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German Pages 484 Year 1988-1990
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865
Jahrgänge 8 4 - 8 7 Schriftleitung: Günter Wollschlaeger Dr. Christiane Knop
Bearbeitet von Ruth Koepke
BERLIN 1988-1991
Inhaltsverzeichnis I. Aufsätze Alberts, Ernst Straßenbeleuchtung im Gespräch Bannasch, Karl-Heinz Martin Stritte — Spandauer Bezirksbürgermeister und erster Vorsitzender der Berliner Liberalen nach 1945 Mit der Brotkarte zur Wahl Die Reformation 1539 in der Mark Brandenburg Banz, Hans Jörg Berlin als Standort des zentralen Trägers der Rentenversicherung der Angestellten Eldal, Jens Christian Die Eindrücke des norwegischen Architekten H. D. F. Linstow Habermann, Paul Ein Augenzeugenbericht über den Einzug der Kronprinzessin Elisabeth in Berlin im November 1823 Jochens, Birgit, und May, Herbert Abreissen? Verändern? Bewahren? Halle, Anna Sabine Eine besondere Lilienthal-Ehrung Hüfler, Brigitte Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft e. V, gegr. 1908
17
53 142 224
138 111
452 38 358 390
Kaiser, Dolf Graubünder Zuckerbäcker, Cafetiers und Brauer in Berlin vor dem Ersten Weltkrieg Kapp, Maria Preußischer Eisenkunstguß
410
Kirchner, Christhard Der Berliner Orgelbauer Peter Migendt (1703-1767)
295
Knop, Christiane Der Friedenssender wurde nicht gebaut Konrad, Hans Geschichte und Bedeutung der Flensburger Löwen Lowenthal, Ernst G. Im Rückblick: Das „Gesamtarchiv der deutschen Juden" in Berlin In Berlin geblieben bis zum bitteren Ende Ein vergessener Berliner: Julius L. Seligsohn Ein jüdischer Fotograf in Berlin 1933-1938 Lebensgeschichte als Zeitgeschichte an den Berliner Juristen Walter Breslauer 1890-1981 Professor Ernest Hamburger wäre unlängst 100 Jahre alt geworden
252
85 238 148 278 311 348 366 368 III
Momper, V/alter Grußwort Glienicker Nachträge — Paralipomena II Im memoriam Professor Dr. Johannes Siewers (1880—1969) Kurt Wolfgang Schöning Die Minervastatue des holländischen Bildhauers Bartholomäus Eggers Ein römischer Paradehelm aus der Ägyptischen Sammlung des Freiherrn Menü von Minutoli im Antikenmuseum Notz, Werner Richard Wagner in Berlin (1) Oxfort, Hermann Berlin: Geschichte einer Stadt Festansprache zur Jubiläumsveranstaltung Sommer, Klaus Christoph Carl Pfeuffer Schmiede, H. Achmed Vor 190 Jahren . . . Tod des türkischen Botschafters Ali Aziz Efendi Schuchard, Christiane Quellen zur Geschichte der Frauenbewegung im LandesArchiv Berlin: Das Helene Länge-Archiv Schütze, Karl-Robert Heinrich Seidel: Das neue Empfangsgebäude der BerlinAnhaltischen Eisenbahn in Berlin Stöcker, Friedrich Wilhelm Mut und Anmut. Nachdenken über Luise von Preußen
325 16 331 438 25 74 395 294 332 8 102
194
58 415
Strehlow, Harro Ein Brief Ernst Bauerhorsts an Alfred E. Brehm A. E. Brehms Beziehungen zu Berliner Naturwissenschaftlern vor der Gründung des Berliner Aquariums Unter den Linden
359
Stürzbecher, Manfred 25 Jahre Krankenpflegeschule des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten Bruno Harms 1890-1967
77 327
Wetzet, Jürgen Der Flensburger Löwe in Heckeshorn 150 Jahre Berlin-Potsdamer Eisenbahn
107 130
Wimmer, Clemens Alexander Aus dem Leben Peter Joseph Lennes Wollschlaeger, Günter Die ehemalige Templer-Comturei Lietzen
IV
2
210 382
II. Kleine Beiträge, Berichte
IV. Hinweise und Informationen
Zur Erforschung und Propagierung der Kleine Mitteilungen: Heimatgeschichte in Ost-Berlin 62 64, 88, 151, 203 Freizeitdenkmalpflege in Ost-Berlin gesucht 88 1 .iteraturhinwei.se: Märkisches Heimatmuseum mit weiteren 7, 171, 227, 277, 365, 424, 455 Außenstellen 88 Nachrufe: 25 000 Mitglieder der Gesellschaft 63 für Heimatgeschichte 88 Hans Schiller 63 Stiftung Historische Friedhöfe 88 Peter Lorenz 83 Restaurierung des Roten Rathauses . . . . 118 Ernst Alberts 225 Jahre Königlich Preußische Irmtraut Köhler 371 Porzellan-Manufaktur 118 Roland Schröter 371 Forschungsförderungsprogramm „BerlinForschung" 151 Nachrichten aus Mitgliederkreis: Urteile über Berlin und die Berliner . . . . 177 31, 63, 64, 61, 89,119,150,179, 228, 281, Neuer Glockenstuhl auf dem 313, 406, 425, 458 Roten Rathaus 178 Historische Mühle in Sanssouci ersteht Neue Mitglieder: neu 203 35, 71, 99, 127, 159, 191, 207, 237, 263, 291, Ausbau des Märkischen Museums 203 319, 355, 379, 435, 463 375 Jahre Haude & Spener 228 Noch einmal die Reformation 1539 in der Eingegangene Bücher: Mark Brandenburg 259 35, 99,193, 261, 318, 407 Urteile über Berlin und die Berliner . . . . 260 Gedenken an Friedrich Wilhelm IV. . . . . 370 Veranstaltungen: Um die Erhaltung der Spandauer 36, 72, 100, 128, 160, 192, 203, 236, 264, Lutherkirche 372 292, 320, 356, 380, 408, 436, 464 Neuguß der Quadriga vom Brandenburger Tor empfohlen . . . .372, 401 Gründung einer Theodor Fontane V. Buchbesprechungen Gesellschaft 400 Gedenkstunde anläßlich des 100. Todestages Helmut v. Moltkes 456 Als wäre es nie gewesen 290 Das Testament der Anna Louisa Karsch . 456 (Schultze-Berndt) Berlin-Stadtatlas mit Spirale (Schultze-Berndt) 229 Berlin und seine Wirtschaft 232 Berlin-Paket in der Edition Photothek (Schultze-Berndt) 404 III. Exkursionen Berlin-Kochbuch, das neue (Schultze-Berndt) 263 Trier 29, 65 Berliner Straßen und Plätze (Schuchard) 123 Detmold 64, 96, 151 Berlin aus der Luft (Schultze-Berndt) . . . 126 Ulm 178, 282 Berliner Sitten (Schultze-Berndt) 97 Paderborn 313, 399 Blisse u. a.: Otto und Gustav Lilienthal (Wollschlaeger) 402 Böhmische Dorf in Berlin, das (Knop) . . 432 Born, Rolf: Ephraim oder Tradition als Bindung (Knop) 349 150 Jahre Bote & Bock (Schultze-Berndt) 184 Brandes, Georg: Berlin als deutsche Reichshauptstadt (Knop) 283 V
Brozat, Dieter: Der Berliner Dom und seine Hohenzollerngruft (Knop) 187 Bürger, Bauer, Edelmann (Schuchard) . . 122 Cöpenicker Dampfboot (Schultze-Berndt)
290
Demps, Laurenz: Der Gensd'armen-Markt (Knop) 96 Deutsche Postgeschichte (Schuchard) . . . 352 Emre, Gültekin: 300 Jahre Türken an der Spree (Schwarz) 34 Endlich/Wurlitzer: Skulpturen und Denkmäler in Berlin (Schultze-Berndt) 426 Euro-Stadtplan (Schultze-Berndt) 402 Fischer, Fabian S.: Preußens Krieg und Frieden (Knop) Frank, Bernhard u. a.: Colleg Francais (Doege) Friedrich, Ruth A.: Schauplatz Berlin (Köhler) 1933 Fünfzig Jahre danach — Das Ermächtigungsgesetz (Knop) Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke (May) Geschichtslandschaft Berlin (Doege/Neumann) Geschichtslandschaft Berlin. Wedding (Knop) Griechenland u. Troja (Knop) Großer Stadtplan Berlins (Schultze-Berndt) Gruß aus Berlin (Schuchard) Habermann, Paul u. Gisela: Fürstin von Liegnitz (Köhler) Habermann, Paul und Gisela: Friedrich Wilhelm III. (Wollschlaeger) . . . Haffner, Sebastian: Der Teufelspakt (Knop) Hauptsache wir sind alle jesund (Schultze-Berndt) Heimatverein Zehlendorf (Köhler) Hertz, Deborah: Die jüdischen Salons im alten Berlin (Knop) Hesse/Schrader: Menschen in Berlin (Schultze-Berndt) Hoffman-Axthelm, Walter: Dissertation (Schultze-Berndt) Hoffmann-Axthelm, Dieter/Scarpa, Ludovica: Berliner Mauern und Durchbrüche (Schachinger) VI
373 373 67 126 154 314 431 460 289 122 183
Holmsten, Georg: Berlin in alten und neuen Reisebeschreibungen (Knop) . . . . Klewitz, Marion: Lehrerin im Dritten Reich (Knop) Knobloch, Heinz: Berliner Grabsteine (Lowenthal) Konert, Jürgen: Theodor Brugsch, Internist und Politiker (Knop) Kossatz, Hans: Ein Preuße erinnert sich (Schultze-Berndt) Krawutschke, Günther: Hauptstadt östlich Friedrichstraße (Schultze-Berndt) Kroll, Frank-Lothar: Friedrich Wilhelm IV. (Knop) Krüger, Rolf-Herbert: Das EphraimPalais in Berlin (Knop) Lowenthal-Hensel u. a.: MendelssohnStudien (Wetzel) Mangoldt, Renate von: Berlin literarisch (Schultze-Berndt) Mayer, Ulrich: Die Anfänge der Zionsgemeinde in Berlin (Knop) Merian: Topographia Electoratus et Brandenburgici Ducatus Pomeraniae (Engel) Mey, Richard: Mein Dorf in Berlin (Schultze-Berndt) Meyer/Schulze: Von Liebe sprach damals keiner (Knop) Müller, Adrian von, u. a.: Ausgrabungen und Funde aus dem Burgwall in Berlin Spandau (Knop) 275 Jahre Nicolaische Verlagsbuchhandlung (Schuchard)
317 70 67 230 316 404 433 351 427 228 404 206 283 157 157 288
O Charlottenburg, du frauenfreundlichste unter den Städten (Schuchard) 353
403 374 282 60 462 261 460 92
Preußen, seine Wirkung auf die deutsche Geschichte (Knop) 487 Preußens Adoptivkinder: die Hugenotten (Knop) 120 Projekt: Spurensicherung (Schuchard) . . . 282 Reuth, Ralf Georg: Goebbels (Knop) . . . Richnow, Hans Joachim: Erinnerungen an Preußen (Knop) Riechert, Ursula: Von St. Nicolai zum Reichstag (Knop) Reuther, Hans: Die große Zerstörung Berlins (Knop) Stadtbilder (Knop)
429 98 153 94 94
Rollka, Bodo, u. a.: Das Berliner Schloß (Knop) Rollka, Bodo, u. a.: Berliner Laubenpieper (Knop) Rothe, Wolfgang: Der Pflastertreter (SchB)
125 179 66
Sackgassen (Schuchard) 152 Sagave, Pierre Paul: Berlin und Frankreich 1685-1871 (Knop) 32 Sandvoß, Hans Rainer: Widerstand in Spandau 1933-45 (Knop) 375 Siedler, Wolf Jobst: Wanderungen zwischen Oder und Nirgendwo (Knop) 152 Spiess, Volker: Gauner, Künstler, Original (Knop) 377 Schacht, Jürgen: Metropole Berlin (Engel) 206 Schäfer, Hans Dieter: Berlin im Zweiten Weltkrieg (Schultze-Berndt) . . . 125 Schloß Britz (Köhler) 155 Schmidt, Erich: Maria Haupt geb. Lüdicke (Knop) 316 Schönknecht, Eberhard: Vom Dorfkrug zum Prälaten (Schultze-Berndt) 91 Schütte, Dieter: Was darf die Rezension . 189 Schütze, Karl-Robert: Von den Befreiungskriegen bis zum Ende der Wehrmacht (May) 158 Schultz, Helga, u. a.: Die Roggenpreise und die Kriege des großen Königs (Schultze-Berndt) 204 Schulz, Günther: Die ältesten Stadtpläne Berlins (Wetzel) 123 Stahn, Günther: Das Nikolaiviertel am Marx-Engels-Forum (Knop) 188 Stationen der Moderne (Engel) 262 Struckmann, Joh. Caspar: Staatsdiener als Zeitungsmacher (Knop) 92 Velder, Christian: 300 Jahre Französisches Gymnasium in Berlin (Knop) Verkehr in Berlin (Knop) Vogel, Werner: Berlin und seine Wappen (Schuchard) Voss, Karl: Und alles ist zuviel aufgeladen (Schuchard)
181 155 187 185
Wagner u. a.: Das Neue Berlin (Engel) . . 207 Wefeld, Hans J.: Ingenieure in Berlin (Schultze-Berndt) 205 Werkstattbesuche bei Künstlern in BerlinWedding (Schultze-Berndt) 229
Wilde, Alexander: Das Märkische Viertel (Knop) Wille, Klaus-D.: Die Glocken von Berlin (Knop) Woche, Klaus Rainer: Vom Wecken bis zum Zapfenstreich (Grave) Wollschlaeger, Günter: Chronik Tempelhof I (Knop) Wollschlaeger, Günter: Chronik Tempelhof II (Knop) Ziechmann: Panorama der Fridericianischen Zeit (Knop)
315 289 31 33 120 376
Namensregister Abd al Latief-Pascha Abd Allah . . . . 3, 5 Abeken 331 Adolf Friedrich IV. 416 Aertsen, Pieter 335 Ahlimb, Joachim Wilhelm v. 306 Albrecht v. Mainz 224, 225 Albertz, Heinrich 325 Albrecht, Pr 305 Alexander I., Ks 168 Alexander I., Zar 419 Alexander VI., Papst 224 Alkuin 30 v. Altenstein 5 Althoff, Friedrich 391 Alvensleben, Graf v. 105 Amalarius 30 Amalia Prinzessin von Preußen 304 dAnastasi, Giovanni 74 dAngers 331 Anna Pr. v. Pr 443 Anna Amalia 166 Antinoe 74 Apel, Theodor 396 Arndt, Ernst Moritz 422 Amtin, F. v. 342 Armin, Achim v. 422 Armin, Ferdinand v. 444 Ascan, Carl 266 Augusta Prinzessin von Sachsen-Weimar 13 Augustenburg, Friedrich v. 108 Aziz, Ali Efendi 102 Bach, Johann Sebastian Bachmann Baicke, Catharina Elisabeth Baicke, Friedrich Barowsky, Ella Batmeier, Bartoschek, Gerd Bausch
299 44, 442 296 296 459 116 170 15 VII
Bauerhorst, Thilo 4 Bauerhorst, Ernst 2, 4, 5, 360 Belitz, Conrad v. 389 Behr, Julius 323 Berg v. 419 Bergelt, Wolf 306 Berges, Heinrich 440 Berliner, Cora Berliner, Manfred 278 Bernhard, Andreas 445 Bernoth, v. 323 Besser, Ursula 31, 459 Beuth 112 Billharz, Theodor 363 Bismarck, Otto v. 108, 239 Bissen, Hermann Wilhelm 108, 238, 242, 280 Bittenfeld, Herwarth v. 111 Bloch, Peter 50, 170 Block 428 Blücher, Gebhard Leberecht v. . . . . 115, 420 Blunck 338 Blume 306 Blumenbach, Joh. Friedr 12 Bode, Wilhelm v. 336, 390 Boeckh, August 75, 443 Börsch-Supan, Helmut 340 Börsch-Supan, Eva 276 Boesch, von de 203 Böttcher, Christian Gottlieb 306 Bötticher, Karl 332 Böttiger, Carl August 166 Bolle, Carl 360 Bora, Katharina v. 225 Borgia, Cäsar 224 Borgia, Lucrezia 224 Brandt, H. F. 9, 14 Brandt, Bernhardine 210 Brandt, Petrus Josephus 210 Brandt, Willy 294, 295 322 Braun, Alfred 85, 87 Braun, Otto 369 Brehm, Reinhold 5, 6 Brehm, Alfred Edmund 2, 4, 5, 359 Breslauer, Bernhard 366 Breslauer, Walter 366 Brockhaus, Albert 397 Borcksch 164 Brodnitz, Friedrich S 279 Buchda 360 Buchholz, Carl August 301 Buchholz, Johann Simon 302 Buchwald, Werner 83 Bülow, Hans v. 395, 398 Bülow, Bernhard 115 Bülow, Frederik 238 VIII
Büttner Bunsen, Christian Carl Bussemer, Herrad-Ulrike Buvry, Leopold
41 331 196 360
Callensee, Matthias 295, 296 Camuccini, Vincenzo 166 Canova, Antonia 344, 423 Cantian 112, 216, 331 Carl Alexander Großherzog 14 Callimachi 102 Carl Prinz von Preußen 163, 164, 332, 338, 344, 370, 438 Carus, Carl Gustav 76 Casanova 364 Caspari, Ernestine 48 Christian X 245, 246, 280 Charlotte Prinzessin 417 Christian IX 108 Christoph 106 Clairvaux, Bernhard v. 342 Clausen, H. N 241 Clausewitz, Karl v. 420 Clemens V. 384 Clodt 331 Collmann 457 Colomier, Louis Napoleone 110 Conrad, Walter 330 Conrad Wilhelm . . 110,136,137,241,247 Conti, Anna 329 Conti, Leonardo 329 Corinth, Louis 336 Crelle 130 Cuntzius, Heinrich Andreas 295, 299 Czerny, Adalbert 327 Daege, Eberhard Darge, Hans-Jürgen David, Werner Dedel, C. H Dehio, Ludwig Delbrück, Joh. Friedr Delanoir, Hr Demmler, Georg Deutsch, D Devaranne, Simeon Pierre Devrient, Therese Dieffenbach, Joh. Friedrich Diepgen, Eberhard Dietrich, Friedrich Wilhelm Diez, Friedrich v. Diterich, F. W. Doli, Johann Veit Dölljun Dorn
332 387 305 397 340 370 442 272 365 413 220 443 322 301 104, 105 397 8 9 115
Dressel Dorow, Wilhelm Drigalski, Wilhelm v. Dronke, Ernst Dümmler, Ferdinand Dunkel, Joachim
39 442 330 452 76 171
Ebbinghaus 336 Eckart 85 Eggers, Bartholomäus 23, 27 Ehrenberg, Christian Gotthilf 439 Eisenberg 105 Eisenhower 241 Elisabeth Prinzessin von Bayern 13, 370, 452 Ende, Lex 145 Engler, Adolf 327 Erzberger 139 Esad Bey 106 Evans 196
Friedrich Wilhelm III. . . . 9, 10, 75, 103, 105,130, 136, 162, 214, 268, 417, 438, 452 Friedrich Wilhelm IV. . . . 8, 111, 14, 16, 25, 44, 216, 218, 219, 267, 169, 272, 340, 370, 418, 438, 452 Friedrich Wilhelm Kronprinz . . . . 113, 267 Friedrich Wilhelm Landgraf von Hessen-Kassel 443 Fritsch, K. E. 0 276 Fritzsche, Gottfried 295 Fuchs 114 Fürstenstein, Grf. 442 Furtwängler, Adolf 333, 334
Gabriel, Sigismund 327 Gaebert 363 Garbsch, Jochen 74 Gaudy, Friedrich Wilhelm v. 370 Gause 44 Facius, Angelika 9, 16 Gebhardt 362 Favrau & Falkmann 456 Geiss, Philipp Conrad Moritz . . . . 116, 413 Fechner, Max 143 Geiss, Johann Conrad 116, 413 Feilner 112, 114 Genschorek 4 420 Ferstel 268 Gentz, Friedrich Fichte, Johann Gottlieb 422 Georg Pr 417 Fintelmann, Ferdinand 25 Georg Victor Fürst zu Waldeck-Pyrmont 14 Fintelmann, Karl 215 Gerber, Ernst Ludwig 295 Fischer, Dieter 389 Gerhard, Eduard 166 Fischer, Emil 327 Gerlach, Philipp 39 Fischer, Fr 297, 302 Gerstäcker, Friedrich 361 Fischer, K 9, 12 Gestel 9 Fidicin 323 Gier 268 Fock, Gustav 306 Gierke, Anna v. 197 Fontane, Theodor 294, 331, 389, 423 Gilli, (Gilly) David 331, 418 Franz, Ks 268 Gloßmann, Wilhelm 80, 82, 84 Franz II 416 Glücksburg, Christian v. 108 Frederik VII 246 Gneisenau, Neidhardt v. 420 Frenzel, Herbert A 117 Goedeking 14 Freyberg 331 Görtzke, Joachim Ernst v. 389 Frick 112 Goethe, Johann Wolfgang v. . . . 16, 418, 423 Friedrich 1 397 Goldschmidt, Adolph 334, 391 Friederike, Prinzessin von Hessen . 415, 417 Got, Bertrand de 384 Friedrich Herzog von Gripp, E. J. W. 104 Sachsen-Hildburghausen 417 Graef, Botho 334 299 Friedrich II., Kurf. 38 Graun, Johann Gottlieb Greven-Achoff 196 Friedrich II 13, 25, 113, 216, 226, 302, 305, 446 Groeben, Albrecht Wilhelm v. d 444 360 Friedrich VII 107, 108 Größler 112, 116, 117 Friedrich Carl HO, 111, 136, 162 Gropius, Carl 117 Friedrich Franz II 272 Grosch, Christian Heinrich 33, 27 Friedrich Karl 247, 343 Grotjahn, Alfred 9, 13 Friedrich Wilhelm 168 Grube, H 305 Friedrich Leopold 165, 342, 442 Grüber, Heinrich 170 Friedrich Wilhelm 1 303, 304, 397, 452 Grzimek, Waldemar 337 Friedrich Wilhelm II. . 103, 105, 305, 417 456 Guthmann, Johannes IX
Habenicht 78 Haemmerlein 360 Hagedorn, Lorenz 82 Hahn von Basedow 268 Hamburger, Ernst 368 Hammerschmidt, Karl 362 Handmann 218 Hardenberg, Carl August v. 386, 389, 416, 418, 421 Harms, Bruno 327 Hartig 214 Hartwig, Paul 335 Haseloff, Arthur 334 Hausberg, Fritz 56 Hayne, Gottlieb 304 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 75 Heim, Ernst Ludwig 422 Heins, Johann Martin 168 Held 9 Hell, H. 9 Hempel, Johanna Amalie 338, 456 Hemprich, Friedrich Wilhelm 440 Henslmann 268 Hentzschel, Johann Christian 303 Herbst 456 Herder, Johann Gottfried 417 Hesse 266 Hesse, L. F. 412 Heuglin, Theodor 2, 36, 263 Hiersekorn, Johann Christian 457 Hilsinger, Wilhelm 79, 80 Hiltl 331 Hirsch, Otto 278 Hirz 266 Hitler, Adolf 278 Hofer, 78 Hofmann, A 9 Hohenlohe 370 Hohlfeldt, 456 Hollenbach, I. C 9 Hollenbach, Albert 307 Hossauer, Johann Georg 164, 440 Hübner, Erich 327 Hufeland, Christoph Wilhelm 422 Humboldt, Alexander v. . . 15, 331, 333, 443 Humboldt, Wilhelm v. 421, 423 Humann, Jules 443 Hummel 266 Husen, Jan-Hinnerk 82 Hussein Aga 3 Ingersleben, Carl Ludwig Heinr. v. Israel, Wilfried B Jabrowski, v. Jacobson, Amram
215 312 244 149
Jacobson, Jacob Jacobson, Moses Jacobsthal, Paul Jagow, Kurt Jahn, Franz Jancke, Carl Friedrich Jagow, Mathias v. Jessen, Hans B Joachim I. Nestor Joachim II. Hektor Johann Prinz von Sachsen Johann Moritz v. Nassau-Siegen Juckacz, Marie Julier, Jürgen Jung, Heinz Jürgensen
148 148 338 340 340 218, 219 226 342 224 226 370 26 278 440 280 44
Kaeber, Ernst 331 Kaiser, Jakob 144 Karl Prinz von Mecklenburg-Strelitz . . . . 415 Karl Prinz von Preußen 266, 267, 341 Karl 1 225 Karoline v. Baden 452 Karsch, Anna Louisa 456 Karsch, Heinrich Wilhelm 456 Katzwinkel, Bernhard 388 Kaunitz Graf von 102 Kauffmann, Johann Friedrich 306 Kehrer 456 Kekule, Friedrich v. 440 Kienscher, Albert 306 Kirchner, W. 9 Kirsten, Manfred 84 Kleinert, Salomon 303 Kleist, Ulrike v. 421 Kleist, Heinrich v. 421 Klencke, Caroline Louise v. 456 Klencke, Christiane Wilhelmine 456 Klenze 268 Klinger 336 Klös, Heinz Georg 5, 359, 425 Klünner, Hans-Werner 111 Knoblauch, Eduard 266 Koch, Waldemar 54 König, Friedrich 9 Körner, Theodor 422 Koetschau, Karl 391 Kohte, Julius 41 Kollwitz, Karl 336 Kollwitz, Käthe 336, 337 Konrad, Hans 284 Konstantin 29 Koppen 273 Koschny, 219 Kosciuszko, Tadeusz 396
Kowalski, Ludwig Peter 47 Kratzenberg, Johann Carl Wilhelms . . . . 413 Krausnick 323 Kretschmer, Robert 361 Kreutzberger, Max Kroger 39, 44 Krüger, Franz 331, 442 Kügelgen, Gerhard v. 332 Kügelgen, Wilhelm v. 331, 332 Kühne, Günther 50 Külz, Wilhelm 54, 55, 144 Kühnel, Calcant 305 Küsel, Carl David 307 Küsel, Jakob Friedrich 307 Kugler, Franz 16 Kullrich 12 Kunkel, 51 Kunzendorf, Paul 137 Kurth, Willy 392 Kutz, Hans-Günnther 84 Lachtmann, J. L 9 Lademann 335 Landsberg, Kurt 331 Lange, Helene 197 Lange 216 Langeheinecke, Jochen 38 Lansdowne, Henry Petty Fitzmaurice Marquis v. 344 Laube, Heinrich 396 Ledebur, Carl Freiherr v. . . . . 295, 323, 331 Ledebur, Leopold v. 168 Lehmann, August Ferdinand 413 Lehmann, Orla 328 Lehr, Henriette 48 Leibniz 44 Lenne, Anna Margaretha 210 Lenne, Augustin 210, 220 Lenne, Clemens 213, 215, 221 Lenne, Cunibert 210 Lenne, Gertrud 210 Lenne, Heinrich 211 Lenne, Johann Heinrich 210, 215 Lenne, Johann Joseph 210 Lenne, Maximilian Hubert 210 Lenne, Peter Joseph 114, 210, 268 Lenne, Peter Joseph Johann Maria 210 Lenne, Philipp Joseph 212 Leo X 224 Leonardo da Vinci 412 Levetzow, Jakob Andreas 75, 76 Lepsius 331 Lichtenstein 5, 6, 365 Lilienthal, Otto 358 Linstow, Hans Detlev Franz 111
List, Friedrich 130 Löwenthal, Richard 322 Loos, Gottfried Bernhard 8 Loos, Daniel 8, 9, 15 Loos, Friedrich 15 Lorenz-Epstad, H 9 Lottum, v. 9 Louis Charles de Bourbon, Comte d'Eu . 168 Louis Ferdinand Pr. v. Pr 419 Ludwig XTV. 218 Lübke-Haag 274 Lucchesini, Cäcilie 444 Lucchesini, Charlotte v 442 Lucchesini, Franz Marquis v. 438, 442 Lucchesini, Girolamo Marquis v. . . 442, 446 Lüders, Marie-Elisabeth 278 Ludwig II 395 Luise Königin von Preußen 39, 103, 370, 415 Louise Henriette 25 Ludwig Prinz von Preußen 417 Lützow, Adolf Frh. v 422 Luther, Martin 224 Lutsch 42 Lylamg 294 Maltzahn, Frh. v. 214, 216 Mannfeld, B 170 March, Otto 39, 43, 44 Marggraff, Sabine Tugendreich 9 Margherita 331 Marie Luise 212 Maritz, Jean 168 Martens, Carl v. 443 Martin 364 Martstak 4, 6 Marx, Ernst 295, 297 Maximilian I. v. Bayern 452 Maximilian Franz Kurfürst von Köln 210, 211 Mayer, Edmund 80 Melmed 104 Meitzner, Reinhard 82 Melanchthon 226, 227 Mendelssohn, Joseph 443 Menü v. Minutoli, Johann Heinrich Carl Frh 74, 440 Menzel, Euvre v. 336 Meyerbeer, Giocomo 332, 443 Meves, Albert Anton 413 Meyer, Erich 392 Meyer, Gustav 219 Michels (Micheli), F. 342 Mieg, Caroline v 268, 269 Migendt, Peter 295 Minutoli, Alexander v. 331 XI
Minutoli, Julius v. Moehsen, Joh. Carl Wilh Moellendorf, v. Moltke, Helmuth v. Momper, Walther Mortgaart, Achilles Mosch, Johann Georg Motte-Fouque, de la Müller, Carl Christian Müller, Johann Conrad Müller, Joh. Friedr. Gottlieb Munk, Marie
331 331 15 144, 331 325 26 214, 215 332 438 301 413 197
Nagler, v. Napoleon Nathusius Natzner, Nebelong, J. H Neindorf, Johannes de Nemitz, Kurt Neumann, Franz Nicolai, Christoph Friedrich Niebuhr, Barthold Georg Nietner, Eduard Nietner, Theodor Nilolaus 1 Nostre, Andre, Le Novalis (Friedr. v. Hardenberg) Nurhan Atasoy
12 211, 419 112 438 117 289 278 139 305 331 215, 216 215 418 218 422 104
Ohff, Heinz Olfers, Ignaz Maria v. Otto III Otto Christoph Frh. v. Otto-Peters, Louise
222 331, 443 30 198
Pallat, Ludwig 338 Pappritz, Anna 197 Passalaqua 331 Patow, v. 16 Paul, Jean 418, 422 Pentz v. 3, 5, 6 Peschke, Walter 343 Pesne, Antoine 332 Pfeuffer, Heinrich 8 Persius, Ludwig 221, 266, 269, 271, 340, 438 Peschken, Goerd 170 Peters 364 Pfeuffer, Christoph Carl 8 Philipp der Schöne 384 Pieck, Wilhelm 143 Piedowski, Paul 330 Plessen, Marie-Louise 170 Podewils 103, 105 Poelzig, Hans 343 XII
Pohl Popitz Posch, Leonhard Pottgitter, Anna Catharina Quellinus, Artus d. Ä
241 342 412 210 26
Rabnow, Johannes Rachel Raffael Rameisberg Raoul-Rochette, Chelard Raoul-Rochette, Desire Raschdorff Rauch, Doris Rauch, Christian Daniel
328, 330 332 412 364 443 443 270 444 167, 331, 423, 440, 444 Rave, Paul Ortwin 50 Ravene 273 Reclam 364 Redeker, Franz 329 Redslob, Edwin 340 Reiz, Mathilde Elise 364 Rellstab 332 Resni, Ahmed Effendi 102 Reuter, Ernst 393 Riedel v. 213 Riemann, 40, 43, 44 Ringstedt, H. V. 241 Robert, Carl 335, 336 Robert, J. C 130 Rodewaldt, Gerhard 335, 342 Röder, Johann Michael 302 Röttscher 270 Roon, Albrecht Graf 331 Rothkirch, Malve Gräfin . . . . 162, 170, 332 Rubens, Heinrich 327 Rückert, Friedrich 422 Rumpf. 170 Sachse, Louise Said Pascha Sakowski, Helmut Sauerbruch, Ferdinand Sauer, Wilhelm Savoia, Umberto di Sckell Sebbers Seebass, Alfred Richard Seeliger, Herbert Segall, Jacob Seidel Seiler, Michael Seligsohn, Arnold Seligsohn, Julius L
442 3 268 329 301, 305 331 218 331 413 367 149 323 445 311 311
Selim III 104 Semper 272 Serverus, Alexander 74 Sello, Hermann 218, 220 Sievers, Arl Georg 332 Sievers, Gerhart 338 Sievers, Herma 335, 343 Sievers, Johannes 171, 331, 338, 442 Sievers, Wilhelm 332 Silbermann, Gottfried 295 Simon, Eduard 392 Simon, Ernst 348 Simeon 30 Skalnitzky, Helmut 268 Sklarek 54 Slevogt, Max 337 Sobernheim, Georg 327 Sömmering, Samuel Th 13 Soller, August 269 Sonnenfeld, Lern 348 Sonnenfeld, Herbert 348 Sophie Charlotte Königin 25 Sparr, Otto Christoph Freih. v. 27 Sperlich, Martin 170 Spiker 332 Süssmilch, Johann Peter 297 Suhr, Otto 145
Schmidt-Otto, Friedrich 391 Schmidt-Waldherr, Hiltraut 391 Schmiede, H. Achmed 104 Schneider, B 359 Schneider, Louis 168, 332, 438 Schnitger, Arp 300, 303 Schönhauser 103 Schöning, Charlotte 440 Schöning, Kurd Wolfgang v. 438 Schöning, Rose 440 Schöpp-Schilling, Hanna Scholtze, Gottlieb . . 295, 299, 302, 306, 308 Schreiter, Gerhard 47 Schröteler, Bernhard 84 Schuke, Hans-Joachim 305, 308 Schuke, Alexander 305, 308 Schultz 84 Schultze-Naumburg, Paul 40 Schulz 76 Schulze, Claus-Peter 295 Schulze, Franz Eilhardt 327 Schulze, Johann Gottlieb . . . . 214, 216, 218 Schulze, Karoline 214, 217 Schwanebeck, Joachim v. 226 Schurig, Matthias 299 Schwabe 397 Schwennicke, Carl-Hubert 56, 143
Schadow, Albert 271 Schadow, Johann Gottfried 417, 423 Schadow, Wilhelm 442 Schaffgotsch, Emanuel v. 444 Schaffgotsch, Leopold Gf. v. 444 Scharnhorst, Gerhard v. 115, 420 Schäfer, Dietrich 334 Schellig, F. W I. v. 14 Scheper, Hinnerk 39, 46, 340 Schenkendorf, Max v. 422 Scherer, 295 Scherl, August 392 Schiffer, Herma Schill, Ferdinand v. 422 Schiller, Friedrich v. 418 Schinkel, Karl Friedrich . . . . 39, 44, 47, 106, 112, 266, 270, 332, 338, 343, 370, 412 Schirmer 331 Schievelbein 274 Schlabrendorf, Ernst Wilhelm v. 440 Schiaden, Frh. v. 421 Schlawe 359 Schlegel, Wilhelm 427 Schlieben, Maximilian v. 386 Schlieffen 438 Schlüter, Andreas 25 Schmidt, Erhardt 80
Stauch, Lieselotte Steffen, Wilhelm Steffeck, Stein, Karl Frh. v. Stephan, Heinrich v. Stephani Stephenson, Robert Stierle, G Stillfried, Grf. v. Stoehr, Strassmann, Ferdinand Stresemann, Gustav 54, Stölzl, Christoph Strack, Johann-Heinrich . . . . 266, 268, Stradonitz, Reinhard Kekule von Strehlow, H Stritte, Martin Stüler, Friedrich August 39, 42, 44, 114,
393 307 331 419 398 51 132 9 12 196 330 139 224 270 334 359 53 266
Täubler, Eugen Taglioni, Philipp Tauber, Johannes Terite Tetzel, Johann Teusch, Christine Thaer Thering, Lukas
148 332 85 331 224 278 220 291 XIII
Thiele, v. Thorvaldsen, Beitel Thouin, Gabriel Tieck, Friedrich Tieck, Ludwig Tietze, Andreas Thurneysser, Leonhard Tishdorf Toelken, Ernst Heinrich Toller, Ernst Treitschke Trützschler, Friedric C. A. v.
14 115, 423 212 331 422 104 331 331, 443 86 214 12
Varnhagen v. Ense, Karl August . . 164, 443 Velsen, Dorothee v. 198 Venuti, Domenico 166 Venuti, Lodovico 166 Venuti, Niccolo Marcello 166 Vescovali, Luigi 166 Visconti, E. G 166 Voigt, Carl 9, 12 Voigt, Christian Friedrich 301, 306 Volckmar, Andreas 300 Vollgold F. W. L 412 Voltaire 220 Voß, Friederike 217 Voß, Joachim Heinrich 217 Voss, Karl 456 Voß, Sophie Marie Gräfin von 102 Waagen, Gustav Friedrich Waetzoldt, Stephan Wagner, Cosima Wagner, Joachim Wagner, Minna Wagner, Richard Waldhauer, Oskar Warburg, M. M Wasser, Michael Wasserfuhr, Hermann Weber, August Wedekind, Frank Weilbach, Philip Weiss
75, 331 393 395, 398 295, 297 395 395 334 312 296 330 330 334 240 444
Weizsäcker, Richard v. Wendland Welcker, Gottlieb Weyhe, Joseph Clemens Weyhe, Maximilian Friedrich Weyl Wichmann, Hermann Wiedeburg, Johann Gottlieb Wieland, Christoph Martin Wilhelm I. . 12, 110, 168, 240, 338, 398, XIV
322 163 166 210 211 328 219 305 418 423
Wilhelm Prinz von Preußen Wilhelm II. Kaiser Wilhelm II. Landesbischof Wielhorski, Winkler, Friedrich Winterstein Winzienroth Hn. v. Wirth, Irmgard Wittig, August Wölfflin, Heinrich Wohlberedt, Willi Wolff, Christian Michael Wolff, Peter Friedrich Wolzogen, Ernst v. Wrangel, Ferd. v. Wrede, Adolf v. Wulff, Oskar Wylich, Karl Friedrich Heinrich Graf
116, 163 392, 423 44 443 393 391 215 50 25 334 446 299 457 334 108, 239 : 363 334 von 11
Yorck v. Wartenburg, Hans
421
Zedlitz v. Zimmermann, Heinrich Zinn, Wilhelm
239 392 327
A1015FX
MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 84. Jahrgang
Heft 1
Ein Porträt Alfred Edmund Brehms etwa um 1857. Leipziger Illustrirte Zeitung 28 (1857), 185
Januar 1988
Ein Brief Ernst Bauerhorsts an Alfred Edmund Brehm Von H a r r o Strehlow In den Brehm-Biographien (z.B. Krause 1890; Genschorek 1984) spielt Alfred Edmund Brehms erster Aufenthalt in Afrika (1847-1852) eine bedeutende Rolle, trägt er doch zum Verständnis Brehms späterer Entwicklung bei und ist er durch Briefe und vor allem durch Brehms „Reiseskizzen" (1855) und seine Tagebücher (Kleinschmidt 1951) ausreichend dokumentiert. Im auffälligen Gegensatz dazu fällt Brehms Studienzeit bis zum Beginn seiner Spanienreise 1856 in den Biographien sehr kurz aus. Ob dieser Zeitraum für weniger spektakulär angesehen wird oder aus Materialmangel bisher nicht näher untersucht wurde, soll hier nicht diskutiert werden. Aus den bisherigen Veröffentlichungen über die Brehm-Familie (s. Baege 1980; Baege & Haemmerlein 1981) entsteht der Eindruck, Brehm habe zwar in dieser Zeit Aufsätze und seine Reiseskizzen geschrieben und auch verschiedene Vorträge gehalten, aber ansonsten keinen Kontakt zu in Afrika lebenden oder aus Afrika zurückgekehrten Personen gehabt. Dieser Eindruck ist falsch, wie sich durch einen Brief Ernst Bauerhorsts an Alfred Edmund Brehm vom 7. März 1856 belegen läßt, der sich im Besitz des Handschriftenarchivs der Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befindet. Da sich weder im Handschriftenzentralregister für die BRD und West-Berlin noch in der DDR (Haemmerlein 1984) Briefe Brehms an Bauerhorst nachweisen lassen, ist dieses Schriftstück wohl der erste Hinweis auf eine Korrespondenz. Der in Handschrift vierseitige Brief ist Teil einer Korrespondenz und enthält viele Hinweise auf Freunde Brehms in Afrika. Einige wichtige Punkte, die im Brief auch einen größeren Raum einnehmen, sollen hier ausführlicher diskutiert werden.
* Alexandrien den 7. Maerz 1856 Mein lieber Alfred! Deinen lieben Brief vom 19. Februar dJ. erhielt ich am 3. Maerz. Also 15 Tage später und beeile ich mich Dir darauf zu antworten daß ich volkornen mit Dir ausgesöhnt bin, und daß ich Dir, was Du auch irfier gegen mich begangen hast, verziehen habe; hoffentlich habe ich so ganz in Deinem Sine gehandelt und bin ich somit ganz Deiner wehmüthigen Bitte zu Deiner Zufriedenheit nachgekomen. Also alter Freund, setze Dir keine blaue Gedanken in den Kopf, sondern halte Dich vielmehr fest überzeugt, daß Ernst Bauerhorst Dir nicht mehr grollt; muß aber noch hinzufügen, daß ich Heuglin's nach Egypten zurückgekehrte Diener nicht gesehen habe, noch viel weniger Grüße von Dir durch sie erhalten. - Gleichzeitig beeile ich mich Dir anzuzeigen, daß ich seit 8 Tagen mit einem jungen hübschen Mädchen, Joanne Diacono, verlobt bin. Ich hoffe Dir durch diese Anzeige Deine mir in Deinem Brief gehaltene Epistel beantwortet zu haben. Recht hast Du! aber jch habe auch Recht. - Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und so will ich mir den auch eine Lebensgefährtin zulegen, coute qu'il coute! Was nun meine Doctor Geschichte anbelangt, so bin ich allen Ernstes über Dein mir gegebenes Thema hergefallen, glaube aber kaum, daß ich damit zu Ende körnen werde; es ist verflucht schwer, und dabei sehr viel zu thun. - Was nun aber Deinen Bruder, den Doctor, anbelangt, so bin ich sehr erfreut, daß er nach Egypten körnt, nur muß er vorher tüchtig französisch studiren, 2
damit er mit der Sprache durchkomt. - Ich bin selbst Mitglied der Intendance Sanitaire für Egypten und kafi ihm daher mit meinem Einfluß sehr behilflich sein, und vielleicht gelingt es, ihm zu einer Anstellung beim Militair behilflich zu sein. Seine Diplome aber bringt er mit, und das weitere wird sich finden. - Wo mein Einfluß nicht ausreicht, wird der Alte1 eingespannt, der es um so lieber thun wird, sobald sich Dein Bruder unter Preußischen Schutz stellt. Latif2 soll ihm auch dabei behilflich sein. Deinen Hussein Aga3 habe ich bei meiner letzten Anwesenheit in Kairo aufgesucht und gesprochen. - Er war außer sich vor Freude als er mich sah, noch mehr aber, als ich ihm von Dir sprach. - Er machte 1000 Fragen, die ich ihm alle, so gut es ging, beantwortete; ich hatte keinen Dragoman mit. Unter anderem fragte er mich, ob Du durch Heuglin2 die beiden *** und den gestickten Tobacksbeutel erhalten habest, welchen er Dir durch ihn übersandt. - Da ich davon nichts wußte, so versprach ich ihm, bei Dir anzufragen und ihm dann Deine Antwort mitzutheilen. Er läßt Dich 10.000.000 mal grüßen und umarmt Dich im Geiste als einen der bravesten Kerle, die er je kenen gelernt hat. Ich habe ihm von Deinem Buche erzählt und, wie Du seiner darin gedenkst und so seinen biederen Charakter und Namen der ganzen Welt mitgetheilt hast. - Es standen ihm Thränen vor Freude und Rührung in den Augen. - Der Aga hatte wieder von Said Pascha sein Regiment irregulärer Kavalerie erhalten, ist aber bald darauf wieder abgesetzt worden, da er einen Soldaten hat züchtigen lassen, was Said im Anfange seiner Regierung streng verboten hatte. - Hussein lebt jetzt zurückgezogen in Cairo für alle seine Freunde aber imer der alte liebenswürdige Krieger. - Für den Augenblick läßt sich nichts für ihn thun; vielleicht gelingt es mir später, ihn wieder zu Gnaden zu bringen. Dein Buch4 habe ich selbst noch nicht gelesen, da ich es erst nach Cairo zum Einbinden geschickt, und dort von einigen Preuß. Offizieren, die sehr neugierig sind, gelesen wird. - Ich kene es daher nur bruchstückweise, hauptsächlich den Theil, der mich persönlich angeht. Sobald ich das Ganze werde gelesen haben, werde ich nicht ermangeln, Dir eine Recension in der A Zeitung5 zu schreiben. Hoffentlich wird man den Artikel aufnehmen. - Für den mir übersandten Cosmos sage ich Dir meinen herzlichsten Dank, doch kann ich für den Augenblick von Deinem freundlichen Anerbieten, mir alle Bücher, die ich brauchen oder wünschen sollte, aus Europa mitzubringen, keinen Gebrauch machen, da ich in der Hoffnung lebe, in höchsten 2 Monaten mit meiner jungen Frau nach Europa zu reisen. - Um Urlaub bin ich bereits eingekomen der Baron v. Pentz hat ihn warm befürwortet, und so hoffe ich auf Gewährung meiner Bitte. - Diese Reise ist mir um so Wünschenswerther, als meine Mutter, die sehr leidend ist, mit meiner Schwester und Nichte in diesem Monate Petersburg verläßt, um über Berlin, Wien, Triest nach Venedig zu gehen, und lebhaft wünscht, mich in Triest oder Venedig zu sehen und zu sprechen. - Ich würde natürlich diesen Urlaub benutzen und nach Berlin gehen, und hoffe dann Dich in Leipzig oder Dresden persönlich anzutreffen. Ich hoffe, Du wirst mir diese Freude nicht versagen, zumal wen ich Dich dringend darum bitte, wen anders Du nicht schon früher nach Egypten komen solltest, was mir allerdings lieber wäre. Auf Heuglin rechne nicht, auf diesen Menschen ist durchaus kein Verlaß. Wie ich höre, will der zoologische Garten in Berlin 2 Wärter nach Egypten schicken, die mit Heuglin nach dem Sudan gehen, um Viecher herunter zu holen und nach Berlin zu bringen. Köntest Du nicht vielleicht von diesem Umstände Gewinn ziehen? Es wäre doch besser, Du gingest nach dem Sudan in Begleitung Heuglins und besorgtest das Gewünschte, als 2 unwissende Menschen, und köntest Du gleichzeitig für Dich die Reise in anderer Beziehung ausbeuten. - Gefällt Dir die Idee, so sei sogleich dahinterher. - Daß man in Berlin willens ist, obige Idee auszuführen, schreibt mir der *** Wort nicht lesbar
3
erste Thierwärter aus dem zoologischen Garten Martstak, welcher schon zweimal in Egypten war, um die von uns angekauften Thiere abzuholen; er theilte mir gleichzeitig mit, daß meine gute schöne Pachita an zerrissener Gebärmutter gestorben ist und drei tote Junge zur Welt gebracht hat. Ein großer Verlust für den Garten, der nun wahrscheinlich sobald als möglich ersetzt werden soll. - Auch der alte Check ist bereits eines sanften Todes verblichen, nur Pipel lebt noch zur Freude und Angst des ganzen Affengeschlechts im Garten; er soll schrecklich beißen und ganz besonders die Schwachen gegen die Stärkeren vertheidigen; Du siehst, daß er aus einer würdigen Schule hervorgegangen und seinem Meister keine Schande macht; die beiden Königskraniche sind auch schon gestorben, desgleichen meine hübsche Ziege, aber die Jungen leben noch. Tischendorf ist vor wenigen Tagen mit einem Oesterreichischen Gelehrten als Ausstopfer nach dem See Mensaleh gegangen, dem er gleichzeitig den Dolmetscher und Diener macht; er erhält monatlich 15 franzs. rs. und freie Kost und Reise. - das beste, was er bis jetzt hat finden könen; aus dem Kerl wird auch nie etwas Gescheidtes werden; sein Mädchen hat er in der Heimath verbubanzt, ihr einen Jungen angedreht, und dan davon gelaufen; der Junge ist todt und das Mädchen will nichts mehr von ihm wissen; er scheint sich nicht viel daraus zu machen, dum ist er irner noch; wo soll er's auch her haben, ich kafi ihn nicht mal als Diener gebrauchen, da er stets auf der Jagd liegen will. - Naturforscher ist er mit Leib u. Seele, nur versteht er nichts davon, ebensowenig wie ich vom Chinesischen. Bei Kaisers bin ich zwar noch nicht offiziel zu Gevatter eingeladen, aber habe schon davon munkeln hören. Indeß ohne *** Einladung und ohne Vergütung der Reisekosten mit einem kaiserlichen Geschenk verbunden erweise ich dem Kerl die Ehre meiner persönlichen Gegenwart nicht. Ich hoffe, Du denkst ebenso, wo nicht, so hätte ich mich in Dir sehr getäuscht. Nun glaube ich Deinen Brief in allen Theilen genau beantwortet zu haben, ja sogar noch mehr hinzugefügt zu haben, so daß Du, wenn Du einigermaßen genügsam bist, zufrieden sein kanst. - Solltest Du Dich entschließen, mit Deinem Bruder nach Egypten zu komen, so soll Euch Euer Aufenthalt hier nicht viel kosten. - Auf der Terasse habe ich noch ein schönes Zimer, welches ich Euch sofort einräume und ä la turque möblire. Auch in Cairo läßt sich für ein billiges Unterkonten sorgen. Ich glaube, es ließe sich auch für Dich ein Unterkomen bei der Eisenbahn oder woanders ausfindig machen. Lebe wohl! Viele Grüße an Deine liebe Familie, Vater, Mutter, Brüder, Schwester von Deinem treuen Bauerhorst * 1. Ernst Bauerhorst Brehm lernt Ernst Bauerhorst (Nicht Thilo B., wie Genschorek 1984 irrtümlich angibt) am 20. März 1851 in der Nähe Khartums kennen und schließt schnell Freundschaft mit ihm. In den Reiseskizzen wird Bauerhorst als Kaufmann aus Petersburg vorgestellt. Mit ihm wohnt Brehm in Khartum zusammen und stellt eine gemeinsame Menagerie zusammen. Vor allem ermöglichte es Bauerhorst Brehm, mit ihm zusammen nach Kairo zurückzukehren, wo er wieder die Wohnung mit ihm teilt. Aus dem Brief ist zu entnehmen, daß Mutter und Schwester Bauerhorsts noch 1856 in Petersburg wohnten. Ob die angekündigte Reise stattfand und ob ein Treffen zwischen Brehm und Bauerhorst zustande kam, ist bisher noch unklar. Auch die bevorstehende Hochzeit mit Joanne Diacono wird in dem Brief angekündigt. 4
Bauerhorst treibt wohl noch Handel, zumindest handelt er noch mit Tieren. Außerdem scheint er einigen Einfluß in Ägypten zu haben und alle wichtigen Leute zu kennen. Er ist Mitglied der „Intendance Sanitaire". Mit dem Berliner Zoologischen Garten unterhält er briefliche Kontakte und kennt zumindest den Tierpfleger Martstak persönlich (S. 4).
2. Reinhold Brehm Interessant sind die Ausführungen über eine mögliche Tätigkeit Reinhold Brehms in Ägypten. Reinhold Brehm (9. November 1830 bis 20. März 1891) beendet 1855 sein Medizin-Studium. Offensichtlich bemühte er sich um eine Anstellung und erkundigt sich wohl auch über seinen Bruder Alfred in Ägypten bei Ernst Bauerhorst. Bauerhorst kann ihm keine konkrete Zusage machen, bietet aber seine Unterstützung und seine weitreichenden Beziehungen an. Warum Reinhold Brehm auf dieses Angebot nicht eingeht, sondern mit seinem Bruder Alfred eine Expedition nach Spanien antritt, wo er sich 1858 in Murcia und dann in Madrid als Arzt niederläßt (Huschke 1969), bleibt noch unklar. Noch 1890 lebt Reinhold Brehm als Arzt in Madrid (Krause 1890). Er stirbt am 20. März 1891 in Spanien.
3. Bachida Über Bachida (im Brief Pachita) schreibt Brehm in seinen Reiseskizzen ausführlich. Auch im Tierleben und in der Gartenlaube (Brehm 1860) wird Bachidas Leben ausführlich geschildert. Diese Löwin gehörte nicht Brehm, sondern Ernst Bauerhorst. Allerdings hatte Bauerhorst sie auf Brehms Bitte hin von Latief-Pascha, dem Generalgouverneur in Karthum, erhalten. In seiner von Geldmangel und Enttäuschung über die meisten Europäer Khartums bestimmten letzten Zeit in Khartum verbrachte er viel Zeit mit der Löwin. Bei der Rückkehr nach Deutschland war Bachida eines der Tiere, die Brehm betreut. Erst in Wien trennte er sich von ihr. Bachida kam zusammen mit einem jungen Löwen in den Zoologischen Garten von Berlin. Bauerhorst berichtet nun, daß Bachida nach der Totgeburt von drei Jungtieren an einem Gebärmutterriß starb, also nicht an Tbc, wie Schla we (1969) nach alten Presseberichten angibt. Damit erfolgte die erste Löwengeburt in Berlin schon 1855, wenn sie auch als Totgeburt kein voller Erfolg war. Weitere Geburten bei den Löwen konnte der Zoologische Garten zu Berlin erst 1870/71 melden. Auch verschiedene andere Tiere, die Brehm noch aus Afrika kannte und die in den Berliner Zoologischen Garten gekommen waren, sind erwähnt. Die meisten sind allerdings in den drei Jahren schon gestorben.
4. Die Beziehungen Alfred Edmund Brehms zum Zoologischen Garten zu Berlin und die Einladung zu einer weiteren Ägyptenreise Bei seiner Rückkehr 1852 aus Afrika bringt Brehm nicht nur die Balgsammlung und die von ihm und Bauerhorst gehaltenen Tiere nach Europa, sondern darüber hinaus eine weitere Sammlung lebender Tiere, die der preußische Konsul in Alexandria, von Pentz, dem Zoologischen Garten zu Berlin vermittelte (Klös 1969). Während Klös (1969) vermutet, daß Lichtenstein selbst als erster Direktor des Zoologischen Gartens die Tiere abgeholt hat, spricht Brehm (1865) nur von einem Tierwärter. Aus einem 5
Brief von Lichtenstein an von Heuglin vom 24. November 1855 geht hervor, daß die Darstellung Brehms richtig ist. Dieser Tierwärter, den Brehm nicht namentlich erwähnt, ist der auch im Brief Bauerhorsts genannte Martstak. Über ihn schreibt Lichtenstein: „Leider ist der arme Mann noch immer krank und sein Zustand nicht ohne Gefahr. Da er die Reise nun schon zweimal gemacht, und früher schon die erste Sendung des Herrn von Pentz von Triest abgeholt hat und dabei ein besonders zuverlässiger und verständiger Mensch ist, so ist seine Stelle durch einen anderen seines Standes nicht zu ersetzen." Für den Fall, daß Martstak nicht genese, wolle Lichtenstein dennoch versuchen, „irgend ein anderes Subject" zu finden. In einem weiteren Brief Lichtensteins an von Heuglin vom 5. Februar 1856 berichtet der Zoodirektor, daß er jetzt im Stande sei, einige Wärter nach Khartum abzusenden, die dort möglichst viele Tiere sammeln und kaufen sollten. Diese Reise werde nicht vom Zoologischen Garten zu Berlin finanziert, sondern von einem Verein von Kaufleuten. Die beiden Reisen des Tierpflegers Martstak nach Afrika waren wohl der 1854 durchgeführte Transport zweier Kamele, die an Stelle der von Graf Schlieffen angekündigten Giraffen abgeholt wurden. Bei der zweiten Reise handelt es sich um einen Transport mit Tieren von Heuglins, des Ali Paschas und weiterer angekaufter Tiere, die Ende Juli 1855 in Berlin eintrafen (Klös 1969). Auch über diesen zweiten Transport existiert ein Brief von Heuglins an den „Minister für geistliche Angelegenheiten", in dem er dem König „einige wilde Thiere und Hausthier-Racen" anbietet, darunter einen männlichen Löwen, einen Gepard, eine Gazelle, einige Hyänen. Diesen Brief schrieb von Heuglin am 18. März 1855 in Kairo, am 24. Juli 1855 traf dann der Transport in Berlin ein. Von Heuglin selbst kehrte 1855 nach Wien zurück und überbrachte dem Museum und auch dem Schönbrunner Tiergarten eine reichhaltige Sammlung von Tieren. 1856 trat er eine weitere Reise nach Afrika an. Es scheint, als ob Brehm deswegen mit von Heuglin Kontakt gehabt hat, zumindest läßt sich die Bemerkung Bauerhorsts so interpretieren, Brehm solle nicht auf Heuglin bauen. Ob Brehm mit dem Berliner Zoologischen Garten Kontakt aufgenommen hat, konnte bisher noch nicht nachgewiesen werden. Dagegen hat er offensichtlich gute Kontakte zu von Heuglin gepflegt, wie aus dem Vorwort zu einem der Bücher von Heuglins hervorgeht (Brehm 1868). Warum die beiden Brehm-Brüder nicht auf Bauerhorsts Angebot eingegangen sind, kostengünstig in Afrika zu leben, kann bisher nicht geklärt werden. Ob das Interesse C. L. Brehms an spanischen Vögeln dabei bestimmend war, nachdem die erste Reise A. E. Brehms schon eine reiche Ausbeute afrikanischer Vögel gebracht hatte oder ob die Vorbereitungen zu der Spanien-Reise, besonders der Verkauf von „Aktien" auf die Reisebeute, schon zu weit gediehen waren, um noch rückgängig gemacht werden zu können, kann erst nach dem Auffinden weiterer Briefe geklärt werden.
Zusammenfassung Ein Brief von Ernst Bauerhorst vom 7. März 1856 ist der erste Hinweis auf eine umfangreiche Korrespondenz A. E. Brehms mit in Afrika lebenden Personen. Der Brief aus der Zeit zwischen der Beendigung der Studien von Reinhold Brehm und A. E. Brehm und ihrer Spanienreise wirft die Frage auf, warum die Brüder das Angebot eines weiteren Afrika-Aufenthaltes nicht angenommen haben, ohne sie klären zu können. Die im Brief angesprochene Expedition des Berliner Zoologischen Gartens nach Afrika wird unter Hinzuziehung anderer Briefe genauer untersucht. 6
Alle Briefe sind im Besitz des Handschriftenarchivs der Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Literatur Baege, L., 1980: Verzeichnis der Schriften über die Naturforscherfamilie Brehm. Bl. NaumannMus. 3, 1-24. Baege, L.; Haemmerlein, H.-D, 1981: Verzeichnis der Schriften über die Naturforscherfamilie Brehm und die Brehm-Erbpflege. Bl. Naumann-Mus. 4, 1-12. Brehm, A. E., 1855: Reise-Skizzen aus Nord-Ost-Afrika. Jena. F. Mauke. Brehm, A. E., 1860: Meine Löwin. Gartenlaube 1860, 200-203. Brehm, A. E., 1868: Vorwort. In: Heuglin, T. von: Reise nach Abessinien, den Gala-Ländern, Ost-Sudan und Chartum in den Jahren 1861 und 1862. Jena. H. Costenoble. Genschorek, W., 1984: Fremde Länder - Wilde Tiere. Das Leben des „Tiervaters" Brehm. VEB F. A. Brockhaus Verlag. Leipzig. Haemmerlein, H.-D., 1984: Brehm-Erbpflege in der Deutschen Demokratischen Republik. Abh. Ber. Nat. kd. Mus. Mauritianum Altenburg 1,171-202. Huschke, W., 1969: Der Naturforscher Alfred Brehm. Genealogisches Jahrbuch 9, 43-55. Kleinschmidt, O., 1951: Aus A. E. Brehms Tagebüchern. Akademische Verlagsgesellschaft Gees & Portig K.-G. Leipzig, A. Ziemsen Verlag Wittenberg/Lutherstadt. Klös, H.-G., 1969: Von der Menagerie zum Tierparadies. Haude und Spener. Berlin. Krause, E., 1890: Alfred Edmund Brehm. Lebensbeschreibung. In: Pechuel-Loesche: Brehms Tierleben, 3. Aufl., 1. Band, XVII-XLIV. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut. Schlawe, L., 1869: Die für die Zeit vom 1. August 1844 bis 31. Mai 1888 nachweisbaren Thiere im zoologischen Garten zu Berlin. Berlin. Selbstverlag.
Anmerkungen 1 Der „Alte" ist wohl der preußische Generalkonsul von Pentz, den schon Brehm in den Reiseskizzen erwähnt. Schon 1852 beauftragt von Pentz Brehm mit dem Transport von Tieren nach Triest. 2 Abd al Latief-Pascha Abd Allah mußte 1852 Khartum verlassen und lebte wohl seitdem in Kairo. Eine genauere Kennzeichnung s. Brehms Reisen im Sudan 1847 bis 1852. Horst Erdmann Verlag Tübingen und Basel. Anmerkungen, S. 394-395. 3 Hussein Aga oder Hussein Arha, wie er in den Reiseskizzen genannt wird. Von ihm hatte Brehm 2000 Piaster geliehen. Eine genaue Beschreibung findet sich im XIV. Kapitel der Reiseskizzen, wo auch schon das Geschenk erwähnt wird, nach dem Bauerhorst fragt. 4 Reiseskizzen aus Nord-Ost-Afrika. Jena F. Maulke. 5 Evtl. Augsburger Zeitung. Ob diese Besprechung erschienen ist, konnte noch nicht geklärt werden. 6 Theodor von Heuglins. Anmerkung wie bei 2, S. 389-395. 7 In den Jahren vor 1860 begann in Ägypten der Eisenbahnbau (Linie Alexandria-Luxor). Welche Bedeutung das für Brehm in Bauerhorsts Vorstellung haben konnte, ist nicht klar.
Anschrift des Verfassers: Dr. Harro Strehlow, Meierottostraße 5,1000 Berlin 15
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Christoph Carl Pfeuffer, Königlicher Hof-Medailleur in Berlin Von Klaus Sommer, Krefeld* Christoph Carl Pfeuffer trat in die deutsche Münz- und Medaillengeschichte ein, als die unruhige napoleonische Zeit vorüber war. In Preußen herrschte zu Pfeuffers Lebzeiten Frieden. So konnte er auch seine Arbeit Menschen und Werken des Friedens widmen. Außer in einer Suite auf den russisch-türkischen Krieg und zwei Medaillen auf den Unabhängigkeitskampf Belgiens hat Pfeuffer weder einen Feldherren noch eine Schlacht mit seinem Medaillenwerk verherrlicht. Die Beschäftigung mit friedlichen Themen entsprach auch seinem Charakter und seinen persönlichen Lebensumständen. Pfeuffer lebte still und zurückgezogen. Er besuchte weder eine Kunstschule, noch schickte ihn jemand auf eine Studienreise. Kein Orden zierte seine Brust. Krankheit und viel familiäres Leid drückten ihn nieder. Seine beruflichen Ambitionen vermochte er nicht durchzusetzen und erst spät, nicht zuletzt durch das Wohlwollen des die Kunst allenthalben fördernden Königs Friedrich Wilhelm IV., stellte sich öffentliche Anerkennung ein. Der stille Künstler hinterließ uns ein umfangreiches Werk von vielen Münzen, mehr als 140 Medaillen und anderen Reliefarbeiten. In ihnen spiegelt sich seine Zeit wider, aber auch die eigene Persönlichkeit. Ruhig und friedlich liegen seine Arbeiten vor uns. Sie beweisen Geschmack und handwerkliche Vollkommenheit. Pfeuffer gehört unbestritten zu den bedeutenden deutschen Medailleuren des 19. Jahrhunderts, und da er es war, der den preußischen und anderen deutschen Münzen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ihr Gesicht gab, glauben wir genug Gründe zu haben, sein Leben und Werk dem Freund der Münzen und Medaillen nahezubringen. Abgesehen von wenigen knappen Bemerkungen, hat die numismatische Literatur Pfeuffer bisher übersehen. Die wichtigste Quelle für meine Arbeit sind die im Zentralen Staatsarchiv zu Merseburg (DDR) verwahrten Personalakten der Kgl. Preuß. General-Münz-Direktion und die Akten des Kgl. Civil-Kabinetts. Viele Damen und Herren in Münzkabinetten, Archiven, Museen, Bibliotheken und Münzhandlungen haben mir bei meiner Forschung geholfen. Ihnen allen sage ich meinen herzlichen Dank! Christoph Carl Pfeuffer wurde am 29. Oktober 1801 als Sohn des Tischlermeisters Johann Heinrich Pfeuffer in Suhl in Thüringen geboren. Die Ausbildung zum Medailleur, wozu auch Porträtzeichnen, Modellieren und die Bildhauerkunst gehörten, empfing er vom KurfürstlichSächsischen Hofgraveur Johann Veit Doli (1750-1835) in Suhl, einem Künstler, der 20 Jahre lang für den preußischen Hof-Medailleur Daniel Loos viele Medaillenstempel lieferte. Sicherlich hat auch Pfeuffer an so manch einer Loos-Medaille mitgearbeitet! Nachdem die Berliner Medaillen-Münze von Gottfried Bernhard Loos gegründet worden war, zog Pfeuffer 1820 nach Berlin und arbeitete dann 20 Jahre lang für diese berühmte Prägeanstalt. Sie hatte ihre Betriebsstätte anfangs in der Ober-Wasserstraße 11 und ab 1829 in der Neuen Friedrichstraße 56. Loos war mit dem jungen Künstler zufrieden, „er hat viele schöne Arbeiten schon * Nachdruck mit Genehmigung des Autors aus dem Organ des Verbandes der Deutschen Münzvereine, „Numismatisches Nachrichten Blatt", Nr. 6/1984
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geliefert und gewinnt täglich", schreibt er 1828. Zu dieser Zeit war Pfeuffer bereits Chef d'atelier. Ein glückliches Familienleben war Pfeuffer nicht beschieden. 1831 heiratete er die 21jährige Jungfer Sabine Tugendreich Marggraff. Im Jahr daraufwar die junge Frau bereits tot. Sie starb nach der Geburt einer Tochter am Kindbettfieber. Dieses Mädchen heiratete später und hatte zwei Söhne. Die junge Mutter und ihr Mann starben auch früh, so daß sich Pfeuffer um seine beiden Enkelkinder kümmern mußte. Pfeuffers Gesundheitszustand war schlecht. Er litt an einem Brust- oder Lungenleiden. Zum Zeitpunkt seiner Eheschließung wohnte er in Berlin in der Rosenthaler Straße 42, später zog er in die Poststraße 16, und in den letzten Lebensjahren hatte er seine Wohnung im alten Münzgebäude am Werderschen Markt 8. War es in früheren Zeiten einem kleinen, erlauchten Kreis von Begüterten vorbehalten, ihr hochgeschätztes Bildnis oder ihre ruhmreichen Taten in unvergängliches Metall einprägen zu lassen und so Unsterblichkeit zu erlangen, so verschaffte der Wohlstand, der sich mit dem heraufkommenden Industriezeitalter ausbreitete, auch dem kultivierten Bürger die Möglichkeit, auf gleiche Weise für seinen Ruhm zu sorgen. In Deutschland war es zuerst Daniel Loos, der diesem Bedürfnis Rechnung trug und in seinem Atelier Medaillen, beinah schon fabrikmäßig, herstellte und auf moderne Weise vertrieb. Die Berliner Medaillen-Münze entwickelte sich danach unter der Leitung ihres Dirigenten G. Loos zu einem weltweit bekannten und angesehenen Unternehmen. Neben Pfeuffer arbeiteten in dieser Anstalt Medailleure von gutem Ruf oder machten dort ihre Lehre: G. Stierle, J. L. Jachtmann, A. Hofmann, Friedrich König, Doli jun., I. C. Hollenbach, Carl Voigt, H. Gube, W. Kirchner, Hell, H. Lorenz-Epstad und Angelika Facius. Zu jener Zeit konnten in Preußen Medailleure ihre Arbeiten nur in zwei Anstalten prägen lassen, entweder in der Kgl. Münze oder in der privaten Berliner Medaillen-Münze von G. Loos. Von Jahr zu Jahr nahm das Medaillengeschäft an Umfang zu Von 1822 bis 1828 stellte die Loossche Firma ca. 80 000 Medaillen her. Pfeuffer sah die Geschäftsmöglichkeiten, die dieser expandierende Markt bot, und plante daher 1837, sich selbständig zu machen und gemeinsam mit dem Werkführer der Berliner Medaillen-Münze, einem Mechaniker Gestel, eine weitere Medaillen-Prägeanstalt zu gründen. Er bat deshalb König Friedrich Wilhelm III. in einem Schreiben um Genehmigung dazu und gleichzeitig auch, ihm das Prädikat als Hof-Medailleur zu verleihen. Dieser Titel, so führte der Künstler aus, würde der künftigen Kundschaft Vertrauen einflößen und somit seinem Geschäft förderlich sein. Der König gab das Gesuch zur Stellungnahme an die zuständigen Staatsminister von Altenstein und von Lottum weiter, die ihrerseits ein Gutachten bei der Akademie der Künste einholten. Die Enttäuschung für Pfeuffer war groß: Seine Bitte wurde rundweg abgelehnt. „Es besteht die Gefahr," heißt es in der Begründung, „daß ein Medailleur im Besitze einer Prägemaschine auch unbefugt Geld prägen könnte." Warum aber hatte man dann Loos die Genehmigung zum Medaillenprägen erteilt? Bei ihm war das etwas anderes, erfahren wir aus den Akten. Loos schnitt die Stempel ja nicht selbst, sondern ließ sie von seinen Mitarbeitern anfertigen. Außerdem war er hauptamtlich GeneralMünz-Wardein und vereidigter Beamter, der das volle Vertrauen der Regierung genoß. Auch des Titels eines Hof-Medailleurs wurde Pfeuffer noch nicht für würdig befunden. Das Ministerium war der Meinung, daß dieser Titel als Auszeichnung für künstlerisches Talent und Verdienst angesehen werden müsse. Pfeuffers Arbeiten ließen aber noch manches zu wünschen übrig, auch hätte er keine akademischen Studien gemacht, und schließlich besäßen solch tüchtige Medailleure wie Brandt, Held und Fischer das Prädikat „Hof-Medailleur" auch nicht. 9
Abschließend wiesen die beiden Minister in einem Schreiben an den König - auf solch hoher Ebene wurde dieser Fall behandelt - daraufhin, daß es im Interesse der Kunden liegen müßte, wenn die Medaillen, die sie kauften, einer staatlichen Kontrolle hinsichtlich der Metallegierung unterworfen wären, was bei den in der Kgl. Münze hergestellten Stücken der Fall wäre. Der Kunst entstünde mit der Ablehnung kein Nachteil, heißt es weiter. Das Prägen von Medaillen in der Kgl. Münze sei zudem billig, und anerkannte Medailleure nutzten diesen Vorteil. Loos wird mit der Entscheidung der Regierung zufrieden gewesen sein. Er brauchte keine Konkurrenz zu fürchten. Vermutlich werden Pfeuffers Pläne das Verhältnis der beiden Männer zueinander getrübt haben. Es fällt auf, daß Pfeuffer, sobald er aus der Berliner MedaillenMünze ausgeschieden war, seine Medaillen nicht mehr dort prägen ließ, auch dann nicht, als Loos 1843 gestorben war. Da Pfeuffers Stellung bei Loos schwierig geworden war, hoffte er, trotz der Enttäuschung, die ihm die Regierung bereitet hatte, auf eine Anstellung bei der Kgl. Münze. Zwei Ereignisse kamen seinen Wünschen entgegen. Am 17. September 1839 starb Ludwig Held, der zweite Medailleur an der Münze, und am 7. Juni 1840 bestieg Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron. Pfeuffer bewarb sich in einem Schreiben an den Staatsminister Graf von Lottum um die frei gewordene Stelle. In dem jetzt von Schadow und Tölken verfaßten Gutachten der Akademie der Künste wird Pfeuffer gelobt: Er sei sicher, scharf, sehr genau, von unendlicher Sorgfalt und unermüdlichem Fleiß und, obwohl bisher unter sehr nachteiligen Verhältnissen arbeitend, ein sehr geschickter und zuverlässiger Medailleur. Darauf hin erhielt Pfeuffer am 9. September 1840 bei einem Jahresgehalt von 400 Talern die erbetene Position. K. Fischer, der sich auch beworben hatte, wurde abgelehnt. Pfeuffer wurde in „Eid und Pflicht" genommen und erhielt eine Dienst-Instruktion. Die wichtigsten Punkte daraus wollen wir anführen: Abgesehen davon, daß die General-Münz-Direktion von ihrem neuen Medailleur erwartete, daß er seine amtlichen Gravurarbeiten sorgfältig, ohne Aufschub und unter Hintansetzung aller privaten Arbeiten ausführt, soll er folgende Vorschriften beachten: Für Privatarbeiten soll er sein eigenes Werkzeug benutzen, die Zahlen- und Schriftpunzen der Kgl. Münze darf er keinesfalls ohne Zustimmung für private Arbeiten und auch nicht für Aufträge fremder Regierungen verwenden; alle von ihm angefertigten Gegenstände müssen gekennzeichnet und datiert werden - eine glückliche Vorschrift, die es uns möglich macht, bestimmte Münzen und Medaillen mit Sicherheit Pfeuffer zuzuweisen. Will Pfeuffer Privatarbeiten oder Aufträge fremder Regierungen in der Kgl. Münze ausführen, so muß er zuvor um Genehmigung nachsuchen, wogegen es ihm unbenommen bleibt, an anderer Stelle solche Arbeiten nach Belieben vorzunehmen. An den fertiggestellten und genehmigten Originalstempeln darf Pfeuffer später ohne Genehmigung nichts mehr verändern. Er soll sich auch mit dem Ein- und Absenken sowie dem Polieren der Stempel vertraut machen, so daß er notfalls diese Arbeiten mit Hilfe der Münzarbeiter selbst besorgen kann. Schließlich soll Pfeuffer seine Wohnung in der Nähe der Münze nehmen und im Fall eines Feueralarms nötige Hilfe leisten. Pfeuffers Arbeitsräume befanden sich in der Kgl. Münze im Gentzschen Bau auf dem Werderschen Markt. Gerade erst hatte man auf dem Hof ein Dampfmaschinenhaus errichtet. Bis dahin arbeitete die Münze mit Wasserkraft. Ob in der Kgl. Münze damals schon mit der Reduktionsmaschine gearbeitet wurde, konnte nicht geklärt werden. Bekannt war sie jedenfalls schon. Es liegen auch Medaillenentwürfe vor, die von einem großen Modell reduziert worden waren. Bei der Münzherstellung hat man sich zu Pfeuffers Zeiten wahrscheinlich noch nicht der Reliefkopiermaschine, wie diese technische Neuerung auch genannt wurde, bedient. Das mit Hilfe von Daniel Loos um 1806 in Preußen eingeführte Einsenkverfahren war jetzt die selbstverständliche angewandte Münztechnik. Der Stempelschneider schnitt einen positiven 10
Stempel (Patrize), der, eingesenkt in einen präparierten Stahlpfropfen, den negativen, eigentlichen Prägestempel (Matrize) hervorbrachte. War die Matrize verbraucht, konnte mit Hilfe der Patrize ein neuer, völlig identischer Prägestempel hergestellt werden. Chef der General-Münz-Direktion war 1840 Christian Friedrich Goedeking, General-Wardein der schon mehrmals erwähnte Gottfried Bernhard Loos. Dem Hauptmünz-Comptoir, zu dem der eigentliche Prägebetrieb gehörte, standen Sigmund Wagner als 1. und Friedrich Ludwig Klipfei als 2. Münzmeister vor. Die Münze beschäftigte nach dem Tod Helds außer Pfeuffer noch zwei Medailleure, Henri Francois Brandt als 1. Medailleur und Johann Andreas Hofmann. Die Kgl. Münze unterstand dem Departement des Staatsschatzes und der Münzen, an dessen Spitze der Staatsminister Karl Friedrich Heinrich Graf von Wylich und Lottum stand. Schon vor seiner Anstellung hatte Pfeuffer Kontakt zur Kgl. Münze und wurde gelegentlich auch zu Münzarbeiten gegen Honorar herangezogen. So legte er beispielsweise 1834 Entwürfe zu einem neuen Taler vor, die allerdings nicht verwendet wurden. Auch zwei Privatmedaillen prägte er vor 1840 in der Kgl. Münze. Jetzt, 1840, wartete viel Arbeit auf den neuen Medailleur. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. mußten nach und nach viele Münzen gegen neue mit dem Kopf des neuen Königs ausgetauscht werden. Zunächst aber hatten die Huldigungs-Medaillen für die am 15. Oktober 1840 festgesetzte Huldigung in Berlin Vorrang. (Die Medaillen für die Königsberger Huldigung am 10. September 1840 konnten ohnehin nur nachträglich ausgegeben werden.) Den Stempel 11
für die Kopfseite schnitt K. Fischer, den für die Rückseite Pfeuffer. Der Stempel für die Rückseite wurde noch einige Male benutzt: einmal für die Königsberger Huldigung und später für die beiden Medaillen zur Krönung Wilhelms I., 1861: die eine mit dem Doppelporträt des Königspaares (von Pfeuffer) und die andere nur mit dem Kopf Wilhelms I. (von Kullrich). Bei der letztgenannten überarbeitete Kullrich den alten Reversstempel von Pfeuffer. Kein anderer preußischer König hat sich so liebevoll für die Gestaltung seiner Münzen eingesetzt wie der kunstverständige Friedrich Wilhelm IV. Häufig ließ er sich die Entwürfe vorlegen und änderte sie auch gelegentlich eigenhändig ab. An der bildnerischen Gestaltung der Rückseite des 2-Vereins-Talers von 1859 z. B. haben mehrere Personen mitgewirkt. Aus den ersten Entwürfen wählte der König einen aus, ließ ihn aber noch einmal abändern. Der Oberzeremonienmeister und Vorstand des Heroldsamtes, Graf von Stillfried, legte deshalb einen entsprechenden neuen Entwurf vor. Dieser zeigte den Adler, mit einer Ordenskette behangen, auf seiner Brust den Namenszug FR und daneben zwei Wappenschildchen, acht weitere außerhalb der Kette. Auch diese Vorlage fand noch nicht die volle Billigung des Königs. Auf seine Anregungen hin, die sich auch auf die Gestaltung von Details, wie z.B. die Größe der Wappenschildchen, erstreckten, lieferte Pfeuffer nun einen Entwurf, dem der König endlich zustimmte. Inzwischen erkrankte der Monarch, und so genehmigte der Prinzregent (Wilhelm I.) diesen Entwurf, nach dem schließlich Pfeuffer die Stempel anfertigte. Einige Jahre zuvor hatte Friedrich Wilhelm IV. die falsche Form der preußischen Krone auf den Münzen beanstandet und hatte deshalb die Originalkrone aus dem Tresor holen und vor die Medailleure setzen lassen. So entstand das getreue Abbild der Krone auf den Münzen ab 1842. Pfeuffer hat während seiner 20jährigen Amtszeit an der Kgl. Münze eine große Anzahl von Münzstempeln geschnitten: für Preußen, Hamburg, Hessen-Kassel, Hohenzollern, LippeDetmold, Mecklenburg-Schwerin, Reuß-Obergreiz, Reuß-Schleiz, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Sondershausen sowie für Waldeck und Pyrmont. Die Schwierigkeit, Münzen bestimmten Medailleuren zuzuordnen, wird bei Pfeuffer durch den glücklichen Umstand gemindert, daß die General-Münz-Direktion wenige Monate vor Pfeuffers Tod eine Aufstellung aller von diesem Künstler angefertigten Stempel vornahm. Pfeuffers Gesuch, seine Münzen signieren zu dürfen, wurde abgelehnt. Nur auf den Münzen für Hessen-Kassel und einigen für Lippe-Detmold finden wir sein Signum. Zu den Arbeiten Pfeuffers „ex officio" gehören auch Gewichtssteine für die Kgl. NormalEichungs-Commission. Solche Steine für 2,1 und '/2 Friedrichsdor sind aktenkundig. Ebenso fertigte er auch für diese und andere Münzen die Matrizen für die Randverzierungen an. Seinen Ruhm indessen verdankt Pfeuffer dem mehr als 140 Arbeiten zählenden Medaillen werk. Ob er schon in Suhl mit selbständigen Arbeiten in Erscheinung getreten ist, bleibt fraglich. Pfeuffer trat 1821 mit einer Medaille auf den thüringischen Staatsmann Friedrich C. A. von Trützschler aus Altenburg, in guter Loosscher Manier ausgeführt, an die Öffentlichkeit. Etwa zur gleichen Zeit entstand in Zusammenarbeit mit C. Voigt eine Suite auf berühmte deutsche Musiker. Diese und weitere etwa 80 Medaillen entstanden in der Berliner Medaillen-Münze und tragen neben dem Medailleurs-Signum auch die Chiffre der Loosschen Prägeanstalt, meist G. LOOS DIR. Die Medaillen auf den General-Postmeister von Nagler, 1837, und auf das 300jährige Jubiläum der Reformation in Brandenburg, 1839, wurden jedoch in der Kgl. Münze geprägt. Welches sind die Themen in seiner ersten Schaffensperiode bis 1840? Jubiläen aller Art, z. B. auf Joh. Friedr. Blumenbach, den Begründer der Anthropologie, 1826; Samuel Th. 12
Auszeichnung der Berliner Schützengilde, 1847, von C. Pfeuffer. 36 mm, Mbg. 4239.
:-• 1 Neujahrsplakette in Eisenguß für das Jahr 1831. Entwurf von C. Pfeuffer, 65,4 x 89 mm. Dargestellt sind Produkte der kgl. Eisengießerei: Kandelaber zur Gasbeleuchtung auf dem Berliner Schloßplatz; Trophäe für die Kaserne in Minden; Opferschale vor dem Kollegiengebäude in Schwerin; eine Wendeltreppe, eine Chausseewalze, ein Altarleuchter und ein Basrelief von Fr. Tieck nach Corregio.
Sömmering, 1828. Die Rückseite der Medaille zeigt das menschliche Gehirn. Ferner Ereignisse aus dem preußischen Königshaus und anderen Fürstenhäusern, z. B. die Hochzeit des Kronprinzen mit Elisabeth von Bayern, 1823; die Hochzeit Friedrich Wilhelms (Kaiser Wilhelms I.) mit Augusta, Prinzessin von Sachsen-Weimar, 1829; 100. Jahrestag des Regierungsantritts Friedrichs des Großen, mit der Darstellung des Reiterdenkmals von Rauch, Unter den Linden, 1840. Pfeuffer gedenkt in einer Suite, die in Zusammenarbeit mit H. Gube entstand, der Begebenheiten des russisch-türkischen Krieges von 1828/1829 und der 300. Wiederkehr des Tages der Reformation sowie des Auftretens der Cholera in Deutschland. Für wissenschaftliche Kongresse lieferte er die Gedenk- und für Vereine aller Art Prämienmedaillen. In staatlichem Auftrag schnitt Pfeuffer die Stempel für eine neue preußische Rettungsmedaille. Schließlich gehören zum seinem CEuvre auch einige Gelegenheitsmedaillen, meist religiösen Inhalts. Seit 1837 hatte sich die Einstellung der preußischen Regierung zu Pfeuffer völlig gewandelt. Das Zeugnis der Akademie, das zu seiner Anstellung 1840 geführt hatte, war, wie wir gesehen hatten, glänzend. Vielleicht hatte auch der neue König Anteil an dieser veränderten Wertschätzung, die ihren sinnfälligen Ausdruck in der Verleihung des ersehnten Prädikats eines 13
Hof-Medailleurs im Oktober 1842 fand. 1845, nach dem Tod von H. F. Brandt, rückte Pfeuffer am 3. Juni 1845 in die frei gewordene Stelle des 1. Münzmedailleurs auf. Wieder wurde zuvor ein Zeugnis der Akademie der Künste eingeholt, das jetzt vorzüglich ausfiel und Pfeuffer als „vollkommen für die Position qualifiziert" empfahl. Ab Januar 1846 bezog der neue ChefMedailleur ein Jahresgehalt von 1000 Talern. Der jetzt zuständige Minister von Thiele teilte Pfeuffer in einem Schreiben die Beförderung mit und unterließ darin nicht, in das Lob auch die in ihn gesetzten Erwartungen zu mischen: „Ich darf bei der von Ihnen bisher bewiesenen Geschicklichkeit, Accuratesse und strengen Rechtlichkeit überzeugt sein, daß Sie fortfahren werden, sich die Zufriedenheit Ihrer Vorgesetzten auch in dieser Stelle zu erhalten." Es wurde noch einmal auf die Dienst-Instruktion von 1841 hingewiesen und zusätzlich betont, daß die Stellung des 1. Münzmedailleurs dem Münzmeister gegenüber nicht zu unabhängig sein sollte. Der Münzmeister trage die letzte Verantwortung für die einwandfreie Ausprägung des Geldes und soll deshalb auch weiterhin befugt bleiben, dem Medailleur Vorschriften zu erteilen. Pfeuffer soll nötigenfalls auch die niedrigeren Arbeiten seiner Kollegen ausführen. Im Vordergrund des Medaillenwerks Pfeuffers in seiner zweiten Schaffensperiode von 1840 bis 1861 stehen die im staatlichen Auftrag ausgeführten Arbeiten. Neben den bereits erwähnten Huldigungsmedaillen schuf Pfeuffer sowohl unter Friedrich Wilhelm IV. als auch noch 1861 unter Wilhelm I. Schießprämien, Prämienmedaillen für Kunst und Wissenschaft, Preismedaillen der Akademien der Künste in Berlin und Kassel sowie der Berliner Schützengilde. Von ihm stammen auch die Prämienmedaillen für die Berliner Gewerbeausstellung, 1844, sowie die Anerkennungs-Medaille für die der preußischen Krone treu gebliebenen Mitglieder der Neuenburger Regierung, 1849. Daneben führte Pfeuffer auch, wie schon vor 1840, jetzt aber in den Räumen und mit den Prägeapparaten der Kgl. Münze, Medaillenaufträge privater Kunden aus, zahlenmäßig allerdings nur ein bescheidenes CEuvre von etwa 12 Medaillen, darunter eine Arbeit auf den Philosophen F. W. J. von Schelling, von seinen Gasthörern bestellt. Bei den Medaillen-Aufträgen arbeitete Pfeuffer meist nach eigenen Entwürfen. Sollte ein Porträt dargestellt werden, hielt er sich an die ihm zur Verfügung gestellten Abbildungen, auch Fotografien dienten jetzt schon dazu, oder er porträtierte selbst die abzubildende Person. Wilhelm I. und sicherlich zuvor auch Friedrich Wilhelm IV. gewährten Pfeuffer Sitzungen zur Anfertigung ihrer Porträts auf Münzen. Auch nach Weimar fuhr Pfeuffer, um den Großherzog Carl Alexander für das Münzbild zum 2-Taler-Stück zu porträtieren. Seine Reisekosten wurden mit sechs Friedrichsdor vergütet. 1841 hatte der Künstler schon einmal für SachsenWeimar gearbeitet, und 1858 wurde er ein weiteres Mal mit Münzaufträgen des Großherzogtums bedacht. Für die Entwurf- und Stempelarbeiten zu den 1- und 2-Pfennig- Stücken sowie zu dem 1-Vereins-Taler erhielt Pfeuffer ein Honorar von 30 Friedrichsdor. Aktenkundig ist auch eine Reise Pfeuffers, 1855, nach Arolsen. Dort gewährte ihm Georg Victor, Fürst zu Waldeck-Pyrmont, Sitzungen für das Münzbild auf dem Doppeltaler von 1856, das später auch für den Vereins-Taler verwendet wurde. Auf einer Anzahl von Medaillen finden wir auch den Namen eines zweiten Künstlers. Bei diesen Stücken handelt es sich entweder um eine Gemeinschaftsarbeit, wie z. B. bei der Medaille auf den General-Münz-Direktor Goedeking, zu der H. F. Brandt die Kopf-, Pfeuffer aber die Rückseite arbeitete, oder aber Pfeuffer hat zu einer schon früher von einem anderen Medailleur gefertigten Medaille einen neuen Vorder- oder Rückseitenstempel angefertigt. Das trifft vor allem für mehrere staatliche Prämienmedaillen zu. Außer nach seinen eigenen Entwürfen hat Pfeuffer auch nach denen anderer Künstler gearbeitet. 14
Bei den staatlichen Medaillen-Aufträgen wurde mit Pfeuffer ein Vertrag geschlossen. So kam man z. B. 1844 überein, daß er die durch den Regierungswechsel notwendig gewordenen neuen Patrizen und Matrizen der Vorderseiten-Stempel für die großen und kleinen Prämienmedaillen der Akademie der Künste schnitt. Pfeuffer garantierte die Haltbarkeit der Stempel für das Ausprägen von je 100 Medaillen und verzichtete gleichzeitig auf seine Eigentumsrechte an den Stempeln. Als Honorar wurden ihm hierfür zusammen 66 Friedrichsdor gezahlt und vereinbart, daß er für eine eventuelle spätere Anfertigung neuer Stempel 24 für die große und 20 Friedrichsdor für die kleine Medaille erhalten sollte. Geprägt wurden seine Medaillen vor allem in Silber und Bronze, aber auch in Gold, Zinn, vergoldeter Bronze (Neugold) und Eisen. Die Größe seiner Gepräge ist noch die gleiche wie zu den Zeiten von Daniel Loos. Etwa die Hälfte aller Medaillen mißt ca. 42 mm. Abgesehen von der Medaille auf den Wiener Kongreß, 1814, mit einem Durchmeser von 77 mm und auf die Antigone-Aufführung, 1841, von 63 mm, verteilen sich die übrigen Medaillen auf Durchmesser von 25 bis 53 mm. Nach den wenigen Informationen über die Prägezahlen kann angenommen werden, daß die Medaillen selten mit mehr als 300 Exemplaren ausgeprägt wurden. Die Medaille auf den Hamburger Senator Bausch, 1832, wurde geprägt: 10 Exemplare in Gold, 100 in Silber und 100 in Bronze. Die Medaille auf das 300jährige Bestehen des Johanneums in Hamburg wurde geprägt: 14 Exemplare in Gold, 400 in Silber und eine „größere" Anzahl in Bronze. Über die Preise sind wir besser unterrichtet. Die Berliner Medaillen-Münze verlangte für die Medaille auf Spontini, 51,5 mm, in Gold 25 Friedrichsdor, in Silber 6 Taler, in Neugold 2 und in Bronze l'/2 Taler; für die Medaille auf Alexander von Humboldt, 41 mm, in Gold 10 Friedrichsdor, in Silber 3 Taler, in Bronze 1 Taler. Bis 1840 kümmerte sich die Berliner Medaillen-Münze, für die Pfeuffer arbeitete, um Aufträge und besorgte den Vertrieb. Seine Arbeiten wurden in den Verkaufskatalogen der Berliner Medaillen-Münze, ohne jedoch dabei seinen Namen zu nennen, angeboten. Außerdem machte die Firma auch mit Zeitungsinseraten auf die kleinen Kunstwerke aufmerksam. So weist eine Annonce in den Berlinischen Nachrichten vom 20. September 1828 schon auf die Humboldt-Medaille hin, die erst im darauffolgenden Jahr erscheinen sollte. Sogar in der Augsburger Allgemeinen Zeitung finden wir Angebote von Pfeuffers Medaillen. Im angesehenen Kunstblatt (Morgenblatt für gebildete Stände) erscheinen über viele Jahre hin kurze Besprechungen der Arbeiten Pfeuffers. Bei der künstlerischen Gestaltung seiner Medaillen bediente sich Pfeuffer des seit Daniel Loos bewährten Schemas: Auf der Vorderseite erscheint meist im Profil der Kopf oder das Brustbild der geehrten Person, manchmal in antikem Gewand, und eine Umschrift. Auf der Rückseite die Widmung, meist in einem Kranz, dessen Laub aber dem Anlaß entspricht (Lorbeer für Ruhm). Vergleicht man Pfeuffers Medaille auf die Einnahme Adrianopels, 1829, mit der Medaille von Friedrich Loos auf den Generalfeldmarschall von Moellendorf, 1793, so ist leicht zu erkennen, daß die Entwicklung der Kunst während der 30 Jahre Pfeuffer nicht beeinflußt hat. Immer noch, wenn auch nicht mehr so häufig wie Daniel Loos, benutzte Pfeuffer, um ein Thema deutlich zu machen, die symbolischen Bilder aus der Antike. In der Mehrzahl jedoch sin'd seine Medaillenbilder realistisch. Seine königlichen Herren stellt er fast nur in Kopfbildern dar. Von dem Herkömmlichen heben sich wohltuend seine Arbeiten ab, die er aus Anlaß des 300. Jahrestages wichtiger Begebenheiten aus der Reformationsgeschichte, 1829 und 1830, geschaffen hat. Diese Werke haben auch seinen Ruhm begründet, und die Kunstkritik erwähnt sie mit Lob. 15
Danach bewegt sich sein Stil wieder in den alten Bahnen, bis er ab 1840 neue Gestaltungsformen wagt: Die Medaillen auf ein neues Schulgebäude in Hamburg, 1840, auf die AntigoneAufführung, 1841, auf Schelling, 1842, passen sich dem damals modernen Geschmack an. Aber immer wieder kehrte Pfeuffer zu den alten Formen zurück. Mit lobenswerter Exaktheit behandelt er architektonische Themen. Die Darstellungen des Breslauer Rathauses, des Alten Museums in Berlin, der Ehrenburg in Coburg und des Mailänder Doms sind meisterhaft. Zu letzterer Arbeit bemerkt das „Kunstblatt" vom 16. Oktober 1838: „Eine vortreffliche perspektivische Darstellung und so zart im Detail ausgeführt, daß man die einzelnen Teile nur durch das Vergrößerungsglas in ihrer ganzen Schönheit erkennen kann." Von 1805 bis 1848 stellte die Kgl. Eisengießerei in Berlin, Invalidenstraße, Neujahrsplaketten in Eisenguß (auch Neujahrskarten genannt) her, um sie zum Jahreswechsel an den König, die Behörden und Geschäftsfreunde zu versenden. Zu den Künstlern, die die Modelle lieferten, gehörte nicht zuletzt auch Christoph Carl Pfeuffer. Die Modelle zu den Neujahrskarten für die Jahre 1831,1832,1833,1837 und 1838 sind nachweislich sein Werk. Wiederholt beteiligte sich Pfeuffer auch den Ausstellungen der Akademie der Künste in Berlin. Bei den Kunstverständigen seiner Zeit fand Pfeuffer Anerkennung. Goethe besaß mehrere seiner Medaillen in seiner Kunstsammlung. Christian Daniel Rauch empfahl der jungen Medailleurin Angelika Facius „vormittags zu ihm zum Modellieren zu kommen und sich nachmittags im Medaillieren bei Herrn Pfeuffer zu beschäftigen". Das Urteil der Kunstkritiker über Pfeuffers Arbeit ist fast immer positiv: „Er erreicht im Porträt Ähnlichkeit und ganz vorzüglich dürfte ihm die Medaille auf die in Berlin Statt gehabte Reformationsfeier gelungen sein" (Bolzenthal, 1840). - „Er wurde in kurzer Zeit einer der vorzüglichsten Künstler seines Fachs. Mehrere seiner Werke müssen den besten Erzeugnissen der modernen Stempelschneidekunst eingereiht werden" (Nagler). - Gleichzeitig Lob und Tadel sprechen aus den Worten von Franz Kugler, 1854: „In der Prämienmedaille für gewerbliche Leistungen finde ich kein künstlerisches Vermögen im höheren Sinne des Wortes und fühle mich daher nicht veranlaßt, sie in diesem, der Kunst gewidmeten Blatte näher zu besprechen... im Profilbild des Königs (Friedrich Wilhelm IV.) tritt das ausschließlich Individuelle (jedoch) vielleicht (besonders) charakteristisch hervor." Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes mußte Pfeuffer die General-Münz-Direktion immer wieder um Urlaub bitten, der auch stets gewährt wurde. Seine Vorgesetzten wünschten ihm gute Besserung: „Wir fügen den Wunsch hinzu, daß diese kleine Reise den von ihr erwarteten Einfluß auf Ihr Wohlbefinden haben möge." Im Revolutionsjahr 1848 setzte sich die General-Münz-Direktion mit Erfolg dafür ein, daß Pfeuffer nicht zum Dienst in der Bürgerwehr einberufen wurde. Anfang 1861, Pfeuffer war zu dieser Zeit infolge des Regierungswechsels mit der Anfertigung neuer Avers-Stempel stark beschäftigt, verschlechterte sich sein Befinden. Schließlich, am 24. Dezember 1861, mußte die General-Münz-Direktion dem Finanzminister von Patow mitteilen: „Pfeuffer ist zu unserem großen Leidwesen, nachdem er wiederholt unter Brustaffektionen zu leiden hatte, in der letzten Nacht am Lungenschlag gestorben." Seine Beerdigung fand am 26. Dezember 1861 auf dem Sophien-Kirchhof statt. Anschrift des Autors: Klaus Sommer, Heyenfeldweg 120,4150 Krefeld
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Straßenbeleuchtung im Gespräch Historisch, nostalgisch oder zweckmäßig* Von Ernst Alberts f
Auf ihrer Jahrestagung 1985 in Mannheim hat die Lichttechnische Gesellschaft an die Verantwortlichen in den Kommunalverwaltungen appelliert, die Straßenbeleuchtung nicht aus Ersparnisgründen zu reduzieren. Dabei wurde auf ein vielfach festzustellendes Mißverhältnis hingewiesen, das darin besteht, daß an der Beleuchtungsquantität und -qualität gespart, dafür aber erheblich mehr für vermeintliche Erfordernisse im ästhetischen Bereich ausgegeben wird. Daß hier ein erheblicher Druck von seiten eines Teils der Bürger ausgeübt wird, der glaubt, daß den Leuchten in besonderem Maße auch eine schmückende Aufgabe im Straßenbild zufallen muß, steht außer Zweifel. Dabei wird als „schmückend" meist die Rückkehr zu Leuchtenmodellen früherer Jahrzehnte angesehen. Vielfach wird darüber hinaus noch von historischen Leuchten gesprochen. Gesteigertes Heimatgefühl und alle möglichen anderen emotionalen Argumente müssen als Begründung für kostspieligen Nachbau von aufwendigen Kandelabern u. ä. herhalten. Dabei bin ich überzeugt, daß ein großer Teil der Verfechter dieser nostalgischen Welle in Wirklichkeit die Straßenbeleuchtung aus diesem Gesichtswinkel überhaupt nicht wahrnimmt oder bisher wahrgenommen hat und schon aus Generations- und Altersgründen zu diesen alten Leuchten gar keine Beziehung hat. Wenn man dann noch hört, daß z.B. bei Umfragen auswärtige Besucher sich in hohem Prozentsatz - von 70 % ist da die Rede - für alte Leuchten und gegen moderne ausgesprochen haben, so muß das doch sehr verwundern. Normalerweise muß man wohl annehmen, daß sich Fremde mindestens um diese Seite der Straßenbeleuchtung weniger kümmern als Einheimische. Ich will dabei nicht so weit gehen, zu behaupten, daß die gleichen sich in ihrem Heimatort über diese Dinge weniger Gedanken gemacht haben oder machen als ausgerechnet hier in Berlin. Grundsätzlich ist doch zu sagen, daß die Straßenbeleuchtung eine reine Zweckanlage ist, die dem Verkehr und der Sicherheit dienen muß. Das darf allerdings für niemanden ein Grund sein, das Aussehen der Leuchten vollständig außer acht zu lassen oder sich gar zu bemühen, sie möglichst häßlich zu gestalten. Um zunächst einmal die Leuchten im engeren Sinne zu betrachten. Da werden jetzt z. B. die fälschlich Schinkelleuchten genannten Formen besonders bevorzugt und, um sie den heutigen Bedürfnissen anzupassen, statt mit Gas mit elektrischem Strom betrieben. Für jemanden, der diese Leuchten nicht mehr mit dem stehenden Glühstrumpfund später mit eingebautem Pilzbrenner mit hängenden Glühstrümpfen gekannt hat, wird es nicht so stark auffallen, daß durch die jetzige Ausrüstung mit Natriumdampfhochdrucklampen ein absolut falsches Verhältnis zwischen Leuchtkörper und Lampe entsteht. Von dem Lichtfarbenunterschied zwischen dem hell-weißlich-gelben Gaslicht gegen das goldgelbe, ans Orange grenzende elektrische Licht dieser Lampentypen ganz zu schweigen. Auch daß diese Leuchten, soweit wir in ihrer Form tatsächlich auf die Zeiten Schinkels zurückgehen, nicht mit Glühstrümpfen mit immerhin recht intensiver Lichtwirkung ausgerüstet waren, soll ganz außer acht gelassen werden. Im Grunde ist doch das Gestaltungsprinzip dieser Leuchten lediglich ein 4-, 6- oder 8eckiger * Nachdruck mit Genehmigung des Autors aus „Licht" Nr. 4/1985 17
Glaskasten, der sich von oben nach unten verjüngt und oben durch ein Zeltdach abgeschlossen wird. Daß da manchmal noch als Endigung der Sprossen eine akanthusblattartige Verzierung vorhanden ist und das Zeltdach von einer Art Pickelhaube gekrönt wird, ist doch nur nebensächliches Beiwerk. Es verliert in dem Augenblick, in dem ich den Leuchtenkörper nach Größe und Form den heutigen Lampen anpasse, restlos an Bedeutung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Leuchte mit Entladungslampen in Glühlampenform oder Leuchtstofflampen in Röhrenform ausgestattet wird. Bei den Hängeleuchten ist es entsprechend. Hier werden z. B., vermutlich weil noch größere Bestände davon vorhanden sind, die in den letzten Jahren vor dem Krieg und, soweit sie nicht dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen sind, auch noch nach dem Krieg üblichen Leuchten umgebaut. Daß ihre Form sich aus ihrer Funktion - Fernzündung usw. - entwickelt hat und damit bei Verwendung von elektrischen Lampen vollkommen sinnlos ist, will ich gar nicht als Argument anführen. So pingelig braucht man nicht zu sein. Etwas anderes ist es schon, wenn wegen des größeren Lichtstroms und der größeren Leuchtdichte der Lampen statt der früher üblichen Klarglas- jetzt Trübglasglocken verwendet werden müssen. Aber auch das ist vielleicht etwas, das nur der bemerkt, der den früheren Zustand wirklich gekannt und bewußt empfunden hat. Etwas anderes ist es schon mit der Leuchtenform als solcher. Sehen wir einmal davon ab, daß die jüngere Generation höchstens die neuesten dieser Leuchten in der Praxis gesehen hat. Wird jedoch der ältere Bürger in der so wieder zu Ehren gekommenen Leuchte wirklich „seine" Leuchte wiedererkennen? Ich glaube kaum. Voraussetzung wäre sowieso bewußte Wahrnehmung in früheren Jahrzehnten! Aber auch dann ist das sehr zweifelhaft, weil in der Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg etwa 3 bis 4 Finnen solche Gashängeleuchten nach eigenen Vorstellungen hergestellt haben. Darüber hinaus war die Zahl der untergebrachten Glühstrümpfe in einer ganzen Reihe von Stufen zwischen eins und vierundzwanzig von ausschlaggebender Bedeutung. Auch die zeitliche Entwicklung spielte eine Rolle. Die Zahl der daraus sich ergebenden Modelle wird sicher nicht viel unter hundert bleiben. Welches ist nun für den Durchschnittsbürger „seine" Leuchte? Ähnlich, aber stärker ins Ästhetische übergehend, liegt es bei den Masten. Hier gibt es aus den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts eine ganze Reihe verschiedener Modelle, die außer durch die grundsätzliche Formgebung vor allem mehr oder weniger starke Unterschiede in der Ornamentierung aufweisen. Nach der hauptsächlich nach dem Ersten Weltkrieg propagierten Verteufelung jeden Ornaments ist es schon verständlich, daß sich hier eine Gegenbewegung bemerkbar macht. Es fragt sich nur, wie weit man dem nachgeben darf und ob nicht wieder des Guten zuviel getan wird. An Versuchen, hier eine Zwischenlösung zu finden, hat es nicht gefehlt. Was da jedoch an dem Zeitgeist entsprechenden Entwürfen geboten wurde, konnte oft auch kaum befriedigen. Es hat da gewisse Parallelen zu Entwürfen aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gegeben, wie wir sie aus alten Darstellungen kennen (Bild 1). Was aber dort schon vom Maßstab her elegant wirkt, zeigt sich, in die wesentlich größeren Dimensionen nach heutigen Bedingungen übertragen, grob und unschön. Es ist kein Wunder, daß diese Entwürfe wenig Anklang gefunden haben. Das zeigte sich besonders bei den Entwürfen für den Kurfürstendamm in Berlin und ähnlich prominente Straßen. Anscheinend hat auch die heutige Generation vielfach nicht das richtige Gespür für eine wirklich annehmbare Gestaltung. Das gilt allerdings bedauerlicherweise nicht nur auf diesem IX
Bild 1: Platz vor der Königlichen Oper Berlin, um 1850. Im Hintergrund Bogenkandelaber
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hier behandelten Sondergebiet. Diese Entwicklung geht schon weit in das vorige Jahrhundert zurück. Mit der Klassifizierung des künstlerischen Geschehens früherer Jahrhunderte und der Einteilung in einzelne Stilarten, noch dazu mit Unterteilungen wie Früh-, Mittel- und Spät- war offenbar das Ende einer natürlichen Entwicklung erreicht. Es folgte eine Zeit der Nachahmung aller erdenklichen Stilarten, die dann wieder nachträglich als Historismus klassifiziert wurde. Seit diese Übung in Verruf kam, wurde fast immer die neue Entwicklung gewissermaßen im Verordnungswege, d.h. durch Beschlüsse von Künstlergruppen nach dem Motto „Wir müssen jetzt einen neuen Stil haben", eingeleitet. Daß das nicht funktionieren kann, hat man anscheinend bis heute nicht erkannt. So ist man nun auf Gebieten, die dazu geeignet erscheinen, zu dem System der Meinungsumfrage übergegangen. Das bringt allerdings auch nicht die Lösung, zumal wenn z. B. bei solchen Entscheidungen wie über die Straßenbeleuchtung und deren Einrichtungen auch noch zusätzlich parteipolitische Überlegungen mitsprechen. Vor allem hat es den außerordentlichen Vorteil der Verantwortungsverlagerung. Ein Kuriosum bei diesem Verfahren ist allerdings, daß es auch Fälle gibt, in denen man der Mehrheit die Urteilsfähigkeit abspricht. Wenn den Initiatoren irgendeines besonders progressiven Plans die Mehrheitsentscheidung nicht paßt, wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daß nicht grundsätzlich die Mehrheit mit ihrer Auffassung recht hat, ist sicher richtig. Daß aber in besonderen Fällen die Minderheit auf ihre „einzig richtige" Auffassung pochen zu dürfen glaubt, ist selbstverständlich ebenso anfechtbar. Das alles gewinnt aber keine besondere Bedeutung, wenn man sich auf die sachlichen Bedingungen besinnt und beschränkt, die aus der Aufgabe der zur Entscheidung stehenden Dinge erwachsen. Bei der Straßenbeleuchtung stehen diese Aufgaben unumstößlich fest und dahinter haben alle anderen Gesichtspunkte zurückzutreten. So sind die hier zur Verwendung kommenden Leuchten lediglich nach ihrer Zweckmäßigkeit für die betreffende Straße auszuwählen, einschließlich der dazugehörenden Masten. Dabei ist noch besonders zu beachten, daß die Leuchten nur während der Dunkelstunden „gebraucht" werden, während sie sonst meist eher im Wege stehen. Aus dem letzteren Grunde wäre der Straßenüberspannung, wie sie heute bei schmalen Straßen in kleineren Orten vielfach üblich ist, der Vorzug zu geben. Wo man jedoch auf Masten nicht verzichten kann, sollte man ihnen keine schmückende Aufgabe zuordnen, sondern sie so unauffällig wie möglich gestalten. Wichtig ist nur, daß sie die von ihnen zu tragenden Leuchten in die richtige Position bringen. Das ist z. B von besonderer Bedeutung, wenn man Straßenrand Bäume stehen, deren Wachstum in absehbarer Zeit für die Beleuchtungswirkung stark hinderlich werden kann. Diese Möglichkeiten sind bei den heute vielgeschmähten Peitschenmasten und verwandten Konstruktionen im Gegensatz zu den alten Masten leicht zu erreichen. Oft zeigt es sich deutlich, daß die vielfach aufgestellte Behauptung, daß moderne Leuchten sich nicht in ein historisches Straßenbild einfügten, ebensowenig stimmt wie die, daß hier nur „historische" Kandelaber Verwendung finden dürften. Während die Peitschenmasten vor dem wirklich alten Fachwerkhaus in keiner Weise stören, ist der historische Kandelaber vor dem historisierenden Fachwerkbahnhofgebäude ein geradezu unerträglicher Stilbruch. Wegen der Straßenbreite und der Verkehrsbedingungen wäre hier vermutlich ein einfacher Mast mit einer Aufsatzleuchte ausreichend gewesen. Die Auswahl an hierzu geeigneten Leuchten, die sich z. T. auch mehr oder weniger an die Form der „Schinkelleuchten" anlehnen, ist groß genug. Während es bei vielen Straßen keinen vernünftigen Grund gibt, auf irgendwelche alten Leuchtenformen zurückzukommen, gibt es da selbstverständlich auch Ausnahmen, die es
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Bild 2: „Historischer" Kandelaber vor pseudohistorischem Fachwerkhaus: U-Bahnhof Dahlem-Dorf in Berlin
jedoch in Berlin (West) kaum gibt. Wenn z. B. die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nicht bis auf wenige Reste vernichtet wäre und auch die anderen romanischen Gebäude erhalten wären, wäre ein solcher Fall gegeben. Hier hätte es Sinn, auch nicht mehr vorhandene Schwechtenkandelaber nachzubauen, weil hier ein historischer Zusammenhang vorläge. Geradezu absurd wäre es aber, nachdem die den Platzraum bestimmenden Schwechtenbauten fast restlos verschwunden sind, die vielleicht als einziges Relikt noch erhaltenen Leuchten wieder aufzustellen oder sogar nachzubauen. Anders liegt es bei Leuchten, die Teile der Architektur sind (wie man heute wohl sagen muß: „in die Architektur integriert" sind), wie wir es z. B. bei U-Bahneingängen, bedeutsamen Gebäuden und einigen Brücken finden. Hier muß die gestalterische Aufgabe den Vorrang haben. Allerdings werden auch selten besondere beleuchtungstechnische Anforderungen zu stellen sein. Hier ist dann auch ein kostspieliger Nachbau nicht nur vertretbar, sondern erforderlich. Bei sich in diesem Zusammenhang noch ergebendem Wechsel in der Energie ist dann aber auch große Vorsicht geboten. Unsere Vorfahren, die doch erwiesenermaßen sehr viel schmuckfreudiger waren als wir, waren im Hinblick auf die Straßenbeleuchtung offensichtlich sehr zurückhaltend. Besonders ausgestattete Schmuckleuchten wendeten sie nur in Sonderfällen an, und selbst an eigentlich recht prominenten Orten haben sie darauf verzichtet. Auf Bild 1 ist neben den schon erwähnten Schmuckleuchten vor der Königlichen Oper im Hintergrund eine ganz schlichte Bogenleuchte erkennbar. Schätzungsweise steht sie vor dem ehemaligen Prinzessinnenpalais (heute Operncafe). Dieses ganze Areal mit Oper, dem Palais, der Neuen Wache und dem Zeughaus ist doch sicher ein Platz, der durch eine besondere Leuchtenform ein besonderes Gepräge hätte bekommen können. Nichts ist da geschehen. Ähnlich ist es auch auf einem bestimmt ebenso prominenten Platz in Potsdam vor der Nikolaikirche, dem Stadtschloß gegenüber. Dabei hätte 21
Bild 3: Laternen als Architekturteil: U-Bahnhof-Eingang in Berlin
man damals ohne weiteres reinen Zierleuchten den Vorzug geben können, da der Beleuchtungswert - Gasschnittbrenner oder Öllampen - sowieso nur sehr gering einzuschätzen war. Statt dessen hat man sich für die schlichten Zweckleuchten entschieden, übrigens eine Form, wie sie ganz ähnlich noch 1935 in der Brüderstraße in Berlin gestanden hat (Bild 4). So wäre es z. B. bei uns vor dem Berlin Museum richtiger gewesen, ähnliche Leuchten statt der jetzt dort stehenden aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts aufzustellen. Historische Leuchten aus der Erbauungszeit, der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wären mangels Mustern kaum nachzubauen. Vor allem würden sie aber nun wirklich nicht den heutigen Beleuchtungsansprüchen genügen können. Die jetzt dort stehenden Kandelaber haben doch zu dem barocken Gebäude genausowenig eine Beziehung wie im Fall Dahlem-Dorf. Ähnlich wie hier und wie bei dem heutigen Breitscheidplatz in Berlin verhält es sich beim Kurfürstendamm. Ist beim Breitscheidplatz von den Schwechtenbauten fast nichts mehr erhalten, so trifft das für den Kurfürstendamm auf weite Strecken auch zu. Wo aber der Krieg oder Nachkriegsabbrüche Lücken in die alte Bebauung gerissen haben, ist doch, harmlos ausgedrückt, ein so wechselvolles, nicht immer erfreuliches Straßenbild entstanden, daß objektiv kein Grund für die durch Mehrheitsbeschluß bestimmte Straßenbeleuchtung vorliegt. Mit dem gleichen Recht, mit dem moderne Leuchten vor den erhalten gebliebenen Bauten abgelehnt werden, sind die alten Leuchten vor den modernen Bauten abzulehnen. Hinzu kommt, daß die tatsächlich den Anfängen des Kurfürstendamms entsprechende Leuchtenform zweifelhaft ist und außerdem im Lauf der Jahrzehnte den schon beschriebenen Wandlungen unterworfen war. 22
Bild 4: Bogenkandelaber von 1935 in der Brüderstraße in Berlin (Alt-Cölln)
Außerdem waren zu damaliger Zeit die Bäume jung und hatten nur kleine Kronen, zwischen denen verzierte Kandelaber auch wirklich noch schmückend in Erscheinung treten konnten. Diese Zeit ist jetzt auf lange Sicht vorbei. Die in ihrer Länge beschränkten Ausleger reichen keinesfalls dazu aus, die Leuchten in den Bereich außerhalb des Laubwerks zu bringen. Auch der gewaltige Unterschied zwischen dem Fahrverkehr damals, zum großen Teil noch mit Pferdefuhrwerken, und heute ist dabei zu berücksichtigen, obwohl häufig die Ansicht vertreten wird, die Kraftwagen hätten ihre eigene Beleuchtung und benötigten die Straßenbeleuchtung deshalb nicht. Die Entscheidung über die Beleuchtung des Kurfürstendamms ist ja nun durch Mehrheitsbeschluß zugunsten der Nostalgie gefallen. Ich bin jedoch überzeugt, daß man schon bald nach voller Durchführung des Plans mit Bedauern feststellen wird, daß hier der falsche Weg eingeschlagen wurde. Ob man es zugeben wird? Die Verantwortung liegt ja bei der dann bestimmt schweigenden Mehrheit! An einer Stelle in Berlin (West) haben wir tatsächlich historische Straßenleuchten, die auch den 23
Krieg fast ohne Schaden überstanden haben. Vom beleuchtungstechnischen Standpunkt sind sie mindestens umstritten. Vom Ästhetischen her werden sie, heute z. T. allerdings auch aus ideologischen Gründen, abgelehnt. Die Historie würde man sicher gern ignorieren. Trotzdem bin ich nicht sicher, daß nicht eines Tages im Kampf um die Speerleuchten an der Ost-WestAchse alle emotionalen Register gezogen werden. Welche Seite dann siegt? Bei der Frage, ob alte oder moderne Leuchten im allgemeinen, ist doch zu sagen: Wenn sich ein Privatmann für seine Kellerbar oder einen anderen romantisch einzurichtenden Raum Petroleumlampen in elektrische umwandeln läßt, auch wenn ein Gastwirt das gleiche tut, so ist das deren Privatsache, und wenn die sonstige Gestaltung und Ausstattung des Raumes dem Geschmack zur Zeit der Pretroleumlampe entspricht, ist auch wenig dagegen einzuwenden. Besonders Ansprüche an die Beleuchtungsqualität, Gütemerkmale usw. sind sowieso kaum zu stellen. Aber bei der Straßenbeleuchtung? Abschließend möchte ich deshalb noch einmal betonen, daß bei der Straßenbeleuchtung vor irgendwelchen emotional nostalgischen Träumereien der sachliche Zweck unbedingt den Vorrang haben muß, was bedeutet nicht schmücken, sondern beleuchten. Bürgerinitiativen und -wünsche sind sicher in vielen Dingen als Regulativ sehr zu begrüßen. Dies muß aber auch seine Grenzen haben, wo u. U. unverzichtbare Allgemeinaufgaben darunter leiden würden. Hier muß es die Möglichkeit geben, letztere durchzusetzen. Dabei dürfte es hilfreich sein, daß es eine ganze Reihe von Leuchtenmodellen gibt, die modern und beleuchtungstechnisch zweckmäßig sind, außerdem eine gewisse wohnliche Note haben und so für reine Wohnstraßen oder Fußgängerzonen geeignet sind sowie den Rückgriff auf Kopien und Umbauten überflüssig machen.
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Die Minervastatue des holländischen Bildhauers Bartholomäus Eggers im Schloßpark von Charlottenburg Von Harry Nehls
Das bekannteste großplastische Bildwerk in Charlottenburg dürfte zweifellos das Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten (1640-1688) von Andreas Schlüter (1660-1714) - dem „Michelangelo des Nordens" - im Cour d'honneur des Schlosses Charlottenburg sein.' Weniger bekannt ist hingegen das überlebensgroße marmorne Standbild der Athena-Minerva (Abb. 1) auf dem von Rhododendron umgebenen Sandsteinpiedestal in dem der Schloßterrasse zunächst gelegenen Rondell. Unschwer erkennbar ist die Göttin/Schutzpatronin Athens, die im legeren Kontrapostmotiv auf einem sphärischen, rundschildartigen Gebilde ruht, an ihren charakteristischen Attributen wie Helm, Ägis mit Medusenhaupt und dem ihr heiligen Tier: der Eule, die sich behutsam an das linke Standbein der Gottheit schmiegt. Der linke, angewinkelte Arm ist in die Hüfte eingestützt, während der rechte erhoben ist und seine Hand einst die für Athena typische (heute fehlende) Lanze2 hielt. Die Figur ist stark beschädigt; der Eule fehlt der linke Flügel. In der einschlägigen Berlinliteratur3 findet man nur spärliche Hinweise auf Herkunft/Provenienz, Schicksal und Aufstellung dieser bemerkenswerten Statue. Sie gilt heute als ein Werk des holländischen Bildhauers Bartholomäus Eggers (um 1637-vor 1692), der sie im Auftrag des Großen Kurfürsten im Jahre 1682 schuf.4 Doch für den Charlottenburger Schloßgarten kann diese antikisierende Barockplastik ursprünglich nicht bestimmt gewesen sein, da mit dessen Anlage erst im Sommer 1697 begonnen wurde.5 Ihre erste Aufstellung fand sie vermutlich, wie auch das Original (s. u.), als Brunnenfigur im Areal des Schlosses Oranienburg6, des Sitzes der holländischen Gemahlin des Großen Kurfürsten, Louise Henriette. Wann genau die Statue von dort nach Charlottenburg kam, ist leider nicht überliefert, ebensowenig ihr neuer Standort. Allgemein wird angenommen, daß sie unter Friedrich dem Großen (1740-1786) hierher gelangte.7 Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) wurde das Bildnis der Minerva anscheinend schwer in Mitleidenschaft gezogen, denn 1840 fand man es im Charlottenburger Schloßpark „unter einem Haufen von Gartenabfällen".8 Unter Friedrich Wilhelm IV. (1840-1861) restaurierte sie der Bildhauer August Wittig9, ein Schüler Christian Daniel Rauchs (1777-1857). Erhalten hat sich diesbezüglich eine Notiz Rauchs, der am 5. März 1849 die folgenden Worte an den damals amtierenden Hofgärtner, Ferdinand Fintelmann (1774-1863), schrieb: „Euer Wohlgeboren hatten diesen sehr verletzten Marmor aus dem Schutte des Holzplatzes in dessen Nähe vor Jahren wieder aufgestellt, und würden solchen morgen oder in den nächsten Tagen abholen lassen, sollten sich noch der Kopf oder andere Theile später wiedergefunden haben, so würde ich bitten auch das Unbedeutendsterscheinende mir gefäll, zugleich mit zu senden."10 Da sich der Kopf aber nicht wiederfand, fertigte Wittig nun unter der Aufsicht Rauchs einen Ersatzkopf, der - nach einer Idee Friedrich Wilhelms IV. - die Porträtzüge der Königin Sophie Charlotte", der Namensgeberin von Charlottenburg, erhielt. Dies war durchaus nichts Ungewöhnliches, ließen sich doch Fürstinnen gelegentlich gern als Minerva, die dem 17. Jahrhundert als Schirmherrin von Wissenschaft und Kunst galt, darstellen. Als Point de vue placierte man das „Pasticcio" anschließend in das Rondell nördlich des Mittelpavillons der Orangerie. 25
Abb.l:
Marmorstatue der Minerva des Amsterdamer Bildhauers Bartholomäus Eggers, 1682, im Schloßpark von Charlottenburg
Das unmittelbare Vorbild der Charlottenburger Minerva befindet sich heute im Städtischen Museum Haus Koekkoek in Kleve, dem Nachfolgebau des dortigen Heimatmuseums. Kein Geringerer als der Antwerpener Barockbildhauer Artus Quellinus der Altere (1609-1668)12 schuf 1659/60 die ursprünglich „Tritonia virgo" bezeichnete Idealplastik (Abb. 2). 1660 schenkte sie die Stadt Amsterdam dem Statthalter von Kleve, dem Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679). Dieser ließ die „Minerva Tritonia" inmitten seines „Amphitheater" genannten Waldtals im Neuen Tiergarten zu Kleve als - von vier Delphinen umgebene Brunnenbeckenfigur aufstellen. Erst während des Zweiten Weltkrieges wurde das Standbild aus dem Klever Tiergarten entfernt und in das Atelier des flämischen Bildhauers Achilles Mortgaart'3 verbracht, der es vorsorglich in seinem Garten vergrub, wo es dann nach dem Krieg wieder ausgegraben wurde und 1954 an seinen angestammten Standort zurückkehrte. Seit 1975 ersetzt eine moderne Kopie das kostbare Original des nassauischen Fürsten. Gewiß hat Quellinus für seinen Athenatypus auf antike Vorlagen oder auch zeitgenössische Kupferstiche zurückgreifen können. Etwa um 1635 ist er nachweislich in Rom gewesen14, wo er sich als Bildhauer intensiv mit den seit 1500 zahlreich ausgegrabenen antiken Skulpturen beschäftigen konnte. Zwar folgt seine Athena motivisch (Helm, Ägis, Lanze, Ponderation) 26
Abb. 2: Die „Minerva Tritonia" des Barockbildhauers Artus Quellinus, 1659, in Kleve - das Vorbild der Charlottenburger Statue. Als Postament dient eine - von vier Delphinen umgebene kraterartige Vase mit dem Stadtwappen Amsterdams: drei übereinandergestaffelten Andreaskreuzen
antiken Vorbildern, bleibt jedoch im Stil eindeutig seiner eigenen Zeit, d.h. dem späten 17. Jahrhundert, verpflichtet. Daher erübrigt sich die Suche nach konkret benennbaren Vorbildern.15 Am Schluß unserer Betrachtung sei kurz daraufhingewiesen, daß sich im Chor der Ostberliner Marienkirche auf dem Alexanderplatz ein weiteres Quellinus zugewiesenes Werk befindet: das Grabmal für den kurfürstlich-brandenburgischen Feldmarschall Otto Christoph Freiherr von Sparr (1605-1668), das 1663 aufgestellt wurde.16 Als leicht abgewandeltes Zitat seiner kurz zuvor (1659/60) in Amsterdam geschaffenen überlebensgroßen Athena erscheint sie noch einmal als kleine, Statuettenhafte Bekrönungsfigur des Grabmals.17 Vergleicht man das wesentlich schlankere, elegante, S-förmig geschwungene Klever Original des Quellinus mit unserer fülligen, wahrhaft barocken Charlottenburger Kopie von Eggers, so wird klar, wem der Vorzug zu geben ist. In ihrer ursprünglichen Funktion als Brunnenfigur nicht mehr erkennbar und der verlorenen Delphine beraubt, sollte der Besucher des Charlottenburger Schloßgartens trotzdem nicht achtlos an dieser kunsthistorisch interessanten Skulptur vorübergehen. 27
Anmerkungen 1. Margarete Kühn: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Schloß Charlottenburg. BerlinWest 1970, S. 231 ff. 2. Vgl. Christoph Voigt: Eine Minerva-Standbild von Anus Quellinus im Schloßpark von Charlottenburg, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins. 36. Jg. 1919, S. 21 mit Abb. 3. Kühn (wie Anm. 1), S. 200, Abb. 852. - Eva und Helmut Börsch-Supan/Günther Kühne/Hella Reelfs: Berlin. Kunstdenkmäler und Museen. Zweite Aufl. Stuttgart 1977, S. 438 (= Reclams Kunstführer Deutschland, VTI). - Clemens Alexander Wimmer: Die Gärten des Charlottenburger Schlosses. Berlin-West 1985, S. 80,92. 4. Zu Eggers vgl. Willy Halsema-Kubes: Die von Artus Quellinus und Bartholomäus Eggers für Johann Moritz geschaffenen Skulpturen, in: Soweit der Erdkreis reicht. Johann Moritz von Nassau-Siegen 1604-1679. Ausstellungskatalog des Städtischen Museums Haus Koekkoek Kleve. Kleve. Zweite Aufl. 1980, S. 222-224 und Register S. 430 s. v. Eggers, Bartholomäus. 5. Wilfried Hausmann: Gartenkunst der Renaissance und des Barock. Köln 1983, S. 258. - Wimmer (wie Anm. 3), S. 14ff., bes. S. 17. 6. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 221. 7. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 222 mit Anm. 95. 8. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 222. Zum Aufstellungsort der Minerva vgl. auch das Charlottenburger Skulpturen-Inventar des Archäologen Aloys Hirt (1759-1837) aus dem Jahre 1810, wiedergegeben bei Wimmer (wie Anm. 3), S. 99 Anm. 49, wo es heißt: „Auf der entgegengesetzten Seite des Gartens steht ebenfalls zwischen Bäumen und anderen Statuen von Sandstein in der Mitte eine Vertiefung, die ehedem zu einem Wasserbassin gedient zu haben scheinet, das marmorne Bild der Minerva (= identisch mit Eggers' Minerva?) von moderner Arbeit." 9. Zu Wittig vgl. Thieme-Becker . . . 10. Zitiert nach Wimmer (wie Anm. 3), S. 80. 11. Vgl. Kühn (wie Anm. 1), Tafelband, Abb. 79. 12. Zu Quellinus vgl. Hans Peter Hilger: Klevischer Helikon. Zur Interpretation der Statue der Minerva Tritonia im Amphitheater des Neuen Tiergartens zu Kleve, in: Soweit der Erdkreis reicht (wie Anm.4), S. 189ff. - Halsema-Kubes (wie Anm.4), S. 214 und Register S.433 s. v. Quellinus, Artus. 13. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 220. 14. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 214. 15. Sowohl was die Drapierung als auch den starken S-förmigen Hüftschwung anbelangt, weicht die Klever Minerva erheblich von antiken Athenastatuen ab. Zur antiken Vorbildfrage vgl. Voigt (wie Anm. 2), S. 20. - Hilger (wie Anm. 12), S. 192 mit Anm. 192 (Athena Farnese!), bzw. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 218 mit Anm. 36 und Abb. 6. 16. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 220 f. Abb. 9. 17. Halsema-Kubes (wie Anm. 4), S. 220 Abb. 10. Anschrift des Verfassers: Harry Nehls, M. A., Seelingstraße 35, 1000 Berlin 19
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Aus dem Vereinsleben Zur Studienfahrt nach Trier vom 11. bis 14. September 1987 Für einige Teilnehmer der Studienfahrt bot der Direktor der Stadtbibliothek und des Stadtarchivs Trier, Dr. Günther Franz, alternativ zum Besuch des Marx-Hauses eine kurze Führung durch eine Ausstellung ausgewählter Kostbarkeiten aus Handschriften und Inkunabeln. Sie war abgestellt auf die römische Reichstradition Triers von den Zeiten Kaiser Konstantins über Karl den Großen und die Ottonischen Kaiser bis hin zur Reichsauflösung von 1803. Die Ausstrahlungskraft der Klöster im Trierer Land (auch in der Eifel und im Hunsrück) bis nach Mainz und zur Reichenau und vice versa die Einwirkungskraft aus Nordfrankreich und Luxemburg wurde evident. - Die Besonderheit der Bibliotheksbestände ist zu verstehen aus dem Einschnitt in das Schicksal der Stadt Trier durch die französischen Revolutionstruppen; sie säkularisierten die Klöster, lösten 1794 das Jesuitenkolleg auf und überführten ihre Buchbestände sowie die der Universitätsbibliothek 1804 in städtischen Besitz, darunter die Gutenberg-Bibel, einige karolingische Handschriften und den berühmten Codex Egberti. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich, erhielt 1957 ein eignes Gebäude; seit 1982 nimmt sie Wechselausstellungen für Besucher vor. Die den Berliner Gästen vorgeführte Auswahl war aufgearbeitet worden für die 1984 veranstaltete Ausstellung „2000 Jahre Stadt Trier". Dr. Franz hatte ihnen die sonst unter besonderen Licht- und Luftverhältnissen aufbewahrten Besonderheiten zugänglich gemacht. Da ist als früheste Probe eine Handschrift von 791, enthaltend die eschatologischen Vorstellungen der Bibel, die den Übergang von der spätantiken zur frühmittelalterlichen Theologie des 5. Jahrhunderts bestimmten, aus Norditalien stammend und noch recht schmucklos geschrieben. Es folgten Beispiele aus der Hofschule Karls des Großen (um 800), unter Alkuin geleitet. In seinem Skriptorium wird der Sprung zu kostbarer Ausstattung gemacht: der Codex des Ada-Evangeliars ist ganz in Gold geschrieben und enthält die vier Evangelien. Auf die noch wirksame antike Kunsttradition weist die plastische Durchgestaltung der in Herrscherhaltung thronenden Evangelistengestalten hin, ein eingängiges Beispiel für die religiös begründete Kaiserauffassung Karls. Als Stifterin wird eine „Mater Ada" genannt, nach der eine ganze Handschriftengruppe ihren Namen hat. Die Kostbarkeit wurde im Kloster St. Maximin aufbewahrt, 1794 von den Franzosen nach Mainz überführt, von dort in die Nationalbibliothek nach Paris verbracht, 1815 von preußischen Truppen nach Aachen geholt und schließlich 1818 vom preußischen König nach Trier überwiesen. Es folgte ein Beispiel für die Verschmelzung von Antike und Mittelalter: der 1499 gefertigte Buchdeckel für das Ada-Evangeliar; ihm ist ein antiker Kameo eingefügt, als dessen dargestellte Gestalten - 5 Personen hinter einer Adler-Brüstung - man die Familie Kaiser Konstantins deutet und die Arbeit deshalb auf die Zeit vor 326 datiert. Mittelalterlich sind die vier Evangelistengestalten auf dem Rand: geflügelte Wesen, in Smaragden gefaßt; die Arbeit fertigte ein Trierer Goldschmied. Nach Nordfrankreich weist ein typisches Beispiel für die Weltangst und Weltflucht der Jahrtausendwende. Nach einem Vorbild aus Tours (um 800) ist eine Miniatur mit Szenen aus der Apokalypse des Johannes dargestellt. Der Bilderzyklus ist schon farbiger und dramatisch bewegter. In den Bereich der Rechtsaltertümer und damit das Gebiet frühester fränkischer Herrschaft im Moselgebiet führt eine althochdeutsche Lex-Salica-Übersetzung um etwa 815. Die Lex Salica war das kodifizierte salische Stammesrecht der Franken; man führt ihre älteste Fassung von 507 bis 511 auf König Chlodwig zurück. Karl der Große griff sie bewußt als ein germanisches Recht auf, ließ sie umarbeiten und eine althochdeutsche Übersetzung herstellen, von der sich nur das Trierer Fragment erhalten hat. Während es uns heute Aufschluß über Rechtsgeschichte und Volkskunde gibt, schnitten Mönche im 15. Jahrhundert, als man das Althochdeutsche nicht mehr verstand, vor allem nicht im moselfränkisch-niederdeutschen Sprachraum, die Seiten auf und verwandten sie als Vorsatzblätter für Inkunabeln. Ein gleiches Schicksal erlitten Textfragmente aus Tours, die ebenfalls auf die Hofschule Karls des Großen zurückgehen. Er initiierte eine Vereinheitlichung verschiedener im Umlauf befindlicher Bibelversionen. Die Arbeit wurde im Skriptorium der Abtei von Tours unter Aufsicht Alkuins angefertigt; eine Abschrift von 845 kam nach St. Maximin, wo Mönche des 16. Jahrhunderts sie in ihrer Begeisterung für die damals neuen Druckerzeugnisse zerschnitten und zu Bucheinbänden verarbeiteten. Auch hier ist der preußische Staat um 1850 fündig geworden und hat die Blätter der Stadt Trier übereignet. Das künstlerisch am meisten ansprechende Beispiel, der Codex Egberti, führt in die Schreibschule auf der Reichenau gegen die Jahrtausendwende. Es ist ein Perikopenbuch. Darin werden die Evangelientexte in 29
der Reihenfolge verzeichnet, wie sie im Ablauf des Kirchenjahres verlesen werden. Der Codex trägt seinen Namen nach dem Erzbischof Egbert (977-993), dem Kanzler Kaiser Ottos III. Der Haupttext ist, wie die Illustrationen zeigen, auf der Reichenau geschrieben worden, die feinen und farbintensiven Miniaturen zeichneten, wahrscheinlich nach antiken Vorlagen, Trierer Mönche. Vom Codex Egberti gingen wiederum Rückwirkungen auf die Schreibschule des Klosters Echternach bei Luxemburg aus. Nach der Säkularisation kam der Codex aus dem Besitz des Doms in den der Stadtbibiliothek. Mit den Handschriften des 11. Jahrhunderts kommt die reichhaltiger ausgestaltete Buchmalerei ins Bild. Dafür steht als Hauptzeuge für die Trierer Geistesgeschichte der Psalter von St. Simeon (um 1050). Er diente - mit Psalmentexten und Neunten - dem liturgischen Gebrauch; angefügt sind ein Glossar und ein Kalendarium für Trierer Kirchenfeste, v. a. die Dedicatio altaris sancti Symeonis inclusi, die Gedenkfeier für den Einsiedler Simeon in der Porta Nigra. 1042 wurde neben der zur Kirche umgewandelten Porta das Kanonikerstift St. Simeon gegründet. - Hier sind die Initialen besonders schön in Gold und Silber auf hellrosa, blauem und grünem Grund ausgemalt. Jede Zierleiste trägt die Psalmenanfänge: „Beatus vir qui..., Wohl dem Mann, der . . ." Auch vom Selbstverständnis des alten Trier, daß es fast so alt sei wie Rom, gibt es ein Fragment-Zeugnis, den Liber officialis des Amalarius Fortunatus aus dem 12. Jahrhundert. Auch er stammt aus karolingischer Zeit und aus dem Umkreis von Trier. Amalarius war ein Schüler Alkuins und hat für die Absolventen der Hofschule ein Kompendium der Theologie mit Erklärungen verfaßt. Der Codex wird eingeleitet mit seinem Autorenbildnis, das ihn zwischen zwei Basiliken zeigt, der von Rom und Tier; in Händen hält er ein Schriftband, das besagt: Im Anfang war Rom, das zweite Rom ist Trier. Sehr schön ist das erhaltene Halbseidengewebe eines Bucheinbandes aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Es trägt zwischen seinen Streifen lebendig gezeichnete Tiere, vor allem Vögel. Man hält es für ein frühes Zeugnis der Kölner Seidenweberei. Das 13. Jahrhundert ist das der städtischen Blüte; sie bringt den Aufschwung der Reform- und Bettelorden mit sich, die ihre Wirksamkeit in die Städte verlegten oder sich ihnen bewußt entgegensetzten. Schon vorher knüpften sich Beziehungen zum Zisterzienserkloster Himmerod in der Eifel fester. Die Stadtbibliothek besitzt von dort eine Sammlung gregorianischer Gesänge und Stundenbücher, wahrscheinlich von einem Trierer Bürger gestiftet. Die Handschrift trägt schon naturalistisch gesehene Rankeninitialen in leuchtendem Rot, Blau, Grün und Gold. Immer mehr läßt sich beobachten, wie im Lauf der Zeit sich biblische Ereignisse zu dramatischen oder erzählerischen, gefühlsbetonten Szenen verdichten, so die Geburt Christi, die Frauen am Grabe, Christus erscheint den Jüngern, seine Wunderheilungen. Überall sind die Szenen von leuchtenden Blumenranken gesäumt und dadurch überhöht. Diese Ikonographie weist auf französische Zisterzienserbräuche. Trier rühmt sich ferner der ältesten hebräischen Schriftfragmente, so des Buches Sefer ha-teruma des Baruch ben Isaak aus Worms, um 1200 abgefaßt. Es enthält eine Zusammenfassung kultischer jüdischer Gesetze. - Ein Kuriosum ist eine Bibel auf hauchdünnem Pergament, gleichsam der Vorläufer unserer Dünndruckausgaben, angefertigt im Mainz des 14. Jahrhunderts. Für die gesamte Bibel samt Glossar wurde so dünnes Pergament verwendet, daß 400 Seiten nur 4 cm dick sind. Mit wachsendem Einfluß der Trierer Kurfürsten in Rom hängt es zusammen, daß die Abteien und das Dom-Archiv Zeugnisse der kirchenpolitischen Dekrete und Rechtsgutachten aus der nachstaufischen Zeit enthalten, in der sich Bettelorden und häretische Sekten (s. unter Papst Bonifaz VIII.) gegen die Kirche stellten. Gleichsam als Gegenkraft sind in Trier Heiligenviten erhalten (Mitte des 14. Jahrhunderts), die das häusliche und alltägliche Leben in farbiger Intimität abschildern und mit Blumen und Blättern verzieren; man sieht darin eine mittelfränkische Eigenart. Bis zum 15. Jahrhundert werden diese Bücher nach Inhalt und Ausstattung immer reichhaltiger und kunstvoller. Dann beginnt der Buchdruck. Trier besitzt eine 42zeilige Gutenberg-Bibel von 1454, die besonders gut den Eindruck vom harmonischen Schriftbild der frühen Buchdruckerkunst vermittelt. Die farbigen Initialen und Zierranken wurden handschriftlich hinzugefügt. Die Bibel stammt aus einem der Trierer Klöster, wurde 1804 der Stadt übergeben; weitere Blätter versteigerte man 1931 zugunsten des Neubaus der Stadtbibliothek. Dafür stellte Berlin 1979 ein faksimiliertes Exemplar zur Verfugung. Schon diese Auswahl spricht für die von der Berliner Romantik motivierte Neuaneignung des Mittelalters und der Kulturpflege des preußischen Staates im 19. Jahrhundert. So war die Führung eine freundliche Geste des 2000jährigen Trier an das 750jährige Berlin. Christiane Knop
Die Angaben wurden entnommen: „Kostbare Bücher und Dokumente aus Mittelalter und Neuzeit. Katalog der Ausstellung der Stadtbibl. u. des Stadtarchivs Trier", 1984. 30
Noch einmal „Historische Berliner Friedhöfe und die Berliner Bildhauerschule" Leider haben sich im abgedruckten Text einige Verwechslungen und falsche Zuschreibungen eingeschlichen. Glume war einer der letzten spätbarocken Vorläufer der Gründerzeit der Berliner Bildhauerschule; das Grabmal Fleck stammt von Schadow; Encke war nicht Rauch-Schüler, sondern lernte bei Albert Wolff - er ist also der Gruppe der Rauch-Enkel zuzuordnen; das Grab Duncker ist eine Arbeit Eberleins; ein gründerzeitliches Grab ist das von von Krause (Krause ist in symbolistischem Jugendstil); von Klimsch stammt das Denkmal für Virchow, nicht das Grabdenkmal; „das Leid" ist Eberlein zuzuschreiben; dem Jugendstil folgt der Neuklassizismus mit seinem schlichten Formenkanon. Sibylle Einholz
Aus dem Mitgliederkreis Ehrensenatorenwürde für Frau Dr. Ursula Besser Der Akademische Senat der Technischen Fachhochschule Berlin hat zum ersten Mal in der Geschichte dieser Hochschule die Würde einer Ehrensenatorin an Frau Dr. Ursula Besser verliehen. Frau Dr. Besser, langjährige Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses im Abgeordnetenhaus von Berlin, erhielt diese hohe Auszeichnung für ihr großes Engagement für die Fachhochschulen und besonders die T F H Berlin. Auch von dieser Stelle gehen Frau Dr. U. Besser noch einmal herzliche Glückwünsche ins Haus. SchB.
Buchbesprechungen Klaus-Rainer Woche: „Vom Wecken bis zum Zapfenstreich" - Vier Jahrhunderte Garnison Berlin. Vowinckel Verlag, Berg am See, 1986, 318 Seiten, 24 Bildseiten, 39,80 DM. Garnison: Lt. Lexikon der Ort, in dem ständig eine militärische Truppe untergebracht ist. So kann sich auch Berlin als einen solchen Ort für die Hälfte seiner 750jährigen Geschichte betrachten. Was allerdings man heute unter Garnison versteht, einen Standort mit Kasernen und anderen militärischen Anlaufstellen, gab es noch nicht zur Zeit des Großen Kurfürsten. Garnison hieß im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts Einquartierung, Unterkunft aller Soldaten in Bürgerhäusern. So kann man sich die Soldaten als eine damalige Belastung der Berliner vorstellen, denn nach dem Kriegsartikel von 1656 stand es den Soldaten zu, „sein ehelich Weib bei sich zu haben". Erst ab 1767 entstanden mehrere Kasernenbauten für die verschiedenen in Berlin garnisonierten Regimenter. Bauten dieser Art sind in der Innenstadt, anderen Zwecken zugeführt, noch heute anzutreffen in der Friesenstraße, Mehringdamm, Werner-Voß-Damm und Rathenqwer Straße, um nur einige zu nennen. Andere sind wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zugedacht, ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt. Nun, die Kasernen sind nicht die einzigen Erinnerungen dieses Buches, das Soldatenleben und die Aufzeichnungen aller in Berlin stationierten Regimenter könnten manchen alten Herrn an seine Garnisonszeit erinnern. Selbst der Verein für die Geschichte Berlins profitiert von der Erwähnung seines 1. Vorsitzenden Louis Schneider als den Herausgeber der Zeitschrift „Der Soldatenfreund". Woches Buch ist eine umfassende Darstellung des militärischen Schicksals dieser Stadt mit allen Höhen und Tiefen vom Dreißigjährigen Krieg bis zur „geteilten Garnison" dieser Tage. Bei der Entfernung vom Autorenwohnort und Verlagsort möchten wir die kleinen Unebenheiten von Setzfehlern entschuldigen, und denken, daß in einer 2. Auflage auch die Orte Hohenzieritz und Neudeck in die richtige Provinz verlegt werden. Bei Umfang und Fülle des Materials, rechtzeitig zum Jubiläumsjahr erschienen, wollen wir dem Buch eine weite Verbreitung wünschen. K. Grave 31
Pierre-Paul Sagave: „Berlin und Frankreich 1685 - 1871". 281 Seiten, zeitgenöss. Abb. und eine Zeittafel, Literaturverzeichnis, Berlin 1980 (Haude & Spener). Vf. verfolgt die Einwirkung französischen Geistes auf das Preußische, wie es sich besonders durch Geist und Schicksal Berlins entwickelt hat und schließlich auf die Reichspolitik einwirkte. Seine Aufnahme wird in mehrere Hauptkomplexe gefaßt: Integration und Assimilationskraft der Hugenotten, die bildende Kraft der hugenottischen Prinzenerzieher auf die Thronfolger des 18. und 19. Jahrhunderts, der Höhepunkt der von Frankreich ausgehenden Aufklärung in Herrschergestalt und Persönlichkeit Friedrichs des Großen, der Umschlag positiver Einschätzung durch die Französische Revolution und die Siege Napoleons über Preußen, Franzosenbewunderung und -gegnerschaft zwischen Vormärz und 48er Revolution, schließlich die sich zuspitzende Rivalisierung durch die Person Napoleons III. - Vf. betont zwar, er habe keine „durchgehende Berlin-Geschichte" schreiben wollen; ungewollt ist es aber doch eine geworden, doch hat er an diesen historischen Höhepunkten die Berlinische Geistesart auf die Warte europäischer Geschichtswirksamkeit gehoben, die nach 1871 schließlich tragische Folgen hatte. Vieles uns von der Durchdringungskraft der Hugenotten Bekannte wird nochmals gestrafft und plastisch zugleich in den Entwicklungsgang eingebunden; relevant erscheint dabei v. a. das Einsickern der französischen Elite in Staatsverwaltung und Heer, gefördert vom reformierten Hohenzollernhaus, das - wie die Zuwanderer selbst - von „rational-asketischem Berufsethos" (Max Weber) beseelt war. So verweist Vf. zu Recht auf die hugenottischen Lehrer an der preußischen Ritterakademie; ihre französisch gefärbte Staatsräson trieb die absolutistische Zentralisierung Brandenburg-Preußens voran. - Besonders gut lesbar sind - wie erwähnt - die Kapitel über die Prinzenerzieher Dohna, Rebeur, Duhan, Beguelin, Moulines und Ancillon, deren pädagogische Vorbilder französische Fürstenspiegel waren. Die schillernde Ausstrahlungskraft Friedrichs des Großen wird von hier aus auf wenige, immer wiederkehrende Grundantriebe gebracht wie Räson (als Staatsräson) und Gloire. Die Katte-Tragödie wird nochmals ins Licht gerückt. Prof. Sagave interpretiert den Seelenkampf des begnadigten Kronprinzen: Das persönliche Christentum seines Vaters wird zunächst als feindliches Prinzip erlebt; in mühevollem Ringen wird es geläutert in ein vernünftig konzipiertes Weltbild übergeführt, das er selbst erdenkt: „Der aufgeklärte Herrscher als Verkörperung der Vernunft, die der Weltordnung vorsteht" (S. 70). In dieses Ideal nimmt er auch den Tugendbegriff Marc Aureis hinein, später eignet er sich die Voltairesche Geschichtsauffassung an. Von hier gehen Impulse aus, die Akademie der Wissenschaften zu prägen und ihr Vorstellungen einzupflanzen, die geeignet waren, die moderne Natur des Menschen zu erfassen. Aus diesen Wertbegriffen leitete Friedrich seine persönlichen Maximen der Herrschertugenden ab. Vf. nennt sie menschlich und erkennt in ihnen die durch Alterserfahrungen sublimierte Ruhmsucht der Gloire, die Friedrich nie beschönigt hat. - Von der Räson ist auch Friedrichs ästhetischer Geschmack geprägt, kann er als Bauherr gewürdigt werden. - Mirabeau, den Deutschen im allgemeinen nur in seiner Rolle bei den Revolutionsgeschehnissen von 1789 bekannt, wird vom Vf. umfassender geschildert: er erzählt von seinem Aufenthalt und seiner Wirksamkeit am preußischen Hof Friedrichs des Großen als Träger eines französischen Geheimauftrages. Aus Mirabeaus Berichten entsteht ein Bild über die Zustände am Hof, als der Niedergang Preußens sich schon insgeheim abzeichnete. Ähnliches gilt für den Aufenthalt des Abbe Sieyes in Berlin. Die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert mit ihren starken geistigen Gegensätzen betrachtet Vf. au c h aus dem Blickwinkel der Presse, wobei er die Vossische und die Haude & Spenersche Zeitung besonders heranzieht, wenn es darum geht, Zustimmung oder Ablehnung des Bürgertums zur Persönlichkeit Napoleons abzulesen. Der Zwiespalt ist identisch mit dem zwischen dem herrschenden Adel und dem liberalen Bürgertum. Die Presse bezeugt, daß mit Friedrichs Tod die Vorherrschaft der französischen Sprache bei den Gebildeten zu schwinden beginnt; an der Akademie ist bereits eine „Germanisierung" zu beobachten. Der Kampf zwischen Revolution und Reaktion nimmt in Berlin einen fast parallelen Verlauf mit dem in Paris, auf das sich die freiheitlichen Erwartungen richteten. Vieles Umstrittene läßt sich aus Friedrich Wilhelms IV. Frankophobie verstehen, die die umstürzlerischen Ereignisse der Märztage in Berlin gleichsetzte mit den Geschehnissen um die königliche Familie in Frankreich 1793. Das letzte Kapitel gilt der Spiegelung des zweiten französischen Kaiserreiches in Berlin bis zum Kriegsausbruch von 1870. Napoleon III. wird auch vom Bürgertum hier als Ursupatorund Kriegstreiber angesehen; sein Verhalten läßt die alten Befürchtungen wieder aufkommen, die man Napoleon I. entgegengebracht hatte, und so glättete sich für gewisse Jahr die innenpolitische Spannung in Preußen. Die vergleichende Gegenüberstellung der Stadtplanung verdeutlicht, wie die Modernisierung in Berlin nach Pariser Muster erfolgte. Haussmanns Straßendurchbrüche für Ringboulevards, der Abbruch der Akzisemauer und die Anlage der Radialstraßen und Plätze ist auf den Berliner Bebauungsplan übertragen 32
worden; gleicherweise ergab sich auch eine „soziale Segregation" in einen proletarischen Osten und einen großbürgerlichen Westen. Auch andere kulturgeschichtliche Streiflichter sind anzumerken - wie z. B. der friedliche Wettstreit auf der Pariser Weltausstellung von 1867 oder die Wirksamkeit des Hugenottenerben Fontane als Kriegskorrespondent. Er erscheint als unbestechlicher und originärer Beobachter, der trotz angeborener französischer Art als toleranter und Preuße sich erweist. Auch er sieht Frankreichs Niedergang sich abzeichnen. Und so charakterisiert Sagave die 60er Jahre schon als „Frankreichs Verfall". Der Krieg ist vorweggenommen und damit der sich entwickelnde Nationalismus, in dem sich beide Staaten als Erbfeinde zu sehen beginnen. „In zwei Jahrhunderten, seit dem Widerruf des Edikts von Nantes bis zur Fernwirkung der Pariser Kommune, hat Berlin, ,Licht für die Welt', seinen Brennstoff. . . sehr häufig aus Frankreich bezogen. Doch der Krieg von 1870/71 führte zwischen beiden Nationen eine Epoche der Zwietracht herauf, die erst in unserer Zeit überwunden worden ist." In der Bündigkeit der Stoffbewältigung und der Treffsicherheit der Formulierung wird man das Buch als ein Standardwerk bezeichnen müssen. Christiane Knop Günter Wollschlaeger: „Chronik Tempelhof. Teil I: Das Tempelhofer Feld." Reihe Vorabdruck Nr. 1. 97 Seiten, erschienen bei Wort & Bild Specials/Hans Peter Heinicke, Berlin 1987. Günter Wollschlaeger, der stellvertretende Vorsitzende unseres Vereins, hat die Reihe der Stadtteilchroniken mit „Tempelhof fortgesetzt. In der dreiteilig konzipierten Anlage ist zunächst als Vorabdruck die Geschichte des Tempelhofer Feldes erschienen. Vf. schildert es als Feldflur des mittelalterlichen Ordenshofes und Dorfes, die 1351 erstmals beurkundet wurde. Wie sie ihr Exponiertsein als städtisches Vorfeld Berlins teils vorteilhaft, teils als leidvolles Schicksal erlebte, macht den Inhalt der Erzählung aus. Das Gesetz, nach dem es angetreten, nämlich Zankapfel und strategischer Punkt innerhalb städtischer oder landesherrlicher Machtkämpfe zu sein, bekundet sich auch in den späteren Ereignissen. (Berlin konnte vom Tempelhofer Berg aus beschossen werden.) Es war Schicksalsort bis in die Konflikte des kalten Krieges hinein. Vf. sucht die Mächte auf, die abwechselnd das „historische Ethos" - wie er es nennt - und die bürgerliche, ja auch frühdemokratische Popularität zur Ansicht bringen. Das ist nicht immer bequem und birgt die Gefahr der Mißverständnisse mit sich, da das Tempelhofer Feld auch Schauplatz militärischer und nationaler Schauen und damit herrscherlicher Machtdemonstration war. - Er schlägt den Bogen von der Pestzeit im 17. Jahrhundert über das Jahr 1631, als Gustav Adolf seinen kurfürstlichen Schwager Georg Wilhelm unter Druck setzte, sich auf seine Seite zu schlagen, über die ein Jahrhundert später einsetzenden Militärschauen des Soldatenkönigs, über das Jahr 1760, das Jahr der Russenbesetzung Berlins, bis zu den Schlachten von Großbeeren, Dennewitz und Hagelberg, die in seinem militärischen Vorfeld sich ereigneten. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden Gebäude und Institutionen, die heute als typisch den Bezirk Kreuzberg ausfüllen, einschließlich des islamischen Friedhofs, der Militärfriedhöfe und Kasernen, Betriebe, Gast- und Vergnügungsstätten und des Flughafens. Auch der Kreuzberger Weinkultur wird gedacht. Der Schauplatz der Hasenheide mit den patriotischen Bestrebungen Jahns und Friesens wird in Genreszenen lebendig gemacht, ebenso wie die Lazarettplätze in den Befreiungsschlachten von Großbeeren und Dennewitz, von denen schon der „alte Heim" in seinen Erinnerungen berichtete. Ferner schildert Vf. die Aushebung von Massengräbern für Freund und Feind und die Anlage der Militärfriedhöfe; er berichtet aber auch von den Gartenlokalen, Vergnügungsstätten der Berliner, und den Brauereien. Er verschweigt das Unbehagen darüber nicht, wie das Tempelhofer Feld zwischen Volkstümlichkeit und preußischer Machtrepräsentation geschwankt hat. „Auch das Tempelhofer Feld erlebte stets beide Seiten ein und derselben Sache." - Schließlich wird der Blick gelenkt auf das Vordringen der Stadt über das Hallesche und Kottbusser Tor hinaus nach Süden. Einen breiten Raum nimmt die Entwicklung des Tempelhofer Feldes vom Schauplatz der ersten Flugversuche bis zum „Weltflughafen" ein; sie wird dem Leser in ihrer ganzen Zwiespältigkeit vor Augen geführt; denn Vf. schildert die Schaulust, das faszinierende Gepränge, in welchem Massenbegeisterung und Anerkenntnis fliegerischer Hochleistung untrennbar eins waren. Recht stoffreich ersteht vor dem Leser die sehr schnell ausgreifende Entwicklung zur technischen Hochblüte des Flugwesens, zu sportlich höchster Könnerschaft, wie sie das Engagement von Wirtschaft und Gesellschaft bei der neuen Erfindung auslöste. Wie im Eisenbahnzeitalter liegt dem Neuen seine militärische Verwertbarkeit schon in der Wurzel eingepflanzt. Eindeutig schildert und benennt er das Doppelbödige, das dem zivilisatorischen, ökonomischen und propagandistischen Hochstand innewohnte, der den Nationalsozialisten Anlaß zu seiner Pervertierung gab. Er zeigt die Nahtstelle auf, soweit sie erkennbar ist, und zwar durch den 33
Kunstgriff der Gegenüberstellung mancher Phänomene. Das Tragische wird sichtbar: Die Geltung fliegerischen Könnens, sein Wagemut wie seine Zuverlässigkeit, seine Ritterlichkeit und der Stolz fast göttergleichen Menschentums im Fliegen sind hervorgegangen aus der militärischen Schulung und Übung im Ersten Weltkrieg. Danach war die Entwicklung des Luftverkehrs die Herausforderung in der krisenhaften Zeit der Weimarer Republik; sie ergriff freudig die neuen Möglichkeiten. Protektion und Anwesenheit der höchsten Vertreter der Republik, aber auch der sogenannten guten Gesellschaft sowie der des Auslands haben einen friedlichen Wettstreit erwarten lassen. Deutsche und amerikanische Publikumslieblinge unter den Piloten wurden gleichermaßen auf dem Tempelhofer Feld bejubelt wie in Amerika verehrt. Über Berlins Rolle als Vorreiter des Flugwesens zu sprechen ist nicht möglich, ohne seine Entwicklung zur Luftwaffe (Görings) zu schildern. Erst durch ihn wurden Gigantomanie, nationales und wirtschaftliches Konkurrenzdenken an die Stelle sportlicher und technischer Leistung gesetzt; das Ritterliche schwand zusehends und das Teuflische wurde klar beim Einsatz der „Legion Condor" im Spanischen Bürgerkrieg. Die Dämonisierung wird auch am Beispiel Udets erkennbar, so wie Zuckmayer seine Gestalt aufgefaßt hat: die reine Lust am Fliegen machte ihn blind. Einerseits ist das deutsche Flugnetz so vorbildhaft wie nie wieder ausgebaut worden, andererseits wurde schnell der Schritt zur Entwicklung deutscher Kampfbomber getan. An der kritischen Beurteilung dieser Vorgänge schieden sich die Geister. Da hiermit die Ursachen oder Mitursachen zur deutschen Niederlage von 1945 aufgezeigt wurden, hat sich Vf. auf die kurze Erwähnung des Flughafens als Schicksalsort in der Blockade Berlins und zur Zeit der großen Flüchtlingsströme vor dem Mauerbau beschränken können und dafür den Aufstieg des internationalen Flugverkehrs im Rahmen einer Weltstadt stärker hervorgehoben und die avantgardistische architektonische Gestaltung der Gebäude geschildert. Sein Zurückfallen in der geteilten Stadt ist um so schmerzlicher anzusehen. Im Rahmen des Nachkriegsgeschehens wird die Luftbrücke 1948/49 ausführlich im zweiten Band dargestellt und gewürdigt werden. Christiane Knop Gültekin Emre: 300 Jahre Türken an der Spree. Ein vergessenes Kapitel Berliner Kulturgeschichte. Berlin: Ararat-Verlag 1983. Das schon vor fünf Jahren erschienene Büchlein soll hier vor allem deshalb noch einmal erwähnt werden, weil es mit seinem historischen Teil in der Berliner Öffentlichkeit hinsichtlich des Eintreffens der ersten osmanischen Gesandtschaft in Berlin eine gewisse Verwirrung gestiftet hat. Der Vf. hat mit dieser Veröffentlichung in unserer Zeit des türkisch-deutschen Zusammenlebens in dieser Stadt den ersten verdienstvollen Schritt unternommen, türkische Spuren in Berlin zu sichern. Inzwischen sind auch wissenschaftlich fundierte Arbeiten des Istanbuler Historikers Kemal Beydilli (1984 und 1985) erschienen. Im Jahre 1986 publizierte Karl Pröhl seine Kieler Dissertation „Die Bedeutung preußischer Politik in den Phasen der orientalischen Frage". Der Titel des reichlich illustrierten Bändchens von Gültekin Emre ist nun allerdings etwas unglücklich gewählt! Schon wesentlich früher sind Türken nach Berlin gekommen. So soll etwa der spätere Kurfürst Joachim II. bereits 1532 Gefangene nach Berlin gebracht haben, die er bei der Abwehr von Sultan Süleymans zweitem Angriff auf Wien - es war sein sogenannter Deutschland-Feldzug (Alaman seferi) gemacht hatte. Doch der Vf., der auf die Zeit der Türkenabwehr brandenburgischer Truppen unter der Fahne des Kaisers und des Königs von Polen und den damit verbundenen Erscheinungen wie Türkensteuer, Türkenglockenläuten und Türkenpredigten nicht eingeht, dachte bei der Wahl des Titels eher an Gesandtschaften als an Kriegsgefangene. Dabei ist ihm nun insofern ein Fehler unterlaufen, als er die erste osmanische Gesandtschaft an den Berliner Hof in das Jahr 1701 verlegt. Einmal davon abgesehen, daß die Vasallen der Osmanen, die Chane der Krimtataren, schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts Gesandte zum Großen Kurfürsten abgefertigt haben, traf die erste osmanische Gesandtschaft unter Ahmed Resmi Efendi erst 1763 in Berlin ein. Der Vf. stützt sich für seine Behauptung auf einen ungeprüft übernommenen Artikel eines Dr. C. Brecht über den türkischen Friedhof in Berlin, welcher 1875 in der Zeitschrift „Der Bär" in Berlin erschienen ist. Dieser Dr. C. Brecht, ein Kanzleirat und Registrator im Justizministerium widmete sich der Erforschung der Geschichte der Mark Brandenburg, war aber mit dem Studium der OriginalQuellen zur Geschichte des Osmanischen Reiches ebensowenig vertraut wie der Vf. Einige Anmerkungen seien hier noch gemacht: Auf Seite 5 ist kein „Sultanssiegel" abgebildet, sondern eine Tughra, der kalligraphisch gestaltete verschlungene Namenszug des jeweils regierenden Sultans. „Meklubsi" muß natürlich Mektupcu (etwa Staatssekretär) heißen (S.12). Bei der Abbildung auf Seite 16 handelt es sich nicht wie die Unterschrift besagt um „Schreiben türkischer Sultane an preußische Könige" 34
dies ist nur der ständig wiederkehrende Seitentitel der von Gültekin Emre benutzten Veröffentlichung - , sondern konkret um ein Schreiben Sultan Ahmeds III. an König Friedrich Wilhelm I. aus dem Jahre 1721. Die Stärke des Büchleins liegt weniger in den ersten zwei historischen Kapiteln als in den dann folgenden Abschnitten, welche die türkische Präsenz in Berlin während und nach dem Ersten Weltkrieg in sehr ansprechender Form dokumentieren. Weiteres bleibt noch zu tun! Klaus Schwarz
E i n g e g a n g e n e B ü c h e r (Besprechung vorbehalten) Bernhard Sowinski: Berlin und ich, eine Anthologie. Ferd. Dümmels Verlag, Bonn 1987. Willy Römer: Vom Pferd zum Auto, Verkehr in Berlin 1903-1932. Dirk Nishen Verlag, Berlin-Kreuzberg 1984. Günther Schade: Die Berliner Museumsinsel, Zerstörung, Rettung, Wiederaufbau. Henschel-Verlag, Berlin 1986. Günter Stahn: Das Nikolaiviertel am Marx-Engels-Forum, Ursprung, Gründungsort und Stadtkern Berlins. Ein Beitrag zur Stadtentwicklung. VEB-Verlag für Bauwesen, Berlin 1985. Heinz Wohner: Ich steh' auf Berlin, Berlin und zugenäht. Ein Text von Anna Jonas. Paul List Verlag, München 1987. Berlin und die Zukunft Europas. Herausgegeben von Erich G. Pohl. Verlag Bernhard & Graefe, Koblenz 1986. Winfried Löschburg: Spreegöttin mit Berliner Bär, Historische Miniaturen. Verlag der Nation, Berlin 1987. Aras Ören: Dazwischen, Gedichte. Dagyeli Verlag, Frankfurt am Main 1987. Gruß aus Berlin, ein Bummel durch Berlin um 1900 auf 120 Postkarten mit „Onkel Theo und seiner Nichte Lottchen". Agora Verlag, Berlin. Klaus Bölling: Die fernen Nachbarn, Erfahrungen in der DDR. Stern-Buch im Verlag Grüner & Jahr AG & Co., Hamburg 1983. Märkischer Dichtergarten: „Die Ehre hat mich nie gesucht", Lessing in Berlin. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1986. Fritz Rudolf Fries: Alexanders Neue Welten, ein Kolportageroman aus Berlin. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983. Große Politik und Alltagsleben, meine Heimatstadt Berlin 1900-1945, 4 Cassetten. Network MedienCooperative, Hallgartenstraße 69, Frankfurt am Main 60. Gerda Harms, Christa Preissig, Adolf Richtermeier: Kinder und Jugendliche in der Großstadt. Gedruckt mit Unterstützung der Freien Universität, Berlin 1985.
Neue Mitglieder im IV. Quartal 1987 Lieselotte Bastian, Oberbibliothekarin a. D. Margaretenstraße 4 b, 1000 Berlin 45 Günter Bruch, Bundesbahn-Beamter Homburger Straße 1, 1000 Berlin 33 Telefon 8 2219 47 (Geschäftsstelle) Achim-Detlef Fritze, Elektroniker Am Busche 23, 5810 Witten 9 Telefon (0 23 02) 515 20 (Geschäftsstelle) Maria Hesse, Kauffrau Schwambzeile 1, 1000 Berlin 13 Telefon 3 45 8313 (Geschäftsstelle) Renate Hildebrand, Sekretärin Barbarossastraße 32, 1000 Berlin 30 Telefon 2413 89 (Geschäftsstelle)
Rainer Lübbe, Lehrer Uhlandstraße 50,1000 Berlin 15 Telefon 8 83 47 27 (Geschäftsstelle) Heidemarie Pust, Verwaltungsangestellte Rufacher Weg 8,1000 Berlin 47 Telefon 604 3647 (Geschäftsstelle) Achmed Schmiede, Übersetzer Weifenallee 19,1000 Berlin 28 Telefon 4 0612 08 (Langenheld) Heinz Somnitz, Rentner Ahornallee 26, 1000 Berlin 41 Telefon 7 9114 83 (Geschäftsstelle) Dr. Kurt Trumpa, Arzt Leo-Baeck-Straße 13, 1000 Berlin 37 35
Veranstaltungen im I. Quartal 1988 1. Montag, 18. Januar 1988, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Ingeborg und Herrn Oswald Hensler: Drei Jahrzehnte Bombenentschärfung in Berlin. Bericht über die Tätigkeit des 1. Leitenden Polizeifeuerwerkers in Berlin Gerhard Räbiger seit 1945. Herr Gerhard Räbiger ist anwesend. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Montag, den 15. Februar 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Dr. Sibylle Einholz: Spaziergang über Ostberliner Friedhöfe. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 3. Mittwoch, den 24. Februar 1988,16.00 Uhr: Vortrag von Herrn Hans-Werner Klünner am Stadtmodell im Berlin Museum: Berlin im Todesjahr des Großen Kurfürsten. Treffpunkt um 15.45 Uhr im Foyer des Berlin Museums. 4. Sonntag, den 20. März 1988, 10.00 Uhr: Begehung des Waldfriedhofs Dahlem mit Herrn Joachim Hans Ueberlein: von Gottfried Benn, Bully Buhlan und Karl Correns zu Karl Schmidt-Rottluff, Renee Sintenis und Matthias Waiden. Treffpunkt Hüttenweg 47, Eingang. 5. Montag, den 28. März 1988,19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Dr. Stefan Hartmann: Fürstenmacht und Ständetum im Herzogtum Preußen während der Regierung des Großen Kurfürsten 1640 bis 1688. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
Vorankündigung Montag, den 11. April 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Hans Frost: Wie Berlin zu seiner Stadt- und Ringbahn kam. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30-22 34. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 333 2408. Geschäftsstelle: bei der Schatzmeisterin. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38,1000 Berlin 22, Telefon 365 7605. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102,1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2,1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
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A 1015 FX
MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 84. Jahrgang
Heft 2
April 1988
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Der Stüler-Bau der Lützower Kirche um 1855, nach einem Stich von Franz Hablitschek (nach Rohbock)
Abreißen? Verändern? Bewahren? Zur Geschichte des Umgangs mit Denkmälern in der Charlottenburger Luisengemeinde Von Birgit Jochens und Herbert May Im Dezember 1987 ist die im Innenraum vollkommen umgestaltete evangelische Luisenkirche in Charlottenburg eingeweiht worden. „Soviel Schinkel wie möglich, soviel Moderne wie nötig" war das Leitmotiv des mehr als 2 Millionen DM teuren Restaurierungsvorhabens, das von dem Architekten Jochen Langeheinecke verwirklicht wurde. Gerade weil dieser Umbau nicht unwesentlich vom Rückgriff auf eine frühere Bautradition geprägt ist, bietet er Anlaß, diese Maßnahme einmal in einem größeren historischen Zusammenhang als einen Akt im Umgehen einer Gemeinde mit ihren Denkmälern zu betrachten. In diesem Beitrag soll dies in einer Untersuchung des Verhältnisses der Luisengemeinde vornehmlich zu ihren b e i d e n Kirchen, der Lützower Kirche, heute Kirche „Alt-Lietzow" genannt, und der Luisenkirche geschehen. Thematisiert werden sollen insbesondere der Abriß und Neubau der Lützower Kirche in den Jahren 1909 bis 1911 sowie die denkmalpflegerische Behandlung der beiden Kirchen in der Nachkriegszeit. In der Auseinandersetzung mit den für diese Bauten wichtigen Phasen in der jüngeren Vergangenheit läßt sich die Vielfältigkeit in den Kunst- und Kulturhaltungen der Gemeinde im Verlauf ihrer Geschichte aufzeigen, werden Wandlungen in Motivation und Zielsetzungen beim Umgang mit Denkmälern nachvollziehbar. Nicht immer, so wird sich zeigen lassen, waren alte Kunstwerke so hoch geschätzt wie heute, wo sich Denkmalpflege einer zuvor ungeahnten Popularität erfreut. Stets, so wird weiterhin festzustellen sein, war ein gewisses Prestige nötig, um den Denkmälern die Anerkennung als Zeugnisse der Geschichte und damit ein denkmalpflegerisches Engagement zu sichern. Und dieses kann von einer Generation zur anderen ebenso verlorengehen wie aufgebaut werden.
Zur Baugeschichte Zum besseren Verständnis wird eine knapp umrissene Baugeschichte der beiden Kirchen an den Anfang gestellt.' Die erste urkundliche Erwähnung der Lützower Kirche findet sich in einer kurfürstlichen Matrikel von 1541. Erbaut worden ist die Kirche vermutlich im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts als Gründung des Kurfürsten Friedrich II. und der Benediktinerinnen von Spandau. Nach der Zerstörung durch eine Feuersbrunst Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Kirche wiederhergestellt und im September 1655 eingeweiht. Bis 1708 war Lützow eine kirchliche Filiale von Wilmersdorf, danach erfolgte die kirchliche Bindung an die 1705 gegründete Stadt Charlottenburg. Die Lützower Kirche war fortan eine Nebenkirche der Charlottenburger Parochial- bzw. späteren Luisenkirche. 1848 bis 1850 wurde die Lützower Kirche erneut umgebaut. Baumeister war August Stüler, der den Bau unter Beibehaltung der bis zum Fenstergesims reichenden mittelalterlichen Umfassungsmauern in neugotischem Stil errichtete. Der Bau erfuhr finanzielle Unterstützung durch den oft in Charlottenburg weilenden Friedrich Wilhelm IV, der darüber hinaus am Entwurf beteiligt war.2 1863/64 erfolgte noch ein Anbau zweier Räume an der Nord- und Südseite. 1909 wurde die Kirche nach einer heftigen Debatte zwischen Kirchengemeinde, Charlottenburger Magistrat und Provinzial-Konservator abgerissen. Der die Stülerkirche 38
ersetzende und 1911 eingeweihte Bau des Architekten Kroger diente von allen Lützower Kirchen die kürzeste Zeit als Gotteshaus: Nach nur 32 Jahren wurde die Kirche im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und Ende der 50er Jahre abgetragen. Der 1961 errichtete zeltartige Neubau ist somit der fünfte Kirchenbau auf dem ehemaligen Lützower Dorfanger. Die Luisenkirche hat ihre Ursprünge in der von Baumeister Philipp Gerlach errichteten und 1716 eingeweihten Parochialkirche. Nach Entwürfen von Friedrich Schinkel und auf Initiative des Charlottenburger Oberpfarrers Dressel wurde 1824 bis 1826 ein neuer Turm errichtet sowie das Kircheninnere im klassizistischen Stil grundlegend verändert (Abb. 1). Seit der Einweihung am 11. Juni 1826 führt die Kirche den Namen der Königin Luise. Bis zur Zerstörung der Kirche im November 1943 erfuhr der Bau nur unwesentliche Veränderungen, zu denen der Anbau zweier Räume an der Turmseite gehörte. Die in den 50er Jahren vorgenommene Wiederherstellung erfolgte unter Leitung des damaligen Landeskonservators Hinnerk Scheper.
Die Diskussion u m den Abriß der Stüler-Kirche Die von August Stüler, einem der prominentesten Baumeister Preußens, dem „Architekten des Königs", errichtete Kirche (s. Titelbild) war ein schlichter Ziegelbau, der mit sehr schlanken, hohen Giebelflankentürmen und einem Baldachin mit Engel auf dem Giebel der Westseite auf eine bessere Fernwirkung hin angelegt war, als die alte Dorfkirche sie besessen hatte. Während Stüler im allgemeinen mehr auf den Stil der Renaissance Bezug nahm, hat er sich bei der Lützower Kirche, wohl dem Wunsch des Königs folgend, der gotischen Formensprache bedient. Möglicherweise wollte man auf diese Weise noch etwas vom mittelalterlichen Charakter des Lützower Platzes bewahren, den nicht nur die ehemalige Dorfkirche, sondern auch der alte Baumbestand des einstigen Kirchhofs schmückte. Einzigartig im Werk Stülers waren bei der Lützower Kirche Proportionen, wie sie schon die vom König besonders favorisierten frühchristlichen Basiliken aufgewiesen haben, mit Strebepfeilern und Zinnen der englischen Gotik verbunden worden. Dazu angeregt wurde Stüler anscheinend durch eine Studienfahrt, die er 1842 nach England unternommen hatte. 3 Wohl ebenfalls an frühchristlichen Beispielen orientiert, war auch das Innere des Gotteshauses (Abb. 2) sehr schlicht gestaltet. Den Saal deckte eine hölzerne, buntbemalte Decke; Orgelempore, Kanzel und Gestühl waren aus gestrichenem Eichenholz. Die Wände waren rötlichgrau, die Altarnische, Wandinkrustation imitierend, marmorisiert getüncht und abschließend mit einem an Kirchen der Spätantike erinnernden blauen Sternengewölbe versehen. Die Kirche bot rund 230 Personen Platz. Infolge der Bevölkerungsdynamik im Charlottenburg der Gründerzeit - die Bevölkerung stieg von 25 847 im Jahre 1875 auf 239 547 im Jahre 1905 an4 - nahm auch die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder im entsprechenden Zeitraum dramatisch zu. Im Jahre 1907 gehörten allein zur Luisengemeinde 63 000 Seelen.5 Pläne, die alte Stülersche Kirche durch einen größeren Neubau zu ersetzen, scheint es schon vor 1907 gegeben zu haben. Im Archiv der Luisengemeinde sind entsprechende Bauentwürfe des Architekten Otto March enthalten, die dieser bereits 1902 gezeichnet hat. Im Spätsommer 1907 wurde das Neubauprojekt dann konkret. Im September dieses Jahres beantragten die kirchlichen Körperschaften der Luisengemeinde beim Konsistorium die Genehmigung des Abrisses der alten Kirche und die Errichtung eines Neubaues.6 39
Die Positionen Der Antrag der Luisengemeinde orientierte sich begreiflicherweise an den oben bezifferten Zuwachsraten der Gemeindeglieder in der Parochie: Argumentiert wurde in erster Linie mit dem Bedürfnis einer größeren Kirche infolge der gestiegenen Seelenzahlen. Mit dem zweiten Argument verließ die Gemeinde den Boden des Faktischen und thematisierte Ästhetisches: Der Stülerbau passe nicht mehr in die bauliche Umgebung des Platzes „Am Lützow"! In dem Schlußwort, das Oberpfarrer Riemann aus Anlaß der Schließung der Lützower Kirche im November 1909 gehalten hat, wurde dieses Argument noch einmal deutlich ausgeführt: „... Welche riesigen Fortschritte hat unsere Residenzstadt Charlottenburg in den letzten Jahrzehnten in ihrer äußeren Entwicklung gemacht! Vor vierzig Jahren noch die anmutige Gartenstadt vor den Toren Berlins mit fast ländlichem Charakter und heute, mit der Reichshauptstadt zusammengewachsen, ganz Großstadtgepräge tragend! Unser Platz ,Am Lützow', auf welchem dieses Kirchlein steht, ist dafür bezeichnend. Was war er einst und was ist er jetzt?! Sollte da die kirchliche Entwicklung nun ganz und gar zurückbleiben dürfen? Nicht wahr, wo die kleinen Häuslein einst hier ringsherum mit ihren wenigen Bewohnern den stattlichen Gebäuden mit ihrer so viel größeren Seelenzahl jetzt haben weichen müssen, da muß nun auch das kleine Lützowkirchlein durch ein größeres Gotteshaus ersetzt werden."7 Riemann stützte seine Einschätzung nach eigenem Bekunden auf das Urteil des Architekten Paul Schultze-Naumburg, der in seinen „Kulturarbeiten" die Lützower Kirche als einen Kirchbau beschrieb, „der planlos inmitten eines großen Platzes erbaut, dort sehr unglücklich dasteht. Häuser und Kirche sind innerlich und äußerlich vollkommen zusammenhanglos zueinander gefügt."8 Die Berufung auf Schultze-Naumburg macht Riemanns Argument nicht stärker, geriet Schultze-Naumburg doch einiges durcheinander, da er die Geschichte des Platzes „Am Lützow" offensichtlich nicht kannte. Der Standort der Kirche auf dem ehemaligen Dorfanger war keineswegs planlos gewählt, er hatte historische Tradition, da die Vorgängerbauten ebenfalls dort standen. Was schließlich den Denkmalwert der Lützower Kirche betrifft, sprach Riemann stellvertretend für den Gemeindekirchenrat (GKR) diesen der Stülerschen Kirche ab: Die Kirche habe als Erneuerungsbau aus den Jahren 1849/50 keinen Anspruch, als altes Baudenkmal zu gelten. Die Ehrfurcht vor den „verstümmelten Resten der früheren Lützower Dorfkirche" - gemeint sind die mittelalterlichen Teile der Umfassungsmauern der Kirche - erschien Riemann nicht plausibel. Allenfalls könne man kulturhistorisches Interesse geltend machen lassen, da der Stülerbau ein Beispiel dafür sei, „in wie äußerlicher Weise der romantische Sinn der Zeit seiner Entstehung durch Übernahme gothisierender Formen Bauwerken kirchlichen Charakter verleihen zu können glaubte".9 Soweit Motivation und Argumentation der Luisengemeinde, die damit den Abriß als gerechtfertigt ansah. Betrachten wir noch ein wenig genauer das Hauptargument der Gemeinde, die Kirche sei zu klein geworden für die wachsende Gemeinde. Oberpfarrer Riemann gab an, daß zu seinen Gottesdiensten in der Lützower Kirche häufig 400 Menschen kämen, die nur unter Zuhilfenahme zusätzlicher Stühle Platz fänden. Der Neubau wurde schließlich auf 900 bis 1000 Plätze angelegt, d. h. für mehr als doppelt so viele Personen, wie von Riemann angegeben. Wenn er 40
Abb. 1: Der Schinkel-Bau der Luisenkirche, Ansicht um 1900
nun selbst noch davon ausging, daß die Seelenzahl der Luisengemeinde nach Errichtung der Nordgemeinde entsprechend sinken und auch in Zukunft nicht mehr steigen würde, da die Bebauung im Gemeindebezirk ausgereizt war, dann gerät dieses auf den ersten Blick plausibel erscheinende sogenannte pragmatische Argument etwas ins Wanken.10 Die Denkmalwürdigkeit der alten Lützower Kirche hatte der Provinzial-Konservator der Provinz Brandenburg, der Königliche Baurat Büttner, in einem Gutachten festgestellt. In dem Gutachten vom 3. Dezember 1907 heißt es: „Die Kirche besitzt zweifellos Denkmal wert. Begründet ist dieser einmal in der geschichtlichen Bedeutung, die das Bauwerk als ursprüngliche Dorfkirche in dem Dorfe Lützow hat, und dann durch den künstlerischen Wert des Gebäudes, das auf mittelalterlichem Kern in der romantischen Auffassung der Mitte des vorigen Jahrhunderts erbaut ist und in dieser Gestalt auf dem Platz in seiner jetzigen Form ein ansprechendes Bild gibt. Im Interesse der Denkmalpflege ist daher zu wünschen, daß die Kirche erhalten bleibt."" Zu dem gleichen Ergebnis kam Baurat Julius Kohte, ein Mann, der sich um die Denkmalpflege in Berlin sehr verdient gemacht hat.12 Kohte intervenierte mehrfach zugunsten der Erhaltung der Stülerschen Kirche, am deutlichsten in Artikeln im „Zentralblatt der Bauverwaltung" (1907), in denen er wie der Provinzial-Konservator die mittelalterliche Bausubstanz und auch 41
die künstlerische Leistung Stülers als Argumente für die Bewahrung des Kirchbaus ins Felde führt. Für die Erhaltung sprachen sich ähnlich eindeutig Büttners Nachfolger im Amt des Provinzial-Konservators, Lutsch, sowie der Magistrat von Charlottenburg aus.13 Schließlich gab es auch innerhalb der Luisengemeinde eine wachsende Zahl von Abrißgegnern. Während viele alte Charlottenburger Bürger die Bindung an „ihre" alte Lützower Kirche betonten, befürchteten andere, daß mit der Errichtung einer großen Kirche das Konsistorium seinen schon länger gehegten Plan eher verwirklichen könne, um die Lützower Kirche eine neue Gemeinde zu firmieren. „Man wollte auf keinen Fall das Band zerrissen sehen, das Luisen und Lützow seit 200 Jahren miteinander verknüpfte."14 Das Weiterbestehen dieser Bindung wurde schließlich von Seiten der Gemeindeführung gegenüber dem Konsistorium eine Vorbedingung dafür, daß die Luisengemeinde mit eigenen Mitteln einen Kirchenneubau ausführe. Zur Grundsteinlegung des Neubaus im Mai 1910 lud der Gemeindekirchenrat der Luisengemeinde nur sich selbst mit seinen Angehörigen ein und ließ die wegen des Abrisses teilweise aufgebrachte Gemeindebasis „außen vor". Ein recht unfreundliches Verfahren, das auf Antrag schließlich vom Konsistorium genehmigt worden war.
Die Alternativen Die Abrißgegner waren bemüht, die „Entweder-Oder"-Position aufzulösen, indem sie die praktischen kirchlichen Bedürfnisse in dieser Sache durchaus anerkannten. Sie präsentierten gleichzeitig mit ihrem Plädoyer Vorschläge, die das Bedürfnis der Gemeinde nach einem größeren Gottesdienstraum und die Erhaltung des Stülerschen Baus zu verbinden suchten. Der Charlottenburger Magistrat schlug vor, die Stülersche Kirche an ihrem alten Platz zu belassen und den Neubau auf dem Gelände des seit 1884 geschlossenen Luisenfriedhofs I (Guerickestraße), eingereiht in die Häuserfront, zu errichten. Der Provinzial-Konservator Büttner und auch Julius Kohte wollten die neue Kirche auf dem westlichen Teil des Platzes „Am Lützow" errichtet sehen, dort, wo sich heute noch das an die Gefallenen der Kriege von 1864,1866 und 1870/71 erinnernde Löwendenkmal befindet. Die Stüler-Kirche hätte auf diese Weise als Konfirmandensaal weiterdienen können. Dieser Vorschlag erinnert an Beispiele in Wilmersdorf und Wedding, wo wilhelminische Großkirchen in unmittelbarer Nachbarschaft älterer Kirchen erbaut worden sind (Wilhelmsaue, Leopoldplatz). Julius Kohte brachte noch eine weitere Variante in die Diskussion ein: Jenseits der Spree, im neugewachsenen Charlottenburger Stadtgebiet um die Kaiserin-Augusta-Allee, sollte eine neue Gemeinde entstehen, und dort sei demzufolge auch die neue Kirche zu errichten. Dieser Vorschlag hatte auch Befürworter in der Gemeinde. Die interessanteste Alternative stammte von Provinzial-Konservator Lutsch: Er wollte die mittelalterliche Bausubstanz wie auch den Stülerschen Westgiebel mit den beiden Türmen in den Neubau integrieren. Konkret stellte er sich vor, anstelle des Chorpolygons und der seitlichen Anbauten einen quergelegten Erweiterungsbau zu errichten, gegebenenfalls auch unter kostenintensiver Verschiebung der zu erhaltenden Bauteile nach Westen, sollte durch den Neubau der östliche Straßenzug des Platzes „Am Lützow" zu sehr beengt werden. 42
Abb. 2: Das Innere der Stüler-Kirche, Aufnahme kurz vor dem Abriß im Jahre 1909
Das Procedere Die Diskussion um Erhaltung oder Abriß der alten Lützower Kirche wurde mit Engagement und Vehemenz auch öffentlich geführt.15 Die Vorschläge der Anhänger des Stüler-Baus konnte die Gemeindeführung aus in Teilen durchaus berechtigten Gründen ablehnen: Was den Vorschlag des Neubaus auf dem westlichen Teil des Platzes „Am Lützow" anbetraf, hatte man das Veto des Magistrats, der dies aus stadtbildpflegerischen Gründen ablehnte. Ein Neubau auf Friedhofsgelände hätte langwierige Verhandlungen mit den Erbbegräbnisstelleninhabern zur Folge gehabt, da trotz der offiziellen Schließung des Friedhofs Nutzungsfristen einzuhalten waren. Die Errichtung einer neuen Gemeinde jenseits der Spree wollte der GKR zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Lediglich mit dem Vorschlag des neu im Amt befindlichen ProvizialKonservators, die alte Bausubstanz in den Neubau zu integrieren, tat sich die Gemeinde schwer. Oberpfarrer Riemann bat den mit ihm bekannten Architekten Otto March um Stellungnahme zum Vorschlag von Lutsch. March hielt die von Lutsch lediglich im Bereich des Möglichen angesiedelte Westverschiebung der alten Bauteile wegen der örtlichen Bedingungen für unabdingbar. Die Kosten dieser Verschiebung würden in keinem Fall dem Altertumswert der zu erhaltenden Bauteile entsprechen. Bemerkenswert ist hierbei die kritische Einstellung Marchs gegenüber der Stülerschen Bauschöpfung. Obwohl in seinen jüngeren Jahren nicht ohne Sympathie für an gotischen Stilformen ausgerichtete Neuschöpfungen16, sprach er dem Bauwerk Stülers jede Bedeutung in „kunstkonservatorischem Sinne" ab, da dieser es versäumt habe, sich mit seiner Kirche dem schlichten dörflichen Charakter des ursprünglichen Bauwerks anzupassen17; ein Einwand, der, §3
selbst wenn ihm Stüler einst stärker, als er es getan zu haben scheint, Folge geleistet hätte, zumindest nicht die kirchlichen Körperschaften der Luisengemeinde von ihrem Plädoyer für einen Abriß abgebracht hätte, schien ihnen ihre alte Kirche doch gerade nicht repräsentativ genug. Daß March statt dessen die Errichtung eines „zweckentsprechenden, würdigen Neubaus" forderte, entsprach ganz seinem später in verschiedenen Abhandlungen geäußerten Absichten18, mit denen er sich immer wieder als Wegbereiter eines „von den Stilen befreiten", von reiner „Zweckmäßigkeit" bestimmten Kirchenbaus erwiesen hat. Es bleibt Spekulation, ob letztlich nicht auch die Hoffnung, den Auftrag zum Neubau zu erhalten, Marchs Gutachten beeinflußt hat. Immerhin hatte er ja bereits 1902 entsprechende Entwürfe angefertigt, und Oberpfarrer Riemann brachte schon vor dem offiziellen Bauwettbewerb Otto March als möglichen Architekten für den Kirchenneubau mit ins Spiel.19 Im weiteren Verlauf der festgefahrenen Diskussion rettete sich die Kirche mit einer Eingabe an ihren Landesbischof Wilhelm II. Er sollte über den Abriß der Kirche entscheiden, war sie doch bekanntlich mit Unterstützung Friedrich Wilhelms IV. errichtet worden. Mit keinem Wort wurde in dem Schreiben des evangelischen Oberkirchenrats vom 18. September 1908 an den Kaiser die Denkmalpflege angeschnitten, vielmehr wurde ausschließlich pragmatisch argumentiert, d. h. die Platznot der Gemeinde als Grund für den notwendigen Abriß und Neubau angeführt. Wilhelm II. gab Ende Oktober 1908 sein Plazet zum Abbruch der alten Lützower Kirche und entsprach damit dem schon vor der Jahrhundertwende deutlich gewordenen Geschmackswandel in der Beurteilung der von Schinkel und seinen Nachfolgern geprägten Baukunst, deren eng an historische Stilformen ausgerichtete Gestaltung als Mangel an Schöpferkraft bewertet wurde.20 Mit der Entscheidung des Kaisers fand die Diskussion um Erhalt oder Abriß des Baudenkmals ein abruptes Ende.21 Julius Kohte blieb noch die Anregung überlassen, vor dem Abriß Fotos vom Äußeren und Inneren der Kirche zu machen. Seiner Initiative verdanken wir somit die einzigen bekannten Innenaufnahmen von der alten Kirche.
Der Neubau Im Mai 1910 wurde mit dem Neubau der Kirche nach den Plänen des Königlichen Baurats Kroger begonnen (Abb. 3 und 4). Kroger hatte den Bauwettbewerb gewonnen, an dem neben ihm die Architekten March, Jürgensen/Bachmann sowie Gause/Leibniz teilgenommen hatten.22 Vorgesehen war ein in barockisierenden Formen gehaltener Zentralbau, der wesentlich aufwandvoller als das frühere Gotteshaus war. Er sollte einen hohen, massigen Turm über der rechteckigen Vorhalle und einen Kirchenraum mit geschwungenen Wänden an den Längsseiten und der Chorpartie erhalten. Aufwendiger geplant war auch das weißgold bemalte Innere mit einem barockisierenden Hochaltar in der Mitte der etwas erhöhten Chorpartie, geschwungenen Emporen und einer in Rabitz gewölbten, auf flachen Bögen ruhenden Decke auch über Emporen und Altar. Bereits die Entwürfe Krögers waren zeitgenössischer Kritik ausgesetzt. Der mittlerweile zum Leiter des kirchlichen Bauamtes avancierte Königliche Baurat Büttner stufte in einem Gutachten den Entwurf gar als „noch nicht geeignet zur Ausführung" ein.23 Für Büttner war die Innen- wie Außenarchitektur überfrachtet und noch nicht ausgereift. Seine Kritik richtete sich vor allem gegen die Ausbauchung der beiden Seitenwände, die weder ein Vorteil für die 44
Abb. 3: Der Kröger-Bau, nach einem Aquarell von J. Kroger von 1908
Raumwirkung noch für die Außenarchitektur seien. Büttner schlug deshalb vor, die Wände gerade durchzuführen. Ferner bemängelte er die Funktionslosigkeit des oberen Umgangs hinter dem Altar im Inneren der Kirche, die störende Wirkung des Dachreiters auf der Vierung sowie die kleinen Kupferdächer auf den Eckbauten. Julius Kohte vertrat die Meinung, daß der Krögersche Entwurf an künstlerischem Wert das von Stüler geschaffene Bild nicht erreicht habe.24 Der somit bereits im Vorfeld kritisierte Entwurf wurde schließlich ohne Anderungsvorschläge von Wilhelm II. im August 1909 genehmigt.25 Der Kaiser hatte seine Abrißgenehmigung an das Verlangen gekoppelt, den Neubauentwurf vor dessen Ausführung sehen zu wollen. Nach nur einjähriger Bauzeit wurde der Bau mit einem Platzangebot für maximal 1000 Personen am 30. Mai 1911 eingeweiht.
Die Kirchen in der Nachkriegszeit Eine wiederum andere Haltung zu ihren historischen Monumenten zeigte die Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie vielfältig, ja divergent diese angelegt war, läßt sich in der Gegenüberstellung vom Umgang mit ihren Kirchen und den historischen Monumenten auf ihren Friedhöfen verfolgen. Was den wichtigsten Besitz, die Gotteshäuser, betrifft, so entschied sich die Gemeinde trotz des erheblichen Widerstandes von Magistrat und Landeskonservator für den Wiederaufbau der fast völlig zerstörten Luisenkirche. Die weit weniger beschädigte Lützower Kirche ließ sie dagegen ohne großes Zögern abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Beide Gotteshäuser hatten in der Nacht des 3. September 1943 schwere Verheerungen durch einen Großangriff alliierter Flieger erfahren. 45
Die Luisenkirche (Abb. 5) brannte dabei kurz nach Mitternacht zum größten Teil nieder.26 Gegen den durch den Abwurf von Phosphorkanistern ausgelösten, rasch um sich greifenden Brand konnte weder die kostspielige Imprägnierung etwas ausrichten, mit der die Gemeinde im Jahr zuvor das Dachgestühl hatte schwer entflammbar machen lassen, noch halfen die Bemühungen eines kleinen Trupps von zwei Luftschutzleuten, dem Glöckner und einem Soldaten, der bis zum völlig verspäteten Eintreffen der durch die Ereignisse der Nacht gänzlich überlasteten Feuerwehr mit Feuerspritze, Schaufel und Eimer nur wenig ausrichten konnte. Schwere Schäden erlitt auch die Lützower Kirche (Abb. 6), als in der gleichen Nacht die ganze Nordfront des Platzes Alt-Lietzow vom Lüdtgeweg bis zur Röntgenstraße von Brand- und Sprengbomben schwer getroffen wurde. Mit Hilfe des Pfarrers und einiger Helfer konnte das im Dachgestühl sich ausbreitende Feuer jedoch schnell eingedämmt werden. Und auch in der folgenden Nacht wurde ein glühender Balken im Glockenstuhl gelöscht, bevor es zu einem hellen Brand in der durch die Einlagerung von Möbeln Bombengeschädigter besonders gefährdeten Kirche kommen konnte. Die sich bis 1950 hinziehende Prüfung der Schäden ergab im Fall der Luisenkirche folgendes Resultat27: Ohne Bedachung waren nur noch Teile des Turmes und des Mauerwerks vom Kirchenschiff erhalten. Die Mauern des überdies vollständig ausgebrannten Turmes waren bis zum Untergurt gerissen, so daß er einzustürzen drohte. Stark gerissen waren auch die Umfassungsmauern des Kirchenschiffes, von denen ohnehin nur noch rund 28 % erhalten waren, und die Fensterstürze drohten herabzustürzen. Dagegen waren von der Lützower Kirche nicht nur, wenn auch ebenfalls ausgebrannt, der Turm, sondern auch das gesamte Mauerwerk des Kirchenschiffes einschließlich der Decken oberhalb und unterhalb der Glockenstube, über der Eingangshalle und dem Orgelraum erhalten.28 Vernichtet waren hier sämtliche Dächer, die Rabitzgewölbe, Emporen und die Innenausstattung. Obwohl also - so die Stellungnahme des Kirchlichen Bauamtes29 - diese Ruine einen Wiederaufbau „in jeder Weise" gestattete, sogar eher möglich war als die Erhaltung der Mutterkirche, hat die Gemeinde mit großer Energie nur die Wiedererrichtung der Luisenkirche verfolgt. Besonders gegen den Magistrat gerichtet, der die vom Einsturz bedrohte Ruine der Luisenkirche vornehmlich als eine Gefahr für die Passanten betrachtete und den gesamten Kirchplatz dem öffentlichen Verkehr überlassen wollte30, führte die Gemeinde dabei vor allem kulturhistorische Argumente an. Die Luisenkirche, so wurde immer wieder hervorgehoben31, sei nicht nur als Mutterkirche aller Charlottenburger Kirchen erhaltenswert. Auch sei sie als „Wahrzeichen" Alt-Charlottenburgs zu betrachten, sei eines der wenigen historischen Gebäude von Rang, einer der wenigen Schinkel-Bauten, die Charlottenburg nach dem Kriege geblieben seien.32 Zu verhindern sei deswegen, daß „im Westsektor das Gleiche getan" würde, „was am Alexanderplatz geschehen" sei.33 Die Gemeinde hat sich in ihrer Haltung auch nicht von den Einwänden des Landeskonservators Professor Scheper und der Kunsthistorikerin Dr. Margarete Kühn korrigieren lassen, die die Problematik des verständlichen Bestrebens, den Bau zu erhalten, aufgezeigt hatten. Um nämlich den Wiederaufbau vornehmen zu können, mußten noch einmal weitere Teile der ohnehin nicht mehr umfangreichen historischen Substanz beseitigt werden. Nur wenig Altes wäre also - so der Konservator - im Fall der Restaurierung wirklich noch erhalten, und er plädierte deswegen für einen „zeitentsprechenden Neubau". Von der kulturhistorischen Bedeutung ihrer Kirche überzeugt hat sich die Gemeinde schließlich an den sicherlich kostspieligeren Weg34 des Wiederaufbaus gemacht.
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Abb. 4: Innenansicht des Kröger-Baues Den Auflagen des Magistrats entsprechend35 wurde zunächst einmal das Gelände zur Sicherung der Passanten eingezäunt, der Kirchturm eingerüstet und die schadhaften Fensterstürze entfernt. In einem weiteren Schritt wurden sodann der Turm instand gesetzt und schließlich das Umfassungsmauerwerk und ein einfacher Dachstuhl neu errichtet. Den weiteren Wiederaufbau leitete Hinnerk Scheper. Dabei wurde die äußere Gestalt der Kirche gegenüber Schinkels Plänen leicht verändert. In einer Reduzierung auf eine klare, großflächige Formgebung erhielt sie statt der hohen Spitze einen zeltdachförmigen Turm. Auch wurden die Attiken der vier Kreuzarme und des Turmes nicht wiederhergestellt. Mit dem heute nicht mehr vorfindbaren warmgelben Putz der Mauern knüpfte man bewußt an barocke Farbgebungen an. Damit sollte an den Vorgängerbau erinnert werden, der von Schinkel erneuert worden war. Im Gegensatz zum gleich zweifachen Anknüpfen an die Tradition beim Außenbau wurde das Innere, von aller Schinkelschen „Zusatzarchitektur" befreit, ganz im Sinne von Leitgedanken der 50er Jahre gestaltet.36 Mit der Beseitigung der Trennwände aus dem Ostflügel wurde die Gliederung des Äußeren auch innen klar erlebbar. Ohne weiteren architektonischen Zierrat ausgestattet, bildeten die von Ludwig Peter Kowalski entworfenen Fenster und das Kruzifix von Gerhard Schreiter den einzigen Schmuck in dem sonst kahlen, nüchternen Raum. Trotz der Unterstützung durch eine öffentliche Sammlung haben diese Maßnahmen offensichtlich die Mittel der Gemeinde weitgehend erschöpft.37 Damit ist auch der Hauptgrund für die Entscheidung gegen einen Wiederaufbau der Lützower Kirche benannt. Auch hat der einstmals mit großem Engagement verteidigte Kröger-Bau der Gemeinde wohl nicht mehr besonders am Herzen gelegen. In keinem der verfügbaren GKR-Protokolle oder Briefe der Gemeinde an das Konsistorium hat sie sich jemals zum Wert dieses Gotteshauses geäußert. Anscheinend haben dessen ehemalige „aufwandvolle" und „leblose" Formen38 dem gewandelten Verständnis von der Funktion und Bedeutung einer Pfarrkirche in der Nachkriegszeit nicht mehr entsprochen. 47
Bemerkenswert ist ferner, daß die Gemeinde lange Zeit auf die Abtretung Lützows/AltLietzows von der Luisengemeinde drängte.39 Um die Lützower Kirche sollte eine eigene und damit auch finanziell selbständige Gemeinde gebildet werden; eine alte Idee des Konsistoriums, die bekanntlich aufgrund der Historizität der Bindung des Lützower Gemeindeteils mit der Luisengemeinde seinerzeit rigoros abgelehnt worden war. Die Gemeinde wollte also in jedem Fall den Kirchenstandort auf dem alten Lützower Dorfanger erhalten, sie wollte und konnte zum damaligen Zeitpunkt jedoch nicht die finanziellen Belastungen eines Wiederaufbaus bzw. Neubaus der Kirche tragen, den eine Beibehaltung des Lützower Gemeindeteils mit sich gebracht hätte. Das Insistieren auf den evangelischen Kirchenstandort Alt-Lietzow war letztlich kirchenpolitisch begründet. Die Gemeinde fürchtete, daß die katholische Kirche sich um die Lützower Kirchenruine bemühen könnte, zumal die der Lützower Kirche benachbarte Pfarrkirche Herz Jesu unter starkem Raummangel litt. Die Luisengemeinde sah in Charlottenburg „einen Schwerpunkt der katholischen Aktion" und war bestrebt, „der intensiven Arbeit der Katholischen Kirche ein Gegengewicht entgegenzusetzen". Ein Argument übrigens, daß auch beim Neubau des Gemeindehauses am heutigen Gierkeplatz 1932/33 eine Rolle gespielt hatte.40 Im Falle der Lützower Kirche war der Kirchenrat der Luisengemeinde der Meinung, daß „zur Wahrnehmung der evangelischen Anliegen . . . alles daran gesetzt werden muß, die Ruine der Lietzowkirche für unsere Gottesdienste zu erhalten und wieder benutzbar zu machen.41 Der schließlich doch bei der Luisengemeinde verbleibende Lützower Gemeindeteil erhielt mit der in klaren kubischen Formen gehaltenen Gesamtanlage der Kirche Alt-Lietzow einen Neubau, der in der engen räumlichen Verbindung von Kirche und Gemeindehaus eine Intensivierung des Gemeindelebens ermöglicht. Damit und mit der im wesentlichen dem Klassizismus angepaßten Wiederherstellung der äußeren Gestalt der Luisenkirche hat die Gemeinde letztlich einen interessanten Kompromiß zwischen Traditionsbewußtsein und Aufgeschlossenheit für die Moderne erzielt.
Exkurs: historische Grabdenkmäler Nicht mit allen sich in ihrem Besitz befindenden historischen Monumenten ist die Gemeinde so traditionsbewußt und auf den Erhalt bedacht umgegangen wie mit der repräsentativen Luisenkirche. Fast zur gleichen Zeit nämlich, als sie sich hartnäckig für den Wiederaufbau dieses Gotteshauses einsetzte, hat sie sich wertvoller Denkmäler entledigt, die ihr mit alten, vor der Lützower Kirche aufgestellten Grabdenkmälern geblieben waren. Die Grabdenkmäler der Henriette Lehr und der Ernestine Caspari, die 1816 und 1814 aufgestellt bzw. gefertigt worden waren und damit zu den ältesten erhaltenen Grabmonumenten Charlottenburgs gehörten, hatte immerhin Gottfried Schadow entworfen bzw. in seiner Werkstatt herstellen lassen.42 Ohne zu zögern, überließ die Gemeinde die beiden stärker beschädigten Gedenksteine der Meisterschule des deutschen Handwerks.43 Und trotz der Vorliebe für die Kunst des Klassizismus, wie sie die Gemeinde im Fall der Wiederherstellung ihrer Kirche bewiesen hat, ließ sie nach 1945 auch die beiden anderen oben genannten offensichtlich in Unkenntnis ihres Werts abräumen.44 Dabei hätte sich die Gemeinde leicht von der Bedeutung dieser Grabmale überzeugen können, hätte sie dafür das gleiche historische Interesse aufgebracht wie für ihre Kirche. Immerhin waren sie u. a. im „Alt-Berliner Grabmal" von 1917 mit Abbildungen und Umzeichnungen publiziert45, so daß damit deren Alter und Herkunft bekannt waren. - Erst in jüngster Zeit zeichnet sich ein Wandel in der Haltung gegenüber den kunst- und kulturhisto48
Abb. 5: Die Ruine der Luisenkirche
risch bedeutenden Grabdenkmälern ab. Nachdem bis in die 70er Jahre hinein wertvolle Grabdokumente abgeräumt oder gedankenlos zu Wirtschaftsanlagen umfunktioniert worden sind, wurde mit der Unterstützung von Inventarisierungsmaßnahmen eine Grundlage für weitere denkmalpflegerische Maßnahmen geschaffen. Zum jüngsten Umbau Die 1987 abgeschlossene Umgestaltung des Innenraums der Luisenkirche belegt wiederum, wie unterschiedlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg und heute „fortschrittliche" Geistes- und Kunsthaltung verstanden wird.46 Mit diesem Umbau hat man nicht nur eine Verbesserung der Licht- und Akustikverhältnisse angestrebt und für den Einbau einer Fußbodenheizung gesorgt. Mit Elementen wie der vorgezogenen Altarwand, den modernisierten korinthischen Kapitellen, den Rundleuchtern und dem hellen Farbanstrich, die allesamt am Entwurf Schinkels ausgerichtet sind, hat man offensichtlich versucht, ein religiöses Erleben und Meditation fördernde Atmosphäre zu schaffen.47 Daß man sich dabei ganz wesentlich auf die Tradition bezog, scheint ein nicht uninteressanter Kommentar zur Kunst unserer Tage.
Bilanz Zusammenfassend sind drei Beobachtungen festzuhalten: 1. Einzelne Entscheidungen der Luisengemeinde im Umgang mit ihren Denkmälern unterliegen zweifelsohne gewissen „zeitgeistlichen" Strömungen. 49
- Der Abriß der Lützower Kirche stellte an sich keineswegs einen ungewöhnlichen Vorgang dar. Schon längst waren Berlin und das mit ihm zusammengewachsene Charlottenburg dabei, ihre alten Gesichter zu verlieren und sich mit wilhelminischer Architektur zu überfrachten. Als Berliner Beispiel aus dem kirchlichen Bereich mag der Dom stehen, der nach dem Abriß des Schinkelschen Baus als überdimensionaler historischer Kuppelbau in den Jahren 1894 bis 1905 errichtet worden war. „Man wollte Berlins .unaufhaltsamen Aufstieg zur Weltstadt', auf den man ja so stolz war, nicht behindern; man betrachtete es als selbstverständlich, daß ,das Neue immer das Übergewicht über das Alte haben' müsse."48 Damit beschreibt Günther Kühne den Motor der gewalt(tät)igen Stadtstrukturveränderungen im wilhelminischen Berlin. Zu vermuten ist, daß im Fall der Lützower Kirche sowohl das „ästhetische" als auch das „pragmatische" Argument mehr taktisch als zwingend gewesen waren. Hinter diesen Argumenten ist, folgt man der Einschätzung eines Zeitgenossen, wohl der Ehrgeiz eines einzelnen anzunehmen.49 Es mag aber auch ein kirchliches Repräsentationsverständnis eine Rolle gespielt haben, das sich letztlich gegen die Denkmalpflege durchsetzte. - Das Abräumen und Zerstören von kunst- und kulturhistorisch wertvollen Grabdenkmälern in der Nachkriegszeit ist ein in der jüngeren Vergangenheit allgemein zu konstatierendes Übel, dem in Berlin erst in der 70er Jahren vornehmlich durch das Engagement und die Forschungen von Professor Bloch (Skulpturengalerie) und seinen Mitarbeitern sowie durch die Arbeit der AG Historische Friedhöfe begegnet worden ist. - Als zeitgemäß können auch der Neubau der Lützower Kirche sowie die Innenraumgestaltung der Luisenkirche in der Nachkriegszeit eingestuft werden. „Die . . . Wiederherstellung der Luisenkirche . . . hält sich bei dem völlig neu geschaffenen Inneren an die schlichte, zurückhaltend kühle Formensprache der Kirchenbauten unserer Tage", befinden Paul Ortwin Rave und Irmgard Wirth in ihrem 1961 veröffentlichten Inventar der „Kunst- und Baudenkmäler Charlottenburgs".50 - Ebenso ist die aktuelle historisierende Umgestaltung nicht isoliert zu sehen von gegenwärtigen städtebaulichen Tendenzen. 2. Man wird der Gemeinde bzw. den an den Vorgängen Beteiligten jedoch nicht gerecht, will man die einzelnen Vorgänge und Entscheidungen vollständig jeweils herrschenden Zeitströmungen unterordnen. - Im Fall der alten Lützower Kirche überrascht die intensive Denkmalpflegediskussion, die Sensibilität und das Engagement für den historischen Bau bei Fachleuten und innerhalb der Charlottenburger Bevölkerung. - Mit dem Wiederaufbau der Luisenkirche in der Nachkriegszeit zeigt die Gemeinde historisches Bewußtsein und setzt die Wiedererrichtung des Schinkelschen Äußeren gegen den anfänglichen Willen des Landeskonservators und der städtischen Baubehörden durch. 3. Der Wert „historische Tradition" als Motiv für einzelne Entscheidungen der Gemeinde scheint auf den ersten Blick beliebig verwendet worden zu sein. Der alten Lützower Kirche wurde 1907/08 ein solcher historischer Wert abgesprochen. Gleichzeitig wurde das historische Argument bemüht, indem das Fortbestehen der Bindung Lützows mit der Luisengemeinde dem Konsistorium als Grundlage für die Entscheidung für einen Neubau mit eigenen finanziellen Mitteln genannt wurde. In der Nachkriegszeit war die Gemeinde nun einerseits durchaus bereit, das nunmehr über „200 Jahre miteinander verknüpfte Band" zwischen Luisen und Lützow zu zerschneiden, andererseits führt sie historische Argumente für den Wiederaufbau der Luisenkirche ins Feld. Deutet man dies dahingehend, daß die Gemeinde immer dann historisch argumentierte, wenn 50
Abb. 6: Die Ruine der Lützower Kirche
es der eigenen Zielsetzung diente, würde sich die vordergründige Beliebigkeit auflösen. Zu erkennen ist aber vielmehr auch, daß die Luisenkirche weit mehr als die Lützower Kirche zum Identifikationsobjekt der Gemeinde geworden ist. Die Geschichte der Luisenkirche ist das Substrat der Gemeindegeschichte, was sich u. a. auch darin zeigt, daß die Jubiläumsfeiern der Vergangenheit (1916, 1966) sich an dem Datum der Einweihung der Parochial- und späteren Luisenkirche orientieren (1716) und nicht an dem der Konstitutierung als selbständige kirchliche Gemeinde (1708). Anmerkungen Wir danken der Evangelischen Luisengemeinde (Herrn Pfarrer Kunkel) und dem Evangelischen Zentralarchiv (Frau Stephani), die uns freundlicherweise die Einsichtnahme in das Quellenmaterial ermöglichten. Vgl. Charlottenburg ist wirklich eine Stadt. Aus den unveröffentlichten Chroniken des Johann Gottfried Dressel (1751-1824), hrsg. v. H. Hülsbergen, Berlin 1987, S. 68 ff. Gundlach, W., Geschichte der Stadt Charlottenburg, Bd. 1, Berlin 1905, S. 11, 60 ff., 458 ff. Kraatz, W., Geschichte der Luisengemeinde zu Charlottenburg, Charlottenburg 1916, S. 7 ff., 31 ff., 121 ff., 231 ff., 51
Rave, P. O./Wirth I., Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Bezirk Charlottenburg, Bd. 1, Berlin 1961, S. 48 ff., 58 ff. 2. Kohte, J., Die Lützower Kirche in Charlottenburg, in: Die Denkmalpflege, 20 (1918), S. 30. 3. Börsch-Supan, E., Berliner Baukunst nach Schinkel 1840-1870, München 1977, S. 165. 4. Vgl. Erbe, M., Von der Kleinstadt zur Großstadt. Zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte Charlottenburgs zwischen 1880 und 1920, in: Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 292. 5. Mitteilung Oberpfarrer Riemanns vom 17.9.1907, in: Evang. Zentralarchiv (EZA), Konsistorium Rep.14/4258 a. 6. EZA, Konsistorium Rep. 14/4258 a. 7. Riemann, Erinnerungsblätter und -bilder aus dem Leben der Luisengemeinde in Charlottenburg: Eine Auswahl von Predigten und Reden, Berlin 1916, S. 67 f. 8. Schultze-Naumburg, P., Kulturarbeiten. Städtebau, Bd. 4, München 21909, S. 145; Riemann führt die Arbeit Schultze-Naumburgs in einem Aufsatz an, der im Zentralblatt der Bauverwaltung (1907) erschienen, auszugsweise aber auch in der Vossischen Zeitung vom 17.10.1907 abgedruckt worden ist. 9. Voss. Zeitung vom 17.10.1907. 10. Vgl. Antrag der kirchl. Körperschaften der Luisengemeinde vom 17.9.1907, in: EZA, Konsistorium Rep. 14/4258 a. 11. EZA, Konsistorium Rep. 14/4258 a, und Archiv Tiefbauamt Charlottenburg, „Lützower Platz", Bd. II. 12. Das Verdienst J. Kohtes, eines Dozenten an der Charlottenburger TH, liegt vor allem in der Inventarisierung der „Wohnhäuser von kunstgeschichtlichem Wert in Berlin und Vororten", in: Zeitschrift für Bauwesen (1923). 13. Vgl. Schreiben Lutschs vom 18.4.1908 in: EZA, Konsistorium Rep.4258a, sowie Mitt. des Magistrats, in: Archiv Tiefbauamt Charlottenburg, „Lützower Platz", Bd. II. 14. Kraatz, a. a. O., S. 232. 15. Vgl. Artikel in der Vossischen Zeitung vom 4.10.1907 und 17.10.1907. 16. March, W. (Hg.), Otto March 1845-1912, Tübingen 1972, S. 24. 17. Gutachten Marchs vom 29. 5.1908, in: EZA, Evang. Oberkirchenrat (EOK) Rep. 7/V 10II, Bl. 182 f. 18. Vgl. Langmaack, G., Evangelischer Kirchenbau im 19. und 20. Jahrhundert, Kassel 1971, S. 32. 19. EZA, Konsistorium Rep. 14/4258 a. 20. Börsch-Supan, a.a.O., S.215. 21. Schreiben des Geh. Zivilkabinetts des Kaisers vom 31.10.1908, in: EZA, EOK Rep. 7/V 10II, Bl. 184. 22. Die Wettbewerbsentwürfe befinden sich im Archiv der Luisengemeinde. 23. Gutachten vom 24.6.1909, in: EZA, Konsistorium Rep. 14/4258a. 24. Mitt. J. Kohtes vom 10.11.1909, in: EZA, EOK Rep. 7/V 10II. 25. Schreiben des Geh. Zivilkabinetts des Kaisers vom 13. 8.1909, in: EZA, EOK Rep. 7/V 10 II. 26. Vgl. auch für das folgende den Bericht des Pfarrers Stahn vom 6.4.1943, in: Archiv der Luisengemeinde (AL), Rep. 511 a/3 a. 27. Mitt. des Baupolizeiamtes Charlottenburg vom 26.4.1950 und Stellungnahme des Kirchl. Bauamtes vom 24.5.1950, in: AL, Rep. 511 a/3 a. 28. Mitt. des Kirchl. Bauamtes vom 2.9.1950, in: AL, Rep. 511 b / 3 . 29. Ebd. 30. Mitt. des Baupolizeiamtes Charlottenburg vom 26.4.1950, in: AL, Rep. 511 a/3 a, und Memorandum des GKR vom 4.4.1951, in: AL, Protokollbuch des GKR von 1951. 31. Memorandum des GKR, ebd. 32. Siehe auch Stellungnahme des GKR vom 22.4.1950, in: AL, Rep. 511 a/3a. 33. Brief des GKR vom 4.7.1950, in: AL, Rep. 511a/3a. 34. So jedenfalls die Meinung von Professor Scheper und Dr. Kühn. Siehe Bericht des GKR vom 22.4.1950, in: AL, Rep. 511 a/3a. 35. Mitt. des Magistrats von Berlin vom 11. 7.1950, in: AL, Rep. 511 a/3a. 36. Hoffmann-Tauschwitz, M., Alte Kirchen in Berlin, Berlin 1986, S. 215. 37. Schreiben des GKR vom 23.12.1950, in: AL, Rep. 511 b / 3 . 38. Rave/Wirth, a. a. O., S. 52. 39. Bericht des GKR vom 10.9.1951, in: AL, Rep. 511 b / 3 , 40. Bericht des GKR betr. Neubau eines Pfarr- und Gemeindehauses vom 22.1.1932, in: AL, Rep. 511/1 a.
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41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50.
Bericht des GKR vom 10.9.1951, in: AL, Rep. 511b/3. Rave/Wirth, a. a. O., S. 55 f. Siehe Aktennotiz vom 6.11.1942, in: AL, Rep. 1102. So jedenfalls Rave/Wirth, a. a. O., S. 56. Das Alt-Berliner Grabmal 1750-1850. 100 Aufnahmen und Vermessungen von W. Schütz. Kunstgeschichtlich eingeleitet von H. Mackowsky, Berlin 1917, S. 169 ff. Siehe auch Hoffmann-Tauschwitz, a. a. O., S. 216. Storck, H., Warum wurde die Luisenkirche umgebaut?, in: Kirchliche Nachrichten der evangelischen Gemeinden in Berlin-Charlottenburg, 1/1988, S. 5. Kühne, G., Über das gebrochene Verhältnis der Berliner zur Pflege ihrer Baudenkmäler, in: Der Bär von Berlin (1987), S. 139. Kraatz, a. a. O., S.232f. Rave/Wirth, a. a. O., S. 64.
Abbildungsnachweis Titelbild: Rellstab: Charlottenburg, Aufnahme der Landesbildstelle Berlin. Abb. 1: Heimat-Archiv, Bezirksamt Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100,1000 Berlin 10. Abb. 2: Heimat-Archiv, Bezirksamt Charlottenburg, Aufnahme der Landesbildstelle Berlin. Abb. 3: Heimat-Archiv, Bezirksamt Charlottenburg. Ansichtskarte. Abb. 4: Heimat-Archiv, Bezirksamt Charlottenburg. Abb. 5: Heimat-Archiv, Bezirksamt Charlottenburg. Abb. 6: Archiv der Luisen-Gemeinde. Aufnahme Kultur und Wirtschaft, Tempelhof. Anschrift der Verfasser: Birgit Jochens, Sömmeringstraße 42,1000 Berlin 10 Herbert May, Neufertstraße 12,1000 Berlin 19
Martin Stritte - Spandauer Bezirksbürgermeister und erster Vorsitzender der Berliner Liberalen nach 1945 Anläßlich seines 25. Todestages Von Karl-Heinz Bannasch Als sich am 21. September vor 40 Jahren die 17 Delegierten der Berliner Liberalen im Gebäude der ehemaligen Bayerischen Hypothekenbank in der Taubenstraße, nahe dem alten Berliner Zeitungsviertel in dem heute zum Ostteil der Stadt gehörenden Bezirk-Mitte, trafen, wählten sie den Charlottenburger Bezirksvorsitzenden Martin Stritte zum ersten Landesvorsitzenden der Liberalen. Die Berliner Liberale Partei war damit gegründet.1 Bereits Ende des Jahres 1945 zählte man an die 3500 Mitglieder. Ihre Zahl wuchs in den nächsten Jahren noch ständig. 53
Der Aufruf der neu gegründeten Partei wandte sich insbesondere an die ehemaligen Mitglieder und Sympathisanten der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), der Deutschen Volkspartei (DVP), der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der Wirtschaftspartei. Ihren Standort bestimmte sie „rechts von der SPD". Als einen typischen Repräsentanten dieser Konstellation erschien den Berliner Liberalen offensichtlich Martin Stritte. Er wurde am 6. November 18772 in Brandenburg an der Havel geboren, studierte in Berlin und Freiburg Jura und wurde 1921 als damals Parteiloser von den Bezirksverordneten der DVP, der DDP, des Zentrums und der DNVP zum Bezirksbürgermeister von Spandau gewählt.3 Stritte selbst hat von allen diesen Parteien wohl der DVP am nächsten gestanden. Die DVP war die Partei Gustav Stresemanns, eine Partei, die aus der Nationalliberalen Partei des Kaiserreiches hervorgegangen ist. Die DVP trat für eine „starke, festgefügte Staatsgewalt", eine unabhängige und auf Recht und Gerechtigkeit begründete Rechtspflege, für die Freiheit der Presse, den Schutz der freien Berufe und insgesamt dafür ein, Deutschland als einen nach innen freien und nach außen starken Staat wieder aufzubauen. Stritte blieb bis Juli 1933, kurz nach Ablauf seiner Amtszeit, im Amt.4 In die Zeit seiner städtischen Bezirksregierung fielen wichtige Entscheidungen zur Entwicklung und Integration des neugebildeten Stadtbezirkes. 1920 war Groß-Berlin entstanden, in dem acht bis dahin unabhängige Städte sowie 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke aufgingen. Groß-Berlin war damals das bedeutendste städtische Industriezentrum Deutschlands - eine Funktion, die beide Teile der Stadt in Gesamtdeutschland bis heute beibehalten haben. Spandau wurde in Strittes Amtszeit konsequenterweise zum Industriebezirk ausgebaut. Es entstand neben den bestehenden Deutschen Werken und Siemens-Halske das Osram-Glühbirnen-Werk und das Groß-Kraftwerk West. Es trägt heute den Namen Ernst Reuters. Auch der Wohnungsbau schritt in der Amtszeit Strittes voran, wurden im Jahre 1920 nur etwa 400 Bauaufträge genehmigt, so waren es 1929 bereits um die 3500 „Bauscheine".5 Über Spandau und sogar über Berlin hinaus wurde Stritte bekannt, als er den damals spektakulären „Sklarek-Skandal" aufdeckte.6 Die Gebrüder Sklarek hatten, wie sich im September 1929 herausstellte, die Stadt um 12 Millionen Reichsmark „erleichtert", indem sie als Inhaber einer großen Bekleidungsfirma Beamte und Kommunalpolitiker bestochen hatten, um dann Rechnungen zu fälschen und minderwertige Ware sich von der Stadt abnehmen zu lassen. Beamte und Wahlträger sämtlicher Parteien waren hieran beteiligt. Selbst Mandatsträger der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) konnten ihren Ehefrauen den Wunsch nicht versagen, sich im neuen Pelzmantel zu zeigen. Sklarek lieferte sie frei Haus. Während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur stand Stritte der Hauptprüfungsstelle des Magistrats7, heute als Rechnungshof bekannt, vor. Politische Entscheidungen hatte er nicht mehr zu fällen. Stritte hielt aber in dieser Zeit Kontakt zu Leuten, die ihr Amt auch nicht mehr ausüben durften. Dazu gehörte der in Wilmersdorf ansässige ehemalige Oberbürgermeister von Dresden, Wilhelm Külz8, der später Mitbegründer der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) und für einige Jahre ihr Vorsitzender wurde. Külz, schon in der Weimarer Republik zwei Jahre lang Reichsinnenminister, wurde nach 1945 eine der prägendsten Gestalten des deutschen Nachkriegsliberalismus. Zusammen mit Reichsminister a. D. Waldemar Koch, dem ersten Vorsitzenden der GesamtLPD, dürften sich Külz und Stritte in der Külzschen Wohnung, Pfalzburger Straße 82, Wilmersdorf, getroffen haben.9 Es ging ihnen um die Frage, was man nach dem erwarteten Zusammenbruch für „Deutschlands Wiedergeburt" (Külz) leisten dürfe und müsse. Es gab in Berlin auch einen mehr oder weniger illegalen Stammtisch ehemaliger Bürgermeister, an dem sich über die Frage nach Deutschlands Zukunft Gedanken gemacht wurden. Spätestens im 54
Spandau.
Ratha,
Spandauer Rathaus um 1920, Strittes Dienstwohnung von 1921 bis 1933. Der Eingang zur Wohnung ist noch heute zugemauert am Stabholzgarten 5 zu sehen (Bildarchiv des Verfassers).
Sitzung des LDP-Zonenvorstandes in Berlin am 13. Februar 1946, einen Tag vor der Ablösung Strittes: Martin Stritte (2. von links), Dr. Wilhelm Külz (4. von rechts) (Bildarchiv dpa). 55
Februar 1945 wurde zwischen Külz und Stritte über die Neugründung einer bürgerlichen Partei gesprochen. Konkrete Gestalt nahmen die Pläne erst im Juni 1945 an, nachdem am 10. Juni 1945 die Sowjets die Neuzulassung von politischen Parteien veranlaßt hatten.10 Zunächst wurde die Kommunistische Partei, dann die Sozialdemokratische Partei und kurz danach die Christlich-Demokratische Union gegründet. Pläne, statt der CDU eine „Demokratische Union" als eine einheitliche Demokratische Partei zu gründen - eine Idee, der Külz und Stritte anhingen - , waren mit der Beimessung des Christlichen gescheitert. Erst am 5. Juli 1945, nachdem die anvisierte „Demokratische Partei" jetzt das Beiwort „Liberal" bekam und die Sowjets sie unter dem Namen LDP lizensiert hatten 1 ', ging die neue Partei an die Öffentlichkeit. Man wollte, ähnlich der Partei Stresemanns, für ein nach innen freies und nach außen starkes, aber friedliches Deutschland wirken, das eine starke Zentralgewalt, gestützt auf ein funktionstüchtiges Berufsbeamtentum, haben sollte. Die Liberalen setzten sich auch für die Wiederzulassung von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften ein. Ihr zentrales Motto war jedoch der Stresemannsche Gedanke, daß Deutschland weder zum Westen noch zum Osten, sondern nichts weiter als seinen Osten und seinen Westen unter einem Dach vereinen wolle. Daß dazu ein gutes Verhältnis zu den Siegermächten gehören würde, war für den ersten Berliner Landesvorsitzenden selbstverständlich. Bald, nachdem Stritte den Landesvorsitz in Berlin übernommen hatte, regte sich Berliner Widerspruch in Külz und damit auch in Stritte. Der beginnende Kalte Krieg zwischen den Siegermächten und die unterschiedliche Politik in den vier Sektoren Berlins warf auch lange Schatten auf die Berliner Partei. Einige, unter der Führung des späteren Landesvorsitzenden Carl-Hubert Schwennicke, verlangten ein deutlicheres Entgegentreten der sowjetischen Besatzungspolitik und eine stärkere Anlehnung an die Politik der westlichen Besatzungsmächte. Auf Initiative von Schwennicke wurde am 14. Februar 1946 eine Probeabstimmung im Vorstand mit der Frage durchgeführt12, ob Stritte, der hinter der Politik von Wilhelm Külz stand, weiterhin das Vertrauen des Landesvorstandes genießen würde. Die Mehrheit sprach sich gegen Stritte aus. Stritte zog die Konsequenzen und trat als Landesvorsitzender zurück. Er blieb aber Vorsitzender des LPD-Zonenausschusses für Kommunalpolitik (zu dem ihn der Zonenvorstand berufen hatte).13 Interimsvorsitzender wurde der bisherige Stritte-Stellvertreter Fritz Hausberg.14 Er war Bezirksvorsitzender der LPD im Wedding. Im Juli 1946 übernahm schließlich Schwennicke die Führung des Landesverbandes und steuerte, mit den westlichen Besatzungsmächten im Rücken, einen deutlichen Konfrontationskurs zu der Ausgleichspolitik, um die sich Külz auch gegenüber den Sowjets bemühte. Zum Bruch zwischen dem Berliner Landesverband und dem Gesamtverband in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone kam es 1948.15 Külz, der bis dahin der LDP-Fraktion im Berliner Stadtparlament angehörte und in der Frage, mit wem der Posten des Polizeipräsidenten besetzt werden sollte, anders als seine Parteifreunde votierte, wurde daraufhin von der Landesdelegiertenversammlung der LDP aufgefordert, sein Stadtverordnetenmandat niederzulegen.16 Auf Antrag von Wilmersdorf-Nord wurde Külz schließlich aus der Berliner Partei ausgeschlossen. Im Gegenzug wurde dem Berliner LDP-Verband der Charakter eines Landesverbandes der Gesamtpartei aberkannt und eine Arbeitsgemeinschaft der LDP gebildet.17 Ging aus dem einen der spätere Bezirksverband Ost-Berlin der LDP hervor, wurde aus dem alten Landesverband der Liberalen unter Schwennicke der Landesverband der Berliner FDP. Der Fall Martin Stritte war damit auf seine Art ein Vorzeichen der Teilung der Liberalen und der Teilung Berlins. Stritte starb am 8. Juni 196318, die Berliner Liberalen hatten ihn längst verdrängt. 56
Martin Stritte als Spandauer Bezirksbürgermeister in der Weimarer Republik (Bildarchiv des Verfassers)
Anmerkungen 1. Berlin, Quellen und Dokumente 1945-1951, 1. Halbband, Seite 987, Hrsg. Senat von Berlin, Berlin (West) 1964. Archiv des deutschen Liberalismus (AdL), Gummersbach. 2. Protokoll des Gespräches zwischen dem Verfasser und dem Schwiegersohn Strittes, Dr. Knobloch, Bernburg/Saale, am 10.6.1985 und am 19.8.1985. 3. Spandauer Zeitung vom 28.4.1921. 4. Spandauer Zeitung vom 22.7.1933. 5. Spandau, Vom Werden Spandaus in Vergangenheit und Zukunft, Einleitung Bürgermeister Stritte, Berlin 1931. 6. Landgericht Berlin I, Vernehmungsprotokolle, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 58, Acc 61, Bd. 3. Diverse Zeitungsberichte über diesen Skandal, so Vossische Zeitung vom 27/28.9.1929, Spandauer Zeitung vom 22.7.1933. 7. Gespräch mit Dr. Knobloch: a.a. O. Spandauer Volksblatt vom 11.6.1963 - Nachruf auf Stritte. 8. Protokoll des Gespräches zwischen dem Verfasser und dem früheren Landesvorsitzenden der L D P / FDP Berlin, Dr. Carl-Hubert Schwennicke, am 20.7.1985. 57
Gespräch mit Dr. Knobloch: a. a. O. Vgl. LDP-Aufnahmeantrag Strittes vom 23.7.1945; dort ein Vermerk, daß Stritte von Dr. Koch eingeführt worden ist, AdL, Akten 7394. Armin Behrendt: Wilhelm Külz, Aus dem Leben eines Suchenden, Hrsg. Buchverlag der Morgen, Berlin (Ost) 1968. Berlin, Quellen ...: a. a. O., Seite 1007. Der Morgen vom 20. 2.1946. Gespräch mit Dr. Schwennicke: a.a.O. AdL, Akten 7394. Der Morgen vom 20.2.1946. Nachlaß Fritz Hausberg: Privatarchiv des Verfassers. AdL, Akten 6762, 7698. Ebd. Flugblatt der LDP-Arbeitsgemeinschaft 1948: Privatarchiv des Verfassers. Spandauer Volksblatt vom 9.7.1963. Gespräch mit Dr. Knobloch: a.a. O. Die Grabstätte Strittes befindet sich auf dem Bürgermeisterfeld des Spandauer Friedhofes „In den Kisseln", Pionierstraße 82, 1000 Berlin 20. Anschrift des Verfassers: Karl-Heinz Bannasch, Hasenmark 22, 1000 Berlin 20
Heinrich Seidel: Das neue Empfangsgebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin Von Karl-Robert Schütze Der nachstehende Text aus dem Nachlaß von Heinrich Seidel wird in dieser vollständigen Form hier wahrscheinlich erstmals veröffentlicht; es ist auch nicht gelungen, den gekürzten Beitrag gedruckt nachzuweisen. Das Manuskript (Zugangsnummer 69.6590) befindet sich in den von Ina Seidel (1885-1974) dem Deutschen Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum in Marbach übergebenen Nachlässen ihres Schwiegervaters Heinrich Seidel (1842-1906) und ihres Gatten Heinrich Wolfgang Seidel (1876-1945). Bei der Suche nach unbekanntem Material für die Ausstellung „750 Jahre Architektur und Städtebau in Berlin" hat mich Dr. Peter-Paul Schneider auf diesen Text aufmerksam gemacht, der im Deutschen Literaturarchiv bereits für die eigene Ausstellung „Literatur in einer industrialisierten Welt" vorgesehen war. Ich danke Herrn Dr. Schneider für die Unterstützung und dem Deutschen Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Textes. Das Manuskript für einen Zeitschriftenbeitrag ist von Heinrich Seidel nicht namentlich gezeichnet, nach Auskunft des Archivs handelt es sich aber eindeutig um seine Handschrift. Die Aufschrift auf dem Umschlag stammt von seinem Sohn, sie gibt außerdem noch einen Literaturhinweis (Friedrich Hasse, Der Ingenieur Heinrich Seidel und sein Werk, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 55, 1938, S. 97-107), für den ein direkter Zusammenhang allerdings nicht zu erkennen ist. 58
Der Text ist stark korrigiert und gekürzt, wahrscheinlich in zwei oder mehr Arbeitsgängen, es sind geradlinige und wellenförmige Streichungen deutlich zu unterscheiden. Die Textstreichungen, die keine Neufassungen oder stilistische Änderungen betreffen, habe ich aufgelöst, sie sind ohne weitere Unterscheidung kursiv gesetzt. Außerdem enthält der Text ein langes Zitat aus dem Aufsatz von K. E. O. Fritsch: Das neue Empfangs-Gebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin, der in drei Teilen in der Deutschen Bauzeitung (13, 1879, S. 11-14, 21-23, 41/42, Zitat von S. 11/12) erschienen ist. Auch wenn der Text keine neuen Informationen enthält, so ist er doch geeignet, zum Jubiläumsjahr 1987 einen Blick auf ein überragendes Bauwerk zu werfen, das wie so viele andere ein Opfer der Berliner Abrißwut geworden ist. Das nach Einstellung des Eisenbahnverkehrs durch die Reichsbahn im Jahre 1952 trotz internationaler Proteste 1959/60 freigeräumte Gelände wurde in diesem Jahr erstmals für eine der Jubiläumsausstellungen wirklich genutzt, ob sich daraus oder aus den vielen Vorschlägen der IBA eine dauerhafte Lösung entwickelt, ist noch nicht zu erkennen. Noch ist nicht ganz aus der Erinnerung verschwunden, daß Heinrich Seidel, der Vater von „Leberecht Hühnchen", vor seiner schriftstellerischen Karriere als Ingenieur tätig war, aber es ist an der Zeit, erneut daran zu erinnern. Das ist außerordentlich schwer, denn es fehlen nicht nur die von ihm bearbeiteten Planungsunterlagen zum Anhalter Bahnhof, sondern überhaupt fast alle technischen, konstruktiven Arbeiten von seiner Hand. Bisher konnten auch die von ihm selbst aufgenommenen Fotografien, mit denen er den Baufortschritt festgehalten hat, nicht aufgefunden werden. Trotz des umfangreichen erzählerischen Werkes findet sich dieser Teil seines Lebens nur selten dargestellt. Eine wichtige Ausnahme bildet die Schilderung „Ein Tag aus dem Büroleben" (Heinrich Seidel, Erzählungen und Gedichte, Berlin 19673, S. 127/128), in der es heißt: „Nach einer Eisenbahnfahrt von 18 Minuten [von Groß-Lichterfelde] kann man nun aber aus dem Veilchen-, Flieder-, Rosen- oder Levkojenduft dieses Gartenidylls mitten in dem brausenden Berlin sein, und da ich sehr oft des Abends, wenn die Sonne sinkt, und ,es dem Guten gegonnen ist', diese Gelegenheit benutze, so gewährt es mir dabei ein besonderes Vergnügen, daß bei dieser Fahrt der Zug nur über Brücken geht, die von mir konstruiert worden sind, und daß, wenn ich in die mächtige Halle einfahre, alles Eisen, das man sieht, von dem riesigen Dache bis zu den nicht minder stattlichen Fenstern sowie den unterirdischen Gepäckaufzügen einmal, sozusagen, durch meinen Kopf gegangen ist, und daß in dem ganzen Gewirr von Stangen, Platten und Sprossen und dergleichen kein Teilchen ist, dem nicht einst von mir der Platz angewiesen worden wäre. So ist denn jede solche Fahrt für mich eine Erinnerung an meinen vormaligen Ingenieurstand, und zugleich erfüllt mich immer wieder die Freude, etwas vorzeigen zu können, daran ich beweisen kann, daß ich nicht wegen verfehlten Berufes unter die Schriftsteller gegangen bin." Der Stolz, der aus diesen Worten spricht, ist auch in dem hier abgedruckten Text zu finden, vielleicht am stärksten in der Feststellung, daß nur der zu enge „Geldbeutel" noch die ins Riesenhafte zu steigernden, baukastenartigen Metallkonstruktionen aufhalten könne. Der den modernsten Techniken gegenüber aufgeschlossene, sie sogar aktiv fördernde Konstrukteur wurde „nebenbei" so bekannt als Schriftsteller, daß er seinen Hauptberuf nach der Fertigstellung des Anhalter Bahnhofs aufgeben konnte. Er war und blieb dabei der humorvolle Schilderer einer kleinbürgerlich-betulichen Welt, die technische Errungenschaften nutzt, wenn sie erschwinglich geworden sind, und sie dann als selbstverständlich ansieht, aber nicht zu gebrauchen scheint. Bei diesen unvereinbar erscheinenden Widersprüchen in seiner Arbeit, mit [ ] eckige Klammern = Zusätze des Herausgebers 59
diesem „Doppelleben" gehört auch Heinrich Seidel selbst zu dieser heilen, von etwas kauzigen Persönlichkeiten bewohnten Welt, die er beschrieben hat und der er seinen schriftstellerischen Erfolg verdankte.
[Heinrich Seidel] Das neue Empfangsgebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin In einer Hinsicht hat die moderne Baukunst die ältere bei Weitem überholt und zwar in der Fähigkeit große Weiten und mächtige Räume ohne Zwischenstützen zu überspannen. Riesige Massen zu bewegen und aufzuthürmen verstanden schon die Aegypter, ihnen stand eine billige Menschenkraft in Gestalt von Sklaven und Frohnarbeitern zur Verfügung und sie brachten durch die massenhafte Menge der kleinen vereinigten Handkräfte dasselbe zu Stande, was wir heute bei ungleich kostbarerem Menschenmaterial durch die Riesenkraft einer dampfgetriebenen Maschine leisten. So thürmte man in Aegypten die ungeheuren Pyramiden und die muthigen Colossaltempel auf unter Anwendung der primitivsten Mittel zum Heben und Fortschaffen der riesigen Steinlasten. Unzählige muthige Bauwerke sind später bei den Römern und im Mittelalter entstanden und erfüllen uns heute durch ihre mehr oder weniger erhaltenen Ueberreste mit Bewunderung und Staunen, allein allen diesen Bauten ist etwas gemein, und zwar die verhältnismäßig geringe durch alleinige Anwendung von Stein und Holz bedingte Breite der überspannten Räume oder Spannweite der Öffnungen. Erst die Herrschaft der Dampfmaschine und die dadurch hervorgebrachte Massenfabrication des Eisens hat es möglich gemacht diese Schranke zu überspringen und die Gränze auf das Staunenswertheste zu erweitern. Der mächtigste ohne Zwischenstützen überspannte Raum der Welt ist augenblicklich die EmpfangsfhalleJ St. Pancras Station in London mit einer lichten Weite von 71 m allein hier liegt noch keineswegs die Gränze der Möglichkeit. Würde sichfür irgend einen Zweck heute als nützlich herausstellen, eine Halle von 200 m Breite zu haben, so würde dies nach dem heutigen Stande der Eisenindustrie und des Ingenieurfaches keine unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten und lediglich eine Frage des Geldbeutels sein. Zu diesen Bemerkungen veranlaßt mich das augenblicklich in Berlin seiner Vollendung entgegengehende neue Empfangsgebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn, ein riesenhaftes Bauwerk, das auf dem Kontinent nicht seines Gleichen hat und was von zwei englischen Bahnhofshallen in Hinsicht auf die Breite, nicht auf die Höhe übertroffen wird. In Bezug auf die künstlerische Bewältigung dieser großen Bau-Aufgabe jedoch, dies darf man wohl schon jetzt aussprechen, wird dieser Bahnhof wahrscheinlich den ersten Rang einnehmen und einstweilen die beste Lösung einer der größten architektonischen Aufgaben der Neuzeit sein. Der bekannte bauwissenschaftliche Schriftsteller und Redacteur der „Deutschen Bauzeitung" K. E. O. Fritsch spricht sich in seinem Blatte folgender Maassen darüber aus: „Es gewährt uns eine aufrichtige Freude, über ein Werk dieser Art und dieses Ranges berichten zu können, das wir mit ungetrübter Anerkennung begrüßen dürfen. Im harmonischen Zusammenwirken eines hochbegabten Architekten, der sich mit feurigem Eifer in die ihm gestellte, bedeutsame Aufgabe vertieft und derselben mehre Jahre rastloser Arbeit gewidmet hat, mit den einsichtsvollen Technikern der Bahn-Direktion, welche die Rücksichten der Nutzbarkeit und Oekonomie nach Gebühr zu vertreten, gleichzeitig aber auch auf die künstlerischen Gedanken ihres Architekten einzugehen wussten, ist eine Leistung zu Stande gekom60
men, die hoch über den meisten Lösungen derselben Aufgabe steht, die wir kennengelernt haben. Von jenem Kompromiss zwischen Monumental- und Nützlichkeits-Bau, an dem selbst die aufwandsvollsten Bahnhofs-Anlagen der Neuzeit fast durchweg noch kränkeln und kranken, tritt hier wenig zur Erscheinung. Der Bau, über den ein endgültiges Urtheil freilich erst nach seiner völligen Fertigstellung gefällt werden kann, wird voraussichtlich nicht nur allen aus der Situation und dem Betrieb hervor gehenden Ansprüchen in bester Weise genügen, sondern er wird auch als ein klarer und einheitlicher Organismus seine Bestimmung würdig und charakteristisch verkörpern und unter den Monumental-Bauten der deutschen Hauptstadt vermöge seines absoluthen Kunstwerths einen ehrenvollen Platz behaupten. Und wie er schon jetzt - zunächst wohl seiner ungewöhnlichen Dimension wegen - das Aufsehen des Publikums erregt und eine gewisse Popularität sich erworben hat, so darf erwartet werden, dass er auf die Gestaltung späterer Bahnhofsbauten nützlichen Einfluß ausüben wird - als Beispiel einer guten Lösung, wie als Muster für den Weg, auf dem eine solche Lösung erzielt werden kann." Die ziemlich genau 100 m breite Fronte des Gebäudes ist am askanischen Platze gelegen und zeigt einen zweigeschossigen Vorbau, in dessen Mitte das Eingangsvestibul mit einer geräumigen Droschkenunterfahrt wirkungsvoll zum Ausdruck kommt. Hinter diesem Vorbau erhebt sich in muthigem von Fensteröffnungen durchbrochenem Bogen der vordere Abschluß der Empfangshalle und bringt so die Bestimmung des Gebäudes in schlagender Weise zum Ausdruck. Tritt man in das geräumige schön ausgestattete und durch Oberlicht erhellte Vestibül, so befinden sich zur Linken sechs Billetschalter, zur Rechten die Gepäckexpedition. Geradezu führt durch eine mächtige Bogenöffnung eine breite Treppe zu den 4,6 m über [Straßenniveau] gelegenen Hallenfußboden empor und man gewinnt durch ein großes Fenster einen imposanten Einblick in dieselbe. Auf halber Höhe theilt sich diese Treppe nach rechts und links und führt in einen quer vor die große Halle gelegten Corridor von gewaltigen Dimensionen, der den Zugang in sämmtliche für das Publikum bestimmte Räume, Wartesäle etc. vermittelt. Aus diesem Corridor münden eine große Anzahl von Thüren auf den Kopfperron, von welchem vier Seiten- resp. Mittelperrons sich wie die Zähne eines Kammes auf die Halle erstrecken. Zwischen diesen Perrons liegen drei Gruppen von je zwei Gleisen, von denen viere für das abfahrende und zwei für das ankommende Publikum bestimmt sind. Eine Neuerung ist, daß je zwei Gleise jedesmal zwischen sich einen Ladeperron erhalten haben, welcher nur für die Beförderung des Passagiergepäcks bestimmt ist. Das Gepäck wird auf Karren unterirdisch dorthin befördert, zwischen den Gleisen durch hydraulische Aufzüge empor gehoben und kommt mit den für das Publikum bestimmten Perrons garnicht in Berührung, so daß der von andern Bahnhöfen bekannte gewöhnlich schon von einem Stoß in's Genick begleitete Ruf „Vorgesehn!" hier nicht gehört werden wird. Durch diese Platz raubende aber praktische und bequeme Anordnung wird auch die große Breite der Halle, welche im Lichten 60 m beträgt erklärt: Zum Vergleiche möge es den in Berlin bekannten Lesern dienen, daß keine der neuen großen Berliner Bahnhofs-Hallen über 38 m Lichtweite besitzt, daß man z. B. den ganzen Berliner Bahnhof der Berlin Potsdam Magdeburger Eisenbahn mit seinen Nebengebäuden in diese Halle hineinsetzen kann und über denselben immer noch reichlich Raum für ein einstöckiges Wohnhaus verbliebe. Die Beleuchtung geschieht durch große hochgelegene Seitenfenster von etwa 7 m Breite und 8 m Höhe und durch einzelne im Scheitel des Daches eingebrachte Oberlichter von verhältnismäßig geringen Dimensionen. Der Dachstuhl wird gebildet durch eine eiserne Fachwerksbogenconstruction mit Stahlzugstange undjeder dieser einzelnen Dachträger oder sogenannten Binder ist zusammengesetzt aus zwei mit einander verbundenen Halbbindern, welche an den Seiten Consolen tragen, wodurch die ganze 61
Breite eines solchen Binders auf 7 m gebracht wird und es ermöglicht wird die Zwischenräume zwischen den einzelnen Doppelbindern durch Holzbalken zu überspannen. Die Abbildung auf Seite ... giebt ein deutliches Bild dieser Construction. Sehr bemerkenswerth und durchaus neu war die Aufstellung des eisernen Dachstuhls der Halle. Je zwei der großen eisernen Doppelbogenträger, deren im Ganzen 11 vorhanden sind wurden auf einem feststehenden Gerüst am Ende der Halle zusammengebaut und nach ihrer Vollendung vermittelst eiserner Wagen auf Geleisen entlang, die auf der Krone der Hallenseitenwände lagen an den Ort ihrer Bestimmung gefahren. Die auf diese Weise jedes Mal fortbewegte Last betrug etwa 1600 Centner. Diese Art der Aufstellung erregte in Fachkreisen großes Aufsehen und sämtliche technische Körperschaften Vereine und Hochschulen sowie fast alle in Berlin anwesenden Autoritäten sowohl des Architecten- als des Ingenieurfaches, waren nach einander bei den verschiedenen Ueberschiebungen zugegen. Unsere Abbildung zeigt den Hintertheil nebst dem für die Ein- und Ausfahrt der Eisenbahnzüge bestimmte Abschluß der Halle und giebt eine Vorstellung von der Großartigkeit der ganzen Anlage. Als Baumaterial für die Faqaden wurden Terrakotten und Verblendsteine der Greppiner Werke von schöner gelber Farbe und zum Theil Sandstein verwendet. Die Eisenconstruction des Hallendaches lieferte die Gutehoffnungshütte in Sterkrade. Die technische Oberleitung über diesen Bau hatten der technische Director, Mitglied der Berlin Anhalter Bahn, Herr Geh. Ob. Rath a. D. Siegert und der Ober-Ingenieur der Gesellschaft, Rath Wiedenfeld. Entworfen wurde das Gebäude von dem Baumeister Franz Schwechten, einem geborenen Kölner, unter dessen künstlerischer Oberleitung derselbe auch zur Ausführung gelangt. Das eiserne Hallendach ward auf den unter der Leitung des Herrn Baumeister Lantzendörffer stehenden technischen Bureau der Bahn von dem Ingenieur Seidel berechnet und construirt. Von demselben stammen auch die Entwürfe für die hydraulischen Aufzüge. Die technische und geschäftliche Leitung der Bauausführung war dem Baumeister Zillich übertragen. Anschrift des Verfassers: Dr. Karl-Robert Schütze, Bruno-Bauer-Straße 20 a, 1000 Berlin 44
Nachrichten Zur Erforschung und Propagierung der Heimatgeschichte in Ost-Berlin Am 4. Februar 1988 ist unter dem Vorsitz des Stadtrats für Kultur Dr. Christian Hartenhauer eine ehrenamtlich wirkende Arbeitsgruppe zur Erforschung und Propagierung der Regional- und Heimatgeschichte vom Magistrat der Stadt Berlin (Ost) berufen worden. Sie setzt sich aus 37 Persönlichkeiten von wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED, der Humboldt-Universität, dem Museum für Deutsche Geschichte, dem Stadtarchiv, dem Märkischen Museum sowie von heimatgeschichtlichen und Traditionskabinetten zusammen. Aufgabe der Mitglieder ist es, sich der, wie es heißt, Ausarbeitung der Erbekonzeption für Berlin und der Profilierung heimatgeschichtlicher Kabinette anzunehmen. Die Arbeitsgruppe soll dazu beitragen, die BerlinGeschichte weiter aufzubereiten sowie deren Propagierung kontinuierlich fortzuführen. Im ersten Quartal 1988 zeigte das Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität in der Invalidenstraße 43 eine Ausstellung unter dem Titel „Die alten Berliner - Skelettfunde sagen aus". Die Funde stammen aus der sogenannten vorstädtischen Zeit (1180 bis 1230) bzw. aus der Barockzeit (1630 bis 1707). SchB. 62
Aus dem Mitgliederkreis Professor Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm 80 Jahre Eine Reihe von Jahren verbringt unser Ehrenvorsitzender Professor Dr. med. Dr. med. dent. Walter Hoffmann-Axthelm nun schon an seinem Ruhesitz in Freiburg im Breisgau, wobei der Ausdruck „Ruhe" wohl einer Einschränkung bedarf, wenn man Temperament und Schaffensfreude unseres Geburtstagskindes kennt. Vor 80 Jahren wurde er arn 29. April 1908 in Berlin-Friedenau geboren, war als praktischer Zahnarzt in Perleberg, als Kieferchirurg und Facharzt in Berlin und Hamburg sowie schließlich als Medizinhistoriker an der Freien Universität Berlin tätig. Im Hinblick auf den Verein für die Geschichte Berlins mag für ihn gelten: aus den Augen, nicht aus dem Sinn! Denn das Jahrzwölft seines Regiments an der Spitze des Vereins hat Spuren hinterlassen, die seinem Wirken als Redakteur der „Mitteilungen" und Mitherausgeber des Jahrbuchs, als Autor, als Interessenvertreter und Speerspitze des Vereins zu verdanken sind. Man soll aber auch nicht gering achten, wie er die Herzen der Mitglieder zu bewegen und ihre Sinne zu bannen wußte. Unser verstorbenes Mitglied Kurt Ihlenfeld hat einmal geschrieben: „Altern heißt auch: bestimmte Fragen nicht mehr stellen, ferner auf bestimmte Fragen keine Antwort mehr erwarten, endlich bestimmte Antworten nicht mehr in Frage stellen." Immer noch literarisch tätig und von Terminen umstellt, mag Professor Hoffmann-Axthelm diesen Worten aus „Stadtmitte" ihre Berechtigung nicht absprechen. Mit vier Kindern und inzwischen einer Schar von Enkeln gesegnet, in einem Großteil seines Lebens auch lehrend tätig gewesen, wird er in nun schon vorgeschrittenen Lebensjahren Cicero beipflichten können, der die rhetorische Frage stellt: Quid est jucundius senectute stipata studiis juventutis? (Was ist angenehmer, als im Alter von interessierten jungen Leuten umgeben zu sein?). Da gibt es höchstens noch die Steigerung, eine höchst liebenswerte Gattin zur Seite zu haben: auch Frau Dr. Irmgard HoffmannAxthelm gilt unser Geburtstagsgruß zur Vollendung ihres 75. Lebensjahres! H. G. Schultze-Berndt
Hans Schiller verstorben Am 8. Januar hatte Hans Schiller, schon von Krankheit gezeichnet, sein 83. Lebensjahr vollenden können. Am 23. Januar 1988 ist er verstorben. So lange es seine körperlichen Kräfte erlaubten (sein Geist blieb bis zuletzt hellwach und verriet den gewitzten Berliner), versah er in der Bibliothek allwöchentlich wie seit 1966 seinen Dienst als Sachbearbeiter für den Tauschverkehr und als Korrespondent. War er oben als Berliner apostrophiert worden, so würde er hier Einspruch eingelegt haben. Denn auf drei Dinge legte er besonderen Wert: Zum ersten, daß er in Schöneberg geboren wurde, zum anderen, daß er seit 1923 Inhaber eines vom Dampfkesselrevisionsverein Berlin-Charlottenburg ausgestellten Führerscheins war (und bis zu seinem schweren Sturz fuhr er unermüdlich seinen VW-Käfer), zum dritten schließlich, daß er ein Gegner des nationalsozialistischen Regimes war; folgerichtig ist er 1938 nach Argentinien ausgewandert, wo der gelernte Speditionskaufmann ein Vierteljahrhundert lang ein eigenes Transportgeschäft betrieb. 1965 kehrte er nach Berlin zurück. Früh schon war Hans Schiller mit dem Verein für die Geschichte Berlins in Berührung gekommen, hatte 1918 als Dreizehnjähriger dessen Bibliothek im Deutschen Dom besucht und als fünfzehnjähriger Schüler die Verkehrsangaben für den Pharus-Plan für Berlin und seine Vororte redigiert. Bei Fragen des Berliner Verkehrs lag auch der Schwerpunkt seiner historischen Interessen, kenntnisreich und mit einer an Akribie grenzenden preußischen Gründlichkeit schrieb er seine Beiträge und Rezensionen für unsere „Mitteilungen" wie für andere Periodika. Am 8. Juli 1987 verlieh ihm der Vorstand die nur selten vergebene „Fidicin-Medaille für Förderung der Vereinszwecke" in Silber. Damit dankte ihm der Verein „für sein jahrelanges aufopferungsvolles und umsichtiges Wirken in der Bibliothek und würdigt(e) seine Treue und Anhänglichkeit". Er war der getreue Eckehart unserer Bibliothek, der sich im Pflichtgefühl von niemand übertreffen lassen mochte. Wir sind traurig, daß er von uns Abschied genommen hat. Hans Schillers exemplarisches Leben gibt uns zu denken und zu danken. H. G. Schultze-Berndt
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Ein preußischer Tod Ein guter preußischer Beamter, so wollen es die Kenner wissen, erfülle täglich seine Pflicht, ohne je zu fehlen oder zu klagen, trete mit der Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand und sterbe binnen eines Jahres, um dem Vaterland die Pension zu ersparen! Peter Lorenz, langjähriges Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, war kein Beamter. Aber als er kurz vor Vollendung seines 65. Lebensjahres im letzten Dezember starb, da erinnerte mancher sich an seine preußischen Tugenden: offen, gerade, zuverlässig, bescheiden, wahrhaftig und liebenswürdig. Auf Peter Lorenz schien Moltkes Sentenz zu passen: Viel leisten, wenig hervortreten, mehr sein als scheinen. Peter Lorenz war kein Blender, es fehlte ihm, was die Politiker haben sollten, Charisma. Aber als er fühlte, seine Partei braucht, um den Gipfel zu stürmen, einen neuen Mann an der Spitze, war er es selbst, der den Wechsel einleitete, ohne selbst nach dem Lohn zu fragen. Peter Lorenz war Berliner mit Herz, Verstand und „Schnauze". Seine Art wird ihm in den schweren Tagen seiner Entführung geholfen haben. Ich empfand den persönlichen Umgang als sehr angenehm: von welchem „politischen" Freund kann man das schon sagen? Mit Peter Lorenz verbinden mich viele Erinnerungen: die Vorbereitung auf das Staatsexamen, die gemeinsame Teilnahme an der mündlichen Prüfung, die Arbeit in der Geschäftsführung der „Heinzelmännchen", der gemeinsame Besuch am Potsdamer Platz am 17. Juni 1953, der gleichzeitige Vorsitz in damals gegnerischen Parteien ... Was bleibt, ist die Trauer um und die Erinnerung an einen Freund, den Berlin verloren hat. Hermann Oxfort
Aus dem Vereinsleben Wichtige Mitteilungen Wegen Umzugs der Bibliothek, voraussichtlich Mitte 1988, bitten wir alle Interessenten, die ihre Mitteilungen der Jahrgänge 1983 bis 1987 einbinden lassen wollen, ihre Hefte bis spätestens Ende April in der Bibliothek des Vereins, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, geöffnet mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr, abzugeben. /. Köhler Auf der Hauptversammlung 1987 war die Erhöhung des Jahresbeitrages auf 60 DM beschlossen worden. Leider ist das von vielen Mitgliedern nicht beachtet worden. Deshalb bittet der Vorstand darum, dieser infolge der ständig steigenden allgemeinen Kosten notwendig gewordenen Maßnahme Verständnis entgegenzubringen. Es wäre schön, wenn die Damen und Herren, die den Jahresbeitrag für 1988 in der früheren Höhe überwiesen haben, den Differenzbetrag nachzahlen könnten.
Studienfahrt n a c h D e t m o l d v o m 9. bis 11. September 1988 Vorläufiges Programm: Freitag, 9. September 1988 6.00 Uhr: Abfahrt 12.30 Uhr: Eintreffen in den Hotels 13.15 Uhr: Gemeinsames Mittagessen (6 DM) in der Kantine der Bundesforschungsanstalt für Getreide- und Kartoffelverarbeitung, anschließend Besichtigung der Bundesforschungsanstalt. Führung: Wissenschaftlicher Direktor und Professor Dr.-Ing. Peter Gerstenkorn 16.30 Uhr: Kleiner Stadtbummel zum Schloß (Dauer des Besuchs ca. 45 min), weiter Stadtrundgang unter Stadt- und landesgeschichtlichen Aspekten, bei den Hotels endend. Führung: Dr. Friedrich Hohenschwert 19.00 Uhr: Fahrt zum gemeinsamen Abendessen im „Kohlpott" in Detmold-Pivitsheide 64
Sonnabend, 10. September 1988 Fortsetzung des Stadtrundgangs 8.30 Uhr: Besuch des Lippischen Landesmuseums, kurzer Rundgang durch Teilbereiche. 9.30 Uhr: Führung: Dr. Friedrich Hohenschwert Fahrt vom Theaterplatz zum Westfälischen Freilichtmuseum 10.30 Uhr: mit Rundgang und Führung 13.00 Uhr: Gemeinsames Mittagessen 14.30 Uhr: Fahrt zur Greifvogelwarte Berlebeck mit Vortrag des Leiters der Adlerwarte Laue Freiflugvorführungen mit abgerichteten Adlem, Geiern und Falken 15.00 Uhr: Gemeinsame Kaffeetafel im Hotel zur Forelle, Berlebeck 16.00 Uhr: 17.00 Uhr: Fahrt zur Grotenburg, kleiner Hünenring und zum Hermannsdenkmal 18.30 Uhr: Gemeinsames Abendessen. Wenn an diesem Abend ein (Kirchen-)Konzert stattfindet, kann eine Programmänderung vorgenommen werden. Sonntag, 11. September 1988 9.30 Uhr: Landschafts- und kulturkundlicher Ausflug. Führung: Dr. Friedrich Hohenschwert 12.30 Uhr: Gemeinsames Mittagessen im Burgkeller des Burghotels Blomberg anschließend: Aufbruch zur Heimfahrt Änderungen vorbehalten In Heft 3/1988 der „Mitteilungen" werden die noch ausstehenden Einzelheiten zum Programm dieser wieder nur dreitägigen Exkursion veröffentlicht. Unverbindliche Anmeldungen können jetzt bereits an den Schriftführer Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291, gerichtet werden. Der Termin für eine verbindliche Zusage wird in der folgenden Veröffentlichung bekanntgegeben. Eine hinreichende Zahl von Quartieren (auch Einzelzimmern) ist in den beiden Detmolder Hotels „Lippischer H o f und „Detmolder H o f reserviert worden. H. G. Schultze-Berndt
Studienfahrt nach Trier Die traditionelle Exkursion 1987 führte vom 11. bis 14. September nach Trier; der weiten Anreise wegen war diese Studienfahrt um einen Tag verlängert worden. Auf dem Hinweg wurde nach gewohnt frühem Aufbruch bei gutem Wetter eine angenehme Mittagspause im Oelder Brauhaus eingelegt, der sich ein Besuch der Oelder Privat-Brauerei Pott-Feldmann anschloß. Der junge Brauherr Dipl .-Braumeister Rainer Pott-Feldmann ließ es sich nicht nehmen, die Gäste selbst durch seine aufstrebende mittelständische Braustätte zu führen. Für die Unterbringung standen die Hotels Blesiusgarten bzw. Neils Park zur Verfügung, beide an der Peripherie der Moselstadt Trier gelegen, beide in ihrer Eigenart aber ein Labsal für die Reisenden. Am Sonnabend, 12. September 1987, war der Stadtrundgang dank der herzerfrischenden Art der an Informationen schier übersprudelnden Führerin Frau Marga Müller-Möller ein Erlebnis, das allein schon den Weg nach Trier lohnte. Einem freundlichen Empfang im Rathaus der Stadt Trier, gegeben vom Beigeordneten Reinhard Heinemann, dem Baudezernenten der Stadt, folgten Ausführungen zur Denkmalpflege in Trier, für die sich der Städtische Denkmalpfleger Helmut Lutz einige der zahlreichen Objekte ausgewählt hatte. Das gemeinsame Mittagessen wurde auf der Löwenbrauerei Trier eingenommen. Nachdem Frau M. Müller-Möller auch noch die Führung durch den Dom übernommen hatte, trennten sich die Gruppen je nach Interesse: eine Minderzahl besichtigte das Karl-Marx-Haus, das wenig Ausstrahlung verspüren ließ, die Mehrheit entschloß sich zu einem Besuch der Schatzkammer der Stadtbibliothek. In den „Mitteilungen" Nr. 1/1988 hat Frau Dr. Christiane Knop als Mitreisende ausführlich davon berichtet, welche kostbaren Bücher und Dokumente Dr. Günther Franz, Direktor der Stadtbibliothek und des Stadtarchivs Trier, den Gästen präsentieren konnte. Albert Oberbillig-Schieben führte schließlich den Spaziergang über den sonnigen Weinlehrpfad Olewig an und machte fachmännische Ausführungen zu der Weinprobe in seinem Weingut Deutschherrenhof. Am Sonntag wartete Frau Dipl.-Ing. Marie Luise Niewodniczanska an der Strecke auf den Berliner Omnibus, um in einer so informativen wie munteren Weise im Rahmen einer kleinen Rundfahrt durch die 65
Südeifel den Berlinern vorzuführen, wie es im Kreise Bitburg-Prüm mit der Denkmalpflege im ländlichen Raum und mit der Erhaltung und Erneuerung von Dörfern bestellt ist. Bei einem großartigen Mittagsmahl in der Burgschenke der Burg Rittersdorf gab sie dann die Leitung an Dipl.-Geologen Karl-Heinz Koppen ab, der die Gruppe auf einer geologischen Exkursion in die Vulkan-Eifel und zu den Eifelmaaren mit aufschlußreichen Daten aus der Vulkanologie und Hydrogeologie bekannt machte. Die Rückfahrt am Montag führte über ein landschaftlich besonders attraktives Stück der Moselberge nach Bernkastel-Kues, wo sich die Gäste im Geburtshaus des Kirchenfürsten, Theologen, Philosophen und Universalgelehrten Nikolaus von Kues in dessen Leben und Wirken einführen ließen. Im St.-NikolausHospital (Cusanusstift) stieß dann Dr. Helmut Gestrich, Landrat des Kreises Wittlich-Bernkastel, zu den Besuchern aus Berlin und vertiefte als Vorsitzender der Cusanus-Gesellschaft den Eindruck, den die Mitglieder von diesem großen Neuerer gewonnen hatten. Auch der weitere Heimweg muß glatt verlaufen sein - der Chronist kann hierüber nur von Hörensagen berichten, da er eine Dienstreise an den Niederrhein antreten mußte. Der Dank gilt wie immer nicht nur den so liebenswürdigen wie disziplinierten Mitreisenden, sondern allen so besonders aufgeschlossenen Gastgebern, die hier genannt worden sind, vor allem aber auch dem stellvertretenden Leiter des Verkehrsamts Trier, Günter Jacoby, bei dem die Fäden der Vorbereitung zusammengelaufen waren. H. G. Schultze-Berndt
Buchbesprechungen Aus der Schriftenreihe des „Heimatvereins für den Bezirk Zehlendorf e.V." liegt die Nummer 5/87 der Zehlendorfer Chronik vor. Betitelt ist sie: „Der historische Winkel." Teil I: Das Zehlendorfer Schulhaus von 1828; Teil II: Die Zehlendorfer Dorfkirche von 1768. Benno Carus geht in seinem Beitrag zur Zehlendorfer Ortsgeschichte in einem sehr detaillierten und reich bebilderten Beitrag auf die Baugeschichte der Zehlendorfer Schule bis in unsere Zeit ein. Christfried Tschepe beschreibt nicht minder interessant die wechselvolle, über 200 Jahre alte Geschichte der Zehlendorfer Dorfkirche. Auch hier liegt ein reiches Bildmaterial vor. /. Köhler Wolfgang Rothe: Der Pflastertreter. Ein Bericht über Tabak, Bier und Hitler aus Berlins Arbeiterviertel Neukölln. Fotos Stefan Rothe. Verlag das Wunderhorn, Heidelberg 1985,184 Seiten, broschiert. Mehr als 40 Jahre, nachdem der Autor, gebürtiger Berliner des Jahrgangs 1929 und heute vielfältig tätiger Publizist und Literaturwissenschaftler, in den Jahren zwischen 1935 und 1943 die Straßen seines damaligen Wohnbezirks Neukölln durchschritten hatte (hier als „Berlins Arbeiterbezirk" gekennzeichnet), sucht der Schreiber seine alte Heimat auf. Er will seine früheren Schulwege nochmals abgehen, „das inzwischen gang und gäbe Pensum eines Literaten der Hitler- und Kriegsgeneration erledigen". Unterderhand gerät ihm dieser Spaziergang zu einer Abrechnung mit seinen Eltern, die, beide Arbeiterkinder, 1935 in eine neu errichtete Wohnsiedlung in Neukölln übergesiedelt waren (und auch das ist ja heute Literatenbrauch): „Nein, mit dieser neuen Mittelschicht war kein Staat zu machen, höchstens einer in Gang zu halten." Zutreffend bezeichnet W. Rothe seine Ausführungen als „heutige Reflexionen über sozialpathologische Züge jener Zeit", in der der Autor „nicht den Ordnungsfetischismus dieser Spießer (durchschaute), deren ständige Wohlverhaltensforderung Kinder auf die Dauer krank machen konnte". Ähnlich hart geht er mit der heutigen politischen und gesellschaftlichen Situation Berlins um, wenn er dem Leser die Wette anbietet, Neukölln würde im Jahre 2000 ein Slum sein: „Hier versucht man erst gar nicht, die durch Milliardenspritzen mühsam vor dem Exitus bewahrte Stadt kosmetisch herzurichten, mit Kultur zu parfümieren, hier stinkt die galvanisierte Leiche der einstigen Reichshauptstadt ungeniert vor sich hin..." Aus den nachprüfbaren Tatsachen ergibt sich der fast masochistische Charakter dieser Abrechnung mit seinen Eltern, „zwei Klassenverrätern", und dem Stadtviertel, in dem sie einst gelebt haben. Bei den stundenlangen Spaziergängen durch die heute „menschenleeren Straßenzüge seiner Jugend" kommen ihm dann auch Erinnerungen, die Patrick Süßkinds „Parfüm" alle Ehre gemacht hätten: „Die Mainzer Straße wurde früher von süßlichen Malzschwaden einer Brauerei überschwemmt, das stadtbekannte Berliner Kindl wurde hier produziert, der penetrante Gestank wälzte sich über die rostrote Ziegelmauer, war brechreizerregend und einschmeichelnd zugleich. Inzwischen ist die Geruchsfolter außer Betrieb oder abgerissen." Es soll sogar Leute geben, die den Geruch von Malz und Bierwürze der gottlob immer noch produzierenden Berliner Kindl Brauerei als einen Teil ihrer Lebensqualität ansehen! SchB. 66
Ruth Andreas-Friedrich: Schauplatz Berlin, Tagebuchaufzeichnungen 1945-1948. Mit einem Nachwort von Jörg Drews. Suhrkamp-Verlag 1984, 286 Seiten, Leinen, 27 DM. Nach dem großen Erfolg ihres ersten Buches „Der Schattenmann", Tagebuchaufzeichnungen von 1938-45, entschloß sich der Suhrkamp-Verlag, auch den zweiten Teil der Aufzeichnungen (vom 2. Mai 1945 bis zum 29. Dezember 1948) zu veröffentlichen. Aus den Schicksalsgenossen der „Clique Onkel Emil", die bedrohten Menschen während der Nazizeit half, wurden nach der Befreiung vom Hitlerterror wieder der Dirigent, der Schriftsteller, der Arzt, die Schauspielerin, Sekretärin und Redakteurin. Ruth AndreasFriedrich beschreibt, mit welch großen Hoffnungen sie an einen Neuanfang gingen, wie unendlich mühsam dieses Beginnen in dem zerstörten Berlin war und wie doch schon 1946 deutlich wurde: „Die strahlende Beschwingtheit von 1945, der Rausch, aus der Kraft unseres Glaubens einen neuen Aufschwung zu schaffen, ist einer flügellahmen Enttäuschung gewichen. Schon längst haben wir begriffen, daß es gar nicht mehr um uns, sondern um den Machtstreit zweier Weltanschauungen geht. Auf unserem Rücken wird er ausgetragen." Dazu kam die Resignation bei der Bevölkerung: Der Hunger und der Schwarzmarkt waren stärker als das Schuldbewußtsein. Die Angst vor der Gestapo wurde abgelöst von der Angst vor den Russen. Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED im April 1946 konnte auch nicht als Ermunterung betrachtet werden. Hinzu kam die Art der Entnazifizierung, die ganz schematisch und „ahnungslos" abgewickelt wurde. All das spielte sich ab vor dem Hintergrund: halbzerstörte Wohnung, mangelhafte Ernährung, kein Wasser, kein Strom, keine Kohlen. Die Tagebuchschreiberin verglich es mit den sieben Plagen, unter denen ehemals Ägypten stand: „Kaum hat die Plage Krieg sich abgewendet, so beginnt die Plage Vergewaltigung. Ihr folgt die Plage Flüchtlingsnot . . . die Plage Kälte ..." Auch im privaten Bereich der Ruth Andreas-Friedrich blieb es nicht bei der alten Solidargemeinschaft, man driftete auseinander. Ihr Freund, Leo Borchard, der erste Dirigent der Berliner Philharmoniker nach 1945, hielt ihr entgegen: „Es ist viel leichter gegen etwas solidarisch zu sein als für etwas." Sie hatten vorgehabt, Brücke zwischen den Mächten zu sein, aber sie wurden Brückenkopf und schließlich Fußmatte, „so sahen die Stationen unseres Abstiegs aus". Nach Währungsreform und Blockade zeichnete sich immer deutlicher die Trennung der beiden Machtblöcke ab, was in Berlin zu zwei Stadtparlamenten, zwei Polizeibehörden, zwei Stadtregierungen und zwei Universitäten führte. Nachdem ihre Arbeit in der Frauenzeitschrift „SIE" mangels Papierlieferungen eingestellt werden mußte, verließ sie im Dezember 1948 den „Schauplatz Berlin" und ging nach München. Beinahe prophetisch hatte sie unter dem 6. September 48 notiert: „Möglich, daß wir ab morgen zwei Stadtregierungen und eine chinesische Mauer mit Wehrgang und Wachttürmen längs der Sektorengrenze haben. Vielleicht braucht man dann ein Auslandsvisum, um von Charlottenburg nach den Linden zu fahren." Irmtraut Köhler Heinz Knobloch: „Berliner Grabsteine". Das Arsenal, Verlag für Kultur und Politik, Berlin 1987,238 Seiten. Auf seinen entdeckungsreichen Kulturstreifzügen durch Ost- und West-Berlin, deren Ergebnisse er dann in stets interessanten und dabei nachdenklichen Büchern niederlegt, ist Heinz Knobloch neuerdings der Geschichte ausgewählter Grabmäler gefolgt. Seine stark jüdisch-historisch betonten Erzählungen, besonders der „Herr Moses in Berlin" (jetzt in einer neu gestalteten, gründlich durchgesehenen 2. Auflage im Verlag für Kultur und Politik, „Das Arsenal", Berlin 1987, erschienen), haben den Autor im Inland und Ausland weithin bekannt gemacht. Seine sehr persönlich gehaltenen Betrachtungen über „Berliner Grabsteine" (im gleichen Verlag, Berlin 1988) setzen die Reihe der erfolgreichen Knoblochschen Bücher fort. In diesem neuen stellt er die unterschiedlichsten Lebensgeschichten mit allem, was auch genealogisch dazugehört, zusammen, anschaulich erzählend und aufbauend auf präzisen Recherchen: eine Sammlung bunter historischer Miszellen. Der große Jüdische Friedhof in Weißensee, auf dem Knobloch Tage und Wochen zugebracht haben muß, bietet Stoff vor allem für solche Lebensberichte, die während der NS-Zeit nicht mehr in einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden durften. Er holt das jetzt nach, bewundernswert taktvoll, aber deutlich. Dafür einige Beispiele: Knobloch beschreibt die letzten Jahre des bekannten Professors für Theaterwissenschaft an der alten Berliner Universität, Max Herrmann, der 1944 in Theresienstadt umkam. Er erinnert an Herbert Baum (1912-1942) und seine Gruppe, mit derein Stück Berliner Widerstandsgeschichte verbunden ist. Baums Grab wurde 1949 auf dem Friedhof in Marzahn am Rande von Berlin gefunden, erst danach wurde er in Weißensee beigesetzt. Ein Gedenkstein für ihn, seine Frau Marianne und die 26 weiteren Angehörigen der Gruppe, die sämtlich hingerichtet worden waren, befindet sich in der Ehrenreihe. Und drittens zeichnet Knobloch den Lebensweg von „Noseph", dem Professor Jacques Joseph, 67
nach, der im ersten Drittel unseres Jahrhunderts durch bedeutende Gesichtsplastiken, speziell Nasenoperationen, bekannt wurde. Dieser verdiente Chirurg starb 1934,69 Jahre alt; 1933 war er, wie Knobloch zu berichten weiß, von den Nazis mißhandelt worden. Immer wieder wird gefragt, wo in Berlin sich die Gräber von Walther Rathenau und seiner nächsten Angehörigen befänden; denn auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee seien sie nicht auffindbar. Was schon bekannt war, bestätigt Knobloch jetzt definitiv. Er beschreibt im Detail das von Alfred Messel erbaute Rathenau-Mausoleum auf dem Städtischen Waldfriedhof in (Ost-)Berlin-Oberschöneweide: Der Innenraum wirke wie ein ungeheurer Steinsarg, meint Knobloch, in der Mitte eine unbenutzte Fläche, offenbar gedacht für weitere Familienmitglieder. Hier ruhen nur vier Rathenaus, nämlich Erich, Walthers frühverstorbener jüngerer Bruder, wie er selbst ein Ingenieur, sodann der Vater Emil, der Senior der Familie, ein bedeutender Techniker, der 1857 die AEG gründete, gefolgt von dem 1922 ermordeten Wirtschaftsorganisator und Politiker Walther und schließlich der Mutter, Mathilde, einer geborenen Nachmann aus Mainz. Gut vertraut mit Berlin-Mitte, beginnt Knobloch seine Wanderung in der Gegend zwischen der Großen Hamburger und der Rosenthaler Straße und bezieht gleich auch die Schönhauser Allee mit ein. Wie so oft in seinem Buch beschreibt er die Stimmung, die den Besucher auf diesen drei Friedhöfen einfängt. Ein Grab, so berichtet er, hob sich von allen Gräbern damals leuchtend ab - es war von einem Gitter umschlossen, mit Efeu bewachsen und auf dem Stein stand, oben in hebräischer Schrift, unten in goldenen deutschen Lettern: „Moses Mendelssohn, geb. zu Dessau den 6. September 1729, gest. zu Berlin den 4. Januar 1786". Das Grab, so schließt Knobloch, ist heute (mit einem anderen Stein versehen) das einzige auf diesem ältesten jüdischen Friedhof Berlins in der Großen Hamburger Straße. Bei Felix-Mendelssohn Bartholdy und seiner Familie, für die auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof am Halleschen Tor ein Ehrengrab besteht, erwähnt Knobloch den tschechischen Roman von Jifi Weil „Auf dem Dach ist Mendelssohn" (Prag 1960). Vom Dach des Prager Künstlerhauses Rudolfinum soll die Figur des Komponisten Mendelssohn verschwinden. Die mit der Ausführung des Auftrags betrauten Arbeiter, eingedenk der ihnen erteilten Rassenlehre, daß Juden an großen Nasen erkennbar seien, beseitigen Richard Wagner. Ihre Erklärung: „Die anderen haben ganz gewöhnliche Nasen." Nicht weit entfernt von Felix Mendelssohns Grabstätte, jedoch auf einem anderen Friedhof vor dem Halleschen Tor, befindet sich das Grabmal von Henriette Herz (1764-1847), in deren Salon, einst ein geistiger Mittelpunkt Berlins, auch die Mendelssohns verkehrten. Verwickelt klingt die Familiengeschichte des Hofjuweliers Jacob Salomon und seiner drei zum Christentum übergetretenen Töchter. Diese Geschichte führt auf den katholischen Begräbnisplatz an der Chausseestraße. Eine der Töchter, die spätere Marianne Saling (1786-1868), wurde wegen ihrer Anmut überall mit Entzücken aufgenommen, vor allem von ihrer Wiener Tante Fanny Arnstein und deren berühmtem Salon. Marianne hatte manche Liaison, blieb aber unverheiratet und betätigte sich auf katholisch-sozialem Gebiet. Zum Kreis ihrer Verehrer zählte auch der kurios-neugierige Karl-August Varnhagen von Ense - natürlich nach dem Tod seiner Frau Rahel, geb. Levin. Und so können wir Knobloch auch zum Städtischen Friedhof an der Heerstraße in Neu-Westend begleiten. Dort liegt auch Hans Ullstein (1859-1932) begraben, der älteste Sohn des Verlagsgründers, auf dem Gemälde der fünf Brüder von Willy Jäckel (1927 zum 50jährigen Bestehen des Hauses entstanden) ist er ganz links zu finden, der als schweigsam und öffentlichkeitsscheu geltende Jurist. Auf dem weiten, schön angelegten Gelände findet man auch Grabdenkmäler des politischen Publizisten Maximilian Harden, fünf Jahre vor Ullstein gestorben, und des Kunsthändlers Paul Cassirer aus dem Jahre 1926. Knobloch nennt auch den völlig vergessenen Literatur- und Kunstschriftsteller Julius Elias und zitiert dabei Zuckmayer, der einst von diesem als dem „Erzvater des Berliner Kunstlebens" sprach. Wer suchet, der findet, könnte man sagen, wenn man Knoblochs Buch aus der Hand legt, Man ist fast gleichermaßen beeindruckt von der oft eigenartigen stilistischen Darbietung des Stoffes wie von der Fülle des Materials. Nur den Titel des Werks - „Berliner Grabsteine" - empfindet man als zu bescheiden; denn Knobloch bietet mit seinem neuen Berlin-Buch weit mehr. Genau genommen bringt es vergessene Repräsentanten des Berliner öffentlichen Lebens gewissermaßen wieder zum Leben, und das will etwas heißen. Ernst G. Lowenthal Marion Klewitz: „Lehrersein im Dritten Reich. Analysen lebensgeschichtlicher Erzählungen zum beruflichen Selbstverständnis. Materialien." Juventa Verlag, Weinheim und München 1987, 295 Seiten, reichhaltiges Literatur- und Quellenverzeichnis. Der etwas umständlich formulierte Titel umfaßt entsprechend komplizierte Inhalte und greift ein brisantes, längst überfälliges Thema auf. Seit dem erörterten Geschehen sind zwei Generationen herangewach68
sen; die seither stark angewachsene Erinnerungsliteratur hat aber die historische Wirklichkeit auf diesem Feld eher verschwommen als geklärt erscheinen lassen. Vfn. betritt daher dieses dornige Gelände zögernd. Inzwischen hat die hermeneutische Wissenschaft der Oral History, der erinnernd erzählten Vergangenheit, die Kluft zwischen dem allgemeinen historischen Bewußtsein und lebensgeschichtlichem Verhalten einzelner Personen zu überbrücken versucht. Dies ist ein Ansatz unter anderen möglichen; sein Erfolg ist noch strittig, zumal das Ergebnis auch dieser Studie nicht als endgültig zu betrachten ist. Zunächst aber ist die Erforschung angestoßen. - Der jugendliche Frager bleibt in vielem ratlos; ob die betroffene Lehrerschaft im nachhinein zum erwünschten Selbstverständnis (s. Titel) gelangt ist, steht dahin, weil niemand die „Grauzonen der Erinnerung" gänzlich erhellen kann. In den beiden Fallstudien kommen unbelastete Lehrer zu Wort, die sich reinen Gewissens den Fragen stellen konnten, ja sogar als Widerstrebende gelten können. - Der Studie liegt die Befragung einer Anzahl von Lehrern durch junge Kollegen bzw. Studierende zugrunde, deren Aussagen kritisch beleuchtet werden sollen und an denen die nachgeborenen Fragenden historische Urteilsbildung lernen sollen; dies macht die Erörterung recht schwierig. Der zu diesem Zweck vorangestellte methodologische Teil, der über die Wahrheitsfindung bei so vielschichtigen Inhalten Auskunft geben soll, ist nur Insidern der Sozialforschung leicht verständlich, der gewöhnliche Leser tut sich schwer damit. Ein Beispiel unter sehr vielen mag dieses damit zeigen: „An diesem Verfahren besticht, daß die von einer Mehrzahl von Interpreten produzierten Kontextannahmen, die der Feinanalyse vorangehen, eine grundsätzliche Gefahr vermeiden helfen. Sie machen den Beteiligten die persönliche, perspektivische Wahrnehmung möglicherweise relevanter Kontextbedingungen bewußt zugänglich. Die kommunikative Feinanalyse sodann, in der die Kontextannahmen anhand des Textes gemeinsam auf plausible Strukturmerkmale hin überprüft werden, bildet eine zusätzliche Sicherung gegen Projektionen und trägt dazu bei, zwischen angegebenen und tatsächlichen Motiven der in einer Interaktion Handelnden unterscheiden zu können" (S. 31). Daher werden die meisten Leser ihre Lektüre bei der Wiedergabe der Befragung der damals Handelnden, ihrer Deutung und ihren Ergebnissen (im II. Teil) beginnen und den Eindruck gewinnen, der komplizierte wissenschaftliche Apparat der Sozialforschung bringe auch nicht mehr als die einfach neben die Berichte gesetzte Intentio obliqua, das kritische Querlesen gegen die Aussagen. - Aus einer Vielzahl von Berichten hat das Fragerteam zwei repräsentative, wenn auch nicht brisante Fälle herausgegriffen, die für eine erste Analyse tauglich sind, nämlich zur Erprobung, inwieweit man persönliche Lebensgeschichten gegen den zeitspezifischen historisch-politischen und geistigen Hintergrund stellen und daraus allgemeine Aussagen ablösen kann, d. h., wie Vfn. es formuliert, ob es sich in der objektiven Rückschau zeigt, inwieweit das historische Bewußtsein des Dritten Reiches das ganze innere Leben durchdrungen hatte. - Vfn. hat Berliner Lehrer befragt, hat Quellen hinzugezogen wie Berliner Schulbücher und Lehrpläne, Jahresberichte einzelner Schulen, Erlasse und Durchführungsverordnungen der Berliner Schulaufsicht, Vorlesungsverzeichnisse, akademische Zeitschriften, Verlautbarungen des NS-Studentenbundes und NSLehrervereins; sie beleuchtet u.a. das Feld der Geschichtswissenschaft und den Lehrbetrieb an der Berliner Universität zwischen 1933 und 1935. Es spielen so kritische Ereignisse wie der Fall Oncken, Papens Marburger Rede oder Wiecherts Rede an die Jugend, Röhm-Putsch und Bücherverbrennung hinein. Die Interviewer sind ehrlich bemüht, die Wertsetzungen von Kaiserreich und Weimarer Republik zu erfassen, und es muß zugegeben werden, daß sie die Akzente des Völkischen, Nationalen und Konservativen klar gegen ihre Pervertierung durch den Rechtsradikalismus abgrenzen. Beim Fall der Frau K., Lehrerin an einer Berliner Grundschule, hat das tradierte Berufs- und Beamtenethos der Weimarer Republik sie vor Nazifizierung bewahrt. Ihre Berichte über den Schulalltag, auch über das Jahr 1945 hinaus, sind farbig und treffend. Der andere Fall ist der eines jungen Mannes, der 1933 gerade sein Geschichtsstudium an der Friedrich-Wilhelms-Universität bei namhaften Professoren begann und sich, getragen von der elterlichen liberalen Tradition und durch wissenschaftlich kritischen Sinn, eine redliche Gesinnung bewahren konnte. Er konnte so weit „ausweichen" - dies die Formulierung der Vfn. - , daß er nach 1948 Autor der an den Gymnasien in Berlin (West), damals noch OWZ genannt, eingeführten Geschichtsbücher und Quellenhefte „Wege der Völker" werden konnte. - Beiden Fällen ist gemeinsam, daß Konflikte mit NS-Schule bzw. Parteiinstanzen und Schülerschaft ausblieben; unterschiedlich sind beide durch ihre damalige Lebenssituation: Die eine war eine Frau in mittleren Jahren, durch ihr Bildungsstreben so stark sich selbst genug, daß sie nicht auf Karriere und gesellschaftliche Geltung angewiesen war. Herr S. mußte als junger Mann in allgemein finanziell ziemlich aussichtsloser Lage nach der Weltwirtschaftskrise seinen Beruf ergreifen und konnte dies schließlich nicht ohne die damals schon gleichgeschalteten Berufs- und akademischen Organisationen tun.
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Doch die Fülle inhaltlichen und persönlichen Geschehens in 12 Jahren Schulalltag, von der Vfn. „Lebenswelt" genannt, wird gleichsam in ein Schema gepreßt. Die überaus mannigfache Abstufung, das oft stumme Einverständnis aller Betroffenen, die stets präsente Spannung, das augenblickliche Reagieren auf Fragen und Antworten, Prüfungsängste und Konfrontationen mit der HJ unter der Schülerschaft kommen weniger ins Wort. Dieses schwer Faßbare ließ jede Stunde und jede Persönlichkeit eine ganz andere sein, die sich der Nachvollziehbarkeit durch Außenstehende und Angehörige einer späteren Generation fast entzieht. Auch die Frage einer möglichen Schuldzuweisung läßt sich nicht schlüssig beantworten; denn jeder Erwachsene sieht die eigene Vergangenheit als ein abgeschlossenes Ganzes an, betrachtet sein Selbst gleichsam wie von außen. Vfn. gibt zu, daß niemand beurteilen kann, wieweit jemand - auch ungewollt und unbewußt - mit der Verdrängung leben gelernt hat, weil es ums Überleben ging. - Dabei hat sich im Fall des Studienrats K. die Beobachtung herausgefiltert, daß man das Ausweichen in unverfängliche Themen und das bloß wortlose Vertrauen auf die Kritikfähigkeit der Schüler, deren unbequeme Fragen oder gar Ablehnung zu tolerieren - gerade im Geschichtsunterricht der Oberstufe - , als eine Art des Widerstrebens werten kann, weil schon dazu Mut und Redlichkeit gehörten. Seltsamerweise geht durch alle Berichte die Maxime: „Möglichst durchhalten, ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen! Überleben um diesen Preis!" Vfn. nennt dies Phänomen „Wettlauf mit der Zeit". Hierin wird der Gegensatz von der Lebensbewältigung damaliger Lehrer und Schüler evident: Lehrer dachten auf Zeit, Schüler hielten, jedenfalls bis 1944, den so festgefügten Machtstaat für unerschütterlich, sein Ende war ihnen unvorstellbar, überhaupt ihr Zeitgefühl verschwommen. Vfn. stellt eine nachdenkenswerte Behauptung auf. Da der Geschichtsdurchgang in der Oberstufe der höheren Schulen bis 1942/43 - sofern nicht einige Lehrer in das Abhaspeln der Wehrmachtsberichte auswichen - mit dem Frankreichfeldzug endete und da außerdem die entscheidenden Jahrgänge seit 1943 Wehrmachtsangehörige oder Flakhelfer waren oder sich in der KLV (Kinderlandverschickung) befanden, wäre hier ein Freiraum für nazifreie Erziehung gewesen. Sie leitet aus der Betrachtung der Berliner Geschichtsbücher nach 1938 (Schulbuchreform) die Beobachtung ab, daß die Zeit der revolutionären Bewegung abgeschlossen war und von einer Zeit stärkeren Leistungsprinzips, eines faktischen Geschichtsunterrichts, abgelöst wurde. Der Anteil vergangener Epochen sei quantitativ viel höher gewesen als der der Gegenwartskunde. Daher ihre These: Hier seien Chancen für eine „spezifische historische Bildung" vertan worden. Denn die Verquickung historischen und politischen Bewußtseins habe nur die Schule bieten können. Die Lehrerschaft habe pädagogisches Terrain aufgegeben. Dies müßte umfangreicher belegt werden, unter Umständen durch Hinzuziehung von Lehrbüchern, die außerhalb Berlins eingeführt waren. Die Rezensentin beobachtete am angeführten „Gehl" (Literaturverzeichnis S. 245) einen Rest liberalen Berliner Geistes etwa im Sinne Sprangers; die doktrinären Züge lagen in einleitenden oder zusammenfassenden Kapiteln gleichsam obenauf und konnten „beiseite geschoben" werden. Die Ausgabe „Volk und Reich der Deutschen", eingeführt im Bereich der Provinzialschulverwaltung von Brandenburg, waren gefühliger, verschwommener strukturiert und von Rassenideologie durchdrungen. M. E. wird dabei auch die zunehmende Bildungsfeindlichkeit der NS-Ideologie zu berücksichtigen sein. Bis auf eine kleine Elite sollte ja eine einseitig und begrenzt gebildete Jugend die höheren Schulen verlassen. Die HJ-Führung unternahm nach 1943 alles, auch dort, wo noch Unterricht abgehalten wurde, etwa an den Randschulen Berlins, den kontinuierlichen Ablauf durch „Einsätze" und außerschulische Anforderungen zu stören. Wenn man die Studie als ersten Versuch zur Beantwortung einer längst überfälligen Frage wertet, sollte man hinzufügen, daß, so weit auch das geistige Feld abgesteckt worden ist, weitere Inhalte und Lebenssituationen hinzugezogen werden müssen. Wichtige Fragen, die „Lebenswelt" betreffend, bleiben offen. Wie war es möglich, daß eine Lehrerschaft, wie zwiespältig auch immer, in der KLV den ganz auf sie angewiesenen Schülern - es waren darunter Kinder, die Eltern und Elternhaus durch Bombeneinwirkung verloren hatten - , Ersatzeltern wurden, die sie bei zurückweichender Ostfront auf dem schwierigen Rückzug aus den Ostgebieten des „Protektorats" und „Generalgouvernements" bis in die Heimat begleiteten? Sie schlichteten Zusammenstöße mit der polnischen oder tschechischen Bevölkerung oder schützten umgekehrt Beziehungen zwischen Schülern und deren Angehörigen, die unerwünscht waren. Sie versahen, soweit unbelastet, nach 1945 wieder ihren Dienst. Ein Teil ihrer Schüler waren dann Heimkehrer mit den inneren Versehrtheiten ihrer Front- und Gefangenschaftserlebnisse, aus dem Schülerstand menschlich heraus, aber von starkem Wissensdrang beseelt. Viele dieser Lehrer hielten den hohen menschlichen Ansprüchen dieser Aufgabe stand und erwarben sich die Achtung der jungen Männer, weil sie nun frei ihre Bildungswerte vermitteln konnten. Wenn in der Studie nach dem „faschistischen Potential" geforscht wird, das im Erziehungsfeld vor 1933 gelegen haben kann, muß ebenso nach der Tatkraft gefragt werden, die nach 1948 eine freie demokratische Schule schuf, in der z. B. das Buch „Wege der Völker" eine erste 70
Gehhilfe war. - Eine Grundfrage ist ferner der stete, zermürbende Kampf gegen den Anspruch „Jugend soll durch Jugend geführt werden". Er war schon vor 1933 erhoben worden, und dies berührt den Komplex der Zwangseingliederung aller außernazistischen Jugendbewegung. Die damals Betroffenen sind heute hochbetagt. So müßten zu erneuter Befragung ergänzend ihre damaligen Schüler hinzugezogen werden. Vielfach haben sie das Zwiespältige und Abgründige der NS-Schule bewußt erlebt und durch Kollaboration ihren Lehrern die Situation erleichtet. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin wurde ihnen das krasseste Umdenken in kürzester Zeit abverlangt, so hart, wie es keine Generation hat leisten müssen. Ohne die Maßstäbe, Wertsetzungen und persönliche Ausstrahlungskraft ihrer Lehrer hätten sie das nicht leisten können; gerade in der einstigen SBZ haben sie ihnen geholfen, trommelartige Propaganda von demokratischen Vorstellungen zu unterscheiden, ein jahrelanger Klärungsprozeß. Es müßten auch Fälle krasser Zusammenstöße mit der Partei, so z. B. durch Denunziation durch Schüler, erforscht werden. - Jede Gesprächsführung mit Älteren müßte aber auch eine gewisse Art der Abwehr einer jüngeren Generation gegenüber einbeziehen, die keine unfreie Schule erlebt hat. Es muß auch heute bekannt werden, daß 12 Jahre NS-Ideologie alle Lehrinhalte so durchdrungen hatten und daß die Stoßkraft der „Bewegung" gerade in der Schule so kräftig wirkte, daß die Zeit wie eine Psychose erlebt wurde, deren Schrecken erst nach Jahren abfiel, auch von den Lehrern des Dritten Reiches. Ein unerklärlicher Rest wird bleiben; damit müssen wir leben. - Als ein mutiger Vorstoß und Materialaufriß ist die Arbeit jedenfalls lesenswert. Christiane Knop
Neue Mitglieder im I. Quartal 1988 Dankward Buwitt, Kaufmann Wünsdorfer Straße 68, 1000 Berlin 49 Telefon 7 45 56 36 (Oxfort) Horst Drope, Angestellter Halenseestraße 1 c, 1000 Berlin 31 Telefon 8 92 86 32 (Bibliothek) Gisela Frydank, Archivarin Wilhelmsruher Damm 105, 1000 Berlin 26 Telefon 415 2410 (Bibliothek) Horst Gust, Bankkaufmann Marwitzer Straße 63, 1000 Berlin 20 Telefon 3 75 62 73 (Oxfort) Christel Haim, Hausfrau Günter Haim, Rechtspfleger Prager Straße 2 a, 1000 Berlin 30 Telefon 249442 (Geschäftsstelle) Hans-Jürgen Issem, Versicherungskaufmann Calandrellistraße 43 B, 1000 Berlin 46 Telefon 7 71 20 40 (Gelberg) Senator Professor Dr. Wilhelm A. Kewenig Schützallee 37, 1000 Berlin 33 (Oxfort) Klaus Landowsky, Rechtsanwalt Fontanestraße 69, 1000 Berlin 33 Telefon 8 25 89 42 (Oxfort)
Hans-Jörg Lech, Beamter Alt-Marienfelde 14, 1000 Berlin 48 Telefon 7 2179 59 (Oxfort) Jürgen Loewe, Dipl.-Braumeister Kopernikusstraße 16, 6050 OfTenbach/Main Telefon (0 69) 85 48 93 (Dr. Schultze-Berndt) Herbert Lüpnitz, Pfarrer i. R. Westhofener Weg 41, 1000 Berlin 38 Telefon 8 03 78 41 (Geschäftsstelle) Professor Dr. med. Friedrich G. Nürnberger, Hautarzt, Hochschullehrer Kastanienallee 21. 1000 Berlin 19 Telefon 3 02 20 43 (Geschäftsstelle) Ursula Paplowski, Bankkauffrau Bocksfeldstraße 2d, 1000 Berlin 20 Telefon 3655125 (Oxfort) Senator Dr. Günter Rexrodt Kaiserdamm 4, 1000 Berlin 19 (Oxfort) Senator Professor Dr. Rupert Scholz Erbacher Straße 1, 1000 Berlin 33 Telefon 8911700 (Oxfort) Elli Sukowski, Hausfrau Am Dorfwald IIa, 1000 Berlin 22 Telefon 3 65 25 99 (Koepke) 71
Veranstaltungen im II. Quartal 1988 1. Montag, den 11, April 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Hans Frost: Wie Berlin zu seiner Stadt- und Ringbahn kam. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Montag, den 25. April 1988, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag mit zwei Projektoren von Frau Ingeborg und Herrn Oswald Hensler: Der Potsdamer und der Leipziger Platz mit ihrer Umgebung einst und jetzt. Kemperplatz, Siegesallee, Königsplatz, Reichstag, Kammermusiksaal und Magnetbahn. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 3. Montag, den 9. Mai 1988, vormittags: Auf Anregung des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Festveranstaltung zum 300. Todestag des Großen Kurfürsten des Senats von Berlin in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg. Festvortrag vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herrn Prof. Dr. Werner Knopp. Kartenanforderung beim Protokoll. 4. Mittwoch, den 18. Mai 1988,19.30 Uhr: Ordentliche Mitgliederversammlung im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg. Tagesordnung: 1. Entgegennahme des Tätigkeitsberichtes, des Kassenberichtes und Bibliotheksberichtes. 2. Berichte der Kassen- und Bibliotheksprüfer. 3. Aussprache. 4. Entlastung des Vorstandes. 5. Wahl der Kassen- und Bibliotheksprüfer. 6. Verschiedenes. Anträge aus den Kreisen der Mitglieder sind bis spätestens 3. Mai 1988 der Geschäftsstelle einzureichen. 5. Sonnabend, den 18. Juni 1988,10.30 Uhr: Begehung des Luisenstädtischen Friedhofes am Südstern. Leitung: Frau Dr. Sibylle Einholz. Treffpunkt Haupteingang. 6. Montag, den 27. Juni 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Dr. Jürgen Julier: Der Große Kurfürst im Spiegel der Medaillenkunst. - Zur Ausstellung im Schloß Charlottenburg. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30-22 34. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: bei der Schatzmeisterin. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 3 65 7605. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102,1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 10020000), Kto.-Nr. 03 81801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 72
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 84. Jahrgang
Heft 3
Juli 1988
Römischer Parade- bzw. Gesichtshelm aus den Ruinen der mittelägyptischen Stadt Antinoupolis. Erworben am 3. Januar 1821 durch Menü von Minutoli, heute im Besitz des Charlottenburger Antikenmuseums, Inv. Fr, 1022.
Ein römischer Paradehelm aus der Ägyptischen Sammlung des Freiherrn Menü von Minutoli im Antikenmuseum Von Harry Nehls Im Helmmagazin des Charlottenburger Antikenmuseums befindet sich ein bronzener römischer Paradehelm (Titelbild) des 2. Jahrhunderts n. Chr. von ausgezeichneter Qualität. Er soll uns hier weniger aus archäologischen als vielmehr berlin- und sammlungsgeschichtlichen Gründen interessieren. - Vor nunmehr zehn Jahren wurde diese kostbare Antike, ohne Hinweis auf ihren einstigen prominenten Besitzer, von J. Garbsch publiziert1. Typologisch handelt es sich um einen sogenannten attischen Helm bzw. einen Gesichtshelm. In seiner jetzigen Gestalt überliefert er jedoch nicht das vollständige Original, sondern lediglich das Oberteil, die Kalotte des Helms. In der Mitte des Stirnrandes befindet sich noch das Scharnier, an dem ursprünglich die (verlorene) Gesichtsmaske befestigt war. Ein geschwungenes reliefiertes Linienband, dessen Enden volutenförmig eingerollt sind, teilt die Helmkalotte in zwei Bildregister mit getriebenen Reliefs: im unteren und oberen jeweils eine antithetische Tiergruppe, bestehend aus Hunden bzw. Greifen zu sehen einer Palmette. Die figürlichen Motive des Charlottenburger Exemplars finden auf dem attischen Helm, den der sogenannte Ares Borghese (römische Marmorkopie nach klassischem Original der Zeit um 420 v. Chr., dem Bildhauer Alkamenes zugewiesen) im Pariser Louvre trägt, ihre genaue Entsprechung. Während die dem Ares heiligen Hunde einen deutlichen Hinweis auf den Kriegsgott geben, lassen sich die Greifen möglicherweise als apotropäisches, d. h. unheilabwehrendes Symbol interpretieren2. Die Frage nach der Provenienz sowie dem prominenten Vorbesitzer des Bronzehelms läßt sich rasch beantworten. Während seiner „Reise zum Tempel des Jupiter Ammon in der Libyschen Wüste und nach Ober-Aegypten in den Jahren 1820 und 1821" erwarb ihn nämlich niemand anders als der damalige königlich-preußische Generalmajor, Kunstsammler, Archäologe und Ausgräber, Prinzenerzieher und Militärschriftsteller Johann Heinrich Carl Freiherr Menü von Minutoli (1772 Genf - 1846 Berlin!). Seine zahlreichen, in Ägypten erworbenen Altertümer bilden noch heute den Grundstock der Ägyptischen Sammlung in Ost- und West-Berlin3. Minutoli erstand den römischen Paradehelm genau am 3. Januar 1821 in den Ruinen von Scheik-Abadeh, dem antiken mittelägyptischen Antinoupolis. Zu seiner Zeit existierten noch mehrere Architekturdenkmäler dieser Stadt, die später unter dem Statthalter Ägyptens, Mohammed Ali (1769-1849), als Steinbruch zum Bau der Zuckerfabrik von Roda dienten. Doch lassen wir Minutoli selbst zu Wort kommen: „Alle hier vorhandenen zahlreichen Trümmer, von höchster Pracht und Anmuth, scheinen, bis auf einige Triumphsäulen des Alexander Severus, dem Zeitalter Hadrians anzugehören, der Antinoe zu Ehren seines im Nil ertrunkenen Lieblings Antinous bauen ließ. Von der älteren ägyptischen Stadt bemerkt man keine Spur, aber unter dem Schutt viele Bruchstücke von Porphyr, Granit und selbst von italienischem und parischem Marmor. Ich tauschte einen hier ausgegrabenen, geschmackvoll verzierten ehernen Helm gegen andere Antiken ein, und ordnete Excavationen an." 4 Auf dem österreichischen Schiff „Cleopatra", das ihm zuvor der schwedische Konsul von Alexandria, Giovanni d'Anastasi (1799-1850), besorgt hatte, verließ Minutoli am 17. Juli 1821 Ägypten. Nach einer neununddreißig Tage währenden Überfahrt erreichte er endlich am 74
Abb.l: Aloys Hirt (1759-1836) inspizierte mehrmals im Auftrage des Staatsministers v. Altenstein (1770-1840) Minutolis ägyptische Sammlung. Das Gutachten Hirts, der großen Einfluß bei Hofe besaß, bewirkte maßgeblich ihren Ankauf im April 1823. Lithographie nach einer Zeichnung des Berliner Malers Paul Mila, um 1830
24. August den Hafen von Triest. Hier wurde nun seine wertvolle Altertümersammlung - nach längerem Aufenthalt in einer „Quarantaineanstalt" - geteilt: 97 Kisten verlud man auf den deutschen Segler „Gottfried", und 23 sollten auf dem Landweg nach Berlin gehen. Während die „Gottfried" tragischerweise kurz vor Erreichen ihres Bestimmungsziels (Hamburg) in der Nacht vom 11./12. März 1822 zwischen Helgoland und Cuxhaven kenterte, erreichte hingegen die auf dem Landweg expedierte Antikenladung im Sommer desselben Jahres wohlbehalten Berlin - und somit auch unser Helm aus Antinoupolis. Schon im September wurde der Archäologe Jakob Andreas Konrad Levezow (1770-1835) mit der provisorischen Aufstellung der Minutolischen Altertümer im Gartensaal des Schlosses Monbijou beauftragt, und bereits im Oktober wurden sie der Öffentlichkeit präsentiert. Zu den prominentesten Ausstellungsbesuchern gehörten Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) und Gustav Friedrich Waagen (1794-1868), August Boeckh (1785-1867) und Johann Gottfried Schadow (1764-1850). Der Bildhauer Schadow vermerkte hierzu: „Die ersten ägyptischen Kunstwerke und Mumien, welche der General Minutoli auf seiner Reise in Ägypten gesammelt hatte, wurden im Oktober in Monbijou gezeigt. Besonders interessant schien uns ein Helm von guter getriebener Arbeit."5 Die erste Äußerung über den Helm seitens eines berufenen Archäologen stammt von Aloys Hirt (1759-1836 / Abb. 1), dem ersten Ordinarius für Archäologie an der 1810 gegründeten Berliner Universität. Zur öffentlichen Feier der fünfunzwanzigjährigen Regierung Friedrich Wilhelms III. hielt er am 16. November 1822 in der Königlichen Akademie der Wissenschaften 75
zu Berlin eine Vorlesung „Zur Würdigung der neuesten von dem General Freiherrn von Minutoli eingebrachten Sammlung ägyptischer Alterthümer". Gedruckt bei Conrad Feister, erschien sie 1823 in der Berliner Verlagsbuchhandlung bei Ferdinand Dümmler. Irrtümlich klassifizierte Hirt den Helm als griechische Arbeit: „Auch gehört hiezu (d. h. zu den ,Denkmälern in Erz', Anm. d. Verf.) ein griechischer Helm, geziert mit Greifen und Hunden in getriebener Arbeit."6 Doch schon wenig später sprach Hirts Fachkollege Konrad Levezow erstmals die richtige Datierung in römische Zeit aus: „Ein bronzener Helm, in Antinoe gefunden, mit getriebener Arbeit geziert, zwei Greife und zwei Wölfe darstellend. Wahrscheinlich aus römischer Zeit."7 Bereits im Oktober 1822 hatte Minutoli seine Sammlung für 22000 Taler in Gold dem preußischen König angeboten. Doch zum Ankauf kam es erst, nachdem die dazu notwendigen Gutachten von Hirt und Levezow vorlagen, nämlich im April 1823. Bei der vorgeschlagenen Summe blieb es: Minutoli erhielt für die begehrten Papyri 12000 und für die restlichen Altertümer 10 000 Taler in Gold. 1824 wurde dann die ägyptische Sammlung in die Kunstkammer des Berliner Stadtschlosses verbracht, wo sie am 27. August 1825 ein weiterer prominenter Besucher - der Arzt, Naturwissenschaftler und Maler Carl Gustav Carus (1789-1869) besichtigen konnte: „Heute . . . führte uns Geheimrat Schulz zur Kunstkammer des Schlosses, wo die große Sammlung ägyptischer Altertümer und Mumien reichlich Stoff zur Betrachtung darbot. Die wunderlichsten Amulette, Götterbilder, Nilschlüssel und Isisklappern,... Mumiensärge . . . , eine alte ägyptische Harfe, ein H e l m . . . usw., alles hätte eine längere Betrachtung verdient."8 Obwohl Carus auf den Helm nicht näher eingeht, so kann zweifelsohne nur der besagte gemeint sein. Noch einmal wanderte später die ehemalige Sammlung Minutoli - und damit auch unser Helm - herüber nach Monbijou. Erst 1848 fand sie in den Räumen des Neuen Museums eine Unterkunft und Neuaufstellung. Der Bronzehelm scheint vermutlich schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts aus der Ägyptischen Abteilung ausgesondert und an das „Antiquarium", das sich einst im Erdgeschoß des Alten Museums befand, abgegeben worden zu sein. Zumindest konnte ihn dort der Besucher des Jahres 1871 nachweislich bewundern9. Bedingt durch die Auslagerung der Berliner Antiken zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, gelangte der römische Paradehelm, den der frühere Gouverneur des Prinzen Carl von Preußen am 3. Januar 1821 in Ägypten erworben hatte, ins Charlottenburger Antikenmuseum - wo er demnächst in einer Sonderausstellung endlich wieder zu besichtigen sein wird.
Anmerkungen 1 Jochen Garbsch: Römische Paraderüstungen. München 1978, S. 25/S. 31 und S. 64 Kat.-Nr. 012 mit Tafel 19, 3. 2 Zum „Ares Borghese" vgl. Werner Fuchs: Die Skulptur der Griechen. Dritte Auflage. München 1983, S. 94 ff. Abb. 86/S. 585 mit älterer Literatur. 76
3 Über Minutoli sowie seine Altertümersammlungen bereitet der Verfasser soeben eine Dissertation vor (in Arbeit). 4 Heinrich Freiherr von Minutoli: Reise zum Tempel des Jupiter Ammon in der Libyschen Wüste und nach Ober-Aegypten in den Jahren 1820 und 1821, herausgegeben von Ernst Heinrich Toelken. Berlin 1824, S. 239. Die Transkription des arabischen Stadtnamens für Antinoupolis wird unterschiedlich wiedergegeben: neben Scheik-Abadeh, Schech Abäde, Sheik-Tbada usw. Zur antiken Stadt vgl. Konrat Ziegler/Walter Sontheimer (Hrsg.): Der Kleine Pauly. Bd. 1. Stuttgart 1964, Spalte 386, Nr. 2. Gründlicher, wegen der zahlreichen Literatur, ist Georg Wissowa (Hrsg.): Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Bd. 1. Stuttgart 1894, Spalte 2441 f. (Pietschmann). 5 Johann Gottfried Schadow: Kunstwerke und Kunstansichten. Ein Quellenwerk zur Berliner Kunstund Kulturgeschichte zwischen 1780 und 1845. Kommentierte Neuausgabe der Veröffentlichung von 1849, herausgegeben von Götz Eckardt. Bd. 1. Berlin (Ost) 1987, S. 148. 6 Hirt, a. a. O., S. 12 (III. Classe. Denkmäler in Erz). 7 Levezow: Über die Königlich-Preußischen Sammlungen der Denkmäler alter Kunst, in: Amalthea oder Museum der Kunstmythologie und bildlichen Alterthumskunde III (1825), S. 224 Nr. 171 (B. Denkmäler von Erz. b. Gefäße, Werkzeuge, Waffen, Schlünde). 8 C. G. Carus: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten, nach der zweibändigen Originalausgabe von 1865/66 neu herausgegeben von Elmar Jansen. Bd. 1. Weimar 1966, S.456L 9 Carl Friederichs: Berlins antike Bildwerke. II. Geräthe und Broncen im Alten Museum. Düsseldorf 1871, S.227f. Kat.-Nr. 1022. Abbildungsnachweis Titelbild: K. A. Neugebauer: Führer durch das Antiquarium. I. Bronzen. Berlin und Leipzig 1924, S. 63, obere Abbildung. Abb. 1: Forschungen und Berichte 20/21 (1980), S. 9, Abb. 1. Anschrift des Verfassers: Harry Nehls, M. A., Schloßstraße 2 H, 1000 Berlin 19
f 25 Jahre Krankenpflegeschule des Krankenhauses , • der Berliner Vollzugsanstalten Von Manfred Stürzbecher Schon bei der Eröffnung des Königlichen Strafgefängnisses zu Plötzensee 1872 waren „zur Untersützung der Hausärzte in der Behandlung und zur Pflege der Kranken . . . eigene Krankenwärter als Beamte angestellt, von denen wenigstens der Oberaufseher des Lazareths ein geprüfter Heilgehylfe sein muß". Auch in den anderen Gefängnisses Berlins finden wir am Ende des vorigen Jahrunderts ausgebildetes Krankenwartepersonal. Die Männer waren meist beim Militär ausgebildete Heilgehilfen, die nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst mit dem sogenannten Zivilversorgungsschein zur Justizverwaltung gingen. Offensichtlich wurde das ausgebildete Krankenpflegepersonal zahlenmäßig im Lauf der Zeit verstärkt. Auch nach dem Zusammenbruch scheint man zunächst an der Übernahme von Sanitätspersonal aus dem Militär festgehalten zu haben. In der ersten Nachkriegszeit bestand offensichtlich kein Mangel an Krankenpflegern, die sich für den Justizvollzugsdienst meldeten. Mitte der 50er Jahre scheint dieses Reservoir erschöpft gewesen zu sein. Dazu kam, daß die Entwicklung in der Medizin den Einsatz geschulter Kräfte, vor allem im Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstal77
ten, vordringlich machte. Über das Arbeitsamt waren in den ausgehenden 50er Jahren, der Epoche der Vollbeschäftigung, keine Bewerber mehr zu finden. Daher wurde in der Frage der Versorgung der Berliner Vollzugsanstalten mit Krankenpflegepersonal Kontakt zwischen den Senatsverwaltungen für Justiz und für Gesundheitswesen aufgenommen. Auf drei Eingaben des Senators für Justiz in der Zeit von Juli bis Oktober 1959 gibt die Gesundheitsverwaltung unter dem 31. Oktober 1959 folgende Stellungnahme ab: „Auf längere Sicht dürfte allein die Errichtung einer eigenen Krankenpflegeschule am Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten den laufenden Bedarf an Pflegekräften decken. Hierdurch würde der erforderliche Nachwuchs, insbesondere an staatlich geprüften Krankenpflegern, sichergestellt werden. Ich empfehle daher dringend, an der genannten Anstalt eine Schule zu errichten. Hinderungsgründe, die das Krankenhaus zur Unterhaltung einer solchen als geeignet anerkennen, liegen nicht vor. Es wird empfohlen, einen entsprechenden Antrag unter Beachtung des Krankenpflegegesetzes vom 15. Juli 1957 zu stellen. Für die Übergangszeit schlage ich vor, weiterhin in Verbindung mit dem Arbeitsamt - Wisokü - und außerdem mit einigen größeren Krankenpflegeschulen zu bleiben. Da bekanntlich nicht alle Ausgebildeten in den entsprechenden Häusern bleiben, bietet sich hier gegebenenfalls Gelegenheit, geeignete Pflegekräfte für den Justizvollzugsdienst zu gewinnen. Darüber hinaus empfehle ich, bei Ausschreibungen insbesondere Fachzeitschriften - z. B. Das Krankenhaus und Deutsche Schwesternzeitung - zu wählen, die überwiegend von den angesprochenen Kreisen gelesen werden." Der Präsident des Justizvollzugsamtes schreibt wenige Tage später, am 6. November 1959, an den Senator für Gesundheitswesen, daß geprüft wird, „ob die Möglichkeit besteht, jüngeren Oberwachtmeistern auf Probe und anderen bereits im Sanitätsdienst tätigen Beamten die Gelegenheit zu geben, die nach dem Krankenpflegegesetz vorgesehene zweijährige theoretische Ausbildung an einer Krankenpflegeschule durchzumachen und anschließend das dritte Jahr für die praktische Ausbildung an den Krankenhäusern des Justizvollzugs abzuleisten. Es wäre mithin in Abweichung von der Bestimmung des § 12 in Teil IV des Krankenpflegegesetzes nach einer tragbaren Lösung zu suchen. Dabei wäre auch festzulegen, ob und wieweit gemäß § 9 Abs. 3 des Krankenpflegegesetzes die Zeit der Ausbildung in der Krankenpflege während des Einsatzes im Krankenpflegedienst des Justizvollzuges, also in den Krankenhäusern und Krankenrevieren als nichtgepfrüfte Krankenpflegepersonen auf den Lehrgang in der Krankenpflege angerechnet werden kann. Ich bin mir darüber im klaren, daß es sich hier nur um wenige Personen handeln wird, weil diese während der theoretischen Ausbildung zum größten Teil im praktischen Dienst ausfallen würden." Weitere Einzelheiten sollten in einer Besprechung geklärt werden. Diese fand am 12. Dezember 1959 statt. Der Vorschlag des Justizvollzugsamtes wird von der Gesundheitsverwaltung, deren Sprecher der Leiter der Abteilung II, Dr. Habenicht, ist, abgelehnt. Aus einem von Dr. Hofer gefertigten Vermerk geht folgendes hervor: „Da die Relation zwischen geprüften und ungeprüften Krankenpflegepersonen innerhalb der Krankenanstalten des Strafvollzugs immer noch sehr ungünstig ist und außerdem Schwierigkeiten bei der Besetzung der Krankenpflegestellen dieser Anstalten befürchtet werden, empfahl Dr. Habenicht dringend, eine eigene Krankenpflegeschule am Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten zu errichten, da nur eine solche Maßnahme allein geeignet erscheint, den genannten Schwierigkeiten wirksam zu begegnen. Die Herren des Justizvollzugsamtes wollen nunmehr die Einrichtung einer eigenen Krankenpflegeschule in Angriff nehmen und einen entsprechenden Antrag an unsere Senatsverwaltung stellen." Daraufhin beantragt mit Schreiben vom 17. Februar 1960 der Präsident des Justizvollzugsamtes die Errichtung einer Krankenpflegeschule am Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten. 78
In dem Schreiben heißt es u. a.: „Träger der Schule ist der Präsident des Justizvollzugsamtes; die Leitung der Schule wird dem beratenden Arzt des Präsidenten des Justizvollzugsamtes, der gleichzeitig Leiter des ärztlichen Dienstes für den gesamten Justizvollzugsdienst und mit der Leitung des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten in Berlin-Moabit beauftragt ist, übertragen. Die Schule wird dem genannten Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten gemäß § 7 (3) angegliedert. Ausbildungsmöglichkeiten sind für 15 Krankenpflegeschüler(innen) in dem Krankenhaus selbst mit innerer und chirurgischer Station, Sonderabteilung für Hautund Geschlechtskrankheiten, Röntgenstation und einem mit einem med.-techn. Assistenten besetzten Laboratorium gegeben. Weitere Ausmündungsmöglichkeiten bieten die Tuberkulose-Krankenabteilung in Plötzensee, die Krankenstation der Strafanstalt Tegel, die Krankenreviere in der Frauenstrafanstalt Tiergarten und in der Vollzugsanstalt (weibliche Jugend) in der Kantstraße. Kleinere Krankenreviere in anderen Anstalten sowie die chirurgische, innere und psychiatrische Ambulanz in dem Krankenhaus der Berliner Vollzungsanstalten. Sämtliche Einrichtungen stehen unter ärztlicher Leitung und unter Aufsicht von geprüften Krankenpflegepersonen. Geeignete Lehrkräfte für den theoretischen und praktischen Unterricht nach §7 (2 a) des Krankenpflegegesetzes sind in ausreichender Zahl vorhanden. Zu diesen rechnen der Leiter des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten, die Leiter der inneren und chirurgischen Stationen, der Tbc-Krankenabteilung und der Röntgenabteilung. Außerdem können im Bedarfsfall erfahrene Anstaltsärzte und Assistenzärzte, darunter ein psychiatrisch vorgebildeter Arzt, herangezogen werden. Ein Unterrichtspfleger mit langjähriger Erfahrung im Krankenpflegedienst, staatliche Anerkennung und große Erfahrung im Justizvollzugsaufsichtsdienst, steht zur Verfügung." Es wird darauf verwiesen, daß die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung der Ausbildung gegeben sind. „Unter Bezugnahme auf § 9 (3) beantrage ich, daß den Bewerbern, die eine Ausbildung in der Krankenpflege im Justizvollzugsdienst bei ihrer bisherigen Verwendung als ungeprüfte Krankenpfleger unter Anleitung von Ärzten und geprüftem Krankenpflegepersonal erhalten haben und mindestens zwei Jahre als Sanitätskräfte (Hilfskrankenpfleger) bis zum Lehrgangsbeginn tätig waren, diese Zeit allgemein mit 12 Monaten auf die Ausbildungszeit angerechnet wird." An anderer Stelle des Schreibens wird erklärt: „In dieser Stelle sollen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Vollzuges lediglich Krankenpfleger und Krankenschwestern für die Verwendung im Justizvollzugsdienst Berlins ausgebildet werden. Für die Aufnahme in die Schule kommen nur im Aufsichts- und Krankenpflegedienst des Justizvollzuges bereits erprobte Bedienstete in Betracht." Unter dem 9. März 1960 wird Dr. Hilsinger gebeten, die Lebensdaten und Papiere der vorgesehenen Unterrichtspfleger einzureichen. Daraufhin schreibt unter dem 11. März 1960 der Präsident des Justizvollzugsamtes: „Als Träger der bei dem Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten, das der Untersuchungshaftanstalt Moabit angegliedert ist, einzurichtenden staatlichen Krankenpflegeschule bitte ich, die Genehmigung zur Eröffnung der Schule zum 1. April 1960 auszusprechen, da bereits 19 Anmeldungen von Krankenpflege-Schülern aus dem Kreise der Bediensteten des Justizvollzuges vorliegen. Als Leiter der Krankenpflegeschule benenne ich meinen beratenden Arzt, Obermedizinalrat Dr. med. Wilhelm Hilsinger, geb. am 14. Februar 1899 . . . , der von mir bereits mit der Leitung des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten betraut worden ist. Dr. Hilsinger gilt als ein erfahrener und gewissenhafter Arzt. 1930 als Kreisarzt geprüft, war er viele Jahre Amtsarzt und Leiter eines Bezirksgesundheitsamtes in Berlin, anschließend Medizi->Q
nal-Dezernent beim Regierungspräsidenten in Danzig und bis 1945 Dezernent in der Abt. Volksgesundheit des ehemaligen Reichsministeriums des Inneren. Er war drei Jahre Assistenzarzt in Berlin, anschließend -1928 bis 1933/34 sowie von 1945 bis zu seiner Wiederverwendung im öffentlichen Dienst 1954 - praktischer Arzt in Berlin, hat sich bei mir seit seiner Übernahme in den Justizvollzugsdienst - Oktober 1957 - als Leiter des medizinischen Dienstes der Berliner Vollzugsanstalten bewährt und ist der Senatsabteilung für Gesundheitswesen persönlich bekannt. Als seinen Vertreter als Leiter der Krankenpflegeschule benenne ich den dienstältesten Medizinalrat im Berliner Justizvollzug, Anstaltsarzt Dr. med. Erhardt Schmidt, geb. 10. Februar 1912 . . . An seinem ärztlichen Können und seiner medizinischen Erfahrung bestehen keine Zweifel. Zudem verfügt er über die notwendigen verwaltungsmäßigen Kenntnisse bei stets bewiesener Korrektheit und sicherem Auftreten. Als Unterrichtspfleger ist der staatlich geprüfte Krankenpfleger, Hauptwachtmeister an JVA Wilhelm Gloßmann, Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten in Berlin-Moabit, . . . in Aussicht genommen. Gloßmann wird gleichzeitig als Krankenpflege-Vorsteher benannt, wobei ihm der Krankenpfleger Edmund Mayer (nicht staatlich geprüft), der kürzlich vom Hauptwachtmeister im Sanitätsdienst zum Verwalter befördert wurde, beigegeben wird. Die Stellung eines Verwalters entspricht der einer Oberin in einem Krankenhaus. Die von mir vorgeschlagene Regelung trägt den Besonderheiten von Haftkrankenhäusern im Justizvollzug Rechnung und stellt deshalb eine unumgängliche Notwendigkeit dar. Da im allgemeinen in der zu eröffnenden Krankenpflegeschule nur männliches Krankenpflegepersonal zur Ausbildung kommen wird, Krankenpflegeschülerinnen dagegen nur im Ausnahmefall angenommen werden können, erübrigt sich aus diesen und anderen vollzugsmäßigen Gründen die Bestellung einer besonderen Unterrichtsschwester." Mit Schreiben vom 29.März 1960 wird die Genehmigung erteilt. Es heißt dort u.a.: „Die Höchstzahl der Schüler(innen) für Ihre Krankenpflegeschule beträgt ab 1. April 1960 15, d. h., es dürften sich keinerzeit mehr als 15 Schülerinnen) in Ihrer Schule befinden." Dr. Schmidt wird bis auf weiteres zum kommissarischen Leiter der Schule bestellt. Gegen die Ernennung von Gloßmann zum Unterrichtspfleger bestehen keine Bedenken. Diese „Anerkennung einer Krankenpflegeschule am Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten" läßt ahnen, daß sich offensichtlich Schwierigkeiten hinsichtlich der Person von Hilsinger ergeben hatten. Der Senator für Gesundheitswesen war auf die Mitgliedschaft Hilsingers in der NSDAP hingewiesen worden. Es kam zu einigen Nachforschungen über die politische Vergangenheit des Arztes, die zu dem Ergebnis führten, daß er „nach der Entnazifizierungsakte am 5. November 1948 rehabilitiert worden" ist. Man stellt fest, „daß ärztlicherseits gegen die Leitung der Krankenpflegeschule durch Dr. H. keine Bedenken bestehen". Die Wertung der politischen Vergangenheit sei Sache der Dienstbehörde, daher sei vom Senator für Justiz „zuständigkeitshalber zu prüfen, ob auch unter Berücksichtigung der politischen Vergangenheit des Dr. H. der Antrag aufrechterhalten wird, ihn als Leiter der Krankenpflegeschule zu bestätigen". Diese Prüfung erfolgte beim Senator für Justiz und führte zu der Auffassung, daß er mit der Leitung der Schule beauftragt werden könne. Am 30. August 1960 wurde er dann von der Gesundheitsverwaltung zum Schulleiter bestellt. Nun stellten sich aber andere Bedenken gegen die Errichtung der Schule heraus. Der Senator für Finanzen machte sich folgenden Standpunkt zu eigen: „Wegen der Zweckmäßigkeit und zwingenden Notwendigkeit für die Errichtung einer solchen Schule bestehen hier jedoch im Hinblick auf die geringe Zahl der bei den Vollzugsanstalten benötigten Krankenpflegekräfte 80
erhebliche Bedenken . . . Sollte es bei den bekannten Nachwuchsschwierigkeiten für das Krankenpflegepersonal nicht möglich sein, die in den Vollzugsanstalten benötigten Pflegekräfte in den bereits bestehenden Ausbildungsstätten der Gesundheitsverwaltung zu schulen, um so die Schaffung aufwendiger und vielleicht nicht ausreichend zu nutzender eigener Einrichtungen in der Justizverwaltung zu vermeiden?" Der Senator für Gesundheitswesen trat dieser Auffassung mit Entschiedenheit entgegen. Er führt u. a. aus: „Der Bedarf konnte sowohl über das zuständige Arbeitsamt als auch durch Umfrage bei den Krankenpflegeschulen nicht gedeckt werden. Wegen des gegenwärtigen Mangels an Krankenschwestern und besonders auch an Krankenpflegern wird das neu ausgebildete Krankenpflegepersonal ohnehin sofort von den Krankenanstalten absorbiert. Darüber hinaus bestehen im Pflegedienst der Krankenanstalt des Strafvollzuges besondere Verhältnisse, für die nicht alle Krankenschwestern bzw. Krankenpfleger geeignet sind ..." Man hofft, daß sich in dieser Schule nur solche Personen ausbilden lassen, die eine Neigung zu dieser besonderen Art der Krankenpflege haben. Dies hat sowohl Einfluß auf die Altersstruktur der Bewerber als auch später auf die Personalfluktuation. „Darüber hinaus werden ungeprüfte Krankenpflegepersonen, die in den Einrichtungen des Strafvollzuges tätig sind, durch die Einrichtung einer eigenen Krankenpflegeschule die Möglichkeit erhalten, durch eine entsprechende Ausbildung und Prüfung die staatliche Anerkennung mit der Erlaubnis zur Berufsbezeichnung .Krankenpfleger' bzw. .Krankenschwester' zu erwerben. Hierdurch wird zugleich Pressenangriffen gegen den angeblich unzureichenden Pflegedienst in Moabit vorgebeugt. Ich halte es daher in Übereinstimmung mit dem Herrn Senator für Justiz für erforderlich, daß in den Krankenanstalten des Berliner Strafvollzuges eine Krankenpflegeschule eingerichtet wird, damit der dringende Bedarf an hierfür geeignetem und ordnungsgemäß ausgebildetem Krankenpflegepersonal gedeckt werden kann. Die Schaffung der von mir inzwischen staatlich anerkannten Schule war von mir angeregt worden." Der Senator für Finanzen gab darauf seinen Widerstand auf und bewilligte 746 DM für den laufenden Unterhalt der Schule. Im Herbst 1960 ergab sich die Notwendigkeit einer Klärung, ob die praktische Ausbildung nur in Moabit stattfinden muß oder ob sie auch in den Krankenhausabteilungen in Tegel und Plötzensee durchgeführt werden kann. Der Senator für Gesundheitswesen ließ dann auch die psychiatrische und die Tuberkulose-Abteilung als praktische Ausbildungsstätte zu. Am 2. Januar 1961 sollte die Schule mit 15 Kursteilnehmern eröffnet werden. Wegen Erkrankung von Hilsinger und Schmidt mußte die Eröffnung jedoch verschoben werden. Am 1. April 1961 wurde dann endlich der Schulbetrieb aufgenommen. Hilsinger hielt beim ersten theoretischen Unterricht eine kurze Eröffnungsansprache, in der es u. a. heißt: „Alles wäre aber Theorie geblieben, hätten sich nicht Männer gefunden, vom alten Stamm der Sanitätsbeamten und viele neue Hilfskräfte, die sich für die Ausbildung freiwillig entschieden, die den Beruf der Krankenpflege mit ehrlicher Freude und vollem Ernst als Lebensberuf innerhalb des Justizvollzuges gewählt haben. Daß dieser Beruf nicht leicht ist, daß er hohe Anforderungen an Haltung, Wissen und Können stellt, und wie die Ausbildung im einzelnen vor sich geht, soll sehr bald im Unterricht ausgeführt werden. Die Eröffnung der Schule ist hiermit vollzogen; mögen wir uns alle bewußt bleiben, daß diese Stunde einen neuen bedeutenden Markstein in der Entwicklung des Justizvollzuges darstellt." Der Senator für Justiz teilt unter dem 10. April 1961 dem Gesundheitssenator die Eröffnung der Schule mit und erklärt: „Der theoretische Unterricht findet an jedem Donnerstag, erstmalig am 6. Mai 1961, im Haus II der Untersuchungshaftanstalt Moabit statt und wird von dem Leiter der 81
Krankenpflegeschule, seinem Vertreter sowie den übrigen Ärzten des Justizvollzuges und dem eingesetzten Unterrichtspfleger erteilt." Der eingereichte Lehrplan entsprach im Grundsatz der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, wobei auf die besondere Altersstruktur der Kursteilnehmer Rücksicht genommen werden mußie. Von den 15 Krankenpflegeschülern waren 12 älter als 30 Jahre, keiner unter 25 Jahren. Alle Kursteilnehmer hatten Volksschulabschluß bzw. den Abschluß technischen Zweiges. Neben dem Schulleiter unterrichteten sieben weitere Ärzte des Justizvollzugsdienstes. Im Januar 1963 wurden gem. § 2 Abs. 3 der Prüfungsordnung vom 22. April 1959 die Mitglieder des Prüfungsausschusses für das Staatsexamen bestellt. Es waren: OMR Dr. Wilhelm Hilsinger, als Vertreter MR Dr. Erhardt Schmidt; OMR Dr. Reinhard Meitzner, als Vertreter Dr. Lorenz Hagedorn; OMR Dr. Jan-Hinnerk Husen, als Stellvertreter MR Werner Buchwald; Krankenpfleger Wilhelm Gloßmann, als Vertreter Krankenpfleger Max Griesinger. Es ergaben sich für den ersten Prüfungstermin noch Schwierigkeiten dadurch, daß einige Beamte während der praktischen Ausbildung aus dienstlichen Gründen für vier bis fünf Monate außerhalb der Krankenabteilung Dienst tun mußten. Es wurde aber eine Kompromißlösung gefunden, die die Zulassung zur Prüfung ermöglichte. Etwa zum Zeittermin der Prüfung und Beginn des zweiten Kurses wurde eine besondere Publikation herausgegeben, über die in der Berliner Medizin folgendes berichtet wird: „Nur für den internen Dienstgebrauch der Krankenpflegeschüler ist jetzt ein klinisches Wörterbuch (medizinische Terminologie) erschienen. Das Büchlein im Format DIN A5 hat einen Umfang von 44 Seiten, ist nicht im Buchhandel erhältlich, weist keine Angaben über Autor, Druckort und -jähr und Herausgeber auf und ist nach zuverlässigen Informationen in der Strafanstalt Tegel gedruckt. - In einer Auflage von ca. 300 Stück soll das Heft die Anschaffung kostspieliger medizinischer Lexika ersparen. Die ursprüngliche Absicht, es auch den bereits im Sanitätsdienst tätigen und zum Teil darin ergrauten Beamten auszuhändigen, wurde aufgegeben, nachdem die ersten Exemplare alles andere als eine zustimmende Resonanz ausgelöst hatten. Das Buch wimmelt von sinnentstellenden Druckfehlern . . . Ob die im Berliner Strafvollzug tätigen Ärzte, die an der Krankenpflegeschule unterrichten, über diese hausinterne Neuerscheinung sehr glücklich sind, kann man bezweifeln. Das Strafvollzugsamt, in dessen Zuständigkeitsbereich das .Wörterbuch' gedruckt worden ist, kann zu dieser ersten Blüte medizinischer Verlagstätigkeit nicht beglückwünscht werden. Der Senator für Gesundheitswesen sollte die Mitglieder des Landesgesundheitsamtes, die in Zukunft die Examen an dieser Krankenpflegeschule abnehmen werden, rechtzeitig mit dem Inhalt dieses Unterrichtsmittels bekannt machen." Wahrscheinlich auch ohne diese externe Kritik ist dieses Unterrichtsmittel offensichtlich aus dem Verkehr gezogen worden. Dem Autor dieser Zeilen ist es nicht gelungen, ein Exemplar dieses Wörterbuches noch zu ermitteln. Zum zweiten Lehrgang 1963 wurde die Zulassung auf 25 Plätze beantragt und auch genehmigt. Der zweite Kurs hatte 18 Teilnehmer, darunter drei Frauen. Auch hier war die Altersstruktur wieder von den Absolventen normaler Krankenpflegeschulen abweichend. 13 Teilnehmer waren älter als 30 Jahre, nur eine Beamtin war 25 Jahre alt. In diesem Kurs hatten vier Beamte den Mittelschulabschluß. 82
Aus gesundheitlichen Gründen mußte Hilsinger 1963 vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden. Zu seinem Nachfolger in allen Ämtern, d. h. auch in der Schulleitung, wurde Meitzner ernannt. 1965 trat das neue Krankenpflegegesetz in Kraft, und die dazugehörige Ausbildungs- und Prüfungsordnung verlangte eine dreijährige Ausbildung und setzte die Zahl der theoretischen Unterrichtsstunden auf 1200 herauf. Die Schule paßt sich den neuen Gegebenheiten an. Unter dem 23. Juli 1969 schreibt Meitzner an den Senator für Arbeit, Gesundheit und Soziales, daß ein großer Bedarf von ausgebildeten Krankenpflegern bei der Justiz besteht: „Ich bitte deshalb zu gestatten, daß dieser Kurs mit 30 Teilnehmern durchgeführt werden darf, wobei daran gedacht ist, ihn mit 32 bis 33 Teilnehmern beginnen zu lassen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheiden bereits in den ersten Monaten jeweils einige Schüler aus, so daß dann die Zahl von 30 das Maximum für den nächsten Kurs bis zum Examen darstellen würde." Die Erhöhung der Platzzahl wird genehmigt. Das Durchschnittsalter der an den Lehrgängen teilnehmenden Beamten wird deutlich geringer. Seit Beginn der 70er Jahre besitzen wir leider nicht mehr die Erhebungsbögen der „Schulstatistik" der Krankenpflegeschule, so daß ein zahlenmäßiger Nachweis nicht möglich ist. Es lassen sich nur noch die Teilnehmer an den Krankenpflegeprüfungen ermitteln. Die Tabelle gibt einen Überblick über die Anzahl der Examenskandidaten. Krankenpflegelehrgänge und Prüfungen an der Krankenpflegeschule des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten Lehrgang
Zahl der Teilnehmer
Tag der Prüfung
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
15 17 20 29 35 11 13 17 19 6 10 14 11
3.10.1963 14.10.1965 l.und2. 4.1969 2. und 3.10.1972 17. bis 19. 9. 1975 11.9. 1978 13. 9. 1979 1. 3. 1982 23. 3. 1983 8. 9. 1983 7. 9. 1984 13. 3. 1986 11.9. 1986
Am Staatsexamen 1975 nahmen 35 Kandidaten teil. Dies stellt die Höchstzahl dar, in den folgenden Prüfungsterminen traten dann erheblich weniger Prüflinge an. Offensichtlich war der Bedarf gedeckt. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Zahl der Häftlinge im Berliner Justizvollzug in dieser Zeit zurückgegangen ist. Als das Zentralkrankenhaus der Justizbehörden Hamburg einen Antrag auf Zulassung einer Krankenpflegeschule 1968 stellt, fragt die Gesundheitsbehörde beim Senator für Gesundheitswesen in Berlin an, welche Voraussetzungen zur Zulassung einer Krankenpflegeschule gefordert wurden. Die Antwort war kurz: „Die Krankenpflegeschule am Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten besteht seit dem 1. April 1960. Das Krankenhaus verfügt über vier Fachabteilungen (innere, chirurgische, Tbc- und psychiatrisch-neurologische Abteilung), so daß die 83
Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 a des Krankenpflegegesetzes in der Fassung vom 20. September 1965 erfüllt sind." 1969 wird die „Hauptpflegerin Schultz als Lehrschwester an der Krankenpflegeschule der Berliner Vollzugsanstalten" bestellt, nachdem sie den Lehrgang zur Heranbildung von Unterrichtsschwestern absolviert hatte. 1972 wird der Oberpfleger Manfred Kirsten als Unterrichtspfleger bestätigt. 1976 geht Wilhelm Gloßmann in den Ruhestand. Frau Schultz wird nun Ltd. Unterrichtsschwester. 1981 wird Oberpfleger Bernhard Schröteler, bereits vorher als Schulassistent an der Schule tätig, als Unterrichtspfleger bestätigt. Zu diesem Zeitpunkt tritt die Notwendigkeit ein, zur praktischen Ausbildung in den Fächern Gynäkologie und Geriatrie die Beamten an ein auswärtiges Krankenhaus abzuordnen. Das Krankenhaus Spandau dient als Ausbildungsstätte. Nach der Pensionierung von Dr. Meitzner 1978 wurde der Chirurg Dr. Hans-Günther Kutz sowohl Leiter des medizinischen Dienstes bei den Berliner Vollzugsanstalten als auch Leiter der Krankenpflegeschule. 1979 wird die Erhöhung der Ausbildungsplätze auf 50 beantragt und mit Wirkung zum 1. April 1980 auch vom Senator für Gesundheit und Umweltschutz genehmigt. Folgender Bericht aus dem April 1985 gibt die gegenwärtige Situation der Krankenpflegeschule wieder: „Zur Ausnutzung der Ausbildungsplätze wird mitgeteilt, daß die genehmigten Plätze im Durchschnitt mit 45 Schülern besetzt sind (davon etwa 15 bis 20 % Frauen). Jedes Jahr werden etwa 15 neue Schüler aufgenommen. Aufgrund der besonderen Struktur des Krankenhauses in den Berliner Vollzugsanstalten rekrutieren sich die Lehrgangsteilnehmer in aller Regel aus dem Kreis der bereits als Beamte ernannten Bediensteten der Vollzugsanstalten, die nach der Eingangsgruppe des mittleren Vollzugsdienstes (BesGr. A 5) besoldet werden. Während des dreijährigen Lehrganges werden die Dienstbezüge voll weiter gewährt, der Beamtenstatus der Lehrgangsteilnehmer wird durch den daneben geschlossenen Ausbildungsvertrag nicht verändert. Außenbewerber werden in die Schule nicht aufgenommen; ein in den früheren Jahren durchgeführter Lehrgang für solche Schüler bildete lediglich eine Ausnahme. Nachwuchsschwierigkeiten werden nicht gesehen. Für die Zukunft rechnet man wegen des Ausscheidens einer größeren Anzahl von ausgebildeten Krankenpflegern im Vollzugsdienst mit einem vorübergehenden noch steigenden Bedarf an neu ausgebildeten Krankenpflegern im Vollzugsdienst. Zu gegebener Zeit soll dann eine Erhöhung der Ausbildungsplätze für einen zusätzlichen Kurs beantragt werden. Die Frage der hierfür benötigten zusätzlichen hauptamtlichen Unterrichtskraft ist rechtzeitig zu klären. Die Krankenpflegeschüler werden voll in die allgemeine Stellenausstattung des Vollzugskrankenhauses mit Pflegekräften eingerechnet. Die praktischen Ausbildungseinsätze erfolgen auf den vielen medizinischen Abteilungen des Vollzugskrankenhauses und in 18 sogenannten Arztgeschäftsstellen in den Außenstellen der Vollzugsanstalten. Diese Einsätze werden vom ärztlichen Leiter der Krankenpflegeschule mit einem Ausbildungseinsatz in der ambulanten Krankenpflege verglichen. In diesem Zusammenhang machte ich auf die Notwendigkeit eines Ausbildungseinsatzes von Krankenpflegeschülern auch in Sozialstationen aufmerksam, weil die praktische Krankenpflegeausbildung in diesem Punkt sonst nicht den Anforderungen nach den EG-Richtlinien entsprechen. Die Einsätze in den Arztgeschäftsstellen werden sicher nicht mit den Aufgaben in einer Gemeindepflegestation oder Sozialstation zu vergleichen sein, weil die Tätigkeit in den Arztgeschäftsstellen auf die speziellen Bedürfnisse der Krankenbetreuung von Strafgefangenen ausgerichtet sein dürfte." Anschrift des Verfassers: Ltd. Med.-Dir. Dr. phil. Dr. med. Manfred Stürzbecher, Buggestraße 10b, 1000 Berlin 41 84
Der Friedenssender wurde nicht gebaut Ein Bericht nach Gesprächsnotizen mit Alfred Braun Von Christiane Knop Die Hörergemeinde des „Spreekiekers" Alfred Braun empfing am 4. Adventssonntag 1977 seine letzte Sendung. Der einstige Chefsprecher und Leiter der Funkstunde im Berliner Rundfunk hatte sich selbst - er ahnte nicht, daß es sein letzter werden sollte - den Wunsch erfüllt, mit den Hörern gleichzeitig die Kerzen am Adventskranz anzuzünden und in beschwörender Schilderung der sprühenden Flammen die menschliche Unmittelbarkeit im Medium Funk herzustellen. Er griff damit auf einen der ersten Versuche aus seiner Anfangszeit im Voxhaus zurück, so daß Anfang und Ende seines Tuns sich in seltsamer Gleichartigkeit berührten. - Er glaubte eine politische Aufgabe zu erfüllen: „Rettet Weihnachten, das stillste Fest im Jahr! Denn wir brauchen es, wir brauchen noch viel mehr für die, die nach uns kommen, für unsere Jugend, die die festlose Entleerung ihres Lebens nicht mehr ertragen kann und in Rausch und Drogen flüchtet!" Die weitere Aufwertung der festlichen Nüchternheit hatte er sich als Programm für die nächsten Monate bis zum 3. Mai 1978 vorgenommen, bis zu seinem 90. Geburtstag, auf den er sich kindlich freute. In der Nacht nach der Adventssendung traf ihn der tödliche Schlaganfall. Vfn. hat seine intensive Vorarbeit, sein Auswählen, Wieder-Verwerfen und neues Aufnehmen als Helferin miterlebt, da seine erlöschende Sehkraft und die müde gewordenen Ohren ihrer Hilfe bedurften. Gegen seine Gewohnheit des virtuosen Improvisierens rief er rastlos sein ganzes Schaffen vor sein inneres Auge und fragte nach seiner Leitidee. Dabei formten sich bestimmte Phasen der Vergangenheit zu immer neu sich zusammensetzenden Mosaikbildern, bis es schien, als habe er mitten darin den geheimen Drehpunkt gefunden; Vfn. gewann dabei den Einblick in seine Alterskunst. Des Lesens nicht mehr fähig, war er ganz auf sein Gedächtnis angewiesen; nicht mehr die konkreten Bilder, sondern geistige Leitfiguren wurden zur Reportage, die er so meisterte. - Eines der historisch bedeutsamsten Ereignisse, das fast unbekannt geblieben ist, kam ins Wort und soll zu seinem 100. Geburtstag am 3. Mai 1988 berichtet werden. Je älter er wurde, desto mehr näherte er sich der Adventszeit mit der Besinnung auf die Gestalt Johannes des Täufers, die eine starke Anziehungskraft auf ihn ausübte - nicht zufällig gehörte er der freimaurerischen Johannisloge an. Die Begegnung der beiden Marien stand vor seinem Auge, dann die Erkenntnis „Jener muß wachsen, ich aber muß abnehmen", schließlich Demut und Trotz des Täufers, die Wahrheit Christi mit seinem Wüstendasein zu besiegeln. Die Apostelfiguren an den französischen Kathedralportalen, der Isenheimer Altar gewannen innere Leuchtkraft. Dann tauchte der Rhein auf und mit ihm Basel, zeitweiliger Ort seines Exils nach der Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen, schließlich dessen Nähe Straßburg, und mit ihm überblendeten sich ihm die Bilder Meister Eckarts und Johannes Taulers, beide Dominikanermönche. Das alte Lied: „Es kommt ein Schiff geladen" verband die Erinnerungsbilder. Und weiter floß der Strom der inneren Bilder: Aus der Rheinbrücke wurde die Berliner Mühlendammbrücke, in deren Nähe er die mittelalterliche Dominikaneransiedlung wußte. Dann wieder war es die Potsdamer Brücke mit dem nahen Voxhaus. „Es kommt ein Schiff geladen ...", und dann erzählte er von der Begegnung im Exil 1935. »In Basel wohnte ich in einem alten Hotel dicht am Ufer bei der Rheinbrücke, und ich sah vom Fenster hinüber aufs Münster und sah auf den Rhein und dachte an die Spree - wie ich all die 85
Jahre im Exil mich gefühlt habe, als ob ich auf dem Bahnperron stehe und auf meinen Zug nach Berlin warte. Da klopfte es an meine Stubentür - nein, das kann doch nicht sein - , zwei nahe befreundete Männer aus Berlin traten ein, froh, mich allein anzutreffen, weil sie mir etwas zu sagen hätten, was vorläufig noch geheim bleiben müsse. Es bestand, bereits von einem großen Aktionskreis mit großem Kapitalaufwand versehen, der Plan, in Bethlehem, der Geburtsstadt Christi - denken Sie, draußen auf dem Feld, auf dem die Hirten in jener Nacht, da sie die Himmel tönen hörten, ihre Herden weideten - und immer, wenn ich diese Zeilen der Weihnachtsgeschichte spreche, höre ich die silbernen Trompeten aus Bachs Oratorium - , denken Sie, an dieser Stelle sollte ein internationaler Friedenssender gebaut werden, der alltäglich in eine durch Haß vergiftete Welt, die am meisten genährt wurde durch das, was im nationalsozialistischen Deutschland geschah, eine Ermutigung zum Frieden ausstrahlen! Ich war überwältigt von der Idee. Der eine der Männer, der mir dies antrug, war der Dichter Ernst Toller. Er und ich sollten die Leitung der deutschsprachigen Sendungen übernehmen, Toller sollte dafür aus seinem Exil von New York nach Bethlehem gehen! Die Herren hatten wenig Zeit, sie waren für den Nachmittag zu einer Besprechung in Straßburg verabredet; so ging ich mit ihnen zum Mittagessen ins Hotel „Zu den Heiligen Drei Königen". Als wir über die Rheinbrücke gingen, blieb Toller stehen, und wir schauten über die Brüstung in den Fluß. Da sagte Toller: „Immer am letzten Adventssonntag denke ich an diese Geschichte: So hat der Dominikanerpater Tauler im Nebel gestanden und über den Rhein geschaut. - Er hatte einen wachen Traum, während die Münsterglocken zu ihm herübertönten. Johannes, mein Bruder', sagte seines Lehrers, des Meisters Eckart Stimme, ,ich habe dich ersehen, nach mir die wahre Liebe zu den Menschen zu tragen, wenn mich der Tod ereilt hat!'" Erschrocken blickte er auf und sah die Sterne klar über dem Rhein glitzern. Er, Johannes, sollte des Meisters Eckart Mission erfüllen! Die Frage, wie das geschehen sollte, trieb ihn ein ganzes Jahr rastlos um. Er predigte im Münster, er las inbrünstig Messen, er besuchte als Dominikanerbruder Aussätzige und teilte ihre Armut; er studierte und teilte den Klosterschülern lehrend mit, was er von Gott wußte, doch sein Ungenügen blieb. Magister Eckart war tot; wie konnte er sein Bote sein? Ein Jahr später stand er wieder in der Christnacht auf der Flußbrücke in Straßburg. Er ist vom Spital der Aussätzigen auf der anderen Rheinseite gekommen; doch er spürte, über der Weihnachtsbotschaft blieben ihre Herzen stumm. Nun stand Tauler auf der Rheinbrücke, sah zu den Sternen hoch, als käme wie einst Botschaft in seine Unrast. - Da schob sich auf dem Strom ein verspätetes Kaufmannsschiff aus dem Abendnebel heraus, auf die Brücke zu, und Bruder Johannes hörte die Schiffer singen: Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord; trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewges Wort. Das Schiff geht still im Triebe . . . , und aus der Entfernung klang es leiser: „sein Anker ist die Liebe." Tauler blickte ihm nach. Sein Sinn war noch gefangen von der Qual der Ärmsten, der Bitterkeit der Ausgesetzten, denen kein Licht helfen kann. Sie sind so verstrickt in ihre eigne Not zum Tode, daß niemand ihren Bann lösen kann. - In seiner Müdigkeit hörte er noch einmal den Fluß wind das Singen der Rheinschiffer hinübertragen: 86
„... sein Anker ist die Liebe . . . der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff am Land." Da! Das ist es, was Meister Eckart gemeint hatte! Bei Tisch fragte ich Toller, ob er diese schöne Tauler-Legende um ihrer selbst willen erzählt habe; denn ich wußte, daß er sich nach jahrelanger Haft mit dem Gedanken trug, in den Dominikanerorden einzutreten. Er antwortete: Ganz erloschen ist der Gedanke nie in mir. Und sollte der Plan des Friedenssenders sich nicht verwirklichen lassen, werde ich wohl in der Mönchszelle eine Heimstatt finden.« Er ging nicht in Erfüllung. Der Krieg und viele andere Umstände bewirkten, daß seine Realisierung immer wieder hinausgeschoben wurde, bis es zu spät war. Toller nahm sich 1939 in seinem New Yorker Hotelzimmer das Leben. Braun: „Der tiefste Grund war die Resignation nach dem Mißlingen eines solchen Plans." Ich fragte ihn: „Sie und Toller, der ,zornige junge Mann' von 1918? Was hätte Sie verbunden zum Neuanfang und zur Gegenkraft?" Wir kennen ihn als Dichter von sozialistischen Revolutionsdramen und als glühenden Pazifisten. Er war einer, der gegen alle Ordnungen und Gewohnheiten anrannte. Er hatte aber keine Zeit mehr, die Welt zu verändern, sein „O Mensch!"-Idealismus von 1918 setzte zu früh Patina an unter den bedrückenden Nöten der Weimarer Republik. Hätten Sie, Alfred Braun, eine glaubhafte Friedensbotschaft gemeinsam mit dem Mann gefunden, der bekannte: „Ich bin für Diktatur, aber nicht für die Diktatur der Gewalt . . . Wann werden die Menschen endlich aufhören, einander zu jagen, zu quälen, zu morden? - Und es gibt Menschen... im Kriege haben sie alles gelitten und ihre Herren gehaßt, und haben doch gemordet und gehorcht, die alles vergessen! Sie werden wieder ihre Herren hassen, werden wieder gehorchen und wieder morden. Sie steinigen den Geist, sie höhnen ihn, sie schänden das Leben, sie kreuzigen es immer wieder und wieder!" Braun dachte nach und gab zögernd zu, daß der Dramatiker der Gewaltlosigkeit wohl zum Scheitern verurteilt war. Er war lange und besser mit ihm befreundet gewesen als andere und kannte seinen inneren Widerspruch: Der ungestüme Streiter schlug den sanften Poeten in ihm er war eigentlich Lyriker - tot und erzeugte Wellen des Widerstandes gegen ihn selbst. Braun hat am Ende diese Unvereinbarkeit ihrer beider Persönlichkeiten erkannt, gerade weil er, Max-Reinhardt-Schüler wie jener, in Toller einen Geistesverwandten erkannte; beide verband der Impuls zu wahrhaft großem Theater, zum Theater als moralischer Anstalt. Aber Brauns Weg der Erneuerung verlief anders: Raabe und Fontane statt Franz Moor. Er sagte: „Und heißt es im Lied nicht: Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muß vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel, danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn?" Anschrift der Verfasserin: Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 1000 Berlin 28
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Nachrichten Freizeit-Denkmalpfleger in Ost-Berlin gesucht Dr. Peter Goralczyk, Generalkonservator des Instituts für Denkmalpflege der DDR, hat vor kurzem auf die Notwendigkeit hingewiesen, mehr Bürger für die ehrenamtliche Arbeit der Interessengemeinschaften Denkmalpflege des Kulturbundes der DDR zu gewinnen. Da die staatliche Denkmalpflege überfordert ist, werden ehrenamtliche Helfer gesucht, die sich in ihrer Freizeit um die Erhaltung historischer Bauten kümmern. In der DDR sind in rund 500 Gruppen etwa 6000 Mitglieder als Freizeit-Denkmalpfleger organisiert, davon in Ost-Berlin 400. Unter anderem haben diese ehrenamtlichen Helfer bislang zwölf historische Straßenbahnen, vier alte Omnibusse und eine Trümmerlok aus der Nachkriegszeit restauriert. Zu den von ihnen gepflegten Denkmalen zählen auch die Klosterkirche, die alte Stadtmauer, der Garnisonsfriedhof und der Parochialfriedhof. Zu den jetzt anstehenden Projekten gehört die weitere Gestaltung des Platzes der Akademie (Gensd'armenmarktes) und des Lustgartens „nach historisch-originellen Vorbildern". SchB.
Märkisches Museum mit weiteren Außenstellen Das Märkische Museum konnte im vergangenen Jahr seine Sammlungen um mehrere tausend Neuerwerbungen ergänzen und erweitern. Viele von den neuesten Schaustücken aus den Bereichen Bodendenkmalpflege, Geschichte, Kunst, kulturgeschichtliches Depot sowie Theater und Literatur werden nicht im Stammhaus am Köllnischen Park ausgestellt, sondern künftig in der Nikolaikirche und im EphraimPalais zu sehen sein. Aber auch das im Aufbau befindliche Dorfmuseum Marzahn oder das KnoblauchHaus in der Poststraße werden bedacht. Für die Eröffnung der Ausstellungen im Knoblauch-Haus stehen unter anderem wertvolle Gegenstände aus dem Besitz der bedeutenden Berliner Bürgerfamilie Knoblauch zur Verfügung. Das künftige Dorfmuseum in Marzahn konnte in Mecklenburg eine Reihe landwirtschaftlicher Geräte einer 10-ha-Wirtschaft erwerben, darunter als größtes Objekt einen Pferde-Mähbinder. SchB.
25 000 Mitglieder der Gesellschaft für Heimatgeschichte Am 9./10. April 1988 veranstalteten das Ministerium für Kultur und der Kulturbund der DDR in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) eine gemeinsame Konferenz. Auf ihr verpflichteten sich die rund 300 Geschichts- und Regionalmuseen sowie die 25 000 Mitglieder der Gesellschaft für Heimatgeschichte, „bei der tieferen Erforschung und lebendigeren Propagierung der Geschichte der DDR" künftig enger zusammenzuwirken. Zur Vorbereitung des 40. Jahrestages der DDR haben unter anderem Museologen, Ortschronisten und Mitglieder des Kulturbunds ihre Erfahrungen über Aufgaben der regionalgeschichtlichen Forschung ausgetauscht. SchB.
Stiftung Historische Friedhöfe Im Jahre 1976 hatte Professor Dr. Peter Bloch im Heft 9 der Berliner Forum-Reihe den Figurenschmuck des Alten St .-Matthäus-Kirchhofes katalogisiert und damit die Erhaltung bedeutender Grab- und Friedhofsanlagen angeregt. Mit finanzieller Unterstützung des Landes Berlin kümmert sich die dortige Kirchengemeinde seitdem auch mit Hilfe von Firmenspenden um die Restaurierung historischer Gräber. Um die Arbeiten fortführen zu können und die Unterhaltung wiederhergestellter Ruhestätten zu ermöglichen, plant ftian, eine Stiftung Historische Friedhöfe mit einer angeschlossenen Bauhütte ins Leben zu rufen. Seit 1. Juli 1988 sind bereits 15 Jugendliche unter Leitung eines erfahrenen Pädagogen und 3 Facharbeiter des Maurer- und Zimmerhandwerkes beschäftigt. Die Bauhütte soll später als Lehrbetrieb Restauratoren ausbilden. Zur Zeit sucht man jedoch noch nach dem Träger der Stiftung. Der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, begrüßt das Projekt, weil es einmal Jugendliche mit den verdienten Bürgern aus der Vergangenheit unserer Stadt vertraut macht und darüber hinaus neue Arbeitsplätze sichern kann. Wir werden deshalb auch in Zukunft darüber berichten. 88
Aus dem Mitgliederkreis In memoriam Ernst Alberts (1903-1987) Man braucht nur einige Sätze in seinem Aufsatz über die Straßenbeleuchtung im alten Berlin in den letzten „Mitteilungen" zu lesen, und schon steht einem seine ganze Persönlichkeit vor Augen. Ein alter Berliner im besten Sinne des Wortes, einer, der den schier vergeblichen Kampf gegen die falsche Historisierung seiner Stadt aufnahm, dabei kein Freund der ausgefeilten literarischen Form. Man denkt an seine Wut über die verlogenen Straßenschilder an der Siegessäule. Es fällt einem seine tätige Anteilnahme bei Aufbau und Einrichtung des Berlin-Museums ein. Sein Zorn über die Anbringung des Münzfrieses an einer mißglückten, privaten Architektur, sein jahrelanges, unablässiges Eintreten für einen Umzug an einen konservatorischen Anforderungen genügenden und zugleich würdigen Platz, sein Einfallsreichtum und seine bis zuletzt ungeheure Aktivität für die Berliner Kulturgüter ohne die Spur eines persönlichen Vorteils haben seine Freunde, vielleicht auch seine Widersacher beeindruckt. Für Ernst Alberts trifft zu, was für viele voreilig in Anspruch genommen wird: er hinterläßt eine Lücke. Denn Leute seines Schlages wachsen nicht mehr nach. Helmut Vogt
Julius Posener BDA-Ehrenmitglied Der Bund Deutscher Architekten hat unser Mitglied Professor Julius Posener zum Ehrenmitglied ernannt und damit gewürdigt, daß er „einen großen Beitrag zur Entwicklung der Baukultur in Berlin und der gesamten Bundesrepublik Deutschland geleistet" hat. SchB.
Mitgliederversammlung am 18. Mai 1988 Aussicht auf neue Bibliotheksräume Der Vorsitzende, Rechtsanwalt und Notar H. Oxfort, Bürgermeister von Berlin und Senator a. D., leitete die diesjährige Ordentliche Mitgliederversammlung am 18. Mai 1988 im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg nach der Begrüßung mit der Totenehrung ein. Er würdigte vor allem die Persönlichkeit des langjährigen Bibliothekars Hans Schiller, Trägers der Fidicin-Medaille des Vereins. Der Tätigkeitsbericht, der auch im Jahrbuch 1988 „Der Bär von Berlin" abgedruckt werden soll, lag den Mitgliedern ebenso vor wie der Kassenbericht 1987 und der Voranschlag 1988. Ergänzend zum Tätigkeitsbericht führte der Vorsitzende aus, daß die fristgemäß zum 31. Juli 1988 gekündigten Räume der Bibliothek im Rathaus Charlottenburg zu diesem Zeitpunkt nicht freigemacht werden können, daß aber Verhandlungen laufen, dem Verein eine sehr ansprechende, zweckmäßig und günstig gelegene neue Unterkunft für die Bibliothek zu verschaffen. Der Vertrag wurde noch nicht unterschrieben, das Bezirksamt Charlottenburg aber verständigt, daß der Umzug Anfang 1989 erfolgen wird. Die 125-Jahr-Feier des Vereins soll mit einer größeren Veranstaltung am 28. Januar 1990 im neuen Kammermusiksaal der Philharmonie begangen werden. Leider hat es bei der vom Verein angeregten offiziellen Veranstaltung des Senats von Berlin anläßlich des 300. Todestages des Großen Kurfürsten, die am 9. Mai stattfand, eine Reihe von Mißverständnissen auf Seiten des Senats gegeben. H. Oxfort bedauerte, daß nicht alle Mitglieder für diese würdige Veranstaltung Karten bekommen haben. Der Kassenbericht wurde von der Schatzmeisterin, Frau Ruth Koepke, der Bibliotheksbericht von Frau Irmtraut Köhler erstattet. Die Kassenprüfer H.-D. Degenhardt und K.-H. Kretschmer fanden keinen Grund zur Beanstandung, sie richteten an die Mitglieder die Bitte, der Schatzmeisterin die Arbeit dadurch zu erleichtern, daß der Absender angegeben, leserlich geschrieben und der neue Jahresbeitrag von 60 DM beachtet wird. Zugleich für M. Mende verlas Frau Dr. E. Crantz den Bericht der Bibliotheksprüfer. Der Vorsitzende dankte allen Berichterstattern, vor allem den beiden Bibliotheksprüfern, die auf eigenen Wunsch ausscheiden wollen. In der Aussprache begründete er die Beitragserhöhung, die sich aus den laufenden Ausgaben vor allem für die Publikationen ergeben hat. Noch in diesem Jahr wird aus Anlaß des 300. Todestages des Großen Kurfürsten ein neues Grünes Heft erscheinen. Von Mitgliedern wurden 89
Fragen zur Finanzlage des Vereins und zum anstehenden Jubiläum 1990 gestellt und vom Vorstand beantwortet. Der von O. Hensler beantragten Entlastung des Vorstands wurde bei dessen Stimmenthaltung einmütig entsprochen, in gleicher Weise erfolgte die Bestätigung der bewährten Kassenprüfer Degenhardt und Kretschmer in ihrem Amt. Die als Bibliotheksprüfer vorgeschlagenen Mitglieder Dr. Sibylle Einholz und Hans-Peter Doege erhielten gleichfalls das einstimmige Votum der Mitgliederversammlung. Eine Reihe von Problemen bewegte die Mitglieder zum Punkt „Verschiedenes". Zur Statistik berichtete die Schatzmeisterin, daß der Verein 801 Mitglieder hat, davon drei Ehrenmitglieder (Brandt, HoffmannAxthelm, von Weizsäcker) und 15 Familienmitglieder zum halben Beitrag. Einige Mitglieder zahlen mehr als den Mindestbeitrag (Höchstbeitrag 1200 DM/Jahr). Der Vorsitzende H. Oxfort schloß die Versammlung mit einem Dank an alle Mitglieder, vor allem auch an seine Vorstandskollegen, für die stets loyale Zusammenarbeit. SchB.
Studienfahrt nach Detmold vom 9. bis 11. September 1988 In Heft 2/1988, Seite 64 der „Mitteilungen" war das vorläufige Programm veröffentlicht worden. Nach einem Besuch des Reiseleiters und Schriftführers Dr. H. G. Schultze-Berndt in Detmold haben sich einige Ergänzungen und Änderungen ergeben, so daß hier das endgültige Programm abgedruckt wird. Für die Führungen am Ort, die meisten Besichtigungen und Exkursionen hat sich liebenswürdigerweise Dr. Friedrich Hohenschwert zur Verfügung gestellt, nach eigenen Angaben ein „Herdbuchlipper" und vor zwei Jahren als Direktor des Lippischen Landesmuseums in den Ruhestand getreten. Dieser vereint Schwung mit Kenntnisreichtum und gehört jener Kategorie engagierter Bürger an, denen man sich beim Kennenlernen eines Ortes gern anvertraut. Programm: Freitag. 9. September 1988 6.00 Uhr Abfahrt mit Omnibus an der Berliner Bank, Hardenbergstraße 32 Eintreffen in den Hotels 12.30 Uhr Gemeinsames Mittagessen (6 DM) in der Kantine der Bundesforschungsanstalt 13.15 Uhr für Getreide- und Kartoffelverarbeitung, anschließend Besichtigung der Bundesforschungsanstalt mit den Schwerpunkten Müllereitechnologie und Bäckereitechnologie, Führung: Wissenschaftlicher Direktor und Professor Dr.-Ing. Peter Gerstenkorn Kleiner Stadtbummel zum Schloß (Dauer des Besuchs ca. 45 min) 16.30 Uhr: 17.30 Uhr: Kaffeepause im Cafe Wortmann, weiter Stadtrundgang unter Stadt- und landesgeschichtlichen Aspekten, Führung: Dr. Friedrich Hohenschwert 19.00 Uhr: Gemeinsames Abendessen (ä la carte) in den Hotels; anschließend geselliges Beisammensein je nach Witterung im Bistro Spieker oder im Dachsbau im Winkel; die Privat-Brauerei H. Strate Detmold lädt anläßlich ihres 125jährigen Bestehens zu einer Jubiläumsrunde ein. Sonnabend, 10. September 1988 8.30 Uhr: Fortsetzung des Stadtrundgangs 9.30 Uhr: Besuch des Lippischen Landesmuseums, kurzer Rundgang durch Teilbereiche, Führung: Dr. Friedrich Hohenschwert 10.30 Uhr: Fahrt vom Theaterplatz zum Westfälischen Freilichtmuseum mit Rundgang und Führung 13.00 Uhr: Gemeinsames Mittagessen in der Fachwerkhausdeele des Teutonenhofs Holzhausen Externsteine (Teutonenschinken/Spießbraten mit Röstkartoffeln und Salatbuffet 18 DM) 14.30 Uhr: Fahrt zur Greifvogelwarte Berlebeck mit Vortrag des Leiters der Adlerwarte Laue 15.00 Uhr: Freiflugvorführungen mit abgerichteten Adlern, Geiern und Falken 16.00 Uhr: Gemeinsame Kaffeetafel im Hotel zur Forelle, Berlebeck
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17.00 Uhr: 18.30 Uhr:
Fahrt zur Grotenburg, kleiner Hünenring und zum Hermannsdenkmal Gemeinsames Abendessen in der Waldgaststätte „Forstfrieden", Am Donoperteich, Detmold-Hiddesen. Wenn an diesem Abend ein (Kirchen-)Konzert stattfindet, kann eine Programmänderung vorgenommen werden.
Sonntag, 11. September 1988 9.30 Uhr: Landschafts- und kulturkundlicher Ausflug, u. a. zu den Externsteinen, Führung: Dr. Friedrich Hohenschwert 12.30 Uhr: Gemeinsames Mittagessen im Burgkeller des Burghotels Blomberg (leichte Cremesuppe von Steinpilzen, Sahnehaube; zartes Hirschragout „Baden-Baden", gefüllte Williams-Birne, Rosenkohl, Preiselbeerpastete, Walnußkrusteln; Schwarzwaldkirschen mit Eierliköreis, Sahne; 26,50 DM) anschließend: Aufbruch zur Heimfahrt ca. 20.30 Uhr: Ankunft Hardenbergstraße
* Für die Unterbringung wurden die beiden folgenden in der Stadtmitte gelegenen Detmolder Hotels ausgewählt: „Lippischer Hof, Hornsche Straße 1 (Einzelzimmer 62 DM/Doppelzimmer 103,50 DM), und „Detmolder Hof, Lange Straße 19 (Einzelzimmer 63 DM bis 81 DM/Doppelzimmer 90 DM bis 126 DM, jeweils Endpreis pro Nacht). Es stehen genügend Einzelzimmer zur Verfügung. Das Teilnehmerhonorar beläuft sich auf 99 DM, es schließt die Omnibusfahrt, alle Führungen sowie die Eintrittsgelder für das Residenzschloß, die Adlerwarte, das Freilichtmuseum, das Lippische Landesmuseum und die Externsteine ein. Die bereits gemeldeten Damen und Herren haben das Programm und ein Anmeldeformular schon vorab erhalten. Alle anderen Interessenten möchten sich möglichst bis zum 23. Juli 1988 bei Dr. H. G. SchultzeBerndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, Telefon (030) 4509-291, anmelden.
Buchbesprechungen Eberhard Schönknecht: Vom Dorforug zum Prälaten. „Von mancherley Örtern, wo man Bier gebräuet und ausgeschenket." Eine Kulturgeschichte Schöneberger Gaststätten 1375 bis 1987. Schöneberg auf dem Weg nach Berlin. Herausgeber Bezirksamt Schöneberg von Berlin. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Prälat Schöneberg vom 31. Mai bis 28. Juni 1987. DIN A4, broschiert, 87 Seiten. Die beiden Autoren (Bernd Günterberg hat einen Exkurs „Schöneberg, Mansteinstraße 4 oder Leydicke ein Kneipenmythos" verfaßt) sind keine Historiker oder Literaten: Eberhard Schönknecht ist gelernter Koch und jetzt als Oberamtsrat in der Steuerverwaltung tätig, B. Günterberg gleichfalls Mitarbeiter in der Berliner Verwaltung. Um so höher ist anzuerkennen, wie sorgfältig sie recherchiert haben, welche Fülle an Objekten zur Ausstellung zusammengetragen worden waren und wie umfangreich und im wesentlichen zuverlässig die Texte sind. Zwei Jahre lang haben sich Eberhard Schönknecht und seine Frau Helga dieser Aufgabe gewidmet. Wenn man vom Kapitel „Über das Bier" absieht, dessen Untertitel „Bier is ooch Stulle" dem Hochdeutschen „Biertrinken ist ein gutes Essen" und Immanuel Kant als Autor zugeordnet wird, ist diese Arbeit im Grunde ein Abgesang oder Epilog. Dies gilt für die Geschichte Schöneberger Gaststätten (1375-1930) einschließlich Mutter Leydicke ebenso wie für die Schloßbrauerei in Schöneberg (1871-1975). Auch dem Prälaten war ein unrühmliches Ende beschieden. Michael Barthel, Stellvertretender Bezirksbürgermeister, und Katharina Kaiser, Leiterin des Kunstamtes Schöneberg, bringen in ihrem Vorwort die Hoffnung zum Ausdruck, diese Publikation möge denen Argumente an die Hand geben, „die Stadtplanung auch unter dem Aspekt von Lebensqualität und Kulturentwicklung sehen wollen". SchB. 91
Dieter Hoffmann-Atfhelm und Ludovica Scarpa: Berliner Mauern und Durchbrüche. Berliner Topografien Nr. 7, Museumspädagogischer Dienst Berlin, 1987, Verlag Ästhetik und Kommunikation, 95 S., 50 Abb., 16,80 DM. Die beiden Autoren, bekannt durch ihre Stadt- und bauhistorischen Arbeiten, haben eine gemeinsame Darstellung vorgelegt, bei der Dieter Hoffmann-Axthelm für die Kapitel über die Geschichte der Berliner Mauern, Ludovica Scarpa für die Kapitel Durchbrüche II und III verantwortlich zeichnet, während das Kapitel Durchbrüche I in Kooperation beider Autoren entstand. Die Geschichte der Berliner Mauern wird einschließlich der heute die Stadt teilenden Mauer topographisch dargelegt. Dem Leser werden die Anhaltspunkte für den Verlauf längst vergangener Mauern nicht nur mit Hilfe alter abgebildeter Stadtpläne, sondern auch im heutigen Straßenbild aufgezeigt, selbst wenn sie nicht mehr oder nur noch punktuell steinern sichtbar sind: Von den mittelalterlichen Stadtmauern zur Errichtung einer Festungsanlage unter dem Großen Kurfürsten, von den Vorformen der Zollmauer und deren Bedeutung bis zu ihrer Erweiterung im 19. Jahrhundert; schließlich die heutige politische Mauer. Dabei wird der jeweilige historische Hintergrund leicht verständlich beschrieben, so daß die Geschichte der Berliner Mauern auch einen Abriß der Geschichte dieser Stadt darstellt. Sie wäre unvollkommen ohne die Geschichte ihrer Durchbrüche, sowohl der Mauer- wie der Straßendurchbrüche, die einschließlich heutiger Bau- und Unterlassungs-„Sünden" in beiden Teilen der Stadt aufgezeigt werden. Gerade die Abfolge der Mauer- und Straßendurchbrüche, historisch dargelegt, ist auf dem Gebiet der Berlin-Literatur neu und macht dieses Buch neben der Aktualisierung der Geschichte der Berliner Mauern - bis zur heute die Stadt teilenden Mauer - besonders wichtig. Der Leser empfindet mit den Autoren die Brisanz von Durchbrüchen als Wegweiser in die Zukunft. Angesichts der Vergänglichkeit von Mauern schließen die Verfasser nicht ohne Augenzwinkern, wenn sie ein weiteres Kapitel, die erhoffte zukünftige Durchlässigkeit der heutigen Mauer und ihren späteren Abbruch betreffend, in Aussicht stellen - sofern sie dann noch leben. Es ist dies ein zugleich spannendes und belehrendes Buch, dessen Ausführungen durch reizvolle neue Fotos unterstützt werden. So sind auf Seite 41 die Reste der Zollmauer von 1840 auf den Grundstücken der Hessischen Straße 12 und Hannoverschen Straße 9 (in Berlin-Ost) abgebildet, eine Entdeckung von Dieter Hoffmann-Axthelm. Die Innenseiten des Umschlages zeigen den Verlauf der vergangenen Mauern und Palisaden auf einem modernen Stadtplan als Unterlage zur raschen Orientierung und als Aufforderung an den Leser, diese Strecken selbst zu erwandern. Erika Schachinger
Johann Caspar Struckmann: „Staatsdiener als Zeitungsmacher. Die Geschichte der Allgemeinen Preußischen Staatszeitung." Haude & Spener, Berlin 1981,125 Seiten, 5 zeitgenöss. Abbildungen, gründlicher Anmerkungsapparat, Literatur- und Quellenverzeichnis. Die Besinnung auf Preußen im Jubiläumsjahr brachte auch das Interesse an Berliner Zeitungen und der Beobachtung ihrer Wirkungsgeschichte mit sich. Daß sich das Augenmerk im wesentlichen auf unabhängige, liberale Zeitungen richtete, liegt auf der Hand. Und da Pressefreiheit eine unerläßliche Voraussetzung ist, erschien das Phänomen einer Staatszeitung reaktionär. Das Denkmodell einer liberalen Staatszeitung zum Zweck politischer Bildung mag mancher als ein Unding ansehen. So verblüfft zunächst eine Untersuchung aus dem Hause Haude & Spener, dessen Verlagsname im landläufigen Bewußtsein mit der Berliner Aufklärung verknüpft ist. Sie beleuchtet das damals mit ihm konkurrierende publizistische Unternehmen einer Staatszeitung zwischen 1819 und dem Vormärz. Es hat seinen Ursprung im Staatsgedanken des Kanzlers Hardenberg und seines Freundes Varnhagen von Ense. Beide gaben ihm die hohe Zielsetzung einer so wohltätigen und weitsichtigen Erziehung, wie sie in dem Wort von Jean Paul umschrieben ist, das der Einleitung vorangesetzt ist: „So (wie die Frucht um den Kern) bildet im Staate die öffentliche Meinung eine Gewalt, welche die Keime der Zukunft beschirmt, und die nicht zu durchbrechen ist." Ein solcher idealistischer Flug ist durch das Zeitalter der Erhebung zu erklären. - Über die nur theoretisch postulierte Pressefreiheit im Staat Friedrichs des Großen bringt der Autor nichts Neues über das Bekannte hinaus. Er verweist aber darauf, daß eine Erörterung über Sinn und Zweck einer Staatszeitung von der Grundtatsache auszugehen hat, daß im aufgeklärt absolutistischen Staat aller Regierungswille in der Person des Herrschers verkörpert ist, der die Maschinerie der Ministerialbehörden straff in Gang hält. Doch muß hinzugefügt werden, daß gegen Ende der friderizianischen Regierungszeit und unter seinem Nachfolger darin eine Lockerung eintrat; die Verwaltung wurde schwerfälliger und unübersichtlicher, und daraus erwuchs die Notwendigkeit eines amtlichen Publikationsorgans, das für die höhere Beamtenschaft und das gebildete Bürgertum stärkere Transparenz herstellte. Diese auch von den Reformern seit 1807
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befürwortete Entwicklung hätte sich vielleicht durchgesetzt, hätten die revolutionären Ereignisse in Frankreich, sodann der nationale Aufbruch während der Napoleonischen Kriege sie nicht jäh gestört. Der antinapoleonische Patriotismus wirkte mit elementarer Schubkraft in entgegengesetzte Richtung. So konnten die konkreten Pläne Hardenbergs erst nach den reaktionären Erfahrungen der Kabinettspolitik auf dem Wiener Kongreß entschiedenen Widerhall finden. Der Staatskanzler und sein „Pressechef Varnhagen suchten die Enttäuschung darüber zu nutzen für eine öffentliche Meinung, die die „Keime der Zukunft hätte beschützen" können. Nach zögernden Anfangen brachte die erneute Zensur (Karlsbader Beschlüsse) nach 1819 das Werk zum Scheitern. Der Verfasser betrachtet diesen Zwischenraum zwischen 1807 und 1819 genauer. Er durchforscht den als tolerant apostrophierten Absolutismus Friedrichs auf zukunftweisende Ansätze und sieht sie gegeben in Friedrichs Art, im Sinne der Berliner Aufklärer Nicolai und Lessing gegen bloße Geburtsvorrechte des Adels anzugehen, und mit der Schaffung des Allgemeinen Preußischen Landrechts (das er initiierte, dessen Verabschiedung er nicht mehr erlebte) einen Rechtsstaat zu begründen, der den „Weg vom Untertanen zum Staatsbürger vorzeichnete" (S. 25). - Das Konzept einer liberalen Staatszeitung mußte das Vorhandensein einer öffentlichen Meinung voraussetzen. Und diese war, getragen von einer schmalen Schicht, kurzlebig, kleinbürgerlich und geistig immobil. Sie „räsonnierte" über Rechtsschutz vor Staatswillkür und Gemeinwohl, setzte sich aber mit politischen Entscheidungen im engeren Sinne nicht auseinander; die demokratische Einheit von Volk und Volkswille existierte nicht. Im Gegenteil, zwischen 1815 und 1819 war das politische Denken von Reichssehnsucht und Vergangenheitsverklärung erfüllt. Erst in dem Maße, wie der Staatsapparat schwerfälliger zu dirigieren und infolge der wirtschaftlichen Rückschläge nach dem Tilsiter Frieden uneffektiver wurde, ergab sich die Notwendigkeit, ihn publizistisch transparenter zu machen. Die ersten Ansätze dazu wurden durch die gewaltsame Unterdrückung eigenständigen Lebens durch Napoleon vernichtet. Seine straff zentralisierte, verzerrte Propaganda traf in Preußen auf ein Vakuum. Solchem „Jakobinertum" hatte es nichts entgegenzusetzen. Eine freie, selbstgesetzliche Presse wurde als verschwörerisch gefürchtet. Auch die beiden bestehenden „Privilegierten" Blätter, die Vossische und die Haude & Spenersche Zeitung, bezeichnet der Verfasser als Hofzeitungen. Aber analog ihrer journalistischen Gediegenheit und Wirkungsweise dachte sich Hardenberg ein Ministerialblatt, das geeignet sein könnte, der französischen Agitation ein Gegengewicht entgegenzusetzen und einen Interessenausgleich zwischen Siegern und Besiegten zu schaffen. Er erwartete auch, daß es liberale Strömungen und Ereignisse, etwa innerhalb der Studentenschaft (Wartburgfest), kanalisieren würde. Unter den ungünstigen Konstellationen von 1819 erschien die „Allgemeine Preußische Staatszeitung" als Produkt der Absprache zwischen dem Staatskanzler, der Beamtenschaft und dem Zeitungsmacher Friedrich August von Stägemann. Der Verfasser beschreibt seine journalistischen Fähigkeiten, seine organisatorischen und personellen Schwierigkeiten, vor allem in der Person des kleinmütigen Königs, der das eigene Urteil oft scheute und den Einflüsterungen seiner Räte leicht zugänglich war. Der eigentlich kritische Punkt aber war das Fehlen eines Parteienlebens und einer Volksvertretung, vor der die Beamtenschaft hätte Rechenschaft ablegen müssen. So war auch der Aufgabenbereich verschwommen; dem Zweck politischer Meinungsbildung und der Artikulierung des Volkswillens konnte es nicht dienen. Stägemann verlor als Herausgeber bald den Mut. Unter seinem Nachfolger sank das Niveau zur Bedeutungslosigkeit herab; die Zeitung hätte eigentlich eingestellt werden müssen, hätte die Regierung nicht aus unbekannten Gründen daran festgehalten. Dem neuen Herausgeber Philipsborn gelang es sogar, sie noch einmal in den Aufwind zu führen. Von Relevanz jedoch ist das Fazit, das der Verfasser zieht: Die Uneffektivität der Staatszeitung markiert das Scheitern der preußischen Neuordnung. Ohne die versprochene Volksvertretung blieb die Politisierung des preußischen Staates aus; die erstrebte politisch mitdenkende Bürgerschaft ließ sich nicht herstellen, und infolge erneuter Pressezensur blieben Staatsdiener der Verwaltung ihre Zeitungsmacher, von denen der Verfasser sagt: „Die meisten Behördenvertreter und -leiter waren Opfer ihrer Sozialisation. Es fehlte ihnen an politischer und sozialer Phantasie, sich z.B. die Folgen der Einführung der Pressefreiheit vorzustellen" (127). - Die Zeitung starb also an der Krankheit, die ihr im Keim eingepflanzt worden war. Christiane Knop
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Hans Reuther: „Die große Zerstörung Berlins. Zweihundert Jahre Stadtbaugeschichte." 216 Seiten und 114 Abbildungen, Fotos und alte Pläne, Literaturverzeichnis, Sach- und Herkunftsverzeichnis. Propyläen Verlag, Frankfurt/Main 1985. „Stadtbilder. Berlin in der Malerei vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart; Berlin-Museum." Ausstellungskatalog 576 Seiten, viele Abbildungen, Sach- und Namensregister, Abbildungsnachweis und Künstlerbiographien im Anhang. Nicolaische Verlagsbuchhandlung und Verlag Willmuth Arenhövel, Berlin 1987. Vf. teilt die „Zweihundert Jahre Stadtbaugeschichte" in sechs Epochen ein: Friderizianische Zeit Schinkelzeit - Gründerzeit - Zwanziger Jahre - Nazizeit - Wiederaufbau nach dem Kriege - und verfolgt innerhalb der so gekennzeichneten Stadtforschung mehrere Entwicklungsstränge der Zerstörung. Der Topos „große Zerstörung" weist ins Existentielle. 1. Zerstörung der Achsen und Zuordnung ihrer Stadtglieder ins Ungleichgewichtige, Zerreißung des alten Kerns und damit verbunden eine Verschiebung der City-Funktion. 2. Einfügung in den landschaftlichen Rahmen von Spreetal bzw. -ebene und Hügellandschaft des Teltow und Barnim bis hin zur Entfaltung eines Großraums (Zweckverband Groß-Berlin) bzw. seine Zerreißung. 3. An die Stelle der Maßstabbezogenheit der Häuser in den einheitlichen Straßenzügen tritt Ausuferung der gewachsenen Maßstäbe ins immer Größere, ins Monumentale und schließlich in Megalomanie. Die damit gegebene Zerstörung der Bauensembles trägt den Keim des Zersprengenden, Hybriden in sich und hätte auch dann zerstörerisch wirken müssen, wenn der Krieg das Stadtbild nicht ins Unkenntliche zerschlagen hätte. Zum erstgenannten Kennzeichen: Die landesherrlich-preußische und bürgerliche Großstadt des ausgehenden 18. Jahrhunderts hatte ein einheitliches Aussehen; sie war nach Prinzipien der ästhetischen Ordnung angelegt, markiert von optischen Schwerpunkten der in die Straßen hineinwirkenden Türme, von geometrischen Plätzen und Sichtachsen zwischen Schloß-Linden und Tiergarten. Von diesem Schaubild nach holländisch-barockem Muster leitet Vf. seine Kriterien der Betrachtung ab. Schinkel habe trotz seines „kreativen und weitgespannten Schaffens" und seiner Orientierung an den gesellschaftlichen Bedürfnissen des beginnenden industriellen Zeitalters (Englandreise) das von Langhans gesetzte Gleichmaß des Klassizistischen nicht erfüllt. Dies hätte von der friderizianischen zur preußischen Königsstadt des 19. Jahrhunderts schlechthin geführt. - Nach seiner schlicht-echten Ausgestaltung der Spreeinsel und der ost-westlichen Stadtachse habe er ein in sich verschiedenes Berlin hinterlassen, das in sozial unterschiedliche Stadtviertel separiert war. Der individuelle Stadtorganismus begann sich zu differenzieren. Bestimmte Vorstellungen der Verkehrserschließung und der Ansiedlung von Folgeeinrichtungen der Wirtschaft waren der Zeit noch fremd, so urteilt Vf. An der um 1835 noch unfertigen Luisenstadt habe sich - trotz der Grünzüge und des Landwehr- und Luisenstädtischen Kanals - die beginnende Unsicherheit bereits dokumentiert. Sie habe sich im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV und in der frühen Gründerzeit fortgesetzt; er apostrophiert diesen latenten Zustand als „Anfänge der großen Zerstörung Berlins", obwohl die Vedutenmaler die Stadt noch immer als einen Teil der Landschaft auffaßten und vom erhöhten Standpunkt auf sie hinabblickten. Der so gekennzeichnete Mangel gilt besonders für die Jahre zwischen 1850 und 1870; es ist das Zeitalter der Lenneschen Planung der Generalzüge und der Hobrechtschen Gesamtplanung. Das - bis in die Nazizeit reichende - Problem der mangelnden Eisenbahneinbindung verlangte auch später noch nach grundlegender Lösung. „Wie Nadelstiche im Stadtorganismus erwiesen sich nach 1841 die Kopfbahnhöfe der Eisenbahnen." Sie verwandelten schon insgeheim das räumliche Erscheinungsbild. - In diesem Zusammenhang wird die schon anderweitig* erörterte Problematik des Hobrechtschen Bebauungsplans und der damit angestoßenen Entwicklung zur Mietskasernenstadt abgehandelt. 1870 wird dann aus der Königsresidenz im Stadtkern eine City; damit veränderte sich die Nutzung der alten Stadtteile. Die Königsresidenz wird zum Sitz der Reichsbehörden und des Dienstleistungszentrums. Bis zum Ende der Hohenzollernherrschaft 1918 wurde die erste große Zerstörung Berlins vollendet. Die „falsch verstandene Repräsentation von Staat, Handel und Industrie trug erheblich dazu bei, die verbliebenen architektonischen Zusammenhänge zu zerreißen." Die bis dahin noch erkennbare axiale Ordnung der Stadt wird verwischt, bis sie durch die Gigantomanie des geplanten „Germania" völlig zerstört worden wäre. Die nationalsozialistische Bausucht ist - dank des Kriegsbeginns! - nur in einigen Großprojekten in Angriff genommen worden, denen Vf. nicht einmal so sehr künstlerische Pervertierung vorwirft als Ideenlosigkeit und monumentale Langeweile. * „In der Luisenstadt. Studien zur Stadtgeschichte von Berlin-Kreuzberg" bei TRANSIT, Berlin 1983, oder Geist-Kürvers: „Das Berliner Mietshaus", II. Teil, bei Prestel, München 1984. 94
Als eine Insel der Urbanität umreißt er das Schaffen der Weimarer Städteplaner nach dem Ersten Weltkrieg und ihr soziales Engagement in Siedlungen und genossenschaftlichem Bauen. Hier wurden ein letztes Mal städtebauliche Maßstäbe gesetzt. Damit ist der dritte verfälschende Zug aufgezeigt, nämlich die Entwicklung vom urbanen architektonischen Maß zu Überdimensionierung und Hypertrophie. Auch hier legt Vf. die Wurzeln schon für die Schinkelzeit bloß, verweist auf einige seiner Großprojekte (unausgeführt geblieben) wie den für das Friedrichsdenkmal oder die Gedächtniskirche für die Gefallenen der Befreiungskriege. - Als Eingriff in die gewachsene Stadtlandschaft schildert Vf. - auch hier schon im frühen 19. Jahrhundert beginnend - die „Verschandelung der Landschaftsräume", die das ländliche Umfeld seiner Eigenart entfremdeten. Die sonst in kommunalpolitischer Hinsicht positiv gewertete Gegebenheit des „Zweckverbandes Groß-Berlin" von 1911 erscheint hier als halbherzige Entwicklung: sie hätte die getrennten Glieder nicht verschmolzen und die Mietskasernenstadt nicht auslöschen können. Hat man diese Gesichtspunkte einmal akzeptiert, bleibt darüber hinaus viel Positives und Erfreuliches zu lesen. Der Leser sieht das Berlin, das er unzerstört im Gedächtnis hat, sich aufbauen, sieht im Berlin der Gründerzeit die zwei Seiten derselben Sache: Weltstadt ««asoziales Elend, erfährt von den Siedlungen der zwanziger Jahre, von Gartenstadtbewegung und Industriekultur und schließlich vom Anwachsen zur Stadt der modernsten Verkehrserschließung. Das Buch besticht durch die Fülle schöner Fotos oder Reproduktionen des unzerstörten Berlin in der „guten alten Zeit", die dem Laien unverfänglich erscheinen; durch die Erörterungen des Vf. werden sie transparent für eine sich einschleichende Aushöhlung. Doch erst ihre Deutung aus dem Gesamtzusammenhang läßt die „große Zerstörung" erkennen als Zerbrechen der Stadtlandschaft, obwohl die heutige Stadtbildpflege manches anders sehen mag. Ergänzend läßt sich der Ausstellungskatalog „Stadtbilder" hinzuziehen. Auch hier zieht sich der Bogen von der schönen Vedute zum zersprengten Stadt- und Menschenraum. Was bei Reuther in sachlicher Deskription dargelegt wird, kann erhellend zusammengeschaut werden mit den in den Ausstellungstexten aufgezeigten Tendenzen. An die Seite der sachlichen Funktion tritt die motivisch gestaltete und metaphorische Ergänzung, tritt an die Oberfläche, was in der Vedute noch hinter der Konstruktion verborgen liegt: die expressive Explosion. Der Text (ab S. 243) verweist auf dieselben Ursachen: „Kehrseite des gigantischen Stadtlebens sind soziales Elend", „Zerstörung des historischen Zentrums", „Skrupellosigkeit der Erschließung des Umlandes", d. h. Mißachtung des Stadtraums als eines Menschenortes. Dies bedeutet zugleich Verfälschung der Stadtrandgestalt, denn die sich in Berlin ansiedelnden Expressionisten haben die Wesensdarstellung der Stadt in die Vororte verschoben; so findet sich unter dem Etikett „Expressionismus" die treffende Formulierung von den „Abseiten der Stadt als Schauplatz existentieller Konflikte". (S. 245) Die neu entstehenden Vororte wie Wilmersdorf oder Westend oder Hermsdorf gaben den Malern neue Bildinhalte wie „gefräßige Bahnhöfe", „schwefelgelbe Hauswände" und „stürzende Brandmauern". Vor allem die Maler der „Brücke" besetzten das Stadtbild mit Menschen, die von der dämonischen Stadtnatur ins Unglück gestürzt werden; sie sind Verlorene unter Gewitterhimmeln; über ihnen wird schließlich die gebaute Welt zur apokalyptischen Explosion, die alles verschlingt. Das Pittoreske wird zur geheimen und offenbaren Destruktion, die Kahlschlag und aufgebrochene Erdschichten bloßlegt. So kann man - bei gebührender Reservatio mentalis - beide Bücher zusammenschauend lesen. Gleichgerichtete Stilmittel erhellen wechselseitig den Sinn ein und desselben Phänomens. Der Betrachter erfährt, wie die futuristische Malerei, die nach 1933 folgte, tatsächliche große Zerstörung vorwegnimmt. Die interpretierenden Kapitel beziehen die expressionistische Großstadtlyrik wie die von Waiden, Heym, Loerke und Däubler mit ein sowie die kunsttheoretischen und autobiographischen Äußerungen der „Brücke"-Maler, wie z. B. die von Meidner oder Feininger. Schon hier wird von „endzeitlicher Weltlandschaft" oder der „Passion Berlins" gesprochen (S. 255). Auch der Gang durch die Ausstellung selbst machte erfahrbar den Wandel von der holländisch anmutenden Grachtenlandschaft an der Spree zu den dämonischen Straßen- und Kanalschluchten am Landwehrkanal, die alles Menschliche verfremdeten. Christiane Knop
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Laurenz Demps: „Der Gensd'armen-Markt. Gesicht und Geschichte eines Berliner Platzes." 480 Seiten, 334 Abbildungen und Pläne und Skizzen, Abbildungs- und Quellenverzeichnis. Berlin 1988 bei Haude & Spener als Lizenzausgabe für den Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin (Ost) 1987. Der Untertitel „Gesicht und Geschichte eines Berliner Platzes" weist auf die historische Aufarbeitung eines Gesamtberliner Anliegens, das die Veröffentlichungen des vergangenen Jubiläumsjahres der Stadt ergänzen kann. Sie erfolgt in ihrer Gesamtkonzeption nach den Richtlinien, wie sie der sozialistische Staat der DDR gebietet. Das Material zur nachvollziehenden Rekonstruktion dieses zerstört gewesenen Juwels der Bürgerstadt befindet sich größtenteils im andern Teil der Stadt und war bisher weithin unbekannt; ein anderer Teil ist dem Landesarchiv bzw. dem Berlin Museum (West) entnommen. Der im politischen Leben an entscheidender Stelle engagierte Ostberliner Historiker Laurenz Demps, der sich auf der Buchpräsentation im Rahmen des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, zu seiner Berlinliebe bekannte, hat das Werden des Gendarmenmarktes (die Schreibung im Buchtitel knüpft an die alte Regimentsbezeichnung an) gleichsam in Jahresringen aufgezeigt, in denen sich seine Ausgestaltung Phase für Phase in bedeutsamen Zeiten um den Kern gelegt hat. Solange Alt-Berlin in nachmittelalterlicher Zeit als kürfürstliche Residenz geprägt wurde, fristete die Friedrichstadt ein vergleichsweise abseitiges Dasein im ländlichen Vorfeld der Bastionen. Erst mit den Stadterweiterungen des 18. Jahrhunderts nach barockem Idealplan begann seine konfliktreiche, oft unzureichende Ausgestaltung im toten Winkel der Sternlinien der Festungsvorsprünge. Das Bedürfnis nach einem friedrichstädtischen M a r k t blieb lange zurück hinter dem Ausbau der beiden Kirchen. - Die Essenz seiner Spurensuche umreißt Vf. im Vorwort, wenn er den hohen Rang des Platzes preist und vom „Handeln der an ihm lebenden und wirkenden Menschen" spricht, deren Impuls ihn verpflichtet, ungebahnte Wege zu gehen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Zusammenschau der Geschichtsauffassung des Historischen Materialismus verpflichtet ist und daher den Ereignissen seit 1848 schematisch ihr gesetzlicher Platz im Klassenkampf zugewiesen wird. Sie postuliert die Pflege von „Tradition und Erbe" der DDR als ihren Höhepunkt. Zu ihm und seinem „humanistischen Bemühen" bekannte sich der Autor ausdrücklich, und der westliche Leser muß also berücksichtigen, daß diese Formulierungen mit bestimmten ideologischen Inhalten besetzt sind. Wir sehen manches lockerer und in vielfältigeren Zusammenhängen, lassen uns aber von dem schönen Bildmaterial und unbekannten alten Hauszeichnungen gern zur Neugier verführen, das Material genau zu studieren. In Ost und West ist uns gemeinsam, die „Dinge neu ordnen" zu müssen. Eine Aufarbeitung solcher Art ist hier geleistet worden; manches ist wohl bei teilweise lückenhafter Quellenlage hypothetisch geblieben, was Vf. mutig zugibt; wieweit diese Ergebnisse in Zukunft neu gewertet werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist unsere Bilder- und Lesefreude angestoßen worden, u.a. auch durch die ausgezeichneten Fotos des einstigen Hofphotographen Schwanz, die um die Jahrhundertwende in den Räumen des Vereins für die Geschichte Berlins im Deutschen Dom ausgestellt waren. Auch wenn wir viele Passagen wie gegen den Strich gebürstet lesen, sollten wir nachdenklich werden. Gemessen an dem beziehungslosen Nebeneinander der historischen Veranstaltungen in Ost und West anläßlich des vorjährigen Stadtjubiläums, ist dies eine ausgestreckte Hand. Der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, und der einzelne Leser sind aus Gründen der Spurensuche zur Identität zu dieser Auseinandersetzung aufgefordert. Dem Verlag Haude & Spener ist die reiche Ausstattung durch Reproduktion des schönen Bildmaterials zu danken, die uns diese Herausforderung erleichtert. Inwieweit dem Gendarmenmarkt seit 1800 ein bürgerliches Selbstbewußtsein innewohnte oder wieweit dies vom Vf. deduziert wurde, mag umstritten sein; ein hervorragender gesellschaftlicher und geistiger Ort war der Platz immer, und so „geht er uns etwas an". Es erscheint verdienstlich, außer den beiden Kirchen und dem Theaterbau auch die Randbebauung mit schönen Bürgerhäusern nach alten Bauzeichnungen, Katasterakten, Rechnungen, Behördenschriftwechsel, Firmengeschichten und persönlichen Briefen ins Bild einzubeziehen (z. B. die Gontard- und UngerHäuser, das Predigerwitwenhaus der Französischen Gemeinde, ihr Waisenhaus, die Preuß. Seehandlung und die Lotteriedirektion, das Salzkontor, das Haus Lutter und Wegener, die Gebäude der Banken und Versicherungen). Aus ihm erwächst das Bild des klassizistisch Schönen, Würdigen und Lebensvollen, das d e n Berliner stolz machte. - Auf weite Strecken spürt der Leser die Darstellungsfreude des Autors (in unakademisch-einfacher Diktion), so z. B., wenn er das Alltagsleben auf dem Markt, aber auch das erste Kraftwerk an der Taubenstraße, die Lesecafes oder die Ereignisse der Märztage von 1848 schildert. Doch auch die dunklen Seiten wie der Brand des Schauspielhauses oder die sozialen Bedingungen der Arbeiter sind lohnend, selbst wenn die Ausfälle gegen die dürftige Gebefreudigkeit der preußischen Könige unsympatisch wirken. Wir sind uns aber mit dem Autor eins, daß der unmerkliche Beginn der
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Zerstörung durch Bodenspekulation angestoßen wurde, die das schöne Gesicht verfremdete; diese Entwicklung ist auch hierorts vermerkt worden. Gegen den Strich gebürstet erscheint uns die ins klassenkämpferische Schema gepreßte Anschauung vom Bürgertum der wilhelminischen Ära, als führe sie zwingend in die Nazizeit. Die Ausführungen sollten nach Inhalt und Form differenzierter gegeben werden. Dem Vernehmen nach hat der Verlag Haude & Spener keine Gelegenheit mehr zu glättenden Eingriffen gehabt; so ist hier die Tätigkeit des einzelnen gefordert. Der Verlag hat das Unternehmen in der Hoffnung auf wachsende Annäherung gewagt, dem Verein die Präsentation angeboten, weil dieser seine Heimat früher „am Platz" gehabt hat. Gerechtigkeitsempfinden gebietet die Auseinandersetzung, sollte aber dem Autor dieselbe Berlinliebe zugestehen, die er für sich in Anspruch nimmt. Mit Interesse liest man von der schrittweisen, oft von Hindernissen verfälschten Ausgestaltung des Stadtgrundrisses der Friedrichstadt und ihres „Lebens am Platze", so auch, wenn der Autor den Aspekten der Baukosten und der Situation der Arbeiter nachgeht. Er ist ferner Chronist des heute kaum noch bekannten Regiments „Gens d'Armes". Wir lesen vom Einsturz des Deutschen Turms, der Kristallisation der bürgerlich-aufklärerischen Ereignisse um das Schauspielhaus von der Iffland-Zeit bis in die Moderne, der Formung des „Schillerplatzes" mit seinem Denkmal. Vf. geht auf die Lesecafes als Bildungsanstalten ein, verfolgt die Spur von E. T. A. Hoffmann (dessen „Schizophrenie" n. u. E. nicht nur Leiden an den gesellschaftlichen Widersprüchen ist, sondern existentieller Art); er plädiert für das Junge Deutschland gegen die Romantik. „Mit Fanfaren unter dem Hakenkreuz" - so beginnt das Kapitel über die Jahre nach 1933. „Am 30. Januar 1933 schoben die einflußreichsten und kriegslüsternen Zirkel des deutschen Finanzkapitals die Faschisten an die Macht; Adolf Hitler wurde Reichskanzler. Die in den Finanzstuben der Platzumbauung wirkenden Kreise hatten daran ihren Anteil, und sie versprachen sich von der zu erreichenden Vorherrschaft in der Welt und dem Krieg das große Geschäft, das sie ohne Rücksicht auf fremde Völker und auf das eigene Volk zu realisieren gedachten. Vorbereitung des Krieges und seine Finanzierung waren das Thema in den Geschäftshäusern, die Schatten fielen auch auf den Platz, dem eine Rolle in der ideologischen Kriegsvorbereitung der Berliner Bevölkerung zuerkannt wurde. Die alle Werte verfälschenden ideologischen Wegelagerer fingen bald an, den Platz und seine Traditionen zu besudeln und völlig zu verfälschen „Als der deutsche Imperialismus sich am 1. September 1939 anschickte, seinen weitgespannten Expansionszielen durch Krieg und Völkermord näher zu kommen, waren in den Banken und Staatsbehörden am Gensd'armen-Markt soziale Träger und Interessenvertreter an der Planung und Realisierung des Konzepts zur Erringung der Vorherrschaft in der Welt beteiligt." Über das Verbrecherische und Menschenverachtende der braunen Herren besteht kein Zweifel; so sehr die o. g. Aussagen in ihrem Kern wahr sind, lesen wir diese Art von Vereinfachung doch mit Unbehagen. Daß die Nationalsozialisten sehr früh begannen, jede demokratische Tradition an der Wurzel abzutöten, steht auch für uns außer Zweifel und erregt unsere Abscheu. Stärker als diese verbalen Aussagen sprechen die beigegebenen Fotos von der Zerstörung und der Herabwürdigung des Stadtplatzes zur Ackerfläche. Das Entsetzen stellt sich vielleicht im nachhinein noch stärker ein als in der damaligen Gegenwart. Wir wissen die Aufbauleistungen der DDR zu würdigen; die alte geistige Identität kann es naturgemäß nach diesem Ausmaß an Zerstörung nicht mehr geben, zumal die neue Platzumbauung etwas Nachempfundenes ist, uns dennoch als eine Heranführung an die historische Tradition Berlins erscheint. Christiane Knop
Berliner Sitte(n). Zusammengestellt von Emil Koschka. Edition Jule Hammer. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 1981, broschiert, 93 Seiten. Der Titel verrät nicht, daß wir uns nicht nur auf ein schlüpfriges Parkett, sondern auch in die Historie Berlins begeben. Wie Jule Hammer in seinem Vorwort mitteilt, hat sich in Berlin mit der Geschichte der „Sitte" und mit der Entwicklung der „Sitten" eine ganz besondere Sprache herausgebildet, die er als ein Gemisch zwischen Rotwelsch und liebenswürdigem Kiezplausch bezeichnet. In drei Kapiteln („Altberliner Sitten", „Die heimlichen Sünden der Kaiserstadt" und „Berlin - Weltstadt der Lüste") wird aufgespürt, was sich seit den Zeiten der Badestuben und der preußischen Lustkasernen über die Mädchen aus Zilles Milljöh bis zu den 20er Jahren und zur so glanzvollen Friedrichstraße getan hat. Von Walter Benjamin stammt die Feststellung (1928): „Bücher und Dirnen kann man ins Bett nehmen." SchB. 97
Hans-Joachim Richnow: „Erinnerungen an Preußen". Berlin 1978, bei Haude & Spener, 192 Seiten mit vielen zeitgenössischen Abbildungen und Literaturverzeichnis. Rückschau auf die Verlautbarungen zur 750-Jahr-Feier Berlins impliziert Rückschau auf die fast seit einem Jahrzehnt stattfindende Preußen-Renaissance. Mit diesem Buch haben wir einen ihrer Vordenker, der von sich sagt, er wolle „Scheinwerfer der Erinnerung auf Orte richten, von denen die Chronik Bemerkenswertes erzählt, auf Männer, die mit dem Geschick Preußens verbunden waren und nicht in Vergessenheit geraten sollten". Dies geschah 1978 im Vorfeld der Preußen-Ausstellung, als es um eine behutsam abwägende, kritische Betrachtung ging. Die Anmerkungen, die damals erst ertastet wurden, erscheinen auch heute noch gültig. Vf. unterzieht die - fontanisch gesprochen - märkisch-preußischen Lieblingsorte und -gestalten einer genaueren Betrachtung, greift Reizworte des vaterländischen Ruhms auf und geht den Umständen der Legendenbildung nach. Er entdeckt, daß es bei den Ereignissen in Wahrheit recht menschlich und zuweilen wenig heldisch zugegangen ist. So sucht er ihnen eine bescheidenere Akzentsetzung zu geben. Die Vorgänge um die Schlacht von Tannenberg 1410 machen deutlich, wie sehr der machtpolitische und strukturelle Wandel innerhalb des Ordensstaates mit dem Wandel der spätmittelalterlichen Reichsstruktur zusammenhing, in die der Ordensstaat auf Gedeih und Verderb eingebunden war. Eine solche permanente Staatskrise mußte auch den Staat, der noch unausgewogen zwischen Deutschen und Slawen existierte, entscheidend schwächen. So meldet Vf. Zweifel an, ob die preußischen Staatstugenden seit dem 18. Jahrhundert tatsächlich auf die politische Haltung des Ordens zurückzuführen seien. Um den Ort, die Burg Plaue, knüpft sich die Auseinandersetzung zwischen dem neuen Territorialfürsten Friedrich I. und dem egoistischen märkischen Adel. Die bisher oft geübte Schwarzweißmalerei pro Kurfürst und kontra „Raubritter" muß realisiert werden. Die Gestalt des ersten Hohenzollern erscheint hier keineswegs souverän und einhellig in ihren Zielen, sondern sie zeigt ein unsicheres Schwanken. Der einheimische Adel scheint zuweilen zu Recht, wenn auch mit unerlaubten Mitteln, seine Position zu verfechten. Als Rocher de bronze erweist sich eher der ständische Egoismus als die überlegene staatsmännische Kraft Friedrichs I. Erst sein Sieg durch die stärkeren Waffen begründet den Aufstieg seines Hauses. Danach bedurfte es noch des inneren Ausbaus des Staates, und der stand dahin. Auch in der Frage der Einführung der Reformation in Brandenburg durch Joachim II. werden die Ereignisse von 1539 in Spandau ihrer einmaligen Glaubensentscheidung entkleidet. Vf. legt vielmehr dar, daß von der Enteignung des Klosterbesitzes zugunsten der Bezahlung der Geistlichen Sachzwänge ausgingen, die eine schon länger bestehende Entwicklung förderten; 1539 erscheint hier als Endglied in der Kette. Die Reformation in Brandenburg ist danach mehr Angelegenheit der Territorial- als der Kirchengeschichte. Der Leser vermag den solcherart aufbereiteten kritischen Punkten zu folgen; es lohnt sich, darüber nachzudenken. Die Ergebnisse lassen sogar noch radikalere Rückschlüsse zu, ohne gehässige Feindseligkeit preußischer Geschichte gegenüber zu erzeugen. Der Leser findet vielmehr das alte historische Prinzip verwirklicht: Es kommt darauf an, was geschichtswirksam ist. Das gilt auch für die Betrachtung von Fehrbellin, Kunersdorf, Tauroggen und Nikolsburg. Die Wirkung der jeweiligen Persönlichkeit und ihrer Überzeugungskraft wurde zum Fanal einer reifenden Entwicklung. So stellt er dem Leser die Schlacht von Fehrbellin als ein bloß gelungenes Rückzugsgefecht dar, das noch dazu mit dem Makel der Schaukelpolitik des Großen Kurfürsten behaftet ist und ihn beinahe um alle Gewinne aus dem Westfälischen Frieden gebracht hätte. Aber der Nimbus des Feldherrn, der die Ermatteten persönlich noch einmal ins Treffen führte, hat sich mit seinen Verdiensten um den inneren Ausbau des Landes und seine Toleranzpolitik verbunden. Ähnliches gilt für Friedrichs Haltung in Kunersdorf. Er selbst hat in der verzweifelten Nacht nach der verlustreichen Schlacht sein Versagen als Feldherr eingestanden, das ihn fast um alles gebracht hätte. Das „Mirakel des Hauses Brandenburg" war ein bloßer Zufall: die Einigung zwischen Daun und den Russen, die daraufhin abzogen. Richnow kennzeichnet die Haltung des preußischen Königs 1848 als halbherzig und inkonsequent; denn er mußte erkennen, daß seine nicht eingehaltenen Freiheitsversprechungen die Krise verschuldet hatten. Die Frage der nationalen Einheit in Freiheit in einem parlamentarischen Staat ist dadurch um 20 Jahre verzögert worden und hat Bismarck die kleindeutsche Lösung fast vorgeschrieben. So, wie Yorck von Wartenburg in Tauroggen klein war, weil er zauderte und auf Zeit spielte in der Hoffnung, Seydlitz werde aus Berlin die Weisungen des Königs zum Ungehorsam mitbringen, so war auch Bismarck in den Querelen, die dem Krieg von 1866 vorangingen, kleinlich und nachtragend; es erscheint seine Verhandlungsführung in Paris 1866 wie eine Überreaktion, seine Unbeliebtheit im Verfassungs98
konflikt von 1862 wettzumachen, bis ihm angesichts des Siegestaumels in Nikolsburg die staatsmännische Maxime klar wurde: Nicht Richter spielen, sondern Politik machen! Man mag darüber anders denken, die vorgebrachten Denkanstöße sind aber erwägenswert und halten differenzierter historischer Wertung stand. Christiane Knop
E i n g e g a n g e n e B ü c h e r (Besprechung vorbehalten) Das Mauerbuch, Texte und Bilder aus Deutschland von 1945 bis heute. Oberbaumverlag, Berlin. Ingrid Heinrich-Jost: Literarische Publizistik Adolf Glaßbrenners (1810-1876). Die List beim Schreiben der Wahrheit. K. G. Säur Verlag, München 1980. Gerhard Falkner: Berlin - Eisenherzbriefe. Luchterhand Verlag, Darmstadt und Neuwied 1986. Ralf Rothmann: Messers Schneide, Erzählung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986. Institut für Landschaftsökonomie: Werkstattberichte. Herausgegeben von Prof. Dr. Arnim Bechmann, TU Berlin. Vertrieb Uni-Bibliothek der TU Berlin, Abt. Publikationen. Budapester Straße 40, Berlin 30. Marianne Blasinski:... und dennoch liebt mich das Leben, Erzählungen. J. G. Bläschke Verlag, A-9143 St. Michael. Berliner Geschichtswerkstatt e.V.: Vom Lagerfeuer zur Musikbox, Jugendkulturen 1900-1960. Elefanten Press, Berlin 1985. Märkischer Dichtergarten: Christoph Friedrich Nicolai: Vertraute Briefe von Adelheid B. an ihre Freundin Julie S., herausgegeben und mit einem Nachwort von Günter de Bruyn. Fischer Taschenbuch Verlag, 1983. Benno Meyer-Wehlack: Pflastermusik, Berliner Erzählungen. Rogner's Edition bei Ullstein, Frankfurt am Main 1982. Kleines Berlin-Lexikon, zusammengestellt von Hanna Pretzsch. Stapp Verlag, Berlin 1984. Albrecht von Hardenberg: West-Berlin Rundwanderungen. Fink - Kümmerly + Frey Verlag GmbH, Ostfildern 1982. Jens Schneider, Herausgeber: Jugend in Kreuzberg. Ararat Verlag, Berlin 1984.
Neue Mitglieder im II. Quartal 1988 Horst Drope, Angestellter Halenseestraßelc, 1000 Berlin 31 Telefon 8 92 86 37 (Bibliothek) Andrew Dujardin, Kaufmann, Konsul e. h. Herbertstraße 20,1000 Berlin 33 Telefon 8925392 (Oxfort) Helga Funke, Lehrerin Binger Straße 41,1000 Berlin 33 (Hentschel) Peter Gorecki-Wanjek, Programmierer Gudrun Gorecki-Wanjek, Erzieherin Landhausstraße 44,1000 Berlin 31 Telefon 877013 (Geschäftsstelle) Michael Kaluza, Student Treseburger Straße 4,1000 Berlin 10 Telefon 344 7287 (Teile) Marcel Meili, Angestellter Eglisackerweg 2, CH-8610 Usater Telefon 01-9405690 (Geschäftsstelle) Walter Momper, Fraktionsvorsitzender Fichtestraße 15,1000 Berlin 61 Telefon 6 9143 59 (Oxfort)
Aigrid Neumerkel Föhren weg 6,1000 Berlin 33 . _. . _ t Telefon 8 32 82 75 (Geschäfts* ehe) Elmar Pieroth, Senator fm Ortschaft und Arbe.t Am Sandwerder 41, 1000 Berhn 39 Telefon 803 8200 (Oxfort) Manfred Schmid, Landschaftsarch'tekt Wiesbadener Straße 4, lOOOBerhn 30 Telefon 8 529142 (Dr. Schul ze-Berndt) Peter Scharmann Verwal ungsangestellter Alt-Britz 45 b 1000 Berhn 47 Telefon 6062377 (Dr. S^ultze-Berndt) Gerhard Schnöder, Parbmentar. Geschäftsführer Liliencronstraße 18,1000 Berlin 41 Telefon 7 96 50 73 (Oxfort) Dr- Hermann Wagner Konradinstraße 28,1000 Berlin 42 Telefon 7 524868 (Geschäftsstelle) Hans Zielmski, Journalist Guntersblumer Weg 13,1000 Berlin 38 Telefon 8011257 (Geschäftsstelle) 99
Veranstaltungen im III. Quartal 1988 1. Freitag, den 15. Juli 1988, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Dr. Martin Sperlich: Das Denkmal des Großen Kurfürsten und seine Aufstellung. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Sonnabend, den 23. Juli 1988, 14.30 Uhr: Sommerausflug des Vereins: Besichtigung der Dorfkirche Stolpe, der Kirche am Stölpchensee. Leitung: Herr Günter Wollschlaeger. Anschließend 15.30 Uhr geselliges Beisammensein im Gartenrestaurant „Stölpchensee". Kaffee oder Tee und Kuchen nach Wahl oder Essen nach Karte. Treffpunkt 14.30 Uhr vor der Kirche. Fahrverbindung vom U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim mit dem Bus 18 bis Wilhelmplatz, Kirche am Stölpchensee. Sommerpause im Monat August. 3. Sonnabend, den 27. August 1988,11.00 Uhr: Besuch des Schlosses Köpenick. Leitung: Herr Hans-Werner Klünner. Treffpunkt 11.00 Uhr auf dem Schloßhof. Individuelle Anfahrt, Tagesvisum für den anderen Teil unserer Stadt erforderlich. 4. Montag, den 12. September 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Dr. Iselin Gundermann: Friedrich III. und das Dreikaiserjahr. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 5. Montag, den 26. September 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Dr. Ulrich Stark vom Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz: Die städtebauliche Entwicklung Berlins seit 1650. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. Im Monat August bleibt die Bibliothek geschlossen.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30-22 34. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 332408. Geschäftsstelle: bei der Schatzmeisterin. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 365 7605. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102, 1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 10020000), Kto.-Nr. 0381801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 1000 Berlin 28; Roland Schröter. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 84. Jahrgang
Heft 4
Oktober 1988
einen Weg zu Gott, den vor ihm noch niemand beschritten hat.
(Ausspruch des Propheten Muhammed mi, Erläuterung « ^ S S S t ^ ^ l S Ä Staatsmannes, Dichters und Mystikers AH Aziz Efendi v°" Kreta ve^torben als osman^eBoscna in Preußen am 29. Oktober 1798 und bestattet auf dem Turk.schen Fnedhof zu Berlm.)
Denkmal für Ali Aziz Efendi von Kreta, errichtet auf Weisung Kömg ^ ^ ^ durch den Baumeister Voigtel auf dem h.storischen Turk.schen Fnedhof zu Berlin (Zeichnung: Hassan-Ingo Schmiede)
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Vor 190 Jahren ... Tod des türkischen Botschafters Ali Aziz Efendi Von H. Achmed Schmiede
Berlin, Ende Oktober 1798. Durch die Friedrichstraße rollt ein großer, von vier Pferden gezogener Leiterwagen langsam in Richtung Hallesches Tor. Auf der Ladefläche steht, mit grünem Tuch bedeckt, ein schlichter Holzsarg. Auf den Leitern zu beiden Seiten des Wagens sitzen fremdartig gekleidete Gestalten, die von Zeit zu Zeit Geldstücke unter die den Straßenrand säumende Menge werfen. Oben auf dem Sarg liegt eine Kopfbedeckung, die manchem Zuschauer bekannt vorkommen mag. Der Mann, der diesen Turban getragen hatte, war zu Pfingsten 1797, genauer: am 4. Juni, in Berlin angekommen. Damals waren ebenfalls viele Berliner, den Meldungen folgend, wonach eine osmanische Gesandtschaft in der Hauptstadt Preußens erwartet wurde, hinaus zum Frankfurter Tor gezogen, um dieses Ereignis mitzuerleben. Bereits zweimal hatten zuvor türkische Botschafter Berlin besucht, 1763 Resmi Ahmed Efendi und 1791 Ahmed Said Azmi Efendi. Beide aber hatten sich nur vorübergehend aufgehalten, um nach Erledigung ihres Gesandtschaftsauftrages in die Heimat zurückzukehren. Dieser jedoch, der Kreter Ali Azis Efendi, war vom Padischah zum ständigen außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Osmanischen Hohen Pforte am Preußischen Königshof ernannt worden. Den erwarteten großen Empfang für den Botschafter aber hatte es nicht gegeben. Durch eine fehlerhafte Meldung des preußischen Gesandten in Konstantinopel war der hohe diplomatische Rang Ali Aziz Efendis vom preußischen Ministerium verkannt worden. Die Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voß vermerkt in ihren Memoiren1 unter dem 5. Juni 1797: „Der türkische Gesandte ist am vierten des Monats eingetroffen, aber noch nicht empfangen worden." Diese fehlerhafte Einschätzung seitens der preußischen Behörden war bereits auf der Anreise Ali Aziz Efendis Ursache von Peinlichkeiten gewesen. Obwohl der Hospodar der Moldau, Fürst Callimachi, unter dem 17. April 1797 dem österreichischen Generalfeldzeugmeister Graf von Kaunitz ganz korrekt Mitteilung gemacht hatte: „ . . . la Sublime Porte vient d'envoyer pour son Ambassadeur aupres de S.M. le Roi de Prusse le ci-devant bas mouhasebi Aziz-Ali-Effendi cet Ambassadeur ayant ete arrive a Jassy ..." 2 , blieb der richtige Durchblick an der österreichisch-preußischen Grenze hängen, und der König verließ sich ganz auf die Meldung seines diplomatischen Vertreters, wonach es sich bei Ali Aziz Efendi um einen einfachen Gesandten handele, welcher die Vergünstigungen und Ehrungen, die seine Vorgänger genossen hatten, nicht zu beanspruchen habe. Diese - auf Gegenseitigkeit beruhenden - Vergünstigungen genossen in Preußen außer den im Ministerrang stehenden außerordentlichen und bevollmächtigten Botschaftern der Hohen Pforte nur die Vertreter von Kur-Mainz und der Niederlande. Da hierunter auch die Übernahme der Reisekosten und eine der Würde des Botschafters entsprechende militärische Begleitung, angemessene Unterkunft 102
und ein bestimmtes Zeremoniell bei der Ankunft gehörte, ihm dieser Anspruch aber verwehrt wurde, weigerte sich Ali Aziz Efendi, bei seiner Ankunft an der preußischen Grenze in Slawkow am 22. Mai 1797 auch nur den Wagen zu verlassen. Bei soviel Standhaftigkeit muß den örtlichen Behörden heiß unter den Perücken geworden sein, denn entgegen der Anordnung des Königs wurde dann doch noch ein militärisches Geleit zur Verfügung gestellt, und die Kosten für Reise und Unterkunft wurden zunächst vorgestreckt. Über Krakau, Breslau, Posen und Frankfurt weiterreisend, langte der Botschafter am 4. Juni 1797 in Berlin an. In Berlin mußte er feststellen, daß hier keinerlei Vorkehrungen für angemessene Unterkunft und Empfang getroffen worden waren. Nach erheblichem, tagelangem Hin und Her, u. a. der Einschaltung des französischen Gesandten, wird Ali Aziz Efendi schließlich von Friedrich Wilhelm II. empfangen und überreicht das prachtvoll ausgefertigte Beglaubigungsschreiben des Sultans, in welchem er als Minister des Kaiserlichen Diwans, als Oberster Finanzinspecteur der asiatischen Reichsteile sowie außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Hohen Pforte am preußischen Königshof ausgewiesen wird. Den Empfang schildert Frau von Voß so: „15. Juni. - Der türkische Gesandte hatte seine Audienz beim König, er heißt Aziz Effendi. Vorher waren wir beim König zum Dejeuner mit den Schönhausern, und ich fand den König wieder viel wohler. Gegen 12 Uhr also kam der Gesandte in einem Gala-Hofwagen mit 6 Pferden, der Graf R. fuhr mit ihm; hinter diesem wurde ein Paradepferd des Königs geführt, dann kamen noch ein Hofwagen mit 6 Pferden und einige zweispännige Wagen mit seinem Gefolge. Der Graf Podewils führte den Botschafter ein, alle Minister und Generäle standen neben dem Thron im Rittersaal; der König mit dem Hut auf dem Kopf unter dem Thronhimmel, und die Prinzen ihm zur Seite. Der Türke hielt seine Anrede, die der Dolmetscher übersetzte und auf die der Graf Finkenstein antwortete; dann machte er zwei tiefe Verbeugungen, übergab seine Creditive und entfernte sich wieder." Nachdem Ali Aziz Efendi dann auch noch fürstliche Geschenke der Hohen Pforte für den König, die Königin, den Kronprinzen Friedrich (später Friedrich Wilhelm III.), die Kronprinzessin Luise und die übrigen Mitglieder der königlichen Familie eingehändigt hatte (der Gesandtschaftsbericht Aziz Efendis enthält eine sehr anschauliche Schilderung von höfischen Einstufungen, die bei der Einteilung der Geschenke zu beachten waren), blieb Friedrich Wilhelm II. und seinem Kabinett nichts anderes übrig, als dem Botschafter sein lebhaftes Bedauern über diese Vorkommnisse auszudrücken und sich in aller Form zu entschuldigen. In der Folge wurde dann das Protokoll peinlichst beachtet, und Ali Aziz Efendi hatte sich über Mangel an Ehrungen nicht mehr zu beklagen. In Berlin hatte ein türkischer Botschafter zu jener Zeit kaum mehr zu tun, als seinen Souverän durch Würde und persönliche Ausstrahlung zu repräsentieren. Diesem Anspruch hat Ali Aziz Efendi in vollem Umfang entsprochen, doch scheint er auch kein Freund von Traurigkeit gewesen zu sein. An Festlichkeiten der Berliner höfischen Gesellschaft nahm er gern teil: „Abends war Thee und Ball bei Reck in seinem Garten, wo die Königin ebenfalls war. Der Türke unterhielt sich herrlich. Alles amüsirte ihn."4 Auch entspann sich alsbald zwischen ihm, dem feinsinnigen und toleranten Gelehrten, und hiesigen Akademikerkreisen ein reger Gedankenaustauch. 103
* ' Der Ruf Ali Aziz Efendis als Schriftsteller beruht in erster Linie auf seinen „Muhayyelät" (Phantasien). Dieses Werk stellt praktisch den Grundstein der modernen türkischen Literatur dar, wie Andreas Tietze bemerkt: „ . . . ebenso wie den politischen Reformen der Tanzimat die Versuche einer Modernisierung der Armee schon unter Selim III. vorangehen, so hatte auch die Westorientierung in der Literatur Vorläufer, die bis in dieselbe Zeit, in das ausgehende XVIII. Jahrhundert zurückgehen. Der Mann, mit dem jede Darstellung der türkischen Moderne anheben müßte, ist der Kreter ,Aziz efendi'."5 In richtiger Einschätzung der Bedeutung dieses Buches, das Andreas Tietze zu seiner Feststellung bewegt, hat schon Ende des 19. Jahrhunderts E. J. W. Gibb das Kernstück der „Muhayyelät" ins Englische übersetzt und veröffentlicht.6 Es bleibt zu wünschen, daß es auch einmal eine deutsche Übersetzung geben wird. Mit den Titeln „Muhayyelät" (Phantasien), „Varidät" (Intuitionen), einem kleinen Diwan und einer Anzahl weiterer Gedichte in türkischer und persischer Sprache erschöpft sich auch schon der (bislang bekannte) literarische Nachlaß Ali Aziz Efendis. Mit Sicherheit hat er weit mehr geschrieben. Im Vorwort eines ungenannten Herausgebers zu den „Muhayyelät" wird mit Bedauern festgestellt, daß die Nachkommen des Efendis den Wert dieser Hinterlassenschaft nicht zu schätzen gewußt haben und das meiste daher verlorengegangen sei.7 Über das Vorgenannte hinaus besitzen wir lediglich einen Teil eines Schriftswechsels mit einem Geheimrat von Diez8, zwei Aufsätze („Alles außer Allah existiert paarweise", „Beschreibung der Wohlberedsamkeit und der Reinheit der Rede")8, ein sechzehn Seiten umfassendes Büchlein (risale) mit dem Titel „Hüläsatü'l-Efkär"9 und seinen Gesandtschaftsbericht.10 Daß dieses wenige schon ausgereicht hat, in Ali Aziz Efendi quasi den Begründer der neuzeitlichen türkischen Literatur zu erkennen, spricht beredt für die ihm zukommende Bedeutung.
* Ali Aziz Efendi (Giritli Ali Aziz Efendi) wurde vermutlich in den dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts in Kandia auf Kreta geboren. Sein Vater, der „Tahamisci" Mehmed Efendi, war Defterdar (oberster Finanzverwalter) dieser 1669 dem Osmanischen Reich einverleibten Inselprovinz. Der Titel „Tahmisci" ist - was Ali Aziz Efendis Vater angeht - nicht eindeutig geklärt. Er bedeutet eigentlich „Kaffeeröster". Daß Mehmed Efendi ihn trug, muß nicht unbedingt heißen, daß er - wenigstens zu der Zeit, als er das Amt des Defterdars auf Kreta bekleidete - auch noch mit Kaffee zu tun hatte. Gerade Bedienstete des kaiserlichen Hofes, die mit der Auf- und Zubereitung von Kaffee befaßt waren, genossen hohes Ansehen und beriefen sich auch später, d. h. nach Übernahme eigentlich höherer Ränge, häufig mit Stolz auf diese Stellung in der höfischen Hierarchie, die ihren tagtäglichen unmittelbaren Kontakt zum Herrscher in Erinnerung rief (siehe auch: Nurhan Atasoy, „Türkische Kaffeehaustradition", Deutsch von H. Achmed Schmiede, in „Türkisches Leben", Mozaik Band 2, Leibniz-Gesellschaft für kulturellen Austausch, 1987). Jedenfalls war Mehmed Efendi ein wichtiger Beamter auf der Insel. Nach dem Tod des Vaters sah sich Ali Aziz im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, das er durch jugendlich leichtsinnige Lebensweise in verhältnismäßig kurzer Zeit gründlich aufgezehrt hatte, so daß er nach Konstantinopel zog und dort in der kaiserlichen Schützengarde Dienst nahm. 104
In seiner weiteren Laufbahn wurde er Muhassil, Steuereinnehmer, auf der Insel Sakiz (Chios). Als 1792 Belgrad von den Osmanen zurückerobert wurde, entsandte man den inzwischen für seine loyale Gesinnung und Zuverlässigkeit bekanntgewordenen Ali Aziz dorthin, wo er im Dienste der Hohen Pforte Liegenschaftsangelegenheiten abzuwickeln hatte. In Belgrad blieb er zwei Jahre und zeichnete sich wiederum durch Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit aus. Anschließend wurde er mit einer offenbar sehr hohen Position im Kaiserlichen Diwan betraut. 1796 erhielt er seine Ernennung zum ersten ständigen Botschafter in Berlin. Bis dahin muß er längst die „Intuitionen", seinen türkischen (und vermutlich auch einen persischen) Diwan sowie mit Sicherheit weitere, nicht mehr aufzufindende Werke verfaßt haben. Mit seinem Hauptwerk „Muhayyelät" ist er eben erst fertig geworden. Nunmehr bereitet er sich aufsein neues Amt vor. Daneben verfaßt er noch die „Hüläsat'ül-Efkär" (Zusammenfassung von Gedanken). Ob Ali Aziz Efendi auch während seines diplomatischen Aufenthalts in Berlin von Juni 1797 bis zu seinem Tod im Oktober 1798 literarisch tätig war, ist nicht bekannt. Andererseits ist kaum denkbar, daß ein Mann von seinem Format über ein Jahr lang keinen Federstrich getan haben soll, obwohl er gerade auf diesem Posten unbegrenzt Zeit für literarische Aktivitäten hatte. Dem Schriftwechsel mit Friedrich von Diez ist zu entnehmen, daß er diesen förmlich animiert hat, ihn mit kniffligen Fragen zu traktieren. Was wir wissen, ist, daß er bald nach seiner Ankunft und der Etablierung der osmanischen Botschaft im Ephraimschen Palais am Schiffbauerdamm einen Gesandtschaftsbericht verfaßt hat, von dem wir eine Abschrift in „Tarih-i Nun" n auffinden konnten. Möglicherweise fördert die Zukunft weiteres zutage, ob bei uns oder in der Türkei, wo in ungesichteten Handschriftensammlungen und Archiven noch vieles auf seine Neuentdeckung harrt. Am 16. November 1797 stirbt Friedrich Wilhelm IL, und sein Sohn Friedrich besteigt als Friedrich Wilhelm III. den preußischen Thron. Dieser muß Anfang 1798 erkrankt oder unpäßlich gewesen sein; jedenfalls trägt das letzte bekannte Schreiben Ali Aziz Efendis, in dem er Genesungswünsche ausdrückt, das Datum 8. Februar 1798. Der Briefwechsel mit von Diez hat bereits 1797 stattgefunden. Am 29. Oktober 1798 ist Ali Aziz Efendi im Ephraimschen Palais gestorben. König Friedrich Wilhelm III. erwarb aus eigener Schatulle ein „auf der Tempelhofer Feldmark, unweit des Wiesenplans" gelegenes Areal vom Grafen Podewils und stellte es der diplomatischen Vertretung des befreundeten Landes als Begräbnisstätte zur Verfügung. Der Platz ist an der heutigen Urbanstraße, an einer Stelle einer gedachten Weiterführung der Geibelstraße in Richtung Blücherstraße gelegen. Hier wurde (wahrscheinlich am 30. Oktober 1798) Ali Aziz Efendi, Minister des Kaiserlichen Diwans, Oberster Finanzinspecteur der asiatischen Reichssteile, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Hohen Pforte am preußischen Königshof, begabter Dichter und bahnbrechender Schriftsteller, vor allem aber vorbildlicher Muslim und Sufi mit einer sich über zwei Jahrhunderte erstreckenden Ausstrahlung zur letzten Ruhe gebettet. Zur letzten Ruhe? Unter dem 31. Oktober 1800 erfolgt an den Königlichen Kabinettsminister Graf von Alvensleben folgende Meldung des Berliner Polizeidirektors Eisenberg: „Zeige ich hiermit untertänigst an, daß die vor dem Halleschen Thore unweit der Hasenheide befindliche und mit einem Stakkat umgebende Grabstätte des ehemaligen türkischen Gesandten heute früh geöffnet gefunden worden. Es ist ein Teil des Stakkats zerbrochen gewesen und von dem Sarge haben einige Muttern, ferner etliche Knochen und der Bart des Verstorbenen um die Grabstätte gelegen ..." n 105
Das Kabinettsministerium reagiert heftig: „Laut Eurer Anzeige vom 31. v. M. haben Wir den frevelhaften Unfug, welcher an der Grabstätte des ehemaligen türkischen Gesandten verübt worden ist, mit gerechtestem Unwillen erfahren. Wir zweifeln nicht, daß Ihr bey der in der Stille zu unserer völligen Zufriedenheit verfügten Wiederherstellung des Grabmales auch auf sorgfältige Miteinscharrung des Leichnams werdet bedacht genommen haben; und sehen Euren ferneren Anzeigen entgegen, wenn Ihr den Tätern und dem Zusammenhang des Frevels näher auf die Spur gekommen seyn werdet."13 Die Grabstelle wird wieder hergestellt und der besonderen Obhut der Behörde und der Bevölkerung anempfohlen. Als im Jahre 1804 der osmanische Geschäftsträger ad interim Esad Bey verstirbt, wird er an der Seite Ali Aziz Efendis beigesetzt. Mit dem Jahr 1806 kommt die Niederlage Preußens im Krieg gegen das Napoleonische Frankreich, und in den darauffolgenden Jahren gerät der erste türkische Friedhof Berlins vor den Toren der Stadt in Vergessenheit. Die hölzerne Einfriedung verfällt, und auch der zur Kenntlichmachung aufgestellte Findling verschwindet unter üppigem Wildwuchs. Im Jahre 1836 erst werden die Gräber von dem Förster Christoph wiederentdeckt. Die von diesem erfolgte Meldung wird dem König zur Kenntnis gebracht, und dieser verfügt eine würdige Neugestaltung des kleinen Friedhofes. Auch Karl Friedrich Schinkel wird hinzugezogen und fertigt den Entwurf für ein Grabmal (das aber dann in dieser Form doch nicht zur Auführung kommt). Für uns hier in Berlin - ob Deutsche oder Türken - ist sowohl die historische Gestalt als auch das literarische Wirken Ali Aziz Efendis von besonderer Bedeutung: Es besteht nämlich kein Zweifel daran, daß der Marksteinsetzer der modernen türkischen Literatur auch mit seinem politischen und gesellschaftlichen Engagement in der Hauptstadt Preußens einen Grundstein gelegt hat, indem er eine zögernd einsetzende historische Entwicklung in Schwung brachte, so daß die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Herrschenden beider Länder sich zu einer allgemeinen preußisch-osmanischen und später deutsch-türkischen Freundschaft entwickeln konnten. Dem trägt der Senat von Berlin (West) mit der Anbringung einer Gedenktafel für Ali Aziz Efendi zur 190. Wiederkehr des Todestages in der Urbanstraße, unweit der ursprünglichen Begräbnisstätte, sowie der Restaurierung des Monumentes auf dem Türkischen Friedhof am Columbiadamm in dankenswerter Weise Rechnung.
Anmerkungen 1 Sophie Marie Gräfin von Voß: „Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe", Leipzig 1894. 2 Zentrales Staatsarchiv, Merseburg/DDR, Auswärtige Beziehungen, Rep. 11 Nr. 274a Türkeir Fasz. 6d. 3 Siehe oben, Voß. 4 Dito. 5 Andreas Tietze: „Aziz Efendis Muhayyelat", in: ORIENS 1,1948. 6 „The Story of Jewad", a romance by Ali Aziz Efendi the Cretan, translated from the Turkish by E. J. W. Gibb, Glasgow 1884. 7 Ali Aziz Efendi: „Muhayyelät-i Ledünn-i Ilahi", Istanbul 1852, sowie: „Muhayyelät-i Aziz Efendi", sadelestiren: Ahmet Kabakh, Istanbul 1973 (Vorwort). 106
8 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Diez, Türkische Handschriften, Nr. 499. 9 Daselbst: „Risale-i Giridi" (Hüläsat'ü-1-Efkär), Hs. or. 1010. 10 In: „Tarih-i Nun", Österreichische Nationalbibliothek, Handschriften- und Inkunabelsammlung, Cod. H.O. 107. 11 Dito. 12 Wie oben, Ziff. 2. 13 Dito. Anschrift des Verfassers: H. Achmed Schmiede, Welfenallee 19, 1000 Berlin 19
Der Flensburger Löwe in Heckeshorn Von Jürgen Wetzel Seit einigen Jahrzehnten steht in Heckeshorn der sogenannte Flensburger Löwe. Viele vorbeikommende Besucher fragten nach seiner Bedeutung, fanden am Denkmal aber keine Erklärung. Deshalb entschloß sich das Bezirksamt Zehlendorf, eine Gedenktafel mit den wichtigsten Daten am Sockel anzubringen und in einer kleinen Zeremonie am 18. Juni 1988 zu enthüllen. Bei dieser Gelegenheit hat der Verfasser in großen Zügen die Hintergründe erläutert, die zur Anfertigung und zur Errichtung des Flensburger Löwen führten. Dazu mußte etwas weiter ausgeholt werden, denn zum Verständnis der politischen Zusammenhänge waren zunächst einige Bemerkungen zur verwickelten Geschichte Schleswig-Holsteins nötig. Nachdem die Napoleonische Herrschaft zu Anfang des vorigen Jahrhunderts unter Mißachtung der Ideale der Französischen Revolution den Deutschen nicht die erhoffte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gebracht, sondern sie im Gegenteil in den Dienst der Eroberungs- und Unterwerfungspolitik des Diktators gestellt hatte, besannen sie sich auf ihre eigenen Kräfte, auf ihre eigene glanzvolle Geschichte des mittelalterlichen Kaiserreiches, auf ihre gemeinsame Kultur, Sprache, Brauchtum, Wissenschaft, Dichtung und Kunst, die gerade um die Jahrhundertwende einen ersten Höhepunkt erreicht hatten. Es entwickelte sich ein deutsches Nationalgefühl, das im Abwehrkampf gegen die Fremdherrschaft und dann in den Befreiungskriegen kräftige Impulse erhielt und dadurch zu einer breiten Bewegung wurde. Dieses in allen Ländern Europas entstandene Nationalgefühl kehrte sich jedoch in den gemischt besiedelten Grenzgebieten gegeneinander, so auch in Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein hatte eine komplizierte staatsrechtliche Stellung. Das Herzogtum Holstein gehörte seit alters zum Deutschen Reich und im 19. Jahrhundert zum Deutschen Bund. Da aber der König von Dänemark seit 1460 die Herzogsgewalt innehatte, war Holstein auch ein Teil des dänischen Staatsverbandes und wurde von Kopenhagen aus regiert. Schleswig dagegen gehörte seit dem Mittelalter zu Dänemark, war aber durch die Bestimmung im Ripener Vertrag von 1460, dat se bliven ewich tosamende ungedeelt", in einer vom dänischen König garantierten Realunion mit Holstein verbunden und zu zwei Dritteln deutsch besiedelt. Der inzwischen ebenfalls erwachte dänische Nationalismus trachtete nun danach, das mit seiner deutschen Bevölkerung und seiner Verbindung zum Deutschen Bund schwer zu integrierende Holstein auszusondern und das gemischt besiedelte Schleswig zu „redanisieren" und bis zur Eider einem zu errichtenden dänischen Nationalstaat einzuverleiben. Gegen dieses von König Friedrich VII. am 22. März 1848 anerkannte Regierungsprogramm erhoben sich im Zuge der allgemeinen 107
revolutionären Bewegungen in Europa die Schleswig-Holsteiner und kämpften mit der aus dem Ripener Vertrag entnommenen zündenden Parole „up ewich ungedeelt" um ihre Selbständigkeit. Im Auftrag des Deutschen Bundes und dann der Frankfurter Nationalversammlung kamen ihnen preußische Truppen unter General von Wrangel zu Hilfe, die bis Jütland vordrangen. Dieser schnelle Vormarsch alarmierte England und Rußland, die aus eigennützigen Gründen und aus Gründen des europäischen Gleichgewichts nicht wollten, daß sich am „Bosporus der Ostsee" eine deutsche Großmacht, womöglich ein deutscher Nationalstaat etablierte. Sie zwangen Preußen nach zwei Waffenstillstandsperioden am 2. Juli 1850 im Berliner Frieden zum Rückzug aus Dänemark und zur Aufgabe der Herzogtümer, was alle deutschen Patrioten als Schmach empfanden. Die Schleswig-Holsteiner, nun auf sich allein gestellt, unterlagen den Dänen am 25. Juli 1850 in der blutigen Schlacht bei Idstedt - es fielen über 6000 Mann - und mußten sich wieder dem dänischen Gesamtstaat unterwerfen. Im sogenannten Londoner Protokoll von 1852 garantierten die fünf Großmächte und SchwedenNorwegen den Fortbestand des dänischen Gesamtstaates unter Einschluß Schleswig-Holsteins und erkannten die auf dem weiblichen Erbrecht beruhende Erbfolge des Prinzen Christian von Glücksburg unter Mißachtung des zunächst erbberechtigten Agnaten, des Herzogs von Augustenburg, an. Diese Regelung war erforderlich, weil das dänische Königshaus mit dem kinderlosen Friedrich VII. auszusterben drohte. Österreich und Preußen unterschrieben das Protokoll jedoch erst, nachdem Dänemark Zusicherungen für die Selbständigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein innerhalb der Gesamtmonarchie gegeben hatte. Als Erinnerung an den großen Sieg über die Schleswig-Holsteiner bei Idstedt beauftragte die Regierung den damals bekanntesten dänischen Bildhauer Hermann Villem Bissen mit der Anfertigung eines Löwendenkmals aus Bronze - der Löwe ist sowohl Wappentier Dänemarks als auch Schleswigs - und ließ es 1853 auf dem Alten Kirchhof in Flensburg aufstellen. Die dänischen Nationalliberalen, die sogenannten Eiderdänen, die seit 1854 die Regierung stellten, verloren trotz der Rückschläge ihr Ziel nicht aus den Augen. In logischer Konsequenz ihrer Politik brachten sie am 13. November 1863 im Folketing, dem dänischen Parlament, ein Grundgesetz durch, das ihr eiderdänisches Programm verwirklichte: Aussonderung Holsteins und Inkorporation Schleswigs in den dänischen Nationalstaat. Zu ihrem Unglück starb zwei Tage später der letzte Vertreter des regierenden Königshauses, so daß plötzlich das schwierige Verfassungsproblem mit der umstrittenen Erbfolgefrage verknüpft wurde. Als Friedrichs VII. Nachfolger, der „Protokollprinz" Christian IX., am 18. November das Grundgesetz unterzeichnete, löste er eine schwere europäische Krise aus, die zur schwersten Niederlage in der dänischen Geschichte führte. Für den Deutschen Bund, für die deutsche Nationalbewegung sowie für die Garantiemächte des Londoner Protokolls, Österreich und Preußen, war die Unterzeichnung des Grundgesetzes eine Provokation, die sie nicht hinzunehmen gedachten. Und für den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck war das die längst ersehnte große Stunde. Bismarck, der damals wohl der am meisten gehaßte Mann Deutschlands war, sah in dem Schleswig-Holstein-Konflikt die Gelegenheit, sich aus der innenpolitischen Isolierung zu befreien und gleichzeitig dem Ziel seiner Politik, der Einigung Deutschlands, einen Schritt näher zu kommen. In einer diplomatischen Meisterleistung manövrierte er Dänemark in eine Sackgasse, neutralisierte die Großmächte und schaltete die deutsche Nationalbewegung aus, die den Herzog Friedrich von Augustenburg unterstützte, der mit dem Slogan „Mein Recht ist Eure Rettung" für die Errichtung eines selbständigen Fürstentums innerhalb des Deutschen Bundes kämpfte. Indem Bismarck zur Empörung der deutschen Nationalliberalen auf die Restaurierung der international garantierten dänischen Gesamtmonarchie drängte, wohl wissend, daß der däni108
Abb.l: Der Flensburger Löwe vor der Hauptkadettenanstalt (nach einer Postkarte der Privatsammlung Klünner)
sehe Nationalismus eine Rückkehr zum Status quo ante nicht mehr zuließ, setzte er Dänemark ins Unrecht und nahm den Großmächten die Grundlage zum Eingreifen. Sein Ziel war die Annexion der Herzogtümer für Preußen und Preußens Aufgehen in einem geeinten deutschen Nationalstaat. Er wehrte sich gegen die Errichtung eines neuen Mittelstaates unter den Augustenburgern, der ihm im Bundestag zu Frankfurt - ähnlich wie die anderen Staaten - weitere Schwierigkeiten in der Verfolgung seiner Politik gemacht hätte. Am 16. Januar 1864 stellten Österreich und Preußen der dänischen Regierung das Ultimatum, die Novemberverfassung zurückzunehmen. Als sie sich weigerte, überschritten die deutschen Truppen die Eider und eröffneten die Kampfhandlungen. Am 18. April wurden die Düppeler Schanzen und am 29. Juni die Insel Alsen erobert. Am 20. Juli mußte Dänemark um Waffenstillstand bitten und am 30. Oktober im Frieden von Wien die Herzogtümer an Österreich und Preußen abtreten. Die Erinnerung an den für Preußen und für die Einigung Deutschlands so wichtigen Krieg hielten und halten noch heute im Bezirk Zehlendorf die Namen Alsen, Colomier, Düppel und 109
Abb. 2: Der Zinkabguß in der Kolonie Alsen um 1880 (Foto: Landesarchiv Berlin)
das Denkmal des Flensburger Löwen wach. Als Dank für seine Verdienste um die Erstürmung der Düppeler Schanzen verlieh König Wilhelm 1865 dem aus Dreilinden und Neu-Zehlendorf gebildeten Besitz seines Neffen, Prinz Friedrich Karl, die Eigenschaft eines landtagsfähigen Rittergutes mit dem Namen Düppel. Und der Kaufmann Wilhelm Conrad nannte sein 1870 am Wannsee errichtetes Haus „Villa Alsen". Diesen Namen übertrug 1872 auf seinen Antrag das Landratsamt des Kreises Teltow auf die seit 1869 am Wannsee entstehende Villenkolonie. Auch dafür waren ähnlich wie bei Düppel patriotische Motive ausschlaggebend; denn mit dem Übergang auf die Insel Alsen war der Deutsch-Dänische Krieg entschieden worden. Die Gegend am Wannsee hatte außerdem Conrads Schwager Louis Napoleon von Colomier, der als General der Artillerie an der Erstürmung der Düppeler Schanzen beteiligt war, an die jütische Landschaft um die Insel Alsen erinnert. Sein Andenken wird übrigens mit der Colomierstraße direkt am Großen Wannsee geehrt. Den Flensburger Löwen brachten die preußischen Truppen 1867 nach der Annexion beider Herzogtümer als Kriegsbeute nach Berlin und deponierten ihn im Hof des Zeughauses. Nach Fertigstellung der Kadettenanstalt wurde er Ende der siebziger Jahre nach Lichterfelde überführt und dort zur Erinnerung an die im ersten Gefecht mit Dänemark am 9. April 1848 bei Bau gefallenen Studenten und Freiwilligen vor dem Kommandanturhaus aufgestellt. Aus Verehrung für den siegreichen Heerführer, den Prinzen Friedrich Karl, seinen Nachbarn in Düppel, ließ der schon erwähnte Kaufmann Conrad einen Zinkabguß des Flensburger Löwen anfertigen und an der nach dem Denkmal benannten Straße zum Löwen auf einer Art Schanze 110
als ein weithin sichtbares Sieges- und Herrschaftszeichen aufstellen. Ein 1919 gestohlenes Bronzemedaillon mit dem Bildnis Friedrich Karls am vorderen Sockel und eine Bronzetafel am hinteren Sockel mit der Inschrift: „Dem Übergang nach Alsen am 29.6.1864 siegreich vollführt von Preußens Kriegern unter dem Oberkommando des Prinzen Friedrich Karl und der Führung des Generals Herwarth von Bittenfeld zu ehrendem Gedächtnis" erinnerten an die Verdienste des Prinzen. Erst 1938, im Zuge der Neugestaltung des Geländes, wurde das Denkmal an seinem heutigen Platz nach Heckeshorn versetzt. Das Original vor der Kadettenanstalt gaben 1945 die Amerikaner an Dänemark zurück. Es steht heute im Kopenhagener Zeughausmuseum. Der Flensburger Löwe wurde einst als Siegessymbol errichtet. Heute jedoch, nach zwei verlorenen Weltkriegen und nach dem Verlust der deutschen Einheit, ist dieses Denkmal auch durch sein eigenes Schicksal - zu einem Mahnmal für die Wechselfälle der neueren Geschichte geworden. * Der Verfasser ist Herrn Hans-Werner Klünner für die Ermittlung verschiedener Daten sehr verbunden. Anschrift des Verfassers: Dr. Jürgen Wetzel, Karlsbader Straße 2, 1000 Berlin 33
Die Eindrücke des norwegischen Architekten H. D. F. Linstow von Berlin in den Jahren 1836 und 1837 Von Jens Christian Eldal Das, was den norwegischen Architekten Hans Ditlev Frans Linstow in Berlin beeindruckte, als er sich 1836/37 studienhalber hier gründlich umsah, sollte für die Entwicklung der norwegischen Baukunst von langjähriger Bedeutung sein. Linstow war der Architekt des neuen königlichen Schlosses, das sich in jener Zeit in der Hauptstadt Christiania, dem heutigen Oslo, im Bau befand. Geboren war er in Dänemark als Sohn einer naturalisierten, aus Mecklenburg eingewanderten Adelsfamilie. Linstow besaß keine formelle Architektenausbildung, jedoch hatte er während seines Jurastudiums in Kopenhagen an der Kunstakademie hospitiert und auch später Architekturunterricht am Bergwerksseminar in der norwegischen Silberbergwerksstadt Kongsberg genossen. Außerdem hatte er ein umfassendes Selbststudium betrieben und war Lehrer der Baukunst an der Königlichen Zeichenschule in Christiania, an deren Errichtung im Jahre 1818 er beteiligt gewesen war. 111
Die Betreuung des Schloßbaues war 1836 bis zum Beginn der Einrichtungsarbeiten gediehen, und Linstow, der nie über Skandinavien hinausgekommen war, empfand das dringende Bedürfnis, sich durch eine Studienreise auf den Kontinent mit den großen Fortschritten vertraut zu machen, die von der Baukunst während der letzten Generation erzielt worden waren. Diese Fortschritte seien, so meinte er, nie zuvor so groß gewesen, und er fuhr fort: „Nicht mit der Zeit zu gehen, bedeutet daher in unseren Tagen dasselbe wie zurückzugehen." Linstows ursprünglicher Wunsch war es, nach Berlin und München, vor allem aber nach Paris zu reisen. Die königliche Verfügung, die ihm einen achtmonatigen Urlaub und Reiseerlaubnis gewährte, schränkte jedoch die Reiseroute auf Kopenhagen, Berlin, München und Stockholm ein, und diese Weisung geht wahrscheinlich auf ein persönliches Eingreifen des Königs zurück. Linstow hatte um eine etwas spezielle Finanzierungsform, die auch bewilligt wurde, ersucht. Es handelte sich dabei um ein Darlehen der Staatskasse, das nach der Rückkehr im Verhältnis zu dem Nutzen erlassen werden sollte, den die Nation aus den von ihm heimgebrachten Kenntnissen ziehen würde. Linstow blieb, teilweise wegen Erkrankung, länger in Berlin als vorausgesetzt war, und im Juni 1837 ersuchte er in einem Schreiben um eine viermonatige Verlängerung seines Auslandsurlaubs, um auch nach München reisen zu können. Diesem Gesuch lag ein Brief aus 24 dichtbeschriebenen Seiten bei, auf denen er detailliert von seinen in Berlin gewonnenen Eindrücken erzählt. Dieser Brief, der kürzlich entdeckt worden ist, berichtet von dem, was einem Besucher aus dem provinziellen Norwegen im Bereich der Architektur und einer Reihe anderer kultureller Bezirke imponierte, und er vermittelt gelegentlich ein lebendiges Bild des damaligen Berlin. Die großen kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Hauptstädten treten auch deutlich ins Blickfeld. Dieser Brief liegt - in redigierter Form - dem folgenden Referat zugrunde.1 Einleitend berichtet Linstow von den Zeichnungen, die er während seiner Krankheit in Berlin für den Festsaal und die Kirche des Schlosses geschaffen hatte. Er würde sie schicken, damit die Schloßbaukommission die Auffassungen, zu denen er inzwischen gekommen war, kennenlernen und alles unterlassen sollte, was nicht mit ihnen harmonieren würde. Der Festsaal hatte stärker das Gepräge des Konzertsaals im Berliner Schauspielhaus als des Rittersaals im Schloß Christiansborg in Kopenhagen erhalten. Die beiden erwähnten Vorbilder stellten die schönsten Festsäle dar, die er gesehen hatte, doch habe er sich vorwiegend vom Schauspielhaus inspirieren lassen, da die dortige Architektur billiger auszuführen sein werde. Linstow schickte auch eine Anzahl Warenproben von Berliner Fabrikanten, die sich als nützlich bei der künftigen Gestaltung der Innenräume des Schlosses erweisen könnten. In Berlin hatte der norwegische Architekt sich über die bedeutsamsten Bauten der Stadt informiert und die Bekanntschaft von Fachkollegen gemacht. Als Gast war er in den Architekten-Verein eingeführt worden, der 300 Mitglieder zählte und gesellige Zusammenkünfte veranstaltete, bei denen man Gegenstände der Architektur behandelte. Linstow schreibt jedoch nicht präzis, mit welchen Architekten er zusammenkam. Klarer geht immerhin hervor, daß er den Ofen- und Ziegelsteinfabrikanten Feilner, den Theaterdekorateur und Steinpappefabrikanten Carl Gropius, den Hersteller von poliertem Granit Cantian, Direktor Frick von der kgl. Porzellanfabrik und den Betriebseigner Nathusius getroffen haben muß. Erst 1843 schreibt er von einer persönlichen Bekanntschaft mit Schinkel.2 Eine der nützlichsten Bekanntschaften, sagt Linstow, sei diejenige mit Geheimrat Beuth, Direktor und Gründer des Gewerbeinstituts. Mit seiner Hilfe erhielt er als Geschenk für die Zeichenschule in Christiania das große und seltene Werk „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, herausgegeben von der königlich Preußischen Deputation für Gewerbe" mit 112
seinen 150 Tafeln. Das seit 1821 erschienene Werk hätte, wäre es käuflich gewesen, 4500 Speziestaler gekostet, es würde jedoch nur als Prämie o. ä. verwendet. Mit unter anderem schönen Mustern für Parkettböden und vielen anderen Details konnte es auch für das Schloß von Nutzen sein. Bauten von Bedeutung stammten nach Linstows Ansichten mit Ausnahme des Brandenburger Tors in Berlin entweder aus der Zeit Friedrichs IL, oder sie seien seit der Zeit nach dem Krieg neu entstanden und von Schinkel oder unter dessen Einfluß entworfen. Berlin sei wie ein „Phönix aus der Asche" gestiegen, besonders in den letzten zehn Jahren. Alles habe er nicht gesehen. Man müsse Grenzen setzen, sonst werde man in einer Stadt wie Berlin nie fertig. Dies sei mit ein paar Monaten unmöglich. Selbst auf einige interessante Kirchen am Rande von Berlin habe er verzichten müssen. Die Baukunst war variationsreicher, als es Linstow sich vorgestellt hatte. In Kirchen werde am häufigsten byzantinischer Stil verwendet, der nach Linstows Darlegungen für feierliche Handlungen geeigneter sei als antikischer Stil und weniger teuer als der gotische. Außerdem sei er für Ziegelbauten ohne Putz geeignet. Antikischer Stil, hier in Berlin mehr griechisch als römisch, sei vorherrschend bei öffentlichen Bauten. Private Wohnsitze in der Stadt seien „meist in einer Art zusammengesetzten modernen und antiken Stils, etwas in pompejanischer Manier", und Landhäuser in „einem leicht florentinischen Stil" ausgeführt, asymmetrisch und auf perspektivische Wirkung berechnet, mit kleinen Orangerien und italienischen Pergolen, bei denen man wilden Wein verwendete, eine Pflanze, die Linstow offenbar bis dahin nie gesehen hatte. Außen bevorzugte man Polychromie, innen pompejanische Dekorationen. Aber dazu bedürfe es guter Künstler. „Der sicherste Weg ist jedoch, sich an unsere übliche grau verschwommene nichtssagende Farbgebung zu halten. Man entgeht damit mindestens einer Disharmonie, und man kann auch nicht falsch spielen, wenn man ständig denselben Ton bläst." (Dies sagt freilich mehr über Linstow und Christiania aus als über Berlin.) An Bauten der jüngeren Vergangenheit, die der Norweger augenscheinlich gesehen hat, nennt er eine größere Anzahl, einige mit Kommentaren: Neue Wache, das Schauspielhaus mit dem Festraum, wo er zweimal zum Ball gewesen sei, um den Raum mit seiner Beleuchtung zu sehen, das Königstädtische Theater, Altes Museum, Gewerbeinstitut, das Königliche Schloß, das alt sei und in dem nur die Zimmer des stark kunstinteressierten Kronprinzen Friedrich Wilhelm von praktischem Interesse für ihn waren, die prächtige Schloßbrücke mit Piedestalen aus blankpoliertem Granit, die Palais der Prinzen, Sternwarte, Ingenieurschule, mehrere Stadttore, Kasernen und Exerzierhäuser, öffentliche Wohltätigkeitsanstalten, die weniger nachahmenswert seien als die Hamburger, denn die Berliner seien zu groß und viele außerdem veraltet, das Packhaus der Zuckersiederei Schickler, das, um Versicherung zu sparen, feuersicher gebaut sei mit dem Dach, innerem Stützwerk und Treppen ganz aus Eisen und das zudem ein sehr schönes Gebäude sei, sowie dem Wohnsitz des Kaufmanns Ravene, der ebenso wie das Prinz-AlbrechtPalais Eisentreppen von großer Eleganz besäße. Eines der am meisten bemerkenswerten neuen Bauwerke war für Linstow Schinkels Bauakademie wegen der Verwendung von rotem Ziegel ohne Putz der Fassade „in einem besonders schönen, ganz der Beschaffenheit des Materials angepaßten Stil". Andere Bauten in unverputztem Ziegel seien die Werdersche Kirche und das eigene Wohnhaus des Ziegelfabrikanten Feilner. Ein weiteres Bauwerk in unverputztem Ziegel, das er erwähnen wollte, war die Kirche St. Peter und Paul in Nikolskoe, die - wie Linstow schreibt - in byzantinischem Stil errichtet sei. Unverputzter Ziegel sei von ständig größerer Bedeutung und zweifellos das beste Material in einem kalten Klima, wenn man nicht nur gehauenen Stein verwenden könnte. Der Berliner 113
Ziegel sei prächtig anzusehen, und die Bauakademie schien mehr aus Porzellan als aus Ziegel zu sein. Die Verwendung von unverputztem Ziegel würde eine andere als die in Norwegen heimische Ziegelproduktion erfordern. Linstow hatte auch gesehen, wie Ornamentsteine aus Ziegel exakt und haltbar gemacht werden konnten; er habe Feilners Ziegelei besucht und die Herstellung studiert. Er werde einen der heimischen Fabrikanten darüber so genau wie möglich unterrichten. In Potsdam galten Linstows Besuche dem kronprinzlichen Landschloß Charlottenhof, der Nikolaikirche, gegen deren damalige Hauptform ganz wie ein antiker Tempel er verschiedenes einwenden zu können meinte, dem Zivilkasino, das sehr gut eingerichtet sei, und mehreren Lustorten in der Umgebung, deren kleine Gartenanlagen, sagt er, wiederum von Schinkel oder in letzter Zeit von jüngeren Architekten seiner Schule stammten. Im übrigen hatte Linstow viele schöne Gärten gesehen und erwähnt Peter Joseph Lenne als einen ausgezeichneten Vertreter der Landschaftsgärtnerei. Daß Holzbauten, hier in Berlin nach Schweizer und Tiroler Muster, jedoch sehr verwandt mit der traditionellen norwegischen Bauweise, zu einem hohen Grad von Eleganz gebracht werden konnten, hatte Linstow an mehreren Beispielen gesehen. Dies gelte insbesondere, wenn das Holzmaterial von Polychromie unterstützt werde. Er werde selbst auf diese Art bauen, wenn er nach Hause komme. Linstow nennt die Konditorei von Fuchs Unter den Linden, wo der Architekt Stüler ein ausnehmend schönes Zimmer ganz in Schweizer Stil in der Weise geschaffen hatte, daß die Dachschräge mit dem Sparrenwerk die Plafonddekoration bilde. Die Wände seien mit Füllungen und Friesen aus verschiedenen feinen blankpolierten Holzsorten bekleidet, während das Dach von leichten Stützbalken mit feinen Profilierungen abgesichert werde. Linstow hatte Cafes und Gaststätten mit offenen Laubsälen und Orchestern am Tiergarten besichtigt, der gerade zu einem sehr hübschen Park für die Öffentlichkeit umgestaltet wurde. Auf öffentliche Vergnügungseinrichtungen und Promenaden kommt er ständig zurück. Dergleichen habe man in seiner Heimat nicht, und selbst in Kopenhagen bedeuteten sie nicht viel. In Berlin habe er gesehen, wie geschmackvoll sie sein müßten, um mit Bänken und Tischen, die in Laubhütten und Bogengängen verteilt seien, ihren Zweck zu erfüllen. Unerläßlich für ein Volksfest sei Musik, sonst sei das Fest tot, oder das Leben müßte auf dem Boden der Flasche gesucht werden. Vor allem aber kam es auf zahlreichen Besuch an. Die vielen Volksvergnügungsplätze verringerten den Bedarf an privaten Landhäusern, und von diesen gebe es in Berlin, legte man die Einwohnerzahl zu Grunde, weniger als in Christiania. Die Volksvergnügungseinrichtungen seien so gepflegt, daß sie auch von den Gebildeten aufgesucht würden. An die Spitze stellte Linstow das Colosseum, das an Größe, Pracht und Zweckmäßigkeit das feinste Ballhaus in seiner Heimat mehrfach übertreffe. Noch feiner sei der Festraum im Schauspielhaus, wo zu den Bällen in der Fastenzeit nur in Ballkleidung erscheinende, namentlich ausgewiesene Personen Zutritt hätten, die einen hohen Eintrittspreis bezahlen müßten. Hier erschien auch der Hof, und der schwedisch-norwegische Kronprinz hatte erst kürzlich bei seinem Berlin-Besuch im Schauspielhaus, wo er jeden Abend gewesen war, große Aufmerksamkeit erregt. Ebenso begeistert war Linstow von Berlins speziellen Festdekorateuren, die Kontore, Lagerräume und sonstige Lokalitäten für eine Festlichkeit herrichteten. Sie verfügten über eine Fülle von Requisiten wie Seidengardinen, Spiegel, Kronleuchter, vergoldete Verzierungen, schöne Teppiche, Kandelaber u. a. Sie seien auf der Kunstakademie ausgebildet worden und führten ihre Arbeiten mit großem Kunstsinn aus. Linstow pries die preußische Ordnung. Während seines langen Aufenthaltes, bei dem er an so zahlreichen unterschiedlichen Orten gewesen sei, habe er nicht Ausschreitungen oder unange114
nehme Zwischenfälle erlebt, auch nicht, daß die Polizei ihre Macht demonstrierte. Bei allen größeren Ansammlungen von Menschen sähe man bewaffnete Gendarme, die, wenn es nötig war, höflich auf Unerlaubtes aufmerksam machten. Auch für die gerechte Regelung der Wehrpflicht für alle zeigte Linstow Verständnis. Der preußische Staat stützte sich auf die Verbreitung von Intelligenz, und alle Fähigen hätten die Möglichkeit der Ausbildung; freilich müßten die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, unbezahlt so lange arbeiten zu können, wie es nötig sei, bis die Einkünfte beginnen. Sehr sympathisch fand Linstow auch die Liberalität des preußischen Staates hinsichtlich der Gewerbetreibenden, da im Gegensatz zu dem sogenannten freien Hamburg alle Privilegien aufgehoben worden seien. Im Museum habe jedermann Zutritt, und Angereiste könnten auch nach Absprache hineinkommen, wenn geschlossen sei. Linstow lobte die Kunstvereinigung und die ausgedehnte Zusammenarbeit, die von den Kunstvereinigungen der verschiedenen Städte untereinander vereinbart wurde. Von bildenden Künstlern nennt Linstow nur den Bildhauer Chr. D. Rauch, der zu jener Zeit an sechs Victoriafiguren für des bayerischen Königs Walhalla bei Regensburg arbeitete. Der schwedisch-norwegische Kronprinz hatte - erfahren wir - Rauchs Atelier besucht. Linstow fügt hinzu, daß er den dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen höher bewerten würde. Im übrigen habe er sowohl das Kreuzberger Monument als auch die Standbilder des Fürsten Blücher sowie der Generale Scharnhorst und Bülow besichtigt. Das Handwerk habe in Berlin ein so hohes Niveau, daß die Architekten nicht bei allem Anleitungen geben müßten. Die Architektenhonorare für kleinere Aufträge seien häufig bescheiden, doch zahlten größere Bauherren gut. Linstow schreibt, er wünsche sich für sein ganzes Leben nichts mehr, als Architekt im Dienste des Handelshauses Schickler zu sein, und er berichtet ferner, der Architekt Stüler habe das erste Fundament seines Glücks bei dem Handelsmann Ravene gelegt. Linstow befaßte sich weitgehend mit den praktischen und bautechnischen Zuständen. Er berichtet von Kommissionär Dorn, einem der hervorragenden Technologen Berlins, der eine gummiähnliche Masse erfunden hatte, die den Bau dichter, flacher Dächer ermöglichte. Diese Dächer seien seit den letzten vier Jahren sehr verbreitet. Mit ihnen könnte man unbesorgt die wünschenswerten flachen Dächer bauen, die sonst mit norwegischen Dachdeckungsmaterialien unmöglich wären. Mit flachen Dächern erzielte man auch eine bessere Ausnutzung der Böden durch allgemeine Stehhöhe. In Berlin würden jetzt alte Häuser mittels neuer, höherer Gesimse und solcher Dächer renoviert. Die Gesimse würden mit Geländern ausgestattet, und auf dem Dach plaziere man Lusthäuschen. Nach Linstows Ansicht werde Berlin sich im Lauf weniger Jahre verändern. Die Fenster säßen überall tief in der Wand, und im Winter brächte man Doppelfenster auf der Außenseite, nicht wie in Norwegen im Innern an. Das Baugesetz enthielt nicht so viele Restriktionen wie in Christiania. In Berlin sei es z.B. erlaubt, am Hauptgesims Holz zu verwenden. Auch ereigneten sich keine solchen Brände, wie Linstow sie sowohl in Kopenhagen als auch in Hamburg erlebt hatte. Dagegen gehe man in Berlin bei der Anlage von Feuerstellen mit großer Vorsicht vor. Im übrigen habe er in großem Ausmaß Luftheizungen gesehen, die mit Erfolg im Museum installiert waren. Den Wasserdruck hatte Linstow sowohl im königlichen Schloß als auch im Schauspielhaus studiert. Im Schloß werde er dadurch bewirkt, daß ein Wasserrad in der Spree ein Druckwerk antreiben müßte, welches das Wasser zu einem Reservoir auf dem Dach hochpumpte, während im Schauspielhaus eine Dampfmaschine die Pumpe hinauf zum Reservoir auf dem Dach antriebe. Im Schauspielhaus befanden sich außerdem Leitungen mit Druckwasser in den 115
Kulissen, so daß im Fall eines Brandes stets Wasser vorhanden sei. Dagegen verwendete man nicht mehr die von einer Dampfmaschine angetriebene Konstruktion für den Kulissenwechsel, da sie so leicht alles auf ihrem Wege zerschlage und - besonders bei Ballettaufführungen mit vielen Kindern - Unfälle verursache. „Maschinen sind erbarmungslose Arbeiter." Schließlich teilt Linstow auch mit, daß Wasserklosetts in Berlin noch selten seien. Sehr begeistert war er von der gesamten theatertechnischen Einrichtung des Schauspielhauses. Die Kulissen stammten hauptsächlich von dem Dekorateur und Steinpappefabrikanten Carl Gropius, der Linstow die Möglichkeit verschafft hatte, alles zu besichtigen. Nicht besichtigt hatte er dagegen das Opernhaus, das älter und weniger zweckdienlich sei. Mit Interesse hatte Linstow Cantians Werkstatt für das hochentwickelte Schleifen und Polieren von Granit studiert. Nicht einmal die Porphyrarbeiten aus Älvdalen in Schweden könnten mit Cantians Granit konkurrieren. Die riesige Granitschale vordem Alten Museum sei sein Werk, und er exportiere auch nach England. Linstow meinte, daß sich mehrere norwegische Steinsorten gut ausnähmen, wenn man sie auf Cantians Weise polierte, und er habe Cantian bereits zugesagt, ihm eine Probe des opalisierenden labradorischen Syneit aus Larvik in Südnorwegen zu schicken. Linstow beschrieb das Patent des Tischlers Batmeier für einen Fußboden ohne Nuten und Nagel, bei dem dagegen die Bretter zusammengeleimt würden wie bei Tischplatten. Jedoch werde überall in Berlin statt einfacher Fußböden Parkettfußboden gelegt, sobald sich der kleinste Wunsch hinsichtlich Architektur regte. Parkett werde sogar in Schulen und Bibliotheken sowie ähnlichen öffentlichen Gebäuden verwendet. Im Konzertsaal des Schauspielhauses hatte Linstow zum ersten Mal eine Decke aus Holz ohne Benutzung tiefer Kassetten kennengelernt. Die Felder der Decke waren statt dessen mit Farben voneinander getrennt und die Ornamente in geschnittenem Holz ausgeführt. In letzter Zeit habe man außerdem angefangen, die Ornamente in Steinpappe auszuführen, und derartige Decken seien billiger als Gipsdecken. Im Palais des Prinzen Wilhelm seien Ornamente aus Steinpappe benutzt worden, die fertig oder nach Zeichnung geliefert wurden. Linstow schickte Proben mit, desgleichen Proben vergoldeter Leisten eines von vielen Architekten nachdrücklich empfohlenen Vergolders. Dieser liefere auch vergoldete Zinnornamente, die gebogen werden konnten, und vergoldete Kronleuchter aus einem anderen und billigeren Material als Bronze. Solche falschen Bronzekronen wurden in Berlin besonders in großen Sälen verwendet, wo sich hoch hingen. Die Werkstätten für Dekorationsornamente hätten in den letzten zehn Jahren sehr große Fortschritte gemacht und würden dank der vielen gutorganisierten Unterrichtsanstalten ständig besser. Stärker und haltbarer seien Ornamente aus Zink, unter anderem von dem Fabrikanten Geiß, den Schinkel außerordentlich schätzte. Bei ihm hatte Linstow auch vier Fuß hohe Kandelaber mit echter Vergoldung gesehen, die zum Tanzsaal im Schloß zu Christiania passen könnten. Architekturdekor wie Giebelverzierung und ähnliches gebe es auch fertig aus Zink. Ein Beispiel für die Verwendung von Zink sei das Schloß in Potsdam, wo die verfallenen Gesimsverzierungen „in altmodischem Geschmack" mit gegossenem Zink anstelle von gehauenem Stein repariert wurden. Linstow erstellte eine Übersicht darüber, was Berlin an Ornamenten und Verzierung liefern könnte und welche Preise verlangt würden. Der norwegische Architekt war meistens von all dem Neuen, das er zu sehen bekam, begeistert gewesen, und es war nicht wenig, was er mit nach Hause brachte. Plötzlich gelangten große Teile der neuen Technologie des Historismus und seiner neuen Formen- sowie Materialwelt in die kleine Hauptstadt Christiania des jungen norwegischen Staates. Gleichzeitig übernahm Deutschland die Hauptrolle als Inspirationsquelle der norwegischen Architektur, die bis dahin 116
Dänemark und zum Teil England gespielt hatten. Zunächst dominierten Berlin und teilweise München, während Hannover sie im Lauf der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts sowie in dessen Ausgang als wichtigster Ausbildungsort ablöste. Was daraus resultierte, wurde sofort augenfällig, vor allem durch Linstows eigene Leistungen bei der Einrichtung des Schlosses. Von dort verlief nunmehr auch ein gleichmäßiger Strom der Bestellungen von Ornamenten aus Steinpappe sowie Zink hin zu Gropius und Geiß in Berlin. Der erste Entwurf zu einem Gebäude in dem neuen Holzstil kam mit Linstows Vorschlag zu Pförtnerhäusern im Schloßpark 1839, der in bearbeiteter Fassung zusammen mit der Gardewachstube und Linstows eigener Wohnung wenige Jahre später ausgeführt wurde. In der Formung und Bepflanzung des Schloßplatzes sah man die Inspiration durch den Berliner Lustgarten, während bei Linstows Regulierung des Bereichs zwischen dem Schloß und der Stadt mit der jetzigen Hauptstraße - Karl Johans gate - eher Münchens Ludwigstraße zu Grunde lag. Es besteht aller Grund zu der Annahme, daß Linstow seine neuen Kenntnisse durch die Tätigkeit als Lehrer an der Königlichen Zeichenschule verbreitete, bis er dort im Jahre 1840 ausschied. Impulse aus Berlin und München zeigten sich jedoch auch bei den Arbeiten seines Nachfolgers an der Zeichenschule, des dänischen Architekten J. H. Nebelong, der sowohl Linstows Assistent in der Zeichenstube des Schlosses war als auch 1843 selbst ein Staatsstipendium für eine Deutschlandreise mit Hauptgewicht auf gerade diese beiden Städten erhielt. Das sichtbarste Resultat des neuen, Schinkelschen Einflusses auf die Architektur erhielt Norwegen mit der neuen Universitätsanlage an der Karl Johans gate, die von dem norwegischen Architekten Chr. H. Grosch in Zusammenarbeit mit Schinkel gestaltet wurde. Sie war zugleich eines der äußerst wenigen Bauwerke von europäischem Format, das im 19. Jahrhundert in Norwegen entstand. In hohem Grad ist es auf eben diese Studienreise Linstows zurückzuführen, daß der überragende Einfluß Schinkels hier so stark wurde.3 4
Anmerkungen 1 Linstows Brief an die Kommission für den Bau der Königswohnung vom 3. Juni 1837 aus Berlin. Archiv der Kommission für den Bau der Königswohnung, Paket 18, Anlage 502. Kommissionen unter dem Finanzministerium. Reichsarchiv in Oslo. Der Brief und die mit der Reise zusammenhängenden Vorfälle wurden zuvor von dem Verfasser behandelt in dem Artikel „Nicht mit der Zeit zu gehen, hat daher in unseren Tagen dieselbe Wirkung wie zurückzugehen", Kunst und Kultur Nr. 5, Oslo 1987. Linstow veröffentlichte seine mehr allgemeinen Eindrücke von Schinkels Architektur und dessen Architekturauffassung in „Vorschlag betreffend eine Verbindung zwischen der Königswohnung und der Stadt Christiania", Christiania 1838. 2 Linstow, H. D. F. v.: „Beiträge zur zweckmäßigen Anordnung des Zuschauerraumes in Schauspielhäusern. Entworfen bei Veranlassung des neu aufzuführenden Berliner Opernhauses", ohne Ort und Jahr. (Geschrieben in Christiania 1843.) 3 „Arkitektene Christian Heinrich Grosch og Karl Friedrich Schinkel og byggingen av Det Kongelige Frederiks Universität i Christiania". Av Truls Aslaksby i samarbeide med Ulf Hamran, Alvheim & Eide, Akademisk Forlag, erschienen 1986 zum 175jährigen Gründungsjubiläum der Universität 1811. 4 Ulf Hamran: „Schinkel og Norge", in: St. Hallvard, 1961, S. 1-36. Anschrift des Verfassers: Magister Jens Christian Eidal, Hauptantiquar bei dem Reichsantiquar in Oslo (staatliche Denkmalpflege), Maridalsveien 120, 0461 Oslo 4
* Die Redaktion hat Frau Prof. Dr. Margarete Kühn sehr herzlich für die freundliche Vermittlung dieses Beitrages zu danken. Die Übersetzung nahm dankenswerterweise Herr Herbert A. Frenzel vor. 117
Nachrichten Restaurierung des Roten Rathauses Nachdem bereits 1987 Bergsteiger lockere Steine am 73 m hohen Turm des Roten Rathauses beseitigt hatten, ist jetzt der Turm eingerüstet, damit im Rahmen einer grundlegenden Sanierung Formsteine und Sandsteinsäulen ausgewechselt und der Dachstuhl sowie der Glockenstuhl nach historischen Vorlagen erneuert werden können. Auch die Turmuhr aus der Münchner Werkstatt Johann Mannhardts wird generalüberholt. Bei einem Durchmesser von 4,75 m mißt das Zifferblatt 4,40 m, die Zeiger haben eine Länge von 2,10 m und 1,50 m. Die Stundenglocke hat bei einem unteren Durchmesser von 1,44 m den Ton D, die Viertelstundenglocke (1,12 m) den Ton G. Beide Stahlgußglocken sollen ins Museum kommen und durch zwei neue mit reinerem Klang aus Apolda ersetzt werden. Die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Turmuhr wurde 1954 von der Leipziger Firma Zacharieä instandgesetzt. Den Arbeiten am Turm soll dann bis 1991 das Restaurieren der Fassaden des Rathauses folgen. SchB.
225 Jahre Königlich Preußische Porzellan-Manufaktur Am 19. September 1763, etwas über ein halbes Jahr nach dem Friedensschluß zu Hubertusburg, hatte Friedrich der Große für 225 000 Reichstaler die Kaufurkunde über den Erwerb der von Johann Ernst Gotzkowsky in der Leipziger Straße 1761 gegründeten Porzellan-Manufaktur unterzeichnet. Schon 1751 hatte der Wollfabrikant Wegely vergeblich versucht, es der seit 1710 produzierenden Manufaktur Meißen gleichzutun. Porzellan gehörte damals als besondere Kostbarkeit zur Ausstattung jeder Hofhaltung, und die Porzellankabinette mit den oft erlesenen Stücken aus China bildeten den Stolz der jeweiligen Landesherren. Auch Eosander hatte im Schloß Charlottenburg in den Jahren 1705/1706 ein solches eingerichtet, das zu den frühen Sammlungsräumen zählt. Friedrich der Große hat sich insgesamt 24 Service in seiner Manufaktur fertigen lassen und alle ohne Inanspruchnahme eines Vorzugspreises gekauft. Dabei kümmerte er sich, wie es seine Art war, um Dekore, Muster, Farben, Stückzahl und sonstige Einzelheiten selbst. So geht zum Beispiel das für die KPM so berühmte „bleu mourant", das „sterbende Blau", eine Farbnuance zwischen Hellblau und Grau, auf seine Intuition zurück. Die Mitarbeiter der KPM, die neben dem Luxus- auch feuerfestes Gebrauchsgeschirr herstellten, genossen schon damals ganz modern wirkende Privilegien wie Mitgliedschaft in der Krankenkasse, Altersvorsorge, Hinterbliebenenunterstützung und Arbeitszeitenregelung. Nach dem Tod des Monarchen geriet die KPM in den Strudel unruhiger Zeiten, die in der Plünderung der Bestände und der Verwüstung der Produktionsanlagen durch die Franzosen gipfelten. Friedrich Wilhelm III. ließ neue Fertigungseinrichtungen beschaffen und bessere Brennöfen bauen. Schon 1815 hatte man ein „Gesundheitsgeschirr" entwickelt, weil die alte Bleiglasur das Anrichten der Speisen beeinträchtigte. Die Manufaktur erreichte europäischen Ruf. Bismarck war es dann, der den Umzug in den Tiergarten veraniaßte, weil er auf dem alten KPM-Gelände sein Parlament errichten wollte. Innerhalb des klassischen Formengutes gelang es der Manufaktur immer wieder, Neues zu entwickeln, das mit der Zeit selbst wieder „klassisch" wurde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts arbeiteten auch Johann Gottlieb Schadow und Karl Friedrich Schinkel für die KPM, nach 1918 waren es neben anderen Georg Kolbe, Trade Petri und Renee Sintenis, die das künstlerische Erbe fortführten. Große finanzielle Gewinne erzielte die KPM anscheinend selten, in den letzten 66 Jahren weisen die Unterlagen nur das Jahr 1936 mit nennenswerten Überschüssen aus. Damals erwarben zahlreiche ausländische Andenkenjäger, die als „Schlachtenbummler" die Olympischen Sommerspiele in Berlin besucht hatten, Stücke aus der Fertigung. Die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bedeutete auch den Verlust eines wesentlichen Teiles der preußischen Kulturgeschichte. Das bayrische Selb übernahm zunächst die Produktion. 1951 gelang es, einen Teil der in Eisleben ausgelagerten Modelle zurückzuerhalten. Vor wenigen Jahren kamen im Austausch gegen die Schloßbrückenfiguren Archivmaterial und weitere Modelle zurück. Neuen Aufschwung erwartet man sich von der Umwandlung der Manufaktur von einem Eigenbetrieb des Senats in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, mit der auch die Rückbenennung der seit 1918 118
staatlichen Manufaktur vollzogen wurde. Die Erzeugnisse der neuen alten Königlichen Porzellan-Manufaktur schmückt wie eh und je das blaue Zepter Kurbrandenburgs, das ihr Friechrich der Große als Marke verliehen hat. Wolkchl.
Aus dem Mitgliederkreis
Georg Holmsten 75 Jahre Der durch historische Monographien sowie Berlin-Bücher bekannte Schriftsteller Georg Holmsten wurde am 4. August 1988 75 Jahre alt. 1913 wurde er in Riga geboren. 1922 siedelte seine Familie nach Berlin über. Das Studium der Geschichte und Literatur an der Berliner Universität gab er wegen des zunehmenden Druckes der Nationalsozialisten auf. Er wandte sich der politisch verhältnismäßig neutralen Tätigkeit eines Nachrichtenjournalisten zu. Bei Kriegsbeginn wurde er Redakteur und Chef vom Dienst in der Auslandsredaktion des Deutschen Nachrichtenbüros. Aufgrund dieser Tätigkeit gelang es ihm, nach seiner Einberufung zur Wehrmacht als Informationsofiizier in Zivil in das von Admiral Canaris geleitete Amt Ausland-Abwehr hineinzukommen. An der Aktion des 20. Juli 1944 war er mit dem Sonderauftrag beteiligt, nach dem Gelingen des Staatsstreichs provisorisch das Deutsche Nachrichtenbüro zu übernehmen. Nach dem gescheiterten Putsch, den Holmsten im Berliner Bendlerblock erlebte, kam er mit einigem Glück und etwas List mit dem Leben davon. Nach dem Krieg hatte Holmsten als Buchautor Erfolg. Das erste seiner bisher mehr als 30 Bücher, die bereits im Frühjahr 1946 erschienenen „Berliner Miniaturen", erreichte eine Auflage von mehr als 100 000 Exemplaren. In den fünfziger Jahren publizierte Holmsten zehn historisch-biographische Romane, die eine Auflage von mehr als 1 Mio. erlebten. Auf exaktem Quellenstudium basieren Holmstens RowohltMonographien über Friedrich den Großen, den Freiherm vom Stein, Voltaire und Rousseau. In den in der Reihe der „Berlinischen Reminiszenzen" des Verlages Haude & Spener erschienenen Bänden „Brandenburg - Die Geschichte der Mark" und „Potsdam - Geschichte der Stadt, der Bürger und Regenten" wandte sich Holmsten der Geschichte der Landschaft zu, in der er seit 60 Jahren lebt. Seiner Wahlheimat Berlin galten die Baedeker-Führer durch die Bezirke Wilmersdorf, Wedding, Tempelhof, Kreuzberg, Steglitz und Charlottenburg. Publikationen zur Zeitgeschichte sind die Bücher „Kriegsalltag 1939-1945 in Deutschland" und „Deutschland Juli 1944". Holmstens letztes größeres Werk ist „Die Berlin-Chronik" (1984), die erste Geschichte der Stadt in Form einer kalendarischen Übersicht. Zur Zeit arbeitet der Ator an einem weiteren umfassenden Buch über Berlin, das eine Lücke in der Stadtgeschichte füllen soll. Seit 1952 ist Holmsten mit der gleichfalls aus dem Baltikum stammenden Lyrikerin und Malerin Aldona Gustas verheiratet, die auch als Initiatorin der „Berliner Malerpoeten" bekannt geworden ist. 1981 wurde Holmsten mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Zu den vielen Gratulanten zählt auch der Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865.
Buchbesprechungen
Günter Wollschlaeger: „Chronik Tempelhof Teil II. Die Ortsgeschichte". Reihe Vorabdruck Nr. 3, bei Wort & Specials (Hans-Peter Heinicke), Berlin 1988, 130 Seiten und ein Quellenanhang. Der mit dem Sarotti-Mohren aufgemachte Einband läßt vorrangig auf die Beschreibung eines modernen Großstadtbezirks schließen, wie er sich mit seinem Industriegelände längs des Teltowkanals ausdehnt. Aber die Aufmerksamkeit des Lesers wird zunächst auf die wichtigen Voraussetzungen gelenkt: die 119
Geschichte des Tempelritterhofes und seiner Komtureikapelle aus der Besiedlungszeit wird erzählt. Daran schließt sich fast lückenlos die Geschichte des Dorfes in der frühen Neuzeit, im 19. Jahrhundert und seine Ausweitung zum Großstadtbezirk. Zwar kennt der Leser diese Grundzüge aus der älteren Stadtgeschichtsund Landesforschung (Joh. Schultze) und weiß um das alte Dorf; doch arbeitet Günter Wollschlaeger die neueren Aspekte mit ein, die die Archäologie Adriaan von Müllers der Geschichte an die Hand gegeben hat. Er beleuchtet neu die Bedeutung Berlins als Handelsplatz an der Fernhandelsstraße von Magdeburg nach Frankfurt an der Oder, ferner die Besiedlung des Teltow im Kontext der Machtabgrenzung gegenüber den Wettinern und weist Berlin eine größere Bedeutung zu, als man der mittelalterlichen Stadt früher zugestanden hat. Mit der Publikation der Ausgrabungsergebnisse in den letzten Jahren ist das Interesse an der Frühgeschichte der Mark Brandenburg wieder aufgelebt. Günter Wollschlaeger erzählt mit Behagen und Detailfreude die Alltagsverhältnisse in der feudalen Grundherrschaft - dieser Begriff nicht ideologisch eingegrenzt - und entwirft ein nachvollziehbares Bild ihrer sozialen und wirtschaftlichen Kraft. Er arbeitet die dem Altreich gegenüber fortschrittlichen Regierungsformen heraus; Bekanntes und weniger Bekanntes ziehen am Leser vorüber; er läßt sich noch einmal die Entwicklung von den Impulsen Kaiser Lothars von Supplinburg (Süpplingenburg) - ein vielfach vernachlässigter Aspekt - , ferner das Aufblühen und die Ausweitung der ritterlichen und predigenden Orden vor Augen führen. Er staunt, wie im scheinbar entlegenen ostelbischen Kolonialland gerade in der Epoche der Auseinandersetzung um die cluniazensische Kirchenreform die Reichspolitik sich Akzente setzend auswirkt. Das alles ist, gestützt auf ältere Veröffentlichungen des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, und auf Material aus der Gemeindegeschichte Tempelhofs, dargestellt. Über ältere Fachliteratur hinaus führt der Hinweis auf die zeitlichen und geistig-geistlichen Wurzeln des Missionsgedankens innerhalb der kolonisierenden Ordensgemeinschaft im Jerusalem der frühen Stauferzeit, ferner die innere Verwandtschaft des Zisterzienserordens mit dem geistigen Klima im Heiligen Land. - Der Leser sieht Tempelhof in den näheren Bereich der mittelalterlichen Doppelstadt Cölln-Berlin verwiesen, bis an deren Grenzen der Bereich und der Besitz des Ordens reichte, der das Patronat über die Nikolaikirche besaß. In der bekannten Erzählfreude berichtet Vf. auch über die moderne Zeit, die Herausbildung von Gewerbe und Industrie; die Frühgeschichte der Filmgesellschaften, vor allem der Ufa, wird von ihm mit ihren Lichtund Schattenseiten buchstäblich vor Augen geführt. - Die Siedlungen der 20er Jahre sind bevorzugtes Thema des Vfs., weil ihr architektonischer Reiz in dem Zusammenklang von sozialer Absicht und künstlerischer Form liegt. NS-Zeit und Widerstand werden abgehandelt, und zwar der sozialistische und kommunistische Widerstand und die Verfolgung recht detailliert. Bedeutsam ist ferner der Hinweis auf die Kapitulationsverhandlungen, die nach der Schlacht um Berlin zwischen Weidling und Shukow in einer Wohnung am Schulenburgring 2 geführt wurden; unmittelbarer Anlaß war der Selbstmord Hitlers, wobei als pikante Beigabe ein Faksimile von Eva Hitlers Todesbescheinigung beigefügt worden ist. - Neu sind viele Ausführungen über Vorgeschichte und Verlauf der Blockade, sie sind besonders lesenswert, weil Neues über die Schwierigkeiten der Flugbewegungen und der Organisation der Versorgung mitgeteilt wird. Am Ende steht der alte Ortsteil Tempelhof als ein geschlossenes Ganzes vor uns; die historische Linie ist ziemlich lückenlos von seiner Gründung bis in die Gegenwart durchgezogen; aus der historischen Sicht verblassen die damaligen Risse und Sprünge im Bild, es hebt sich das Wesentliche hervor. Der Materialienanhang bringt Zahlen von Lasten und Diensten aus der Zeit der Grundherrschaft des Ordens. Das Buch ist auch als Kassette für Sehbehinderte erhältlich. Christiane Knop
„Preußens Adoptivkinder. Die Hugenotten. 300 Jahre Edikt von Potsdam. Unter Verwendung von ,Memoires pour servir ä l'histoire des refugies francois dans l'etat du roi' von J. P. Erman und P. Reclam 1782-1799", dargestellt von Horsta Krum, arani Verlag, Berlin 1985. 222 Seiten, 30 zeitgenössische Abbildungen, zumeist Kupferstiche von Chodowiecki, Zeichnungen und Faksimiles, mit einem Stadtplan: Berlin um 1750 (mit Beschreibung der Gebäude der Franz. Kolonie), Worterklärungen, Zeittafel, Literatur- und Bildverzeichnis und einem Grußwort des Bischofs der Evang. Kirche in Berlin-Brandenburg, Dr. Martin Kruse (Berlin West). Das Buch, erschienen zum 300. Jubiläum des Potsdamer Edikts, ist wieder aktuell geworden als Beitrag zum 300. Todestag des Großen Kurfürsten. Der Fürst hat, da er nur wenige Jahre später starb, die Früchte seiner Aufbauarbeit kaum noch gesehen, aber die Hugenotten haben ihm in seinem Nachruhm den
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meisten Dank gezollt; aus ihrer Selbstdarstellung und ihrem historischen Selbstverständnis geht das Bild des inneren Staatsausbaus des brandenburg-preußischen Staates in wesentlichen Grundzügen hervor. Über des Kurfürsten Toleranzpolitik ist in der Preußen-Literatur seit 1981 viel geschrieben worden. Hier wird seine Person aus der Verehrung der inzwischen integrierten französischen Untertanen gespiegelt, die nun nicht mehr bloße Untertanen oder Empfänger von Wohltaten, sondern Staatsbürger waren. Dem Leser wird das Kurfürsten-Porträt in doppelter Reflexion vorgestellt: erstens auf der Ebene von Erman und Reclam, zwei hervorragenden Gelehrten der französischen Kolonie, die nur zweieinhalb Menschenalter von den Ereignissen trennte, und zweitens in der Version der Autorin Horsta Krum, die die Berichterstattung der Erman/Reclam verkürzend auswählt, den Kapiteln kommentierende Einleitungen voranstellt und so daraus eine eigne Darstellung geformt hat; sie ist gut lesbar in ihrer freien Nachempfindung des Stils von 1800. Die Autorin, die sich als Wahlberlinerin und Pastorin in der Französischen Kirche Berlin (West) vorstellt, läßt noch einen Hauch der Zugehörigkeit zur französischen Kolonie spüren, vor allem in der Wertung der Ereignisse. - So wird die Passage des Klappentextes bestätigt: die Refugies haben für die wirtschaftliche, kulturelle und militärische Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates die Weichen gestellt. Bei der Beurteilung der Aufnahme der Flüchtlinge ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß sie aus dem Frankreich kommen, dem Ludwig XIV. seinen Namen gegeben hat; es war auf dem Höhepunkt seiner nationalen Entfaltung und kulturellen Blüte. Dagegen war das ausgeblutete Brandenburg rückständig und wegen des „Wechselfiebers der Allianzen" seines Herrschers im Urteil seiner europäischen Nachbarn in Mißkredit. Auf die Schilderung, in welchem Umfang der Refuge auf allen Gebieten von Wirtschaft und Handwerk, Handel und angenehmem Leben, Sprache und Wissenschaften, Hof und Militär und Ausbau der Stadt Berlin eingewirkt hat, braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden; jeder Leser wird es mit Anteilnahme verfolgen. Übereinstimmend sei festgestellt, daß der Zustrom die in statu nascendi befindliche Entwicklung zum Manufakturwesen beschleunigt hat und daß militärische Festigung und verwaltungsmäßiger Ausbau der wirtschaftlichen Kräfte einander getragen haben. Aber es ist aufschlußreich zu sehen, was die Autoren selbst als geschichtswirksam für den brandenburgischen Staat erkannten. Sie betonen, das Refuge habe in gewisser Wahlverwandtschaft zur Person ihres Landesvaters den Geist der Aufklärung vorgeformt, und zwar in seiner kalvinistisch-niederländischen Ausprägung; der junge Kurprinz Friedrich Wilhelm hat aus dem geistigen Umfeld der Niederlande den damals modernen Staatsbegriff eines zentralistischen, naturrechtlich begründeten Gemeinwesens mit seiner städtischen Kultur aufgenommen und ihn mit dem Wagemut der eignen Existenz und gegen alle Wahrscheinlichkeit des Gelingens nach Brandenburg verpflanzt. Deshalb standen die Angehörigen der französischen Kolonie in Berlin nicht an, ihm das Attribut „der Große" beizulegen. Am Ende ihrer Einschätzung steht nicht der absolute Fürst, sondern die Person des Landesvaters, weswegen sie den Begriff „Adoptivkinder" wählten; er impliziert für sie das Geben nach dem Nehmen; sie betonen wiederholt, die strenge kalvinistische Sittlichkeit und Zuverlässigkeit, die sparsame Lebensführung der ersten Hugenotten haben das Preußische mitgeformt. - Sie verschweigen die Schwierigkeiten und Konflikte der Anpassung nicht. Abschließend äußern sie sich nochmals zur „Größe" des Kurfürsten: „Anders als bei Ludwig XIV. gab es an seinem Grabe keine bezahlten Lobredner, die sich in schmeichlerischen und hohlen Lobreden ergingen. Nein, dieser Herrscher wurde von allen seinen Untertanen aufrichtig betrauert, besonders von den Refugies; sie verloren in ihm einen Vater." Christiane Knop
Bürger, Bauer, Edelmann. Berlin im Mittelalter. Berlin: Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz/ Museum für Vor- und Frühgeschichte und Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 1987. 288 S. Dieses Buch ist der Katalog der gleichnamigen Ausstellung, die aus Anlaß der 750-Jahr-Feier Berlins vom 8. Mai bis 1. November 1987 in der Zitadelle Spandau gezeigt wurde. Es verzeichnet aber nicht nur die imponierende und erstaunliche Fülle der dort zusammengeführten Gegenstände, sondern enthält außerdem vierzehn Aufsätze zu den Gliederungspunkten „Die Anfänge" (Schriftquellen und archäologische Funde), „Das Land" (Geschichte von Landschaft, Siedlung und Landwirtschaft), „Die Stadt" (Topographie, Verfassung, Sozial- und Alltagsgeschichte, Münzwesen, Hausbau), „Die Kirche" und „Der Adel". Mit dieser Konzeption und durch seine reiche, teilweise farbige Bebilderung ergänzt der hier besprochene Band quasi die entsprechenden chronologischen Abschnitte in der umfang- und detailreicheren, ebenfalls
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im Jubiläumsjahr 1987 erschienenen zweibändigen „Geschichte Berlins". (Dagegen konnte der knappe Mittelalter-Teil der zentralen Ausstellung „Berlin, Berlin" und des dazu erschienenen Katalogs keinen mit „Berlin im Mittelalter" auch nur annähernd vergleichbaren Rang beanspruchen.) Mit einem Problem aber hat sich jeder auseinanderzusetzen, der sich mit der mittelalterlichen Geschichte Berlins beschäftigt, und erst recht derjenige, der sie in einer Ausstellung sichtbar, plastisch und lebendig darstellen möchte: es gibt in Berlin - zumal in West-Berlin, also außerhalb der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin/Cölln - nur relativ wenig authentisches und „ausstellungsfähiges" Material. Man mußte sich also behelfen; zum einen, indem man die räumlichen Grenzen Berlins und die zeitlichen Grenzen des Mittelalters überschritt, zum anderen, indem man in reichlichem Maße von Faksimiles (beispielsweise bei den Ersterwähnungsurkunden von Colin, Berlin und Spandau), Fotos (etwa bei den mittelalterlichen Dorfkirchen im Gebiet von Groß-Berlin), Modellen und lebensgroß nachgestellten Szenen (zum Beispiel einer „mittelalterlichen " Schusterwerkstatt), modernen Karten und graphischen Darstellungen Gebrauch machte. Bei den Originalen reicht die zeitliche Spannweite vom 10. bis ins 19. (!) Jahrhundert und die geographische Herkunft nicht nur bis Spandau / Burgwall und Zehlendorf / Krummes Fenn (Bodenfunde), sondern es wurden beispielsweise ein wunderschöner Schmuckfund aus Pritzwalk, ein großer bronzener Türzieher vom Lübecker Rathaus, Eßgeschirr aus Göttingen, eine Schreibtafel und ein Spielbrett aus Freiburg im Breisgau gezeigt. Das legitimiert sich natürlich nicht bloß durch die Maxime „Not kennt kein Gebot" (auch die Nennung der zahlreichen Leihgeber macht deutlich, daß keines der hiesigen Museen allein aus seinen eigenen Beständen die Ausstellung hätte bestreiten können); vielmehr wurden ja bekanntlich nicht sämtliche mittelalterlichen Tatbestände mit dem Jahr 1500 „abgeschafft", sondern es erwies sich vieles als äußerst zählebig - und was die Objekte der materiellen Kultur (insbesondere Gebrauchsgegenstände) betrifft, so sahen Becher oder Schuhe in Lübeck oder Göttingen wohl nicht sehr anders aus als gleichzeitig in Berlin/Cölln. Nicht nur die Ausstellung, sondern auch die Katalog-Aufsätze müssen teilweise von bekannten anderweitigen Gegebenheiten Analogieschlüsse auf die ansonsten unbekannten Berliner Gegebenheiten ziehen. Andererseits erweist sich die Not jedoch als Tugend: da die „reine" Lokalgeschichte nicht in allen ihren Aspekten rekonstruierbar ist, wird Berlin/Cölln immer wieder in die überörtlichen Zusammenhänge hineingestellt. Auch nachdem die Ausstellung geschlossen ist, behält dieser Katalog bleibenden Wert als Informationsund Arbeitsmittel. Im Katalogteil sind die Gegenstände mit Angabe von Druck- bzw. Publikationsort beschrieben, es gibt (auf S. 287) ein kleines Verzeichnis „Quellen und allgemeine Literatur", vor allem aber im Anschluß an jeden Textabschnitt jeweils noch eine gesonderte Literaturliste. Statt dessen oder ergänzend dazu hätte sich die Rezensentin freilich präzise Anmerkungen gewünscht, auf die aber konsequent verzichtet wurde. Warum eigentlich? Aus Platzgründen sicher nicht, denn mehrmals ist eine Doppelseite geopfert worden für Umzeichnungen aus dem Totentanz der Berliner Marienkirche mit dazugehörigen Dialogtexten zwischen dem Tod und einem Menschen, der seinen Stand vertritt. - Drei dieser Menschenbilder haben übrigens für die Gestaltung des Buchumschlags (und des Ausstellungsplakats) als Vorlage gedient und versinnbildlichen den Grundgedanken, das Leben der Menschen damals den Menschen heute nahezubringen. Im Rahmen des Möglichen ist es in der Tat gelungen, einen Abschnitt der Stadtgeschichte wieder präsent zu machen, dessen materielle Überreste in dem so ganz „modernen" Berlin kaum mehr greifbar sind. Christiane Schuchard
Gruß aus Berlin. Ein Bummel durch Berlin um 1900 auf 120 Postkarten mit Onkel Theo und seiner Nichte Lottchen. Nachwort Janos Frecot. Berlin: Agora Verlag o. J., 125 S., 122 Abb. Schon wieder ein nostalgisches Berlin-Bilderbuch? Ja, aber ein originelles, reizvolles Postkartenalbum, dessen Zusammenstellung ausnahmsweise nicht der Herausgeber besorgt hat, sondern der Absender der Karten, nämlich der im Untertitel genannte „Onkel Theo": der Bankier Theodor Hellwig, der für seine Nichte Charlotte Hellwig („Lottchen"; zusammen mit ihrem Onkel in Visitenkartenfotos auf dem Titelblatt verewigt) um die Jahrhundertwende herum 120 gekaufte Ansichtskarten mit der Schilderung imaginärer Sightseeing-Touren durch das „offizielle", repräsentative Berlin (und Charlottenburg) fortlaufend betextete. Die Fahrten und Spaziergänge führen durch die heutigen Bezirke Mitte, Tiergarten, Charlottenburg und Kreuzberg und zeigen natürlich großenteils die immer wieder abgelichteten Motive der Reichshauptstadt (Schloß, Unter den Linden, Reichstag), teilweise aber auch Selteneres (wie zum Beispiel frühe Ansichten aus dem „Westen": Savignyplatz, Wittenbergplatz und Nollendorfplatz mit neuen Häusern und frischgepflanzten Bäumen, die beiden letztgenannten Plätze noch ohne U-Bahnhof bzw. Hochbahn). Den Reiz der kleinen Edition machen nicht nur die interessanteren Bilder aus, sondern 122
auch die unter den Postkarten-Reproduktionen transkribierten dazugehörigen Kommentare eines Zeitgenossen, eben des „Onkels Theo". Dieser schildert sehr lebendig einige gemeinsame „Bummel durch Berlin", wobei er immer den Erfahrungshorizont seiner etwa neunjährigen Nichte berücksichtigt. Unverkennbar vorhanden ist die pädagogische Absicht, etwa wenn Lottchen die Nationalgalerie wenigstens schon einmal von außen gezeigt bekommt; „auch Dir wird es ja später vergönnt sein Dich an diesen Sammlungen zu erfreuen, zu bilden und zu erbauen" (27). Sprache und Gedankenwelt des großbürgerlichen „Reiseführers" sind zeitgebunden, besonders in Formulierungen wie „der Große Kaiser" (bei der Betrachtung des Palais Kaiser Wilhelms I., Bild 4) und „Tempel der Kunst" (das Theater des Westens, Bild 79); in der Siegesallee (Bild 36) „wird unser Auge gleich gefesselt durch eine im Entstehen begriffene, großartige Anlage". Derlei Beispiele lassen sich beliebig vermehren und ergeben in ihrer Summe - trotz der persönlichen, unkonventionellen Darbietungsform - ein recht konventionelles Stadtbild, das im Nachwort zutreffend mit „dem" Baedeker in Verbindung gebracht wird. Es muß offenbleiben, ob der Blick des Reisenden bzw. Stadtbummlers durch ein begrenztes Angebot an gängigen Bildmotiven konditioniert war, oder ob Onkel Theo auch andere, „originellere" Ansichten hätte auswählen können. Vielleicht ja, wenn er zum Beispiel nach Postkartenserien von F. Albert Schwanz gesucht hätte, die das von der Spitzhacke bedrohte alte Berlin zeigten; Frecot charakterisiert im Nachwort ganz kurz das Werk der großen Berliner Stadtfotografen (neben Schwanz Hermann Rückwardt und Waldemar Titzenthaler, die „Zilles Berlin" der wenig ansehnlichen Stadtrandgebiete freilich alle noch aussparten). Der Herausgeber sagt außerdem ein paar Worte zur Geschichte der Ansichtskarte, zur Entdeckung der Großstadt als Heimat (erst seit etwa der Jahrhundertwende), zum „Gesicht" Berlins um 1900, und beklagt abschließend die „Störungen und Zerstörungen, die die deutsche Geschichte dieser Stadt und ihren Bewohnern angetan hat." Allein die Bilder sind geblieben und laden ihre heutigen Betrachter zu einer „Reise im Kopf™ ein genau so, wie Onkel Theo seinerzeit das Lottchen dazu einlud. Eine nette Idee, damals wie heute; doch das hübsche Geschenkbüchlein wird heute - anders als damals - ganz sicher mehr als nur einer Betrachterin Freude machen. Christiane Schuchard
Berliner Straßen und Plätze. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung und Sender Freies Berlin, 1988. 180 S„ brosch. In ähnlicher Aufmachung wie die beiden Bände „Streifzüge durch Berlin" sind jetzt 88 Rundfunkbeiträge einer Sendereihe des SFB auch gedruckt greifbar; es handelte sich wiederum um „akustische Spaziergänge" (S. 5), die diesmal jedoch als Beitrag zur 750-Jahr-Feier Berlins gedacht und unter ein anderes Leitmotiv gestellt waren: ausgewählte Straßennamen, im Buch alphabetisch geordnet von „Adenauerplatz" bis „Zillestraße". Gerade 10 der 88 zum Teil bebilderten, je anderthalb Seiten langen Artikel betreffen übrigens Straßen und Plätze im Ostteil der Stadt; unter den Westberliner Bezirken sind Charlottenburg und Wilmersdorf am besten weggekommen. Trotz unterschiedlicher Akzente, die die 38 Autorinnen und Autoren setzen, geht es regelmäßig um die Beantwortung eines Kanons naheliegender Fragen: Wer war die namengebende Person, bzw. was war oder ist die namengebende Sache? Welche Beziehung hat er oder sie zu Berlin? Welchen „Charakter" besaßen die Straßen und Plätze früher, wie sieht es heute dort aus? Welche berühmten Leute wohnten einmal dort? Besonders interessant wird es jedoch in den Fällen, bei denen auch die näheren Umstände der Namensgebung zur Sprache kommen, also speziell bei Umbenennungen oder bei Kontroversen und Alternatiworschlägen. Hier zeigt das auf den ersten Blick „nur historische", unpolitische Thema „Straßennamen" seinen politischen Aspekt und seine Aktualität (man denke zum Beispiel an die Dikussion um den „Olof-Palme-Platz"). Ein systematischer historischer Überblick über die Berliner „Straßenbenennungspolitik" - etwa als Einleitung - hätte den Rahmen des Bändchens gesprengt; wer so etwas sucht, kann es aber an anderer, etwas versteckter Stelle finden, nämlich in dem Buch von Heidrun Joop „Berliner Straßen. Beispiel: Wedding" (Berlin: Edition Hentrich, 1987). Christiane Schuchard Günther Schulz: Die ältesten Stadtpläne Berlins 1652 bis 1757. Acta humaniora, VCH, Weinheim 1986. 200 S. mit zahlr. Abb., Ln. 135 DM. Von jeher haben historische Pläne eine besondere Faszination auf Fachleute und Laien ausgeübt. Kaum eine andere Quelle ist so aussagekräftig wie ein Plan, weil mit einem Blick die Situation einer Ortschaft erfaßt werden kann. Es ist deshalb zu begrüßen, daß Günther Schulz in dem vorliegenden Band alle älteren Berlin-Pläne zusammengetragen und damit der Forschung ein wichtiges Hilfsmittel erschlossen hat. Die
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großzügige und attraktive Gestaltung des Buches wird darüber hinaus auch jeden Berlin-Freund begeistern. Die Publikation beginnt mit dem Stadtplan des kurfürstlichen Festungsbaumeisters Johann Gregor Memhard aus dem Jahre 1652, der erstmals in der Topographia von Zeiller-Merian erschien, und endet mit dem dritten großen Plan des Kartographen Johann David Schleuen von 1757. Zeigt der Memhard-Plan kurz nach Ende des 30jährigen Krieges Berlin noch als mittelalterliche Kleinstadt, so hält der SchleuenPlan genau hundert Jahre nach Baubeginn der kurfürstlichen Fortifikationen den Zustand fest, in dem bereits alle Spuren dieses Festungswerkes wieder getilgt sind. Innerhalb dieses zeitlichen Rahmens stellt Schulz 89 bisher ermittelte Berlin-Pläne vor und - um es gleich vorwegzunehmen - schafft damit ein Standardwerk, das weit über die bisher einzige vergleichbare Arbeit von Clauswitz/Zögner hinausgeht. Fast jeder Plan ist abgebildet, zum Teil auch farbig, und wird ausführlich bis ins kleinste Detail beschrieben. Dabei beschränkt sich Schulz nicht nur auf die Interpretation, sondern beleuchtet auch die historischen Hintergründe. Der Berlin-Interessierte erhält so eine vorzügliche Anschauung über die städtebauliche Entwicklung der brandenburg-preußischen Hauptstadt von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Durch Vergleich der Pläne untereinander und mit anderen Quellen kann Schulz manchen Fehler korrigieren, den ein Kartograph vom anderen übernommen hat. Schon der MemhardPlan enthält kleine Ungenauigkeiten. Schulz weist auch stets darauf hin, an welchen Stellen Clauswitz/ Zögner irren oder ergänzt werden müssen. Außerdem stellt er einige Pläne vor, die in der Publikation von Clauswitz/Zögner fehlen. Der Text wurde in 22 Kapitel gegliedert, in denen einzelne Pläne oder sachlich zusammengehörende Plangruppen behandelt werden. Auf diese Weise werden die Pläne, Handzeichnungen und Vogelperspektiven der Kartographen Memhard, La Vigne, Schultz, Broebes, La Möte, Kaulitz, Dusableau, Schleuen, Walther und Schmettau vorgestellt. Keinen Zweifel läßt Schulz daran, daß er den auf Weisung Friedrichs des Großen 1748 vom Feldmarschall Samuel Graf von Schmettau angefertigten Plan wegen der Informationsfülle und der Genauigkeit für das bedeutendste kartographische Werk der Epoche hält. Alle 89 Pläne sind am Schluß des Bandes chronologisch mit genauem Titel, Angabe des Formats und dem Hinweis auf entsprechende Nummern bei Clauswitz/Zögner aufgeführt. Dieses Planverzeichnis bietet eine schnelle Orientierung über alle frühen Berlin-Pläne. Bei einem so umfangreichen Werk sind Irrtümer und Unkorrektheiten wohl kaum zu vermeiden. Die hier aufgelisteten Fehler sollen deshalb als Hinweis verstanden werden, sie bei einer 2. Auflage zu korrigieren. Auf den Seiten 13 und 21 spricht Schulz von der Läpp- und von der Petristraße, die Memhard und seine Kartographen-Nachfolger vergessen hätten. Tatsächlich sind jedoch beide Straßen identisch. Die Lappstraße ist erst 1816 in Petristraße umbenannt worden.1 Bei der Beschreibung des Schmettau-Planes (S. 140) erwähnt der Verfasser das Forum Fridericianum, das Friedrich der Große mit seinem Freund Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff noch während seiner Rheinsberger Zeit geplant hatte. Schulz erwähnt leider nicht, daß sich dieser Plan im Original mit handschriftlichen Einzeichnungen des Königs im Landesarchiv Berlin befindet.2 Vielleicht hätte er sich als Ergänzung zum Schmettau-Plan auch zur Publikation geeignet. Warum Schulz im Text durchgehend die alte Schreibweise von Akzise (S. 195)3 und Konsistorium (S. 140) wählt, ist zwar nicht einleuchtend, doch immerhin konsequent. Ärgerlich dagegen ist, daß er den Dönhoffplatz (S. 196) stets nur mit einem f schreibt, das Kottbusser Tor (S. 197) mit einem t und bei der Charite (S. 195) den Accent aigu wegläßt. Ebenso wird durchgehend von der Jerusalemkirche (S. 197) gesprochen. Es muß aber Jerusalemer Kirche heißen. Erhält Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff auf Seite 140 mit „Hans" einen ihm nicht gehörenden Vornamen, so wird ihm dagegen auf Seite 197 das ihm zustehende Adelsprädikat genommen. Das Prinz-Heinrich-Palais (S. 137 und 199) erscheint einmal mit und einmal ohne Bindestrich. Das Berlin Museum wird schließlich stets mit Bindestrich (S. 195) geschrieben, und das Landesarchiv Berlin firmiert unter der falschen Bezeichnung „Landesarchiv des Senats von Berlin" (S. 198). Diese Liste von Fehlern und Ungenauigkeiten ließe sich leider noch fortsetzen, der Wert des Werkes wird dadurch aber nicht geschmälert. Günther Schulz hat mit den Abbildungen der ältesten Berliner Stadtpläne, mit der ausführlichen Beschreibung und dem chronologischen Verzeichnis eine Publikation vorgelegt, die in Zukunft für jeden Berlin-Historiker ein unentbehrliches Arbeitsinstrument sein wird. Jürgen Wetzel 1 Vgl. Hermann Vogt: Die Straßen-Namen Berlins, Berlin 1885, S. 72. 2 LA Pr.Br.Rep. 42 VII 35. 3 Bei Fehlern, die sich durch den ganzen Text ziehen, wird nur die Seitenzahl des Schlagwortes im Register angegeben.
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Hans Dieter Schäfer: Berlin im Zweiten Weltkrieg. Der Untergang der Reichshauptstadt in Augenzeugenberichten. R. Piper, München 1985, broschiert, 390 Seiten. Hans Dieter Schäfer, gebürtiger Berliner des Jahrgangs 1939, hat die Geschichte seiner Heimatstadt an Berichten von Augenzeugen der Kriegszeit noch einmal zusammenfassend aufgezeigt. Sein Meisterstück hatte er zuvor schon in seinem Buch „Das gespaltene Bewußtsein über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933 bis 1945" bestanden. Er leitet die schon an anderer Stelle veröffentlichten und von ihm nur geschickt zusammengestellten Einzelberichte mit einem gescheiten Vorwort ein, dessen Prämisse man sich allerdings nicht zu eigen zu machen braucht: „Berlin vergegenständlicht heute - wie kaum eine zweite deutsche Stadt - in ganz unmittelbarer, physischer Weise das Absterben des öffentlichen Lebens . . . Die nach dem .Zusammenbruch' entstandene Stadt drückt augenfällig die Pathologie unserer nachbürgerlichen Gesellschaft aus, die Bauwerke sind isoliert, nichts deutet auf Vermischung und In-Beziehung-Setzen, die politische Spaltung Berlins erscheint so als bloße Variante dieser unnatürlichen Entwicklung.. .* Er schließt sein Vorwort mit der Bemerkung, die Sieger hätten nach dem „Zusammenbruch" Volksgemeinschaftsideologie und Führerprinzip durch bürgerlich-individuelle bzw. revolutionäre Propaganda ersetzt, unverändert sei aber die Entfaltung einer neuen öffentlichen Kultur behindert: „Vielleicht wird nach der Lektüre der Augenzeugenberichte deutlich, daß der Untergang Berlins den Menschen nicht einfach geschehen ist, sondern daß der Katastrophe eine freiwillige Selbstausschaltung vorausgegangen war." Die Hoffnung Schäfers ist das letzte Wort, wonach „vielleicht die Zukunft nicht fern (ist), in der Berlin als öffentlicher Schauplatz neu belebt wird, wenn wir nicht bloß Nähe suchen, sondern uns den zerklüfteten Flächen der Stadt und damit wieder dem Leben als etwas Unheimlich-Fremden öffnen." Die dann folgenden Augenzeugenberichte sind chronologisch zugeordnet, von der allgemeinen Stimmung in Berlin 1939 bis 1941 und dem wirtschaftlichen Niedergang seit dem Rußlandfeldzug bis zur Schlacht um Berlin und der unmittelbaren Nachkriegszeit unter russischer Besatzung. Schwerpunkte des Kriegsgeschehens werden mit der Flächenbombardierung vom 22. bis 26. November 1943 und den Tagesangriffen gesetzt. Einzelne Aspekte der Kriegszeit wie die Deportationen der Juden sowie Arbeitsmoral und Kriminalität werden besonders hervorgehoben, daneben Unterhaltung und Fremdarbeiter. Zu Schäfers Zeugen gehört unter vielen anderen die unlängst verstorbene Journalistin Ursula von Kardorff, die von 1939 bis 1945 als Redakteurin der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" schrieb, aber auch die spätere Zoodirektorin Katharina Heinroth, deren Erlebnisse besonders eindrucksvoll erscheinen. H. G. Schultze-Berndl
Bodo Rollka/Klaus-Dieter Wille: „Das Berliner Schloß. Geschichte und Zerstörung." 107 Seiten, 79 Abbildungen, Dokumentenanhang und Literaturverzeichis, bei Haude & Spener, Berlin 1987. Das Hauptgewicht des Erzählerischen wird weniger auf die Baugeschichte des Schlosses gelegt als auf das Heranreifen des Entschlusses zu seiner Zerstörung und der plötzlich erfolgten Ausführung dieses Beschlusses, der in zwei Wochen durchgepeitscht worden war; ferner auf den vergeblichen Kampf gegen den Abriß, geführt von führenden Persönlichkeiten in beiden Teilen der Stadt. - Der Abriß wird mit erschütternden Bilddokumenten belegt. Die beiden Autoren, einander in der baugeschichtlichen bzw. bautechnischen Seite des Vorgangs und der publizistisch-dokumentarischen ergänzend, verweisen mehrmals auf die damals (1950) noch ungeteilte Stadtbevölkerung und ihren einheitlichen Sinn, der sich u.a. an diesem Gegenstand zu polarisieren begann, indem sie sich zu Widerstand und Bewußtseinsbildung formierte. Im Zentrum der Debatten stand der - heute wieder oft verwendete - Begriff des „kulturellen Erbes", der auch in der gegenwärtigen westlichen Geschichtsbetrachtung neu durchdacht werden sollte. Wie wir heute sicher vermuten, hätte heute auch die andere Seite aus der noch erhaltensfähigen Bausubstanz eine Denkwürdigkeit gemacht. Die „Demontage der Vergangenheit" (S. 10) hätte nicht mehr stattgefunden. Die Absicht des Verlages, diese Dokumentation zu publizieren, zielt auf die Erkenntnis, daß zwar auch „Neubauten in gemeinsamer Arbeit (von Ost und West) errichtet, . . . die gerissenen Lücken nicht schließen können", die Wiederaufnahme der Betrachtung solcher Zerstörung aber zukunftweisendes Bedenken erzeugen sollte. Sie wird angesichts des 40. Jahrestages des Blockadebeginns wieder aktuell. Der architekturgeschichtliche Teil markiert die baukünstlerischen Besonderheiten jeder Phase - Schlüterzeit - preußisches Rokoko - Klassizismus - und stellt im Bildteil ihre heilen Bilder denen der Zerstörung gegenüber, so daß sie sich wie gleichartige Glieder ineinanderpassen. „Die Bilder, die nach 1945 aufgenommen wurden, geben einen guten Eindruck vom Erhalt der Bausubstanz. Sie sprechen eine eigne Sprache und widerlegen viele bestellte Gutachten, in denen ein sofortiger Abriß wegen Baufälligkeit gefordert wurde" (S. 33). 125
Die Exponenten des Widerstandes gegen den Abriß waren u. a. Prof. Dr. Stroux als Präsident der Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Richard Hamann, der vielgeachtete Marburger Kunsthistoriker und damalige Nationalpreisträger der DDR, der sächsische Landeskonservator Prof. Dr. Schubert und der Berliner Universitätsrektor Prof. Dr. Friedrich. Die westlich freie und die SED-gebundene Presse polarisieren sich; der Streit war allerdings ein Nachhutgefecht, weil der Abriß, längst in Moskau beschlossen, von W. Ulbricht auf dem 3. Parteitag der SED im Juli 1950 durchgesetzt, der Schaffung eines „Roten Platzes" in Berlin dienen sollte. Die zu kurz bemessene Zeit seiner Verabschiedung machte jeden Einspruch unwirksam. Im Rückblick erkennt man bei Durchsicht der Dokumente schmerzlich, wie sehr noch gesamtdeutsche Argumente ins Feld geführt wurden, wie man bestimmten Einzelteilen wie Schlüterhof und Treppenhaus und Staatsratssaal europäischen Rang, würdevolle Größe zusprach, ohne sich so schwerwiegender Worte zu schämen. Prof. Stroux sprach noch von der Rolle Berlins als Hauptstadt (und meinte damit die ganze Stadt), andere Gegner sprachen von dem neu projektierten Aufmarschfeld als von einem ungebunden-ungeformten Platz, der ohne bauliche Begrenzung ein Unding sein würde. Noch warf man den Blick westlich über das Brandenburger Tor hinaus und schlug den verwüsteten Tiergarten und das noch immer verwüstete Hansaviertel oder den nördlichen Spreebogen als Alternative vor; man verwies auf die Paradoxie, nach welcher der Dresdener Zwinger wiederaufgebaut werde, das gleichwertige Barockschloß in Berlin dagegen zerstört. Die Memoranden, vor allem das Hamanns, zeigen bewundernswerte Zivilcourage, die auf ihre kulturpolitische Verantwortung pochte. - Die Dokumentation des Pressekampfes bringt auch eine Analyse der Intentionen, die man hinter dem Beschluß wirksam glaubte und die man unwirksam zu machen hoffte; stellvertretend sei der Appell von Frau Dr. Margarete Kühn zitiert: „Unsere Einstellung zum Kunstwerk der Vergangenheit ist eine andere. Sie beruht auf der Forderung unbedingter schöpferischer Originalität, dem Glauben an die Unwiederholbarkeit der schöpferischen Leistung" (S. 104). Um so mehr vermißt man das Aufstehen der Politiker im engeren Sinne. Haben sie die Bedeutung des Geschehens nicht erkannt? Wer auch ohne diese gedankliche Brechung die Bilder auf sich wirken läßt, trauert dem Unwiederholbaren nach, das hier vom Chronisten des Abrisses festgehalten ist: anklagender Schmerz in den Gesichtern der Skulpturen und Gesimsfiguren (wie „Sommer" und „Genien"), wehrlos und sinnentleert der Öde preisgegeben. Christiane Knop
Berlin aus der Luft. Herausgegeben von Richard Schneider. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1986. Leinen, 78 Seiten. An 70 überwiegend Luftaufnahmen wird die Entwicklung des Berliner Stadtbildes bis in unsere Tage belegt. Fast ausschließlich stammen die Fotografien aus der Landesbildstelle Berlin, die bei diesem Band auch sonst Pate gestanden hat. Richard Schneider als Herausgebergeht mit der Kahlschlagplanung und -architektur der Nachkriegszeit mächtig ins Gericht. Er beklagt den totalen Raumverlust als Folge der Abrißwut der 50er und 60er Jahre, die zu riesigen Brachen zwischen Lützowplatz und Halleschem Tor, zwischen Matthäikirche und Anhalter Bahnhof geführt hat. Am Schicksal der Plätze kann man ablesen, was aus Berlin geworden ist: Potsdamer Platz und Leipziger Platz einerseits, Königsplatz, Askanischer Platz, Prager Platz oder Lützowplatz auf der anderen Seite. Den Bildern sind gute Beschreibungen beigegeben. Seinen Reiz erhält das Buch aus den Gegenüberstellungen derselben Stadtlandschaften im Abstand der Jahre. Dieser Bildband versteht sich als ein Buch der Erinnerung. SchB.
„1933. Fünfzig Jahre danach. Das Ermächtigungsgesetz." Herausgeber: Reinold Schattenfroh und Annerose Benecke im Auftrag des Instituts für soziale Demokratie (August-Bebel-Institut), Berlin 1983. 82 Seiten broschiert, Faksimiles und Literaturverzeichnis Das Gespaltensein aller Empfindungen in den diffusen Erscheinungen der Tage um den Reichstagsbrand und der darauffolgenden (Selbst-)Entmachtung der Weimarer Volksvertretung spiegelt die Fotomontage auf dem Umschlagsbild wider: in verblassendem Licht der Redner Otto Wels bei der Begründung des Neins seiner Fraktion bei der Abstimmung, dagegen scharf umrissen in Führerpose Adolf Hitlers, umgeben von uniformierter SA. - Die dokumentierende Untersuchung leistet in Anlage und Durchfüh126
rung politische Bildungsarbeit im besten Sinne; sie sucht das verblassende Bild eines ungeheuerlichen Vorgangs, der ins Klischee abzurutschen droht, wieder ins helle Licht des Bewußtseins zu ziehen. Sie geht anhand von Protokollen, Memoiren und Presseverlautbarungen und Zeitzeugenberichten dem Geflecht vieler Ereignisstränge in ihrer scheinbaren Normalität und doch entscheidungsschweren Verknotung nach. Sie bietet dem jungen Fragenden eine Wirklichkeit, die er bisher meist nur aus der Sicht der Verfassungsnorm zu sehen gelernt hat; die Verfassungswirklichkeit und die Entscheidungslast der Betroffenen war ihm schwerer nachvollziehbar. Das August-Bebel-Institut stützt sich natürlich vorrangig auf die Rolle der SPD und kann als wirkungsvollste Kronzeugin die mutige Haltung der Louise Schroeder ( „ . . . und wenn sie mich drüben in Stücke reißen!") und die Erinnerungen Wilhelm Hoegners von 1979 anführen; ferner wird der letzte noch lebende ehemalige Reichstagsabgeordnete und spätere Chef des „Vorwärts" befragt. Jedoch wird die Rolle der bürgerlichen Parteien unparteiisch beleuchtet. Im Vorwort wird auf die Übereinstimmung mit anderer Erinnerungsliteratur verwiesen, die „die von Tag zu Tag durch viele Einzelmaßnahmen fortschreitende Aushöhlung der demokratischen Rechte" ebenso konstatiert; sie ist für die politische Atmosphäre jener Wochen bestimmend gewesen. Gerade dieses unübersichtliche und doch minutiös ablaufende Zusammenspiel gilt es durchsichtig zu machen. Die SPD kann das Verdienst in Anspruch nehmen, als einzige Fraktion den Anfängen gewehrt zu haben. Jedoch wird neben ihrer mutigen Kraft ebenso ehrlich der Zustand einer mutlosen Partei geschildert, die auch von Pragmatismus und irrigem Denken befallen war. Die entscheidende Voraussetzung war ihre Überzeugung, ein Generalstreik als Antwort auf die handstreichartige Ernennung Hitlers zum Reichskanzler werde Bürgerkrieg zur Folge haben. Das hat ihre Bedenklichkeit bis in die Stunde der Abstimmung erzeugt, und der Nacherlebende ist ebenso geneigt, diese Bedenklichkeit zu teilen wie das Fehlerhafte daran zu benennen. Wichtigstes Kriterium zur Beurteilung ist die Einsicht, daß und wie Hitler die SPD in den Staatsstreich zu treiben suchte, um eine parlamentarische Handhabe gegen sie zu gewinnen. Das raffinierte Spiel um Aushöhlung des Entscheidungsbeschlusses wird offen gelegt; Personen, Institutionen, Presse und Grundfragen treten in klarem Licht auf, vor allem die Verhaftungswelle, die ein Drittel des Parlaments bei der entscheidenden Abstimmung zum Schweigen verurteilt hat. Als wichtiger Hinweis kann auch die Vermutung akzeptiert werden: „Gegen einen Staatsstreich - Hitler als Usurpator - hätten Beamte und Richter loyal zum Weimarer Staat gestanden und sich wie beim Kapp-Putsch gewehrt. Aber nach einem legalen Vorgang der Kanzlerernennung Hitlers hat es keine andere Wahl gegeben." Obwohl beim Staatsakt in Potsdam wie bei der Abstimmung in der Krolloper die Botschafter des Auslands anwesend und über die Hintergründe des Plebiszits informiert waren, war es nur Otto Wels, der die gültige Mahnung aussprach: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind (Rechtsbewußtsein), zu vernichten. - Auch das Sozialistengesetz hat die SPD nicht vernichtet. Auch aus einer neuen Verfolgung kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen." Die Untersuchung bringt die klare Einsicht in das Hinübergleiten von den Präsidialkabinetten in die Diktatur und zeigt, daß uns ein Verurteilen versagt ist, im Gegenteil: vor dem Leser ersteht ein Geschehen, das noch heute wieder denkbar ist, auch bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel. Christiane Knop
Neue Mitglieder im III. Quartal 1988 Brigitte Düren, Verw.-Angst. i. R. Stresemannstraße 20, 8000 München 90 Telefon (0 89) 6 99 05 57 (Dr. Knop) Ruth Maerker, Sonderschullehrerin Hirtsieferzeile 35, 1000 Berlin 47 Telefon 6 03 62 21 (Geschäftsstelle) Dr. Gernot Moegelin, Dipl.-Kfm. Pücklerstraße 52, 1000 Berlin 33 Telefon 88 415103 (Geschäftsstelle) Dr. Manfred Uhlitz, Kunsthistoriker Westendallee 71, 1000 Berlin 19 Telefon 3 04 26 57 (Dr. Kutzsch) 127
Veranstaltungen im IV. Quartal 1988 1. Mittwoch, den 12. Oktober 1988, 14.45 Uhr: Führung durch das Jagdschloß Grunewald. Leitung: Herr Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan. Gruppeneintrittspreis 1,50 DM, bitte passend bereithalten. Treffpunkt im Schloßhof. 2. Donnerstag, den 13. Oktober 1988,16.30 Uhr: Führung durch die Ausstellung des Landesarchivs „ . . . bei Kroll - Etablissement, Ausstellungen, Theater, Konzerte, Oper, Reichstag, Gartenlokal 1844-1957". Leitung: Herr Dr. Hans Joachim Reichhardt. Treffpunkt in der Halle des Landesarchivs Berlin, Kalckreuthstraße 1/2, Berlin 30. Fahrverbindungen: Busse 19, 29, U-Bahnhof Wittenbergplatz oder Nollendorfplatz. 3. Sonnabend, den 12. November 1988,10.30 Uhr: Führung „Britz - Dorflage und Rittergut". Leitung Herr Prof. Dr. Helmut Engel. Treffpunkt vor dem Gruftanbau der Dorfkirche (Straße Alt-Britz). 4. Dienstag, den 15. November 1988,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Prof. Dr. Ursula Koch: „Der Teufel in Berlin. Berlin, das Zentrum des illustrierten, politischen Witzblattes ab 1848". Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg. 5. Montag, den 5. Dezember 1988,16.00 Uhr: Führung durch die Ausstellung im Kunstforum der Nationalgalerie „Kaiser Friedrich III.". Leitung: Frau Dr. Iselin Gundermann. Treffpunkt im Bau der Grundkreditbank, Budapester Straße 35, gegenüber dem Elefantentor. 6. Montag, den 12. Dezember 1988, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Harry Nehls: „Leben und Wirken des preußischen Generals, Forschungsreisenden und Kunstsammlers Johann Heinrich Carl Freiherrn Minu von Minutoli". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 7. Freitag, den 16. Dezember 1988, 18.00 Uhr: Vorweihnachtliches Beisammensein mit Programm in den Tegeler Seeterrassen, Wilckestraße 1. Essen nach Wahl. Telefonische Anmeldungen ab 19.00 Uhr unter 8 54 58 16. Fahrverbindungen U-Bahnhof Tegel. Kurzer Fußweg durch die Straße Alt-Tegel. Anmeldeschluß am 10. Dezember.
Ab 1. November hat die Leitung der Geschäftsstelle des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31,1000 Berlin 45, Telefon 7 72 34 35, übernommen. Frau Ruth Koepke führt die Geschäfte der Schatzmeisterin weiter. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30-22 34. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 332408. Geschäftsstelle: Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31,1000 Berlin 45, Telefon 7723435. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 365 7605. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102, 1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14. 1000 Berlin 28; Roland Schröter. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 128
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 85. Jahrgang
Heft 1
Januar 1989
Personenzug der Berlin-Potsdamer Eisenbahn mit der Lokomotive Prussia Lithographie nach einer Zeichnung von E. Damm, 1846
150 Jahre Berlin-Potsdamer Eisenbahn* Von Jürgen Wetzel Wie jede neue Erfindung, so hatte auch die Eisenbahn lange gegen althergebrachtes Denken und gegen die Technikfurcht Anfang des vorigen Jahrhunderts zu kämpfen, bevor sie sich durchsetzen konnte. Viele bezweifelten, daß die vorhergesagte Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Stunde überhaupt zu erreichen sei, schaffte doch die Thurn-und-Taxissche Post im Durchschnitt nur 37 Kilometer pro Tag. Andere wollten mit wissenschaftlicher Autorität nachweisen, daß der Mensch eine solche Geschwindigkeit gar nicht ertragen könne. Land- und Forstwirte sahen durch den Funkenflug der Lokomotiven sämtliche an den Bahnstrecken gelegenen Wälder in Brand. Und die Bauern glaubten, daß durch den von der Bahn erzeugten Luftwirbel die Tiere auf der Weide geschädigt und die Pferde beim Anblick der feuerspeienden Ungeheuer scheuen würden. Konservative Politiker sahen in der Lokomotive den Leichenwagen, auf dem der Absolutismus und Feudalismus zum Kirchhof gefahren würden. Sie befürchteten deshalb soziale Umwälzungen und glaubten, mit der Eisenbahn die Revolution zu schnell ins Haus zu bekommen. Die Kirche schließlich war gegen die neue Erfindung, weil sie die Entwicklung von Fortbewegungsmitteln, die dem Menschen nicht von der Natur vorgegeben waren, als Hybris, ja als Gotteslästerung empfand. So hatten die Befürworter der Eisenbahn keinen leichten Stand. Der Furcht vor sozialem Wandel hielt der Nationalökonom Friedrich List die wirtschaftlichen Möglichkeiten durch die soziale Mobilität der Arbeiterschaft entgegen. Der Unwissenheit versuchte er, durch genaue Beschreibungen der neuen Erfindungen zu begegnen. „Eisenbahnen oder Schienenbahnen", so schrieb er 1835 in einem Artikel „Über Eisenbahnen und das deutsche Eisenbahnsystem", „sind parallel nebeneinander fortlaufende, 3 Fuß 8 Zoll bis 4 Fuß 8 Zoll voneinander getrennt liegende Geleisebäume (im Englischen Rails) oder Schienen von Eisen oder auch von Holz auf Steinen, die mit Eisen beschlagen sind, worauf eigens dazu bestimmte Wagen mit gußeisernen Rädern, welche durch die an ihrer inneren Peripherie befindlichen Räder oder Kränze stets auf dem flachen Geleise gehalten werden, in beliebiger Schnelligkeit fortbewegt werden können." Gegen alle Widerstände und Bedenken kämpfte in Preußen mit bewundernswerter Energie der in Berlin geborene Justizkommissar J. C. Robert an. Nach Überwindung bürokratischer Hürden erhielt er auf sein an den König gerichtetes Gesuch am 19. Dezember 1835 die vorläufige Konzession zur Errichtung einer Eisenbahn von Berlin nach Potsdam. Für das Gesuch von Robert sprach, daß er keine staatlichen Mittel, sondern nur den staatlichen Schutz bei den erforderlichen Grundstückserwerbungen beantragte und den Nachweis der Finanzierung des Vorhabens durch die Bildung einer Kapitalgesellschaft erbringen konnte. Außerdem hatte Robert seinem Gesuch ein überzeugendes Baugutachen für die Errichtung der Bahn durch den Geheimen Oberbaurat Crelle beigelegt. Die Statuten der 1836 gegründeten Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft sahen die Bestellung eines Staatskommissars und nach Amortisation die unentgeltliche Übernahme der Bahn durch den Staat vor, die freilich erst 1880 erfolgte. Die Ideenträger Robert und Crelle erlitten ein mehrfach zu beobachtendes Erfinderschicksal: Bald nach der Gründung der Aktiengesellschaft wurden sie durch Intrigen im Vorstand ausge* Der hier abgedruckte Beitrag ist der geringfügig erweiterte Vortrag, den der Verfasser im Rahmen einer Festveranstaltung zum 150jährigen Bestehen der Berlin-Potsdamer Eisenbahn am 24. September 1988 in Zehlendorf gehalten hat. 130
Potsdamer Bahnhof, ca. 1905
schaltet, so daß sie, als König Friedrich Wilhelm III. am 23. September 1837 durch Allerhöchste Kabinettsordre die endgültige Konzession erteilte, in der Geschäftsführung keine Rolle mehr spielten. Kurz vor der Erteilung der endgültigen Konzession war Anfang August 1837 bereits mit den Erdarbeiten für die Anlage der Bahnstrecke begonnen worden; und schon am 21. September 1838 konnte die Teilstrecke von Potsdam nach Zehlendorf und am 29. Oktober die gesamte 26,4 Kilometer lange Strecke von Berlin nach Potsdam in Betrieb genommen werden. Der Ausgangsbahnhof in Berlin lag vor dem Potsdamer Tor neben dem alten Dreifaltigkeitsfriedhof. Von dort führte die Strecke über den Schafgraben, den späteren Landwehrkanal, am östlichen Rand der Dörfer Schöneberg und Steglitz vorbei bis nach Zehlendorf. Lichterfelde war damals noch ein ganz unbedeutender Ort, und Friedenau gab es noch nicht. Südlich von Zehlendorf ging die Strecke weiter durch die Machnower Heide, an Kohlhasenbrück und Neuendorf vorbei bis in die Teltower Vorstadt Potsdams. Von dort sollte die Weiterführung der Strecke nach Magdeburg erfolgen. Einziger Haltepunkt zwischen Berlin und Potsdam war zunächst nur Zehlendorf. Dieser Haltepunkt wurde aber im November geschlossen und erst im Sommer 1839 wieder geöffnet. Zur gleichen Zeit kamen Haltestellen in Steglitz und Kohlhasenbrück hinzu. Zehlendorf besaß aber noch keinen Bahnhof. Der Zug hielt nur im Bedarfsfall an der Wärterbude Nr. 25, um Personen aufzunehmen oder abzusetzen. Der gesamte Bahnbau, einschließlich des Erwerbs der Grundstücke und der Beschaffung der Fahrzeuge, hat insgesamt 1 Million Taler, nach heutiger Währung etwa 15 Millionen DM, gekostet. Von dieser Summe wurden 88 000 Taler für den Berliner Bahnhof und nur 700 Taler für die Zehlendorfer Haltestelle aufgewendet. 131
Mit sechs Lokomotiven und vierzig Wagen eröffnete die Eisenbahngesellschaft den Betrieb. Die Lokomotiven mußten zunächst noch von der englischen Fabrik Robert Stephenson aus Newcastle bezogen werden. Aus England stammten auch der Werkstattmeister und die Werkstattarbeiter, die jedoch 1840 wegen zu hoher Lohnforderungen entlassen wurden. Erst ab 1846 kamen Lokomotiven von der Maschinenfabrik Borsig. Die Wagen waren in ihrer Form den Postkutschen nachgebildet. Die Wagen der ersten und zweiten Klasse waren geschlossen, die der dritten zunächst noch offen und nur mit einem Segeltuch bespannt. Um die Reisenden besser zu schützen, mußten auch sie ab 1840 nach und nach mit zinkverkleideten Holzflächen versehen werden. Wegen des geringen Personenaufkommens und vielleicht wegen der Gefährlichkeit des Betriebes wurden morgens die ersten und abends die letzten Züge zunächst von Pferden gezogen. Aus diesem Grunde hatte der Bahnhof in Berlin neben den Anlagen für den Dampfbetrieb noch einen Stall für vierzig Pferde. Die Geschwindigkeit war unterschiedlich. Sie wurde besonders festgelegt für Fahrten am Tage und in der Dunkelheit sowie bei Nebel und Schnee. Bei Nebel und Schnee durfte die Fahrgeschwindigkeit die eines trabenden Pferdes nicht überschreiten. Erreichten die ersten Lokomotiven nur eine Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern, so waren es bereits wenige Jahre später 50; bei Dunkelheit mußte die Geschwindigkeit jedoch so ermäßigt werden, daß die Fahrt mindestens anderthalbmal so lange dauerte wie am Tage. Eine Fahrt von Berlin nach Potsdam dauerte anfangs in der Regel 40 Minuten, von Zehlendorf nach Berlin 20 Minuten. Sie kostete für die gesamte Strecke in der ersten Klasse 17Vj Silbergroschen, in der zweiten 12 V2 und in der dritten Klasse 7 '/2, das sind nach heutiger Währung etwa 8,75; 6,25 und 3,75 DM. Kommen wir nun aber zum Anlaß dieser Gedenkstunde, der feierlichen Eröffnung der Bahnstrecke vor 150 Jahren. Einen Tag vor der Eröffnung der Teilstrecke von Potsdam nach Zehlendorf veröffentlichten die Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, besser als Haude und Spenersche Zeitung bekannt, folgende Bekanntmachung: „Auf höhere Anordnung werden hierdurch folgende, für die Benutzung der Eisenbahn zwischen Potsdam und Zehlendorff maßgebende Bestimmungen zur öffentlichen Kenntniß gebracht: 1) Die Eisenbahn ist für jetzt ausschließlich der Personen-Beförderung geöffnet. Gepäck dürfen die Passagiere nur in so weit mitnehmen, als sie solches ohne Unbequemlichkeit für das übrige Publikum an sich behalten können. 2) Der Eingang zu den Wagen ist dem Publikum bis 10 Minuten vor der zum Abgange bestimmten Stunde geschlossen. Um diese Zeit wird der Verschluß geöffnet, und dies durch einmaliges Läuten einer Glocke angedeutet. Es treten hieraus die mit einem Billet zur nächsten Fahrt versehenen Personen ein und nehmen nach Anweisung der die Aufsicht führenden Wagen-Meister und Wärter ihre Plätze in den Wagen ein. Nach 5 Minuten, also 5 Minuten vor dem Abgange, wird zum zweiten Mal geläutet, um die etwa noch zurückgebliebenen Passagiere auf die Abfahrt aufmerksam zu machen. 3) Mit dem Schlage der zur Abfahrt bestimmten Stunde, wird zum dritten Male geläutet und zugleich der zu den Wagen führende Eingang wieder geschlossen. Es wird als dann Niemand weiter zum Mitfahren zugelassen. Die Wagen-Meister und Wärter schließen die Thüren der Wagen, und nehmen die Plätze auf denselben ein. — Der Wagen-Meister giebt dem, den Dampf-Wagen führenden Maschinisten ein Zeichen, und der Zug setzt sich in Bewegung. 132
Blick auf Bahnhof, Kuiiligshof u. Rathaus
Blick auf den Bahnhof Steglitz, ca. 1910
Bahnhof Schlachtensee, ca. 1914
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4) Bei der Ankunft am Bestimmungsorte öffnen die Wagen-Meister und Wärter die Wagen. Die Passagiere steigen aus und begeben sich unverzüglich aus dem für die Wagen bestimmten Orte, welcher sogleich wieder verschloßen wird. 5) Der Betrieb der Eisenbahn-Beförderung wird nach der Uhr der Garnisonkirche zu Potsdam geleitet. 6) Die Passagiere sollen sich nicht aus den Wagen hinauslegen, auch dieselben zum Ein- und Aussteigen nicht selbst öffnen, sondern dies den Wagen-Meistern und Wärtern überlassen. 7) Kranke Personen und säugende Kinder können zur Mitreise nicht zugelassen werden. 8) Die Passagiere dürfen Hunde und andere Tiere nicht mit sich führen. 9) Das Tabackrauchen ist nur in der letzten Wagen-Klasse gestattet. 10) Solche Passagiere, welche die für die Aufrechterhaltung der Ordnung gegebenen Vorschriften nicht beachten, oder sich unanständig betragen oder trunken sind, werden von der Mitreise zurückgewiesen; sie haben sich hierbei den Anordnungen der uniformirten Aufsichts-Beamten unbedingt zu unterwerfen. — Das schon gezahlte Personengeld kann in diesem Falle nicht zurückgefordert werden, sondern ist verfallen. Berlin, den 18. Sept[ember] 1838. Direction der Berlin-Potsdamer Eisenbahn-Gesellschaft." In einer zweiten Bekanntmachung lud die Direktion die Berliner zu den ab 22. September regelmäßig verkehrenden Bahnfahrten von Zehlendorf nach Potsdam ein und organisierte dazu einen speziellen Kremser-Fuhrdienst vom Brandenburger Tor aus für 5 Silbergroschen. Endlich war der mit großer Spannung erwartete Tag der ersten Eisenbahnfahrt gekommen, von dem die Haude und Spenersche Zeitung begeistert berichtete: „Vom schönsten Wetter begünstigt fand gestern, am 21sten Sept[embe]r, in Gegenwart vieler Tausender von Zuschauern, welche sich aus Berlin und Potsdam dazu eingefunden, und an verschiedenen Punkten auf den Seiten der Bahn Posto gefaßt hatten, die feierliche EröffnungsFahrt statt... Zwei Minuten nach 12 Uhr setzte man die Lokomotiven: ,Adler' und ,Pegasus' mit 16 Wagen, von denen der erste ein Musik-Corps enthielt, unter dem Donner von Kanonen und dem Jubel der Zuschauer in Bewegung. Zwei und zwanzig Minuten nach 12 Uhr langte der Zug in Zehlendorf an, die Strecke von 1 % Postmeilen ist also in 20 Minuten zurückgelegt worden. Die Fahrt lief ohne die geringste Störung ab, indem das schaulustige, wie das fahrende Publikum, sich den Anordnungen der Bahn-Beamten, welche sich in ihrer Uniform sehr stattlich ausnahmen, willig fügte. Auch in Zehlendorf waren Tausende von Neugierigen, zu Fuß, zu Pferde und in Wagen, versammelt, welche den pfeilschnell herannahenden Zug mit lautem Jubelruf begrüßten und ihre Teilnahme an dem glücklichen Gelingen des Unternehmens freudig aussprachen." Bereits fünf Wochen später, am 29. Oktober, fand dann die feierliche Eröffnung der ganzen Strecke von Berlin nach Potsdam statt. Wieder berichtete der Chronist der Haude und Spenerschen Zeitung voller Bewunderung: „Zur Eröffnungs-Fahrt, an welcher S[eine] Königliche] Hohfeit] der Kronprinz, so wie sämmtliche hier anwesende Prinzen des königlichen] Hauses und mehrere hohe Staatsbeamte Theil nahmen, waren von der löbflichen] Direction der Eisenbahn-Gesellschaft noch 256 Personen eingeladen worden, welche sich gegen 12 Uhr in der vorderen, von außen mit Blumen und Laubgewinden geschmückten, Halle des zweckmäßig eingerichteten und elegant decorirten Bahnhauses vor dem Potsdamer Thore versammelten. Wenige Minuten nach der bestimmten Zeit setzte man die Lokomotive ,Iris' und ,Pegasus' mit 11 Wagen, worin sich zwischen 3 und 400 Personen befanden, während ein Corps auf dem 134
Locomotiv-Schuppen der Berlin-Potsdamer Eisenbahn in Berlin Balkon des Empfanghauses lustige Fanfaren ertönen ließ, in Bewegung. Schon in 5 Minuten erreicht man Schöneberg, in 8 Steglitz, in 7 Zehlendorf, in 14 Kohlhasenbrück, in 4 Nowawes und in 3 Minuten Potsdam, so daß also die ganze Strecke (3'/2 Postmeilen) in 41 Minuten zurückgelegt war." Das grenzte für die damaligen Beobacher fast ans Wunderbare. „Nach einem solchen Resultate", fuhr der Chronist fort, „kann man wohl annehmen, daß auch die bisherigen Gegner der Eisenbahnen sich einem Unternehmen zuwenden werden, dessen gestrige, so glücklich abgelaufene Einweihung in der Geschichte Berlins gewiß ein lichter Moment blei135
ben, und einen riesigen Fortschritt des Verkehrs und National-Wohlstandes bezeichnen wird." Im Gegensatz zu seinem Vater erkannte der an der Eröffnungsfahrt teilnehmende Kronprinz die epochemachende Wirkung des neuen Verkehrsmittels und hat das Ereignis mit einem berühmt gewordenen Satz kommentiert: „Diesen Karren, der durch die Welt rollt, wird kein Menschenarm mehr aufhalten." Friedrich Wilhelm III., der mit seinen Vorstellungen noch im 18. Jahrhundert wurzelte, war skeptischer. Er sah voraus, daß mit der Eisenbahn und der Geschwindigkeit das Ende des gewohnten Lebensstils gekommen war. „Alles soll Carriere gehen", sagte er bei Unterzeichnung der Konzessionsurkunde, „die Ruhe und Gemütlichkeit leidet aber darunter. Kann mir keine große Seligkeit davon versprechen, ein paar Stunden früher von Berlin in Potsdam zu sein. Zeit wirds lehren." Bei den Berlinern dagegen erfreute sich das neue Verkehrsmittel von Anfang an großer Beliebtheit. Bereits in den ersten Wochen nach der Eröffnung war der Zustrom so stark, daß der Lokomotiv- und Wagenpark stark vermehrt werden mußte. 1840 beförderte die Bahn bereits rund 550 000 Personen, und nur noch 77 wurden mit von Pferden gezogenen Schienenfahrzeugen transportiert. Der Güterverkehr spielte zunächst kaum eine Rolle. Den Einnahmen von rund 175 000 Talern aus der Personenbeförderung standen 12 500 Taler aus dem Güterverkehr gegenüber. Bereits zwei Jahre nach der Eröffnung konnte die Gesellschaft einen Reingewinn von 40 Talern verbuchen. 1844 verkaufte die Eisenbahngesellschaft ihre Anteile an die neugegründete Berlin-PotsdamMagdeburger Eisenbahngesellschaft, die den Ausbau der Bahnstrecke von Potsdam nach Magdeburg in Angriff nahm, der 1848 fertig wurde. In kürzester Zeit war die Eisenbahn zum Symbol technischen und wirtschaftlichen Fortschritts geworden und brachte besonders den Menschen der unteren sozialen Schichten ein vorher nie gekanntes Maß an Freiheit und Gleichheit. Für die Entwicklung Zehlendorfs bedeutete der Bau der Eisenbahn von Berlin nach Potsdam eine Zäsur. Immer enger wurde nun sein Schicksal mit der atemberaubenden Entwicklung der preußischen Hauptstadt verknüpft. Schon die bei der Einweihung hereinströmenden Massen ließen ahnen, welche Möglichkeiten sich für die Zukunft eröffneten. Verkehrten zunächst nur vier Züge pro Tag in beiden Richtungen, so waren es vierzig Jahre später mehr als hundert. Und in jedem darauffolgenden Jahr kamen weitere Züge hinzu. Da die Bahn zunächst ebenerdig fuhr, mußte der Übergang nach Teltow durch Schranken gesichert werden. 1866 erhielt Zehlendorf ein Bahnhofsgebäude, das bereits 25 Jahr später erneuert werden mußte, als wegen des sprunghaft angestiegenen Verkehrs ein drittes und viertes Gleis gelegt wurde. Bei dieser Gelegenheit bekam das Dorf eine Unterführung, damit die südlichen Teile ungefährdet erreicht werden konnten. Die Folge der Verkehrserschließung war eine allmähliche Bevölkerungsvermehrung. Immer mehr Berliner strebten in die ländliche Idylle Zehlendorfs und forcierten die Bautätigkeit. Zunächst profitierten die Bauern von dieser Entwicklung. Nach anfänglichem Sträuben verkauften sie der Eisenbahn-Gesellschaft Land und konnten mit dem Geld ihre Hypotheken ablösen. Bald aber wurde der Ort von Spekulanten entdeckt. 1849 und 1858 kauften clevere Potsdamer Immobilienmakler die Bauerngüter Nr. 9 und 19 auf, parzellierten sie und veräußerten die einzelnen Teile weiter. So entstanden viele kleine Besitzungen entlang der Potsdamer Chaussee. Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung war die Anlage der Wannseebahn. Sie wurde auf Initiative Wilhelm Conrads und auf Wunsch des Prinzen Friedrich Karl, eines Neffen des Kaisers, angelegt. Friedrich Karl wünschte eine schnelle Verbindung zu seinem Jagdschloß Dreilinden, und Wilhelm Conrad, der ab 1869 die Villenkolonie Alsen anlegen ließ, benötigte 136
ihre Anbindung an das Berliner Schienenverkehrsnetz, um potente Käufer von Parzellen aus dem fernen Berlin anzulocken. Gegen starke Opposition setzte er als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahngesellschaft durch, daß 1874 eine besondere Bahnverbindung zum Wannsee und von dort nach Potsdam gebaut wurde. Sie gilt übrigens als erste Vorortbahn der Welt. Die Strecke zweigte kurz nach dem Zehlendorfer Bahnhof ab und führte in großem Bogen am Schlachtensee vorbei über Wannsee nach Potsdam. Bei Kohlhasenbrück vereinigte sie sich wieder mit der Stammbahn. Viele Zehlendorfer glaubten nicht an die Rentabilität dieser Linie, weil sie durch fast unbesiedeltes Gebiet führte, und spotteten über die auf „Conrädern" rollende „Wahnsinnsbahn". Conrad ließ sich jedoch nicht beirren. Er glaubte an das nach der Reichsgründung mächtig aufstrebende Berlin, und die Entwicklung gab ihm recht. Durch die Anlage der Bahnhöfe Schlachtensee und Wannsee schaffte die Verbindung langfristig die Voraussetzung für die Erschließung des Zehlendorfer Westens und der Stolper Feldmark. Viele wohlhabende Geschäftsleute, Künstler und Gelehrte entdeckten dort ideale Ansiedlungsmöglichkeiten und ließen sich in Zehlendorf, den Kolonien Alsen und Wannsee sowie später auch in Nikolassee komfortable Villen errichten. In wenigen Jahrzehnten vervielfachte sich die Bevölkerung. Wohnten Mitte der siebziger Jahre etwa 3000 Einwohner auf dem Gebiet des heutigen Bezirks, so waren es 1914 etwa 33 000. Wegen der Zunahme des Verkehrs erhielt die Wannseebahn, die bis Zehlendorf die Schienen der Stammbahn benutzte, 1891 eigene Gleise und in Berlin mit dem Wannseebahnhof eine eigene Station. Nach dem schweren Unglück zu Anfang der 80er Jahre im Bahnhofsbereich von Steglitz waren alle ebenerdigen Bahnübergänge der Strecke durch Tieferlegen der Straßenzüge in Überführungen umgewandelt worden. Im Jahre 1903 wurde der erste Schnellzug auf der Strecke Wannsee-Zehlendorf-Berlin eingeführt, der ab 1908 als sogenannter „Bankierzug" ab Zehlendorf-Mitte ohne Halt bis Berlin durchfuhr. So konnten die neuen Bewohner Zehlendorfs, wie es der Chronist Paul Kunzendorf sah, die Freuden des Landlebens genießen, ohne die Vorzüge und den Komfort der Großstadt zu entbehren. Durch die Anlage der Wannseebahn erhielt die Entwicklung des bis dahin noch ländlich geprägten Zehlendorf zum eleganten Vorort Berlins kräftige Impulse. Diese Entwicklung fand schließlich ihren Abschluß mit seiner Eingemeindung nach Berlin 1920. Die Weichen dazu wurden aber bereits vor jetzt 150 Jahren mit dem Bau der Berlin-Potsdamer Eisenbahn gestellt.
Bildnachweis: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (1) Landesarchiv Berlin (2, 3, 4, 5)
Anschrift des Verfassers: Dr. Jürgen Wetzel, Karlsbader Straße 2, 1000 Berlin 33
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Berlin als Standort des zentralen Trägers der Rentenversicherung der Angestellten Von Hans-Jörg Bonz
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), der zentrale Träger der Rentenversicherung der Angestellten, ist heute aus Berlin nicht mehr wegzudenken. Die Gebäude der BfA geben dem Geviert zwischen Fehrbelliner Platz, Konstanzer Straße und Preußenpark, der Nestorstraße sowie dem Hohenzollerndamm beim S-Bahnhof im Bezirk Wilmersdorf ihr eigenes, unverwechselbares Gepräge. Ihr Hochhaus am Hohenzollerndamm gehört zur Silhouette der Großstadt Berlin. Mit ihren knapp 13 000 Beschäftigten ist die BfA zudem ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftsfaktor in Berlin (West). Das am 3. Juli 1953 vom Deutschen Bundestag angenommene und am 7. August 1953 in Kraft getretene Gesetz über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bestimmte in seinem § 1, daß die als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten errichtete Bundesversicherungsanstalt für Angesteile ihren Sitz in Berlin hat. Bei rückschauender Betrachtung erscheint diese Regelung als eine Selbstverständlichkeit, denn der zentrale Träger der Angestelltenversicherung war seit 1912, dem Beginn seiner Existenz, mit der alten Reichshauptstadt aufs engste verbunden. Die Gründe, die die Bundesregierung veranlaßt hatten, Berlin als Standort der zu errichtenden Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu bestimmen, lagen auf der Hand. Die Entscheidung sollte die Verbundenheit der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin zum Ausdruck bringen und sie noch enger gestalten. Große Erwartungen richtete man ferner auf eine Entlastung des Berliner Arbeitsmarktes, da zu Recht angenommen wurde, daß ein so großer zentraler Versicherungsträger vor allem den zahlreichen arbeitslosen Angestellten in Berlin die Chance eines Arbeitsplatzes bieten werde. Und nicht zuletzt waren in Berlin, dem Sitz der alten Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, die Gebäude und Einrichtungen als Grundstock für den neu gebildeten Versicherungsträger BfA vorhanden. Die mit dem Standort Berlin verbundenen Nachteile konnten allerdings nicht übersehen werden. Die politische Situation im westlichen Teil Berlins erschien vielen als labil und risikobehaftet. Aber nicht diese Bedenken waren es, die die Entscheidung für Berlin nicht ganz so selbstverständlich werden ließen, wie etwa nach der Begründung der Bundesregierung im Gesetzentwurf angenommen werden durfte. Berlin als Standort war vielmehr dadurch in Frage gestellt, daß die Bundesländer im Bundesrat eine Erweiterung des § 1 des Errichtungsgesetzes dahingehend angeregt hatten, als Unterbau Geschäftsstellen im Bundesgebiet zu errichten, denen die wesentlichsten Aufgaben der Versicherung übertragen werden sollten. Für Berlin erwies es sich als vorteilhaft, daß diese Vorstellungen der Bundesländer nicht realisiert worden sind. Wie die von der Bundesregierung für die Wahl des Standorts Berlin gegebene Begründung zeigt, hatte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, daß in der alten Reichshauptstadt die Gebäude und Einrichtungen der 1945 als zentraler Versicherungsträger der Angestellten stillgelegten Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) noch vorhanden waren. Gerade diese uns heute gleichfalls als selbstverständlich anmutende engste Verbindung zwischen dem 1912 ins Leben gerufenen zentralen Träger der Angestelltenversicherung und Berlin war jedoch - wie ein Blick auf die Organisationsgeschichte der RfA zeigt - keineswegs unumstritten gewesen. Da die Entwicklung Berlins auch durch die hier angesiedelten Verwaltungsinstitutio138
nen mit geprägt worden ist, erscheint es nicht uninteressant, sich einmal an dieser Stelle auf die Anfänge der Verbindung zwischen Berlin und dem zentralen Träger der Angestelltenversicherung zurückzubesinnen.
Berlin als Standort der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte Sowohl der Vorentwurf als auch der am 20. Mai 1911 dem Reichstag zugeleitete Entwurf eines Versicherungsgesetzes für Angestellte sahen vor, als Träger der Versicherung die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin zu errichten1. Im Reichstag allerdings stieß diese Wahl nicht auf ungeteilte Zustimmung. Auf die Frage eines Mitglieds der 16. Kommission über den Entwurf eines Versicherungsgesetzes für Angestellte, warum nicht eine andere, zentral gelegene Stadt des Deutschen Reiches, die billigere Lebensverhältnisse habe, in Betracht komme, wurde die Wahl Berlins im endültigen Kommissionsbericht damit begründet, es liege „am zentralsten, weil es am besten von allen Seiten zu erreichen sei"2. Nicht nur in der Kommission, sondern auch im Plenum des Reichstages regte sich jedoch Widerstand gegen Berlin als Standort des künftigen Versicherungsträgers. Bedenken gegen die Wahl Berlins äußerte in der Debatte zu § 97 des Entwurfs u. a. der Abgeordnete Erzberger, der spätere Reichsfinanzminister in der Weimarer Republik. Für ihn waren fiskalische Erwägungen maßgebend. Würde die Versicherungsanstalt in einem Ort der Klasse II oder III errichtet, so könnten nach seiner Berechnung jährlich 100 0000 Mark an Wohnungsgeldzuschuß für die Beamten der RfA gespart werden. Gegen die Wahl Berlins sprach nach seiner Auffassung auch, daß die Beamten in der Zentrale Berlin täglich nur 6 bis 7 Stunden hindurch arbeiten würden3. Die Debatte im Plenum des Reichstags kreiste ferner um die Frage, ob die Festschreibung des Standortes „Berlin" im Gesetz es ausschlösse, die Versicherungsanstalt in Wilmersdorf, einem damals noch selbständigen Ort, zu errichten4. Die Pflege ihres Wählerstammes lag den Reichstagsabgeordneten auch damals schon sehr am Herzen. Der im Wahlkreis Kassel gewählte Abgeordnete Lattmann brache als Alternativstandort für die zu errichtende RfA Kassel in die Diskussion5. Seinen Reichstagskollegen gab er von einem an ihn gerichteten Telegramm des Oberbürgermeisters von Kassel Kenntnis, wonach Kassel bereit war, „zur Erbauung der Reichsversicherungsanstalt Bauplatz je nach Wahl unentgeltlich oder zu billigen Bedingungen zur Verfügung zu stellen". Für die Reichshauptstadt als Standort der Reichsversicherungsanstalt machte sich der Abgeordnete Stresemann, der spätere Reichskanzler und Reichsaußenminister, stark. Gerade bei einer großen sozialen Institution, die mit der Reichsgesetzgebung zusammenhänge, müsse die Reichshauptstadt, bei der diese ganze Gesetzgebung in den einzelnen Behörden zusammenlaufe, zunächst und in erster Linie als Standort in Betracht kommen6. Die für die Wahl Berlins sprechenden Argumente schienen das Plenum des Reichstags überzeugt zu haben. Weitgehende Übereinstimmung bestand auch darin, daß unter „Berlin" in § 97 des Versicherungsgesetzes für Angestellte „nicht die Gemeinde Berlin, sondern Groß-Berlin mit den Vorortgemeinden verstanden ist"7. Die vom Abgeordneten Erzberger geäußerte Erwartung, das Beispiel in Kassel möge auch bei den Vororten Berlins nachgeahmt „und ein recht schöner günstig gelegener Bauplatz für das Gebäude der Privatbeamtenversicherung von einer Stadt oder einem Vorort Berlins auch gratis zur Verfügung gestellt" werden8, war leider etwas realitätsfremd gewesen. Als die RfA nach Inkrafttreten der organisationsrechtlichen Bestimmungen des Versiche139
rungsgesetzes für Angestellte am 28. Dezember 1911 im Verlauf des Jahres 1912 ihre Tätigkeit aufnahm, mußte sie dies in angemieteten, am Hohenzollerdamm und in seinen Seitenstraßen gelegenen Gebäuden tun. Ein eigenes zentrales Dienstgebäude stand ihr noch nicht zur Verfügung. Bereits am 24. Mai 1913 erwarb die RfA jedoch einen Grundstücksblock am Fehrbelliner Platz in Berlin-Wilmersdorf mit einem Flächeninhalt von ca. 30 000 m2. Einschließlich aller Unkosten belief sich der gesamte Aufwand auf 3 476 000 Mark. Bis zur Errichtung des — nach Erweiterungen noch heute genutzten — ersten Dienstgebäudes auf diesem Grundstück vergingen aber weitere 10 Jahre. Zuvor wurde allerdings noch einmal heftig diskutiert, ob nicht die RfA von Berlin weg in eine andere Stadt des Deutschen Reiches verlegt werden sollte.
Überlegungen zur Verlegung der RfA Die Unterbringung des Versicherungsträgers in über 100 angemieteten Wohnungen rund um den HohenzoUemdamm zwischen der heutigen Bundesallee und dem Fehrbelliner Platz schuf zunehmend unzuträgliche Verhältnisse. Da die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, wurde zunächst von August 1919 bis April 1920 ein Behelfsbau für 700 Bedienstete errichtet. Der Geschäftsbericht der RfA vermerkte, daß „wesentliche Klagen über die Lehmbauten nicht laut geworden" seien9. Auch dieser Bau konnte jedoch nur ein Transitorium sein. Konkrete Überlegungen zu einer Verlegung des in Aussicht genommenen Neubaues für die RfA nach Dresden, Nürnberg oder Stuttgart wurden im Herbst des Jahres 1919 angestellt. Eine aus Gegnern und Befürwortern einer Verlegung des Sitzes der RfA paritätisch zusammengesetzte Kommission des Verwaltungsrates der RfA, d. h. des als Legislativorgan fungierenden Selbstverwaltungsgremiums der RfA, besichtigte Alternativstandorte in Dresden, Nürnberg und Stuttgart. Ohne Kenntnis des Verwaltungsrats schloß sich daran eine Besichtigungsreise von „Vertretern der höheren Beamtenschaft" an. Ausgelöst worden waren die Überlegungen von der Erwägung, daß sich durch eine Verlegung des Sitzes der RfA jährlich Gehälter von 75 000 Mark einsparen ließen. Ferner wurde darauf hingewiesen, bei einer Verlegung — insbesondere bei einem Anschluß Deutsch-Österreichs —ließe sich eine bessere zentrale Lage erreichen, ferner würden die Baukosten wesentlich niedriger ausfallen. Für einen Umzug spreche ferner „die in Berlin herrschende Unterernährung der gesamten Bevölkerung". Die soziale Stellung der Beamten sei außerhalb Berlins „eine viel gehobenere"10. Da nach dem Bezug des Behelfsbaus die Entscheidung, ob und wo ein eigenes Dienstgebäude zu errichten ist, unumgänglich wurde, nahm man im Frühsommer 1920 die Verhandlungen mit den Städten Stuttgart, Nürnberg, Dresden und Kassel wieder auf. Maßgebliche Gesichtspunkte bei den Besprechungen waren die Möglichkeiten der Beschaffung der Baumaterialien, die Höhe der Kosten des Neubaus und auch die Frage, ob durch Übersiedlung des Beamtenkörpers „die Lebensbedingungen der Beamten der Anstalt verbessert werden könnten". Nach lebhaften Auseinandersetzungen wurde schließlich die Verlegung des Dienstsitzes der RfA nach Dresden in Aussicht genommen. Den Ausschlag für die Entscheidung, doch in Berlin zu bleiben und auf dem bereits 1913 erworbenen Baugrundstück den Neubau zu errichten, gab dann aber das Angebot, vom Wohnungsverband Berlin zu Vorzugspreisen die erforderlichen Bausteine zu erhalten und nach dem Vorschlag eines Mitglieds des Verwaltungsrats die Abwärme der Gasanstalt Schmargendorf" zur billigen Beheizung des Neubaus auszunutzen12. Der für Herbst 1920 vorgesehene Beginn des Neubaus verzögerte sich jedoch, da das Reichsarbeitsministerium seine Genehmigung noch von der Auskunft abhängig gemacht hatte, „ob der 140
Verwaltungsrat auch volle Klarheit über die zu erwartenden Kosten ggf. über 27 Mio. habe" 13 . Nach Ausräumung dieser Schwierigkeiten konnte dann Mitte Februar 1921 der erste Spatenstich erfolgen. Die Planung beschränkte sich auf die Bebauung des Grundstücksteils von der Westfälischen Straße zu der Straße 5 (heute Ruhrstraße), so daß „die wertvolle Ecke am Fehrbelliner Platz für spätere anderweitige Verwendung frei" gelassen wurde. Entsprechend der zu erwartenden Reduzierung des Beamtenkörpers der Rf A war das Bauprogramm auf Räumlichkeiten für 1500 Beamte eingeschränkt worden14. Am 14. April 1921 fand — wie der Geschäftsbericht vermerkt - „in einer den Zeiten entsprechenden schlichten Form" die Grundsteinlegung des Dienstgebäudes statt15. Eine unliebsame Überraschung ergab sich allerdings bei den Baukosten. Da die Löhne Ende 1921 auf das Dreifache der Januar-Löhne 1921 und die Materialpreise sogar um das Drei- bis Fünffache gestiegen waren, wurde deutlich, daß die Ende 1920 auf 27 Mio. Mark veranschlagten Baukosten — trotz der sich aus frühzeitigen Vertragsabschlüssen ergebenden Ersparnisse — auf etwa das Dreifache emporschnellen würden16. Daran vermochte auch nichts zu ändern, daß nach dem Bauplan „im Innern... eine schlichte, einfache und würdige Architektur, die unseren Zeitverhältnissen entspricht, vorgesehen" war17. Da der Rohbau noch vor dem großen Sturz der Mark beendet worden war, ließ sich im Geschäftsbericht für das Jahr 1922 mit Beruhigung feststellen, daß sich die gesamten Baukosten für den Neubau „in erträglicher Höhe" halten werden18. Nach 22monatiger Bauzeit konnte der Neubau dann ab April 1923 bezogen werden. Die gesamten Baukosten betrugen infolge der einfachen Ausstattung des Gebäudes19 nur knapp über 1 Mio. Goldmark. In den fünf Hauptgeschossen und im ausgebauten Dachgeschoß war — entgegen der ursprünglich vorgesehenen Einschränkung — dann doch Platz für 2500 Beamte. Da jedoch infolge des Beamtenabbaus zahlreiche Büroräume nicht genutzt werden konnten, vermietete die RfA einen Teil des Gebäudes 20 . Mit dem Einzug in den Neubau wurden mehr als 100 Wohnungen in Wilmersdorf frei gemacht, die nun dem Wohnungsmarkt zur Verfügung standen21.
Anmerkungen 1 Vgl. § 99 des Vorentwurfs; § 97 des Entwurfs (Reichstags-Drucksache Nr. 1035, 12. Legislaturperiode, II. Session 1909/11). 2 Vgl. Bericht der 16. Kommission über den Entwurf eines Versicherungsgesetzes für Angestellte, Reichstags-Drucksache Nr. 1198, erstattet am 18. November 1911, S. 29. 3 Vgl. stenografische Berichte der 214. Sitzung des Reichstags am 1. Dezember 1911,12. Legislatuperiode, II. Session 1909/11 S.8231 f. 4 Ebenda, S. 8233, 8236. 5 Ebenda, S. 8233 A. 6 Ebenda, S. 8234. 7 Ebenda, S. 8235. 8 Ebenda, S. 8235. 9 Bericht des Direktoriums der RfA über das Geschäftsjahr 1920, S. 5 10 Vgl. Bericht über die Besichtigungsreise nach den angebotenen Bauplätzen, erstattet von dem Mitglied des Bauausschusses A. Hering. 11 Dieser Vorschlag konnte dann allerdings nicht realisiert werden, da die Gasanstalt Schmargendorf „infolge großer UnWirtschaftlichkeit, die durch den starken Rückgang des Gasverbrauchs verursacht wurde",im April 1922 stillgelegt worden war. Die RfA konnte jedoch erreichen, daß der Magistrat von Berlin die sich aus dem bereits geschlossenen Vertrag ergebenden Vergünstigungen in anderer Form gewährte (vgl.Bericht des Direktoriums der RfA über das Geschäftsjahr 1921, S.4). 141
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Vgl. Bericht des Direktoriums der RfA Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 6. Vgl. Bericht des Direktoriums der RfA Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 6. Vgl. Bericht des Direktoriums der RfA Vgl. Bericht des Direktoriums der RfA Ebenda, S. 15. Vgl. Bericht des Direktoriums der RfA
über das Geschäftsjahr 1920, S. 6.
über das Geschäftsjahr 1921, S. 4. über das Geschäftsjahr 1922, S. 9 über das Geschäftsjahr 1923, S. 15. über das Geschäftsjahr 1922, S.9. Anschrift des Verfassers: Hans-Jörg Bonz, Söhtstraße 10, 1000 Berlin 45
„Mit der Brotkarte zur Wahl" Eine Erinnerung an die ersten freien Berliner Nachkriegswahlen anläßlich des Wahltages am 29. Januar 1989
Von Karl-Heinz Bannasch „Berliner Wähler! Aus Kontrollgründen müssen sich alle Wähler, die eine Lebensmittelkarte haben, mit dieser im Wahllokal einfinden."1 Mit diesem für heutige Zeiten ungewöhnlichen Aufruf wandte sich die Alliierte Kommandantur zwei Tage vor den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 20. Oktober 1946 an die Berliner. Während heute die Wahlberechtigung anhand des Personalausweises geprüft wird, besaßen ein Jahr nach Kriegsende noch nicht alle Berliner ein solches Dokument. Die effizienteste Kontrolle ging über die Essensberechtigung. Die Wahlen am 20. Oktober 1946 waren die letzten freien Wahlen in Groß-Berlin, wahlberechtigt waren alle Berlinerinnen und Berliner, die das 21. Lebensjahr vollendet hatten. Es waren zugleich die letzten freien Wahlen zu den Landtagen in der Sowjetischen Besatzungszone. Die Erwartungen an die Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung waren groß. Die Londoner Times knüpfte an die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung — die Vorgängerin des Abgeordnetenhauses — eine Signalwirkung für ganz Deutschland. Allgemein wurden die Wahlen als eine Testwahl zwischen der kommunistischen Partei, die sich in Berlin inzwischen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) nannte, und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) angesehen. Sie war in der Sowjetischen Besatzungszone außerhalb Berlins ein halbes Jahr vorher mit der KPD zur SED zwangseingegliedert worden, so daß ein Kräftemessen östlich der Elbe bisher nicht hatte stattfinden können. Die SED hatte im Jahr zuvor zusammen mit der Besatzungsmacht der sowjetischen Zone eine großangelegte Bodenreform vollzogen. Aller Besitz über 100 Hektar war entschädigungslos enteignet, in 20-Hektar-Höfe parzelliert und an sogenannte „Neubauern" übergeben worden. Die ehemaligen Besitzer mußten den Landkreis verlassen. In den Betrieben sogenannter „ehemaliger Nazis" war es immer wieder zu ungerechtfertigten Übergriffen gekommen. Im Zuge der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED wurden viele SPD-Funktionäre, die nicht in den Kommunisten aufgehen wollten, verhaftet und in Interaierungslagern festgesetzt. Bei den Wahlen am 20. Oktober 1946 hoffte die SED, die absolute Mehrheit in Berlin und in der 142
Stadtverordnetenwahl am 20. Oktober 1946: Wahlpropaganda im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg (Schönhauser Allee), Foto Landesbildstelle.
sowjetischen Zone zu erhalten. Zumindest aber werde sie, erklärte ihr Parteivorsitzender, der spätere DDR-Präsident Wilhelm Pieck, „mit ihren Wahlstimmen an der Spitze aller Parteien marschieren".2 Spitzenkandidat der SED war der 54jährige Max Fechner, ehemaliger Sozialdemokrat, der später Präsident der Justizverwaltung der SBZ werden sollte.3 Die SPD eröffnete ihren Wahlkampf am 2. August mit drei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen im Ostsektor Berlins.4 Ihr Vorsitzender Franz Neumann erklärte, die Pflicht der Sieger sei es, in Deutschland die Menschenrechte wieder zur Geltung zu bringen, um derentwillen der Krieg geführt worden war. Anstelle des Kapitalismus forderte die SPD eine planmäßig gelenkte Wirtschaft. Eine besondere Rolle wies sie den Gewerkschaften zu. Sie sollten Träger neuer Wirtschaftsorgane werden und bei der Planung und Lenkung des Wiederaufbaues sowie der Heranbildung eines wirtschaftlichen Führungsnachwuchses tätig werden. Franz Neumann, der 42jährige Spitzenkandidat, war in der Weimarer Republik Funktionär der Metallarbeiterjugend gewesen und wurde in der NS-Zeit wegen Widerstandes monatelang inhaftiert.5 Anders die Liberal-Demokratische Partei (LDP). Auf einer zentralen Wahlversammlung im gleichen Monat rief ihr Berliner Vorsitzender Carl-Hubert Schwennicke aus: „Wir wollen nichts mit Sozialismus zu irgendwelchen Schattierungen zu tun haben." 6 Die LDP sei sozial, aber nicht sozialistisch eingestellt. Die Liberaldemokraten hoben die fruchtbare Eigeninitiative von Unternehmern und Handwerkern hervor. Auf die Dauer könnten Privateigentum und Marktwirtschaft eine gesunde Volksdemokratie in Deutschland gewährleisten. Es gelte, kapi143
talistisch zu produzieren, so die LDP, und sozial zu verteilen. Spitzenkandidat der LiberalDemokratischen Partei bei den Stadtverordnetenwahlen 1946 war der LDP-Vorsitzende der Sowjetischen Besatzungszone, Wilhelm Külz. Der 76jährige war seit Mitte der dreißiger Jahre in Berlin ansässig, 1926/27 Reichsinnenminister, amtierte er zuletzt als Oberbürgermeister von Dresden, wo er sich 1933 weigerte, auf Begehren der Nationalsozialisten die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus zu hissen, und deshalb aus dem Amt entfernt wurde.7 Im Gegensatz zu heute vertrat die Christlich-Demokratische Union (CDU) kurz nach dem Krieg einen „Sozialismus aus christlicher Verantwortung".8 Sie wollte Planung und Privatwirtschaft mischen, befürwortete das Gemeineigentum der Schlüsselbetriebe. Der Marxismus, erklärte der CDU-Zonenvorsitzende Jakob Kaiser im Wahlkampf, habe in Wirtschafts- und Sozialfragen „ein gutes Stück sehender Mensch gemacht", vom Marxismus trenne die CDU jedoch die Ablehnung vom Klassenkampf und Klassendiktatur. Klare marktwirtschaftliche Ziele übernahmen die Christdemokraten erst später von den Liberalen. Jakob Kaiser führte auch die CDU-Kandidaten zur Stadtverordnetenversammlung an. Der 58jährige war in den zwanziger Jahren christlicher Gewerkschaftsfunktionär im Rheinland. Im Dritten Reich gehörte Kaiser zur Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises um Helmuth von Moltke und mußte sich nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verborgen halten.9 Während in den Berliner Westsektoren Amerikaner, Briten und Franzosen darauf achteten, daß alle Parteien im Wahlkampf gleiche Chancen hatten, wurde die SED im sowjetischen Sektor der der Stadt massiv bevorzugt. So stand etwa die Hälfte der dortigen Plakatwerbeflächen allein der SED zur Verfügung. In der S-Bahn und den in Ost-Berlin eingesetzten Bussen und Straßenbahnen der BVG konnte die SED sogar die gesamte Werbefläche belegen. Auch in der Zuteilung von Zeitungspapier wurden die bürgerlichen Parteien LDP und CDU mit ihren in Ost-Berlin ansässigen Parteiblättern kraß benachteiligt. Nicht gerade zimperlich gingen die Kommunisten damals mit ihren politischen Gegnern um. Auf Kundgebungen tauchten wiederholt SED-Rollkommandos auf, um die Versammlungen zu sprengen. Die LDP, SPD und CDU mußten sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, damit ihre Plakate nicht nächtlich von den Wänden verschwanden.10 Besonders schlimm waren die Wahlbehinderungen in der Sowjetischen Besatzungszone. Hier kandidierten nicht nur SED, CDU und LDP, sondern auch die kommunistisch beeinflußten Massenorganisationen, wie z. B. die Freie Deutsche Jugend (FDJ) oder der Gewerkschaftsbund. Die Sowjetische Militäradministration hatte gegen mehrere bürgerliche Spitzenpolitiker, u. a. den stellvertretenden Vorsitzenden der Zonen-LDP Arthur Liutenant, Redeverbote erteilt." Besonders hart wurde der LDP-Spitzenkandidat Brandenburgs, der aus dem Spandauer Norden stammende 36jährige Wilhelm Falk, getroffen. Daß er als Widerständler gegen den Nationalsozialismus von den Sowjets verdächtigt wurde, Nazi-Propaganda betrieben zu haben, kostete ihn die Kandidatur in der Mark.12 Aber auch andere Benachteiligungen wurden aus der sowjetischen Zone gemeldet. So wurden im Kreis Teltow mehrere 100 Parteimitglieder der CDU und LDP noch vor dem Wahltag zu Arbeitseinsätzen in verschiedene Landkreise verpflichtet, damit die SED hier konkurrenzlos siegen konnte.13 In Beeskow, nahe Frankfurt an der Oder, verhafteten die Sowjets den CDUOrtsvorsitzenden, weil er ein Plakat der SED, mit dem diese ein CDU-Schild überklebt hatte, wieder entfernt hatte.14 Schon am Abend des 20. Oktober wurde deutlich, daß der Berliner Wahlsieger bei außerordentlicher Wahlbeteiligung (92,3 %) nicht die SED, sondern die SPD war. Am Tag darauf lagen die vollständigen Wahlergebnisse vor; die Sozialdemokraten hatten in Berlin 48,7 %, die CDU 23,2 %, die SED 19,8 % und die Liberaldemokraten 9,3 % der Stimmen erhalten. Bei 144
den Landtagswahlen in der sowjetischen Zone wurde die SED durch die massiven Wahlbeeinflussungen stärkste Partei, zweitstärkste Partei wurde die LDP, die CDU landet auf dem dritten Platz.15 Das gute Abschneiden der Sozialdemokraten und der bürgerlichen Parteien bei den Berliner Wahlen, auch in den klassischen Arbeiterbezirken, verursachte bei den am Wahlabend in ihrem Parteihaus in Berlin-Mitte versammelten SED-Spitzenfunktionären einen Katzenjammer. Die Bekanntgabe der Wahlergebnisse an die vor dem Haus versammelten Menschen über Lautsprecher wurde vorzeitig abgebrochen. Der Chefredakteur des SED-Organs „Neues Deutschland", Lex Ende, stöhnte: „Ich muß morgen den Leitartikel schreiben. Was soll ich denn bloß schreiben?" Einer hatte Galgenhumor: „Schreib doch: Alles im Eimer!"16 Als am 26. November 1946 die neugewählten Volksvertreter erstmals im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße (Stadtbezirk Mitte) zusammentraten, war dies die erneute Geburtsstunde der Demokratie in Berlin. Als erster Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung wurde Dr. Otto Suhr, SPD, gewählt. In Ost-Berlin mußte die SED eine Anzahl von Bezirksbürgermeistersesseln räumen. Als Berliner Oberbürgermeister wählten die neuen 130 Stadtverordneten Otto Ostrowski, SPD.17 Auch im Magistrat verlor die SED bis auf drei Positionen alle innegehabten Ämter. Nach diesem Ergebnis wurden die für 1948 vorgesehenen Wahlen in der sowjetischen Zone auf Weisung der Sowjets verschoben. Seit 1950 werden die Wahlen in der DDR und Ost-Berlin nur noch nach einer Einheitsliste mit vorher festgelegtem Parteien- und Organisationsschlüssel durchgeführt und die Vorherrschaft der SED gesichert. Im Westteil der Stadt finden dieses Jahr die 13. Wahlen statt. Anmerkungen 1 Telegraf vom 19. Oktober 1946 (brit. Lizenzierung). 2 Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder, Berlin (West) 1967, S. 370. 3 SBZ - Ein Taschen- und Nachschlagewerk über die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands von A - Z , Bonn 1954; Max Fechner: 27. Juli 1892 in Rixdorf (Berlin) geb., 13. September 1973 in Berlin (Ost) gest., Werkzeugmacher. 4 Telegraf vom 3. August 1946. 5 Wilhelm Kosch: Biographisches Staatshandbuch, fortgeführt von Eugen Kuri, 2. Band, Berlin (West), 1963; Franz Neumann: 14. August 1904 in Berlin geb., 9. Oktober 1974 in Berlin (West) gest., Schlosser. 6 Telegraf vom 30. August 1946; seit Ende 1948 im Westteil der Stadt FDP. 7 Armin Behrendt: Wilhelm Külz, Aus dem Leben eines Suchenden, Berlin (Ost) 1968; Wilhelm Külz: 18. Februar 1875 in Borna/Leipzig geb., 10. April 1948 in Berlin gest., Jurist 8 Flugblätter der Berliner CDU, Landesarchiv Berlin Rep. 240, Acc. 2782, Nr. 699 u.707. 9 wie Anm. Nr. 5; Jakob Kaiser, 8. Februar 1888 in Hammelburg/Franken geb., 7. Mai 1961 in Berlin (West) gest., Gewerkschaftsfunktionär. 10 Peter Bloch: Zwischen Hoffnung und Resignation, Köln, 1986; aber auch alle im Westteil Berlins erschienenen Tageszeitungen berichten von massiven Behinderungen und Nachteilen für die SPD, CDU und LDP; Der Kurier vom 17.und 19. Oktober 1946 (frz. Lizenzierung); z. B.: die LDP erhielt in der SBZ 4,5 Tonnen, die SED 80 Tonnen Papier zugeteilt. 11 Telegraf vom 14. September 1946. 12 Archiv des deutschen Liberalismus (AdL), Nr. 6763. 13 Telegraf vom 20. Oktober 1946. 14 Telegraf vom 14. September 1946. 15 Berlin in Zahlen 1946-1947, Berlin 1949, S.432 ff. 16 Wolfgang Leonhard: Anm. 2, Seite 371. 145
17 Berlin, Quellen und Dokumente 1945-1951,2. Halbband, Berlin (West) 1964, S. 1145 ff.; Otto Ostrowski, 28. Januar 1883 geb., 19. Juni 1963 Berlin (West) gest. Zu den Anmerkungen 3 bis 9: Die Wahlaufrufe der SPD, SED, CDU und LDP sind in: Berlin, Quellen und Dokumente 1945-1951, 1. Halbband, Berlin (West) 1964, S. 1127-1134 abgedruckt. Anschrift des Verfassers: Karl-Heinz Bannasch, Hasenmark 22, 1000 Berlin 20
Anhang Ergebnisse der Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 20. Oktober 1946 Stadtverordnetenversammlung: SPD
SED
CDU
LDP
48,7% 63 Mandate
19,8% 26 Mandate
23,2% 29 Mandate
9,3% 12 Mandate
Bezirksverordnetenversammlungen: Bezirk
Anzahl der Mandate
SPD
SED
CDU
LDP
Mitte Tiergarten Wedding Prenzlauer Berg Friedrichshain Kreuzberg Charlottenburg Spandau Wilmersdorf Zehlendorf Schöneberg Steglitz Tempelhof Neukölln Treptow Köpenick Lichtenberg Weißensee Pankow Reinickendorf
40 40 45 45 40 45 45 40 40 30 40 40 40 45 40 40 40 30 40 40
20 22 24 21 19 26 22 23 19 12 20 18 21 26 17 15 17 13 17 22
11 5 11 14 13 7 4 4 2 2 4 3 3 8 12 12 12 9 11 7
7 10 8 7 6 9 13 9 13 12 11 13 11 8 8 9 8 6 8 8
2 3 2 3 2 3 6 4 6 4 5 6 5 3 3 4 3 2 4 3
Quelle: Berlin in Zahlen 1946-1947, Berlin, 1949 146
Wahlbeteiligung und abgegebene Stimmen für die Parteien Bezirk Mitte Tiergarten Wedding Prenzlauer Berg Friedrichshain Kreuzberg Charlottenburg Spandau Wilmersdorf Zehlendorf Schöneberg Steglitz Tempelhof Neukölln Treptow Köpenick Lichtenberg Weißensee Pankow Reinickendorf
Wahlbeteiligung % 91,3 91,5 91,2 93,6 94,5 93,2 88,2 92,4 90,3 88,2 91,2 91,1 92,4 92,3 92,3 94,5 94,6 94,8 94,4 92,9
SPD %
SED %
47,7 53,4 53,1 45,3 46,1 56,4 48,0 56,4 46,6 41,2 49,6 44,8 51,8 56,4 40,7 38,0 43,3 40,9 42,4 51,9
28,5 13,8 23,4 30,6 31,0 15,0 10,4 11,0 6,3 6,8 9,9 7,2 9,3 18,1 31,1 29,2 28,9 30,9 28,0 18,2
CDU %
LDP %
17,6 24,5 17,6 17,1 16,6 21,1 29,1 22,4 31,3 38,9 28,2 32,1 26,9 17,6 19,3 22,8 20,2 20,5 18,9 20,9
6,2 8,3 5,9 7,0 6,3 7,5 12,5 10,2 15,8 13,1 12,3 15,9 12,0 9,9 8,9 10,0 7,6 7,7 10,7 9,0
Die hier erfolgte Wiedergabe der Prozentzahlen ist das Wahlergebnis für die Stadtverordnetenversammlung, eine Wiedergabe für die Bezirksverordnetenversammlungen erübrigt sich, da sie nur unbedeutend abweichen. Quelle: Berlin in Zahlen 1946-1947, Berlin, 1949 Die massiven Beeinträchtigungen im Wahlkampf im Ostteil der Stadt lassen sich auch am Wahlergebnis ablesen. In keinem der Ostberliner Bezirke konnte die SPD die absolute Mehrheit erringen, wogegen die SED ihre acht besten Ergebnisse in den acht Ostbezirken erzielen konnte. Auch in der Wahlbeteiligung, insgesamt 92,3 % (2 085 338 abgegebene Stimmen), ist ein leichtes Übergewicht der Ostberliner Bezirke festzustellen (die drei Bezirke mit der höchsten Wahlbeteiligung sind Weißensee, Friedrichshain und Pankow).
Wahlbeteiligung nach alliierten Sektoren sowj. Sektor 93,8%
brit. Sektor 90,3%
amerik. Sektor 91,8%
frz. Sektor 91,3%
Quelle: Berlin in Zahlen 1946-1947, Berlin, 1949 147
Im Rückblick: Das „Gesamtarchiv der deutschen Juden" in Berlin Direktor Dr. Jacob Jacobson wäre kürzlich 100 Jahre alt geworden Von Ernst G. Lowenthal Es ist etwas mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, seit der Leiter des Gesamtarchivs der deutschen Juden in Berlin mit einem Appell „Schützt Euer Archivgut!" vor die jüdische Öffentlichkeit trat. „Jeder Archivbestand und jeder Archivzugang wird danach bewertet, was er an personen- und familiengeschichlich Bedeutsamem und Auswertbarem enthält", hieß es da. In erster Linie sind es die Personenstandsregister, in denen die Geburten, Trauungen und Sterbefälle eingetragen sind. Hinzukommen Gräberverzeichnisse, Steuer- und Wählerlisten, Schüler- und Gewerbeverzeichnisse, Musterrungsrollen und Register über den Erwerb der Synagogenplätze, Akten mit Personalnotizen. Sie alle werden, so hieß es weiter, dem willkommen sein, der den Spuren seiner Vorfahren nachgeht und Nachweisungen über Leben und Stellung seiner Eltern beizubringen hat. Aus diesem Zitat geht hervor, daß man schon damals bestrebt war, das Archivgut jüdischer Gemeinden „vor sinnloser Verzettelung zu bewahren". Das war nicht der erste Aufruf dieser Art. Der seit 1933 im Gang befindliche Prozeß der Verkleinerung und Auflösung jüdischer Gemeinden hatte schon früher ähnliche Appelle ausgelöst. In die Gegenwart, in der von alten, als verschollen geltenden Archivalien die Rede ist, aber auch von dem Problem neuzuschaffender jüdischer Archive, fällt der Tag, an dem der wohl prominenteste Archivar im früheren deutschen Sprachgebiet 100 Jahre alt geworden wäre. Wir sprechen von Dr. Jacob Jacobson, der am 27. November 1888 als Sohn des späteren Gnesener Rabbiners Dr. Moses Jacobson in Schrimm in der ehemaligen Provinz Posen zur Welt kam und am 31. Mai 1968 während eines Erholungsaufenthaltes in Bad Neuenahr gestorben ist. Noch sehe ich den mittelgroßen, leicht untersetzten Mann mit schütterem Haar in seinem blauen Arbeitskittel leibhaftig vor mir. Es mag im Sommer 1931 gewesen sein, daß in der Oranienburger Straße 29 in Berlin viele ältere Akten des 1893 gegründeten Central-Vereins deutscher Staatsbürgerjüdischen Glaubens an das Gesamtarchiv abgegeben wurden. Diese zum Teil historischpolitisch wertvollen Bestände sollten später einmal im Gesamtarchiv der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung stehen. Ich war Zeuge dieses Übergabeaktes, der nicht mein letzter Besuch in Jacobsons Wirkungsstätte sein sollte. Dieser Mann, der aus traditionell jüdischem Hause stammte, hatte an verschiedenen deutschen Universiäten Geschichte, aber auch Germanistik und benachbarte Fächer studiert und war schon durch seine Doktordissertation über „Die Stellung der Juden in den 1793 und 1795 erworbenen Povinzen zur Zeit der Besitznahme" für die Übernahme der Leitung des Gesamtarchivs 1920 geradezu prädestiniert. Das Gesamtarchiv war 1905 von einigen jüdischen Großgemeinden, dem Deutsch-Israelitischen Gemeindebund und den Bne-Brith-Logen ins Leben gerufen worden. Bis 1919 war es von dem späteren Heidelberger Professor Eugen Täubler (1879—1953) fast 15 Jahre lang betreut worden. Dem Leiter stand, jedenfalls war es so im Jahre 1926, ein lököpfiges Kuratorium zur Seite, das sich aus jüdisch-historisch interessierten Persönlichkeiten zusammensetzte. Jacobson blieb lange auf seinem Posten. Schon bis 1935 war es ihm mit Fleiß und Ausdauer gelungen, die Akten von etwa 400 jüdischen Gemeinden aus allen Gegenden Deutschlands im Gesamtarchiv unterzubringen. In einem Rückblick auf die ersten 30 Jahre der Tätigkeit des Gesamtarchivs, veröffentlicht im Gemeindeblatt der Berliner Jüdischen Gemeinde vom 3. November 1935, konnte Jacobson dies feststellen: „Die Neugestaltung des Lebens in 148
Deutschland und parallel dazu das Anschwellen des bereits wachgerufenen familiengeschichtlichen Interesses stellten das Gesamtarchiv vor die Bewährungsprobe. Es darf wohl gesagt werden, daß es diese bestanden hat... In Sprechstunden und Briefen, von Behörden und Privatpersonen werden in einer nicht abreißenden Kette dem Gesamtarchiv Anfragen zugeleitet, um deren Erledigung es sich in ungemein angespannter Arbeitsleistung bemüht." Als nach den Novemberpogromen von 1938 Dr. Jacobson 1939 mit seiner Frau und seinem Sohn Amram auswandern wollte, versagte ihm die Gestapo die Ausstellung eines Reisepasses und damit die Ausreise, während seine Angehörigen sich noch rechtzeitig und unversehrt nach England retten konnten. Sie taten das in der Hoffnung, bald mit Mann und Vater wieder vereint sein zu können. Aber es kam anders. Dr. Jacobson saß im Gesamtarchiv in einer für das „rasseforschende" Reichssippenamt allzu interessanten Stelle. Für das herrschende Regime war er, zumal er hebräische Urkunden lesen und entziffern konnte, unentbehrlich, ja „staatspolitisch wertvoll". Diese durch sein Spezialwissen begründete Position war delikat und gefährlich, aber konnte sich Jacobson wehren? So blieb er sozusagen als „Gefangener der Behörden" in Berlin. Im Mai 1943 wurde er deportiert und das Gesamtarchiv für das Reichssippenamt beschlagnahmt. Jacob Jacobson wurde nicht nach dem Osten, sondern mit dem letzten, dem 94. Berliner Transport nach Theresienstadt verschleppt. Entscheidend dafür war sicherlich die Tatsache, daß er ein Schwerbeschädigter des Ersten Weltkrieges war. 1945 gehörte er zu den verhältnismäßig wenigen Menschen, die diese „Pforte zum Tod" überstanden hatten. „Terezin - The Daily Life 1943-1945" heißt sein kleiner, nüchterner Bericht, den er im darauffolgenden Jahr in London dem „Jewish Central Information Office", dem Vorläufer der „Wiener Library", vorlegte. Auch das erste Kapitel dieser Schrift, in dem er die Tage beschrieb, die er in der Großen Hamburger Straße in Berlin bis zu seiner eigentlichen Deportation verbrachte, sind für die Nachwelt außerordentlich aufschlußreich geblieben. Das Fach- und Interessengebiet des Historikers Jacobson war weit und keineswegs auf Archivsachen beschänkt. Es umfaßt die Geschichte der Juden vornehmlich in Preußen und da wiederum in den Provinzen Posen, Brandenburg und Hessen sowie in Berlin. Lange hat er nicht nur in den „Mitteilungen des Gesamtarchivs", sondern in beträchtlichem Umfang auch in der einst so vielgestaltigen jüdischen Zeitungs- und Zeitschriftenpresse Deutschlands die Ergebnisse seiner mannigfachen Forschungen niedergelegt. Außerdem gab er, gemeinsam mit Dr. Jacob Segall (1883—1959), das „Jüdische Jahrbuch für Groß-Berlin" heraus. Natürlich war er auch Mitarbeiter des fünfbändigen „Jüdischen Lexikons". Ein Unikum ist die in meinem Besitz befindliche Umbruchkorrektur des von Jacobson minutiös zusammengestellten „Naturalisationsverzeichnisses der Stadt Posen 1834-1848", das 1938 in der Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland nicht mehr erscheinen konnte, weil diese von den Nazis am 10. November schlagartig verboten wurde — wie alle anderen periodischen jüdischen Veröffentlichungen. Auch in den letzten 23 Jahren seines Lebens war er, selbst wenn er, naturverbunden, wie er stets gewesen war, in Worcester in der „englischen Provinz" lebte, zurückgezogen, unauffällig still, praktisch unausgesetzt mit seinen soliden, gründlichen Kompilationen und Darstellungen beschäftigt. Das galt nicht allein für das Leo-Baeck-Institut, dessen Londoner Vorstand er angehörte. Sein Forschergeist hat ihn nie ruhen lassen. Wer in seinem 1962 erschienenen „Judenbürgerbüchern der Stadt Berlin 1809—1851" (Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission, Bd. 4) nur einmal geblättert hat, weiß zu ermessen, wieviel „alte" und „neue" Arbeit in diesem Werk steckt. Das Manuskript dieses Werks war von Jacobsons Angehörigen unter großen persönlichen Opfern rechtzeitig nach England gerettet worden. Das gilt auch für das Manuskript seiner zweiten, auf seine Wirksamkeit als Archivar in Berlin zurückgehenden 149
Quellenpublikation, den „Jüdischen Trauungen in Berlin 1759-1813" (Bd. 28 der Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission), 1968. Zu den Personen, die Jacobson bei seinen Arbeiten durch Materialbeschaffung besonders behilflich waren, gehörte auch, wie aus dem Vorwort zu den „Trauungen" ersichtlich, Dr. Bernhard Brilling in Münster (1906-1986). Dieser, der einen ähnlichen geistig-geographischen und jüdischen Background wie Jacob Jacobson hatte, schloß seinen im „Mitteilungsblatt für Deutsches Archivwesen, Der Archivar", Mai 1969, veröffentlichten Nachruf auf den verstorbenen, weit älteren Berufskollegen mit diesem einen treffenden Satz: „Ich habe in ihm einen Freund und Kollegen verloren, der fast die gleichen Interessen hatte wie ich und mit dem ich gemeinsam das jüdische Archivwesen in Deutschland aufgebaut hatte, das heute nur noch in der Erinnerung existiert." Anschrift des Verfassers: Professor Dr. E. G. Lowenthal, Kaunstraße 33, 1000 Berlin 33
Aus dem Mitgliederkreis Hermann Oxfort 60 Jahre Am 27. Oktober vollendete unser Vorsitzender, Rechtsanwalt und Notar Hermann Oxfort, Senator und Bürgermeister von Berlin a.D., sein sechstes Lebensjahrzehnt. Der gebürtige Erfurter legte am Humanistischen Gymnasium seiner Vaterstadt 1947 sein Abitur ab und brach dann seine Ausbildung im thüringischen Justizdienst ab, als er 1949 zum Studium der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin zugelassen wurde. Der Ersten Juristischen Staatsprüfung 1953 folgten vier Jahre später die Zweite Juristische Staatsprüfung und die Zulassung als Rechtsanwalt beim Landgericht Berlin und beim Kammergericht sowie 1968 die Bestellung zum Notar. Schon 1948 war er der LDP beigetreten, hatte sich dann in Spandau der ED.P. angeschlossen und war von 1963 bis 1975 Vorsitzender der F.D.P.-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin, Mitglied des Bundesvorstands (1968 bis 1972) und Landesvorsitzender dieser Partei (1969 bis 1971). Den Fraktionsvorsitz gab er ab, als er 1975 Bürgermeister von Berlin und Senator für Justiz wurde, ein Amt, aus dem er gut ein Jahr später ausschied, als er die Verantwortung für den Ausbruch von Terroristen aus dem Gefängnis übernahm. Noch einmal war er von 1983 bis 1985 unter dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker Senator für Justiz. Lang ist die Reihe der Gesellschaften und Vereinigungen, in denen der vielbeschäftigte Spandauer Anwalt mitwirkt. Hier seien nur seine Mitgliedschaften in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin und im Richterwahlausschuß des Landes Berlin und seine Zugehörigkeit zur Deutschen Gruppe der Liberalen Internationale und zur Liberalen Gesellschaft e.V. genannt. Seit dem 12. November 1985 ist Hermann Oxfort nach dem einmütigen Votum der Mitgliederversammlung Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Als Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin von 1963 bis 1981 und wiederum seit April 1985, im Senat und in einer Vielzahl von berufsständischen, politischen und humanitären Vereinigungen hat Hermann Oxfort seine Aufgeschlossenheit für die Probleme unserer Stadt bekundet. Er würde es zurückweisen, wollte man sein verdienstvolles Wirken in die Worte kleiden, er habe ein Stück Berliner Geschichte mitgeschrieben. Daß er nun aber seine Erfahrungen, sein ausgleichendes Wesen und seine Tatkraft an der Spitze unseres Vereins dazu verwendet, diesem traditionsreichen Zusammenschluß Berliner Bürger die Richtung zu weisen, hat der Vorstand segensreich erfahren und konnten die Mitglieder und die Öffentlichkeit bei einer Reihe größerer Veranstaltungen miterleben. In dieser Reihe steht nun auch das 125jährige Jubiläum, das am 29. Januar 1990 im Kammermusiksaal der Philharmonie gefeiert wird. Vorher dürfte der Umzug der Bibliothek in die neuen Räume an der Berliner Straße/Blissestraße erfolgen, die der Verein seinem Vorsitzenden Hermann Oxfort verdankt. Daß sich dieser, engagiert, wie es gerade Wahlberliner zu sein pflegen, auch künftig vom Vertrauen der Mitglieder getragen fühlt, an der Seite seiner verehrten Gattin seine Gesundheit bewahrt und zuweilen darüber philosophiert, daß zwar alles nicht ohne Politik geht, die Politik aber nicht alles ist, sei ein herzlicher Wunsch an dieser Stelle. Hans Günter Schultze-Berndt 150
Nachrichten
Lippe-Detmold, eine w u n d e r s c h ö n e S t a d t . . . In gewohnter Weise fand die Studienfahrt 1988 am zweiten September-Wochenende statt. Vom Wetter und von den Umständen sichtbar begünstigt, erkundeten die Teilnehmer das ehemalige Fürstentum Lippe und dessen liebenswürdige Residenz. Der ehemalige Direktor des Lippischen Landesmuseums, Dr. Friedrich Hohenschwert, war ihnen ein getreuer Begleiter, der ebenso kenntnisreich wie eloquent und mit allen lippischen Wassern gewaschen den Gästen aus Berlin einen hervorragenden Eindruck von seinem Lande vermittelte, sie die Stadt Detmold unter Stadt- und landesgeschichtlichen Aspekten sehen ließ und bei den Ausflügen nicht mit landschafts- und kulturkundlichen Erläuterungen geizte, immer bereichert um die Gedankengänge der Topographie, Volkskunde, Geologie und Botanik. Dr. F. Hohenschwert erwies sich für diese Exkursion als ein wahrer Glücksfall! Ihm stand Dr.-Ing. Peter Gerstenkorn, Wissenschaftlicher Direktor und Professor an der Bundesforschungsanstalt für Getreide- und Kartoffelverarbeitung, keineswegs nach, der seinen Berliner Landsleuten die Schwerpunkte Müllereitechnologie und Bäckereitechnologie der Detmolder Bundesforschungsanstalt in lebendiger Weise nahebrachte. Am 9. und 10. September lernten die 40 Teilnehmer auf Rundgängen die Stadt, das didaktisch und vom Inhalt her hervorragend bestückte Lippische Landesmuseum und wenigstens Teilbereiche des Westfälischen Freilichtmuseums kennen. Sie hatten Freude an der urigen Atmosphäre des gemeinsamen Mittagessens in der Fachwerkhausdeele des Teutonenhofs Holzhausen-Externsteine, ließen sich bei den Freiflugvorführungen abgerichteter Adler in der Greifvogelwarte Berlebeck die Sonne auf den Pelz scheinen und gewannn dem Hermannsdenkmal auf der Grotenburg völlig neue Aspekte ab. Diese Aussage ist auch für den ausgedehnten Besuch der Externsteine zutreffend, bei dem Dr. F. Hohenschwert die Reisenden zu den frühen Anfängen des Christentums zurückführte. Nach einem kulinarischen Mahl im Burgkeller des Burghotels Blomberg wurde er mit Ovationen verabschiedet. Diese gebühren auch allen Mitgliedern, die rücksichtsvoll und diszipliniert dem Reiseleiter die Exkursion leicht machten und das strapaziöse Programm aufgeschlossen und wißbegierig absolvierten. Für die nächstjährige, wieder auf vier Tage konzipierte Studienfahrt wurden inzwischen die Fühler nach Ulm an der Donau ausgestreckt. SchB.
Forschungsförderungsprogramm „Berlin-Forschung" Die Auswahlkommission für das Forschungsförderungsprogramm „Berlin-Forschung" der Freien Universität Berlin hat zum zehnten Mal ihres Amtes gewaltet und auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten und Stellungnahmen Berliner Institutionen aus 65 eingegangenen Anträgen 14 Projekte ausgewählt und zur Förderung empfohlen. Die Themen umfassen die Bereiche Ökologie, Stadtplanung, Frauen, Kulturelle Entwicklung, Politische Entwicklung, Bildung und Bevölkerungsentwicklung. Seit 1979 wurden 146 Projekte mit insgesamt 278 Mitarbeitern über jeweils zwei Jahre gefördert; die Arbeiten erstreckten sich über die unterschiedlichsten Themenbereiche, darunter „Sinti und Roma in Berlin zur NS-Zeit". Der Abgabetermin für die nächste Ausschreibung ist der 1. März 1989. Hinweise zum Antragstellen und Informationen zum Förderungsprogramm sind zu erhalten bei der Freien Universität Berlin ( - II A4-), Harnackstraße 5, 1000 Berlin 33, Telefon 838-3178. Dort können auch Veröffentlichungen angefordert werden, die auf den Abschlußberichten der Projekte beruhen. SchB. 151
Buchbesprechungen Sackgassen. Keine Wendemöglichkeit für Berliner Straßennamen. Herausgegeben von der Berliner Geschichtswerkstatt. Berlin: Verlag Dirk Nishen, 1988. 144 Seiten. Die Berliner Geschichtswerkstatt hat es unternommen, die Aufmerksamkeit auf eine Sache zu lenken, die jede(r) tagtäglich vor Augen hat, ohne jedoch normalerweise ein Problem darin zu sehen: die Namen von Straßen, Plätzen, Brücken und Stadtvierteln. Eine nicht geringe Anzahl davon ist in letzter Zeit jedoch zum Gegenstand kritischer Betrachtung und polemischer Auseinandersetzung gemacht worden — von Menschen, die diesen Teil ihrer unmittelbaren Umgebung nicht (mehr) als wertneutralen Adressenbestandteil, sondern als historisch-politisches Symbol und Ergebnis administrativer Entscheidungen wahrnehmen: „Hier in Berlin... finden sich bis heute Elemente einer ruhmlosen Vergangenheit gerade in diesen Namen wieder: Monarchismus, Militarismus, Kolonialismus, Antisemitismus und nicht zuletzt Sexismus, um nur die wichigsten zu nennen.... Schlimmer als die Traditionspflege kaiserlicher Namensgebung ist die Beibehaltung von Benennungen der Nationalsozialisten" (Vorwort, S. 7). Der Sammelband dokumentiert in seinen vierzehn Text- und Bildbeiträgen jedoch nicht nur bestehende Ärgernisse, sondern auch Versuche, Alternativen zu verwirklichen, aktuelle Umbenennungsdiskussionen und weitere entsprechende Vorschläge für die Zukunft; stellvertretend seien genannt: die vorübergehende Umbenennung von Straßen des Tempelhofer „Fliegerviertels" (1946) und schon 1945 von Straßen im Bezirk Reinickendorf; das „Afrikanische Viertel" im Wedding; die „Rosa-Luxemburg-Brücke" über den Landwehrkanal; gleich drei Beiträge über bzw. gegen die „(Stadtplanmäßige Frauenunterdrückung" (S. 83). Demgegenüber wird mehrfach die DDR-„Vergangenheitsbewältigung ... im Straßenbild" (S. 7) lobend hervorgehoben — aber nicht erwähnt, daß es in Ost-Berlin von 1949 bis 1961 auch eine Stalinalle gab... Dennoch regt dieser Band zum Nachdenken an, was wichtiger ist: Namenskontinuität und (wenn doch einmal eine Neu- oder Umbenennung ansteht) die Vermeidung von in Ost-Berlin schon „vergebenen Namen" (bei gleichzeitiger Beibehaltung von, beispielsweise, je fünf Bismarckund Charlottenstraßen in den Westberliner Ortsteilen) — oder aber die Beseitigung von „Mißständen" (S. 8) und die noch ausstehende Berücksichtigung von Namengebern und -geberinnen, die besser in die demokratische Landschaft passen würden als mancher (noch) vorhandene Straßenname? Christiane Schuchard
Wolf Jobst Siedler: „Wanderungen zwischen Oder und Nirgendwo. Das Land der Vorfahren mit der Seele suchend." 14 Abbildungen, 141 Seiten, 2 Kartenauszüge, Quellen- und Abbildungsverzeichnis; in der Reihe „Corso" bei Siedler, Berlin 1988. Das Büchlein gereicht denen zur Freude, die immer wieder die heimatliche Mark Brandenburg gleichsam als einen „Baedeker des Herzens" aufsuchen, die sich an ihren baumkronenüberwölbten Chausseen, ihren einsamen Seeufern und den verlorenen Landstädtchen entzücken und hinter deren heruntergekommenen Fassaden das innere Land suchen. Der Beititel „... mit der Seele suchend" evoziert eine Fülle von Empfindungen; nicht immer tut sich nur eine vergangene Zeit auf, sondern ein menschlicher Zustand, wenn auch kein klassischer, wie die goethische Formulierung vermuten ließe, sondern darüber hinaus ein gegenwärtig-schmerzlicher. — Der Betrachter muß sich in den Anblick der breiten Ströme von Oder und Elbe, die das Land prägten, ganz hineinnehmen lassen und sich zu sehr ernsten Auseinandersetzungen bereit finden. Nicht nur daß die Berlinfunktion ketzerisch neu zu bestimmen ist, dahinter klärt sich für Vf. das Preußische in einem härteren Licht. Nicht ohne Grund bringen die Kartenausschnitte die Rheinsberger und Eberswalder Forsten als Herzlandschaften zu Gesicht, an denen sich das „Land der Vorfahren" prüfen läßt. Vf. redet keiner Vergangenheitsseligkeit das Wort; dazu ist der DDR-Alltag zu trist und zwiespältig und ist vor allem die Aufgabe des westlichen Besuchers zu verantwortungsvoll. Wer den vorgeschlagenen Spuren des Vf. gefolgt ist, akzeptiert das ketzerische Postulat Nietzsches, das er seinem Exkurs voranstellt: „Sein (des Geschichtsschreibers) Thema, die sogenannte Weltgeschichte, sind Meinungen über vermeintliche Handlungen und deren vermeintliche Motive. Alle Historiker erzählen von Dingen, die nie existiert haben, außer in der Vorstellung." Was besagt, daß Vf. einen eigenwilligen Weg der Geschichtsbetrachtung geht; es 152
ist derjenige, den ihm der Standort Berlins und sein Generationserlebnis zuweist. Denn das Märkische, das eichendorffisch in den Dingen gesucht wird („Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort"), ist das menschliche Maß der Dinge, das noch fast heil war, ehe der Zweite Weltkrieg die Maßstablosigkeit auslöste, von der das Land zwischen Elbe und Oder sich noch nicht wieder erholt hat. — Es ist ihm zuzustimmen, wenn er feststellt, daß die Mark Brandenburg keine Ideallandschaft und kein Reiseland war — bis auf die kurze Zeit, als Schinkel und Lenne die Potsdamer Landschaft in ein märkisches Italien verwandelten; daß es erst aus der Geschichte kommen mußte, ehe wir es neue erobern sollten, und dies in doppelter Brechung: zuerst von Fontane ins Licht gehoben, nun aufs neu gesehen von uns. Eigentlich stimmt der Leser dem Vf. auch überall da zu, wo er fragt, was denn früher die Behaglichkeit in den kleinstädtischen und dörflichen Gasthöfen ausgemacht habe; die bescheidene Zeit unserer Großväter wird beschworen, als für sie die Mark eine „Sommerfrische" war. Vf.s Geschichtsexkurs stimmt, und die Abgrenzung gegen das, was über 35 Jahre Sozialismus aus den Land der preußischen Herrensitze gemacht haben, auch. Auf dieser Grundlage ist unser Zusammengehörigkeitsgefühl als unabweisbar artikuliert; es weist auf ein Zukünftiges — noch ein „Nirgendwo" —, dessen Wirkungen noch ausstehen, aber hoffen lassen. — Den besonderen Tiefgang erhält die Darstellung durch die Erzählung von der Schlacht auf den Seelower Höhen von 1945, deren Tragik a u c h mit dem alten russisch-preußischen Einvernehmen verbunden ist. Christiane Knop
Ursula Riechert: „Von St. Nikolai zum Reichstag. 500 Jahre Bauen in Berlin. Wirtschaft - Technik - soziale Beziehungen." Hrsg. von der Fachgemeinschaft Bau e.V., Bauverlag, Berlin 1987. 159 Seiten, 38 Fotos, Literaturverzeichnis und Quellen im Anhang. Vfn. bezeichnet im Titel die Nikolaikirche und das Reichstagsgebäude als Anfangs- und Endpunkte im Werden einer Bürgerstadt, gesehen von ihrer materiellen Kultur her, d. h. von der Verflechtung der organisatorischen, technischen, sozialen und sozialpolitischen Faktoren innerhalb der Bauleute. Über die mittelalterlichen Zünfte erfährt der Leser außer Bekanntem einiges Berlinspezifische. In der Ausformung des frühen Stadtgesichtes spiegelte sich die Festigung städtischen Selbstbewußtseins wider. Seine Ausbildung erfolgte im 15. Jahrhundert in Auseinandersetzung mit landesherrlichen Eingriffen; der erste Profanbau war das Schloß an der Spree. Mit den Stadterweiterungen und dem Ausbau zur Festung und Hohenzollernresidenz wird im 17. Jahrhundert ein Ansteigen der handwerklichen Tätigkeit vermerkt, v. a. herbeigeführt durch die französischen Immigranten und ihre Ingenieurkunst. Am späteren Rondell, dem Leipziger Platz, entstand eine erste Handwerkeransiedlung (ehe das Neu-Voigtland gegen Ende des 18. Jahrhunderts angelegt wurde). Soweit das Bekannte. Als ein roter Faden geht durch die weitere Darstellung die Beobachtung, daß einschneidende historischpolitische Ereignisse und die Lage der Bauwirtschaft und der in ihr Tätigen sich verhalten wie Zettel und Einschlag im Gewebe, eines wird zur Ursache des anderen und umgekehrt. Wer dieser Schilderung folgt, erkennt ein bemerkenswertes inneres Phänomen: Laienhafte Kenntnis hält im allgemeinen das Überwundenwerden der Zunftbeschränkungen durch Einführung der Gewerbefreiheit (1869 in Preußen) für fortschrittlich und effektiv. Vfn. differenziert diese Meinung. In den Hohenzollernzeiten des 17. und 18. Jahrhunderts war die landesväterliche Fürsorge wohltätig; königliche Verordnungen regelten Löhne, Arbeitszeiten und Vorsorge im Krankheitsfall. Dies geschah im merkantilistischen Sinne zugunsten des gerechten Preises und zur auskömmlichen Existenz für jedermann; die preußische Domänenkammer bahnte in ihrer Verwaltungspraxis hier die festen Amtswege an. Doch mit beginnender Industrialisierung und damit einhergehender Lockerung des Zunftzwanges lief die Entwicklung am Wohl der Gesellen und Lohnabhängigen vorbei. Der Ruf nach einer modernisierten Gewerbeordnung erschien eine Generation später schon wieder als fortschrittlich und notwendig. Das Halbherzige und Unfertige der Gewerbefreiheit verlangte bald die Schaffung zunftähnlicher Abschlüsse im Baugewerbe. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigte sich deutlich die Abhängigkeit politischer und sozialer Ereignisse von den außenpolitischen Krisen der Vorweltkriegszeit; sie sind in den Tarif- und Lohnkämpfen der 90er Jahre wie ein verborgener Kern enthalten, so daß der negative Kriegs- und Nachkriegsverlauf vorweggenommen erscheint. So wird das Architekturbild Berlins politisch transparent gemacht, seine Pervertierung seit 1930 sichtbar; die „Gleichschaltung" konnte als Korrelat der baulichen Gigantomanie nur die Gesichtslosigkeit und Zerstörung zur Folge haben. „Bauen im eigentlichen, zivilen Sinne gab es nun in Berlin nicht mehr. Was in Jahrhunderten geschaffen worden war, lag (1945) in Trümmern. Die Organisation der Wirtschaft war zu Zerrbildern zerstört, gefügiges Werkzeug in den Händen der politischen Machthaber. Als der 8. Mai 1945
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das Ende des .Tausendjährigen Reiches' besiegelte, war daher auch für die Wirtschaftsverbände ein Neuanfang nötig." (102) Der Schlußteil zeigt, wie mit der Erhebung Berlins zur Reichshauptstadt die Bedeutung als Bürgerstadt sich gewandelt hat; ihr letztes Bauzeugnis ist das Reichstagsgebäude. Mit seiner Errichtung war der heimliche Untergang schon gesetzt. - In stoffreich ausgeführten Skizzen schildert die Darstellung in den verschiedenen Bauphasen Berlins die Interdependenz von Bauwirtschaft, ihrer Technik, den Baustoffen und den Verbandsorganisationen. Vfn. betrachtet die sozialpolitische Tätigkeit der Arbeitgeberverbände ausführlicher als die der Lohnabhängigen; von klassenkämpferischen Kategorien im sozialistischen Sinne ist wenig die Rede. Den Fotos des unzerstörten Berlin sind Abbildungen von Bautätigkeiten beigegeben, so z. B. die der Untertunnelung der Spree am Spittelmarkt für den U-Bahn-Bau oder die des Hochbahnbaus in der Luisenstadt. Christiane Knop
Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke. Eine Veröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin aus Anlaß der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin 1987. Hrsg. von W. Ribbe. Bd. 1: Schütte, Dieter, Charlottenburg, Berlin 1988. Der Charlottenburg-Band bildet den Auftakt der zwölfbändigen „Geschiche der Berliner Verwaltungsbezirke", die im Nachgang zur 750-Jahr-Feier Berlins von der Historischen Kommission (HiKo) veröffentlicht wird. Der Anspruch an das Gesamtwerk wird im Vorwort von Prof. Dr. Wolfgang Ribbe, Leiter der Sektion für die Geschichte Berlins bei der HiKo und Herausgeber des Werks, klar formuliert: „Heute noch vorhandene Urkunden und Akten, einschließlich des Plan-, Karten- und Bildmaterials, die sich nicht nur im zuständigen Landesarchiv, sondern an vielen anderen Stellen verstreut befinden", sollen aufgearbeitet und für die weitere Forschung erschlossen werden. Allen Bänden ist eine Rahmengliederung vorgegeben, die zum einen den „gegenwärtigen Zustand und Tendenzen der weiteren Entwicklung" des jeweiligen Bezirks behandelt und zum anderen dessen historische Entwicklung zum Thema hat. Dieses Gliederungsschema dient der Vergleichbarkeit von Geschiche und Gegenwart der Bezirke. Daß der aktuellen Zustandsbeschreibung in einer historischen Darstellung konzeptionell ein breiter Raum eingeräumt wird, mag kein Mangel sein, obgleich der Titel des Werkes diesen Themenschwerpunkt nicht gleich vermuten läßt. Im vorliegenden Band erfaßt D. Schütte den gegenwärtigen Zustand Charlottenburgs im wesentlichen mittels Rückgriff auf statistische Erhebungen. Eine Fülle von Datenmaterial zu Bevölkerung und Gesellschaft, Wohnen, Wirtschaftsstruktur, öffentlichen und privaten Institutionen sowie Kultur und Freizeit wird dem Leser präsentiert. Eine solch nüchterne Bestandsaufnahme im Spiegel der statistischen Jahrbücher und Stadtplanungsrichtlinien kann aber sicherlich nur bedingt das gegenwärtige Bild eines Bezirks vermitteln. Weiterführende Überlegungen zu den in der Kapitelüberschrift angekündigten „Tendenzen der weiteren Entwicklung" sucht man vergebens. Der Hauptteil des Bandes erzählt auf knapp 90 Seiten die Geschichte Charlottenburgs von der Schloßgründung über die sich in einem atemberaubenden Tempo vollziehende Großstadtwerdung im Zeichen der Industrialisierung bis hin zur neuen Cityfunktion im geteilten Berlin der Nachkriegszeit. Dabei stützt sich die Darstellung der Geschichte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ganz wesentlich auf das stadtgeschichtliche Standardwerk: Wilhelm Gundlachs zweibändige „Geschichte der Stadt Charlottenburg" aus dem Jahre 1905. Die bei Gundlach so schmerzlich vermißte Sozialgeschichte der Stadt liefert jedoch auch D. Schütte nicht. Und hier genau liegt das Problem. Angetreten mit dem Anspruch, das heute noch greifbare Quellenmaterial aufzuarbeiten und zu erschließen, bezieht sich die Darstellung zum größten Teil auf bereits publizierte stadthistorische Untersuchungen und leistet nur in bezug auf die Nachkriegszeit einen eigenen quelleninterpretatorischen Forschungsbeitrag. Eine Vielzahl der mittlerweile im Charlottenburger Heimatmuseum gesammelten sog. „grauen Literatur", das gesamte Charlottenburg betreffende und durchaus zugängliche Quellenmaterial des Stadtarchivs in Ost-Berlin und des Zentralen Staatsarchivs der DDR in Potsdam, ja selbst der Großteil der im hiesigen Landesarchiv vorhandenen Akten zur Geschichte Charlottenburgs wurden in diesem Band nicht berücksichigt. Auch das reichhaltige Material in den verschiedenen Kirchenarchiven des Bezirks oder im Evangelischen Zentralarchiv fand keinen Eingang in die Darstellung. 154
Dabei ist dieses Versäumnis nicht unbedingt dem Autor anzulasten, es wirft vielmehr Fragen an die Gesamtkonzeption des Werkes auf. Will man dem von W. Ribbe vertretenen Anspruch gerecht werden, so muß der Darstellung ein wesentlich breiterer Raum gegeben werden, als ihn dieser schmale Band bietet, was wiederum nur ein größer dimensioniertes Forschungsprojekt leisten könnte. Der Band ist bestens geeignet, einen schnellen Überblick über die historische Entwicklung Charlottenburgs zu gewinnen, ohne in das monströse Werk Gundlachs einsteigen zu müssen oder sich mühsam aus den publizierten Darstellungen zu einzelnen Aspekten der Stadtgeschichte einen Gesamteindruck verschaffen zu müssen. Hier liegt sein unbestreitbarer Nutzen und Vorteil. Doch den beanspruchten Forschungsbeitrag hat dieser Charlottenburg-Band nicht geleistet, da er das vorhandene Quellenmaterial nicht annähernd vollständig gesichtet oder gar aufgearbeitet hat. Indem W. Ribbe in seinem Vorwort die Bedeutung der Aufarbeitung von schriftlichen Quellen für die „Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke" unterstreicht, äußert er gleichzeitig Vorbehalte gegen die in jüngster Zeit zahlreich publizierten „Kiezgeschichten". Die Autoren würden sich vielfach ausschließlich der „oral history" bedienen, was zu „Verzerrungen im Geschichtsbild" führen könnte. Doch gerade die großen Veröffentlichungen der Berliner Geschichtswerkstatt zur 750-JahrFeier über den Wedding, die Schöneberger „Rote Insel" oder die Siedlung Lindenhof haben den Gegenbeweis angetreten und mit überzeugenden Ergebnissen die Methoden der „oral history" mit dem Studium und der Auswertung schriftlicher Quellen verknüpft. Herbert May
Schloß Britz. Die Geschichte eines Herrenhauses. Herausgeber: Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin, und Kulturstiftung Schloß Britz, verantwortlich Eike Warweg, Schutzgebühr 5 DM. Mit der Beendigung der Restaurierungsarbeiten am alten Herrenhaus in Britz — „von der Bevölkerung (Neuköllns) liebevoll Schloß genannt" — erschien in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung diese reich bebilderte Broschüre. Sie erzählt die wechselvolle Geschichte des Hauses, berichtet über die verschiedenen Besitzer: Familie von Britzke (17. Jahrhundert); Staatsminister von Ilgen; Minister von Hertzberg, der das Gut zu einem wichtigen landwirtschaftlichen Betrieb in der Mark Brandenburg machte; Bankier und Fabrikant von Wrede (1865); der das Haus im Stil der französischen Renaissance umbauen ließ. Schließlich kam es 1924 an das Land Berlin, dem es als Stadtgut diente, das nach 1945 so manche Not lindern konnte, indem es Milch, Obst und Gemüse an Kinderkrankenhäuser lieferte. Von 1956 bis zu seiner Restaurierung 1985 war es Kinderheim. Den Abschluß bilden — neben einer stimmungsvollen Beschreibung von Rosen-Britz — Erläuterungen über das Gesamtensemble, welches aus Gutshof, Gutspark, Kirche, Pfarrhaus, Schule und Teich besteht. lrmtraut Köhler „Verkehr in Berlin. Von den Anfängen bis zur Gegenwart." Band I: Nahverkehr. 163 Fotos aus dem Bildarchiv der Landesbildstelle, ausgewählt und erläutert von Jürgen Grothe. 120 Seiten; Haude & Spener, Berlin 1987. Die Dokumentation ist, wie das Vorwort betont, nicht als Kompendium einer Berliner Verkehrsgeschichte gedacht, sondern als Text- und Fotoreise, auf der der Betrachter seine Erinnerungen Spazierengehen lassen kann; ihm begegnet die heile Vergangenheit wie die kriegszerstörte und die wiederaufgebaute Stadt mit ihren Zwiespältigkeiten. Ein knapper Abriß der Verkehrsgeschichte gibt ihm die wichtigsten Gesichtspunkte an die Hand. Darüber hinaus erhält er in den Bildunterschriften viele Informationen, zumeist technischer Art, aber auch städtebauliche Streiflichter sind dabei, die den Komplex vertiefen. Verkehr ist nicht nur eine schnelle, ausgreifende Bewegung, sondern, wie ihn schon Kiaulehn beschrieben hat, ein berlintypisches soziologisches Phänomen. Stadt- und Industrielandschaft, Arbeitsleben und großstädtisches Selbstbewußtsein geben die tiefen Töne ab. — Das Ineinandergreifen der Verkehrsmittel auf verschiedenen Ebenen macht das Rasante und Faszinierende aus. — Der Überblick über die Entwicklung jedes einzelnen Verkehrsmittels zieht den Betrachter ins Industriezeitalter hinein. Er erblickt noch einmal — gerade, was den Hochbahnbau betrifft — das Würdige und Gediegene der Stadtlandschaft, die etwas vom Geist Schinkels atmet; noch läßt sich das Einpassen der Trassen in geformte Straßenbilder erkennen. Der Leser erinnert sich, wie man damals auf den beiden Straßenbahnringen, dem „großen" und dem „kleinen", eine Entdeckungsreise durch die Vaterstadt machen konnte. — Es gibt 155
wehmütig stimmende Bilder wie die der zerstörten und der wiederaufgebauten und sich langsam teilenden Stadt: Straßenbahnwagen als Panzersperren, Schaffnerwechsel an den Sektorengrenzen. Die neuen Trabantenstädte kommen ins Bild. - So schichtet sich eine im Bild erzählte Stadttopographie um die Verkehrsmittel. Christiane Knop
Adriaan von Müller/Klara von Müller-Muci: „Ausgrabungen und Funde auf dem Burgwall in Berlin-Spandau." Abbildungen, 19 Anlagen, Tafeln und Katalogteil, Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin 1987, in: Berliner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, Neue Folge Bd. 5, hrsg. von Klaus Goldmann, Alfred Kerndl, A. von Müller, Eva Strommenger; Archäologisch-historische Forschungen in Spandau, Bd. 2. Das Buch ist ein Rechenschaftsbericht über die Grabungsergebnisse unter Leitung von Prof. A. von Müller auf mehreren Grundstücken am Spandauer Burgwall, ausgeführt 1982—84 und 1986. Sie waren gezielt angestellt worden und konnten das bisherige Bild der slawischen Burg-Stadt-Siedlung vervollständigen. Sie knüpfen an die Darstellungen A. von Müllers: „Mit dem Spaten in die Berliner Vergangenheit. Eine archäologische Reise" in „Berlinische Reminiszenzen" No. 54 (Haude & Spener, Berlin 1981) und „Edelmann ..., Bürger, Bauer, Bettelmann. Berlin im Mittelalter" (Haude & Spener, Berlin 1979), an (s. a. „Mitteilungen" 1987, Heft 4). Die Archäologie zeigt sich imstande, Lebens- und Herrschaftsverhältnisse in der „dunklen" Zeit zwischen 955 und dem Slawenaufstand von 983 und weiter bis zur deutschen Wiederbesiedlung ab 1157 durch Sachkultur zu erhellen. Vor allem die Ansichten über die Burgphasen vom 10. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts werden verifiziert. Die Ausgräber fanden ihren eigenen Anspruch bestätigt, der Geschichtswissenschaft durch Bodenfunde zu dienen; sie wurden ermutigt durch die Kongruenz mit den wenigen Quellen (Thietmar von Merseburg und Otto von Bamberg). — Von den ersten Ansätzen bis zu den neuesten Ergebnissen schält sich die hervorragende Position Spandaus als eines bedeutenden Umschlagplatzes an der seit slawischer Zeit bestehenden Handelsstraße von Magdeburg über Brandenburg und Spandau an die Oder heraus. Die Vff. können sogar das Wasserwegenetz, welches das Havelland im Raum Spandau— Nauen—Havelberg erschließt, stärker differenzieren. Nur der Fachmann kann die äußerst detailliert gegebenen Grabungsfunde mit ihren Bildbeigaben nachvollziehen; der mittelalterliche Stadthistoriker hält sich an die Ausdeutung der spätslawisch-frühdeutschen Burg-Stadt-Siedlung auf den beiden Havelinseln (s. „Reminiszenzen", S. 92—99). Für die Übergangsepoche der Burgwall-Siedlung des mittleren 10. Jh.s (zwischen 955 und 983) konnte man in Analogie zu Bauten im südlichen Ostseeraum einen slawischen Kultbau rekonstruieren; es handelt sich um einen Typus, wie er bei den Westslawen verbreitet war und wie er etwa der Beschreibung bei Thietmar von Merseburg entspricht. Auf seinen Fundamenten wurde eine christliche Kirche gebaut, nachdem man die heidnischen Kultgeräte sorgfältig beseitigt hatte. Der Befund weist auf eine unübliche Bauweise, einen schiffsförmigen Hallenbau mit Ostapsis, der seine Entsprechungen in der ottonischen Reichsarchitektur (Königspfalzen) hat und den Schluß zuläßt, Spandau habe eine wichtige Funktion im ottonischen Burgwarndienstsystem gehabt, der Kirchbau stehe vermutlich im Zusammenhang mit dem Italienzug Kaiser Ottos II. Vff. vermuten ferner, daß die Bischofssitze Havelberg und Brandenburg „nur Inseln im Meer des Heidentums" gewesen seien und daß die Slawen glauben konnten, mit dem Angriff auf diese Bischofssitze die deutsche Herrschaft abschütteln zu können, sobald man den deutschen Bischof vertrieben hatte. Nur das schnelle Eingreifen des Reiches hat eine Ausweitung des Aufstandes verhindern können. Die ausgegrabenen Reste der Häuser bringen die Ausgräber zur Ansicht, in dieser Burgstadt des 10. Jahrhunderts habe es bereits eine planmäßige frühstädtische Bebauung entlang eines Hauptweges gegeben, über welchen der Handelsweg die Stadt betrat und verließ. Die Funde weisen ferner auf die Konzentration einiger Handwerke, u. a. der Feinschmiede, und geben Zeugnis von einer verhältnismäßig wohlhabenden Bewohnerschaft; darauf weisen die Fundstücke von handwerklich hochwertiger Importware aus dem osteuropäischen Raum. Die Funde beschreiben Kämme, Spielsteine Schmuck und Münzen. Immer wieder ergibt sich daraus die Erkenntnis von der Wichtigkeit Spandaus in seiner Lage am Handelsweg zu Lande und am Wasser, eine Voraussetzung, welche die Zusiedlung frühdeutscher Bewohner in askanischer Zeit ermöglichte. — Die Ausdeutung der Münzfunde ergibt, daß es in der Zeit zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert außer Brandenburg und Spandau keine wei156
teren slawischen Burgwallplätze mit handwerklicher Bevölkerung gegeben habe; ihre wirtschaftliche Funktion wies zwangsläufig auf die Entwicklung von Burgstädten. Ferner kann man vermuten, daß die Zeit zwischen 1030 und 1100 als eine Epoche der Ruhe und des sich langsam entwickelnden Wohlstands gewesen sein kann, in der sich die Voraussetzungen für die Bildung eines Geldmarktes bilden konnten, ein Zustand, auf den der bedeutende wirtschaftliche Markt der Askanierzeit aufbaute. — Ein ausführliches Kapitel ist dem Fund eines Thebalrings gewidmet, dem Beispiel aus einer Gruppe von Amulettringen, die sich im nord- und nordwesteuropäischen Raum finden. Vff. leiten in einem Exkurs ihre sprachliche Herkunft aus dem Aramäischen ab, aber das bleibt zunächst noch eine Hypothese. Interessant ist ferner die Überlegung, ob der Name „Nienburg" (Neue Burg) in einer Memlebener Urkunde des 10. Jahrhunderts mit Spandau identisch sein könnte. Der slawische Name „Spandau" bleibt dabei außer acht; es könnte mit „Nienburg" die damals moderne Burgform der ottonischen Zeit (Bergmotte statt Flachmotte) gemeint sein; dies ließe dann Rückschlüsse darauf zu, ob der Anstoß zur Christianisierung des Elb-Havel-Winkels von Memleben ausgegangen sein könnte. Christiane Knop
Sibylle Meyer/Eva Schulze: „Von Liebe sprach damals keiner. Familienalltag in der Nachkriegszeit." 269 Seiten, 54 zeitgenössische Fotos, Zeittafel, 2 Schaubilder und 9 Statist. Tabellen, Literaturverzeichnis. Verlag C. H. Beck, München 1985. Die schlichte Formulierung des Titels ist ein Under.» itement und impliziert den mahnenden Hinweis, sich von der Vergangenheit her auf die Kategorien des Familienlebens neu zu besinnen; in jener unheilvollen Zeit waren sie anders, waren sie vielleicht gerade wegen der lebensbedrohenden Verzerrung des Alltags geradliniger. Manche heute wichtig genommene Problematik existierte nicht, was sie wohl relativieren mag. Hintergründig lebt darin die Frage, ob das Ausufern der Wohlstandszeit die Chance zur Wiedergewinnung eines einfachen, friedlichen Lebens verspielt habe; obschon die Schilderungen ein treffenderes Bild vom oft diskreditierten Wohlstand zeigen; er war hart erarbeitet und blieb bescheiden und sollte nicht billig als Vorwand zur Erklärung für negative Erscheinungen dienen. Doch ist die Darstellung fernab von jeder Moralisierung, Schuldzuweisung oder politischen Polemik. Die Autorinnen und ihre interviewten Personen berichten nur summarisch und fast unterkühlt. Die damals Betroffenen sehen auf eine Zeit zurück, die ihre Existenz aus den Fugen brachte; sie stehen der eigenen Vergangenheitsbetrachtung fast ungläubig gegenüber; den Nachgeborenen erwächst aus dieser Art von Oral history ein zwar nicht lückenloses, aber dichtes Zustandsbild der Kriegs- und Nachkriegszeit. Wenn die Oral history in dieser Weise der Geschichtsforschung ergänzend an die Seite tritt, hat sie ihre Aufgabe gut gelöst. Die Verfasserinnen befragten Frauen und Männer, die mit ihren Familiengeschichten zu Worte kommen, sie schieben weitere Zeitzeugen und Einzelberichte ein und verbinden die Teile durch kommentierenden Text — in prägnanter, schlichter Sprache. „Die Frauen und Männer stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, haben unterschiedliche Schul- und Berufsbildungen und wohnen in verschiedenen Stadtteilen Berlins. Die Mehrheit der 27 befragten Familien hat Kinder. Ein Teil davon wurde noch vor 1939 geboren, die Hälfte sind Kriegskinder, einige wurde nach 1945 geboren." — Schaubilder und numerische Daten verallgemeinern und verifizieren das subjektiv Gesagte und heben es über das Berlinspezifische hinaus. Dabei lassen sich Wiederholungen und Überlappungen nicht vermeiden. Sie stören nicht, sondern erleichtern es jungen Lesern, die ihnen unbekannten Ereignisse nachzuvollziehen. Hier wird die Nachkriegszeit als unabdingbare Folge eines über die Menschen verhängten Unheils nur erlitten, am meisten, so will es der gewählte Blickpunkt, von den Frauen. Daneben tritt gleichgewichtig, wenn auch anders geartet, die Unbehaustheit der Männer. Die Berichtenden gehören dem mittleren und unteren Berliner Bürgertum an. Im Bericht wird keine Gesellschaft soziologisch aufgespalten; nur ein Hinweis dieser Art findet sich: „Für die Generation derer, die den Krieg miterlebt hatten, war Familie nicht gleichbedeutend mit der heutigen Kleinfamilie. Familie bedeutete für sie enge Beziehung zur Verwandtschaft aus relativ zuverlässigem Zusammenwirken zwischen Kern- und Herkunftsfamilie, Geschwistern und Schwiegerfamilien." Die ganze Skala äußerster Lebenssituationen wird aufgeblättert: Trennung der Familien und das Leben der Getrennten im Nichtwissen umeinander, die Verselbständigung der Frau als Haushaltsvorstand, Mutter, Erzieherin, Ernährerin und Bewahrerin (auch in einer ungewohnten ländlichen Um157
weit), Arbeiterin in Rüstungsbetrieben oder Lazaretten, ihr Dasein in der Evakuierung und schließlich auf der Flucht oder im Bombenkrieg auf Berlin; am quälendsten war das Warten auf die Heimkehr der Männer und der Aufbau einer kümmerlichen Welt aus Trümmern, da alle Gewohnheiten sich verschoben hatten. Frauen haben unberaten, unkonventionell und doch ohne Kommentierung durch eine Frauenpresse oder Verbände neue Wege gesucht; ihr Leiden in einem Übermaß an seelischer und körperlicher Überforderung, an Existenznot und Unbehaustheit geschah wie unter der Decke eines schweigsamen Dunkels; keine soziologische, ideologische oder frauenfreundliche Aufklärung erhellte ihre Einsamkeit; im Gegenteil, es entstand in den Briefen an die Front und zurück ein Schweigen und Verheimlichen, das, wenn es auch aus Rücksicht geschah, vielleicht die Wurzel späterer Entfremdung war. Nie ist das Auseinanderfallen von politischer Propaganda (die „die deutsche Frau" schaffen wollte) und unbesagtem Leid größer gewesen. Es wird erkennbar, wie eine Generation von Bildern und Wertvorstellungen lebte, die nicht mehr existierten. Wenn hier mehr Frauen als Männer zu Wort kommen, spricht das nicht für ein Unverständnis der männlichen Probleme („Die Ehefrauen berichten ... ausführlicher über die Erfahrungen in familiärer Hinsicht. Die Männer berichten ausführlicher über ihre Erfahrungen als Soldaten und Gefangene als über ihre Beziehungen zur Familie und äußern sich und orientieren sich ... vorrangig an ihrem beruflichen Werdegang."); auch ihre Zerbrochenheit wird ungeschmälert beim Wort genannt. Es dokumentiert sich in der schrecklichen Erfahrung — hier liegt eine der Wiederholungen —, für ein ziviles Leben untauglich geworden zu sein. Unter der Herausforderung des politischen Umdenkenmüssens und des Fremdgewordenseins der Kinder fanden sie infolge ihrer seelischen und körperlichen Erschöpftheit keine „Rolle" mehr und waren auf das Zupacken der Frauen angewiesen. In Umkehrung der Dinge waren die Kinder Stützen und Vertraute ihrer Mütter geworden; aus dieser Welt fühlten sich die Heimkehrer ausgeschlossen — eine wahrhaft tragische Erfahrung! Nach Ausbombung und Verlust der Heimat, die sie ja gerade hatten abwenden sollen, war die Kluft zur jungen Generation die unverständlichste Herausforderung. Daß Ehen unter dieser Überbelastung noch weiterbestanden, wirkt wie ein Wunder; man sollte eine viel größere Zahl von gescheiterten Ehen vermuten. (Das Problem der Kriegstrauungen wird nur gestreift.) Daß die Familien unter Anspannung der äußersten Willenskräfte wieder zueinanderfanden, sollte heute zu denken geben. Von Liebe sprach keiner, sie wurde wortlos geleistet. Das wohltuend schlicht Erzählte wird unterstützt durch eindringliche Fotos der Trümmerbehausungen, der damals anders gearteten Gesichter, des Lebens im Bunker, in dem Kinder geboren wurden, der Heimkehrer und Flüchtlinge. Ihre Unmodernität bekommt durch die Darstellung herausfordernde Modernität. Diese Rechenschaft einer bewundernswerten Generation beantwortet viele Fragen, ja, sie läßt den Eindruck entstehen, hier sei die vielberufene Vergangenheitsbewältigung zum Teil geleistet. Und es ist ein Antikriegsbuch. Christiane Knop
Schütze, Karl-Robert: Von den Befreiungskriegen bis zum Ende der Wehrmacht. Der Garnisonfriedhof. Berlin 1986 (Neuköllner Beiträge zur Bezirksgeschichte, Heft 2). Friedhofsgeschichte ist „in". Das beweisen die zahlreichen kunst- und kulturhistorischen Veröffentlichungen zu inner- und außerhalb Berlins gelegenen Friedhöfen, von denen einige in diesen „Mitteilungen" bereits besprochen worden sind. Auch der vorliegende Band bestätigt aufs neue die oft zitierte Feststellung des Feuilletonisten Heinz Knobloch, Friedhöfe seien aufgeschlagene Geschichtsbücher. In einer ungeheuer materialreichen Darstellung erzählt Schütze die Geschichte des in Neukölln gelegenen Garnisonfriedhofs von seiner Gründung als Bestattungsplatz für Seuchenopfer der Befreiungskriege im Jahre 1813 bis zur Aufhebung der Bestimmung als Militärfriedhof nach dem Ende des Zweiten Welkrieges. Bei aller Berücksichtigung auch der kleinsten Details dieser Geschichte verliert Schütze die historisch-politischen Zusammenhänge nicht aus den Augen. „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", hat Clausewitz gesagt, und kein anderer Friedhof Berlins spiegelt die politische Geschichte Preußens und des Deutschen Reiches im 19.und 20. Jahrhundert mehr wider als der Garnisonfriedhof. Dieser Friedhof ist das Negativ der in der deutschen Geschichtsschreibung so strahlend gefeierten großen militärischen Siege des 19. Jahrhunderts — in den Befreiungskriegen, im Krieg gegen Österreich (1866) und im großen „Einigungskrieg" gegen Frankreich (1870/71). Kriegsgräber 158
und Gedenksteine erinnern noch eindringlich an den Preis für diese Siege, und der Preis war hoch. Für die zahllosen Toten des Ersten Weltkrieges wurde eigens ein „Heldenfriedhof" eingerichet und das bestehende Terrain erheblich erweitert. „Nie wieder Krieg!": Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dann auch und vor allem an diesem Ort. In diesem Sinne versteht Schütze den Garnisonfriedhof als ein „Denkmal gegen den Krieg". Die Darstellung besteht aus zwei Teilen: Der l.Teil beschreibt die Geschichte der Friedhofsanlage, wobei eben auch auf Ursachen und Verlauf der Kriege eingegangen wird, deren Opfern auf dem Friedhof gedacht wird. Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Nachbarschaft zum neu angelegten Tempelhofer Flughafen zunehmend von Bedeutung. Die Gigantomanie der nationalsozialistischen Stadplanung machte auch vor dem Garnisonfriedhof nicht halt. Die Ruhe der Toten des „Heldenfriedhofs" sollte einem geometrischen Ideal geopfert werden, das eine beträchtliche Vergrößerung des Flughafenfeldes vorsah und zudem das Kreuzbergdenkmal Schinkels mittels Ausbildung einer Langachse in die Gesamtgestaltung mit einbezog. Das Projekt kam nicht zur Ausführung, obgleich bereits Umbettungen von Toten des Ersten Weltkrieges vorgenommen worden waren. Der 2. Teil der Darstellung ist ein Rundgang über den Friedhof, der ebenso wie bereits der 1. Teil auch den innerhalb des Friedhofskomplexes gelegenen und 1866 eingerichteten Türkischen Begräbnisplatz berücksichtigt. Der Rundgang beschreibt in der Hauptsache Gestalt und Wirkung herausragender Grabdenkmäler, Mausoleen, Gedenksteine oder Friedhofsbauten, ohne jedoch eine Einordnung in einen größeren kunsthistorischen Zusammenhang zu leisten. Teilweise werden auch Biographien von Bestatteten geliefert wie beispielsweise die des Oberleutnants und Philosophen Eduard von Hartmann (1842-1906). Der Rundgang verdeutlicht aber auch, wie hoch auch hier der Verlust an Denkmalsubstanz ist, was der Situation auf vielen Berliner Friedhöfen entspricht. Schütze hat intensiv recherchiert. Seine Darstellung fußt auf dem Quellenmaterial zahlreicher Archive in beiden Teilen Deutschlands (u. a. Bundesarchiv Koblenz, Militärarchiv Freiburg/Breisgau, Zentrales Staatsarchiv der DDR in Merseburg, Stadtarchiv in Ost-Berlin). Ein Manko ist jedoch die Form der Darstellung. Dem Werk hat eindeutig ein Lektorat gefehlt, das für die flüssige Lesbarkeit des Textes hätte sorgen müssen. Die Aufgabe des Lektors wäre in erster Linie die Straffung des Textes gewesen. Schütze hat den Text mit einer Vielzahl von mitunter überlangen Zitaten zersetzt, die nicht selten wenig aussagekräftig und daher überflüssig sind. Oft hätte auch eine eigene kurze Zusammenfassung der Zitate gnügt. Auch die große Vorliebe fürs historische Detail beispielsweise im Hinblick auf Veränderungen der Friedhofsumfriedung oder der Friedhofsfläche — ist bisweilen ermüdend. Ebenso aufgebläht ist die schon fast inflationär zu nennende Illustration des Textes. Hier hätte manches weggelassen werden können, sei es aufgrund der schlechten Bildqualität oder wiederum aufgrund des geringen Aussagewertes. Was z. B. soll eine Abbildung, die einzig und allein das Etikett eines Verzeichnisss der auf dem Garnisonfriedhof beerdigten Personen von 1876 ff. zeigt? Hier wurde wohl nach dem Motto verfahren, daß allein das Alter den historischen Wert bestimmt. Manche Textabbildung ist überdies so verkleinert wiedergegeben, daß man Mühe hat, sie zu entziffern. Schade, durch diese Art der Darstellung verliert das gut recherchierte Buch doch einiges an Wert. Herbert May
Neue Mitglieder: Karl Wolfgang Bartel, Pensionär Hatzfeldtallee 6,1000 Berlin 27 (Nürnberg) Walter-Georg Krull, Steuerberater Fretzdorfer Weg 2, 1000 Berlin 37 (R. J. Napirala) Joachim Pohl, Angestellter Innstraße 26, 1000 Berlin 44 (Schriftführer)
Ulrich Stark, Dr.-Ing. Kuno-Fischer-Straße 19, 1000 Berlin 19 (Siewert) Dr. Hans-Peter Wüst, Rechtsanwalt und Notar Schlüterstraße 6, 1000 Berlin 12 (Schriftführer) 159
Veranstaltungen im I.Quartal 1989 1. Donnerstag, den 26. Januar 1989,16.30 Uhr: Führung durch die Ausstellung im Landesarchiv: „Totgeschwiegen — Die Geschichte der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik von 1880 bis 1945". Leitung: Frau Christina Hertel. Treffpunkt in der Halle des Landesarchivs Berlin, Kalckreuthsraße 1/2, Berlin 30. Fahrverbindungen: Busse 19, 29 und U-Bahnhof Wittenbergplatz oder Nollendorfplatz. 2. Montag, den 30. Januar 1989, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Dr. Christiane Knop „Fahrten in die Mark Brandenburg — vertraute Stätten wiederentdeckt". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 3. Montag, den 13. Februar 1989, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Joachim-Hans Ueberlein „Ein historischer Spaziergang durch den Bereich Alt-Spandaus". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 4. Montag, den 27. Februar 1989, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Dr. Sibylle Einholz und Frau Erika Müller-Lauter: „Der ferne Ort — 80 Jahre Südwestfriedhof Stahnsdorf". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 5. Montag, den 6. März 1989, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Dr. Helmut Engel: „Zur Geschichte der Denkmalpflege in Berlin im 19. Jahrhundert". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 6. Montag, den 20. März 1989, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag mit zwei Projektoren von Frau Ingeborg Hensler und Herrn Oswald Hensler: „Glogau - Handelsstadt und Festung an der Oder". Im 16. Jahrhundert mit 25 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Schlesiens (zum Vergleich: Berlin und Colin zahlten damals etwa 10000 Bewohner). Heute ist die Innenstadt Glogaus dem Erdboden gleichgemacht. Berlin und Glogau besaßen viele Gemeinsamkeiten. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
Ab 1. November 1988 hat die Leitung der Geschäftsstelle des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31,1000 Berlin 45, Telefon 7 72 34 35, übernommen. Frau Ruth Koepke führt die Geschäfte der Schatzmeisterin weiter. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 3430-2234. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 33 24 08. Geschäftsstelle: Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 1000 Berlin 45, Telefon 77234 35. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 3 65 76 05. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 100 100 10), Kto.-Nr. 433 80-102,1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 100 20000), Kto.-Nr. 03 81801 200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28; Roland Schröter.Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 160
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 85. Jahrgang
Heft 2
J. G. Hossauer, Silberpokal, 1834
April 1989
Glienicker Nachträge — Paralipomena II Von Harry Nehls „Nur durch den Austausch und die Reibung der Ideen gelangt man dahin, den einen oder andern wissenschaftlichen Gegenstand zu berichtigen." Menü von Minutoli „Die Aufwertung des Prinzen in jüngster Zeit ist ein bemerkenswertes Phänomen." In der Tat ist sie das. War doch in der älteren Literatur relativ wenig über den von der Historiographie kaum beachteten Prinzen Friedrich Carl Alexander von Preußen (1801—1883) zu erfahren. Das neu erwachte Interesse an seiner immer noch weitgehend unerforschten Biographie darf uns daher nicht verwundern. Denn es war bisher stets abhängig vom Interesse an seinem einstigen Landsitz, der Villa Glienicke bei Potsdam. Nach dem Tod des Prinzen fiel die Glienicker Villeggiatur, die — dem Zeitgeschmack entsprechend — Italien in die Mark Brandenburg versetzte, in einen beinahe einhundert Jahre währenden „Dornröschenschlaf", aus dem sie durch die gelungene Ausstellung „Schloß Glienicke — Bewohner Künstler Parklandschaft" endgültig wieder zum Leben erweckt worden sein dürfte. Zu Recht bescheinigt man Glienicke neuerdings im Zusammenhang mit den Potsdamer Schlössern und Gärten „europäischen Rang". Glienickes wertvollste Kunstschätze waren zuvor allerdings verkauft, versteigert bzw. illegal ins Ausland (USA, Großbritannien, Österreich, Schweiz) verbracht worden. Da Akten und Inventare über die betreffenden Kunstdenkmäler nicht mehr vorhanden sind, gilt es heute mehr denn je, zahlreiche offene Fragen in bezug auf Verbleib und Provenienzen der „verschollenen" Kunstobjekte zu klären. Keineswegs geht es bei dem kulturhistorischen Phänomen Glienicke und allem was damit zusammenhängt — so auch die Frage nach seinem einstigen Besitzer — um eine „Aufwertung", sondern unter anderem auch darum, bisher Versäumtes aufzuarbeiten. Man erinnere sich beispielsweise nur, wie lange es brauchte, bis endlich eine Bestandsaufnahme der Glienicker Antikensammlung vorlag. Natürlich hing das auch mit der peripheren Lage Glienickes, das landschaftlich gesehen eher zu Potsdam denn zu Berlin gehört, zusammen. Weitere Ursachen dafür sind erst kürzlich geschildert worden.' Ein auf den neuesten Forschungsstand gebrachter, kleiner handlicher Kunstführer durch die Glienicker Antikensammlung, in der Art, wie er für Schloß Glienicke und Charlottenburg, Schinkel-Pavillon, Jagdschloß Grunewald und Pfaueninsel längst existiert, steht bis auf den heutigen Tag bedauerlicherweise noch immer aus.2 Der Hohenzollernprinz bzw. sein Nachlaß, auf den jüngst ein Nachfahre Anspruch erhoben hatte 3 , ist geradezu in die „Schußlinie" von Kunsthistorikern und Archäologen, Historikern, Gartendenkmalpflegern und Architekten geraten. Die eigentliche „Initialzündung" aber für die erneute Beschäftigung mit dem drittältesten Sohn Friedrich Wilhelms III. bewirkte das 1981 im Osnabrücker Biblio Verlag erschienene Buch von Malve Gräfin Rothkirch: Prinz Carl von Preußen. Kenner und Beschützer des Schönen 1801 bis 1883. Eine Chronik aus zeitgenössischen Dokumenten und Bildern.4 Der eingangs zitierte Satz ist absichtlich aus dem Kontext herausgelöst worden, um zu demonstrieren, wie es zu dieser vermeintlichen „Aufwertung" kam. Indem er nun wieder in den Kontext eingefügt wird, soll gleichzeitig die Haltbarkeit einer „Abwertung" überprüft werden. Im Zusammenhang lautet die betreffende Passage: „Bezeichnend für das Wesen des Prinzen ist auch ein Bericht von 1821, den Folkwin Wendland (Berlins Gärten und Parks von der Gründung der Stadt bis zum ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, Berlin, Wien 1979, S. 136, 162
137) zitiert. Hier wird geschildert, wie der Prinz ein Pferd mißhandelt, das im Morast steckengeblieben ist. Die Aufwertung des Prinzen in jüngster Zeit ist ein bemerkenswertes Phänomen."5 Der von Wendland zitierte Bericht („Im Thiergarten vor 65 Jahren") erschien 1886 in der Zeitschrift „Der Bär. Illustrirte Berliner Wochenschrift, eine Chronik für's Haus", 12. Jg., S. 467, unter der Rubrik „Miscellen" — signiert von einem gewissen Herrn „G. St.". Das vom Lateinischen herkommende Wort „Miscelle" bedeutet soviel wie „allerlei, gemischt" und im literarischen Sinne „Schrift, Aufsatz vermischten Inhalts, Allerlei". Da Zitate meist ad libitum verwendet werden, sei die Miscelle vollständig wiedergegeben: „Im Thiergarten vor 65 Jahren. Im März 1821 war der Frühling in Berlin mit aller Macht erschienen. Heller Sonnenschein hatte die im Februar gefallenen großen Schneemassen geschmolzen, aber auch die damals noch nicht so hoch aufgeschütteten Wege im Thiergarten so aufgeweicht, daß Spaziergänge nur längs der Charlottenburger Chaussee gemacht werden konnten. Eines Tages kam P r i n z K a r l in seiner kleinen russischen Droschke, mit einem schönen Pferde von auffallend vollem Schweif und flatternder Mähne in hohem Bügel zwischen zwei Deichseln kurz gespannt, mit dem kleinen Kutscher im langen russischen Rock, kleinem Hütchen und rother Schärpe, im schnellsten Trabe auf dem Hauptwege hergerollt, lenkte aber links vom festen Wege kurz ab in den weichen Boden des Thiergartens so ein, daß die niedrigen Droschkenräder sogleich bis an die Axen einsanken, der Wagen noch auf eine kurze Strecke geschleift wurde, bis auch das Pferd bis an den Leib im Schlamm versank und das Ganze dann zum Stillstand kam. Der Prinz schwang sich mit kühnem Sprung bis auf des Fußweges Rand. Der kleine Kutscher kroch im langen Rock mühsam aus dem Schlamm hervor, hatte aber seine Peitsche nicht losgelassen. Der Prinz nahm ihm diese ab und hieb damit auf das Pferd ein, welches aber in der schwierigen Lage, in der es sich befand, regungslos verharrte. Niemand außer mir und meinem Freunde, die wir schnell herzusprangen, war zu sehen. Ich trat daher an den Prinzen heran und bot ihm höflich meine Hülfe an, welche gern angenommen wurde. Ich ergriff das Pferd am Zügel, hielt ihm den Kopf hoch, beruhigte es und löste mit Hülfe des Kutschers alle Riemen. Inzwischen waren einige Leute herangekommen, welche den Wagen rückwärts bewegten, so daß das Pferd frei wurde. Als es auch so noch nicht im Stande war, sich aus dem Schlamm zu helfen, so ergriff ein Mann dasselbe am Schweif und zog und hob daran, während ich, den Kopf am Zügel haltend, das Pferd hob und ermuthigte. Es gelang, das Pferd erhob sich. Aber — o Schrecken! — der Mann, der ihm dazu durch einen starken Ruck am Schweif geholfen hatte, lag hintenübergefallen im Schlamm und h i e 11 d i e f a l s c h e P f e r d e h a a r t o u r e m p o r , während das Pferd sich schüttelte und m i t d e r k a h l e n S c h w a n z w u r z e l w e d e l t e . Der Prinz mußte hell auflachen. Der Wagen und das Geschirr wurde nun, so gut es anging, wieder zusammengebracht; doch war es nicht möglich, daß der Prinz darin nach Hause fahren konnte. Zum Glück kam in diesem kritischen Augenblick sein älterer Bruder, der Prinz Wilhelm in seinem solideren Fuhrwerk an, und beide Prinzen fuhren weiter, nachdem Prinz Karl die helfenden Leute in sein Palais beschieden und mir freundlich gedankt hatte. Der kleine Kutscher aber legte mit einem russischen Fluch den falschen Hinterschmuck dem auferstandenen Pferde an." Keineswegs steht hier ein tierschindender Prinz vor Gericht, sondern dem Erzähler geht es ausschließlich um die Pointe vom „falschen Pferdehaartour", und daher ist auch nur diese Passage gesperrt gedruckt worden, nicht aber die, wo Prinz Carl auf das Pferd einhieb. Für eine Beweisführung über den schlechten Charakter des Prinzen kann dieser Bericht wohl kaum herangezogen werden. Im Gegenteil: „Sir Charles Glinicke" ist eher ein Pferdeliebhaber gewesen. Denn jemand, der seine Pferde „mißhandelt" (das Wort ist unglücklich gewählt, da es den Katalog163
leser in eine ganz bestimmte Richtung lenkt), wird ihnen kaum in seinem Park - so, wie es Prinz Carl de facto getan hat - ein Grabmal6 errichten lassen. Ferner sei daran erinnert, daß Carl Initiator der seit dem 8. Februar 1828 jährlich stattfindenden Parforcejagden im Grunewald gewesen ist und daß er sich gern zu Pferde porträtieren ließ. Im Juni 1829 fanden in Berlin die ersten Pferderennen statt, und am 1. Mai 1834 stiftete „Seine Königliche Hoheit der Prinz Karl von Preußen . . . aus Höchsteigener Bewegung ein dauerndes Denkmal (Titelseite) . . . , worauf durch eine Reihe von 30 Jahren die Namen der Sieger... aufgezeichnet werden" sollten. „Das Kleinod besteht in einer viereckigen, nach oben sich verjüngenden, Säule, von 151öthigem Silber..., oben mit einem Pferde aus gleichem Metall geziert. Die Hauptflächen der Säule enthalten die Felder zur Eintragung der Sieger. Auf der Stirnseite befindet sich folgende Inschrift: KARL PRINZ VON PREUSSEN STIFTETE DIESE TAFELN ZUR AUFZEICHNUNG EINER XXXJÄHRIGEN REIHE VON SIEGEN AUF DER BRESLAUER RENNBAHN MDCCCXXXIV. Die Rückseite zeigt den Preußischen Adler, umgeben von der Kette des schwarzen AdlerOrdens; darüber die Königl. Krone. Das Kunstwerk ist von George Hossauer in Berlin gefertigt."7 Im Fußgestell dieses Silberpokals befand sich einst, versehen in einer Silberkapsel, die Stiftungsurkunde. Dem angeblich so bezeichnenden Bericht von 1821 „für das Wesen des Prinzen" sei hier ohne weiteren Kommentar eine Tagebuchnotiz des Schriftstellers Karl August Varnhagen von Ense (1785-1859) aus dem Jahre 1852 entgegengesetzt: „Ein guter Zug vom Prinzen Karl. Auf seinem Schmerzenslager unsäglich leidend hat er seinen Stallmeister Brocksch rufen lassen, ihm die Hand gegeben und freundlich zugeredet: ,Sie sind nicht schuld an meinem Unfall, lieber Brocksch, das weiß ich recht gut; auch das Pferd ist nicht schuld, nur die Sandgrube, die nicht ordentlich zugeworfen war! Was macht denn mein Leidensgefährte? (Das Pferd, das auch beschädigt war.) Sobald ich so weit besser bin, daß ich an's Fenster kann, müssen Sie mir das arme Thier auf dem Platz vorreiten.' Das macht dem Prinzen alle Ehre." (K. A. Varnhagen von Ense: Tagebücher. Bd. 9. Hamburg 1868, S. 435, Notiz vom 12. Dezember 1852.) Einen Höhepunkt der 750-Jahr-Feier Berlins markierte die Ausstellung „Schloß Glienicke — Bewohner Künstler Parklandschaft". Doch als abgeschlossen kann die Glienicke-Forschung damit — zumindest was die Detailforschung anbelangt — noch lange nicht betrachtet werden. Im Sinne des hier vorangestellten Mottos des Prinzenerziehers Minutoli seien im folgenden einige kritische Anmerkungen, Nachträge und Ergänzungen gestattet. Einen schwerwiegenden Lapsus stellt die Behauptung dar, die dem Portal des 1850 von Ferdinand von Arnim errichteten Klosterhofes gegenüber befindliche, zur Basis für die Säule mit dem venezianischen Markuslöwen umfunktionierte, dorische Säulentrommel stamme „vom Poseidon-Tempel aus Selinunt".8 Daß dem nicht so ist, bedarf keines weiteren Kommentars, da die kannelierte Säulentrommel, zusammen mit zwei weiteren des Pleasuregrounds, erwiesenermaßen nicht nach Sizilien, sondern nach Attika, zum sogenannten Poseidontempel von Sounion, gehört.9 Ebenso unhaltbar ist die Behauptung, die Vorlage für das Bogenmotiv der 1827/28 errichteten Wagenremise, die 1846 zeitweilig als Antikendepot diente, habe Schinkel vom Athener 164
Abb. 1: Statue des Demosthenes in Potsdam-Sanssouci, Sizilianischer Garten. Marmorkopie'" des 19. Jahrhunderts, um 1860.
„Turm der Winde" übernommen.10 Ferner gilt die kolossale römische Kaiserstatue vor der schmalen Südwand des Casinos den Porträtforschern längst nicht mehr als „Tiberius", sondern - mit einer Ausnahme — communis opinio als Bildnis des Nerva. Die Glienicker Statue, die den Kaiser nackt, d. h. heroisiert im ikonographischen Jupiterschema wiedergibt, sollte daher dem Forschungsstand entsprechend künftig als Nerva und nicht mehr als „Tiberius"11 deklariert werden. Ebenso läßt sich heute die (verschollene) Kaiserbüste — einst auf dem porphyrnen Säulenpostament vor dem südwestlichen Pergolarm des Casinos — zweifelsfrei als Augustusporträt bestimmen.12 Bis 1911 war die Paludamentumbüste, nach Ausweis eines bisher übersehenen Fotos13, dort noch vorhanden. Vermutlich wurde sie mit zahlreichen anderen Kunstgütern ein paar Jahre später von Prinz Friedrich Leopold (Vater) nach Lugano14 verbracht. Kürzlich sind gegen die These von der Einmauerung einer so bekannten Antike wie dem Glienicker Demosthenes in den zylindrischen Schaft der Großen Neugierde berechtigte Zweifel laut geworden. Daß Prinz Carl, seit 1832 „außerordentliches Mitglied des Archäologischen Instituts in Rom"15, Benennung und Bedeutung dieses Porträts nicht gekannt hat, muß man wohl - unter Berücksichtigung all derjenigen Berater, die dem Prinzen nachweislich zur Verfügung gestanden haben — ausschließen. Mit zu berücksichtigen ist bei dieser Diskussion der 165
Umstand, daß Andreas Rumpf, der am 16. August 1917 gemeinsam mit Mitgliedern und Gästen des Vereins für die Geschichte Berlins „die Kunstschätze, Architecturwerke und gärtnerischen Anlagen im ehemaligen Park des Prinzen Carl von Preußen in Kl. Glienicke"16 besichtigt hatte, den Demosthenes wie überhaupt die Große Neugierde mit keiner Silbe erwähnt. Das berühmte Pendant zum Aischines wäre dem geschulten Archäologen mit Sicherheit aufgefallen. Dennoch, um den Eisenträger am Hinterkopf sowie den grauen Farbanstrich des Demosthenes kommt man nicht herum. Die antiken Glienicker Bildnisse des Demosthenes und Aischines finden ihre Parallele in Form von Kopien des 19. Jahrhunderts (Abb. 1) auf der Balustrade des Sizilianischen Gartens in Potsdam-Sanssouci.17 Gänzlich unbewiesen bleibt die psychologisierende Annahme, daß es sich bei der Aischinesstatue vor dem Casino um eine „Identifikationsfigur des Prinzen Carl"18 gehandelt haben soll. In Glienicke, wo sie seit Mai 1846 nachweisbar ist, wurde sie zu Lebzeiten des Prinzen irrtümlich als „Aristides" bezeichnet. In archäologischen Fachkreisen hingegen war die richtige Bezeichnung (Aischines) längst bekannt. Das Vorbild, nach dem die Statue (in Glienicke unter Rauch oder Gilli?) ergänzt worden war, wurde 1799 zusammen mit einer Dichter- und Philosophenstatue in der Villa dei papiri in Herculaneum entdeckt und gelangte schließlich in das Museum von Neapel. Laut Eduard Gerhard (1795—1867) soll ihre Benennung („Aristides der Gerechte") auf den „Marchese Venuti" zurückgehen. Lodovico Marchese Venuti kam 1799 mit seinem Vater Domenico nach Rom, wo er Schüler des Malers und Antikenhändlers Vincenzo Camuccini (1773—1844) wurde, einem Verwandten des römischen Archäologen E. Q. Visconti (1751—1818). Als Enkel des Archäologen und ersten Ausgrabungsleiters von Herculaneum, Niccolö Marcello Marchese Venuti (1705—1763), hat sich Lodovico gleichfalls als Ausgräber betätigt, wie ein Brief Tischbeins an die Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, geschrieben am 18. Dezember 1792 in Neapel, bezeugt: „Der Cavaliere Venuti hat eine Zeitlang in Locri gegraben und viele aber nur kleine Vasen gefunden und viele Fragmente von großen Vasen, die alle von wunderbarer, schöner Zeichnung sind."19 Der Archäologe Gerhard bezweifelte jedoch alsbald (1828) Venutis „Aristides"-Benennung. Er schreibt: „Indessen darf es kaum bemerkt werden, wie ohne irgend eine ikonographische Bürgschaft der beliebte Name ohne alle Gültigkeit ist; auch würde der Staatsmann Aristides wahrscheinlich in heroischem Kostüm sich gezeigt haben, oder auch, wie der Vatikanische Phocion, in Kriegermantel und mit Wehrgehenk. . . . Unter Philosophen, oder noch lieber unter berühmten Rednern Griechenlands würde die richtige Benennung vermuthlich zu suchen seyn, scheint aber unter den uns bis jetzt bekannten Köpfen derselben sich nicht vorzufinden; auf einen Redner läßt theils das Kostüm, theils das halbabgeschnittene Scrinium zu seiner Linken schließen."20 Bereits fünf Jahre später (1835) gelang dem schriftstellernden Ausgräber und Antikenhändler zu Rom, Luigi Vescovali, die endgültige Identifizierung des Neapler Porträts als das des Aischines.21 Denkbar, daß sich in seiner Antikensammlung, die er 1846 dem Prinzen Carl vermachte, auch eine Replik des berühmten Rhetors befand. In diesem Kontext ein weiterer Nachtrag: Die vom Verfasser entdeckte Provenienz der Statue aus Alexandria, einst Bestandteil der Carlschen Antikensammlung und seit 1922 im Besitz des Pergamonmuseums, ist 1841 beiläufig von dem Archäologen Friedrich Gottlieb Welcker (1784—1868) als „Rhetor" klassifiziert worden.22 Erneute Nachforschungen haben ergeben, daß der vermutete Standort (Sockel vor der Kavalierhauswand) der alexandrinischen Statue nicht zutreffen kann.23 Denn das zur Beweisführung herangezogene Sievers-Foto, das eine ähnliche Gewandfigur auf dem heute leeren Sockel zeigt, stammt nachweislich aus dem Jahre 1938! Somit bleibt ihr ursprünglicher Aufstellungsort weiterhin unbekannt. Auch glaubt der Verfasser heute nicht mehr, daß Carl August Böttiger den Verkauf der 166
Abb. 2: Louis Schneider (1805-1878), Fotographie um 1875.
Statue an den Prinzen Carl über den Berliner Archäologen Hirt, sonden vielmehr über den unmittelbar in Glienicke tätigen Bildhauer Rauch vermittelte. Beide, Böttiger und Rauch, pflegten nachweislich einen intensiven freundschaftlichen Briefkontakt.24 Über die qualitätvolle Waffensammlung des Prinzen Carl, zumeist Mittelalterliches, aber auch Antikes25 enthaltend, braucht man kaum mehr viel Worte zu verlieren. Im Glienicker Ausstellungskatalog werden die „Salut-Böller", die zweifelsohne Bestandteil der prinzlichen Sammlung gewesen sind, nur am Rande gestreift. Sie scheinen nicht so recht ins Bild zu passen, obwohl sie gerade dort zu sehen sind.26 Die Kanonen erfüllten ausschließlich friedliche Zwecke, späterhin mögen sie mehr dem militärischen Renommee des Prinzen gedient haben. Die erste Kanone, die Carl anläßlich seines siebenundzwanzigsten Geburtstages von seinem Vater erhielt, war ein Dreipfünder und wurde umgehend benutzt: „Am vergangenen Montag habe ich zuerst von der schönen Kanone Gebrauch gemacht, welche Sie die Gnade hatten, mir diesen Geburtstag (29. Juni 1828, Anm. d. Verf.) zu schenken, indem ich nämlich Glinicke und Umgebung durch seinen Donner und vielfaches Echo den Geburtstag meines Schwagers verkündete. Morgen will ich Gleiches Charlotten zu Ehren tun."27 Neun Jahre später (1837) ist bereits die Rede von mehreren Geschützen, die alle zum Zwecke von Salutschüssen dienten. Eines der ältesten, das Prinz Carl besaß, stammte aus der Zeit des Großen Kurfürsten (1640-1688), 167
andere wiederum aus friderizianischer Zeit. Weitere waren Kriegstrophäen „von den siegreichen Kämpfen 1864 bei Düppel, 1866 in Böhmen und 1870 in Frankreich. Kaiser Wilhelm machte diese Geschütze seinem Bruder, dem General-Feldzeugmeister und Chef der Artillerie zum Geschenk."28 Einen ausführlichen, bisher übersehenen Bericht über die Provenienzen der Glienicker Kanonen verdanken wir Louis Schneider (Abb. 2), dessen verwahrloste Grabstätte (Abb. 3,4) sich in Potsdam befindet: „Dann dasjenige Geschütz, welches im Parke des Jagdschlosses Glineke, von vier Bomben auf einer Plateform umgeben, am Ufer der Griebnitzbucht in der Richtung über die weite Havelfläche bis Potsdam aufgestellt ist. Dasselbe ist ein Geschenk König Friedrich Wilhelm's III. für den Prinzen Carl von Preußen, Königliche Hoheit, und befand sich früher im Parke des Lustschlosses Glineke neben der Gärtnerwohnung, wo es zu Salutschüssen diente. Es trägt unter dem Kurfürstlichen Scepterwappen die Inschrift: ,Friedrich Wilhelm, Kurfürst zu Brandenburg ließ mich gießen. Anno 1680.' Beides steht zwischen den als Delphine gestalteten Henkeln29 und der ebenfalls einen Delphin darstellenden Traube. Zwischen Zündloch und Traube, auf der etwas eingelassenen Friese steht: ,Johann Martin Heins von Hamburg goß mich in Berlin'.30 An der Verstärkung des Bodenstücks hat auch dieses Geschütz eine Wunde erhalten. Bei der Restauration des Jagdschlosses ließ Prinz Carl, Königliche Hoheit, dies Geschütz aus seinem Parke an die jetzige Stelle bringen und wird dasselbe auch hier gegenwärtig zu Salutschüssen benutzt. Seine Stelle im Parke von Glineke ist durch ein anderes Bronzegeschütz in eiserner Lafettirung ersetzt worden, welches aber auf dem Langenfelde unter der Mündung die Inschrift: ,La Souris'; in der Höhe der Schildzapfen den Wahrspruch ,Ultima ratio regum', darunter die Worte: ,Louis Charles de Bourbon, Comte d'Eu' mit dem Dreililienwappen führt, welches Wappen sich nach den Worten: ,Pluribus nee impar' noch einmal wiederholt. Am Bodenstücke befindet sich die Inschrift: Strasburg 1743, fondu par Jean Maritz, Comissaire de Fönte.' Rechts und links neben diesem vorzüglich schön geformten Geschütz stehen zwei kleinere nur mit der Inschrift: ,Me fecit Peter Seest.31 Amstelodami 1786', und rechts und links neben diesen, zwei kleine, sehr alte Geschütze aus Schmiedeeisen, ohne jede Bezeichnung. Außerdem sind neben dem Casino zwei Preußische und vier Russische, unter Kaiser Alexander I. gegossene kleine Schiffsgeschütze ebenfalls zu Salutschüssen aufgestellt."32 Neben Antiken und Waffen sammelte Prinz Carl auch bescheidenere Dinge wie „heidnische" oder „vaterländische Alterthümer". So berichtet Leopold von Ledebur (Abb. 5), Direktor der Königlichen Kunstkammer und des Museums für vaterländische Altertümer, daß in Phöben — in der Nähe von Werder — um 1840 bei einer Nachgrabung Urnen mit Ohrringen, kleineren Steinäxten, einer langen Nadel, einem Mammutzahn u. a. m. zu Tage kamen: „Mehrere dieser Gegenstände wurden nach Potsdam gesendet und sollen an S. Königl. Hoheit den Prinzen Carl gelangt sein."33 In dem italienisierenden Ambiente von Glienicke fand sich jedoch kein rechter Platz für prähistorische Funde, so daß Prinz Carl sie, wie auch andere Sammlungsobjekte, späterhin dem Museum überwies.34 Abschließend noch einige rezensionsartige Anmerkungen zum Ausstellungskatalog: Schloß Glienicke — Bewohner Künstler Parklandschaft. Mit einer unglaublichen Fülle an Material und Informationen führt er dem Leser eindrucksvoll den derzeitigen Forschungsstand vor Augen. Sehr zu bedauern ist das Fehlen eines Personen-, Orts- und Sachregisters, das die Benutzung dieses Kataloges wesentlich erleichtert hätte. Wenn der „Schwerpunkt", wie im Vorwort (S.5) ausdrücklich betont wird, „auf dem Schinkel-Schloß liegt", dann fragt man sich, weshalb gerade für das Frontispiz des Kataloges eine Casinoansicht (die Große Neugierde, die in der Literatur des 19. Jahrhunderts ein Wahrzeichen Glienickes darstellt, ist weggelassen) gewählt 168
Abb. 3: Die verwahrloste und mittlerweile fast vollständig zugewachsene Grabstätte der Familie Louis Schneider auf dem Neuen Friedhof in Potsdam. In der Bildmitte Schneiders Grabstein in Form eines aufgeschlagenen Buches (vgl. Abb. 4), im Hintergrund die in die unverputzte Ziegelmauer eingelassene Marmortafel mit der Inschrift „Louis Schneider".
Abb. 4: Rechts der Grabstein für „L. Schneider/geboren/ d. 29. April/1805/gestorben/ d. 16. December/1878.", links der seiner treuen Lebensgefährtin „Ida Schneider/geb. Buggenhagen/d. 2. April/ 1813/gestorben/1886". Der Geheime Hofrat (seit 1865) war Mitglied des 1827 gegründeten „Tunnels" und laut Fontane „Seele" und „Stütze" dieses literarischen Sonntagsvereins. Dem einstigen Schauspieler, Schriftsteller, Vorleser, Initiator des 1862 gegründeten Vereins für die Geschichte Potsdams, Vorsitzenden des Vereins für die Geschichte Berlins (seit 1868) und Herausgeber der „Mittheilungen" (seit 1869) hätte man kein passenderes Grabdenkmal setzen können. 169
wurde. Während der „Experte" sofort Gärtners Gemälde wiedererkennt, ist der „Laie" hingegen - aufgrund des fehlenden Hinweises im Impressum — zu langem Blättern verurteilt, bis er es schließlich unter der Kat.-Nr. 488 a wiederentdeckt. Der Zeitdruck, unter dem dieser Katalog offensichtlich entstanden ist — er war im offiziellen Verkauf erst vom 8. September 1987 an erhältlich —, mag daher manche Unklarheiten und Druckfehler35 entschuldigen. Während es vor einigen Jahren noch hieß, Kopischs Meinung, die Schweizer Teufelsbrücke bei St. Gotthard sei nicht das Vorbild der Glienicker Teufelsbrücke36, so kann man jetzt — ohne Auseinandersetzung mit dieser Behauptung - wieder lesen, daß „die ebenfalls ruinöse Teufelsbrücke unterhalb des Gotthardpasses" doch „ihr Vorbild sei" bzw. „Als Vorbild diente eine damals weithin bekannte und vielfach dargestellte Brücke auf dem Weg zum Gotthardpass in Richtung Italien."37 Und so scheint es denn auch wirklich zu sein. Jedenfalls ist die Glienicker Teufelsbrücke in der Literatur des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich mit dem Schweizer Pendant in Verbindung gebracht worden: „ . . . steigen wir vom Rohrhäuschen bergnieder und kommen zu der Teufelsbrücke. Dieser malerische Bau ist ein reizendes Miniaturbild der bekannten Teufelsbrücke in der Schweiz.. ,"38 Erfreulich ist, daß man im Katalog nunmehr eine Spätdatierung der Mannfeldschen Radierung „Klosterhof im Schloßpark zu Glienicke" findet, auf die der Verfasser bereits im April 1987 aufmerksam gemacht hatte. 39 Unrecht tut man allerdings dem Archäologen Rumpf an, wenn man behauptet, er datiere die Darstellung „auf um 1885". 40 Lassen wir ihn selbst zu Worte kommen: „Die einzige zugängliche Abbildung des Klosterhofes, der vom Äußeren des Parkes aus nicht sichtbar ist, gibt die u m 1880 (Hervorhebung v. Verf.) entstandene Radierung von B. Mannfeld."41 Rumpf hat sich nur in einer Sache geirrt, bei der Angabe, daß „die linke Hälfte eines Totenmahlreliefs (Abb. 6) aus der Troas" stamme.42 Denn es handelt sich nicht um die linke, sondern um die rechte Hälfte. Die unscheinbare kleine, aber sammlungsgeschichtlich so interessante Tabula unterhalb dieses hellenistischen Weihreliefs besteht übrigens nicht aus „Metall"43, sondern S c h i e f e r . Einige Objekte der Carlschen Kunstsammlung, über die man gern etwas mehr erfahren würde, wie z. B. die Merkurstatue aus dem späten 18. Jahrhundert, die islamische Marmortabula oder den heute „verschollenen" Renaissancetondo aus carrarischem Marmor, klammert der Glienickekatalog leider aus.44 Man wüßte auch gern, ob die kaum beachtete, von Besuchern allenfalls als Papierkorb mißverstandene Steinschale schräg gegenüber von Rietschels Neptun ursprünglich überhaupt als Staffageelement in den Glienicker Park gehörte. Vom Erscheinungsbild her würde sie sich stilistisch besser in die Gegend des Klosterhofes oder des Jägertores einfügen. Sollte es zutreffen, daß Prinz Carl einen Traktat unter dem Titel „Einige Aufschlüsse über die Fabrication des Damas" verfaßt hat (vgl. M. Schütte in: Schloß Glienicke, wie Anm. 5, S. 208 Anm. 60), dann fragt man sich, weshalb diese interessante Notiz lediglich im Anmerkungsapparat des Glienicker Kataloges zu lesen ist. Ferner vermißt man im Ausstellungskatalog zahlreiche Literatur, Glienicke betreffend. Beispielsweise die interessanten Aufsätze von Goerd Peschken: Technologische Ästhetik in Schinkels Architektur, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 22 (1968), S. 45 ff.; Malve Gräfin Rothkirch: Der Glienicker Klosterhof. Eindrücke — Fragen - Gedanken, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 3 (1983), S. 66 ff.; Martin Sperlich: Farbe am Bau bei Schinkel, in: Baukultur 4 (1985), S. U 1 ff.; Peter Bloch/Waldemar Grzimek: Das klassische Berlin. Die Berliner Bildhauerschule im neunzehnten Jahrhundert. Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1978; Gerd Bartoschek: Malerei des Berliner Biedermeier in Sanssouci. Potsdam 1984; Marie-Louise Plessen (Hrsg.): Berlin durch die Blume oder Kraut und Rüben. Gartenkunst in Berlin-Brandenburg. Ausstellungskatalog Berlin (West) 1985 u. a. m. 170
Abb. 5: Leopold Karl Wilhelm August Freiherr von Ledebur, „Vorsteher der Abteilung für vaterländische Alterthümer" (seit 11. Januar 1829) und „Aufseher" bzw. „Director der Königlichen Kunstkammer" (seit 29. Mai 1830 bzw. 27. Februar 1832). Fotographie, um 1870.
Daß Baron Cerrini als Vermächtnis den Staatlichen Schlössern und Gärten Berlins zahlreiche Glienicker Kunstgegenstände hinterlassen hat, durch die eine derartige kultur- und kunstgeschichtliche Ausstellung überhaupt erst ermöglicht wurde, bleibt wohl sein anerkennenswertester Verdienst. Zu Recht ist man ihm dafür „zu großem Dank verpflichtet".45 Der Bildhauer Joachim Dunkel hat diese Danksagung gekonnt in ein rundplastisches Porträt des Stifters Cerrini — aufgestellt im Obergeschoß der Villa Glienicke — umgesetzt. Im zur Ausstellung erschienenen Katalog wird zwar auch Johannes Sievers (Abb. 7) gelegentlich mit anerkennenden Formulierungen wie „bedeutendster Kenner Glienickes"46 bedacht, und bereits im Vorwort werden seinem „Prinzenband" Gründlich- und Genauigkeit bescheinigt, doch — so möchten wir abschließend fragen — hätte nicht ebenso dem um Glienicke so verdienten Berliner Kunsthistoriker eine entsprechende Würdigung seitens des Ausstellers gebührt? Anmerkungen 1 H. Nehls: Italien in der Mark. Zur Geschichte der Glienicker Antikensammlung. Berlin (West) 1987, S. 35 f. Anm. 57 und S. 77 (= Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, 63). 2 Die mehrfach aufgelegte, längst vergriffene Broschüre von Johannes Sievers: Schloß Glienicke. Fünfte Auflage. München 1975 (— Große Baudenkmäler, 169) ist im Glienicker Ausstellungska171
talog nicht berücksichtigt worden; verdient hätte sie es, da sie eine brillante Zusammenfassung darstellt. Mit dem Vorschlag, einen Glienicker Antikenführer herauszugeben, ist der Verf. mehrmals (1981 bzw. 1985) an die Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin herangetreten. Frau Ulrike Axmann, die 1986 „mit der Arbeit an einem Führer zu den Antiken im Schloß Glienicke" (vgl. Archäologischer Anzeiger 1986, S. 767) begann, ist inzwischen von diesem begrüßenswerten Vorhaben zurückgetreten. Die bibliotheksgerechte Publikation von Friedrich Wilhelm Goethert: Katalog der Antikensammlung des Prinzen Carl von Preußen im Schloß zu KleinGlienicke bei Potsdam. Mainz 1972 ist für den Glienickebesucher allein ihres Formates wegen als „Führer" ungeeignet — und außerdem längst vergriffen. Daß allgemein großes Interesse an einem neu bearbeiteten taschenformatigen Kunstführer besteht, wird wohl niemand mehr bestreiten wollen. Die dritte Aufl. der Zehlendorfer Chronik 6 (1987) ist zwar ein guter Parkführer, läßt aber die Antikensammlung weitgehend unberücksichtigt. 3 Bereits im März 1984 forderte der 67jährige Prinz Friedrich Karl von Hohenzollern von der Stadt Berlin eine Nachzahlung von 43 Mio. DM, da das Schloß Glienicke samt Inhalt angeblich 1939 von seinem damaligen Vormund, Prinz Christian zu Schaumburg, mit 920 000 Mark weit unter dem Preis verkauft worden sei, vgl. die Berliner Tagespresse vom 14. Oktober 1986 (z. B. Der Tagesspiegel: „Hohenzollernprinz klagt Glienicker Schloß ein"). Auch die erneute Forderung Friedrich Karls in Höhe von 15 Mio. DM wurde am 13. Oktober 1987 vom Berliner Landgericht abgewiesen. Die „Berliner Abendschau" vom 13. Oktober 1987 hat darüber ausführlich berichtet, vgl. ferner die Tagespresse vom 14. Oktober 1987 (z. B. Der Tagesspiegel: „Kein Anspruch Friedrich Karls an Klein-Glienicke und Jagdschloß"). 4 Vgl. dazu die Rezension von Eckart Henning in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 33 (1982), S. 173 f. 5 Helmut Börsch-Supan: Prinz Carl von Preußen, die Maler und die Bildhauer, in: Schloß Glienicke. Bewohner Künstler Parklandschaft. Ausstellungskatalog Berlin (West) 1987, S. 217 f. Anm. 27. 6 Nehls (wie Anm. 1), S. 17 und 84 mit Abb. 45. 7 Zweiter Jahres-Bericht des Schlesischen Vereins für Pferderennen und Thierschau für 1834, S. 1—13. Für den Hinweis auf den „Jahres-Bericht" ist der Verf. Malve Gräfin Rothkirch zu besonderem Dank verpflichtet. Zu Hossauer vgl. Angelika Wesenberg: Johann George Hossauer 1794—1874. Führender Berliner Goldschmied des 19. Jahrhunderts, in: Forschungen und Berichte 26 (1987), S. 213 ff. 8 So Gerd-Harald Zuchold: Der „Klosterhof" im Park von Schloß Glienicke: privates Refugium oder Ausdrucksträger eines konservativen Staatsmodells? In: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S. 237. 9 Nehls (wie Anm. 1), S. 10. Zuletzt Sepp-Gustav Gröschel: Glienicke und die Antike, in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S. 255. 10 So Jürgen Julier: Das Schloß, in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S. 16, und Martin Sperlich: Nicht Schloß, sondern Villa, in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S. 29. Das Bogenmotiv ist vom Agoranomion hergeleitet, vgl. Nehls (wie Anm. 1), S. 34, Anm. 46. — Gröschel (wie Anm. 9), S. 250 f. Zuletzt hat sich auch M. Sperlich: Eine römische Villa an der Havel, in: Zehlendorfer Chronik 6 (1987), S. 54, wieder für eine Herleitung vom Agoranomion ausgesprochen. 11 So Helmut Börsch-Supan: Schloß und Landschaftsgarten Glienicke, in: Museen in Berlin. Ein Führer durch 68 Museen und Sammlungen. München 1987, S. 301. 12 Augustus ist deutlich zu erkennen auf dem im Erdgeschoß des Schlosses Glienicke ausgestellten Foto, vgl. Schloß Glienicke (wie Anm. 5), Kat.-Nr. 88 und 264. 13 Fritz Stahl: Schinkel. Berlin 1911, S. 77, Abb. 84. Die Anregung, das Casinoumfeld mit Skulpturen ausschmücken zu lassen, könnte möglicherweise in Verbindung mit dem Aufenthalt des Prinzen Carl in der Neapler Villa bzw. dem Casino Reale del Chiatamone im November/Dezember 1822 stehen, vgl. Johannes Sievers: Das Vorbild des „Neuen Pavillons" von Karl Friedrich Schinkel im Schloßpark Charlottenburg, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 1960, S. 227 ff. mit Abb.4. 14 Kurt Heinig: Hohenzollern. Wilhelm II. und sein Haus. Der Kampf um den Kronbesitz. Berlin 1921, S. 156. - Nehls (wie Anm. 1), S. 9, 16. 15 Eduard Gerhard: Thatsachen des Archäologischen Instituts in Rom. Berlin 1832, S. 24. 16 Andreas Rumpf: Wanderfahrt nach Glienicke, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte 172
Abb. 6: Rechte Hälfte eines hellenistischen Totenmahlreliefs, Klein-Glienicke, Gartenhof. Unterhalb des Reliefs eine Schiefertabula mit der Provenienzangabe: „Aus den Ruinen von Troja/von Sr. K. H. Prinz Friedrich Carl/1872 mitgebracht."
Berlins 9 (1917), S.59. Zu Rumpf vgl. Reinhard Lullies/Wolfgang Schiering (Hrsg.): Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache. Mainz 1988, S. 252 ff. (Tobias Dohrn). 17 Hans Hoffmann/Saskia Hüneke: Bauten und Plastiken im Park von Sanssouci. Potsdam 1987, S. 56, Kat.-Nr. F 6 a - b . Beide Kopien ohne Signatur, vermutlich von Eduard Mayer (1812— 1881), um 1860. - Nehls (wie Anm. 1), S. 67, Abb. 20. 18 So Gröschel (wie Anm. 9), S. 264. 19 Eberhard Haufe (Hrsg.): Deutsche Briefe aus Italien. Von Winckelmann bis Gregorovius. Dritte Aufl. Leipzig 1987, S. 77. Zur Archäologendynastie der Venutis vgl. Friedrich Carl Gottlob Hirsching's Historisch-Litterarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, welche im 173
achtzehnten Jahrhundert gelebt haben. Bd. 15. Leipzig 1812, S. 251 ff. - Weiss, in: J. F. Michaud: Biographie universelle. Ancienne et moderne. Bd. 43. Graz 1970, S. 126 f. (= Reprint der Pariser Ausgabe v. 1854). - U. Thieme/F.. Becker: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler. Bd. 34. Leipzig 1940, S.221. - Pericle Ducati, in: Enciclopedia Italiana. Bd. 35. Mailand o. J., S. 139. Zu Camuccini, Tischbein und Anna Amalia vgl. Gisold Lammel: Deutsche Malerei des Klassizismus. Leipzig 1986, S. 185 ff. mit Farbabb. 125 und 127. - Nehls (wie Anm. 1), S. 10 mit Anm. 65. 20 Eduard Gerhard/Theodor Panofka: Neapels antike Bildwerke. Stuttgart und Tübingen 1828, S. 106, Text zu Kat.-Nr. 363. 21 Annali dell' Instituto di corrispondenza archeologico 8 (1836), S. 207 mit Anm. e. - Nehls (wie Anm. 1), S. 10 mit Anm. 67. 22 F. G. Welcker: Das akademische Kunstmuseum zu Bonn. Bonn 1841, S.49, Text zu Kat.-Nr.49. 23 Nehls (wie Anm. 1), S. 105 ff. 24 Robert Boxberger: Briefe des Bildhauers Chr. Rauch, meist an Hofrath Böttiger, aus dessen Nachlass auf der Bibliothek in Dresden, in: Jahrbuch der Königl. Preuß. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt N. F. 11 (1882), S. 115 ff. 25 Drei antike Helme aus der ehemaligen Sammlung Prinz Carls befinden sich heute im Antikenmuseum in Berlin-Charlottenburg, vgl. Hermann Pflug, in: Antike Helme. Sammlung Lipperheide und andere Bestände des Antikenmuseums Berlin. Ausstellungskatalog. Mainz 1988, Kat.-Nr. 41, 75 und 93 (= Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte, 14). — Ders.: Antike Helme. Begleitheft zur Ausstellung im Antikenmuseum. Berlin (West) 1988, S. 9. — Nehls (wie Anm. 1), S. 42, Anm. 155. Eine mittelalterliche Beckenhaube eines norditalienischen sogen. Hundsgugels der Zeit um 1390 aus der Sammlung Prinz Carls (alte Inv.-Nr. PC 14313) ist von Heinrich Müller/Fritz Kunter: Europäische Helme aus der Sammlung des Museums für Deutsche Geschichte. Berlin (Ost) 1984, S. 257, Kat.-Nr. 20, publiziert worden. 26 Beispielsweise auf der Casinoterrasse der Haunschen Farblithographie (Schloß Glienicke, wie Anm. 5, Kat.-Nr. 275) sowie oberhalb der Legende des Parkplanes von 1862 (Schloß Glienicke, wie Anm. 5, S. 152, Abb. 88). 27 Rothkirch: Prinz Carl von Preußen, S. 69. 28 Vgl. Nehls (wie Anm. 1), S. 17 f. 29 Nehls(wie Anm. 1), S.86, Abb.47. Die in der Abb. rechts befindüche Kanone könnte typologisch noch in das 17. Jahrhundert gehören. Vgl. das Neubertsche Geschützrohr aus dem Jahre 1651, das ebenfalls Delphinhenkel besitzt, in: Hans-Joachim Giersberg/Claudia Meckel/Gerd Bartoschek (Red.): Der Große Kurfürst. Sammler, Bauherr, Mäzen. Ausstellungskatalog Neues Palais. Potsdam 1988, S. 50, Kat.-Nr. 11.33 (Bartoschek). 30 Das von Schneider erwähnte Geschütz von 1680, das Johann Martin Heins von Hamburg goß, kam später ins Artilleriemuseum des Berliner Zeughauses, vgl. Thieme-Becker (wie Anm. 19), Bd. 16. Leipzig 1923, S. 313 s.v. Heintze. 31 Peter oder Pieter Seest, seit 1771 Leiter der Amsterdamer Stadtgießerei, war Geschütz- und Glockengießer, vgl. Thieme-Becker (wie Anm. 19), Bd. 30. Leipzig 1936, S. 435 s. v. Seest. 32 Zitiert nach Louis Schneider: Die Kanonen im Lustgarten zu Potsdam, in: Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 1 (1864), S. 6 (= 22te Sitzung v. 25. Mai 1864). Zu den Geschützen vgl. ferner Folkwin Wendland: Berlins Gärten und Parke usw. Frankfurt, Berlin, Wien 1979, S. 354. -Schloß Glienicke (wie Anm. 5), Kat.-Nr. 287 (Bernhard). 33 Leopold Freiherr von Ledebur: Die heidnischen Alterthümer des Regierungsbezirks Potsdam. Berlin 1852, S. 53 („Localitätsbericht" von 1844). — Ders.: Die heidnischen Alterthümer aus der Umgegend von Potsdam, in: Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams 1 (1864), S. 7 (— 17. Sitzung v. 29. Dezember 1863). Für die großzügige Reproduktionserlaubnis des Ledebur-Fotos danke ich Herrn Dr. Klaus Goldmann, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Berlin-Charlottenburg. 34 Dazu ausführlich der Verf. in: Die Altertümersammlungen des Freiherrn von Minutoli. Diss. FU Berlin (in Vorbereitung). 35 Richtig müßte es beispielsweise auf S. 31 statt „karytischem Marmor" — „Karystischem Marmor" (nach Karystos auf Euboia benannt), S. 37 statt „Lichtschirmchen . . . (Kat.-Nr. 40)" — „Lichtschirmchen .. .(Kat.-Nr.92)",S.38statt„1934warLenne"-„1834warLenne",S.164,Anm.9 174
Abb. 7: Johannes Sievers (1880-1969), der Verfasser der „Prinzenbände". Aufnahme um 1930.
statt „Berlin 1972" - „Berlin 1971", S. 187 statt „Schädlingsbefahl" - „Schädlingsbefall", S. 217 statt „1950 malte er das Pferd Agathon" - „1850 malte er das Pferd Agathon", S. 237 statt „Linde" - „Buche", S. 260 statt „im Hamburg" - „in Hamburg", S. 319 im Text zu Kat.-Nr. 32 statt „Schinkel bediente sich vermutlich das Vorbildes" - „Schinkel bediente sich vermutlich des Vorbildes", S.376 in der Literaturangabe derKat.-Nr. 153 statt „Rumpf 1917, S. 153" - „Rumpf 1917, S. 62", S. 544 im Text zu Kat.-Nr. 625 statt „Hilt beschreibt" - „Hiltl beschreibt" heißen. Ferner fehlen auf S. 563 folgende Katalognummern: 114, 331, 350, 409-414, 416-434, 437, 440, 452, 462-472, 474/475, 477-480, 483, 485-491, 493-496, 499/500, 502/503, 505-507b, 509/510, 512-521, 523-554, 556-565 und 649. Falls die Angabe von Harri Günther: Peter Joseph Lenne. Berlin (Ost) 1985, S. 112: „Als Villa Alexander blieb sie bis zum Brand 1982 erhalten." zutrifft, muß Seilers Angabe im Text zu Kat.-Nr. 303: „Nach einem Brand 1981 . . ."entsprechend korrigiert werden. Der Bildhauer Simoni schuf zwar 1832eine unbekleidete Büste des Prinzen Carl, jedoch stammt die in der Ausstellung gezeigte, auf der Ruckseite signierte („Simoni 1835"), eindeutig aus dem Jahre 1835. Von dieser Büste berichtet BörschSupan in: M. Sperlich/H. Börsch-Supan (Hrsg.): Schloß Charlottenburg Berlin Preußen. Festschrift für Margarete Kühn. München 1975, S. 99, Text zu Nr. 153, sie sei „1968 erworben als Geschenk von Baron Cerrini". Im Glienicker Ausstellungskatalog heißt es hingegen im Text zu Nr. 419: „Stiftung Cerrini 1981". So ist man fast geneigt, die Existenz von zwei Büsten anzunehmen. Es handelt sich aber um ein und dieselbe, nämlich die mit der Signatur „Simoni 1835". 175
36 So Martin Sperlich: Schinkel als Gärtner, in: Festreden Schinkel zu Ehren 1846-1980. Berlin (West) 1981, S. 384. 37 Tilo Eggeling: Ludwig Persius als Architekt der Potsdamer Landschaft, in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S. 57, 78. 38 Leipziger Illustrirte Zeitung Nr. 154 vom 13. Juni 1846, S. 383. Vgl. ferner Beschreibung von Sanssouci, dem Neuen Palais und Charlottenhof mit Umgebungen, auch aller übrigen Königlichen und Prinzlichen Schlösser, Gärten und Anlagen in und bei Potsdam. Potsdam 1850, S. 88. — Ludwig Rellstab: Berlin und seine nächsten Umgebungen in malerischen Originalansichten. Darmstadt 1854, S. 375. - Klaus Konrad Weber: Die „belebende Idee" des Glienicker Parkes, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 15 (1964), S.52mit Anm.3. Seilers Äußerungen (Schloß Glienicke, wie Anm. 5, S. 154) zu Webers Aufsatz ändern nichts an der Richtigkeit der Grundaussage Webers, mag dessen „Programm"-Vorstellung der Glienicker Parkkonzeption auch noch so „trivial" (Seiler) gewesen sein. 39 Nehls: Paralipomena — Glienicker Antiquitäten aus dem Kunsthandel, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2 (1987), S. 497. Allein die üppige Vegetation, die Mannfelds Radierung deutlich wiedergibt, empfiehlt eine Spätdatierung. 40 So Andreas Bernhard in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), im Text zu Kat.-Nr. 153. Ferner muß es dort statt „Rumpf 1917, S. 153" richtig „Rumpf 1917, S. 62" lauten. 41 Rumpf (wie Anm. 16), S. 62. 42 Rumpf (wie Anm. 16), S. 60. 43 So Jürgen Julier: Das Schloß, in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S. 23. Als „Bronzetafel" angesprochen in: Marie-Louise Plessen/Daniel Spoerri: Le musee sentimental de Prasse. Aus großer Zeit! Ausstellungskatalog Berlin (West) 1981, S.372. Zu diesen Schiefertäfelchen vgl. Nehls (wie Anm. 1),S. 12, 33, Anm. 40. 44 Dazu Nehls (wie Anm. 1),S. 12 mit Abb. 17/18auf S.64f.,S.15mit Abb.33auf S.76,S.14,41, Anm. 133 und S. 75, Abb. 32. 45 Jürgen Julier: Zum Gedenken an Friedrich Baron Cerrini de Montevarchi Potsdam 1895—Imlau 1985, in: Schloß Glienicke (wie Anm. 5), S.7. Beigesetzt wurde Cerrini auf dem Friedhof in Lugano-Castagnola, bei seinem einstigen Dienstherrn, Prinz Friedrich Leopold von Preußen (1895—1959). Das Pseudonym bzw. den Adoptivnamen „Cerrini/Cerrini de Monte Varchi" entlehnte er dem alten florentinischen Adelsgeschlecht Cerrini di Monte Varchi, vgl. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 4. Leipzig 1876, S. 90 (Flame). 46 Gröschel (wie Anm. 9), S. 243.
Abbildungsnachweis Titelblatt: Zweiter Jahres-Bericht (wie Anm. 7), Titelvignette. Abb. 1: Aufnahme des Verf., 1985. Abb. 2: Mittheilungendes Vereins für die Geschichte Potsdams3 (1883), Vortitelblatt mit aufgezogenem Foto. Abb. 3 und 4: Aufnahmen des Verf. vom 5. Oktober 1987. Abb. 5: Fotothek des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Berlin-Charlottenburg (Neg.-Nr. 11250). Abb. 6: Plessen/Spoerri (wie Anm. 43), S. 373 Abb. Abb. 7: Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild. Bd. 2. Berlin 1931, S. 1783. Anschrift des Verfassers: Harry Nehls M.A., Schloßstraße 2H, 1000 Berlin 19
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Urteile über Berlin und die Berliner In den Jahren 1938 bis 1943 sind in den „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins", damals „Zeitschrift" genannt, insgesamt zwanzig „Urteile über Berlin und die Berliner" erschienen, zumeist aus der Feder von Felix Hasselberg und Dr. Hermann Kügler. In loser Folge sollen auch jetzt wieder weniger bekannte und an verstreut erscheinenden Stellen abgedruckte Bemerkungen über unsere Stadt und ihre Einwohner erscheinen. Hier wird mit Aufzeichnungen der Anfang gemacht, die der damals fünfundzwanzigjährige englische Arzt Dr. Henry Reeve (1780-1814) im Winter 1806 in sein nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Reisejournal eintrug. Es behandelt eine Reise von Wien über Dresden nach Berlin. Der Text wurde von Henning Schlüter ins Deutsche übertragen, bearbeitet und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Mitgeteilt von Dr. H. G. Schultze-Berndt. Mittwoch, den 19. Februar. Bis Berlin gilt es, nicht weniger als elf Poststationen zu passieren! Je weiter ich mich von Dresden entfernte, um so jämmerlicher wurden die Straßen und Gasthöfe. Jenseits der sächsischen Grenze versank die Kutsche immer wieder in tiefem Sand. In den preußischen Dörfern zeigte sich nur selten eine menschliche Seele. Hie und da huscht ein ausgemergeltes Weiblein oder ein dürres Kind über die Dorfstraße. Die Männer scheinen ausnahmslos zum Dienst in der Armee gepreßt zu sein. Als wir uns Berlin näherten, wurden die Sandwege immer ärger. Fast hätte man meinen können, ringsum sei Urwald, und es ginge einem darin verborgenen indianischen Wigwam entgegen! Um so größer war mein Erstaunen, als wir durchs Tor rollten und nun im Trab auf einer breiten, wohlgepflegten Straße fuhren. Berlin entzückte mich auf den ersten Blick. Besonders schön, daß alle großen Bauwerke ganz für sich allein stehen. Freilich vermißte ich, wie schon draußen am Tore, den geschäftigen Trubel einer Metropole. Verglichen mit Wien, Dresden oder gar London, rollten nur herzlich wenige Fuhrwerke an uns vorüber. Gleich am ersten Abend ging ich ins Theater, wo man eine Art Märchenoper gab. Als die königliche Familie ihre Loge betrat, gab es keinerlei ehrerbietige Begrüßung seitens des Publikums. Niemand schien von der Anwesenheit des Landesherrn und seiner Gemahlin sonderliche Notiz zu nehmen. Welch eine Schönheit ist übrigens die anmutige, jugendfrische Königin Luise von Preußen! Man sieht ihr wahrhaftig nicht an, daß sie schon achtmal niedergekommen ist. Freitag, den 28. Februar. Gleich in der Frühe führte mich der berühmte Dr. Hufeland zu dem Hospital „La Maison de Charite", wo unter einem Dach die mannigfaltigsten Gebrechen kuriert werden. Leider kann ich über die Reinlichkeit der Krankenstuben nichts Gutes notieren. Es sind schmale, düstere Gelasse, in denen allzu viele Betten aufgestellt sind. Und keines ist mit einem Vorhang vom nächsten getrennt! Dienstag, den 4. März. Trotz Schnee- und Hagelschauern stapfte ich zur Königlich Preußischen Porzellamanufaktur und betrachtete dort allerlei hübsche Dinge, deren handwerkliche Akkuratesse staunenswert ist. Allerdings fordert man gesalzene Preise für all diese Figuren, Tassen und Vasen! So kostet eine Kakaotasse nebst Untersatz, beides dekoriert mit dem Porträt der Königin Luise, nicht weniger als 45 Taler. Ich sah auch ein Service für die königliche Tafel, das dieser Tage von der Staatsschatulle für 15 000 Taler erworben wurde. Auf einer 177
Abendgesellschaft beim Professor Hufeland fand ich eine elegant gekleidete Schar von Menschen jeglicher Provenienz vor. Ordensgeschmückte Hofbeamte und Offiziere, Poeten, Philosophen und sogar einige wohlrenommierte Komödianten wandelten schwatzend, trinkend und schmausend durch sechs hell beleuchtete Stuben. Donnerstag, den 13. März. Ich machte Herrn Humboldt meine Aufwartung. Dieser dreißigjährige, ganz unaffektierte und quicklebendige Mann beherrscht fünf Sprachen und ist ein Individuum von großen Gaben. In der hohen Einschätzung seiner Fähigkeiten als Mineraloge, Chemiker und Naturforscher sind sich alle Kapazitäten einig. Was ihn vor den Fachgelehrten so auszeichnet, ist seine süperbe Sprachbegabung und die reiche literarische Bildung. Herr Humboldt, der mir lange von seinen aus eigener Tasche bezahlten Forschungsreisen nach Peru und Mexiko erzählte, ist gebürtiger Berliner. Das Königreich Preußen kann sich eines solch urbanen Geistes mit Recht rühmen! Sonntag, den 15. März. Bei einem Benefizkonzert hörte ich den Kastraten Tombolini eine Arie von Cimarosa singen. Der arme Teufel besitzt zwar eine göttliche Stimme, aber der Anblick dieses um der Kunst willen aller Männlichkeit beraubten Individuums stimmt so betrüblich, daß ich die Augen schließen mußte, um mich des glockenhellen Gesangs recht erfreuen zu können. Hinterdrein spielte ein vierzehnjähriger Knabe namens Meyerbeer ein Klavierkonzert von Mozart und erntete dafür Beifallsstürme. Die gesamte königliche Familie, alle Gesandten und der in Berlin ansässige preußische Adel wohnten der Veranstaltung bei. Sonntag, den 22. März. Um 12 Uhr mittags ging ich zu einem Kolleg des Herrn Fichte über die neue, so lauthals gepriesene Transzendentalphilosophie. Dieser Professor, ein Schüler Kants, gilt hier als der allertiefste Denker. Während er den Sommer über in Erlangen lehrt, hält er zur Winterszeit hier alle Sonntage einen Vortrag, bei dem jedermann gegen einen Taler Entree Zutritt hat. Mit dem feierlichen Gestus, der einer umwälzenden Entdeckung zukommen mag, gab dieser kleine, zugeknöpfte Mensch ganz nebulöse Worte oder altbackene Gemeinplätze von sich. Wir waren unserer drei und zerbrachen uns den Kopf, um diesem krausen Kolleg einen plausiblen Sinn abzuringen. Immer wieder stellten wir uns die Frage, was wohl all die Zuhörer, darunter etliche gescheit aussehende Männer und sogar ein Dutzend Frauenspersonen, bewogen haben mochte, dieser konfusen Darlegungen zu lauschen.
Nachrichten Neuer Glockenstuhl auf dem Roten Rathaus Im Heft 4/88 der „Mitteilungen" hatten wir auf die Restaurierung des Roten Rathauses, vor allem des Turmes und seiner Uhr, hingewiesen. Ende November 1988 ist der neue, etwa 61 schwere Glokkenstuhl mit Hilfe eines Kranes auf den mehr als 70 m hohen Turm gehoben worden. Die beiden bronzenen Glocken stammen aus Apolda: Die Stundenglocke mit dem Ton D hat ein Gewicht von 1,71, die Viertelstundenglocke (Ton G) von 0,851. Die alten Stahlgußglocken sollen vor dem Märkischen Museum aufgestellt werden. Schließlich wurde auch noch der annähernd l i m hohe Fahnenmast auf dem Turm befestigt. SchB. 178
Aus dem Mitgliederkreis Studienfahrt nach Ulm (Donau) Die diesjährige Exkursion führt die Mitglieder vom 8. bis 11. September 1989, also vier Tage, an die Donau, wo unter Leitung des Schriftführers Dr. H. G. Schultze-Berndt in Ulm, um Ulm und um Ulm herum ein ansprechendes Programm vorbereitet worden ist. In der Stadt selbst sind eine Besichtigung des Münsters mit Orgelspiel, ein Blick in die Bauhütte des Ulmer Münsters und ein Spaziergang durch die Stadt vorgesehen, der auch eine Führung durch das Fischer- und Gerberviertel, die Besichtigung des Minnesängersaals im Ehinger Hof und der romanischen Reste im Steinhaus einschließt. Der übliche Ausflugtag führt nach Wiblingen zur Klosterkirche mit Bibliothek, nach Blaubeuren mit einer Führung durch die dortige Klosterkirche mit dem berühmten Hochaltar und der Besichtigung des Blautopfs, schließlich nach Oberelchingen zur Besichtigung der bis dahin restaurierten Klosterkirche mit einem Blick von der Napoleonshöhe. Ob sich auch noch Besuche der Klöster Roggenburg und Zwiefalten sowie der „berühmtesten Dorfkirche der Welt", Steinhausen, unterbringen lassen, müssen die weiteren Gespräche ergeben. Für die Führung in Ulm und in die Umgebung konnte Frau Ingeborg Bock, geb. Schlumberger, gewonnen werden, eine jener stadthistorisch, musikgeschichtlich und kunsthistorisch gleichermaßen beschlagenen Führerinnen, die mit dem Engagement für ihre Heimatstadt die Herzen der Besucher gewinnen. Eine genügende Zahl von Zimmern (vor allem Einzelzimmer) ist im Hotel Neuthor in Ulms Innenstadt für alle Fahrtteilnehmer schon gesichert worden. Auf der Hinfahrt wie auf der Rückreise werden an sehenswerten Stätten jeweils Pausen eingelegt. Das ausführliche Programm erscheint im Heft 3/89 der „Mitteilungen" im Juli. Wer vorab über den Fahrtverlauf und die Ausgestaltung der Exkursion unterrichtet werden möchte, kann sich unverbindlich jetzt schon anmelden beim Schriftführer Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. SchB.
Buchbesprechungen Bodo Rollka/Volker Spiess (Hrsg.): Berliner Laubenpieper — Kleingärten in der Großstadt. 120 Seiten, zahlreiche Fotos, Literaturverzeichnis und Übersicht über Berliner Kleingartensiedlungen, aufgeschlüsselt nach Bezirken. Haude & Spener, Berlin 1987. Das scheinbar nur vergnügliche Buch ist bedeutungsvoller, als es das leicht ironisch gebrauchte Wort „Laubenpieper" glauben macht: „Der Blick auf den Kleingarten und der Blick aus dem Kleingarten sind für die Beteiligten zwei Paar Schuhe", heißt es darin; zu ergänzen ist: es wird die ganze Palette eines spannungsreichen Themas ausgebreitet; sie umfaßt die Entwicklung von den „Armengärten" bis hin zur Frage der Lebensqualität und der Atemluft in der eingeschlossenen Stadt Berlin überhaupt. Wie das Buch die verschiedenen Aspekte von ihrem Entstehen in der frühen Industrialisierungszeit bis zu seiner konfliktreichen sozioökonomischen Brisanz entfaltete, ist es entstanden als ein Gemeinschaftswerk „im Rahmen eines Projektes .Berufspraxis im Verlagswesen' an der Technischen Universität Berlin". Das Impressum nennt eine Reihe von Mitarbeitern unter Leitung des Verlegers Volker Spiess und seines Mitarbeiters Bodo Rollka. Es bietet recht verschiedenartigen Begabungen und Darstellungsmöglichkeiten Spielraum. Der historische Leitfaden von den ersten Armengärten — nur halb zu Recht „Schrebergärten" genannt - bis zu den heutigen Kleingartenkolonien scheint am Anfang wie am Ende dieselbe Problemlage offenzulegen: die Bedrohung der städtischen Lebenswelt durch das Überwuchern der Industrie; aber die in Frage gestellte Menschlichkeit ist heute grundsätzlicher. Die Suche nach naturdurchdrungenem Lebensraum setzte nicht, wie allgemein angenommen wird, 179
mit der Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende ein, sondern ist als dunkle Abseite schon in die Lennesche Praxis und Philosophie der höfischen Landschaftsparke eingewoben; Armengärten sind die Kultur- und Erlebnisform des „kleinen Mannes", der die höfische Welt und später die bürgerliche, ausgeformt in den „Volksparken", ermöglichte. Von hier aus ergibt sich für die Berichterstatter eine kritische Distanz zu den Werbespots der „grünen Stadt", mit denen sich Berlin andernorts zu profilieren sucht. Ihr „Vorzeigecharakter" wird allseits hinterfragt; am Ende steht die Sympathie mit den engagierten Kämpfern der heutigen Kleingartennutzer gegen Flächennutzungspläne, welchen die Erwägungen des Senats als vom grünen Tisch her erscheinen lassen; dies ist die Perspektive „aus den Kleingärten hinaus". Es wird nicht nur das heute selbstverständlich gewordene und unbestrittene Unbehagen vor der betonierten Stadt artikuliert, sondern das Recht auf Selbstbehauptung begründet sich — im Interesse aller — aus einer kultur- und geistesgeschichtlichen Entwicklung, einer Lebensform, die das 19. Jahrhundert gezeitigt hat und die in den 80er Jahren des unseren sich als Überlebensfrage stellt. Aufkommen und Fortgang der Kleingartenbewegung werden markiert durch die Armengärten von 1833 und ihre sozialfürsorgerische Funktion der Selbsthilfe — die Ausformung einer Gesetzgebung und Ordnung für ihr Zusammenleben gegen Ende des 19. Jahrhunderts und in der Weimarer Republik — der Verfremdung in der NS-Zeit bis hin zur naturerhaltenden Bedeutung im Kampf gegen den rein zweckgebundenen Flächennutzungsplan (FNP). — Aus derselben Wurzel, aus der früher die Forderung nach Nachweis der „Würdigkeit und Bedürftigkeit" für soziale Hilfe entsprang, der Anpassung an das bürgerliche Wohnen, wuchsen auch die restriktiven Begleiterscheinungen; ja, sofern Wohnen im Grünen einem menschlichen Grundbedürfnis entspricht, wird sein Einordnen ins soziale und rechtliche Umfeld ein Politikum überhaupt. Der historische Überblick beginnt mit der Klarstellung, daß der Arzt Dr. Schreber aus Leipzig mit den nach ihn benannten Gärten weniger zu tun hatte, daß sein philanthropischer Ansatz zur Körperertüchtigung sich aber mit der Kleingartenbewegung verband. — Dem mit der Frage Unvertrauten erschien bisher die Errichtung von Armengärten als eine soziale Wohltat einfachhin; hier lernt er ihre unvermutet entstandenen Begleiterscheinungen kennen, so z. B. den Widersinn, daß sich aus der jugendfürsorgerischen Maßnahme gerade die sittliche Gefährdung Jugendlicher durch Alkoholmißbrauch und Streitsucht in „den Kolonien" entwickelte. Auch die Verbindung der Arbeiterbewegung und der karitativen Absicht des Roten Kreuzes und der Wohlfahrtsverbände lernt er hier konkreter sehen. Der Leser bekommt auch geschildert, wie die auf das Bauerwartungsland spekulierenden Generalpächter alles Erreichte zunichte zu machen schienen. Auf dem Feld der Kleingartenbewegung, organisiert in Reichsverbänden und Unterorganisationen, spiegelt sich das parteipolitische und ideologische Hin und Her der Weimarer Jahre und der Nazizeit. Die Kleingärtner gerieten in die Gigantomanie der Baupläne der Speer-Stadt „Germania"; Laubenpieper wurden totalitär und lebensbedrohlich beherrscht. Was die Nazis nicht einkalkulierten: Laubenkolonien wurden zu Orten des Widerstandes und der Verstecke für die Verfolgten. Noch immer offen ist aber der Kampf, den die Eigner bzw. Nutzer der Kleingärten um die Erhaltung ihres Grüns und ihrer individuellen Lebensform gegen die kommunalpolitisch betriebene Baulenkung, niedergelegt im FNP, führen. Seit Lautwerden der Ökobewegung ist der Kampf um die Bewahrung dieses Lebensraums — für alle — umfassender und tiefgreifender geworden. Die Verff. mißtrauen dem statistischen Material und den bürokratischen Argumenten. Sie artikulieren die „Kleingartenkultur" als eine menschliche Grundform, die zu bewahren sei. Sie führen als literarische Zeugen Fallada, Erich Mühsam, Kästner und Ciaire Waldoff an, natürlich auch Vater Zille; ferner ist ein Exkurs über die Gartenstadtbewegung eingebunden; ihr liegen ähnlich strukturierte Denkmodelle zugrunde; in beiden findet der Mensch in der Großstadt seinen „gesellschaftlichen Ort". Neben anderen amüsanten Streiflichtern sei auf das Bildmaterial verwiesen. Die Fotos erzielen mit verschiedenen Mitteln reizvolle, stets kontrastreiche Wirkungen; es sind vielfach Details aus ungewöhnlicher Perspektive. Das Unaufgeräumte, Unaufgeputzte, oft Kitschige, vielfach aber Romantische überwiegt; es ist das losgelöste Nur-für-sich-selbst-Dasein. Die Mitarbeiter haben da ihre Lust am Skurrilen und Hintergründigen eingebracht — bis hin zum Herausfordernden des Umschlagbildes. Es ist ein wenig Nostalgie darin, aber auch die Frage nach einem erneuten Miteinander und Füreinander der Generationen. Die Bilder legen mehr als jede Polemik das beiseite geschobene Recht der Älteren dar und machen einsichtig, daß stadtgestalterische Reglementierung gefährlicher sein kann als die „Ordnungen" des 19. Jahrhunderts. Christiane Knop 180
Christian Velder: „300 Jahre Französisches Gymnasium Berlin. 300 ans au College Francsiis". 664 Seiten, 107 jeweils zeitgenössische Porträts, Quellen- und Literaturverzeichnis, Literaturangaben über wissenschaftliche oder publizistische Veröffentlichungen der geschilderten Lehrer und ehemaligen Schüler, Register. Nicolai Verlag, Berlin 1989. Französische Übersetzung und Kurzfassung der Lebensläufe von Dominique und Serge Vanhove. Der Nicolai Verlag legt zum 300. Jahrestag der Gründung des College Francais/Französisches Gymnasium ein nach Stoff und Gehalt gewichtiges Buch vor, das auf jeder Seite hohe Lesefreuden weckt und dem Leser Respekt vor der profunden Quellenarbeit des Autors abnötigt sowie vor seiner überaus bedachten Kraft der Darstellung; ebenso aber auch für die Bedeutung einer solchen Institution, deren Geschichte Verf. aus dem Zugehörigkeitsgefühl zu „den Collegianern" in der Sprache der modernen Schule entfaltet. So, wie die Geschichte eines Hauses die seiner Bewohner ist, umschreibt die einer Schule die seiner Lehrer und Schüler, seiner Gründungsväter, Förderer und Absolventen von Ruf. Verf. konzipiert sie als Personengeschichte in Einzelporträts; daraus entsteht ein lebensvolles, farbiges Bild voll Tiefenschärfe, ein überaus reich facettiertes Spektrum, darin jede Epoche und jede große Persönlichkeit eine besondere Nuance bildet, die neue geistige Aspekte auftut. Als aufgesetztes Glanzlicht erscheint die Tradition der ehrwürdigen Hugenottenschule. Daß die schlichte Frömmigkeit und gediegene Lebenshaltung, der geistige Mut der Hugenotten und ihre Weltweite in drei Jahrhunderten zum alles durchdringenden Prinzip geworden sind, erfüllt Verf. mit dankbarer Freude. Er führt die Segensformel an, die allen Abiturienten auf ihrem Abgangszeugnis mitgegeben worden ist: «Je prie Dieu, qu'il vous ait en sa sainte garde I» — So kann es nicht verwundern, daß die Stiftung Preußische Seehandlung, die Botschaft der Französischen Republik und Seine Kaiserlichen Hoheit Dr. Louis Ferdinand Prinz von Preußen die Herstellung eines so kostbaren Buches gefördert haben, weil ihre eigensten Interessen darin berührt sind. Welche Berliner Schule, so ehrwürdig ihr Ruf auch ist, kann auf fundamentale Quellen aus Staatsarchiven in Ost undWest (Preußischer Kulturbesitz und Staatsarchiv der DDR in Merseburg), eingeschlossen persönliche Briefe der Hohenzollernkönige, und auf eine so außergewöhnliche kostbare, einzigartige Schulbibliothek zurückgreifen? Es muß ein jahrelanges Sichten vorangegangen sein, sie zu verarbeiten. Nicht weniger mühevoll ist das Profilieren des reichen Stoffes gewesen; es folgt den Gründern und Wiedergründern, Bewahrern und Reformern bis hin zur Fusion zweier frankophoner Schulen „unter einem Dach" zu einer Anstalt. Verf. berichtet von der Schwierigkeit der Auswahl: von den mehr als 2000 Namen in Jahresberichten und Abiturregistern habe er die ausgewählt, die durch Porträts „öffentlich" geworden sind. Die Auswahl hätte auch anders getroffen werden können, ein anderes Bild von der geistigen Entwicklung und den besonderen Aspekten hätte sich wohl kaum ergeben. Für jeden Chronisten ist es reizvoll, die „Männer der ersten Stunde" zu charakterisieren; in nobler Weise ehrt Verf. aber auch das Andenken derer, denen als Kriegsopfer beider Weltkriege ihre spätere Entfaltung versagt war; er berichtet über das immer stärker werdende jüdische Element in dieser bildungsoffenen, liberalen Welt, nennt auch taktvoll, soweit er dies verantworten kann, diejenigen Lehrer, die sich dem Zugriff der braunen Herren nicht entzogen haben; groß ist ihre Zahl infolge der lebendig und kräftig gelebten Toleranz nicht gewesen. - Durch das erzählerische Vorgehen, die geschilderte Persönlichkeit, oft Lehrer und Schüler in eins, mit einer attributivischen Kennzeichnung zu versehen, ist bei völliger Individualität die erstrebte Gleichartigkeit durch eine prägende Institution erzielt worden. (Der deutschen Porträtschilderung ist jeweils ein französischer Lebensabriß beigegeben worden.) Schulgeschichte als Geschichte markanter Persönlichkeiten - das involviert gleicherweise bündige Aussagen über die Wechselwirkung von Lehrern auf Schüler und der wiederum daraus hervorgehenden Absolventen auf Wissen und Gesellschaft ihrer Zeit, ferner Interdependenz des historischen Umfelds in Gestalt von Eltern und Lehrern auf die Schule bzw. die Schulaufsicht: das war lange Zeit der Conseil academique. Gerade die Darstellung des gegenseitigen Gebens und Nehmens einer so stark sich ausweitenden Institution macht eine der genannten Lesefreuden aus. - Die Geschichte des College erfolgt in enger Anlehnung an die Geschicke der französischen Kolonie und Gemeinde, wie sie für den brandenburgischen Staat und seine Herrscher und den preußischen Adel, später auch das liberale Bürgertum zum Bildungsfaktor wurde, der über das französische Element in die Weite europäischer Geistigkeit führte. Es entstand eine bis heute einzigartige pädagogische Provinz, in der jüdische Liberalität ebenso zu Hause war wie adliges oder nationales bürgerliches Denken. Das College hat das vom Großen Kurfürsten Empfangene - Staatstreue und aufgeklärtes Staatsbewußtsein - mit Zins zurückgegeben, es 181
wurde zu einer Stätte, in welcher sich honorige Standfestigkeit und Glanz und Elend der Weimarer Jahre behaupteten und noch im Dunkel der NS-Zeit die Hoffnung aufrecht hielten. Es war, wie Karl Voß es verstand, ein Weg von der Geborgenheit zur weltweiten Reputation. Seine Markierungen werden unter anderem durch Namen wie Charles Antillen, Kurt Levinstein, Karl Voß und Paul Hartig bezeichnet. Und es ist sicherlich kein Zufall, daß der Vertrag, der die Fusion des Französischen Gymnasiums mit der Französischen Schule in Berlin-Frohnau regelte, zum Modell für spätere deutsch-französische Verbindungen wurde. Diese Dinge leben im Bewußtsein der Berliner, sind aber nicht so konkret präsent. Wer hier inhaltliche Einzelheiten berichten will, gerät wieder in Auswahlschwierigkeiten und die Gefahr subjektiver Wertung, was vermieden werden soll. — Die erste Lehrergeneration, den städtischen Bildungsbedürfnissen der Refugies entsprechend, kam an die Schule, als sie nur drei Jahre zuvor gegründet worden war; die Männer waren in der Jahrhundertmitte geboren. Ihre Bildung war geprägt von dem frühaufklärerischen Staatsdenken der Niederländer mit seinem Natur- und Widerstandsrecht; sie brachten andererseits dem Staatswesen Ludwigs XIV. hohe Achtung entgegen und wurden durch diese Spannung fruchtbar, die sie an den Hof des Großen Kurfürsten übertrugen. Sie brachten moderne Naturwissenschaften und eine emanzipierte Pädagogik mit. Und da sie als Lehrer zugleich hervorragende Gelehrte und geniale Übersetzer waren, wurden sie infolge ihrer höfischen französischen Geschliffenheit auch für die preußischen Thronfolger als Prinzenerzieher interessant. Sie bereiteten das Zeitalter Friedrichs des Großen, die geistige Luft für Gründung und Aufstieg der Akademie der Wissenschaften in Berlin vor, aus der später Diplomaten hervorgingen, die z. B. mit Napoleon wichtige Verträge aushandelten. In dem Maße, in dem sich Brandenburg-Preußen als moderner absolutistischer Staat stabilisierte, wurde das Französische Gymnasium als Bildungsstätte seiner Staatsdiener verlockend. Die zweite Generation ist die der Söhne der Flüchtlinge, verkörperte schon einen neuen Zeitgeist und stellte ihr Bildungskonzept aus eigener Kraft auf; es fällt auf, wie früh sie bereits ihr Studium abgeschlossen haben und zu hoher Geltung gelangt sind. Als einige Beispiele für die Frühvollendeten mögen gelten J. P. Erman, der mit 19 Jahren sein Theologiestudium absolviert hatte, oder Formey, der mit 20 Jahren ein Philosophieprofessor von internationaler Geltung war, oder Graefe, der mit 15 Jahren sein Abitur machte und erst konfirmiert werden mußte, ehe man ihn immatrikulierte; er wurde mit 24 Jahren habilitiert. — Die Eigenart der Schule als Bildungsstätte für Preußens Staatsdiener erklärt ihre Staatsgebundenheit bis in die Moderne; sie stand aber souverän im Spannungsfeld zwischen staatstragenden Ideen und liberaler Geistigkeit. Als der Philosoph von Sanssouci diese Männer in seinen Dienst nahm, leiteten sie über in die Zeit Mendelssohns und Nicolais, befruchteten sie die Berliner Geschichtsschreibung und belebten durch ihre Übersetzungskunst die Aneignung der Antike, vor allem der griechischen und hebräischen; sie übereigneten dem Gymnasium ihre Kunstund Büchersammlungen; es entstanden aus ihrem Kreis Standardwerke der philosophischen und theologischen Methodik. Sie waren überall die Anreger und Vordenker, ersten Praktiker und griffen von einem Wissenschaftsgebiet auf das andere über und entfalten die Palette der Moderne: sie adaptierten das Strafrecht, die Musik, die Mathematik, Orientalistik, Anglistik und Romanistik; Prof. Graefe machte die Charite zum Zentrum der Ophthalmologie; sie entwickelten die Biochemie, das Bank- und Wirtschaftswesen, die Kunst der Statistik, die Pathologie und Ägyptologie, kritische Publizistik und moderne Literaturwissenschaft, Soziologie und Politologie. Seit sie auf Mendelssohn und seinen Kreis so große Anziehungskraft ausübten, wurden sie für das jüdische Bildungsbürgertum ein „Integrationsinstitut", das seine Bewährungsprobe in der dunklen Zeit des Antisemitismus bestand, so, wie es dem antifranzösischen Chauvinismus des 19. Jahrhunderts widerstand. Die dritte Generation hat den Boden für die Gründung der Berliner Universität vorbereitet, die sich ausformende Germanistik, Anglistik und Altertumskunde gefördert. Auf ihr beruht der Geist der preußischen Städteordnung Steins. Überall sind die Lebensläufe aufschlußreich, ob die von Erich Mühsam, Adelbert von Chamisso, den Ermans und Reclams, Charles Ancillon oder Ernst Heilborn, Tucholsky oder Lindeborn oder die der Hochschullehrer, Künstler und Publizisten nach dem Zweiten Weltkrieg: Michael Erbe, Dieter Ciaessens z. B. oder Gesine Schwan, mit der die Frauengeneration „zum Zuge kommt", überall tut sich für den Leser Interessantes auf. Betroffen liest er, wie stark der jüdische Anteil war und wie schmerzlich der Aderlaß. Doch heißt es: „Gerade der Exodus (in die Emigration) brachte die Verwirklichung übernationaler Toleranz als Frucht hervor; eine Fackel wurde entzündet, die von dort in 182
das besiegte und gedemütigte Deutschland zurückgebracht wurde." So hat das College eine vielfältige Schülerschaft in vielfältiger Facettierung entlassen. Es schlagen sich aber auch Grunderlebnisse und Lebenswerte nieder, die die Kriegs- und Nachkriegsgeneration bestimmt haben, die Heimholung von Kriegsgefangenen z. B. oder Anstöße an das Völkerrecht oder die Menschenrechte, Zusammenarbeit mit internationalen Jugendverbänden, Rechtsund Wirtschaftsgutachten für die Politiker in Deutschland, Frankreich oder der Europäischen Gemeinschaft; einer hat die letzte Botschaft des Feldmarschalls Paulus aus dem Kessel von Stalingrad herausgebracht, einer war der erste Prediger an der Ruine des Französischen Doms, wo er dem zögernden Neubeginn des Colleges die erste Heimstatt bot; unter dem Appell „Jugend forscht" trat eine neue Schülergeneration an. So wurde der Boden bereitet, daß in dem beruhigten europäischen Klima das Französische Gymnasium Besuche der Staatsmänner Bidault, Spaak und Mitterand empfangen konnte, wobei auch Richard von Weizsäcker dem Geleisteten seinen Respekt erwies; das geschah in der Ära Voß. Ein eigenes Kapitel wäre dem Thema Stiftungen und den vielen Auszeichnungen und Ehrungen zu widmen. Hier werden die Rückwirkungen auf Bildungskonzeption und Praxis sichtbar, ein weiteres Beispiel dafür, wie gut man mit dem Pfunde zu wuchern verstand. Im Rückblick zeigt sich, wie sehr das 20. Jahrhundert als ein Scherbenhaufen des deutsch-französischen Verhältnisses begann; als Beispiel gelte das Scheitern der Staatsmänner Stresemann und Briand. Um so höher ist das Verdienst der hier geleisteten Bildungsarbeit zu erachten, die zukunftsfreudig auf das 21. Jahrhundert vorausblickt; möge es gekennzeichnet sein mit dem Statement Hartmut von Hentigs: „Das wird unser Treffpunkt sein: die Freiheit, die unsere Lehrer uns ließen, die gemeinsame Arbeit auch an Dingen, die außerhalb des eigentlichen Schulbetriebs lagen, und das gemeinsame Schicksal, dem wir jetzt entgegengehen." Christiane Knop Paul und Gisela Habermann: Fürstin von Liegnitz. Ein Leben im Schatten der Königin Luise. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, 190 Seiten, Leinen, gebunden, Berlin 1988. Wer war diese Frau, die ein Leben im Schatten der Königin Luise führte und von heutigen Zeitgenossen nicht selten mit der Gräfin Lichtenau, der Geliebten Friedrich Wilhelms IL, verwechselt wird? Es war die zweite Gemahlin Friedrich Wilhelms III., der sie vierzehn Jahre nach dem Tod der Königin Luise in morganatischer Ehe, also zur „linken Hand", geehelicht hatte. Derartige Ehen schlössen Frau und Kinder von Standesvorrechten und von der Erbfolge aus. Anhand der Schilderungen von Zeitgenossen und einigen Briefen der Fürstin an ihre Kusinen und Jugendfreundinnen (die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt werden) gelingt es den Verfassern, ein recht plastisches und farbenfrohes Bild des Lebens am preußischen Hofe in Berlin zu zeichnen. Friedrich Wilhelm III. suchte nach dem Tod der Königin Luise und dem Wegzug der Töchter nach deren Verheiratung eine neue Lebensgefährtin — genau besehen aber eine „Tochter". Er fand sie in der dreißig Jahre jüngeren, nicht standesgemäßen, aus Böhmen stammenden Gräfin Auguste Harrach. Die Trauung fand am 9. November 1824 in der Schloßkapelle Charlottenburg statt. Die Gräfin erhielt Rang und Titel einer Fürstin von Liegnitz und Gräfin von Hohenzollern. Doch in der Rangfolge stand sie hinter allen preußischen Prinzessinnen an letzter Stelle. Der König hatte es unterlassen, seiner Frau eine Stellung zu geben, die ihr das Leben in der strengen höfischen Ordnung erleichtert hätte. Innerhalb der königlichen Familie hatte sie einen schweren Stand. Man nahm keinerlei Notiz von ihr, und dies war so auffallend, daß sogar diplomatische Berichte davon erfüllt waren. Bezeichnend vielleicht auch ein Schreiben des Großfürsten Nikolaus an seinen Bruder Alexander, den Zaren von Rußland: „ . . . daß sie gut ist, sehr einfach, bescheiden, aber ganz unbedeutend. Ihr Hauptverdienst in meinen Augen ist, daß sie niemanden stört, und das will in einem Familienkreise, wie der unsrige hier ist, viel sagen. Niemand bemerkt, daß sie nicht schon früher da war." Doch scheint die Fürstin selbst von großer Liebenswürdigkeit gewesen zu sein, voll Takt und Bescheidenheit. Caroline von Rochow meint teilnehmend: „So geht sie ihren harten Weg, ohne rechts und links zu blicken, und eben weil sie den Verwicklungen ihrer Lage eine so große Einfachheit und Ruhe entgegensetzt, gelingt es ihr hindurchzukommen, ohne anderen Anstoß zu geben, ohne sich selbst zu verletzen." Doch an der Seite des Königs scheint sie glücklich gewesen zu sein. Auch liegen keinerlei Anzeichen dafür vor (Briefe, Äußerungen), daß sie die ihr zugedachte Tochterrolle nicht mit wirklich innerem Einverständnis übernommen hat. Sie ist dem König eine gute Gefährtin, aufopferungsvolle Krankenpflegerin und Begleiterin zu Bällen, Opern, Reisen und sonstigen Vergnügungen gewesen, 183
und sie hat in sechzehn Ehejahren ihre Lebensaufgabe getreulich erfüllt. Um dreiunddreißig Jahre überlebte sie den König. Nach mühseligen Auseinandersetzungen um ihre Witwenpension verweilte sie viel auf Reisen im Ausland und war nur noch selten in Berlin zu sehen. Die letzten Jahre verbrachte sie auf ihrem Anwesen am Genfer See; sie starb dreiundsiebzigjährig und wurde im Mausoleum im Park des Charlottenburger Schlosses beigesetzt. Das Buch ist mit Illustrationen, Stammtafeln, Chroniken und bibliographischen Hinweisen gut ausgestattet; zweimal fielen der Rezensentin Ungenauigkeiten auf. So wird im Text die Gemahlin von Prinz Wilhelm (Bruder Friedrich Wilhelms III.) stets Marianne genannt, statt Marie Anna, und auf Seite 123 das Schloß Niederschönhausen „Sommersitz der Königin Elisabeth Christine" (Frau Friedrichs IL). Es war doch wohl eher ein Verbannungsort. Für den Leser, der keine geschichtlichen Zusammenhänge erwartet, gibt das Buch durchaus interessante Einblicke in das Berliner Hofleben um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Irmtraut Köhler 150 Jahre Bote & Bock. Musikverlag und Musikalienhandlung in Berlin 1838—1988. Den Freunden des Hauses gewidmet zum hundertfünfzigjährigen Bestehen der Firma Bote & Bock Musikverlag und Musikalienhandlung. Broschiert, 80 Seiten, Bote & Bock, Berlin 1988. 150 Jahre Bote & Bock — das sind zugleich anderthalb Jahrhunderte Berlinhistorie und Geschichte des Musiklebens und des Urheberrechts wie der Verwertung musikalischer Aufführungsrechte. Statt einer Darstellung des Werdens dieses bedeutenden Musikverlages, die sich an gleicher Stelle gut ausnehmen würde, sei hier die kleine Jubiläumsschrift besprochen, deren wesentlicher Beitrag von Harald Kunz, seit 1955 für Bote & Bock tätig, geleistet wird. Was Bote & Bock heraushebt, ist die Tatsache, daß seit 1838 fünf Generationen einer Familie Kapitaleignerund Geschäftsführer sind und die Tradition einer engen Verbindung von Musikverlag und Musikalienhandel ununterbrochen erhalten geblieben ist. Die Persönlichkeit des Gründers Gustav Bock (1813—1863), seines Bruders Emil (1816-1871) und seines Sohnes Hugo (1848-1932) haben das Profil des Unternehmens im ersten Jahrhundert geprägt, nicht minder seine Enkel Gustav (1882—1953) und Anton (1884—1945), seine Urenkel Kurt Radecke (1901—1966) und Dieter Langheld (geboren 1911) sowie schließlich seine Ururenkel Hans-Jürgen Radecke (geboren 1932) und Wolfgang Langheld (geboren 1941), die heute die Geschäfte des Hauses führen. Gründung, Entwicklung und Aufstieg werden beleuchtet, auch die dreißiger Jahre kritisch betrachtet und das vermeintlich absehbare Ende geschildert, als die Geschäftshäuser des Verlages beim Bombenangriff vom 23V24. November 1943 zerstört wurden, der Vorsitzer des Aufsichtsrats mitteilte, das Berliner Geschäft sei nunmehr zum Erliegen gekommen, nachdem es von Kurt Radecke fünfmal wieder aufgebaut worden war, und nachdem überdies auch noch die in das Gut Woxfelde bei Küstrin verbrachten Bestände und Dokumente von sowjetischen Truppen mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden waren. Aber schon Ende Juni 1945 konnte in der Bülowstraße die Musikalienhandlung in 1944 neu erworbenen Räumen eröffnet werden, die nun seit drei Jahrzehnten in der Hardenbergstraße 9 a ihren Sitz hat. Immer ist der Verlag ein aktiver Förderer zeitgenössischer Musik gewesen, vor allem Berliner Autoren. So nimmt es nicht wunder, daß der Verlag Bote & Bock die Gelegenheit seines Jubiläums nutzte, um am 11. Dezember 1988 in der Philharmonie, in deren Kammermusiksaal sowie in der KaiserFriedrich-Gedächtniskirche vornehmlich zeitgenössische Musik seiner Verlagsproduktion vorzustellen, mit niemand Geringerem als u. a. den Berliner Philharmonikern unter Lorin Maazel. Werner Bollert, in diesen „Mitteilungen" bereits häufiger vertreten, geht auf die Verlagsgeschichte „nach der Stunde Null" von 1945 bis 1988 ein und würdigt Boris Blacher, den Hauptautor und künstlerischen Berater des Verlages. Er stellt auch die wohl in jeder Generation neu aufzuwerfende Frage, was aus den zahlreichen Neuschöpfungen werde, die der mutige Verleger Jahr für Jahr an die Öffentlichkeit bringt. Erich Schulze, Generaldirektor der GEMA, schildert Bote & Bocks Beitrag zur Entwicklung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften und zitiert dabei Goethes Meinung zu unerlaubten Nachdrucken : „Wer keinen Geist hat, glaubt nicht an Geister und somit auch nicht an geistiges Eigentum." Artur Sawady, bis zu seiner Auswanderung nach Palästina 1934 Lehrling und später Angestellter bei Bote & Bock, steuert Erinnerungen aus den Jahren 1929 bis 1933 bei. Horst Riedel schließlich äußert sich unter dem Motto „Kollegialität, nicht Konkurrenz" zur Partnerschaft im Musikalienhandel. Hans Werner Henze ist beizupflichten, wenn er in seinem Grußwort betont, wie viel ärmer die Musikstadt Berlin ohne den Nukleus Bote & Bock wäre, jenes Zusammenspiel verlegerischer Arbeit und 184
musikhändlerischen Wirkens. Auch der Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, teilt den Wunsch, sein Mitglied, das Haus Bote & Bock, möge sich ungestörten Wachstums erfreuen und in aller Ruhe und Behutsamkeit seine Bahn für lange Zeit fortschreiten. Hans G. Schultze-Berndt „Und allen ist zuviel aufgeladen." Zu einem Reprint von Ludwig Geigers „Geschichte der Juden in Berlin" von Karl Voß. Dr. Karl Voß hat uns folgende Buchbesprechung zugesandt, die im „Luxemburger Wort" im August 1988 erschienen ist. Der Beitrag ist für dortige Leser gedacht; Verf. erachtet ihn als gute Ergänzung zum Aufsatz von Ernst Gustav Lowenthal: „Im Rückblick: Das ,Gesamtarchiv der deutschen Juden' in Berlin" in Heft 1/Jg. 85 unserer „Mitteilungen". Die Redaktion gibt ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors verkürzt wieder. Ludwig Geiger: „Geschichte der Juden in Berlin", Reprint der zweibändigen Ausgabe von 1871 bei arani Verlag, Berlin 1988. Von Moses Mendelssohns Ankunft in Berlin 1743 bis zur ersten nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage" mit der Ausrottung der Berliner jüdischen Bürgerschaft ist kein Kapitel der Kulturund Literaturgeschichte Deutschlands geschrieben worden, in dem nicht der prägende Anteil des Judentums am Aufstieg der unbedeutenden preußischen Residenz von damals zu einer europäischen Weltstadt erkannt worden ist. Noch ein knappes halbes Jahrhundert später schaudert einem vor dem Gedanken, daß von 160000 jüdischen Bürgern der damaligen Reichshauptstadt nur gerade wenig mehr als die Hälfte illusionslos in eine fremde Zukunft entkommen konnte, daß 7000 die Angst vor dem, was ihnen angedroht war, in den Selbstmord trieb und 60 000 ein qualvolles Ende in den Gaskammern des Regimes bereitet wurde. Nur 2000, an Körper und Seele schwer angeschlagene Opfer, denen die Lyrikerin Nelly Sachs mit ihrem Gedicht „Chor der Geretteten" ein ehrenvolles Gedenken widmet, kamen nach der bedingungslosen Kapitulation zurück, wo sie in der Hauptstadt 1400 Glaubensgenossen aufstöbern konnten, die bei heldenmütigen Gastgebern am Rande des Todes im Untergrund überlebt hatten. Es ist sicher kein Zufall, eher ein denkwürdiges Begebnis, daß gerade im „Europajahr 1988" in Berlin ein überaus selten gewordenes Buch der Vergessenheit entrissen und der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden konnte, das sich als Standardwerk der verhältnismäßig kurzen Geschichte der Juden in Preußen und Berlin erwiesen hat. Vor kurzem legte der verdienstvolle Berliner araniVerlag die am 10. September 1871 anläßlich des 200. Jahrestages des Bestehens der Jüdischen Gemeinde Berlins in einer Auflage von nur 5000 Exemplaren erschienene, längst vergriffene, zweibändige „Geschichte der Juden in Berlin" vor, die als Reprint in deutsch-deutscher Kooperation mit dem Zentralantiquariat der DDR entstanden ist. Im Vorwort zu diesem von erstrangiger Bedeutung für die Geschichtsschreibung Preußens und Berlins anzusehenden Buch umreißt der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von OstBerlin, Dr. Hermann Simon, die Geschichte des Berliner Judentums von der ersten Erwähnung von Juden in einem Innungsbrief vom 28. Oktober 1295, mit dem den Wollwebern im damaligen Fischerkiez bei Strafe verboten wurde, „sich bei Juden Garn zu beschaffen", über ihre Ghettoisierung zu Ende des 13. Jahrhunderts, wovon der bis zur Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg noch bekannte Name des Judenhofs und die wenn auch nur in ihrem Namen noch bestehende Judenstraße im Zentrum der Stadt Zeugnis ablegen, bis zur „Herstellung" der ersten Synagoge in Berlin. Den immer wiederkehrenden Pogromen und Anklagen wegen Hostienschädigung, Ritualmords und vorsätzlicher Ausbreitung von Epidemien setzte der Große Kurfürst, dessen Verdienste als Förderer von Toleranz und Religionsfreiheit ihm den Titel eines Staatsmannes von europäischem Format eingebracht haben, mit der Verkündung des sogenannten Aufnahme-Edikts vom 21. Mai 1671 ein rühmliches Ende. - Hierin räumte er den Juden in seinem Land das Recht ein, sich in seiner Hauptstadt und einigen Ortschaften der Mark Brandenburg niederzulassen, zu Gemeinden zusammenzuschließen, in einem Privathaus zum Gottesdienst zu treffen und eine Begräbnisstätte zu erwerben, die nach wenig mehr als zwei Jahrhunderten später wie die meisten jüdischen Friedhöfe von Nationalsozialisten geschändet und dem Erdboden gleichgemacht worden ist. — Am denkwürdigen 10. Dezember desselben Jahres öffnete der Kurfürst fünfzig aus Österreich vertriebenen wohlhabenden jüdischen Familien die Tore seines Landes, denen vierzehn Jahre später die aus Frankreich ihres Glaubens wegen geflohenen Hugenotten folgten, womit er der wirtschaftlichen Situation seines Landes eine wohlfundierte Basis zu schaffen verstand. Dem Aufnahme-Edikt des Kurfürsten, mit dessen Betrachtung Ludwig Geiger sein Werk eröffnet, 185
folgte eine Reihe weiterer Erlasse, die den beschwerlichen und weiten Weg des Judentums zu einer staatlich anerkannten Gleichberechtigung pflasterten und die Verwobenheit der jüdischen Bürger mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern förderten. Schon mit der Errichtung der ersten Berliner Synagoge zu Neujahr 1714, die als die „schönste Europens" galt und deren Einweihung König Friedrich Wilhelm I. und sein Gefolge mit ihrer Anwesenheit ehrten, war ein wichtiger Schritt getan, der mit einem Erlaß Friedrichs des Großen, nach dem jeder in seinem Lande nach seiner Fasson selig werden muß — was auf die jüdischen Bürger nur bedingt Anerkennung erfuhr —, die „Abkauffung eines gewissens Zeichens", des gelben „Flecks", den die Juden seit dem Mittelalter tragen mußten, fortgesetzt wurde . . . Nach wie vor aber mußten die Juden bei Eheschließungen ansehnliche „Trauscheingelder" bezahlen und für überteuerte Beträge angestoßenes Porzellan aus der Kgl. Manufaktur erstehen. Bau und Ankauf neuer Häuser wurde ihnen weiterhin verboten und die Befolgung einer 1716 erlassenen Verordnung auferlegt, wonach „kein Jude, strafbarer Totschläger, Gotteslästerer, Mörder, Dieb, Ehebrecher, Meineidiger oder der sonst mit öffentlichen Lastern oder Sünden befleckt ist", Handel treiben durfte. Lediglich der Kauf oder Verkauf von Pferden und „Trödel" blieb ihnen erlaubt. — Erst das sogenannte Emanzipationsedikt Friedrich Wilhelms III. machte die Juden zu „Einländern" und preußischen Staatsbürgern. Nach Würdigung einiger dem Judentum aufgeschlossener gegenüberstehender christlicher Schriftsteller und Wissenschaftler, des nachhaltigen Einflusses der jüdischen Salons... sowie der Verdienste, die sich jüdische Mitbürger auf dem Gebiet der Literatur, des Theaters, der Musik, des Films, der Presse, der Architektur und der Kunst erworben und damit zur Entfaltung der Metropole im europäischen Geistesleben hervorragend beigetragen hatten, schließt der Verfasser sein eigentliches Werk mit einer eingehenden Darstellung des „Statuts der Jüdischen Gemeinde zu Berlin" vom 23. Mai 1861 ab, in der dem Bau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, dem „stolzen Bauwerk, dem würdigen Denkmal für den Dienst, dem es geweiht ist", ein längerer Abschnitt geweiht ist. Obwohl in der revidierten Verfassung der Regierung vom 31. Januar 1850 die Gleichstellung aller Preußen unabhängig vom Glaubensbekenntnis garantiert wurde, war eine vollkommene kulturelle und geistige Assimilation der Bürger jüdischen Glaubens, wie sie Moses Mendelssohn einst erstrebt hatte, noch immer nicht erreicht. Höhere Ränge der Beamtenschaft und des Müitärs wurden, abgesehen von wenigen Ausnahmen, jüdischen Bewerbern erst nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs in der Weimarer Republik zugestanden. Der zweite Band des Werks, der die Zeit von 1871 bis 1890 umfaßt und, wie es im Vorwort heißt, für jede wissenschaftliche Arbeit als Ersatz für längst verlorengegangene Quellen von unschätzbarem Wert ist, behandelt bis ins letzte Detail gehende Anmerkungen zum Text, weitere Ausführungen, aktenkundliche Zitate, Nachträge zu den Edikten sowie urkundliche Beilagen, die „Cultus"angelegenheiten, die rabbinistische Gerichtsbarkeit, Handelsbestimmungen und Privilegien zum Bau der Synagogen und jüdischen Schulen von der Gründung der ersten Freischule im Jahre 1778 bis zur Einweihung der Gemeindeschule im Jahre 1826, deren Besuch chrisüichen Knaben verboten war, betreffen. Von besonderem Interesse bleiben der „Vor hundert Jahren" überschriebene Abschnitt, in dem Ludwig Geiger Beiträge der „Vossischen Zeitung" aus den Jahren 1788/89 eingehend kommentiert zusammenstellt, wie auch die analytische Aufarbeitung der Angaben in Berliner Adreßbüchern der Zeit und Besprechungen von Büchern, Zeitschriftenaufsätzen, Pamphleten und Akten, die sich mit dem Judentum befassen. Ludwig Geiger konnte ebenso wie alle seine Zeitgenossen nicht ahnen, was auf ihre jüdischen Mitbürger nach dem wirtschaftlichen Aufschwung im Kaiserreich und der glanzvollen kulturellen Entfaltung trotz des verlorenen Krieges . . . in den zwanziger Jahren . . . , die von ihnen mit beeinflußt und mit getragen wurde, nach der „Machtübernahme"... zukommen sollte. Der liberalste Staat Deutschlands wurde zur Hauptstadt des Terrors und des Holocausts. „Schwer zu sein a Jidd" heißt es in einem alten jüdischen Melodram des ostjüdischen Dichters Scholem-Alejchem, ein Wort, das, über die Geschichte des jüdischen Volkes geschrieben, noch heute seine traurige Gültigkeit hat. Anm.: Die Überschrift stammt aus dem Roman „Die Straße der kleinen Ewigkeit" des im Jahre 1949 im New Yorker Exil verstorbenen Juristen und Schriftstellers Martin Beradt. Er führt in die armselige Welt des j üdischen Proletariats, das sich nach seiner Flucht aus Polen in den zwanziger Jahren im Berliner Scheunenviertel, vor allem der Grenadierstraße, „für eine kleine Ewigkeit" niederließ. Christiane Knop 186
Wemer Vogel: Berlin und seine Wappen. 106 Seiten mit 24 farbigen und 40 einfarbigen Abb., geb., 28 DM. Verlag Ullstein GmbH, Berlin und Frankfurt/Main 1987. Gewiß nicht zufällig im Jahr des Stadtjubiläums brachte der Ullstein-Verlag dieses Buch heraus, das eine Lücke füllt; es ersetzt und aktualisiert das längst vergriffene, von Hans J. Reichardt verfaßte Berliner Forum-Heft 2/79 „Der Berliner Bär". Außer den wichtigsten Daten zur Ortsgeschichte und zur kommunalen Heraldik präsentiert es in 64 zum Teil farbigen Abbildungen sowohl die ältesten Siegel und Wappen von Berlin, Colin und Spandau und verschiedene Versionen des Berliner Bären-Wappens als auch die Wappen der frühneuzeitlichen Vorstädte, der 1920 eingemeindeten Orte und der seither gebildeten Bezirke, darunter auch — mit Schwarzweißabbildungen — die neuen Ostberliner Bezirkswappen, über die man sich zuvor nur durch Zeitungsartikel hatte informieren können: die Bezirke Marzahn (1979), Hohenschönhausen (1984) und Hellersdorf (1986) wurden neu gebildet, und die Bezirke Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg erhielten 1987 neue Wappen. Nicht vollständig aufgeführt sind die Ostberliner Ortsteile mit ihren Wappen. Diese werden jedoch in dem gleichfralls 1987 erschienenen Buch von Heinz Matatscheck „Als der Wappenbär geboren wurde. Aus der Geschichte der Berliner Wappen" beschrieben und, wie auch die dortigen Bezirkswappen, alle farbig abgebildet. Dagegen fehlen bei Matatscheck die Westberliner Orts- und Bezirkswappen, und er verzichtet auf nicht amtliche und nicht mehr gültige Wappen, während Vogel immer auch die historische Entwicklung darstellt. Seine Quellen sind Siegel(abdrücke), künstlerische Gestaltungen (zum Beispiel von Otto Hupp [1859—1949], dem „Altmeister" der deutschen Heraldik) und amtliche Texte und Vorlagen. Ergänzend zur Darstellung S. 36 f. über die westliche Suche nach einem neuen Bären-Bild sei nur noch erwähnt, daß die Wettbewerbsentwürfe von 1952 erhalten sind und im Landesarchiv Berlin aufbewahrt werden. In dem ansprechend ausgestatteten Buch sind leider einige Hupp'sche Wappen seitenverkehrt abgebildet (Tempelhof und Marienfelde, S. 60 unten; Zehlendorf, S. 69, Stralau, S. 72 links), doch dies wird sich bei einer eventuellen Neuauflage sicher leicht korrigieren lassen. Christiane Schuchard Dieter Brozat: „Der Berliner Dom und die Hohenzollerngruft". 185 Seiten, 132 Bilder, Literaturund Abbildungsverzeichnis, Haude & Spener, Berlin 1985. Das Buch ist Ergebnis der fast 20jährigen Arbeit eines Liebhabers im wahrsten Sinn, der sich zwar der wissenschaftlichen Hilfe der Historiker und Theologen bediente, selbst aber die Kleinarbeit des Vermessens, Beschreibens und Auflistens nicht scheute und das Makabre des Aufsuchens von Knochenresten und Gewebeteilen unternahm. Es diente dem Zweck, den europäischen Rang der Berliner Fürstengruft auch noch im Zustand der Zerstörung, des Unbeachtetseins und Auseinandergerissenseins zu dokumentieren. Der Titel in seiner Doppelheit von Dom und Gruft deutet auf die sich gegenseitig bedingende Bezogenheit von Kirche und Grablege der Hohenzollern, die einst in der Dominikanerkirche angelegt war, die nach der Reformation zur Schloßkirche wurde. Dementsprechend ist das Buch zweiteilig angelegt; es bringt die Geschichte der Domkirche und des Camposanto. - Zum Zeitpunkt seiner Publikation war die Wiederherstellung der Tauf- und Traukirche abgeschlossen, war der Leser auf den Abschluß der Bauarbeiten an der Predigtkirche gespannt; damit wäre die endgültige Aufstellung der Hohenzollernsärge gegeben. Damit würde auch der Vorgang der Entfremdung und Diskriminierung, von dem Verf. spricht, überwunden sein. — Die forschende Zuwendung zur Hohenzollerngruft hat das Fehlen des Hohenzollernschlosses lange Zeit vertreten. — Der historische Abriß führt über die Schlüterzeit, den Boumann-Dom und seine Erneuerung durch Schinkel und schließlich den Raschdorff-Bau, dem Verf. viel von seiner Gescholtenheit nimmt, indem er die künstlerische Erörterung beiseite läßt. Dafür tritt mit Raschdorff ein erweitertes Preußen ins Blickfeld, dessen geistige Einflüsse von Schlesien bis in die rheinische Neugotik reichen. Man muß nicht unbedingt Wilhelms II. Großmannssucht anprangern, sondern kann die endgültige Ausführung als Fortführung der Camposanto-Idee ansehen, die seit 1844 bestand und die Kaiser Friedrich III. förderte. Sie war allen Dombauprojekten integriert. — Das Streben nach Kostbarkeit der Ausstattung und Würde wird ohnehin relativiert durch das deprimierende „Hin- und Herschieben" der Grabmale nach 1918, deren traurige Odyssee berichtet wird. Als Zeuge führt Verf. den Sterneaux-Artikel von 1932 an. - Der alte Kaiser Wilhelm II. war in Doorn an das Vorstellungsbild der Hohenzollerngruft noch immer fixiert und glaubte, auch er würde dort zur ewigen Ruhe gebettet werden. 187
Großartiges und Bekanntes stehen neben verblüffenden Einzelheiten, so z. B., daß 1961, im Jahr des Mauerbaues, der auch die Domgemeinde trennte, 425 Jahre vergangen waren, seit die Dominikaner Kloster und Kirche verlassen hatten. Oder die Parallelität der Ereignisse, daß Kriegszerstörungen bei beiden Domen, dem evangelischen wie dem katholischen Hedwigsdom, die herabstürzende Kuppel den Boden des Andachtsraumes durchschlug und zu neuer Gestaltung unter Einbeziehung der Gruft zwang. Als künstlerisch herausragende Grabmale führt uns der Band die des Großen Kurfürsten und seiner zweiten Gemahlin Dorothea von Nering-Döbel, die König Friedrichs I. und seiner Gemahlin von Schlüter und das Kaiser Friedrichs III. von Reinhold Begas vor. — Verf. hat mit vielen Mühen die Domakten eingesehen; die Beschreibung des Fortgangs der Grabmalskunst ist ein die Hohenzollerngeschichte begleitender Vorgang. Die Untersuchung kommt nicht nur zu der verblüffenden Vermutung, daß die Särge der Markgrafengruft schlicht vergessen wurden und wahrscheinlich unter dem Pflaster des Marx-Engels-Platzes (einstigem Lustgarten) noch aufzufinden seien, sondern er schreibt, gleichsam in behutsamem Seitenlicht, eine menschlich anrührende Familiengeschichte: die der Frauen, die kaum in die Geschichte traten, der früh gestorbenen Prinzen — so der älteren Brüder Friedrichs IL, die buchstäblich an der Last der Krone starben —, der wenig geliebten Brüder und Heerführer, aber auch der lichtvollen Prinzen wie Louis Ferdinand. „Drei Jahrhunderte Geschichte schlafen hier dem Jüngsten Tag entgegen." So hat er der Morbidität das Schöne abgewonnen und verweist auf die Hoffnung, in absehbarer Zeit die Fürstengruft wieder in ursprünglicher Gestalt sehen zu können. Christiane Knop Günter Stalin: „Das Nikolaiviertel am Marx-Engels-Forum. Ursprung, Gründungsort und Stadtkern Berlins. Ein Beitrag zur Stadtentwicklung." 88 Seiten; 86 Bilder im Text, Bildanhang mit 22 Fotos, Stichen und Zeichnungen, Literatur- und Abbildungsverzeichnis, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin (Ost) 1985. Das Buch entstand zeitlich auf halbem Wege zwischen dem Beginn der ersten Planung und ersten Baumaßnahmen und dem Abschluß des Wiederaufbaus 1987 und ist als Verständnishilfe für das neu Entstehende gedacht. Titel und Untertitel verdeutlichen durch ihre Ausführlichkeit die ganze Palette des Anliegens und verweisen auf ein aktuelles, politisches Motiv: das zum 750jährigen Stadtjubiläum wiederaufgebaute Nikolaiviertel als historischen Ort zu begreifen und aufzuzeigen, von welchen geschichtlichen Inhalten und gestalterischen Orientierungspunkten die Konzeption geleitet wurde; daraus leitet sich für die Planer die zukünftige soziale Aufgabe ab. — Inwieweit an einem völlig zerstörten, traditionsreichen städtebaulichen Zentralraum Anbindung des Neuen an das Alte überhaupt gewagt werden sollte und gelingen kann, ist unter Konservatoren selbstverständlich umstritten. Hier hat man den Versuch gewagt und ihn — auch den Bewohnern der DDR — zur Diskussion gestellt und hat ein Zukunftsprogramm verwirklicht. Möglicherweise lernt man an evtl. Unzulänglichkeiten für einen späteren Fall. Aber der hier konzipierte geschichtlich gebundene Zukunftsgedanke hat seine Gestaltungskriterien vom Gehalt der Bürgerstadt Berlin bezogen — zu Ungunsten der Residenz; er richtet sein Augenmerk vorrangig auf die Platzbauten des Gründungskerns, der Nikolaikirche am Spreeübergang. Als Rechtfertigung für die erstrebte Kontinuität wird angeführt: „Solange diese Gebäude — auch das Ephraimpalais ist eingeschlossen (d. Rz.) — noch als bildhafte Erinnerung im Bewußtsein der Berliner lebendig sind, ist deren sinnvolle Einbeziehung beim Wiederaufbau politisch legitim. Sie lassen sich mit hoher Authentizität dem Kulturleben zurückgewinnen" (S. 8). Für den Abriß der Stadtgeschichte verwendet der Vf. dieselben Stadtpläne (Memhard), wie sie hierorts angeführt werden, und dieselben Ansichten der Stadtmaler wie Gärtner, Krüger, Graeb, Rosenberg und Hintze. Um die Stadtbaukunst vergangenheitsbezogen aufzubereiten, werden als „maßstabformend" die historischen Leitbauten, nämlich Bürgerbauten des 17. und 18. Jahrhunderts, ferner das Knoblauchhaus und die noch erhaltene Platzstruktur, angeführt; über sie hebt sich das Ephraimpalais in seinen Maßen hinaus und leitet auf die Neugestaltung der Spreefront an der Burgstraße und die Bauten zum neuen Marx-Engels-Forum hin. Die Ansicht vom Gründungsort hebt auf die Bürgerstadt des Spätmittelalters und ihre wirtschaftliche Funktion an der wichtigen Kreuzung des Wege- und Wassernetzes ab: die Ansiedlung der Fernkaufleute und die Schaffung ihrer städtischen Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit, ferner die Konzentration des ersten Gewerbes. So soll die Einbindung zwischen die Fixpunkte des Rathauses mit der Gerichtslaube, des Mühlendamms bzw. Molkenmarkts und der bürgerlichen Hallenkirche von 188
St. Nikolai verstanden werden, und zwar an einem bestimmten Augenblick in der gesellschaftlichen Entwicklung festgehalten. Diese Ansicht ist ideologisch fixiert; ihr übergeordneter Gesichtspunkt ist der des verpflichtenden bürgerlichen Humanismus. Inwieweit der Leser hierorts sich damit identifiziert, sei dahingestellt; auf jeden Fall wirkt die Wiederherstellung des Nikolaiviertels und die Placierung verschollen geglaubter architektonischer Einzelteile und Skulpturen oder Straßenmöbel stärker, als gedankliches Unbehagen beeinträchtigen kann. Im Abbildungsteil erscheinen die Modelle teilweise plakativ und grell, die heutige Wirküchkeit ist gedämpfter und anheimelnder. Für den gebürtigen Berliner ist das im weiteren Sinne neugestaltete Spreeufer unmittelbarer erlebbar geworden, als es früher möglich war. Die Kontrastierung der Bilder von der Zerstörung mit dem Geplanten macht das Abwägen, eine bestimmte Stadtstruktur darzustellen, nachvollziehbar. Es ist dankenswert, daß eine Kulturlandschaft aus der Öde des Nichts gewollt wurde; mit ihr kann sich der westliche Betrachter, abgesehen von einigen Vorbehalten, identifizieren. Die Vorbehalte liegen in der Erinnerung, daß dieser städtebauliche Zentralraum bis 1945 ein vielfach überschichteter war. Dem neuen Konzept ist eine gedankliche Konstruktion unterlegt worden, was anfechtbar sein kann. So bleibt es abzuwarten, inwieweit der gewisse Bilderbuchcharakter zur „aktivierten Stadtmitte" wird. Christiane Knop In Zusammenhang mit der Besprechung des Bandes „Charlottenburg" der Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke von Herbert May in Heft 1/1989 unserer,, Mitteilungen "gibt die Redaktion dem Autor Gelegenheit zur Antwort: Was darf die Rezension? Von Dieter Schütte Fragen wir frei nach Tucholsky: „Was darf die Rezension? " Jedenfalls nicht „alles", wie es Tucholsky für die Satire reklamierte. Die Rezension — in diesem Fall geschichtlicher Darstellung — sollte ein besprochenes Buch würdigen, Anspruch und Umsetzung vergleichen, es am Forschungsstand messen, an Fehlern und Unzulänglichkeiten Kritik üben. Im Idealfall ist die Rezension ein Beitrag im geschichtswissenschaftlichen Diskurs. Die Rezension wird vom Autor nicht ohne Unbehagen erwartet, weiß er doch am besten um Lücken oder Schwächen seines Produkts. Aber das darf die Rezension nicht: über eine Veröffentlichung urteilen, ohne ihre Details zu kennen. Genau dies ist aber der Fall in der Besprechung, mit der Herbert May den Band 1 aus der Reihe „Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke", Charlottenburg, von Dieter Schütte rezensiert. Kommen wir zu den Einzelheiten und dabei gleich eine Kleinigkeit vorweg: der Charlottenburger Band, auch wenn er die Nr. 1 trägt, bildete nicht den Auftakt zur „Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke". Es war der Band 12 über Zehlendorf, der zuerst erschien. Die Inseitige Vorbemerkung des Herausgebers ist gewiß jener Textabschnitt, den May am gründlichsten gelesen hat, und sie gibt, dies sei zugestanden, zu Mißverständnissen Anlaß. Im Grunde genommen war das Projekt „Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke" im Vorbereitungsstadium zweigeteilt: in die vom Herausgeber benannten Angestellten im ABM-Programm, die Quellen und Literatur zu sichten und zu erfassen hatten, und in den Kreis der 12 Autoren. Nur in zwei oder drei Fällen bestand eine Personalunion. Die Ergebnisse des Erfassungs- und Sichtungsprogramms, ursprünglich als eigenständige bibliographische Verzeichnisse für den Druck vorgesehen, sollten dabei den Autoren zur Verfügung stehen. Hervorzuheben ist aber, daß demgegenüber die einzelnen Bände der Geschichte der Verwaltungsbezirke in keinem Fall mehr als 110 bis 120 Druckseiten umfassen sollten, von denen auch noch ca. 25% für Abbildungen vorgesehen waren. Gleichzeitig war den Autoren eine Rahmengliederung vorgegeben. Nicht alle Autoren waren darüber glücklich, aber man muß dem Herausgeber ein berechtigtes Interesse an diesen Vorgaben zugestehen. Für die Autoren bedeutete dies, sich von vornherein auf eine geraffte Darstellung zu konzentrieren. Über die Konzeption der Reihe ebenso wie über die von May beanstandete „nüchterne Bestandsaufnahme" vom gegenwärtigen Charlottenburg läßt sich durchaus diskutieren, was dann aber folgt, zeugt von geringer Kenntnis der Materie. Die Darstellung, so May, stütze sich bis ca. 1900 auf Wilhelm Gundlachs Standardwerk. Nur bei der Nachkriegsgeschichte leistete der Autor einen quelleninterpretatorischen Forschungsbeitrag. Wirklich? 189
Nehmen wir als Beispiel den Abschnitt über das Industriezeitalter, der von ca. 1850 bis 1920 reicht. Gundlachs Buch erschien 1905, erfaßt also noch weit mehr als die Hälfte dieser Zeit. Spiegelt sich dies in den Anmerkungen? Von ca. 130 Beleghinweisen dieses Abschnittes sind ca. 45 Quellen im engeren Sinne, ca. 70 sind Literaturhinweise, zum großen Teil auf zeitgenössische Literatur, aber nur 10 Belege verweisen auf Gundlach. Bedeutet das, sich „wesentlich" auf Gundlach gestützt zu haben? Lediglich für die frühe Geschichte büdete Gundlach eine unbestrittene Grundlage. Redlicherweise hätte der Rezensent aber auch den Charakter dieses „Standardwerks" andeuten können, von dem ja nur der erste Teil eine Darstellung, der zweite aber eine Mischung von Quellensammlung, -Verzeichnis und -kommentar ist. Diese Quellen zur frühen Geschichte Charlottenburgs sind heute im Original nicht mehr erhalten. Wer heute darüber arbeitet, muß demnach auf Gundlach zurückgreifen, und diese Zwangssituation ergibt ein etwas anderes Bild als des Rezensenten hingeworfene, diesen Tatbestand verschweigende Bemerkung, der Autor halte sich an Gundlach. May kennt Gundlach aber nicht, wenn er pauschal bei ihm die Sozialgeschichte vermißt. Wilhelm Gundlach widmet zig Seiten sozialgeschichtlichen Themen, man nehme nur die Ausführungen über die Kanalisation, das Gesundheitswesen, die Entstehung der Ackerbürgergemeinde und anderes mehr. Das Problem bei Gundlach ist ein anderes. In seiner buchhalterischen und pedantischen Arbeit widmete sich Gundlach einer erschlagenden Fülle von Fakten. Was aber fehlt, ist ein Verständnis sozialer Ursachenzusammenhänge und entsprechende Gewichtungen in der Darstellung. Die für die Großstadtwerdung überaus bedeutsame Befreiung der Bürger aus den Produktionszwängen der Ackerbürgergemeinde überliest man fast, einen solch geringen Stellenwert maß Gundlach dem bei. Auch gibt es bei ihm keine — und das hielten ihm schon Sozialdemokraten zu Lebzeiten vor — sozialen und Klassengegensätze. Er kannte nur königstreue Bürger. Auch im von ihm besprochenen Text vermißt May „schmerzlich" die Sozialgeschichte. Gewiß — das Buch ist keine Sozialgeschichte Charlottenburgs, das sollte es auch nicht sein. Liefert es aber keine sozialgeschichtlichen Fakten und Entwicklungsprozesse? Beim Durchblättern sind May folgende Punkte entgangen: der Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und Anwesenheit des Hofes; die Einkommensquellen der Ackerbürgergemeinde; das Gewerbe im vorindustriellen Charlottenburg; die Auflösung der alten Agrarverfassung; der Zusammenhang von Bebauungsplanung, neuen Verkehrsmitteln, Bodenspekulation und Bebauungsetappen; kommunale Daseinsvorsorge im Industriezeitalter; der Einfluß der Hausbesitzer; Bevölkerungsentwicklung und soziale Zusammensetzung; Industrie-, Gewerbe- und Beschäftigtenstruktur; Wohndichte und Wohnungsgröße usw. Neben der inhaltlichen Kritik hält May dem Autor vor, zugängliche Literatur und Quellen nicht verarbeitet zu haben. Aber weder innerhalb der „grauen" noch in der bibliographisch vorschriftmäßig edierten Literatur, die sich im Sommer 1986, als das Manuskript abgeschlossen wurde, im Heimatarchiv befand, war auch nur ein Titel, der die Darstellung im Buch relativieren würde. Was soll der Hinweis auf das „durchaus zugängliche" Material in Potsdam und Ost-Berlin? Hat es sich nicht bis zu May herumgesprochen, daß diese Archive im Vorfeld der Berliner 750-Jahr-Feier eben nicht zugänglich waren. Die Antwort auf eine Anfrage aus dem Jahr 1985 an das Stadtarchiv erwartet der Autor bis heute. Was soll der Hinweis auf die Kirchenarchive? Ist May nicht aufgefallen, daß auf die Kirchen — bewußt — weitgehend verzichtet wurde? Und die Akten des Landesarchivs? Hat May dort die beiden Charlottenburg betreffenden Findbücher mal etwas gründlicher durchblättert? Die Zahl der Akten sagt doch noch nichts über ihre Aussagekraft für eine spezifische Form der Darstellung. Nicht alle Akten sind von vornherein in eine Darstellung wie der vorliegenden integrierbar. Die Bestände im Landesarchiv ermöglichen zahlreiche Einzelstudien, aber gerade bei der Auffüllung von unbestreitbaren Lücken, insbesondere für die Weimarer Zeit und den Nationalsozialismus, helfen die Bestände im Landesarchiv kaum weiter. Am Schluß bricht May eine Lanze für die „oral history". Dagegen ist nichts zu sagen, aber was will May eigentlich? Bezirksgeschichten mit ihren Jahrhunderte zurückreichenden Ursprüngen sind nun mal nicht mit den Methoden der „oral history" zu erarbeiten. Und für die neuere Zeit, für die Zeitzeugen befragbar sind? Auch hier kennt May den rezensierten Text nicht. Ist ihm nicht aufgefallen, daß der Autor sich für die Zeit des Nationalsozialismus in nicht geringem Maße auf die Untersuchungen Hans Wienickes stützt und daß diese Untersuchungen zum großen Teil aus der Befragung von Zeitzeugen bestehen? Anschrift des Verfassers: Dr. Dieter Schütte, Menzelstraße 27, 1000 Berlin 41 190
E i n g e g a n g e n e B ü c h e r (Besprechung vorbehalten) 1. Berlin, von Theodor Plivier, Roman, 766 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1985. 2. Berlin, ein Lesebuch, herausgegeben von Diethard H. Klein, gesammelt von Evelyn Grüning und Herbert Grohmann, Taschenbuch, 160 Seiten, Husum Verlag, Husum 1986. 3. Das Berliner Wohnhaus des 17. und 18. Jahrhunderts, von Albert Gut, 296 Seiten, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1984. 4. Die Berliner Entscheidung, von E. A. Richter, Roman, 150 Seiten, Residenz-Verlag, Salzburg und Wien 1984. 5. Christus und Hakenkreuz, Kirche im Wedding, von Detlef Minkner, 208 Seiten, Selbstverlag Institut Kirche und Judentum, Berlin 1986. 6. Herbert v. Karajan, eine Biographie, von Ernst Haussermann, 315 Seiten, Taschenbuch, Goldmann-Schott Musikverlag, München 1983. 7. Journal einer Revolution, Tagebücher 1848/49, von Karl August Varnhagen von Ense, 343 Seiten, Verlag Franz Greno, Nördlingen 1986. 8. Kinder (die) aus Nr. 67, Band 1 und 2, Taschenbuch, 216 Seiten, von Lisa Tetzner, Verlag dtv junior, München 1985. 9. Kleine Bettlektüre für alle Berliner, die nischt uff ihre Schnauze kommen lassen, von Joachim Wachtel, 156 Seiten, Scherz Verlag, 1982. 10. Lachen und Heulen, von Heinrich Goertz, Roman, der Berlin-Roman der 30er Jahre, 382 Seiten, List-Verlag, München 1982. 11. Lesebuch (Bilder) über Schule und Alltag Berliner Arbeiterkinder, Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum, 304 Seiten, Elefanten Press, 1981. 12. Die Lieder der Ciaire Waldoff, nach alten Schallplatten in Druckfassung, von Helga Bemmann, 95 Seiten, arani-Verlag, 1. Auflage, 1983. 13. ökologische Stadterneuerung, die Wiederbelebung von Altbaugebieten. M. Küenzlen/Oekotop, Autorenkollektiv, 2. Auflage, 274 Seiten, Verlag C. F. Müller, Karlsruhe. 14. Sodom Berlin, Roman, von Yvan Goll, 174 Seiten, Verlag Rotbuch, deutsche Ausgabe, 1985. 15. Das Schlangenmaul, Roman, von Jürg Fauser, 268 Seiten, Ullstein-Verlag, Berlin 1985. 16. Teltow u. Barnim, Landschaften im Mittelalter, 342 Seiten, von Eberhard Böhm, Böhlau-Verlag, Köln/Wien 1978. 17. Welt im Guckkasten, von Adolf Glaßbrenner, Taschenbuch I u. II, 464 und 488 Seiten. Verlag Ullstein Werkausgaben, ausgewählte Werke I und II, Juni 1985. 18. Wie eiskalt ist's im Hemdchen, ein Berliner kiekt Theater, von Gustav Lemke, 128 Seiten, araniVerlag, Berlin 1986.
Im ersten Vierteljahr 1989 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Joachim Brummer, Angestellter Schottmüllerstraße 50 a, 1000 Berlin 37 (Koepke) Dr. Elisabeth Gebier, Ärztin Alt-Pichelsdorf 35,1000 Berlin 20 (Geschäftsstelle) Anna Sabine Halle Marthastraße 5, 1000 Berlin 45 (Schriftführer) Hermann Kreutzer, Ministerialdirektor i. R. Angerburger Allee 41, 1000 Berlin 19 (Oxfort) Hilmar Krüger, Polizeibeamter Mohriner Allee 114 a, 1000 Berlin 47 (Kalutza)
Prof. Dr. Kurt-Victor Selge Höhmannstraße 6, 1000 Berlin 33 (Koepke) Dr. Hans-Jürgen Thiedig Prinzenallee 78/79,1000 Berlin 65 (Schriftführer) Hans-Wolfgang Treppe, Generalstaatsanwalt Berchtesgadener Straße 3, 1000 Berlin 30 (Schriftführer) Lutz-Rüdiger Voß, Jurist Kolberger Platz 4, 1000 Berlin 33 (Oxfort)
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Veranstaltungen im IL Quartal 1989 1. Montag, den 24. April 1989, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erhard Mayer: „Das Leben Friedrichs des Großen 1712—1755 — Historische Stätten heute". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Montag, den 8. Mai 1989,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erhard Mayer: „Das Leben Friedrichs des Großen 1756—1786 — Historische Stätten heute". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 3. Mittwoch, den 17. Mai 1989,19.30 Uhr: Jahreshauptversammlung im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg, Tagesordnung: 1. Entgegenahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts, des Bibliotheksberichts; 2. Berichte der Kassen- und Bibliotheksprüfer; 3. Aussprache; 4. Entlastung des Vorstandes; 5. Wahl des Vorstandes; 6. Wahl von zwei Kassenprüfern und zwei Bibliotheksprüfern; 7. Verschiedenes. Anträge aus den Mitgliederkreisen sind bis spätestens 2. Mai 1989 der Geschäftsstelle einzureichen. 4. Montag, den 12. Juni 1989,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Günter WoUschlaeger: „Landschaft an der Havel — Preußische Gartenkunst um Potsdam". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 5. Freitag, den 30. Juni 1989,19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Dr. Clemens Alexander Wimmer: „Peter Joseph Lenne — Leben und Persönlichkeit". Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30-2234. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 1000 Berlin 45, Telefon 7723435. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 45 09-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 365 7605. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 100 10010), Kto.-Nr. 433 80-102,1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 10020000), Kto.-Nr. 0381801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung: Günter WoUschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28; Roland Schröter. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 192
An alle Mitglieder, Freunde und die Tauschpartner des Vereins für die Geschichte Berlins! Die Bibliothek mußte umziehen! Die neue Adresse lautet ab sofort: Verein für die Geschichte Berlins Bibliothek Berliner Straße 40 1000 Berlin 31 Telefon 87 2612 (Zugang über den l.Hof) geöffnet wie bisher mittwochs 16 bis 19.30 Uhr Fahrverbindungen: U-Bahn Linie 7, Bhf. Blissestraße (West-Ausgang rechts); Omnibusse 1, 4, 74 und (Haltestelle Uhlandstraße:) 60
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865
85. Jahrgang
Heft 3
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Die Büste Friedrich August Stülers nach einer Kopie von Schievelbein im Palast der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
Friedrich August Stüler (1800-1865) Gedanken zum 125. Todestag des preußischen Architekten
Von Gerd Kley Wer offenen Auges durch die Berliner Stadtbezirke und die Mark Brandenburg geht, wird eine Vielzahl von Bauten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts entdecken, die auch heute noch unsere Stadtbilder und Landschaften prägen. Fast alle haben im Krieg gelitten. Manche sind heute in veränderter Form, meist mit sehr vereinfachter oder modernisierter Innenausstattung wieder aufgebaut, weiteren Bauten sieht man an, daß sie bis heute nicht für denkmalwürdig gehalten werden. Einige wurden in der Nachkriegszeit abgetragen. Friedrich August Stüler war einer der produktivsten Architekten der Generation nach Schinkel, zu der u. a. auch Knoblauch, Strack, Hesse und Persius gehörten. Friedrich August Stüler war das jüngste Kind einer alteingesessenen Mühlhäuser Pfarrersfamilie, deren berufliche Traditionen er nach dem Wunsche des Vaters fortsetzen sollte. Stüler schloß mit 17 Jahren das Gymnasium seiner Vaterstadt mit der Reifeprüfung ab. Einer seiner älteren Brüder, Carl Ascan (geb. 1796), war derzeit königlicher Bauinspektor in Erfurt. Vielleicht war es dessen Einfluß, vielleicht inspirierten den jungen Stüler auch die herrlichen Bauwerke des mittelalterlichen Mühlhausen, daß er einen Beruf im Bauhandwerk wählen wollte. Der Weg zur Baukunst führte damals nur über die Laufbahn eines königlichen Baubeamten. Die erste Stufe dazu war eine Lehre als Feldmesser, die er bei seinem Bruder in Erfurt absolvierte, bevor er 1818 seine Fachstudien an der Berliner Bauakademie begann. Stüler absolvierte einige Grundstudien. Kunstgeschichtliche (Prof. Hirz) und mathematisch-naturwissenschaftliche Vorlesungen mußte er an der Berliner Universität oder bei Privatdozenten belegen, Zeichenunterricht erhielt er an der Kunstakademie bei Prof. Hummel. Die Bedingungen waren keinesfalls günstig und erforderten ein hohes Maß an eigener Initiative, zumal die führenden Architekten dieser Zeit kaum Einfluß auf den Lehrbetrieb nahmen und vorrangig — wie z. B. Schinkel — in strenger Abgeschiedenheit mit ihren Mitarbeitern wirkten. Im Mai 1819 besteht Stüler das Examen als Feldmesser und leistet bis 1820 als Pionier seinen Militärdienst. Vom Herbst 1820 an leitet er drei Jahre als „Kondukteur" verschiedene Bauausführungen im Raum Naumburg/Schulpforte und beschäftigt sich gleichzeitig mit seiner ihm 1820 übergebenen Probearbeit für die Staatsprüfung als Baumeister, zu der im Fach Wasserbau der Entwurf einer Schleuse, im Fach Maschinenbau eine Vorrichtung zum Bewegen einer Lenkstange und im Fach Hochbau der Entwurf einer Landkirche für 600 Personen gehörten. In Berlin macht er auch in seiner Naumburger Zeit von sich reden, indem er bestimmte Aufgaben beim Bau der Medizinisch-Chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Akademie in der Friedrichstraße und einer Kaserne in der Karlstraße übernimmt. Seine Staatsprüfung als Baumeister besteht er im März 1827 mit höchstem Lob der Kommission und qualifiziert sich damit auch zum „königlichen Beamten". Stülers Entwurf einer Landkirche stellt einen Backsteinbau mit Formziegeln dar. Er bedient sich dabei ausschließlich der gotischen Formensprache. Schinkel wird durch diesen Entwurf auf Stüler aufmerksam und verpflichtet ihn zur Mitarbeit beim Bau des Palais für den Prinzen Karl in Berlin. Die zweijährige Bauzeit ist vermutlich die Periode des engsten Kontaktes zwischen Schinkel und Stüler. Er wird diese Zeit zum intensiven Studium der Fähigkeiten des Altmeisters des Klassizismus, vielleicht aber auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dessen Bauauffassungen genutzt haben. Er selbst hat es stets abgelehnt, als „Schinkel-Schüler" zu gelten.1 266
Abb. 1: Universität zu Königsberg, aus Miegel, „Königsberg" 1939, Stabi Berlin.
Im April 1829 zieht es ihn mit seinem Freund Eduard Knoblauch (1801—1865; ihr gemeinsames Werk ist die 1866 eingeweihte Neue Synagoge), der damaligen Tradition folgend, für einige Zeit zum Studium von Kunst und Architektur der Klassiker in südliche Gefilde, nach Frankreich, in die Schweiz und nach Italien. Beide bringen eine Vielzahl von Stadtbildern und landschaftlichen Ansichten nach Hause. Bei Stüler festigt sich auf diesen Reisen die Überzeugung, daß Architektur immer als Teil eines landschaftlichen Gesamtbildes zu begreifen sei, niemals als Bauaufgabe an sich. In Italien überrascht ihn die Nachricht von der Ernennung zum Preußischen Hofbauinspektor (Mai 1829), einer Auszeichnung, deren damit verbundene Pflichten er erst nach Rückkehr von seiner Studienreise im Juli 1830 wahrnehmen muß. Schon im Juli 1831 erfolgt seine „Beförderung" zum Hofbaurat und Direktor der Schloßbaukommission von Berlin. Ohne Zweifel spielen hierbei Stülers Leistungen bei seinen bisherigen Bauten eine Rolle. Seine engen Bindungen zum preußischen Hof waren seiner Entwicklung zumindest sehr förderlich. Zum König und zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm bestanden seit dem Bau des Palais für den Prinzen Karl und einer gemeinsam im Charlottenburger Schloß verbrachten Quarantänezeit (bei Ausbruch der Cholera in Berlin) enge persönliche und künstlerische Kontakte. Namentlich der spätere König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) mit seinen architektonischen Neigungen begeisterte sich für Stülers Entwürfe und kunsthistorische Exkurse. Beide verband eine lebenslange Beziehung, die weit über die eines königlichen Dienstherren und seines Baumeisters hinausging. Diese Verbindung wurde von manchem Zeitgenossen als Glück für die Durchsetzung Stülerscher Ideen, von anderen dagegen als Gängelung und Vergeudung des Stülerschen Genies durch den Zwang zur Beschäftigung mit den naiv-dilettantischen Ansichten des „architektonischen Schwärmers" Friedrich Wilhelm angesehen, mit 267
deren Umsetzung er seine Kreativität und Originalität verbrauchte. Er selbst mag es nicht so gesehen haben. Zumindest bestätigte er dem König nach dessen Tod in einer Gedenkrede auf dem Schinkelfest des Architektenvereins 1861 hohe Sachkenntnis und baukünstlerische Begabung.2 Bis zum Jahre 1840 sind bis auf die Wiederherstellung des Rittersaales im Berliner Schloß und des Neubaus der Kirche in Nikolskoe an der Havel keine Bauten Stülers im Rahmen seines Staatsamtes bekannt. Er betätigt sich vielmehr als Privatarchitekt und entwirft Bürgerhäuser und Landschlösser sowohl in Berlin als auch im weiteren preußischen und mecklenburger Raum. Unter den Schloßbauten ist besonders die Anlage des Dorf- und Schloßkomplexes von Basedow zu erwähnen. Im Auftrag des Grafen Hahn von Basedow schufen Stüler und Peter Joseph Lenne (1789—1866) eine Schloß- und Parklandschaft unter Einbeziehung der dörflichen Umgebung, deren Schönheit auch heute noch zu erkennen ist. In einer Rede auf dem XI. Bundeskongreß des Kulturbundes zur Erbaneignung ging Helmut Sakowski speziell auf Stülers Werk in Basedow ein (auch wenn er vom „Schinkelschüler Stüler" spricht) und dessen Verfall in den vergangenen Jahrzehnten. Er forderte dazu auf, das kulturelle Erbe auch auf diesem Gebiet anzunehmen und zu wahren.3 In dieser Zeit entstanden offensichtlich auch einige Wohnbauten sowie eine Leichenhalle nach seinen Entwürfen in der Heimatstadt Mühlhausen, die heute verschwunden sind.4 Interessant ist die Entstehungsgeschichte eines Denkmals für den verstorbenen Mühlhäuser Bürgermeister Gier, eines aktiven „48ers". Als Hofbaurat konnte er es sich wohl nicht leisten, offen als Architekt des Denkmals für seinen Landsmann und Freund der Familie aufzutreten. Er fürchtete, in Ungnade zu fallen. So wanderten Entwürfe und Gutachten unter Umgehung des Namens über einen in Berlin studierenden Mühlhäuser hin und her, bis es unter tunlichster Vermeidung des Namens seines Meisters eingeweiht werden konnte.5 In den letzten Regierungsjahren des Königs Friedrich Wilhelm III., die Stüler seitens seines staatlichen Amtes wenig forderten, widmete er sich sehr intensiv seiner Nebentätigkeit als Lehrer an der „Allgemeinen Bauschule", der zeitweiligen Nachfolgerin der Bauakademie. Dort lehrte er von 1834 bis 1842 u. a. die Fächer „Stadtbaukunst" und „Entwurf von Gebäuden in höherem Stil" für angehende Bauinspektoren. Dem von Eduard Knoblauch 1842 gegründeten Architekten-Verein gehörte Stüler seit Anbeginn als Vorstandsmitglied an. Aus einer losen Gemeinschaft junger Architekten zur künstlerischen Selbstbildung wurde nach und nach ein wohlorganisierter Verein mit regelmäßigen Vorträgen, Diskussionsveranstaltungen und Ausstellungen. Das Notizblatt des Vereins mit seinen Abhandlungen wurde die erste bauwissenschaftliche Zeitschrift in Deutschland. Die Jahresversammlungen des Vereins (später „Schinkelfeste" genannt) haben Architekturgeschichte gemacht. Die zu den Schinkelfesten ausgeschriebenen Bauwettbewerbe förderten weiterhin das Baugeschehen und die Qualifizierung der Architekten.6 Stüler selbst beteiligt sich mit Joh. Heinrich Strack (1805—1880) an einem Wettbewerb zum Bau einer Eisenbahnstation in Petro-Pawlowsk bei Petersburg (nicht ausgeführt). Sowohl hier als auch beim Wettbewerb um ein Denkmal für den Kaiser Franz in Prag mit einer umgebenden neuen Straßenanlage sowie um die Neue Börse in Frankfurt/Main erringt er den ersten Preis. Letzteres wird später unter seiner Leitung auch ausgeführt.7 Gegen Ende seines Lebens nimmt er wieder an einem Wettbewerb teil, diesmal um den besten Entwurf für den Palast der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu Budapest. Er erhält den Zuschlag in Konkurrenz zu Architekten aus Deutschland und Ungarn (Klenze, Henslmann, Ferstel, Skalnitzky). Bei einem Aufenthalt in der Mainmetropole lernt er die Tochter des bayerischen Gesandten im Frankfurter Bundestag, Caroline von Mieg (1807-1888), kennen. 1834 findet in Aschaffen268
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Abb. 2: Schloß zu Königsberg mit dem Turm nach Entwurf Stülers.
bürg beider Hochzeit unter großer Anteilnahme seiner Kollegen und Freunde statt. Er selbst und seine nächsten Freunde schätzten ein, daß diese Frau, interessiert an all seinen Arbeiten, ebenbürtig an Geist und Charakter, es Stüler erst ermöglichte, die Schaffenskraft, die die Jahre nach 1840 erforderten, freizusetzen. Der Ehe mit Caroline von Mieg, die ihn 23 Jahre überlebte, entstammten 3 Töchter und 4 Söhne. 1840 tritt in der Person Friedrich Wilhelms IV. ein romantisch verklärter Monarch die Regierung in Preußen an, der sich der Baukunst gegenüber nicht als Mäzen fühlt, sondern der als Architekt selbst entwerfen und ausführen will. Der Altmeister Schinkel ist zu dieser Zeit bereits durch seine schwere Krankheit gezeichnet, der er 1841 erliegt. Stüler und Ludwig Persius (1803—1845) treten an seine Stelle, wobei es zunächst zu einer Teilung der Zuständigkeiten zwischen Berlin und Potsdam (Persius) kommt. Beide werden gleichzeitig 1842 zu „Architekten S. M. des Königs" ernannt und als Oberbauräte in die Technische Oberbaudeputation Preußens berufen (die 1850 als Bauabteilung in das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten eingeht). Damit hatten beide Architekten Einfluß auf das gesamte öffentliche Baugeschehen in Preußen. Mit August Soller (1805—1853) war Stüler für das Kirchenbauwesen in Preußen verantwortlich. Der Kirchenbau entsprach seit Beginn seiner Berufstätigkeit den persönlichen Neigungen. Es war der ausdrückliche Wunsch des Monarchen, im 269
preußischen Raum viele mittelalterliche Kirchen — z.T. unvollendet, z.T. verfallen — zu restaurieren und jeder Kirchengemeinde ein eigenes Gotteshaus zu beschaffen. Ein derartiges Bauprogramm erforderte den Einsatz aller damals vorhandenen technischen Mittel und die Auswahl möglichst leicht beschaffbarer Baumaterialien, die aber trotzdem ein künstlerisch vollendetes Werk garantieren sollten. Stüler begibt sich 1842 mit Strack auf eine Reise nach England, um den dortigen Kirchenbau zu studieren. Seine in England gewonnenen Erfahrungen über die künstlerischen, technischen und organisatorischen Aspekte des Kirchenbaus und ihre Übertragbarkeit auf preußische Verhältnisse8 sowie seine in Italien gewonnenen Eindrücke finden ihren Niederschlag in dem 1852 gemeinsam mit Soller u. a. verfaßten Werk „Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulräumen".9. Nach Sollers Tod 1853 ist er als Dezernent allein für den Kirchenbau in Preußen zuständig. Bis zu seinem Tod beteiligt sich Stüler durch eigene Entwürfe und Korrekturen an etwa 300 Kirchenbauten. Keine der Kirchen gehört jedoch in ihrer Ausstattung zu den Gotteshäusern ersten Ranges, ihre künstlerische Durchbildung ist trotzdem oft vorzüglich. Sie dienten vorwiegend den Zweckbedürfnissen nicht sehr reicher und kleiner Gemeinden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Berliner Bartholomäus-, Jacobi- und Marcus-Kirche, die ehemaligen Dorfkirchen in Pankow und Marzahn, die Kirchen in Oranienburg, Werder, Fehrbellin, Oderberg, Hohensaaten, Birkenwerder, Zingst und Niemegk, um nur einige Beispiele anzuführen. In seiner näheren Heimat entwarf er die Dorfkirche zu Dachwig bei Erfurt. Für ein großes, monumentales Gotteshaus liegt von Stüler nur ein Entwurf vor, nämlich für einen neuen Dom in Berlin, der das Schinkelsche Bauwerk ablösen sollte. Aus vielerlei Gründen kam er zu dieser Zeit nicht zur Ausführung, sondern erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Entwurf von Raschdorff. Die Restaurierung und die Anpassung eines gotischen Turmes an die unvollendete Bartholomäuskirche in Demmin stellt eine ausgezeichnete denkmalpflegerische Leistung dar und zeugt von Stülers Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt der Baumeister vergangener Epochen zu versetzen.10 Dies gilt gleichermaßen für seine denkmalpflegerischen Arbeiten zur Innenausstattung der Barther Marienkirche.11 Bei der Restaurierung der Berliner Marienkirche erkannte Stüler als erster die kunsthistorische Bedeutung des freigelegten mittelalterlichen Totentanzes und ließ das Wandgemälde sichern. In den Jahren um 1864 entwarf Stüler einen sich harmonisch an das vorhandene Bauwerk anpassenden Mittelturm für die bis dahin unvollendete gotische Marienkirche seiner Heimatstadt Mühlhausen. Der Turm war seit seiner Entstehung mehrmals zerstört und verändert worden und trug nach der letzten größeren Erneuerung um 1690 eine barocke spanische Haube. Stülers Vorschläge zur Sanierung der Kirche und zum Bau des neugotischen Mittelturmes wurden allerdings vom Kirchenrat wegen „Undringlichkeit" abgelehnt, schufen aber die Voraussetzung für die von 1884 bis 1903 ausgeführte Restaurierung. Der von Baurat Röttscher entworfene Mittelturm geht in seinen Proportionen zum Langhaus weit über Stülers Vorschlag hinaus und entspricht sowohl dem Repräsentationsbedürfnis des aufstrebenden Mühlhäuser Bürgertums um die Jahrhundertwende als auch dem Geist der späten wilhelminischen Zeit.12 Fast alle Kirchenbauten Stülers im preußischen Raum sind in unverputztem Ziegelbau ausgeführt. Auf malerische Wirkung bedacht, lehnen sich seine Entwürfe an italienische und mittelalterliche deutsche Vorbilder an. Mit dem Baumaterial korrespondierend wählt er meist den gotischen Stil, vereinzelt jedoch auch - dem Vorbild der „Berliner Schule" folgend - antikisierende Formen und romanische Motive. Zwischen den Architekten der „Berliner Schule" gab es eine enge künstlerische Verwandtschaft und eine ebenso enge praktische Zusammenarbeit. Bei vielen Bauwerken ist heute kaum 270
Abb. 3: Das Kreuz am Kremmer Damm, das die Erinnerung an den im dortigen Gefecht am 24. Oktober 1412 gefallenen Grafen zu Hohenlohe bewahrt. Mit dem Sieg über die Pommern begründeten die Hohenzollern ihren Aufstieg in Brandenburg. Stüler hat 1845 die hölzernen Vorgängerkreuze von 1415, 1666 und 1796 auf Ordre Friedrich Wilhelms IV. durch dieses Steinkreuz ersetzt.
zu erkennen, daß eine Reihe von Baumeistern am Werk war. Bei der Vollendung von Schinkels Nikolaikirche in Potsdam durch Persius flössen Gedanken von Stüler ein (Oberbauleitung nach Persius' Tod und Teile der Innenraumgestaltung), ebenso beim Bau der Friedenskirche im Park von Sanssouci. Nach Knoblauchs Ausscheiden aus der Bauleitung der Neuen Synagoge zu Berlin als Folge seines unheilbaren Leidens war es für Stüler, der ohnehin Teile der Innenausgestaltung entworfen hatte, nicht schwer, den Fortgang des Baus im Knoblauchschen Sinne in die Hand zu nehmen, ebenso wie dies Strack tat, als Stülers Entwurf der deutschen Nationalgalerie nach dessen Tod zur Ausführung kam. Als Hofarchitekt des Königs und Direktor der Schloßbaukommission oblagen Stüler alle Bauaufgaben an den Schlössern des Königs. Mit Albert Schadow (1779-1869) als Bauleiter setzte er die schon von Schinkel erwogene Absicht um und errichtete über dem Eosanderportal des Berliner Schlosses die Schloßkapelle, deren Kuppelbau bis zur endgültigen Zerstörung des Schlosses ein markanter Punkt des Berliner Stadtzentrums war. Viel beachtet wurden Stülers Weiterführung der Eosanderschen Prachttreppe, der Ausbau des Weißen Saales und der sogenannten Paradekammern im Schloßkomplex. All dies wurde ein Opfer des Krieges und des Unverständnisses für die Werte unseres kulturellen Erbes durch den Abriß 1950. Wesentlichen Einfluß nahm Stüler weiterhin auf alle Bauten in und an den Schlössern in Breslau (neuer Seitenflügel), Königsberg (Moskowiter Saal), Stolzenfels, Koblenz, Liegnitz, Erdmannsdorf und 271
Letzlingen (Jagdschloß). Der romantischen Neigung seines Dienstherrn folgend, wurde die Burg Hohenzollern auf den Mauern der verfallenen mittelalterlichen Anlage nach Stülers Entwürfen in gotischem Stil neu errichtet. Sie gilt als Musterbeispiel der romantischen Reflexion des Mittelalters in der Architektur.13 Letztlich wurden alle Schloßbauten von Potsdam, die in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. entstanden, in irgendeiner Weise durch Stüler beeinflußt (Orangerie, Schloß Belvedere auf dem Pfingstberg, Weinbergsanlagen usw.). Einen Höhepunkt in Stülers Schaffen bildet der Auftrag zum Bau des Neuen Museums, dem die Neugestaltung der gesamten Berliner Museumsinsel nach den Plänen Friedrich Wilhelms IV. folgen sollte. Im Rahmen der ihm gesteckten Grenzen schuf Stüler ein Meisterwerk der Museumsbaukunst, das alle Erkenntnisse der damaligen Zeit in konstruktiver und musealer Hinsicht berücksichtigte. In der Bauausführung wurden in England entwickelte statische Lösungen verwendet, es wurden neuartige Baustoffe und Verarbeitungsverfahren für dekorative Elemente angewandt. So führte Stüler in enger Zusammenarbeit mit den Berliner Gießereien den Zinkguß für den plastischen Bauschmuck in großem Maße ein (diese Technik fand später auch beim Bau der Neuen Synagoge in vielfältiger Weise Anwendung). Als Treppenaufgang kam ein Entwurf Schinkels zur Geltung, der ebenso wie Stülers Bronzetür in Schinkels Altem Museum die geistige Verbindung beider Meister symbolisierte. Die benachbarte Nationalgalerie in Form eines griechischen Tempels mit architektonischer Treppe wird erst nach Stülers Tod durch Strack ausgeführt, der den Entwurf geringfügig verändert. Das Nationalmuseum in Stockholm gehört ebenso wie der Palast der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu Budapest zu den bedeutendsten auswärtigen Bauten Stülers. Der Palast am Donauufer stellt einen Renaissancebau dar, der ganz bewußt in der Wahl des Stiles eine Brücke zu der Zeit der Menschheitsgeschichte schlagen soll, in der die Wissenschaft nach der Finsternis des Mittelalters erwachte und wieder großer Leistungen fähig wurde.14 Ähnliche Gedanken mögen Stüler bewogen haben, das Universitätsgebäude von Königsberg (Pr) in klarer und einfacher Renaissancearchitektur auszuführen. Sowohl im Material als auch in der Wahl des Bauschmuckes hält sich Stüler bei beiden Bauwerken an die örtlichen Möglichkeiten und Traditionen.15 Für den Schmuck an der Universität Königsberg und für die Reliefs der in Backsteinbau gehaltenen Gitterbrücken von Dirschau über die Weichsel und Marienburg über die Nogat verwendet er edle Terrakotabauteile, Reliefs und figürliche Darstellungen. Für die Bahnhofsgebäude von Dirschau und Eydtkuhnen verwendet er helle Ziegelsteine und baut in Anlehnung an italienische Paläste. Über den künstlerischen Wert des Schweriner Schlosses ist viel gestritten worden. Unbestreitbar ist aber, daß seine märchenhafte Ansammlung vieler Stilelemente und Teile aus vielen Epochen eine romantische Anziehung auf die meisten Menschen ausübt. Seine äußere Form hat es letztlich durch Stüler erhalten, der nach der Amtsenthebung Georg Demmlers (1804—1886) die Weiterführung des Umbaus übernahm. Neben Teilen des überkommenen Schloßbaus finden wir Elemente der Renaissance und der Gotik in einer gekonnten Stilverschmelzung, die den malerischen Reiz des Schlosses bewirkten. Schon bei der ersten Ausschreibung für die Umgestaltung des Schlosses in den 30er Jahren standen sich Demmler, Semper und Stüler als Konkurrenten gegenüber. Großherzog Friedrich Franz II. entschied sich damals aber für keinen der Vorschläge. Ohne Zweifel gab es nach der Übernahme der Bauleitung im Jahre 1851 bei Lage der Dinge zwischen Stüler und Demmler große Kontroversen, die M. Pfannstil in ihrer Serie zum Schweriner Schloß in der „Wochenpost"16 allein der politischen und persönlichen Feindschaft zwischen beiden zuschreibt. Eine solche Beurteilung mißachtet die damaligen Gegebenheiten im Bauwesen, bei denen die Konkurrenz um den besten Entwurf bzw. um die 272
Abb. 4: Stülers Geburtshaus in Mühlhausen in Thüringen, das Pfarr- und Gemeindehaus „St. Marien", inzwischen in der Dachzone und der Fensterfront verändert. Gunst des Bauherrn zum Normalen gehörte. Allerdings muß eingeräumt werden, daß Stüler seinem Landesherrn gegenüber stets eine loyale Haltung eingenommen hat, die auch in der Zeit der 48er Revolution nicht erkennbar ins Wanken geriet. In die späten Schaffensjahre Stülers fallen wiederum eine ganze Reihe von Wohnbauten, Schloßentwürfen und -umbauten, so z.B. in Boitzenburg, Blankenburg, Neustrelitz und Altenstein bei Meiningen sowie die Marställe in Meiningen und Altenburg. Die Berliner Villen Stülers haben die große Stadterweiterung und die Zerstörung des letzten Krieges nicht überstanden, auch nicht das Cafe Kranzler an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden, dessen romanischer Anbau das Bild dieser bewegten Ecke prägte. Die Vielseitigkeit Stülers zeigt u. a. auch seine Aktivität bei der Gestaltung von Grabkapellen und Denkmälern (so das Rubenow-Denkmal in Greifswald, das Schulz-Kersten-Denkmal in Kyritz, das Hohenlohe-Kreuz in Kremmen, das Jasko-Kreuz auf der Insel Schildhorn, das Kurfürst-Johann-Denkmal in Köpenick, die Grabdenkmale von Koppen und von Ravene in Berlin-Mitte). Stüler stand zu seiner Schaffenszeit in hohen Ehren, wurde dekoriert von den Regierenden vieler Länder und war Mitglied einer großen Zahl in- und ausländischer Akademien und Gesellschaften. Nach Knoblauchs Ausscheiden übernahm Friedrich August Stüler auch die Leitung des Architektenvereins, dessen Vorstand er seit 1824 angehörte. Als er sich am Abend des 18. März 1865 zu einer Sitzung der Berliner Kunstakademie begeben wollte, erlag er einem Herzschlag, der ihn — der immer voll aus seinen Kräften schöpfen konnte - unvorbereitet aus seinem Arbeitsleben riß. 273
Unter Teilnahme der gesamten Architektengemeinde Berlins und vieler Freunde und Vertreter der Berliner Öffentlichkeit wurde Stüler am 23. März 1865 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt. Durch Spenden seiner Freunde und Kollegen konnten 2000 Thaler aufgebracht werden, mit deren Hilfe nach Entwürfen von Strack ein würdiges Denkmal entstand. Ein marmorner Baldachin erhob sich über einer Büste, geschaffen von Schievelbein, die Stüler als 50jährigen Mann zeigte. Das Grab war umgeben von einem kunstvollen gußeisernen Gitter. Die gesamte Anlage fiel dem letzten Krieg zum Opfer. Eine Wiedererrichtung übersteigt zur Zeit die Möglichkeiten der Denkmalpflege. Noch in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts begeistert gefeiert, begann bald eine radikale Abwendung der Bauwelt von den Leistungen der Schinkel-Nachfolge. Lier bestätigt Stüler 1893 in der „Allgemeinen Deutschen Biographie"17, daß er „zu den Architekten gehörte, die sich vermöge ihrer Bildung und ihrer reichen geschichtlichen Kenntnisse in allen Sätteln zurecht fanden, aber nur wenige eigene schöpferische Gedanken gehabt haben. So hat Stüler wesentlich dazu beigetragen, das Ansehen der Schinkelschen Schule in Berlin und Deutschland zu schwächen und die Unausführbarkeit des Schinkelschen Grundgedankens, aus hellenistischem Geiste heraus die Aufgaben unserer Zeit zu lösen, deutlich zu beweisen". Die „Kunst des 19. Jahrhunderts" von Lübke-Haag18, ein Standardwerk der damaligen Zeit, erwähnt die Architekten der „Berliner Schule" nur mit einem Satz, die Meister des Bauhauses haben für sie gar nur Verachtung übrig. Stüler und mit ihm der ganzen Generation der Schinkel-Nachfolge wird man nur gerecht, wenn man sie aus heutiger Sicht im Zusammenhang mit ihrer historischen Epoche, ihrem eigenen Geschichtsverständnis, ihren spezifischen künstlerischen Ansichten, aber auch ihren technischen Möglichkeiten sieht. Die Technik des Bauens hatte sich im Prinzip seit Jahrhunderten nicht wesentlich geändert und basierte auf soliden handwerklichen Traditionen. Die Ausbildung der Baumeister war noch zu Stülers Jugend mehr oder weniger unsystematisch und vom Geschick oder Glück des einzelnen abhängig. Aus technischen Neuerungen konnten keine Impulse für eine neue Stilrichtung kommen. Neue Lösungen im Detail, beim Baumaterial, im Bauschmuck usw. wurden oft schon als gravierende Umwälzungen angesehen. Gerade hierbei hat Stüler in mancherlei Hinsicht Pionierarbeit geleistet, sei es — nach Schinkel — beim umfassenden Einsatz des heimischen Backsteins im Kirchenbau, der Einführung neuer preiswerter Werkstoffe und Rezepte für hohe Ansprüche, des Einsatzes von Terrakotta und des Zinkgusses für den Bauschmuck sowie bei der Anwendung neuer statischer Lösungen. Alle Kunstepochen schöpften aus dem Formenreichtum ihrer Vorgeschichte, meist jedoch nur im historischen Nahfeld oder in einer bevorzugten Epoche der Vergangenheit. Das Geschichtsverständnis der Romantik hatte diese Grenzen abgestreift und sah sich als Erbe der gesamten Menschheitsgeschichte. Was Wunder, daß sich ihre Künstler berufen fühlten, aus dem gesamten Formenschatz der Vergangenheit zu schöpfen. Stüler und seine Zeitgenossen fühlten sich nicht, wie ihr großer Ahnherr Schinkel, allein der griechischen Klassik und ihrer Adaptation im 15./16. Jahrhundert verbunden, sie griffen, je nach Zweckbestimmung, umgebender Landschaft und architektonischem Umfeld, auf Elemente der gesamten Bautradition zurück - eine Verfahrensweise, die natürlich bei leichtfertigem Umgang die Gefahr des Oberflächlichen, Unechten enthält. Stüler entging ihr, indem er stets klare Baukörper schuf, bei denen nie das historische Detail die Gesamtform überwucherte. In seinem Bauentwurf für den Palast der Ungarischen Akademie der Wissenschaften14 kommt Stülers Auffassung deutlich zum Ausdruck. Er, der für seine kirchlichen Bauten den gotischen Stil bevorzugt, entscheidet sich für einen Renaissancepalast. Seine Begründung dafür findet er in der symbolischen Beziehung zu der Blütezeit der Wissenschaft in der europäischen Renaissance. Er argumentiert ein274
Abb. 5: Die Ruhestätte Stülers auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof (zerstört).
leuchtend, daß ein gotisches Bauwerk (für das fast alle anderen Konkurrenten plädierten) nicht diesen Symbolwert trage und auch nicht der ungarischen Tradition entspräche. Stüler bedient sich also der antiken Formen ebenso wie der gotischen, der des italienisierenden-altchristlichen ebenso wie der des deutsch-romanischen Rundbogenstiles, jedoch immer in sparsamer und maßvoller Weise. Seine Kirchen, Wohn- und Profanbauten zeichnen sich durch klare Formen, zurückhaltende und trotzdem ansprechende Ausschmückungen, klare Proportionierungen der Baukörper und deutliche Gruppierungen aus. An allen Werken erkennbar ist das Streben nach Harmonie mit der architektonischen und landschaftlichen Nachbarschaft. Mit der großen Industrialisierung, die um 1870 auch im Bauwesen einzog, ergaben sich viele neue Möglichkeiten in technischer und kunsthandwerklicher Hinsicht. Neue Verfahren der technischen und künstlerischen Gestaltung von konstruktiven und dekorativen Elementen wurden ausprobiert und bald in Massenproduktion wohlfeil hergestellt, vielfach unbedenklich und überschwenglich eingesetzt. Als Auftraggeber traten immer stärker aufstrebende Vertreter des Bürgertums in Erscheinung, die ihre nunmehr gewonnene Bedeutung auch in ihren Repräsentationsbauten ausgedrückt sehen wollten. Die Zurückhaltung vergangener Meister galt nicht mehr viel. Mit der Abkehr von deren Grundsätzen ging eine Hinwendung zum Detail und zum individuellen Bauwerk einher, das oft beziehungslos zur Umgebung errichtet wurde. In der Gründerzeit werden in freier Handhabung alle Stile der Vergangenheit neu durchlaufen, alle technischen Raffinessen an ihnen ausprobiert, bis mit dem Jugendstil eine Form mit relativ 275
eigenständiger Ausdrucksweise gefunden wird. In den Werken des Bauhauses wird schließlich ein hoher Grad an Übereinstimmung von technischen Möglichkeiten und künstlerischer Umsetzung verwirklicht. Aus der Sicht unserer Tage (und mit den Augen eines kunstwissenschaftlichen Laien) kann man sagen, daß keine der baugeschichtlichen Epochen ohne die Erkenntnisse und Irrtümer ihrer Vorgänger zu ihren Leistungen gelangt wäre, daß sie sich auch in ihren Widersprüchen bedingen. Stüler stand gewissermaßen als Nachfolger des großen Schinkel am Ende einer Epoche, die uns um viele Kunstwerke bereichert hat. Gleichwohl trug er durch sein künstlerisches, pädagogisches und organisatorisches Wirken wesentlich dazu bei, eine neue Epoche der Baugeschichte einzuleiten. Eine weniger wohlwollende Betrachtungsweise mag dies so interpretieren, daß er durch sein Wirken zum Absterben seiner eigenen Epoche beigetragen habe. Die erste differenzierte Wertung nach einer Phase der Verachtung erfährt das Werk Stülers an seinem 100. Geburtstag durch den Berliner Architekten und Kunstwissenschaftler K. E. O. Fritsch.1 Auf einer Veranstaltung des Berliner Architektenvereins würdigt er Werk und Ausstrahlung des Meisters und versucht, die Ursachen der genannten Erscheinungen zu ergründen. Fritsch findet auch Worte für seine menschlichen Qualitäten; „der sonnigen Heiterkeit seines Gemüts, der ungeheuchelten Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit seines Herzens, der Zuverlässigkeit seines Charakters. Streng nur gegen sich selbst, mild im Urteil über andere und duldsam gegen jede von der seinigen abweichenden Ansicht, teilnehmend und hilfreich gegen alle, die seiner Hilfe bedurften, war er der Inbegriff einer edlen und liebenswürdigen Persönlichkeit" (eine Charakterisierung, die unvereinbar ist mit der von M. Pfannstil getroffenen). Die kürzlich aufgefundenen Briefe Stülers im Zusammenhang mit dem Bau des Palastes der ungarischen Akademie gewähren Einblick in seine Arbeitswelt. Gleichsam zeigen sie seine Haltung zu Kollegen und Bauleuten, die Fritschs Urteil nur bestätigen. Die Zeit hat ihr Urteil über Stüler und seine Zeitgenossen längst gesprochen. In Berlin werden die Ruinen des Neuen Museums und der Neuen Synagoge gesichert und in naher Zukunft wieder aufgebaut. Auch in Potsdam werden bald die von der Zeit geschaffenen Ruinen des Pfingstberges den Glanz der Orangerie zeigen. Die Kunstwissenschaft beginnt sich des 19. Jahrhunderts unter weniger Vorbehalten anzunehmen. An dieser Stelle ist insbesondere die umfassende Arbeit „Berliner Baukunst nach Schinkel 1840—1870" von Eva BörschSupan19 hervorzuheben. Wesentliche künstlerische Aspekte beleuchtet die Dissertation „Potsdam-Berliner Architektur zwischen 1840 und 1875" von Volker Duvigneau.20. Was aber immer noch fehlt, ist eine umfassende Darstellung des gesamten Werkes der Meister dieser Epoche, in der auch ihre Persönlichkeit eine entsprechende Würdigung erfährt, eine Anforderung, der ein Laie wohl nicht gerecht werden kann. Der Autor dankt an dieser Stelle den Mitarbeitern der Deutschen Staatsbibliothek, der Berliner Stadtbibliothek, dem Kreisarchiv Mühlhausen, dem Handschriftenarchiv der Ungarischen AdW zu Budapest sowie zahlreichen Privatpersonen für ihre Unterstützung, Frau Dr. Eva Börsch-Supan für verschiedene freundliche Hinweise.
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Literatur 1 K. E. O. Fritsch, „Rede zum 100. Geburtstag August Stülers" anläßlich der Gedenkfeier des Architektenvereins zu Berlin am 29. Januar 1900. 2 Friedrich August Stüler, „Über die Wirksamkeit König Friedrich Wilhelms IV. in dem Gebiete der bildenden Kunst", Vortrag zum Schinkelfest am 13. März 1861 zu Berlin. 3 Helmut Sakowski, „Ihr wollt wohl den Grafen wieder holen? / Zum Umgang mit kulturhistorischer Hinterlassenschaft", in: „Sonntag" Nr. 33 (1987), S. 7. 4 Gerhard Günther/Winfried Korf, „Mühlhausen", Leipzig 1986. 5 Helmut Fischer, „Stülers Schaffen für seine Heimatstadt", in: „Mühlhäuser Warte" (1958) 11,12; (1959) 2 (aus einer Jahresarbeit der EOS Mühlhausen, 1958). 6 G. Aßmann, „Carl Heinrich Eduard Knoblauch", in: „Zeitschrift für Bauwesen" 15 (1865), 427-434. 7 Friedrich August Stüler, Brief an den Sekretarius der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Grafen Dessewy, vom 30. Dezember 1861. 8 Friedrich August Stüler, „Über den Bau neuer evangelischer Kirchen in England mit besonderer Rücksicht auf den Kirchenbau unseres Landes", Zeitschrift für Bauwesen 8 (1858), 374—410. 9 Stüler, Soller, Busse, Persius, „Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern", Potsdam 1852. 10 Georg Daniel, „St. Bartholomäus in Demmin hat eine lange Baugeschichte", in: Neue Zeit vom 15. Februar 1988. 11 Friedrich Schulz, „Ich werde Ihnen Stüler schicken — Vom Wirken des Berliner Baumeisters F. A. Stüler im Norden unseres Landes", in: Der Demokrat vom 23. Februar 1987. 12 Winfried Korf, „Der Bau des neugotischen Turmes und die Erneuerung der Marienkirche zu Mühlhausen", in: „Mühlhäuser Beiträge" (1981) 4, 61—66. 13 Friedrich August Stüler, „Die Burg Hohenzollern", in: Zeitschrift für Bauwesen 15(1865)1—12. 14 Friedrich August Stüler, Bauentwurf für den Palast der Ungarischen Akademie der Wissenschaften vom 16. Juli 1861, Handschriftenarchiv der UAdW, Budapest. 15 Friedrich August Stüler, „Das Neue Universitätsgebäude zu Königsberg", in: Zeitschrift für Bauwesen 14 (1864), 1-14. 16 Margot Pfannstil, Wochenpost-Serie zum Schweriner Schloß, Wochenpost 27 (1980), Nr. 40-50. 17 H. A. Lier, in: „Allgemeine Deutsche Biographie" Bd. 36 (1893), 742/7743. 18 Wilhelm Lübke/Friedrich Haag, „Die Kunst des XIX. Jahrhunderts", Esslingen 1907. 19 Eva Börsch-Supan, „Berliner Baukunst nach Schinkel 1840—1870", München 1977. 20 Volker Duvigneau, „Die Potsdam-Berliner Architektur zwischen 1840 und 1875", Dissertation, München 1966. Weitere wichtige Arbeiten über Stüler: R. Lucae, „Friedrich August Stüler / Nekrolog", Zeitschrift für Bauwesen 15 (1865), 273—278. P. Walle, „Zur Erinnerung an August Stüler", Centralblatt der Bauverwaltung (1900) 7, S. 38-42.
Bildnachweis Privatarchiv Dr. Gerd Kley mit Ausnahme Abb. 1 Anschrift des Verfassers: Dr. Gerd Kley, Memhardstraße 8, Berlin—Mitte
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In Berlin geblieben bis zum bitteren Ende Professor Cora Berliner wäre jetzt 100 geworden Von Ernst G. Lowenthal Als ich unlängst im „Parlament", der Wochenschrift der Bundeszentrale für politische Bildung (Bonn), den Aufsatz von Professor Dr. Kurt Nemitz (Bremen) über „70 Jahre Frauen in deutschen Parlamenten" aufmerksam las, schoß mir spontan die Frage durch den Kopf: Hätte nicht auch Cora Berliner in diesen Kreis gehören können? Der Artikel handelt von drei nichtjüdischen deutschen Frauen, die, sämtlich von der Sozialarbeit her kommend, 1933 ihr Mandat als Reichstagsabgeordnete verloren: Marie Juchacz (Landsberg a. d. Warthe 1879 — Köln 1956), die Gründerin der „Arbeiterwohlfahrt" und SPD-Abgeordnete, die 16 Jahre ihres Lebens in der Emigration in den USA verbrachte, sodann Christine Teusch (Köln 1888—1968), die aus den christlichen Gewerkschaften und der katholischen Tradition des Rheinlands hervorgegangene Lehrerin, und schließlich Dr. Marie-Elisabeth Lüders (Berlin 1878—1966), die als Abgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei und Beamtin im Reichsarbeitsministerium sich u. a. für die Interessen der weiblichen Arbeitnehmer einsetzte. Nach Kriegsende fanden nur die beiden letzten wieder ihren Weg in die Bonner Parlamentsarbeit der CDU bzw. der FDP. Cora Berliner, vor 100 Jahren in Hannover geboren und am 19. Juni 1942 von den nationalsozialistischen Machthabern in die todbringende Deportation verschleppt, gehörte ungefähr zu der gleichen Generation deutscher Frauen wie die drei vorgenannten Persönlichkeiten. Auch ähnelten sich die vier in ihrer humanitären Grundhaltung und in gewisser Weise auch in ihren Lebens- und Berufswegen sowie in der Art ihrer Ausbildung und in ihrer Denkausrichtung. Gemeinsam war allen auf jeden Fall die Rolle, die sie im ungefähr gleichen Zeitraum in der Frauenbewegung spielten. Cora Berliner z. B. gehörte längere Zeit dem Vorstand des Jüdischen Frauenbundes an. Bevor sie 1933 — soweit erinnerlich, über den Jüdischen Central-Verein — den Weg in die Arbeit der kurz vorher gegründeten Reichsvertretung der deutschen Juden fand, hatte Cora, wie sie zumeist kurz genannt wurde, eine Reihe interessanter öffentlicher Ämter innegehabt. Im nachhinein erscheint es als durchaus möglich, daß sie ohne Hitler und das Dritte Reich eines Tages Parlamentarierin geworden wäre, im Reich, in Preußen oder in Berlin. Das Zeug dafür hatte sie, nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung im öffentlichen Dienst, sie verstand es auch, überzeugend und diszipliniert zu sprechen und klar zusammenzufassen. Aber Cora Berliner ging im Alter von nur 52 Jahren dahin, in der Blüte ihrer reifen Jahre wurde ihre Laufbahn in der allgemeinen deutschen Öffentlichkeit abrupt beendet, in der sie 15 Jahre verbracht hatte. Weitere neun Jahre arbeitete sie für die jüdische Spitzenorganisation, die Reichsvertretung der deutschen Juden (später zwangsweise umbenannt in Reichsvereinigung der Juden in Deutschland). In dieser Dekade war sie für Rabbiner Dr. Leo Baeck, den ehrenamtlichen Präsidenten, und für Ministerialrat a. D. Dr. Otto Hirsch, den Geschäftsführenden Vorsitzenden der R.V., eine engagiert helfende Beraterin, zumal sie ja mit dem Apparat der deutschen Verwaltung der Zeit vor dem Dritten Reich vertraut war und manchen ihrer Funktionsträger kannte. Schon von früh an auch mathematisch-statistisch interessiert und in dieser Richtung vielleicht vom Vater (Manfred Berliner, 1853—1951) her „belastet", der in Hannover eine Private Höhere Handelsschule besaß und leitete, hatte sie 1916 mit einer Dissertation über „Die Organisation der jüdischen Jugend in Deutschland" in Heidelberg promoviert. Bereits vorher hatte 278
sie in dem 1909 gegründeten „Verband der jüdischen Jugendvereine Deutschlands" eine Rolle gespielt, der später lange unter der Kurzbezeichnung „Neutraler Verband" bekannt war. Nach dem Ende des Ersten Welkrieges war Cora bei der Stadtverwaltung in Berlin-Schöneberg tätig. 1919 wurde sie ins Reichswirtschafsministerium berufen. Seit 1923, im Zeitalter der Inflation, als Regierungsrätin im Statistischem Reichsamt, wurde sie vorübergehend 1927 an die deutsche Botschaft in London „abkommandiert", um, wie es damals hieß, an der Vertiefung der deutsch-englischen Handelsbeziehungen mitzuarbeiten. 1930—33 wirkte sie als Professor für Nationalökonomie an dem noch jungen staatlichen Berufspädagogischen Institut in Berlin, einer höheren Ausbildungsstätte für Gewerbelehrer. Aus diesem ihrem Amt 1933 verjagt, übernahm Cora Berliner in der Reichsvertretung zunächst das Referat für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, wurde auch für Auswanderungsfragen zuständig, und zusätzlich mußte sie 1937 noch das durch die Auswanderung von Dr. Friedrich S. Brodnitz vakant gewordene Presseressort übernehmen. So hat Cora, um einmal Professor Ernst Simon zu zitieren, am „Aufbau im Untergang", mit anderen Worten: an der Selbsthilfe der Juden im nationalsozialistischen Deutschland, wesentlichen Anteil gehabt. 279
Ihre Erscheinung, mittelgroß und schlank, stets dunkel gekleidet - mit Hut —, ihre lebhaften dunklen Augen, ihre hohe Stimme, ihr norddeutscher Akzent (zuweilen fast spitz-burschikos zutage tretend), ihre brünette Hautfarbe, ihre rasche Gangart, manchmal ihre Ungeduld mit sich selbst und anderen, alles das ist dem überlebenden Zeitgenossen gegenwärtig geblieben. Kurz: Cora Berliner war eine gewinnende, menschennahe Persönlichkeit, die auf jüdischer Seite sehr wohl nicht nur der Generation, sondern auch der Bedeutung der eingangs genannten Sozialarbeiterinnen zuzurechnen ist. Ihr Geburtstag jährte sich am 23. Januar 1990 zum hundertsten Mal. Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Ernst G. Lowenthal, Kaunstraße 33, 1000 Berlin 37
Noch einmal: „Der Idstedt-Löwe" Im Nachtrag zu Dr. Hans Konrads Arbeit über die Flensburger Löwen sandte uns Dipl.- Ing. Heinz Jung eine Aufnahme vom 14. Juli 1989. Sie zeigt den jetzigen Standort des Originals über hölzernem Sockel auf dem „nicht günstig gelegenen" (Jung) Museumshof in Kopenhagen. Die jetzige (13. Juli 1989) Inschrift am Monument lautet in deutscher Übersetzung: Der Idstedtlöwe Grabmal für die in der Schlacht bei Idstedt am 25. Juli 1850 gefallenen und auf dem SanktMarien-Kirchhof in Flensburg begrabenen dänischen Soldaten. Das Monument, das von dem Bildhauer H. V. Bissen geschaffen und aus der Bronze alter Kanonen aus dem hiesigen Zeughaus gegossen wurde, wurde im Jahre 1862 errichtet. Im Februar 1864 wurde es von den Preußen vom Kirchhof entfernt und im Jahre 1866 als Trophäe im Berliner Zeughaus aufgestellt. Im Jahre 1878 wurde es zur Kadettenanstalt im Vorort Groß-Lichterfelde bei Berlin überführt. Dort fanden es im Mai 1945 amerikanische Truppen unbeschädigt und überführten es auf dänische Initiative nach Kopenhagen, wo es an König Christian X. übergeben wurde. Die dazugehörigen 2 Inschriftplatten und 4 Porträt-Reliefs sind in der Kanonenhalle des Museums zu finden. Die Redaktion dankt Herrn Jung für die freundliche Überlassung von Foto und Text. Wir freuen uns immer über eingehende Bemerkungen, Anregungen oder Ergänzungen unserer Leser, sind sie doch ein Zeichen für das Interesse und die Aufmerksamkeit, die die Beiträge der „Mitteilungen" bei den Mitgliedern finden. Günter Wollschlaeger
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Der Idstedt-Löwe im Museumshof in Kopenhagen am 14. Juli 1989
Aus dem Mitgliederkreis
Die Schatzmeisterin richtet einen dringenden Appell an unsere Mitglieder, bei Zahlungen Namen und Adresse nicht zu vergessen oder deutlich lesbar zu schreiben. Auch bei den neuen Formularen muß auf dem Durchschlag der Gutschrift der Name deutlich zu lesen sein. Bitte, beachten Sie diese kleine Mühewaltung!
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Studienfahrt nach Ulm (Donau) Hatte es in der Ankündigung dieser Exkursion geheißen, für alle Führungen in Ulm selbst und in dessen Umland stünde Frau Ingeborg Bock, geborene Schlumberger, zur Verfügung, „die ausgeprägten Charme mit der großen Gabe verbindet, ihre weitreichenden Kenntnisse kunstgeschichtlicher, musikwissenschaftlicher und stadthistorischer Art mit Engagement an den Mann (und die Frau) zu bringen", so werden die Teilnehmer bestätigen können, daß der Schriftführer hier den Mund nicht zu voll genommen hatte. Die Hinfahrt am 8. September 1989 war von bestem Reisewetter begünstigt, das nahe der Autobahn gelegene Heilsbronn bot sich für die Mittagsrast ideal an. Daß bei solch freundlichem Wetter das Fischerviertel das geeignete Ziel eines abendlichen Bummels ist, wußten offensichtlich auch andere Gäste Ulms und die Bürger dieser schönen Stadt selbst, denn es war in keiner der historischen Gasthäuser Platz zu finden. Am Sonnabend holte Frau I. Bock die Gruppe vom Hotel ab und führte sie intelligent-beredt durch Ulms Altstadt und durch das Ulmer Münster, dessen Orgel in einem kleinen Konzert vorgeführt wurde. Das Ulmer Museum verdiente einen Besuch, und in der Nikolauskapelle, einem eher unscheinbaren Bauwerk, wußte Frau Bock auf eindrucksvolle Weise ihr Aufgehen auch in denkmalpflegerischer Funktion zu demonstrieren. Während die Zahl der Mitreisenden, die den Münsterturm bestieg, offensichtlich nicht sehr groß war, ließ sich eine deutlich stärkere Gruppe bei dem von unserer Führerin empfohlenen Violinkonzert der jungen Künstlerin Julia Galic im Münster begeistern. Der sonntägliche Ausflug war in der Abfolge etwas umgestellt worden: zunächst wurde dem Benediktinerkloster Blaubeuren mit seinem bedeutenden Hochaltar und dem Blautopf ein Besuch abgestattet, dann (im unvermeidlichen Gedränge eines „offenen Tages") der Abteikirche Zwiefalten. Auf Umwegen erreichte der Omnibus, dessen guter Fahrer Günter ein besonderes Lob verdient, die Wallfahrtskirche in Steinhausen, und den Abschluß dieser die verschiedenen Stile der Architektur aufweisenden Rundfahrt bildeten im Kloster Wiblingen die Barock-Rokoko-Bibliothek und die barockklassizistische Kirche. Im Gerberhaus konnte bei einer netten Abendrunde Frau Ingeborg Bock als die großartige Botschafterin ihrer Vaterstadt verabschiedet werden; es ist nicht auszuschließen, daß sich Teilnehmer unserer Exkursion auch an einer der von Frau Bock organisierten Studienfahrten beteiligen werden. Von der Heimfahrt bei unverändert gutem Wetter läßt sich nichts anderes sagen, als daß sie in der freundlichen Stimmung stattfand, die die ganze Reise kennzeichnete, bei der die Fülle der Eindrücke und Erlebnisse die unleugbaren Strapazen des Programms mehr als aufwog. — Bevor die Öffnung der Grenzen andere Überlegungen in den Vordergrund treten ließen, waren die Vorbereitungen zur diesjährigen Exkursion vom 7. bis 9. September nach Paderborn bereits angelaufen. SchB.
Buchbesprechungen Hauptsache, wir sind alle jesund. Berliner Witze. Herausgegeben von Katrin Pieper. Illustrationen von Manfred Bofinger. Der Kinderbuchverlag Berlin 1986, 5,50 Mark. Viele alte bekannte und einige neue Berliner oder auf Berlin zugeschnittene Witze sind in diesem Büchlein vereint. Zwei Beispiele mögen für den Inhalt stehen (warum soll an dieser Stelle nicht auch einmal gelacht werden ?): Karlchen singt auf dem Klo: „Es geht alles vorüber — es geht alles vorbei." „Setz dir jefälligst richtig uff de Brille", brüllt der Vater. Und (hier wird dann deutlich, in welcher Stadthälfte der Verlag angesiedelt ist): Ein Trabbi hat Panne. Kommt ein Überland-Tonner und stoppt. Der Fahrer beugt sich heraus und fragt den Trabbi-Besitzer: „Kannste mit den Kasten ooch UKW hörn?" SchB. Projekt: Spurensicherung. Alltag und Widerstand im Berlin der 30er Jahre. Herausgeber: Berliner Geschichtswerkstatt e.V. Berlin: Elefanten Press Verlag GmbH, 1983, 255 Seiten. Als Begleitbuch zu einer Ausstellung der Berliner Geschichtswerkstatt im Rahmen von Veranstaltungen über die „Zerstörung der Demokratie 1933 - Machtübergabe und Widerstand" erschien diese bebilderte Aufsatzsammlung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter — geboren zwischen 1947 und 282
1959 — gehören einer Generation an, die die 30er Jahre nicht miterlebt hat, aber „spezifische Erfahrungen mit der Aufarbeitung des Themas Nationalsozialismus" sammelte (S. 5), die viele ihrer Fragen offenließ — Anlaß zur Auseinandersetzung mit den bisherigen Formen und Inhalten von Geschichtsvermittlung, zur eigenen Quellensuche vor allem im privaten Bereich und zum Rückgriff auf die Methode des lebensgeschichtlichen Interviews. Darin sowie in der bewußten „Untersuchung kleinräumlicher Strukturen" in Charlottenburg und Schöneberg (S. 7) und in der Zielsetzung, „mit den Betroffenen zusammen Geschichte aufzuarbeiten" (S. 6) und vom Gegenwartsbezug eines Themas auszugehen, weiß sich die Gruppe der „Geschichte von unten"-Bewegung verpflichtet und zugehörig. Diese „Neue Geschichtsbewegung" entstand seit den späten 70er Jahren und hat sich inzwischen, natürlich auch in Berlin, neben den Geschichts- und Heimatvereinen mit einem eigenständigen Angebot von Veranstaltungen und Publikationen etabliert. Wenn auch die Berliner Geschichtswerkstatt mit „Projekt: Spurensicherung" nicht sogleich die auf dem Rückendeckel des Buches angekündigte Reihe einleiten konnte, so sind doch seit 1985 zahlreiche Veröffentlichungen erschienen, die zum Teil an Ausstellungen oder an „Historische Dampferrundfahrten" auf dem Landwehrkanal und der Spree anknüpfen. Die 1983 vorgetragene heftige Institutionenschelte vor allem gegen Archive (S. 7 f.) dürfte in der Zwischenzeit einer differenzierteren Einstellung gewichen sein. — Ohne die Beiträge des Bandes einzeln aufzuzählen, sei erwähnt, daß mehrere von ihnen sich mit Themen aus den Alltagsbereichen „Freizeit" und „Unterhaltung" beschäftigen. Das Taschenbuchformat erzwingt oft eine starke Verkleinerung der Abbildungen, die für den hier gewählten methodischen Zugang aber unerläßlich sind und in ihrer „Anschaulichkeit" weit mehr als nur Buchillustration und Zugabe zum Text sind, nämlich Geschichtsquellen. Chrisliane Schuchard
Reinhard Mey. Mein Dorf in Berlin. Aus der Reihe „Ganz Persönlich". Beschreibungen in Zusammenarbeit mit dem ZDF. 48 Seiten mit 40 Farbfotos von Erhard Pansegrau und einer Karte, Pp. lam., 24,80 DM. ISBN 3-89 102-217-4. Eulen Verlag, Wilhelmstraße 18, Freiburg i. Br. „Denn zu Haus kann ich nur in Berlin sein!" — Reinhard Meys Zuhause ist der Berliner Norden, vor allem Frohnau, wohin er nach seinen Gastspielen immer wieder zurückkehrt. Vielleicht mag diese Verwurzelung mit dazu beigetragen haben, daß er zu jenen Künstlern gehört, die die Musikindustrie nicht verschlissen hat, wie es im Vorwort heißt. In dem mit einer Fülle von Farbaufnahmen ausgestatteten Band geht Reinhard Mey seinen Erinnerungen nach, so „beim Blättern in den Bildern meiner Kindheit", wo es heißt „Wie manches, dem wir kaum Beachtung schenken, / Uns dennoch für ein ganzes Leben prägt". Der Liebhaber Meys findet den Liedtext „Es gibt keine Maikäfer mehr" ebenso wie schon ein Foto der Humboldt-Bibliothek in Tegel, aber auch „Berlin tut weh", was von der Berlin-Werbung in „ . . . tut gut" umgemünzt worden ist. Eine gewisse „Ich hab' noch einen Koffer in Berlin"-Rührseligkeit kommt in dem Lied auf „Ich trag' den Staub von deinen Straßen — Berlin" mit dem Vers: Der Braunbierwagen fährt längst andre Lasten. Den Scherenschleifer und den Kesselschmied, Den Alten mit seinem Leierkasten, Die gibt es fast nur noch in meinem Lied. Den Schlußpunkt setzt das Gedicht „Aber zu Haus kann ich nur in Berlin sein". Eine Karte mit den Berliner Bezirken ist diesem Band angefügt worden, auf der allerdings die beiden neuen Stadtbezirke Hellersdorf und Hohenschönhausen fehlen; die in Reinickendorf verzeichnete S-Bahnlinie nach Heiligensee (und weiter) harrt indes noch ihrer Wiederbelebung. H. G. Schultze-Berndt Georg Brandes: „Berlin als deutsche Reichshauptstadt. Erinnerungen aus den Jahren 1877—1883." Übersetzung aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle, hrsg. von Erik M. Christensen und Hans-Dietrich Loock, 619 Seiten, 84 zeitgenössische Abbildungen, Anmerkungen des Übersetzers und Aufsatz der Herausgeber: „Ein Europäer in Berlin". — In der Reihe „Wissenschaft und Stadt", Bd. 12 - Colloquium Verlag, Berlin 1989. 283
Da Brandes Literaturwissenschaftler und zugleich Hörer an der Berliner Universität war, lag es für die Herausgeber nahe, ihn unter dem Topos „Berlin in der Wissenschaft — Wissenschaft in Berlin" aus der Vergangenheit heraufzuholen. Es geschah in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin im Rahmen der 750-Jahr-Feier der Stadt. Das Buch ist die Wiederauflage der vom Verf. in Buchform edierten Zusammenfassung seiner Korrespondentenberichte für skandinavische Zeitungen, ursprünglich in dänischer Sprache erschienen und nun erstmals in deutscher Übersetzung publiziert. Rezensentin stimmt mit den Herausgebern überein, daß hier ein großer Europäer schreibt und daß mit der Sammlung eine hervorragende Dokumentation der frühen Kaiserzeit vorliegt (Klappentext). — Zu Recht werden von ihm Aufsätze über die jüdischen Transitflüchtlinge auf dem Schlesischen Bahnhof und der Aufsatz über den Berliner Kongreß als Kernstücke hervorgehoben; Rez. möchte das Moltke-Porträt ergänzend hinzufügen. Da die Berichte in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind, muß der Leser den sachlichen und geistigen Zusammenhang selber zusammentragen, was den Reiz der Lektüre ausmacht. Als inneres Band bietet sich die linksliberale, die oft die sozialistische Gesellschaftskritik involvierende Einstellung des dänischen Korrespondenten an, der seinen Landsleuten ein bis vor 20 Jahren noch feindseliges Land nahebringt und danach fragt, wie es sich objektiv mit seiner Machtstruktur verhalte. Bei aller Evidenz dieser Art sind seine Aussagen oft widersprüchlich, und es ist der Mut der Herausgeber zu loben, die Neupublikation auf sich zu nehmen. Es ist ihnen zuzustimmen, wenn sie „Brandes ein Thema für zukünftige Forschung" nennen, und dies dem Leser überlassen, dem sie mit der nachgestellten biographischen Würdigung Material an die Hand geben. Der Aspekt des Europäers ist sicherlich hilfreich. Bei aufmerksamer Lektüre findet sich, daß Verf. Brandes selbst, ihm wohl nur halb bewußt, ihm einen Schlüssel in die Hand gibt, und dieser findet sich in den Aussagen über G. Kellers „Grünen Heinrich". Er nennt den Roman „ein originelles und tiefes Buch, so reich an Poesie wie arm an Kunst" (im Sinne von Mache — d. Rez.). Diese Einschätzung war damals keineswegs im allgemeinen Bewußtsein; sie kann als bahnbrechend zusammengelesen werden mit Brandes' Aufsatz über den (märkischen) Sand, in dessen Mitte Berlin liegt. Scheinbar nur ironisch-geistreich ist seine Charakterisierung der Bourgeois-Atmosphäre der frühen 80er Jahre, für deren Gehalt er den märkischen Sand als Allegorie setzt. Sand als geistiges Füllmaterial, das hart und schlagkräftig macht; den Durchschnittsmenschen macht er zum „Philister". Dies Wort erinnert an Eichendorffs Scheidung in „Philister und freie Burschen" in der Heidelberger Romantik. Eichendorff der Romantiker hatte 1857 vor dem Philistertum als einem Abstieg in die Barbarei gewarnt. Hierin läßt sich die Übereinstimmung mit Brandes' pessimistischem Zeitgefühl sehen. „Der reißend schnelle geistige Verfall hat einen unsauberen, falschen Ton" (459). — In ähnlicher Weise handeln die Herausgeber als die Problematik des Verf. sein Mißverhältnis als Linksliberaler und „Analytiker der Macht" zum Christentum ab; sie verweisen auf das schwer Rationalisierbare seiner Wirkung und das Unaufgeklärte zwischen seiner Liebe zu Nietzsche und seiner ideengeschichtlichen Darstellung der Literatur, die modern ist. Das Buch kann als Quellenaufbereitung für den eigenständigen Versuch dienen, die Geschichtsschreibung über das Zeitalter der Reichsgründung in seiner allmählichen Entfaltung nachzuvollziehen; denn sie war zu Brandes' Zeit ja noch im Fluß. Die ganze Breite vielfältiger Urteile ist, entsprechend dem Schema der Reichstagsparteien, in diesen Berichten enthalten, die teils verläßlicher Information, teils eigner Erfahrung entstammen. — Kein Gegenstand des geistigen, künstlerischen, sozialen und wirtschaftlichen, stadtgeschichtlichen und politischen Lebens der 70er Jahre kann abgehandelt werden ohne den Hintergrund der Person Bismarcks, dessen staatsmännische Kraft sich auch im Urteil des Verf. schon wie Urgestein ausnimmt. — Er hat zu ihm ein Verhältnis der Haßliebe, einerseits der Bewunderung echter Größe, andererseits der instinkthaften Ablehnung seiner Berechnung und Kleinlichkeit. Dennoch ist ein treffendes Urteil gefunden, gestützt auf psychologischen Scharfsinn und die gesellschaftskritische Distanz des Verf. — So wird im Kapitel über den Reichstag der Reichskanzler exemplarisch herausgestellt. Er sieht in ihm den Mann der äußersten Gefühle, der zugleich tief hassen und inbrünstig verehren kann; er schildert ihn bei den verschiedensten Anlässen im Reichstag, wo er sich aus kalter Leidenschaft heftig gibt und zugleich die tiefste Leidenschaft beherrschen kann, der die Bühne wie ein politisches Marionettenspiel handhabt und im privaten Umgang von umwerfender Offenheit ist. Als sein Zeitgenosse schildert Verf. schon 1878 das vielschichtige Naturell, bewundert die große Weite außenpolitischen Handelns und Gestaltens, die geistige Hochstimmung, die von Reizthemen wie Orientpolitik, Rußland und Napoleon III. ausgeht. „In seiner mit soviel Selbstbeherrschung getarnten Machtstellung gegenüber Rußland ist er ein großer Mann, in sei284
ner parlamentarischen Taktik gegenüber den Liberalen ist er viel kleiner. Machiavellismus kann für beide Bereiche gleichermaßen wertvoll sein, aber attraktiv wird er erst in großem Stil" (101). Verf. empfindet die Rolle des ehrlichen Maklers als echt und wahr. Er exemplifiziert Bismarcks großen historischen Realitätssinn, wenn er das Aufeinandertreffen mit Napoleon III. in Sedan schildert. In glänzenden Formulierungen kennzeichnet er den Schwärmer Louis Napoleon: „Hortenses Sohn mit dem mystischen Cäsarenglauben an seinen Stern, der Abenteurer mit dynastischen Traditionen,... halb moderner Mensch, halb Neffe des großen Napoleon, der Träumer, der große unklare Kopf und Schlafwandler, dem es an dieser Größe fehlte und der sich einbildete, in dem brandenburgischen Politiker einen Schüler gefunden zu haben! .. .Und dann dieser ,Wirkliche', der mit beiden Beinen fester auf dem Boden stand als irgendein anderer in Europa" (105 f.). Verf. nennt ihn — 1878, als es noch keine Bismarck-Legende gab — einen „Auerochsen, eine Naturkraft in Germaniens uralten Wäldern" . — Er nimmt Bismarck als Christen ernst, er glaubt ihm seine Überzeugung, vom Walten Gottes geführt zu werden. „Aber ich frage mich, ob er Goethe zu begreifen vermag" (in seiner Ansicht vom Dämonischen — d. Rez.). Und er vermerkt scharfsichtig dessen Vorliebe aus Verwandtschaft für die Figuren des Shakespeareschen Theaters. Und es sei vielsagend, wenn der bescheiden-klare Moltke eifriger Leser der antiken Schriftsteller sei. „Er ist für Deutschland, was eine ausgezeichnete, überaus starke Brille für den schlecht Sehenden ist. Es ist ein großes Glück für den Mann, daß er eine so gute Brille besitzt, aber ein großes Unglück, daß er sie benötigt" (111). — Verf. sieht schon in dieser Zeit das Schwächerwerden seiner Durchsetzungskraft in der politischen Normalität. Er brauche wieder eine große Aufgabe, die seine Kräfte belebe. Der große Mann ist für ihn ein kleiner Mensch, weil despotisch und umstürzlerisch (Ausführungen zur Schutzzollpolitik). In der damals noch offenen Erörterung seines Verhältnisses zu den Nationalliberalen nimmt Verf. scharfsinnige Urteile vorweg und bringt die Frage auf den nationalökonomischen Nenner. Bismarcks Abwendung von ihnen 1878 erfolgte seiner Ansicht nach nicht aus bloßem Opportunismus; beider Bündnis war keine bloße Vernunftehe, deren Frieden auf Nachgeben beruhte, sondern die tiefere Ursache ist der Geldzustrom aus den französischen Reparationen. Bismarck war zu wenig Wirtschaftsfachmann und hatte sich in der Einschätzung der wirtschaftlichen Einbußen Frankreichs verschätzt; Frankreich wurde nicht dauernd geschwächt und daher von linksradikalen Kräften bedroht; so habe er sich auch über die Wirksamkeit der deutschen Liberalen getäuscht und sei aus Enttäuschung darüber zu den reaktionären Ansichten seiner Jugendzeit zurückgekehrt. Verf. deduzierte damals eine längere Untätigkeit der Liberalen, die erst dadurch überwunden werden kann, daß die Reaktion das erträgliche Maß überschreitet und eine Gegenreaktion erzeugt. Dann sei ein Hauch von Hoffnung für die Opposition gegeben, aber eben nur ein Hauch, denn er erachtet auch den Kronprinzen Friedrich Wilhelm für keinen Liberalen. Hellsichtig sieht er ein Ansteigen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gründerjahre voraus und als Ergebnis einen Linksruck in der deutschen Innenpolitik, der zwangsläufig die linksdemokratischen Kräfte in Frankreich wiederbeleben werde und Bismarcks erbitterten Widerstand erzeugen. — Tatsächlich bezeichnet er nur ein Jahr später Bismarck als „demagogischen Diktator", der im Kulturkampf „tyrannisiert und experimentiert". Diese unheilvolle Entwicklung wird vertieft durch einen Generationswechsel. Eine Wohlstandsjugend sei nach 1871 zur politischen Reife gekommen, der Bismarcks Allwissenheit und Chauvinismus zur höchsten Doktrin geworden sei. „Die bemerkenswerte Bescheidenheit der Studenten und jungen Offiziere kurz nach dem Kriege ist dahin, die alte Generation der Befreiungskriege längst abgetreten." Diese Beobachtung machte er anläßlich der Vermählungsfeier des Prinzen Wilhelm, was bedeutet, daß Verf. den Wilhelminismus schon sehr früh konstatiert und daß der Bruch von 1890 schon längst Vorhandenes sichtbar machte. Er mißt seine eignen Urteile über Bismarck an den Idealen des englischen Parlamentarismus, d. h. nach seiner Verfassungsnorm und dem Common sense im Unterhaus. Vor diesem Hintergrund räumt er den deutschen Liberalen nur geringen Spielraum ein, da ihnen Bismarcks Achtung fehle. Es räche sich jetzt ihre zögerliche und inkonsequente Haltung in der Verfassungszeit, als sie Bismarck die Mittel zwar verweigerten, seine Resultate aber wünschten und bewunderten. Sie haben erfahren müssen, daß Bismarck sie danach nur opportunistisch nutzte. „Von einem wirklichen parlamentarischen Einfluß ist keine Rede, solange Bismark lebt." — Vor diesem Vorstellungsbild charakterisiert er auch die liberalen Parteiführer im Reichstag, vor allem Eduard Lasker, dessen geistige Überlegenheit, die Geradheit nach dem Muster schweizerischer Demokraten und die Freiheit seiner Seele er lobt. In den publizistischen Streit um das Treffende oder Unzutreffende eines Vergleiches des damaligen 285
Zeitalters mit dem friderizianischen und dem Bürgertum des 18. Jahrhunderts, um das Vergleichbare seiner großen Männer mit Goethe, Luther, Lessing eingreifend, bestimmt Brandes, es habe sich im 1. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts „ein bestimmtes Ideal herausgebildet; der (vergottete) Staat, ein hoher nationalstaatlicher wie weltbürgerlicher Begriff". Bismarcks Wirken sieht er in besten Zeiten ihm verpflichtet; er bildete sich den Staat nach seinem großen Bilde. Aber dies habe je länger, desto mehr seine hohen Gefahren. Denn es gelingt ihm nicht, die Gesellschaft weltbürgerlich umzuformen. So ist Verfs. tieferer Untergrund allenthalben Gesellschaftskritik. Als Bestätigung mögen seine Beobachtungen gelten, die er zum Konservativismus macht. Den Leser schaudert es, wenn er im Hinblick auf den Generationskonflikt sagt: „Und in politischer Hinsicht sind die Jungen alt und die Alten jung. Freiheitsliebe im englischen Sinne existiert im gegenwärtigen Deutschland nur noch bei der Generation, die in zehn Jahren ausgestorben ist. Dann wird Deutschland einsam, isoliert und bei seinen Nachbarn verhaßt in der Mitte Europas ein Bollwerk des Konservativismus sein. Drumherum, in Italien, Frankreich, Rußland und Skandinavien wird dann eine Generation mit kosmopolitischen Idealen herangewachsen sein" (452). — Ferner: „Man kann beklagen, daß Deutschlands politischer Aufschwung nicht durch, sondern trotz des Parlamentes kam und der Ausgang der Ereignisse den Kampf des Reichstages für das Bewilligungsrecht in den Jahren 1862—64 in ein schiefes Licht rückte. Aber so ist es nun einmal, und selbst ein politisch reiferes Volk, das aus der Hand des Schicksals ein so großes und siegreiches politisches Genie empfangen hätte, wäre versucht gewesen, ihm die Zügel der Regierung ganz zu überlassen . . . Jedes Jahr, das vergeht, macht die außenpolitische Meisterschaft deutlicher: Er schließt Bündnisse mit Österreich, bewahrt Frieden, ist Schiedsrichter im Orient, isoliert Rußland, schickt die österreichisch-ungarische Armee nach Bosnien, die französische nach Tunis — die Opposition wächst dennoch, und die Regierung hat nie eine sichere Mehrheit" (457). Ebenfalls gesellschaftskritisch betrachtet er die Welle von Gesinnungsschnüffelei und Überreaktionen nach dem Attentat auf den Kaiser. Da es zur Rechtfertigung der Sozialistenverfolgung herhalten mußte, sucht Verf. über den Anlaß hinaus ein klares Bild über des Attentäters Nobiling wahre Hintergründe zu finden. Die verschreckte Philisterhaftigkeit deute auf politische Unreife der Deutschen und mache Klassentrennung evident, an der er das Gefühl für den Wert des menschlichen Lebens vermißt. Eine solche Anklage speist sich aus Verf. hoher Vorstellung von seinem verpflichtenden Wert und vom Wert des Regenten als Volkserzieher. Gerade weil er dem alten Kaiser und Bismarck die Gabe dafür zumißt, ist er über ihre Halbheit enttäuscht. Das Thema „Kaiserstadt Berlin" kann nicht ohne Blick auf die Reichsgründung abgehandelt werden. Verf. preist sie als belebenden Anstoß auf allen Gebieten der Kultur und des öffentlichen Lebens, schildert, wie unverbrauchte Lebenskraft die Berliner zu höherem Leben anspornt, das auch den Fremden einschließt. — Er begutachtet den Vorlesungsbetrieb an der Berliner Universität. Dort hat er den materialistischen Nationalökonomen Dühring gehört, ebenso Vorlesungen über Schopenhauer. Beider pessimistische Anschauungen liegen ihm nicht, aber er bewundert die Unerschrockenheit und zieht zum Vergleich den damals in Deutschland nur wenig bekannten Kierkegaard heran. Gleicherweise erkennt Brandes damals schon das Unkünstlerische an Anton von Werners Bild der Reichsgründung in Versailles, das bloß auf der Welle nationaler Hochstimmung Schwebende, und spricht vom Menetekel der Geschichte. Aufschlußreich sind seine Auswahlkriterien und die Art, wie Verf. die Männer des Kulturlebens charakterisiert: durch Ernst und Jugendlichkeit, freiheitliche Gesinnung und nobles Menschentum, durch das, was sie sind, worin sie Humanität und intellektuellen Scharfsinn vereinen. Er hebt u. a. Eduard von Hartmann als Philosophen des Unbewußten hervor, preist gleichzeitig den heute fast vergessenen Spielhagen hoch, schildert die erste Ausstellung der Tanagra-Figuren als „erlesensten Schönheitsgenuß". Der Leser kann das Zusammenströmen seltenster und verschiedenartigster Kunstschätze in den Berliner Museen nachvollziehen, die Ergebnisse der Funde von Olympia verfestigen sich in der Altertumskunde, die französischen Impressionisten entfalten ihre Wirksamkeit. Die Funde von Olympia und Pergamon nennt er die erste rein idealistische Tat des neuen Reiches, die grundlegende Wirkung auf die Originalität der damals zeitgenössischen Kunst ausübte; er betont die Bedeutsamkeit der Persönlichkeit von Ernst Curtius, des einstigen Kronprinzenerziehers des späteren Kaisers Friedrich III. — Er kennzeichnet Menzel als größten Realisten und größten Preußen, er schreibt über Mommsen und berichtet über Theaterpremieren und die Sezession. Da er Gelehrte und Künstler in ihrer gesellschaftlichen Verflechtung charakterisiert, bleibt es nicht aus, daß über ihre zeit286
lose Wirkung und Wertung anderes gesagt wird, als wir sie heute einordnen. — Von der WallensteinAufführung der Meininger ausgehend, die zeittypisch für die damalige Schillerrezeption ist, betrachtet er das bürgerliche skandinavische Trauerspiel und sagt von Ibsen, er habe das Alltägliche groß geschaffen. Aus persönlicher Beschäftigung mit der Literaturwissenschaft an der Berliner Universität hat er heute noch gültige literaturkritische Maßstäbe gesetzt; es ist aufschlußreich, was er hervorhebt: das Hineinwachsen in die historische Anschauungsweise und den Schritt von der philosophischen Spekulation weg zu verständiger Urteilskraft, zur Solidität der Darstellung und persönlicher Bescheidenheit. Das sind Kriterien, an denen er selbst gemessen werden kann und denen er entspricht. Zukünftiger Forschung bliebe auch die Ergänzung vorbehalten, das Verhältnis des Literaturwissenschaftlers zu den Naturalisten und ihren europäischen Vorbildern zu beleuchten. Relevant ist ferner der Versuch, sein Verhältnis zu den Dänen zu erörtern. Es bleibt der „Brandes, der undogmatisch die Zukunft aus der Gegenwart extrapoliert, der den Leser bewegt" (615). Christiane Knop
„Preußen. Seine Wirkung auf die deutsche Geschichte." 361 Seiten. Gesamtband bei Klett-Cotta, Stuttgart 1985. Der Sammelband enthält eine Vorlesungsreihe, veranstaltet von der Fritz-ThyssenStiftung und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gehalten im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek Berlin in den Jahren 1981 bis 1984; die Reihe wird abgeschlossen mit dem Protokoll einer Podiumsdiskussion unter Leitung von Prof. Werner Knopp. Die Formulierung des Titels zeigt, daß das Thema aus praktisch-politischen Gründen eingegrenzt und zugespitzt worden ist. Angeregt von erneuter Bilanzsuche im Preußen-Jahr 1981, handeln die besten Sachkenner das umstrittene Phänomen des Preußischen nochmals ab, vor allem bezogen auf das geistig-politische Erbe, soweit es die Bundesrepublik Deutschland und, in skeptischer Abwandlung und vorzeitiger Annäherung, auch die DDR für sich beanspruchen. Oder, als Zweck formuliert, es soll nach den Brüchen unserer nationalen Tradition der Maßstab der Grundwerte wiedergewonnen werden. Dem Geist des Ortes der Veranstaltung entsprechend, das ist die Persönlichkeit des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun und seiner beschwörenden Mahnung, die Spannung des Janusgesichts Preußens durchzuhalten, werden essentielle Gebiete des Preußischen befragt, u. a. das Verhältnis von Adelsgesellschaft und Militär zum Staat, die soziale Frage in der Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts, die Reform und die Reformer im Zeitalter der Erhebung, das Verhältnis des jungen, modernen Staates zum alten Reich, die Bismarcksche Reichsgründung und ihre Folgen im Kaiserreich, die Größe Friedrichs IL, die Revolution von 1848, die Rolle des Liberalismus im 19. Jahrhundert, das Preußentum in der Weimarer Republik, die Kulturleistung der Berliner Universität. Sie setzen beim Leser die Kenntnis der voraufgegangenen Diskussion, vor allem seit Haffners Frage nach dem Ende Preußens und seinem Erbe, mit allen Urteilen, Verdikten, Erkenntnissen und offenen Fragen voraus. Preußens Leistung auf dem Gebiet von Forschung und Erziehung, seine Verdienste beim Aufbau eines Staatswesens, das von Arbeitsethos und protestantisch gesehener Rechtsstaatlichkeit durchdrungen war, bleiben unbestritten. Die Beiträge kulminieren im Blick auf das demokratische Preußen der Weimarer Republik. Denn so, wie ein Phänomen gerade bei seinem Erlöschen noch einmal in schmerzlicher Klarheit aufleuchtet, erhellen Prof. Hagen Schulze und Horst Möller das ungeliebt-geliebte Wesen des rationalstaatlichen Preußen in seinem Sterbeakt, im Preußen-Schlag des Jahres 1932. Sie vermitteln das Verständnis für die Leistung, durch Preußen die demokratische Erziehung der Deutschen nach 1918 zu leisten. Hier ist das Sprungbrett für seine mögliche neue Aufgabe in den beiden Staaten Deutschlands nach 1949 gefunden. Auf den Ergebnissen der bisherigen Preußen-Forschung fußend, verbindet die Suche nach konsensbüdender und staatstragender Wirkung die verschiedenen Sachbeiträge. Darin gilt es, die als Conditio Borussiae erkannte Zwangslage, Hammer oder Amboß sein zu müssen, rational zu übersteigen. Da keiner der beiden Staaten, die 1949 auf dem Territorium des alten Preußen entstanden, als reine Nachfolgerstaaten erachtet werden können, schält sich nun die Möglichkeit heraus, eine dritte Variante zu finden, der Art, daß uns Preußen ein Konsens und ein Gebilde formaler rechtlicher Normen bedeutet, beruhend auf der rationalen Staatsidee, die dem Preußen des Großen Kurfürsten eingepflanzt worden war und die sich über alle Fehlperioden hinweg bis zu den Tagen Otto Brauns erhielt. So knüpft die Übereinstimmung und der Rettungsversuch auch an das vomationalstaathche 287
Preußen des 18. Jahrhunderts an. Es kann sein Ende sinngemäß nach der Erhellung des demokratischen Preußen und seiner Führer in dem Preußen-Schlag Papens gesehen werden. Jeder der Beiträge und Sichtweisen ist für das Ganze gleichwertig und aufschlußreich; je nach subjektiver Neigung wird der Leser sich dem einen oder anderen mehr zuwenden. Gestreift werden möge hier nur die Erörterung der sozialen Frage in dem wirtschaftlichen Zusammenhang der Industrialisierung Preußens (Prof. Wolfram Fischer: „Industrialisierung und soziale Frage in Preußen"); als spezifisch preußisch arbeitet er die Mischung von staatsdirigistischem Merkantilismus und privatkapitalistischem Liberalismus heraus, dann die vorbildhafte Lösung der sozialen Frage durch die Bismarcksche Gesetzgebung. Keine der Abhandlungen kommt ohne den Topos des „Mehrfachgesichtes Preußens" aus — es wird definiert als Doppelheit von Modernität und feudalstaatlich-militaristischem Komplex —, und nirgendwo tritt es schmerzlicher in Erscheinung als im Weimarer Preußen, wo der Staat im Gegensatz zum Reich noch einmal eine große Aufgabe zugewiesen bekam und sie nach Kräften meisterte. Und so, wie es jeder Historiker für seine schönste, anteilfordernde Aufgabe ansieht, eine solchermaßen tragische Zeit zu schildern, führt Prof. Karl Dietrich Bracher („Das Ende Preußens") die große Krise von 1932 aus. Er verweist — seltsame Gleichartigkeit des Datums 20. Juli — auf den „preußisch inspirierten Widerstand" der Attentäter von 1944 als letzte noble Geste, die den alten preußisch-protestantischen Widerstand wieder zu Ehren brachte. Wohltuend moderat erscheint d. Rez. die Untersuchung über „Peußen und die Universität" (Prof. Thomas Nipperdey); sie ist getragen von den Kampferfahrungen an der Freien Universität Berlin und entwickelt die Humboldtsche Gründung als ein Produkt von Gelehrten und Beamten des Bildungsbürgertums ; sie stand im Dienste des idealistischen Staates. „Die Universität lieferte trotz des Zerfalls der Disziplinen Bausteine von Weltanschauung, und das wurde in den Krisen der Kirchen und dem Kampf politischer Ideologien immer wichtiger" (76).—Verf. schildert bis 1933 eine naturgemäße und vernünftige Elite und bescheinigt ihr, eine Staatsgesinnung geprägt zu haben, von der sich sagen läßt, „es blieb Preußen auch der Staat von Wissenschaft und Universität, Sachlichkeit und Vernunft, das versöhnte mit Preußen, daraufhin suchte man den ganzen Staat zu orientieren" (89). Von bestürzender Aktualität ist die Bilanzdiskussion um das wahre Erbe, weil sie in unseren Tagen aufs neue in gesamtdeutschem Licht gesehen werden muß. Was vor fünf Jahren noch ein Sichbereithalten im theoretischen Raum war, ist durch die Dynamik der einigenden Prozesse schon fast überholt, und gerade bei dem vorliegenden Thema muß ein Rezensent mit der Tatsache leben, daß der Gang der Ereignisse das Gesagte bei Erscheinen der Besprechung schon ungültig macht. Aber die Aufgabe der Bestandsaufnahme, hier in großartiger Verantwortlichkeit geleistet, bleibt bestehen und ist dem klärenden Meinungsbildungsprozeß hilfreich, damit eine Jahrhundertaufgabe nicht verfehlt wird. Das Buch ist geeignet, Befürchtungen zu zerstreuen und Hoffnungen auf eine geglückte Zukunft zu wecken, sofern der Rahmen der Behutsamkeit nicht gesprengt wird. Christiane Knop
275 Jahre Nicolaische Verlagsbuchhandlung. Eine Chronik. Zusammenstellung: Karl-Robert Schütze. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, 1988, 51 Seiten, 21 Abbildungen. 1988 minus 275 ergibt 1713. Am 3. Mai 1713 fand das Ereignis statt, das zum Anlaß eines seltenen Finnenjubiläums wurde: „Privilegierung der Buchhandlung unter dem Namen Nicolai, dieser Tag wird damit als eigentlicher Gründungstag angesehen" (S. 10). Das Vorgängergeschäft, die Buchhandlung von Heinrich Johann Meyer und Jeremia Schrey, hatte aber schon 1682 ihr ältestes Privileg erhalten (vgl. S. 7); die Chronik setzt sogar bereits mit der Zeit „um 1660" ein, da sie nicht nur die Familien- und Firmengeschichte, sondern auch die Häusergeschichte der Firmensitze Brüderstraße 13 und Dorotheenstraße 62 (1892—1945) berücksichtigt. Dies geschieht, wie der Untertitel ankündigt, in Form eines chronologischen Faktengerüstes, das aber mit literarischen und historischen Urteilen über die „Hauptperson" Friedrich Nicolai (1733—1811) angereichert ist. Der Schwerpunkt liegt dementsprechend auf der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine sachlich gegliederte systematische Verlagsgeschichte darf man hier also nicht erwarten, auch keinen Nachweis der Quellen und der Literatur, die der Bearbeiter der Chronik herangezogen hat. Der Bildnachweis (S. [52]) nennt aber ein „Nicolai-Archiv", in dem es offensichtlich außer alten Photographien auch Dokumente und Druckschriften gibt, denn ihm entstammen nicht nur Abbildungen 288
der Verlagshäuser, sondern auch des Privilegs von 1713 und der Titelseiten Nicolaischer Bücher. Die unprätentiöse, aber solide Aufmachung und die gute drucktechnische Wiedergabe auch der Illustrationen sind bei einer Verlagschronik natürlich Ehrensache. Christiane Schuchard
Großer Stadtplan Berlin. Maßstab 1: 27 500,14. Auflage, RV Reise- und Verkehrsverlag Berlin und Stuttgart 1990, 7,80 DM bzw. 9,80 DM. Der Große Stadtplan ist dadurch gekennzeichnet, daß ein größerer Teil des Berliner Stadtgebiets wiedergegeben ist, so etwa im Norden Frohnau, wenn auch nur auf einer unglücklich abgetrennten Nebenkarte, nicht aber im Südosten Schmöckwitz. Die beiden Ausgaben unterscheiden sich darin, daß bei der teureren Berlin auf einer einzigen Karte (einseitig) erfaßt worden ist, wohingegen die preiswertere die beiden Stadthälften Nord und Süd auf der Vorder- und Rückseite (doppelseitig) enthält. Die neu eingerichteten Übergänge sind nach dem Stand der 46. Woche 1989 eingezeichnet. In der kartographischen Darstellung und der Bezifferung der Planquadrate sind der RV Berlin Stadtatlas und der RV Berlin Stadtplan identisch. Ein Straßenverzeichnis (korrekt „Verzeichnis der Straßen, Plätze, Brücken, Bahnhöfe, Kolonien, Siedlungen, Grünanlagen, Gewässer und Waldungen") jeweils für Berlin (West) und (Ost) ergänzt die Karte. Für den Westteil sind auch wichtige Anschriften vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst über (gut berlinisch) Badeanstalten und BSR-Recycling-Höfe (warum nicht ALBA?) bis zu Uraufführungs- und Filmkunstkinos angegeben, überflüssigerweise auch noch die Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten, die Grenzübergänge sogar nach dem Stand der 47. Woche 1989. Vergleichbare Angaben für Ost-Berlin vermißt man, obwohl sich zumindest zum Stichwort „Sehenswürdigkeiten" sicherlich einiges aufführen ließe. SchB. Klaus-Dieter Wille: „Die Glocken von Berlin (West). Geschichte und Inventar." Unter Mitarbeit von Lothar Fender und Heinz Kroll. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1987 — im Rahmen: „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin", hrsg. vom Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz — Landeskonservator — Beiheft 16. 255 Seiten, 134 Abbildungen, Objekt- und Literaturverzeichnis. Mit einem Geleitwort des Landeskonservators Prof. Dr. Helmut Engel. Glocken gehören so wie Brunnen, Gassen und Markt, Giebelhäuser, Brücken und Tore zum inneren Leben vorwiegend städtischer Menschen, wie es im Hochmittelalter vorgeprägt wurde. Daß sie aber in moderner Zeit nicht nur nostalgischer Zierrat, sondern ein wesentliches Politikum im städtischen Leben sind, zeigt ihre Auflistung von Klaus-Dieter Wille. Zwar hat sich der Landeskonservator aus praktischen Gründen der Bewahrung ihrer Substanz vor Umweltzerstörung ebenfalls angenommen, aber auch er läßt in seinem Geleitwort „Begeisterung" des Autors am Stoff durchblicken. — Verf. hatte schon vor fast 10 Jahren eine Zwischenbilanz des Projekts in den „Mitteilungen" unseres Vereins (Jg. 75, Heft 2 vom April 1979, S. 33—43) publiziert. Es ist von ihm in privater Initiative und weitgehend auf eigne Kosten durchgeführt worden. Er hatte damals über seine Aufgabenstellung (erste Bestandaufnahme seit 50 Jahren) und die Forschergruppe berichtet, ferner einen historischen Überblick skizziert und über Glockengießerkunst sowie Berlins Rolle als Glockengießerstadt einiges Wesentliche gesagt. Damals hatte er 75 Kirchtürme mit ihren Glockenstuben bestiegen, jetzt sind es über 300. Schon damals erfuhren die Leser des Vereins Genaueres über Glockenformen und ihren Werkstoff und sahen einige Beispiele der vorzüglichen Fotos des Verf. und seiner Mitarbeiter. Die damals angekündigte systematische Gesamtdarstellung liegt nun vor. Verf. zieht darin das Fazit und sagt über Sinn und Zweck seiner Arbeit: „ . . . ist, die Erzeugnisse der deutschen Erzgießerkunst nach Form und Dekor, nach Inschrift und Jahreszahl oder sonstige bildnerische Attribute zu untersuchen, um eine exakte Darstellung des Berliner Glockenbestandes der an diesem Thema interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen." Er schildert ferner die Schwierigkeiten der Inaugenscheinnahme in den Glockenstuben. Das sorgfältig angelegte Buch vermittelt über seinen Sachgehalt hinaus nicht nur die emotionale Anziehungskraft von Glocken, sondern lenkt den Blick auf den Anspruch, ihre Existenz in modernes Leben einzubinden. So ist trotz scheinbar bloßer Auflistung und Deskription dem Stoff neue Anziehungskraft gegeben; er ist durchaus nicht so spröde, wie es der Landeskonvervator in seinem Geleitwort anmerkt. Denn es wird seine hohe kulturhistorische Bedeutung einsichtig, im Bilderschmuck und dem kirchengeschichtlichen Umfeld, das ungebrochen bis in die Gegenwart hineinreicht. In der 289
Darstellung liegt der Hinweis auf das ganze Berlin, das nun so unerwartet schnell Wirklichkeit wurde. Der historische Umriß wirft ein Licht auf alle Altberliner Kirchen (dies in ergänzender Vertiefung der beiden Bändchen gleichen Titels in den „Berlinischen Reminiszenzen" des Haude & Spener Verlages), die auch in den alten Bildern erscheinen. Aber auch außerhalb dieses Rahmens wird etwas Bedeutsames spürbar: das Ehrwürdige und der sakrale Charakter von Glocken, wie beides bei Sehiller evident wurde. Dankenswerterweise sind auch die Glocken von Friedhofskapellen, Krankenhäusern und Schulen einbezogen; die Olympische und die Freiheitsglocke werden sichtbar. Der Versuch, aus dem Bildmaterial hervorragende Beispiele hervorzuheben, kann nur ein subjektives Unterfangen werden, aber jeder Leser spürt die Akribie der Gesamtübersicht. Sie ist nach Verwaltungsbezirken aufgegliedert. Das Literaturverzeichnis ist aktualisiert und von vielen Fehlern (durch Augenschein) gereinigt worden. Christiane Knop Cöpenicker Dampfboot. Beiträge zur Geschichte des Stadtbezirks. Nr. 1, Juli 1989. Herausgeber: Kulturbund der DDR, Gesellschaft für Heimatgeschichte, Kreisvorstand Köpenick, Friedrichshagener Straße 58, Berlin 1170. Redaktion: Lucie Groszer, Gerhard Richter, Dr. Bernd Rühle, DIN A5, 16 Seiten, 2 Mark. Die kleine Zeitschrift, nach dem seit 1868 zweimal wöchentlich erschienenen „Cöpenicker Dampfboot" genannt, stellt sich mit ihrer 1. Ausgabe vor, deren Beiträge, darin den „Mitteilungen" unseres Vereins nicht unähnlich, den ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern nicht honoriert werden. Einige Aufsätze seien genannt: „Zur französisch-reformierten Kolonie in Köpenick (1686—1809)" von Dr. Bruno Zilch, „Die Herkunft des Namens Müggel" (Dr. Jürgen Scharnhorst) und „August Strindberg in Friedrichshagen" von Albert Burkhardt, der den Vorschlag unterbreitet, das Wohnhaus des großen schwedischen Nationaldichters Strindberg, Lindenallee 20, sorgfältig instandzusetzen und mit einer Gedenktafel zu versehen. Über „Hessenwinkel an Dämeritzsee und Spree" berichtet Heinrich Jendro, „Daten aus der Historie des Ortsteil Wendenschloß" steuert Johannes Zschachlitz bei. Weitere kleine Beiträge: „Dr. Max Jacoby und sein Denkmal" (Inge Kießhauer) und „Einhundert Jahre Dorfkirche von Rahnsdorf" (Werner Zimmermann). Bemerkenswert ist eine aktuelle Liste der angemeldeten und laufenden Forschungsthemen, soweit sie der Arbeitsgemeinschaft Heimatforschung in der Gesellschaft für Heimatgeschichte Köpenick bekannt sind, knapp 50 an der Zahl, darunter die Geschichte des Braugewerbes in Köpenick. Daneben laufen Arbeiten der zwölf Ortschronisten in den verschiedenen Ortsteilen. Vom 21. bis 25. September 1989 fanden in Köpenick die Tage der Denkmalpflege und Heimatgeschichte unter dem Motto „Die Altstadt und ihre Vorstädte — von Jahrhundertwende zu Jahrhundertwende" statt. Unter anderem wurden in Vorträgen die Geschichte der Stadtkirche und des Schlosses Köpenick behandelt und die Frage gestellt „Die alte Stadt — ein Museum?" SchB. „Als wäre es nie gewesen." Menschen, die nicht mehr entkamen — Fotografien aus den letzten Jahren des jüdischen Gemeindelebens in Berlin bis 1942. Ausstellung zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Pogrome vom November 1938. Veranstaltet von der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau 4. November 1988 bis 15. Januar 1989. Samson Verlag Berlin 1988, broschiert, 105 Seiten. Nicola Galliner, von der die Ausstellungskonzeption stammt (wissenschaftliche Mitarbeit, Bildtexte sowie Ausstellungsgestaltung Helmuth F. Braun) hält in ihrem Vorwort fest, welche Bedeutung das Bildarchiv des Fotografen Abraham Pisarek (1901 bis 1983) hat, aus dem für die Ausstellung eine Auswahl getroffen wurde. Zur Arbeit jüdischer Organisationen in Berlin 1933 bis 1942, die sich in den Fotografien widerspiegelt, berichtet Norbert Kampe in seiner Einführung „Aufbau im Untergang". Die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gebildete erste moderne jüdische Dachorganisation, die „Reichsvertretung der deutschen Juden", mußte schon Ende des Jahres 1933 erkennen, daß an die Stelle der Abweisung der Angriffe gegen die jüdische Gemeinschaft nun die Konzentration aller Anstrengungen auf den Aufbau jüdischer sozialer Hilfsdienste zu treten hatte. Unter der Leitung der „Reichsvertretung" arbeitete der „Zentralausschuß für Hilfe und Aufbau", daneben der im Sommer 1933 gegründete „Jüdische Kulturbund". Die Fotografien A. Pisareks 290
zeigen Situationen aus den Arbeitsbereichen des Zentralausschusses, des Kulturbundes und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Bis zu den Pogromen vom 9./10. November 1938 wurde den jüdischen Selbsthilfeorganisationen eine relativ große Autonomie zugestanden. Vor allem die Abteilung „Wanderungswesen" des Zentralausschusses wurde als nützlich angesehen, da bis 1941 die Auswanderung das erklärte Ziel der deutschen Judenpolitik war. 1939 löste die Gestapo die jüdische Selbstverwaltung auf und gründete eine Zwangsvereinigung unter der Bezeichnung „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland". Die sehr eindrucksvollen Aufnahmen, denen in dankenswerter Weise die nötigen Bilderklärungen beigegeben sind, werden in die Abschnitte „Religion, Tradition", „Ausbildung, Umschulung, Auswanderung, Gedenkfeier", „Sport", „Winterhilfe, Kleiderkammer, Jüdisches Krankenhaus" sowie „Kultur, Kulturbund" und „Der gelbe Stern" unterteilt. Der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin ist Dank zu sagen, daß sie der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums die erforderlichen Mittel für die Ausstellung zur Verfügung stellte. H. G. Schultze-Berndt
Im ersten Quartal 1990 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Barry, James Ritterstraße 98, 1000 Berlin 61 Tel. 614 53 42 (Bibliothek) Bittcher, Ernst, Orgelbauer Schopenhauerstraße 57, 1000 Berlin 38 Tel. 8 03 57 29 (von Mitgliedern anläßlich einer Werkstattführung) Buchholz, Christa, Angestellte Am Hügel 25, 1000 Berlin 26 Tel. 4114707 Dr. Görlich GmbH Kurfürstendamm 45, 1000 Berlin 15 Tel. 8 83 20 31 (Schriftführer) Firma Herrn. Herdegen GmbH & Co. Blohmstraße 37-61, 1000 Berlin 49 (Schriftführer) Dr. Klink, Günter, Biologe, Rentner Zinsweiler Weg 22, 1000 Berlin 37 Tel. 8134422 (R.Schröter) Klink, Marlies Zinsweiler Weg 22, 1000 Berlin 37 Tel. 813 44 22 (R. Schröter) Kraft, Dr. Herbert, Dipl.-Forstwirt Quantzstraße 22, 1000 Berlin 38 Tel. 8039247 Kränzlein, Peter, Geschäftsführer Blohmstraße 35, 1000 Berlin 49 Tel. 7408111 (Schriftführer)
Leschber, Professor Dr.-Ing. Reimar Baumläuferweg 6, 1000 Berlin 47 Tel. 6024094 (Schriftführer) Lipp, Maria-Eleonore llsenburger Straße 11, 1000 Berlin 10 Tel. 3 45 30 68 (Frau Scheid) Lux, Dr. Walther, Jurist Klingsorstraße 18, 1000 Berlin 41 Tel. 7 9199 76 (Herr Lehnhardt) Moers, Ursula, Rentnerin Am Volkspark 33, 1000 Berlin 31 Tel. 8533204 Schacher, Dieter, Dipl.-Ing. Herthastraße 20, 1000 Berlin 33 Tel. 8 92 65 66 (RA Oxfort) Schroedter, Ernst-Georg, Pensionär Heiligendammer Straße 16, 1000 Berlin 33 Tel. 8231033 (RA Oxfort) Severin, Professor Dr.-Ing. Dietrich Hortensienstraße 39, 1000 Berlin 45 Tel. 8 34 88 76 (Schriftführer) von Werne, Rose-Bertel Geraer Straße 30, 1000 Berlin 45 Tel. 7119157 (Frau Eva Guth) Werner, Michael, Kaufm. Angest. Menzelstraße 33, 1000 Berlin 41 Tel. 8557990 (Bibliothek) 291
Veranstaltungen im II. Quartal 1990 1. Mittwoch, den 25. April 1990,16.30 Uhr: Führung durch die Ausstellung des Landesarchivs „Kapp-Putsch und Generalstreik März 1920 in Berlin — Tage der Torheit, Tage der Not". Leitung: Herr Dr. Hans Joachim Reichhardt. Treffpunkt in der Halle des Landesarchivs Berlin, Kalckreuthstraße 1/2, Berlin 30. Fahrverbindungen: Busse 19,29, U-Bahnhöfe Wittenbergplatz und Nollendorfplatz. 2. Sonntag, den 29. April 1990, 11.00 Uhr: Führung durch die Ausstellung „Der Wallfahrtsweg über Heiligensee zum Wunderblut von Wilsnack um 1400". Leitung: Herr Wolfgang Holtz. Treffpunkt: Heimatmuseum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35—38, 1000 Berlin 28. 3. Mittwoch, den 9. Mai 1990, 19.30 Uhr: Ordentliche Mitgliederversammlung im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg; Tagesordnung: 1. Eröffnung und Begrüßung 2. Verleihung der Fidicin-Medaille 3. Entgegennahme des Tätigkeits-, des Kassen- und des Bibliotheksberichtes. 4. Bericht der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer. 5. Aussprache. 6. Entlastung des Vorstandes. 7. Wahl von zwei Kassenprüfern und zwei Bibliotheksprüfern. 8. Verschiedenes Anträge aus dem Mitgliederkreis sind bis spätestens 25. April 1990 der Geschäftsstelle einzureichen. Im Anschluß hält Frau Dr. Sibylle Einholz einen Lichtbildervortrag zur Ausstellung „Ethos und Pathos — Die Berliner Bildhauerschule 1786—1914". 4. Sonntag, den 27. Mai 1990,11.00 Uhr: Führung „Park und Schloß Babelsberg". Leitung: Herr Joachim Ueberlein. Treffpunkt Parktor bei den DEFA-Studios, Grenzstraße, Ecke Alt-Nowawes. Fahrverbindungen mit der BVG, Bus 29, Babelsberg, einige Minuten Fußweg. Bitte Station erfragen, da sich die Linienführung ändern könnte. 5. Sonnabend, den 9. Juni 1990,11.00 Uhr: Führung „Durch die Entwicklung der Wohnund Miethausbauten in der südlichen Friedrichstadt". Leitung: Herr Christian Koch. Treffpunkt: Lindenstraße 39. 6. Sonnabend, den 16. Juni 1990, 10.30 Uhr: Führung „Durch die Sophienstadt". Leitung: Frau Dr. Christiane Knop und Herr Günter Wollschlaeger. Treffpunkt: U-Bahnhof Rosenthaler Platz, vor der Heinrich-Heine-Buchhandlung. Bibliothek: Berliner Straße 40, 1000 Berlin 31, Telefon 87 2612. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Zugang über den 1. Hof. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 33 24 08. Geschäftsstelle: Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 1000 Berlin 45, Telefon 77234 35. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 45 09-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 3 65 76 05. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102, 1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 100 20000), Kto.-Nr. 03 81801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28; Roland Schröter. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 292
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865
86. Jahrgang
Heft 3
Zwischen Reichstag und Brandenburger Tor im November 1989
Juli 1990
Berlin: Geschichte einer Stadt Von Hermann Oxfort Konnten die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges ernsthaft daran glauben, auf der Gundlage der Spaltung des deutschen Volkes und seiner staatlichen Ordnung ließe sich ein dauerhafter Friede in Mitteleuropa aufbauen? Ich habe nie an eine dauerhafte Spaltung unseres Landes und unserer Stadt geglaubt. Auch 40 Jahre Teilung und unterschiedliche politische und wirtschaftliche Entwicklung haben den Willen der Menschen in beiden Teilen unseres Landes nicht erlahmen lassen, als ein Volk in einem Staat zu leben und zugleich diesen Willen einmünden zu lassen in ein vereintes Europa, das dem Weltfrieden und der Wohlfahrt seiner Bürger dient, ungeachtet ihrer Nationalität, ihrer Rasse, ihres Geschlechts oder ihrer politischen Überzeugung. Es bedarf keiner Prophetie, um vorauszusagen, daß auch das geteilte Berlin alsbald zusammenwachsen wird. Gesamtberliner Wahlen werden zu einer gemeinsamen Stadtregierung führen, deren wichtigste Aufgabe es sein wird, den im Ostteil Berlins gelegenen Verwaltungsbezirken jene Entwicklung zu gewährleisten, welche zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West führt. Der im Jahre 1865 gegründete Verein für die Geschichte Berlins, der sein Gründungsjahr in seinem vollständigen Namen führt, hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die Geschichte Berlins zu erforschen und zu verbreiten. Durch die Herausgabe seiner wissenschaftlichen Schriften (seiner Jahrbücher, seiner vierteljährlichen „Mitteilungen", seiner „Grünen Schriften"), seiner Vorträge und Führungen und durch die Unterhaltung seiner der Öffentlichkeit zugänglichen Bibliothek mit Berlin-Literatur nimmt der Verein auf die an der Geschichte unserer Stadt interessierten Bürger, aber auch auf das Bewußtsein der Öffentlichkeit Einfluß. Die Besinnung auf die Vergangenheit und die Entwicklung unserer Stadt fördert zugleich das Verständnis für Gegenwart und Zukunft. „Wer seine Vergangenheit nicht achtet, wird auch keine Zukunft haben", soll einst der spartanische Staatsmann Lykurg gesagt haben. Die Mitgliederlisten unseres Vereins lesen sich wie ein Stück Stadtgeschichte. Überflüssig zu sagen, daß in den 125 Jahren der Geschichte des Vereins die Stadtoberhäupter bis zur Gegenwart ebenso unsere Mitglieder gewesen sind wie Wirtschaftsunternehmen mit Tradition, Schriftsteller—hier sei nur Theodor Fontane genannt—, Wissenschaftler und interessierte Bürger. Zu seinen Ehrenmitgliedern zählt der Verein den Bundespräsidenten ebenso wie Willy Brandt. Wir machen keine Parteipolitik, sondern fühlen uns unserer wissenschaftlich begründeten Aufgabe und dem Ziele verpflichtet, das historische Bewußtsein der Bürger unserer Stadt zu wekken und zu fördern. Bis zu seiner Ausbombung im Jahre 1943 hatte der Verein seinen Sitz im Deutschen Dom. In einer Zeit, da Wahrheit und Objektivität im Ostteil unserer Stadt nicht gefragt waren, haben die Mitglieder des Vereins in Berlin West die Tradition des Vereins gehütet. Nun ist es an der Zeit, die Mitgliedschaft auch für jene Bürger der Stadt zu öffnen, die ihren Wohnsitz in den elf Verwaltungsbezirken Ost-Berlins haben. Die Tätigkeit unseres Vereins hat sich, getreu seinen historischen Aufgaben, schon immer auf ganz Berlin erstreckt. Ich rufe daher unsere Berliner Mitbürger — insbesondere im Ostteil der Stadt — auf, dem „Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865" beizutreten und sich durch Teilnahme am Vereinsleben unserer gemeinsamen Geschichte zu verpflichten. Für den monat294
liehen Mitgliederbeitrag von 5 DM werden sowohl der Bezug der wissenschaftlichen Veröffentlichungen wie auch die Teilnahme an den Veranstaltungen des Vereins abgegolten: Schließlich arbeitet der Verein gemeinnützig. „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört" (Willy Brandt)! Die Hauptstadt Berlin braucht Bürger, die sich zu engagieren bereit sind! Anschrift des Verfassers: Hermann Oxfort, Vorsitzender, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20 Titelfoto Günter Wollschlaeger
Der Berliner Orgelbauer Peter Migendt (1703—1767) Von Christhard Kirchner Am 13. April des Jahres 1690 — vor 300 Jahren — wurde in Karow bei Genthin der Orgelbauer Joachim Wagner als Sohn eines Pfarrers geboren.1 Bei welchem Meister er in die Lehre ging, ist bislang unbekannt. Bevor er sich 1719 in Berlin niederließ und eine eigene Werkstatt errrichtete, war er zwei Jahre lang - wahrscheinlich 1717 bis 1719 - Mitarbeiter Gottfried Silbermanns (1683—1753)2, des bedeutendsten Orgelbauers des 18. Jahrhunderts in Sachsen, gewesen. Für die Residenzstadt Berlin wurde Wagner der Begründer einer weitreichenden Orgelbautradition, wie sie für Hamburg im 16. und 17. Jahrhundert mit der Orgelbauerfamilie Scherer oder für Dresden zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Gottfried Fritzsche (1578-1638) entstand. Mit seinen Orgeln schuf Wagner einen eigenen, märkischen Typus der Orgel, weshalb man ihn später auch den „preußischen Silbermann" nannte. In den 30 Jahren seines Wirkens — Wagner starb 1749 in Salzwedel — hatte er eine große Zahl von Schülern und Gesellen.3 Sie haben das geistige Erbe Wagners bewahrt und fortgeführt und das Bild des Orgelbaus in Berlin und in Preußen entscheidend mit geprägt. Peter Migendt ist wohl der bekannteste unter Wagners Mitarbeitern, wenn auch sicherlich nicht der bedeutendste. Einige andere Wagner-Schüler, wie z. B. Heinrich Andreas Cuntzius in Halle, Gottlieb Scholtze in Neuruppin oder Ernst Marx in Berlin, entfalteten eine weitaus größere Wirksamkeit. Keinem dieser Orgelbauer widmete das Lexikon „Die Musik in Geschichte und Gegenwart" einen eigenen Artikel. Immerhin bezeichnet Claus-Peter Schulze Migendt als „Meisterschüler" Wagners, der „den preußischen Orgelstil wagnerischer Prägung" lebendig erhielt.4 Ernst Ludwig Gerber 5 und Carl Freiherr von Ledebur6 nennen Migendt einen „braven Orgel-Baumeister, wahrscheinlich zu Berlin", von dessen Orgelwerken sie nur wenige aufzuzählen wissen. Peter Migendt wurde 1703 in Birthelm in Siebenbürgen - im heutigen Rumänien - geboren.7 Wo er den Orgelbau erlernte und wann er nach Preußen kam, war bisher nicht zu ermitteln. ErstimJahre 1731 —oder spätestens im Frühjahr 1732 —wurde er Geselle Wagners. 1753erinnert sich Migendt und schreibt: „Die 17 Jahr die ich bei Sei. Wagner gewesen bin, (.. .)." 8 Bei Fertigstellung der neuen Wagner-Orgel in der Berliner Parochial-Kirche — im Herbst 1732 — wird Migendt neben Matthias Callensee, Heinrich Cuntzius u. a. mit als Geselle genannt.9 295
Verschiedenen Schreibweisen des Namens begegnet man: Mügend, Migend, auch Johann Peter Miegent. Er selbst unterschreibt aber stets: Peter Migendt. So steht es auch in der Sterbeeintragung von St. Georgen Berlin 1767.10 Bei seinem Meister erwarb sich Migendt durch seine Tüchtigkeit im Lauf der Jahre eine Vertrauensposition, die dazu führte, daß Wagner ihn 1741 mit der Aufstellung der neuen großen Orgel im Dom zu Trondheim in Norwegen betraute, sicherlich auch weil Matthias Callensee, der Werkmeister und Schwager Wagners, gesundheitlich angeschlagen war und Wagner seine immer zahlreicheren Inlandsprojekte selbst in der Hand behalten wollte. Die Orgel für Trondheim war ursprünglich mit 27 Registern geplant gewesen, dann aber mit 30 Registern auf zwei Manualen und Pedal gebaut worden.11 Das schöne Orgelgehäuse Wagners ist noch heute vorhanden. Seit 1930 steht dahinter eine große Steinmeyer-Orgel. Wichtige Teile der WagnerOrgel (Windladen, Pfeifenwerk und Mechanik) wurden aber aufbewahrt. So ist ein Wiederherstellen des Wagner-Instrumentes möglich und bereits geplant. 1744/45 arbeitete Peter Migendt an Wagners neuer Orgel in der Stadtkirche St. Marien zu Angermünde mit. Im Auftrag Wagners quittierte er am 7. Juni 1745 während dessen Abwesenheit über 10 Taler für verauslagten Fuhrlohn.12 Migendt lernte in dieser uckermärkischen Stadt seine spätere Ehefrau, die Jungfer Catharina Elisabeth Balcke, kennen. Sie war die Tochter des Mühlenmeisters Friedrich Balcke in Neu-Angermünde, des Inhabers der Windmühle vor dem Hohen Thor. Am 8. November 1726 wurde sie in Angermünde geboren und zwei Tage später in St. Marien daselbst getauft.13 Peter Migendt und Catharina Elisabeth wurden am 2. Dezember 1748 in der Berliner Jerusalems-Kirche getraut.14 Nach der Eintragung im Kirchenbuch blieb die Ehe kinderlos. Der Turm der Nicolai-Kirche in Spandau war in der Nacht vom 24. zum 25. Juni 1740 durch Blitzschlag in Flammen aufgegangen. Dabei verbrannten auch die vier Keilbälge der neuen Wagner-Orgel von 1734. Durch die Rettungs- und Löscharbeiten wurde zugleich die übrige Orgel in Mitleidenschaft gezogen. Der Magistrat beauftragte den Orgelbauer Callensee, die beschädigte Orgel zu besichtigen, teilweise zu demontieren und auszulagern. Er erhielt dafür 1 Taler 8 Groschen, der Handlanger 1 Taler.15 Nach dem mehrjährigen Wiederaufbau des Kirchturms schloß der Magistrat von Spandau mit Peter Migendt am 6. Oktober 1746 einen Contract über 300 Taler zur Wiederherstellung der Orgel.16 Das beschädigte Orgelgehäuse, die „Structur", hatte inzwischen ein einheimischer Tischler 1742 für 18 Taler in Ordnung gebracht.17 Nun wurden Migendts Sachen und Werkzeuge aus Berlin geholt. Das Holz für die neuen Keilbälge und Windkanäle wurde angefahren, und Migendt begann zu arbeiten.18 Bereits im November 1746 wurde auf der Westempore ein Gerüst vor der Orgel errichtet.19 Mitte Januar 1747 waren die vier neuen Bälge fertig. Sie wurden von fünf Männern in die Kirche transportiert und dann in die Balgkammer im Turm geschafft.20 Das Reparieren bzw. Nachschnitzen der beschädigten Gehäuseornamente wurde dem katholischen Bildhauer Michael Wasser aus Berlin verdingt. Er beendete seine Arbeit am 7. April 1747 und bekam insgesamt 45 Taler dafür.21 M. Wasser arbeitete 1747 ebenso für Angermünde. Er erhielt hier für das Schnitzen zweier Blindflügel am Orgelprospekt 25 Taler.22 Migendt hat auch später mit M. Wasser verschiedentlich zusammengearbeitet. Am 7. Oktober 1746 empfing Migendt in Spandau die ersten 100 Taler, am 28. März 1747 50 und am 14. April weitere 100 Taler.23 Am 3. Oktober quittierte er über nochmals 20 Taler, so daß seine Arbeit nun als beendet anzusehen war. Den Rest sollte er — laut Contract — erst „ein halbes Jahr nach verfertigter Arbeit, wenn es in guthem Stande befunden", erhalten. Migendt arbeitete in Spandau mit Unterbrechungen. Zwischenzeitlich war er wohl in der Berli296
ner Werkstatt für Joachim Wagner tätig. Wenigstens ein Geselle ging ihm in Spandau zur Hand, wie aus der Zahlung von „Biergeld, den Gesellen da die Arbeit fertig" zu schließen ist.24 Zwischen dem 20. Februar und 22. Juli 1747 arbeiteten sie ohne Unterbrechung, was durch die erhaltene Übernachtungsquittung zu belegen ist.24 Die letzte Rate von 30 Talern empfing Migendt am 7. Juni 1748.25 Joachim Wagner hatte für den Bau einer neuen großen Orgel in der Petri-Kirche Berlin einen Kostenanschlag erstellt. Die Orgel sollte 50 Register auf drei Manualen und Pedal und dazu acht Bälge umfassen. 1747 wurde Wagners Entwurf genehmigt.26 Mit der umfangreichen Arbeit konnte nicht sofort begonnen werden, da die Petri-Gemeinde noch genügend Geld sammeln mußte. Wagner ließ deshalb im November 1747 nach Vollendung seines neuen Werkes in der Stadtkirche St. Johannis zu Werben sein Werkzeug von Werben nach Salzwedel schaffen, wo er in der Marien-Kirche einen weiteren großen, dreimanualigen Neubau übernommen hatte. Die Vorarbeiten waren so weit gediehen, daß Wagner im Februar 1748 die alte Vorgängerorgel abbrechen konnte. 27 Unter den mitarbeitenden Gesellen wird Peter Migendt nicht genannt. Offenbar war er in der Berliner Werkstatt verblieben. Sollte er vielleicht mit dem Bau der neuen Petri-Orgel — entsprechend den Plänen Wagners — beginnen? In Berlin hatte man zunächst nur die Mittel, um das große Gehäuse, einen Teil des Hauptwerkes, drei Register im Pedal, vier Bälge und den Spielschrank herstellen zu lassen. Ganz überraschend starb am 25. Mai 1749 — 59jährig — Joachim Wagner in Salzwedel. Seine dortige Orgel war noch nicht fertig. Die Arbeit an der Berliner Petri-Orgel hatte begonnen. Vorauszahlungen waren an Wagner geleistet worden. In dieser Situation war Peter Migendt, der Werkmeister Wagners, gefordert. Die Pläne und Zeichnungen für die Petri-Orgel lagen bereit. Seit 1730, dem Jahr des Brandes der Petri-Kirche, hatte die Gemeinde ohne Orgel auskommen müssen. Sicherlich drängte der Propst Johann Peter Süßmilch (1707—1767), der seit 1742 an der Petri-Kirche amtierte und ein Bahnbrecher der statistischen Bevölkerungskunde war, auf Weiterarbeit, damit der Gemeindegesang bald wieder ein Begleitinstrument hatte. Noch im Todesjahr Wagners waren die Arbeiten Migendts so weit gediehen, daß Propst Süßmilch die neue, halbfertige Orgel am 1. Advent, dem 30. November 1749, mit einer feierlichen Predigt einweihen konnte. Es waren im Hauptwerk acht und im Pedal drei Register spielbar. Es fehlten noch ein großer Teil der Prospektpfeifen, das Schnitzwerk am Gehäuse, die meisten Windladen und weitere vier Bälge.26 Aber der Platz für alles war vorgesehen. Lediglich der Spielschrank mit allen Klaviaturen und Registerzügen scheint von Anfang an komplett gewesen zu sein. Bis 1751 schaffte es Migendt, den in Auftrag gegebenen zweiten Bauabschnitt zu erstellen. Das waren die Windladen des Oberwerks, dazu im Oberwerk sieben Register, weitere Register im Hauptwerk und eines im Pedal, außerdem das dazugehörige Regierwerk, eine Manualkoppel und die fehlenden Prospektpfeifen. Der Bildhauer Michael Wasser schuf die Ornamente und Engelsfiguren am Prospekt. Und der Maler Fischer aus Berlin bemalte und vergoldete das gewaltige Gehäuse. Es maß in der Höhe 40 Fuß. Das Gehäuse der größten damaligen Orgel Berlins, das der Garnison-Kirche, deren Orgel Joachim Wagner 1724/25 mit ebenfalls 50 Registern erbaut hatte, maß nur 27 Fuß an Höhe. 28 Viele Jahre blieb die Orgel so als Torso stehen. Nach dem Tod Migendts, 1768, konnte endlich der Berliner Orgelbauer Ernst Marx die Windladen und die Traktur des Seitenwerks und einige von den zehn von Wagner vorgesehenen Registern bauen. So umfaßte die Orgel nun 26 Register. Bei dieser Registeranzahl blieb es bis zum Kirchenbrand 1809, dem die Orgel zum Opfer fiel.26 Zur Verbesserung der Windversorgung setzte E. Marx 1782 noch zwei der vorgesehenen 297
Keilbälge ein. Die Register und Windladen des Großpedals sind jedoch niemals gebaut worden. So mußte auch Principal 16' Pedal im Prospekt immer stumm bleiben. In der späteren Literatur wird stets die von Wagner geplante vollständige Disposition wiedergegeben und der Eindruck einer klangprächtigen Orgel erweckt. Als Erbauer wird nur Peter Migendt genannt, jedoch Wagners Autorschaft und der Anteil von E. Marx verschwiegen.29 Die ursprünglich von Wagner konzipierte und die tatsächlich gebaute Disposition mögen hier folgen:30 Berlin St. Petri, 1749/51 und 1768
Seitenwerk (I): C, D-c3
Hauptwerk (II): C, D-c3
Principal Gedact Quintatön Rohrflöte Nasat Octave Terz Quinta Cymbel4f. Vox humana Schwebung
Principal Bordun Octave Rohrflöte Quinta Octave Flöte traverse Quinta Octave Scharf 6 f. Cymbel4f. Cornett 5 f. Trompete Fagott
16' 16' 8' 8' 6' 4' 4' 3' 2' 1V 2 '
1749 1751 (?) 1749 1749 1749 1749 nicht gebaut 1749 1749 1749 1751 (?) a b c ' 1751 (?) 16 nicht gebaut 16' nicht gebaut
r
Oberwerk (III): C, D-c3 Principal Quintatön Gedact Salicet Octave Fugara Spitzflöte Quinta Octave Waldflöte Mixtur 5 f. Trompete Oboe
8' 1751 16' nicht gebaut 8' 1751 8' nicht gebaut 4' 1751 4' nicht gebaut 4' nicht gebaut 3' 1751 2' 1751 2' nicht gebaut 1751 8' 1751 8' nicht gebaut
4' 8' 8' 4' 3' 2'
m
i%' V
r
1751/1768 1768 nicht gebaut nicht gebaut nicht gebaut 1768 1768:Octav 1' nicht gebaut nicht gebaut nicht gebaut nicht gebaut
Pedal: C, D-d' Principal Violon Quinta Octave Gemshorn Quinta Octave Quinta Mixtur 8 f. Posaune Posaune Trompete Cornet Clairon
16' 1751, stumm 16' 1749 12' nicht gebaut 8' 1749 8' nicht gebaut 6' nicht gebaut 4' 1749 3' nicht gebaut 2' nicht gebaut 32' nicht gebaut 16' 1751 (?) 8' nicht gebaut 4' nicht gebaut
Koppel Oberwerk/Hauptwerk Tremulant 2 Sonnen 4 Sperrventile Trompeten, welche die Engel gegen den Mund an- und absetzen. Pauken, die von Engeln auch als natürlich geschlagen werden. 8 Keilbälge - 4 1749 gebaut, 2 1782 gebaut.
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Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt/Oder, Johann Lukas Thering, zugleich königlichpreußischer Hofrat, erkundigte sich brieflich am 20. Dezember 1749 bei Johann Gottlieb Graun, dem Konzertmeister der Berliner Hofkapelle, nach dessen Urteil über den Orgelbauer Peter Migendt. Die neue Orgel Migendts in der Petri-Kirche war vor wenigen Tagen eingeweiht worden. Die Stadt Frankfurt plante eine Renovierung des Inneren der Unterkirche und in diesem Zusammenhang einen Orgelneubau. Sie hielt deshalb nach einem geeigneten Orgelbaumeister Ausschau. Graun hatte schon vor Ostern 1749 den Thomaskantor Johann Sebastian Bach in Leipzig um Empfehlung eines tüchtigen Orgelbauers für den Neubau in der Frankfurter Unterkirche, der ehemaligen Franziskaner-Klosterkirche und heutigen Konzerthalle „Carl Philip Emanuel Bach", gebeten.31 Bach hatte in seinem Antwortbrief Heinrich Andreas Cuntzius, den früheren Gesellen Joachim Wagners, genannt. Seit 1736 ist Cuntzius in der Stadt Halle als Orgelbauer nachweisbar. Ihm übertrug man 1748 als „Orgelrevisor" die Pflege sämtlicher Orgeln der Stadt.32 Am 12. Januar 1748 hatte ihm Bach ein Gutachten ausgestellt, mit dem er das Orgelbauer-Privilegium bei der preußischen Regierung erwirken wollte.33 Noch heute ist der schöne Prospekt der Orgel erhalten, die Cuntzius 1743 für die Bartholomäus-Kirche in Halle-Giebichenstein schuf. Weder Migendt noch Cuntzius bekamen den Auftrag. Nach dem Neubau der Orgelempore an der Westseite der Unterkirche führte 1754 der Orgelbauer Damm eine Erweiterung der von Matthias Schurig aus Radeberg/Sa. an der gleichen Stelle 1688 bis 1690 errichteten Orgel aus.34 Während Peter Migendt in Berlin an der Petri-Orgel arbeitete, suchte der Magistrat von Salzwedel nach einem Meister, der die dortige Marien-Orgel vollenden würde, und wandte sich an Migendt. Dieser kam Ende November, noch vor der Einweihung der Petri-Orgel, nach Salzwedel und machte Vorschläge zum Weiterbau. Wegen seiner Berliner Verpflichtungen konnte er aber keine konkreten Termine zusagen. Bis zum Juni 1750 zogen sich die Verhandlungen hin. Schließlich wandte man sich im Juli 1750 an Gottlieb Scholtze, den Neuruppiner Orgelbauer. Er war bereit, das Werk Wagners für 1100 Taler fertigzustellen.35 Noch während Salzwedel mit Migendt verhandelte, meldete sich bei ihm die Stadt Stettin. Der Organist Christian Michael Wolff an der dortigen Schloßkirche bemühte sich, die alte Orgel reparieren zu lassen, und empfahl für diese Arbeit Peter Migendt.36 Die bisherige Orgel hatte zwei Manuale und kein Pedal. Migendt untersuchte das Instrument und riet zu einem kleinen Neubau mit 13 Registern, 1 Manual und Pedal (13/I+P). Der Contract wurde am 30. Juli 1750 unterzeichnet. Migendt versprach darin den Bau der neuen Orgel für 400 Taler und nahm die alte in Zahlung. Bereits im nächsten Frühjahr waren die Arbeiten abgeschlossen. Offensichtlich liefen sie parallel zu dem 2. Bauabschnitt für St. Petri in Berlin. Die Einweihung in der Schloßkirche fand am 2. Mai 1751 in Anwesenheit des preußischen Königs mit einer festlichen Kirchenmusik statt. Letztlich betrugen die Kosten 460 Taler. Sie wurden durch Spenden und den Verkauf unbrauchbar gewordener Kirchengeräte gedeckt. Schloßkirche Stettin, Disposition nach dem Kostenanschlag: Manual, C, D-c 3 1. Principal 2. Gedact 3. Octave 4. Rohrflöte 5. Nassat 6. Octave*
8 8 4 4 3 2
Fuß Fuß Fuß Fuß Fuß Fuß
englisch Zinn, von E an im Gesicht. die unterste Octave von Holz, die anderen 3 löthig Metall. von Probe Zinn. 1 von Metall.
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Quinta 172 Fuß37 Cornet 3.fach Mixtur 4.fachaus 1 Fuß* Trompet 8 Fuß Pedal, (C, D-c) 11. Subbaß 16 Fuß 12. Octava 8 Fuß 13. Posaune 8 Fuß 7. 8. 9. 10.
l von Probe Zinn.
Jvon c' bis c3. von Holz. von Holz. die Corpora von Holz, die Mundstücke von Metall,
mit 2 Blase Bälgen 10 Fuß lang und 5 Fuß breit, und mit einem Tremulant. Vor Abschluß der Arbeiten an der Schloßkirchenorgel rief man Migendt zur Begutachtung des alten Instruments in der Gertrud-Kirche. Sein Zustand war so bedenklich, daß eine Reparatur nicht mehr lohnte. Migendt reichte daher zwei Dispositionsvorschläge für einen Neubau ein. Der größere Entwurf (12/I+P) wurde genehmigt. Das Stettiner Konsistorium bewilligte einen Zuschuß von 400 Talern.37 So wurde der Vertrag mit Migendt über 550 Taler noch im Jahre 1751 geschlossen. Die Einweihung der neuen Orgel erfolgte 1752 und geschah mit einer festlichen Kirchenmusik. Die Disposition ist überliefert:38
Manual, C, D-c3 1. Principal 8. Fuß 2. Gedact 8. Fuß 3. Octav 4. Fuß 4. Rohrflöth 4. Fuß 5. Nassat 3. Fuß 6. Octav 2. Fuß 7. Quinta IV* Fuß 8. Cornett 3.fach c' bis c " 9. Mixtur 3.fach aus 1. Fuß 10. Trommet 8. Fuß c' bis c'"
Pedal, C, D-c' 11. SubBaß 12. Posaune
16. Fuß 8. Fuß
„Einige Stimmen im Manual werden also angeleget, daß der Baß alleine und der discant auch alleine kann gezogen und gespielet werden, (...)." Jetzt reißen die Aufträge an Peter Migendt nicht mehr ab. Nahezu 15 Jahre wird er in Stettin tätig sein und ständig zwischen dieser Stadt und Berlin hin- und herreisen. 1751 wurde er gebeten, die Stettiner Orgeln in St. Nicolai und in St. Jacobi, der Hauptkirche der Stadt, gründlich zu untersuchen. Für St. Nicolai schlug er einen Neubau vor, der jedoch nicht zur Ausführung kam.39 Für die von Matthias Schurig begonnene und durch Arp Schnitger 1699 vollendete Orgel (46/III+P) in St. Jacobi erstellte Migendt ein Gutachten und forderte 500 Taler zu ihrer völligen Wiederherstellung40, die sicher mit einer Umdisponierung verbunden sein sollte. 1747 bei der Übergabe der Orgel an den neuen Jacobi-Organisten Theophilus Andreas Volckmar „stellte man fest, kein einziges Register ist in Ordnung. Einige Register lassen sich gar nicht ziehen. Die meisten Pfeifen sind schlecht. Nur ein Drittel der Pfeifen klingt, die schlechten dabei Einige Stimmen im Manual werden also angelegt, daß der Baß alleine und der Discant auch allein kann angezogen und gespielet werden. (Octave 2' und Mixtur 4fach haben also geteilte Schleifenzüge.) 300
ausgenommen." Offensichtlich hatte mangelnde Pflege die weit über die Stadt hinaus berühmte Orgel in diesen bedenküchen Zustand geraten lassen. Aus Geldmangel kam es nicht zur Ausführung. 1752 unterbreitete Migendt ein weiteres Kostenangebot zur gründlichen Instandsetzung, auf das man jedoch erst 1756 zurückkam. Auch der Stettiner Instrumentenmacher Zahl und der Organist aus Warthin, Christian Friedrich Voigt, Sohn eines Orgelbauers in Damm, bemühten sich um diesen lukrativen Auftrag. Ebenso schlecht stand es um die Orgel der Marien-Kirche in Stettin. Chr. M. Wolff, der auch an dieser Kirche das Organistenamt versah, hatte bereits 1746 einen Neubau gefordert und dazu Joachim Wagner vorgeschlagen. 1752 bemühte sich Wolff erneut und empfahl Peter Migendt. Dieser besichtigte die Orgel, „die eine der allerältesten in Pommern war", und veranschlagte für eine Reparatur und Umdisponierung 1220 Taler.41 Da die finanziellen Mittel fehlten, unterblieb die Auftragserteilung. Zwischendurch wurde Migendts Anwesenheit auch in Berlin verlangt. Die Neue Kirche auf dem Gendarmenmarkt, die als ein Fünfeck erbaut und am 9. April 1708 eingeweiht worden war, hatte anfangs nur ein geliehenes Positiv. Die reformierte Gemeinde konnte es im Jahre 1713 dann für 150 Taler käuflich erwerben. 1751 waren „die Pfeifen von Salpeter, der Holzkasten von Würmern ganz zerfressen". Man bat Migendt um einen Kostenanschlag. Nach langen Verhandlungen genehmigte der Magistrat einen Orgelneubau. Migendt errichtete wiederum ein einmanualiges Werk mit Pedal, das im Prospekt Principal 8' enthielt.42 Am 12. November 1752 wurde die Orgel eingeweiht. In einem Bericht dazu liest man: „Wobey zu merken, daß bey Erbauung der Orgel drey Leute von drey Religionen gearbeitet: 1. der Orgelbauer, Herr Peter Migend, war lutherisch, 2. der Bildhauer, Herr Michael Wasser, war catholisch, 3. der Mahler, Herr Johann Conrad Müller, war reformiert."43 1847 erbaute Carl August Buchholz eine neue, größere Orgel (. ./II+P) in der Neuen Kirche, wobei er das Migendt-Gehäuse und einige Register von 1752 wiederverwendete.44 Sie kostete 1236 Taler. 1881 wurde diese Orgel an die Stadtkirche St. Marien in Ueckermünde verkauft und dort durch den Orgelbauer Wilhelm Sauer aufgestellt und verändert. Einige MigendtRegister sind hier bis heute erhalten.45 Die Neue Kirche selbst bekam eine neue Orgel (37/ III+P) von Wilhelm Sauer mit einem neugotischen Gehäuse, die am 17. Dezember 1882 eingeweiht wurde. Die reformierte Bethlehems-Kirche in Berlin, auch böhmische Kirche genannt, erlebte ihre Einweihung am 12. Mai 1737. Sie war für die evangelischen Emigranten aus Böhmen bestimmt. Der Baumeister Friedrich Wilhelm Diterichs hatte sie als eine markante Rundkirche entworfen, mit vier kurzen Kreuzarmen. Zunächst besaß sie keine Orgel. Man bat Peter Migendt um einen Dispositionsentwurf und Kostenanschlag. Am 6. Februar 1753 unterschrieb er den Contract46, der erhalten ist. Die Orgel sollte ein Brüstungswerk, einmanualig und ohne Pedal werden. Als Krönung des Prospekts sollten eine „Glorie" angebracht und darunter eine sich drehende Sonne mit Cimbelglöckchen befestigt werden. Der Spieltisch kam an die Seite. Die Register Octave 2' und Scharff 5.fach sollten geteilte Züge nach Baß und Diskant erhalten. Als Preis wurden 230 Taler vereinbart, jedoch ohne die Malerkosten. Die Disposition lautete: Manual: C, D-c 3 1. Principal 2. Gedact
4 Fuß 8 Fuß
englisch Zinn. die unterste Octave von Holz, die 3 übrigen Octaven von Metall. 301
3. 4. 5. 6. 7. 8.
Rohrflöt Nassat Octave Cornet 3.fach Scharff 5.fach Trompet Tremulant, Sonnenzug, Calanten-Zug.
4 Fuß 3 Fuß 2 Fuß
8 Fuß
l l Metall. J von c' bis c'" •> aus 172 Fuß 1 Proben Zinn. von c' bis c'" J
Bereits am 27. September 1753 war die Orgel fertig und wurde übergeben. Am darauffolgenden Tag quittierte Migendt über die restlichen 100 Taler. Die Orgel erhielt ihren Standort auf der 2. Empore, dem Kanzelaltar gegenüber.47 Ihre Farbfassung und Vergoldung bekam die Orgel erst 1759, und zwar durch den Berliner Maler Fr. Fischer. Im Februar 1945 brannte die Kirche aus. Die Ruine beseitigte man endgültig 1963. Die Stadtkirche St. Laurentius in Havelberg hatte bei einem schweren Gewitter am 28. Juli 1752 großen Schaden erlitten. Die Orgel war nicht mehr zu reparieren. Der Magistrat entschloß sich zu einem Neubau und forderte den Orgelbauer Gottlieb Scholtze aus Neuruppin zu Vorschlägen auf. Scholtzes Kostenaufstellung und Dispositionsentwürfe reichte der Magistrat am 23. März 1753 zur Genehmigung nach Potsdam ein. Die königliche Regierung ersuchte Peter Migendt um eine gutachterliche Stellungnahme zu dem Orgelprojekt. Migendt, der Scholtze gewiß aus dessen früherer Zusammenarbeit mit Joachim Wagner kannte, kritisierte den Kostenanschlag als nicht ausreichend spezifiziert und die Kosten als zu ungenau kalkuliert. In seinem Gutachten vom 20. April 1753 schrieb er weiter: „Die 17 Jahr die ich bey Sei. Wagner gewesen bin habe ich manch schönes Werck helfen bauen und die Kosten sein mir nicht unbekannt, waß Orgeln kosten große und kleine."48 An der Prospektzeichnung, dem „Riß", bemängelte er den fehlenden Maßstab. Scholtzes größerer Entwurf (32/II+P) kam dann zur Ausführung und wurde 1754 vollendet. Die Orgel ist bis heute erhalten. 1753 und in den folgenden Jahren hielten die anstehenden Aufgaben Migendt zunächst in Berlin fest. König Friedrich II. ließ im Lustgarten auf der Spreeinsel einen neuen Dom errrichten. Im alten Dom, an der Südseite des Schlosses, der ehemaligen Dominikaner-Klosterkirche, hatte der Orgelbauer Johann Michael Röder 1720 eine neue Orgel (32/II+P) erbaut. Migendt setzte 1753 die Röder-Orgel in den neuen Dom um, reparierte sie und veränderte etwas die Dispositionen.49 Sie hatte nun folgende Gestalt: Im Hauptwerk:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 302
Principal Quintatön Rohrflöte Octav Spitzflöt Quinta Super Octav Tertia Quinta Sedecima Scharff 6.fach Cymbel3.fach
8 Fuß 16 Fuß 8 Fuß (1720 Gedact 8 Fuß) 4 Fuß 4 Fuß (1720 Gedact 4 Fuß) 3 Fuß 2 Fuß l3/5 Fuß 1V2 Fuß (1720 Tertian 2.fach) lFuß (1720 Mixtur lO.fach)
Im Ober Werk: 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.
Principal Bordun Gedact Quintatön Octav Quinta Octav Scharff 6.fach Mixtur 4.fach Trompet
8 Fuß 16 Fuß 8 Fuß 8 Fuß 4 Fuß 3 Fuß (1720 Sesquialtera 2.fach) 2 Fuß
(1720 Rauschquint 2.fach) 8 Fuß
Im Pedal: 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.
Principal Violon Octav Quinta Octav Quinta Nachthorn Mixtur ö.fach Posaun Trompet Coppel zu beyden Ciaviren, Tremulant, Windt Ventile.
16 Fuß 16 Fuß 8 Fuß 6 Fuß 4 Fuß 3 Fuß (1720 Rausch quinta 2.fach) 2 Fuß
(1720 Mixtur lO.fach) 16 Fuß 8 Fuß Manual
Die Orgel stand bis 1817, in welchem Jahr sie durch einen Neubau von dem Berliner Orgelbauer Johann Simon Buchholz abgelöst wurde. Ebenfalls 1753 stellte Migendt die Orgel Arp Schnitgers (24/II+P), die am 30. Januar 1707 in der Berliner Sebastians-Kirche eingeweiht worden war, in der neu errichteten Sebastians-Kirche unverändert wieder auf.50 Die Einweihung der neuen Kirche wurde am 23. Dezember 1753 begangen. Auf königliche Anweisung wurde die Kirche 1802 in „Luisenstadt-Kirche" umbenannt. Laut Contract erhielt Migendt für Reparatur und Umsetzung der Orgel 200 Taler.51 Im Februar 1754riefder Magistrat von Rathenow Peter Migendt nach dort. Er sollte gemeinsam mit Johann Christian Hentzschel, dem Organisten der Altstadt Brandenburg, eine umfangreiche Orgelinstandsetzung in der Stadtkirche St. Marien-Andreas begutachten. Der Magistrat hatte mit Salomon Kleinert, einem Orgelbauer aus der Stadt Brandenburg, am 10. Mai 1753 einen Contract zur Reparatur der Stadtkirchenorgel geschlossen. Die Arbeit war fertig. Migendt und Hentzschel stellten allerlei Mängel fest und forderten Nachbesserung.52 Joachim Wagner hatte 1723 für die alte Garnison-Kirche in Potsdam eine neue Orgel (25/ II+P) geschaffen. Bei Abbruch der Kirche 1730 schenkte sie König Friedrich Wilhelm I. der Berliner Jerusalems-Kirche und ließ sie da einbauen. Nach rund 30jährigem Gebrauch zeigte sie nun Verschleißerscheinungen. Man beauftragte Migendt mit der Instandsetzung. 1754 „renovierte" er die Orgel gründlich und fügte im Pedal noch eine neue Trompete 8' ein.53 303
Im gleichen Jahr begann Migendt mit seiner wohl wichtigsten Arbeit, dem Bau der Orgel für die Prinzessin Amalia von Preußen, der jüngeren Schwester König Friedrichs II. Migendt betrat mit der Konzeption zu dieser Orgel in mancherlei Hinsicht Neuland. Den Umfang der Manualklaviere weitete er erheblich aus: C—f'", einschließlich Cis! Hierin haben sich gewiß die Wünsche der Auftraggeberin ausgewirkt, die eine exzellente Klavierspielerin war. Für die Stimmtonhöhe wählte Migendt den Kammerton, wohl im Blick auf die Verwendbarkeit der Orgel zum Ensemblespiel. Die Kirchenorgeln im damaligen Preußen standen fast ausnahmslos im „Chorton". Besonders auffallend aber ist die Klanggestalt:54 Hauptwerk (I): C-f3 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Principal 8' Bordun 16' Rohrflöte 8' Viola di Gamba 8' Octave 4' Quinta 3' Octave 2' Mixtur 4.fach Flöt douce 8'
Oberwerk (II): C-f3 10. Principal 4' 11. Gedackt 8' 12. Quintatön 8' 13. Salicional 8' von c' an. 14. Rohrflöte 4' (Gedackt 4') 15. Nassat 3' 16. Octave 2' (Waldflöte 2') 17. Sifflöte
r
Pedal: C - d ' 18. 19. 20. 21. 22.
Subbaß Octave Baßflöte Octave Posaune
16' 8' 8' 4' 16'
Manual-Coppel, Tremulant, 3 Sperrventile, Calcanten Glocke.
Oberwerk und Pedal haben keine Klangkronen, keine Mixturen. Sie treten dadurch deutlich hinter dem Hauptwerk zurück. Die Orgel enthält keine Quinta 1V2', die Migendt sonst in allen seinen Orgeln disponiert. Auch ein terzhaltiges Register fehlt. Bordun 16' im Hauptwerk ist in Baß (C—h°) und Diskant (c'—f") geteilt, hat also zwei Züge. Die Manual-Coppel ist als Gabelkoppel gestaltet55, wie sie bereits Joachim Wagner anwandte. Die Orgel ist als ein Zimmerinstrument angelegt, mit geringerem Winddruck und entsprechender Intonation. Die heute in der Orgel befindlichen Zungenregister — außer Posaune 16' — sind barockisierende spätere Zutaten. Auch die heutige Pedalkoppel ist nicht original. Migendt hat — gleich Wagner — niemals eine Pedalkoppel gebaut. Prinzessin Amalia wünschte die Orgel für ihr Berliner Palais Unter den Linden.56 Sie hielt sich hier während der Winterszeit auf. Als Tochter des Königs Friedrich Wilhelm I. am 9. November 1723 im Schloß zu Berlin geboren, erhielt sie frühzeitig Klavierunterricht — in den Jahren 1740 bis 1742 — durch den Domorganisten Gottlieb Hayne, den wohl einzigen Musiker von Bedeutung im damaligen Berlin. Er war es sicherlich, der sie in die Welt der Orgel einführte, der sie sich seit ihrem 30. Lebensjahr leidenschaftlich hingab.57 Ihren Briefen ist zu entnehmen, wie sehr sie der Vollendung ihrer Hausorgel entgegensah. Im Dezember 1755 war die Orgel fertig. Amaliens Freude sah man in der Familie des Königs nur mit Verwunderung und Befremden. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Orgel kein Hausinstrument mehr, zumal bei Hofe. 304
Nach dem Tod der Prinzessin ( t 30. September 1787) schenkte König Friedrich Wilhelm IL die Orgel der Schloßkapelle in Buch bei Berlin, wo sie 1788 auf der eigens dafür tiefer gesetzten Westempore aufgebaut wurde.58 Sehr wahrscheinlich ging dabei das bekrönende wertvolle Schnitzwerk der Orgel verloren. In seinem Bericht von 1783 schilderte es Ernst Marx: „Auf den obern Pfeiffen Thurm sitzt die Göttin der Music, mit vielen Instrumenten umgeben; Alles ist starck vergoldet."55 Bis zum Jahre 1939 stand die Orgel in Berlin-Buch und wurde als ein Opus Joachim Wagners angesehen. Der Orgelbauer Hans-Joachim Schuke identifizierte sie als Werk Migendts und empfahl ihre Umsetzung. 1938/39 wurde ein Umbau der Berliner Nikolai-Kirche geplant und damit kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges begonnen.59 Neben dem großen Instrument von Wilhelm Sauer (1902,61 /III+P) sollte die Kirche eine historische Zweitorgel bekommen. So wurde 1939 die Migendt-Orgel in Buch ausgebaut und in der Marien-Kirche zwischengelagert. Hier entging sie der Vernichtung, denn die Schloßkirche Buch und die Nikolai-Kirche wurden durch die Kriegsereignisse schwer beschädigt. Aus Platzgründen konnte sie in Marien nicht bleiben. Deshalb schenkte Propst Heinrich Grüber 1956 die Orgel der evangelischen Kirche „Zur frohen Botschaft" in Berlin-Karlshorst. Die Orgelbau-Anstalt Alexander Schuke, Potsdam, übernahm die Wiederherstellung der Orgel und stellte sie 1960 in Karlshorst auf. Heute ist Migendts Amalien-Orgel die einzige vollständig erhaltene Orgel aus dem 18. Jahrhundert in Berlin. Beim Bau der Amalien-Orgel hatte Peter Migendt einen Mitarbeiter, der besonders erwähnt werden muß, der dann auch in Berlin sein Geschäftsnachfolger wurde: Ernst Marx. Welchen Anteil im einzelnen Marx am Entwurf und am Bau der Orgel hatte, ist unklar und muß noch untersucht werden. Bei späteren Arbeiten Migendts wird der um 25 Jahre jüngere Marx verschiedentlich mit genannt.60 In einem im Jahre 1783 niedergeschriebenen Verzeichnis seiner bis dahin gebauten Werke in Auswahl führt Marx auch die Amalien-Orgel auf.61 Keinesfalls darf diese Orgel von 1755 verwechselt werden mit der wesentlich größeren Orgel, die Prinzessin Amalia im Jahre 1777 durch Ernst Marx für ihre Sommer-Residenz, das spätere Palais Prinz Albrechts in der Wilhelmstraße, in der Friedrichstadt, bauen ließ.62 Werner David ist diesem Irrtum erlegen63, während Christoph Friedrich Nicolai durchaus zutreffend berichtet.64 Peter Migendt und Ernst Marx waren zunächst freundschaftlich, später auch verwandtschaftlich verbunden — Marx heiratete 1756 die jüngere Schwester von Migendts Ehefrau.65 Und die Eheleute Migendt haben dann bei zwei Kindern der Familie Marx Pate gestanden. Noch vor Abschluß der Arbeiten an der Amalien-Orgel hatte Migendt einen Contract zur Überholung der Berliner Marien-Orgel unterzeichnet. Die Pflege der Orgel führte wohl bisher der Marienorganist Johann Gottlieb Wiedeburg, der das Organistenamt 1738 übernommen hatte, selbst aus. Seine Arbeit wird im regelmäßigen Stimmen der Zungenregister und im Nachregulieren der Tastenmechanik bestanden haben. 1754 starb er kurz vor Martini.66 Inzwischen war nach 35jährigem Gebrauch die Orgel verschmutzt. 1755 reinigte und reparierte Peter Migendt die von Joachim Wagner 1720/21 erbaute Orgel (40/III+P) gründlich und quittierte über 70 Taler.67 Der Calcant Kühnel erhielt dabei 7 Taler 12 Groschen. Die vielen Aufträge an Migendt beweisen, daß man seine Arbeit schätzte. So gelangte er zu Wohlstand und begann, ein eigenes Haus „auf der Contrescarpe", einem Wohnviertel in der Nähe des Georgentores, zu bauen. Am 7. Januar 1756 ließ er sich in das Berliner Bürgerbuch eintragen. Die Gebühren dafür wurden ihm in Anbetracht seines Hausbaues erlassen.68 Im gleichen Jahr nun beauftragte man Migendt, seinen Kostenanschlag von 1752 über die Generalreparatur der Stettiner Jacobi-Orgel auszuführen.69 Er hatte 300 Taler gefordert, dazu „frey Logis und Betten" für sich selbst und zwei Gesellen. Die berühmte Schnitger-Orgel wollte 305
man nicht dem noch unbekannten Christian Friedrich Voigt anvertrauen, trotz der hohen Kosten. Gustav Fock datiert diese Reparatur in das Jahr 1751.70 Hier interpretiert er die Quelle falsch. 1757 unternahm Organist Wolff einen erneuten Vorstoß für einen Orgelneubau in St. Marien zu Stettin. Migendt reichte Disposition und Kostenangebot für eine zweimanualige Orgel mit Pedal ein. Seine Forderung betrug 2740 Taler, dazu freie Beherbergung für ihn und seine Leute.71 Wegen Geldmangels ließ man das Vorhaben fallen. 1759 wurde Migendt an seine Orgel in der Neuen Kirche Berlin gerufen. Der Organist Johann Friedrich Kauffmann hatte eines Tages berichtet, daß „das Register nur zum Teil, das Pedal gar nicht zu benutzen sei".72 Offenbar waren einige Registerzüge verquollen und ließen sich nicht mehr bewegen. Kauffmanns Schilderung gestattet den Schluß, daß diese einmanualige Orgel ebenfalls einige Register mit geteilten Schleifen besaß. Die Reparatur verursachte nicht unerhebliche Kosten. Im gleichen Jahr schloß das Domkapitel zu Brandenburg mit Migendt einen Vertrag zur gründlichen Überholung der großen Domorgel, die Wagner 1723 erbaut hatte. Bereits 1749 hatte Gottlieb Scholtze auf den schlechten Zustand der Orgel aufmerksam gemacht und am 26. August einen Kostenanschlag73 unterbreitet, der jedoch nicht zur Ausführung kam. Nun waren Migendt und sein Mitarbeiter — Marx? — von Ende Mai bis August 1759 mit der Reparatur beschäftigt. Die Domakten enthalten folgende aufschlußreiche Belege741 1. „Dem 24 Aug. dem Orgelbauer H. Migendt aus Berlin nach den mit dem Capitel geschlossenen accord die Orgel in der hiesigen Dom Kirche von Grunde aus zu reparieren, laut accord und ausgestelleter quitung 140 Thlr." 2. „Dem Pförtner Blume die Blasebälge dabey extraordinarie zu treten, 20V2 dage a 6 gr., laut Decr. u. quitung 3 Thlr. 14 gr." 3. „Denen beyden Orgelbauern V4 Jahr bey reparatur der Orgel, Betten zu halten, 1. qu. 3 Thlr." Der Patron von Ringenwalde, Obrist Joachim Wilhelm von Ahlimb, bestellte bei Migendt 1760 für die Dorfkirche — sie liegt im heutigen Kreis Templin — eine neue Orgel. Sie wurde bereits im Oktober fertig. Im Abnahmebericht ist zu lesen75: „(...) Also wird dem H. Orgelbauer Peter Migandt hiermit zur Wahrheit attestiret: daß er dieses Orgelwerk nicht nur contractmässig nach guter Bauart und allem was dem anhängig angefertiget sondern auch in allen Stimmen einer nötigen force und reinen Harmonie gesetzet, so dass überhaupt dieses Werk volkommen gut und tüchtig, Ihm zum Ruhm, verfertiget und kein Fehler daran befunden worden. Ringenwalde, den 25. Oktober 1760
Christian Gottfried Böttcher, Organist zu Joachimsthal."
Durch dieses Dokument wird Migendts Autorschaft an dieser Orgel eindeutig bezeugt. Der Orgelbauer Albert Kienscherf aus Eberswalde, der 1913 die Orgel umbaute und vergrößerte (14/II+P), hatte Ernst Marx als Erbauer benannt.76 Wolf Bergelt versuchte eine Rekonstruktion der Disposition.77 In späteren Berichten werden jedoch die Orgel als „mit 16 Zügen" beschrieben und eine vorhandene Quinta 1V2' erwähnt.78 So müßte Migendts Orgel folgende Register enthalten haben: 306
Manual, C, D - c 3 4' 1. Principal 2. Gedact 8' 3. Rohrflöte 4' 4. Nasard 3' 5. Octave 2' 6. Quinta 1%' 7. Cornett 3.fach 8. Mixtur 4.fach
Kein Pedal. im Prospekt
Tremulant, Sonne, Engelsposaune, Calcantenglocke,
Baß / Diskant Baß / Diskant ab c' Baß / Diskant
Im Jahre 1891 wurde der Kirchturm in Ringenwalde abgetragen und neu errichtet. Orgelbaumeister Albert Hollenbach aus Neuruppin stellte die Keilbälge wieder auf und reparierte sie für 29,25 Mark. Wilhelm Steffen aus Gerswalde führte im November 1891 eine Instandsetzung für 10 Mark aus.79 Im Sommer 1893 fügte W. Steffen eine Pedalklaviatur mit 18 Tönen und ein Wellenbrett mit zugehöriger Mechanik ein. Die Quinta 1V2' tauschte er gegen einen Principal 8' aus, der z.T. konduktiert und gekröpft werden mußte. Außerdem reinigte er die Orgel, zog einige neue Federn ein, reparierte die Sonne und glich die Intonation aus. Seine Rechnung vom 26. August 1893 betrug 220 Mark. Heute sind außer dem schönen Migendt-Gehäuse noch wenigstens in drei bis vier Registern originale Pfeifen von 1760 vorhanden. Jakob Friedrich Küsel, ein vermögender Stettiner Bürger, hatte in seinem Testament am 16. Oktober 1753 der dortigen Nikolai-Kirche 1500 Taler für den Neubau einer Orgel vermacht unter der Bedingung, daß sein Bruder Carl zu Lebzeiten noch die Zinsen genießen und mit dem Neubau nach dessen Tod binnen eines Jahres begonnen werden sollte. Carl David Küsel starb zu Anfang des Jahres 1761. Sogleich wurde mit Peter Migendt verhandelt und am 27. Februar 1761 der Contract geschlossen. Die neue Orgel wurde Migendts größtes Werk (26/ II+P). Ausdrücklich vermerkten die Akten die Mitarbeit des Orgelbauers Ernst Marx.80 Die Orgel sollte 2200 Taler kosten. Der Beginn der Arbeiten verzögerte sich bis Pfingsten 1762, weil Rußland während des Siebenjährigen Krieges Pommern besetzte. Dann ging es zügig voran. Am 23. Februar 1763 konnte die alte Orgel abgebrochen und versteigert werden. Sie erbrachte noch 146 Taler.81 Am 8. Januar 1764 fand die festliche Einweihung statt. Die Orgel wurde als die modernste in Stettin eingeschätzt. Mit 48 Tasten allerdings bedeutete der Manualumfang gegenüber der Amalien-Orgel von 1755 einen Rückschritt. Oberwerk und Pedal waren jedoch als Werke wieder vollständig ausgebaut. Auch das 3fache Cornett fehlte nicht. Die klangliche Konzeption von Migendt und Marx entsprach den Intentionen Joachim Wagners und sah so aus 82 : Hauptwerk, C, D - c 3 1. Principal 2. Bordun 3. Rohrflöth 4. Octav 5. Quinta 6. Octav 7. Cornet 3.fach 8. Scharff 5.fach 9. Cimbel3.fach 10. Trompet
8' 16' 8' 4' 3' 2' ab c' l'/ 2 ' 1' 8'
Oberwerk: C, D - c 3 11. Principal 12. Gedact 13. Quintadena 14. Rohrflöth 15. Nassat 16. Octav 17. Quinta 18. Mixtur 4.fach 19. Vox humana
4' 8'
r
4' 3' 2' 1%' V 8'
307
Pedal: C, D - d ' 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.
Principal Subbass Octav Quinta Mixtur 6.fach Posaune Trompet
8' 16'
4* 3' 2' 16' 8'
Holz Metall
Koppel Oberwerk/Hauptwerk, Tremulant, Schwebung zur Vox humana, Sonnen-Zug, 3 Sperrventile, Calcanten Glocke.
Die Orgel hatte keine Pedalkoppel. Sie stand im Chorton. Ursprünglich hatte Migendt im Kostenanschlag zusätzlich noch für das Hauptwerk eine „Flöth trouvers 4 Fuß oder Spitzflöth 4 Fuß" und fürs Oberwerk eine Fugara 4' oder Waldflöte 2' angeboten. Sie scheinen aber nicht verwirklicht worden zu sein. Beim Brand der Nikolai-Kirche in der Nacht vom 9. zum 10. Dezember 1811 ist die Orgel untergegangen. Von weiteren Aktivitäten Migendts — vor allem in den Jahren 1764 bis 1767 — ist bisher nichts bekannt geworden. Führte Ernst Marx die Arbeiten an der Brandenburger Domorgel 1765 im Auftrag Migendts oder selbständig aus? Wir lesen dazu 83 : „Den 25. Aug. d. a. am Orgelbauer Marx für die 3.jährige Unterhaltung und renovirung der Domorgel nach dem accaord 1. quitung 15 Thlr." Eine von Ledebur behauptete Reparatur der Berliner Nikolai-Orgel84 durch Migendt hat sich bislang nicht nachweisen lassen. Für die Orgeln der Dorfkirchen in Vehlefanz (Krs. Oranienburg), Plessow und Plötzin (Krs. Potsdam) vermutete man Migendt als Erbauer. Inzwischen ist die Urheberschaft Gottlieb Scholtzes für Vehlefanz und Plessow erwiesen. Die Plötziner Orgel schuf wahrscheinlich Ernst Marx oder Gottlieb Scholtze. Die Dorfkirche in Barnewitz (Krs. Rathenow) besaß einst ein ansehnliches Werk, das die Gebrüder Schuke 1935 reparierten. Sie vermuteten Migendt als Erbauer.85 Ein archivalischer Nachweis gelang noch nicht. Die Orgel verbrannte 1944. War Peter Migendt in seinen letzten Lebensjahren kränklich? Oder lebte er zurückgezogen und überließ die Geschäftsführung Ernst Marx? Es ist das bleibende Verdienst Migendts, daß er die wertvollen Orgeln Berlins und Stettins gepflegt und nahezu unverändert bewahrt, aus dem Geiste Joachim Wagners heraus seine eigenen Orgeln geschaffen und die Klangvorstellungen und Bauprinzipien Wagners an seinen jungen Mitarbeiter und Freund Ernst Marx weitergereicht hat. Er starb am 19. September 1767 in Berlin und wurde auf dem Georgen-Kirchhof beigesetzt. Die Bestattungseintragung lautet86: „Peter Migendt, Bürger und Orgelmacher, hat auf der Contrescarpe gewohnt, im 64. Jahr an Brustkrankheit gestorben; hinterläßt Frau ohne Kinder."
Anmerkungen und Quellen: 1 Wolf Bergelt, Die Mark Brandenburg — Eine wiederentdeckte Orgellandschaft, Berlin 1989, S. 104. 2 Werner Mülller, Gottfried Silbermann, Persönlichkeit und Werk, Leipzig 1982, S. 83 f. 3 Eine umfassendere, erstmalige Darstellung des Schülerkreises Joachim Wagners wird demnächst durch den Verfasser veröffentlicht. 308
4 Claus-Peter Schulze, Artikel „Joachim Wagner", in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1955, Bd. 14, Spalte 78. 5 E. L. Gerber, Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, Leipzig 1812-1814, Bd. 3, S. 427. 6 C. Freiherr von Ledebur, Tonkünstler-Lexikon Berlins, Berlin 1861, S. 374. 7 Curt Sachs, Musikgeschichte der Stadt Berlin bis zum Jahre 1800, Berlin 1908, S. 313, Nr. 404. 8 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Akte Pr. Br. Rep. 40, Nr. 1637, B1.7. 9 Festschrift zur Feier des 55jährigen Bestehens des Berliner Organisten-Vereins, Berlin 1928, S.50. 10 Ev. Zentralarchiv Berlin (West), Totenbuchkopie der St.-Georgen-Kirche Berlin, 1767. 11 Schwedisches „Orgelforum", 1986/2, S. 14 ff. 12 Archiv Fa. Schuke, Potsdam: Auszüge aus dem Kirchenrechnungsbuch St. Marien Angermünde von 1745. 13 Pfarrarchiv St. Marien Angermünde, Taufregister 1726. 14 Ev. Zentralarchiv Berlin (West), Kopie des Traubuchs der Jerusalems-Kirche Berlin (Kb 22 / 103). 15 Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Zitadelle: Kirchenrechnung St. Nicolai 1739/40, Fol. 79. 16 Stadtgeschichtliches Museum Spandau: Akte Nicolai-Kirche Nr. 74 (Ausgaben zum Wiederaufbau des Turms), Beleg Nr. 57. 17 Wie Anmerkung 16, Beleg Nr. 58. 18 Wie Anm. 16, Belege Nr. 59-67. 19 Wie Anm. 16, Beleg Nr. 68. 20 Wie Anm. 16, Beleg Nr. 72. 21 Wie Anm. 16, Beleg Nr. 76. 22 Pfarrarchiv St. Marien Angermünde, Kirchenrechnung 1747. 23 Wie Anm. 16, Beleg Nr. 57. 24 Wie Anm. 16, Beleg Nr. 77. 25 Wie Anm. 16, Beleg Nr. 57. 26 Valentin Heinrich Schmidt, Geschichte der St.-Petri-Kirche, Berlin 1809, S. 39/40. Vgl. G. Rahn, Die St.-Petri-Kirche in Berlin, Berlin 1853, S. 49/50. 27 Heinz Herbert Steves, Der Orgelbauer Joachim Wagner, in: Archiv für Musikforschung, 1939, S. 321-358, und 1940, S. 17-38. Auch Sonderdruck, 1939, S. 36. 28 Johann Samuel Halle, Werkstätte der heutigen Künste, Bd. 3, Brandenburg und Leipzig 1764, S.331. 29 Sammlung einiger Nachrichten von berühmten Orgelwerken in Deutschland, Breslau 1757, S. 2 f. Jacob Adlung, Musica mechanica Organoedi, Berlin 1768, Bd. I, S. 198. Wie Anm. 1, S. 25. Vgl. Otto Wangemann, Geschichte der Orgelbaukunst, Demmin 1879, S. 276. Auch Anm. 5, 6 und 28. 30 Die genauen Angaben sind aus den Kostenanschlägen von E. Marx von 1780 und 1790 und des von Friedrich Marx von 1805 zu erschließen. 31 Bach-Dokumente, herausgegeben vom Bach-Archiv Leipzig, Bd. I, Leipzig 1963, S. 121, Dokument Nr. 51, und Bd. II, Leipzig 1969, Dokumente Nr. 582,586, 589 und 590. 32 Wolf Hobohm, Überlegungen zu Bachs Beziehungen zu dem halleschen Orgelbauer H. A. Contius, in: Bericht über die Wissenschaftliche Konferenz zum V Internationalen Bachfest der DDR, Leipzig 1985, Leipzig 1988, S. 126. Vgl. Wilfried Stüven, Orgel und Orgelbauer im halleschen Land vor 1800, Wiesbaden 1964, S.92. 33 Wolf Hobohm, Ein unbekanntes Gutachten Johann Sebastian Bachs, in: Bach-Jahrbuch, 1977, S. 135. 34 Kurt Hennemeyer, Die Schuricht-Orgeln zu Frankfurt-Oder. In: Mitteilungen des Historischen Vereins für Heimatkunde zu Frankfurt/O., 1930, S. 36—38. 35 Wie Anm. 27, Sonderdruck, S. 37. 36 Werner Freytag, Musikgeschichte der Stadt Stettin im 18. Jahrhundert, Greifswald 1936, S. 10 f. und 153. 309
37 Werner Freytag notiert hier Quinta 3 Fuß. Das muß ein Schreibfehler oder Irrtum sein.
38 Wie Anm. 36, S. 61 und 156. 39 Wie Anm. 36, S. 69-73. 40 Wie Anm. 36, S. 44 ff. 41 C. Fredrich, Die ehemalige Marienkirche zu Stettin und ihr Besitz, in: Baltische Studien, Neue Folge, Bd. 21, S. 238-242. 42 Sammlung einiger Nachrichten von berühmten Orgelwerken in Deutschland, Breslau 1757, handschriftl. Nachtrag im Exemplar der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, S. 119. 43 Paul Kirmß, Geschichte der Neuen Kirche zu Berlin, Berlin 1908, S. 15 f. und 23 f. 44 Wie Anm. 43, S. 52. 45 Dietrich W. Prost, Das Wirken der Berliner Orgelbauer Buchholz in Vorpommern, in: Acta organologica Bd. 20, Berlin/Kassel 1988, S. 155 und 158. 46 Ev. Zentralarchiv Berlin (West), Bestand 14, Akte Bethlehems-Kirche. Vgl. auch: Anm. 42, S.119. 47 Wolfgang Gottschalk, Altberliner Kirchen in historischen Ansichten, Berlin 1985, S. 180. 48 Wie Anm. 8. 49 Wie Anm. 42 (Nachtrag), S. 114, und Anm. 9, S. 42. 50 Gustav Fock, Arp Schnitger und seine Schule, Kassel 1974, S. 207. Auch Anm. 42 (Nachtrag), S. 116. 51 J. F. Bachmann, Die Luisenstadt, Versuch einer Geschichte derselben und ihrer Kirche, Berlin 1838, S. 105 f. W. Noel, Die ersten 200 Jahre der Gemeinde der Luisenstadtkirche zu Berlin, Berlin 1894, S. 34 und 43. 5 2 Dornstiftsarchiv Brandenburg, Teilnachlaß Rudolf Guthjahr, Chronik der Stadt Rathenow, Teil 7, maschinenschriftlich, o. J. (ca. 1970). 53 Wie Anm. 42 (Nachtrag), S. 115. 54 Werner David, Die Orgel von St. Marien zu Berlin und andere berühmte Berliner Orgeln, Mainz 1949, S. 28 ff. 55 Franz G. Bullmann, Die rheinischen Orgelbauer Kleine — Roetzerl — Nohl, Teil II, in: Schriften zur Musik, Bd. 7, München 1974, S. 68. 56 Heute befindet sich an dieser Stelle in Ost-Berlin das sowjetische Botschaftsgebäude. 57 Curt Sachs, Prinzessin Amalia von Preußen als Musikerin, in: Hohenzollern-Jahrbuch, Berlin/ Leipzig 1910, S. 181-191. Vgl. Fritz Böse, Anna Amalie von Preußen und Johann Philipp Kirnberger, in: Die Musikforschung, Kassel, 1957/1, S. 129-135. 58 Martin Pfannschmidt, Geschichte der Berliner Vororte Buch und Karow, Berlin 1927, S. 186. 59 Gustav Leh, Die St.-Nikolai-Kirche zu Berlin, Berlin 1961, S. 22 f. 60 Wie Anm. 41, S. 241, Fußnote. 61 Wie Anm. 55, S. 67 f. 62 Wie Anm. 55, S. 76-78. 63 Wie Anm. 54. 64 Christoph Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Bd. I, Berlin 1786, S. 191 f. 65 Wie Anm. 1, S.95f. 66 Wie Anm. 7, S. 170. 67 Pfarrarchiv St. Marien-Nicolai Berlin, Kirchenrechnungsbuch 1754/55, S. 67. 68 Wie Anm. 7. 69 Wie Anm. 36, S. 44 ff. 70 Wie Anm. 50 (G. Fock), S. 175. 71 Wie Anm. 41. 72 Wie Anm. 43, S. 24. 73 Domstiftsarchiv Brandenburg, Orgelakte BDK 2102, Fol. 36. 74 Domstiftsarchiv Brandenburg, Domrechnungsbücher 1758/59, Fol. 114 (Nr. 115 und 116), und 1760/61, Fol. 110 (Nr. 113). 75 Pfarrarchiv Ringenwalde, Orgelakte. Vgl. auch: Walter Friedrich, Entdeckungen im Pfarrarchiv Ringenwalde/Uckermark, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, 57.Jhg. (1989), S. 277 ff. 310
76 Wolf Bergelt, Historische Orgeln in der DDR. Ringenwalde/Krs. Templin — ev. Dorfkirche. In: Musik international, 1987/12, S.756. 77 Wie Anm. 1, S. 26. 78 Pfarrarchiv Ringenwalde, Lagerbuch (ca. 1885), S. 21; Akte „Neubau des Kirchturms und Renovierung der Kirche 1891", Fol. 101. 79 Wie Anm. 78 (Akte „Neubau . . . " ) , Fol. 97 und 99. 80 Wie Anm. 41, S. 241, Fußnote. 81 Wie Anm. 36, S. 69-73. 82 Wie Anm. 36, S.157. 83 Wie Anm. 74, Domrechnungsbuch 1764/65, Fol. 115 (Nr. 130). 84 Wie Anm. 6. 85 Archiv Fa. Schuke, Potsdam, Akte Barnewitz. 86 Wie Anm. 10. Anschrift des Verfassers: Christhard Kirchner, Große Hamburger Straße 30, Berlin-Mitte
Ein vergessener Berliner: Julius L. Seligsohn, Anwalt und Sozialarbeiter Zu seinem 100. Geburtstag Von E r n s t G . Lowenthal Briefe sind Lebenszeichen, die berichten; gleichzeitig können sie auch erinnern, nur — man muß sie aufbewahren. Noch zu Anfang Juli 1939, d. h. zwei Monate vor Kriegsausbruch, hielt sich Dr. Julius L. Seligsohn in London auf, um mit dem Jewish Refugees Committee und auch mit offiziellen Stellen die Auswanderung junger Juden aus Deutschland in überseeische Länder voranzutreiben. Kinderverschickung und Emigration jüdischer Jugendlicher standen damals im Vordergrund der Bemühungen der jüdischen Spitzenorganisationen im Reich. Auf dem Briefbogen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland mit dem roten Zusatzstempel „Abteilung Wanderung, Berlin Nr. 4, Artilleriestr. 31" berichtete Seligsohn am 21. Juli 1939 zwei bereits emigrierten Repräsentanten des Jüdischen Auswandererlehrguts Groß-Breesen (bei Breslau) über gewisse Erfolge seiner Bemühungen in London. Die „Groß-Breesener Sache", so schrieb er hocherfreut, „hat hier beim amerikanischen Konsulat, soweit meine menschliche Voraussicht reicht, geklappt". Einige Groß-Breesener hätten „ein wirklich ernsthaftes Examen vor einer Kommission von drei bis sechs Mitgliedern" bestanden. Die Folge davon sei, daß einer die Präferenz-Quote in seinen Papieren und das Visum schon im Paß habe, einige andere hätten die Quoten erhalten, soweit solche zur Verfügung stünden. Dazu dürfte wissenswert sein, daß damals etwa 20 bis 30 in Groß-Breesen geschulte Landwirte auf ein Gut in den USA „verpflanzt" werden sollten, ein Vorgang, der schon am Beginn des Jahres 1938 in die Wege geleitet worden war. Julius Seligsohn, vor 100 Jahren am 7. Mai in Berlin geboren, war der Sohn von Justizrat Dr. h. c. Arnold Seligsohn (Samotschin/Posen 13. September 1854 - Berlin Januar 1939), der auch im jüdischen Leben Deutschlands eine Rolle spielte, so vor allem im Kuratorium der 311
Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Wie sein Vater wurde der junge Seligsohn Rechtsanwalt und Experte für den gewerblichen Rechtsschutz. Als Offizier im Ersten Weltkrieg hatte er nach dem Urteil seiner Vorgesetzten Mut und Einsatzbereitschaft bewiesen. Nicht geringer geschätzt wurde später sein kluges, zuweilen forsches forensisches Auftreten. In jenem Juli 1939, genauer: am 14. dieses Monats, erschien im „Jüdischen Nachrichtenblatt" (Berlin), dem von den Nationalsozialisten der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland oktroyierten Presseorgan, eine Reihe von Artikeln über „Die Träger der jüdischen Arbeit". Jeder einzelne der rund 20 Mitarbeiter der Reichsvereinigung hatte, wahrscheinlich auf Geheiß der Gestapo, über die Problematik und Methodik seines Ressorts zu berichten, so über Frauenund Kinderauswanderung, das Palästina-Amt, das jüdische Schulwesen, die jüdische Kriegsopferfürsorge und Wohlfahrtspflege, über Berufsumschichtung, Altersheime, u. a. m. Seligsohn, der schon in einem frühen Stadium dem Präsidium der ursprünglich selbstgewählten Reichsvertretung der deutschen Juden angehört hatte, referierte über seine Aufgaben unter dem Titel „Der Auswandererberater". Sein ausführlicher Beitrag handelte von Auswanderungsplanung, von Passagen, von Finanzen und Verwaltung, von der außerpalästinensischen Emigration. Durch den 1901 gegründeten und 1939 in die Reichsvereinigung eingegliederten Hilfsverein der Juden in Deutschland, in dessen Vorstand, gleichsam als Nachfolger von M. M. Warburg und Wilfrid B. Israel, Seligsohn eintrat, war er längst mit den Problemen jüdischer Wanderung vertraut. Sein Bericht schloß mit einem Nachwort, das nicht zu erkennen gibt, ob er es selbst geschrieben hat oder ob es von der Redaktion verfaßt war. Wie dem auch sei, er schloß mit diesen Sätzen: „So harren viele Frauen und Männer, die mindestens so auswanderungsfähig wären wie ihre Schutzbefohlenen, jahrelang in treuer Pflichterfüllung a u s . . . Die Öffentlichkeit kennt und nennt nicht ihre Namen. Aber ein dankbares Andenken bewahrt ihnen so mancher, der durch ihren Beistand den Weg in die Ferne gefunden hat. Und wenn einst der Geschichtsschreiber unseres Volkes den Auszug der jüdischen Menschen aus diesem Lande beschreibt, so wird er ein ehrendes Denkmal dem Auswandererberater setzen, der die Hauptlast unseres Ringens um jüdische Auswanderung in diesen Zeiten getragen hat." Dr. Seligsohn wußte im Jahre 1938 seine Frau und seine Kinder bereits in der Freiheit des westlichen Auslands. Er selbst aber, der Auswandererberater, der immer wieder von Auslandsreisen nach Berlin zurückkehrte, blieb auf seinem Posten in der Reichsvereinigung und wurde, als ob er sein Schicksal vorausgeahnt hätte, im November 1940 nach Sachsenhausen verschleppt. Der Grund dafür war wahrscheinlich, daß er, allzu kühn (in der Auffassung der Gestapo), im Gedenken an die Deportation der Juden aus Baden und der Pfalz im Oktober 1940 einen Fasttag angesetzt hatte. Seligsohn, dadurch der Gestapo unbequem geworden, mußte beseitigt werden. 15 Monate verbrachte dieser verantwortungsbewußte, charaktervolle, konziliante Mann im Konzentrationslager. Am 28. Februar 1942 erlag er dort, wie es heißt, einer Lungenentzündung. Er hatte gerade die erste Hälfte einer Lebensdauer von 100 Jahren überschritten. Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Ernst G. Lowenthal, Kaunstraße 33, 1000 Berlin 37
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Aus dem Mitgliederkreis Studienfahrt nach Paderborn vom 7. bis 9. September 1990 Die diesjährige Exkursion ist wieder auf drei Tage beschränkt worden. Sie wird fachlich betreut von Studiendirektor Dr. Friedrich Gerhard Hohmann, dem Direktor der mit 1261 Mitgliedern wahrhaft stattlich zu nennenden Abteilung Paderborn des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, gegründet 1824. Das Programm bedarf noch einer Feinabstimmung, es wird aber im wesentlichen so ablaufen, wie es nachstehend wiedergegeben ist: Programm Freitag, 7. September 1990 6.00 Uhr Abfahrt mit Omnibus an der Berliner Bank, Hardenbergstraße 32 12.30 Uhr Mittagessen 14.30 Uhr Besichtigung der Paderborner Privat-Brauerei Nies GmbH, Halberstädter Straße 45, 4790 Paderborn 1. Führung Dipl.-Ing. Dieter Pelz, Geschäftsführer der Brauerei, und Dipl.-Braumeister Jürgen Seidel 20.00 Uhr Dr. F. G. Hohmann: Einführung in die Historie Paderborns, Hörsaal 2 der Theologischen Fakultät, Kamp 6 anschließend geselliges Beisammensein in einer für Paderborn typischen Gaststätte Sonnabend, 8. September 1990 10.00 Uhr Besichtigung der Kaiserpfalz, Führung: Dr. F. G. Hohmann 11.30 Uhr Besichtigung von Dom und Diözesanmuseum, Führung: Stellv. Museumsdirektor Dr. Christoph Stiegemann 13.00 Uhr Mittagessen 14.30 Uhr Stadtrundgang, u. a. Paderquellen, Führung: Herr Schlüter anschließend Besuch des Klosters Corvey (Museum in Schloß und Kirche). Führung Archivar Dr. Hans Joachim Brüning. Gemeinsames Abendessen im Schloßrestaurant Corvey Sonntag, 9. September 1990 9.00 Uhr Abfahrt mit Reisebus zum Besuch des Residenzschlosses Neuhaus, anschließend Besichtigung des neu eröffneten Weserrenaissance-Museums Schloß Brake, Führung: Dr. Großmann nach dem gemeinsamen Mittagessen Rückfahrt nach Berlin.
Für die Unterkunft steht das Hotel AROSA, Westernmauer 38, 4790 Paderborn, Tel.: (05251) 2000, zur Verfügung, in dem eine hinreichende Zahl von Zimmern, auch Einzelzimmern, sämtlich mit Bad/WC, reserviert werden konnte. Die Übernachtung einschließlich Halbpension in diesem erstklassigen Hotel kostet 76 DM pro Person im Doppelzimmer, 96 DM pro Person im Einzelzimmer. Da ohnehin Mahlzeiten am Ort selbst eingenommen werden müssen, wurde die preislich günstigere Halbpension gebucht. Das Teilnehmerhonorar beläuft sich auf 131 DM, es schließt die Omnibusfahrt, alle Führungen, Besichtigungen und Eintrittsgelder ein. Anmeldungen werden bis spätestens 31. Juli 1990 bei Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, Tel.: 45 09—2 91, erbeten. Dann erhalten alle Teilnehmer das endgültige Programm zusammen mit dem üblichen Fragebogen, selbst wenn jetzt auf die Angaben der Ausweisnummern verzichtet werden kann. SchB. 313
Ab 1. Oktober 1990 nimmt der Verein die Tradition seiner Bibliotheksnachmittage wieder auf. Danach können sich die Mitglieder am ersten Mittwoch eines jeden Monats von 16.00 Uhr bis 20.00 Uhr zwanglos in der Bibliothek treffen und in den anschließenden Räumlichkeiten in geselliger Runde sie interessierende Themen diskutieren sowie in Gesprächen Gedanken und Anregungen aufnehmen, vermitteln und entwickeln. Darüber hinaus sollen in zwangloser Folge bei Bedarf Referate zu diesen Themen gehalten werden. Ziel dieser Bibliotheksnachmittage ist es, den Zusammenhalt der Mitglieder untereinander in persönlichen Kontakten zu pflegen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre individuellen berlinspezifischen Interessen zu intensivieren.
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Buchbesprechungen .Geschichtslandschaft Berlin — Orte und Ereignisse Tiergarten — Vom Brandenburger Tor zum ' V Zoo — Historische Kommission. Herausgeber: Nicolaische Buchhandlung. ** Wie auch schon im 1987 erschienenen Band „Moabit" findet der Leser eine ortsbezogene Darstellung historischer und zeitgeschichtlicher Ereignisse in Einzeldarstellungen. Den örtlichen Rahmen bilden die heutigen Verwaltungsgrenzen des Bezirkes südlich der Spree. Zehn Autoren haben die Einzeldarstellungen in 29 Artikel gegliedert. Die beschriebenen Orte sind baugeschichtlich und chronologisch erschlossen und an den Anfang eines jeden Artikels gestellt, dann folgt der Artikel, der von einer Bildund Textleiste begleitet wird, die dem Leser parallel historische Quellenzitate erschließt. Nach zwei Jahren ununterbrochener Berlinfeiern mit dem obligatorischen Bücherboom hat nun Anfang dieses Jahres die Historische Kommission das als ersten Band für den Bezirk geplante Buch nachgereicht. Die Reihe „Geschichtslandschaft Berlin — Orte und Ereignisse" soll, wie geplant, alle 12 Berliner Bezirke umfassen. Mit diesem Band ist ein weiteres Lesebuch geglückt, das, wie uns scheint, ein glaubwürdiger Ausdruck eines guten Elementes Berliner Denktradition ist. Mit preußisch-nüchternen Blicken sind Orte der Zeitgeschichte besichtigt worden, wodurch eine Aufsatzsammlung entstanden ist, die nicht in der Tradition von Heimatchroniken steht, da die Autoren der Bewegung der neuen deutschen Geschichtsforschung verpflichtet sind. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Geschichte des Tiergartens als Parkanlage, der Charlottenburger Chaussee und der Siegesallee. Der zweite Teil thematisiert das Schloß Bellevue und die Akademie der Künste. Im dritten Teil werden das Reichstagsgebäude, die Zelten, die Kroll-Oper, der Zirkel Bettina von Arnims, die Kongreßhalle und die Moltkebrücke behandelt. Im vierten Teil der Potsdamer Platz, das Vox-Haus, das Hotel Esplanade, der Volksgerichtshof im Königlichen Wilhelms-Gymnasium, die Kunsthandlung Cassirer, die Philharmonie und die Euthanasie-Zentrale „T4", eine Verwaltungsabkürzung für ihre Adresse in der Tiergartenstraße 4, die zur besseren Geheimhaltung der Verbrechen dienen sollte. „Zwischen Herkulesbrücke und Potsdamer Brücke" heißt der fünfte Teil, in dem über das Elisabeth-Krankenhaus, die Villa Von der Heydt, das Lützowviertel, die Oberste Marinebehörde (das spätere Oberkommando der Wehrmacht) berichtet wird. Der letzte große Abschnitt erschließt das Zooviertel durch einige prägnante Ortsdarstellungen: die vatikanische Botschaft, das Eden-Hotel, das deutsche Theater, den Zoobunker aus dem Zweiten Weltkrieg und den Zoologischen Garten. Die behandelten Themen lassen sehr viel Unsichtbares aus der Vergangenheit der Stadt lebendig werden. Das macht das Buch besonders spannend. Insbesondere das völlig verschwundene Geheimratsviertel und auch das Alsenviertel sind nur durch Aktenmaterial zu rekonstruieren. Hier scheint auch das Motiv der Autoren zu liegen, möglichst viele Bilder aus vergangener Zeit dem Leser präsentieren zu wollen. Leider geht durch deren große Zahl insgesamt die Bildqualität verloren, denn nicht jedes Motiv hält eine Reproduktion fast im Format eines Kleinbildnegatives aus. Die Autoren sind auch der Mode verfallen, auf einer breiten Randleiste im Kleinstdruck Texte mitlaufen zu lassen. Sie sollen den Artikel durch optische Raumzuordnung und quellenähnlichen Charakter kolorieren. Wir fanden sie in den meisten Fällen lediglich ablenkend und nicht zwingend. 314
Es entstand vereinzelt der Eindruck, daß die Autoren mit Hilfe des moralisch erhobenen Zeigefingers argumentieren. Wenn dies wie z. B. beim Thema deutsche Justiz und Volksgerichtshof geschieht, fällt das durch die vom aktuellen Interesse beeinflußte Wahrnehmung besonders auf. Da sich aber in diesem Bereich gerade erst jetzt die Forschungslücken zu schließen beginnen, sollte doch der frische Mut der Autoren hervorgehoben werden, mit dem sie sich der Fülle der verschiedenen Themen eingehend widmen, obwohl es manchmal recht deutlich wird, daß die Autorengruppe unter Zeitdruck arbeiten mußte. Kleine Unrichtigkeiten sollten bei einer zweiten Auflage, die dem Buch zu wünschen wäre, beseitigt werden. Auch wäre eine Anschaffung durch die Schulbibliotheken des Bezirkes zu wünschen. In Erinnerung blieben uns zwei Artikel, vielleicht weil durch sie bestimmte Orte so pointiert dargestellt wurden, daß sie als Fixpunkte der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Erinnerung bleiben. Es ist einmal die Siegesallee, die hier als ein zentraler Ort der deutschen Revolutionsbewegung und ihrer Folgen in der Reichshauptstadt vorgestellt wird. Ihre Überreste stehen im Lapidarium zur steinernen Zeugenschaft. Und dann ist es der Artikel über das Haus, in dem ursprünglich die Oberste Marinebehörde beheimatet war, die später das Reichswehrministerium und danach das Oberkommando der Wehrmacht beherbergte. Klar und ausführlich wird hier die düstere Bedeutung des deutschen Militarismus für unser Jahrhundert deutlich. Alles in allem ist hier ein Lesebuch entstanden, dem viele Leser zu wünschen sind. Doege/Neumann
w*J\Alexander Wilde: „Das Märkische Viertel". Herausgegeben vom Beirat für die Geschichte des KPiMärkischen Viertels, gefördert vom Bezirksamt Reinickendorf von Berlin und der Gesellschaft für \41) ö sozialen Wohnungsbau gemeinnützige Aktiengesellschaft Berlin. 229 Seiten, zahlreiche Abbildungen, meist in Farbe, Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnis, Nachworte (u. a. von Prof. Dr. Helmut Engel), Personen- und Ortsregister, Bildnachweis. — Nicolai Verlag, Berlin 1989. Nach einem Vierteljahrhundert seines Bestehens hat sich ein Beirat für die Geschichte des Märkischen Viertels an die Chronologie seines Entstehens und des sozialpolitischen wie kulturhistorischen Werts dieses Projektes gemacht, das lange Zeit unter dem Verdikt mannigfacher Bausünden stand. Im Unterschied zu den märkischen Dörfern, die die Grundfigur des Bezirks Reinickendorf bilden und deren mittelalterliche Anfänge im Dunkel spärlicher Quellen liegen, läßt sich für die Stadt „Märkisches Viertel" ein ähnlich strukturierter Siedlungsvorgang im hellen Licht der Gegenwart nachvollziehen. Er gehört im Rückblick auf 25 Jahre schon einer abgeschlossenen Kulturepoche an, so daß für die Stadt bereits konservatorische Gesichtspunkte relevant werden; andererseits sind einige Voraussetzungen der Gründerjahre wieder aktuell geworden, so besonders die brennende Wohnungsnachfrage — damals durch den Mauerbau erzeugt, heute durch die Öffnung der Mauer — und die Frage der Einbindung in das märkische Umland. Seine Stadtwerdung, das heißt das Herauswachsen über die Stadtteilkonzeption hinaus, hat möglicherweise modellhaften Charakter für neu entstehende Ansiedlungszwänge. Die vorliegende Darstellung ist kein ausgesprochen architekturbeschreibendes Fachbuch, obwohl die bautechnische und stadtplanerische Leistung detailliert ausgeführt und gewürdigt werden, aber sein Akzent liegt stärker auf seiner Sozialgeschichte. Das Verständnis für die „erinnerte Aufgabe" (J. Kops / S. 218) - eine nicht bloß architektonische, sondern eine staatsbürgerliche erhellt am leichtesten aus der Schilderung der Pionierzeit. Die Negativurteile über Anonymität und das Sterile in Schlafstädten, das bei randständischen Jugendlichen, sozialen Problemfällen, teilweise aus anderen Bezirken Berlins herüberkommend, Unbehagen in der Kultur erzeugte, die falsche demographische Einschätzung der zukünftigen Einwohnerschaft haben Fehlentwicklungen durch eine über zehnjährige Bauzeit erzeugt und dadurch eine verzerrte und überdimensionierte Kritik hervorgerufen, die nun in zeitlichem Abstand von den Anfängen sachlich distanzierter geschildert werden. Das Märkische Viertel hat sich durch Domestizierung radikaler Gruppierungen und sozialer Randgruppen zu einer Wohnlandschaft des Mittelstandes gemausert; es wird berichtet, wie Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen ein Heimatgefühl in der neuen Stadt erzeugt haben, was nicht ohne Wandel der bezirklichen Planung und Verwaltung vor sich ging. Im historischen Abriß erzählt Verf. die Abkehr von der bis in die 50er Jahre gewohnten Zeilenbauweise üblicher Wohnsiedlungen zu neuen Raum- und Figurvorstellungen bei der beauftragten Gemeinschaft junger Architekten, die hier von Senat, Bezirksamt und Gesobau mit einer Aufgabe ungewöhnlichen Ausmaßes betraut wurden. Der Leser verfolgt das Sichherausschälen einer überre315
gionalen Bauleitplanung. — Die Umstände der ersten Jahre nach dem Mauerbau mit dem Zustrom westdeutscher Arbeitnehmer erzeugten einen so gewaltigen Wohnungsbedarf, daß die sich überstürzt ergebenden praktisch-technischen Probleme die Entwicklung so sehr beschleunigten, daß die Wirk- \ lichkeit der Planung davonlief. Verf. berichtet von unzureichenden Konzeptionen, falschen Einschätzungen und schlechter Bauausführung. Schleppend korrigierte Verwirklichung der Bedürfnisse an Infrastruktur und das Zusammentreffen sozialer Mangelzustände mit einer unvorhergesehenen wirtschaftlichen Entwicklung erzeugten das gärende Klima eines Schmelztiegels. Das alles liest sich lebendig und wird mit Faksimiles der Schlagzeilen aus Presse und Propaganda illustiert. Die heutigen Urteile sind maßvoller und differenzierter und berücksichtigen auch die kommunalen Tätigkeiten, v. a. die des Bezirksamtes Reinickendorf, besser; sie können auf die Einbettung in durchgrünte Landschaft, auf eine gewachsene Stadt, die von „den Neumärkern" akzeptiert wurde, verweisen. Ein Bürgersinn hat sich konsolidiert. — Der Planer Hans Christian Müller spricht die Sinnmitte an, wenn er von einer neuen inneren Dimension redet, die auch im nachhinein noch zu finden ist, und wenn er auf den „unbekannten Bewohner" verweist, für den das Ganze entworfen worden war. Seine Intention, Annäherung an die märkische Landschaft herzustellen, hat unversehens neue Aktualität und ungewohnte Perspektiven bekommen, so, wie die Eingrenzung durch die Mauer sich gelockert hat; die bei Erscheinen des Buches noch artikulierte „technokratische Neutralität" der Bezeichnung Märkisches Viertel (Engel / S. 220) ist ins Lebendige hinaufgerückt. Den historisch interessierten Leser berührt mehr als die bautechnische Leistung und das architekturspezifische Urteil die Wechselwirkung zwischen Kunstkritik und sozialgeschichtlichem Gehäuse der darin wohnenden Menschen. Unter diesem Aspekt hat der Landeskonservator das letzte Wort. Er sagt, wie aus gewollt progressivem Bauen sich ein maßvoll bewahrendes Urteil nach einem Vierteljahrhundert herausgebildet hat. Kernpunkt seines Nachwortes ist eine neue Auffassung von Stadt, getragen von neuen Raumvorstellungen, einer „Hierarchie von Stadträumen in der Stadtrandzone". Unter diesem Blickwinkel erscheint der (faksimilierte) Protest der Ulrike Meinhof als Aufgeregtheit einer verblassenden Zeit; eine andere Wirklichkeit ist zur Herausforderung unserer Gegenwart geworden. „Die Zerrbilder kommen nicht mehr an." Christiane Knop Erich Schmidt: „Maria Haupt, geb. Lüdicke, aus Zehlendorf. — Eine Amme Friedrichs des Großen. Legende und Wirklichkeit." — In: „Zehlendorfer Chronik. Schriftenreihe des Heimatvereins für den Bezirk Zehlendorf e.V."; Geleitwort des Bezirksbürgermeisters Jürgen Kiemann und des Bezirksstadtrats Ulrich Arndt. 36 Seiten, 15 Abbildungen, Bibliographie und Quellenverzeichnis, Vita des Verfassers. Das eigentliche Anliegen wird im zweiten Teil ausgesprochen, d. h. Rückführung einer Legende auf die quellenmäßig erweislichen Tatbestände. Pfarrer Erich Schmidt geht, da durch familienmäßige Abkunft mit Maria Haupt verbunden, den Eintragungen der Kirchenbücher von Giesensdorf und Zehlendorf nach und entdeckt bei Aufhellung der Biographie der Maria Haupt, die vom Kronprinzen Friedrich Wilhelm auf einer Durchreise in Zehlendorf entdeckt und als Amme für seinen Sohn Friedrich in Dienst genommen wurde, ein unauffälliges und pflichtbewußtes Leben, das gerade wegen seiner Selbstverständlichkeit anrührt, oder „die Familie, mit sich selbst zufrieden, hat nie eine Gnadenbezeugung gesucht und erhalten", wie es heißt. Ihre schlichte Bescheidenheit regt Verf. zur Verlebendigung ihrer spärlichen Spuren an. Andererseits widerlegt er die phantastische Ausmalung der Legende ihres angeblichen Begräbnisses im Gewölbe der Berliner Garnisonkirche; ein „Staatsbegräbnis" hätte ihrer Bedeutung nicht entsprochen. Das Hervor- und Zurücktreten in die Alltäglichkeit legt ein Bild der bäuerlichen Umwelt auf dem Königsweg nach Potsdam bloß, in die Verf. sich eingebettet weiß. Christiane Knop Kossatz, Hans: Ein Preuße erinnert sich. Tomus-Verlag München, o. J., 95 S. Auf dem Außentitel ist außerdem vermerkt: „Der Altmeister der Berliner Karikaturisten läßt seine Jugendzeit wieder auferstehen." In der freundlichen Art, die man von ihm aus der früheren „Berliner Illustrirten" und später aus dem „Tagesspiegel" kennt, schildert er in Wort und natürlich Bild die Geschichte seiner Jugend von der Geburt im Jahre 1901 in Brandenburg an der Havel bis zu seinem Hausbau in Zehlendorf um 1937. Kossatz beherrscht sein Metier und läßt das erste Drittel unseres 316
Jahrhunderts aus seiner Sicht vor unseren Augen erstehen. Man kann seiner Großmutter nur zustimmen, als sie im Hinblick auf seinen unsicheren Beruf als Freischaffender erklärte (und das kann durchaus als Motto für diese freundliche Publikation gelten): „Dat Oas is'n Fiffijen. Dör rükt Kartenschiet in Düstern!" SchB. .W.V'~ Als wäre es nie gewesen." Menschen, die nicht mehr entkamen — Fotografien aus den letzten flr^. Jahren des jüdischen Gemeindelebens in Berlin bis 1942. Ausstellung zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Pogrome vom November 1938. Veranstaltet von der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau 4. November 1988 bis 15. Januar 1989. Samson Verlag Berlin rCt)U1988, broschiert, 105 Seiten. I Nicola Galliner, von der die Ausstellungskonzeption stammt (wissenschaftliche Mitarbeit, Bildtexte sowie Ausstellungsgestaltung Helmuth F. Braun) hält in ihrem Vorwort fest, welche Bedeutung das Bildarchiv des Fotografen Abraham Pisarek (1901 bis 1983) hat, aus dem für die Ausstellung eine Auswahl getroffen wurde. Zur Arbeit jüdischer Organisationen in Berlin 1933 bis 1942, die sich in den Fotografien widerspiegelt, berichtet Norbert Kampe in seiner Einführung „Aufbau im Untergang". Die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gebildete erste moderne jüdische Dachorganisation, die „Reichsvertretung der deutschen Juden", mußte schon Ende des Jahres 1933 erkennen, daß an die Stelle der Abweisung der Angriffe gegen die jüdische Gemeinschaft nun die Konzentration aller Anstrengungen auf den Aufbau jüdischer sozialer Hilfsdienste zu treten hatte. Unter der Leitung der „Reichsvertretung" arbeitete der „Zentralausschuß für Hilfe und Aufbau", daneben der im Sommer 1933 gegründete „Jüdische Kulturbund". Die Fotografien A. Pisareks zeigen Situationen aus den Arbeitsbereichen des Zentralausschusses, des Kulturbundes und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Bis zu den Pogromen vom 9./10. November 1938 wurde den jüdischen Selbsthilfeorganisationen eine relativ große Autonomie zugestanden. Vor allem die Abteilung „Wanderungswesen" des Zentralausschusses wurde als nützlich angesehen, da bis 1941 die Auswanderung das erklärte Ziel der deutschen Judenpolitik war. 1939 löste die Gestapo die jüdische Selbstverwaltung auf und gründete eine Zwangsvereinigung unter der Bezeichnung „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland". Die sehr eindrucksvollen Aufnahmen, denen in dankenswerter Weise die nötigen Bilderklärungen beigegeben sind, werden in die Abschnitte „Religion, Tradition", „Ausbildung, Umschulung, Auswanderung, Gedenkfeier", „Sport", „Winterhilfe, Kleiderkammer, Jüdisches Krankenhaus" sowie „Kultur, Kulturbund" und „Der gelbe Stern" unterteilt. Der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin ist Dank zu sagen, daß sie der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums die erforderlichen Mittel für die Ausstellung zur Verfügung stellte. H. G. Schultze-Berndt „Berlin in alten und neuen Reisebeschreibungen, ausgewählt von Georg Holmsten." 308 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Quellenverzeichnis, Droste Verlag, Düsseldorf 1989. In Ergänzung der Ausstellung von 1987 „Die Reise nach Berlin" im Hamburger Bahnhof und auf der Suche nach dem Gehalt dessen, was die Reisenden in alter und neuer Zeit von Berlin sahen, hat der Autor Georg Holmsten eine Zusammenstellung mancher oft zitierter und vieler unbekannter Reisebilder zum Thema Berlin herausgebracht und dabei ein lebhaft spiegelndes Kaleidoskop von Ansichten geboten. Naturgemäß sind das subjektive Ansichten, Lob und Tadel gleichermaßen verteilend. Der Leser genießt beides; er kann aber auch eine Entwicklungslinie durch die wiederum subjektiv vorgenommene Auswahl hindurchziehen. Da spiegelt sich nicht nur die Entwicklung von der unbedeutenden Ansiedlung im märkischen Sand — der Sand muß in vergangener Zeit der wahrhaft schlagende Eindruck gewesen sein — bis zur gespaltenen Metropole ab, sondern auch das Sicher-Herausformen einer geistigen Person namens Berlin wird erkennbar, und dies geschieht in recht unterschiedlichen Wertungen. Ab 1750 stehen Schloß und Residenzstadt im Vordergrund der Berichte; bewundert wird das Breite und Aufgeräumte im preußisch bestimmten Stadtbild; gleichzeitig lenken die Ankömmlinge ihre Blicke auf die Rolle des Adels in seinen italienisch anmutenden Palais. Aber auch das Militär und die Erscheinungen von Handel und Verkehr im friderizianischen Berlin werden geschildert. Der Blick wird kritisch vertieft durch Bräkers Schilderung der elenden Zustände in den Lazaretten und Kasernen. Auch der Beitrag zweier württembergischer Beamter über die ökonomi317
sehen Ursachen der Wohlhabenheit in Preußen macht das Bild farbiger und kritischer; ebenso interessant sind zeitgenössische Informationen über die Charite und die KPM. Gegen das Jahrhundertende treten Bürgertum und Gelehrte zunehmend ins Bild; das Aufgeklärte wird zum beherrschenden Zug. Die Schilderungen werden nun aber auch mehr und mehr sozialkritisch, die Großstadt einschließlich ihrer Vorstädte bietet ein vielseitiges Bild dafür. Im Gegensatz dazu steht (seit Eichendorffs Bericht) das Leben der Künstler und gelehrten Geister. Es fällt der europäische Maßstab in der Wertung des Stadtbildes auf; Petersburg und Paris werden als Leitbilder herangezogen. Madame de Stael hat das wenig Geschichtsträchtige und doch Moderne als das Berlinspezifische erfaßt. — Ab 1840 ist der Aufstieg zur Metropole zu verzeichnen, deren Gehalt Raabe am schärfsten in Worte faßt: „Die Bühne (der Sperlingsgasse — d. Rez.) ist klein, darauf Erscheinende sind wenig, und doch können sie eine Welt von Interesse in sich bergen." — Eine Spannung im großstädtischen Leben wird darin spürbar, wie Friedel mit der Schilderung des gestaltenden Apparates innerhalb der Stadtverwaltung das demokratische Berlin ins Bild bringt. Die Kaiserstadt wird politisch mündig. — Eine andere Facette ist das wissenschaftlich-geistige Leben in der Kaiserstadt; es treten ihre wissenschaftlichen Gesellschaften und Mäzene in Erscheinung. Als ein Kabinettstück der anschaulichen Schilderung sei ein Hofball genannt, den Laforgue beschreibt: „Und der schreckliche Menzel geht um, geht um!" Sehr fein läßt sich beobachten, wie das Zwiespältige langsam in den Geschichtsprozeß einfließt. Seit Ende der 80er Jahre schleichen das Laute, Scheinhafte der Gesellschaft in die Ansichten und Einsichten der Beobachter ein. Je weiter dies an die Gegenwart heranreicht, desto aufdringlicher wirkt es. Bis es sich in Thomas Wolfes Beobachtungen anläßlich der Olympischen Spiele 1936 als eminente Kritik entlädt. Beim Molotov-Besuch 1939 ist die „Reise nach Berlin" nur noch Perversion geworden. Ab 1946 kann Curt Riess schreckliche Zerstörung beschreiben. Danach ist es die „gebrochene Stadt", der man Pflichtbesuche macht und an der Mauer sein Sprüchlein aufsagt. Mit Befreiung liest man dies wieder, hoffend, daß auch dies bald der Vergangenheit angehört. Jedem Bericht schickt Verf. eine biographische Kurzkennzeichnung voraus, ferner stellt er einige Paradebeispiele von Lob und Anerkennung einander gegenüber. Wir sehen so unbekannte Schilderer wie den Abt Trithenius oder John Toland, aber auch oft zitierte wie Heine, Sudermann und Wolfe. — Verf. geht sparsam mit der Auswahl der Memoirenliteratur um; die kluge Beschränkung läßt die wenigen Ausnahmen wie etwa Stefan Zweig um so prägnanter erscheinen. Ein amüsantes Seitenlicht auf den preußischen Alltag wirft die Schilderung von Johann Caspar Riesbeck, der 1758 von den Soldaten der Garnison sagt: „Sie sprechen auch den Fremden nicht um ein Almosen, sondern um ein Trinkgeld an, wofür sie sich aber gemeiniglich etwas zu essen kaufen, denn ihren Durst zu löschen, hat sie Spree Wasser genug." Und 60 Jahre später sagt Stendahl: „Ich begreife nicht, wie jemand auf den Gedanken geraten ist, mitten in diesem Sand eine Stadt zu gründen." Christiane Knop
E i n g e g a n g e n e B ü c h e r (Besprechung vorbehalten) 1. Paul Clauswitz: Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin, Reprint, Springer-Verlag, Berlin, 1986, 264 Seiten. 2. Heinz Goerke: Berliner Ärzte: Virchow, Graefe, Koch, Leyden, Bergmann, Bier, Heubner, Moll, Stoeckel; Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 33, Pacelliallee 5, 1965, 1984, 328 Seiten. 3. Diethard H. Klein: Berliner Hausbuch, Geschichen und Gedichte, Lieder und Berichte. Verlag Rombach & Co., Freiburg/Breisgau, 1982, 640 Seiten. 4. Gerd KoischwUz: Die Geister von Gülzow, eine Erzählung aus der Mark Brandenburg. Verlag Wilhelm Möller OHG 1984, 243 Seiten. 5. Friedrich Luft, Hellmut Kotschenreuther: Theaterbüder, 20 Jahre Theater in Berlin 1963-1983, Fotos Ilse Buhs. Jürgen Remmler, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Beuermann GmbH, Berlin, 1983, 110 Seiten. 318
6. Ernst Erich Noth: Die Mietskaserne, Roman, Verlag Huber Frauenfeld, Stuttgart, 1982,319 Seiten. 7. Charlotte Pageis: Löwenkopf am Klingelzug, ein Berliner Haus wird 100, Verlag Callwey, München, 1984, 344 Seiten. 8. H. Joachim Pruszak: Bernsteinweg, Roman, Ullstein Verlag GmbH, Berlin, 1983, 235 Seiten. 9. Ludwig Rellstab: Berlin und seine nächsten Umgebungen — Reprint der Ausgabe von 1894, erschienen im Verlag G. Georg Lange, Dannstadt / Verlag Weidlich, Würzburg, 1985,401 Seiten. 10. Raffael Rheinsberg: Botschaften, Archäologie eines Krieges, Verlag Frölich & Kaufmann GmbH, Berlin, 1982, 311 Seiten. 11. Jetta Sachs: Leocadie, die Löwenherzige, ein Frauenschicksal in der großen Zeit Preußens, Roman, Verlag Eugen Salzer, Heilbronn, 1981, 424 Seiten. 12. Herbert Scurla: Wilhelm v. Humboldt, Reformator, Wissenschaftler, Philosoph, Heyne-Verlag, München, 1984, 683 Seiten. 13. Egon Seefehlner: Die Musik meines Lebens, vom Rechtspraktikanten zum Opemchef in Berlin und Wien, Verlag Paul Neff, Wien, 1983, 276 Seiten. 14. Eva Schmidt: Der preußische Eisenguß, Technik, Geschichte, Werke, Künstler, Gebr. Mann Verlag, Berlin, 1981, 325 Seiten. 15. Wilhelm v. Schramm: Clausewitz, Leben und Werk, Verlag Bechtle, Eßlingen a. Neckar, 1981, 611 Seiten. 16. Wilhelm Treue: Preußens großer König, Leben u. Werk Friedrichs d. Großen, eine Ploetz-Biographie, Verlag Ploetz, Freiburg, Würzburg, 1986, 271 Seiten. 17. Dieter Wilke: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Verlag Walter de Gruyter, Berlin - New York, 1984, 870 Seiten.
Im zweiten Quartal 1990 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Brewka, Ingrid, Hausfrau Am Rupenhorn 86, 1000 Berlin 19 Tel. 3 05 20 90 (Herr Grothe) Eberhardt, Horst, Rentner Sohnreystraße 18, 3000 Hannover 1 Tel. (0511) 888424 (Bibliothek) Eilbrecht, Bernd, Rechtsanwalt Meiningenallee 17, 1000 Berlin 19 Tel. 8838077 (Bibliothek) Gleim, Werner-Hartwig, Bankjurist Stockweg 5, 1000 Berlin 45 Tel. 8339357 (RA Oxfort) Götsche, Eckehard, Historiker Straße 18 Nr. 6,1113 Berlin Tel. 4817357 (Bibliothek) Liebscher, Svend, Stadt- und Regionalplaner Fasanenstraße 64, 1000 Berlin 15 Tel. 8836437 (Bibliothek) Mertes, Rainer, Verwaltungsangestellter Menzelstraße 19, 1000 Berlin 41 Tel. 8550126
Petzelt, Hans-Georg, staatl. gepr. Techniker Manteuffelstraße 26 b, 1000 Berlin 42 Tel. 7510874 (Inserat i. d. Berliner Morgenpost) Pinnow, Dirk, Student cand.ing. Marienfelder Chaussee 86, 1000 Berlin 47 Tel. 7421440 Redecker, Falk, Verlagsleiter Chausseestraße 4, 1000 Berlin 39 Tel. 8054853 Staudacher, Bernhard, Verlagsleiter i.R. Burckhardtstraße 65, 7000 Stuttgart 50 Tel.(0711)567449 (Herr Grave/Frau Hentschel) Wenige, Helmut, Rentner Monschauer Weg 11, 1000 Berlin 42 Tel. 7068259 William, Wally, Rentnerin Bosporusstraße 14, 1000 Berlin 42 Tel. 7 03 9514 (Frau Vollmer, Frau Scholz)
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Veranstaltungen im III. Quartal 1990 1. Sonnabend, den 21. Juli 1990, 11.00 Uhr: Führung durch die Ausstellung „Ethos und Pathos — Die Berliner Bildhauerschule 1786—1914". Leitung Frau Dr. Sibylle Einholz. Treffpunkt am Haupteingang des Hamburger Bahnhofes, Invalidenstraße 50/51. Eintrittspreis 6 DM, übliche Ermäßigungen. 2. Sonnabend, den 4. August 1990, 10.30 Uhr: Sommerausflug des Vereins: „Unter den Brücken und auf den Kanälen Berlins". Schiffsfahrt auf dem Landwehrkanal, auf der Spree, zur Jannowitzbrücke und zum Berliner Dom, Nationalgalerie, Bodemuseum, am Reichstag vorüber zur Kongreßhalle und zum Schloß Bellevue. Endpunkt Schloßbrücke. Dauer von 11.00 Uhr bis 14.30 Uhr. Möglichkeit zum Imbiß an Bord. Treffpunkt Schloßbrücke, Charlottenburg. Fahrpreis 17,50 DM. Verbindliche Anmeldung unter 8 545816 ab 19.00 Uhr. Des Gruppenpreises wegen Überweisung des Betrages von 17,50 DM vorab auf das Postgiro-Konto Günter Wollschlaeger, Berlin 162157—103. Anmeldeschluß 21. Juli 1990. An diesem Tag muß auf dem angegebenen Konto auch der Überweisungsbetrag verfügbar sein. Sommerpause im Monat August. 3. Vom 7. bis 9. September 1990, Studienfahrt nach Paderborn. Leitung: Herr Dr. Hans Günter Schultze-Berndt. Programm S. 313. 4. Sonnabend, den 22. September 1990,11.00 Uhr: Führung durch den Ostteil der Luisenstadt. Leitung: Herr Hans-Werner Klünner. Treffpunkt Ausgang U-Bahnhof JannowitzBrücke. 5. Montag, den 24. September 1990: Vortrag von Frau Eleonore Liedtke: „Die Entstehung des St.-Hedwig-Krankenhauses aus dem Geist der Romantik". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. Im Monat August bleibt die Bibliothek des Vereins geschlossen.
Bibliothek: Berliner Straße 40, 1000 Berlin 31, Telefon 872612. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 1000 Berlin 45, Telefon 77234 35. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 4509-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 3 65 76 05. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102, 1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28; Roland Schröter. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 320
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MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 86. Jahrgang
Heft 4
Oktober 1990
Dr. Johannes Sievers während der Verleihung des Verdienstkreuzes am 26. Mai 1955 im Bibliothekszimmer seiner Wannseer Wohnung.
Auf der Jubiläumsveranstaltung des „Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865" hielten am 28. Januar 1990 im Kammermusiksaal der Philharmonie der Vorsitzende, Herr Hermann Oxfort, und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Walter Momper, folgende Festund Grußansprachen.
Festansprache des Vorsitzenden, Herrn Hermann Oxfort Sehr verehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr verehrte Gäste, meine Damen und Herren, namens des Vorstandes des Vereins für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, begrüße ich Sie sehr herzlich zu unserer Festveranstaltung aus Anlaß der 125-Jahr-Feier unseres Vereins. Ich begrüße insbesondere den Regierenden Bürgermeister von Berlin, dem ich bei dieser Gelegenheit sehr herzlich für die Unterstützung unserer heutigen Veranstaltung danke, dafür danke, daß er ein Grußwort an uns richten und uns im Anschluß an die Festveranstaltung im Foyer dieses Hauses einen Empfang geben wird. Diese Geste zeigt die Verbundenheit unseres Vereins mit unserer Stadt und ihrer Verwaltung. Ich begrüße besonders herzlich Herrn Professor Dr. Richard Löwenthal, der unserer Einladung gefolgt ist, den heutigen Festvortrag zu halten. Er hat damit eine gewiß nicht leichte Aufgabe übernommen. Wir alle kennen ihn als einen der großen freiheitlichen gelehrten Repräsentanten unserer Stadt, und trotz — darf ich das so sagen — hohen Alters hat er es sich nicht nehmen lassen, die Einladung für den Festvortrag anzunehmen. Ich begrüße, meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Gäste aus dem anderen Teil der Stadt und auch diejenigen, die dort für die Pflege der Geschichte Berlins verantwortlich sind. Ober die mehr als 40 Jahre Trennung der beiden Teile unserer Stadt hinweg sind die Verbindungen nie ganz abgerissen. Ich begrüße insbesondere die Vertreter der Presse, die über unsere Veranstaltung und über die vielfältigen sonstigen Unternehmungen des Vereins berichten. Ich habe die Ehre, Ihnen einen Brief des Herrn Bundespräsidenten zu verlesen, er schreibt mir: „Lieber Herr Oxfort, herzlich danke ich Ihnen für Ihren Brief vom 11. Januar, mit dem Sie mich an die Jubiläumsfeier des Vereins für die Geschichte Berlins am 28. Januar erinnern. Leider muß ich an diesem Tage auswärtiger Gäste wegen Berlin bereits früh wieder verlassen. Ich bedauere es auf das lebhafteste, daß ich deshalb meine frühere feste Zusage nicht verwirklichen kann, zu Ihrer schönen Veranstaltung zu kommen. Darf ich Sie bitten, den Teilnehmern meine herzlichen Wünsche zu übermitteln." Das tue ich hiermit und bedauere zwar, daß der Herr Bundespräsident, der ja Mitglied — Ehrenmitglied — unseres Vereins ist, an der heutigen Veranstaltung nicht teilnehmen kann, aber selbstverständlich haben wir für seine schwierigen und vielfältigen Aufgaben und seine Verhinderung Verständnis. Es ist ja denn auch so, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Regierenden Bürgermeister oder früher Oberbürgermeister dieser Stadt sich unserem Verein besonders verbunden gefühlt haben. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß der gegenwärtige Regierende Bürgermeister, wie viele seiner Vorgänger, Mitglied dieses Vereins ist. Ich darf daran erinnern, daß Willy Brandt Ehrenmitglied des Vereines ist und daß der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen Mitglied dieses Vereins ist und daß viele andere, die nicht mehr am Leben sind, diesem Verein angehört haben. 322
Meine Damen und Herren, heute vor 125 Jahren, am 28. Januar 1865, versammelte sich im Cafe Royal Unter den Linden eine respektierliche Versammlung und hob den Verein für die Geschichte Berlins aus der Taufe, der später seine Rechtsfähigkeit durch Königlich Preußische Ordre erlangt hat. Die Königl. Priviligierte Berlinische Zeitung vom 31. Januar 1865 berichtet ausführlich über dieses Ereignis. In unserem Jahrbuch, das vom Verein für die Geschichte Berlins herausgegeben wird, der „Bär von Berlin", ist im Faksimile ein Bericht über diese Gründungsversammlung abgedruckt. Damals ist der Verein — so heißt es dort — auf Anregung von Dr. Julius Behr gegründet worden, und Sie werden in dem Bericht nachlesen, welche vielen Verwaltungsbeamten, welche vielen Gelehrten, Schriftsteller, Wissenschaftler an dieser Veranstaltung teilgenommen haben. Den Vorsitz in der Veranstaltung hatte der damalige Oberbürgermeister Seidel, der auch zum ersten Mitglied — zum ersten Vorsitzenden — des Vereins gewählt wurde. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u. a. Geheimrat Krausnick, Polizeipräsident von Bernoth, Freiherr von Ledebuhr, der Stadtarchivar Fidicin, der später in der Geschichte des Vereins noch eine große Rolle gespielt hat. Sie werden sich erinnern, jedenfalls die Mitglieder, die heute hier anwesend sind, daß unser Motto „Was du erforschet, hast du miterlebt" von Fidicin stammt und daß er eine wichtige Rolle in der Geschichte des Vereins spielte. Die Königlich Priviligierte Berlinische Zeitung, also die Vossische Zeitung, hat damals über den Zweck des Vereins berichtet, es sei Aufgabe des Vereins, die Belebung des vaterstädtischen historischen Sinnes, die Erforschung und Bearbeitung der früheren Verhältnisse der Stadt Berlin in allen ihren Beziehungen bis zur Gegenwart, die Erhaltung, Würdigung und Sammlung der Denkmäler der altberlinischen Vorzeit, die Anfänge einer Sammlung altberlinischer Reliquien als Anfang eines in dem neuen Rathause anzulegenden „museum berlinense"; dann die Veranstaltung öffentlicher Vorträge über die berlinische Geschichte. Eine dieser Aufgaben, nämlich die Sammlung — wie es damals hieß — berlinischer Reliquien, ist inzwischen an das Märkische Museum übergegangen, aber der Verein versteht sich in seinen Aufgaben voll in der Tradition seiner Gründungszeit. Wie Sie wissen, versucht der Verein, nicht nur Wissenschaftler zur Mitarbeit heranzuziehen, sondern er versucht eben auch dem ganz normalen historisch interessierten Bürger, und das sollten eigentlich alle Bürger unserer Stadt sein, die Geschichte der Stadt näherzubringen, zu vermitteln, in unseren Vorträgen, in unseren Führungen, in unseren wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die den Mitgliedern des Vereins zugehen. Ich finde, meine Damen und Herren, daß die Pflege der eigenen Geschichte eine der wirklich ganz wichtigen und zentralen Aufgaben auch in unserer Zeit ist. Wir alle leben ja nicht in den Tag hinein, und wir sind nicht durch Zufall das, was wir heute darstellen, sondern wir haben eine Vergangenheit, die es zu kennen und die es zu würdigen gilt. Ein berühmter spartanischer Staatsmann soll einmal gesagt haben — ich habe das schon bei anderer Gelegenheit zitiert —, „ein Volk, das seine Vergangenheit nicht achtet, wird auch keine Zukunft haben". All die schrecklichen Ereignisse, die wir in Deutschland erlebt haben, dürfen uns nicht davon abhalten, gerade diese nicht, uns mit unserer eigenen Vergangenheit zu befassen. Wir werden sehen, daß die Geschichte auch dieser Stadt Berlin nicht nur eine Geschichte von Scheußlichkeiten ist. Der Verein, meine sehr verehrten Damen und Herren, hatte über viele, viele Jahre hinweg seinen Sitz im Deutschen Dom, bis er während des Krieges dort am Gendarmenmarkt ausgebombt worden ist, und da gibt es sogar so etwas wie einen aktuellen Bezug zur Gegenwart. Ich hatte gestern das Vergnügen, einen Vortrag des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Professor Manfred Gerlach, zu hören, der die Vorstellung seiner Partei in der DDR erläuterte, ein eindeutiges Bekenntnis zu einer freiheitlichen Zukunft der DDR, wobei er die eigene Verantwor323
tung für die Vergangenheit nicht verschwieg, sondern unterstrich. Ich fand es bemerkenswert bei dem ersten Auftreten eines Staatsratsvorsitzenden der DDR hier auf West-Berliner Boden, daß er sich eindeutig für die Herstellung der deutschen Einheit aussprach in einem künftigen Europa, eine bemerkenswerte Formulierung von einem Mann, der im Augenblick der Repräsentant eines Staates ist, von dem sich keiner von uns noch vor Monaten hätte vorstellen können, daß solche Vorträge hier bei uns gehalten werden. Vielleicht können wir ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hoffen, daß der Verein eines Tages seinen Sitz im Deutschen Dom wieder haben wird, und dies ist keine Schmälerung des erfreulichen Angebotes des Senats von Berlin, uns in der nahen Zukunft, d. h. in den 90er Jahren, unterzubringen in einem Erweiterungsbau des Berlin-Museums. Natürlich freuen wir uns über dieses Angebot, aber der Regierende Bürgermeister wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich auf die gesamtberliner Tradition, der sich dieser Verein ja immer verpflichtet hat, hinweise. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese akuten historischen Bezüge werden sicherlich auch dazu beitragen, nicht nur daß die Zusammenarbeit zwischen denen, die sich mit Geschichte im anderen Teil der Stadt befassen, und uns intensiver wird, sondern ich hoffe natürlich auch darauf, daß der Verein eine gesamtberliner Zukunft hat, so, wie ich darauf hoffe, daß eines Tages bei Herstellung der deutschen Einheit, die in Europa münden mag, Europa wirklich bereichert wird, denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses eine politische Wort sei mir erlaubt, aus der Spaltung eines Volkes haben sich noch niemals dauerhafte friedliche Verhältnisse herstellen lassen, und eine Grundlage, eine politische Stabilität hat die Trennung eines Volkes eben auch noch nie abgegeben. Ich habe, meine verehrten Damen und Herren, Dank zu sagen. Dank zu sagen einmal der Berliner Liedertafel, die unsere Veranstaltung heute verschönert. Ich habe Dank zu sagen meinen Damen und Herren Vorstandskollegen, die über die vielen Jahre hinweg keine Mühe und Arbeit gescheut haben, um die eigentliche Aufgabe des Vereins, Geschichte zu erforschen, darzustellen und zu vermitteln, aufrechtzuerhalten. Ich danke den ehrenamtlichen Mitarbeitern des Vereins, insbesondere denen, die unsere Bibliothek betreuen, und auf diese Weise eine etwa 15000bändige Bibliothek mit Berlin-Literatur nicht nur Mitgliedern des Vereins, sondern der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung und zur Benutzung halten. Ich danke, meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit insbesondere dem Bezirk Charlottenburg, der uns in seinem Rathaus so lange Jahre Gastrecht eingeräumt hat, und ich danke der Sparkasse der Stadt Berlin, die es uns ermöglicht hat, bis zur endgültigen Unterbringung in neuen Räumen in der Brandenburgischen/Ecke Berliner Straße einen angemessenen Raum für unsere Bibliothek zu finden, und ich bedanke mich bei der Stiftung Deutsche Klassenlotterie, die durch ihren Zuschuß uns die Kosten für den Umzug und die Neueinrichtung ermöglicht hat. Ich danke aber auch allen Mitgliedern, meine sehr verehrten Damen und Herren, die durch ihr persönliches Engagement dazu beitragen, daß der Verein seine Verpflichtung erfüllen kann. Wir werden im Anschluß an die Festveranstaltung auf Einladung des Herrn Regierenden Bürgermeisters uns im Foyer dieses Hauses wiederfinden. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Verlauf unserer Festveranstaltung.
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Grußworte des Regierenden Bürgermeisters, Herrn Walter Momper Herr Vorsitzender, lieber Herr Oxfort, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitglieder des Vereins für die Geschichte Berlins. Es ist mir eine Freude, und es ist mir auch eine Ehre, einer so altehrwürdigen Institution wie dem Verein für die Geschichte Berlins hier persönlich gratulieren zu können und Dank zu sagen für die Arbeit, die der Verein für Berlin, für unsere Stadt geleistet hat. Und wer sich so lange und so intensiv mit Geschichte beschäftigt, mit der Geschichte auseinandersetzt wie der Verein, dem, denke ich, gebührt auch das Glück, daß er die 125-Jahr-Feier in einer Zeit feiern kann, die wirklich eine historisch bewegte Zeit ist. Es ist ja so eine Sache mit der Geschichte. Viele denken immer Geschichte, das ist Vergangenheit, das liegt weit weg hinten, und ehe man sich's versieht, steckt man doch mittendrin, handelt mit, lebt unmittelbar in den historischen Situationen. Jüngst war die Ausstellung über die Nachkriegszeit im Hamburger Bahnhof, und die hieß „So viel Anfang war noch nie". Man kann wohl im Moment sagen zu dem, was sich in unserer Stadt, um unsere Stadt herum, in Deutschland abspielt: So viel Geschichte hatten wir schon lange nicht mehr. Die Epoche der Nachkriegszeit, 40 Jahre Nachkriegsgeschichte, 40 Jahre der Geschichte, die in Jalta und am 8. Mai 1945 und danach hier in Deutschland und in Europa geschrieben worden ist, diese Nachkriegszeit, diese Ordnung geht jetzt zu Ende. Man sieht Europa, Deutschland und auch Berlin organisieren sich neu. Was bisher galt, wird, so weiterhin erkennbar, nicht Bestand haben, und wir wissen noch nicht, wie sich die Geschichte Osteuropas weiter entwickelt und was dort überhaupt aus der Nachkriegszeit Bestand haben wird. Es ist wirklich fast unbegreiflich und atemberaubend zu sehen, was, wieviel und mit welcher Geschwindigkeit sich so rasch neu entwickelt. Die Berlinerinnen und Berliner, die sind ja schnell. Sie nehmen historische Veränderungen mit großer Gelassenheit, dann, wenn sie da sind, fast mit Selbstverständlichkeit auf. Jetzt schwärmen die Berliner wieder aus, nicht nur in den anderen Teil der Stadt, auch in die nähere Umgebung. Von Woche zu Woche, sieht man, wird die Umgebung wieder mehr erschlossen. Wenn man sich überlegt, daß diese Entwicklung nach wenigen Wochen, nach zwei, drei Monaten der Öffnung der Mauer möglich ist, dann sieht man, wie rasch die Entwicklung gelaufen ist. Zuerst gab's die Zählkarten, 14 Tage später waren auch die schon wieder weg. Wir sind jetzt wirklich in einer Situation, wo die Grenze so wenig trennt, wie sie Österreich von der Bundesrepublik trennt. Vor 25 Jahren, bei den Feierlichkeiten zum 100jährigen Bestehen des Vereins, hat der damalige Bürgermeister Heinrich Albertz gesprochen. Der Regierende war verhindert. Er hat damals der Befürchtung Ausdruck gegeben, die Abschnürung Berlins könnte auch Auswirkungen auf das Geschichtsbild der Menschen haben. Er sorgte sich, daß sich ein West-Berliner Geschichts- und Stadtbewußtsein entwickeln könnte und daß in unserer Stadt, die doch trotz der Teilung eine Stadt geblieben ist, so meinte er, eine gewisse Geschichtslosigkeit dadurch eintreten (könnte), daß zwar die ganze Welt hier zu Hause ist, aber wir uns davor fürchten, bei uns zu Hause zu sein. Diese Sorge ist sicherlich nicht unberechtigt gewesen, und wenn wir uns unser eigenes Bewußtsein und das jüngerer Menschen vor Augen führen, dann wissen wir, daß für viele gezwungenermaßen die Welt nicht in Potsdam, gleich hinter der Stadtgrenze, in Königs Wusterhausen, Teltow oder Blankenfelde begann, sondern erst mit erheblicher Entfernung. Die Welt setzte sich in Helmstedt, in Rudolphstein oder in Gudow fort. 325
Wir müssen uns auch eingestehen, daß wir doch recht wenig über die anderen Bezirke wissen. Das Alltagsbewußtsein über Friedrichsfelde ist unterentwickelt. Was die neuen Bezirke ausmachen, wer weiß das schon in West-Berlin. Aber jetzt kann man genauso beobachten, wie sich die historischen Konstanten, das historische Denken, das historische Sein, das heutige Denken in der DDR prägen. Nicht nur in bezug auf das lebendige Bewußtsein für die Einheit, sondern auch auf das lebendige Bewußtsein für die Provinzen, für die alten Länder. Wer hätte denn gedacht, daß der Drang danach, wieder Brandenburger zu sein und nicht irgendeinem Bezirk anzugehören, der Drang danach, wieder Sachsen zuzugehören, der Drang danach, sich in Anhalt, in Thüringen und in Mecklenburg zu organisieren, so stark ist, wie das in der DDR ist. Es gehört ja nicht viel Prophetie dazu zu sagen, daß die Tage der Bezirke in der DDR gezählt sind — oder die Monate, ich will nicht übertreiben —, daß die alten klassischen Provinzen und Länder bald wieder errichtet sein werden. Es ist ein großes Verdienst des Vereins für die Geschichte Berlins, daß er in all den Jahren der erzwungenen Abschnürung sich nicht auf unsere Stadthälfte begrenzt hat, sondern immer die Ganzheit der Stadt gesehen hat und versucht hat, die Verknüpfungen, die historischen Fäden quer durch Zeit und Raum über die politischen Grenzen hinweg deutlich zu machen, die Bezüge in die Mark hinein hat lebendig werden lassen. In einer Stadt und auch in einer Region fühlt man sich ja erst dann richtig zu Hause, wenn man auch in ihrer Geschichte lebt, in ihren geschichtlichen Bezügen. In der Geschichte, so, wie sie Gegenwart geprägt hat, so, wie jede Gegenwart immer auf Geschichte beruht. Das merken wir in diesen Tagen ganz besonders, allein an dem Beispiel der Provinzen und alten Länder. Wir merken es auch daran, daß Gesellschaften sich im Umbruch befinden, Revolutionen stattfinden, aber eben Mauern eingerissen werden, eine geteilte Nation wieder zusammenwächst. Das ist erlebte Geschichte, die so sinnlich erfahren wird. Damit wird auch deutlich, daß Geschichte von den Menschen und nicht etwa von Dogmen oder gar von Ideologien gemacht wird. Ich freue mich, daß in diesen Zeiten und Jahren sehr viel junge Menschen die Geschichte wieder entdecken, die Geschichte in ihrer praktischen Bedeutung, in ihrer praktischen Bedeutung für das, was die Gegenwart ist. Es gibt eine Fülle von Initiativen, es gibt eine Fülle von Geschichtswerkstätten. Wir in den alten, den klassischen Vereinen bedauern oft, daß dieses frische Wasser nicht über unsere Mühlen geleitet wird. Ich weiß es wohl, aber ich denke, man sollte sich darüber freuen, daß Menschen sich und mit welchem Ansatz auch immer, und es ist ja oft ein gesellschaftskritischer, oft ein politischer, sich der Geschichte zuwenden. Die Vielfalt, so denke ich, ist eine Bereicherung, eine Bereicherung auch für eine so ernsthafte Institution, in jeder Hinsicht ernsthaften Institution, wie der Verein sie darstellt und wie der Verein sich selbst auch versteht. Ich denke, erst recht werden sich in Zukunft viele Menschen, junge Menschen der Forschung der Geschichte, der Entdeckung ihrer Heimat im buchstäblichen Sinne zuwenden. In dem Sinne wird Berlin wieder stärker Heimat werden, als das in der gespaltenen Stadt der Vergangenheit der Fall war, und ich denke, der Verein hat eine große Aufgabe darin, das historische Bewußtsein für die so verstandene Heimat, die ganze Heimat Berlin, wieder zu wecken und dazu beizutragen, was er immer als seine Aufgabe empfunden hat, Informationen über die Geschichte zu geben und sie zu verbreiten. Ich möchte dem Verein für die Geschichte Berlins und seinen Mitgliedern gratulieren, und ich möchte Sie im Namen Berlins bitten, daß der Verein für die Geschichte Berlins weiterhin für das Geschichtsbewußtsein unserer Stadt zum Nutzen unserer Stadt eine große Rolle spielen möge. Alles Gute wünsche ich dem Verein! 326
Bruno Harms (1890-1967) Von Manfred Stürzbecher In den 125 Jahren der Geschichte des Vereins für die Geschichte Berlins ist eine Amtszeit von rund fünf Jahren als Vorsitzender dieser Vereinigung sicher keine lange Zeit. Dieses Ehrenamt in einer wissenschaftlichen Vereinigung ist aber nur ein kleiner Mosaikstein im Lebenswerk eines Berliner Arztes in einer bewegten Zeit vom Kaiserreich bis zur Spaltung Deutschlands und seiner Hauptstadt. Obwohl sich Bruno Harms auch auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung über Berlin Verdienste erworben hat, liegt des Schwergewicht seines Wirkens auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Bruno Harms wurde zusammen mit seiner Zwillingsschwester am 23. März 1890 im Berliner Norden als Sohn eines Tischlermeisters geboren. Im späteren Bezirk Prenzlauer Berg verbrachte er seine Jugend, besuchte die Vorschule des Sophien-Realgymnasiums und später das Gymnasium, das er 1908 mit dem Zeugnis der Reife verließ. An der Friedrich-Wilhelms-Universität seiner Vaterstadt studierte er Naturwissenschaften. Von seinen akademischen Lehrern haben besonders der Zoologe Franz Eilhard Schulze (1840—1921) und der Botaniker Adolf Engler (1844-1930) sowie die Chemiker Emil Fischer (1852-1919) und Sigismund Gabriel (1851-1924) und der Physiker Heinrich Rubens (1865-1922) auf ihn Einfluß ausgeübt. Aufgrund einer unter der Leitung von Schulze angefertigten Dissertation über die Larve des Hundeflohs wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert. Nach der Promotion war er zunächst drei Monate wissenschaftlicher Mitarbeiter der Preußischen Akademie der Wissenschaften in der Nomenclatur animalium generum et subgenerum. Anschließend ging er ans Hygienische Staatsinstitut der Freien und Hansestadt Hamburg. Als sich sein Wunsch der Teilnahme an einer Expedition des Institutes für Schiffs- und Tropenhygiene nicht erfüllte, kehrte er nach Berlin zurück und legte im März 1914 das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab. Nach der Vorbereitungszeit für die Fächer Biologie, Chemie und Physik wurde er Oberlehrer an der Borsig-Oberrealschule. Im Sommersemester 1916 begann er neben seiner Schultätigkeit das Medizinstudium und legte 1917 das Physikum ab. Mit dem Bestehen des Examens wurde er zum Heeresdienst einberufen. Nach kurzer militärischer Ausbildung wurde er im Spätsommer 1917 nach Serbien an das Feldlazarett 210 kommandiert, wo er bei dem Armeehygieniker Erich Hübener (1870— nach 1937) mit Malariauntersuchungen beschäftigt wurde. Dort erkrankte er an Ruhr und wurde wieder nach Berlin verlegt. Nach der Genesung wurde er zur hygienisch-bakteriologischen Untersuchungsstelle des Gardekorps, die unter der Leitung von Georg Sobernheim (1865—1963) stand, kommandiert. Als dieser im April 1918 als Ordinarius für Hygiene an die Universität Bern ging, wurde Harms mit der kommissarischen Leitung der Stelle betraut. Ende Februar 1919 wurde er aus dem Heeresdienst entlassen. Die Tätigkeit in Berlin ermöglichte ihm die Fortsetzung des Studiums, so daß er 1919 das Staatsexamen ablegen konnte. Das praktische Jahr leistete er am Stadt. Krankenhaus Moabit ab und war auch noch kurze Zeit nach der Approbation als Arzt dort unter Wilhelm Zinn (1869-1943) tätig. Während des Studiums war Harms mit Alfred Grotjahn (1869—1931), dessen sozialhygienisches Seminar er besuchte, in Verbindung gekommen. Auf Anregung des Kinderarztes Adalbert Czerny (1863—1941) fertigte er eine Dissertation „Über die Ursachen des Sitzenbleibens der Schulkinder". Besonders unter dem Einfluß von Grotjahn wandte sich Harms immer stärker sozialhygienischen Fragestellungen zu. Bei der Bildung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin 327
im Jahre 1920 wurde er wissenschaftliches Mitglied der Sozialhygienischen Abteilung des Hauptgesundheitsamtes. Über diese Tätigkeit stellte der Stadtmedizinalrat Johannes Rabnow (1851—1933) folgendes Zeugnis aus: „Herr Dr. phil. Dr. med. Bruno Harms war vom 1. Oktober 1920 bis zum 31. Januar 1922 als wissenschaftliches Mitglied der Sozialhygienischen Abteilung beim Hauptgesundheitsamt der Stadt Berlin tätig. Herrn Dr. Harms lag die Bearbeitung aller sozialhygienischen Angelegenheiten bei der zentralen Gesundheitsverwaltung ob, wobei ihm besonders bei der Beurteilung schulhygienischer Fragen seine pädagogische Vorbildung sehr zustatten kam. Durch das Zusammenarbeiten mit anderen Verwaltungszweigen, insbesondere durch die Teilnahme an den Sitzungen anderer Deputationen in Vertretung des Stadtmedizinalrates und des Vorstehers der Abteilung, hat er einen guten Einblick in die gesamte kommunale Verwaltung erhalten und sich gute Kenntnisse auf diesem Gebiete angeeignet. Mit den ausführenden Organen der Gesundheitsfürsorge stand er in enger Fühlungnahme; die Sitzungen der Schul-, Fürsorge- und Wohnungsschwestern hat er selbständig geleitet. Herr Dr. Harms gehörte der Gutachterkommission der Deutschen Kinderhilfe an und war auch für die Kinderhilfsmission der Quäker als ärztlicher Berater tätig. An dem Aufbau des Gesundheitswesens der neuen Stadtgemeinde Berlin nahm er tätigen Anteil. Den Vorsteher der Abteilung hat er während dessen Beurlaubung selbständig vertreten; vom 12. Januar 1922 ab war ihm die kommissarische Leitung der Abteilung übertragen, die er auch noch nach seinem Ausscheiden bis zum 25. März 1922 neben seiner neuen Tätigkeit innehatte. Herr Dr. Harms gab mit dem 31. Januar 1922 seine Stellung auf, da er vom 1. Februar zum Stadtarzt des Verwaltungsbezirkes Tiergarten gewählt wurde." An anderer Stelle erfahren wir die Hintergründe. Harms erklärte in anderem Zusammenhang, daß er „wegen Differenzen mit dem allmächtigen Stadtverordnetenvorsteher Dr. Weyl nicht länger im Hauptgesundheitsamt bleiben wollte". Der Verwaltungsbezirk Tiergarten hatte die Stelle des Stadtarztes erst neu geschaffen. Harms erhielt im Haus Klopstockstraße 24, in dem sich auch andere Dienststellen des Bezirksamtes befanden, ein Dienstzimmer mit einem Vorzimmer und einer Sekretärin zugewiesen. „An gesundheitlichen Einrichtungen waren vorhanden das Krankenhaus Moabit, die Säuglingsfürsorgestelle der Schmidt-Gallisch-Stiftung in der Markthalle am Arminiusplatz sowie einige nebenamtliche Schulärzte und Schulschwestern." Im ehemaligen Schwesternhaus des Krankenhauses Moabit wurde mit direktem Zugang von der Turmstraße das Gesundheitsamt eingerichtet mit dem Vorteil „einer engen Verbindung der offenen und geschlossenen Fürsorge". Die Diagnostikeinrichtungen standen den Ärzten des Gesundheitsamtes auf diese Weise zur Verfügung, sie konnten auch an den Visiten und Operationen im Krankenhaus teilnehmen. Diese Verbindung förderte die Einrichtung einer „Herzberatungsstelle". 1925 wurde die erste Sportberatungsstelle in einem Bezirk hier eingerichtet. Neue Fürsorgestellen wurden im Südteil des Bezirkes geschaffen, die nebenamtlichen Schulärzte wurden in hauptamtliche überführt. Der gesundheitlichen Volksbelehrung wurde große Aufmerksamkeit geschenkt. Harms übernahm im Nebenamt den Unterricht in der Gesundheitslehre und Sozialhygiene an der Wohlfahrtsschule des Pestalozzi-Fröbel-Hauses. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise und die politische Radikalisierung behinderten zu Beginn der dreißiger Jahre den weiteren Ausbau des Gesundheitsamtes. Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor Harms sein Amt. In der politischen Auseinandersetzung wurde ihm die „Verjudung des Stadt. Krankenhauses Moabit" u. a. vorgeworfen. Nach dem Krieg 328
berichtete Harms auch über Auseinandersetzungen mit Leonardo Conti (1900—1945), der zeitweise als Arzt in der Säuglingsfürsorge tätig war. Trotz seiner NS-Gegnerschaft und diesen Querelen sprach er mit Anerkennung von den beruflichen Leistungen von Nanna Conti, der späteren „Reichshebammenführerin" in der NS-Zeit, in seinem Amtsbereich. Aufgrund des § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde Harms 1934 in den dauernden Ruhestand versetzt. Unter dem 21. Juli 1934 wurde ihm ein Zeugnis ausgestellt, in dem es u. a. heißt: „Herr Dr. Harms war Leiter des Gesundheitsamtes Tiergarten, dessen Aufbau zu seinen ersten Aufgaben zählte. Zu seinem Geschäftsbereich gehörte mit einigen Einschränkungen in personeller Hinsicht das Dezernat über das Krankenhaus Moabit. Er leitete weiter die Tuberkulosefürsorge, das Desinfektionswesen, die Säuglings-, Kleinkinder- und Schwangerenfürsorge, die Schulgesundheits- und Schulzahnpflege, das Impfwesen und die hygienische Volksbelehrung. Auch war Herr Dr. Harms Vertrauensarzt der Verwaltung in Personalangelegenheiten der Beamten, Angestellten und Arbeiter." Auch seine Nebentätigkeit am Pestalozzi-Fröbel-Haus mußte er aufgeben. Um den Lebensunterhalt bestreiten zu können, wandte er sich der ärztlichen Praxis zu. Zunächst arbeitete er als Volontärarzt im Elisabeth-Diakonissen- und Krankenhaus, um seine Kenntnisse in der individuellen Diagnostik und Therapie aufzufrischen. Ihm wurde für diese Zeit bescheinigt: „Seine große ärztliche Erfahrung, sein Eifer und die Art und Weise des Umganges mit Kranken, Schwestern und Ärzten machten seine Mitarbeit besonders wertvoll." Hervorgehoben wird, daß er sich besonders der jüngeren Ärzte annahm und sich am Schwesternunterricht beteiligte, wobei dem Unterricht „die reiche Erfahrung als Kommunalarzt besonders zugute" kam. Ende 1934 ließ er sich in der Kurfürstenstraße 76 als praktischer Arzt mit vorwiegend internistischer Tätigkeit nieder. 1935 und 1937 wurde er zu militärischen Übungen einberufen. Bei Kriegsausbruch wurde er zur Wehrmacht eingezogen, aber bereits nach einigen Tagen aus gesundheitlichen Gründen wieder entlassen. Ende 1941 erfolgte eine erneute Einberufung. Zunächst wurde er auf der Inneren Abteilung des Reservelazarettes in Kichhain/ Niederlausitz eingesetzt. Von August 1942 bis Februar 1944 war er Hygieniker bei der Sanitätslehrabteilung in Berlin-Reinickendorf und wurde dann an das Reservelazarett 139 in der Christburger Straße in Berlin-Prenzlauer Berg kommandiert. Da seine Frau zu den rassisch Verfolgten gehörte, nutzte Harms eine Tuberkuloseerkrankung, um sie und seinen Sohn in der Schweiz in Sicherheit zu bringen. Im November 1943 wurde seine Wohnung mit seiner umfangreichen Bibliothek ausgebombt. Als er im Januar 1945 aus der Wehrmacht entlassen wurde, verließ er Berlin und kam nach einer kurzen Zwischenstation in der Uckermark nach Lanz bei Lenzen in der Priegnitz. Hier übernahm er während des Zusammenbruches die ärztliche Versorgung der Bevölkerung und der durchziehenden Flüchtlinge. Im Herbst 1945 kehrte er nach Berlin zurück und wurde Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen der Sowjetischen Besatzungszone. Er war dort u. a. für die Seuchenbekämpfung zuständig. Bei den extrem ungünstigen Lebensbedingungen der damaligen Zeit war dies eine schwierige Aufgabe. Trotz der ungünstigen Bedingungen gelang es damals, größere Seucheneinbrüche zu verhindern bzw. schnell unter Kontrolle zu bringen. Der sowjetische Stadtkommandant von Berlin setzte bereits am 17. Mai 1945 einen Magistrat für die Stadt ein, dem Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) als Stadtrat für Gesundheitswesen angehörte. Der ehemalige Medizinalderzernent des Polizeipräsidenten in Berlin, Franz Redeker (1892-1962), führte für ihn weitgehend die Geschäfte. Bereits am 12. Oktober 1945 trat Sauerbruch von diesem Amt zurück. Zunächst schien es keine Notwendigkeit zur Besetzung dieses Postens zu geben. Erst als Redeker aufgrund einer Denunziation für politisch nicht trag329
bar erklärt wurde und die Briten ihn nach Hamburg brachten, mußte eine neue Leitung des Gesundheitsressorts beim Magistrat eingesetzt werden. Harms, bis 1933 den Deutschen Demokraten zugehörig, hatte sich nach 1945 der LDP angeschlossen. Am 8. Juli 1946 wurde er als Stadtrat für Gesundheitswesen von den Stadtkommandanten eingesetzt. Damit übernahm er die Verantwortung für den Aufbau eines geordneten Gesundheitswesens in der zerstörten Stadt mit einer hungernden Bevölkerung und einem nicht abreißenden Flüchtlingsstrom. Zwar war der erste Schock der Katastrophe überwunden, aber die Aufgaben schienen bei der schlechten Versorgungslage kaum zu bewältigen. Der besonders harte Winter 1946/47 brachte erhebliche Probleme. Die übertragbaren Krankheiten waren weit verbreitet, Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten verzeichneten zahlreiche Zugänge. 1947 brach eine Poliomyelitis-Epidemie aus, wie die Stadt sie bisher noch nicht gekannt hatte. Die stationäre Versorgung mußte durch Schaffung von Notkrankenhäusern und durch die notdürftige Reparatur an den bestehenden, meist stark beschädigten Krankenhäusern gewährleistet werden. In der Gesundheitsfürsorge mußten neue Maßstäbe in der Zeit des Hungers und des Wohnungselends gefunden werden. Harms, vor 1933 zeitweise Mitherausgeber der Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Bibliophile, ließ, da die medizinischen Fachbibliotheken im Kriege vernichtet oder ausgelagert waren und die Fachliteratur kaum zugänglich war, im Dienstgebäude der Gesundheitsverwaltung, damals Landesgesundheitsamt genannt, die Berliner Medizinische Zentralbibliothek einrichten, in der die noch erhaltenen Bestände des Hauptgesundheitsamtes und anderer Institutionen zusammengefaßt und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Nach der ersten Nachkriegswahl im Oktober 1946 gehörte Harms auch dem ersten gewählten Magistrat, der sein Amt am 8. Januar 1947 übernahm, als Gesundheitsstadtrat an. Zwar war die Institution des Stadtmedizinalrates durch die NS-Herrschaft korrumpiert, aber Harms verstand sich als Amtsnachfolger von Hermann Wasserfuhr (1823—1897), Ferdinand Straßmann (1838-1931), August Weber (1873-1963), Johannes Rabnow (1855-1933) und Wilhelm von Drigalski (1871—1950). Er sollte der letzte Arzt in dieser Reihe von kommunalpolitisch engagierten Ärzten sein, auch wenn er diesen Titel nicht mehr führte und in der NS-Zeit die fachliche Verantwortung auf den Stadtmedizinaldirektor übergegangen war. In dieser Funktion arbeitete Paul Piechowski (1892—1966), ein religiöser Sozialist, der der SED angehörte, mit Harms zusammen. Im Zuge der Spaltung nahm der Liberale keine eindeutige antikommunistische Position ein, und es gab auch andere innerparteiliche Auseinandersetzungen, so daß er nach der Wahl vom 5. Dezember 1948 von seiner Partei nicht mehr für den Stadtratposten nominiert wurde. Am 18. Januar 1949 übergab er seinem Nachfolger im Amt Walter Conrad (LPD/FDP) die Geschäfte, um kurz darauf in das Amt des Präsidenten des Robert-Koch-Institutes für Hygiene und Infektionskrankheiten eingeführt zu werden. In dieser Behörde waren die ehemaligen medizinisch-wissenschaftlichen Institute des Reiches und Preußens in Berlin, wie das RobertKoch-Institut, das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, die Teile des Reichsgesundheitsamtes, die noch erhalten geblieben waren, zusammengefaßt und wurden von der Stadt Berlin treuhänderisch verwaltet. Hatte sich Harms nach seiner Approbation als Arzt mehr zu sozialhygienischen Fragen hingezogen gefühlt, so trat wenigstens seit 1942 das Interesse an der Hygiene und Mikrobiologie wieder in den Vordergrund. Von Amts wegen, aber auch in einer umfangreichen Korrespondenz mit Kollegen beteiligte er sich an der Diskussion um Fragen der Immunologie und Mikrobiologie, die auch über die Pensionierung hinaus fortgesetzt wurde. Nach der Bildung des Bundesgesundheitsamtes 1952 wurden die Berliner Institute der neuen 330
Bundesoberbehörde in Koblenz angegliedert und Bruno Harms in den Ruhestand versetzt. Obwohl ihm der Abschied vom aktiven Dienst schwerfiel, fand er nun neben zahlreichen Ehrenämtern, die ihm verblieben, wie z. B. Mitglied des Kuratoriums des Kaiserin-AugusteViktoria-Hauses zur Bekämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit — das nach der Gründung der Freien Universität zur Universitätskinderklinik geworden war —, des OskarHelene-Heims, des Vorstandes des Vereins zur Errichtung evangelischer Krankenhäuser, jetzt Muße, sich seinen wissenschaftlichen Neigungen stärker zu widmen. In der Medizingeschichte beschäftigte er sich mit Problemen aus der Geschichte des öffentlichen Gesundheitswesens. Sein besonderes Interesse galt der Erforschung der Biographien des Alchimisten Leonhard Thurneysser (1531—1596) und des Leibarztes von Friedrich dem Großen Johann Carl Wilhelm Moehsen (1722—1795). Bei diesen Studien konnte er auch seine bibliophilen Neigungen mit einsetzen und auf seine reiche Büchersammlung, die er nach dem Krieg wieder aufgebaut hatte, zurückgreifen. Nach dem Krieg gehörte Harms zu denen, die sich für die Wiedergründung des Vereins für die Geschichte Berlins einsetzten. Als Nachfolger von Ernst Kaeber (1882—1961) wurde er mit Kurt Landsberg (1892—1964) von der Mitgliederversammlung zum Vorsitzenden gewählt. Es war nicht zuletzt sein Verdienst, daß die Hundertjahrfeier des Vereins 1965 über die Grenzen Berlins hinaus Beachtung fand. Harms gehörte zu den Mitherausgebern des Jahrbuches „Der Bär von Berlin" und der Zeitschrift „Stadthygiene". Bruno Harms, dem die Mitarbeiter des „Landesgesundheitsamtes" wegen einer oft benutzten Haarbürste den Spitznamen „schöner Bruno" gegeben hatten, war eine eigenwillige Persönlichkeit, die leicht und oft in Gegensatz zu ihrer Umgebung geriet. Die von ihm für richtig erkannten Grundsätze verfolgte er zielstrebig mit Energie. Er lebte in einer unruhigen Zeit, die ihm eine gradlinige Karriere versagte. Auf den unterschiedlichen Gebieten, in denen er wirkte, hat er Hervorragendes geleistet. Im Alter von 77 Jahren verstarb er am 1. August 1967 im Stadt. Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg. Anschrift des Verfassers: Dr. phil. Dr. med. Manfred Stürzbecher, Buggestraße 10 b, 1000 Berlin 41
In memoriam Professor Dr. Johannes Sievers (1880—1969)* Von H a r r y Nehls Neben dem „Verschönerungs-Triumvirat, an dessen Spitze Schinkel als Cäsar stand"', gehörten im 19. Jahrhundert zu den prominentesten Gästen Glienickes zahlreiche Bildhauer (d'Angers, der Steinmetz Cantian, Clodt, Gilli2, Rauch, Tieck), Maler (Freyberg, Krüger, Kügelgen, Schirmer, Schoppe, Sebbers, Steffeck, Ternite), Archäologen, Museumsleute, Kunsthistoriker und -sammler (Abeken, Bunsen, Ledebur, Lepsius, Alexander und Julius von Minutoli, Nagler, Niebuhr, Olfers, Passalaqua, Toelken, Waagen) sowie Staatsmänner, Schriftsteller, Bühnen- und Gesangskünstler, Komponisten (Humboldt, Moltke, Roon, Margherita und Umberto di Savoia, der Schah von Persien; möglicherweise Fontane 3 , Hiltl, 331
Motte-Fouque, Rellstab, Schneider, Spiker, Tieck; Rachel, Taglioni; Meyerbeer) u. v. a.m. Der Maler Wilhelm von Kügelgen (1802—1867) ist allerdings einschränkend nur als „Zaungast" zu bezeichnen. Mit Vergnügen liest man heute noch die „launige Schilderung" des herzoglichen anhaltbernburgischen Kammerherrn und Malers, der seinem Bruder Gerhard aus Potsdam am 2. Juli 1864 die folgenden Zeilen schrieb: „Eine Menge schöner und großartiger Schloß- und Gartenanlagen haben wir gesehen. Vorgestern fuhren wir nach Glinecke, wo Fritz wegen des Geburtstages des alten Prinzen Carl seinen Namen einschreiben wollte. Der Prinz empfängt an diesem Tage niemand; wohl aber saß er in voller Uniform dicht an der Chaussee auf einem Ausbau seines Gartens (gemeint ist die Große Neugierde — der Verf.) und rauchte aus einem kurzen Sauzahn, wie ihn die Fuhrleute führen. Auf diese Weise kriegten ihn alle Gratulanten im Vorüberfahren doch zu sehen, und er sah auch sie, ohne durch sie geniert zu sein. Ich finde das ganz überaus zartsinnig, sich an seinem Geburtstage auf unnahbare Weise so öffentlich auszustellen . . . Glinecke ist überaus schön . . . Außer den Havelseen hat Potsdam keine Natur, es ist alles königlicher oder prinzlicher Garten, wo man nicht rauchen darf, was die Lust daran verkümmert."4 Wichtig ist der Hinweis, daß der Sohn des Malers „wegen des Geburtstages des alten Prinzen Carl seinen Namen einschreiben wollte". Damit kann wohl nur das Einschreiben in ein Gästebuch gemeint sein. Ein solches, 389 Seiten umfassendes Glienikker Gästebuch mit ca. 6700 Eintragungen, dessen Existenz seit Jahren bekannt ist, befindet sich derzeit in Privatbesitz. Seine Auswertung — es wurde von Malve Gräfin Rothkirch erstmals am 1. April 1986 in einem Diavortrag öffentlich vorgestellt5 — dürfte kulturgeschichtlich interessante Aufschlüsse erwarten lassen, zumal über die in Glienicke verkehrende Gesellschaft bisher nur ein bescheidener Bruchteil publik geworden ist. Der wichtigste Gast aber, den Glienicke im 20. Jahrhundert je sah und den man — obwohl oft zitiert — bislang zu ehren versäumt hat, war ein namhafter Berliner Kunsthistoriker und Schinkelforscher. Als Sechsundachtzigjähriger schrieb er in seinen (leider ungedruckten) Lebenserinnerungen, um deren Vervielfältigung es offenbar einen „ständigen Kampf" gegeben hat, nieder: „Von klein auf in der künstlerischen Atmosphäre dieser Stadt aufgewachsen, war es ganz besonders die Person und das Lebenswerk Karl Friedrich Schinkels, die mich immer gefesselt haben. In späten Jahren konnte ich mich dann kunstwissenschaftlich mit Schinkels Bauten und sonstigen Arbeiten für die Prinzen des königlichen Hauses beschäftigen und an der großen Publikation von Schinkels Lebenswerk mitarbeiten."6 Bekannt geworden durch die sogenannten „Prinzenbände", insbesondere durch den Band „Bauten für den Prinzen Karl von Preussen" (Berlin 1942), schuf er das Fundament für jegliche wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Komplex Glienicke. Die Rede ist selbstverständlich von Johannes Sievers, dem die folgenden Zeilen gewidmet sind. Johann Georg Ludwig Sievers wurde am 27. Juni 1880 in Berlin, Dorotheenstraße 50, geboren. Der Vater dieses Sonntagskindes war der königliche Hofdekorationsmaler Carl Georg Wilhelm Sievers (1834-1891), ein Schüler von Eduard Daege (1805-1883). Sievers' Vater hatte beispielsweise für Karl Böttichers „Tektonik der Hellenen" (Berlin 1844—1852; 2. Aufl. 1874—1881) und ebenso für andere berühmte Vorbildersammlungen mehrere Zeichnungen geliefert. Sievers Urgroßvater, Johann Carl Georg Wanschaff (1775—1848), war Hoftischler, der „in seiner Werkstatt die wunderbaren in Zitronenholz hergestellten Möbel angefertigt" hat, „die nach Schinkels Entwurf den Hauptgeschmack im Palais des Prinzen Wilhelm, des späteren Alten Kaisers ausmachten. Pietätvoll hat der Urenkel das Werk Schinkels in den Mittelpunkt seines Interesses, später dann seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit gestellt."7 Als Knabe wollte Johannes Sievers von Beruf eigentlich „Königlicher Kutscher" werden. Doch das künst332
Abb. 1: Das „kleine Holzhaus" der Familie Sievers in BerlinWannsee, Hohenzollernstraße Nr. 3.
lerische Milieu, in dem er aufwuchs, erweckte bei ihm alsbald andersgelagerte Interessen. So machte der Vater den kaum Zehnjährigen z. B. frühzeitig mit der Malerei Antoine Pesnes vertraut. Häufig besuchte er das von seiner elterlichen Wohnung - die Familie Sievers bewohnte seit 1884 das Haus an der Oranienburger Straße 16 - gegenüberliegende Monbijou- bzw. Hohenzollernmuseum sowie die Museen auf der Museumsinsel. „Auch Alexander von Humboldt", so Sievers, „bewohnte bis zu seinem Tode 1859 in der Oranienburgerstraße (Nr. 67 der Verf.) ein stattliches zweistöckiges Haus, an dem ich bis zu seinem Abriß oft genug auf dem Schulweg vorbeikam. Nicht weit davon stand das vornehme, palaisähnliche Haus der Loge ,Zu den drei Weltkugeln' mit seinem einst bis zur Spree hinabreichenden Garten." 8 Nach dem Abitur am Berliner Friedrichs-Gymnasium (1901), Friedrichstraße 126, entschied sich Sievers für das Studium der Kunstgeschichte in München. Im Nebenfach belegte er Klassische Archäologie, und natürlich schrieb sich Sievers für die Vorlesungen Adolf Furtwänglers (1853-1907) ein: „Das Semester war schon ziemlich vorgerückt, als Furtwänglers erste Vorlesung, ein .Überblick über die antike Kunst' angekündigt wurde. Das Auditorium Maximum war bis auf den letzten Stehplatz besetzt; in der vordersten Reihe saßen einige der jüngeren bayerischen Prinzen. Endlich erschien Furtwängler, tief gebräunten Antlitzes, hastig, nervös, 333
wie es seine Art war, von donnerndem Getrampel begrüßt, das ihn minutenlang am Beginn seines Vortrages hinderte. Als er endlich seine merkwürdig brüchige Stimme durchsetzen konnte und über die jüngsten Ausgrabungen auf Aegina sprach, erwähnte er den Fund einer Inschrift, die bewiese, daß der berühmte Athenatempel gar nicht dieser Göttin, sondern der Aphaia geweiht gewesen sei. Kaum hatte Furtwängler dies ausgesprochen, als im Auditorium ein unbeschreiblicher Jubel ausbrach, der einfach komisch wirkte. Denn selbst ich, der blutige Anfänger, durfte mit vollem Recht annehmen, daß diese göttliche Dame nicht nur mir, sondern der überwältigenden Mehrzahl aller Anwesenden völlig unbekannt war. Die Hochstimmung der Versammelten galt zunächst dem berühmten Gelehrten und seiner von einem romantischen Schimmer umwitterten Forschertätigkeit. Seine große Vorlesung bot nicht entfernt soviel Anregung wie sein nur von wenigen Archäologen und Kunsthistorikern besuchtes Seminar, das er teils vor den griechischen Originalen der Glyptothek, teils in der Vasensammlung abhielt, da habe ich viel gelernt."9 Noch einen weiteren Archäologen lernte Sievers in München kennen — den späteren Direktor der Leningrader Antikensammlung, Oskar Waldhauer (1883—1935):„Zu den Studenten, die im Hauptfach Archäologie bei Furtwängler studierten, gehörte auch als Teilnehmer am Vasenseminar ein auffallend eleganter Deutsch-Russe, Oskar Waldhauer, der sich von dem in München beliebten, bewußt etwas rustikalen Aussehen und Auftreten der Universitätsjugend wesentlich unterschied."10 Den allseitig interessierten, mittlerweile einundzwanzigjährigen Studenten begeisterte neben Oper und Schauspiel ebenso Wedekinds kritisch-satirisches Kabarett: „Die ,Elf Scharfrichter' waren wohl die literarisch bedeutendste Erscheinung unter den damals allerorts auftauchenden ,Überbretteln', wie Ernst von Wolzogen schon gegen Ende der neunziger Jahre sein Sing- und Tanzbühnchen nahe dem Alexanderplatz in Berlin genannt hatte. Den ,Scharfrichtern' sicherte allein schon die Mitwirkung Frank Wedekinds eine große Anziehungskraft: wer ihn seine grotesken Balladen wie ,Brigitte B.', den ,Tantenmörder' oder ,Mein Lieschen' vortragen gehört hat, wird das nie vergessen."'' Zur Ableistung seines einjährigen Militärdienstes bei der „5. Eskadron des I. Garde-Dragoner Regiments" (1. Oktober 1902—1. Oktober 1903) kehrte Sievers nach Berlin zurück, wo er anschließend das Studium der Kunstgeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität fortsetzte. Auf dem Programm standen Vorlesungen bei Adolph Goldschmidt (1863—1944), Arthur Haseloff (1882-1955), Oskar Wulff (1864-1946) sowie dem Treitschke-Schüler Dietrich Schäfer (1845—1929) — ferner Klassische Archäologie bei Reinhard Kekule von Stradonitz (1839-1911) und Botho Graef (1857-1917). 12 „Vom Sommersemester 1904 ab war Heinrich Wölfflin (1864—1946) der große Magnet, der nicht nur die Kunststudierenden, sondern auch Scharen von Hörerinnen und Hörern anderer Disziplinen anzog. Zunächst hatte ich daran gedacht, bei Wölfflin zu promovieren und trat mit verschiedenen Dissertations-Themen an ihn heran, merkte aber bald, daß er dazu garkeine kritische Stellung nahm. Es entsprach seiner gelehrten, auf das Dozieren eingestellten Art wenig, sich führend eines Schülers anzunehmen, das machte nicht nur mich, sondern auch andere auf das Examen hinarbeitende Mitstudenten stutzig, und trug mit zu unserem späteren Entschluß bei, unserem hochgeschätzten Lehrer Adolph Goldschmidt, der 1904 als Ordinarius an die Universität Halle berufen wurde, dorthin zu folgen."13 Ein Jahr nach dem Tode seiner Mutter (25. Juli 1903) reiste Sievers erstmals nach Rom, das ihn tief beeindruckte: „Im März 1904 kam ich zum ersten Mal nach Rom, wo ich die Antike in ihren großartigen Bauten und den an plastischen Werken überreichen Sammlungen des Vatikans, des Laterans wie der kapitolinischen Museen erlebte. Spezialwerke wie Helbigs Führer durch die klassischen Altertümer Roms, wiesen mir den Weg zu ihrem Verständnis. Nicht weniger genoß ich die unvergleichliche Schönheit Roms, deren 334
historische Stadtteile ich unermüdlich durchstreifte. Nahe dem Spanischen Platz, im alten Künstlerviertel, hatte ich bei dem deutschen Maler Lademann in der Via della Croce 34 ein Hofzimmer bezogen, das nur über eine Außengalerie zugänglich war . . . An den Sonntagen ging es in die herrliche Umgebung, in die Villa Hadriana, nach Tivoli, Frascati, Albano oder an den Nemisee, oft genug mit Studiengenossen aus München oder aus Berlin."14 Vor „Inangriffnahme der Doktorarbeit" leistete Sievers erneut Militärdienst, diesmal in Hamburg, um anschließend das Studium in Berlin zum Wintersemester 1904/05 fortzusetzen: „Unter den deutschen Hörerinnen lernte ich Fräulein Herma Schiffer kennen, die kurz vorher ihr englisches Sprachlehrerinnen-Examen bestanden hatte — daß sie einmal meine Frau werden sollte (am 20. September 1907 — der Verf.) ahnte ich damals noch nicht." Zum Sommersemester 1905 folgte Sievers Goldschmidt nach Halle. Die Zeit bis zum Semesterbeginn nutzte er zu einer zweiten Reise nach Rom, wo er dem Archäologen Paul Hartwig (1859—1919) begegnete, „der seine großen wissenschaftlichen Kenntnisse in den Dienst des Kunsthandels gestellt hatte und früher über irgend einen antiken Ausgrabungsfund von Bauern und anderen Grundbesitzern unterrichtet wurde, als die staatlichen Behörden, die alsbald die Hand darauf legten. Man erzählte phantastische Geschichten, bei denen ,Sor Paolo' mitgewirkt haben sollte. Von Fragen des Kunsthandels abgesehen, wußte er auch genau Bescheid, in welcher zumeist im Stadtteil Trastevere gelegenen Weinschenke im Augenblick der beste Frascati oder Albaner zu finden wäre . . . Damals erlebte ich zum ersten Mal mit wahrer Ergriffenheit Pompeji und konnte das Gesehene durch die großartigen, im Museo Nationale aufbewahrten Ausgrabungen ergänzen. Dort sahen wir sogar die im ,Gabinetto Secreto' zusammengetragenen, nur mit besonderer Erlaubnis zugänglichen Erotica, unter ihnen einige von hohem, künstlerischen Wert. In der Gemäldegalerie und in deren Depots, zu denen ich nach Überwindung nicht geringer Schwierigkeiten Zutritt erhielt, konnte ich verschiedene, für meine Doktorarbeit über Pieter Aertsen sehr wichtige Feststellungen treffen.. . . Von Neapel nach Berlin und von Berlin nach Halle: ein Sprung ins kalte Wasser! Die eigene behagliche Wohnung in Berlin, und nun in Halle das berüchtigte ,möblierte Zimmer' bei einer verwitweten Frau Pastor in der Karlstraße." B Von nun an widmete er sich intensiv seiner Dissertation unter der „väterlichen Fürsorge" Goldschmidts, „dessen Empfehlungen mir bei meiner Quellenforschung und Materialsammlung in Holland, Belgien, Schweden usw. alle Türen öffneten". Zu Sievers Hallenser Lehrern gehörte auch der „ausgezeichnete" Archäologe Carl Robert (1850—1922), der „in philologischer Hinsicht große Anforderungen an seine Schüler stellte . . . Als ich Halle schon wieder verlassen hatte, spielten Hallenser Studenten unter Roberts Regie auf der Bühne des Berliner Schillertheaters in streng antikem Stil, also auch mit Masken, verschiedene Menanderstücke (eine Tradition, die heute noch von Dozenten und Studenten des WinckelmannInstituts der Humboldt-Universität gepflegt wird - der Verf.). In einer Frauenrolle trat der junge Gerhart Rodenwaldt (1886-1945), späterer Präsident des Archäologischen Instituts des deutschen Reiches, auf. . . Keinem meiner Studienfreunde hat wohl die überaus reizlose Stadt Halle besonders gefallen, die bestenfalls über ein paar schöne alte Kirchen und über die halb als Ruine dastehende Moritzburg verfügte. Von ,der Saale hellen Strande', den das Lied besingt, bemerkte man nicht viel."16 Sievers verließ daher Halle und ging zurück nach Berlin, um dort seine Doktorarbeit - Pieter Aertsen. Ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Kunst im XVI. Jahrhundert - zu beenden. Über die Abschlußprüfungen weiß Sievers amüsant zu berichten: „Mit einem Universitätspedell hatte ich vereinbart, mir telegraphisch den Prüfungstermin mitzuteilen, sobald er ihm bekannt geworden wäre - zwei Tage vorher traf die Depesche ein, und ich fuhr nach Halle. Für die Prüfung in Kunstgeschichte verließ ich mich auf meinen guten Stern, während ich mich auf das Examen in Archäologie doch etwas vorzuberei335
ten gedachte, denn Robert galt als unberechenbarer Examinator. Jedenfalls ging ich gegen Abend in das völlig menschenleere, archäologische Institut und griff, unschlüssig, welches Buch ich mir vornehmen sollte, nach dem Baedeker für Griechenland, dessen Einleitungskapitel einen ausgezeichneten Überblick über das Gesamtgebiet erlaubt. Bald müde geworden, schlich ich mich in die,Stadt Hamburg' zurück, um dem großen Tag mit Fassung entgegenzuschlafen. Zweieinhalb Stunden wurde ich am 19. Februar 1906 nach allen Richtungen hin gezwackt, wobei das am meisten gefürchtete philosophische Examen dank der Nachsicht von Ebbinghaus am Harmlosesten verlief. Bei allem Wohlwollen verlangte Goldschmidt in Kunstgeschichte doch ziemlich viel, besonders durch das Bestimmenlassen abseitiger Kunstwerke, von denen man Photographien vorgelegt bekam. Ähnlich war es in der Archäologie bei Robert, der sich freilich in den Kopf gesetzt hatte, mich nach griechisch-sizilischen Münzprägestätten zu befragen, ein Gebiet, mit dem ich mich niemals beschäftigt hatte. Das erklärte ich ihm dann auch, und ergab sich damit zufrieden. Unter dem 26. Juli 1906 erhielt ich das mit der üblichen Papierverschwendung gedruckte, in lateinischer Sprache abgefaßte Doktordiplom, wonach ich das mündliche Examen ,cum laude' bestanden hatte, während meine Dissertation mit dem Prädikat ,valde laudabile' bedacht worden war."17 Als „Volontär bei den Königlichen Museen", deren Generaldirektor damals Wilhelm von Bode (1845—1929) war, fand der frisch promovierte Kunsthistoriker noch im selben Jahr eine Anstellung. Anfang Juni 1908 wurde Sievers als „Wissenschaftler Hilfsarbeiter" des Berliner Kupferstichkabinetts beschäftigt, und zusammen mit seiner Frau, Herma Sievers geborene Schiffer (1882—1932), unternahm er von Juli 1909 bis April 1910 eine Weltreise, die beide quer durch die USA, Japan, China und Ceylon bis hin nach Indien führen sollte. Durch die Weltreise angeregt, erschienen von Herma Sievers mehrere Aufsätze in Berliner Tageszeitungen und unter „dem Pseudonym ,Maria Gerd' kam 1930 in Berlin von ihr ein Roman ,Die Frau von 1910' heraus". Von Bode empfohlen, wurde Johannes Sievers im Jahre 1912 als „Fachreferent für Kunstangelegenheiten" ins Preußische Kultusministerium berufen. In der Wilhelminischen Ära, wo der Kaiser die Kunst diktierte, setzte sich Sievers entschieden für eine fortschrittliche Entwicklung ein. Bereits im Kupferstichkabinett hatte er sich verstärkt um den Ausbau der Sammlungen (Komplettierung des CEuvre von Menzel18, Klinger, Liebermann, Corinth) bemüht, und auf Vorschlag eines Dresdener Kunsthändlers hin machte er sich an die Bearbeitung eines wissenschaftlichen Kataloges der Kupferstiche und Lithographien von Käthe Kollwitz: „Die Mitwirkung der in Berlin ansässigen Künstlerin war natürlich unentbehrlich, so widmete sie meiner Arbeit manche Stunde in dem großen, Hchtdurchfluteten Studiensaal der modernen Abteilung im Obergeschoß des .Neuen Museums', auf deren großen Tischen abgesehen von dem Berliner Besitz auch aus anderen öffentlichen und privaten Sammlungen entliehene Blätter bereitlagen. Die eigentliche Fundgrube halb oder ganz vergessener Studien und Versuche lag aber in den Mappen und Schränken des bescheiden-sachlichen Arbeitsraumes der Kollwitzschen Berliner Wohnung in der Weißenburgerstraße, der so garnichts mit der Vorstellung vom Aussehen eines .Künstlerateliers' zu tun hatte, wie sie im Publikum lebte. Ich erinnere mich sehr wohl meines ersten Besuches bei ihr, als i c h . . . in das völlig schmucklose Zimmer einer Mittelstandswohnung eintrat, das außer einer Druckerpresse, einem Tisch und ein paar Schränken, kaum das Allernotwendigste in einfachster Form enthielt. Keine Arbeit von der Hand der Künstlerin zierte die Wände, keine Blume ließ freundlichere Empfindungen aufkommen in versöhnendem Kontrast zu den draußen im Korridor harrenden Patienten ihres Gatten, des menschenfreundlichen Arztes Dr. Kollwitz. ,Mühselig und beladen' sahen sie alle aus, diese verhärmten Frauen, diese Kinder mit ihren Verbänden... Da wußte man, wo jenes Feuer brannte, an dem sich Käthe Kollwitz mitfühlendes Herz immer wieder entzündete, in 336
Abb. 2: Grabstein für Johanna und Johannes Sievers auf dem Alten Wannseer Friedhof- Abt. 7 U 6 — an der Friedensstraße.
dem sie ihr künstlerisches Werk immer reiner ausglühen ließ . . . Aber man wäre im Irrtum, wenn man aus solchen Eindrücken bei Käthe Kollwitz auf eine niedergedrückte Frau schließen wollte, die kein Lachen kannte! Da hätte man unsere oft drolligen Kämpfe um jene längst beiseite gelegten Studien und Versuche beobachten sollen, die sich entspannen, wenn ich aus den Tiefen der Schränke eine bisher unbekannte Seltenheit herausgefunden hatte, die sie garnicht mehr gelten lassen wollte — mit einem lustigen Augenzwinkern schlug sie vor, so etwas stillschweigend zu übersehen. Das forderte dann meinen hartnäckigen Widerstand heraus, bis sie sich endlich mit herzlichem Lachen geschlagen gab."" Es würde hier zu weit führen, Sievers zahlreiche Bekanntschaften mit namhaften Künstlern aufzuführen. Erwähnt sei wenigstens noch die ca. zwanzig Jahre währende Freundschaft mit dem Schriftsteller und Kunstsammler Johannes Guthmann (1876—1956). Sievers, der 1910 die Bekanntschaft mit dem Maler Max Slevogt vermittelt hatte, war häufiger Gast auf dem märkischen Gutshof des Schriftstellers in Neu-Cladow, wo „antike Skulpturen und griechische Vasen" Zeugnis ablegten, „von der hohen künstlerischen Kultur Dr. Guthmanns". 20 Sievers' „Erscheinen im Kultusministerium" hatte offenbar „tiefe Betroffenheit aufkommen" lassen, da man fürchtete, daß er „politisch links" stehen könnte: „So war die Kunstpolitik im damaligen Kultusministerium ein ständiges Seiltanzen und Balancieren." Dennoch, der vielmehr als liberal zu bezeichnende Sievers setzte sich weiterhin engagiert für eine progressive Kunst bzw. für die „aufs Höchstverdächtige Sezession" ein; ihm ging es dabei stets um „künstlerische Bedeutung" und „keinen Augenblick" um „politische Einstellung". Nach seiner 1915 erfolgten Einberufung zum „Kriegs-
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dienst" wurde Sievers „im Sommer 1918 in das Auswärtige Amt" übernommen, wo er z. B. freundschaftliche Kontakte mit dem Archäologen und Geheimen Regierungsrat Ludwig Pallat (1867—1946) knüpfte: „Durch Pallats beraten, die sich durch den im Ministerium als Denkmal-Konservator tätigen Baurat Blunck ein schönes Haus in Wannsee hatten erbauen lassen, siedelten wir zunächst nur für die Sommermonate, vom Jahre 1912 ab, nach Wannsee über, erwarben 1914 ein kleines Holzhaus und bauten dies 1924 zu einer Sommer- und Winterwohnung aus, ohne diesen Entschluß, aus der Stadt herauszuziehen, je bereut zu haben. Hierbei beherrschte uns vor allem der Wunsch, unseren Kindern, zunächst wenigstens für die gute Jahreszeit, eine möglichst stadtferne, naturnahe Umgebung zu schaffen; unser Sohn Hans Gerhart war am 10. März 1911, sein Bruder Wolfgang am 18. September 1913 in unserer Wohnung Emserstraße 22, nahe dem Ludwigskirchplatz, geboren worden." Das „kleine Holzhaus" oder auch das „Blockhaus" bzw. die „Gelehrtenklause" der Familie Sievers in BerlinWannsee, Hohenzollernstraße 3 (Abb. 1), steht heute noch. — Während Sievers Sohn Gerhart nach Bestehen des juristischen Vorexamens „als Gärtnerlehrling zu dem bekannten ,StaudenFoerster' nach Bornim bei Potsdam" ging, beabsichtigte Wolfgang, „Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in Marburg bei Paul Jacobsthal" (1880—1957) sowie „wissenschaftliche Photographie" zu studieren. Tatsächlich hatte Wolfgang Sievers in den 30er Jahren seinen Vater bei mehreren photographischen Dokumentationen (z. B. von Schinkelmöbeln des im Krieg zerstörten Palais' Kaiser Wilhelms I. und zahlreichen Kunstwerken Glienickes) fachmännisch unterstützt.2' In weiser Voraussicht veranlaßte Johannes Sievers seine beiden „halbarischen" Söhne zur Auswanderung, „da sich für sie in ihrem Vaterland keinerlei Existenzmöglichkeiten eröffneten". Während der ältere Sohn nach London emigrierte, ließ sich der jüngere in Melbourne nieder, wo er noch heute als bekannter Photograph tätig ist. — 1934 heiratete Sievers Johanna Amalie Hempel geborene Fischer (1885—1960), die ihm eine treue Lebensgefährtin werden sollte. Trotz zahlreicher Verdienste wurde der Legationsrat (seit 20. Juli 1919) bzw. Vortragende Legationsrat (seit 31. Januar 1925) Johannes Sievers Anfang Juli 1933 — nach einer Dienstzeit von „32 Jahren und 87 Tagen" — kurzerhand „beurlaubt" und aufgrund des Erlasses vom 13. April 1937 („Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" ) in den „dauernden Ruhestand" versetzt. Zuvor war er noch mit der „Überwachung der Einrichtungsarbeiten im Sinne der Denkmalpflege" des im 18. Jahrhundert erbauten Johanniter-Ordenspalais' am Wilhelmsplatz, das 1828 von Schinkel für den Prinzen Carl von Preußen zum Stadtpalais umgebaut worden war, betraut worden. Über „Das Palais des Prinzen Karl von Preussen. Erbaut von K. F. Schinkel" — so der Titel seiner brillanten Monographie, die 1928 im Deutschen Kunstverlag Berlin erschien — berichtet Sievers eindrucksvoll: „Das Palais, an dem ich mit ganzem Herzen hing, habe ich nur noch einmal, am 6. April 1933, betreten . . . Bei meinem letzten Wiedersehen nach Kriegsende stand ich vor einem enormen Schuttberg, aus dem ein Stück der Wand des Mittelrisalits und einiges seitliche Mauerwerk hervorragten. Eine Palmette aus Bleiguß und eine Stuckrosette nahm ich als traurige Andenken mit nach Hause." 22 Erst am 18. Mai 1953 wurde ihm vom Auswärtigen Amt ein „Wiedergutmachungsbescheid" erteilt. Damit war Sievers „sozusagen rehabilitiert... und materiell durch Nachzahlung der Differenz zwischen dem Ruhegehalt und dem Gehalt des aktiven Beamten bis zum Jahre 1954 entschädigt" worden. Kurze Zeit darauf erhielt er das Bundesverdienstkreuz: „Im Gegensatz hierzu (gemeint ist Sievers' Ernennung zum Ehrenmitglied des Berliner Architekten- und Ingenieurvereins am 13. März 1955 — der Verf.) wirkte eine andere mir zugedachte Ehrung, die ich als getreuer Chronist nicht verschweigen will, durch die Form, in der sie erfolgte, fast peinlich. Im März 1955 wurde ich von einer Berliner Senatsstelle telephonisch davon in Kenntnis gesetzt, man habe für mich die Verleihung des 338
Abb. 3: Hebe-„Mosaik" von K. F. Schinkel im mittleren Gartensaal des Schlosses Glienicke, um 1825-1827. Verdienstkreuzes beantragt, das sei jetzt gekommen und solle mir überbracht werden, ich möchte sagen, welcher Tag mir paßte? Ich war so schockiert, daß meine Antwort nicht eben höflich ausfiel: ich bäte, sich nicht zu bemühen, ich könne ja gelegentlich vorbeikommen und mir das Verdienstkreuz abholen. Worauf ich wochenlang nichts mehr hörte, meinerseits mich natürlich nicht rührte. Dann kam wieder ein Anruf mit der Anfrage, wann ein Beauftragter des Senates sich bei mir einfinden dürfe — ob mir der 26. Mai zusage? Ich konnte da nicht mehr gut ablehnen und ließ in nicht gerade rosiger Stimmung den Besuch über mich ergehen, auch die photographische Fixierung des erhebenden Moments (vgl. Titel) durch einen mitgebrachten Photographien. Die vom Bundespräsidenten unterfertigte Urkunde trug das Datum des 2. April 1955." 23 Johannes Sievers ist eben alles andere als ein bequemer Zeitgenosse gewesen. So wandte er sich entschieden gegen das völlig sinnlose „Wüten gegen geschichtliche Denkmäler" Berlins (Stadtschloß, Regierungsbauten der Wilhelmstraße, Schinkels Bauakademie, Militärarresthaus, Feilnerhaus, Rundtempel im Park des Schlosses Bellevue usw.) sowie die „sonderbare Blüten" hervorbringende, willkürliche Umbenennung historischer Straßen- und Platznamen. Im Fall des Prinz Albrecht Palais' erhebt Sievers den schwerwiegenden Vorwurf einer „planmäßigen" Zerstörung: „Im Krieg war das von Schinkel umgestaltete Innere des Palais ausgebrannt, das durchweg in Haustein ausgeführte, reich skulpierte Äußere dagegen völlig unberührt. Die Säulenhalle hatte eine einzige Säule eingebüßt, eine zweite war beschädigt, es wäre also ein leichtes gewesen, das Innere des Hauses neu auszubauen, zwei Säulen der Halle an der Straße zu erneuern und damit eine Anlage von höchster Schönheit zu erhalten. 339
Aber was geschah? Im Mai 1949 wurde ohne irgendwie zu erkennende Notwendigkeit das Ganze in die Luft gesprengt, an Stelle eines architektonischen Juwels lag ein unförmiger Trümmerberg . . . vergeblich fragte man nach dem Grund zu der unverantwortlichen Zerstörung des einzigartigen Palaisbaues und der Schinkelschen Säulenhalle. Wer konnte daran Interesse nehmen und wer hätte die Pflicht gehabt, einen solchen Rohheitsakt zu verhindern? Sollte es wirklich wahr gewesen sein, was mir von zuverlässiger Seite berichtet wurde, an der für die Denkmalspflege zuständigen West-Berliner Dienststelle, mit der sich mein Gewährsmann in Verbindung setzte, habe man nicht einmal gewußt, daß das ehemalige Albrechtspalais innerhalb des amerikanischen Sektors, also in Westberlin lag und nicht im Ostsektor?" 24 Zur Umbenennung von historischen Plätzen heißt es bei Sievers: Man wird „es kaum für möglich halten, daß man nach 1945 dem Platz, auf dem sich außer der Granitsäule mit der Victoriafigur von Rauch noch Marmorgruppen befinden, die sich auf am Sieg bei Belle-Alliance beteiligten Nationen beziehen, den historischen Namen raubte, und ihn nach einem sozialistischen Geschichtsschreiber in ,Mehringplatz' umtaufte. Gleichzeitig wurde aus der Belle-Alliancestraße der ,Mehring-Damm'. Alle in der Presse unternommenen Versuche, diese Sinnwidrigkeit wieder gutzumachen, scheiterten am Mangel historischen Verantwortungsgefühls gegenüber der Geschichte des eigenen Landes." 25 Couragiert und stets kunstsachverständig protestierte Sievers ferner gegen die 1954 erfolgte „Vergrabung der Siegesallee-Denkmäler" unter Hinnerk Scheper sowie auch gegen andere „Ruhmestaten" der West-Berliner Kunstund Denkmalpflege. Doch „pfleglicher Umgang mit den Zeugnissen der Stadtgeschichte ist", wie es kürzlich Helmut Börsch-Supan zutreffend formulierte, „nie eine berlinische Eigenschaft gewesen".26 Fragen wir lieber, wie nun Johannes Sievers zur Beschäftigung mit dem Werk Schinkels bzw. Glienicke kam. Eine Antwort gibt uns der Kunsthistoriker Edwin Redslob (1884—1973): „. . . er hat sich die Zeit dazu zunächst schwer abringen müssen; zu den von ihm verfaßten Bänden in dem großen Schinkelwerk, das Paul Ortwin Rave herausgibt, kam er erst nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten, die sich dadurch ganz gegen ihre Absicht ein kulturelles Verdienst erwarben."27 Wie erwähnt, hatte Sievers bereits 1928 Schinkels Palais am Wilhelmsplatz (1919 vom Deutschen Reich übernommen und seit den 30er Jahren Sitz der Presseabteilung) veröffentlicht. Als die Berliner Akademie des Bauwesens zur einhundertjährigen Wiederkehr von Schinkels Todestages (9. Oktober 1941) die wissenschaftliche Publikation seines Lebenswerkes beschloß, dessen Herausgabe dem damaligen Kustos an der Nationalgalerie und Leiter der Beuth-Schinkel-Sammlung, Paul Ortwin Rave (1893—1962), zufiel, wurde zugleich dem dafür prädestinierten Kunsthistoriker Johannes Sievers das Thema „Die Bauten Schinkels für die preußischen Prinzen" übergeben. Doch lassen wir Sievers selbst zu Wort kommen: „Nach meiner Außerdienststellung begann ich mit intensiver täglicher Arbeit zunächst im Schinkelmuseum, das den tausende von Blättern umfassenden künstlerischen Nachlaß Schinkels bewahrte. Dann arbeitete ich im Geheimen Staatsarchiv in Dahlem, vor allem aber über viele Jahre im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv der Hohenzollernfamilie in Charlottenburg. Hier waren es der Staatsarchivrat Dr. Ludwig Dehio und der Hausarchivrat Dr. Kurt Jagow, die mich bei der Auffindung des Materiales unterstützten. Wertvolle Funde konnten auch im Architekturarchiv der Technischen Hochschule — heute Technische Universität — das Dr. Franz Jahn leitete, gemacht werden, schließlich auch in der im ehemaligen Kgl. Schloß befindlichen Hausbibliothek, mit deren Kriegszerstörung der Wissenschaft noch nicht entfernt ausgeschöpftes Bildmaterial verloren ging. Es ist zu befürchten, daß aus der Hausbibliothek auch die einige tausend Skizzen umfassende Sammlung von Zeichnungen des hochbegabten Kronprinzen, späteren Königs Friedrich Wilhelm IV., zerstört wurde, die ich nach 340
Abb. 4: Canovas Originalmodell der Hebe, Gips. Possagno. Gipsoteca.
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Themen ordnete. Hierbei ergab es sich, daß sich der Kronprinz mit vielen Projekten beschäftigt hatte, die später von Schinkel ausgeführt wurden, wobei oft die Frage unbeantwortet bleiben mußte, wem von beiden der Vorrang gebührte. Der erste der drei von mir bearbeiteten ,Prinzenbände' war dem Prinzen Karl von Preußen (1801-1883) gewidmet und enthielt die Baugeschichte des Sommerschlosses Glienicke einschließlich der später von Persius und F. von 341
Arnim errichteten Nebenbauten, ferner die Geschichte des Stadtpalais am Berliner Wilhelmplatz; der Band erschien 1942. Das Unglück hatte es gewollt, daß ein großer Teil der Auflage bei einem Bombenangriff auf Leipzig in einer dortigen Buchbinderei verbrannte... Im Rahmen der Bearbeitung aller von den prinzlichen Bauherren dem Architekten Schinkel gestellten Aufgaben, hatte sich unerwartet seine vielfache Inanspruchnahme für die Ausstattung der Räume mit Möbeln und Einrichtungsstücken aller Art ergeben, ein Gebiet, das bisher von der Kunstgeschichte noch nicht im Zusammenhang dargestellt worden war. Mein Entschluß, das für meine Themen gesammelte Material, vielfach durch Anderes ergänzt, in einem, ,Die Möbel' betitelten Sonderband herauszugeben, fand den Beifall der Akademie des Bauwesens, der ich im Jahre 1950 diese Publikation vorlegen konnte. Eine lebhafte Genugtuung bereitete mir nach dem Erscheinen meines ersten (Karl-)Bandes ein mir am Weihnachtsabend 1942 durch einen Boten überbrachter, anerkennender Brief des Finanzministers Professor Popitz, dem eine in der Staatlichen Porzellanmanufaktur geschaffene Plakette mit der Ansicht des friderizianischen Opernhauses anläßlich von dessen Wiederherstellung, beigefügt war."28 Sievers' Meriten, insbesondere um Glienicke, können hier aus Platzgründen nicht sämtlich aufgezählt werden. 1931 erhielt er vom Preußischen Finanzministerium 7000 RM bewilligt, um „damit eine Anzahl der wertvollen Stücke aus der Schinkelzeit bei der Schloßauktion in Glienicke"29 zu ersteigern. Darunter befand sich z. B. Michelis Ölgemälde mit einer Ansicht der Athener Akropolis. Die Erhaltung dieses während des Krieges schwer beschädigten Gemäldes, heute im Wiegandhaus (Präsidentenzimmer) an der Podbielskiallee 69—71, dem Berliner Sitz des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), ist einzig und allein Herrn Dr. Hans B. Jessen30 zu verdanken. Bei Sievers heißt es dazu: „Als 1931 im Jagdschloß Glienicke ein großer Teil des Inventars versteigert wurde, konnte ich für den geringen Preis von 100 DM (RM) das unter Katalognummer 66 aufgeführte, etwa 1830 von F. Michels (Micheli) gemalte Ölbild der Akropolis in Athen erstehen, das noch den später verschwundenen ,Türkenturm' zeigte. Das Bild wurde im Arbeitszimmer des Präsidenten Professor Rodenwaldt aufgehängt."31 Sievers, seit 1929 selbst Ordentliches Mitglied des DAI, hatte maßgeblichen Anteil bei der Einrichtung der Räume des Berliner DAI, das 1929—1935 seinen Sitz im Haus an der Wilhelmstraße 92/93 hatte.32 Ebenso bei der Einrichtung des Archäologischen Institutes der RömischGermanischen Kommission in Frankfurt am Main.33 Weiterhin berichtet Sievers: „ . . . als ich anfangs 1933 das Haus Wilhelmstraße 74 des Auswärtigen Amts verließ, hatte sich doch in meinem Dienstzimmer mit der Zeit allerlei angesammelt, das mein persönliches Eigentum war. Leider erwies es sich bald als unmöglich, alle von zu Hause mitgebrachten oder bei der Räumung des Palais von der Verwaltung des Prinzen Friedrich Leopold gekauften und sorgfältig wiederhergestellten Möbel in Wannsee unterzubringen, so beschränkte ich mich auf die Mitnahme eines Lehnsessels und eines Mahagoni-Rohrstuhles, beide nach Schinkels Entwürfen."34 Etliche Möbel, Gemälde und vor allen Dingen Glienicker Vorkriegsaufnahmen gingen — teilweise schon vor Sievers' Tod — in den Besitz der Berliner Schlösserverwaltung über.35. Als Sievers 1937 „zum ersten Male das Innere der (Kleinen) Neugierde zu Gesicht bekam, fand er es bereits in einem beklagenswerten Zustand vor. Durch Feuchtigkeit der Mauern und die Einwirkung des Staubes und der Abgase des Tag und Nacht vorbeibrausenden Kraftwagenverkehrs zerfressen und von Bubenhänden zerfetzt, waren nur noch Reste der Malereien übriggeblieben." Im Sommer 1938 nahm er „die noch leidlich erhaltenen Überbleibsel von den Wänden" ab und setzte die Fragmente wieder mühevoll zusammen.36 Die momentan an Glienicke „Tag und Nacht vorbeibrausende" Autolawine mit ihren gefährlichen Abgasen scheint weder den Denkmalpfleger, Kunsthistoriker noch den Politiker zu beunruhigen. Johannes Sievers wäre mit diesem unhaltbaren Zustand, der den Erholungswert Glienickes 342
wesentlich beeinträchtigt, wohl kaum einverstanden gewesen. — Im selben Jahr, d. h. 1938, als Sievers die von Julius Schoppe ausgeführten Wandmalereien der Kleinen Neugierde vor weiterem Zerfall rettete, erstellte er für das Archiv des damaligen Provinzialkonservators der Reichshauptstadt, Walter Peschke37, ein „Inventar des alten Schlosses Klein-Glienicke und seine Kunstwerke". Ein letztes Mal — abgesehen von seinem immer wieder vergriffenen und bis in die 70er Jahre neu aufgelegten kleinformatigen Kunstführer „Schloß Glienicke" in der Reihe „Große Baudenkmäler" — beschäftigte sich Sievers erneut mit dem großen Baumeister, als es galt, „Das Vorbild des ,Neuen Pavillons' von Karl Friedrich Schinkel im Schloßpark Charlottenburg" (so der Titel des gleichnamigen Sievers-Aufsatzes in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 1960, S. 227 ff.) zu bestimmen. — Es muß von heutiger Sicht her als großer Glücksfall angesehen werden, daß man Sievers den Zutritt zu Glienicke gestattet hat, denn in den 20er und 30er Jahren waren aus bekannten Gründen speziell Wissenschaftler höchst unerwünschte Gäste, während Kunsthändler hingegen dort jahrelang ein- und ausgehen durften.38. Sievers hat sich, mitten in den Publikationsvorbereitungen seines „Prinzenbandes" steckend, aus den ständigen Querelen um den „Ausverkauf wertvollster Glienicker Kunstgegenstände sehr diplomatisch herausgehalten. So erklärt sich auch seine Loyalitätsbekundung gegenüber Friedrich Leopold von Preußen (1895-1959), als nämlich 1951 Prinz Friedrich Karl, der zweifellos beim offiziellen Verkauf Glienickes (1934 bzw. 1939) übervorteilt worden war, versuchte, Sievers für seine Entschädigungsansprüche zu vereinnahmen. In einem Schreiben vom 21. Juli 1951 39 erläutert Sievers ausführlich, weshalb ihm eine Kritik an dem Verhalten des Prinzen Friedrich Leopold Sohn nicht zustünde. Von einem sehr herzlichen, freundschaftlichen Verhältnis zwischen Sievers und Frau Professor Dr. Margarete Kühn, die 1959 seinen Prinz-Wilhelm-Band rezensierte, zeugt die umfangreiche, in Schloß Charlottenburg verwahrte Korrespondenz. Die Freundschaft zwischen beiden hochverdienten Kunsthistorikern reicht mindestens bis ins Jahr 1942 zurück, wo Sievers in der Danksagung seines Prinz-Karl-Bandes vermerkte: „Tatkräftiges Interesse ist mir fernerhin stets seitens der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Berlin, Herrn Direktor Dr. Gall (Ernst Gall rezensierte 1955 den Band: Bauten für die Prinzen August, Friedrich und Albrecht - der Verf.) und Fräulein Dr. Kühn, entgegengebracht worden." Anläßlich eines Abschiedsempfangs im Schloß Charlottenburg hoffte Frau Professor Kühn, Sievers am 1. März 1969 noch einmal „begrüßen zu können". Doch der mittlerweile über achtundachtzigjährige alte Herr Geheimrat, nach eigener Aussage „gewiss kein Freund offizieller Empfänge", scheute das „glatte Parkett" und befürchtete, daß „vielleicht die Wände zu schwanken" beginnen könnten, „die Sie (Margarete Kühn) wiederaufrichteten!"40 - Neun Monate später, am 20. Dezember 1969, im Alter von neunundachtzig Jahren, starb der Kunsthistoriker, Humanist und „Weltenbürger" (Redslob) Johannes Sievers in Berlin. Seine überaus bescheidene Grabstätte (Abb. 2) befindet sich ganz in der Nähe seines 1914 erworbenen und 1924 umgebauten Holzhäuschens auf dem alten Wannseer Friedhof an der Friedensstraße 2 - 1 4 , wo auch Sievers' Frau und sein „alter Freund Poelzig"41 ruhen. Sievers' Memoiren („Aus meinem Leben"), die nur als vervielfältigtes Maschinenmanuskript kursieren, zu verlegen und vor allen Dingen zu illustrieren, ist ihm die Stadt, mit der er sich als gebürtiger Berliner so eng verbunden fühlte, bisher schuldig geblieben. Zumindest sollte nicht vergessen werden, daß es Johannes Sievers war, der das eigentliche Fundament jedweder (kunst)wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Komplex Glienicke schuf, und daß er darüber hinaus selbst ein wichtiges Kapitel ereignisreicher Berliner Kulturgeschichte verkörpert. Es bleibt zu hoffen, daß es seinem Sohn, Wolfgang Sievers, gelingen wird, diese interessante Familie mit einer (im Berlin-Museum geplanten) Ausstellung dementsprechend zu würdigen. 343
Liebevoll hat sich Sievers um die Klärung so mancher Glienicker Detailfragen und ebenso um die Konservierung vernachlässigter Einzelobjekte — wie z. B. der marmornen Inschrifttafel aus dem 17. Jahrhundert, der Verbotstafel am Johannitertor oder des Friedrich Karischen Runensteins von Dreilinden mit der Hairulfr-Inschrift42 — bemüht. Eigenartig bleibt allerdings, weshalb der sonst so akribische Kunsthistoriker ausgerechnet dem Glienicker Hebemosaik (Abb. 3) im Mittelraum des dreiteiligen Gartensaales des Schlosses nur wenig Beachtung entgegenbrachte. Augenscheinlich gehört zum originalen Bestand dieser kostbaren Intarsienarbeit nur das innere quadratische Feld mit dem darin eingestellten Rund, während die äußere Umrahmung mit den 40 kreuzartigen vegetabilen Gebilden vermutlich erst in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren sein dürfte. Die tänzerisch anmutende, herabschwebende silhouettenhafte Gestalt im Chiton läßt trotz der fehlenden charakteristischen Binnenzeichnungen unmittelbar an schwarzfigurige Vasenbilder denken, wie man sie im hiesigen Charlottenburger Antikenmuseum eingehend studieren kann. Im — hinten zusammengeknoteten — Haar trägt Hebe, die personifizierte Jugend in ihrer Eigenschaft als olympische Mundschenkin, ein Diadem, d. h. ein sakrales Attribut, das in der Antike zumeist Göttern und Herrschern vorbehalten war. Der Verfasser glaubt heute weniger an ein direktes antikes Hebe-Vorbild, das Schinkel für Glienicke vor Augen gestanden haben könnte, als vielmehr an ein besonders im 19. Jahrhundert sehr beliebtes rundplastisches Vorbild, nämlich die 1796 entstandene Hebe-Statue (Abb. 4) des italienischen Bildhauers Antonio Canova (1757—1822). Canovas Hebe, die vom Künstler selbst viermal wiederholt worden ist, trägt — wie das Glienicker Pendant — ein Diadem im Haar und zeigt das gleiche Bewegungsmotiv. Daß Schinkel Canovas Hebe bekannt war, beweist seine Reisenotiz vom 12. Juni 18 26, die er anläßlich eines Besuches bei dem britischen Staatsmann und Kunstsammler Henry Petty Fitzmaurice Marquis von Lansdowne (1780—1863) in sein Tagebuch einschrieb: „ . . . Canovas Venus Pitti (gemeint ist die Venere Italica im Florentiner Palazzo Pitti — der Verf.), eine liegende Venus, sein letztes Werk, Hebe im Abguß. Letztere sind in zwei geschmackvollen Sälen aufgestellt."43 Mit dem Glienicker Hebemosaik der Zeit um 1827 (?) verband der einstige Schloßherr, Prinz Carl, vermutlich sehr persönliche Vorstellungen von einem unbeschwerten und sorgenfreien Leben auf seinem reizvollen Landgut bei Potsdam, das zweifellos ein Stück Italien auf märkischem Boden repräsentiert und wo Carl, ganz im friderizianischen Sinne, die kurzen Sommermonate „sans souci", ohne Sorge, verbringen konnte. Derjenige Glienicke-Gast, der vom Gartenhof herkommend die Fußbodenschwelle mit der SALVE-Inschrift überschritt, befand sich quasi im Olymp, wo er (symbolisch) einen Begrüßungstrank erhielt. — Abschließend sei noch erwähnt, daß Johannes Sievers kurz vor dem Erscheinen seines Prinz-Karl-Bandes einen bislang übersehenen Aufsatz über die „Schicksale des Goslarer Kaiserstuhles" publiziert hat44. Anschrift des Verfassers: Harry Nehls M.A., Schloßstraße 2 H, 1000 Berlin 19 Anmerkungen * Für großzügige Unterstützung und freundliche Auskünfte dankt der Verfasser Dr. H. B. Jessen, Professor Dr. J. Julier, Professor Dr. M. Kühn, Dr. H.-R. Laurien, S. Scheidler und M. Tretter. 1 Ludwig Rellstab, Berlin und seine nächsten Umgebungen in malerischen Originalansichten. Darmstadt 1854, S. 372, subsumierte unter diesem Begriff Schinkel, Persius und Lenne. 2 Harry Nehls, Glienicker Nachlese, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 40 (1989), S. 150-153 und S. 156-161. 3 Dazu ausführlicher demnächst der Verfasser. 344
4 Wilhelm von Kügelgen, Lebenserinnerungen des Alten Mannes in Briefen an seinen Bruder Gerhard. Leipzig 1942, S. 552f. Vgl. Johannes Sievers, Bauten für den Prinzen Karl von Preußen. Berlin 1942, S. 112. 5 Vgl. den Sitzungsbericht über „Das Gästebuch im Schloß Glienicke 1827—1881", in: Der Herold 10 (1986), S. 121, sowie das Jahrbuch des Landesarchivs. Berlin 1986, S. 39, mit Anm. 5. Ferner ist noch in einem Schreiben von J. Sievers an M. Kühn vom 18. Juli 1968 (Staatliche Schlösser und Gärten, Schloß Charlottenburg, Nachlaß Sievers, im Folgenden mit SSGB abgekürzt) die Rede vom Schöningschen Gästebuch. Zu Kurd Wolfgang Wilhelm Gustav von Schöning (1789—1859), dem Hofmarschall des Prinzen Carl, demnächst ausführlicher der Verfasser. 6 Johannes Sievers, Aus meinem Leben, Maschinenmanuskript. Berlin 1966, S. 477. Zu Sievers vgl. neben seiner Autobiographie Herrmann A. L. Degener (Hrsg.), Unsere Zeitgenossen. Wer ist's? Berlin 1928, S. 1471. — Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild, Bd. 2. Berlin 1931, S. 1783 f. - Bis in die 60er Jahre: Walter Habel (Hrsg.), Wer ist wer? Berlin.— Harry Nehls, Glienicker Nachträge — Paralipomena 11, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2 (1989), S. 171, 175 mit Abb. 7. 7 Edwin Redslob, Berliner und Weltenbürger. Johannes Sievers zum 80. Geburtstag, in: Der Tagesspiegel vom 26. Juni 1960. 8 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 22. Vgl. Harry Nehls, Die ehemalige Eltestersche Altertümersammlung in der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln" in Berlin. In: Bundesblatt 1/2 (1990), S.7-21, sowie Werner Schwartz/Reinhold Dosch, 250 Jahre Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln" 1740-1990. Berlin 1990, S. 101-104 (im Druck). 9 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 65. Zur im April bzw. am 18. Juni 1901 gefundenen Aphaia-Inschrift vgl. Adolf Furtwängler, Aigina. Das Heiligtum der Aphaia. München 1906, S. IV, VI, 2,367 f. Nr. 5 mit Abb. 292 und Ta f. 25,1. Zu Furtwängler vgl. Reinhard Lullies/Wolfgang Schiering, Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache. Mainz 1988, S. 110 f. (Lullies). 10 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S.65f., 346. Zu Waldhauer vgl. Lullies/Schiering (wie Anm. 9), S.331. 11 Ebenda, S. 67 f. 12 Zu Haseloff vgl. Kunstchronik 9 (1956), S. 111-115 (Hans Kauffmann), zu Kekule von Stradonitz und Graef Lullies/Schiering (wie Anm. 9), S. 73 f. (Schiering) bzw. S. 122 f. (Lullies). 13 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 85. 14 Ebenda, S. 85 f. 15 Ebenda, S. 98 f. Zu Hartwig vgl. Lullies/Schiering (wie Anm. 9), S. 130 f. (Paul Wolters). 16 Ebenda, S. 102 f. Zu Robert vgl. Lullies/Schiering (wie Anm. 9), S. 96 f. (Hugo Meyer). 17 Ebenda, S. 106 f. 18 Im Jahre 1952 kam es wegen des Verkaufs von Menzels „Chodowiecki auf der Waisenbrücke" nach München zu einer heftigen Kontroverse zwischen Sievers und P. O. Rave, vgl. dazu die Korrespondenzen vom 2. Dezember, 6. Dezember und 22. Dezember 1952, SSGB, Nachlaß Sievers. 19 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 228 f. Vgl. Tom Fecht (Hrsg.), Käthe Kollwitz. Das farbige Werk. Ausstellungskatalog Berlin 1987. 20 Guthmann besaß u. a. kostbare antike Porträts (Alexander der Große, Drusus, Augustus), Idealplastiken (Aphrodite, Germania) und eine griechische Vasensammlung. Vgl. J. Sievers, Cladow, in: Kunst und Künstler 10 (1912), S. 499f f. - Ders., Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 218f f. -Johannes Guthmann, Goldene Frucht. Tübingen 1955. - Deutsches Literatur-Lexikon, Bd. 6. Bern-München 1978, Sp. 1076f., s.v. Guthmann (Reinhard Müller). - Willmuth Arenhövel (Hrsg.), Berlin und die Antike. Katalogband. Berlin 1979, Kat.-Nr. 212. - Margarete Merkel Guldan, Die Tagebücher von Ludwig Pollak. Wien 1988, Personenregister s.v. Guthmann. 21 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 423. Vgl. Jürgen Julier u. a. (Red.), Schloß Glienicke, Ausstellungskatalog Berlin 1987, Kat.-Nr. 287, 289, 292. Mehrere aus dieser Zeit stammende Aufnahmen von W. Sievers sind noch in der zweiten Auflage des kleinen Kunstführers von J. Sievers, Schloß Glienicke. München 1964 (Große Baudenkmäler, 169) verwendet worden. 22 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 360. Zu Sievers „Palais des Prinzen Karl" vgl. die 345
Rezension von (Paul?) Torge, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 46 (1929), S. 32, s. v. Bücherschau. 23 Ebenda, S. 401. Der Name des Photographen lautet Gert Schütz. 24 Ebenda, S. 452 f. Vgl. Sievers' kritische Bemerkungen in der Rezension zu dem Buch von W. Stengel über „Alte Wohnkultur in Berlin", in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 18 (1955), S. 189-191. 25 Ebenda, S. 71. 26 In: Kunstchronik 41 (1988), S.41. 27 Redslob (wie Anm. 7). Zu Rave vgl. Hans B. Jessen, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 4 (1982), S. 509. Vgl. ferner P. O. Rave, Urkunden zur Gründung und Geschichte des Schinkel-Museums, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 56 (1935), S. 234-249. 28 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 398 ff. Ob Sievers erster Prinzenband je rezensiert worden ist, ließ sich nicht feststellen. Zu den anderen beiden Prinzenbänden vgl. Zeitschrift für Kunstgeschichte 18 (1955), S. 94 f. (Ernst Gall) bzw. Zeitschrift für Kunstgeschichte 22 (1959), S. 176—179 (Margarete Kühn). Zu Popitz vgl. Eckart Henning, Die Akademie des Bauwesens, in: Mitteüungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2 (1981), S. 290-305, bes. S. 298-301. 29 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 355. Vgl. die beiden Auktionskataloge: 1. Einrichtung des Schlosses Glienicke bei Potsdam S. K. H. Prinz Friedrich Leopold von Preußen. Berlin 1931, Auktionshaus Leonor Joseph, Wilmersdorf, Sächsische Str. 26 (Ausstellung im Schloß Glienicke, 16.2.—17.2. bzw. Versteigerung, 18.2.—21.2.), und 2. Die Sammlung Prinz Friedrich Leopold von Preußen. Katalog Nr. XIV. Berlin 1931, Auktionshaus Hermann Ball/Paul Graupe, Tiergartenstr. 4 (Ausstellung, 23.11.-26.11. bzw. Versteigerung, 27.11.-28.11.). 30 Vgl. Hans B. Jessen, Eine Ansicht der Akropolis von Athen, in: Archäologischer Anzeiger 1966, S. 549—569. — Lutz Malke, Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, Plastik und Kunstgewerbe, Möbel. In: Wolfram Hoepfner, Das Haus Wiegand von Peter Behrens in Berlin-Dahlem. Mainz 1979, S. 126 Nr. 9 (Das DAI, Geschichte und Dokumente, 6). 31 Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 347. Im Auktionskatalog Einrichtung des Schlosses Glienicke (wie Anm. 29), S. 11 Nr. 66 heißt es: „F. MICHELIS. Blick auf die Akropolis. Lwd. sign. Größe 69:85 cm. G. R. (Sprünge)." 32 Vgl. Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 347, und Hoepfner (wie Anm. 30), S. 148—152. Über die verschiedenen Sitze des DAI in Berlin informiert anschaulich Hans B. Jessen, in: Archäologischer Anzeiger 1969, S. 511—524. 33 Vgl. Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 348. 34 Ebenda, S. 378 f. Vgl. Berlin und die Antike (wie Anm. 20), Kat.-Nr. 572. 35 Ausstellungskatalog Schloß Glienicke (wie Anm. 21), Kat.-Nr. 15-16, 22-26, 29-31, 33, 39-40, 438 b, 480, 557, 558 (der besagte Mahagoni-Rohrstuhl) usw. 36 Sievers, Bauten für den Prinzen Karl (wie Anm. 4), S. 82. 37 Mehrere Briefe von ihm in der Verwaltung der SSGB, Nachlaß Sievers. Peschke, dessen Lebensdaten nicht ermittelt werden konnten, war Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins. Vgl. seinen Vortrag über „Schinkels Erbe in Berlin", abgedruckt in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, Neue Folge der „Mitteilungen", 59. Jg., Heft 3 (1942), S. 97-110, bes. S. 107 (Schloß Glienicke). 38 Vgl. dazu Harry Nehls, Italien in der Mark. Zur Geschichte der Glienicker Antikensammlung. Berlin 1987, S. 16 (Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, 63). 39 Verwaltung der SSGB, Nachlaß Sievers. 40 Zu Margarete Kühn vgl. auch Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), S. 450. 41 Der Architekt Professor Dr. Hans Poelzig (1869—1936), vgl. Sievers, Aus meinem Leben (wie Anm. 6), Personenregister, S. 499. Helmut Ernst/Heinrich Stümbke, Wo sie ruhen . . . Kleiner Führer zu den Grabstätten bekannter Berliner in West und Ost. Berlin 1986, S. 175 verzeichnen zwar Poelzigs Ehrengrab, Johannes Sievers scheint ihnen hingegen ein unbekannter Berliner zu sein. Zu Sievers' Grabstätte vgl. Harry Nehls, Paralipomena — Glienicker Antiquitäten aus dem Kunsthandel, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2 (1987), S. 508, Anm. 50. Die Schwester von Frau Dr. Hanna-Renate Laurien, „die damalige Pfarrvikarin Lona LaurienKutzer, sprach (anläßlich der Beisetzung von Sievers' Frau am 24. August 1960) in der (Wannseer 346
Friedhofs-)Kapelle und vollzog die Aussegnung am Grabe." (Sievers, Aus meinem Leben, wie Anm. 6, S. 467). Vgl. M. Kühn, Aus dem guten Geist Berlins. Zum Tode des Kunsthistorikers Johannes Sievers, in: Der Tagesspiegel vom 25. Juli 1969. 42 Zur marmornen Inschrifttafel sowie zum Schicksal des Runensteins demnächst der Verfasser. 43 Karl Friedrich Schinkel, Reise nach England, Schottland und Paris im Jahre 1826, hrsg. von Gottfried Riemann. Berlin 1986, S. 174. Zur sogenannten Venere Italica vgl. Harry Nehls, Forschungen zu einer Replik der „Venus Italica" im Pleasureground Klein-Glienicke, Maschinenmanuskript. Berlin 1990 (ein Exemplar im Archiv der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Abteilung III, Gartendenkmalpflege). Zum Glienicker Hebemosaik vgl. Ausstellungskatalog Schloß Glienicke (wie Anm. 21), Kat.-Nr. 37 (Julier). — Nehls (wie Anm. 2), S. 138-140 mit Abb. 1-2. 44 Die Besprechung dieses Sievers-Aufsatzes erfolgt demnächst in der Dissertation des Verfassers über den Altertümersammler Minutoli.
Bildlegenden Titel: Dr. Johannes Sievers während der Verleihung des Verdienstkreuzes am 26. Mai 1955 im Bibliothekszimmer seiner Wannseer Wohnung. Abb. 1: Das „kleine Holzhaus" der Familie Sievers in Berlin-Wannsee, Hohenzollernstraße 3. Abb. 2: Grabstein für Johanna und Johannes Sievers auf dem Alten Wannseer Friedhof — Abt. 7 U 6 — an der Friedensstraße. Abb. 3: Hebe-„Mosaik" von K. F. Schinkel im mittleren Gartensaal des Schlosses Glienicke, um 1825-1827. Abb. 4: Canovas Originalmodell der Hebe, Gips. Possagno. Gipsoteca.
Abbildungsnachweis Titel: Landesbildstelle Berlin Nr. 41 197 bzw. 24 5118 Abb. 1—3: Aufnahmen des Verfassers Abb. 4: Repro des Verfassers nach A. G. Meyer, Canova. Bielefeld und Leipzig 1898, S. 32, Abb. 18.
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„Ein jüdischer Fotografin Berlin 1933-1938" Zur gleichnamigen Ausstellung im Gropius-Bau Von Ernst G. Lowenthal Als sich der Betrachter in der Abteilung Jüdisches Museum des Berlin-Museums im Gropiusbau in Berlin die Ausstellung der Fotos von Herbert Sonnenfeld anschaute, war er nicht allein angetan von deren Qualität und Präsentation. Er entdeckte sogar auf einzelnen Fotos alte Bekannte, von denen die meisten inzwischen entweder verstorben oder umgekommen sind. Er denkt aber auch unwillkürlich an die Schrift von Ernst Simon „Aufbau im Untergang — Jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland als geistiger Widerstand" (Tübingen 1959), eine der frühen Publikationen des Leo-Baeck-Instituts. Und mehr noch: er erinnert sich der vielbeachteten Berliner Konferenz der drei Leo-Baeck-Institute (New York, Jerusalem, London) vor fünf Jahren, die in beträchtlich erweiterter Form einer ähnlichen Thematik gewidmet war. Unter dem Titel „Die Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933—1945" erschienen ihre Referate und Diskussionsbeiträge später in Buchform (Tübingen 1986). Allein die rund 100 zur Schau gestellten Fotos (von insgesamt 3500 Negativen der Sammlung, die von der Jüdischen Abteilung des Berlin-Museums erworben werden konnte) wären durchaus geeignet gewesen, den Inhalt der beiden vorgenannten wissenschaftlichen Publikationen im Bild zu ergänzen. Hier (im Wort) wie dort (im Bild) wurden bzw. werden in der Hauptsache behandelt: der Menschenkreis, der wirtschaftliche Existenzkampf, die jüdische Presse, Schulen und Erwachsenenbildung (typisch dafür z. B. Buber in Lehnitz 1934 im Kreise Jugendlicher), der Jüdische Kulturbund, Sport, Berufsumschichtung (Hachscharah), Abschied von Deutschland. Kein Zweifel, Herbert Sonnenfeld war ein ausgezeichneter Pressefotograf, vom Objekt her und von dessen Ausfindigmachung. In der Mehrzahl zeigen seine Fotos zugegebenermaßen eine heute zu erfreuliche anmutende Note; sie wirken durchweg positiv. Wer sich daran stößt, sollte beachten, daß die Bilder zumeist in und um Berlin entstanden sind, das zwischen 1933 und 1938 fast einer politischen Oase nahekam, wenn man im Vergleich damit die Situation der Juden in der „Provinz" sowie die allgemeine politische Situation im Lande betrachtet. Im Berlin der 30er Jahre und auch anderwärts konnte so gut wie niemand Katastrophen wie Auschwitz und den Holocaust vorausahnen. Hinzu kam, daß die damalige jüdische Presse, welcher Couleur auch immer, sich verpflichtet fühlte, ihren vielen tausend Lesern, trotz allem, Mut und Zuversicht zu vermitteln. Herbert Sonnenfeld, Berliner von Geburt, Jahrgang 1906, wanderte mit seiner Frau Leni 1939 in die USA aus, wo er 1972 starb. Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin stellte die für den Ankauf des Fotoarchivs Sonnenfeld nötigen Mittel zur Verfügung, der Senator für Kulturelle Angelegenheiten bewilligte eine Volontärstelle, und so konnte Maren Krüger die Ausstellung und den dazu gehörenden bild- und lehrreichen Katalog gestalten. Die Ausstellung bleibt bis zum 28. Oktober geöffnet (außer montags). Der Katalog ist in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin, erschienen. Anschrift des Verfassers: Professor Dr. E. G. Lowenthal, Kaunstraße 33, 1000 Berlin 37
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Buchbesprechungen Rolf Born: „Ephraim oder Tradition als Bindung. Die Familiengeschichte von Heimann Joseph Ephraim, einem Enkel von Nathan Veitel Heine Ephraim, und die seiner Nachkommen." 240 Seiten, 78 Abbildungen, meist aus Familienbesitz, Stammbäume, Literaturverzeichnis. Oberbaum Verlag, Berlin o.J. (1986). Bindung in der Tradition wird hier als Gebundenheit und Eingrenzung verstanden; ein Bedauern über nicht gelebte Möglichkeiten durchzieht die Familiengeschichte, die anders als die sonst bekannte Literatur über Friedrichs des Großen Münzunternehmer Nathan Veitel Heine Ephraim hier auf seinen Enkel Hermann Eberty, der eigentüch Heimann Joseph Ephraim hieß, zugespitzt ist. Und ebenfalls abweichend von der sonstigen literarischen Übung, sich das Wohnumfeld und den Lebensstil des Erbauers und Bewohners von Berlins einst schönstem Rokokopalais anzueignen, verlagert die vorliegende Untersuchung den Schwerpunkt auf Nathans christlichen Enkel Joseph Heimann, nachdem dieser sich nach 1810 Eberty genannt hatte und der als Schilderer des alten Berlin im 19. Jahrhundert geschätzt wird. Nicht um die Ehrenrettung auch der übrigen alten jüdischen Bankiersfamilien (wie z. B. den Mendelssohns und Bleichröders) geht es nach Jahren des Antisemitismus, sondern um ein allgemeines sozialgeschichtliches und sozialpsychologisches Phänomen. Vf. geht bei sonst verschütteter oder verblaßter Quellenlage allen Mitgliedern bis in die gegenwärtigen Verästelungen nach; denn erst die Differenziertheit innerhalb der ganzen Familiensaga gibt den Blick frei für die ganze Problematik der Judenheit, und zwar dieser Familie wie die ihrer Glaubensgenossen in Preußen überhaupt oder, wie Vf. es formuliert: „Absicht dieses Buches ist es, über die herausragenden Mitglieder dieser Familie hinausgehend, auch die nachfolgenden weniger bekannten Generationen zu erfassen, um an ihnen den Weg dieser Familie in die Assimilation darzustellen." Damit ist das gesagt, was die Neugier des Lesers wecken kann. Die Berliner kennen Ebertys Buch als Inbegriff altberiinischer Erinnerungen, aber das Umschattetsein seiner persönlichen Lebensfindung als konvertierter Jude ist weniger bekannt. Die Spurensuche nach dem Wohnstandort dieses „alten Berliners" führt Vf. an viele Stätten der Berliner Altstadt. Indem er Findbücher wie alte Adreßbücher, Verzeichnisse der Hauseigentümer, Namensforschung und Arbeiten von Veronika Bendt und Ludwig Geiger (in unseren „Mitteilungen" rezensiert) befragt, legt er baugeschichtlich ältere Schichten frei, macht er das Werden des Stadtgesichts vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 19. sichtbar. Sein Weg streift den Wilhelms Platz (so die verwandte Schreibung), den Ephraimschen Garten am Schiffbauerdamm, Häuser Unter den Linden, in der Spandauer und Heilig-Geist-Str., Leipziger, Friedrich- und Neue Friedrichstr. und selbstverständlich die Ecke Mühlendamm und Poststraße und findet so Allgemeines über die Wohnstandorte der gehobenen jüdischen Schicht heraus, über ihre Kaufhäuser und Geschäftskontore und Manufakturen. Ihm fällt auf, daß die Ephraim-Familie seit der SöhneGeneration Nathans einen Sommersitz im Tiergarten gehabt hat, ja daß sie sich überhaupt am Tiergartenrand angesiedelt hat, und er konstatiert: „Dabei war es der Selbstanspruch (der wohlhabenden jüdischen Familien), den gebauten und gärtnerisch gestalteten Bereich durch seine künstlerische Gestaltung zu kultivieren. Hierfür sei nur beispielhaft der Besitz von Daniel Itzig zwischen Köpenikker Straße und dem Schlesischen Tor erwähnt, der der Familie Salomon in der Köpenicker Straße, der des Bankiers Jacob Beer Herz am Rande des Tiergartens und der von Abraham Mendelssohn in der Leipziger Straße 3. - Es ist auffallend, daß viele dieser Besitzungen nahe oder direkt an Wasserläufen lagen. So bot v. a. die Spree hierfür die gesuchten Standortvoraussetzungen" (S. 47/48). Er entdeckt nicht nur, daß seine Spurensuche buchstäblich in letzter Minute angestellt worden ist, ehe die Letzten ausgestorben sind — „Erst durch die Zusammenführung dieser vielen, teilweise hypothetischen Einzelaussagen zu einem Gesamtbild, die sich gegenseitig ergänzen, wodurch viele Stücke dieser Familie ihre Zuordnung wiederfanden: so konnte diese Arbeit auch einem sich bereits abzeichnenden Inhalts- und Wissensverlust entgegengewirkt werden." (14) - , sondern er begegnet auch dem „totalen Verdeckungsprinzip", wie er es nennt; gemeint ist eine Scham, sich zur Ephraimitischen und jüdischen Tradition zu bekennen; sie liegt tiefer als der notwendige Selbstschutz vor Verfolgung; sondern Vf. erkennt sie als konstituierenden Grundzug. Er hat ihn auf der Suche nach Ebertys Jugend-Wohnstandort entdeckt. — Hermann Ebertys Generationsschicksal liegt bereits im Abendglanz des Epigonentums, sehr schön, aber wehmütig. Ebertys Vater Joseph Veitel Ephraim gehörte das Haus in der Spandauer Straße, aber auch die Sil349
berraffinerie am Wilhelmsplatz, mit einer 10-Zimmer-Wohnung im Obergeschoß für die Familie und mit Kontor und Verkaufsräumen im Erdgeschoß, sowie der Sommersitz im Tiergarten. Danach beschreibt Vf. den Ephraimschen Garten am Schiffbauerdamm, vom Hofgärtner Heydert in früher Landschaftsgartenkunst gestaltet und versehen mit Statuen von Schlüter, die schon Nicolais Aufmerksamkeit erregt haben. Dies alles ist erwähnenswert für Ebertys Persönlichkeitsentwicklung, die sich dann auf seinem Gut Arnsdorf in Schlesien voll entfalten sollte. Er apostrophiert Hermann Eberty als Kind einer Übergangszeit, als „die Macht des Familienclans als Großunternehmer schon im Sinken war" (S. 50); und dies war typisch für „die junge Generation der reichen jüdischen Oberschicht in den Zwischenzeiten zwischen dem Friderizianischen Zeitalter und der aufkommenden bürgerlichen Epoche" (51). Vf. schildert ihn als frühreifes, empfängliches und künstlerisch fein begabtes Kind und jungen Menschen, der in jenem Zeitalter der Schöngeistigkeit es sich leisten konnte, statt Kaufmann zu werden, als Gastgeber einen geistigen Salon zu führen, in dem der „Polarsternbund" gern zu Gast war. Geiger schildert ihn, wie sehr er sich darin geborgen fühlte, doch Vf. schränkt dies ein, indem er betont, daß diese Geborgenheit unvollkommen gewesen sei. „Es war nicht nur das Gefühl des Geborgenseins in einer Gruppe Gleichgesinnter, sondern auch die Hoffnung, in der Gemeinschaft dieses Freundeskreises eine neue, geistige Welt zu suchen, um sich aus seinem geräumigen Gefängnis loszureißen." Diese Vor-Zeit der Erhebung Preußens ist der Beginn jüdischer Emanzipation; sie hat viel zur Kultur der Briefliteratur und der Salons beigetragen. Um so größer, so der Vf., ist Ebertys Vereinsamung und Entfremdung, als die Bundesbrüder wie Hardenberg, Varnhagen und Chamisso ins Feld aufbrechen und Eberty in Berlin allein zurückbleibt. Er sucht danach im Studium der Naturwissenschaften den Ausweg, was Hannah Arendt als sozialtypisch interpretiert; gerade die vereinsamten Juden hätten über die Naturkunde den Weg in die Realität gesucht. Und Vf. ergänzt: „Eberty sah nicht, daß dies erträumte Idyll nur das Produkt einer zufälligen Konstellation war in einer gesellschaftlichen Übergangsepoche, in der Juden zu Lückenbüßern zwischen einer untergehenden Welt, dem Adel und dem Bürgertum, gebraucht wurden" (S. 57). Diese Hypothese kennzeichnet die ganze Ephraim-Familientragik. Die Leitbilder der Emanzipation seien, so der Vf., zu blaß und zu wenig tragfähig gewesen, sich aus der Judenheit herauszukämpfen. Aus seelischer Scham kämpfte jeder diesen Kampf ganz für sich allein und blieb dabei allein. Viele, so auch Eberty, suchten den Ausweg in der Annahme des Christentums. Aber auch dieser Kampf dauerte für Heimann Joseph Ephraim 40 Jahre. Vf. vermutet, daß sein Christentum recht äußerlich blieb gegenüber der starken jüdischen Familientradition. Auch beruflich kehrte er in die Welt seiner Väter zurück, er wurde Kaufmann und Bankier. „Der einmal betretene Weg der Hoffnung auf Emanzipation ist zu Ende, bevor er eigentlich begangen wurde... Es war die Suche nach einem Leben in Selbstfindung, das gelebt werden durfte, ohne sich gezwungenermaßen von den Bindungen zu lösen, die ihn mit der Tradition seiner Väter verknüpfte" (S. 61). — Und so sei sein Lebensabend und seine Daseinsform in Arnsdorf als Gutsherr eine Form selbstgewählter Einsamkeit gewesen. Die dahinter verborgene sozialgeschichtliche Kategorie wiederholt Vf. nochmals: „Gelingt die Emanzipation nicht, folgt einer Abgrenzung nur zu schnell die Ausgrenzung, dieser das Getto, schließlich das Nichts" (S. 63). Es habe schon dieser Zeit an echter Toleranz gefehlt, so daß Heimann-Eberty auf den Weg „eng gefaßter, eigener Vorstellungen" gewiesen worden sei, die er zum Maß des Empfindens und Handelns machte und so immer ein Fremder blieb, was niemand ahnte. — Unbekannte Wehmut liegt auch über seiner zweiten Lebenshälfte, als er, inzwischen als Ehemann, mit der Familie des Giacomo Meyerbeer verwandt, in das Haus in der Heilig-Geist-Straße zog — auch hier wird das soziale Umfeld sorgfältig erkundet — und seine schriftstellerischen Versuche anstellt. Auch dieses Dasein desillusioniert Vf., nennt es mit Hannah Arendt den „zweiten Ausweg". „Als zweiten Ausweg, ohne die ihn wieder einbindenden, althergebrachten Strukturen, Glaube, Familie und deren Umfeld völlig in Frage zu stellen; er sah den Bereich der Kunst, um hier in Form eines überhöhten Bildungs- und Geschmacksniveaus sich selbst zu finden" (S.95). Man mag diese psychische Durchgängigkeit akzeptieren; ob man der Lebenskultur der EphraimFamilie gerecht wird, steht dahin, zumal Vf. dieses Schema auch auf die Kinder und deren Nachkommen ausweitet, und zwar zunächst auf die Person seines Sohnes Felix Eberty, der eine Karriere als hochangesehener Jurist in Breslau machte, nachdem er in Bonn bei Bethmann-Hollweg studiert und promoviert hatte und von Savigny geachtet wurde. Er erwarb in Breslau ein Haus und umgab sich wie sein Arnsdorfer Vater mit einer Welt der persönlichen und ausgesuchten Familienstücke. Vf. inter350
pretiert seine Gelehrtenlaufbahn als Imitation seiner Vorfahren; er habe wie sie die Assimilation über den Staat gesucht und da wieder zu beginnen gesucht, wo die Väter verdrängt worden waren: in Staat, Regierung und Königsfamilie, allerdings mit dem Makel unredlicher, rigoroser Geschäftspraktiken. So sei es auch zu verstehen, daß die Tochter Babette in den Adel einheiratete und ihr Ansehen in der national-bürgerlichen Welt des Kaiserreiches suchte, sie wurde eine von Bülow. Ihr Leben reichte ins späte 19. Jahrhundert hinein, und durch ihre Memoiren konnte Vf. die Familiengeschichte für 120 Jahre ans Licht heben — und immer wieder dasselbe „Deutsch-jüdische Problem" dieser Familie — so die letzte Kapitelüberschrift — wirksam sehen. Es lohnt sich für den Leser, auch den j üngsten Verzweigungen der Familie nachzugehen; hingewiesen sei darauf, daß Fontane durch seine Freundschaft mit Friedlaender ihren Lebensbereich berührte und mit gereiztem Unbehagen die „Divergenz zwischen dem hier noch getragenen Lebensstil, dem der Ephraimschen Zeit, und dem wirklich gesellschaftlichen Standort der Familie, dem des gehobenen Bürgertums, konstatierte" (S. 171). Er bemerkte viel zu klar, wie sehr der Adel das jüdische Großkaufmannstum als „Schrittmacher und Symbol der kapitalistischen Bourgeoisie" ablehnte; so scheint auch der angebliche Makel des Geschäftsmannes Nathan Ephraim noch immer wirksam. — Vf. konzentriert die Selbstentfremdung: „Als Heimann Ephraim aufgrund der 1810 ihm gegebenen Konzession seinen jüdischen Namen aufgab, um sich in der bürgerlichen Gesellschaft Preußens zu integrieren, löste er sich damit aus der Welt seiner Väter. Dies bedeutete nicht nur Bindung, sondern vor allem auch Stützung. Indem er sich aus dieser Welt herauslöste, verlor er auch die tragende Kraft;... der Weg der Assimilation wurde nicht zu Ende gegangen . . . So war Hermann Eberty in keiner der beiden Welten zu Hause; . . . Orientierung bot ihm nur die Erinnerung an das Haus Ephraim" (S. 175). Das Buch kann zusammen gelesen werden mit einer Publikation, die das Thema weitgehend berührt, aber andere Schwerpunkte setzt; weil, ausgehend vom Wiederaufbau des Ephraim-Palais' nach restaurativen Gesichtspunkten, Vf. die ökonomische Situation der Familie zu durchleuchten sucht. Überschneidungen gibt es in der Person Nathan Veitel Heine Ephraims und der moralischen Beurteilung seiner Geschäftspraktiken, was ja in der Untersuchung von Born den tragischen Anlaß zu lange fortwirkender Mißachtung bildete. Rolf-Herbert Krüger: „Das Ephraim-Palais in Berlin. Geschichte und Wiederaufbau." Erschienen in der Reihe „Miniaturen zur Geschichte, Kultur und Denkmalspflege der Gesellschaften für Heimatgeschichte und für Denkmalspflege im Kulturbund der DDR, Berlin 1987. 96 Seiten, 58 Abbildungen bzw. Grundrisse, Skizzen, Literaturverzeichnis und Anmerkungen. Sie zieht Bildmaterial sowohl aus der Kunstbibliothek in Berlin (West) und dem Berlin-Museum hinzu wie aus dem Staatsarchiv in Merseburg und dem Märkischen Museum in Berlin (Ost). Naturgemäß wird dabei das Hauptaugenmerk auf Person und Werk des Baumeisters Friedrich Wilhelm Diterichs gelegt; es werden die odysseehafte Baugeschichte nach Lieferung der in West-Berlin gelagerten Bauteile erzählt und die Prinzipien der Wiederherstellung reflektiert. Was die merkantilen Praktiken des Bauherrn Nathan Veitel Heine Ephraim angeht, schildert Vf. sie ausführlich, und zwar nach den vorgegebenen Kategorien des historischen Materialismus', dem frühkapitalistische Methoden verurteilungswürdig erscheinen. Diese ideologische Einengung ist zu veranschlagen; andererseits breitet Vf. den gesamten politischen, historischen und wirtschaftlichen Horizont mit viel sachlichen Details aus, die dem münz- und währungsunkundigen Laien Einblick in die Zusammenhänge zwischen Kriegspolitik und -finanzierung geben. Am Ende wird dem König mehr Skrupellosigkeit angelastet als Nathan Ephraim, der nur die Zeichen der Zeit und die darin liegenden ökonomischen Chancen sieht und sie nutzte, obwohl bedenkenlos und in ungewöhnlichem Umfang. Es kommt aber darauf an, ob das Klischee vom Kriegsgewinnler Nathan Ephraim die einzig bedeutsame Aussage bleiben soll oder ob man seinem Wirken zukunftweisende Funktion zuschreiben will. Da dieser Gesichtspunkt jedoch nicht isoliert behandelt, sondern im Gesamtzusammenhang mit der künstlerischen Ausstrahlungskraft von Palais und jüdischer Bewohnerschaft bis in die Moderne auch die stadtplanerischen Überlegung der DDR mitbestimmt hat, werden durch diesen publizistischen Versuch beide Stadthälften geistig verklammert. Gerade der Herbst 1989 mit seiner Rückbesinnung auf den Beginn von Krieg und Vernichtung geht davon eine Herausforderung zur Versöhnlichkeit aus. Vf. geht den Besitzverhältnissen des Grundstücks am kaufmännisch markantesten Punkt der Altstadt, am Mühlendamm, noch tiefer nach bis aufs Jahr 1488, wo dort die Ratsapotheke war. Gerade 351
dieser Wohnplatz involviert eine besondere bürgerliche Verpflichtung. Ansonsten geht Vf. weniger den jüdischen und familiären Wohnstandorten nach, sondern der persönlichen Geplagtheit des Nathans Veitel Heine Ephraim; er betont seinen frühen Aufstieg innerhalb der väterlichen Firma durch rücksichtslose Härte. Sie ist ungewöhnlich, selbst wenn man die systemimmanente, merkantilistische Verknüpfung gewerblicher Arbeit im Rahmen des preußischen Militärs — hier des staatlichen Vertriebs der im Potsdamer Militärwaisenhaus hergestellten Produkte — mit der allgemeinen Fürsorge für das Volkseinkommen einberechnet. Das System funktioniert auch mit jüdischem Kapital. Der Leser erfährt wenig Beachtetes über die persönliche Verflechtung beider Personen, die bereits seit Friedrichs Kronprinzenzeit bestand, wo Nathan seine Schulden bezahlte. Was andererseits den Hofjuwelier Ephraim in seinem opportunistischen Erwägungen bestärkte. Im Gegenzug griff der junge König, soweit das möglich war, in die Belange der jüdischen Kultusgemeinde ein und lancierte Nathans Wahl zum Oberältesten, in der Berechnung, sich damit der jüdischen Kaufmannschaft zu versichern, ihres komplizierten Abwägens zwischen religiöser Gemeinschaft und merkantilen Gepflogenheiten. Umfangreich und einsichtig geschildert wird die staatliche Wertschöpfung durch den Schlagschatz ; er ist ursprünglich landesherrliches Regal gewesen, das der König den Münzpächtern überlassen hatte. Es liest sich spannend, wie das Haus Ephraim durch seine internationalen Verflechtungen das fein austarierte System der europäischen Edelmetallmärkte beherrschte. Nathan und sein Konsortiumjüdischer Bankiers konnte für Preußen das Rohmaterial zur Münzprägung günstig einkaufen und durch einen ergiebigen Schlagschatz dem König in kürzester Zeit einen Gewinn von 4 Millionen Talern zuschanzen. — Vieles von der Abneigung gegen das „sklavische" Preußen — so auch Lessing — wird verständlich, wenn man weiß, welchen monetären Zugewinn Preußen durch die schnelle Eroberung Sachsens zufloß, als ihm dessen Münzwerkstätten und ihre technischen Mittel in die Hände fielen. Die „Ephraimiten" waren gefälschtes sächsisches Geld, hergestellt mit sächsischen Münzstempeln, versehen mit falscher Jahreszahl und höherem Kupfer- als Silbergehalt; ferner trugen sie ältere Münzmeisterzeichen, so daß man sich über ihren Wert täuschen konnte. Vf. berichtet auch über Bestechungen mit der Absicht, die Ephraimiten in Polen in Umlauf zu setzen. Nathan fällt hierbei als Spiritus rector auf, die verschiedenenartigsten Unternehmungen in Gang zu setzen. Diese Fälschungen führten zu einer Inflation bisher nicht gekannten Ausmaßes; Vf. spricht von vier Fünfteln an Wertminderung. Daraufhätte nach römisch-deutschen Reichsrecht die Reichsexekution in Form der Aberkennung des Münzrechtes gestanden, die nur deshalb unterblieb, weil die Reichsmacht Österreich zu schwach war, ja es wird einsichtig, daß der Hubertusberger Frieden zumeist ein wirtschaftlicher Erschöpfungsfrieden Österreichs war. Seine Begleiterscheinungen waren Inflationen auch in den übrigen kriegführenden Ländern. Nach dem Friedensschluß mußte der alte Münzfuß wieder hergestellt werden; das Ausmaß seiner Umprägung hatte doppelt schlimme Folgen für die schon verarmte Bevölkerung. Auch wenn der Leser den Eindruck der Überspitzung hat, muß er doch diese Fakten akzeptieren: eine Entwertung, die in ihrer Zielrichtung in gleicher Weise wie die Inflation von 1923 die „kleinen Leute" schutzlos traf. Vf. spricht von einem Drittel der Bevölkerung, das Almosenempfänger war, und einer Verelendung wie nach dem 30jährigem Krieg. Die Preisanstiege schlugen bis auf die Märkte von Amsterdam und Hamburg durch, was auch die großen Handelshäuser in Preußen (Gotzkowksy!) und Sachsen traf, wogegen der König die Reingewinne von Nathan Ephraim und seiner Konsorten, für jeden auf 1 Mill. Taler beziffert, unangetastet ließ. Dies Kapital kam zwar der merkantilistischen Aufrüstung Preußens mit Manufakturen zugute, ließ aber soziales Unrecht aufkommen. — Nathan fühlte sich — auch als Jude — seinem König so verpflichtet, daß er den größten Teil seines gewonnenen Kapitals in den Ankauf des Grundstücks am Mühlendamm anlegen konnte. Hier mündet der Gedankengang wieder in das Buch von Born ein; mit den Tagen des Hauses Ephraim begann in Preußen die Emanzipation der Juden sich vorzubereiten. Christiane Knop Deutsche Postgeschichte. Essays und Bilder. Herausgeber: Wolfgang Lotz. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, 1989. 491 S. Ein Jahr vor dem 1990 gefeierten 500jährigen Postjubiläum erschien anläßlich der Neueröffnung des Postmuseums Berlin ein Sammelband mit Aufsätzen und Bildern; die „Deutsche Postgeschichte" ist also kein Nachschlagewerk, das alle Epochen, alle deutschen Länder und alle Sachthemenbereiche handbuchartig abdecken will und kann. Vielmehr geht es meist speziell um Preußen, während andererseits fast immer auch die europäischen Zusammenhänge sichtbar werden, die bei diesem Thema 352
gar nicht ausgeblendet werden können. Politik- und organisationsgeschichtliche Aspekte und biographisches Interesse dominieren gegenüber technik- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen. Die Reihenfolge der Beiträge ist grob chronologisch. Die Suche nach den „historischen Vorläufer(n) des staatlichen Monopolbetriebes Post" (Schneidmüller, S. 10) führt ins Mittelalter und zu Fragen nach dem Boten wesen und der Schriftlichkeit bzw. Verschriftlichung der Nachrichtenübermittlung. Regelmäßige Botendienste sind zunächst in West- und Südeuropa nachweisbar; im 14./15. Jahrhundert verdichten sich dann die Nachrichtenverbindungsnetze. Aber: „Die Post ist in ihren Anfängen nirgendwo eine Institution, deren Beginn sich exakt festschreiben läßt, sondern eine an den Notwendigkeiten und Erfordernissen der Zeit wachsende Einrichtung von zunächst sehr unbestimmten und unregelmäßigen Formen." (Rotter, S. 37). Regelmäßige Postverbindungen erweisen sich als eine neuzeitliche Errungenschaft; wesentliche Modernisierungsschübe ermöglichten dann erst die revolutionären technischen Erfindungen des 19. und 20. Jahrhunderts. „Gedruckte kartographische Hilfsmittel zur Reiseplanung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert" (S. 105-122) stellt Dietrich Pfaehler vor: Pilgerkarten für die Wallfahrt nach Rom, Straßenkarten und Postroutenkarten, Meilenscheiben und Meilenanzeiger zur schnellen Information über die Entfernungen zwischen einzelnen Städten. — Die Postgeschichte der Frühen Neuzeit und zum Teil auch noch des 19. Jahrhunderts ist untrennbar mit der Post-„Unternehmer"-Familie Thurn und Taxis verbunden, den erblichen Reichslehens-lnhabern der kaiserlichen Post, gegen die sich allerdings früh schon der Widerstand von Reichsständen erhob, die das Postregal als Landesregal beanspruchten. Konfessionelle und politische Differenzen riefen Mißtrauen hervor gegenüber „der Reichspost als verlängertem Arm des Kaisers und der katholischen Partei" (Dallmeier, S. 79), hinzu traten Fragen der Porto- und der Postkursgestaltung. Einige der Beiträge über das 19. und 20. Jahrhundert widmen sich führenden Persönlichkeiten des preußischen und deutschen Postwesens, daruner natürlich auch Heinrich (von) Stephan (Martin Vogt, vgl. S. 203—221). In einem Buch über die Post darfauch das Thema „Briefmarken" nicht fehlen, hier ein Beitrag von Stefan Martens über den Zusammenhang von „Post und Propaganda. Das Dritte Reich und die Briefmarken der Deutschen Reichspost 1933—1945" (S. 321—337), in dem der (sehr direkte) Einfluß der politischen Entwicklung auf Thematik und Gestaltung vor allem der Sonderausgaben bis hin zu den letzten, nicht mehr zum Verkauf gelangten Entwürfen nachgezeichnet wird. Beiträge über „Die Deutsche Reichspost im Zweiten Weltkrieg" von Gerd R. Ueberschär (S. 289—320) und über den „Wiederaufbau der Post in Berlin nach 1945" von Gerd Gnewuch (S. 339—355) bilden den chronologischen Abschluß des „Essay"-Teils; der folgende, nach thematischen Schwerpunkten gegliederte Bildteil nimmt etwa ein Viertel des Gesamtumfangs des Bandes ein. Wer das neue Postmuseum Berlin (An der Urania 15) bereits in Augenschein genommen hat, dem wird vieles bekannt vorkommen, was im Bildteil zu sehen ist. Unter dem Gesichtspunkt des BerlinBezugs sei hier lediglich der Abschnitt „Zentrale Berliner Postbauten aus der Amtszeit Heinrich (von) Stephans (1870—1897)" hervorgehoben (S. 436—442); aber auch viele weitere Abbildungen zeigen Berliner Gebäude, Menschen und Ereignisse. Im übrigen liegt der geographische Schwerpunkt nicht nur des Buches, sondern auch der postgeschichtlichen Dauerausstellung im Postmuseum Berlin ganz deutlich auf Preußen. Wer sich darüber hinaus über die Geschichte der Post informieren möchte, findet auf S. 491 eine Liste der Adressen, Öffnungszeiten und Sammlungsschwerpunkte des (zentralen) Deutschen Postmuseums in Frankfurt am Main und der übrigen Postmuseen in der Bundesrepublik Deutschland. Literaturhinweise sind in den Anmerkungen jeweils im Anschluß an die einzelnen Beiträge zu suchen. Der Band besitzt jedoch ein übergreifendes (Personen-) Register. Außer dem Bildteil sind die zahlreichen, zum Teil farbigen Illustrationen im Aufsatzteil zu erwähnen. Auf S. 106/107 wurden offensichtlich die Bildunterschriften vertauscht. Christiane Schuchard „O Charlottenburg, du frauenfreundlichste unter den Städten ..."? Wege zur Frauengeschichte Charlottenburgs 1850—1930. Berlin: Arbeitsgruppe Historischer Stadtrundgang im FFBIZ e.V., 1989, 63 S., 86 Abb., Lageplan. Seit mehreren Jahren veranstaltet das Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrum (FFBIZ) Stadtrundgänge und Fahrradrundfahrten durch den Bezirk Charlottenburg. Die Ergebnisse der Quellensuche und Materialaufbereitung für diese Aktivitäten haben nun auch in einer großformatigen, durchgehend bebilderten Broschüre ihren Niederschlag gefunden. Die räumliche Begrenzung 353
auf Charlottenburg rührt daher, daß das FFBIZ selbst dort ansässig ist („Grabe, wo Du stehst"): die FFBIZ-Räume im Parterre des Hauses Danckelmannstraße 47 haben sogar ihre eigene frauengeschichtliche Tradition, weil dort 1908 die Zweigstelle West der Charlottenburger Volksbibliothek und Lesehalle eröffnet wurde, in der eine auch standespolitisch — in der „Vereinigung bibliothekarisch arbeitender Frauen E. V." - sehr engagierte Bibliothekarin wirkte (vgl. S. 47 f.). Die im Untertitel angegebenen zeitlichen Grenzen werden in der Einleitung („Von Sophie Charlotte zu Hedwig Heyl", S. 5 f.) durch einen kurzen Rückblick auf die Gründung und Sozialgeschichte Charlottenburgs und im Schlußkapitel („Frauenpolitik im Bezirk heute", S. 59) überschritten. Sinnvollerweise ist die Broschüre nicht als eine Art frauengeschichtlicher Baedeker konzipiert, sondern nach Sachthemen gegliedert. (Zur topographischen Orientierung reicht der Lageplan S. 64 f. aus.) Die Abschnitte „Wohnen", „Die Frau in der sozialen Arbeit", „Berufe und Verbände", „Künstlerische Arbeit", „Bewegungsfreiheit" (d.h.: Reformkleidbewegung, Schwimmsport) und „Stimmrechtsbewegung" enthalten jeweils ein oder mehrere kurze Kapitel über einzelne Einrichtungen und/ oder Personen. Erinnert wird an prominente „Charlottenburgerinnen" wie Minna Cauer, Tilla Durieux und Anna von Gierke, aber auch an die miserablen Wohnverhältnisse einer armen Witwe in der Wilmersdorfer Straße und an die Arbeitsbedingungen der Dienstmädchen um 1900. Der besondere Wert der Broschüre besteht jedoch darin, daß sie über eine ganze Reihe von weniger bekannten sozialen Einrichtungen im Bezirk Charlottenburg Daten zusammenstellt und Quellen, Literatur und Bildmaterial nachweist, seien es Wohnhäuser für alleinstehende und berufstätige Frauen oder etwa das Cecilienhaus, Zentrale der städtischen Wohlfahrtseinrichtungen und zugleich Arbeitsstätte des Vaterländischen Frauenvereins Charlottenburg und mehrerer anderer Vereine (vgl. S. 29—32). Um auf geringem Raum (meist nur 2—3 Seiten pro Beitrag) ein Maximum an Informationen zu bieten, sind die Texte sehr knapp formuliert, aber durch zahlreiche Zitate aufgelockert. Reproduktionen von Dokumenten und Bildern, darunter eine ganze Reihe alter Photographien aus verschiedenen Bereichen weiblicher Arbeit, illustrieren die Borschüre. Wieviel Recherchierarbeit darin steckt, lassen die Anmerkungen, der Bildnachweis und die umfangreiche Literaturliste erahnen (vgl. S. 60—63). Durch die vielen Aspekte von Frauengeschichte, die in einer solchen Broschüre nur kurz gestreift werden (können), entsteht immer wieder ein Anreiz zum Weiterforschen und Weiterlesen. Vielleicht können die Bearbeiterinnen ja auch noch einen Ergänzungs- und Fortsetzungsband vorlegen, oder eine erweiterte Fassung in Buchform? Die Broschüre ist nämlich leider nicht im Buchhandel erhältlich, sondern gegen Einsendung von 5 DM in Briefmarken oder direkt beim FFBIZ e. V., Danckelmannstraße 47, 1000 Berlin 19, Telefon 3 2210 35. Christiane Schuchard
E i n g e g a n g e n e B ü c h e r (Besprechung vorbehalten) 1. Bertelsmann Lexikon-Verlag: Die DDR und Berlin, ein Staat und eine Stadt im Brennpunkt der Geschichte. Bertelsmann Lexikon-Verlag Gütersloh und München 1990, 480 Seiten. 2. Brandes, Georg: Berlin als deutsche Reichshauptstadt, Erinnerungen aus den Jahren 1877-1883. Wissenschaft und Stadt, Colloquium Verlag 1989, 619 Seiten. 3. Colze, Leo: Berliner Warenhäuser, Nachdruck der Erstausgabe von 1908, Fannei & Walz Verlag, Berlin, 1989, 83 Seiten. 4. Geist, Joh. Friedrich; Kürvers, Klaus: Das Berliner Mietshaus 1945—1989, Prestel Verlag München 1989, 623 Seiten. 5. Haider, Edgard: Versunkenes Deutschland, auf den Spuren kriegszerstörter Residenzen und Palais. Böhlau Verlag Wien-Köln 1989, 300 Seiten. 6. Heckmann, Hermann: Brandenburg, historische Landeskunde Mitteldeutschlands, Wappen, Münzen, Militär etc. Verlag Weidlich, Würzburg, 1988, 379 Seiten. 7. Hülsbergen, Henrike: Charlottenburg ist wirklich eine Stadt. Aus den unveröffentlichten Chroniken des Johann Gottfried Dresses (1751-1824). Edition Divan Berlin, 1987, 210 Seiten. 8. Jaeckel, Ulrich: Die Charite. Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin. Hestia Verlag München, 1986, 584 Seiten. 9. v. Maltzan, Maria: Schlage die Trommel und fürchte Dich nicht. Erinnerungen. Verlag Ullstein Berlin/Frankfurt, 1986, 270 Seiten. 354
10. Mayer, Ulrich: Die Anfänge der Zionsgemeinde in Berlin. Unio u. Confessio, Luther Verlag, Bielefeld, 1988, 255 Seiten. 11. Ohff, Heinz, und Höynck, Rainer: Das Berlin-Buch. Stapp Verlag Berlin, 1987, 239 Seiten. 12. Posener, Julius: Villen u. Landhäuser in Berlin. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin, 1989, 131 Seiten. 13. Ribbe/Schäche: Baumeister. Architekten. Stadtplaner. Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins. Historische Kommission zu Berlin, Stapp Verlag Berlin, 1987, 710 Seiten. 14. Seiler, Michael: Das Palmenhaus auf der Pfaueninsel, Geschichte seiner baulichen und gärtnerischen Gestaltung. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Berlin, 1989, 131 Seiten. 15. Sodan, Günter: Die Technische Fachhochschule Berlin im Spektrum Berliner Bildungsgeschichte. Verlegt vom Präsidenten der Technischen Fachhochschule Berlin, Lütticher Str. 37, Bln. 65, 1988, 465 Seiten. 16. Stattreisen Berlin e.V.: Berlin Tour 1, eine Rundfahrt auf Abwegen zwischen Funkturm und Brandenburger Tor. Stattbuchverlag Berlin, 1989, 224 Seiten. 17. Stattreisen e.V.: Die Kulturmeile, ein Spaziergang zwischen Botschaftsruinen und Kunsttempeln in Berlins altem Westen. Stattbuchverlag Berlin, 1989, 159 Seiten. 18. Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz: Allgemeine Kartensammlung Provinz Brandenburg, Spezialinventar. Böhlau Verlag Köln/Wien, 1988, 536 Seiten. 19. Wallot, Paul: Das Reichstagsgebäude in Berlin. Nachdruck der Ausgabe Leipzig, Cosmos Verlag f. Kunst u. Wissenschaft 1897/1913. Verlag Georg Westermann Braunschweig, 1987, 43 Seiten Text mit großem Bildteil. 20. Wilde, Alexander: Das Märkische Viertel. Verlag Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin, 1989, 230 Seiten.
Im III. Quartal 1990 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Bahl, Peter, stud. phil. Waltraudstraße 43, 1000 Berlin 37 (Bibliothek) Eicke, Dr. Hans, Studienrat Spindelmühler Weg 5, 1000 Berlin 45, Tel. 81128 05 (Bibliothek) Funke, Manfred, wiss. Bibliothekar Finnländische Straße 16, O-1071 Berlin, Tel. 4486878 Knoch, Monika, Diplomverwaltungswirtin Rathausstraße 12, 1000 Berlin 42, Tel. 7058484 (Horst Koths) Knoch, Wolfgang, Diplomverwaltungswirt Rathausstraße 12, 1000 Berlin 42, Tel. 7058484
(Horst Koths, ehem. Mitglied) Schulz, Volker, kaufm. Angestellter Perleberger Straße 31, 1000 Berlin 21, Tel. 3954557 (Artikel in der BZ) Thun, Susanne, Hausfrau Fregestraße 26, 1000 Berlin 41, Tel. 8519998 Zacher, Erika, Lehrerin Mollstraße 6, O-1020 Berlin, Tel. 4367840 (Frau Ingrid Ludwig)
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Veranstaltungen im IV. Quartal 1990 1. Sonnabend, den 27. Oktober 1990, 11.00 Uhr: Spaziergang „Rund um den Chamissoplatz". Leitung: Herr Günter Wollschlaeger. Treffpunkt: Nostiz — Ecke Arndtstraße. 2. Sonnabend, den 3. November 1990, 12.00 Uhr: Führung durch die Ausstellung „Bismarck — Preußen, Deutschland, Europa". Im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße Nr. 110, 1000 Berlin 61. Telefonische Anmeldungen im Führungsbüro in der Zeit von Montag bis Freitag 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr unter 25 48 67 77. Treffpunkt im Foyer. Gruppenpreis 6,— DM. 3. Sonntag, den 18. November 1990,11.00 Uhr: Führung durch den Ortsteil Alt-Köpenick. Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt am Bahnhof, Ecke Lindenstraße. Fahrverbindungen: S-Bhf. Köpenick oder Spindlersfeld mit kurzem Fußweg. 4. Sonnabend, den 15. Dezember 1990,18.00 Uhr: Vorweihnachtliches geselliges Beisammensein im Hospiz am Bahnhof Friedrichstraße, Albrechtstraße 8, Berlin 1040. In der Nähe des „Deutschen Theaters" und der „Kammerspiele". Telefonische Anmeldungen unter 8 54 5816 ab 19.00 Uhr bis zum 5. Dezember 1990. Nach dem Kalten Delikateßbüffett im Höchstfall für 30 DM pro Person, der Betrag richtet sich nach der Teilnehmerzahl, um 19.30 Uhr oder 20.00 Uhr eine Lesung „Welthauptstadt des Theaters, Meister der Regie, Elite der Schauspielkunst" aus „Das war Berlin" von Bernd Ruhland.
Beilagenhinweis: Unserer Ausgabe liegt ein Prospekt des Verlages H. Scherer GmbH bei. Wir bitten unsere Leser um freundliche Beachtung.
Bibliothek: Berliner Straße 40, 1000 Berlin 31, Telefon 87 2612. Geöffnet: mittwochs 16.00 bis 19.30 Uhr. Vorsitzender: Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 1000 Berlin 20, Telefon 3 332408. Geschäftsstelle: Frau Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 1000 Berlin 45, Telefon 77234 35. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Bemdt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Telefon 45 09-291. Schatzmeisterin: Frau Ruth Koepke, Temmeweg 38, 1000 Berlin 22, Telefon 3 65 76 05. Konten des Vereins: Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102, 1000 Berlin 21; Berliner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung: Günter Wollschlaeger, Kufsteiner Straße 2, 1000 Berlin 62; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,1000 Berlin 28; Roland Schröter. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 356
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