissenschaft, wissenschaftlich  11, 17, 24–26, 28 f., 31, 44 f., 49, 52 f., 58–63, 65–68, 71–75, 79 f., 83–97, 101–104, 106 f., 110–113, 119, 124 f., 147, 155, 157, 161, 168–173, 178, 181 f., 188, 185, 191, 193, 196, 204 f., 207 f., 214–218, 220–227, 240 f., 243–249, 251–257, 259–260 Zeit  23, 70, 73 f., 122, 138, 141–146, 185–187, 193 f., 206, 216 f., 226 f., 229, 243, 246, 251–253, 257, 268

Sachregister | 317

Dank Ich danke meinen Kindern dafür, dass sie mich bei der Abfassung dieses Buches durch Anregungen, Ermutigung und praktische Hilfe unterstützt haben. Herrn Professor Dr. Wolfgang Detel danke ich für seine Beiträge zu Aristoteles, Herrn Dr. Thomas Behme dafür, dass er das Manuskript durchgesehen und mich auf Fehler und missverständliche Formulierungen aufmerksam gemacht hat. Herrn Dr. Jürgen-André Röder und Herrn Johannes Röder bin ich für sorgfältige Korrekturen dankbar. Herrn Marcel Simon-Gadhof und Herrn Jens-Sören Mann vom Meiner Verlag danke ich für ihre Mühe bei der Druckvorbereitung.

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