Table of contents : Erforschtes und Erlebtes aus dem alten Berlin title_page Zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für die Geschichte Berlins contents Gustav Adolfs letzter Besuch in Berlin Das Ehrenbürgerrecht und die Ehrenbürger Berlins Bau- und Bodenpolitik in Berlin in geschichtlicher Betrachtung Die alte "Pepiniere", was sie war, und was aus ihr geworden ist Abbildung: 1. Die Artilleriekaserne am Kupfergraben Abbildung: 2. Medizinisch-chirurgisches Friedrich Wilhelms-Institut, Friedrichstraße 139/141. Außenfront Abbildung: 3. Medizinisch-chirurgisches Friedrich Wilhelms-Institut. Gartenfront Abbildung: 4. Kaiser Wilhelms-Akademie, Invaliden- und Scharnhorststraßen-Ecke. Außenfront Abbildung: 5. Kaiser Wilhelms-Akademie. Gartenfront Fichte und die Großloge Royal York in Berlin um die Wende des 18. Jahrhunderts Die Beisetzungsfeier für einen edlen Hohenzollern-Sproß zu Berlin im Jahre 1675 Abbildung: Kurprinz Karl Emil Dahlem bei Berlin bis zur Reformation Abbildung: Die Kirche zu Dahlem im Jahre 1834 Johann Martin Niederee, Grenadier und Künstler Abbildung: Niederee, Weibliche Kopfstudie von 1853 Abbildung: Niederee, Christus am Ölberg von 1850 Aus der Zeit von Ifflands Berliner Theaterleitung Der Soldatenkönig als Kunstmäcen Gericht zur Klinke bei Brandenburg Zwei bisher unveröffentlichte Briefe des Freiherrn, späteren Grafen Gustav Adolf von Gotter an König Friedrich Wilhelm I. Friederike Bethmann-Unzelmann. Zum hundertsten Todesjahre Abbildung: Friederike Unzelmann. Ende des 18. Jahrhunderts Abbildung: Friederike Unzelmann. Pastellbild auf Elfenbein von H. Dähling 1804 Aus einem Berliner Bürgerhause Die in Berlin geborenen, im Kriege 1870/71 gefallenen Kriegsfreiwilligen Abbildungen: Friedrich August Günther. Graf von Itzenplitz ; Friedrich Wilhelm Borchmann ; Paul Raumann Abbildungen: Theodor Albrecht Johannes Kirsten ; Johann Heinrich Wilhelm Below ; Arnold Rennebarth Geborene Berliner Hundert Tage 1864/65 in Berlin Der Berliner Schauspielerverein Eduard Devrients und Louis Schneiders aus den Jahren 1834 bis 1837 Die Urania, eine Volksbildungsstätte für Naturwissenschaften in Berlin Abbildung: Die Urania im Landesausstellungspark Abbildung: Die Urania in der Taubenstraße Berlin in der Sage Das Wachstum Berlins König Karl von Rumänien und Berlin Schinkels Gedächtnisdom für die Befreiungskriege Abbildung: Schinkel, Skizze für den Turm der Befreiungskirche am Spittelmarkt Abbildung: Schinkel, Skizze für den Befreiungsdom und Vorplatz Das neue Aquarium im Zoologischen Garten in Berlin Ein Sonett Friedrich August v. Staegemanns auf den Tod Heinrich v. Kleists Die Werke Berliner Maler in der Ravenéschen Bildergalerie Abbildung: Adolf von Menzel: Friedrich der Große auf Reisen Otto von Bismarck, seine Lehrer und Mitschüler auf dem Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin 1830 bis 1832 Der Bär Die verwaltungsgeschichtlichen Berichte der Stadt Berlin Geistige Beziehungen zwischen Berlin und Potsdam Potsdams wirtschaftliche Beziehungen zu Berlin im 18. Jahrhundert Beiträge zur Geschichte der künstlerischen Entwicklung Friedrichs des Großen Louis Schneider und die "Perseverantia" Abbildung: Projectirte Alter-Versorgungs-Anstalt für deutsche Theater-Mitglieder Perseverantia. Kopf der Einladung ... Aus dem Briefwechsel der Prinzessin Marianne von Preußen Vom Köllnischen Gymnasium. Neues aus den alten Leges und Programmen des 17. Jahrhunderts Abbildung: Prospect des Ruins, welchen der durch einen Blitzstral entzündete Petrithurm zu Berlin ... Rund um die Berliner Börse Der 18. September 1913. Einweihung des Kammergerichts im Kleistpark Abbildung: Das neue Kammergerich. Hauptfront Ein Brief Luthers an den Propst von Berlin, Georg Buchholzer König Ludwig I. von Ungarn, Kaiser Karl IV. und die Mark Brandenburg im Jahre 1371 Aus dem literarischen Nachlasse Immermanns Abbildung: [Zeichnung von E. T. A. Hoffmann mit Beschreibung der Gesichts- und Brustmerkmale] [Brief] Berliner Hof und Gesellschaft ums Jahr 1840. Aus den Erinnerungen einer Diplomatenfrau Ungedruckte Theateraufzeichnungen Louis Schneiders Der 23. August 1813 in Berlin. Aus den Erinnerungen eines alten Berliners Aus meinen Lebenserinnerungen Emanuel Geibel und Berlin Die Lustschiffe König Friedrichs I. (III.) von Preußen (1688-1713) Abbildungen: 1. Berlin um 1700 ; 2. Schloß zu Berlin um 1695 mit der neuerbauten Langen Brücke Abbildungen: 3. Denkmünzen von R. Faltz, zum Neubau der Langen Brücke mit dem Denkmal des Großen Kurfürsten und zum Neubau der Stadtschleuse Abbildung: 4. Die 1692 errichtete Kurfürstliche Werft zu Havelberg Abbildung: 5. Die Luftjacht "Friedrich" vor Amsterdam Abbildung: Die Luftjacht "Friedrich" Abbildung: Die Luftjacht "Friedrich" am Schiffbauerdamm Die Berliner Jugend und der Deutsche Dom im Anfang des 19. Jahrhunderts Das Haus Unterwasserstraße Nr. 5 in Geschichte und Kunst. Zugleich ein Beitrag zur Entstehung des Friedrichswerders Kotzebue in Berlin und sein Plan eines preußischen Altertumsmuseums Namenverzeichnis
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Verein für die Geschichte Berlins Protektor: Seine Majestät der Kaiser SEH S HEBEL ELELE Ee? NL LEBE EED
aus dem alten Berlin Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins.für die Geschichte Berlins
Heft 50 der Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins HEL HEHEBBBESESEEEEBELZE DADEESE EE BER ZEEELEUEB BEEN
Berlin 1917
Verlag des Vereins für die Geschichte Berlins In Vertrieb bei Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung
Alle Rechte aus de“
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Zum 50jährigen Jubiläum )6C« MU:
Vereins für die Geschichte Berlins. EN
ährend die Welt widerhallt vom Donner der Geschüße,
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geziemt es uns nicht, frohe Feste zu feiern. Auch ein Festtag der Wissenschaft muß gegenüber dem Exnst
der Zeit zurücktreten. Doch ein 50jähriges Wirken, gewidmet der Erforschung der großen Bergangenbeit unserer Stadt und unseres erhabenen Herrscherhauses, rechtfertigt es, daß man einen Markstein errichtet in der bisher geleisteten und noch zuleistenden Arbeit.
Diesen Abschnitt eines halben Jahrhunderts glaubt unser Verein am würdigsten dadurch zu feiern, daß er in dieser Festschrift davon Kunde gibt, wie gegenwärtig in den Kreisen der Mitglieder und
Förderer unseres Vereins auf einzelnen Gebieten der heimatlichen Geschichtsforschung gearbeitet wird. Bli>ken wir rü>wärts bis in die Zeit, in welcher Pastor Schmidt von der Heiligengeist- Kirche und G. Küster als Konrektor des Kölnischen Gymnasiums i. I. 1727 in ihren Memorabilien von Berlin und Köln zum ersten Male unsere. Stadtgeschichte zum
Gegenstand von Beröffentlichungen gemacht hatten, so sehen wir, wie sich aus diesen Anfängen schon im Laufe des 18. und fortschreitend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich eine umfangreiche Literatur entwikelte. Sie ging nach und nach weit über den Rahmen der eigentlichen Berliner Stadtgeschichte hinaus, und wir finden zu der Zeit, wo unser Berein gegründet wurde, bereits eine stattliche Reihe von Schriften, in denen die Entwieklung des
Z GZ Das Erscheinen einer solchen Literatur mußte den Sinn für
die geschichtliche Betrachtung der heimatlichen Berhältnisse bei
der Berliner Bevölkerung voraussezen, aber doch fehlte es in unserer Stadt an einem Sammelpunkt für diejenigen, die besonders diesen „Sinn pflegen und die Arbeiten auf diesem Gebiete fördern wollten. In Brandenburg bestand ein Berei; für die
Pflege der Stadtgeschichte seit 1837, in Potsdamseit 1862. Auch
in Berlin war 1837 ein historischer Berein von einer kleinen
Anzabl Personen gegründet, aber nur für die Geschichte der Mark Brandenburg; die Bildung einer weiteren Gesellschaft für die Geschichte Berlins mochte wohl durch die Ablenkungen, die das Leben in der Großstadt mit sich bringt, erschwert werden. Seit den vierziger Jahren nahmen in Berlin überdies politische Tagesfragen vorwiegend das Interesse in Anspruch. So kam es, daß erst nach. der sogenannten Konfliktszeit im Laufe der sechziger Jahre der „Berein für die Geschichte Berlins“ ins Leben gerufen wurde.
Eine Anzahl angesehener Bürger aus den verschiedensten Berufskreisen fand sich im Jahre 1865 zur Begründung unseres Bereins zusammen, und es war besonders wertvoll, daß sich der Oberbürgermeister Seydel, sein Amtsvorgänger Krausni> und der Direktor des Stadtgerichts, Odebrecht, sogleich an die Spitze stellten. Damit war das Gedeihen unseres Bereins von vornherein verbürgt. 1874 trat unserem. Verein Prinz Karl, der Bruder Kaiser Wilhelms [l., bei, 1877 erhielt der Berein die Rechte einer juristischen Person, 1886 erwies ihm Kaiser Friedrich die Ehre, sein Protektor zu werden.
Bald nach dem Hinscheiden Kaiser Friedrichs übernahm S. M. Kaiser Wilhelm 11. das Protektorat, der wiederholt feine Teilnahme
an unseren Bestrebungen bezeigte.
Seine Kaiserliche Majestät
wohnte im Jahre 1908 und 1911 einem Bortrage in öffentlicher Sikßung unseres Vereins bei. 1912 konnte: der Verein die Oper [1 Re pastore, die Friedrich der Große in Musik geseßt hat, im
Theatersaal der Hochschule für Musik zur Aufführung bringen. Im ersten Jahrzehnt seines Bestehens hatte unser Berein
keine feste Stät e.-
nasiums zum grauen Kloster statt, die Sammlungen waren an verschiedenen Stellen untergebracen und zu beleben. Es haben weit über 1000 Sikßungen stattgefunden. Der Berein
gibt für seine Mitglieder die monatlich erscheinenden „Mitteilungen“ heraus, die über die Angelegenheiten und Vorträge unseres Bereins berichten, sowie kürzere Forschungen aus dem weiten Kreise unserer Mitglieder und Förderer bringen. Seit 15 Fahren läßt er den Berliner Kalender erscheinen, der vorzugsweise dazu bestimmt
ELER]VI und 49 Jahreshefte, die sogenannten grünen Hefte. Das fünfzigste ist die jeht zum 50 jährigen Jubiläum unseres Vereins herausgegebene Festschrift. Sie ist aus Beiträgen von Mitgliedern und Freunden des Bereins entstanden und enthält entsprechend
unseren Zielen nicht allein wissenschaftliche Aufsäße, sondern Arbeiten mannigfachster Art, über frühere Zustände in der Residenz, Schisale von Gebäuden, Beziehungen berühmter oder bekannter Personen zur Stadt und deren Tätigkeit. Wennin allen diesen Erinnerungen viele Persönlichkeiten wieder aufleben, deren Namen man nicht mehr nennt, die nur in engerem Kreise unter ihren Zeilgenossen
gewirkt haben, sv darf dies besonders hervorgehoben werden. Es gehört ja zu den Aufgaben der Lokalgeschichte, so wie sie dem Wandel der Örtlichkeiten in allen Stadtteilen nachgeht, so auch aus der Bürgerschaft den einzelnen der oft unverdienten Bergessenheit zu entziehen. Der Tag des Jubiläums fiel auf den 28. Januar 1915, Damals hoffte man auf eine frühere Beendigung des Weltkrieges, glaubte die Feier bis zu günstigerer Zeit aufschieben zu dürfen und hielt auch die Festschrift zurü&, obwohl sie fertiggestellt war. Was wir hofften, ist nicht erfüllt worden, und es erscheint nunmehr geboten, das Buch der Öffentlichkeit zu übergeben. Möge es den Mitgliedern und Freunden unseres Bereins eine willkommene Gabe sein
P. Clauswiß.
G. Boß.
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haftes Nachspiel haben. Unser Bericht in der Frankfurter Meßrelation vom Herbst 1631 besagt: „Als nun die Sach vergliehen hat der König den 12. Junij Befehl geben, daß man zu Wasser und Land die Stü>e abschiessen solte: welches dann bey 90 Schuß, darvnder 40 scharpff geladen ge-
wesen. Diese sind alle vber die Churfürstliche Resident geflogen, worüber bald groß Bnheyl entstanden. 'Dann die Meinung gewesen, die Stü>e vmbzukehren, vnd in das Feld fliegen zu lassen, welches aber in dem Abschiessen versehen worden: doch ist es ohne Schaden abgangen, denn wiewol vber 6 Kugeln zu 30 Pfunden durch die Häuser geflogen, auch in Kammern neben die Bettstätte einge-
Gustav-
fallen, ist doch niemand davon verleet worden“).
ging von dort nach Freienwalde und fuhr zu Schiff nach Stettin. Im Rüblik auf seine Berhandlungen mit dem Scwedenkönig ist der Kurfürst von Brandenburg mit dem, was er dabei
erreicht oder vielmehr vermieden hat, ganz zufrieden gewesen. 1) Bgl. Märkische Forschungen, 7, 33. 2) P. Seidel, Der Lustgarten in Berlin bis 1715. Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. 3, 92, 3) Nach dem Schreiben aus Berlin bei G. Droysen. 4) Lodkelius hat in seiner Marchia illustrata diesen Zwischenfall mit dem Besuch Gustav Adolfs vom Mai 1631 in Berbindung gebracht und manist seiner
Autorität gefolgt (Holze in den Märkischen Forschungen, 7, 50. Schwebel, Geschichte der Stadt Berlin, 1, 543). I< trage aber kein Bedenken, obigem, den Ereignissen am nächsten liegenden Berichte den Borzug vor Loelius zu geben; um so mehr, als dieselbe Meßrelation auch über die Berliner Borgänge vom Mai 1631
einen ausführlichen Bericht bringt, ohne bei dieser Gelegenheit das Salutschießen zu erwähnen: „Darauff hat der König den Feldmarschal& Horn den 2, Maij wider
Der schwedisch-brandenburgische Bertrag, der am 11. Juni „zu
Kölen an der Spree“ unterzeichnet wurde, beschränkte sich auf drei Punkte: Wiedereinräumung der Festung Spandau, und zwar jekt „auf Zeit dieses Krieges“; eidliche Zusage von Paß und Repaß durc< die Festung Küstrin und für den Fall der Not Aufnahme schwedischen Bolks in ihre Borstädte und Außenwerke; Zahlung einer monatlichen Kontribution von 30000 Talern. Bermieden war
die „Totalkonjunktion“, der politische und militärische Anschluß an Schweden; vielmehr sollte es dem Kurfürsten freistehen, auf eigne Hand Truppen anzuwerben und sie im Rahmen der deutschen Heersverfassung na< den Beschlüssen des Leipziger Konvents evangelischer Reichsstände zu Berteidigungszwedken gegen die katholisc des Falles von Magdeburg,
das er nicht zu erretten vermocht hatte, sein militärisches Renommee
und noc< mehr sein politischer Kredit bei Freund und Feind stark gelitten hatte. Für Brandenburg bedeutete der Bertrag vom 11. Juni einen diplomatischen Erfolg, aber nicht ebenso einen politischen Gewinn. Wohl hatte man der Unterordnung unter den schwedischen Oberbefehl und der politischen Abhängigkeit sich entzogen und für abgeschiket, der aber auch nichts verrichtet. Worauff die Mündliche Bnderredung deß Königs mit der Churf. Durchl. seinem Herrn Schwager angestellet worden. Darzu den 3. Maij der König mit 5 Cornet Reuttern und 1000. Musquetirern, neben 4 kleinen Stülein zur Convoy nach Berlin gereiset, deme Ihr Churf. Durchl. ein viertel Meil entgegen kommen, vnd sich in einem Wäldlein lang mit einander
vnderredet, doch nicht gänklich vergleichen können. Nach welchem der König sich wider ins Quartier begeben wollen: Aber das sämptliche Frawenzimmer hat ihn erbetten, daß er mit nach Berlin, neben der 1000 Musquetirern Convoy gereiset: Da dann
im Vorhoff die Musquetirer 200 star> Wacht gehalten, die vbrigen sind ausser dem Schloß auff dem Werder gelegen.“ 1) Bgl. Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, 1., 445.
ZZz Lösung der pommerschen Frage aus dem Wege gegangen: Brandenburg würde sich 1631 ungleich) mehr an pommerschem Land
gesichert haben, als es siebzehn Jahre später im Westfälischen Frieden nach endlosen Sorgen und erfolglosen Kämpfen erhalten hat.
EEN X e, das den Bli>en des Königs nicht entging, ließ in ihm den Entschluß reifen und zur Tat werden, nach den Plänen und Angaben Goerkes für eine besondere Durchbildung des militärärztlihen Personals zu sorgen und zugleich die Wissenschaft und Kunst der Chirurgie zu heben und zu vertiefen.
So wurde am 2. August 1795 zu Berlin die „chirurgische Pepi-
niere“ gegründet, in der zunächst 50 junge Chirurgen der Armee ausgebildet und gefördert werden sollten. Schon nac< 2 Jahren wurden die Aufgaben erweitert und der jungen Anstalt der Name „medizinisch-hirurgische Pepiniere“ gegeben, es wurde eine „Pflanz-
schule“ geschaffen für angehende Ärzte, die das Gesamtgebiet der Medizin und Chirurgie beherrschen und die dann dem Heere =- in
Krieg und Frieden -- ihre Dienste leisten sollten. Lehrkörper für die Anstalt war das Collegium medico-chirurgicum, das in Berlin
schon bestand. Die Schaffung dieser Pepiniere, dieser Pflanzschule, war auch insofern eine Tat, als bis dahin in Preußen die Ärzte und Chirurgen in Bezug auf Borbildung, Ausbildung und Ausübung
der beruflichen Tätigkeit streng getrennt waren, und nunmehr jeder Militärarzt auch Chirurg sein sollte. Der studierte Mediziner, der Medikus, operierte damals nicht und trieb nicht Chirurgie, dazu waren die Bader, die Feldscherer und die Wundärzte da.
Selbst
auf den Universitäten trug der Professor zwar ken zu verabreichen.
Am Mittwoch, den 4. Februar, um 12 Uhr mittags, versammelten
sich beim Läuten aller Kirchenglo>en die kurfürstlihen Geheimen Räte, die höheren Offiziere und Beamten in des Statthalters Borgemac< im Sclosse zu Cölln a. d. Spree, der Adel, etwa 60 Personen an. Zahl, in des Schloßhauptmanns Zimmer auf dem
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Kurprinz Karl Emil Nach dem Bilde aus der Leichenpredigt, im Königlichen Hausarchiv befindlich.
Zu S,. 72 der Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins.
Heft 50.
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kurfürstlichen Residenzhause)), während die übrigen Räte, die Kanzleibeamten, Doktoren, Advokaten und die Magistrate sich zum Kammergericht, ebenfalls na< dem Schlosse, begaben, von wo aus sämtliche Herren in bereitstehenden Karossen nach dem Leipziger Tor fuhren, um die Leiche einzuholen und ihr später in der Prozession durch die Stadt zu folgen.
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Die Truppen, welche nicht im Leichenzuge marschierten, sowie die Bürgerwehr und Landmiliz bildeten Spalier zur Freihaltung der Straßen, durch welche sich der Zug bewegte. Das Ravelin vor dem Leipziger Tor, ein Werk der neuen Befestigungsanlage des Großen Kurfürsten, war von den Fargelschen Bölkern besetzt, es waren dies ein Teil des Regiments vom Oberst Johannv. Fargel, das mit 5 Kompagnien in Berlin stand (3 Kompagnien waren in
Westfalen). Im Tor selbst war eine Kompagnie Werderscher Bürger aufgestellt und weiter die Straßen bis zum Cöllnischen Rathaus entlang die Kompagnien der Landvölker (Land- und Lehnmiliz), bestehend aus Musketieren und Pikenieren, beide gemischt und in
3 Reihen gegliedert; die Pikeniere hielten die Spieße gekreuzt, damit die Zuschauer sich nicht durch die Glieder des Spaliers drängen konnten. Bom Cöllnischen Rathause, die Breite Straße herauf, bildete eine Eskadron von Fargel (Bezeichnung für ein Batoillon
Fußvolk zu jener Zeit) die Schranken (Spalier) bis zum Dom, welcher damals noch an der E&e zwischen der Breiten und Brüder-Straße
stand; an diese schloß sich eine Kompagnie vom Dohnaschen Regiment an, und zwar über den Kirchhof bis zum Tor der Kirche; zum Schluß war die kurfürstliche Guardi, eine Eskadron stark, vom Dom
bis zur Langen (Kurfürsten-) Brüdke über die alte Stechbahn postiert. Es war 1 Uhr mittags, als die kurprinzliche Leiche mit kleinem Gefolge, von Potsdam kommend, im Tiergarten vor dem Leipziger Tor eintraf; hier bildete sich jetzt der stattliche Leichenzug in folgender Ordnung zur Prozession durch die Stadt: An der Spikße ritten die 3 kurfürstlichen Oberförster v. Lüderiß, v. Oppen und v. Zedwitz mit der 100 Mann starken Jägerei zu
Pferde (Förster, Jäger und Heidereuter), geschlossen von den beiden Jagdjunkern v. Löbel und v. Weißenfels.
Es folgte Oberstleutnant Wilhelm Adam v. Mörner mit seiner eigenen Kompagnie von 109 Reitern. Hierauf ein Pauker und acht 1) Ein Teil des gesamten Schloßkomplexes«.
Trompeter ganz in Schwarz gehüllt, sie ließen ihre Trauermärsche durch die Straßen Berlins und Cöllns erklingen. Hinter ihnen als
Trauer-Marschall auf prächtigem Roß mit langwallender schwarzer Dede der Oberstleutnant Ernst Gottlieb v. Börstel und in dessen
Gefolge der gesamte kurbrandenburgische Adel zu Pferde, wohlgeordnet zu Paaren. Hierauf allein zu Roß Stallmeister Bernhard v. Schwerin und nun der von Straßburg i. E. gekommene Leichen-
wagen mit dem entseelten Körper des geliebten Kurprinzen, daneben schritten 12 Trabanten in langen Trauermänteln mit zur Erde gekehrten Spißen ihrer Partisanen, und dahinter ritten die
6 Trabanten, welche bereits auf der Reise die Begleitung gebildet hatten. Ihnen folgte unmittelbar die ganz scungen: und Unordnung
sogleich nach der Langen Brücke ab, wohin auch die Ritterpferde geführt waren.
Die gesamte Trauerversammlung, in welcher das
weibliche Geschlecht recht reichlich vertreten war, nahm nunmehr die angewiesenen Pläße in dem mit reichem Trauerschmud ausgestatteten Dom ein. Die andächtige Gemeinde stimmte mit Musikbegleitung den 39. Psalm an. Nachdem dessen lezte Töne ver-
klungen,hielt der jüngste kurfürstliche Hofprediger Heinrich Schmettow die Leichenrede, da Hofprediger Stoschius sim hatte entschuldigen lassen und sein Kollege Bergius krank an Podagra darniederlag. Schmettow schilderte das Leben des Entschlafenen mit beredten Worten, hob dessen vortreffliche Eigenschaften hervor und sagte u. a.: „Er war die Freude unseres Landes, die Hoffnung vieler Bölker, der Gesalbete des Herrn, unter dessen Schatten wir meinten, daß wir und unsere Kinder leben sollten.“ „Unser Kurprinz“, fährt er fort, „war schon in dem Alter und zu solcher Perfektion kommen, daß er den Stuhl seines Herrn Baters bewahren konnte. Stander nicht in vollem Glanze seiner frischen Jugend? Nun wird er unter viel tausend Tränen Hoher und Niederer in die Gruft beigesezt und
zu seinen Bätern versammelt.“ Nach beendigter Predigt sang man unter Trompeten- und Paukenschall den 16. Psalm. Beim Austritt aus dem Gotteshause ertönte wieder das feierliche Geläute aller Glo>en von sämtlichen Kirchen beider Städte. Es war in-
zwischen 6 Uhr abends geworden. Der Statthalter begab sich jett mit großem Gefolge in das Schloß zu dem auf kurfürstlichen Befehl angesehten Trauermahl, wohin auch die Geladenen vom Adel, die Offiziere, Beamten und Magistrate in feierlichem Zuge schritten. Unter den Gästen sah man die Bürgermeister Tieffenbach, Müller, Schardius und Neuhaus von Berlin und Cölln a. d. Spree sowie 1) Bom Quartana, d. i. eine viertel Büchse mit 12*/, Kilo Ladung.
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ständiges sich vor ihm eröffne, bedacht seyn werden“. Während der Geistliche in solcher Weise belohnt wurde, erhielt die Akademie der Universität Straßburgs, welche in lateinischer Sprache ein langes, sehr sen, die mit Hilfe des vorhandenen dürftigen Materials
aufzustellen, im folgenden versucht werden foll. Man hat darüber gestritten, ob der Name Dahlem Ansiedlung im Tale, oder auf dem Berge bedeutet, wobei man an das Bätetal, oder an den benachbarten Fichteberg denken kann. Es lohnt sich indes nicht, zu dieser Streitfrage Stellung zu nehmen, da aus dem Namen doch keine Schlüsse auf das Alter des Ortes gezogen werden
können. Esist sogar nicht völlig ausgeschlossen, daß der Name erst im 14. Jahrhundert auf das bereits vorhandene Dorf Übertragen ist, worüber unten einiges erbracht werden soll. Böllig sicher ist es, daß der Ort zu den ältesten Erwerbungen der Askanier im Teltow gehört hat. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Im Jahre 1237 einigten sich die gemeinschaftlich regierenden Markgrafen Johann 1. und Otto I111., die Söhne des Markgrafen Albrecht I1., nach längeren Streitigkeiten mit der Kurie über die der Kirche in den Erwerbungen der Askanier zustehenden Zehnt-
rechte?), Man legte bei diesem Bergleiche das Prinzip zugrunde, 1) Niedel, Codex dipl. Brandenb. Hptl. 1, Bd. 8, S. 15lff.
daß in den älteren Erwerbungen der Askanier, die noch in die Zeiten Albrechts des Bären fielen („den alten Landen“), das Bistum
Brandenburg besser gestellt wurde, als in den seitdem gemachten Neuerwerbungen („den neuen Landen“). Fn letteren sollte, von an-
deren Einkünften abgesehen, das Archidiakonat dem Landesherrn, in den alten Landen dagegen dem Bistum zustehen. Zu den Einnahmen aus dem Archidiakonat gehörte das dem Probste zustehende Kathedratikum und die zur Entlohnung der niederen Kleriker am
Domstift bestimmten Synodales. Je nachdem diese Einkünfte also dem Bistum zustehen, oder dies nicht der Fall ist, beantwortet sich mithin die Frage, ob dieses oder jenes Dorf zu den alten oder zu den neuen Landen gehört.
Es gibt nun eine Matrikel des Brandenburger Archidiakonats-
bezirkes, die Riedel?) irrtümlich in das Jahr 1500 anseßzt, während sie, was den Inhalt anlangt, aus weit früherer Zeit herrührt, in der vorliegenden Form aber erst am 20. Mai 1550 als Beigabe zu einer vom Domkapitel dem Kanzler Weinleben eingesandten Be-
sc Geldes vder 5 Wispeln Roggen) wohl seit der Gründung der Pfarre unverändert derselbe geblieben. Dies entspricht der bekannten Tatsache, daß die kirchlichen Verhältnisse in der Mark bis zur Reformation von 1539 dem Wechsel sehr wenig unterworfen gewesen sind. Trifft dies zu, so kann es auch keinem Zweifel unterliegen, daß die während der Bisitation von 1541 getroffene Feststellung, daß Dahlem unter dem Patronate des Stiftes Coswig steht, sich auf ein Berhältnis bezieht, das bald nach der Gründung desselben getroffen ist. Das im Anhaltschen unweit von Wittenberg belegene Stift war im Jahre 1215 unter Beteiligung des Markgrafen Albrecht von Brandenburg mit einem Probste, einem Dechanten und drei
Domherren gegründet worden.
Nach dessen Tode schenkte Graf
Heinrich von Anhalt als Bormund der minorennen Söhne Al-
brechts, der Markgrafen Johann und Otto, dem Stifte das Dorf Bülzke im Jahre 12342). Offenbar in derselben Zeit hat dann auc“ das Stift das Kirchlehn in Dahlem und in dem benachbarten Markgrafendorf, dem späteren Schmargendorf, erhalten. Denn es fehlt für die Folgezeit an jeder Beranlassung zu einer derartigen
Begnadigung seitens der Markgrafen für das anhaltiscen um
denselben Lehnsakt. ?) Niedel, a, a. O., 1. Hptl,, Bd. 11, S. 414, 9) Riedel, a. a, O., 3: Hptl., Bd. 2, S. 304. 9) Riedel, a. a, O., 1, Hptl., Bd; 7, S. 172 und 376.
KIRII Es kann aber die Erörterung der Frage, ob dieser im Besiße der Familie von Bredow in Bredow befindliche Lehnbrief von
Riedel richtig zum Abdru> gebracht ist, dahingestellt bleiben; jeden-
falls war mindestens seit dem Jahre 1524 Dahlem im Besiße der Familie Spiel, da in diesem Jahre die Bettern Christian, Heinrich und Caspar v. Spiel mit ihren Gütern im Teltow beliehen werden, wobei Christian als Besitzer von Dahlem, Heinrich als solcher von
Markee und Caspar als solcher in Steglitz aufgeführt werden?). Es wird nun behauptet, daß Christoph von Spiel auf Dahlem eine bedeutende Rolle in der märkischen Reformation gespielt und zu einer Gruppe Teltower Landsassen gehört habe, die sich bereits im April 1539 dahin geeinigt, an ihre Pfarrstellen der Reformation geneigte Pfarrer zu berufen und die alten, die der Neuerung sich
nicht anschließen würden, lebenslänglich zu versorgen, aber nicht wegzujagen. Aus dieser Einigung wird dann der Schluß gezogen,
daß die Beteiligten das Kirchenlehn auf ihren Besitzungen gehabt haben müßten?). Dieser Schluß ist allerdings scheinbar berechtigt; aber die Überlieferung von jener Einigung ist eine so völlig unbeglaubigte, daß ihr irgendein Wert nicht beizumessen ist. Neun Adelige aus der nächsten Umgegend des Städtchens Teltow sollen 1) Riedel, a. a. O, 1. Hptl., Bd. 11, S. 16. =- Landbuch, S. 60 und 308. 2) Riedel, a. a. O,, 3, Hptl., Bd. 2, S. 457.
3) Ein sonst niht weiter bekannter Johanniter und Havelberger Domherr Thomas Philipp v. d. Hagen auf Hohennauen hat in seiner „Beschreibung der Stadt Teltow“, Berlin 1767, zuerst ganz unbeglaubigte Mitteilungen aus einem Hausbuche eines Matthias v. Schwanebe> zu Teltow, S. 22ff., gemacht. S. 24 bis 25 enthält die Mitteilung von der Teltower Einigung.
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möglich und verzeihlich. Es läßt sich daher aus diesem denkbar schlecht beglaubigten Hausbuche des ganz unbekannten Landsassen Matthias v. Schwanebed (1517 bis 1577) wenig entnehmen, jedenfalls nichts, was irgendwie mit dem sonst Beglaubigten in einem Widerspruch
stände.
Ein viel besseres Bild, wie die Reformation in Dahlem vor
sich gegangen, gewinnt man aus dem Visitations-Rezesse von 1541.
Diese Bisitationen, deren Oberleitung in den Händen des Bizekanzlers Johann Weinleben und des Superintendenten Stratner lag, hatte unter Zuziehung der Ortsobrigkeit und des Pfarrers jedes Ortes die Rechtsverhältnisse (Patronat, Entscheidung der Frage, ob filia, mater oder vagans) und die Einkünfte der Pfarre und ihrer Angestellten (Pfarrer, Küster) zu ermitteln und deren Fortbestand zu sichern. Letzteres war um so notwendiger, als ver-
schiedene Magistrate und Gutsbesißer, gleichgültig, ob sie Patrone waren oder nicht, sich am Besitz und Einkommen der katholischen
Kirche, als sei es herrenlos geworden, vergriffen hatten. Deshalb hatte der Kurfürst Joachim I1. bereits einen großen Teil der Silber-
geräte in Kirchen und Klöstern teils in Sequestration nehmen,teils nach Berlin schaffen lassen, darunter aus Dahlem drei silberne Kelche im Gewichte von einer Mark 8?/, Lot, einer Mark 5 Lot und einer Mark 4 Lot (Mittwoch nach Mariä Himmelfahrt 1540) 2).
Das ist für eine Dorfkirche eine sehr reichliche Ausstattung und be?) Der Wortlaut dieses Reverses wird nirgends überliefert; v. d. Hagen teilt die Hausbuchnotizen und sonstigen Urkunden nach beglaubigten Abschriften mit, die Nikolaus Peuker, der bekannte Dichter, im Jahre 1648 hergestellt hat. Er traut aber der Kopierfähigkeit des Peuker selbst nicht recht. (Bgl. S. 14, a. a. O.) 2) Niedel, 3. Hptl., Bd. 3, S. 502.
KLRnN den Nothelfern auf dem Altarbild wiederkehren, so ist für festgestellt zu erachten, daß diese Gemälde aus den lezten Jahrzehnten des 15. vder aus den ersten des 16. Jahrhunderts herrühren. Denn
erst in dieser Zeit ist, schnell entstanden und in Norddeutschland durch die Reformation schnell abgestorben, der Kultus der Großmutter Christi in allgemeiner Übung gewesen?). Ein besonderer
Förderer des Annenkultus war nun der Domprobst Johann Wilktini zu Coswig, der am 13. März 1536 die Genehmigung des Erz-
bischofes von Magdeburg zur Stiftung eines geistlichen Bildes zu Ehren der heiligen Anna und der 14 Nothelfer in der St. Niko-
lauskirhe zu Burg erhielt). Offenbar hat derselbe auch kurz vor der märkischen Reformation die Kirche zu Dahlem zu Ehren dieser Heiligen ausst erklärt sich die Registratur über die Dahlemer Wisitation. Es heißt hier in einem Konzepte: „Dalem ist ein eigen Pfarr. Sollen die Domherrn oder Propst und Capitel zu Cottwitßz Collatores sein“; daneben geschrieben: „Unterstehn sich der Leihung die Spiel zu Markee; hat 2 Kelch, 1 Pacem, 1 kupfern Monstranz mit einem Biatorium silbern,
14 Groschen ungefährlich zu Opfer, 2 Hufen, gibt eine jede 3 Scheffel Roggen und 3 Scheffel Hafer, Ftem den dreistigsten über alle Hufen, das sind 50 zusammen. Küster 2 Meßken von jeder Hufe alle Quartal, 2 Brote jährlih von jedem Wirt, 2 Eier von jeder Hufe. Gotteshaus 2 Morgen Landes, taugen
nichts.“*). !) Jahrbuch der Königl. Preuß. Kunstsammlungen.
1894. Heft 1V.
2) Schaumkell, „Der Kultus der heiligen Anna am Ausgange des Mittel-
alters“. Freiburg und Leipzig 1893. S. 11ff. Es finden sich auch erst im 16. Jahrhundert in märkischen Kirchen Glo>en mit der Inschrift: „help sunte Anna sulf drydde“, so in Seebe> 1509, in Templin 1512 und in Barsikow 15153, 3) Riedel, 1. Hptl., Bd. 11. S, 469, 4) Im Schoßregister von 1451 werden 40 Hufen für Dahlem angegeben. Ob im Jahre 1541 die Hufen nach geringerem Maße berechnet sind, oder seit 1451 die Dorfflur um 10 Hufen vermehrt, kann hier dahingestellt bleiben,
En nnzT Es heißt dann weiter:
„Sc bringen soll. Deutlicher hätte man bei
Dahlem gesagt: Collatores sollten Probst und Kapitel sein, aber die v. Spiel haben si< die Berleihung angemaßt. Hiermit stimmte auch ungefähr jene Notiz in dem sog. Schwanebedker, oben bespro, der Glüdliche in 5 Akten. Ich meine, das sollte man des Tages, mit den gewöhnlichen Zetteln zur Feier des Geburtstages S. K. H. des Kronprinzen geben. Aber ohne Rede. Denn was kann man von einem drei-
jährigen Prinzen sagen als Wünsche? Und anders kann man die ersten zehn Jahre in einer Rede doch nichts sagen als Wünsche. Daraus entsteht meines Bedünkens die Eintönigkeit. Aber die ersten Jahre noch alle Geburtstage ein neues Stü> ist (nebst der Hausbeleuchtung) Respekt von unserer Seite, erlaubtes, zugestandenes Etikett von Seite des Hofes.
1) Alle ungedrukten Materialien, die im folgenden benukßt werden, sind dem Königl. Hausarchiv in Charlottenburg entnommen, das mir die gesamten Akten-
stüde in zuvorkommendster Weise zur Verfügung gestellt hat.
ZZZ oder aber
Zur Feier des Geburtstages I. M. der Königin Frau Mutter.
Sagen Sie mir und verlieren Sie nicht die Geduld, über alles dies nur
zwei Worte.
Mit Dank und Liebe und Wärme
Berlin, den 6. Okt. 1798. Ihr Iffland. Eine Rede ohne Anzeige hieß nur, als fürchtete mart sich zu feiern und das
sollte doch nicht sein. Raten Sie mir, liebster Freund. Übrigens ist das neue Stü> von einem sehr edlem Gange.
Das Drama „Der Glückliche“, von dem im Obigen die Rede ist, ein Schauspiel in 5 Akten, rührt von einem unbekannten Berfasser her. Es wurde wirklich am 15. Oktober 1798 zum erstenmal gegeben, erlangte aber keinen großen Erfolg, denn es wurde nach fünfmaliger Aufführung am 9. April 1799 vom Spielplan wieder
abgeseht. Das am folgenden Tage (16. Oktober) zur Feier des Geburtstages der Königin-Mutter erstmalig gegebene Stü> war „Palmer“, Singspiel in 3 Akten nach dem Französischen des Lebrun, bearbeitet von Herklots, Musik von Bruni. Es hat ein etwas besseres
Schidsal als das vorher erwähnte Stü>, denn es erlebte wenigstens 14 Aufführungen bis zum 10. April 1811, 2. Iffland und das Militär. Zu den grimmigsten Feinden Ifflands gehörte das Militär oder, wie man wohl richtiger
sagen kann, die jungen händelsüchtigen Offiziere.
Jyhre Gegner-
schaft gegen den Leiter des Schauspielhauses war weder durch,
persönliche noch durch literariscen
will, wohl in der Abneigung gegen einzelne Schauspieler und Schau-
ER 107 Weise das Mißfallen einzelner Offiziere zugezogen hatten, nun
von dem ganzen Stande boykottiert werden sollten, oder auch in der Auflehnung gegen eine von Iffland eingeführte strenge Haus-
zucht, die der Direktor der laxen Gewohnheit früherer Zeit gegen-
über in seinem Hause durchzuführen unternahm.
Jedenfalls kam
es zu manchen lärmenden Auftritten, von denen einer hier etwas
genauer behandelt werden soll. Am 1. Dezember 1803 klagte Tffland über den Theaterskandal vom 27. November.
Er meldete,
daß der neu engagierte Schauspieler Reinhardt verhöhnt, daß das Borspiel „Der Zauberbrunnen“ und die Oper „Muttertreue“ troß
vortrefflicher Aufführung ausgepocht wurden, und klagte, daß selbst „Wallensteins Lager“ bei dieser Stimmung des Publikums zugrunde gehen müßte. Er meldete weiter, daß sich auch am 1. Dezember bei der Aufführung des „Hahnenschlag“ ein förmliches Komplott des Militärs und der Privatpersonen offenbarte. Er berechnete den Schaden, der dem Theater durch diese Ablehnungen bereitet worden sei, auf 5000 Taler. Er sei, so berichtet er weiter, ganz krank davon geworden. Wien sei doch auch eine Militärstadt, aber so etwas sei dort nicht erhört. „Gehört so ein Betragen und daß man dazu die Achseln zu>t, zur Bravour der preußischen Offiziere, so muß
ich s!Heffter(+F1880), einst Bertreter der Schule. des historischen Rechtes an der Berliner Universität, glaubte das zwischen Alt- und Neustadt Brandenburg in der Havel-errichtete Gerichtshaus, das ein Fällgitter von der Havelbrüke schied, als den Sitz des Klinke-Gerichtes
in Anspruch, nehmen zu dürfen. Dem hielt Homeyer (|f 1874), der Bertreter des deutschen Rechts, sehr zutreffend entgegen, daß jenes Gericht ein Landgericht gewesen sei, das in der Havel gelegene Haus aber Siß des Brandenburger Stadtgerichts. Wie hätte auch wohl das um 1250' erbaute Rathaus (und spätere Schöppenhaus), ein Wahrzeichen der durch. ihre Stadtfreiheit von der. landgerichtlichen Gerichtsbarkeit eximierten beiden Städte Brandenburg, sich an einer Stelle erheben. können, an der noch bis' gegen 'das Jahr 1340 die
Landbevölkerung der Umgegend tagte? Gleich Homeyer trat Kühns (1865) der Meinung mit Recht entgegen, welche die Klinke nach Brandenburg verlegte, weil die entscheidenden ältesten Quellen, der Nichtsteig Landrechts und das Berliner Stadtbuch, von einer
„Klinke bei Brandenburg“ redeten, mithin diese nicht ein Ort sein könne, der von der Altstadt und der Neustadt: Brandenburg umgeben war...
.
Bereits Kühns hatte darauf hingewiesen, daß im Havelland eine Reihe von Örtlichkeiten mit dem. Namen Klinke bezeichnet
würden. Gewiß lag es nahe zu forschen, ob Spuren auffindbar wären, daß sich eine bei Brandenburg gelegene „Klinke“ zum Bersammlungsort einer Tagung des Landvolkes der Umgegend eigne. Das Wort „Klinke“ für einen schmalen, spitz zulaufenden Gegenstand, gehört bereits dem niederwendischen Sprachschaß an. : Neben
der Türklinke (ursprünglich einem Türriegel) kennt jedermann. die Degen- und die Messerklinge. Überhaupt wird, wie Homeyer. bei Besprechung des Gerichts zur Klinke sagte, das Wort „sinnlich“ für allerlei gebraucht, was eine haken- oder keilförmige Figur an sich
trägt, auch für Ausläufer eines Sees und ein sich keilförmig
KIRIZ suchungen, die ich vor mehreren Jahren über den Brandenburger Schöppenstuhl anstellte, war es geboten, nach einer für voltstümliche Gerichtstagungen geeigneten Örtlichkeit, mit der der Name Klinke verbunden war, durch eine mit der Umgegend Brandenburgs
vertraute sachverständige Persönlichkeit Umschau halten zu lassen.
Mein Mitarbeiter E. Deichmann (jet Oberlandesgerichtsrat in Jena), war selbst Brandenburger und wurde zur Umschau veranlaßt. Den richtigen Weg wiesen Namen von Örtlichkeiten, die aus alter Zeit stammen. Am Nordrande drei Stunden nordwärts eine Klinkmühle und eine ovale Bodenerhöhung, die
des Riewendsees kennt man zwei bis von Brandenburg einen Klinkgraben, Klinkbrüke. Unweit davon liegt eine Schwedenschanze im Bolksmunde ge-
nannt, mit einer nach dem See hinführenden Einsenkung, das Ganze so groß, daß sich in dem Oval wohl einige hundert Menschen versammeln können. Die Schwedenschanze ist ein auf wendischen Ursprung zurückzuführender Ringwall. Der von ihm umschlossene Plaß eignete sich später sehr wohl zur Abhaltung von Gerichtsversammlungen des umwohnenden Landvolkes, mochte es vom
Wasser oder sonst woher sich einfinden. Gleichzeitig mit, aber unabhängig von unseren Untersuchungen, forschte Oberlehrer Grupp in Brandenburg nach dem Sit des Klinkegerichts und kam, wie er im 31. Band der Jahresberichte des historischen Bereins zu Branden-
burg veröffentlichte, ebenfalls zu dem Resultat, der Gerichtssiß der Klinke sei innerhalb des Ringwalles zu suchen. Auf die Entde>ung Deichmanns hin veranlaßte das Berliner Museum für Bölkerkunde im Oktober 1900 eine vorläufige Untersuchung nach dem archäologischen Wert des Walles. Es fanden sich Tonscherben slavischen Ursprungs, die jüngsten wohl aus der Zeit zwischen 1000
und 1200, sowie daneben vereinzelte Scherben deutscher Töpfereien, auch fanden sich in der Umwallung eichene Holzpfähle und Zeichen, daß sich einst unter dem Schutze des Walles auch Menschen, vielleicht in Fischerhütten, angesiedelt hatten. Der Leiter der damaligen Ausgrabung, Professor Dr. A. Göße, wies in den „Nachrichten
über deutsche Altertumskunde“?) darauf hin, daß auch anderwärts, 1) Heft 2 von 1901, S. 17ff.
3. B. in Thüringen, vorgeschichtliche, umwallte Plähke als Gerichtsstätten benutt sind. Das findet eine gewisse Parallele in der Ber-
wendung heidnischer Tempel zu es deutet auf einen dort befindlich gewesenen Zugang hin. Auf der Karte Tremmen, der Kgl. Preuß. Landesaufnahme von 1880, ist der
Ringwall verzeichnet. Im Osten und Norden umgibt ihn jumpfiges Wiesenland, das nac< Aussage von Einwohnern des nahen
Dorfes Wachow früher Teil des Riewendsees gewesen sein soll. Ist dies richtig, so lag ursprünglich, wie Deichmann entdedte, der Wall auf einer am Südostende des Sees von Nordwesten her sich
erstrekenden Landzunge. Manschraffiere auf der Karte Tremmen die Fläche von Fischer- bis Möserdammbrüdke und Klingbrü>e als zum See gehörig, dann tritt eine weit in den See hineinragende
Landzunge als mächtige Klinke deutlichst hervor. Die nächstgelegene größere Stadt war Brandenburg oder richtiger die beiden bereits im vierzehnten Jahrhundert erblühten Städte Alt- und Neustadt Brandenburg, die noh in der Joachimica von 1527 Joachim 1. als „Hauptstadt unseres Kurfürstentums“
bezeichnete.
Der „Nichtsteig Landrechts“, die älteste Urkunde, die Zeugnis ablegt von der Existenz des Gerichts auf oder an der Klinke, hatte
neben dem gleichzeitigen „Nichtsteig Lehnrechts“ den märkischen Nitter, den markgräflichen Rat und Hofrichter, kaiserlichen capitaneus generalis der ganzen Mark Johann von Buch, zum Ber-
sasser. Er war ein in Bologna ausgebildeter Jurist. Den Richtsteig sc über Land wie See. Der nordöstliche Teil war jezt durch eine 5 Meter breite
Ausschachtung durchschnitten worden. Deren Grund zeigt ein Lager von (hauptsächlich eichenen) Baumstämmen und Stangenhölzern, die einen Knüppeldamm bilden. Reben ihm her gebt ein Bohlweg mit Eichenschwellen. Auf ihm wurde die Erdmasse bei Errichtung des Walles herangeschafft und nach außen gekippt, so daß der Wall gleichzeitig in die Höhe und nach außen wuchs. Nach vollendeter Aufschüttung führte man in halber Höhe der Außenböschung einen Graben herum und setzte darin eine Holzwand ein. Diese wurde mittels einer Holzbühne, auf der die Berteidiger standen, mit der Wallkrone verankert, wo ein schmaler Holzbau, wohl ein zweiter
Wehrgang, stand. Alle diese Holzbauten sind durch Feuer zugrunde gegangen; ihr Brandschutt bede>t jezt die damalige Außenböschung. Die Zerstörung durch Feuer geschah „jedenfalls in Folge eines feindlichen Angriffs; denn im Brandschutt wurde eine eiserne Pfeilspike mit umgebogener Spitze gefunden, wie wenn der Pfeil in Schriften dcs Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
9
einer Holzwand ste>en geblieben wäre und sich so verbogen hätte“. Aus einer Silbermünze und einem Wendenpfennig der Zeit um
1020, wie sie im Schutt lagen, schließt Götke, daß die Anlage in der älteren slavischen Epoche (vor dem 10. Jahrhundert) entstand und vermutlich in den Kämpfen, die mit der Erstürmung Brandenburgs 928 begannen, von den Deutschen erobert, in der späteren slavischen Periode aber wieder von Slaven besiedelt wurde. Diese Besiedlung sezt Göße in die Zeit nach 1020 und folgert sie daraus, daß die Münzen und die sonst gefundenen Artefakte nicht in der Wallschüttung,
sondern in einer während der Besiedlungszeit entstandenen Abfallschicht lagen, die sich an die Innenseite des Walles anlehnte, ver-
mutlich bauten sich innerhalb des Walles offene Fischerhäuschen an, deren natürlichen :Schuß vor dem Wasser der Wall bildete. Mit dem endlichen Siege der Deutschen verlor der Wall seine Bedeutung als Burg im Kampfe der Slaven und Deutschen zu
dienen. Es blieb nunmehr der Friedenszeit überlassen, den künstlich
auf wasserreichem Boden geschaffenen festen, vom Walle auch nach der Zerstörung seiner Holzkrönung, geschüßten Naum eine anderweite Bestimmung zu geben. Der Platz des Kampfes wurde für die Sieger der Plat für ihre Bersammlungen, und damit auch der Plaß zum Gerichthalten. Dazu bedurfte es keiner Wiederherstellung der durch das Feuer vernichteten Shußwehren auf der Höhe des Walles. Wohl aber erwuchs daraus, daß einst der Spiegel des den Wall umspülenden Wassers wesentlich höher war als jekt, wie im Walle vorgefundene Wassersen ergaben, das Bedürfnis, dem Walle einen besonderen Schutz vor der Zerstörung durc< das Wasser ringsum zu gewähren. Daraus erklärt Gökes Bericht eine „merkwürdige Anlage“ am Walle, die erst nach dem Untergange der Burg errichtet wurde“, nämlich einen „Uferschuß, der aus einer 30 Zentimeter di>en Platte aus gelbem Ton oder
Lehmbesteht“. Sie liegt auf dem schräg abgefallenen Brandschutt, ist mit Torf fundamentiert und am Ende senkrecht aufgebogen gewejen. In einer Länge von 12 Metern wurde sie bei der Auszrabung im Walle verfolgt. Der obere Teil der Aufbiegung zerbröcelte in kleine Teile, die den Abhang hinuntergespült sind. Dazu
bemerkt Gözes Geschäftsbericht über die Ausgrabung: „Der Ufer-
schuß hat besondere rechtsgeschichtliche Bedeutung.
Stölzel sucht
mit guten Gründen den Ort des Gerichts zur Klinke auf unserem Burgwalle. Als deutsche Einrichtung kann das Gericht dort erst
getagt haben, nachdem die slavischen Ansiedeler den Platz verlassen hatten. Einen solchen Uferschutz hat man gewiß nicht einer beliebigen Stelle zuteil werden lassen, sondern nur einem solchen Plaz, für
dessen unveränderte Erhaltung ein erhebliches Interesse vorlag, 39 glaube, daß dieser Umstand für die Ansicht Stölzels verwendet
werden kann.“
Im Uferschutß haben wir eine Art Mauer zu erbli>en, die auf dem zerstörten höchsten Teile des Walles, anscheinend im ganzen Umfange desselben errichtet wurde. Der Winkel, den sie mit dem
Walle bildet, ist mit Erdreich ausgefüllt. ?) Beumer erachtete es für „völlig haltlos“, das „Gericht zur Klinkebei Brandenburg“ dahin zu verlegen, wo noch heute wenige Stunden von Brandenburg ein Klinkgraben und eine Klinkbrü>e
existiert, auch. einst eine Landzunge und damit eine Fläche in Gestalt einer Klinke existierte, die früher Eigentum der Stadt Brandenburg war. Statt dessen glaubt Zeumer das Klinkegericht auf die Homeienbrüce innerhalb der Stadt Brandenburg verlegen zu dürfen; eine Homeie, die ein „Fallgatter“ sei, könne doch „wohl auch als eine Klinke bezeichnet werden“, Einen Beleg dafür, daß dies irgendwann
oder irgendwo geschehen ist, bringt Zeumer nicht bei, glaubt außerdem aber, daß „bei Brandenburg“ nur eine Stelle bedeuten könne, die niht drei Stunden von Brandenburg entfernt, vielmehr in nächster Nähe dieser Stadt liege; es möge sich mit dem Gericht zur Klinke wie mit einem andern altmärkischen Hauptgerichte, dem „Gericht vor der Brücke zu Tangermünde“ verhalten.
Nun war
aber das Gericht zu Tangermünde im 14. Jahrhundert dasjenige Gericht, in welchem der Hausvogt des dortigen Schlosses Recht sprach über Lehngut. Für ein solten den neuen Auserwählten. Wir verdanken dieser Freundschaft, an deren „durchweg intim spirituelle“Y) Be-
schaffenheit die spätere Gattin Unzelmanns nicht recht glauben wollte, köstliche Briefe?) der Mutter Goethes. Unter der straffen Zucht Großmanns begann sich die nunmehr 18jährige Friederike nicht mehr behaglich zu fühlen. Auch die Beziehungen zur neuen, kaum älteren Stiefmutter = der kinder-
reiche Großmann hatte den inständigen Bitten Frau Ajas entgegen die Schauspielerin Schroth, um deren Talente und Lebenswandel er einst den Freiherrn von Knigge befragt*), geheiratet =- wurden
keine innigen.
So entschloß sie sich, der eigenartigen und heim-
lihen Werbung) Unzelmanns, des „närrischen Wildfangs“ nachzugeben und ihm gegen den Willen des Stiefvaters die Hand zu
reichen. „Großmann“, so erzählte sie einmal dem Professor Gubiß), „jeßte uns von Frankfurt a. M. nach, kam aber erst in Mainz an,
als wir schon getraut waren; doc mußten wir unter polizeilichem Zwange umkehren und einstweilen noch bei der Truppe in Frankfurt bleiben.“ Einstweilen noch und ungern! Denn von Berlin, wohin der Ruhm der jungen Sängerin und Schauspielerin gedrungen, kamen verlo>ende Anträge, und auch in Unzelmann war die Sehnsucht nac; der alten Wirkungsstätte (1775 bis 1781, 1783
bis 1784) erwacht, und diese Sehnsucht wurde gefördert durch 1) Neujahrs-Blatt des Bereins für Geschichte und Altertumskunde zu Frankfurt a. M. f. d. I. 1872.
2) Literatur- und Theater-Zeitung. 3) Reminiszenzen, herausg. von Dr. Dorow.
9) F. W. Gubitz: Erlebnisse. 5) Klen>e: Aus einer alten Kiste.
6) Kleine Deutsche Liebesbriefe.
Mißhelligkeiten und drükende Schulden, deren Regelung er nach
seinem Fortgange großmütig Frau Aja Üüberließ?). Wie hoch das junge Schauspielerpaar am Nhein im Werte stand, beweisen die Bemühungen des kurfürstlichen Hofs zu Mainz, den mit Berlin geschlossenen Bertrag vom 7. Januar 1788 rügängig zu machen?), und diese Wertschäßzung war so groß, daß man den Namen Unzelmanns eigenmächtig unter ein für den preußischen Minister in
Mainz bestimmtes Promemoria sette. Es ging in Erfüllung, was Unzelmann einst beim Abschiede den Berlinern zugerufen: Mein Herz bleibt hier zurück, Nicht ewig scheiden wir, der Zufall hilft den Seinen! Ihr wißt, vier Akte oft trennt Liebende das Glück, Umsie im fünften dann entzüdter zu vereinen. *)
Es war für ihn der fünfte Akt. mehr von Berlin geschieden.
Die Unzelmanns sind nicht
Für den 3. Mai 1788 waren zwei Stüke in Ausficht genommen: „Nina oder Wahnsinn aus Liebe“ und „Der Jurist und der
Bauer“. Kaum war die Arie: „Wer hörte wohl jemals mich klagen“ verklungen, da hatten Jugend, Sprache, Ausdru&s, Wahrheit und Gesang die zahlreichen Zuhörer ergriffen und die zwanzigjährige, liebliche, furchtsame Frau war den Herzen gewonnen. Nina! Nina! wurde zum Ruf der Berliner, und in Liedern erklang damals und später das Lob der Unzelmann: Bon des Grames Träumereien,
Bon verlornen Schwärmereien,
Nina, wurdest du geheilt! Doch du hast die zarten Schmerzen Und den Wahn betörter Herzen
Allen Hörern mitgeteilt,
sang A. W. Schlegel, und v. Beyer, der Leiter des Berliner Thea-
ters, schrieb seinen Mitdirektoren Ramler und Engel: „Das ist doch endlich mal ein Weib, das ganz. seinen Charakter versteht, richtige schöne Naturin allem zeigt, wirklich agiert und nicht bloß rezitiert“?). Und neben diesen Äußerungen stehen die Bildlein Chodowiedis, 1) Reminiszenzen, herausg. von Dr. Dorow.
2) Brachvogel: Geschichte des Kgl. Theaters in Berlin. 3) Haude und Spenersche Zeitung vom 14, April 1821.
steht der Bericht Wacdkenroders ?), steht der Saß des von Goethe
gelobten trefflichen Theater-Kritikers Friedrich Schulß, die Unzelmann hätte eine Sensation mit ihrer Darstellung erregt, „die sie auf immer zum Lieblinge des Publikums machte, die Jugend für das Theater begeisterte, das Alter, das ihm den Rüden zugekehrt, wieder zuwandte und selbst in Kennern neue Ansichten aufschloß, ihre Begriffe erweiterte und berichtigte?). Sieh' einen Dichter hier, dem jede Rolle glüdet, Der uns durch Scherz und Ernst entzüet, Der zärtlich ist, oft schalkhaft, immer fein, Der ähnlichsten, dir selbst, soll er gewidmet fein,
so schrieb ihr Professor Ramler bei Übersendung eines Exemplars der Gökzeschen Gedichte im Jahre 17953?). Es scheint, als hätte Berlin nur auf die Unzelmann gewartet; so reich waren jene Tage an Erstaufführungen bedeutender Stüde. Eine Fülle von Opern und Singspielen verzeichnete der Spielplan des Nationaltheaters, als wären die Mitglieder Sänger von
Beruf gewesen.
Trotz ihrer nicht großen Stimme hat sich Frau
Unzelmann in den Opern „Zemire und Azor“, in „Lilla“, in der „Hochzeit des Figaro“, im „Oberon“, im „Kleinen Savoyarden“ und anderen neue Bewunderer erworben. Zwei Stüke: „Menschenhaß und Reue“ und „Die Indianer in England“ waren es besonders, die durch die Rollen der Eulalia und der Gurli den Ruhm der
Künstlerin zu allen deutschen Bühnen tragen sollten. Es gibt wohl niemand in jenen Tagen, der sich nicht unter dem „Zauber“und der „Grazie“ der dezenten Darstellerin mit dem widrigen und unmöglichen Jnhalt der Arbeiten Kotzebues abgefunden hätte. Diese Schauspielerin, die sich im Sturme die dauernde Neigung der gesamten königlichen Familie und der Berliner gewann,
schildert uns das „Lyzeum der schönen Künste“*): „Madame
Unzelmann hat lichtbraunes Haar, ein großes, durchdringendes, dunkelblaues Auge und eine so zierliche Gestalt, daß es gänzlich von
ihr abhängt, wieviel jünger sie auf der Bühne scheinen will als sie 1) Vriefe an Ludwig Tie>, herausg. von Karl v. Holtei.
?) 3) 9) 5)
Berliner Theateralmanach auf das Jahr 1828. Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschma>s. Ludwig Tie>: Phantasus. Der Berfasser des Artikels ist Friedrich Schulb.
1799,
es ist, und daß höchstwahrscheinlich irgend jemand, der gern die Gegensfände beim rechten Namen nennt, ihretwegen den Ausdru> schönes Kind erfunden haben würde, wenn ihn die Sprache nicht schon
gehabt hätte.“ -Ausgezeichnete Darsteller erhoben die Berliner Bühne am Ende des 18. Jahrhunderts zu einer der ersten Deutschlands. Neben
Fle> standen Chechtißki, Kaseliz, Lippert, Herdt, Mattausch, neben Frau Unzelmann Karoline Döbbelin und Henriette Baranius, die Gattin des Geheimkämmerers Rieß. „Die Baranius hatte nicht das große Talent ihrer Mitspielerin“ Unzelmann, aber beide Frauen „ergänzten sich so in Schönheit und Reiz, in Anmut und Naivität, daß man sie sich kaum getrennt denken konnte; war die eine die
mutwillige Figur, so war jene die ernste, nahm diese den stilleren Charakter an, so tändelte jene als Bauernmädchen oder Dienerin)“. Persönliche Beziehungen zu diesen Kollegen haben die Unzelmanns nicht viel gehabt. Sie waren, als fie an der E>e der Taubenund Friedrichstraße im Shmaßtischen Hause und dann im Jahre 1792
beim Fuhrherrn Belitz, Französische Straße 47, Wohnung genommen, dem Rate des Professors Engel gefolgt, mit niemand Umgang zu halten). Frau Unzelmann hat einen engeren Berkehr mit Amts-
genossen, obwohl sie sie gern gefördert*), nicht geschäßt, „weil sie von diesem eingefleischten Lumpengesindel nie etwas Gutes er-
wartete“ 9. Aber die Sehnsucht nach Menschen, die ihr kongenial waren, ist allmählich über sie gekommen. Berachtet und gemieden wie die Schauspieler waren die Juden. Ist es ein Wunder, daß um
das Jahr 1793 zwischen Frau Unzelmann und der scharfsinnigen Rahel Levin ein Bund geschlossen wurde, den kein Ereignis, keine Entfernung, keine veränderte Lebenslage trennen oder beeinträch-
tigen konnte? „Zu viel habe ich mit ihr erlebt“, sagt Rahel, „meine Hauptbataillen, ihre; alle Kunst, Reisen, Landfahrten, jedes Bertrauen, die meiste, reifste, heftigste Jugend, Schmerz, Berrat, Bersöhnung“*?). Wie oft klagt die spätere Gattin Barnhagens von Ense: „Ach, ich bin nur ein Judenmädchen!“, und wie oft wird 1) Ludwig Tie>: Phantasus. 2) Brachvogel: Geschichte des Kgl. Theaters in Berlin. 3) Als stolzeste Schülerin hat sie eine Stich-Crelinger hinterlassen. ?) Reminiszenzen, herausg., von Dr. Dorow.
5) Aus dem Nachlaß Barnhagens von Ense. hagen und Rahel.
Briefwechsel zwischen Barn-
Kn157 [Bnd00=0 Frau Unzelmann mutatis mutandis die Klage zurükgegeben haben. Wir sehen sie ausfahren, die beiden neuen Freundinnen,
wir sehen sie Wohnungen mieten, wir treffen sie im Tiergarten, auf gemeinsamen Reisen, wir finden sie, wie sie zu gleicher Zeit vor den Gewaltigen traten, den sie beide verehrten und dessen
Ruhm sie verbreiten wollten, eine jede nach ihrem Bermögen: vor Goethe.
Die Bekanntschaft mit dem Dichter wurde 1795 in Karlsbad
geschlossen, wo Frau Unzelmann im vorhergehenden Jahre Heilung von langer Krankheit gefunden; und wie gern Goethe sich ihrer erinnerte, beweist sein Brief vom Jahre 17989): „Sie werden mir wohl glauben, schöne, kleine Frau, wenn ich Ihnen sage, daß demjenigen, der Sie einmal gekannt hat, der Wunsch immer übrig bleiben muß, Sie wiederzusehen.“ Friederike Unzelmann empfand die Bedeutung dieser Freundschaft, die aus der schüchternen Frau aus verachtetem Schauspielerstande mit eine Persönlichkeit schuf, welche sich stolzen Hauptes zu den besten ihres Bolkes stellen durfte. Neben den Häusern der vornehmen Welt waren bei dem
Mangel tüchtiger Gelehrten im damaligen Berlin die jüdischen Kreise, auch der der Hofrätin Herz, der „schönen Doktorin“?), wie
Frau Unzelmann sie nannte, hervorragend und so ausgezeichnet, daß sie jedwede Person mit glänzendem Namen in ihren Bann zogen. Dort finden wir den Prinzen Louis Ferdinand, dort die Humboldts, Gent, die Schlegels, den schöngeistigen, nicht unbedeutenden schwedischen Diplomaten v. Brinkmann, und Frau Unzelmann
entzüdt sie alle. „So geistreich, so herzlich, mit solchem unerhört schnellen kindlichen Wechsel des Lachens und Weinens hat sicherlich nie ein menschlicher Mund erzählt. Darüber ergoß sie einen Zauber, dem auf der Bühne und im gesellschaftlichen Leben nichts widerstand“3)., Die Denkwürdigkeiten Barnhagens von Ense erzählen „aus den Papieren des Grafen S. . . . .“ der Nachwelt von solchen
Stunden des Jahres 1801, und wir begreifen wohl, daß dem kleinen, beneidenswerten Berlin damals Anmutig-Geistreiches zur Genüge
beschieden war.
Zu den näheren Freunden gehörten auch der
1) Schriften der Goethe-Gesellschaft:
Das Weimarer Hoftheater: unter
Goethes Leitung . . von Julius Wahle.
2) Kgl. Bibliothek: Barnhagens Handschriften-Sammlung. 3) Friedrich Ludwig Schröder von T,. L. W. Meyer.
Historiker Woltmann, Hufeland und der „alte Heim“. Wir finden Schelling in ihrem Hause und später den Professor Gubitß, den Justiziarius Schulz, den Geheimen Staatsrat Stägemann, Bernhardi und Tiedge -- die Besten jener Zeit. Bornehmlich .aber haben zu den Füßen der „Unzelinette“ die Gebrüder Schlegel ge-
sessen, und keiner hat zarter, erschöpfender und überzeugender Kunst, Charakter, Anmut und Lebensgewohnheiten Friederikes geschildert, als August Wilhelm in seinem „Feenkinde“. Kaum hat je ein Gedicht an eine Schauspielerin =- Goethes Euphrosyne ausgenommen =-
größere Teilnahme erregt, als diese liebliche Schöpfung der Schlegelschen Muse), die wohl mit zur Bildung der von Karoline Schlegel
selbst zerstörten Legende Beranlassung gegeben hat, daß eine Ehe zwischen August Wilhelm und der Künstlerin geplant war?). Das Berhältnis zu Iffland, der feit 1796 die Geschike des Berliner Theaters lenkte, ist in den 18 Jahren gemeinsamen Wirkens des öfteren kein gutes gewesen. Und zweifellos war das Recht, wie Iffland selbst zugibt*?), nicht immer auf der Seite des Direktors. Die Rolle der Jungfrau von Orleans ist ihr, entgegen dem Wunsche Schillers, nie zuteil geworden. Die Zuweisung der Eugenia in der „Natürlichen Tochter“ an die wenig bedeutende Schauspielerin Fle>k erregte den Zorn der kleinen Frau. Aber Iffland war sich des
Wertes seiner „poetischen Hälfte“9) wohl bewußt, und manches Entlassungsgesuch der Künstlerin, die in Wien, in Dresden und Leipzig immer eine Zuflucht gefunden hätte, ist zu den Akten genommen worden, einmal, weil Frau Unzelmann im tiefsten Herzen
ihrem preußischen Königshause ergeben war, zum anderen, weil ein Scheiden ein unerseßlicher Berlust für die Berliner Bühne gewesen wäre, „Es ist ein geniales Weib“, gesteht Iffland einmal, „kaum studiert sie ihre Rolle, . . . sie greift immer in den Glüdstopf,
ohne je eine Niete zu ziehen“*?). Wahrhafte Hochschäßung und aufrichtige Ergebenheit haben die beiden Menschen immer wieder zusammengeführt, und Schiller hatte wohl recht, als er dem Berliner Direktor schrieb: „sie liebt Sie“*). 1) Musen-Almanach 1802. 2) G. Wait: Caroline, 3) Johann Valentin Teichmanns Literarischer Nachlaß. 4) Kunst und Natur von August Klingemann. 5) Fun>: Erinnerungen aus meinem Leben.
s) Friß Jonas; Schillers Briefe.
En ]159
Rahel Levin die „Triumphrolle“?) und August Wilhelm Schlegel rühmte die „erschütternde Größe“). „Bon der unendlichen Kunst“ in der Rolle der Kokzebueshen Octavia spra< Jean Paul), als Klärchen im „Egmont“ war sie „meisterhaft“*), und ihre Maria Stuart ward einem Meyer von Bramstädt zum „Musterbilde der
Bollkommenheit“ 9). Schlegel meldete an Goethe, daß Frau Unzel-
mann „wahrhaft groß gewesen“) sei und noch im Jahre 1806 erinnerte er sie'in dem Briefe, den er über einige tragische Rollen der Frau von Stael an die Künstlerin richtete, an die heilige, nur vom
Scluchzen unterbrochene Stille der Rührung"). In „Jery und Bätely“, im „Nathan“ (Sittah), im „Wasserträger“, als Phädra,
als Lady Macbeth, als Adelheid im „Göt“, als Minna von Barnhelm, in „Turandot“ (Adelma), in der „Braut von Messina“ (Isa-
bella) riß sie die Menschen hin. Im „Jon“ gab sie den Zuhörern „eine Welt von Tönen“*) und im „Abbe de l'Epee“ nahm sie den
unglücklichen Schülern des Professors Eschke den Gedanken, daß ein Taubstummer mürris< und menschenfeindlich sein müsse *). Über der Herrlichkeit der Unzelmann als Iphigenie aber vergaß Professor Spalding die Forschung und pries rühmend das Lob der schönen Hellenin Berlins2?), Wie das Lied: „An der Durance Gestade“), das sie als Aline, Königin von Golconda, sang, zum 1!) Kunst und Natur von August Klingemann.
2) Berlinische Dramaturgie. 3) Rahel, ein Buch des Andenkens. ?) Zeitung für die elegante Welt vom 30. Juli 1803. *) Friedrich Ludwig Schröder von F. L. W. Meyer. s) Schriften der Goethe-Gesellschaft: Goethe und die Romantik. ?) Berlinischer Damen-Kalender 1807. 8) Annalen des neuen Kgl. Nationaltheaters zu Berlin. 1802. *») Eunomia, 1802, 10) Berliner Theateralmanach auf das Jahr 1828.
1) Repertorium der kgl... deutschen und französischen Schauspiele, herausg. von Wolff.
1834.
Lieblingslied des Berliners wurde, so fanden die Gesänge der Fanchon: „In Savoyen bin ich geboren“ und „Fort, daß die Leier klinge, dann wird das Herz, mir still“ bei Hohen und Niederen, sogar beim alten strengen Rellstab jubelnden Beifall, und Tassen, Pfeifenköpfe und Bonbons „a 1a Fanchon“?) gaben Zeugnis, daß das Wirken der Künstlerin allen ihrer Zeit „genug getan“. Gleich Iffland ist auch Frau Unzelmann zu Gastspielen in die Ferne gezogen. Im Jahre 1797 hat sie den Hamburgern „wahre Gastereien dargebracht“?). Im März 1799 feierte die „allerliebste kleine Berlinerin“ auf dem „unruhigen Boden“ Wiens glänzende Triumphe und die „ersten Häuser“ nahmen sie mit außerordentliher Auszeichnung auf?). In Prag, dem Wirkungskreise Johann Karl Liebichs, eines „herrlichen Menschen“ und gütigen Bühnenleiters, wie ihn die Theatergeschichte nie wieder zu verzeichnen haben wird, spielte sie in demselben Jahre, 1801 finden wir sie in Breslau, und ihre Darstellungsart diente dem begeisterten Professor Manso in seinem rhetorischen Unterrichte zum Borbilde*). Auch der höchste Wunsch wurde ihr endlich in demselben Jahre gewährt, ein Gastspiel in Weimar, das schon oft der Gegenstand des Briefwechsels zwischen Goethe und der Künstlerin gewesen war und welches nun durch Bermittlung A. W. Schlegels geheimnisvoll, um die Gegenwirkung der weimarischen Schauspielerin Jagemann zu verhindern*), in die Wege geleitet wurde. Jn Weimar aufzutreten, war für Schauspieler aus Hamburg und Berlin, aus den Schulen Schröders und Ifflands ein Wagnis, und nur große Künstler durften es versuchen. Im Norden galt Natur und Wahrheit, in Weimar pries man die rhetorische Schönheit. „Alles wurde mir zu wirklich in ihrem Munde“ schrieb Schiller *), aber er fügte hinzu: „Da, wo die Natur graziös und edel ist wie bei Madame Unzelmann, mag mansich's gern gefallen lassen.“ Das Urteil Goethes über das
1) Zeitung für die elegante Welt vom 30. Juli 1803. 2) Annalen des Theaters.
3) Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmads. 9) Biographisches Taschenbuch deutscher Bühnentkünstler, L. v. Alvensleben.
herausg.
18536.
5) Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten, herausg. von Holtei.
6) Fri Jonas: Schillers Briefe.
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Friederike Unzelmann. Pastellbild auf Elfenbein von H. Dähling 1804.
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Zu S, 160 der Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
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Gastspiel, zu dem Schiller von Dresden gerufen wurde?), Schelling und Schlegel und andere sich einfanden, lautet „vortrefflich“?), Weitere anerkennende Äußerungen der beiden großen Dichter sind uns aufbewahrt und erinnern an die für die Künstlerin unvergeß-
lihen Tage, die Goethe besonders durch seine persönlichen Bemühungen verklärte, Über die Reisen nach Frankfurt a. M., Mann-
heim, München, Stuttgart, über den Berkehr mit dem Philosophen Jacobi, seiner Schwester, mit Haug, den Hubers, mit Schelling und der Madame „Lucifer“ hat die Gesellschaft für Theatergeschichte bei Herausgabe des Stammbuchs der Künstlerin berichtet und über die Gastspiele beim „lieben, ehrlihen, dummen“ Franz Sekonda in Leipzig, über die in Stettin und Streliß können wir hier hinweggehen.
Frau Bethmann. Frau Unzelmann stand auf der Höhe ihres Ruhms. Ihr ernster König und nicht minder die Königin Luise, beide Freunde des Theaters, hatten zu unzähligen Malen der Künstlerin Zeichen des
Wohlwollens gegeben und Frau Friederike vergalt ihnen nach Kräften. Der König hatte durch Berfügung vom 14, Februar 1804 die
Zahlung einer Pension zugesichert und bald darauf die Erhöhung der Gage auf 2000 Taler bewilligt. „Gerne“, sv schreibt der Geheime Kabinettsrat Beyme, „bätte ich es gesehen, wenn es...
noch reichliher geschehen wäre, weil teine Künstlerin sich Ihnen zur Seite stellen kann . . .“3).
Aus dem am Rheine aufgewachsenen Thüringer Kinde war eine
gute, oft derbe Berlinerin geworden. Es genierte sie nicht, einen
Räucherwarenhändler auf offener Straße abzuohrfeigen, als sie vom Fenster aus hatte zusehen müssen, wie er seine Fische verun-
reinigte; sie konnte ihre „ebrliche Hausfreundin“ Liman, ein Mitglied der Singakademie, weil sie den Kindern ranzige Butter vor-
geseßt hatte, mit den Worten tadeln: „Liman, Sie ist eine Sau“; sie empfing die aufgepußte Mutter Meyerbeers mit dem Gruße: „Madame Beer, Sie sehen ja aus wie ein Pfingstochse.“ Ihrem Freunde Friedrich Schulß, dem stadtbekannten Theaterkritiker, der ?) Briefe an Schiller, herausg. von. L Urlichs.
?) Pasqu6, Goethes Theaterleitung. 3) Dorow: Krieg, Literatur und Theater. Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
11
KIRIZ Frau Friederike ihre beiden Gatten, obwohl sie eine gute Gefährtin auch über die Scheidung hinaus gewesen, nicht geliebt. Ihr Herz gehörte in Wahrheit einem der Gendarmerie-Offiziere, die in der damaligen Theatergeschichte nicht immer eine ruhmvolle
Rolle spielten. Sie hat ihn nie vergessen, auch jene Morgenszene im Tiergarten nicht, da sie bittend und beschwörend seinem Pferde in die Zügel fiel, weil er die Künstlerin nach der Scheidung von
Unzelmann heimzuführen sich nicht entschließen konnte. Es ist eine wunderbare Sache, daß Heinrich Bethmann der lange Tage
weinenden Gattin wohlwollend und tröstend zur Seite stand, als im Anfang Mai 1812 jener Offizier na< einem Sturze in ein
StraßenloHh
der
Wilhelmstraße
verschieden
war).
JFhren
Kindern, die nur sie auf den Lebensweg führte, ist sie eine treue und fürsorgliche Mutter gewesen. So nahm Goethe „aus Achtung für Madame Unzelmann, aus Neigung zu derselben als einer allerliebsten Künstlerin“ den Sohn Karl Wolfgang in den Berband des Theaters in Weimar auf?). An ihm, der den Sohn erzog, hing ihre Seele. Bis an ihr Lebensende hat die Künstlerin im schriftlichen Berkehr mit dem
Dichter gestanden und unvergeßlich sind ihr durch den persönlichen Umgang die Tage des Juli und August 1806 in Karlsbad und Eger gewesen. Bon gemeinsamen Wanderungen und Mahlzeiten meldet das Tagebuch Goethes und gemeinsam haben sie am 5. August 1806 das Haus eines Mannes betreten und beglükt, den die sonstige
Mitwelt wegen seines grausam ihm aufgedrängten Berufs von sich wies, und der Trost zu finden suchte im Sammeln von Antiquitäten und Mineralien, des Henkers von Eger: Carl Huß. 1) F. W. Gubitz: Erlebnisse. 2) Goethe: Annalen oder Tag- und Jahres-Hefte.
GR 163[ Die Schlacht von Jena war verloren, und wer konnte, schi>te sich
zur Flucht an.
Auch Iffland, sv berichten Karoline Schelling?)
und das Morgenblatt, wollte nac< München gehen. und bei der „Unbekanntschaft mit den Ereignissen“?) verdachte er es Frau
Bethmann nicht, daß auch sie Berlin zu verlassen wünschte. Mag der Druc, der auf dem Baterlande lag, unerträglich, mag „die Mühe und Kunst“, mit der Iffland sich „quälte“, die Zahlung der Gagen möglich zu machen?), groß gewesen sein, das Theater haben die Franzosen glimpflich behandelt. Frau Bethmanns Brief an Goethe vom 25. Juni 1807) klärt uns am besten auf: „Es geht uns hier
gut und schlecht; gut, weil wir das eigentliche Kriegsunglü> nicht
jo sehr empfinden, schlecht durch die Teilnahme für unsern guten, geliebten König und für unsere wirklich allgemein angebetete Königin. Die Kunst ist ganz tot und alle Musen haben uns den Rücken zu-
gekehrt, und da ich ihnen aber gern ins Gesicht sehe, so werde ich wohl bald Berlin verlassen müssen.“ Die LoFungen Wiens, die Künstlerin an die schöne Donaustadt zu ziehen, blieben zwar erfolglos; aber sie ging zu Gastspielen na< Magdeburg, Hamburg und endlih 1809 nach Königsberg, zur Residenz ihres Königs. Das waren für den strebsamen Künstler Erholungsfahrten, weil in Berlin die Schauspieler vor Franzosen meist ohne Beifall fast nichts als Übersezungen aus dem Französischen zur Darstellung zu bringen
hatten).
Der allmähliche Abzug der „Gäste“ führte die Berliner wieder zu alter Tätigkeit. Iffland erschien am Geburtstage der Königin mit einer Rose im Knopfloch *), auf der Straße pries ein Leiermann den Heldentod des Prinzen Louis Ferdinand und machte vorzügliche Geschäfte, Schill-Kanaster wurde geraucht, und mit Befriedigung sah man, wie der Lustgarten, der den Franzosen zur Übungsftätte gedient, wieder mit Klee und Hafer besät wurde"). *) ?) ?) ?)
G. Waiß: Caroline. Dorow: Krieg, Literatur und Theater. Liepmannsohn: Autographen-Katalog 143 von 1900. Deutsche Dichtung, herausg. von K, E, Franzos, 1X. Bd., 10. Heft,
*) Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. *) Repertorium der kgl. deutschen und französischen Schauspiele, herausg.
von Wolff,
1834.
7) Morgenblatt.
11*
Bor allem sehnte man sich nach dem Königspaare. Diese Sehnsucht kam am 12. Juli 1809 zum Ausdrudk, als Frau Bethmann das
Luisenbad auf dem Gesundbrunnen einweihte und die Schadowsche Statue der Königin unter den „Laubengängen“ enthüllte), besonders aber am 3. August, dem Geburtstage des Königs, da unsere
Künstlerin mit dem Müclerschen Prologe Ein goldner Tag tritt aus Aurorens Tor,
Ihm huldigen die frommen Dankgebete Berwaister Kinder, die zum Himmel flehn,
Rellstab und alle Zuhörer rührte?). In diesen Tagen kehrten auc< jene Elemente wieder zur gewohnten Arbeit zurü>, die dem Theater Jfflands schon immer Scwierigkeiten gemacht hatten, und ihr Opfer wurde kurz vor der Rüdkehr des Königs Frau Bethmann, die gefeierte Künstlerin. Die Tochter Minna Unzelmann, eine Schülerin Zelters, die freilich das große Talent der Mutter nicht hatte, wurde am 17. Dezember
1809 troß lebhafter Gegenvorstellungen erbarmungslos ausgepocht und von der empörten Frau Bethmann mit der Erklärung vom
Theater geführt: „Sie fühle es ganz, was man ihr durch ihre Tochter
zugefügt und versichere, daß sie so wenig als diese je die hiesige Bühne wieder betreten werden.“3) Ob der Berliner Polizei-Präsident Gruner eine glüdliche Hand bei Erledigung dieser die Berliner aufs
höchste beschäftigenden Angelegenheit gehabt, jei dahingestellt. Iffland hat sich bewährt und Frau Bethmann sich se in Frage kommen, 1): F, W, Gubiß: Erlebnisse, 2) Vossische Zeitung. hw) 3) A, Heinrich: Deutscher Bühnen-Almanach. 185C.
nur einmal, am 25, November 1811, als Frau Bethmann zur Auf-
führung des „Tasso“ ihre Mitspieler aufforderte, alle Sonderinteressen bei der Darstellung des „hohen Werks“) hintenan zu setzen, die volle Sonne der Kunst auf der Berliner Bühne. Sonst stellte sim das Theater mit in den Dienst der politischen Ereignisse. Die Königliche Bibliothek hebt ein Gedicht des alten Unzelmann auf,
dessen Schlußvers:
Man kann ja selbst den Teufel bannen, Singt man ihm nur das rechte Lied,
auf Napoleon Bezug hat. Auch Frau Bethmann hat mitgewirkt nicht allein am 17. und 20. März 1813, als General York von ihr
besonders gefeiert wurde?). Sogar in der Ferne, in Teplitz, welches 1811 der Sammelpunkt3) der Patrioten wurde, finden wir das Ehepaar inmitten vaterländischer Veranstaltungen und mit ihnen eine „Welt von Bekannten“, auch den weinfröhlichen Kapellmeister Himmel, dessen Lieder die nun heimgegangene Königin so gern einst gesungen. Als auf einer Badereise 1812 Frau Bethmanns „Söttliches Talent“ in Leipzig „hinreißend jedes Herz entzückt“) hatte, wurde der Künstlerin die Direktion der Theater in Dresden und Leipzig
angeboten. Differenzen zwischen Iffland und Heinrich Bethmann, die Aussicht, die noch immer vonihr abhängigen Kinder „um sich zu versammeln“) und ihre Einnahmen zu erhöhen -- mit denen des Gatten betrugen sie in Berlin gegen 3000 Taler --- sprachen
für Annahme des Anerbietens. Der Staatskanzler v. Hardenberg und Stägemann befürworteten eine Erhöhung des Gehalts. Der König aber konnte bei der Lage der Staatsfinanzen eine Zulage nicht gewähren.
Seine Order vom 3. November 1812 ist für die
Künstlerin schmeichelhaft genug: „Der Wunsch, mit Ihren Kindern vereinigt zu leben und sie als vollendete Künstlerin auf dem Wege
der Kunst zu leiten, ist so natürlich, daß I< das Gewicht dieses Motivs, die hiesige Bühne zu verlassen und die Direktion des Theaters in Leipzig und in Dresden zu Übernehmen, nicht verkennen kann. Sie sind daher über diesen Ihren Entschluß bei Mir vollkommen gerechtfertigt, und Ih wünsche, daß Sie in diesem neuen Ber*) Deutsche Dichtung, herausg. von K, E. Franzos, 1X. Bd., 10. Heft.
?) Vossische Zeitung. 3) Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. 9) Geschichte des Theaters in Leipzig. 5) Darow: Krieg, Literatur und Theater,
hältnis Ihre völlige Zufriedenheit finden mögen“), Da entschloß sich Frau Bethmann zur „lebhaften Freude“ Hardenbergs unter den alten Bedingungen zu bleiben und ihr Leben in dem schönen Berlin unter dem Schuße des besten Königs zu beschließen?). Als dann Iffland am 22. September 1814 gestorben war,
regten sich die nimmer ruhenden Hände Frau Bethmanns, dem Freunde ein Denkmal zu sezen?Y)). Aber sie selbst trug schon den Tod in sich. Eine Badereise nach Liebenstein, die sie über Weimar und ihre Geburtsstadt Gotha führte, brachte ihr keine Genesung, und am 16. August 1815 ist sie einem Gebirnleiden troß der treuen
Pflege Heims schnell erlegen. Arm und reich, alt und jung suchten sie noch einmal an ihrer
Bahre auf, ehe sie neben Iffland ihre lezte Ruhestätte fand. Eine Kabinettsorder des Königs vom Oktober 1816 verfügte, daß ihre
Büste auf königliche Kosten im großen Konzertsaale des Schauspielhauses aufgestellt werden sollte *). Stägemann und andere dichteten Trauerlieder und in den Ardennen, wo Willibald Alexis im Feldlager stand, erklang der Ruf:
„Auch sie tot, die Bethmann-Unzelmann“?). Durch die Berliner Zeitungen der nächsten Jahre zieht ein
Sehnen nach der Heimgegangenen, welches nicht gestillt worden ist. Möge ein Urteil Rahel Levins, das sie 1817 Sophie Schröder
gegenüber fällte, diese allzu kurze Lebensskizze schließen: „Das Größte, was die Berliner hatten, war die Bethmann, die
außer dem Talent, das sie hatte, noch die Gabe besaß, nur sie sein zu dürfen; und das in einem solchen hohen und schönen Maße, daß mannicht unterscheiden mochte, ob sie auch etwas anders sein konnte; sie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantisch, tief empfindend, traurig »toll und toll« zerreißend sein, immer lieblich, selbst im
Fehlgriff, konnte komisch, heiter, reizend, beweglich sein; den Adel der großen Welt vortragen.
Furchtbar aber, furienstark, mit den
Elementen verwandt, mythologischen Wahnsinn, den konnte sie nicht aus der lieblichen, leichtbeweglichen, frommen Seele schöpfen, weil man nie etwas daraus schöpft, was nicht darin liegt“). 1) Dorow: Krieg, Literatur und Theater,
2) Dramaturgisches Wochenblatt, 3) Willibald Alexis: Mein Marsch nach Frankreich. 4) Rahel, ein Buch des Andenkens.
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Aus einem Berliner Bürgerhause.
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/ >. ep richtige Berliner ist, wirklich oder angeblich, im Ber"laufe weniger Jahrzehnte so selten geworden, daß ein ( Exemplar der aussterbenden Ureinwohnerschaft sich fast schon als historisches Dokument auffassen kann. In diesem Sinne folge ich denn der Aufforderung des Bereins für die Geschichte Berlins und will an ein paar anspruchslosen Jugenderinnerungen eines echten Berliners dasjenige hervorheben, was mir in ihnen
für Lebenshaltung und geistige Atmosphäre etwa von 1860 bis 1875
bezeichnend scheint. I< habe wegen der ebenso ungesuchten wie gern getragenen Auszeichnung, ein Berliner zu sein, soviel Angriffe erfahren müssen (und nicht selten auch von solchen, die es jelber gern gewesen wären), daß es mich freut, mir auch einmal etwas darauf zugut tun zu dürfen! 34bin in der Hohenzollernstraße geboren, aber ehe sie existierte. Meine Eltern wohnten im zentralsten Altberlin, in der Heiligengeiststraße, gerade dem sagenberühmten. „Neidkopf“ gegenüber, und zogen auf Sommerwohnung in die noch völlig ländlichen Bezirke des jekt schon längst „zahmsten Westens“. Die Billa, in der sie damals zur Miete wohnten, lag noch so weit von allem städtischen Zwang ab, daß die Besißerin, wie mir erzählt wurde, in einem Teich ihres Gartens täglich ein Bad nehmen konnte. An sich war das Baden keine altberliner Gewohnheit; es ist bekannt, daß der alte
Kaiser sich zu diesem Zwe noch jedesmal aus dem Hotel de Russie in der Burgstraße eine Badewanne entlieh, weil das Palais, so wenig
wie die meisten Bürgerhäuser, eine Badestube besaß. Meine Mutter, eine Frankfurterin, hatte große Mühe, sich an den viel geringeren Komfort Berlins zu gewöhnen und war über die dunklen, schlechten
Kinderstuben elegant aussehender Wohnungen ganz unglücklich. „So eine Wohnung“, sagte ihr zustimmend ein Berwandter, „ist wie ne Seidenweste: vorn schön und hinten gar nichts!“
Hauptsächlih aus solchen hygienischen Gründen gab mein Vater das ererbte Haus in der „City“ auf und meine Kindheit hatte eine Straße zum Schauplaß, die allein schon ein guter Gradmesser der Entwiklung ist: die Sommerstraße. Wir waren Mieter des
sehr gefürchteten Rudolph Hertzog, des Begründers der großen Firma. Ein Portier von legendarischer Grobheit -- er hieß Große =
besaß von den typischen Eigenschaften seines Standes nur die Unfreundlichkeit auch gegen Kinder, aber nichts von dem Wit; wogegen sein Dienstherr beides vereinigte, wenn er, wie man behauptete,
einem ungeschidten Einkäufer telegraphierte: „Wenn man Obhr-
feigen depeschieren könnte, hätten Sie eine!“ J eroberte sim das Herz der Berliner vielleicht zum ersten Male, als er den Komiker Helmerding wegen eines witzigen. Jmpromptus zu Tisch einlud. Der
Ministerpräsident hatte nämlich während einer wichtigen Debatte mit großer Heftigkeit den Saal des Abgeordnetenhauses demonstrativ verlassen; es entstand großer Lärm und es wurde schon beraten, ob das Haus auf Grund des bekannten, vor einiger Zeit wieder angewandten Paragraphen seine Anwesenheit fordern solle =- da erschien er wieder mit den Worten: „Sie brauchen nicht so zu schreien -=- ich höre Sie schon!“ Nun wurde am selben Tage Helmerding
nach einem Couplet herausgerufen, kam lange nicht und folgte dann dem lauten Herausruf des Publikums mit den Worten Bismards. . . .
Jeder Kreis hatte seine offiziellen Wihspender =- an der Börse war
es Geheimrat Schwabach, der Mitinhaber der Weltfirma S. Bleichröder; im Abgeordnetenhause war es H. v. Meyer-Arnswalde, an
der Universität der Physiker Dove. (I< nenne sie in der Reihen-
folge, wie sie in unserem Hause zitiert wurden.) Dabei.möchte ich aber einen Punkt hervorheben, der zur Beurteilung des alten
Berliners wichtig ist und den ich noch nie hervorgehoben fand, obwohl ich Urteile und Beobachtungen über den Berliner Wik systematisch gesammelt habe. Man hatte an diesen Wißen, die gar nicht immer boshaft, sondern oft ein reines Spiel waren, nicht etwa
GRRRNS
Junker -- der ja doch Berlin nicht entbehren kann, siehe Fontanes „Stine“! =- und der stramm fortschrittliche Bürger fanden sich in der Anerkennung des Berliner Witzes zusammen = man möchte
beinahe sagen wie die Wiener Kreise in der Freude an der Wiener Musik. Und wenn das Kunstobjekt an der Donau ein höherstehendes war, so war dafür an der Spree die Zahl der Mitwirkenden größer! Das Haus, in dem wir wohnten, war ein gutes, solides, bürger-
liches Haus, ohne besondere Reize im Innern oder Äußern. Das
Nachbarhaus, in dem der Wirt selber wohnte, war eleganter mit jeinem roten Sandstein und der bekannten Zentaurengruppe im Garten; beide sind dann dem Reichstagsgebäude gewichen. --
Unsere Wohnung besaß natürlich noch nicht allen „Komfort der Neuzeit“, und bei größeren Gesellschaften mußten das Schlafzimmer der Eltern und das Kinderzimmer ausgeräumt werden. Das Kochen leitete dann einer der jekt fast ganz durc< „Traiteurs“ und Koch-
frauen verdrängten Garköche. In diesem Hause waren alle Gruppen der „guten bürgerlichen Gesellschaft“ typisch vertreten. Zwei Treppen hoch wohnte der Maler Lauchert, der mit einer Schwester des Kardinals Hohenlohe und des späteren Reichskanzlers verheiratet war. Zu ihm oder zu dem drei Treppen hoch wohnenden Herrn.v. Kröcher kam der alte
Wrangel ein paarmal zu Besuch, der mich auf der Treppe, wie üblich, troß meines unverkennbaren Kostüms fragte: „Junge oder Mächen?“ und mir einen von seinen schlechten Bonbons reichte. (Sonst bekam
ich übrigens höchst verständigerweise keine, auch nach der verbreiteten Regel nur Sonntags Butter aufs Brot; als ich einmal am Wochentag darum bat und zurechtgewiesen wurde, sagte ich: „Wir wollen mal
spielen, daß Sonntag ist!“) Ein andermal sah ich den berühnten Arzt Frerichs mit seinem blutlosen Gesicht heraufsteigen; nachher wurde eine seiner kalten, gefühllosen Antworten erzählt, wie er
etwa auf eine Frage nach der Krankheit erwidert habe: „Das wird sich bei der Sektion ergeben.“ Der Umgang meiner Eltern war ein höchst anregender. Neben
Kaufleuten, Berufsgenossen meines Baters, sebte er sich besonders
ELER170 vornehmsten öffentlichen Bergnügungen nach den noch: in voller Blüte stehenden und von dem alten Kaiser regelmäßig besuchten „Subskriptionsbällen“ im Opernhause. Zwischen den Malern und den vermögenderen Kaufleuten bestand eine durchgehende Be-
kanntschaft, wie denn auch die Bekannten meines Baters fast aus-
nahmslos „Bilder kauften“, meist mit selbständigem Geschmat, oft,
wie meine Eltern durch Menzel, von einem Künstler mitberaten.
Bielfach standen sie in ihrem Urteil schon über dem offiziellen Kunstmaß. Als die Große Kunstausstellung in dem noch recht bara>enartigen Gebäude aufgestellt war, das dann die Technische Hochschule wurde, machte mir ein großes Gemälde eines noch völlig unbekannten Malers einen tiefen Eindru>: es war Böklins Meeresidyll. Damals war ein Böcklin durchaus kein unersck, in dem Berblutung drohte, eine Einspritzung des aus der Sprechstunde geholten berühmten Chirurgen Langenbe>. Übrigens war die Furcht vor den Dreizehn bei Tisch, vielfach auf die Scheu vor dem „Berufen“ auch unter den auf-
geklärten Herrschaften nicht selten. Im Nachlaß meines Baters fand ich auch noch eine Platte vor, auf der Geister schreiben sollten, aus der Zeit des Tischrükens und der spiritistischen Gesellschaftsexperimente; er hat sie aber schwerlich selbst benußt. . . Das wären so etwa die Dinge, die mir aus meinem Baterhaus
für das Berlin unmittelbar vor der Großstadtwerdung bezeichnend scheinen. Denn freilich war Berlin noch kaum in der Lage, Kalischs
Couplet „Berlin wird Weltstadt!“ ernst zu nehmen! Wir ließen noch Schiffchen in den offenen Rinnsteinen skung bereitstand, zuerst mit einzelnen Schüssen, dann mit einem mörderischen Schnellfeuer begrüßt wurden. Die Kompagnien warfen sich nieder. In dem nur kurzen Feuergefecht fiel der tapfere Führer der 5. Kompagnie, Leutnant v. Delit, tödlich verwundet und übergab den Befehl an den Leutnant der Landwehr Scheibe, den einzigen vorhandenen Offizier. Neben dem Führer lag, vom Schnitter Tod niedergemäht, die linke Flügeljektion der 5. Kompagnie: 4 Einjährig-Freiwillige sofort tot, 4 Einjährig-Freiwillige krümmten sich verwundet am Boden. Durch die stolze Zahl von 50 vom Hundert des Gesamtverlustes der Kompagnie bewiesen hier die jungen, erst am 16. September vom Ersatbataillon gekommenen Freiwilligen, die als die kleinsten auf dem linken
Flügel des vordersten Zuges vereinigt waren, ihre Ebenbürtigkeit mit den alten kampfbewährten Grenadieren. Die 7. Kompagnie auf der anderen Seite der Straße hatte nurgeringe Berluste. Da an eine Eroberung des stark besezten Ortes nicht zu denken war,
machten die Kompagnien kehrt und wichen nach Pont Iblon zurück. Der viermal verwundete Fahnenträger und der ebenfalls verwundete Leutnant Scheibe brachten die Fahne in Sicherheit. Auch die beiden anderen. Kompagnien vermochten. nicht in Le Bourget einzudringen... Die Verwundeten zurükzuschaffen, war zunächst nicht Scriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins, Heft 50.
|kte an dem verhängnisvollen 28. Oktober von Norden her gegen Le Bourget vor und erreichte den
Ort etwas später wie die 5. und 7. Kompagnie. In der Nähe des
vorliegenden mauerumgebenen Dugny-Gartens wurde auch sie überraschend mit Feuer überschüttet. Es gelang ihr nicht, den Garten zu nehmen, doch wies sie mehrere kräftige Borstöße, der an Zahl weit überlegenen Besatzung mit dem Bajonett zurü> und blieb in ihrer Stellung, bis ihr der Bataillonsführer Hauptmann v. Zollikofer persönlich den Befehl zum Abzuge überbracht2. Die Berluste waren geringer wie bei der 5. Kompagnie, doch fiel auch hier ein Freiwilliger, nämlich : 3 Paul
Kaumann,
Kaufmann,
Einjährig-Freiwilliger
im
Kaiser Franz-Garde-Grenadier-Regiment Nr. 2. * 15. 4. 1850
in Berlin, | 28. 10. 1870 im Gefecht bei Le Bourget.
Ein tüchtiger, sehr musikalischer junger Mann, Sohn eines Apothekenbesizkers. Nach dem Besuch des Friedrich-WilhelmsGymnasiums erlernte er in einer großen überseeischen Handlung
den kaufmännischen Beruf mit der Aussicht, dereinst dieses hochangesehene Geschäft zu übernehmen.
1870 seßte er es voll hoher
Begeisterung durch, troß schwachen Körpers beim Ersaßbataillon des Franz-Regiments eingestellt zu werden, mit dem sein Bruder bereits ins Feld gerückt war. Am 28. Oktober war er seit mehreren Tagen revierkrank. Als aber gegen Abend das 11. und Füsilier-Bataillon alarmiert wurden, da litt es den ehrliebenden Soldaten nicht im Zimmer. Er schloß sich der Kompagnie an und fand nach wenigen Stunden, treu seiner Pflicht, durc< einen Schuß in die Brust den Heldentod. Seine Leiche wurde nach der Heimat übergeführt und mit militärischen Ehren auf dem alten Kirchhof der St. Jakobi-
Gemeinde östlich der Hasenheide begraben. Die Erstürmung von Le Bourget am 30. Oktober 1870.
Nachdem die Überrumpelung von Le Bourget durch das 11. Ba-
taillon des Franz-Regiments mißglü>t war, befahl der Kronprinz von Sachsen, der Höchstkommandierende der Maasarmee, dem
GRRR1
Kirsten, der älteste Sohn des Kaufmanns Kirsten in Berlin, erwarb auf dem Königlichen Realgymnasium die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligendienst, widmete sich dann dem Kaufmannsstande und bewährte sich nach beendeter Lehrzeit aufs beste als Leiter einer Filiale des väterlichen Geschäfts. Am 20. Juli 1870 trat er in das Ersaßbataillon des Franz-Regiments ein und erreichte mit dem ersten Nachschub am 16. September das Regiment, wo er der 11. Kompagnie zugeteilt wurde. Am 30. Oktober wurde er gleich
anfangs, als die Kompagnie ausschwärmte, durch eine Kugel in den Unterleib getroffen. Leber und Rügrat waren so schwer verleßtt, daß die Ärzte die Wunde sofort als tödlich erkannten. Er wurde bewußtlos ins Lazarett in Billiers le Bel geschafft, wo er am folgenden
Tage schmerzlos verschied und auf dem Friedhofe beerdigt wurde. Das Gefecht bei Neuville aux Bois am 24. November 1870.
Nach dem Fall von Meß rückte die 11. Armee in Eilmärschen
über Troyes gegen Orleans, um die Sicherung der Einschließung von Paris nach Süden zu übernehmen. Die französische Loirearmee hielt Orleans besetzt, Prinz Friedrich Karl erreichte die Gegend von Pithiviers und beabsichtigte, die Armeeabteilung des Großherzogs von Medlenburg heranzuziehen, um dann mit vereinten Kräften anzugreifen. Die Zeit bis zum Eintreffen der Armeeabteilung wurde zu Erkundungen gegen die Aufstellung des Feindes benußt. Am 24. November stießen das Füsilier-Bataillon 20. Negiments und das I11. Bataillon 35. Regiments mit Kavallerie und Artillerie gegen das Städchen Neuville aux Bois vor. Hier fiel:
[| I?“
5. Johann Heinrich Wilhelm Below, stud. phil., EinjährigFreiwilliger im 3. Brandenburgisau. Der Sohn be-
suchte zunächst diese Anstalt, von 1864 an als Alumnus das Joachims-
thalsgehend, erlitten die 20er starke Berluste, auch Below, der einen verwundeten Kame“ raden stükte, brach zusammen. Lange war man im Zweifel, ob er von den Franzosen begraben oder verwundet gefangen genommen war. Erst im Februar brachte ein aus der Gefangenschaft zurücgekehrter Arzt der 35er die Gewißheit des Todes durch einen Brief, den er aus der Tasche des mitten durch die Brust geschossenen Toten genommen hatte. Nachträglich konnte man auch feststellen, daß Below neben dem Avantageur Grafen v. Platen-Hallermund auf dem Friedhofe von Neuville begraben worden ist. Nach der Kapitulation von Metz waren die Teile der 1. Armee,
die nicht durch die Rükbeförderung der Meter Gefangenen und durc< die Einschließung von Festungen festgehalten wurden, am 26. No“ vember unter Führung des Generals v. Manteuffel in der Gegend
südöstlich Amiens angelangt. Es war das auf dem rechten Flügel die 3. Infanterie-Brigade, in weitem Abstande gefolgt von dem in
mehreren Staffeln nachrükenden 1. Armeekorps, auf dem linken das VIII. Armeekorps. Die Schlacht bei Amiens am 27. November 1870.
Am 27. November stieß die 1. Armee auf die französische Nordarmee. Während links das VI11. Armeekorps die ihm gegenüberstehenden Truppen bis in die Nähe von Amiens zurükwarf, mußte sich die 3. Brigade gegen Truppen wenden, die in ihrer rechten Flanke auftauchten. Die Brigade nahm zunächst die vor BillersBretonneux gelegenen Berschanzungen und Waldstüke. Dann er-
folgten energische Gegenangriffe überlegener französischer Massen auf diese unverhältnismäßig ausgedehnte Linie, Zwar mußten die Berteidiger an einzelnen Stellen zeitweise zurüweichen, doch wurde der Kampf schließlih mit der Erstürmung von BillersBretonneux durch Teile der Regimenter Nr. 4, Nr. 44 und der
Kronprinz-Grenadiere zugunsten der 1. Armee entschieden.
In diesen Kämpfen fiel: 6. Arnold Rennebarth, Kaufmann, Einjährig-Freiwilliger im 7. Ostpreußischen Infanterie-Regiment Nr. 44.
* 4. 6. 1848
in Berlin, | 27. 11. 1870 in der Schlacht bei Amiens.
Er war der Sohn des Hofschlossermeisters Rennebarth in Berlin,
erwarb sich auf der Königlichen Realschule 1. Ordnung das Zeugnis zum Einjährig-Freiwilligendienst, wurde dann Kaufmann und befand sich bei Ausbruch des Krieges in einer Stellung in Danzig. Am 27. Juli trat er in das Ersaßbataillon des Regiments Nr. 44 ein und wurde am 5. September in die 1. Kompagnie, am 27. September in
die 5. des mobilen Regiments, das damals vor Meß lag, versetzt. Die 5. Kompagnie erstürmte in der Schlacht bei Amiens zusammen mit 7 andern des Regiments die östlich Billers-Bretonneux an der Eisenbahn gelegene langgestre&te Schanze und hielt sie unter außerordentlichen Berlusten gegen die mit großer Tatkraft 3 Stunden
lang wiederholten Angriffe der Brigade du Bessol,
In diesen
Kämpfen wurde Rennebarth von einer Granate der Kopf weg-
gerissen.
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mäßigsten hier ein. Besonders zahlreich ist die Zeit Friedrich Wilhelms IV. vertreten, nämlich durch die Minister Graf Arnim Boitzenburg, Heinrich Freiherrn v. Arnim, Graf Brandenburg, Uhden, den Generaladjutanten Leopold v. Gerlach und dessen Bruder, den Präsidenten Ludwig v. -Gerlach, den er und sein Fortsezer Löbell, die Archivdirektoren G. W. v. Raumer, v. Lancizolle, Max Dunder, von denen
der lektgenannte nicht nur durch seine aufschlußreichen Arbeiten
zur Geschichte Preußens, sondern noch mehr durch seine umfangreiche Geschichte des Altertums bekannt geworden ist. Seine Hauptbedeutung liegt indes auf politischem Gebiete. Ferner sind zu nennen der Historiker Englands Reinhold Pauli, der begabte in Berlin auch als Professor wirkende Siegfried Hirsch, der sich, obwohl er Jude war, im Jahre 1848 der Richtung der Kreuzzeitung anschloß (er ist vor allem der Herausgeber der Jahrbücher des Deutschen
GRRRI sich als Historiker, Militärschriftsteller, Nationalökonom, rechtsstehender Politiker und Ingenieur betätigte (1790 bis 1861).
Den Geschichtschreibern sind einige Nationalökonomen und Statistiker anzureihen. Des ältesten und berühmtesten, des Probstes Süßmilch, gedachten wir schon bei den Theologen. Ältere Nationalökonomen sind ferner der 1781 verstorbene J. Heinr. Ludw. Bergius und J. Friedr. v. Pfeiffer (f 1787). Großen Ruf genießen die Statistiker Wilhelm Dieterici und Richard Boe>h, von denen der eine 1790, der andere 1824 in Berlin geboren ist.
Auch Eduard Stolle (+ 1854) war ein tüchtiger Nationalökonom. Ebenso ist der 1833 in Berlin geborene, viel angefochtene Eugen
Dühring unzweifelhaft ein scharfer Kopf, dem die Wissenschaft
hochbedeutende Werke zu verdanken hat. Bei den Juristen können wir wieder in frühe Zeiten zurü&-
greifen. Mit Spreewasser wurde der nachmalige berühmte Professor der Rechte in Frankfurt a. O. Johann Brunnemann getauft, der 1608 geboren wurde. Um die Berhandlungen wegen Erlangung der Königskrone für Preußen und um die Einleitung zu einer Justiz“
reform unter Friedrich Wilhelm 1. machte sich Christ. Friedr. Freiherr v. Bartholdi verdient, Aus Friedrichs des Großen Zeit ist der Großkanzler v. Jariges berühmt. Als Advokat und Herausgeber
mehrerer juristischer Zeitschriften wurde der wieder ein Menschenalter später lebende Karl Ludw. Amelang bekannt. Mannigfache Berdienste um die Ausbildung der preußischen Justiz, insbesondere als Mitarbeiter am Allgemeinen Landrecht, hatte der spätere, 1825 verstorbene Justizminister v. Kircheisen. Einer der gefeiertsten Rechtslehrer an der Berliner Universität war der jüdische Professor
Eduard Gans. Aus jüdischem Blute stammte auch der hervorragende
Kriminalist und Schriftsteller Julius Eduard Hitzig (+ 1849), der Herausgeber der „Zeitschrift für die preußische Kriminalrechtspflege“, der sim auch durch Arbeiten zur Kulturgeschichte Berlins verdient machte. Otto Göschen, der in seiner Baterstadt und in Halle als
Professor der Jurisprudenz wirkte, (+ 1865) ist durch wichtige Publikationen bekannt geworden. Als Erforscher des deutschen Rechts erwarb sich der humorvolle F. Jul. Kühns einen Namen. Sein bekanntestes Werk ist die „Geschichte der Gerichtsverfassung und des Prozesses in der Mark Brandenburg vom 10. bis 15. Jahrhundert“,
Germanist war auch Adolf Laspeyres (| 1869), dessen Familie, die ursprünglich spanisch oder portugiesisch war, der französischen Kolonie angehörte. Sehr wesentliche Berdienste um die Ausbildung des preußischen öffentlichen und privaten Rechts erwarb sich der daneben vorübergehend als Justizminister und Parlamentarier tätige Bornemann (f 1864). Eine besonders hervorragende, allgemein bekannte Persönlichkeit treffen wir wieder in dem Rechtslehrer Franz v. Holkendorff. Als Zivilrechtslehrer wirkte mit reichem Erfolge an
der Berliner Universität Ludw. Ed. Heydemann (+ 1874).
Der
Minister v. Uhden erwarb sid noc< nach seiner staatsmännischen Wirksamkeit als Präsident des Obertribunals Berdienste um die
Organisation dieser Behörde. Ein Name von besonderem Klange ist der des genialen Erforschers und Auslegers des englischen Berwaltungswesens, des großen Mitbegründers der deutschen Staatsrechtswissenschaft Rudolf v. Gneist, der als leidenschaftlicher parlamentarischer Kämpe schon unter den Politikern zu erwähnen war. Er ist der Sohn eines Berliner Rechtsanwalts oder Justizkommissars, wie es damals hieß. Ihm zur Seite steht der große Kirchenrechtslehrer Paul Hinschius, auch ein Berliner Rechtsanwaltssohn, der, wie man weiß, als Politiker die Kulturkampfgesezgebung wesentlich beeinflußt hat. Genannt zu werden verdient sodann noch der 1895 verstorbene Strafrechtslehrer Rubo, der Sohn eines Rechtskonsulenten der jüdischen Gemeinde zu Berlin. Unter den noch leben-
den Juristen sind der hochbetagte Romanist Ernst Immanuel Bekker und der Kanonist Richard Dove Berliner.
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Ein besonderes Kapitel wäre über die aus Berlin gebürtigen
Dichter zu schreiben. Gerade hier sekt der Skeptizismus der NichtVerliner ein.
Im Jahre 1833 schrieb der Königsberger radikale
Politiker Johann Jacoby: „Berlin und Poesie?! Das heißt ebensoviel als ein viere>iges Dreie>, als ein vernünftiger Narr, als ein
=
trodener Regen.“ Und wenige Jahre später spottete Emanuel Geibel über die preußische Hauptstadt, in der damals noch Friedrich Wilhelm 111. das Szepter führte:
Berühmt durch Tee, Paraden, Weißbier, Sand Und tausend Dichter, welche niemand kennt. Aber ganz so schlimm muß es doch nicht mit den Bedingungen für die Poesie in unserer Stadt bestellt sein. Denn abgesehen davon, daß viele nicht in Berlin geborene Dichter auc< hier Muße und Stimmung zum Schaffen von schönen Dichtungen fanden =- man denke an Lessing, der im Berliner Getriebe an seiner „Minna von
Barnhelm“ schrieb und auch sonst hier starke Anregungen empfing, an den Kammergerichtsrat E. Th. Amadeus Hoffmann, der hier
so manche seiner prächtigen Schöpfungen schuf, und an Chamisso, dessen dichterisches Schaffen sich ganz in Berlin konzentrierte, auch an Gottfried Keller, dessen „grüner Heinrich“ hier in fünf Jahren emsiger Arbeit entstand, von Ernst v. Wildenbruch zu geschweigen =,
so ist doch zu bemerken, daß die Wiege einer ganzen Anzahl von echten Dichtern in der Königsstadt an der Spree gestanden hat. Noch völlig dem 17. Jahrhundert gehört der Hofpoet Freiherr v. Caniß an, der zwar nicht allzu bedeutend ist, aber doch vor den
Dichtern seiner Zeit Borzüge hat.
Aus Goethes Jugend ist der
ein halbes Jahrhundert später 28jährig verstorbene dramatische Dichter IJ. Chr. Krüger (f 1750) bekannt, der nach Lessing „Talent zum Niedrigkomischen“ hatte. Einen eigentümlich spezifischen Charakter empfing die Berliner Literatur durch Friedrich Nicolai, der lange Zeit hindurch geradezu als der Hauptrepräsentant der Berliner Bildung und des Berlinertums überhaupt gegolten hat und den Stempel seines Wesens so fest hier eindrü>te, daß man ihn unschwer heute noch erkennt, das nüchterne, verstandesmäßige, räsonnierende Wesen, von dem sich Goethe und Schiller so ab-
gestoßen fühlten. „Nicolai, der noch lebt“, sc, Achim v. Arnim und Wadenroder sind ja geborene Berliner. Auch Wilhelm Neumann (f 1834), der von uns schon unter den
Juristen genannte Schriftsteller Hizzig und der Philologe Bernhardi,
der Schwager der Gebrüder Tied, desgleichen Wilhelm v. Schüß gehörten der romantischen Schule an. Ihr muß man auch wohl Helmina v. Chezy zurechnen, über deren Begabung die Meinungen
allerdings geteilt sind. Schon Jakob Grimm urteilte über sie: „Die Poesie der Weiber stiftet doung ihres Talents kamen. Dazu gehören der Romanschriftsteller Adolf Mügge, der die „Nationalzeitung“ begründen half und lange Zeit deren Feuilletonredakteur war, ferner der als Musikkritiker noch bedeutendere Ludwig Rellstab, der Dichter des Urtextes des Schleswig-Holsteinliedes Straß, der sim als Schriftsteller Otto v. Deppen nannte, ferner eine echte Berliner Gestalt: Adolf Glasbrenner, der glänzende Humorist und Satiriker, Sohn eines kleinen Berliner Pußfederfabrikanten, den man wohl den Erzieher des Berliner Witzes genannt hat. Ein echter Berliner war auch Karl Gußkow, der Sohn eines prinzlichen Stall-
knechts, im „jungen Deutschland“ das stärkste Dichtertalent, der auch nac< der Revolution eine beherrschende Stellung in der deutschen Literatur einnahm, überhaupt zu den großen Namen der deutschen Literatur gehört. Ein Berliner Kind, mit jüdischer Blutmischung, war auch der nicht minder berühmte und nicht minder fruchtbare Paul Heyse, der allerdings das Berlinertum sehr abgestreift hat und gar nicht das Kräftige eines Gußkow zeigt. Der Rembrandtdeutsche hat wohl einst von ihm gesagt: Er wäre Porzellan, nicht Marmor. Doh haben wir in Heyse fraglos eins der schönsten und liebenswürdigsten Talente unter den deutschen Dichtern zu sehen. Ein echter Berliner ist wieder der Juwelierssohn Robert Springer (Adam Stein) und noch mehr der Hornistensohn Louis Schneider, der Vorleser Friedrich Wilhelms 1V. und Wilhelms 1l., deren dichtevische Bedeutung allerdings unerheblich ist. Berliner war ferner
der erfolgreiche Romanschriftsteller Georg Ebers, der Ägpytologe. Bon Gußkow her kam ein anderes Berliner Kind, Karl Frenzel,
der langjährige Feuilletonredakteur der „Nationalzeitung“.
Ein
tüchtiges Talent war die auch in ihren Dichtungen in Berlin wurzelnde früh verstorbene Margarete v. Bülow. Bon den lebenden Dichtern und Dichterinnen, die in Berlin zur Welt kamen, seien Ferdinand Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
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ERS Lieferte do< ein Artikel von ihm die Unterlage zu Schillers
„Glode“. Ein beachtenswerter Publizist trat in Ludwig Lenz auf,
der auch das Berliner Leben lebendig geschildert hat (er lebte von 1813 bis 1896). Recht bekannt ist der fruchtbare und vielseitige
Eduard Schmidt-Weißenfels (1833 bis 1893), ebenso Felix Eberty
(1812 bis 1884). Unter den Lebenden sind Berliner Kinder der Sozialdemokrat Eduard Bernstein, Maximilian Harden und der kon-
servative Feuilletonist Richard Nordhausen (* 1868). Das stärkste Talent unter diesen dreien ist der Herausgeber der „Zukunft“,
dessen wir auch schon unter den Politikern gedenken mußten. Ganz lebhaft regt sich der Sinn für Musik bei den geborenen
Berlinern.
Der älteste Berliner Musiker, von dem wir erfahren,
ist gleich ein Mann von großem Ruf, J- Christoph Pepusch, ein Berliner Pfarrerssohn (1667 bis 1752). Freilich ist er Berlin nicht erhalten geblieben, sondern ein Lehrmeister der Engländer ge-
worden. Auch der nächste Berliner Tonkünstler von Namen Daniel
Steibelt (+ 1823), ging Berlin verloren. Dafür verwuchs der dritte, K. F. Zelter, der Freund Goethes, um so enger mit seiner Baterstadt. Neben ihm war JI. K. F. Rellstab ein Berliner Kind. Wichtig für das Berliner Musikleben wurde auch der Kapellmeister Karl Möser (+ 1851). Ein frisches Talent für Operndichtung bewies der 1844 verstorbene Karl Ludwig Blum. Etwa gleichzeitig mit ihm tauchte eine musikalische Größe auf in der Person von Meyerbeer, der 1791 in Berlin geboren wurde.
Noch ein Zögling von Zelter war der
berühmte Kontrapunktiker, Grell (+ 1886), der langjährige Leiter der Singakademie. Zu den tüchtigen Tonkünstlern gehörte außer“
EnnzT Eine Fülle von talentvollen Malern kam in Berlin zur Welt.
Der älteste nachweisbare von Bedeutung ist der 1719 in Berlin
verstorbene Tier- und Landschaftsmaler Cauliz. Der nächste, der es zu großem Ruhme brachte, lebte allerdings erheblich später. Es ist der genau am selben Tage wie Friedrich der Große geborene
geniale Maler, Zeichner und Kupferstecher Georg Friedrich Schmidt. Ihm schließt sim der 1725 als Sohn eines Goldschmieds geborene
namhafte Geschichtsmaler Bernhard Rode würdig an. In demselben Jahre wurde der Landschaftsmaler Harper geboren, der in württembergische Dienste trat. Ein bekannter Geschichtsmaler wurde wieder FrismM. Als tüchtiger Miniaturmaler galt Gustav Taubert (1755 bis 1839). Neben ihm war der 20 Jahre jüngere Gottfr. W. Müller an der Porzellanmanufaktur tätig. Geschichtsmaler von Ruf war der 1763 geborene Schumann, Als Lehrer des Zeichenunterrichts an der Berliner Akademie der Künste erwarb
sich Niedlich (f 1837) Berdienste. Der 1778 geborene Franz Ludwig Catel ist als Landschaftsmaler bekannt geworden. Er ging früh ins Ausland und starb in Rom.
Zum Teil beeinflußt von Catel,
entfalteten in Rom ihre Haupttätigkeit die Berliner Landschafter Löhr und F. A. Elsasser.: Romantiker waren die Geschichtsmaler Karl Kolbe, der sein ganzes langes Leben in seiner Baterstadt ver-
brachte (1781 bis 1853) und sein Schüler Hermann Stilte (+ 1860). Mit Stilke zusammen begann der Geschichtsmaler Karl Stürmer seine Laufbahn, der seinerzeit sehr geschäßt war. Schüler von Kolbe, der diesen zum Teil weit übertraf, war auch der Berliner Adolf Eybel. Bemerkenswerten Einfluß auf die Entwieklung der Berliner Malerei gewann der Berliner Geschichtsmaler Wach. Zu seinen zahllosen Schülern gehörten die Berliner Teschner, der sich aber
schließlich mehr religiöser Malerei zuwandte, Daege, der viele kirchliche Wandmalereien schuf, ferner der Historienmaler Gustav Heidenreich. Einer der namhaftesten Geschichts- und Bildnismaler wurde der Sohn des Bildhauers I. Gottfr. Schadow, W. v. Schadow,
13*
während sein jüngerer Bruder Felix allerdings weit weniger Kraft als Bildnis- und Genremaler entwidkelte. Gottfried Schadows Schwiegersohn, Eduard Bendemann, erwarb als „Jdyllenmaler des Alten Testaments“ und als Bildnismaler einen außerordentlichen Ruf. Berliner war auch der langjährige Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt a. M., Philipp Beit, der Enkel Moses
Mendelsfohns.
Auch der Geschichtsmaler Bonaventura Genelli
war Berliner von Geburt, wenn auch weniger von Empfinden.
Sehr bedeutend war der ganz in Berlin wurzelnde Eduard Magnus als Bildnis- und Genremaler; er trat namentlich als Schöpfer von
reizvollen Frauenbildnissen hervor. Ihm zur Seite gestellt werden muß der 24 Jahre jüngere Gustav Richter, ein Zimmermannssohn, der neben dem Bildnis auch die biblische Malerei mit Glück pflegte. Geschäßt als Architekturmaler waren Gärtner (f 1877) und Graeb (+ 1884). Die träumerische und poetische Natur des 1802 in
Berlin geborenen Landschaftsmalers Schirmer hat ungemein befruchtend auf den Schweizer Bödlin gewirkt. Bon Schirmer und Bödlin zugleich beeinflußt wurde der Genremaler Rudolf Schi> (+ 1887).
Geistig verwandt mit Schirmer war der Landschafter
Biermann, auch einer von denen, die ein langes Leben (er lebte von 1803 bis 1892) fast nur in Berlin zubrachten. Als Sitten- und Genre-
maler erwarb sich seinerzeit Ruf W. Nerenz (f 1871). Reich begabt zeigte sich der Genre- und Schlachtenmaler Elsholt (Ff 1850), der indes sein Talent verkommen ließ. Ein Meister der Farbentechnik war der Geschichts- und Bildnismaler Karl Ferdinand Sohn. Bor-
nehmlich als brillanter Pferdemaler betätigte sich Karl Steffe>. Als feinsinniger Genremaler erwies sich Eduard Franz Meyerheim, als glänzender Tiermaler dessen noc< lebender Bruder Paul
Meyerheim. Karl Beer fesselte besonders durch seine venetianischen Genrebilder. Echter Berliner war Skarbina. Ein tüchtiger Bildnis“ maler ist Max Koner, ein tüchtiger Militärmaler Fritz Werner.
Auch unter den noch lebenden Meistern des Pinsels sind außer dem schon genannten Paul Meyerheim eine stattliche Anzahl Berliner Kinder: Konrad Dielizt, Salßzmann, Max Liebermann, Röchling, Bennewiß v. Loefen, Schöbel, Fechner, Langhammer:
Leicht ließe sich diese Reihe geborener Berliner unter den noch heute oder doch zu ihrer Zeit berühmten Malern vermehren. Neben den Malern wird einiger berühmter Kupferstecher
zu gedenken sein. Außer dem schon erwähnten G. F. Schmidt zeich“
neten sich von geborenen Berlinern in diesem Fache Daniel Berger (1744 bis 1825), K. W. Kolbe (1757 bis 1835) und Henne (1759 bis 1828), in neuerer Zeit F. W. Schwechten (f 1879) aus.
Interessanterweise verschwindet die Zahl namhafter Bildhauer aus Berlin neben der der Maler. Unter ihnen findet sich aber ein Künstler allerersten Ranges, der zugleich den Typ eines
echten Berliners darstellt, IJ. Gottfried Schadow, Älter als er ist nur J. Aug. Nahl, der in Berlin nur seine Ausbildung erhielt. Sonst ist vor allem bekannt Reinhold Begas und sein Bruder Karl, ferner der Schöpfer des Berliner Lutherdenkmals P. M. Otto und der
geniale, 1867 im kräftigsten Mannesalter verstorbene Schievelbein, aus der vorhergehenden Generation Friedrich Tie>, aus neuester
Zeit noch Calandrelli und Tondeur. Als Kleinplastiker erwarb sich einen Namen Ferd. Aug. Fischer (f 1866). Auch Karl Heinrich Möller (Ff 1882) und der klassizistisch gerichtete Emil Wolff, der die längste Zeit seines Lebens in Rom zubrachte (f 1879), ferner Erdmann Ende genießen einen Ruf.
Bon den bedeutenderen noch
lebenden Bildhauern sind außer Karl Begas noch Ernst Herter (* 1846) und Tuaillon (* 1862) Berliner von Geburt.
Berliner
von Geburt war auc der im Herbst 1914 im Kampfe gegen
Frankreich gefallene Bildhauer Frith Pfannschmidt. Berühmte Stempelschneider Berliner Provenienz waren
Jachtmann (+ 1842), Johann Karl Fischer (f 1865) und Karl Friedrich Boigt (+ 1874.) Noch spärlicher als Bildhauer scheinen Architekten von Bedeutung aus Berlin zu stammen. Der älteste von ihnen ist Christian
Eltester, der schon in ganz jungen Jahren päpstlicher Baumeister war und dann vom Kurfürst Friedrich 111. als Architekt verwandt
wurde, aber schon 1700, 29jährig, starb. Bon einigen anderen Architekten, so von F. Gottlieb Schadow (nicht mit der berühmten Familie verwandt), Catel und Sachs wissen wir nicht viel mehr als den Namen. Aus neuerer Zeit stammen Friedrich Hißig, Richard Lucae, Martin Gropius, Friedrich Adler und der 1894 verstorbene
Bauingenieur Schwedler. Den Vertretern der tönenden und bildenden Künste schließen sich die Bertreter der Kunstwissenschaft an. Die Poesie hat einen Berliner Historiker in dem vor kurzem verstorbenen geistvollen Richard
M. Meyer gefunden,in dessen Stil sich die nervenangreifende Großstadt mit ihren Millionen Eindrücken zu spiegeln scheint. Als Musik-
ERRZ Einen höchst günstigen Boden fand die Schauspielkunst in Berlin. Zahllos sind die wirklich bedeutenden Bertreter dieses Faches, die in der jezigen Reichshauptstadt die Lebensbühne betraten. Das dünkt uns ergriffen, daß er scbleibenden Chorschülern gehalten wurde. Als er schon eine Anzahl Eier gefunden und in die Taschen seines Mantels geste>t hatte, fragten ihn die andern beiden, wieviel Eier für jeden abfallen würden. Da antwortete er, er würde kein einziges abgeben, sondern alle allein für sich behalten, denn er habe sich doch nur allein in die große Gefahr begeben. Da sagten die anderen, wenn er so habgierig wäre, würden sie auch das Brett nicht mehr halten, ließen es auch wirklich los, und der Chorschüler stürzte in die Tiefe. Da tat sich aber sein weiter Chormantel wie ein Fallschirm auf und trug den Eierräuber ganz sanft hinunter, wo er zum größten Staunen aller Umstehenden wohlbehalten auf dem Neuen Markt ankam. Aus der Zeit des Kurfürsten Johann Georg erzählt man sich die Sage von den drei Linden. An der Spite der kurfürstlichen
Hofkapelle stand ein Italiener namens Rapposi, der eine hübsche Tochter besaß. Der zweite Kapellmeister war ein einheimischer Nusiker, gegen den der Jtaliener einen auf Eifersucht begründeten Haß hegte. Sein Grimm wurde noch erhöht, als er erfuhr, daß ein jüngerer Bruder seines vermeintlichen Rivalen seine Tochter liebte. Da geschah es, daß der Jtaliener bei einem Zusammenlauf mit den beiden Brüdern und noch einem dritten Bruder aneinander geriet und plößlich mit einem lauten Aufschrei zu Boden stürzte. Er shwamm im Blute, denn eine spite Waffe war ihm in die Brust gedrungen. Kurz vor seinem Hinscheiden deutete er auf den Ge-
liebten seiner Tochter, und dieser wurde, als des Mordes verdächtig, in das Gefängnis geschleppt. Troß der Beteuerung seiner Unschuld wurde er zum Tode verurteilt. Schon nahte der Tag der Bollstrekung des Urteils, da erschien der zweite Bruder und bekannte sich als Mörder, und bald darauf kam auch der dritte Bruder mit demselben Geständnis zum Richter. Um des letzteren BerSchriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
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KIRZ fürsten. Der bestimmte, daß ein Gottesgericht über den Fall entscheiden sollte. Jeder der drei Brüder, so befahl er, sollte auf dem Heiligengeist-Kircnen würde, sollte als schuldig gelten. Aber alle drei Linden grünten und blühten, und so erkannte der Kurfürst, daß die drei Brüder unschuldig waren. Sie gestanden denn auch, daß sich jeder der Tat bezichtigt habe, um
aus brüderlicher Liebe den andern zu retten. Und lange noh lebten
sie in Ehren und Ansehen. Eine der bekanntesten Sagen ist die von dem starken Mann mit dem Lotterielos. Das soll ehedem ein armer Schuhmacher gewesen sein, der in der Lotterie spielte. Als er nun einmal auf einem Ge-
schäftswege in das Lotteriehaus eintrat, wo gerade die Ziehung stattfand, da hörte er plößlich zu seinem freudigen Erstaunen, daß das große Los auf seine Nummer gefallen war. Schnurstra>s eilte er nach Hause, um das Los zu holen, konnte es aber nicht finden. Als sein Junge aus der Schule kam, gestand er dem Bater, daß er das Los mit Schusterpech an die Haustür geklebt habe. Alle Bemühungen, es von dort abzulösen, waren vergeblich, man hätte es
denn zerreißen müssen. So hobdenn der biedere Schuster die Tür aus den Angeln und trug sie mit dem Lotterielos in den Ziehungssaal, wo das Los auch anerkannt wurde. Der Meister erhielt sein Geld, baute sich dafür ein stattliches Haus und verewigte in einem Bildwerk die glü>verheißende Episode aus seinem Leben: den starken Mann mit der schweren eisenbeschlagenen Haustür auf dem Rüden.
Bon den Goldstü>ken im Spaziersto> wird folgendes erzählt: Ein Berliner Bürger hatte einem andern fünfzig Goldstü>e geliehen, und als er sie wiederhaben wollte, erklärte der Schuldner mit großer Dreistigkeit, er habe die Summe schon längst zurü&gezahlt. Das war aber ein Lüge, und die Sache kam vor Gericht. Als der Schuldner schwören sollte, reichte er dem Gläubiger, wie von ungefähr, Hut
und Sto>, daß er sie ihm während der Eidesleistung halten mögeNunerklärte er wirklich unter seinem Eide, er habe dem andern die
fünfzig Goldstü>ke zurügegeben. Und für den Augenbli> stimmte es wohl auch, denn die Goldstü>ke lagen, aufeinandergeschichtet, in dem hohlen Sto>. Als aber beide den Gerichtssaal verließen, kamen sie in einen heftigen Wortstreit, der schließlich in Tätlichkeiten aus“
ERRS bevorzugte, entbrannte der andere in wilder Eifersucht.
Der be-
vorzugte Liebhaber, Heinrich mit Namen, hatte eines Abends ein Stelldichein mit der Geliebten in der Laube des väterlichen Gartens, als plökßlich ein Schuß fiel, der das Mädchen in die Brust traf und sofort tötete. Heinrich, der sein Jagdgewehr bei sich trug, wurde als Mörder angesehen und verhaftet. Aber auf der Straße war
auch ein Mann ergriffen worden, der nach erfolgtem Schuß fliehen
wollte. Das war Rudolf, der Nebenbuhler. Nachdem sie vor Gericht
ihre Unschuld beteuert und bewiesen hatten, daß sie das Mädchen mit gleicher Innigkeit liebten, brachte der Richter, der keine Entscheidung treffen wollte, die Sache vor den Kurfürsten. Dieser befahl, daß durch ein Gottesgericht erwiesen werden sollte, wer der Schuldige seit Heinrich und Rudolf sollten mit zwei Würfeln um
Ehre und Leben kämpfen. Auf einer Wiese vor allem Volk fiel die Entscheidung. Eine alte Kriegstrommel diente als Tisch, auf den die Würfel niederfielen. Rudolf warf mit dem ersten Wurf gleich die höchste Zahl 12, und das Bolk hielt den anderen schon für den Mörder. Der aber ergriff ruhig und sicher den Becher, warf die beiden Würfel auf das Trommelfell und gewann Leben und Ehre mit 13 Augen. Die beiden Sechsen lagen oben und daneben eine Eins, denn einer der Würfel war in zwei Hälften auseinandergesprungen, und die eine Unterhälfte lag mit der Eins ebenfalls
nach oben. Rudolf war auf diese Weise gerichtet und unter schwerer Gewissenspein bekannte er sich als Mörder.
Er kam zunächst in
das Gefängnis, entging aber der weiteren irdischen Strafe, indem er sich in der folgenden Nacht mit einer Kette erdrosselte. Heinrich 8og in den Krieg und fand als tapferer Soldat den Tod auf dem
Felde der Ehre.
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KLn das Herz des Brauer. Er beschuldigte das Mädchen des Diebstahls und wies auf einige Goldstü>e hin, die in dessen Kammer gefunden wurden, die er aber selbst nachträglich dort hingelegt hatte. Das Mädchen wurde erwischt und nach kurzem Prozeß zum Tode verurteilt. Als man die Schenkin noch einmal nach dem Hofe ihres
früheren Brotherrn führte, rief sie aus: „Diese drei Blutstropfen werden für mich zeugen, daß ich unschuldig sterben muß!“ Und so geschah es auch, denn die Blutfle>en blieben sichtbar, so sehr sich auch der Brauer bemühte, sie fortzuschaffen. Selbst als der Hof
neu gepflastert, und die Steine mit den Fle&ken zerstü>kelt wurden, wich der Spuk nicht von seinem Hause. Denn nun erschienen die drei Blutstropfen an der weiß gestrihenen Wand seines Borderhauses, so daß alle Borübergehenden stehen blieben und das Wunder betrachteten. Da pate den Brauer die Berzweiflung, und in der
Nacht stieg er zum Fenster hinaus auf ein Gesims und versuchte, mit den Nägeln die Blutfle&en abzukrazen. Als es ihm aber nicht gelang, hob er verzweifelnd die Hände zum Himmel, verlor den Halt und stürzte auf die Straße. Dort fand man ihn am anderen Morgen tot, mit zers an seien die Löwen verjtummt, und alle späteren Bersuche, sie wieder zum Brüllen zu
bringen, blieben erfolglos. Zwei der bekanntesten sagenhaften Geschichten aus Berlin sind die vom Neidkopf in der Heiligengeiststraße und von den hundert
Schafsköpfen am Alexanderplaß. Die erste der beiden Geschichten
spielt in der Zeit des strengen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms [., der einen armen aber fleißigen Goldschmied in der Heiligengeist-
straße gern aufsuchte, um ihm Aufträge zu erteilen. Das erregte den Neid einer anderen Goldschmiedsfamilie, die dem bevorzugten Meister gegenüber wohnte. Als der König einst wieder bei seinem Goldschmied saß, gewahrte er, wie aus einem Fenster des Hauses drüben zwei Frauen sahen, die immer, sobald der Meister von der Arbeit einen Augenbli> aufsah, ihm die Zungen herausstre>ten und fürchterliche Grimassen schnitten. Als der König den Grund erfuhr, war er über die mißgünstigen Nachbarn sehr ergrimmt. Schon nach wenigen Tagen kündigte er dem Meister an, daß er ihm an Stelle seines baufälligen Hauses ein neues solides bauen
KRISIN Ein anderes Haus mit sagenhaften Wahrzeichen steht am
Alexanderplaß. Hier wohnte ein Bürger, dem Friedrich der Große
für mancherlei Berdienste ein Haus bauen ließ. Als es fertig war, fragte der König bei einer zufälligen Begegnung den Besitzer, wie es ihm gefalle? Und, als dieser antwortete, daß er noch eine besondere Verzierung an dem Hause vermisse, ritt der König, mißgestimmt über die Unzufriedenheit dieses Mannes, ohne ein Wort zu erwidern, davon. Der König aber befahl seinem Baumeister, den Wunsch des Mannes zu erfüllen, und gab ihm selbst die Anweisung, worin die Berzierung an dem Hause zu bestehen habe. Der Besißer, der inzwischen eine längere Reise machen mußte, war nicht wenig erstaunt, als er nach seiner Rükehr an seinem Hause
unterhalb des Daches, neunundneunzig Schafsköpfe wahrnahm. Er wurde nun in der ganzen Nachbarschaft tüchtig gehänselt, so daß ihn das dermaßen verdroß, daß er bei nächster Gelegenheit dem König sein Leid klagte. Der aber sagte: „Hat er nicht Berzierungen an seinem Hause haben wollen? Die hat er bekommen, und die sind
gut so. Wenn ihm aber die Zahl der Schafsköpfe nicht gefällt, jo kann er ja seinen eigenen Kopf zum Fenster hinaussteken, dann hat er gleich ein volles Hundert!“ Und damit ritt der König von dannen.
Es ist eine Eigenart vieler Berliner Sagen, daß die regierenden Fürsten aus dem Hohenzollern-Hause eine bemerkenswerte Rolle darin spielen. Sie werden als Richter angerufen, die ein gewisser“ maßen salomonisches Urteil zu fällen haben, oder man überträgt ihnen eine Aufgabe, die durch Strenge und Gerechtigkeit irgendeine
verwidelte Angelegenheit zu allseitiger Zufriedenheit ihrer Lösung entgegenführt. Die Zusammengehörigkeit zwischen Herrscher und Bolk, das Bertrauen der Bürger zu ihrem angestammten Fürstenhause tritt in diesen sagenhaften Erzählungen in einer wahrhaft tindlich-naiven Form in die Erscheinung. Und daß bis in die neuere
Zeit hinein sagenhafte Borgänge mit der Person eines Hohen“
zobllernfürsten in Berbindung gebracht wurden, das mag zum Schluß die Sage vom Ritt des Großen Kurfürsten durch das nächtliche Berlin beweisen. Noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts war in den
einfachen Kreisen des Berliner Bolkes die Ansicht verbreitet, daß der Große Kurfürst in der Silvesternacht auf seinem ehernen Rosse von dem Sotel herabsteige und einen Ritt durch das nächtliche Berlin made, um überall nach dem Rechten zu sehen. In einem „SilvesterNeujahrs-Scherz-Kladderadatsch“, der am Jahresende 1849 erschien (Berlag von A. Hofmann u. Komp. in Berlin, Unterwasserstraße 1, Druck von J. Dräger, Adlerstraße 9), wurde ein solcher Ritt in Wort
und Bild sehr humorvoll geschildert.
Auf dem ersten Bilde siebt
man den Bronzereiter an der Hauptwache vorüber nach den Linden reiten, am Zügel geführt von einem Laternenträger mit dem be-
kannten Gesicht des „Kladderadatsch“. Und die Schilderung dieses nächtlichen Nittes wird eingeleitet mit folgenden Worten: Die Floden stieben, es heult der Sturm, Prost Neujahr! schlägt des Domes Turm. Mein Gott! schon wieder ein Jahr verfloß, Ein Tropfen im Ozean der Zeiten!
Nun tummw'le dich, mein ehern Roß, Mach' dich parat = wir müssen reiten!
Es ist doch im Grund' eine närrische Welt!
Darum mußt also hier auf Erden Ih einst der Große Kurfürst werden, Im Frieden ein Weiser, im Kriege ein Held, Ein mächtiger Fürst und Ländergebieter --
Bloß um mich später vom alten Schlüter In Wind und Wetter, im Kalten und Nassen, Hier auf die Brücke stellen zu lassen. -Das Stehenbleiben ginge noch an, Es ist bequem, und man gewöhnt sich dran, Aber das Reiten -- wer das erdacht!
Das Reiten in der Silvesternacht
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Das Wachstum Berlins. Bon Eugen Zabel.
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. er wußte in aller Welt vor fünfhundert Jahren, als » du
6 sich ältere Kulturländer längst ihre kräftig erblühenden Herrschersike geschaffen hatten, auch nur das Aller-
mindeste von Berlin?
London war damals schon eine große, weitberühmte Stadt, deren Bürger sich die Anerkennung ihrer Rechte von dem eigen-
willigen König Johann ertroßt hatten. Paris besaß bereits eine hochgefeierte Universität, deren Glanz als Pflegemutter der Wissenschaft sich über ganz Europa ausbreitete.
In Wien, wo sich die Wölbungen und Türme der Domkirche
zum heiligen Stephan bald stolz erheben sollten, feierte Walter von der Bogelweide als größter deutscher Sänger seiner Zeit in unvergänglichen Bersen die Reinheit deutscher Sitten in Ritterlichkeit und Frauenminne, wie er sie in Österreich und am Rhein,
in Schwaben und Thüringen kennen gelernt hatte. Aber Berlin?
Dieser Name war auf keiner Landkart
zu
finden. Zu jener Zeit lagen im deutschen Norden an den Ufern eines gemächlihen Flußlaufes, der durch die Havel mit dem Stromgebiet der Elbe in Berbindung stand, zwei armselige, von nieman-
dem beachtete Fischerdörfer. Ihre bescheidenen Bewohner kehrten alltäglich, oft von Nebel und Regen durchnäßt, mit der schuppigen Brut in den Netzen müde und hungrig heim zu ihrem kümmerlichen Stüc>chen A&erland und zu den brüchigen Lehmhütten an der Spree,
die ihre Ernährerin war.
Auf einer Insel dieses Flusses befand
sich das Dorf Kölln =- der Name kommt von Kollen d. h. Anhöhe her -- und an seinem rechten Ufer die Ortschaft Berlin, eine Be-
zeichnung, über deren Herkunft mansich nicht klar ist, die aber mit dem Bären im Wappenscermann, es lebe dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reiche, sondern
Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein müsse, um sich über Wasser zu halten.
Als Friedrich der Große 1786 starb, wies Berlin noch nicht mehr als 145000 Einwohner auf, bei der Krönung König Wilhelms. 1. in Königsberg, 1861 aber schon 500000. Jm Jahre 1877 wurde die erste Million erreicht. Aus der früheren Beamten- und Militärstadt war schon längst eine Großstadt und aus dieser nach dem
französischen Kriege eine Weltstadt geworden, die sich fortan mit
ELLEZ Name als Stadtbezeihnung mindestens fünfzigmal wieder. Fnfolgedessen würde ein Brief, den wir unter der Adresse „Berlin“ ohne nähere Bezeihnung nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten schien, entweder gar nicht oder doch erst nac< monatelangem Umherirren sein Ziel erreichen, da die amerikanische Post
zunächst feststellen müßte, um welche von den vier Dutzend Städten dieses Namens es sich handelt. Was Berlin zu einer modernen Weltstadt im allergrößten
Stil gemacht hat, ist aus den bescheidensten Anfängen hervorgegangen, unter den größten Schwierigkeiten geplant, errungen
und behauptet, und beständig dem Neid und der Berkennung zum Troß weiter ausgebaut worden. Die Stellung der Stadt als Mittelpunkt des deutschen Lebens reicht in der Anerkennung der Welt
nicht viel weiter als vierzig Jahre zurü>, als der Traum eines einigen Baterlandes in Erfüllung ging. Zahllose Beränderungen haben
si darin seit dieser Zeit in bezug auf wachsenden Wohlstand, Bildung, im Aufschwung von Handel und Fndustrie, wie in allen
Lebensgewohnheiten vollzogen, so daß man große Stadtteile, die man mehrere Jahre nicht gesehen hat, kaum noch wiedererkennt. Aber fest und rastlos tätig ist troß aller Neuerungen jener märkische Geist geblieben, der von der Gebelaune der Mutter Natur nur wenig unterstüßt wurde und alles der harten Arbeit, von den
Fürsten auf ihrem Herrscherthron bis zu den breiten Schichten des Volkes und dem Letten und Ärmsten, beim Ringen um Das
tägliche Leben verdankt. Diese Arbeit wurde lange unterschätzt, häufig sogar bespöttelt und ist doch ein unendlicher Segen geblieben, weil an den Ufern der Spree ein ausdauerndes Geschlecht lebt, dessen höchster Ehrgeiz darin
besteht, daß jeder einzelne im Gefühl seiner inneren Berantwortlichkeit die Worte des großen Königs für sich in Anspruch nehmen möchte: „I< habe meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit getan.“ Diese stahlharte Tüchtigkeit hat sich seit den Befreiungskriegen niemals glänzender bewährt als in der schisalssck ins feindlihe Feuer kommen konnten. Er bestürmte seinen Bater mit Bitten, den König zu ver-
anlassen, ihn auf den Kriegsschauplaß zu schien, und König Wilhelm, dem die innern Kämpfe des Prinzen nicht fremd geblieben, erfüllte seinen Wunsch, ihn seinem Sohne, dem Kronprinzen, als Ordonnanzoffizier zuerteilend. Ein größeres Glü> hätte dem jungen Hohenzollern nicht begegnen können!
Seit langem war er von einer
wahren, herzlichen Berehrung zu dem älteren Berwandten erfüllt, die ebenso warm erwidert wurde, aus welcher gegenseitigen Zu-
neigung sich während des Feldzuges jene starke und treue Freundschaft entspann, die sich fernerhin in Freud und Leid fest bewähren sollte. Hatte der Kronprinz, .der zu dem Stabe des Feldmarschalls
Grafen Wrangel zählte, auch kein militärisches Kommando erhalten, aus bestimmten Gründen der Rüdsichtnahme auf die gespannten politischen Berhältnisse, so war ihm doch eine schwierige und ver-
antwortungsvolle Tätigkeit überwiesen.
Sie stellte gleich hohe
Anforderungen an den Soldaten, der scharfen Auges die militärischen Vorgänge überwachen mußte, wie an den Diplomaten, der durch seine
liebenswürdige Persönlichkeit manchen Gegensaß ausgleichen und manche Kluft überbrüden sollte. Als sich Prinz Karl vor seiner Abreise vom König Wilhelm ver-
abschiedete, ermahnte ihn dieser in seiner gütig-väterlichen, treuen Weise: „Sieh Dich vor und sei nicht zu tolltühn, denke an Deine Eltern und an noch jemand.“ Mit den letzteren Worten deutete der König auf die oben erwähnte Neigung des Prinzen hin, und er sagte
später mit Rüdsicht darauf: „Mir selbst ist es nicht so leicht gemacht worden, meine Jugendliebe zu überwinden; für mich trat kein
Kriegs- und Feldleben zerstreuend dazwischen.“ Prinz Karl nahm an den wichtigsten Borgängen des Feldzuges
teil, wiederholt ins Feuer gelangend, so daß ihn der Kronprinz und Feldmarschall Wrangel ernstlich warnten, sein Leben nicht aufs Spiel zu seen. Er machte den Sturm auf die Düppler Schanzen mit und erwarb sich hierbei das Ritterkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern. Als sich der Prinz hierfür beim König, der auf den Kriegssen den Prinzen Karl von Hohenzollern unter dem Namen Karl 1. als Fürsten von Rumänien
vorgeschlagen, und ging das Gerücht, der Prinz würde demnächst hier eintreffen und sich präsentieren. Die Bevölkerung scheint damit
zufrieden zu sein.“ Die Ereignisse überstürzten sich jezt. Die provisorische Regierung in Bukarest veranstaltete eine Bolksabstimmung, durch welche Prinz Karl fast einstimmig zum Fürsten von Rumänien
erkoren wurde. Der Prinz war entschlossen, dem Rufe Rumäniens zu folgen, die Krone des Landes zu übernehmen und das bis dahin
stets bedrü>te, ausgesogene, von den mächtigen Nachbarn willkürlich behandelte Volk einer glü>lichen Zukunft entgegenzuführen. Ehe er aber seinen Entschluß ausführen konnte, mußte er noch die Zustimmung zweier Männer einholen, König Wilhelms und Bismar>s. Am Mittag des 19. April 1866 trat Prinz Karl den entscheidenden Gang an, der ihn zunächst zu Bismar> in das Heim des
Ministerpräsidenten führte; letzterer hatte ihm durch Herrn v. Keudel in den Morgenstunden des gleichen Tages sagen lassen, daß er ihn leider wegen eines ihn an das Haus fesselnden Fußleidens nicht persönlich aufsuchen könne. Anderthalb Stunden dauerte diese wichtige Unterredung, in der Bismar> durchaus den Entschluß des
Prinzen billigte, die ihm dargebotene rumänische Krone anzunehmen: „Sie sind von einer ganzen Nation einstimmig zum Fürsten erwählt, folgen Sie diesem Rufe, gehen Sie direkt in das Land, zu dessen Regierung Sie berufen sind !“ Und als. der Prinz erwiderte, daß dies ohne Genehmigung des Königs unmöglich sei, obwohl er selbst den
Mutzu diesem Entschlusse in sich fühle, rief Bismar>: „Um so mehr also! Die Genehmigung des Königs brauchen Sie in diesem Falle nicht direkt. Berlangen Sie Urlaub vom König, Urlaub ins Ausland =der König ist fein genug = ich kenne ihn ja genau =- um dies zu ver“
stehen und die Absicht zu durchschauen. Sie nehmen ihm dadurch außerdem die Entscheidung aus der Hand, was ihm sehr willkommen sein muß, da ihm politisch die Hände gebunden sind!“ =- Und
Bismar> hatte auch hier richtig geurteilt, denn als am Nachmittag des gleichen Tages Prinz Karl vor seinem königlichen Oheim stand, brachte dieser vielerlei Bedenken hervor, darunter jenes, daß er es kaum für richtig halte, wenn sich ein Fürst aus dem Hause Hohenzollern unter die Oberhoheit eines Sultans stellte. Prinz Karl erwiderte, daß er für den Augenbli> die türkische Oberhoheit anzuerkennen bereit sei, doch mit dem stillsc mehr. Troß seiner 27 Jahre war sein Charakter ein fest ausgeprägter. Entschlossenheit und Beharrlichkeit vereinten sich bei ihm
mit treuester Pflichterfüllung und rastloser Arbeitsfreudigkeit; hatte er ein Ziel als gut und richtig erkannt, so strebte er ihm mit kluger Energie zu, sich durch nichts beirren lassend. Das war auch hier der Fall. Der junge Hohenzoller war entschlossen, sein ganzes Wollen und Können in die Erfüllung der ihm gestellten Aufgabe zu seken, sich
ihr mit freudigster Hingebung widmend. Eröffnete sich ihm doch hier eine hohe, eines ganzen Mannes würdige Mission, die er mit dem
ernsten Borsa übernahm, unter schwierigsten Berhältnissen etwas Festes und Beständiges zu schaffen, nicht nur für die Gegenwart,
sondern für die Zukunft. Was sich der junge Prinz Karl von Hohenzollern gelobt, der Fürst und König hat's gehalten! Das beweist uns das heutige Rumänien mit seiner angesehenen Stellung im Rate der Bölker, mit seinem scharfen Schwert und seinem treuen Führer an der Spiße! Der deutschen Reichshauptstadt hat König Karl immerdar sein auf-
richtigstes Interesse bewahrt und ihr Aufblühen regsam verfolgt. Berlin spielte ja in der Entwiklung des Herrschers eine einflußreiche Rolle, Hier ward der Jüngling zum Mann, hier gewann er umfassende militärische und politische Kenntnisse, hier reifte in ihm das Sehnen nach einer anderen Lebensaufgabe, für die er seine ganze Persönlichkeit einsetzen konnte, von hier aus trat er seine Reise =- über Düssel-
KEII Rumänien seiner als des „Markgrafen deutscher Kultur“ an der
Donau gedacht, der dort so Großesgeschaffen. Der König, der sich gerade auf einem Donau-Ausfluge befand, antwortete aus Tulcea: „Von der Mündung des mächtigen Donaustromes erwidere ich herzlich den mich besonders erfreuenden Gruß aus der alten Heimat und sende wärmsten Dank für die freundliche Aufmerksamkeit, meiner in so sc
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Schinkels Gedächtnisdom für die Befreiungskriege.
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; einen überragenden Mittelpunkt zu schaffen, erst im Dom
des neuen Reiches ausgeführt, verkettete sich in der Zeit
nach den Befreiungskriegen mit dem Wunsche, dem Gott, der Eisen wachsen ließ, eine Siegesdankeskirche zu bauen. Der König ergriff den Plan, sein Baumeister, der erste Deutschlands, übernahm ihn -aber nicht auf dem Spittelmarkt und nicht auf dem Leipziger Plat hat man auch nur einen Stein dafür geseßt. Jn Gutachten und Entwurfszeichnungen blieb der großartige Plan begraben. Dombau war früh Spiel Schinkelscher Phantasie. In dem herben, kräftigen Klassizismus der Gilly und Genk erzogen, aber hineingeboren in eine Generation, die an die als vaterländisch
angehimmelte Gotik romantische Sehnsucht und romantische Hoffnungen knüpfte, hat Schinkel vielleicht als erster die Pein aller neueren Kirchenbauer eigenen Schlages gefühlt: daß der wahrhaft nordisch-sakrale Stil shon am Ende des Mittelalters zur reinsten
Vollendung gebracht sei, wogegen alles zurückzutreten habe, was das 18. Jahrhundert in der Dresdner Frauenkirche, der Hamburger
Michaelskirche als Muster protestantischer Predigträume schuf. Dennoch wurde die Pseudo-Gotik der Werderschen Kirche in Schinkels Schaffen abgelöst und überboten in dem antikischen Ebenmaß der Potsdamer Nikolaikirche. Diese preußische Renaissance der Antite überwand die Romantik. Der Epoche des Ringens mit dieser Romantik, mit der allmächtig regierenden Kulturmacht der Restaurationsjahre, gehört an, was der Meister als Befreiungsdom
geplant hat. Noch vor den deutschen Siegen, die denn ja auch so etwas wie
einen Sieg vaterländischer Romantik über französischen Klassizismus bedeuteten, zeichnete Schinkel einen ersten Dom, 1811 eine bildhafte
Bedute, wo hinter Bäumen am Wasser eine Kuppelkirhe empor-
wächst, doch mit seitlichen Türmen. Und das klassisch volle Halbrund der Kuppel baut sich auf gotischen Trägern hoch, ist von gotischer Zier übersponnen?). Gotik war auch obligatorisch, als ein Denkmal der gefallenen Krieger in Berlin errichtet werden sollte. Anfangs stemmte sid Schinkel. Schon wegen der Fülle, die das Denkmal als hoch in die Lüfte hineinreichend notwendig erhalten müsse, empfahl er weniger eine gotische Form als eine solche, die an das
griechische und römische Altertum erinnert?). Der König entschied sich für Gotik. Das eiserne Kreuzberg-Denkmal wurde eines von
Schinkels unglülichsten Kindern.
Troß antikischer Form, ionischer Borhallensäulen, korinthischer Gliederung des Innern mit hölzerner Kassettende>e, geriet auch der Umbau des Boumannsclich zwischen Schloßapotheke und das seit 1823 geplante Museum Schinkels. Aber der bescheidene Bau repräsentierte nicht. Das sollte der Gedächtnisdom, ihm widmete Schinkel neben der Arbeit am Schauspielhause die am Lustgarten-
dom gesparten Kräfte. „Die in unserem lezten Jahrzehnt so beunruhigende Aussicht für den günstigen Fortgang so mancher edlen Zweige des menschlichen Treibens und ganz besonders der schönen Kunst hatte schon überall, wo Gutes und Schönes gewollt ward, ein erdrükendes Gefühl
erzeugt, in welchem alle Kraft nach und nach zu versiegen schien. Nach einem folchen Zustand wird es die höchste Erquikung, wenn ein edler und großer Monarch, nachdem er in festem Bertrauen
mit seinem Volke für die Wiedergeburt einer schöneren Zeit kräftig und siegreich gestritten, den ersten glü>klichen Moment ergreift, für: die innere Beredlung desfelben einen erhabenen Gedanken zu fassen. Ein solcher ist der Seiner Majestät für das religiöse Moment seiner Zeit.“ 1) Gerahmte Federzeichnung im Schinkelmuseum der Berliner Technischen Hochschule. Bgl. Wolzogen, Aus Schinkels Nachlaß 11, Berlin 1862, S. 330 unter C6. 2) Bemerkungen zur Vorlage an den König, vom 26. Febr. 1818. Bei Wolzogen 111, S. 168,
3) Bleistiftzeihnungen im Schinkelmuseum Mappe XUL1V, 86 und 88, Wolzogen 11, S,. 319.
GRRRn Gertraudenkapelle, einst ein spätgotisches S des Gertrauden-
Hospitals zeichnete Schinkel seine Gedächtniskirhe, im Zuge der
Leipziger Straße das Schiff, der Turm als ihr Bli&punkt, der Chor ein wenig in die Spree hineingebaut und einige Grundstü>e
der Wallstraße bede>end?). Der im ersten Anhieb entworfene Turm ist der wohl gelungenste
Baugedanke der ganzen Planung (Abbildung 1). Mit der Feder zeichnet Schinkel da einen Entwurf, der preußisch-energisch die antiken Formen so selbständig wie nurje ein italienischer Renaissancemeister zu Eigenstem benußt. Quadratischer Unterbau, geschlossen in den
seitlichen Rüklagen, mit karyatiden-gefaßtem Mittelportal, großer In-
schrift darüber. Ein Statuenkranz krönt diesen So>el. Darauf, in der Breite des unteren Mittelstü>s, ein Säulenturm viere>igen Grund-
risses. Es sind auf Karyatidenso>el vier hohe Säulenschäfte, wohl korinthischer Ordnung, auf jeder Seite, drüber ein kräftiges Auflager und ein knapper, in Stufen gedrungen ansteigender Helm, sehr originell, mit krönender Figur. Das Ganze ist noch nicht recht zusammengewachsen in den horizontalen Teilungen, aber die beste
Grundlage für weitere Arbeit?). Schinkel zeichnet sich neben den Umriß dieses Turmes die Fassade der alten Spittelkirct bei Wolzogen 111, S. 188ff. Entwurf im Schinkelmuseum, Mappe KRV d. 2, reproduziert bei Wolzogen. Schinkelmuseum, Mappe XX 1. Ebenda XX2; im Schinkelmuseum übrigens auch eine Zeichnung für den Um-
bau des Spittelkirchenturmes, der wenige Jahre später wegen Schadhaftigkeit abgetragen werden mußte -- die niedrigere Spiße geriet recht häßlich: Mappe KKRVIHb Nr. 4.
Doch läßt er den Entwurf auffällig schnell fallen. Der König hatte eben ein Monument im deutsch-gotischen Stile gewünscht, traf sich darin mit der einen Seele in Schinkels Brust. Der Meister bildet nun in langsamem Fortschreiten?) eine neue Turmidee aus,
einen Campanile in der Art des Florentiner, daneben, durch Spitbogenhalle verbunden, die Kirche2?). Die plant er als breitgelagerte Hallenkirche desjenigen Typus, in dem die späte Gotik der alten Basilika den Nerv ihres Hochdranges entzog, mit Fächergewölben, wie Schinkel sie damals 1819 auf der Marienburg kennen lernte. Doch auf dem gleichen Blatte notierte er sich den Namen des neuen Weltwunders, das von London aus jekt eine jüngere klassizistische
Ära zu befruchten begann: „The Elgin Marbles“?). Ein Turm kam in ausgeführter Linearzeichnung zustande, dessen ein wenig italienische Gotik fast aussieht wie ein Borbild Waesemanns für den Berliner Rathausturm: mit kräftigen, pfeilerartigen E>gliedern, nicht dur
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keEEkn wurde in seinem achten Lebensjahre Zögling der
Plamannschen Lehr- und Erziehungsanstalt (Wilhelmstraße 139). Als seine Eltern für einige Jahre nach Berlin (Friedrichstr. 172 [jezt Spatenbräu]) übersiedelten, trat er Michaelis 1827 in die Untertertia des Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums ein.
Sein Ordinarius, Oberlehrer Bonnell, faßte sogleich eine Borliebe für den begabten Knaben, so daß die Eltern beschlossen, ihren Sohn dem Michaelis 1829 an das Graue Kloster berufenen Professor
Bonnell?) dorthin folgen zu lassen. Er kam zunächst in Pension zu dem Privatlehrer Prevot (Königstraße 61, jeht zum HauptPostamt gehörig) und wurde am 4. Mai 1830 (zwei Wochen nach
dem Schulanfange) durch den Direktor Köpke (geb. 1773, gest. 1837) in die obere Abteilung der Sekunda des Grauen Klosters aufgenommen, nach einem Halbjahre (Michaelis 1830) als 15. unter 18
Schülern nach Prima?) versetzt3). Zur selben Zeit kam er in Pension zum Prof. Bonnell (Königsgraben 18, jekt zu Tieß's Warenhaus gehörig). Nach 1?/, Jahren (Ostern 1832) bestand er Das Abiturientenexamen im Alter von 17 Jahren.
Das Durchschnittsalter der Abiturienten betrug zu damaliger Zeit 19?!/, Jahre. Über die Dauer des Aufenthalts in den ein1) Bon Bismar>s Hochschäzung für Bonnell (1802-1877) zeugt es, daß B-
seine Söhne (Abiturienten Ostern 1869) das Werdersche Gymnasium besuchen ließ, dessen Direktor Bonnell seit 1837 war,
2) Die Teilung in Ober- und Unterprima trat erst 1859 ein, Die Prima des Klosters zählte 1827--32 durchschnittlich 62 Schüler! (die Sekunda 55). Die Teilung in Ober- und Untersekunda besteht seit 1837. 3) Gedide (Direktor des Klosters 1793-1803) führte die Zeugnisse ein, halbjährliche für die oberen Klassen, vierteljährliche für die unteren Klassen. Nur diese lehteren mußten von den Eltern unterschrieben werden. Die Zensur-Berteilunsg fand am ersten Tage nah den Ferien statt! Erstseit 1840 am S < luß des Quartals-
zelnen Klassen bestanden noc< keine Bestimmungen; 56*/5 v. H. der Abiturienten saßen 1%, Jahre, 32 v. H. 2 Jahre, 9 v..H. 1 Jahr und 2!/, v. H. 22/, Jahre in Prima. Erst durch MinisterialBerfügung vom 5. Dezember 1835 wird für die Dauer des gesamten Gymnasialunterrichts etwa 9 Jahre angenommen. Die Eltern der Mitschüler Bismar>s waren den Berufsarten
nac< in Prozenten: Kaufleute 20, Subalternbeamte 12, höhere Beamte, Landwirte 11, Prediger 8, Handwerker 7, Oberlehrer, Elementarlehrer, Ärzte 6, Rentiers 5, Offiziere, Unterbeamte 4. =- Bier seiner Mitschüler waren mosaisch, einer katholisch.
Das Kloster wurde damals zu 50 v. H. von auswärtigen Schülern
besucht; nicht wenige waren bei Lehrern der Anstalt in Pension, 12 bewohnten das von dem Wohltäter des Klosters, Sig. Streit, errichtete Alumnat, die |. g. Communität (ganz frei), 8 waren Be-
wohner (gegen geringes Entgelt für Wohnung und Heizung) des Streits einen traurigen Fall: Der Obertertianer Lemmer, wohnhaft im „Büdling“?), erschoß sich am 17. Mai 1830 aus unbekannter Ursache. Am Donnerstag, den 24. Juni 1830, fand im sogenannten
Säulensaal die 300jährige Feier des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses statt, wobei Prof. Bellermann die Rede hielt über Markgraf Georg den Frommen von Brandenburg-Bayreuth,
Fürsten zu Jägerndorf. Am 30. Januar 1831 wurde die Trauerfeier für den am
27. Januar verstorbenen Prof. Ernst Gottfried Fischer?) gehalten. Dieser (geb. 1754) hatte den Kronprinzen, den späteren König 1) Dieses dem Gymnasium gegenüberliegende Haus wurde 1801 gekauft. Es erhielt bald den Namen „Büdling“, weil ein Schüler einen ungenießbaren Räucherfisch über die Mauer des hinten angrenzenden Hauses der Jüdenstraße geworfen und daraus sich eine häßliche Berhandlung mit dem Direktor des Klosters entwidelt hatte, Berkauft wurde der „Bückling“ 1833, um Mittel für den Umbau zu gewinnen. 2) Schwiegervater der Direktoren Bellermann und August. 10*
Friedrich Wilhelm 1V., in der Mathematik unterrichtet und sich das Wohlwollen des Königs Friedrich Wilhelm 111. in hohem Maße erworben; er wurde durch Fischer bewogen, dem Kloster 1822 den Teil des Lagerhauses zu schenken (nebst 20 000 Talern zum Um-
bau), in welchem sich der Säulensaal befindet; 18350 kamen hinzu die Teile des Lagerhauses von der Klosterstraße bis zur Neuen
Friedrichstraße). Der Umbau dauerte bei den beschränkten Geldmitteln zum Teil längere Zeit: im August 1831 waren fertig 3 Klassen, der Hörsaal?) (Aula), das Physikzimmer, die Sternwarte und die Bibliothek3). Erst 1849 war der Neubau an Stelle des ehemaligen
doppeltgewölbten Langhauses, des Magazins des FranziskanerKlosters (von dem Hörsaal bis zur Neuen Friedrichstraße), vollendet. Ostern 1831 wurde bei der öffentlichen Prüfung Bismar>s Klasse (1) geprüft im Lateinischen von Direktor Köpke und in der Mathematik von Prof. Wilde. Fünf Tage später, Donnerstag, den 31. März, wurde Bismar>
in der Dreifaltigkeitskirhe durc< Schleiermacher eingesegnet. Im Juli 1831 wütete die Cholera in Berlin. Dem Direktor Köpke gelang es, die auswärtigen Eltern von der Zurüberufung ihrer Söhne zurükzuhalten. Es starb an dieser Seuche nur ein Schüler der Anstalt, der Quintaner Selle.
Im März 1832 fand die schriftliche Abiturienten-Prüfung *) statt. Die zu bearbeitenden Themata waren: 1) Dir. Köpke sprach die Hoffnung aus, das neue Gebäude werde sich dem Stettiner Gymnasium an die Seite stellen können. -- Einige der alten Klassen des
Klosters, Teile des ehemaligen Kreuzganges, lagen halb unter der Erde. 2) Die schöne Ausschmüdung des Hörsaales nahm noch einige Zeit in Anspruch, so daß er erst bei dem Wohltäterfeste am 22. Dezember 1832 mit einer Rede des
Prof. Zelle als fertig eingeweiht werden konnte, 3) Leider ist bei diesem Umbau das obere gewölbte Sto>werk zerstört worden. 4) 1787 wurde auf Vorschlag der Universität Halle an jeder Universität eine Kommission eingerichtet zur Prüfung der Fmmatrikulanden. Der Borschlag der
Universität Frankfurt a, O., diese Prüfung auf den Schulen selbst stattfinden zu lassen, wurde durch Reglement vom 23. 12. 1788 (ausgearbeitet von Gedi&e, damals
Direktor des Werders die Noten:
Aufführung: Stets anständig und wohlgesittet?).
Fleiß: Zuweilen unterbrochen?), auch fehlte seinem Schulbesuch unausgesetzte Regelmäßigkeit. Seine Kenntnisse werden beurteilt in Deutsch, Französisch,
Englisch als gut, Griechisch ziemlich gut, Mathematik, Geschichte, kulation Meldenden.
Aber auch unter den rite Abgehenden unter dem Direktor
Büsching (geb. 1724 zu Stadthagen, Direktor des Klosters 1766-1793 [berühmt als Geograph]) war es mit dem Wissen schlecht bestellt; so leistete sich der Abiturient Grell (Magistratssekretär und Organist an der Parochialkirche, gest. 1839) folgende Überjezung: es scheint, daß wir höher werden videtur ut excelsiores versemur; durch welche wir aufgerichtet werden per quibus erigemus. -- Die Übersekungen aus dem
Deutschen in das Lateinische und Griechische (ohne Spiritus und Akzente geschrieben) waren etwa 6 Zeilen lang, die deutschen, geschichtlichen und geographischen Aufsäße etwa 15 Zeilen. =- Bis 1802 mußten die Abit.-Arbeiten der Behörde eingereicht
werden: Au Roi a Berlin zur Öffnung eines hochpreislichen Ober-Schul-Kollegiums.
Es erfolgten darauf die Bemerkungen des Ob. Konsist. Rats Zöllner (gest. 1804). 2) B. konnte sich anfangs an die strengere Zucht des Klosters nur schwer
gewöhnen, daher warin seiner ersten Zensur in Sekunda sein Betragen bemängelt und fein Plaudern mit seinem Nachbar gerügt worden. ?) Moritz v. Blan&enburg übertreibt wohl, wenn er sagt: „Arbeiten sah man ihn nie; wenn die andern büffelten, ging er spazieren“. Mit Ausnahme der
beiden Zensuren des ersten Halbjahres in Prima wird Bs. Fleiß stets genügend genannt.
Erdkunde als befriedigend.
„Im Deutschen besizt er eine sehr
erfreuliche Gewandtheit.“ Sonnabend, 14. April 1832, wurde Bismar> bei der öffent-
lihen Prüfung (Latein: Direktor Köpke, Physik: Prof. Wilde, Sophokles' Antigone: Prof. Giesebrecht), wobei der Primus omnium Köpke eine lateinische Rede (Laudes historias) hielt, zur Universität entlassen. =- Diese Abiturienten waren die ersten, deren Entlassung
im großen Hörsaal stattfand. . Im Sommer 1872 vereinigten sich 32 Männer, welche mit
Bismar> zusammen in Prima gesessen hatten, und schenkten dem Gymnasium die von der Bildhauerin
Elisabeth Ney modellierte
Bronzebüste Bismar>s; sie fand ihre Ausstellung im Hörsaale. Diese Geschenkgeber sind in der folgenden Liste mit B bezeichnet. Ihnen schlossen sich an drei Männer, welche bei Bismar>s Bersezung nach Prima die Anstalt als Abiturienten verlassen, aber doch das Gymnasium mit ihm gleichzeitig besucht hatten: B B B und B
Tannhäuser, Albert, geb. 1810, Fabrikbesizer, Berlin + 1890, Hammer, August, geb. 1810, Geh. Sanitätsrat, Berlin | 1873, v. Karstedt, Karl, geb. 1811, Rittergutsbesizer, Fretdorf | 1888 v. Pape, Alexander, geb. 1813, General, Berlin + 1895, welcher schon Ostern 1830 abgegangen war,
Bei Bismar>s 80jährigem Geburtstage stifteten zehn noch lebende Mitschüler eine Gedenktafel, welche im September 1895 an der Mauer in der Klosterstraße angebracht wurde. Diese Stifter sind in der Liste mit T bezeichnet. In der nun folgenden Liste der Abiturienten ist der Geburtsort Berlin fortgelassen; es folgt der Stand des Baters, das erwählte Studium und die erreichte Lebensstellung. Dankbar würde ich?) es
begrüßen, durch freundliche Leser etwas zu erfahren über diejenigen, deren Beruf und Todesjahr ich nicht habe ermitteln können. Durch Verfügung
vom
12. Zuni 1812 wurden für die
Abiturienten-Zeugnisse Nummern angeordnet, abgeschafft durch Das Prüfungsreglement vom 4. Juni 1834. Die Nr. [111 berechtigte zwar zum Universitätsstudium, mußte aber bis zum Ablauf des
dritten Semesters dur; ein bei der Universität abzulegendes Examen in eine bessere Nummer verwandelt werden; sonst durfte die Zulassung zu einer Staatsprüfung nicht erfolgen. 1) Berlin N 24, Auguststr. 21.
KIRIN2 11. Matthias, E. W. A,., 1811, Hofrat; Jura. = ?
Mahlitz, C. W. L., 1811, Beeliß, Aktuar; Jura. =- Student, | 185353. Bölker, Karl, 1811, Generalarzt; Med. -- Arzt, B. | 1872. Hering, F. W. A., 1810, Bagemühl, Prediger. =- Pred., Dalldorf + 1879. König, Heinrich, 1812, Kantor; Theol, =- Pred. Sulzbach, a. D. Boppard + 1888. Zimmermann, Eduard, 1811, Dir. des Werders, 168/, Jahr alt, aus Schönhausen in der
Altmark gebürtig, Sohn eines Gutsbesitßers auf Kniephoff in Hinterpommern, evang. Glaubens, 2 IJ. von Großsekunda an auf dem Gymnasium, 1*/, Jin Prima. Er wird mit dem Zeugnis Nr. 11 in Bonn, Genf und Berlin Jura und Cameralia studieren.“ Reichskanzler, | 1898, (B,. warbei seinem
1) In seiner Entlassungsrede bezeichnete Dir. Köpke diese Generation als durch Fähigkeiten und Fortschritte ausgezeichnet (8 erhielten Nr. 1!) und war besorgt, ob es den Lehrern gelingen werde, den alten Maßstab von Prima aufrecht zu erhalten-
Abgange, 14. April 1832, schon 17 Jahr alt; die Meldungen wurdenein Bierteljahr vor dem Abgange geschrieben.) B Wolff, Heinrich, 1813, mos., Rentier; Mediz. =- Arzt Berlin, + 1888. Müller, Georg, 1813, Geb. Ober-Justizrat; Theol. = ?
Michaelis 1832: [l. B Dressel, Gustav, 1814, Prediger, Dalgow; Theol. -- Prediger Bernau, Saarmund, a. D. Potsdam + 1891. B Ewald, Julius, 1812, Bankier; Naturw. -- Geologe, Mitglied der Berliner
Akademie, | 1891. Gottheil, Sigismund, 1812, mos., Kaufmann, Pinne; Mediz. -- Arzt, Pinne + 1868. B Lubarsch, Samuel, 1814, mos., Kaufmann, Landsberg a. W.; Mediz. -Arzt Sonnenburg, Frankfurt a. O. | 1902.
11. Kuntze, RN. H., 1813, Lichtenow NM,., Gutsbes.; Mediz. -- | ? Bamihl, R, G., 1813, Malchow, Gutsbes.; Jura. -- Ob, Reg. Rat, Potsdam + 1873. T Franßt, Gustav, 1811, Posamentier; Theol. =- Prediger, Kl. Wubiser + 1900. Heine, Moriß, 1812, Bankier; Jura. =- Student, Bonn Y 1835. B Flottmann, Hermann, 1812, Malchow, Gutsbes.; Jura. -- Landrat, Frankfurt a. O. | 1891. Mebring, H. A., 1813, Dr. jur.; Jura. -- Justizrat, Stolp | 1866.
Ostern 1833: ' Medlenburg, F. A., 1813, Tuchmacher; Theol. -- Privatlehrer in Rußland, + ? Biebig, I. H., 1812, Ravicz, Kaufmann; Theol. -- ? Hunger, K. Th., 1815, Privatlehrer; Theol. -- Divisionsprediger und Töchter-
schuldir. Köln, + 1888. Senff, G. A., 1815, Friedeberg NM., Rendant; Jura. = ? B (v.) Giesebreht, Wilhelm, 1814, Prof. am Kloster; Philol. =- Pröf, Univer-
sität München, | 1889. 11. B Ohle, Karl, 1813, Sandau a. E., Müller; Theol, -- Prediger Briß, | 1873.
Herrmann, Eduard, 1815, Ma!er; Theol.-- Rektor Spandau, Prediger Cremmen, + 1860. Sellmer, K. F. A., 1813, Neuhardenberg, Gutsbesiker; Theol. -- Kreisgerichtsrat, Landsberg a. W, + 1877. BT Hildebrandt, Eduard, 1813, Stettin, Arzt; Mediz. = Geh. Sanitätsrat, Berlin | 1898, Stüwe, Friedrich, 1813, Gendarm; Theol. -- ? Kießling, A. Th. E., 1813, Arzt; Mediz. -- ?
Schüße, K. F. A., 1813, Postsekretär; Mediz. =? Levin, Ludwig, 1814, mos., Königsberg i. Pr., Bankier; Mediz. =- Prof, a. d,
Universität Basel, F 1869. B Sachs, Hermann, 1813, Lazarett-Inspektor; Mediz. =- Sanitätsrat, Berlin + 1884.
BT Klein, Leo, 1815, Stadtrat; Jura. =- Geh. Sanitätsrat, Berlin | 1898. Zeune, Rudolf, 1813, Dir. der Blinden-Anstalt; Naturw. -- Student, +| 1834. Kissuth, K. I. A., 1812, Kulm, Lehrer; Theol. -- ? B Köhn v. Jaski, Ernst, 1815, Generalleutnant; Jura. =- Ober-Regierungs-
rat, Coblenz | 1886.
Michaelis 1833: [. Sydow, A. F. W., 1816, Kanzlei-Sekretär; Jura. =- Stadtger. Sekretär, Berlin + 1840. Hirsch, Siegfried, 1817, mos., Kaufmann; Philos. = ? 11. v. Bredow, Alexander, 1814, Haage, 'Gutsbesißer; Jura. =- Nitterguts-
besißer, Haage | 1878. B Hinneberg, Heinrich, 1813, Bredow, Lehrer; Theol, =- Prediger, Spandau 4: 1875. North, F. W., 1814, Lenzen, Postsekretär; Jura. = ? B Droysen, Karl, 1813, Treptow a. R., Superintendent; Theol. =- Prediger Neuhardenberg, a. D. Berlin + 1893.
B Gerber, Ludwig, 1812, Kanzlei-Sekretär; Jura. =- Geh. Reg. Rat, Magdeburg + 1890. Neumann, K. E., 1813, Staffelde bei Cremmen, Prediger; Theol. =- Student,
41833. T Weitling, Karl, 1813, Ahrensfelde, Lehrer; Theol. =- Prediger, Berlin | 1905. Buchalsky, E. I., 1812, Zeitungs-Spediteur; Jura. =- ?
Die bisher Genannten haben mit Bismar> zusammen in Prima gesessen; von denen, welche mit ihm zusammen in Sekunda saßen, nenne ich die folgenden, von deren Lebenslauf ich Kenntnis habe. Abiturienten Michaelis 1833: 1. Runge, Adolf, 1816, Kaufmann; Mathem. -=- Direktor Friedrichs-Realg., Berlin | 1890. BT Langerhans, Wilhelm, 1816, Stadtbaurat; Jura. =- Reichsgerichtsrat,
Bei seiner Hochzeit, 4, 10. 1844 in Trieglaff, lernte
B, seine spätere Gattin kennen, deren Tischherr er war.
Der Turnunterricht war zu Bismar>s Zeit noch verboten (er wurde erst durch Berfügung vom 24. Oktober 1837 gestattet und 1838 im Kloster für die Klassen Tertia und Quarta eingeführt) ;
troßdem scheinen sich die damaligen Schüler eines guten Gesundheitszustandes erfreut zu haben. Bon den 70 Abiturienten Ostern 1831 bis Ostern 1832 sind 33, also fast die Hälfte, über 70 Jahre alt geworden (ich nehme dabei an, daß diejenigen, über deren Lebenslauf ich nichts
habe erfahren können, in jüngeren Jahren gestorben sind); das Durchschnittsalter dieser 33 beträgt 79 Jahre. Bismar& wurde bekanntlich 83 Jahre alt; gleichaltrig oder älter als er wurden 11,
im 20. Jahrhundert haben noch gelebt folgende 10: Behm 85 Jahre alt, Langerhans 86, v. Klüßow 87, Lubarsch, Schel 88, Frantz 89, Weitling 92, v. Hanstein 93, Tirpitz 94, Pölchau 95; dieser hat wohl von allen ehemaligen Klosteranern das höchste Lebensalter
erreicht. Bismark>s Lehrer. In Sekunda: Dir. Köpke, Gustav, geb. 1773, Lehrer. am Kloster 1796, Dir, des Klosters 1828 bis + 28. 6. 1837 (Birgil).
Prof, Giesebrecht, Karl, 1782, 1802 bis + 20. 9. 1832 (Religion, Deutsch). Prof. Fischer, Emil, 1791, 1818 bis + 14. 2. 1841 (Mathematik, Physik, Gesang). Ordinarius Prof. Bellermann, Frit, 1795, 1819, Dir. des Klosters 1847-1867, | 5. 2. 1874 (Homer, Xenophon, Griech. Grammatik, Cicero).
Prof. Wendt, Heinrich, 1803, 1830-1832, Dir. Gymnas. Posen, Stettin, Schulrat Magdeburg, | 1859 (Livius, Terenz, Lat. Gramm., Geschichte, Geographie). Frings, M. J., ?, 1827-1836, | 1840 (Französisch).
In Prima: Prof. Heinsius, Theodor, 1770, 1801-1847, + 18. 5. 1849 (Deutsch). Dir. Köpke (Horaz, Geschichte). Ordinarius Prof. Giesebrecht (Religion, Homer, Sophokles). Prof. Wilde, Emil, 1793, 1821-1851, + 16. 5. 1859 (Mathem., Physik). Prof. Bellermann (Plato, Demosthenes, Griech, Gramm.). Prof. Zelle, Friedrich, 1797, 1820 bis + 22. 6. 1857 (Geographie). Prof. Bonnell, Eduard, 1802, 1829-1837, Dir. des Werderschen Gymnas. 1838-1875, | 11. 5. 1877 (Cicero, Tacitus, Quintilian). Dr. v. Seymour, K,. A. E., ?, 1821-1840, + 22. 11. 1842 (Englisch). Frings
(Französisch).
In seinem Antwortschreiben auf die Einladung zur dreihundertjährigen Stiftungsfeier des Klosters erinnert sich Bismar> dankbar
der Lehrer?) seiner Jugend und wünscht, „daß das Graue Kloster, treu seiner dreihundertjährigen Bergangenheit, auch fernerhin unter der Fürsorge unserer Fürsten und der Bürgerschaft Berlins fort-
fahren werde, eine hervorragende Pflanzstätte wissenschaftlicher Bildung und patriotischer Gesinnung zu sein“, 1) In den Sommerferien 1851-1853 gebrauchte mein Bater die Kur in Soden am Taunus. Hier besuchte uns B. öfters von Frankfurt a. M. aus. 30 Jahre
später kam ich durch Soden und fand unsere damalige Wohnung und ihren Besiter. Dieser, der Bauer Henning, erzählte mir: „Als eines Tages Jhr Bater B. zum Bahnhof begleitet hatte, sagte er mir: »Sie werden es noch erleben, daß dieser junge Herr ein sehr bedeutender Mensch wird !«“
Ältere Klosteraner erinnern sich noch, daß mein Bater, Prof. Zelle, keine Lehrstunde vorbeigehen ließ, ohne die Schüler zu ermahnen: „Was die Federfuchser auf dem Wiener Kongreß 1815 versäumt haben, das muß Eure Aufgabe sein, nämlich die alten deutschen Lande Elsaß und Lothringen wieder an
Deutschland zu bringen!“
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Der Bär. Bon Ad. M. Hildebrandt.
errei A : I as Wappentier unserer guten Stadt Berlin ist allen Ber&
-
linern wohlbekannt. Wir sehen es täglich vor Augen --
>. Fan den Sprengwagen und an den magistratlichen Kund-
gebungen, am Kopfe des Lokalanzeigers und -- weniger gern --
an den Mitteilungen der Steuerbehörde.
Unser Bär hat ein ehrwürdiges Alter. Zuerst findet er sich auf dem großen alten Stadtsiegel von 1280; hier beseitet er, und zwar in zwiefacher Zahl =- ob ein bärenhaftes Ehepaar gemeint ist, bleibt zweifelhaft =- den brandenburgischen Adlers wärts
gewendetem Kopf. Weshalb wohl? Es sieht beinahe aus, als ob er etwas Furcht vor den scharfen Waffen des Adlers hätte, doch Das
ist wohl nicht der Fall; wir möchten eher annehmen, daß das Bärenpaar nach Osten und Westen Front machen will gegen die Feinde, die den Adlerschild bedrohen und ihm zuruft: Lieb' Baterland magst ruhig sein! Das Fell des Bärenpaares erscheint auf dem Siegel wie ein Schuppenpanzer, was den kampfbereiten Eindru> noch vermehrt. Der richtige Berliner hat ja auch ein di>kes Fell! Nicht sehr angenehm dürfte es dem braven Peß gewesen sein, als man ihm im 14. Jahrhundert ein Halsband mit Kette umlegte und ihn -- im 15. Jahrhundert = in einem Schilde mit dem Adler
vereinigte, der ihn mit den Krallen pat wie der Lämmergeier ein Schaf. Ob dadurch, wie viele meinen, die Unterwerfung der Stadt
unter die Herrschaft der Hohenzollern ausgedrü>t werden sollte, ist nicht ganz sicher; möglich ist es wohl, da derartige Symbolisierungen öfter in der Heraldik vorkommen. Anderseits ist es eine heraldische Gewohnheit, wilde Tiere -- Löwen, Bären, Affen, Wölfe usw. =
behalsbandet abzubilden. Erst am 1. Oktober 1875 gelang es unserem Berliner Bären, das angebliche Zeichen der Knechtschaft wieder abzustreifen und sich aus einem gezähmten wieder in einen wilden
Bären zurükzuverwandeln.
Was die heraldisch richtige Darstellung des Bären betrifft, so muß mit Bedauernfestgestellt werden, daß die allergrößte Mehrzahl der Berliner Zeichner sich an "unserm braven Freund Braun jahr-
hundertelang aufs ärgste versündigt hat. Es gibt zahllose, auc< amtliche, Darstellungen des Berliner Wappentiers =- (unser zu früh verstorbenes verdienstvolles Mit-
glied Winterfeld hatte eine große Anzahl gesammelt) --, auf denen es schlimm karrikiert ist, bald als tanzender Pudel, bald als träger Maulwurf oder dergleichen. Noch heute hat man leider oft Gelegenheit, derartige Mißgeburten zu erbli>en, obgleich ein erster Meister wie E. Döpler d. I. ein mustergültiges Borbild gezeichnet und ver-
öffentlicht hat?). Der heraldische Bär muß auf den Hinterbeinen aufrecht stehen, in kühner, angreifender Stellung; „zum Grimme geschi>t“ heißt der altheraldische Ausdru>; =- die Bordertaßen mit ausgespreizten
Krallen erhoben, das Maul mit kräftigen Zähnen weit aufgesperrt,
die Zunge lang herausgestre>t. Die Zeichnung soll nicht naturalistisch sein, sondern stilisiert, jedoch so, daß die ; denn es fänden sich Spuren vom kalten Brande und rühmte scherzend die Wirkung der Poesie. Gleim jubilierte, und der Kranke gelobte =- es war Ewald v. Kleist =- auch ein Dichter
zu werden. Die Wunde heilte nun schnell. Gleims fröhliches Beispiel regte Kleists Lust zur Poesie an und nach einigen fruchtlosen Ber“ suchen schi>te er an Gleim sein erstes Liedchen am 4. Dezember 1743. Er nannte es ein Anakreontisches, weil es ohne Reime war und scherz“
haft und verliebt dazu. Es folgte nun eine glü>liche Zeit.
Kleist
lernte durch den früh entwidelten Patriotismus Gleims seine 1) Der damals noch Guichard hieß; vgl. Berliner Kalender 1912 „Die französische Kolonie unter Friedrich dem Großen“,
Stellung als preußischer Offizier immer höher auffassen und auch die deutsche Literatur schäzen. Je mehr er sich aber dichterisch vertiefte, um so mehr traten liebliche Bilder des Friedens, lachende Fluren und eine unüberwindliche Sehnsucht nach dem Landleben vor seine Seele. Die Freundschaft zwischen beiden blieb auch nac< Gleims Fortgang von Potsdam bestehen. Inzwischen aber waren Gleims Freunde auch Kleists Freunde geworden. Darunter waren in Berlin: der Geheimsekretär Lamprecht, welcher mit Baron v. Bielefeld von Hamburg nach Berlin gekommen war. Er war Berfasser
einer Leibnizbiographie und Herausgeber einer Wochenschrift, „Der Weltbürger“; Friedrichs Kapellmeister Graun und Krause, der Berfasser des Werks von der musikalischen Poesie, ferner Karl Wilhelm Ramler. Er war sechs Jahre jünger als Gleim und elf als Kleist. Als fünfzehnjähriger Schüler des Waisenhauses in Halle hatte er bereits den Regierungsantritt Friedrichs in einem umfang-
reichen deutschen Gedichte gefeiert. Frühzeitig hatte es ihn nach Berlin gezogen.
Gleim war eines Tages von Potsdam nach Berlin zu
seinem Berleger gefahren. Da sagte ihm der Buchhändler Rüdiger, daß draußen vor dem Laden ein junger Mensch stände, der ihn gern kennen lernen möchte. Es war Ramler. Gleim nahm sich sofort seiner an, rettete ihn aus großen sittlichen Gefahren und gab ihm freie Wohnung in seinem Absteigequartier. Später brachte er ihn als Hauslehrer zu seinen Berwandten nach Lähme, bis er als Borleser zu dem blinden Herrn du Rosöe in Berlin ging und 1748 Lehrer am Kadettenhause wurde. Er galt dafür, nicht nur unter den Freunden, sondern von allen Autoren die modernste Orthographie zu schreiben und die
meiste Einsicht in die Kriegspoesie zu besiken. In Lähme hatte er Landleben und Feldbau kennen gelernt und so schien er später am
meisten geeignet, die Bearbeitung und Herausgabe von Kleists Frühling zu übernehmen. Außer dem Einflusse Gleims und der Berliner literarischen Freunde war Kleists Schaffenskraft durch eine andere dichterische Tat angeregt worden.
Er schreibt unterm 10. Januar 1748 an
Gleim: „Sie haben doch schon den Messias in den neuen Beiträgen gelesen? Ich bin ganz entzü>t darüber. Miltons Geist hat jich über den Verfasser ausgegossen. Nur schade, daß die Bersart noch toller ist, als die meinige. Nun glaube ich, daß die Deutschen noch was Rechtes in den schönen Wissenschaften mit der Zeit liefern werden; solche Poesie und Hoheit des Geistes war ich mir von keinem Deutschen
KIRIZ 1749 wird er Stabskapitän und im gleichen Jahre kommt der Frühling
vollständig heraus.
Ramler hatte so viel daran herumgeändert,
daß etwas ganz anderes daraus entstanden war und Kleist sich zur
Selbstherausgabe entschloß. Dabei traten wieder Berliner Freunde helfend ein. Die Geheimräte Gause und Buchholz sowie die Hofräte Burgwart und Bergius besorgten auf ihre Kosten die Ausgabe des Frühlings. Auf Anregung Sulzers will ihn Maupertius zum Mitgliede der academie des Sciences ernennen.
Zn einem Brief
an Gleim sagt Kleist dazu: „I< habe mich über alle Gesellschaften und Akademisten immer moquiert so gut wie Sie; meiner Anverwandten zu Haus wegen wäre es mir aber recht lieb, wenn es
geschähe; die haben mir immer vorgeworfen, daß ich soviel gekostet
und noch keinen Heller mit meinem Wissen erworben hätte. Denen könnt ich dann sagen, daß ich mit der Zeit Pension bekäme, welches bei ihnen ein großes Berdienst ist.“ =- Der Dichter ist durc< das
Eintreten seiner Freunde so glüklich, daß er schreibt: „Ach, daß ich doch nur »den Sommer« machen könnte! Wenn ich auch keinen Vorteil davon hätte als Freunde, welch ein Lohn!“ Aus derselben Stimmung heraus meldet er: „Ich kann schon einen ganzen Haufen
geduldiger Freunde beherbergen, ich habe ein ganzes Haus gemiethet, nämlich das Lignorische in der Brandenburgischen Straße, welches Ihnen bekannt sein wird“) In dieser Zeit war auch der junge Lessing nach Berlin ge“ kommen. Hier auf dem Boden eines großen bewegten Lebens, 1) Leider konnte dieses Haus bisher nicht bestimmt werden. Aus dem Potsdamer Grundbuche geht nur hervor, daß Kleist vorübergehend Eigentümer des Hauses Waisenstraße 6 war.
wie es die preußische Hauptstadt bot, wuchs er schnell in seine Mission
hinein. Ramler hatte zuerst die Bekanntschaft mit „Herrn Bossens Zeitungsschreiber Lessing“ im Berliner Buchladen des Herrn Boß (Rüdigers Schwiegersohn und Nachfolger) gemacht und das aufstrebende Talent dem Freundeskreise zugeführt. Hier halfen besonders Nikolai und Mendelssohn den Literaten und Denker Lessing zur Reife zu bringen. Wichtig wurde ihm die Bekanntschaft mit dem Franzosen Richier de Louvain durch die Anregung sich mit der französischen Literatur zu beschäftigen, der dann ein gründliches Studium der spanischen und englischen folgte. Richier de Louvain wurde Sekretär bei Boltaire und zog Lessing als Überseter ver-
schiedener wichtiger Schriftstüke mit heran, besonders in dem Prozesse wegen der ke, welches der König dem Marquis d'Argens angewiesen hatte, der aber zu dieser Zeit in Frankreich weilte. Ein Teil davon ist noch in der heutigen Kneib-
schen Besitzung, Luisenstraße 70, enthalten. Hier arbeitete Lessing einige Tage mit Voltaire. Dabei lernte er den Charakter des Dichters
gründlich kennen, so daß er nach der Entscheidung des Prozesses am 21. Februar 1751 äußerte, Boltaire wäre ein größerer Schelm als der Jude, deshalb hätte er den Prozeß nicht verloren. Daran
knüpft sich die literarische Sage, daß der über dieses Wort gereizte Boltaire Lessings Namen in Le Singe französiert habe. Eine Potsdamer Tradition läßt in der gleichen Gegend auch das Gartenhaus stehen, in dem von Mitte Februar bis Anfang April 1755 Lessings Miß Sara Sampfson entstand. Doch kann diese Annahme auch auf einer Berwechslung mit dem ersten Aufenthalte beruhen. Während dieser Zeit verkehrte er mit niemand aus dem Freundeskreise, selbst nicht mit Ewald v, Kleist. Unterm 2, April
1755 berichtet dieser an Gleim: „Unser Lessing ist 7 Wochen hier in Potsdam gewesen; allein niemand hat ihn gesehen. Er soll hier, verschlossen in ein Gartenhaus eine Comödie gemacht haben“. Nur mit dem etwas beschränkten Faktor der Potsdamer Bossisc gemacht.
Er war auch tatsächlich die Seele des Freund-
Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
"' “1
sck auf die ganze deutsche Literatenfamilie. Auch Bater Gleim förderte das junge Talent. Sein Dienst führte ihn ab und zu nach Berlin; Dabei verfehlte er niemals die Berliner und Potsdamer Freunde aufzusuchen und sich ihrer, wenn es nötig war, fürsorglich anzunehmen:
Ein in braunschweigischen Diensten stehender Offizier hatte ihn in mehr als einer Hinsicht an Kleist erinnert. Er begeisterte ihn für den
preußischen Dienst und brachte ihn durch seine Berbindungen nach Potsdam. Es war Heinrich Wilhelm Stamford. Obwohl er geborener Engländer war, beherrschte er das Deutsche und Französische so vollkommen, daß er imstande war, seine dichterischen Gedanken in hübsche Verse zu kleiden. Gleim regte ihn, wie einst den Helden von Kunersdorf, zur Betätigung seines Talentes an und führte ihn den zahlreichen Berliner und Potsdamer Freunden zu. Was in eigenen Aufzeichnungen Gleims nicht enthalten ist und sich nur durch Tat sachen beweisen läßt, klingt aus den Briefen wieder, welche-Stamford aus Potsdam schreibt. Manfühlt, er sucht in der Weise dort zu leben; wie es einst die Freunde taten. So heißt es: „Böllig so vergnügt bei meinen Schanzkörben und Kanonen bin ich wohl nicht in meinem Potsdam als der ehrliche Asmus ist in seinem Wandsbed bei seinen
Turteltäubchen; indeß bin ich doch hier tausendmal vergnügter als in Halberstadt bei meinem vorigen Herrn, wo ich nichts als Kummer und Berdruß hatte, und ich danke meinem lieben Gott und meinem lieben Gleim täglich, die mich hierher führten in das
prächtige Potsdam. So nenn ich sie auch diese vortreffliche Stadt, welcher der Beiname »die Prächtige« mit vollem Recht: zukommt.
Gnn Tagen gehe ich darin herum, meine Augen zu weiden an den aller-
liebsten Häusern, welche wahre kleine Feen-Paläste sind, an denen man sich
gar nicht müde sieht. =- = =-
Bon Sanssouci,
dem
Neuen Palais und der herrlichen Gegend um Potsdam schweige ich. Sie haben diese Schönheiten der Natur und der Kunst selber gesehen und wissen folglich, wieviel sie durch eine Beschreibung von mir
verlieren würden. Meine Promenaden vor der Stadt führen mich gemeiniglich nach den Babel Bergen; wenn ich von da herab die
um mich liegende.
theuerster Gleim, dann fühl ic am Pochen meines Herzens und an der Thräne, die mir ins Auge steigt, daß Asmus an seiner Elbe nicht jeliger sein kann, als ich an meiner Havel; und wieviel stärker würde ich das nicht fühlen, wenn ich Sie mein Bester hier bey mir hätte ! Aber
ein Glüd, das Ihr Kleist während seines Erdenwallens einst hier genossen, verdient ein Stamford nicht, dieses weiß ich mir wohl zu bescheiden = -=--- “
Getreu der erhaltenen Überlieferung lebte Stamford im Dienste der Musen. und der Freundschaft, trat in Verkehr mit den Berliner Literaten und wurde auch Beschüßer eines aufstrebenden Berliner
Talentes. =- Fnzwischen hatte das Reis, welches Friedrich einst pflanzen hieß, zu blühen angefangen, In Offiziers- und. Bürgerkreisen brachte man den Erzeugnissen der Wissenschaft und der Literatur das größte Interesse entgegen. Nach „Gerlach“ wäre in der Stadt kaum ein Offizier zu finden gewesen, der nicht eine kleine, aus mathematischen und historischen Schriften bestehende Bibliothek besessen hätte; während in den früheren Jahrzehnten das Potsdamer 3Zweiggeschäft der Berliner. Rüdiger-Vossiscs Großvater, heiratete. In der Leinen- und Wollindustrie lagen die Berhältnisse für Potsdam noch am günstigsten, weil die Lieferungen für das Heer von dem Berliner Markt fast unabhängig und die alten Zünfte der Leinweber und Tuchmacher bodenständig waren, ihr Zuwachs an
kleinen Meistern bodenständig wurde.
Die große Leinwandfabrik
für Armeebedarf, aus der die Leineweber ihr Garn beziehen mußten,
gehörte allerdings dem Berliner Lieferanten Kirchner. Amselbständigsten war das Gewerk der Tuchmacher, die in der
Tuchmacherstraße (heute Elisabethstraße) und in der Jäger-Kommunikation (südliche Kaiser-Wilhelm-Straße) saßen und vor dem Jägertor
ihre Tuchrahmen hatten. 'Das Gewerk hatte bedeutenden Umfang. Zu den 35 vorhandenen Meistern hatte Friedrich Wilhelm 1. noch 25 aus Polnisch - Lissa (Leszno) angesiedelt, wo die Lescinskys der
Lieferanten, für die sie arbeiteten, Freytag und Tamm, waren seßhaft in Potsdam, hatten reiche Häuser und angesehene Stellungen. Die Tamimsche, unter Friedrich Wilhelm 11. noch stark vergrößerte spanische Tuchfabrik (für feinere Tuche aus spanischer Wolle) blühte durch drei Generationen der Familie. Wohl lief die Potsdamer Tuchindustrie Gefahr, unter Friedrich 11. von Berlin abhängig zu werden, als die Berliner Fabrikanten verlangten, die Potsdamer sollten ihre Wolle aus dem Berliner Lagerhaus
beziehen, dessen Einkünfte übrigens dem PBotsdamer Großen Militär-
GRRR)33
wie es auch anderwärts geschah (Friedrich Wilhelm 1. hatte seinen „blauen Kindern“ in Potsdam noh derartige Arbeit verboten). Zu leiden hatte die Potsdamer Tuchindustrie am Mangel fließenden Wassers, da die Walkmühlen über der Nuthe am Hakendamm und über der Bäke in Gliene&e nicht ausreichten und bei niedrigem
Wasserstand den Mahlmühlen den Borzug lassen mußten.
Ganz anders lagen die Dinge in der Seidenindustrie, an der Potsdam einen bedeutenden, zum Teil führenden, Anteil erhielt.
Der Seidenstoff eignete sich wegen seiner Kostbarkeit, seiner verhältnismäßig geringen Transportkosten und seiner weiten Berbreitung als Luxusgewebe hervorragend zum Werkzeug der merkantilistischen Politik. Seide wurde nach damaliger Mode nicht nur zur Frauen-, sondern auch zur Männerkleidung, zu Tapeten und
Möbelbezügen in großen Mengen verwendet. Die für Seide nach Holland, Frankreich und Italien wandernden Millionen im eigenen Lande festzuhalten und womöglich zu vermehren, war daher der größten Anstrengungen wert. Und die wurden von den Hohenzollern
gemacht, seit der Große Kurfürst holländische und französische Seidenweber ins Land zog.
Als Friedrich Wilhelm 1. sich dann der Seidenmanufaktur lebhafter annahm, hatte er die erste Potsdamer Neustadt schon fertig gebaut und legte Seidenmanufakturen hinein. Berlin und Potsdam bildeten, namentlich da die Akzise auf das von Berlin nach Potsdam
eingeführte Rohmaterial aufgehoben wurde, den Siß der staatlich bevormundeten Seidenindustrie (im Gegensaß zu der selbständigen in Krefeld), als wären beide Residenzen in dieser Hinsicht eine wirt-
schaftliche Einheit. Auf beide Städte wurden die Aufgaben verteilt. Der Seidenhandel, besonders nach Rußland und Polen, hatte den Siß in Berlin, die Fabrikation in beiden Städten, der Seidenbau der Kurmark und auch nach seiner Ausdehnung auf die
übrigen Provinzen seinen Mittelpunkt in Potsdam.
Besonders
Friedrich der Große, der sich bald die Bearbeitung der Seidensachen im Generaldirektorium persönlich vorbehielt, machte die größten Anstrengungen, auch die Rohseide im Lande zu gewinnen. Doh
ERR3
erbautes Haus am Lustgarten (jezt Oberpräsidium). Er stellte auf Borschlag des Geheimrats Jariges, des Direktors des Französischen
Obergerichts, die Waisenhäuser mit ihren billigen Arbeitskräften
vornehmlich in den Dienst des Seidenbaues und das Potsdamer in
den Brennpunkt. In eigenen Plantagen mußten die über 1000 Knaben Maulbeerbäume und Seidenraupen pflegen. Der Jägerhof (die alte Fasanerie des Großen Kurfürsten) wurde in eine SeidenbauAnstalt verwandelt, in der Kurse für Lehrer, Pastoren und Beamte abgehalten, in der Neuerungen der Technik des Abhaspelns der Kokons, Haspelmaschinen und Zwirnmühlen erprobt wurden. Zeitweise ließen die Berliner Fabrikanten in Potsdam zwirnen. Zu Ende der Regierung Friedrichs des Großen waren im Umkreise von zwei Meilen um Potsdam 20 000 Maulbeerbäume angepflanzt.
Marschall stellte das Potsdamer Waisenfaus auch in den Mittelpunkt. des Bezuges der italienischen und französisen konnte und 1746 das Privileg mit Blume, dem Schwiegervater von
Goßkowsky, und 1765 mit Moses Jsaac teilen mußte. Hirsch, der übrigens in Berlin für seine fertige Ware aus Potsdam keine Nach-
schußakzise zu zahlen brauchte, erbot sich 1732, auch acht Stühle für Seidenzeug in Potsdam gemeinschaftlich mit dem Berliner Schutßzjuden Samuel Bendix zu errichten. So gewann die Seidenindustrie in Potsdam an Ausdehnung. Der Zusammenhang mit der
Berliner Manufaktur zeigt sich besonders darin, daß die Fabrikanten zugleich in Berlin und Potsdam „metiers“ (Webstühle) haben, so Moses Ries (Schwiegersohn des Münzjuden Ephraim), der zum Absatz nach Polen und Ungarn 1749 seine Potsdamer Seidenstühle auf 45 vermehren darf und 1765 die Blumesche Samtfabrik erwirbt. Deren Stühlesoll er bis auf 100 bringen. So Jsrael Marcus und van Halle, die 1785 die Fabrik von den Riesschen Erben über“
nahmen. So Jsrael Bernhard und Israel Benjamin Wulff. Das Samtmonopol hörte 1777 auf.
Bon da ab durfte in Berlin und
Potsdam jeder Fabrikant auf zehn Seidenstühle zwei Samtstühle halten.
Samt war auch in der Mode den glatten Stoffen, wie
Atlas, gros de Tours, Taffet, und den gemusterten Brokatstoffen gewichen. Und Halbseide (mit Baumwolle, Wolle- und Leinen) wurde viel hergestellt. Außer den großen gab es noch fünfzehn kleine Fabriken in Potsdam. Die Bandmanufaktur wurde
gefördert.
Moses Wulff hatte in Charlottenburg und Potsdam
vierzehn Webstühle für Bandmühlen und der Schußjude Aron
Baruch. sechs Stühle in Potsdam zu Samtborten und geblümten Samtbändern für böhmische und andere Bolkstrachten. Eine Zeitlang konnte die Potsdamer Seidenmanufaktur der Berliner fast die Wage halten. So bedeutend war der Potsdamer
Anteil. Aber besonders nach Überwindung der dem Siebenjährigen Kriege folgenden Handelskrise nahm Berlin schnell eine ungleich überragende Stellung ein, wenn auch Potsdam infolge des großen. Aufschwunges der Berliner Seidenindustrie in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts noch eine Bermehrung seiner mötiers zu verzeichnen hatte. Die Berliner Fabrikanten fanden den Betrieb in Potsdam unrentabel, da Löhne und Lebensmittel in Potsdam fast ebenso teuer wie in Berlin, die Verkehrsmittel vor dem Chausseebau schlecht waren, und die Vorteile des Großbetriebes.
sich immer mehr geltend machten. Sie hätten am liebsten die Potsdamer Betriebe ganz nacH Berlin verlegt, wie denn überhaupt in den lezten Regierungsjahren des großen Königs ein starker Zug.
nach Berlin bemerkbar wurde, dessen Zentralisationsbestrebungen gerade in der Seidenindustrie immer stärker wurden. Die Zwirnmühle (moulinage) war schon ganz nach Berlin verlegt worden.
Der König mußte die Fabriken durch Berbote in Potsdam zurüchalten, um seine Treibhauspflanze Potsdam nicht verkümmern zu. lassen. Doch lehnte er 1771 die Errichtung einer Potsdamer Niederlage des Berliner Seidenmagazins als unzwekmäßig ab; die kleinen Fabrikanten sollten in Berlin kaufen. Wer gleichzeitig in Berlin und Potsdam Betriebe hatte, verstärkte den in Berlin, wo er auch wohnte, und vernachlässigte. den in Potsdam. Nur ausnahmsweise gestattete der König die Berlegung von Stühlen nach Berlin, so 1769 der Witwe des Bernhard Isaac die Berlegung von 20 ihrer
kontraktlihen 60 Potsdamer Stühle, so 1776 Zsrael Hirsc< seine 36 metiers für Stoffe in holländischer Art (in Wettbewerb mit Krefeld) mit besonderer Erlaubnis wegen starker Verluste. Auch die Erben von David Hirsch wollten ihre Fabrik nach Berlin verlegen, weil sie dann jährlich 15 000 Tir. an Unkosten ersparten. Aber sie mußten die Fabrik, die 400 Menschen ernährte, in Botsdam lassen und erhielten nur einen hypothekarischen Borschuß von 20 000 Tlrn. Seit mit dem Tode des großen Königs die tatkräftige Förderung
der Potsdamer Manufaktur nachließ, ging Potsdam stark zurück. Trotz alledem nahm die Potsdamer Seidenindustrie an dem großen Aufscerei) im Mädchenhause unterhielt. Erst Friedrich Wilhelm 11. machte 1795 dieser mißbräuchlichen Ausbeutung ein Ende, als die allgemeinen Anschauungen über Waisenhäuser humaner geworden waren. Zu Ende des 18. Jahrhunderts war Potsdam eine recht
ansehnliche Industriestadt, wenn auch hinter ihren Palastfassaden äußerlich nicht als solche kenntlich. Neben 246 Seidenstühlen gingen 122 Wollen-, 94 Leinen- und 374 Baumwollenstühle, von denen
für Leinen und Baumwolle freilich zwei Drittel auf das benachbarte Weberdorf Nowawes entfielen. Über dieses erstre>te sich zwar das Potsdamer Fabrikengeriht der nach Berliner Muster 1771 eingeführten Manufaktur-Kommission, aber wirtschaftlich gehörte die für Berliner Berleger arbeitende Kolonie fast ganz zu Berlin. Der starke Anteil Potsdams an der Berliner Seidenindustrie, mit der die Erziehung der Bevölkerung zu industrieller Arbeit und damit zur künftigen Entwiklung Berlins verbunden war, konnte
nicht ohne dauernde allgemein-wirtschaftliche Folgen bleiben im Sinne starker wirtschaftliher Gewöhnung Potsdams an Berlin, die leicht in Abhängigkeit auszuarten drohte. -
Au die Nahrungsmittelzufuhr der Stadt Potsdam brachte
mancherlei Berührungen und Reibungen mit Berlin.
Solange
Potsdam noh das unbeachtete Städtchen war, konnte es sich aus
dem eigenen Weichbilde und der nächsten Umgebung stelbständig und ohne Not ernähren. Fische konnten sogar an das benachbarte Berlin für dessen steigenden Bedarf abgegeben werden. Teile des Potsdamer großen Garns waren zeitweise in Berliner Händen. Der kurfürstliche Weinberg auf dem Brauhausberg, der den kur“ fürstlichen Keller am Ende der Burgstraße füllte, ermunterte den
nnnn Waren die deutsermark, Schlachtvieh aus Schlesien eingeführt oder in Berlin gekauft. Die Fleischtaxe sollte deshalb de concert mit Berlin sein. Über 150 Brau- und Brennereigerechtigkeiten
der Bürger ermöglichten reichliche Bersorgung mit Branntwein und Bier.
Dieses war damals alkoholarm und, zur Suppe ver-
wendet, ein wichtiges Nahrungsmittel. Die Bornstedter Brauerei (des Militär-Waisenhauses) und die Königsbrauerei für die Garnison sowie die Einfuhr fremder Biere halfen das starke Bedürfnis nach
Bier befriedigen. Mit dem Wachsen der Stadt mußte der Berliner Aufkäuferei Einhalt getan werden. Soldatenweiber und alte Soldaten ver-
teuerten nicht nur durch Hökerei und Aufkäuferei der Lebensmittel die Potsdamer Preise, sondern sie verkauften auch mit Vorliebe die erhöterten Lebensmittel an Berliner Händler. Diese kauften,
besonders während der Kriege, in denen Potsdam seiner großen Garnison beraubt war, große Fischmengen in Potsdam und havel-
95.
abwärts auf. Strenge Berbote und zwangsweise Beschikung des
Potsdamer Marktes sollten hier Abhilfe schaffen.
Der Durchlaß
der Fischtransporte von Brandenburg her, des Obstes von Werder
her, das schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer
Obstkammer Berlins geworden, sollte erst na< Bersorgung des Potsdamer Marktes gestattet sein. Damit hoffte man die Teuerung zu beseitigen, die Berlin mit dem Ansichziehen aller Lebensmittel verursachte. Die enormen Lebensmittelpreise in Potsdam wurden vom König 1763 als ganz excessive bezeichnet.
Aber die Ber-
ordnungen standen meist nur auf dem Papier, ebenso wie die 1776 feierlich erfolgte Festlegung der vier Bannmeilen, die durch die
Städte Lu&enwalde, Treuenbriezen, Brandenburg, Oranienburg und die Domäne Königshorst viel zu weit umgrenzt wurden. Ein so großer Bezirk von fast 36 Quadratmeilen war durch den berittenen
Potsdamer Polizeiinspektor nicht zu überwachen und griff willkürlih in die eigene Bannmeile der angrenzenden Städte ein. Bor allem in das Zufuhrgebiet der Stadt Berlin, deren Über-
macht sich nicht durc< papierene Berordnungen beseitigen ließ. So sind denn die Klagen über die durch die Nähe Berlins verursachte Teuerung und über die den ganzen Nahrungsstand der Stadt
Potsdam ungünstig beeinflussende Nähe von Berlin schon alt und gehen bis in das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts zurü&. Auf den lezten Aufsgang gefolgt. Die Braupfannen und Branntweinblasen standen zum großen Teil leer, um die Wende des Jahrhunderts 120 von den 150! Die Hof-
haltung kam auch nicht in dem erhofften Maße der Potsdamer
Bürgerschaft zugute.
Der Königliche Küchenwagen fuhr schon in
der Mitte des 18. Jahrhunderts täglich zwischen Potsdam und Berlin. Und zu Ende des Jahrhunderts durften viele Angehörige des Hofstaates nach Berlin ziehen. Die Nähe Berlins machte sich mit der Verbesserung des Berkehrs immer fühlbarer. Am frühesten hatte er sich wohl auf dem Wasser
abgespielt. Der Wassertransport kam für Massengüter wie Getreide und vor allem Baumaterialien allein in Frage und war für Schiffer
und Kähne haltende Bürger ein lohnender Erwerbszweig. Erst verhältnismäßig spät (1773) wurden sie zu einer Bauschiffahrtsgilde vereinigt. Der Stükgüterverkehr wurde auch zu Wasser besorgt und 1739 drei Potsdamer Bürgern als Privileg auf Jahrespacht
überlassen. Diese „privative Wasserfahrt für Meubles“ und andere Waren mußte naturgemäß die wirtschaftlichen Beziehungen Potsdams zu Berlin enger gestalten. Der billige Wassertransport ließ den Potsdamer Händler seine Waren aus Berlin beziehen, so daß sich selbständige größere Handelshäuser in Potsdam nicht gründen konnten. Der Geldverkehr war ebenfalls in Berliner: Händen.
(Heute werden Massengüter auch noe zu ab. Dadrauf decampiren Deine Schwestern?) (shweige darüber! =- wollen mich
auch dazu bereden) mit ihren Kindern ins Malzimmer, Auguste mit der Schatulle unter dem Arm. J< blieb auf dem Fenster siken. Heinrich?) war auch da.
Nunhört manin der Entfernung manchmal schießen. In unsern Straßen und dem Tiergarten fielen Geschichten vor, und immer fürchtet man, die Kanonen würden auf die unruhigen Bürger abgeschossen werden. Nachmittags kommt die Nachricht, die mir der Kastellan shon am Morgen mit Zittern gesagt hatte, wie die erste Kanone losging, sie?) würden das Schloß als Zitadelle ansehen und aus den Fenstern schießen. Mein Traum und meine ehemaligen Ahnungen! Deine Schwestern konnte nichts bewegen, darin zu bleiben. Sie blieben mit ihren Kindern zusammen bei Mimi*), wo Heinrich auch schlief. I< beredete mich mit mehreren, daß es besser sei zu bleiben und das verlassene Schloß nicht dem auszuseßen, was man vermutete und so viel leichter geschehen sein würde im Fall des nächtlichen Angriffs, den man für unvermeidlich hielt. Le Coqs) kam zu mir, fand es auch gut und versprach, mich avertieren zu lassen, wenn er es für besser finden würde, daß ich ging. Wagen blieben
angespannt. 1) Prinzessin Auguste.
2) Auguste und Wilhelmine, =- Prinzessin W., geb. 1774, verm. 1791 mit
dem Erbprinzen, seit 1815 König Wilhelm 1. der Niederlande, | 18537. 3) Prinz Heinrich, Sohn König Friedrich Wilhelms 11., geb. 1781, 1846 in Rom«
9) Die Franzosen. 5) Prinzessin Wilhelmine; Palais“ Unter den Linden,
sie wohnte im sogenannten „Niederländischen
s) Le Coq, Ludwig Daniel, preußischer Staatsrat und Polizeipräsident
von Berlin,
Enn]3 Da sien wir nun. Manverspricht uns sicher eine ruhige Nacht,
[an] die auch glaube unter diesen Umständen. Es war einfältig angefangen von den Russen. Sie gestehen es selbst. Sie rechneten
auf die Bürger. Aber wie konnten die was tün, wenn sie nicht
wenigstens mit allen ihren Kosaken hereinkamen. Aber sv warens wohl kaum 50 Mann. Gott weiß nun, wie es ablaufen wird, kriegen
die Russen Verstärkung. Augereau verspricht zwar, kein Gefecht mehr in der Stadt zu liefern.
Sage doch Bruder Louis?) : „Nous avons fait une belle affaire =- une belle defense“ wenigstens; gestern sagte er*) zu Graf Golt*)
und Le Coq, es solle die Stadt in Flammenaufgehen; er ergebe sich nicht; Gott behüte uns und die Stadt in dieser und [den] folgenden
Nächten. Es ist eine sonderbare Lage. Wenn Du den Brief bekommst,
wird ihr Schiksal schon entschieden sein. Die Portefeuilles habe ich
herausgeholt. Heinrich wollte erst heute herumreiten; er ließ es und schrieb dafür an Augereau. Adio! Gut Nacht, mein Lieber! I< bin in rechter Anspannung. Wüßte man doch schon, wie das enden wird! I< küsse Dich in Gedanken. Marianne.
Ih habe überall doppelte Wachen, Invaliden und Bürger.
Noch ist Auguste nicht wieder zurük aufs Schloß. !) Poinsot, französischer General. 2?) Prinz Ludwig von Hessen-Homburg, Bruder der Prinzessin Marianne, + 1839.
3) Augereau. !) Golh, Graf August Friedr. Ferd, v. d., preußischer Minister der Auswärtigen Angelegenheiten, 1813 Vorsizender der Ober-Regierungskommission, + 1832,
5
I
Berlin, den 2. März 1813, Nachmittag. . „Unser Belagerungszustand dauert fort.
Man kann nicht
aus der Stadt fahren, was doch so nötig wäre bei der schlechten Luft darin. Man muß überall räuchern gegen die Nervenfieber. Bor den Toren sind beständig die Kosaken; nur vier sind geöffnet, aber nur auf einige Stunden des Tages der Arbeiter halben und um die Toten zu begraben. In den ersten Tagen konnte man das nicht einmal, und die Särge standen auf den Plätzen vor den Toren. Diese Woche noc< vermutet man den Einmarsch der Russen. Gott gebe, daß es ohne Blutvergießen abgehen möchte. Das wird aber nicht sein können. Bor den Toren sind täglich Scharmügel, wo viele dabei bleiben. Der Bizekönig?) ist in Schöneberg und nimmt keine Notiz von uns.... 4
+
Berlin,.den- 3. „März, 1813: . .Die Russen sind da, die Franzosen fort. Das war, das ist ein Jubel in dieser Stadt! Es ist recht ergreifend !. . . Auf dem Balkon
in Deiner Mutter Zimmer sah im mit Auguste den Einzug. Wilhelm Adalbert ist ganz außer sich übers Hurra, daß er mir immer vor
Lachen und Freude das Gesicht zerkraßt. Schon seit 7 Uhr sieht er's mit an, wo ich gewe>t wurde. Der erste von den Kosaken, der jekt
im Schloßhof mit ihnen hält, war Major Bo>. Der kam gleich herauf. Der Mensc< war ganz außer sich vor Glük und Sieg.
Biele Ge-
fangene bringen sie ein.... 2 Upr. Eben kam die Infanterie. Jc zu mildern. Und doch möchte ich alle meine Umgebungen in den Zimmern gern retten, um die wenigstens noch zu 145: haben aus der alten Zeit, wenn ich die Zimmer vielleicht ausgebrannt wieder finden würde. Im Falle der Flucht gehe ich am liebsten nach Breslau, lieber als
nach Pommern. Glaube übrigensnicht, daßich inUnruhe bin. Leopolds?) Tod hat mich ganz ruhig gemacht--auf ewig, für alle Händel dieser Welt. 1!) Schlacht bei Großgörschen, 2. Mai 1813.
2) Ney, Michel, französisct. Morgen früh werde ich Deine Papiere besorgen. Die Bilder lasse ic 18. durch Wach?) alle rollen, weil es weniger Platz nimmt. Was nicht mit kann, rette ich zur Prinzessin Ferdinand), die allein hier bleibt.
| Ich war auch den Abend noch in unserm Hospital. Das ist auch sclich, die Unglü>lichen zu transportieren und alle die Bereins-
sahen und Rechnungsbücher. Kommen bessere Nachrichten, so bleibe ich gewiß -so lang ich kann und schie die Sachen einstweilen fort. Kommen sie, die Feinde, so wird gewiß gesengt, gebrannt und geplündert. Eine fürchterliche Erwartung für alle die Armen, die dableiben, den Landsturm und die Landwehr. Gott, es ist eine Zeit, wie wenn der jüngste Tag kommt. Alle Bande sind los, und es geschehen nur Greuel und Unglü.... 19.
Berlin, den 14. Mai 18153. Es geht schon auf 12, also nur die paar Worte heut noh, um Dir zu sagen, daß ich noch hier bin und, wenn das Gewitter vorbeizieht, lieber hierbleiben will, erstlich um der Kosten willen, dann um der
Bürger willen, die alle auf mich rechnen. 1) Malzahn, Friedr. Burchardt Freiherr v., Hofmarschall des Prinzen Wilhelm des Ältern.
2) Wach, Karl Wilh., Maler, + 1845, 3) Luise, geborene Markgräfin von Brandenburg-Schwedt, geb, 1738, | 1820.
EIRIT]3 Alle Deine Papiere hab ich versiegelt; alles ist eingepat.
Ich sitze in einer öden Stube. Die Pa>wagen gehen fort, wenn alles fertig ist, zu mehrerer Sicherheit... .. Das Einpadken erinnert mich recht an 1806. Das Corps von Blücher bekommt eine MengeCharpie und Bandagen vom Frauenverein... .
Frankfurt a. O., den 18. Mai 18153 (Dienstag).
Hier bin ich denn wirklich hergesprengt worden, mein lieber
Wilhelm.
Gestern langte ic an. Es waren am Sonntag so üble
Nachrichten gekommen wegen Torgau und auch wegen Dessau. Bülow?) glaubte, sich nicht mehr halten zu können. Kurz, das Gouvernement wollte uns fort haben. Die Menschen in Berlin waren trostlos, weil sie keine Nachrichten zu hören bekommen. Es wäre gewiß besser gewesen, niemand wäre geflüchtet. Der Landsturm ist so wütend, daß viele Menschen 2 insultiert worden sind; denn es hieß: die Bornehmen und die Reichen gehen, und wir sollen mit
unserm Leben ihre Häuser verteidigen. Höchst unrecht, muß ich sagen, finde ich es auch, daß Männer gehen. Weiber, das ist was anderes. Alle jene sollten sich schämen, zu den Toren hinauszufahren, wo sie
ihresgleichen alle bewaffnet stehen sehen. Kriegerisch sah es aus auf der Landstraße gestern. Überall Lager von Landwehr und Landsturm. Heut wurden sie auch hier zusammengetrommelt und standen in den Straßen. Sicher wäre es besser gewesen, in Berlin zu bleiben und die
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Menschen dadurch ruhiger und zufriedener zu erhalten. Wäre ich nur wieder dort in Ruhe!3)...
1) Weber, Bernhard Anselm, Kapellmeister des Nationaltheaters in Berlin, +1821. 2) Bülow, Friedr. Wilhelm Freiherr v., Graf v. Dennewiß, preußischer General, + 1816. 3) Am 14, Juni kehrte die Prinzessin wieder nach Berlin zurück.
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Vom Köllnischen Gymnasium.
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Neues aus den alten Leges und Programmen
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des 17. Jahrhunderts.
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Bon Hermann Gilow.
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Ne rerum alienarum Sectator, proximarum autem incuriosus videar, lübet ea paullulum
tangere, quae ad celeberrimi huius Gymnasii historiam faciunt.
G. G. Küster, Memor. Colon, 1724, S. 6.
17 -manns handschriftlicher Chronik von Kölln unmittelbar neben der Petrikirche, auf der Südseite des jezigen Petriplates, mit dem Eingang vom Kirchhofe. Die Lage des Schulhauses, eines alten Gebäudes von zwei Sto>werken, wird uns nur noch durch die eine mit 5 bezeichnete Wand auf dem von Reinbek seiner Beschreibung des Brandes der Petrikirche 1730
beigegebenen und diesem Aufsatß eingefügten Bilde der Brandstätte veranschaulicht. Seit 1695 gehörte auch das der Schule
vermachte Wippertsche Haus dazu. Es war am 29. Mai 1730, abends 1/,10 Uhr, da schlug der Bliß in den eben neu erbauten Kirkerbau und den Handel darstellen, beschüßend. Hamburg und Bremen, Amerika
und England, Deutschland und Frankreich, die Schweiz, Italien und Rußland sind an den einzelnen Seiten des Gebäudes in besonderen
Gruppen abgebildet, und zwischen ihnen Statuen, welche die
einzelnen preußischen Provinzen versinnbildlichen.
Sämtliche
Bildhauerarbeiten sind in rotem Sandstein ausgeführt. Außer den beiden großen Sälen für den eigentlichen Geschäftsverkehr sind noch
KIRIGZT41 zahlreiche Räume für Sitßungszweke, für das Sekretariat, die Bibliothek, die Presse, die Post vorgesehen. Auch Restaurationsräume fehlen nicht. In diesen Räumen, die nunmehr auf ein halbes Jahrhundert
zurübli>en, hat sich Deutschlands Aufsteigen zur wirtschaftlichen Weltmacht widergespiegelt.
Die Bedeutung der Berliner
Börse als Spiegelbild des nationalen wie internationalen Wirtschaftslebens hat zwar in neuerer Zeit durch die Ausbreitung der
Berliner Großbanken Einbuße erlitten. Durch das weitverzweigte Netz ihrer Filialen und Depositenkassen machen sie einen nicht unbeträchtlihen Teil der Geschäfte in sid. Aber einerseits ist auch der verbleibende Teil noch immer recht umfangreich, und anderseits sind es ja nicht nur die Großbanken, die an der Börse
Geschäfte abwi>eln, sondern daneben noch eine stattliche Zabl kleinerer Banken und Firmen und Einzelpersonen. Überdies handelt es sich an der Börse nicht nur um Effektengeschäfte; auch der Berkehr in in- und ausländischen Wechseln, in den verschiedenen Geld-
sorten usw. nimmt einen großen Raum ein. Dies alles betrifft im übrigen nur die Fondsbörse; daneben vollzieht sich an der Produkten-
börse tagtäglich ein reges Geschäft. Heute wie früher ist man gewohnt, in der Börje das Wirt-
schaftsbarometer zu sehen.
Den täglichen Kurszettel, Berichte
über den Berlauf der Berliner Börse findet man fast in jedem
Lokalblatt. Auch heute noch heißt es, die Börse hat eine feine Witterung. Alle wichtigeren Nachrichten und Ereignisse, seien sie politischer oder wirtschaftlicher Natur, finden hier ihren Widerhall; das Auf und Nieder der Konjunktur, bemerkenswerte Borgänge auf einzelnen Gebieten, Borkommnisse bei einzelnen Gesellschaften äußern sich sofort in der allgemeinen Börsentendenz, in der Bewegung der Kurse. Umfaßt doch der heutige Kurszettel der Berliner Börse mit seinen mehr als 2500 Papieren fast alle Gebiete der Volkswirtschaft: Schuldverschreibungen der Staaten, Städte und Korporationen, Pfandbriefe und Eisenbahnobligationen, Aktien der Banken und Industriegesellschaften aller Art.
Interessant und für die Entwiklung der Berliner Börse überaus e 3. B. der Monumenta Hungariae historica Acta extera T. 111 (1876) oder auf Angaben italienischer Chroniken stüßte. Man wird bezüglich der lekteren mit Hilfe von Muratoris Annalen bzw. Cipolla, Storia delle Signorie Italiane dal 1330 al 1530 Milano 1881 leicht nachkommen können.
Diese italienischen Interessen stammten von seiner Zugehörigkeit zum Hause Anjou, dieser Nebenlinie des französischen Königshauses, welche sich in den Jahren 1266-68 auf Kosten der Staufer in Unteritalien festgesetzt hatte. Ein Urenkel Karls von Anjou, Karl Robert, der durch seine Großmutter von dem früheren unga-
rischen Königsgeschlehte der Arpaden stammte, begründete zu Anfang des 14. Jahrhunderts die ungarische Linie der Anjous. Seine Söhne waren Ludwig, der Schreiber unseres Briefes, und Andreas, der unglüklihe Gatte Johannas 1, der Erbtochter des unteritalischen Königreichs. Sie wurde im Jahre 1345 mitschuldig an Andreas' Ermordung, und so erhielt König Ludwig Anlaß, als Rächer des ermordeten Bruders das Königreich Neapel für sich zu
fordern.
Auf zwei Feldzügen hat er seine Eroberung betrieben,
aber nicht zum wenigsten stand ihm der Wille der römischen Kurie entgegen, das unteritaliscken!
Welche Interessen hatte Ludwig in Deutschland? Namentlich von Rudolf 1V. von Österreich wurde einmal (1359) die Erhebung Ludwigs zum Gegenkönig wider Karl 1V. geplant, und wieder waren 1362 Rudolf und Ludwig zum Sturze Karls verschworen.
Man wird freilich feststellen dürfen, daß zur Einmischung Ludwigs in deutsche Angelegenheiten die Aufforderung in der Regel an ihn herangetreten ist, daß die Berbindung mit ihm von den nachbarlichen Mächten Böhmen und Österreich gesucht wurde, und zwar im Wett-
eifer, durch Heiratsvertrag bzw. Erbeinigung für künftige Erledigung des ungarischen Thrones das nächste Anrecht zu erwerben. Ludwig war und blieb ohne Söhne. Er mußte lange Zeit in einer Nichte die Erbin seiner Krone sehen und später wurden ihm nur Töchter geboren.
So war dem „Eheschacher“, wie ihn vor allem Karl 1V.
Unermüdlich betrieben hat, reichlich Raum geboten, und früh hat sich
KennzI hoben wurden, da hat Ludwig, persönlich von den Österreichern
gekränkt, von neuen Räten umgeben, die ihren Borgängern nicht
ebenbürtig waren, seit 1367 eine Politik unternommen, die in hohem Grade das Gepräge der Unstetigkeit trägt.?) Er hatsich mit der dritten in sichtlichem Niedergang begriffenen deutschen Macht, mit den Wittelsbachern verbunden, in Wahrheit, da die Nachkommenschaft Raiser Ludwigs des Bayern in stetem Familienhader lag, nur mit den bayerischen Herzögen. Durch die Bereinigung Tirols mit
Österreich fühlten sie sich in dem Maße geschädigt, daß sie gemeinsam
Krieg mit Ludwig von Ungarn wider die Habsburger planten, aber im entscheidenden Augenbli>ke (Herbst 1368) blieb Ludwig in
kriegerischer Berfolgung ungarischer Staatsinteressen gegen die Bulgaren ihnen die Hilfe schuldig, und auch eine neue Berbindung Ludwigs mit fast allen Wittelsbachern vom September 1369, die sich am meisten gegen den Berbündeten der Habsburger, gegen Kaiser Karl
richtete, führte nicht zum Krieg. Karl hatte die Eifersucht der Wittelsbacher und so mancher anderer Fürsten gegen sich großgezogen durch die rastlose Erwerbspolitik, mittels deren er den Landbesitz
der Krone Böhmen auf Kosten ihrer Machtstellung vermehrte. Daß er (1368) die Niederlausitz und die Länder Schweidnitz und
Jauer gewonnen hatte, daß er jekt, sogar über den Erbvertrag mit Markgraf Otto hinaus, schon bei Ottos Lebzeiten die Mark Brandenburg an sich zu reißen trachtete, bedeutete, wenn auch dies gelang, eine starke Machtvermehrung des Hauses Luxemburg, aber diese 1) Emil Werunsky, Gesch. Kaiser Karls 1V. und seiner Zeit. 111. (1355 bis 1368), Innsbru> 1892 nimmt mit gutem Grund S. 372 an, daß das Bersprechen
ausgiebiger Kriegshilfe für die Reichsheerfahrt nach Italien, welches Herzog Albrecht 111. im Oktober 1367 zu Wien dem Kaiser gab, den Ungarkönig, der in
Oberitalien stets größeren Einfluß haben wollte als der Kaiser, so sehr verdroß, daß er gleich darauf das Bündnis mit den Wittelsbachern knüpfte. =- Auch in den folgenden
Jahren ist die Eifersucht Ludwigs auf Karl auf Grund seiner italienischen Interessen deutlich erkennbar, sie mag ihm den wesentlichen Antrieb zu dem Bündnis von 1369
gegeben haben.
KIRI141[ Borschiebung des böhmischen Länderbesizes nach Osten und Norden
berührte die Interessen Ungarns im Grunde recht wenig, und ein eigenes, zu kriegerischem Eingreifen reizendes, Interesse an den Erfolgen des vielgliedrigen Fürstenbundes wider Karl IV. gewann Ludwig docherst, als er gegen Ende des Jahres 1370 mit der unga-
rischen die Krone des Königreichs Polen vereinigt hatte.
Bon
seinem neuen Standpunkt aus mußte ihm eine Zusammenballung j|v vielfältiger Herrschaftsgebiete an den Süd- und Ostgrenzen Polens als eine Gefahr erscheinen. Ludwig erbte Polen als
Scwestersohn König Kasimirs, der keine männlichen Nachkommen
hinterließ. Man hat gemeint (Th. Lindner), daß den Absichten Karls auf die Mark Brandenburg wirksamerer Widerstand geleistet worden wäre, wenn Kasimir von Polen am Leben geblieben wäre -- er hätte wohl
unmittelbar in Brandenburg eingegriffen, aber der friedfertige Kasimir war erheblich älter als Ludwig, er hat vor seinem Tode
monatelang gekränkelt und hatte sich im lezten Jahre vom Kaiser troß dessen Absichten auf Brandenburg im Gegensaß zu Ludwig umwerben lassen. Und der Einfall in Mähren, welchen Ludwig im August 1371 mit ungeheuren Berwüstungen des Landes ausführen ließ, tat durchaus seine Wirkung. Karl, der im Juli selbst mit einem Heere in die Mark gezogen war, mußte Ende August seine dortigen Erfolge in Stich lassen und zum Schutz seiner Lande nach Böhmen
zurükkehren. König Ludwig hatte sein Eingreifen wohl vorbereitet gehabt, er hatte sich im Frühjahr 1371 mit den bayerischen Herzögen ausdrücklich in Sachen der Mark Brandenburg gegen Karl verbündet,
und Truß, vorbehaltich besonderer Abrede. er hatte sich am 13. April mit dem Erzbischof von Salzburg zu Schuß
dann rechtzeitig getroffen und wirksam wurde, vereinigt. Er war dann auch gesonnen, die Waffen nicht vor der Zeit niederzulegen: obwohl die Wittelsbacher und andere Glieder der Liga bereits im
Oktober 1371 mit dem Kaiser einen Stillstand auf 1k/, Jahre geschlossen und auf eigene Hand König Ludwig darein aufgenommen hatten, wollte er im Jahre 1372 einen neuen Krieg gegen Karl unternehmen.
Da hat der Kaiser seine diplomatischen Künste spielen lassen, um ihn, das mächtigste Glied der Liga, von ihr abzuziehen, er kam dem
ungarischen König Anfang 1372 mit Friedensangeboten entgegen und schlug üblicherweise ein Heiratshbündnis vor.
Und wirklich ist
Ludwig darauf eingegangen, seine zweitgeborene Tochter Maria
GER IST
daran ihn beunruhigt hat, nachdem er schon 1368 die Wittelsbacher
vergeblich hatte auf seine Hilfe warten lassen, ist begreiflich, anderseits gestattete ihm die Berufung auf jene Berpflichtungen, eine Zeit
lang eine mittlere Linie einzunehmen. Indessen es entsprach den
Neigungen des schnell entschlossenen aber auch leicht abspringenden Herrschers?) durchaus nicht, sich aufs Ungewisse den Wittelsbachern Jahr und Tag zur Berfügung zu halten, nachdem sie die Entscheidung ihres Zerwürfnisses mit dem Kaiser bis in das Frühjahr 13753 ver-
tagt hatten. Drängten doch vielfältige Aufgaben, die dem ungarischen Staatsinteresse und den persönlichen Interessen Ludwigs weit näher lagen als die brandenburgische Frage an ihn heran: Unterstüßung des Herrn von Padua Franz von Carrara, seines alten Berbündeten gegen Benedig, in nachbarliher Fehde, die im
Dezember 1371 ihren Anfang nahm, Unterstüzung des Herrn von Modena und Ferrara Nikolaus von Este gegen Bernabo Bisconti,
den Tyrannen von Mailand, der den soeben (Nov. 1370) mit der Liga seiner Gegner geschlossenen Frieden im Mai 1371 brach, um eben Nikolaus von Este, ein Glied dieser Liga, zu bekämpfen, und
endlich Krieg gegen den Türken. Dazu kam, daß Papst Gregor X].
mancherlei Wünsche für die Betätigung Ludwigs hatte. Er hat seit 1371 lebhaft begehrt, daß Ludwig gegen Bernabo, daß er gegen die Türken ins Feld ziehe, daß er den Streit zwischen dem Herrn von Padua und der Republik Benedig beilegen helfe; der Papst
wünschte Frieden zwischen König Ludwig und dem Kaiser, wünschte die brandenburgische Frage zugunsten Karls gelöst zu sehen, damit nicht aus ihr doch noch ein großer Kriegsbrand entstehe, und dank dem hohen diplomatischen Geschi, mit dem Karl die Liga seiner Gegner aufzulösen verstand, indem er Glied für Glied in friedlicher Unterhandlung gewann, dank der Abneigung Ludwigs, sich tiefer DAM 1) Bgl. die hübsche Charakteristik Ludwigs bei Matteo Villani Cronica 1. 6 cap.
67. Die Darstellung reicht bis auf 1363, das Todesjahr des Verfassers.
in die deutschen Händel einzulassen, hat sich die Berbindung Ludwigs mit den Wittelsbachern, deren er überdrüssig geworden war, nach langwierigen Berhandlungen, die sich bis in den Oktober 1372
ergebnislos hinzogen, tatsächlich gelöst. Im Frühjahr 1373 kündigte jich ein freundliches Berhältnis zwischen Ludwig und Karl an, das dann bis zum Tode Karls andauerte.
Mit dieser Schwenkung
entsprach Ludwig den Wünschen des Papstes, aber als Gregor Xl. darauf bestand, daß er den ihm gegen Bernabo Bisconti bewilligten
Zehnten nicht zum Türkenkrieg verwenden dürfe, ließ Ludwig sowohl gegen den Mailändischen Tyrannen als gegen die Türken das Schwert in der Scheide. Der Kampf der gegen Bernabö gerichteten Liga sce aus: Registrum litterarum Nicolai marchionis Estensis fol. 66a
im Staatsarchiv zu Modena.
Beilage 3. Copia litterarum missarum
Raymondino de Lupis.
per d. imperatorem
domino
(Prag, 19. Mai 1375).
SHE
Karolus quartus Divina favente clementia Romanorum imperator Semper Augustus et Boemie rex. Fidelis dilecte. Litteras Super nonnullis necessitatibus tuis, quas Cesareo culmini destinasti, perlegimus et Super contentis
in eis, postquam volente Deo ad partes Lombardie veniremus, benigno favore curabimus providere, Sciens, quod cum SerenissSimis Romanorum imperatrice consorte, rege Boemie et ceteris nostris liberis per Dei gratiam Sani Sumus quodque in principatu marchie Brandiburgensis et partibus circumvicinis ibidem cum principum nostrorum consilio re publica Sicut decet disposita, certa promotione dicti filii nostri regis Boemie, necesSariam Solicitudinem
apponemus, desiderantes, quatinus de Sstatu illarum partium cures nos tuis litteris 'Sepius informare,
Datum Prage die XVIIII Maii regnorum nostrorum anno
XXVIII11, Imperii vero XXI, Aus:
Registrum litterarum Nicolai marchionis Estensis fol. 1354 im
Staatsarchiv zu Modena.
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Aus dem literarischen Nachlasse
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Bon Eberhard Meyer.
I. Ein Brief E. T. A. Hoffmanns.
urc< weitläufige Berwandtschaft mit der Familie des Dichters Karl Immermann gelangte ich vor mehreren
er Jahren durch Erbschaft. in den Besiß einiger Schriftstücke aus dem literarischen Nachlaß des Dichters. Neben dem Manuskripte der Fränkischen Reise, die Immermann im September und Oktober des Jahres 1837 unternommen hatte, und die er der Frau Gräfin v. Ahlefeld?) mit einer höchst eigenartigen
Widmung verehrt hat, befindet sich unter diesen Schriftstü>ken ein Brief E. T. A. Hoffmanns, der zu den interessantesten und wichtigsten gehört, welche uns der Dichter hinterlassen hat. Dieses Schreiben ist, wie aus dem Schlusse hervorgeht, und wie auch ein eigenhändiger Bermerk IJmmermanns besagt, an seinen Freund Kunz in Bamberg gerichtet. Der Brief trägt zwar kein Datum, aber aus dem Inhalte läßt sich unzweifelhaft feststellen, daß er aus der lezten Septemberwoche oder den ersten Tagen des Oktober 1814 stammt. Ex ist also in den Tagen entstanden, in denen das Leben Hoffmanns eine entscheidende Wendung nahm. Hoffmann war des vieljährigen Nomadenlebens müde nach Berlin zurü&kgekehrt und hatte „im Bureau des Justiz Ministers und zugleich im Kammer Gericht“ wieder eine Anstellung im preußischen Justizdienste gefunden, den er
nach dem Zusammenbruche Preußens 1806 hatte verlassen müssen. Obwohl dieser Brief schon wiederholt abgedru>t worden ist und noch jüngst im Jahrgang 1914 des vom Verein für die Geschichte Berlins herausgegebenen Berliner Kalenders von Friedrich Holke
Gegenstand einer interessanten Abhandlung gewesen ist, so bin ich dem an mich herangetretenen Wunsche, dieses für die Lebens1) Diese von ihrem Gatten, dem bekannten General Adolf v. Lüßow, geschiedene Dame hatte mit Immermann bis zu seiner Berheiratung mit Marianne Niemeyer (1839) in einer Art Seelenfreundschaft in Düsseldorf gelebt.
geschichte Hoffmanns : so wichtige Schriftstü>k der Öffentlichkeit faksimiliert zugänglich zu machen, sehr gern nachgekommen. Werden doch durch eine Herausgabe in dieser Form auch die Zweifel zer-
streut, welche eine ungenaue Wiedergabe dieses Briefes bisher aufkommen ließen. JZnsbesondere bedarf hier die von Friedrich Holtze im Berliner Kalender gemachte Bemerkung über den „Professor Moretto“ der Richtigstellung. Winterfeldt ist nach dem Schreiben Hoffmanns tatsächlich als „Professor Moretto“ nicht als Assessor vorgestellt worden. II. Hoffmanns Porträt. Bon E, T. A. Hoffmann sind uns eine Reihe von Briefen erhalten geblieben, denen er am Schlusse mit wenigen e“ ahnen.
Troßdem ist aber auch dieses Bild als das „einzige Hoffmanns nach dem Leben“ unendlich oft nachgebildet worden, aber auch hier wieder haben die Zeichner ihre eigene Phantasie frei walten lassen, wobei dann das süßliche Lächeln nur gar zu oft einen dämonischen
Zug angenommen hat, der auf die hohe Begabung des Dichters
hinweisen sollte. Daß diese Absicht jedoch hierdurch nicht erreicht werden konnte, läßt sich unter anderem auf dem bekannten Ölgemälde in der Weinstube von Lutter & Wegner in Berlin leicht feststellen. Wie diese kleine Skizze zeigen soll, gibt uns also weder die
„Originalzeichnung“ Hoffmanns, noch das Bild Hensels „nach dem Leben“ eine wahre Borstellung von den ZJmmermanns Worten „in einem Sprunge humoristischer Laune an seinen Freund Kunz in Bamberg geschi>t
hat“. Zwar ist auch diese Zeichnung schon des öfteren reproduziert worden, aber, da die Wiedergabe in höchst oberflächlicher und flüchtiger Weise geschah (vgl. „Der Bär“, Jhrg. XV1, 1890, S. 465), fand das Bild nicht die Beachtung, welche es verdient. Hierzu mag wohl auch der
Umstand mit beigetragen haben, daß die humorvolle Zergliederung des Gesichtes in seine einzelnen Teile und deren Bezeichnung durch kleine Buchstaben, die die ironische Art Hoffmanns so recht zum Durchbruch kommen läßt, die Bermutung nicht wachrief, daß uns der
Dichter in dieser Zeichnung ein lebenswahres Selbstbildnis hinterlassen hat. Ein Bergleich jedoch wird überzeugend dartun, daß wir bier wirklich ein Porträt Hoffmanns vor Augen haben, welches in markanten Zügen die ganze Größe und hohe Begabung des Dichters
in hellstem Lichte erscheinen läßt. Allen Freunden Hoffmanns hoffe ich daher eine Freude zu bereiten, wenn ich dieses Bildnis unseres Dichters hier in naturgetreuer Reproduktion bekanntgebe. 1) Zuerst auf Beranlassung Immermanns reproduziert nach einer Radierung von Sonderland in Düsseldorf (v. Müller „Hoffmanns Briefwechsel“ 2, Bd., 2. Heft, S. 249). 90%
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Berliner Hof und Gesellsen, um diese
Bekanntmachung zu lesen. Mit Hurra wurde sie begrüßt und selbst den eingefleischtesten Philistern, deren Lieblingsspruch sonst war: „Rube ist die erste Bürgerpflicht“, sah man eine ungewöhnliche Erregtheit an. Es gab sich eine Begeisterung kund, wie sie wohl noch selten im preußischen Herzen entflammt gewesen. Aber doch klang durch die laute Begeisterungsfreude manch heimlicher Seufzer. Den Familienvätern erschien die Nähe des
Feindes gefahrdrohend für die Hauptstadt. Während die jüngere Generation kampfesmutig eine Niederlage für unmöglich hielt, jekten jene eine solcke aufs Repertoir geseht, um die Stimmung zu paralysieren. Recht gut erinnere ich mich, daß ich jene Nacht vor der Schlacht s auf das meinige auch gemacht haben mag. Ein
kleiner Trupp barfüßiger Berliner Gamins -- Straßenjungen nannte man sie dazumal -- lief mit Hurra der Gegend des Halleschen Tores
zu. Diese Populationsforte mußte, wie jeht, auch zu jener Zeit schon überall „dabei sein“. Dies geschah etwa um 4 Uhr nachmittags. Bon da an kamen wir Berliner eigentlich nicht mehr recht zur
Besinnung. Auf den Straßen lief alles durcheinander, zu den Fenstern hinaus fragten die Bewohner die Borübergehenden nach Neuigkeiten.
Biele waren nach dem Tempelhofer Berg hinaus-
gewandert und erzählten, von dort zurükkehrend, von Rauch und Dampf, den sie nach Großbeeren zu gesehen -- das Dorf brannte wirklich =-, von Kanonendonner, den sie gehört. Den letteren
genossen wir auch in der Stadt. Es regnete, und der Himmel schaute düster auf uns zwischen Angst und Hoffnung schwebende Berliner nieder, Gegen 7 Uhr ging ich ins Theater. Es waren mehr Leute darin, wie man hätte vermuten sollen. Nur Damen fehlten. Man hatte sich =- wie auch das fortwährende Aus- und Eingehen bewies =-
eigentlich dort nur zusammengefunden, um sich gegeneinander aus-
zusprechen. Und doch wurde noch jede patriotische Beziehung, die in der „Deutschen Hausfrau“ vorkam, lebhaft beklatscht. Die Bethmann, die die Hauptrolle gab, wußte so etwas auch mit dem gehörigen Nachdru> hervorzuheben. Auch den andern Mitspielenden, Beschort, Maurer, der anmutigen Dem. Fle> (späteren Frau Professor Gubitz), der Dem. Doebbelin, welche eine böse Alte spielte, sah man es nicht
an, daß Berlin, einschließlich des Schauspielhauses und aller, die darin, sozusagen auf einem Pulverfaß stand. Als ich im Zwischenakte auf die Straße hinauseilte, hatte es, des Regenhimmels wegen, früher gedunkelt als sonst. Der Kriegsjammer zeigte sich aber uns scen Himmel getrunken hatte, gedachte ich, mich hier zu stärken. Drinnen wimmelte es von ab- und zuströmenden Gästen. In der E>e am letzten Fenster
links saßen, eben mit kleinen Freudengesichtern, Bekannte: Herklots, der, Theaterdichter, der Kunstkenner Hofrat Hirt =- damals einer der se ins Dorf geführt, griffen die sächsischen Grenadiere Sperl mit großer Bravour das Dorf an, unterstüßkt von dem sächsischen Regiment König. Die Unsern verloren das Dorf
und mußten sich auf das Bülowscer Unvorsichtigkeit die ungünstigste Stellung gewählt; vor ihm befindet sich ein großer, nur auf einem einzigen Punkte bei Großbeeren zu passierender Bruch; links und rechts hat er nichts als Sumpf und den ungangbaren Lilobach und hinter ihm mein ganzes, von bestem Mute beseeltes Korps. I< werde den Feind angreifen und ihn schlagen.“ Soviel wußte uns der Husar in seiner Seligkeit zu versichern, daß es vorwärts gegangen, als er seinen Hieb „über die Schnauze“ erhielt und dann mit den Berwundeten nach Berlin
abging. „Es muß meiner Geographie nach so in der Nichtung nach Trebbin retiriert werden, d. h. von die Franzosen“, damit schloß er
seinen Vortrag, den ein Jubel ohne Ende begleitete. „Noch kann das Theater nicht aus sein = ich muß die Nachricht
dorthin
bringen“,
meinte Herklots,
den
großen Regenschirm
ergreifend -- draußen klatschte der Regen nieder, und ich erbot mich zur Begleitung. Wir langten auf der Bühne kurz vor dem Schlusse des Singspiels: „Das Geheimnis“ an. Unzelmann spielte den Be-
ZIZ quartierung mehr bekommen.“ Wir schalten hier ein, daß Unzelmanns frappante Ähnlichkeit mit dem früher in Berlin kommandierenden französischen General Augereau allbekannt war. Diese
in demselben Augenbli> benutend, stülpt er seinen dreiedigen Hut in der schiefen Richtung auf den Kopf, wie ihn die französischen Generale zu tragen pflegten und, Augereau kopierend, fügte er der obigen Nachricht hinzu: „Wir begeben uns rü>wärts nah Trebbin.“
Dabei macht er kehrt, und es bricht im Publikum nun ein Freudenhallo aus, daß die alten Kulissen zitterten. Die Borstellung war aus,
denn alles stürmte zum Haus hinaus. Auf den nachtdunklen Straßen ein Gedränge wie in geschäftlicher Tagesstunde. Man brachte Berwundete und Gefangene zur Stadt. Wagen aller Art, bis zu den
elegantesten Chaisen hinauf, bepa>t mit Lebensmitteln, Deen, Mänteln und allem, was nur den ermüdeten, hungrigen Kriegern zugute kommen konnte, rollten zum Tore hinaus, dem Schlachtfelde zu. Wir, denen Wagen und Pferd nicht zu Gebote standen, taten an den Berwundeten hier am Orte, was in unsern Kräften stand. Bom Zubettegehen war natürlich nicht die Rede. Gegen Morgen
traf ich mit einem Offizier in der „Sonne“ bei „Jagor“ zusammen, der im Begriff war, wieder seinem Regimente zu folgen und sich hier nur noch mit einer Tasse Kaffee stärkte. Der ergänzte uns die teilweisen Nachrichten, die wir schon von der Schlacht erhalten. Fünf preußische und eine russische Batterie hatten den Haupttanz zuerst aufgespielt. Zulett, als die russische und schwedische Artillerie sich mit der unsrigen vereinigte, hatten 82 Feuerschlünde den Franzosen ihre Todesgrüße zugeschleudert, die aber auch keine Antwort schuldig blieben. Wie die Kanonen „heiser“ wurden, ließ Bülow mit dem Bajonett draufgehen; mit Hilfe Borstells war das verloren gewesene Dorf in einer halben Stunde genommen. Zwei französische und ein sächsisches Bataillon gerieten im Dunkel in den großen Sumpf, wo viele umkamen. Auf dem rechten Flügel hatte der Prinz von Homburg gute Erfolge. Die ostpreußischen Grenadiere und das 3, Ostpreußische
RZN minder tapfer, besonders die Kavallerie unter dem Herzog von Padua. Man muß, wie ich, das Schlachtfeld gesehen haben, um zu erkennen, wie fürchterlich das Gemetzel im Sto>dunkeln gewesen sein mag.
Am frühen Morgen lud mich ein bekannter Schlächter ein, auf seinem mit Wurst, Schinken und Brot beladenen Wägelchen Plat zu nehmen und mit ihm hinauszufahren. Jc< ließ mir das nicht zweimal sagen. Den Anbli> des blutigen Schauplaßes werde ich mein Leben nicht vergessen. Ein herzzerreißender Anbli>, mit dessen Schilderung man Bogen füllen könnte. Unfern der Mühle lag ein blutjunger französischer Offizier, die Brust von einer Kartätschenkugel zerschmettert. Aus der zerrissenen Uniform bli>te vorne zwischen den Knöpfen eine rote Brieftasche hervor. Wir öffneten dieselbe und fanden unter mehreren Briefen einen noch nicht gesiegelten, aber bereits mit der Aufschrift in französischer Sprache versehen: „An Herrn Capuzzo, Mitglied des Kriminalgerichts zu Genua.“ Der sollte der Schwiegervater des Toten werden, wie aus
dem Briefe hervorging; beigelegt war ein verschlossenes Briefchen an die Braut des Jünglings. Das Schreiben schloß mit den Worten:
„Ich hoffe, diesen Brief heute abend auf die Post in Berlin zu geben.“ Wenigstens taten wir es, nachdem wir an Herrn Capuzzo noch einige Worte hinzugefügt, wie wir den Schreiber des Briefes gefunden, und daß wir ihm auf dem Felde wenigstens ein Grab haben graben lassen.
Ob die Brieftasche =- auch eine Loke lag darin -- an ihre
Adresse gekommen, haben wir nie erfahren. Abends, am 24. August -- der auf diesen Tag fallende Stralauer
Fischzug war schlecht besucht, da der größte Teil der Berliner Bevölkerung auf das Schlachtfeld gewandert war -- fang man im
Theater die Siegeskantate, die am vorigen Bormittag Gubiß gedichtet, Himmel am frühen Morgen des heutigen Tages in Musik
GZ2-
gesetzt, Patschke schnell kopiert und die Sänger und Sängerinnen stückweise, so wie die einzelnen Notenblätter aus der Abschrift kamen,
probiert hatten. Mitten durch die erhebenden Töne schrillte mir das Gestöhne und Seufzen der Todwunden, die im wenige Stunden vorher gesehen, vor den Ohren. Das sind Erinnerungen eines längst verstorbenen alten Berliners,
KESE „4
1
Aus meinen Lebenserinnerungen.
“
Bon C. A. Ewald.
1
Y-
/4 SS I
ie Wohnung der Großeltern, Königstraße 10, gegenüber dem damaligen Hauptpostamt, war in einem für jene Zeiten stattlichen und vornehm aussehenden Hause.
Es
hatte nach der Straße zwei Sto>werke, die erste Etage mit hohen, nach oben abgerundeten Fenstern, die zweite sehr viel niedriger, dicht darüber das Dach. Eine große Haustür zur Einfahrt in der Mitte, rechts und links davon zwei Läden, von denen mir besonders der eine, ein Hutmacherladen, mit feiner Auslage von Tressen- und Jagdhüten in der Erinnerung geblieben ist. Neben der Einfahrt waren beiderseits zwei
eiserne Prellpfähle, die oben in behelmte Ritterköpfe endigten und später auf dessen Bitte dem Prinzen Carl für sein Schloß in Glieni>e geschenkt wurden. Bon der Einfahrt bzw. dem Hausflur aus kam man linker Hand auf ein Podest und von diesem aus auf die breite Treppe, die mit einem schönen schmiedeeisernen Geländer in Barodstil in mehreren Absätzen zum zweiten Sto> hinaufführte. Dort
wohnten die Großeltern, mit ihnen die Gesellschafterin von Großmutter, Fräulein E., und das betreffende Dienstpersonal. Das Haus hatte fünf Fenster in der Front, jederseits einem zweifenstrigen und in der Mitte einem einfenstrigen Zimmer entsprechend. Letzteres wurde das „Cabinet“ genannt, wenig benußt und enthielt eine „Servante“ mit allerlei Nippessachen, schönen Tassen, einem Straußenei u. dgl., die aus dem ersten Jahrzehnt des vorigen Jahr-
hunderts stammen mochte und als ausgezeichnetes Prunkmöbel noch jekt in unserem Besiß ist. Rechts vom Cabinet lag Großvaters, links Großmutters Zimmer. An einem Fenster des lekteren war ein sogenannter Spion, d. bh. ein außen angebrachter Spiegel, mit dem man die Straße hinauf und hinunter sehen konnte, ein besonderes Bergnügen für uns Kinder, zumal im Winter, wenn die Laternen angezündet wurden und durch die beschlagenen Fenster wie große Feuerräder aufleuchteten. Auch die Post mit ihren ein- und ausSchriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
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GnZI bauen zu wollen.“ In meiner Vorstellung war aber der Herr Nagler ein überaus großer Mann, weil ihm die Postillone mit den schönen blauen Fra>s mit roten Aufschlägen und den blanken Trompeten
gehörten. Die Extraposten fuhren übrigens damals nicht zur Königstraße, sondern zur Spandauer Straße heraus, die Postillone bliesen zur Abfahrt, und ich schlich mich in unbewachten Augenbliken über
die Straße in den Posthof, um mit dabei zu sein. In Großvaters Zimmer kamen wir Kinder wenig, nur bei feierlichen Gelegenheiten, 3. B. zur Geburtstagsgratulation oder wenn wir Adieu sagen sollten, wobei uns dann gelegentlich das Geld zu einer Droschke von dem alten Herrn gegeben wurde. Rechts in der
Fenstere>e stand ein schöner großer Mahagonischreibtisch, den ich geerbt habe, und an dem ich jekt diese Zeilen schreibe. Ein ausgezeichnetes Meisterstü>k der Tischlerkunst, das Generationen überdauern wird und von dem ich hoffe, daß es noch lange der Familie erhalten bleiben möge. Großmutters Zimmer steht mir im kleinsten deutlich vor Augen: Der Flügel, der nicht dunkel, sondern mit hellem Masernholz furniert war, Großmutters Sekretär in demselben Holze, der runde Tis< mit den Schlangenfüßen und schöner Mahagoniplatte, das große Sofa und darüber eine Anzahl pompejanisce des Zimmers stand ein Säulenschaft, oben mit einer goldenen Kugel, als Ofen. Sofa und Stühle im Empiregeschmat mit herrlicher hellroter Seide und eingewirkten silberweißen Arabesken. An der Dee eine flache Alabasterschale mit bronzenen Lichthaltern, an denen einige geschliffene Glasprismen hingen. Als mal eins derselben heruntergefallen war, sahen wir die prismatischen Farben beim Durchsehen an den Rändern der Gegenstände und hatten ein neues schönes Spielzeug entde>t! I< habe diesen Raum nie
benutzt gesehen. Er hatte früher gewiß glänzendere Zeiten erlebt, jekt war er zum Durchgang nach den hinteren Räumen, dem Schlafzimmer, der Küche und so fort und zu dem neben ihm gelegenen, aber viel kleineren Eßzimmer degradiert. In dem hinter der Küche
gelegenen langen Seitenflügel lagen die Zimmer der Mädchen und von Fräulein E. an einem endlosen, bei Tage ganz dunklem Gang, der uns Kindern unheimlich und gruselig war, zumal er stets
mangelnder Lüftung halber einen eigentümlichen muffigen Geruch hatte. Am Ende dieses Ganges lag die Hintertreppe und derjenige höchst primitive Raum,den bekanntlich auch Kaiser und Könige nicht entbehren können. Wie wenig man Übrigens damals selbst in so guten Häusern bzw. Wohnungen wie der meiner Großeltern „hygienisch“ in unserem Sinne lebte -+ Wasserklosetts und Spülvorrichtungen fehlten selbstverständlich =- zeigt das Schlafzimmer der Großeltern. Es war eigentlich aus einem Zimmer DUrce und dem Neubau der Firma Jsrael zum Opfer gefallen !
Großmutter hatte sich vor Jahren, wie mir erzählt wurde bei einer Wasserfahrt, den Fuß verrenkt, der beim Abstoßen des Bootes an der Landungsbrüde festgehalten wurde. Sie konnte deshalb
weder Treppen steigen, noch weitere Stre>en gehen oder Spaziergänge machen, fuhr aber jeden Nachmittag aus -- ins Freie oder um Besorgungen zu machen =, und zwar in einem zweispännigen
Mietwagen, einem sogenannten Landauer. Wir Kinder wurden auf Ausfahrten vor die Stadt, namentlich Sonntags, oft mitgenommen. Das Einsteigen Großmutters in den Wagen ging mit
Unterstüzung leidlich, aber die Treppen hinunter und hinauf mußte sie von mehreren Männern getragen werden. Zu diesem Zwek war ein aus Weiden geflochtener Korb, eine Art Sänfte, vorhanden.
Großmutter stieg im Hausflur aus und ging dann die paar Schritte bis zum Wagen, Für mich aber war dieser Korb, der für gewöhnlich im Saal stand, von ganz besonderer Bedeutung. Er diente mir als
Schiff, die Tragstangen als Ruder, und so konnte ich mich meinen
schon früh erwachten nautischen Neigungen hingeben. Die Ausfahrten hatten die verschiedensten Orte in der Umgebung Berlins zum Ziel. Schöneberg, Steglitz, Charlottenburg, den Spandauer Bo>, Schönhausen, Tegel, Treptow und näher den Zoologischen Garten oder das dahinter gelegene Birkenwäldchen, Albrechtshof (in der Gegend der heutigen Rauchstraße) lernten wir
Enna]1
Garten war an der Stelle des heutigen Lüßowplatz „Krugs Garten“, der bis an den Kanal reichte, so daß „Wasserfeuerwerke“ daselbst stattfanden. Auf der anderen Seite zweigte sich an der E>e der heutigen v. der Heydt- und Kaiserin-Augusta-Straße ein Graben ab, der, dem Zuge der lektgenannten folgend, in den Neuen See mündete. Andieser E>e war ein Gartenlokal „Moritzhof“, wo von einem Herrn
Alexander Boote vermietet wurden, die heute nach dem Neuen See
verlegt sind. Jn Moritzhof aß man ebenso wie in Albrechtshof saure Milch in grünen Glassatten und trank Potsdamer Stangenbier aus
fußhohen gläsernen Zylindern, sogenannten Stangen. Es fanden von Zeit zu Zeit Symphoniekonzerte dort statt, die der um die Ber-
breitung guter Musik in populären Konzerten sehr verdiente Liebig dirigierte. Wo heute die Friedrich-Wilhelm-Straße zwischen Tier-
garten- und Rauchstraße läuft, war ein anderes großes Gartenlokal, der „Hofjäger“, bekannt durch seine Frühkonzerte, die an Feiertagen ichon um 6 Uhr morgens anfingen. Bon der Hinterpforte dieses Gartens führte eine niedrige Holzbrü>e über den Graben, unter
der im Boote durchzufahren eine besondere, höchst aufregende Leistung war, 18553 hatten die Großeltern eine „Sommerwohnung“ in der
Tiergartenstraße auf einem Grundstü>, welches etwa das Gelände der heutigen Hohenzollernstraße einnahm. Born, gegen die Straße zu, stand ein größeres Haus in der Art der noch jetzt erhaltenen Magnusschen Billa (Tiergartenstraße 28); dahinter war der bis zum Schafgraben reichende Garten und in ihm vor einem kleinen Teiche ein niedriges Sommerhäuschen, in dem Großmutter wohnte. Wenige Schritte führten aus dem Hinterpförthen des Gartens nach Moritzhof und mein guter Bater ist manchesmal von dort aus „Wasserfahren“ mit mir gegangen, wenn wir zum Besuch aus der Stadt zu Großmutter kamen. Zwischen Moritzhof und dem
Zoologischen Garten lag freies, mit etwas Buschwerk bestandenes Feld, an dessen Ende, etwa dem Zoologischen Garten gegenüber,
RLLL garten, etwas tiefer als die Straße und von dieser durch einen altersgrauen Holzzaun getrennt. An ihm war innen eine Art Estrade oder Podest angebracht, auf der die Gäste saßen und
das „Treiben“ auf der Straße beobachteten. Das. eigentliche
Lokal war ein windschiefes kleines Häuschen mit braunem Ziegeldach, im spizen Winkel gegen die Straße inmitten von Fliederbüschen und Kastanienbäumen gelegen. Es war neben dem näher
dem Potsdamer Tor zu befindlichen und viel vornehmeren „Bouchers Blumengarten“ eine beliebte Erholungsstätte der damaligen guten Gesellschaft =- Berlin W. und WW. gab es noch nicht -- und ich bin
selbst öfter von meinem Bater dorthin mitgenommen worden.
Jenseits der Brüke kam, von einzelnen Häusern abgesehen, freies Feld bis zum Botanischen Garten und Dorf Schöneberg, dessen breite Dorfstraße mit dem „Schwarzen Adler“ zur Rechten und der
etwas höher gelegenen Kirche ganz ländlich anmutete. Hinter Schöneberg ein Meilenstein in Gestalt einer Säule mit vergoldeter Kugel: „Eine Meile vom Dönhoffplatz in Berlin“; dann Steglit, d. h. ein sandiger Plaß mit einigen Bauernhäusern, links die Krugwirtschaft und Ausspannung. Dahinter ein großer Garten mit einem schattigen Plaß unter Kastanien. Er hatte zwei Merkwürdigkeiten: einmal Spargelbeete und ein Spalier mit Weintrauben, von denen man im Herbst naschen konnte, dann aber als hintere
Grenze den Bahndamm der Potsdamer Eisenbahn, auf dem wir
die noch sehr selten fahrenden Züge bestaunten. Wunderschön, wenn auch etwas lang, war die Fahrt nach Tegel. Sie galt als ein großer Ausflug und wurde nur selten unternommen. Bor dem Oranienburger Tor, das übrigens damals noch ein richtiges Tor oder vielmehr eine Art dreiteiliger Triumphbogen war, lagen die großen Maschinenfabriken von Borsig, Egells und
Schwarkßkopff mit ihren Schuppen und Schloten. Am Wedding hörten die Häuser auf und die Straße gabelte sich, rechts nach Reini>endorf, links nach Tegel. Ein großer Park mit steinerner Mauer (dem
Besizer der später Gladenbe>schen Gießerei gehörig?) begrenzte den Plaß nach Osten. Nach Tegel zu erhoben sich beiderseits die Rehberge, unheimlich wegen des dort hausenden Gesindels, und dann gings auf staubiger Chaussee, an Stelle der jezigen Müllerstraße,
GRRR18 durch einen Kiefernwald, an dessen Ende die malerische, mit Efeu bewachsene Tegeler Mühle und das zugehörige, von Erlenbüschen
umrahmte Tegeler Fließ lagen.
Eine niedere Holzbrü>e führte
hinüber, zur Seite erglänzte in der Ferne der Tegeler See. Dann
noch eine kurze Stre>e durch einen holprigen Waldweg zum Gasthaus
„Zum Schloß Tegel“, von dem aus wenige Schritte zu dem anmutigen Schlößcen und dien Tannen umrahmte weihevolle Grabstätte der Familie v. Humboldt. Tiefer Friede lag über dem Walde und durch die Stämme blitzte das Silber des nahen Sees. Selbst die Bauwut der modernen Zeit, die aus dem Dorf Tegel eine Stadt
gemacht und die Mühle längst abgerissen hat, konnte dem poetischen Reiz dieser Besitzung nichts anhaben. Aber die sonntägliche Stille hat ein trauriges Ende genommen. Als wir vor einigen Jahren die Pfingstfeiertage in dem neuen schönen Sanatorium am Tegeler See
verlebten, lärmten ungezählte Menschenmassen durch den Wald, deren Hinterlassenschaft noch tagelang das Auge durch eine Aussaat von Stullenpapieren u. dgl. beleidigte.
Da war selbst der Wald-
schußverein machtlos! Treptow. Die endlose Köpeniker Straße führte an den. Färbereien (Kattundru>ereien) von Goldschmidt und Meyer, dann an der Garde-Schützen-Kaserne und der daneben gelegenen Pfuhlschen Schwimmanstalt vorbei, wo wir wohl im Borüberfahren einen Schwimmer in roten Badehosen vom Turm springen sahen. Nun kam das Sclesische Tor, dicht dahinter das „Dampfwellenbad“ und dahinter die offene Landstraße. Zur Linken die Spree mit ihren Kähnen und dem frischen Wassergeruch, am anderen Ufer Stralau mit dem berühmten Lokal von Tübbe>e und seiner alten,
malerisch auf der Spike einer Landzunge gelegenen Dorfkirche, deren Wahrzeichen ein Storchennest auf dem Turm war. Treptow bestand aus dem Gasthaus von Zenner und ein paar kleinen Sommer-
häuschen, in denen Angler und Segler wohnten. Dahinter ein Wäldchen mit einer großen Wiese, auf der Sonntags Pfänderspiele, Wettlaufen u. dgl. gespielt wurden. Zenners Restauration lag an der Spree, mit der Front gegen das Wasser. Das Haus hatte einen griechischen Architrav mit Portikus in der Mitte und einen großen Plaßz davor mit Tischen und Bänken, die Aussicht auf die vorbei-
fließende Spree, die mit S ohne
sie auszuscken, später wieder hinauszupilgern und so den Grund zu der edlen Kunst des Segelns zu legen, die mir später noch viel Freude und Erholung gebracht hat. Unter den Treptower Seglern war auch ein richtiger alter Seekapitän, Herr Smith, Berfasser von Seenovellen, die ich mit Begeisterung las. Ex war als Literat mit meinem Bater in dem „Tunnel über der
Spree“, einer Bereinigung von Schriftstellern und Künstlern, zu-
sammen, und so hörte ich von seiner Behauptung, auf dem Meer zu segeln sei kein Kunststü>, wohl aber auf der Spree. Das klang lächerlich. Er hatte aber in gewissem Sinne wegen des vielfach schralenden Windes gar nicht so ganz Unrece mit Aufzug für die dDurce hatten langgedehnte Höfe und ländliche Gärten hinter sim. Biele Sommergäste saßen aber auf Bänken oder in kleinen, grün umrankten Lauben vor dem Haus an der Straße,
wo Kaffee getrunken oder Abendbrot gegessen wurde. Am Schloß endete Charlottenburg. Bon da führte die Spandauer Chaussee auf den ganz unbebauten Spandauer Berg und zum „Bo>“, einer Brauerei, in der im Frühjahr das Bokbier geschänkt wurde und ein feucht-fröhliches Treiben herrschte. Daran dachte meine Seele freilich zu der Zeit, von der ich jezt spreche, noch nicht. Wir tranken unseren Kaffee bei Quien und machten dann einen Spaziergang
durch denSchloßgarten, besonders zum Karpfenteich, um die Karpfen, wie noh heute, mit einer Glo&ke herbeizuloen und zu füttern. Herr Quien war ein alter Freund von mir und das kam folgender-
maßen.
Im Jahre 1856 war ich in Streitberg in der Fränkischen
Schweiz, einem jetzt ziemlich verschollenen Kurort für Lungenleidende wo meine Mutter eine Molkenkur gebrauchte.
I< trieb mich viel
an den Ufern des das Tal durchfließenden Bächleins herum, baute Wasserräder und angelte mit einer Weidenrute ohne Haken und
Köder. Bei solcher Gelegenheit traf ich den „Particulier“ Herrn Quien, der nach englischer Art auf Forellen fisc hat folgenden Wortlaut :?) Ew. Exzellenz
beeile ih mich durch diese Zeilen den Empfang Ihres hochgeehrten Schreibens vom 4. d. M. anzuzeigen, welches mich von dem huldreichen, meine Pensionsverhältnisse betreffenden Entschlusse Sr. Majestät des Königs in Kenntnis setzt. Ich tue dies mit freudig bewegtem Herzen, da mir durch die königliche Entscheidung nicht nur der Blik in eine sorgenfreie Zukunft aufgeschlossen, sondern auch vielfachen An-
fechtungen gegenüber eine Anerkennung bereitet ist, die mich jedes peinlichen Eindrucks
vergessen macht. Indem ich Ew. Exzellenz für die besondere Teilnahme, die Sie meinem Geschie zugewendet, aus tiefstem Herzen danke, erlaube ich mir zugleich ein an Seine Majestät gerichtetes Schreiben beizuschließen, mit der Bitte, dasselbe als den Ausdru> dankbarster Pietät in die Hände des hohen Monarchen niederlegen zu wollen. Über die mir so ehrenvoll eröffnete Aussicht auf eine Professur wird es mir
vielleicht gestattet sein, mich bei meiner nächsten Anwesenheit in Berlin persönlich gegen Ew. Exzellenz in vertraulicher Weise auszusprechen. Ich bin in aufrichtiger Berehrung und Dankbarkeit
Ew. Exzellenz gehorsamster Emanuel Geibel. Lübe&, den 5. 11. 1868. (Randbemerkung: An Seine Majestät übersandt 7. 11.
v- M.)
Es waren ab und zu auch wunderliche Leute, mit denen Geibel
persönlich bekannt wurde.
Ein solch origineller Geselle war der
Dramendichter Ernst Raupach. Er lernte ihn in der schon erwähnten „Literarischen Gesellschaft“, der vornehmsten dichterischen und künstlerischen Bereinigung Berlins in jener Zeit, in die er durch Hißig eingeführt wurde, kennen. In einem Briefe an die Mutter im November 1836 schildert er ihn mit den Worten: „Dort am Fenster sitt ein
kleines, zusammengekauertes Männchen mit schwarzer Perüde, eine schwarze Hornbrille auf der Nase. Es macht eine überaus wegwerfende Miene, sobald die Rede auf irgendein neueres dramatisches Produkt kam, wirft auch sonst mitunter ein ziemlich gewöhnliches Wort in die Unterhaltung und schnupft dabei ungewöhnlich stark. Je sich auf drei Jahre. Die Bedingungen seien außer freier Station ein Gehalt von 2000 Franks. Bettine meinte, es könne für ihren Schüßling keine wünschenswertere Stellung geben als eine solche, und da sie ihn mit aller Wärme empfehlen könne, wolle sie an den Gesandten schreiben. Er trug keinen Augenblik Bedenken, auf den Borschlag einzugehen, denn Griechenland war immer das Ziel seiner Sehnsucht, auch hoffte er dadurch beste Gelegenheit zu haben, im Hause des Diplomaten die Menschen kennen zu lernen. Natürlich wollte er sich zuvörderst die Erlaubnis, diese Stelle anzutreten, von seinem Bater erbitten. In diesem Sinne schrieb er alsbald darauf dem Pastor Geibel, daß die
Borteile, die für ihn aus einer solchen Stellung erwachsen müßten, einleuchtend seien, auch die materiellen Bedingungen seien wohl zu beachten, sowie die Hoffnungen für die Zukunft, die sich in einem solchen Lande an einen derartigen Posten knüpfen ließen. Bekanntlich nahm Emanuel Geibel später die Hauslehrerstelle an, doch hielt er es im Hause des russischen Gesandten nur etwas über ein Jahr aus,
da die Pädagogik nicht zu seinen stärksten Seiten zählte und die
Ungezogenheit, ja Berdorbenheit seiner beiden Zöglinge ihm den Aufenthalt im dortigen Hause zur wahren Hölle machten. Bon den Berliner jungen Damen, die Geibel ganz besonders ge“
fielen und auf ihn tiefen Eindru> machten, sei hier in erster Linie eine Engländerin, die Braut von Willibald Alexis, hervorgehoben. Er rühmt sie in einem Briefe an die Mutter vom 5. Januar 1838 als
eine außerordentlich angenehme Erscheinung, sehr fein und zart, groß und schlank, mit schönen dunklen Augen und sanft gebogener Nase. Wenn sie schweige, sei sie von eigentümlicher Blässe, die er nur an Engländerinnen bemerkt habe, im lebhaften Gespräch von
fliegender Röte leise überhaucht. Sie scheine ebenso innerlich lebendig wie äußerlich liebenswürdig zu sein. Alexis habe sie in verschiedenen Gesellschaften außer dem Hause kennen gelernt, und habe sich die Sache in wenigen Wochen abgewicelt. Geibel wohnte am Silvesterabend einer kleinen Festlichkeit, die Willibald Alexis veranstaltet
hatte, bei, wobei seine Braut die Honneurs machte. Mit Gesang und Gläserklang wurde das neue Jahr begrüßt.
Als die Mutter
Geibels, durch die Schilderung ihres Sohnes sehr neugierig gemacht, noch Näheres über die genannte Dame wissen wollte, schrieb er ihr, daß sie nach dem Tode ihres Baters, bei welcher Gelegenheit sich große Summen als verloren auswiesen, mit ihren Schwestern und ihrer Mutter nach Deutschland gegangen sei, um dort zurükgezogen zu leben. Sie sei eben im Begriff gewesen, eine Stellung als Gesellschafterin anzunehmen, als Alexis sie kennen gelernt habe. Die
Hochzeit werde Ostern sein. Durch seine Bekanntschaft mit Raupach wurde er veranlaßt, das Berliner Hoftheater zu besuchen, wo damals Raupachs Hohen-
staufen-Zyklus der Reihe nach gegeben wurde. Diese dramatischen Werte sagten ihm sehr zu. Er urteilte über dieselben mit den bezeichnenden Worten: „Raupach hat viel Talent und noch mehr Berstand. Alles Technische an seinen Stüdken ist vortrefflich, die Disposition
ist gut, der Effekt wirkungsvoll, auch die Charaktere sind meistens mit
siherer Hand gekennzeichnet.
Raupach
könnte unser größter
Dramatiker sein, wenn ihm nicht eins dazu fehlte, nämlich ein Großes, die Poesie. Wenn manaber bedenkt, daß das jetzige große Publikum eben nicht Poesie, sondern Effekt sucht, so ist es daraus leicht zu er-
klären, wie Raupachs Tragödien auf allen Bühnen florieren müssen, während Schillers, Goethes und Shakespeares Gestalten mit jedem Jahre seltener über die Bretter gehen.“ Eine Lieblingsbeschäftigung und zugleich eine herzerqui>ende Erholung für ihn waren die Spaziergänge, die er nach dem Tier-
garten machte. Er, der leidenschaftliche Naturfreund, freute sich über das Grünen und Blühen im Frühjahr und im Sommer im Tiergarten. Seinem Entzüken gibt er in Zuschriften an seine
Mutter beredten Ausdru>k: „Goldregen, Schneeball und Flieder“, so schreibt er u. a., „drängen sich überall in seltener Fülle aus dem üppigen Grün, und wenn manden kleineren Steigen folgt, so kann man stille Plätze genug finden, um die Waldeinsamkeit zu genießen und den Stimmen der Bögel zu horchen.“ Auch den Charlottenburger
Schloßgarten suchte er zuweilen auf und fühlte sich in den schattigkühlen Alleen und in der prächtig blühenden Blumenfülle sehr wohl. Es lasse sich nichts Herrlicheres denken, so meinte er, als wenn die untergehende Sonne mit dunklem Goldschein durch die dichtbelaubten Baumreihen des Schloßgartens blike und über buntfarbigen,
Enn]50
etwas gebräche, sondern lediglich und allein, weil es ihm zu gut gebe. Er sei ins gesellige Leben so hineingerissen, daß die Abende für ihn ganz verloren seien, und daß er keinen Augenblick Zeit habe, zu seinem eigenen Bergnügen irgend etwas zu treiben. Manziehe ihn in die verschiedensten Zirkel hinein, und man würde es ihm als Troß und Hochmut deuten, wenn er nicht kommen wollte.
Gewöhnlich habe er auf den Tag zwei Einladungen, ja, es sei schon vorgekommen, daß er fünf Engagements von verschiedenen Seiten für denselben Abend erhalten habe. Es sei ihm zu viel, und wenn er
sich einerseits darüber freue, das Residenzleben auf diese Weise durch und durch kennen zu lernen, so sehne er sich doch anderseits nur um so
stärker nach der Einsamkeit. War auch Geibel ein Wandervogel und durchstreifte er gern Berlin und Umgebung, so vergaß er doch darüber seine Studien
nicht und besonders nicht sein liebes poetisches Schaffen. Namentlich bei schlechtem Wetter war er immer zu Hause zu finden und brütete
über seine Bücher oder gab sich seinen Träumereien hin. So benußbte er das Osterfest des Jahres 1837, um still und einsam in seiner Sudierstube aufwärts, vorwärts und rü>wärts zu blidken. Sehr beglüdt war er stets, wenn in den freien Stunden seine poetische
Ader reichlich floß, wobei er die freudige Bemerkung machte, daß die
angeblich profaische, nüchterne Berliner Luft seine Muse keineswegs beeinträchtige. Bezeichnend ist, was er hierüber am 29. März seiner Nutter schreibt: „I< habe neulich einmal ein paar Verse geschrieben, daß sich in Berlin nicht dichten lasse; aber es ist ordentlich, als wolle seitdem der gute Genius der Stadt mich vom Gegenteil überführen. Ein passender Stoff nach dem andern drängt sich mir auf und wird ganz von
jelbst zum Gedicht, die Reime fügen sich so mühelos, daß ich nicht einmal die Bildung der Form mir zum Berdienst anrechnen kann.“ Während seines ersten Berliner Aufenthalts 1836 bis 1837 war in der Tat seine Muse sehr fruchtbar. Er schrieb u. a. folgende
Erna]50(ZB Gedichte: „Der Ritter. vom Rhein“, „Der Husar“, „Des Woywoden Tochter“, „Gondoliera“, „Abendfeier in Venedig“, „Der lezte Skalde“, „1787 und 1837“, „Wolle keiner mich fragen“, „Die junge Nonne“, „Mädchenlieder“, „Lied“, „Antwort“, „O sieh mich nicht so lächelnd an“, „Herbstgefühl“, „Von Dingen, die man nicht antasten soll“, „Verlorene Liebe“, „Auf dem Wasser“, „Des Müden Abendlied“,
„Der Jugendzeit“, „Wie es geht“, „Siehst du das Meer“, „Der Knabe im Walde“, „Clotar“, „Traumkönig und sein Lied“, „In der Ferne“, „Cito mors ruit“, „Friedrich Rothbart“, „Sehnsucht“. Gewiß wird es auch unsere Leser interessieren, zu erfahren, wie die Reise Geibels von seiner Baterstadt Lübe> nach Berlin vor sich gegangen war. Mit großer Behaglichkeit und Gemütlichkeit
reiste man damals im Zeitalter der Postkutschen bzw. Postschne>en.
Eine recht anheimelnde Beschreibung seiner Fahrt nach Berlin gibt Emanuel Geibel in einer Zuschrift an seine Mutter von Ende
Oktober 1836, nachdem er bereits acht Tage in der preußischen Hauptstadt geweilt hatte. Er war mit seinem Kollegen und Landsmann, dem Studenten Röse, aus der Hansestadt abgefahren und die Tour
ging äußerst glüklich und bequem vonstatten. Die erste Nacht brachten sie in Schwerin, die zweite in Perleberg und die dritte in Friesa> zu, wo fie überall gute und nicht zu teure Gasthöfe fanden. „War das
Wetter schön,“ so schrieb der Lübe>er Pastorssohn, „so gingen wir oft, wenn der Wagen irgendwo anhielt, lange Stre>en zu Fuß voraus und ließen uns wieder einholen.
Abends durchstreiften wir
im hellen Mondschein den Ort, wo wir übernachteten und ließen uns vom guten Zufall die Merkwürdigkeiten der kleinen Landstädte
zeigen. Nach dem Nachtessen wurde noch etwas geraucht und geplaudert, kurz, es war ein freies, fröhliches Leben die drei Tage
lang, von manchen ganz eigentümlichen Reizen gewürzt.“ Als die beiden Jünglinge wohlbehalten in Berlin angekommen waren, traf es sich gerade, daß das Hochzeitsfest einer preußischen Prinzessin und eines hessischen Prinzen glänzend gefeiert wurde, und so hatten jie Gelegenheit, das Treiben in Berlin gleich am ersten Tage von
seiner Prachtseite kennen zu lernen. Bon Neugierde getrieben, gingen die Jünglinge, obschon es bereits sehr dunkel war und die Stadt keineswegs in bengalischer Beleuchtung erstrahlte, gleich aus, um wenigstens einen Blik auf den Ort ihres künftigen Aufenthalts zu werfen. Die Straßen waren
voll Menschengewoge, Kutschen und Staatskarossen rasselten unauf-
ERRSI
sprißte. Der Dom lag still und dunkel zwischen seinen Pappeln im Hintergrund, links leuchteten die weißen Säulen des Museums deutlich herüber, aber den wunderbarsten Anblik gewährte das Schloß.
Das ganze Gebäude war von Wolken überschattet, die
scharfen Umrisse waren sc den prächtigsten Tee für billiges Geld zu bekommen, schmerzte es sehr, daß er in Berlin aus dem Grunde selten Tee trinken konnte,
weil ihm der damalige Preis (das Pfund kostete fünf Taler) unerschwinglich erschien. Er bittet daher die Seinigen beweglich, ihm ein paar Pfund Tee zukommen zu lassen.
Wie froh war er, als
die fürsorgliche Mutter seinen Wunsch sofort erfüllte. Er dankt ihr überaus herzlich in einer Zuschrift vom 27. April 1837 und teilt
ihr in fröhlichster Stimmung mit, daß er für die ganze Sendung
nicht mehr als „12 Silbergroschen“ Zoll zu entrichten gehabt habe. Natürlich wurde auc< Tee getrunken, wenn die Exschüler des
Lübe>er Gymnasiums, die in Berlin lebten, vergnügt zusammen kamen und sich über die Heimat und andere Gegenstände unter-
hielten. In den Pfingsttagen unternahmen dann die Hanseaten Wanderungen in den Grunewald und in die Pichelsberge. Diese Exkursion beschreibt er mit den Worten: „Eine Gegend, die viel Holz, Wasser und Hügel hat, so daß uns dabei oft ganz heimatlich zumute ward. Schon am Sonnabend morgen zogen wir aus und streiften recht
„Eichendorffisch“, bald im Schatten, bald in der Krone eines Baumes
ausruhend, durch den Wald. Den Mittag wurde in einem Dorfe Halt gemacht; die Nacht lagen wir auf einer guten Streu und schon
in der Morgenfrüh gings am anderen Tage fort und weiter,
Die
Sonne sah freundlich durch die Zweige herein, die Lerchen sangen über uns, wir aber zogen fröhlich den Waldsee entlang und riefen das
Echo des gegenüberliegenden Ufers wach.“ Der Besuch seines Baters und seines Bruders Konrad -- der sich dem Musikstudium gewidmet hatte =- bot ihm gute Gelegenheit, mit
denjenigen Persönlichkeiten zusammenzukommen, die zu den alten Bekannten und Freunden des Lübe>er Pastors Geibel zählten und die kürzere oder längere Zeit in angesehenen Stellungen in der preußischen Residenz lebten.
Zu diesen zählte u. a. der Gatte von
Goethes Nichte Luise Schlosser, Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, die rechte Hand des Staats- und Kultusministers v. Alten-
stein, Professor August Twesten, ein geborener Holsteiner, Berfasser einer Dogmatik und Amtsnachfolger Friedrih Schleiermachers, und viele andere. Der junge Geibel schrieb über diese Besuche, die er in Gesellschaft seines Baters und Bruders abstattete, im Juli 1836 an seinen Freund und Landsmann Wilhelm Wattenbach in Lübek: „Jekt, wo mein Bater in der Nebenstube sich zum Lesen hingesett
hat, benuße ich den Augenblik, Dir auf Deinen freundlichen Brief zu antworten.
Wie es mit meinem Leben in Berlin überhaupt
steht, wirst Du wahrscheinlich schon durch die dritte Hand erfahren haben. Ich bin im ganzen recht vergnügt, gehe ins Kolleg, wo es, unter uns gesagt, gerade bei den berühmtesten Professoren mitunter ledern genug zugeht, lese den Sophokles, über den ich nicht mit den Schlegelste er sich stumm in den Winkel: die Wand wurde ihm durchsichtig, draußen drängten sich viele Tausend Hungergesichter, der Boden ward zu Glas, drunten saß der Tod mit blinkender Sense, oben drüber hin wie rasend stürmte der Tanz. Das Gedicht schließt mit der tragisch
klingenden Prophezeiung: „Sie haben Augen und sehen's nicht, Sie prassen fort und lachen, Sie hören's nicht, wie zum Gericht Schon Balk' und Säule krachen; Lauter jauchzt der Geige Ton =
Ihr Männer, ihr Weiber von Babylon,
Mene, Tekel, Upharsin!“
Lange freilich dauerte diese seine pessimistische Stimmung nicht an, da er im Grunde seiner Seele ein Optimist war, der das Leben und speziell das Berliner Leben fast immer von. der rosigsten Seite
betrachtete.
Bei einem Gange durch den Tiergarten zum Sterben
betrübt und kaum wissend warum, sieht er in dem dürren Laube,
das der Wind treibt, das Bild seines Lebens und sich an die gefrorene
Scholle gebannt, aber ein ziehender Bogel mahnt ihn sofort, dessen eingedenk zu sein, daß die Menschenseele Flügel hat. Ganz anders ist daher ein Schreiben gehalten, das er um jene Zeit aus Berlin an den Freiherrn v. der Malsburg richtete. Es heißt darin u. a.t
„Eine unendliche Siegeshoffnung strömt in mein Herz, ich fühle alle Kräfte gestählt und mit unverzagtem Mut und klingender Seele sc zugebracht und im Kreise der Seinen ausgeruht hatte, kehrte er für den Winter 1846 aufs neue nach Berlin zurüc, das er, wie er schrieb, „aus mancher-
lei Rüsichten nicht auf zu lange Zeit meiden darf“. Franz Kuglers bereits erwähnte Liebe zu fremden Bolksmelodien wurde auch für Geibel fruchtbar. Wenn abends dort in der Familie Kuglers ein solch fremdes Lied in fremder Sprache gesungen worden war, sang es Geibel deutsch nach und erfand zu der fremden Weise einen deutschen Text. Natürlich wurde auch diesmal das alte freundschaftliche Berhältnis zu Ernst Curtius, der damals als Professor sowie als Erzieher des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, des späteren deutschen Kaisers Friedrich 111., in Berlin lebte, erneuert und befestigt. Ihm widmete unser Lyriker das Ghasel: „Wenn im fürstlichen Palast“, in der der Berfasser Tag und Stunde zu nennen bittet, um ihm die reifsten seiner Früchte vom Baumaste zu brechen, wenn anders sich
die Muse bei ihm noch so froh zu Gaste laden dürfe, wie einst auf dem
Ägäischen Meer. Noch mit einem anderen Bekannten aus älterer Zeit verkehrte er in Berlin freundschaftlich. Es war dies E, Herzog, früher ordent-
licher Professor der Rechte in Athen, der damals einen Posten im preußischen Ministerium des Innern bekleidete. Mit ihm und Ernst Curtius wollte Geibel die Sammlung neugriechischer Bolkslieder herausgeben, die im Nachlaß des in Athen verstorbenen deutschen Professors Ulrichs vorgefunden worden war. Sie hatten die Arbeit bereits so unter sich geteilt, daß Curtius und Herzog, welch letzterer mit einer Griechin verheiratet war und so immer eine Autorität zur
Hand hatte, die Revision des Originaltextes und die Ausarbeitung einer Einleitung, Geibel aber die Fortführung der von Ulrichs nicht
zu Ende gebrachten Übersetzungen zufiel. Leider erschien diese hochSchriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
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interessante Sammlung nicht, weil sich damals der gewünschte Ber-
leger dazu nicht fand. In jener Zeit des Berliner Aufenthalts war Geibel auch mit einem Operntext beschäftigt, den er für Felix MendelssohnBartholdy, den er einst persönlich kennen gelernt hatte, verfaßte. Der Komponist, für den Friedrich Boigts in Hannover etwa 20 Jahre
früher einen Operntext, „Die Hochzeit des Gamacho“, geschrieben, hatte ihn um eine Textdichtung zu einer großen Oper gebeten.
Geibel hatte schon früher eine lyrisch-rhapsodische Behandlung der Sage von der Loreley versucht; er bemühte sich nun, den Entwurf in entsprechender Weise umzugestalten und die Bruchstücke zu einer erweiterten dramatischen Dichtung abzurunden. Im Januar 1847 war ein reicher, vollständig dramatisch gegliederter Plan fertig, den er mit dem Komponisten auszuarbeiten begann. Felix Mendelssohn-
Bartholdy ließ dem Dichter völlig freie Hand und ging auf dessen Intentionen nach jeder Richtung ein. Leider blieb die Komposition infolge des am 4, November 1847 eingetretenen Todes Mendelssohns unvollendet.
Dem Genius des Berblichenen sezte er ein ergreifendes
schildert darin den Meister, wie er war, den Schöpfer der Lieder, die mit seiner, des Dichters, Natur so viel Berwandtes
haben, den Schöpfer des „Sommernachtstraum“, der „Antigone“, des „Paulus“. Er klagt darin nicht, sondern tröstet sich, daß wir den großen Tondichter, wenn auch nur auf kurze Zeit, doch gehabt haben und daß der lichte Gottesfunke für uns nicht für immer verloren sei: „Das ist des Genius Recht, das ungekränkt Vom Hauch des Todes überm Grab im Blauen Er atmend fortspielt und mit geist'gen Tauen
Göttlich befruchtend tausend Seelen tränkt Und leicht dem flüss'gen Äther zugesellt, Unsterblich zeugend flutet durch die Welt,“
Geibel war sehr unglücklich, daß die Oper keinen anderen Tondichter fand und dies um so mehr, als die berühmte Sängerin Jenny
Lind, für die Felix Mendelssohn die Titelrolle seen wollte, und die der Dichter schon von Berlin her kannte, nunmehr keine Gelegenheit
fand, ihr Gesangsgenie als „Leonore“ in der „Loreley“ entfalten zu können.
ERR]51[Ie Der vollendete Text, der 1861 im Berlage von Rümpler in
Hannover gedrukt erschien, wurde übrigens später doch noh vertont,
obschon Geibel erklärt hatte, daß er eine anderweitige Komposition
nicht mehr wünsche.
Schließlich ließ er sich doch dazu bewegen,
Max Bruchdie Erlaubnis zur Bertonung zu geben mit den Zeilen:
„Nachdem Herr Max Bruch die vollendete Partitur einer Komposition meines lyrischen Dramas „Die Loreley“ mir vorgelegt, habe ich mich bewogen gefühlt, demselben, wiewohl er seine Arbeit ohne mein Wissen und Wollen ausgeführt, die Benutzung meines Textes zum
Behufe öffentlicher Aufführung zu gestatten.“ Diese Erstaufführung ging dann am 14. Juni 1863 in Mannheim in Szene. „Ich selbst kenne die Komposition nicht“, schrieb der Dichter damals, „und werde
mich schwerlich ganz hineinfinden. Jene volksliederartigen Weisen, die mir bei den Worten vorschwebten, werden dem modernen
Künstler kaum zu Gebote gestanden haben, doch wird mir das Werk von Hiller und Lachner gelobt, die die Partitur durchsahen.“ Im Jahre 1846 veröffentlichte Geibel in Berlin sein nordisches Epos „König Sigurds Brautfahrt“, und zwar zum Besten einer hilfsbedürftigen Berliner Familie. Am 1. März des genannten Jahres übersandte er die kleine dichterische Arbeit, in der er den
epischen Ton anzuschlagen und die prächtigen Nibelungenstrophen in ihrer alten Macht und Biegsamkeit für unsere Literatur wieder zu
gewinnen sich bemüht hatte, seinem hohen Gönner, dem König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. In seinem Schreiben an den Herrscher sprach er den Wunsch aus, daß dieser in dem Bersuch einen Fortschritt des Berfassers zu größerer Ruhe und Reife erbli>en und dem Strebenden auch fernerhin jene huldvolle Teilnahme be-
wahren möge, die bis dahin allzeit sein Sporn und Stolz gewesen sei. Emanuel Geibel, der bei Hofe sehr beliebt war und namentlich
von der Prinzessin Augusta, der späteren Königin und Kaiserin, bei vielen Anlässen in der huldvollsten Weise ausgezeichnet wurde, nahm am 28. Dezember 1846 an einem Hoffest bei dem jungen
Prinzen Friedrich Wilhelm, dem Sohne der Prinzessin, teil.
Bei
diesem Anlaß unterhielt sie sich sehr lange und eifrig mit ihm: Er mußte ihr von seinen dichterischen und literarischen Plänen ein-
gehend erzählen. Für den Prinzen Friedrich Wilhelm und dessen Freunde dichtete Emanuel Geibel damals das Lustspiel „Seelenwanderung“, das im Schloßtheater zu Potsdam von denselben am
11. April 1847 aufgeführt wurde.
Nach dem Zeugnis von Ernst
3X
Curtius, der der Vorstellung beiwohnte, spielten die prinzlichen Jünglinge allerliebst und erntete der gleichfalls anwesende Berfasser viel Lob und Anerkennung. Später wurde das Lustspiel in „Meister Andrea“ umgetauft. Auch später ging das Stü> wiederholt in Szene, so 3. B. am 11. März 1848 in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm 1V. von
Preußen. Bei diesem Anlaß unterhielt sich der Monarch mit dem Berfässer sehr lange und sehr freundlich. Abends war Gesellschaft beim Prinzen Wilhelm von Preußen, dem späteren Kaiser und König Wilhelm [l., in der Henriette Sontag-Rossi sang, von deren Kunst der Verfasser von „Meister Andrea“ ganz entzü>t war.
Allezeit bewahrte, nebenbei bemerkt, der Kronprinz Friedrich Wilhelm für Emanuel Geibel die innigsten Sympathien. Dies bekundete er auch beim Ableben des Dichters am 6. April 1884. Bald nach dem Hinscheiden des Sängers schrieb er an Ernst Curtius einen
den Schreiber sowohl wie den Dichter höchst ehrenden Brief, worin es unter anderem heißt: „Es war meine Absicht gewesen, Sie aufzu-
suchen, um, tiefbewegt, wie ich durch Geibels Heimgang gestimmt bin, über diesen Berlust zu reden. Meine aufrichtige Berehrung für unseren echten, deutschen, patriotischen Dichter kennen Sie seit vielen Jahrzehnten -- verdanke ich doch gerade Ihnen die Bekannt-
js nach haben wenige gleich ihm es verstanden, das Harren, die sehnliche Erwartung dessen, was 1870/71 uns brachte, in dichterische Weisen zu fassen. Bollends aber gebührt ihm der Ruhm, als echter Herold des Reiches die Wiederherstellung desselben und des Kaisertums würdig besungen zu haben. Geibels Dichtungen waren stets meine Begleiter, seitdem Sie mich mit denselben vertraut machten. Jett aber, wo im vorgerü>ten Alter ich gern zurükschaue auf Zeiten, die harmlose und freudige Stunden enthielten, wird die Erinnerung an
den Dichter, der sogar unseren Jugendkreis anzuregen nicht scheute, mir von besonderem Wert zeitlebens bleiben.“ Der größte Gewinn des Berliner Aufenthaltes Geibels in den Jahren 1846 bis 1847 war seine Bekanntschaft mit dem damaligen
18jährigen Primaner Paul Heyse, der schüchtern mit drei poetischen Genossen zu dem berühmten Dichter den Weg gefunden. Es wird erzählt, daß ein junger Hausgenosse Geibels diesem eines Tages ein Heft mit Gedichten von Mitschülern brachte und ihn um sein
GARn
der fast täglich im Kuglerschen Hause sich einfand, das schmale, abgegriffene Taschenbuch hervorzog und das neueste Gedicht las, das ihm der Tag beschert hatte. Wir saßen in dem großen Wohnzimmer mit den drei tiefen Fensternischen um den runden Tisch, die Frauen
mit einer Handarbeit beschäftigt, Luise Kugler ihr Zeichenbuch vor
sich, während irgendeiner der Anwesenden ihr siken mußte. Die Kinder hatten ihr Spielzeug weggeworfen und sich hochaufhorchend
in die dunklen E&>en gekauert, um nicht zu früh zu Bett geschikt zu
werden. Alle, und nicht zuleßzt die jungen Hausfreunde, hingen an den Lippen des Dichters, der, die Brauen zusammengezogen, heftig den Knebelbart zausend, mit seiner tiefen, eintönigen Stimme den „Morgenländischen Mythus“ las. Welch ein Schwirren in den hohen Lüften Nächtlich überm Kaschmirsee! =- Bon Flügeln
Rauscht's, als kämpften droben Schwan und Rabe Flatternd hin und her, und wundersame
Stimmen gehn dazwischen, scheltend, flehend; Weithin trägt den Schall der Wind im Mondlicht, =
Auf eine solche Borlesung erfolgte nicht immer ein einmütiger Beifall. Zuweilen wagte sich auch eine kritische Stimme hervor, zumal wenn es ein dramatisches Fragment betraf, und auch wir jüngeren faßten uns wohl ein Herz, mit einem Bedenken nicht zurüczuhalten. In der Regel nahm Geibel dergleichen Einreden mit guter Laune auf. Aber schon damals machte ihm das innere Leiden zu schaffen, das ihm durch sein ganzes Leben den freien Genuß des Daseins verkümmerte. Sein reizbares Temperament konnte dann heftig auflodern, und von den Lippen, denen eben noch die sanftesten lyrischen Töne entströmt waren, brachen dann Ausdrü>e von so 1) Berlin 1901, S, 8l1lff,.
Enn5 bitte leistend, ein Knie, oder zog sich mit einem Scherz aus der Affäre.
Es war unmöglich, ihm länger zu grollen. In dem großen Zuschnitt seiner Natur verschwanden diese kleinen Menschlichkeiten, und je näher ich ihm kam, desto fester verband mich mit ihm das Gefühl einer dankbaren, brüderlichen Liebe und Treue. Auch seine dichterische
Begabung imponierte mir, je länger, je mehr.
Nicht minder erschien mir auch die strenge Selbstkritik verehrungswürdig, der er seine Dichtungen unterwarf, ehe er sie veröffentlihte. Seine „Sämtlichen Werke“ umfassen nur acht Bände. Und doch, bei der Leichtigkeit, mit der er in Bersen improvisierte, hätte er ihre Zahl unschwer auf das Doppelte bringen können. Sein
feines künstlerisches Gewissen bewahrte ihn davor, dies Phantasieren auf einem immet bereiten, wohlgestimmten Instrument für etwas Höheres zu halten als ein geselliges Talent. Wie manchen Abend aber hat er uns damit ergößgt! Die Kinder wurden längst zu Bett gebracht,
Zu scheiden mahnt' uns auch die Mitternacht. Doch zwischen Tür und Angel, schon im Gehn, Blieb er in plößliher Erregung stehn Und wand uns aus dem Stegreif eine Kette
Melodischer Oktaven und Sonette,
Elegisch bald, bald humoristisch endend, Aus seinem Füllhorn unerschöpflich spendend, Daß der sonoren Berse Klang hinaus | Sich dröhnend schwang und unten vor dem Haus Ein später Wandler stehen blieb und lauschte, Was für ein Spuk da oben raunt' und rauschte.
Diese Gabe ist ihm allezeit treu geblieben. Noch in der späteren Münchener Zeit, als sein körperliches Leiden ihn oft schwer verdüsterte, konnte er bei einer Flasche edlen Weins, wenn die Freunde
ihn dazu anreizten, sich in die alte Stegreiflaune zurückfinden.“
En ]5192
Heyse und Geibel, wie sie einmal der Oberhofprediger R. Kögel charakterisierte, verabredeten die Herausgabe des „Spanischen Liederbuches“, das 1852 mit einem Titelblatt von Adolf Menzels
Meisterhand erschien. Acht Tage vorher hatte sich der Dichter mit
Ada Trummer verlobt. Außer Kugler sah er in Berlin noch seinen Freund A, Friedrich v. Scha, der ihm seinen „Firdusi“ mit auf den
Weg gab.
Auch seine Hochzeitsreise 1852, die er mit seiner jungen Gattin Ada nach Schlesien bzw. Heinrichlust zum Fürsten Carolath-Beuthen unternahm, ging über Berlin, wo natürlich wieder die Kuglers und
die anderen intimen Freunde besucht wurden. Zum letzten Male weilte Emanuel Geibel im März 1868
vorübergehend in Berlin. Damals besuchte er u. a. Berthold Auerbach, den er im Poetensommer von St. Goar kennen gelernt
hatte.
Sie verlebten eine Stunde innigsten Erfassens und Neu-
erwedkens schöner freier Jugendtage miteinander. Berthold Auerbach schrieb unter dem Eindru> dieses ihn beglü>kenden Wiedersehens das sc wurde mit Beifall aufgenommen. Sehr wertvoll war ihm besonders die Anerkennung des Königs Wilhelm 1. und der
Königin Augusta, die der Erstaufführung beiwohnten. Eine liebe Erinnerung an Berlin bildete für ihn ferner die Büste
nach dem Leben, die der Berliner Bildhauer Heinrich Pohlmann 1877 modellierte. Sie sagte dem Dichter außerordentlih zu. In einer Kopie erschien sie ihm tadellos sowohl in bezug auf die äußere Ähnlichkeit als auch auf die bezeichnende Wiedergabe des geistigen 1) Berthold Auerbachs Briefe an Jacob Auerbach,
1884,
S, 333.
Ausdrukes. Ein Berliner Maler und Zeichner Theodor Kutschmann zeichnete in zwölf Folioblättern Stimmungsbilder nach
Geibelschen Gedichten, sie dem hocherfreuten Dichter als Weihnachtsgabe sendend. Sie wurden später veröffentlicht. Schließlich sei noc< erwähnt, daß Emanuel Geibel als Student an der Berliner Universität 1836 in der Französischen Straße 36,
bei der Witwe Busch, wohnte. Das Haus ist jekt Neubau. Im Winter 1845 nahm er seinen Aufenthalt in dem noch vorhandenen Hause En>eplaß 3. Schon aus dieser flüchtigen Skizze wird der geneigte Leser ersehen, daß auch die Reichshauptstadt alle Beranlassung hat, des 100jährigen Geburtstages des großen Dichters und edlen Menschen, der stets für Berlin und die Berliner so sehr sympathisierte, pietätvoll zu gedenken. Berlin, im Juni 1915.
((/ &)
"5 SSE ENENISNEE 5374 a
' Die Lustschisse König Friedrichs 1. (111.)
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von Preußen (1688-1713).
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Bon Chr. Boigt.
'
c Mit 7Abbildungen). ») NerAAN272
; S ; C ährend der 1.,Regierungszeit desfranzösischer ersten Preußenkönigs, Friedrichs als vorwiegend und nieder-
ländischer Einfluß im Kunstleben des jungen Königreichs
sich geltend machten, erfreuten sich Kunst, Wissenschaft und Technik fürstliher Gunst und Förderung in reichem Maße. Es ist dies die farbenfrohe und in malerischer Formengestaltung schwelgende Zeit des Barod>ks; sie gibt den Rahmen ab für das glänzende Bild des preußischen Hofes, das mit den Namen Sophie Charlotte und Leibniz
eng verknüpft ist. Man hat Friedrichs Berdiensten gegenüber den Einwand er-
hoben, seine kostspieligen Neigungen nicht immer mit der Finanzkraft seiner Staaten in Übereinstimmung gehalten zu haben. Mögen sols, umb selbige zu sehen,
zugelauffen, daß Er sie wieder nach dem Werff hat bringen müssen.“ Die Fahrt nach Hamburg ging im Schlepp über die Watten glücklich von statten; mit ihr sandte Schmettau dem König eine
Anzahl ausländischer Bögel, mit dem Wunsche, daß die Jacht „lange Jahre zu Dero plaisier dienen möge“. Zur Bflege und Wartung der Bögel wird der Kutscher des Gesandten, der in Berlin Frau und Kinder hat, mit einem Wochenlohn von 1*/, Talern mitgeschi>t. Mit dem Eintreffen des Schiffes in Stade am 1. September 1705 versiegen indes
alle weiteren Nachrichten über sein ferneres Schisal. Fraglos ist es in den Bestand der königlichen Lustfahrzeuge übergegangen und
hat neben der zwei Jahre später ebenfalls nach Madderstegs Entwurf zu Amsterdam erbauten zweiten Jacht seiner Bestimmung gedient. Lekhtere Jacht übertraf ihre Borgängerin noch erheblich an äußerer und innerer Ausstattung; sie kostete mehr als das Doppelte. In seinem Bericht vom 1. September 1707 äußert sich Schmettau über ihre Einrichtung wie folgt:*) 1) Bgl. dazu P. Boissonnade: Histoire des premiers essais de relations 6conomiques directes entre la France et l'etat prussien (1643-1715).
Paris,
1912, S. 363 u. 457.
2) Hohenzollern-Jahrbuch 1902, S. 255 ff. 3) Hohenzollern-Jahrbuch 1902, S. 259. Man vergleiche hiermit das Jnventarienverzeichnis der Jacht bei B. v. Köhne: Berlin, Moskau, St. Petersburg
1649-1763 (Heft XX der Schriften des Bereins für die Geschichte Berlins 1882, S. 122), das anläßlich ihrer Übergabe an ihren späteren Besiker, den Zar Peter den Großen, aufgestellt war. Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
24
Een5
mit einem Karmoisin- und Sammettkissen mit Goldbesatz für den König ausgestattet war. Die Kosten des Schiffes sollen 100 000 Taler betragen haben, ein für jene Zeit gewiß erheblicher Betrag, der indes in Ansehung
der prunkvollen Ausrüstung nicht unglaubhaft erscheint.
Eine Probefahrt auf dem „Ij“ zu Amsterdam ergab, daß die Jacht beim Aufkreuzen allen Schiffen und sonstigen Jachten, „so mit ihrem wimpfeln Ewr. Königl. Mayt. Jacht zu Ehren mitsegelten“, glatt vorbeilief. „Wann im Lavieren das Segel überfiel, so drehete sich die Jacht mit solcher Geschwindigkeit nach dem Ruder, daß es ein sonderbahres plaisir zu sehen war. Jn Summa, diese Jacht passiret alhier durchgehends vor die reicheste und bestordonnirete, so jemahls zu Amsterdam gemachet worden ist, absonderlicke auf den Wällen dreimal nacheinander solche Jacht grüßten und diese Jacht, als Se. Majestät mit den Herren Markgrafen ans Land gestiegen, der vorigen dreimaligen Salutation mit einer einzigen Salve von allen zwanzig (richtiger 22 Stü.) Stü>en, so auf der Jacht sind, antwortete und dankte, Seine Königl. Hoheit der Kronprinz waren nicht mit auf dem Schiffe wegen dero noch anhaltenden Fiebers, sondern ritten am Ufer her, um diesen Einzug des Schiffes mit anzusehen, welches bei dem Einzuge alle seine Wimpfel, bei vierzig an der Zahl, ausgehangen hatte.“ Nicht minder anschaulich ist die Schilderung, die uns Heusch, 1708, 10. März, von dem festlichen Ereignis gibt:?)
„Seine Königl. Majestät in Preußen haben vorgestern zu Mittag nebst dero Herren Brüdern und des Erbprinzen zu Hessen-Kassel
Durchlaucht zu Charlottenburg gespeiset und begaben sich nach der Mahlzeit auf das aus Holland gekommene Jacht, womit dieselbe den Fluß herauf in die Stadt bis vor das Schloß gefahren; weilen man keinen Wind hatte, so mußte das Schiff von mehr als 100 Sol-
daten heraufgezogen werden. Aus des Oberkammerherren Garten?) wurde erstlich die Borbeifahrt aus 10 alda gepflanzten Stüken mit
einer dreimaligen Salve begrüßet, welches ebenfalls hernach, wie man an und in die Stadt gekommen, mit einer dreifachen Salve
aus allen Stüdken, so auf den Wällen um die Stadt herumstehen,
geschehen ist. Das Jacht hat über zwanzig, drei a vierpfündige Stücke, die sich auch waer hören ließen. Die Wälle und beide Ufers waren von einer solhen Menge Zuseher angefüllet, daß es nicht zu beschreiben, und ist also diese Einfahrt sehr prächtig und schön HW. Gundlach a. a. O., 11. Band, S. 282.
2) Der Garten des Oberkammerherrn Grafen Wartenberg gehörte zum Schloß Monbijou, das von der Gräfin Wartenberg errichtet ward und 1711 in den Besit
des Königs überging.
(G. G, Küster a, a, O., Dritte Abteilung, S,. 87/88). 34%
GRRR5
Raum für ein Fahrzeug mit der ansehnlichen Länge von 82 Fuß, wie es unsere Jacht war; sie ward nach Potsdam übergeführt und erhielt dort im Lustgarten, in dem neu angelegten Jachthafen, dem
heutigen Karpfen- oder Neptunsteich, ihren Antkerplaß.
Wir kommen nun zu den Abbildungen, die uns von dem schönen
Schiff überliefert sind:
1. Die Jacht vor Amsterdam. Stich von Johann Ludwig v. Wolfgang. (Abgebildet im Berliner Kalender 1903 und im
Hohenzollern-Jahrbuch 1902, S. 259.) Das Schiff ist in der Ausrüstung begriffen, noch fehlt die Geschüßarmierung. . In einem lateinischen Carmen unterhalb des Bildes besingt David Hoogstraaten
Friedrichs Berdienste und die Borzüge der Jacht. 2. Stich von demselben Künstler (Abb. 5) zeigt unten links in einer malerisch wirkenden Kartusche die Widmung des Künstlers an
den König, der sich selber den Ersten nannte, aber hier ohne Berechtigung der „Bierte“ genannt wird.
Wir sehen die Jacht von der
Badbordseite und erhalten damit ein interessantes Gegenstü> zu dem später noch zu behandelnden Stich von Johann Georg Wolfgang, der das Schiff von der Steuerbordseite zeigt. Auch dieses Bild zeigt uns die Jacht auf dem Ij im Angesicht der Stadt Amsterdam mit den einspringenden Grachten und dem Schiffsgewimmel. Auchhier fehlen dem Schiffe noch die 22 Kanonen. Der Rauch am Bug entsteigt der vorn gelegenen Kombüse. Die
Segel sind beschlagen und eine Anzahl Wimpel und Flaggen geseßt.
3n der prächtigen Hekverzierung sind Gottheiten, Hippokampen usw. sichtbar. Während auf dem Bild zu 2 neben preußischen Flaggen auch holländische angedeutet sind, sehen wir auf dem Bild zu 1 auf
mehreren Schiffen preußische Adlerflaggen.
Auch auf dem Bild
En ]333[
zu 2 hat Hoogstraaten ein lateinisches Loblied beigefügt. Beide Gedichte folgen unten im Wortlaut. 5. Ungleich großartiger wirkt das Lustschiff auf unsere Borstellungskraft in dem Stich, den der Kgl. Hofgraveur Johann Georg Wolfgang nach dem verloren gegangenen Ölgemälde Madderstegs angefertigt hat (Abb. 6). Der Berein für die Geschichte Berlins hat das Berdienst, den Stich in seinen Folioschriften Kunstbeilage 9 durch
Reproduktion weiteren Kreisen zugänglich gemacht zu haben. Bei näherem Zusehen entdedken wir hier eine Fülle interessanter Einzelheiten. Schloß und Spree sind von Norden gesehen. Das schräg von achtern sich zeigende Schiff wendet uns seine Steuerbordseite mit dem He> zu; es liegt zwischen Burgstraße und Lustgarten, von dem die Grotte nebst Gitter und Pomeranzenhaus sichtbar sind, bei dem damals noch dort befindlichen Spreearm?), im Hintergrunde die Lange Brücke mit dem Denkmal des Großen Kurfürsten und die Türme von St. Nikolai und St. Petri. Brücke, Lustgarten
und Ufer sind dicht mit Zuschauern besezt. An den offenen Kajütfenstern ist der König mit Gefolge sichtbar. Unter dem Sonnensegel und auf dem offenen Borderdet ist eine stattliche Anzahl vornehmer Gäste versammelt, Boote und Kähne mit geputzten Zuschauern und neu hin-
zukommenden Gästen umschwärmen das S) kostümierte Hofpauker und Hoftrompeter mit betreßten Hüten musizieren. Die Trompeten führenFähnchen mit dem Königlichen Wappen. Die lateinische Unterschrift des Bildes besagt: „Lustja-*) und sonstigem Zierrat gesce quer durch die Museumsinsel und ward erst beim Bau des „Alten Museums“ zugeschüttet. Eine Darstellung von ihm bringt das Hohenzollern-Jahrbuch 1910, S. 250.
?) Unter „metallenen“ Geschüßen sind nach damaligem Sprachgebrauch „bronzene“ zu verstehen. 3) Bei v. Köhne a. a, O. S. 119 irrtümlich mit „Bugspriet“ übersetzt.
Demnach führte die Jacht den Namen „Friedrich“ oder „Fridericus“; ersterer Name wird auch von Nicolai überliefert?).
Bon besonderem Interesse ist die äußere Ausschmü>ung des Schiffes). Der Spiegel zeigt ein von zwei Genien getragenes Medaillon mit dem Bild des Königs, oberhalb den Namenszug F. R., umgeben von allegorischen Frauengestalten. Am Het eine weibliche Figur mit Rüstung und Zepter, Europa darstellend, neben ihr an der Steuerbordseite „Afrika“ im Feders mit Palme, Kamel und Strauß.
An der anderen Seite (Backbordseite) können wir annehmen, waren „Asia“ und „Amerika“ vorgesehen. Diese Seite der Jacht zeigt uns das unter 2 angeführte Bild. Auf der Außenwand der Kajüte ist das Meer mit Schiffen und dem Wagen der Amphitrite dargestellt, von Hippokampen gezogen und begleitet von Tritonen
und Nereiden. Außenbords weist der Rumpf reiche Malerei auf; die Geschüßpforten umgibt ein Lorbeerkranz mit Krone, als Gallionsbild ist ein Reiter zu Pferde =- nach v. Köhne a. a. O. „Curtius“ =-
in römischer Rüstung angebracht. Die drei Helaternen tragen Kronen, ebenso die Rahnoen, der Göschsto> und der Flaggensto& am He>. An letkterem webt majestätisch die Königsflagge, die den von wilden Männern gehaltenen
Adlerschild mit gekröntem Helm und darüber das Wappenzelt aufweist, über dessen Krone sich die Reichsstandarte erhebt. - Auf dem Seitenschwert, das v. Köhne in seiner Beschreibung S. 118 irrtümlich als Steuerruder bezeichnet, sehen wir den
preußischen Königsaar, der auch sonst auf dem reichen Flaggen- und Wimpelsc e, Bauschgewand), sondern auch in der Geschübßgießerei (Reliefbilder, Porträts auf den Kanonenrohren) und beim Schiffbau zur Geltung. He> und Spiegel wurden mit oft prächtigem Schnißwerk überladen, das an sich unpraktisch und in der Seeschlacht der Vernichtung geweiht war, Für diese Abart der Holzbildhauerei für die Schiffsrümpfe gab es eigene Gilden,
An Takelage führt das Schiff Großmast, dessen Topp eine Figur sc, Bugspriet mit Klüver, ferner achtern einen Treibermast mit dem dreiekigen Besahn. Die Segel sind festgemacht, und das Schiff wird mittels Trosse von einer Anzahl Soldaten, die wir rechts am
Ufer erbliken, verholt. Wir haben in dem Schiff keine Jacht im engeren Sinne, d. hb. ein kleines einmastiges Fahrzeug, sondern eine „Boyerjacht“ holländischen Typs vor uns.
Beachtenswert ist noch ein am Ufer des Lustgartens entlangfahrendes Fahrzeug, das ebenfalls im Schmu> von Flaggen und
Hecdzierat mit Gästen besett ist. Nach Borausschikung der Erklärung unseres Stiches erscheint eine Untersuchung der Frage nicht unwert, welchen Zeitpunkt und welches Ereignis er darstellt; denn er selber gibt darüber keinen Aufsen) im Lustgarten.
Damals war die so lebenswahr wirkende Gruppe
Neptun und Amppbhitrite noch nicht in ihn eingebaut; sie ist eine Schöpfung Knobelsdorffs und somit später entstanden. Das Been ward vor der Schloßfront in rechte>iger Gestalt angelegt; die Einfahrt lief von der Havel aus in der Längsrichtung des Be>ens und wurde
erst mit der Aufschüttung des Bahndammes seitlich abgelenkt. Auf den Plänen von Suchodolek und Memhardt findet sich das Be>en noch
nicht; erst auf späteren Plänen ist es eingezeichnet. Diese Örtlichkeit stellt das Bild dar. Jm Hintergrund die Höhen des Brauhausberges, links die Lange Brücke und ein Springbrunnen, rechts die Marmor„Puppen“, im Beden selber unsere Jacht. In der zugehörigen Anmerkung 27 S. 33 heißt es: „Die feine, offenbar neuerer Zeit
angehörende Darstellung, besonders die Staffagefiguren, sowie“ das große preußische Staatswappen auf der... Hekflagge, welch ersteres im 19. Jahrhundert erst die angegebene Gestalt erhielt, ließen uns
annehmen, daß die Darstellung des Schiffes verhältnismäßig jung sei“. Dazu sei bemerkt, das Bild kann nur neueren Datums sein;
Grund zu dieser Annahme bietet aber nicht das Borhandensein der großen Standarte oder Staatsflagge (He&flagge), denn sie stand schon bei der Indienststellung des Schiffes fest (1708). Vergleichen wir nämlich unsere Skizze mit anderen zeitgenössischen Abbildungen der Jacht, 3. B. mit dem unter 3 angeführten Stich 3. G. Wolfgangs,
so ergibt sim ohne weiteres hinsichtlich des Schiffes eine völlige Übereinstimmung beider Bilder; in allen Einzelheiten, wie Stellung des Schiffes, Takelage, Flaggenshmu> kommt sie zum Ausdruc, vornehmlich aber bei der als neu bezeichneten He>flagge. Es ergibt
sich danach, daß Müller den Wolfgangschen Stich als Vorlage benußt und dazu die Jacht aus dem Spreearm in den Potsdamer Karpfenteich
versetzt hat, wobei die Annahme naheliegt, daß der Grund für die Anlehnung des Künstlers an sein technisch genaues Vorbild in
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1. Berlin um 1700. Nach Stich von P. Schenk.
2. Schloß zu Berlin um 1695 mit der neuerbauten Langen Brüce.
Nach einem Ölgemälde im Schloß zu Tamsel. Zu S,. 523 der Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins,
Heft 50.
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+: ten mit ihrem bunten Flaggens unschwer den wagehalsigen Spreeathener zu einer Wasserfahrt. Das Modell einer solchen
„Gondel“ befindet sich im Märkischen Nuseum zu Berlin. Über die Treschuten äußert sich D. Faßmann in seinem „Reisenden Chineser“ (S. 322), wie folgt: „Damit auch denen Leuten die Passage dahin (nach Charlottenburg) desto commoder gemachet werden möchte, ließen Ihro Majestät eine Trekschuyte auf der Spree anlegen, welche alle Tage zweimal von Berlin nach Charlottenburg, und von da wieder nach Berlin abging. .. Man gab seine 2 Groschen und sekzte sich in die an-
gelegte Trekschuyte, alwo stets Kompagnie und auch die meiste Zeit Spielleute anzutreffen gewesen.“ Bon der Glo&e, die zum Abfahren der Trekschuten gebraucht wurde, erfahren wir noch, daß sie nach dem Wortlaut der Kabinettsorder vom 16. Februar 1708 neben ihrer eigentlichen Bestimmung auch noch bei dem Gottesdienst in der dafür in Charlottenburg ein-
gerichteten Wagenremise (heute Schulgebäude Schloßstraße 2), der ?) Bgl. dazu ebenda S, 535ff.: C. v. Bardeleben: Die Treschuiten-
Verbindung von Berlin nach Charlottenburg zu Anfang des 18, Jahrhunderts. 2?) Bei der „Wasser-Pforte“ (GS. G. Küster a. a. O., Dritte Abteilung, S, 161).
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mit dem Schwinden des Marinegedankens sportliche Bestrebungen in den Hintergrund, ernste Zeiten erfordern die Durchkämpfung der Hegemonie in Mitteleuropa. Neue Blüte zeitigt dem Wassersport Preußens allmählich erwachender Wille, an der Seegewalt sich zu beteiligen. Kaiser Wilhelm 11. krönt solch Beginnen durch Schaffung deutscher Seemächtigkeit; Hand in Hand damit geht die Neubelebung des Wassersports, der sim auch unter veränderten Zeitverhältnissen Kaiserlicher Förderung erfreut. So ist in stetem Fortschreiten vieles erreicht, und doch wird der, der in kleinen Anfängen den Keim zu höherer Entwiklung zu erbli>en geneigt ist, gern den Blik zu jener
reizvollen Spanne hauptstädtischen Wassersports unter Preußens erstem König zurüclenken. 1) W. Gundlach a. a. O., l. Band, S. 60.
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. Die Berliner Jugend und der Deutsche » Dom im Anfang des 19. Jahrhunderts. ;
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er erste Frühlingssonnenschein lo>t die Großstadtkinder,
die ihr Leben im Winter in trüben und dunklen Wohnungen
7-“verbringenmußten, auf die Straßen und die nicht zahlreichen Plätze, um althergebrachte, aus Urgroßvaters Zeiten überkommene Spiele zu veranstalten. Manch grau gewordenes Männlein und durch schwere Arbeit gebeugtes Mütterchen bleiben im hastenden Getriebe ein Weilchen stehen, um den Murmel-, Kreisel- und anderen Spielen der Jugend
zuzuschauen, wehmütig der eigenen frohen, sorgenfreien Kindheit gedenkend. Harmlos sind die Spiele, und in dem Murmelspiel besteht der Einsaß und Gewinn wieder nur aus Murmeln, und niemandem
kommt wohl der Gedanke, daß dieses kindliche Spiel einstmals zu den gefährlichsten Glücsspielen der Berliner Jugend gehört hat, das sct.
Enn]56(BIDDED Die Quellen.
Um weiterhin lästige Wiederholungen zu vermeiden, seienhier
im voraus die hauptsächlich benutten literarischen Quellen genannt,
wobei ich nicht unterlassen will, den Berwaltungen der königlichen und städtischen Archive, des Kgl. Polizei-Präsidiums, Berlin-Mitte, Bauamt 9, sowie des Märkischen Museums an dieser Stelle für ihre gütige Unterstüzung meiner Arbeit bestens zu danken.
Friedrich Nicolai, „Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam. . . . .“ Hier ist im allgemeinen die Ausgabe
von 1786, als die sorgfältigste der vier Ausgaben, benußt worden.
Friedrich Holthe, Die Beroliniensien des Peter Haftiz. j
Berlin
1894. Schriften des Bereins für die Geschichte Berlins, Heft 31.
Martini Zeileri, Topographia Electoratus Brandenburgici, veröffentlicht von den Erben des Matthaei Merian (gestorben 1650) im XIII. Bande seiner Topographien. Frankfurt a. M.
1652.
Hinter der gestochenen Ansicht der „Chur, Fürstl.
Resi. St. Berlin u. Cöln“ von Matthäus Merian befindet
sich der berühmte Grundriß beider Städte von Johann
Gregor Memhard, vereinzelt mit 1648 bezeichnet. Die Wendlandsche Chronik 16438 bis 1701 in der Berliner Magistratsbibliothek, Berlin. Abgedrukt in den Schriften des
Bereins für die Geschichte Berlins, Heft 1. G. G. Küster, Altes und Neues Berlin. 5 Teile, von 1737 "bis 1756.
3. C. Be>kmann, Chronik der Stadt Berlin.
Handschrift
in drei Bänden von 1759 und folgende. Magistratsbibliothek.
E, Fidicin, Berlin historisch und topographisch dargestellt. Berlin bei C. H. Jonas. 1843. N. Borrmann, Die Bau- und Kunstdenkmäler Berlins.
Berlag von Julius Springer.
1893.
Berlin.
Darin „Zur Geschichte
Berlins“ von P. Clauswißz.
Der Bär, Illustrierte Berliner Wochenschrift. Die angezogenen Arbeiten sind, ebenso wie die übrigen benutzten Quellwerke, an den betreffenden Stellen genannt.
1. Kapitel.
Zur Topographie des Friedrichswerders. Hinter der heutigen Oberbaumbrücke zweigt bekanntlich ein Arm von der Spree ab und fließt an der Insel der Stadt Cölln vorüber.
Dieser Spreearm teilte sich nun ehemals jenseits der Gertraudtenbrüde wiederum in drei Arme, die zwei Inseln oder Werder umflossen und sich dann in Gegend des Hohenzollernschlosses in einem breiten Been wieder vereinigten?). Als der Große Kurfürst hier die Anlage der neuen Stadt Friedrichswerder begann und sie in die
Befestigung seiner Residenz einbeziehen wollte, wurden die Wasserstraßen reguliert, und zwar ward Johann Gregor (oder George) Membhard, Ingenieur und Baumeister aus Linz, damit beauftragt. Der östliche Arm, Mühlengraben genannt, wurde anseiner Einmündung überbaut, so daß die dort befindlihe Brü>e -- Arke oder Arche genannt?) -- verst: Die Unterwasserstraße gehört zum westlichen Uferrande des Shleusengrabens; sie-geht von der Shleusenbrüde bis zur Jungfernbrüde und Alten Leipziger Straße, bei deren EXe Raule's Hof liegt. Etwa in der Mitte der Unterwasserstraße mündet die Holzgartenstraße, die von der zweischenkelig gebogenen Adlerstraße: eingefaßt wird. Die Rücseite der Unterwasserstraße bildet die Kurstraße, früher in diesem Teile als „Alte
Friedrichstraße“ bezeichnet.
Zeittafel. 15. Jahrhundert: Das Reithaus angelegt (später Werdersche Kirche) (s. Nicolai 1, 1786, S. 160 Fußnote). 16. Jahrhundert: Erbauung von Häusern für Hofbediente auf dem östlichen Werder (Nicolai 1 S. 150). Ein Kurfürfstl. Jägerhof im Tiergarten genannt, der bis in die Gegend
der heutigen Jägerstraße reichte (Nicolai S. 157; s. unter 1604f.). 1578 Neubau der Schleuse (Nicolai 1 S. 150 Fußnote: „Die Kalksteine aus Rüdersdorf . . . zum Festungsbau in Spandau konnten
wegen dieses Baues nicht durchgelassen werden.“). Die Angabe
Nicolais, daß die Bürger 1448 gerade diese Schleuse aufgezogen hätten, um den Burgbau zu hindern,ist zurükzuweisen,
Enn]561[ZBDD 1585 „...das neue schöne Haus neben dem Schlosse, auf dem Werder an der Spree gebauet, darin die Alchymisten gekünstelt.“ --
Chronik des Peter Haftiz Nr. 72. (Rach Nicolai S. 150 auf dem östlichen Werder; keinesfalls „wo heute die Kommandantur
liegt“, wie Klöden sagt (s. auch Fr. Holte, „Die Beroliniensien
-
des Peter Haftiz“, Berlin 1894).
1588 Dem Oberkämmerer Georg v. Oppen wird ein Garten mit
großem Teiche verliehen, ungefähr in der 'Gegend am Ende der Alten Leipziger Straße, „wo jetzt des Herren Staatsministers v. Herkberg Excellenz Behausung liegt“ (Nicolai 1 S. 151 Fußnote). Dieses Ministerhaus lag an der Stelle des
16853 erbauten, 1734 abgebrochenen Leipziger Thores, jeßt Niederwallstraße 12, =- Gewerbeschule (Borrmann S. 146, 149). 1598 Anlage des Borwerks der Kurfürstin Katharina (s. unter 1604) mit Scheunen und Ställen auf dem Gartengelände des Cöllner Bürgers Tobias Spiegel, das der Kurfürst Johann Georg 1553 gekauft hatte (Nicolai S. 140, 141 u. 1510. Die
Kurfürstin Katharina, erste Gemahlin Joachim Friedrichs, wird als „treffliche Wirtin“, als „Muster der Frauen“ bezeichnet... Sie war eine Hohenzollerin, Tochter des Johann von Küstrin, und lebte von 1541 bis 1602),
1598 Erneuerung des Lusthauses und Tanzhauses (Nicolai S. 140; |. auch unter 1660). 1602 Neubau
verschiedener
der
Hofbedientenwohnungen » des
16. Jahrhunderts (Nicolai S. 150). 1604 „Ein Kunstmeister an der Schleuse im Totenregister der Petrikirhe genannt“ (Nicolai S. 150). 1604 Der Jägerhof wird in ein Gebäude des Borwerkes der Kur-
fürstin Katharina verlegt (Nicolai S. 141 u. 157; s. auch unter „16. Jahrhundert“, 1598, 1604, 1617, 1640). -. 1617 Philipp Hainhofer aus Augsburg notiert, was er aus einem
Fenster des Kurfürstlihen Schlosses „auf dem Werder“ siebt: ... „Der Kurfürstin Borwerk, die Wohnungen
für Handwerker, so täglich zum Schlosse benötigt, ...ein Wagenhaus nebst Stallungen, ain groß new Reithaus (1. oben), etliche 100 Schuh lang, hoch und breit, ain Jägerhaus (s. unter 16, Jahrhundert, 1604 u.a.O.) (bei Küster, der sich 1) Siehe Joh. Friedr, Michaelis „Negenten-Tafel , , .“ Berlin 1837 u. a, O. Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 50.
36
Übrigens hier wenig zuverlässig zeigt, Bd. 3, S. 148 erwähnt, als im Jahre 1756 noh bestehend, „io aber ist es das Wildhaus“), ain Haus für die Wünd heßer, das Ballhaus (s. unter 1598 und 1660), die Hundsbrüde (später Schloßbrüce), die Schleuse (s. S. 558). . .“ Hiermit stimmen überein
die Schilderung in Zeilers Topographie und die Angaben auf Merians Ansicht von Berlin und Memhards Grundriß (s. unter
1648). 1631 „begann man auf dem Werder die ersten Häuser zu bauen“
(Borrmann-Clauswiß S. 57?) und S. 70). 1640 „...zog Graf Schwarzenberg auf dem Werder, vor dem Jägerhofe und dem Reithause einige Befestigungslinien und Schanzen, die mit Stüken bepflanzt wurden. Der Grundriß davon ist auf Memhards Plan von Berlin. . . zu sehen. Diese
Befestigungen verursachten, daß bey der nachherigen Abbrennung der köllnischen Borstädte diese kurfürstlichen Häuser verschonet wurden“ (Nicolai S. L1]). Diese Notiz wird durch die Schilderung in Zeilers Topographie S. 27 f. bestätigt: „daß also fast nichts als des Churfürsten Reit- und Ballhaus dies Orths stehen geblieben, welche beede zur defension verschanßt wurden.“
Die Ansichten von 1648
zeigen, daß die Anlagen auf dem Friedrichswerder durch die „aus Forcht vor den Schwedischen Stalhansischen“ unternommene Abbrennung wenig berührt waren. 1645 Anlage einer Walk- und Schneidemühle... am dritten
Arm der Spree (Nicolai S. 151, Memhards Plan Nr. 3). Der Kurfürstliche Holzgarten von Nicolai erwähnt. Küster „...und soviel es das sehr morastige Erdreich leiden
wollen, Brennholz darum geseßt worden; wie dennnoch ito eine Straße auf dem Friedrichswerder den Namen Holzgartenstraße davon führt“, Die Holzstapel sind auf Memhards Grundriß von 1648 deutlich erkennbar. um 1646 Ein kurfürstlich er Baumgarten wird auf dem Grunde
des ehemaligen Borwerkes angelegt (Nicolai S. 141). vor 1648 Merians Ansicht der „Chur-Fürstl. Resi. St. Berlin u. Cöln“ in Kupferstich zu Zeilers Topographie... Der 1) Siehe „Der Bär“, Ig. 1884, S. 743f. und 754, „Berlin im Jahre 1617“ von Fr. v, M, -- Jg. 1883, S,. 683 in „Bilder aus dem alten Berlin“,
ER ]563 deuten soll, so würde die erste Anlage derselben eine einfache
Stauschleuse gewesen sein. Im übrigen ist der Schleusengraben
no< nicht reguliert, weshalb die Zeichnung vor Memhards
Grundriß entstanden sein muß.
1648 „Grundriß der Beyden Churf. Residenz Stätte Berlin und Cölln an der Spree“ von Johann Gregor -Mem-
hard Churfl. Ingenieur, meistens undatiert hinter der vorgenannten Stadtansicht Merians der Zeilerischen Topographie beigeheftet; es gibt auch mit 1648 datierte Exemplare. Der Bestand entspricht Hainhofer und Merian. Die Mühlen, der Kurfürstliche Holzgarten sowie der „newe Churfürstliche Baumgarten?)“ sind angegeben. Das Terrain liegt aber im ganzen noch wüst. Bon höchster Wichtigkeit ist, daß der Schleusengraben schon vollkommen reguliert und mit einer doppeltorigen, sogenannten Kammerscmann sagt, daß Memhard das Grundstü> am 26. Oktober 1653 geschenkt wurde. Seine Witwe verkaufte es 1679 dem Balth. Kleinsorge*). 1654 Die Schleuse wird aus Kalksteinen erbaut; der Bau-
meister, der sie liederlich ausführte, flieht (s. die folgende Urkunde unter 1657). Nicolai schreibt S. 150: „1653. baute der
holländische Baumeister. Bibrand Gerritsen (dieser. Name ist a. a. O. nachweisbar) die Schleuse neu.“
Sollte dies der
in der Urkunde nicht namentlich aufgeführte „entlauffene“ Baumeister sein? 1657 Die Schleuse wird aus Holz völlig neu erbaut; ihre Erbauer sind Johann George Memhard, der aus Linz stammt, also nicht, wie bisher angenommen wurde, aus
Holland,
und
der Hofzimmermann Michael Mathias
Schmids (Smids) von Breda. Die in eine Kupferplatte gravierte Stiftungsurkunde, die beim Bau der Fundamente des Kaiser-Wilhelm-Denkmals
zusammen mit der Platte von 1694 (s. dort) gefunden wurde, lautet:
„Anno 1657 Hat Der Durcl.-/Churfürst Undt Herr Herr / Friderich Wilhelm, Marg-/Graf Zu Brandenb: Des Heyl. Röm: / Reihs Ertz-Cämmerer Undt Churfürst . . . (folgen alle Titel) . . . Diese Schleuse Aus Den Gr/Undt Aufs
Neu Bauen Lassen Nach / Dem Borhero Anno 1654 Eine Smann Bd. 1, S. 4, 8 9: „Der FriedrichsWerder hat zum Stifter den Großen Friedrich Wilhelm, maßen
ELER]56 besezet und alles zu einer Stadt eingerichtet worden.“ Nicolai S. 151 f.: „Die Abstechung der Straßen und der Anbau ward
Memmhardten aufgetragen. ..“ 1658 „Der Hofbä>er Hans Hoffmann erhält vom Kurfürsten den Platz in der jetzigen Kurstraße Nr. 22 zum Hausbau geschenkt; die Erbauung von -Nr. 18 und 43 folgen bald.“
(Fidicin S. 143, s. das hier Folgende.) 1660, 3. Juni. „Der Kurfürst schenkt eine Baustelle als Freyhaus in der Churstraße, auf der sich izo (um 1760) das Wismannische Haus erhebt“ (Be&>mann 111, KV1). Es war die auch bei Fidicin (S. 143) genannte Nr, 18, die dem „Geheimen und Kriegs-Canzellisten Christian Weidner“ verliehen wurde (Küster 11, S. 127, 8 2). Wohl zur selben Zeit wird Nr. 43 dem Hofjäger Emmerich zur Bebauung geschenkt (Fidicin S,. 143). 1660 Das Ballhaus wird abgerissen (sf. 1598 und 1617). Es lag nac< Memhard amUfer des Schleusengrabens, kann also kaum den Bauplaß für die spätere Einhorn-Apotheke in der Kurstraße abgegeben haben, wie Nicolai S. 151 sagt (s. unter 1678). 1662, 19. September. Erhebung des Friedrichswerders zur Stadt laut Stiftungsbrief des Großen Kurfürsten aus Küstrin (s. hier,
Kapitel 1). 1666 „waren bereits 92 Häuser (auf dem Friedrichswerder) erbauet, wovon 47 Kurfürstlichen Hofbedienten gehörten“ (Nicolai S. 152): 1669 Memhard wird zum Bürgermeister des Friedrichswerders ernannt (Nicolai S. 152). 1670 Der Schleusengraben, der inzwischen versandet war, wird vertieft; beide Seiten erhalten Holzschälung, die auf dem Plane des J. Bernhardt Schulß von 1688 und auf der Skizze „Prospekt zu Cöllen oberhalb der Spree an der
Jungfern Brücke“ des Joh. Stridbe> jun. von 1690 deutlich sichtbar ist. Die Ufer werden nun baureif gemacht. 1670 Das Akzise- und Zollhaus wird von de Chieze erbaut, nebst dem sogenannten alten Pakhof (der Niederlage) (Fidicin S. 146). Nicolai sagt, daß das lange Gebäude an der Straße erst 1688 von de Chieze aufgeführt sei (S. 160 f.). 1670 Ludwig de Chieze, der Better des bei den Festungs- und
Regulierungsarbeiten genannten, späteren Generalquartiermeisters Philippe de Chieze, kauft das Terrain Unterwasserstraße Nr. 2 und baut dort ein Haus, das später in den Besit des Refugie Dalengon übergeht (s. unter 1701). 1672 „und in den folgenden Jahren ward die Schloßfreyheit und auch die Kaye an der Schleuse -- d. h. das der Unterwasser-
straße
gegenüberliegende
Ufer
=- angebauet“
(Nicolai
STLIV): 1672 Das Werderische Rathaus hinter der Unterwasserstraße am Werderischen Markt wird von Joh. Simonetti aus Roveredo
errichtet. Es war nach Küster (S. 2, 616) „sonderbar, daß unter einem Dache Rathaus, Kirche, Schule, Gerichts-Stube, StadtKeller, Brodscharren, Gefängnis und Folterkammer gewesen“ (s- auch Nicolai S. 160, Erman S. 22 und Stizze von
Stridbe>). 1674 1. Bau des Hauses für Staatsminister Eberhard v. Dand&elmann, später das „Fürstenhaus“ genannt. (Küster, 3. Abtheilung, 5. Capitel, 8 6 „Fürsten-Haus . . . 1674
zu bauen angefangen, und nachdem der hochselige Churfürst Friederich der 111. zur Regierung gekommen, ward selbiges in den izigen Stand gesezt. . .“, Be>&mann Bd. 111, Fidicin
S. 142, Nicolai S. 155: „um 1678 nach Nehrings Rissen“), Erman S. 23: „Die Angaben über die Jahre der Erbauung schwanken zwischen 1674, 1678 und 1685;“ Bär 1388, S. 614: „Das ehemalige Fürstenhaus . . .:
1. älteste Teile 1674.
2. 1688 umgebaut und erweitert. 3. von Knobelsdorf umgebaut“ (s. unter 1688/1690). Das Haus lag neben dem
Werderschen Rathause in der Alten Leipziger, jekt Kurstraße, 1678.
also an der Rüdseite der Unterwasserstraße. An Stelle des 1660 abgerissenen alten Ballhauses wird Raule's Hof erbaut mit Durchgang nach dem kurfürst-
lichen Holzgarten (Nicolai S. 154f., Der Bär 1899, „Berlin
im Jahre 1699“ von Ferd. Meyer)2?), Schon vor 1678 waren
nach Fidicin (S. 143) ein Teil der Häuser der Holzgartenstraße =- Nr, 7, 82), 9 -- sowie das Haus des Obersten
v. Schlabrendorf, Unterwasserstraße Nr. 7, vorhanden, ebenso die Häuser Adlerstraße Nr. 11 bis 16, während andere bald darauf gebaut wurden, d. h. die Unterwasserstraße und ihre Umgebung war im Entstehen begriffen. Daß die Holzgartenstraße ihren Namen von dem verschwindenden
Holzgarten bekam, versteht sich von selbst. 1681 Gründung der Friedrichsschule, die 1683 mit der Vibliothek
zusammen in das Werderische Rathaus verlegt wird (Nicolai S.. 160). 1683 Das Leipziger Tor von Nering als Schluß der Festungswerke errichtet (s. unter 1588), 1685 Stadtplan des N. La Vigne, ingenieur; der Friedrichswerder entspricht schon etwa dem 1688 von Schult festgelegten Zustande. 1687 „Geheim-Secretair Schmidt erbaut das Haus Unterwasserstraße Nr. 4 auf einer leeren Stelle, die er vom Kammer-
gerichtsrat v. Berchem erkauft hat“ (Fidicin S. 142). Schmidt ist viele Jahrzehnte lang als Besiker nachzuweisen. 1688 „Plan der Städte Friedrichswerder, Berlien, Cölln an der Spree, Dorotheen Stadt“ von Joh. Bern-
hard Schult. Der Friedrichswerder seiner heutigen Gestalt entsprechend. Die Unterwasserstraße erscheint vollkommen bebaut, und zwar mit der gleichen Anzahl von Häusern, die
das Grund-Hypothekenbuch (Geh. Staatsarchiv Provinz Brandenburg, Rcp. 5a, Berlin, Titel 1, Sect. 1, Bol. 11) an-
gibt. Die Größenverhältnisse der einzelnen Grundstü>e sind verhältnismäßig richtig, so zwar, daß 3. B. die Fensteraxen von Nr. 4 und Nr. 5 wie 7 : 5 sind, während sie de fäcto 9 : 7
waren, d. h. der Zeichner hat die Breiten ungefähr richtig
gegeben. 1) Hier ward auch die Adlerstraße in Gegend des alten kurfürstlichen Hundestalles angelegt (Nicolai S. 155, s. auch E, Friedel, „Benjamin Raule und Raules Hof“ in „Brandenburgia“, Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatskunde, 24, Jahrgang) Nr. 1; 2). 2) Nr, 8 wurde von dem nunmehr verstorbenen Hofgoldschmied Paul Telge im alten Stil erneuert (s, E. Friedels vorgenannte Arbeit).
Genn]569ne 1688 Bau oder Ausbau „des Königl. Accise- und Zollhauses, nebst dem dahinter liegenden alten Pa>hofe (anfangs die Niederlage genannt) durch de Chieze“ (Nicolai S. 160 f., s. hier unter 1670). Bei Schult schon als vollendet gegeben.
1688-1690. Ausbau des Hauses des Staatsministers v. Dandel-
mann, später das Fürstenhaus genannt (f. 1674). Bei Schult 1688 noch ein einfacher Bau mit sechs Fensterachsen und breitem Plaß rechts; bei Stridbe&, wohl 1690, um mehr als das Doppelte verbreitert und dadurch dicht an das
Nebenhaus herangerüdt, übrigens noch während des Umbaues
gezeichnet. 1690 Der neue Jägerhof von Nering erbaut (s. auch unter 1604 u. a. O.; Nicolai S. 157, Bär 1883, S. 636 f.; Abb. bei
Stridbe> von 1690) ; die ihn seitlich begrenzende Straße heißt daher „die Kleine Jägerstraße“. 1765 ward die „Königl. Banco“ als Borläuferin der heutigen Reichsbank in das Erd-
geschoß gelegt. 1692 Nicolaus Gauget erhält das Privileg zu einem Adreßhaus (Leihhaus), nicht weit vom Fürstenhause in der Alten Friedrichstraße = Kurstraße, hinter der Unterwasserstraße. 1694 Der Kanal wird auf Befehl Kurfürst Friedrich 111. zu beiden Seiten mit Werkstü>en eingefaßt und mit einem eisernen
Geländer versehen (Nicolai S. 152, |. die folgende Urkunde). Die Schleusen werden erneuert.
Der Erbauer ist der
Oberbaudirektor Joh. Arnold Nering.
Die Schaumünze
des Raymund Falz aus demselben Jahre. zeigt die neuen Schleusen, zu beiden Seiten die Mühlen, die Quadereinfassung der Ufer und das Geländer; ebenso die Kopfleiste in Begers Thesaurus Regii Brandenburgici Bd. 111 zu S. 377. Die
Umschrift lautet: „ligneam inuenit, lapideam reliquit. 1694.“ (Die Shaumünze ist im Kgl. Münzkabinett, Abbildung in „Die Schaumünzen des Hauses Hohenzollern“. 1901. Text von
Prof. Menadier.) Der Text der Gründungstafel, die eine breite, gleichsam gedrüdte und am oberen Rande geschweifte Herzform zeigt,
lautet: .
„Anno 1694 hatt Friedrich der 111. Marggraff und Chur-
fürst zu Brandenburg bey noc< wehrendem schweren Kriege wieder Frankreich in wel-/chem der Höchste seine Waffen
sonderlich gesegnet nach dem Er /: in eben dem Jahre die Academie zu Halle aufgerichtet, die erste steinerne Brücke zu Trota, die Saale Schiffbahr zu machen gebauen / In dieser Churfürstl: Resident. die große Steynerne Brü>e und den
Hebgarten zur perfection gebracht. Diese Schleuse nach dem die / Fundamente der vorigen Hölkzernen mit großer Mühe heraus gear/beitet worden durch schwere Kosten aus QuaderStüdken, wiebe / zu sehen ist glücklich vollführet. Und haben die aufsicht über diese Gebäude gehabt Sein / Churf. Durchl: Geheimer Etats Rath Herr Eberhardt von Dandelmann, Arnold Nering Arch: und Ober-Bau-Dir: Hoff-Mauer Meister Leonard Braun
Hoff- und Fortification Zimmerleute Nicolaus und Bernhard Reichmann.“
1695 „Mein Christoph Pißlers Reise beschreibung Durch Teutschland.“
S. 426 unter 1695: „Die neue Schleuse wahr schön,
die Brü>e, durch welche die Mast von Schiffen gehen sollen, mußte man mit einer Winde aufziehen.“ (Manuskript in der Bibliothek der Technischen Hochschule zu Berlin-Charlottenburg 4, Buch Nr. 9436, S. 426.) 1699 Erbauung der Werderischen Kirc, um hierin den Betrieb der Kgl. Münzstätte zu ermöglichen. (Der Kanal wurde 1739 überwölbt, i, Nicolai, ist jezt aber zugeschüttet.) 1704 Die Königliche Münze wird wegen Neubau des Schlosses aus dem Münzturm nach Unterwasserstraße Nr. 2 verlegt. Anno *1717 bis 1718 wird na< Be>mann Bd. [111 die Kgl, Hausvogtei oder das Hofgericht in das benachbarte
ehemalige Wiebekingische Haus verlegt, das der König 1) Bgl. Beringuier, Die Colonieliste von 1699, Nr, 681,
Ennnz im „Berliner Adreß Calender... Auff das Jahr Christi 1706“ genannt. Die Notiz lautet: „Hr. Daniel Ludolf Freyherr von Dandelmann, würdlicher geheimer Staats und Kriegsrath, General-Kriegs-Commissarius, wohnt auf dem Friedrichs Werder am Wasser inseinem Hause.“ (Näheres
s. im folgenden Kapitel.)
Wenn ich diese vorstehende Tabelle in bezug auf das Haupt-
thema dieser Ausführungen übersehe, so möchte ich folgende Resultate als wichtig kurz hervorheben:
Die Bebauung der Unterwasserstraße ist an die Regulierung der
Schleuse, des Schleusengrabens und seiner Ufer gebunden. Erst als diese zwischen 1654 und 1670 vollendet ist, kann ein allgemeiner Anbau erfolgen. Zwischen 1670, wo sich Ludwig de Chieze sein Haus baut, und 1688, da der Stadtplan des Joh. Bernh. Schultz bereits
die Straße mit all ihren' Gebäuden fertig zeigt, sind nachweisbar vollendet Nr. 2 (1670), Nr. 4 (1667), Nr. 7 (um 1678) und Raule's
Hof (1678), anzunehmen das Wiebekingische Haus (Nr. 3); auch die Bebauung . der angrenzenden Straßen ist größtenteils bereits
durchgeführt. Wennsich also für unsere Nr. 5 ein Besitzer erst 1706
feststellen läßt, so ist hiernach doch anzunehmen, daß das Haus wohl schon früher erbaut wurde, nämlich zur Zeit der fleißigen Durchführung der Straßenzüge, da Schultz 1688 es auf seinem Plane in relativ richtigen Berhältnissen einzeichnet. In folgendem sei nun die Geschichte des Hauses Unterwasserstraße Nr. 5 des Näheren betrachtet. 1) Nach Be>mann 11, KV1 „Das Königl. Hofgericht“ hat das Wibekingische Haus „nicht an der straße, sondern seitwärts gelegen, es war unten zwar massiv, oben aber Fachwerk“,
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des Grundstü>es seit dem Jahre 1810 dar.
Es ist mir, wie in
folgendem näher gezeigt wird, gelungen, das Haus und die Reihenfolge feiner Besißer lükenlos bis in das Jahr 1706 zurüczudatieren; doch machen die im Kapitel 2 gegebenen Tatsachen seine Erbauung im letzten Biertel des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich. Die folgende Liste der Eigentümer, die zugleich den Ablauf seiner Geschichte umschließt, erscheint lüfenlos und gewissermaßen jelbstverständlich; doch war es keineswegs leicht, sie zusammenzustellen. Die Hausakten beginnen 1810; das Grund-Hypothekenbuch umfaßt nur einige Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts, so blieben denn nur, da das Königliche Haus- und das Staatsarchiv nichts hierüber besizen, die Berliner Adreßkalender übrig. Sie erscheinenhier seit 1704 (ein Exemplar im Kgl. Hausarchiv, eines im Märkischen Museum) „mit Approbation der Sozietät der Wissenschaften“ und konnten mit Ausnahme des unter anderem Titel veröffentlichten Jahrganges von 1705, der nirgends vorhanden war,in den verschiedenen Archiven und Bibliotheken eingesehen werden; doch war das nur ein Tasten auf gut Glü&k. Der Titel: „Adreß-Calender / Der Kön. Preuß.
Haupt- und NResidentz-Städte Berlin und daselbst befindlichen Königl. Hofes Auch anderer hohen und niederen Collegia, Instantien und Expeditionen. Auff das Jahr Christi. . . .“ sagt bereits, daß es sich nur um ein Handbuch für den Hof und die Hofämter im
weitesten Sinne handelt von den höchsten Hofchargen, Staatsministerien und Ordensrittern bis zu den Kammertürken. Der
„amtlose“ Bürger hat in diesem „Adreß-Calender“ nur insoweit Daseinsberechtigung, als sein Name Haus oder Wohnung des betreffenden Beamten näher bezeichnet, so 3. B. „Herr Pesne, Hof-
Portrait-Mahler wohnt aufm Friedrichswerder hinterm Pak-Hof im de Regischen Hause“ (1724). Straßennamen stehen, besonders für die „neuen Städte“, nicht durchaus fest; so figuriert die Unterwasserstraße als: Friedrichswerder -- „am Wasser“ -- oder „nahe der Schleuse“, „nahe
der Münze“ usw.; um 1760. tauchen bei Be>mann aber bereits
„Am Wasser: die Ober- und Unterwasserstraße“ auf.
An Hausnummerndt) ist bis gegen Mitte des 18. Jahrhunderts kaum zu denken; dann folgen die verschiedensten Numerierungen; jo erscheint das hier besprochene Haus als Nr. 24 (Be>kmann um 1760), Nr. 166, Nr. 6, um endlich. 1801 die noch heute feststehende Nr. 5 zu erhalten. Aus diesem Grunde sind unsere alten Berliner Adreß-Kalender wohl ein Entzü>ken für den Liebhaber, aber auch eine Qual für den Forschenden. Oft halfen nur glükliche Zufälle und Ausdauer weiter, so 3. B. als der Name „Kanneberg“ in den Akten auftauchte, den es nun in den Adreß-Kalendern „herauszu-
fischen“ galt, der dann aber auch auf die Spur derer „von-Adelsheim“ brachte, welkelmann, würklicher
Commissarius / Praesident des Consistorii in Berlin / und des
Königl. Joachimsthalischen Gymnasii Direktor wohnt aufm Friedrichs Werder am Wasser in seinem hause.
Dieser D. L. v. Dan>kelmann war einer der neun Brüder
des 3. 3. bereits in Ungnade verfallenen Staatsministers Eberhard v. D. Exr trat 1687 in kurbrandenburgische Dienste. 1695 erbte er von seinem Bruder Sylvester den Schiffsbauhof
mit Gärtchen (die spätere Loge. Royal York); 1696 erwähnt
ihn der Malteserritter Alessandro Bichi-Ruspoli in seiner Schilderung des Berliner Hofes (|. Bär 1891, S. 155f.). Er
wohnte 1704 noch nicht „am Wasser in seinem hause“, sondern in der Nähe „auf dem Werder am Markt in Hn. Hofrath
Simonis Hause“. Am 14. Februar 1709 ist er gestorben. Das Haus, in dem er bis zu seinem Ableben wohnt, wird verkauft.
1710--1722/23 Herr und Frau von Adelsheim / Besißer des Hauses. Der Adreß-Calender... auff das Jahr 1710 1) Siehe „Der Bär“, 1883, S. 368 f. „Zur Geschichte der Berliner Hausnummern“ von O. Klausmann.
meldet unter: Sr. Königl. Hoheit des Cron-Printken
(späteren Königs Friedrich Wilhelm 1.) Hof-Staat: H. Friedrich von Adelsheim / Sr. Königl. Hoheit hofMarschall und hofmeister der Cron-Prinkessin . . . wohnet auf
dem Friedrichswerder in des seeligen General-Com-
missarii v. Dan>elmann, anjeßo seinem hause. Dieser Herr v. Adelsheim wohnte vorher „auf dem Berlinischen Fischmarkt in des Königl. Leib-Medici Herrn Horchen Hause“. Bon 1710 bis 1714 ist Adelsheim nachweisbat der Besißer des Hauses Unterwasserstraße Nr. 5. 1714 gab die Akademie aus Anlaß des Ablebens König Friedrich 1. 4. 1713 keinen Kalender heraus! In den Folgejahren ist Adelsheim nicht'mehr erwähnt. Der neue König, der gewaltig unter den von seinem Bater eingesekzten Hofämtern aufräumte, mag Adelsheim entlassen haben, damit war er jedenfalls für den Adreß-Kalender erledigt, oder er war zwischen 1714 und 1716,
wo sein Nachfolger im Hofamt genannt wird, verstorben?). 1715 kommt noch einmal unter „Das Königliche RegimentPremier-Lieutenants“ könnte
ein
jüngerer
ein
„Hr. von Adelsheim“ vor;
Berwandter
--
Sohn?
--
er
unseres
„dof-Marschalls“ gewesen sein, verschwindet aber damit endgültig aus den Kalendern. Die Witwe Adelsheims besaß das Haus bis zu ihrem Ableben und starb kinderlos; denn im
Grund-Hypothekenbumann Bd. 111, KXVle:
„Das
Krugische vordem Kannebergische Haus“ (damals Nr. 24). Dieser Geh. Kriegsrat, der vorher in der benachbarten Kgl. Münze wohnte, hatte laut Grundbuch 1746 das Nachbarhaus, Unterwasserstraße 167 (später Nr. 4, „Das ehemalige Schmidtische Haus“) gekauft, in dem sich die ihm seit 1741 gehörende Niederlage der Spiegel-Manufäktur zu Neustadt a. d. Dosse befand. (Näheres hierüber bei Nicolai 1769 S. 320 f., wo auch die Besitzer übereinstimmend mit dem Grundbuch angegeben sind.) Dieses Haus Nr. 167 (4) kaufte 1755 der reiche Bankier Joh. Jacob Schi>ler und ließ es stattlich ausbauen(Nicolai 1769 S. 98: „Das schöne SchiäleLvische Haus“). Krug v. Nidda ließ nun die Spiegel-Manufaktur aus Nr. 167 in das ihm seit 1748 gehörende Nebenhaus, eben unsere Nr. 5, damals Nr. 166, verlegen. 1765 war Fr. W, Krug v. Nidda gestorben; denn das Grundbuch meldet:
1765-1769; 1765 „H. Phil. Ludewig-Krug von Nidda, Geh, Kriegs-Rath / Ober-Berg Berwalter hat dies Haus (Nr. 166 alias Nr. 5) nebst Zubehör als Universal Erbe nebst dem hiesigen Spiegel-... erhalten.“ Um 1760 schreibt Be>mann: „Die Spiegel-Manufactur liegt in der Unterwasserstraße in dem ehemaligen Schmidtischen Hause“;
1769 aber in der
ersten Auflage seiner Beschreibung meint Nicolai somit schon unsere Nr. 5, wenn er unter den „sehenswürdigen Häusern der
Unterwässerstraße“ neben dem „schönen Schiklerischen Hause“ nennt: „Die Spiegelfabrikt. Man erkennt sie von außen schon an den großen Spiegelfenstern.“ -- Diese sind noch heute ein Charakteristitum des Hauses! = „Dies Werk gehört dem Kriegsrath Herrn Krug von Nidda.“ =- Schon
in demselben Jahre ging das Haus in andere Hände über, Laut Grund-Hypothekenbuch:
1769-1777 „H. Pierre Bignes, Hoff- und Ordens-Rath, jetzt Königl. Geheimer-NRath hat dieses Haus nebst Zubehör vermöge eines coram notario et testibus vollzogenen außer.
Kauff-Contractes vom 11. martii 1769 erkaufft für 20 000 Thlr. nebst dem darin befindlichen Mobiliar... in
Friedrichsdor völlig bezahlet.“ Demzufolge ist.es richtig, wenn Nicolai, Ausgabe von 1779, S. 191 unter „den schönen Privat-
häusern“ der Unterwasserstraße hervorhebt: „Das Bignesche Haus. In demselben ist..die Niederlage der Spiegelfabrik zu Neustadt a. d. Dosse, den Splittgerberschen Erben gehörig.“ 1777-1784, „HS. Otto Carl Erdmann Freyherr von Kospoth kauft das Haus a. 1777 für 25415 Thlr. mit verschiedenen
Mobilien“; der Bertrag unterliegt den Französischen Gerichten. 1784-1810 „H. Andre& Jordan, Kaufmann hierselbst hat das Haus benebst dem in die Holkgartenstraße berausgehenden Hause. . . mit Zubehör samt allen in diesen Häusern befind-
lichen von Kospothischen Effekten 1784 für 22 000 Thlr. gekauft.“?) Mit dieser Aufzeichnung enden die Nachrichten des ?) Neander, „Anschauliche Tabellen von der gesammten ResidenzStadt Berlin“, Ausgabe von 1799, verzeichnet witer Nr. 6 (jet 5) Jordan Andr8, Kaufmann, Nr, 7 (jezt 4) Schiler, Spiegelmanufactur. Diesen Irrtum verbessert er in der 1801 erschienenen 2, Auflage, die übrigens zuerst die heute noch geltenden Nummern bringt: Nr. 5 Jordan Andrs, Spiegel-Manufactur, Nr. 4 Schikler aus Bordeaux,
Grund-Hypothekenbuches über unser Haus. Anseine Stelle treten die im Hause selbst aufbewahrten „Acta generalia betreffend die Übernahme und Verwaltung des fiskalisVc Gen Hauses Unterwasserstraße 5“. 1882. Litt.-Nr.
191
und das „Polizey-Bau-Register“ im
Königl. Polizei-Präsidium.
Hieraus erfahren wir Näheres
über die ferneren Eigentümer des Grundstüdes. 1810, am 11. Oktober, verkauften die Erben Andre Jordans?
Pierre Jean Jordan, Hofjuwelier, Charles Louis Jordan, Königl. Kammergerichtsrat und Kaufmann Paul Auguste Jordan das Haus laut Kaufvertrag vor dem französischen Koloniegericht für 21 000 Taler und 500 gl. Schlüsselgeld an 1810--1819 Ad. Friedrich Erich. Über diesen neuen Besitzer sind wir dank der den Hausakten beigegebenen Anlage des Enkels, des Direktors der Disconto-Gesellschaft, Curt Erich, wohlunterrichtet. Er war ein
kluger und erfolgreicher Kaufmann, der die erste Fabrik künstliher Blumen und Strohhüte in Berlin eröffnete.
Die
Leistungen waren so gute, daß Nicolai sie in seiner Ausgabe von 1817 einer „elegante Damenwelt“ besonders empfiehlt. =-
In seinem Garten ließ Erich für seinen eigenen Bedarf eine kleine Gasanstalt nach englischem Muster anlegen, die als erste ihrer Art die shaulustigen Berliner in Scharen anlodte. In der Familienüberlieferung spielt auc< der „Spiegelsaal mit Marmorwänden und Nischen“ =- noh jetzt der Hauptraum des Hauses -- eine Rolle, so daß es den Anschein haben könnte,
als wäre der reiche künstlerishe Schmut schon durch Erich, also vor feinem Tode 1819, erfolgt. Das Borhandensein eines
reich gezierten Gesellschaftsraumes im Hause will allerdings hierfür nichts bedeuten; denn ein solcher fehlte in keinem besseren Hause Alt-Berlins, wie die prächtigen Säle in der Klosterstraße Nr. 36, im Wohnhause des Lieferanten Dam (= Haus Ermeler) in der Breitenstraße Nr. 11 usw. als anspruchsvolle Borläufer der biedermeierlihen „guten Stube“ bekunden.
Die einheitliche Durchführung des gesamten Hausschmudes spricht aber dafür, daß dieser, wie auch andere schwerwiegende Tatsachen bezeugen, erst unter dem folgenden Besizer entstand. =- Die Witwe Erichs heiratete in zweiter Ehe Schriften des Vereins f, d. Geschichte Berlins, Heft 50.
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den Hofrat Uhde. Das Haus wird nun im Erdgeschoß von dem
Geschäftsnachfolger Erichs, dem Patenthutfabrikanten Julius Kolberg, bewohnt.
Der erste Sto> hält die
aristokratischen
aufrecht
Haustraditionen
Familienwohnung eines Grafen Brühl,
und
bildet . die
Da die zeit-
genössischen Kalender nur einen in Betracht kommenden
Träger dieses Namens verzeichnen, nämlich den berühmten Kammerherrn, Generalintendanten und Kurator der Kgl. Museen, so enden die fast zwei Jahrhunderte dauernden Beziehungen des alten Hauses zum Hofe gleichsam in einer Apotheose. =- Am 11. Juni 1828 wechselt das Haus wiederum
seinen Besizer. Eigentümer wird nun 1828-1837 Johann Heinrich Weydinger, der den bis dahin erreichten Höchstpreis von 38 000 Talern bezahlt. Wir erfahren, daß ein Hinter- und mehrere Seitengebäude, deren eines bis zur Holzgartenstraße Nr. 1 reicht, außerdem Hof und Garten zu Nr. 5 gehören. Weydinger war Junggeselle, ein reicher, edler Mann und begeisterter Kunstfreund. Erließ bald umfangreiche Erneuerungen am Hause vornehmen, von denen noch zu sprechen ist, und an die sich zweifellos die künstlerische Neu-
gestaltung anschloß. Diese scheint im damaligen Berlin Aufjehen erregt zu haben; denn die Familientradition weiß von einem Besuche des Königs zu berichten, der die Kunstschäße mit seinem Gefolge zu bewundern kam. Daß sie wirklich Weydinger zu verdanken waren, bekundete, wie die Hausakten melden, im Jahre 1884 der greise Hofmaler Sievers, der als Jüngling an den Wandgemälden mitgearbeitet hatte. -- Bei jeinem Ableben 1837 hinterließ Weydinger einen großen
Teil seines Bermögens der Stadt zwes Errichtung des noch
blühenden Weydingerschen Stiftes (Große Frankfurter Straße Nr. 24), die wertvollsten seiner Gemälde seinen vier Testamentsvolljstrefern, das Haus in der Unterwasserstraße aber seiner Nichte, der 1837-1850 Demoiselle Henriette, Wilhelmine, Karoline Siegfried, nach deren Tode es ihre drei Geschwister für 75 000 Taler verkauften. Eigentümer wurde nun und ist .es
bis heute geblieben, 1850 der Fiskus. Eine einschneidende Beränderung fand in den sechziger Jahren statt; der Garten vershwand. Im
GRRRz 4. Kapitel.
Der künstlerische Shmuk des Hauses.
Wie ein bescheidener Greis zwischen gesc, die Nicolai schon 1769 erwähnt, und schräg ansteigendem, hohem Dache. In der Mitte unten führen zwei Stufen zu dem rundbogigen Portal empor, mit seinem hübschen, bunt verzierten Oberlichtfenster. Kleine Einzelheiten stimmen mit dem höheren Alter des Baues nicht überein, so die dem Portal vorgelegten Pfeiler, die geradlinigen Fensterverdachungen auf kleinen Konsolen und. die - scharfgeschnittenen
antiken Eierstäbe unterhalb der Gesimse. Sie sprechen für eine Erneuerung des Hauses in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, da Schinkels Genius in Berlin eine neue Klassik hervorzauberte. Dieser selbe Geist ist es auch, der im Inneren des Hauses waltet und ihm einen Abglanz antiker Anmutverleiht. Da nun über die Ent-
stehungszeit, den Besteller und die Schöpfer dieses reichen Kunst-
shakes bisher keinerlei Klarheit zu erlangen war, so sei hier zunächst die Lösung dieser Fragen versucht. Für das Jahr der künstlerischen Erneuerung des Hauses gibt eine Notiz in dem schon genannten „Polizey-Bau-Register“ im Kgl.
Polizei-Präsidium, Berlin-Mitte, Bauamt 9, wertvolle Aufschlüsse. Nach unwesentlichen Kleinigkeiten, die vor und nach dem Ableben des Besizers Erich am Hause vorgenommen wurden, beginnen im
Fahre 1830, nachdem Weydinger es kurz vorher erworben hatte,
37%
RS]S so daß wir hierfür ebenfalls das Fahr 1830 als terminus post quem betrachten können.
Kommen wir nun zu den ausführenden Künstlern. Fn den Bau-
akten ist der Name des jüngeren Stadtbaurats Langerhans genannt, des bekannten Schülers und Mitarbeiters von Schinkel. Schinkel selbst aber ist als direkter Mitarbeiter beglaubigt durch
das schon in den Hausakten erwähnte „Architektonische Skizzenbuch“, Jahrgang 1869, Heft VI C (Berlin, Berlag von Ernst & Korn), das Schüler Schinkels herausgaben. Hier steht unter zwei Entwürfen für das Haus Unterwasserstraße Nr. 5:
„Erfunden von Schinkel, aufgenommen und gez. von M... Las-
peyres.“
Es handelt sich um eine noch im Obersto> vorhandene
„Thür“ (Tafel 11) Tapete“ (Tafel 111) Nun ist nicht Schüler gearbeitet
und eine inzwischen verschwundene „Belourvon ecchen sind in Bleiruten gefaßt. Treten wir nun durch ein etwas dunkles Borzimmer mit antikem (vielleicht bei der Erneuerung zugefügtem oder nur aufgefrischtem?) Ornamentschmutde in den Hauptraum des Hauses, den schon erwähnten Marmor- oder Spiegelsaal. Es ist ein verhältnismäßig großer, Dreifenstriger Raum (8,65 m lang, 6,15 m tief, 4,10 m hoch), der seinen Namen von der weißen, leider jezt etwas stumpfen Stuc>-
marmorbekleidung trägt.
Die Schmalseiten zeigen ädikulaartige
Nischen. aus dunklem stucco lustro in architektonisch klassischer Einfassung von buntem Marmor, wie er auch in dekorativen Medaillons
an den beiden Langwänden verwendet ist. Die Nischen sind rechts von zwei, die Wandflächen bede>enden Spiegeln in antiker, stellenweise vergoldeter Umrahmung begrenzt; links tritt an die Stelle des einen Spiegels eine in die Nebenräume führende Tür. Diese sowie
die Eingangstür zeigen reiche, teils vergoldete klassische Umrahmungen und im Stil passende, fein ziselierte, goldbronzene Türgriffe. Daß selbst die Fensterriegel ebenso behandelt und künstlerisch gebildet sind, beweist die feine Kultur des Besißers. Der Glanzpunkt des Saales aber ist die De>e. Sie ist zum großen Teil ausgefüllt von den gemalten Gestalten des Tierkreises, die ebenfalls an die Kunst des K. W. Wach erinnern, und die sich, durch goldene Leisten getrennt, auf blauer Luft um eine zentrale, strahlende
Ennnzz
goldumrahmte Felder mit zarten, buntfarbigen römischen Ranken. Hier wie in dem anstoßenden Nebenraume, in dem sonst nur
noh der reiche Parkettfußboden erhalten ist, läßt der Ofen mit seinem klassizistischen Abschlußgesims an den kunstvollen Töpfer und Freund Schinkels, Feilner, denken. Die „Belour-Tapeten“, deren reiche Palmettenmuster Schinkel entwarf, sind zwar leider verschwunden; dafür aber bietet die weißladierte, stellenweise vergoldete Tür, die in den lezten Raum des Obergeschosses =- das jekige Präsidentenzimmer = führt, den unumstöß-
lichen Beweis von der Mitarbeit des Meisters. Es ist jene bereits
erwähnte aufs reichste geschnizte Tür, die das „Architektonische Skizzenbuch“ von 1869 als Arbeit Schinkels in Farbendruk wiedergibt. Sie wie ihr Gegenstü> an der anderen Wand sind den für einige
Räume des Schlößchens Charlottenhof geschaffenen Türen Schinkels nahe verwandt. Unter der palmettengeschmüdten Türbekrönung, die von zierlichen Konsolen gestükt wird, ist ein Fries mit vollen Akanthusranken, die von einem geflügelten Eroten in der Mitte ausgehen.
Die einzelnen, reich umrahmten Türfelder zeigen Rosetten und Akanthusmotive, in den Mittelteilen Medaillons mit antiken Köpfen. Die goldbronzenen Türschlösser und -griffe sind wie in den anderen Räumen von reicher, klassischer Form. Die sonstige Pracht des alten Weydingerhauses, die Gemäldegalerie und die Kunstmöbel, von denen no< heute eine alte Nach-
kommin der Familie berichtet, sind leider verst,
Die Haus-
tradition möchte hierin gern einen Überrest aus unbekannten
Gründungstagen sehen. Wenndies möglicherweise für das Gewölbe gelten könnte, so dürfte die etwas derbe Stuarbeit doch erst von der großen Erneuerung unter Weydinger herstammen, da die Akten der Baupolizei in diesem Hausflügel die Neuanlage einer Küche und die
Umänderung einer „anstoßenden Kammer“ verzeichnen. ;
Ist es so gelungen, wenn auch nicht die Namen aller Mit-
arbeiter, so doch die Zeit der Entstehung des künstlerischen HaussHmudes, seinen Besteller und im allgemeinen auh die ausführende
Künstlergruppe festzustellen, so ist hierdurch auch über die vorläufig lezten Fragen in der Geschichte des Hauses Klarheit geschaffen. Berlin besißt etliche Privathäuser von höherem Alter, einige von weit früherer und prächtigerer Innenkunst, keines aber, das für
die Entwiklungsphasen der lezten Jahrhunderte unserer Stadt bezeichnender wäre, Seine Entstehung verdankt unser Haus voraussc
Gedrudt in der Königlichen Hofbuchdru&erei von E,. S8. Mittler & Sohn. Berlin 8W 68, Kodstraße 68--71.
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INeea Friederike Berhmann-Unzelmann.
„Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten
Zum hundertsten Todesjahre. hinabgehen.“ Goethes „Euphrosyne“.
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BonFrau Siegfried Siehe. Unzelmann.,
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ES /"m 18. August 1815 bewegte sich ein Leichenzug von dem' Hause Taubenstraße 18 zum Friedhofe vor dem Halleichen Tore, wie ihn der Berliner kaum vorber gesehen. Mehr denn 80 Kutschen folgten dem Wagen?), der das mit sich führte, was von Friederike Bethmann-Unzelmann sterblich war.
Beinahe ein Menschenalter hatte sie mit den Berlinern gelebt, Freude spendend, Freude empfangend, Kummer, Not und Berdruß teilend und aufjauchzend über das „Herrliche und Große, womit Gott das
Haus Preußen gesegnet“ ?).
Christine Friederike Konradine Flittner wurde am 24. Januar 17683) in Gotha als Tochter eines herzoglichen Beamten geboren um eine Zeit, da sich, wie Gotter sang, in ihrer Baterstadt „der goldenen Zeit des Schauspiels hohe Muse freute“, da Abel Seyler Unzählige der Bühne zuführte, das gewaltige Talent eines Ekhof Darsteller und Publikum gleichmäßig fortriß, und Männer -=- ich
nenne nur Professor Engel und Gustav Friedrich Wilhelm Großmann -- von dem Glanze der kleinen Thüringer Residenz herbei-
gelo&t wurden.
Die Nutter: Karoline Flittner, eine Tochter des
Ober-Polizei-Kommissars Hartmann, verlor ihren Gatten nach kurzer Ehe, als sie das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Sie hat den Kampf mit dem Leben umihres Kindes willen tapfer gekämpft bis zu dem Augenbli>, da der ehemalige Sekretär des
Preußischen Gesandten von Jung, der zum Schauspieler gewordene Theaterdichter Großmann den Widerstand der ehrsamen Berwandten gegen eine Komödianten-Ehe brach und die anmutige junge Witwe 1) Vossische Zeitung vom 22. August 1815. 2) Krieg, Literatur und Theater, herausg. von Dr. W. Dorow. 3) Geburts- und Taufregister der St. Margarethen-Kirhe zu Gotha.
wieder jung Werdenden wie eins der „Samstagsmädel“ am kleinen,
klimperkleinen Tische auch Friederike Flittner, wenn „die Trine den Reisauflauf oder die Gelee-Pastete wohl und schmahaft zubereitet hatte“*). Da senkte dann die gütige Frau in die Seele der
jungen Schauspielerin die Empfindung, daß ihr Beruf ein hoher, kein verächtlicher sei. „Lebe um zu lernen, lerne um zu leben“, das war der Mutter Goethes leztes Wort, das sie im Jahre 1803 der nun vollendeten Künstlerin in das Stammbuch schrieb *).
Ein ständiges Theater zu errichten, gestattete der „hochweise“ Rat Frankfurts vorläufig niht und Seyler mußte auch andere Orte zur Stätte seines Wirkens machen. Zwischen Frankfurt und Mainz, zwischen Köln und Hanau zog seine Gesellschaft =- 60 Menschen und drei- bis vierhundert Zentner Fracht 7) -- hin und her
und mit ihr die unglüdseligen Kinder, die neben dem Schulunter-
richt auch der Bühne ihre Zeit zuwenden mußten. Das wurde auch nicht besser, als in diesen Tagen des Morgenglanzes deutscher Dicht- und Schauspielkunst der schon betagte Kurfürst von Köln und Bischof zu Münster Maximilian Friedrich, „um die Schauspiel1) H. A. O. Reichard, herausg. von Herm. Uhde.
2) Taschenbuch für die Schaubühne auf das Jahr 1793. *) Marie Belli geb. Gontard: Leben in Frankfurt a. M. 9) Wieland an Mer>: Briefe an Johann HeinriH Mer> von Goethe, Herder,
Wieland, herausg. von Dr. Karl Wagner. 5) Neminiszenzen, herausg. von Dr. Dorow. 8) Friederike Unzelmanns Stammbuch, herausg. von der Gesellschaft für