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German Pages 330 [331] Year 2022
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 206
Entstehung und Praktiken der deutschen Fusionskontrolle Eine Untersuchung zu Verfahren der chemischen Industrie vor dem Bundeskartellamt (1973–1989)
Von
Verena Höhne
Duncker & Humblot · Berlin
VERENA HÖHNE
Entstehung und Praktiken der deutschen Fusionskontrolle
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 206
Entstehung und Praktiken der deutschen Fusionskontrolle Eine Untersuchung zu Verfahren der chemischen Industrie vor dem Bundeskartellamt (1973–1989)
Von
Verena Höhne
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D30 Alle Rechte vorbehalten © 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-18648-8 (Print) ISBN 978-3-428-58648-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im August 2021 fertiggestellt und im Wintersemester 2021/22 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Promotionsleistung angenommen. Sie ist aus dem interdisziplinären Schwerpunktprogramm 1859 „Erfahrung und Erwartung. Historische Grundlagen ökonomischen Handelns“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hervorgegangen. Besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater und Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Louis Pahlow, für die Betreuung dieser Arbeit und die Möglichkeit, an seinem Lehrstuhl zu arbeiten. Vor allem für die fortlaufende Unterstützung und die vielfältigen Anmerkungen, von der Themenfindung bis zum Abschluss des Promotionsverfahrens, bin ich zu Dank verpflichtet. Darüber hinaus danke ich Herrn Professor Dr. Guido Pfeifer für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Professor Dr. Albrecht Cordes für die Übernahme des Vorsitzes der Prüfungskommission. Ein weiterer Dank geht an meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls für die wertvollen Anregungen und den Austausch im Doktorandenseminar. Insbesondere Herrn Dr. phil. Franz Hederer danke ich für die Durchsicht der Manuskriptfassung mit dem Blick eines Historikers sowie Frau Catherine Rossmann und Herrn Dr. Felix Jehle für die angenehme gemeinsame Zeit am Lehrstuhl. Frau Dr. Theresa Ntinas danke ich herzlich für die Durchsicht des Manuskripts und für die fachliche, moralische und vor allem freundschaftliche Unterstützung in allen Lebenslagen. Meinen Eltern, Regine und Fritz Rassow, sowie meinem Bruder, Oliver Rassow, danke ich aufrichtig für den uneingeschränkten familiären Rückhalt und dafür, dass sie mich auf humorvolle Art und Weise immer wieder daran erinnern, worauf es im Leben wirklich ankommt. Herzlicher Dank gebührt schließlich meinem Ehemann, Dr. Michael Höhne, nicht nur für die gründliche und kritische Durchsicht des Manuskripts, sondern insbesondere dafür, dass er immer an mich glaubt und mich bedingungslos dazu ermutigt und dabei unterstützt, meine Ziele zu erreichen. Ohne ihn wäre die Arbeit in dieser Form nicht entstanden. Frankfurt am Main, im Mai 2022
Verena Höhne
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
17
A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 C. Fragestellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1. Teil
Die Einführung der Fusionskontrolle in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
22
1. Kapitel
Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung im GWB 1958
A. Die Debatte um die Fusionskontrolle in der Entstehungsgeschichte des GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Josten-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Regierungsentwurf in der ersten Legislaturperiode . . . . . . . . . . . 2. Die Wiedereinbringung des Regierungsentwurfs in der zweiten Legislaturperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
23 27 34 35 38
B. Die Diskussion und das Ausbleiben einer Fusionskontrolle im GWB . . . . . . 39 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Kapitel
Die Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 1980
47
A. Die Diskussion um eine Fusionskontrolle bis zur ersten Novellierung des GWB von 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Konzentrationsenquete von 1960–1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Konzentrationsbericht der Bundesregierung 1962 . . . . . . . . . . . . . . III. Die Fusionskontrolle und die erste GWB-Novelle 1965 . . . . . . . . . . . .
48 50 52 54
B. Der Weg zur Fusionskontrolle im GWB 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
10 Inhaltsverzeichnis I.
II.
Novellierung 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Referentenentwurf vom 20.03.1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Referentenentwurf vom 28.10.1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Novellierungen 1976 und 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56 59 61 64
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Kapitel
Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB
66
A. Die adäquaten Leitbilder der Wettbewerbspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Die vollständige Konkurrenz und der Ordoliberalismus nach Eucken . . 69 II. Die „workable competition“ und der funktionsfähige Wettbewerb nach Kantzenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 III. Der freie Wettbewerb unter Hoppmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 B. Der Wandel in der Wirtschaftspolitik und ihr Einfluss auf das Kartellrecht . . I. Die Stellungnahmen des Bundeskartellamtes zur Fusionskontrolle . . . . II. Das neue wettbewerbspolitische Leitbild und die „Neue Wirtschaftspolitik“ als Grundlage einer Änderung der Einstellung zur Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Politische Bemühungen und der zunehmende Konzentrationsanstieg . . IV. Auswirkungen der Theorien auf die Ausgestaltung der Fusionskon trolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79 80 85 90 94
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
2. Teil
Fusionskontrolle in der Praxis – Empirische Untersuchung des Untersagungsverfahrens durch das Bundeskartellamt anhand historischer Fallbeispiele
100
4. Kapitel
Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes
102
A. Das Bundeskartellamt: Einrichtung, Aufbau und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Das Ermittlungs- und Untersagungsverfahren der Fusionskontrolle . . . . . . . . 107 C. Der Quellenkorpus: Untersagungsverfahren zwischen 1973 und 1989 . . . . . . I. Veba/Gelsenberg (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gründung der Bitumen-Verkaufsgesellschaft (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bayer/Metzeler (1974) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. IBH/Wibau (1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bayer/Firestone (1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 115 117 118 120 121
Inhaltsverzeichnis11 VI. Linde/Agefko (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Hüls/Condea (1986) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Messer Griesheim/Buse Gase (1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Linde/Lansing (1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122 123 124 125
5. Kapitel
Die Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen 126
A. Die auslegungsbedürftigen Normen und Vermutungsregelungen der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwischen Amt, Gericht und Politik: Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung in den Verfahrensakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vermutungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Marktbeherrschungsvermutung des § 22 Abs. 3 GWB 1973 . . . 2. Die Marktbeherrschungsvermutungen des § 23a GWB 1980 . . . . . . 3. Die Marktbeherrschungsvermutungen in den Verfahrensakten . . . . . B. Informelle Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rahmenbedingungen informeller Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Würdigung und Anreizwirkungen informeller Verfahren . . . III. Empirische Untersuchung informeller Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Sondieren im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das informelle Unternehmensverhalten nach offiziellem Prüfungsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127 128 130 133 137 137 139 140 143 144 147 149 150 152 155
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6. Kapitel
Errichtung des Informationsmanagements
A. Informationsgenerierung und -asymmetrien im Fusionskontrollverfahren . . . I. Informationsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationsübermittlung und -ergänzung durch fusionsbeteiligte Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliche Medien und Befragungen Dritter als Informationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Instrumentalisierung des sog. Abmahnschreibens sowie der Untersagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidende Prognosekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162 163 164 166 171 179 180 180 181
12 Inhaltsverzeichnis 2. Verwertung geschätzten Datenmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Befragungsauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 B. Behördeninternes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 C. Instrumentalisierung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 7. Kapitel
Die Erwartungsbildung und -entscheidung
A. Die Beurteilung von Marktbeherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Feststellung der Marktbeherrschung auf dem abgegrenzten Markt . . . . 1. Marktbeherrschung und Marktanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere marktrelevante Strukturmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strukturkriterien zur Feststellung der Entstehung und Verstärkung von Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strukturkriterien als Vermutungswiderlegung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wettbewerbstheoretische bzw. -politische Auswirkung auf die Anwendung der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirtschaftspolitisches Verhältnis zwischen dem Bundeskartellamt und dem Bundesministerium für Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Politisch motivierte Interventionsversuche außerhalb des Bundesministeriums für Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Politische Kriterien und Schutz von kleinen oder mittleren Unter nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirtschaftstheoretische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 202 202 208 209 213 215 219 221 221 222 224 226 227
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
3. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse
231
Anlage A–H
235
Anlage A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Anlage B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Anlage C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Anlage D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Anlage E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
Inhaltsverzeichnis13 Anlage F . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Anlage G . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Anlage H . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
Abkürzungsverzeichnis ABl.
Amtsblatt der Europäischen Union
Abs. Absatz Abt. Abteilung AG Aktiengesellschaft Art. Artikel Aufl. Auflage BAL
Bayer-Archiv Leverkusen
BAnz. Bundesanzeiger BB Betriebs-Berater Bd. Band BDI
Bundesverband der Deutschen Industrie
BFM
Bundesfinanzministerium
BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BKartA Bundeskartellamt BMF
Bundesministerium der Finanzen
BMWi
Bundesministerium für Wirtschaft
BRD
Bundesrepublik Deutschland
BR-Drucks.
Bundesrat Drucksachen
bspw. beispielsweise BT-Drucks.
Bundestag Drucksachen
BWM Bundeswirtschaftsminister bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
CSU
Christlich-Soziale Union in Bayern
DB
Der Betrieb
ders. derselbe d. h.
das heißt
DIHT
Deutscher Industrie- und Handelstag
Ed. Edition
Abkürzungsverzeichnis15 f./ff. folgende FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FDP
Freie Demokratische Partei
Fn. Fußnote FS Festschrift GB/BHE
Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten
ggf. gegebenenfalls GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GWB
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Hg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. d. R.
in der Regel
i. e.
id est
insb. insbesondere i. R. d.
im Rahmen des/im Rahmen dessen
i. S. d.
im Sinne des
i. S. v.
im Sinne von
i. V. m.
in Verbindung mit
JbNSt
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik
JWG
Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte
Kap. Kapitel KG Kammergericht KMU
kleine und/oder mittlere Unternehmen
LKartA Landeskartellamt m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
o. A.
ohne Angabe
o. J.
ohne Jahresangabe
OLG Oberlandesgericht Ordo
Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft
o. S.
ohne Seitenangabe
RA Rechtsanwalt RAe Rechtsanwälte sog.
sogenannt, sogenannten
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
TB Tätigkeitsbericht
16 Abkürzungsverzeichnis u. und u. a. unter anderem usw. und so weiter u. U. unter Umständen UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vgl. vergleiche VSWG Vierteljahreszeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VV Vorverfahren WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WuW Wirtschaft und Wettbewerb WuW/E Entscheidungssammlung der Zeitschrift WuW z. B. zum Beispiel ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZögU Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZUG Zeitschrift für Unternehmensgeschichte
Einleitung A. Problemstellung Am 19.01.2021 ist die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft getreten, welche auch als „GWB-Digitalisierungsgesetz“ bezeichnet wird.1 Notwendig war die Reform, um das GWB dem Wandel der Zeit anzupassen und die inzwischen nicht mehr aus unserer Gesellschaft wegzudenkenden sog. digitalen Märkte ausreichend zu erfassen.2 Während aber die Instrumentarien des GWB, mit denen die heutigen Kartellbehörden im Falle ihres Einschreitens operieren, inzwischen durch eine jahrzehntelange Anwendungspraxis etabliert und gefestigt sind, ist bislang kaum untersucht worden, wie diese Errichtung generell erfolgte. Das Kartellrecht basiert auf drei Kernsäulen, erstens dem Kartellverbot, zweitens der Missbrauchskontrolle und drittens der Fusionskontrolle.3 Auf letztere fokussiert sich diese Arbeit. Mit der Fusionskontrolle,4 die ein Eingriffsinstrumentarium des GWB darstellt, verfolgt das Bundeskartellamt etwa den Zweck, „den Wettbewerb als funktionsfähigen Prozess zu schützen“.5 Gleichzeitig dienen die Fusionskontrollvorschriften aber auch dazu, „die Freiheit des Wettbewerbs bzw. die Freiheit der Wettbewerber, die an diesem Prozess teilnehmen, strukturell zu sichern“.6 In einem 2012 herausgegebenen Leitfaden verweist das Bundes1 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer Bestimmungen (GWB-Digitalisierungsgesetz) vom 18.01.2021, BGBl. I 2021, S. 2; zu den wesentlichen Gesetzesänderungen siehe Bosch, NJW 2021, 1791. 2 Zur Debatte vgl. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw44-dedigitales-wettbewerbsrecht-798194 [Stand: 02.08.2021]. 3 Zu den Säulen des Kartellrechts vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Die Kernsäulen des GWB, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Artikel/Wirtschaft/kernsaeulen-des-gwb.html [Stand: 02.08.2021]; Ahrens, Europäisches und internationales Wirtschaftsprivatrecht, S. 194 Rn. 516. 4 Die Begriffe Fusionskontrolle, Zusammenschlusskontrolle und Konzentrationskontrolle werden im Verlauf der Arbeit synonym verwendet. 5 Bundeskartellamt, Leitfaden zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle, S. 2 Rn. 6. 6 Bundeskartellamt, Leitfaden zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle, S. 3 Rn. 6.
18 Einleitung
kartellamt im Rahmen der Erläuterung des Schutzes von Wettbewerb noch auf die Gesetzesbegründung zur zweiten GWB-Novelle aus dem Jahre 1973, mit welcher die Fusionskontrolle eingeführt wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass auch der Wortlaut der heute normierten Vorschrift zur Fusionskontrolle in § 36 Abs. 1 GWB sich nur geringfügig von der im Jahre 1973 erlassenen Fusionskontrollnorm des § 24 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 1 GWB 1973 unterscheidet.7 Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Regulierung des Wettbewerbs zu einem Kernelement der Wirtschaftspolitik. Es brach eine neue Ära des Wettbewerbs und dessen Regulierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an: Während der Fokus der Regulierung bei Einführung und Inkrafttreten des GWB8 im Jahre 1958 auf dem Verbot von Kartellen lag, verlagerte sich das Hauptaugenmerk gleichwohl in den auf den Erlass des Gesetzes folgenden Jahren auf die Einführung einer Fusionskontrolle. Zwar war die Regelung einer Zusammenschlusskontrolle bereits im Regierungsentwurf zum GWB angedacht,9 sie wurde aber erst fast 20 Jahre später mit der zweiten GWBNovelle im Jahre 1973 normiert.10 Danach oblag es den Beamten des Bundeskartellamtes, eine Prognose zu stellen, ob gem. § 24 Abs. 1 GWB 1973 zu „erwarten“ war, dass „durch Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stel lung entsteht oder verstärkt“ wurde. Mittlerweile stellt die Fusionskontrolle ein essenzielles und fundamentales Steuerungsmittel im System der Wettbewerbsregulierung dar. Die Zusammenschlusskontrolle entfaltete sich zu einem wirksamen Instrument zur Verhinderung wirtschaftlicher Machtballungen. Der Erfolg der Fusionskontrolle auf nationaler Ebene war auch grundlegend für die Einführung einer euro päischen Fusionskontrolle im Jahre 1989 durch die europäische Fusionskontrollverordnung.11 Auch heute noch wird sie national sowie auf europäischer
7 Zu
den §§ des GWB 1973 siehe Anlage G. gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.07.1957, BGBl. I 1958, S. 1081. 9 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462; wortgleich mit der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/ 1158. 10 Zweites Gesetz zur Änderung des GWB vom 03.08.1973, BGBl. I 1974, S. 917; zur Fusionskontrolle der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl siehe Witschke, Gefahr für den Wettbewerb?, Berlin 2009. 11 Die erste europäische Fusionskontrollverordnung war die Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L Nr. 395 vom 30.12.1989, S. 1 ff. 8 Gesetz
Einleitung19
Ebene aktiv ausgeübt. Seit dem Vordringen des „more economic approach“12 und der Revision der europäischen Fusionskontrollverordnung13 wird in Forschung und Praxis zumeist der Frage nachgegangen, ob die Prognose an sich insgesamt ökonomisch fundierter erfolgen kann.14 Die – vorgeordnete – Frage, wie die Beamten des Bundeskartellamtes in Deutschland eine Erwartungsentscheidung treffen, findet kaum Beachtung und stellt damit weiterhin ein Forschungsdesiderat dar. Die Erwartung an künftige Markt- und Wettbewerbsentwicklungen war eine elementare Voraussetzung nicht nur für das ökonomische Handeln der Unternehmen, sondern auch der administrativen und gerichtlichen Regulierungsakteure. So wurde die Zusammenschlusskontrolle in § 24 Abs. 1 GWB 1973 als Entscheidung, die sich an konkreten Erwartungen zu orientieren hatte (Erwartungsentscheidung), im Jahre 1973 normiert, wobei die Erwartung wiederum mit dem Phänomen der Marktbeherrschung verknüpft wurde. Dies stellte die – für die Erwartungsentscheidung zuständigen – Beamten des Bundeskartellamtes ab 1973 vor die Aufgabe, Entscheidungen auf einem Feld zu treffen, auf dem man in Deutschland über keine Erfahrungen verfügte. Zwar gab es theoretische Konzepte zu den relevanten Fragestellungen der Entscheidungsbildung. Ob die Beamten aber auf solche bei der Erwartungsprognose zurückgriffen, ist bisher nicht untersucht oder dargelegt worden.
B. Forschungsstand In den letzten Jahrzehnten konzentrierte sich das Interesse der geschichtswissenschaftlichen sowie teilweise auch der rechtshistorischen Forschung hinsichtlich der Bestimmung der Unternehmenskonzentration und deren rechtlicher bzw. institutioneller Rahmenbedingungen im 20. Jahrhundert auf drei Bereiche: Historische Entwicklung von Kartellen inklusive ihrer Entstehungsbedingungen, Wirkungen und Funktionen,15 Fallstudien zu einzelnen
12 Nach Lademann steht der „more economic approach“ für eine „effektbasierte Kartellrechtsanwendung, die ihre Eingriffe am Maßstab der Konsumentenwohlfahrt orientiert“, hierzu Lademann, in: FS Möschel, S. 381–394. 13 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.01.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L Nr. 24 vom 29.01.2004, S. 1 ff. 14 Statt vieler Markopoulos, Juristische und ökonomische Prognosemethoden, S. 15. 15 Hierzu u. a. Jovović, JWG 2012, S. 237–273; Schröter, JWG 2012, S. 87–102; ders., in: Müller/Schmidt/Tissot (Hg.), Regulierte Märkte, S. 199–211; Galke, Kartelle und Staat, 2016.
20 Einleitung
Unternehmen und Wirtschaftsbereichen16 und gesetzgebungs- bzw. dogmengeschichtliche Arbeiten zum Kartellrecht17. Die Arbeiten konzentrieren sich dabei weitgehend auf die staats- und wirtschaftspolitischen Wirkungszusammenhänge; die rechtshistorischen Untersuchungen zur Unternehmenskonzentration haben sich bislang lediglich auf die Gesetzgebung beschränkt.18 Die Wurzeln der deutschen Zusammenschlusskontrolle wurden bislang nicht grundlegend untersucht. Auffällig ist, dass zum einen das Entscheidungsverhalten der jeweiligen Akteure kaum oder nur bedingt in die Analyse miteinbezogen wurde und zum anderen die Arbeitsweise der Kartellbehörden in Bezug auf eine konkrete Erwartungsbildung hinsichtlich der Wettbewerbsentwicklung bei Fusionen nicht systematisch untersucht wurde. Auch eine Analyse des Einflusses von der Entscheidungspraxis der Kartellbehörden auf die legislativen und wirtschaftshistorischen Entwicklungen fand bisher kaum statt.
C. Fragestellung und Gang der Untersuchung Exemplarisch wird im Folgenden anhand von untersagten Fusionen primär, aber nicht ausschließlich im Bereich der chemischen Industrie – welche aufgrund ihrer Komplexität eine besondere Herausforderung für die Akteure des Bundeskartellamtes darstellte – detailliert rekonstruiert,19 wie Kartellbehörden Marktbeurteilungen vorgenommen und Prognoseentscheidungen getroffen haben, welche Informationen sie dafür heranzogen und wie diese verarbeitet und in ökonomische Erwartungen umgesetzt wurden. Dabei werden gezielt Erfahrungs- und Lernprozesse herausgearbeitet und identifiziert. Vorrangig wird danach gefragt, wie Kartellbehörden Erwartungen in Bezug auf den Wettbewerb bildeten. Hierzu wird auch der Frage nachgegangen, welche Wettbewerbsvorstellungen dieser Erwartungsbildung zugrunde gelegt, adaptiert, modifiziert oder verworfen wurden. Da eine Nichtuntersagung keine behördliche Entscheidung darstellte, somit nicht der Aufbewahrungspflicht unterlag und folglich keine Akten davon 16 Solche bearbeiten etwa Hilger, ZUG 2001, S. 198–220; Pohl, Competition and Cooperation of Enterprises on National and International Markets (19th–20th Century), 1997; Plumpe, Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945, 1990. 17 Siehe z. B. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, 2004; Gerber, Law and Competition in twentieth century Europe, 1998; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994. 18 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, 2004; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994; ders., Die Republik der Wirtschaft, Teil I und II, 1999 und 2007. 19 Explizit von der Untersuchung ausgenommen ist die Stahlindustrie, für welche europäische Regelungen galten; eingehend zu dieser Thematik siehe Witschke, Gefahr für den Wettbewerb?, 2009.
Einleitung21
zur Verfügung standen, konnten solche Entscheidungen in dieser Arbeit nicht zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Fusionen auf Pressemärkten finden hier ebenfalls keine Berücksichtigung, weil auf diesen Sonderregelungen für die Zusammenschlusskontrolle galten.20 Die Untersuchung ist in drei Teile gegliedert: In einem ersten Schritt wird den Gründen nachgegangen, weshalb eine Fusionskontrollnorm erst nach jahrelangen politischen Auseinandersetzungen, 15 Jahre nach Inkrafttreten des GWB, Eingang in das Gesetz fand und welche Rolle Wettbewerbstheorien sowie das wettbewerbspolitische Leitbild dabei einnahmen (1. Teil). Hierzu werden die Entstehungsgeschichte der Fusionskontrollnorm nachgezeichnet (1. und 2. Kapitel) und deren Ursachen (3. Kapitel) analysiert. In einem zweiten Schritt werden regulative Entscheidungsprozesse empirisch anhand von Verfahrensakten des Bundeskartellamtes zu Untersagungsentscheidungen von Unternehmenszusammenschlüssen exemplarisch analysiert (2. Teil). Dabei werden insbesondere Similaritäten der Akten herausgearbeitet sowie auffällige Einzelfallbeispiele dargestellt, um Aussagen über die Häufigkeit von Anwendungsfällen treffen zu können. Konkret wird untersucht, ob sich im Rahmen der Entscheidungsprozesse eigene Verfahrens- und Regulierungsmechanismen herausbildeten und wie sich das Informationsmanagement der Behörde errichtete. Anschließend wird herausgearbeitet, welche Kriterien der Erwartungsbildung und -entscheidung zugrunde gelegt wurden und ob bzw. inwieweit wettbewerbstheoretische Leitbilder und die Wettbewerbspolitik in den Entscheidungen rezipiert wurden. Diesbezüglich werden zu Beginn des zweiten Teils das Untersagungsverfahren und die zu untersuchenden Fallbeispiele nachgezeichnet (4. Kapitel). Anschließend werden die Verfahrensakten zum einen dahingehend analysiert, ob sich Kooperationsformen oder eigene Regulierungsmechanismen manifestierten (5. Kapitel), zum anderen werden die Akten bezüglich des Informationsmanagements der Kartellbehörde (6. Kapitel) ausgewertet. Abschließend werden die entscheidenden Erwartungskriterien des Bundeskartellamtes bei seiner Zusammenschlussprognose herausgefiltert und auf wettbewerbspolitische und -theo retische Einflüsse hin untersucht (7. Kapitel). In einem dritten Schritt werden die zuvor im Rahmen der Untersuchung erlangten Erkenntnisse und Ergebnisse zusammengefasst und münden in einem Fazit (3. Teil).
20 Zu
den Sonderregelungen vgl. 2. Kap. B. II.
1. Teil
Die Einführung der Fusionskontrolle in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Die Einführung einer Fusionskontrolle in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)1 war ein langjähriger komplexer Vorgang. Um die Etablierung der Fusionskontrolle zu verstehen, ist es zunächst notwendig, den Entstehungsprozess der Regelung zu rekonstruieren, um anschließend mögliche wirtschaftspolitische oder ‑theoretische Durchschläge auf die Hand habung der Fusionskontrolle herausfiltern zu können. Der Normierungsprozess fand nicht nur im Rahmen der Vorarbeiten zum GWB von 1958 statt, sondern noch Jahrzehnte darüber hinaus, bis zum Erlass der zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973.2 Zwar gab es bereits seit 1952 mehrfach GWB-Entwürfe, die eine Zusammenschlusskontrolle vorsahen, normiert wurde eine solche zunächst dennoch nicht. Deshalb stellt sich die Frage nach dem Grund einer solch späten Normierung. Denkbar wäre, dass veränderte politische Rahmenbedingungen dafür verantwortlich sind. Möglicherweise gab es aber auch einen Wandel im Verständnis von Wettbewerb, auf den die Einführung einer Fusionskontrolle zurückgeführt werden könnte. Letzteres liegt besonders nahe, da bereits im Jahre 1969 Wolfgang Kartte, Ministerialrat und Leiter des zuständigen Wettbewerbsreferats im Bundesministerium für Wirtschaft und später zweiter Präsident des Bundeskartellamtes, das Buch „Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik“ veröffentlichte, in dem er für eine Fusionskontrolle plädierte.3 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Wettbewerbspolitik tatsächlich einem Wandel unterlag und ob möglicherweise dieser die Normierung ermöglichte.
1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.07.1957, BGBl. I 1957, S. 1081. Das GWB hatte historische Vorläufer in Deutschland und war den Einflüssen der Alliierten ausgesetzt. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des GWB bereits: Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, 1976; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, 2004; Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), 1977. 2 Zweites Gesetz zur Änderung des GWB vom 03.08.1973, BGBl. I 1973, S. 917. 3 Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 50.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung23
Deshalb zeichnet der erste Teil der Arbeit die langjährigen Debatten innerhalb der Entstehungsgeschichte des GWB 1958 (1. Kapitel) bis hin zur Einführung einer Fusionskontrollregelung 1973 und Novellierung 1980 nach (2. Kapitel) und filtert die – weitgehend mit Bereichen außerhalb des Rechts verknüpften – Ursachen der Normeinführung heraus (3. Kapitel). 1. Kapitel
Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung im GWB 1958 In der Wettbewerbspolitik spielt die Fusionskontrolle eine besondere Rolle. Jahrzehntelang war sie eines der Kernelemente in den Diskussionen des Gesetzgebers und der Wirtschaftstheorie. Das GWB trat 1958 nach langen Auseinandersetzungen zunächst ohne Fusionskontrolle in Kraft. Auch heute noch wird das GWB in der Literatur als „eines der kontroversesten Gesetzgebungsvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik“ bezeichnet.4 Eingang in das GWB erhielt die Kontrolle erst durch die zweite GWB-Novelle im Jahre 1973. Um die Hintergründe und die Entstehungsgeschichte der Zusammenschlusskontrolle zu verstehen, muss der Blick auch auf die ersten Entwürfe des GWB gerichtet werden. Es wird nunmehr zunächst der Frage nachgegangen, wie eine ursprünglich geplante Fusionskontrollregelung in die Regierungsentwürfe zum GWB Eingang fand (A.). Anschließend wird erörtert, weshalb man trotz langjähriger Diskussionen von der Normierung einer Fusionskontrolle in der Ursprungsfassung des GWB von 1958 absah (B.).
A. Die Debatte um die Fusionskontrolle in der Entstehungsgeschichte des GWB Das GWB hat prinzipiell die Aufgabe, Marktbeherrschung zu verhindern sowie den Wettbewerb und die Marktwirtschaft zu schützen.5 Als marktbeherrschend galt ein Unternehmen nach § 22 Abs. 1 GWB 1958, wenn es „für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne Wettbewerber“ war „oder keinem wesentlichen Wettbewerb“ seitens anderer Unternehmen ausgesetzt war.6 Auch konnte Marktbeherrschung bei einem Unternehmenszusammenschluss eintreten, wenn dadurch die Funktion des WettbeGötz, WRP 2007, S. 741. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 21. 6 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C. 4 von
5 Vgl.
24
1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
werbs als marktregulierendes Element verloren ging. Deshalb gab es bereits vor Entstehung des GWB über die Einführung einer Fusionskontrolle politische Debatten. So gab es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, ob die Fusionskontrolle das richtige Instrumentarium dafür sei, Unternehmenskonzentration bereits in ihrer Entstehung abzuwenden, und somit dazu beitrage, Marktbeherrschung präventiv zu verhindern. Eine Reglementierung von Unternehmenskonzentration und Kartellbildung, wie man sie heute kennt, gab es nämlich vor dem Zweiten Weltkrieg, mithin vor Erlass des GWB, noch nicht.7 Die Einführung des GWB hängt sehr eng mit der Besatzungspolitik der Alliierten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Vor allem die USA drängten nicht nur auf eine Dekartellierung der weithin konzentrierten Rohstoff- und Industriesektoren, sondern auch auf eine rechtliche Wettbewerbskontrolle.8 Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand somit der Plan, Kartelle gänzlich zu verbieten.9 Die Wettbewerbspolitik der Nachkriegszeit war daher geprägt von der Diskussion über die Schaffung eines Kartellgesetzes. Die ablehnende Einstellung gegenüber Kartellen basierte vor allem auf der Tradition des amerikanischen Antitrustrechts.10 Vor 1945 existierte in Deutschland kein Kartellrechtsregime, das eine Unternehmenskonzentration wirkungsvoll hätte verhindern können.11 Vielmehr wurde die Konzentration von Unternehmen teilweise sogar durch den Staat begünstigt und gefördert.12 In den Augen der Alliierten war die Konzentration unternehmerischer Marktmacht eine Ursache für die militärische Aufrüstung und die Aggression der Nationalsozialisten.13 Die Konzentration innerhalb der deutschen Wirtschaft und die vorhandenen Kartelle sollten durch Entflechtungs- sowie Dekartellierungsmaßnahmen beseitigt werden.14 Als rechtliche Grundlage dieser Maßnahmen erließen die Siegermächte jeweils
Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 9. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 36 ff. u. 48 ff.; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 160 f.; Witschke, Gefahr für den Wettbewerb?, S. 51 ff. 9 Hierzu Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 6 ff.; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 48; Hesse, in: Hockerts/Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, S. 29, 34. 10 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 12. 11 Zur Wettbewerbspolitik vor 1945: Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 7–136; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 22; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 61–85. 12 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 29 f.; zur Zwangskartellgesetzgebung vgl. auch Maetschke, Ursprünge der Zwangskartellgesetzgebung, S. 12 ff. 13 Vgl. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 12, 31. 14 Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 6 ff. 7 Nettesheim/Thomas, 8 Vgl.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung25
eigene Gesetze und Verordnungen.15 Durch die Militärgesetzgebung wurde ein Kartellverbot in Deutschland eingeführt, wie anhand des Gesetzes Nr. 56 der amerikanischen Verordnung vom 12.02.1947 „Prohibition Of Excessive Concentration Of German Economic Power“ ersichtlich wird: „Article 1 Prohibition of restrictive and monopolistic enterprises and practices 1. Excessive concentrations of German economic power, whether within or without Germany and whatever their form or character, insofar as such concentrations or any part or activity thereof are subject to the jurisdiction of Military Government, are prohibited, their activities are declared illegal and they shall be eliminated, except as hereinafter provided in Article III.“16
Zum Plan der amerikanischen Militärregierung gehörten die Zerschlagung der deutschen Kartellwirtschaft sowie die Schaffung eines Kartellgesetzes im amerikanischen Sinne.17 Die Zielsetzung der amerikanischen Alliierten war allerdings widersprüchlich: Einerseits sollte die deutsche Wirtschaftsmacht zur Friedenssicherung beseitigt werden, andererseits sollten die Grundlagen einer gesunden und demokratisch deutschen Wirtschaft aufgebaut werden. Diese Widersprüchlichkeit kam bereits in der Präambel des amerikanischen Gesetzes Nr. 56 zum Ausdruck: „This law is enacted, in accordance with paragraph 12 of the Potsdam Agreement, in order: (I) to prevent Germany from endangering the safety of her neighbors and again constituting a threat to international peace, (II) to destroy Germany’s economic potential to wage wat, (III) to insure that measures taken for Germany’s reconstruction are consistent with peaceful and democratic purpose, (IV) to lay the groundwork for building a healthy and democratic German economy. To this end it is desirable that the German economy be reorganized and that concentrations of economic power […] which could be used by Germany as instruments of political or economic aggression, be eliminated at the earliest practicable date. […].“18
15 Das am 28.01.1947 erlassene Gesetz Nr. 56 der amerikanischen, die Verordnung Nr. 78 vom 12.02.1947 der britischen sowie die Verordnung Nr. 96 vom 09.06.1947 der französischen Militärregierung bildeten die rechtliche Grundlage der Maßnahmen; vgl. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 71 ff.; Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 7; von Götz, WRP 2007, S. 741, 746 f. 16 Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanisches Kontrollgebiet, Ausgabe C vom 01.04.1947, S. 2–8, 3. 17 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 12. Nach Murach-Brand sollte die deutsche Kartellgesetzgebung seitens der USA wie ein trojanisches Pferd genutzt werden, um die amerikanischen Antitrust-Vorstellungen in Europa zu verankern und somit diese zu beeinflussen. Allerdings sei daraus im Ergebnis eher ein „deutscher Maulesel“ geworden; hierzu Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 165, 178, 201. 18 Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanisches Kontrollgebiet, Ausgabe C vom 01.04.1947, S. 2–8, 2 f.
26
1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Mithin sollte paradoxerweise dasselbe Mittel – nämlich das Gesetz Nr. 56 – die Wirtschaftsmacht sowohl beseitigen, als auch neu aufbauen. Die von den Siegermächten erlassenen Militärgesetze zum Kartellrecht stellten allerdings nur Übergangsregelungen dar und sollten später durch ein Gesetz der neu gegründeten Bundesrepublik ersetzt werden.19 Sie blieben jedoch bis zum Inkrafttreten des GWB Anfang 1958 geltendes Recht,20 weil es bis dahin zu keiner Einigung über ein GWB kam. Mit der Durchführung der Militärgesetze betraute das „Zweimächtekon trollamt“, bestehend aus amerikanischen und britischen Abteilungen, die „Bipartite Decartelisation Commission“ und die französische Siegermacht die „Commission de Déconcentration de l’Économie Allemande“. Mit Wirkung zum 21.09.1949 wurden diese zur „Decartelisation and Industrial Deconcentration Group“ zusammengelegt und unterstanden fortan der Alliierten Hohen Kommission.21 Die Bundesrepublik erhielt kurz zuvor, im Frühjahr 1949, durch das britisch-amerikanische „Zweimächtekontrollamt“ einen Teil ihrer Souveränitätsrechte auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik für „jenen Teil des Entkartellisierungsprogramms […], der sich mit der Frage der Handelsmissbräuche befasst“, zurück.22 Gleichzeitig forderte die Militärregierung: „Mit Rücksicht auf diesen Beschluß werden Sie aufgefordert, Ihre Aufmerksamkeit sofort auf die Vorbereitung eines Gesetzesentwurfes gegen Handelsmißbräuche zu lenken, der ein Verbot gegen einengende Geschäftspraktiken, die den internationalen und Inlandshandel berühren, wie Einschränkungen des Wettbewerbs, Begrenzung des Zutritts zu Märkten oder die Ermutigung zur Schaffung von Monopolen vorsieht, und das insbesondere Kartelle und kartellähnliche Tätigkeiten und Zusammenschlüsse mit dem Zwecke der Handelsbeschränkungen für unrechtmäßig erklärt und ausschließt. Das vorzuschlagende Gesetz sollte auf den Grundlagen des Kapitels 5 der ‚Havanna Carta für eine internationale Handelsorganisation‘ beruhen.“23 Antitrust auf deutsch, S. 107. in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 215. 21 Art. 1, Entscheidung Nr. 4, Bestimmung der ausführenden Dienststelle für Dekartellisierung und Dezentralisierung, Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland Nr. 9 vom 31.01.1950, S. 87–88. 22 Durch das Memorandum „Deutsche Teilnahme an der Entkartellisierung“ des Bipartite Control Office vom 29.03.1949, Drucksache des Wirtschaftsrates 1949, Nr. 1093 vom 09.04.1949, in: Institut für Zeitgeschichte/Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (Hg.); vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 18, wortgleich mit der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 24; zum Memorandum vgl. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 99–101. 23 Nr. 3 des Memorandums „Deutsche Teilnahme an der Entkartellisierung“ des Bipartite Control Office vom 29.03.1949, Drucksache des Wirtschaftsrates 1949, 19 Murach-Brand, 20 Hardach,
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung27
Die Zuständigkeit für Dekonzentrationsbestimmungen (Deconcentration) hingegen gaben die Besatzungsmächte erst im Oktober 1950 ab,24 weshalb der vorzulegende Entwurf über Entmachtungsmaßnahmen zunächst keine Bestimmungen enthalten durfte. Zudem war das Inkrafttreten des geforderten deutschen Gesetzes an die Zustimmung der Militärregierung gebunden und musste somit deren wirtschaftspolitischen Auffassungen Rechnung tragen.25 Der Entwurf sollte dabei – angelehnt an das Welthandelsabkommen „Havanna-Charta“ 1948 – die „Anwendung von Maßnahmen, die zur Beschränkung des Leistungswettbewerbs oder zur Monopolbildung führen, sowie Kartelle und deren Ausweichformen verbieten“.26 Die von den Besatzungsmächten und der „Havanna-Charta“ abgegebenen Empfehlungen führten zu verschiedenen Kartellgesetzentwürfen, welche zum Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen wurden.27 I. Josten-Entwurf Der „Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt“,28 auch Josten-Entwurf genannt, war im Rahmen der Vorarbeiten eines ersten deutschen Kartellgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg heftigen Debatten ausgesetzt.29 Ausgearbeitet wurde der Entwurf von einem Kreis von Sachverständigen und RegierungsbeamNr. 1093 vom 09.04.1949, in: Institut für Zeitgeschichte/Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (Hg.). Die „Charta of the International Trade Organisation (Havanna-Charta)“ wurde von mehr als 50 Nationen unterzeichnet, aber nie ratifiziert; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbs beschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 18, wortgleich mit der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 24. 24 Hierzu Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 162 f.; Robert, Konzentrationspolitik der Bundesrepublik, S. 113. 25 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 119. 26 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 119. 27 Wagner, Die Diskussion über ein GWB nach 1945, S. 5; eingehend zu den Entwürfen Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 140 ff.; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 122 ff. 28 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, Frankfurt/M. o. J. 29 Ausführlich zum Entwurf vgl. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 163–184; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 103; Murach-Brand, Anti
28
1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
ten30 unter dem Vorsitz von Paul Josten, dem Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik bzw. Wirtschaftsordnung 1948/49.31 Das Konzept wurde bereits am 05.07.1949 dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, vorgelegt. Der Präambel zufolge war Ziel des Entwurfs, „dem Grundsatz des Leistungswettbewerbs im Markt Geltung zu verschaffen und Volk und Staat vor Gefahren zu schützen, die Bildung und Ausübung wirtschaftlicher Macht auf dem Markte mit sich bringen können“.32 Es wurde versucht, nicht nur bestimmte Formen, sondern wirtschaftliche Macht als Ganzes zu behandeln, um sich dadurch an die amerikanischen und britischen Militärgesetze zu halten sowie einem „Ausweichen“ der wirtschaftlichen Macht zu begegnen.33 Das Grundprogramm des Entwurfs lautete: „Verbot von Kartellen, Entflechtung nicht kartellmäßiger Machtgebilde“.34 Der Josten-Entwurf formulierte ein zu dieser Zeit ungewöhnlich strenges Wettbewerbsgesetz mit ordoliberalen35 Elementen und ging von einer Grundsatzentscheidung für die soziale Marktwirtschaft aus. Bereits im Zuge der Währungsreform vom 20.06.1948 hatte sich der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes für eine „Ordnung der Wirtschaft nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft und des freien Leistungswettbewerbs trust auf deutsch, S. 107; Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 10 ff.; Günther, Probleme der Fusionskontrolle, S. 17 ff. 30 Dieser Personenkreis wurde später als sog. „Josten-Ausschuss“ bekannt. Er bildete sich 1946 in Süddeutschland auf Veranlassung des Länderrates in Stuttgart. Den Vorsitz hatte Dr. Paul Josten, langjähriger Leiter des Kartellreferats im Reichswirtschaftsministerium und Beauftragter für Preisbindung beim Länderrat nach 1945. Dem Ausschuss gehörten an: Dr. Walter Bauer, Prof. Dr. Franz Böhm, Dr. Curt Fischer, Senatspräsident a. D. Dr. Wilhelm Köppel, Prof. Dr. Wilhelm Kromphardt und Prof. Dr. Bernhard Pfister. 31 Potthoff/Wenzel, Handbuch politischer Institutionen und Organisationen 1945– 1949, S. 198. 32 O. A., Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 9. 33 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 120. 34 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 169. 35 Zum Ordoliberalismus, auch „Freiburger-Schule“ genannt, steht für ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das auf einer privatwirtschaftlich organisierten Marktwirtschaft basiert. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Wirtschaft nicht sich selbst überlassen werden darf, sondern der Wettbewerb gesichert werden müsse, wozu der Staat die Rahmenbedingungen schaffen sollte, Krebs/Becker, Lexikon des Wettbewerbsrechts, S. 211; vgl. auch Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 166.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung29
entschieden“.36 Die Theorie des Ordoliberalismus wollte insbesondere übermäßige Machtballungen Privater verhindern und vertraute nicht auf ein unkontrolliertes, freies Spiel der Märkte.37 Im Mittelpunkt der Konzeption stand aber durchaus das Ziel „vollkommener Konkurrenz“.38 Die Sicherung des Leistungswettbewerbs sowie die Herbeiführung der Voraussetzungen einer „vollkommenen Konkurrenz“ sollten Aufgabe des Staates sein.39 Der Josten-Entwurf ließ damit den Einfluss ordoliberaler Vorstellungen der sog. „Freiburger Schule“ erkennen. Diese ordoliberalen Vorstellungen setzte der Entwurf in konkrete wettbewerbsrechtliche Normen um.40 Der Josten-Entwurf definierte „Leistungswettbewerb“ in § 1 und regelte ebenfalls in § 3 den Begriff „Wirtschaftliche Macht“, welcher mit Marktmacht gleichgesetzt wurde.41 Um die Fülle der Erscheinungsformen wirtschaftlicher Macht möglichst vollumfänglich fassen zu können, wählte man zur Regelung eine Generalklausel, da es als unmöglich erachtet wurde, konkrete und erschöpfende Tatbestände festzulegen.42 Die Generalklausel sollte verhindern, dass ein Marktbeteiligter „in der Lage ist, den Markt einseitig zu seinen Gunsten fühlbar zu beeinflussen“.43 Zugleich erfasste § 4 als Formen wirtschaftlicher Macht Kartellabreden sowie deren Ausweichformen, Interessengemeinschaften, Konzerne, Konsortien sowie Mischformen, welche jeweils definiert wurden. Für Kartelle und deren Ausweichformen galt nach § 5 die „Unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen wirtschaftlicher Macht“. Eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen wirtschaftlicher 36 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 119. 37 Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 11 f. 38 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 107; Günther, in: FS Böhm, S. 183, 189; zur vollständigen Konkurrenz siehe auch 3. Kap. B. I. 39 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 107 f. 40 Vgl. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 107. 41 Ein Auszug des Josten-Entwurfs ist abgedruckt in Anlage A. 42 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 38. 43 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 38; das Ausschussmitglied Fischer sprach sich allerdings gegen die, wie er sie nannte, „kautschukartigen Generalklausel ‚wirtschaftliche Macht‘ (§ 3)“ aus, weil sie zu weitgehend sei und die rechtsstaatliche Sicherheit gefährde. Er sah dadurch die Produktivität der Wirtschaft der unkontrollierten „bürokratischen Willkür einer Behörde ausgeliefert“, vgl. o. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 128.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Macht enthielt § 6 für Einzelunternehmen, Interessengemeinschaften, Konzerne, Konsortien sowie Mischformen. Die Regelungen des Entwurfs bezogen sich allerdings nur auf Kartellabreden aller Art sowie deren Ausweichformen.44 Eine Regelung zur Zusammenschlusskontrolle enthielt der Entwurf hingegen nicht. Im Rahmen der präventiven „Konzernbildung“ knüpfte der Entwurf vielmehr an das Steuer‑, Gesellschafts- und Patentrecht aufgrund diverser „Konzernprivilegien“ in diesen Bereichen an.45 Insoweit fand sich im vierten Teil des Entwurfs der Abschnitt „Maßnahmen zur Verhütung wirtschaftlicher Machtbildung“, wo runter Regelungen zu allgemeinen Geschäftsbedingungen und Schiedsabreden, Vorschriften des Aktien- und GmbH-Gesetzes sowie des Werbewesens fielen.46 Bei Feststellung wirtschaftlicher Macht war grundsätzlich die Entflechtung durch ein zu errichtendes unabhängiges Monopolamt vorgesehen.47 Etwas anderes sah nur § 8 i. V. m. der Generalklausel des § 52 des Entwurfs vor. Danach konnte das Monopolamt „Ausnahmen von den Vorschriften dieses Gesetzes zulassen, wenn ohne Gefährdung des Gesetzeszwecks volkswirtschaftliche Gründe von überragender Bedeutung eine Ausnahme erforderlich erscheinen lassen […]“. Der Gesetzesbegründung kann deutlich entnommen werden, dass „ein Zerschlagen betriebstechnisch gewachsener und notwendiger Wirtschaftseinheiten“ nicht gewünscht war, weshalb die Generalklausel des § 52 mit der „rule of reason“, welche aus dem amerikanischen Antitrustrecht stammt, begründet wurde. Vorgesehen war dem Entwurf zufolge auch eine Beseitigung von Machtstellungen durch „Einschachtelung und Aufgliederung“, soweit sie nicht mit 44 Vgl. § 4 des Entwurfs, in: o. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 10 f. 45 Hierzu Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 179; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 109. 46 Vgl. §§ 35–39 u. 40–43 des Entwurfs, in: o. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 19 ff., 51 f. 47 §§ 15–20, 48 des Entwurfs, in: o. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 15 ff., 27. Auch der Wissenschaftliche Beirat sprach sich für eine Monopolaufsicht zur Durchführung aus, siehe Gutachten vom 24.07.1949 zum Thema Grundsatzfragen der Monopolgesetzgebung, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 41–45.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung31
anderen Mitteln nachhaltig erreicht werden konnte.48 Somit enthielt der Entwurf bereits Regelungen zu Entflechtungsmaßnahmen (deconcentration), obwohl die Alliierten ihre Kompetenzen in diesem Punkt noch gar nicht abgeben wollten. In der „Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses zu einigen grundsätzlichen Fragen der deutschen Monopolgesetzgebung (Entwurf)“ wies man darauf hin, dass die Einbeziehung dieser Regelung „aus sachlichen Gründen unerläßlich“ gewesen sei.49 Man war überzeugt, dass man sich mit dem Problem der wirtschaftlichen Macht als einem Ganzen auseinandersetzen müsse.50 Andernfalls würde man nur „Symptome […] behandeln, ohne zu ihren Ursachen vorzudringen“.51 Auch wenn die zwischenzeitlich zuständige Alliierte Hohe Kommission nicht an frühere Erklärungen der Militärregierung gebunden war, war man sich im Sachverständigen-Ausschuss der Gefahr durchaus bewusst, die Zustimmung zum Entwurf aufgrund der Regelungen zur deconcentration nicht zu erhalten. In einem Minderheitsgutachten lehnte das Ausschussmitglied Curt Fischer diese Entflechtungsvorschrift u. a. deshalb ab.52 Aufgrund dessen wies der Sachverständigen-Ausschuss in einer Stellungnahme auf die Möglichkeit hin, „diese Vorschriften für nicht anwendbar zu erklären“.53 Die Hohen Kommissare hatten nämlich bei erlassenen Gesetzen die Befugnis, Vorschriften für nicht anwendbar zu erklären. Zwar sollte der Josten-Entwurf zunächst ein umfassendes deutsches Wirtschaftsgesetz darstellen, um die alliierte Dekartellierungs- und Dekonzentrationsgesetzgebung zu ersetzen. Ein deutsches Wettbewerbsgesetz wurde dann
48 Vgl. §§ 15, 18 u. 19 des Entwurfs, in: o. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 15 f. 49 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 119. 50 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 120. 51 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 120. 52 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 127; vgl. 1. Teil Fn. 43. 53 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 120.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
aber nicht auf Grundlage dieses Entwurfs verabschiedet. Die Ursachen, die zum Scheitern des Josten-Entwurfs führten, waren unterschiedlich:54 Es war den Verfassern des Josten-Entwurfs bekannt, dass der Entwurf sich an das Welthandelsabkommen „Havanna-Charta“ anlehnen und zudem keine Vorschriften über Entflechtungen (deconcentration) enthalten sollte.55 Zwar widersprach der Entwurf den Erwartungen des Memorandums des britischamerikanischen „Zweimächtekontrollamtes“ vom März 1949 und den Regelungen der „Havanna-Charta“ nicht, ging über beide aber erheblich hinaus und entsprach somit nicht den Zielen der amerikanischen Entflechtungspolitik.56 Daran kann der Josten-Entwurf allerdings nicht allein gescheitert sein,57 da zum einen bei Erlass des Entwurfs die Alliierten Hohen Kommissare zuständig waren, die nicht mehr an frühere Erklärungen der Militärregierungen gebunden waren, zum anderen weil der Entwurf nie den Alliierten zum Zwecke der Genehmigung vorgelegt wurde.58 Kritik erntete der Entwurf vielmehr, weil die Möglichkeit bestand, dass er mit seinen einengenden Vorschriften die deutsche Wirtschaft schwächen statt stärken würde.59 Deutschland war bis nach dem Zweiten Weltkrieg eher ein kartellfreundliches Land und wurde in der Literatur nicht nur von Franz Böhm als das „Land der Kartelle“60 bezeichnet.61 Bereits die jeweiligen Militärgesetze der westlichen Alliierten, insbesondere das amerikanische Gesetz Nr. 56, stießen deshalb auf Widerstand in Deutschland, über welchen sich die amerikanische Militärregierung allerdings hinwegsetzte.62 Hoffnungen, dass durch Ablösung der Militärgesetze mit einem deutschen Gesetz das rigorose 54 Ausführlich zu den Ursachen, die zum Scheitern führten: Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 180–184; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 101; von Götz, WRP 2007, S. 741, 750 ff.; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 109 ff., 123; Berghahn, Unternehmer und Politik, S. 154 ff. 55 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 119; hierauf wies Col. Bronson, welcher der US-Militärregierung angehörte, am 20.04.1949 in einer Stellungnahme hin. 56 Hierzu Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 181; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 111. 57 Andere Ansicht von Götz, WRP 2007, S. 741, 751. 58 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 120; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 182. 59 Nettesheim/Thomas, Entflechtung im deutschen Kartellrecht, S. 11. 60 Böhm, in: Ordo 1948, S. 212; Schröter, VSWG 1994, S. 457. 61 Zur Erklärung der „Kartellfreundlichkeit“ anhand historischen Materials vgl. Hesse, in: Hockerts/Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, S. 29, 29 ff. 62 Hierzu eingehend Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 71–78, insb. S. 77.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung33
Kartellverbot gemildert würde, wurden durch den scharf formulierten JostenEntwurf enttäuscht. Vielmehr sah der Josten-Entwurf auch Änderungen des Aktienrechts und des Rechts der GmbH als Problemlösung vor, also weitreichende Änderungen und Eingriffe in das Unternehmensrecht insgesamt. Ein weiterer Grund, der zur Distanzierung der Politik vom Entwurf führte, war die Veränderung der staatsrechtlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland.63 Der Josten-Ausschuss erhob den Entwurf zum „wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundgesetz“ und statuierte, der Entwurf bleibe ein „nutzloses punktuelles Stückwerk“, wenn nicht „sämtliche einschlägigen Rechtsgebiete“ auf diese Grundsätze abgestimmt würden.64 Dass wenige Wochen zuvor das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkündet wurde,65 fand keine Berücksichtigung im Josten-Entwurf. Somit blieb unklar, in welchem Verhältnis die beiden Gesetze zueinander stehen sollten, wozu sich die Verfasser des Josten-Entwurfs nicht äußerten. Ob sich die Verfasser des Entwurfs absichtlich nicht zum Grundgesetz äußerten oder von diesem schlicht keine Kenntnis nahmen, ist nicht ersichtlich. Daraus erwuchs jedoch eine große Unsicherheit, wie mit dem Entwurf zu verfahren sein sollte. Schließlich stieß der Entwurf auf erbitterten Widerstand der Wirtschaftsverbände. Einflussreiche Vertreter der deutschen Industrie versuchten, die Umsetzung des Josten-Entwurfs zu verhindern. Guido Ziersch, der Vorsitzende des Ausschusses für Wettbewerbsordnung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), bezeichnete den Josten-Entwurf beispielsweise als „katastrophal“.66 Deshalb muss das Scheitern des Entwurfs, in Anbetracht der damaligen Rahmenbedingungen, im Gesamtkontext gesehen werden. Der Entwurf scheiterte demnach erstens an den darin enthaltenen Dekonzentrationsbestimmungen, zweitens aufgrund der zu scharf formulierten Regelungen, drittens an der veränderten staatsrechtlichen Situation und viertens am Widerstand der Wirtschaftsverbände.
63 Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 106; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 183. 64 O. A., Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten, S. 55. 65 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949, BGBl. I 1949, S. 1–19. 66 Ziersch statuierte zudem, dass der BDI diesen Entwurf angeblich „erfolgreich in die Aktenschränke der Ministerien zurückschleusen“ konnte, Ziersch, in: Arbeitskreis Kartellgesetz im Ausschuß für Wettbewerbsordnung des BDI (Hg.), 10 Jahre Kartellgesetz, S. 444, 446.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
II. Regierungsentwurf Die Bemühungen der Ministerien um ein „den Markt und den Wettbewerb sicherndes Gesetz“ gingen aufgrund der alliierten Vorgaben weiter. Mit dem Besatzungsstatut der Alliierten vom 21.09.1949 erhielt Deutschland „das größtmögliche Maß an Selbstregierung“ zurück, das mit der Besetzung vereinbar war.67 Zwar wechselten dadurch die Zuständigkeiten, für das Kartellrecht war aber weiterhin ein Vorbehaltsrecht zugunsten der Alliierten vorgesehen.68 Obwohl die Alliierten Deutschland Ende Oktober 1950 auch die Kompetenz für den Bereich deconcentration zubilligten – danach durfte der von den Alliierten zu billigende Entwurf auch Dekonzentrationsregelungen enthalten –, wurde nicht auf den Josten-Entwurf zurückgegriffen, sondern neue Entwürfe erarbeitet.69 Als größter Streitpunkt in der Kartellgesetzdebatte kann die Diskussion um ein allgemeines Kartellverbot gesehen werden. Ausgangspunkt der Streitfrage war, ob Kartelle per se verboten werden sollten, wie mit dem allgemeinen Kartellverbot bezweckt, oder vielmehr nur der Missbrauch wirtschaft licher Macht unter einem Verbot stehen sollte.70 Während ein striktes Kartellverbot an die amerikanische Antitrustgesetzgebung anknüpfte, konnte in einem Missbrauchsverbot eine Fortsetzung der deutschen Tradition gesehen werden.71 Das Kartellverbot wurde von Erhard verfolgt; Bundeskanzler Konrad Adenauer hingegen sprach sich für ein Missbrauchsverbot aus.72 Adenauer zufolge wäre ein allgemeines Kartellverbot für die Wirtschaft ein zu
67 Besatzungsstatut, Amtsblatt der Hohen Alliierten Kommission in Deutschland Nr. 1 vom 23.09.1949, S. 13–15. 68 Ziffer 2 (b) des Besatzungsstatutes, Amtsblatt der Hohen Alliierten Kommission in Deutschland Nr. 1 vom 23.09.1949, S. 13. 69 Vgl. auch Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 161; von Götz, WRP 2007, S. 741, 754. 70 Vgl. Protokoll 161, Kabinettssitzung vom 13.07.1951, online im Internet unter: www.bundesarchiv.de/kabinettsprotokolle [Stand: 02.08.2021]; Plenarprotokoll 1/220, Bundestagssitzung vom 26.06.1952, S. 9749A. Auch führt Hesse, jedoch ohne Nachweise hierzu, auf diesen „Grundsatzkonflikt“ zurück, dass die Verabschiedung des GWB so „lange verschleppt“ wurde; Hesse, in: Hockerts/Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, S. 29, 35. 71 Hesse, in: Hockerts/Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, S. 29, 35. 72 Erhard, in: Erhard (Hg.), Deutsche Wirtschaftspolitik, S. 112 ff., insb. 116; Ple narprotokoll 1/220, Bundestagssitzung vom 26.06.1952, S. 9749B, 9750C; Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 217 ff.; Hesse, in: Hockerts/Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, S. 29, 35.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung35
starker Eingriff.73 Eine Einigung wurde dahingehend erzielt, dass das zu erlassende Gesetz zwar ein allgemeines Kartellverbot enthalten sollte, dieses aber mit Ausnahmen zu versehen sei.74 Allerdings äußerte die Alliierte Hohe Kommission gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium den Wunsch, eine präventive Fusionskontrolle in das deutsche Wettbewerbsgesetz aufzunehmen.75 Experten der Alliierten Hohen Kommission und des Bundeswirtschaftsministeriums vereinbarten in einer Besprechung im Oktober 1950 auf Wunsch der Alliierten, in das deutsche Wettbewerbsgesetz eine präventive Fusionskontrollregelung für Unternehmenszusammenschlüsse aufzunehmen.76 Diese Vorgaben legten den Grundstein für die nachfolgenden Regierungsentwürfe eines GWB. 1. Der Regierungsentwurf in der ersten Legislaturperiode
Der Regierungsentwurf zum GWB, eingebracht 1952 in der ersten Legislaturperiode,77 baute teilweise auf dem Josten-Entwurf auf und bildete die Grundlage des 1958 erlassenen GWB. Im Unterschied zum Josten-Entwurf wurde die marktbeherrschende Stellung nicht mehr abstrakt dargestellt und vom Regulierungsmittel der Entflechtung wurde insgesamt Abstand genommen.78 Während der Josten-Entwurf auch Änderungen des Aktienrechts und des Rechts der GmbH als Problemlösung vorsah, worin ein Grund seines Scheiterns lag, befasste sich der Regierungsentwurf nicht mehr mit dem Gesellschaftsrecht. Lediglich in der Gesetzesbegründung wurde der Gesetzgeber beiläufig dazu aufgerufen, neben Patent‑, Steuer- und Gewerberecht auch das Gesellschaftsrecht zu ändern, um der Entstehung von Monopolen zu begegnen.79 Der Regierungsentwurf enthielt aber eine präventiv ausgerichtete 73 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 219 m. w. N. 74 Vgl. Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 219; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 113 ff. 75 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 218 m. w. N. 76 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 219 m. w. N.; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 349. 77 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462. 78 Entflechtungen sollten gem. §§ 20–22 des Entwurfs nur dann erfolgen, wenn ein Zusammenschluss ohne die in § 18 vorgesehene Erlaubnis vollzogen wurde; vgl. hierzu auch Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 188 f. 79 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 16: „Die gesamte Wirtschaftspolitik muß
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Kontrolle für Unternehmenszusammenschlüsse. Der Entwurf eines „Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ vom 13.06.1952 enthielt eine Zusammenschlusskontrolle in den §§ 18–22 des Entwurfs,80 die dem Wunsch der Alliierten Hohen Kommission nachkommen sollte. Die Präventivkontrolle für Zusammenschlüsse sollte die Bildung marktbeherrschender Unternehmen durch Konzernbildung und Übernahmen verhindern, nicht jedoch internes Unternehmenswachstum.81 Angestrebt wurde der Begründung des Entwurfs zufolge ein „vollständige[r] Wettbewerb“ als ideale Form des Marktes; eine staatliche Aufsicht aber müsste an die Stelle des Marktes treten, wo dieses Ziel nicht erreichbar sei.82 Hierin zeigt sich die ordoliberale Prägung. In der Gesetzesbegründung hieß es dazu: „Es darf als sichere wissenschaftliche Erkenntnis angesehen werden, daß die Marktverfassung des freien Wettbewerbs das Vorhandensein der Marktform des vollkommenen Wettbewerbs als wirtschaftliche Gegebenheit zur Voraussetzung hat, d. h. die Zahl der Marktteilnehmer auf beiden Marktseiten muß so groß sein, daß der Marktpreis für den Unternehmer eine von seinem Verhalten im wesentlichen unabhängige Größe ist.“83
Dass die „Marktform des vollständigen Wettbewerbs“ nicht in allen Marktbereichen herzustellen ist, war dem Gesetzgeber durchaus bewusst. Der Wettbewerb sollte „nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Leistungssteigerung und Fortschrittsförderung“ sein.84 Dadurch schloss sich der Entwurf weder den deutschen Kartellrechtsvorstellungen vor 1945 noch den amerikanischen Kartellrechtsvorstellungen ausschließlich an, sondern nahm Bezug auf das ordoliberale wettbewerbstheoretische Modell der „vollkommenen Konkurrenz“.85 So betonte Erhard, dass „die Auffassung, die sich in diesem Gesetz niedergeschlagen hat, deutschen Ursprungs ist“.86 Die Gedanken seien erwachsen „aus den Erfahrungen, die man mit der früheren deutschen vielmehr darauf gerichtet sein, durch gesetzliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, des Patentrechts, des Steuerrechts, des Gewerberechts und durch sonstige wettbewerbsfördernde Maßnahmen der Entstehung wettbewerbsausschließender Marktgebilde entgegenzuwirken.“ 80 Ein Auszug des Regierungsentwurfs ist abgedruckt in Anlage B. 81 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 192. 82 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 15; hierzu eingehend 3. Kap. 83 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 16. 84 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 16. 85 So auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 101. 86 Plenarprotokoll 1/220, Bundestagssitzung vom 26.06.1952, S. 9756A.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung37
Kartellgesetzgebung, eben einer Mißbrauchsgesetzgebung gemacht hat, und sie basieren erkenntnistheoretisch auf den wissenschaftlichen Lehren insbesondere der Freiburger Schule“.87 Für die Fusionskontrolle war dies jedoch unzutreffend. Die Zusammenschlusskontrolle entstammte nämlich nicht den Ideen der „Freiburger Schule“, sondern fand durch Forderungen der Alliierten Eingang in den Entwurf. Dennoch schien das Abstellen des Gesetzes auf „deutsche Wurzeln“ wichtig vor dem Hintergrund, dass das künftige GWB den Bürgern nicht als ein amerikanisches, sondern als ein deutsches Gesetz vorgestellt werden konnte. Die Regierung hatte den Gesetzesentwurf im Juni 1952 dem Bundestag zugeleitet.88 Der Entwurf fand trotz langer Beratungen keine Mehrheit im Ausschuss und kam deshalb bis zum Ende der Legislaturperiode im Bundestag nicht zur Abstimmung.89 Für die Verzögerung war unter anderem die Uneinigkeit im deutschen Bundestag verantwortlich. So wehrte sich beispielsweise der Abgeordnete Franz Etzel (CDU), der zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftspolitik war, gegen die Behauptung, „bei diesem Gesetzesentwurf handele es sich um einen alliierten Befehl“.90 Parallel dazu protestierten auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) gegen die im Entwurf vorgesehenen Regelungen des Kartellverbots und die Fu sionskontrolle.91 Schließlich konnten, dem Ausschuss für Wirtschaftspolitik zufolge, die Beratungen aufgrund von „Überlastung mit dringenden Arbeiten“ und der bei der Beratung aufgetretenen „schwierigen materiellen Fragen“ am Ende der Legislaturperiode nicht zu Ende geführt werden.92
87 Plenarprotokoll
1/220, Bundestagssitzung vom 26.06.1952, S. 9756A. 1/220, Bundestagssitzung vom 26.06.1952, S. 9749 ff.; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 198. 89 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 221; zur Haltung der Parteien und ausführlich zum Scheitern des Entwurfs in der ersten Legislaturperiode siehe Robert, Konzentrationspolitik, S. 186–243. 90 Vgl. Plenarprotokoll 1/220, Bundestagssitzung vom 26.06.1952, S. 9751D. 91 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 220 f.; eingehend zur Einstellung des BDI und DIHT sowie weiterer Verbände vgl. Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Interessenverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD, S. 59 ff. 92 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 1 f. 88 Plenarprotokoll
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB 2. Die Wiedereinbringung des Regierungsentwurfs in der zweiten Legislaturperiode
Der Regierungsentwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.195293 wurde im Jahre 1954 erneut in unveränderter Form eingebracht.94 Nachdem der Bundesrat im Mai 1954 einige Änderungen beschlossen hatte,95 zu denen die Bundesregierung Stellung nahm,96 wurde der Entwurf Anfang 1955 erneut im Bundestag beraten.97 Im Jahre 1955 wurde die Bundesregierung durch den Deutschlandvertrag vom 23. Oktober 1954 ein souveräner Staat.98 Die Bundesregierung sagte die Fortführung der bisherigen Kartellpolitik zu, wobei diese Zusage keine rechtliche, sondern lediglich eine politische Verpflichtung war.99 Auf den Inhalt eines deutschen Wettbewerbsgesetzes konnten die Alliierten keinen Einfluss mehr nehmen und die amerikanische Regierung verzichtete auf eine Durchsetzung des amerikanischen Wettbewerbsmodells.100 Die alliierten Dekonzentrationsgesetze sollten jedoch bis zur Verabschiedung des deutschen Wettbewerbsgesetzes in Kraft bleiben, wobei die Durchführung auf den Bun93 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462. 94 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158. Kartte/Holtschneider zufolge konnte dieser „nur durch die Rücktrittsandrohung Erhards wieder eingebracht werden“, Kartte/Holtschneider, in: Cox/ Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 193, 208. Zur „Rücktrittsandrohung“ siehe auch Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Interessenverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD, S. 72 f.; zur Wiedereinbringung des Regierungsentwurfs siehe Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 244 ff. 95 Änderungsvorschläge des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 21.05.1954, BT-Drucks. II/1158, Anl. 2; vgl. hierzu auch Dörinkel, WuW 1954, S. 433 ff.; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 201; Gräfin von Bethusy-Huc, Demokratie und Interessenpolitik, S. 63 ff. 96 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, Anl. 3. 97 Plenarprotokoll 2/76, Bundestagssitzung vom 24.03.1955, S. 4203C; hierzu auch Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 201; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 267. Die Einbringung erfolgte nach dem Prinzip der Diskontinuität. 98 Vgl. Gesetz betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland vom 24.03.1955, BGBl. II 1955, S. 213–252. Der Deutschlandvertrag erlangte durch die Pariser Verträge Gültigkeit. 99 Hierzu Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 212 m. w. N.; von Goetz, WRP 2007, S. 741, 758. 100 Vgl. Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 222; von Goetz, WRP 2007, S. 741, 758.
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deswirtschaftsminister überging.101 Diese veränderten Rahmenbedingungen hatten Auswirkungen auf die Beratungen des Regierungsentwurfs. Der Regierungsentwurf hatte in der zweiten Legislaturperiode, unter anderem aufgrund weiterer Entwürfe,102 bis zu den Beratungen im Wirtschaftsausschuss 1955 schon an Bedeutung verloren und wurde entschärft.103 Er bildete aber noch immer die Basis der Debatte im Wirtschaftspolitischen Ausschuss des Bundestages zwischen 1955–1957.104 Während die Regierung 1952 fast ausschließlich aus politischen Gründen zur Einbringung eines Gesetzesentwurfs durch die Alliierten gezwungen war, traten 1955 – nach der Rückgewinnung der Zuständigkeit – in verstärktem Maße wirtschaftspolitische Erwägungen hinzu.
B. Die Diskussion und das Ausbleiben einer Fusionskontrolle im GWB Der vorgelegte Regierungsentwurf verkörperte eine neue Ära der Wirtschaftspolitik und knüpfte nicht an das deutsche Kartellrecht vor Ende des Zweiten Weltkriegs an. Die neu gewonnene wirtschaftspolitische Überzeugung, die der Entwurf verkörperte, stieß auf Kritik. Nach Wiedergewinnung der vollen Souveränität musste sich die Bundesregierung mit der Kritik auseinandersetzen und konnte nicht die alliierten Vorgaben als Regelungsbegründung vorbringen. Der Regierungsentwurf sah vor, dass eine monopolartige Stellung im Markt durch Unternehmenszusammenschlüsse verhindert werden sollte, da das Monopol als „Feind des freien Wettbewerbs“ galt.105 Dabei wurden auch 101 Entscheidung Nr. 36, Bestimmung der ausführenden Dienststelle für Dekartellisierung, Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 125 vom 04.05.1955, S. 3248 f. 102 Weitere eingebrachte Entwürfe, mit denen man sich im 2. Deutschen Bundestag auseinandersetzen musste, waren der „Höcherl-Entwurf“ (BT-Drucks. II/1253), welcher sich gegen eine Fusionskontrolle aussprach, und der „Böhm-Entwurf“ (BTDrucks. II/1269), welcher eine Fusionskontrolle in § 7 Abs. 1 des Entwurfs befürwortete; hierzu eingehend Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 288 ff., 301; Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 34; Gräfin von Bethusy-Huc, Demokratie und Interessenpolitik, S. 50 ff., 61 ff.; Wagner, Die Diskussion über ein GWB nach 1945, S. 23 ff., 64 ff.; Kartte/Holtschneider, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 193, 208 f. 103 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 213. 104 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 215; ausführlich zu den Ausschussberatungen Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 301 ff. 105 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 26.
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diejenigen Monopolbildungen behandelt, die nicht nur auf den Abschluss eines Kartellvertrages zurückgingen. Als Hintergrund wurde angeführt, dass die Erfahrungen in den USA gezeigt hätten, dass ein grundsätzliches Kartellverbot zur „stärkeren Konzentration der Unternehmen führen [würde] und [sich] auf diese Weise selbständige Unternehmen mit Monopolmacht“ he rausbildeten.106 Mithin wurden rechtsgeschäftliche Zusammenschlüsse mehrerer Unternehmen mittels einer Fusionskontrolle im Regierungsentwurf geregelt.107 Diese sorgte jedoch für große Kontroversen. Eine Gruppe Abgeordneter der CDU sprach sich 1955 gegen ein allgemeines Kartellverbot aus, weshalb sie einen Gegenentwurf zum GWB ohne Fusionskontrolle vorlegten.108 Auch die Einflussnahme des DIHT und des BDI spielte eine große Rolle in der Diskussion um das GWB.109 Die führenden Unternehmensverbände protestierten bereits vor der Wiedereinbringung des Regierungsentwurfs gegen das Kartellverbot und die Fusionskontrolle und führten diese Proteste fort. Sie verfolgten das Ziel, eine Missbrauchsgesetzgebung anstelle des generellen Kartellverbots durchzusetzen und, falls es bei der Beibehaltung des Verbotsprinzips bleibe, möglichst viele Abschwächungen und Ausnahmen in das Gesetz einzuschleusen.110 Während BDI, DIHT und der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU den Gesetzesentwurf ablehnten, wurde er vom Arbeitnehmerflügel und der SPD befürwortet.111 Für ein Ver106 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 26. 107 Im dritten Abschnitt, §§ 18 bis 23 des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 4–5, 18 ff. und des Regierungsentwurfs vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/3644, S. 9 f., 24 ff. Ausführlich zum Regierungsentwurf siehe Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 150 ff.; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 180 ff.; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 185 ff. 108 Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen der Abgeordneten Höcherl, Stücklen, Seidl (Dorfen), Dr. Dollinger und Genossen vom 11.03.1955 („Höcherl-Entwurf“), BT-Drucks. II/1253; vgl. hierzu auch Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 222 f.; Reich, Markt und Recht, S. 240. 109 Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 29 ff. 110 Die gegensätzlichen Positionen wurden in einem Briefwechsel zwischen Ludwig Erhard und dem Präsidenten des BDI, Fritz Berg, deutlich: Erhard, WuW 1952, S. 733–736; Berg, WuW 1952, S. 857–869; hierzu auch Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 199; Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 73. 111 Vgl. Plenarprotokoll 2/77, Bundestagssitzung vom 31.03.1955, S. 4266 ff. (zur Haltung der CDU/CSU); Plenarprotokoll 2/77, Bundestagssitzung vom 31.03.1955, S. 4267 ff. (zur Haltung der SPD); vgl. auch Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 223 m. w. N.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung41
ständnis des Disputs ist es erforderlich, die Ausprägung der ursprünglichen Regelung genauer zu betrachten: In § 18 des Entwurfs112 war sowohl vorgesehen, dass für Zusammenschlüsse, die zu einer marktbeherrschenden Stellung führen, eine „Erlaubnis der Kartellbehörde“ vorliegen muss (Abs. 1) als auch die Möglichkeit der Kartellbehörde, diese Erlaubnis mit „Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen“ versehen zu können (Abs. 5). Entscheidendes Kriterium für die Erlaubnis sollte nach § 18 Abs. 2 des Entwurfs sein, ob der Zusammenschluss zu einer marktbeherrschenden Stellung geführt hätte. Der Umfang der staatlichen Zusammenschlusskontrolle wurde zunächst sehr weit definiert. Das betraf sowohl die Erlaubnispflicht für Zusammenschlüsse (§ 18) als auch die Erfassung der Handlungen, die als Zusammenschluss betrachtet werden sollten. Beispielsweise sollten als Zusammenschluss im Sinne des Gesetzes dem Entwurf zufolge bereits die „Miete und Pacht von Betriebsstätten anderer Unternehmen“ (§ 19 Nr. 2) gelten. Zusammenschlüsse ohne Erlaubnis der Kartellbehörde konnten aufgelöst (§ 20) und mit Geldbußen geahndet werden (§ 31 Nr. 5).113 Die Regelungen zur präventiven Zusammenschlusskontrolle hätten allerdings noch schärfer ausfallen können. Ursprünglich forderten die Alliierten für Zusammenschlüsse ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.114 Die Alliierten und die Bundesregierung einigten sich allerdings darauf, dass an diese Stelle ein Erlaubnisprinzip mit Verbotsvorbehalt tritt, d. h. Zusammenschlüsse grundsätzlich erlaubt sind und nur unter gewissen Voraussetzungen verboten werden können. Den Hintergrund dieser Einigung bildete die Definition der Marktbeherrschung. So ließ die Bundesregierung sich im Gegenzug darauf ein, die Definition der Marktbeherrschung zu erweitern.115 Es sollte nicht mehr auf die ursprünglich von der Bundesregierung vorgesehene objektive,116 sondern auf die subjektive Möglichkeit abgestellt werden, den 112 Zum
Wortlaut des § 18 des Regierungsentwurfs siehe Anlage B. wurde keine Entflechtung vorgesehen, sondern die Wiederherstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn die beteiligten Unternehmen die Erlaubnis der Kartellbehörde nachgesucht hätten, vgl. hierzu Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 27. 114 § 17 Abs. 1 des Alliierten Entwurfs: „Jede Zusammenfassung der Kontrolle […] ist verboten und ist als unwirksam anzusehen […]“, abgedruckt bei MurachBrand, Antitrust auf deutsch, S. 193, Fn. 108. 115 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 192 f.; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 165. 116 § 17 des XIV. Entwurfs: „Soweit ein Unternehmen den Wettbewerb für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ausschließt oder wesentlich beschränkt (marktbeherrschendes Unternehmen) […]“, abgedruckt bei MurachBrand, Antitrust auf deutsch, S. 193, Fn. 110. 113 Dabei
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Wettbewerb zu beschränken.117 Letztlich knüpfte die Fassung wieder an den Josten-Entwurf an.118 Allerdings gab es Proteste, insbesondere seitens des BDI.119 Die Versuche Erhards, den Industrieverband von den Instrumenten des Kartellverbots und der Fusionskontrolle als Folge der Entscheidung für eine soziale Marktwirtschaft zu überzeugen, waren vergeblich.120 Der BDI hatte allerdings schon keinen Erfolg mit der Forderung nach einer Missbrauchsgesetzgebung anstelle eines Kartellverbots. Deshalb gehörte es zur Agenda des BDI, die Kontrolle über marktbeherrschende Unternehmen zu reduzieren.121 Im Regierungsentwurf waren die Kriterien des Marktanteils und das Ausmaß der notwendigen Rücksichtnahme auf Wettbewerber in die Legaldefinition des § 17 aufgenommen worden,122 um den wenig praktikablen Begriff der Marktbeherrschung so konkret wie möglich zu umschreiben.123 Aufgrund der Intervention des BDI wurde das Kriterium des Marktanteils allerdings fallengelassen, womit es dem Verband gelang, die Definition der Marktbeherrschung (§ 22 Abs. 1 GWB 1958) einzuengen.124 Ein Unternehmen galt danach nur dann als marktbeherrschend, wenn es weitgehend unabhängig vom Verhalten seiner Konkurrenten war. Im Endeffekt stellte der so normierte Marktbeherrschungsbegriff wieder lediglich auf objektive Kriterien ab. 117 § 17 des Regierungsentwurfs: „Soweit einem Unternehmen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ein wesentlicher Wettbewerb nicht gegenübersteht, insbesondere soweit ein Unternehmen mit Rücksicht auf die Größe seines Marktanteils in der Lage ist, die Erzeugung für eine bestimmte Art von Waren oder Preise und Geschäftsbedingungen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne wesentliche Rücksichtnahme auf Wettbewerber zu gestalten und dadurch den Markt fühlbar zu beeinflussen (marktbeherrschendes Unternehmen) […]“, abgedruckt in BT-Drucks. II/1158, S. 8 f. 118 Vgl. § 3 des Josten-Entwurfs; hierzu auch Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 193. 119 Vgl. BDI, Kartellverbot oder Kartellaufsicht? Fazit aus der Diskussionsveranstaltung des BDI in Unkel/Rhein am 02.06.1951, o. S.; vgl. auch Handelsblatt vom 27.11.1953, S. 1; FAZ vom 27.11.1953, S. 11; FAZ vom 05.12.1953, S. 7. 120 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 221. 121 Siehe dazu etwa Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 209; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 261. 122 § 17 Abs. 1 des Entwurfs: „[…] mit Rücksicht auf die Größe seines Marktanteils in der Lage ist […]“, zum Wortlaut siehe Anlage B. 123 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 39; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 263. 124 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C; hierzu auch Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 209; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 263; Gräfin von Bethusy-Huc, Demokratie und Interessenpolitik, S. 49.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung43
Darüber hinaus kam es zu weiteren Abschwächungen des Entwurfs, insbesondere betreffend die Fusionskontrolle. Die Bundesregierung hatte zunächst eine Zusammenschlusskontrolle im GWB-Entwurf normiert. Auch der Bundesrat hatte in seinen Änderungsvorschlägen keine Streichung der Materie gefordert.125 In der ersten Lesung im Wirtschaftsausschuss stimmte die Mehrheit der Zusammenschlusskontrolle sowie einer prägnanten Fassung der Marktbeherrschungsdefinition noch zu.126 Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der CDU/CSU änderte sich dies jedoch bei der zweiten Lesung;127 es wurde auf die Zusammenschlusskontrolle und die weitergehende Fassung der Marktbeherrschungsdefinition komplett verzichtet und stattdessen lediglich die spätere Anzeigepflicht ab 20 % Marktanteil in § 23 Abs. 1 GWB 1958 vorgelegt. Der „wirtschaftspolitische Ausschuss“128 begründete die Verwerfung der Fusionskontrolle damit, „daß die Einführung einer solchen Erlaubnispflicht möglicherweise die vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus begrüßenswerte Tendenz zur optimalen Betriebsgröße an ihrer vollen Entfaltung hindern könne“.129 Ob eine hohe Konzentration zu einer Gefahr für den Wettbewerb führen würde oder nicht bzw. ob ein Kartellverbot überhaupt zu einer Erhöhung der Unternehmenskonzentration führen würde, war nicht empirisch bewiesen. Daher lag es nahe, dass man sich der Gefahr, das wirtschaftliche Wachstum durch regulative Vorschriften zu hemmen, nicht aussetzen wollte. Ein weiterer Grund, der zur Verwerfung der Fusionskontrolle führte, kann in der ursprünglichen Aufnahme einer solchen Vorschrift in den Entwurf gesehen werden. Die Zusammenschlusskontrolle wurde erst auf ausdrücklichen Wunsch der Alliierten Hohen Kommission in den Entwurf aufgenommen.130 Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass der Vor-
125 Plenarprotokoll,
123. Bundesratssitzung vom 21.05.1954, S. 137 ff., insb. 148. Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 307; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 209; Gräfin von Bethusy-Huc, Demokratie und Interessenpolitik, S. 70. 127 Eingehend hierzu Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 309 ff. 128 Den Vorsitz im Ausschuss für Wirtschaftspolitik hatte in der zweiten Wahlperiode zunächst Wilhelm Naegel (CDU/CSU) und ab dem 21.09.1956 Fritz Hellwig (CDU/CSU); Stellvertreter war Joachim Schöne (SPD), vgl. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999, Band II, S. 2043. 129 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 27. 130 Siehe hierzu Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 219 m. w. N. 126 Robert,
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
schlag der Streichung von etwas, das die Bundesregierung ursprünglich gar nicht intendiert hatte, eher hingenommen wurde. Da sich der Bundestag der Auffassung des wirtschaftspolitischen Ausschusses anschloss, wurde für die Streichung der Fusionskontrollvorschriften gestimmt.131 Der Regierungsentwurf wurde sodann mit den vom Wirtschaftsausschuss vorgeschlagenen Änderungen beschlossen; das Abstimmungsergebnis im Bundestag war wie folgt: Die SPD und GB/BHE lehnten den Regierungsentwurf ab; die CDU/CSU, DP und FDP stimmten dafür.132 Auch der Bundesrat stimmte den Bestimmungen zu.133 Den Bestimmungen über marktbeherrschende Unternehmen und der Zusammenschlusskontrolle wurde seitens der Regierung wesentlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dem allgemeinen Kartellverbot. Ludwig Erhard wird deshalb in der Literatur angelastet, er habe sich „nahezu ausschließlich auf ein generelles Kartellverbot konzentriert“ und darüber hinaus die anderen Formen der Wettbewerbsbeschränkungen zu wenig beachtet.134 Indem die Zusammenschlusskontrolle aus dem Entwurf entfernt wurde, konnte der BDI seine Interessen umfassend durchsetzen.135 Auch der Vorsitzende des Ausschusses für Wettbewerbsordnung des BDI, Ziersch, vermerkte in diesem Zusammenhang, die „marktbeherrschenden Unternehmen kamen relativ gut davon“.136 Letztlich aufgenommen in das GWB wurden lediglich Vorschriften zur Missbrauchsaufsicht in § 22 GWB 1958, da man diese als ausreichend erachtete. Der Zweck einer Missbrauchsaufsicht lag und liegt auch gegenwärtig noch darin, marktbeherrschende Unternehmen zu einem wettbewerbskonformen Verhalten zu veranlassen. Die Entscheidung rechtfertigte man damit, dass der Missbrauch wirtschaftlicher Macht, der gegebenenfalls aus einem Zusammenschluss folgt, missbilligt wird, nicht aber der Zusammenschluss als solcher.137 131 Plenarprotokoll 2/222, Bundestagssitzung vom 03.07.1957, S. 13155B: „Ich rufe auf § 18, – § 19, – die §§ 20, 21 und 22 entfallen, – § 22a, – § 23 in der Ausschußfassung. Ich [Vizepräsident Dr. Schneider, V. H.] eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Einstimmig angenommen.“ 132 Plenarprotokoll 2/123, Bundestagssitzung vom 04.07.1957, S. 13242 ff., 1249B. 133 Plenarprotokoll zur 181. Bundesratssitzung vom 19.07.1957, S. 749B. 134 So Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 167. 135 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 210; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 261. 136 Ziersch, in: Arbeitskreis Kartellgesetz im Ausschuß für Wettbewerbsordnung des BDI (Hg.), 10 Jahre Kartellgesetz, S. 444, 449. 137 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 27.
1. Kap.: Das Scheitern einer konsequenten Fusionskontrollregelung45
Um bei Unternehmenszusammenschlüssen aber die „volle Übersicht“ zu erhalten, legte man sich dazu auf eine bloße Meldepflicht bestimmter Zusammenschlüsse fest.138 Der Verzicht auf die Fusionskontrollregelung machte zugleich etwaige Entflechtungsregelungen überflüssig,139 weil Unternehmen nur dann entflechtet werden, wenn sie sich nicht hätten zusammenschließen dürfen. Das Bundeskartellamt konnte die Unternehmen gem. § 24 GWB 1958 lediglich zu einer mündlichen Verhandlung oder zu einer schriftlichen Äußerung über den Zusammenschluss auffordern. Diese im GWB von 1958 Eingang gefundene Konzentrationsnorm hatte allerdings keinerlei Auswirkungen auf die Unternehmen. Während der Entwurf zuvor eine umfangreiche präventive Fusionskontrolle anstrebte, Zusammenschlüsse gar an die Bedingung der Kartellbehörde knüpfte, hielt das erlassene GWB in Bezug auf Unternehmensfusionen somit keine Instrumente mehr für die Kartellbehörde bereit. Die von der Regierung angestrebte „volle Übersicht“ über Konzentrationsvorgänge war mit dieser Regelung nicht zu erreichen. Hierfür hätte es auch eines Überblicks über das interne Unternehmenswachstum bedurft, wozu aber keine Norm erlassen wurde. Mithin war es von vornherein unmöglich, einen objektiven und vollumfänglichen Überblick über die Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten. Die ursprünglich vorgesehene Zusammenschlusskontrolle wurde demnach zwar nicht komplett aus dem Gesetz gestrichen, aber ihr Regelungsgehalt wurde wirkungslos. So wurde sie bereits von Fritz Hellwig (CDU/CSU), der zu dieser Zeit Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses war, als bloßer „Erinnerungsposten“140 bezeichnet. Das GWB trat sodann am 01.01.1958 in Kraft und löste zur gleichen Zeit die besatzungsrechtlichen Kartellvorschriften gem. § 109 Abs. 2 GWB 1958 ab. Das aus den Beratungen hervorgegangene Gesetz stimmte mit dem ursprünglichen Regierungsentwurf nur noch in seiner Grundstruktur überein.141 Kaum eine Bestimmung des Regierungsentwurfs blieb in der verkündeten Gesetzesfassung unverändert.142 Die Fassung, in der das GWB nach einer mehrjährigen Auseinandersetzung verabschiedet wurde, war „erheblich milder“ als in den Regierungsentwürfen ursprünglich vorgesehen.143 Der primäre Fokus lag auf der Regelung des allgemeinen Kartellverbots. Die Regelungen zur Zusammenschlusskontrolle fanden bei der Gesetzesdebatte entsprechend 138 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 27. 139 So auch Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 80. 140 Hellwig, WuW 1959, S. 389, 394. 141 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 201 f. 142 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 220. 143 Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 344.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
weniger Beachtung. Der Kartellbehörde wurde jede direkte Einwirkung auf den Konzentrationsvorgang untersagt.144 Lediglich die „Beobachtung der Konzentration als Möglichkeit der Wettbewerbsbeschränkung“ sowie die Möglichkeit, die Unternehmen zu einer Äußerung zum Zusammenschluss aufzufordern gem. §§ 23, 24 GWB 1958, gehörten nun zum Aufgabengebiet der Kartellbehörde.145 Das so verabschiedete GWB wurde bereits vom Ausschuss für Wirtschaftspolitik als ein „Kompromiss“ angepriesen, wie es im Anschluss auch die Literatur bezeichnet.146 Im politischen Raum war niemand mit der verkündeten Fassung vollends zufrieden. Die eine Seite empfand das Gesetz noch immer als zu einschneidend,147 die andere als nicht einschneidend genug. Die SPD lehnte das Gesetz mittlerweile sogar ab, weil das Wettbewerbsprinzip durch zu viele Ausnahmen geschwächt worden sei.148 Bei Betrachtung der Fusionskontrollvorschriften an sich kann jedoch kein Kompromissgedanke nachvollzogen werden. Wenn man davon ausgeht, dass ein Kompromiss durch gegenseitige Zugeständnisse geschlossen wird, trifft dies nicht auf die Vorschriften zur Zusammenschlusskontrolle des GWB zu. Deren Normierung war ursprünglich von den Alliierten gewünscht, weshalb auf deutscher Seite – mangels Ursprungswunsch – bei Streichung der Fusionskontrollvorschrift kein Kompromiss eingegangen werden musste. Als Kompromiss hingegen kann die Einführung des allgemeinen Kartellverbots angesehen werden, das mit Ausnahmen durchlöchert wurde.149 Dies führte zu einer gewissen Unausgewogenheit des Gesetzes bzgl. des Kartellverbots einerseits und dessen diversen Ausnahmeregelungen andererseits, mit welcher die Wettbewerbspolitik und der Gesetzesanwender auskommen 144 TB
des BKartA im Jahre 1958, BT-Drucks. III/1000, S. 63. des BKartA im Jahre 1958, BT-Drucks. III/1000, S. 60; TB des BKartA im Jahre 1965, BT-Drucks. V/530, S. 12. 146 Die Bezeichnung des GWB als „Kompromiss“ findet sich in: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 14; Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 32; Ortwein, das Bundeskartellamt, S. 81; bei Robert und Möschel wird es auch als „verwässert“ bezeichnet, Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 349; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 2 Rn. 57. 147 So versuchten beispielsweise der BDI und andere Wirtschaftsverbände, durch Einrichtung einer Schlichtstelle mit den gesetzlichen Instanzen zu konkurrieren, vgl. o. A., WRP 1960, S. 267. 148 Plenarprotokoll 2/222, Bundestagssitzung vom 03.07.1957, S. 13128 ff., insb. 13135A; Plenarprotokoll 2/223, Bundestagssitzung vom 04.07.1957, S. 13242 ff., insb. 13246C; Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 223. 149 Zu den Ausnahmen siehe Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 346; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 205. 145 TB
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198047
mussten; insbesondere das Bundeskartellamt, dem der Gesetzgeber die Umsetzung des GWB anvertraute.
C. Zusammenfassung Dass die Fusionskontrolle in den Regierungsentwurf 1952 während der ersten Legislaturperiode Eingang fand, kann auf den Einfluss der Alliierten zurückgeführt werden. Nach Wegfall des Einflusses der Alliierten auf das Kartellgesetz verwarf man die Regelung. Den Hintergrund der Auseinandersetzungen bildete insbesondere der Streit um ein allgemeines Kartellverbot, welches vor allem die Industrieverbände und Teile der CDU unbedingt verhindern wollten. Da das Kartellverbot das vordergründige Regierungsziel darstellte, mussten Abstriche auf anderen Ebenen gemacht werden. Deshalb wurden aufgrund der anhaltenden Gegenwehr – allen voran des BDI – die im Entwurf angedachte Fusionskontrolle in der zweiten Legislaturperiode gestrichen und das Kartellverbot mit einigen Ausnahmen versehen. Da die Regelungen zur Fusionskontrolle aber ursprünglich erst aufgrund des ausdrücklichen Wunsches der Alliierten hin in den Entwurf aufgenommen wurden, kann diese Streichung weniger als Kompromiss eingeordnet werden. Vielmehr schien die Streichung mangels politischer Gegenwehr unproblematisch. 2. Kapitel
Die Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 1980 Die Gesetzesbegründung deklarierte das GWB als die wichtigste Grundlage zur Förderung und Erhaltung der Marktwirtschaft. Das Gesetz sollte, so die Motive, die Freiheit des Wettbewerbs sicherstellen sowie wirtschaftliche Macht dort beseitigen, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigte.150 Das GWB von 1958 wurde vereinzelt von zeitgenössischen Autoren als Versuch angesehen, eine Wettbewerbsordnung zu etablieren, indem wirtschaftliche Freiheit an Rechtsnormen gebunden wird.151 Während vor Erlass des GWB die Kartellfrage im Vordergrund der Debatte stand, rückte nach 1958 zunehmend die Fusionskontrollfrage in das Blickfeld der Aufmerksamkeit. Nach Erlass des GWB dominierte die Frage, 150 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 15; wortgleich mit der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BTDrucks. II/1158, S. 21. 151 O. A., Gemeinschaftsbeitrag, in: Wettbewerb als Aufgabe, S. 5, 7.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
ob eine Fusionskontrollregelung auch ein sinnvolles Instrument im GWB sei. Die Diskussion um diese Frage zog sich bis zur Normierung im Jahre 1973 hin. Deshalb wird zunächst auf die Konzentrationsdebatte und die damit einhergehende erneute Auseinandersetzung um die Einführung einer Fusionskontrolle zur ersten GWB-Novelle (A.) eingegangen, anschließend auf den schlussendlichen Gesetzeseinzug der Zusammenschlusskontrolle mit der zweiten Novelle im Jahre 1973 bis hin zu deren Novellierung im Jahre 1980 (B.).
A. Die Diskussion um eine Fusionskontrolle bis zur ersten Novellierung des GWB von 1965 Nach Verabschiedung des GWB 1958 wurde die Forderung einer Einführung einer Fusionskontrolle beispielsweise von Otto Schlecht, der 1953 als Referent im Bundeswirtschaftsministerium eintrat, als die „wichtigste wettbewerbspolitische Forderung seit der Verabschiedung des Kartellgesetzes“ gesehen.152 Auch der Bundestag beschäftigte sich 1962 weiterhin mit der Einführung einer Fusionskontrolle.153 Obwohl die Zusammenschlusskon trolle sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen konnte, war das ursprünglich geplante Konzept maßgeblich für die weitere Entwicklung der Fusionskontrolle.154 Dies lag vor allem daran, dass das GWB zwar ein Kartellverbot normierte (§§ 1–14 GWB 1958),155 um horizontale und vertikale156 Wettbewerbsbeschränkungen in Form von Kartellen zu verhindern, aber keine wettbewerbspolitischen Instrumente zur Verfügung standen, um gegen die anderen Formen von Wettbewerbsbeschränkungen – wie etwa das Entstehen von Marktmacht durch Fusionen – vorzugehen.157 Das Bundeskartellamt thematisierte bereits in seinem ersten Tätigkeitsbericht eine Änderung des Gesetzes im Zusammenhang mit der Konzentration: „Sollten diese Feststellungen Veränderungen der Marktstruktur ergeben, durch die der Wettbewerb auf dem Markte ausgeschaltet oder wesentlich beeinträchtigt wird, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 27. der Bundesregierung über Änderungen des GWB vom 22.08.1962, BTDrucks. IV/617, S. 61 f. 154 Vgl. Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 32. 155 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C. 156 Horizontal bedeutet, dass die Unternehmen auf der gleichen Produktionsstufe stehen bzw. der gleichen Branche angehören. Vertikal bedeutet, dass die Unternehmen auf mehreren (möglicherweise aufeinander folgenden) Wirtschafts- oder Produktionsstufen tätig sind, vgl. Tonke, in: Glastetter u. a. (Hg.), Handwörterbuch der Volkswirtschaft, Sp. 1503, 1506. 157 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 167. 152 Schlecht, 153 Bericht
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198049 sollte das Bundeskartellamt die Befugnis erhalten, der Verwirklichung der Konzentrationsabsicht entgegenzutreten.“158
Aus kartellbehördlicher Sicht war klar, dass eine gesetzgeberische Lösung des Konzentrationsproblems notwendig war.159 Seitens des Bundeskartellamtes wurde deshalb angeregt, die Einführung eines Anmelde- oder Erlaubnisverfahrens sowie eines Vorverfahrens in Erwägung zu ziehen.160 Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium forderte bereits 1962 eine Verschärfung des GWB im Sinne des ursprünglichen Regierungsentwurfs.161 Da das GWB jedoch kein Flickenteppich werden sollte, wollte die Bundesregierung mit einer Änderung noch so lange warten, bis „genügende Erfahrungen“ über die Auswirkung von Unternehmenskonzentration gesammelt wurde.162 Wie diese „Erfahrung“ genau ausgestaltet sein sollte bzw. wann genügend Erfahrung vorliege, wurde aber nicht genauer thematisiert. Nach außen berief sich die Bundesregierung weiter darauf, dass man keine empirischen Erkenntnisse habe und demnach keine zutreffende Aussage darüber treffen könne, ob Unternehmenszusammenschlüsse tatsächlich eine unerwünschte Konzentration auf den Märkten bewirken würden, die zu einer ungewollten Marktmacht führen könnte. Die Bundesregierung unter Adenauer zögerte daher Anfang 1960 mit konkreten Änderungsvorschlägen. Die Berichte des Bundeskartellamtes, dass die Wirtschaft der Anzeigepflicht nur ungenügend nachkomme und § 24 GWB 1958 allenfalls zu einer „Aufklärung der Konzentrationsvorgänge im Einzelfall führen könne“,163 reichten offenbar noch nicht.
158 TB
des BKartA im Jahre 1958, BT-Drucks. III/1000, S. 63 ff. des BKartA im Jahre 1959, BT-Drucks. III/1795, S. 92. 160 TB des BKartA im Jahre 1958, BT-Drucks. III/1000, S. 64. 161 Vgl. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 23.06.1962 zum Thema „Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 423–447. 162 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1958 vom 15.04.1959, BT-Drucks. III/1000, S. 3: „[…] Bei der Frage einer Änderung ist die Schwierigkeit der vom Gesetz behandelten Materie und der Umstand zu berücksichtigen, daß nach dem ersten Jahr der Anwendung des Gesetzes genügende Erfahrungen für eine sorgfältige und allen Erfordernissen gerecht werdende Gesetzesänderung noch nicht vorliegen. Soll aber die Gefahr eines ständigen Flickwerks vermieden werden, die auf die Dauer Bestand hat, wird man einer ausreichenden Erfahrungsgrundlage nicht entraten können. […]“ 163 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1958 vom 15.04.1959, BT-Drucks. III/1000, S. 4; vgl. auch TB des BKartA im Jahre 1958, BTDrucks. III/1000, S. 63 f. 159 TB
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
I. Die Konzentrationsenquete von 1960–1964 Die Bundesregierung setzte daher zur Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft eine Konzentrationsenquete mit dem Ziel ein, die bisherige Entwicklung der Unternehmenskonzentration und deren Ursachen festzu stellen, um anhand dieser Erkenntnisse die Regelungen des GWB zu überprüfen.164 Durchgeführt werden sollte die Untersuchung vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft,165 das in „wissenschaftlichen und methodischen Fragen“ von einer Kommission beraten werden sollte.166 Die Konzentra tionsenquete sollte Aufschluss darüber geben, „welche Auswirkungen die Konzentration auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs hat und welche Motive und Methoden einer feststellbaren Konzentration ermittelt werden können“.167 Das Bundeskartellamt beschränkte sich „im Hinblick auf die bevorstehende umfassende Enquete über die Konzentration in der Wirtschaft“ zunächst darauf, eine „zweckmäßige Abgrenzung“ der „notwendigen Betriebskonzentration von anderen, jedoch unerwünschten Konzentrationsformen zu finden“.168 Das Bundeskartellamt wies ausdrücklich darauf hin, dass eine Unternehmenskonzentration nicht grundsätzlich abgelehnt werde, da sie auch ein „notwendiger Vorgang“ sein könne, um Unternehmen an „gegebene Marktentwicklungen anzupassen“. Im Einzelfall konnten Konzentrationsvorgänge jedoch zu Einschränkungen des Wettbewerbs führen, weshalb aus der wirtschaftlichen Praxis heraus differenzierende Grundsätze entwickelt werden müssten.169 Eine Typisierung dieses Einzelfalls sollte mithin herausgearbeitet und analysiert werden, um ihn abgrenzen zu können und Machtkonzentrationen auf den Märkten vorzubeugen. Eine Konzentrationsenquete sah das Bundeskartellamt deshalb als „vordringlich“ für die Durchführung ihrer Aufgaben an.170 Die Kartellbehörde wies darauf hin, dass die Konzentration nicht allein durch das GWB eingedämmt werden könne, sondern auch in 164 Gesetz über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 31.12.1960 (Konzentrationsenquete), BGBl. I 1961, S. 9. 165 Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft wurde 1952 gegründet und gehörte zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, vgl. Art. 2 des Gesetzes über das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft vom 09.10.1954, BGBl. I 1954, S. 281. Das heutige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ging aus dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft und dem Bundesausfuhramt hervor. 166 § 2 des Gesetzes über eine Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 31.12.1960 (Konzentrationsenquete), BGBl. I 1961, S. 9. 167 TB des BKartA im Jahre 1960, BT-Drucks. III/2734, S. 110. 168 TB des BKartA im Jahre 1960, BT-Drucks. III/2734, S. 8. 169 TB des BKartA im Jahre 1959, BT-Drucks. III/1795, S. 92; TB des BKartA im Jahre 1964, BT-Drucks. IV/3752, S. 8. 170 TB des BKartA im Jahre 1959, BT-Drucks. III/1795, S. 93.
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198051
gleicher Weise gesellschafts- und steuerrechtliche Bestimmungen angestrebt werden müssten,171 was im ursprünglichen Josten-Entwurf aus eben diesen Gründen zwar bereits bedacht wurde, aber teilweise zu dessen Scheitern führte und keinen Eingang in den Regierungsentwurf und somit auch nicht in das GWB fand.172 Der Bericht über die Ergebnisse der Enquete173 erschien 1964 und stützte die vom Bundeskartellamt vertretene Auffassung, dass die „Entstehung marktbeherrschender Stellungen genauer zu beobachten und der mißbräuchlichen Ausnutzung bereits bestehender marktbeherrschender Stellungen wirksamer zu begegnen“ sei; eine Änderung der §§ 22 bis 24 GWB 1958 sollte ausweislich des Bundeskartellamtes diese Aufgabe erleichtern.174 Wie sich allerdings herausstellte, half der Konzentrationsbericht bei der Handhabung der §§ 22 bis 24 GWB 1958 für die Bundesregierung „kaum weiter“.175 Dies lag unter anderem daran, dass die „im Gesetz vorgesehenen Auskunftsrechte nicht ausreichten, um eine repräsentative Feststellung über die konkreten Ursachen der Konzentration zu treffen“, wie die Bundesregierung einräumte.176 Auch stand der Verdacht im Raum, dass innerhalb der Enquete erhebliche Spannungen aufgekommen waren. So traten nach und nach sieben der zwölf Mitglieder der Enquete-Kommission zurück.177 Presseberichten war zu ent171 TB
des BKartA im Jahre 1960, BT-Drucks. III/2734, S. 112. hierzu bereits oben 1. Kap. A. I. 1. 173 Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29.02.1964, BT-Drucks. IV/2320. 174 TB des BKartA im Jahre 1964, BT-Drucks. IV/3752, S. 8. 175 So heißt es in der Stellungnahme zum Ergebnisbericht der Konzentrationsuntersuchung: „Da der Bericht im allgemeinen nur die Bedeutung der größten Unternehmen und Unternehmensverbindungen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen, nicht aber ihre Stellung auf einzelnen Märkten erkennen läßt, hilft er bei der Handhabung der geltenden Fassung der §§ 22 bis 24 (marktbeherrschende Unternehmen) des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) kaum weiter“, Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 05.06.1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 93. 176 Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration der Wirtschaft vom 05.06.1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 93; auf Mängel bei den Vorarbeiten und der Durchführung der Enquete weist auch Lenel in seinem Vorwort zur zweiten Auflage hin, Lenel, Ursachen der Konzentration, o. S. 177 Der Enquete-Kommission gehörten ursprünglich an: Helmut Arndt, Alfred Flender, Gerhard Frentzel, Kurt Hendrikson, Hans-Helmut Kuhnke, Ernst-Joachim Mestmäcker, Heinz Müller, Robert Nieschlag, Dieter Pohmer, Erich Potthoff, Gerhard Schreiterer, Wolfgang Stützel. Ende Mai legten Arndt und Nieschlag ihr Amt nieder. An ihre Stelle wurden Norbert Kloten und Karl Schwantag berufen. Ende November 1962 erklärten Kloten, Mestmäcker, Müller, Pohmer und Stützel ihren Austritt aus der Kommission, siehe hierzu Anl. 2 zum Bericht über das Ergebnis einer 172 Siehe
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
nehmen, dass der Wirtschaftswissenschaftler Helmut Arndt, der Ende Mai 1962 aus der Enquete-Kommission austrat, monierte, der westdeutschen Industrie seien „im Rahmen der Enquete Zugeständnisse gemacht“ worden und man könne nur ein unzureichendes und die Sachlage verfälschendes Ergebnis erwarten.178 Der Vorwurf ließ sich im Zuge dieser Arbeit nicht rekonstruieren. Unabhängig davon brachte der Bericht der Konzentrationsenquete schlussendlich keinen entscheidenden Fortschritt in der Debatte um eine präventive Fusionskontrolle.179 Eine erhoffte Entscheidungshilfe im Rahmen der Einführung einer Fusionskontrollnorm war die Enquete damit nicht. II. Der Konzentrationsbericht der Bundesregierung 1962 Noch bevor die Ergebnisse der Konzentrationsenquete bekannt waren, forderte im Jahre 1961 der Bundestag durch Antrag der Abgeordneten Schmücker (CDU), Brand (CDU), Kurlbaum (SPD), Lange (SPD) und Atzenroth (FDP) die Bundesregierung auf, einen Bericht vorzulegen, welche Änderungen des GWB „nach den bisherigen Erfahrungen notwendig“ seien.180 Diesen legte die Bundesregierung im August 1962 vor.181 Der Bericht statuierte, dass die „Erfahrungen“ noch nicht ausreichten, um ein abschließendes Urteil über notwendige Änderungen der §§ 22 bis 24 GWB 1958 zu treffen.182 Deshalb wollte man den Beobachtungszeitraum verlängern und mit den zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Ergebnissen der Konzentrationsenquete verbinden.183 Ihr Zögern begründete die Bundesregierung in ihrem Bericht damit, dass ein Zusammenschlussverbot ein „schwerwiegender direkter Eingriff“ sei, weshalb man hinterfragte, ob unternehmerische Entschlüsse durch eine Behörde ersetzt werden könnten.184 Die Bundesregierung schlug deshalb noch Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 05.06.1964, BTDrucks. IV/2320, S. 77; hierzu auch Knauss, ZögU 1983, S. 169. 178 O. A., Konzentration, X und Y, Der Spiegel, Nr. 36/1962, S. 19 f. 179 Zur Kritik zum Urteil des Enqueteausschusses Lenel, Ursachen der Konzentration, S. 418 ff. 180 Antrag der Abgeordneten Schmücker, Brand, Kurlbaum, Lange (Essen), Atzenroth und Genossen vom 21.06.1961, BT-Drucks. III/2886. 181 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617. 182 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617, S. 65 f. 183 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617, S. 65 f. 184 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617, S. 66.
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198053
vor Bekanntwerden der Ergebnisse der Konzentrationsenquete vor, zunächst indirekte Eingriffe auszuschöpfen und konzentrationsfördernde Interventionen des Rechts durch eine Reform des Steuer-, Gesellschafts- und Patentrechts zu beseitigen.185 Dies kam den Bestrebungen des Bundeskartellamtes entgegen;186 die Ideen stammen ursprünglich aus dem Josten-Entwurf.187 Auch sei eine vorbeugende Verfahrensweise im Rahmen einer Zusammenschlusskontrolle nur anwendbar, wenn das Bundeskartellamt einen „Überblick über alle Unternehmenszusammenschlüsse“ besitze, die möglicherweise zu einer marktbeherrschenden Stellung führen könnten. Deshalb sollten Zusammenschlüsse meldepflichtig sein, was wiederum an „eindeutige Merkmale“ geknüpft werden sollte, wie beispielsweise „steuerpflichtiges Gewerbekapital, Umsatz oder Beschäftigtenzahl bestimmter Höhe“.188 Daneben müsste das Bundeskartellamt die Befugnis erlangen, einem gemeldeten Zusammenschlussvorhaben innerhalb einer kurz bemessenen Frist zu widersprechen.189 Einen Erfahrungsbericht und Vorschläge zur Novellierung legte das Bundeskartellamt dem Bundesminister für Wirtschaft bereits im Jahre 1961 vor und sah dabei eine der wichtigsten Änderungsanregungen insbesondere bei Vorschriften gegen wettbewerbsgefährdende Zusammenschlüsse.190 Auch fünf Jahre nach seiner Errichtung wies das Bundeskartellamt 1963 abermals darauf hin, dass die Probleme der Konzentration unverändert akut seien.191 Die Bereitschaft kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU), sich Groß unternehmen anzuschließen und ihre Selbstständigkeit aufzugeben, würde wachsen.192 Vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung eben diese
185 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617, S. 67. 186 TB des BKartA im Jahre 1960, BT-Drucks. III/2734, S. 112. 187 Vgl. dazu bereits oben 1. Kap. A. I. 1. 188 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617, S. 95. 189 Bericht der Bundesregierung über eine Änderung des GWB vom 22.08.1962, BT-Drucks. IV/617, S. 95. 190 Einen Auszug darüber gibt es nicht. Das Bundeskartellamt verweist lediglich in seinem TB 1961 darauf: „Im Zusammenhang mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 29.06.1961 (Stenographischer Bericht über die 165. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 9627B und BT-Drucks. III/2886) hat das Bundeskartellamt dem Bundesminister für Wirtschaft einen Erfahrungsbericht und Novellierungsvorschläge zum Ersten Teil, Zweiter Abschnitt (Sonstige Verträge) und Dritter Abschnitt (Marktbeherrschende Unternehmen) des GWB vorgelegt“, TB des BKartA im Jahre 1961, BT-Drucks. IV/378, S. 11. 191 TB des BKartA im Jahre 1963, BT-Drucks. IV/2370, S. 15. 192 TB des BKartA im Jahre 1963, BT-Drucks. IV/2370, S. 15.
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KMU schützen und deren Leistungswettbewerb fördern wollte,193 war dies auch für die Bundesregierung eine unerwünschte Entwicklung. Dennoch sah die Bundesregierung die Einführung von Fusionskontrollvorschriften noch immer nicht als notwendig an. III. Die Fusionskontrolle und die erste GWB-Novelle 1965 Änderungsanträge zum GWB, die eine Zusammenschlusskontrolle enthielten, legte die Fraktion der SPD bereits in den Jahren 1960 und 1964 vor.194 Ein Konsens hinsichtlich der Einführung einer Fusionskontrolle in das GWB war allerdings nicht in Sicht. Hierfür existierten mehrere Gründe: Zum einen konnte die Bundesregierung aus dem Bericht der Konzentrationsenquete keinen Aufschluss über die Stellung der Unternehmen auf bestimmten einzelnen Märkten gewinnen; es blieb vage, welche Rolle marktbeherrschenden Unternehmen in der Bundesrepublik tatsächlich zukam, ob sie als volkswirtschaftlich schädlich oder begünstigend zu bewerten waren.195 Dies lag insbesondere daran, dass es der Konzentrationsenquete nicht möglich war, genaue Marktanteile zu berechnen.196 Zum anderen wurde die Beantwortung der Frage einer Einführung durch die Einflüsse der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erschwert: Die Römischen Verträge traten am 01.01.1958 in Kraft. Es herrschte Unsicherheit darüber, welche Auswirkungen die Einflüsse eines gemeinsamen Marktes der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf die Konzentrationsbewegung haben könnten. Die Bundesregierung nahm an, dass es auf den erweiterten Märkten weniger als bisher möglich sei, marktbeherrschende Macht zu bilden.197 193 Vgl. hierzu Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1963 vom 19.06.1964, BT-Drucks. IV/2370, S. 2. 194 Antrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 07.12.1960, BT-Drucks. III/2293; Antrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 09.06.1964, BT-Drucks. IV/2337; zu den SPD-Entwürfen siehe auch Kollewe, Zur ökonomischen Theorie der Verbände, S. 67 ff. 195 Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 05.06.1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 93; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.09.1964, BT-Drucks. IV/2564, S. 9. 196 „Die Unmöglichkeit, über die ganze Breite der Industrie Marktanteile statistisch zu ermitteln, und damit auch Aussagen über das Vorhandensein marktbeherrschender Unternehmen im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu machen, ist im übrigen bekannt“, Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29.02.1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 16. 197 Zum Ganzen: Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.09.1964, BT-Drucks. IV/2564, S. 9 f.
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198055
Im Ergebnis lehnte die Bundesregierung eine Fusionskontrollvorschrift ab. Stattdessen sollten „die Möglichkeiten zur Beobachtung der Unternehmenskonzentration“ verbessert werden.198 Auch der „Wirtschaftspolitische Aus schuss“199 teilte die Auffassung, dass eine genaue Ursachenkenntnis erforderlich sei, um wirtschaftlich notwendige von marktschädigenden Zusammenschlüssen unterscheiden zu können.200 Der Enquete-Bericht konnte diese Ursachenkenntnis nicht erbringen. Deshalb entschied sich die Bundesregierung im Rahmen der ersten GWBNovelle dazu, die Möglichkeiten der Beobachtung der Konzentration zu verbessern. Da die Konzentrationsenquete offengelegt hatte, dass es bislang keine sichere Methode der zuverlässigen Ermittlung von Marktanteilen gab,201 wurde § 23 GWB 1965 erweitert. Ein besserer Einblick in die Zusammenschlüsse von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung sollte durch die Einführung absoluter Kriterien in § 23 GWB 1965 gegeben werden; die Anzeigepflicht für Unternehmenszusammenschlüsse wurde außer an einen Marktanteil i. H. v. 20 % oder mehr nunmehr auch an absolute Größenmerkmale gebunden, nämlich die Anzahl der Beschäftigten innerhalb des Unternehmens, den Umsatz und die Bilanzsumme. Der Deutsche Bundestag verabschiedete sodann Ende Juni 1965 das erste Gesetz zur Änderung des GWB,202 welches am 01.01.1966 in Kraft trat.203
B. Der Weg zur Fusionskontrolle im GWB 1973 Bereits kurz nach Inkrafttreten der neuen Fassung des GWB führte die Bundesregierung im Jahre 1967 – nun in Form einer „Große Koalition“ unter Kurt Georg Kiesinger – in ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes aus, es gäbe einige Anzeichen dafür, dass auch diese Fassung des Gesetzes „noch nicht für die Dauer zufriedenstellend gelöst“ 198 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.09.1964, BT-Drucks. IV/2564, S. 9. 199 Den Vorsitz im Wirtschaftsausschuss hatte in der vierten Wahlperiode zunächst Rolf Dahlgrün (FDP) und ab dem 09.01.1963 Albrecht Aschoff (FDP); Stellvertreter war Peter Wilhelm Brand (CDU/CSU), vgl. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999, Band II, S. 2051. 200 Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses vom 10.06.1965, BTDrucks. IV/3533, S. 5 f. 201 Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29.02.1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 16. 202 Erste GWB-Novelle vom 15.09.1965, BGBl. I 1965, S. 1363; Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 03.01.1966, BGBl. I 1966, S. 37. 203 TB des BKartA im Jahre 1965, BT-Drucks. V/530.
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war, was insbesondere für die „Vermachtung der Märkte“ galt.204 Das Gesetz sei nicht geeignet, sowohl das Entstehen als auch den Missbrauch von marktbeherrschenden Positionen zu verhindern.205 Das Bundeskartellamt sah die Änderungen der ersten GWB-Novelle zwar als eine „wirksame Hilfe“ zur Konzentrationsbeobachtung an;206 gleichwohl forderte das Amt aber weitere und weitergehendere Befugnisse an. Die Debatten um die Novellierung des GWB wurden demnach durch die erste GWB-Novelle noch nicht beendet. I. Novellierung 1973 Eine Weiterentwicklung des GWB gehörte zur Agenda der ersten Großen Koalition, die 1966 unter Kiesinger aus CDU/CSU und SPD gebildet worden war.207 Die Vorarbeiten eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB begannen deshalb bereits Ende 1967.208 Mit der Regierungsbeteiligung der SPD änderte sich auch der wirtschaftspolitische Kern der Bundesregierung. Es sollte eine Reform der sozialen Marktwirtschaft seitens der Großen Koalition angestrebt werden: Die Regierung strebte eine keynesianische Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklungen an, die der erste sozialdemokratische Wirtschaftsminister Karl Schiller als Globalsteuerung bezeichnete.209 Die SPD unterlag der Vorstellung, durch Strukturpolitik und Globalsteuerung die Wirtschaft systematisch lenken zu können. Das Bundeswirtschaftsministerium legte bereits im April 1968 einen Novellierungsentwurf vor, der u. a. die Kontrolle wirtschaftlicher Macht verschärfen sollte. Zwar wurde Schiller von der SPD unterstützt, traf aber auf Widerstand seitens der Abgeordneten der CDU/CSU. Da Bundeskanzler Kiesinger den Gesetzesentwurf nicht in den Bundestag einbringen wollte, zog Schiller ihn zurück.210 Die Bundesregierung äußerte in ihrer Stellungnahme zu den Tätigkeitsberichten des BKartA weiterhin Zweifel, ob eine präventive Fusionskontrolle 204 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1966 vom 12.07.1967, BT-Drucks. V/1950, S. 2. 205 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1966 vom 12.07.1967, BT-Drucks. V/1950, S. 2. 206 TB des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 9. 207 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 225. 208 Begründung zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 14. 209 Vgl. hierzu Pierenkemper, Wirtschaftsgeschichte, S. 204. 210 Zum Ganzen: Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 225 ff.; vgl. auch Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 388; Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Industrieverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD, S. 132.
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198057
nicht auf europäischer Ebene behandelt werden müsse.211 So statuierte die Bundesregierung 1968: „Wegen der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft muß diese Frage [nach einer präventiven Fusionskontrolle, V. H.] auf europäischer Ebene behandelt werden.“212 Aufgrund dessen behielt sich die Bundesregierung zwar vor, eine nationale Regelung ins Auge zu fassen, „wenn der Schutz des Wettbewerbs es fordern sollte“, entschied sich aber dazu, zunächst die weitere Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland zu „beobachten“.213 Die Einstellung der Bundesregierung änderte sich erst 1969 aufgrund des Regierungswechsels zur sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP unter Willy Brandt. Der enorme Anstieg an Unternehmenszusammenschlüssen zwischen 1969 und 1970214 regte zudem auch die öffentliche Diskussion über das Für und Wider einer Fusionskontrolle an.215 Im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland vertraute die Wirtschaftspolitik weniger als zuvor auf die Selbststeuerung der Märkte.216 Deshalb wurde die Fusionskontrolle von der sozialliberalen Koalition auf die politische Agenda gesetzt und stand nun im Mittelpunkt zur Reform des Wettbewerbsgesetzes, welche Brandt in seinem Regierungsprogramm vom 28. Oktober 1969 ankündigte.217 Für die Bundesregierung unter Brandt war die Einführung einer Zusammenschlusskontrolle in Bezug auf die Kartellgesetznovelle nun der „wichtigste, aber auch umstrittenste Punkt“.218 Die Bundesregierung war zu der Überzeugung gelangt, dass es zur Sicherung des Wettbewerbs eines Instrumentariums bedürfe, welches der wirtschaftlichen Entwicklung und der wett211 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1967 vom 11.04.1968, BT-Drucks. V/2841, S. 3. 212 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1967 vom 11.04.1968, BT-Drucks. V/2841, S. 3. 213 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1967 vom 11.04.1968, BT-Drucks. V/2841, S. 3. 214 Die bedeutenden Zusammenschlüsse haben sich 1969 gegenüber 1968 fast vervierfacht und 1970 gegenüber 1969 fast verdoppelt; vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 16. 215 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1968 vom 23.05.1969, BT-Drucks. V/4236, S. 2. 216 Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 227. 217 Vgl. Plenarprotokoll 06/5, Bundestagssitzung vom 28.10.1969, S. 23B; vgl. hierzu auch 3. Kap. A. 218 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 3.
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bewerbspolitischen Erfahrung entspreche.219 Da das GWB nach eigenen Aussagen der Bundesregierung unter sozialdemokratischer Führung „der veränderten wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr gerecht“ würde, müsse in einer Novellierung dem Konzentrationsproblem begegnet werden, wozu die Einführung einer vorbeugenden Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen als Instrumentarium dienen sollte.220 Zur Begründung wurde ausgeführt, für eine Fusionskontrolle im GWB spreche, dass Unternehmenskonzentration den Wettbewerb ebenso wie Kartelle beeinträchtigen könne, den Ansporn zur Leistung und zur Verwirklichung des Fortschritts vermindern würde und dass durch übermäßige Anhäufung wirtschaftlicher Macht die Grundlage der freiheitlichen Ordnung zerstört werde.221 Darüber lagen aber keine gesicherten Erkenntnisse vor. Vielmehr forderte die SPD bereits seit 1960,222 eine Zusammenschlusskontrolle in das GWB aufzunehmen, und war nun erstmals dazu in der Lage, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Schon Anfang 1969 wurde der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf in einem „offenen Verfahren“ vom Bundeswirtschaftsministerium erarbeitet.223 Das „offene Verfahren“ gab allen an der Novelle interessierten Akteuren, insbesondere auch den Verbänden, die Gelegenheit, im Stadium der Erarbeitung auf die Novelle einzuwirken.224 Dadurch sollten wettbewerbspolitische Meinungsverschiedenheiten so früh wie möglich ausgeräumt werden, wovon man sich erhoffte, dies würde zur Verbesserung des wett bewerbspolitischen Klimas beitragen.225 Einer Fusionskontrolle ablehnend gegenüber stand dabei insbesondere die Mehrheit der Wirtschaftsverbände, allen voran BDI und DIHT.226
219 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 2. 220 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 2 f.; Jahreswirtschaftsbericht 1970 der Bundesregierung vom 27.01.1970, BT-Drucks. VI/281, S. 22; zur Durchsetzung der Fusionskontrolle vgl. Plenarprotokoll 06/5, Bundestagssitzung vom 28.10.1969, S. 23B. 221 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 3. 222 Siehe Antrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 07.12.1960, BT-Drucks. III/2293. 223 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 3; Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 15. 224 Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 391. 225 Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 391. 226 Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 40; Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 103; o. A., Volkswirt 8/1970, S. 15 f.; o. A., WRP 1970, S. 105, 105 f.
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So warnte Arno Sölter, Ökonom und Wettbewerbsexperte des BDI, vor dem offenkundig „dirigistische[n] Charakter einer Fusionskontrolle“.227 Zudem sprach er sich gegen eine Regelung aus, die nur den nationalen Markt betreffen kann. Für Konzentrationsentscheidungen sollen nicht nationale ordnungspolitische Vorstellungen, sondern „internationale Wettbewerbserfordernisse“ maßgeblich sein. Dabei sei zu berücksichtigen, dass für große deutsche Unternehmen der Weltmarkt die Wettbewerbskontrolle ist.228 Ähnliche Ansichten vertrat auch der DIHT. In einer Stellungnahme von 1970 betreffend die Vorarbeiten zur zweiten Gesetzesnovelle gab der DIHT zu bedenken, dass es keinen Nachweis darüber gebe, dass der Konzentrationsgrad staatliche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs erfordere. Außerdem könne man die „Wirksamkeit des Wettbewerbs“ nicht allein am deutschen, sondern nur noch am „Gemeinsamen Markt“, eher noch dem „Weltmarkt“ messen. Gegen eine nationale Regelung sprach man sich demnach mit Nachdruck aus. Der DIHT gab zu bedenken, dass auf diesen Märkten aufgrund ihrer Größe eine marktbeherrschende Stellung kaum noch möglich sei. Der DIHT-Vorstand fürchtete insbesondere Wettbewerbsnachteile deutscher gegenüber ausländischen Unternehmen. Sollte es dennoch zur Einführung einer Fusionskontrolle kommen, bat der DIHT darum, „auf perfektionistische Maximalregelungen“ zu verzichten.229 1. Referentenentwurf vom 20.03.1970
Nach den Vorarbeiten im Bundesministerium für Wirtschaft konnte ein erster Referentenentwurf am 20.03.1970 vorgelegt werden, der zwar eine Zusammenschlusskontrolle enthielt.230 Auf Antrag der CDU/CSU wurde der Wortlaut für eine geplante Abwägungsklausel bezüglich der Zusammenschlusskontrolle aber dahingehend ergänzt, dass „auch die Wettbewerbs fähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungs-
227 Sölter, Wider die nationale Fusionskontrolle, in: Raisch/Sölter/Kartte, Fusionskontrolle, S. 45, 59 f. 228 Sölter, Wider die nationale Fusionskontrolle, in: Raisch/Sölter/Kartte, Fusionskontrolle, S. 45, 76. 229 Zum Ganzen: Stellungnahme des DIHT vom 15.01.1970 und des DIHT-Vorstands zur Fusionskontrolle, auszugsweise abgedruckt bei Raisch/Sölter/Kartte, Fusionskontrolle, S. 213–220. 230 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 20.03.1970; ein Auszug des Entwurfs ist abgedruckt in Anlage E; vgl. zu den Vorarbeiten der zweiten Kartellgesetznovelle auch Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 14 ff.; Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 67 ff.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
bereiches dieses Gesetzes zu berücksichtigen“ sei.231 Somit wurde dem Einwand, dass eine Fusionskontrollregelung nicht nur innerhalb des Grenzgebiets der Bundesrepublik Deutschland Beachtung finden dürfe, Rechnung getragen. Der Zweck der Zusammenschlusskontrolle sollte in der Erhaltung und Förderung des Wettbewerbs bestehen.232 Eine – wie von der Bundesregierung zuvor angekündigte – „vorbeugende Fusionskontrolle“ enthielt der Entwurf jedoch nicht. Nur bereits vollzogene Zusammenschlüsse sollten der Fusionskontrolle unterliegen und die Möglichkeit der Auflösung gewähren (§ 24 Abs. 1); eine vorherige Anmeldung war für die Unternehmen als optional ausgestaltet (§ 24a Abs. 1). Damit wollte man dem Interesse der Unternehmen – Zusammenschlüsse schnell durchführen zu können – Rechnung tragen. Da eine Anzeige nach Vollzug das Risiko der Auflösung barg, wurde erwartet – unter Verweis auf Erfahrungen in den USA und Großbritannien –, dass die Unternehmen den Zusammenschluss grundsätzlich vor Vollzug anzeigen würden. Betrachtet wurde der Entwurf dementsprechend als „faktisch vorbeugende Kontrolle der Unternehmenszusammenschlüsse“.233 Weiter sah der Entwurf nur eine Fusionskontrolle durch den Wirtschaftsminister vor (§ 24 Abs. 1). Dem Kartellamt wäre dem Entwurf zufolge lediglich die Aufgabe eines „unverbindlichen Kommentators“ zugefallen.234 Insbesondere seitens des Bundeskartellamtes war der Entwurf deshalb massiver Kritik ausgesetzt.235 Es wurde gefordert, die Entscheidung über einen Unternehmenszusammenschluss dem Bundeskartellamt, einer unabhängigen Kommission oder einem Kartellgericht zu überlassen. Auch der DIHT wollte eine Zusammenschlusskontrolle nicht beim Bundeswirtschaftsminister angesiedelt sehen. Der DIHT sah eine Gefahr der Zusammenschlusskontrolle beim Bundeswirtschaftsminister darin, dass kurzfristige und politische Erwägungen sowie der Einfluss der öffentlichen Meinung zu einer nicht sachgerechten
231 Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft vom 13.06.1973, BT-Drucks. 7/ 765 (zu Drucks. 7/696), S. 7 f. 232 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 06.02.1970 zum Thema „Einführung einer Fusionskontrolle“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 545–561, 549. 233 Zum Ganzen: Begründung zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 20.03.1970, auszugsweise abgedruckt bei Raisch/Sölter/ Kartte, Fusionskontrolle, S. 139–163, 153. 234 Nörr, Die Republik der Wirtschaft Teil II, S. 183. 235 Übersicht zur Kritik: Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 76 ff.; Lenders, Marktwirtschaft 1970, S. 14 ff.; MüllerHermann, Marktwirtschaft 1970, S. 17 ff.
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198061
Entscheidung führen könnten.236 Aufgrund der massiven Kritik wurde der Entwurf überarbeitet. 2. Referentenentwurf vom 28.10.1970
Die überarbeitete Fassung des Referentenentwurfs vom 28.10.1970237 übertrug die Fusionskontrolle sodann dem Bundeskartellamt (§ 24 Abs. 1, 2), führte den Begriff „überragende Marktstellung“ ein (§ 22 Abs. 1 S. 2) und enthielt erstmals Marktanteilsvermutungen zur Marktbeherrschung (§ 22 Abs. 1 S. 3). Der Bundeswirtschaftsminister schied, entgegen der ursprüng lichen Pläne, als regelmäßige Instanz aus und wurde auf die „Beurteilung von ‚Einzelfällen‘ beschränkt“ (§ 24 Abs. 3), die sog. Ministererlaubnis. Zur Sicherung einer „Einheitlichkeit der Wettbewerbspolitik“ und um eine klare Trennung der Zuständigkeiten zu gewähren, sollte eine Fusionskontrollentscheidung allein vom Bundeskartellamt getroffen werden.238 Da mit der Einführung einer Fusionskontrolle unbekanntes Terrain betreten wurde, hatte man mit der Ministererlaubnis als Ausnahme einen Kompromiss gefunden, um im Einzelfall auch nicht wettbewerbliche Gesichtspunkte, sondern Gründe der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls bei der Entscheidung berücksichtigen zu können.239 Teilweise trug man damit der Forderung des DIHT Rechnung. Im Gegensatz zum ersten Entwurf war eine Fusionskontrolle in dieser Fassung zudem auch präventiv vorgesehen, zumindest für sog. Umsatzmilliardäre (§ 24 Abs. 1 S. 2). Der wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium sprach sich aus mehreren Gründen für eine ex-ante Entscheidung aus: Zum einen sollte die Unsicherheit der Beteiligten zeitlich beschränkt werden, zum anderen ist die nachträgliche Auflösung mit großen Schwierigkeiten verbunden oder gar ganz unmöglich.240 In Bezug auf Umsatzmilliardäre entschied man sich deshalb für eine präventive Zusammenschlusskon trolle.
236 Stellungnahme des DIHT vom 15.01.1970, auszugsweise abgedruckt bei Raisch/Sölter/Kartte, Fusionskontrolle, S. 213–219, 219. 237 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 28.10.1970, ein Auszug des Entwurfs ist abgedruckt in Anlage F. 238 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 06.02.1970 zum Thema „Einführung einer Fusionskontrolle“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 545–561, 555. 239 Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 43. 240 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 06.02.1970 zum Thema „Einführung einer Fusionskontrolle“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 545–561, 552 f.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Als Beratungs- und Kontrollinstanz wurde dem Bundeskartellamt und dem Bundeswirtschaftsminister die Monopolkommission an die Seite gestellt (§ 24b Abs. 1).241 Der wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium wies darauf hin, dass eine präventive Fusionskontrolle „zahlreiche Probleme“ aufwerfe, und schlug deshalb vor, eine „unabhängige Kommission“ einzusetzen, um „die Handhabung und Auswirkung der Fusionskontrolle sorgfältig zu beobachten, die damit gemachten Erfahrungen auszuwerten und in regelmäßigen Zeitabschnitten Vorschläge für ihre Modifizierung vorzulegen“.242 Der Entwurf kam diesem Vorschlag nach. Durch die Monopolkommission sollte die Möglichkeit geschaffen werden, „Unternehmenskonzentration laufend zu beobachten und ihre Entwicklung in regelmäßigen Zeitabständen objektiv zu würdigen“.243 Angelehnt wurde die Monopolkommission an das Sachverständigenratsgesetz vom 14.08.1963.244 Der Entwurf wurde mit den Stellungnahmen des Bundesrats und der Bundesregierung am 18.08.1971 an den Bundestag weitergeleitet und anschließend an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.245 Aufgrund der vorzeitigen Parlamentsauflösung in der sechsten Wahlperiode am 22.09.1972 konnte der Entwurf allerdings nicht zu Ende beraten werden.246 Nach den Neuwahlen 1972 wurde der Regierungsentwurf von 1971 unverändert wieder eingebracht und verabschiedet;247 er trat am 05.08.1973 in Kraft.248 241 Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 7. Von einer ursprünglich angedachten Mitwirkung der Monopolkommission riet der Wissenschaftliche Beirat ab, vgl. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 06.02.1970 zum Thema „Einführung einer Fusionskontrolle“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 545–561, 557 ff. 242 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 06.02.1970 zum Thema „Einführung einer Fusionskontrolle“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 545–561, 554, 557. 243 Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 25. 244 Begründung zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB, auszugsweise abgedruckt bei Raisch/Sölter/Kartte, Fusionskontrolle, S. 139– 163, 156; Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14.08.1963, BGBl. I 1963, S. 685. 245 Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520. 246 Vgl. hierzu Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 388. 247 Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 25.01.1973, BTDrucks. 7/76; Nörr, Die Republik der Wirtschaft Teil II, S. 183; Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 190; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 388. 248 Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft vom 13.06.1973, BT-Drucks. 7/ 765 (zu Drucks. 7/696); Plenarprotokoll zur 369. Bundesratssitzung vom 06.07.1973,
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198063
Die bloße Anzeige- und Aufklärungspflicht wurde durch die Novellierung der §§ 22 bis 24b GWB 1973249 zu einem Prüfungs- und Untersagungsverfahren erweitert, womit erstmals eine sogar präventive Fusionskontrolle in das deutsche Recht Eingang fand. War nach § 24 Abs. 1 GWB 1973 „zu erwarten, daß durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird“, konnte das Bundeskartellamt diesen untersagen. Die Fusionskontrollregelung galt gem. § 24 Abs. 8 GWB 1973 nicht, wenn die Unternehmen „Umsatzerlöse von weniger als 500 Millionen Deutscher Mark“ im Jahr erzielten oder eines der Unternehmen „Umsatzerlöse von nicht mehr als 50 Millionen Deutscher Mark“ im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielte. Somit sollten nur Großunternehmen der Regelung unterworfen werden. Begründet wurde die Neuregelung u. a. mit bis dahin gemachten Konzen trationserfahrungen. So wusste die Bundesregierung inzwischen aus „Erfahrung“, dass in bedeutenden Fällen von Entstehung marktbeherrschender Stellung „stets“ Zusammenschlüsse mitverantwortlich seien.250 Daher erwartete die Politik von der Zusammenschlusskontrolle, dass sie die Entstehung von Marktkonstellationen verhindere, die ein Klima für „wechselseitige Abstimmungen“ schufen.251 Empirische Daten, die diese „Erfahrung“ stützen konnten, wurden aber nicht vorgetragen. Die Einführung der Fusionskontrolle war vor allem der politischen Agenda der entscheidenden Akteure geschuldet. Aber auch das Bundeskartellamt, welches nun vor der Aufgabe stand, die Fusionskontrolle in die Praxis umzusetzen, plädierte seit seiner Gründung 1958 für die Einführung einer Fusionskontrolle und begrüßte die Normierung entsprechend. Die Kartellbehörde sah in der Regelung einen „wirksamen Beitrag für die Sicherung und den Ausbau unserer marktwirtschaftlichen Ordnung“.252 Nach Ansicht des Bundeskartellamtes markierte die Einführung der Fusionskontrolle den „Beginn einer neuen Phase in der Entwicklung der deutschen Wettbewerbspolitik“.253 Dies traf dahingehend zu, dass mit Einführung der Fusionskontrolle politisches, wirtschaftliches und juristisches S. 276D; zweites Gesetz zur Änderung des GWB vom 03.08.1973, BGBl. I 1973, S. 917. 249 Zu den §§ des GWB 1973 siehe Anlage G. 250 Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 18. 251 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1970 vom 28.06.1971, BT-Drucks. VI/2380, S. 5. 252 TB des BKartA im Jahre 1971, BT-Drucks. VI/3570, S. 4; Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1972 vom 05.09.1973, BT-Drucks. 7/ 986, S. II. 253 TB des BKartA im Jahre 1973, BT-Drucks. 7/2550, S. 5.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Neuland betreten wurde.254 Die Zusammenschlusskontrolle wurde in der zeitgenössischen Literatur teilweise sogar als „Regelungsexperiment“ be zeichnet,255 da man im Unklaren darüber war, ob sie das geeignete Mittel zur Zweckerreichung darstellte.256 Dennoch galt sie damals als „Markstein in der Geschichte der Wettbewerbspolitik“.257 Angesichts der Bedeutung, die ihr auch heute noch zukommt – sie bildet eine der drei „Säulen des Kartell rechts“258 –, war ihre Einführung ein entscheidendes Ereignis in der Wettbewerbspolitik. II. Novellierungen 1976 und 1980 Da die Fusionskontrolle allein auf Großzusammenschlüsse ausgerichtet war, wurde sie den Gegebenheiten auf besonderen Märkten nicht gerecht, wie beispielsweise den Pressemärkten.259 Auf diesen Märkten ergeben sich Besonderheiten daraus, dass eine größere Marktmacht deutlich schneller negative Effekte hervorbringen kann, wie im Bereich der Medien zum Nachteil der Informationsvielfalt. 1976 wurden deshalb Sonderregelungen, die Zusammenschlüsse im Pressebereich der Fusionskontrolle unterstellten, in das GWB aufgenommen.260 Im Pressewesen sollte die präventive Fusionskon trolle nicht nur auf große überregionale Zusammenschlüsse begrenzt sein. Vielmehr komme es in „besonderem Maße auf die Vielfalt des Angebots auch im regionalen und lokalen Bereich“ an, wobei das Angebot „überwiegend von mittleren und kleinen Unternehmen getragen wird“, weshalb eine auf Großfusionen begrenzte Kontrolle nicht ausreiche.261 Um die grundgesetzlich (Art. 5 GG) garantierte Informationsfreiheit und Vielfalt im Pressewesen zu erhalten, unterlagen danach auch Fusionen mit und von kleineren Verlagen der Zusammenschlusskontrolle.262 Weitere Kontrollmöglichkeiten Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 41. Rittner, DB 1970, S. 669, 674. 256 Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 43. 257 Jahresgutachten 1971 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 22.11.1971, BT-Drucks. VI/2847, S. 123. 258 Zur Einordnung der Fusionskontrolle als „Säule“ vgl. Ahrens, Europäisches und internationales Wirtschaftsprivatrecht, S. 194 Rn. 516. 259 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft vom 18.02.1976, BT-Drucks. 7/4768, S. 3. 260 Drittes Gesetz zur Änderung des GWB vom 28.06.1976, BGBl. I 1976, S. 1697. 261 Begründung zum Regierungsentwurf zur Dritten GWB-Novelle vom 11.12.1974, BT-Drucks. 7/2954, S. 5. 262 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 168; Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 101. 254 Mattes, 255 So
2. Kap.: Einführung einer Fusionskontrolle im GWB bis zur Novelle 198065
wurden nicht eingefügt, da man zunächst davon ausging, dass sich die in die vorbeugende Fusionskontrolle gesetzten Erwartungen erfüllen würden.263 Deshalb sollten mit den vorhandenen Instrumenten „weitere Erfahrungen gesammelt werden“.264 Auf die anhaltende fortschreitende Konzentration wies bereits die Monopolkommission in ihrem zweiten Hauptgutachten 1978 hin,265 weshalb vor allem die Erfassung vertikaler und konglomerater Zusammenschlüsse266 erleichtert werden sollte. Ziele der vierten GWB-Novelle waren demnach die Verbesserung des kartellrechtlichen Instrumentariums und die Anpassung des geltenden Kartellrechts an die geänderten Verhältnisse.267 Insbesondere bezweckte die Novelle, das Eindringen von großen Unternehmen in mittelständisch strukturierte Märkte zu verhindern: Großen Unternehmen wurde das Fusionieren erschwert und durch die Einführung von § 23a GWB 1980 das Entstehen „enger Oligopole“ behindert.268 Danach galt auch eine Gesamtheit von Unternehmen als marktbeherrschend, wenn sie eine gewisse Marktanteilsgrenze überschritten. Des Weiteren wurde die präventive Kontrolle § 24a GWB 1980 ausgedehnt, wonach ein Zusammenschluss vor Vollzug bereits dann angemeldet werden musste, wenn nur eines der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen „Umsatzerlöse von mindestens zwei Milliarden
263 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 11.12.1974, BT-Drucks. 7/2954, Anl. 2, S. 9; Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1973 vom 14.06.1974, BT-Drucks. 7/ 2250, S. I. 264 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 11.12.1974, BT-Drucks. 7/2954, Anl. 2, S. 9. 265 Monopolkommission, Fortschreitende Konzentration bei Großunternehmen, S. 24 ff. 266 Es gibt drei unterschiedliche Zusammenschlussformen: horizontal, vertikal und konglomerat. Ein horizontaler Zusammenschluss liegt vor, wenn die Unternehmen auf dem gleichen relevanten Markt tätig sind. Vertikal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Unternehmen auf vor- bzw. nachgelagerten Produktionsstufen tätig sind und in einer Käufer-Verkäufer-Beziehung zueinander stehen. Konglomerat (teilweise auch als diversifizierend bezeichnet) wird negativ definiert, als Zusammenschluss, der weder horizontaler noch vertikaler Natur ist; hierzu auch 1. Teil Fn. 156. 267 Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des GWB, BT-Drucks. 8/2136, S. 1. 268 Oligopol beschreibt eine Marktform, bei der auf Seite des Angebots u./o. der Nachfrage relativ wenig große Verkäufer bzw. Käufer auftreten, hierzu Mecke, in: Gabler Wirtschaftslexikon, online im Internet: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/oligopol-43869/version-267192 [Stand: 02.08.2021]. Zur Marktform des Duopols, auch bekannt als Dyopol, vgl. 2. Teil Fn. 127; Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 168 f.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Deutscher Mark hatte“.269 Die vierte GWB-Novelle270 trat am 27.04.1980 in Kraft, wobei die Bestimmungen über die Fusionskontrolle rückwirkend zum 28.02.1980 Anwendung fanden.271
C. Zusammenfassung Zwar hielt die SPD nach Erlass des GWB 1958 weiterhin an einer Zusammenschlussregelung im GWB fest und legte zu diesem Zwecke Entwürfe vor, schaffte es aber nicht, davon zu überzeugen, die Regelung als solche in die erste GWB-Novelle zu integrieren. Allerdings wurden absolute Kriterien (Umsatz, Belegschaft, Bilanzsumme) im Rahmen von Zusammenschlüssen in § 23 GWB 1965 eingefügt. Unter der sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP unter Brandt erhielt die Fusionskontrolle sodann Einzug in die zweite GWB-Novelle von 1973. Die Sozialdemokraten forcierten bereits seit Anfang der 1960er Jahre intensiv die Normierung einer Zusammenschlusskontrolle. Erst aufgrund geänderter politischer Rahmenbedingungen und Machtverhältnisse ging 1973 aus jahrelangen Debatten und etlichen Gesetzesentwürfen schlussendlich eine Fusionskontrolle hervor. 3. Kapitel
Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB Die Entwicklungsgeschichte der Fusionskontrolle, die erst 1973 mit Untersagungsbefugnissen des Bundeskartellamtes in das GWB272 inkorporiert wurde, lässt sich nur vollständig klären und erfassen, wenn man sich zum einen mit dem wettbewerbstheoretischen Diskurs innerhalb der Ökonomik beschäftigt und diesen im Kontext der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung sieht. Zum anderen muss man – und das hängt damit unmittelbar zusammen – die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik berücksichtigen, welche 269 Weitere Änderungen vgl. § 24 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 8 GWB 1980, abgedruckt in Anlage H. 270 Vierte GWB-Novelle vom 26.04.1980, BGBl. I 1980, S. 458. Das GWB ist dann neu gefasst worden; Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 24.09.1980, BGBl. I 1980, S. 1761. Die Novelle wurde am 28.02.1980 verabschiedet und beruhte auf dem Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 27.09.1978, BT-Drucks. 8/2136. 271 Art. 4 der vierten GWB-Novelle vom 26.04.1980, BGBl. I 1980, S. 458. 272 Zweites Gesetz zur Änderung des GWB vom 03.08.1973, BGBl. I 1973, S. 917.
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB67
auch von Kurswechseln und Brüchen gekennzeichnet war, die sich auf die Gesetzgebung des GWB unmittelbar auswirkten. Da wettbewerbspolitische Konzeptionen in gesetzliche Regelungen übertragen und von Juristen angewandt werden mussten,273 spielten auch wirtschaftstheoretische bzw. wettbewerbspolitische Erwägungen und Konzeptionen für die Entstehung und Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen eine signifikante Rolle. Da das GWB für die Fusionskontrolle in der Regel auf unbestimmten Rechtsbegriffen, wie z. B. „Wettbewerb“ oder „Marktbeherrschung“, aufbaute, waren diese Begriffe stets auch von den Beamten des Bundeskartellamtes auszulegen und mit konkreten Inhalten zu füllen.274 Es liegt auf der Hand, dass dabei auch ökonomische Theorieangebote sowohl für den Normgeber als auch für den Normanwender eine leitende bzw. begrenzende Funktion übernehmen konnten. Ökonomen hatten die Möglichkeit, durch ihre Wettbewerbstheorien Einfluss auf die Politik zu nehmen und insoweit auch die Gesetzgebung zu beeinflussen.275 Durch den Sachverständigenrat276 konnten Ökonomen seit 1963 ohnehin mit ihrer Expertise Einfluss auf die Wirtschaftspolitik – zumindest durch die schriftlichen Gutachten auch auf die öffentliche Meinung – nehmen. Umgekehrt wurde auch die Ökonomie von aktuellen Fragen und Entwicklungen der Wirtschaft beeinflusst. Wirtschaftspolitik und Ökonomik waren daher von einer Interdependenz geprägt. Deshalb wird zum einen das Verständnis von Wettbewerb in der Theorie, d. h. die wettbewerbspolitischen Konzeptionen bzw. Leitbilder bis zur Normierung der Fusionskontrolle 1973, untersucht (A.). Zum anderen wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit bzw. welche Ideen der Wettbewerbstheorie vom Gesetzgeber bei seiner Rechtssetzung zugrunde gelegt wurden; dafür sollen auch Brüche und Transformationen im Verständnis des Wettbewerbs bzw. seiner Regulierung in der Politik der 1960er Jahre herausgefiltert werden (B.).
273 Siehe auch Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 1. 274 Vgl. Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 348. 275 Zur Entwicklung der Wirtschaftstheorie vgl. Hesse, Wirtschaft als Wissenschaft, S. 27 ff. 276 Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14.08.1963, BGBl. I 1963, S. 685; eingehend zum Sachverständigenrat Nützenadel, Die Stunde der Ökonomen, S. 155 ff.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
A. Die adäquaten Leitbilder der Wettbewerbspolitik Den Wirtschaftsprozess zu erklären und Wirtschaftspolitikern Kriterien und Instrumente zur Beurteilung des Marktgeschehens sowie zur Lenkung des Marktprozesses aufzuzeigen können zu den zentralen Aufgaben der Ökonomik gezählt werden.277 Durch ökonomische Theorien des Wettbewerbs sollte die Wettbewerbspolitik wirtschaftstheoretisch fundiert werden.278 Deshalb gilt es im Folgenden, einen genaueren Blick auf eben diese Theorien zu werfen. Dabei ist der Frage nachzugehen, welche Konzepte der Wettbewerbspolitik zur Verfügung standen und welche Wettbewerbsideen diesen Konzepten zugrunde lagen. Der Begriff Wettbewerb stand zugleich im Mittelpunkt des Kartellrechts, wobei es eine Legaldefinition nicht gab. Unter Wettbewerb sowie der Aufgabe des Wettbewerbs und seinem Charakter als Mittel oder Ziel verstand im Grunde jeder Theoretiker etwas anderes.279 Da Inhalt und Umfang staatlicher Wettbewerbsregulierung nicht nur umstritten, sondern auch schwierig zu bestimmen waren, entwickelte man in der Ökonomik wettbewerbspolitische Konzeptionen.280 Angesichts der enormen Meinungsvielfalt können hier nicht alle Theorien angesprochen werden. Ein US-amerikanischer Ökonom konstatierte bereits 1957: „there are as many definitions of ‚effective‘ or ‚workable‘ competition as there are effective or working economists.“281 Nachfolgend sollen daher nur die Ansätze betrachtet werden, die für die Zeit der 1960er und 70er Jahre auf die Fusionskontrolle innerhalb der deutschen Diskussion von Bedeutung waren. In der Geschichte des ökonomischen Denkens führte ein Wechsel des Theorienmodels oft nicht zu einer Ablösung des „alten“ durch das „neue“, sondern zu einer Koexistenz, die teils ergänzend, teils substituierend war.282 Aufgrund der Theorienvielfalt und der Tatsache, dass es zu keinem Zeitpunkt eine allgemein anerkannte und akzeptierte wettbewerbspolitische Konzeption gab, ist eine trennscharfe Abgrenzung kaum 277 So bereits Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 2. 278 Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 4. 279 Die Frage, was Wettbewerb genau ist, beschrieb beispielsweise Hoppmann auch als „Gretchenfrage der deutschen Wettbewerbspolitik“ und entwickelte daraufhin ein eigenes wettbewerbspolitisches Konzept, Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 276. 280 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 2; vgl. hierzu auch Lux, Der Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung, S. 15 ff. 281 Mason, Economic Concentration and the Monopoly Problem, S. 381. 282 Rothschild, Wirtschaftsdienst 1984, S. 303, 304; Helmstädter, in: Issing (Hg.), Geschichte der Nationalökonomie, S. 1, 3 ff.
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB69
möglich; sie wurde von den Ökonomen oftmals auch gar nicht angestrebt.283 Drei Leitbilder standen hier im Vordergrund: Erstens die „vollständige Konkurrenz“ von Walter Eucken (I.), zweitens der „funktionsfähige Wettbewerb“ von Erhard Kantzenbach (II.) und drittens der „freie Wettbewerb“ von Erich Hoppmann (III.). Ausgewählt wurden die Leitbilder aufgrund ihrer Divergenz in Bezug auf die Wettbewerbsvorstellungen und ihren unterschiedlichen Einfluss auf die politischen Akteure. Sie können verschiedenen idealtypischen wettbewerblichen Grundpositionen zugeordnet werden und verfolgten unterschiedliche Zielfunktionen. Zum einen das Ziel der Wohlfahrtssteigerung, unter welchem ausschließlich ökonomische Zusammenhänge analysiert wurden. Zum anderen das Freiheitsziel als Zentrum der wettbewerblichen Analyse.284 I. Die vollständige Konkurrenz und der Ordoliberalismus nach Eucken Der Kreis der ersten Generation der Ordoliberalen um Walter Eucken knüpfte – angelehnt an die Lehren der Klassik – an das Wettbewerbskonzept des „vollkommenen Wettbewerbs“285 an und baute auf den Freiheitsrechten der Marktteilnehmer auf.286 Die anzustrebende Wirtschaftsordnung der Ordoliberalen war die des Leistungswettbewerbs in der Marktform der „vollständigen Konkurrenz“, welche zum wirtschaftspolitischen Leitbild der gerade entstandenen Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurde.287 Die „Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz“ sollte Eucken zufolge zum „wesentlichen Kriterium jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme gemacht“ werden und das „wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundprinzip“ darstellen.288 Darunter verstand Eucken: 283 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 110; Herdzina, Konzept und Voraussetzungen des funktionsfähigen Wettbewerbs, S. 88 f., 21 ff. 284 Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 24 f. 285 Weitere Konzepte zum „vollkommenen Wettbewerb“ entwickelten Edward H. Chamberlin („pure competition“) und Joan Robinson („perfect competition“), hierzu Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, S. 13 ff. 286 Vgl. hierzu Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 151. 287 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 15; Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 21; vgl. hierzu auch Wöllert, Kartellrechtliche Probleme des Umwandlungsgesetzes, S. 53; Dirrheimer, Marktkonzentration und Wettbewerbsverhalten von Unternehmen, S. 11; Schwintowski, Die Abwägungsklausel in der Fusionskontrolle, S. 62. 288 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 254.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
„Bei annähernder Verwirklichung vollständiger Konkurrenz übt jeder Anbieter und Nachfrager faktisch eine kleine Wirkung aus. Alle zusammen bestimmen – ohne daß der Einzelne es weiß – die Preise und damit den gesamten Wirtschaftsprozeß. Und da jede Machtballung fehlt, besteht auch keine persönliche wirtschaftliche Abhängigkeit, wohl aber die Abhängigkeit von einem anonymen Markt. Würde einmal in einem Lande auf allen Märkten vollständige Konkurrenz bestehen, so wären alle Betriebe und alle Haushalte und damit alle Bewohner des Landes wirtschaftlich weitgehend entmachtet. Oder – anders formuliert: Jeder hätte eine sehr kleine Portion an Macht. Das Problem der ökonomischen Macht würde in einem solchen Lande nur wenig sichtbar sein.“289
Das Ziel Euckens war also die Schaffung einer polypolen Marktstruktur, in der zahlreiche kleinere Unternehmen unter Einbindung der kartellrechtlichen Instrumente, wie beispielsweise des allgemeinen Kartellverbots, konkurrierten.290 Des Weiteren definierte Eucken Prämissen, unter denen ein „vollständiger Wettbewerb“ zu einem optimalen Gleichgewicht führen könne. Hierzu fasste er konstituierende und regulierende Prinzipien zusammen, wobei eines dieser Grundprinzipien das der „vollständigen Konkurrenz“ darstellte.291 Durch die konstituierenden Prinzipien sollte eine funktionsfähige Wettbewerbsordnung geschaffen und durch regulierende Prinzipien die Funktionsfähigkeit garantiert werden.292 Als das zentrale marktwirtschaftliche Ziel, auf das sich die wirtschaftspolitischen Aktivitäten zu konzentrieren hätten, sah Eucken die Aufrechterhaltung einer Wettbewerbsordnung.293 Dabei sollte es zur „großen Aufgabe der Wirtschaftspolitik“ werden, „die Kräfte, die aus dem Einzelinteresse entstehen, in solche Bahnen zu lenken, daß hierdurch das Gesamtinteresse gefördert wird, daß also eine sinnvolle Koordination der Einzelinteressen statt findet“.294
Die Grundlagen der Nationalökonomie, S. 202. auch Hardach, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 193, 210. 291 Die konstituierenden Prinzipien sind: 1. Das Grundprinzip „vollständiger Konkurrenz“; 2. Primat der Währungspolitik; 3. Offene Märkte; 4. Privateigentum; 5. Vertragsfreiheit; 6. Haftung und 7. Konstanz der Wirtschaftspolitik. Die regulierenden Prinzipien sind: 1. Antimonopolpolitik; 2. Einkommenspolitik; 3. Intervention des Staates in der Wirtschaftsrechnung; 4. Anomales Verhalten des Angebots (Festsetzung eines Minimallohns auf dem Arbeitsmarkt), Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 254 ff. 292 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 253. 293 Vgl. hierzu auch Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, S. 5. 294 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 360. 289 Eucken, 290 Hierzu
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB71
Wie der konkrete Wettbewerb genau aussehen soll, hat Eucken somit nur im Ansatz beschrieben. Die Marktteilnehmer sollten in die Lage versetzt werden, ihre wirtschaftlichen Freiheiten auszuüben. Damit diese Freiheit nicht von Individuen ausgenutzt wird, sollte ein Ordnungsrahmen gesetzt werden.295 Es sollte also nicht allein der Markt, die „invisible hand“, die Regeln des Wettbewerbs bestimmen, sondern eine vom Staat zu konstituierende und zu überwachende Ordnung des Wettbewerbs diesem Markt einen gewissen Ordnungsrahmen vorgeben. Die ökonomischen Planungen der Wirtschaftssubjekte sollten dadurch sowohl vor staatlicher als auch wirtschaftlicher Willkür geschützt sein.296 Das Recht als ordnungspolitisches Regulierungsinstrument sollte hier eine zentrale Rolle übernehmen. Der Ansatz Euckens unter dem Leitbild der „vollständigen Konkurrenz“ bestand mithin darin, Markteingriffe einer starken Monopolbehörde zu überlassen und sich auf die Verhinderung monopolistischer Marktstrukturen zu beschränken.297 Da aus Euckens Aussagen aber nicht vollständig hervorging, was unter dem Begriff „vollständige Konkurrenz“ zu verstehen war, vertrat man in der Literatur hierzu unterschiedliche Auffassungen.298 Als wesent liche Bestandteile des Konzepts werden dabei stets drei Eckpfeiler herausgearbeitet: erstens eine große Anzahl von Marktteilnehmern, zweitens heterogene Produkte und drittens ein freier Marktzugang.299 Dem Bild der „vollständigen Konkurrenz“ wurde aber oft ein utopischer Charakter vorgeworfen. Einer der Kritiker der Theorie war Erhard Kantzenbach. Er statuierte im Jahre 1966, die „vollständige Konkurrenz“ sei „nicht nur unrealistisch, sondern auch wenig erstrebenswert“.300 Somit zeichnete sich in Deutschland die Lösung des Leitbilds der „vollständigen Konkurrenz“ ab. So erschien auch die letzte Neuauflage des Buches „Die Grundlagen der Nationalökonomie“ von Eucken im Jahre 1965.301
295 Vgl. hierzu auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 152. 296 Vgl. Ziegler, Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 128. 297 Ritschl, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 265, 298. 298 Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, S. 77, der die Auffassungen Hans-Otto Lenels, Ingo Schmidts und Wernhard Möschels gegenüberstellt. 299 So auch Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, S. 77 f., der die vollständige Konkurrenz mit der Marktform des heterogenen Polypols gleichsetzt, unter besonderer Betonung der Offenheit der Märkte. 300 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 11. 301 Vgl. Hesse, Wirtschaft als Wissenschaft, S. 263.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
II. Die „workable competition“ und der funktionsfähige Wettbewerb nach Kantzenbach Das dem GWB innewohnende ordoliberale wettbewerbspolitische Leitbild der „vollständigen Konkurrenz“ war zunehmend Kritik ausgesetzt und man war auf der Suche nach einem neuen Leitbild. Hauptkritikpunkt war, dass die „vollständige Konkurrenz“ ein utopischer Theoriegedanke sei und in der Praxis nicht existiere.302 Als Alternativkonzept rückte die Theorie der „workable competition“303 in den Vordergrund. Das Konzept der „workable competition“, vornehmlich seit Ende der 1930er Jahre in den USA unter John M. Clark 304 entwickelt, ging davon aus, dass Marktunvollkommenheiten den Wettbewerb unter Umständen sogar funktionsfähiger machen können und nicht per se schlecht sind (sog. „second best“-Lösung). So statuierte John Clark: „Where one of the conditions of competition is absent, the presence of others may lead to greater rather than less imperfection.“305
Kurz gesagt, man solle Marktunvollkommenheiten nicht minimieren, da man so nicht dem Ideal der „vollständigen Konkurrenz“ näherkomme. An dieses Konzept der angloamerikanischen Theorien knüpfte Kantzenbach an.306 Er entwickelte in seiner Habilitationsschrift „Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“ – welche 1966 veröffentlicht und 1967 in zweiter Auflage gedruckt wurde – eine neue, eigene Theorie. Da eine „rationale Wettbewerbspolitik“ seines Erachtens einer „realistischen Wettbewerbstheorie“ bedarf, schlug Kantzenbach anstelle der „vollständigen Konkurrenz“ als neues Leitbild die von ihm entwickelte „optimale Wettbewerbsintensität“ im Rahmen des „funktionsfähigen Wettbewerbs“ vor: „Im Gegensatz zu dieser theoretischen Wettbewerbsvorstellung [„vollständige Konkurrenz“, V. H.] bilden in der Realität oligopolistische Marktformen und wettbewerbsbeschränkende Organisationen eher die Regel als die Ausnahme. […]. In 302 Statt
vieler Ingo/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 9–12. The Economics of Imperfect Competition, S. 320 ff.; Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition, S. 68 ff.; Clark, AER 1940, S. 241 ff. Einen Überblick zu den Beiträgen zur Theorie und Politik der „Workable Competition“ findet sich bei Poeche (Hg.), Das Konzept der „Workable Competition“ in der angelsächsischen Literatur, S. 5 ff. 304 Clark, AER 1940, S. 241–256; Clark, Competition as a Dynamic Process, S. 41 ff. Entscheidende Impulse erhielt das von Clark begründete Konzept von der Industrieökonomik, deren Pioniere Edward Mason, Joe Bain und Frederic Scherer waren; vgl. hierzu Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 135 f. 305 Clark, AER 1940, S. 241. 306 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 14. 303 Robinson,
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB73 ihrer grundsätzlichen Orientierung basiert die Wettbewerbspolitik der Bundesrepublik auf der vorherrschenden theoretischen Wettbewerbsvorstellung und der neoliberalen Ordnungskonzeption. Da sich diese Leitbilder in reiner Form jedoch in der Realität nicht verwirklichen lassen, ist sie ständig zu Kompromissen gezwungen, denen häufig eine klare theoretische Orientierung fehlt. Eine rationale Wettbewerbspolitik bedarf einer realistischen Wettbewerbstheorie. […]. Die Berücksichtigung evolutorischer Wirtschaftsbedingungen führt dabei zu dem Ergebnis, daß die vollständige Konkurrenz nicht nur unrealistisch, sondern auch wenig erstrebenswert ist. Die als Orientierungsgröße an ihre Stelle tretende optimale Wettbewerbsintensität erweist sich dagegen auch als grundsätzlich realisierbar.“307
Auf eine Definition des Wettbewerbs verzichtete Kantzenbach und ging stattdessen auf die Aufgaben ein, die der Wettbewerb seiner Ansicht nach zu erfüllen hatte. Hierzu entwickelte Kantzenbach ein „System gesamtwirtschaftlicher Wettbewerbsfunktionen“. Diese können zusammengefasst werden in drei statische Wettbewerbsfunktionen („leistungsgerechte Einkommensverteilung“, „Konsumentensouveränität“, „optimale Faktorallokation“) und zwei dynamische Wettbewerbsfunktionen („Anpassungsflexibilität“, „Technischer Fortschritt durch Produkt- und Prozessinnovation“).308 Dabei suchte Kantzenbach nach der Form prozesses, d. h. einer Marktform, welche die werbsfunktionen optimal erfüllt.309 Diese müsse, so Kantzenbach, das „Leitbild einer bilden.310
des dynamischen Wettbewerbsgesamtwirtschaftlichen Wettbe„optimale Wettbewerbsform“ rationalen Wettbewerbspolitik“
Um diese „optimale Wettbewerbsform“ beurteilen zu können, versuchte Kantzenbach, einen Maßstab für die Wettbewerbsintensität zu definieren, und fragte in einem nächsten Schritt, ob diese Wettbewerbsintensität beeinflussbar sei. Dabei unterschied er zwischen potentieller und effektiver Wettbewerbsintensität. Mit ansteigender potentieller Wettbewerbsintensität nehme die Tendenz zu ruinösen Machtkämpfen oder zu kooperativen Marktabsprachen zu, womit die effektive Wettbewerbsintensität sinke.311 Im Anschluss an seine Analyse sah Kantzenbach eine „optimale Wettbewerbsintensität […] in der Regel im Bereich weiter Oligopole mit mäßiger Produktdifferenzierung“ und „unvollkommener Markttransparenz“.312 Damit 307 Zum
Ganzen: Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 10 f. Ganzen: Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 16–19. 309 Vgl. hierzu auch Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 88; Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 40. 310 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 15. 311 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 45. 312 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 49; ders./Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 103, 110. 308 Zum
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
reduzierte Kantzenbach sein wettbewerbspolitisches Leitbild auf zwei Komponenten: zum einen die Zahl der Marktteilnehmer und zum anderen den Grad der Marktunvollkommenheit, von dem die Nachfragebewegung abhing.313 So kam er zu seinem Konzept der „optimalen Wettbewerbsintensität“ im „weiten Oligopol“, wobei Kantzenbach es unterließ, eine genaue Definition davon zu geben, wann ein Oligopol „weit“ ist.314 Erforderlich seien Kantzenbach zufolge für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs „weite Oligopole“, da er der Annahme war, dass in dieser bestimmten Marktstruktur die Wettbewerbsintensität am größten sei, d. h. die Wettbewerbsfunktionen bestmöglich erfüllt würden.315 Auf Märkten, wo diese Struktur nicht vorhanden war, insb. bei engen Oligopolen, sollte der Staat eingreifen und optimieren, u. a. durch eine Fusionskontrolle. Kantzenbachs Theorie befürwortete demnach externe staatliche Eingriffe in den Markt, um eine Marktstruktur von „weiten Oligopolen“ zu ermöglichen, da seines Erachtens der Wettbewerb dann am funktionsfähigsten sei. Diesbezüglich sprach sich Kantzenbach ausdrücklich für eine Fusionskontrolle aus.316 Das Konzept Kantzenbachs kann als wohlfahrtsökonomischer Ansatz eingeordnet werden.317 Die Vertreter der Wohlfahrtsökonomie erachteten eine Orientierung der Wettbewerbspolitik an der Wettbewerbsfreiheit als illusorisch. Stattdessen sollte der Wettbewerb „die ‚ökonomischen Wettbewerbsfunktionen‘ erfülle[n]“.318 Das Ziel des instrumentalistischen Ansatzes Kantzenbachs, Formen des Wettbewerbsprozesses zu definieren, nach denen die Wettbewerbsfunktion optimal zur Entfaltung kommen könne und dadurch gute Marktergebnisse erreichen würde, entzog sich allerdings einer Überprüfbarkeit und es war nicht empirisch nachweisbar, ob das Ziel erreicht wurDie Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 49 ff. Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 49. 315 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 49; ders./Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 103, 110; vgl. hierzu auch Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 93; Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 40. 316 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 139; Kantzenbach, in: Wirtschaftsdienst 1969/VI, S. 303 f.; Kantzenbach, in: Der Volkswirt Nr. 9 1970, S. 41 f. 317 Zur Einordnung wettbewerbspolitischer Konzeptionen siehe Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 28 f.; ders., Wettbewerbspolitik, S. 108 ff.; ein Überblick zur Wohlfahrtstheorie und deren Entwicklung findet sich bei Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 123 ff.; Ziegler, Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 113 ff. 318 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 18, der sich gegen einen wohlfahrtsökonomischen Ansatz in der Wettbewerbspolitik aussprach und stattdessen die Wettbewerbsfreiheit in den Vordergrund stellte. 313 Kantzenbach, 314 Kantzenbach,
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB75
de.319 Aufgrund dessen stieß das Konzept automatisch auf Kritik, insbesondere von Befürwortern der Wettbewerbsfreiheit. Es entwickelte sich im Schrifttum die sogenannte Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse,320 welche die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich zog. Auf die Fusionskontrolle hatte diese Debatte jedoch keine Auswirkungen.321 Während zuvor der Wettbewerb und die Wettbewerbsfreiheit als Ziele an sich angesehen wurden, änderte sich dies dahingehend, dass der Wettbewerb nun – gestützt durch die Theorie Kantzenbachs – als Instrument betrachtet werden konnte. Der wettbewerbliche Selbststeuerungsmechanismus wurde zunehmend in Frage gestellt. Das Leitbild Kantzenbachs konnte deshalb als Rechtfertigung für die Politik dienen, direkt in Märkte einzugreifen. Deshalb sorgte es insbesondere ab Ende der 1960er Jahre für Aufsehen. III. Der freie Wettbewerb unter Hoppmann Erich Hoppmann,322 wie auch viele weitere Wissenschaftler,323 kritisierte ab Mitte der 1960er Jahre insbesondere den Marktstrukturansatz Kantzenbachs.324 Der Versuch, ökonomische Wohlfahrtsoptima zu berechnen und durch die Politik herzustellen, wurde zum Teil als eine Anmaßung von Wis319 Weil die Termini „angemessen“, „optimal“ oder „leistungsgerecht“ nicht operationabel definierbar sind und an verbindlichen Normen ausgerichtet werden können; zur Kritik hierzu vgl. Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 95; Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 42. 320 Die Kontroverse spielte sich in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik ab: Hoppmann, JbNSt 1966, S. 286–323; Kantzenbach, JbNSt 1967, S. 193– 241; Hoppmann, JbNSt 1967, S. 251–264. Thematisiert bei Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 33 ff.; Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 44 ff.; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, S. 303 ff. 321 Sowohl Hoppmann als auch Kantzenbach sprachen sich für eine Fusionskon trolle im GWB aus, lediglich in der Ausgestaltung der Norm waren sie unterschied licher Ansicht; vgl. Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 10 ff.; Kantzenbach, in: Der Volkswirt Nr. 9 1970, S. 41 f. 322 Hoppmann, in FS Wessels, S. 145, 145 ff.; ders., JbNSt 1966, S. 286–323. 323 Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, S. 36 ff.; Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 42 ff.; Heuss, Ordo 1967, S. 411, 413 ff., Kaufer, JbNSt 1966, S. 481 ff. 324 Der Marktstrukturansatz wurde vorwiegend von Hoppmann kritisiert, während andere Wissenschaftler ihre Kritik auf bestimmte Aspekte des theoretischen Ansatzes stützten; Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 83, 94; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 147. Kantzenbach hielt auch nach der Kritik zunächst noch an seinem Leitbild fest, Kantzenbach/Kallfass, in: Cox/ Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 103, 110.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
sen gesehen.325 Begründet wurde die Kritik hauptsächlich damit, dass Wettbewerbsprozesse – in Anlehnung an Friedrich A. Hayek326 – als offene Prozesse („Entdeckungsverfahren“) eingestuft wurden und Marktergebnisse somit grundsätzlich nicht konkret normierbar seien.327 Hoppmann, der als „schärfster Verfechter der Schule der ‚Institutionalisten‘ “ bezeichnet wurde, ging es einzig und allein um die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit.328 Die Freiheit schütze nämlich nicht nur die bereits auf einem Markt tätigen, aktuellen Anbieter, sondern auch die potentiellen Wettbewerber.329 Da Freiheit auch Ungewissheit implementiere, könne ein System nicht auf konkrete Ergebnisse hin instrumentalisiert werden.330 Hoppmann zufolge sei man „gar nicht erst in der Lage, konkrete Abläufe eines kompetitiven Systems vorauszusagen“, geschweige denn eine Vorhersage zu treffen, dass aus bestimmten konkreten Marktstrukturen jeweils bestimmte ökonomische Wirkungen folgen.331 Weiter statuierte Hoppmann, dass Wettbewerbsfreiheit, verstanden als Wahlfreiheit der Anbieter- und Abnehmerseite,332 als Voraussetzung für die Erfüllung sogenannter ökonomischer Vorteilhaftigkeit fungiere.333 Die Wettbewerbspolitik könne das Ziel der ökonomischen Vorteilhaftigkeit nicht verfolgen, ohne das Ziel der Wettbewerbsfreiheit anzuerkennen.334 Dem instrumentalistischen Ansatz der theoretischen Wettbewerbspolitik begegnete Hoppmann deshalb mit einem grundsätzlich anderen, eher ordnungspolitischen Ansatz.335 Unter Bezug auf Hayek entwickelte Hoppmann, dessen
Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 166. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, S. 3: „Im Sport oder bei Prüfungen, bei dem Vergeben von Regierungsaufträgen oder der Verleihung von Preisen für Gedichte und nicht zuletzt in der Wissenschaft, wäre es offensichtlich sinnlos, einen Wettbewerb zu veranstalten, wenn wir im voraus wüßten, wer der Sieger sein wird. Daher möchte ich […] den Wettbewerb einmal systematisch als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen betrachten, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden.“ 327 Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, S. 24. 328 Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 13. 329 Statt vieler Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 46 f. m. w. N. 330 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 3 Rn. 67. 331 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 21 f. 332 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 164. 333 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 18. 334 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung gipfelt hierbei im sog. „DilemmaProblem“ zwischen Vertretern der „Konfliktthese“ und der „Harmoniethese“, vgl. hierzu Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 97 ff. 335 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 96. 325 Wurmnest, 326 Hayek,
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB77
Ansicht als systemtheoretischer Ansatz eingeordnet werden kann,336 das Konzept der Wettbewerbsfreiheit.337 Hoppmann verstand unter Wettbewerb „jenes komplexe System von Marktprozessen, das aufgrund der Freiheit, an Marktprozessen teilnehmen und innerhalb dieser nach eigenem Plan tätig sein zu können, herauswächst“.338 Er betrachtete Wettbewerb sowohl als Instrument als auch als Ziel, womit er von Kantzenbach abwich. Er definierte den Wettbewerb deshalb als „jene Marktprozesse, die sich entfalten unter der Bedingung ‚Abwesenheit von Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit‘ “, wobei sich das marktwirtschaftliche System innerhalb eines gesetzlich vorgegebenen Ordnungsrahmens vollziehe.339 Um dabei die erwünschten von den unerwünschten Marktprozessen zu unterscheiden, bedürfe es der Wettbewerbspolitik.340 Die Einzelziele der Wettbewerbspolitik fasste Hoppmann zu zwei umfassenden Zielkomplexen zusammen: „Wettbewerbsfreiheit und ökonomische Vorteilhaf tigkeit“.341 Kantzenbachs Ausklammerung des Freiheitsaspekts aus dem Zielkomplex der Wettbewerbspolitik als außerökonomisches gesellschaftspolitisches Ziel sei Hoppmann zufolge theoretisch nicht möglich.342 Hoppmann vertrat nämlich die Auffassung, dass die Wettbewerbsfreiheit die Abwesenheit von Wettbewerbsbeschränkungen und unangemessener Macht voraussetzt und Wettbewerbsbeschränkungen sowie die Ausübung unangemessener Marktmacht eben diese Wettbewerbsfreiheit beeinträchtigen.343 Die ökonomischen Wettbewerbsfunktionen können somit nicht erfüllt werden, wenn Wettbewerbsfreiheit beschränkt wird, woraus Hoppmann die Fehlerhaftigkeit von Kantzenbachs Ansatz folgerte.344
336 Zur
Einordnung wettbewerbspolitischer Konzeptionen vgl. 1. Teil Fn. 317. Leitbilder der Wettbewerbspolitik, S. 41. 338 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 9. 339 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 10: „Unter Wettbewerb verstehen wir jenes komplexe System von Marktprozessen, das aufgrund der Freiheit, an Marktprozessen teilnehmen und innerhalb dieser nach eigenem Plan tätig sein zu können, herauswächst. Wettbewerb ist deshalb mit Hilfe der Wettbewerbsfreiheit als der differentia specifica zu definieren. Wettbewerb sind dann jene Marktprozesse, die sich entfalten unter der Bedingung ‚Abwesenheit von Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit‘.“ 340 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 96. 341 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 96. 342 Hoppmann, in: Schneider (Hg.), Grundlagen der Wettbewerbspolitik, S. 9, 12 ff.; ders., JbNSt 1966, S. 286, 304; vgl. auch Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 96. 343 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 96. 344 Hoppmann, JbNSt 1966, S. 286, 305. 337 Bartling,
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Hoppmann kritisierte weiter die Betrachtungsweise der problematischen Marktmacht, „wenn der Freiheitsbereich des betreffenden Marktteilnehmers im Verhältnis zu dem anderer ‚unverhältnismäßig groß‘ “ sei.345 Ziel der Wettbewerbspolitik müsse Hoppmann zufolge sein, Marktprozesse zu ermöglichen, die durch das Fehlen von unangemessener Marktmacht gekennzeichnet sind.346 Er war der Auffassung, dass aufgrund des Wettbewerbs als dynamischen Prozesses nicht die Frage nach der Existenz von Marktmacht, sondern deren Entstehung oder Vergrößerung von Relevanz sei.347 Zur praktischen Umsetzung dieses Konzepts in der Wettbewerbspolitik empfahl Hoppmann, Rahmenbedingungen zu formulieren (sog. Spielregeln), die die Marktprozesse so lenkten, dass die Wettbewerbsfreiheit für die Marktteilnehmer erhalten bleibe.348 Diese Spielregeln müssten die Teilnehmer beachten, wenn sie am Marktprozess partizipieren wollten.349 Das Konzept der Wettbewerbsfreiheit unterschied sich von Kantzenbachs Konzept dahingehend, dass nicht in Marktstrukturen eingegriffen oder bestimmte Marktverhaltensweisen erzwungen werden sollten, indem man sie in Richtung einer „optimalen“ Marktstruktur veränderte.350 Stattdessen sollte die Wettbewerbsfreiheit gesichert werden, womit gleichzeitig die ökonomische Vorteilhaftigkeit realisiert würde.351 Dies sollte durch per se-Verbote von wettbewerbsbeschränkenden Handlungen im Rahmen von Verhal tensregeln,352 die ständig von der Rechtsprechung konkretisiert würden, umgesetzt werden.353 Zwar stieß auch das Konzept Hoppmanns auf Kritik,354 auf die es aber vorliegend nicht mehr ankommt, da sich die Kritik nicht auf die Einführung oder Ausgestaltung der Fusionskontrolle auswirkte.
Fusionskontrolle, S. 17. Fusionskontrolle, S. 10. 347 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 17. 348 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 10. 349 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 100. 350 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 100. 351 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 100. 352 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 10; Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 2. 353 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 100. 354 Eine kurze Zusammenfassung der Kritik findet sich bei Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 101 f. 345 Hoppmann, 346 Hoppmann,
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB79
B. Der Wandel in der Wirtschaftspolitik und ihr Einfluss auf das Kartellrecht Das ordoliberale Modell der „vollständigen Konkurrenz“ war im GWB von 1958 nur ansatzweise verwirklicht worden. Es schlug sich lediglich in Einzelregelungen, wie dem allgemeinen Kartellverbot, und in der Begründung zum Regierungsentwurf nieder.355 Die Modellbedingungen der „vollständigen Konkurrenz“ wurden zwar für nicht realisierbar gehalten, das Konzept war aber dennoch Leitbild der Wettbewerbspolitik der jungen Bundesrepublik, um die Wirklichkeit der Märkte diesem Referenzstandard anzunähern.356 Dies ist deutlich der Gesetzesbegründung zu entnehmen: „Das Gesetz geht von der durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung erhärteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist und daß der Staat nur insoweit in den Marktablauf lenkend eingreifen soll, wie dies zur Aufrechterhaltung des Marktmechanismus oder zur Überwachung derjenigen Märkte erforderlich ist, auf denen die Marktform des vollständigen Wettbewerbs nicht erreichbar ist.“357
Aufgabe der Politik sollte es also sein, die Wettbewerbsbedingungen im Markt so weit wie möglich zu „vervollkommnen“. Zwar wandte man sich von diesem ordoliberalen Ansatz bereits bei Erlass des GWB ab, ein unmittelbarer Ersatz stand aber noch nicht fest. Ende der 1960er Jahre merkte die Bundesregierung allerdings an: „Die am Modell der vollkommenen Konkurrenz orientierte Wettbewerbstheorie ging von der Vorstellung aus, der Wettbewerb funktioniere dann am besten, wenn es auf jedem Markt möglichst viele Anbieter und Nachfrager gebe und wenn keiner von ihnen Einfluß auf die Marktdaten habe. Heute wird der Wettbewerb überwiegend als ein Marktprozeß angesehen, der sich in Vorstoß und Verfolgung äußert. Seine dynamischen Funktionen (Förderung der Anpassungsfähigkeit, rasche Durchsetzung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts) kann der Wettbewerb aber nur erfüllen, wenn auf den einzelnen Märkten aktive, leistungsfähige Unternehmen vorstoßen und dadurch die Intensität des Wettbewerbs steigern.“358 355 Vgl. z. B. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 15 f.; wortgleich mit der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 21 f. 356 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, BT-Drucks. II/3644, S. 7 ff.; vgl. hierzu auch Bartling, Leitbilder der Wettbewerbs politik, S. 14. 357 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 21. 358 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1967 vom 11.04.1968, BT-Drucks. V/2841, S. 2.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Damit wird deutlich, dass sich die Bundesregierung im Laufe der 1960er Jahre von der Marktstruktur der vollständigen Konkurrenz verabschiedete und stattdessen eine dynamische Betrachtungsweise des Wettbewerbs bevorzugte. Im Folgenden werden zunächst die wirtschaftspolitischen Gründe für die Normierung der Fusionskontrolle analysiert. Hierfür soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern die Wettbewerbstheorien auf das Bundeskartellamt (I.) und die Politik einwirkten (II.–III.). Anschließend wird untersucht, ob bzw. inwieweit das wettbewerbspolitische Leitbild auf den Normsetzungsprozess Einfluss nahm oder gar maßgebend war (IV.). I. Die Stellungnahmen des Bundeskartellamtes zur Fusionskontrolle Durch § 50 GWB 1958 wurde normiert, dass das Bundeskartellamt die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet zu beobachten und jährlich dem Bundestag einen Bericht vorzulegen habe. Das Bundeskartellamt setzte sich schon früh, bereits in seinem Tätigkeitsbericht aus dem Jahre 1965,359 mit Erhard Kantzenbach und dessen Theorie des funktionsfähigen Wettbewerbs auseinander. Auch Eberhard Günther, der erste Präsident des Bundeskartellamtes und zuvor Leiter der Kartellabteilung im Bundesministerium für Wirtschaft,360 sprach 1968 vom Terminus des „funktionsfähigen Wettbewerbs“,361 der auf Kantzenbach zurückgeht. Den Gedanken einer präventiven Fusionskontrolle nahm die Kartellbehörde aber schon viel früher auf, nämlich in ihrem ersten Tätigkeitsbericht im Jahre 1958.362 Insbesondere Günther forderte unermüdlich eine Revision der in den 1950er Jahren getroffenen Entscheidung gegen eine Fusionskontrolle.363 Die Beobachtungen des Bundeskartellamtes wurden durch ein im Jahre 1962 erstelltes Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium bestätigt. Dieses stellte fest, dass Unternehmen auf Zusammenschlüsse auswichen und durch die geltende gesetzliche Fassung auch dazu verleitet würden.364 Das Bundeskartellamt prüfte dann im Jahre 1966, ob § 22 GWB 1965365 auf „bestimmte Fusionen“ angewandt werden könne, und nahm hierzu die 359 TB
des BKartA im Jahre 1965, BT-Drucks. V/530, S. 8 ff. Person Eberhard Günthers siehe Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 113 ff. 361 Günther, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 11, 12. 362 TB des BKartA im Jahre 1958, BT-Drucks. III/1000, S. 64. 363 Günther, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 11, 35. 364 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 23.06.1962 zum Thema „Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.), Sammelband der Gutachten von 1948 bis 1972, S. 423–447, 438; TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 11. 365 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C, GWB 1965 siehe Anlage D, GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. 360 Zur
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB81
Denkschrift über „Das Problem der Unternehmenskonzentration im Gemeinsamen Markt“366 der EWG-Kommission zum Anlass.367 Dieser Ansatz scheiterte jedoch und eine Heranziehung dieser Prüfung in der Amtspraxis blieb aus, da § 22 GWB 1965 nur den Missbrauch wirtschaftlicher Macht, nicht aber deren Entstehung regelte. Das Amt hielt daher an seinen Forderungen fest. Zur Begründung der „Notwendigkeit einer Kontrolle von Fusionen“ verwies das Amt auch auf Erfahrungen in Großbritannien.368 Zudem beobachtete man die Vorgänge in den USA mit Interesse: Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgte das Bundeskartellamt eine Anhörung vor dem amerikanischen Senatsunterausschuss für Antitrust- und Monopolfragen zu Aspekten der wirtschaftlichen Konzentration.369 Diese Anhörung untersuchte die Konzentration nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch. Als Ergebnis der Beobachtung wurde festgehalten, dass „Konzentration und Unternehmensgröße nicht per se als leistungssteigernd und fortschrittsfördernd angesehen werden können“, womit die von Wirtschaftskreisen geforderte Konzentrationsförderung aus Sicht des Amtes nicht wünschenswert war.370 Darauf aufbauend regte das Bundeskartellamt abermals die Einführung einer nationalen Fusionskontrolle im GWB an.371 Das Bundeskartellamt war der Auffassung, dass das wettbewerbspolitische Instrumentarium durch Einführung einer präventiven Fusionskontrolle verbessert werden könnte, und tat dies öffentlich kund.372 In diesem Falle sei das Amt dann dazu in der Lage, das wettbewerbspolitische Ungleichgewicht des GWB zu verringern, was mit seinen bisherigen, im Amt gewonnenen Erfahrungen begründet wurde.373 Relevanz entfaltete für die Informations- und Erfahrungsgenerierung insbesondere die nach der ersten GWB-Novelle beim Bundeskartellamt am 01.06.1966 eingerichtete Beschlussabteilung „Marktbeherrschung und Wettbewerbsregeln“, die für alle Maßnahmen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen zuständig war.374 Personell war diese Abteilung laut zeitgenös366 Denkschrift
330 ff.
367 TB
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, WuW 1966, S. 330,
des BKartA im Jahre 1966, BT-Drucks. V/1950, S. 11 f. des BKartA im Jahre 1966, BT-Drucks. V/1950, S. 12. 369 TB des BKartA im Jahre 1968, BT-Drucks. V/4236, S. 8. 370 TB des BKartA im Jahre 1968, BT-Drucks. V/4236, S. 8. 371 TB des BKartA im Jahre 1968, BT-Drucks. V/4236, S. 9, da die Ergebnisse aber nicht ohne Weiteres auf den deutschen Markt übertragen werden konnten, gestand man, dass „empirische Branchenuntersuchungen in der Bundesrepublik dringend geboten“ seien. 372 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 10. 373 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 10 f. 374 TB des BKartA im Jahre 1966, BT-Drucks. V/1950, S. 9. 368 TB
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
sischer Literatur mit auffällig vielen – insgesamt acht – Akademikern besetzt.375 Mit der Errichtung dieser Beschlussabteilung wurde also eine „Phase der intensiven Beobachtung von Unternehmenszusammenschlüssen eingeleitet“; diese Beobachtungen wurden sogar mit den Jahren noch weiter intensiviert.376 So zeigten beispielsweise die Erfahrungen, die das Amt mit der Vorschrift des § 24 GWB 1958 und 1965 machen konnte – die Norm legitimierte das Bundeskartellamt nämlich lediglich zu öffentlichen mündlichen Verhandlungen mit den Unternehmen –, dass diese Vorschrift praktisch keine Wirkung entfaltete und die Erwartungen des Gesetzgebers nicht erfüllen konnte.377 Als das Bundeskartellamt Ende der 1960er Jahre begann, aufgrund der Zunahme an Unternehmenskonzentrationen § 24 GWB 1965 anzuwenden, begrüßte die Bundesregierung dieses Vorgehen.378 Sie war zu diesem Zeitpunkt noch der Meinung, durch den Einblick, den § 24 GWB 1965 zur Unternehmenskonzentration gewähre, könne „die Problematik der Unternehmenskonzentration“ verbessert werden.379 § 24 GWB 1965 ermächtigte das Bundeskartellamt jedoch nur zu einer nachträglichen mündlichen Befragung der Beteiligten über Beweggrund, Zweck und Wirkung des Zusammenschlusses. Eine Verbesserung der Konzentrationsproblematik konnte dadurch nicht ernsthaft erwartet werden. Vor diesem Hintergrund wurden Anhörungen gem. § 24 GWB 1958 und 1965 nach jahrelanger Praxis mit dem GWB insgesamt in nur vier Fällen durchgeführt.380 Das Bundeskartellamt erklärte daher, dass § 24 GWB – in der Fassung vor 1973 – leerlief, weil die Unternehmen nicht zur Teilnahme an den Verhandlungen oder Abgabe einer Stellungnahme verpflichtet werden konnten.381 Die Unterrichtung hing somit einzig von der 375 Lösenbeck, Der Volkswirt 1967, S. 1574: „In den Beschlußabteilungen arbeiten im Durchschnitt sechs Akademiker; die neugebildete Abteilung ‚Marktbeherrschung und Wettbewerbsregeln‘ ist mit acht Akademikern die am besten besetzte Kammer.“ 376 Robert, Die Haltung des Bundeskartellamtes zur Unternehmenskonzentration, S. 80 f. 377 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 28 f.; vgl. hierzu 2. Kap. A. 378 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 2. 379 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 2. 380 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1970 vom 28.06.1971, BT-Drucks. VI/2380, S. 3. 381 TB des BKartA im Jahre 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 24; beispielsweise weigerten sich im Dezember 1969 Vertreter des Unternehmens Didier, in einem Hearing Aussagen über die Beteiligung an einem Zusammenschluss zu machen, und das BKartA gab bekannt, auch weiterhin zu versuchen, eine Reihe von Hearings durchzu-
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB83
freiwilligen Kooperationsbereitschaft der beteiligten Unternehmen ab.382 Das Verfahren nach § 24 GWB 1958 und 1965 reichte deshalb nicht aus, um die Auswirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen festzustellen, insbesondere hinsichtlich des Entstehens oder Verstärkens einer marktbeherrschenden Stellung.383 Die Erfahrungen des Bundeskartellamtes zeigten also, dass sich die Hoffnung der Bundesregierung, durch § 24 GWB 1958 und 1965 die Problematik der Unternehmenskonzentration eindämmen zu können, als utopische Wunschvorstellung entpuppte. Da sich die Unternehmen einer Erörterung mit dem Bundeskartellamt über die Auswirkungen des Zusammenschlusses entziehen konnten, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, erwies sich dieses Instrumentarium als unbrauchbar.384 Angesichts dessen überrascht die lediglich viermalige Durchführung innerhalb von 13 Jahren nicht und kann deshalb als stiller Protest seitens der Kartellbehörde gewertet werden. Ebenfalls bemängelte das Bundeskartellamt, dass die Erweiterung der Anzeigepflicht für Unternehmenszusammenschlüsse durch die Novellierung des § 23 GWB 1965 ungenügend sei, um die nötige – und von der Regierung gewünschte – Erfahrung im Rahmen der Konzentrationserfassung sammeln zu können.385 Um die Konzentrationsberichterstattung des Bundeskartellamtes „ausgewogener und aussagefähiger“ zu gestalten, forderte das Bundeskartellamt, dass § 23 GWB 1965 erneut novelliert werden sollte.386 Da es an einer gesetzlichen Grundlage für eine verbindliche Kontrolle fehlte, musste das Bundeskartellamt hilflos einem zunehmenden Konzentrationsprozess zusehen. Diese Machtlosigkeit verstärkte seine kritische Haltung gegenüber Unternehmenskonzentrationen.387 So bemängelte das Bundeskartellamt öffentlich die Ausgestaltung des GWB, insbesondere das Fehlen einer Fusionskontrolle.388 Die für eine Fusionskontrolle sprechenden „zwingenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gründe“ lagen nach Ansicht des Bundeskartellamtes unverändert vor.389 In jedem seiner Tätigkeitsberichte führen, vgl. hierzu Robert, Die Haltung des Bundeskartellamtes zur Unternehmenskonzentration, S. 58. 382 TB des BKartA im Jahre 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 24. 383 TB des BKartA im Jahre 1971, BT-Drucks. VI/3570, S. 23. 384 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 28 f. 385 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 11 f. 386 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 41. 387 Vgl. Robert, Die Haltung des Bundeskartellamtes zur Unternehmenskonzentration, S. 108. 388 TB des BKartA im Jahre 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 10 ff.; auch einzelne Beamte des BKartA übten öffentlich Kritik, bspw. Schultes, Marktwirtschaft 1970, S. 38 f. 389 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 3.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
thematisierte das Amt seine Kritik und formulierte diese zunehmend schärfer. So äußerte das Bundeskartellamt 1969: „Die Bereicherung des wettbewerbspolitischen Instrumentariums durch das Institut der präventiven Fusionskontrolle würde das wettbewerbspolitische Ungleich gewicht des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erheblich verringern, […].“390
1970 verschärfte das Bundeskartellamt seine Formulierung: „Der entscheidende Mangel des GWB war von Anfang an das Fehlen der Fusionskontrolle. Dieses Ungleichgewicht führte je mehr sich der Konzentrationsprozeß in den vergangenen Jahren beschleunigte, zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs, die de lege lata nicht angreifbar ist.“391
Das Amt vertrat demnach öffentlich die Auffassung, die durch das GWB zur Verfügung gestellten Instrumente seien ungenügend, um das Ziel des Gesetzes zu erreichen. Man könne aus eigenen sowie ausländischen Erfahrungen lernen, dass eine Normierung der Zusammenschlusskontrolle notwendig sei, um das Wettbewerbsschutzgesetz wirksam zu gestalten.392 Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass sich die Tätigkeitsberichte zum politischen Instrument des Bundeskartellamtes entwickelten. Den expliziten, unermüdlich wiederkehrenden öffentlichen Appell des Bundeskartellamtes an den Gesetzgeber, die Instrumentarien zur Verwirklichung des Gesetzeszwecks zu optimieren, konnte die Politik nicht jahrelang ignorieren. Das lag u. a. daran, dass die Bundesregierung zu jedem Tätigkeitsbericht Stellung beziehen musste, § 50 Abs. 2 GWB 1958 bis 1980. Diese Stellungnahmen erstellte lange Zeit Wolfgang Kartte als Leiter der Abteilung Wettbewerb im Bundesministerium für Wirtschaft,393 der selbst eine positive Einstellung zur Einführung einer Fusionskontrolle vertrat.394 Als Wettbewerbsbehörde trug das Bundeskartellamt somit durch seine öffentliche Kritik am GWB und am Fehlen einer Fusionskontrolle mit zu einem Umdenken des Gesetzgebers bei und bemühte hierfür Mitte der 1960er Jahre auch das Konzept Kantzenbachs.
390 TB
des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 10. des BKartA im Jahre 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 10. 392 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/2380, S. 12. 393 Robert, Die Haltung des Bundeskartellamtes zur Unternehmenskonzentration, Anhang VI, Gesprächsprotokoll mit einem Mitarbeiter im BKartA, der anonym bleiben wollte, vom 07.01.1969. 394 Vgl. Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 50. 391 TB
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB85
II. Das neue wettbewerbspolitische Leitbild und die „Neue Wirtschaftspolitik“ als Grundlage einer Änderung der Einstellung zur Fusionskontrolle Der Gesetzgeber orientierte sich bei Erlass des GWB grob am Modell der „vollständigen Konkurrenz“, wie es insbesondere von Walter Eucken entwickelt worden war.395 Zu diesem Zeitpunkt war sich die Bundesregierung bereits bewusst, dass dieses Leitbild in der Wirklichkeit niemals hergestellt werden könnte. So kann der Gesetzesbegründung zum GWB 1958 entnommen werden, dass eine „vollständige Konkurrenz“ zwar angestrebt wurde, aber nicht in allen Marktbereichen herstellbar war: „Das Gesetz geht von der durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung erhärteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist und daß der Staat nur insoweit eingreifen soll, wie dies zur Aufrechterhaltung des Marktmechanismus oder zur Überwachung derjenigen Märkte erforderlich ist, auf denen die Marktform des vollständigen Wettbewerbs nicht erreichbar ist.“396
Mithin strebte man auf Regierungsebene zwar eine „vollständige Konkurrenz“ an, aber eben nur dort, wo es möglich war.397 Dass die Theorie des „vollständigen Wettbewerbs“ das denkbar niedrigste Preisniveau versprach, machte sie aber wirtschaftspolitisch so interessant, dass sie dennoch im GWB verankert war: „Von der Marktform der vollständigen Konkurrenz ausgehend, stand der Preiswettbewerb im Vordergrund. Seiner in der Marktwirtschaft unentbehrlichen Steuerungsfunktion wegen wurde der Preis als das bei weitem wichtigste Wettbewerbs element bezeichnet.“398
Zehn Jahre nach Einführung des GWB zog der Gesetzgeber Bilanz: Die Bundesregierung stellte fest, dass die Wettbewerbspolitik an sich ständig ändernde wirtschaftliche Gegebenheiten angepasst werden musste.399 Das wettbewerbspolitische Leitbild der „vollständigen Konkurrenz“ unterlag in 395 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 15; Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 21. 396 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, S. 15; Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 21. 397 Vgl. hierzu auch Poeche, in: ders. (Hg.), Das Konzept der „Workable Competition“ in der angelsächsischen Literatur, S. 9, 24 f. 398 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, BT-Drucks. zu II/3644, S. 7. 399 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1967 vom 11.04.1968, BT-Drucks. V/2841, S. 2.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
den Strukturkrisen der 1960er Jahre einem Wandel.400 Insbesondere die Rezession 1966 verstärkte das Bedürfnis nach einer Überprüfung der bisherigen wirtschaftspolitischen Ausrichtung; sie forderte Überlegungen über ein neues wettbewerbspolitisches Leitbild.401 Zur Förderung von KMU sollte eine andere Wirtschaftspolitik praktiziert werden, die dem Ansatz der „workable competition“ folgen sollte; es ergab sich also für den Staat die Handhabe für einen „wohlfahrtssteigernden second-best Eingriff“.402 „Mittelstandsförderung“, worunter wirtschaftspolitische Fördermaßnahmen vorrangig für mittelständische Unternehmen verstanden werden können, diente als neues Leitbild und Legitimationsnarrativ in der Antikonzentrationspolitik.403 „Mittelstandspolitik“ wurde zum Bestandteil der Wettbewerbspolitik, womit das wettbewerbspolitische Leitbild eine Änderung erfuhr. Durch das Bestreben, die Strukturpolitik in den Dienst einer gezielten Wachstumspolitik zu stellen, bestand die Tendenz, dem Staat eine Legitimation zu verschaffen für Eingriffe in einen Bereich, der bisher allein dem Markt vorbehalten war.404 Der Staat sollte nicht mehr nur ordnungspolitische Grundsatzentscheidungen, sondern durch gezielte konjunkturpolitische Maßnahmen auch die Steuerung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ übernehmen.405 Nicht nur das Bundeskartellamt,406 sondern auch die Bundesregierung gab damit das ordoliberale Leitbild der „vollständigen Konkurrenz“ Mitte der 1960er Jahre offiziell auf.407 Orientierte sich die Wettbewerbspolitik bei Schaffung des GWB am Modell der „vollkommenen Konkurrenz“ im Sinne von Eucken, wurde nach zehnjähriger Erfahrung mit dem Gesetz der Wettbewerb von der Bundesregierung „überwiegend als ein Marktprozeß angesehen, der sich in Vorstoß und Verfolgung äußert“.408 Ein „funktionsfähiger und wirksamer Wettbewerb“ sollte nun zum neuen Leitbild werden, welches auf „optimale Leistung“ abstellte und „dynamiJWG 2018, S. 343, 347. hierzu Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 34. 402 Vgl. Ritschl, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 265, 342 m. w. N. 403 Hierzu Ritschl, in: Abelshauser (Hg.), Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft, S. 265, 343. 404 Vgl. Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 10 f. 405 Säcker, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 13. 406 TB des BKartA im Jahre 1965, BT-Drucks. V/530, S. 8 ff. 407 Stellungnahme der Bundesregierung vom 11.04.1968 zum TB des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 2. 408 Stellungnahme der Bundesregierung vom 11.04.1968 zum TB des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 2. 400 Pahlow/Rassow, 401 Vgl.
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB87
sche“ Wettbewerbsfunktionen berücksichtigte.409 Zugrunde gelegt wurde das von Kantzenbach erarbeitete Leitbild der „Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“. Kantzenbach sprach sich zur „Optimierung der Wettbewerbsintensität“ für eine „direkte Veränderung der Marktform“ aus und forderte mithin eine allgemeine Fusionskontrolle bei Großunternehmen.410 Ein Zusammenschluss sollte dann genehmigt werden, wenn „er die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs nicht wesentlich beeinträchtigt“ oder „zu überwiegenden gesamtwirtschaftlichen Ersparnissen führen würde“.411 Internes Unternehmenswachstum hingegen sollte möglich sein. Die Ökonomie verwissenschaftlichte insoweit die Politik; ökonomische Theorien fanden zunehmend Gehör in der Wettbewerbspolitik.412 Auch die „amtliche ministeriale Wettbewerbspolitik“ griff diesen Gedanken auf.413 Mitte 1967 bildete sich im Wirtschaftsministerium die „Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik“, die über das Leitbild der Wettbewerbspolitik diskutierte und bemüht war, mit der Wirtschaftswissenschaft ins Gespräch zu kommen, weshalb sie in den Entscheidungsprozess eingeschaltet wurde.414 Als Ziel beschrieb die Arbeitsgruppe ein dynamisches „Konzept eines funktionsfähigen, wirksamen, auf optimale Leistung angelegten Wettbewerbs“,415 was eng an die Konzeption der sog. „optimalen Wettbewerbsintensität“ von Kantzenbach angelehnt war.416 Hintergrund waren insbesondere die Ausführungen des Bundeskartellamtes in seinem Tätigkeitsbericht aus dem Jahre 1965, weshalb es der Arbeitsgruppe überwiegend darum ging, das wettbe409 Ergebnis der Diskussion über das wettbewerbspolitische Leitbild der Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik, Aufzeichnungen I B 5 – 22 02 70 vom 29.01.1968, abgedruckt bei Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, Anhang 1, S. 93– 100, 96; vgl. auch Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 347; Nörr, Die Republik der Wirtschaft Teil II, S. 181; Robert, Die Haltung des Bundeskartellamtes zur Unternehmenskonzentration, S. 89. 410 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 138 f. 411 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 139 ff., 147 f. 412 Dazu auch Nützenadel, Stunde der Ökonomen, S. 123 ff.; Hesse, Wirtschaft als Wissenschaft, S. 106 ff.; Schanetzky, Die große Ernüchterung. Wirtschaftspolitik, 56 ff. 413 Kartte/Holtschneider, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 193, 213. 414 Kartte/Holtschneider, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 193, 211; Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 31; zur Kritik aus dem BKartA daran siehe Schlegel, BB 1969, S. 656 ff. 415 Ergebnis der Diskussion über das wettbewerbspolitische Leitbild der Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik, Aufzeichnungen I B 5 – 22 02 70 vom 29.01.1968, abgedruckt bei Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, Anhang 1, S. 93– 100, 96. 416 Vgl. hierzu auch Kartte/Holtschneider, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 193, 211.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
werbspolitische Leitbild von den Vorstellungen der vollständigen Konkurrenz zu lösen.417 Zu einem endgültigen Ergebnis kam man zwar nicht – auch angesichts einer in der Wirtschaftswissenschaft geführten Grundsatzdiskussion –;418 es wurde aber erkannt, dass zu einem Konzept eines wirksamen Wettbewerbs auch die Einführung einer Fusionskontrolle gehörte. Dabei waren die Mitglieder der Arbeitsgruppe der Ansicht, dass für eine Fusionskontrolle „mildere Regelungen“ als für Kartelle aufgestellt werden müssten und man die Frage möglicherweise nicht auf nationaler Ebene würde klären können, sondern „in Brüssel“ anzusetzen sei.419 Dem neuen Leitbild widmete Kartte sodann im Jahre 1969, zu diesem Zeitpunkt Ministerialrat und Leiter des zuständigen Wettbewerbsreferats im Bundesministerium für Wirtschaft (und ab 1972 zweiter Präsident des Bundeskartellamtes), das Buch „Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik“, worin er den Wandel des wettbewerbspolitischen Leitbilds aufgriff und öffentlich thematisierte.420 Kartte war der Ansicht, das Leitbild der „vollständigen Konkurrenz“ sei wirklichkeitsfremd.421 Er sprach sich zudem für eine Fusionskontrolle aus, mahnte aber gleichzeitig an, das Gesetz nicht zu einem Experimentierfeld für Wettbewerbstheorien zu machen, weshalb er eine Politik der „kleinen Schritte“ befürwortete.422 Diese Entwicklungen standen im Einklang mit dem 1967 eingeführten Stabilitäts- und Wachstumsgesetz,423 das eine „Neue Wirtschaftspolitik“ einläutete, wodurch das GWB in den Augen der Zeitgenossen sein „Gegenstück
417 Ergebnis der Diskussion über das wettbewerbspolitische Leitbild der Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik, Aufzeichnungen I B 5 – 22 02 70 vom 29.01.1968, abgedruckt bei Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, Anhang 1, S. 93– 100, 93. 418 Auch bekannt als die „Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse“, siehe hierzu 1. Teil Fn. 320. 419 Ergebnis der Diskussion über das wettbewerbspolitische Leitbild der Arbeitsgruppe Wettbewerbspolitik, Aufzeichnungen I B 5 – 22 02 70 vom 29.01.1968, abgedruckt bei Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, Anhang 1, S. 93– 100, 99. 420 Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, Köln u. a. 1969; vgl. dazu auch Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 67; zur Person Wolfgang Kartte siehe Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 125 ff. 421 Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 40; angelehnt an Kantzenbach, der das Modell der vollständigen Konkurrenz als unbrauchbar bezeichnete, Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 136. 422 Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 50. 423 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 08.06.1967, BGBl. I 1967, S. 582.
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB89
für den Bereich der Makroökonomie“ fand.424 Das Gesetz sollte die Verwirklichung der wirtschaftspolitischen Ziele und des angemessenen Wachstums an den Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung binden.425 Auch im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz wurde der Zusammenhang zwischen Globalsteuerung und Wettbewerb deutlich.426 So war der Ausschuss für Wirtschaftsund Mittelstandsfragen 1967 der Auffassung, dass die „Globalsteuerung keineswegs die Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems [beeinträchtigt]; im Gegenteil: sie wird dadurch gestärkt“.427 Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) bezeichnete das Gesetz auch als den „jüngeren Bruder“ des GWB.428 Im Laufe des Jahres 1969 entstand sodann auch im Ministerium die Überlegung, eine Fusionskontrolle in das GWB einzuführen.429 Der Wandel in der Wettbewerbspolitik beeinflusste zunehmend auch die Gesetzgebung zum GWB, insbesondere die zweite GWB-Novelle von 1973.430 So wurden die Entwürfe der zweiten Kartellgesetznovelle bereits mit dem Ziel aufgenommen, „die Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb zu verbessern“.431 Es wird demnach erkennbar, dass das neue Leitbild und der Wandel in der Wettbewerbspolitik wesentlich zur Normierung der Fusionskontrolle beitrugen, diese wenn nicht sogar erst ermöglichten.
424 Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 37; Assmann, Wirtschaftsrecht in der mixed Economy, S. 178 f. 425 Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, S. 176. 426 § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft: „(1) Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“ 427 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen vom 03.05.1967, BT-Drucks. zu V/1678, S. 3. 428 Schiller, in: Pressestelle des Bundesministeriums für Wirtschaft (Hg.), Reden zur Wirtschaftspolitik, S. 103, 108. 429 Bundesministerium für Wirtschaft, Unternehmensgröße und Wettbewerb, 1970; vgl. auch Nörr, Die Republik der Wirtschaft Teil 2, S. 183. 430 Hierzu auch Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 347. 431 Begründung des Regierungsentwurfs vom 20.03.1970, abgedruckt bei Raisch/ Sölter/Kartte, Fusionskontrolle, Anhang Dokument 6, S. 139–163, 149.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
III. Politische Bemühungen und der zunehmende Konzentrationsanstieg Nicht nur das Bundeskartellamt bemühte sich um die Erweiterung seiner Befugnisse,432 sondern auch bestimmte Parteien. Die FDP strebte im Jahre 1969 eine vorbeugende Fusionskontrolle an, um unerwünschte Konzentrationen zu verhindern.433 Innerhalb der Partei war man sich bei dieser Frage zunächst allerdings uneinig; 1970 forderten Teile der FDP, dass eine solche als einheitliche Regelung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzustreben sei.434 Ähnliche Beobachtungen können bei der CDU/ CSU gemacht werden. Nachdem die CDU/CSU lange Zeit nicht bereit gewesen war, vom Konzept des 1958 erlassenen GWB abzuweichen, änderte sich dieses Bild 1969. Während beispielsweise die CDU für eine nationale Regelung einer Fusionskontrolle eintrat, forderte die CSU eine Regelung auf europäischer Ebene.435 Im Gegensatz zu den anderen Parteien forderte die SPD aber als einzige bereits kurz nach Einführung des GWB dessen Reform unter Berücksichtigung einer nationalen Fusionskontrolle. Die SPD sprach sich bereits im Oktober 1959 für die Einführung einer Genehmigungspflicht für Zusammenschlüsse und die Möglichkeit der Auflösung von Zusammenschlüssen durch das Bundeskartellamt als Maßnahme zur Verhinderung eines Missbrauchs von wirtschaftlicher Macht aus.436 Schon gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf 1952 zum GWB war die SPD positiv eingestellt, insbesondere im Hinblick auf die Regelungen zur Kontrolle wirtschaft licher Macht.437 Die Fraktion legte dem Bundestag 1960 bereits einen Änderungsentwurf zum GWB vor, der u. a. ein Erlaubnisverfahren durch den Bundeswirtschaftsminister bei Zusammenschlüssen von Unternehmen vor-
432 Siehe
1. Teil, 3. Kap. B. I. Politik für Deutschland – Das Konzept der FDP, verabschiedet vom 20. Ordentlichen Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei am 25.06.1969 in Nürnberg, in: Verheugen (Hg.), Das Programm der Liberalen, S. 15, 26; vgl. auch Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Industrieverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD, S. 136, S. 204 f. 434 Vgl. Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 141 m. w. N. 435 Vgl. Jakob-Kaiser-Stiftung e. V. (Hg.), „33 Oldenburger Thesen“, S. 6 f.; dazu: Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Industrieverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD, S. 94, 139; Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 153 f. m. w. N. 436 Antrag der Fraktion der SPD vom 13.10.1959, BT-Drucks. III/1279. 437 Vgl. Aktionsprogramm der SPD, in: Kunz/Maier/Stammen, S. 296, 308; hierzu auch Ortwein, das Bundeskartellamt, S. 70. 433 Praktische
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB91
sah.438 Dieser Vorstoß scheiterte jedoch aus mehreren Gründen. Zum einen daran, dass zu diesem Zeitpunkt die Konzentrationsenquete noch keine Ergebnisse liefern konnte, zum anderen, weil die Bundesregierung bereits aufgefordert wurde, einen Bericht über notwendige Änderungen des GWB vorzulegen.439 Da über beide Maßnahmen noch nicht entschieden war, wurde eine Änderung dementsprechend als verfrüht betrachtet. Und schließlich scheiterte der Vorstoß, weil der Entwurf einen Angriff auf die Preisbindung vorsah.440 In ihrem Wahlprogramm aus dem Jahre 1961 kritisierte die SPD, dass die „eigentlichen Nutznießer der bisherigen Wirtschaftspolitik“ die Großunternehmen seien.441 Der Begriff „Wettbewerb“ sei zu einem „agogischen Schlagwort“ abgewertet worden und solle den „Tatbestand einer Konzen tration unübersehlicher wirtschaftlicher Macht verschleiern“. Was unter einem „agogischen Schlagwort“ verstanden wurde, blieb allerdings offen. Dies würde zur Benachteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen führen, welche die SPD stets zu schützen versuche. So fand sich bereits in den zur Wirtschaftspolitik aufgestellten Richtlinien der SPD das Vorhaben, „die Kartellgesetzgebung zu verbessern und die Befugnisse des Bundeskartellamtes zu erweitern.“ Einen nächsten Vorstoß unternahm die SPD sodann 1964, indem sie einen weiteren Novellierungsentwurf vorlegte, der ein Widerspruchsund Erlaubnisverfahren durch die Kartellbehörde für Zusammenschlüsse vorsah, die zu einer marktbeherrschenden Stellung führten oder eine solche verstärkten.442 Bei den Beratungen des Bundestages wurde die Zusammenschlusskontrolle jedoch ohne große Diskussionen nicht weiter beachtet, weshalb der Regierungsentwurf zur Änderung des GWB vom 18.09.1964 auch keinen dieser Vorschläge aufgriff.443 Ende der 1960er Jahre, als die SPD politische Verantwortung übernommen hatte, wurde die Debatte erneut aufgenommen. Der Bundesminister für Wirtschaft Schiller (SPD) vertrat 1968 die Meinung: 438 Antrag der Fraktion SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 07.12.1960, BT-Drucks. III/2293. 439 Kartte, Ein neues Leitbild für die Wettbewerbspolitik, S. 70; Schwintowski, Die Abwägungsklausel in der Fusionskontrolle, S. 9; hierzu auch 2. Kap. A. 440 O. A., Der Volkswirt Nr. 8 1970, S. 15. 441 Zum Folgenden: SPD, Regierungsprogramm der SPD: Außerordentlicher Kongress der SPD, Bonn 28.04.1961, [Electronic ed.] Bonn 1961, S. 1–46, online im Internet: http://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/bestand/a83-02211.pdf, S. 26 ff. [Stand: 02.08.2021]. 442 Antrag der Fraktion SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 09.06.1964, BT-Drucks. IV/2337. 443 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.09.1964, BTDrucks. IV/2564.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Die „Aufgabe der Wettbewerbspolitik, für einen wirksamen Wettbewerb zu sorgen, steht in engem Zusammenhang mit der Politik der globalen Steuerung des Wirtschaftsprozesses. Wirksame Globalsteuerung verbessert die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft und vermindert die Notwendigkeit dirigistischer Einzeleingriffe“, womit sie entscheidend zur „Erhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung“ bei trage.444
Dadurch wird der Ansatz zur Globalsteuerung der SPD deutlich. Auch in späteren Jahren war die Erweiterung der Handlungsmacht des Staates gegenüber privater Wirtschaftsmacht eine vorrangige Forderung der Politik.445 So fand eine ausdrückliche Befürwortung der Fusionskontrolle 1969 und 1972 auch Berücksichtigung im Parteiprogramm der SPD.446 Die Einstellung der Bundesregierung änderte sich erst mit der Bildung der sozialliberalen Koalition. Der neue Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) vertrat in seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 die Ansicht, dass die Einführung einer vorbeugenden Fusionskontrolle erforderlich sei, da Unternehmenskonzentration einen wirksamen Wettbewerb nicht ausschalten dürfe: „Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird modernisiert werden. Unternehmenskonzentration ist zwar in vielen Bereichen notwendig. Sie darf aber nicht zur Ausschaltung des wirksamen Wettbewerbs führen. Deshalb ist eine vorbeugende Fusionskontrolle notwendig. Diese soll sich auf alle Bereiche der Wirtschaft erstrecken.“447
Das Kartellgesetz sollte durch Einführung einer Fusionskontrolle verbessert und zum Instrument einer „wirksamen und fortschrittlichen Mittelstandspolitik“ werden.448 Dieses bereits im Wahlprogramm der SPD zu findende Vorhaben449 sollte also durch den Regierungsantritt 1969 umgesetzt werden. in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 9. Der verwaltete Wettbewerb, S. 51. 446 SPD, Regierungsprogramm der SPD 1969: Erfolg, Stabilität, Reform, beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der SPD am 17.04.1969 in Bad Godesberg, [Electronic ed.] Bonn 1969, S. 1–16, online im Internet: http://library.fes.de/ pdf-files/bibliothek/retro-scans/fa-06999.pdf, S. 7 f. [Stand: 02.08.2021]; SPD, Wahlprogramm der SPD: Mit Willy Brandt für Frieden, Sicherheit und eine bessere Qualität des Lebens, beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag, Dortmund, 13.10.1972, [Electronic ed.] Bonn 1972, S. 1–62, online im Internet: http://library.fes.de/pdf-files/ bibliothek/bestand/a83-02241.pdf, S. 22 [Stand: 02.08.2021]. 447 Plenarprotokoll 06/5, Bundestagssitzung vom 28.10.1969, S. 23B. 448 Plenarprotokoll 06/5, Bundestagssitzung vom 28.10.1969, S. 23B/C: „Ein verbessertes Kartellgesetz muß zum Instrument einer wirksamen und fortschrittlichen Mittelstandspolitik werden.“ 449 SPD, Regierungsprogramm der SPD: Außerordentlicher Kongress der SPD, Bonn 28.04.1961, [Electronic ed.] Bonn 1961, S. 1–46, online im Internet: http://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/bestand/a83-02211.pdf, S. 26 ff. [Stand: 02.08.2021]; SPD, Regierungsprogramm der SPD 1969: Erfolg, Stabilität, Reform, beschlossen 444 Schiller,
445 Mestmäcker,
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB93
Spätestens nach dieser Bekundung intensivierten sich auf Regierungsebene die Gespräche zur präventiven Fusionskontrolle.450 Gestärkt wurden die Bestrebungen zur Einführung einer Fusionskontrolle durch das nicht unbedeutende Anwachsen konglomerater Zusammenschlüsse seit dem Jahr 1966.451 Angesichts der höheren Konzentration wurde die Forderung nach einer Zusammenschlusskontrolle immer lauter.452 Zwar zeichnete sich ein Meinungsumschwung auf Regierungsebene in der Konzentra tionsfrage bereits Anfang 1968 ab, die Regierung blieb aber bis zum Sommer 1969 bei ihrer positiven – d. h. einer nicht ablehnend gegenüberstehenden – Einstellung zur Konzentration,453 was auf die damalige Regierungszusammensetzung unter der Kanzlerschaft Kiesingers zurückgeführt werden kann. Beschleunigend wirkte sich ab 1969 auch ein sprunghafter Anstieg der angezeigten Unternehmenszusammenschlüsse aus.454 Die Zusammenschlüsse in der BRD vervierfachten sich im Jahre 1969 fast gegenüber 1968, weshalb die Bundesregierung zu dem Entschluss kam, dass ein Abwarten nicht mehr möglich sei und eine Fusionskontrolle geregelt werden müsse, bevor die Konzentrationsentwicklung derart fortschreite, dass sie nur noch durch Entflechtungen rückgängig gemacht werden könne.455 Der Konzentrationsanstieg begünstigte demnach die Befürworter einer Fusionskontrolle, sodass sich nach 1969 keine Partei mehr gegen eine Fusionskontrolle aussprach.456
vom Außerordentlichen Parteitag der SPD am 17.04.1969 in Bad Godesberg, [Elec tronic ed.] Bonn 1969, S. 1–16, online im Internet: http://library.fes.de/pdf-files/bib liothek/retro-scans/fa-06999.pdf, S. 7 f. [Stand: 02.08.2021]. 450 Vgl. Reich, ZRP 1971, S. 234; hierzu auch Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 37 f. 451 TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 13, 43; hierzu auch Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 51 ff. 452 Vgl. Reich, Markt und Recht, S. 256. 453 Vgl. Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, S. 51. 454 Zahlen der angezeigten Unternehmenszusammenschlüsse: 1966 = 43, 1967 = 65, 1968 = 65, 1969 = 168, 1970 = 305, 1971 = 220, 1972 = 269, 1973 = 242; TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 12; TB des BKartA im Jahre 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 13. 455 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 3. 456 So weist bspw. Schlecht – als zeitgenössischer Autor – darauf hin, dass die Realisierung der Fusionskontrolle aufgrund der sprunghaft ansteigenden Konzentration unerlässlich war, Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 27; vgl. zur Haltung der Parteien Kollewe, Zur ökonomischen Theorie der Verbände, S. 78 m. w. N.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Der Regierungswechsel veränderte damit auch die Einstellung der Regierung gegenüber einer effektiven Fusionskontrolle.457 Das von den Kritikern einer Fusionskontrolle angeführte Argument, eine Fusionskontrolle könne nur im gemeinsamen Markt geregelt werden, entkräftete die Bundesregierung nun selbst: Sie führte aus, dass die wettbewerbspolitischen Vorstellungen der Europäischen Kommission mit denen der Bundesregierung in Einklang stünden und sie das „im Rahmen dieser Zielsetzung Notwendige selbst tun“ müsse, solange es keine voll entwickelte überstaatliche Wettbewerbspolitik gäbe.458 Rückhalt erhielt die Bundesregierung 1970 in diesem Punkt von der EG-Kommission. Diese führte in einem Memorandum aus: „Die nationale Konzentrationsbewegung kann in einigen Sektoren schon nicht mehr weiter fortgesetzt werden, wenn nicht jede spätere europäische Umstrukturierung unmöglich gemacht werden soll und ohne daß eine Reihe von monopolistischen Situationen auf nationaler Ebene entstehen. Würde dieser Prozeß nicht gestoppt, dann könnten die in dieser Art konzentrierten Industriebereiche nicht mehr in den Genuß einer plurinationalen Struktur kommen; man würde damit auch die völlige Errichtung eines gemeinsamen Marktes behindern […].“459
Die Bundesregierung war daraufhin überzeugt, dass die Einführung einer nationalen Fusionskontrolle der von der Gemeinschaft anerkannten Linie entspreche, also nicht integrationsfeindlich, sondern sogar integrationsfördernd sei.460 Damit war dem häufig anzutreffenden Kritikpunkt, eine Fusionskontrolle müsse im gemeinsamen Markt geregelt werden,461 der Wind aus den Segeln genommen. IV. Auswirkungen der Theorien auf die Ausgestaltung der Fusionskontrolle Das Bild der vollständigen Konkurrenz war zwar nicht eins zu eins umsetzbar, aber in Deutschland dennoch bis Mitte der 1960er Jahre vorherrschend. Erst als Kantzenbach am sogenannten workability Ansatz anknüpfte, 457 Plenarprotokoll 06/5, Bundestagssitzung vom 28.10.1969, S. 23B; Jahreswirtschaftsbericht 1970 der Bundesregierung vom 27.01.1970, BT-Drucks. VI/281; Auszug der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 28.10.1969 zu Wettbewerbspolitik, in: TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 10; vgl. auch Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 38. 458 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 4. 459 Memorandum der Kommission der Europäischen Gemeinschaft betreffend die Industriepolitik der Gemeinschaft vom 09.04.1970, BT-Drucks. VI/606, S. 75. 460 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1969 vom 11.06.1970, BT-Drucks. VI/950, S. 4. 461 Vgl. 2. Kap. B.
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB95
zeichnete sich die Tendenz zur Änderung des Leitbilds auf politischer Ebene ab. Die Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse zog sodann die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich.462 Die Konzepte Kantzenbachs und Hoppmanns teilten die wettbewerbstheoretische Landschaft der 1960er bis 1970er Jahre in zwei Lager. Dabei stellte sich die Frage, ob Wettbewerb ein Instrument bzw. ein Mittel (Kantzenbach) oder das letzte Ziel (Hoppmann) darstellen sollte.463 Ein wissenschaftlich exakter Beweis für die Anwendung der einen oder der anderen Wirtschaftsordnung war nicht zu erbringen.464 Da Kantzenbach während des Abschieds vom ordoliberalen Wettbewerbsverständnis allerdings die Aufmerksamkeit des Bundeskartellamtes bzw. der Politik auf sich lenkte,465 kann davon ausgegangen werden, dass seine Theorie auch für die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung erhebliche Relevanz entfaltete. Dass ökonomische Erkenntnisse aber nicht nur in die Politik, sondern auch in die Ausgestaltung einzelner Normen geflossen sind,466 wird bei näherer Betrachtung der Vorschriften zur Fusionskontrolle ersichtlich: Unternehmenszusammenschlüsse waren grundsätzlich erlaubt und konnten nur ausnahmsweise gem. § 24 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GWB 1973 untersagt werden, wenn durch sie die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung erwartet wurde. Durch die Ausgestaltung von § 24 Abs. 1 GWB 1973 war der Begriff der Marktbeherrschung aus § 22 GWB 1973 für die Fusionskontrolle von zentraler Bedeutung. Marktbeherrschend war ein Unternehmen gem. § 22 Abs. 1 GWB 1973, wenn es „keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt“ war oder eine „überragende Marktstellung“ hatte; wenn es also nicht mehr durch den Wettbewerb kontrolliert werden konnte. Durch Einführung gesetzlicher Vermutungstatbestände mit § 22 Abs. 2, 3 GWB 1973 sollte die Fusionskontrolle objektiviert werden.467 Die Marktbeherrschungsvermutung galt jedoch lediglich als „Aufgreiftatbestand“ und nicht als Beweisregel im Sinne des Zivilrechts, weshalb bei ihrem Vorliegen 462 Die Kontroverse spielte sich in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik ab: Hoppmann, JbNSt 1966, S. 286–323; Kantzenbach, JbNSt 1967, S. 193– 241; Hoppmann, JbNSt 1967, S. 251–264. Thematisiert bei Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 33 ff. 463 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 38. 464 Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 39. 465 Vgl. TB des BKartA im Jahre 1965, BT-Drucks. V/530, S. 8 ff.; Stellungnahme der Bundesregierung vom 11.04.1968 zum TB des BKartA im Jahre 1967, BTDrucks. V/2841, S. 2. 466 Vgl. hierzu auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 94 f. 467 Begründung zum Regierungsentwurf vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 21 ff.; vgl. hierzu auch 4. Kap. B u. 5. Kap. A. II.
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
das Bundeskartellamt nicht auf eine Marktanalyse verzichten konnte.468 1980 verschärften sich die Fusionskontrollregelungen und mit § 23a Abs. 2 GWB 1980 wurde eine an Marktanteile geknüpfte Oligopolvermutung eingeführt, die auch die formelle Beweislast auf die Unternehmen übertrug. Es war aber jeweils möglich, die Vermutungen zu entkräften, d. h. sie waren widerlegbar. Eine Ausnahme (sog. Abwägungsklausel) der Zusammenschlusskontrolle bestand, wenn die beteiligten Unternehmen gem. § 24 Abs. 1 Hs. 2 GWB 1973 nachweisen konnten, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen würden.469 Da insbesondere bei Fusionen von Mehrproduktunternehmen einer Marktbeherrschung auf einem Markt überwiegende Verbesserungen auf anderen Märkten gegenüberstehen konnten, war die Klausel zur Würdigung aller wettbewerblichen Faktoren notwendig.470 Eine weitere Ausnahme stellte die sog. „Ministererlaubnis“ gem. § 24 Abs. 3 GWB 1973 dar, wonach der Bundesminister für Wirtschaft eine vom Bundeskartellamt untersagte Fusion ausnahmsweise erlauben durfte, wenn „im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist“. Die Erlaubnis konnte der Minister mit Beschränkungen und Auflagen verbinden. Bei Betrachtung der Regelungen zur Fusionskontrolle wird der wohlfahrts ökonomische Einschlag des Konzepts des funktionsfähigen Wettbewerbs im Kartellrecht offensichtlich. Der formale Aufbau ist beschrieben durch Merkmale der Marktstruktur, des Marktverhaltens und des Marktergebnisses.471 Hervorzuheben sind dabei die Marktstrukturelemente,472 welche durch den Tatbestand der überragenden Marktstellung in § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 im GWB ihre gesetzliche Grundlage fanden. Übereinstimmend mit dem 468 Begründung zum Regierungsentwurf vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 24; eingehend zu den Vermutungen siehe auch 5. Kap. A. II. 469 Zum Teil wurde die Abwägungsklausel auch nach ihrem angeblich „geistigen Vater“ die „Wirtz-Schaukel“ genannt, Schwintowski, Die Abwägungsklausel, S. 1. 470 Begründung zum Regierungsentwurf vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 29; hierzu auch Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 37. 471 Hierzu Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 56. 472 Angelehnt an die „workable competition“ verstand man unter Marktstrukturfaktoren diejenigen Faktoren, die einen strategischen Einfluss auf die Natur des Wettbewerbs und die Preisgestaltung im Markt ausüben konnten und nicht kurzfristig veränderbar waren; vgl. Bain: „In other words, market structure for practical purpose means those characteristics of the organization of a market that seem to exercise a strategic influence on the nature of competition and pricing within the market“, Bain, Industrial Organisation, S. 7.
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB97
funktionsfähigen Wettbewerb wurden die folgenden Kriterien benannt, die auch zum Teil in der gesetzlichen Normierung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 aufgenommen wurden: Zahl der Anbieter und Nachfrager sowie ihre Marktanteile auf dem relevanten Markt, Grad der Produkthomogenität, Markttransparenz und Anpassungsgeschwindigkeit, Höhe der Marktzutritts barrieren,473 Produktions- und Absatzflexibilität, Kapazitätsauslastung, Markt phase und Unternehmensstruktur sowie Verflechtungen.474 Insoweit ist ein deutlicher Einschlag des funktionsfähigen Wettbewerbs zu erkennen. Es gab nach dem GWB keine Marktherrschaft, die nur an die Marktform geknüpft wurde. Vielmehr musste einzelfallabhängig die Auswirkung struktureller Veränderungen auf die Bedingung wirksamen Wettbewerbs geprüft werden.475 Die Auffassung Kantzenbachs wurde dementsprechend von der Wettbewerbspolitik der Bundesregierung rezipiert.476 Die Auswirkungen der Wettbewerbstheorie des funktionsfähigen Wettbewerbs auf die Neugestaltung der Wettbewerbspolitik sind anhand seiner Oligopoltheorie unverkennbar. Der wohlfahrtsökonomische Einfluss Kantzenbachs ist deutlich an den Regelungen zu Marktmacht und der Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 zu erkennen; Oligopole von drei bzw. fünf oder weniger Unternehmen wurden ab einem bestimmten Marktanteil als marktbeherrschend vermutet. Kantzenbachs Theorie der „weiten Oligopole“ fand Einlass in die Vorschriften zur Fusionskontrolle des GWB. Wettbewerb sollte also instrumentalisiert werden. Mithin wird deutlich, dass Kantzenbach durch die Einflussnahme auf die Änderung des wettbewerbspolitischen Leitbilds gleichzeitig auch Einfluss auf die Ausgestaltung der Normierung der Fu sionskontrolle nahm, indem er die Theorie der weiten Oligopole aufstellte und der Gesetzgeber sich dieser Theorie zum Teil im Rahmen des Normierungsprozesses bediente. Die Abwägungsklausel und die Ministererlaubnis können als politische Hintertür der Fusionskontrolle gesehen werden, die die gebundene Entscheidung der Behörde umgehen konnten und nicht auf Strukturgesichtspunkte abstellten. So war die Fusionskontrolle schematisch objektiv formuliert und an objektive Kriterien gebunden, aber die Ausnahmemechanismen zeigen, dass diese objektiven Kriterien entsprechend schnell ausgehebelt werden konnten.
473 Synonym
wird der Begriff Marktzutrittsschranke verwendet. dazu etwa Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 56, 58. 475 So bereits Schwintowski, Die Abwägungsklausel in der Fusionskontrolle, S. 70 f. 476 Hierzu 3. Kap. B. 474 Näher
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1. Teil: Einführung der Fusionskontrolle in das GWB
Im Ergebnis wurde die wettbewerbspolitische Theorie zwar nicht ohne Abweichungen von der Politik übernommen, die Wissenschaft nahm aber großen Einfluss auf die Rechtsgestaltung.
C. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Einführung der Fusionskontrolle auf den Wandel des wettbewerbspolitischen Leitbilds der 1960er Jahre sowie die Normierungsbestrebungen seitens des Bundeskartellamtes und der SPD zurückzuführen ist. Der Ende der 1960er Jahre eintretende Konzentrationsanstieg untermauerte (lediglich) die Entscheidung zur Einführung, war aber nicht alleinursächlich; die Ursachen, die letztlich zur Normierung führten, zeichneten sich nämlich bereits seit Mitte der 1960er Jahre ab. Im Zuge der in den 1960er Jahren auftretenden wirtschaftlichen Krise, die den Boom der 1950er Jahre beendete, suchte man nach einer Möglichkeit, wirtschaftspolitische Steuerungsinstrumente zu normieren, um die staatliche Regulierung zu intensivieren. Die Debatten über ein neues Leitbild, die vermehrt ab Mitte der 1960er Jahre auftraten, wurden für den Normsetzungsprozess zwar genutzt, waren aber nicht die einzige Ursache für die Einführung einer Fusionskontrolle. Vielmehr war das Bild der ordoliberalen „vollständigen Konkurrenz“ schon zuvor verblasst und man wandte sich bereits dem Ansatz der „workable competition“ zu. Es setzte sich allerdings in den 1960er Jahren vermehrt das Bewusstsein in der Wirtschaftswissenschaft durch, man könne wirtschaftliche Prozesse beherrschen. Dieser Wandel in der Wettbewerbspolitik bestimmte zunehmend die GWBNovellen, insbesondere die zweite GWB-Novelle von 1973, mit welcher die Fusionskontrolle Einzug in das Gesetz erhielt. Die Regelung einer vorbeugenden Zusammenschlusskontrolle wurde sodann als notwendig erachtet, um den Wettbewerb als „wichtigste Voraussetzung“ einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu stärken, da Unternehmenskonzentration den Wettbewerb ebenso beeinträchtigen könne wie die Bildung von Kartellen. Die Unternehmenskonzentration führte der Bundesregierung zufolge, im Gegensatz zur Kartellierung, zu einer „Verminderung des Bestandes an rechtlich oder wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen“, weshalb sie zu einer „Strukturfrage“ wurde. Die Habilitationsschrift Kantzenbachs gab der Politik sodann eine Rechtfertigung an die Hand, ihre Regulierungspolitik weiter zu betreiben und auszuweiten. Von hervorzuhebender Relevanz bei Einführung der Fusionskontrollnorm war auch das andauernde Bestreben des Bundeskartellamtes und der SPD, eine solche Regelung zu normieren. Unterstützung erhielten diese Forderungen durch den deutlich sichtbaren Konzentrationsanstieg im Jahre 1969. So ist es primär diesen neuen Rahmenbedingungen zuzuschrei-
3. Kap.: Zu den Ursachen der Einführung einer Fusionskontrolle im GWB99
ben, dass die Bundesregierung nach dem Regierungswechsel ihre bis dahin der Fusionskontrolle zurückhaltend gegenüberstehende Haltung aufgab. Die Fusionskontrolle sollte sodann ein Instrument darstellen, den Wettbewerb der wettbewerbspolitischen Erfahrung entsprechend zu sichern. Zur Normierung trug dabei insbesondere das Konzept Kantzenbachs bei, indem dessen Idee, Marktprozesse regulieren zu können, von der Bundesregierung adaptiert wurde: Das „weite Oligopol“ galt nach 1973 als politisch präferierte Marktstruktur. Damit hatte sich das Leitbild Kantzenbachs auf politischer Ebene durchgesetzt. Demnach könnte angenommen werden, dass die Politik das wettbewerbspolitische Leitbild Kantzenbachs in einer von Krisen geprägten Zeit Mitte der 1960er Jahre mit der Hoffnung aufnahm, es zu Regulierungszwecken einsetzen zu können. Das Konzept beeinflusste insbesondere die Ausgestaltung der Fusionskontrollvorschrift normativ sehr intensiv. Hinzukommend wird bei Betrachtung der Ausgestaltung der Fusions kontrollnorm eines erkennbar: Viele in den Vorschriften verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe stammten aus den Wirtschaftswissenschaften. Die Fusionskontrolle wurde somit zur Norm der Interdisziplinarität. Auch aus der aufgezeigten wettbewerbstheoretischen Diskussion wird der wirtschaftstheoretische Gehalt im GWB deutlich. Begriffen wie Wettbewerb, Markt, Marktbeherrschung, überragende Marktstellung usw. konnten in der Theorie diverse Bedeutungen innewohnen. Der Gesetzgeber bediente sich dieser Begriffe und nahm sie in die Tatbestände des GWB auf. Indem sie ein Teil objektiven Rechts wurden, lösten sie sich von den Vorstellungen der Lehrmeinung und wurden als unbestimmte Rechtsbegriffe den Juristen überlassen. Zwar hatten die Theorien sowohl Einfluss auf die Wettbewerbspolitik als auch teilweise auf die Ausgestaltung der Fusionskontrollnorm. Nach dem Übergang zur Rechtsnorm war der Umgang mit der Zusammenschlusskontrolle aber nun den Regulierungsakteuren und deren Auslegung überlassen, welche nicht an wirtschaftswissenschaftliche Theorien gebunden waren.
2. Teil
Fusionskontrolle in der Praxis – Empirische Untersuchung des Untersagungsverfahrens durch das Bundeskartellamt anhand historischer Fallbeispiele Das „weite Oligopol“ galt nach 1973 als politisch präferierte Marktstruktur, was der Theorie Kantzenbachs zu verdanken war.1 Das GWB und die darin normierte Fusionskontrolle implizierten, dass die Marktform, in der die Wettbewerbsintensität besonders hoch bzw. niedrig ist, vom Gesetzgeber bestimmt werden könnte. Das setzte die Kenntnis des Gesetzgebers über alle nur denkbaren Möglichkeiten und Formen der Verzerrung und Störung des Wettbewerbs voraus. In der Realität musste man sich jedoch der Erkenntnis stellen, dass sich der Markt unter den Bedingungen des technischen Fortschritts und des strukturellen Wandels zum Teil so rasch veränderte, dass der Gesetzgeber der Realität „hinterherlaufen“ musste. In der Literatur wurde teilweise vertreten, dass die vielen Novellierungen des GWB zu undurchdringlichen Rechtsvorschriften führten, mit welchen die Wettbewerbsbehörde überfordert sei.2 Ob dem Bundeskartellamt durch die diffizile gesetzliche Ausgestaltung der Fusionskontrolle zu viel zugemutet wurde und inwiefern das wettbewerbspolitische Leitbild eine Berücksichtigung seitens der Behörde bei ihren Entscheidungen erfuhr, lässt sich nur durch eine Untersuchung der Fusionsverfahren selbst ermitteln. Konkret soll analysiert werden, wie das Amt Prognoseentscheidungen im Sinne des § 24 Abs. 1 GWB 1973 traf. Von Interesse ist dabei, ob sich das Amt an den durch das GWB vorgegebenen Verfahrensablauf hielt oder sich intern eigene Verfahrensroutinen errichtete. Insoweit fragt sich, welche Informationen das Amt hierfür generierte und wie die Informationen in ökonomische Erwartungen umgesetzt wurden. Näher zu beleuchten ist dabei, wie Marktmacht beurteilt wurde und wie Märkte abgegrenzt wurden. Die Analyse der Verfahrensakten erfordert im Vorfeld zunächst eine beschreibende Betrachtung der damaligen Ausgestaltung des Bundeskartellamtes und seiner gesetzlichen Befugnisse, um sodann im analytischen Teil 1 Hierzu 2 Vgl.
3. Kap. hierzu Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 205.
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis101
die informellen Praktiken herausarbeiten zu können. Deshalb werden zunächst das amtliche Untersagungsverfahren sowie die Fallbeispiele deskriptiv betrachtet (4. Kapitel). In der darauf aufbauenden Analyse werden anschließend die seitens des Amtes eingegangenen Kooperationen und Kompromisse (5. Kapitel), danach die Informationsgenerierung des Amtes (6. Kapitel) sowie schließlich die Kriterien der Erwartungsentscheidung gem. § 24 GWB 1973 (7. Kapitel) untersucht. Hierzu wurden die herangezogenen Verfahrensakten jeweils unter verschiedenen Fragestellungen analysiert, indem sie anhand drei unterschiedlicher Fragekataloge – die zu den jeweiligen Kapiteln gesondert erstellt wurden – untersucht wurden. Auf dasselbe Quellenmaterial wurden mithin drei unterschiedliche Fragenkataloge angewandt: Um Kooperationen und Kompromisse zwischen den Akteuren der Fusionskontrolle dechiffrieren zu können, wurden die Akten zur Erarbeitung des 5. Kapitels erstens unter der Fragestellung analysiert, ob bzw. wie das Bundeskartellamt Normen auslegte und Rechtsbegriffe konkretisierte. Wie das Amt mit Vermutungsregelungen umging und inwiefern diese zu Untersagungszwecken nötig waren, ob vielmehr auch Beratungen zwischen Amt und Unternehmen erkennbar werden und inwiefern informelle Verfahren, wie das Zusageverfahren, Verankerung fanden, gehört ebenfalls zum Fragenkatalog. Im Rahmen des 6. Kapitels wurde zur Erarbeitung des Informationsmanagements der Behörde zweitens der Frage nachgegangen, wie das Bundeskartellamt Informationen ermittelte. Insbesondere wurde untersucht, wie und welche Informationen das Amt ermittelte und ab wann und inwiefern hierfür Befragungen durchgeführt wurden. Dabei war von Relevanz, wie das Bundeskartellamt mit den Informationen vor dem Hintergrund unbestimmter Rechtsbegriffe umging bzw. diese verarbeitete und inwiefern die Beziehung der Akteure untereinander oder behördeninterne Informationen eine Rolle spielten. Die Erwartungsentscheidung wurde drittens im 7. Kapitel unter den Fragestellungen eruiert, wie die Märkte zur Entscheidungsfindung abgegrenzt wurden und ob dieser Abgrenzung bereits eine Prognose innewohnte. Vor dem Hintergrund der Marktbeherrschung wurde der Frage nachgegangen, wie der Marktbeherrschungsgrad festgestellt wurde und welche Rolle dabei marktrelevante Strukturmerkmale spielten bzw. wie und vom wem diese beurteilt wurden. Zudem wurden die Akten daraufhin untersucht, ob sich ein wettbewerbstheoretisches Leitbild entziffern lässt, von welchem die Akteure gesteuert bzw. beeinflusst wurden und ob bzw. welche außergesetzlichen Faktoren generell bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielten. Abschließend stand die Frage im Vordergrund, welche Kriterien für eine Untersagung entscheidungserheblich waren und ob diese gesetzlich vorgegeben
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
waren oder ob das Bundeskartellamt das Wettbewerbsrecht selbst weiterentwickelte. 4. Kapitel
Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes Mit Erlass des GWB wurde 1958 auch ein Bundeskartellamt eingerichtet. Es hatte gem. § 44 GWB 19583 die Aufgaben und Befugnisse wahrzunehmen, die im GWB geregelt wurden. In den Augen von Schiller hatten durch das GWB einige volkswirtschaftliche Begriffe und Vorstellungen „erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte Gesetzesrang erlangt“.4 Die Kartellbehörde wurde bereits 1958 vor die schwierige Aufgabe gestellt, den Begriffen die „richtige“ Bedeutung zu geben.5 Die 1973 eingeführte Fusionskontrolle stellte das Amt, welches nun die erste Anlaufstelle für fusionswillige Unternehmen war, abermals vor neue Herausforderungen. Die beteiligten Akteure mussten nun erneut mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die vorwiegend aus den Wirtschaftswissenschaften stammten, umgehen. Dabei war die Kartellbehörde gehalten, stets einen Mittelweg zwischen der strikten Anwendung und der allmählichen Gewöhnung der Wirtschaft an den neuen Rechtszustand zu finden.6 Die Bundesregierung wünschte sich ein Verfahren vor dem Bundeskartellamt „nach Möglichkeit ohne bürokratische Schwerfälligkeit“ bzw. es sollte „im Wesentlichen formlos“ gehandhabt werden.7 Das Bundeskartellamt – wie daneben auch der Bundesminister für Wirtschaft – wurde in seiner Eigenschaft als Regulierungsakteur auch „Träger der Wettbewerbspolitik“ genannt.8 Deshalb wird nachfolgend zunächst das Bundeskartellamt als entscheidende Behörde in den Blick genommen (A.), um anschließend sowohl auf das Untersagungs- und Ermittlungsverfahren (B.) als auch auf die zu analysierenden Verfahrensbeispiele (C.) einzugehen. 3 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C, GWB 1965 siehe Anlage D, GWB 1973 siehe Anlage G, GWB 1980 siehe Anlage H. 4 Schiller, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 9. 5 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 348. 6 Regierungsentwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 28; hierzu auch Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 355. 7 Regierungsentwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 28. 8 Auch die Landeskartellämter gehörten zu den „Trägern“, für die Fusionskontrolle waren sie allerdings nicht zuständig; vgl. Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 169.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes103
A. Das Bundeskartellamt: Einrichtung, Aufbau und Funktion Gemäß § 48 Abs. 1 GWB 19589 wurde das Bundeskartellamt am 01.01.1958 in Berlin errichtet.10 Das Bundeskartellamt sah seine Aufgabe darin, für die „Sicherung und Förderung der sozialen Marktwirtschaft durch Gesetzesanwendung und Beobachtung der Lage und Entwicklung der durch das Gesetz gesicherten Wettbewerbswirtschaft“ zu sorgen.11 Dabei oblag es dem Bundeskartellamt nicht nur, sich Kenntnisse über Eigenart, Struktur und die besonderen Verhältnisse jedes einzelnen Wirtschaftszweiges anzueignen, sondern auch die im GWB zahlreich enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe auszulegen und zu konkretisieren. Schon bei der Einführung des GWB 1958 lag die Besonderheit des neuen Kartellgesetzes darin, dass „Tatbestände der Wettbewerbsverhältnisse einer vorgeformten Rechtsbezeichnung entbehren und ihre Subsumtion unter bekannte Rechtsnormen den wirklichen Sachverhalt unter Umständen nicht erreicht“.12 Zwar war sich auch etwa der „Wirtschaftspolitische Ausschuss“ des Problems der fehlenden Legaldefinitionen im GWB bewusst, aber Begriffe wie Wettbewerb, Markt, Marktbeschränkung, Marktbeeinflussung usw. wurden dennoch nicht definiert.13 Stattdessen griff der Gesetzgeber zur Ergänzung und Konkretisierung der zahlreich enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe auf ein Geflecht unterschiedlicher Vermutungsregelungen zurück,14 womit er transparente und berechenbare Beurteilungsmaßstäbe für die Erwartungsbildung des Amtes vorgab.15 Die Möglichkeiten des Amtes zur Wahrnehmung all seiner Aufgaben – d. h. auch die Konkretisierung der volkswirtschaftlichen Begriffe – waren eng geknüpft an die Ausgestaltung des Bundeskartellamtes. Das Amt war als „selbstständige Bundesoberbehörde“ gem. § 48 Abs. 1 GWB 1958 eine Verwaltungsbehörde. Das Bundeskartellamt war von einer stärkeren Unabhängigkeit gekennzeichnet als andere Behörden, die in den gestuften Verwaltungsaufbau eingegliedert waren.16 Es war dem Geschäftsbereich des Bun9 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C, GWB 1965 siehe Anlage D, GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. 10 Zur Errichtung des Bundeskartellamtes siehe Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 83 ff.; Weber, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 263, 263 ff. 11 TB des BKartA im Jahre 1960, BT-Drucks. III/2734, S. 7. 12 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 28.06.1957 über den Entwurf eines GWB, zu BT-Drucks. II/3644, S. 13. 13 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 28.06.1957 über den Entwurf eines GWB, zu BT-Drucks. II/3644, S. 13, 15, vgl. auch Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 78. 14 Eingehend zu den Vermutungsregelungen 5. Kap. A. II. 15 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 348; vgl. hierzu auch 4. Kap. B. 16 Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 4.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
desministeriums für Wirtschaft unterstellt. Da das Bundeskartellamt eine selbstständige Bundesoberbehörde war, konnte der Bundeswirtschaftsminister die dem Bundeskartellamt im GWB übertragenen Entscheidungsbefugnisse aber nicht einfach an sich ziehen.17 Der Bundeswirtschaftsminister hatte allerdings die Möglichkeit, gem. § 49 GWB 1958–1980 „allgemeine Weisungen für den Erlaß oder die Unterlassung von Verfügungen“ nach dem GWB zu erteilen. Allgemeine Weisungen unterlagen einer Transparenzregelung und waren gem. § 49 GWB 1958 im Bundesanzeiger zu veröffentlichen sowie gem. § 50 Abs. 1 S. 2 GWB 1973/80 in die Tätigkeitsberichte des Bundeskartellamtes aufzunehmen. Dadurch waren allgemeine Weisungen der Kritik der Öffentlichkeit ausgesetzt, mit dem Zweck, eine gewisse Bremswirkung zu erzielen.18 Innerhalb des Untersuchungszeitraums wurden allgemeine Weisungen in nur fünf Fällen erteilt,19 was als Indiz dieser Bremswirkung gesehen werden kann. Eine besondere Verantwortung des Bundeskartellamtes ergab sich daraus, dass es sowohl ermittelnde und verfahrenseinleitende als auch entscheidende Instanz zugleich war.20 Ihrer Rechtsnatur nach waren die formellen Verfahren Verwaltungsverfahren (§ 51 GWB 1958).21 Das Beweisverfahren hingegen war an ZPO-Vorschriften angelehnt (§ 54 GWB 1958). Die Kartellbehörde war bemüht, die Sachverhalte im Einzelfall nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und nicht schematisch zu beurteilen.22 Da die Einspruchsabteilung durch die erste GWB-Novelle 1965 abgeschafft wurde, konnte gegen die Entscheidungen der Beschlussabteilungen nur noch gerichtlich vorgegangen werden.23 Auch der Erlass von Bußgeldbescheiden (§ 81 GWB 1958) gehörte zu den Entscheidungsoptionen des Bundeskartellamtes. Das Bundeskartellamt, S. 84. in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 49 Rn. 4; Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 85. 19 Bekanntmachung über die Anwendung des § 22 GWB auf abgestimmte Verhaltensweisen, (BAnz. Nr. 107 vom 15.06.1971); Bekanntmachung zur Intensivierung der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht über vertikale Preisbindungen und Preisempfehlungen (BAnz. Nr. 231 vom 09.12.1972); Bekanntmachung über die Veröffentlichung von Zusagen im Fusionskontrollverfahren (BAnz. Nr. 66 vom 03.04.1976); Bekanntmachung betr. die Aufstellung von Leitsätzen zur leistungssteigernden Kooperation (BAnz. Nr. 46 vom 07.03.1978); Bekanntmachung betreffend die Handhabung des § 24a GWB (BAnz. Nr. 103 vom 07.06.1980). 20 Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 60. 21 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 49. 22 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA vom 15.04.1959, BTDrucks. III/1000, S. 2. 23 Kritisch zur Abschaffung der Einspruchsabteilung: o. A., Galgenfrist für Kartelle, in: Die Zeit vom 07.01.1966, online im Internet: http://www.zeit.de/1966/02/ 17 Ortwein, 18 Klaue,
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes105
Die sachlichen Entscheidungen des Bundeskartellamtes wurden in einem „justizähnlichen Verfahren von kollegialen Beschlußabteilungen“, die nach Bestimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft gebildet wurden (§ 48 Abs. 2 S. 1 GWB 1958), sowie bis 1966 den Einspruchsabteilungen getroffen.24 Justizähnlichkeit bestand insofern, als die Entscheidungen durch „kollegiale Gremien“ getroffen wurden; da die Entscheidungen aber stets behördliche Verwaltungsakte waren, unterlagen die Beamten keiner richterlichen Unabhängigkeit.25 Durch den Aufbau des Amtes mit Beschlussabteilungen, die jeweils aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern bestanden (§ 48 Abs. 3 GWB 1958),26 war die Behörde nicht hierarchisch organisiert und durchbrach die allgemein anerkannten Grundsätze des Verwaltungsorganisationsrechts.27 Aufgrund des Kollegialprinzips hatte der Vorsitzende kein Weisungsrecht gegenüber den Beisitzern, weshalb er auch durch die Beisitzer überstimmt werden konnte.28 Dass zudem die Befugnisse des Kartellamts präsidenten beschränkt waren, hatte zur Folge, dass die Beschlussabteilungen in der Verwaltungspraxis selbstbewusst und unabhängig auftreten konnten.29 Durch die Organisationsform konnten die Beschlussabteilungen weder vom Präsidenten noch durch den Bundeswirtschaftsminister angewiesen werden, wie sie in einem bestimmten Verfahren zu entscheiden hatten,30 was ihre Unabhängigkeit unterstrich. Zusammengesetzt wurden die Beschlussabteilungen aus Juristen und höheren Verwaltungsangestellten, welche „Beamte auf Lebenszeit“ sein mussten (§ 48 Abs. 4 GWB 1958).31 Juristen wurden allerdings formal durch das galgenfrist-fuer-kartelle [Stand: 02.08.2021]; vgl. auch Weber, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 263, 265. 24 Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA vom 15.04.1959, BT-Drucks. III/1000, S. 2. 25 Ewald führte die Bezeichnung des BKartA als „gerichtsähnlich“ darauf zurück, dass nach der früheren Kartellverordnung von 1923 die „entsprechenden Aufgaben einem für das gesamte Reichsgebiet zuständigen Kartellgericht übertragen waren“, vgl. Ewald, WuW 1958, S. 317, 319. Ortwein bezeichnet die Beschlussabteilungen auch als „Modell eines gerichtsähnlichen Verwaltungsorgans“, Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 87. 26 Diese Bestimmung bezog sich aber nur auf die Entscheidung, an dem Verfahren der Willensbildung konnten auch weitere Beisitzer beteiligt werden, vgl. Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 88. 27 Hierzu Rodegra, Das Problem aufsichtsfreier Verwaltung durch das Bundeskartellamt, S. 34. 28 Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 89 f. 29 De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 93. 30 Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 169 f. 31 Zur Schwierigkeit, geeignete Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler für die Arbeit im Bundeskartellamt zu gewinnen, siehe Weber, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 263, 265.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
GWB bevorzugt, da der Vorsitzende „die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst“ haben sollte (§ 48 Abs. 4 S. 2 GWB 1958). Als Konsequenz waren deshalb nahezu alle wichtigen Positionen im Bundeskartellamt mit Juristen besetzt.32 Da es jedoch bei der Zusammenschlusskontrolle vermehrt um wirtschaftliche Erwägungen ging, sollten im Rahmen der Fusionskontrolle Volkswirte Vorrang vor Juristen genießen.33 Das Bundeskartellamt hatte somit eine Zwitterstellung: Einerseits traf es Entscheidungen gem. § 48 Abs. 2 GWB 1958 autonom durch seine Beschlussabteilungen, andererseits war es weisungsgebunden und dem Wirtschaftsministerium unterstellt.34 Der Wirtschaftsminister war politisch-parlamentarisch für die Tätigkeit des Bundeskartellamtes verantwortlich, was eine Koordinierung der Grundsätze der Wirtschaftspolitik und der Amtspraxis unausweichlich machte.35 Indem Kartte, der zweite Präsident des Bundeskartellamtes, an Abteilungsleitergesprächen im Ministerium teilnahm und das Ministerium auf Koordinierungssitzungen des Bundeskartellamtes vertreten war, war ein ständiger Kontakt zwischen Ministerium und Kartellamt personell gesichert.36 Die Zuständigkeiten zwischen Bundes- und Landeskartellbehörden wurden gem. § 44 GWB 1958 abgegrenzt. Das Bundeskartellamt war gem. § 44 Abs. 1 Nr. 1c GWB 1973 für Zusammenschlüsse zuständig. Durchgeführt wurde die Fusionskontrolle ab 1973 sodann von drei Beschlussabteilungen des Bundeskartellamtes.37 Durch die Einführung der Kontrolle für Unternehmenszusammenschlüsse erhöhte sich mithin die Anzahl der Beschlussabteilungen und eine personelle Veränderung musste vorgenommen werden.38 In „personeller und sachlicher Hinsicht“ wollte die Bundesregierung das Bundeskartellamt angesichts der Einführung der Fusionskontrolle und der damit verbundenen gesetzlichen Entscheidungsfristen angemessen ausstatten.39 Während man zu Beginn der Kontrolle von Unternehmenszusammen32 Siehe
nur Griesbach, WuW 1971, S. 813, 814 m. w. N. WuW 1972, S. 3. 34 Vgl. hierzu Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 61. 35 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1973 vom 14.06.1974, BT Drucks. 7/2250, S. I; hierzu auch Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 61. 36 Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 135; Schlecht, Wettbewerb als ständige Aufgabe, S. 62. 37 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1972 vom 05.09.1973, BT-Drucks. 7/986, S. II. 38 Vgl. Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 100, 108. 39 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1972 vom 05.09.1973, BT-Drucks. 7/986, S. II; zur Personalentwicklung des Bundeskartellamtes Ortwein, Das Bundeskartellamt, S. 108 f., Ortwein weist darauf hin, dass das Bun33 O. A.,
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes107
schlüssen speziell Beschlussabteilungen für die Prüfung einrichtete, änderte sich die Zuständigkeit nach zehnjähriger Erfahrung mit der Fusionskontrolle Anfang der 1980er Jahre dahingehend, dass die Aufgabe allen Beschlussabteilungen nach ihrer Branchenzuständigkeit übertragen wurde.40 Zudem wurden die Volkswirtschaftliche Abteilung und die Rechtsabteilung im Zuge organisatorischer Veränderungen im Oktober 1977 zusammengelegt, wodurch eine Zusammenarbeit von Ökonomen und Juristen gefördert werden sollte.41 Als Aufgabe gem. § 50 Abs. 1 S. 1 GWB 1973/80 oblag es dem Bundeskartellamt zudem – zunächst jährlich und seit 1980 zweijährlich –, einen Bericht über die Tätigkeit sowie die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet zu veröffentlichen, zu welchem die Bundesregierung Stellung nehmen musste. Die Berichte dienten sowohl dazu, die Erfahrungen des Bundeskartellamtes in der Praxis mit dem GWB zu dokumentieren, als auch dazu, legislative Anregungen bezüglich Änderungen oder Ergänzungen des Gesetzes zu geben, weshalb sie oftmals mit der Formulierung wettbewerbspolitischer Forderungen verbunden waren.42 Zudem trugen die Berichte zur Rechtssicherheit bei, da in ihnen die Praxis des Amtes dokumentiert war, woran sich die Wirtschaftsunternehmen orientieren konnten.
B. Das Ermittlungs- und Untersagungsverfahren der Fusionskontrolle Eine Besonderheit des deutschen Kartellrechts lag darin, dass es zwei verschiedene Verfahrensarten kannte: zum einen Verwaltungsverfahren (§§ 51– 80 GWB 1973)43, zum anderen Bußgeldverfahren (§§ 81–85 GWB 1973) als Ordnungswidrigkeitsverfahren.44 Daneben spielten aber auch solche Ver fahrensformen eine Rolle, die im Gesetz formal keine Grundlage hatten, aber von den Akteuren als sog. informelle Verfahren praktiziert wurden.45 Wähdeskartellamt personell gering ausgestattet war, was sich negativ auf die Verwaltungspraxis auswirkte. 40 Vgl. TB des BKartA im Jahre 198/82, BT-Drucks. 10/243, S. 268; TB des BKartA im Jahre 1983/84, BT-Drucks. 10/3550, S. 185. 41 Presseinformation des BKartA Nr. 37/77 vom 18.08.1977, abgedruckt in: WuW, 1977, S. 636. 42 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 49; vgl. auch Ewald, WuW 1958, S. 317, 323 f.; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 48 Rn. 2. 43 Zu den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C, GWB 1965 siehe Anlage D, GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. 44 Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 1; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 139. 45 Hierzu 5. Kap. B.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
rend Gerichte an besondere Prozessordnungen gebunden waren, gab es für Verfahren vor dem Bundeskartellamt keine in sich kohärenten Anforderungen. Im Übrigen galten die Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts subsidiär.46 Die Verfahrensakten des Bundeskartellamtes bei einer Fusionsentscheidung waren folgendermaßen aufgebaut: Überwiegend begann das Verfahren mit einer Anmeldung oder einer inoffiziellen Anfrage eines der fusionierenden Unternehmen bzgl. des geplanten Zusammenschlusses. Dies geschah entweder schriftlich oder während einer mündlichen Besprechung mit den zuständigen Beamten des Bundeskartellamtes. Möglich war allerdings auch die Kenntniserlangung durch das Bundeskartellamt von einer geplanten Fusion durch öffentliche Medien oder weiterer auf dem jeweiligen Markt tätiger Akteure. Sodann bekam das Amt Informationen über die Fusion und die möglicherweise betroffenen Märkte sowohl über die fusionsbeteiligten Unternehmen als auch durch eigenständige Ermittlungen. Sofern es zu dem Entschluss kam, eine Fusion zu untersagen, teilte es die Entscheidung den beteiligten Unternehmen mittels eines sog. Abmahnschreibens mit und gab ihnen gleichzeitig letztmalig die Gelegenheit zur Stellungnahme. Falls diese das Bundeskartellamt nicht umstimmen konnte, erging der offizielle Untersagungsbeschluss. Bei einem Konzentrationsvorgang hatte das Bundeskartellamt materiell zunächst zu prüfen, ob der Zusammenschlusstatbestand des § 23 Abs. 2 GWB 1973 erfüllt war – wodurch ein Zusammenschluss anzeigepflichtig wurde – und ob neben der Anzeige- auch noch eine Anmeldepflicht nach § 24a Abs. 1 S. 2 GWB 1973 hinzutrat, was bei sog. Umsatzmilliardären der Fall war. Sofern der Zusammenschluss nicht anmeldepflichtig war, konnte er durchgeführt werden, unterlag aber ggfs. anschließend einer nachträglichen materiellen Fusionskontrolle. Ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss hingegen unterlag der präventiven Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt. Lag ein Zusammenschlusses vor, hatte das Bundeskartellamt sodann gem. § 24 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GWB 1973 eine gebundene Entscheidung zu treffen. War nach § 24 Abs. 1 GWB 1973 „zu erwarten“, dass durch einen Unternehmenszusammenschluss „eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird“, so hatte das Bundeskartellamt die geplante Fusion zu untersagen. Dazu sollte die Feststellung einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ für die Verschlechterung oder Verbesserung des Wettbewerbs in den relevanten Märkten genügen.47 Die Ermächtigungsgrundlage für eine Fusionsunterin: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 80 Rn. 2, 3. eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 29: „Eine Vorausschau auf die künftige Wettbewerbsentwicklung ist möglich und auch nötig, wenn sich aufgrund konkreter Um46 Sauter,
47 Regierungsentwurf
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes109
sagung basierte also auf unbestimmten Rechtsbegriffen und wies zudem eine Prognosekomponente auf.48 Die Beamten des Bundeskartellamtes hatten über die Auswirkungen eines geplanten Unternehmenszusammenschlusses auf den Wettbewerb in bestimmten Märkten eine „Erwartungsentscheidung“ zu treffen.49 Die Akteure des Bundeskartellamtes mussten somit operationable und justiziable Kriterien finden, um sowohl dem wettbewerbspolitischen Leitbild als auch den rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht zu werden.50 Hierfür gab der Gesetzgeber den Beamten unterschiedliche Vermutungsregelungen an die Hand: Ein Unternehmen wurde gem. § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1973 als marktbeherrschend „vermutet“, „wenn es für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat“. Diese Vermutung galt allerdings nicht, „wenn das Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 250 Millionen Deutscher Mark hatte“. Ebenso normierte der Gesetzgeber mit § 22 Abs. 2 GWB 1973, dass Marktbeherrschung von „zwei oder mehr Unternehmen“ besteht, wenn aus „tatsächlichen Gründen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht“. Solche tatsächlichen Gründe wurden gem. § 22 Abs. 3 Nr. 2 GWB 1973 vermutet, wenn „für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen […] drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert oder mehr haben“ oder „fünf oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben“. Auch hier baute der Gesetzgeber wiederum eine Ausnahme durch § 22 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 Hs. 2 GWB 1973 ein, sofern die Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 100 Millionen Deutscher Mark nachweisen konnten. Die 1980 eingeführte „qualifizierte Oligopolvermutung“51 des § 23a Abs. 2 GWB 1980 zog zudem das gesetzestechnische Instrument der formellen Beweislastumkehr heran. Danach galt eine „Gesamtheit von Unternehmen als marktbeherrschend“, wenn „drei oder weniger Unternehmen“ auf einem Markt „die höchsten Marktanteile“ und zusammen einen Marktanteil von stände mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen läßt, daß die mit dem Zusammenschluß geschaffenen Wettbewerbsvoraussetzungen sich alsbald verschlechtern oder auch verbessern werden“; später auch BGH, 12.12.1978, Az. KVR 6/77, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 4, 1979, S. 256–261, hier: S. 260. 48 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 28.06.1957 über den Entwurf eines GWB, zu BT-Drucks. II/3644, S. 13. 49 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 344. 50 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 348; hierzu 5. Kap. 51 Hierzu eingehend 5. Kap. A. II.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
50 % erreichten (§ 23a Abs. 2 Nr. 1 GWB 1980) oder „fünf oder weniger Unternehmen“ auf einem Markt „die höchsten Marktanteile“ und zusammen einen Marktanteil von „zwei Dritteln“ erreichten (§ 23a Abs. 2 Nr. 2 GWB 1980). Dies galt allerdings nicht, wenn die Unternehmen nachweisen konnten, „daß die Wettbewerbsbedingungen auch nach dem Zusammenschluß zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung“ hatten (§ 23a Abs. 2 S. 1 a. E. GWB 1980). Bei Vorliegen der Marktanteilsvoraussetzungen fingierte die Norm quasi das Vorliegen der Marktbeherrschung und es war nun allein Sache der Unternehmen, Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die diese Vermutung widerlegen konnten. Wurde dieser Nachweis nicht erbracht, war nach Auffassung des Gesetzgebers „die Gesamtheit der Oligopolunternehmen marktbeherr schend“.52 Die Erwartungsentscheidung des Amtes wurde somit durch den Gesetzgeber mittels berechenbarer Beurteilungsmaßstäbe durch quantitative Marktanteilsschwellen bzw. konkrete Umsatzerlöse gesetzlich strukturiert und vordefiniert.53 Das Amt musste allerdings die notwendigen Informationen der zu prüfenden Märkte ermitteln, um sich auf die Vermutungsregelungen stützen zu können. Im Rahmen der Fusionskontrolle musste das Kartellamt deshalb detaillierte Erkenntnisse feststellen – wozu es seine Ermittlungsbefugnisse mobilisieren konnte –, die für oder gegen eine Erwartung in Bezug auf die marktbeherrschende Stellung sprachen und diese gegeneinander abwägen.54 Das Erteilen von Auflagen oder anderen Nebenbestimmungenen zur Fusion war im Fusionskontrollverfahren nicht als Handlungsmöglichkeit vorgesehen. Deshalb untersagte das Bundeskartellamt entweder die Fusion oder ordnete ansonsten keine Rechtsfolge an. Dabei waren die jeweiligen Fristen (§§ 24 Abs. 2, 24a Abs. 2 GWB 1973) vom Bundeskartellamt einzuhalten; mit Eingang der Anmeldung lief für das Amt eine doppelte Frist: Zum einen musste es innerhalb eines Monats mitteilen, dass es in die Prüfung eingetreten ist (sog. Monatsbrief). Zum anderen musste die Untersagung innerhalb von vier Monaten seit Eingang der Anmeldung erfolgen und den Unternehmen zugestellt werden.55 Vollzogene Zusammenschlüsse konnte das Bun52 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft vom 21.02.1980 zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GWB, BT-Drucks. 8/3690, S. 27. Die Reichweite der Norm blieb umstritten, vgl. nur Fischer, Die ökonomische Funktionsfähigkeit der qualifizierten Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB, passim. 53 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 349; zum Informationsmanagement des BKartA siehe 6. Kap. 54 Vgl. hierzu Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 356 f. 55 Zur Fristbestimmung vgl. auch Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rn. 786.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes111
deskartellamt innerhalb eines Jahres nach Vollzugsanzeige untersagen (§ 24 Abs. 2 GWB 1973). Einer Fristbegrenzung bedurfte es einzig bei einem Verstoß gegen die Anzeigepflicht nicht (§ 24 Abs. 2 S. 2 3. Hs. GWB 1973). Das Fusionskontrollverfahren richtete sich primär gegen die unmittelbar am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen und war als Untersagungsverfahren ausgestaltet, für welches das Bundeskartellamt gem. §§ 51 ff. GWB 1973 ausschließlich zuständig war.56 Das galt grundsätzlich auch für Zusammenschlüsse ausländischer Unternehmen.57 Das Bundeskartellamt war auch hier zuständig, wenn sich die dadurch einhergehende Wettbewerbsbeschränkung im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland auswirkte (§ 98 Abs. 2 GWB 1958), d. h. Auswirkungen auf dem Inlandsmarkt vorlagen. Unabhängig davon, wie das Bundeskartellamt von einem Unternehmenszusammenschluss erfuhr (§ 24 Abs. 2 S. 2 GWB 1973),58 wurde das Fusionskontrollverfahren nach § 51 Abs. 1 GWB 1973 von Amts wegen eingeleitet. Die anschließenden Befugnisse der Behörde waren in der zentralen Vorschrift über die Ermittlungsbefugnisse – nämlich § 46 GWB 1973 – geregelt und umfassten erstens ein Auskunftsrecht, zweitens ein Einsichts- und Prüfungsrecht und drittens ein Durchsuchungsrecht.59 Für das Auskunftsverlangen war § 46 GWB 1973 aber keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage. Daraus folgte, dass § 46 GWB 1973 nicht isoliert zur Anwendung kommen konnte, sondern nur in Verbindung mit einer Ermächtigungsgrundlage des GWB.60 Die Fusionskontrolle stellte eine solche Ermächtigungsgrundlage dar. Das Amt konnte deshalb im Rahmen der Zusammenschlussprüfung Auskünfte von Unternehmen einholen (§ 23 Abs. 6 und § 46 GWB 1973), Beweise erheben (§ 54 Abs. 1 GWB 1973), Beschlagnahmen (§ 55 Abs. 1 GWB 1973) und Durchsuchungen vornehmen (§ 46 Abs. 4 GWB 1973) sowie einstweilige Anordnungen treffen (§ 56 Nr. 3 GWB 1973). Daraus folgte aber, dass 56 Dabei muss unterschieden werden zwischen am Zusammenschluss Beteiligten, Beteiligten des Fusionskontrollverfahrens (§ 51 Abs. 2 GWB) und Beteiligten im Sinne eines Auflösungs- und Entflechtungsverfahrens (§ 24 Abs. 6, 7 GWB); Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rn. 793 ff. 57 Der Ausschuss für Wirtschaft hatte ausdrücklich abgelehnt, eine besondere Regelung für Auslandszusammenschlüsse zu schaffen, hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Wirtschaftsausschusses vom 21.02.1980, BT-Drucks. 8/3690, S. 28. 58 Das BKartA konnte Kenntnis eines Zusammenschlusses bspw. durch die Anmeldung oder Anzeige der beteiligten Unternehmen oder durch Medienberichte erlangen. 59 Eingehend hierzu Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 1. 60 Vgl. Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 29; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 6.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
das Bundeskartellamt Fragen nicht allgemein nach den wirtschaftlichen Verhältnissen, sondern nur gezielt hinsichtlich der Fusionskontrolle stellen durfte.61 Problematisch im Rahmen des Auskunftsersuchens war das Auskunftsverlangen über Dritte, was nicht von § 46 GWB 1973 umfasst war.62 Die Auskunft konnte angesichts der Bußgeldandrohung nur von demjenigen verlangt werden, der die Verantwortung über die Richtigkeit der Auskunft übernehmen konnte.63 Das Bundeskartellamt musste die einzelnen Unternehmen deshalb getrennt befragen. Dabei waren für Auskunftsersuche jeweils Form erfordernisse gesetzlich normiert (§ 57 GWB 1973).64 Der Kartellbehörde standen sodann bei Auskunftsverweigerungen bzw. Erteilung falscher Aussagen verwaltungsrechtliche Sanktionen in Form von Bußgeldverhängung (§ 81 GWB 1973) zur Verfügung.65 Die Behörde konnte einstweilige Anordnungen gem. § 56 Nr. 3 GWB 1973 erlassen, allerdings nur bis zur endgültigen Untersagungsverfügung oder der Ministererlaubnis. Damit hatte das Amt die Möglichkeit, mit Mitteln des Verwaltungsverfahrens Verstöße gegen das Vollzugsverbot gem. § 24a Abs. 4 S. 1 GWB 1973 zu bekämpfen.66 Bevor eine Untersagung seitens des Bundeskartellamtes ergehen konnte, war es dazu gehalten, die beteiligten Unternehmen gem. § 53 Abs. 1 GWB 1973 und bestimmte oberste Landesbehörden nach § 24 Abs. 2 S. 3 GWB 1973 hierüber zu informieren und die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen. Das Verfahren endete mit der Untersagungsentscheidung des Amtes, welche den Beteiligten als Verfügung zugestellt wurde und sowohl mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen (§ 57 GWB 1973) als auch im Bundesanzeiger veröffentlicht (§ 58 GWB 1973) werden musste. Sofern eine Unter sagungsverfügung des Bundeskartellamtes gem. § 24 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GWB 1973 erging und bestandskräftig wurde, dufte das Zusammenschluss61 Vgl. hierzu Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 29; Reuter, Kartellbehördliche Recherche, S. 46; De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 49. 62 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 26. 63 KG, 30.11.1977, WuW/E OLG 1961, 1964 – Flug-Union. 64 Eingehend zu den Formerfordernissen siehe Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 30; Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 43 f. 65 Des Weiteren waren zivilrechtliche Sanktionen in § 35 GWB geregelt in Form von Schadensersatz. Zuständig war insoweit gem. § 87 GWB das Landgericht. Strafrechtliche Sanktionen hingegen waren nicht vorgesehen. 66 Vgl. TB des BKartA im Jahre 1979/80, BT-Drucks. 9/565, S. 22; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rn. 784.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes113
vorhaben nicht verwirklicht bzw. musste wieder aufgelöst werden (§ 24 Abs. 2 S. 4, 5 i. V. m. Abs. 6 GWB 1973). Die Betroffenen hatten die Möglichkeit, gegen die amtliche Entscheidung Beschwerde vor dem Kammergericht zu erheben (§ 62 GWB 1973) und gegen dessen Entscheidung anschließend Rechtsbeschwerde beim BGH einzulegen (§ 73 GWB 1973). Wurde eine Fusion vom Kartellamt untersagt, konnte anschließend der Bundeswirtschaftsminister „die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß“ erteilen (sog. Ministererlaubnis), „wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen“ wurde oder „der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt“ war (§ 24 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 GWB 1973). Zu berücksichtigen war dabei auch die „Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches“ des GWB (§ 24 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 GWB 1973) und ob das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die „marktwirtschaftliche Ordnung“ gefährdete (§ 24 Abs. 3 S. 2 GWB 1973). Der Minister hatte im Gegensatz zum Bundeskartellamt die Möglichkeit, die Erlaubnis mit „Beschränkungen und Auflagen“ zu verbinden (§ 24 Abs. 3 S. 3 GWB 1973). Die Einhaltung konnte jedoch nicht durch eine spätere Verhaltenskontrolle überprüft werden, sondern unterlag lediglich der allgemeinen Missbrauchsaufsicht. Für eine Ministererlaubnis stellten sich die Sicherung von Arbeitsplätzen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit als die wichtigsten gesamtwirtschaftlichen Motive heraus.67 Das Bundeskartellamt durfte diese Kriterien bei seiner Prognose hingegen nicht berücksichtigen. Zwar musste die Monopolkommission68 vor jeder Ministererlaubnis durch Gutachten Stellung nehmen (§ 24b Abs. 5 GWB 1973), aber über diese konnte sich der Minister hinwegsetzen. Gegen die Erlaubnisversagung des Ministers war als RechtsWettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 187. der Einführung der Fusionskontrolle wurde 1973 auch erstmals eine unabhängige Monopolkommission (§ 24b GWB 1973) errichtet, mit dem Zweck der Begutachtung über Stand und Entwicklung der Unternehmenskonzentration und zur Beurteilung der Maßnahmen zur Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die Konzentrationsentwicklung „objektiv zu würdigen“. Dazu zählte auch die Erstellung von Gutachten im Zweijahres-Rhythmus oder die gutachterliche Stellungnahme durch Einholung durch den BWM (§ 24b Abs. 5 GWB 1973). Die Monopolkommission sollte zudem als zusätzliche Beratungs- und Kontrollinstanz für das BKartA und den BWM dienen. Die Monopolkommission war dazu in der Lage, die Wettbewerbspolitik zu beeinflussen, insbesondere durch nicht erbetene Sondergutachten und durch das Aufzeigen notwendiger Änderungen des GWB. Dadurch ging der gesetzliche Auftrag der Monopolkommission über die rein analytische Arbeit hinaus und konnte weder vom BWM noch vom BKartA ignoriert werden. Ihr wirtschaftlicher Vorläufer war der wissenschaftliche Beirat; vgl. auch Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 170 f. 67 Olten,
68 Neben
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
mittel ebenfalls die Beschwerde beim Kammergericht einzulegen (§ 62 GWB 1973); danach folgte nur noch die Rechtsbeschwerde zum BGH (§ 73 GWB 1973). Allen Fusionskontrollverfahren wurde somit durch die Ministererlaubnis ein politisches Korrektiv mit einem erheblichen Ermessensspielraum seitens des Bundeswirtschaftsministers nachgeschaltet. Da die „Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung“ gem. § 70 Abs. 4 S. 2 GWB 1973 der Nachprüfung des Gerichts entzogen war, konnte das vom Bundeswirtschaftsminister zu prüfende Tatbestandsmerkmal der „gesamtwirtschaft lichen Vorteile“ (§ 24 Abs. 3 GWB 1973) nicht gerichtlich überprüft werden.69 Daraus resultierte die Befürchtung, die Ministererlaubnis könne die Wirkungskraft der Fusionskontrolle aushebeln.70 Seit Einführung der Fu sionskontrolle bis Ende 1991 ergingen insgesamt 98 förmliche Untersagungsentscheidungen des Bundeskartellamtes und es gab nur 14 Anträge auf eine Ministererlaubnis, von denen sechs erteilt wurden, davon vier unter Auflagen und Beschränkungen, drei abgelehnt und fünf von den Unternehmen zurückgenommen wurden.71 Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ministererlaubnis die Wirkungskraft der Fusionskontrolle aushebelte. Resümierend betrachtet stellte der Gesetzgeber dem Bundeskartellamt eine Reihe von Ermittlungsinstrumenten im Rahmen des Untersagungsverfahrens zur Verfügung. Da die Entscheidungen des Bundeskartellamtes von den Beschlussabteilungen getroffen wurden, mussten die unbestimmten Rechtsbegriffe im Rahmen der Fusionskontrolle von den jeweils zuständigen Beamten, d. h. dem Vorsitzenden und den Mitarbeitern der zuständigen Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes, ausgelegt werden.72
C. Der Quellenkorpus: Untersagungsverfahren zwischen 1973 und 1989 Die Erwartungsentscheidung im Rahmen des § 24 GWB 197373 soll unter Zuhilfenahme von Fusionskontrollverfahren – vorwiegend aber nicht aus69 Eingehend zum Prüfungsumfang der gerichtlichen Kontrolle einer Ministererlaubnis siehe Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, S. 242 ff. 70 Nagel, in Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 331, 351 f. 71 Bundesministerium für Wirtschaft, Erfahrungsbericht über MinistererlaubnisVerfahren bei Firmen-Fusionen, Anlage 2. 72 Über die Zuweisungen der einzelnen Sachen innerhalb der Beschlussabteilungen und die Zusammensetzung des Dreier-Kolloquiums entschied der Vorsitzende, Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 48 Rn. 5. 73 Zu den §§ des GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes115
schließlich aus dem Bereich der chemischen Industrie – in den Jahren 1973 bis 1989 rekonstruiert werden. Dazu werden anhand des vom Bundeskartellamt zur Verfügung gestellten Materials acht Fusionsuntersagungsverfahren analysiert.74 Ergänzend herangezogen wird die Zusage im Rahmen des Zusammenschlusses der Bayer AG mit der Metzeler AG aus dem Jahre 1974 anhand des Archivmaterials der Bayer AG.75 Da eine behördliche Entscheidung nur bei Untersagung eines Zusammenschlusses erging, konnten Nichtuntersagungen mangels Aufbewahrungspflicht des Amtes nicht zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Bislang sind die Verfahrensakten weder öffentlich zugänglich noch archivalisch erfasst. Zwar wurden die Akten vom Bundeskartellamt nicht vollständig zur Verfügung gestellt, sondern geschwärzt.76 Aber das Material ist dennoch von erheblichem Wert, weil es nicht nur Einblick in abgeschlossene Fusionsverfahren erlaubt, sondern auch mit Hilfe des vorliegenden Bestands Erkenntnisse über die administrativen Abläufe und Techniken der Informationsverarbeitung und Erwartungsbildung der Regulierungsbehörde gewonnen werden können. Im Folgenden sollen die untersuchten Fallbeispiele kursorisch nachgezeichnet werden, weil ein Verständnis der Grundzüge der Verfahren für die weiteren Kapitel unerlässlich ist. I. Veba/Gelsenberg (1973) Eines der ersten Zusammenschlussverfahren betraf im Jahre 1973 die Übertragung der Beteiligung des Energieunternehmens der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE) an dwem Mineralölkonzern der Gelsenberg AG (Gelsenberg) in Höhe von 48,3 % auf die Bundesrepublik Deutschland, der bereits 51,3 % der Anteile gehörten. Dadurch war der Zusammenschlusstatbestand (§ 23 Abs. 2 Nr. 2b GWB 1973) erfüllt.77 Das Bundeskartellamt erwartete aufgrund des Erwerbs die Entstehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung auf verschiedenen Märkten durch den Bund, da der Zusammenschluss mehrere Sektoren und somit auch nicht nur die chemische Industrie betraf. Betroffen waren verschiedene inländische 74 Bei allen untersuchten Verfahren handelte es sich unstreitig um Zusammenschlüsse im Sinne des GWB, weshalb auf die Auslegung des Zusammenschlussbegriffs im Rahmen der Aktenanalyse nicht eingegangen wird. 75 Bei diesem Verfahren erging kein Untersagungsbeschluss, womit es nicht aufbewahrungspflichtig war. Deshalb wurde auf die Akte des Unternehmensarchivs zurückgegriffen. 76 Als Begründung gab das BKartA gegenüber der Verfasserin die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse an. 77 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457 f.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Märkte im Sektor für Mineralöl, Energiegewinnung und der Binnenschifffahrt. Im Elektrizitätsbereich griff auf dem relevanten Markt für Strom die Oligopolvermutung des § 22 Abs. 3 Nr. 2a i. V. m. Abs. 2 GWB 1973, die eine Marktbeherrschung vermutete, wenn „drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert oder mehr“ hatten. Das Oligopol bestand aus RWE mit 26 % Marktanteil, Preußenelektra mit 22 % Marktanteil und der Bayernwerke AG mit 5,6 % Marktanteil.78 Da der Zusammenschluss den Marktanteilsabstand der Oligopolisten zueinander verringere, würde das Gleichgewicht innerhalb des Oligopols stabilisiert, wodurch das Bundeskartellamt ein paralleles Verhalten der Oligopolisten erwartete, welches den Wettbewerb schwächen würde.79 Der Bund – der gem. § 23 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 GWB 1973 als Unternehmen galt80 – war bereits an einer Vielzahl von Unternehmen beteiligt: Als pro blematisch wurde die Übernahme des Mineralöl- und Chemiesektors der Gelsenberg Benzin AG durch die Veba Chemie AG gesehen. Für die Beurteilung des Zusammenschlussvorhabens relevant war im Mineralölsektor – auf den Märkten für leichtes und schweres Heizöl sowie den Märkten für Phthalsäureanhydrid81 und Para-Xylol82 – insb. die etwa 40-prozentige Beteiligung des Bundes an der Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks AG (Veba), welche ihrerseits wiederum an einer großen Anzahl von Unternehmen beteiligt war.83 Im Mineralölbereich stellte das Amt auf dem Markt für leichtes und für schweres Heizöl eine Verstärkung der beherrschenden Stellung des Bundes nach § 22 Abs. 2 GWB 1973 fest.84 Auf den Märkten für Phthalsäureanhy drid und Para-Xylol stellte das Bundeskartellamt eine Marktbeherrschung gem. § 22 Abs. 1 und 2 GWB 1973 fest, wobei jeweils die Vermutungsvoraus 78 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1458 f. 79 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1459. 80 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1458. 81 Phthalsäureanhydrid ist das Anhydrid der Phthalsäure. Die organische Verbindung ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die Herstellung von Kunstharzen, daneben auch von Farbstoffen oder Farbpigmenten. 82 Xylole gehören zur Klasse der aromatischen Kohlenwasserstoffe. Seine Isomeren besitzen unterschiedliche physikalische Eigenschaften. Das Xylolgemisch wird hauptsächlich als Lösungsmittel verwendet. 83 BKartA an BMF vom 17.12.1973, in: BKartA B8 33/73, Bl. 103 ff., 104. 84 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1459 f.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes117
setzungen des § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 2a GWB 1973 vorlagen.85 Zwar verfügte die Beschlussabteilung zur Zeit der Untersagung nicht über die benötigten Informationen der Inlandsabsatzzahlen und genauer Marktanteile, stellte eine Marktbeherrschung aber dennoch fest, da die beteiligten Unternehmen nichts zur Entkräftung der Vermutung vortrugen.86 Bei der Feststellung der Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung des Bundes gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 im Bereich der Binnenschifffahrt stützte das Amt seine Argumentation u. a. auf einen Bericht der Konzentrationsenquete.87 Verbesserungen, welche die Nachteile überwiegen, konnten nicht eindeutig festgestellt werden. Eine Prüfung von weiteren in Betracht kommenden Märkten sah das Amt als nicht erforderlich an, weil die geprüften Märkte bereits zur Untersagung des Zusammenschlusses reichten.88 Somit untersagte das Amt den Zusammenschluss mit Beschluss vom 07.01.1974.89 Die Untersagung wurde sodann allerdings durch die Ministererlaubnis aufgehoben.90 II. Gründung der Bitumen-Verkaufsgesellschaft (1973) Ende des Jahres 1973 meldeten gem. § 24a Abs. 1 GWB 1973 die VebaChemie AG (Veba Chemie), die Gelsenberg AG (Gelsenberg), die deutsche Fina GmbH (Fina) und die Occidental Oel GmbH (Occidental) ihr Vorhaben der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, der Bitumen-Verkaufsgesellschaft, i. S. v. § 23 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 GWB 1973 beim Bundes kartellamt an.91 Nachdem die Unternehmen einer zweimonatigen Fristver längerung zustimmten,92 untersagte das Bundeskartellamt das Vorhaben im 85 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1461. 86 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1461 f. 87 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1462; Anlagebericht zur Konzentrationsenquete vom 05.06.1964, BTDrucks. IV/2320, S. 441. 88 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457, 1466. 89 Untersagungsbeschluss vom 07.01.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362– 374r; Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, in: WuW/E BKartA 1457–1466. 90 Verfügung des BWM vom 01.02.1974, in: WuW/E BWM 147 f. – VEBAGelsenberg II. 91 Anmeldung der VEBA vom 22.11.1973, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 1 ff.; Anmeldung der Fina vom 29.11.1973, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 13 ff.; Anmeldung der Occidental vom 29.11.1973, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 16 ff. 92 Vermerk des BKartA vom 18.03.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 211.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Mai 1974.93 Das Bundeskartellamt erachtete die Märkte für Straßenbaubitumen (destilliertes Bitumen) und Industriebitumen (oxidiertes Bitumen)94 als betroffen an.95 Das Amt war der Meinung, die gleichförmige Preisentwicklung und die Konstanz der Marktanteile der letzten Jahre bewiesen das Fehlen eines wesentlichen Wettbewerbs auf den relevanten Märkten. Die marktbeherrschende Stellung des Oligopols würde sich durch den Zusammenschluss verstärken und Verbesserungen stünden der Verstärkung nicht gegenüber.96 Aus dem „Zweck der Fusionskontrolle“ folgerte das Bundeskartellamt nämlich, dass eine „Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen“ nur vorliege, wenn „die Struktur des Marktes durch den Zusammenschluß so geändert wird, daß sich hierdurch die Möglichkeiten für einen wirksamen Wettbewerb verbessern“.97 Als Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen konnte die betriebswirtschaftliche Stärkung nicht gewertet werden, weil kein realistischer Anhaltspunkt dafür bestand, dass die Unternehmen mit ihrer gestärkten Leistungsfähigkeit auch Wettbewerbshandlungen vornehmen würden.98 Durch die Verringerung der Anbieterzahl erwartete das Bundeskartellamt viel eher eine Verschlechterung der Wettbewerbs bedingungen,99 sodass die Abwägungsklausel nicht einschlägig war und das Amt die Fusion untersagte.100 III. Bayer/Metzeler (1974) Im Jahre 1974 erwarb die Bayer AG (Bayer) sämtliche Aktien bzw. Geschäftsanteile der bis dahin unter der Metzeler AG-Holding (Metzeler) zu93 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517–1522. 94 Bitumen ist eine natürlich vorkommende oder aus Erdöl gewonnene teerartige Masse, die u. a. als Abdichtungs- und Isoliermaterial verwendet wird. Industriebitumen kann nicht zum Straßenbau eingesetzt werden. 95 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517, 1518. 96 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517, 1520. 97 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517, 1520. 98 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517, 1522, unter Verweis auf den Regierungsentwurf zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 29. 99 Dieser Ansicht schloss sich auch die hessische Landeskartellbehörde an, die eine weitere Erstarrung auf der Angebotsseite befürchtete, Schreiben des hessischen LKartA an BKartA vom 10.04.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 218 f. 100 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517–1522.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes119
sammengefassten Metzeler Kautschuk AG, Metzeler Schaum GmbH und der Correcta Werke GmbH. Der Schwerpunkt des Bayer Konzerns lag in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, während Metzeler sich auf Gummi- und Kunststoffprodukte spezialisierte, insbesondere im Reifensektor. Das Bundeskartellamt behandelte das Vorhaben als einen einheitlichen Vorgang und betrachtete, anders als Bayer, die Übertragung vor Vollzug daher als anmeldepflichtig. Bayer zeigte den Erwerb somit im Jahre 1974 beim Bundeskartellamt an, womit das Amt angesichts der „strittigen Rechtslage“ von einem Bußgeld wegen verspäteter Anmeldung absah.101 Nach Auffassung des Bundeskartellamtes erfüllte lediglich der Erwerb der Metzeler Schaum GmbH – welche auf Schaumstoffe spezialisiert war – die Voraussetzungen für eine Untersagungsverfügung.102 Aus Sicht des Amtes sprachen für eine Marktbeherrschung Bayers sowohl die strukturellen Gegebenheiten der Rohstoffmärkte als auch die Vermutung aufgrund der Marktanteile Bayers nach § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1973, welche nicht widerlegt werden konnte.103 Zudem ging die Behörde davon aus, dass die Voraussetzungen der Abwägungsklausel des § 24 Abs. 1 Hs. 2 GWB 1973 nicht vorlagen, da keine Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse nachgewiesen wurde. Obwohl Bayer die Voraussetzungen einer Untersagungsverfügung nicht für gegeben ansah, erklärte sie sich zwecks Abwendung der Untersagung mit einer Zusage, die Metzeler Schaum GmbH ggf. wieder zu veräußern, bereit.104 101 TB des BKartA im Jahre 1974, BT-Drucks. 7/3791, S. 39; hierzu auch Kurzlechner, Fusionen, Kartelle, Skandale, S. 126; Götz, Die Zusagenpraxis, S. 22. 102 Durch den Zusammenschluss attestierte das BKartA eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung für Bayer auf dem Markt für Weichschaum-Rohstoffe und PU-Textilbeschichtungsmassen und für Metzeler auf dem Markt für Weichschaum sowie eine Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Kunstledermarkt, vgl. TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 40–41; Götz, Die Zusagenpraxis, S. 22 ff. 103 TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 40 f. 104 Die Zusage umfasste, „die Aktivitäten der Metzeler Schaum GmbH im Konzernverbund mit Bayer auf dem Markt für Kunstleder nach dem 31.12.1976 nicht mehr [weiterzuführen]“ sowie ihre Beteiligung oder jeweils den Mehrheitsbesitz [Bayer war vor dem Zusammenschluss bereits mit 40 % an der Metzeler-Gruppe beteiligt, vgl. TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 41] der Metzeler Schaum GmbH „bis zum 31.12.1979 im Wege der Veräußerung […] aufzugeben“; siehe Nr. 3 a) und b) der Vereinbarung zwischen Bayer und dem BKartA vom 19.12.1975, in: BAL, 059/531 Ingenieurverwaltung, Werksleiterkonferenzen 1973– 1985; Auszug aus LG München, Teilurteil vom 25.08.1976, Az. 9 0 11 306/76, S. 14, in: BAL, 302/0550 Vol. 2., Kurt Hansen, Metzeler AG 1974–1976; ergänzend hierzu Götz, Die Zusagenpraxis, S. 25; TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 41.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Zwar wurden die Zusagevereinbarung105 und die sich daraus ergebenden Konsequenzen vom Veräußerer, der Metzeler AG, angefochten, aber dies geschah ohne Erfolg.106 Auf die Erfüllung der Zusage Bayers bestand das Bundeskartellamt im Anschluss nicht mehr, da Ende 1979 nach Ansicht des Amtes die überragende Marktstellung von Metzeler Schaum GmbH aufgrund von veränderten Marktverhältnissen verloren gegangen war.107 Die Verpflichtungen von Bayer endeten somit, ohne dass sie diesen je nachkommen mussten. IV. IBH/Wibau (1980) Die IBH Holding AG (IBH) zeigte mit Schreiben vom 28.03.1980 dem Bundeskartellamt an, dass sie 83,33 % des stimmberechtigten Grundkapitals der Wibau Maschinenfabrik Hartmann AG (Wibau) von dem Bankhaus Schröder, Münchenmeyer, Hengst & Co. (SMH) (§ 23 Abs. 2 Nr. 2c GWB 1973) erwarb.108 Berührungspunkte zur chemischen Industrie hatte diese Übernahme keine. IBH entwickelte sich durch diverse Übernahmen seit 1975 zu einem international führenden Baumaschinenkonzern. Das „Baumaschinenprogramm“ erfasste eine breite Palette von hauptsächlich für den Erdund Straßenbau bestimmten Maschinen.109 Wibau stellte ebenfalls Baumaschinen her, im wesentlichen Asphaltmischanlagen und Betonpumpen. Da Asphaltmischanlagen aus Sicht der Nachfrager nicht durch andere Produkte ersetzt werden konnten, bildeten sie einen eigenen sachlich relevanten Markt.110 Auf diesem hatte Wibau schon vor dem Zusammenschluss eine überragende Marktstellung gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973. Dabei hatte Wibau einen langfristigen Marktanteilsvorsprung, der durch andere relevante Strukturgesichtspunkte nicht relativiert werden konnte.111 Vielmehr verstärkten die Faktoren ‚Finanzkraftvorteile‘ und ein ‚verbesserter Zugang zum 105 Zum
Zusageverfahren und zur Zusagevereinbarung siehe 5. Kap. B. III. 12.01.1976, WuW/E OLG 1637 ff. – Weichschaum I; KG, 06.10.1976, WuW/E OLG 1758 ff. – Weichschaum II; BGH, 31.10.1978, WuW/E BGH 1556 ff. – Weichschaum III. 107 TB des BKartA im Jahre 1979/80, BT-Drucks. 9/565, S. 69; TB des BKartA im Jahre 1987/88, BT-Drucks. 11/4611, S. 75; Schreiben der Rechtsabteilung der Bayer AG an die Mitglieder des Vorstandes vom 12.02.1980, in: BAL, 059/531, Ingenieurverwaltung, Werksleiterkonferenzen 1973–1985. 108 Zusammenschlussanzeige vom 28.03.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 2 ff. 109 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1893. 110 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1893. 111 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1894. 106 KG,
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes121
Absatzmarkt‘ die überragende Marktstellung von Wibau.112 Eine überwiegende Verbesserung durch Zusammenschluss, insb. aufgrund des sonst drohenden Konkurses der Wibau, verneinte das Amt. Zur Begründung führte es aus, das Ausscheiden der Wibau als Wettbewerber müsse keineswegs zu einer solchen Verschlechterung der Marktstruktur führen wie die, die durch den Zusammenschluss eintrat.113 Deshalb untersagte das Bundeskartellamt den Erwerb der Mehrheitsbeteiligung gem. § 24 Abs. 1 GWB 1973 durch Beschluss vom 03.07.1981.114 Anschließend beantragten die Unternehmen eine Ministererlaubnis gem. § 24 Abs. 3 GWB 1973, welche auf Anraten der Monopolkommission gewährt wurde.115 V. Bayer/Firestone (1980) Bayer meldete am 21.05.1981 den Zusammenschluss der Bayer France S.A.116 bzw. einer von dieser noch zu gründenden Tochtergesellschaft mit dem auszugliedernden Unternehmensbereich „Synthetic Rubber & Latex Division“ der Firestone France S.A. (Firestone) an, welche Reifen herstellte.117 Bayer hatte schon vor der geplanten Fusion einen Gesamtmarktanteil von 39,5 % für synthetischen Kautschuk, da sie auch zur Hälfte an der Buna Werke Hüls GmbH (BWH) beteiligt war. Die Vermutungskriterien des § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1973 waren damit bereits erfüllt. Das Bundeskartellamt merkte an, die geplante Fusion Bayers mit Firestone betreffe den Markt für synthetische Kautschuke und lasse u. a. durch den Zugewinn an „Styrol- Butadien-Kautschuk“ und „Butadien-Kautschuk“ sowie die Möglichkeit der Herstellung neuer Butadien-Kautschuke eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung Bayers erwarten. Bedeutend für die fusionsrechtliche Beurteilung war auch, dass neben der zusätzlichen Herstellungskapazität Bayers gleichzeitig ein potentieller Wettbewerber, nämlich Firestone, vom deutschen Markt wegfiel.118 Der Vortrag von Bayer zur Verbesserung der Wettbewerbs112 Untersagungsbeschluss
IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892,
113 Untersagungsbeschluss
IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892,
1895. 1896.
114 Untersagungsbeschluss vom 03.07.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 336– 350; Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892 ff. 115 Verfügung des BWM vom 09.12.1981, WuW/E BWM 177 ff. – IBH-Wibau. 116 Die Aktien der Bayer France S.A. befanden sich nahezu zu 100 % im Eigentum der Bayer Canada S.A., welche ihrerseits zu annähernd 100 % im Eigentum der Bayer AG stand. 117 Anmeldung des Fusionsvorhabens durch die Bayer AG vom 21.05.1980, in: BKartA, Az. B3 45/80, Bl. 3–15. 118 Untersagungsbeschluss Bayer/Firestone vom 23.09.1980, WuW/E BKartA 1837, 1838 f.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
bedingungen, welche die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen (§ 24 Abs. 1 Hs. 2 GWB 1973), überzeugte die Beschlussabteilung nicht. Deshalb untersagte sie den beabsichtigten Erwerb am 23.09.1980.119 Die Untersagung jedoch wurde im Beschwerdeverfahren vom KG aufgrund von Verfahrensmängeln aufgehoben.120 VI. Linde/Agefko (1985) Die Linde AG (Linde) – welche auf Industriegase spezialisiert war – meldete am 31.05.1985 die geplante Übernahme der Kohlensäure-Industrie GmbH, einer Tochter der Preussag AG, an.121 Die Kohlensäure-Industrie GmbH hielt sämtliche Anteile an der Agefko Kohlensäure Industrie GmbH (Agefko) und an der LTG Linzer Tanklager GmbH (LTG) sowie 50 % der Geschäftsanteile der sog. KOP Kohlensäure-Produktionsgesellschaft mbH (KOP). Betroffen waren damit insbesondere die Märkte für Kohlensäure, Schweißmischgase und Stickstoffe. Auf dem abgegrenzten Markt für flüssige Kohlensäure ermittelte die Beschlussabteilung das Marktvolumen auf dem deutschen Markt eigenständig, da die amtliche Statistik sowohl Lieferungen durch Mitbewerber (sog. Kollegenlieferungen) als auch konzerninterne Lieferungen enthielt.122 Führende Anbieter dieses Marktes waren die oben genannte Agefko sowie die Kohlensäurewerke C.G. Rommenhöller GmbH (Rommenhöller) und die Buse Gase GmbH (Buse Gase), welche ein Oligopol bildeten. Deren ermittelte Marktanteile lagen wesentlich über der gesetzlich vermuteten Marktbeherrschungsschwelle, weshalb die Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB 1973 Anwendung fand und von den Beteiligten nicht widerlegt werden konnte. Zudem lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 GWB 1973 vor. Angesichts der Strukturbetrachtung sowie dem Marktverhalten erwartete das Bundeskartellamt zudem keinen Wettbewerb zwischen den Oligopolisten. Das Amt ging von einer Verstärkung der Marktbeherrschung durch den Zusammenschluss aus, weil allein über die Agefko ein marktbeherrschendes Oligopol für flüssige Kohlensäure mit Linde ge119 Untersagungsbeschluss vom 23.09.1980, in: BKartA, Az. B3 45/80, Bl. 86–96; Untersagungsbeschluss Bayer/Firestone vom 23.09.1980, WuW/E BKartA 1837 ff. 120 KG, 26.11.1980, WuW/E OLG 2411 ff. – synthetischer Kautschuk I. Begründet wurde die Aufhebung damit, dass der Firestone USA und der Firestone France kein rechtliches Gehör gewährt wurde und die Zustellung der Verfügung an die Firestone USA unterblieben war. 121 Anmeldung des Fusionsvorhabens durch den Verfahrensbevollmächtigten der Linde AG vom 31.05.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1–7. 122 Untersagungsbeschluss Linde/Agefko vom 13.12.1985, WuW/E BKartA 2213, 2214.
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes123
schaffen worden wäre, welche selbst zweitgrößte Anbieterin für technische Gase war.123 Auf den Märkten für Schweißmischgase und Stickstoff erfüllte Linde, gemeinsam mit der Messer Griesheim GmbH (Messer Griesheim), die Vermutungsvoraussetzung für Marktbeherrschung gem. § 23a Abs. 2 S. 1 GWB 1980, welche nicht widerlegt wurde.124 Einen der Abwägungsklausel entsprechenden Gegenbeweis gem. § 24 Abs. 1 Hs. 2 GWB 1973 konnten die Beteiligten nicht erbringen. Vor diesem Hintergrund untersagte die Beschlussabteilung das Zusammenschlussvorhaben durch Beschluss vom 13.12.1985.125 VII. Hüls/Condea (1986) Am 11.08.1986 meldete die mehrheitlich zur Veba AG gehörende Hüls AG (Hüls) – welche sich u. a. auf Kunststoffe, Buna und Rohstoffe für Waschmittel spezialisierte – das geplante Zusammenschlussvorhaben mit der Condea Chemie GmbH (Condea) – welche Tenside und Vorprodukte wie Fettalkohole herstellte – an.126 Beabsichtigt war der Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile der Condea in zwei Schritten. Im ersten Schritt sollten 50 % der Geschäftsanteile der Condea erworben werden, welche von der Conoco Inc. gehalten wurden, in einem zweiten Schritt dann die übrigen 50 %, die von der Texaco AG gehalten wurden. Sachlich betroffen war der Markt für Tensidalkohole, auf welchem Condea und die Henkel KGaA (Henkel) ein Duopol127 bildeten. Die Duopolmitglieder verfügten jeweils über weitgehend symmetrische Marktanteile.128 Die Voraussetzungen der Oligopolvermutung gem. § 23a Abs. 2 Nr. 1 GWB 1980 wurden vom Bundeskartellamt bejaht und eine Widerlegung der Vermutung als nicht durchführbar angesehen.129 123 Untersagungsbeschluss vom 13.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1261; Untersagungsbeschluss Linde/Agefko vom 13.12.1985, WuW/E BKartA 2213, 2218. 124 Untersagungsbeschluss des BKartA vom 13.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1256r, 1264r, 1265, 1268, 1268r. 125 Untersagungsbeschluss des BKartA vom 13.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1247–1272; Untersagungsbeschluss Linde/Agefko vom 13.12.1985, WuW/E BKartA 2213 ff. 126 Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens der Hüls AG mit Schreiben vom 11.08.1985, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 48–52. 127 Duopol, auch bekannt als Dyopol, ist ein Spezialfall des Oligopols und beschreibt eine Marktform, bei der auf Seite des Angebots u./o. der Nachfrage nur zwei relativ große Verkäufer auftreten, vgl. Mecke, in: Gabler Wirtschaftslexikon, online im Internet: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/oligopol-43869/version267192 [Stand: 02.08.2021]. Zur Marktform des Oligopols vgl. 1. Teil Fn. 268. 128 Untersagungsbeschluss Hüls/Condea vom 08.12.1986, WuW/E BKartA 2247, 2248. 129 Untersagungsbeschluss vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 347r.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Des Weiteren wurde die überragende Stellung des Duopols i. S. v. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 festgestellt. Das Bundeskartellamt merkte zwar an, es spreche auch viel für eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung auf den Märkten für Weichmacheralkohole und Tenside, sah aber von einer weiteren Prüfung ab,130 da der beabsichtigte Erwerb die Entstehung einer markt beherrschenden Stellung jedenfalls bei Tensidalkoholen erwarten ließ. Folglich untersagte die Beschlussabteilung das Vorhaben durch Beschluss vom 08.12.1986.131 VIII. Messer Griesheim/Buse Gase (1988) Die Industriegaseherstellerin Messer Griesheim GmbH (Messer Griesheim) meldete gemeinsam mit der Kohlensäure-Werke Rud. Buse GmbH & Co. (Buse) – welche sich auf technische Gase spezialisierte – ihr Zusammenschlussvorhaben im März 1988 an.132 Geplant war, die bisherige Beteiligung von Messer Griesheim an der Buse Gase GmbH (Buse Gase) auf eine Mehrheitsbeteiligung von 51 % aufzustocken, was mit einer Umwandlung der Buse Gase in eine Kommanditgesellschaft (GmbH & Co. KG) einhergehen sollte. Betroffen waren die Märkte für Stickstoff, Schweißmischgase und Kohlensäure. Nach den Ermittlungen der Beschlussabteilung lagen auf den Märkten für Stickstoff und Schweißmischgase die Marktanteile des Oligopols Messer Griesheim gemeinsam mit der Linde AG über 70 % und damit wesentlich über der Schwelle für vermutete Marktbeherrschung nach § 23a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 GWB 1980.133 Aufgrund der von der Beschlussabteilung im Rahmen umfangreicher Marktuntersuchungen festgestellten strukturellen Besonderheiten des Marktes konnten keine Rückschlüsse auf wesentlichen Wettbewerb zwischen den Oligopolisten gezogen werden. Auf dem Markt für Kohlensäure bildete Buse gemeinsam mit dem schwedischen Aktiebolaget Gas-Accumulator AB Konzern (AGA) und dem französischen Konzern Air Liquide S.A. (Air Liquide) ein Oligopol mit einem Marktanteil von 75 %. Da Buse einen Marktanteil von knapp unter 15 % hatte, war die qualifizierte Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 GWB 1980 nicht anwendbar. Dennoch war das Oligopol, aufgrund des hohen Konzentrationsgrads sowie der strukturellen Besonderheiten, marktbeherrschend 130 Untersagungsbeschluss
vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 349r f. vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 343– 351; Untersagungsbeschluss Hüls/Condea vom 08.12.1986, WuW/E BKartA 2247 ff. 132 Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens durch Schreiben vom 16., 21. und 24.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 3 ff. 133 Untersagungsbeschluss Messer Griesheim/Buse vom 02.08.1988, WuW/E BKartA 2319, 2320. 131 Untersagungsbeschluss
4. Kap.: Untersagungsverfahren des Bundeskartellamtes125
gemäß § 22 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB 1980.134 Zweifel an der bestehenden Marktbeherrschung gingen aufgrund der erfüllten Vermutung des § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 2a und b GWB 1973 zu Lasten der am Zusammenschluss Beteiligten.135 Eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung wurde insbesondere durch Synergieeffekte der Verbindung und den Wegfall Buses sowie Verminderung des Substitutionswettbewerbs festgestellt.136 Die Vermutung konnte von den Zusammenschlussbeteiligten nicht widerlegt und ein Nachweis über wesentlichen Wettbewerb nicht erbracht werden. Auch die Abwägungsklausel griff nicht, womit das Zusammenschlussvorhaben durch Beschluss vom 02.08.1988 untersagt wurde.137 IX. Linde/Lansing (1988) Zwar hat das Verfahren Linde/Lansing keine Berührungspunkte zur chemischen Industrie. Da bei diesem aber erneut die Linde AG (Linde) als Akteur auf Unternehmensseite auftaucht, ist es dennoch zu Vergleichszwecken heranzuziehen. Die Linde meldete am 20.09.1988 beim Bundeskartellamt den beabsichtigten Erwerb des Bereichs Flurförderzeuge von der in Großbritannien ansässigen The Kaye Organisation Ltd. (TKO), einschließlich der dazugehörigen Tochtergesellschaften, durch Linde oder einer in Großbritannien ansässigen Tochter von Linde an.138 Zur Zeit der Anmeldung verfügte TKO in der Bundesrepublik Deutschland über eine einzige Tochtergesellschaft, die Metall- und Fahrzeugbauerin Lansing GmbH (Lansing).139 Die Beschlussabteilung erklärte, dass sie bei Vollzugshandlungen in Großbritannien ohne Inlandsmarktauswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland nicht einschreite.140 Nachdem Lansing aus dem TKO-Konzern ausgegliedert wurde, erwarb eine in Großbritannien ansässige Tochtergesellschaft der Linde, die Linde Hydraulics Limited, die Mehrheit der Aktien der TKO in Großbritannien.141 Der Erwerb der Mehrheitsbeteiligung gem. § 23 Abs. 2 134 Untersagungsbeschluss Messer Griesheim/Buse vom 02.08.1988, WuW/E BKartA 2319, 2325 ff. 135 Untersagungsbeschluss Messer Griesheim/Buse vom 02.08.1988, in: WuW/E BKartA 2319, 2327. 136 Untersagungsbeschluss Messer Griesheim/Buse vom 02.08.1988, WuW/E BKartA 2319, 2330 ff. 137 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887; Untersagungsbeschluss Messer Griesheim/Buse vom 02.08.1988, WuW/E BKartA 2319 ff. 138 Anmeldung vom 20.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 1–38. 139 Anmeldung vom 20.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 1–38, 4. 140 Untersagungsbeschluss Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA 2363. 141 Untersagungsbeschluss Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA 2363.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Nr. 1c GWB 1973 an der ausgegliederten Lansing in Deutschland wurde gleichwohl vom Bundeskartellamt geprüft. Dabei grenzte das Amt den Markt für Gegengewichtsgabelstapler ab, wozu es die Substitutionsbeziehungen anhand der Parameter Funktion bzw. Einsatzarten der Fahrzeuge, Preis und Anteilsveränderungen prüfte.142 Auf dem so abgegrenzten Markt stellte die Behörde eine Marktbeherrschung aufgrund überragender Marktstellung von Linde i. S. v. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 fest. Hierbei wurden die Kriterien der eigens ermittelten Marktanteile, der finanziellen Ressourcen (Finanzkraft), der Dichte des Vertriebsnetzes und der jeweiligen Markenpolitik herangezogen.143 Eine Verstärkung der marktbeherrschenden Position wurde aufgrund der Marktanteilsaddition, des Marktanteilabstands, der Abschreckung des potentiellen Wettbewerbs, des Engerwerdens des ohnehin dichten Vertriebsnetzes, des Wegfalls von Marktnischen von kleineren Wettbewerbern, des Zuwachses bei Gegengewichtsgabelstaplern mit Elektroantrieb sowie des Erwerbs des Eigentums an den Lansing-Warenzeichenrechten bejaht.144 Auch wenn der Zuwachs aller Vorteile aus dem Zusammenschluss nur durch Untersagung des Gesamtzusammenschlusses möglich gewesen wäre, sah sich das Amt hierzu aus völkerrechtlichen Gründen aufgrund der Grenzüberschreitung des Zuständigkeitsbereichs des Bundes kartellamtes nicht berechtigt, weshalb lediglich der Zusammenschluss von Linde mit Lansing (und nicht mit TKO) durch Beschluss vom 03.03.1989 untersagt wurde.145 5. Kapitel
Die Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen In dem gesetzlich vorgesehenen Untersagungsverfahren konnten die Beamten der Beschlussabteilungen des Bundeskartellamtes aufgrund der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe zum Teil erhebliche Auslegungsspielräume nutzen. So verwies die bei der Fusionskontrolle zu treffende Erwartungsentscheidung des § 24 Abs. 1 GWB 1973 auf die Regelung zur Markt142 Untersagungsbeschluss 2364 f. 143 Untersagungsbeschluss 2365 ff. 144 Untersagungsbeschluss 2367 ff. 145 Untersagungsbeschluss 492; Untersagungsbeschluss 2363 ff., 2369.
Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA 2363, Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA 2363, Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA 2363, vom 03.03.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 465– Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen127
beherrschung des § 22 GWB 1973.146 Beispielsweise konkretisierte § 22 Abs. 1 Nr. 1 GWB 1973 die Marktbeherrschung dahingehend, dass ein Unternehmen „ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist“. Dabei gab es keine einheitliche Auffassung, was genau unter „Wettbewerb“ zu verstehen war, womit der Gesetzgeber die Entscheidung darüber auf das Bundeskartellamt verlagerte. Die Beamten der Beschlussabteilungen standen somit vor der Herausforderung, zum einen den wettbewerbspolitischen Vorgaben gerecht zu werden und zum anderen die Rechte und Freiräume der Marktakteure angemessen zu berücksichtigen.147 Um die Auslegung zu erleichtern und nach außen auch nachvollziehbar und vorhersehbar zu gestalten, dienten die gesetzlichen Vermutungsregelungen. Die Vermutungen enthielten zum Teil objektive, vom Gesetzgeber vordefinierte Prognosekriterien, womit der Erwartungsbildungsprozess des § 24 Abs. 1 GWB 1973 kalkulierbar gemacht werden sollte. Den Vermutungen folgten Ausnahmeregelungen, nach denen die Unternehmen die Vermutungswirkung widerlegen konnten. Zudem bestand angesichts der Abwägungsklausel die Möglichkeit, nach der die Beschlussabteilung eine „Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände“148 vornehmen musste, wodurch die Unternehmen sich ebenfalls entlasten und eine Untersagung des Zusammenschlussvorhabens verhindern konnten. Dieses „Regel-Ausnahme-System“149 eröffnete den Spielraum zur Entwicklung eigener Verfahrens- und Aushandlungsroutinen zwischen dem Amt und den fusionierenden Unternehmen. Es soll deshalb geprüft werden, welche Bedeutung die auslegungsbedürftigen Normen im Untersagungsverfahren hatten (A.) und welche Rolle informelle Verfahren bei der Fusionskontrolle spielten (B.).
A. Die auslegungsbedürftigen Normen und Vermutungsregelungen der Fusionskontrolle War gem. § 24 Abs. 1 GWB 1973150 „zu erwarten, daß durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt 146 Zu
den §§ des GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. Folgenden: Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 344 ff. 148 Regierungsentwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 22: „Maßgebend ist der Gedanke, daß die Marktstellung eines Unternehmens sich nur auf Grund einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände beurteilen läßt“; dem folgten auch die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft, vgl. BGH, 02.12.1980 – KVR 1/80 – BGHZ 79, S. 62 ff. – Klöckner-Becorit; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 32; Kleinmann/Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, § 24 Rn. 12. 149 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 349. 150 Zu den §§ des GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. 147 Zum
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
wird“, konnte die Kartellbehörde einen Zusammenschluss untersagen. Der Gesetzgeber nutzte im Recht der Wettbewerbsbeschränkung die Regelungsform einer Generalklausel, da sich der zu schützende Wettbewerb einer präzisen definitorischen Erfassung entzog.151 Dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 GWB 1973 entsprechend war bei der Fusionskontrolle eine Erwartungsbildung notwendig. Maßgeblich war, ob „durch den“ (und nicht mit dem) Zusammenschluss die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu erwarten war. Der Zusammenschluss musste also ursächlich für die marktbeherrschende Stellung sein.152 Zudem wurden die gestellten Anforderungen an die Erwartungsentscheidung des § 24 Abs. 1 GWB 1973 jeweils von „den Besonderheiten des zu beurteilenden Zusammenschlusses“ bestimmt.153 Einer vergleichbaren Prognose bedurfte es auch im Rahmen der Abwägungsklausel des § 24 Abs. 1 Hs. 2 GWB 1973.154 Zur Konkretisierung der Marktbeherrschung wurden in § 22 Abs. 1 Nr. 1 GWB 1973 Unternehmen als marktbeherrschend eingestuft, die „ohne Wettbewerber“ oder „keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt“ waren. Hinzukommend fügte der Gesetzgeber bei Erlass der Fusionskontrolle mit § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 den Begriff „überragende Marktstellung“ eines Unternehmens sowie diverse Vermutungsregelungen ein.155 Diese neuen Regelungen mussten sodann vom Bundeskartellamt anwendbar gemacht werden und die Unternehmen mussten sich auf eine in Deutschland gänzlich neue Rechtslage einstellen. Um bei solch umfassend auslegungsbedürftigen Normen zu einer Erwartungsentscheidung i. S. d. § 24 Abs. 1 GWB 1973 zu gelangen, musste das Bundeskartellamt im Rahmen seiner Verwaltungspraxis sowohl unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisieren (I.) als auch diverse Vermutungsregelungen handhabbar machen (II.), worauf im Folgenden eingegangen wird. I. Unbestimmte Rechtsbegriffe Schon die Gesetzesväter des GWB strebten keine Legaldefinition der wettbewerbsrechtlichen Begriffe an. Beispielsweise führte der Ausschuss für Wirtschaftspolitik aus: „Mit der Formulierung eines Gesetzentwurfs muß das fast unübersehbare Stoff gebiet des Wettbewerbs, der die gesamten Wirtschaftsvorgänge einschließt, in die 151 Hierzu bereits 3. und 4. Kap.; vgl. ferner Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 23a Rn. 6; Hoppmann, Marktmacht und Wettbewerb, S. 23 ff. 152 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 18. 153 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 19. 154 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 113. 155 Hierzu bereits 4. Kap. B.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen129 Sprache der herkömmlichen Rechtstechnik gefaßt werden. Diesem Problem stellen sich hier besondere Schwierigkeiten in den Weg, weil die vielfach neuen Tatbestände der Wettbewerbsverhältnisse einer vorgeformten Rechtsbezeichnung entbehren und ihre Subsumption unter bekannte Rechtsnormen den wirklichen Sachverhalt unter Umständen nicht erreicht. So ist zum Beispiel eine Legaldefinition des Begriffs ‚Wettbewerb‘ als des Schutzobjektes des vorliegenden Gesetzentwurfes nicht möglich, daher in dem Entwurf auch nicht versucht. Gleichwohl steht die Notwendigkeit der Ausbildung neuer Rechtsbegriffe der Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit des Gesetzes nicht entgegen. Sowohl bei den Gerichten als auch bei den Verwaltungsbehörden bereitet die Anwendung von Begriffen, die ihren Inhalt aus einer der juristischen Auffassung vorgegebenen Disziplin empfangen, keine Schwierigkeiten.“156
Somit überließ es der Gesetzgeber bewusst der Verwaltung und der Rechtsprechung, diese Begriffe auszulegen und zu konkretisieren. Als Beispiel aus der Vergangenheit, wo diese Strategie erfolgreich war, verwies der Ausschuss auf § 1 UWG.157 Auch die 1973 eingeführte Fusionskontrolle enthielt eben solche Begriffe. Bereits die Untersagungsvoraussetzung des § 24 Abs. 1 GWB 1973 baute für die Prognoseentscheidung auf unbestimmten Rechtsbegriffen wie „marktbeherrschende Stellung“, „Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen“, „Nachteile […] überwiegen“ auf. Mit dem Begriff „Marktbeherrschung“ knüpfte die Zusammenschlusskontrolle explizit an § 22 GWB 1973 an, der bereits in den Vorjahren aufgrund seiner unbestimmten Ausgestaltung häufigen Diskussionen ausgesetzt war. So enthielt nämlich auch § 22 GWB 1973 bereits in seiner Ursprungsfassung von 1958 „eine besondere Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe“, die dem Bundeskartellamt zufolge zu deutlichen „Schwierigkeiten bei der Anwendung“ führten; problematisch war beispielsweise die Auslegung des Begriffs „Marktanteil“.158 Eine einheitliche Definition der Begriffe „Marktstruktur“ oder „Marktverhalten“ gab es ebenfalls nicht.159 Die Konkretisierung überließ der Gesetzgeber demnach auch im Rahmen der Fusionskontrolle weitestgehend dem Bundeskartellamt und den Gerichten. Die Bundesregierung vertrat bereits vor Einführung der Fusionskontrolle die Auffassung, dass die Wirksamkeit der §§ 22 bis 24 GWB 1965 entscheidend davon abhinge, dass es dem Bundeskartellamt gelinge, „mit Hilfe dieser 156 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 13. 157 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 29.06.1957, zu BT-Drucks. II/3644, S. 13 f. 158 TB des BKartA im Jahre 1959, BT-Drucks. III/1795, S. 46; TB des BKartA im Jahre 1960, BT-Drucks. III/2734, S. 51. 159 Vgl. hierzu Uhlig, Zusagen, Auflagen und Bedingungen im Fusionskontrollverfahren, S. 81.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Kriterien vorhandene marktbeherrschende Positionen festzustellen“.160 Dabei müsse das Tatbestandsmerkmal „marktbeherrschende Stellung“ sinnvoll angewendet werden.161 Die Bundesregierung war zudem der Auffassung, dass der Anwendungsbereich des GWB aufgrund der zahlreichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe im Gesetz durch möglichst viele Einzelentscheidungen in der Praxis abgegrenzt werden solle.162 Mit einer weitgehend offenen und unbestimmten Normierung der Fusionskontrolle intendierte der Gesetzgeber demnach keine vordefinierte, schematische Beurteilung von Sachverhalten, sondern den Erlass von Einzelfallentscheidungen;163 die Verantwortung hierfür verlagerte die Bundesregierung sowohl auf das Bundeskartellamt als auch auf die Gerichte. 1. Zwischen Amt, Gericht und Politik: Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe
In erster Linie fiel dem Bundeskartellamt die Aufgabe zu, eine Konkre tisierung der unbestimmten Tatbestandsmerkmale vorzunehmen. Hierfür benötigte es sowohl Zeit als auch gerichtlichen Austausch, was anhand der Konkretisierung des Begriffs „wirksamer Wettbewerb“ im Rahmen der Marktbeherrschung in § 22 Abs. 1 GWB 1958–66 bereits vor Einführung der Fusionskontrolle deutlich wird: Das Bundeskartellamt war der Auffassung, ihm obliege eine besondere Definitionsmacht bezüglich der Normen zur Missbrauchsaufsicht (§§ 22 ff. GWB 1958–66), da diese „eine Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung“ erforderten.164 Diese „Würdigung der gesamtwirtschaft lichen Lage und Entwicklung“ war gem. § 70 Abs. 4 S. 2 GWB 1958–66165 der gerichtlichen Kontrolle entzogen, weshalb die Beamten der Beschlussabteilung hier ihre Beurteilungskompetenz als abschließend betrachteten.166 Insbesondere das Tatbestandsmerkmal „wirksamer Wettbewerb“ sollte somit nach Ansicht des Amtes nicht vom Gericht überprüft werden können. Das 160 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1965 vom 21.04.1966, BT-Drucks. V/530, S. 3 f. 161 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1965 vom 21.04.1966, BT-Drucks. V/530, S. 4. 162 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1967 vom 11.04.1968, BT-Drucks. V/2841, S. 3. 163 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1958 vom 15.04.1959, BT-Drucks. III/1000, S. 2. 164 TB des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 14 f., 22. 165 In der vierten GWB-Novelle befand sich die wortgleiche Gesetzespassage des § 70 Abs. 4 S. 2 GWB 1973 in § 70 Abs. 5 S. 2 GWB 1980. 166 TB des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 14 f., 22.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen131
Gericht war diesbezüglich jedoch anderer Auffassung. So entschied der BGH im Jahre 1968, dass bei „verfassungskonformer Auslegung des § 70 GWB die vollständige Nachprüfung der angefochtenen Verfügungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht“ gewährleistet sein müsse.167 Deshalb sei insbesondere nachprüfbar, „ob das Bundeskartellamt die rechtserheblichen Tatsachen richtig und vollständig ermittelt hat, von zutreffenden Rechtsbegriffen ausgegangen ist und die festgestellten Tatsachen richtig darunter subsumiert hat“.168 Aber nicht nur bezüglich der Nachprüfbarkeit der konkretisierten Tatbestandsmerkmale kam es zu divergierenden Auffassungen zwischen Bundeskartellamt und den Gerichten, sondern auch bei der Konkretisierung selbst. So vertraten Amt und Gericht im Rahmen der Missbrauchsaufsicht (§ 22 GWB) zum Tatbestandsmerkmal „wesentlicher Wettbewerb“ unterschiedliche Ansichten: Dem Kammergericht zufolge war „wesentlicher Wettbewerb“ noch vorhanden, wenn auch nur „Mosaikteilchen“ eines Wettbewerbs in Betracht kamen („Mosaiktheorie“).169 Diese Auslegung traf auf heftige Kritik seitens der Kartellbehörde. Gegen Gerichtsentscheidungen konnte das Bundeskartellamt zwar nicht vorgehen, es kommentierte aber öffentlich Gerichtsentscheidungen, die seiner Auffassung nach besondere Beachtung verdienten, und machte Anmerkungen zur Auslegung des Gesetzes durch Verwaltung und Rechtsprechung.170 So kritisierte das Bundeskartellamt auch die Auslegung des Begriffs „wesentlicher Wettbewerb“ vom Kammergericht öffentlich in einem seiner Tätigkeitsberichte: „Entgegen der Auffassung des Kammergerichts (Fensterglas V; WuW/E OLG 813 ff.) ist der Wettbewerb als dynamischer Prozeß zu verstehen, in dem die einzelnen Anbieter durch Einsatz der verschiedenen Wettbewerbsmittel versuchen, im Zeitablauf ihren Umsatz auf Kosten ihrer Mitbewerber zu erweitern oder gegen deren Angriffe zu verteidigen. Würde allein das Bemühen um Umsatzausweitung als Kriterium für das Vorhandensein wesentlichen Wettbewerbs gewählt werden, dann könnte selbst der absolute Monopolist als im wesentlichen Wettbewerb
167 BGH,
05.02.1968 – KVR 1/67 – BGHZ 49, S. 367 ff. Rn. 16 – Fensterglas II. 05.02.1968 – KVR 1/67 – BGHZ 49, S. 367 ff. Rn. 7 – Fensterglas II. 169 KG, 28.12.1966, WuW/E OLG 813 ff. – Fensterglas V; hierzu auch TBe des BKartA in den Jahren: 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 17; 1968, BT-Drucks. V/4263, S. 12; 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 11. 170 Vgl. TB des BKartA im Jahre 1964, BT-Drucks. IV/3752, S. 9; TB des BKartA im Jahre 1966, BT-Drucks. V/1950, S. 18; TB des BKartA im Jahre 1967, BTDrucks. V/2841, S. 19 ff.; TB des BKartA im Jahre 1968, BT-Drucks. V/4236, S. 23 f.; TB des BKartA im Jahre 1969, BT-Drucks. VI/950, S. 30 ff.; TB des BKartA im Jahre 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 24 f.; TB des BKartA im Jahre 1971, BTDrucks. VI/3570, S. 24 ff.; Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1972 vom 05.09.1973, BT-Drucks. 7/986, S. 28 f. 168 BGH,
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
stehend angesehen werden. Das aber kann nicht Sinn und Zweck des § 22 sein […].“171
Um seiner Ansicht Gehör zu verschaffen, nutzte das Bundeskartellamt demnach die Öffentlichkeitswirkung und fundierte seine Ansicht mit der Theorie der „workable competition“, indem es auf das Verständnis des Wettbewerbs als „dynamischer Prozeß“ abstellte. Zudem hatte das Amt gem. § 90 Abs. 2 GWB 1958 die Möglichkeit, „dem Gericht schriftliche Erklärung abzugeben, auf Tatsachen und Beweismittel hinzuweisen, den Terminen beizuwohnen, in ihnen Ausführungen zu machen und Fragen an Parteien, Zeugen und Sachverständige zu richten“, womit es durch seine Beteiligung an gerichtlichen Entscheidungen mitwirken konnte.172 Der Austausch zwischen Bundeskartellamt und Rechtsprechung war mithin auch gesetzlich verankert, allerdings hatte der BGH als oberste In stanz das letzte Wort. Dieser schloss sich zur Konkretisierung des Begriffs „wesentlicher Wettbewerb“ jedoch nicht dem Bundeskartellamt, sondern der „Mosaiktheorie“ des Kammergerichts an.173 Die Möglichkeit der Feststellung von Marktbeherrschung gem. § 22 Abs. 1 Nr. 1 GWB 1973 hatten die Gerichte somit bereits vor Einführung der Fusionskontrolle weitestgehend destruiert, womit dem Bundeskartellamt hier keine Konkretisierungsmöglichkeiten mehr blieben. Politisch gewollt war eine solch weite Auslegung des Begriffs „wesent licher Wettbewerb“ sicherlich nicht, was dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates vom 22.11.1971 entnommen werden kann. Dieser äußerte sich dahingehend, dass die Rechtsprechung „den Begriff des ‚wesentlichen Wettbewerbs‘ mit Hilfe der sogenannten Mosaiktheorie derart ausgehöhlt [hat], daß das Bundeskartellamt, wenn es ein Unternehmen dem Verdikt des § 22 GWB unterwerfen wollte, wenig Aussicht hätte, damit in den höheren Instanzen durchzukommen“.174 Hierin lag sicherlich ein Grund, der zur Einführung des Tatbestandsmerkmals der „überragenden Marktstellung“ in § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 führte. Insgesamt musste bei der Auslegung sowohl vom Bundeskartellamt als auch den Gerichten berücksichtigt werden, dass es sich bei den Fragen nach Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkungen oder Marktbeherrschung um abs171 TB
des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 17. Mitwirkung des BKartA an Gerichtsentscheidungen vgl. TB des BKartA im Jahre 1962, BT-Drucks. IV/1220, S. 9. 173 BGH, 05.02.1968 – KVR 1/67 – BGHZ 49, S. 367 ff. Rn. 32 – Fensterglas II. 174 Jahresgutachten 1971 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 22.11.1971, BT-Drucks. VI/2847, S. 126. 172 Zur
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen133
trakte Verhältnisse handelte, die sich nicht durch einfache Anschauung der konkreten Wirklichkeit beantworten ließen.175 Die Begriffe des GWB mussten aus dem Gesetzestext und dessen Zielsetzung teleologisch erschlossen werden, wobei sich das Amt von dieser Strategie teilweise auch emanzipierte. So stellte das Bundeskartellamt zu Beginn seiner Tätigkeit fest, dass sich bestimmte Kriterien entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers als ungeeignet herausstellten, um „Wettbewerbsbeschränkungen im ökonomischen Sinne zu erfassen“.176 Dabei ging es um das Vorliegen von Wettbewerbsbeschränkungen i. S. v. § 1 GWB 1965. Das Bundeskartellamt führte aus: „Entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers hat sich in den vergangenen zehn Jahren immer deutlicher gezeigt, daß das Kriterium der rechtlichen Bindung in der Regel ungeeignet ist, Wettbewerbsbeschränkungen im ökonomischen Sinne zu erfassen und Kartelle von gesamtwirtschaftlich wünschenswerten Formen der Kooperation zu unterscheiden.“
Zwar ging es bei den aufgeführten Beispielen nicht unmittelbar um die Fusionskontrolle, aber sie verdeutlichen das Selbstbewusstsein des Bundeskartellamtes und die Berücksichtigung ökonomischer Aspekte bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie die Divergenzen zwischen Bundeskartellamt, Gerichten und der Politik bei Konkretisierungsfragen. 2. Konkretisierung in den Verfahrensakten
In den Verfahrensakten der 1970er Jahre finden sich einige explizite Anmerkungen zur Auslegung durch die Kartellbehörde. Exemplarisch seien zwei Zitate angeführt, aus denen sich zentrale Argumentationslinien ableiten lassen. Das Bundeskartellamt führte im Untersagungsverfahren Veba/Gelsenberg aus dem Jahre 1973 zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Er wartung“ in § 24 Abs. 1 GWB 1973 Folgendes aus: „Wenn die Beschlußabteilung im Sinne von § 24 Abs. 1 GWB erwartet, daß auf den geschilderten Märkten beherrschende Stellungen entstehen oder verstärkt werden, so versteht sie die Voraussetzung ‚zu erwarten‘ mit dem Kammergericht (Beschluß vom 9. Januar 1970, WuW/E OLG 1074, 1077 ‚feuerfeste Steine‘) dahingehend, daß gewisse objektive Anhaltspunkte für die betreffenden Auswirkungen bestehen müssen und mit dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, zu Drucks. 3644, S. 27), daß Anlaß zu der Besorgnis besteht, daß entsprechende Auswirkungen eintreffen werden. Die wiedergegebenen Äußerungen des Ausschusses für Wirtschaftspolitik und des Kammergerichts beziehen sich auf die alte Fassung des § 24 GWB. Der
Grundbegriffe des GWB, S. 5 f. Folgenden: TB des BKartA im Jahre 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 17 f.
175 Sandrock, 176 Zum
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Wortlaut ‚zu erwarten‘ ist aber ohne Einschränkung in den neu gefaßten § 24 GWB übernommen worden.“177
Nachdem das Bundeskartellamt im Anschluss feststellte, dass keine Verbesserungen der marktbeherrschenden Stellung entgegenstanden, konkretisierte es auch die Abwägungsklausel in § 24 Abs. 1 GWB 1973 wie folgt: „Eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen kann nur angenommen werden, wenn die Struktur eines Marktes durch den Zusammenschluß so geändert wird, daß sich hierdurch die Möglichkeiten für einen wirksamen Wettbewerb verbessern. Dies folgt aus dem Zweck der Fusionskontrolle, den Wettbewerb als die wichtigste Voraussetzung unserer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu stärken (Begründung des SPD, FDP-Gesetzesentwurfes, BT-Drucks. 7/76, S. 14) und auch aus der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. VI/2520, S. 30, r. Sp.), wo Wettbewerbsbedingungen als strukturelle Maßnahmen definiert sind.“178
Im Rahmen dessen wies das Bundeskartellamt auch darauf hin, dass „mit dem Gesetzeswortlaut ‚es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach‘ klargestellt [sei], daß die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen die Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls auch zu beweisen haben, die nach ihrer Ansicht und zu ihren Gunsten die Feststellung gerechtfertigt erscheinen lassen würden, daß die Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwögen (Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft, 9. Ausschuß, Bericht der Abgeordneten Dr. Frerichs und Dr. Jens, BT-Drucks. 7/ 765, S. 7 r. Sp.)“.179
Das Bundeskartellamt orientierte sich bei der Konkretisierung somit sehr stark an drei Faktoren: den Parlamentsmaterialien, dem Wortlaut der Norm, soweit es sich nicht um unbestimmte Rechtsbegriffe handelte, sowie der Rechtsprechung. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass es sich bei dem Verfahren Veba/Gelsenberg im Jahre 1973 um eines der ersten Fusionskontrollverfahren der Bundesrepublik Deutschland handelte, mithin keinerlei Erfahrungswissen im Umgang mit diesen Instrumentarien vorhanden war. Die Anfangsphase der Fusionskontrolle war dementsprechend noch mit Unsicherheiten behaftet, was teilweise auch auf die jahrelangen politischen Kontroversen bezüglich der Einführung der Fusionskontrolle zurückgeführt werden kann.180 177 BKartA an BMF vom 17.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 125–143, 142; Untersagungsbeschluss nebst Begründung vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362–374r, 373. 178 BKartA an BMF vom 17.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 125–143, 142 f. 179 Untersagungsbeschluss nebst Begründung vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362–374r, 373r. 180 Hierzu 1. Teil.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen135
Indem das Bundeskartellamt bei der Konkretisierung sowohl die Parlamentsmaterialien als auch die Rechtsprechung einbezog, minimierte es die Gefahr divergierender Auffassungen bei der Konkretisierung und legitimierte zugleich seine Auslegung. Die nachvollziehbare methodekonforme Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe kann demnach auch als Legitimationsstrategie gesehen werden. Es war besonders wichtig, die eigene Verwaltungspraxis bei einer solch strittigen und der Öffentlichkeit ausgesetzten Thematik rechtskonform zu fundieren. Das Bundeskartellamt verließ sich zudem auf die Erkenntnisse, die es mit den an die Fusionskontrolle eng anknüpfenden und bereits 1958 normierten Marktbeherrschungsvoraussetzungen des § 22 GWB 1965 machte, und legte diese der Auslegung zugrunde bzw. baute auf diesen auf. Das Amt füllte demnach den ihm durch unbestimmte Rechtsbegriffe im GWB obliegenden erheblichen Beurteilungsspielraum im Rahmen der Auslegung nicht willkürlich nach eigenem Gutdünken aus, sondern orientierte sich zum Teil sehr genau an den Vorgaben des Gesetzgebers bzw. der Rechtsprechung. Somit verlieh das Amt seinen Entscheidungen die Legitimationskraft, die sie in der Phase der Unsicherheit Anfang der 1970er Jahre benötigten, um seine Verwaltungspraxis zu festigen und beständige Entscheidungen im Rahmen der Fusionskontrolle zu treffen. Keinesfalls wollte sich die Kartellbehörde dem Verdacht aussetzen, angesichts des Auslegungsspielraums eine Norm zu Gunsten oder zu Lasten eines verfahrensbeteiligten Unternehmens auszulegen. Dies galt selbst dann, wenn auf Erwerberseite die Bundesrepublik Deutschland als Partei involviert war, wie das im Verfahren Veba/Gelsenberg der Fall war. Bei der Frage, ob der Bund ein „Unternehmen“ i. S. d. GWB sei und den Zusammenschluss vom Bundeskartellamt überhaupt anmelden oder anzeigen müsse, führte das Bundeskartellamt 1974 aus: Dem Wortlaut, Zweck und Materialien des Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB sowie der Regierungsbegründung sei zu entnehmen, dass „Regelungen vor allem auf Zusammenschlüsse zugeschnitten sei[en], durch die mehrere Unternehmen in der Hand einer natürlichen Person zusammengefaßt würden“.181
Daraus folgerte das Bundeskartellamt, dass die Vorschrift zwar vor allem für natürliche Personen geschaffen, aber auch auf juristische Personen anwendbar sei. Hierzu führte es weiter aus: „[D]iese Auslegung entspricht auch der allgemein vertretenen Auffassung, daß Körperschaften des öffentlichen Rechts und mit ihnen der Bund als Unternehmen
181 Untersagungsbeschluss nebst Begründung vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362–374r, 366.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen sind, soweit sie sich privatrechtlich und nicht hoheitlich betätigen.“182
Das Amt ließ sich also auch nicht gegenüber der Bundesrepublik zur Parteinahme und somit zum Steuern seiner Entscheidungsmacht drängen, sondern blieb in seinen Verfahrensgrundsätzen äußerlich den juristischen Argumentationstechniken treu. Nach 1980 musste das Bundeskartellamt auch den neu eingeführten § 23a GWB 1980 konkretisieren, insbesondere die qualifizierte Oligopolvermutung im zweiten Absatz der Vorschrift. Hierzu bestanden keine behördeninternen Erfahrungen. Das Bundeskartellamt stellte bei der Prüfung zu Linde/Agefko im Jahre 1985 fest, dass zur Widerlegung der Vermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 nur strukturelle Kriterien in Betracht kommen, und begründete dies anhand des Wortlauts der Norm, der auf „die Wettbewerbsbedingungen nach dem Zusammenschluß“ abstellt, sowie dessen Zielsetzung.183 Diese „strukturellen Kriterien“ waren allerdings auch vom Amt einzelfallbezogen festzustellen und zu bewerten.184 Die Vorschrift zielte nämlich aus Sicht des Bundeskartellamtes darauf ab, weitere Strukturverschlechterungen auf hoch konzentrierten oligopolistischen Märkten zu verhindern, wozu man sich auf einen Bericht des Wirtschaftsausschusses stützte.185 Auch hier wird der Einschlag der „workable competition“,186 insbesondere die Theorie der „weiten Oligopole“ Kantzenbachs, deutlich und wurde vom Amt auch umgesetzt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich das Amt insbesondere in der von Unsicherheiten geprägten Anfangsphase der Fusionskontrolle stark an den Parlamentsmaterialien und der Rechtsprechung orientierte. Seinen Entscheidungen verlieh das Bundeskartellamt damit gleichzeitig Legitimationskraft. Darüber hinaus agierte das Amt aber souverän und hatte auch die Möglichkeit – insbesondere durch die Bewertung „struktureller Merkmale“ – zur Rechtsformung durch seine Entscheidungen.187
182 Untersagungsbeschluss des BKartA nebst Begründung vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362–374r, 366. 183 BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 30.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 487–504, 487 f. 184 Zur Feststellung und Bewertung „Struktureller Merkmale“ bei der Entscheidungsfindung des BKartA siehe 7. Kap. 185 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft vom 21.02.1980, BT-Drucks. 8/3690 S. 27. 186 Hierzu 3. Kap. 187 Zur Erwartungsbildung und -entscheidung siehe 7. Kap.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen137
II. Die Vermutungskriterien Neben unbestimmten Rechtsbegriffen stellte der Gesetzgeber der Wettbewerbsbehörde für deren Erwartungsbildung zusätzlich widerlegbare Vermutungsregelungen zur Verfügung. Bereits vor Einführung der Fusionskontrolle war bekannt, dass der Erfolg der Fusionskontrolle von den Beweisführungsanforderungen abhing und es vorwiegend in diesem Bereich zu (Anwendungs‑)Problemen kommen könnte.188 Den Akteuren der Fusionskontrolle sollte durch die Vermutungsregelungen der Prozess der Rechtsbildung erleichtert werden, also im konkreten Fall die Feststellung, ob ein Unternehmen marktbeherrschend war oder nicht.189 Aus diesem Grund führte der Gesetzgeber einen allgemeinen Vermutungstatbestand mit § 22 Abs. 3 GWB 1973 sowie mit vierter GWB-Novelle einen speziell für die Fusionskontrolle § 23a GWB 1980 – die sog. qualifizierte Oligopolvermutung – ein, welche an die Größenmerkmale der Marktanteile und Umsatzerlöse anknüpften. Da Vermutungsregelungen die Beweislast regeln, konnten sich auch die Unternehmen leicht auf die maßgeblichen Prüfkriterien des Bundeskartellamtes einstellen. Die Regelungen dienten demnach im Fusionskontrollverfahren sowohl zum Zwecke, den Prozess der Prognoseentscheidung zu kanalisieren, als auch, diesen Prozess für die Unternehmen kalkulierbar zu machen.190 1. Die Marktbeherrschungsvermutung des § 22 Abs. 3 GWB 1973
Die Bundesregierung vertrat die Auffassung, der (damals) neue Begriff der „überragenden Marktstellung“ (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973) sowie die neuen „Marktbeherrschungs-Vermutungen“ (§ 22 Abs. 3 GWB 1973) würden „für die Kartellbehörden die bisher hohen Beweisanforderungen“ erleichtern.191 Der Gesetzgeber bezweckte nämlich durch die Vermutungsregelung zur Marktbeherrschung, die Legaldefinition des marktbeherrschenden Unternehmens in § 22 Abs. 1 GWB 1973 zu verbessern.192 Dabei war die Rechtsnatur der Vermutungstatbestände des § 22 Abs. 3 GWB 1973 angesichts der Entstehungsgeschichte der Vorschriften äußerst 188 Jahresgutachten 1971 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 22.11.1971, BT-Drucks. VI/2847, S. 129 f. 189 Begründung zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 23. 190 Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 349. 191 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1972 vom 05.09.1973, BT-Drucks. 7/986, S. II. 192 Begründung zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 21.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
umstritten.193 Der Wirtschafts- und der Rechtsausschuss des Bundestages etwa deuteten § 22 Abs. 3 GWB 1973 als „Aufgreiftatbestand“ und nicht als zivilrechtliche Vermutung.194 Dies hatte zur Folge, dass das Bundeskartellamt weiterhin die Darlegungs- und Beweisführungslast trug. Weiter wurde von den Ausschüssen auf die dem Kartellverfahren zugrunde liegende verwaltungsrechtliche Offizialmaxime und die Pflicht des Bundeskartellamtes hingewiesen, allen substantiierten Einwendungen gegen die Vermutung einer Marktbeherrschung nachzugehen.195 Klarheit zu den Vermutungsregelungen brachte 1980 ein BGH-Urteil,196 welches feststellte, dass das Amtsermittlungsprinzip (§§ 51 ff. GWB 1973) nicht durch die Vermutungstatbestände (§ 22 Abs. 3 GWB 1973) beseitigt würde. Vielmehr mussten die Erkenntnismittel ausgeschöpft werden und in freier Würdigung des Verfahrensergebnisses eine marktbeherrschende Stellung weder auszuschließen noch zu bejahen sein (non liquet), bevor die Vermutungen ihre bindende Wirkung im Sinne einer Umkehr der Beweislast entfalteten.197 Nachdem das Urteil ergangen war, war weitgehend anerkannt, dass der Sinn der Vermutungsregelung des § 22 Abs. 3 GWB 1973 nicht darin bestehen sollte, den Amtsermittlungsgrundsatz einzuschränken oder eine Umkehr der formellen Beweislast herbeizuführen, sondern eine Umkehr der materiellen Beweislast zu erreichen. Die Vermutung in § 22 Abs. 3 GWB 1973 hatte demnach eine Verdachtsfunktion, die ein Verfahren einleitet, sowie eine bedingt tatbestandsbegründende Funktion. Für den Fall, dass keine tatbestandsausschließenden Umstände feststellbar waren (non liquet), musste die Erfüllung des vermuteten Tatbestands bejaht werden. Bedingung der tatbestandsbegründenden Wirkung war demnach das Nichtvorliegen tatbestandsausschließender Umstände, weshalb das Bundeskartellamt die Vermutungsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen hatte.198 Daraufhin mussten Unternehmen ihre Kenntnis von den betroffenen Märkten zur Verfügung stellen und das Bundeskartellamt war verpflichtet, substantiiert vorgetragenen Hinweisen von Amts wegen nachzu193 Zu den Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Vermutungsregelungen in der zeitgenössischen Literatur vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 22 Rn. 91; Schultz, WuW 1981, S. 102 ff.; Meier, ZHR 1981, S. 393 ff.; Ebel, NJW 1981, S. 1763 ff.; Maier-Reimer, GRUR 1980, S. 969 ff. 194 Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft vom 13.06.1973, BT-Drucks. 7/ 765 (zu Drucks. 7/696), S. 6, 14. 195 Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft vom 13.06.1973, BT-Drucks. 7/ 765 (zu Drucks. 7/696), S. 6, 14. 196 BGH, 02.12.1980 – KVR 1/80 – BGHZ 79, S. 62 ff – Klöckner-Becorit. 197 BGH, 02.12.1980 – KVR 1/80 – BGHZ 79, S. 62 ff. Rn. 34 – Klöckner-Becorit. 198 Vgl. Steindorff, Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, S. 24; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 23a Rn. 7.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen139
gehen.199 Dabei ging es allerdings zu Lasten der Unternehmen, wenn die Vermutung unwiderlegt blieb.200 Somit hatten die Vermutungstatbestände ihre Bedeutung insbesondere im Vorfeld der Verhandlungen von Unternehmen mit dem Bundeskartellamt, da es den Unternehmen durch die Vermutungen erschwert wurde, ihre Marktbeherrschung zu bestreiten, der Kartellbehörde die Feststellung hingegen nicht erleichterte. 2. Die Marktbeherrschungsvermutungen des § 23a GWB 1980
Ziel der vierten GWB-Novelle war sodann die Sicherung der strukturellen Voraussetzungen des Wettbewerbs, was der Grund für die Einführung der an strukturelle Daten anknüpfenden neuen Vermutungen zur Fusionskontrolle in § 23a GWB 1980 war.201 Die Vermutung des § 23a Abs. 1 GWB 1980 hatte die gleichen Funktionen und Wirkungen wie § 22 Abs. 3 GWB 1973.202 Auch die Feststellung einer überragenden Marktstellung (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973) sollte durch die Marktbeherrschungsvermutung des § 23a Abs. 1 GWB 1980 erheblich erleichtert werden. Im Rahmen der Fusionskontrolle sollte § 23a Abs. 1 GWB 1980 bei vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen die gleiche Beweiserleichterung schaffen, die nach § 22 Abs. 3 GWB 1973 für horizontale Zusammenschlüsse galt. Das heißt konkret: Während die Vermutung des § 22 Abs. 3 GWB 1973 primär auf die Marktanteile abstellte, stellte der § 23a Abs. 1 GWB 1980 auf die Ressourcenbetrachtung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 ab. Auch § 23a Abs. 1 GWB 1980 verlagerte nur die materielle Beweislast, d. h. nur im Falle des non liquet konnte sich das Bundeskartellamt darauf stützen. Anders hingegen war dies bei der qualifizierten Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980: Der Gesetzgeber sah mit § 23a Abs. 2 GWB 1980 für „gewichtige, besonders enge Oligopole einen neuen Tatbestand vor, der, soweit das Oligopol im Verhältnis zu seinen übrigen Wettbewerben eine überragende Marktstellung hat, nicht mehr auf dem Wettbewerb innerhalb
199 Vgl. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 23a Rn. 7; Maier-Reimer, GRUR 1980, S. 969, 971. 200 BGH, 21.02.1978, WuW/E BGH 1501, 1502 – Kfz-Kupplungen; KG, 16.01.1980, WuW/E OLG 2234, 2235 – Blei- und Silberhütte Brauchbach. 201 Begründung zum Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 27.09.1978, BT-Drucks. 8/2136, S. 19; vgl. hierzu auch Bechtold, Das neue Kartellrecht, S. 5. 202 Begründung zum Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 27.09.1978, BT-Drucks. 8/2136, S. 19; Beschlussempfehlung und Bericht des Wirtschaftsausschusses vom 21.02.1980, BT-Drucks. 8/3690, S. 26 f.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
des Oligopols abstellt“.203 Angelehnt an die Theorie Kantzenbachs intensivierte der Gesetzgeber ab 1980 seinen Versuch, durch Regelungen im GWB „enge Oligopole“ zu verhindern.204 Im Gegensatz zu § 22 Abs. 3 GWB 1973 und § 23a Abs. 1 GWB 1980 begründete der Wortlaut des § 23a Abs. 2 GWB 1980 für Oligopole neben der materiellen auch die formelle Beweislast, d. h. die Oligopolunternehmen hatten im Rahmen des § 23a Abs. 2 GWB eine umfassende prozessuale Darlegungs- und Beweisführungspflicht.205 Dadurch wurde das Bundeskartellamt automatisch im Rahmen seiner Ermittlungstätigkeit entlastet, sobald es sich auf die qualifizierte Oligopolvermutung berufen konnte. Eine Auslegung war bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 23a Abs. 2 GWB nicht notwendig. 3. Die Marktbeherrschungsvermutungen in den Verfahrensakten
In den untersuchten Verfahren bezog sich das Bundeskartellamt zum Teil auf die verschiedenen Vermutungsregelungen, jedoch überwiegend erst ab Beginn der 1980er Jahre. Zwar wurde auch in den 1970er Jahren (Veba/ Gelsenberg) aufgrund des § 22 Abs. 3 Nr. 2a GWB 1973 die Marktbeherrschung des Oligopols nach § 22 Abs. 2 GWB 1973 vermutet.206 Es wurde allerdings stets das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Marktbeherrschung gem. § 22 Abs. 1 GWB 1973 zusätzlich umfangreich geprüft, da man sich nicht ausschließlich auf die Vermutung stützen konnte, sondern nur im Falle des non liquet. Nicht minder könnte ein solches Vorgehen auch darauf zurückzuführen sein, dass das Amt zunächst Erfahrungen im Umgang mit den neuen GWBRegelungen sammeln musste. Die Verfahrensakten lassen nämlich erkennen, dass das Bundeskartellamt im Laufe der Jahre gezielter die Vermutungsregelung zur Untersagung heranzog, um seine Entscheidung zu fundieren. Hintergrund dieses Vorgehens war die Emanzipierung der Ermittlungstätigkeit des Bundeskartellamtes, auf welche noch genauer einzugehen sein wird.207 Beispielsweise kann bei Bayer/Firestone im Jahre 1980 erkannt werden, dass das Bundeskartellamt einige Märkte auf ihren Marktbeherrschungsgrad hin in Betracht zog, aber nur diejenigen als betroffen einstufte, auf denen „die Vermutungskriterien zur Marktbeherrschung des § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB“ 203 Begründung zum Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 27.09.1978, BT-Drucks. 8/2136, S. 12. 204 Hierzu 3. Kap. 205 Vgl. hierzu Immenga/Schulte-Braucks, BB 1981, S. 149, 153. 206 Die Vermutung bezog sich auf den Elektrizitätsmarkt, vgl. Untersagungsbeschluss des BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362–374r, 366r. 207 Hierzu 6. Kap.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen141
erfüllt waren.208 Da es sich um Marktanteile von 44 % bzw. 51 % handelte, sah das Amt die Vermutungskriterien als „weit überschritten“ an, weshalb es zunächst von einer marktbeherrschenden Stellung ausging. Dem stand nicht entgegen, dass der Marktanteilszuwachs in dem Beispielfall „sehr gering“ war.209 Durch den Zuwachs an Produktionskapazitäten war das Amt von der zunächst unterstellten Marktbeherrschung überzeugt, ließ jedoch erkennen, dass „die Frage der Marktbeherrschung allerdings noch nicht eindeutig geklärt“ war und lediglich aufgrund § 22 Abs. 3 GWB 1973 vermutet wurde.210 Sodann musste das Bundeskartellamt im Rahmen seiner Informationsermittlung die Frage klären, ob Marktbeherrschung vorlag, wobei die Unternehmen durch die Regelung der Vermutung zur Mitarbeit angehalten waren. Die Unklarheiten über das Eingreifen der Vermutungen entwickelten sich zu einem Aspekt des Informationsmanagements. Das Bundeskartellamt ging dazu über, die Vermutungen des § 22 Abs. 3 GWB 1973 aufgrund ihrer Funktion im Falle des non liquet im Rahmen seiner Informationsermittlung zur Informationsgenerierung nutzbar zu machen.211 Somit halfen die Vermutungsregelungen der § 22 Abs. 3 GWB 1973 und § 23a Abs. 1 GWB 1980 zwar nicht direkt zur Beweiserleichterung der Untersagungsvoraussetzungen, wie von der Bundesregierung versprochen. Aber die Vermutungen halfen dabei, dass die Unternehmen einen Grund hatten, die vom Amt benötigten Materialien und Daten freiwillig herauszugeben, um den Fall eines non liquet zu vermeiden. Weiterführend war hingegen die qualifizierte Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980. Die Vorschrift stärkte vorallem die Machtposition des Bundeskartellamtes. Unternehmen waren durch die neue Vermutungsregelung deutlich mehr zur Mitarbeit im Fusionskontrollverfahren angehalten, da sie erstmalig die formelle Beweislast trugen, was wiederum die Erwartungsentscheidung des Amtes erleichterte. Dies kann mehreren Verfahrensakten entnommen werden: Beim geplanten Erwerb der Preussag-Tochter Agefko durch Linde im Jahre 1985 war nach Auffassung des Bundeskartellamtes die „qualifizierte Oligopolvermutung“ des § 23a Abs. 2 Nr. 1 GWB 1980 erfüllt, sodass es Linde oblag, den Beweis für „wesentlichen Wettbewerb“ oder „keine überra208 Besprechungsvermerk
54d.
vom 22.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 54d–e,
209 Der Zuwachs betrug 0,8 % bei technischen Gummiartikeln und 0,4 % bei eifen, vgl. Besprechungsvermerk vom 22.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, R Bl. 54d–e, 54d. 210 Besprechungsvermerk vom 22.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 54d–e, 54d. 211 Eingehend hierzu 6. Kap.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
gende Marktstellung“ zu erbringen.212 Dabei teilte das Bundeskartellamt mit, dass dieser Gegenbeweis an hohe Anforderungen geknüpft sei und die Widerlegung der Vermutung aus Sicht der Beschlussabteilung voraussichtlich scheitern würde.213 Da die Anwendbarkeit der Oligopolvermutung unstreitig war,214 konnte das Bundeskartellamt auf diese gestützt bereits eine Unter sagung ergehen lassen. Anders als bei den anderen für die Fusionskontrolle geltenden Vermutungen musste das Bundeskartellamt keine weiteren Beweise erheben. Das Bundeskartellamt wies die beteiligten Unternehmen nämlich darauf hin, dass „wegen der Vermutung des § 23a Abs. 2 GWB nur Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung zu prüfen sei, wo schon eine geringe Schwelle ausreiche“.215 Sobald sich das Bundeskartellamt demnach auf § 23a Abs. 2 GWB 1980 zurückziehen konnte, wurde nur noch das Merkmal der Verstärkung thematisiert, welches einfacher festzustellen war als eine Marktbeherrschung: Eine Verstärkung der Marktmacht konnte beispielsweise schon allein durch den Zugewinn von Produktionskapazitäten entstehen. Auch bei Hüls/Condea, ebenfalls Mitte der 1980er Jahre, spielte die qualifizierte Oligopolvermutung die Hauptrolle in der Untersagungsentscheidung. Aufgrund hoher Marktanteile waren die Voraussetzungen des § 23a Abs. 2 GWB 1980 erfüllt, weshalb die beteiligten Unternehmen zur Vermutungsentkräftung strukturbedingten Wettbewerb gegenüber oder innerhalb des Duopols darlegen mussten.216 Ohne umfangreiche Vorprüfung verhalf die qualifizierte Oligopolvermutung auch hier dem Amt zu einer starken Stellung, bei der die Unternehmen agieren und den Beweis antreten mussten, sei es durch Entkräftung der Vermutung oder durch Nachweis der Voraussetzungen der Abwägungsklausel. Auch im Verfahren Messer Griesheim/Buse berief sich das Amt auf die Vermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 für die abgegrenzten Märkte Stickstoff und Schweißmischgase, weil die Marktanteile des Duopols Messer Griesheim und Linde wesentlich über der gesetzlichen Vermutungsschwelle lagen.217 212 Hierzu
auch Pahlow/Rassow, JWG 2018, S. 343, 363. an RA Linde u. Preussag/Agefko vom 30.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 487–504, 489. 214 Besprechungsvermerk vom 21.08.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 363– 364. 215 Besprechungsvermerk vom 13.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 468– 470. 216 Besprechungsvermerk vom 18.07.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 37–41, 38; Besprechungsvermerk vom 06.11.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 220–223, 220. 217 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887; 849, 856. 213 BKartA
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen143
Zwar hatten die Unternehmen der gesetzlichen Ausgestaltung zufolge die Möglichkeit, die Vermutungen zu widerlegen, eine solche Widerlegung gelang in den untersuchten Verfahren aber für keine der im GWB normierten Vermutungen. So war das Bundeskartellamt beispielsweise im Verfahren Linde/Agefko der Meinung, dass eine Vermutungswiderlegung angesichts des hohen Konzentrationsgrads und der gleichartigen strukturellen Bedingungen gar nicht möglich sei,218 womit den Unternehmen nur noch der Nachweis des Vorliegens der Abwägungsklausel oder die Einlegung von Rechtsmitteln blieb. Ende der 1980er Jahre kann demnach auf einen häufigeren und routinierteren Umgang der Kartellbehörde mit den Vermutungsregelungen im Rahmen der Untersagung geschlossen werden, wie er zu Beginn der Fusionskontrolle noch nicht zu erkennen war. Zudem kann festgestellt werden, dass das Bundeskartellamt dort, wo es dazu in der Lage war, die qualifizierte Oligopolvermutung zur Untersagung nutzbar machte. Zwar dienten die restlichen Vermutungen als „Aufgreiftatbestände“, wurden aber vom Amt eher zum Zwecke der Informationsermittlung219 mobilisiert und spielten bei der Untersagungsbegründung eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Die in den Fusionskontrollverfahren stets erforderlichen relevanten Kriterien der Marktbeherrschung, nämlich der konkrete Marktanteil und die relevanten Strukturkriterien, erwiesen sich aufgrund der Ausgestaltung der an objektive Kriterien knüpfenden Vermutungsregelungen nicht als Frage der Auslegung, sondern des Informationsmanagements, auf welches gesondert einzugehen sein wird.220
B. Informelle Verfahren Bereits seit der Anfangszeit des Kartellgesetzes wusste die Bundesregierung, dass die Wirtschaft Wert darauf legte, „in Verhandlungen mit den Kartellbehörden zu klären, wie sie ihr Verhalten einrichten muß, um behördliches Einschreiten […] unnötig zu machen“.221 Dabei stellte sich die Frage nach einer „beratenden Tätigkeit“ der Kartellbehörde.222 Als Resultat dieser Ver218 Abmahnschreiben des BKartA vom 03.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 392–415, 408. 219 Hierzu 6. Kap. 220 Eingehend hierzu 6. Kap. 221 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1958 vom 15.04.1959, BT-Drucks. III/1000, S. 2. 222 Vgl. Ewald, WuW 1958, S. 317, 319; Ewald plädierte für eine „gewisse Zurückhaltung“, welche sich das BKartA in seiner beratenden Funktion auferlegen sollte, und stellt zur Beurteilung auf die Anhängigkeit des Verfahrens ab. Sofern ein Verfahren anhängig sei, könne das BKartA beratend fungieren.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
handlungen der Wirtschaft mit dem Bundeskartellamt entwickelten sich informelle Verfahren. Informelle Verfahren waren nicht förmliche, an konkrete Verfahrensregelungen gebundene tatsächliche Verhaltens- bzw. Vorgehensweisen des Bundeskartellamtes. Zwar blieben sie auf die im GWB geregelten Verfahren in Verwaltungssachen bezogen, waren im Gesetz aber nicht explizit geregelt.223 Im Rahmen der – dem Amt fast schon aufgezwungenen – Aushandlungsbereitschaft innerhalb der informellen Verfahren kristallisierte sich Anfang der 1970er Jahre das auch noch heute praktizierte224 und bereits damals oft kritisierte225 Zusageverfahren heraus, welches im Rahmen der informellen Verfahren eine Sonderstellung einnahm. Diesbezüglich sollen zunächst die Rahmenbedingungen und Hintergründe der informellen Verfahren im Kartellrecht untersucht werden (I.). Anschließend stellt sich die Frage der rechtlichen Würdigung und der Anreizwirkungen informeller Verfahren (II.). Schließlich soll empirisch überprüft werden, ob bzw. welche informellen Verfahren sich den Akten entnehmen lassen und wie diese kategorisch einzuordnen sind (III.). I. Rahmenbedingungen informeller Verfahren Die Praxis der informellen Verfahren verfolgte das Bundeskartellamt nicht erst seit Einführung der Fusionskontrolle, sondern bereits seit Amtsgründung im Jahre 1958. Sach- und Rechtslagen wurden außerhalb der im GWB vorgeschriebenen förmlichen Verfahren mit den beteiligten Unternehmen eingehend erörtert. So wurden Auskünfte erteilt, gutachterliche Äußerungen abgegeben und die Wirtschaft in kartellrechtlichen Fragen beraten, um auf ein „sachdienliches Verhalten“ der Beteiligten hinzuwirken oder sie zu veranlassen, von „unzulässigen Maßnahmen abzusehen“.226 Diese formlose VerwalMaizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 9 ff., 16. gab das BKartA am 30.05.2017 einen 84-seitigen „Leitfaden Zusagen in der Fusionskontrolle“ heraus, Bundeskartellamt, Leitfaden Zusagen in der Fusionskontrolle, online im Internet: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/ DE/Leitfaden/Leitfaden %20- %20Zusagen %20in %20der %20Fusionskontrolle.html [Stand: 02.08.2021]. 225 Vgl. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 413; Uhlig, Zusagen, Auflagen und Bedingungen im Fusionskontrollverfahren, S. 78 ff.; Riesenkampff, WuW 1977, S. 291–305; Wolter, WuW 1979, S. 213–225; Schultz, WuW 1982, S. 429–444; Götz, Die Zusagenpraxis im materiellen Fusionsverfahren vor dem Bundeskartellamt, 1984. 226 Stellungnahmen der Bundesregierung zu den TBen des BKartA im Jahre 1959 vom 13.04.1960, BT-Drucks. III/1795, S. 3 und im Jahre 1960 vom 05.05.1961, BTDrucks. III/2734, S. 3; TB des BKartA im Jahre 1962, BT-Drucks. IV/1220, S. 15; TB des BKartA im Jahre 1963, BT-Drucks. IV/2370, S. 17; TB des BKartA im Jahre 1964, BT-Drucks. IV/3752, S. 14. 223 De 224 So
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen145
tungstätigkeit beugte laut Bundeskartellamt in zahlreichen Fällen bereits der „Entstehung wettbewerbsbeschränkender Praktiken“ vor.227 Die Tendenz der Wirtschaft, durch informelle Verfahren „aufgetretene Zweifelsfragen mit dem Bundeskartellamt zu erörtern und sie im Wege der Beratung ohne Endentscheidung auszuräumen“, machte das Bundeskartellamt bereits durch seinen ersten Tätigkeitsbericht öffentlich bekannt.228 So war es schließlich auch die Intention des Gesetzgebers, dass das Bundeskartellamt vor einer Entscheidung stets die „beiderseitigen Auffassungen im Verhandlungswege“ abwog.229 Deshalb lobte die Bundesregierung das Bundeskartellamt für seine „helfende und beratende Tätigkeit“, durch die es „der Wirtschaft zeigte, wie man mit dem Gesetz [i. e. GWB, V. H.] leben kann“.230 Dadurch hätte die Kartellbehörde „verdienstvoll daran mitgewirkt“, dass das GWB die Grundregeln aufstellen konnte, nach denen sich die Marktwirtschaft entfalten konnte.231 Somit ist nicht verwunderlich, dass auch im Rahmen der Fusionskontrolle die Bundesregierung informelle Verfahren nicht nur duldete, sondern inzwischen sogar voraussetzte.232 Das Bundeskartellamt war sich dessen durchaus bewusst und handelte im Grunde im Einklang mit den politischen Vorgaben. Auch wenn dem Amt vereinzelt sogar „Kungelei“ vorgeworfen wurde,233 so war dieses doch politisch gewollt. Die Bundesregierung und das Bundeskartellamt erklärten bereits vor Einführung der Fusionskontrolle, dass das Amt an der Praxis, „im Wege des sogenannten informellen Verfahrens Auskünfte zu erteilen“, festhalten werde.234 Aushandlungen zwischen Amt und Unternehmen waren in der Fusionskontrolle sogar explizit politisch vorgesehen: Bereits in der Regierungsbe227 TB des BKartA im Jahre 1962, BT-Drucks. IV/1220, S. 15; TB des BKartA im Jahre 1963, BT-Drucks. IV/2370, S. 17; TB des BKartA im Jahre 1964, BTDrucks. IV/3752, S. 14; TB des BKartA im Jahre 1965, BT-Drucks. V/530, S. 22. 228 TB des BKartA im Jahre 1958, BT-Drucks. III/1000, S. 68. 229 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1958 vom 15.04.1959, BT-Drucks. III/1000, S. 3. 230 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1966 vom 12.07.1967, BT-Drucks. V/1950, S. 2. 231 Stellungnahme der Bundesregierung zum TB des BKartA im Jahre 1966 vom 12.07.1967, BT-Drucks. V/1950, S. 2. 232 Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 30. 233 Nawrodri, Kungelei oder Kompromiß?, in: Die Zeit vom 23.01.1976, online im Internet unter: https://www.zeit.de/1976/05/kungelei-oder-kompromiss [Stand: 02.08.2021]. 234 Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft vom 13.06.1973, BT-Drucks. 7/ 765 (zu Drucks. 7/696), S. 10.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
gründung zur zweiten GWB-Novelle wurde die Möglichkeit vorgesehen, dass das Bundeskartellamt vor oder nach der förmlichen Anmeldung gem. § 24a GWB 1973 im Rahmen eines „informellen Verfahrens“ in „Verhandlungen mit den beteiligten Unternehmen“ eintreten konnte.235 Dabei sollten „andere Maßnahmen“ geklärt werden, die ausreichend seien, um Wettbewerbsbeschränkungen abzuwenden.236 Das Bundeskartellamt sollte vor einer Untersagung vor allem bei Zusammenschlüssen von „Vielproduktunternehmen“ mit den beteiligten Unternehmen klären, „unter welchen Voraussetzungen der Zusammenschluß hingenommen werden kann“.237 Anstatt dem Amt zu ermöglichen, eine Entscheidung mit Bedingungen oder Auflagen zu versehen, vertraute der Gesetzgeber nicht nur auf formelle Verfahren, sondern auf die eher intransparenten informellen Verfahren. Aus diesen informellen Verfahren resultierten exakt die Fälle, bei denen Unternehmen aufgrund der bloßen Ankündigung einer Untersagung durch das Amt von Zusammenschlüssen schließlich absahen. Seit Beginn der Zusammenschlusskontrollen bis 1989 wurden 10.849 angezeigte Zusammenschlüsse vollzogen, wovon 7.623 als kontrollpflichtige Vorgänge gem. § 24 GWB 1973238 geprüft wurden.239 Insgesamt untersagte das Bundeskartellamt 90 angezeigte Zusammenschlüsse. Auch wenn die Zahlen zunächst den Eindruck vermitteln, die Zusammenschlusskontrolle sei wirkungslos gewesen, darf nicht unberücksichtigt bleiben, wie viele Zusammenschlusspläne angesichts der Kontrollvorschriften oder nach Gesprächen mit dem Bundes kartellamt nicht mehr weiterverfolgt wurden. So gaben die Beteiligten nach Erörterung mit dem Bundeskartellamt das Zusammenschlussvorhaben in 186 Fällen auf.240 Insoweit ist eine Vorfeldwirkung der Fusionskontrolle durch informelle Verfahren anzunehmen,241 auch wenn sie angesichts der dennoch durchgeführten 7.347 Zusammenschlüsse eher gering war. 235 Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 25. 236 Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 25. 237 Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 30. 238 Zu den §§ des GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. 239 Achtes Hauptgutachten der Monopolkommission 1988/89, BT-Drucks. 11/7582, S. 234. 240 Achtes Hauptgutachten der Monopolkommission 1988/89, BT-Drucks. 11/7582, S. 235. 241 Anderer Ansicht war Ramrath mit der Begründung, dass „bedeutsame Großfusionen zumeist keineswegs ‚freiwillig‘ aufgegeben wurden, sondern stattdessen ein Großteil davon die Fusionskontrollhürden sogar recht problemlos überwinden“ konnte, Ramrath, Die überragende Marktstellung, S. 4.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen147
Bei Ergebnissen aus informellen Verfahren kamen Amt und Unternehmen zu einer Einigung, ohne dass eine Verfügung des Amtes gem. § 57 GWB 1973 erging. Fraglich blieb deshalb, ob eine Einigung auf informellem Wege eine rechtliche Bindungswirkung entfaltete. Dennoch hatten die Unternehmen ein Interesse daran, das Bundeskartellamt bereits im Vorfeld einer Fusion über dessen Planung zu unterrichten. Als Zeichen der Kooperationsbereitschaft legten die Unternehmen nämlich Wert darauf, dass das Bundeskartellamt nicht erst aus der Presse von einem geplanten Zusammenschluss erfuhr.242 II. Rechtliche Würdigung und Anreizwirkungen informeller Verfahren Diverse rechtliche Regelungen führten im Rahmen der Fusionskontrolle dazu, dass sowohl das Bundeskartellamt als auch die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen das informelle Verfahren, insbesondere das Vorverfahren als Teil des informellen Verfahrens, gegenüber dem formellen vorzogen. Wie bereits erläutert,243 war die Fusionskontrollnorm komplex ausgestaltet, was Unsicherheiten seitens der Unternehmen hervorrief, die vermehrt zu informellen Anfragen führten. So war die Erwartungsentscheidung des Bundeskartellamtes gem. § 24 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 GWB als gebundene Entscheidung formuliert. Die gebundene Erwartungsentscheidung brachte sowohl Rechtsunsicherheiten als auch Investitionsunsicherheiten hervor. Insbesondere Unternehmenszusammenschlüsse waren nicht nur mit hohen Kosten verbunden, sondern bedurften auch des schnellen Vollzugs aufgrund möglicher Reaktionen anderer Marktteilnehmer. Indem es keine abgestuften Entscheidungsmöglichkeiten im Rahmen der Fusionskontrolle gab, waren die Unternehmen stets dem Risiko der Untersagung ausgesetzt, sobald die Fusion angezeigt bzw. angemeldet war. Um diesem Risiko zu entgehen, konnte vorab informell die Entscheidungstendenz der Beschlussabteilung ausgelotet und eine erste Stellungnahme des Amtes eingeholt werden. Das Amt hingegen hatte einen größeren Entscheidungsspielraum, den es im offiziellen Verfahren mangels vorgesehener Auflagen oder Bedingungen gerade nicht hatte. Ebenfalls wurde durch informelle Anfragen weder eine Auskunftspflicht noch eine Bußgeldsanktion ausgelöst, was bei förmlichen Auskunftsersuchen, wie der Anmeldung eines Zusammenschlusses, der Fall war. Da das Bundes242 Vgl.
S. 14.
hierzu auch Windbichler, Informelles Verfahren bei der Fusionskontrolle,
243 Hierzu
2. Kap.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
kartellamt für informelle Verfahren mithin keine Gebühren erheben konnte, waren die Vorgänge für die Unternehmen zwangsläufig kostenlos.244 Vorallem die Fristbestimmungen drängten die Akteure im Rahmen der Fusionskontrolle in die informellen Verfahren. Das Bundeskartellamt warnte bereits vor Einführung der Zusammenschlusskontrolle vor einer zu kurzen Fristbemessung bei der Zusammenschlussuntersagung.245 Demnach wurde es dem Bundeskartellamt ermöglicht, im Einvernehmen mit den Unternehmen die Viermonatsfrist zu verlängern.246 Hierfür war die Behörde aber auf die Zustimmung der Unternehmen angewiesen, während es im informellen Verfahren keine Zeitvorgaben gab. So zeigen auch die Verfahrensakten, dass das Bundeskartellamt im Rahmen der Zusammenschlussprüfung einen großen Fokus auf die Fristvorschriften legte. So schöpfte das Amt zum einen im Falle fehlender Vorgespräche die Fristen komplett aus und blieb dabei monatelang untätig, wie bspw. bei IBH/Wibau,247 zum anderen ließ es sich auch innerhalb des formellen Verfahrens nur noch auf Gespräche ein, wenn die Unternehmen im Gegenzug die Frist verlängerten, wie etwa im Verfahren Linde/Lansing. Dieses begann zwar ohne Vorverfahren, aber bereits bei der Anmeldung bat man um einen frühen Gesprächstermin.248 Auf Besprechungen ließ sich das Bundeskartellamt aber nur unter der sodann gewährten Voraussetzung einer Fristverlängerung ein.249 Des Weiteren wird deutlich, dass das Bundeskartellamt die informellen Vorverfahren für sich nutzbar machte, indem es zwar Bedenken zum geplanten Fusionspartner kundtat, aber gleichzeitig, wie im Verfahren Hüls/Condea, den Namen eines anderen möglichen Fusionspartners erwähnte, bei dessen Erwerb die Untersagungsprüfung „nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen“
244 De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 83, 202, mit dem Hinweis, dass das BKartA bei der Kostenfestsetzung im später formellen Verfahren den Aufwand des informellen Verfahrens berücksichtigte. 245 TB des BKartA im Jahre 1971, BT-Drucks. VI/3570, S. 10. 246 Regierungsbegründung zum Entwurf eines zweiten GWB vom 18.08.1971, BTDrucks. VI/2520, S. 25, 30. 247 So ruhte das Verfahren IBH/Wibau von August 1980 bis Februar 1981. Einen Grund hierfür kann der Akte, die der Verfasserin vom BKartA überlassen wurde, nicht entnommen werden. 248 In der Anmeldung schrieb RA Linde: „Von einer rechtlichen Argumentation haben wir in dieser Anmeldung abgesehen. Wir halten es für sinnvoll, zu einem ersten frühen Gespräch zur Beschlußabteilung zu kommen.“ Anmeldung RA Linde vom 20.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 1–38, 37. 249 Besprechungsvermerk vom 04.10.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 53–55; Besprechungsvermerk vom 23.11.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 140–142; RA Linde an BKartA vom 22.12.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 221–222.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen149
würde.250 Damit gab das Amt der Veräußerin indirekt bereits einen Hinweis, an wen eine Veräußerung wünschenswerter war, und spielte den Zeitmoment für sich aus. Die Anreizwirkungen der informellen Verfahren können demnach auf vier im GWB verankerte Regelungen zurückgeführt werden, die vermieden werden sollten: Erstens die gebundene Erwartungsentscheidung des Bundeskartellamtes, zweitens die Kosten verursachenden Gebührenregelungen, drittens die Auskunftsbestimmungen und schließlich viertens die normierten Fristen. Mithin verleiteten die rechtlichen Regelungen der Fusionskontrolle zu informellen Verfahren, da sie diverse Anreizwirkungen sowohl für das Bundeskartellamt als auch die beteiligten Unternehmen begründeten. III. Empirische Untersuchung informeller Verfahren Anhand der Aktenanalyse konnten informelle Verfahren oftmals nur schwerlich nachvollzogen werden. So wurden diese Verfahren je nach Grad der Vertraulichkeit kaum schriftlich festgehalten bzw. als vertraulich eingestufte Akten als Verschlusssache geführt.251 Insbesondere Vorverfahren wurden überwiegend in „vertraulichen“ Akten geführt, weshalb in diese keine Einsicht genommen werden konnte. Auch das Zusageverfahren konnte nicht durch eine Akte des Bundeskartellamtes rekonstruiert werden, sondern mit Hilfe der Unterlagen aus dem Unternehmensarchiv der Bayer AG. Eine Generalisierung der generierten Erkenntnisse ist demnach nur bedingt möglich. Zudem bezieht sich die Aktenanalyse nur auf untersagte Zusammenschlussvorhaben, weshalb jegliche hier festgestellten informellen Verfahren, angesichts der gefolgten Untersagungen, scheiterten. Nichtsdestotrotz sind anhand der untersuchten Verfahrensakten insbesondere drei Formen informeller Verfahren erkennbar: Zunächst Vorgespräche vor einer offiziellen Anmeldung des Vorhabens, sog. Vorverfahren (1.), anschließend Beratungsgespräche nach Anmeldung des Vorhabens, d. h. innerhalb des offiziellen Verfahrens (2.), sowie schließlich das, von der Gesetzesebene losgelöste, Zusageverfahren (3.).
250 Besprechungsvermerk
41.
vom 18.07.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 37–41,
251 Zu dieser Problematik bereits De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 63.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis 1. Das Sondieren im Vorverfahren
Das umfangreichste Vorverfahren enthält die Verfahrensakte Veba/Gelsenberg aus dem Jahre 1973 mit der Besonderheit, dass auf Erwerberseite die Bundesrepublik Deutschland stand. Im Verfahren Veba/Gelsenberg nahm das Bundesministerium für Wirtschaft bereits vor offizieller Anzeige des Vorhabens Kontakt mit dem Bundeskartellamt auf und erbat eine vorläufige Einschätzung zum geplanten Fusionsvorhaben. Dieser Bitte kam das Bundeskartellamt auch nach, jedoch eingeschränkt dahingehend, dass mangels fehlender Angaben nur ein grober Überblick dargestellt werden konnte.252 Im weiteren Verlauf des informellen Verfahrens teilte das Bundeskartellamt dem Bundesministerium für Wirtschaft mit, dass das Zusammenschlussvorhaben auf manchen Märkten „wettbewerbspolitisch besonders bedenklich sein kann mit dem Vorbehalt, daß zur Zeit noch keine vollständige Sachverhaltsaufklärung möglich ist“.253 Das Bundeskartellamt gab demnach zu verstehen, dass Vorverfahrenstendenzen stets einer Ungewissheit unterlagen. Dies galt auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man eine verlässliche Prognose erlangen wollte, um Planungssicherheit zu gewährleisten, musste man dem Amt auch die entsprechenden Unterlagen zukommen lassen oder das formelle Verfahren einleiten, in welchem das Amt seine Ermittlungsbefugnisse nutzen konnte. Die Bedeutung von informellen Verfahren war auch innerhalb des Bundesministeriums für Wirtschaft bekannt, welches hierzu vermerkte: „Eine abschließende wettbewerbliche Beurteilung durch das Bundeskartellamt kann erst stattfinden, wenn die in der Kartellgesetznovelle vorgesehene Anmeldung des Zusammenschlusses mit allen erforderlichen Einzelangaben vorliegt oder wenn – vor einer förmlichen Anmeldung – sowohl Veba als auch Gelsenberg alle benötigten Angaben freiwillig zur Verfügung stellen (sog. Informelles Ver fahren).“254
Ausnahmen dazu machte das Bundeskartellamt mithin auch nicht bei der Bundesrepublik Deutschland als Erwerberin. Weiter wurde ausgeführt: „Stellt das Bundeskartellamt auf einzelnen Märkten Marktbeherrschung fest, so kann es den beteiligten Unternehmen anheimgeben, zur Vermeidung einer Verbotsverfügung die kritischen Bereiche aus dem Zusammenschluß auszuklammern oder abzustoßen.“255 Exemplarisch hieran zeigt sich, dass die Vorzüge des informellen Verfahrens erkannt, genutzt und erwünscht waren, weil keine Teiluntersagungen möglich waren und man im Gegenzug dem 252 BKartA an BMWi vom 29.06.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 1–2; Vermerk des BKartA vom 21.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 16–18. 253 Vermerk des BKartA vom 24.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 26–30, 29. 254 Vermerk des BMWi vom 24.08.73, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 32–41, 40. 255 Vermerk des BMWi vom 24.08.73, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 32–41, 41.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen151
Amt alle gewünschten Informationen zur Verfügung stellen musste. Indem sogar das Bundesministerium für Wirtschaft im Jahre 1973 den Begriff „Informelles Verfahren“ verwendete, kann davon ausgegangen werden, dass dieses bereits fest in der Behördenpraxis etabliert war, bevor die Fusionskontrolle normiert wurde. Die Verfahrensart war der Behörde demnach nicht fremd und auch nicht mit Unsicherheiten behaftet. Auch kam es seitens der fusionswilligen Unternehmen zu eindeutigen informellen Beratungsanfragen im Vorverfahren, die zum Gegenstand hatten, den Anwendungsbereich des GWB zu umgehen. Indirekt wurde das Bundeskartellamt bei Veba/Gelsenberg gefragt, ob es sich auf eine Umgehung der Fusionskontrolle einlasse. Geplant war der Kauf des Gelsenberg-Aktienpakets durch die Deutsche Bundesbank oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau, auf welche das GWB gem. § 101 Nr. 1 GWB 1958 keine Anwendung fand. Die Kartellbehörde erklärte hierzu, dass das GWB dann aber immer noch für die Gelsenberg AG als an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sowie für die RWE zu beachten sei,256 mithin wäre dieses Vorgehen grundsätzlich nicht dazu geeignet gewesen, die Regelungen des GWB zu umgehen. Demnach würde auch das Verbot des § 24a Abs. 4 Hs. 1 GWB 1973 für Gelsenberg und RWE gelten und die Willenserklärungen der Gelsenberg AG nach § 24a Abs. 4 Hs. 2 GWB 1973 wären unwirksam.257 Auch die Frage, ob der Bund überhaupt ein Unternehmen i. S. d. GWB sei und den Erwerb anzeigen oder anmelden müsse, entgegnete das Bundeskartellamt, dass das GWB auf die öffentliche Hand anwendbar sei (§ 98 Abs. 1 GWB 1973) und der Bund außerdem als Unternehmen i. S. v. § 23 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 GWB 1973 gelte.258 Eine Möglichkeit der Umgehung des Anwendungsbereichs des GWB und somit die Vermeidung der Zusammenschlussprüfung ließ das BKartA demnach nicht zu. Die Eigenständigkeit des Amtes seinen „Vorgesetzten“ gegenüber offenbart sich hierbei in besonderem Maße. In einer weiteren informellen Besprechung im selben Verfahren zwischen Bundeskartellamt, Bundesministerium für Wirtschaft und Bundesministerium der Finanzen half das Bundeskartellamt jedoch dahingehend nach, die Beteiligten nicht dem Risiko eines Bußgelds auszusetzen: So wurde besprochen, wann ein Vollzug vorlag und wann nicht; der Vollzug eines anmeldepflichtigen Zusammenschlusses hätte nämlich eine mögliche Sanktion auslösen können (§ 24a Abs. 4 GWB 1973). Dabei teilte das Amt mit, dass der Abschluss des Kaufvertrages und die Zahlung des Kaufpreises kein Vollzug sei, sondern ein Vollzug erst vorliege, wenn das Stimmrecht nur in Einvernehmen 256 BKartA
an BMWi vom 05.10.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 59–60, 60. an BMWi vom 05.10.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 59–60, 60. 258 BKartA an BMWi vom 03.10.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 52–53, 52. 257 BKartA
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
mit dem Bund ausgeübt werden könne und der Bund die Aufsichtsmandate übernehme.259 Ein informelles Vorverfahren ist auch dem Verfahren Linde/Agefko im Jahre 1985 zu entnehmen, bei welchem die beteiligten Unternehmen beim Amt anfragten, „ob hinsichtlich des Zusammenschlußvorhabens von Seiten der Beschlußabteilung Bedenken bestünden“.260 Man fragte also im Vorfeld an, ob der Zusammenschluss wie geplant vollzogen werden könne. Da allerdings benachbarte Märkte betroffen waren und Linde dem Amt zufolge bereits eine erhebliche Marktstellung besaß, ließ sich das Amt nicht auf eine informelle Aushandlung ein, sondern bestand auf einem förmlichen Prüfungsverfahren.261 Das Vorverfahren kam demnach dem Ausloten einer Entscheidung nahe, worauf sich das Amt nicht immer einließ. Daraus lässt sich schließen, dass im Rahmen des Quellenkorpus informelle Vorgespräche und Aushandlungen zum einen insbesondere Mitte der 1980er Jahre vom Amt kritischer beurteilt und auch verweigert wurden, zum anderen nur dann stattfanden, wenn das Bundeskartellamt davon überzeugt war, eine zufriedenstellende Lösung erarbeiten zu können. Somit kann trotz des eingeschränkten Quellenmaterials zu den informellen Verfahren erkannt werden, dass diese bereits fest in der Behördenpraxis etabliert waren. Insbesondere das Vorverfahren diente den am Zusammenschluss Beteiligten zum Ausloten, ob und wie man das formelle Verfahren an sich oder möglicherweise darin auftretende Probleme noch vor Entstehung verhindern könnte. 2. Das informelle Unternehmensverhalten nach offiziellem Prüfungsbeginn
Nicht nur Vorverfahren waren im Rahmen informeller Verfahren von Interesse für die Beteiligten, vielmehr kann auch nach Verlassen der Vorverfahrensebene der Versuch des Auslotens einer Erwartungsentscheidung zwischen Amt und Unternehmen erkannt werden. Informelle Verfahren gab es mithin noch im Rahmen des offiziellen Verfahrens, bargen in diesem Stadium aber größere Risiken auf Unternehmensseite, wie dem Verfahren Veba/Gelsenberg entnommen werden kann. So ist dem Verfahren eine in gesetzlichem Rahmen 259 BKartA an BMWi und BMF vom 29.11.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 85–86. Dass der Abschluss eines Kaufvertrages als obligatorisches Rechtsgeschäft noch keinen Vollzug darstellte, erklärte das BKartA sodann auch der Presse gegenüber, vgl. Beschlussabteilung an Pressereferenten im Hause vom 08.01.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 228. 260 Besprechungsvermerk vom 22.04.1985, in: BKartA, VV zu Az. B3 54/85, Bl. 1–2, 1. 261 Besprechungsvermerk vom 22.04.1985, in: BKartA, VV zu Az. B3 54/85, Bl. 1–2.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen153
getroffene Übereinkunft zwecks Verfahrensbeschleunigung zu entnehmen. Den Beteiligten war bewusst, dass das Bundeskartellamt eine Untersagung des Zusammenschlussvorhabens ergehen lassen würde. Dabei wurde eine Einigung zwischen Bundeskartellamt, Bundesministerium für Wirtschaft und Bundesministerium der Finanzen dahingehend erzielt, dass das Bundeskartellamt die Untersagungsfrist nicht voll ausschöpfte, sondern bis zu einem vereinbarten Datum die Untersagung, gestützt auf bestimmte Märkte, aussprach.262 Hierzu sollten im Gegenzug das Bundesministerium der Finanzen und Gelsenberg bis Anfang Januar zusätzliche Angaben über einzelne betroffene Märkte liefern. Dabei wurde festgehalten, dass „das Verfahren über die ‚Ministererlaubnis‘ bis Ende Januar abgeschlossen“ sein könnte, wenn die vorgesehenen Termine eingehalten würden.263 Aus dem Verweis auf die Ministererlaubnis war für alle Beteiligten des Verfahrens Veba/Gelsenberg ersichtlich, dass das Bundeskartellamt eine Untersagung erlassen werde. Vorschriften des GWB wurden dabei aber nicht missachtet. So ließ sich das Bundeskartellamt zwar nicht auf eine Beteiligung zur Umgehung des GWB ein, unterstützte aber eine Beschleunigung des Begehrens. Der Versuch der Sondierung seitens der Unternehmen brach demnach auch nach dem offiziellen Verfahrensende nicht ab. Vielmehr erzeugte die Untersagung sogar eine gewisse Drucksituation, die weiterhin, oder gerade dann, zu formlosen Gesprächen zwischen dem Amt und den Unternehmen führte. Zudem kann den Verfahrensakten entnommen werden, dass die Unternehmen durch informelle Gespräche der Gefahr einer möglichen Offenlegung von Informationen an Dritte sowie möglicherweise auch der Informationsspeicherung durch das Amt entgehen wollten. Dies zeigt sich im Verfahren IBH/Wibau, in welchem die beteiligten Unternehmen Detailfragen mit dem Amt nicht schriftlich, sondern im persönlichen Gespräch klären wollten.264 Zu Beginn der Fusionskontrolle Anfang der 1970er Jahre bestand eine erhebliche Informationsasymmetrie dahingehend, dass es dem Bundeskartellamt oftmals an relevanten Daten fehlte, die nur die Unternehmen zur Verfügung stellen konnten.265 Das Amt hatte demnach ein erhöhtes Interesse, an Informationen von den Unternehmen zu kommen. 262 Die Märkte Mineralölhandel (schweres u. leichtes Heizöl), Stromerzeugung und -verteilung, Binnenschifffahrt und Chemievorprodukte, hierzu Besprechungsvermerk des BMWi mit dem BKartA und BMF vom 20.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 200–201. 263 Besprechungsvermerk des BMWi mit dem BKartA und BMF vom 20.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 200–201. 264 „Wir möchten vorschlagen, daß zur Erörterung von Detailfragen Herr […] und ich Sie in den nächsten Tagen besuchen.“ RA IBH an BKartA vom 30.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 56–65, 64 f. 265 Eingehend hierzu 6. Kap.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Dass aber eine realistische Gefahr der Offenlegung von Informationen nach Eintritt in die formelle Prüfung durch das Bundeskartellamt durchaus bestand, zeigt sich dabei anhand der Verfahrensakte der Bitumen-Verkaufs gesellschaft. Darin befragte das Bundeskartellamt diverse Marktakteure, ohne den Namen der am Zusammenschluss beteiligten Akteure preiszugeben. Dennoch war es für die Konkurrenten, die den Markt zwangsläufig kannten, anscheinend ein Leichtes herauszufinden, wer die Fusionswilligen waren. Im Zusammenschlussfall der Bitumen-Verkaufsgesellschaft teilte ein befragtes Konkurrenzunternehmen dem Bundeskartellamt mit: „Unsere Erkundigungen haben ergeben, daß es sich bei dem von Ihnen erwähnten Zusammenschlußvorhaben um die von den Firmen Veba-Chemie, Gelsenberg, Fina und Occidental angemeldete Verkaufsgemeinschaft für Bitumen geht.“266 Dies zeigt, dass die Angst der fusionswilligen Unternehmen vor Kenntnisnahme Dritter durch Fusionsanmeldung berechtigt war, da alle auf einem Markt tätigen Unternehmen durchaus ein Interesse daran hatten, zu erfahren, welche Unternehmen eine Fusion planten, um auf mögliche Änderungen auf dem Markt reagieren zu können. Dieses Interesse ging sogar so weit, dass sie hierfür eigene Ermittlungstätigkeiten aufwendeten. Dass dies nicht im Interesse der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sein konnte, ist selbstredend. Insbesondere der zeitliche Aspekt war nämlich bei Fusionsentscheidungen von Relevanz, beispielsweise dahingehend, dass Konkurrenten kein Gegenangebot vorlegen oder anderweitig reagieren konnten. Informelle Verfahren nach einer offiziell förmlichen Prüfungseinleitung konnten diese Gefahr des Bekanntwerdens nicht mindern, lediglich im Vorverfahren war der Geheimhaltungsschutz gesichert. Generell zeigen die Akten deutlich, dass informelle Verfahren nicht an einen Verfahrenszeitpunkt geknüpft wurden. Zwar verfolgten die Unternehmen und das Bundeskartellamt im Rahmen der informellen Verfahren unterschiedliche Interessen, welche aber auch dazu führen konnten, dass sich informelle Verfahren im Rahmen der Fusionskontrolle zum Teil etablierten. Ersichtlich wird zudem, dass das Bundeskartellamt stets gesetzeskonform handelte. Mauscheleien gab es in keinem untersuchten informellen Verfahren, auch nicht mit der Bundesrepublik Deutschland als Verfahrensbeteiligte. Je früher Unternehmen von informellen Verfahren Gebrauch machten, desto sinnvoller waren sie, da die Eröffnung des offiziellen Verfahrens eine deutliche Erhöhung der Gefahr bedeutete, die durch Kenntnisnahme der Konkurrenz entstand. Demnach wird deutlich, dass informelle Verfahren nach offizieller Verfahrenseinleitung nicht denselben Schutz der Geheimhaltung bieten konnten wie im Vorverfahren. 266 Esso
an BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 103–106, 103.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen155
Probleme, die nach Eröffnung der offiziellen Verfahrensprüfung entstanden, konnten durch informelle Verfahren nicht beseitigt werden, weshalb sich diese nach formeller Verfahrenseinleitung weitestgehend als nutzlos erwiesen, mit Ausnahme des Zusageverfahrens. 3. Zusageverfahren
In der Praxis entwickelte das Bundeskartellamt die sog. „Zusage“ als Instrument einer einvernehmlichen Regelung, was in Anbetracht der starren Ausgestaltung des § 24 Abs. 1 GWB 1973 nicht verwundert. Unter der Bezeichnung „Zusage“ verstand man die Praxis der Nichtuntersagung eines Fusionsvorhabens, wenn die beteiligten Unternehmen sich bereiterklärten, „die durch den Zusammenschluß herbeigeführten Unternehmens- und Marktstrukturen in Übereinstimmung mit Anregungen des Bundeskartellamtes zu ändern“.267 Das Zusageverfahren konnte sowohl vor als auch nach einer offiziellen Verfahrenseinleitung stattfinden und war so weitgehend, dass es im Rahmen der informellen Verfahren heraussticht. Zunächst war umstritten, welcher Rechtsnatur diese einvernehmlichen Regelungen zuzuordnen waren, sie wurden dann aber als öffentlich-rechtliche Verträge eingeordnet.268 Das Bundeskartellamt schloss im Rahmen seiner Zuständigkeit öffentlich-rechtliche Verträge, in denen Unternehmen bestimmte Zusagen machten. Dadurch konnte das Amt eine formelle Einleitung des Verfahrens vermeiden und entzog sich somit dem Zwang der Entscheidung des § 24 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 GWB 1973, die nur eins von zwei extremen, sich diametral gegenüberstehenden Ergebnissen enthalten konnte. Das Zusageverfahren erlaubte den beteiligten Unternehmen auch noch während eines formellen Fusionskontrollverfahrens Zusagen über Maßnahmen, die die Untersagungsvoraussetzungen entfallen ließen, worauf gestützt das Bundeskartellamt dann von einer Untersagung absah.269 Dies war zwar nicht explizit im Gesetz geregelt, wurde jedoch grundsätzlich als zulässig anerkannt.270 Die Zusage hatte mithin den Zweck, den ohne sie erfüllten Tatbein: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 172. Rechtnatur der Zusagen als öffentlich-rechtliche Verträge, statt vieler Windbichler, Informelles Verfahren bei der Fusionskontrolle, S. 15 ff. 269 Vgl. De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 53; Krafft, Fusionskontrolle und Arrangements, S. 6. 270 KG, 12.01.1976, WuW/E OLG 1637 ff. – Weichschaum I; KG, 06.10.1976, WuW/E OLG 1758 ff. – Weichschaum II; BGH, 31.10.1978, WuW/E BGH 1556 ff. – Weichschaum III; Schultz, WuW 1982, S. 429, 434 f.; Langen/Niederleithinger/Ritter/ Schmidt, Kommentar zum Kartellgesetz, § 24 Rn. 60; Nagel, in: Cox/Jens/Markert (Hg.), Handbuch des Wettbewerbs, S. 331, 350 f.; De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 54. 267 Mestmäcker, 268 Zur
156
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
stand der erwartenden Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu verhindern oder die überwiegenden Verbesserungen, die die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung überwiegen, zu ermöglichen.271 Für Verfahren vor den Kartellbehörden gab es generell keine allgemeine Verfahrensordnung.272 Im Rahmen der Zusageverfahren verzichtete das Bundeskartellamt auf eine Zusammenschlussuntersagung, wenn die Unternehmen zusicherten, die Voraussetzungen für eine Untersagung noch vor Ablauf der jeweiligen Frist zu beseitigen.273 Als Präzedenzfall für die Zusagenpraxis der Behörde gilt das Verfahren Bayer/Metzeler:274 Die Bayer AG erklärte sich zwecks Abwendung der Untersagung mit der Zusage bereit, „die Aktivitäten der Metzeler Schaum GmbH im Konzernverbund mit Bayer auf dem Markt für Kunstleder nach dem 31.12.1976 nicht mehr [weiterzuführen]“ sowie ihre Beteiligung oder jeweils den Mehrheitsbesitz275 der Metzeler Schaum GmbH „bis zum 31.12.1979 im Wege der Veräußerung […] aufzugeben“.276 Bayer ging die Verpflichtung ein, obwohl sie die Voraussetzungen für eine Untersagungsverfügung als nicht erfüllt ansahen.277 Dieser zwischen dem Amt und den Unternehmen getroffene Vertrag erregte mangels gesetzlicher Regelungen im GWB hierzu und wegen des Präzedenzcharakters großes mediales Aufsehen; so befassten sich einige deutsche Zeitungen mit dem Fall.278 In der Literatur wurde zum Teil behauptet, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 172. auch Sauter, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 80 Rn. 2. 273 Seemann, Fusionskontrolle und Partikulärinteressen, S. 9, 35; zu den Tatbestandsgruppen der Zusagen, zur Rechtsnatur der Nach- und Vorfristzusagen sowie deren Durchsetzbarkeit siehe Uhlig, Zusagen, Auflagen und Bedingungen im Fusionskontrollverfahren, S. 41 ff., 68 f., 102 ff. 274 Ebenfalls gilt das zeitgleiche Zusammenschlussverfahren Siemens/Osram als Präzedenzfall, in welchem die Behörde auch von der Zusagenpraxis Gebrauch machte; hierzu Kurzlechner, Fusionen, Kartelle, Skandale, S. 126 f. 275 Bayer war vor dem Zusammenschluss bereits mit 40 % an der Metzeler-Gruppe beteiligt; TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 41. 276 Nr. 3 a) und b) der Vereinbarung zwischen Bayer und dem Bundeskartellamt vom 19.12.1975, in: BAL 059/531, Ingenieurverwaltung, Werksleiterkonferenzen 1973–1985; Auszug aus LG München, Teilurteil vom 25.08.1976, Az. 9 0 11 306/76, S. 14; in: BAL 302/0550 Vol. 2, Kurt Hansen, Metzeler AG 1974–1976; vgl. 2. Teil Fn. 104. 277 Siehe hierzu und zum Fortgang bereits oben unter 4. Kap. C. V. 278 Siehe u. a. Nawrodri, „Kungelei oder Kompromiss“, Zeit vom 23.01.1976, online im Internet: http://www.zeit.de/1976/05/kungelei-oder-kompromiss [Stand: 02.08.2021]; Handelsblatt vom 12.01.1976 „Parteinahme des Kartellamts für Bayer gegen Kaus“; Süddeutsche Zeitung vom 14.01.1976 „Kartellamt zieht rot/gelbe Schiedsrichterkarte“; FAZ vom 28.01.1976 „Das Kartellamt darf nicht als Betriebs271 Mestmäcker, 272 Siehe
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen157
der Fall zeige, „wie schwer eine wirksame Wettbewerbsaufsicht gut gemeinten Gesetzesänderungen zum Trotz umzusetzen war“.279 Im Gesetz normiert war, dass Zusammenschlüsse unangreifbar wurden, wenn sie das Bundeskartellamt nicht fristgerecht untersagte. Im Falle der Nichtuntersagung traf das Bundeskartellamt keine förmliche Verwaltungsentscheidung.280 Durch Beschluss vom 06.10.1976 hatte das Kammergericht die Anträge der Metzeler AG – dem Bundeskartellamt durch einstweilige Anordnung die Untersagung des Zusammenschlusses aufzugeben, hilfsweise die Vereinbarung mit Bayer außer Kraft zu setzen und dem Bundeskartellamt aufzugeben, eine erneute, ermessensfehlerfreie Entscheidung [zu] treffen – zurückgewiesen.281 Zudem hatte das KG die Zusagenregelung als rechtlich bedenkenfrei bestätigt,282 womit bis dahin bestehende Unsicherheiten ausgeräumt wurden. Die Entscheidungsbegründung besagte, dass Zusagen die zukünftige Entwicklung der Wettbewerbsverhältnisse mitbestimmen und der notwendigen Zukunftsbetrachtung in der Fusionskontrolle entsprechen.283 Darüber hinaus hatte das Kammergericht angenommen, das Bundeskartellamt habe bei der Prüfung der im Falle eines Unternehmenszusammenschlusses zu erwartenden Marktentwicklung auch glaubwürdige Zusagen der beteiligten Unternehmen, strukturelle Maßnahmen zu treffen, die die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung für die Zukunft ausschließen, zu berücksichtigen.284 Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Zusage in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages abgegeben werde,285 wie dies im Falle Bayer/Metzeler der Fall war. Zwar ging das Bundeskartellamt davon aus, dass die Zusagen für die Unternehmen rechtsverbindlich sind,286 aber die Durchsetzbarkeit und die Konsequenzen der Nichteinhaltung einer Zusage waren ungewiss. Da über lange kommissar wirken“; hierzu auch Klageerwiderung des Prozessbevollmächtigten der Metzeler AG an das LG München, Az. 9 0 11 306/76, S. 15 f., Anlagen B6 bis 11, in: BAL 302/0550 Vol. 2, Kurt Hansen, Metzeler AG 1974–1976. 279 Kurzlechner, Fusionen, Kartelle, Skandale, S. 126. 280 TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 20; Kurzlechner, Fusionen, Kartelle, Skandale, S. 127. 281 KG, 06.10.1976, Kart. 2/76, in: BAL 302/0017, Kurt Hansen, Metzeler AG 1977. 282 KG, 06.10.1976, Kart. 2/76, S. 34, in: BAL 302/0017, Kurt Hansen, Metzeler AG 1977. 283 Hierzu eingehend TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 21 f. 284 Beschluss des Kammergerichts vom 12.01.1976 im Falle Bayer/Metzeler, Kart. 2/76, S. 34 ff.; in: BAL 302/0017, Kurt Hansen, Metzeler 1977; TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 22, 42. 285 TB des BKartA im Jahre 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 67. 286 TB des BKartA im Jahre 1975, BT-Drucks. 7/5390, S. 22.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Zeit die Zusagen erfüllt wurden, existierte im Rahmen des Untersuchungszeitraums keine gerichtliche Klärung dieser Fragen.287 Anhand der Akte aus dem Unternehmensarchiv von Bayer kann rekonstruiert werden, dass die Fusionsanmelderin bereits vor dem vertraglich festgelegten Fristablauf den zugesagten Verkauf zu verhindern versuchte, sich mithin nicht an ihre Zusage halten wollte. So bat die Rechtsabteilung Bayers intern die Volkswirtschaftliche-Abteilung um „Schützenhilfe“, falls im Rahmen der „Revisionsklausel des Vergleichs“ die Bewertung der Wettbewerbslage wieder aktuell werde, d. h. Bayer die Metzeler Schaum GmbH gemäß ihrer Zusage veräußern müsste.288 Eine Zusage stellte das Bundeskartellamt mithin regelmäßig vor die Frage, ob und wie die Einhaltung der Zusage durch das Unternehmen durchgesetzt werden könne bzw. ob auf Sanktionen verzichtet werden müsse oder solle.289 Die Zusagenpraxis war demnach mit großen Unsicherheiten behaftet. Deshalb kam die Idee einer Normierung des Zusageverfahrens auf. Jedoch befürchteten etwa Wirtschaftsverbände, eine gesetzliche Zusagenregelung könne vom Bundeskartellamt „zu einer laufenden Kontrolle unternehmerischen Verhaltens benutzt werden“.290 Den Vorschlag, die Zusage gesetzlich zu regeln, lehnte die Bundesregierung schließlich ab;291 da das Kammergericht die Praxis des Bundeskartellamtes, im Fusionsverfahren Zusagen zu berücksichtigen, als rechtmäßig einstufte, ging der Wirtschaftsausschuss davon aus, dass die Entgegennahme von Zusagen auch ohne eine Ergänzung des Gesetzes als unbedenklich gelte.292 Lediglich die Transparenz des Zusageverfahrens wurde 1976 durch die dritte GWB-Novelle geregelt:293 Die 287 Erstmals ist die Erfüllung einer Zusage von Unternehmensseite Anfang der 1990er Jahre verweigert worden, vgl. TB des BKartA im Jahre 1993/94, BTDrucks. 13/1660, S. 20. 288 Schreiben der Rechtsabteilung an die Volkswirtschaftsabteilung vom 08.02. 1978, in: BAL 337/052, Volkswirtschaftliche Abteilung, Metzeler Kautschuk 1975– 1980. 289 Fünftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1982/83, BT-Drucks. 10/1791, S. 159, Tz. 502 f.; Siebentes Hauptgutachten der Monopolkommission 1986/87, BTDrucks. 11/2677, S. 178 f., Tz. 402 ff.; TB des BKartA im Jahre 1981/82, BTDrucks. 10/243, S. 106 ff. 290 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft vom 18.02.1976, BT-Drucks. 7/4768, S. 4. 291 Auch der Bundesrat äußerte Bedenken gegen die vorgeschlagene Normierung der Zusage, vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 11.12.1974, BT-Drucks. 7/2954, Anl. 2, S. 8 f. 292 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft vom 18.02.1976, BT-Drucks. 7/4768, S. 5. 293 Unterrichtung durch die Bundesregierung zur Transparenz des Zusageverfahrens vom 27.04.1976, BT-Drucks. 7/5086.
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen159
getroffenen Zusagen nebst Gründen musste das Bundeskartellamt sodann auf Weisungsanordnung des Bundeswirtschaftsministers (§ 49 GWB 1958–80) im Bundesanzeiger und in den Tätigkeitsberichten veröffentlichen.294 Die gebundene Entscheidung, welche dem Untersagungstatbestand des § 24 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 GWB 1973 innewohnte, konnte das Bundeskartellamt durch die Zusagenpraxis durchbrechen. Das Amt räumte sich somit durch Praktizierung des informellen Verfahrens eigene Ermächtigungen ein, welche sodann auch vom Gesetzgeber – aufgrund vorheriger gericht licher Duldung – akzeptiert wurden. Dadurch schuf sich das Bundeskartellamt eine eigene Grundlage zur Aushandlung mit den Unternehmen, unter welchen Voraussetzungen von einer Fusionsuntersagung abgesehen werde. Zwar wurde das Bundeskartellamt dahingehend kritisiert, dass es sich durch die Etablierung des Zusageverfahrens selbst einen gesetzlich nicht vorgesehenen Entscheidungsspielraum gab, aber wie bereits dargelegt wurde, war dieses informelle Vorgehen vom Gesetzgeber gewollt. Im Laufe der Zeit schien das Bundeskartellamt die Zusagenpraxis allerdings kritischer zu betrachten. Zu Beginn der 1990er Jahre kündigte das Amt sogar öffentlich an, bei der Berücksichtigung von Zusagen im Zusammenschlussverfahren nur noch restriktiv zu verfahren, aufgrund der damit einhergehenden Unsicherheiten.295 Zusagen erwiesen sich für das Amt als problematisch, weil die Durchsetzbarkeit nicht abschließend geklärt war, weshalb es diese Praxis in den 1990er Jahren unterbrach.296 Bereits den Verfahrensakten ist allerdings ein reservierter Umgang des Amtes mit der Zusage zu entnehmen. Bayer bot im Verfahren Bayer/Fire stone aus dem Jahre 1980 an, im Rahmen einer Zusagenregelung marktbelastende Faktoren auszuschließen.297 Die Beschlussabteilung lehnte dies allerdings ab, weil ihres Erachtens kündbare Verträge „strukturelle Nachteile“ des Zusammenschlusses nicht ausgleichen könnten.298 Lieferungen in die übrige Welt seien weiterhin möglich und laufende Verträge würden Bayer nicht daran hindern, die Produktionskapazitäten zu erhöhen.299 Dennoch wurden 294 BAnz.
Nr. 66 vom 03.04.1976. des BKartA im Jahre 1993/94, BT-Drucks. 13/1660, S. 20 f. 296 Grund für die Unterbrechung war, dass sich ein Unternehmen erstmals weigerte, die Zusage zu erfüllen, vgl. TB des BKartA im Jahre 1993/94, BTDrucks. 13/1660, S. 20 f.; Elftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1994/95, BT-Drucks. 13/5309, S. 316 f., Tz. 643 ff. 297 Bayer bot im Einzelnen an, durch die Änderung der Herstellungs- und Vertriebsabreden mit Firestone den bundesdeutschen Markt künftig ganz auszunehmen, siehe Vermerk des BKartA vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 121. 298 Vermerk des BKartA vom 23.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 145. 299 Untersagungsbeschluss vom 23.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 93. 295 TB
160
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Zusagen weiterhin praktiziert, ab den 1980ern jedoch nur noch unter ganz bestimmten Voraussetzungen, die stets das Bundeskartellamt festsetzte. So wurde nach Untersagung des Fusionsvorhabens Linde/Agefko im Anschluss bereits mit der Veräußerin im Rahmen informeller Gespräche eine mögliche Übernahme der Agefko durch die Air Liquide eruiert.300 Im Vorfeld dieses Gesprächs legte Preussag – als Mutterkonzern der Agefko – dem Amt eine Liste mit allen Kaufinteressenten offen, weil Preussag sich im Falle einer Untersagung „in einer Sackgasse“ sah: man „wisse nicht, an wen man dann verkaufen könne“.301 Demnach wurde informell bereits sondiert, an wen eine Veräußerung unproblematischer und mithin schneller vonstattengehen würde. Das Bundeskartellamt teilte mit, dass es einen „Erwerb durch L’Air Liquide prinzipiell günstiger beurteilen würde“, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Verbindung von Agefko mit der deutschen AGA Gas GmbH aufgelöst würde.302 Der vom Amt vorgesehene Erwerber müsste sich demnach zu einer Zusage bereit erklären, damit das Fusionsvorhaben vom Amt nicht untersagt würde. Nachdem das Amt sodann offiziell das Vorhaben Linde/ Agefko untersagte, fand eine Besprechung mit Preussag und dem potentiellen Erwerber Air Liquide statt, um eine mögliche Übernahme bereits informell unter Berücksichtigung einer Zusage auszuhandeln.303 Man fragte, wie „die Beschlußabteilung den geplanten Erwerbsvorgang beurteilen würde, wenn sich L’Air Liquide von der Cootec trennen würde“.304 Die Beschlussabteilung machte deutlich, dass man auf jeden Fall von einer Verstärkung der Marktbeherrschung ausgehe, aber die Unternehmen eine Verbesserung im Rahmen der Abwägungsklausel herbeiführen könnten, wenn „die L’Air Liquide in die Märkte für technische Gase selbstständig eintreten würde“, da in „der Trennung von L’Air Liquide von der AGA-Gas GmbH […] eine solche Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse gesehen werden“ könne.305 Die Air Liquide zeigte sich bereit, der Beschlussabteilung eine Erklärung abzugeben, „daß sie sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums von der AGAGas trennen werde“, wobei diese „Erklärung aber nicht wie eine herkömm liche Zusagenregelung behandelt werden“ und insb. nicht veröffentlicht
300 Besprechungsvermerk
1298.
301 Besprechungsvermerk
vom 24.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1295–
vom 24.10.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 720 f. vom 24.10.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 720 f. 303 Besprechungsvermerk vom 24.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1295– 1298. 304 Besprechungsvermerk vom 24.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1295– 1298, 1296. 305 Besprechungsvermerk vom 24.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1295– 1298, 1297. 302 Besprechungsvermerk
5. Kap.: Entwicklung eigener Verfahrens- und Regulierungsmechanismen161
werden dürfte.306 Auf ein solches heimliches Vorgehen ließ sich das Bundeskartellamt aber nicht ein und es war im Anschluss gänzlich nicht mehr bereit, eine Zusage entgegenzunehmen, da das Risiko der Nichterfüllung zu groß erschien.307 Deshalb verlangte das Amt die vorherige Auflösung des Gemeinschaftsunternehmens AGA-Gas.308 Daraus lässt sich schließen, dass auch während des informellen Zusageverfahrens die Kartellbehörde unter gewissen Regeln „spielte“, die sie allerdings selbst aufstellte. Das Amt ließ sich auf keine vagen Versprechungen ein und das Misstrauen wurde umso mehr hervorgerufen, wenn ein Unternehmen keine öffentliche Zusage abgeben wollte. Die Reaktion auf solche Versuche konfidenziellen Vorgehens war sogar die sofortige Beendigung des informellen Verfahrens durch das Bundeskartellamt, womit den beteiligten Unternehmen nur noch der Weg in die formelle Prüfung blieb. Sofern die Unternehmen also Widerstand gegen die vom Bundeskartellamt aufgestellten Spiel regeln des informellen Vorgehens leisteten, verließ die Kartellbehörde die informelle Ebene und den Unternehmen blieb nur noch die Möglichkeit, das formelle Verfahren zu durchlaufen.
C. Zusammenfassung Die im GWB enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe mussten vom Bundeskartellamt und den Gerichten konkretisiert werden, was nicht immer im Konsens geschah. Deshalb orientierte sich das Bundeskartellamt insbesondere während der von Unsicherheiten geprägten Anfangsphase der Fusionskontrolle primär am Gesetzgeber und den Gerichten. Mit dieser Legitima tionsstrategie fundierte die Kartellbehörde ihre Entscheidungen. Als Entscheidungshilfe dienten zudem die Vermutungsregelungen, welche u. a. aufgrund der bestehenden Informationsasymmetrien normiert wurden. Während die Vermutungen des § 22 Abs. 3 GWB 1973 und § 23a Abs. 1 GWB 1980 dem Bundeskartellamt weniger bei der zu treffenden Erwartungsentscheidung des § 24 Abs. 1 GWB 1973 weiterhalfen als bei der Informationsgenerierung, stellte hingegen die qualifizierte Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 durch die formelle Beweislastumkehr eine echte Entscheidungshilfe dar.
306 Besprechungsvermerk vom 24.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1295– 1298, 1297. 307 Telefonvermerk des BKartA vom 30.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1300. 308 Telefonvermerk des BKartA vom 30.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1300.
162
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung der Fusionskontrolle etablierten sich bereits Anfang der 1970er Jahre informelle Verfahren im Rahmen der Fusionskontrolle. Amt und Unternehmen konnten somit bereits vor einer offiziellen Verfahrenseinleitung ausloten, unter welchen Voraussetzungen eine Fusion untersagt bzw. nicht untersagt werden würde. Am weitesten ging das informelle Verfahren der Zusagen, welche bereits 1974 praktiziert wurde und sich bis in die 1990er Jahre als anerkanntes ungeregeltes Verfahren manifestierte. Mit diesem konstruierte sich das Bundeskartellamt eine eigene Ermächtigung, womit es eine abgestufte Entscheidung treffen konnte. Durch informelle Verfahren konnte die Wettbewerbsbehörde somit auf das Zusammenschlussvorhaben an sich Einfluss nehmen, was schon im Wortlaut von § 24 Abs. 1 GWB 1973 nicht vorgesehen war. Der Einfluss reichte sogar so weit, dass die Behörde Aussagen darüber machte, an welche Unternehmen eine Veräußerung unproblematisch und dementsprechend schneller ginge, was aus dem Amt einen indirekten Veräußerungsvermittler machte. Informelle Verfahren wurden mit außerordentlicher Vertraulichkeit behandelt. Folglich ergeben sich aus den Verfahrensakten nur wenige Informationen zur Handhabung dieser Verfahren, was mit der Schwierigkeit einhergeht, präzise und fundierte Aussagen hierzu zu treffen. Gleichwohl ist – aus den zur Verfügung stehenden Informationen – zu erkennen, dass nicht nur Zusageverfahren, sondern auch informelle Verfahren insgesamt in den 1980er Jahren einen Rückgang erfuhren. Nachdem sich die Fusionskontrolle eta bliert hatte, bestand offenbar aufgrund der hergestellten Rechtssicherheit weniger Bedürfnis zum Rückgriff auf die informelle Praxis vor Einleitung der formellen Fusionsprüfung. 6. Kapitel
Errichtung des Informationsmanagements Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung der Fusionskontrolle, insbesondere deren Vermutungsregelungen,309 orientierte sich die Erwartungsprognose der Beschlussabteilungen primär an objektiv ermittelbarem Datenmaterial. Dies war für eine rechtmäßige und bestandskräftige Untersagung auch nötig angesichts der konkreten Vermutungsregelungen, die jeweils an objektive Daten anknüpften. Entscheidungen mussten demnach auf – nachweisbaren – Erkenntnissen beruhen. Die Entscheidung war deshalb oftmals vollständig von dem zu generierenden Datenmaterial abhängig, was dieses zur wertvollsten Ressource innerhalb des Untersagungsverfahrens machte. Daraus resul309 Hierzu
5. Kap. A. II.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements163
tierte die Entwicklung von Informationsstrategien sowohl aufseiten des Bundeskartellamtes als auch aufseiten der Unternehmen. Die beteiligten Unternehmen spielten bei der Datenübermittlung eine zentrale Rolle. Ein Informationsfluss, d. h. die Übermittlung von Informationen bzw. Sachwissen durch die Unternehmen an die Kartellbehörde, war eine notwendige Bedingung der kartellbehördlichen Tätigkeit,310 damit eine Entscheidung des Amtes erfolgen konnte. An relevante Daten zur Messung bzw. Evaluierung von Unternehmenskonzentration zu gelangen, war für das Bundeskartellamt jedoch oft mit Schwierigkeiten verbunden. Die Konzentra tionsstatistik des statistischen Bundesamtes berücksichtigte keine wettbewerbspolitischen Fragestellungen, weshalb beispielsweise die sachliche Abgrenzung der Märkte, Kapitalverflechtungen im Unternehmenssektor oder Außenhandelsverflechtungen nur unzureichend erfasst wurden und somit die Konzentrationsmessung ein kompliziertes methodisches sowie empirisches Problem des Bundeskartellamtes darstellte.311 Für die Informationsgewinnung gab der Gesetzgeber der Behörde die bereits beschriebenen Ermittlungsbefugnisse an die Hand.312 Ob diese auch entsprechend nutzbar waren bzw. überhaupt zur Anwendung kamen, wurde bisher nicht untersucht. Deshalb soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, welche Informationen der Behörde bei einer Untersagungsentscheidung zur Verfügung standen und wie sie dieses Material ermittelte bzw. woher die Informationen stammten. Ein Schwerpunkt der Aktenanalyse lag deshalb auf der Frage, wie die Behörde Informationen generierte, verarbeitete und mit möglichen Informationsasymmetrien zwischen ihr und den Unternehmen umging (A.). Daneben wurde untersucht, inwiefern sowohl ein Lernprozess durch behördeninternes Wissen aus anderen Fusionsverfahren (B.) als auch die Öffentlichkeitsarbeit des Amtes (C.) relevant waren.
A. Informationsgenerierung und -asymmetrien im Fusionskontrollverfahren Die Bedeutung der Informationsgenerierung im Rahmen der Fusionskon trolle verdeutlichen die Fristvorschriften. So hing das Ingangsetzen der Untersagungsfrist (§§ 24 Abs. 2 S. 2, 24a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 4 GWB 1973) davon ab, was das Bundeskartellamt für die Vollständigkeit einer Anzeige oder einer Anmeldung im Rahmen des formellen Zusammenschlussverfah310 So
auch Reuter, Kartellbehördliche Recherche, S. 1. Hauptgutachten der Monopolkommission 1992/93, BT-Drucks. 12/ 8323, S. 65 Tz. 211. 312 Hierzu 4. Kap. B. 311 Zehntes
164
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
rens akzeptierte.313 Daneben musste das Amt die i. R. d. Vermutungskriterien geforderten objektiven Daten generieren, um sich auf diese zur Untersagung stützen zu können. Deshalb wird nachfolgend anhand der Akten zunächst überprüft, wie und welche Informationen durch das Amt ermittelt (I.) und verarbeitet (II.) wurden. I. Informationsermittlung Untersagungen mussten vom Bundeskartellamt begründet werden (§ 57 Abs. 1 S. 1 GWB 1973), die Duldung, d. h. die Nichtuntersagung eines Zusammenschlusses, hingegen nicht. Eine Ausnahme bestand für das Vorgehen im Rahmen des informellen Zusageverfahrens.314 Die Begründung der Untersagungsvoraussetzungen konnte aber enorme Schwierigkeiten bereiten. Abhilfe sollten zwar die Vermutungsregelungen schaffen, diese waren aber an objektiv zu ermittelnde Daten geknüpft. Daraus resultierte ein überproportionaler Stellenwert der – nachfolgend in den Blick zu nehmenden – Informationsermittlung bei der Fusionskontrolle. Die Unternehmen waren im Falle des Auskunftsverlangens in erheblichem Maße mitwirkungspflichtig. Da die Auskunftsverpflichtung der Unternehmen einen schwerwiegenden Eingriff in den Unternehmensablauf darstellte, bestand im Kartellrecht das „schützenswerte Interesse der Unternehmen, nicht ungerechtfertigt durch Auskunftsverlangen in Anspruch genommen zu werden“.315 Bereits der Gesetzeswortlaut (§ 46 Abs. 1 S. 1 GWB 1973) begrenzte den Rahmen der zu erteilenden Auskünfte. Dabei hatte das Bundeskartellamt automatisch einen Informationsnachteil, da es nicht auf dem Markt tätig war und die Marktverhältnisse dementsprechend nicht in gleichem Maße kannte wie die beteiligten Unternehmen. Aufgrund dieser bestehenden Informationsasymmetrien und der Gefahr, dass die fusionierenden Unternehmen die Situation verzerrt oder unvollständig wiedergeben (könnten), konnte das Amt auch von Dritten Auskünfte verlangen. Um sich ein Bild über den Markt zu machen, musste die Kartellbehörde alle Marktteilnehmer, insbesondere die Marktgegenseite und die Konkurrenten, befragen können.316 Das Bundeskartellamt war nicht gezwungen, die Informationen zunächst vom betroffenen Unternehmen zu erfragen, vielmehr lag es im Ermessen der Kartellbehörde, ob es sich gleich an Dritte wandte.317
Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 72. 5. Kap. B. III. 3. 315 Vgl. Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 30 f. 316 Vgl. Reuter, Kartellbehördliche Recherche, S. 79. 317 KG, 12.05.1981, WuW/E OLG 2613 – Olga Tschechowa. 313 De
314 Hierzu
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements165
Das Auskunftsverlangen des Bundeskartellamts war dabei an Formerfordernisse (§ 57 GWB 1973) gebunden.318 In weitem Umfang recherchierte die Kartellbehörde aber nicht nach dem gesetzlich vorgegebenen Weg (§§ 46, 54 GWB 1973), weil daran gewisse Anforderungen gestellt wurden, sondern mittels praktikablerer informeller Auskunftsersuche.319 Das komplizierte förmliche Auskunftsverfahren wurde mithin verkürzt und vereinfacht, indem das Amt die Unternehmen schriftlich – ohne die oben genannten Förmlichkeiten – bat, bestimmte Informationen innerhalb einer bestimmten Frist mitzuteilen. Diese Befragungen waren i. d. R. mit dem Hinweis versehen, dass eine freiwillige Auskunft erwartet würde und man dem Amt mitteilen solle, falls man auf einen formalen Beschluss gem. § 46 GWB 1973 bestehe. Dieses Vorgehen hatte Vor- und Nachteile für beide Seiten. Aufseiten des Bundeskartellamtes konnte man so die Formvorschriften zur Auskunftserteilung umgehen und somit mehr Auskünfte erfragen, als von den Normen im GWB gedeckt gewesen wären. Zwar ersparte sich das Amt dadurch die strengen Förmlichkeiten sowie die Arbeitsbelastung, die mit einem formellen Auskunftsverlangen einhergingen. Die Behörde trug aber das Risiko dahingehend, dass die Nichtbeantwortung der formlosen Auskunftsersuche nicht als Ordnungswidrigkeit von § 39 GWB 1973 erfasst und somit kein Bußgeld verhängt werden konnte.320 Durch informelle Anfragen ent ledigte es sich demnach seines einzigen Sanktionsinstruments. Durchaus bestand die Möglichkeit des Nachschiebens eines förmlichen Auskunftsbeschlusses, was jedoch zwei Nachteile barg: Erstens den zeitverzögernden Faktor; zweitens musste das Amt sodann auch darlegen, dass für ein zusätzliches Auskunftsersuchen der begründete Verdacht bestand, dass die formlose Auskunft unvollständig oder unrichtig erteilt wurde.321 Aufseiten der beteiligten Unternehmen bestand ein Interesse an formlosen Auskunftsersuchen, um so die Verfahrensdauer zu verkürzen. Zudem hatte das informelle Vorgehen den Vorteil, dass die Unternehmen bei falscher oder unvollständiger Auskunft keine Sanktionen befürchten mussten. Allerdings trugen die Unternehmen das Risiko, dass das Amt informell mehr erfragte,
318 Vgl.
4. Kap. B. den Auskunftsersuchen vgl. Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 3; Reuter, Kartellbehördliche Recherche, S. 130 f., der auch die Frage diskutiert, wann noch von Freiwilligkeit und wann von faktischem Zwang zur Beantwortung der vom BKartA gestellten Fragen gesprochen werden muss. 320 Vgl. hierzu Liekefett, DB 1975, S. 339, 340; Langen/Niederleithinger/Ritter/ Schmidt, Kommentar zum Kartellgesetz, § 46 Rn. 21; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 3. 321 KG, 18.06.1971, WuW/E OLG 1189 ff. – Import-Schallplatten. 319 Zu
166
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
als es formell hätte erfragen dürfen.322 Obwohl das Bundeskartellamt dabei ohne Ermächtigungsgrundlage handelte, lag aufgrund der Freiwilligkeit der Auskunftserteilung kein hoheitlicher Eingriff der Behörde vor und das Inte resse der Unternehmen blieb gewahrt.323 Das informelle Vorgehen des Amtes erstreckte sich demnach über die Tatbestandsprüfung hinaus auch auf die Informationsgenerierung im Rahmen des formellen Verfahrens. Der Vorteil bestand für das Bundeskartellamt nach der offiziellen Prüfungseinleitung darin, dass die Möglichkeit zur Befragung Dritter zum jeweiligen Untersuchungsverfahren existierte. Diese konnten gleichwohl ebenfalls in Form eines informellen Auskunftsersuchens befragt werden. Während im Rahmen des informellen Vorverfahrens die Geheimhaltung Priorität hatte, konnte das Amt im Rahmen der formellen Prüfung auch seine offiziellen Ermittlungsbefugnisse nutzen. Doch kann anhand der untersuchten Verfahrensakten festgestellt werden, dass das Bundeskartellamt diese Befugnisse größtenteils nicht einsetzte. Die bestehende Dominanz der informellen Auskunftsersuche ist dabei anhand der Verfahrensakten empirisch belegbar. Den Verfahrensakten kann im Rahmen der Informationsermittlung folgendes behördliches Vorgehen entnommen werden: Primär erhielt das Bundeskartellamt seine Informationen von den beteiligten Unternehmen im Rahmen der Anmeldung und anschließender Informationsergänzungen, die teilweise auf Schätzungen basierten (1.). Sodann nutzte die Kartellbehörde öffentlich zugängliche Medien als Informationsquelle und mobilisierte ihre Ermittlungsrechte durch Befragungen Dritter (2.). Anschließend instrumentalisierte die Behörde das sog. Abmahnschreiben, d. h. die Mitteilung der beabsichtigten Untersagung, um dadurch von den beteiligten Unternehmen genauere Auskünfte zu erlangen (3.). 1. Informationsübermittlung und -ergänzung durch fusionsbeteiligte Unternehmen
Die wettbewerbliche Prüfung, wie sie im Fusionskontrollverfahren erforderlich war, setzte „eine fundierte Kenntnis der Konkurrenzsituation auf den einzelnen ‚relevanten‘ Märkten voraus“.324 Der überwiegend zu Beginn der Fusionskontrolltätigkeit herrschende Informationsmangel beim Bundeskar322 Vgl. Lieberknecht, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1977/78, S. 65, 68 f.; Liekefett, DB 1975, S. 339, 340; De Maizière, Die Praxis der informellen Verfahren, S. 45. 323 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 28; Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren, S. 45. 324 Vermerk des BMWi vom 24.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 32–41, 32.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements167
tellamt kann besonders prägnant der Akte Veba/Gelsenberg aus dem Jahre 1973 entnommen werden. Bei Veba/Gelsenberg gelang es dem Bundeskartellamt bis zum Erlass des Untersagungsbeschlusses nicht, alle benötigten Informationen von den Unternehmen zu erhalten, obwohl das Bundeskartellamt die Unternehmen um Mithilfe bat.325 Dies könnte insbesondere auf die Komplexität der Märkte im Chemiesektor zurückzuführen sein, welche aufgrund ihrer Vielschichtigkeit das Bundeskartellamt auch noch in den 1980er Jahren vor besondere Herausforderungen im Rahmen des Informationsmanagements stellte. Im Verfahren Hüls/Condea beispielsweise musste sich das Amt zunächst aus einem Chemie-Lexikon informieren, um einen groben Marktüberblick zu erhalten.326 So war die Informationseinreichung seitens der Unternehmen nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, das Amt war auf diese auch angewiesen. Daraus resultiert die Annahme, dass ohne die Beteiligung der Unternehmen durch Übermittlung von Informationen an das Amt eine Prognoseentscheidung unter Umständen ausgeschlossen sein konnte und höchstens präventiv ergehen konnte. Hierzu zeichnen die untersuchten Verfahren ein einheitliches Bild dahingehend, dass die ersten relevanten Informationen überwiegend von den beteiligten Unternehmen übermittelt wurden. Insbesondere in den 1970er Jahren erfolgte erst mit der Anmeldung und durch Übermittlung des relevanten Datenmaterials eine erste geeignete Informationsgewinnung für das Amt.327 Auch im Vorverfahren eingereichte Informationen mussten oftmals durch die Anmeldung vervollständigt werden.328 Diese Daten reichten aber selbst bei Vollständigkeit der Anmeldung zur Untersagungsprüfung meist nicht aus, wie bei Bayer/Firestone erkennbar wird.329 Deshalb verpflichtete das Amt die beteiligten Unternehmen durch gezieltes Nachfragen zur Informationsergänzung.330 Die beharrlichen Nach325 Vermerk
29.
326 Siehe
des BKartA vom 24.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 26–30,
Auszug aus Römpp Chemielexikon, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 3. durch Finanzberichte, Satzungen, Gesellschaftsverträge, Geschäftsberichte, Bericht über Abschlussprüfung, Unterlagen von Bundeskonzernen und Marktanteile, vgl. Anmeldung durch BMF vom 28.11.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 101–102 nebst Anlagen; vgl. auch Anmeldung Bayer an BKartA vom 21.05.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 3–19. 328 Vgl. nur Besprechungsvermerk vom 22.04.1985, in: BKartA, VV zu Az. B3 54/85, Bl. 1–2; Anmeldung RA Linde vom 31.05.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1–7. 329 Das Bundeskartellamt führte bei Bayer/Firestone aus: „Zur Vervollständigung der für die Fusionskontrolle erforderlichen Daten bitte ich um Mitteilung folgender Angaben“, BKartA an Bayer vom 10.07.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 28–29, 28. 330 Bspw.: BKartA an BMF vom 18.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 167– 169, 167; Gelsenberg an BKartA vom 21.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, 327 Bspw.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
fragen des Bundeskartellamtes bezogen sich weitestgehend auf vertragliche Unternehmensbeziehungen mit anderen Akteuren auf dem Markt, Herstellung, Kapazität, Im- und Exporte, Eigenbedarf, Durchschnittspreise, Lieferverträge sowie Anzahl und Nennung von Abnehmern.331 Die Beantwortung durch die beteiligten Unternehmen erfolgte dabei in den 1970er Jahren überwiegend spärlich und schleppend. Informationen wurden scheinbar nur widerwillig, wenn überhaupt verbunden mit der Hoffnung, das Verfahren dadurch abkürzen zu können, herausgegeben.332 Dabei versuchten die Unternehmen die Auskünfte nur in einem persönlichen Gespräch zu erteilen,333 um diese nicht zu verschriftlichen und demnach dem Beweis zugänglich machen zu müssen. Selbst die beteiligten Unternehmen hatten zum Teil Probleme bei der Generierung des benötigten Datenmaterials, wie anhand IBH/Wibau veranschaulicht werden kann: In dem Verfahren erhoffte man sich vom Bundeskartellamt Verständnis, „wenn die Beschaffung der fehlenden Informationen in diesem Fall vielleicht etwas länger dauert“.334 Die Anzeige des Zusammenschlusses von IBH/Wibau enthielt dementsprechend nicht die ausreichenden Informationen, welche man jedoch versprach, später zu ergänzen.335 Zwar wurden dann auch die beteiligten Unternehmen um Ergänzung und Vervollständigung gebeten, aber diese kamen der Bitte des Amtes nur zögerlich nach.336 Der Unternehmensvertreter wies das Amt direkt darauf hin, das Bl. 214 ff.; BMF an BKartA vom 27.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 220–221; Fina an BKartA vom 30.11.1973, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 15. Die Fragen wurden teilweise auch ergänzt bezüglich Substitutionsprodukten, Verbesserungen in Produktionsverfahren, Werbung, Preislisten, Rabattstaffeln, sonstigen Konditionen, Frachtbasenregelungen, Nachfrageschwankungen, Angebotsweisen, Absatzwegen, Abnehmern, Kapazitäten, Laborkosten, vgl. hierzu BKartA an Veba, Gelsenberg, Fina und Occidental vom 15.01.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 56–59; RA an BKartA vom 25.01.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 74–77; RA an BKartA vom 13.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 107 ff. 331 BKartA an Hüls vom 28.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 97–101. 332 BP an BKartA vom 07.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 149 f.: „Obwohl für uns nicht erkennbar ist, inwiefern die von Ihnen erbetenen detaillierten Angaben erforderlich sind, wollen wir Ihnen zur Abkürzung des Prüfungsverfahrens ohne Präjudiz die entsprechenden Daten aufgeben.“ 333 RA an BKartA vom 12.03.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 193–204, 204: „Falls nach den vorstehenden Ausführungen noch Bedenken gegen die Zulässigkeit des Zusammenschlusses bestehen sollten, bitten wir, uns Gelegenheit zu geben, diese in einer mündlichen Erörterung des gesamten Komplexes auszuräumen.“ 334 RA IBH an BKartA vom 28.03.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 2. 335 RA IBH an BKartA vom 28.03.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 3–8, 6. 336 BKartA an RA IBH vom 09.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 19–20; Informationsergänzungen: RA IBH an BKartA vom 16.06., 30.06. u. 21.07.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 38–42; 56–65; 86–89.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements169
„Personal von WIBAU [werde] erhebliche Schwierigkeiten haben, die gestellten Fragen zu beantworten“.337 Der Unternehmensvertreter schlug deshalb vor, „daß zur Erörterung von Detailfragen Herr […] und ich [i. e. der Unternehmensvertreter, V. H.] Sie [i. e. das Amt, V. H.] in den nächsten Tagen besuchen“.338 Auch hier wollte man die schriftliche Informationsübermittlung vermeiden, indem man versuchte, sich mündlich mit dem Bundeskartellamt zu verständigen. Teilweise wurde das Amt wiederum in anderen Verfahren – beispielsweise bei Hüls/Condea – durch konträres Vorgehen, nämlich eine (gezielte) Informationsüberflutung des Amtes, vor Probleme gestellt: Hüls reichte nicht nur bereits im Vorverfahren umfangreiches Datenmaterial ein,339 sondern kontinuierlich über das gesamte Verfahren hindurch.340 Ein Herausfiltern der relevanten Informationen war kaum zu realisieren. Das Verfahren zeigt allerdings deutlich, dass das Amt nicht (einfach) Unmengen an Information benötigte, sondern gezielte und genaue Informationen forderte, welche die Unternehmen nicht entsprechend liefern wollten oder konnten. Im Rahmen der Informationsbeschaffung lässt sich insgesamt anhand der untersuchten Verfahren übereinstimmend erkennen, dass die von den Unternehmen gemachten Angaben fortwährend ergänzt bzw. vervollständigt, ggf. auch geändert wurden.341 Es fand ein Austausch- und Aushandlungsprozess statt, in dem die Unternehmen an die jeweilige Beschlussabteilung im Rahmen der Informationsübermittlung ständig weitere und teilweise auch geänderte Informationen lieferten. Diese Ergänzungen umfassten beispielsweise die Nennung von Abnehmern zu Befragungszwecken,342 in Auftrag gegebene Gutachten343 sowie Datenschätzungen344 und Datenkorrekturen.345 Dies ge337 RA
IBH an BKartA vom 23.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 23–24, 23. an BKartA vom 30.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 56–65, 64 f. 339 Hüls an BKartA vom 02.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 7–17; Hüls an BKartA vom 30.06. u. 15.07.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 23–34. 340 Anmeldung Hüls an BKartA vom 11.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 48–52; Hüls an BKartA vom 11.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 70–79; Hüls an BKartA vom 09.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 152–166, 166; Condea an BKartA vom 09.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 190–200; Hüls an BKartA vom 22.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 206–209; Hüls an BKartA vom 07.11.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 226–232. 341 Bspw. Hüls an BKartA vom 09.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 152– 166, 163: „Zu Ihrer Information ergänzen wir Ihre Frage dahingehend, daß […]“; weitere Ergänzungen vgl. Bayer an BKartA vom 17.12.1975, in: BAL 337/052, Volkswirtschaftliche Abteilung, Metzeler Kautschuk 1975–1980; Bayer an BKartA vom 21.01.1975, in: BAL 302/0550 Vol. 1, Kurt Hansen, Metzeler AG 1974–1976. 342 RA Linde an BKartA vom 06.10.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 60–63. 343 Aus dem Gutachten sollte die Beschlussabteilung ersehen, dass „der relevante Markt nicht beschränkt werden kann auf das Produkt ‚Gegengewichts-Gabelstapler‘ “, 338 RA IBH
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
schah zwar vermehrt auf Nachfrage der Behörde zur Klärung offener Fragen, teilweise aber auch unaufgefordert im Rahmen eigenständiger Informationsergänzungen bzw. -berichtigungen. Die Erforderlichkeit häufiger Informationsergänzungen durch die Unternehmen war zum Teil von diesen selbst verschuldet, beispielsweise durch zuvor eingereichte Falschinformationen oder nicht nachvollziehbare Schätzungen. Exemplarisch waren bei Bayer/Firestone die mit der Anmeldung überreichten Daten von Bayer teilweise nicht nachvollziehbar. So stellte das Bundeskartellamt fest, dass bei „Addition der Marktanteile“, die von Bayer überliefert wurden, der ganze Markt „lediglich 90,8 %, […] 61,4 % […] 71,5 %“ umfasste, und fragte sich, welche restlichen Unternehmen die jeweilige Differenz zu 100 % ausmachten.346 In der darauffolgenden Informationsergänzung räumte Bayer sodann ein, das Marktvolumen „versehentlich falsch angegeben“ zu haben, und berichtigte es.347 Zudem ergänzte Bayer die Informationen, zum Teil aber nur „nach unseren [i. e. Bayer, V. H.] Schätzungen“ und „soweit wir [i. e. Bayer, V. H.] sie zu schätzen vermögen“.348 Dieses Vorgehen war legitim, da Schätzungen gesetzlich erlaubt waren (§ 23 Abs. 5 Nr. 3, Abs. 6 GWB 1973). Auch die Angaben von Hüls im Verfahren Hüls/ Condea beruhten überwiegend auf Schätzungen und Vermutungen, welche dem „besten Wissensstand“ von Hüls entsprachen.349 Deshalb bezweifelte
RA Lansing an BKartA vom 09.01.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 271–272; vgl. hierzu auch gutachterliche Stellungnahmen vom 19.12.1988 und vom 09.01.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Teil IV und V der Akte ohne Paginierung. 344 Zur Veranschaulichung beispielhafte Auszüge der Anmeldung: „Eine Berechnung der Marktvolumina für Flurförderzeuge ist anhand der vorliegenden Statistiken nur unvollkommen möglich“; es „wurde der Versuch unternommen, aus allen vorhandenen Informationsquellen und den bei Linde vorliegenden Erfahrungen die einzelnen Marktsegmente im Jahr 1987 einzuschätzen“. Anmeldung RA Linde vom 20.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 1–38, 20 ff. 345 Auszüge der Informationsergänzung: „Ferner übergeben wir [i. e. Linde, V. H.] Ihnen [i. e. dem BKartA, V. H.] eine Korrektur für das Stapler-Marktvolumen 1985 und den sich daraus ergebenden Marktanteil der Linde-Gruppe und als Ergänzung das Stapler-Marktvolumen mit Linde-Marktanteil für das 1. Halbjahr 1988.“ Eine „nochmalige Prüfung der dem Kartellamt übergebenen Unterlagen hat gezeigt, daß uns bei der Bestimmung von Marktvolumina in den Jahren 1985 und 1986 ein kleiner Fehler unterlaufen ist“, Linde an BKartA vom 09.12.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 173–183, 173, 176. 346 BKartA an Bayer vom 10.07.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 28–29, 28. 347 Wobei die Abweichung minimal war: Mit den neuen Werten erreichte Firestone einen Marktanteil von 0,92 % statt 0,86 % und Bayer von 1,9 % anstatt 1,8 %, Bayer an BKartA vom 04.08.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 31–49, 31. 348 Bayer an BKartA vom 04.08.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 31–49, 32 ff. 349 Hüls an BKartA vom 02.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 7–17.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements171
das Bundeskartellamt die Richtigkeit diverser Daten.350 Verstärkt wurden diese Zweifel, nachdem das Bundeskartellamt Zahlenabweichungen in den von Hüls eingereichten Daten entdeckte.351 Darauf reagierte das Bundeskartellamt zum einen mit einer Konfrontation352 sowie der Erstellung eines detaillierten Fragebogens, welchen die beteiligten Unternehmen auszufüllen hatten,353 zum anderen mit der Mobilisierung eigener Ermittlungsstrategien aufgrund des Informationsdefizits. Hierzu informierte sich das Bundeskartellamt sowohl aus öffentlich zugänglichen Quellen354 als auch durch Befragungen weiterer Marktakteure. Diese Befragungen weitete das Amt Mitte der 1980er Jahre sogar international aus.355 2. Öffentliche Medien und Befragungen Dritter als Informationsquelle
Der Ermittlungsquelle der öffentlich zugänglichen Medien bediente sich das Bundeskartellamt bereits seit Beginn seiner Fusionskontrolltätigkeit, wie der Akte Veba/Gelsenberg entnommen werden kann. So erfuhr das Bundeskartellamt beispielsweise durch die FAZ,356 dass der Bund eine weitere Beteiligung am Grundkapital der Gelsenberg in Höhe von 3 % erwarb, und bat 350 Das BKartA vermutete, dass die Marktanteile der Condea „noch höher seien“, Besprechungsvermerk vom 06.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 20–22, 21. 351 Hüls an BKartA vom 15.07.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 24–34, 31. 352 BKartA an Hüls vom 28.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 97–101, 100. Mit den abweichenden Angaben zu Kapazität und Marktvolumen konfrontiert äußerte sich Hüls, die „geringfügig voneinander abweichende Angaben“ beruhten auf „verschiedenen Quellen“. Deshalb reichten sie nochmals Informationen nach, mit dem Hinweis, dass sie „für die Richtigkeit dieser Angaben keine Gewähr übernehmen können“ und sie auf „der Mehrzahl der uns [i. e. Hüls, V. H.] zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen“ beruhten, Hüls an BKartA vom 09.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 152–166, 164 f. 353 BKartA an Hüls vom 28.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 97–101. 354 Auszug aus Römpp Chemielexikon, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 3; FAZ vom 22.05.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 4; FAZ und HB vom 26. u. 27.09.1980, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 5–6; HB vom 06.10.1983, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 18; EuropaChemie aus dem Jahre 1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 19; ausländischer Zeitungsausschnitt vom 05.05.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 188; diverse auch ausländische Presseartikel aus den 1980er Jahren, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 233–250. 355 Mit dem Hinweis auf die „OECD Ratsempfehlung über die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“ u. dass die Angaben freiwillig sind und vertraulich behandelt werden, BKartA an Unternehmen in Belgien, Dänemark und England vom 03.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 123–137, 123 f. 356 FAZ vom 20.12.1973, „Bundes-Mehrheit an der Gelsenberg AG“, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 179.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
den Bundesminister für Finanzen am selben Tag schriftlich um Mitteilung, „ob dies zurifft“.357 Einen Tag darauf teilte dieser mit, zusätzliche 3 % erworben zu haben,358 was sich auf die weitere Prüfung der Fusionskontrolle für dieses Verfahren auswirkte. Ab den 1980er Jahren startete das Amt sodann die Presse- und Prospektrecherche schon innerhalb des informellen Vorverfahrens und sammelte im Vergleich zu Verfahren der 1970er Jahre deutlich mehr.359 Insgesamt sammelte die Kartellbehörde beständig Presseartikel zu den untersuchten Verfahren, zum Teil auch noch Jahre nach einer ergangenen Entscheidung. Daraus wird ersichtlich, dass das Bundeskartellamt die Märkte auch nach abgeschlossenen Fusionsverfahren weiterhin im Blick behielt. Daneben informierte sich das Bundeskartellamt durch Befragungen Dritter. Die Strategie der Konkurrenz- und Abnehmerbefragungen verfolgte das Amt schon zu Beginn seiner Fusionskontrolltätigkeit, etwa im Verfahren zur Bitumen-Verkaufsgesellschaft 1973. Zu dieser Zeit reagierte die befragte Konkurrenz aber noch skeptisch auf das Auskunftsersuchen des Amtes. Bevor die befragten Wettbewerber auf die informell gestellten Fragen des Amtes antworteten, bat man das Amt beispielsweise unter Nennung seiner Ermittlungsbefugnisse gem. § 46 Abs. 1 GWB 1973 um Auskunft, für welchen Zweck die Auskünfte erforderlich seien.360 Das Bundeskartellamt reagierte darauf, indem es mitteilte, eine angemeldete Fusion zu untersuchen, und noch mehr Informationen als im ursprünglichen Schreiben erbat, jedoch erneut auf informellem Wege.361 Sofern die befragten Unter nehmen dem informellen Auskunftsersuchen aber nicht fristgemäß nach
357 BKartA
an BFM vom 20.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 209. an BKartA vom 21.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 211. 359 Beispielsweise wurden bei Hüls/Condea diverse Zeitungsartikel der FAZ, HB und Europa-Chemie aus den Jahren 1980–1986 herangezogen, so wie ein Auszug aus Römpp Chemielexikon zu Fettalkoholen, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 3–6; 18–19; weitere Beispiele bei Messer/Griesheim: Europa-Chemie vom 24.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 220; Handelsblatt vom 04.05.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 620; Handelsblatt vom 11.05.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 630; FAZ vom 07.05.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 664; Europa-Chemie vom 10.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 665; Europa-Chemie vom 12.07.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 772; Handelsblatt vom 13.12.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 1018. 360 Esso AG an BKartA vom 08.01.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 46; Deutsche Shell AG an BKartA vom 04.01.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 47. 361 Das Amt ergänzte die Fragen zu Preislisten, Rabattstaffeln, sonstigen Kondi tionen u. Frachtbasenregelungen, vgl. BKartA an Deutsche Shell AG, BP Benzin und Petroleum AG, Texaco AG und Esso AG vom 10.01.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 48–49. 358 BMF
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements173
kamen,362 erinnerte das Bundeskartellamt nochmals an die Beantwortung und bat um „sofortige Nachricht“, falls man zu „formloser Beantwortung der gestellten Fragen nicht bereit sei“, da „die Beantwortung dann durch einen Auskunftsbeschluß nach § 46 GWB aufgegeben werden [könne]“.363 Die befragten Unternehmen reagierten in den 1970er Jahren durchweg widerwillig auf das Auskunftsverlangen. Dem Amt wurde etwa mitgeteilt: „Aus Ihren Angaben ersehen wir keine hinreichende Begründung für die Notwendigkeit der von Ihnen erbetenen Auskünfte. Für den Fall eines formellen Auskunftsverlangens nach § 46 GWB ist anerkannt, daß eine Pflicht zur Auskunft auf Fragen zur allgemeinen Marktinformation nicht besteht.“364 Es wurde die Meinung vertreten, das Amt müsse von „nichtbeteiligten Unternehmen ‚geringere‘ Auskünfte als von den beteiligten Unternehmen anfor dern“.365 Außerdem dürften „konkurrierende Unternehmen allenfalls subsidiär und nach Ausschöpfung anderer Beweismittel zur Auskunftserteilung herangezogen werden“.366 Die befragten Unternehmen wiesen das Bundeskartellamt deshalb teils ausdrücklich darauf hin, dass es dankbar wäre, wenn die Beamten der Beschlussabteilung „die Erforderlichkeit Ihres Auskunftsersuchens überprüfen würden“.367 Beantwortet wurden die Fragen zwar im Anschluss dennoch, aber lediglich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und nur in selbstbestimmtem Umfang und Ausmaß.368 Eingelassen hatten sich die konkurrierenden Unternehmen nämlich nur auf Fragen zur Marktabgrenzung der „kartellrechtlich relevante[n] Märkte“ und zu Substitutionsprodukten.369 Dies hielt das Bundeskartellamt aber nicht davon ab, die Konkurrenzbefragungen im Laufe der Jahre auszudehnen. Je schleppender bzw. ungenauer die 362 Das BKartA versah die informellen Auskunftsersuche überwiegend mit einer Frist von zwei Wochen. 363 BKartA an Esso u. Texaco vom 11.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 90– 92. 364 Deutsche Shell AG an BKartA vom 04.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 85–89, 85. 365 Deutsche Shell AG an BKartA vom 04.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 85–89, 85. 366 Esso AG an BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 103–106, 104. 367 Esso AG an BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 103–106, 103. 368 Deutsche Shell AG an BKartA vom 04.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 85–89, 86. 369 Esso AG an BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 103–106, 105; Deutsche Shell AG an BKartA vom 04.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 85–89, 88.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
fusionsbeteiligten Unternehmen die Fragen der Beamten beantworteten, desto eher griff das Amt auf Befragungen der Konkurrenz zurück.370 Auch Vorwürfe durch die beteiligten Unternehmen an den gesammelten Daten und deren Bestreiten führten zu weiteren Befragungen bei Dritten. Dabei stützte das Bundeskartellamt sein Auskunftsersuchen zwar auf § 46 GWB 1973, betonte aber gleichzeitig, in der Annahme, dass die Unternehmen „freiwillig bereit sind, die Auskünfte zu erteilen, […] keinen förmlichen Auskunftsbeschluß zu erteilen“.371 Sofern die Unternehmen „nicht ohne einen solchen Beschluß zur Auskunft bereit“ wären, sollten sie das Amt hierüber in Kenntnis setzen, um einen entsprechenden Bescheid zu erhalten.372 Dieses in Aussicht gestellte Vorgehen wurde dann auch vom Bundeskartellamt umgesetzt.373 Das spätere Ausfertigen eines formellen Auskunftsbeschlusses war – trotz der damit einhergehenden Nachteile – wichtig, damit während des informellen Auskunftsersuchens der Hinweis auf einen möglichen formellen Auskunftsbeschluss nicht zur leeren Drohung wurde. Auskunftsbeschlüsse wurden dann im Anschluss anstandslos beantwortet.374 Bei den informellen Auskunftsersuchen hingegen verwendete das Amt einen gesondert gefertigten einheitlichen Fragebogen,375 um die Vergleichbarkeit der Antworten zu gewährleisten. Durch diese Beständigkeit des Amtes bei der informellen Befragungspraxis und den vereinzelt nach Androhung erlassenen Auskunftsbeschlüssen war eine Etablierung des informellen Auskunftsersuchens möglich. Daraufhin zeichnete sich ein Wandel in der Befragungsermittlung durch das Amt Mitte der 1980er Jahre ab. Durch die Ermittlungspraxis des Amtes 370 Bspw. weitere Befragung beim Wettbewerber Alfelder Eisenwerke, der „zum Markt der Asphaltmaschinen“ Auskunft gab und auf Wunsch des BKartA Prospekte übermittelte, vgl. Telefonvermerk des BKartA vom 05.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 36; Alfelder Eisenwerke an BKartA vom 04.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 37; BKartA an drei Wettbewerber der Wibau vom 11.07.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 76–78; Vermerk des BKartA vom 15.07.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 80. 371 BKartA an drei Wettbewerber der Wibau vom 11.07.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 76–78, 78. 372 Siehe bspw. BKartA an drei Wettbewerber der Wibau vom 11.07.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 76–78, 78. 373 Auskunftsbeschluss BKartA an Ohl-Industrietechnik Theodor Ohl AG vom 11.02.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 112–116. 374 Vgl. nur Ohl-Industrietechnik Theodor Ohl AG an BKartA vom 19.02.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 123–125. 375 Auskunftsbeschluss des BKartA an zwei Wettbewerber vom 27.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 204–209; 215–220; informelle Auskunftsersuche an vier Wettbewerber vom 29.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 226 f.; 228 f.; 230; 231 ff.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements175
etablierte sich eine Befragungsstrategie. Zwar stand der Behörde zu dieser Zeit schon die qualifizierte Oligopolvermutung zur Verfügung,376 es wurde aber gleichwohl weiterhin ermittelt. Vielmehr intensivierten die Beamten ihre Ermittlungen sogar, was angesichts des Rückhalts durch die Vermutungsnormen nun möglich war. Der Befragungsumfang hatte sich Mitte der 1980er Jahre erheblich vergrößert. Kurz nach Eintritt in die Zusammenschlussprüfung begann das Bundeskartellamt bei Linde/Agefko mit Befragungen bei 32 Herstellern von Indus triegasen sowie weiteren Mitbewerbern von Linde und Agefko.377 Bei Linde/ Lansing befragte das Amt insgesamt schon über 50 Wettbewerber.378 Auch begann die Befragung Dritter nicht erst nach unglaubwürdiger Informationsergänzung durch die beteiligten Unternehmen, sondern direkt mit Eintritt in die Zusammenschlussprüfung. Das Ausmaß der zwischenzeitlichen Etablierung der Ermittlungsstrategie durch Befragungen zeigt das Verfahren Messer Griesheim/Buse im Jahre 1988: Interessant ist in diesem Falle die von Anfang an umfangreiche Befragung der Wettbewerber. Während manche Hersteller technischer Gase sofort formell mittels eines Auskunftsbeschlusses befragt wurden,379 setzte man bei anderen hingegen auf informelle Auskunftsersuche, zum Teil mit Verweis auf die Ermittlungsrechte der Beschlussabteilung gem. §§ 46, 54 GWB 1973,380 zum Teil erhielten die Unternehmen
376 Hierzu
5. Kap. A. II. „Befragungen“ fanden sowohl schriftlich als auch telefonisch statt, vgl. BKartA an 22 Hersteller technischer Gase vom 21.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 28–29; 39; 55; BKartA an Kohlensäure-Hersteller vom 21.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 30–31; BKartA an drei Konkurrenten der Linde AG vom 21.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 40–68; Besprechungsvermerk vom 14.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 109–113a; Telefonvermerk des BKartA vom 15.07.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 261 f.; 295 f.; 297 u. 315 ff.; Telefonvermerk des BKartA vom 07.11.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 848–849; BKartA an Cootec Deutschland GmbH vom 11.11.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 872–874; 920. 378 Befragung der Wettbewerber vom 26.10. u. 23.11.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Teil III der Akte ohne Paginierung. Die absolute Zahl der Mitbewerber war den Akten nicht zu entnehmen. Denkbar aber unwahrscheinlich ist, dass auf anderen Märkten deutlich mehr Mitbewerber agierten. 379 BKartA an 14 Hersteller technischer Gase vom 29.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 113–118. 380 BKartA an zwei Sauerstoffwerke vom 30.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 154–157; BKartA an RA Linde vom 31.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 158–162; BKartA an fünf Wettbewerber der Buse Gase vom 31.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 164–167; BKartA an Hersteller von Kaltmahlanlagen für chemische Grundstoffe, Kunststoffe u. Lebensmittel vom 11.05.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 631–632. 377 Die
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
lediglich die freiwillige Möglichkeit der Stellungnahme.381 Die schriftlichen Befragungen intensivierten sich zudem, als sich das Verfahren zeitlich dem Ende neigte.382 Daneben integrierte das Amt aber auch telefonisch angefragte Auskünfte383 sowie die Aussage eines förmlich geladenen Zeugen, der bei zwei Kohlensäure-Herstellern tätig war und das Amt über die Marktverhältnisse aufklären sollte.384 Dabei wird offensichtlich, dass die Befragungen Ende der 1980er Jahre vermehrt systematisch durchgeführt wurden und dementsprechend vergleichbarer waren.385 Insgesamt ermittelte das Bundeskartellamt dabei überwiegend bei Wettbewerbern und Nachfragern im Wege des informellen Auskunftsersuchens.386 Diese wurden nunmehr Mitte der 1980er Jahre ohne Beanstandung beantwortet. Daran kann deutlich erkannt werden, dass nach über zehnjähriger Praxis der Fusionskontrolle des Bundeskartellamtes die befragten Wettbewerber und Abnehmer dem Amt nicht mehr mit dem gleichen Zweifel und Misstrauen über die Sicherheit und Auswirkungen ihrer Informationsaus381 BKartA an 13 Hersteller technischer Gase vom 29.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 143–148; BKartA an 12 Kohlensäure-Hersteller vom 29.03.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 149–153. 382 Bspw. wurde Air Liquide befragt, welche Vorteile ein gemeinsamer Vertrieb von technischen Gasen und Kohlensäure habe, siehe Besprechungsvermerk vom 08.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 647–650; Air Products wurde befragt, warum es die Agefko erwerben wollte, vgl. Besprechungsvermerk vom 09.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 651–652; AGA Gas GmbH wurde befragt, was die Vorteile eines gemeinsamen Vertriebs seien, Besprechungsvermerk vom 14.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 653–655; weitere Befragungen: Befragung der Carbo GmbH vom 14.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 656–661; Besprechungsvermerke vom 08., 09. u.14.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 647–661; BKartA an BASF AG vom 11.07.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 761–762. 383 Telefonvermerk vom 08.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 197. 384 Ladung durch das BKartA vom 20.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 221–226; Vernehmungsvermerk des BKartA vom 29.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 252–255. 385 Bspw. erstellte das Amt einheitliche Fragebögen, sodass die zurückkommenden Informationen für das Untersuchungsverfahren vergleichbar waren. Dabei wurden alle Wettbewerber informell befragt, allerdings mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des Amtes, die Auskünfte gem. § 46 GWB 1973 auch durch einen förmlichen Beschluss zu verlangen, vgl. Fragebogen vom 26.10. u. 23.11.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Teil II der Akte ohne Paginierung. 386 Das Amt teilte beim Auskunftsersuchen etwa mit, dass es „davon ausgehe, daß Sie [i. e. das jeweilige Unternehmen, V. H.] diese Unterlagen auch ohne förmliches […] Auskunftsersuchen zur Verfügung zu stellen bereit sind; andernfalls bitte ich um umgehende Nachricht“. Zudem wollte das BKartA „klarstellen, daß es selbstverständlich völlig im Belieben der Unternehmen steht, ob sie gegenüber dem Bundeskartellamt Äußerungen abgeben wollen oder nicht“, vgl. statt vieler: BKartA an die Stahlflaschen-Treuhand GmbH vom 21.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 26–27.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements177
künfte gegenübertraten, wie dies noch in den 1970er Jahren der Fall war. Das informelle Auskunftsersuchen war inzwischen allgemein anerkannt und hatte sich etabliert. Hintergrund dessen war u. a. die Tatsache, dass Informationen als zentrale Entscheidungsgrundlage im Fusionskontrollverfahren darstellten; Abnehmer und Konkurrenten der fusionierenden Unternehmen mussten das Bundeskartellamt mithin mit Informationen ausstatten, wenn beabsichtigt wurde, dass das Bundeskartellamt gegen eine Fusion vorgeht und diese unterbindet. Widrigenfalls war das Amt oftmals aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung der Fusionskontrolle nicht in der Lage, einen Unternehmenszusammenschluss zu untersagen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen – dass eine Fusion aufgrund fehlender Daten nicht untersagt werden konnte – hatten dann überwiegend die an der Fusion nicht beteiligten Marktakteure zu tragen. Mit der Etablierung der freiwilligen Zurverfügungstellung von Auskünften an das Amt erstarkte dessen Stellung innerhalb des Prüfungsverfahrens automatisch. Gleichzeitig mobilisierte das Bundeskartellamt aber auch vermehrt seine gesetzlichen Auskunftsbefugnisse und fuhr im Ermittlungsverfahren von Anfang an zweigleisig. Es erließ zum einen formelle Auskunftsbeschlüsse, um an Informationen zu gelangen, die zur Entscheidungsfindung unabdingbar waren. Zum anderen ging es informell vor, um darüber hinaus alles von den befragten Unternehmen zu erfahren, was diese bereit waren mitzuteilen.387 Deutlich wird, dass sich einerseits das informelle Auskunftsersuchen etablierte und die Unternehmen in den 1980er Jahren durchaus nicht mehr zur Auskunft gezwungen werden mussten, andererseits das Amt aber aufgrund der kurz bemessenen Untersagungsfrist für Fusionsvorhaben teilweise unverzüglich formelle Auskunftsbeschlüsse erließ, um die Risiken des Nachschiebens eines Auskunftsbeschlusses zu eliminieren. Des Weiteren hob sich die Ermittlungstätigkeit der Behörde Mitte der 1980er Jahre insoweit ab, als die Beamten ihre Informationen zum Teil auch von unabhängigen Stellen einholten, nämlich anderen staatlichen Behörden.388 Dies lag u. a. an der Problematik, an konkretes Zahlenmaterial zu 387 Bspw.: Das BKartA setzte diverse am Markt tätige Unternehmen über das Fusionsvorhaben in „Kenntnis, um Ihnen Gelegenheit zu geben – falls Sie es wünschen –, zu dem beabsichtigten Unternehmenserwerb Stellung zu nehmen. Ob Sie gegenüber dem Bundeskartellamt eine Äußerung abgeben wollten oder nicht, steht dabei völlig in Ihrem Belieben. […] Unabhängig hiervon ist die Beantwortung des heute an Sie gerichteten formellen Auskunftsbeschlusses“. Vgl. BKartA an drei Wettbewerber vom 21.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 42–68. 388 Vermerk des BKartA vom 11.06.1985 zu einer Besprechung in der Bundes anstalt für Materialforschung, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 94–96; Vermerk des BKartA vom 18.12.1985 über ein Gespräch in der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in Berlin, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1286–1290; Vermerk des
178
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
gelangen.389 Zwischenzeitlich kannte das Bundeskartellamt aber die Märkte und wusste, welche Informationsgeber zu Befragungszwecken herangezogen werden mussten, weshalb Informationen gezielt angefragt werden konnten. Eine weitere Besonderheit der 1980er Jahre, welche die zwischenzeitlich eingetretene Errichtung der Befragungspraxis unterstrich, zeigte sich anhand der freiwilligen und teilweise unaufgeforderten Informationsübermittlungen durch Dritte an das Bundeskartellamt. Während in den 1970er Jahren die Befragungspraxis auf Widerstand stieß, wurde diese zwischenzeitlich von den befragten Konkurrenten nicht nur akzeptiert, sondern sogar begrüßt. Zum Teil agierten Dritte sogar ungefragt. Dem Amt kam beispielsweise bei Linde/Agefko ein anonymes Schreiben zu, welches Aufschluss über gewisse Kodizes eines Marktes gab.390 Auch trat bei Messer Griesheim/Buse eine Unternehmensgruppe an das Bundeskartellamt heran, weil sie Absprachen auf dem vom Amt zu untersuchenden Kohlensäure-Markt vermutete.391 Die Unternehmensgruppe bot dem Bundeskartellamt deshalb an, weitere Nachforschungen bei Kohlesäure-Werken anzustellen und es anschließend über deren Ausgang zu unterrichten. Darauf ging die Behörde ein und übermittelte hierzu Anschriften aller ihr bekannten Kohlensäure-Werke.392 Insgesamt konnte die Beschlussabteilung somit – ohne selbst investigativ tätig zu werden – feststellen, dass Kohlensäureanbieter kaum transparente Angaben zu Mindestmengen und Preisen aufstellten.393 Auch im Verfahren Linde/Lansing wandten sich bereits vor der offiziellen Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens einige Wettbewerber von Linde, die von der geplanten Fusion aus der Presse erfuhren, mit großen Bedenken aufgrund der Machtkonzentration von Linde an das Amt.394 Daraus kann im Rahmen des Quellenkorpus abgeBKartA vom 08.10.1985 über ein Gespräch in der Bundesanstalt für Fleischforschung, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 561–564; Vermerk des BKartA vom 21.10.1985 über ein Gespräch in der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 731–736. 389 Ein befragtes Unternehmen teilte beispielsweise telefonisch mit, es sei „problematisch, konkretes Zahlenmaterial zu erstellen. Es sei nur möglich, fundierte Schätzungen zum Geschäftsvolumen“ anzugeben, vgl. Telefonvermerk vom 25.07.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 295–296, 295. 390 Anonym an BKartA vom 04.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1109. 391 Brauring Kooperationsgesellschaft GmbH & Co. KG an BKartA vom 30.11.1987, in: BKartA, VV zu Az. B3 35/88, Bl. 32. 392 BKartA an Brauring vom 02.12.1987, in: BKartA, VV zu Az. B3 35/88, Bl. 34–35. 393 Brauring an BKartA vom 08.01. u. 31.03.1988, in: BKartA, VV zu Az. B3 35/88, Bl. 38–64 u. 170–178, 170. 394 RA eines Wettbewerbers an BKartA vom 19.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 40; Tecklenborg GmbH an BKartA vom 20.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 45.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements179
leitet werden, dass sich die Stellung des Bundeskartellamtes als Wettbewerbshüter zwischenzeitlich etablierte und sich daraus resultierend die Informationsasymmetrie aufgrund freiwilliger Auskünfte Dritter minimierte. 3. Instrumentalisierung des sog. Abmahnschreibens sowie der Untersagung
Am Ende einiger Untersuchungsverfahren bestand eine weitere Informationsermittlungstaktik des Bundeskartellamtes darin, die beteiligten Unternehmen über die beabsichtigte Untersagung in Kenntnis zu setzen (sog. Abmahnschreiben) und gleichzeitig weitere Informationen einzufordern.395 Dabei teilte das Amt mit, von welchem Datenmaterial es bei der Prüfung ausging, und überließ es im Anschluss den Unternehmen, die Feststellungen und Zahlen zu überprüfen und ggf. fundiert zu rügen. Dieses Vorgehen wurde dem Amt durch die Vermutungsregelungen ermöglicht. Dass sich dieses Prozedere nutzbringend auswirkte, zeigt sich beispielsweise anhand der Rückmeldung von Gelsenberg, man werde die „Feststellungen, insbesondere die angeführten Zahlen, überprüfen“ und Abweichungen mitteilen.396 Sodann wollte Gelsenberg „Zahlen im Schreiben des Bundeskartellamtes […] richtigstellen“ und übermittelte „ergänzende Zahlen über Absatz und Marktanteile auf dem Inlandsmarkt“.397 Das Amt war sich seines Informationsdefizits gegenüber den Unternehmen offenbar durchaus bewusst. Anstatt fehlende Erkenntnisse als Schwäche der eigenen Position anzusehen, nutzte das Bundeskartellamt die Sorge der Unternehmen vor einer unmittelbar bevorstehenden Untersagung gezielt, um den Unternehmen die Informationen zu entlocken, die es bisher noch nicht erlangen konnte, aber im Rahmen des Untersagungsverfahrens zu Prüfungszwecken benötigte. Auch als die offizielle Untersagung bereits ausgesprochen war, baten die Unternehmen, wie beispielsweise Bayer im Verfahren Bayer/Firestone, noch explizit um Nennung von Anhaltspunkten, die „nach Auffassung der Abteilung für eine weitere Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung der Bayer AG und des wesentlichen Wettbewerbs von Bedeutung sein könn ten“.398 Sie baten das Bundeskartellamt also explizit um Mitteilung, welche Informationen sie für eine Nichtuntersagung bzw. die Rücknahme der Untersagung erhalten wollten. Hierzu äußerte das Amt etwa, es wäre „von Wich395 Z. B. BKartA an RA Messer Griesheim vom 22.07.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 799–800. 396 Gelsenberg an BKartA vom 27.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 219. 397 Gelsenberg an BKartA vom 03.01.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 222– 224. 398 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120– 122, 121.
180
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
tigkeit, Daten über Wettbewerber, Kapazitäten, Wettbewerbsaktivitäten zu erhalten, die eine andere Beurteilung rechtfertigen“.399 Anhand dessen kann abgeleitet werden, dass das Bundeskartellamt nicht nur die Mitteilung über eine beabsichtigte Untersagung, sondern teilweise auch die Untersagung selbst als weiteres, finales Ermittlungsinstrument nutzen konnte. Somit lag es an den Unternehmen, die vom Amt ermittelten Daten entweder fundiert zu entkräften oder sich mit der Untersagung abzufinden. 4. Zwischenergebnis
Im Rahmen der Informationsermittlung lässt sich feststellen, dass die Informationsermittlung des Amtes, insbesondere zu Beginn seiner Tätigkeiten im Rahmen der Fusionskontrolle in den 1970er Jahren, überwiegend von der Übermittlungsbereitschaft der fusionsbeteiligten Unternehmen abhing. Daraus entwickelte das Bundeskartellamt Strategien zur Informationsgenerierung und bediente sich überwiegend informeller Auskunftsersuche. Diese stießen zwar zu Beginn der Fusionskontrolltätigkeit des Amtes noch auf den Widerstand der Befragten. Das änderte sich aber, nachdem sich die Kartellbehörde als Hüterin des Wettbewerbs etablierte. Die Konkurrenzunternehmen erteilten nicht nur freiwillig Auskünfte, sondern agierten teilweise sogar ungefragt. Zudem verursachte die Einführung der qualifizierten Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 – wonach die Unternehmen sowohl die materielle als auch die formelle Beweislast trugen – eine erhöhte Datenübermittlungsbereitschaft seitens der Unternehmen. Dies führte zu einer Stärkung der Position des Bundeskartellamtes im Rahmen der Prüfung eines Zusammenschlusses, indem das Amt die Fusion einfach untersagte, wenn die Unternehmen nicht das geforderte Datenmaterial beschafften. II. Informationsverarbeitung Neben der Informationsermittlung ist die Verarbeitung des generierten Datenmaterials von besonderer Relevanz, um zu einer Erwartungsprognose gem. § 24 Abs. 1 GWB 1973 zu gelangen. Deshalb wird aufgrund der unterschiedlichen Beurteilungen und Ansichten nachfolgend untersucht, welche Informationen das Bundeskartellamt zur Verwertung aus welchen Gründen heranzog. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, woraus Auseinandersetzungen resultierten und wie diese beigelegt wurden. Anschließend wird erörtert, welche Kriterien für die Prognoseentscheidung i. S. d. § 24 GWB 1973 399 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120– 122, 122.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements181
ausschlaggebend waren und wodurch die Erwartungsentscheidung beeinflusst wurde. Zunächst wird ermittelt, welche Kriterien im Rahmen der Informationsverwertung als prognoserelevant eingestuft wurden (1.), um anschließend zu eruieren, wie das Bundeskartellamt mit geschätztem Datenmaterial umging (2.) und Befragungen verwertete (3.). 1. Entscheidende Prognosekriterien
Wenn man der Frage nachgeht, welche Kriterien für die Amtsentscheidung ausschlaggebend waren, wird deutlich, dass sich das Bundeskartellamt bei der Informationsverarbeitung weitestgehend am Gesetzeswortlaut und der Rechtsprechung orientierte. Ökonomische oder betriebswirtschaftliche Argumente blieben von den Beamten der Kartellbehörde meist unberücksichtigt; beispielsweise im Verfahren IBH/Wibau versuchten die beteiligten Unternehmen, das Amt von einer betriebswirtschaftlichen Sicht für den Begriff der Finanzkraft zu überzeugen400 – jedoch ohne Erfolg.401 Überwiegend interessierten sich die Beschlussabteilungen für die jeweils ermittelten Marktanteile der Unternehmen. Sofern keine genauen Marktanteilsdaten in Erfahrung gebracht werden konnten, gingen die Beschlussabteilungen dazu über, stattdessen das vorhandene Material in einen geeigneten Kontext zu bringen. Das Amt inspizierte bei Veba/Gelsenberg aus dem Jahre 1973 beispielsweise Datenbestände über Ausfuhren von Phthalsäureanhydrid,402 anhand derer eine Marktanteilserhöhung nach Zusammenschluss prognostiziert wurde, gegen die die Unternehmen nichts vortrugen.403 Der Schwerpunkt der Informationsverarbeitung richtete sich demnach auf das Datenmaterial, welches dem Amt zur Verfügung stand, unabhängig davon, ob es gesetzlich zur Prognose vorgesehen war oder nicht. Sofern also gesetzlich vorgesehenes Datenmate400 „Die Umsatzzahlen als finanzielle Ressource anzusehen, halten wir für betriebswirtschaftlich einfach unvertretbar.“ Man möchte „das Amt dringend bitten, sich nicht von den Umsatzzahlen der IBH blenden zu lassen, sondern die Finanzkraft der IBH nach den für diesen Begriff anerkannten betriebswirtschaftlichen Kriterien zu untersuchen“. RA IBH an BKartA vom 16.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 181–198, 189, 191. 401 Das BKartA schrieb an die Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten handschriftlich „Rspr!“, IBH an BKartA vom 16.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 181–198, 189. 402 Der Beschlussabteilung standen beispielsweise keine Unterlagen über den Inlandsabsatz an Phthalsäureanhydrid oder Angaben zu Inlandsabsätzen zur Verfügung, vgl. Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, WuW/E BKartA 1457, 1461 f. 403 Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, WuW/E BKartA 1457, 1462.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
rial nicht ermittelbar war, verwertete das Amt – notgedrungen – Alternativdaten. Ebenfalls bei Veba/Gelsenberg achtete das Bundeskartellamt vermehrt auf weitere Unternehmensbeteiligungen, insbesondere ob ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen an eigenen Abnehmern beteiligt war.404 Ein weiteres Augenmerk in der Informationsverarbeitung lag auf der Unternehmensentwicklung der letzten Jahre, beispielsweise durch vorangegangene Zukäufe.405 Teilweise verfügte das Amt sogar bei Erlass der Untersagungsverfügung noch nicht über alle Informationen, womit eine endgültige Verarbeitung dem Grunde nach nicht möglich war. Dieses Problem ergab sich etwa bei Bayer/ Firestone: Die Behörde hatte zum Zeitpunkt der Untersagung nur die hohen Marktanteile als Indiz einer Marktbeherrschung, womit die Vermutungsvoraussetzungen des § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1973 erfüllt waren. Obwohl für das Amt das Tatbestandsmerkmal „Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung“ schon als erfüllt feststand, wäre dem Amt zufolge eine zusätzliche Betrachtung „im Bereich der von der Abteilung nach Aktenlage festgestellten Marktbeherrschung“ bei Bayer/Firestone noch in Frage gekommen.406 Aufgrund des Fristablaufs blieb jedoch keine Zeit mehr für eine umfassende Prüfung. Demnach versuchte das Bundeskartellamt, bei der Auswertung alle Informationen zu berücksichtigen, zog sich aber aufgrund des Zeitdrucks auf die Marktanteile zurück, die es anhand eigener Berechnungen stets überprüfte. Überwiegend dominierten die festgestellten Marktanteile die Zusammenschlussprüfung. Angesichts der gesetzlichen Regelung ist diese Feststellung nicht überraschend, da der Marktanteil ein prognoserelevantes Kriterium zur Feststellung der Marktbeherrschung in § 22 GWB 1973 war.407 Bereits die frühen Verfahren der 1970er Jahre lassen Diskussionen um die Feststellung von Marktanteilen erkennen. Im Verfahren Veba/Gelsenberg wies das Bundeskartellamt darauf hin, dass es nach eigenen Berechnungen zu anderen Marktanteilsdaten gelangte, als die Unternehmen vortrugen.408 Ebenfalls überwogen Erwägungen zu Marktanteilen bei dem Verfahrensausgang der 404 Vermerk
des BKartA vom 17.09.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 44–51, 45. des BKartA vom 17.09.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 44–51, 46. 406 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120–122, 122. 407 Ausführlich zu den Prognosekriterien des Amtes siehe 7. Kap. 408 BKartA an BMF vom 18.12.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 167–169, 168: „In den Angaben des BMWi über Marktanteile von VEBA und Gelsenberg im Baustoffhandel wurde ein gemeinsamer Marktanteil von [Prozentzahl im Dokument geschwärzt; V. H.] ausgewiesen. Nach eigenen Berechnungen beträgt dieser Marktanteil jedoch etwa [Prozentzahl im Dokument geschwärzt; V. H.].“ 405 Vermerk
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements183
Bitumen-Verkaufsgesellschaft.409 Da der Marktanteil als ausschlaggebendes Kriterium die Annahme der Marktbeherrschung bestimmte, hatten die Unternehmen nur noch die Möglichkeit, Verbesserungen im Rahmen der Abwägungsklausel nachzuweisen. Mit anderweitigen Diskussionen befasste sich die Behörde angesichts der hohen Marktanteile nämlich nicht mehr.410 Auch Anfang der 1980er Jahre bei IBH/Wibau war das wesentliche Differenzierungsmerkmal noch immer, ob die Marktanteilsschwelle überschritten war oder nicht. Weiterer Streitpunkt war dessen Berechnungsgrundlage sowie dazugehörige Substitutionsmöglichkeiten im Rahmen der Marktabgrenzung. Durchweg lag also die für das Amt zur Entscheidung größtenteils relevante Information in den Marktanteilen der zusammenschließenden Unternehmen, weshalb deren Feststellung in Auseinandersetzungen mündete. Hintergrund war, dass die gesetzlichen Vermutungsregeln der § 22 Abs. 3 GWB 1973 und § 23a Abs. 1 u. 2 GWB 1980 sich jeweils auf den Marktanteil stützten. Im Verfahren Hüls/Condea beispielsweise waren die Marktanteile des Oligopols Henkel/Condea auf dem Markt für Tensidalkohole bereits so hoch, dass die Vermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 selbst für ein Fünferoligopol gegriffen hätte, worauf sich die Beschlussabteilung auch berief. Das Amt verdeutlichte deshalb unverzüglich, dass eine Nichtuntersagung des Zusammenschlusses nur in Betracht käme, wenn Hüls die Erwartung „von wesentlichem strukturbezogenem Wettbewerb zwischen Henkel und Condea“ nach dem Zusammenschluss nachweisen würde.411 Unstimmigkeiten zu Marktanteilen und Marktabgrenzung konnten auch bei Bayer/Firestone bis zum Schluss nicht beigelegt werden. Die Diskussion ging sogar so weit, dass Bayer anhand eines Berechnungsbeispiels des Marktvolumens durch Einbeziehung von Naturkautschuk aufzeigte, dass durch unterschiedliche – aber jeweils stringente und logische – Berechnungen divergierende Marktanteile ermittelt werden könnten und somit auch von einer anderen Beurteilung der Marktbeherrschung ausgegangen werden müsse.412 Daran
409 Das BKartA stellte fest, dass der Marktanteil die „bereits bestehende marktbeherrschende Position auf dem Bitumenmarkt, auf dem seit Jahren kein wesentlicher Wettbewerb herrscht, noch verstärkt, so daß dann drei Anbieter ca. [Prozentzahl im Dokument geschwärzt; V. H.] des Marktes auf sich vereinigen“. Vermerk des BKartA Abt. W2 vom 15.05.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 230–233. 410 Vermerk des BKartA Abt. W2 vom 15.05.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 230–233, 230. 411 Besprechungsvermerk vom 18.07.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 37–41, 38; darauf verwies das BKartA noch mal: BKartA an Hüls vom 28.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 91–96, 91. 412 Besprechungsvermerk vom 23.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 142– 147, 146.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
kann deutlich erkannt werden, dass die Daten zur Marktbeherrschung ungenau sein konnten. Somit lässt sich festhalten, dass die Marktanteile während des kompletten Untersuchungszeitraums das entscheidende Prognosekriterium waren, o bwohl es dafür keine allgemein anerkannte Berechnungsmethode gab. 2. Verwertung geschätzten Datenmaterials
Das Problem weitete sich zudem dadurch aus, dass Schwankungen der Marktanteilsdaten möglich waren, da sie teilweise nur auf Schätzungen basierten. Diesem Umstand war sich das Bundeskartellamt aber durchaus bewusst und es versuchte, dies zielführend in die Erwägungen einzubeziehen: Auf die Informationsverarbeitung wirkte sich bei Hüls/Condea im Jahre 1986 etwa die Tatsache aus, dass das Bundeskartellamt diverse abweichende Angaben sowie teilweise auch falsche Informationen von Hüls erhielt.413 So äußerte die Beschlussabteilung gegenüber Hüls bereits zu Beginn der Kor respondenz, d. h. noch vor Eingang der Anmeldung, ihre Zweifel an den von Hüls vorgelegten Informationen zu den Marktanteilen der Condea und schätzte diese höher ein als angegeben.414 Im Rahmen der Anmeldung bat das Bundeskartellamt Hüls deshalb um Angabe der Marktanteile nebst Berechnungsgrundlage.415 Der Zweifel konnte jedoch im Laufe des Verfahrens nicht bestätigt werden, da die Zahlen auf „Kenntnissen und Schätzungen“ der Marktforschung von Hüls beruhten416 und keine anderen Zahlen ermittelbar waren. Das Amt konnte aber seit Mitte der 1980er Jahre die Vorteile der qualifizierten Oligopolvermutung nutzen,417 die auch im Verfahren Hüls/Condea griff. So konnte die Kartellbehörde als Konsequenz der Informationsdifferenzen und -ungenauigkeiten schließlich die Untersagung mangels Nachweis wesentlichen Wettbewerbs erlassen. Demnach wendete das Amt zwar seine eigenen Ermittlungstätigkeiten auf, wusste aber, dass es bei Vorliegen der qualifizierten Oligopolvermutung Aufgabe der Unternehmen war, es von der Nichtuntersagung zu überzeugen. Somit beeinflussten Zweifel des Bundeskartellamtes die Informationsverwertung dahingehend, dass aufgrund der Vermutungsregelungen Unternehmen Nachteile erlitten, wenn Informationen 413 Hüls an BKartA vom 11.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 70–79, 75, 77; Besprechungsvermerk vom 12.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 203–205. 414 Besprechungsvermerk vom 06.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 20. 415 Besprechungsvermerk vom 06.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 21. 416 Hüls an BKartA vom 15.07.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 28. 417 Hierzu 5. Kap. A. II.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements185
nicht oder falsch eingereicht wurden. Bei der Untersagung folgte das Bundeskartellamt teilweise „den Berechnungen der Beteiligten nicht, weil sie auf Schätzungen beruh[t]en“.418 Deshalb war für die Informationsverarbeitung stets relevant, wie aussagekräftig und nachvollziehbar das Amt die Daten einschätzte, weil es diesbezüglich aufgrund der Vermutungsregelungen im Vorteil war. Insoweit konnte das Amt auch kritisch mit den Daten umgehen. Dem Verfahren IBH/Wibau ist etwa deutlich die Skepsis zu entnehmen, mit welcher das Bundeskartellamt zu Beginn der 1980er Jahre den Unternehmensinformationen entgegentrat und deshalb eigene Ermittlungsrechte mobilisierte. Insgesamt wird also deutlich, dass das Bundeskartellamt das von den Unternehmen vorgebrachte Datenmaterial kritisch hinterfragte, insbesondere dann, wenn es auf Schätzungen basierte. Verwertet wurden viele Aussagen nur dann, wenn das Amt sie verifizieren konnte. 3. Befragungsauswertung
Des Weiteren war die Auswertung der Befragung von Dritten ein wichtiger Aspekt in der Informationsverarbeitung. Beispielsweise führte der Unternehmensvertreter von IBH aus, dass „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit […] die Firma Liebherr, die bisher nur Betonmischanlagen herstellt, die Produktion von Asphaltmischanlagen aufnimmt, um mit Wibau umfassend zu konkurrieren“.419 Mittels Befragung der Konkurrenzunternehmen fand das Amt aber heraus, dass die „Möglichkeiten des Zugangs zum Inlands markt der Asphaltmischanlagen für neue Wettbewerber“ als „ausgesprochen negativ“ von Konkurrenten beurteilt wurden.420 Das Argument des Verfahrensbevollmächtigten über zukünftige Konkurrenz auf dem Markt durch Liebherr wurde somit durch die vom Amt ermittelten Befragungsergebnisse erschüttert. An diesem Beispiel lässt sich besonders prägnant erkennen, dass das Bundeskartellamt im Rahmen seiner Informationsverarbeitung den Aussagegehalt diverser Angaben unterschiedlich gewichtete. So wurden wenig hilfreiche Angaben der beteiligten Unternehmen, beispielsweise, dass streng genommen „sogar die Schubkarre, mit der Beton transportiert wird, als Substitu 418 Untersagungsbeschluss vom 03.03.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 464– 492, 479. 419 RA IBH an BKartA vom 30.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 56–65, 63. 420 Alfelder Eisenwerke an BKartA vom 17.07.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 82–85, 83; Ammann Ima GmbH an BKartA vom 13.08.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 102–104, 103.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
tionsmöglichkeit“421 für Betonpumpen angesehen werden könne, als geringer verwertbar eingestuft und stattdessen auf Aussagen der Wettbewerber ausgewichen. Die von den Unternehmen geäußerte Kritik an der Undurchsichtigkeit der Informationsbeschaffung des Amtes durch Befragungen422 wurde vom Bundeskartellamt berücksichtigt. Der Akte IBH/Wibau kann entnommen werden, dass das Amt alle ermittelten Informationen in die Prüfung einfließen ließ, auch die Kritik. Zwar ging das Amt dazu über, Marktanteile so weit wie möglich selbst zu errechnen,423 versuchte aber, dabei auftretende Unstimmigkeiten mit den Unternehmen zu klären. Die Differenz der vom Amt errechneten zu den vom Verfahrensbevollmächtigten eingereichten Marktanteile ließ sich bei IBH/Wibau gleichwohl auf Fehler der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen bei der Informationsübermittlung zurückführen,424 womit deren Kritik obsolet wurde. Aufgrund dessen erhöhte das Bundeskartellamt die Gewichtung der Konkurrenzinformationen bei dieser Fusionsprüfung. So waren befragte Dritte unter der Bedingung der streng vertraulichen Behandlung aller Zahlenangaben auch zu deutlich umfangreicherer Datenpreisgabe bereit als noch in den 1970er Jahren.425 Sie gaben zwischenzeitlich, nach Etablierung des Bundeskartellamtes als „Wettbewerbshüter“, ihre Bedenken gegen eine Fusion freiwillig an das Amt weiter.426 Befragungen 421 RA
IBH an BKartA vom 30.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 56–65, 61. „Nach unserer Kenntnis gibt es keine Gesamtumsatzstatistik […]. Wir bitten deswegen um Erläuterung, wie Sie zu Ihren Angaben betreffend das Inlandsmarktvolumen gekommen sind.“ RA IBH an BKartA vom 16.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 181–198, 183. 423 Das BKartA errechnete das Inlandsmarktvolumen aus den Umsatzangaben der befragten Wettbewerber. Aus dem Verhältnis der Umsatzerlöse der einzelnen Wettbewerber zu dem auf diese Weise ermittelten Inlandsmarktvolumen errechnete das Amt die Marktanteile, siehe BKartA an RA IBH vom 27.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 199–203, 200 f. 424 Die Differenz der vom Amt errechneten und vom RA eingereichten Marktanteile ergab sich aus Sicht des Amtes aus zwei Gründen: Erstens das von Wibau geschätzte und vom Amt ermittelte Marktvolumen wich ab, zweitens die Rechnung von Wibau berücksichtigte unterschiedliche Produktabgrenzungen. Während deren Rechnung für 1975–1976 komplette Anlagen und Aggregate umfasste, war für 1977–1979 nur die komplette Anlage berücksichtigt, womit sie die Produkte unterschiedlich abgrenzten, hierzu BKartA an RA IBH vom 27.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 199–203, 200 f. 425 Bspw. Marini-Vertrieb an BKartA vom 12.05.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 246–247, 247. 426 So teilte ein Unternehmen mit: „In den letzten Jahren sind schon mehrere Wettbewerber durch Konkurs oder Einstellen der Produktion ausgeschieden. Die Wibau war seit eh und je der stärkste Anbieter auf dem deutschen Markt. Durch den Zusammenschluß IBH/Wibau ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die Dominanz der Wibau erdrückend wird. Die jüngste Verkaufspolitik der Wibau läßt einen Verdrängungswett422 Bspw.:
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements187
spielten bei der Informationsverwertung somit stets eine Rolle. So wollte sich das Bundeskartellamt bei seiner Erwartungsentscheidung auch bei Hüls/ Condea nicht nur auf Schätzungen und Vermutungen zurückziehen und kündigte den Beteiligten deshalb bereits im Vorverfahren an, sowohl die Wettbewerber als auch die Kunden der verfahrensbeteiligten Unternehmen zu befragen.427 Bei Messer Griesheim/Buse wird anhand der Informationsverarbeitung ersichtlich, dass die Beschlussabteilung ihre Entscheidung zur Marktbeherrschung auf Erkenntnisse aus einem anderen Verfahren (Linde/Agefko) stützen wollte und die Befragungen der Wettbewerber dazu nutzte, um heraus zufinden, ob sich seither Änderungen auf dem Markt ergeben hatten. Ins besondere Klein- und Mittelunternehmen äußerten damals ihre Bedenken gegenüber der geplanten Fusion, weil damit der letzte unabhängige Kohlensäure-Lieferant wegfalle und sich dadurch automatisch Nachteile ergäben, da ihre Wettbewerber im Luftgasesektor dann auch gleichzeitig ihre Wettbewerber im Kohlensäuresektor seien.428 Dabei musste sich das Bundeskartellamt auch mit seinen – von den Befragten als Fehlurteil kritisierten – früheren Fusionsentscheidungen auseinandersetzen. Die Beschlussabteilung hatte sodann ihre Meinung aufgrund der Befragungen bereits fest gebildet, als sie noch im Informationsaustausch mit den beteiligten Unternehmen stand. Zwar erfassten die Beamten alles von den Unternehmen Vorgetragene und versprachen, dass man alles „nochmals sorgfältig prüfen werde“, aber die Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass man an der „vertretenen Auffassung festhalte“.429 Die Befragungen zog das Amt aber nicht durchgängig und einheitlich für seine Prognose heran, wie anhand Bayer/Firestone zu erkennen ist. Zwar empfand es das Bundeskartellamt „für das Wettbewerbsverhalten von Bayer/ Buna aufschlußreich, daß gerade von kleineren Firmen […] Zweifel an einer marktbeherrschenden bzw. marktführenden Stellung geäußert“ wurden.430 bewerb erkennen.“ Marini-Vertrieb an BKartA vom 12.05.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 246–247, 247. Auch weitere Wettbewerber gingen von einer Verstärkung aus und man fürchtete, dass „die Bindung der Wibau an die IBH zu einer Verstärkung der Marktsituation der Wibau führen“ würde, vgl. Joseph Vögele AG Mannheim an BKartA vom 11.05.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 252–254, 254. 427 Besprechungsvermerk vom 06.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 20–22, 21. 428 Stellungnahmen von Wettbewerbern an BKartA von April bis Juli 1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 272–275; 288 f.; 300; 327; 400; 628. 429 Besprechungsvermerk vom 21.07.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 793– 796, 796. 430 Vermerk des BKartA über Telefongespräche mit Abnehmern, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 53–54, 54.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Als Bayer den Ausgang dieser Befragung aber als Argument für ihr Fusionsvorhaben nutzen wollte, entgegnete das Amt, dass diese Befragung eine untergeordnete Rolle bei der Bewertung spiele. Die Beschlussabteilung gab „aus Erfahrung zu bedenken, daß nicht alles, was die Abnehmer als Wettbewerb bezeichnen, tatsächlich als Wettbewerb im Sinne des Gesetzes zu bewerten sei“.431 Es sei vielmehr wichtig, „Daten über Wettbewerber, Kapazitäten, Wettbewerbsaktivität zu erhalten, die eine andere Beurteilung recht fertigen“.432 Somit wurden im Rahmen der untersuchten Verfahren Auskünfte befragter Dritter nur dann verwertet, wenn sie auf objektiven Daten beruhten und mit anderen Daten abgeglichen werden konnten. Insbesondere bei Linde/Agefko fällt die vermehrte Überprüfung jeglicher Informationen, die dem Amt zukamen, auf. Die Beschlussabteilung vertraute keiner einzelnen Quelle allein, sondern bezog sich bei ihrer Entscheidung auf mehrere übereinstimmende Aussagen und Expertenmeinungen.433 So ging die Kartellbehörde, entgegen der Unternehmensangaben, von einer Substi tuierbarkeit aus, weil korrespondierende Angaben von Wettbewerbern und unabhängigen Stellen als glaubwürdiger eingestuft wurden als die übermittelten Informationen und Gutachten, die die beteiligten Unternehmen einreichten.434 Durch die Befragungen konnte das Bundeskartellamt zum Teil auch feststellen, dass die von den Unternehmen übermittelten Informationen teilweise „völlig falsch“ oder Aussagen „nicht ausnahmslos richtig“ waren.435 Befragungen wurden demnach nicht nur zu Generierungszwecken genutzt, sondern auch zur Absicherung von Informationen.
431 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120– 122, 122. 432 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120– 122, 122. 433 Das wird insbesondere anhand der Bestimmung, ob Substituierbarkeit zwischen Kohlenstoffdioxyd und technischen Gasen bestand oder nicht, was sich auf die Marktanteilszuwächse auswirkte, deutlich, vgl. Besprechungsvermerk vom 21.08.1985, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 363–364. 434 Das Amt verwies hierzu auf die „Erdgas-Schwaben“-Entscheidung des BGH. Dass „zwischen den Gasen eine echte Entscheidungsalternative für den Anwender besteht“, ergab sich auch aus den Firmenstellungnahmen. Die eingereichten Gutachten widersprachen dieser Annahme nicht, hierzu Besprechungsvermerk vom 13.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 468–470. 435 Vermerk des BKartA vom 21.10.1985 über ein Gespräch in der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe am 10.10.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 733; Vermerk des BKartA vom 18.12.1985 über ein Gespräch in der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt Berlin am 15.11.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1289.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements189 4. Zwischenergebnis
Im Rahmen der Informationsverarbeitung lässt sich anhand der Verfahrensakten erkennen, dass die Marktanteile der Unternehmen von vorrangiger Bedeutung waren, was auf die Ausgestaltung der Fusionskontrolle zurückzuführen ist. Da die Marktanteile sowie weitere Informationen von den Unternehmen auch geschätzt werden konnten, führte dies zu einem Problem des Amtes auf Verwertungsebene. So ging das Bundeskartellamt bei Vorliegen von geschätztem Datenmaterial dazu über, seine Ermittlungsbefugnisse zu mobilisieren bzw. den Auskünften befragter Dritter höheres Gewicht beizumessen.
B. Behördeninternes Wissen Kurz nach Einführung der Fusionskontrolle waren informelle Verfahren besonders präsent.436 Auch die Etablierung des Zusageverfahrens begann bereits kurz nach Inkrafttreten der Zusammenschlusskontrolle.437 Wie gezeigt werden konnte, war das informelle Vorgehen insbesondere auch dem Informationsmanagement bzw. der anfänglichen Informationsasymmetrie geschuldet. Nunmehr soll herausgearbeitet werden, ob ein Zusammenhang zwischen der Etablierung des Fusionskontrollverfahrens und einer Vergrößerung des Wissensspeichers des Bundeskartellamtes mit dem Rückgang der Aushandlungsbereitschaft des Amtes bestand. Es wird davon ausgegangen, dass die Behörde intern Wissen sammelte; was allerdings konkret gespeichert wurde, war oftmals unklar. Dies zeigt sich etwa daran, dass das Amt in den 1980er Jahren vermehrt behördeninternes Wissen nutzte und bei zu untersuchenden Fusionsvorhaben heranzog. Das im Amt gespeicherte Wissen war jedoch nicht öffentlich, insbesondere weil keine Verpflichtung zur Veröffentlichung der nicht untersagten Zusammenschlüsse bestand (§ 58 GWB 1973). Vor dem Hintergrund dieser Problematik einer undurchsichtigen Verarbeitung von Behördeninterna soll anhand der Verfahrensakten analysiert werden, welchen Stellenwert behördenintern akkumuliertes Wissen hatte und ob bzw. wie dieses Wissen instrumentalisiert werden konnte. Die Tatsache, dass das Bundeskartellamt über behördenintern gespeichertes Wissen verfügte, ist bereits der Verfahrensakte Veba/Gelsenberg aus den frühen 1970er Jahren zu entnehmen. Daran kann rekonstruiert werden, dass das Bundesministerium für Wirtschaft sich in diesem Verfahren an die Kar436 Hierzu 437 Hierzu
5. Kap. B. 5. Kap. B. III. 3.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
tellbehörde wandte, mit der Frage, ob man im Bundeskartellamt „über Unterlagen zu der beabsichtigten Fusion ‚VEBA-Gelsenberg‘ verfüge, die Aufschluß über die Marktstellung dieser Unternehmen und etwaige marktstarke Stellungen geben könnten“.438 Das Bundeskartellamt sicherte zu, sich „im Amt umzuhören“ und dem Bundesministerium für Wirtschaft „etwaige vorhandene Unterlagen zukommen zu lassen“.439 Daraus wird ersichtlich, dass das Bundeskartellamt über internes Wissen verfügte. Dieses war gleichwohl nicht aktuell, da das Amt nur auf veraltete Informationen zurückgreifen konnte.440 Außerdem vermerkte das Bundeskartellamt zu den internen Informationen, dass diese „bestenfalls einen ersten groben Überblick über die künftige Marktstellung der Veba AG vermitteln“ könnten und „notwendige Angaben“ noch fehlten.441 Die Informationen waren also offenbar nicht erschöpfend und lückenlos. Es wurde aber nicht nur auf intern gespeichertes Wissen zurückgegriffen, sondern auch auf die amtsinterne Expertise in Form von Beratungen mit anderen Beschlussabteilungen. So beriet sich im Verfahren Veba/Gelsenberg die achte Beschlussabteilung gemeinsam mit der sechsten und siebten dahingehend, was man als Zusammenschluss betrachtete und was nicht.442 Auch im Verfahren der Bitumen-Verkaufsgesellschaft war eine benachbarte Abteilung sowohl Informant443 als auch Prüfer neben der zuständigen achten Beschlussabteilung.444
438 Telefonvermerk
des BKartA vom 06.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 6. des BKartA vom 06.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 6. 440 BKartA an BMWi vom 29.06.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 1–2, 2: „Bei Vergaserkraftstoff hatten 1970 (neuere Daten liegen nicht vor) die unter 1. genannten Unternehmen […] einen Anteil von [Prozentzahl im Dokument geschwärzt; V. H.] am inländischen Gesamtabsatz […]. Unter der Voraussetzung, daß seit 1970 keine Veränderungen eingetreten sind, läge damit der Anteil der zu bildenden VEBA-Gruppe in unmittelbarer Nähe der Marktbeherrschungsvermutung des § 22 Abs. 3 Nr. 1 in der Fassung der Novelle zum GWB.“ 441 Vermerk des BKartA vom 21.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 16–18, 16. 442 BKartA an BMWi vom 29.11.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 85–86: „nach Beratung und Koordinierung mit der 6. und 7. Beschlußabteilung“. 443 Abt. W2 an B8 vom 08.03.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 168: „Im Nachgang zu den bereits übersandten Fragekatalogen, Besprechungsvermerken sowie dem vorläufigen Gutachten vom 08.02.74 übersende ich anbei die erbetene Stellungnahme“. 444 Die Abt. W wurde auch ergänzend noch um Stellungnahmen zum Vorhaben gebeten. Diese prüfte auch die nachgereichten Unterlagen und stellte dabei fest, dass die Verbesserungen „insgesamt nicht überzeugend und in einzelnen Punkten unklar bis widersprüchlich“ waren, Abt. W2 an B8 vom 24. u. 30.04.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 220, 221–225. 439 Telefonvermerk
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Neben der amtsinternen Expertise der anderen Abteilungen griff die jeweils zu prüfende Beschlussabteilung auch auf frühere Fusionsentscheidungen zurück. Beispielsweise zog das Amt bei IBH/Wibau Informationen aus anderen Fusionsverfahren zu Prüfungszwecken heran.445 Der Akte Bayer/ Firestone hingegen kann entnommen werden, dass von den Unternehmen eingereichte vertrauliche Informationen in separaten Ordnern gesammelt wurden,446 womit die Daten auch für eine spätere Begutachtung in anderen Fusionsverfahren unverzüglich zur Verfügung standen. So recherchierte das Bundeskartellamt beispielsweise in einer weiteren Verfahrensakte aus einer vorangegangenen Fusionsprüfung von Bayer.447 Das Amt speicherte demnach intern die Unternehmensangaben für zukünftige Verwertungen. Durch dieses Vorgehen konnten Marktanteilsentwicklungen rekonstruiert und die Daten abgeglichen werden. Mittels Speicherung und Verwertung behördeninternen Wissens bestand auch die Möglichkeit, dass Manipulationsversuche reduziert werden konnten; Unternehmen konnten Daten nicht mehr so einreichen, dass sie – über die realen Begebenheiten hinaus – eine Fusion begünstigten, sondern mussten Rücksicht auf den bereits bestehenden Datenfundus des Amtes nehmen. Behördeninterne Datenspeicherung und -verwertung brachte beispielsweise für Linde bei der geplanten Fusion mit Agefko gravierende Nachteile hervor: Das Bundeskartellamt teilte den Beteiligten mit, „[d]ie Beschlußabteilung verfüge über umfangreiche Marktdaten aus älteren Verfahren der 3. und 8. Beschlußabteilung zum Gasemarkt, nach denen die Linde nach der Messer-Griesheim eine führende Position auf dem Markt für technische Gase habe“.448 Zu dem herangezogenen Datenmaterial gehörten erstens weitere Fusionsvorhaben der beteiligten Unternehmen,449 zweitens Presseartikel aus anderen Verfahrensakten zu den beteiligten Unternehmen,450 drittens die Un-
445 Das BKartA hatte parallel eine weitere Zusammenschlussanzeige einer 100 %igen Tochter der IBH, die Hanomag GmbH, welche das gesamte Vermögen der Firma Massex-Ferduson-Hanomag Inc. & Co. (MFH) erwarb, vgl. RA IBH an BKartA vom 27.02.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 127–139. 446 So gab es auch vertrauliche Handakten, in welche die Antworten mit Geschäftsgeheimnissen einsortiert wurden, siehe Vermerk des BKartA ohne Datum, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 54c. 447 Vermerke und Anlagen des BKartA aus dem Verfahren Bayer/Metzeler, Az. B6 63/74; in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 157–161; 162–163. 448 Besprechungsvermerk vom 24.06.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 131– 140, 132. 449 Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens Linde/Industriegase GmbH & Co. KG vom 28.05.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 8–14. 450 Chemie und Umwelt vom 06.03.1984 aus Akte B3 62/83, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 183.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
ternehmenszahlen der Vergangenheit,451 viertens einzelne Befragungen aus vorangegangenen Verfahren452 sowie schließlich fünftens Informationen aus Tätigkeitsberichten des Bundeskartellamtes.453 Das Amt berücksichtigte auch Zeugenaussagen ehemaliger Mitarbeiter von Agefko über die „Spielregeln“ des konkreten Marktes,454 was wegen der nachvertraglichen Treuepflichten der Befragten auf vehemente Kritik der beteiligten Unternehmensvertreter stieß.455 Auch bei der geplanten Fusion Messer Griesheim/Buse zeitigten Informationen aus früheren Fusionsverfahren für die Unternehmen nachteilige Wirkungen: Das Bundeskartellamt war überzeugt, man müsse sich „ähnliche Fragen stellen wie in den früheren Zusammenschlußfällen Linde/ Agefko“ sowie „L’Air Liquide/Agefko und Aga/Rommenhöller“.456 Da dieselben Märkte betroffen waren wie bei Linde/Agefko, zog das Amt die Akte dieses Verfahrens sowie weitere in Zusammenhang stehende Akten zur Beurteilung hinzu.457 Die aus den Akten von benachbarten Fusionsvorgängen zusammengetragenen Informationen machten eine anschließende Untersagung unumgänglich. Als Paradebeispiel dafür, dass behördeninternes Wissen für die Unternehmen im Laufe der Jahre gravierende Nachteile hervorbringen konnte, dient das Verfahren Linde/Lansing Ende der 1980er Jahre. Zwar wusste Linde, dass die Behörde die Daten speicherte und die Unternehmen dem Amt inzwischen gut bekannt waren,458 machte aber dennoch Aussagen, die zu früheren 451 Kundengruppenstatistik 1961 der Stahlflaschen Treuhand, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 381. 452 Befragung eines ehemaligen Mitarbeiters der Agefko aus dem Jahre 1982, Besprechungsvermerk vom 08.09.1982, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 985–991. 453 Das BKartA stützte sich bei der beabsichtigten Untersagung explizit auf seinen TB aus dem Jahre 1983/84, BT-Drucks. 10/3550, S. 32 f.; Abmahnschreiben des BKartA vom 03.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 392–415, 414. 454 Der Zeuge klärte die Beschlussabteilung auf Nachfrage über die „Spielregeln“ des konkreten Marktes auf, welche auf „eine jahrzehntealte Verbands- und Kartell tradition“ zurückging, vgl. Besprechungsvermerk vom 08.09.1982, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 985–989. 455 Agefko u. Linde an BKartA vom 09.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1112 f. 456 BKartA am BMWi vom 06.04.1989, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 190–191, 190. 457 Antworten auf Unternehmensbefragungen bei Linde/Agefko, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 44–52; Linde an BKartA vom 11.07.1985 aus Az. B3 54/85, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 641–643; Besprechungsvermerk aus Az. B3 65/88, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 617–619. 458 Schon der RA der Linde gab an, die „Linde AG ist der Beschlußabteilung genauestens bekannt“, und verwies auf andere Zusammenschlussverfahren, die in der Vergangenheit angemeldet wurden, Anmeldung RA Linde vom 20.09.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 1–38, 2.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements193
Angaben in einem Fusionsvorhaben im Widerspruch standen:459 So versuchte Linde, die Beschlussabteilung im Rahmen der Marktabgrenzung davon zu überzeugen, von einem Gesamtmarkt auszugehen, obwohl Linde vier Jahre zuvor selbst noch von einzelnen selbstständigen Märkten ausgegangen war.460 Man wollte dadurch bezwecken, dass der Marktanteilszuwachs dann nicht so groß gewesen wäre wie bei einzelnen selbstständigen Märkten. Das Bundeskartellamt ließ sich aber aufgrund seiner bereits behördenintern vorliegenden Informationen nicht auf eine neue Marktabgrenzung ein, auch weil Linde sich in ihrer Marktabgrenzung selbst widersprach.461 Dies spiegelt die Anwendung von akkumuliertem Wissen des Bundeskartellamtes aus alten Verfahren wider. Aufgrund des angewachsenen umfassenden und vielschichtigen Informationswissens der Behörde verloren die Unternehmen zunehmend Spielräume im Rahmen der Informationsübermittlung. Vorteile einer in den 1970er Jahren noch bestehenden Informationsasymmetrie existierten im Rahmen des Quellenkorpus in den 1980er Jahren bereits nicht mehr. Aber nicht nur die Behörde nutzte das intern bereits erlangte Wissen, sondern auch die Unternehmen. Zum einen umgingen sie die Gefahr, abweichende Unterlagen einzureichen, und verwiesen beispielsweise auf behörden intern bereits vorliegende Daten, welche sie nur noch ergänzten.462 Zum anderen nutzten sie Feststellungen des Amtes aus ihren vorherigen Verfahren beim Bundeskartellamt ebenfalls für ihre Zwecke.463 Das Bundeskartellamt 459 So führte der RA Linde beispielsweise aus, er hätte in der „Anmeldung […] zum relevanten Markt Aussagen gemacht, die u. U. als widersprüchlich zu den früheren Aussagen verstanden werden können. Um Mißverständnisse auszuschließen, nehmen wir deshalb hierzu noch einmal wie folgt Stellung […]“. RA Linde an BKartA vom 24.10.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 70–91, 76. 460 Abmahnschreiben des BKartA vom 14.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 346–365, 354. 461 Linde sagte in einem vorangegangenen Fusionsverfahren, dass es „keinen einheitlichen Markt geben [könne]“, Untersagungsbeschluss vom 03.03.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 464–492, 476. 462 Bayer führte etwa aus: Wegen der „gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 GWB zu machenden Angaben verweisen wir [i. e. Bayer, V. H.] auf die bei Ihnen vorliegenden aktualisierten Daten, in denen die der Bunawerke Hüls GmbH gesondert aufgeführt sind“. Anmeldung Bayer an BKartA vom 21.05.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 3–19, 5. Auch Hüls verwies das BKartA auf bereits im Haus vorliegende Daten, welche sie lediglich ergänzten: „[…] verweisen wir zunächst auf die in Ihrem Hause über den VEBA-Konzern geführten Akten. Ergänzend teilen wir Ihnen mit, daß […]“, Hüls an BKartA vom 02.06.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 8–17, 8. 463 Bayer verwies bzgl. der „noch nicht erwähnte[n] Substitutionsmöglichkeit zwischen Natur- und Synthese-Kautschuk“ auf das Verfahren Bayer/Metzeler, bei dem die 6. Beschlussabteilung „unter Zugrundelegung eines Substitutionsverhältnisses von einem Drittel Natur-Kautschuk und zwei Dritteln Synthese-Kautschuk festgestellt“ hatte, dass Bayer „bei Synthese-Kautschuk wesentlichem Wettbewerb ausgesetzt“
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
ließ sich dadurch jedoch nicht übervorteilen und begegnete diesen Versuchen mit weiteren Informationsanfragen. Die Behörde behielt sich selbst vor, zu entscheiden, welche Akten dem Verfahren hinzugezogen wurden und welche nicht.464 Die Kartellbehörde sorgte demnach dafür, dass behördeninternes Wissen nur insoweit eingesetzt wurde, wie sie es selbst zulassen wollte. Ebenfalls ist den Verfahrensakten zu entnehmen, dass das Bundeskartellamt aus eigenen Fehlern bei vorangegangenen Fusionsverfahren lernte. Ein solcher Lernprozess zeigt sich beispielsweise an einem Problem, das erstmals 1980 im Verfahren Bayer/Firestone entstand: Da das Bundeskartellamt sich bei Anmeldung des Fusionsvorhabens nicht die Vollmachten vorlegen ließ, konnte eine ordnungsgemäße Zustellung nicht erfolgen. Bayer teilte dem Bundeskartellamt mit, dass sie für Firestone nicht zustellungsermächtigt seien.465 Da der Rechtsanwalt der Firestone ebenfalls mitteilte, keine allgemeine Verfahrensvollmacht zu haben und nicht zustellungsbevollmächtigt zu sein,466 konnte der Untersagungsbeschluss nicht an Firestone weitergegeben werden.467 Das Bundeskartellamt veröffentlichte den Beschluss zwar im Bundesanzeiger468 und versuchte trotzdem die Zustellung über den Prozessbevollmächtigten469 – aber ohne Erfolg. Bayer hingegen versuchte in weiteren Gesprächen das Amt dazu zu bringen, die Untersagung zurückzunehmen, und kündigte andernfalls an, „das Beschwerdeverfahren durchzuführen“ und „sämtliche Möglichkeiten der Rechtsverteidigung auszuschöpfen“.470 Das war, Besprechungsvermerk vom 23.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 142–147, 144. 464 Das Amt teilte mit: „Im übrigen bestehe keine Veranlassung, die Feststellung der B6 im Zusammenhang mit dem Fall Bayer/Metzeler hier zu berücksichtigen“; Besprechungsvermerk vom 23.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 142–147, 146. 465 Bayer an BKartA vom 26.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 99–99a, 99. 466 RA Firestone an BKartA vom 26.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 98. 467 U. a. deshalb wurde der Untersagungsbeschluss im Rechtsstreitverfahren vom Kammergericht aufgehoben, KG, 26.11.1980, WuW/E OLG 2411 ff. – synthetischer Kautschuk I. 468 BKartA an Bundesanzeiger Verlag vom 26.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 104. Das Kammergericht hatte jedoch Zweifel an den Modalitäten der öffent lichen Bekanntmachung und war der Auffassung, die Verfügung sei Firestone nicht zugestellt worden, vgl. KG, 26.11.1980, WuW/E OLG 2411, 2414 – synthetischer Kautschuk I. 469 Das BKartA versuchte die Untersagung zuzustellen, indem ein Vertreter des Amtes die Unterlagen am Empfangstresen der Kanzlei ablegte. Der RA fragt, ob das BKartA auf eine Rücksendung dieser Unterlagen Wert lege, was das BKartA verneinte, hierzu RA Firestone an BKartA vom 29.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 111–112; RA Bayer an BKartA vom 02.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 118. 470 Telefonvermerk des BKartA vom 20.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 179–180, 180.
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements195
Bundeskartellamt war sich der Tatsache bewusst, dass es die Zustellungsvo raussetzungen betreffend überlistet wurde und die Untersagungsfrist nun mangels Fristverlängerung und erfolgloser Zustellung abgelaufen war. Dennoch ließ sich das Amt nicht mehr zur Rücknahme des Untersagungsbeschlusses bewegen und entgegnete gegenüber Bayer, man habe die Einleitung eines Beschwerdeverfahrens „zur Kenntnis genommen und angekündigt, daß die Beschlußabteilung die Akte nunmehr abschließen und dem Kammergericht übersenden wird“.471 Auf nochmalige Nachfrage teilte das Amt mit, dass „die Entscheidung für die Beschlußabteilung nunmehr endgültig sei“.472 Der Vorfall resultierte darin, dass sich das Amt bei zukünftigen Fusionsverfahren stets umgehend die Verfahrensvollmacht der jeweiligen Fusionsanmelder in Kopie zukommen ließ.473 Somit kann festgestellt werden, dass behördeninterne Informationen und auch behördliche Lernprozesse eine wichtige Rolle in der Entscheidungsfindung hatten. Die Informationsasymmetrien konnten durch behördeninternes Wissen, insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre, reduziert werden, was zur Grundlage der Untersagung bei einigen Fusionsvorhaben wurde.
C. Instrumentalisierung der Öffentlichkeit Neben internem Wissen nutzte das Bundeskartellamt die Öffentlichkeit für seine Zwecke. Dadurch konnte es zum einen auf wirtschaftspolitischer Ebene intervenieren,474 zum anderen auch die Unternehmensebene erreichen. Bereits vor Etablierung der Fusionskontrolle nutzte das Bundeskartellamt die Unterrichtung der Allgemeinheit in zunehmendem Maße als Lenkungsmittel.475 Presseinformationen wurden instrumentalisiert, um Termine von Anhörungsverfahren kundzutun und öffentlich bekannt zu machen, gegen wen Bußgelder in welcher Höhe verhängt wurden oder beispielsweise ein Miss471 Telefonvermerk des BKartA vom 20.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 179–180, 180. 472 Telefonvermerk des BKartA vom 20.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 179–180, 180. 473 RA Linde an BKartA vom 03.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 385–386; RA Preussag/Agefko an BKartA vom 04.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 387– 389; BKartA an Verfahrensbevollmächtigte vom 05.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 183–186; RA Buse an BKartA vom 20.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 229–231; RA Buse Gase an BKartA vom 24.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 299; RA Messer Griesheim vom 26.04.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 432; RAe an BKartA vom 15.09., 30.12.1988, 09.02. u. 03.03.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 39; 223–224; 325–327; 458–460. 474 Siehe hierzu 3. Kap. B. I. 475 Hierzu Kloepfer, Information als Intervention in der Wettbewerbsaufsicht, S. 5.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
brauchsverfahren eingeleitet wurde.476 In der Literatur wurde angenommen, dass dadurch zum Beispiel kartellrechtliche Missbräuche bereits ohne nähere Ermittlungen unterbunden werden konnten, einzig durch die öffentliche Ankündigung von Ermittlungen durch das Amt.477 Die Unternehmen kritisierten dieses Vorgehen massiv, insbesondere die öffentliche Kundgabe erlassener Bußgeldbescheide mit Namensnennung stieß auf Gegenwehr durch die Unternehmen, die ihre Namen nicht mit negativer Presse in Verbindung gebracht sehen wollten. Dabei sprach man teilweise sogar von einer Pranger-Praxis und Verfassungsbruch.478 Das Amt aber ließ sich nicht davon abbringen, die Öffentlichkeitsarbeit auch im Fusionskontrollverfahren als wirksames Mittel zu nutzen. In den amtlichen Tätigkeitsberichten beispielsweise veröffentlichte das Bundeskartellamt, unter Kritik aus der Wirtschaft, sog. „Hitlisten“, in welchen aufgeführt wurde, welche Unternehmen an wie vielen Zusammenschlüssen beteiligt waren.479 Informationen konnten somit durch Öffentlichkeitsarbeit behördlich instrumentalisiert werden. Regelungen, die dies untersagten, fanden sich im GWB nicht. Von besonderer Bedeutung für die dargestellte Vorgehensweise sind die Tätigkeitsberichte des Bundeskartellamtes (§ 50 GWB 1973/80). Das Bundeskartellamt hatte den Auftrag, durch seine Tätigkeitsberichte über die Lage und Entwicklung seines Aufgabengebiets zu berichten, d. h. über die allgemeine Wettbewerbslage. Der Auftrag beinhaltete aber zugleich auch die Chance zur öffentlichen Meinungsbildung, indem man in den Darstellungen bestimmte Informationen unterschiedlich gewichten konnte.480 Die untersuchten Verfahrensakten zeigen anschaulich, dass sich die Unternehmen der Öffentlichkeitswirkung bewusst waren, sowohl während des Verfahrens als auch nach dessen Beendigung durch Untersagung. Die Tatsache, dass die Unternehmen Bedenken dahingehend hatten, welche Informationen das Bundeskartellamt veröffentlichte und welche nicht, kann prägnant dem Untersagungsverfahren Veba/Gelsenberg aus dem Jahre 1973 entnommen werden: So bat die Anmelderin der Fusion die Kartellbehörde „um Abstimmung vor der Veröffentlichung der Gründe [i. e. des Untersagungsbeschlusses, V. H.], da insbesondere auch von der VEBA Bedenken
Das Bundeskartellamt, S. 120. Information als Intervention in der Wettbewerbsaufsicht, S. 5. 478 Vgl. nur o. A., „Publizitätspolitik des Bundeskartellamtes ohne rechtsstaatliche Kontrolle, Kritik an Berliner Behörde berechtigt“, Handelsblatt vom 12.06.1972, S. 3 f. 479 Bspw. TB des BKartA im Jahre 1981/82, BT-Drucks. 10/243, S. 16. 480 Vgl. 3. Kap. B.; Kloepfer, Information als Intervention in der Wettbewerbsaufsicht, S. 7. 476 Ortwein,
477 Kloepfer,
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements197
über die Publizität von Gesellschaftsinterna geltend gemacht worden sind“.481 Hierzu führte das BFM der Veba gegenüber aus: „Die BKartA-Beschlüsse werden bekanntlich veröffentlicht, in Fachzeitschriften kommentiert usw. Ich habe deshalb mit dem BKartA die Frage erörtert, ob einzelne im Beschluß enthaltene Bemerkungen, Zahlenangaben usw., die betriebsinterne Daten enthalten, unkenntlich gemacht werden könnten. Das BKartA ist grundsätzlich bereit, diese Frage zu prüfen, macht die Erfüllung von Löschungswünschen allerdings davon abhängig, daß damit die Lesbarkeit des Beschlusses und die Logik der Beweisführung nicht beeinträchtigt werden.“482
Dieses Vorgehen bezeichnete man als „redaktionelle Korrektur“.483 Da beispielsweise vermieden werden sollte, dass der „Marktanteil von Gelsenberg errechnet werden kann“,484 wurden die „Zahlenangaben des Beschlusses der B8 vom 7.1.74 in dieser Sache so gelöscht“.485 Sodann wurde am gleichen Tag der begründete Untersagungsbeschluss dem Pressereferenten zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.486 Das Entgegenkommen des Bundeskartellamtes durch das Einverständnis zur Löschung kann anhand der Tatsache erklärt werden, dass es sich bei der Anmelderin dieses Zusammenschlussverfahrens um die Bundesrepublik Deutschland handelte. Den anderen Verfahrensakten waren keine „redaktionellen Korrekturen“ zu entnehmen. Dass die Unternehmen jedoch auch während des Verfahrens die Öffentlichkeitsaufmerksamkeit fürchteten, ist im Jahre 1980 anhand der Verfahrensakte IBH/Wibau zu erkennen: Darin führte der Prozessbevollmächtigte aus, er möchte „noch erwähnen, daß der Artikel im ‚Spiegel‘ vom 6.4.1981 ‚Kartellamt bremst Esch‘ und die daran anschließende Erörterung der angekündigten wahrscheinlichen Maßnahmen des Amtes in der allgemeinen Wirtschaftspresse für Wibau zu erheblichen Schwierigkeiten geführt hat“.487 Man wisse „natürlich nicht, aus welcher Quelle der ‚Spiegel‘ seine Informationen von der beabsichtigten oder erwogenen Untersagung hat. Wir [i. e. IBH und Wibau, V. H.] haben auf seiten der Beteiligten alle befaßten Personen noch einmal um absolut vertrauliche Behandlung der Angelegenheit gebeten und 481 Telefonvermerk des BKartA mit BMWi vom 03.01.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 228. 482 BFM an Veba vom 23.01.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 302–303. 483 BFM an Veba vom 23.01.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 302–303, 303. 484 Man habe die „nicht zur Veröffentlichung geeigneten Zahlenangaben durch Einklammerung mit Rotstift kenntlich gemacht“, Gelsenberg an BFM vom 04.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 334–335, 335. Im Übrigen wollte die Veba alle Streichungen der Gelsenberg entsprechend auch bei sich vornehmen lassen, Veba an BFM vom 01.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 342–343. 485 Vermerk des BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 361. 486 Vermerk des BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 361. 487 RA IBH an BKartA vom 16.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 181–198, 198.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
wären dankbar, wenn dies auch auf seiten des Amtes bis zur Entscheidung gewährleistet wäre. Die wirtschaftliche Lage der Wibau ist nicht so, daß sie eine – gegebenenfalls gegenstandslos werdende – Diskussion über Erwägungen des Amtes schadlos verkraften kann“.488
So wurde das Bundeskartellamt indirekt beschuldigt, Informationen an die Presse weitergegeben und dadurch dem Unternehmen geschadet zu haben. Ob dies der Fall war bzw. woher die Presse ihre Informationen hatte, konnte damals nicht aufgeklärt werden. Es zeigt aber deutlich die Angst der Unternehmen vor schädigenden Wirkungen durch Bekanntwerden vertraulicher Informationen in Zusammenhang mit einem Unternehmenszusammenschluss. Die Unternehmen waren sich dem Druck der Öffentlichkeit jederzeit bewusst; wenn es sich bei dem jeweils angemeldeten Vorhaben um eine noch zu vollziehende Fusion handelte, präferierte man deshalb das informelle Vorgehen.489 Sofern das Vorhaben jedoch schon bekannt oder sogar vollzogen war, konnte das Bundeskartellamt aus einer Öffentlichkeitsarbeit deutlich weniger Vorteile ziehen. Eine Presseinformation über die Untersagung nebst Gründen wurde nach Abschluss des Verfahrens stets durchgeführt,490 obwohl dem Amt zu diesem Zeitpunkt keine Verfahrensvorteile mehr erwachsen konnten. Auch noch Ende der 1980er Jahre wurde beispielsweise bei Linde/ Lansing eine Presseinformation herausgegeben und im öffentlichen Beschluss sogar die Höhe der von den Unternehmen zu tragenden Gebühr explizit benannt.491 Zum einen bewirkte ein solches Vorgehen, dass das Procedere transparenter gestaltet wurde, zum anderen brachte es eine gewisse Abschreckungswirkung dahingehend hervor, dass Unternehmensfusionen erst dann formell angemeldet wurden, wenn diese in Einklang mit den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften waren. Es kann mithin festgehalten werden, dass die Öffentlichkeitsunterrichtung ein weiteres vom Amt mobilisiertes Mittel im Rahmen der Fusionskontrollprüfung war. Zwar war die Einleitung von Untersagungsverfahren immer mit Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamtes verknüpft, aber durch deren 488 RA
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IBH an BKartA vom 16.04.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 181–198,
489 Hierzu
5. Kap. B. Presseinformation Nr. 14/81, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 353; Bekanntmachung der Untersagung Linde/Agefko, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1305– 1306; Presseinformation Nr. 5/88 vom 03.08.1988 zu Messer Griesheim/Buse, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 919–921. 491 Diese betrug 70.000,- DM, vgl. Untersagungsbeschluss Linde/Lansing vom 03.03.1989, WuW/E BKartA 2363, 2369. Die Gebühr für das Fusionsvorhaben Veba/ Gelsenberg hingegen, an welchem die BRD beteiligt war, wurde nicht veröffentlicht und in der vom BKartA der Verfasserin zur Verfügung gestellten Verfahrensakte geschwärzt. 490 BKartA
6. Kap.: Errichtung des Informationsmanagements199
Instrumentalisierung erweiterte das Bundeskartellamt im Rahmen des Quellenkorpus sein Repertoire im Fusionskontrollverfahren und verringerte die Ungleichheit der Ausgangslage, die aufgrund anfänglicher Informations asymmetrien bestand.
D. Zusammenfassung Im Rahmen der Informationsermittlung durch das Bundeskartellamt kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die Unternehmen Anfang der 1970er Jahre aufgrund bestehender Informationsasymmetrien im Vorteil waren. Daraus entwickelten sich unterschiedliche Taktiken der Unternehmen: Entweder gab man Informationen basierend auf Schätzungen und teilweise sogar falsche Informationen heraus oder das Bundeskartellamt wurde mit Informationen überhäuft. Dies war möglich, weil die Informationsbeschaffung zu Beginn der 1970er Jahre überwiegend unternehmensgesteuert war. Zurückgeführt werden kann die Informationsasymmetrie darauf, dass die Wettbewerber und Abnehmer auf Auskunftsersuche der Behörde zurückhaltend reagierten und zu Auskünften nur in geringem Umfang und widerwillig bereit waren. Hierdurch erhielten die beteiligten Unternehmen die Möglichkeit, auf Fusionsentscheidungen Einfluss zu nehmen. Oftmals wurde diese Möglichkeit etwa durch diverse Fehlinformationen und Schätzungen auch wahrgenommen – innerhalb der untersuchten Verfahren allerdings erfolglos, da die Fusionen schlussendlich untersagt wurden. Anhand der Verfahrensakten ist jedoch ersichtlich, dass diese Unternehmenssteuerung im Laufe der Jahre durch Eigenermittlungen des Bundeskartellamtes zurückging, was der Verfestigung der Fusionskon trolle und der damit einhergehenden vermehrten Auskunftsbereitschaft der befragten Wettbewerber geschuldet war. Dies resultierte anschließend in der Errichtung des Informationsmanagements. Durch die Beständigkeit des Amtes und die von ihm vereinzelt nach Androhung auch erlassenen Auskunftsbeschlüsse, wurde die Etablierung der informellen Auskunftsersuche ermöglicht. Die Etablierung der Befragungspraxis im Rahmen der Ermittlungsstrategie war aufgrund der freiwilligen Auskünfte Dritter ein Durchbruch für das Bundeskartellamt. Dies beruht darauf, dass die Fusionskontrolle gesetzlich an objektive Daten anknüpfte, Informationen folglich zur wertvollsten Ressource im Rahmen der Fusionskontrolle wurden und Informationen erforderlich waren, damit das Amt überhaupt rechtskräftig untersagen konnte. Zudem hatte das Bundeskartellamt nach über zehnjähriger Praxis der Fusionskontrolle Kenntnisse von und über diverse Märkte und Unternehmen sammeln können, wodurch das Amt die Ermittlungen effektiver gestalten konnte.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Als die Fusionskontrolle eine höhere Anerkennung erfuhr und das Bundeskartellamt nicht mehr mit umfangreichem Misstrauen zu kämpfen hatte, konnte es durch Befragungen von Dritten die Einflussmöglichkeiten der Unternehmen auf den Untersagungsprozess minimieren. Auch die Vermutungsregelungen hatten Einfluss auf den Untersagungsprozess dahingehend, dass diese vom Amt unterstützend bei der Instrumentalisierung der beabsichtigten Untersagung herangezogen werden konnten. Dabei versuchte das Amt, aufgrund der Vermutungsregelungen stets objektive Kriterien in seiner Erwartungsentscheidung zu verarbeiten, wozu betriebswirtschaftliche Argumente nicht zählten. Ungenaue oder falsche Angaben führten im Rahmen der Informationsverarbeitung dazu, dass das Amt die Relevanz dieser Informationen als gering einstufte. Eine höhere Gewichtung erfuhren dann die vom Amt unabhängig ermittelten Informationen. Insoweit zog es überwiegend Befragungen von Wettbewerbern und Abnehmern der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen heran. Deren Auskünfte verwertete es aber nur, wenn sie auf objektiven Kriterien beruhten. Insbesondere Ende der 1980er Jahre wurden Aussagen und Gutachten auf ihre Übereinstimmung hin überprüft, um Differenzen und Fehlinformationen herauszufiltern. Insgesamt versuchte das Bundeskartellamt, sich bei der Auswertung von Informationen auf objektiv ermittelbare und von ihm selbst überprüfte Kriterien, wie z. B. die Marktanteile, zurückzuziehen. Sofern dies nicht möglich war, versuchte die Behörde, das vorhandene Material nutzbar zu machen, und untersagte zum Teil auch ohne erschöpfende Informationsverarbeitung, beispielsweise vorsorglich aufgrund eines drohenden Fristlablaufs, sofern die Unternehmen einer Verlängerung nicht zustimmten. Auch die Verwendung des Amtes von akkumuliertem Wissen aus behörden internen Informationen sowie deren Speicherung und Verwertung trugen zur Prognosefindung bei. Die Informationsasymmetrien konnten durch behörden internes Wissen, insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre, auf ein Minimum reduziert werden. Zudem fürchteten die Unternehmen die Instrumentalisierung der Öffentlichkeit durch das Amt. Da die fusionierenden Unternehmen insbesondere dann die Öffentlichkeit meiden wollten, wenn die Fusion noch nicht abgeschlossen, geschweige denn publik war, war die Öffentlichkeitsinstrumentalisierung des Bundeskartellamtes zu dieser Zeit noch besonders erfolgversprechend. Aber auch noch während und nach den Untersagungsverfahren fürchteten die Unternehmen das Bekanntwerden bestimmter Daten. Das Bundeskartellamt veröffentlichte nämlich stets eine Presseinformation zur jeweiligen Untersagung und informierte weitergehend durch seine Tätigkeitsberichte, auf welche die Unternehmen keinen Einfluss nehmen konnten. Diese Öffentlichkeitsarbeit stieß häufig auf Unbehagen seitens der Unternehmer, die bis zur Erreichung eines gewissen Grads an Planungs- und Ent-
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung201
scheidungssicherheiten lieber im Verborgenen vorgingen. Das erklärt das im Rahmen des Quellenkorpus vermehrt informelle Vorgehen, da in diesem Stadium auch keine Informationen Dritter eingeholt wurden. Sofern das Vorhaben jedoch den Status eines formellen Verfahrens bekam, ermittelte das Amt trotz der erleichternden Vermutungsregelungen in alle Richtungen. 7. Kapitel
Die Erwartungsbildung und -entscheidung Nachdem bereits die informellen Verfahren und kooperativen Regelungsmechanismen sowie die Errichtung des Informationsmanagements betrachtet wurden,492 soll abschließend geklärt werden, wie genau die Behörde im Rah men eines offiziellen Untersagungsverfahrens zu der in § 24 Abs. 1 GWB 1973493 normierten Erwartungsentscheidung hinsichtlich der Entstehung oder Verstärkung von Marktbeherrschung gelangte. Diese Entscheidung erforderte vom Amt eine „Gesamtbeurteilung aller relevanten Umstände“,494 wobei für das jeweilige Fusionsvorhaben sog. „strukturelle Merkmale“ der betroffenen Märkte identifiziert und bewertet werden mussten.495 Neben den gesetzlich vorgegebenen Vermutungsregelungen konzentrierte sich das Bundeskartellamt demnach auf besondere Kriterien zur Beurteilung des Marktes, welche es stets einzelfallabhängig definierte. Durch diese einzelfallabhängige Definition gab das Amt gleichzeitig den Umfang und Inhalt eines tauglichen Gegenbeweises im Rahmen der Abwägungsklausel vor.496 Zwar hatte die Behörde bei Vorliegen der Vermutungsvoraussetzungen „allen von den Unternehmen substantiiert vorgebrachten Einwänden“ nachzu gehen;497 das Amt gab aber gezielte Hinweise, was man als Gegenvermutung bzw. Entkräftung der strukturellen Merkmale akzeptieren würde und was nicht.498 492 Hierzu
5. Kap. u. 6. den §§ des GWB 1958 siehe Anlage C, GWB 1965 siehe Anlage D, GWB 1973 siehe Anlage G; GWB 1980 siehe Anlage H. 494 Regierungsentwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 22; BGH, 02.12.1980 – KVR 1/80 – BGHZ 79, S. 62 ff. – Klöckner-Becorit; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 24 Rn. 32; Kleinmann/Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, § 24 Rn. 12. 495 Vgl. Pahlow/Rassow, JWG, S. 343, 361. 496 Pahlow/Rassow, JWG, S. 343, 361. 497 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft vom 21.02.1980 zum Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des GWB, BT-Drucks. 8/3690, S. 26; Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft vom 13.06.1973, BT-Drucks 7/765 (zu Drucks. 7/696), S. 6. 498 Pahlow/Rassow, JWG, S. 343, 361. 493 Zu
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Deshalb werden die Akten nachfolgend im Hinblick auf eben diese strukturellen Voraussetzungen und Kriterien analysiert, die zur Untersagung des Vorhabens führten. Dabei wird herausgearbeitet, wie das Amt die Informa tionen zu Prognoseentscheidungen im Rahmen der Fusionskontrolle verwertete. Hierfür werden zunächst anhand der jeweils untersuchten Untersagungsentscheidung die Beurteilungskriterien der Marktbeherrschung (A.) herausgefiltert, um anschließend wettbewerbspolitische oder -theoretische Auswirkungen auf die Fusionskontrollentscheidung zu extrahieren (B.). Daran anknüpfend werden die Ergebnisse zusammengefasst (C.).
A. Die Beurteilung von Marktbeherrschung Die Fusionskontrolle knüpfte an den dritten Abschnitt des GWB mit dem Titel „Marktbeherrschende Unternehmen“ und damit direkt an die Beurteilung von Marktmacht an. Eine solche Anknüpfung überrascht nicht, weil sie bereits zu den Vorarbeiten des GWB im Regierungsentwurf vorgesehen war.499 Dabei oblag es dem Bundeskartellamt festzustellen, wann Marktbeherrschung vorlag und wann nicht. Das Amt verfügte bereits bei Erlass der Fusionskontrollnorm 1973 über Erfahrung mit der Beurteilung von Marktmacht i. S. d. Gesetzes. Da der Wirtschaftsausschuss dem Vorschlag der SPD, im GWB nähere Definitionen der Begriffe „marktbeherrschendes Unternehmen“ und „wesentlicher Wettbewerb“ aufzunehmen, nicht nachkam, blieb es auch weiterhin dem Amt überlassen, mit dem Begriff der Marktbeherrschung umzugehen.500 Die Durchführung der Fusionskontrolle folgte dem Marktmachtkonzept: Marktbeherrschung wurde demnach in zwei Schritten eruiert. In einem ersten Schritt wurde der Markt abgegrenzt (I.) und in einem zweiten Schritt versucht, den Beherrschungsgrad der Unternehmen auf dem jeweiligen Markt festzustellen (II.). Dabei konnten beide Schritte nicht isoliert betrachtet werden, da die Marktabgrenzung bereits Einfluss auf den zu eruierenden Beherrschungsgrad nahm. I. Marktabgrenzung Die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes war von großer Bedeutung für den Ausgang der Untersagungsprüfung. Das sich in der Praxis 499 § 17 des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158, S. 8, abgedruckt in Anlage B; vgl. hierzu 1. Kap. 500 Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses vom 10.06.1965, BTDrucks. IV/3533, S. 5.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung203
durchgesetzte Bedarfsmarktkonzept501 ging auf die Ökonomen Abbott502 und Arndt503 zurück. Danach wurde der relevante Markt aus Sicht der Marktgegenseite, d. h. der Nachfrager, abgegrenzt. Hierfür wurden Erzeugnisse, die aus Sicht der Nachfrager zur Deckung ihrer Bedürfnisse dienten, d. h. austauschbar waren, einem Markt zugeordnet.504 Dementsprechend hatte das Bundeskartellamt die Substitutionsmöglichkeiten auf den Märkten zu beurteilen. Daran orientierte sich die Kartellbehörde spätestens, seitdem diese Grundlinie vom Kammergericht Ende der 1960er Jahre vorgegeben wurde.505 Entsprechend prüfte das Amt Substitutionsmöglichkeiten auch im Rahmen der 1973 normierten Fusionskontrolle. Auch Teilmarktabgrenzungen waren möglich, weil sich die Austauschbarkeit aus Sicht verschiedener Marktstufen- und Abnehmergruppen differenziert darstellen konnte.506 Daraus ergaben sich diverse Probleme dahingehend, dass zur Befragung der „richtigen“ Nachfrager ebendiese zuvor bestimmt werden mussten, wozu man bereits wissen musste, wie der relevante Markt beschaffen war.507 Die Krux ist, dass eben diese Marktzuordnung wiederum erst mit der Befragung geklärt werden sollte. Ob dies einen Zirkelschluss darstellte,508 soll anhand der Verfahrensakten untersucht werden. Dabei ist der Frage nachzugehen, welche Kriterien zur Marktabgrenzung in den Amtsakten herangezogen wurden, ob die Marktabgrenzung nach ökonomischen Theorien verlief und ob bzw. inwiefern der Marktabgrenzung bereits ein prognostischer Charakter innewohnte. Den Verfahrensakten kann entnommen werden, dass die Beurteilung des relevanten Marktes gesetzestreu nur innerhalb des Geltungsbereichs des GWB gem. § 98 Abs. 2 GWB 1973 erfolgte, d. h. beschränkt auf die Bundesrepublik Deutschland.509 501 Teilweise auch „Konzept der funktionalen Austauschbarkeit aus Sicht der Abnehmer“ genannt, vgl. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 509. 502 Abbott, Quality and Competition, S. 95 ff., 108. 503 Arndt, JbNSt 1958, S. 217 ff.; ders., JbNSt, S. 362 ff. 504 Vgl. Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 270, der darauf hinweist, dass der Ansatz zwar nicht für die kartellrechtliche Marktabgrenzung gedacht war, von der Praxis aber schnell zu diesem Zweck aufgegriffen und ergänzt wurde. 505 KG, 18.02.1969, WuW/E OLG 995, 995 f. – Handpreisauszeichner; vgl. hierzu auch BGH, 03.07.1976, WuW/E BGH 1435, 1440 – Vitamin-B-12. 506 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 510. 507 Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 51; Traugott, WuW 1998, S. 929, 935 f. 508 So Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 271, der aber gleichzeitig darauf hinweist, dass die „Zirkelschlussproblematik nicht überbezeichnet werden“ sollte. 509 Die Beschränkung auf die BRD galt auch für die Beurteilung der Abwägungsklausel, vgl. Leitsatz Nr. 9 des Untersagungsbeschlusses Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, WuW/E BKartA 1457 ff.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Im Verfahren Veba/Gelsenberg aus dem Jahre 1973 beispielsweise unterteilte das Amt den Zusammenschluss zunächst in Bereiche510 und grenzte dann die Märkte511 innerhalb dieser Bereiche ab.512 Befragungen wurden hierzu nicht durchgeführt. Da noch während des Untersagungsverfahrens die Herbeiführung einer Ministererlaubnis vorbereitet wurde, spielte die Marktabgrenzung des Bundeskartellamtes für die Unternehmen zunächst keine Rolle, weshalb es nicht zu Auseinandersetzungen diesbezüglich kam. Anders verhielt es sich bei den restlich geprüften Fusionsverfahren, bei denen die Abgrenzung mittels Unternehmensauskünften der Fusionsanmelder und Befragungen bei Wettbewerbern durch das Bundeskartellamt erfolgte, wie beispielsweise im Jahre 1973 bei der Bitumen-Verkaufsgesellschaft und 1980 bei IBH/Wibau. Zwar agierten die befragten Abnehmer und Wettbewerber der beteiligten Unternehmen in den 1970ern bzgl. Auskünften gegenüber der Kartellbehörde im Verfahren der Bitumen-Verkaufsgesellschaft noch zurückhaltend, teilten dem Bundeskartellamt aber mit, man habe „den Eindruck, daß das Bundeskartellamt von einem Bitumenmarkt als relevanten Markt [ausgehe]. Ein solcher Markt existiert jedoch u. E. nicht“.513 Die Wettbewerber der fusionswilligen Unternehmen halfen sodann bei Auskünften zu kartellrechtlich relevanten Märkten und Substitutionsprodukten,514 was der Kartellbehörde die Marktabgrenzung vereinfachte. Im Untersagungsbeschluss unterteilte das Bundeskartellamt sodann die Märkte für Straßenbaubitumen (destilliertes Bitumen) und Industriebitumen (oxidiertes Bitumen).515 Bei der Marktabgrenzung im Verfahren IBH/Wibau ging man der Frage nach der Austauschbarkeit zwischen Asphalt- und Betonmischanlagen nach. Hierfür holte man Informationen sowohl von den beteiligten Unternehmen516 als
510 Elektrizitätsbereich, Mineralölbereich, Bereich Binnenschifffahrt, Handelsbereich für Brennstoffe. 511 Märkte für Strom, leichtes Heizöl, schweres Heizöl, Phthalsäureanhydrid und Para-Xylol. 512 Vermerk des BKartA vom 21.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 16–18; Vermerk des BMWi vom 24.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 32–41; Untersagungsbeschluss Veba/Gelsenberg vom 07.01.1974, WuW/E BKartA 1457 ff. 513 Deutsche Shell AG an BKartA vom 04.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 85–89, 88. 514 Esso AG an BKartA vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 103–106, 105. 515 Untersagungsbeschluss Bitumen-Verkaufsgesellschaft vom 29.05.1974, WuW/E BKartA 1517, 1518. 516 Diese mussten „zur Frage der Marktabgrenzung“ unter bestimmten Gesichtspunkten Stellung nehmen, vgl. BKartA an RA IBH vom 03.06.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 34–35, 34.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung205
auch von der Konkurrenz ein.517 Die befragten Wettbewerber spielten bei der Marktabgrenzung sodann aber eine hervorzuhebende Rolle, weil das Bundeskartellamt den Markt mit deren Hilfe abgrenzte. So stellte das Amt fest, „Asphaltmischanlagen bilden einen eigenen sachlich relevanten Markt, da sie aus Sicht der Nachfrager durch andere Produkte nicht ersetzt werden kön nen“.518 Diese Auffassung vertraten sie dann auch im veröffentlichten Untersagungsbeschluss.519 In anderen Verfahren zeigt sich jedoch, dass das Amt die von den Unternehmen in der Anmeldung vorgenommene Marktabgrenzung anerkannte und für die weitere Prüfung übernahm, wenn auf den Märkten bereits unpro blematisch die Vermutungskriterien erfüllt waren und die Unternehmen diese nicht abstreiten konnten, wie etwa im Verfahren Bayer/Firestone im Jahre 1980. Bayer übermittelte mit der Anmeldung Informationen darüber, in welchen Produktsortimenten die Unternehmen tätig waren, und unterteilte die Märkte sodann selbst.520 Weil nur auf zwei von diesen Märkten die Vermutungskriterien des § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB 1973 erfüllt waren, teilte das Bundeskartellamt mit, dass diese betroffen seien.521 Sofern also bereits die Abgrenzung durch die beteiligten Unternehmen mit deren Anmeldung zur Erfüllung der Vermutungsregelungen ausreichte, wurden vom Bundeskartellamt hinsichtlich der Marktabgrenzung keine weiteren Ermittlungen durchgeführt. Da die Marktabgrenzung von den Unternehmen herrührte, gab es diesbezüglich auch keinen Streit zwischen den Beteiligten.
517 Telefonvermerk des BKartA vom 12.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 17–18. Ein befragtes Unternehmen teilte beispielsweise mit: „Eine solche Abgrenzung ist nach Ansicht von [einem Mitarbeiter der Firma Alfelder, V. H.] weder exakt möglich noch im Hinblick auf den Markt sinnvoll“, Telefonvermerk des BKartA mit Alfelder am 13.02.1981 in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 107. 518 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 144 f. 519 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1893: „Asphaltmischanlagen bilden einen eigenen sachlich relevanten Markt, da sie aus der Sicht der Nachfrager durch andere Produkte nicht ersetzt werden können. Dies gilt auch im Verhältnis zu Betonmischanlagen, weil diese zur Herstellung von bituminösem Mischgut nicht geeignet sind. […] Dies gilt unabhängig davon, ob Asphalt und Beton für Zwecke des Straßenbaus in einem Substitutionsverhältnis stehen“, weil die auftragvergebende Straßenbaubehörde entschied, was eingesetzt wird, nicht das Unternehmen. Zum „Markt der Asphaltmischanlagen gehören sowohl komplette Anlagen als auch Aggregate“. 520 Bayer unterteilte die Märkte in: Teppichsektor, Reifensektor, Technische Gummiartikel u. Kunststoffsektor, vgl. Anmeldung Bayer an BKartA vom 21.05.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 3–19, 10. 521 Besprechungsvermerk vom 22.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 54d–e, 54d.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Den übrigen Verfahren, insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre, können allerdings Differenzen zur Marktabgrenzung entnommen werden. Bei Hüls/ Condea im Jahre 1986 konnte sich das Amt einem Streit zur Marktabgrenzung, welcher sich bereits vom Vorverfahren bis zur Untersagung hinzog,522 gänzlich entziehen: Das Bundeskartellamt stellte fest, dass beide Unternehmen die Voraussetzungen für Marktbeherrschung erfüllten und somit unberücksichtigt bleiben könne, dass die Märkte für lineare sowie semi-lineare Alkohole einerseits und verzweigte und teilverzweigte Alkohole andererseits eigenständige Märkte darstellten.523 Dadurch musste sich das Bundeskartellamt nicht auf einen Standpunkt festlegen und untersagte das Vorhaben anhand des Marktes für „Tensidalkohole“, wobei es dahinstehen ließ, ob durch den Zusammenschluss auch weitere Märkte betroffen waren.524 Daran kann deutlich erkannt werden, dass es im Bereich der chemischen Industrie zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Marktabgrenzung kommen konnte. Die Kartellbehörde konnte gleichwohl in den Verfahren Linde/Agefko aus dem Jahre 1985 sowie Messer/Griesheim und Linde/Lansing aus dem Jahre 1988 Konfrontationen im Rahmen der Unstimmigkeiten zur Marktabgrenzung nicht vermeiden. Bei Linde/Agefko wurde die Marktabgrenzung erst thematisiert, als die Unternehmen von der beabsichtigten Untersagung erfuhren. Die beteiligten Unternehmen versuchten offensichtlich par force, die Untersagung abzuwenden. Noch kurz vor Untersagungsverkündung wollte man das Amt davon überzeugen, dass man nicht Kohlendioxid (CO2) als Markt abgrenzte, d. h. nicht das Produkt an sich, sondern die unterschiedlichen Verwendungszwecke jeweils als Markt abgrenzen müsste, wie Schweißen oder die Behandlung von Lebensmitteln.525 Damit wäre Agefko auf mehreren Märkten tätig gewesen. Das Amt folgte dieser Argumentation aber nicht und quittierte den Vorschlag handschriftlich mit „nein!“, zumal die Unternehmen bei ihrer Anmeldung ebenfalls nicht dieser Abgrenzung folgten, sondern den „Markt für technische Gase und Kohlensäure“ abgrenzten.526 Deshalb sah das Bundeskartellamt die Aufspaltung des Marktes „nach einzelnen Verwendungszwecken“ weder als möglich noch sachgerecht an, 522 Besprechungsvermerk vom 19.07.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 37–41, 39; Hüls an BKartA vom 11.08.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 70–79, 78; Hüls an BKartA vom 09.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 152–166, 152; Besprechungsvermerk vom 12.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 203–205, 204; Hüls an BKartA vom 22.09.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 206–209, 209. 523 BKartA an Hüls vom 28.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 97–101, 97. 524 Untersagungsbeschluss vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 343– 351, 349r. 525 RA Preussag/Agefko an BKartA vom 16.10.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 620–653, 621 f. 526 Anmeldung RA Linde vom 31.05.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1–7, 3.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung207
„da die Anbieter insoweit keine unterschiedlichen Marktstrategien durchführen können“.527 Daran orientierte sich das Amt sodann auch im Verfahren Messer Griesheim/Buse, welches eine Similarität zum Verfahren Linde/ Agefko aufwies. Sachlich relevante Märkte bildeten ebenfalls Stickstoff, Schweißmischgase und Kohlensäure.528 Trotz bestehender Substitutionsmöglichkeiten von Kohlensäure mit Stickstoff und mit Schweißmischgasen ordnete man sie nicht demselben Markt zu, da es aufgrund abweichender Eigenschaften nur in bestimmten Anwendungsgebieten zur parallelen Anwendung kommen konnte.529 Die Kartellbehörde blieb mithin bei ihrer bereits im Verfahren Linde/Agefko vertretenen Auffassung zur Marktabgrenzung und ließ sich bei bereits festgestellten Tatsachen nicht von einer anderen Sichtweise überzeugen. Im Verfahren Linde/Lansing gab es Auseinandersetzungen bei der Markt abgrenzung, weil die Unternehmen der Meinung waren, dass „Hochhubwagen und Schubmaststapler ebenso wie Hochregalstapler und Vertikal-Kommissionierer demselben Markt angehören“ und sie nicht jeweils eigenen Märkten zugeordnet werden können.530 Das Bundeskartellamt teilte den Unternehmen hierzu bereits in der ersten Besprechung mit, dass es von einer engeren Marktabgrenzung ausging, als die Unternehmen bei ihrer Anmeldung vortrugen.531 Zum einen hatte Linde selbst in einem vergangenen Verfahren die Märkte noch enger abgegrenzt, zum anderen lag bei einer umfassenderen Marktabgrenzung der Marktanteil unterhalb der Monopol vermutung.532 Insgesamt trug Linde sogar drei mögliche Alternativen der Marktabgrenzung vor, das Amt hingegen blieb bei der engen Auffassung, weil die von ihm befragten Wettbewerber und auch Linde selbst in einem vergangenen Verfahren die Märkte entsprechend eng abgegrenzt hatten.533 527 BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 29.11.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1062–1104, 1076. 528 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887, 849 ff. 529 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887, 849 f. 530 RA Linde an BKartA vom 24.10.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 70–91, 73 f. 531 Besprechungsvermerk vom 24.10.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 114– 116, 114: „Die in der Anmeldung vorgenommene Marktabgrenzung in einem relevanten Markt für Flurförderzeuge mit Hubgerüst und einem relevanten Markt für Flurförderzeuge ohne Hubgerüst ist insofern richtig, da es hier keine Substitution gibt. Da rüber hinaus ist eine weitere engere Abgrenzung möglich.“ 532 Besprechungsvermerk vom 02.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 306– 309, 307. 533 Abmahnschreiben des BKartA vom 14.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 346–365, 348, 345.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Anhand dessen wird ersichtlich, wie unterschiedlich die Märkte in ein und demselben Verfahren abgegrenzt werden konnten und welchen Einfluss die Marktabgrenzung auf die Beurteilung der Marktbeherrschung nehmen konnte. Dies lag auch an den Vermutungsregelungen, die jeweils erst ab einer bestimmten Datenschwelle erfüllt waren. Der Marktabgrenzung wohnte demnach bereits ein prognostischer Charakter inne, was sowohl dem Bundeskartellamt als auch den Unternehmen bewusst war. Übereinstimmende und einheitliche Kriterien zur Marktabgrenzung zog die Behörde nicht heran. Vielmehr orientierte sie sich zunächst an den von den Unternehmen übermittelten Daten und Abgrenzungen und befragte anhand des Datenmaterials sodann Unternehmen, die in denselben Sektoren tätig waren. Resümierend lässt sich deshalb festhalten, dass das Bundeskartellamt versuchte, die Krux bei den Umfragen zu umgehen, indem es zunächst Bereiche nach Produktsortiment abgrenzte und anschließend die Befragungen anhand dieser großflächig gefassten Bereichsabgrenzung mit Hilfe der von den Unternehmen vorgetragenen Daten vornahm. Somit gab es auch keinen Zirkelschluss bei den Befragungen. An ökonomisch vorgegebenen Theorieschritten orientierte sich das Amt bei der Marktabgrenzung hingegen nicht, weil sich diese in der Praxis als ungeeignet herausgestellt hatten. Das Bundeskartellamt berücksichtigte im Rahmen des Bedarfsmarktkonzepts allerdings die Substitutionsmöglichkeiten, um Märkte voneinander abzugrenzen. Dies ist jedoch nicht auf eine Theorie an sich zurückzuführen, sondern auf die Rechtsprechung der 1960er Jahre.534 II. Feststellung der Marktbeherrschung auf dem abgegrenzten Markt Nachdem der relevante Markt abgegrenzt wurde, musste das Amt die Marktmacht der fusionswilligen Unternehmen auf dem abgegrenzten Markt bestimmen. Als Berechnungsmethode schlugen Mikroökonomen das theoretische Konzept des Lerner-Index vor,535 welches jedoch nicht die endgültige Lösung darstellte und deshalb im Laufe der Zeit immer stärker ausdifferenziert wurde. Zwar war der Lerner-Index aus wirtschaftstheoretischer Sicht geeignet, um Preissetzungsspielräume beherrschender Unternehmen zu taxieren. Allerdings war dieser Ansatz nicht geeignet zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob ein 534 BGH, 05.02.1968 – KVR 1/67 – BGHZ 49, S. 367 ff. Rn. 32 – Fensterglas II; vgl. 4. Kap. A. I. 1. 535 Lerner, The Review of Economic Studies 1934, S. 157–175; eingehend zum Lerner-Index siehe Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, S. 54 ff.; Markopoulos, Juristische und ökonomische Prognosemethoden, S. 20 ff.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung209
Unternehmen marktbeherrschend ist oder nicht.536 Problematisch war die Fokussierung auf den Parameter ‚Preis‘, wodurch marktstrukturelle Faktoren ausgeklammert wurden.537 Eine Hürde – wie bei fast jeder ökonomischen Theorie – waren die in der Realität anzutreffenden Informationsdefizite seitens der Beurteilenden, also der Beamten der Kartellbehörde. So war es in der Praxis beispielsweise nicht möglich, die Grenzkosten538 eines Unternehmens mit der notwendigen Präzision zu messen, da sie sogar den Unternehmen selbst in der Regel unbekannt waren.539 Praktische Hilfe aus der Ökonomik bei der Bestimmung von Marktmacht erhielt das Amt somit kaum. Aber nicht nur auf Berechnungshilfen seitens der Ökonomik musste das Bundeskartellamt verzichten, auch wurde der Begriff der ‚Marktbeherrschung‘ vom KG und dem BGH bereits Mitte der 1960er Jahre durch die sog. Mosaikmethode weitestgehend zur Worthülse abgewertet.540 Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie das Bundeskartellamt Marktmacht beurteilte. Dabei erfolgte die Feststellung der Marktbeherrschung in den Akten zweigliedrig. Primär wurden stets die Marktanteile berücksichtigt (1.) und anschließend weitere Strukturmerkmale in die Analyse einbezogen (2.). 1. Marktbeherrschung und Marktanteile
Das Bundeskartellamt achtete bei der Feststellung von Marktbeherrschung auf die Höhe der Marktanteile, deren Abstände innerhalb eines Oligopols bzw. zum nächstgrößten Wettbewerber und deren langfristige Entwicklung. Generell kann festgestellt werden, dass das Kriterium der Marktanteile eine entscheidungsleitende Funktion der Beurteilung von Marktbeherrschung des Bundeskartellamtes hatte. Bei der Bitumen-Verkaufsgesellschaft 1973 war bereits der zugrunde gelegte hohe Marktanteil für die Annahme der Marktbeherrschung ausschlagge536 Vgl.
Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 263. Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 285. 538 Analytisch betrachtet sind die Grenzkosten gleich der Steigung der Gesamtkostenfunktion, vgl. Steven/Piekenbrock, in: Gabler Wirtschaftslexikon, online im Internet: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/grenzkosten-33270/version-25 6797 [Stand: 02.08.2021]. 539 Hierzu Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2. Aufl., S. 263 f.; Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 192. 540 Hierzu bereits 5. Kap. A.; vgl. ferner KG, 28.12.1966, WuW/E OLG 813 ff. – Fensterglas V; BGH, 05.02.1968 – KVR 1/67 – BGHZ 49, S. 367 ff. Rn. 32 – Fensterglas II; TBe des BKartA in den Jahren: 1967, BT-Drucks. V/2841, S. 17; 1968, BT-Drucks. V/4263, S. 12; 1970, BT-Drucks. VI/2380, S. 11. 537 Wurmnest,
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
bend.541 In diesem Verfahren hatte demnach ausschließlich der Marktanteil Auswirkung auf die Beurteilung des Bundeskartellamtes. Aber auch in den restlichen Verfahren wurde das Kriterium des Marktanteils zwar nicht ausschließlich, aber immernoch mit prägendem Einfluss berücksichtigt. Im Verfahren Veba/Gelsenberg 1973 nahm das Bundeskartellamt an, eine Verringerung der Marktanteilsabstände zwischen den bestehenden Oligopolisten führe zur Stabilisierung des Gleichgewichts zwischen ihnen. Dieses Gleichgewicht innerhalb des Oligopols lasse sodann „ein paralleles Verhalten und damit eine Schwächung der Wettbewerbsmöglichkeiten zwischen den Oligopolisten erwarten“.542 Parallelverhalten bedeutet, dass sich die Unternehmen dem Verhalten ihrer Mitbewerber anpassen. Somit knüpfte das Amt den Beherrschungsgrad an den Marktanteilsabstand und diesen wiederum an das Verhältnis innerhalb des Oligopols. Daran kann erkannt werden, dass das Amt in diesem Fall versuchte, angelehnt an Kantzenbach und die Gesetzesmaterialien,543 der Entstehung eines engen Oligopols entgegenzuwirken. Dass die Beurteilung der Marktbeherrschung erheblich von Marktanteilen und deren Verteilung abhing, brachte das Bundeskartellamt 1980 schließlich auch im Verfahren IBH/Wibau prägnant zum Ausdruck. So teilte die Kartellbehörde den Unternehmen mit: „Die Verteilung der Marktanteile belegt den hohen und steigenden Marktanteil von Wibau und […] den weiten Abstand gegenüber dem nächsten Wettbewerber.“544 Außerdem teilte das Amt unter Verweis auf eine BGH-Entscheidung545 mit, bei der dargelegten Marktstruktur käme „dem Marktanteil die für die Beurteilung der überragenden Marktstellung entscheidende Bedeutung zu. Der Marktanteil ist deshalb besonders aussagekräftig, weil er die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in der Vergangenheit ausweist und weitgehend den Verhaltensspielraum für die Zukunft ermessen läßt“.546
Da die Größe des Marktanteils und sein Abstand zum nächstgrößten Wettbewerber bei IBH/Wibau „derart ausgeprägt“ waren, leitete das Bundeskar541 Besprechungsvermerk vom 15.05.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 230– 233, 230. 542 Untersagungsbeschluss vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362– 374r, 367. 543 Vgl. 3. Kap. 544 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 146; Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1893. 545 BGH, 21.02.1978, WuW/E BGH 1501, 1503 – Kfz-Kupplungen. 546 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 148 f.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung211
tellamt unter Verweis auf die Rechtsprechung547 einen auf Dauer angelegten unbegrenzten Verhaltensspielraum der Unternehmen ab.548 Die Behörde stellte demnach explizit klar, dass die Beurteilung der Marktbeherrschung gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 von den Marktanteilen abhing. Anhand Bayer/Firestone kann rekonstruiert werden, dass sich das Bundeskartellamt insbesondere dann auf die Marktanteile zu Untersagungszwecken stützte, wenn die Marktbeherrschungsbeurteilung noch gar nicht abgeschlossen war. Da aufgrund der Marktanteile die Vermutungskriterien des § 22 Abs. 3 GWB 1973 erheblich überschritten waren, unterstellte das Amt dem Unternehmen eine Marktbeherrschung.549 Das Bundeskartellamt erörterte mit Bayer während einer Besprechung jedoch, dass im „Bereich der von der Abteilung nach Aktenlage festgestellten Marktbeherrschung“ noch „zusätz liche Betrachtungen in Frage kämen“,550 wozu es allerdings aufgrund des Fristablaufs nicht mehr kam. Deshalb stützte das Bundeskartellamt die Marktbeherrschung im Untersagungsbeschluss auf die hohen Gesamtmarktanteile Bayers, welche zur Bejahung der Vermutungsregelungen führten. Des Weiteren sei der Verhaltensspielraum nicht durch Wettbewerb eingegrenzt und die marktbeherrschende Stellung nicht durch aktuellen oder potentiellen Wettbewerb gefährdet.551 Diese festgestellte Marktbeherrschung war demnach nur das vorläufige Ergebnis des Amtes und führte während des Prüfungsverfahrens nicht zur endgültigen Feststellung, sondern wurde aufgrund der hohen Gesamtmarktanteile und der Vermutungsregelungen angenommen. Die Wirkungskraft der Marktanteile bei der Beurteilung der Marktbeherrschung erhöhte sich sodann ab den 1980er Jahren durch die qualifizierte Oligopolvermutung, mit der die Marktbeherrschung indiziert sein konnte. Bereits aus dem hohen Marktanteil und dem hohen Konzentrationsgrad des Marktes ergab sich auch bei Linde/Agefko die überragende Marktstellung, auf die sich das Amt bei der Untersagung stützte.552 Da die Marktanteile die Vermutungsschwelle des § 23a Abs. 2 GWB 1980 weit überschritten, stellte das Bundeskartellamt zudem zusätzlich „besonders hohe Anforderungen an 547 BGH,
02.12.1980 – KVR 1/80 – BGHZ 79, S. 62 ff. – Klöckner-Becorit. des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 149: „Ist die Größe des Marktanteils und sein Abstand zum nächstgrößten Wettbewerber derart ausgeprägt wie im vorliegenden Fall, so läßt sich allein da raus ein auf Dauer angelegter Verhaltensspielraum ableiten.“ 549 Besprechungsvermerk vom 22.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 54d–e. 550 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120– 122, 122. 551 Untersagungsbeschluss vom 23.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 86–97, 90. 552 Untersagungsbeschlussentwurf vom 13.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1155–1211, 1197, 1205. 548 Abmahnschreiben
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
die Widerlegung der Vermutung“.553 Gemäß der den Antragstellern obliegenden Beweislastumkehr aus § 23a Abs. 2 GWB 1980 hatten jene sodann „echte Wettbewerbshandlungen“ nachzuweisen.554 Ausschlaggebend für die Feststellung der Marktbeherrschung waren auch bei Hüls/Condea die Marktanteile. Diese lagen „wesentlich über der gesetzlich vermuteten Marktbeherrschungsschwelle nach § 23a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB“.555 Da die Behörde sich auf die qualifizierte Oligopolvermutung stützen konnte,556 blieb den Unternehmen nur noch der Gegenbeweis durch das Nachweisen strukturellen Wettbewerbs.557 Auch bei Messer Griesheim/Buse konnte sich das Bundeskartellamt für zwei abgegrenzte Märkte aufgrund der Marktanteile auf die qualifizierte Oligopolvermutung berufen, womit Marktbeherrschung auf diesen beiden indiziert war.558 Anhand dessen ist empirisch belegbar, dass die Verschärfung des Instrumentariums mit § 23a Abs. 2 GWB 1980 dem Bundeskartellamt die Beurteilung der Marktbeherrschung erheblich vereinfachte. Bei Linde/Lansing stellte das Amt den Marktbeherrschungsgrad überwiegend aufgrund der hohen Marktanteile von Linde und der damit einhergehenden Machtkonzentration fest, da die Marktanteile so hoch waren, dass das Amt die Marktbeherrschung auf die Monopolvermutung stützen konnte. Auch ein nur geringer Marktanteilszuwachs sprach nicht gegen die Anwendbarkeit der Fusionskontrolle. Linde verfügte nämlich bereits vor dem Zusammenschluss auf dem Markt für Gegengewichtsgabelstapler über eine überragende Marktstellung gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973, was aus den hohen Marktanteilen und dem großen Marktanteilsabstand von über 40 % zum nächstgrößeren Unternehmen folgte.559 Somit waren auch in diesem Verfahren die Marktanteile und der Marktanteilsabstand ausschlaggebend für die Beurteilung der Marktbeherrschung. 553 BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 30.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 487–504, 488. 554 Untersagungsbeschlussentwurf vom 13.12.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1155–1211, 1200. 555 Untersagungsbeschluss vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1155– 1211, 1200. 556 Siehe generell zur qualifizierten Oligopolvermutung bereits oben unter 5. Kap. A. II. 2. 557 Besprechungsvermerk vom 06.11.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 220– 223, 220. 558 Abmahnschreiben des BKartA vom 27.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 666–679, 667 ff. 559 Abmahnschreiben des BKartA vom 14.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 346–365, 354 f.; bei der Berechnung der Marktanteile legte die Beschlussabteilung die Angaben von 25 inländischen Anbietern zugrunde und folgte nicht den von Linde vorgetragenen Daten, weil diese auf Schätzungen beruhten, vgl. Untersagungsbeschluss vom 03.03.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 464–492, 477 ff.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung213
Alle untersuchten Verfahren belegen, dass sich das Amt im Rahmen der Marktmachtbeurteilung im Fusionskontrollverfahren größtenteils auf die Marktanteile stützte.560 Dies ist angesichts der gesetzlichen Ausgestaltung der Marktbeherrschungsnorm § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 sowie der Vermutungsregelungen § 22 Abs. 3 u. § 23a Abs. 1 u. 2 GWB 1973/80 nicht verwunderlich, schließlich verweisen diese hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit stets auf die Marktanteile. Nachdem das KG in den 1960er Jahren den Begriff der Marktbeherrschung in § 22 Abs. 1 Nr. 1 GWB 1973 zur Worthülse werden ließ, war es auch erforderlich, sich auf die Marktanteile zu stützen. Dieses Vorgehen stieß allerdings auf Kritik insbesondere der Unternehmen. So führte etwa der Verfahrensbevollmächtigte der Linde bei Linde/Agefko aus: Soweit „das Bundeskartellamt Marktanteile […] vorträgt, kann ich für meine Mandantin nur darauf hinweisen, daß es exakte Marktdaten nicht gibt“. Das Bundeskartellamt erkannte in dieser Aussage aber keine „erschöpfende Erwiderung“561 und räumte den Marktanteilen bei der Marktmachtbeurteilung gezwungenermaßen weiterhin eine hervorzuhebende Bedeutung ein. Die Marktanteile hatten bei der Beurteilung von Marktmacht stets eine leitende Funktion, womit auch erklärt werden kann, dass sich das Bundeskartellamt im Rahmen seiner Informationsermittlung auf eben dieses Kriterium fokussierte.562 2. Weitere marktrelevante Strukturmerkmale
Die Feststellung der Marktbeherrschung anhand der überragenden Marktstellung gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 kann in Anbetracht der Akten als die dominante Tatbestandsalternative bezeichnet werden. Der Gesetzgeber hob aber nicht nur die Marktanteile hervor, sondern ergänzte diese um eine nicht abschließende Liste weiterer Strukturmerkmale. Insbesondere weil es keine allgemeingültige Wettbewerbstheorie gab, die beim Vorliegen bestimmter Umstände einen zwingenden Schluss auf das Unternehmensverhalten zuließ,563 war die Analyse des Gesamtbildes von Wettbewerb bei der Prüfung unerlässlich. Die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung konnte nämlich auch dann erwartet werden, „wenn eine Addition von Marktanteilen nicht in Betracht“ kam,564 wie dies beispielsweise bei vertikalen oder konglomeraten Fusionen der Fall war. Dabei wurden insbe560 Dies deckt sich auch mit den Informationsermittlungen des Amtes, vgl. 6. Kap. A. I. 561 Handschriftliche Ergänzung des BKartA im Schreiben RA Linde an BKartA vom 15.10.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 569–619, 572. 562 Vgl. 6. Kap. A. I. 563 Hierzu 3. Kap. 564 BKartA an RA IBH vom 09.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 19–20, 20.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
sondere die im Verhältnis zu den Wettbewerbern „überragenden finanziellen, organisatorischen und technischen Ressourcen“ berücksichtigt, mithin Strukturmerkmale.565 Obwohl eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände erforderlich war, schloss das nicht aus, dass eines der in § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 genannten Strukturmerkmale dominant war und andere Merkmale vollständig zurücktraten, da die Strukturmerkmale nicht kumulativ vorliegen mussten. Insoweit stützte sich die Anwendung des § 22 GWB 1973 hauptsächlich auf Erfahrungssätze über unternehmerisches Verhalten in bestimmten Marktsituationen.566 Das dabei wichtigste Kriterium war, wie soeben gezeigt, der Marktanteil. Weitere Strukturmerkmale hatten gleichwohl auch eine erhöhte Relevanz. Insbesondere die Finanzkraft war nicht erheblich unwichtiger als der Marktanteil. Die Finanzkraft umfasste die Gesamtheit der finanziellen Mittel und Möglichkeiten eines Unternehmens, insbesondere die Finanzierungsmöglichkeiten nach Eigen- und Fremdfinanzierung sowie seinen Zugang zum Kapitalmarkt.567 Die Finanzkraft war deshalb im Wettbewerbsrecht von solch hoher Bedeutung, weil eine überragende Finanzkraft im Vergleich zu den Konkurrenten besondere Verhaltensspielräume eröffnete und ggf. Verdrängungsstrategien sowie Gewinntransfer und Verlustausgleich über verschiedene Märkte hinweg ermöglichte.568 Deshalb musste i. d. R. geklärt werden, wie sich die festgestellte Finanzkraft auf dem relevanten Markt auswirkte, wobei nur die objektive Möglichkeit des Einsatzes ausschlaggebend war.569 Neben der Finanzkraft waren allerdings im Rahmen der Gesamtbetrachtung eine Reihe weiterer, nicht abschließend formulierter Strukturmerkmale zu berücksichtigen. Die Gesetzesmaterialien nannten als Beispiele für das Strukturmerkmal ‚Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten‘: langfristige Lieferverträge, Agenturverträge oder den Umstand, dass ein Unternehmen auf mehreren Märkten tätig ist.570 Daneben musste beispielsweise auch der sog. potentielle Wettbewerb als relevanter Faktor nicht nur bei der Marktabgrenzung, sondern auch der Ermittlung der Marktbeherrschung in die Betrachtung einbezogen werden.571
565 BKartA
an RA IBH vom 09.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 19–20, 20. BGH, 02.12.1980 – KVR 1/80 – BGHZ 79, S. 62 ff. – Klöckner-Becorit; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 519; Emmerich, Kartellrecht, S. 235 ff. 567 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 521. 568 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 521. 569 BGH, 03.07.1976, WuW/E BGH 1435, 1443 – Vitamin-B-12; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 521. 570 Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB vom 18.08.1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 23. 571 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 9 Rn. 524 m. w. N. 566 Vgl.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung215
Um den Stellenwert und die Relevanz der vielfältig ausgestalteten, nicht abschließenden Strukturmerkmale dezidiert herauszuarbeiten, sollen diese anhand der Verfahrensakten analysiert werden. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwieweit neben dem vorherrschenden Merkmal der Marktanteile auch weitere Strukturmerkmale in die praktische Prüfung einflossen. Weiter ist zu untersuchen, wie diese festgestellt wurden und wie sie zur Beurteilung von Marktbeherrschung beitrugen und gewichtet wurden. Die Verfahrensakten lassen zunächst erkennen, dass sich das Bundeskartellamt bei den frühen Fusionsverfahren Anfang der 1970er Jahre stets am Marktanteil orientierte und eine Prüfung weiterer offensichtlicher Strukturmerkmale ausblieb. Dies änderte sich allerdings ab den 1980er Jahren, in welchen Strukturkriterien gleich mehrere Funktionen zugeschrieben bekamen. Zum einen dienten sie der Feststellung der Marktbeherrschung sowie deren Verstärkung (a)). Zum anderen, insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre, dienten sie der Vermutungswiderlegung (b)); durch die qualifizierte Oligopolvermutung mussten die fusionierenden Unternehmen nämlich die Marktbeherrschungsprüfung des Amtes übernehmen, allerdings in entgegengesetzter Richtung, indem sie anhand der Strukturkriterien versuchten, das Nichtvorliegen einer überragenden Marktstellung festzustellen. a) Strukturkriterien zur Feststellung der Entstehung und Verstärkung von Marktmacht Obwohl bei der Beurteilung der Marktbeherrschung bei IBH/Wibau im Jahre 1980 der ermittelte Marktanteil eine übergeordnete Relevanz für die Beschlussabteilung entfaltete, berücksichtigte das Amt bei seiner Analyse auch weitere Strukturmerkmale. Da bekannt war, dass „Wibau eine besonders starke Stellung auf dem Markt für Asphaltanlagen“ hatte, konnte die „Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung auch dann erwarte[t]“ werden, „wenn eine Addition von Marktanteilen nicht in Betracht“ kam.572 Dabei wurden „insbesondere die im Verhältnis zu den Wettbewerbern der Wibau überragenden finanziellen, organisatorischen und technischen Ressourcen der IBH-Gruppe“ berücksichtigt.573 Die Beschlussabteilung stellte sodann fest, dass die „überragende Marktstellung von Wibau bei Asphaltmischanlagen spürbar verstärkt“ wurde.574 Die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung bedeutete die Veränderung der die Marktmacht nach § 22 Abs. 1 GWB 1973 bestimmenden Größen dergestalt, dass 572 BKartA
an RA IBH vom 09.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 19–20, 20. an RA IBH vom 09.05.1980, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 19–20, 20. 574 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 149. 573 BKartA
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
die die Macht auf einem bestimmten Markt neutralisierende Wirkung des Wettbewerbs im Wege der Änderung von markt- und unternehmensbezogenen Strukturen in noch höherem Maße eingeschränkt wird, als dies schon vor dem Zusammenschluss der Fall war.575 Deshalb wurden Strukturkriterien von der Beschlussabteilung auch im Rahmen der Verstärkungsprüfung herangezogen. „Verstärkende Faktoren“ waren bei IBH/Wibau die „Finanzkraftvorteile und ein verbesserter Zugang zum Absatzmarkt (Vertriebsvorteile)“.576 Ebenfalls wurden die Wettbewerber von Wibau bei der Prüfung berücksichtigt, weil diese „mit einem wesentlich stärkeren Abwehr- und Abschreckungspotential rechnen [mussten] als vor dem Zusammenschluß“.577 Auch wurde die „Marktstruktur bei Asphaltmischanlagen […] nicht durch einen potentiellen Wettbewerb neu hinzukommender Hersteller beeinflußt“.578 Dem lag zugrunde, dass der Markt „besondere technische und geschäftliche Kenntnisse“ erforderte und demnach schwer zugänglich war.579 Die überragende Marktstellung von Wibau auf dem Markt für Asphaltmischanlagen wurde demnach durch die Strukturfaktoren der Finanzkraft und den verbesserten Zugang zum Absatzmarkt (Vertriebsvorteile) verstärkt.580 Auch bei Bayer/Firestone, wo eine abschließende Beurteilung der Marktbeherrschung nicht stattfand, berücksichtigte die Beschlussabteilung Strukturkriterien. Sie stellte hierzu fest, dass „durch die Beteiligung an wesentlichen Abnehmern […] ein besserer Zugang zu den Absatzmärkten“ eröffnet werde, „der die marktbeherrschende Stellung unterstreicht“.581 Darüber hinaus zog man auch die zusätzliche Herstellungskapazität unter gleichzeitigem Wegfall eines potentiellen Wettbewerbers vom Markt zur Untersagungsbegründung heran.582 Strukturmerkmale spielten auch bei Linde/Agefko eine zentrale Rolle. Aufgrund der Strukturgesichtspunkte ‚Homogenität des Produkts‘, ‚fast nicht 575 BGH,
18.12.1979, WuW/E BGH 1685, 1691 – Springer-Elbe Wochenblatt. des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 149. 577 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981 (unter Verweis auf BGH, 21.02.1978, WuW/E BGH 1501 ff. – Kfz-Kupplungen), in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 151. 578 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1894. 579 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1894. 580 Untersagungsbeschluss IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892, 1895. 581 Untersagungsbeschluss vom 23.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 86–97, 90, 91. 582 Untersagungsbeschluss vom 23.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 86–97, 92. 576 Abmahnschreiben
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung217
expandierender Markt‘, ‚Ausgewogenheit des Kräfteverhältnisses‘, ‚Marktzutrittsschranken‘, ‚Entwicklung der Marktanteile‘, ‚kundenspezifische Investitionen‘ sowie ‚rechtliche und faktische Bindung der Abnehmer‘ erwartete das Bundeskartellamt keinen wesentlichen Wettbewerb.583 Auch im Verfahren Hüls/Condea stützte sich die Beschlussabteilung auf einige strukturelle Merkmale bei der Begründung der Marktbeherrschung: Neben den Marktanteilen deuteten auf eine herausragende Marktstellung des Oligopols nicht nur die Oligopolvermutung hin, sondern auch die gesicherten inländischen Produktionskapazitäten und die Zugangsmöglichkeiten zu Absatzmärkten.584 Das Amt stellte eine überragende Marktstellung im Sinne von § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 fest anhand der Strukturmerkmale ‚Marktanteil‘, ‚besserer Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten‘ sowie ‚Marktzutrittsschranken‘. Letztere wurden aufgrund von Umweltschutzbedingungen, Investitionskosten und Risiken für den Anlagebau als hoch eingestuft.585 Strukturmerkmale dienten auch bei Messer Griesheim/Buse als Feststellungkriterium für Marktbeherrschung, da sich die Beschlussabteilung nur für zwei abgegrenzte Märkte aufgrund der Marktanteile auf die qualifizierte Oligopolvermutung berufen konnte, womit Marktbeherrschung nur auf diesen beiden indiziert war.586 Auf dem Markt für Kohlensäure war die Beweislastumkehr hingegen nicht anwendbar. Da auf dem Markt für Kohlensäure nur die Vermutung des § 22 Abs. 3 GWB 1973 griff, wurde Marktbeherrschung gem. § 22 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 festgestellt. Hintergrund war, dass das festgestellte Oligopol – bestehend aus Air Liquide/ Agefko, AGA/Rommenhöller und Buse Gase – eine überragende Marktstellung durch ‚finanzielle Ressourcen‘, ‚herausragenden Know-hows‘ sowie besseren ‚Zugangs zu den Absatzmärkten‘ hatte.587 Sofern noch Zweifel hinsichtlich der bestehenden Marktbeherrschung bestanden, gingen diese aufgrund der Oligopolvermutung des § 22 Abs. 3 GWB 1973 zu Lasten der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen.588
583 BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 29.11.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1062–1104, 1092 f., 1098. 584 Abmahnschreiben des BKartA vom 17.11.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 271–276, 273. 585 Untersagungsbeschluss vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 343– 351, 348 ff. 586 Abmahnschreiben des BKartA vom 27.06.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 666–679, 667 ff. 587 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887, 867. 588 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887, 867.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Im Verfahren Linde/Lansing kann ebenfalls beobachtet werden, dass Strukturkriterien sowohl der Feststellung als auch der Verstärkungsbegründung von Marktbeherrschung dienten. Neben den Marktanteilen und den Marktanteilsabständen deuteten bei Linde/Lansing im Rahmen der Gesamtbetrachtung nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 folgende weitere strukturelle Faktoren auf eine überragende Marktstellung hin:589 ‚finanzielle Ressourcen‘, ‚dichtes Vertriebs- u. Servicenetz‘, ‚Vertrieb [von Linde] unter [drei] verschiedenen Namen bzw. Markenzeichen‘, ‚breites Angebotsprogramm gegenüber den anderen Wettbewerbern‘ und schließlich ‚Nichtgefährdung der überragenden Marktstellung‘ durch „konzerninternen Wettbewerb“ oder Importe aus Japan.590 Das Amt prüfte aber nicht nur die strukturellen Gesichtspunkte der über ragenden Marktstellung der Anmelder des Zusammenschlussvorhabens, sondern auch, inwiefern diese bei der Konkurrenz festzustellen waren und dementsprechend gegen eine marktbeherrschende Stellung der fusionierenden Unternehmen sprechen konnten. Beispielsweise führte das Bundeskartellamt bei IBH/Wibau aus: „Wettbewerber können den Handlungsspielraum, den Wibau kraft seines überragenden Marktanteils hat, durch andere wettbewerbsrelevante Vorteile auch nicht teilweise ausgleichen. Sie verfügen weder über größere finanzielle Ressourcen als Wibau noch können sie sich auf ein breites und marktstarkes Produktprogramm stützen, das ihnen den Zugang zum Markt der Asphaltmischanlagen wesentlich erleichtern könnte.“591
Dabei kam es „entscheidend auf den Vergleich mit […] dem wichtigsten Wettbewerber an“.592 Das Bundeskartellamt prüfte die Strukturgesichtspunkte dahingehend, ob sie den Marktanteilsvorsprung relativierten. Da die Wettbewerber weder über größere finanzielle oder andere Ressourcen verfügten, noch auf ein breites marktstarkes Produktprogramm, das ihnen den Marktzugang erleichtern könnte, zurückgreifen konnten, ging das Bundeskartellamt 589 Zum Folgenden: Abmahnschreiben des BKartA vom 14.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 346–365, 357 ff. 590 Eine Verstärkung dieser Position wurde aufgrund der Marktanteilsaddition, des Marktanteilabstands, der Abschreckung des potentiellen Wettbewerbs, des Engerwerdens des ohnehin dichten Vertriebsnetzes, des Wegfalls von Marktnischen von kleineren Wettbewerbern, des Zuwachses bei Gegengewichtsgabelstaplern mit E-Antrieb sowie des Erwerbs des Eigentums an den Lansing-Warenzeichenrechten bejaht, womit die Anforderung der Rechtsprechung an das Merkmal der Verstärkung erfüllt war, siehe Abmahnschreiben des BKartA vom 14.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 346–365, 361 ff. 591 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 147. 592 Abmahnschreiben des BKartA vom 24.03.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 142–156, 147.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung219
davon aus, dass der Marktanteilsvorsprung nicht durch weitere Strukturgesichtspunkte relativiert würde.593 Somit bestand die Möglichkeit, dass Strukturgesichtspunkte der Wettbewerber die Marktstellung aufgrund der Marktanteile für die beteiligten Unternehmen abmilderten. Insgesamt ist aber eindeutig zu erkennen, dass das Bundeskartellamt diese strukturellen Gesichtspunkte jeweils selbstständig festlegte. Den gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraum im Rahmen der Ressourcenbetrachtung schöpfte das Amt stets aus. b) Strukturkriterien als Vermutungswiderlegung Des Weiteren spielten Strukturgesichtspunkte ab Mitte der 1980er Jahre aber auch bei der Widerlegung der Vermutungsregelung durch die Unternehmen eine tragende Rolle, wie anhand Linde/Agefko ersichtlich wird. In diesem Verfahren teilte das Bundeskartellamt den Unternehmen explizit die exakten Strukturmerkmale mit, die sich aus Sicht des Amtes zur Widerlegung eigneten. Das Bundeskartellamt war davon überzeugt, dass zur Widerlegung der Oligopolvermutung nur strukturelle Gesichtspunkte in Betracht kämen, und führte aus, was es als „derartige strukturbezogene Kriterien auf dem relevanten Markt“ ansah.594 Zwar beanstandeten die Unternehmen das Vorgehen des Amtes, indem sie vortrugen, dass „Marktstruktur und Marktverhalten zwei Seiten ein und derselben ‚Medaille‘ [seien]“, weil der Marktanteil das „Ergebnis eines Marktverhaltens“ sei.595 Aber das Bundeskartellamt entgegnete, dass die Fusionskontrolle „nach ihrer Konzeption nicht auf ein ggf. zu erwartendes Verhalten, sondern nur auf Strukturgesichtspunkte abstell[e]“.596 Die Widerlegung der Vermutung durch die Unternehmen scheiterte deshalb im Anschluss. Auch bei Bayer/Firestone teilte das Bundeskartellamt den Unternehmen mit, „strukturelle Nachteile vermögenswirksamer Zusammenschlüsse könnten nicht durch obligatorische – jederzeit aus wichtigem Grunde kündbare – Verträge aufgehoben werden“.597 Zur Vermutungswiderlegung geeignet waren also überwiegend nur Strukturkriterien. 593 Untersagungsbeschluss
1894.
IBH/Wibau vom 03.07.1981, WuW/E BKartA, 1892,
594 Nämlich: ‚Zahl, Größe und Konzentrationsgrad der Anbieter und Nachfrager‘, ‚Unternehmensverbindungen und Diversifikation‘, ‚Marktzutrittsbedingungen‘, ‚Grad der Produktheterogenität‘, ‚Marktphase‘, ‚Voraussetzung für Importwettbewerb‘, vgl. BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 30.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 487–504, 488. 595 RA Preussag/Agefko an BKartA vom 21.11.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 995–1030, 1014. 596 Besprechungsvermerk vom 24.01.1986, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 1295– 1298, 1296. 597 Besprechungsvermerk vom 15.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 120– 122, 122.
220
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Da sich das Bundeskartellamt im Verfahren Hüls/Condea aufgrund der hohen Marktanteile des Duopols Henkel/Condea auf die qualifizierte Oligopolvermutung stützen konnte, teilte das Amt den Unternehmen ebenfalls mit, dass diese Vermutung nur durch die Darlegung strukturbedingten Wettbewerbs widerlegt werden könne.598 Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob ein solcher zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestand, vielmehr mussten die Unternehmen den Beweis erbringen, dass strukturbedingter Wettbewerb nach dem Zusammenschluss zu erwarten sei.599 Neben den weitgehend sym metrischen Marktanteilen sah das Amt als weitere entscheidende Strukturfaktoren die ‚Ausgewogenheit des Kräfteverhältnisses‘ und die ‚weitgehende Homogenität des Produkts‘ an.600 Mithin teilte die Kartellbehörde den Unternehmen bei Vorliegen der qualifizierten Oligopolvermutung und der damit einhergehenden Beweislastumkehr explizit unter Nennung einzelner Strukturmerkmale mit, wie der Beweis erbracht werden könnte. Es ist mithin deutlich erkennbar, dass Strukturmerkmale aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 wichtige Kriterien darstellten, um Marktbeherrschung festzustellen. Dies konnte auf die, vom Kammergericht statuierte, Worthülse des Begriffs ‚wesentlicher Wettbewerb‘ zurückgeführt werden. Strukturgesichtspunkte mussten für jeden Sachverhalt im Einzelfall auf dem jeweiligen Markt festgestellt werden. Hierzu waren zunächst Marktkenntnisse des Bundeskartellamtes erforderlich. Es lässt sich festhalten, dass im Rahmen der untersuchten Verfahren die weiteren Strukturmerkmale neben den Marktanteilen erst in den 1980er Jahren an Relevanz gewannen, obwohl § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB 1973 bereits 1973, gemeinsam mit der Fusionskontrolle, normiert wurde. Das Amt griff auf Strukturmerkmale sowohl bei der Tatbestandsprüfung der Marktbeherrschung als auch bei der Vermutungswiderlegung durch die Unternehmen zurück. Dabei teilte das Bundeskartellamt den Unternehmen jeweils mit, welche genauen Strukturgesichtspunkte im Einzelnen geeignet waren, die Marktbeherrschungsvermutung zu widerlegen. Zudem kann festgestellt werden, dass den Merkmalen ‚verbesserter Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten‘, ‚Finanzkraft‘ sowie ‚Marktzutrittsschranken‘ eine erhöhte Prüfungsrelevanz zukam. Die Feststellung der spezifischen Strukturmerkmale oblag allerdings stets dem Bundeskartellamt.
598 Besprechungsvermerk vom 06.11.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 220– 223, 220. 599 Abmahnschreiben des BKartA vom 17.11.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 271–276, 273. 600 Untersagungsbeschluss vom 08.12.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 343– 351, 345.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung221
III. Zwischenergebnis Zusammenfassend zeigt sich anhand der Verfahren, dass sich das Bundeskartellamt zunächst fast ausschließlich an den jeweiligen Marktanteilen orientierte und mit diesen die Erwartungsprognose bereits festgeschrieben war. Erst ab Mitte der 1980er Jahre rückten weitere Strukturmerkmale näher in den Fokus des Amtes. Mithin kann festgehalten werden, dass das Bundeskartellamt weitere Strukturkriterien nutzte, um die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung zu komplementieren. Bei der abschließenden Betrachtung der Etablierung der Fusionskontrolle kann festgestellt werden, dass das Bundeskartellamt Mitte der 1980er Jahre emanzipiert auftrat und weniger kompromissbereit bei der Untersagungsentscheidung war als noch zu Etablierungszeiten in den 1970er Jahren. Zurückgeführt werden kann die Verschärfung der Erwartungsentscheidung sowohl auf die Einführung der qualifizierten Oligopolvermutung als auch auf das verbesserte Informationsmanagement des Bundeskartellamtes. Hinzukommend erfuhren Strukturkriterien eine größere Prüfungsrelevanz und Beachtung seitens des Bundeskartellamtes. Damit einher ging der Rückgang der Aushandlungsbereitschaft im informellen Verfahren.
B. Wettbewerbstheoretische bzw. -politische Auswirkung auf die Anwendung der Fusionskontrolle Für das Verständnis der Errichtung der Fusionskontrolle soll nun hinsichtlich des Etablierungsprozesses den Fragen nachgegangen werden, ob sich die Wettbewerbstheorien und/oder die Wettbewerbspolitik auf die Handhabung der Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt auswirkten. Es konnte bereits dargelegt werden, dass die Wirtschaftstheorie von der Wirtschaftspolitik herangezogen wurde und zum Teil in den Rechtsnormen des GWB Niederschlag fand.601 Fraglich ist jedoch, ob Aspekte von Wirtschaftstheorien vergleichbar als Hilfsmittel bei der Anwendung des Gesetzes herangezogen wurden. Konkret stellt sich die Frage, ob das Bundeskartellamt Theorien bzw. die Politik bei seiner Prognose berücksichtigte. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass die überwiegend als Juristen ausgebildeten Beamten der Beschlussabteilungen im Bundeskartellamt nicht an die von Wirtschaftstheoretikern verwendeten Kriterien gebunden waren.602 Anhand der Verfahrensakten sollen deshalb die Fragen geklärt werden, ob die Beamten der Beschlussabteilungen beispielsweise einen Idealtyp von Marktform bei ihrer Analyse der Marktbeherrschung zugrunde legten oder ob sich eine Beeinflus601 Vgl.
3. Kap. Grundbegriffe des GWB, S. 29.
602 Sandrock,
222
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
sung des Bundeskartellamtes durch die Wettbewerbstheorien oder die Wettbewerbspolitik, beispielsweise im Rahmen des wettbewerbspolitischen Leitbilds, erkennen lässt. Diese Fragen müssen gleichwohl vor dem Hintergrund beantwortet werden, dass es zu keinem Zeitpunkt eine vollumfänglich allgemein anerkannte und unumstrittene Wettbewerbstheorie in der Wettbewerbspolitik gab.603 Bei der Beantwortung werden zunächst die politischen Auswirkungen he rausgearbeitet, wozu erstens das wirtschaftspolitische Verhältnis zwischen der Kartellbehörde und dem Bundeswirtschaftsministerium (I.), zweitens weitere politische Berührungspunkte des Bundeskartellamtes (II.) sowie drittens vom Bundeskartellamt bei der Prüfung herangezogene politische Kriterien (III.) herausgefiltert werden. Danach wird analysiert, ob das Bundeskartellamt sich bei seiner Erwartungsentscheidung von Wirtschaftstheorien beeinflussen ließ (IV.). I. Wirtschaftspolitisches Verhältnis zwischen dem Bundeskartellamt und dem Bundesministerium für Wirtschaft Das Verhältnis zwischen dem Bundeskartellamt und dem Bundesministerium für Wirtschaft war nur in wenigen der vorliegenden Verfahren relevant. Oftmals kam es vor, während oder nach dem Verfahren nicht zu einem Kontakt zwischen den Institutionen. Anhand der Aktenanalyse kann gleichwohl festgestellt werden, dass das Verfahren Veba/Gelsenberg erneut eine Sonderposition aufgrund der Erwerberstellung der Bundesrepublik Deutschland einnimmt:604 Im Vorfeld der Untersagung der Fusion gab es auf wirtschaftspolitischer Ebene Gespräche zwischen Beamten des Bundeskartellamtes und dem Bundeswirtschaftsministerium, dem zu dieser Zeit noch Kartte angehörte. Im Rahmen der Gespräche fand während des informellen Verfahrens auch ein gemeinsames Treffen statt, um ein die Fusion betreffendes Dokument für den Minister auszuarbeiten. Dabei wurde folgender Vermerk verfasst: „Kartte betonte, daß das Bundeskartellamt in seiner Entscheidung völlig frei sein werde und daß irgendwelche Beeinflussungen von seiten des Bundesministeriums 603 Hierzu
3. Kap.
604 Interessanterweise
unterlag die Gebühr für die Anmeldung in der der Verfasserin zur Verfügung gestellten Verfahrensakte einer Zensierung durch das BKartA. Eine Schwärzung der Gebührenhöhe der über 40 Jahre zurückliegenden Fälle erfolgte nur in der Akte Veba/Gelsenberg, in welcher die Bundesrepublik Deutschland die Gebühr zu tragen hatte. Einer BMWi-Dokumentation kann entnommen werden, dass die anschließende Ministererlaubnis als einzige gebührenfrei erteilt wurde, vgl. Bundesministerium für Wirtschaft, Erfahrungsbericht über Ministererlaubnis-Verfahren bei Firmen-Fusionen, Anlage 1, S. 3.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung223 für Wirtschaft nicht beabsichtigt seien. Auch haben die Herren aus den anderen Abteilungen keine irgendwie gearteten Äußerungen gemacht, die als eine entsprechende Beeinflussung aufgefaßt werden könnten.“605
Weiter wird ausgeführt: „Kartte erklärte, daß das GWB in seiner novellierten Fassung eine Legalisierung von Fusionen in doppelter Weise vorsehe: Einmal durch die Unterlassung einer Untersagungsverfügung durch das Bundeskartellamt, zum anderen durch die Ministererlaubnis. Eine Ministererlaubnis sei ein völlig legitimer Weg zur Legalisierung eines Zusammenschlusses.“606
Durch Schaffung der Ministererlaubnis sollte eine klare Trennung zwischen Tätigkeit des Bundeskartellamtes und der Politik erzielt werden.607 Dementsprechend wurde bereits im Vorfeld der Untersagungsprüfung auf politischer Ebene die Ministererlaubnis vorbereitet. Dem Bundeskartellamt war demnach bei der Zusammenschlussprüfung bereits bewusst, dass es tatsächlich unabhängig entscheiden konnte, weil eine Ministererlaubnis voraussichtlich ergehen würde und damit die eigene (Untersagungs-)Entscheidung kein irreversibles Ergebnis hervorbrächte. Auf Diskussionen oder Unmut seitens des Bundeskartellamtes stieß diese Vorbereitung zur Ministererlaubnis nicht. Auch ist kein Missmut des Bundeskartellamtes gegenüber der im Anschluss an die Untersagung erlassene Erlaubnis des Bundeswirtschaftsministers608 feststellbar. Der Akte IBH/Wibau kann ebenfalls entnommen werden, dass das Bundeskartellamt Entscheidungen nur innerhalb seines Machtbereiches traf und wirtschaftspolitische Erwägungen dem Wirtschaftsminister überließ, so wie es gesetzlich mit der Ministererlaubnis auch vorgesehen war. Die Beschlussabteilungen ließen sich dementsprechend auch nicht von den Unternehmen durch Drohung, eine Ministererlaubnis im Falle einer Untersagung zu beantragen, einschüchtern oder zur Nichtuntersagung bewegen. Den Hinweis der beteiligten Unternehmen, eine Ministererlaubnis zu beantragen, nahm das Amt etwa bei IBH/Wibau gleichgültig hin.609 Im Falle Bayer/Firestone schaltete sich der Bundeswirtschaftsminister in das Verfahren ein, weil der Fall grenzüberschreitend war und die EU-Kom605 Vermerk
des BKartA vom 24.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 26–30,
606 Vermerk
des BKartA vom 24.08.1973, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 26–30,
28. 28.
607 Mundt,
in: Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, S. 39. des BWM vom 01.02.1974, WuW/E BWM 147 f. – VEBA-Gelsen-
608 Verfügung
berg II. 609 Besprechungsvermerk vom 16.06.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 267– 270, 270.
224
2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
mission vom Bundeskartellamt über dessen Untersagung unterrichtet wurde.610 Der Minister bat aufgrund eines französischen Gesetzes darum, entsprechende Fragen an ihn zu übermitteln, damit er sie der französischen Botschaft weiterleiten konnte, „um Kollisionen mit der Rechtslage in Frankreich zu vermeiden“.611 Zudem teilte er dem Bundeskartellamt explizit mit: „Von direkten Kontakten mit natürlichen oder juristischen Personen, die französischem Recht unterliegen, bitte ich, bis auf weiteres abzusehen.“612 Daran zeigt sich zwar deutlich, wie sensibel grenzüberschreitende Fälle behandelt wurden und zu Interventionen durch den Bundeswirtschaftsminister führen konnten, aber auch, dass das Bundeskartellamt sich davon nicht decouragieren ließ, sondern bei der Untersagungsentscheidung blieb. Dies hebt die unabhängige Stellung des Amtes besonders hervor. Die Verfahrensakten erwecken resümierend betrachtet den Eindruck, dass das Bundeskartellamt zwar dem Bundesministerium für Wirtschaft unterstellt war, aber nicht von diesem abhängig agierte, sondern seine Entscheidungen autonom traf. Indem politische Faktoren im Rahmen der Ministererlaubnis in Erwägung gezogen wurden, sollte das Bundeskartellamt von solchen Über legungen unbeeinflusst bleiben und sich somit nur auf wettbewerbliche Aspekte konzentrieren.613 Wie gezeigt werden konnte, funktionierte dieses Vorgehen bereits seit Etablierung der Fusionskontrolle. II. Politisch motivierte Interventionsversuche außerhalb des Bundesministeriums für Wirtschaft Daneben können auch politische Interventionsversuche in laufende Fu sionsverfahren außerhalb des Bundesministeriums für Wirtschaft erkannt werden, sowohl auf nationaler Ebene als auch auf internationaler Ebene. Bei Messer Griesheim/Buse äußerten sich beispielsweise die Landeskartellbe hörden dahingehend,614 die beabsichtigte Fusion nicht zu untersagen. Sie begründeten dies aus „industriepolitischer Sicht“ damit, dass das Zusammenschlussvorhaben „für den supranationalen Wettbewerb wünschenswert“ sei.615 Außerdem sei die Erhöhung der Beteiligung nur geringfügig und Buse 610 BKartA an Generaldirektor für Wettbewerb der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 30.09.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 110. 611 BMWi an BKartA vom 02.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 113–114, 113. 612 BMWi an BKartA vom 02.10.1980, in: BKartA, Az. B8 45/80, Bl. 113–114, 114. 613 Mundt, in: Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, S. 39. 614 Zur Zuständigkeitsabgrenzung vgl. 4. Kap. A. 615 LKartA Rheinland-Pfalz an BKartA vom 25.07.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 806–808, 807.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung225
müsste ohne den Rückhalt von Messer Griesheim aus dem Markt ausscheiden, weshalb die Landeskartellbehörden Arbeitsplätze als gefährdet einstuften.616 Insoweit berücksichtigten die Landeskartellämter nicht, dass sie Kategorien ansprachen, die sich zum größten Teil nur im Rahmen einer Ministererlaubnis (§ 24 Abs. 3 GWB 1973) auswirken konnten. Deshalb thematisierte das Bundeskartellamt die Äußerungen der Landeskartellbehörden nicht und ließ sie unkommentiert dahinstehen. Im Verfahren Linde/Lansing erfuhr das Bundeskartellamt anderweitig politischen Druck, den Linde durch Bezugnahme auf persönliche Kontakte auf das Amt ausübte. Vonseiten Lindes wurde dem Amt mitgeteilt, dass das zu übernehmende Werk „im Wahlkreis von Bundeskanzler Kohl“ liege und man mit diesem bereits über das Zusammenschlussvorhaben gesprochen habe.617 Außerdem habe man „die anstehenden Probleme mit Herrn Dregger, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, erörtert“.618 Hauptsächlich ging es bei den persönlichen Gesprächen aber stets um die Sorge über den Wegfall von Arbeitsplätzen, die nicht das Bundeskartellamt, sondern der Bundeswirtschaftsminister zu berücksichtigen hatte. Zwar nahm der Präsident des Bundeskartellamtes gegenüber dem Fraktionsvorsitzenden der CDU Stellung zu den Gründen der Untersagung, da dieser ihn auf das Verfahren noch vor Untersagung ansprach.619 Aber die Beamten der Kartellbehörde ließen sich durch den mittelbaren politischen Druck nicht in ihrer Entscheidung beeinflussen. Da das Verfahren Linde/Lansing größtenteils im Ausland stattfand, gab es zudem einen Austausch auf internationaler Ebene zwischen dem Bundeskartellamt und den französischen und britischen Kontrollbehörden. So bekam das Amt aus Frankreich eine Anfrage, das Fusionsvorhaben nicht zu untersagen, und auch die britische Behörde teilte mit, das Vorhaben geprüft zu haben und ihrerseits keine Einwände bestünden.620 Der Präsident des Bundeskartellamtes, Kartte, teilte den Briten mit, dass die Marktstruktur in Deutschland anders sei und Linde 50 % Marktanteile habe, man auf der anderen Seite aber nicht verkenne, „das Zusammenschlußvorhaben auch unter dem Gesichts616 Untersagungsbeschluss vom 02.08.1988, in: BKartA, Az. B3 35/88, Bl. 835– 887, 845 f. 617 Besprechungsvermerk vom 02.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 306– 309, 308. 618 Besprechungsvermerk vom 02.02.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 306– 309, 309. 619 Präsident des BKartA (Kartte) an Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im BT (Dregger) vom 03.03.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 495–497. 620 Directeur Général de L’Industrie vom Ministère de l’Industrie et de l’Aménagement du Territoire an BKartA vom 05.01.1989, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 247; Mergers Secretariat des Office of fair Trading an BKartA vom 02.11.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Bl. 143.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
punkt des für Ende 1992 angestrebten Binnenmarktes zu würdigen“.621 Eine Antwort an die französische Behörde unterblieb gänzlich.622 Politische Interventionsversuche blieben mithin im Rahmen dieser Untersuchung erfolglos und das Bundeskartellamt ließ sich nicht von Fusionsuntersagungen abbringen. III. Politische Kriterien und Schutz von kleinen oder mittleren Unternehmen Es lässt sich anhand ganz konkreter Stellen aus den Verfahrensakten erkennen, dass vom Amt vereinzelt auch politische Erwägungen berücksichtigt wurden: Einerseits wirkte sich die Ölkrise Anfang der 1970er Jahre auf eine Amtsentscheidung aus, andererseits beeinflusste das politisch motivierte Streben nach dem Schutz von KMU die behördlichen Entscheidungen. Im Rahmen der Marktbeherrschungsprüfung bei Veba/Gelsenberg führte das Bundeskartellamt aus, dass bei der Überprüfung der Marktstellung „auf die jetzige Marktsituation abzustellen“ sei und angesichts der Ölkrise 1973 eine „spürbare Verknappung, die in erster Linie auf eine geänderte Angebots politik der arabischen Förderländer zurückzuführen“ war, bestand.623 Infolgedessen käme es vermehrt zu Kooperationen zwischen den großen Anbietern und man wäre verstärkt auf traditionelle Lieferanten angewiesen, weshalb wesentlicher Wettbewerb nicht festgestellt werden konnte.624 Neben aktueller Politik war die Rolle von KMU von durchgängiger Relevanz bei der Bewertung durch das Amt. Schon bei der Bitumen-Verkaufs gesellschaft im Jahre 1973 vermerkten die Beamten der Kartellbehörde intern: „Eine Marktanteilsvergrößerung seitens des Zusammenschlußvorhabens wird eher zu Lasten der restlichen kleineren Anbieter gehen.“625 Diese Feststellung wurde im Rahmen der Bewertung auch berücksichtigt. Eindeutig ist der Aspekt der Schutzwürdigkeit von KMU auch dem Verfahren IBH/Wibau 621 Schriftwechsel zwischen Präsident des BKartA Kartte und Permanent Secretary of Department of Trade and Industry vom 22.11. u. 02.12.1988, in: BKartA, Az. B4 123/88, Teil VI der Akte, unpaginiert. 622 Dabei kann anhand der Akten jedoch nicht rekonstruiert werden, ob eine Antwort bewusst unterblieb oder auf die Schwärzung durch das BKartA vor der Zurverfügungstellung an die Verfasserin zurückzuführen ist. 623 Untersagungsbeschluss vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362– 374r, 367r f. 624 Untersagungsbeschluss vom 08.02.1974, in: BKartA, Az. B8 33/73, Bl. 362– 374r, 368. 625 Vermerk des BKartA Abt. W2 vom 15.05.1974, in: BKartA, Az. B8 95/73, Bl. 230–233, 232.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung227
zu entnehmen. So wurde im Rahmen der Verbesserungen der Abwägungsklausel festgestellt, dass Verbesserungen nicht dann schon nachgewiesen wären, wenn Wibau ohne Zusammenschluss mit IBH und den damit verbundenen Kapitalmaßnahmen aus dem Wettbewerb ausgeschieden wäre.626 Das Bundeskartellamt stellte nämlich fest: „[…], so stünde keineswegs fest, daß die zu erwartende Marktstruktur schlechter zu bewerten wäre als die durch den Zusammenschluß eingetretene Marktstruktur. […]. In diesem Fall wäre vielmehr zu erwarten, dass Alfelder als kleines Unternehmen Marktführer würde […].“627 Ebenfalls war in den Verfahren Linde/Agefko628 und Hüls/ Condea629 der Schutzgedanke gegenüber KMU evident. Das Bundeskartellamt war im Rahmen des Quellenkorpus bestrebt, die KMU des Marktes zu schützen und nicht den Erhalt der „Big Player“ am Markt zu sichern. IV. Wirtschaftstheoretische Betrachtung Das Bundeskartellamt berief sich im Rahmen der Aktenanalyse erstmals und ausschließlich bei Linde/Agefko explizit auf die wettbewerbstheoretischen Aspekte, von denen sich der Gesetzgeber bei der vierten GWB-Novelle leiten ließ: „Im Einklang mit wettbewerbstheoretischen Erkenntnissen über hochkonzentrierte Märkte mit wenigen Anbietern hat sich der Gesetzgeber somit bei der Aufstellung des Vermutungstatbestandes für Oligopole davon leiten lassen, daß auf derartigen Märkten mit hoher Wahrscheinlichkeit kein wesentlicher Wettbewerb erwartet werden kann.“630
626 Untersagungsbeschluss vom 03.07.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 336– 350, 347. 627 Untersagungsbeschluss vom 03.07.1981, in: BKartA, Az. B7 44/80, Bl. 336– 350, 347. 628 Das BKartA führte aus: „Die durch das Vorhaben für Linde zu erwartenden Wettbewerbsvorteile gingen eher zu Lasten der kleineren Marktteilnehmer, was diese in ihren Stellungnahmen gegenüber dem Bundeskartellamt auch hervorheben. […] Hinzu kommt, daß das Volumen für technische Gase ein Vielfaches des Marktes für Kohlensäure ausmacht und daß die übrigen Anbieter von Kohlensäure überwiegend kleine und mittlere Unternehmen ohne Konzernrückhalt sind.“ Abmahnschreiben des BKartA vom 03.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 392–415, 413 ff. 629 Das BKartA befürchtete, dass Hüls die FA-Produktion von Condea für Lieferungen an sich ausschöpfen könnte und als Folge die kleineren und mittleren FA Derivate Hersteller keine ausreichenden Bezugsmöglichkeiten mehr hätten, vgl. Hüls an BKartA vom 11.08.1986, in: BKartA, Az. B3 58/86, Bl. 70–79, 76. 630 BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 30.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 487–504, 488.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Anhand dieser Erkenntnis legte das Amt fest, dass nur „strukturelle Gesichtspunkte zur Widerlegung der qualifizierten Oligopolvermutung anerkannt“ seien und vergangenes und künftiges Marktverhalten nicht dabei herangezogen werden könne.631 Anknüpfend daran kann erklärt werden, warum die Strukturgesichtspunkte in den 1980er Jahren an Bedeutungskraft gewannen und wieso das Amt im Rahmen der Vermutungswiderlegung nur noch strukturelle Kriterien gelten ließ.632 Die Unternehmen versuchten vergeblich, das Amt davon zu überzeugen, dass man zwar aufgrund wettbewerbstheoretischer Erkenntnisse bei der Aufstellung der Vermutungstatbestände für Oligopole davon ausging, dass bei hoher Konzentration in vielen Fällen kein wesentlicher Wettbewerb zu erwarten sei, dies aber insbesondere im jeweils vorliegenden Fall nicht zutreffe.633 Die Unternehmen versuchten demnach, das Bundeskartellamt zu überzeugen, dass die Wettbewerbstheorie, aufgrund derer der Gesetzgeber die qualifizierte Oligopolvermutung mit vierter GWBNovelle einführte, nicht die realen und wirklichen Marktmechanismen abbilden könne. Die Kartellbehörde hingegen hielt an ihrer Auffassung sowie der gesetzgeberischen Leitentscheidung fest und ließ sich nicht von der durch die Unternehmen versuchte Falsifizierung der Theorie überzeugen. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Wirtschaftstheorie der engen Oligopole Kantzenbachs nicht nur Auswirkungen auf den Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des wettbewerbspolitischen Leitbilds und damit die Gesetzgebung hatte,634 sondern durch die gesetzestreue Anwendung der Beamten der Kartellbehörde auch auf die Gesetzesanwendung. Im Rahmen der untersuchten Untersagungsentscheidungen kann gezeigt werden, dass das Bundeskartellamt versuchte, der Entstehung enger Oligopole vorzubeugen, worauf auch die Gesetzesinstrumentarien ausgelegt waren.
C. Zusammenfassung Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass bereits die Marktabgrenzung durch ihren prognostischen Charakter das Untersagungsverfahren beeinflussen konnte. Diese wurde zwar im Rahmen des Bedarfsmarktkonzepts durchgeführt, dabei folgte das Bundeskartellamt aber keinen strengen theoretischen Regeln. Vielmehr überprüfte es betroffene Bereiche und grenzte anhand von Befragungen die Märkte dieser Bereiche ab oder akzeptierte vorab 631 BKartA an RAe Linde u. Preussag/Agefko vom 30.09.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 487–504, 488. 632 Hierzu 7. Kap. A. 633 RA Linde an BKartA vom 15.10.1985, in: BKartA, Az. B3 54/85, Bl. 569–619, 595. 634 Hierzu 3. Kap.
7. Kap.: Die Erwartungsbildung und -entscheidung229
die von den Unternehmen getroffene Abgrenzung. Letzteres geschah insbesondere dann, wenn Vermutungsregelungen einschlägig waren. Bei der Erwartungsentscheidung waren die Marktanteile der Unternehmen demnach bedeutsam und oftmals ausschlaggebend, da die Anteile über die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Vermutungsregelungen entschieden. Daneben zog das Amt ab den 1980er Jahren vermehrt weitere Strukturkriterien bei der Erwartungsprognose heran. Zum einen dienten diese der Feststellung einer überragenden Marktstellung und unterstrichen die marktbeherrschende Stellung, zum anderen wurden sie ab Mitte der 1980er Jahre im Rahmen der Vermutungswiderlegung herangezogen. Es können in einigen Akten Versuche der Beeinflussung des Bundeskartellamtes auf politischer Ebene erkannt werden, welchen sich das Bundeskartellamt aber nie beugte. Die Standhaftigkeit des Amtes ist angesichts der Untersuchung ausschließlich von Untersagungsverfahren gleichwohl kein überraschendes Ergebnis. Da eine Nichtuntersagung allerdings keine behördliche Entscheidung darstellte und somit nicht der Aufbewahrungspflicht unterlag, konnten solche Entscheidungen zu Vergleichszwecken nicht herangezogen werden. Dennoch sind die Verfahren im Rahmen der wettbewerbspolitischen und -theoretischen Beeinflussung dahingehend erkenntnisreich, dass Bundeskartellamt und Bundesministerium für Wirtschaft sich nicht gegenseitig behinderten. Eine Ministererlaubnis wurde vom Amt nicht als Überstimmung oder Aufhebung seiner Entscheidung gesehen, sondern als eine Prognostizierung unter anderen Wertungsfragen. Bereits seit Etablierung der Fusionskontrolle gelang die Umsetzung der strikten Trennung zwischen den Entscheidungen des Bundeskartellamtes, welches sich auf wettbewerbliche Aspekte stützen musste, und der Erlaubnis des Bundeswirtschaftsministers, welcher hingegen politische Faktoren bei der Entscheidung berücksichtigen konnte. Dem Ziel, durch Schaffung der Ministererlaubnis zwischen Tätigkeit des Bundeskartellamtes und der Politik eine klare Trennung zu erreichen, folgte demnach auch das Bundeskartellamt. So ließ die Kartellbehörde wirtschaftspolitische Argumentationspunkte unkommentiert, weil sie nicht dem Prüfungsbereich des Bundeskartellamtes, sondern des Bundeswirtschaftsministers unterlagen. Allerdings agierte auch das Bundeskartellamt nicht in einem politikfreien Raum. Es berücksichtigte im Rahmen einer Strukturprüfung, ob sich Krisen wie beispielsweise die Ölkrise auf die Märkte auswirkten und diese in ihrer Struktur beeinflussten. Des Weiteren ging es seinem vom Gesetzgeber vorgetragenen Schutzauftrag für KMU nach, indem es Auswirkungen auf diese ebenfalls im Rahmen der Strukturbetrachtung eines Marktes in die Entscheidung einbezog.
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2. Teil: Fusionskontrolle in der Praxis
Wirtschaftstheoretische Eigenüberlegungen sind kaum zu erkennen und waren bei der Beurteilung durch das Bundeskartellamt nicht relevant. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundeskartellamt eine aus seiner Sicht ideale Marktform anstrebte. Deutlich erkennbar ist allerdings, dass „engen Oligopolen“ weitestgehend vorgebeugt werden sollte und diese auf Märkten unerwünscht waren. Ob das Amt dabei aber von der Theorie Kantzenbachs überzeugt war oder nicht, ist nicht ersichtlich. Vielmehr fand die Theorie Verankerung in gesetzlichen Regelungen, womit das Bundeskartellamt angehalten war, eben diese zu befolgen.
3. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Das 1958 geschaffene GWB ging aus diversen Kompromissen hervor. Der Rückzug der Alliierten aus den Gesetzgebungsdebatten führte dazu, dass die einst geplante Zusammenschlusskontrolle nicht normiert wurde. Zwar war eine Fusionskontrolle schon in den Regierungsentwürfen von 1952 und 1955 enthalten, konnte sich aber nicht durchsetzen. Eine Fusionskontrolle wurde erst im Jahre 1973, immerhin 15 Jahre nach Erlass des GWB, in Deutschland normiert. Zurückgeführt werden konnte der schlussendlich erfolgende Einzug in das Gesetz primär auf den Regierungswechsel 1969, untermauert durch einen enormen Anstieg von angezeigten Unternehmenszusammenschlüssen seit 1968. Die Sozialdemokraten forderten die Normierung einer Fusionskontrolle bereits seit Ende der 1950er Jahre und konnten diese sodann auf politischer Ebene durchsetzen, nachdem erstmals eine sozialliberale Koalition an der Macht war. 2. Gestützt wurde die Einführung der Fusionskontrolle auf das geänderte wettbewerbspolitische Leitbild, wozu die Entscheidungsträger in der Politik die Wettbewerbstheorie der „weiten Oligopole“ Kantzenbachs aus dessen Habilitationsschrift „Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“ adaptierten. Wirtschaftswissenschaftliche Begriffe schlugen sich zwar in der Normierung nieder. Die Ausgestaltung der Fusionskontrolle als Erwartungsentscheidung der Beamten blieb aber im Ganzen aufgrund der jahrelangen Unstimmigkeiten diffizil und von unbestimmten Rechtsbegriffen dominiert. 3. Das Bundeskartellamt, als unabhängige Behörde, musste diese Normen (§§ 22–24a GWB 1973) nun anwenden und mit den realen Begebenheiten in Einklang bringen. Hierzu gab ihm der Gesetzgeber Ermittlungsinstrumente sowie Vermutungstatbestände an die Hand, welche 1980 verschärft wurden. Im Rahmen des Behördenhandelns ließen sich bereits Anfang der 1970er Jahre informelle Verfahren zwischen Amt und Unternehmen nachweisen. Begünstigt wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Existenz der Fusionskontrolle zu dieser Zeit noch zu Entscheidungs- und Investitionsunsicherheiten bei den Unternehmen führte. Die Etablierung informeller Verfahren, insbesondere des Zusageverfahrens im Jahre 1974, resultierte aus der Ausgestaltung der Fusionskontrollnorm, die dem Bundeskartellamt kein Ermessen einräumte und keine Möglichkeit vorsah, die Entscheidung mit Auflagen
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3. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
oder Bedingungen zu versehen. Während die Gesetzesanwendung in den 1970er Jahren noch von Unsicherheiten geprägt war, folgten in den 1980er Jahren eine strengere Differenzierung der Merkmale innerhalb der Anwendung der Fusionskontrolle. Diese strengere Differenzierung war nicht nur aufgrund der Verschärfung des Instrumentariums in den 1980er Jahren möglich, sondern auch durch eine zunehmende Formalisierung innerhalb der Anwendung der Fusionskontrolle. 4. Den Akten kann deutlich entnommen werden, dass die Ermittlungstätigkeiten zu Beginn der Etablierung der Fusionskontrolle mit erheblichen Anstrengungen und Schwierigkeiten verbunden waren. Zunächst hatten die Unternehmen aufgrund bestehender Informationsasymmetrien einen entscheidenden Vorteil. Aufgrund des Informationsungleichgewichts zugunsten der Unternehmen fehlte es dem Bundeskartellamt an Datenmaterial aus vertrauenswürdigen Quellen. Auch die Befragungen der Konkurrenz stießen zu Beginn noch auf große Widerstände, wie etwa das Zusammenschlussvorhaben der Bitumen-Verkaufsgesellschaft aufzeigte. Die Unternehmen sahen zunächst keinen Anlass dafür, die Informationen preiszugeben. Das Unternehmerverhalten wandelte sich gleichwohl im Laufe der Zeit dahingehend, dass insbesondere die Wettbewerber von fusionierenden Unternehmen freiwillig, zum Teil sogar unaufgefordert, ihre Informationen zur Verfügung stellten. Ein Grund hierfür war, dass sich die Kartellbehörde ihren Platz als ‚Hüterin des Wettbewerbs‘ erarbeitete. Zu der Verhaltensänderung trugen aber auch die wachsenden Marktkenntnisse des Bundeskartellamtes bei, da man sich zwischenzeitlich auf behördeninterne Informationen stützen konnte, wie etwa im Verfahren Linde/Lansing. Das Amt wusste insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre, welche Unternehmen wie befragt werden mussten, und instrumentalisierte dabei unverzüglich sowohl informelle Auskunftsersuche als auch formelle Auskunftsbeschlüsse. Auch die Anwendung des sog. Abmahnschreibens durch die Kartellbehörde setzte das Amt zum Zwecke der Informationsgenerierung ein. Aus den Verfahrensakten ist zu erkennen, dass das Amt aufgrund der umfangreichen Ermittlungstätigkeiten, die es wegen der gesetzlichen Ausgestaltung durchführen musste, mit der Viermonatsfrist überfordert war. Sofern es nicht zu einer Zustimmung der Fristverlängerung kam, sah sich die Kartellbehörde gezwungen, die Fusion – provisorisch – vor Fristablauf zu untersagen, auch wenn die Prüfung noch nicht abgeschlossen war, wie beispielsweise im Verfahren Bayer/Firestone. Das Amt verlagerte die endgültige Entscheidung damit auf die nächsten Instanzen, mit dem Ziel, dass eine Untersagung nicht allein aufgrund möglicher Verzögerungstaktiken der Unternehmen scheitern musste. Darauf reagierten wiederum die Unternehmen, die seit den 1980er Jahren wussten, dass bei Verweigerung einer Fristverlängerung in der Praxis eine Untersagung sehr wahrscheinlich erfolgen würde.
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Entscheidungen des Bundeskartellamtes ohne gewährte Fristverlängerung erfolgten deshalb kaum noch. Die viermonatige Untersagungsfrist im GWB besaß demnach ab den 1980ern nur noch deklaratorischen Charakter. Des Weiteren ist die Nutzung von akkumuliertem Wissen durch das Amt zu beobachten. Zum einen lernte das Amt aus vorangegangenen Entscheidungen; beispielsweise ließ es sich nach dem Verfahren Bayer/Firestone stets die Vollmachten der Prozessbeteiligten zukommen, um überprüfen zu können, ob diese empfangsbefugt waren. Zum anderen ließ es sich nur noch auf informelle Verfahren ein, wenn dem Bundeskartellamt dabei kein Risiko entstand. Ein solches Vorgehen war zwischenzeitlich möglich, da das Amt sowohl mit schärferen Instrumenten im GWB ausgestattet wurde als auch durch seine Anerkennung und Etablierung als Wettbewerbshüter. Demnach statteten Wettbewerber das Amt mit entsprechenden Informationen aus und hinzukommend konnte es auf ein eigenes Reservoir internen Wissens zurückgreifen. Die Informationsasymmetrie nahm damit Mitte der 1980er Jahre gravierend ab und diese Veränderung resultierte in einem Erstarken der Stellung des Bundeskartellamtes. Die Reduktion der Informationsasymmetrie war auch der Einführung der qualifizierten Oligopolvermutung des § 23a Abs. 2 GWB 1980 – die auf die Theorie Kantzenbachs zurückging – geschuldet, welche die Verhandlungsposition des Amtes in erheblichem Maße stärkte, wie insbesondere anhand des Verfahrens Hüls/Condea ersichtlich wird. Eine verminderte Ermittlungstätigkeit ging damit gleichwohl nicht einher. Im Rahmen dieser Entwicklung des Bundeskartellamtes und seiner Instrumentarien kam es auch zu Interventionen des Bundeskartellamtes bei Zusammenschlussvorhaben. Die Kartellbehörde nutzte den Zeitfaktor zu ihren Gunsten aus, nachdem die Frist nur noch deklaratorischen Charakter besaß. Das Bundeskartellamt wusste, dass der Zeitfaktor u. U. für die Unternehmen eine hervorgehobene Relevanz entfalten konnte, weil Fusionsvorhaben aufgrund von steuerlichen Vorschriften oft vor Jahresende abgeschlossen sein sollten. So teilte das Amt der Veräußerin bei Hüls/Condea in einem formellen Vorgespräch mit, dass die Prüfung schneller gehen würde, wenn sie an Texaco und nicht an Hüls transferieren würde. Die unter Zeitdruck stehende Veräußerin zog im Endeffekt die Anzeige zurück und übertrug Condea an die Texaco, genau so wie vom Bundeskartellamt vorgeschlagen. Das Bundeskartellamt schärfte nicht nur, sondern schuf sich demnach seine Instrumente – neben den gesetzlichen Bestimmungen – auch selbst und übernahm in einem der untersuchten Verfahren sogar die Rolle eines Fusionspartnervermittlers. 5. Bei der der Zusammenschlusskontrolle zugrunde liegenden Erwartungsprognose hatte bereits die Marktabgrenzung des Amtes prognostischen Charakter und die Beurteilung von Marktmacht stützte sich überwiegend auf die
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3. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
ermittelten Marktanteile, weil die Rechtsprechung die Marktbeherrschungsbeurteilung nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 GWB 1973 zur Worthülse werden ließ. Insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre rückten die weiteren Strukturmerkmale in den Fokus der Kartellbehörde. Die anhand der Marktanteile festgestellte Marktbeherrschung wurde sodann durch das Vorliegen von weiteren Strukturmerkmalen stets unterstrichen. Die Erwartungsprognose differenzierte während der 1980er Jahre aufgrund diverser herangezogener Strukturmerkmale immer weiter aus. Dabei wurden Strukturkriterien sowohl vom Amt zur Feststellung der Entstehung oder Verstärkung von Marktmacht sowie zur Unterstützung dieser Feststellung herangezogen als auch von den Unternehmen zur Vermutungswiderlegung genutzt. Wettbewerbspolitische Interventionsversuche in Bezug auf die Entscheidung der Kartellbehörde konnten erkannt werden, blieben aber erfolglos. Das Bundeskartellamt war nicht nur in der Theorie als unabhängige Behörde ausgestaltet, sondern agierte auch in der Praxis unabhängig, sowohl gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium als auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Politische Argumente wurden vom Bundeskartellamt nur im Rahmen der Strukturbetrachtung geprüft. Eine wirtschaftstheoretische Eigenorientierung des Amtes konnte nicht festgestellt werden. Zwar konnten Anhaltspunkte erkannt werden, „enge Oligopole“ gestützt auf wettbewerbstheoretische Überlegungen zu vermeiden. Dies war jedoch keiner Eigenüberzeugung, sondern dem Einfluss Kantzenbachs auf das – vom Amt berücksichtigte – wettbewerbspolitische Leitbild geschuldet. Eine vom Amt angestrebte ideale Marktform konnte nicht erkannt werden. Eigene Ideale verfolgte das Amt nicht, sondern handelte den Instrumentarien des Gesetzes entsprechend.
Anlage A–H
Anlage A Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Leistungswettbewerbs (Josten-Entwurf) Auszug aus dem Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt, mit Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses und Minderheitsgutachten vom 05.07.1949, gedruckt im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft, Frankfurt a. M. o. J.: Vorschlag des Sachverständigen-Ausschusses der Verwaltung für Wirtschaft zur Ausarbeitung einer deutschen Monopolgesetzgebung Wortlaut Die gesetzgebenden deutschen Körperschaften haben sich im Anschluß an die Geldreform vom 20. Juni 1948 für eine Ordnung der Wirtschaft nach den Grundsätzen sozialer Marktwirtschaft und freien Leistungswettbewerbs entschieden. In weitestem Umfang hat der Staat inzwischen den Verkehr mit Waren und Leistungen vom staatlichen Zwang befreit. Wo die Wirtschaftspolitik des Staates auf Marktregelung verzichtet, dürfen Marktbeteiligte sich Marktregelungen nicht anmaßen. Wo die Wirtschaftspolitik des Staates die Ordnung der Märkte dem Leistungswettbewerb anvertraut, dürfen Marktbeteiligte den Markt dem Ordnungsprinzip des Leistungswett bewerbs nicht entziehen. Um dem Grundsatz des Leistungswettbewerbs im Markt Geltung zu verschaffen und Volk und Staat vor Gefahren zu schützen, die Bildung und Ausübung wirtschaftlicher Macht auf dem Markt mit sich bringen können, hat der Bundestag im Einklang mit den Grundsätzen des Kap. V der Havanna-Charta vom 24.3.1948 das folgende Gesetz beschlossen: ERSTER TEIL Allgemeine Vorschriften § 1 Leistungswettbewerb (1) Leistungswettbewerb im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn im Wettbewerb mit anderen Anbietern bei der Umwerbung von Kunden als Mittel nur angewendet werden: wahrheitsgemäßer Hinweis auf die eigene gewerbliche Leistungskraft oder auf die Eigenschaften der eigenen oder angebotenen Güter und Leistungen sowie Angebote, deren vertragsmäßige Erfüllung ernstlich beabsichtigt und unter Beobachtung der Gesetze und der guten Sitten möglich ist.
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Anlage A
(2) Dem Leistungswettbewerb steht der ehrliche Kaufkraftwettbewerb gleich. Ehrlicher Kaufwettbewerb liegt vor, wenn im Wettbewerb zwischen Nachfragenden bei der Umwerbung von Anbietern als Mittel nur angewendet werden: wahrheitsgemäßer Hinweis auf die eigene Kaufkraft oder auf die Eigenschaften der zu bewirkenden Gegenleistung sowie das Versprechen von Preisen und Entgelten, deren vertragsmäßige Bewirkung ernstlich beabsichtigt und unter Beobachtung des Gesetzes und der guten Sitten möglich ist. § 3 Wirtschaftliche Macht (1) Personen, Unternehmen, Beschaffungsstellen (Einzelunternehmen) und deren Zusammenschlüsse haben wirtschaftliche Macht, wenn sie in der Lage sind, den Markt fühlbar zu beeinflussen, insbesondere die Preise und Bedingungen für eigene oder fremde Waren oder Leistungen, die Richtung sowie die Art und den Umfang des Angebotes und der Nachfrage ohne wesentliche Rücksichtnahme auf Wettbewerber zu gestalten. (2) Hat ein Zusammenschluss wirtschaftliche Macht, so gilt das gleiche auch von jedem an ihm beteiligten Unternehmen. (3) Wirtschaftliche Macht gilt dann nicht als gegeben, wenn Waren oder gewerb liche Leistungen eines Unternehmens 1. einen neuartigen Bedarf oder einen vorhandenen Bedarf in neuer Art zu befriedigen bestimmt oder geeignet sind, solange andere Unternehmen die gleichen Waren oder Leistungen nicht anbieten, ohne daran durch das Bestehen gesetzlicher Ausschließlichkeitsrechte gehindert zu sein (Pionierleistung), 2. vor gleichartigen Waren oder Leistungen anderer Unternehmen mit Rücksicht darauf bevorzugt werden, daß sie a) ihnen gegenüber eine besondere Güte oder besondere Eigenschaften aufweisen, die in technischer Beziehung zu erreichen anderen Unternehmen offen steht (Leistungsvorsprung), b) geschmacklich oder in Bezug auf ihre äußere Beschaffenheit Besonderheiten bieten, die für ihre bestimmungsmäßige Verwendbarkeit nicht unmittelbar von Bedeutung sind (Liebhaberleistung). Dies gilt nicht, wenn die Bevorzugung das Ergebnis einer vom Anbieter veranlaßten Massenbeeinflussung ist. § 4 Zusammenschlüsse von Unternehmen Ein Zusammenschluß von Unternehmen im Sinne dieses Gesetzes (Zusammenschluß) ist gegeben: 1. wenn rechtliche selbstständige Unternehmen sich untereinander oder einzeln gegenüber anderen zu einem bestimmten Verhalten im Geschäftsverkehr verpflichten, das den Wettbewerb zu beschränken bestimmt oder geeignet ist (Kartellabreden aller Art, einschließlich Syndikate, Konventionen und sonstige marktregelnde Vereinba-
Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Leistungswettbewerbs239
rungen, kartellähnliche Abmachungen, Bindung der zweiten oder einer weiteren Hand durch Vereinigungen oder Einzelunternehmen), 2. wenn rechtlich selbstständige Unternehmen im Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen ihr Verhalten gegeneinander oder gegenüber einem marktbeteiligten Unternehmen bewußt zueinander in Beziehung setzen und dieses tatsächliche Zusammenwirken bestimm oder geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken (Ausweichformen wie kartellähnliche Verständigungen ohne rechtverpflichtende Bindung, gentlemen agreements, Empfehlungen, freiwillige oder unter Druck betätigte Marktsolidarität), 3. wenn rechtlich selbstständige Unternehmen sich verpflichten, mit oder ohne Begrünung einer Verwaltungsgemeinschaft das wirtschaftliche Ergebnis ihrer gesamten geschäftlichen Tätigkeit oder aus bestimmten Arten ihrer Betätigung zu vereinigen und unter sich zu verteilen haben (Interessengemeinschaften, Pools), 4. wenn zwischen rechtlichen selbstständigen Unternehmen tatsächliche oder rechtliche Beziehungen wirtschaftlicher, organisatorischer, finanzieller oder persön licher Art bestehen, die zu einheitlicher wirtschaftlicher Leistung führen oder das Unternehmen in die Lage setzen, die Willensbildung und das Verhalten eines anderen Unternehmens durch rechtliche oder tatsächliche Mittel maßgeblich zu beeinflußen (Konzerne), 5. wenn rechtlich selbstständige Unternehmen sich untereinander oder einzeln einem andren gegenüber zu gemeinsamen Ausübung der Rechte aus Beteiligungen an anderen Unternehmen verpflichten oder dahin tatsächlich zusammenwirken (Einflußnahmekonsortien, Stimmrechtsbindung, Sperrkonsortien, Anteilbindungskonsortien), 6. wenn Mischformen der unter 1–5 ausgeführten Zusammenschlüsse vorliegen. § 5 Unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen wirtschaftlicher Macht (1) Unwiderlegbar gelten als Inhaber wirtschaftlicher Macht Zusammenschlüsse der § 4 Nr. 1 und 2 bezeichneten Art (Kartelle, Ausweichformen), wenn ihre Betätigung zum Gegenstand hat: 1. Die Anwendung von Geschäftsbedingungen, die über die Regelung der technischen Einzelheiten für die Abwicklung des Einzelgeschäfts und die Festlegung allgemein anerkannter Gepflogenheiten (Handelsbräuche, Geschäftsnuancen) hinausgehen, insbesondere zu Ungunsten des Vertragsgegners von dem durch Gesetz für den Regelfall abgegebenen Vorschriften abweichen (Kondiktionskartell), 2. die Forderung bestimmter Preise oder Preisbestandteile (wie Gewinnaufschläge, Verarbeitungsspannen, Handelsspannen und ähnliche Grundlagen der Preisbildung) oder von Vertragsbedingungen, die unmittelbar oder mittelbar den Preis beeinflussen, sowie das Einhalten von Bestimmungen oder von Richtlinien über die Berechnung von Preisen (Preis- und Kalkulationskartell), 3. […] (Produktions-, Betriebseinschränkungs-, Fertigungs-, Spezialisierungs-, Kontingentierungs-, Quoten- und Umsatzausgleichskartelle, Gebiets- und Kundenschutzkartelle), 4. […] (Verdingungs-, Submissionskartelle),
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Anlage A
5. […] (Einkaufs-, Vermittlungssyndikate, Vertriebs-, Einkaufskartelle), 6. […] (Ausschließlichkeits- und Gegenseitigkeitsverträge Zwangsverkehrsklausel, Treurabatte, autonome und kollektive Bindungen der zweiten oder einer weiteren Hand), 7. […] (Patentverwertungskartelle, Drosselungsmaßnahmen), 8. […] (Maßnahmen des Behinderungswettbewerbs, des Störungs- oder Schädigungskampfes). (2) Als Behinderungswettbewerb (Abs. 1 Nr. 8) sind insbesondere anzusehen: 1. […] (Sperren, sperrähnliche Nachteile), 2. […] (Preisunterbietung mit Nötigungscharakter). § 6 Widerlegbare Vermutung für das Vorliegen wirtschaftlicher Macht Bis zum Beweis des Gegenteils gelten als Inhaber wirtschaftlicher Macht auch Einzelunternehmen und Zusammenschlüsse auch anderer als der in § 4 Nr. 1 und 2 bezeichneten Art, wenn sie 1. Den Geschäftsverkehr von Geschäftsbedingungen des in § 5 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Inhalts abhängig machen (Konditionszwang), 2. Den Geschäftsverkehr davon abhängig machen, daß der andere Teil Sicherheiten in einer Höhe oder Art leistet oder sich mit Formen ihrer Verwertung einverstanden erklärt, die das wirtschaftlich berechtigte Maß überschreiten (Sicherungswucher), 3. Maßnahmen der in § 5 Abs. 1 Nr. 6–8 bezeichneten Art treffen. ZWEITER TEIL Beseitigung vermeidbarer wirtschaftlicher Macht I. Abschnitt Kartelle und Ausweichformen § 8 Bestehende Verträge (1) Beim Inkrafttreten dieses Gesetzes noch in Geltung stehende Verträge der im § 7 bezeichneten Art treten 6 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes außer Kraft, soweit das Monopolamt im Einzelfall nicht ausdrücklich eine Ausnahme zuläßt. (2) Dies gilt insbesondere auch für 1. Verträge, die tatsächlich ruhen, jedoch durch einen Beschluß der Beteiligten nicht ausdrücklich aufgehoben worden sind (Abwicklungsstellen), 2. Verträge, die in Wahrnehmung staatlicher Belange oder nach den Weisungen staatlicher Stellen gehandhabt werden (Bewirtschaftungskartelle), 3. Kartellverpflichtungen, die auf Grund von Gesetzen, Verordnungen oder Anordnungen oder auf behördliche Weisung hin begründet worden sind (Zwangskartelle),
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4. Kartellverträge, die durch deutsche Behörden oder durch Dienststellen einer Militärregierung genehmigt oder nicht beanstandet worden sind (genehmigte Kartelle), 5. Kartellverträge, an denen Unternehmen, die in mehreren Ländern ihren Sitz haben, beteiligt sind, soweit sie ein Verhalten auf dem deutschen Markt zum Gegenstand haben (zwischenstaatliche Kartelle). FÜNFTER TEIL Das Monopolamt I. Abschnitt Aufgabengebiet § 52 Ausnahmebewilligungen (1) Das Monopolamt kann Ausnahmen von den Vorschriften dieses Gesetzes zulassen, wenn ohne Gefährdung des Gesetzeszweckes volkswirtschaftliche Gründe von überragender Bedeutung eine Ausnahme erforderlich erscheinen lassen, insbesondere wenn a) mit der Durchführung der Vorschriften Nachteile technischer oder volkswirtschaftlicher Art verbunden wären, die auf eine andere Weise nicht behoben werden können oder b) ihre Durchführung mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für die betroffenen wirtschaftliche Nachteile im Gefolge hat und Interessen der Gesamtwirtschaft die Erteilung einer Ausnahme nicht verbieten. (2) Die Ausnahmen können beschränkt und befristet erteilt werden. (3) Die Ausnahmen können auch an Bedingungen und Auflagen geknüpft werden, insbesondere kann damit die Verpflichtung verbunden werden: a) dem Monopolamt von wichtigen künftigen Maßnahmen des Machtgebildet vor dem Beginn der Durchführung Nachricht zu geben mit der Maßgabe, daß sie erst zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung wirksam vorgenommen werden können, b) bestimmte Recht aus Verträgen oder aus Anteilsrechten nicht oder nur beschränkt oder nur durch eine vom Monopolamt bezeichnete Person oder Stelle oder nach seinen Weisungen wahrzunehmen. (4) Die Ausnahmebewilligung ist mit angemessener Frist widerruflich. (5) Das Monopolamt hat für jede Erteilung oder Aufhebung einer Ausnahmebewilligung das Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister herzustellen. Der Bundeswirtschaftsminister ist seinerseits berechtigt, beim Monopolamt die Erteilung oder Aufhebung von Ausnahmebewilligungen zu beantragen. (6) Kommt zwischen Monopolamt und Bundeswirtschaftsminister über die Erteilung oder Aufhebung von Ausnahmebewilligungen eine Einigung nicht zustande, so hat das Monopolamt die Angelegenheit einem Ausschuß, den der Bundestag bestellt, zur endgültigen Entscheidung vorzulegen.
Anlage B Regierungsentwurf 1952 und 1955 Auszug aus dem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 13.06.1952, BT-Drucks. I/3462, wortgleich mit dem Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22.01.1955, BT-Drucks. II/1158: Dritter Abschnitt Marktbeherrschende Unternehmen § 17 (1) Soweit einem Unternehmen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerb lichen Leistungen ein wesentlicher Wettbewerb nicht gegenübersteht, insbesondere soweit ein Unternehmen mit Rücksicht auf die Größe seines Marktanteils in der Lage ist, die Erzeugung für eine bestimmte Art von Waren oder die Preise und Geschäftsbedingungen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne wesentliche Rücksichtnahme auf Wettbewerber zu gestalten und dadurch den Markt fühlbar zu beeinflussen (marktbeherrschendes Unternehmen), kann die Kartellbehörde dem Unternehmen untersagen, 1. bei Abschluß von Verträgen über diese Waren oder gewerblichen Leistungen Preise zu fordern oder anzubieten, die unter mißbräuchlicher Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung bemessen sind; 2. bei Abschluß von Verträgen über diese Waren oder gewerblichen Leistungen Geschäftsbedingungen anzuwenden, die unter mißbräuchlicher Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung abgefaßt sind; 3. den Abschluß von Verträgen über diese Waren oder gewerblichen Leistungen davon abhängig zu machen, daß der Vertragsgegner sachlich oder handelsüblich nicht zugehörige Waren oder Leistungen abnimmt. (2) Soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 bei einem Konzern im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes vorliegen, stehen der Kartellbehörde die Befugnisse aus Absatz 1 gegenüber jedem Konzernunternehmen zu. § 18 (1) Der Zusammenschluß von zwei oder mehreren Unternehmen bedarf der Erlaubnis der Kartellbehörde, sofern er zur Folge haben würde, daß die zusammen geschlossenen Unternehmen in einem nicht nur örtlich begrenzten Gebiet für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen die Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens im Sinne des § 17 Abs. 1 erlangen würden.
Regierungsentwurf 1952 und 1955243
(2) Die Kartellbehörde darf die Erlaubnis zu einem Zusammenschluß der in Absatz 1 bezeichneten Art nur erteilen, wenn sie feststellt, daß die zusammengeschlossenen Unternehmen dadurch nicht im Bundesgebiet für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen die Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens im Sinne des § 17 Abs. 1 erhalten würden. (3) Absatz 1 und 2 gelten entsprechend, falls ein am Zusammenschluß beteiligtes Unternehmen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen bereits eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 17 Abs. 1 hat und diese Stellung durch den Zusammenschluß verstärkt wird. (4) Ist eines der zusammenzuschließenden Unternehmen ein Konzernunternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind für die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 alle Konzernunternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen. (5) In der Erlaubnis können Beschränkungen, Bedingungen und Auflagen vorgesehen werden. § 7 Abs. 4 Nr. 1 gilt entsprechend. § 19 Als Zusammenschluß im Sinne des § 18 gelten 1. Erwerb des Eigentums oder eines dinglichen Nutzungsrechts an Betriebsstätten anderer Unternehmen; 2. Miete und Pacht von Betriebsstätten anderer Unternehmen; 3. Betriebsüberlassungsverträge und Betriebsführungsverträge über Betriebsstätten anderer Unternehmen; 4. Erwerb des Vermögens anderer Unternehmen und Erwerb des Nießbrauches an anderen Unternehmen; 5. Verschmelzung mit anderen Unternehmen; 6. Abschluß von Gewinngemeinschaftsverträgen mit anderen Unternehmen; 7. jedes Rechtsgeschäft, durch das Mitglieder der Geschäftsführung eines Unternehmens (Mitglieder des Vorstandes, Geschäftsführer, Mitglieder des Aufsichtsrates, leitende Angestellte) Mitglieder der Geschäftsführung eines anderen Unternehmens werden; 8. Erwerb von Anteilsrechten jeder Art an anderen Unternehmen, sofern diese Anteilsrechte allein oder zusammen mit anderen bereits vorhandenen Anteilsrechten dem Unternehmen einen beherrschenden Einfluß auf andere Unternehmen oder ausreichende Stimmrechte gewähren, um eine Satzungsänderung bei anderen Unternehmen zu verhindern. § 20 (1) Soweit ein Zusammenschluß im Sinne des § 18 ohne Erlaubnis der Kartell behörde durchgeführt oder eine Erlaubnis widerrufen oder eingeschränkt ist, kann die Kartellbehörde 1. im Falle des § 19 Nr. 1 bis 7 anordnen, daß der Zusammenschluß gelöst wird; 2. im Falle des § l9 Nr. 8 anordnen, daß Mitgliedschaftsrechte aus den erworbenen Anteilsrechten nur mit Erlaubnis der Kartellbehörde ausgeübt werden können und daß die Anteilsrechte zu veräußern sind.
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Anlage B
(2) Auf Grund einer Anordnung gemäß Absatz 1 Nummer 1 kann jeder, der an Rechtsgeschäften der in § 19 Nr. 2, 3, 6 oder 7 bezeichneten Art beteiligt ist, das dadurch begründete Rechtsverhältnis mit sofortiger Wirkung kündigen. § 21 (1) Wird eine Verfügung gemäß § 20 nicht befolgt, so kann die Kartellbehörde 1. die zur Lösung des Zusammenschlusses oder zur Veräußerung von Anteilsrechten Verpflichteten nach vorheriger schriftlicher Androhung durch Festsetzung eines Zwangsgeldes von 1000 Deutsche Mark bis zu 100 000 Deutsche Mark zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen anhalten; das Zwangsgeld kann mehrfach festgesetzt werden; 2. einen Treuhänder bestellen, der berechtigt und verpflichtet ist, in Vertretung der zur Lösung des Zusammenschlusses oder zur Veräußerung von Anteilsrechten Verpflichteten die Willenserklärungen abzugeben und die tatsächlichen Handlungen vorzunehmen, die zur Erfüllung der Verpflichtungen erforderlich sind; hierbei ist zu bestimmen, in welchem Umfang während der Dauer der Treuhänderschaft die Rechte der Betroffenen ruhen. Für das Rechtsverhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Verpflichteten sind § 664, §§ 666 bis 670 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend anzuwenden; der Treuhänder kann von dem Verpflichteten eine angemessene Vergütung beanspruchen. (2) Absatz 1 Nummer 1 gilt entsprechend, wenn eine in einer Erlaubnis gemäß § 18 enthaltene Auflage nicht befolgt wird. § 22 Soweit auf Grund einer Anordnung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 ein Zusammenschluß gelöst wird, kann jeder an dem Zusammenschluß Beteiligte von den übrigen Beteiligten Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, daß er auf die Zulässigkeit des Zusammenschlusses vertraut hat, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches er an der Aufrechterhaltung des Zusammenschlusses hat. Zum Schadensersatz sind nur diejenigen Beteiligten verpflichtet, denen bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, daß für den Zusammenschluß eine Erlaubnis der Kartellbehörde erforderlich und nicht erteilt war. Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn dem Geschädigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, daß für den Zusammenschluß eine Erlaubnis der Kartellbehörde erforderlich und nicht erteilt war. ZWEITER TEIL Ordnungswidrigkeiten § 31 Eine Geldbuße bis zu 1 000 000 Deutsche Mark kann gegen den festgesetzt werden, der 1. sich vorsätzlich über die auf §§ 1, 10, 15 Abs. 1 und 2 oder § 16 beruhende Unwirksamkeit eines Vertrages oder über die auf § 1 beruhende Unwirksamkeit eines Beschlusses hinwegsetzt; 2. vorsätzlich entgegen § 9 Abs. 1 ohne Erlaubnis Sicherheiten verwertet;
Regierungsentwurf 1952 und 1955245
3. vorsätzlich oder fahrlässig einer Verfügung zuwiderhandelt, die auf die §§ 2 bis 5, 7, 17, 25, 26, 47 oder 50 Abs. 3 gestützt ist und ausdrücklich auf die Bußgeldbestimmungen dieses Gesetzes verweist; 4. vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben tatsächlicher Art macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine nach den §§ 2 bis 5, 8, 9, 14 Satz 2, §§ 18, 20 Abs. 1 Nr. 2, § 66 Abs. 1 Satz 2 erforderliche Erlaubnis zu erschleichen; 5. sich vorsätzlich ohne Erlaubnis an einem Zusammenschluß im Sinne des § 18 beteiligt; 6. vorsätzlich entgegen dem § 23 die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit eines anderen Unternehmens beeinträchtigt; 7. vorsätzlich entgegen dem § 24 Empfehlungen ausspricht oder weitergibt; 8. vorsätzlich einem anderen Nachteile zufügt, um ihn zu veranlassen, sich über die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts hinwegzusetzen, die auf den §§ 1, 10, 15 Abs. 1 und 2, § 16 oder auf eine Verfügung gemäß §§ 12 oder 13 beruht; 9. vorsätzlich einem anderen einen wirtschaftlichen Nachteil zufügt, weil er von den ihm nach den §§ 8, 13, 20 Abs. 2, §§ 25, 26 zustehenden Rechten Gebrauch macht.
Anlage C GWB 1958 Auszug aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i. d. F. vom 27. Juli 1957, in: BGBl. I 1957, S. 1081–1103: ERSTER TEIL Wettbewerbsbeschränkungen DRITTER ABSCHNITT Marktbeherrschende Unternehmen § 22 (1) Soweit ein Unternehmen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, ist es marktbeherrschend im Sinne dieses Gesetzes. (2) Als marktbeherrschend gelten auch zwei oder mehr Unternehmen, soweit zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen allgemein oder auf bestimmten Märkten aus tatsächlichen Gründen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und soweit sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen. (3) Die Kartellbehörde hat gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen die in Absatz 4 genannten Befugnisse, soweit diese Unternehmen 1. bei Abschluß von Verträgen über diese Waren oder gewerblichen Leistungen ihre Marktstellung beim Fordern oder Anbieten von Preisen oder bei der Gestaltung von Geschäftsbedingungen mißbräuchlich ausnutzen oder 2. durch mißbräuchliche Ausnutzung ihrer Marktstellung den Abschluß von Verträgen über diese Waren oder gewerblichen Leistungen davon abhängig machen, daß der Vertragsgegner sachlich oder handelsüblich nicht zugehörige Waren oder Leistungen abnimmt. Bei der Beurteilung, ob die Marktstellung mißbräuchlich ausgenutzt ist, sind alle Umstände zu berücksichtigen. (4) Die Kartellbehörde kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 marktbeherrschenden Unternehmen ein mißbräuchliches Verhalten untersagen und Verträge für unwirksam erklären; § 19 gilt entsprechend. Zuvor soll die Kartellbehörde die Beteiligten auffordern, den beanstandeten Mißbrauch abzustellen.
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(5) Soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 bei einem Konzern im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes vorliegen, stehen der Kartellbehörde die Befugnisse nach Absatz 4 gegenüber jedem Konzernunternehmen zu. § 23 Der Zusammenschluß von Unternehmen ist der Kartellbehörde unverzüglich anzuzeigen, wenn die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von 20 vom Hundert oder mehr erreichen oder ein beteiligtes Unternehmen einen Marktanteil dieser Höhe bereits ohne den Zusammenschluß hat. Als Zusammenschluß gelten: 1. Verschmelzung mit anderen Unternehmen; 2. Erwerb des Vermögens anderer Unternehmen; 3. Erwerb des Eigentums an Betriebsstätten anderer Unternehmen; 4. Betriebsüberlassungsverträge und Betriebsführungsverträge über Betriebsstätten anderer Unternehmen. 5. Erwerb von Anteilsrechten jeder Art an anderen Unternehmen, sofern diese Anteilsrechte allein oder zusammen mit anderen dem Unternehmen selbst oder einem Konzernunternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes bereits zustehenden Anteilsrechten 25 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens erreichen. § 24 Die Kartellbehörde kann nach Eingang der Anzeige nach § 23 Satz 1 die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung oder zu einer schriftlichen Äußerung über den Zusammenschluß auffordern, wenn zu erwarten ist, daß die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß die Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens im Sinne des § 22 Abs. 1 oder 2 erlangen oder wenn durch den Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung verstärkt wird. DRITTER TEIL Behörden ERSTER ABSCHNITT Kartellbehörden § 44 (1) Die in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben und Befugnisse nehmen wahr 1. das Bundeskartellamt (§ 48) a) gegenüber Kartellen im Sinne der §§ 4, 6 und 7; b) in bezug auf Verträge der in § 16 bezeichneten Art; c) gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen (§ 22) und Zusammenschlüssen nach den §§ 23 und 24;
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Anlage C
d) wenn die Wirkung der Marktbeeinflussung oder des wettbewerbsbeschränkenden oder diskriminierenden Verhaltens oder einer Wettbewerbsregel über das Gebiet eines Landes hinaus reicht; e) gegenüber der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn; 2. der Bundesminister für Wirtschaft in den Fällen des § 8; 3. in allen übrigen Fällen die nach Landesrecht zuständige oberste Landesbehörde. (2) Soweit ein Bußgeld auf Grund dieses Gesetzes gegen Versicherungsunternehmungen, Bausparkassen oder solche Unternehmen, die Bank- oder Sparkassengeschäfte betreiben, oder Vereinigungen dieser Unternehmen festgesetzt werden soll, stellt die Kartellbehörde den Antrag im Einvernehmen mit der fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde. Ist ein Einvernehmen nicht herzustellen, so legt die Kartellbehörde die Sache dem Bundesminister für Wirtschaft vor; seine Weisungen ersetzen dieses Einvernehmen. Sind die Kartellbehörde und die fachlich zuständige Aufsichtsbehörde Landesbehörden, so entscheidet, falls ein Einvernehmen nicht herzustellen ist, die nach Landesrecht zuständige Stelle. § 45 (1) Leitet das Bundeskartellamt gegen ein Unternehmen, ein Kartell, eine Wirtschafts- oder Berufsvereinigung ein Verwaltungsverfahren (§§ 51 bis 61) oder ein Bußgeldverfahren (§§ 81 bis 86) ein oder führt es Ermittlungen durch, so benachrichtigt es gleichzeitig die örtlich zuständige oberste Landesbehörde. (2) Leitet eine oberste Landesbehörde gegen ein Unternehmen, ein Kartell, eine Wirtschafts- oder Berufsvereinigung ein Verwaltungs- oder Bußgeldverfahren ein oder führt sie Ermittlungen durch, so benachrichtigt sie gleichzeitig das Bundeskartellamt. (3) Die oberste Landesbehörde hat eine Sache an das Bundeskartellamt abzugeben, wenn nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 die Zuständigkeit des Bundeskartellamtes begründet ist. Das Bundeskartellamt hat eine Sache an die oberste Landesbehörde abzugeben, wenn nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 die Zuständigkeit der obersten Landesbehörde begründet ist. § 46 (1) Soweit es zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde 1. von Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen; 2. bei Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten die geschäftlichen Unterlagen einsehen und prüfen; 3. von Wirtschafts- und Berufsvereinigungen Auskunft über die Satzung, über die Beschlüsse sowie über Anzahl und Namen der Mitglieder verlangen, für die die Beschlüsse bestimmt sind. (2) Die Inhaber der Unternehmen oder deren Vertreter, bei juristischen Personen, Gesellschaften und nicht rechtsfähigen Vereinen die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen sowie die gemäß § 36 Abs. 2 bestellten Vertreter sind verpflichtet, die verlangten Auskünfte zu erteilen, die geschäftlichen Unterlagen vor-
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zulegen und die Prüfung dieser geschäftlichen Unterlagen sowie das Betreten von Geschäftsräumen und -grundstücken zu dulden. (3) Personen, die von der Kartellbehörde mit der Vornahme von Prüfungen beauftragt werden, dürfen die Räume der Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen betreten. Das Grundrecht des Artikels 13 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt. (4) Durchsuchungen können nur auf Anordnung des Amtsrichters, in dessen Bezirk die Durchsuchung erfolgen soll, vorgenommen werden. Auf die Anfechtung dieser Anordnung finden die §§ 304 bis 310 der Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung. Bei Gefahr im Verzuge können die in Absatz 3 bezeichneten Personen während der Geschäftszeit die erforderlichen Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung vornehmen. An Ort und Stelle ist eine Niederschrift über die Durchsuchung und ihr wesentliches Ergebnis aufzunehmen, aus der sich, falls keine richterliche Anordnung ergangen ist, auch die Tatsachen ergeben, die zur Annahme einer Gefahr im Verzuge geführt haben. (5) Der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. (6) Der Bundesminister für Wirtschaft oder die oberste Landesbehörde fordern die Auskunft durch schriftliche Einzelverfügung, das Bundeskartellamt fordert sie durch Beschluß an. Darin sind die Rechtsgrundlage, der Gegenstand und der Zweck des Auskunftsverlangens anzugeben und eine angemessene Frist zur Erteilung der Auskunft zu bestimmen. (7) Der Bundesminister für Wirtschaft oder die oberste Landesbehörde ordnen die Prüfung durch schriftliche Einzelverfügung, das Bundeskartellamt ordnet sie durch Beschluß mit Zustimmung des Präsidenten an. In der Anordnung sind Zeitpunkt, Rechtsgrundlage, Gegenstand und Zweck der Prüfung anzugeben. (8) Die bei der Kartellbehörde beschäftigten oder von ihr beauftragten Personen haben vorbehaltlich der dienstlichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten mit Ausnahme der in Absatz 9 genannten über die durch Auskünfte nach Absatz 1 Nr. 1 und 3 oder Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 erlangten Kenntnisse und Unterlagen Stillschweigen zu bewahren und sich der Verwertung der hierbei zu ihrer Kenntnis gelangten Geschäftsund Betriebsgeheimnisse zu enthalten, auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind. Das gleiche gilt für Personen, die durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von den der Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen erhalten. Zusammenfassungen von Angaben mehrerer Auskunftspflichtiger, aus denen die Angaben einzelner Auskunftspflichtiger weder unmittelbar noch mittelbar zu ersehen sind, unterliegen nicht der Schweigepflicht; das gleiche gilt für Ergebnisse von Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2. (9) Die durch Auskünfte nach Absatz 1 Nr. 1 und 3 oder Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 erlangten Kenntnisse und Unterlagen dürfen nicht für ein Besteuerungsverfahren einschließlich eines Steuerstrafverfahrens oder ein Verfahren wegen De visenzuwiderhandlungen verwendet werden. Die Vorschriften der §§ 175, 179, 188
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Abs. 1 und des § 189 der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (Reichsgesetzbl. I S. 161) über Beistands- und Anzeigepflichten gegenüber den Finanzämtern gelten insoweit nicht. § 47 (1) Wer die ihm nach § 46 Abs. 8 obliegende Verpflichtung verletzt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. (2) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtwidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen oder jemandem einen Nachteil zuzufügen, so ist die Strafe Gefängnis bis zu zwei Jahren. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten nur, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. (4) Die Strafverfolgung tritt im Falle des Absatzes 1 nur auf Antrag des Verletzten ein. ZWEITER ABSCHNITT Bundeskartellamt § 48 (1) Als selbständige Bundesoberbehörde wird ein Bundeskartellamt mit dem Sitz in Berlin errichtet. Es gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. (2) Die Entscheidungen des Bundeskartellamts werden von den Beschlußabteilungen und den Einspruchsabteilungen getroffen, die nach Bestimmung des Bundesministers für Wirtschaft gebildet werden. Im übrigen regelt der Präsident die Verteilung und den Gang der Geschäfte des Bundeskartellamts durch eine Geschäftsordnung; sie bedarf der Bestätigung durch den Bundesminister für Wirtschaft. (3) Die Beschlußabteilungen und die Einspruchsabteilungen entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. (4) Die Vorsitzenden und die Beisitzer der Beschlußabteilungen und der Einspruchsabteilungen müssen Beamte auf Lebenszeit sein. Die Vorsitzenden und die Beisitzer müssen die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben; die Vorsitzenden sollen in der Regel die Befähigung zum Richteramt haben. (5) Die Mitglieder des Bundeskartellamts dürfen nicht Inhaber, Leiter oder Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates eines Unternehmens, eines Kartells oder einer Wirtschafts- oder Berufsvereinigung sein. § 49 Soweit der Bundesminister für Wirtschaft dem Bundeskartellamt allgemeine Weisungen für den Erlaß oder die Unterlassung von Verfügungen nach diesem Gesetz erteilt, sind diese Weisungen im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.
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(1) Das Bundeskartellamt veröffentlicht jährlich einen Bericht über seine Tätigkeit sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet. In den Bericht sind die allgemeinen Weisungen des Bundesministers für Wirtschaft nach § 49 aufzunehmen. Es veröffentlicht ferner fortlaufend seine Verwaltungsgrundsätze. (2) Die Bundesregierung leitet den Bericht der Kartellbehörde dem Bundestag unverzüglich mit ihrer Stellungnahme zu. VIERTER TEIL Verfahren ERSTER ABSCHNITT Verwaltungssachen I. Verfahren vor den Kartellbehörden § 51 (1) Die Kartellbehörde leitet ein Verfahren von Amts wegen oder auf Antrag ein. (2) An dem Verfahren vor der Kartellbehörde sind beteiligt, 1. wer die Einleitung eines Verfahrens beantragt hat; 2. Kartelle, Unternehmen, Wirtschafts- oder Berufsvereinigungen, gegen die sich das Verfahren richtet; 3. in den Fällen der §§ 14, 19 und 105 die betroffenen Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen; 4. Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Kartellbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat. (3) An Verfahren vor obersten Landesbehörden ist auch das Bundeskartellamt beteiligt. § 54 (1) Die Kartellbehörde kann alle Ermittlungen führen und alle Beweise erheben, die erforderlich sind. (2) Für den Beweis durch Augenschein, Zeugen und Sachverständige sind § 372 Abs. 1, §§ 376, 377, 380 bis 387, 390, 395 bis 397, 398 Abs. 1, §§ 401, 402, 404, 406 bis 409, 411 bis 414 der Zivilprozeßordnung sinngemäß anzuwenden; Haft darf nicht verhängt werden. Für die Entscheidung über die Beschwerde ist das Oberlandesgericht zuständig. (3) Über die Aussagen der Zeugen soll eine Niederschrift aufgenommen werden, die von dem ermittelnden Mitglied der Kartellbehörde und, wenn ein Urkundsbeamter zugezogen ist, auch von diesem zu unterschreiben ist. Die Niederschrift soll Ort und Tag der Verhandlung sowie die Namen der Mitwirkenden und Beteiligten ersehen lassen.
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(4) Die Niederschrift ist dem Zeugen zur Genehmigung vorzulesen oder zur eigenen Durchsicht vorzulegen. Die erteilte Genehmigung ist zu vermerken und von dem Zeugen zu unterschreiben. Unterbleibt die Unterschrift, so ist der Grund hierfür anzugeben. (5) Bei der Vernehmung von Sachverständigen sind die Bestimmungen der Absätze 3 und 4 entsprechend anzuwenden. (6) Die Kartellbehörde kann das Amtsgericht um die Beeidigung von Zeugen ersuchen, wenn sie die Beeidigung zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für notwendig erachtet. Über die Beeidigung entscheidet das Gericht. II. Beschwerde § 70 (1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beschluß darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. (2) Hält das Beschwerdegericht die Verfügung der Kartellbehörde für unzulässig oder unbegründet, so hebt es sie und den Einspruchsentscheid auf. Hat sich die Verfügung vorher durch Zurücknahme oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, daß die Verfügung der Kartellbehörde unzulässig oder unbegründet gewesen ist, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (3) Hält das Beschwerdegericht die Ablehnung oder Unterlassung der Verfügung für unzulässig oder unbegründet, so spricht es die Verpflichtung der Kartellbehörde aus, die beantragte Verfügung vorzunehmen. (4) Die Verfügung ist auch dann unzulässig oder unbegründet, wenn die Kartellbehörde von ihrem Ermessen fehlsamen Gebrauch gemacht hat, insbesondere wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder durch die Ermessensentscheidung Sinn und Zweck dieses Gesetzes verletzt hat. Die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung ist hierbei der Nachprüfung des Gerichts entzogen. (5) Der Beschluß ist zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung den Beteiligten zuzustellen. ZWEITER ABSCHNITT Bußgeldsachen § 81 (1) Die Geldbuße wird in den Fällen der §§ 38 bis 41 abweichend von § 48 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten auf Antrag der Kartellbehörde durch Beschluß von dem Oberlandesgericht festgesetzt, in dessen Bezirk die Kartellbehörde ihren Sitz hat. Das Oberlandesgericht entscheidet in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden.
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(2) Die Kartellbehörde kann den Antrag stellen, wenn der Betroffene nach dem Ergebnis der Ermittlungen hinreichend verdächtig erscheint, die Ordnungswidrigkeit begangen zu haben, und nach ihrer Auffassung ein öffentliches Interesse an deren Verfolgung besteht. (3) Der Antrag wird in einer Antragsschrift gestellt, die den Erfordernissen einer Anklageschrift im Strafverfahren entsprechen muß. Die Antragsschrift ist dem Betroffenen mit dem Hinweis zuzustellen, daß er binnen einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden Frist dazu Stellung nehmen, Anträge stellen und insbesondere eine mündliche Verhandlung beantragen kann. Der Antrag kann nach Zustellung an den Betroffenen nicht mehr zurückgenommen werden. (4) Für das Ermittlungsverfahren der Kartellbehörde gelten die §§ 35 bis 47 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten entsprechend. Soweit diese Vorschriften eine richterliche Handlung vorsehen, ist für deren Vornahme das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Handlung vorzunehmen ist, zuständig. In den Fällen des § 47 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten entscheidet das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Kartellbehörde ihren Sitz hat. DRITTER ABSCHNITT Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten § 90 (1) Das Gericht hat das Bundeskartellamt über alle Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz oder aus Kartellverträgen und aus Kartellbeschlüssen ergeben, zu unterrichten. Das Gericht hat dem Bundeskartellamt auf Verlangen Abschriften von allen Schriftsätzen, Protokollen, Verfügungen und Entscheidungen zu übersenden. (2) Der Präsident des Bundeskartellamts kann, wenn er dies zur Wahrung des öffentlichen Interesses als angemessen erachtet, aus den Mitgliedern des Bundeskartellamts und, wenn der Rechtsstreit eines der in § 102 bezeichneten Unternehmen betrifft, auch aus den Mitgliedern der zuständigen Aufsichtsbehörde einen Vertreter bestellen, der befugt ist, dem Gericht schriftliche Erklärungen abzugeben, auf Tatsachen und Beweismittel hinzuweisen, den Terminen beizuwohnen, in ihnen Ausführungen zu machen und Fragen an Parteien, Zeugen und Sachverständige zu richten. Schriftliche Erklärungen des Vertreters sind den Parteien von dem Gericht mitzuteilen. (3) Reicht die Bedeutung des Rechtsstreits nicht über das Gebiet eines Landes hinaus, so tritt im Rahmen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 die oberste Landesbehörde an die Stelle des Bundeskartellamtes. FÜNFTER TEIL Anwendungsbereich des Gesetzes § 98 (1) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden, soweit in den §§ 99 bis 103 nichts anderes bestimmt wird.
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(2) Dieses Gesetz findet Anwendung auf alle Wettbewerbsbeschränkungen, die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes auswirken, auch wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes veranlaßt werden. § 101 Dieses Gesetz findet keine Anwendung 1. auf die Bank deutscher Länder, die Landeszentralbanken und die Kreditanstalt für Wiederaufbau; 2. soweit Leistungen und Entgelte auf Grund des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 8. April 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 335, 405) und des Zündwarenmonopol-Gesetzes vom 29. Januar 1930 (Reichsgesetzbl. I S. 11) und der zu diesen Gesetzen ergangenen Rechtsverordnungen geregelt sind; 3. soweit der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 besondere Vorschriften enthält.
Anlage D GWB 1965 Auszug aus der ersten GWB Novelle (1965) i. d. F. vom 03. Januar 1965, in: BGBl. I 1966, S. 37–59: ERSTER TEIL Wettbewerbsbeschränkungen Dritter Abschnitt Marktbeherrschende Unternehmen § 22 (1) Soweit ein Unternehmen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, ist es marktbeherrschend im Sinne dieses Gesetzes. (2) Als marktbeherrschend gelten auch zwei oder mehr Unternehmen, soweit zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen allgemein oder auf bestimmten Märkten aus tatsächlichen Gründen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und soweit sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen. (3) Die Kartellbehörde hat gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen die in Absatz 4 genannten Befugnisse, soweit diese Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für diese oder andere Waren oder gewerblichen Leistungen mißbräuchlich ausnutzen. (4) Die Kartellbehörde kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 marktbeherrschenden Unternehmen ein mißbräuchliches Verhalten untersagen und Verträge für unwirksam erklären; § 19 gilt entsprechend. Zuvor soll die Kartellbehörde die Beteiligten auffordern, den beanstandeten Mißbrauch abzustellen. (5) Soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 bei einem Konzern im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes vorliegen, stehen der Kartellbehörde die Befugnisse nach Absatz 4 gegenüber jedem Konzernunternehmen zu. § 23 (1) Der Zusammenschluß von Unternehmen ist der Kartellbehörde unverzüglich anzuzeigen, wenn 1. die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von 20 vom Hundert
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oder mehr erreichen oder ein beteiligtes Unternehmen einen Marktanteil dieser Höhe bereits ohne den Zusammenschluß hat oder 2. die beteiligten Unternehmen insgesamt zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Zusammenschluß 10 000 Beschäftigte oder mehr oder in diesem Zeitraum einen Umsatz von 500 Millionen Deutscher Mark oder mehr hatten oder in ihrer Bilanz für das letzte vor dem Zusammenschluß endende Geschäftsjahr eine Bilanzsumme von 1 Milliarde Deutscher Mark oder mehr ausgewiesen hatten. Ist in Fällen des Satzes 1 Nr. 1 ein beteiligtes Unternehmen ein Konzernunternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind für die Berechnung des Marktanteils alle Konzernunternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 sind Umsätze in fremder Währung nach dem amtlichen Kurs in Deutsche Mark umzurechnen. (2) Als Zusammenschluß gelten: 1. Verschmelzung mit anderen Unternehmen; 2. Erwerb des Vermögens anderer Unternehmen; 3. Erwerb des Eigentums an Betriebsstätten anderer Unternehmen; 4. Betriebsüberlassungsverträge und Betriebsführungsverträge über Betriebsstätten anderer Unternehmen; 5. Erwerb von Anteilsrechten jeder Art an anderen Unternehmen, sofern diese Anteilsrechte allein oder zusammen mit anderen dem Unternehmen selbst oder einem Konzernunternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes bereits zustehenden Anteilsrechten 25 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens erreichen. (3) Zur Anzeige sind verpflichtet: 1. in den Fällen der Verschmelzung mit anderen Unternehmen die Inhaber des aufnehmenden oder des neugebildeten Unternehmens oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen; 2. in den übrigen Fällen die Inhaber der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen. (4) Die Anzeige muß über jedes beteiligte Unternehmen folgende Angaben enthalten: 1. die Firma oder sonstige Bezeichnung und den Ort der Niederlassung oder den Sitz; 2. die Art des Geschäftsbetriebes; 3. den Marktanteil und, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 vorliegen, die Marktanteile der Konzernunternehmen; 4. die Bilanzsumme, die Zahl der Beschäftigten und den Umsatz. Ferner ist die Form des Zusammenschlusses anzugeben.
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(5) Die Kartellbehörde kann von jedem beteiligten Unternehmen Auskunft über seinen Umsatz an einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen verlangen, den es innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Zusammenschluß erzielt hat Ist ein beteiligtes Unternehmen ein Konzernunternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind auch die Umsätze der anderen Konzernunternehmen mitzuteilen; die Kartellbehörde kann diese Auskunft auch von den anderen Konzernunternehmen verlangen, § 46 Abs. 2, 5, 8 und 9 gilt entsprechend. Zur Erteilung der Auskunft hat die Kartellbehörde eine angemessene Frist zu bestimmen. Die Befugnisse der Kartellbehörde nach § 46 bleiben unberührt. § 24 Die Kartellbehörde kann nach Eingang der Anzeige nach § 23 Abs. 1 die Beteiligten zu einer öffentlichen mündlichen Verhandlung oder zu einer schriftlichen Äußerung über den Zusammenschluß auffordern, wenn zu erwarten ist, daß die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß die Stellung eines marktbeherrschenden Unternehmens im Sinne des § 22 Abs. 1 oder 2 erlangen oder wenn durch den Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung verstärkt wird. Die Kartellbehörde hat auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit, oder die Gefährdung eines wichtigen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses besorgen läßt.
Anlage E Referentenentwurf vom 20.03.1970 Auszug aus dem Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 20.03.1970, abgedruckt in: Raisch/Sölter/Kartte, Fusionskontrolle Für und Wider, S. 139 ff.: § 23 (1) Der Zusammenschluß von Unternehmen ist der Kartellbehörde unverzüglich anzuzeigen, 1. wenn die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 20 vom Hundert erreichen oder ein beteiligtes Unternehmen für diese oder eine andere Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil dieser Höhe bereits ohne den Zusammenschluß hat oder 2. wenn ein beteiligtes Unternehmen zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Zusammenschluß mindestens 5000 Beschäftigte oder in dem letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mindestens 500 Millionen Deutscher Mark hatte. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein verbundenes Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind alle verbundenen Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen. Beschäftigte sind alle Arbeitnehmer einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sowie der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer. Für die Ermittlung der Umsatzerlöse gelten § 158 Abs. 1 und 2 sowie § 332 des Aktiengesetzes mit der Maßgabe, daß die Innenumsatzerlöse außer Betracht bleiben. Umsatzerlöse in fremder Währung sind nach dem amtlichen Kurs in Deutsche Mark umzurechnen. An die Stelle der Umsatzerlöse treten bei Kreditinstituten und Bausparkassen ein Fünfzehntel des Geschäftsvolumens, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen. (2) Als Zusammenschluß gelten 1. Erwerb des Vermögens anderer Unternehmen durch Verschmelzung, Umwandlung oder in sonstiger Weise sowie der Erwerb von Betrieben oder Teilbetrieben anderer Unternehmen; 2. Verträge, durch die einem Unternehmen der Betrieb anderer Unternehmen oder von Betriebsstätten anderer Unternehmen verpachtet oder sonst überlassen wird; 3. Verträge mit anderen Unternehmen, durch die sich diese dem Unternehmen gegenüber verpflichten, ihr Unternehmen für dessen Rechnung zu führen oder ihren
Referentenentwurf vom 20.03.1970259
Gewinn oder den Gewinn einzelner Betriebe ganz oder teilweise an das Unternehmen abzuführen oder mit dem Gewinn des Unternehmens oder einzelner Betriebe des Unternehmens zur Aufteilung eines gemeinschaftlichen Gewinns zusammenzulegen; 4. Verträge mit anderen Unternehmen, durch die diese dem Unternehmen die Leitung ihres Unternehmens unterstellen, sowie jede Maßnahme, durch die das Unternehmen einen beherrschenden Einfluß auf andere Unternehmen erlangt oder andere Unternehmen zu einem Konzern im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes zusammenfaßt; 5. Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen, wenn die Anteile allein oder zusammen mit anderen dem Unternehmen bereits gehörenden Anteilen diesem einen beherrschenden Einfluß auf das andere Unternehmen, eine Mehrheitsbeteiligung im Sinne des § 16 Abs. 1 des Aktiengesetzes oder so viele Stimmrechte gewähren, daß bei Beteiligung aller Gesellschafter an der Abstimmung eine Änderung der Satzung (des Gesellschaftsvertrages, des Status) des anderen Unternehmens ohne Zustimmung des Unternehmens nicht beschlossen werden kann; zu den Anteilen, die dem Unternehmen gehören, rechnen auch die Anteile, die einem verbundenen Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes oder einem anderen für Rechnung eines dieser Unternehmen gehören und, wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind; 6. Bildung von Gemeinschaftsunternehmen; 7. Verträge mit anderen Unternehmen über die Personengleichheit von Mitgliedern des Vorstandes, des Aufsichtsrates oder des sonstigen zur Geschäftsführung berufenen Organs der beteiligten Unternehmen oder von leitenden Angestellten im Sinne des § 4 Abs. 2 Buchstabe c des Betriebsverfassungsgesetzes dieser Unternehmen; dies gilt auch, wenn die Personengleichheit ohne vertragliche Bindung durch entsprechendes Verhalten der beteiligten Unternehmen herbeigeführt wird; 8. Verträge mit anderen Unternehmen über die Einräumung eines Benennungsrechts für Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsrats oder des sonstigen zur Geschäftsführung berufenen Organs der beteiligten. Unternehmen oder von leitenden Angestellten im Sinne des § 4 Abs. 2 Buchstabe c des Betriebsverfassungsgesetzes der anderen Unternehmen. Als Zusammenschluß gilt es auch, wenn mehrere Unternehmen unter denselben beherrschenden Einfluß gelangen. (3) Zur Anzeige sind die Inhaber der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen verpflichtet. Ist das anzeigepflichtige Unternehmen ein Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes oder ein abhängiges Unternehmen im Sinne des § 17 des Aktiengesetzes, so sind auch die Konzernleitung und das herrschende Unternehmen zur Anzeige verpflichtet. (4) Die Anzeige muß über jedes beteiligte Unternehmen folgende Angaben enthalten: 1. die Firma oder sonstige Bezeichnung und den Ort der Niederlassung oder den Sitz; 2. die Art des Geschäftsbetriebes;
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3. sämtliche Marktanteile, soweit sie 10 vom Hundert überschreiten, einschließlich der Berechnungsgrundlagen, die Zahl der Beschäftigten, die Umsatzerlöse für die in Absatz 1 Nr. 2 angegebenen Zeiträume; an Stelle der Umsatzerlöse sind bei Kredit instituten und Bausparkassen das Geschäftsvolumen, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen anzugeben; liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 vor, so sind die Angaben auch über die verbundenen Unternehmen zu machen. 4. Beim Erwerb von Anteilen (Absatz 2 Nr. 5) die Höhe der erworbenen Beteiligung; ist ein beteiligtes Unternehmen ein verbundenes Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind auch die Konzernbeziehungen, Abhängigkeits- und Beteiligungsverhältnisse zwischen allen verbundenen Unternehmen mitzuteilen. Ferner ist die Form des Zusammenschlusses anzugeben. Die Anzeige muß auch Angaben über die Wettbewerbsverhältnisse auf den vom Zusammenschluß betroffenen Märkten sowie eine Beurteilung der weiteren Entwicklung dieser Märkte aus der Sicht der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen enthalten. (5) Die Kartellbehörde kann von jedem beteiligten Unternehmen Auskunft über die Marktanteile einschließlich der Berechnungsgrundlagen sowie über die sonstigen in Absatz 4 Nr. 3 genannten Tatsachen verlangen. liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 vor, so kann sie die Auskunft auch über alle verbundenen Unternehmen verlangen; die Kartellbehörde kann die Auskunft auch von den verbundenen Unternehmen verlangen. § 46 Abs. 2, 5, 8 und 9 gilt entsprechend. Zur Erteilung der Auskunft hat die Kartellbehörde eine angemessene Frist zu bestimmen. Die Befugnisse der Kartellbehörde nach § 46 bleiben unberührt. § 24 (1) In den Fällen des § 23 ordnet der Bundesminister für Wirtschaft die Auflösung des Zusammenschlusses oder andere Maßnahmen an, die geeignet sind, die Voraussetzungen für einen wesentlichen Wettbewerb zu sichern, 1. wenn durch den Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 22 Abs. 1 oder 2 entsteht oder verstärkt wird, oder auf andere Weise die Voraussetzungen für einen wesentlichen Wettbewerb beseitigt werden oder 2. wenn ein beteiligtes Unternehmen zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Zusammenschluß mindestens 10 000 Beschäftigte oder in dem letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mindestens 1 Milliarde Deutscher Mark hatte und a) die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert erreichen oder b) ein beteiligtes Unternehmen für diese Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert bereits ohne den Zusammenschluß hat oder c) ein anderes beteiligtes Unternehmen für eine andere Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert hat. Der Bundesminister für Wirtschaft kann von einer Anordnung nach Satz 1 absehen, soweit
Referentenentwurf vom 20.03.1970261
1. in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 durch den Zusammenschluß die Voraussetzungen für den Wettbewerb verbessert werden oder 2. in den Fällen des Satzes 1 ohne den Zusammenschluß die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gefährdet wäre und demgegenüber die Bedeutung der Wettbewerbsbeschränkung für den Inlandsmarkt zurücktritt. Bei der Anwendung des Satzes 1 bleiben Unternehmen außer Betracht, die in dem letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 50 Millionen Deutscher Mark hatten. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 6 ist anzuwenden. (2) Die Kartellbehörde legt die Sache mit ihrer Stellungnahme dem Bundesminister für Wirtschaft vor, wenn sie eine Anordnung nach Absatz 1 für erforderlich hält. (3) Ist eine Anordnung nach Absatz 1 unanfechtbar geworden, so fordert der Bundesminister für Wirtschaft die beteiligten Unternehmen auf, unverzüglich zu erklären, auf welche Weise sie bereit sind, der Anordnung nachzukommen. (4) Die zwangsweise Durchsetzung der Anordnung nach Absatz 1 erfolgt, wenn die beteiligten Unternehmen keine, eine verneinende, einschränkende oder nicht ausreichende Erklärung nach Absatz 3 abgeben, ihrer Erklärung nicht in angemessener Zeit nachkommen oder sonst die Ausführung der Anordnung schuldhaft verzögern und die zwangsweise Durchsetzung vorher angedroht worden ist. Bei der zwangsweisen Durchsetzung der Anordnung hat der Bundesminister für Wirtschaft unter Wahrung der Belange Dritter diejenigen Maßnahmen zu treffen, die mit dem geringsten Aufwand und der geringsten Belastung für die Beteiligten schnell zum Ziele führen. Der Bundesminister für Wirtschaft kann insbesondere 1. durch einmalige oder mehrfache Festsetzung eines Zwangsgeldes von 10 000 Deutscher Mark bis 100 000 Deutscher Mark die zur Ausführung der Anordnung Verpflichteten dazu anhalten, daß sie unverzüglich die angeordneten Maßnahmen ergreifen, 2. untersagen, daß das Stimmrecht aus Anteilen an einem beteiligten Unternehmen, die einem anderen beteiligten Unternehmen gehören oder ihm zuzurechnen sind, ausgeübt wird, oder die Ausübung des Stimmrechts oder die Art der Ausübung von der Erlaubnis des Bundesministers für Wirtschaft abhängig machen, 3. einen Treuhänder bestellen, der für die zur Ausführung der Anordnung Verpflichteten die erforderlichen Willenserklärungen abzugeben und die erforderlichen tatsächlichen Handlungen vorzunehmen hat; hierbei ist zu bestimmen, in welchem Umfang während der Dauer der Treuhänderschaft die Rechte der Betroffenen ruhen; für das Rechtsverhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Verpflichteten sind die §§ 664, 666 bis 670 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden; der Treuhänder kann von den Verpflichteten eine angemessene Vergütung beanspruchen, 4. den Zusammenschluß bewirkende Verträge für unwirksam erklären; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291, 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind.
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Anlage E § 24a
(1) Das Vorhaben, einen Zusammenschluß durchzuführen, kann bei der Kartellbehörde angemeldet werden. § 23 gilt entsprechend mit der Maßgabe, daß bei Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 an die Stelle des Zeitpunktes des Zusammenschlusses der Zeitpunkt der Anmeldung tritt. Die Anmeldung gilt nur als bewirkt, wenn sie die in § 23 Abs. 4 bezeichneten Angaben enthält. (2) Der Bundesminister für Wirtschaft ordnet die Unterlassung des Zusammenschlusses oder andere Maßnahmen an, die geeignet sind, die Voraussetzungen für einen wesentlichen Wettbewerb zu sichern, 1. wenn durch den Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 22 Abs. 1 oder 2 entsteht oder verstärkt wird oder auf andere Weise die Voraussetzungen für einen wesentlichen Wettbewerb beseitigt werden oder 2. wenn ein beteiligtes Unternehmen zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Anmeldung mindestens 10 000 Beschäftigte oder in dem letzten vor der Anmeldung endenden Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mindestens 1 Milliarde Deutscher Mark hatte und a) die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert erreichen oder b) ein beteiligtes Unternehmen für diese Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert bereits ohne den Zusammenschluß hat oder c) ein anderes beteiligtes Unternehmen für eine andere Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert hat. Der Bundesminister für Wirtschaft kann von einer Anordnung nach Satz 1 absehen, soweit 1. in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 durch den Zusammenschluß die Voraussetzungen für den Wettbewerb verbessert werden oder 2. in den Fällen des Satzes 1 ohne den Zusammenschluß die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gefährdet wäre und demgegenüber die Bedeutung der Wettbewerbsbeschränkung für den Inlandsmarkt zurücktritt. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 6 und § 24 Abs. 1 Satz 3 gelten entsprechend. (3) Eine Anordnung nach Absatz 2 ist nur innerhalb einer Frist von neun Monaten seit Eingang der in Absatz 1 bezeichneten Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens zulässig. Nach Ablauf von drei Monaten seit Eingang der Anmeldung ist die Anordnung nur zulässig, wenn der Bundesminister für Wirtschaft den beteiligten Unternehmen innerhalb dieser Frist mitgeteilt hat, daß er·in die Prüfung nach Absatz 2 eingetreten ist. (4) Die Kartellbehörde legt die Sache mit ihrer Stellungnahme dem Bundesminister für Wirtschaft vor, wenn sie eine Anordnung nach Absatz 2 für erforderlich hält.
Referentenentwurf vom 20.03.1970263
(5) Die Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens nach Absatz 1 läßt die Pflicht zur Anzeige des Zusammenschlusses nach § 23 unberührt; bei der Anzeige nach § 23 kann auf die bei der Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens eingereichten Unterlagen Bezug genommen werden. (6) Auf Zusammenschlüsse, die nach der Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens durchgeführt worden sind, ist § 24 nur anzuwenden, wenn 1. der Zusammenschluß durchgeführt worden ist, obgleich das Verfahren nach Absatz 1 bis 3 noch nicht abgeschlossen war oder 2. der Zusammenschluß nicht entsprechend der Anmeldung nach Absatz 1 durchgeführt worden ist oder 3. der Zusammenschluß entgegen einer Anordnung des Bundesministers für Wirtschaft nach Absatz 2 durchgeführt worden ist oder ein beteiligtes Unternehmen einer Anordnung nach Absatz 2 sonst zuwiderhandelt oder 4. der Bundesminister für Wirtschaft durch unrichtige oder unvollständige Angaben veranlaßt worden ist, eine Mitteilung nach Absatz 3 Satz 2 oder eine Anordnung nach Absatz 2 zu unterlassen oder 5. ein beteiligtes Unternehmen eine Auskunft nach § 23 Abs. 5 oder § 46 nicht, unrichtig, unvollständig oder nicht fristgemäß erteilt hat und der Bundesminister für Wirtschaft dadurch veranlaßt worden ist, eine Mitteilung nach Absatz 3 Satz 2 oder eine Anordnung nach Absatz 2 zu unterlassen. § 24b (1) Zur Unterstützung des Bundesministers für Wirtschaft bei der Beurteilung von Zusammenschlüssen von Unternehmen in Verfahren nach § 24 Abs. 1 und § 24a Abs. 1 bis 3 wird eine Monopolkommission gebildet. Sie besteht aus sieben Mitgliedern, die über besondere volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische, technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen. (2) Die Mitglieder der Monopolkommission dürfen weder der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder als Mitarbeiter eines wissenschaftlichen Instituts, angehören. Sie dürfen ferner nicht Repräsentant eines Unternehmens, eines Wirtschaftsverbandes oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sein oder zu diesen in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen. Sie dürfen auch nicht während des letzten Jahres vor der Berufung zum Mitglied der Monopolkommission eine derartige Stellung innegehabt haben. (3) Die Monopolkommission kann ihre geeignet erscheinenden Personen, insbesondere Repräsentanten von Unternehmen oder von Organisationen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, als Gutachter zu ihren Beratungen hinzuziehen. Die Monopolkommission kann, soweit sie es zur Durchführung ihres Auftrags für erforderlich hält, den Bundesminister für Wirtschaft und den Präsidenten des Bundeskartellamtes hören. Die Behörden des Bundes und der Länder leisten der Monopolkommission Amtshilfe.
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Anlage E
(4) In Verfahren nach § 24 Abs. 1 oder § 24a Abs. 1 bis 3 leitet der Bundesminister für Wirtschaft der Monopolkommission die Sache zur Stellungnahme zu. Die Stellungnahme der Monopolkommission soll sich auf die wettbewerbliche Beurteilung des Zusammenschlusses unter Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Lage und Entwicklung erstrecken. (5) Die Monopolkommission ist nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in ihrer Tätigkeit unabhängig. Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Stellungnahme eine abweichende Auffassung, so kann sie diese in der Stellungnahme zum Ausdruck bringen. (6) Die Mitglieder der Monopolkommission werden auf Vorschlag der Bundes regierung durch den Bundespräsidenten berufen. Zum 1. Januar eines jeden Jahres, erstmals nach Ablauf des dritten Kalenderjahres nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, scheidet ein Mitglied aus. Die Reihenfolge des Ausscheidens wird in der ersten Sitzung der Monopolkommission durch das Los bestimmt. Der Bundespräsident beruft auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils ein neues Mitglied für die Dauer von sieben Jahren. Wiederberufungen sind zulässig. Die Bundesregierung hört die Mitglieder der Monopolkommission an, bevor sie neue Mitglieder vorschlägt. Die Mitglieder sind berechtigt, ihr Amt durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten niederzulegen. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird ein neues Mitglied für die Dauer der Amtszeit des ausgeschiedenen Mitglieds berufen; die Sätze 4–6 gelten entsprechend. (7) Die Beschlüsse der Monopolkommission bedürfen der Zustimmung von mindestens vier Mitgliedern. Die Monopolkommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Die Monopolkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. (8) Das Bundeskartellamt nimmt die Aufgaben einer Geschäftsstelle der Monopolkommission wahr. Die Tätigkeit der Geschäftsstelle besteht in der Vermittlung und Zusammenstellung von Quellenmaterial, der technischen Vorbereitung der Sitzungen der Monopolkommission sowie der Erledigung der sonst anfallenden Verwaltungsaufgaben. (9) Die Mitglieder der Monopolkommission, die beteiligten Gutachter und die Angehörigen der Geschäftsstelle sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die von der Monopolkommission als vertraulich bezeichneten Beratungsunterlagen verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich auch auf Informationen, die der Monopolkommission gegeben und als vertraulich bezeichnet werden. § 46 Abs. 8 und 9 sowie § 47 bleiben unberührt. (10) Die Mitglieder der Monopolkommission und die beteiligten Gutachter erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Ersatz ihrer Reisekosten. Diese werden vom Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern festgesetzt. Die Kosten der Monopolkommission trägt der Bund.
Anlage F Referentenentwurf vom 28.10.1970 Auszug aus dem Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 28.10.1970, abgedruckt in: Klaue/Lampe/Markert/Petry/Reiniger, Zur Problematik der Fusionskontrolle, Anhang 12a, S. 163 ff.: § 22 (1) Soweit ein Unternehmen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, ist es marktbeherrschend im Sinne dieses Gesetzes. Ein Unternehmen ist insbesondere keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt, wenn es als Anbieter oder Nachfrager dieser Art von Waren oder gewerblichen Leistungen aufgrund seines Marktanteils, seiner Finanzkraft, seines Zugangs zu den Beschaffungs- oder Absatzmärkten, von Verflechtungen mit anderen Unternehmen oder von rechtlichen oder tatsächlichen Schranken für den Marktzutritt eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Es wird vermutet, daß ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es für diese Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens 40 vom Hundert und keiner seiner Wettbewerber auf diesem Markt einen Anteil von mehr als 10 vom Hundert hat. Die Vermutung gilt nicht, wenn das Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 250 Millionen Deutscher Mark hatte. (2) Als marktbeherrschend gelten auch zwei oder mehr Unternehmen, soweit zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen allgemein oder auf bestimmten Märkten aus tatsächlichen Gründen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und soweit sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 und 2 erfüllen. Es wird vermutet, daß die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen, wenn 1. vier oder weniger Unternehmen für diese Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von jeweils mindestens 10 vom Hundert und zusammen mindestens 60 vom Hundert haben und 2. kein anderes Unternehmen auf diesem Markt einen Anteil von mehr als 10 vom Hundert hat. Die Vermutung gilt nicht, wenn eines der in Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 100 Millionen Deutscher Mark hatte. (6) Die Marktanteile und die Umsatzerlöse sind mit folgender Maßgabe zu berechnen:
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1. Ist ein Unternehmen ein verbundenes Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind für die Berechnung der Marktanteile und der Umsatzerlöse alle verbundenen mit Ausnahme der nur wechselseitig beteiligten Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen. 2. Für die Ermittlung der Umsatzerlöse gilt § 158 Abs. 1 und 2 des Aktiengesetzes. Umsatzerlöse aus Lieferungen und Leistungen zwischen verbundenen mit Ausnahme der nur wechselseitig beteiligten Unternehmen (Innenumsatzerlöse) sowie die Mehrwertsteuer bleiben außer Betracht. Umsatzerlöse in fremder Währung sind nach dem amtlichen Kurs in Deutsche Mark umzurechnen. An die Stelle der Umsatzerlöse treten bei Kreditinstituten und Bausparkassen ein Zehntel der Bilanzsumme, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen. Prämieneinnahmen sind die Einnahmen aus dem Erst- und Rückversicherungsgeschäft einschließlich der in Rückdeckung gegebenen Anteile. Bei Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb lediglich im Vertrieb von Waren besteht, sind nur drei Viertel der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen. § 23 (1) Der Zusammenschluß von Unternehmen ist dem Bundeskartellamt unverzüglich anzuzeigen, wenn 1. durch den Zusammenschluß ein Marktanteil von mindestens 20 vom Hundert erreicht oder erhöht wird oder ein beteiligtes Unternehmen auf einem anderen Markt einen Anteil von mindestens 20 vom Hundert hat oder 2. die beteiligten Unternehmen insgesamt zu einem Zeitpunkt innerhalb des letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahres mindestens 10 000 Beschäftigte oder in diesem Zeitraum Umsatzerlöse von mindestens 500 Millionen Deutscher Mark hatten. Bei der Berechnung des Marktanteils und der Umsatzerlöse ist § 22 Abs. 6 anzuwenden; für die Berechnung der Beschäftigtenzahl gilt § 22 Abs. 6 Nr. 1 entsprechend. (2) Als Zusammenschluß gelten: 1. Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zum Teil durch Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder in sonstiger Weise; 2. Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen, wenn die Anteile allein oder zusammen mit anderen dem Unternehmen bereits gehörenden Anteilen diesem a) eine Beteiligung von 75 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens, b) eine Mehrheitsbeteiligung im Sinne des § 16 Abs. 1 des Aktiengesetzes oder c) eine Beteiligung von 25 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens gewähren; zu den Anteilen, die dem Unternehmen gehören, rechnen auch die Anteile, die einem verbundenen Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes mit Ausnahme der nur wechselseitig beteiligten Unternehmen oder einem anderen für Rechnung eines dieser Unternehmen gehören, und wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind; erwer-
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ben mehrere Unternehmen gleichzeitig oder nacheinander im vorbezeichneten Umfang Anteile an einem anderen Unternehmen, so gilt dies hinsichtlich der Märkte, auf denen das andere Unternehmen tätig ist, auch als Zusammenschluß der sich beteiligenden Unternehmen untereinander; erwirbt ein Unternehmen gleichzeitig oder nacheinander im Sinne der Buchstaben a oder b Anteile an mehreren anderen Unternehmen, so gilt dies auch als Zusammenschluß der anderen Unternehmen untereinander; 3. Verträge mit einem anderen Unternehmen, durch die a) ein Konzern im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes gebildet wird, b) sich das andere Unternehmen verpflichtet, sein Unternehmen für Rechnung des Unternehmens zu führen oder seinen Gewinn ganz oder zum Teil an das Unternehmen abzuführen oder mit dem Gewinn des Unternehmens zur Aufteilung eines gemeinschaftlichen Gewinns zusammenzulegen, oder c) dem Unternehmen der Betrieb des anderen Unternehmens ganz oder zum Teil verpachtet oder sonst überlassen wird; 4. Herbeiführung der Personengleichheit der Mehrheit von Mitgliedern des Aufsichtsrats, des Vorstands oder eines sonstigen zur Geschäftsführung berufenen Organs; 5. jede sonstige Maßnahme, durch die ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß auf ein anderes Unternehmen erlangt. Ein Zusammenschluß liegt nicht vor, wenn ein Kreditinstitut bei der Gründung oder Kapitalerhöhung eines Unternehmens oder sonst im Rahmen seines Geschäftsbetriebes Anteile an einem anderen Unternehmen zum Zwecke der Veräußerung auf dem Markt erwirbt, solange es das Stimmrecht aus diesen Anteilen nicht ausübt und sofern die Veräußerung innerhalb eines Jahres erfolgt; bei der Gründung eines Unternehmens führt die Ausübung des Stimmrechts in der ersten Hauptversammlung nach der Gründung nicht zu einem Zusammenschluß. Wenn einer Person, die nicht Unternehmen ist, die Mehrheit der Anteile oder die Mehrheit der Stimmrechte (Mehrheitsbeteiligung) an einem Unternehmen zusteht, so ist sie im Sinne der §§ 23 bis 24a als Unternehmen zu behandeln. § 24 (1) Ist zu erwarten, daß durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, so hat die Kartellbehörde die in den folgenden Bestimmungen genannten Befugnisse. (2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 vor, so stellt dies das Bundeskartellamt fest; es kann die Feststellung bereits treffen, wenn ihm das Vorhaben, den Zusammenschluß zu vollziehen, bekannt geworden ist. Soweit die Unterlassung oder Auflösung des Zusammenschlusses nicht erforderlich ist oder andere Maßnahmen ausreichen, um die Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Absatzes 1 abzuwenden, kann das Bundeskartellamt in seiner Verfügung außerdem feststellen, unter welchen Voraussetzungen die Wettbewerbsbeschränkung nach Absatz 1 entfällt. Hat das Bundeskartellamt die Feststellung nach Satz 1 getroffen, so ist es unzulässig, den Zusammenschluß ohne Erlaubnis des Bundesministers für Wirtschaft zu vollziehen; ein vollzogener Zusammenschluß ist aufzulösen, wenn nicht der Bundesminister für Wirtschaft die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß erteilt. Hat das Bundeskartellamt
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zugleich eine Feststellung nach Satz 2 getroffen, so ist es unzulässig, den Zusammenschluß anders als unter den vom Bundeskartellamt bezeichneten Voraussetzungen zu vollziehen; ein vollzogener Zusammenschluß ist aufzulösen, soweit er der Feststellung nach Satz 2 nicht entspricht. Das Bundeskartellamt kann die nach Satz 2 getroffene Feststellung widerrufen oder ändern, wenn der Zusammenschluß noch nicht vollzogen ist und die Verhältnisse, auf Grund deren die Feststellung getroffen wurde, sich wesentlich geändert haben oder wenn das Bundeskartellamt durch unrichtige oder unvollständige Angaben der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen oder eines anderen dazu veranlaßt worden ist, die Feststellung zu treffen. (3) Der Bundesminister für Wirtschaft erteilt auf Antrag die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß, wenn dieser ausnahmsweise aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls notwendig ist. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn durch das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird. Die Erlaubnis kann mit Beschränkungen und Auflagen verbunden werden. Diese dürfen sich nicht darauf richten, die beteiligten Unternehmen hinsichtlich der Anwendung ihrer Wettbewerbsmittel einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterstellen. § 22 bleibt unberührt. (4) Der Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Zusammenschluß ist binnen einer Frist von einem Monat beim Bundesminister für Wirtschaft schriftlich einzureichen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der in Absatz 2 Satz 1 und 2 bezeichneten Verfügung des Bundeskartellamts; wird die Verfügung des Bundeskartellamts innerhalb der in § 65 Abs. 1 Satz 1 und 2 vorgesehenen Frist angefochten, so beginnt die Frist für den Erlaubnisantrag in dem Zeitpunkt, in dem die Verfügung des Bundeskartellamts unanfechtbar wird. Der Bundesminister für Wirtschaft hat über den Antrag innerhalb von vier Monaten seit Ablauf der in den Sätzen 1 und 2 genannten Fristen für den Erlaubnisantrag zu entscheiden. Vor der Entscheidung sind die obersten Landesbehörden zu hören, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben; ferner ist der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (5) Der Bundesminister für Wirtschaft kann die Erlaubnis widerrufen oder durch Anordnung von Beschränkungen ändern oder mit Auflagen versehen, wenn der Zusammenschluß noch nicht vollzogen ist und die Verhältnisse, auf Grund deren die Erlaubnis erteilt wurde, sich wesentlich geändert haben oder wenn die beteiligten Unternehmen einer mit der Erlaubnis verbundenen Auflage zuwiderhandeln oder die Erlaubnis durch unrichtige oder unvollständige Angaben der Antragsteller oder eines anderen herbeigeführt worden ist. (6) Der Bundesminister für Wirtschaft ordnet die zur Auflösung des Zusammenschlusses erforderlichen Maßnahmen an, wenn 1. die in Absatz 2 Satz 1 und 2 bezeichnete Verfügung des Bundeskartellamtes und, 2. falls die beteiligten Unternehmen beim Bundesminister für Wirtschaft einen Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Zusammenschluß gestellt hatten, die Ablehnung dieses Antrags oder in den Fällen des Absatzes 2 Satz 5 oder des Absatzes 5 der Widerruf unanfechtbar geworden ist und
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3. der Zusammenschluß bereits vollzogen und nach Absatz 2 Satz 3 oder 4 aufzulösen ist. Hierbei hat er unter Wahrung der Belange Dritter diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die mit dem geringsten Aufwand und der geringsten Belastung für die Beteiligten zum Ziele führen. Die Auflösung kann auch darin bestehen, daß die Wettbewerbsbeschränkung auf andere Weise als durch Wiederherstellung des früheren Zustands beseitigt wird. (7) Zur Durchsetzung seiner Anordnung kann der Bundesminister für Wirtschaft insbesondere 1. durch einmalige oder mehrfache Festsetzung eines Zwangsgeldes von 10 000 bis eine Million Deutscher Mark die zur Auflösung des Zusammenschlusses Verpflichteten dazu anhalten, daß sie unverzüglich die angeordneten Maßnahmen ergreifen, 2. untersagen, daß das Stimmrecht aus Anteilen an einem beteiligten Unternehmen, die einem anderen beteiligten Unternehmen gehören oder ihm zuzurechnen sind, ausgeübt wird, oder die Ausübung des Stimmrechts oder die Art der Ausübung von der Erlaubnis des Bundesministers für Wirtschaft abhängig machen, 3. den Zusammenschluß bewirkende Verträge für unwirksam erklären; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind, 4. einen Treuhänder bestellen, der für die zur Auflösung des Zusammenschlusses Verpflichteten die erforderlichen Willenserklärungen abzugeben und die erforderlichen tatsächlichen Handlungen vorzunehmen hat; hierbei ist zu bestimmen, in welchem Umfang während der Dauer der Treuhänderschaft die Rechte der Betroffenen ruhen; für das Rechtsverhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Verpflichteten sind die §§ 664, 666 bis 670 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden; der Treuhänder kann von den Verpflichteten eine angemessene Vergütung beanspruchen. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht, 1. wenn die beteiligten Unternehmen insgesamt im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als einer Milliarde Deutscher Mark hatten, 2. soweit die Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Absatzes 1 sich nicht im gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes oder in einem wesentlichen Teil desselben auswirkt oder 3. soweit ein Markt für Waren oder gewerbliche Leistungen betroffen ist, auf dem im letzten abgeschlossenen Kalenderjahr weniger als eine Million Deutscher Mark umgesetzt wurden. Bei der Berechnung der Umsatzerlöse ist § 22 Abs. 6 anzuwenden. § 24a (1) Das Vorhaben, einen Zusammenschluß zu vollziehen, kann beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Das Vorhaben ist beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn
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am Zusammenschluß mehrere Unternehmen beteiligt sind, die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von jeweils mindestens einer Milliarde Deutscher Mark hatten. Für die Anmeldung gilt § 23 entsprechend mit der Maßgabe, daß bei der Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 an die Stelle des Zeitpunktes des Zusammenschlusses der Zeitpunkt der Anmeldung tritt. Die Anmeldung gilt nur als bewirkt, wenn sie die in § 23 Abs. 4 bezeichneten Angaben enthält. § 46 Abs. 8 und 9 sowie § 47 finden auf die anläßlich der Anmeldung erlangten Kenntnisse und Unterlagen entsprechende Anwendung. (2) Ist das Zusammenschlußvorhaben beim Bundeskartellamt angemeldet worden, so darf das Bundeskartellamt eine Verfügung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 und 2 nur innerhalb einer Frist von vier Monaten seit Eingang der Anmeldung treffen. Es darf sie auch nach Ablauf dieser Frist treffen, wenn 1. der Zusammenschluß vollzogen worden ist, obgleich die in Satz 1 bezeichnete Frist noch nicht abgelaufen war, 2. der Zusammenschluß nicht entsprechend der Anmeldung vollzogen worden ist, 3. der Zusammenschluß noch nicht vollzogen ist und die Verhältnisse, auf Grund deren das Bundeskartellamt von der Feststellung nach Absatz 2 Satz 1 abgesehen hatte, sich wesentlich geändert haben, 4. das Bundeskartellamt durch unrichtige oder unvollständige Angaben der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen oder eines anderen veranlaßt worden ist, die Feststellung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 zu unterlassen oder 5. eine Auskunft nach § 23 Abs. 5 oder § 46 nicht oder nicht fristgemäß erteilt wurde und das Bundeskartellamt dadurch zu dem in Nummer 3 bezeichneten Verhalten veranlaßt worden ist. (3) Die Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens läßt die Pflicht zur Anzeige des Zusammenschlusses nach § 23 unberührt; bei der Anzeige nach § 23 kann auf die bei der Anmeldung des Zusammenschlusses eingereichten Unterlagen Bezug genommen werden. (4) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 ist es unzulässig, den Zusammenschluß vor der Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens und dem Ablauf der in Absatz 2 Satz 1 genannten Frist zu vollziehen. § 24b (1) Zur regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland und der Anwendung der §§ 22 bis 24a wird eine Monopolkommission gebildet. Sie besteht aus fünf Mitgliedern, die über besondere volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische, technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen. (2) Die Mitglieder der Monopolkommission dürfen weder der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder als Mitarbeiter eines wissenschaftlichen Instituts, angehören. Sie dürfen ferner nicht Repräsentant eines Wirtschaftsverbandes oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sein
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oder zu diesen in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen. Sie dürfen auch nicht während des letzten Jahres vor der Berufung zum Mitglied der Monopolkommission eine derartige Stellung innegehabt haben. (3) Die Monopolkommission soll in ihrem Gutachten den jeweiligen Stand der Unternehmenskonzentration sowie deren absehbare Entwicklung unter wirtschafts-, insbesondere wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten beurteilen und die Anwendung der §§ 22 bis 24a würdigen. Sie soll auch nach ihrer Auffassung notwendige Linderungen der einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes aufzeigen. (4) Die Monopolkommission ist nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in ihrer Tätigkeit unabhängig. Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gutachten eine abweichende Auffassung, so kann sie diese in den Gutachten zum Ausdruck bringen. (5) Die Monopolkommission erstellt alle zwei Jahre bis zum 30. Juni, erstmals nach Ablauf des zweiten vollen Kalenderjahres nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Linderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, ein Gutachten, das sich auf die Verhältnisse in den letzten beiden abgeschlossenen Kalenderjahren erstreckt. Darüber hinaus kann sie nach ihrem Ermessen zusätzliche Gutachten erstellen. Die Bundesregierung kann die Monopolkommission mit der Erstattung zusätzlicher Gutachten beauftragen. Die Monopolkommission leitet die Gutachten unverzüglich der Bundesregierung zu und veröffentlicht sie. Zu dem Gutachten nach Satz 1 nimmt die Bundesregierung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften Stellung. (6) Die Mitglieder der Monopolkommission werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten berufen. Zum 1. Juli eines jeden Jahres, in dem nach Absatz 5 Satz 1 ein Gutachten zu erstatten ist, scheidet ein Mitglied aus. Die Reihenfolge des Ausscheidens wird in der ersten Sitzung der Monopolkommission durch das Los bestimmt. Der Bundespräsident beruft auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils ein neues Mitglied für die Dauer von vier Jahren. Wiederberufungen sind zulässig. Die Bundesregierung hört die Mitglieder der Monopolkommission an, bevor sie neue Mitglieder vorschlägt. Die Mitglieder sind berechtigt, ihr Amt durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten niederzulegen. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird ein neues Mitglied für die Dauer der Amtszeit des ausgeschiedenen Mitglieds berufen; die Sätze 4 bis 6 gelten entsprechend. (7) Die Beschlüsse der Monopolkommission bedürfen der Zustimmung von mindestens drei Mitgliedern. Die Monopolkommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Die Monopolkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. (8) Das Bundeskartellamt nimmt die Aufgaben einer Geschäftsstelle der Monopolkommission wahr. Die Tätigkeit der Geschäftsstelle besteht in der Vermittlung und Zusammenstellung von Quellenmaterial, der technischen Vorbereitung der Sitzungen der Monopolkommission sowie der Erledigung der sonst anfallenden Verwaltungsaufgaben. (9) Die Mitglieder der Monopolkommission und die Angehörigen der Geschäftsstelle sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die von der Monopolkommission als vertraulich bezeichneten Beratungsunterlagen verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich auch auf Informationen, die der Monopolkommission
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gegeben und als vertraulich bezeichnet werden. § 46 Abs. 8 und 9 sowie § 47 bleiben unberührt. (10) Die Mitglieder der Monopolkommission erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Ersatz ihrer Reisekosten. Diese werden vom Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern festgesetzt. Die Kosten der Monopolkommission trägt der Bund.
Anlage G GWB 1973 Auszug aus der zweiten GWB-Novelle (1973) i. d. F. vom 04. April 1974, in: BGBl. I 1974, S. 869–898 ERSTER TEIL Wettbewerbsbeschränkungen Dritter Abschnitt Marktbeherrschende Unternehmen § 22 (1) Ein Unternehmen ist marktbeherrschend im Sinne dieses Gesetzes, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen 1. ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder 2. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat; hierbei sind außer seinem Marktanteil insbesondere seine Finanzkraft, sein Zugang zu den Beschaffungsoder Absatzmärkten, Verflechtungen mit anderen Unternehmen sowie rechtliche oder tatsächliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen zu berücksichtigen. (2) Als marktbeherrschend gelten auch zwei oder mehr Unternehmen, soweit zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen allgemein oder auf bestimmten Märkten aus tatsächlichen Gründen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und soweit sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen. (3) Es wird vermutet, daß 1. ein Unternehmen marktbeherrschend im Sinne des Absatzes 1 ist, wenn es für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat; die Vermutung gilt nicht, wenn das Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 250 Millionen Deutscher Mark hatte; 2. die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen a) drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert oder mehr haben oder
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b) fünf oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben; die Vermutung gilt nicht, soweit es sich um Unternehmen handelt, die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 100 Millionen Deutscher Mark hatten. Für die Berechnung der Marktanteile und der Umsatzerlöse gilt § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 6 entsprechend. (4) Die Kartellbehörde hat gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen die in Absatz 5 genannten Befugnisse, soweit diese Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für diese oder andere Waren oder gewerbliche Leistungen mißbräuchlich ausnutzen. (5) Die Kartellbehörde kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 marktbeherrschenden Unternehmen ein mißbräuchliches Verhalten untersagen und Verträge für unwirksam erklären; § 19 gilt entsprechend. Zuvor soll die Kartellbehörde die Beteiligten auffordern, den beanstandeten Mißbrauch abzustellen. (6) Soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 bei einem Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes vorliegen, stehen der Kartellbehörde die Befugnisse nach Absatz 5 gegenüber jedem Konzernunternehmen zu. § 23 (1) Der Zusammenschluß von Unternehmen ist dem Bundeskartellamt unverzüglich anzuzeigen, wenn 1. im gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes oder in einem wesentlichen Teil desselben durch den Zusammenschluß ein Marktanteil von mindestens 20 vom Hundert erreicht oder erhöht wird oder ein beteiligtes Unternehmen auf einem anderen Markt einen Anteil von mindestens 20 vom Hundert hat oder 2. die beteiligten Unternehmen insgesamt zu einem Zeitpunkt innerhalb des letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahres mindestens 10 000 Beschäftigte oder in diesem Zeitraum Umsatzerlöse von mindestens 500 Millionen Deutscher Mark hatten. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein abhängiges oder herrschendes Unternehmen im Sinne des § 17 des Aktiengesetzes oder ein Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes, so sind für die Berechnung der Marktanteile, der Beschäftigtenzahl und der Umsatzerlöse die so verbundenen Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen; wirken mehrere Unternehmen auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise derart zusammen, daß sie gemeinsam einen beherrschenden Einfluß auf ein beteiligtes Unternehmen ausüben können, so gilt jedes von ihnen als herrschendes Unternehmen. Für die Ermittlung der Umsatzerlöse gilt § 158 Abs. 1 und 2 des Aktiengesetzes; Umsatzerlöse aus Lieferungen und Leistungen zwischen Unternehmen, die im Sinne des Satzes 2 verbunden sind (Innenumsatzerlöse), die Mehrwertsteuer sowie Verbrauchsteuern bleiben außer Betracht; Umsatzerlöse in fremder Währung sind nach dem amtlichen Kurs in Deutsche Mark umzurechnen. An die Stelle der Umsatzerlöse treten bei Kreditinstituten und Bausparkassen ein Zehntel der Bilanzsumme, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen des letzten
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abgeschlossenen Geschäftsjahres. Die Bilanzsumme ist um diejenigen Ansätze zu vermindern, die für Beteiligungen an im Sinne des Satzes 2 verbundenen Unternehmen ausgewiesen sind; Prämieneinnahmen sind die Einnahmen aus dem Erst- und Rückversicherungsgeschäft einschließlich der in Rückdeckung gegebenen Anteile. Bei Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb ganz oder teilweise im Vertrieb von Waren besteht, sind insoweit nur drei Viertel der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen. (2) Als Zusammenschluß im Sinne dieses Gesetzes gelten folgende Tatbestände: 1. Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil durch Verschmelzung, Umwandlung oder in sonstiger Weise. 2. Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen, wenn die Anteile allein oder zusammen mit sonstigen, dem Unternehmen bereits gehörenden Anteilen a) 25 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens erreichen oder b) 50 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens erreichen oder c) dem Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung im Sinne des § 16 Abs. 1 des Aktiengesetzes gewähren. Zu den Anteilen, die dem Unternehmen gehören, rechnen auch die Anteile, die einem im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenen Unternehmen oder einem anderen für Rechnung eines dieser Unternehmen gehören und, wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind. Erwerben mehrere Unternehmen gleichzeitig oder nacheinander im vorbezeichneten Umfang Anteile an einem anderen Unternehmen, so gilt dies hinsichtlich der Märkte, auf denen das andere Unternehmen tätig ist, auch als Zusammenschluß der sich beteiligenden Unternehmen untereinander (Gemeinschaftsunternehmen). Steht einer Person oder Personenvereinigung, die nicht Unternehmen ist, die Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen zu und erwirbt sie Anteile an einem anderen Unternehmen, so gilt sie insoweit als Unternehmen. 3. Verträge mit einem anderen Unternehmen, durch die a) ein Konzern im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes gebildet oder der Kreis der Konzernunternehmen erweitert wird oder b) sich das andere Unternehmen verpflichtet, sein Unternehmen für Rechnung des Unternehmens zu führen oder seinen Gewinn ganz oder zum Teil an das Unternehmen abzuführen oder c) dem Unternehmen der Betrieb des anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil verpachtet oder sonst überlassen wird. 4. Herbeiführung der Personengleichheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats, des Vorstands oder eines sonstigen zur Geschäftsführung berufenen Organs von Unternehmen. 5. Jede sonstige Verbindung von Unternehmen, auf Grund deren ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß auf ein anderes Unternehmen ausüben können.
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(3) Ein Zusammenschluß ist auch dann anzunehmen, wenn die beteiligten Unternehmen bereits vorher im Sinne des Absatzes 2 zusammengeschlossen waren, es sei denn, daß der Zusammenschluß nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der bereits bestehenden Unternehmensverbindung führt. Ein Zusammenschluß liegt nicht vor, wenn ein Kreditinstitut bei der Gründung oder Kapitalerhöhung eines Unternehmens oder sonst im Rahmen seines Geschäftsbetriebes Anteile an einem anderen Unternehmen zum Zweck der Veräußerung auf dem Markt erwirbt, solange es das Stimmrecht aus diesen Anteilen nicht ausübt und sofern die Veräußerung innerhalb eines Jahres erfolgt; bei der Gründung eines Unternehmens führt die Ausübung des Stimmrechts in der ersten Hauptversammlung nach der Gründung nicht zu einem Zusammenschluß. Ist ein an einem Zusammenschluß beteiligtes Unternehmen ein im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenes Unternehmen, so gelten auch das herrschende Unternehmen sowie diejenigen Unternehmen, von denen das herrschende Unternehmen abhängig ist, als am Zusammenschluß beteiligt. Schließen sich zwei oder mehr Unternehmen zusammen, so gilt dies auch als Zusammenschluß der von ihnen abhängigen Unternehmen. (4) Zur Anzeige sind verpflichtet: 1. in den Fällen der Verschmelzung oder Umwandlung die Inhaber des aufnehmenden oder des neugebildeten Unternehmens oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen: 2. im übrigen a) die Inhaber der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen und b) in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 auch der Veräußerer oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen; in den Fällen des Buchstabens b gilt Absatz 3 Satz 3 entsprechend. (5) In der Anzeige ist die Form des Zusammenschlusses anzugeben. Die Anzeige muß ferner über jedes beteiligte Unternehmen folgende Angaben enthalten: 1. die Firma oder sonstige Bezeichnung und den Ort der Niederlassung oder den Sitz; 2. die Art des Geschäftsbetriebes; 3. soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 erfüllt sind, den Marktanteil einschließlich der Grundlagen für seine Berechnung oder Schätzung, die Zahl der Beschäftigten und die Umsatzerlöse, an Stelle der Umsatzerlöse sind bei Kreditinstituten und Bausparkassen die Bilanzsumme, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen anzugeben; 4. beim Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen (Absatz 2 Nr. 2) die Höhe der erworbenen und der insgesamt gehaltenen Beteiligung. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenes Unternehmen, so sind die in Satz 2 Nr. 1 bis 3 geforderten Angaben auch über die so verbundenen Unternehmen zu machen sowie die Konzernbeziehungen, Abhängigkeits und Beteiligungsverhältnisse zwischen den verbundenen Unternehmen mitzuteilen.
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(6) Das Bundeskartellamt kann von jedem beteiligten Unternehmen Auskunft über Marktanteile einschließlich der Grundlagen für die Berechnung oder Schätzung sowie über den Umsatzerlös bei einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen verlangen, den das Unternehmen im letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr erzielt hat. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenes Unternehmen, so kann das Bundeskartellamt die Auskunft auch über die so verbundenen Unternehmen verlangen; es kann die Auskunft auch von den verbundenen Unternehmen verlangen. § 46 Abs. 2, 5, 8 und 9 sowie § 47 gelten entsprechend. Zur Erteilung der Auskunft hat das Bundeskartellamt eine angemessene Frist zu bestimmen. Die Befugnisse des Bundeskartellamtes nach § 46 bleiben unberührt. § 24 (1) Ist zu erwarten, daß durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, so hat die Kartellbehörde die in den folgenden Bestimmungen genannten Befugnisse, es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach, daß durch den Zusammenschluß auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und daß diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. (2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 vor, so untersagt das Bundeskartellamt den Zusammenschluß. Das Bundeskartellamt darf einen Zusammenschluß untersagen, sobald ihm das Vorhaben des Zusammenschlusses bekanntgeworden ist; vollzogene Zusammenschlüsse darf das Bundeskartellamt nur innerhalb einer Frist von einem Jahr seit Eingang der vollständigen Anzeige nach § 23 untersagen. Vor einer Untersagung ist den obersten Landesbehörden, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hat das Bundeskartellamt die Verfügung nach Satz 1 erlassen, so ist es unzulässig, den Zusammenschluß ohne Erlaubnis des Bundesministers für Wirtschaft zu vollziehen oder am Vollzug des Zusammenschlusses mitzuwirken; Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind unwirksam; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind. Ein vollzogener Zusammenschluß, den das Bundeskartellamt untersagt hat, ist aufzulösen, wenn nicht der Bundesminister für Wirtschaft die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß erteilt. (3) Der Bundesminister für Wirtschaft erteilt auf Antrag die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammensch1uß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist; hierbei ist auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes zu berücksichtigen. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn durch das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird. Die Erlaubnis kann mit Beschränkungen und Auflagen verbunden werden. Diese dürfen sich nicht darauf richten, die beteiligten Unternehmen einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterstellen. § 22 bleibt unberührt.
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(4) Der Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Zusammenschluß ist binnen einer Frist von einem Monat beim Bundesminister für Wirtschaft schriftlich einzureichen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Verfügung des Bundeskartellamtes; wird die Verfügung des Bundeskartellamtes innerhalb der in § 65 Abs. 1 Satz 1 und 2 vorgesehenen Frist angefochten, so beginnt die Frist für den Erlaubnisantrag in dem Zeitpunkt, in dem die Verfügung des Bundeskartellamtes unanfechtbar wird. Der Bundesminister für Wirtschaft soll über den Antrag innerhalb von vier Monaten seit Ablauf der in den Sätzen 1 und 2 genannten Frist für den Erlaubnisantrag entscheiden. Vor der Entscheidung ist den obersten Landesbehörden, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (5) Der Bundesminister für Wirtschaft kann die Erlaubnis widerrufen oder durch Anordnung von Beschränkungen ändern oder mit Auflagen versehen, wenn die beteiligten Unternehmen einer mit der Erlaubnis verbundenen Auflage zuwiderhandeln. Der Bundesminister für Wirtschaft kann die Erlaubnis zurücknehmen, wenn die beteiligten Unternehmen sie durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch Angaben erwirkt haben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. (6) Die Auflösung eines vollzogenen Zusammenschlusses kann auch darin bestehen, daß die Wettbewerbsbeschränkung auf andere Weise als durch Wiederherstellung des früheren Zustands beseitigt wird. Das Bundeskartellamt ordnet die zur Auflösung des Zusammenschlusses erforderlichen Maßnahmen an, wenn 1. seine in Absatz 2 Satz 1 bezeichnete Verfügung unanfechtbar geworden ist und, 2. falls die beteiligten Unternehmen beim Bundesminister für Wirtschaft einen Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Zusammenschluß gestellt hatten, die Ablehnung dieses Antrags oder in den Fällen des Absatzes 5 der Widerruf oder die Rücknahme unanfechtbar geworden ist. Hierbei hat es unter Wahrung der Belange Dritter diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die mit dem geringsten Aufwand und der geringsten Belastung für die Beteiligten zum Ziele führen. (7) Zur Durchsetzung seiner Anordnung kann das Bundeskartellamt insbesondere 1. durch einmalige oder mehrfache Festsetzung eines Zwangsgeldes von 10 000 bis eine Million Deutscher Mark die zur Auflösung des Zusammenschlusses Verpflichteten dazu anhalten, daß sie unverzüglich die angeordneten Maßnahmen ergreifen, 2. untersagen, daß das Stimmrecht aus Anteilen an einem beteiligten Unternehmen, die einem anderen beteiligten Unternehmen gehören oder ihm zuzurechnen sind, ausgeübt wird, oder die Ausübung des Stimmrechts oder die Art der Ausübung von der Erlaubnis des Bundeskartellamtes abhängig machen, 3. den Zusammenschluß bewirkende Verträge der in § 23 Abs. 2 Nr. 1 und 3 bezeichneten Art für unwirksam erklären; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind,
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4. einen Treuhänder bestellen, der für die zur Auflösung des Zusammenschlusses Verpflichteten die erforderlichen Willenserklärungen abzugeben und die erforder lichen tatsächlichen Handlungen vorzunehmen hat; hierbei ist zu bestimmen, in welchem Umfang während der Dauer der Treuhänderschaft die Rechte der Betroffenen ruhen; für das Rechtsverhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Verpflichteten sind die §§ 664, 666 bis 670 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden; der Treuhänder kann von dem Verpflichteten eine angemessene Vergütung beanspruchen. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht, 1. wenn die beteiligten Unternehmen insgesamt im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 500 Millionen Deutscher Mark hatten oder 2. wenn ein Unternehmen, das im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von nicht mehr als 50 Millionen Deutscher Mark hatte, sich einem anderen Unternehmen anschließt oder 3. soweit zu erwarten ist, daß die Wettbewerbsbeschränkung sich nicht im gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes oder in einem wesentlichen Teil desselben auswirkt oder 4. soweit ein Markt für Waren oder gewerbliche Leistungen betroffen ist, auf dem im letzten abgeschlossenen Kalenderjahr weniger als zehn Millionen Deutscher Mark umgesetzt wurden. Bei der Berechnung der Umsatzerlöse ist § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 6 anzuwenden. § 24a (1) Das Vorhaben eines Zusammenschlusses kann beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Das Vorhaben ist beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn mindestens zwei der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von jeweils einer Milliarde Deutscher Mark oder mehr hatten; das Zusammenschlußvorhaben ist ferner anzumelden, wenn der Zusammenschluß nach Landesrecht durch Gesetz oder sonstigen Hoheitsakt bewirkt werden soll. Für die Anmeldung gilt § 23 entsprechend mit der Maßgabe, daß bei Anwendung des § 23 Abs. l Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 an die Stelle des Zeitpunktes des Zusammenschlusses der Zeitpunkt der Anmeldung tritt und daß in den Fällen der Verschmelzung oder Umwandlung die Inhaber, die Vertreter oder zur Vertretung berufenen Personen der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen zur Anmeldung verpflichtet sind. Die Anmeldung gilt nur als bewirkt, wenn sie die in § 23 Abs. 5 bezeichneten Angaben enthält. § 46 Abs. 8 und 9 sowie § 47 finden auf die anläßlich der Anmeldung erlangten Kenntnisse und Unterlagen entsprechende Anwendung. (2) Ist das Zusammenschlußvorhaben beim Bundeskartellamt angemeldet worden, so darf das Bundeskartellamt den Zusammenschluß nur untersagen, wenn es demjenigen, der die Anmeldung bewirkt hat, innerhalb einer Frist von einem Monat seit Eingang der Anmeldung mitteilt, daß es in die Prüfung des Zusammenschlußvorhabens eingetreten ist und wenn die Verfügung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 innerhalb einer Frist von vier Monaten seit Eingang der Anmeldung ergeht. Das Bundeskartellamt darf den Zusammenschluß auch nach Ablauf der vier Monate untersagen, wenn
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1. die am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen einer Fristverlängerung zugestimmt haben oder 2. der Zusammenschluß vollzogen wird, obgleich die in Satz 1 genannte Frist von einem Monat oder, wenn das Bundeskartellamt die Mitteilung nach Satz 1 gemacht hat, die dort genannte Frist von vier Monaten noch nicht abgelaufen ist oder 3. der Zusammenschluß anders als angemeldet vollzogen wird oder 4. der Zusammenschluß noch nicht vollzogen ist und die Verhältnisse, auf Grund deren das Bundeskartellamt von der Mitteilung nach Satz 1 oder von der Untersagung des Zusammenschlusses nach § 24 Abs. 2 Satz 1 abgesehen hatte, sich wesentlich geändert haben oder 5. das Bundeskartellamt durch unrichtige oder unvollständige Angaben der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen oder eines anderen veranlaßt worden ist, die Mitteilung nach Satz 1 oder die Untersagung des Zusammenschlusses nach § 24 Abs. 2 Satz 1 zu unterlassen oder 6. eine Auskunft nach § 23 Abs. 6 oder § 46 nicht oder nicht fristgemäß erteilt wurde und das Bundeskartellamt dadurch zu dem in Nummer 5 bezeichneten Verhalten veranlaßt worden ist. (3) Die Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens läßt die Pflicht zur Anzeige des Zusammenschlusses nach § 23 unberührt, bei der Anzeige nach § 23 kann auf die bei der Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens eingereichten Unterlagen Bezug genommen werden. (4) Ist ein Zusammenschlußvorhaben nach Absatz 1 Satz 2 anzumelden, so ist es unzulässig, den Zusammenschluß vor dem Ablauf der in Absatz 2 Satz 1 genannten Frist von einem Monat und, wenn das Bundeskartellamt die Mitteilung nach Absatz 2 Satz 1 gemacht hat, vor dem Ablauf der dort genannten Frist von vier Monaten oder deren vereinbarter Verlängerung zu vollziehen oder am Vollzug des Zusammenschlusses mitzuwirken, Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind unwirksam; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind. § 24b (1) Zur regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland und der Anwendung der §§ 22 bis 24a wird eine Monopolkommission gebildet. Sie besteht aus fünf Mitgliedern, die über besondere volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische, technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen. (2) Die Mitglieder der Monopolkommission dürfen weder der Regierung oder e iner gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffent lichen Dienst des Bundes, eines Landes oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder als Mitarbeiter eines wissenschaftlichen Instituts, angehören. Sie dürfen ferner nicht Repräsentant eines Wirtschaftsverbandes oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sein
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oder zu diesen in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen. Sie dürfen auch nicht während des letzten Jahres vor der Berufung zum Mitglied der Monopolkommission eine derartige Stellung innegehabt haben. (3) Die Monopolkommission soll in ihrem Gutachten den jeweiligen Stand der Unternehmenskonzentration sowie deren absehbare Entwicklung unter Wirtschafts-, insbesondere wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten beurteilen und die Anwendung der §§ 22 bis 24a würdigen. Sie soll auch nach ihrer Auffassung notwendige Änderungen der einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes aufzeigen. (4) Die Monopolkommission ist nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in ihrer Tätigkeit unabhängig. Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gutachten eine abweichende Auffassung, so kann sie diese in den Gutachten zum Ausdruck bringen. (5) Die Monopolkommission erstellt alle zwei Jahre bis zum 30. Juni, erstmals nach Ablauf des zweiten vollen Kalenderjahres nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, ein Gutachten, das sich auf die Verhältnisse in den letzten beiden abgeschlossenen Kalenderjahren erstreckt. Darüber hinaus kann sie nach ihrem Ermessen zusätzliche Gutachten erstellen. Die Bundesregierung kann die Monopolkommission mit der Erstattung zusätzlicher Gutachten beauftragen. Die Monopolkommission leitet die Gutachten unverzüglich der Bundesregierung zu und veröffentlicht sie. Zu den Gutachten nach Satz 1 nimmt die Bundesregierung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften Stellung. Der Bundesminister für Wirtschaft kann auch in Einzelfällen, die ihm nach § 24 Abs. 3 zur Entscheidung vorliegen, eine gutachtliche Stellungnahme der Monopolkommission einholen. (6) Die Mitglieder der Monopolkommission werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten berufen. Zum 1. Juli eines jeden Jahres, in dem nach Absatz 5 Satz 1 ein Gutachten zu erstatten ist, scheidet ein Mitglied aus. Die Reihenfolge des Ausscheidens wird in der ersten Sitzung der Monopolkommission durch das Los bestimmt. Der Bundespräsident beruft auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils ein neues Mitglied für die Dauer von vier Jahren. Wiederberufungen sind Die Bundesregierung hört die Mitglieder der Monopolkommission an, bevor sie neue Mitglieder vorschlägt. Die Mitglieder sind berechtigt, ihr Amt durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten niederzulegen. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird ein neues Mitglied für die Dauer der Amtszeit des ausgeschiedenen Mitglieds berufen; die Sätze 4 bis 6 gelten entsprechend. (7) Die Beschlüsse der Monopolkommission bedürfen der Zustimmung von mindestens drei Mitgliedern. Die Monopolkommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Die Monopolkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. (8) Die Monopolkommission erhält eine Geschäftsstelle. Die Tätigkeit der Geschäftsstelle besteht in der Vermittlung und Zusammenstellung von Quellenmaterial, der technischen Vorbereitung der Sitzungen der Monopolkommission, dem Druck und der Veröffentlichung der Gutachten sowie der Erledigung der sonst anfallenden Verwaltungsaufgaben. (9) Die Mitglieder der Monopolkommission und die Angehörigen der Geschäftsstelle sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die von der Monopolkom-
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mission als vertraulich bezeichneten Beratungsunterlagen verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich auch auf Informationen, die der Monopolkommission gegeben und als vertraulich bezeichnet werden. § 46 Abs. 8 und 9 sowie § 47 bleiben unberührt. (10) Die Mitglieder der Monopolkommission erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Ersatz ihrer Reisekosten. Diese werden vom Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern festgesetzt. Die Kosten der Monopolkommission trägt der Bund. Sechster Abschnitt Gemeinsame Bestimmungen § 35 (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder gegen eine auf Grund dieses Gesetzes von der Kartellbehörde oder dem Beschwerdegericht erlassene Verfügung verstößt, ist, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. Richtet sich der Verstoß gegen eine auf Grund des § 27 erlassene Verfügung, so kann der Geschädigte auch für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. (2) In den Fällen des Absatzes 1 kann ein Anspruch auf Unterlassung auch von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden, soweit die Verbände als solche in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten klagen können. DRITTER TEIL Behörden Erster Abschnitt Kartellbehörden § 44 (1) Die in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben und Befugnisse nehmen wahr 1. das Bundeskartellamt (§ 48) a) gegenüber Kartellen im Sinne der §§ 4, 6 und 7; b) in bezug auf Verträge der in § 16 und Empfehlungen der in§ 38a bezeichneten Art; c) gegenüber Zusammenschlüssen nach den §§ 23 bis 24a, soweit diese Aufgaben und Befugnisse nicht dem Bundesminister für Wirtschaft übertragen sind; d) wenn die Wirkung der Marktbeeinflussung oder des wettbewerbsbeschränkenden oder diskriminierenden Verhaltens oder einer Wettbewerbsregel über das Gebiet eines Landes hinausreicht; e) gegenüber der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn;
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2. der Bundesminister für Wirtschaft in den Fällen der §§ 8, 24 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 bis 5; 3. in allen übrigen Fällen die nach Landesrecht zuständige oberste Landesbehörde. (2) Soweit eine Geldbuße auf Grund dieses Gesetzes gegen Versicherungsunternehmungen, Bausparkassen oder solche Unternehmen, die Bankoder Sparkassengeschäfte betreiben, oder Vereinigungen dieser Unternehmen festgesetzt werden soll, erläßt die Kartellbehörde den Bußgeldbescheid im Einvernehmen mit der fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde. Ist ein Einvernehmen nicht herzustellen, so legt die Kartellbehörde die Sache dem Bundesminister für Wirtschaft vor; seine Weisungen ersetzen dieses Einvernehmen. Sind die Kartellbehörde und die fachlich zuständige Aufsichtsbehörde Landesbehörden, so entscheidet, falls ein Einvernehmen nicht herzustellen ist, die nach Landesrecht zuständige Stelle. § 45 (1) Leitet das Bundeskartellamt gegen ein Unternehmen, ein Kartell, eine Wirtschafts- oder Berufsvereinigung ein Verwaltungsverfahren (§§ 51 bis 58) oder ein Bußgeldverfahren (§§ 81 bis 85) ein oder führt es Ermittlungen durch, so benachrichtigt es gleichzeitig die örtlich zuständige oberste Landesbehörde. (2) Leitet eine oberste Landesbehörde gegen ein Unternehmen, ein Kartell, eine Wirtschafts- oder Berufsvereinigung ein Verwaltungs- oder Bußgeldverfahren ein oder führt sie Ermittlungen durch, so benachrichtigt sie gleichzeitig das Bundeskartellamt. (3) Die oberste Landesbehörde hat eine Sache an das Bundeskartellamt abzugeben, wenn nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 die Zuständigkeit des Bundeskartellamtes begründet ist. Das Bundeskartellamt hat eine Sache an die oberste Landesbehörde abzugeben, wenn nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 die Zuständigkeit der obersten Landesbehörde begründet ist. § 46 (1) Soweit es zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde 1. von Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen; 2. bei Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten die geschäftlichen Unterlagen einsehen und prüfen; 3. von Wirtschafts- und Berufsvereinigungen Auskunft über die Satzung, über die Beschlüsse sowie über Anzahl und Namen der Mitglieder verlangen, für die die Beschlüsse bestimmt sind. (2) Die Inhaber der Unternehmen oder deren Vertreter, bei juristischen Personen, Gesellschaften und nicht rechtsfähigen Vereinen die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen sowie die gemäß § 36 Abs. 2 bestellten Vertreter sind verpflichtet, die verlangten Auskünfte zu erteilen, die geschäftlichen Unterlagen vorzulegen und die Prüfung dieser geschäftlichen Unterlagen sowie das Betreten von Geschäftsräumen und -grundstücken zu dulden.
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(3) Personen, die von der Kartellbehörde mit der Vornahme von Prüfungen beauftragt werden, dürfen die Räume der Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen betreten. Das Grundrecht des Artikels 13 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt. (4) Durchsuchungen können nur auf Anordnung des Amtsrichters, in dessen Bezirk die Durchsuchung erfolgen soll, vorgenommen werden. Auf die Anfechtung dieser Anordnung finden die §§ 306 bis 310 und 31la der Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung. Bei Gefahr im Verzuge können die in Absatz 3 bezeichneten Personen während der Geschäftszeit die erforderlichen Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung vornehmen. An Ort und Stelle ist eine Niederschrift über die Durchsuchung und ihr wesentliches Ergebnis aufzunehmen, aus der sich, falls keine richterliche Anordnung ergangen ist, auch die Tatsachen ergeben, die zur Annahme einer Gefahr im Verzuge geführt haben. (5) Der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. (6) Der Bundesminister für Wirtschaft oder die oberste Landesbehörde fordern die Auskunft durch schriftliche Einzelverfügung, das Bundeskartellamt fordert sie durch Beschluß an. Darin sind die Rechtsgrundlage, der Gegenstand und der Zweck des Auskunftsverlangens anzugeben und eine angemessene Frist zur Erteilung der Auskunft zu bestimmen. (7) Der Bundesminister für Wirtschaft oder die oberste Landesbehörde ordnen die Prüfung durch schriftliche Einzelverfügung, das Bundeskartellamt ordnet sie durch Beschluß mit Zustimmung des Präsidenten an. In der Anordnung sind Zeitpunkt, Rechtsgrundlage, Gegenstand und Zweck der Prüfung anzugeben. (8) Die bei der Kartellbehörde beschäftigten oder von ihr beauftragten Personen haben vorbehaltlich der dienstlichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten mit Ausnahme der in Absatz 9 genannten über die durch Auskünfte nach Absatz 1 Nr. 1 und 3 oder Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 erlangten Kenntnisse und Unterlagen Stillschweigen zu bewahren und sich der Verwertung der hierbei zu ihrer Kenntnis gelangten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu enthalten, auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind. Das gleiche gilt für Personen, die durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von den der Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen erhalten. Zusammenfassungen von Angaben mehrerer Auskunftspflichtiger, aus denen die Angaben einzelner Auskunftspflichtiger weder unmittelbar noch mittelbar zu ersehen sind, unterliegen nicht der Schweigepflicht; das gleiche gilt für Ergebnisse von Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2. (9) Die durch Auskünfte nach Absatz 1 Nr. 1 und 3 oder Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 erlangten Kenntnisse und Unterlagen dürfen nicht für ein Besteuerungsverfahren einschließlich eines Steuerstrafverfahrens oder ein Verfahren wegen Devisenzuwiderhandlungen verwendet werden. Die Vorschriften der §§ 175, 179, 188 Abs. 1 und des § 189 der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (Reichsgesetzbl. I S. 161) über Beistands- und Anzeigepflichten gegenüber den Finanzämtern gelten insoweit nicht.
GWB 1973285 Zweiter Abschnitt Bundeskartellamt § 48
(1) Als selbständige Bundesoberbehörde wird ein Bundeskartellamt mit dem Sitz in Berlin errichtet. Es gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. (2) Die Entscheidungen des Bundeskartellamtes werden von den Beschlußabteilungen getroffen, die nach Bestimmung des Bundesministers für Wirtschaft gebildet werden. Im übrigen regelt der Präsident die Verteilung und den Gang der Geschäfte des Bundeskartellamtes durch eine Geschäftsordnung; sie bedarf der Bestätigung durch den Bundesminister für Wirtschaft. (3) Die Beschlußabteilungen entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. (4) Die Vorsitzenden und die Beisitzer der Beschlußabteilungen müssen Beamte auf Lebenszeit sein. Die Vorsitzenden und die Beisitzer müssen die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben; die Vorsitzenden sollen in der Regel die Befähigung zum Richteramt haben. (5) Die Mitglieder des Bundeskartellamtes dürfen nicht Inhaber, Leiter oder Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates eines Unternehmens, eines Kartells oder einer Wirtschafts- oder Berufsvereinigung sein. § 49 Soweit der Bundesminister für Wirtschaft dem Bundeskartellamt allgemeine Weisungen für den Erlaß oder die Unterlassung von Verfügungen nach diesem Gesetz erteilt, sind diese Weisungen im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. § 50 (1) Das Bundeskartellamt veröffentlicht jährlich einen Bericht über seine Tätigkeit sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet. In den Bericht sind die allgemeinen Weisungen des Bundesministers für Wirtschaft nach § 49 aufzunehmen. In den Bericht·sind ferner die nach § 23 angezeigten Zusammenschlüsse aufzunehmen, soweit sie nach § 10 Abs. 1 im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden sind. Es veröffentlicht ferner fortlaufend seine Verwaltungsgrundsätze. (2) Die Bundesregierung leitet den Bericht der Kartellbehörde dem Bundestag unverzüglich mit ihrer Stellungnahme zu.
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Anlage G VIERTER TEIL Verfahren Erster Abschnitt Verwaltungssachen I. Verfahren vor den Kartellbehörden § 51
(1) Die Kartellbehörde leitet ein Verfahren von Amts wegen oder auf Antrag ein. (2) An dem Verfahren vor der Kartellbehörde sind beteiligt, 1. wer die Einleitung eines Verfahrens beantragt hat; 2. Kartelle, Unternehmen, Wirtschafts- oder Berufsvereinigungen, gegen die sich das Verfahren richtet; 3. in den Fällen der §§ 14, 19 und 105 die betroffenen Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen; 4. Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Kartellbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat; 5. in den Fällen des § 23 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 auch der Veräußerer. (3) An Verfahren vor obersten Landesbehörden ist auch das Bundeskartellamt beteiligt. § 52 (1) Macht ein Beteiligter die örtliche oder sachliche Unzuständigkeit der Kartellbehörde geltend, so kann die Kartellbehörde über die Zuständigkeit vorab entscheiden. Die Verfügung kann selbständig mit der Beschwerde angefochten werden; die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. (2) Hat ein Beteiligter die örtliche oder sachliche Unzuständigkeit der Kartellbehörde nicht geltend gemacht, so kann eine Beschwerde nicht darauf gestützt werden, daß die Kartellbehörde ihre Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat. § 53 (1) Die Kartellbehörde hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und sie auf Antrag eines Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung zu laden. (2) Vertretern der von dem Verfahren berührten Wirtschaftskreise kann die Kartellbehörde in geeigneten Fällen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. (3) In den Fällen des § 22 entscheidet die Kartellbehörde auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung, mit Einverständnis der Beteiligten kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen ist für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit, oder die Gefährdung eines wichtigen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses besorgen läßt. In den Fällen der §§ 24 und 24a sind im Verfahren vor dem Bundesminister für Wirtschaft die Sätze 1 und 2 entsprechend anzuwenden.
GWB 1973287 § 54
(1) Die Kartellbehörde kann alle Ermittlungen führen und alle Beweise erheben, die erforderlich sind. (2) Für den Beweis durch Augenschein, Zeugen und Sachverständige sind § 372 Abs. 1, §§ 376, 377, 380 bis 387, 390, 395 bis 397, 398 Abs. 1, §§ 401, 402, 404, 406 bis 409, 411 bis 414 der Zivilprozeßordnung sinngemäß anzuwenden; Haft darf nicht verhängt werden. Für die Entscheidung über die Beschwerde ist das Oberlandesgericht zuständig. (3) Über die Aussagen der Zeugen soll eine Niederschrift aufgenommen werden, die von dem ermittelnden Mitglied der Kartellbehörde und, wenn ein Urkundsbeamter zugezogen ist, auch von diesem zu unterschreiben ist. Die Niederschrift soll Ort und Tag der Verhandlung sowie die Namen der Mitwirkenden und Beteiligten ersehen lassen. (4) Die Niederschrift ist dem Zeugen zur Genehmigung vorzulesen oder zur eigenen Durchsicht vorzulegen. Die erteilte Genehmigung ist zu vermerken und von dem Zeugen zu unterschreiben. Unterbleibt die Unterschrift, so ist der Grund hierfür anzugeben. (5) Bei der Vernehmung von Sachverständigen sind die Bestimmungen der Absätze 3 und 4 entsprechend anzuwenden. (6) Die Kartellbehörde kann das Amtsgericht um die Beeidigung von Zeugen ersuchen, wenn sie die Beeidigung zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für notwendig erachtet. Über die Beeidigung entscheidet das Gericht. § 55 (1) Die Kartellbehörde kann Gegenstände, die als Beweismittel für die Ermittlung von Bedeutung sein können, beschlagnahmen. Die Beschlagnahme ist dem davon Betroffenen unverzüglich bekanntzumachen. (2) Die Kartellbehörde hat binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Beschlagnahme vorgenommen ist, nachzusuchen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklich Widerspruch erhoben hat. (3) Der Betroffene kann gegen die Beschlagnahme jederzeit die richterliche Entscheidung nachsuchen. Hierüber ist er zu belehren. Über den Antrag entscheidet das nach Absatz 2 zuständige Gericht. (4) Gegen die richterliche Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. Die §§ 306 bis 310 und 311 a der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. § 56 Die Kartellbehörde kann bis zur endgültigen Entscheidung über 1. eine Erlaubnis nach den §§ 4, 5 Abs. 2 und 3, § 6 Abs. 2, §§ 7, 8, 20 Abs. 3, § 21 oder § 24 Abs. 3, ihre Verlängerung nach § 11 Abs. 2, ihren Widerruf oder ihre Änderung nach § 11 Abs. 4 und 5,
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2. eine Erlaubnis nach § 14, 3. eine Verfügung nach § 3 Abs. 4, § 12 Abs. 2, § 17 Abs. 1, §§ 18, 22 Abs. 5, § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 bis 7, §§ 27, 31 Abs. 3, §§ 37 a, 38 Abs. 3, § 38a Abs. 3 oder 6, § 102 Abs. 2 oder 3, § 102 a Abs. 2 oder § 104 Abs. 2 einstweilige Anordnungen zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes treffen. § 57 (1) Verfügungen der Kartellbehörde sind zu begründen. Sie sind mit der Begründung und einer Belehrung über das zulässige Rechtsmittel den Beteiligten nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 3. Juli 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 379) zuzustellen. Verfügungen, die in Verfahren nach den §§ 22 bis 24a gegenüber einem Unternehmen mit Sitz außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes ergehen, stellt die Kartellbehörde demjenigen zu, den das Unternehmen dem Bundeskartellamt als Zustellungsbevollmächtigten benannt hat. Hat das Unternehmen einen Zustellungsbevollmächtigten nicht benannt, so stellt die Kartellbehörde die Verfügungen durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger zu. (2) Soweit ein Verfahren nicht mit einer Verfügung abgeschlossen wird, die den Beteiligten nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 zugestellt wird, ist seine Beendigung den Beteiligten schriftlich mitzuteilen. § 58 Verfügungen der Kartellbehörde, 1. durch die ein Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für Verträge und Beschlüsse der in den §§ 4, 5 Abs. 2 und 3, § 6 Abs. 2, §§ 7 und 8 bezeichneten Art oder auf Eintragung einer Wettbewerbsregel abgelehnt wird, 2. die einen Widerspruch der Kartellbehörde nach § 2 Abs. 3, § 3 Abs. 3, § 5a Abs. 3 oder § 5 b Abs. 2 enthalten, 3. die eine unanfechtbar gewordene Untersagung nach § 24 Abs. 2 Satz 1, eine Erlaubnis nach § 24 Abs. 3, deren Ablehnung, Änderung, Widerruf oder Rücknahme enthalten oder die nach § 24 Abs. 6 oder 7, 4. die nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 17 Abs. 1, §§ 18, 22 Abs. 5, §§ 27, 38 Abs. 3, § 38a Abs. 3 oder 6, § 102 Abs. 2 und 3, § 102 a oder § 104 Abs. 2 ergehen, sind im Bundesanzeiger und, soweit eine oberste Landesbehörde entschieden hat, auch in einem amtlichen Verkündungsblatt des Landes bekanntzumachen. II. Beschwerde § 62 (1) Gegen Verfügungen der Kartellbehörde ist die Beschwerde zulässig. Sie kann auch auf neue Tatsachen und Beweismittel gestützt werden. (2) Die Beschwerde steht den am Verfahren vor der Kartellbehörde Beteiligten (§ 51 Abs. 2 und 3) zu.
GWB 1973289
(3) Die Beschwerde ist auch gegen die Unterlassung einer beantragten Verfügung der Kartellbehörde zulässig, auf deren Vornahme der Antragsteller ein Recht zu haben behauptet. Als Unterlassung gilt es auch, wenn die Kartellbehörde den Antrag auf Vornahme der Verfügung ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht beschieden hat. Die Unterlassung ist dann einer Ablehnung gleichzuachten. (4) Über die Beschwerde entscheidet ausschließlich das für den Sitz der Kartellbehörde zuständige Oberlandesgericht, in den Fällen der §§ 24 und 24a ausschließlich das für den Sitz des Bundeskartellamtes zuständige Oberlandesgericht, und zwar auch dann, wenn sich die Beschwerde gegen eine Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft richtet. § 36 der Zivilprozeßordnung gilt entsprechend. § 63 (1) Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung, soweit durch die angefochtene Verfügung 1. eine Erlaubnis nach § 11 Abs. 4 und 5 oder § 24 Abs. 5 widerrufen, zurückgenommen oder geändert, oder 2. eine Verfügung nach § 3 Abs. 4, § 12 Abs. 2, § 17 Abs. 1, §§ 18, 20 Abs. 3 Satz 2, § 22 Abs. 5, §§ 27, 31 Abs. 3, §§ 37a, 38 Abs. 3, § 102 Abs. 2 oder 3, § 102 a Abs. 2 oder § 104 Abs. 2 getroffen wird. (2) Wird eine Verfügung, durch die eine Erlaubnis nach § 14 erteilt oder eine einstweilige Anordnung nach § 56 getroffen wurde, angefochten, so kann das Beschwerdegericht anordnen, daß die angefochtene Verfügung ganz oder teilweise erst nach Abschluß des Beschwerdeverfahrens oder nach Leistung einer Sicherheit in Kraft tritt. Die Anordnung kann jederzeit aufgehoben oder geändert werden. (3) § 56 gilt entsprechend für das Verfahren vor dem Beschwerdegericht. § 63a (1) Die Kartellbehörde kann in den Fällen des § 63 Abs. 1 die sofortige Vollziehung der Verfügung anordnen, wenn dies im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist. (2) Die Anordnung nach Absatz 1 kann bereits vor der Einreichung der Beschwerde getroffen werden. (3) Auf Antrag kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn 1. die Voraussetzungen für die Anordnung nach Absatz 1 nicht vorgelegen haben oder nicht mehr vorliegen oder 2. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen oder 3. die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen, in denen die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat, kann das Beschwerdegericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 oder 3 vorliegen.
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(4) Der Antrag nach Absatz 3 Satz 1 ist im Falle einer Anordnung nach Absatz 2 schon vor Einreichung der Beschwerde zulässig. Die Tatsachen, auf die der Antrag gestützt wird, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Ist die Verfügung im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden. (5) Beschlüsse über Anträge nach Absatz 3 können jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Soweit durch sie den Anträgen entsprochen ist, sind sie unanfechtbar. § 64 Wird eine Verfügung, durch die eine Erlaubnis gemäß § 14 erteilt wurde, nach ihrer Anfechtung abgeändert oder aufgehoben, so haben die Beteiligten, die auf Grund der angefochtenen Verfügung Maßnahmen getroffen haben, dem Betroffenen den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Entschädigungsanspruch verjährt in sechs Monaten seit der Zustellung der endgültigen Entscheidung an den Betroffenen. § 65 (1) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat bei der Kartellbehörde, deren Verfügung angefochten wird, schriftlich einzureichen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Verfügung der Kartellbehörde. Wird in den Fällen des § 24 Abs. 2 Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 24 Abs. 3 gestellt, so beginnt die Frist für die Beschwerde gegen die Verfügung des Bundeskartellamtes nach § 24 Abs. 2 Satz 1 mit der Zustellung der Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft nach § 24 Abs. 3. Es genügt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht. (2) Ergeht auf einen Antrag keine Verfügung (§ 62 Abs. 3 Satz 2), so ist die Beschwerde an keine Frist gebunden. (3) Die Beschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Beschwerdebegründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Beschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. (4) Die Beschwerdebegründung muß enthalten 1. die Erklärung, inwieweit die Verfügung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird, 2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt. (5) Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für Beschwerden der Kartellbehörden.
GWB 1973291 § 66 (1) An dem Verfahren vor dem Beschwerdegericht sind beteiligt 1. der Beschwerdeführer, 2. die Kartellbehörde, deren Verfügung angefochten wird,
3. Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Kartellbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat. (2) Richtet sich die Beschwerde gegen eine Verfügung einer obersten Landesbehörde, ist auch das Bundeskartellamt an dem Verfahren beteiligt. § 67 (l) Vor dem Beschwerdegericht müssen die Beteiligten sich durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Kartellbehörde kann sich durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen. (2) Auf Antrag eines Beteiligten ist einem mit schriftlicher Vollmacht versehenen öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfer oder anderen sachkundigen Personen das Wort zu gestatten. § 157 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung ist insoweit nicht anzuwenden. § 68 (1) Das Beschwerdegericht entscheidet über die Beschwerde auf Grund mündlicher Verhandlung; mit Einverständnis der Beteiligten kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. (2) Sind die Beteiligten in dem Verhandlungstermin trotz rechtzeitiger Benachrichtigung nicht erschienen oder gehörig vertreten, so kann gleichwohl in der Sache verhandelt und entschieden werden. § 69 (1) Das Beschwerdegericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. (2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. (3) Das Beschwerdegericht kann den Beteiligten aufgeben, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist über aufklärungsbedürftige Punkte zu äußern, Beweismittel zu bezeichnen und in ihren Händen befindliche Urkunden sowie andere Beweismittel vorzulegen. Bei Versäumung der Frist kann nach Lage der Sache ohne Berücksichtigung der nicht beigebrachten Beweismittel entschieden werden. § 70 (1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beschluß darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
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(2) Hält das Beschwerdegericht die Verfügung der Kartellbehörde für unzulässig oder unbegründet, so hebt es sie auf. Hat sich die Verfügung vorher durch Zurücknahme oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, daß die Verfügung der Kartellbehörde unzulässig oder unbegründet gewesen ist, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (3) Hält das Beschwerdegericht die Ablehnung oder Unterlassung der Verfügung für unzulässig oder unbegründet, so spricht es die Verpflichtung der Kartellbehörde aus, die beantragte Verfügung vorzunehmen. (4) Die Verfügung ist auch dann unzulässig oder unbegründet, wenn die Kartell behörde von ihrem Ermessen fehlsamen Gebrauch gemacht hat, insbesondere wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder durch die Ermessensentscheidung Sinn und Zweck dieses Gesetzes verletzt hat. Die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung ist hierbei der Nachprüfung des Gerichts entzogen. (5) Der Beschluß ist zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung den Beteiligten zuzustellen. § 71 (1) Die in § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und Abs. 2 bezeichneten Beteiligten können die Akten des Gerichts einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. § 299 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung gilt entsprechend. (2) Einsicht in Vorakten, Beiakten, Gutachten und Auskünfte ist nur mit Zustimmung der Stellen zulässig, denen die Akten gehören oder die die Äußerung eingeholt haben. Die Kartellbehörde hat die Zustimmung zur Einsicht in die ihr gehörigen Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist. Wird die Einsicht abgelehnt oder ist sie unzulässig, dürfen diese Unterlagen der Entscheidung nur insoweit zugrunde gelegt werden, als ihr Inhalt vorgetragen worden ist. (3) Den in § 66 Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Beteiligten kann das Beschwerdegericht nach Anhörung des Verfügungsberechtigten Akteneinsicht in gleichem Umfang gewähren. § 72 Im Verfahren vor dem Beschwerdegericht gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, entsprechend 1. die Vorschriften der §§ 169 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes über Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung; 2. die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über Ausschließung und Ablehnung eines Richters, über Prozeßbevollmächtigte und Beistände, über die Zustellung von Amts wegen, über Ladungen, Termine und Fristen, über die Anordnung des persön lichen Erscheinens der Parteien, über die Verbindung mehrerer Prozesse, über die Erledigung des Zeugen- und Sachverständigenbeweises sowie über die sonstigen Arten des Beweisverfahrens, über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist.
GWB 1973293 III. Rechtsbeschwerde § 73
(1) Gegen die in der Hauptsache erlassenen Beschlüsse der Oberlandesgerichte findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder 2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordert. (3) Über die Zulassung oder Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist in der Entscheidung des Oberlandesgerichts zu befinden. Die Nichtzulassung ist zu begründen. (4) Einer Zulassung zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts bedarf es nicht, wenn einer der folgenden Mängel des Verfahrens vorliegt und gerügt wird: 1. wenn das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. § 74 (1) Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde kann selbständig durch Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden. (2) Über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet der Bundesgerichtshof durch Beschluß, der zu begründen ist. Der Beschluß kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. (3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. (4) Für die Nichtzulassungsbeschwerde gelten die § 63 Abs. 1 und 2, § 65 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 1 und Abs. 5, §§ 66, 67 Abs. 1, §§ 71 und 72 Nr. 2 dieses Gesetzes sowie die §§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Beratung und Abstimmung entsprechend. Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Beschwerdegericht zuständig.
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(5) Wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, so wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesgerichtshofes rechtskräftig. Wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, so beginnt mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesgerichtshofes der Lauf der Beschwerdefrist. § 75 (1) Die Rechtsbeschwerde steht der Kartellbehörde sowie den am Beschwerdeverfahren Beteiligten zu. (2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht; die §§ 550, 551 Nr. 1 bis 3, 5 bis 7 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, daß die Kartellbehörde unter Verletzung des § 44 ihre Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat. (3) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. (4) Der Bundesgerichtshof ist an die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Rechtsbeschwerdegründe vorgebracht sind. (5) Für die Rechtsbeschwerde gelten im übrigen die § 63 Abs. 1 und 2, § 65 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 1 und Abs. 5, §§ 66 bis 68, 70 bis 72 entsprechend. Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Beschwerdegericht zuständig. IV. Gemeinsame Bestimmungen § 76 Fähig, am Verfahren vor der Kartellbehörde, am Beschwerdeverfahren und am Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligt zu sein, sind außer natürlichen und juristischen Personen auch nichtrechtsfähige Personenvereinigungen. § 77 Im Beschwerdeverfahren und im Rechtsbeschwerdeverfahren kann das Gericht anordnen, daß die Kosten, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, von einem Beteiligten ganz oder teilweise zu erstatten sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. Hat ein Beteiligter Kosten durch ein unbegründetes Rechtsmittel oder durch grobes Verschulden veranlaßt, so sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Im übrigen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen entsprechend. § 78 Für die Gebühren und Auslagen im Beschwerdeverfahren und im Rechtsbeschwerdeverfahren gelten die Vorschriften für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten entsprechend; für Beschlüsse nach § 70 wird die Urteilsgebühr erhoben. Die Gebühren im Beschwerdeverfahren richten sich nach den Vorschriften für die Berufungsinstanz, die
GWB 1973295
Gebühren im Rechtsbeschwerdeverfahren nach den Vorschriften für die Revisions instanz. § 79 In die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte wird nach§ 65 folgender § 65a eingefügt: § 65a Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Im Beschwerdeverfahren und im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten die Vorschriften dieses Abschnitts sinngemäß. Die Gebühren richten sich nach § 11 Abs. 1 Satz 2. § 80 (1) Das Nähere über das Verfahren vor der Kartellbehörde bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (2) Im Verfahren vor der Kartellbehörde werden Gebühren zur Deckung der Verwaltungskosten erhoben. Gebührenpflichtig sind (gebührenpflichtige Handlungen) 1. Anmeldungen nach § 9 Abs. 2 – auch in Verbindung mit § 99 Abs. 3 Satz 1 und § 103 Abs. 3 –, § 24a Abs. 1, § 38 Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 99 Abs. 4, § 100 Abs. 1 Satz 2, § 102 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit Satz 2, auch in Verbindung mit Absatz 3, sowie § 102a Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1; 2. Amtshandlungen auf Grund des § 3 Abs. 4, §§ 4, 5 Abs. 2 und 3, § 6 Abs. 2 und 4, §§ 7, 8, 11, 12, 14, 17, 18, 20 bis 22, 24, 24a, 27, 28, 31, 37a, 38 Abs. 3, § 38a Abs. 3 und 6, §§ 56, 91, 102, 102a Abs. 2, §§ 104 und 105; 3. Erteilung von Abschriften aus den Akten der Kartellbehörde oder aus den bei ihr geführten Registern. Daneben werden als Auslagen die Kosten der öffentlichen Bekanntmachungen erhoben. Die Gebühr für Amtshandlungen auf Grund des § 6 Abs. 2 entfällt, wenn die Kartellbehörde für den Vertrag oder Beschluß bereits eine Ermächtigung nach § 6 Abs. 4 erteilt hat. In den Fällen des § 27 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 4 Nr. 1 wird die Gebühr nur bei erfolglosem Antrag erhoben. Auf die Gebühr für die Untersagung eines Zusammenschlusses nach § 24 Abs. 2 Satz 1 ist die Gebühr für die Anmeldung des Zusammenschlusses nach § 24a Abs. 1 anzurechnen. (3) Die Höhe der Gebühren bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Kartellbehörde unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung, die der Gegenstand der gebührenpflichtigen Handlung hat. Die Gebührensätze dürfen jedoch nicht übersteigen 1. 50.000 DM in den Fällen der §§ 24 und 24a; 2. 25.000 DM in den Fällen der §§ 4, 5 Abs. 2 und 3, § 6 Abs. 2, §§ 7, 8 und 22 Abs. 5; 3. 15.000 DM in den Fällen der §§ 2 und 3; 4. 7.500 DM in den Fällen der §§ 5a und 5b;
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5. 5.000 DM in den Fällen des § 6 Abs. 1, § 17 Abs. 1, §§ 18, 20 Abs. 3, §§ 21, 28 Abs. 3, § 38 Abs. 3, § 38a Abs. 3 und 6, § 99 Abs. 3 Satz 1, § 102 Abs. 2, § 102a Abs. 2 und § 104; 6. 2.500 DM in den Fällen des § 5 Abs. 1, § 27 Abs. 1, §§ 37a, 100 Abs. 1 Satz 2, § 102 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit Satz 2, auch in Verbindung mit Absatz 3, § 102a Abs. 1 Satz 3 und § 103 Abs. 3; 7. 1.250 DM in den Fällen des § 38 Abs. 2 Nr. 2 und 3; 8. 1.000 DM in den Fällen des § 17 Abs. 1, soweit es sich in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift um Preisempfehlungen handelt; 9. 500 DM in den Fällen des § 5 Abs. 4, § 91 Abs. 1; 10. 250 DM in den Fällen des § 99 Abs. 4 Satz 2; 11. 25 DM für die Erteilung beglaubigter Abschriften (Absatz 2 Nr. 3); 12. a) in den Fällen des § 6 Abs. 4, §§ 11 und 27 Abs. 3 den Betrag für die Erteilung der Erlaubnis oder die Anordnung der Aufnahme (Nr. 2 und 6), b) in den Fällen der §§ 12 und 104 den Betrag für die Anmeldung (Nr. 3 bis 6) und 250 DM für Verfügungen in bezug auf Verträge oder Beschlüsse der in § 100 Abs. 1 und 7 bezeichneten Art, c) in den Fällen der §§ 14, 105 zwei vom Hundert des Wertes der Sicherheit, d) im Falle des § 31 Abs. 3 den Betrag für die Entscheidung nach § 28 Abs. 3 (Nr. 5), e) in den Fällen des § 56 ein Fünftel der Gebühr in der Hauptsache. Ist der personelle oder sachliche Aufwand der Kartellbehörde unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Werts der gebührenpflichtigen Handlung im Einzelfall außergewöhnlich hoch, kann die Gebühr bis auf das Doppelte erhöht werden. Aus Gründen der Billigkeit kann die unter Berücksichtigung der Sätze 1 bis 3 ermittelte Gebühr bis auf ein Zehntel ermäßigt werden. (4) Zur Abgeltung mehrfacher gleichartiger Amtshandlungen oder gleichartiger Anmeldungen desselben Gebührenschuldners können Pauschgebührensätze, die den geringen Umfang des Verwaltungsaufwandes berücksichtigen, vorgesehen werden. (5) Gebühren dürfen nicht erhoben werden 1. für mündliche und schriftliche Auskünfte und Anregungen; 2. wenn sie bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären; 3. in den Fällen des § 24 Abs. 3, wenn die vorangegangene Verfügung des Bundeskartellamtes nach § 24 Abs. 2 Satz 1 aufgehoben worden ist. (6) Wird ein Antrag zurückgenommen, bevor darüber entschieden ist, so ist die Hälfte der Gebühr zu entrichten. Das gleiche gilt, wenn eine Anmeldung innerhalb von drei Monaten nach Eingang bei der Kartellbehörde zurückgenommen wird. (7) Gebührenschuldner ist 1. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, wer eine Anmeldung eingereicht hat;
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2. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 2, wer durch einen Antrag die Tätigkeit der Kartellbehörde veranlaßt hat oder derjenige, gegen den eine Verfügung der Kartellbehörde ergangen ist; 3. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 3, wer die Herstellung der Abschriften veranlaßt hat; 4. in den Fällen des § 27 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 5 Nr. 1 das auf Anordnung der Kartellbehörde aufgenommene Unternehmen, wenn die Verfügung ergeht. Gebührenschuldner ist auch, wer die Zahlung der Gebühren durch eine vor der Kartellbehörde abgegebene oder ihr mitgeteilte Erklärung übernommen hat oder wer für die Gebührenschuld eines anderen kraft Gesetzes haftet. Mehrere Gebührenschuldner haften als Gesamtschuldner. (8) Der Anspruch auf Zahlung der Gebühren verjährt in vier Jahren nach der Gebührenfestsetzung. Der Anspruch auf Erstattung der Auslagen verjährt in vier Jahren nach ihrer Entstehung. (9) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Gebührensätze und die Erhebung der Gebühren vom Gebührenschuldner in Durchführung der Vorschriften der Absätze 2 bis 7 sowie die Erstattung der Auslagen für die in den §§ 10, 32 und 58 bezeichneten Bekanntmachungen zu regeln. Sie kann dabei auch Vorschriften über die Kostenbefreiung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, über die Verjährung sowie über die Kostenerhebung treffen. (10) Durch Rechtsverordnung der Bundesregierung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, wird das Nähere über die Erstattung der durch das Verfahren vor der Kartellbehörde entstehenden Kosten nach den Grundsätzen des § 77 bestimmt. Zweiter Abschnitt Bußgeldverfahren § 81 Bei Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 38 und 39 ist die Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten die nach § 44 zuständige Kartellbehörde. § 82 (1) Im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 38 oder § 39 entscheidet das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die zuständige Kartellbehörde ihren Sitz hat. (2) Das Oberlandesgericht entscheidet in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. § 83 Über die Rechtsbeschwerde (§ 79 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) entscheidet der Bundesgerichtshof. Hebt er die angefochtene Entscheidung auf, ohne in
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der Sache selbst zu entscheiden, so verweist er die Sache an das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, zurück. § 84 Im Wiederaufnahmeverfahren gegen den Bußgeldbescheid der Kartellbehörde (§ 85 Abs. 4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) entscheidet das nach § 82 zuständige Gericht. § 85 Die bei der Vollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen (§ 104 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) werden von dem nach § 82 zuständigen Gericht erlassen. Dritter Abschnitt Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten § 87 (1) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz oder aus Kartellverträgen und aus Kartellbeschlüssen ergeben, sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. (2) Die Rechtsstreitigkeiten sind Handelssachen im Sinne der §§ 93 bis 114 des Gerichtsverfassungsgesetzes. § 90 (1) Das Gericht hat das Bundeskartellamt über alle Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz oder aus Kartellverträgen und aus Kartellbeschlüssen ergeben, zu unterrichten. Das Gericht hat dem Bundeskartellamt auf Verlangen Abschriften von allen Schriftsätzen, Protokollen, Verfügungen und Entscheidungen zu übersenden. (2) Der Präsident des Bundeskartellamtes kann, wenn er dies zur Wahrung des öffentlichen Interesses als angemessen erachtet, aus den Mitgliedern des Bundeskartellamtes und, wenn der Rechtsstreit eines der in § 102 bezeichneten Unternehmen betrifft, auch aus den Mitgliedern der zuständigen Aufsichtsbehörde einen Vertreter bestellen, der befugt ist, dem Gericht schriftliche Erklärungen abzugeben, auf Tatsachen und Beweismittel hinzuweisen, den Terminen beizuwohnen, in ihnen Ausführungen zu machen und Fragen an Parteien, Zeugen und Sachverständige zu richten. Schriftliche Erklärungen des Vertreters sind den Parteien von dem Gericht mitzuteilen. (3) Reicht die Bedeutung des Rechtsstreits nicht über das Gebiet eines Landes hinaus, so tritt im Rahmen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 die oberste Landesbehörde an die Stelle des Bundeskartellamtes. (4) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für Rechtsstreitigkeiten, die die Durchsetzung eines nach § 16 gebundenen Preises gegenüber einem gebundenen Abnehmer oder einem anderen Unternehmen zum Gegenstand haben.
GWB 1973299 FÜNFTER TEIL Anwendungsbereich des Gesetzes § 98
(1) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden, soweit in den §§ 99 bis 103 nichts anderes bestimmt wird. (2) Dieses Gesetz findet Anwendung auf alle Wettbewerbsbeschränkungen, die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes auswirken, auch wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes veranlaßt werden.
Anlage H GWB 1980 Auszug aus der vierten GWB-Novelle (1980) i. d. F. vom 24. September 1981, in: BGBl. I 1980, S. 1761–1791: ERSTER TEIL Wettbewerbsbeschränkungen Dritter Abschnitt Marktbeherrschende Unternehmen § 22 (1) Ein Unternehmen ist marktbeherrschend im Sinne dieses Gesetzes, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen 1. ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder 2. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat; hierbei sind außer seinem Marktanteil insbesondere seine Finanzkraft, sein Zugang zu den Beschaffungs- oder Absatzmärkten, Verflechtungen mit anderen Unternehmen sowie rechtliche oder tatsächliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen zu berücksichtigen. (2) Als marktbeherrschend gelten auch zwei oder mehr Unternehmen, soweit zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen allgemein oder auf bestimmten Märkten aus tatsächlichen Gründen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und soweit sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen. (3) Es wird vermutet, daß 1. ein Unternehmen marktbeherrschend im Sinne des Absatzes 1 ist, wenn es für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat; die Vermutung gilt nicht, wenn das Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 250 Millionen Deutscher Mark hatte; 2. die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen a) drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert oder mehr haben oder
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b) fünf oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben; die Vermutung gilt nicht, soweit es sich um Unternehmen handelt, die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 100 Millionen Deutscher Mark hatten. Für die Berechnung der Marktanteile und der Umsatzerlöse gilt § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 10 entsprechend. (4) Die Kartellbehörde hat gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen die in Absatz 5 genannten Befugnisse, soweit diese Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für diese oder andere Waren oder gewerbliche Leistungen mißbräuchlich ausnutzen. Ein Mißbrauch im Sinne des Satzes 1 liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen 1. die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt; 2. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen; 3. ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, daß der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist. (5) Die Kartellbehörde kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 marktbeherrschenden Unternehmen ein mißbräuchliches Verhalten untersagen und Verträge für unwirksam erklären; § 19 gilt entsprechend. Zuvor soll die Kartellbehörde die Beteiligten auffordern, den beanstandeten Mißbrauch abzustellen. (6) Soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 bei einem Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes vorliegen, stehen der Kartellbehörde die Befugnisse nach Absatz 5 gegenüber jedem Konzernunternehmen zu. § 23 (1) Der Zusammenschluß von Unternehmen ist dem Bundeskartellamt unverzüglich anzuzeigen, wenn 1. im gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes oder in einem wesentlichen Teil desselben durch den Zusammenschluß ein Marktanteil von mindestens 20 vom Hundert erreicht oder erhöht wird oder ein beteiligtes Unternehmen auf einem anderen Markt einen Anteil von mindestens 20 vom Hundert hat oder 2. die beteiligten Unternehmen insgesamt zu einem Zeitpunkt innerhalb des letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahres mindestens 10 000 Beschäftigte oder in diesem Zeitraum Umsatzerlöse von mindestens 500 Millionen Deutscher Mark hatten. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein abhängiges oder herrschendes Unternehmen im Sinne des § 17 des Aktiengesetzes oder ein Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes, so sind für die Berechnung der Marktanteile, der Beschäftigten-
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zahl und der Umsatzerlöse die so verbundenen Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen; wirken mehrere Unternehmen auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise derart zusammen, daß sie gemeinsam einen beherrschenden Einfluß auf ein beteiligtes Unternehmen ausüben können, so gilt jedes von ihnen als herrschendes Unternehmen. Für die Ermittlung der Umsatzerlöse gilt § 158 Abs. 1 und 2 des Aktiengesetzes: Umsatzerlöse aus Lieferungen und Leistungen zwischen Unternehmen, die im Sinne des Satzes 2 verbunden sind (Innenumsatzerlöse), die Mehrwertsteuer sowie Verbrauchsteuern bleiben außer Betracht; Umsatzerlöse in fremder Währung sind nach dem amtlichen Kurs in Deutsche Mark umzurechnen. An die Stelle der Umsatzerlöse treten bei Kreditinstituten und Bausparkassen ein Zehntel der Bilanzsumme, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres. Die Bilanzsumme ist um diejenigen Ansätze zu vermindern, die für Beteiligungen an im Sinne des Satzes 2 verbundenen Unternehmen ausgewiesen sind; Prämieneinnahmen sind die Einnahmen aus dem Erst- und Rückversicherungsgeschäft einschließlich der in Rückdeckung gegebenen Anteile. Bei Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb ganz oder teilweise im Vertrieb von Waren besteht, sind insoweit nur drei Viertel der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen. Bei Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb ganz oder teilweise im Verlag, in der Herstellung oder im Vertrieb von Zeitungen oder Zeitschriften oder deren Bestandteilen besteht, ist insoweit das Zwanzigfache der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen; Satz 6 bleibt unberührt. Beim Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil ist für die Berechnung der Marktanteile, der Beschäftigtenzahl und der Umsatzerlöse des Veräußerers nur auf den veräußerten Vermögensteil abzustellen. Satz 8 gilt entsprechend für den Erwerb von Anteilen, soweit dabei weniger als 25 vom Hundert der Anteile beim Veräußerer verbleiben und der Zusammenschluß nicht die Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 2 Satz 3 und Nr. 5 erfüllt. Steht einer Person oder Personenvereinigung, die nicht Unternehmen ist, die Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen zu, so gilt sie für die Zwecke dieses Gesetzes als Unternehmen. (2) Als Zusammenschluß im Sinne dieses Gesetzes gelten folgende Tatbestände: 1. Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil durch Verschmelzung, Umwandlung oder in sonstiger Weise. 2. Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen, wenn die Anteile allein oder zusammen mit sonstigen, dem Unternehmen bereits gehörenden Anteilen a) 25 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens erreichen oder b) 50 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals des anderen Unternehmens erreichen oder c) dem Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung im Sinne des § 16 Abs. 1 des Aktiengesetzes gewähren. Zu den Anteilen, die dem Unternehmen gehören, rechnen auch die Anteile, die einem im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenen Unternehmen oder einem anderen für Rechnung eines dieser Unternehmen gehören und, wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind. Erwerben mehrere Unternehmen gleichzeitig oder nacheinander im vorbe-
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zeichneten Umfang Anteile an einem anderen Unternehmen, so gilt dies hinsichtlich der Märkte, auf denen das andere Unternehmen tätig ist, auch als Zusammenschluß der sich beteiligenden Unternehmen untereinander (Gemeinschaftsunternehmen). Als Zusammenschluß gilt auch der Erwerb von Anteilen, soweit dem Erwerber durch Vertrag, Satzung, Gesellschaftsvertrag oder Beschluß eine Rechtsstellung verschafft ist, die bei der Aktiengesellschaft ein Aktionär mit mehr als 25 vom Hundert des stimmberechtigten Kapitals innehat. Anteilen an einem Unternehmen stehen Stimmrechte gleich. 3. Verträge mit einem anderen Unternehmen, durch die a) ein Konzern im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes gebildet oder der Kreis der Konzernunternehmen erweitert wird oder b) sich das andere Unternehmen verpflichtet, sein Unternehmen für Rechnung des Unternehmens zu führen oder seinen Gewinn ganz oder zum Teil an das Unternehmen abzuführen oder c) dem Unternehmen der Betrieb des anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil verpachtet oder sonst überlassen wird. 4. Herbeiführung der Personengleichheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats, des Vorstands oder eines sonstigen zur Geschäftsführung berufenen Organs von Unternehmen. 5. Jede sonstige Verbindung von Unternehmen, auf Grund deren ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß auf ein anderes Unternehmen ausüben können. (3) Ein Zusammenschluß ist auch dann anzunehmen, wenn die beteiligten Unternehmen bereits vorher im Sinne des Absatzes 2 zusammengeschlossen waren, es sei denn, daß der Zusammenschluß nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der bereits bestehenden Unternehmensverbindung führt. Ein Zusammenschluß liegt nicht vor, wenn ein Kreditinstitut bei der Gründung oder Kapitalerhöhung eines Unternehmens oder sonst im Rahmen seines Geschäftsbetriebes Anteile an einem anderen Unternehmen zum Zweck der Veräußerung auf dem Markt erwirbt, solange es das Stimmrecht aus diesen Anteilen nicht ausübt und sofern die Veräußerung innerhalb eines Jahres erfolgt; bei der Gründung eines Unternehmens führt die Ausübung des Stimmrechts in der ersten Hauptversammlung nach der Gründung nicht zu einem Zusammenschluß. Ist ein an einem Zusammenschluß beteiligtes Unternehmen ein im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenes Unternehmen, so gelten auch das herrschende Unternehmen sowie diejenigen Unternehmen, von denen das herrschende Unternehmen abhängig ist, als am Zusammenschluß beteiligt. Schließen sich zwei oder mehr Unternehmen zusammen, so gilt dies auch als Zusammenschluß der von ihnen abhängigen Unternehmen. (4) Zur Anzeige sind verpflichtet: 1. in den Fällen der Verschmelzung oder Umwandlung die Inhaber des aufnehmenden oder des neugebildeten Unternehmens oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen; 2. im übrigen
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a) die Inhaber der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen und b) in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 auch der Veräußerer oder deren Vertreter, bei juristischen Personen und Gesellschaften die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen; in den Fällen des Buchstabens b gilt Absatz 3 Satz 3 entsprechend. (5) In der Anzeige ist die Form des Zusammenschlusses anzugeben. Die Anzeige muß ferner über jedes beteiligte Unternehmen folgende Angaben enthalten: 1. die Firma oder sonstige Bezeichnung und den Ort der Niederlassung oder den Sitz; 2. die Art des Geschäftsbetriebes; 3. soweit die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 erfüllt sind, den Marktanteil einschließlich der Grundlagen für seine Berechnung oder Schätzung, die Zahl der Beschäftigten und die Umsatzerlöse; an Stelle der Umsatzerlöse sind bei Kreditinstituten und Bausparkassen die Bilanzsumme, bei Versicherungsunternehmen die Prämieneinnahmen anzugeben; 4. beim Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen (Absatz 2 Nr. 2) die Höhe der erworbenen und der insgesamt gehaltenen Beteiligung. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenes Unternehmen, so sind die in Satz 2 Nr. 1 bis 3 geforderten Angaben auch über die so verbundenen Unternehmen zu machen sowie die Konzernbeziehungen, Abhängigkeits- und Beteiligungsverhältnisse zwischen den verbundenen Unternehmen mitzuteilen. (6) Das Bundeskartellamt kann von jedem beteiligten Unternehmen Auskunft über Marktanteile einschließlich der Grundlagen für die Berechnung oder Schätzung sowie über den Umsatzerlös bei einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen verlangen, den das Unternehmen im letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr erzielt hat. Ist ein beteiligtes Unternehmen ein im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 verbundenes Unternehmen, so kann das Bundeskartellamt die Auskunft auch über die so verbundenen Unternehmen verlangen; es kann die Auskunft auch von den verbundenen Unternehmen verlangen. § 46 Abs. 2, 5 und 9 gilt entsprechend. Zur Erteilung der Auskunft hat das Bundeskartellamt eine angemessene Frist zu bestimmen. Die Befugnisse des Bundeskartellamtes nach § 46 bleiben unberührt. § 23a (1) Unbeschadet des § 22 Abs. 1 bis 3 wird für die Zusammenschlußkontrolle vermutet, daß durch den Zusammenschluß eine überragende Marktstellung entstehen oder sich verstärken wird, wenn 1. sich ein Unternehmen, das im letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mindestens zwei Milliarden Deutscher Mark hatte, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt, das a) auf einem Markt tätig ist, auf dem kleine und mittlere Unternehmen insgesamt einen Marktanteil von mindestens zwei Dritteln und die am Zusammenschluß betei-
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ligten Unternehmen insgesamt einen Marktanteil von mindestens fünf vom Hundert haben, oder b) auf einem oder mehreren Märkten marktbeherrschend ist, auf denen insgesamt im letzten abgeschlossenen Kalenderjahr mindestens 150 Millionen Deutscher Mark umgesetzt wurden, oder 2. die am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen im letzten vor dem Zusammenschluß endenden Geschäftsjahr insgesamt Umsatzerlöse von mindestens zwölf Milliarden Deutscher Mark und mindestens zwei der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen Umsatzerlöse von jeweils mindestens einer Milliarde Deutscher Mark hatten; die Vermutung gilt nicht, soweit der Zusammenschluß auch die Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 erfüllt und das Gemeinschaftsunternehmen nicht auf einem Markt tätig ist, auf dem im letzten Kalenderjahr mindestens 750 Millionen Deutscher Mark umgesetzt wurden. (2) Für die Zusammenschlußkontrolle gilt auch eine Gesamtheit von Unternehmen als marktbeherrschend, wenn sie 1. aus drei oder weniger Unternehmen besteht, die auf einem Markt die höchsten Marktanteile und zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert erreichen, oder 2. aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die auf einem Markt die höchsten Marktanteile und zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen, es sei denn, die Unternehmen weisen nach, daß die Wettbewerbsbedingungen auch nach dem Zusammenschluß zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat. Satz 1 gilt nicht, soweit es sich um Unternehmen handelt, die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 150 Millionen Deutscher Mark hatten oder wenn die am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen insgesamt einen Marktanteil von nicht mehr als 15 vom Hundert erreichen. § 22 Abs. 2 und 3 Satz 1 Nr. 2 bleibt im übrigen unberührt. (3) Bei der Berechnung der Umsatzerlöse und Marktanteile ist § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 6 und 8 bis 10 anzuwenden. § 24 (1) Ist zu erwarten, daß durch einen Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, so hat die Kartellbehörde die in den folgenden Bestimmungen genannten Befugnisse, es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach, daß durch den Zusammenschluß auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und daß diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. (2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 vor, so untersagt das Bundeskartellamt den Zusammenschluß. Das Bundeskartellamt darf einen Zusammenschluß untersagen, sobald ihm das Vorhaben des Zusammenschlusses bekanntgeworden ist; vollzogene Zusammenschlüsse darf das Bundeskartellamt nur innerhalb einer Frist von einem Jahr seit Eingang der vollständigen Anzeige nach § 23 untersagen; § 24a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 5 bis 6 gilt entsprechend. Vor einer Untersagung ist den obersten Landesbehörden, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, Ge-
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legenheit zur Stellungnahme zu geben. Hat das Bundeskartellamt die Verfügung nach Satz 1 erlassen, so ist es unzulässig, den Zusammenschluß ohne Erlaubnis des Bundesministers für Wirtschaft zu vollziehen oder am Vollzug des Zusammenschlusses mitzuwirken; Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind unwirksam; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind. Ein vollzogener Zusammenschluß, den das Bundeskartellamt untersagt hat, ist aufzulösen, wenn nicht der Bundesminister für Wirtschaft die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß erteilt. (3) Der Bundesminister für Wirtschaft erteilt auf Antrag die Erlaubnis zu dem Zusammenschluß, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist; hierbei ist auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes zu berücksichtigen. Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn durch das Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet wird. Die Erlaubnis kann mit Beschränkungen und Auflagen verbunden werden. Diese dürfen sich nicht darauf richten, die beteiligten Unternehmen einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterstellen. § 22 bleibt unberührt. (4) Der Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Zusammenschluß ist binnen einer Frist von einem Monat beim Bundesminister für Wirtschaft schriftlich einzureichen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Verfügung des Bundeskartellamtes; wird die Verfügung des Bundeskartellamtes innerhalb der in § 65 Abs. 1 Satz 1 und 2 vorgesehenen Frist angefochten, so beginnt die Frist für den Erlaubnisantrag in dem Zeitpunkt, in dem die Verfügung des Bundeskartellamtes unanfechtbar wird. Der Bundesminister für Wirtschaft soll über den Antrag innerhalb von vier Monaten seit Ablauf der in den Sätzen 1 und 2 genannten Frist für den Erlaubnisantrag entscheiden. Vor der Entscheidung ist den obersten Landesbehörden, in deren Gebiet die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (5) Der Bundesminister für Wirtschaft kann die Erlaubnis widerrufen oder durch Anordnung von Beschränkungen ändern oder mit Auflagen versehen, wenn die beteiligten Unternehmen einer mit der Erlaubnis verbundenen Auflage zuwiderhandeln. Der Bundesminister für Wirtschaft kann die Erlaubnis zurücknehmen, wenn die beteiligten Unternehmen sie durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch Angaben erwirkt haben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. (6) Die Auflösung eines vollzogenen Zusammenschlusses kann auch darin bestehen, daß die Wettbewerbsbeschränkung auf andere Weise als durch Wiederherstellung des früheren Zustands beseitigt wird. Das Bundeskartellamt ordnet die zur Auflösung des Zusammenschlusses erforderlichen Maßnahmen an, wenn 1. seine in Absatz 2 Satz 1 bezeichnete Verfügung unanfechtbar geworden ist und,
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2. falls die beteiligten Unternehmen beim Bundesminister für Wirtschaft einen Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Zusammenschluß gestellt hatten, die Ablehnung dieses Antrags oder in den Fällen des Absatzes 5 der Widerruf oder die Rücknahme unanfechtbar geworden ist. Hierbei hat es unter Wahrung der Belange Dritter diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die mit dem geringsten Aufwand und der geringsten Belastung für die Beteiligten zum Ziele führen. (7) Zur Durchsetzung seiner Anordnung kann das Bundeskartellamt insbesondere 1. durch einmalige oder mehrfache Festsetzung eines Zwangsgeldes von 10 000 bis eine Million Deutscher Mark die zur Auflösung des Zusammenschlusses Verpflichteten dazu anhalten, daß sie unverzüglich die angeordneten Maßnahmen ergreifen, 2. untersagen, daß das Stimmrecht aus Anteilen an einem beteiligten Unternehmen, die einem anderen beteiligten Unternehmen gehören oder ihm zuzurechnen sind, ausgeübt wird, oder die Ausübung des Stimmrechts oder die Art der Ausübung von der Erlaubnis des Bundeskartellamtes abhängig machen, 3. den Zusammenschluß bewirkende Verträge der in § 23 Abs. 2 Nr. 1 und 3 bezeichneten Art für unwirksam erklären; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind, 4. einen Treuhänder bestellen, der für die zur Auflösung des Zusammenschlusses Verpflichteten die erforderlichen Willenserklärungen abzugeben und die erforderlichen tatsächlichen Handlungen vorzunehmen hat; hierbei ist zu bestimmen, in welchem Umfang während der Dauer der Treuhänderschaft die Rechte der Betroffenen ruhen; für das Rechtsverhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Verpflichteten sind die §§ 664, 666 bis 670 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend anzuwenden; der Treuhänder kann von dem Verpflichteten eine angemessene Vergütung beanspruchen. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht, 1. wenn die beteiligten Unternehmen insgesamt im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als 500 Millionen Deutscher Mark hatten oder 2. wenn sich ein Unternehmen, das nicht abhängig ist und im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von nicht mehr als 50 Millionen Deutscher Mark hatte, einem anderen Unternehmen anschließt, es sei denn, das eine Unternehmen hatte Umsatzerlöse von mindestens vier Millionen Deutscher Mark und das andere Unternehmen Umsatzerlöse von mindestens einer Milliarde Deutscher Mark oder 3. soweit ein Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als zehn Millionen Deutscher Mark umgesetzt wurden. Bei der Berechnung der Umsatzerlöse ist § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 10 anzuwenden.
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(9) Absatz 8 Satz 1 Nr. 2 ist nicht anzuwenden, soweit durch den Zusammenschluß der Wettbewerb beim Verlag, bei der Herstellung oder beim Vertrieb von Zeitungen oder Zeitschriften oder deren Bestandteilen im Sinne des Absatzes 1 beschränkt wird. § 24a (1) Das Vorhaben eines Zusammenschlusses kann beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Das Vorhaben ist beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn 1. eines der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mindestens zwei Milliarden Deutscher Mark hatte oder 2. mindestens zwei der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von jeweils einer Milliarde Deutscher Mark oder mehr hatten oder 3. der Zusammenschluß nach Landesrecht durch Gesetz oder sonstigen Hoheitsakt bewirkt werden soll. Für die Anmeldung gilt § 23 entsprechend mit der Maßgabe, daß bei Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 an die Stelle des Zeitpunktes des Zusammenschlusses der Zeitpunkt der Anmeldung tritt und daß in den Fällen der Verschmelzung oder Umwandlung die Inhaber, die Vertreter oder zur Vertretung berufenen Personen der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen zur Anmeldung verpflichtet sind. Die Anmeldung gilt nur als bewirkt, wenn sie die in § 23 Abs. 5 bezeichneten Angaben enthält. § 46 Abs. 9 findet auf die anläßlich der Anmeldung erlangten Kenntnisse und Unterlagen entsprechende Anwendung. (2) Ist das Zusammenschlußvorhaben beim Bundeskartellamt angemeldet worden, so darf das Bundeskartellamt den Zusammenschluß nur untersagen, wenn es demjenigen, der die Anmeldung bewirkt hat, innerhalb einer Frist von einem Monat seit Eingang der Anmeldung mitteilt, daß es in die Prüfung des Zusammenschlußvorhabens eingetreten ist und wenn die Verfügung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 innerhalb einer Frist von vier Monaten seit Eingang der Anmeldung ergeht. Das Bundeskartellamt darf den Zusammenschluß auch nach Ablauf der vier Monate untersagen, wenn 1. die am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen einer Fristverlängerung zugestimmt haben oder 2. der Zusammenschluß vollzogen wird, obgleich die in Satz 1 genannte Frist von einem Monat oder, wenn das Bundeskartellamt die Mitteilung nach Satz 1 gemacht hat, die dort genannte Frist von vier Monaten noch nicht abgelaufen ist oder 3. der Zusammenschluß anders als angemeldet vollzogen wird oder 4. der Zusammenschluß noch nicht vollzogen ist und die Verhältnisse, auf Grund deren das Bundeskartellamt von der Mitteilung nach Satz 1 oder von der Untersagung des Zusammenschlusses nach § 24 Abs. 2 Satz 1 abgesehen hatte, sich wesentlich geändert haben oder 5. das Bundeskartellamt durch unrichtige oder unvollständige Angaben der am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen oder eines anderen veranlaßt worden ist, die Mitteilung nach Satz 1 oder die Untersagung des Zusammenschlusses nach § 24 Abs. 2 Satz 1 zu unterlassen oder
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6. eine Auskunft nach § 23 Abs. 6 oder § 46 nicht oder nicht fristgemäß erteilt wurde und das Bundeskartellamt dadurch zu dem in Nummer 5 bezeichneten Verhalten veranlaßt worden ist. (3) Die Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens läßt die Pflicht zur Anzeige des Zusammenschlusses nach § 23 unberührt; bei der Anzeige nach § 23 kann auf die bei der Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens eingereichten Unterlagen Bezug genommen werden. (4) Ist ein Zusammenschlußvorhaben nach Absatz 1 Satz 2 anzumelden, so ist es unzulässig, den Zusammenschluß vor dem Ablauf der in Absatz 2 Satz 1 genannten Frist von einem Monat und, wenn das Bundeskartellamt die Mitteilung nach Absatz 2 Satz 1 gemacht hat, vor dem Ablauf der dort genannten Frist von vier Monaten oder deren vereinbarter Verlängerung zu vollziehen oder am Vollzug dieses Zusammenschlusses mitzuwirken, es sei denn, das Bundeskartellamt hat demjenigen, der die Anmeldung bewirkt hat, vor Ablauf der in Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen schriftlich mitgeteilt, daß das Zusammenschlußvorhaben die Untersagungsvoraussetzungen des § 24 Abs. 1 nicht erfüllt; Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind unwirksam; dies gilt nicht für Verträge über die Verschmelzung, Umwandlung, Eingliederung oder Gründung eines Unternehmens und für Unternehmensverträge im Sinne der §§ 291 und 292 des Aktiengesetzes, sobald sie durch Eintragung in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister rechtswirksam geworden sind. § 24b (1) Zur regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland und der Anwendung der §§ 22 bis 24a wird eine Monopolkommission gebildet. Sie besteht aus fünf Mitgliedern, die über besondere volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, sozialpolitische, technologische oder wirtschaftsrechtliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen. (2) Die Mitglieder der Monopolkommissiondürfen weder der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder als Mitarbeiter eines wissenschaftlichen Instituts, angehören. Sie dürfen ferner nicht Repräsentant eines Wirtschaftsverbandes oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sein oder zu diesen in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen. Sie dürfen auch nicht während des letzten Jahres vor der Berufung zum Mitglied der Monopolkommission eine derartige Stellung innegehabt haben. (3) Die Monopolkommission soll in ihrem Gutachten den jeweiligen Stand der Unternehmenskonzentration sowie deren absehbare Entwicklung unter wirtschafts-, insbesondere wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten beurteilen und die Anwendung der §§ 22 bis 24a würdigen. Sie soll auch nach ihrer Auffassung notwendige Änderungen der einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes aufzeigen. (4) Die Monopolkommission ist nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in ihrer Tätigkeit unabhängig. Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gutachten eine abweichende Auffassung, so kann sie diese in den Gutachten zum Ausdruck bringen.
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(5) Die Monopolkommission erstellt alle zwei Jahre bis zum 30. Juni, erstmals zum 30. Juni 1976, ein Gutachten, das sich auf die Verhältnisse in den letzten beiden abgeschlossenen Kalenderjahren erstreckt, und leitet es der Bundesregierung unverzüglich zu. Die Gutachten nach Satz 1 werden den gesetzgebenden Körperschaften von der Bundesregierung unverzüglich vorgelegt und zum gleichen Zeitpunkt von der Monopolkommission veröffentlicht. Zu diesen Gutachten nimmt die Bundesregierung in angemessener Frist gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften Stellung. Darüber hinaus kann die Monopolkommission nach ihrem Ermessen zusätzliche Gutachten erstellen. Die Bundesregierung kann sie mit der Erstattung zusätzlicher Gutachten beauftragen. Die Monopolkommissionleitet Gutachten nach den Sätzen 4 und 5 der Bundesregierung zu und veröffentlicht sie. Der Bundesminister für Wirtschaft hat in Einzelfällen, die ihm nach § 24 Abs. 3 zur Entscheidung vorliegen, eine gutachtliche Stellungnahme der Monopolkommission einzuholen. (6) Die Mitglieder der Monopolkommission werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten berufen. Zum 1. Juli eines Jeden Jahres, in dem nach Absatz 5 Satz 1 ein Gutachten zu erstatten ist, scheidet ein Mitglied aus. Die Reihenfolge des Ausscheidens wird in der ersten Sitzung der Monopolkommission durch das Los bestimmt. Der Bundespräsident beruft auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils ein neues Mitglied für die Dauer von vier Jahren. Wiederberufungen sind zulässig. Die Bundesregierung hört die Mitglieder der Monopolkommission an, bevor sie neue Mitglieder vorschlägt. Die Mitglieder sind berechtigt, ihr Amt durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten niederzulegen. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird ein neues Mitglied für die Dauer der Amtszeit des ausgeschiedenen Mitglieds berufen; die Sätze 4 bis 6 gelten entsprechend. (7) Die Beschlüsse der Monopolkommission bedürfen der Zustimmung von mindestens drei Mitgliedern. Die Monopolkommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Die Monopolkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. (8) Die Monopolkommission erhält eine Geschäftsstelle. Die Tätigkeit der Geschäftsstelle besteht in der Vermittlung und Zusammenstellung von Quellenmaterial, der technischen Vorbereitung der Sitzungen der Monopolkommission, dem Druck und der Veröffentlichung der Gutachten sowie der Erledigung der sonst anfallenden Verwaltungsaufgaben. (9) Die Mitglieder der Monopolkommission und die Angehörigen der Geschäftsstelle sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die von der Monopolkommission als vertraulich bezeichneten Beratungsunterlagen verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich auch auf Informationen, die der Monopolkommission gegeben und als vertraulich bezeichnet werden. (10) Die Mitglieder der Monopolkommission erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Ersatz ihrer Reisekosten. Diese werden vom Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern festgesetzt. Die Kosten der Monopolkommission trägt der Bund.
GWB 1980311 DRITTER TEIL Behörden Zweiter Abschnitt Bundeskartellamt § 49
Soweit der Bundesminister für Wirtschaft dem Bundeskartellamt allgemeine Weisungen für den Erlaß oder die Unterlassung von Verfügungen nach diesem Gesetz erteilt, sind diese Weisungen im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. § 50 (1) Das Bundeskartellamt veröffentlicht jeweils nach dem Jahr, in dem die Monopolkommission ein Gutachten nach § 24b Abs. 5 Satz 1 zu erstatten hat, einen Bericht über seine Tätigkeit in den beiden vorangegangenen Kalenderjahren sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet. In den Bericht sind die allgemeinen Weisungen des Bundesministers für Wirtschaft nach § 49 aufzunehmen. In den Bericht sind ferner die nach § 23 angezeigten Zusammenschlüsse aufzunehmen, soweit sie nach § 10 Abs. 1 im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden sind. Es veröffentlicht ferner fortlaufend seine Verwaltungsgrundsätze. (2) Die Bundesregierung leitet den Bericht der Kartellbehörde dem Bundestag unverzüglich mit ihrer Stellungnahme zu. VIERTER TEIL Verfahren Erster Abschnitt Verwaltungssachen II. Beschwerde § 70 (1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beschluß darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. (2) Hält das Beschwerdegericht die Verfügung der Kartellbehörde für unzulässig oder unbegründet, so hebt es sie auf. Hat sich die Verfügung vorher durch Zurücknahme oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, daß die Verfügung der Kartellbehörde unzulässig oder unbegründet gewesen ist, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (3) Hat sich eine Verfügung nach § 22 Abs. 5 oder § 103 Abs. 6 wegen nachträglicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder auf andere Weise erledigt, so spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, ob, in welchem Umfang und bis zu welchem Zeitpunkt die Verfügung begründet gewesen ist.
312
Anlage H
(4) Hält das Beschwerdegericht die Ablehnung oder Unterlassung der Verfügung für unzulässig oder unbegründet, so spricht es die Verpflichtung der Kartellbehörde aus, die beantragte Verfügung vorzunehmen. (5) Die Verfügung ist auch dann unzulässig oder unbegründet, wenn die Kartellbehörde von ihrem Ermessen fehlsamen Gebrauch gemacht hat, insbesondere wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder durch die Ermessensentscheidung Sinn und Zweck dieses Gesetzes verletzt hat. Die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung ist hierbei der Nachprüfung des Gerichts entzogen. (6) Der Beschluß ist zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung den Beteiligten zuzustellen.
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Stichwortverzeichnis Abmahnschreiben 108, 166, 179, 232 Abwägungsklausel 59, 96 f., 118 f., 123, 125, 127 f., 134, 142 f., 160, 183, 201, 227 Alliierte 24, 31 f., 34 f., 37 f., 39, 41, 47, 231 –– Alliierte Dekonzentrationsgesetze 38 –– Alliierte Hohe Kommission 26, 31 f., 35 f., 43, 46 –– Alliierte Vorgaben 34, 39 –– amerikanische Alliierte 25 –– amerikanisches Wettbewerbsmodell 38 –– Besatzungspolitik 24 –– Einfluss der Alliierten 47 –– Gesetz Nr. 56 amerikanische Verordnungen 26, 32 –– westliche Alliierte 32 Amt –– Amtsinterne Expertise 190 f. –– Behördeninterna 189 –– Behördeninterne Informationen siehe Informationen –– Behördeninterne Erfahrungen 136 –– Behördeninternes Wissen 163, 189 ff., 200 –– Behördenpraxis 151 f. –– Speicherung und Verwertung behördeninternen Wissens 191 Amtsermittlungsgrundsatz/-prinzip 138 Aufgreiftatbestände 95, 138, 143 Auslandsbezug 84, 225 –– ausländische Erfahrungen 84 –– Erfahrung in den USA und Großbritannien 60, 81 –– Zusammenschlüsse ausländischer Unternehmen 111
Ausnahmemechanismen 97 Befragungen 101, 165, 166, 171 ff., 181, 185 ff., 199 ff., 204, 208, 228 –– Befragungsauswertung 185 ff. –– Befragungsergebnisse 185 –– Befragungspraxis 174, 178, 199 –– Befragungsstrategie 175 –– Befragungszwecke 169, 178 –– Konkurrenzbefragung 173 f., 185, 232 –– mündliche Befragung 82 Behörde siehe Amt Beweislast 137 ff. –– Beweislastumkehr 109, 138, 161, 212, 217, 220 –– Darlegungs- und Beweisführungslast 138 –– formelle und materielle Beweislast 96, 139 ff., 180 –– non liquet 138 ff. Bundeskartellamt –– Auskunftsbefugnis 177 –– Auskunftsersuchen 112, 147, 165 f., 172 ff., 199 –– Auskunftsrecht 51, 111 –– Befugnisse 56, 66, 90 f., 100, 102, 104 f., 110 f. –– Beschlussabteilung 81 f., 104 ff., 114, 117, 122 ff., 142, 147, 159 ff., 169 ff., 181 ff., 212 ff., 221 ff. –– Beurteilungskompetenz 130 –– Durchsuchungsrecht 111 –– Einsicht- und Prüfungsrecht 111 –– Einspruchsabteilung 104 f. –– Ermittlungsbefugnisse siehe Ermittlung
326 Stichwortverzeichnis –– Tätigkeitsbericht siehe dort –– Verwaltungsakt 105 –– Verwaltungsverfahren 104, 107 f., 112 Bundeswirtschaftsminister 89 f., 104 f., 113 f., 159, 223 ff., 229 –– allgemeine Weisungen 104 –– Bundeswirtschaftsministerium 35, 48 f., 56, 58, 60 ff., 222, 234 –– Ministererlaubnis siehe dort –– Transparenzregelung 104 Bußgeld 119, 151, 165, 195 –– Bußgeldandrohung 112 –– Bußgeldbescheid 104, 196 –– Bußgeldsanktion 147 –– Bußgeldverfahren 107 –– Bußgeldverhängung 112 Dekonzentration/deconcentration –– Dekonzentrationsbestimmung 27, 33 –– Dekonzentrationsgesetzgebung 31 –– Dekonzentrationsregelung, -gesetze 34, 38 –– Entflechtung 24, 28, 30, 32, 35, 93 –– Entflechtungspolitik 32 –– Entflechtungsregelungen, -maßnahmen 31, 45 Entwürfe –– Josten Entwurf 27 ff., 34 f., 42, 51, 53 –– Regierungsentwurf erste Legislaturperiode 35 ff. –– Regierungsentwurf zweite Legilasturperiode 38 ff. –– Regierungsentwurf zum GWB 18, 23, 34 ff., 38 ff., 47 ff., 79, 90 f., 134, 202, 231 Erlaubnisvorbehalt 41 Ermittlung –– Ermittlungsbefugnisse 111, 150, 163, 166, 172, 189 –– Ermittlungsinstrumente 114, 180, 231
–– Ermittlungstätigkeit 140, 154, 177, 184, 232 f. –– Informationsermittlung siehe Informationen –– Informationsermittlungstaktik siehe Informationen Erwartung 19 ff., 32, 65, 82, 110, 133, 183 –– Entscheidungsspielraum 147, 159 –– Erwartungsbildung 20 f., 103, 115, 127 f., 137, 201 ff. –– Erwartungsentscheidung 19, 101, 109 f., 114, 126, 128, 141, 147, 149, 152, 161, 181, 187, 200 ff., 231 –– Erwartungskriterien 21 –– Erwartungsprognose 19, 162, 180, 221, 229, 233 f. –– gebundene Erwartungsentscheidung 147, 149 –– Kriterien für die Prognoseentscheidung 180 –– Normierte Erwartungsentscheidung 201 –– ökonomische Erwartungen 20, 100 –– Prognoseentscheidung 20, 100, 129, 137, 167, 180, 202 –– Prognosefindung 200 –– Prognosekriterium 127, 181 ff., 184 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft –– EU-Kommission 81, 94, 223 f. –– Fusionskontrolle auf europäische Ebene 57, 90, 94 –– Gemeinsamer Markt 54, 59, 81, 94 –– Unternehmenskonzentration im gemeinsamen Markt 81 Finanzkraft 120, 126, 181, 214, 216, 220 Fristen 53, 110, 148 f., 156 ff., 165, 173, 182, 200, 211, 232 –– Entscheidungsfristen 106 –– Fristbestimmungen/Fristvorschrift 148, 163 –– Fristverlängerung 117, 148, 195, 232 f.
Stichwortverzeichnis327 –– Untersagungsfrist 148, 153, 157, 163, 177, 195, 232 f. –– Viermonatsfrist 148, 232 Fusionskontrolle –– Anmelde- und Erlaubnisverfahren 49, 90 f. –– Anzeigepflicht 43, 49, 55, 83, 108, 111 –– Fusionskontrolle auf nationaler Ebene 18, 88, 94, 224 f. –– Fusionskontrolle durch den Wirtschaftsminister 60 –– Fusionskontrollverfahren 110 f., 114, 134, 137, 141, 143, 163, 166, 177, 196, 199, 213 –– präventive Fusionskontrolle 35, 45, 52, 56, 62 ff. –– vorbeugende Fusionskontrolle 60, 65, 90, 92 –– Vorverfahren 49, 147 ff., 166 ff., 172, 187, 206 Geheimhaltungsschutz 154 Generalklausel 29 f., 128, 130 Große Koalition 55 –– Globalsteuerung 56, 89, 92 –– keynesianische Steuerung 56 –– Regierungswechsel 57, 94, 99, 231 –– sozialdemokratische Führung 58 –– Soziale Marktwirtschaft 28, 42 –– sozialliberale Koalition 57, 66, 92, 231 Handlungsmöglichkeiten des Bundeskartellamtes –– Auflagen 41, 96, 110, 113 f., 146 f., 231 –– Auskunftsbefugnis siehe Bundeskartellamt –– Auskunftsbeschluss 165, 173 ff., 199, 232 –– formelle und informelle Auskunftsverlangen 111 f., 164 f., 173 –– Nebenbestimmungen 110
–– Offizielle/Förmliche Prüfungseinleitung 154, 166 –– Sanktionsinstrument 165 –– Untersagung Fusionsvorhaben siehe Untersagung Havanna Charta 26 f., 32 Hitlisten 196 Hoppmann-Kantzenbach Kontroverse 75, 95 Informationen –– Alternativdaten 182 –– Auskunftspflicht 147 –– Behördeninterne Informationen 101, 193, 195, 200, 232 –– Daten-, Informationsübermittlung 163, 166 f., 169, 178, 186, 193 –– Datenkorrekturen 169 –– Datenschätzung 166, 169 ff., 184 f., 187, 189, 199 –– Ermittelbares Datenmaterial 162 –– Falschinformationen/Fehlinformation 170, 199 f. –– Informationsasymmetrie 153, 161, 163 ff., 179, 189, 193, 195, 199 f., 232 f. –– Informationsdifferenzen, -ungenauigkeiten 184 –– Informationsergänzung, -berichtigung 166 ff., 175, 179, 193, 213 –– Informationsermittlung, -generierung, -beschaffung 100 f., 141, 143, 161, 163 ff., 169, 180, 186, 188, 199, 213, 232 –– Informationsermittlungstaktik, -strategie 171, 175, 179, 199 –– Informationsmanagement 21, 101, 141, 143, 162 ff., 189, 199, 201, 221 –– Informationsmangel, -defizit 166, 171, 179, 209 –– Informationsnachteil 164 –– Informationsüberflutung 169 –– Informationsverarbeitung 115, 180 ff., 200
328 Stichwortverzeichnis Informelle Verfahren 101, 107, 127, 143 ff., 162, 189, 231, 233 –– Anreizwirkung 144, 147, 149 –– Aushandlungsbereitschaft 144, 189, 221 –– formlose Verwaltungstätigkeit 144 f. –– formelle und informelle Auskunftsverlangen siehe Handlungsmöglichkeiten des Bundeskartellamtes –– informelle Beratungsanfragen 151 –– informelles Auskunftsersuchen 112, 147, 165, 166, 172 ff., 180, 199, 232 –– Kooperationsbereitschaft 83, 147 –– rechtliche Bindungswirkung 147 –– Verfahrensregelungen 144 –– Vorfeldwirkung 146 –– Zusageverfahren 101, 144, 149, 155 ff., 189, 231; siehe auch Zusage Informelle Vorverfahren 147, 152 –– Ausloten 152, 162 Kartellverbot 17, 25, 33 ff., 40, 42 ff., 70, 79 KMU 53 f., 86, 226 f., 229 Konzentrationsbericht 52 ff. Konzentrationsenquete 50 ff., 91, 117 –– Entscheidungshilfe 52 –– Ziel 50 Landeskartellbehörde 106, 224 f. Legaldefinition 42, 68, 103, 128 f., 137 –– Fehlen einer 68, 103, 128 f. Leistungswettbewerb 27 ff., 54, 69 Marktabgrenzung 173, 183, 193, 202 ff., 214, 228, 233 –– Bedarfsmarktkonzept 203 208, 228 –– Bereichsabgrenzung 208 –– Gesamtmarkt 121, 193, 211 –– Teilmarktabgrenzung 203 Marktanteil 42 f., 54 f., 96 f., 109 f., 116 ff., 137 ff., 170, 179 ff., 209, 234 –– Berechnungsgrundlage 183 f.
–– Berechnungsmethode 184, 208 –– Gesamtmarktanteile 121, 211 –– Marktanteilsabstände 116, 210 212, 218 –– Marktanteilsdaten 181 f., 184 –– Marktanteilsschwelle 110, 183 –– Marktanteilszuwachs 141, 193, 212 Marktbeherrschung 19, 23 f., 41 f., 61, 81 f., 95 f., 99 ff., 129 ff., 182 ff., 208 ff., 234 –– Grenzkosten 209 –– Konkretisierung der Marktbeherrschung 128 –– Lerner-Index 208 –– marktbeherrschende Stellung 18, 35, 59, 63, 108 ff., 127 ff., 211, 215 ff., 229 –– marktbeherrschende Unternehmen 42, 44, 202 –– Marktbeherrschungsbeurteilung 211 f., 234 –– Marktbeherrschungsdefinition 43; siehe auch Legaldefinition –– Marktbeherrschungsgrad 101, 140, 202, 210, 212 –– Marktmachtkonzept 202 –– Marktzutrittsschranken 217, 220 –– Preissetzungsspielräume 208 –– Zugewinn von Produktionskapazitäten 142 Marktbeherrschungskriterien –– Marktanteil siehe Marktanteil –– Strukturkriterien 143, 215 ff., 229, 234; siehe auch Strukturmerkmale –– Vermutungsregelungen 101, 103, 109 f., 127 f., 137 ff., 161 ff., 179, 183 ff., 200 f., 205 ff., 229 Marktformen –– Duopol 123 f., 142, 220 –– Enge Oligopole 65, 74, 139 f., 210, 228, 230, 234 –– Gesamtmarkt siehe Marktabgrenzung –– Idealtyp von Marktform 221
Stichwortverzeichnis329 –– Monopol 26 ff., 39 f., 71, 94, 131, 207, 212 –– Oligopol 72, 96 f., 109 f., 116, 118, 122 ff., 136 ff., 161, 175, 180, 183 f., 209 ff., 217 ff., 221, 227 f., 233 –– Polypole Marktstruktur 70 –– Weites Oligopol 73 f., 97, 99 f., 136, 231 Marktwirtschaftliche Ordnung 89, 113, 268, 277 Militärregierung 25 ff., 31 f. Ministererlaubnis 61, 96 f., 112 ff., 121, 153, 204, 223 ff., 229 Missbrauchskontrolle 17 –– Missbrauchsgesetzgebung 40, 42 –– Missbrauchsverbot 34 Mittelstandsförderung 86 Mitwirkungspflicht 164 Monopolbildung 27, 40 Monopolkommission 62, 65, 121 Mosaiktheorie 131 f., 209 Nachvertragliche Treuepflichten 192 Ölkrise 226, 229 Politische Interventionsversuche 224 226 Pranger-Praxis 196 Preisbindung 91 Pressemärkte 21, 64 Rechtsschutz/Rechtsmittel –– Beschwerde KG oder Rechtsbeschwerde BGH 113 f. Redaktionelle Korrektur 197 Rezession 86 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 88 f. Struktur –– Strukturelle Kriterien 136, 228 –– Strukturelle Voraussetzung des Wettbewerbs 139, 202
–– Strukturgesichtspunkte 218 f., 228 –– Strukturkrisen 86 Strukturmerkmale 101, 209, 213 ff., 234 –– Finanzkraft siehe Finanzkraft –– Marktstrukturelemente 96 –– Marktzugang 71, 218 –– potentieller Wettbewerb 73, 121, 214 –– strukturelle Merkmale 136, 201, 217 –– vertikale oder konglomerate Fusion 65, 139, 213 –– Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten 120 f., 214 216 f. 220 Substitution –– Substitutionsmöglichkeiten 183, 203 207 f. –– Substitutionsprodukte 173, 204 –– Substitutionswettbewerb 125 Tätigkeitsbericht 48, 55 ff., 80, 83 ff., 104, 131, 145, 159, 192, 196, 200 –– Tätigkeitsbericht als politisches Instrument 84 Unbestimmte Rechtsbegriffe 99, 103, 128 ff., 134 f. –– Auslegungsspielraum 126, 135 –– Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe 127, 133, 135 –– Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe 129 ff. Unternehmenskonzentration 19 f., 24, 43, 45, 49 f., 55 ff., 81 ff., 92, 98, 113, 163 –– Beobachtung 46, 51 f., 55 ff., 62, 82 –– Konzentrationsbericht siehe Konzen trationsbericht –– Konzentrationsentwicklung 93 –– Konzentrationserfahrung 63 –– Konzentrationsproblematik 49, 58, 82 –– Überblick über Unternehmenskonzentration 45, 53
330 Stichwortverzeichnis –– Unternehmenskonzentration im gemeinsamen Markt siehe Europäische Wirtschaftsgemeinschaft –– Ursachenkenntnis 55 Unternehmensverbände 40 –– Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) 33, 37, 40, 42, 44, 47, 58 f. –– Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) 37, 40, 58 ff. Untersagung –– Teiluntersagung 150 –– Untersagung Fusion, Fusionsvorhaben 96, 110, 117 ff., 146, 149, 160, 180, 200, 206 –– Untersagungsfrist siehe Fristen Veräußerungsvermittler 162 Verfahren –– Beschwerdeverfahren 122, 194 f. –– Verfahrens- und Aushandlungsroutinen 100, 127 –– Verfahrensbeschleunigung 153 –– Verfahrensvollmacht 194 f. Vermutung –– Gegenvermutung 201 –– qualifizierte Oligopolvermutung 109, 124, 136 ff., 140 ff., 161, 175, 211 f., 215, 217, 220, 228 –– Vermutungsentkräftung 117, 142, 201 –– Vermutungsregelung 101, 103, 109 f., 127 f., 137 f., 140 ff., 161 ff., 179, 184 f., 200 f., 205, 208, 211, 213, 219, 229 –– Vermutungsschwelle 142, 211 –– Vermutungsvoraussetzung 123, 138, 182, 201 –– Vermutungswiderlegung 143, 215, 219 ff., 228 f., 234 –– widerlegbare Vermutungsregelung 29, 137 f. Wettbewerb als dynamischer Prozess/ Dynamische Betrachtung 78, 80, 131 f.
Wettbewerbspolitik –– Neue Wirtschaftspolitik 85, 88 Wettbewerbspolitisches Leitbild/ wirtschaftspolitisches Leitbild 21 f., 68 ff., 101, 109, 222, 228, 231, 234 –– Entdeckungsverfahren 76 –– funktionsfähiger Wettbewerb 72 ff., 86 –– invisible hand 71 –– Markteingriffe 71 –– Ökonomische Theorien 68, 87 –– optimale Wettbewerbsintensität 72 f. –– Ordoliberalismus 29, 69 ff. –– potentieller und effektiver Wettbewerb 73, 121 –– rationale Wettbewerbspolitik 72 f. –– second best Lösung 72, 86 –– Theorie der weiten Oligopole siehe Marktformen –– vollständige Konkurrenz 69 ff., 85 –– vollständiger Wettbewerb 70 –– Wettbewerbsfreiheit 74 ff. –– Wettbewerbsfunktionen 73 f., 77, 87 –– wirksamer Wettbewerb 86, 130 –– Wohlfahrtsökonomie 74, 96 f. –– workable competition 68, 72 ff., 85 f., 98, 132, 136 Wirtschaftsminister siehe Bundeswirtschaftsminister Wirtschaftspolitik –– Soziale Marktwirtschaft 28, 42 Zeugenaussagen 192 Zusage 115, 119 f., 155 ff. –– Durchsetzbarkeit 156 ff. –– Entscheidungsspielraum 147, 159 –– Präzedenzfall 156 –– Zusageverfahren siehe informelle Verfahren Zusammenschlusskontrolle siehe Fusionskontrolle Zustellung 194 f. –– Zustellungsermächtigung 194 –– Zustellungsvoraussetzung 195