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German Pages 359 [360] Year 2016
Jacob Rosenthal Entscheidung, Rationalität und Determinismus
Ideen & Argumente
Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Thomas Schmidt Unter Mitarbeit von Daniel Eggers
Jacob Rosenthal
Entscheidung, Rationalität und Determinismus
ISBN 978-3-11-049639-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049682-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-049361-0 ISSN 1862-1147 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagsgestaltung: Martin Zech, Bremen Umschlagskonzept: +malsy, Willich Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Danksagung Das vorliegende Buch ist aus meiner Habilitationsschrift hervorgegangen, die vor nunmehr fünf Jahren, im November 2011, von der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn als Habilitationsleistung anerkannt wurde. Ich habe den Text erheblich überarbeitet und dafür wesentliche Anregungen erhalten aus den Gutachten von Andreas Bartels, Elke Brendel, Christoph Horn, Geert Keil und Dieter Sturma. Ebenso haben mir Peter Stemmer und zwei anonyme Gutachter für die Reihe „Ideen & Argumente“ eingehende schriftliche Kommentare zukommen lassen. Bei ihnen allen möchte ich mich sehr bedanken, obwohl ich nicht alle Kritikpunkte berücksichtigen konnte. Herzlich bedanken möchte ich mich darüber hinaus bei Geert Keil für einen umfangreichen elektronischen Briefwechsel, in welchem er mir die Vorzüge des Libertarismus eindrucksvoll nahegebracht hat, bei Peter Stemmer für gemeinsame Seminare, die die besagte Überarbeitung stark befördert haben, und insbesondere bei Andreas Bartels, der mir für ein Thema, das nur zum Teil an einen Lehrstuhl für Natur- und Wissenschaftsphilosophie passt, alle nötigen Freiräume gewährt und ihm Oberseminare gewidmet hat. In diesem Diskussionsumfeld, aus dem ich besonders noch Jochen Faseler erwähnen möchte, und dem Bonner Umfeld insgesamt habe ich viel gelernt. An einigen Stellen im Buch spreche ich das speziell an, aber jede solche Danksagung muss notwendig unvollständig bleiben. Beim Verlag Walter de Gruyter und den Herausgebern bedanke ich mich für die Aufnahme des Werkes in die genannte Reihe. Konstanz, im September 2016
Jacob Rosenthal
Inhalt Einleitung
Teil I:
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Grundlagen
Handlungen 7 7 . Handeln als absichtliches Verhalten . Handlungen, Zwecke und Gründe 10 . Handlungen, Entscheidungen und praktische Überlegungen Entschlüsse und Entscheidungen 16 . Allgemeines 16 . Entschlüsse und Entscheidungen sind keine Handlungen . Sie sind dennoch nichts, das über einen kommt 27 Theoretisches und praktisches Überlegen 29 29 . Urteilen ist kein Handeln . Was am doxastischen Voluntarismus zutreffend ist 33 . Praktische Überlegung ist kein Spezialfall theoretischer 40 . Zur Parallele von „wahr“ und „gut“ . Gründe 42
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Determinismus und Kausalität 47 . Determinismus 47 49 . Die Interpretation der Modalität . Zur zeitlichen Abfolge von Determinanten und Determiniertem . Determinismus und physikalische Theorie 54 . Zum Verhältnis von Determinismus und Kausalität 61 Determinismus und Vorhersehbarkeit 64 . Notwendigkeit ohne Gesetzmäßigkeit 65 . Grenzen des epistemischen Zugangs zu Determinanten 66 . Sich selbst aufhebende Vorhersagen 71 . Ontische Wendung epistemischer Beschränkungen 76 . Vorhersehbarkeit im strikten Sinne impliziert Determinismus
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VIII
Inhalt
Determinismus und Gesetzmäßigkeit 83 83 . Zum Begriff des Naturgesetzes . Libertarischer Kompatibilismus 84
Willensfreiheit
91
Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem 96 . Determinismus und neurophysiologischer Reduktionismus . Supervenienz des Mentalen auf dem Materiellen 99 . Die Libet-Experimente 101 Gründe und Ursachen 111 . Zwei Sprachspiele? 111 . Kausale und teleologische Handlungstheorie
Teil II:
96
113
Die Frage der Vereinbarkeit mit dem Determinismus
Vorbemerkung
121
122 Handeln und Determinismus . Vorüberlegungen zu begrifflichen Implikationen . Aktivität, Fähigkeit und Determinismus 127
122
Entscheiden und Determinismus 132 . Entscheidungen aus der Akteursperspektive 132 . Das Konsequenzargument 136 . Die Konditionalanalyse des praktischen Könnens: Grundlagen . Technische Schwierigkeiten der Konditionalanalyse 154 . Ernste Probleme der Konditionalanalyse 159 . Ein neuer Anlauf: Fähigkeiten und Möglichkeiten 168 . Handlungsoptionen im Kompatibilismus: Resümee 178 . Wahrscheinlichkeiten für Optionen aus der Akteursperspektive
147
182
Überlegen und Determinismus 189 189 . Formen des Determinismus als Idealfälle des Überlegens . Der Widerspruch zu den Implikationen des Sich-Entscheidens 193 . Gleich gute Optionen und die Gewichtung von Gründen 197 . Eigenarten theoretischen Überlegens 203 . Abschließende Betrachtungen 210
Inhalt
Normativität und Determinismus 216 216 . Aus Sollen folgt Können, aber kein Indeterminismus . Globale Determinismusthesen und performative Widersprüche Verantwortung und Determinismus 227 227 . Das einfache Argument für den Inkompatibilismus . Moralische Verantwortung ohne Handlungsalternativen? 228 237 . Die Frankfurt-Beispiele . Reflexive Bejahung und Distanzierung vom eigenen Tun 247 . Zwei Verantwortungsbegriffe 250 255 . Moralischer Zufall . Gute Menschen 261
Teil III:
Probleme des Libertarismus
Vorbemerkung
273
Libertarische Konzeptionen: Grundsätzliche Bedenken 276 . Handlungen aus heiterem Himmel 276 280 . Kontrollverlust als Folge des Indeterminismus? . Nochmals: Klare Fälle von Entscheidungen 283 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem . Das Zufallsproblem oder Problem der Erklärungslücke . Kanes Lösung 288 . Keils Lösung 293 . Akteurskausalität 298 Zur Frage des Indeterminismus in unserer Welt 310 . Die Lokalisierung indeterministischer Elemente 310 . Indeterminismus als allgegenwärtig 313 Beweislastverschiebung Fazit Literatur Index
327 334 345
319
286 286
IX
220
Einleitung In diesem Buch wird die Frage untersucht, inwiefern es einen Konflikt gibt zwischen zwei Sichtweisen auf Personen, die sich, zum Teil sogar in denselben Kontexten, gleichermaßen aufdrängen, oder wenigstens beide möglich scheinen. Zum einen sind wir der Auffassung, dass Personen aus Gründen urteilen und handeln, dass ihre Meinungen und Handlungen durch einen Prozess zustande kommen, der sowohl in seinem Verlauf als auch seinem Resultat bestimmten normativen Standards unterliegt. Das können sowohl moralische als auch Rationalitäts-Standards sein, und oft werden Personen für ihre Einhaltung oder Nicht-Einhaltung verantwortlich gemacht. Zum anderen versuchen wir, Meinungen und Handlungen von Personen genauso wie andere Phänomene in ihrem Zustandekommen zu erklären und suchen dabei nach zeitlich vorhergehenden Tatsachen oder Ereignissen als Ursachen. Eine vollständige Erklärung würde dabei die Meinung oder Absicht und ebenso den ihr zugrunde liegenden Überlegungsprozess als durch die erklärenden Tatsachen festgelegt und damit als determiniert erweisen. Nur dann sehen wir ein, warum die Person gerade diese und keine andere Entscheidung traf, oder sich gerade diese und keine andere Meinung bildete, oder warum sie dabei gerade so und nicht anders überlegte. Zwischen diesen beiden Sichtweisen kann man aus verschiedenen Gründen einen manifesten Konflikt oder zumindest eine Spannung erblicken. Zum ersten kann es so scheinen, als seien auf einer fundamentalen Ebene bereits der Begriff der Handlung und die damit einhergehende Vorstellung von Aktivität mit einem Determinismus nicht zu vereinbaren. Dieser scheint zu implizieren, dass die entsprechenden Vorgänge nicht Vollzugscharakter haben, sondern bloße Geschehnisse sind, die sich an der Person, in ihr und mit ihr abspielen. Dieser Eindruck stellt sich insbesondere dann ein, wenn man im Rahmen eines deterministischen Weltbildes in der Betrachtung zeitlich immer weiter zurückgeht und schließlich bei determinierenden Faktoren landet, die der Kontrolle der Person sicherlich entzogen sind und ihr in keinem noch so liberalen Sinne des Wortes zugerechnet werden können. Eine analoge Betrachtung liegt im Falle der Meinungsbildung nicht so nahe, aber man kann auch hier den Eindruck haben, dass das Merkmal des aktiven Vollzugs wesentlich dafür ist, dass das resultierende Urteil als ein eigenes Urteil der Person gelten kann, und dass dieses Merkmal durch einen Determinismus in Frage gestellt wird. Zweitens kann der Eindruck entstehen, dass der Begriff der Entscheidung oder Handlungswahl nur dort sinnvoll angewendet werden kann, wo es mehrere objektiv offene Möglichkeiten gibt, zwischen denen eben zu entscheiden oder zu wählen ist. Die Determiniertheit der entsprechenden Vorgänge scheint zu impli-
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Einleitung
zieren, dass die verschiedenen Möglichkeiten nicht tatsächlich vorhanden sind und das Entscheiden somit illusorischen Charakter hat. Es würde dann auf der Täuschung beruhen, dass in der gegebenen konkreten Situation mehrere Wege objektiv offen stehen. Auch diese Betrachtung lässt sich – wiederum mit geringerer Anfangsplausibilität – auf die Situation der Meinungsbildung übertragen. Das Urteilen ist zwar in keinem vergleichbaren Sinn eine Sache der Entscheidung zwischen Optionen, aber es bleibt oft ein Spielraum zwischen Urteil und Urteilsenthaltung. Drittens scheint das praktische Überlegen, wenn man es als Abwägungsprozess zwischen Alternativen begreift, seinem Sinn nach darauf festgelegt zu sein, dass sein Resultat – die Entscheidung oder Handlungsabsicht – nicht durch ihm zeitlich vorhergehende Faktoren determiniert ist. Eine solche Determiniertheit scheint ja eben zu implizieren, dass die Handlungsoptionen, zwischen denen abgewogen wird, objektiv nicht vorhanden sind, so dass die zugehörige Überlegung,welche davon man ergreifen sollte, sinnlos wäre. Nicht in dem Sinne, dass es keinen Unterschied machte, ob jemand überlegt oder nicht, sondern so, dass es eine Voraussetzung der Sinnhaftigkeit des Überlegens ist, dass man sich tatsächlich so oder anders entscheiden kann. Anderenfalls scheint zumindest der praktische Charakter der Überlegung verloren zu gehen; allenfalls als theoretische Betrachtung, wie zu handeln wünschenswert wäre, wäre sie noch möglich. Das theoretische Überlegen wiederum kann so betrachtet werden, als ginge es darum zu entscheiden, wie man sich zu einem Sachverhalt kognitiv einstellen, was man darüber denken soll. Viertens scheinen Normen in Bezug auf Abwägungsprozesse oder ihre Resultate ihren Sinn zu verlieren, wenn die Person in ihrem Überlegen und nachfolgenden Urteilen oder Entscheiden determiniert ist. Was für einen Sinn sollte es haben, von einer Person zu sagen, sie hätte in einer bestimmten Situation anders überlegen, urteilen oder handeln sollen, wenn diese Möglichkeit objektiv nicht bestand? Zu Normen scheint ein Prinzip alternativer Möglichkeiten zu gehören, das durch den Determinismus in Frage gestellt wird. Sollen, so wäre die These, impliziert sowohl „können“ als auch „anders können“. Die Parallele zwischen theoretischem und praktischem Überlegen, der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, besteht in diesem Punkt ohne weiteres. Fünftens scheint insbesondere die moralische Verantwortung einer Person für ihre Handlungen ein Prinzip alternativer Möglichkeiten vorauszusetzen. Wie könnte man jemandem sonst moralische Vorwürfe machen? Zentral für einen solchen Vorwurf ist die Unterstellung, dass die Person anders hätte handeln sollen oder müssen, als sie es getan hat, und daraus scheint zu folgen, dass sie anders hätte handeln können. Eine moralische Verantwortung für die eigenen Urteile, auch wenn sie seltener thematisiert wird, scheint es insofern zu geben, als vor-
Einleitung
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werfbar sein kann, dass man in einer bestimmten Situation gar nicht oder nicht richtig überlegt hat und deshalb zu keinem, einem falschen oder schlecht begründeten Urteil gelangt ist. Auch ein solcher Vorwurf scheint zu implizieren, dass man in der relevanten Situation besser hätte nachdenken können, und so mit einem Determinismus zu konfligieren. Das fünfte Problemfeld ist ein genuin moralphilosophisches und dadurch von den anderen abgesetzt. Die ersten vier hängen insofern zusammen, als zum Vollbild menschlichen Handelns und Urteilens gehört, dass die Handlung oder Meinung auf Gründen beruht, und die Handlung darüber hinaus auf einer Entscheidung nach einer Abwägung dieser Gründe. Damit sind Rationalität und Normativität ebenso wie das Motiv der Wahl von selbst mit den Begriffen der Meinung oder Handlung verknüpft. Auch wenn ich mit weit weniger voraussetzungsvollen Konzeptionen derselben beginnen möchte, so ist doch das „Vollbild“ jedenfalls von besonderem Interesse. Die philosophische Betrachtung wird, wenn sie schon nicht damit anfängt, darauf von selbst als ihren natürlichen Schlusspunkt geführt. Dieser verweist aber nicht per se auf moralische Bewertungen und den besonderen Kontext von Schuld, Verdienst und Verantwortung. Es ist vor allem die Frage nach der Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Zurechenbarkeit, die in der Literatur zum sogenannten Willensfreiheitsproblem diskutiert wird. Ich werde auf sie ebenfalls ausführlich eingehen, sie steht aber neben den anderen Gesichtspunkten und hat keinen herausgehobenen Status, als käme es letztlich auf sie an. Die Auseinandersetzung ist hier auch weniger komplex als es die sehr umfangreiche vorliegende Literatur erfordern würde. Überhaupt nicht behandeln werde ich Schuld und Verantwortung im juristischen Sinne. Eine Besonderheit der Untersuchung ist, dass sie dem theoretischen Überlegen, der Meinungsbildung, grundsätzlich dieselbe Aufmerksamkeit widmet wie dem in eine Handlung oder Handlungsabsicht mündenden praktischen Überlegen. Dass hier jeweils zwei Grundsituationen zu betrachten sind, sollte bereits aus der Problemexposition klar werden, und insofern wäre eine Charakterisierung der vorliegenden Untersuchung als handlungstheoretisch zu eng. Ihren Gegenstand bilden die fünf genannten prima-facie-Konfliktfelder. In jedem von ihnen stehen sich kompatibilistische und inkompatibilistische Positionen gegenüber, also solche, die eine Vereinbarkeit mit dem Determinismus behaupten, und solche, die sie leugnen. Die fünf Felder werden nacheinander in Teil II behandelt, dem Herzstück des Buches. Bevor ich mich ihnen zuwende, werden in Teil I eine Reihe von Vorüberlegungen angestellt. Diese dienen einerseits der Einführung und Explikation zentraler Begriffe und Themen, andererseits erfolgen bereits hier Auseinandersetzungen mit bestimmten Positionen und Thesen, die in der Hauptargumentation unterzubringen größere Exkurse bedingt hätte.Wer dort Wichtiges oder
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Einleitung
gar Entscheidendes vermisst, wird hoffentlich in Teil I fündig. Es ist im Prinzip möglich, die Lektüre gleich mit Teil II zu beginnen und auf die Abschnitte von Teil I nur bei Bedarf zurückzugreifen. Ein solcher Rückgriff ist aber unumgänglich, wenn man nicht wichtige Weichenstellungen ohne Begründung hinnehmen möchte, die durchaus substanzieller und nicht lediglich terminologischer Natur sind. In Teil II komme ich zu dem Ergebnis, dass in bestimmten Problemfeldern der Kompatibilismus die besseren Argumente auf seiner Seite hat, in anderen aber der Inkompatibilismus. Deshalb wird ein weiterer Teil III notwendig, in dem geprüft wird, ob sich der Inkompatibilismus an den einschlägigen Punkten zu einem Libertarismus weiterentwickeln lässt. Eines ist es, indeterministische Voraussetzungen oder Implikationen des (rationalen, zurechenbaren, etc.) Urteilens oder Handelns zu konstatieren, ein anderes die empirische Frage, ob unsere Welt tatsächlich im erforderlichen Sinne indeterministisch ist, vor allem aber die philosophische Frage, ob sich mit diesem Indeterminismus auch etwas anfangen lässt. „Indeterminismus“ bezeichnet ja zunächst ein Negativum, die Abwesenheit zureichender Ursachen. Auch wenn ein solches in einer bestimmten Sache begrifflich oder phänomenologisch gefordert und zudem empirisch plausibel sein mag, stellt sich immer noch die Frage, ob man nun positiv mit dieser Leerstelle etwas anfangen kann (Libertarismus), oder aber zu einem harten Inkompatibilismus gedrängt wird, demzufolge der Indeterminismus in der fraglichen Sache nichts helfen kann. Die oben gegebene Problemexposition ist so gemacht und versucht zu motivieren, dass es der Determinismus ist, der eine potentielle Bedrohung für (rationales, zurechenbares etc.) Urteilen oder Handeln darstellt. Aber könnte nicht umgekehrt auch der Indeterminismus problematisch sein? Den angedeuteten Spannungs- oder Inkompatibilitätsbehauptungen würden dann nicht lediglich Vereinbarkeitsthesen, sondern sogar Implikationsbehauptungen gegenüber stehen. Diese sehen eine Determination durch zureichende Ursachen, wenn sie nur die richtige Form besitzt, als notwendig für im vollen Sinne rationales oder verantwortliches Handeln und Urteilen an. Die Stoßrichtung dabei ist, dass jeder Indeterminismus die Rationalität und Kontrolle des Subjekts im Vergleich zu einem Determinismus der richtigen Art schwächen müsse. Auch solche Thesen werden in den Teilen II und III zur Diskussion kommen. Sie ergeben sich an bestimmten Stellen der Auseinandersetzung zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten fast von selber.
Teil I: Grundlagen
1 Handlungen 1.1 Handeln als absichtliches Verhalten Die in der Einleitung gegebene Problemskizze setzt mit Handlungen ein und bringt dann weitere Merkmale wie Entscheidungen, Überlegungen, Normativität und moralische Zurechenbarkeit ins Spiel. Unter einer Handlung möchte ich ein absichtliches, willentliches Verhalten verstehen: ein Verhalten, das mit Absicht geschieht, das gewollt ist. Zugrunde gelegt wird damit ein relativ schwacher Handlungsbegriff, der die in der Einleitung weiterhin genannten Merkmale nicht automatisch einschließt. „Handlung“ soll als ein Grundbegriff fungieren, der schrittweise um höherstufige oder anspruchsvollere Elemente angereichert wird. Auf jeder Stufe ist nachzusehen, welche neuen Argumente sich durch das hinzukommende Merkmal für den Inkompatibilismus ergeben. Statt „Verhalten“ verwende ich oft auch „Tätigkeit“, „Tun“ oder „Aktivität“. Diese Ausdrücke sind nicht ohne weiteres synonym, ich möchte sie aber zum Zwecke der Exposition so behandeln, ohne dadurch etwas vorzuentscheiden. Ebenso werde ich „wollen“ und „beabsichtigen“ in der Regel synonym gebrauchen. Diese beiden terminologischen Weichenstellungen möchte ich im Folgenden etwas erläutern, ohne sie ausführlich zu diskutieren. Die Ausdrücke „Wille/Wollen“, „wollen“ und „willentlich“ sind nicht schlechthin bedeutungsgleich mit „Absicht“, „beabsichtigen“, „absichtlich“ (sowie ihren Äquivalenten aus dem Lateinischen: „Intention“, „intendieren“, „intentional“). Beide Wortgruppen weisen zudem unterschiedliche Ambiguitäten auf. „Wollen“ bezeichnet in umgangssprachlichen wie philosophischen Verwendungen manchmal ein starkes oder in Richtung des Handelns qualifiziertes Wünschen, manchmal eine Absicht. Ein Verhalten, das beabsichtigt ist, ist in einem Sinne stets auch gewollt und gewünscht, das handelnde Subjekt will und möchte tun, was immer es zu tun beabsichtigt.¹ In einem anderen Sinne mag dieselbe Handlung aber nicht gewollt sein, wenn sie nämlich auf Zwang beruht oder es eine akratische oder willensschwache Handlung ist. In solchen Fällen verhält man sich anders als man „eigentlich“ will und möchte, wobei eben diese Qualifikation andeutet, dass man in einem bestimmten Sinne auch hier tut, was man will und zu tun wünscht. Wir haben es in diesen Fällen mit einem nicht
Daraus folgt nicht, dass Absichten Wünsche bestimmter Art sind. Diese Frage diskutiere ich nicht, sehe aber mit Bratman () und Holton () keinen Grund, eine Reduzierbarkeit von Absichten auf Wünsche oder Überzeugungen (oder beides) anzunehmen.
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1 Handlungen
vermittelten Konflikt innerhalb der Motivationsstruktur einer Person zu tun, dessen genaue Analyse ein eigenes Problem ist. Es besteht dabei aber kein Widerspruch innerhalb des Intendierens. Man tut in diesen Fällen genau das, was man im Moment zu tun beabsichtigt. Allerdings verstößt man damit eventuell gegen einen Vorsatz, eine vorherige Absicht. „Beabsichtigen“ legt viel eher als „wollen“ eine auf die Zukunft gerichtete Planung nahe, so dass man der Deutlichkeit halber zwischen vorherigen und handlungsbegleitenden Absichten unterscheiden sollte. Die letzteren sind sogar handlungskonstitutiv. Der Wortkomplex des Beabsichtigens ist daher ebenfalls, aber auf andere Weise als „wollen“, mehrdeutig. Die Verwendung beider Wortgruppen ist also unübersichtlich. Nicht zuletzt aus sprachlichen Gründen wechsle ich zwischen ihnen hin und her, verwende „wollen“ also in der Regel wie „beabsichtigen“, bisweilen aber auch in dem schwächeren Sinne eines „motivational qualifizierten Wünschens“.² Ich hoffe, dass das Gemeinte jeweils deutlich wird; es ist auch nicht immer nötig, sich auf eine bestimmte Lesart festzulegen. Der Gegenbegriff zu absichtlichem oder willentlichem ist unwillkürliches Verhalten. Wie es in dem Gebiet unserer Untersuchung auch sonst häufig der Fall ist, entspricht dieser begrifflichen Dichotomie in Wirklichkeit ein ganzes Spektrum von Phänomenen mit fließenden Übergängen. Viele Verhaltensweisen, auch komplexe und zielgerichtete, können sowohl als unwillkürliche als auch als absichtliche auftreten, mit diversen Zwischenstufen und Unterschieden in der Art der Ausführung. „Verhalten“ kann in einem ersten Zugriff als eine Körperbewegung eines Subjekts charakterisiert werden, die von diesem als Ganzem vorgenommen wird. Ein Verhalten ist nicht etwas, das mit, in oder an einem Subjekt lediglich geschieht. Es verhält sich das Subjekt als Einheit. Ich möchte hier „Verhalten“ aber noch anspruchsvoller verstehen, nämlich, wie angedeutet, als Tun oder Aktivität. Eine Aktivität eines Subjekts wird von ihm selber in einem prägnanten Sinne ausgeführt und kontrolliert. Damit scheiden beispielsweise lachen, weinen oder schlafen tendenziell aus. Sie sind zwar klare Beispiele für Verhaltensweisen im schwächeren Sinne, aber keine guten Beispiele für Aktivitäten. Ich drücke das vorsichtig aus, weil auch hier ein Spektrum besteht.³
Zur Auffassung des Wollens als eines motivational qualifizierten Wünschens siehe grundlegend Seebass (), Kap. II, III, IV. Seebaß zufolge hängt ein motivational qualifiziertes Wünschen trotz eines grundsätzlichen Handlungsbezuges nur indirekt und auf vielfache Weise bedingt mit bestimmten Tätigkeiten und Handlungsabsichten zusammen. Das Ausbuchstabieren dieses Zusammenhangs ist, wenn man sich nicht mit ceteris-paribus-Klauseln als Platzhaltern zufrieden gibt, eine komplizierte Angelegenheit (siehe dort, S. ). Velleman (, Kap. ) illustriert das am Lachen und Weinen. Sie haben manchmal die Form ganz und gar unkontrollierter Ausbrüche und sind dann zwar Verhaltensweisen im schwächeren
1.1 Handeln als absichtliches Verhalten
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Die für Aktivitäten charakteristische Kontrolle des Subjekts impliziert nicht schon Absichtlichkeit oder Aufmerksamkeit auf das eigene Tun. Manche Autoren favorisieren Handlungsdefinitionen, die ganz ähnlich klingen wie die hier gewählte tentative Erklärung von „Verhalten“ im Sinne von „Aktivität“ oder „Tun“, indem sie Kontrolle mit Absichtlichkeit oder bewusster Aufmerksamkeit in Beziehung setzen.⁴ Man sollte aber Kontrolle meines Erachtens deutlich von Absichtlichkeit und auch von bewusster Kontrolle unterscheiden. Die meisten Verhaltensweisen der Tiere zeigen ein hohes Maß an Kontrolle und können dies nur deshalb, weil bewusste Kontrolle dabei keine Rolle spielt. Ähnlich kann beim Menschen ein einstudierter Bewegungsablauf, der nach häufigem Praktizieren vollkommen sitzt, vom Subjekt ohne bewusste Aufmerksamkeit ausgeführt werden, und stellt dann wiederum ein Höchstmaß an Körperkontrolle dar, das sich durch Aufmerksamkeit auf die einzelnen Schritte nur reduzieren kann. Diese werden eben durch die Aufmerksamkeit problematisch und erfolgen nicht mehr flüssig, sondern stockend. Die Kontrolle des Subjekts bezieht sich bei solchen automatisierten Bewegungsabläufen auf alle relevanten Teilschritte, dagegen spielt die bewusste Aufmerksamkeit nur in dem Moment eine deutliche Rolle, wo es darum geht, die Bewegungssequenz zu initiieren.⁵ Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die Charakterisierung von Verhalten als geeignet qualifizierter Körperbewegung zu restriktiv ist. Diverse Verhaltensund Handlungsweisen gehen gar nicht mit spezifischen Körperbewegungen einher: sei es, weil sie nicht körperlicher Natur sind, sei es, weil ihre Pointe gerade in der Unterlassung von Bewegungen (bestimmter Art) besteht, oder sei es, weil sie weder positiv noch negativ mit charakteristischen Körperbewegungen verbunden sind. Der erste Fall liegt bei mentalen Tätigkeiten vor, wenn zum Beispiel jemand gezielt über etwas nachdenkt oder sich ein Geschehen in Erinnerung ruft. Dabei sind zumindest aktive Elemente im Spiel, anders als wenn einem Gedanken oder Erinnerungen einfach in den Sinn kommen. Der zweite Fall ist gegeben, wenn eine Person eine andere absichtlich nicht grüßt oder ihre Anwesenheit ignoriert; der dritte, wenn jemand auf etwas wartet. Dies alles sind ohne Zweifel VerhaltensSinne, aber keine Tätigkeiten des Subjekts. Ebenso gibt es aber auch Episoden mit mehr oder minder ausgeprägten kontrollierten, ja sogar willentlichen Aspekten, und diese sind der häufigere Fall. Das Subjekt kontrolliert auch die spontanen und heftigen Äußerungen der Freude oder des Schmerzes wenigstens zum Teil und beachtet in ihnen bestimmte Formen. Siehe Frankfurt () und Velleman (). Man mag das terminologisch anders fassen und sagen wollen, das Subjekt gebe in diesem Moment die Kontrolle (im Sinne von bewusster Kontrolle) ab und lasse die Dinge einfach laufen, könne sie (nämlich die bewusste Kontrolle) aber jederzeit zurückgewinnen (siehe z. B. Roughley ).Wenn aber unwillkürliches Tun durch das Subjekt schlechthin unkontrolliert wäre, hätte es keinen Sinn, überhaupt von einer Aktivität zu sprechen.
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1 Handlungen
weisen und daher, sofern sie mit Absicht geschehen, auch Handlungen, die sich aber nicht über Körperbewegungen charakterisieren lassen, und mit Ausnahme des zweiten Typs auch nicht durch deren Unterlassung. Verhalten im hier gemeinten Sinne involviert also das Subjekt oder Lebewesen als Einheit und impliziert zentrale Kontrolle, Lenkung oder Steuerung, aber nicht unbedingt einer Körperbewegung. Der schwierigen Frage, was man hier stattdessen einsetzen sollte, gehe ich nicht weiter nach. Das Nicht-Stattfinden eines Verhaltens als solches ist kein Verhalten. Man legt nicht allein durch das Nicht-Tun von etwas ein bestimmtes Verhalten an den Tag. Sich in bestimmter Weise zu verhalten, heißt, in bestimmter Weise beschäftigt oder in Anspruch genommen zu sein. Darauf verweist das Merkmal der Steuerung, und die bloße Tatsache, dass man etwas nicht tut, impliziert keine solche. Die Unterlassung eines Grußes kann ein Verhalten sein (wenn sie darauf beruht, dass einem die Begegnung unangenehm ist), sie muss es aber nicht sein (wenn sie auf schlichtes Übersehen zurückzuführen ist), und sie ist es nie per se. Während jemand nicht grüßt, verhält er sich im Normalfall irgendwie (geht vorbei, schaut in der Landschaft herum), aber sein Nichtgrüßen lässt sich nur dann als Verhaltensweise ansprechen, wenn damit mehr als das bloße Ausbleiben des Grußes gemeint ist. Der Begriff der Unterlassung ist deshalb mehrdeutig. Im weiten Sinne unterlässt ein Subjekt genau dann, etwas Bestimmtes zu tun, wenn es sich nicht entsprechend verhält. Im engeren Sinne wird dadurch ein positives Vermeidungsverhalten gekennzeichnet, und dann bedeutet „Unterlassung“ mehr als das bloße Ausbleiben der entsprechenden Verhaltens- oder Handlungsweise.
1.2 Handlungen, Zwecke und Gründe Handeln ist ein absichtliches Verhalten, ein Tun mit Absicht, aber nicht notwendig auch mit einer Absicht. Diese sprachliche Nuance geht mit einer echten Bedeutungsverschiebung einher. Der Punkt dabei ist nicht, dass eine Handlung auch mehrere Absichten haben kann, sondern, dass sie gar keine zu haben braucht. Dass jemand etwas mit Absicht tut, heißt zwar, dass er sein Tun beabsichtigt, aber nicht, dass er mit seinem Tun etwas beabsichtigt. Wenn jemand seiner Freude Ausdruck verleiht, dann braucht das nicht mit einem Ziel zu geschehen. Die Person kann es in der vorliegenden Situation für richtig oder angemessen halten, ihre Gefühle in einer bestimmten Form auszudrücken, und es deshalb tun, ohne weitere Absicht. Man kann in diesem Fall noch sagen, die Handlung sei einerseits ein Ausdruck der Freude, bezwecke andererseits aber auch eben diesen Ausdruck und sei in diesem Sinne ihr eigener Zweck. Dieses letztere kann aber auch noch wegfallen. Wer seiner Freude Ausdruck verleiht, muss damit nicht nur keinen
1.2 Handlungen, Zwecke und Gründe
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weiteren Zweck verbinden, sondern noch nicht einmal den Zweck des Ausdrucks der Freude. Die Person kann einfach Lust zu ihrem Tun verspüren und es absichtlich vollziehen, und dahinter kann ihre Freude stecken, ohne dass deren Ausdruck ihr Ziel wäre. Wie steht es hier mit einem Handlungsgrund? Die bloße Tatsache, dass ein Verhalten beabsichtigt ist, ist kein Grund für die Handlung, denn Gründe erklären Handlungen. Dass jemand zu tun beabsichtigt, was er tut, bedeutet zunächst einmal nur, dass sein Verhalten eine Handlung ist, aber erklärt wird diese Handlung dadurch nicht – auch nicht in minimaler, wenig informativer Weise. Das Merkmal der Absichtlichkeit ist für das Handeln konstitutiv, und daher gehört es mit zum Explanandum jeder Handlungserklärung. Zwar können Teilhandlungen durch ihre Einbettung in größere Handlungszusammenhänge erklärt werden, indem die Absicht des größeren Zusammenhangs als Grund der Teilhandlung zitiert wird, aber dann ist es jedenfalls nicht die zur Teilhandlung gehörige und für sie konstitutive Absicht, die als ihr Grund erscheint. – Eine Handlung ohne Zweck ist auch eine ohne Grund, und umgekehrt. In dem eben angesprochenen Fall des Ausdrucks der Freude sollte man sagen, die Handlung geschehe grundlos, die Freude sei zwar ihre Ursache, aber nicht ihr Grund. Grund- und zwecklose Handlungen sind schwer zu fassende Grenzfälle. In jedem Fall reichen aber die Handlungsgründe und die mit einer Handlung verbundenen Absichten, sofern es sie gibt, nicht aus, um für alles aufzukommen, was an einer Handlung absichtlich ist. In dem Rahmen, der durch die Gründe oder Zwecke des Subjekts gesteckt wird, verbleibt ein mehr oder minder großer Spielraum, der durch gewisse Aspekte des Tuns – und zwar auch durch absichtliche Aspekte – auszufüllen ist. Diesbezüglich wird sich das Subjekt irgendwie willentlich verhalten, aber ohne dass durch Gründe einsichtig zu machen wäre, warum so und nicht anders.Wenn jemand einen Brief schreibt oder eine Rede hält, dann hat er normalerweise Gründe dafür, bestimmte Informationen darin unterzubringen, einen bestimmten Tonfall zu wählen, sich mehr oder weniger kurz zu fassen, etc. Er wird also nicht nur Gründe für das Schreiben des Briefes oder das Halten der Rede, sondern auch für viele Aspekte dieser Tätigkeit haben – aber sicherlich nicht für alle Aspekte, und zwar auch nicht für alle willentlichen. Dass gerade diese Formulierungen und keine anderen, ähnlichen, gewählt werden, braucht keinen Grund zu haben. Dennoch werden sie – gerade sie – absichtlich gewählt. Der Sprecher beabsichtigt, solange er sich nicht verschreibt oder verspricht, genau diese Wörter zu verwenden, und in dieser Spezifität sind seine Handlungen nicht durch seine Gründe und Zwecke zu erklären. Mit dem Anführen von Gründen antwortet man allgemein auf Warum-Fragen. „Warum?“ bedeutet in allen Verwendungskontexten dasselbe wie „Aus welchem Grund?“. Absichten und Zwecke liefern dagegen die Antwort auf die Frage „Wo-
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1 Handlungen
zu?“. Bei Handlungen hängt beides sehr eng zusammen: Warum geht er zum Kühlschrank? – Er möchte sich ein Bier holen (und meint, dass noch eines drin liegt). Wozu geht er zum Kühlschrank? – Um sich ein Bier zu holen. In vielen Kontexten ist es nicht nötig, zwischen Handlungsgründen und Handlungszwecken zu unterscheiden, insbesondere kann die Warum-Frage bei Handlungen durch beides adäquat beantwortet werden. Dennoch korrespondiert dieser Differenz der Kontrast zwischen kausaler und teleologischer Handlungstheorie, der in Kapitel 9 zur Sprache kommt. Die enge Beziehung zwischen Gründen und Zwecken im Handlungskontext lässt freilich vermuten, dass der Unterschied nicht so groß ist, wie er von den entsprechenden Parteien gesehen wird. Den Handlungszweck (die Handlungsabsicht) kann man in die Charakterisierung der Handlung hineinschieben, aber nur, wenn er auch erreicht wird. Was tut er? – Er geht zum Kühlschrank. – Wozu? – Um sich ein Bier zu holen. Stattdessen kann die Frage nach dem, was er tut, auch gleich mit „Er holt sich ein Bier“ beantwortet werden, aber nur, wenn er sich tatsächlich eines holt, der Zweck also erreicht wird. Der verwirklichte Zweck, wenn es einen gibt, als Abschluss der Handlung ist gleichzeitig eine kausale Handlungsfolge und kann wie jede andere solche Folge benutzt werden, um die Handlung insgesamt zu charakterisieren. Nicht alle solchen Charakteristiken sind aber gleichermaßen einschlägig. Um Handlungen als identifizierbare und insbesondere zurechenbare sinnvolle Einheiten zu erhalten, darf man sie nicht als willkürliche Ausschnitte aus einem Ereignisstrom verstehen, und dazu ist es wichtig, eine – wenngleich unvermeidlich vage – Trennung zwischen dem, was getan wird, dem, warum oder wozu es getan wird, und (weiteren) Folgen des Tuns aufrecht zu erhalten. Wenn sich jemand ein Bier aus dem Kühlschrank holt, dann erhöht er durch das Öffnen der Tür den Stromverbrauch des Haushalts, aber das ist eine weitere Handlungsfolge und als Charakterisierung seiner Handlung inadäquat.
1.3 Handlungen, Entscheidungen und praktische Überlegungen Nicht jeder Handlung, auch nicht jeder Handlung aus Gründen, geht eine Entscheidung voraus. Die Wahl zwischen vorgestellten Optionen spielt bei zur Routine gewordenen, habitualisierten Handlungsweisen typischerweise keine Rolle. Die entsprechenden Handlungen werden in den einschlägigen Kontexten meist ohne vorherige Entscheidung vollzogen, erst recht ohne Abwägung von Alternativen oder sonstige Überlegungen. Trotzdem handelt es sich normalerweise um absichtliches und auch zurechenbares Verhalten. Alles in allem gibt es sehr viel absichtliches Verhalten, das keine spezielle Aufmerksamkeit erfordert, und sol-
1.3 Handlungen, Entscheidungen und praktische Überlegungen
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ches wird oft vollzogen, ohne dass eine vorherige Wahl oder Überlegung stattfindet. Selbstverständlich zielen auch solche Handlungen im Regelfall auf etwas ab und erfolgen daher aus Gründen, durch die sie erklärt werden können. Dass es Gründe gibt und man nachträglich über sie Rechenschaft ablegen kann, heißt aber nicht, dass sie in einer der Handlung vorhergehenden Episode des Überlegens bewusst repräsentiert werden. Unser Handeln wäre in vielen Fällen deutlich zu langsam, wenn man jedes Mal vorher darüber nachdenken wollte, was man gleich tut. Dafür gibt es zu viele kleine Teilhandlungen in größeren Handlungszusammenhängen, die sich zudem noch überlagern können, zum Beispiel wenn man beim Essen ein Gespräch führt. Nur dadurch, dass man seine Aufmerksamkeit exklusiv auf große Handlungen oder Handlungszusammenhänge richtet, kann der Eindruck entstehen, jedes Handeln aus Gründen sei eine Sache vorheriger Überlegung und Entscheidung. Wenn Handlungen nicht notwendig mit Entscheidungen einhergehen, dann vielleicht wenigstens mit Entschlüssen, in dem Sinne, dass die Absicht, die zu jeder Handlung gehört und sich auf das jeweilige Verhalten richtet, irgendwann gefasst werden muss? Es geht hier nicht um Absichten, die im Sinne eines Vorsatzes oder vorheriger Planung zeitlich vor der Initiierung der Handlung liegen. Solche sind bei vielen Handlungen ebenso wenig im Spiel wie vorhergehende Überlegungen oder Entscheidungen. Nicht alles, was man absichtlich tut, nimmt man sich zu tun vor. Gemeint sind vielmehr mentale Vorgänge, die mit der unmittelbaren Einleitung und Durchführung der Handlung zusammenhängen. John Searle bezeichnet die letztere Form der Absicht als „handlungsbegleitendes Wollen“ (intention-inaction), man könnte auch sagen: „handlungskonstitutives Wollen“, im Gegensatz zur ersteren, dem Vorsatz (prior intention),⁶ und bemerkt, dass Handlungen auch nach ihrem Beginn nicht gleichsam von selber ablaufen, sondern stets von einer auf das jeweilige Verhalten gerichteten Absicht des Subjekts gesteuert werden. Zu jeder Handlung gehört eine solche handlungsbegleitende und –leitende Absicht. Dennoch wäre es übertrieben, bei jeder Handlung einen identifizierbaren mentalen Akt der Ausbildung der entsprechenden Absicht – einen Handlungsentschluss – anzunehmen. Ein solcher wäre bloß postuliert, phänomenologisch aber spricht aus denselben Gründen wie eben nichts für seine Existenz. Beim Schreiben wird normalerweise jedes Wort, so wie es ist, absichtlich niedergeschrieben, aber es gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, hier sei jedes Mal ein eigener Entschluss, jetzt das-und-das Wort hinzuschreiben, im Spiel. Wollte man einen solchen für jedes Wort annehmen, warum nicht auch für jeden Buchstaben? Oder entschließt man sich etwa vor dem Hinschreiben eines ganzen
Siehe Searle () und (, Kap. ).
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1 Handlungen
Satzes, jetzt gerade diesen zu Papier zu bringen? Das würde bedeuten, dass er komplett im Geiste vorformuliert wird. Noch deutlicher ist der Fall beim Sprechen: In der Regel sagt man, was man sagt, absichtlich, aber ohne eigenen Entschluss, jetzt dieses-und-jenes Wort zu verwenden. Das handlungsbegleitende Wollen als solches benötigt für seine Entstehung also keinen Entschluss. Aus diesem Grund sind bereits die beiden Operationen der Vertätigung und der Verdinglichung der Absichtlichkeit problematisch, die darin bestehen, dass man von der Qualifikation des Verhaltens durch die Attribute „absichtlich“ oder „willentlich“ zunächst zu eigenen Tätigkeiten des Wollens oder Beabsichtigens und dann sogar zu eigenständigen Entitäten, der auf das Verhalten gerichteten Absicht oder dem entsprechenden Willen, übergeht. Sie generieren dubios wirkende Ideen, wie etwa, dass jede Handlung aus begrifflichen Gründen zwei Aktivitäten involviere: die Verhaltensweise und das Beabsichtigen oder Wollen derselben. Wenn es auch sicherlich bei jeder Handlung und jedem Verhalten im Hintergrund diverse unbewusste Prozesse gibt, ist es doch weder begrifflich noch phänomenologisch so, dass jede Handlung mit einer parallel laufenden und sie leitenden zweiten Tätigkeit einhergeht. Man wählt seine Worte absichtlich, aber es lässt sich unter normalen Umständen beim Sprechen kein darauf gerichteter, zeitlich parallel oder kurz vorher stattfindender, distinkter Wollensprozess bemerken. Noch deutlicher ist das im Falle innerer, mentaler Handlungen,wenn man etwa im Kopf etwas ausrechnet. Während sich der Vorsatz, der freilich nicht bei jeder Handlung besteht, unabhängig von dem Verhalten, das er zum Gegenstand hat, als ein eigenes mentales Geschehen identifizieren und thematisieren lässt, gilt das für das handlungsbegleitende und -konstitutive Wollen nicht im selben Maße.⁷ Wie immer man das genau fasst, man darf jedenfalls nicht so weit gehen, dass die Rede von einer handlungsleitenden Absicht ihren Gehalt einbüßt. Die genannten basalen Merkmale von Verhalten und Handlung möchte ich nicht weiter analysieren. Bereits an sie knüpfen sich, insbesondere über die aktivpassiv-Unterscheidung, einige der Kontroversen, die uns noch beschäftigen werden. Weil Verhaltensweisen und damit Handlungen Aktivitäten des jeweiligen Organismus darstellen, sind sie keine bloßen Ereignisse oder Geschehnisse, die sich an ihm, in ihm oder mit ihm lediglich abspielen. Daran knüpft sich die Idee ihrer prinzipiellen Unterlassbarkeit: Ein Tun sei etwas nur dann, wenn es auch unterlassen werden könne. Aufgrund dessen können bereits bei einem relativ
Im Anschluss an Wittgenstein ist dieser Umstand zuerst von Ryle (, Kap. III) besonders herausgearbeitet und stark betont worden. Wenn ich ihm darin folge, dann nicht so weit, dass damit die Ablehnung einer kausalen Handlungstheorie oder behavioristische oder funktionalistische Neigungen verbunden wären. Mir geht es hier zunächst um Phänomene, nicht um eine bestimmte Art der Handlungstheorie.
1.3 Handlungen, Entscheidungen und praktische Überlegungen
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anspruchslosen Handlungsbegriff und sogar schon beim Verhalten die inkompatibilistischen Hebel angesetzt werden, indem behauptet wird, dass aus der Unterlassbarkeit die Unvereinbarkeit mit einem Determinismus folge. Mit dem hier eingeführten Handlungsbegriff sollen diese Fragen nicht präjudiziert werden. Merkmale wie Aktivität, Steuerung und Willentlichkeit gehören zum Handeln, und, wie wir in 10.2 sehen werden, in einem bestimmten, zu spezifizierenden Sinne damit auch die Unterlassbarkeit, aber welche Interpretation dieser Merkmale am adäquatesten ist, muss sich erst zeigen. Ebenso schließt, dass Handlungen keine bloßen Ereignisse sind, nicht aus, dass sie Ereignisse besonderer Art sind.
2 Entschlüsse und Entscheidungen 2.1 Allgemeines Unter einem Entschluss möchte ich, wie bereits bemerkt, das Fassen einer Handlungsabsicht verstehen, unter einer Entscheidung das Fassen einer solchen Absicht in der Form einer Wahl zwischen vorgestellten Handlungsoptionen. Jede Entscheidung ist also ein Entschluss, aber nicht umgekehrt. Ich möchte der Einfachheit halber annehmen, dass jeder Entschluss die Bildung einer Handlungsabsicht im Sinne eines Vorsatzes impliziert, und umgekehrt jeder Vorsatz auf einen solchen Entschluss zurückgeht. Beides ist fragwürdig. Handlungen werden häufig durch einen „Ruck“ oder „Impuls“ eingeleitet, durch ein „jetzt tue ich es“, das sich als ein typischer Fall eines Entschlusses zum Handeln ansprechen lässt. Soll man nun einen solchen „Ruck“ als einen der Handlung minimal vorhergehenden Vorsatz auffassen oder besser sagen, dass in diesem Fall, wo die Handlung durch den Entschluss eingeleitet wird, lediglich ein handlungsbegleitendes Wollen ohne Vorsatz vorliegt? Im diesem Fall gäbe es Entschlüsse ohne Vorsätze. Und vielleicht kann man umgekehrt entschlossen sein, etwas Bestimmtes zu tun, ohne dass man sich jemals dazu entschlossen hat. Der Vorsatz wäre dann einfach da, ohne dass man ihn bewusst gebildet hätte. In diesem Fall gäbe es Vorsätze ohne Entschlüsse. Hinsichtlich beider Möglichkeiten lege ich mich nicht fest, sehe von ihnen aber der Einfachheit halber ab. Ein Entschluss, eine Entscheidung oder ein Vorsatz hat stets eine Handlungsweise zum Gegenstand, und eine Handlung nur insofern, als man darunter eben eine Handlungsweise versteht. Die Entscheidung fällt zugunsten eines Handlungstyps, nicht desjenigen Handlungs-tokens, das im Falle erfolgreicher Umsetzung nachfolgt. Damit ist gemeint, dass andere Handlungen derselben Art den Vorsatz ebenso erfüllt, ebenso als seine Durchführung gegolten hätten. Zudem ist auch der Handlungstyp durch den Vorsatz nicht in allen Details festgelegt. Er kann zwar durch einer ersten Entscheidung nachfolgende Ausführungs- oder Detail-Entscheidungen weiter spezifiziert werden, aber es wird nicht alles, was an der nachfolgenden Handlung absichtlich ist, mit und in dem Entschluss bereits intendiert. Ich werde das sprachlich nicht immer eigens kennzeichnen. Wenn also von Handlungsoptionen die Rede ist, von denen eine ausgewählt wird, oder dem Intendieren von Handlungen, dann sind damit stets mehr oder minder grob spezifizierte Handlungsweisen gemeint. Die Unterscheidung zwischen Entschlüssen und Entscheidungen hat den Hintergrund, dass, sich etwas vorzunehmen, nicht schon gleich bedeutet, aus vorgestellten Handlungsoptionen eine auszuwählen. Wer sich für eine Handlung
2.1 Allgemeines
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entscheidet, der entscheidet sich eben damit bewusst gegen gewisse Alternativen. Der Entscheidungsbegriff verweist auf eine Wahlsituation aus der Perspektive des Subjekts. Das Bilden eines Handlungsvorsatzes schließt dagegen nicht automatisch das Bewusstsein einer solchen Wahlsituation ein. Etwas anderes ist es, von außen zu sagen, dass jemand, der sich etwas zu tun vornimmt, auch eine andere oder gar keine Handlungsabsicht hätte ausbilden können, und so im Effekt eine Wahl getroffen hat, auch wenn ihm dies nicht bewusst gewesen sein mag. Das kann man so sagen, aber entscheidend für die Unterscheidung, die ich hier machen möchte, ist, dass sich das vorherige Beabsichtigen aus der Perspektive des Subjekts nicht als eine Wahl zwischen Optionen darstellen muss. Es kann sich etwas zu tun vornehmen, ohne in irgendeiner Form Alternativen in den Blick zu nehmen. Der Unterscheidung zwischen Entschlüssen und Entscheidungen korrespondieren zwei Bilder, die in der Willensfreiheitsdiskussion eine wichtige Rolle spielen. Zum einen gibt es das Bild des Anfangs einer Kausalkette. Beim „freien Wollen“ beginne man aus dem Nichts eine neue Reihe von Ursachen und Wirkungen. Durch einen ursach- aber nicht notwendig grundlosen Entschluss, einen „freien Willensakt“ setze man den Beginn einer Kausalkette, eine erste Ursache, hinter die man in Kausalerklärungen nicht zurück könne. Es versteht sich, dass ich unter einem Entschluss nicht von vornherein etwas derartig Aufgeladenes verstehen möchte, aber der „Ruck“, der die Handlung einleitende Impuls, das „jetzt tue ich es“, als dasjenige psychische Phänomen, das hinter dem Begriff des Entschlusses steckt, gibt auch zu der besagten anspruchsvollen Interpretation und dem zugehörigen Bild Anlass. Zum Begriff der Entscheidung gehört ein anderes, nämlich das der Verzweigung oder Weggabelung. Hier geht es nicht um das Anfangen einer Kausalkette, sondern um das so oder so Fortsetzen einer bestehenden, was voraussetzt, dass die Verknüpfung von Ursache und Wirkung keine deterministische ist. Auch das möchte ich nicht von vornherein unterstellen. Es ist aber wichtig zu sehen, wie die Phänomene des „Rucks“ oder Handlungsentschlusses einerseits und der Wahl zwischen Optionen oder Entscheidung andererseits auf Weisen veranschaulicht werden können, die die angedeuteten starken Interpretationen möglich machen oder sogar suggerieren. Wie in 1.3 bemerkt, ist ein Handeln aus Gründen nicht schon gleich ein Handeln mit vorheriger Überlegung. Unter einer solchen verstehe ich eine tatsächliche mentale Episode, in welcher die vorhandenen Gründe repräsentiert werden, nicht lediglich etwas, das sich nachträglich zwanglos fingieren lässt. Gerade kleine Handlungen und Teilhandlungen geschehen typischerweise aus Gründen und mit einem bestimmten Zweck, aber ohne vorherige Überlegung, für die gar keine Zeit wäre. Oft kann man bei Bedarf nachträglich Rechenschaft über sein Tun ablegen und dabei die Gründe, aus denen es erfolgte, benennen, aber das
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2 Entschlüsse und Entscheidungen
heißt nicht, dass diese Gründe Gegenstand einer Überlegung waren und nur durch sie vermittelt das Handeln beeinflussten. Bei Entscheidungen ist das völlige Fehlen einer solchen Episode indes schwer vorstellbar. Wer sich im Bewusstsein von Alternativen für eine Handlung entscheidet, der überlegt wahrscheinlich wenigstens minimal, welche Option er ergreifen sollte. Im Zuge einer Entscheidung den Blick auf Handlungsoptionen zu richten, impliziert, sich mit ihnen als solchen auseinanderzusetzen, und dies wiederum, sie gegeneinander abzuwägen, und sei es noch so kurz und unvollkommen. Der Begriff der Entscheidung bezeichnet in folgendem Sinne wesentlich ein Phänomen aus der Perspektive der ersten Person. Eine Entscheidung ist eine Wahl zwischen von der handelnden Person unterstellten Optionen, das heißt zwischen Optionen, die sie ihrer Meinung nach in der spezifischen Situation ergreifen kann, die ihr ihrer Meinung unter den gegebenen Umständen als Handlungsalternativen offen stehen. Was das genau heißt, wird zu diskutieren sein. Es heißt aber jedenfalls nicht, dass die Alternativen tatsächlich vorhanden sind, sondern eben nur, dass die Person das meint. Sie kann sich dafür entscheiden, den Raum, in dem sie sich befindet, zu verlassen, auch wenn die Tür abgeschlossen, das Fenster vergittert und sie tatsächlich in dem Raum eingesperrt ist. Solange die Person nur, aus welchen Gründen auch immer, meint, sie könne die Tür oder das Fenster öffnen und hindurchgehen, kann sie sich dafür entscheiden, den Raum zu verlassen. Dass sich anschließend herausstellt, dass entsprechende Handlungen undurchführbar sind, steht auf einem anderen Blatt. Wie in allen Fällen von Präsuppositionen ist es auch hier wichtig, sich darüber klar zu werden, ob die Präsupposition positiver oder negativer Natur ist. Ich habe sie hier als positive vorgestellt: Um sich zu entscheiden, den Raum, in dem man sich befindet, durch die Tür zu verlassen, muss man meinen, dass diese sich von einem öffnen lässt. Es reicht nicht aus, nicht zu meinen, dass sie abgeschlossen ist, und dergleichen. Demzufolge könnte jemand, der keine Meinung darüber hat, ob eine bestimmte Tür offen oder abgeschlossen ist, sich nicht entscheiden, sie zu öffnen, sondern allenfalls, es zu versuchen. Das möchte ich bei Entscheidungen in der Tat annehmen, da sonst zu unklar wäre,was es heißt, dass Entscheidungen mit Blick auf oder im Bewusstsein von Handlungsoptionen getroffen werden. Wir haben es also mit einer positiven Präsupposition zu tun, die allerdings nicht zu stark aufgefasst werden darf. Wer sich entscheidet, zu einem deutlich späteren Zeitpunkt etwas zu tun, etwa heute entscheidet, zu Beginn der nächsten Sommerferien nach Kanada zu fliegen, setzt nicht schlechthin voraus, dass er zu dem nämlichen Zeitpunkt dazu tatsächlich imstande sein wird. Es kann ja allerhand dazwischen kommen, das einen solchen Plan unausführbar macht. Die fragliche Präsupposition muss also Normalfallklauseln enthalten, die ich hier nicht versuchen werde auszubuchstabieren.
2.2 Entschlüsse und Entscheidungen sind keine Handlungen
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Wenn ich davon spreche, dass sich jemand in einer Entscheidungssituation befindet, sich einer Wahl gegenübersieht, mit einer solchen konfrontiert ist, etc., dann impliziert das als Beschreibung von außen normalerweise, dass das Subjekt bestimmte Optionen einerseits tatsächlich hat, andererseits sich ihrer als solcher bewusst ist. Keine Wahlsituation besteht, ohne dass das Subjekt meint, dass es Verschiedenes tun könnte und die vermeintlichen Optionen wenigstens rudimentär als solche in den Blick nimmt mit der Absicht, eine davon zu ergreifen. Alternativen zu dem, was wir tatsächlich tun, bestehen immer in dem Sinne, dass es uns jedenfalls so vorkäme, als hätten wir alternative Handlungsoptionen, wenn wir nur solche suchten und über sie nachdächten. Sie wären oft nicht besonders attraktiv oder in relevanter Hinsicht voneinander verschieden, aber solange wir überhaupt handeln, könnten wir auch jederzeit im Bewusstsein von Handlungsalternativen eine Wahl treffen, wenn uns dies einfiele. Die entsprechende Einstellung oder der entsprechende Blick des Subjekts kann jede Situation, in der es sich befindet, zu einer (freilich oft trivialen) Entscheidungs- oder Wahlsituation machen, und umgekehrt ist es, solange ihm dies nicht einfällt, nicht in einer. Es gibt also nicht Entscheidungssituationen unabhängig von der Wahrnehmung des Subjekts. Es gibt (einige) Situationen, in denen sich kein normaler Mensch dem Bewusstsein, dass er eine Wahl zu treffen hat, entziehen kann, und umgekehrt (sehr viele) Situationen, in denen das Bewusstsein, dass man eine Wahl zu treffen hat, außerordentlich hinderlich wäre. Kleine und kleinste Handlungen und Teilhandlungen werden normalerweise nicht aufgrund einer eigenen Entscheidung vollzogen, aber man könnte im Prinzip vor jeder einzelnen eine solche treffen: ob man etwas so oder so anfängt, und wie genau, ob man zuerst dieses oder jenes tut und so weiter. Potentiell gibt es immer etwas zu wählen, und die Frage ist nur, ob das Subjekt Anlass sieht, vermeintliche Handlungsalternativen als solche in den Blick zu nehmen. Wenn es das tut, befindet es sich in einem Entscheidungsprozess, wenn nicht, nicht.
2.2 Entschlüsse und Entscheidungen sind keine Handlungen In dem relativ langen zweiten Abschnitt dieses Kapitels möchte ich dafür argumentieren, dass Entscheidungen und Entschlüsse zu einer bestimmten Handlung, die Bildung eines Vorsatzes mit bestimmtem Inhalt, das Wollen oder Beabsichtigen von etwas, und was es an verwandten Phänomenen noch gibt, obwohl in einem nicht leicht zu erhellenden Sinne Aktivitäten, doch jedenfalls nicht absichtliche Tätigkeiten, also nicht selber Handlungen des Subjekts sind. Das mag trivial und die ganze Problemstellung abwegig erscheinen, denn die genannten Phänomene gehören in das typische Umfeld von Handlungen, und es wäre
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2 Entschlüsse und Entscheidungen
merkwürdig, wenn etwas, das regelmäßig mit einer Handlung einhergeht, selber eine wäre, so dass man statt einer Handlung immer gleich mehrere hätte. Die Auseinandersetzung ist aber nötig, weil entsprechende Positionen weit verbreitet sind. Neben anderen Autoren sind es besonders Vertreter einer Akteurskausalität, die zu solchen Sichtweisen neigen. Ganz am Anfang der Handlung, im mentalen Bereich, findet ihnen zufolge ein besonderer Vorgang statt, bei dem der Akteur durch seinen Willen eine Kausalkette in Gang setzt, und diese Initiierung, dieses Wollen des Akteurs oder sogar die Verursachung desselben durch den Akteur, erscheint dann als die primäre oder eigentliche Handlung.⁸ Obwohl es, wie wir sehen werden, verschiedene Motive für solche Wendungen gibt, gerät man in der Handlungstheorie im Allgemeinen und der Willensfreiheitsdiskussion im Besonderen auf Abwege, wenn man mentale Phänomene, die im Umkreis von Handlungen auftreten und durchweg oder häufig mit ihnen verbunden sind, selber zu Handlungen oder gar zu der „eigentlichen“ Handlung befördert. Nicht nur ergeben sich dann Regressprobleme, sondern die gesamte Diskussion wird schief, indem mit dem „Willensakt“, der „Bestimmung des Willens“ oder seiner „Verursachung“ etwas, das gar nicht dafür taugt, als paradigmatische Handlung auftritt und in den Mittelpunkt gerückt wird. Zunächst gehört zu jedem Handeln das Beabsichtigen des entsprechenden Verhaltens im Sinne einer handlungsbegleitenden Absicht. Das begleitende Wollen ist dasjenige Element, das das Verhalten zu einer Handlung macht. Zumindest von diesem sieht man leicht, dass es sich nicht als eine zweite, auf das Verhalten gerichtete mentale Handlung auffassen lässt. Dann erhielte man eine unendliche Hierarchie von Handlungen: Wer eines täte, täte zugleich oder jeweils minimal zeitversetzt unendlich vieles. Jedes Wollen würde als eine eigene Handlung wiederum ein weiteres, nun darauf gerichtetes Wollen erfordern. Dies bestätigt wiederum, dass man mit dem Merkmal der Absichtlichkeit vorsichtig umgehen muss. Es ist, sofern es vorliegt, ein Handlungsaspekt, aber keine eigene Handlung. Ein Regressproblem ergibt sich beim vorherigen Beabsichtigen einer Handlung nicht, denn nicht zu jeder Handlung gehört ein Vorsatz, ein Entschluss oder eine Entscheidung. Falls man Entschlüsse und Entscheidungen selber als (mentale) Handlungen auffassen wollte, wären es Handlungen, welche typischerweise nicht wiederum durch eine Entscheidung oder einen Entschluss eingeleitet würden. Davon könnte es zwar Ausnahmen geben, wenn etwa eine Person nach längerer ergebnisloser Abwägung von Handlungsoptionen ungeduldig wird und
Akteurskausalistische Positionen diskutiere ich in ..
2.2 Entschlüsse und Entscheidungen sind keine Handlungen
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beschließt, sich jetzt sofort zu entscheiden, egal wie, aber dann wäre eben dieser Beschluss eine Handlung, die nicht eigens einen Entschluss erforderte. Soll man also Entschlüsse und Entscheidungen oder die Bildung von Vorsätzen insgesamt als Handlungen oder wenigstens Aktivitäten auffassen oder nicht? Was dafür spricht, ist, dass man Entschlüsse fasst und Entscheidungen trifft. Sich zu etwas zu entschließen, für etwas zu entscheiden oder etwas vorzunehmen scheint etwas Aktives zu sein und nichts, das dem Subjekt zustößt. Wenn man mit der aktiv-passiv-Dichotomie Ernst macht und sie konsequent anwendet (ich würde sagen: sie hypostasiert; darauf komme ich in 10.2 zurück), dann scheint keine Wahl zu bleiben, als Entschlüsse und Entscheidungen auf die aktive Seite zu schlagen. Sie wären also Tätigkeiten des Subjekts, und sofern sie absichtlich gefasst oder getroffen werden, auch (mentale) Handlungen. Es klingt auch plausibel zu sagen, man entscheide sich, wenn man sich für eine bestimmte Option entscheidet, wenigstens im Regelfall absichtlich dafür, und ebenso bei Entschlüssen. Danach wären Entschlüsse zu und Entscheidungen für Handlungen normalerweise selber Handlungen.⁹ Dieser Gedanke erscheint mir jedoch aus zwei Gründen verfehlt. Zunächst gehört zu jeder Aktivität oder Tätigkeit zeitliche Ausdehnung. Es handelt sich dabei begrifflich um einen vom Subjekt gesteuerten Prozess, nicht um ein punktförmiges Geschehnis. Entschlüsse und Entscheidungen aber spielen eine konzeptuelle Rolle, die es gerade nicht erlaubt zu sagen, man habe sich von dann bis dann (von zwei bis drei Uhr) zu etwas entschlossen oder für etwas entschieden. Stattdessen kann man nur sagen: Da – zu diesem Zeitpunkt – traf der Akteur die Entscheidung oder entschloss er sich, H zu tun. Damit ist vereinbar, dass jedes so bezeichnete Vorkommnis bei näherem Hinsehen eine (typischerweise geringe) Ausdehnung in der Zeit besitzt. Die begriffliche Rolle von „sich entschließen“, „sich entscheiden“ und „sich vornehmen“ ist von den empirischen Eigenschaften derjenigen Phänomene, die mit diesen Begriffen belegt werden, zu unterscheiden. Das heißt nicht, dass diese Phänomene zu Unrecht derart konzeptualisiert werden, noch auch nur, dass man es in den meisten Kontexten durchgehen lassen kann, weil es nicht so darauf ankommt, vielmehr wird das, was wir als „Entscheidung“ oder „Entschluss“ bezeichnen, aus guten Gründen so behandelt, als wäre es etwas Unausgedehntes. Punktförmige Ereignisse sind fast durchweg Idealisierungen. Tatsächliche Ereignisse der empirischen Wirklichkeit sind zeitlich ausgedehnt, ohne ganz scharfe Begrenzungen zu haben. Falls es davon Ausnahmen gibt, so gehören
Dies vertreten mit Mele (, Kap. ) und Peacocke (, Kap. ) auch Autoren, die der Akteurskausalität fernstehen.
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2 Entschlüsse und Entscheidungen
Entscheidungen und Entschlüsse gewiss nicht dazu. Der einer Entscheidung vorausgehende Abwägungsprozess endet nicht abrupt, sondern die Waagschale senkt sich in die Richtung einer gewissen Option, bis für die Person schließlich klar ist: Das mache ich. Der Prozess geht allmählich in das Urteil über. Zwischen dem „vorher“ und dem „nachher“ der Entscheidung gibt es ein relativ kleines, oft winziges, aber zumindest im geistigen Vergrößerungsglas klar erkennbares Zeitintervall, das eine Grauzone darstellt, in der sich die Waagschale in eine bestimmte Richtung senkt. In diesem (nicht ganz scharf begrenzten) Intervall ist man dabei, sich für eine bestimmte Option H zu entscheiden. Zu keinem Zeitpunkt in ihm ist die Entscheidung für H klarerweise schon oder klarerweise noch nicht gefallen. In Ausnahmefällen ist die Ausdehnung dieses Intervalls beträchtlich: Die Waagschale senkt sich sehr langsam, oder sie verharrt auf ihrem Weg. Die Person tendiert zu einer bestimmten Option, hat sich im Grunde schon, aber doch noch nicht endgültig entschieden. Nichtsdestoweniger gilt: In der Entscheidung kommt die praktische Überlegung zu ihrem Ende, und es ist diese Überlegung mitsamt ihrem Resultat, und nicht dieses in Isolation, die dem Subjekt als mentale Tätigkeit zugeschrieben werden kann. Wenn man einen Ball fängt, so ist der Erfolg ebenfalls ein Ereignis, das begrifflich als punktförmiges charakterisiert wird, bei genauem Hinsehen aber eine gewisse zeitliche Ausdehnung mit verschwommenen Grenzen aufweist. Auch hier betrifft die Steuerung von Seiten des Subjekts die Körperbewegung, die in dem Ereignis lediglich ihren Abschluss findet. Handlungen werden oft durch Erfolgsverben wie „den Ball fangen“ charakterisiert, aber dabei ist es der Prozess, der zu diesem Resultat führt, der unter der Kontrolle oder Lenkung des Subjekts steht und insofern seine Tätigkeit ausmacht. Das Resultat gedanklich von dem Prozess zu isolieren und als eigene Handlung zu begreifen, ist ein Fehler. Insofern „den Ball fangen“ oder „sich für H entscheiden“ Tätigkeiten oder Handlungen bezeichnen, sind es solche, die dem Fangen oder Sich-Entscheiden im engeren Sinne vorausgehen und lediglich darin zum Ziel kommen. Nun kann, etwas zum Abschluss zu bringen, unter bestimmten Umständen als eine Handlung eigenen Rechts angesprochen werden. In unserem Kontext kann zum Beispiel die praktische Überlegung in dem ihr zur Verfügung stehenden Zeitrahmen ergebnislos verlaufen. Die Skatpartner werden langsam ungeduldig und sagen: „Nun entscheide dich mal!“ Und: „Der Witz am Kartenspielen ist, dass man ab und zu eine Karte ausspielt!“ Man führt dann die Entscheidung herbei, aber nicht durch eine praktische Überlegung. Diese hat nicht genug erbracht, um genau eine der Handlungsoptionen als die beste zu erweisen, und man muss nun willkürlich eine der verbleibenden ergreifen, von denen einem keine deutlich besser als die anderen zu sein scheint. Vielleicht überlässt man sich dabei der nächsten auftauchenden Neigung und wählt diejenige Option, die im Hin- und
2.2 Entschlüsse und Entscheidungen sind keine Handlungen
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Herschwanken zwischen den Alternativen die momentane Aufmerksamkeit beansprucht. Man könnte auch losen, oder einen Abzählreim benutzen. Jedenfalls springt an dieser Stelle, wo die Überlegung nicht weiterhilft, eine andere Aktivität ein, die an ihrer Stelle oder in Ergänzung zu ihr die Entscheidung herbeiführt. Hier könnte man nun einwenden, dass das Sich-Entscheiden gerade eine Tätigkeit dieser Art sei. Die Idee wäre etwa folgende: Eine praktische Überlegung findet ihren Abschluss grundsätzlich nicht in einer Handlung, sondern in einem Urteil, was zu tun gut, richtig oder am besten wäre. Nun muss man es aber noch tun! Dazu ist, so die Idee, ein Entschluss oder, falls die Überlegung die Form einer Abwägung zwischen mehreren Optionen annimmt, eine Entscheidung nötig. Das, was ich als besonderen Fall hinstellen wollte, ist in dieser Sichtweise der Regelfall: Erst überlegt man, und irgendwann hört man zu überlegen auf – mit oder ohne Ergebnis, und das heißt hier: mit oder ohne abschließende Meinung, was zu tun am besten wäre. Das Sich-zu-etwas-Entschließen oder Entscheiden wäre als separate Tätigkeit zu deuten, die zu der Überlegung hinzukommen muss, damit diese praktische Relevanz erlangt. Alles Überlegen wäre theoretischer Natur und zielte auf Erkenntnis: im vorliegenden Fall darauf, was ein bestimmtes Subjekt, das gewissermaßen zufällig mit dem Subjekt der Überlegung identisch wäre, tun sollte.¹⁰ Wenn diese zum Abschluss kommt, ist, so die Idee, hinsichtlich des Wollens und Handelns des Subjekts immer noch alles offen. Das Subjekt muss jetzt innerlich noch etwas tun. Es kann sich entschließen oder entscheiden, dem Überlegungsresultat zu folgen, es kann dies aber auch sein lassen oder sich sogar zu einer anderen Handlung entschließen: genauso wie jemand, dem man einen Ratschlag gibt, diesem folgen kann oder nicht. Nun geschieht es zwar tatsächlich nicht selten, dass man sich anders verhält, als man es sich vorgenommen hat. Hier geht es aber nicht um das vielgestaltige Phänomen der Willensschwäche, sondern darum, dass man sich gar nicht erst zu der Handlung entschließt, die die praktische Überlegung als die beste ausgewiesen hat. Und zwar nicht im Sinne des Dazwischenkommens von etwas Drittem, das einen normalen Ablauf stört, sondern einfach, weil diesem Modell zufolge Überlegen das eine, Wollen das andere ist. Ein solches distanziertes Verhältnis zu den Resultaten des eigenen praktischen Überlegens ist jedoch nicht oder nur in eigentümlichen Fällen anzunehmen. Es widerspricht dem Sinn praktischen Überlegens, der in den Konsequenzen für das Tun des Subjekts liegt. Es ist eine verfehlte Vorstellung, dass dieses Überlegen zunächst unverbindlich erfolgt und man nach seinem Abschluss in einem weiteren Schritt erst zusieht, ob man auch tun will, was man für gut, richtig oder am besten befunden hat. Wenn das nicht
Das Verhältnis von theoretischen und praktischen Überlegungen wird in Kap. thematisiert.
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2 Entschlüsse und Entscheidungen
einfach darauf hinauslaufen soll, dass man gleich noch einmal überlegt, ist an dieser Stelle eine separate Instanz anzusetzen. Der „Wille“ erscheint dann als eine solche, indem er die Ergebnisse der Überlegung daraufhin prüft, ob sie ihm auch passen, und damit als Subjekt eigenen Rechts, das (noch einmal und abschließend) Optionen bewertet und Stellung nimmt.¹¹ Wir werden diesem Motiv, das Homunkulus- und damit Regressprobleme heraufbeschwört, im Verlaufe der Untersuchung noch einige Male begegnen.¹² Damit komme ich zum zweiten, ganz anders gearteten Grund, Entschlüsse und Entscheidungen nicht als Handlungen aufzufassen. Er besteht darin, dass sie in einem gleich zu erläuternden Sinne kein möglicher Gegenstand von Vorsätzen sind, und wenn das zutrifft, ist ihr Handlungscharakter nicht plausibel zu machen. Das eine ist es nämlich zu sagen, dass nicht jede Handlung eine vorherige Absicht erfordert, das andere, dass sie nicht einmal möglicherweise Gegenstand einer solchen ist. Während man das erste aus den in 1.3 genannten Gründen annehmen sollte, ist das zweite unplausibel. Was überhaupt absichtlich getan werden kann, kann man sich auch zu tun vornehmen. Nicht jeder Handlung, insbesondere nicht „kleineren“ Handlungen und Teilhandlungen, geht ein Vorsatz voraus, aber ein solcher muss doch jeweils möglich sein. Während man sich vornehmen kann, einen Ball zu fangen, kann man sich nicht vornehmen, sich für die Handlung H zu entscheiden, denn damit hätte man diese Entscheidung bereits getroffen. Eine hypothetisch angenommene, auf das Treffen der Entscheidung für die Handlung H gerichtete vorherige Absicht läuft ins Leere und hat in Wahrheit keinen Gegenstand, da mit ihrer Bildung schon vollzogen wäre, was man sich in ihr erst vornehmen will. Und das heißt eben: Es gibt keine solche Absicht. Entscheidungen für bestimmte Handlungen kann man nur treffen, nicht sie sich vornehmen.Was man sich vornehmen kann, ist, sich in einer bestimmten Angelegenheit zu entscheiden. Das bedeutet, dass man sich vornimmt, etwas zu tun, an dessen Ende die Entscheidung für eine der Optionen steht. Für welche, ist dabei noch offen, und muss es sein, sonst hätte der Vorsatz keinen Sinn. „Ich treffe nachher (bis heute Abend, nächste Woche) eine Entscheidung“ ist ein gewöhnlicher Vorsatz, aber „Ich treffe nachher (bis heute Abend, nächste Woche) die Entscheidung, H zu tun“ ist unsinnig. Ein solcher Satz kann nur in ironischer Weise gebraucht werden. Dasselbe gilt für Entschlüsse:
So erscheint der Wille in der mittelalterlichen Bezeichnung der Willensfreiheit, „liberum arbitrium voluntatis“, als Subjekt eines Urteils oder Schiedsspruchs (arbitrium). Laut Michael Frede () kannte die klassische griechische Philosophie nicht nur keinen freien Willen, sondern auch kein Wollen in dem hier angesprochenen eigenständigen Sinn. Beide Konzepte traten Frede zufolge erstmals bei den Stoikern auf, wurden vollständig ausgebildet in der späten Stoa und dann von frühchristlichen Denkern übernommen und modifiziert.
2.2 Entschlüsse und Entscheidungen sind keine Handlungen
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Man kann sich entschließen, H zu tun, nicht aber sich vornehmen, sich zu entschließen, H zu tun, denn das wäre bereits der Entschluss. Wenn es so scheint, als nehme man sich vor, sich zu einer bestimmten Handlung H zu entschließen oder sich für sie zu entscheiden, dann geht es in Wahrheit darum, den bereits gefassten Entschluss oder die bereits getroffene Entscheidung durchzuhalten. Typischerweise hat man dann für gewisse aktuell nicht vorliegende, aber antizipierte oder für möglich gehaltene Umstände einen Vorsatz konditionaler Struktur gefasst („Unter den-und-den Umständen verhalte ich mich so-und-so“), von dem man unsicher ist, ob man ihn gegebenenfalls umsetzen wird. Man kann sich dann in dem Vorsatz bestärken, indem man sich sagt: „Wenn es soweit ist, dann entscheide ich mich für H. Alles andere kommt nicht in Frage.“ Eine solche Aussage hätte aber keinen Sinn, wenn man sich nicht tatsächlich schon entschieden hätte, unter den einschlägigen Umständen H zu tun. Man befürchtet nur, dass man, wenn es soweit ist, zögern und eine andere Wahl treffen wird, und versucht daher, eine eventuelle Neubesinnung durch eine suggestive Selbstansprache von vornherein zu unterbinden. Wiederum begegnen wir hier dem (antizipierten) Phänomen der Willensschwäche, das aber grundsätzlich die Durchführung von Vorsätzen, nicht ihre Bildung betrifft. Ähnliche Überlegungen lassen sich in Bezug auf das Versuchen durchexerzieren. Wie es für Handlungen charakteristisch ist, dass man sie sich vornehmen, so auch, dass man sie versuchen kann.¹³ Und auch die Rede vom Versuchen hat mit Bezug auf Entschlüsse und Entscheidungen keinen klaren Sinn. Nicht, dass entsprechende Versuche de facto leicht gelingen, ist das Problem, sondern dass man nicht weiß, was es überhaupt heißen könnte, dass sie misslingen – dass also jemand versucht, sich für die Handlung H zu entscheiden oder sich zu H zu entschließen oder sich H vorzunehmen, ohne dass es ihm eben damit auch schon gelingt. Die Unterscheidung zwischen Versuch und Erfolg und die in der Lücke dazwischen angesiedelte Möglichkeit des Misslingens ist für die Rede vom Versuchen wesentlich, auch wenn Misserfolge de facto nicht oder kaum vorkommen. Im vorliegenden Fall ist aber gar nicht klar, was man sich unter einem Misserfolg bei vorliegendem Versuch vorstellen soll. Wiederum kann man besondere Fälle aufrufen und geltend machen, dass sich in ihnen ein solches Phänomen zeige. Die Idee wäre etwa, dass die gefühlsmäßige Abneigung gegen eine Handlung so groß sein kann, dass man es noch nicht einmal schafft, sich für sie zu entscheiden, obwohl man es aufgrund eigener Überlegung Hornsby () und Peacocke (, Kap. ) vertreten die Position, dass der Versuch, etwas Bestimmtes zu tun, konstitutiver Bestandteil jeder Handlung und außerdem selber ein Handeln ist. Peacocke möchte weiterhin diverse mentale Vorgänge, unter ihnen Urteilen und Entscheiden, als Handlungen auffassen.
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2 Entschlüsse und Entscheidungen
und vernünftiger Vorhaltungen der Freunde gerne möchte. Man versucht, sich für H zu entscheiden, aber es gelingt einfach nicht. Man ist nicht imstande, sich vorzunehmen, H zu tun, obwohl man es sich wirklich und wahrhaftig vornehmen will. Wie zuvor sind solche Fälle nicht bloß sehr spezieller Natur, sondern ihre Charakterisierung hängt auch am seidenen Faden. Versucht eine Person in einer derartigen Lage tatsächlich erfolglos, sich für H zu entscheiden? Man kann hier an Verschiedenes denken. Das Ergebnis auch einer gründlichen praktischen Überlegung, an der man kognitiv keine Zweifel hegt, kann einem gefühlsmäßig derart missfallen, dass man es nicht in eine Handlung umsetzen will. In diesem Fall versucht man aber auch gar nicht, die entsprechende Entscheidung zu treffen. Oder man folgt der Überlegung, nimmt sich ihr Ergebnis zu Herzen und bildet daraufhin den entsprechenden Vorsatz aus, hat aber größte Schwierigkeiten, ihn umzusetzen. Dann geht es aber nicht um einen Versuch, sich für eine bestimmte Handlung zu entscheiden, sondern um die Umsetzung der Entscheidung. Solche Schwierigkeiten lassen sich unter Umständen antizipieren, und dann fasst man den Vorsatz wiederum gar nicht erst, weil es ja doch keinen Sinn habe, versucht es aber auch nicht. Oder: Man steht wie gelähmt oder ist hinund hergerissen zwischen dem Überlegungsresultat und der gefühlsmäßigen Abneigung gegen die entsprechende Handlung. Auch in einem solchen Zustand der Lähmung oder Verwirrung kommt es nicht zur Ausbildung eines Vorsatzes, zumindest nicht zu einem stabilen Vorsatz, die entsprechende Handlung zu vollziehen. Wieder kann aber keine Rede davon sein, dass man wenigstens versuche, den Vorsatz auszubilden. Soweit man es versucht, hat man ihn auch, nur bleibt man nicht bei ihm. Die ins Auge gefasste Konstellation eines Zustandes der Unentschlossenheit, der außerdem dadurch gekennzeichnet sein soll, dass man sich in ihm für eine bestimmte Handlung zu entschließen versucht, ist bei näherem Hinsehen also nicht auszubuchstabieren. Man kann vergeblich versuchen, sich ohne Erfolg darum bemühen, in einer gewissen Angelegenheit zu (irgend)einer Entscheidung zu kommen, nicht jedoch, sich für eine gewisse Handlungsweise H zu entscheiden. So oder so sollte man den Handlungscharakter von Entschlüssen und Entscheidungen nicht an derartigen Fällen festmachen wollen. Wenn diese Handlungen sind, so sollte man sie sich in einem direkten und klaren Sinne vornehmen oder zu tun versuchen können. Da der Entschluss, die Entscheidung oder der Vorsatz, eine bestimmte Handlung H zu vollziehen, in keinem unproblematischen Sinne selber Gegenstand einer vorherigen Absicht oder eines Versuchs sein kann, sind Entschlüsse und Entscheidungen schlechte Kandidaten für Handlungen, und wegen ihres begrifflich punktförmigen Charakters auch schlechte Kandidaten für Tätigkeiten überhaupt. Es handelt sich um die Resultate verschiedenartiger Verhaltensweisen, die wie das praktische Überlegen zum Teil absichtlich vollzogen
2.3 Sie sind dennoch nichts, das über einen kommt
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werden können, oder, falls der Entschluss in der Form eines handlungseinleitenden „Rucks“ auftritt, um den Beginn einer Handlung, aber in keinem Fall um eigenständige, gedanklich isolierbare Verhaltensweisen oder gar Handlungen.
2.3 Sie sind dennoch nichts, das über einen kommt Der aktive Charakter von Entschlüssen und Entscheidungen darf dabei nicht mit über Bord gehen. Er besteht in der Weise, dass sie Bestandteile – Anfangs- und Endzustände – von Tätigkeiten und Handlungen verschiedener Art sind. Falls man bei einem Entschluss an einen einleitenden Handlungsimpuls denkt, ist die zugehörige Tätigkeit die Handlung selber; der Entschluss bildet ihren Anfang. Falls man bei einer Entscheidung an das Resultat einer praktischen Überlegung denkt, so ist eben diese die zugehörige Tätigkeit. Sofern sie absichtlich vollzogen wird, kann der Eindruck entstehen, man habe sich für eine bestimmte Handlungsoption nicht bloß entschieden, sondern sogar „absichtlich entschieden“, aber dieser Formulierung und dem zugehörigen Phänomen sollte keine weitergehende Deutung gegeben werden. Als Bestandteile von Handlungen kommen Entschlüsse und Entscheidungen nicht einfach über das Subjekt, und insofern, aber auch nur insofern, ist die Rede vom Wollen von etwas als einem „Willensakt“ unproblematisch. Grundsätzlich bleibt eine wichtige Disanalogie zu den Erfolgen anderer Tätigkeiten und Handlungen bestehen, etwa dem Fangen eines Balles, insofern bei diesen der Erfolg antizipiert werden kann, auch oft tatsächlich intendiert und geplant ist, nicht jedoch bei Entschlüssen oder Entscheidungen für eine bestimmte Handlungsweise. Hier kann nur beabsichtigt werden, dass man sich in einer bestimmten Sache überhaupt entscheidet oder irgendetwas zu unternehmen beschließt, aber nicht, wofür oder was, denn damit wäre die Entscheidung bereits getroffen, der Entschluss gefasst. Diese Eigenart kann sich in dem Eindruck niederschlagen, die eigene Entscheidung nach längerer Deliberation eher zu registrieren als zu treffen. Die Entscheidung fällt, ohne dass man sie (bewusst) fällen würde.¹⁴ Statt sich für H zu entscheiden, bemerkt man, dass man nun entschieden ist, H zu tun. Es hat sich so herauskristallisiert. Diese oft uneindeutigen und nicht in allen Situationen und bei allen Personen gleichermaßen auftretenden introspektiven Befunde sind jedoch nicht geeignet, das aktive Moment von Entschlüssen oder Entscheidungen oder des vorherigen Beabsichtigens einer bestimmten Handlungsweise überhaupt in Frage zu stellen.
Diese pointierte Formulierung bringt Ortmann (, § ).
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2 Entschlüsse und Entscheidungen
So unangemessen es ist, das Wollen von etwas als eine eigene Handlung zu deuten, so unangemessen ist es auch, ins andere Extrem zu verfallen und das Wollen als etwas aufzufassen, das über einen kommt. Dergleichen kann man von Wünschen sagen, die einen überfallen oder in einem aufsteigen können, nicht aber von Handlungsabsichten. Diese werden durch eine Tätigkeit des Subjekts gebildet, freilich, und das macht die Sache problematisch, nicht durch eine auf eine Absicht mit einem spezifischen Gehalt zielende Tätigkeit. Wie schwierig es ist, hier die richtige Charakterisierung zu finden, lässt sich an der Darstellung von Ulrich Pothast verdeutlichen.¹⁵ Er wendet sich zu Recht gegen den Gedanken einer Steuerung unseres Wollens von einer höheren Warte aus. Bei der Idee einer direkten und absichtlichen „Willensbestimmung“ ist das erwähnte Regressproblem mit Händen zu greifen.¹⁶ Wenn Pothast weiterhin sagt, dass sich unser Wollen in einem Prozess bildet, den wir nicht wirklich überschauen, geschweige denn bis in seine Hintergründe durchschauen, so ist das schon problematischer.¹⁷ Sicherlich bildet sich unser Wollen in einem Prozess, aber warum sollte es grundsätzlich so sein, dass wir diesen nicht über- oder durchschauen? Oft steckt ja gar nicht viel hinter unseren Absichten, Entschlüssen und Entscheidungen, und manchmal kennt man sich so gut, dass man weiß, was dahinter steckt, auch wenn es eine ganze Menge ist. Wenn Pothast schließlich sagt: „Vielmehr finden wir uns, wenn dieser Prozess des Sich-Ausbildens geschehen ist, als Personen, die von sich her, gemäß dem Ergebnis eigener Überlegung, etwas Bestimmtes wollen“¹⁸, so ist zu fragen, wie das „sich finden“ zu dem „von sich her“ und der „eigenen Überlegung“ passt, zumal Pothast weiterhin nicht nur den Charakter der „Meinigkeit“ des Wollens hervorhebt, dass „wir es als uns zuinnerst eigen“, sondern auch, dass wir uns in seinem Auftreten als „selbst aktiv“ erleben.¹⁹ Meines Erachtens kann man diese prima facie konfligierenden Aspekte nur so zusammenbringen, dass die Resultate von praktischen Überlegungen und anderen Willensbildungsprozessen für das Subjekt zwar nicht antizipierbar, aber die besagten Prozesse doch seine Aktivitäten sind, die zumindest teilweise oder in bestimmten Hinsichten auch absichtlich vollzogen werden, ohne dass damit freilich deren Ergebnis Gegenstand einer vorherigen Absicht werden könnte.
Pothast (), Abschnitt I.. Siehe dort, S. . Siehe dort, S. . ebenda ebenda
3 Theoretisches und praktisches Überlegen Theoretische oder epistemische Rationalität zielt auf Wahrheit, der Sinn theoretischen Überlegens ist die Gewinnung wahrer und das Vermeiden falscher Überzeugungen. Das Resultat einer solchen Überlegung ist ein Urteil: die Bildung einer bestimmten Meinung über ihren Gegenstand, unter Umständen auch die Aufgabe einer vorhandenen Meinung, ohne dass eine neue erworben wird. Praktische Rationalität zielt auf richtiges Handeln ab, das Ergebnis einer praktischen Überlegung ist ein Entschluss: die Bildung einer bestimmten Handlungsabsicht. Wenn diese Überlegung die Form einer Abwägung zwischen vorgestellten Verhaltensalternativen annimmt, und daher das Fassen der Absicht gleichzeitig eine explizite Absage an andere Optionen darstellt, handelt es sich um eine Entscheidung. Auch eine praktische Überlegung führt zu einem Urteil, nämlich was unter den gegebenen Umständen für das Subjekt zu tun angemessen, gut, richtig, sinnvoll oder am besten wäre. Dieses Urteil verbindet sich aber, sofern es sich tatsächlich um eine praktische Überlegung handelt, mit einer Handlungsabsicht. Selbstverständlich kann ein Meinungsbildungs- oder Entscheidungsfindungsprozess auch ergebnislos verlaufen: Man bildet sich kein Urteil oder fasst keinen Entschluss. Aber dann kommt er nicht zu der Art von Ende, die seinem Sinn entspricht und auf die hin er angelegt ist, sondern wird erfolglos abgebrochen.
3.1 Urteilen ist kein Handeln Wie es die Auffassung gibt, das Sich-Entschließen zu einer Handlungsoption H sei selber ein Handeln, so auch in Bezug auf das Urteilen. Das Akzeptieren einer bestimmten Proposition A als wahr ist der Auffassung des „doxastischen Voluntarismus“ zufolge etwas, das das Subjekt absichtlich tut, das unter seiner willentlichen Kontrolle steht.²⁰ Überlegungen erscheinen dann insgesamt als Prozesse, die auf mentale Handlungen zielen: praktische auf Entscheidungen, theoretische auf Urteile. Und man kann noch weiter gehen und ein Urteil selbst als eine Entscheidung betrachten: nämlich darüber, welche Proposition man für wahr
Auch diese Position wurde in der stoischen Philosophie zum ersten Mal deutlich artikuliert (siehe Frede , Kap. ) und insbesondere in der Scholastik intensiv diskutiert. Entsprechend viele Varianten existieren davon. Prominente moderne Vertreter sind Searle (, Kap. ) und Peacocke (, Kap. ).
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
hält.²¹ Alles Überlegen wäre dann nicht nur insofern praktisches Überlegen, als es auf eine Handlung zielte, sondern sogar insofern, als sein Sinn eine Wahl zwischen mehreren Handlungsalternativen wäre, und nur in der Art dieser Alternativen würden sich theoretische und praktische Überlegungen im engeren Sinne unterscheiden. Und wenn man schon so weit ist, kann man sich auch fragen, inwiefern diese Wahl „frei“ ist. Die radikale Version des doxastischen Voluntarismus wäre, dass man frei entscheidet, was man für wahr hält.²² Damit wird erstens der Gegenstand des Überlegens in dem Sinne in den Geist verlegt, dass alles Überlegen ein Abwägen zwischen alternativen mentalen Zuständen oder Vollzügen ist, nämlich, was man als wahr beurteilen oder sich vornehmen solle, und damit zusammenhängend werden zweitens diese mentalen Vorgänge als Handlungsoptionen hingestellt, zwischen denen man sich zu entscheiden hat. Wie schon bei der Auffassung von Entschlüssen und Entscheidungen als Handlungen scheint mir das die tatsächlichen Verhältnisse stark zu verzerren. Wenn man praktisch überlegt, fragt man sich, was man in einer bestimmten Angelegenheit tun sollte, was zu tun gut, richtig oder am besten wäre. Man fragt sich nicht, was man diesbezüglich beabsichtigen oder sich vornehmen sollte. Im Zuge und als Ergebnis einer erfolgreichen praktischen Überlegung bildet man eine Handlungsabsicht, aber der Blick geht dabei auf unterstellte Möglichkeiten des äußeren Handelns, nicht auf das Beabsichtigen. Die zur praktischen Überlegung gehörige Frage lautet: „Was sollte ich tun?“, nicht: „Was sollte ich zu tun beabsichtigen?“ Ebenso bildet man sich im Zuge und als Resultat einer erfolgreichen theoretischen Überlegung eine bestimmte Meinung, aber der Blick geht dabei auf den Gegenstand, nicht auf das Meinen. Man fragt sich, wie sich etwas verhält, was in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand der Fall ist, und nicht, oder nur in einem abgeleiteten Sinne, was man darüber denken sollte. Die Ermittler fragen sich, wer der Täter und was sein Motiv war und wie er genau vorgegangen ist, aber nicht, was sie, die Ermittler, über all das glauben sollten. Nicht „Was sollte ich glauben oder meinen?“ ist die Frage, die die theoretische Überlegung leitet, sondern: „Was ist der Fall?“. Die Verlegung des „worüber“ der Abwägung in den Geist des Subjekts ist sowohl beim theoretischen wie beim praktischen Überlegen verfehlt. Alles Überlegen ist primär auf externe Gegenstände bezogen in dem Sinne, dass sich die
So schreibt Searle (, S. – ): „deciding what beliefs to accept and reject is a special case of deciding what to do“. Wie häufig bei solchen Endpunkten eines Spektrums ist unklar, ob es überhaupt Vertreter der entsprechenden Position gibt. Ein Kandidat scheint Descartes zu sein, doch unterscheiden sich seine Interpreten in der Einschätzung der Radikalität seines doxastischen Voluntarismus erheblich; siehe Halbach () und Haag ().
3.1 Urteilen ist kein Handeln
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mentalen Zustände des Subjekts im Zuge des Überlegens zwar verändern, selber aber nicht dasjenige sind, worüber, sondern dasjenige, vermittels dessen nachgedacht wird. Werden mentale Zustände doch einmal zum Gegenstand des Überlegens und eigens in den Bick genommen, so treten sie eben damit in eine andere Rolle ein, und das Subjekt denkt durch andere mentale Zustände über sie nach. Beim theoretischen Überlegen fragt sich das Subjekt nicht, was es meinen sollte, sondern was der Fall ist, und um das herauszubekommen, vergegenwärtigt es sich entsprechende Indizien. Während es bei alldem unvermeidlich im Kreise seiner Meinungen über den Gegenstand verbleibt, sich also aufgrund vermeintlicher Indizien eine Überzeugung über ihn bildet, gilt doch seine Aufmerksamkeit nicht diesen seinen Meinungen, sondern ihrem Gehalt, also äußeren Sachverhalten. So auch beim praktischen Überlegen: Das Subjekt fragt nicht, was es wünscht oder wie es einem Gegenstand gegenüber emotional eingestellt ist, sondern, was es in einer bestimmten Situation tun sollte, und um das zu beantworten, richtet es seine Aufmerksamkeit auf die äußeren Situationsumstände. Wiederum verbleibt das Subjekt dabei im Kreise seiner Wünsche, Gefühle und Neigungen und bildet zuletzt eine Handlungsabsicht aus, aber seine Aufmerksamkeit gilt in erster Linie äußeren Umständen. All das bedeutet aber nicht, dass das Subjekt im Überlegen seiner Wünsche, Gefühle, Neigungen, Meinungen und sonstiger potentiell relevanter mentaler Zustände nicht gewahr wäre. Nicht nur bestimmen sie den Gang der Überlegung; auch der Umfang, in welchem das Subjekt sich ihrer bewusst ist, ist für die Überlegung von Bedeutung.²³ Nur gilt ihnen nicht die primäre Aufmerksamkeit des Subjekts, es denkt nur ausnahmsweise über sie nach, hauptsächlich aber durch sie oder in ihrem Lichte. Ebenfalls inadäquat ist es, das Urteilen als ein Handeln aufzufassen. Etwas als wahr zu akzeptieren ist der Abschluss eines zeitlich ausgedehnten Prozesses der Meinungsbildung, selbst aber ein punktförmiges Geschehen und darum keine Tätigkeit. Hier gilt dasselbe wie bei praktischen Überlegungen und ihrem Verhältnis zu Entschlüssen und Entscheidungen. Und wie bei diesen kann man sich normalerweise nicht vornehmen, etwas für wahr zu halten. Anders als dort hat dies aber nun nicht den Grund, dass man es eben damit schon für wahr hielte, sondern gerade umgekehrt, dass ein entsprechender Vorsatz den intendierten Erfolg sabotieren würde. Die Idee einer Abhängigkeit unseres Urteils von unserem Wollen oder gar Wählen konfligiert mit dessen Wahrheitsanspruch. Für Meinungen im Sinne des Für-wahr-Haltens ist die Intention konstitutiv, in ihnen zu repräsentieren, was der Fall ist, und diese Geist-auf-Welt-Passensrichtung passt grundsätzlich nicht zu dem Gedanken der Wahl. Wir haben deshalb über unsere
Siehe Velleman (), Kap. .
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
Meinungen anders als über unser Handeln keine direkte willentliche Kontrolle, und das ist kein kontingentes Faktum, sondern dem Sinn des Für-wahr-Haltens geschuldet.²⁴ Noch deutlicher ist dies, wenn sich mit dem Für-wahr-Halten ein Erkenntnisanspruch verbindet. Ich möchte diese Verbindung nicht grundsätzlich unterstellen, denn das meiste, was wir für wahr halten, halten wir aufgrund von Hörensagen für wahr und gerade nicht aufgrund einer Einsicht in die Dinge. Das gilt sogar für das meiste, was wir wissen. So bin ich davon überzeugt, dass die Erde zwischen vier und fünf Milliarden Jahre alt ist, aber es wäre merkwürdig zu behaupten, ich hätte das erkannt oder eingesehen. Wie denn? Ich glaube hierin dem übereinstimmenden Urteil von Autoritäten, von denen ich annehme, dass sie es, vermutlich in einem arbeitsteiligen Sinne, festgestellt haben. Ich finde diese Annahme vollkommen vernünftig und kann das auch begründen, bin deshalb sehr sicher, dass die Erde zwischen vier und fünf Milliarden Jahre alt ist, halte mich sowohl in dieser Meinung als auch der damit verbundenen Sicherheit für gerechtfertigt, schreibe mir selber entsprechendes Wissen über das Alter der Erde zu, kenne keinerlei ernsthafte Zweifelsgründe – und dennoch ist die fragliche Proposition nicht Gegenstand einer Einsicht oder Erkenntnis meinerseits.²⁵ Man muss Wissen im Sinne einer begründeten wahren Meinung (mitsamt einer Klausel, die Gettier-Fälle ausschließt) von dem anspruchsvolleren Begriff unterscheiden, der Wissen als Einsicht oder Erkenntnis konzipiert.²⁶ Dabei haben wir es auch hier nicht mit einer Dichotomie, sondern mit einem Spektrum an Möglichkeiten zu tun: Man kann etwas mehr oder weniger, oberflächlicher oder tiefer einsehen.Wer aber meint, etwas erkannt oder eingesehen zu haben, der hat jedenfalls nicht die Idee, sich in irgendeiner Form für das Für-wahr-Halten des zugehörigen Gehaltes entschieden zu haben. Dazu passend sind die Wörter „erkennen“ und „einsehen“ viel weniger mit Handlungs- oder Entscheidungsassoziationen behaftet als das mit der juridischen Sphäre assoziierte „urteilen“. Auch wenn man viel dafür tun kann,
Im Anschluss an ein entsprechendes Argument von Williams () hat sich in der analytischen Philosophie eine differenzierte Diskussion des Problems der willentlichen Kontrolle über Meinungen ergeben; siehe etwa Steup (, Teil II). Alston () ist dabei neben Williams als grundsätzlicher Kritiker des doxastischen Voluntarismus ein wichtiger Bezugspunkt. Frankish () verteidigt den doxastischen Voluntarismus in einer schwachen, Steup () in einer starken Form. Wie andere Laien in diesem Bereich bin ich in der Lage, über die bloße Berufung auf das Expertenurteil hinaus einige Anhaltspunkte dafür zu nennen, dass unser Planet „sehr alt“ ist. Die fragliche These ist aber die wesentlich spezifischere, dass die Erde zwischen vier und fünf Milliarden Jahre alt ist, und diese ist nicht Gegenstand meiner Erkenntnis. Die analytische Diskussion darüber, was Wissen sei, betrifft ausschließlich den ersten Begriff und ist insofern eine Engführung.
3.2 Was am doxastischen Voluntarismus zutreffend ist
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eine Erkenntnis über einen bestimmten Gegenstand zu erlangen, so ist sie mit ihrem spezifischen Gehalt selber doch etwas, das einem zuteil wird. Unsere Präferenzen prägen unsere Überlegungsprozesse in vielfacher Weise. Oft stehen hinter Meinungen sehr deutlich praktische Interessen, Vorlieben und Abneigungen aller Art, die nicht zu ihrem Wahrheitsanspruch passen. Aber solche Quellen des Für-wahr-Haltens werden vom Subjekt typischerweise abgeblendet. Sofern das nicht geschieht, je deutlicher es sich bewusst ist, dass neben dem Erkenntnisinteresse noch andere Interessen seine Meinungsbildung leiten oder gar das Übergewicht haben, umso schwerer fällt es ihm, seine Meinung aufrechtzuerhalten. Nicht die selbstverständliche Tatsache, dass man häufig glaubt, was einem gefällt, und weil es einem gefällt, ist die These des doxastischen Voluntarismus, sondern dass Wollen, Beabsichtigen und Entscheiden beim Urteilen dieselbe Rolle spielen wie bei paradigmatischen Handlungen, und es deshalb selber als ein Handeln anzusehen ist. Dies aber ist wegen der Geist-auf-WeltPassensrichtung des Für-wahr-Haltens eine abwegige Vorstellung. Der Wahrheitsanspruch ist für Meinungen und Urteile konstitutiv, und damit für theoretische Überlegungen das Ziel herauszufinden, was wahr ist. Es kann darüber hinaus praktische Gründe geben, eine Proposition für wahr zu halten, die nicht mit theoretischen (epistemischen) Gründen in Zusammenhang stehen, indem sie sich nicht von einem Interesse an der Wahrheit herleiten. Die Pascalsche Wette bietet keine theoretischen, sondern praktische Gründe für den Glauben an Gott. Es sind keine Gründe, die dafür sprechen, dass Gott existiert, sondern Gründe dafür, diese Proposition für wahr zu halten, weil diese Einstellung zu ihr den größten Nutzen verspricht. Ebenso sprechen psychologische Untersuchungen dafür, dass eine gewisse Selbstüberschätzung der Erreichung von Lebenszielen förderlich ist. Sofern das stimmt, ergeben sich daraus praktische Gründe für (leicht) falsche Meinungen über einen selbst. Da das Urteilen kein Handeln ist, muss man hier „praktischer Grund für einen Glauben oder eine Meinung“ als Abkürzung verstehen für „Grund für (mentale) Handlungen, deren indirekte Folge die Ausbildung der entsprechenden Überzeugung ist oder sein kann“. Da man sich im Meinen auf das Wahrsein des propositionalen Gehaltes festlegt, kann man wiederum nicht im vollen Bewusstsein dieses Hintergrundes aus solchen Gründen etwas für wahr halten.
3.2 Was am doxastischen Voluntarismus zutreffend ist Das Ziel des theoretischen Überlegens ist, wie bemerkt, der Erwerb wahrer und die Vermeidung falscher Meinungen. Zwischen diesen beiden Zielen besteht eine Spannung, denn die uns vorliegenden Gründe und Evidenzen für die Wahrheit
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
einer bestimmten Proposition und die uns zur Verfügung stehenden Verfahren der Meinungsbildung sind nur selten so geartet, dass die Wahrheit der resultierenden Meinung durch sie garantiert ist. Das Für-wahr-Halten von etwas ist fast durchweg mit einem epistemischen Risiko behaftet. Dieses lässt sich dadurch verringern, dass man sehr hohe Rechtfertigungsmaßstäbe anlegt, dass man also nicht leicht etwas für wahr hält und sich in vielen Fällen des Urteils lieber enthält. Dadurch vermeidet man falsche Meinungen, aber eben dadurch erschwert man auch den Erwerb wahrer. Vom theoretischen Standpunkt aus, dem Standpunkt des Interesses am Erwerb wahrer und der Vermeidung falscher Meinungen, besteht ein erheblicher Spielraum hinsichtlich der Frage, welches Risiko toleriert werden sollte. Es besteht somit auch angesichts gegebener Evidenzen und Umstände ein großer rationaler Spielraum in Bezug auf die Frage, ob eine bestimmte Proposition aufgrund dieser Belege für wahr gehalten werden sollte oder nicht. Dieser lässt sich durch praktische Erwägungen oft verkleinern, manchmal sogar zum Verschwinden bringen. Wie hoch die anzulegenden Rechtfertigungsmaßstäbe sind, hängt einerseits davon ab,was auf dem Spiel steht, andererseits davon, was in epistemischer Hinsicht mit welchem Aufwand möglich ist.Wie gravierend wären die Konsequenzen eines Irrtums? Wie aufwendig wäre es, weitere Belege zu sammeln? Solche praktischen Gesichtspunkte sind prima facie durchaus geeignet, in Entscheidungen über die anzulegenden epistemischen Maßstäbe zu münden. Damit wird der doxastische Voluntarismus in einer schwachen Variante plausibel, der zufolge es im Lichte von Evidenzen, die stark für eine bestimmte Proposition sprechen, immer noch von einer Entscheidung des Subjekts abhängt, ob es das durch die Konstellation der Gründe nahegelegte Urteil fällt oder sich dessen (vorläufig) enthält: um noch weitere Informationen zu sammeln, alles nochmals zu durchdenken, oder auch den Meinungsbildungsprozess einfach abzubrechen. Und diese Entscheidung kann durch praktische Gesichtspunkte mehr oder minder gut begründbar sein. Ein so verstandener doxastischer Voluntarismus ist aber tatsächlich nur ein schwacher, und zwar in zwei wichtigen Hinsichten. Erstens darf man aus der Existenz eines rationalen epistemischen Spielraums nicht schließen, dass das Subjekt in diesem Spielraum tatsächlich Entscheidungen trifft oder auch nur zu treffen imstande ist. Die Vorstellung expliziter Entscheidungen der einschlägigen Art behält etwas Merkwürdiges, denn das „so ist es“ einer Meinung passt nicht gut zu dem Bewusstsein, dass es angesichts der Evidenzen auch rational möglich gewesen wäre, sich des Urteils zu enthalten. Das Erkenntnisinteresse erfordert in einem bestimmten Rahmen willkürliche Festlegungen, verträgt sich mit ihnen aber eigentlich nicht, so dass sie in der Regel nicht bewusst vorgenommen werden. Das Ziel epistemischer Rationalität erfordert, dass man es von Fall zu Fall wenigstens implizit spezifiziere, dass man also dem Anliegen der Gewinnung wahrer
3.2 Was am doxastischen Voluntarismus zutreffend ist
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Überzeugungen ein bestimmtes Gewicht im Vergleich zu dem der Vermeidung falscher zuweise, und das heißt, dass das Subjekt so agiert, als habe es Entscheidungen der genannten Art getroffen. In diesem Sinne widersprechen solche Entscheidungen nicht dem Ziel epistemischer Rationalität. Und auch wenn man der Idee eines bewusst einsetzbaren Suspensionsvermögens in Bezug auf das Urteilen Kredit gibt, handelt es sich zweitens immer darum, entweder auf eine bestimmte Weise oder aber (vorläufig) gar nicht zu urteilen, und nicht etwa darum, sich für diese oder jene Meinung zu entscheiden wie für diese oder jene Handlungsoption. Die Entscheidung im theoretischen Bereich hat deshalb, wenn sie vorkommt, einen ganz anderen Charakter als im praktischen. Hier fällt die Entscheidung zwischen verschiedenen Handlungsalternativen, und sich für keine davon zu entscheiden, heißt eben, sich gar nicht zu entscheiden, was häufig die deutlich schlechteste Möglichkeit ist. Beim theoretischen Überlegen geht es dagegen gerade darum, entweder eine bestimmte „Option“ des Für-wahr-Haltens oder (vorläufig) gar keine zu ergreifen. Die Wahl besteht nicht zwischen verschiedenen Urteilen, sondern zwischen dem „in bestimmter Weise urteilen“ und dem „gar nicht urteilen“, und das letztere ist keine defizitäre Angelegenheit, sondern angesichts unklarer Evidenzlage vernünftig, wenn auch eventuell nicht rational zwingend. Nicht ihre Resultate, Absichten und Urteile, wohl aber praktische und theoretische Überlegungen selber lassen sich als mentale Aktivitäten, und damit, sofern sie absichtlich erfolgen, auch als Handlungen ansprechen. Sie enthalten deutlich handlungsförmige Elemente, indem gezielt über eine Frage nachgedacht, die Aufmerksamkeit absichtlich auf bestimmte Aspekte gerichtet und anderen entzogen werden kann, Gedankenlinien und Assoziationsketten fortgeführt oder abgeschnitten, Argumente für oder eine gegen eine bestimmte Konklusion gesucht werden können, die Überlegung oberflächlich oder sorgfältig durchgeführt, bei einem bestimmten Stand der Dinge abgebrochen oder noch weiter überlegt werden kann, und anderes mehr. Dadurch kann das Resultat der Überlegung stark beeinflusst werden, so dass man von einem „indirekten doxastischen Voluntarismus“ sprechen könnte.Wie weit und worauf genau sich dieser erstreckt, ist eine komplexe Frage, die ich nicht versuchen werde auch nur in Umrissen zu beantworten. Klar ist aber, dass hier psychologisch sehr viel möglich ist, und sicherlich deutlich mehr als im Rechtfertigungssinne legitim. Im Allgemeinen sind wir durchaus imstande, absichtlich nach Argumenten für eine bestimmte Konklusion zu suchen, und wenn uns auf den ersten Blick halbwegs plausible einfallen, es dabei bewenden zu lassen und die entsprechende Meinung auszubilden, ohne die Gründe, die wir gefunden haben, einer genaueren Prüfung zu unterziehen oder gar nach Gegengründen zu suchen. Auch das funktioniert besser unbewusst als im Licht der Reflexion, aber das geht nicht so weit, dass man der entsprechenden
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
Lenkung des Gedankengangs durch das Subjekt und der einseitigen Ausrichtung seiner Aufmerksamkeit den Handlungscharakter absprechen müsste. In allen erwähnten potentiell absichtlichen Hinsichten des Überlegens geht es aber jedenfalls um die Ausrichtung des Geistes und nicht um die Bereitstellung von bestimmten Inhalten. Diese müssen sich schon von selber einstellen, und ihr In-den-Sinn-Kommen hat nichts Handlungsanaloges an sich.²⁷ Etwas fällt einem ein oder besonders auf, ein Argument macht einen plausiblen oder dubiosen, eine Behauptung einen einleuchtenden oder unglaubwürdigen Eindruck: Hier fehlt das Element der Absichtlichkeit oder Willentlichkeit. Der Handlungsaspekt beim Überlegen ist somit in charakteristischer Weise beschränkt: Er betrifft die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für Gedanken bestimmter Art, aber nicht diese selber. Ihre Hervorbringung ist allenfalls eine indirekte Folge bestimmter Handlungen. Man kann sich vornehmen, beabsichtigen oder entscheiden, über ein bestimmtes Thema nachzudenken, aber nicht, dieses-und-jenes darüber zu denken: Denn damit hätte man es schon gedacht. Wie das Sich-Entschließen zu einer bestimmten Handlung ist das Haben eines bestimmten Gedankens also kein möglicher Gegenstand einer vorherigen Absicht und damit kein Handeln. Man kann sich freilich vornehmen, einen bestimmten Gedanken zu denken in dem Sinne, dass man ihn anschließend innerlich vor sich hin spricht. Das hat aber keine Funktion in einem Überlegungsgang, denn in dem Sich-Vornehmen ist der Gedanke schon vollständig präsent. Inneres Sprechen mit vorgegebenen Inhalten ist tatsächlich ein Handeln, dafür aber kein Denken mehr. Wenn Gedanken auf diese Weise vorsätzlich gedacht werden, sind sie außer Funktion, oder erfüllen eine andere als in Überlegungen. Sie stehen dann nicht mehr in einem Begründungszusammenhang.
3.3 Praktische Überlegung ist kein Spezialfall theoretischer Soviel zu der Frage, inwiefern Urteilen und Denken Handlungscharakter haben (können). Gedanken und Urteile spielen beim theoretischen und praktischen Überlegen zunächst einmal dieselbe Rolle, und so wie man, falls man das Urteilen für ein Handeln hält, auf den Gedanken kommen kann, eine theoretische Überlegung sei nichts als eine praktische mit einer speziellen dazu gehörigen Handlungsweise, dem Für-wahr-Befinden einer Proposition, so kann man auch umgekehrt zu der Auffassung gelangen, eine praktische Überlegung sei nichts als eine theoretische mit einem speziellen Erkenntnisziel, was nämlich unter den
Dies wird ausgeführt von Strawson ().
3.3 Praktische Überlegung ist kein Spezialfall theoretischer
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obwaltenden Umständen für das Subjekt zu tun gut, richtig oder am besten wäre. Ich habe oben in 2.2 zu zeigen versucht, dass dies jedenfalls nicht so verstanden werden kann, dass nach dem Erreichen des Erkenntnisziels für das Handeln immer noch alles offen ist und das Subjekt nochmals überlegen muss, ob es auch tun möchte, was für es zu tun am besten wäre. Dann wäre nämlich diese zweite Überlegung die eigentlich praktische. Das praktische Überlegen ist also in der Weise engagiert, dass sein Resultat eben die Handlung ist, die es als die richtige vorstellt, genauer: eine entsprechende Handlungsabsicht. Es ist aber immer noch so, dass zum praktischen Überlegen ein Urteil der genannten Art, wenn schon nicht notwendig gehört, sich doch leicht damit verbindet. Wenn es bloß zu diesem und nicht zur Bildung der entsprechenden Handlungsabsicht reicht, ist das Subjekt irrational, auch wenn es folgerichtig überlegt hat. Ganz in diesem Sinne handelt es sich beim Aristotelischen praktischen Syllogismus um einen Schluss auf eine Handlung als Konklusion aus bestimmten Prämissen. Tatsächlich auf die Handlung selber, und nicht auf ein Urteil über das zu Tuende, einen Imperativ oder etwas dergleichen.²⁸ Wer es nur bis dahin bringt, kann zwar epistemisch vollständig rational sein, ist aber praktisch irrational. Die Aristotelische Sichtweise ist bei einem gängigen Verständnis des Schließens äußerst befremdlich, und man reduziert die Zumutung, wenn man vager von praktischen Überlegungen und ihren Resultaten anstatt von praktischen Schlüssen und ihren Konklusionen spricht. Worauf es grundsätzlich ankommt, ist, dass die praktische Rationalität eines Subjekts sich nicht nur an bestimmten gedanklichen Operationen im Dienste eines spezifischen Erkenntnisinteresses bemisst, sondern auch daran, dass es von einem entsprechenden Urteil zum Handeln fortschreitet. Dieses Fortschreiten impliziert im Normalfall nicht nur die Bildung eines entsprechenden Vorsatzes, sondern auch dessen Umsetzung, also ein handlungsbegleitendes Wollen und damit die Handlung selber, sofern sie nicht durch äußere Umstände verhindert wird. Die verschiedenartigen Ausnahmetatbestände, die man dabei zu berücksichtigen hat, lasse ich unter der Decke der Normalfallklausel. Es geht hier nur um die Grundstruktur praktischen Überlegens. Dieses zielt auf das Handeln und damit auf die Bildung einer Handlungsabsicht in einem umfassenden Sinne. Das Urteil, was zu tun ist, stellt einen Zwischenschritt dar, der unter Umständen nicht einmal explizit wird, so dass die Überlegung, wie im praktischen Syllogismus vorgesehen, direkt in die Handlung mündet. Wenn man Handlungen oder Handlungsabsichten als die Resultate praktischer Überlegungen betrachtet, dann hat das insbesondere die Konsequenz, dass
Siehe für diese Interpretation Anscombe (, § ).
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
praktisches Überlegen an die Perspektive der ersten Person gebunden ist. Wenn jemand überlegt, was eine andere Person tun sollte, dann stellt sie keine praktische, sondern eine theoretische Überlegung an. Man kann nicht stellvertretend für jemanden praktisch überlegen, weil man nicht an seiner Stelle einen Entschluss fassen und handeln kann. Auch die Überlegung, was man selbst in einer bestimmten vergangenen Situation hätte tun sollen, ist keine praktische, denn auch sie zielt nicht aufs Handeln, sondern auf eine Erkenntnis. Überlegungen,was unter bestimmten hypothetischen Umständen zu tun wäre, sind dagegen insoweit praktisch, als sie auf die Bildung konditionaler Handlungsabsichten zielen: „Falls das-und-das geschieht, tue ich dies-und-jenes.“ All das lässt aber noch offen, ob nicht praktische Überlegungen wesentlich doch theoretische sind, die aufgrund eines speziellen Erkenntniszieles normalerweise mit einer Handlungsabsicht verknüpft sind. Ihr praktischer Bezug wäre allein den Merkmalen dieses epistemischen Ziels geschuldet, nämlich dessen praktischem Bezug, ohne dass die Überlegung selber dadurch berührt wäre. Tatsächlich schlägt aber die praktische Orientierung des Urteils, was zu tun sei, auf den Charakter der Überlegung durch. Was die eben genannten Fälle von einer praktischen Überlegung unterscheidet, ist nicht bloß, dass eine Absichtsbildung stellvertretend für andere oder für vergangene Situationen unmöglich ist, so dass die Überlegung nicht unmittelbar handlungsrelevant werden kann und in diesen Fällen bei einem Urteil, was zu tun (gewesen) wäre, stehen bleiben muss. Das praktische Anliegen prägt nicht nur den Abschluss, sondern auch den Charakter des Überlegens. Wer darüber nachdenkt, was eine andere Person tun sollte, der berücksichtigt in seiner Überlegung die Gefühle, Neigungen und Wünsche der Person, um deren Handeln es geht, im Sinne von Daten, die registriert werden müssen, um die Ausgangsfrage zu beantworten. Sie spielen in der Überlegung die Rolle eines informationalen Inputs, und das macht die Überlegung zu einer theoretischen. Praktische Überlegungen sind nicht in dieser Weise distanziert: Bei ihnen bestimmen die Wünsche und Gefühle in erster Linie, wie das Subjekt überlegt. Ihre Rolle besteht nicht primär darin, dass sie in ihrer Beschaffenheit und Stärke registriert und daraus Schlüsse für das zu Tuende gezogen werden, sondern sie bestimmen, in welcher Weise das Subjekt über die Frage, was es in einer bestimmten Sache oder Situation am besten tun sollte, nachdenkt.²⁹ Es imaginiert verschiedene Ereignisse als mögliche Folgen verschiedener Handlungsoptionen, Deshalb gehören die Wünsche, Neigungen und Gefühle des Subjekts, oder genauer: Sätze, die diese zum Gegenstand haben, auch nicht zu den Prämissen eines (Aristotelisch konzipierten) praktischen Schlusses. Sie sind wohl aus den Prämissen indirekt erschließbar, aber nicht ihr Gegenstand. Siehe wieder Anscombe (, § ).
3.3 Praktische Überlegung ist kein Spezialfall theoretischer
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und diese erscheinen ihm als mehr oder weniger attraktiv. Dabei kann es durchaus schwer für das Subjekt sein, die verschiedenen Gefühle, Neigungen und Wünsche, die in einen solchen Gesamteindruck einfließen, explizit zu machen.³⁰ Sie färben und prägen die Überlegung, tauchen aber nur indirekt und sekundär als Material des Überlegens, als ausdrückliche Informationen darin auf. In dem Maße, in dem sie als solche in den Vordergrund treten, verringert sich die Identifikation des Subjekts mit seinen Gefühlen und Wünschen, wird ihr motivationaler Aspekt eingeklammert, und transformiert sich die Überlegung von einer praktischen zu einer Übung in Selbsterkenntnis.³¹ Ich will offen lassen, ob diese phänomenologischen Unterschiede die systematische Einteilung von Überlegungen in theoretische und praktische letztlich rechtfertigen. Sie sind zweifellos vorhanden, aber es fragt sich, ob sie tief genug gehen, um für eine grundsätzliche Zweiteilung aufzukommen. Ein anderes Argument für eine solche ist in der Tatsache zu erblicken, dass Konzeptionen praktischer Rationalität nicht einfach einen Spezialfall von Theorien epistemischer Rationalität darstellen. So ist etwa die Entscheidungstheorie keine bloße Anwendung der Theorie subjektiver Wahrscheinlichkeiten und ihrer Änderung auf einen speziellen Gegenstand, sondern weist durch die Quantifizierung von Präferenzen und das Prinzip der Erwartungsnutzenmaximierung eine wesentlich reichere Struktur auf. Dieses Unterscheidungsmerkmal steht allerdings quer zu dem eben angesprochenen. Theorien theoretischer und praktischer Rationalität spiegeln die entsprechenden Überlegungsvorgänge keineswegs wider, und die Unterscheidung zwischen jenen hat mit den erwähnten phänomenologischen Unterschieden zwischen diesen deshalb nur wenig zu tun. Darüber hinaus spiegeln Konzeptionen praktischer Rationalität den Vorgang des praktischen Überlegens mit seinen Eigentümlichkeiten auch insofern nicht, als sie als Theorien eben auf Erkenntnis und nicht aufs Handeln zielen. Bei ihnen geht es genau um systematische und distanzierte Urteile darüber, was ein mit bestimmten Präferenzen ausgestattetes Subjekt tun sollte.
„In rare cases, an agent may consciously enumerate the pros and cons of various actions, as a way of disclosing to himself how he is inclined toward them. The agent has no metric for adding up or comparing these pros and cons, but he is not being guided by a quantitative balance of reasons, anyway; he is guided rather by the self-understanding that he gains by bringing to consciousness how he thinks and feels about the alternatives – which he does by consciously having thoughts and feelings about them, not about his own thoughts and feelings.“ (Velleman , S. ) „Thoughts that are consciously desirous or fearful may illuminate intelligible lines of conduct better than further thoughts explicitly adverting to the agent’s desire or fear, since the latter would be indicative of less-than-wholehearted desire or fear precisely because of their introspective focus.“ (Velleman , S. )
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
Interessanterweise spielen Präferenzen nicht nur in den präzise ausbuchstabierten Theorien praktischer Rationalität, Entscheidungs- und Spieltheorie, eine Rolle, sondern auch in vergleichbaren Konzeptionen theoretischer Rationalität. Sowohl bei den in den empirischen Wissenschaften breit verwendeten Schlussweisen der mathematischen Statistik, als auch beim Bayesianismus, der philosophisch meist diskutierten unter den quantitativen Theorien epistemischer Rationalität, spielen Vorentscheidungen eine erhebliche Rolle, und dennoch handelt es sich hier um Verfahren zur Erkenntnisgewinnung. Die Rolle von Präferenzen ist bei ihnen zwar eine ganz andere und weniger zentrale als bei vergleichbar präzisierten Theorien praktischer Rationalität, aber an dieser Stelle bestätigt sich sehr deutlich, dass der doxastische Voluntarismus etwas Richtiges erfasst. Ich komme darauf in 12.4 ausführlicher zurück. Bei all dem möchte ich substantielle Annahmen über die richtigen Konzeptionen theoretischer oder praktischer Rationalität möglichst vermeiden. Die eben beiläufig genannten sind als wichtige Beispiele aufzufassen.
3.4 Zur Parallele von „wahr“ und „gut“ Was die Wahrheit für Meinungen, Urteile und theoretische Überlegungen ist, das ist, so wird manchmal behauptet, das Gute für Absichten, praktische Überlegungen und sogar Wünsche.³² Das formale Objekt des Meinens sei das Wahre und die Ausrichtung darauf für theoretisches Überlegen konstitutiv, das formale Objekt des Beabsichtigens und Begehrens sei das Gute, und die Ausrichtung darauf für praktisches Überlegen konstitutiv. Diese Analogie scheint mir in zumindest einer wichtigen Hinsicht unzutreffend und ihr Nutzen deshalb nicht groß zu sein. Das Gute ist nämlich in einer Weise formal, in der es das Wahre nicht ist. Beim Guten und Schlechten kann man fast immer fragen: Gut oder schlecht in welchem Sinne, welcher Hinsicht oder welcher Rolle (als was)? Daraus ergeben sich verschiedene Differenzierungen wie die zwischen dem ästhetisch, funktional, hedonisch, instrumentell, moralisch und prudentiell Guten, und ferner eigenständige Begriffe, wie das Angenehme oder Lustvolle als das hedonisch Gute, oder das Böse als das im moralischen Sinne Schlechte.Vergleichbares gibt es bei der Wahrheit nicht. Die Frage, in welchem Sinne oder in welcher Hinsicht etwas wahr sei, zielt nicht auf unterschiedliche Arten der Wahrheit, sondern auf partielle Wahrheit – etwas ist teilweise wahr, aber nicht durchaus, man muss Einschränkungen machen, Spe-
Diese Analogie hat eine lange philosophische Tradition. Eine zeitgenössische Gewährsperson ist Anscombe (, §§ – ).
3.4 Zur Parallele von „wahr“ und „gut“
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zifikationen vornehmen, und dergleichen mehr. Die Frage „Was meinst du an dieser Stelle, in diesem Zusammenhang mit ‚gut‘?“ ist oft berechtigt, eine entsprechende Frage für „wahr“ dagegen unverständlich und kann nur mit „was sonst auch damit gemeint ist“ beantwortet werden. Das sieht man insbesondere, wenn man „gut“ durch verwandte Wendungen wie „den einschlägigen Anforderungen entsprechend“ oder „empfehlenswert“ umschreibt. Was diese Anforderungen im vorliegenden Fall sind oder worauf die Empfehlung abzielt, kann der Aufklärung bedürftig sein. Wenn man dagegen das Wahre umschreibt, etwa im Sinne einer Korrespondenztheorie durch „der Wirklichkeit entsprechend“, dann bedeutet das immer dasselbe und ist deshalb Gegenstand allgemeiner philosophischer Erörterungen, aber nicht kontextabhängiger Klärungen. Im Vergleich zum Guten ist das Wahre also ein substantielles Ziel. „Gut“ ist, wenn es auch vielleicht nicht dasselbe bedeutet, so doch in demselben Sinne formal wie „den relevanten Standards in hohem Maße genügend“ oder „empfehlenswert“. Eine Meinung kann bereits rein epistemisch betrachtet in verschiedenen Hinsichten relevante Standards erfüllen oder im Blick darauf kritisierbar sein: Sie ist wahr oder falsch, gut oder schlecht begründet. Man kann eine Meinung sowohl dadurch, dass man sie als wahr, als auch dadurch, dass man sie als gut begründet bezeichnet, empfehlen; die einschlägigen Standards sind also schon innerhalb des epistemischen Bereichs der Art, und nicht bloß dem Grade nach, verschiedene. „Gut“ ist insgesamt viel formaler als „wahr“ und bedarf in der Regel einer (impliziten oder expliziten) Spezifizierung.³³ Insofern man also sagen kann, dass Wünsche und Absichten auf das Gute zielen, liegt dem kein einheitlicher, sondern ein von Fall zu Fall sehr verschiedener Sinn zugrunde. Wenn ich daher Ausdrücke wie „richtig“, „angemessen“, „gut“ oder „am besten“ im Zusammenhang mit Handlungen oder Handlungszielen verwende, so sind diese als Platzhalter zu verstehen. Wie sie – je nach Kontext – auszufüllen wären, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Oft liegt es nahe, unter dem, was in einer bestimmten Situation für eine bestimmte Person gut, richtig oder am besten zu tun wäre, sich das vorzustellen, was in dieser Situation für diese Person alles in allem, unter Einschluss und korrekter Gewichtung sämtlicher Gesichtspunkte, zu tun gut, richtig oder am besten wäre. Inwiefern aber solche umfassenden Gesamteinschätzungen von Handlungsoptionen überhaupt möglich sind, und auf welche Weise in ihnen verschiedene Arten des Guten integriert werden, muss ich offen lassen. Ebenso wenig beziehe ich für oder gegen
Siehe dazu näher Stemmer (), Thomson (, ) und ausführlich bereits Von Wright (), die freilich Positionen vertreten, die jeweils über das hinausgehen, was hier angenommen werden soll.
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
einen Werterealismus Position, und auch in der Debatte um Kognitivismus und Emotivismus bleibe ich neutral.
3.5 Gründe Theoretische Überlegungen führen zu (gut oder schlecht, besser oder schlechter) begründeten Überzeugungen oder Urteilen, praktische Überlegungen zu (gut oder schlecht, besser oder schlechter) begründeten Entscheidungen oder Handlungen.³⁴ Nahezu synonym mit der Frage, wie eine Überzeugung oder Entscheidung begründet ist, ist die Frage, welche theoretischen oder praktischen Gründe die Person für sie hat. Die Substantivierung lädt zu der Frage ein, Entitäten welcher Art theoretische und praktische Gründe sind und wie man sie individuiert. Da hier offen bleibt, was die richtige Auffassung theoretischer oder praktischer Rationalität ist, werde ich dazu keinen bestimmten Standpunkt einnehmen. Auch führt der Versuch, aus dem gesamten rationalen Bedingungskomplex einer Meinung oder Handlung bestimmte Teile herauszulösen und sie als die Gründe speziell zu kennzeichnen, zum Teil zu Pseudoproblemen, ähnlich wie wenn man aus dem kausalen Bedingungskomplex eines Geschehens gewisse Teile herauslöst und als seine Ursachen bezeichnet. Die Verwendung von „Ursache“ und „Grund“ hat stark pragmatische Züge. Insbesondere sind Rationalitätstheorien nicht darauf festgelegt, gewisse Entitäten explizit als Gründe auszuweisen. So wird in der Entscheidungstheorie diejenige Handlungswahl als die rationale angesehen, die dem Subjekt den größten Nutzen verspricht, gegeben dessen subjektive Präferenzen und subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzungen (Prinzip der Maximierung des zu erwartenden Nutzens). Damit erhält man einen klaren Begriff praktischer Rationalität.Was aber sind dieser Konzeption zufolge praktische Gründe? Ganze Systeme subjektiver Wahrscheinlichkeiten plus Präferenzordnungen? Bestimmte Bestandteile von solchen? Tatsachen des Typs, dass eine gewisse Handlungsoption für eine Person einen größeren Erwartungsnutzen besitzt als alle Alternativen? Man hat hier verschiedene Möglichkeiten, und je nachdem erhält etwas anderes das Etikett „praktischer Grund“. Durch die Verleihung dieses Etiketts wird aber der Theorie nichts von Interesse hinzugefügt.
Neben Gründen für Meinungen und Gründen für Handlungen kann man weitere Typen annehmen, z. B. Gründe für Gefühle. Wenn behauptet wird, dass jemand allen Grund zur Freude habe, so lässt sich diese Verwendung nicht zwanglos in das Zweierschema einordnen. Solche weiteren Typen von Gründen lasse ich beiseite.
3.5 Gründe
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Indem Gründe für oder gegen eine Handlung oder Meinung sprechen, haben sie normative Kraft. Handlungen oder Meinungen werden durch die Anführung von Gründen gerechtfertigt und kritisiert. Gründe erklären aber auch Handlungen und Meinungen und können darüber hinaus angeführt werden, wenn es um die Frage geht, was eine Person unter bestimmten Umständen täte oder für wahr hielte, und warum. Sie haben damit auch eine explanatorische Funktion. In der eben benutzten Rede vom „rationalen Bedingungskomplex“ einer Meinung oder Handlung fließen die normative und die explanatorische Rolle von Gründen zusammen. Diese Funktionen können aber auch auseinanderfallen: Eine Person kann zur Rechtfertigung ihrer Handlung oder Meinung Gründe anführen, die keineswegs diejenigen sind, aus denen sie die Handlung vollzog oder die Meinung sich bildete. Und die Gründe, aus denen heraus sie urteilt oder handelt, können schlechte Gründe sein, die die Meinung oder Handlung keineswegs rechtfertigen. Gängig ist deshalb die Unterscheidung von Rechtfertigungs- oder normativen Gründen einerseits und Beweggründen oder Motiven andererseits.³⁵ Sie wird normalerweise für praktische Gründe vorgenommen, funktioniert aber für theoretische ganz analog. Durch Bezug auf die ersteren wird die Frage beantwortet, was die Meinung oder Handlung rechtfertigt. Unter Bezug auf die letzteren die Frage, was die Person zu dieser Handlung oder Meinung bewog, wie sie dazu kam. Diese beiden Funktionen oder Rollen von Gründen hängen zusammen: Grob gesagt, ist jeder Beweggrund auch ein normativer Grund, und jeder normative Grund ein potentieller Beweggrund. Das will ich im Folgenden kurz erläutern. Einerseits gilt, dass Gründe auch in der erklärenden Funktion einen normativen Aspekt aufweisen. Auch schlechte und damit effektiv kritisierbare Gründe sind Gründe. Auch sie legen die jeweilige Handlung oder Überzeugung nahe, machen sie zu einem gewissen Grade nachvollziehbar und rechtfertigen sie wenigstens partiell. Zumindest durch dieses Merkmal unterscheiden sich Erklärungen durch Gründe von bloßen Kausalerklärungen. Die Frage, ob Erklärungen von Meinungen oder Handlungen durch Gründe überhaupt Kausalerklärungen sind, wird in 9.2 thematisiert.Wenn sie es sind, handelt es sich auf jeden Fall um einen besonderen Typ derartiger Erklärungen, bei dem es nämlich stets auch eine normative Beziehung zwischen dem Explanans und dem Explanandum gibt. Auch in der erklärenden Funktion als Motive oder Beweggründe rechtfertigen ihre Gründe, was eine Person für wahr hält oder tut, indem es wenigstens einen minimalen rationalen Zusammenhang zwischen den Gründen und der Meinung oder Handlung gibt, der diese im Lichte jener ein Stück weit verständlich macht. Fehlt dieser
Alvarez () unterscheidet noch einmal zwischen motivierenden und explanatorischen Gründen und damit insgesamt drei Typen von Gründen.
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
Gesichtspunkt ganz, behält man nur einen bedingenden Faktor für die Meinung oder Handlung übrig, den man nicht als einen Grund derselben bezeichnen kann. Andererseits hat eine Person nur dann einen normativen Grund, etwas Bestimmtes zu tun oder für wahr zu halten, wenn dieser sie auch zu der entsprechenden Handlung oder Meinung bringen könnte. Er muss unter der Bedingung, dass die Person über ihn verfügt oder er ihr zugänglich ist, ihr keine relevanten Gegengründe vorliegen, sie ihre Aufmerksamkeit auf den entsprechenden Gegenstand richtet und hinreichend rational ist, zum Beweggrund werden. Die theoretische respektive praktische Rationalität einer Person impliziert, grob gesagt, dass sie in ihrem Meinen respektive Handeln durch die normativen Gründe bestimmt wird, die ihr in der jeweiligen Sache vorliegen. Dabei sind diverse Qualifikationen erforderlich: Manche Entscheidungen muss man so schnell treffen, dass gar nicht genügend Zeit für eine angemessene Würdigung der vorliegenden Gründe bleibt. Und manchmal wären extremer Scharfsinn oder übermenschliche Verarbeitungskapazitäten erforderlich, um aus den vorliegenden Gründen die richtigen Folgerungen zu ziehen. Es wäre hart, hier widrigenfalls gleich von „Irrationalität“ zu sprechen; „eingeschränkte Rationalität“ wäre besser. Grundsätzlich ist aber die Kopplung von Rechtfertigungsgründen und rationalem Verhalten unaufgebbar. Das Urteilen und Handeln von Subjekten ist also, sofern sie vernünftig sind, durch die Konstellation der ihnen vorliegenden normativen Gründe erklärbar. Das ist eine bestimmte Form des Internalismus: Vernünftige Subjekte werden durch normative Gründe motiviert. In diesem Sinne ist jeder normative Grund ein potentieller Beweggrund. Diese Form des Internalismus impliziert keineswegs eine sogenannte Humesche Theorie praktischer Gründe. Sie schließt nicht aus, dass es Handlungsgründe gibt, die nicht von vorgängigen Wünschen oder Gefühlen des jeweiligen Subjekts abhängig sind. Gesagt wird lediglich, dass solche Gründe bei vollständiger Rationalität der Person und dem Fehlen ausreichender Gegengründe zu entsprechenden Handlungen führen. Auch in einer anderen, strittigeren Hinsicht ist meines Erachtens ein Internalismus zutreffend. Sie betrifft die Frage, was es heißt, dass jemand einen normativen Grund, etwas Bestimmtes zu tun oder für wahr zu halten, „hat“. Hierzu meine ich, dass es bei näherer Betrachtung nur heißen kann, dass der Betreffende tatsächlich über diesen Grund verfügt: Er muss ihm zugänglich sein.³⁶ Die Grundlinie ist: Wer relevante normative Gründe bei seiner Meinungsbildung oder Entscheidungsfindung nicht angemessen berücksichtigt, verhält sich irrational. Nehmen wir an, eine Person brauche dringend Geld, und tatsächlich sei in ihrem
Eine deutliche Gegenposition vertritt Stemmer ().
3.5 Gründe
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Garten tief unter der Erde ein Schatz vergraben, wovon die Person aber nicht die geringste Ahnung hat. Sicherlich können nun wir, als Außenstehende, sagen, die Person habe guten Grund, in ihrem Garten an einer bestimmten Stelle ein tiefes Loch zu buddeln, aber das ist meines Erachtens nur in einem uneigentlichen und sekundären Sinne richtig, in dem die Perspektive und die Informationen eines Beobachters auf die Person projiziert werden. Tatsächlich „hat“ die Person diesen Grund eben nicht, wenn auch wir, die besser informierten Beobachter, ihr in dieser Sache guten Rat und damit auch einen Handlungsgrund geben könnten.³⁷ Wenn sie ganz ohne entsprechende Hinweise in ihrem Garten ein Loch zu graben anfinge, verhielte sie sich ceteris paribus irrational, auch wenn sie dann den Schatz fände. Es geht nicht an, einerseits zu sagen, die Person habe einen ausgezeichneten normativen Grund, in ihrem Garten an einer bestimmten Stelle zu graben, und andererseits, sie sei irrational, wenn sie es täte, und man müsse sich womöglich Sorgen um ihren Geisteszustand machen. Dass wir geneigt sind, ihr auch im unaufgeklärten Zustand einen normativen Grund zu graben zuzuschreiben, liegt auch daran, dass der Schatz eben in ihrem Garten liegt und sie so nahe an ihm dran ist. Wenn er dagegen auf dem übernächsten Berggipfel oder auf einer weit entfernten Insel am anderen Ende der Welt zu finden wäre, würden wir kaum sagen, die Person habe einen normativen Grund, entsprechende Handlungen auszuführen, da sie doch keinerlei Hinweis auf diesen Schatz besitzt, der einfach bloß dort liegt und in keiner Verbindung zu ihr steht als der, dass sein Besitz ihr einen wichtigen Wunsch erfüllen würde. Ebenso wenig hat die Person einen normativen Grund, Lotto zu spielen und auf ihrem Schein genau die Zahlen anzukreuzen, die bei der nächsten Ziehung herauskommen.³⁸ Und jemand, der (mit guten Gründen) meint, ein Glas Gin stünde vor ihm und der gerne einen Gin-andTonic trinken würde, hat einen normativen Grund, Tonic in das Glas zu geben und die Flüssigkeit zu trinken, auch wenn es sich tatsächlich um Benzin handelt. Das ist eben Pech: Nicht alles, was wir aus guten Gründen meinen oder tun, ist wahr Zumindest, falls die Person uns soweit Glauben schenken sollte, dass eine Grabung gerechtfertigt erscheint. Ich lasse offen, ob eine Handlung, die sich auf eine unbegründete Meinung stützt, ihrerseits unbegründet ist, sich also theoretische in praktische Rechtfertigungsdefizite umsetzen, oder nicht. Nehmen wir an, die Person bilde sich irrationalerweise ein, an einer bestimmten Stelle in ihrem Garten sei ein Schatz vergraben, oder bei der nächsten Ziehung im Lotto würden genau dieund-die Zahlen herauskommen, und handelte auf dieser Grundlage. Dann wäre ihre Meinung unbegründet, aber die Handlungsweise der Person womöglich gerechtfertigt – nämlich im Lichte dieser Meinung und ihrer Wünsche. Alternativ könnte man sagen, die fehlende theoretische Rechtfertigung der Meinung mache auch die Handlung irrational. Das braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden.
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3 Theoretisches und praktisches Überlegen
oder tatsächlich zielführend, und nicht für jede wahre Meinung oder zum Erfolg führende Handlung haben wir theoretische oder praktische Gründe. Man darf normative Gründe nicht an den faktischen Erfolg im Einzelfall (zielführende oder in einem sonstigen Sinne richtige Handlungen oder wahre Meinungen) knüpfen, wenn ihre Einführung einen nicht-redundanten Sinn haben soll. Grundsätzlich scheint mir daher, dass normative Gründe – ganz gleich, um was für Entitäten es sich dabei handelt – der Person zugänglich sein müssen, damit sie für sie normative Gründe, etwas Bestimmtes zu tun oder für wahr zu halten, sein können, und damit man sagen kann, die Person habe diese Gründe.
4 Determinismus und Kausalität 4.1 Determinismus Während für die eine Seite des eingangs skizzierten Spannungsfeldes die Begriffe der Handlung, der Entscheidung, der Rationalität und des (theoretischen oder praktischen) Grundes zentral sind, wird die andere durch Begriffe wie Determinismus und Verursachung charakterisiert. Diese beiden sind nicht ohne weiteres äquivalent. Ich werde im Folgenden zunächst den Determinismus thematisieren, dabei den Begriff der Kausalität am Rande mitführen, und das Verhältnis der beiden am Schluss des Kapitels klären. Statt von „Determinismus“ werde ich häufiger auch von „Determination“ sprechen. Ich gebrauche diese Ausdrücke austauschbar, bevorzuge aber den letztgenannten Ausdruck. Zum einen wird dadurch der relationale Charakter hervorgehoben – etwas wird oder ist durch etwas anderes, seine Determinanten, determiniert –, zum anderen wird „Determinismus“ oft im Sinne einer globalen These über die Determination allen Geschehens, wodurch auch immer, verwendet, was für unseren Diskussionskontext unnötig stark ist. Eine solche These verbinde ich auch mit dem Wort „Determinismus“ nicht automatisch. Im allgemeinsten Sinne des Wortes kann man von Determination oder Festlegung sprechen, wenn ein bestimmtes Ereignis A notwendig eintritt oder ein bestimmter Sachverhalt A notwendig besteht, gegeben das Eintreten bestimmter anderer Ereignisse oder das Bestehen bestimmter anderer Sachverhalte B1, B2, …, Bn. Es unmöglich, dass A ausbleibt oder nicht der Fall ist, wenn B1, B2, …, Bn eintreten oder der Fall sind. Diese Alternativlosigkeit ist das entscheidende Kennzeichen des Determinismus und der gemeinsame Nenner aller seiner Varianten. In dieser allgemeinsten Charakteristik der Determination ist zunächst weder die Art der Modalität spezifiziert, also in welchem Sinne A notwendig ist, gegeben B1, B2, …, Bn, noch etwas über die zeitliche Abfolge der Determinanten B1, B2, …, Bn und des durch sie determinierten Ereignisses oder Sachverhaltes A gesagt. Ich werde die beiden Punkte unten nacheinander diskutieren. Eine Einschränkung möchte ich aber schon hier machen. Im allgemeinsten Sinne von „Festlegung“ spricht nichts gegen Determinationszirkel, wechselseitige Festlegungen, und insbesondere nichts dagegen, dass etwas sich selber determiniert. In der Tat ist es unmöglich, dass, falls A der Fall ist, A nicht der Fall ist. Diesen Sinn von „Festlegung“ möchte ich nicht als „Determination“ bezeichnen, sondern nur asymmetrische Beziehungen hierfür zulassen. Das ist insofern unverzichtbar, als die Pointe typischer Determinismusthesen in unserem Kontext unter anderem
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4 Determinismus und Kausalität
darauf beruht, dass die Determinanten in einem zu spezifizierenden Sinne Priorität gegenüber dem durch sie Determinierten genießen. Dasselbe gilt für die Kausalrelation: Die Wirkung kann keine Ursache einer ihrer Ursachen sein, denn „Ursache“ ist das Primäre, das die Wirkung hervorbringt. Sowohl bei der Kausal- als auch bei der Determinationsbeziehung ist es eine Grundfrage, zwischen Entitäten welcher Art sie besteht. Sind ihre Relata Eigenschaften, Ereignisse, Sachverhalte, Tatsachen oder noch etwas anderes? Da die hier diskutierten Fragen von derartigen Festlegungen nicht berührt werden sollten, möchte ich diesbezüglich neutral bleiben, ohne deswegen immer alle möglichen Formulierungen parallel anzuführen. Das wäre zu umständlich. Aussagen über Determinations- wie auch Ursache-Wirkungs-Beziehungen setzen in der Regel stillschweigend das Bestehen bestimmter Hintergrundbedingungen voraus. Der Versuch, alle solchen Bedingungen unter die determinierenden Faktoren oder Ursachen zu subsumieren, wird häufig dazu führen, dass diese unüberschaubar werden. Daher ist man in der Regel auf Aussagen verwiesen wie: „Unter den gegebenen Umständen (deren Spezifikation im Einzelnen unmöglich oder zumindest sehr umständlich wäre) determiniert das Eintreten oder Bestehen von B1, B2, …, Bn das Eintreten oder Bestehen von A.“ Analoge Bemerkungen gelten für die Ursache-Wirkungs-Beziehung. Welche Kausalfaktoren als die Ursachen eines bestimmten Ereignisses angesprochen werden und welche als Hintergrundbedingungen, ist oft pragmatisch festgelegt und prinzipiell variabel. Die Alternative dazu ist, überhaupt nicht bestimmte Faktoren als determinierend oder verursachend aus dem Hintergrund herauszulösen, sondern diesen en bloc anzuführen. Man spricht dann etwa den gesamten Weltzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt als determinierend oder verursachend an. Diese im Zusammenhang mit einer globalen Betrachtung gängige Sichtweise leitet sich von der klassischen Laplaceschen Formulierung des Determinismus ab, die in 4.4 angeführt wird. Es handelt sich dabei bereits um einen besonderen Fall. Dass von dem „Weltzustand zum Zeitpunkt t“ überhaupt gesprochen werden kann, ist ebenso wenig selbstverständlich wie, dass im Falle eines globalen Determinismus eine solche Momentaufnahme der Welt ausreicht, um alles andere zu fixieren. Sogar im Rahmen der klassischen Newtonschen Mechanik, von der diese Betrachtungsweise inspiriert ist, sind mit ihr bestimmte Schwierigkeiten verbunden. Trotzdem ist die angedeutete Sichtweise mit ihrer Rede vom „Weltzustand zum Zeitpunkt t“ bei Charakterisierungen des Determinismus im Rahmen der Willensfreiheitsdiskussion maßgeblich geblieben.³⁹
Siehe insbesondere die Diskussion des Konsequenzargumentes in ..
4.2 Die Interpretation der Modalität
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4.2 Die Interpretation der Modalität Die allgemeine Charakterisierung der Determinationsbeziehung lässt insbesondere die Möglichkeit offen, die Modalität subjektiv oder epistemisch aufzufassen. Dass A notwendig eintritt oder der Fall ist, gegeben B1, B2, …, Bn, würde dann bedeuten, dass wir fest mit A rechnen oder rechnen sollten, wenn wir meinen oder wissen, dass B1, B2, …, Bn der Fall sind. Solche Deutungen der Notwendigkeitsbeziehung sollen für alles Folgende ausgeschlossen sein. Determinismusbehauptungen sind auf die Welt bezogene, ontologische Thesen, die Determinationsbeziehung ist entsprechend eine objektive oder ontische Beziehung. Dass A durch B1, B2, …, Bn determiniert ist, bedeutet, dass die Wirklichkeit so beschaffen ist, dass A nicht ausbleiben kann, wenn B1, B2, …, Bn der Fall sind. Diese Modalität ist „de re“, nicht „de dicto“, sie ist nicht oder wenigstens nicht in erster Linie eine Angelegenheit unserer Denkweisen, rationalen Erwartungen oder logischer Beziehungen, auch wenn sie entsprechende Konsequenzen haben kann. Selbstverständlich kann man, wenn man möchte, auch von einem „epistemischen Determinismus“ sprechen und diesen dem ontischen gegenüberstellen.⁴⁰ Gegen diese Verwendung von „Determinismus“ und „Indeterminismus“ spricht aber, dass sie einerseits überflüssig ist – wir haben dafür schon die Ausdrücke „Vorhersehbarkeit“ und „Unvorhersehbarkeit“ –, und es andererseits günstig ist, epistemische und ontische Gegebenheiten klar auseinander zu halten.⁴¹ Eine Sonderstellung nimmt der sogenannte logische Determinismus ein. Dieser besteht in der Behauptung, dass eine globale Determinismusthese aus rein logischen Gründen zutrifft.Wenn man nach den originären oder primären Trägern von Wahrheitswerten fragt, dann lautet eine wichtige Auffassung, dass es Aussageinhalte oder Propositionen seien. Dabei handele es sich um zeitlose, abstrakte (nämlich von sprachlichen Äußerungen abstrahierte) Entitäten, die die vollständige Bedeutung der jeweiligen Äußerung in ihrem Kontext einfangen. Ihnen komme ebenso zeitlos genau ein Wahrheitswert zu. Nun aber: Wenn es wahr ist, dass am Neujahrstag 2085 irgendwo auf der Erde eine Seeschlacht stattfindet, dann ist oder war dies „immer schon“ wahr, ist es falsch, dann ist oder war es „immer schon“ falsch. Sollte es neben wahr und falsch noch weitere Wahrheitswerte geben, dann trifft das Gesagte auch auf diese zu. Propositionen haben ihre Wahrheitswerte „in unveränderlicher Weise“, und deshalb sind alle Aussagen über künftiges Geschehen, sofern sie zutreffen, „jetzt schon“ wahr. Sie werden nicht erst wahr oder falsch (oder ein Drittes), sie sind es „immer schon“, und daher
So etwa Walde (). Vgl. Earman (, S. – ).
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4 Determinismus und Kausalität
steht insbesondere „jetzt schon“ fest, was in Zukunft geschehen wird. So besteht ein globaler Determinismus, aber aus rein logischen Gründen, und nicht, weil die Welt auf bestimmte Weise beschaffen ist. Dieser Auffassung liegt, so lässt sich in einem ersten Zugriff sagen, eine Verwechslung von Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit zugrunde. Sämtliche Formulierungen, die im vorigen Absatz in Anführungszeichen stehen, sind zurückzuweisen, und zwar nicht als falsch, sondern als sinnlos. Sie beruhen auf einem Missverständnis der genannten Behauptungen über die Natur von Propositionen und ihrer Wahrheitswerte. Eine Proposition ist eine abstrakte, zeitlose Entität und daher auch zeitlos wahr oder falsch (oder ein Drittes). Das bedeutet, dass ihr Wahrheitswert keine Funktion der Zeit ist, und nicht etwa, dass er eine konstante Funktion der Zeit ist. Falls am Neujahrstag 2085 ein Seegefecht stattfindet, dann ist die entsprechende Proposition wahr – Punkt. Sie ist es nicht jetzt schon oder erst dann, sondern sie ist einfach wahr. In Hinsicht auf zeitliche Bestimmungen ist nichts weiter dazu zu sagen, solche haben hier keinen Ort. Grundsätzlich ist ein nicht vorhandener Zeitindex und die damit implizierte prinzipielle Zeitunabhängigkeit etwas ganz anderes als eine Zeitindiziertheit, mit der eine konstante Funktion der Zeit und damit eine faktische Zeitunabhängigkeit einhergeht. Propositionen sind nicht zeitlich durchgängig, sondern zeitlos wahr oder falsch (oder etwas Drittes). Diese Diagnose wird dadurch verkompliziert, dass es erstens auf bloße Worte nicht ankommt und man zweitens sekundäre, abgeleitete Redeweisen einführen kann. Die Frage ist aber immer, was hinter alldem steckt. Wenn man will, kann man erstens von zwei grundsätzlich verschiedenen Arten der Unveränderlichkeit sprechen,von denen die eine die Unanwendbarkeit von zeitlichen Bestimmungen, die andere zeitliche Konstanz andeutet. Eben dies lädt aber zu dem besagten Missverständnis ein. Von „Unveränderlichkeit“ spricht man deshalb am besten nur dort, wo eine Veränderung überhaupt in Betracht kommt, wo also zeitliche Bestimmungen grundsätzlich sinnvoll sind. Zweitens kann man etwas, das nicht in der Zeit ist, formal wie etwas behandeln, das doch in der Zeit, aber unveränderlich ist. Das macht solange nichts, wie man sich darüber im Klaren ist, dass hinter der zeitlichen Konstanz in diesem Fall nichts anderes steckt als Zeitlosigkeit, dass jene sich ganz und gar von dieser herschreibt. Wiederum ist es aber besser, solche Manöver der rein formalen Verzeitlichung von an sich Zeitlosem zu unterlassen. Wenn man entgegen der Standardauffassung annimmt, dass Wahrheitswerte von Propositionen im Prinzip zeitlich variieren können, es aber de facto nicht tun, sie also nicht in einem bloß formalen, sondern in einem substantiellen Sinne als konstante Funktionen der Zeit ansieht, dann folgt aus dieser Annahme tatsächlich ein globaler Determinismus. Dass etwas konstant ist, das im Prinzip auch variabel
4.2 Die Interpretation der Modalität
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sein könnte, ist eine wichtige, jedoch logisch kontingente Information über die Wirklichkeit. Der globale Determinismus ist unter diesen Voraussetzungen wahr, aber nicht aus logischen Gründen. Wenn der Proposition, dass am Neujahrstag 2085 ein Seegefecht stattfindet, ihr Wahrheitswert zeitlos zukommt und sie wahr ist, dann steckt darin nicht mehr, als dass am Neujahrstag 2085 eben ein Seegefecht stattfindet. Ob dieses Geschehen durch irgendetwas determiniert ist, ist dabei völlig offen. Kommt ihr dagegen ein Wahrheitswert im Sinne einer konstanten Funktion der Zeit zu, die im Prinzip auch variabel sein könnte, dann steht nicht „jetzt schon“, sondern tatsächlich jetzt schon fest, dass ein solches Gefecht stattfindet. Es gibt dann etwas an der Gegenwart, das die entsprechende Proposition wahr macht. Dieser Sachverhalt determiniert das Geschehen, aber das ist keine logische, sondern eine ontologische Angelegenheit: Die Welt ist so beschaffen. Wie könnte eine objektive oder ontische Notwendigkeitsbeziehung näher zu bestimmen sein? Wahrscheinlich wird man dabei zunächst an (strikte, nichtprobabilistische) Naturgesetze denken. Die zugehörige Modalität ist dann die physische Notwendigkeit oder Naturnotwendigkeit. Obwohl diese Art der Determination in der vorliegenden Untersuchung naturgemäß eine wichtige Rolle spielen wird, gibt es keinen Grund, sich von vornherein darauf zu beschränken. Durch eine solche Fixierung würde der grundsätzliche Charakter der Problemstellung sogar verschleiert. Diese verdankt sich keineswegs allein einer Sichtweise auf den Menschen und den menschlichen Geist, die diesen ganz oder teilweise als Bestandteil der Natur und als den Naturgesetzen unterworfen betrachtet.⁴² Weder eine materialistische Metaphysik noch ein naturalistisches oder physikalistisches Reduktionsprogramm sind nötig, damit sich die Leitfragen dieser Untersuchung ergeben.⁴³ Der prima-facie-Konflikt zwischen Determinismus und Rationalität besteht in allen fünf genannten Bereichen auch dann, wenn man gar nicht in eine materialistische oder naturalistische Richtung denkt. Er folgt allein aus der Idee einer ontischen Notwendigkeit oder Alternativlosigkeit, wenn diese mit dem Gedanken
Siehe auch das Kapitel zum Körper-Geist-Problem. Der Materialismus impliziert als solcher nicht die prinzipielle Erfassbarkeit und vollständige Erklärbarkeit sämtlicher Phänomene durch naturwissenschaftliche oder im engeren Sinne physikalische Theorien und die damit verbundenen Reduktionsbehauptungen. Diese sind vielmehr kennzeichnend für den Naturalismus bzw. Physikalismus. Umgekehrt sind Naturalismus und Physikalismus nicht automatisch auf den Materialismus festgelegt. Beispielsweise wäre die Quantentheorie, wenn Beobachter (genauer: deren Bewusstsein) darin eine irreduzible Rolle spielen, keine materialistische Theorie (siehe etwa Wigner , besonders Teil III), aber die Reduktion auf sie immer noch ein physikalistisches Programm.
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4 Determinismus und Kausalität
des (zurechenbaren, überlegten, etc.) Handelns oder Urteilens konfrontiert wird. Es ist deshalb wichtig, den Begriff der Determination nicht von vornherein mit der physisch-materiellen Ebene in Verbindung zu bringen. Insofern sich spezielle Gesichtspunkte ergeben, wenn man dies tut, nimmt die Problemstellung auch einen speziellen Charakter an, indem sie dann als ein Aspekt des Körper-GeistProblems oder als Teilproblem einer materialistischen, naturalistischen oder physikalistischen Metaphysik auftritt. Solche Gesichtspunkte stehen nicht im Vordergrund dieser Untersuchung. Daher werde ich, wenn nicht ausdrücklich anderes gesagt wird, offen lassen, um was für eine ontische Notwendigkeitsbeziehung es sich handelt, und desgleichen, welche Möglichkeiten es für die nähere Bestimmung einer solchen überhaupt gibt. Entscheidend ist das Merkmal einer realen Notwendigkeit oder Alternativlosigkeit, und in Frage steht dessen Kompatibilität mit der Idee des (verantwortlichen, rationalen, etc.) Handelns beziehungsweise Urteilens. Die Fragestellung dieser Arbeit ist gegenstandslos, wenn man bezüglich des genannten Merkmals eine grundsätzlich ablehnende Haltung einnimmt, also nicht an (die Möglichkeit von) de-re-Modalitäten glaubt. Ein irreduzibler Charakter dieser Modalitäten wird aber nicht angenommen. Wenn wir zur Konkretion den Fall der Naturgesetze heranziehen, so wird die für sie charakteristische natürliche oder physische Notwendigkeit durch empiristische Konzeptionen wie die klassische Regularitätstheorie oder die Beste-System-Analyse entweder geleugnet (eliminiert) oder auf nicht-modale Fakten zurückgeführt (reduziert). Das heißt aber nicht, dass ein Empirist mit dem Problem nichts anfangen könnte, denn nur die Elimination ist der hier verfolgten Fragestellung abträglich.
4.3 Zur zeitlichen Abfolge von Determinanten und Determiniertem Der Gedanke einer Determination von Ereignissen oder Tatsachen durch andere ist eng verbunden mit der Idee einer zeitlichen Asymmetrie: der Vorstellung, dass Gegenwärtiges oder Zukünftiges durch Vergangenes festgelegt sei, nicht aber umgekehrt. In unserem Kontext geht es fast immer darum, dass das Nachdenken, Urteilen und Entscheiden einer Person in einer bestimmten Situation vollständig festgelegt ist durch frühere, nicht mehr zur Disposition stehende Tatsachen. Die Vorstellung ist hierbei, dass, von einem gegebenen Zeitpunkt aus gesehen, die Vergangenheit unwiderruflich fixiert ist, und dass ferner, falls eine globale oder lokale Determinismusthese wahr sein sollte, die vergangenen Ereignisse oder Tatsachen alle späteren oder einige von ihnen notwendig machen. Die späteren hängen in ihrem Dasein und Sosein von den früheren ab, nicht umgekehrt. Die
4.3 Zur zeitlichen Abfolge von Determinanten und Determiniertem
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zeitliche Asymmetrie geht also mit einer ontischen einher und gewinnt deshalb Bedeutung. Demgemäß werden spätere Ereignisse oder Tatsachen durch Berufung auf frühere erklärt, nicht aber frühere durch Berufung auf spätere. Diese müssen, falls der Determinismus wahr ist, so sein wie sie sind, weil die früheren so waren wie sie waren, aber nicht umgekehrt. Diese intuitive Erklärungs- und Determinations-Asymmetrie ist eng verwandt mit der normalerweise angenommenen zeitlichen Asymmetrie der Kausalbeziehung: Die Ursache kommt vor der Wirkung, entsprechend muss bei Kausalerklärungen das Explanans zeitlich vor dem Explanandum liegen. Diese Parallele von ontischer und zeitlicher Priorität folgt jedoch nicht aus der Idee des Determinismus oder der kausalen Notwendigkeit als solcher, oder vorsichtiger: Sie folgt daraus sicher nicht ohne weiteres. Die Einführung von Rückwärtskausalität oder von Finalursachen mag exotisch oder überholt scheinen, aber auf der Grundlage der allgemeinen Charakterisierung des Determinismus spricht nichts gegen die Möglichkeit, dass determinierende Faktoren in der Zukunft des durch sie determinierten Ereignisses liegen.⁴⁴ Sie könnten auch gleichzeitig mit, aber räumlich getrennt von ihm, oder von überzeitlicher Natur sein. Der Determinismus, wie ich ihn hier verstehen möchte, ist keine temporale, sondern eine ontologische These, und entsprechend haben die Determinanten gegenüber dem durch sie Determinierten ontische, nicht notwendig aber zeitliche Priorität. Für das Kennzeichen der Alternativlosigkeit ist es im Prinzip unerheblich, wie sich die nezessitierenden Faktoren zeitlich zu dem von ihnen notwendig gemachten Ereignis verhalten. Ich werde Determinationsverhältnisse, bei denen die gewohnte zeitliche Richtung nicht besteht, nicht speziell diskutieren. Solche Möglichkeiten können aber mutatis mutandis mitgedacht werden. Dieser Hinweis richtet sich insbesondere gegen Versuche, bestimmte Vorzüge des Determinismus wie die vollständige Erklärbarkeit von Ereignissen zu bewahren, ohne die Idee alternativer Möglichkeiten aufzugeben. So könnte man etwa vertreten, dass Handlungen typischerweise indeterminiert seien in dem Sinne, dass dafür keine zureichenden, zeitlich vorausgehenden Wirkursachen existierten, sie aber dennoch vollständig erklärbar seien durch Bezug auf Finalursachen. Tatsächlich wäre dies aber eine Situation des Determinismus, nämlich der objektiven Alternativlosigkeit zum Zeitpunkt des Handelns, das festgelegt wäre durch Faktoren mit ontischer Priorität. Anders herum impliziert der Inde-
Der Gedanke der Rückwärtskausalität kann zumindest im mikrophysikalischen Bereich nicht leichthin bei Seite geschoben werden, da er eine Möglichkeit darstellt, mit den Interpretationsproblemen der Quantentheorie umzugehen. Dieser Lösungsweg gehört nicht zu den meist diskutierten, er ist aber auch nicht kontraintuitiver als die Alternativen; siehe dazu Price (, Kap. – ) und Dowe (, Kap. ).
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terminismus stets die Existenz einer auf keine Weise zu beseitigenden Unvollständigkeit in der Erklärung der Handlung oder des Geschehens. Es ist wenig befriedigend, den Begriff der Determination auf Bestimmungen gewisser Art zu beschränken und die verbleibende Lücke dann durch andere Faktoren zu schließen, die nicht das Etikett „determinierend“ angeheftet bekommen, obwohl die Handlung von ihnen ebenso geprägt ist wie von den erstgenannten. Eine solche Strategie mag sich inkompatibilistisch geben, ist aber insofern typisch kompatibilistisch, als zwischen „problematischen“, nämlich mit (rationalem, verantwortlichem, etc.) Handeln unverträglichen, und unproblematischen bestimmenden Faktoren unterschieden wird. Auf einer solchen Linie ist man im Wesentlichen Kompatibilist, behauptet also die Vereinbarkeit von (überlegtem, zurechenbaren, etc.) Handeln und dessen Festgelegtsein durch für das Subjekt unverfügbare Faktoren, sofern diese Festlegung nur von der richtigen Art ist.
4.4 Determinismus und physikalische Theorie Die mit dem Determinismus typischerweise verbundene zeitliche und ontische Asymmetrie ist aus den präzise modellierbaren Beispielen für Determinismus, die uns zur Verfügung stehen, nicht unmittelbar herauszuholen. Es verhält sich so, dass mit dem Begriff des Determinismus Merkmale verbunden sind, die die besten Beispiele für Determinismus als solche gar nicht aufweisen. Diese paradigmatischen Fälle sind physikalische Theorien, bei denen die Dynamik bestimmter physikalischer Systeme durch Differentialgleichungen beschrieben wird, die bei gegebenen Anfangsbedingungen genau eine Lösung besitzen. Das bedeutet, dass, wenn der Systemzustand zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt vollständig spezifiziert ist, daraus vermittels der Differentialgleichungen die Systemzustände zu beliebigen anderen Zeitpunkten folgen – aber frühere ebenso wie spätere Zustände. Die „Anfangsbedingungen“ heißen so, weil man von ihnen bei der Vorwärts- oder Rückwärts-Berechnung der Entwicklung des Systems ausgeht, sie markieren aber nicht unbedingt seinen zeitlichen Ursprung.Wenn man diese Form des Determinismus in einem kühnen Extrapolationsschritt auf die Welt als ganze bezieht, erhält man die klassische Laplacesche Formulierung: Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als die Ursache des folgenden Zustands betrachten. Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennte, und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts würde ihr ungewiss sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen. Der menschliche
4.4 Determinismus und physikalische Theorie
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Geist bietet in der Vollendung, die er der Astronomie zu geben verstand, ein schwaches Abbild dieser Intelligenz dar. (Laplace 1814, S. 1– 2)
In dieser Charakteristik des (globalen) Determinismus sind die wichtigsten Begriffe enthalten, mit denen er zusammenhängt und zu denen man ihn ins Verhältnis zu setzen hat. Einerseits wird er mit einer bestimmten Form von Vorhersehbarkeit assoziiert und geradezu durch sie charakterisiert – siehe dazu das folgende Kapitel. Andererseits wird er zeitlich asymmetrisch mit den Begriffen von Ursache und Wirkung verbunden. Beides ist problematisch; das letztere, weil sämtliche physikalischen Theorien, die in dem skizzierten Sinne deterministisch sind, auch zeitsymmetrisch sind. Diese Theorien liefern an sich keine Handhabe für die Aussage, dass der Systemzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt alle späteren festlege, nicht aber die früheren, und entsprechend würden der von Laplace imaginierten Intelligenz „Zukunft wie Vergangenheit offen vor Augen liegen“. Die Asymmetrie des intuitiven Bildes von Determinismus lässt sich nicht gewinnen, ohne ein zusätzliches Element ins Spiel zu bringen. In der physikalischen Theorie gibt es zunächst einmal nur die durch die Differentialgleichung(en) gestifteten wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Systemzuständen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.⁴⁵ Ich möchte dies als (bloß) formalen oder funktionalen Determinismus bezeichnen und durch diese Zusätze von Determinismus im eigentlichen Sinne abgrenzen, für den eine ontische Asymmetrie zwischen festlegenden und festgelegten Zuständen kennzeichnend ist. In wohldefinierten physikalischen Kontexten ist klar, was unter einem Systemzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verstehen ist, welche physikalischen Größen also benutzt werden, um ihn zu charakterisieren. Anders im Rahmen philosophischer Betrachtungen, die mit dergleichen Begriffen ganz allgemein und außerhalb jedes spezifischen Kontextes operieren. Was genau ist unter dem „Systemzustand zum Zeitpunkt t“ zu verstehen, insbesondere, wenn das „System“ das gesamte Universum ist? Wenn man zur Charakterisierung Prä Dies gilt auch für die Quantenmechanik, in deren Zentrum die Schrödinger-Gleichung steht. Diese Differentialgleichung spezifiziert die zeitliche Entwicklung des Zustandes eines quantenmechanischen Systems (seine „Wellenfunktion“), und zwar, genau wie in der klassischen Mechanik, auf deterministische Weise. Der Unterschied zur klassischen Mechanik liegt darin, dass die Wellenfunktion keine direkte empirische Bedeutung hat, sondern lediglich partiell dadurch interpretiert wird, dass sie für den Fall einer Messung an dem System die Wahrscheinlichkeiten liefert, mit denen sich die verschiedenen möglichen Messresultate einstellen. Solange keine Messung vorgenommen wird, entwickelt sich ein quantenmechanisches System deterministisch in der Zeit gemäß der Schrödinger-Gleichung. Wie man aber den Messprozess zu verstehen und was überhaupt als Messung zu gelten hat, macht das Deutungsproblem der Quantentheorie aus. Indeterministische Elemente kommen – wenn sie es denn tun – erst an dieser Stelle ins Spiel.
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dikate verwendet, die logische oder begriffliche Implikationen für die Systemoder Weltzustände zu anderen Zeitpunkten haben, dann droht der (globale) Determinismus trivialer Weise wahr zu werden. Dann wären nämlich Informationen über Früheres oder Späteres im gegenwärtigen Zustand enthalten. Dieser sollte, um den (globalen) Determinismus zu einer sachhaltigen These zu machen, deren Wahrheit oder Falschheit von der Art der Naturgesetze abhängt, auf eine Weise charakterisiert werden, die ihn von den System- oder Weltzuständen zu anderen Zeitpunkten begrifflich möglichst unabhängig sein lässt. Wenn man jedoch, um reinen Tisch zu machen, logisch-begriffliche Verbindungen zwischen Systemzuständen zu verschiedenen Zeitpunkten ganz verböte, dann wäre etwa die Geschwindigkeit eines bestimmten Körpers zum Zeitpunkt t kein Teil des Weltzustandes zu t, denn Momentangeschwindigkeiten sind als Grenzwerte von Durchschnittsgeschwindigkeiten in immer kleineren Zeitintervallen definiert. Obwohl die Geschwindigkeit eines Körpers zu t eine vollwertige Eigenschaft des Körpers zu t und in diesem Sinne Bestandteil der „Momentaufnahme“ sein sollte, ist es doch einer, der die geforderte begriffliche Unabhängigkeit nicht aufweist. Ohne diesen spezifischen Bestandteil kann aber im Rahmen der klassischen Physik keine Rede davon sein, dass der Zustand eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt dessen zukünftige und vergangene Zustände festlegt. In ihrem Rahmen dienen als Anfangsbedingungen der Entwicklung von Systemen grundsätzlich die Orte und Geschwindigkeiten (oder verwandte Größen wie der Impuls) der beteiligten Körper, unter Berücksichtigung von deren Massen und Ladungen. Man müsste also, um das Laplacesche Bild vor dem Hintergrund dieser Physik und der Forderung der begrifflichen Unabhängigkeit von Weltzuständen zu verschiedenen Zeitpunkten aufrecht zu erhalten, einzelne Zeitpunkte durch offene Zeitintervalle ersetzen, die allerdings beliebig klein sein könnten.⁴⁶ Die Modifikation wäre nicht einschneidend, aber in der Formulierung umständlicher. Dieser Gesichtspunkt wird explizit berücksichtigt in der Charakteristik, die David Lewis dem globalen Determinismus gibt. Sie ist im vor allem von Lewis in der Philosophie popularisierten Jargon der möglichen Welten gehalten: Eine mögliche Welt W ist deterministisch, wenn für jede mögliche Welt W*, in der dieselben Naturgesetze wie in W gelten, gilt: Entweder gleichen sich W und W* zur Gänze exakt, oder es gibt keinen noch so kleinen Zeitabschnitt, in welchem sich W und W* genau gleichen.⁴⁷ Auch hieraus ergibt sich kein relevanter Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Charakterisierung läuft auf etwas ganz
Siehe Albert (), S. – . Siehe Lewis (), zweiter Abschnitt.
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Ähnliches hinaus wie die Laplacesche, ist aber mit dem Problem belastet, dass in ihr die strukturelle Vergleichbarkeit möglicher Welten angenommen wird, ohne dass auch nur im Geringsten klar ist, wie ein solcher Vergleich tatsächlich durchzuführen wäre. Es gibt keine substantiellen Kriterien für das Vorhandensein oder Fehlen entsprechender Isomorphismen, also von Abbildungen, die die Strukturgleichheit zweier möglicher Welten (zur Gänze oder während kleinerer oder größerer Zeitabschnitte) etablieren würden.⁴⁸ Ja, es ist sogar unklar, was „Zeit“ und „Zeitabschnitt“ über mögliche Welten hinweg bedeutet. Was Präzision angeht, sind wir daher auf die Laplacesche Charakterisierung des Determinismus beziehungsweise auf die ihr zugrunde liegenden physikalischen Sachverhalte zurück verwiesen. Etwas Besseres gibt es nicht. Insbesondere erhält man bei der Frage nach der Wahrheit oder Falschheit des funktionalen Determinismus nur dann ein greifbares Resultat, wenn man sie auf spezifische physikalische Theorien bezieht.⁴⁹ Um von da zu einem globalen formalen Determinismus zu gelangen, müsste eine solche Theorie allerdings nicht bloß deterministisch, sondern auch eine Fundamentaltheorie sein, das heißt, es müsste angenommen werden, dass das gesamte Weltgeschehen im Prinzip auf sie zurückführbar ist, wie Laplace das von der Newtonschen Mechanik unter Einschluss der Gravitationstheorie glaubte. Geht man über funktionale Zusammenhänge zwischen Systemzuständen zu verschiedenen Zeitpunkten nicht hinaus, dann stellt sich die durch die Vorstellung des Determinismus aufgeworfene Problematik ganz anders dar als üblicherweise. Während eine gewisse Irritation von der Idee ausgeht, das eigene gegenwärtige Überlegen, Urteilen und Handeln sei durch jeden einzelnen früheren Weltzustand, insbesondere durch solche der fernen Vergangenheit, oder auch durch angeborene Anlagen und die Umwelteinflüsse, denen man ausgesetzt war, vollständig festgelegt, so verringert sich diese Irritation erheblich, wenn man meint, dass in genau demselben Sinne die angeborenen Anlagen und früheren Umwelteinflüsse durch den gegenwärtigen Weltzustand, unter anderem also durch das eigene gegenwärtige Überlegen, Urteilen und Handeln, festgelegt sind. Und selbstverständlich hängt auch dieses gegenwärtige Überlegen, Urteilen und Handeln formal davon ab, was in Zukunft geschehen, insbesondere davon, was man selber künftig tun wird. Die Idee, dass die relevante Abhängigkeit nur in einer zeitlichen Richtung besteht, findet keine Basis in den physikalischen Theorien als solchen.
Für diesen Hinweis danke ich Thomas Müller. Earman () ist eine tiefgehende und umfassende Untersuchung des so verstandenen Determinismus. Der Titel „A Primer on Determinism“ ist irreführend.
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„Determination“ in dem für uns interessanten Sinne bedeutet aber mehr als eine bloß funktionale Abhängigkeit zwischen Systemmerkmalen oder –zuständen, die ohne weiteres wechselseitig bestehen kann und dies in den physikalischen Modellen auch durchweg tut. Gedacht ist zusätzlich an eine relevante Asymmetrie zwischen den Determinanten und dem durch sie Festgelegten, an eine ontische Priorität der Determinanten. Diese spiegelt sich in unserem gängigen Verständnis darin, dass wir spätere Zustände und Ereignisse als von früheren abhängig, bestimmt, festgelegt, verursacht und durch Bezug auf diese erklärbar ansehen, nicht aber umgekehrt. In der Darstellung werde ich mich im Folgenden an diesem intuitiven Bild orientieren, das, wie gesagt, nicht allein aus deterministischen Naturgesetzen resultieren kann, die aus sich heraus keine Zeitrichtung auszeichnen. Die genannten Asymmetrien markieren dabei nicht bloß eine Binnendifferenzierung, sondern ein unabhängiges Merkmal, das zum bloß formalen oder funktionalen Determinismus hinzutreten muss, um den eigentlichen zu ergeben. Sollte die Welt indeterministisch verfasst sein, könnten sie genauso gut bestehen, nur wäre die Festlegung der späteren durch die früheren Weltzustände dann bloß eine partielle. Ich will für das Folgende annehmen, dass eine zeitliche Asymmetrie der angedeuteten Art tatsächlich besteht und ontologische Bedeutung hat. Frühere Weltzustände sind gegenüber späteren also nicht bloß zeitlich, sondern ontisch primär, diese entwickeln sich aus jenen den Naturgesetzen gemäß, ob in determinierter oder indeterminierter Art und Weise. Dabei soll, um das nochmals zu betonen, die Orientierung an diesem Bild nur eine Angelegenheit der Darstellung sein und keinen Ausschluss in der Zukunft liegender oder räumlich getrennter, aber gleichzeitiger, oder überzeitlicher determinierender Faktoren bedeuten. Ob es solche gibt, will ich einfach offen lassen. Entscheidend am Determinismus ist in unserem Diskussionskontext die Festlegung durch Faktoren mit ontischer Priorität, wie sie im traditionellen Verständnis Ursachen gegenüber ihren Wirkungen haben. Prinzipiell ist es gleichgültig, in welchem zeitlichen Verhältnis diese stehen. Es ist eine schwierige und vielschichtige Frage, inwiefern dieses intuitive Bild im physikalischen Rahmen eingeholt werden kann. Entsprechende Versuche in der Literatur führen über Ansätze nicht hinaus.⁵⁰ Die Komplexität des Problems beruht darauf, dass prima facie verschiedene Asymmetrien bestehen, deren Verhältnis untereinander erst zu bestimmen ist, zudem unterschiedliche physi Siehe Horwich (), Price (), Albert (), Loewer (, a, b). Hausman () behandelt rein philosophisch, fast ohne Bezug auf die Naturwissenschaften, verschiedene mit der Kausalrelation verbundene Asymmetrien und ihr Verhältnis zueinander, was schon schwierig und komplex genug ist.
4.4 Determinismus und physikalische Theorie
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kalische Theorien im Spiel sind, die die Arbeit leisten sollen, und für diese wiederum unterschiedliche Interpretationen. Problematisch ist der physikalische Ursprung und Hintergrund erstens der Zeitrichtung („Zeitpfeil“), zweitens von kontrafaktischer Abhängigkeit und Verursachung, und drittens der Asymmetrie zwischen Vergangenheit und Zukunft in Bezug auf unser Handeln und Wissen. Diese Asymmetrien bestehen unabhängig von der Frage des physikalischen Determinismus. Zumindest die letzte von ihnen ist im Übrigen nicht strikt: Über die Zukunft wissen wir nicht nichts, sondern bloß vergleichsweise weniger als über die Vergangenheit.Während es sehr häufig vorkommt, dass vergangene Ereignisse in der Gegenwart Spuren hinterlassen, ist es selten, dass künftige Ereignisse in vergleichbar eindeutiger Weise ihre Schatten vorauswerfen. Während unser Handeln ausschließlich die Zukunft zu betreffen scheint, betrifft unser Wissen hauptsächlich die Vergangenheit. Die Betrachtung spezifischer physikalischer Theorien kann nun nahelegen, dass die Quelle all dieser Asymmetrien in indeterministischen Vorgängen zu suchen ist, oder dass sie zumindest mit solchen verbunden sind. Genau die formaldeterministischen Theorien, wie klassische Mechanik, Elektrodynamik und Relativitätstheorie, sind nämlich auch zeitsymmetrisch und die durch sie beschriebenen Prozesse reversibel, also zeitlich umkehrbar ohne dabei qualitativ anders zu verlaufen. Dagegen führen gerade die prima facie indeterministischen Theorien wie statistische Thermodynamik und Quantentheorie zeitliche Asymmetrien ein und beschreiben unumkehrbare Prozesse. So kommen die Wahrscheinlichkeiten bei der Quantenmechanik genau dort ins Spiel, wo mit einer Messung ein irreversibler Eingriff in das quantenmechanische System erfolgt. In diesem „Messprozess“ liegt sowohl die Quelle des Indeterminismus als auch der zeitlichen Asymmetrie. Die statistische Thermodynamik wird durch das Gesetz von der Zunahme der Entropie eine zeitasymmetrische, aber in einem Zuge damit auch eine probabilistische Theorie: Die Entropiezunahme bis hin zu einem Entropiemaximum in einem abgeschlossenen System (einem System, das nicht in Wechselwirkung, insbesondere nicht in Energieaustausch mit seiner Umgebung steht) ist nur sehr wahrscheinlich. Die beiden Aspekte des Determinismus: objektive Festlegung durch Determinanten und ontische Priorität derselben, scheinen also nicht bloß unabhängig voneinander auftreten zu können, sondern vor dem Hintergrund unserer heutigen Physik sogar auseinander zu fallen. Jede etablierte physikalische Theorie scheint entweder formal-deterministisch und zeitsymmetrisch oder formal-indeterministisch und zeitasymmetrisch zu sein. So könnte es gerade der Indeterminismus sein, der für die besagten Asymmetrien aufkommt. Die Problemstellung des vorliegenden Buches wäre dann erfahrungswissenschaftlich gegenstandslos. Die beiden Aspekte des Determinismus würden vor dem Hintergrund der heutigen
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Physik gar nicht zusammenpassen, er wäre eine bloße philosophische Möglichkeit.⁵¹ Während traditionell die Ursache-Wirkungs-Beziehung in eine enge Beziehung zum Determinismus gebracht und sogar damit gleichgesetzt wurde, gehört sie dieser Sichtweise zufolge gerade umgekehrt in einen indeterministischen Kontext, der allein für die nötige Asymmetrie zwischen den als „Ursachen“ und den als „Wirkungen“ charakterisierten Ereignissen aufkommen könne.⁵² Entgegen dem ersten Anschein ist das aber nicht die Situation. Zunächst ist fraglich, ob die skizzierte Dichotomie zwischen zwei Typen physikalischer Theorie tatsächlich besteht. Ob der Messprozess in der Quantenmechanik indeterministisch zu deuten ist, ist strittig. Und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, das Gesetz von der Zunahme der Entropie in abgeschlossenen Systemen, hat zwar probabilistischen Charakter, ergibt sich aber im Rahmen der statistischen Mechanik aus einer formal-deterministischen Theorie (nämlich der klassischen Mechanik), wenn diese mit bestimmten Verteilungsannahmen kombiniert wird. Das Gesetz kann als ein makroskopisches verstanden werden, dem mikroskopisch deterministische Abläufe zugrunde liegen. Die Deutung des Messprozesses in der Quantenmechanik und der daran gekoppelten Wahrscheinlichkeitsaussagen, und ebenso die Deutung der Wahrscheinlichkeiten, die die statistische Mechanik liefert, ist ein Gegenstand anhaltender Diskussionen. Entscheidend in unserem Kontext ist daher eine weitere Tatsache, die ebenfalls durch den gerade erwähnten Fall der statistischen Mechanik illustriert wird, nämlich, dass auch zeitsymmetrische Theorien zeitasymmetrische Anwendungsfälle haben. Die zeitliche Symmetrie der Theorie überträgt sich nicht einfach auf alle ihre Modelle. Den von uns im Alltag wahrgenommenen oder unterstellten Asymmetrien können daher sehr wohl prinzipiell reversible Prozesse, die unter Randbedingungen bestimmter Art ablaufen und von formal-deterministischen, zeitsymmetrischen Theorien korrekt beschrieben werden, zugrunde liegen.⁵³ Die zwei Komponenten des Determinismus sind somit auch vor dem Hintergrund der heutigen Physik miteinander vereinbar. Die Hypothese, dass einige oder alle der besagten Asymmetrien ihre Quelle in genuin indeterministischen Vor-
Siehe Falkenburg (), Kap. . Zum Verhältnis von Determinismus und Kausalität in der Physik siehe einführend Scheibe (), Kap. VII. Die Modelle der allgemeinen Relativitätstheorie sind sogar typischerweise zeitasymmetrisch; siehe Bartels und Wohlfarth () sowie Bartels (, Kap. .). Wenn man die angesprochenen Asymmetrien thermodynamisch durch Anwendung der statistischen Mechanik auf einen Anfangszustand des Universums mit niedriger Entropie gewinnen möchte, dann ergeben sie sich nicht strikt, sondern es wird lediglich eine Richtung durch eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit ausgezeichnet. Siehe Sklar (), Albert (), Loewer (, a, b).
4.5 Zum Verhältnis von Determinismus und Kausalität
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gängen haben, ist damit nicht ausgeräumt, sie kann sich aber nicht bloß auf den Charakter der betrachteten Theorien stützen. In deren Rahmen gibt es dazu echte Alternativen, und damit ist die traditionelle Art und Weise der Behandlung des Willensfreiheitsproblems nach wie vor aktuell. Allerdings lassen sich die genannten Asymmetrien in einem formal-deterministischen physikalischen Rahmen kaum in dem fundamentalen Sinne rekonstruieren, den unser Alltagsverständnis oder dessen metaphysische Überhöhungen nahelegen. Sie ergeben sich nicht aus den physikalischen Gesetzen als solchen, sondern aus deren Anwendung auf besondere Randbedingungen der Entwicklung des Universums oder desjenigen Teils davon, den wir bewohnen, und sind in diesem Sinne physikalisch kontingent. Das ist angesichts des oben erwähnten Charakters der Grundgleichungen formal-deterministischer physikalischer Theorien keine Überraschung.
4.5 Zum Verhältnis von Determinismus und Kausalität Wie sich im Vorhergehenden bereits angedeutet hat, spricht nichts dagegen, zugleich mit der Asymmetrie der Determinationsbeziehung auch den Begriff der Verursachung ins Spiel zu bringen, die determinierenden Faktoren also grundsätzlich als die Ursachen des determinierten Ereignisses oder Sachverhalts anzusprechen. Damit hätten, um das zu wiederholen, Ursachen gegenüber Wirkungen zwar durchweg eine ontische, nicht notwendig aber eine zeitliche Priorität. Die Auffassung von determinierenden Faktoren als Ursachen und determinierten Faktoren als Wirkungen bedarf so lange keiner besonderen Begründung, wie man sie als eine bloße facon de parler nimmt oder eine Konzeption von Kausalität hat, die diese nicht von vornherein mit bestimmten Seinsbereichen verbindet. Kontrafaktische, probabilistische und Regularitäts-Theorien der Kausalität sind in dem dafür erforderlichen Sinne neutral. Das gilt nicht für jede ihrer Ausprägungen, aber für die Grundkonzeptionen.Von diesen her betrachtet gibt es keinen Grund, weshalb Kausalität nur den physisch-materiellen Bereich betreffen sollte. Anders sieht es aus, wenn man Kausalität im Sinne einer Prozess- oder Transfertheorie versteht, und erst recht, wenn man ihr Verständnis vom jeweiligen Kontext und den dort einschlägigen empirisch-wissenschaftlichen Theorien abhängig sein lässt. Dann kommen materialistische oder naturalistische Konnotationen ins Spiel, von denen die allgemeine Diskussion hier auch in Bezug auf den Begriff der Verursachung freigehalten werden soll.⁵⁴
Prozess- und Transfertheorien der Kausalität wurden besonders durch Salmon () in der Diskussion prominent; ein wichtiges neueres Buch dazu ist Dowe (). Die Kontextabhän-
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4 Determinismus und Kausalität
Damit möchte ich nicht behaupten, dass derartige Kausalitätstheorien fehlgeleitet sind. Bereits die Auffassung von David Hume, die üblicherweise als Regularitätstheorie angesprochen wird, enthält mit der Forderung, dass Ursache und Wirkung raumzeitlich kontinuierlich verbunden sein müssen, einen Prozessgesichtspunkt. Derartiges ist aber auszuklammern, wenn im Folgenden davon ausgegangen wird, dass jede Determinationsbeziehung eine kausale Beziehung ist. Für den Begriff der Ursache im Kontext des Determinismus gilt also dasselbe wie für den Begriff des Grundes im Kontext der Rationalität: Er kann stets gefahrlos in ihn eingeführt werden, wenn man ihn von besonderen Konnotationen freihält. In diesem Sinne verwende ich, wenn ich bei der Diskussion unserer Fragestellungen ohne weiteres von Ursachen und Wirkungen spreche, einen offenen, unspezifischen Kausalitätsbegriff. Umgekehrt ist das Einsetzen einer geeigneten Ursache-Wirkungs-Beziehung eine Möglichkeit, der ontischen Priorität der determinierenden gegenüber den determinierten Ereignissen oder Tatsachen Substanz zu verleihen. In einem ersten Zugriff lässt sich sagen, dass Ursachen ihre Wirkungen hervorbringen und deshalb ontisch primär sind. Es kommt aber weiterhin sehr darauf an, wie diese „Hervorbringung“ ausbuchstabiert wird. Nicht jede Explikation des Kausalitätsbegriffs bewahrt die ursprüngliche Idee in einem substantiellen Sinne. Das macht im vorliegenden Kontext solange nichts, wie sich das, was die Asymmetrie der Kausalbeziehung begründet, als ontische Asymmetrie begreifen lässt, aber auch das ist nicht immer der Fall. Die klassische Regularitätstheorie erfüllt diese Bedingung beispielsweise nicht: In ihrem Rahmen wird einfach stipuliert, dass Ursachen zeitlich vor ihren Wirkungen kommen, und diese Stipulation macht die Asymmetrie der Kausalbeziehung insgesamt aus. Die Priorität der Ursachen ist hier nicht nur eine rein zeitliche, sondern sie wird auch per Hand in die Kausalbeziehung eingetragen. Ohne weitere Überlegungen gibt es hier keine Handhabe für die Rede von einer ontischen Priorität der Ursachen gegenüber ihren Wirkungen. Ergänzende Überlegungen aus anderen Bereichen, etwa der Philosophie der Zeit, könnten diese nachliefern, aber es wäre dann eben nicht die Regularitätstheorie der Verursachung als solche, die die ontische Priorität der Ursachen begründete. Nicht bei jedem Verständnis der Kausalbeziehung ist diese also von selbst schon eine Determinationsbeziehung. Die möglicherweise fehlende ontische Asymmetrie von Ursachen und Wirkungen ist dafür nicht der einzige Grund. Bei probabilistischer Kausalität zieht die Ursache die Wirkung nur mit einer gewissen
gigkeit des Verursachungsbegriffs wird von Mittelstaedt und Weingartner (, Kap. ) sowie Cartwright (, Teil I) vertreten.
4.5 Zum Verhältnis von Determinismus und Kausalität
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Wahrscheinlichkeit, nicht aber mit Notwendigkeit nach sich. Ich werde es jeweils deutlich machen, wenn an eine solche Form der Kausalität gedacht ist, die nicht dem traditionellen Verständnis entspricht.
5 Determinismus und Vorhersehbarkeit Die für den Determinismus konstitutive Notwendigkeitsbeziehung hat objektiven, ontischen Charakter. Aber auch wenn eine epistemische oder subjektive Deutung dieser Beziehung abgewiesen wird, so wird man doch erwarten, dass sie zumindest epistemische Implikationen hat, nämlich, dass sich das determinierte Ereignis A aus den determinierenden Faktoren B1, …, Bn erschließen lässt. Insbesondere wird in der oben zitierten klassischen Charakterisierung des Determinismus durch Laplace wie selbstverständlich ein solcher Zusammenhang unterstellt. Wie aus dem Vorhergehenden klar ist, nehme ich nicht generell eine zeitliche Priorität der determinierenden Faktoren an, werde aber trotzdem aus Bequemlichkeits- und Stilgründen Formulierungen wählen, die die übliche temporale Abfolge implizieren, wie „Voraussage“ und „Vorhersage“. Und man wird auch umgekehrt erwarten, dass aus der Vorhersagbarkeit von A auf der Grundlage von B1, …, Bn folgt, dass das Eintreten oder Bestehen von A determiniert ist – wenn nicht durch B1, …, Bn selbst, dann durch Sachverhalte, die mit diesen in einer notwendigen Beziehung stehen. Tatsächlich ist aber das Verhältnis von Determination und Vorhersehbarkeit in keiner Richtung ein einfaches. Äquivalent sind sie nur unter erheblichen Vorbehalten und Qualifikationen. Selbstverständlich geht es bei all diesen Zusammenhängen immer nur um prinzipielle Prognostizierbarkeit, und inwiefern die fraglichen Beziehungen bestehen, hängt nicht zuletzt davon ab, was man unter „prinzipiell“ versteht. Eine Bemerkung zur Terminologie. Eine Voraussage oder Vorhersage ist zunächst einmal nichts weiter als eine Behauptung über Zukünftiges. Als solche braucht sie weder begründet noch zutreffend zu sein, oft ist aber das eine oder andere oder beides mit gemeint. Dasselbe gilt für „vorhersehen“. „Sehen“ hat in vielen Kontexten faktiven Charakter – was nicht da ist, kann man auch nicht sehen – es gibt aber durchaus auch Verwendungen von „sehen“ im Sinne von „halluzinieren“. Die genannten Ausdrücke schwanken also zwischen einer schwachen Lesart und verschiedenen stärkeren Verwendungen. Bei den letzteren ist die Begründetheit oder das Zutreffen der entsprechenden Aussage semantisch oder pragmatisch impliziert. Aus sprachlichen Gründen lege ich mich diesbezüglich nicht fest; aus dem Kontext sollte hervorgehen, was jeweils gemeint ist. „Vorhersehbarkeit“ und „Voraussagbarkeit“ (von A auf der Grundlage von B1, …, Bn) sind dagegen umgangssprachlich stets anspruchsvoll; sie implizieren zumindest die Berechtigung der Prognose (des Schlusses von B1, …, Bn auf A) und normalerweise auch ihr Zutreffen.
5.1 Notwendigkeit ohne Gesetzmäßigkeit
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5.1 Notwendigkeit ohne Gesetzmäßigkeit Zuerst zu dem Schluss von Determination auf Vorhersehbarkeit. Dass A durch B1, …, Bn in einem objektiven Sinne notwendig gemacht wird, impliziert nicht, dass diese Beziehung für uns prinzipiell einsehbar sein müsste, und erst recht nicht, dass sie in einem für Prognosen tauglichen Sinne einsehbar sein müsste.Wenn die in einem bestimmten Seinsbereich herrschenden Notwendigkeitsbeziehungen entweder keinerlei Regelmäßigkeit aufweisen, also singulären Charakter haben, oder aber keinerlei Regelmäßigkeit, die für uns erkennbar ist, besteht für uns keine Vorhersagemöglichkeit. Wir können bei einer Notwendigkeit ohne Gesetzmäßigkeit, oder mit einer Gesetzmäßigkeit, die unsere Erkenntnisfähigkeiten prinzipiell überschreitet, die Notwendigkeitsbeziehung zu Vorhersagezwecken nicht nutzen. Beide Möglichkeiten lassen sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Der erste Fall wird in der philosophischen Literatur hauptsächlich mit Bezug auf Kausalität diskutiert, als die Idee singulärer Ursache-Wirkungs-Beziehungen, die keinem allgemeinen Gesetz folgen.⁵⁵ Dieser Gedanke einer Notwendigkeit ohne Gesetz- oder Regelmäßigkeit ist das Spiegelbild zu dem empiristischen Gedanken einer Gesetzmäßigkeit ohne Notwendigkeit, der in 6.2 nochmals aufgenommen wird. Es ist also nicht selbstverständlich, dass (strikte) Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit Wechselbegriffe sind – weder in der einen noch in der anderen Richtung ist die Implikation unproblematisch. Bei singulären Notwendigkeitsbeziehungen stellt sich die Frage ihrer Erkennbarkeit. Haben wir ohne die Unterstellung einer geeigneten allgemeinen Gesetzmäßigkeit jemals Grund, eine notwendige Verknüpfung zwischen Ereignissen anzunehmen? Man kann hier an kausale Beziehungen ohne Gesetzmäßigkeit denken, die keineswegs per se unerkennbar sein müssten. Nur ergäbe ihre Erkenntnis nichts für Zwecke der Vorhersage. Wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht und sich den Arm bricht, lässt sich das Ausrutschen ex post als die Ursache des Armbruchs ansprechen, dieser sich dadurch erklären. Diese Erkenntnis ermöglicht aber keine Prognose, denn in den meisten Fällen des Ausrutschens auf einer Schale kommt es zu keinem Armbruch. Selbstverständlich ist das Beispiel keine Widerlegung von Kausalitäts- oder Notwendigkeitsauffassungen, die diese mit strikten Gesetzen in Verbindung bringen. Man kann einfach sagen, dass wir die einschlägigen Gesetzmäßigkeiten aufgrund der Komplexität der Situation nicht kennen, die viel genauer beschrieben werden müsste, um alle für den Armbruch relevanten Faktoren zu identifizieren. Der Punkt ist aber, dass wir, obwohl wir eine solche Beschreibung eben nicht zur Verfügung haben, nicht
Siehe z. B. von Kutschera () und Keil (), Kap. II.
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5 Determinismus und Vorhersehbarkeit
zögern, ein bestimmtes Ursache-Wirkungs-Verhältnis zu konstatieren, so dass ein derartiges Verhältnis anscheinend nicht von sich aus auf eine Gesetzmäßigkeit verweist. In solchen Fällen scheint allerdings der Notwendigkeitscharakter der Kausalbeziehung ebenfalls zweifelhaft bleiben zu müssen. Einer nicht durch ein allgemeines Gesetz gedeckten Ursache-Wirkungs-Beziehung das Merkmal der Notwendigkeit der Verknüpfung zuzuschreiben anstatt von indeterministischer Verursachung auszugehen oder den Punkt einfach offen zu lassen, wirkt unmotiviert. Es handelt sich wohl mehr um eine prinzipielle Möglichkeit als um etwas, das wir für eine bestimmte Konstellation anzunehmen ausreichenden Grund haben könnten.
5.2 Grenzen des epistemischen Zugangs zu Determinanten Die besser substanziierbare, weniger spekulative Möglichkeit, warum trotz Determination Vorhersagbarkeit ausgeschlossen sein kann, betrifft nicht die prinzipielle Unerkennbarkeit der Determinationsbeziehung, sondern der determinierenden Faktoren B1, …, Bn. Wenn einige von ihnen kontinuierliche Größen sind, sind diese nicht mit letzter Präzision zu ermitteln, da man prinzipiell keine Messungen durchführen kann, die unendlich viele korrekte Nachkommastellen liefern. Da sich diese begrenzte Messgenauigkeit ebenso auch auf die zu prognostizierende, determinierte Tatsache A erstreckt, wirkt sie sich nicht unbedingt aus. Man kann in vielen Fällen Prognosen erreichen, die im Rahmen der Messgenauigkeit vollkommen präzise sind. Bei sogenannten nichtlinearen dynamischen („chaotischen“) Systemen aber, deren zeitliche Entwicklung in derart instabiler Weise von ihrem Anfangszustand abhängt, dass schon beliebig kleine Änderungen desselben erhebliche Folgen für spätere Zustände haben können, hat die prinzipiell begrenzte Messgenauigkeit zur Folge, dass Prognosen über den Systemzustand zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt überhaupt unmöglich werden. Der Grundsatz „gleiche Ursachen – gleiche Wirkungen“ bleibt bei diesen Systemen gewahrt, aber es ist bei ihnen nicht mehr durchweg so, dass ähnliche Ursachen auch ähnliche Wirkungen haben, und gerade dieses letztere Prinzip braucht man für die Vorhersage von Systemen, die kontinuierliche Größen involvieren. Die zeitliche Entwicklung eines chaotischen Systems verläuft deterministisch, ist aber nicht einmal grob vorhersagbar – dazu müsste man eben seinen Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt mit letzter Genauigkeit ermitteln können. Mit diesen Systemen liegt eine mathematisch modellierbare Klasse von Fällen vor, in denen sich Determiniertheit mit prinzipieller Unvorhersagbarkeit vereint. Insbesondere zeigen die entsprechenden Modelle, dass sich auf deterministischer
5.2 Grenzen des epistemischen Zugangs zu Determinanten
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Grundlage Phänomene einstellen können, die beliebig zufällig, regellos oder chaotisch sind – solange man eine Definition von „Zufall“, „Regellosigkeit“ oder „Chaos“ zugrunde legt, die nicht auf die Genese der Phänomene, sondern auf diese selber abhebt.⁵⁶ An den nichtlinearen dynamischen Systemen lässt sich demonstrieren, dass ein regelloses Erscheinungsbild mit einer deterministischen und nach angebbaren Gesetzmäßigkeiten verlaufenden Genese vereinbar ist. Eine anders geartete grundsätzliche Schwierigkeit für die Möglichkeit von Vorhersagen ergibt sich daraus, dass fast alle begründeten Vorhersagen implizite ceteris-paribus-Klauseln einschließen. Falls nichts Außergewöhnliches dazwischen kommt, wird sich ein bestimmtes System, von seinem jetzigen Zustand ausgehend, so-und-so entwickeln. Sogar die Paradebeispiele von Vorhersagen, die die Bewegungen der großen Himmelskörper betreffen, stehen zumindest für die entferntere Zukunft unter Vorbehalten wie dem, dass sich nicht bis dahin ein massereicher Körper von außen dem Sonnensystem nähert. Ohne derartige Voraussetzungen, die in dem jeweiligen Kontext nicht selbst Gegenstand der Prognose sind, lässt sich gar nichts vorhersagen. Prognosen sind immer auch Trendextrapolationen, und dass der Trend in bestimmter Hinsicht extrapoliert werden darf, wird dabei angenommen. Das ist kein Resultat, sondern eine Voraussetzung der Prognose oder des Modells, auf dem sie beruht.Wenn sie allerdings der Orientierung über die Zukunft dienen und mehr als eine Konditionalaussage sein soll, muss man davon ausgehen, dass die besagten Voraussetzungen wahrscheinlich oder im Normalfall erfüllt sind. Je schlechter dies begründet ist, umso weniger kann man auf die Vorhersage geben. Diesen Voraussetzungen korrespondieren in der allgemeinen Charakteristik der Determinationsbeziehung die Hintergrundbedingungen, die vorliegen müssen, damit A durch B1, …, Bn notwendig gemacht wird. Sowohl bei Urteilen über Determinationsverhältnisse als auch bei Voraussagen spielen also (implizite) ceteris-paribus-Klauseln eine wichtige Rolle. Aber zumindest wenn der Determinismus im Sinne einer globalen ontologischen These zutrifft, gibt es auch unbedingte Tatsachen in Bezug auf Determinationsverhältnisse. Die Entwicklung eines bestimmten Systems wird so-und-so verlaufen, falls sie nicht durch gewisse äußere Einflüsse „gestört“ wird – aber unter global-deterministischen Annahmen steht auch fest, ob solche Einflüsse eintreten oder nicht. Eine typische Idee wäre, dass, wenn man nicht nur das System selbst, sondern einen hinreichend großen umgebenden Ausschnitt der Welt betrachtet, der Zustand dieses Ausschnitts die Entwicklung des Teilsystems für die nähere Zukunft eindeutig festlegt, ohne dass dabei ceteris-paribus-Klau-
Siehe Earman (, Kap. IX).
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5 Determinismus und Vorhersehbarkeit
seln im Spiel sind. Damit ein solches Bild zutrifft, muss die Determinationsbeziehung Charakteristika aufweisen, die ihr keineswegs selbstverständlich zukommen, hier aber um des Argumentes willen unterstellt werden sollen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um ein zeitliches und ein räumliches (oder ein raumzeitliches) Nahewirkungsprinzip, das durch eine prinzipiell nicht überschreitbare Höchstgeschwindigkeit für die Ausbreitung von Wirkungen ergänzt ist. Das bedeutet folgendes: Weder Abstände in der Zeit noch im Raum werden von der Determinations- oder Verursachungsbeziehung einfach „übersprungen“. Zeitlich oder räumlich (oder raumzeitlich) Entfernteres entfaltet nicht direkt, sondern nur vermittelt durch zeitlich oder räumlich (oder raumzeitlich) Näheres seine Wirkung. Insbesondere beeinflusst Vergangenes Zukünftiges nicht direkt, sondern nur auf dem Weg über Gegenwärtiges. Zudem erfolgt die Ausbreitung von Wirkungen nicht mit beliebig hohen Geschwindigkeiten. Wenn die Determinationsbeziehung diesen Anforderungen genügt, dann legt im Falle eines globalen Determinismus der Zustand eines geeignet großen Weltausschnitts (System plus Umgebung) die Entwicklung des Systems für die nähere Zukunft in einem unbedingten Sinne fest.⁵⁷ Wie groß der besagte Weltausschnitt mindestens sein muss, hängt einerseits davon ab, wie weit sich die „nähere Zukunft“ erstreckt, andererseits von der Höchstgeschwindigkeit für die Wirkungsausbreitung. Solchen unbedingten Determinations-Tatsachen entspricht in der Regel keine Vorhersagemöglichkeit – jedenfalls nicht, wenn man unterstellt, dass die Prognose der Entwicklung eines Systems so erfolgt, dass man aus der Kenntnis gegenwärtiger Tatsachen, insbesondere des gegenwärtigen Systemzustands, und einschlägiger Gesetzmäßigkeiten auf den zukünftigen Systemzustand schließt. Um den aktuellen Zustand des Systems zu ermitteln, muss man Messungen oder sonstige Beobachtungen an ihm vornehmen oder es sogar selber einrichten („präparieren“), in jedem Fall mit ihm interagieren. Damit gehört der Beobachter selber zu dem für die Entwicklung des Systems relevanten Weltausschnitt. Eine unbedingte Vorhersage würde erfordern, dass der Beobachter imstande ist, einen Weltausschnitt, zu dem er selber gehört, in allen relevanten Aspekten vollständig zu repräsentieren und mit dieser Repräsentation dann noch zu operieren. Derartiges ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, doch erfordert eine solche Aufgabe den Beobachter aus Komplexitätsgründen in vielen Fällen prinzipiell. Man kann sagen, dass durch die unvermeidliche Interaktion das System sich vergrößert und den Beobachter in sich hineinzieht, so dass dieser gar nicht in der Position ist, als ein äußerer Beobachter aufzutreten, sondern Teil eines für eine Repräsentation durch ihn selber eben damit zu komplexen Weltausschnitts wird.
Siehe Bartels () und Earman (, Kap. X).
5.2 Grenzen des epistemischen Zugangs zu Determinanten
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Das gilt allerdings nicht durchweg, und wo es gilt, ist es nicht leicht streng zu beweisen.⁵⁸ Man könnte wie folgt argumentieren: Während unendlich große Entitäten, die in der Mathematik durch geeignet strukturierte Mengen mit unendlich vielen Elementen repräsentiert werden, zu einem echten Teilsystem ihrer selbst isomorph sein können, das heißt, eine vollständige Kopie ihrer selbst als echten Teil und darüber hinaus noch anderes enthalten können, ist solches für endliche Entitäten unmöglich. Ein endlicher Beobachter hätte nicht die nötige Komplexität, um auch nur sich selbst vollständig zu repräsentieren und mit dieser Repräsentation dann noch etwas anzufangen, geschweige denn einen darüber hinausgehenden Weltausschnitt. Um sich selbst in allen Einzelheiten zu repräsentieren und aus dieser Repräsentation eine Prognose (etwa über eigenes Verhalten) abzuleiten, müsste er eine Kopie seiner selbst als Teil enthalten und darüber hinaus noch Kapazitäten frei haben. Die Kopie wäre dann ein echter Teil von ihm (ein Teil, der nicht schon das Ganze ist), und dieser echte Teil würde wegen der Vollständigkeit der Repräsentation wiederum eine solche Kopie als echten Bestandteil enthalten, und so weiter ad infinitum, in offenbarem Widerspruch zu der Endlichkeit des Beobachters.Wenn ein endlicher Beobachter zu einem Teil seiner selbst isomorph ist, so ist dieser Teil also schon das Ganze, nämlich er selber, und wenn er sich dergestalt durch sich selber repräsentiert, bleiben keine Kapazitäten frei, um mit dieser „Repräsentation“ (wenn man es denn so nennen will) noch etwas anzufangen, beispielsweise aus ihr eine Prognose abzuleiten. Unmöglichkeitsargumente dieser Art machen es sich jedoch zu einfach. Zweierlei ist dagegen einzuwenden: Erstens sind auch für eine unbedingte Vorhersage nicht immer detaillierte Informationen nötig.Wenn das System, um das es geht, gegenüber allen potentiellen Beeinflussungen durch den Beobachter und anderen „Störungen“ dieser Größenordnung stabil ist, muss der umgebende Weltausschnitt auch für eine unbedingte Prognose nur grob erfasst werden. Die Modifikationen, die das System durch tatsächliche oder mögliche Interaktionen mit dem Beobachter erfährt, können derart gering sein, dass sie sich in dem durch die Prognose- und Messgenauigkeit gesteckten Rahmen gar nicht bemerkbar machen. In diesem Fall kann der Beobachter von sich selber und vergleichbaren Einflussfaktoren absehen. Unbedingte Prognosen über die nähere Zukunft unseres Planetensystems beispielsweise werfen keine prinzipiellen Probleme auf. Der umgebende Weltausschnitt, zu dem der Beobachter selbst gehört, muss also gar nicht schlechthin vollständig, sondern nur in den für die Systementwicklung relevanten Aspekten vollständig repräsentiert werden, und das können vergleichsweise wenige und einfache sein.
Ich danke Joachim Bromand für eine Diskussion dieses Punktes.
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5 Determinismus und Vorhersehbarkeit
Zweitens ist es ein Fehler, unter einer vollständigen Repräsentation gleich so etwas wie eine Kopie zu verstehen. Eventuell lässt der das System und den Beobachter umgebende Weltausschnitt eine abgekürzte Beschreibung zu, die einerseits alle Einzelheiten implizit enthält, andererseits aber aufgrund ihrer Kürze von dem Beobachter im Sinne einer unbedingten Systemprognose verarbeitet werden kann. Entscheidend ist hier der Terminus „implizit“. Die sogenannte Kolmogorov-Chaitin-Komplexität einer (endlichen oder unendlichen) Zahlenfolge ist maximal, wenn die kürzeste Anweisung zur Erzeugung der gesamten Folge im Wesentlichen so lang ist wie die Folge selber.⁵⁹ In diesem Fall kann man die Folge nicht effizienter wiedergeben als dadurch, dass man jede einzelne Stelle und damit die ganze Folge explizit hinschreibt. Dies wäre der Fall einer vollständigen Repräsentation durch Kopie. Aber selbstverständlich sind nicht alle Zahlenfolgen von dieser Art, viele lassen sich mehr oder minder stark komprimieren. Die kürzeste Anweisung zur Erzeugung der gesamten Folge, aus der sich jedes Glied der Folge berechnen lässt, kann deutlich kürzer sein als sie selber. Insbesondere gilt: Wenn die Glieder einer unendlichen Folge nach einer durch endlich viele Zeichen ausdrückbaren Regel aufeinander folgen, ist die Folge mithilfe dieser Regel durch endliche (etwa menschliche) Mathematiker erfassbar. Diese können anhand der Regel viele (allerdings nicht alle) Fragen über die Folge beantworten. Eine derartige implizite Repräsentation der Folge durch ihr Bildungsgesetz ist etwas anderes als eine Kopie. Übertragen auf unser Problem der Repräsentation eines Weltausschnittes, zu dem der Beobachter selber gehört, bedeutet das: Wenn sich der Weltausschnitt informationstheoretisch hinreichend stark komprimieren lässt, spricht prinzipiell nichts dagegen, dass der Beobachter über eine derart komprimierte Beschreibung verfügt und mit ihr zum Zwecke einer unbedingten Vorhersage des Systemverhaltens operiert. Zumindest gibt es keine Komplexitätsgesichtspunkte, die das ausschließen würden. Die erforderliche implizite Repräsentation des umgebenden Weltausschnitts unter Einschluss seiner selbst stünde dem Beobachter zur Verfügung, ohne seine Kapazitäten zu übersteigen. Ob ein Weltausschnitt sich derart informationstheoretisch komprimieren lässt oder nicht, ist zunächst einmal eine offene Frage. Was nach diesen Einschränkungen von unserem Argumentationsversuch übrig bleibt, ist folgendes: In bestimmten Fällen sind uns unbedingte Prognosen der Entwicklung eines Systems aus Komplexitätsgründen prinzipiell unmöglich. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn zahlreiche Aspekte des uns und das System einschließenden Weltausschnitts für die Systementwicklung potentiell relevant sind, und wenn außerdem dieser Weltausschnitt
Siehe dazu Bromand (, Kap. IV).
5.3 Sich selbst aufhebende Vorhersagen
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keine erhebliche informationstheoretische Komprimierung zulässt. Es ist plausibel (aber nicht mehr), dass diese Bedingungen häufig erfüllt sind.
5.3 Sich selbst aufhebende Vorhersagen Das eben Ausgeführte bezieht sich insbesondere auf Prognosen des eigenen Verhaltens. Eine vollständige Bestandsaufnahme ihrer selbst und ihrer Umgebung zum Zweck einer Vorhersage des eigenen Tuns wird die Kapazitäten einer Person häufig weit übersteigen. Aber hier kommt noch ein weiteres Moment ins Spiel, das die Prognosemöglichkeiten prinzipiell begrenzt und neben Chaos und Komplexität eine dritte Quelle solcher Beschränkungen darstellt. Es handelt sich um die Selbstbezüglichkeit, sofern sie unterminierenden Charakter hat. Unter den mentalen Prozessen gibt es solche, deren regulärer Ablauf unvereinbar damit ist, dass ihr Subjekt über sie und insbesondere ihr Resultat im Vorhinein Bescheid weiß. Wer schon eine Meinung über seine künftige Meinung in einer bestimmten Sache hat, braucht sich die letztere nicht mehr zu bilden, und wer seine Entscheidung antizipiert, braucht sie nicht mehr zu treffen. Deshalb ist es für Prozesse der Meinungsbildung und der Entscheidungsfindung wesentlich, dass ihr Subjekt während ihres Vollzugs keine Meinung über ihren Ausgang hat. Ein entsprechendes Wissen, ja, bereits eine bloße Meinung darüber würde den Prozess seiner Sinnhaftigkeit berauben und damit einem rationalen Subjekt seine Fortführung als Meinungsbildungs- oder Entscheidungsfindungsprozess unmöglich machen. Nehmen wir an, eine vernünftige Person wäre der Überzeugung, dass sie aufgrund ihrer theoretischen Überlegungen zu einem bestimmten Gegenstand die Meinung erwerben wird, dass A. Nimmt sie diese Überlegungen daraufhin vor oder nicht, fährt sie in ihnen fort oder nicht? Wenn letzteres, dann bricht sie sie ergebnislos ab oder stellt sie gar nicht erst an und kommt also nicht durch sie zu der Meinung, dass A. Die hypothetisch angenommene Überzeugung wäre somit falsch. Fährt die Person aber zu überlegen fort, dann versucht sie, sich eine Meinung zu bilden, die sie bereits zu kennen glaubt. Damit verlieren die entsprechenden Überlegungen ihren Sinn. Die Person kann sie immer noch anstellen, aber sie haben dann keine meinungsgenerierende Funktion mehr und die hypothetisch angenommene Überzeugung wäre ebenfalls falsch. Da die vernünftige Person diese Konstellation von vornherein durchschaut und erkennt, dass die hypothetisch angenommene Überzeugung auf jeden Fall falsch wäre, legt sie sich eine solche gar nicht erst zu, stellt also keine Prognosen über den Ausgang ihrer eigenen Meinungsbildungsprozesse an. Dieses Argument ist als Reductio ad absurdum der Annahme zu verstehen, ein rationales Subjekt könne Vorhersagen
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5 Determinismus und Vorhersehbarkeit
solcher Art machen, und zwar selbst in dem schwachen Sinne einer bloßen Meinung über Künftiges. Dabei sind verschiedene Qualifikationen zu beachten. Erstens gilt das Gesagte nur für Prognosen im Sinne einer definitiven Meinung: „So wird es kommen.“ Tentative Meinungen oder Mutmaßungen über das künftige Resultat einer Meinungsbildung lassen noch rationalen Spielraum für entsprechende Überlegungen. Zweitens gilt die Reductio tatsächlich nur für ein in den relevanten Hinsichten rationales Subjekt, wozu auch gehört, dass es sich in der erforderlichen Weise selber transparent ist.Wenn ein Subjekt gar nicht bemerkt, dass die Prognose über seine künftige Meinung den Sinn des entsprechenden Meinungsbildungsprozesses untergräbt, oder dies zwar bemerkt, aber nicht die entsprechenden Konsequenzen zieht, dann kann es (zwar nicht rationalerweise, aber de facto) mit seiner Meinungsbildung ganz normal fortfahren und zu einem Ergebnis gelangen, das mit der Prognose übereinstimmt. Damit hätte das Subjekt den Ausgang des Prozesses korrekt antizipiert. Weiterhin kann die Person auch bei vollständiger Rationalität die Überlegung trotz einer Prognose über ihren Ausgang anstellen oder fortsetzen – jedoch nur in einem anderen Sinne. Die Überlegung dient dann nicht mehr der Meinungsbildung.Wenn die Person sich etwa darüber verwundert, dass dieses der richtige Zug in einer Schachpartiestellung sein soll, dann kann ein anderer Schachspieler zu ihr sagen: „Denk mal richtig nach, dann wirst du es schon sehen!“ Die Person kann nun in einem ersten Schritt der Auskunft Glauben schenken und so auch ohne eigenes Überlegen nicht bloß eine Meinung, sondern eventuell sogar eine begründete und wahre Meinung, also (in einem bestimmten Sinne) Wissen über den richtigen Zug erlangen. Wir wollen annehmen, dass sie in dieser Situation mit Recht einer Autorität vertraut. Aber selbstverständlich kann sie nun weiterhin überlegen, warum dies der richtige Zug ist – dazu wird sie im Beispiel ja aufgefordert – und ihr diesbezüglicher Gedankengang kann im Prinzip genauso verlaufen wie wenn sie einfach ohne Hinweise darüber nachdächte, was in der gegebenen Stellung der beste Zug ist. Die Überlegung hat dann nach wie vor epistemischen Charakter, aber sie zielt auf eine Einsicht, und nicht mehr auf die Bildung einer Meinung darüber, was der beste Zug sei. Es ist in diesem Fall zu unterscheiden zwischen Wissen im Sinne einer begründeten wahren Meinung und Wissen im Sinne von Einsicht oder Erkenntnis. Die Überzeugung, dass man einsehen oder erkennen werde, dass A, ist ohne weiteres mit der Meinung vereinbar, dass man diese Erkenntnis noch nicht habe und erst durch weitere epistemische Bemühungen erwerben werde. Dagegen hat man in diesem Stadium bereits die Meinung, dass A, und dabei kann es sich durchaus um Wissen im Sinne einer begründeten wahren Meinung handeln. Weiteres Überlegen mit dem Ziel des Meinungs- oder Wissenserwerbs in diesem schwächeren Sinne ist dann obsolet.
5.3 Sich selbst aufhebende Vorhersagen
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Ähnlich verhält es sich beim praktischen Überlegen oder allgemein bei Prozessen der Entscheidungsfindung. Für eine Person, die ihr eigenes Handeln in einer bestimmten Sache antizipiert, verlieren sämtliche Vorgänge mit dem Ziel einer Absichtsbildung in dieser Sache ihren Sinn. Das gilt für praktische Überlegungen ebenso wie für Entschlüsse und Entscheidungen. Problemlos prognostizieren kann eine rationale Person ihr Handeln, aber nicht einen künftigen Entschluss, sich so-und-so zu verhalten, denn dadurch würde dieser buchstäblich vorweg genommen, womit sich die Idee einer derartigen Prognose wiederum als inkohärent erweist. Sofern es für eine Person in Bezug auf ihr eigenes zukünftiges Handeln etwas zu wissen gibt, ist eine praktische Festlegung darauf nicht mehr nötig, und darauf zielende Überlegungen und Entscheidungen sind hinfällig. Unproblematisch ist dagegen die Vorhersage eigener Handlungen, insofern das Subjekt in diesem Fall eine entsprechende Absicht zum Zeitpunkt der Prognose bereits gebildet hat oder mit ihr bildet. Bei dieser Unmöglichkeitsbehauptung sind dieselben Qualifikationen wie im Falle der Antizipation der Meinungsbildung zu beachten. Wie dort betrifft die Unmöglichkeit nur feste, nicht aber tentative Meinungen. Eine bloße Vermutung darüber, wie man sich entscheiden werde, nimmt die Entscheidung noch nicht vorweg. Und wie dort kann die Überlegung bei einer definitiven Meinung über das eigene Handeln in einem anderen Sinne fortgesetzt werden. Selbstverständlich kann man auch dann überlegen, ob man H tun sollte, wenn man überzeugt ist, dass man H tun wird, aber diese Überlegung ist dann keine praktische. Sie zielt nicht aufs Handeln, sondern auf eine praktisch folgenlose Erkenntnis. Schließlich betrifft die Unmöglichkeit auch hier nur Subjekte, die in den relevanten Hinsichten rational und sich selber transparent sind. Eine irrationale Person kann eine feste Meinung über eine künftige Entscheidung haben und in derselben Angelegenheit dennoch mit dem Ziel der Handlungssteuerung überlegen. Dies kann in ein Urteil, was zu tun am besten wäre, münden, die Person aufgrund dessen ihre Entscheidung treffen, und diese mit der zuvor gemachten Prognose übereinstimmen, womit sich die Prognose als zutreffend herausstellt. Oder die Person könnte eine feste Meinung darüber haben, wie sie sich entscheiden wird, aber als theoretische Übung weiter darüber nachdenken, was sie am besten tun sollte. Diese Übung könnte dazu führen, dass die Person eben die Option, für die sie sich laut ihrer Vorhersage entscheiden wird, als die beste erkennt und nun deshalb die entsprechende Entscheidung trifft. Auch damit wäre die ursprüngliche Prognose als wahr erwiesen, aber nur, weil die Person im entscheidenden Moment vergisst, dass es für sie angesichts ihrer Prognose gar nichts mehr zu entscheiden gibt. Eine andere Person verfällt vielleicht auf einen Gedankengang, der zeigt, dass Prognosen über den Ausgang eigener Entscheidungsfindungsprozesse unmöglich sind, akzeptiert diesen,verwirft
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5 Determinismus und Vorhersehbarkeit
ihre Prognose deshalb und fährt daraufhin mit ihrem praktischen Überlegen fort, das nun wieder in eben der vorhergesagten Entscheidung resultieren könnte. Auch dann hätte die Person mit ihrer ursprünglichen Vorhersage richtig gelegen. In vollständig rationaler Weise ist die besagte Antizipation aber nicht möglich. Indem eine Person ihr eigenes Verhalten prognostiziert, wird jeder Prozess mit dem Ziel der Absichtsbildung in derselben Angelegenheit rationalerweise beendet. Einige Autoren haben das Treffen einer Entscheidung oder die Bildung einer Absicht sogar mit dem Erwerb einer Meinung über eigenes künftiges Verhalten gleichgesetzt: „Das werde ich tun.“ soll als Prognose zu verstehen und die Essenz einer Handlungsabsicht sein.⁶⁰ Die Entscheidung oder Absicht, H zu tun, impliziert jedoch nicht die Meinung, dass man H tun werde, geschweige denn, dass sie damit identisch wäre, sondern lediglich die Überzeugung, dass man H tun könne (gegeben, dass bis dahin alles „normal läuft“). Sie ist sogar kompatibel mit der Meinung, dass man H wahrscheinlich unterlassen werde. Man kann sich etwas zu tun vornehmen und dabei arge Zweifel hegen, dass man es tun wird.⁶¹ Das einzige, was rational ausgeschlossen ist, ist die Kombination der Absicht, H zu tun, mit der Überzeugung, dass man H nicht tun werde: Die Auffassung von Handlungsabsichten als Meinungen mit einem bestimmten Gegenstand ist also inadäquat. Wenn sie es aber nicht wäre, würden die hier vorgetragenen Überlegungen über die Unvorhersehbarkeit gewisser eigener mentaler Zustände sogar einfacher: Wäre eine Absicht eine Meinung über eigenes künftiges Verhalten, dann wäre eine Entscheidung eine spezielle Form der Meinungsbildung, und die rationale Unmöglichkeit der Entscheidungsprognose würde sich als Spezialisierung des theoretischen Falls ergeben. Die Behauptung der Unvorhersehbarkeit des Verlaufs und insbesondere des Resultats eigener Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse bezieht sich den hier vorgetragenen Argumenten zufolge auf aktuell anstehende oder laufende Prozesse. Ihre weitere Verallgemeinerung erforderte zusätzliche Argumente, von denen ich offen lasse, ob sie sich liefern lassen. Während klarerweise ein irrationales Moment beteiligt ist, wenn ein Subjekt eine Meinungsbildung oder Entscheidungsfindung unternimmt, deren Resultat es schon zu kennen meint, scheint es weniger problematisch, für künftige Umstände die eigene Entscheidung oder Meinung mitsamt der ihr in dieser Situation vorausgehenden Überlegung zu prognostizieren, ohne jene damit schon zu treffen beziehungsweise sich zu eigen zu machen. Die Situation ist ja noch nicht da, das Subjekt noch nicht engagiert. Eines ist es, eine Entscheidung oder Meinung vorauszusehen, ein anderes, sie zu
Diese Position wird vertreten und verteidigt von Velleman (), siehe insbesondere Kap. . Siehe dazu eingehend Holton (), Kap. .
5.3 Sich selbst aufhebende Vorhersagen
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treffen oder sich zu bilden. Die Meinung oder das Wissen, dass man sich so-und-so festlegen werde, ist noch nicht die Festlegung selber.⁶² Allerdings haben wir es in einem solchen Fall mit einer Distanzierung von den eigenen künftigen Festlegungen zu tun, die vorausgesehen, aber nicht übernommen werden. Man wird sich, so meint man, für H entscheiden, aber ohne damit schon eine Absicht für die kommende Situation zu bilden. Oder man meint, dass man A für wahr halten wird, aber ohne es jetzt schon für wahr zu halten. Das kann rational nur durch einen antizipierten Bruch zwischen den Beurteilungsmaßstäben des gegenwärtigen und denen des zukünftigen Ich verständlich gemacht werden, dessen Entscheidungen oder Meinungen dann Gegenstand einer ganz normalen Vorhersage werden. Die Frage ist, ob jede derartige Konstellation auf ein irrationales Moment verweist. Das Problem kann ganz in dem künftigen Selbst liegen, von dessen Urteilen und Entscheidungen man sich etwa deswegen distanziert, weil man sich als alkoholisiert, enerviert, übermüdet oder in einer Extremsituation befindlich vorhersieht. Eine Einschätzung, was man unter solchen Umständen für wahr halten oder tun wird, impliziert keinerlei Festlegung auf die entsprechende Meinung oder Entscheidung. Ob ein solcher vorausgesehener Bruch in den eigenen Beurteilungsmaßstäben auch ohne Irrationalität zu haben ist, hängt davon ab, ob zur vollen Rationalität eines Subjekts Prinzipien gehören, die die diachrone Kohärenz seiner (graduierten) Meinungen und Präferenzen sicherstellen. Das wichtigste Beispiel hierfür ist die Konditionalisierungsregel im Bayesianismus zur Modifikation von Überzeugungsgraden angesichts neuer Evidenzen. Deren Charakter als Kohärenz- und damit Rationalitätsprinzip ist nicht vollständig etabliert,⁶³ aber immerhin hat man damit auf der theoretischen Seite einen klaren Vorschlag, für den auch viel spricht. Er besitzt kein Analogon auf der praktischen Seite, wenn es um die Änderung von Präferenzen geht. Hier ist die Situation wesentlich unübersichtlicher.⁶⁴ So ist durchaus strittig, ob zur praktischen Rationalität Überlegungen gehören, die erwartete künftige Präferenzen, die man jetzt noch nicht hat, mit einbeziehen, so dass ein vernünftiges Subjekt bloß antizipierte Wünsche seinen gegenwärtigen prinzipiell gleichstellt, oder ob im Gegenteil die „praktische Vernunft ihren Standpunkt in der Gegenwart bezieht“.⁶⁵ Haben also Rationalitätsanforderungen nur synchronen Charakter, in dem Sinne, dass die Meinungen, Präferenzen, Absichten und anderen einschlägigen mentalen Zustände eines Subjekts zu einem bestimmten Zeitpunkt untereinander zusammenpassen müssen, oder gibt es auch
Siehe Pothast (, S. ). Siehe dazu Earman (), Kap. ., . und . Siehe dazu Spohn (Manuskript). So etwa Gauthier (), Kap. II, S. – .
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5 Determinismus und Vorhersehbarkeit
einen rational geregelten Übergang zu anderen Meinungen, Wünschen und Absichten? In je höherem Maße dies der Fall ist, umso weniger lassen sich die Resultate künftiger Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse durch das Subjekt rational antizipieren, denn jede solche Antizipation, sofern sie nicht den Einbruch irrationaler Faktoren betrifft, implizierte gegenwärtige theoretische und praktische Festlegungen, die jene Prozesse überflüssig machten. Die Entscheidung wäre damit bereits gefallen, die Meinung erworben. Es ist somit nicht leicht, den Sinn und die Reichweite der These von der prinzipiellen Unvorhersehbarkeit der eigenen Meinungen und Entscheidungen genau zu bestimmen, aber das Grundmotiv ist klar. Andere Subjekte können dagegen ohne weiteres eine zutreffende (begründete oder unbegründete) Meinung darüber haben, welche Entscheidung man in Zukunft treffen oder welche Meinung sich bilden werde. Die skizzierte Struktur ist deshalb nicht nur mit einer ontischen Determination ohne weiteres vereinbar, sondern auch mit der Vorhersagbarkeit durch Dritte. Nur die betroffene Person selber kann keine Prognose anstellen. Unterminierend-selbstbezügliche Strukturen, bei denen der Versuch der Vorhersage bestimmter eigener mentaler Zustände scheitern muss, markieren prinzipielle epistemische Beschränkungen jeweils einer bestimmten Person, denen andere Subjekte nicht unterliegen (freilich unterliegen sie analogen, jeweils in Bezug auf sich selbst). Die Frage, was die betroffene Person von den Prognosen Dritter, wenn diese zu ihrer Kenntnis gelangen, übernehmen kann, und wie sich eine solche Akzeptanz auf ihr Verhalten auswirken würde oder rationaler Weise auswirken müsste, weist Aspekte und Verwicklungen auf, die über die hier dargelegten hinausgehen.⁶⁶
5.4 Ontische Wendung epistemischer Beschränkungen Es gibt somit prinzipielle Grenzen für die Vorhersagbarkeit auch von deterministischen Systemen, insofern es prinzipielle Hindernisse für den Erwerb der dafür erforderlichen Informationen geben kann. Fünf mögliche Quellen solcher Hindernisse habe ich skizziert: Erstens die Unerkennbarkeit der Notwendigkeitsbeziehung, indem diese gar keinen oder zu komplexen Gesetzmäßigkeiten folgt, zweitens die labile Abhängigkeit der Systementwicklung von der genauen Beschaffenheit des gegenwärtigen Systemzustandes, drittens die den meisten Vor-
Zu der Problematik der Einsicht in das eigene „Buchs des Lebens“, in welchem der gesamte Lebenslauf einer Person mit allen äußeren und inneren Wendungen aufgezeichnet ist, siehe Goldman (, Kap. ) und Velleman (, Kap. ).
5.4 Ontische Wendung epistemischer Beschränkungen
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hersagen implizit innewohnenden ceteris-paribus-Klauseln, viertens die die Kapazitäten des Beobachters überschreitende Komplexität der Vorhersageaufgabe, und fünftens Strukturen mit unterminierender Selbstbezüglichkeit. Wenn menschliches Handeln oder dasjenige, was wir mit diesem Begriff belegen, determiniert sein sollte, so ist zu erwarten, dass dabei alle genannten Quellen der Unvorhersehbarkeit, mit eventueller Ausnahme der ersten, eine Rolle spielen. Deshalb sind Argumente, die durch den Hinweis auf die prinzipielle Unvorhersagbarkeit menschlicher Handlungen – soweit sie denn besteht – deren Indeterminiertheit erweisen oder wenigstens nahe legen wollen, nicht zugkräftig. Versuche, aus epistemischen Beschränkungen ohne größere philosophische Kosten einen ontischen Indeterminismus abzuleiten, sind untauglich.⁶⁷ Insbesondere haben die Motive „Chaos“, „ceteris-paribus-Klauseln“, „Komplexität“ und „Selbstaufhebung“ mit Unverursachtheit oder ontischer Offenheit ersichtlich nichts zu tun. Ein wichtiger Bezugspunkt für epistemische Argumente gegen den Determinismus ist Karl Popper, der besonders die Argumente aus der Komplexität und der Selbstbezüglichkeit gründlich durchführt.⁶⁸ Popper interessiert sich für den Determinismus im Sinne einer überprüfbaren wissenschaftlichen Hypothese und identifiziert ihn deshalb mit der Prognostizierbarkeit durch eine abstrakt charakterisierte Maschine. Er hat darin Recht, dass, wenn man eine derartige epistemologische Charakteristik von „Determinismus“ zugrunde legt, sich dieser unter sehr schwachen Zusatzannahmen widerlegen lässt.Verfehlt ist jedoch seine strikte Trennung zwischen „wissenschaftlichen“ (empirisch überprüfbaren) und „metaphysischen“ (sinnvollen, aber nicht testbaren) Hypothesen, sowie seine Behauptung, der globale Determinismus und seine Negation seien Thesen der letzteren Art, es sei denn, man verstünde sie als Behauptungen über die Prognostizierbarkeit durch präzise umrissene Methoden. Diese Sichtweise steht im Banne der Verifikationsstandards des logischen Empirismus (die von Popper um die Idee der Falsifikation ergänzt werden) und unterschätzt indirekte Möglichkeiten der empirischen Bestätigung. Der globale Determinismus ist eine These, die, auch ohne dass man sie begrifflich mit Vorhersagbarkeit in Verbindung bringt, durch wissenschaftliche Erkenntnisse erheblich gestützt oder unterminiert werden kann. Will man prinzipielle epistemische Beschränkungen tatsächlich als Argumente gegen den Determinismus verwenden, dann muss man sie in einer so ra-
Siehe auch die Kritik in Pothast (, Kap. V). Siehe Popper ().
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dikalen Weise interpretieren wie Donald MacKay dies unternommen hat.⁶⁹ Er vertritt mit Blick auf die Unvorhersagbarkeit der eigenen Entscheidungen die Position, dass ihr Subjekt sie mit Recht für indeterminiert erklären kann und sogar muss, weil es prinzipiell keine Kenntnis über ihre Ursachen erlangen kann. Ihm zufolge könnte man von einem epistemischen Defizit des Subjekts nur dann sprechen, wenn es prinzipiell behebbar wäre, aber das ist hier gerade nicht der Fall. Es gibt an dieser Stelle für das Subjekt nichts zu wissen. Andere Personen aber können laut MacKay die Entscheidungen des Subjekts mit vollem Recht als determiniert ansehen und sie prinzipiell sogar vorher wissen. Wir müssten uns aber davor hüten, diese Situation so zu beschreiben, dass die Außenstehenden dann über den tatsächlichen Sachverhalt, nämlich die Determiniertheit der Entscheidungen des Subjekts, im Bilde seien, während dieses selber sich hierüber täusche. Vielmehr gebe es in diesem Fall gar keinen universell bestehenden Sachverhalt. Mit dieser Auffassung geht eine bei MacKay nur angedeutete Bedeutungstheorie einher, die einerseits Wahrheits- auf Behauptbarkeitsbedingungen zurückführt, andererseits Äußerungen, und nicht dadurch ausgedrückte Propositionen, zum Bedeutungsträger macht. Ich selber muss von meinen künftigen Entscheidungen die Indeterminiertheit behaupten, während ein Außenstehender in der Position sein kann, sie für determiniert und vorhersehbar zu erklären, und wir beide können mit unseren Aussagen etwas Wahres behaupten. Wir können dies sogar wechselseitig anerkennen und dem jeweils anderen zugestehen, dass seine Äußerung wahr ist, ohne uns deswegen seine Behauptung zueigen machen zu können. Dieses Zugeständnis kann freilich wegen einer zusätzlichen Isolationsbedingung nur abstrakt erfolgen: Wer mit mir aktuell in Kontakt steht, kann nicht wahrheitsgemäß behaupten, er wisse meine Entscheidung im Voraus, und zwar weil er nicht wissen kann, ob er selber sich entscheiden wird, mir seine Prognose mitzuteilen, was diese falsifizieren könnte. Durch den Kontakt mit mir, die Unvorhersehbarkeit seiner künftigen Entscheidungen für ihn selber sowie die Möglichkeit, dass durch diese die meinigen beeinflusst werden, überträgt sich die Unvorhersehbarkeit meiner Entscheidungen auch auf den Beobachter. Dieser muss also, wenn er mein Handeln tatsächlich prognostizieren soll, einerseits detaillierte Informationen über mich und meine Umwelt besitzen, andererseits aber derart von mir isoliert sein, dass nichts, was er sich möglicherweise zu tun entscheidet, einen Einfluss auf mein Handeln ausüben könnte. Diese Beschränkung muss innerhalb des für die Vorhersage relevanten Zeitraums bestehen. MacKays Ansatz hat den Vorzug, als einer der wenigen seiner Art die besonderen Annahmen, die man machen muss, um aus der Unvorhersehbarkeit der
Siehe MacKay ().
5.4 Ontische Wendung epistemischer Beschränkungen
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eigenen Entscheidungen ihre Indeterminiertheit abzuleiten, weder zu unterschätzen noch zu verschleiern. Seine Sichtweise scheint allerdings ihre eigene Artikulation unmöglich zu machen und damit performativ widersprüchlich zu sein. Er sagt nicht und möchte vernünftiger Weise nicht so etwas sagen wie: „Meine eigenen künftigen Entscheidungen sind objektiv offen und indeterminiert, die anderer Leute hingegen möglicherweise determiniert, wobei diese anderen das dann prinzipiell nicht erkennen könnten, sondern auf der Indeterminiertheit ihrer Entscheidungen beharren würden.“ Nicht nur wäre ein solcher Anspruch auf eine Sonderstellung der eigenen Person bizarr, sondern MacKay könnte auf diese Weise seine philosophische Position auch gar nicht transportieren. Tatsächlich müsste er aber so sprechen und für seine Person eine Sonderrolle deshalb beanspruchen, weil umgekehrt das Zugeständnis, dass sich die anderen Subjekte in einer analogen Situation wie er selber befinden, die Einnahme eines übergreifenden Standpunkts voraussetzt. Gesteht man einen solchen aber einmal zu, dann scheint die entscheidende Frage zu sein, ob jemandes künftige Entscheidungen von diesem Standpunkt aus als determiniert gedacht werden können oder nicht. Da dies bei anderen Personen ohne weiteres möglich und der übergreifende Standpunkt bezüglich aller Personen symmetrisch ist, ist von ihm aus die Determination auch von MacKays eigenen Entscheidungen denkbar, und er selber kann dies erkennen. Damit tut sich entgegen seiner Intention innerhalb des von ihm eingenommenen Standpunktes die Kluft zwischen dem, was möglicherweise determiniert ist, und dem, was er selber prinzipiell vorhersehen kann, doch wieder auf. Mit dem übergreifenden Standpunkt kann MacKay die Idee einer universell gültigen Beschreibung nicht in der von ihm intendierten Weise verabschieden, und ohne diesen kann er nicht sagen, was er sagen möchte. Auch unabhängig davon scheint der Beobachter gegenüber der handelnden Person in einer Weise epistemisch privilegiert zu sein, die es sehr schwer macht zu leugnen, dass jener die Dinge erfasst, wie sie wirklich sind, während diese partiell im Dunkeln tappt. MacKay möchte eine Sichtweise plausibel machen, die beide Standpunkte als gleichberechtigt erscheinen lässt, aber dies gelingt ihm sogar dann nicht, wenn man sich auf alles, was er ansonsten sagt, einlässt und das Problem des performativen Widerspruchs ausklammert. Ganz gleich nämlich, welch unkonventionelle Wahrheits- und Bedeutungstheorien evoziert werden, bleibt es doch immer dabei, dass der Beobachter sich in den Handelnden und seine Situation voll hineinversetzen und genau angeben kann, wie sich die Welt aus dessen Perspektive ausnimmt. Zumindest besteht diesbezüglich laut MacKay kein prinzipielles Hindernis. Umgekehrt gilt das nicht: Der Handelnde kann prinzipiell nicht wissen, welche Prognose der Beobachter über seine künftigen Entscheidungen anstellt. Der Beobachter weiß also mehr, nicht bloß anderes, und
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eben dieses „mehr“ veranlasst uns zu sagen, seine Sichtweise auf die Dinge sei, weil privilegiert, die richtige. MacKays Auffassung lässt sich also nicht durchhalten. Sie ist aber insofern bemerkenswert, als sie mit der objektivistischen Wendung von Sachverhalten, die prima facie epistemischer Natur sind, Ernst macht. Billiger wird man eine solche Wendung nicht haben können. Der Preis ist eine Bedeutungstheorie mit sehr merkwürdigen Konsequenzen, die dasjenige undenkbar und unaussprechlich macht, was man eigentlich denken und aussprechen möchte. Bei jeder halbwegs konventionellen Sichtweise dagegen rechtfertigen die angeführten prinzipiellen epistemischen Beschränkungen noch nicht einmal einen Anfangsverdacht gegen den Determinismus. Sie lassen sich ohne weiteres auf deterministischer Grundlage nachvollziehen. In Bezug auf das grundsätzliche Verhältnis von Determinismus und Vorhersehbarkeit bleibt folgendes wahr: Gegeben die vollständige Liste der präzisen determinierenden Faktoren, gegeben die relevanten Gesetzmäßigkeiten oder einzelnen Notwendigkeitsbeziehungen, und gegeben schließlich hinreichende Ableitungsfähigkeiten, lässt sich das determinierte Ereignis in einem unbedingten Sinne und daher mit Sicherheit prognostizieren. Wenn eine Laplacesche Intelligenz irgendwoher den genauen Weltzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt kennte (wie auch immer das möglich sein sollte, ohne mit der Welt in Kontakt zu treten und dadurch Teil des größeren Systems „Welt + Intelligenz“ zu werden), und wenn sie außerdem alle einschlägigen Gesetzmäßigkeiten oder Notwendigkeitsbeziehungen kennte und dazu über die nötigen Fähigkeiten der Informationsverarbeitung verfügte, dann könnte sie in der Tat den genauen Zustand der Welt zu jedem beliebigen künftigen Zeitpunkt vorhersagen. Man kann daran festhalten, dass der Determinismus eine Art von prinzipieller Vorhersehbarkeit impliziert. Nur ist dies ein Sinn von „prinzipiell“, für den extreme Idealisierungen und kontrafaktische Annahmen erforderlich sind, während sich bei wirklichkeitsnäheren Interpretationen von „prinzipiell“ die Implikation nicht halten lässt.
5.5 Vorhersehbarkeit im strikten Sinne impliziert Determinismus Mit der Unvorhersagbarkeit von Handlungen darf man es nicht übertreiben. Der für ein halbwegs gelingendes Leben und insbesondere das Zusammenleben mit anderen unverzichtbare Normalfall menschlichen Handelns impliziert eine weitgehende Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit (in einem alltäglichen Sinne) der Handlungen eines Menschen für sich selbst und für andere. So wenig allein daraus deren Determiniertheit folgt, so wenig legt die Tat-
5.5 Vorhersehbarkeit im strikten Sinne impliziert Determinismus
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sache, dass sich Handlungen womöglich niemals mit letzter Sicherheit, und in gewissen Fällen noch nicht einmal halbwegs verlässlich prognostizieren lassen, einen Indeterminismus nahe. Handlungen unterscheiden sich darin überhaupt nicht von anderen Phänomenen: Locker gesprochen, kann man in vielen Bereichen recht gute Vorhersagen machen, die für Alltagszwecke ausreichen, aber keine absolute Sicherheit bieten. Kommt es anders als gedacht, wird man dies häufig auf Faktoren zurückführen, die bei der Prognose nicht berücksichtigt wurden, und solche dann nicht selten nachträglich ausfindig machen. Selbstverständlich sind auch genuin indeterministische Vorgänge denkbar, aber in alltäglichen Kontexten kaum als solche zu identifizieren. Die Alltagserfahrung bietet keine Handhabe, in der Frage des Determinismus begründet Stellung zu beziehen. Diese Diagnose allein bedeutet jedoch noch keine Vorentscheidung zugunsten eines agnostischen Kompatibilismus, dem zufolge unsere handlungs-, rationalitäts- und zurechnungstheoretische Begrifflichkeit von deterministischen ebenso wie von indeterministischen Implikationen frei ist. Was die Alltagserfahrung tatsächlich hergibt, ist das eine, wie wir uns beschreiben und verstehen, das andere. Auch der Schluss von Vorhersehbarkeit auf Determinismus ist problematisch. Wenn ein Ereignis im strengen Sinne vorhersagbar ist, dann determinieren die Faktoren, anhand deren die Prognose erfolgt, dieses Ereignis formal, insofern es aus ihnen erschlossen werden kann. Das Hin- und Herschließen zwischen Systemoder Weltzuständen zu unterschiedlichen Zeitpunkten setzt als solches aber keine Relation ontischer Priorität voraus, so dass Vorhersehbarkeit Determinismus im vollen Sinne nur unter zusätzlichen Annahmen impliziert. Die zur Vorhersage benutzten Faktoren müssen jedenfalls nicht die Ursachen oder ontischen Determinanten des prognostizierten Ereignisses sein. Wenn aber die in 4.4 diskutierten Asymmetrien eine ontologische Grundlage haben, dann geht mit der formalen Determination künftigen Geschehens durch gegenwärtiges automatisch eine Determination im vollen Sinne einher, auch wenn die zur Vorhersage benutzten Tatsachen nicht die ontischen Determinanten sein, sondern nur im Sinne von Anzeichen mit diesen in Verbindung stehen müssen. Ein künftiges Ereignis, das nicht durch Gegenwärtiges oder Vergangenes determiniert wäre, ließe sich auch nicht anhand gegenwärtiger Anzeichen vorhersehen. Ein grundsätzlicher Einwand würde dieser Implikation aus der Möglichkeit direkter Zukunftsschau erwachsen, bei der Künftiges nicht aus der Tatsache erschlossen wird, dass aufgrund gewisser gegenwärtiger Gegebenheiten ein bestimmter weiterer Ereignisverlauf notwendig ist, sondern dadurch, dass man unmittelbar nachsieht, was die Zukunft bringen wird. Veranschaulichen lassen sich derartige Szenarien durch die Kristallkugel, in der künftiges Geschehen sichtbar wird. Es könnte sich um ein zufälliges Geschehen, oder um das Resultat
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einer genuin indeterminierten Entscheidung handeln, das durch nichts Früheres notwendig gemacht wird, aber nichtsdestoweniger in der Kristallkugel erscheint. Um diesem Gedanken Kohärenz zu verleihen, darf nicht das gegenwärtige Bild in der Kristallkugel als das künftige Geschehen determinierend angesprochen werden. Falls die Kugel eine wirkliche Zukunftssicht bietet, ist es allerdings notwendig, dass das, was die Kugel gegenwärtig zeigt, später tatsächlich stattfindet, womit die Notwendigkeit des künftigen Ereignisses aufgrund bestimmter gegenwärtiger Gegebenheiten etabliert wäre. Aber die Idee bei der direkten Zukunftsschau ist natürlich, dass das zukünftige Geschehen ontologisch primär, das Bild in der Kugel sekundär ist, und somit, dass das zukünftige Geschehen das gegenwärtige Bild in der Kugel determiniert. Nur die Erkenntnisrichtung ist eine andere. Dies ist in der Tat der Preis, der einem von Szenarien dieser Art abverlangt wird: dass die normale Determinationsrichtung umgekehrt wird und dem Zeitpfeil entgegen verläuft (Rückwärtskausalität im kausalen Idiom). In diesem Falle könnten die in 4.4 diskutierten Asymmetrien weiterhin bestehen und in mannigfacher Hinsicht eine Zeitrichtung ontologisch auszeichnen, wären aber nur probabilistischer Natur. Möglichkeiten dieser Art möchte ich nicht ausschließen, ihnen aber auch keine besondere Aufmerksamkeit widmen. Sie bieten die Möglichkeit von strikter Vorhersagbarkeit künftiger Ereignisse ohne Determination durch Gegenwärtiges. Auch probabilistische Zusammenhänge mit sehr hohen Wahrscheinlichkeiten liefern in einem guten Sinne des Wortes Vorhersehbarkeit ohne Determination. Viele alltägliche zeitasymmetrische Prozesse beruhen auf dem Gesetz von der Zunahme der Entropie, das zahlreiche Prognosen erlaubt, die im Alltagssinne so sicher sind wie nur irgendetwas, streng genommen aber statistischen Charakter haben.Wir dürfen uns praktisch sicher sein, dass Eiswürfel im Cocktail schmelzen anstatt dem restlichen Getränk Wärme zu entziehen und dabei immer größer zu werden. Das letztere, niemals zu beobachtende Phänomen besitzt aus kombinatorischen Gründen, die mit der großen Zahl der auf der Mikroebene involvierten Teilchen zusammenhängen, eine astronomisch geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Generell lässt sich sagen, dass ein Gesamt- oder Massenphänomen, das sich aus sehr vielen unabhängigen Teilphänomenen mit jeweils ungefähr derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung additiv zusammensetzt, in seinen Eigenschaften zwar streng genommen immer noch probabilistischen Charakter hat, aber von einem deterministischen Phänomen praktisch nicht zu unterscheiden ist. In derartigen Fällen können wir Vorhersehbarkeit ohne Determinismus haben. Selbstverständlich ist es hier aber prinzipiell möglich, dass die entsprechenden Prognosen scheitern,weil auf der Mikroebene eine spezielle Konstellation vorliegt. Daher kann man an dem Schluss von strikter Vorhersehbarkeit auf Determinismus festhalten.
6 Determinismus und Gesetzmäßigkeit 6.1 Zum Begriff des Naturgesetzes Ich habe in 4.2 und 4.3 festgehalten, dass ich „Determinismus“ nicht von vornherein mit dem physisch-materiellen Bereich assoziieren möchte, und daher auch nicht von vornherein mit Naturgesetzen. Auch die allgemeinere Frage, ob jede Determinations-, Kausal- oder Notwendigkeitsbeziehung allgemeinen Gesetzmäßigkeiten (welcher Art auch immer) folgen muss, habe ich in 5.1 verneint. Singuläre Beziehungen dieser Art, die nicht Spezialfall eines allgemeinen Gesetzes sind, scheinen zumindest denkbar. „Notwendigkeit“ geht nicht unbedingt mit der Allgemeinheit eines Gesetzes einher oder nimmt ihre wesentlichen Charakteristika von einem solchen her. Diese Abgrenzung ist nicht im Sinne einer positiven Festlegung auf Theorien singulärer Kausal- oder Notwendigkeitsbeziehungen zu verstehen, sondern im Sinne des Offenhaltens einer Möglichkeit. Positionen, die „Determinismus“ in Naturgesetzen bestimmter Art bestehen lassen und dadurch erklären, sind in der Literatur vorherrschend. Die allgemeine Charakteristik, mit der ich hier operiere, soll diese Form des Determinismus als Spezialfall in sich begreifen. Ich möchte mich aber nicht auf diesen Fall festlegen, um die Diskussion von Zusatzannahmen frei zu halten, die ihren Charakter erheblich beeinflussen können. Neben der drohenden und möglichst zu vermeidenden Verquickung unseres Problems mit Reduktionsdebatten, auf die ich in Kapitel 8 näher eingehe, die das Hauptmotiv dafür ist, gibt es noch weitere Gründe, den Determinismus nicht von vornherein über Naturgesetze einzuführen oder begrifflich an sie zu binden. Der Naturgesetzesbegriff hat eine eigenartige Geschichte. Obwohl er bereits in Antike und Mittelalter vereinzelt auftritt,⁷⁰ erhält er seine zentrale Bedeutung erst in der frühen Neuzeit, und zwar im Zusammenhang mit einer besonderen Materiekonzeption. Diese sieht die Materie als wesentlich passiv an und benötigt deshalb dynamische Prinzipien, die zu den intrinsischen Eigenschaften der Materie von außen hinzutreten und derart die Veränderungen in der physischen Welt regulieren.⁷¹ Ohne solche Prinzipien, so die Idee, könnten Veränderungen entweder gar nicht stattfinden oder verliefen vollkommen chaotisch. Der dem entsprechende Begriff ist durch seine präskriptiven Konnotationen auffällig: „lex“ stammt aus der Sphäre des römischen Rechts, und auch diejenigen lateinischen Ausdrücke, die unserem „Naturgesetz“ zugrunde liegen, „lex naturae“ und „lex
Siehe Ruby () und Dorato (, Kap. ). Siehe Hüttemann () und (, Abschnitt ).
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naturalis“, wurden in der frühen Neuzeit nicht nur in den empirischen Wissenschaften, sondern auch in der Naturrechtsdebatte verwendet. Ihre Übertragung auf die Physik scheint sich unter anderem der Idee zu verdanken, dass Gott der Natur Gesetze vorschreibt. Ihre Unveränderlichkeit und mathematische Form steht in Zusammenhang mit der Allmacht und Vollkommenheit Gottes.⁷² In der ursprünglichen prägnanten Verwendung von „Naturgesetz“ ist somit der präskriptive Aspekt mitsamt der Annahme eines übergreifenden Gesetzgebers lebendig. Dem Polytheismus korrespondiert dagegen das Bild verschiedener Naturkräfte, die mal mit-, mal gegeneinander wirken mit häufig offenem Ausgang. Die Idee von Naturgesetzen ist dann fernliegend, stattdessen hat man eine „dappled world“.⁷³ Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir heutzutage nicht einen rein deskriptiven und von besonderen Materieauffassungen unabhängigen Naturgesetzbegriff hätten. Es fragt sich aber, was dieser, aus seinem Entstehungskontext gelöst, genau austrägt. Einige Philosophen möchten auf den Begriff des Naturgesetzes entweder ganz verzichten oder ihm zumindest seine Relevanz absprechen.⁷⁴ Dabei stützen sie sich auch auf die Tatsache, dass Listen von Naturgesetzen eine große äußere und innere Heterogenität aufweisen, nämlich sowohl untereinander verschieden sind, als auch in sich verschieden geartete Einträge aufweisen.⁷⁵ Es scheint kein klares Kriterium zu geben, welche der physikalischen oder sonstigen empirisch-wissenschaftlichen Prinzipien als „Gesetze“ zu bezeichnen sind, ebenso wie in der Mathematik zwar einige, aber keineswegs alle Theoreme mit diesem Ausdruck belegt werden.Weiterhin lässt auch die komplexe Debatte um den ceteris-paribus-Charakter von wissenschaftlichen Gesetzen es nicht angeraten erscheinen, den Begriff des Determinismus an den des Naturgesetzes zu knüpfen. Wenn es stimmt, dass alle oder fast alle Naturgesetze bloß „ceteris paribus“ gelten, geben sie in Sachen Determinismus per se zu wenig her.
6.2 Libertarischer Kompatibilismus Wenn man hinsichtlich des Zusammenhangs von Determinismus und Naturgesetzen zurückhaltend ist und ihn stattdessen durch den Begriff einer ontischen
So Dorato (, Kap. ). Siehe Cartwright (), die ein modernes Bild dieser Art artikuliert. Auf andere Weise tun dies Mumford und Anjum (). Solche Auffassungen werden im Folgenden noch mehrfach zur Sprache kommen. Siehe van Fraassen (, Teil I und II), Giere () und Mumford (, Teil III). Siehe Mumford (, Kap. ).
6.2 Libertarischer Kompatibilismus
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Notwendigkeit charakterisiert, geht eine bestimmte Möglichkeit zur Lösung unseres Ausgangsproblems verloren, auf die ich nun eingehe. Diese Position möchte eine angenommene Verbindung von Determinismus und allgemeinen Naturgesetzen nicht nur dazu benutzen, um jenen zu explizieren, sondern auch dazu, ihn von dem meines Erachtens essentiellen Zusammenhang mit objektiver Notwendigkeit zu befreien, um so zu der unerwarteten Möglichkeit eines libertarischen Kompatibilismus zu gelangen. Ein globaler Determinismus ist danach auch bei fixierter Vergangenheit mit in einem ontologischen Sinne offenen Möglichkeiten verträglich.⁷⁶ Die Grundidee dabei ist, Naturgesetze im Sinne einer „Humeschen Metaphysik“ zu begreifen. Die Welt wird dabei auf einer basalen Ebene aufgefasst als ein riesiges Mosaik lokaler Qualitäten, die an den verschiedenen Raum-ZeitPunkten instanziiert sind. Zwischen ihnen bestehen keine notwendigen Verbindungen: Sämtliche modalen Tatsachen und modalen Eigenschaften von Gegenständen (Dispositionen, kontrafaktische Wahrheiten, notwendige Verknüpfungen) sollen auf dieser Basis aus „kategorischen“ oder „okkurenten“ Eigenschaften supervenieren. Naturgesetze sind diejenigen universellen Aussagen, die dieses Mosaik am besten systematisieren, durch die man in einer Beschreibung der gesamten Wirklichkeit eine optimale Kombination aus Einfachheit und Informationsstärke erzielt (Beste-System-Analyse von Naturgesetzen). Metaphysisch liegen die Naturgesetze dem gewaltigen Mosaik also nicht zu Grunde, sondern werden umgekehrt durch dieses festgelegt: durch das, was während der gesamten Weltgeschichte der Fall ist. Die Idee einer optimalen Kombination von Einfachheit und Informativität bei der Beschreibung der gesamten Wirklichkeit ist hochgradig explikationsbedürftig und setzt objektive Maßstäbe für Einfachheit, Informationsstärke, und dann auch noch für den Abgleich von und optimalen Kompromiss zwischen diesen Merkmalen voraus. Insbesondere für letzteren sind solche Maßstäbe nicht zu sehen. Die Beste-System-Analyse von Naturgesetzen bleibt deshalb programmatisch und behilft sich im konkreten Fall mit Plausibilitätsüberlegungen.⁷⁷ Die so verstandenen Naturgesetze können nun in dem in 4.4 vorgestellten rein funktionalen Sinne deterministisch ausfallen, also eindeutige Zusammenhänge zwischen Weltzuständen zu verschiedenen Zeitpunkten herstellen. Bei einer
Siehe Vihvelin (), Beebee und Mele (), Buchheim (), Buchheim und Pietrek (), Backmann (). Die Hauptquelle dieser Position in der zeitgenössischen Philosophie ist David Lewis, unter dessen Einfluss die von ihm so genannte Humesche Metaphysik beträchtliche Popularität erlangt hat. Siehe Lewis (, Einleitung) und Lewis (). Gründliche Analysen der entsprechenden Naturgesetzkonzeption und ihrer Implikationen bieten Loewer () und Hall (Manuskript).
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solchen Welt lassen sich wie bei Laplace aus dem vollständig spezifizierten Weltzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt und den Naturgesetzen die Weltzustände zu allen anderen Zeitpunkten deduzieren. Da in diesem Bild die Naturgesetze, und insbesondere, wenn es sich denn so ergeben sollte, deterministische Naturgesetze durch das tatsächliche Geschehen festgelegt werden, gilt: Wenn anderes geschähe, wenn das große Weltmosaik in relevanter Weise anders aussähe, dann wären die Naturgesetze auch andere. Die Naturgesetze erlegen dem tatsächlichen Geschehen, zu dem auch unsere Handlungen gehören, keine Schranken auf, da sie vielmehr umgekehrt davon abhängen. Wir haben also einerseits jederzeit beliebige Handlungsmöglichkeiten, sind vollkommen frei im stärksten Sinne dieses Wortes, andererseits kann es sich so ergeben, dass unter anderem aufgrund unserer Handlungen ein Weltmosaik herauskommt, das durch deterministische Gesetze optimal beschrieben wird. Das ist die Position des libertarischen Kompatibilismus. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus ergibt sich bei ihm nicht durch einen kompatibilistischen Freiheitsbegriff, sondern durch eine Auffassung des Determinismus, nach welcher dieser, wenn er denn besteht, als eine Folge unter anderem unserer Handlungen besteht. Es hängt unter anderem von uns, von unserem Tun, ab, was die Naturgesetze unserer Welt sind, und insbesondere, ob diese deterministisch oder indeterministisch ausfallen. Im ersteren Falle sind unsere Handlungsmöglichkeiten nicht stärker beschränkt als im letzteren, sie sind vielmehr stets vollkommen unbeschränkt, da eben nicht die Naturgesetze das faktische Geschehen einschließlich unserer Handlungen bestimmen, sondern umgekehrt dieses Geschehen jene. In dieser Weise scheinen sich ontisch offene Möglichkeiten mit deterministischen Naturgesetzen vereinbaren zu lassen. Eine Person in einer bestimmten Situation kann auf verschiedene Weisen überlegen, urteilen und handeln – ihr stehen reale, alternative Möglichkeiten offen – aber je nachdem, welche davon sie ergreift, gelten eventuell andere Naturgesetze, und mithilfe dieser könnte sich das faktische Überlegen, Urteilen und Handeln der Person aus vorhergehenden Weltzuständen, auch aus einem Weltzustand vor ihrer Geburt, ableiten lassen. Diese Ableitbarkeit ist nun das alleinige Kennzeichen des Determinismus. Selbstverständlich müssen sich keine deterministischen Naturgesetze ergeben, aber sofern das doch der Fall ist, ist das Verhalten der Person aus diesen Naturgesetzen und früheren Weltzuständen deduzierbar. Durch diese Wendung scheint man beides haben zu können: Determinismus, damit insbesondere vollständige Erklärbarkeit allen Geschehens durch Rekurs auf Antezedensbedingungen und Gesetze, und objektiv offene Möglichkeiten. Die derart an den Naturgesetzen vorbei gewonnenen ontischen Möglichkeiten wären allerdings ganz beliebige und kommen schon allein deshalb in dem Kontext unseres Problems nicht in Betracht. Personen erhielten auf diese Weise phan-
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tastische, völlig unbeschränkte Handlungsspielräume. Eine Person wäre ebenso dafür verantwortlich, ihr Auto nicht auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigt zu haben, wie dafür, es an einer roten Ampel nicht angehalten zu haben. Es wäre für ihre Schuld gleichgültig, ob sie eine Hilfeleistung unterlassen hat, die nur einen einfachen Handgriff erfordert hätte, oder eine, für die Aktionen à la Superman nötig gewesen wären. Denn all das hätte sie gleichermaßen tun können, obwohl sie es de facto nicht getan hat. Ein Unterschied zwischen diesen Fällen ist nun, nachdem die Naturgesetze ihrer Funktion beraubt sind festzulegen, was in unserer Welt möglich und was unmöglich ist, nicht mehr auszumachen. Das Stichwort „Superman“ ist dabei insofern irreführend, als auch dessen Fähigkeiten recht spezifische sind und die sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten bestimmte Grenzen haben. Hier aber haben wir es mit vollkommen unbeschränkten Spielräumen zu tun. Diese haben keine spezielle Verbindung zu Handlungen, sondern sind einfach der Tatsache geschuldet, dass jederzeit Beliebiges passieren kann. Das hätte die paradoxe Konsequenz, dass Handeln mit seiner Entgrenzung zugleich unmöglich würde, insofern die Folgen des eigenen Tuns in keiner Weise festgelegt wären. Es ist fraglich, ob man in Bezug auf solche Umstände überhaupt noch von Handlungen sprechen kann. Wesentlich harmloser kommt der libertarische Kompatibilismus in der folgenden Variante daher: Die Dinge in unserer Welt haben verschiedene Vermögen oder Dispositionen, die dem, was unter Beteiligung dieser Dinge geschehen kann, Grenzen setzen, aber als solche nicht festlegen, in welchen Kombinationen die Dinge auf- und in welche Situationen sie eintreten. Festgelegt ist etwa, dass ein hinreichend scharf getretener Fußball eine normale Fensterscheibe in seiner Flugbahn zerbricht, wenn nichts dazwischen kommt. Aber ob er hinreichend scharf getreten wird, ob sich in seiner Flugbahn eine solche Scheibe befindet, und ob kein Faktor hinzutritt, der das Auftreffen des Balles auf die Scheibe oder deren Zerbrechen verhindert, indem er die Geschwindigkeit oder Flugbahn des Balles modifiziert, die Scheibe durch Öffnen des Fensters aus dem Weg schafft, oder dem Fußball während seines Fluges die Luft herauslässt, ist objektiv offen. Zwar lassen sich manche solcher modifizierenden oder dazwischen tretenden Faktoren in gewissen Fällen ausschließen, aber von ihnen gibt es potentiell unüberschaubar viele, so dass man über alle zusammen nur summarisch durch eine ceteris-paribus-Klausel sprechen kann. Charakteristisch für die hier zu diskutierende Position ist, dass sie davon ausgeht, dass es im Allgemeinen keine zureichenden Ursachen für das Auftreten oder Ausbleiben eines den Ablauf modifizierenden Faktors in einer bestimmten Situation gibt. So ergibt sich das Bild einer grundsätzlich indeterministischen Welt, in der sich die Dinge zwar bei weitem nicht beliebig verhalten können, aber doch je nach Kombination mit anderen Dingen
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sehr verschieden, und dabei im Allgemeinen nicht feststeht, welche dieser Kombinationen in einer bestimmten Situation verwirklicht wird.⁷⁸ In dieses Bild, dessen für und wider ich an dieser Stelle nicht diskutieren möchte,⁷⁹ kann man nun in einem zweiten Schritt Naturgesetze im Sinne der Beste-System-Analyse einführen, die dann eventuell auch deterministisch ausfallen, wenn sich nämlich faktisch ein entsprechender Geschehnisverlauf ergibt. Sie haben aber keine modale Bedeutung, implizieren weder Möglichkeiten noch Notwendigkeiten, sondern ergeben sich aus den de facto verwirklichten Möglichkeiten.Wenn man aber schon bestimmte Beschränkungen für das,was objektiv möglich ist, annimmt, dann sollten eben gerade diese Beschränkungen die naturgesetzlichen sein. Und umgekehrt: Wenn man Naturgesetze annimmt, dann muss man sie mit den besagten Beschränkungen identifizieren, was hieße, dass, solange überhaupt noch Möglichkeiten objektiv offen bleiben, die Naturgesetze eben nicht deterministisch sind. Keinen Sinn aber hat es, de-re-Modalitäten und Gesetze nebeneinander und entkoppelt anzusetzen. Die „Gesetze“ in diesem Sinne tragen dann nur noch einen ehrwürdigen Titel und erfüllen nur mehr die Rolle der Buchhaltung für einen durch sie nicht restringierten Weltverlauf. Man braucht ja nicht von Naturgesetzen zu sprechen, aber wenn man es in einem solchen Bild tut, dann können die Naturgesetze nichts anderes als eine Beschreibung der besagten Vermögen oder Dispositionen der Gegenstände sein. Die Position des libertarischen Kompatibilismus beruht also auch in ihren vertretbaren Varianten darauf, dass ein entleerter Gesetzesbegriff ohne modale Implikationen eingeführt wird. Gehen wir von Dispositionen und Vermögen wieder zurück zur Humeschen Metaphysik. Wenn diese für sich genommen tatsächlich die oben erwähnten extremen Konsequenzen hätte, so wäre das nicht als die Eröffnung der Möglichkeit eines libertarischen Kompatibilismus, sondern als Reductio ad absurdum der Humeschen Metaphysik und der entsprechenden Auffassung von Naturgesetzen zu werten. Der Witz des Naturgesetzbegriffs geht verloren, wenn man ihn derart depotenziert. Die bestehenden Naturgesetze, wenn es solche gibt, legen auf jeden Fall fest, was in unserer Welt möglich ist und was nicht, was unter bestimmten Umständen notwendig geschieht und was unter kontrafaktischen Umständen geschehen würde. Und dies würde eben deshalb geschehen, weil die Naturgesetze
Siehe Cartwright (, ), Keil (), Vihvelin (), Mumford und Anjum (). Mumford und Anjum gehen so weit, die Rede von Dispositionen oder Vermögen von Gegenständen an einen Indeterminismus hinsichtlich der Manifestation zu binden: „if an event or state of affairs is a matter of necessity then it cannot be the manifestation of a power.“ (Mumford und Anjum , S. ) Siehe dazu ..
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so sind, wie sie sind. Sicherlich gilt auch umgekehrt, dass die Naturgesetze andere wären, wenn (in geeigneter Weise) anderes geschähe, aber das trifft auf jede Naturgesetzkonzeption zu und hat nichts speziell mit Humescher Supervenienz zu tun. Ein Naturgesetz, das diesen Namen verdient, legt fest oder drückt aus, was in unserer Welt möglich und was unmöglich ist. Die Theorie Humescher Supervenienz der Naturgesetze sollte deshalb so verstanden werden, dass den zunächst einmal rein funktionalen Zusammenhängen im Sinne einer Beste-System-Analyse in einem zweiten Schritt die Erklärung folgt, unter einer naturgesetzlich notwendigen Verknüpfung zwischen Ereignissen seien eben genau die von den Naturgesetzen implizierten Zusammenhänge zu verstehen. Man hätte de-re-Modalitäten dann zwar auf okkurrente, nicht-modale Fakten reduziert, sie aber nicht eliminiert. In einer empiristischen Metaphysik können Kausalität und Naturgesetze ihren Platz behalten, dabei freilich nicht als fundamental erscheinen. Wenn man diesen Schritt unterlässt, de-re-Modalitäten aber auch nicht eliminiert, sondern sie nur von den Naturgesetzen abkoppelt, dann kann es so aussehen, als schaffe die Tatsache, dass bei einem anderen Weltverlauf, bei anderen an den verschiedenen Raum-Zeit-Punkten instanziierten lokalen Qualitäten eben auch andere Naturgesetze gelten würden, objektiv offene Möglichkeiten. Nicht nur ist das faktische Geschehen in dieser Betrachtungsweise gegenüber den Naturgesetzen metaphysisch primär, nicht nur besitzt die umgekehrte Abhängigkeit, die Prognosen, Erklärungen und überhaupt Schlüsse von gewissen Teilen der Welt auf andere mithilfe der Naturgesetze ermöglicht, eine bloß abgeleitete Bedeutung, sondern es wird trotzdem und daneben ein Begriff realer Möglichkeit festgehalten, der nur nichts mit den Naturgesetzen zu tun hat. Diese Position stellt aber einen Missbrauch der These der Humeschen Supervenienz dar. Wenn man überhaupt de-re-Modalitäten zulässt, dann gilt: Man muss zwischen metaphysischer und naturgesetzlicher Modalität unterscheiden, und für das, was in unserer Welt möglich ist, insbesondere Akteuren möglich ist, ist nicht die erstere, sondern die letztere relevant. In der Humeschen Metaphysik legt zwar kein Teil des Mosaiks irgendeinen anderen metaphysisch fest, naturgesetzlich aber sehr wohl, und während die Naturgesetze metaphysisch vom tatsächlichen Geschehen abhängen, hängt dieses nomologisch von jenen ab.⁸⁰
Loewer () schreibt: „On a Humean account the total history of states (‘the Humean mosaic’) metaphysically determines the L[ewis]-laws. It metaphysically explains (or is part of the explanation together with the characterization of a Best Theory) why specific propositions are laws.This, of course, is a metaphysical, not a scientific explanation.This metaphysical explanation doesn’t mean that L-laws together with the state at t can’t scientifically explain the evolution of states, or the probabilities of evolution, or that L-laws cannot ground counterfactual and causal relations that underlie scientific explanations.“ Siehe auch schon Loewer ().
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Nur wenn man die zweite Art der Festlegung und Abhängigkeit durchweg unterschlägt, kann man einfach behaupten, dass stets alles geschehen könnte, und je nachdem, was geschähe, die Naturgesetze andere wären. Der Eindruck, dass die These der Humeschen Supervenienz derartige Konsequenzen hat, entsteht wohl daraus, dass man meint, die Naturgesetze wären etwas Innerweltliches, müssten auf das Ende des Universums warten und wären erst dann festgelegt, wenn alles vorbei ist. Der Blick auf das Weltmosaik ist aber nicht ein Rückblick vom Ende der Zeit, sondern von außerhalb der Zeit. Diese ist wie der Raum ein Aspekt des Mosaiks, das sich in Raum und Zeit ausbreitet und in der Humeschen Metaphysik sub specie aeternitatis betrachtet wird. Keinesfalls lässt sich deshalb sagen, dass, solange die Weltgeschichte nicht abgeschlossen sei, die Naturgesetze nicht feststünden. Die Welt könnte sich auch unendlich in der Zeit ausdehnen und weder Anfang noch Ende kennen – das würde an der Supervenienz der Naturgesetze im Rahmen einer Beste-System-Analyse nichts Prinzipielles ändern. Es würde nur bedeuten, dass das Mosaik (in einer Dimension) unendlich ist. Ich muss offen lassen, ob die der Humeschen Metaphysik eigentümliche Gegenläufigkeit von metaphysischer und nomologischer Abhängigkeit letztlich haltbar ist. Meine Aufgabe hier ist nicht die Verteidigung dieser Metaphysik, sondern eine Skizze der Antwort, die man in ihrem Sinne geben müsste, wenn sie durch absurde Konsequenzen bedroht ist. Sollten sich diese nicht vermeiden lassen, dann ist damit nicht der Raum für einen libertarischen Kompatibilismus und phantastische Handlungsmöglichkeiten eröffnet, sondern die Humesche Metaphysik als defizitär erwiesen. Für die Charakterisierung des Determinismus ist neben der Notwendigkeitsbeziehung zwischen determinierenden und determinierten Faktoren die ontische Priorität der ersteren maßgeblich. Auch dieses Merkmal muss im Rahmen einer Humeschen Metaphysik erst rekonstruiert werden. Auch hierfür gibt das Bild des gewaltigen Mosaiks als solches nichts her. Die Situation ist aber ähnlich wie bei der Erklärung der Asymmetrie von Ursachen und Wirkungen und kontrafaktischen Abhängigkeiten im Rahmen formal-deterministischer physikalischer Theorien. Alle Ansätze dazu lassen sich, sofern sie nicht rein stipulativ verfahren, mit der Idee der Humeschen Supervenienz kombinieren. Das Mosaik muss nicht, aber es kann so geartet sein, dass kontrafaktische Abhängigkeiten asymmetrisch und zeitlich gleichgerichtet sind, was es erlaubt, eine Richtung der Verursachung, Festlegung und Erklärung auszuzeichnen.
7 Willensfreiheit Die Frage, wie sich menschliches Handeln und Determinismus zueinander verhalten, gehört in das Feld der sogenannten Willensfreiheitsproblematik. Üblicherweise wird gefragt, ob und inwiefern Determinismus und freies Handeln oder Determinismus und Willensfreiheit zusammen bestehen können. Ich möchte diese beiden Begriffe jedoch vermeiden, überhaupt den Freiheitsbegriff in unserem Kontext. In der umgangssprachlichen Verwendung steht eine freie oder freiwillige Handlung im Gegensatz zu einer erzwungenen Handlung, aber auch zu einem Verhalten, das in der relevanten Hinsicht unabsichtlich ist. „Hast du das freiwillig getan?“ verlangt die Ergänzung: „oder wurdest du gezwungen, genötigt, bedroht?“ beziehungsweise: „oder war das keine Absicht?“ In der letzteren Verwendung fällt der Gegensatz freiwillig – unfreiwillig mit absichtlich – unabsichtlich zusammen und die Rede von Freiheit ist überflüssig. Es bleibt als prägnante Verwendung der Gegensatz von freiwilligen und erzwungenen Handlungen. Auch die letzteren sind qua Handlung beabsichtigt und in diesem Sinne gewollt. Sie sind aber, und das wirft eine handlungstheoretische Schwierigkeit auf, auch gewollt in dem Sinne, dass der Akteur sie auszuführen wünscht – zumindest in einem Sinne oder einer Hinsicht. Der Aristotelische Handelskapitän, der im Sturm die Ladung seines Schiffes über Bord wirft, um nicht mit ihr unterzugehen, ist zu seinem Tun gezwungen. Er möchte die Ladung eigentlich nicht aufgeben und tut es unter großen inneren Widerständen, aber gegeben die Umstände möchte er es eben doch. Wie ist das genauer zu verstehen, was heißt hier insbesondere „eigentlich“? Ein möglicher Klärungsversuch besteht darin, reinen Tisch zu machen und zu behaupten, dass der Gezwungene durchaus nicht zu tun wünscht, was er tut, sondern es lediglich beabsichtigt. Er will es („wollen“ im Sinne von „beabsichtigen“), und er will es nicht („wollen“ im Sinne von „wünschen“). Dieser Lösungsversuch geht also parallel zu einer wünschenswerten Disambiguierung von „wollen“ und schließt zudem an die alltäglich vertraute Unterscheidung an zwischen Dingen, die man tun möchte, und solchen, die man tun muss.⁸¹ Insofern spricht einiges für ihn, er wird aber zumindest in Siehe bereits Reid (, Essay II, Kap. I, S. – ) und aktuell Schueler (, Kap. ), Sehon (, S. ), Alvarez (, S. , ) sowie eingehend Wagner (). Mit Ausnahme des letzten geht es in den genannten Texten nur unter anderem um eine Analyse von Zwangslagen, primär aber um die Zurückweisung von Humeschen Theorien praktischer Gründe. Dies ist besonders bei Schueler ausgeführt; er unterscheidet echte Wünsche (proper desires) von Pro-Einstellungen (pro-attitudes) und versucht zu zeigen, dass für ein Motiv nur letztere erforderlich seien, Humeschen Auffassungen zufolge, wenn sie nicht leer sein sollen, aber stets auch erstere. Mir geht es hier nicht um die Verteidigung einer Auffassung praktischer Gründe, die diese
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7 Willensfreiheit
Beispielen wie dem vorliegenden den Phänomenen nicht gerecht: Es wäre falsch zu sagen, der Kapitän wünsche schlechthin nicht, die Ladung zu opfern. Wenn er zu der Einschätzung kommt, dass dies unumgänglich ist, um sein und seiner Mannschaft Leben zu retten, wird er die Besatzung zur Eile antreiben, bangen und hoffen, dass es ja rechtzeitig gelingt, alles über Bord zu werfen, etc. Folglich wünscht er dies auch, und angesichts der Umstände sogar sehr stark.Weiterhin ist der Kapitän für sein Handeln, wenn es tatsächlich aus den genannten Gründen und nicht in Panik erfolgt, moralisch verantwortlich. Ihn trifft kein Vorwurf, denn er tut unter den gegebenen Umständen das einzig Vernünftige, aber sein Handeln ist ihm jedenfalls voll zurechenbar. Wer unter Zwang handelt, handelt einerseits häufig aus guten, ja „zwingenden“ Gründen, und oft kann deshalb kein Zweifel daran bestehen, dass er in einem bestimmten Sinne genau das zu tun wünscht, was er tut. In einer anderen Hinsicht möchte der Gezwungene freilich sehr deutlich nicht tun, was er tut, sonst wäre die Rede von „Zwang“ nicht am Platze. Nicht alle Fälle sind dabei analog zu dem des Kapitäns, der durch sein Handeln einen gravierenden wirtschaftlichen Verlust erleidet und womöglich ruiniert wird. Manchmal ist es gar nicht die Handlung mitsamt ihrer Folgen, sondern allein die Tatsache, dass sie unter Zwang erfolgt, die stark unerwünscht ist.Wenn man nur wenig Geld bei sich trägt, ist das Problem an einem Straßenraub nicht die Herausgabe des Geldes an eine fremde Person, sondern dass diese Herausgabe erzwungen wird. Zwang hat als Gegenstand nicht stets eine vorgängig dazu und unabhängig davon unerwünschte Handlungsweise und lässt sich deshalb nicht durch Rekurs auf eine solche definieren. Man kann sogar zu dem gezwungen werden, was man ursprünglich ohnehin tun wollte, nun aber aufgrund einer im Raume stehenden gleichgerichteten Drohung eigentlich nicht mehr tun möchte.⁸² Was man unter Zwang tut, will man in einer wichtigen Hinsicht nicht tun, aber man tut es dennoch: entweder weil man ansonsten Konsequenzen zu gewärtigen hat, die man so wenig in Kauf zu nehmen bereit ist, dass man tut, was man eigentlich nicht will (Nötigung, äußerer Zwang), oder aus einem starken Drang heraus, der das „eigentliche“, reflektierte Wollen nach innerem Kampf verdrängt (Willensschwäche mit verantwortungsaufhebendem inneren Zwang als Extremform). Das letztere Phänomen wird oft in problematischer Weise analog zu physischer Überwältigung gedacht, bei der aber gar keine Handlung des Subjekts
an vorgängige Wünsche bindet, sondern um die Behauptung, in Zwangssituationen gebe es keinen auf die erzwungene Handlung gerichteten Wunsch des Akteurs. Siehe etwa Frankfurt (). Eine systematisch einleuchtende Klassifikation verschiedener Formen des Zwangs in Auseinandersetzung mit und Absetzung von den diesbezüglichen Auffassungen von Harry Frankfurt bietet Baumann ().
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vorliegt (und auch moralische Verantwortung deshalb von vornherein ausscheidet). Die Willensschwäche zeigt fließende Übergänge zu weiteren Varianten von Handlungen, die der Akteur eigentlich nicht will, ohne dass man sie aber erzwungen nennen könnte: wenn er etwa aus einer Laune heraus, die er später bereut, seine gut begründeten Vorsätze nonchalant und ohne inneren Kampf über Bord wirft. Dem Wollen mangelt es in diesem Fall nicht an Stärke, sondern an Kontinuität. Oder wenn er aus Trägheit eine unangenehme Sache, die er eigentlich erledigen möchte, liegen lässt und stattdessen eine ablenkende Tätigkeit aufnimmt oder fortführt. All das sind Formen der Akrasia, des „sich-nicht-im-GriffHabens“, die als Oberbegriff für Willensschwäche, mangelnde Kontinuität des Wollens und weitere Phänomene dieses hier bloß angedeuteten Formenkreises dienen kann. Nicht alle sind mit „Willensschwäche“ passend bezeichnet. Wir haben es also bei den Handlungen, die man „eigentlich“ nicht tun will, aber dennoch ausführt, nicht mit einer einheitlichen Kategorie zu tun.⁸³ Die genaue Klassifikation und Analyse der Phänomene, die in dieses Spektrum fallen, ist eine eigene Problematik. Sie hat aber mit Determinismus und Indeterminismus als solchem nichts zu tun, und daher gehört ihre Behandlung nicht in den hier gesteckten Rahmen. Für die genannten Phänomene sind handlungsrelevante mentale Einstellungen konstitutiv, die auf durch das Subjekt nicht integrierte und womöglich nicht einmal integrierbare Weise konfligieren. Die handelnde Person ist in einer für sie wesentlichen Sache synchron oder diachron motivational gespalten, ohne dass eine Vermittlung gelänge. Wie das genauer zu analysieren ist, ist eine wichtige Frage, und weiterhin, welche Konsequenzen sich daraus für die handlungstheoretische Einordnung, insbesondere für die moralische Zurechenbarkeit, erzwungener oder akratischer Handlungen jeweils ergeben. Es geht dabei aber nicht um die Konsequenzen von Determinismus oder Indeterminismus per se für das praktische Überlegen, Entscheiden und Handeln. Es ist ein problematischer Zug vieler inkompatibilistischer Argumentationen, dass sie die mit dem Determinismus einhergehende Notwendigkeit sehr schnell mit „Nötigung“ und „Zwang“ assoziieren, so als würde eine Person, deren Wollen und Handeln zureichende Ursachen hat, allein deshalb etwas wollen oder tun, das ihr in irgendeinem Sinne gegen den Strich geht, das sie eigentlich gar nicht tun will, das sie später bedauern wird oder würde, wenn sie richtig nachdächte. Es handelt sich hier, wenn nicht um einen Missbrauch der Wörter „Nötigung“ und „Zwang“, so zumindest um eine Äquivokation. Diejenige Form des Zwangs, die, wenn man denn so reden möchte, von zureichenden Ursachen des eigenen Wollens ausgeübt wird, ist eine ganz andere als die, bei der einem „eigentlichen“
Siehe dazu auch Holton (), Kap. und .
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eigenen Wollen Abbruch getan wird durch innere oder äußere Einflüsse, die eine ihm entgegenstehende Handlung bedingen. Eine Konzeption von Willensfreiheit und –unfreiheit kann sich konsequent an Phänomenen des inneren oder äußeren Zwangs orientieren. Dieser Zugang hat den Vorzug, Erfahrungen der Unfreiheit ins Zentrum zu stellen. Nur hat das, wie gesagt, mit Determinismus als solchem nichts zu tun. Der Gegensatz von freien im Sinne von freiwilligen und unfreiwilligen, erzwungenen Handlungen hat also einen guten Sinn, der aber für die hier verfolgte Themenstellung nicht relevant ist. Ein anderer Sinn ist aber vorphilosophisch nicht auszumachen, und auch bei dem soeben skizzierten ist es klarer, von „freiwilligen“ und „erzwungenen“ als von „freien“ und „unfreien“ Handlungen zu sprechen. Dies gilt in noch höherem Maße von dem Gegensatz zwischen dem freien und dem unfreien Wollen, der, wenn er nicht eben so verstanden wird, überhaupt keine prägnante umgangssprachliche Verwendung besitzt. Selbstverständlich kann im Rahmen der philosophischen Diskussion neue Terminologie eingeführt werden, aber darum handelt es sich dann auch. Es wird damit nicht ein im Alltagsverständnis bereits artikuliertes Phänomen aufgegriffen. Obwohl die Rede von einem freien Willen, wenn nicht einfach wieder die Freiwilligkeit der entsprechenden Handlung gemeint ist, stark erläuterungsbedürftig ist, wird der Terminus in der Willensfreiheitsdiskussion häufig so verwendet, als wäre er aus sich heraus verständlich. Daher ist es kein Wunder, dass verschiedene philosophische Autoren mit „Willensfreiheit“ ganz Unterschiedliches meinen. So wird der Kompatibilismus normalerweise als die These eingeführt, Willensfreiheit und Determinismus seien vereinbar, während einige Autoren, die der Sache nach dem kompatibilistischen Lager zuzurechnen sind, Willensfreiheit begrifflich mit dem Indeterminismus verknüpfen.⁸⁴ Was dieses Lager tatsächlich eint, ist nicht primär eine These in Bezug auf Willensfreiheit, sondern die Auffassung, dass alles, was wir uns vernünftigerweise von unseren Handlungen wünschen können und mit dem „Vollbild“ menschlicher Handlungen assoziieren, wie, dass sie aus Gründen geschehen, auf unsere eigene Entscheidung zurückgehen, unter unserer Kontrolle stehen, moralisch zurechenbar sind, etc., auch oder sogar eher in einer deterministischen Welt zu haben ist.⁸⁵ Sekundär ist dabei die Frage, ob man für dieses Wünschenswerte oder dieses Vollbild den Begriff der Willensfreiheit oder – noch vager – der praktischen Freiheit als Etikett wählt. Derart große Unterschiede in der Wortverwendung zwischen Autoren, die in der Sache übereinstimmen, sind ein deutlicher Hinweis auf die undeutliche
Siehe Lohmar () und Stier (). Besonders explizit wird dies bei Dennett ().
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vortheoretische Rolle von „Willensfreiheit“. Die philosophische Theoriebildung versucht dadurch verschiedene Phänomene zu erfassen, die außerhalb philosophischer Kontexte entweder gar nicht oder jedenfalls nicht in dieser Terminologie angesprochen werden. Unter einem „freien Wollen“ kann man unter anderem verstehen: – ein Wollen, mit dem eine neue Kausalkette beginnt: das selbst unverursacht ist, aber seinerseits Wirkungen hat (Spontaneität) – ein genuin indeterminiertes Wollen, das in einem ontischen Sinne so oder anders ausfallen kann (indeterministische alternative Möglichkeiten) – ein Wollen, das dem eigenen Wunsch oder dem eigenen Urteil darüber entspricht, was man wollen sollte (Bejahung des Gehalts) – ein Wollen, dessen Genese man billigt oder billigen würde, wenn man sie kennte (Bejahung der Genese) – ein selbstbestimmtes Wollen (Autonomie) – ein Wollen, das dem entspricht, was man „eigentlich“ oder „wirklich“ will (Authentizität) – ein Wollen, das die zugehörige Handlung moralisch zurechenbar macht (Verantwortlichkeit) Jeder einzelne Interpretationsvorschlag ist wiederum auslegungsfähig, und es bestehen mannigfache Querverbindungen. Die zum Teil erheblichen Deutungsdifferenzen von „freiem Wollen“ bestehen nicht nur zwischen verschiedenen Philosophen. In der Regel enthält der Begriff der Willensfreiheit sogar bei ein und demselben Autor mehrere Aspekte, die deutlich trennbar sind und für die man auch die Vereinbarkeitsfrage separat stellen kann. Was ist es denn genau, das mit dem Determinismus vereinbar oder unvereinbar sein, oder ihn in einer bestimmten Form womöglich sogar erfordern soll? Nach meinem Eindruck ist es besser, derartige Fragen direkt zu behandeln und nicht über den Begriff eines freien Willens zu gehen, der im Prinzip ganz aus dem Spiel bleiben kann. Aus diesen Gründen möchte ich den Freiheitsbegriff im Folgenden beiseitelassen. Ich spreche von „Willensfreiheit“ oder „praktischer Freiheit“ nur gelegentlich, um das gesamte Problemfeld mit einem gängigen Terminus zu belegen. Wenn man es damit anders hält, ist bei jeder vorgeschlagenen Deutungsvariante zunächst einmal zu klären, warum oder inwiefern ein derart qualifiziertes Wollen als ein „freies“ bezeichnet werden kann. Man muss dann systematisch mit dem Freiheitsbegriff anfangen und zusehen, was seine Anwendung auf den Kontext des Wollens ergibt.⁸⁶ Diesen Weg beschreite ich hier nicht.
Ein Vorschlag,wie der Begriff der Willensfreiheit von seinem Genus her zu erfassen ist, stammt
8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem 8.1 Determinismus und neurophysiologischer Reduktionismus Dieser Abschnitt baut einen Gesichtspunkt aus, der bereits in 4.2 angesprochen wurde, aber eine besondere Betonung verdient. Dass zwischen Geist und Gehirn nicht nur eine enge Verbindung besteht, sondern dass die Vorgänge im Gehirn irgendwie die „Basis“ für mentale Phänomene abgeben, wird von fast allen heutigen Vertretern der Philosophie des Geistes, der Psychologie und der Hirnforschung angenommen. Die empirischen Belege dafür sind sehr stark. Das eine ist es aber, eine entsprechende allgemeine Aussage zu machen, etwas anderes, im Detail die neurophysiologischen Prozesse zu studieren, die mit bestimmten mentalen Leistungen einher gehen. Dies ist erst seit einigen Jahrzehnten aufgrund der modernen bildgebenden Verfahren möglich, vor allem der funktionellen Magnetresonanz- oder Kernspintomographie (fMRT).⁸⁷ Die auf diesem Wege gewonnenen Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns haben einige Hirnforscher zu weitreichenden Schlussfolgerungen hinsichtlich des Verhältnisses von Geist und Gehirn veranlasst, die mit unserem Selbstverständnis oder philosophischen Artikulationen desselben in einem grundsätzlichen Konflikt stehen. Die aktuelle Willensfreiheitsdebatte wird zu einem guten Teil von derartigen Arbeiten befeuert.⁸⁸ Das Problem der Willensfreiheit erscheint dabei von vornherein als ein Teilproblem des Körper-Geist-, genauer: des Gehirn-Geist-Problems, und entsprechend tritt zu der Frage der Determination von Entscheidungen, Urteilen usw. durch zeitlich vorhergehende Faktoren die Frage der Abhängigkeit mentaler Phänomene von neurophysiologischen Gegebenheiten. Auch letzteres kann man als „Festlegung“ oder „Determination“ bezeichnen, aber hier handelt es sich nicht um eine horizontale oder diachrone, sondern um eine vertikale oder synchrone Determination. Es geht dann nicht primär um eine bestimmte zeitliche Abfolge;
von Gottfried Seebaß, der mit ihm an Hobbes und Schopenhauer anschließt. Seebaß zufolge ist Freiheit generell zu verstehen als die Abwesenheit von Hindernissen, und Willensfreiheit genauer als Freiheit der Willensbildung, also als Abwesenheit von Hindernissen bei der Willensbildung. Ein freies Wollen ist eines, das ungehindert zustande kommt (Seebass , S. – , – ). Die entscheidende Frage ist dann, was im Rahmen der Willensbildung als ein Hindernis zu gelten hat. Siehe einführend dazu Schleim () und Walter (). Die entsprechende Diskussion ist gut dokumentiert in Geyer (). Sturma () versammelt Aufsätze, die eine philosophisch-kritische Perspektive auf die Herausforderungen der Hirnforschung bieten.
8.1 Determinismus und neurophysiologischer Reduktionismus
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die entsprechende Leugnung der Willensfreiheit bezieht ihre Pointe vielmehr daraus, dass psychische Vorgänge Gehirnprozessen gegenüber gestellt und im Vergleich zu diesen als nachrangig dargestellt werden. Freilich werden die Themenkomplexe oft vermischt und zur Begründung der Nachrangigkeit des Mentalen Daten angeführt, die angeblich zeigen, dass etwa eine Entscheidung signifikant später ins Bewusstsein tritt als die ihr entsprechende Körperbewegung durch ein sogenanntes Bereitschaftspotential in den relevanten Gehirnarealen eingeleitet oder vorbereitet wird. Eine Diskussion der entsprechenden Experimente folgt weiter unten. Die Frage nach dem Bestehen oder Nicht-Bestehen einer vertikalen Determination ist typisch für Reduktionsdebatten, in denen es darum geht, ob eine bestimmte Phänomenklasse auf eine andere, fundamentalere vollständig zurückgeführt werden kann oder wenigstens von dieser abhängig ist (wie immer diese Abhängigkeit näher expliziert wird). Hierhin gehört die Vorstellung von Seinsschichten oder –ebenen, bei denen man sich jeweils fragen kann, ob oder inwiefern „höhere“ auf die darunter liegenden reduzierbar sind. Man spricht diesbezüglich auch von „interlevel-Reduktion“, dem korrespondiert die vertikale Determination der höheren Schichten durch die darunter liegenden.⁸⁹ Nach dem in Kapitel 4 Gesagten ist diese Form der Determination, falls man den Hirnprozessen eine ontische Priorität gegenüber den mentalen oder Bewusstseins-Vorgängen einräumt, ein Spezialfall des hier zu behandelnden Themas. Dieses ergibt sich aber auch unabhängig von Reduktionsfragen und unabhängig davon, welcher Position man beim Körper-Geist-Problem zuneigt. Falls „reine Geister“, die ohne jede materielle Basis auskämen, vorstellbar sein sollten, könnten auch sie deterministisch verfasst sein. Gewisse mentale Zustände könnten bei ihnen notwendig auf andere folgen, Überlegungsprozesse einen alternativlosen Verlauf nehmen, etc., kurz: die reinen Geister könnten eine deterministische Psychologie besitzen. Und auch bei ihnen würde sich die Frage stellen, ob man unter diesen Umständen überhaupt von (inneren, mentalen) Handlungen und Entscheidungen sprechen könnte, ob bei derartig festgelegten Prozessen von rationalem Abwägen die Rede sein könnte, ob die reinen Geister für diese Vorgänge und ihre Resultate moralisch verantwortlich wären, und so weiter. Weil diese Fragen also genau dieselben wären, ist die hier verfolgte Themenstellung kein Spezialfall des Körper-Geist-Problems. Der gegenteilige Eindruck ergibt sich aus einer Assoziation von Determinismus oder Kausalität mit dem physisch-materiellen Bereich. Notwendige Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten kann es aber auch außerhalb desselben geben, insbesondere impliziert die Rede
Siehe dazu einführend Hoyningen-Huene ().
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8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem
von psychologischen Gesetzen nicht per se eine Reduktionsthese. Und da ich den Verursachungsbegriff so weit gefasst wissen möchte, dass jede Notwendigkeitsbeziehung auch als Kausalbeziehung angesprochen werden kann, impliziert der Begriff eines psychologischen Gesetzes, dass man auch im Zusammenhang mit mentalen Phänomenen von Ursachen und Wirkungen sprechen kann. Die Verquickung des Willensfreiheits-Determinismus- mit dem Körper-GeistProblem hat eine lange Tradition, ebenso aber auch Versuche der Loslösung des ersteren aus dem Kontext des letzteren. Die Sichtweise, die diesbezüglich für mich leitend sein wird, lässt sich durch die folgende Textstelle aus Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ illustrieren: Eben um deswillen kann man auch alle Notwendigkeit der Begebenheiten in der Zeit nach dem Naturgesetze der Kausalität den Mechanismus der Natur nennen, ob man gleich darunter nicht versteht, dass Dinge, die ihm unterworfen sind, wirklich materielle Maschinen sein müssten. Hier wird nur auf die Notwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten in einer Zeitreihe, sowie sie sich nach dem Naturgesetze entwickelt, gesehen, man mag nun das Subjekt, in welchem dieser Ablauf geschieht, Automaton materiale, da das Maschinenwesen durch Materie, oder mit Leibniz spirituale, da es durch Vorstellungen betrieben wird, nennen, und wenn die Freiheit unseres Willens keine andere als die letztere (etwa die psychologische und komparative, nicht transzendentale, d.i. absolute, zugleich) wäre, so würde sie im Grunde nichts besser als die Freiheit eines Bratenwenders sein, der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet. (Kant 1788, 173 – 174; AA V, 97)
Kant legt zwar einen spezifischeren Determinismusbegriff als es hier geschieht zugrunde, nämlich den „Mechanismus der Natur“, der in der „Notwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten in einer Zeitreihe […] nach dem Naturgesetze“ besteht. Worauf es mir an dieser Stelle ankommt, ist aber, dass es für Kant irrelevant ist, ob diese Begebenheiten materiellen oder „spirituellen“ Charakter besitzen; in jedem Falle hätten wir es mit einem „Maschinenwesen“ zu tun. Zu untersuchen wird sein, ob Kant mit dieser pessimistischen Wortwahl Recht behält, oder anders gewendet, ob und inwiefern wir uns ohne wesentliche Verluste als „automata spirituale“ verstehen können. Dass wir im Falle der Wahrheit des Determinismus tatsächlich solche sind, also wenigstens unter anderem „durch Vorstellungen betrieben“ werden, werde ich in diesem Kontext nicht eigens verteidigen, sondern einfach voraussetzen. Eine epiphänomenalistische Sichtweise würde darauf hinauslaufen, dass wir im Wesentlichen „automata materiale“ sind, in denen die Vorstellungen gar nichts „betreiben“, sondern bloße Begleiterscheinungen eines materiellen Mechanismus sind, aber es wäre ein Fehler, den Determinismus als solchen mit einer derartigen These in Beziehung zu setzen.
8.2 Supervenienz des Mentalen auf dem Materiellen
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8.2 Supervenienz des Mentalen auf dem Materiellen Dem Vorhergehenden zufolge werde ich die Problemstellung dieses Buches unabhängig von Annahmen über das Verhältnis von Körper und Geist behandeln. Da jedoch sehr viel dafür spricht, dass zumindest das mentale Leben derjenigen Wesen, die wir kennen, einen physischen und näherhin neurophysiologischen „Träger“ voraussetzt, muss man sich fragen, ob sich für die Beantwortung der Ausgangsfragen etwas ändert, wenn man eine Supervenienz des psychisch-mentalen auf dem physisch-materiellen Bereich annimmt. Die Supervenienzthese besagt, dass es keine mentalen ohne materielle Phänomene gibt, und dass gleichartige materielle Verhältnisse mit gleichartigen mentalen Phänomenen einhergehen. Dabei ist nicht ohne weiteres anzunehmen, dass die Supervenienzbasis für die mentalen Eigenschaften einer Person allein von ihrem Gehirn oder auch ihrem Körper konstituiert wird.⁹⁰ Wenn der Gehalt mentaler Zustände zumindest partiell durch externe Faktoren festgelegt wird, können Individuen, die sich in verschiedenen Umwelten aufhalten oder eine unterschiedliche Vorgeschichte besitzen, sich trotz vollkommener physischer Gleichheit in verschiedenen mentalen Zuständen befinden. Da es keinen Grund gibt, externalistische Theorien mentalen Gehalts auszuschließen, lasse ich offen, wie die physische Supervenienzbasis für mentale Zustände genau beschaffen ist. Auch ansonsten werde ich die Art der Supervenienz nicht zu spezifizieren versuchen, um nicht über das, was meines Erachtens als empirisch sehr gut bestätigt gelten kann, hinauszugehen. Sogar ohne diese Zurückhaltung hinsichtlich der Basis ist die Supervenienz eine vergleichsweise schwache Aussage über das Verhältnis von Geist und Materie. Sie ist mit verschiedenen dualistischen Positionen vereinbar: dem psychophysischen Parallelismus, dem Aspektdualismus, dem Epiphänomenalismus und mit den meisten Varianten der Emergenztheorie. Und selbstverständlich ist sie mit monistischen Konzeptionen wie der Identitätstheorie und auch mit dem Funktionalismus (ob man diesen nun als dualistisch oder als monistisch ansieht) verträglich. Ausgeschlossen wird durch die Supervenienzthese nur der dualistische Interaktionismus. Die Abhängigkeit der geistigen von der materiellen Ebene oder die Festlegung jener durch diese, die im Supervenienzbegriff eingefangen wird, ist eine rein formale oder funktionale, indem sich jedem Zustand der materiellen Basis genau ein mentaler Gesamtzustand zuordnen lässt. Dass darüber hinaus nichts impliziert wird, sieht man besonders deutlich daran, dass die be-
Die meisten Hirnforscher nehmen selbstverständlich das Gehirn als Supervenienzbasis an (ohne diesen Ausdruck zu benutzen). Ein Plädoyer, stattdessen den ganzen Körper als solche zu betrachten, bietet Damasio ().
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8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem
sagte Supervenienz auch beim Aspektdualismus und beim psychophysischen Parallelismus besteht. Supervenienzbeziehungen sind nicht per se asymmetrisch. Die Rede von einer materiellen „Basis“ oder einem materiellen „Träger“ des Geistes ist im Rahmen einer bloßen Supervenienzthese insofern irreführend, als die Definition der Supervenienz die durch diese Ausdrücke suggerierte Asymmetrie gar nicht enthält. Nun ist aber zusätzlich eine phylogenetische wie ontogenetische Priorität der physisch-materiellen Ebene insofern anzunehmen, als davon auszugehen ist, dass mentale Phänomene ausschließlich mit komplexen materiellen Systemen bestimmten Typs verbunden sind, die nicht immer vorhanden waren, sondern sich erst im Laufe der Geschichte des Universums unter geeigneten Bedingungen entwickelt haben, und ferner davon auszugehen ist, dass diese Systeme auch in ihrer individuellen Entwicklung zunächst Stadien ohne mentale Phänomene durchlaufen. Dieser Gesichtspunkt, der zur Supervenienz hinzutritt, markiert eine ontologische Priorität der Physis, und erst er erlaubt es, den materiellen Bereich in einem substantiellen Sinne als Träger oder Basis des geistigen auszugeben. Auch dieser Zusatz liefert aber als solcher keinen Grund, unser Selbstverständnis als handelnde, rationale oder verantwortliche Wesen über die allgemeine Determinismus-Problematik hinaus in Frage zu stellen. Ganz sicher legt er nicht nahe, dass mentale oder näherhin Bewusstseins-Phänomene als kausal inerte Epiphänomene aufzufassen wären – es sei denn, man betrachtet höherstufige Entitäten grundsätzlich als kausal inert. Entsprechend sind die meisten der an den philosophischen Diskussionen beteiligten Neurowissenschaftler keine Epiphänomenalisten, weder hinsichtlich des Geistes, noch des Bewusstseins, sondern nehmen an, dass sich dieses evolutionär herausgebildet hat und irgendeinen Selektionsvorteil bietet. Selbstverständlich muss ein solches Merkmal dann kausalen Einfluss auf die physisch-materielle Ebene ausüben.⁹¹ Davon muss sich ein Epiphänomenalist freilich nicht beeindruckt zeigen. Er wird Bewusstseinsphänomene als bloße Begleiterscheinungen von bestimmten relevanten Merkmalen des Gehirns auffassen, und dabei auf die Unterscheidung von „Selektion von“ und „Selektion für“ verweisen. Im ersteren Sinne von „Selektion“ können auch bloße Epiphänomene Adaptationen (Anpassungen mit einer selektionstheoretischen Erklärung) sein. Die Idee eines bloßen Nebeneffektes ohne eigene Funktion, der durch eine geeignete Kopplung indirekt evolutionär ausgelesen wurde, erfordert jedoch spezielle Indizien, die im Falle des Bewusstseins nicht vorhanden sind. Es gibt beim Bewusstsein keine empirischen Gründe für eine epiphänomenalistische Sichtweise – zu den Ausnahmen komme ich
Typisch etwa Singer ().
8.3 Die Libet-Experimente
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gleich. Sie ist vielmehr prinzipiellen philosophischen Überlegungen geschuldet, die ich hier nicht weiter thematisiere, um mir nicht das Körper-Geist-Problem in seiner ganzen Allgemeinheit aufzuladen. Hinweisen möchte ich aber darauf, dass dem Epiphänomenalismus ein geeigneter Kausalitätsbegriff fehlt. Es gibt keine Konzeption von Ursachen und Wirkungen, bei der es natürlich erschiene, dass Verursachung zwar vom physischen in den mentalen Bereich hinein-, aber nicht zurückführen kann. Bei Regularitäts-, Interventions-, kontrafaktischen und probabilistischen Theorien der Verursachung ist nicht ersichtlich, warum nicht mentale Ursachen physische Wirkungen haben sollten. Bei Prozess- oder Transfertheorien der Kausalität kommt man dagegen nicht aus dem physisch-materiellen Bereich heraus; hier sind alle Wirkungen physische und näherhin physikalische Ereignisse oder Tatsachen. Es gibt also keinen Anlass, in der bloßen Tatsache, dass mentale und näherhin Bewusstseins-Vorgänge durch physische Prozesse vertikal determiniert und in bestimmter Weise gehirn- oder körperbasiert sind, eine Infragestellung unseres Selbstverständnisses als handelnde, entscheidende, rationale oder verantwortliche Personen zu erblicken. Es braucht uns nicht zu stören, dass sich während unseres Überlegens, Entscheidens und Handelns unvermeidlich auch Prozesse im Gehirn abspielen. Deren genaues Verhältnis zu den mentalen Phänomenen kann für unsere Zwecke offen bleiben.
8.3 Die Libet-Experimente Die viel diskutierten Libet-Experimente bieten tatsächlich Anlass, in einem bestimmten Fall eine Epiphänomenalität des Geistigen zu vermuten, die unser Selbstverständnis als Akteure in Frage zu stellen geeignet ist, und zwar eine Epiphänomenalität von bewussten Entschlüssen. ⁹² Diese scheinen zu spät zu kommen, um als kausal relevant für die zugehörige Körperbewegung gelten zu können. Und zwar zeigen Versuchspersonen, die eine einfache Handbewegung zu einem im Rahmen eines vorgegebenen Intervalls willkürlich gewählten Zeitpunkt ausführen sollen, durchschnittlich etwa eine halbe Sekunde vor dem Zeitpunkt, den sie später als den Zeitpunkt des Entschlusses berichten, ein sogenanntes Bereitschaftspotential im motorischen Kortex, das das früheste im Gehirn erkennbare Indiz für die Ausführung der Bewegung darstellt. Wenn der Determi Die Originalpublikationen zu den Experimenten stammen aus den frühen er Jahren. Sie wurden noch ohne Verwendung von fMRT mittels des älteren Verfahrens der Elektroenzephalographie (EEG) durchgeführt. Siehe Libet () für eine philosophisch orientierte Zusammenfassung, deutsch in Geyer ().
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8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem
nismus wahr ist, ist das Bereitschaftspotential selbstverständlich seinerseits verursacht, seine Vorstadien im Gehirn lassen sich aber neurowissenschaftlich nicht ausfindig machen. Aus den Befunden zum Bereitschaftspotential scheint zu folgen, dass das, was uns als bewusster Entschluss erscheint, ein bloßer Nebeneffekt eines unbewussten neurophysiologischen Prozesses ist, der nichts weniger als die Einleitung der Körperbewegung im Gehirn ist. Unser Entschluss, die Handlung nun auszuführen, hätte gar keine kausale Relevanz für die entsprechende Körperbewegung, und das wäre zweifellos befremdlich. Es ist auch dann befremdlich, wenn wir nicht Dinge sagen wie, das Gehirn habe schon entschieden und gaukle uns nur vor, wir würden entscheiden, während wir tatsächlich passiv sind: Zuschauer eines Geschehens, das sich ohne unser Zutun abspielt, während wir glauben, wir hätten es hervorgebracht. Eine solche Deutung der Libet-Experimente wäre äußerst dubios. Können Gehirne denn entscheiden? Und wenn sie es könnten, eine solche Zuschreibung also keinen Kategorienfehler darstellt⁹³ – wer sagt, dass nicht ich entscheide, wenn mein Gehirn entscheidet oder die Bewegung einleitet? Die Libet-Experimente sollten einen nicht dazu verführen, Akteure gegen ihre Gehirne auszuspielen. Um zu derartigen Schlussfolgerungen zu gelangen, muss man einen Dualismus bereits an sie herantragen. Dies tut nicht zuletzt Libet selber, der durchweg und wie selbstverständlich so redet, als kämen als theoretische Optionen zum Gehirn-Geist-Verhältnis nur der dualistische Interaktionismus und der Epiphänomenalismus in Frage.⁹⁴ Die Tatsache, dass einer der bedeutendsten Hirnforscher monistische Konzeptionen nicht einmal auf der Landkarte hat, zeigt sehr deutlich die immensen intuitiven Kosten solcher Konzeptionen, die in der analytischen Philosophie des Geistes weithin beiseite geschoben werden.⁹⁵ Für Libet ist Willensfreiheit gleichbedeutend mit der Eingriffsmöglichkeit eines immateriellen, indeterminierten Geistes (dabei ist „Geist“ gleich „Bewusstsein“) ins Gehirn, ohne dass er das explizit diskutieren oder Alternativen erwägen würde. Ihm zufolge ist „Indeterminismus [nondeterminism], die Ansicht,
Für einen unbefangenen Umgang mit solchen Prädikationen siehe etwa Roth (), das Buch trägt den Titel „Aus Sicht des Gehirns“. Bennett und Hacker () bieten ein umfassendes Plädoyer im Geiste des späten Wittgenstein dafür, dass alle derartigen Zuschreibungen illegitim sind. Siehe dazu die Diskussion in Bennett, Dennett, Hacker und Searle (), die Beiträge in Sturma () sowie Roth (). Siehe Libet () und (), sowie Haggard und Libet (). Dieses Beiseite-Schieben kann auch die Form annehmen, dass die Schwierigkeit als „the hard problem of consciousness“ zwar konzediert, zugleich aber auch – als „Qualiaproblem“ – isoliert wird, von dem unbelastet man allerhand andere Aspekte des Körper-Geist-Verhältnisses unabhängig behandeln könne.
8.3 Die Libet-Experimente
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dass der bewusste Wille manchmal Wirkungen ausüben kann, die nicht mit bekannten physikalischen Gesetzen übereinstimmen“⁹⁶ – eine Ansicht, die er immerhin durch seine Experimente stützen oder wenigstens als möglich erweisen wollte, die dann aber nicht so ausfielen, wie er erwartete. Die Libet-Experimente bilden deshalb ein schönes Beispiel im Sinne Poppers für die Notwendigkeit, die eigenen Anschauungen der Probe der Erfahrung zu unterwerfen, und für die Möglichkeit, dies zu tun, auch wenn eben diese Anschauungen dem gewählten experimentellen Design zugrunde liegen. Die Diskussion dieser Experimente wird nun aber dadurch erschwert, dass für ihren Urheber jede Festlegung einer Körperbewegung durch Prozesse im Gehirn bereits Unfreiheit bedeutet. Da dies bei einer Supervenienz des Geistigen durchweg der Fall wäre, kann es fälschlich so scheinen, als seien die Experimente überhaupt nur für einen dualistischen Interaktionisten relevant: und zwar als drohende Widerlegung seiner Position. Was die Experimente aber tatsächlich zeigen oder zumindest sehr nahelegen, ist – unabhängig von jeder Stellungnahme zum allgemeinen Körper-Geist-Problem – schlicht, dass beim Zustandekommen der einschlägigen Körperbewegung bewusste Prozesse nicht die kausale Rolle spielen, die wir ihnen normalerweise zuschreiben, und das ist, wie gesagt, befremdlich genug. Damit komme ich zur Diskussion und Interpretation der von Libet erzielten Ergebnisse, ohne dabei alles zu wiederholen, was in der umfangreichen Literatur dazu vorgebracht worden ist. Stattdessen konzentriere ich mich auf wenige Gesichtspunkte. Erstens sind verschiedene methodische Bedenken zu erwähnen. Das Bereitschaftspotential im motorischen Kortex ist nichts, das sich im Einzelfall nachweisen ließe. In den verschiedenen Gehirnarealen gehen ständig Aktivitäten vor sich, und die mit einer bestimmten Art von mentalem Vorgang assoziierten ergeben sich erst als statistische Auffälligkeiten bei einer Mittelung über viele Versuchsdurchläufe und Versuchspersonen. Es sind solche Mittelwerte erhöhter Aktivität, die in den bekannten Bildern farblich hervorgehoben und auf ein „Normalgehirn“ projiziert werden.⁹⁷ Solche Bilder zeigen also keineswegs das stilisierte Erregungsmuster im Gehirn einer bestimmten Person zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es ist deshalb ganz zu Recht diskutiert worden, ob es sich bei den Ergebnissen von Libet um statistische Artefakte handeln könnte. Die entsprechenden Bedenken lassen sich jedoch ausräumen.⁹⁸
Siehe Libet (), deutsch (, S. ). Walter () bietet unabhängig von dem speziellen Kontext der Libet-Experimente einen klaren und differenzierten Überblick über die methodologischen Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit verschiedenen Messverfahren für neurophysiologische Aktivität und der Interpretation der entsprechenden Resultate auftreten. Siehe Müller ().
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8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem
Weiterhin hatten sich die Probanden anhand einer speziellen, schnell laufenden Uhr den Zeitpunkt zu merken, zu dem sie sich zu der Bewegung entschlossen, und diesen später zu berichten. Man kann mit Recht fragen, wie zuverlässig solche Berichte sind, die auf Versuchsanordnungen beruhen, bei denen die Versuchspersonen gleichzeitig Introspektion betreiben und sich auf die Stellung eines schnell umlaufenden Zeigers konzentrieren müssen. Libet überprüfte die entsprechende Fähigkeit mit der Aufgabe, anhand derselben Uhr den Zeitpunkt zu benennen, bei der ein kontrolliert vom Experimentator verabreichter Hautreiz empfunden wurde. Dabei wurde die Dauer der Reizleitung von der Hautoberfläche ins Gehirn herausgerechnet, die etwa 100 ms (Millisekunden) beträgt. Unter dieser Bedingung stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen mithilfe der besonderen Uhr den Reiz durchschnittlich bis auf etwa 50 ms genau datieren konnten. Es ist sehr wichtig, dass dieser Wert weit, sogar eine Größenordnung unterhalb der ermittelten durchschnittlichen Differenz zwischen Bereitschaftspotential und bewusstem Bewegungsentschluss liegt. Dieses Kontrollexperiment richtet sich simultan gegen die Befürchtung, das Ablesen der Uhr oder das Gedächtnis der Probanden sei stark fehlerbehaftet, wie gegen die Befürchtung, das introspektive Spüren eines Entschlusses, Dranges oder Wunsches zur Bewegung sei etwas zu Vages, um die von Libet erzielten Resultate für aussagekräftig zu halten. Auch die gute Reproduzierbarkeit der Resultate spricht gegen eine erhebliche Rolle von Introspektions-, Ablese- oder Erinnerungsunsicherheiten bei ihrem Zustandekommen. Bei den Libet-Experimenten treten also methodische Schwierigkeiten verschiedener Art auf, aber diese sind als solche nicht geeignet, die Ergebnisse oder den Verdacht der Epiphänomenalität bewusster Prozesse bei diesem Aufbau grundsätzlich zu unterminieren. Zweitens ist der spezielle Charakter der Handlungen und Entschlüsse zu beachten, die in den Libet-Experimenten im Spiel sind. Bei dem Entschluss, jetzt die Hand zu bewegen, wenn es irgendwann in einem vorgegebenen Zeitintervall willkürlich geschehen soll, spielen Gründe und ihre Abwägung keine Rolle. Vielmehr ist, was zu tun ist, mit der Zustimmung der Versuchsperson zu ihrer Teilnahme an dem Experiment grundsätzlich klar. Danach muss sie sich nur noch ihren Impulsen überlassen. Mit ihrer freiwilligen Teilnahme hat sich die Person bereits entschieden, letzteres zu tun. Es ist durchaus möglich zu sagen, dass die wesentlichen Entscheidungen alle schon gefallen sind, wenn das Experiment beginnt. Entsprechend wurden die Versuchspersonen instruiert: Sie sollten sich die Zeit merken, zu der sie des Wunsches oder Dranges zu handeln zum ersten Mal gewahr wurden.⁹⁹ Man kann daher versuchen, die be-
Libet (), deutsch (, S. )
8.3 Die Libet-Experimente
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unruhigenden Ergebnisse mit einem Schlag loszuwerden durch die Behauptung, dass im Rahmen der gewählten experimentellen Anordnung gar keine Handlungsentschlüsse oder –entscheidungen auftreten, folglich auch nicht dem Bereitschaftspotential nachfolgen, und dass diese Experimente überhaupt keinen Aufschluss über die Rolle des Bewusstseins bei Entscheidungen geben. Der Entschluss besteht in der grundsätzlichen Bereitschaft, sich einem unwillkürlich auftretenden Bewegungsimpuls zu überlassen. Ist diese Entscheidung einmal gefallen, wartet die Versuchsperson nur noch ab. Diese Argumentationslinie ist bei philosophischen Kritikern des Anspruchs, die Ergebnisse von Libet hätten Implikationen für die Willensfreiheit, die bei weitem beliebteste.¹⁰⁰ Diese Einschätzung trifft etwas Richtiges, aber geht meines Erachtens zu weit. Man sollte nicht bestreiten, dass es auch einen unmittelbaren bewussten Entschluss gibt, die Hand jetzt zu bewegen, der nach Lage der Dinge entweder gemeinsam mit oder zeitlich kurz nach dem entsprechenden „Wunsch“ oder „Drang“ auftritt. Diesem Wunsch oder Drang wird ja stattgegeben, und das ist kein Automatismus. Zudem gibt es Varianten der Libet-Experimente, bei der sogar eine Wahl zwischen Alternativen, also eine Entscheidung stattfindet.¹⁰¹ Es ist deshalb nicht plausibel, die kurzfristige Bildung einer bewussten Handlungsabsicht in Abrede zu stellen, die auf das „jetzt tue ich es“ geht, und da diese sicher nicht vor dem „Wunsch“ oder „Drang“ stattfinden kann, sondern eine Reaktion auf ihn ist (nämlich, ihm stattzugeben), ist die problematische zeitliche Lücke eher noch größer. Das Bereitschaftspotential kommt nicht nur vor dem Entschluss, die Hand jetzt zu bewegen, sondern sogar vor der ersten ins Bewusstsein tretenden Bewegungsneigung. Durch all dies wird aber der Grundcharakter des Einwandes in einer Hinsicht nicht berührt. Die grundsätzliche Entscheidung fällt vorher, und nur bei dieser spielt die Abwägung von Gründen eine Rolle. Der dann experimentell erfasste „lokale“ Entschluss betrifft nur noch den genauen Zeitpunkt der Bewegung. Die Libet-Experimente liefern deshalb keinen Hinweis, dass das Abwägen von Gründen sowie mittel- und langfristige Handlungsabsichten keine kausale Rolle beim Zustandekommen von Handlungen spielen.¹⁰² Aber zeigen sie nicht zumindest, dass man sich im Falle des kurzfristigen Entschlusses, es jetzt zu tun, systematisch über die Kausalverhältnisse täuscht? Auch das ist nicht der Fall, wie ein weiterer Aspekt der Experimente zeigt. Interessanterweise führt nämlich das Bereitschaftspotential nicht zwingend zu einer Körperbewegung. Die Person hat nämlich, so der dritte hier zu diskutierende
Siehe Mele () als ein Beispiel unter vielen. Siehe Haggard und Eimer (), Haynes et al. (), Soon et al. (). Siehe Mele () zu einer ausgearbeiteten Position dieser Art.
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Gesichtspunkt, die Möglichkeit eines bewussten „Vetos“, das heißt der Unterdrückung der Bewegung trotz vorhandenen Bereitschaftspotentials und vorhandenen Wunsches oder Dranges. Dies wurde von Libet in anderen Kontexten registriert und ist sehr wichtig für die Deutung seiner Experimente. Zum dualistischen Interaktionismus tendierend, sieht Libet in der Veto-Möglichkeit immerhin eine beschränkte Form des freien Willens, und fragt sich nur, ob dem Veto womöglich auch wieder „unbewusste Prozesse“ (die für ihn in diesem Kontext dasselbe sind wie Vorgänge im Gehirn) zugrunde liegen, was die Freiheit seiner Ansicht nach wieder zunichtemachen würde.¹⁰³ Für uns ist an dieser Stelle nur die Veto-Möglichkeit als solche wichtig. Die Supervenienz des Geistigen auf dem Materiellen ist empirisch äußerst plausibel, und dass das Gehirn ein deterministisches System ist, ist immerhin möglich. Die Libet-Experimente liefern zu dieser Frage überhaupt nichts. In dem Kontext der Diskussion dieser Experimente kann die Frage also nicht sein, ob Bewusstseinsphänomene durch Gehirnvorgänge synchron oder diachron fixiert sind, sondern ob bewusste Entscheidungen eine kausale Rolle bei der Handlungsgenerierung spielen oder nicht. Und diesbezüglich bedeutet nun die Veto-Möglichkeit, dass das Bereitschaftspotential tatsächlich nicht mehr als einen Handlungsimpuls anzeigt, der dem Subjekt als Wunsch oder Drang zu Bewusstsein kommt und dem es dann stattgibt oder eben nicht. Das Bereitschaftspotential leitet die Handlung nicht ein – wenigstens ist das kein Automatismus – sondern bereitet sie vor. Worauf das Veto, wenn es eintritt, seinerseits beruht, braucht uns an dieser Stelle nicht zu kümmern. Insbesondere gibt es keinen Grund zu meinen, dass dem bewussten Veto auch wieder ein Bereitschaftspotential vorangehe, als dessen Epiphänomen es sich dann erweisen würde, oder dass etwa das gemessene Bereitschaftspotential sowohl der Handlungseinleitung als auch dem Veto, wenn ein solches eintritt, zugrunde liege.¹⁰⁴ Behauptungen dieser Art beruhen auf einem Missverständnis. Der Aufbau des Bereitschaftspotentials ist nicht irgendein x-beliebiger Gehirnvorgang, sondern eine spezifische Erscheinung im motorischen Kortex, die mit der Vorbereitung oder Einleitung einer körperlichen Aktivität zu tun hat. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass zum Abbruch oder der Unterdrückung der entsprechenden Bewegung nun auch wieder ein Bereitschaftspotential erforderlich sei. Dass aber irgendwelche Gehirnvorgänge dem Veto vorangehen oder seine Basis bilden, ist, wie gesagt, nicht der Punkt. Allein dadurch wird das bewusste Veto ja nicht zum Epiphänomen. Es geht hier nicht um allgemeine Erwägungen, sondern um die
Siehe Libet (), deutsch (), S. – . So z. B. Levy (), S. – .
8.3 Die Libet-Experimente
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spezifische Problematik, die die besagten Experimente aufwerfen, dass bewusste Entscheidungen (oder was uns so vorkommt) möglicherweise bloße Epiphänomene von handlungseinleitenden unbewussten Prozessen sind. Und das ist nicht einmal für die speziellen hier zur Diskussion stehenden Handlungen gezeigt. Das Bewusstsein hat anscheinend auch hier einen kausalen Einfluss: Es kann das Zustandekommen der Bewegung unterbrechen. Der experimentelle Aufbau bei Libet ist so gemacht, dass es zu diesem Veto nicht kommt. Die Person ist instruiert, hat vorher zugestimmt, die Bewegung auszuführen, und konzentriert sich nun nur noch auf die Ablesung des Zeitpunktes, zu dem sie den Drang verspürt, in Aktion zu treten. Ein Motiv, diesen Drang zu hemmen, tritt nicht auf, und daher kann der Eindruck der Epiphänomenalität entstehen, wo es sich tatsächlich um ein Gewährenlassen handelt.¹⁰⁵ Dass in uns ein Wunsch aufsteigt, den wir dann entweder unterdrücken oder dem wir nachgeben, ist eine alltägliche Erfahrung. Libets Ergebnisse legen nahe, dass zu einem solchen Wunsch die mehr oder minder spezifische Vorbereitung einer geeigneten Körperbewegung gehört, und dass diese Vorbereitung erfolgt, bevor wir uns des Wunsches bewusst sind. Wenn etwa eine Person, am Schreibtisch sitzend, den Drang verspürt, aufzustehen, herumzugehen, oder sich einen Kaffee zu holen, dann, so scheint es, wird die entsprechende Bewegung im Gehirn vorbereitet, bevor der bewusste Drang auftritt. Sie wird aber nicht unbedingt ausgeführt. Die Person hat immer noch die Möglichkeit, den Impuls zu unterdrücken und ihm entgegen zu beschließen, doch noch sitzen zu bleiben und weiter zu arbeiten. Damit ist die kausale Rolle des Bewusstseins beim Entscheiden und Handeln hinreichend gewahrt. Natürlich ist allein dadurch noch nichts darüber gesagt, was hinter der Ergreifung oder Nicht-Ergreifung der Vetomöglichkeit steckt, inwiefern für sie zureichende Ursachen bestehen, und von welcher Art diese gegebenenfalls sind. Und wir wissen auch noch nicht, ob wir das Bereitschaftspotential als zu dem Drang oder Wunsch gehörig betrachten sollten, als eine seiner un- oder vorbewussten Komponenten, oder ob wir solche Ausdrücke für Bewusstseinsphänomene reservieren sollten. Hier kommt es nur darauf an, dass die Rolle des Bewusstseins auch bei Entscheidungen oder Entschlüssen der diskutierten speziellen Art keine epiphänomenale zu sein scheint. Wenn wir nun darüber hinausgehen und uns fragen, wie man sich das Verhältnis von Bereitschaftspotential und bewusstem Bewegungsdrang oder ‐wunsch denken sollte, so ist die plausibelste Antwort, dass das Bereitschaftspotential Darüber hinaus argumentiert Levy (, Kap. ) in bedenkenswerter Weise dafür, dass unser Selbstverständnis als Akteure und unsere Freiheit auch dann, wenn die Epiphänomenalität des Bewusstseins im besonderen Fall oder gar allgemein gegeben wäre, nicht unbedingt betroffen wären. Dies hänge von weiteren Faktoren ab. Ich gehe dem nicht weiter nach.
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8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem
nichts anderes als das neuronale Korrelat des bewussten Bewegungsdranges ist. Diese Position wird in der Diskussion der Libet-Experimente kaum artikuliert, weil man intuitiv unterstellt, dass das neuronale Korrelat eines mentalen Prozesses mit diesem gleichzeitig sein müsse. Derartiges folgt aus der Supervenienzthese aber nicht. Die Supervenienz des Geistigen auf dem Materiellen gibt nur her, dass eine vollständige Fixierung der Beschaffenheit des letzteren Bereiches auch den ersteren festlegt. Das heißt aber weder, dass es zu einem bestimmten mentalen Prozess oder Zustand eine spezifische lokalisierbare physische „Entsprechung“ gibt, noch ist etwas für die Charakteristika einer solchen, wenn es sie denn gibt, impliziert. Zudem existieren empirische Ergebnisse, die stark gegen eine vollkommene Gleichzeitigkeit von bewussten Prozessen und ihren Korrelaten im Gehirn sprechen. Libet selber stellte bei früheren Versuchen fest, dass eine direkte elektrische Reizung des Gehirns etwa eine halbe Sekunde andauern muss, bis und damit der Proband ein spezifisch verändertes bewusstes Erleben registriert. Erregungsmuster des Gehirns, die kürzer dauern, scheinen zu keiner Veränderung des Bewusstseinszustandes zu führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine hinreichend starke Aktivierung einer Gehirnregion gar nicht so schnell wieder abklingen kann, dass die nötige halbe Sekunde nicht erreicht wird, aber es bleibt dabei, dass das Gehirn eine erstaunlich lange Zeit in spezifischer Weise aktiv sein muss, damit entsprechende Bewusstseinsphänomene auftreten. Diese Zeit ist insbesondere viel zu lang, um zu erklären, wie die Probanden bei dem oben angesprochenen Kontrollexperiment einen auf ihre Haut gegebenen Reiz bis auf durchschnittlich etwa 50 ms genau datieren konnten.¹⁰⁶ Der scheinbare Widerspruch zwischen den Resultaten der genannten Experimente lässt sich dadurch beseitigen, dass man annimmt, dass ins Bewusstsein tretende äußere oder als äußere interpretierte Ereignisse unbewusst um die besagte halbe Sekunde zurückdatiert werden. Wer auf eine sehr heiße Herdplatte fasst, zieht reflexartig und viel zu schnell für eine bewusste Handlung seine Hand zurück, glaubt nachträglich aber, den Schmerz, der tatsächlich im Mittel 600 ms nach der Berührung einsetzt, sofort gespürt zu haben, in dem Moment, wo er die Platte berührte. Was in unserem Kontext wichtig ist, ist nun die Tatsache, dass die durchschnittliche Differenz zwischen dem gemessenen Bereitschaftspotential und dem bewusst gefühlten Bewegungsdrang ebenfalls etwa eine halbe Sekunde beträgt. Es ist nicht anzunehmen, dass das ein bloßer Zufall ist. Es spricht deshalb empirisch viel dafür, dass mit dem Bereitschaftspotential das neuronale Korrelat
Bis auf ms genau, wenn man die Zeit der Reizleitung zum Gehirn nicht herausrechnet. Es gibt eine „Standardverspätung“ von circa ms, und um diese dann eine Streuung mit einem Mittelwert von circa ms.
8.3 Die Libet-Experimente
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des bewusst empfundenen Bewegungsdrangs gefunden und es nun eine Frage des allgemeinen Körper-Geist-Problems ist, wie man sich das Verhältnis der beiden näher vorzustellen hat.¹⁰⁷ Ich schließe die Diskussion der Libet-Experimente mit zwei Nachbemerkungen. Erstens hat es einen guten Sinn, dass Körperbewegungen zumindest in bestimmten Fällen vorbereitet oder eingeleitet werden, noch bevor der Wunsch, sie auszuführen, ins Bewusstsein tritt. Vermutlich wären wir ansonsten in vielen Situationen einfach zu langsam. Wenn wir an automatisierte Abläufe denken, dann ist das „Geschehenlassen“ mit Händen zu greifen. Es ist von vornherein plausibel und entspricht der alltäglichen Erfahrung, dass in solchen Fällen das Bewusstsein nur eine Supervisionsfunktion hat, dass es vielmehr die Unterbrechung der Abläufe ist, die Konzentration erfordert, dass für einen solchen Eingriff aber normalerweise kein Grund besteht und die Bewegungen dann wie von selbst ablaufen, ohne dass das Bewusstsein bei ihrem Zustandekommen eine besondere Rolle spielte. Dies ist für unser praktisches Selbstverständnis kein Problem. Denkt man an Handlungen dieser Art, dann wirken die Ergebnisse der Libet-Experimente weder beunruhigend noch überraschend, nur dass man bei diesen Experimenten wegen der deutlichen Isolation der Bewegung eher von einem Entschluss (die Hand jetzt zu bewegen) oder einer Entscheidung (entweder die rechte oder die linke Hand jetzt zu bewegen) sprechen kann. Zweitens kann man vermutlich sogar bei solchen Handlungen, über die die Libet-Experimente gar nichts aussagen, weil sie nämlich der Abwägung von Gründen folgen, ähnliche Phänomene beobachten. Die Begriffe „Entscheidung“ und „Entschluss“ suggerieren punktförmige Ereignisse, tatsächlich kann die Bildung einer Handlungsabsicht aber auch deutlich zeitlich ausgedehnt sein. Der Prozess geht allmählich in das Urteil über.Wenn eine Person etwa überlegt, ob sie noch am Schreibtisch sitzen bleiben und weiter arbeiten oder einen Spaziergang machen soll, dann mag sich eine stärker werdende Tendenz herauskristallisieren, das eine oder andere zu tun, und wenn es sich um den Spaziergang handelt, bemerkt die Person vielleicht, dass sie dabei ist aufzustehen, noch bevor die bewusste Entscheidung endgültig gefallen ist. Diese fällt vielmehr im und mit dem Aufstehen zusammen. Vielleicht setzt sich die Person dann aber wieder hin – das wäre eine andere, später einsetzende Art von Veto als bei Libet. Das muss sich selbstverständlich nicht so abspielen, aber Vorgänge dieser Art sind uns vertraut und geben keinen Grund zur Revision unseres praktischen Selbstverständnisses
Ein Identitätstheoretiker, der psychische Zustände mit ihren neuronalen Korrelaten identifiziert, würde dementsprechend sagen, das Bereitschaftspotential sei der Bewegungsdrang – wie immer man sich das verständlich machen soll.
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8 Willensfreiheit und das Körper-Geist-Problem
ab. Manchmal trägt das Sich-Entschließen den Charakter eines Sichbewusstwerdens, dass man nun entschlossen ist. Ebenso zeichnet sich vorher häufig ab, auf welcher Seite der Waage sich das größere Gewicht befindet; das Absinken der entsprechenden Waagschale ist ein zeitlich ausgedehnter Prozess. Sollte das Gehirn bereits eine halbe Sekunde, bevor dieser Prozess vollständig abgeschlossen ist, ein Bereitschaftspotential im motorischen Kortex zeigen, oder sogar die entsprechende Körperbewegung im engeren Sinne begonnen haben, so ist dies nichts, was nahelegte, dass nicht wir selbst entschieden oder die vorhergehenden Überlegungen keine kausale Rolle gespielt hätten. Man darf vermuten, dass die Libet-Experimente unter anderem deshalb beunruhigend wirken, weil man das Sich-Entscheiden in idealisierter Weise als punktförmig denkt und dadurch zu viel Gewicht auf den Endpunkt eines zeitlich ausgedehnten Geschehens legt.
9 Gründe und Ursachen 9.1 Zwei Sprachspiele? Indem ich „Determinismus“ nicht exklusiv mit dem physisch-materiellen Bereich assoziiere, fälle ich insbesondere eine terminologische Vorentscheidung gegen Positionen, die davon ausgehen, dass es von vornherein kein Problem mit einer möglichen Determination oder Verursachung von Entscheidungen, Handlungen, Überlegungen, Urteilen, etc. geben könne. Diese seien eo ipso nicht determiniert und nicht verursacht, und zwar deshalb, weil derartige Begriffe auf sie gar nicht sinnvoll angewendet werden könnten. Unsere Problemstellung beruhe wesentlich auf einem Kategorienfehler. Solche Positionen möchte ich behelfsmäßig als „ZweiSprachspiele-Konzeptionen“ bezeichnen, wobei offen bleiben soll, was genau hinter der behaupteten kategorialen Differenz steckt. Ihr gemeinsamer Nenner ist, dass zumindest Handlungen und ihre Gründe als Teil eines nicht-kausalen „Sprachspiels“ gesehen werden.¹⁰⁸ Da die von mir gewählte terminologische Weichenstellung über diese Eigenart – sofern sie denn besteht – glatt hinweggeht, muss ich zu solchen Konzeptionen im Vorfeld der eigentlichen Auseinandersetzung Stellung beziehen. Am einfachsten wäre es natürlich, das Bestehen zweier „Sprachspiele“ rundweg zu bestreiten, aber das scheint mir zu verpflichtend. Stattdessen lautet meine Position, dass, auch wenn man hier zwei Sprachspiele identifizieren können sollte, diese doch so mannigfache und enge Verbindungen aufweisen, dass sich die leitende Problemstellung auf jeden Fall ergibt und allenfalls sprachlich anders zu fassen wäre. Ich ziehe es vor, Begriffe wie „Ursache“ und „Determinismus“ allgemeiner zu verwenden als Zwei-Sprachspiele-Konzeptionen es vorsehen. Meine im Folgenden zu erläuternde Behauptung ist, dass dadurch sachlich nichts vorentschieden wird. Erstens ist das zentrale Motiv dieser Arbeit die Frage nach der Bedeutung einer möglichen Alternativlosigkeit von Überlegungen, Entscheidungen, Urteilen etc. Wie man diese Alternativlosigkeit terminologisch fasst, ist nicht zentral. Ich tue es, indem ich von Determinismus und Ursachen spreche; wer daran Anstoß nimmt, der müsste andere Formulierungen wählen. Entscheidend ist das besagte Motiv der Alternativlosigkeit, und hier gibt es, so meine ich, zunächst einmal kein Anzeichen, dass es bei mentalen Phänomenen nicht bestehen kann. Warum sollte es
Die Bezeichnung bezieht eine gewisse historische Berechtigung daher, dass Handlungstheorien dieses Typs insbesondere von Autoren aus dem Umfeld des späten Wittgenstein vertreten wurden: Ryle (, S. – , dt. S. – ), Anscombe (, §§ – ), Melden (), Von Wright (, Kap. III).
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9 Gründe und Ursachen
undenkbar sein, dass die Überlegungen einer Person mit einer bestimmten psychischen Verfassung unter bestimmten Umständen notwendig in charakteristischen Bahnen verlaufen und in die entsprechende Meinung oder Entscheidung münden? Wenn solches auszuschließen ist, dann sicherlich nicht durch den Hinweis auf einen Kategorienfehler. Zweitens ist zu bemerken, dass, auch wenn man „Ursache“, „Determinismus“ und verwandte Termini wesentlich spezifischer verwendet als ich es hier tun möchte, es doch stets dabei bleibt, dass Handlungen jedenfalls Wirkungen haben und also als Ursachen von Ereignissen im physisch-materiellen Bereich auftreten. Es wäre daher merkwürdig, wenn es von vornherein sinnlos – ein Kategorienfehler – wäre, sie selber auf ihre Ursachen hin zu befragen. Indem sie Wirkungen haben, treten Handlungen in Kausalbeziehungen ein, und es ist nicht einzusehen, warum sie dann nicht auch selber Wirkungen sein können sollten. Drittens hängen die beiden durch angeblich verschiedene Sprachspiele charakterisierten Bereiche viel zu eng zusammen, um eine Trennung aufrecht zu erhalten, die eine einfache Lösung der Problemstellungen erlaubte. Ein vollständiger Determinismus im physisch-materiellen Bereich bedeutete ja insbesondere die Determination sämtlicher Körperbewegungen. Dass unsere Handlungen eo ipso nicht determiniert sein könnten, wäre ein geringer Trost, wenn dabei alle unsere Körperbewegungen alternativlos festgelegt wären. Dass beispielsweise eine Person mitten in einem Vortrag aufsteht und den Raum verlässt, wäre dann nicht determiniert, wohl aber, dass der Körper dieser Person zu einem bestimmten Zeitpunkt unter dem kausalen Einfluss bestimmter Schallwellen eine Bewegung beginnt, die ihn wenig später durch eine Maueröffnung führt. Es ist kaum zu sehen, warum man in diesem Fall nicht gleich von der Determination der Handlung sprechen sollte. Wir müssen dazu keine Reduktionsmöglichkeit von Handlungen auf physische Gegebenheiten annehmen. Nicht nur kann eine Körperbewegung bestimmter Art verschiedene Handlungen konstituieren und umgekehrt eine Handlung bestimmter Art mit unterschiedlichen Körperbewegungen einhergehen, sondern die Zuschreibung von Handlungen hängt auch in komplexer Weise von Interpretationskontexten ab, was es prinzipiell unmöglich machen könnte, Handlungen allein durch physikalistische Termini zu charakterisieren. Aber all das ändert nichts an dem engen Zusammenhang von Handlungen und Körperbewegungen. Auch wenn im Beispiel die Bewegung des Körpers der Person durch die Maueröffnung verschiedene Interpretationen im Handlungssinne zulassen sollte, so verhält es sich, falls der physisch-materielle Bereich deterministisch verfasst ist, doch so, dass die Person in diesem Moment jedenfalls nicht die Möglichkeit hat, auf ihrem Stuhl sitzen zu bleiben und weiterhin dem Vortrag zu lauschen, die Hand zu heben und eine Frage zu stellen, und so weiter. Was an Handlungsalternativen in einer
9.2 Kausale und teleologische Handlungstheorie
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bestimmten Situation übrig bliebe, wäre kaum der Rede wert, wenn die Körperbewegungen von Akteuren alternativlos festgelegt wären. Es wäre dann vielleicht nicht ganz so, aber doch so gut wie, als wären die Handlungen selber determiniert – auch wenn man sich diese Ausdrucksweise verbietet. Aus diesen Gründen also halte ich die erwähnte terminologische Vorentscheidung für unproblematisch. Man muss sie nicht mitmachen, aber wenn man es nicht tut, dann stellen sich dieselben Probleme einfach in anderem Gewand.
9.2 Kausale und teleologische Handlungstheorie Ein wichtiger Bestandteil von Zwei-Sprachspiele-Konzeptionen ist die Gegenüberstellung von Gründen und Ursachen. Der „Raum der Ursachen“ wird mit dem „Raum der Gründe“ kontrastiert. Was ist zu der Frage zu sagen, ob Gründe – im Sinne von Beweggründen – als Ursachen zu betrachten sind? Ob Erklärungen von jemandes Handlungen oder Meinungen durch seine Gründe Kausalerklärungen (einer speziellen Art) sind? Vor allem im Anschluss an die Position von Donald Davidson, der diese Fragen nachdrücklich bejaht, hat sich eine anhaltende und komplexe Debatte über diesen Punkt entwickelt.¹⁰⁹ Da es zumindest eigenartig klingt zu sagen, dass die Gründe, die das Subjekt für seine Handlung oder Meinung hat, diese verursachen, ist die Auffassung von zwei Sprachspielen keineswegs abwegig. Meiner Ansicht nach hängt aber von der richtigen Antwort auf diese Fragen für unsere Diskussion, anders als es scheinen könnte, nicht viel ab. Unstrittig ist, dass der Bezug auf Gründe jedenfalls erklärt, warum das Subjekt in bestimmter Weise urteilt oder handelt. Und wenn diese Gründe nun derart sind, dass das Subjekt sich angesichts ihrer die entsprechende Meinung notwendig bildet oder die entsprechende Handlung notwendig ausführt, können die Gründe – nach der allgemeinen Charakteristik in 4.5 – immer auch als determinierende Ursachen der Handlung oder Meinung angesprochen werden. Dies lässt sich sagen ohne eine Festlegung darauf, welcher Status oder welche Art der Existenz Gründen näherhin zukommt. Zugegeben, dass ich hier einen sehr allgemeinen Begriff von Determination und Kausalität verwende, aber das ist nur eine Sache der terminologischen Bequemlichkeit. Neutraler formuliert stellt sich
Der grundlegende Aufsatz ist Davidson (). Gegenpositionen wurden etwa gleichzeitig zunächst von den oben genannten Autoren bezogen. Sie sind beeinflusst von Bemerkungen wie der im Blauen Buch (Wittgenstein , S. – ). Eine sehr gute kritische Diskussion ihrer Ansätze bietet Pothast (, Kap.VI). Der „Raum der Gründe“ geht auf Wilfrid Sellars (zuerst ) zurück, seine Kontrastierung mit dem „Raum der Ursachen“ spielt in der Diskussion des Willensfreiheitsproblems vor allem in der deutschsprachigen Philosophie eine wichtige Rolle.
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9 Gründe und Ursachen
die Frage, ob dem Subjekt angesichts der Gründe, die es erkennt, noch mehrere Handlungen oder Meinungen möglich sind, oder ob nicht diese Gründe für das Subjekt so zwingend sein können, dass es notwendig eine bestimmte Handlungsoption ergreift oder Meinung ausbildet. Und weiter, ob die Erkenntnis der Gründe vor dem Hintergrund der psychischen Verfasstheit des Subjekts und der konkreten Situationsumstände nicht ihrerseits alternativlos sein kann. Damit ergibt sich die Fragestellung dieses Buches, und sie ergibt sich für kausale ebenso wie für nicht-kausale, insbesondere teleologische Handlungstheorien, die die „um zu“-Struktur von Handlungen ins Zentrum stellen.¹¹⁰ Dazu drei weitere Bemerkungen. Erstens kann ein Grund nur dadurch zu einem Motiv und als Erklärung einer Meinung oder Handlung angeführt werden, dass er entweder selber ein bestimmter mentaler Zustand ist oder aber in einem solchen repräsentiert wird. Gründe als Beweggründe erfordern geeignete psychische (wenn auch nicht unbedingt bewusste) Vorgänge und Zustände, die der Handlung oder Meinung vorausgehen und entweder selber die Gründe sind, aus denen das Subjekt handelt oder urteilt, oder diese Gründe als Gehalte haben. Das gilt unabhängig davon, welchen Standpunkt man in der Frage einnimmt, was für Entitäten Gründe sind und welche Form der Handlungstheorie man vertritt. Erklärungen von Handlungen oder Meinungen durch Gründe sind insofern immer Erklärungen durch vorherige mentale Zustände des Akteurs, und Gründe, sofern sie Motive sind, gleichen in ihrer zeitlichen Positionierung gewöhnlichen Ursachen. Dies ist bei teleologischen Handlungskonzeptionen nicht anders als bei kausalen. Ohne den Blick des Subjekts auf das Ziel, ohne dessen mentale Repräsentation durch das Subjekt, ist keine Handlungsmotivation möglich. In der Standardversion der kausalen Handlungstheorie fungieren Wünsche und Überzeugungen des Subjekts als die Gründe. Sie werden dadurch zu Motiven, dass sie auf dem Weg über eine Absicht eine Handlung verursachen, die in ihrem Lichte als gerechtfertigt erscheint. Nicht nur die Behauptung einer Kausalbeziehung hat hierbei zu mannigfacher Kritik Anlass gegeben, sondern auch die Identifikation von Gründen mit Meinungen und Wünschen. Wir haben schon gesehen, dass im praktischen Überlegen das Subjekt meist nicht auf seine Wünsche, sondern im Lichte dieser auf äußere Gegebenheiten reflektiert. Und obwohl man die eigenen Wünsche auf Befragen oft zwanglos als Handlungsgründe anführen kann, verweist man ebenso oft stattdessen auf bestimmte gut-
Eine neuere gründliche Entwicklung und Verteidigung der kausalen Handlungstheorie bietet Bishop (), zur teleologischen Handlungstheorie leisten dasselbe Schueler () und Sehon (). Eine umfassende Darstellung und Kritik der kausalen Handlungsauffassung ist Keil (). Die zum Teil sehr subtile gegenwärtige Debatte ist in Horn und Löhrer () sowie Aguilar und Buckareff () dokumentiert.
9.2 Kausale und teleologische Handlungstheorie
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machende Eigenschaften des Handlungszieles. Dadurch ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass der evaluative Aspekt dieser Eigenschaften sich direkt oder indirekt von den eigenen Wünschen und Gefühlen herschreibt; die gutmachenden Eigenschaften sind dann solche, die das Ziel für das Subjekt attraktiv machen. Aber jedenfalls werden dann nicht die Wünsche selber als Handlungsgründe angeführt. In noch höherem Maße gilt das für die Überzeugungskomponente der Motivation: Im Rahmen der Begründung einer Meinung oder Handlung beruft man sich normalerweise nicht auf seine Überzeugungen, sondern auf deren Gehalte, also auf vermeintliche Tatschen. Nicht, dass man etwas für wahr hält, sondern was man für wahr hält, spielt die Rolle des Grundes.Wenn dagegen Dritte von außen die Handlung eines Subjekts erklären, liegt es viel näher, dessen Wünsche und Überzeugungen als seine Motive anzuführen. Es ist in mehreren Hinsichten undeutlich, Entitäten welcher Art Gründe sind, und je nachdem, in welcher Rolle sie auftreten, liegt das eine oder andere näher. Es gibt insbesondere im Rahmen dieser Untersuchung keinen Grund, sich darauf festzulegen, dass Gründe mentale Zustände des Subjekts sein müssten. Das ändert aber nichts daran, dass die Gründe jedenfalls nur durch geeignete mentale Zustände des Subjekts hindurch dieses bewegen und nur so zu Gründen werden können, aus denen heraus das Subjekt etwas meint oder tut. Wenn man sich etwa vorstellt, dass jemand aus der Einsicht oder Akzeptanz eines allgemeinen Prinzips heraus handelt und es dieses abstrakte Prinzip selber ist, das die Rechtfertigung der Handlung leistet, dann ist in diesem Sinne der Grund der Handlung nicht ihre Ursache. Doch ohne eine mentale Episode der Einsicht oder der Akzeptanz des Prinzips kann dieses die Handlung nicht erklären, und solche mentalen Vorkommnisse sind zeitlich lokalisierbare Entitäten, die in kausale Beziehungen eintreten können. Wenn schon nicht die Gründe selbst, so ist doch ihre Erfassung durch das Subjekt etwas Konkretes, das Ursachen und Wirkungen haben kann. Zweitens gibt es mehrere Explikationen des Verursachungsbegriffs, denen zufolge Beweggründe oder deren mentale Repräsentationen ganz selbstverständlich Ursachen sind. Nehmen wir die kontrafaktischen Theorien der Kausalität: Wenn die Gründe relevant andere wären, dann würde das Subjekt auch anders handeln oder urteilen. Ein Satz dieser Art wird, geeignet verfeinert, im Normalfall sicherlich gelten, und damit befinden sich den besagten Kausalitätstheorien zufolge die Gründe des Subjekts unter den Ursachen für seine Handlung oder Meinung. Analoges gilt für Regularitäts-, Interventions- und probabilistische Theorien der Verursachung. Es ist kein Grund auszumachen, warum bei ihnen Motive keine Ursachen der entsprechenden Handlung oder Meinung sein sollten. Die Gründe oder ihre mentalen Repräsentationen gehen der Handlung zeitlich voran und erklären sie, und es gibt deshalb auch ganz allgemein gesprochen keinen Grund, Beweggründe nicht in einem harmlosen, zu nichts weiter ver-
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9 Gründe und Ursachen
pflichtenden Sinne als Handlungsursachen zu begreifen. Ein Determinismus ist damit noch nicht impliziert, die relevante Kausalbeziehung kann probabilistischer oder sonstwie indeterministischer Natur sein. Drittens ist der Gegensatz zwischen kausalen und nicht-kausalen, insbesondere teleologischen Handlungstheorien kaum so groß, wie es oft den Anschein hat.¹¹¹ Keineswegs sind die ersteren, indem sie Handlungen als durch Gründe verursachte Ereignisse auffassen, automatisch reduktiv oder naturalistisch. Die Gründe müssen die Handlungen ja auch rationalisieren, und dies bemisst sich an den Wünschen und Überzeugungen des Subjekts. Diese wiederum sind zumindest bei Davidson eine Angelegenheit von Zuschreibungen, die im Rahmen einer Interpretation des gesamten Verhaltens des Subjekts vorgenommen werden. Solche Interpretationen werden durch Kohärenzüberlegungen sowie schlicht durch das, was dem Interpreten vertraut und plausibel erscheint, geleitet.¹¹² The interpretation of verbal behaviour thus shows the salient features of the explanation of behaviour generally: we cannot profitably take the parts one by one (the words and sentences), for it is only in the context of the system (language) that their role can be specified. When we turn to the task of interpreting the pattern, we notice the need to find it in accord, within limits, with standards of rationality. In the case of language, this is apparent, because understanding it is translating it into our own system of concepts. But in fact the case is no different with beliefs, desires, and actions. The constitutive force in the realm of behaviour derives from the need to view others, nearly enough, as like ourselves. As long as it is behaviour and not something else we want to explain and describe, we must warp the evidence to fit this frame. (Davidson 1974, S. 239)
Interpretationen dieser Art spielen in den meisten Varianten nicht-kausaler Handlungstheorien eine zentrale Rolle bei der Identifikation von Handlungen und ihren Gründen („patternalism“). Der Unterschied zu Davidson liegt somit nur in der Ablehnung des Ursachenbegriffs zur Charakterisierung des Verhältnisses von Gründen und Handlungen. Man soll statt „weil“ lieber „um zu“ sagen, bzw. das „weil“ so verstehen. Das ist insofern nachvollziehbar, als vortheoretisch zumindest unklar ist, ob wir das „weil“ kausal auffassen, aber es ist ebenso unklar, was sich entscheidend ändern würde, wenn wir es täten. Gründe sind bei Davidson zwar Ursachen, und Handlungen ihre Wirkungen, aber es sind keine physikalischen Ursachen und Wirkungen, die sich unabhängig von Interpretationskontexten identifizieren ließen. Schon schwieriger ist es, Absichten als Ursachen von Handlungen zu verstehen. Sie spielen in Davidsons ursprünglicher Fassung der kausalen Handlungs-
Siehe dazu auch Schueler (), Kap. . Siehe dazu eingehend Scholz (), Teil I, Kap. und Teil II, Kap. .
9.2 Kausale und teleologische Handlungstheorie
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theorie keine Rolle, werden aber in späteren Varianten als mentale Zustände eigenen Rechts zwischen die Wünsche und Überzeugungen und die Handlung eingeschaltet.¹¹³ Die kausale Handlungstheorie besagt in ihrer Standardversion nunmehr, dass Meinungen und Wünsche zunächst Absichten und diese dann Handlungen verursachen, ohne dass damit schon Einigkeit bestünde, was Absichten eigentlich sind. Vorherige Absichten („prior intentions“) sind in dieser Rolle ebenso unproblematisch wie Gründe oder deren mentale Repräsentationen. Auch sie sind mentale Zustände, die der Handlung vorhergehen und kontrafaktisch oder im Sinne einer Regularitäts- oder probabilistischen Theorie der Verursachung mit ihr zusammenhängen. Aber es gibt sie nicht bei jeder Handlung, und die handlungsbegleitende Absicht („intention-in-action“) hat für eine Ursache der Handlung nicht die richtige zeitliche Positionierung. Auch kann sie, als handlungskonstitutiv, nicht die Ursache der Handlung sein. So viel wird ein kausaler Handlungstheoretiker zugestehen müssen, aber es scheint mir keine sehr folgenreiche Konzession zu sein. Zunächst einmal kann eine handlungsbegleitende Absicht, eben weil sie ein wesentlicher Aspekt oder Teil der Handlung selber ist, ebenso wenig ihr Grund wie ihre Ursache sein. Die Parallele von Gründen und Ursachen bestätigt sich auch dabei. Weiterhin kann man ohne weiteres die kausale Lenkung der der Handlung entsprechenden Körperbewegung durch die handlungsbegleitende Absicht annehmen.Wenn man sich diese Art des kausalen Einflusses nicht als „ballistisch“, sondern, wie es ohnehin plausibel ist, als „kybernetisch“, das heißt mit geeigneten Rückkopplungsmechanismen versehen vorstellt, dann spielt auch die handlungsbegleitende Absicht eine spezifische kausale Rolle. Die de facto recht große sachliche Nähe in ihrer Auffassung von Gründen führt schließlich auch dazu, dass kausale und teleologische Handlungstheorien zum Teil von analogen Problemen betroffen sind. Insbesondere besitzen die notorischen abweichenden Kausalketten, die die kausale Handlungstheorie plagen, eine Entsprechung auf der teleologischen Seite. In beiden Fällen haben Vertreter der jeweiligen Konzeption diese so zu verfeinern versucht, dass die Probleme gelöst sind. Das Ergebnis der entsprechenden Diskussionen ist ein Patt: Vermeintliche Gegenbeispiele, die mit wirkmächtigen Neurophysiologen oder Marsmenschen operieren und auch noch die besten Versionen der Gegenpartei treffen sollen, rufen zumindest bei mir keine klaren Intuitionen mehr hervor.¹¹⁴ Angesichts dieser
Siehe Davidson (). Sehon () entwickelt sorgfältig die teleologische Handlungskonzeption und verteidigt sie gegen verschiedene Einwände (Kap. ). Meines Erachtens tut er Recht daran, sich durch die Marsianer von Mele () nicht umwerfen zu lassen. Alfred Mele findet Sehons Replik erwartungsgemäß unzureichend (Mele ). Umgekehrt verwirft Sehon die kausale Handlungstheorie
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9 Gründe und Ursachen
Beispiele können und sollten die Vertreter einer kausalen ebenso wie die einer teleologischen Handlungstheorie auf ihrer jeweiligen Position bestehen: entweder indem sie in Kauf nehmen, dass auch in diesen Fällen Handlungen vorliegen, oder indem sie zeigen, dass ihre Kriterien für Handlungen bei diesen Beispielen doch nicht erfüllt sind, oder auch, weil es übertrieben wäre, einen ansonsten überzeugenden philosophischen Standpunkt allein aufgrund solcher Beispiele aufzugeben. Das letztere Manöver verstößt freilich gegen die impliziten Spielregeln derartiger Auseinandersetzungen. Ich kann der subtilen Debatte nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, ohne weit vom Hauptthema abzukommen, und beschränke mich daher auf die Versicherung, dass dieses durch sie nicht besonders berührt wird.
wegen des Problems der abweichenden Kausalketten (Sehon , Kap. ), braucht dabei aber ebenfalls auf des Messers Schneide balancierende Beispiele. Hinreichend empfindliche und verlässliche kausale Mechanismen sollten damit zurechtkommen; siehe z. B. Aguilar ().
Teil II: Die Frage der Vereinbarkeit mit dem Determinismus
Vorbemerkung Welche Züge oder Elemente unseres Selbstverständnisses erfordern einen Indeterminismus, und aus welchen Gründen? Ich habe in der Einleitung verschiedene mögliche Antworten auf diese Frage skizziert, die an die Begriffe der Handlung, der Entscheidung, der theoretischen oder praktischen Überlegung, der Normativität und der moralischen Verantwortlichkeit anknüpfen. Es kann auch für jemanden mit deutlich inkompatibilistischen Intuitionen schwierig sein, die Implikation des Indeterminismus an einer bestimmten Stelle festzumachen. Die Aufgabe dieses Teils ist es, die verschiedenen Möglichkeiten separat zu beleuchten – soweit eine Trennung möglich ist. Nacheinander wird die Vereinbarkeitsfrage erörtert für Handlungen, Entscheidungen, Überlegungen, Normativität und Verantwortung.
10 Handeln und Determinismus 10.1 Vorüberlegungen zu begrifflichen Implikationen In jüngerer Zeit mehren sich im inkompatibilistischen Lager Stimmen, die sehr weitgehende Behauptungen aufstellen, nämlich, dass in der Tat bereits der Begriff des Handelns mit einem Determinismus nicht zu vereinbaren sei.Von dort aus wird ein ganzes Netz von Begriffen erschlossen, deren Verwendung einen auf den Indeterminismus festlegen soll.¹¹⁵ Folgendes Zitat ist charakteristisch: Pauen fragt, welche zusätzliche Freiheit sich für einen Handelnden durch den Indeterminismus ergeben soll. Lohmar fragt, welche zusätzlichen Fähigkeiten ein Akteur dadurch erwirbt, dass man ihn in eine indeterministische Welt versetzt. Beide Fragen sind ungereimt. Sie setzen voraus, dass es in einer deterministischen Welt Akteure und Handlungen gibt, die der Libertarier dann noch mit exotischen Zusatzmerkmalen auszustatten versucht. Doch der hier vertretenen Auffassung zufolge gäbe es in einer deterministischen Welt gar keine Handlungen, wie wir sie kennen. Man kann den Dissens auch über den Begriff der Fähigkeit oder den der Freiheit ausdrücken: Für den Libertarier ist jede Fähigkeit eine „two-way ability“, die offene Möglichkeiten erfordert. Und er ist schlecht beraten, neben der kompatibilistischen Handlungsfreiheit eine zusätzliche, „tiefere“ Freiheit zu fordern. Er sollte einfach darauf bestehen, dass Unterlassbarkeit eine analytische Komponente des Handlungsbegriffs und libertarische Willensfreiheit ein integraler Bestandteil der Handlungsfreiheit ist. Unsere gewöhnliche Rede über Handlungen, Überlegungen und Entscheidungen ist im Rahmen der selbstverständlichen vortheoretischen Annahme entstanden, dass die Zukunft offen und beeinflussbar ist, und dass wir im Handeln eine dieser offenen Möglichkeiten ergreifen. Wer diese Annahme zurückzieht, weil er den Weltlauf für alternativlos fixiert hält, sollte besser von Quasi-Entscheidungen, Quasi-Handlungen, Quasi-Überlegungen, Quasi-Fähigkeiten und Quasi-Freiheit sprechen. (Keil 2007, S. 79)
Ein Libertarier ist ein Inkompatibilist, der meint, dass sich eine schlüssige indeterministische Konzeption der jeweils in Rede stehenden Sache (Handlung, Entscheidung, moralische Verantwortung etc.) angeben lässt, bei der es darüber hinaus gerechtfertigt ist anzunehmen, dass die Dinge, die wir de facto als Handlungen, Entscheidungen, Fälle moralischer Verantwortung, etc., identifizieren, ihr normalerweise auch genügen. Die Gegenposition zum Libertarismus im Felde des Inkompatibilismus ist der harte Inkompatibilismus, der sich zwar von den Argumenten gegen den Kompatibilismus beeindruckt zeigt, aber hinsichtlich der Alternative skeptisch ist – entweder in Bezug auf ihr faktisches Erfülltsein oder sogar bezüglich ihrer konsistenten Denkbarkeit. Da es in diesem Teil II um die Vereinbarkeitsfrage, also um die Frage „Kompatibilismus oder Inkompatibilis Siehe Seebass (, Kap. .), Keil (, Kap. .), Steward (), Alvarez ().
10.1 Vorüberlegungen zu begrifflichen Implikationen
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mus?“ geht, wird der Gegensatz zwischen dem Libertarismus und dem harten Inkompatibilismus einstweilen keine Rolle spielen. Er ist das Thema von Teil III. Bevor ich mich der im Zitat ausgedrückten Position zuwende, möchte ich zwei grundsätzliche einschränkende Bemerkungen zum Stellenwert begrifflicher Analysen und zum Status ihrer Resultate machen. Erstens besteht bei philosophischen Analytizitätsbehauptungen oft ein gewisser Spielraum. Die entsprechenden Zusammenhänge werden in den meisten interessanten Fällen gerade nicht einfach aufgedeckt, sondern zumindest ein Stück weit konstruiert. Die Analyse knüpft, soweit sie plausibel ist, an vorhandene Aspekte der Begriffe, in ihrer üblichen Verwendung liegende Tendenzen an, und erreicht ihre Resultate durch besondere Betonung dieser Aspekte oder Zuspitzung dieser Tendenzen. Ohne eine solche Gewichtung, die auch anders vorgenommen werden könnte und nicht durch „harte“ semantische Tatsachen vorgegeben ist, wird wenig Interessantes erreicht. Das bedeutet keineswegs Beliebigkeit, denn die besagten Aspekte oder Tendenzen müssen immerhin vorhanden sein. Selbstverständlich kann eine Behauptung über einen begrifflichen Zusammenhang einfach unzutreffend sein, und wenn sie es nicht ist, kann sie nicht nur mehr oder minder plausibel, sondern sogar zwingend sein. Aber in dem letzteren Fall liegt sie typischerweise auf der Hand. In den meisten nicht trivialen Fällen hingegen, in denen philosophische Arbeit zu leisten ist, ist diese Arbeit auch eine konstruktive Leitung, keine bloße Rekonstruktion, und es existieren plausible Alternativen. Analoges gilt für Überlegungen, die mithilfe von Gedankenexperimenten sogenannte metaphysische Notwendigkeiten jenseits der begrifflichen aufdecken wollen. Darauf gehe ich hier nicht eigens ein. Zur Illustration kann der Begriff des Wissens dienen. Man kann durchaus der Auffassung sein, dass „Wissen“ Unfehlbarkeit impliziert, ein Subjekt also nur dann etwas weiß, wenn es jede überhaupt nur denkbare Alternative dazu sicher ausschließen kann. Dahin gelangt man, wenn man die Funktion des Wissensbegriffs als die Kennzeichnung eines epistemischen Optimums sehr stark macht. Man weiß dann nur dann, dass A, wenn man absolut sicher ist und sein darf, dass A. Zwingend ist diese Explikation allerdings nicht. Eine in vager Weise durch den üblichen Sprachgebrauch vorgegebene Wortbedeutung wird in eine bestimmte, in ihr allerdings angelegte, Richtung getrieben. Statt aber „Wissen“ so zuzuspitzen, dass wir fast gar nichts wissen, kann man sich genauso gut auch einen weniger anspruchsvollen Wissensbegriff zurechtlegen. Ein Explikat muss als Explikat eines bestimmten Begriffs passend sein, aber diese Bedingung erfüllen in der Regel mehrere, untereinander verschiedene Explikate. Es ist einfach nicht ausgemacht, wie ernst wir ein bestimmtes, in der alltäglichen Verwendung eines Begriffs liegendes Potential oder eine darin vorhandene Tendenz zu nehmen haben. Fragen wie „Aber kann man denn von Wissen sprechen, solange auch nur eine einzige
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Irrtumsmöglichkeit nicht ausgeschlossen wurde?“ haben keine schon zuvor bereitliegende Antwort. Es ist deshalb letztlich unnötig, darüber zu streiten, ob unser Wissensbegriff ein sehr anspruchsvoller ist, den wir aus pragmatischen Gründen auch dort verwenden, wo es sich streng genommen gar nicht um Wissen handelt, oder ob wir es von vornherein mit einem anspruchsloseren Begriff zu tun haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass über die Implikationen von Wissenszuschreibungen Beliebiges behauptet werden könnte. An vielen Punkten gibt es sehr wohl eindeutige Antworten, oder solche, die sehr plausibel gemacht werden können, nur gilt dies nicht in jeder Hinsicht, und gerade in den philosophisch interessanten und umstrittenen Hinsichten gilt es typischerweise nicht. Wenn wir unterstellen, dass eine begriffliche Analyse stets mit einer Präzisierung einhergeht, dann ist hier Wittgensteins Diktum einschlägig, dass es unmöglich ist, zu einem verschwommenen Bild ein ihm entsprechendes scharfes zu entwerfen.¹¹⁶ Jede „Verschärfung“ stellt eine Veränderung dar, daher kann keine einen exklusiven Anspruch darauf erheben, das ursprüngliche Bild wiederzugeben, und mehrere können beanspruchen, ein ihm durchaus ähnliches, aber schärferes zu erzeugen. Es ist freilich nicht ausgemacht, dass eine Begriffsexplikation immer auch eine Präzisierung sein muss. Schließlich sind die im Explikat verwendeten Begriffe grundsätzlich ebenfalls vage, und man könnte meinen, dass ein vager Begriff durch andere vage Begriffe vollkommen zutreffend analysiert werden kann. Aber die Idee des vollkommenen oder genauen Zutreffens hat im Kontext der Explikation eines unscharfen Begriffes durch andere unscharfe Begriffe gar keinen Sinn, sondern nur die des Zutreffens einfachhin. Deshalb ist zu erwarten, dass auch bei solchen Konstellationen Explikationsalternativen bestehen. Welche Zusammenhänge wir als analytisch kennzeichnen, wird unter anderem davon abhängen, was wir hinsichtlich derjenigen Entitäten, die de facto mit dem betreffenden Begriff belegt werden, ansonsten für wahr halten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür bildet der Wandel des Materiebegriffs im Zuge der Entstehung der neuzeitlichen Physik.¹¹⁷ Nach dem passiven, cartesischen Materiebegriff setzte sich, bedingt vor allem durch die Erfolge der Newtonschen Mechanik, im 18. Jahrhundert eine Auffassung von Materie durch, die diese nun als aktiv, nämlich mit Kräften ausgestattet, und dieses Merkmal als für Materie konstitutiv ansah. In einer frühen Rezension aus dem Jahre 1787 des Kantischen Werkes Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft heißt es dazu: „So hat sich die Denkungsart in der Philosophie geändert. Wie Newton allererst das
Siehe Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ , Siehe Hüttemann () und (, Abschnitt ).
10.1 Vorüberlegungen zu begrifflichen Implikationen
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Wort Anziehung hören ließ, glaubte man, sie könnte mit dem Wesen der Materie nicht zusammen stehen. Alles sollte mechanisch durch einen Stoß erkläret werden. Nun kann so gar die Materie nicht ohne anziehende Kraft gedacht werden. Jezt wird wohl auch diese Meinung die Mehrheit der Stimmen, so wie der Gründe vor sich haben.“¹¹⁸ Wer den Determinismus als Möglichkeit ernst nimmt, wird demgemäß wenig Neigung verspüren, „Aktivität“, „Fähigkeit“, „Überlegung“, „Entscheidung“, „Handlung“ und andere Begriffe auf eine Weise zu erläutern, die ihn von vornherein ausschließt. Ohne Not wird er sich dazu nicht verstehen, und wegen der besagten Spielräume bei begrifflichen Explikationen ist zu erwarten, dass die von inkompatibilistischer Seite behaupteten begrifflichen Zusammenhänge wenigstens zum Teil eine Vorentscheidung reflektieren. Insoweit das der Fall ist, können sie nicht als Argumente ins Feld geführt werden. Ich werde zu zeigen versuchen, dass das an bestimmten Stellen in der Tat der Fall ist. Dabei wird sich aber auch herausstellen, dass die inkompatibilistischen Konstruktionen an anderen Stellen extrem plausibel sind und von der kompatibilistischen Seite nicht leicht zurückgewiesen werden können. Damit komme ich zur zweiten Bemerkung. Nehmen wir an, die skizzierte partielle Skepsis in Bezug auf (interessante, nicht-triviale) analytische oder metaphysische Tatsachen wäre durchweg verfehlt, oder sie wäre wenigstens in unserem Fall, bei allen oder einigen der betrachteten einschlägigen Begriffe, nicht am Platze. Und nehmen wir ferner an, die inkompatibilistischen Analysen hätten die besseren Gründe für sich. Alternativ könnten wir auch an einen Kompatibilisten denken, der seinem Opponenten diesen Teil schenkte. Er wäre also bereit, sei es aufgrund der Konfrontation mit Argumenten, sei es aus Entgegenkommen, überall das „quasi“ davor zu setzen, um sich nicht auf den Indeterminismus festzulegen. Abgesehen davon, dass sich die Wörter in unpraktischer Weise verlängerten, änderte sich dadurch erst einmal nichts. Der Gegenstand einer philosophischen Untersuchung sind nicht in erster Linie Begriffe, sondern diejenigen Phänomene, die wir damit bezeichnen und die uns durch zahlreiche Beispiele vertraut sind. Diese möchten wir verstehen, und die Frage, was in den Begriffen, mit denen wir sie belegen, alles enthalten sei, ist dabei zwar wichtig, aber nicht allein Ausschlag gebend. Sollte eine deterministische Konzeption von Handlungen jemanden dazu veranlassen zu behaupten, dass man nun nicht mehr von
Zitiert nach Landau (), S. . Das Zitat könnte eher im Sinne einer metaphysischen Notwendigkeit als eines begrifflichen Zusammenhangs ausgelegt werden. Dafür gelten aber ähnliche Bemerkungen.
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10 Handeln und Determinismus
„Handlungen“ sprechen dürfe, gut, dann sprechen wir eben von „Quasi-Handlungen“, und so auch bei den anderen Dingen. Mit einem solchen Zugeständnis wäre der Kompatibilismus zwar zurückgenommen, aber zunächst nur in einem formalen und nicht einem substantiellen Sinne. Auch wenn die umstrittenen Begriffsanalysen nicht nur vertretbar, sondern naheliegend oder gar zwingend sein sollten, lassen sich doch Sachprobleme niemals auf einer rein begrifflichen Ebene lösen. Inkompatibilistische begriffliche Diagnosen bedeuten daher zunächst einmal nur, dass der sachliche Dissens in eine andere Terminologie gegossen werden muss. Dies wird bei den genannten Autoren just daran deutlich, dass sie ihre Opponenten auffordern, im Falle der Unterstellung des Determinismus statt von „Handlungen“ von „Quasi-Handlungen“ zu sprechen, und ebenso bei den anderen relevanten Begriffen. Das sachliche Problem stellt sich dann in der folgenden Form: Was geht jemandem ab, der statt Entscheidungen Quasi-Entscheidungen trifft, der statt zu handeln quasi-handelt, der statt Fähigkeiten Quasi-Fähigkeiten besitzt? Selbstverständlich geht einer solchen Person die Handlungsfähigkeit ab, aber dafür hat sie ja die Quasi-Fähigkeit zu Quasi-Handlungen.Warum sollte man diese im Vergleich zu jener gering schätzen? Und warum sollte sich jemand daran stören, statt Überlegungen QuasiÜberlegungen anzustellen, die zu Quasi-Entscheidungen führen? Das „quasi“ ist von der inkompatibilistischen Seite sicherlich pejorativ gemeint, aber ob mit Recht? Diese Fragen sind nun, nach der terminologischen Verschiebung, die eigentlich interessanten, und die Auseinandersetzung mit dem Kompatibilismus betrifft hauptsächlich sie. Das indeterministisch konzipierte X sollte also als etwas darstellbar sein, das dem von der inkompatibilistischen Seite so genannten deterministischen Quasi-X etwas (für uns) Bedeutsames voraushat. Insofern reichen rein begriffliche Überlegungen, auch wo sie zu klaren Ergebnissen führen, für sich allein genommen nicht aus, um eine philosophische Position in einem substantiellen Sinne zu etablieren. Man kann freilich vermuten, dass, wenn bestimmte Begriffe im Felde des Handelns oder Urteilens in der Tat indeterministische Implikationen haben, dies kein bloßer Zufall, sondern eine tiefgreifende Angelegenheit unseres praktischen oder theoretischen Selbstverständnisses ist, und dass man zusammen mit der begrifflichen Implikation auch gleich deren Relevanz entdecken werde. Ein Automatismus ist das aber nicht. Deshalb besteht Raum für Konzeptionen, die die inkompatibilistischen Implikationen zugestehen, aber eine kompatibilistische Modifikation oder Revision unserer Begrifflichkeit und partiell auch unseres Selbstverständnisses für begründet halten.¹¹⁹
Eine gute Zusammenstellung von für die vier Typen – Kompatibilismus, Libertarismus, harter
10.2 Aktivität, Fähigkeit und Determinismus
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10.2 Aktivität, Fähigkeit und Determinismus Wenden wir uns nun der oben vorgestellten Sicht zu, der zufolge das gesamte Begriffsfeld des menschlichen Handelns auf der Voraussetzung des Indeterminismus beruht. Weniger deutlich als der weitreichende Charakter dieser Sicht ist ihre Begründung. Welches Merkmal des Handlungsbegriffs ist es, das für sie aufkommt? Gottfried Seebaß versucht die behaupteten analytischen Zusammenhänge vor allem an dem Begriff der Aktivität festzumachen, der für ihn im Zentrum des Problem- und Phänomenkomplexes steht. Handlungen seien Aktivitäten oder Vollzüge, und dazu gehöre begrifflich die genuine Möglichkeit des Unterlassens, mithin des Anderskönnens in der konkreten Situation. Wer oder was in einem prägnanten Sinne aktiv sei, hätte immer auch untätig bleiben können. Eine notwendig stattfindende Aktivität sei ein Unding, was so beschrieben werde, in Wahrheit ein bloßes Geschehen oder Ereignis, das sich an dem dann bloß vermeintlichen Akteur, in ihm oder mit ihm abspiele, aber nicht etwas, das von ihm im eigentlichen Sinne vollzogen oder getan werde. Aktivische Redewendungen hätten unter der Annahme der Determiniertheit keinen Sinn.¹²⁰ Zu dieser Gegenüberstellung von Aktivität oder Tun einerseits, Ereignis oder Geschehen andererseits ist zu bemerken, dass der Begriff der Aktivität in seiner normalen Verwendung – und diese wird man bei angeblichen begrifflichen Implikationen unterstellen müssen – keineswegs für menschliches Handeln, oder gar überlegtes Handeln, spezifisch ist, sondern genauso gut auch auf menschliches und tierisches Verhalten bezogen wird.¹²¹ Und nicht nur das: Eben sahen wir, dass in der Geschichte der Physik zwischen aktiven und passiven Materiekonzeptionen unterschieden wird. Man könnte also so weit gehen, den aktiv–passivGegensatz bis in die unbelebte Materie hineinzutragen, wo eine behauptete Implikation des Indeterminismus sicherlich unplausibel wäre.¹²² In der Newtonschen Physik verbindet sich ein „aktiver“ Materiebegriff mit deterministischen Gesetzen. Diese Linie möchte ich jedoch nicht weiter verfolgen, da es sehr Inkompatibilismus, Revisionismus – repräsentativen Positionen bietet das Gemeinschaftswerk Fischer et al. (). Siehe Seebass (), Kap. .. An dieser Stelle führt Seebaß auch die „Quasi“-Terminologie ein. Eine ähnliche Auffassung vertritt Steward (). Zumindest auf Verhalten im engeren Sinne.Wie in . bemerkt, gibt es Verhaltensweisen, die von ihrem Subjekt nicht kontrolliert ausgeführt werden und daher keine Beispiele für Aktivitäten sind, z. B. schlafen. Mumford und Anjum () verbinden allerdings die Begriffe der Disposition und des Vermögens (power), die in der unbelebten Natur genauso Anwendung finden wie in der belebten, durchweg mit einem Indeterminismus. In einer deterministischen Welt gäbe es ihnen zufolge weder Dispositionen noch Fähigkeiten noch Vermögen, sondern bloße Ereignisabfolgen.
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10 Handeln und Determinismus
schwierig ist zu sagen, inwiefern die Begriffe „aktiv“ und „passiv“ hier dieselbe Bedeutung haben wie im Bereich der belebten Natur. Dort jedenfalls machen wir sogar bei primitiven, erst recht bei höheren Tieren ohne weiteres den Unterschied zwischen aktiver Selbstbewegung und passivem Bewegtwerden, und es gibt kein Indiz, dass dieser Gegensatz dabei in einem uneigentlichen Sinne verwendet würde. Deshalb scheint der Zugang zum Inkompatibilismus über den Aktivitätsbegriff die Konsequenz zu haben, dass auch jede Form von kontrolliertem Verhalten den Indeterminismus implizieren müsste. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sich typische Definitionen von „Verhalten“ ansieht. So begreift Fred Dretske in Anlehnung an klassische Vorläufer die Bewegung eines Systems genau dann als ein Verhalten oder eine Aktivität des Systems, wenn die (primäre) Ursache der Bewegung in dem System selber liegt,¹²³ und es sich in diesem Sinne von selbst oder selber bewegt. Da liegt der Gedanke nicht fern, dass jedes (kontrollierte) Verhalten den Indeterminismus impliziert, und dass man bei einem deterministischen Standpunkt eigentlich von „QuasiVerhalten“ sprechen müsste. Man muss nur die Idee der Selbstbewegung oder die Rede von der in dem System selbst gelegenen (primären) Ursache der Bewegung hinreichend stark machen, um zu der Auffassung zu gelangen, dergleichen sei mit dem vollständigen Aufgehen in einem kausalen Netzwerk inkompatibel. Insofern scheint mir, dass man bereits mit Bezug auf (kontrolliertes) „Verhalten“ dasjenige Manöver anwenden kann, das die genannten Autoren mit Bezug auf „Handlung“ vornehmen. Nicht nur menschliches Handeln, sondern auch menschliches und tierisches Verhalten würde dann auf einen genuin indeterministischen Beschreibungsrahmen verweisen.¹²⁴ Meines Erachtens müsste Seebaß das teilen, wenn der Begriff der Aktivität tatsächlich eine tragende Rolle in seiner inkompatibilistischen Argumentation spielen soll. Ähnliche Bemerkungen gelten für Geert Keil, bei dem die Rede von Aktivitäten eine weniger zentrale Rolle spielt als die von Fähigkeiten.¹²⁵ Seiner Auffassung nach impliziert die Zuschreibung von Fähigkeiten den Indeterminismus; „Fähigkeit“ ist aber wie „Aktivität“ ein Begriff, den wir ohne weiteres und in seiner vollen Bedeutung auch auf Tiere anwenden. Dies spräche wiederum für einen sehr weiten Anwendungsbereich der inkompatibilistischen Argumentation. Wir haben es hier mit typischen Beispielen für die besagte Zuspitzung oder starke Gewichtung bestimmter in den jeweiligen Wortverwendungen liegender
Siehe Dretske (). Eben dies ist die Position von Steward (), nur dass sie den Begriff des Handelns („agency“) für all das in Anschlag bringt, was ich hier als „kontrolliertes Verhalten“ bezeichne. Das ist lediglich eine terminologische Differenz. Siehe Keil ().
10.2 Aktivität, Fähigkeit und Determinismus
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Tendenzen zu tun. Man kann die Rede von der primären Ursache einer Bewegung oder von der Selbstbewegung indeterministisch deuten, muss es aber nicht. So kommt Dretske selber gar nicht auf die Idee, aus seiner Verhaltenscharakteristik einen Indeterminismus abzuleiten, obwohl, wie gesagt, die Ansatzpunkte dafür vorhanden wären. Er nimmt selbstverständlich an, dass es äußere Auslöser geben kann, die zusammen mit der in dem System gelegenen primären Ursache eine bestimmte Bewegung desselben festlegen. Da die ganze Konzeption auch recht simple natürliche und künstliche Systeme betreffen soll, wäre es auch sehr merkwürdig, bereits durch die Wahl allgemeiner Beschreibungen eine Vorentscheidung zugunsten des Indeterminismus zu treffen. Die Implikation des Indeterminismus kann man ferner dadurch zu begründen versuchen, dass jede Aktivität, sogar bereits jede Reaktion auf einen Reiz, ein Ziel oder einen Zweck hat, den sie erreichen oder verfehlen kann. Diese Offenheit, dieses „erreichen oder verfehlen können“, soll für alles konstitutiv sein, was wir in einem sehr allgemeinen Sinne des Wortes, der sich nun nicht bloß auf das Tierreich, sondern auf die belebte Natur insgesamt erstreckt, zu Recht als Verhalten beschreiben.¹²⁶ Der Indeterminismus kommt bei diesem Zugang durch Normativität im weitesten Sinne ins Spiel. In der Tat kann jedes Verhalten (mehr oder weniger) gelingen oder misslingen, erfolgreich oder erfolglos sein, und steht insofern unter Normen, Maßstäben des Erfolgs, auch wenn man die Rede von Zielen in diesem Kontext als zu anspruchsvoll zurückweist und stattdessen lieber von Funktionen spricht. Welche Maßstäbe das sind, geht aus der Art des Verhaltens hervor (Droh-, Flucht-, Paarungs-, Suchverhalten). Die Biologie beschreibt ihre Gegenstände – lebendige Systeme, Organismen – unter anderem mit normativem Vokabular, spezifischer: stellt bereits durch die Wahl ihrer Bezeichnungen Behauptungen über Funktionen auf. Einen Gegenstand als Auge oder Herz, ein Bewegungsmuster als Droh- oder Fluchtverhalten zu bezeichnen, impliziert entsprechende Funktionszuschreibungen. Prima facie sind diese Funktionen von Natur aus vorhanden: Es ist nicht unsere Entscheidung, dass die Funktion des Herzens darin besteht, Blut durch den Körper zu pumpen. Solche Tatsachen entdeckt die Biologie, die damit, in den Worten von Daniel Dennett, auf dem „Designstandpunkt“ steht.¹²⁷ Man kann geradezu definieren, dass etwas genau dann als Lebewesen oder als organischer Teil eines solchen charakterisiert wird, wenn es wesentlich über von Natur aus vorhandene Funktionen beschrieben wird. Funktionen aber implizieren Normen insofern, als eine Funktion besser oder
So Held (). Eng verwandte Motive treten bei Hans Jonas in seiner Philosophie des Lebendigen auf (Jonas ). Siehe Dennett (, ).
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10 Handeln und Determinismus
schlechter erfüllt werden kann, und die entsprechenden Maßstäbe für „gut“ und „schlecht“ sind nicht etwas Hinzukommendes, sondern durch die Funktion weitgehend gesetzt. Ob ein Herz seine Funktion gut oder schlecht oder gar nicht erfüllt, ist ebenso eine objektive Angelegenheit wie das Vorhandensein der Funktion als solcher. Eben dieses Charakteristikum der Beschreibung des Lebendigen soll nun also für den Indeterminismus aufkommen, indem die Funktionszuschreibung offen lässt, ob und inwiefern die Funktion tatsächlich erfüllt wird. Solch weitgehende Implikationen der biologischen oder überhaupt der Funktionen-Terminologie scheinen mir jedoch nicht zu bestehen. Die Frage, was in einem bestimmten Fall die Ursachen dafür sind, dass eine gewisse Funktion erfüllt wird oder eben nicht, oder dafür, dass sie so-und-so gut erfüllt wird, ist in keiner Weise sinnwidrig. Es ist ganz natürlich, hier nach den zureichenden Ursachen zu fragen, und nach menschlichem Ermessen wird es sie häufig auch geben: Warum funktioniert etwas, warum hat es in einem bestimmten Fall nicht funktioniert? Wohl gilt im Allgemeinen, dass ein Verhalten seinen Zweck erreichen oder verfehlen, eine Funktion besser oder schlechter oder überhaupt nicht erfüllt werden kann, aber es spricht nichts dafür, diese Möglichkeiten grundsätzlich als ontisch offene Möglichkeiten in jedem Einzelfall des Verhaltens oder der Funktionsausübung anzusehen, und sich dadurch gehindert zu fühlen, zureichende Ursachen für das Gelingen oder Scheitern anzunehmen. Ähnlich ist die Situation bei der Rede von Fähigkeiten. Eine Fähigkeit kann unter den für sie einschlägigen Umständen („Gelegenheit“) ausgeübt werden oder nicht, aber auch hier scheint es sich um eine allgemeine Option zu handeln. Es wäre extrem, dieses „können“ derart auf jeden Einzelfall zu beziehen, dass begrifflich ausgeschlossen wäre, dass bei einer konkreten Gelegenheit bestimmte zureichende Ursachen für die Ausübung oder Nicht-Ausübung der Fähigkeit vorliegen können. Das würde nämlich bedeuten, dass in einem deterministischen Rahmen eine Fähigkeit nur dann vorhanden ist, wenn sie auch ausgeübt wird. Der Unterschied zwischen einer nicht ausgeübten und einer nicht vorhandenen Fähigkeit ginge verloren, und damit überhaupt die Pointe der Zuschreibung von Fähigkeiten. Eine Person mit Schulbildung beispielsweise könnte nicht etwa (schlechthin) schreiben, sondern sie könnte zu bestimmten Zeitpunkten schreiben und zu anderen wieder nicht, und zwar könnte sie es genau dann, wenn sie tatsächlich schriebe, und ansonsten nicht. Es wäre sehr merkwürdig,wenn mit einem so alltäglichen Vorgang wie der Zuschreibung von Fähigkeiten derart bereits eine Vorentscheidung gegen den Determinismus fallen würde. Eine Fähigkeit sollte unabhängig davon, ob man deterministische Hintergrundannahmen teilt oder nicht, nicht etwas sein, das derart leicht gewonnen wird oder verloren geht, das aufgrund geringer Veränderungen des Systems oder seiner Umwelt einmal da ist
10.2 Aktivität, Fähigkeit und Determinismus
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und dann wieder nicht. Zwar können Fähigkeiten wie auch Dispositionen erworben werden oder abhanden kommen, aber dies sind besondere Vorkommnisse. Grundsätzlich handelt es sich bei ihnen um dauerhafte Merkmale; eben darin liegt die Pointe der Zuschreibung von Fähigkeiten wie von Dispositionen. Zudem wird wie „Aktivität“ und „Verhalten“ auch „Fähigkeit“ ohne weiteres auch auf vergleichsweise primitive Organismen angewendet, bei denen man gar nicht überrascht wäre, im konkreten Fall zureichende Ursachen für die Ausübung oder Nicht-Ausübung der Fähigkeit zu finden. Dies mag bei „vernünftigen Fähigkeiten“, wie der unterstellten Fähigkeit des Anders-Handeln-Könnens bei Entscheidungen oder bei der Zuschreibung moralischer Verantwortung, anders aussehen. Hier ist das Verhältnis zum Determinismus wesentlich problematischer. Das liegt aber nicht am Begriff der Fähigkeit, sondern am Entscheidungs-, Rationalitäts- oder Verantwortungsbegriff, und um diese geht es jetzt noch nicht. Der Versuch, einen Indeterminismus bereits an den Begriffen des Verhaltens, der Aktivität oder der Fähigkeit festzumachen, scheint mir somit zwar nicht unmotiviert, aber doch extravagant zu sein. Diese Begriffe haben einen sehr weiten Anwendungsbereich, zu dem auch Tiere und darunter sogar primitive Organismen gehören, und es gibt weder Indizien dafür, dass sie dort in einem uneigentlichen Sinne zum Einsatz kommen, noch, dass dadurch die Existenz determinierender Ursachen der entsprechenden Vorgänge von vornherein ausgeschlossen wird. Wenn man dazu neigt, deterministische Prozesse überhaupt für die Ausnahme zu halten, wird man selbstverständlich allein deshalb meinen, dass es im Normalfall auch bei einfachen Organismen keine zureichenden Ursachen für ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Aktivität oder Fähigkeitsausübung gibt. Aber dies würde ebenso für Ereignisse in der unbelebten Natur gelten und hätte nicht spezifisch mit den hier thematisierten Phänomenen und Begriffen zu tun. Sofern also diese, die Begriffe der Aktivität, des Verhaltens oder der Fähigkeit, den Grund dafür abgeben sollen, Handlungen als solche mit dem Indeterminismus in Verbindung zu bringen, ist das nicht überzeugend. Das mit ihnen assoziierte Merkmal der Unterlassbarkeit bezeichnet eine unspezifische, allgemeine Möglichkeit. Alles andere ist eine Überinterpretation, die, konsequent durchgeführt, zur Folge hat, dass große Klassen von Phänomenen, darunter auch solche, bei denen dies gar keine Anfangsplausibilität besitzt, ohne Not mit einem Indeterminismus verknüpft werden.
11 Entscheiden und Determinismus 11.1 Entscheidungen aus der Akteursperspektive Der Begriff einer Handlung enthält neben dem Element des Sich-Verhaltens oder der Aktivität auch den Gesichtspunkt der Absichtlichkeit oder Willentlichkeit, und, damit verbunden, der bewussten Kontrolle oder Lenkung durch das Subjekt. Für die Begriffe der Lenkung oder Kontrolle gilt dasselbe wie für Aktivitäten und Verhalten: Sie finden im Bereich der lebendigen (und hier auch der technischen) Phänomene insgesamt breite Anwendung, und wenig spricht dafür, dass, wer Organismen (oder Maschinen) mit ihrer Hilfe beschreibt, diese Begriffe falsch oder uneigentlich verwendet oder sich dadurch auf einen Indeterminismus festlegt. Ferner gibt es keinen Grund, das nicht auch für bewusste Kontrolle anzunehmen. Eine bewusste Lenkung durch das Subjekt kann bestehen, ohne dass dieses sich zu dem jeweiligen Verhalten eigens entschließt. Es tut dann einfach, was es tut, und verhält sich zwar absichtlich, aber ohne bewusste Verhaltensinitiierung. Deutlichere Anhaltspunkte für einen Indeterminismus ergeben sich bei dem Vorliegen einer solchen bewussten Initiierung, einem Entschluss. Die Idee dabei ist, dass das „sich einen Ruck geben“ der Entschließung aus der Perspektive der 1. Person als spontane Selbstbewegung empfunden wird: als das durch das Subjekt aus dem Nichts veranlasste Neubeginnen einer Kausalkette. Das klingt verstiegen, aber es scheint zumindest schwierig, eine Handlung bewusst zu initiieren und sich darin gleichzeitig als determiniert zu begreifen. Die Idee der Spontaneität im Kantischen Sinn findet einen gewissen Anhalt in der introspektiven Erfahrung. Sie legt den Indeterminismus zwar nicht in dem Sinne nahe, dass das Subjekt in der konkreten Situation auch andere Kausalketten beginnen können müsste, aber doch insofern, als das Subjekt die Initiierung dieser Kausalkette hier und jetzt unterlassen könnte. Wenn nicht nur, was man tut, schon feststünde, sondern auch, dass man es jetzt tut, scheint ein Entschluss aus der Perspektive der 1. Person überflüssig zu sein. Ein Entschluss ist zwar nicht notwendig eine Entscheidung – vorgestellte Alternativen müssen keine Rolle spielen – aber das „jetzt tue ich …“, scheint einzuschließen, dass man das,was man zu tun sich anschickt, auch unterlassen könnte, wobei man durch diese Untätigkeit dann nicht eine andere, sondern überhaupt keine neue Reihe von Ursachen und Wirkungen beginnen würde. Beim Entscheiden liegen indeterministische Implikationen noch näher, weil man bestimmte alternative Möglichkeiten für die Zukunft zugunsten der gewählten explizit verwirft. Das scheint vorauszusetzen, dass man in einem anspruchsvollen Sinne dieses oder jenes tun kann oder könnte. Was für einen Sinn
11.1 Entscheidungen aus der Akteursperspektive
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hätte der Gedanke der Handlungswahl, wenn bereits feststünde, was man tun wird? Dann, so scheint es, wäre in Wahrheit gar nichts zu entscheiden, die Handlungswahl hätte illusorischen Charakter. Wenn eine Person mit Bewusstsein vor der Frage steht, ob sie A oder B tun sollte, dann kommt es ihr so vor, als stünden ihr in der konkreten Situation (und nicht etwa bloß „im Allgemeinen“) beide Optionen offen, als hätte sie „hier und jetzt“ mehrere Möglichkeiten für das weitere Vorgehen, von denen sie jede ergreifen könnte. Dass der dabei einschlägige Sinn von „offen stehen“, „Möglichkeit“ und „können“ indeterministische Implikationen hat, ist wiederum nicht ausgemacht, aber da es in einer deterministischen Welt in einem sehr grundsätzlichen Sinne gerade keine Alternativen zu dem gibt, was tatsächlich geschieht, liegen solche Implikationen zumindest nahe. Diesen provisorischen Diagnosen gehe ich gleich ausführlicher nach. Für sich allein genommen tragen sie noch nichts aus, begründen jedoch einen Anfangsverdacht. Vor der eigentlichen Auseinandersetzung noch drei Bemerkungen. Erstens handelt es sich hier darum, wie sich Entschlüsse und Entscheidungen aus der Perspektive des Handelnden, und in dem Moment, da sie getroffen werden, darstellen. Für einen äußeren Betrachter ergeben die genannten Gesichtspunkte unmittelbar nichts. Entschlüsse und Entscheidungen von anderen Personen, und ebenso die eigenen früheren, lassen sich ohne weiteres als durch bestimmte Faktoren determiniert ansehen. Spekulationen über derartige Ursachen sind ein auch im Alltag beliebtes Spiel.¹²⁸ Wir können offen lassen, ob man, falls sich die angedeuteten Motive erhärten und Entschlüsse oder Entscheidungen als aus der Perspektive der 1. Person indeterminiert erweisen lassen, im Falle eines unterstellten Determinismus allgemein von „Quasi-Entschlüssen“ oder „Quasi-Entscheidungen“ sprechen sollte. Das relevante Faktum wäre, dass sich ein Subjekt angesichts seiner eigenen aktuellen Entschlüsse und Entscheidungen nicht als determiniert begreifen könnte. Auch wenn man dem eine generelle begriffliche Wendung gäbe, bliebe es dabei, dass man das, was die anderen Subjekte für ihre Entscheidungen halten, und das, was man selber zu einem früheren Zeitpunkt als seine Entscheidung ansah, ohne Widerspruch als determiniert betrachten und entsprechende Ursachenforschung betreiben könnte. Aus diesem Grund, nämlich der Bindung an die Perspektive der 1. Person zum Zeitpunkt des Handelns, sprechen die hier im Weiteren zu diskutierenden Argumente nicht für einen ontischen Indeterminismus. Sie gleichen darin den in 5.3 besprochenen Argumenten für die prinzipielle Unvorhersehbarkeit der eigenen
Ich meine hier tatsächlich Ursachen und nicht Gründe, oder vielmehr: Gründe nur soweit, als sie im Kontext derartiger Spekulationen als Ursachen auftreten. Zum Verhältnis von Gründen und Ursachen siehe Kap. und ..
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11 Entscheiden und Determinismus
Entscheidungen: Wie jene Argumente, auch wenn sie vollkommen stichhaltig sein sollten, keinen Hinweis auf einen ontischen Indeterminismus liefern, so auch die jetzigen nicht. Dafür sind sie zu stark von einer bestimmten Perspektive abhängig. Nur in dem Moment, in welchem die Entscheidung ansteht, könnte man sich darin nicht als determiniert begreifen, in der späteren Reflexion aber sehr wohl. Da die fragliche Perspektive zu eingeschränkt ist, um der Implikation des Indeterminismus eine ontische Wendung zu geben, scheint es mir natürlich, bei folgender Aussage stehen zu bleiben: Auch wenn wir in unserem Entscheiden determiniert sein sollten, so können wir uns doch beim Entscheiden selber nicht so begreifen. Zweitens ist es die mit Entschlüssen und Entscheidungen verknüpfte Idee alternativer Möglichkeiten, die prima facie für den Indeterminismus spricht. Wir werden untersuchen, ob es eine befriedigende kompatibilistische Explikation dieser Idee gibt. Die Unterscheidung zwischen Entschlüssen und Entscheidungen ist insofern wackelig, als Alternativen auch bei Entschlüssen im Spiel sind: als die Möglichkeit, eine bestimmte Handlung einerseits zu vollziehen, andererseits zu unterlassen. Trotzdem sind Entschlüsse nicht automatisch auch Entscheidungen. Obwohl man sich auch durch eine Unterlassung bewusst verhalten kann, ist doch nicht jede Unterlassung ein Verhalten. Sich nicht für A zu entscheiden bedeutet nicht, sich für nicht-A zu entscheiden. Es kann auch bedeuten, sich gar nicht zu entscheiden, weder so noch so, und auch sonst nichts Bestimmtes zu tun. Daher ist das Unterlassen von A nicht automatisch selbst ein Handeln. Jede Entscheidung impliziert einen Entschluss (nämlich die Handlung, für die man sich entschieden hat, auszuführen), aber nicht umgekehrt. Bei Entscheidungen sind stets mehrere Optionen im Spiel, von denen bewusst eine gewählt wird. Diese Optionen können durchaus auch mit A und nicht-A richtig bezeichnet sein, wenn nämlich jemand überlegt, ob er A tun oder lassen soll und sich dann so oder so entscheidet. Aber nicht jede Unterlassung von A hängt mit einer derartigen Entscheidung zusammen. Bei einem Entschluss, der nicht gleichzeitig eine Entscheidung ist, ist nur eine Handlungsoption im Spiel; wird sie nicht ergriffen, bedeutet das nicht das Ergreifen einer anderen Option, sondern ein Nicht-Handeln. Dem entspricht in dem ontologisch zugespitzten Bild die Idee einer Kausalkette, die man durch den Entschluss neu initiiert, während bei der entsprechenden Unterlassung nicht eine andere, sondern überhaupt keine Kausalkette neu begonnen wird. Dagegen würde es in diesem Bild bei Entscheidungen darum gehen, welche von mehreren möglichen Kausalketten angefangen, oder auch, bei einem indeterministischen Begriff von Kausalität, auf welche Weise eine bereits bestehende Kausalkette fortgesetzt wird. Drittens. Dass die Idee eines Entschlusses zu oder der Wahl einer Handlung im deterministischen Falle illusorische Aspekte hat, impliziert nicht, dass dieser Vorgang – was dem Subjekt als Entschluss oder Wahl erscheint – keinen Einfluss
11.1 Entscheidungen aus der Akteursperspektive
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auf das hätte, was dann passiert. Determinismus ist nicht Fatalismus; das, was ferner geschieht, hängt selbstverständlich davon ab, wie das Subjekt nachdenkt und wie es sich aufgrund dieses Nachdenkens entscheidet. „Einfluss“ und „Abhängigkeit“ sind hier im Sinne der Wahrheit entsprechender kontrafaktischer Konditionale zu verstehen. Dächte das Subjekt in relevanter Weise anders nach, würde es sich auch anders entscheiden; entschiede es sich anders, würde es etwas anderes tun und im weiteren Lauf der Welt würde etwas anderes geschehen. An dergleichen kontrafaktischen Beziehungen besteht in vielen Fällen kein Zweifel; sie gelten unabhängig davon, ob unsere Welt deterministisch oder indeterministisch ist. Die besagten Konditionale gelten zudem unabhängig von dem Verhältnis von Körper und Geist. Auch ein Epiphänomenalist, der den kausalen Einfluss mentaler auf physische Tatsachen bestreitet, kann ihnen zustimmen. Entschlüsse und Entscheidungen sind im Determinismus also nicht deshalb mit illusorischen Aspekten behaftet, weil der mentale Vorgang, der dem Subjekt so erscheint, auch ausbleiben oder anders ausfallen könnte, und dann trotzdem die gleichen Ereignisse folgen würden, sondern weil es eine Präsupposition dieser mentalen Vorgänge aus der Perspektive der 1. Person ist, dass die entsprechende Handlung auch unterlassen werden kann oder mehrere Handlungsoptionen offen stehen. Ohne diese subjektive Voraussetzung, so die Idee, gäbe es aus der Perspektive der 1. Person keinen Entschluss zu fassen bzw. nichts zu entscheiden. Die Herausforderung an den Kompatibilisten besteht darin, eine Interpretation dieser Begriffe zu finden, die einerseits mit dem Determinismus vereinbar, andererseits den Phänomenen angemessen ist. Scheitert er damit, so ist der Inkompatibilismus für den spezifischen Fall der Perspektive auf die eigenen, aktuell anstehenden Entschlüsse bzw. Entscheidungen die Position der Wahl. Da die Person zumindest prima facie an einem Verzweigungspunkt steht und den Eindruck hat, „so oder so weitermachen zu können“, ist es der Kompatibilismus, der an dieser Stelle etwas zu leisten hat. Begriffe wie „Handlungsoption“ und „Möglichkeit“ bereiten ihm Schwierigkeiten, denn der Determinismus ist gerade durch die ontische Abwesenheit alternativer Möglichkeiten charakterisiert. Es gibt bei seinem Bestehen in einem fundamentalen und prinzipiellen Sinne gerade nicht verschiedene Optionen. Ein Kompatibilist muss plausibel machen können, dass dieser Begriff und seine Verwandten beim Entscheiden und Handeln einen anderen Sinn haben als den besagten ontischen, und diesen auch nicht implizieren.
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11.2 Das Konsequenzargument Dass dies keine leichte Aufgabe ist, wird besonders durch das vor allem mit Peter van Inwagen assoziierte Konsequenzargument illustriert. Es ist eines der zentralen Argumente für den Inkompatibilismus und Gegenstand einer weit verzweigten Subdiskussion.¹²⁹ Es handelt sich weniger um ein bestimmtes Argument für den Inkompatibilismus als um eine präzise Fassung und Pointierung der hinter ihm stehenden Grundintuition, die in dem Argument ihre ganze Kraft entfaltet. Eine mögliche informelle Variante sieht wie folgt aus: (P) Wir haben keine Kontrolle über die Vergangenheit. (Verankerung ) (P) Wir haben keine Kontrolle über die Naturgesetze. (Verankerung ) (P) Wenn wir über bestimmte Tatsachen keine Kontrolle haben, dann auch nicht über deren notwendige Konsequenzen. (Transfer) (P) Wenn der globale Determinismus wahr ist, dann ist unser gegenwärtiges Handeln eine notwendige Konsequenz aus jedem beliebigen vergangenen Weltzustand im Verein mit den Naturgesetzen. (Determinismus) (K) Wenn der globale Determinismus wahr ist, dann haben wir keine Kontrolle über unser gegenwärtiges Handeln. Die Konklusion (K) ist eine Behauptung, der kein Kompatibilist zustimmen kann. Ich beginne die Auseinandersetzung mit diesem Typ von Argument mit einer längeren Reihe von Bemerkungen, die seinen Kern noch nicht berühren. Sie werden dennoch angeführt, teils um das Argument zu erläutern, teils um einige mögliche Einwände dagegen auszuräumen, die es in seiner Substanz nicht treffen. Erstens. Van Inwagen versteht unter „Determinismus“, dass aus der Konjunktion der Naturgesetze mit dem vollständigen Weltzustand zu einem beliebigen, aber bestimmten Zeitpunkt alle späteren Weltzustände logisch folgen. Logische Beziehungen bestehen zwischen satzförmigen Entitäten. Wenn man also „notwendige Konsequenz“ in van Inwagens Sinne als „logische Implikation“ versteht, muss man sich statt auf vergangene Weltzustände, Naturgesetze und Handlungen streng genommen auf deren Beschreibungen, also auf Sätze, Aussagen oder Propositionen entsprechenden Inhalts, beziehen. Man kann allerdings unter einem Weltzustand, einem Naturgesetz oder überhaupt einem Sachverhalt auch von vornherein etwas Propositionales verstehen, das in logische Relationen
Die ersten ausführlichen Präsentationen sind van Inwagen () und (, Kap. ), siehe zuvor aber beispielsweise Ginet ().
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eintreten kann. Ich möchte das offen lassen, bleibe aber aus Gründen der Übersichtlichkeit bei der gewählten einfachen Redeweise. Zweitens. Bei der Besprechung des Konsequenzargumentes lege ich durchweg van Inwagens Auffassung des Determinismus zugrunde, um mich nicht zu weit von der Form zu entfernen, in der das Argument in der Literatur diskutiert wird. Diese Konzeption des Determinismus ist aber für es nicht wesentlich, man kann es leicht so umformulieren, dass es auf andere passt. Die von mir in Kapitel 4 angegebene Determinismusauffassung ist nicht durch logische, sondern durch ontische Notwendigkeit charakterisiert. In dieser Betrachtungsweise sind es die früheren Weltzustände, die gegenüber den späteren primär sind und diese notwendig machen. Aber auch das ist unnötig restriktiv, entscheidend für ein Argument des zu diskutierenden Typs ist allein, dass eine bestimmte Handlung eines Menschen ontisch notwendig gemacht wird durch Tatsachen, die nicht unter seiner Kontrolle sind. Die Konklusion wäre dann, dass sich auch die besagte Handlung nicht unter seiner Kontrolle befindet. In welchem zeitlichen Verhältnis die determinierenden Tatsachen zu der Handlung stehen, ist gleichgültig, und ebenso, ob der Zusammenhang durch Naturgesetze gestiftet wird. Operiert man mit dem Begriff der ontischen Notwendigkeit und versteht „notwendige Konsequenz“ nicht im logischen, sondern in diesem Sinne, dann ist es ein Fehler, Naturgesetzes- und die Vergangenheit betreffende Tatsachen auf eine Ebene zu stellen. Nur die letzteren können etwas verursachen, während die Naturgesetze die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung betreffen. Die Naturgesetze, sofern von solchen die Rede sein kann, gehören nicht selber zu den determinierenden Faktoren, sondern stiften den Zusammenhang oder drücken ihn aus. Wie dem auch sei, wesentlich für das Konsequenzargument ist jedenfalls allein die Annahme, eine Handlung sei durch Tatsachen, die sich nicht unter der Kontrolle des Akteurs befinden, festgelegt. Ist das der Fall, dann scheint zu folgen, dass auch die Handlung selber nicht unter seiner Kontrolle ist. Die gesamte Diskussion könnte auch anhand dieser allgemeineren Fassung geführt werden. Drittens. Einwände gegen das Argument, die speziell mit der logischen Folgerungsbeziehung zu tun haben, gehen an der Sache vorbei. So kann man aus dem logischen Grundsatz „ex contradictione quodlibet“ etwas machen und die Transferprämisse (P3) deshalb ablehnen wollen, weil sie beim Einsetzen einer Kontradiktion für die „bestimmten Tatsachen“ für sich genommen bereits impliziert, dass wir über gar nichts Kontrolle haben. Zwar bezeichnet der Ausdruck „Tatsache“ einen bestehenden Sachverhalt, und allein deshalb deckt (P3) bei der obigen Formulierung logische Kontradiktionen nicht ab. Aber häufig wird das Argument nicht derart eingeschränkt präsentiert, und man könnte ja denken, dass es sich genauso für Sachverhalte wie für Tatsachen durchführen lässt. Es handelt sich um unerwünschte Folgen der Standardlogik, denen man im Rahmen dieser
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Diskussion dadurch entgehen kann, dass man das Argument von vornherein auf logisch kontingente oder auf bestehende Sachverhalte einschränkt. In der Welt befindliche notwendige Verknüpfungen, also ontische Notwendigkeiten im eigentlichen Sinne, werden durch diese Art Einwand ohnehin nicht tangiert. Viertens. Das Argument lässt sich nur diskutieren, wenn man der Idee eines vollständig spezifizierten Weltzustandes zu einem bestimmten Zeitpunkt einigen Kredit gibt. Dieser muss etwas Wohlbestimmtes sein, damit die Frage, was aus ihm in Konjunktion mit den Naturgesetzen logisch folgt, überhaupt einen Sinn hat. Zudem sollten die zu seiner Charakterisierung verwendeten Prädikate möglichst wenig logisch-begriffliche Implikationen für Weltzustände zu anderen Zeitpunkten haben, damit der globale Determinismus nicht trivialer Weise wahr wird. In einem vagen Alltagssinne wissen wir ungefähr, was gemeint ist, wenn jemand von der Welt „wie sie gegenwärtig ist“ oder „wie sie vor zehntausend Jahren war“ spricht, aber das ist eben etwas Vages und nichts, was in wohldefinierten logischen Beziehungen stehen könnte. Dagegen ist im Kontext einer physikalischen Theorie normalerweise klar, was ein Systemzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt ist und welche Prädikate zu seiner Charakterisierung verwendet werden.¹³⁰ Ohne weitgehende Reduktionsannahmen, die alles, was sich über die Welt sagen lässt, auf fundamentale physikalische Theorien zurückführen möchten, ist die Idee von Weltzuständen, so wie sie im Konsequenzargument benötigt werden, nicht vollständig ausgewiesen. Da ich Reduktionsfragen durchweg ausklammere und in ihnen nicht Position beziehen möchte, ist an dieser Stelle, damit die Diskussion nicht sofort zu Ende ist, der besagte Kredit erforderlich. Tun wir also um des Arguments willen so, als gäbe es den „Weltzustand zum Zeitpunkt t“ und auch die Naturgesetze in einer derart spezifischen Weise, dass für jeden Sachverhalt feststeht, ob er aus der entsprechenden Konjunktion logisch folgt oder nicht. Fünftens. Ich habe das Konsequenzargument hier formuliert mit „keine Kontrolle haben über“. Alternativen sind „keinen Einfluss haben auf“, „keine Wahl haben bezüglich“, „nicht bei uns stehen“, „nichts ändern können an“, „als gegeben hinnehmen müssen“, „nicht verantwortlich sein für“ und andere mehr. Die Bewertung des Arguments und die möglichen kompatibilistischen Repliken darauf hängen davon ab, mit welcher Formulierung es durchexerziert und wie diese expliziert wird. Ich präsentiere dieses Argument im Kontext der Diskussion um die Idee alternativer Handlungsmöglichkeiten, die in der Rede von Handlungsoptionen, Entscheidung,Wahl, etc., enthalten ist.Wenn man der Konklusion des Konsequenzarguments zustimmt, dann heißt das insbesondere, dass sich bei
Siehe dazu ..
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Zugrundelegung des Determinismus diesen Ideen kein Sinn abgewinnen lässt. Darüber hinaus implizieren manche Formulierungen weitaus mehr als einen solchen Ausschluss von Alternativen, gegeben den Determinismus. Auch ein solcher Kompatibilist, der die Idee alternativer Handlungsmöglichkeiten ganz aufzugeben bereit wäre, könnte unmöglich der Konklusion zustimmen, dass wir im Falle des Determinismus keine Kontrolle über unser gegenwärtiges Handeln besitzen, oder dass dieses nicht bei uns steht. Das Konsequenzargument bringt den Kompatibilismus also nicht nur in dem hier interessierenden Punkt der fehlenden Handlungsalternativen in Verlegenheit, sondern weit darüber hinaus. Sechstens.Verschiedene Handlungsoptionen, wie sie bei Entscheidungen eine Rolle spielen, treten immer im Kontext einer bestimmten Situation auf. Gerade dieses Subjekt kann sich unter genau diesen Umständen so oder so entscheiden und in der Folge so oder so handeln. Ein Begriff von Handlungsoption, –alternative oder –möglichkeit, der das nicht hergibt, ist für Entscheidungen inadäquat, denn das Subjekt entscheidet und handelt ja nicht im leeren Raum, sondern immer in einer spezifischen Situation. Daraus folgt allerdings nicht direkt, dass es einen bestimmten Zeitpunkt gibt, zu dem das Subjekt so oder anders handeln kann, obwohl das unter normalen Umständen sicherlich auch angenommen werden darf. Wer in einer spezifischen Situation die Handlungsoptionen A und B hat und zum Zeitpunkt t A tut, muss nicht unbedingt imstande sein oder gewesen sein, just zu t auch B zu tun. Er muss jedoch zumindest imstande (gewesen) sein, zu t A nicht zu tun, um nämlich in der spezifischen Situation B zu tun. Dieses Tun von B muss aber nicht unbedingt zu genau demselben Zeitpunkt t möglich sein. Für jedes Subjekt, das in einer konkreten Situation über mehrere Handlungsoptionen verfügt, gibt es also gewisse Zeitpunkte, zu denen es sich so oder anders zumindest verhalten kann. Insbesondere hätte es zu jedem Zeitpunkt, da es A tut (wenn es A tut), A unterlassen können müssen. Das ist wieder eine rein technische Bemerkung, die den nicht völlig klaren Zusammenhang zwischen der Idee von verschiedenen Handlungsoptionen zu einem bestimmten Zeitpunkt und der von solchen Optionen in einer bestimmten Situation betrifft. Siebtens. Da der vergangene Weltzustand, aus welchem im Falle des Determinismus in Konjunktion mit den Naturgesetzen alles Spätere logisch folgt, beliebig weit zurück verlegt werden kann, also etwa in die Zeit vor der Geburt oder der Zeugung der jeweils betrachteten Subjekte oder vor die Entstehung menschlicher Wesen überhaupt, können die Formulierungen so gewählt werden, dass sich bestimmte Einwände, die ebenfalls am Kern der Sache vorbeigehen, gar nicht erst ergeben. Nicht nur haben wir gegenwärtig keine Kontrolle über die Naturgesetze und irgendeinen Zustand der Welt zur Zeit der Dinosaurier, sondern wir hatten auch niemals eine solche Kontrolle, noch werden wir sie jemals haben. Nicht nur können wir gegenwärtig nichts daran ändern, sondern wir waren auch
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niemals in der Position, etwas daran zu ändern, noch werden wir jemals darin sein. Und so für alle anderen Varianten des Arguments. Aus sprachlichen Gründen lasse ich diese Verschärfung beiseite, aber sie kann im Sinne des Arguments immer vorgenommen werden. Wenn das Argument nicht stichhaltig ist, dann jedenfalls nicht deswegen, weil wir zwar gegenwärtig über bestimmte vergangene Sachverhalte keine Kontrolle besitzen, sie aber doch einmal hatten. Oder weil wir jetzt an einem Sachverhalt nichts mehr ändern können, es zuvor aber einmal gekonnt hätten. Ebenso kann man das Argument dadurch verschärfen, dass man statt „unser gegenwärtiges Handeln“ in (P4) und (K) allgemeinere Formulierungen wählt: „unser gegenwärtiges Verhalten“, „unser gegenwärtiger Zustand“, „der gegenwärtige Weltzustand“, „unser gegenwärtiges und zukünftiges Handeln“, oder „Gegenwart und Zukunft“. Die gewählte spezifische Konklusion hat den Vorzug, sich genau auf den Stein des Anstoßes zu beziehen, aber was hierfür gilt, gilt auch für die allgemeineren Ausdrücke. Achtens. Für solche Kompatibilisten, die eine Zwei-Sprachspiele-Idee vertreten und daher meinen, dass „Handlung“ und „Determinismus“ nicht in demselben Kontext zusammengebracht werden können, muss das Konsequenzargument mit „Körperbewegung“ statt „Handlung“ formuliert werden, wonach sich genau dieselbe Verlegenheit einstellt. Am Konsequenzargument sieht man besonders deutlich, warum Zwei-Sprachspiele-Konzeptionen in der WillensfreiheitsDeterminismus-Problematik unbefriedigend bleiben.¹³¹ Gleichgültig, welcher besondere Kontext durch den Begriff „Handlung“ eröffnet wird, es bleibt immer dabei, dass Handlungen eng mit Körperbewegungen, und d. h. mit etwas verknüpft sind, das auf der physisch-materiellen Ebene angesiedelt ist. Deswegen wirkt sich ein Determinismus auf dieser Ebene unvermeidlich auch auf Handlungen aus. Das Konsequenzargument, gegen den Zwei-Sprachspiele-Kompatibilismus angewendet, hat die Konklusion, dass wir im Falle des Determinismus keine Kontrolle über unsere Körperbewegungen haben. Der Spielraum, der dadurch verbleibt, dass ein und dieselbe Körperbewegung eventuell mit verschiedenen Handlungen assoziiert werden kann, ist viel zu klein, um aus ihm einen relevanten Gewinn zu ziehen. Zudem muss ein Kompatibilist auf jeden Fall behaupten, dass wir im und durch unser Handeln auch Kontrolle über unsere Körperbewegungen ausüben. Analoges gilt für die anderen Formulierungen des Arguments. Begreifen wir die Ausdrücke „unabhängig“ und „abhängig“ für den Moment als neutrale Platzhalter für die unter „fünftens“ angesprochenen Varianten. Dann ist die allgemeine Form des Konsequenzarguments etwa folgende:
Siehe ..
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(P) Die entfernte Vergangenheit ist unabhängig von uns und unserem Tun. (Verankerung ) (P) Die Naturgesetze sind unabhängig von uns und unserem Tun. (Verankerung ) (P) Die logischen Konsequenzen einer Konjunktion von Tatsachen, die sämtlich unabhängig von uns und unserem Tun sind, bestehen ebenfalls unabhängig von uns und unserem Tun. (Transfer) (P) Wenn der globale Determinismus wahr ist, dann ist der gegenwärtige Zustand und sind alle künftigen Zustände der Welt logische Konsequenzen jedes einzelnen Weltzustandes der entfernten Vergangenheit in Konjunktion mit den Naturgesetzen. (Determinismus) (K) Wenn der globale Determinismus wahr ist, dann sind Gegenwart und Zukunft unabhängig von uns und unserem Tun. In dieser Form möchte ich das Argument diskutieren. Seine Gültigkeit, dass also seine Konklusion aus den Prämissen logisch folgt, wird in der Diskussion nicht ernsthaft bestritten, auch wenn die hier präsentierten Varianten informell sind. Daher muss, wer die Konklusion ablehnt, eine der Prämissen in Frage stellen. Die vierte Prämisse kommt dafür kaum in Betracht. Sie ist einfach eine mögliche Entfaltung des (globalen) Determinismusbegriffs. Auch die anderen Prämissen erscheinen aber auf den ersten Blick vollkommen plausibel. Dass ein zweiter Blick sich lohnt, zeigt sich spätestens dann, wenn man sich klarmacht, dass die Konklusion (K) insbesondere impliziert, dass im globalen Determinismus unser Handeln „unabhängig“ von unserem Handeln ist. Dies klingt bei jeder Füllung von „unabhängig“ – denken wir daran, dass das Wort hier als ein Platzhalter fungiert – entweder geradezu falsch oder extrem merkwürdig, und das obwohl, wie gesagt, die Prämissen sehr einleuchtend sind und zusammen die Konklusion implizieren. Diese Beobachtung gibt einigen Aufschluss über das Konsequenzargument und seine suggestive Kraft. Je nachdem, welche Formulierung man an die Stelle des „unabhängig von uns und unserem Tun“ setzt, je nachdem also, ob man das Argument durchexerziert mit „keine Kontrolle haben über“, „keinen Einfluss haben auf“, „keine Wahl haben bezüglich“, „nicht bei uns stehen“, „nichts ändern können an“, „als gegeben hinnehmen müssen“, „nicht verantwortlich sein für“, etc., und je nachdem, wie man diese Wendungen jeweils expliziert, muss ein Kompatibilist leugnen, dass die Vergangenheit von unserem gegenwärtigen Tun „unabhängig“ ist, oder er muss leugnen, dass die Naturgesetze es sind, oder er muss den Unabhängigkeitstransfer bestreiten. Wegen dieser durch (P3) ausgedrückten Übertragung, in der die Pointe des Argumentes liegt, wird es manchmal auch als „Transferargu-
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ment“ bezeichnet. Das Ziel der kompatibilistischen Partei ist es, ein Dilemma aufzumachen: Gibt man eine schwache Explikation des „abhängig sein“, fordert also für das Bestehen dieser Relation nur wenig (und damit viel für das „unabhängig sein“), dann ist es sehr wohl möglich, dass längst vergangene Weltzustände oder die Naturgesetze von unserem gegenwärtigen Tun „abhängen“ und (P1) oder (P2) somit falsch sind. Gibt man dagegen eine anspruchsvolle Explikation von „abhängig sein“ (und fordert also wenig für das „unabhängig sein“), gerät die Transferbehauptung (P3) unter Druck. In einer im naturgesetzlichen Sinne deterministischen Welt gilt: Wenn ein Subjekt zu einem Zeitpunkt t anders gehandelt hätte als es tatsächlich gehandelt hat, oder sein Tun unterlassen hätte, dann wären entweder auch alle Weltzustände vor t (leicht) andere gewesen, oder die Naturgesetze wären (leicht) andere, oder beides. Wenn „Abhängigkeit von uns und unserem Tun“ lediglich bedeutet, dass ein Konditional dieser Art wahr ist, dann sind (P1) oder (P2) in einer deterministischen Welt falsch. Das ist einfach eine Implikation, beinahe eine Reformulierung des naturgesetzlichen Determinismus. Welche von beiden Prämissen falsch ist, oder ob es sogar beide sind, hängt von den zugrunde gelegten Auswertungsregeln für kontrafaktische Konditionale ab, aber klar ist, dass bei dieser Lesart von „abhängig“ und „unabhängig“ die Verankerung des Schlusses nicht funktioniert. Wenn „Abhängigkeit von unserem Tun“ dagegen bedeutet, dass unser Verhalten kausalen Einfluss hat, dann hängen bei einem normalen Kausalitätsverständnis in der Tat weder die Vergangenheit noch die Naturgesetze von unserem gegenwärtigen Tun ab. Sie sind durch uns kausal nicht beeinflussbar. Allerdings gilt dann die Transferprämisse (P3) nicht. Unser gegenwärtiges Handeln hat zwar keinen kausalen Einfluss auf vergangene Weltzustände oder die Naturgesetze, aber doch auf künftige Weltzustände, auch wenn diese in einer deterministischen Welt bereits durch einen beliebigen früheren Weltzustand und die Naturgesetze fixiert sind. Die Kausalkette läuft im globalen Determinismus durch unser gegenwärtiges Tun hindurch. Bei dieser Lesart von „Abhängigkeit“ überträgt sich die Unabhängigkeit von uns und unserem Tun also nicht automatisch auf alle Konsequenzen derjenigen Tatsachen, die diese Unabhängigkeit aufweisen. Wir haben durch unser Tun durchaus kausalen Einfluss auf die Konsequenzen solcher Tatsachen, die selbst nicht unter einem derartigen Einfluss unsererseits stehen. Der Grund hierfür ist einfach die zeitliche Richtung der Verursachungsbeziehung (bei einem normalen Verständnis von „Kausalität“) und die Tatsache, dass wir mit unserem Tun Teil des Weltlaufs sind. Deshalb funktioniert das Konsequenzargument grundsätzlich nicht, wenn man es mit Ausdrücken formuliert, die kausal zu verstehen sind, wie „beeinflussen können“ oder „ändern können“.
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Durch diese beiden Fälle ist das Spielfeld abgesteckt. Die inkompatibilistische Seite versucht, mit einer Lesart der „Unabhängigkeit“ aufzuwarten, bei der (P1), (P2) und (P3) wahr sind, während die kompatibilistische Partei jede Variante dadurch zurückzuweisen trachtet, dass entweder die Verankerung oder der Transfer der „Unabhängigkeit von uns und unserem Tun“ nicht funktioniert. Sie kann das Argument aber nicht einfach dadurch abweisen, dass sie sagt, der Sinn des praktischen So-oder-anders-Könnens sei schlicht ein anderer als derjenige, der durch das Konsequenzargument für eine deterministische Welt unter Druck gerät. Wenn von vornherein klar wäre, dass die Rede vom praktischen Können nicht die fraglichen Implikationen besitzt, dann hätte das Argument noch nicht einmal eine Anfangsplausibilität. Alle Prämissen wirken aber auf den ersten Blick einleuchtend, die Konklusion folgt aus ihnen, und es ist zuerst und vor allem diese Konklusion, an der ein Kompatibilist sich stört. Er kommt deshalb nicht umhin, sich mit dem Argument auseinanderzusetzen und konkret zu sagen, welche Prämisse seiner Meinung nach falsch ist, und aus welchen Gründen, und woher der Eindruck ihrer Plausibilität rührt. Das Resultat dieser nicht abgeschlossenen Auseinandersetzung ist eine Pattsituation, aber meines Erachtens mit Vorteilen für den Inkompatibilismus.¹³² Das kommt, kurz gesagt, daher:Während bei kausalen Lesarten des Arguments die Transferprämisse einfach falsch ist, bereiten bestimmte akausale Varianten dem Kompatibilisten dauerhaft Schwierigkeiten. Er kann in diesen Fällen im Prinzip zwar immer behaupten, die Verankerung des Arguments sei falsch, aber er kommt, falls er überhaupt an einem So-oder-anders-Können in einer deterministischen Welt festhält, niemals umhin, einem Konditional der folgenden Art zuzustimmen: „Wir können manchmal Dinge tun bzw. lassen, von denen gilt, dass ihr Tun bzw. Lassen voraussetzt, dass die gesamte Vergangenheit oder die Naturgesetze anders wäre(n) als es aktual der Fall ist.“ Mit einem solchen Konditional schreiben wir uns zwar keine kausalen Fähigkeiten zum Durchbrechen der Naturgesetze oder zur Änderung der Vergangenheit zu, aber bereits die Aussage, dass wir etwas tun bzw. unterlassen können, dessen Tun bzw. Unterlassen (leicht) andere Naturgesetze oder eine (leicht) andere Vergangenheit impliziert oder voraussetzt, ist reichlich merkwürdig. Betrachten wir die folgende Variante des Arguments: (P) Wir können zu keinem Zeitpunkt unserer Existenz etwas tun, dessen Tun impliziert, dass die Tatsachen der entfernten Vergangenheit andere als die tatsächlichen sind. (Verankerung )
Dabei hat die Diskussion einen sehr hohen Grad an Subtilität erreicht; siehe van Inwagen () und Kapitan ().
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(P) Wir können zu keinem Zeitpunkt unserer Existenz etwas tun, dessen Tun impliziert, dass die Naturgesetze andere als die tatsächlichen sind. (Verankerung ) (P) Wenn bestimmte Tatsachen so geartet sind, dass wir zu keinem Zeitpunkt unserer Existenz etwas tun können, dessen Tun impliziert, dass die besagten Tatsachen nicht bestehen, dann gilt das auch für alle logischen Konsequenzen der Konjunktion dieser Tatsachen. (Transfer) (P) Wenn der globale Determinismus wahr ist, dann ist alles, was während unserer Existenz der Fall ist, die logische Konsequenz einer Konjunktion von Tatsachen der entfernten Vergangenheit und der Naturgesetze. (Determinismus) (K) Wenn der globale Determinismus wahr ist, dann können wir zu keinem Zeitpunkt unserer Existenz etwas tun, dessen Tun impliziert, dass irgendetwas während unserer Existenz anders ist als es de facto der Fall ist. An dieser Variante des Arguments fallen die gewundenen Formulierungen unschön auf. Ähnliches gilt für van Inwagens ursprüngliche Version, die mit der sprachlich ungewöhnlichen und überdies kausal konnotierten Formulierung „nicht falsch machen können“ (cannot render false) operiert. Wenn man alle kausalen Lesarten des relevanten Prädikats ausschalten möchte, wie sie bei „keinen Einfluss haben auf“ oder „nichts ändern können an“ bestehen, wird man jedenfalls wie hier zu geschraubten Formulierungen gedrängt. Eben diese sorgen nun aber dafür, dass das Argument seine intuitive Kraft zum Teil einbüßt. Es ist nicht klar, dass es absurd wäre, (P1) oder (P2) zu bestreiten. Aus diesem Grund kann sich der Kompatibilismus gegen das Argument behaupten, aber nur mit knapper Not. Das bereits angesprochene Konditional bedeutet eine große Verlegenheit: Will man wirklich annehmen, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt t etwas hätte tun (bzw. unterlassen) können, dessen Tun (bzw. Unterlassen) zur Voraussetzung gehabt hätte, dass die entfernte Vergangenheit eine andere wäre als die tatsächliche, oder die Naturgesetze andere wären als die tatsächlichen? Dergleichen scheint auch ohne kausale Konnotationen kaum erträglich zu sein. Die Vergangenheit, so sollte man denken, ist nun einmal so wie sie ist, und deshalb kann niemand etwas tun, das voraussetzte, dass sie eine andere wäre, und dasselbe gilt für die Naturgesetze. Das Problem lässt sich exemplarisch an der Position von David Lewis verdeutlichen.¹³³ Lewis zufolge halten wir, wenn wir für eine deterministische Welt
Siehe Lewis (), dessen Anliegen ist, das Konsequenzargument zu entkräften.
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hinsichtlich einer bestimmten Situation einen anderen Ereignisverlauf als den tatsächlichen imaginieren, die Vergangenheit der Situation im Wesentlichen fest und stellen uns vor, dass es von da an anders weitergeht. Das aber impliziert leicht andere, also eine Verletzung der geltenden Naturgesetze in dem kritischen Zeitintervall. An solche denken wir normalerweise nicht, aber was wir uns vorstellen, läuft darauf hinaus. Was wäre etwa der Fall gewesen, wenn sich ein Subjekt in einer bestimmten Situation anders entschieden hätte? Das hätte in der Regel allerhand Folgen gehabt, die Zukunft wäre eine deutlich andere geworden.Was aber wäre vorher gewesen? Die Vergangenheit, so Lewis, wäre bis zur fraglichen Situation genau dieselbe gewesen, und kurz vor dem Entscheidungszeitpunkt hätte sich ein „Abweichungswunder“ (divergence miracle) ereignet: ein Wunder nämlich vor dem Hintergrund der geltenden Naturgesetze. Lewis hat wohl Recht, dass wir kontrafaktische Konditionale normalerweise in dieser oder ähnlicher Weise auswerten,¹³⁴ auch wenn wir uns der darin liegenden Konsequenzen nicht bewusst sind und uns seine Charakterisierung daher zunächst merkwürdig vorkommt. Wir stellen uns, wenn wir eine andere Entscheidung desselben Subjekts imaginieren, nicht eine andere Vergangenheit, insbesondere das Subjekt nicht mit anderen Eigenschaften versehen vor, sondern, dass genau dieses Subjekt mit seinen Eigenschaften sich in der vorliegenden Situation anders entschieden hätte – anders entschieden trotz identischer Vergangenheit. Freilich hätte diese Entscheidung irgendwie zustande kommen müssen, und daher nehmen wir kleine Variationen kurz vor dem Entscheidungszeitpunkt an: dass dem Subjekt andere Gesichtspunkte in den Sinn gekommen wären, oder etwas in dieser Art, freilich ohne uns darüber genauer Gedanken zu machen. Die Vergangenheit wird also gedanklich nicht komplett fixiert, sondern nur bis kurz vor dem Entscheidungszeitpunkt, wo es dann zu einer leichten Abweichung kommt, die sich in der Folge zu einer anderen Entscheidung und Handlung des Subjekts auswächst. Eine solche Abweichung ist in einer deterministischen Welt mit den in ihr geltenden Naturgesetzen nicht vereinbar und deshalb ein Wunder. Obwohl Lewis den Kompatibilismus gegen das Konsequenzargument verteidigt, weist seine Wortwahl deutlich auf die Schwierigkeit hin: Der kompatibilistischen Sichtweise zufolge hätten wir, falls unsere Welt deterministisch ist, oft (nämlich bei jedem Bestehen einer Alternative zu unserem tatsächlichen Handeln) etwas tun können, so dass, wenn wir es getan hätten, sich kurz zuvor ein kleines Wunder ereignet hätte. Nicht, dass wir Wunder wirken können! Aber wir können Dinge tun, die Wunder voraussetzen: nämlich eine lokale Außerkraftsetzung der
Siehe dazu auch allgemeiner und grundsätzlicher Lewis ().
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geltenden Naturgesetze, die dafür sorgen würde, dass es in der betreffenden Situation anders weiterginge als es de facto der Fall ist. Das ist eine direkte Folge der These des globalen Determinismus und der gewöhnlichen Art und Weise, wie wir kontrafaktische Konditionale auswerten.¹³⁵ Zwar tun wir die Dinge, die ein Abweichungswunder voraussetzen, niemals, denn ansonsten wären die Naturgesetze nicht die bestehenden (anders gesagt: es gibt keine Wunder), aber wir können sie tun.Wäre ich gestern wandern gegangen (was ich nicht getan habe), dann hätte es unter der Voraussetzung deterministischer Naturgesetze und im Wesentlichen identischer Vergangenheit vorher ein kleines „Abweichungswunder“ gegeben. Falls es also zutrifft, dass ich gestern hätte wandern gehen können (obwohl ich es nicht getan habe), dann hätte ich etwas tun können, das zu seiner Ausführung ein kleines Wunder voraussetzte. Zwar nicht zu seiner „Ausführung schlechthin“, wohl aber zu seiner Ausführung durch mich am gestrigen Tage. Daran führt kein Weg vorbei. Dass sich ein Kompatibilist, der an einem So-oder-anders-Können in einer deterministischen Welt festhält, auf bemerkenswerte Konditionale festlegt, war allerdings von vornherein klar, und insofern braucht man das Konsequenzargument gar nicht. Dieses wirkt sehr suggestiv, aber seine Analyse erweist, dass tatsächlich alles an der Glaubwürdigkeit von Konditionalen der besagten Art hängt, die man auch direkt, ohne Bezug auf das Konsequenzargument, diskutieren könnte. Selbstverständlich ist es so, dass in einer deterministischen Welt jede Rede von Alternativen zum faktischen Geschehen, insbesondere die von Handlungsalternativen, ganz gleich, wie man sie ausbuchstabiert, mit der Hypothek belastet ist, dass das Bestehen jeder Alternative voraussetzte, dass die gesamte Vergangenheit anders gewesen wäre, als sie eben ist, oder die Naturgesetze andere wären, als sie eben sind. Insofern macht das Konsequenzargument nur explizit, was jeder Begriff von Alternativität, der mit einem Determinismus vereinbar ist, von vornherein zugestehen muss. Es wird an dem Argument aber deutlich, wie problematisch dieses Zugeständnis ist. Die Höhe der Hürde für die kompatibilistische Partei, mit einem determinismuskompatiblen Sinn von „Handlungsalternative“ aufzuwarten, tritt klarer hervor. Sie muss einen solchen Sinn nicht nur angeben, sondern auch dafür argumentieren, dass die Gründe die dafür sprechen, dass es ein adäquater Sinn von Anders-handeln-Können ist, die Kontraintuitivität der besagten Konditionale und, damit verbunden, die Plausibilität des Konsequenzarguments überwiegen.
Und hat deshalb nichts zu tun mit der weiteren von David Lewis vertretenen These der Humeschen Supervenienz von Naturgesetzen, die ihm zufolge metaphysisch von dem, was tatsächlich geschieht, und damit auch von unseren Handlungen abhängen. Siehe dazu ..
11.3 Die Konditionalanalyse des praktischen Könnens: Grundlagen
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11.3 Die Konditionalanalyse des praktischen Könnens: Grundlagen Fragen wir uns also, wie ein Kompatibilist die Rede von Handlungsmöglichkeiten, –optionen oder –alternativen verstehen kann.Was kann es heißen, dass jemand in einer bestimmten Situation mehrere Handlungsmöglichkeiten hat, und zwar so, dass dies auch für eine deterministische Welt gilt? Die wichtigste Idee ist die Reduktion der Modalität durch sogenannte Konditionalanalysen des praktischen Könnens. Dass eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation etwas Bestimmtes tun kann oder könnte, heißt danach, dass sie es tun würde, wenn gewisse Bedingungen erfüllt wären. Typische Vorschläge wären etwa: Das Subjekt S kann oder könnte die Handlung H genau dann vollziehen, wenn gilt – S würde H tun, wenn S H tun wollte. – S würde H tun, wenn S sich entschiede, H zu tun. – S würde H tun, wenn S versuchte, H zu tun. – S würde H tun, wenn S meinte, dass H zu tun am besten wäre. – S würde H tun, wenn S gute Gründe sähe, H zu tun. Konditionalanalysen gewährleisten auch bei einem durchgehenden Determinismus Handlungsalternativen. Es kann ohne weiteres auch für eine deterministische Welt wahr sein, dass S H zwar nicht tut, H aber täte, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt wären. Für das Unterlassen von H und damit die Nicht-Erfüllung der besagten Bedingungen gibt es in einer deterministischen Welt zureichende Ursachen, die die Unterlassung notwendig machen, und dennoch kann S der Analyse zufolge H tun. Insbesondere verhält es sich, wie gesehen, so, dass jede Analyse des Könnens in Anwendung auf eine im naturgesetzlichen Sinne deterministische Welt entweder impliziert, dass Möglichkeit und Wirklichkeit zusammenfallen, ein Subjekt S also nur genau das tun kann, was es tatsächlich tut, oder aber, dass S Dinge tun kann, für die gilt, dass, wenn es sie täte, Tatsachen der entfernten Vergangenheit oder die Naturgesetze anders aussehen würden als es de facto der Fall ist. Nun ist aber, so sollte man denken, die Vergangenheit einmal so wie sie ist, und deshalb kann niemand etwas tun, das voraussetzte, dass sie eine andere wäre, und dasselbe gilt für die Naturgesetze. Diese Überlegung spricht grundsätzlich gegen die Idee, man könne unter deterministischen Bedingungen anders handeln als man tatsächlich handelt. Mit dieser Hypothek müssen insbesondere Konditionalanalysen leben. Zu diskutieren ist, ob sie damit durchkommen, ob also Möglichkeiten im konditionalen Sinne ausreichen, um unser normales Verständnis von Handlungsoptionen so überzeugend einzufangen, dass wir diese Hypothek in Kauf nehmen können.
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Die Konditionale sind als subjunktive Konditionale zu verstehen, wobei die kritischen Fälle diejenigen sind, in denen das Antezedens und das Konsequens falsch sind, es sich also um kontrafaktische Konditionale handelt, die Bedingungen angeben, unter denen das Subjekt etwas tun würde, das es tatsächlich nicht tut. Die Antezedens-Bedingungen sind dann nicht erfüllt und das Subjekt führt die entsprechende Handlung nicht aus, den konditionalen Analysen zufolge kann oder könnte es sie aber ausführen. Konditionalanalysen wären witzlos, wenn handelnde Personen ihnen zufolge nur dasjenige tun könnten, was sie wirklich tun. Eben dies ist ja die Konsequenz, mit der ein Inkompatibilist seinen Widerpart belasten möchte: das Verwirklichtsein jeder Handlungsmöglichkeit im Determinismus, die fehlenden Möglichkeiten jenseits des Wirklichen. Die Unterscheidung von kontrafaktischen und subjunktiven Konditionalen ist für unsere Zwecke ansonsten überflüssig. Es handelt sich um eine linguistische Differenz, philosophisch aber im Wesentlichen um eine Doppelung in der Bezeichnung. Wir haben es nur mit einem Typ Konditional zu tun, aber Kontrafaktizität im wörtlichen Sinne impliziert, dass das Antezedens des Konditionals nicht erfüllt ist, während man, wenn man dies offen lassen möchte, streng genommen von einem subjunktiven Konditional sprechen muss. Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden aber nicht, und in philosophischen Diskussionen wird die Bezeichnung „kontrafaktisches Konditional“ oft in dem weiteren Sinne des subjunktiven Konditionals gebraucht. Wie wertet man ein solches Konditional aus? Woran bemisst sich, ob es wahr oder falsch ist? Die Grundidee ist, sich vorzustellen, das Antezedens sei erfüllt, und sich dann zu fragen, ob in dieser fiktiven Situation das Konsequens erfüllt ist oder nicht. Je nachdem ist das Konditional dann wahr oder falsch. Das ist ziemlich auf der Hand liegend und kaum mehr als eine Paraphrase des umgangssprachlichen Gehalts eines subjunktiven Konditionals. Wichtig ist dabei folgendes: Man stellt sich bei einer solchen Auswertung nicht vor, dass das Antezedens erfüllt, aber auch noch vieles andere im Vergleich zu der tatsächlichen Situation variiert ist, also zum Beispiel das Subjekt oder die Umstände, in denen es sich befindet, ganz andere Eigenschaften als in Wirklichkeit haben. Man weicht beim Ausmalen der kontrafaktischen Situation vielmehr möglichst wenig von der Wirklichkeit ab: gerade so weit, wie es nötig ist, um das Antezedens zu erfüllen. Das heißt aber nicht, dass man sich vorstellt, das Antezedens des Konditionals sei erfüllt und alles andere genauso wie in Wirklichkeit, denn die Wahrheit des Antezedens hat Voraussetzungen und Konsequenzen, die es durch Konditionale der angesprochenen Art gerade auszuloten gilt. Wenn man auf die von David Lewis (in Modifikation des Vorläuferansatzes von Robert Stalnaker) entwickelte Standardsemantik für subjunktive Konditionale
11.3 Die Konditionalanalyse des praktischen Könnens: Grundlagen
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zurückgreift,¹³⁶ hat man dabei, grob gesprochen, folgendes zu tun: Man betrachtet diejenige „mögliche Welt“, in der das Antezedens des Konditionals wahr ist und die unter dieser Bedingung der tatsächlichen oder „aktualen“ Welt möglichst ähnlich ist. Aus allen möglichen Welten, in denen das Antezedens wahr ist, nehmen wir also diejenige, die der wirklichen Welt am nächsten im Sinne der Ähnlichkeit ist. Genau dann, wenn in dieser Welt das Konsequens erfüllt ist, ist das Konditional wahr, ansonsten ist es falsch. Wenn es unter den Antezedens-Welten mehrere der unseren nächstgelegene gibt, ist das Konditional genau dann wahr, wenn das Konsequens in allen diesen Welten wahr ist. Ist das Konditional kein kontrafaktisches, weil sein Antezedens in der aktualen Welt erfüllt ist, dann ist die nächste mögliche Welt, die zu betrachten ist, eben die aktuale Welt, und das Konditional somit genau dann wahr, wenn sein Konsequens hier wahr ist. In diesem Fall verhält sich das subjunktive Konditional wie das einfache materiale Konditional der Aussagenlogik. Das ist eine andere Charakterisierung der Auswertung kontrafaktischer Konditionale als die am Ende des letzten Abschnitts gegebene, aber Lewis behauptet, dass die beiden für „Welten wie unsere“ weitgehend zusammenfallen, oder genauer, dass die hier skizzierte Auswertungsweise, angewendet auf Welten wie unsere, in den meisten Fällen zu der in 11.2 angegebenen führt. Er muss dafür allerdings Maßstäbe für Ähnlichkeit ansetzen, die ziemlich an den Haaren herbeigezogen wirken und keinen anderen Hintergrund haben als den, in gewissen Beispielen zu den „richtigen“ Resultaten zu führen. Zudem muss man sie für andere Beispiele modifizieren, sie sind also kontextabhängig, und mit einigen Fällen kommen sie auch überhaupt nicht zurecht, liefern in ihnen also nicht diejenigen Konditionale, die wir intuitiv für wahr halten würden.¹³⁷ In vielen Hinsichten ist es deshalb besser, sich direkt auf die im letzten Abschnitt eingeführten Auswertungsregeln für kontrafaktische Konditionale zu beziehen, statt diese noch einmal aus tiefer liegenden ableiten zu wollen. Lewis verfolgt die letztere Linie deshalb, weil er eine Asymmetrie zwischen Vergangenheit und Zukunft bei kontrafaktischen Konditionalen und damit (ihm zufolge) auch bei der
Siehe Lewis (, ). Siehe bereits Pollock (), der aufgrund dieser Kritik eine eigene Mögliche-WeltenAnalyse subjunktiver Konditionale entwickelt, und aktuell Hájek (Manuskript, Abschnitte .. und ..). Die dort vorgetragene und begründete These, dass die meisten kontrafaktischen Konditionale falsch seien, stellt für die Diskussion hier kein Problem dar, da ich im folgenden Abschnitt . ohnehin konzediere, dass man das Wort „wahrscheinlich“ in das Konsequens des jeweiligen Konditionals einfügen muss, um eine haltbare Analyse zu erhalten. Das rettet die Situation auch Hájek zufolge.
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11 Entscheiden und Determinismus
Kausalrelation nicht einfach voraussetzen, sondern sie aus empirischen Merkmalen unserer Welt gewinnen möchte.¹³⁸ Für unsere Zwecke können wir diese und weitere Probleme auf sich beruhen lassen. Beispielsweise scheint es mir grundsätzlich adäquater zu sein, höhere Anforderungen an die Wahrheit eines subjunktiven Konditionals zu stellen als Lewis es tut. Und zwar sollte das Konsequens nicht nur in den der aktualen Welt nächstgelegenen Antezedens-Welten wahr sein, sondern auch in allen etwas weiter entfernten derartigen Welten. Das läuft auf eine zusätzliche Robustheitsoder Stabilitätsforderung hinaus. Wie dem auch sei, ich werde mich jedenfalls an die verbreitete Lewissche Konzeption halten. Die Rede von „möglichen Welten“ ist ohnehin weniger eine Präzisierung als eine manchmal nützliche Veranschaulichung. Diese Semantik soll einfangen, was wir tun, wenn wir kontrafaktische Konditionale auswerten, und zu den intuitiv richtigen Ergebnissen führen. Deshalb kann man es oft bei dem vortheoretischen Verständnis solcher Konditionale belassen. Es handelt sich ja um alltägliche Wendungen, und genauso sind sie auch in den meisten philosophischen Kontexten gemeint. Eine echte Präzisierung bringt die Mögliche-Welten-Semantik schon deshalb nicht mit sich, weil die Kriterien für die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit von möglichen Welten erstens kontextabhängig, zweitens in einem gewissen Rahmen willkürlich, und drittens vage sind. Das durch Formulierungen wie „die nächste mögliche Welt mit der-undder Eigenschaft“ suggerierte Abstandsmaß für mögliche Welten, das ihre Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit präzise erfassen würde, ist bloß fingiert. Vor einer Entscheidung steht man immer in einer bestimmten Situation. Praktisch relevante Handlungsoptionen sind daher solche, die für das Subjekt unter den jeweiligen konkreten Gegebenheiten, und nicht etwa bloß „im Allgemeinen“ bestehen. Genauer müsste man also sagen: Das Subjekt S kann in den Umständen U die Handlung H genau dann vollziehen, wenn gilt – S würde H in U tun, wenn S in U beabsichtigte, H in U zu tun. – S würde H in U tun, wenn S sich in U entschiede, H in U zu tun. – S würde H in U tun, wenn S in U versuchte, H zu tun. – S würde H in U tun, wenn S in U meinte, dass H in U zu tun am besten wäre. – S würde H in U tun, wenn S in U gute Gründe sähe, H in U zu tun. Das ist ziemlich umständlich, und so werde ich die Spezifikation „in U“ häufig weglassen. Sie ist aber immer mitzudenken. Wenn man sagt, dass jemand etwas
Das ist das wesentliche Anliegen von Lewis ().
11.3 Die Konditionalanalyse des praktischen Könnens: Grundlagen
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hätte tun können, dann ist stillschweigend mitgedacht „ … in genau der Situation, in der er sich befand“. Während die letztere Formulierung an einen konkreten Einzelfall denken lässt, wird man die Rede von „Umständen“ eher im Sinne eines Typs auffassen. In der ersteren Lesart ist eine „Situation“ etwas Einmaliges und allenfalls eine vollkommen gleichartige könnte nochmals auftreten. In der letzteren Lesart kann dieselbe Situation, oder können dieselben Umstände mehrfach eintreten. Ich werde das nicht immer deutlich unterscheiden, aber klar ist, dass, wenn ein Subjekt vor einer Entscheidung steht und Handlungsalternativen hat, diese auf die vorliegende einzelne Situation bezogen werden müssen. Das Subjekt – gerade dieses – kann sich „hier und jetzt“ – nämlich in genau dieser Situation – so oder so verhalten. Ein „Anders-handeln-Können“, das nur von einem Situationstyp sinnvoll ausgesagt werden könnte oder primär von einem solchen ausgesagt werden müsste und nur sekundär auf seine Instanzen beziehbar wäre, würde dem Sinn der Handlungswahl nicht gerecht. Selbstverständlich wird man erwarten, dass, wenn ein bestimmtes Subjekt in einer konkreten Situation bestimmte Handlungsoptionen hat, jedes gleichartige Subjekt (mit denselben Eigenschaften) in einer eben solchen Situation auch dieselben (nämlich typidentischen) Optionen hat. Insofern ist die Unterscheidung zwischen Typ und Einzelfall unnötig. Was durch die Betonung des letzteren ausgeschlossen wird, sind Ideen wie die, es reiche für Handlungsalternativen bereits aus, wenn dasselbe Subjekt in ähnlichen Situationen schon anders gehandelt hat, oder ähnliche Subjekte in gleichartigen Situationen zum Teil anders handeln. Das ist zu wenig, denn es ist diese spezifische Person, die sich unter diesen spezifischen Umständen zwischen mehreren Möglichkeiten zu entscheiden hat. Alternativ kann man auf die Rede von der Situation oder den Umständen ganz verzichten und stattdessen, um das Können des Subjekts nicht im luftleeren Raum anzusiedeln, es auf einen Zeitpunkt beziehen: Das Subjekt S kann die Handlung H zum Zeitpunkt t genau dann vollziehen, wenn gilt – S würde H zu t tun, wenn S zu t H tun wollte. – S würde H zu t tun, wenn S sich kurz vor t entschiede, jetzt H zu tun. – S würde H zu t tun, wenn S kurz vor t versuchte, H zu tun. – S würde H zu t tun, wenn S kurz vor t meinte, dass H zu tun jetzt am besten wäre. – S würde H zu t tun, wenn S kurz vor t gute Gründe sähe, jetzt H zu tun.
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11 Entscheiden und Determinismus
Auch diese Formulierungen werfen (anders geartete) Schwierigkeiten im Detail auf.¹³⁹ Ich gehe dem nicht weiter nach und bleibe bei der Rede von der „Situation“ oder den „Umständen“, in denen das Subjekt sich befindet. Womöglich sind die zeitpunktindizierten Varianten vorzuziehen. Für das Folgende sollte das keinen grundsätzlichen Unterschied machen. Die konditionale Analyse möchte erfassen, was es heißt, dass ein in bestimmten Umständen U befindliches Subjekt S die Handlung H tun kann oder könnte. Zwischen der indikativischen und der konjunktivischen Formulierung gibt es subtile Differenzen. Das distanzierende konjunktivische „könnte“ passt sehr gut zu einer konditionalen Analyse des Könnens, so dass sein Vorherrschen geradezu als Argument für eine solche ins Feld geführt werden kann oder könnte. Die sprachlichen Befunde sind jedoch, wie man beispielsweise an dem letzten Satz sieht, nicht sehr deutlich. Man sagt wohl öfter „sie könnte jetzt H tun“ als „sie kann jetzt H tun“, aber das letztere ist ohne weiteres möglich. Bei Aussagen über die Vergangenheit sind Wendungen wie „du hättest H tun können“ der Normalfall, während „du konntest H tun“ ungewöhnlich ist, aber nur, weil normalerweise Kontrafaktizität impliziert werden soll. Anderenfalls wählt man besser die indikativische Formulierung: „Er konnte A oder B tun und entschied sich für A“. Man könnte solche Unterschiede in der Verwendung näher beleuchten, aber alles in allem habe ich nicht den Eindruck, dass sich daraus klare sprachliche Belege für (oder gegen) konditionale Analysen ergeben. Daher werde ich indikativische und konjunktivische Varianten austauschbar gebrauchen und annehmen, dass die Unterschiede philosophisch nicht relevant sind. Von dem derart explizierten Können wird häufig gesagt, es handele sich (lediglich) um ein „bedingtes Können“, während es für tatsächliche Handlungsoptionen doch auf „unbedingtes Können“ ankomme. Diesem Vorwurf, sofern er sich allein auf die Form der Analyse stützt, liegt ein ernstes Missverständnis zu Grunde. Ich selber habe oben von „Handlungsmöglichkeiten im konditionalen Sinne“ gesprochen. Auch solche Formulierungen laden zu dem Missverständnis ein und sollten insofern besser vermieden werden. An dem praktischen Können, dem „tun können“, wie es durch eine Konditionalanalyse expliziert wird, ist überhaupt nichts Bedingtes, sondern: Die Analyse erfolgt durch einen Bedingungssatz. Das Antezedens dieses Satzes ist nicht etwa eine Bedingung, unter der das Können des Subjekts, sondern eine, unter der sein Tun steht. Eine Konditionalanalyse besagt nicht, dass das Subjekt genau dann H tun kann, wenn das Antezedens des Konditionals wahr ist, sondern, dass es genau dann H tun kann,
Siehe beispielsweise Lehrer (), der eine doppelte Zeitpunktrelativität annimmt, indem er den Zeitpunkt der Handlung von dem des Könnens unterscheidet.
11.3 Die Konditionalanalyse des praktischen Könnens: Grundlagen
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wenn das Konditional wahr ist. Da eine andere Bedingung als das Antezedens in der Analyse aber nicht auftritt, erfasst die Analyse kein irgendwie bedingtes, sondern ein unbedingtes Können, ein „Können schlechthin“. Sie tut dies aber durch einen Bedingungssatz. Besser würde man vielleicht sagen: Die Konditionalanalyse hat mit dem Gegensatz zwischen einem „bedingten“ und einem „unbedingten“ Können gar nichts zu tun. Er wird lediglich assoziativ an sie herangetragen, weil in ihr ein Konditional vorkommt. Nehmen wir zur Illustration die folgende Aussage: „Compatibilists respond that it is not obvious that this ability must be „unconditional“ […]; rather, free action requires a „conditional“ ability to do otherwise if relevant earlier conditions had been different, an ability that is consistent with determinism.“¹⁴⁰ In Wahrheit steht aber nicht die Fähigkeit, anders zu handeln, unter einer kontrafaktischen Bedingung, denn dann wäre sie ja gar nicht vorhanden, sondern ihr Vorhandensein wird durch ein kontrafaktisches Konditional erläutert. Ähnlich: „To formulate a question that is manifestly incompatible with determinism, one needs to ask whether an agent could have done otherwise, even with all the conditions exactly the same.“¹⁴¹ Offensichtlich (manifestly) unvereinbar mit dem Determinismus ist aber nur das tatsächliche Anders-Handeln unter identischen Bedingungen, nicht das Anders-handeln-Können. Ob auch das letztere mit dem Determinismus unvereinbar sei, macht gerade die Auseinandersetzung um das Konsequenzargument aus, in der die kompatibilistische Partei die Konditionalanalyse ins Feld führt. Es geht hier durchweg noch nicht um die Adäquatheit dieser Analyse und damit den Ausgang der Auseinandersetzung, sondern nur darum, was die Konditionalanalyse besagt. Das erwähnte Missverständnis wurde womöglich in erheblichem Maße verursacht durch die zentrale Passage bei George Edward Moore, der wesentlichen Quelle der zeitgenössischen Konditionalanalyse. Sie lautet: Let us begin by asking: What is the sense of the word „could“, in which it is so certain that we often could have done, what we did not do? What, for instance, is the sense in which I could have walked a mile in twenty minutes this morning, though I did not? There is one suggestion, which is very obvious: namely, that what I mean is simply after all that I could, if I had chosen; or (to avoid a possible complication) perhaps we had better say „that I should, if I had chosen“. In other words, the suggestion is that we often use the phrase „I could“ simply and solely as a short way of saying „I should, if I had chosen“. (Moore 1912, Kap. VI, S. 211)
Nahmias und Murray (), S. Nichols (), S.
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11 Entscheiden und Determinismus
Dies ist die offizielle Definition Moores und der Ausgangspunkt der Diskussion über die Konditionalanalyse im 20. Jahrhundert. Offenbar bedeuten die Formulierungen „ich hätte es tun können, wenn ich gewollt hätte“ und „ich hätte es getan, wenn ich gewollt hätte“ sehr Verschiedenes, auch wenn sie in alltäglichen Kontexten austauschbar verwendet werden. Falls „S kann H tun“ bedeutet „S kann H tun, wenn S dies will“, dann erhalten wir gar keine Analyse des Könnens, sondern lediglich die Behauptung, dass das „tun können“ an eine normalerweise unterdrückte Wollensbedingung geknüpft ist. Das Können der Konditionalanalyse wäre dann in der Tat ein bedingtes Können. „S kann“ wäre als eine Abkürzung für „S kann, wenn S will“ zu verstehen, wobei aber völlig offen bliebe, was „können“ denn nun bedeutet. Ein aktuelles Zitat in diesem Sinne lautet: „Compatibilists […] typically offer a conditional analysis of ‘could have done otherwise’ whereby to say that an agent P could have done otherwise at t is just to say that (a) some of the antecedent conditions could have been different, and (b) had they been different, P could (and perhaps would) have done otherwise.“¹⁴² Das ist selbstverständlich keine Analyse von „could have done otherwise“, denn diese Wendung taucht unter (b) einfach wieder auf. Die zweite der zitierten Mooreschen Formulierungen ist deshalb die einschlägige: „ich hätte es tun können“ heißt „ich hätte es getan, wenn ich gewollt hätte“. Das so explizierte Können ist kein bedingtes. In genau der Situation, in der sich das Subjekt befand, hätte es einfachhin etwas Bestimmtes tun können, insofern es nämlich bei einem entsprechenden Wollen dies getan hätte.
11.4 Technische Schwierigkeiten der Konditionalanalyse Bevor ich die zentralen Einwände gegen Konditionalanalysen des praktischen Könnens ausführlich behandle, möchte ich einen Komplex von eher „technischen“ Problemen wenigstens ansprechen, die Modifikationen der angeführten einfachen Konditionale bedingen, aber meines Erachtens nichts Grundsätzliches ändern. Es ist bei dem Folgenden nicht leicht, eine gute Balance zu finden zwischen einer zu großen Vagheit der Analyse, die ernste Probleme zudeckt, und einer Detailliertheit, die ins Dickicht führt, noch bevor die tatsächlichen, schwer wiegenden Einwände auf der Bildfläche erscheinen. Ich bin nicht sicher, ob mir diese Balance gelungen ist. Es ist weithin Konsens, dass Konditionale der genannten Art für sich allein nicht ausreichen, um Handlungsoptionen zu gewährleisten.Wenn die Umstände U
Feltz et al. (), S.
11.4 Technische Schwierigkeiten der Konditionalanalyse
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derart sind, dass S einen Mehlsack auf den Kopf bekommt und ohnmächtig wird, können trotzdem sämtliche der erwähnten Konditionale wahr sein: Wenn S in U H tun wollte, oder sich für H entschiede, oder H zu tun versuchte, oder gute Gründe für das Tun von H sähe, oder H zu tun für am besten hielte, dann (wäre S in U nicht ohnmächtig und) würde S in U H tun. Die Situation kann so beschaffen sein, dass das der Fall ist. Aber selbstverständlich verfügt S in der konkreten Situation nicht über Handlungsmöglichkeiten: Diese sind durch seine Ohnmacht zunichte geworden. Sogar einer verstorbenen Person könnte man mithilfe der Konditionale Handlungsoptionen zubilligen; dabei kommt es freilich sehr darauf an, auf welche Weise der Tod eingetreten ist. Nicht bei jeder Todesursache kommen die einschlägigen Konditionale als wahr heraus, bei einigen aber tun sie es. Problematisch für Konditionalanalysen sind, allgemein gesprochen, Ausfälle bestimmter Art bei normalerweise handlungsfähigen Wesen: nämlich solche, die die basalen mentalen Funktionen beeinträchtigen oder beseitigen, die zur Erfüllung der Antezedentien der einschlägigen Konditionale erforderlich sind, und die dadurch oder in enger Verbindung damit auch zur Einschränkung oder zum Verlust von Handlungsmöglichkeiten führen. Auch Pflanzen und unbelebte Gegenstände können Konditionalanalysen Probleme bereiten. Falls es „metaphysisch unmöglich“ ist, dass eine Pflanze oder ein Stein etwas will oder gute Gründe sieht, etwas zu tun, dann gibt es keine mögliche Welt, in der die Antezedentien der angeführten Konditionale erfüllt sind, und dann sind diese Konditionale sämtlich wahr, unabhängig von H. Pflanzen und Steine könnten dann wortwörtlich alles Mögliche tun (sie tun es bloß nicht). Dies allerdings ist wiederum nur eine Folge der Stipulation, dass ein kontrafaktisches Konditional mit notwendig falschem Antezedens wahr ist, und davon muss man sich nicht übermäßig beeindrucken lassen. Vielleicht wäre es besser, solche Konditionale als unsinnig zurückzuweisen. Wenn wir alternativ annehmen, es sei nicht völlig unvorstellbar, dass Pflanzen oder Steine mentale Zustände hätten, es gäbe also insbesondere mögliche Welten, in denen Steine und Pflanzen etwas wollen, dann liefert die Konditionalanalyse vielleicht das gewünschte Ergebnis, dass Steine und Pflanzen nichts tun können. Denn in der nächsten möglichen Welt, in der ein Stein einen Luftsprung machen will, passiert gar nichts – zum Tun fehlt dem Stein wesentlich mehr als bloß das Wollen, nämlich der gesamte Bewegungsapparat. Dagegen ließe sich wiederum einwenden, dass, wenn Steine etwas tun wollten, sie doch sicherlich grundsätzlich bewegungsfähig wären. Ich möchte diese Frage nicht weiter verfolgen. Ob es eine mögliche Welt gibt, in der Steine etwas wollen, und falls ja, was sie in den nächstgelegenen derartigen Welten ansonsten für Eigenschaften haben, ist eine Frage der kontrafaktischen Geologie. Womöglich kommt die Konditionalanalyse an dieser Stelle davon. Die wirklich kritischen Fälle sind die im letzten Absatz skizzierten.
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Aus solchen Gründen enthalten aktuelle Varianten von Konditionalanalysen des Könnens das Konditional nur als einen Bestandteil neben anderen, oder sie setzen an die Stelle der angeführten kompliziertere Konditionale. Für das Bestehen von Handlungsmöglichkeiten müssen bestimmte gleichbleibende intrinsische Eigenschaften des Subjekts angenommen werden, die als Grundlage der einschlägigen mentalen Prozesse (wollen, versuchen, gute Gründe sehen, etc.) fungieren.¹⁴³ Dadurch verliert die Analyse allerdings ihre ursprüngliche Einfachheit und Klarheit. Konditionale der angegebenen Art bleiben dennoch der Witz und Bezugspunkt der entsprechenden kompatibilistischen Versuche. Die Gründe, sie zu verkomplizieren oder durch weitere Bedingungen zu ergänzen, sind bestimmte Spezial- und Randfälle. Im Großen und Ganzen will der Kompatibilist auf solche Konditionale hinaus, und so werde ich mich darauf konzentrieren und auf die Modifikationen und Ergänzungen nicht ausführlich eingehen. Die noch zu besprechenden zentralen Einwände bleiben dieselben. Diese Sachlage hat große Ähnlichkeiten mit und enge Verbindungen zu derjenigen in der Diskussion um die richtige Auffassung von Dispositionsprädikaten.¹⁴⁴ Auch solche kann man in einem ersten Zugriff durch einfache subjunktive Konditionale analysieren. Welche Dispositionen ein Gegenstand hat, hängt demzufolge davon ab, welches Verhalten er unter bestimmten Bedingungen zeigen würde. Der Gegenstand G ist genau dann zu dem Verhalten V disponiert, wenn G V an den Tag legte, falls gewisse einschlägige Bedingungen B erfüllt wären. Unter den Bedingungen B manifestiert sich die Disposition in dem für sie charakteristischen Verhalten V des Gegenstands G. ¹⁴⁵ Gegen diese Grundidee lässt sich die Möglichkeit sogenannter „flüchtiger“ Dispositionen ins Feld führen: Eine Disposition könnte genau in dem Moment, da die einschlägigen Bedingungen eintreten, verschwinden. Oder sie könnte umgekehrt nicht vorhanden sein und erst in dem Moment, da die besagten Bedingungen auftreten, entstehen (flüchtiges Fehlen einer Disposition). Entsprechende Beispiele sollen die Intuition wachrufen, dass im ersten Fall eine Disposition vorhanden, das subjunktive Konditional aber falsch ist, während im zweiten Fall umgekehrt das subjunktive Konditional wahr ist, jedoch keine Disposition vorliegt.¹⁴⁶ Als Reaktion darauf werden entweder kompliziertere Analysen von Dispositionsprädikaten vorgeschlagen, bei denen gleichbleibende intrinsische Eigenschaften, die als Basis der Disposition
Siehe Vihvelin (), Kap. . Für das Folgende habe ich von der Master-Arbeit Rolffs () und den Diskussionen darum profitiert. „Verhalten“ wird in diesem Kontext wesentlich weiter verwendet als sonst in unserer Untersuchung und erstreckt sich auch auf unbelebte Gegenstände. Das Problem wurde zuerst aufgebracht von Martin ().
11.4 Technische Schwierigkeiten der Konditionalanalyse
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fungieren, eine Rolle spielen.¹⁴⁷ Diese Lösung ist der angedeuteten Ergänzung von Konditionalanalysen des praktischen Könnens parallel. Oder aber man fasst Dispositionen als irreduzibel und die entsprechenden Prädikate als unanalysierbar auf.¹⁴⁸ Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass die in dieser Diskussion ins Feld geführten Beispiele durchschlagend sind und eine Revision der ursprünglichen einfachen konditionalen Analyse tatsächlich erzwingen. Die Alternative ist schlicht, im ersten Falle das Vorliegen der Disposition zu bestreiten, im zweiten es zu konzedieren. Würden oder sollten wir eine Glasscheibe „zerbrechlich“ nennen, die in dem Moment elastisch wird, wo sie von etwas getroffen wird, das ansonsten ihr Zerbrechen verursachen würde? Sicher nicht, wenn dieses durch das Auftreffen ausgelöste Elastischwerden durch besondere intrinsische Eigenschaften der Glasscheibe, etwa eine spezielle modifizierbare Molekülstruktur, zustande käme. Eine solche Glasscheibe wäre aufgrund ihrer molekularen Zusammensetzung unzerbrechlich. Es reicht deshalb nicht aus, einfach zu sagen, dass das Eintreten der zu einer Disposition gehörigen Manifestationsbedingungen ja gerade das Verschwinden der Disposition bewirken könne.¹⁴⁹ Um die gewünschten Intuitionen wachzurufen, werden daher externe Eingriffe von „Magiern“, die das Glas ganz schnell „verzaubern“, wenn ein Stein oder Fußball angeflogen kommt, ins Feld geführt. Ähnlich wie bei den Einwänden gegen verfeinerte Varianten der kausalen und der teleologischen Handlungstheorie oben in 9.2 ist diese Inanspruchnahme superpotenter fiktiver Akteure, die mit Dingen beschäftigt sind, die in einem merkwürdigen Kontrast zu ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten stehen, als Grund für die Revision einer philosophischen Auffassung verdächtig. Zudem lässt sich sogar in diesen Fällen behaupten, das Glas sei bei Anwesenheit eines so gestimmten und befähigten Magiers eben unzerbrechlich. Das Verhältnis von Dispositionen und Konditionalen ist, allgemein gesprochen, ein ebenso enges wie kompliziertes. Wie man Dispositionsprädikate auf Konditionalsätze zurückzuführen versuchen kann, so kann man auch versuchen, Konditionalanalysen des Könnens durch die Einführung von Dispositionen zu verbessern oder zu reparieren. Die entsprechenden Ansätze laufen aber doch wieder auf Konditionale hinaus, wenn sie Dispositionen durch solche analysieren. Sofern sie das nicht tun, sind sie zu schwach, um Handlungsoptionen zu gewährleisten, denn die Manifestation einer Disposition kann auch abgesehen von
Siehe z. B. Lewis (). Siehe Mumford (, Kap. ); Mumford und Anjum (, Kap. ). So Lewis (). Dabei sehe ich bereits davon ab, dass kein Grund besteht, Lewis zuzugestehen, dass im Prinzip „alles alles verursachen kann“. Im Rahmen seiner Kausalitätsauffassung stimmt das natürlich.
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11 Entscheiden und Determinismus
Fällen der „Flüchtigkeit“ durch allerhand verhindert werden, während sie weiterhin besteht. Die Disposition ist dann nicht „flüchtig“, sondern „maskiert“. Es reicht für eine Handlungsoption deshalb nicht aus, dass das Subjekt disponiert ist, unter gewissen Bedingungen etwas Bestimmtes zu tun – es sei denn, das implizierte eben doch ein Konditional einer Art, wie wir sie hier besprechen. Deswegen widme ich dem Begriff der Disposition in der Diskussion nur am Rande Aufmerksamkeit. Das Entscheidende sind in jedem Fall die Konditionalaussagen. Für unseren Diskussionskontext, wo es auf Handlungsmöglichkeiten ankommt, gilt: Ganz gleich, wie sich Fähigkeiten zu bestimmten Handlungen, Dispositionen zu eben diesen Handlungen und die einschlägigen Konditionale zueinander verhalten,¹⁵⁰ eine Handlungsmöglichkeit oder Handlungsoption besteht gewiss nicht, wenn bei Erfüllung der entsprechenden Bedingungen – wollen, versuchen, sich-entscheiden-für, gute-Gründe-sehen-für, etc. – zuverlässig etwas dazwischen käme, das die Handlung vereitelte. Mag sein, dass die Person in irgendeinem Sinne zu ihr fähig bliebe oder disponiert wäre, aber der Sinn der Handlungswahl und des Abwägens von Alternativen erfordert insbesondere aus der Perspektive des Akteurs sicherlich mehr: nämlich, dass die Handlung bei Erfüllung der Antezedensbedingung auch stattfände. Wer „an sich“ fähig wäre, eine bestimmte Aufgabe zu lösen, aber immer dann, wenn er diese Fähigkeit demonstrieren soll, so nervös wird, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen und deshalb die Aufgabe nicht lösen kann, der hat in den einschlägigen Umständen jedenfalls keine entsprechende Handlungsoption. Anders als die zunächst diskutierten Funktionsausfälle bei ansonsten handlungsfähigen Subjekten, die eine Modifikation konditionaler Analysen bedingen, macht das Phänomen der „flüchtigen“ oder „maskierten“ Dispositionen oder Fähigkeiten eine solche nicht eigens nötig. Das gilt mutatis mutandis auch für den Fall des flüchtigen oder maskierten Fehlens einer Disposition oder Fähigkeit: Wenn bei einem Handlungsversuch in der spezifischen Situation der Erfolg gesichert ist, besitzt das Subjekt unter diesen Umständen die entsprechende Option, egal, wie der Erfolg zustande kommt. Eine anders geartete Modifikation der Konditionalanalysen, die in der Einfügung des Wörtchens „wahrscheinlich“ in das Konsequens des jeweiligen Konditionals besteht, ist auch unabhängig von den vorhergehenden Gesichtspunkten nötig, wird aber unter anderem durch sie nahegelegt. In die entsprechende Richtung zielt bereits eine Kritik von John Austin.¹⁵¹ Austin weist darauf hin, dass
Dass sich Fähigkeiten als Dispositionen auffassen lassen, wird behauptet und bestritten. Dafür plädiert Vihvelin (, Kap. ), dagegen Van Inwagen (, Kap. ). Siehe Austin ().
11.5 Ernste Probleme der Konditionalanalyse
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es problematisch ist, jemandem schon dann die Möglichkeit, etwas Bestimmtes zu tun, abzusprechen, wenn er es ernsthaft versucht oder will und es nicht gelingt. „I could have holed the put!“ ist Austins Beispiel aus dem Golfspiel. So hatte auch Mehmet Scholl im Champions-League-Finale 1999 die Entscheidung „auf dem Fuß“, aber er traf nur den Pfosten. Soll man wirklich sagen, dass er in dieser Situation nicht die Möglichkeit hatte, das Tor zu machen? Es ist sehr viel verlangt, dass S in U nur dann H tun kann, wenn dies im Falle eines entsprechenden Wollens oder Versuchs auch gelänge. Man sollte besser etwas sagen wie: S kann in U genau dann H tun, wenn gilt, dass, falls S in U H tun wollte oder zu tun versuchte, es mit einer hinreichend großen Wahrscheinlichkeit gelingen würde. Nachträglich kann man, falls H erfolgt, auch bei einer ursprünglich geringen Erfolgswahrscheinlichkeit sagen, S habe H getan, und folglich auch, dass er es tun konnte. Beim Blick auf Handlungsmöglichkeiten im Rahmen einer Entscheidung ist aber mehr erforderlich. Wenn keine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, sondern lediglich die Erfolgsmöglichkeit gegeben ist, dann ist nicht das Tun von H, sondern nur der entsprechende Versuch eine Option, über die S verfügt. Die Wahrscheinlichkeit kann dabei keine bloß subjektive sein. S verfügt in einer bestimmten Situation nur dann tatsächlich über die Option, H zu tun, und nicht lediglich über die Option, es zu versuchen, wenn ein entsprechender Versuch mit einer hinreichend großen objektiven Wahrscheinlichkeit Erfolg hätte. Nur dann ist die Handlungsoption wirklich, und nicht bloß vermeintlich, vorhanden. Das gilt insbesondere für die Perspektive des Akteurs selber, der beim Entscheiden meint, über tatsächliche Alternativen zu verfügen, und daher hohe objektive Erfolgswahrscheinlichkeiten unterstellt. Auf die verschiedenen Auffassungen von Wahrscheinlichkeiten gehe ich in 11.8 näher ein. Damit schließe ich den Exkurs zu den eher „technischen“ Problemen von Konditionalanalysen ab. Durch die anfallenden Komplikationen werden deren zentrale Schwierigkeiten nicht tangiert, nur die Präsentation schwerfälliger. Ich halte mich daher weiterhin an die eingangs aufgeführten Varianten.
11.5 Ernste Probleme der Konditionalanalyse Wenden wir uns nun den grundsätzlichen Einwänden gegen konditionale Analysen des Könnens zu. Zunächst sind alle Varianten der Konditionalanalyse unbefriedigend, für deren Verständnis man implizit wieder auf Handlungsoptionen rekurrieren muss. Damit meine ich folgendes: Die Konditionalanalyse ist eine Antwort auf die Frage, was es heißt, dass ein Subjekt in einer bestimmten Situation bestimmte Handlungsmöglichkeiten hat. Sie ist ein Explikationsvorschlag für diesen Begriff und sollte deshalb im Explikans keine Ausdrücke enthalten, die
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11 Entscheiden und Determinismus
allein im Hinblick auf das Explikandum Sinn haben. Deshalb sind Vorschläge wie „S würde H tun, wenn S sich entschiede, H zu tun“, „S würde H tun, wenn S‘ Wahl auf H fiele“, „S würde H tun, wenn S meinte, dass H zu tun am besten wäre“ unbefriedigend. Eine Entscheidung oder Handlungswahl erfolgt immer zwischen und in Hinsicht auf Alternativen, und ebenso erscheint eine Handlungsmöglichkeit als die beste im Vergleich zu Alternativen. Die entsprechenden Wendungen verweisen also auf das, was zu explizieren ist, und damit scheint es, als müssten wir schon wissen, was eine Handlungsoption ist, um diese Vorschläge, was eine Handlungsoption sei, zu verstehen. Wir müssen, um mit den besagten Konditionalsätzen überhaupt einen Sinn zu verbinden, eine Situation imaginieren, in welcher S mehrere Handlungsmöglichkeiten hat, während die Konditionalanalyse doch die Frage beantworten wollte, was das bedeutet. Halten wir uns also an die Vorschläge „S würde H tun, wenn S H tun wollte“, „S würde H tun, wenn S versuchte, H zu tun“ und „S würde H tun, wenn S gute Gründe sähe, H zu tun.“ Der letzte Vorschlag ist demselben Problem ausgesetzt, falls die Wendung „gute Gründe sehen“, wie es sachlich naheliegt, im Gegensatz zur sprachlichen Oberfläche komparativ gemeint ist. Man bräuchte für diese Variante zunächst einen nicht-komparativen Begriff des Gutseins (von Gründen). Mit einem solchen wäre sie zwar nicht zirkulär, hätte aber die wenig plausible Konsequenz, dass ein Subjekt in einer Situation, in der es gute Gründe für A, aber noch bessere für B sieht und deshalb B tut, A gar nicht tun kann. Es bleiben also „S würde H tun, wenn S wollte“, „S würde H tun, wenn S H zu tun versuchte“ und vergleichbare Vorschläge. Ich habe in 1.3 dafür argumentiert, dass das Beabsichtigen einer Handlung nicht den Blick auf Alternativen voraussetzt. Man kann schlicht etwas wollen und ebenso versuchen, ohne dass Alternativen dazu objektiv vorhanden sind, und subjektiv ohne einen Gedanken an solche. Sollte das unzutreffend sein, dann scheitert die Konditionalanalyse insgesamt an impliziter begrifflicher Zirkularität. Ich werde im Folgenden alle eingangs genannten Varianten weiter betrachten, auch soweit sie dem hier dargelegten Problem zum Opfer fallen, weil sich an einzelnen Stellen weitere interessante Unterschiede zwischen den Varianten zeigen. Das zweite Hauptproblem besteht in einem Regress, der alle Versionen der Konditionalanalyse gleichermaßen bedroht. Die kritische Frage ist, ob sie nicht nur dann überzeugend sind, wenn man annimmt, dass das Antezedens des jeweiligen Konditionalsatzes erfüllbar ist – dass es möglich ist, dass S H tun will, sich dafür entscheidet, es zu tun versucht, gute Gründe dafür sieht, es für am besten hält, und so weiter. Denn wenn das gar nicht möglich ist, dann, so würde man sagen, ist es doch auch nicht möglich, dass S H tut. Dieser Schluss, den wir noch genauer betrachten werden, setzt voraus, dass das Antezedens des Konditionals nicht bloß hinreichend, sondern auch notwendig dafür ist, dass S H tut, und das ist
11.5 Ernste Probleme der Konditionalanalyse
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nichts, das aus der Konditionalanalyse selbst hervorginge. Es ist aber ohne weiteres mit ihr vereinbar und in vielen Fällen eine plausible Annahme. Wir dürfen daher annehmen, dass die Situation so ist, dass das Subjekt, falls es keine guten Gründe sähe, H zu tun, oder H nicht für am besten hielte, oder H nicht zu tun versuchte, oder sich nicht für H entschiede, oder H nicht tun wollte, H nicht täte. Wenn das so ist, dann, so die Idee der Kritik, muss man, damit einem die Konditionalanalyse tatsächlich eine Handlungsmöglichkeit liefert, annehmen, dass es möglich ist, das Antezedens des einschlägigen Konditionals zu erfüllen, womit sich ein Regress ergibt: Die Handlungsmöglichkeit wäre nur zu erläutern unter Rekurs auf eine stillschweigend angenommene vorgelagerte Möglichkeit – aber wie ist nun diese zu verstehen? Die Dialektik der Auseinandersetzung ist folgende: Unter deterministischen Voraussetzungen existieren in einem bestimmten klaren Sinne keine alternativen Ereignisverläufe und damit auch keine alternativen Handlungsmöglichkeiten. Nun wartet der Kompatibilist mit einer Analyse auf, der zufolge es auch unter solchen Voraussetzungen möglich ist, andere Dinge zu tun, als man de facto tut: Man würde nämlich anders handeln, wenn eine gewisse Bedingung B erfüllt wäre. „Gewiss“, sagt nun der Inkompatibilist, „aber B ist nicht erfüllt, und dies ist unter deterministischen Annahmen notwendigerweise so. Wie entsteht hier ein Spielraum von Möglichkeiten? Du Kompatibilist scheinst annehmen zu müssen, dass die Erfüllung von B möglich ist, bist mir dann aber eine determinismuskompatible Erklärung nun dieser Möglichkeit schuldig.“ Es erhebt sich also gegen Konditionalanalysen ein Regresseinwand, und der Kompatibilist kann sich diesem nicht etwa dadurch entziehen, dass er die vorgängige Modalität unexpliziert stehen lässt, denn er ist bei ihr genauso in der Bringschuld wie bei der Ausgangsfrage nach Handlungsalternativen in einer deterministischen Welt. Seine Lage scheint sich durch die Konditionalanalyse nicht verbessert zu haben. Bereits bei Moore findet sich die Idee, diesem Einwand durch eine einfache Iteration der Konditionalanalyse zu begegnen. „In der Tat“, so könnte ein Kompatibilist sagen, „reicht es dafür, dass S H tun kann, nicht aus, dass S H täte, wenn er sich dafür entschiede, sondern S muss sich auch für H entscheiden können. Und das wiederum heißt, dass S sich für H entschiede, wenn S sich entschiede, sich für H zu entscheiden.“ Dieser Zug bringt aber nichts ein. Erstens wiederholt sich das Problem auf der nächsten Stufe, und zweitens sind die im Rahmen der Iteration neu eingeführten mentalen Zustände kaum noch verständlich. Was soll es heißen, dass sich ein Subjekt entscheidet, sich für eine bestimmte Handlung zu entscheiden? Die Idee der Iteration ist bereits auf der ersten Stufe ein Irrweg, erst recht auf den folgenden.
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11 Entscheiden und Determinismus
Eine angemessenere Reaktion besteht darin, der Suggestion zu widerstehen, ein Anhänger der Konditionalanalyse müsse die Möglichkeit des Antezedens des Konditionals unterstellen. Die Behauptung muss vielmehr sein, dass das Konditional so, wie es dasteht, die Handlungsmöglichkeit konstituiert, unabhängig von der Frage, ob sein Antezedens wahr sein kann. Auch wenn es unmöglich sein sollte, dass S in der konkreten Situation H tun will, sich für H entscheidet, H zu tun versucht, H für am besten befindet oder gute Gründe für die Ausführung von H sieht, ist es dennoch so, dass, falls das entsprechende Konditional wahr ist, S H tun kann. Darauf muss ein Kompatibilist, der mit einer Konditionalanalyse von Handlungsoptionen durchkommen will, bestehen. Besonders bei den letzten beiden Varianten wirkt das auch keineswegs gezwungen. Selbstverständlich, so sollte man wenigstens denken, kann die Situation so sein, dass es unmöglich ist, dass S gute Gründe dafür sieht, H zu tun. Vielleicht gibt es solche einfach nicht, und S ist ein vernünftiger Mensch. Dennoch kann H in der konkreten Situation eine Handlungsoption für S sein – eben genau dann, wenn die Situation so ist, dass S H täte, wenn S gute Gründe dafür sähe, welch letzteres aber unmöglich ist. Analoges könnte man für die Varianten mit „wollen“, „entscheiden“ und „versuchen“ sagen, auch wenn die Replik dort weniger plausibel wirkt, weil diese Termini viel stärker aktiv konnotiert sind als „für am besten halten“ und „gute Gründe sehen für“. Dass ein Subjekt etwas nicht wollen oder versuchen kann, wirkt aufgrund dieser Konnotation viel eher wie ein Freiheitshindernis. Es geht aber an dieser Stelle nicht um die Frage eines freien oder unfreien Wollens, nicht um „Wollensmöglichkeiten“, sondern um Handlungsmöglichkeiten. Ein Vertreter der Konditionalanalyse muss dann eventuell Dinge zugeben wie, dass eine Person mit starker Agoraphobie, die sich durchaus nicht dazu bringen kann, einen großen, leeren Platz zu überqueren, dennoch die entsprechende Handlungsoption besitzt. Auch an dieser Stelle kommt der Unterschied zwischen den Varianten der Konditionalanalyse zum Tragen. Nach den letzten beiden ist es einer solchen Person nicht möglich, den Platz zu überqueren, da sie es auch dann nicht täte, wenn sie gute Gründe dafür sähe oder es für am besten hielte. Bei den ersten drei Varianten kann die Sache dagegen so herauskommen – das hängt von den Spezifika ihrer psychischen Verfassung und von der genauen Interpretation der relevanten Termini ab – dass die Person den Platz überqueren kann, weil sie es nämlich täte, wenn sie sich dafür entschiede, es versuchte oder es wollte. Aber eben dieses letztere kann sie nicht, die Erfüllung des Antezedens des Konditionals ist psychologisch unmöglich. Es geht jedoch, wie gesagt, nicht um Wollens-, Entscheidungs- oder Versuchens-, sondern um Handlungsmöglichkeiten. Deshalb scheint ein Anhänger der Konditionalanalyse damit leben zu können, dass eine ihm zufolge objektiv bestehende Handlungsoption aufgrund einer spezifischen Wollensdisposition nicht ergriffen werden kann.
11.5 Ernste Probleme der Konditionalanalyse
163
Wenn sich ein Vertreter der Konditionalanalyse bei dem Regressvorwurf in dieser Weise hartnäckig zeigt, dann provoziert er eine Verschärfung des Einwandes, die vom Typ her auf Keith Lehrer zurückgeht. (Lehrers eigene Version, die weiter unten diskutiert wird, ist allerdings nicht überzeugend.) Die Verschärfung soll zeigen, dass bei Annahme der Unmöglichkeit des Antezedens des einschlägigen Konditionals logisch folgt, dass S H nicht tun kann und deshalb das Konditional nicht allein hinreichend für eine Handlungsoption des Subjekts sein kann. Argumente dieser Art konstituieren das dritte Hauptproblem von Konditionalanalysen. Das Argument sieht in einer ersten Variante so aus: Aus
(P) B ist notwendig für X.
und
(P) B ist unmöglich.
folgt
(K) X ist unmöglich.
Aber (P) und (P) sind vereinbar mit (P) B ist hinreichend für X. Also kann (P) nicht implizieren (oder gar bedeuten), dass X möglich ist. Wenn ein Argument dieser Art stichhaltig ist, dann wäre ganz allgemein gezeigt, dass konditionale Analysen von Modalitäten scheitern. Das Argument hat ersichtlich keinen besonderen Bezug zu Handlungsmöglichkeiten. Der Spezialfall ergibt sich, wenn man für die Proposition X „S tut H“ substituiert, aber das ist nur einer von vielen möglichen Anwendungsfällen. Das Argument würde genauso zeigen, dass man „Hauchzartes chinesisches Porzellan kann leicht zerbrechen“ nicht analysieren kann durch „Wenn man dieses Porzellan anstößt oder fallen lässt oder scharf anblickt, dann zerbricht es mit hoher Wahrscheinlichkeit“, denn es könnte ja sein, dass es einfach unmöglich ist, dieses Porzellan anzustoßen oder fallen zu lassen oder scharf anzusehen, und dass ferner das Porzellan ohne derartiges nicht zerbricht. Nur weil wir implizit davon ausgehen, dass dergleichen sehr wohl möglich ist, überzeugt uns das Konditional als Analyse der Möglichkeit. Streng genommen müssten wir aber bei so einer Struktur stets hinzusetzen, dass die Bedingung B erfüllbar ist. Das Motiv ist also dasselbe wie bei dem Regressargument. Zu beachten ist, dass es nicht darauf ankommt, wie plausibel (P1) und (P2) sind. Häufig (abhängig vom jeweiligen Anwendungsfall) wird man (P2) glatt zurückweisen.Worauf es ankommt, ist aber – neben der Gültigkeit des Schlusses von (P1) und (P2) auf (K) – allein die Vereinbarkeit von (P1), (P2) und (P3). Falls diese drei logisch konsistent sind, dann kann (P3) nicht implizieren, dass X möglich ist, denn aus (P1) und (P2) folgt ja die Unmöglichkeit von X. Folgt (K) aber tatsächlich aus (P1)
164
11 Entscheiden und Determinismus
und (P2)? Hier müssen wir genauer hinsehen. Wenn die Box □ für den Notwendigkeitsoperator steht, dann ist das Argument (P) (P)
¬B → ¬X □ ¬B
Wenn nicht B, dann nicht X. Notwendigerweise nicht B.
(K)
□ ¬X
Notwendigerweise nicht X.
ungültig. Das umgangssprachliche wenn … dann … wird durch das einfache (materiale) Konditional nur unzureichend erfasst. Nimmt man (P1) als subjunktives Konditional, dann ändert das nichts, weil subjunktive Konditionale mit wahren Antezedentien sich in der Standardsemantik genauso verhalten wie die entsprechenden materialen Konditionale. Anschaulich gesprochen, haben wir eine Sphäre möglicher Welten rund um die aktuale Welt zu betrachten. (P2) besagt, dass in allen diesen Welten, und insbesondere in der aktualen Welt, B nicht erfüllt ist. Damit ist das Antezedens von (P1) wahr, und somit ist (P1) genau dann wahr, wenn das Konsequens wahr ist, also wenn in der aktualen Welt X falsch ist. Das ist aber viel zu wenig, um zu schließen, dass X in der gesamten Sphäre möglicher Welten falsch ist, und gerade dies ist der Gehalt von (K). Wir müssen also (P1) durch etwas Stärkeres ersetzen. Und in der Tat wird das umgangssprachliche „Wenn nicht B, dann nicht X“ besser als durch das materiale Konditional ¬B → ¬X, das bereits dann wahr ist, wenn B wahr oder X falsch ist, eingefangen durch das stärkere: Notwendigerweise ¬B → ¬X. Wohl weil man eher an so etwas denkt, wirkt das umgangssprachliche Argument gültig. Damit lautet dieses in einer formalen Variante: (P*) (P)
□ (¬B → ¬X) □ ¬B
Notwendigerweise gilt: Wenn nicht B, dann nicht X. B ist unmöglich.
(K)
□ ¬X
X ist unmöglich.
Dieses Argument ist modallogisch gültig. Das kann man in der Mögliche-WeltenSemantik auch leicht einsehen. Allerdings fragt sich nun, ob (P1*) und (P2) auch mit (P)
B □→ X
Wenn B der Fall wäre, dann wäre X der Fall.
vereinbar sind, ob also alle drei Prämissen zusammen wahr sein können. □→ deutet dabei das subjunktive Konditional an. Nur dann, wenn (P1*) und (P2) nicht bereits im Widerspruch zu (P3) stehen, folgt, dass (P3) nicht implizieren kann, dass
11.5 Ernste Probleme der Konditionalanalyse
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X möglich ist. Nun verhält es sich so, dass aufgrund von (P2) in der gesamten betrachteten Sphäre möglicher Welten B nicht erfüllt und damit das Konditional (P3) trivialerweise wahr ist. Die drei Prämissen sind nicht bloß kompatibel, sondern aus (P2) folgt bereits (P3) für beliebiges X. Das ist allerdings keine gute, sondern eine zweischneidige Nachricht für das Argument gegen die Konditionalanalyse von Möglichkeiten. Die mögliche Wahrheit von (P3) unter den durch (P1) und (P2) abgegrenzten Umständen ist das Resultat einer Stipulation. Zur Auswertung des subjunktiven Konditionals (P3) sollen wir uns ja die nächste mögliche Welt anschauen, in der B der Fall ist. Eine solche gibt es aufgrund von (P2) aber gerade nicht. Was soll man zu dem Konditional nun sagen? Solche Konditionale sind per definitionem wahr. Dies mag eine sinnvolle Vereinbarung sein, aber ihre Wahrheit ist von derselben Art wie die Wahrheit von „Alle meine Söhne sind im Fußballverein“, wenn ich gar keinen Sohn habe. Die Tatsache, dass sich die Vereinbarkeit der drei Prämissen auf diese Weise ergibt, ist sehr unschön. Man hätte gerne eine Situation, in der sie alle in einem vernünftigen Sinne wahr sind. Zudem kann die Angemessenheit der genannten Stipulation bezweifelt werden. Aber das hilft dem Konditionalanalytiker meines Erachtens nicht. Die Stipulation wird nämlich gerade dadurch notwendig, dass es, intuitiv gesprochen, eine Präsupposition des Konditionals „Wenn B der Fall wäre, dann wäre X der Fall“ ist, dass B möglich ist. Dies wird in der Mögliche-Welten-Semantik ganz deutlich. Ihre Grundidee zur Auswertung eines kontrafaktischen Konditionals ist die Betrachtung möglicher Welten, in denen das Antezedens des Konditionals erfüllt ist. Wenn es solche Welten gar nicht gibt, sind wir zunächst einmal ratlos, und diese Ratlosigkeit verweist auf die erwähnte Präsupposition. Ich komme deshalb etwas zögernd zu dem Schluss, dass Argumente der vorgestellten Art gegen Analysen von Möglichkeiten durch Konditionalsätze durchschlagend sind. Sie zeigen, dass es, anders als in der Antwort auf den Regresseinwand behauptet, nicht möglich ist, ohne die Voraussetzung, dass das Antezedens des einschlägigen Konditionals wahr sein kann, auszukommen. Der Regresseinwand operiert mit einer Unterstellung, die sich durch den Konditionalanalytiker anscheinend zurückweisen lässt. Argumente der hier vorgestellten Art zeigen dann, dass das doch nicht geht. Das Resultat betrifft, wie gesagt, eine sehr allgemeine Struktur, nämlich konditionale Analysen beliebiger Modalitäten. Angewandt auf eine Variante der Konditionalanalyse für Handlungsmöglichkeiten sieht das Argument wie folgt aus: (P*) Notwendigerweise gilt: Wenn S H nicht tun will, dann tut S H nicht. und (P)
Es ist unmöglich, dass S H tun will. sind einerseits vereinbar mit
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(P)
11 Entscheiden und Determinismus
Wenn S H tun wollte, dann würde S H tun. und implizieren andererseits
(K)
Es ist unmöglich, dass S H tut. Daher steht (P) nicht im Widerspruch zu (K), aus (P) folgt also nicht
¬(K) Es ist möglich, dass S H tut. Dabei kommt es, wie gesagt, nicht darauf an, ob (P1*), (P2) und (P3) jeweils wahr oder plausibel sind oder nicht. Sie müssen nur vereinbar sein, das heißt zusammen wahr sein können. Deshalb kommt es auch nicht auf die nähere Interpretation der im Spiel befindlichen Modalitäten an. Von welcher Art Notwendigkeit, Möglichkeit oder Unmöglichkeit ist hier die Rede? Wenn man etwa (P2) isoliert betrachtete, würde sich diese Frage aufdrängen. Aber dazu kann man hier einfach sagen: Gemeint ist gerade der Sinn von „möglich“, den man für Handlungsmöglichkeiten braucht und den der Konditionalanalytiker zu explizieren gedenkt. Julius Schälike identifiziert als den schwachen Punkt derartiger Argumente deshalb die Vereinbarkeitsbehauptung.¹⁵² Ihm zufolge sollte ein Konditionalanalytiker (wie er selber) schlicht darauf bestehen, dass (P1*), (P2) und (P3) nicht vereinbar sind. Sein Gedanke ist, von der angeblichen Plausibilität der Konditionalanalyse ausgehend an dieser festzuhalten und aus ihrem Zutreffen zu schließen, dass die Prämissen eine inkonsistente Trias bilden, was sich eben daran zeige, dass man aus (P3) ¬(K), aus (P1*) und (P2) aber (K) schließen könne. Dieses Zurückspielen des Balls ist indes wenig überzeugend. In dem hier vorgestellten Argument wird nicht einfach behauptet, dass die drei Prämissen vereinbar seien, und es wird auch nicht lediglich durch Berufung auf Intuitionen oder Plausibilitätsüberlegungen etabliert, sondern durch Berufung auf die Standardsemantik der modalen Logik und kontrafaktischer Konditionale. Es geht nicht an, diese allein deshalb abzulehnen, weil man an der Konditionalanalyse des Könnens festhalten will. Als Keith Lehrer sein Argument vorbrachte, war dieser Apparat noch nicht entwickelt. Das ursprüngliche Argument ging im Wesentlichen so:¹⁵³ (P**) (P*)
¬B → □¬X Wenn nicht B, dann ist X unmöglich. ¬B Nicht B.
(K)
□ ¬X
X ist unmöglich.
Siehe Schälike (), Kap. . Siehe Lehrer (a, ).
11.5 Ernste Probleme der Konditionalanalyse
167
Oder in unserem Fall: (P**) (P*)
Wenn S H nicht tun will, dann ist es unmöglich, dass S H tut. S will H nicht tun.
(K)
Es ist unmöglich, dass S H tut.
In der Tat folgt (K) aus (P1**) und (P2*), aber nun fragt sich tatsächlich, ob (P1**), (P2*) und (P)
Wenn S H tun wollte, dann würde S H tun.
vereinbar sind. Das Problem für das Argument in dieser Form wird durch (P1**) verursacht. Ganz im Sinne dieser Prämisse sagt eine nicht ernst zu nehmende Figur in Shakespeares „Maß für Maß“: „Look, what I will not, that I cannot do.“¹⁵⁴ Sie impliziert, dass bereits dann, wenn die Bedingung kontingenterweise falsch ist, das dadurch Bedingte unmöglich ist. Warum aber sollte jemandem eine Handlungsmöglichkeit bereits dadurch verloren gehen, dass er sie de facto nicht ergreifen möchte? Es gibt keinen Grund, (P1**) jemals für wahr zu halten. Deshalb kann ein Konditionalanalytiker bestreiten, dass (P1**), (P2*) und (P3) zusammen wahr sein können, genau wie Schälike es vorschlägt. Dies gilt aber nicht für das vorherige Argument, das nicht so unvorsichtig ist, eine Notwendigkeitsbehauptung als Konsequens eines Konditionals mit nichtmodalem Antezedens auftreten zu lassen.¹⁵⁵ Dieses schlägt durch und ist eine Variante und Verschärfung des Regresseinwandes. Man kann es auf etwas andere Weise auch so ausdrücken: Mit dem Handeln geht stets ein Wollen und auch ein entsprechendes die-Handlung-Versuchen einher (auch wenn das oft nicht der Rede wert ist, insofern ein solcher Versuch mühelos gelingt). Daher hat, wer über mehrere Handlungsmöglichkeiten verfügt, in einem trivialen Sinne stets auch mehrere „Wollensmöglichkeiten“ und „Versuchensmöglichkeiten“. Es geht deshalb nicht an, den Regress mit der Auskunft abzuschneiden, es ginge einem nur um Handlungsmöglichkeiten und nicht um die Frage, ob das Subjekt die entsprechenden Verhaltensweisen auch wollen oder versuchen könne; dies sei vielmehr völlig offen.
Dieses Zitat bringt Schopenhauer (), Kap. IV. Ich danke Thomas Müller für Hinweise zu diesem Punkt.
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11 Entscheiden und Determinismus
11.6 Ein neuer Anlauf: Fähigkeiten und Möglichkeiten Ist die Konditionalanalyse damit vom Tisch? Es bleibt ein Zug übrig, der auf eine Ambiguität von „können“ abhebt. Dieser Ausdruck, so wäre die Behauptung, changiert zwischen „Fähigkeit“ und „Möglichkeit“, und die erstere impliziert nicht die letztere, oder doch nur in einem bestimmten Sinne. Dass S in U H tun kann, bedeutet nicht, dass es möglich ist, dass S in U H tut, sondern nur, dass S dazu fähig ist – dass es ihm möglich ist, in U H zu tun. Was zunächst wie eine sprachliche Nuance wirkt, wird zu einem wichtigen sachlichen Unterschied: zur Verschiebung von „es ist ihm möglich, es zu tun“ (Fähigkeit) zu „es ist möglich, dass er es tut“ (Möglichkeit). Ein Konditionalanalytiker kann und sollte einfach konzedieren, dass, falls die Erfüllung des Antezedens seines Konditionals unmöglich ist, daraus unter gewissen Zusatzannehmen folgt, dass es ebenso unmöglich ist, dass S H tut. Er sollte aber darauf bestehen, dass S in der konkreten Situation dennoch die Option hat, H zu tun, nämlich in dem Sinne, dass S in der konkreten Situation fähig ist, H zu tun. Was heißt nun dieses „fähig“? Das wird eben durch die Konditionalanalyse erfasst. Diese Unterscheidung kann einem leicht entgehen, weil es sehr naheliegend ist zu sagen, dass, was immer eine Fähigkeit, etwas Bestimmtes zu tun, sein mag, sie doch, wenn sie in einer konkreten Situation Handlungsoptionen eröffnen soll, auf jeden Fall die Möglichkeit, in der Situation dieses Bestimmte zu tun, implizieren muss. Und das stimmt auch – aber nicht unbedingt in dem Sinne, dass es möglich sein muss, dass das Subjekt entsprechend handelt. „Sie kann H tun, obwohl es nicht sein kann, dass sie es tut.“ „Es ist ihr möglich, H zu tun, aber es ist unmöglich, dass sie es tut.“ Solche Sätze klingen schräg, aber tatsächlich entspricht ihnen das Phänomen, dass wir, sofern wir überhaupt handlungsfähig sind, jede Menge Handlungsoptionen haben, an deren Ergreifung wir keinen Gedanken verschwenden, weil sie vollkommen abwegig sind. So kann man allerhand tun, von dem es unmöglich ist, dass man es tut, weil gar kein Grund vorliegt, es zu tun, aber starke Gründe dagegen sprechen. Die Behauptung der Existenz von Handlungsoptionen, von denen gleichzeitig feststeht, dass man sie in der konkreten Situation nicht ergreift, ist bei Lichte besehen nicht überraschend. Es ist zum Beispiel plausibel, dass es in vielen Situationen, etwa im Rahmen eines Geschäftsessens, unmöglich ist, dass man sich entscheidet, auf dem Tisch zu tanzen, und insofern auch unmöglich, dass man es tut – aber ohne dass einem deswegen diese Handlungsmöglichkeit verloren ginge. Man kann oder könnte es tun, wird die Option aber in der konkreten Situation notwendigerweise nicht nutzen. Ein Beispiel von Schopenhauer zur Illustration:
11.6 Ein neuer Anlauf: Fähigkeiten und Möglichkeiten
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Ebenso irrig meint Mancher, indem er ein geladenes Pistol in der Hand hält, er könne sich damit erschießen. Dazu ist das Wenigste jenes mechanische Ausführungsmittel, die Hauptsache aber ein überaus starkes und daher seltenes Motiv, welches die ungeheure Kraft hat, die nöthig ist, um die Lust zum Leben, oder richtiger die Furcht vor dem Tode, zu überwiegen: erst nachdem ein solches eingetreten, kann er sich wirklich erschießen, und muß es; es sei denn, daß ein noch stärkeres Gegenmotiv, wenn überhaupt ein solches möglich ist, die That verhindere.¹⁵⁶
Kann die Person, die „ein geladenes Pistol in der Hand hält“, in der konkreten Situation, in der sie, wie wir annehmen wollen, das „überaus starke und daher seltene Motiv“ nicht hat, sich nun erschießen oder nicht? Ja, sagt die Konditionalanalyse, falls sie sich erschießen würde, wenn sie wollte oder gute Gründe dafür sähe. Die Person verfügt dann über diese Handlungsoption, auch wenn aufgrund ihrer Motivationslage feststeht, dass sie sie nicht nutzt. Sollte aber „die Lust zum Leben“ oder „die Furcht vor dem Tode“ so stark sein, dass sie sich auch dann nicht erschießen würde, wenn sie gute Gründe dafür sähe oder sich dafür entschiede, dann hat sie die entsprechende Handlungsoption nicht. Ein Konditionalanalytiker kann also die in 11.5 dargestellten Argumente mitvollziehen. Er muss nur bestreiten, dass sie das „können“ im relevanten Sinne treffen, der eine Fähigkeit anzeigt. Nun stellen sich zwei Fragen: Erstens, reicht das für das Vorhandensein von Handlungsalternativen aus? Wenn ein Subjekt überlegt, ob es (in einer bestimmten Situation) H tun soll, schreibt es dann lediglich sich selber die Fähigkeit, unter diesen Umständen H zu tun, zu, oder nicht doch auch das Bestehen einer bestimmten Möglichkeit, nämlich der Möglichkeit, dass es unter den obwaltenden Umständen diese Fähigkeit auch ausübt? Weil es doch überlegt, ob es sie ausüben soll oder sollte. Und zweitens: Lassen sich gegen die Möglichkeit im Sinne einer Fähigkeit nicht ganz analoge Argumente wie eben vorbringen? Kann man die Argumentationen nicht einfach anpassen, oder besser: An welcher Stelle oder warum gehen sie schief, wenn man „Möglichkeit“ im Fähigkeitssinne versteht? Die erste Rückfrage kann meines Erachtens zumindest bei gewissen Varianten der Konditionalanalyse in ihrem Sinne positiv beantwortet werden. Wenn eine Person überlegt, ob sie A oder B oder C tun sollte, dann unterstellt sie dabei nicht, dass es für jede der Handlungsoptionen objektiv möglich ist, dass ihre Überlegung diese als die beste erweist oder gute Gründe für das Ergreifen dieser Option zu Tage fördert. Epistemisch ist dies zwar (zunächst) möglich, sonst würde die Person die betreffende Option gar nicht in Betracht ziehen, aber aus der epistemischen Offenheit folgt nicht die Annahme einer ontischen. Aus „sollen“ folgt zwar in ir-
Schopenhauer (), Kap. III
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11 Entscheiden und Determinismus
gendeinem Sinne „können“ (siehe dazu 13.1), aber die Person überlegt ja erst, was sie tun sollte, diesbezüglich steht für sie noch gar nichts fest.Wie die Verteilung der Gründe und Gegengründe aussieht, muss sich eben in der Überlegung erweisen. Es gibt für die Person keinerlei Grund anzunehmen, es sei objektiv möglich, dass die Überlegung für jede der Handlungsoptionen überwiegende oder auch nur irgendwelche gewichtigen Gründe produziert. Freilich muss, wenn die Person überhaupt überlegt, was sie tun soll, aus ihrer Perspektive ein Spielraum geöffnet sein. Genauer muss sie, wenn sie überlegt, ob sie H tun sollte, unterstellen, dass es ihr möglich ist, H zu tun. Es ist aber nicht einzusehen, warum dieser Sinn nicht gerade der von einer Konditionalanalyse erfasste sein sollte. Was ist mit der zweiten Rückfrage? Mag sein, so lautete der obige Einwand, dass S H täte, wenn S wollte, sich dafür entschiede, oder gute Gründe dafür sähe – aber kann S H auch wollen, sich für H entscheiden, oder gute Gründe dafür sehen? Und falls diese Dinge notwendige Bedingungen dafür sind, dass S H tut, was man sich ja vorstellen kann, folgt dann bei einer negativen Antwort auf diese Frage nicht, dass S H auch nicht tun kann? Besonders bei der letzten Variante zeigt sich nun aber wiederum, dass die Frage, ob das Antezedens des Konditionals erfüllbar ist, nur im Sinne einer Möglichkeit, nicht einer Fähigkeit verstanden werden kann. Kann S gute Gründe für die Ausführung von H sehen, kann H S am besten scheinen – diese Fragen können nur bedeuten: „Ist es möglich, dass …“, und diesbezüglich ist schon zugestanden, erstens, dass dies nicht möglich sein muss, und zweitens, dass sich aus der entsprechenden Unmöglichkeit unter bestimmten einleuchtenden Zusatzannahmen die Unmöglichkeit der Handlung ergibt – aber eben nicht die Unfähigkeit von S, sie zu tun. Um ein Argument gegen die Fähigkeitsdeutung des Könnens zu basteln, müsste man stattdessen fragen, ob S wohl fähig sei, gute Gründe für H zu sehen, aber es ist schwer, dem einen Sinn abzugewinnen, wenn man nicht unterstellt, dass solche Gründe tatsächlich vorhanden sind. „Könnte es geschehen, dass S gute Gründe sieht, H zu tun?“ ist klar und unverdächtig. Die Fähigkeitsfrage kann dagegen nur darauf zielen, ob S in der Lage wäre, sich irgendwie dahin zu bringen, gute Gründe für die Ausführung von H zu sehen. Fähigkeiten im praktischen Sinne beziehen sich auf Tätigkeiten, und das Sehen von guten Gründen ist keine solche. Ob diese Repliken auch bei den Varianten der Konditionalanalyse mit „wollen“ und „versuchen“ funktionieren, ist weniger klar. Das müssen sie aber, denn Versionen mit „gute Gründe sehen für“, „für am besten halten“, etc., wurden oben schon als implizit zirkulär zurückgewiesen. Es ist auffällig, dass sich gerade bei diesen die beiden kritischen Rückfragen zur Fähigkeitsdeutung beantworten lassen. „Gute Gründe sehen für“ oder „am besten scheinen“ ist etwas wesentlich Passiveres als „wollen“ oder „versuchen“, und beide Repliken ziehen einen Teil ihrer Überzeugungskraft aus diesem Merkmal. Kann man für „wollen“ Ähnliches
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vertreten? Nur wenige Autoren weisen darauf hin, dass der Sinn von Fragen wie „Aber kann S das wollen?“ oder auch „Kann S H wählen, sich für H entscheiden?“ gar nicht klar ist.¹⁵⁷ Die Frage wäre, ob das „können“ in „Kann S H wollen?“ analog zu „Kann S dorthin schwimmen?“ auch im Sinne einer Fähigkeit verstanden werden kann, und nicht dem einer ontischen Möglichkeit im Sinne von „Kann es geschehen, dass S H will?“ bzw. „Kann es geschehen, dass S dorthin schwimmt?“. Dies muss ein Anhänger der Konditionalanalyse bestreiten. Er muss das Antezedens des Konditionals auf jeden Fall so wählen, dass es nicht wiederum eine Handlung des Subjekts ausdrückt. Nur wenn er so verfährt, lassen sich die in 11.5 dargestellten Einwände nicht auch gegen eine Fähigkeitsinterpretation der Konditionalanalyse wenden. Man kann dann die Fähigkeitsfrage nicht eine Stufe vorher stellen, wodurch sich ein Regress ergeben würde, oder annehmen, die entsprechende Fähigkeit auf einer früheren Stufe sei nicht vorhanden. „Wollen“, „gute Gründe sehen für“, „für am besten halten“ und sogar (wenn ich Recht habe) „sich entscheiden für“ sind keine Handlungen, wohl aber „versuchen“. Wer etwas (absichtlich) versucht, der handelt. Die Idee einer Unfähigkeit, etwas (auch nur) zu versuchen mutet zunächst merkwürdig an, ist aber bei näherem Hinsehen nicht von der Hand zu weisen. Versuche haben zum Teil sehr komplexe Voraussetzungen: Die Riemannsche Vermutung über die Nullstellen der Zetafunktion zu beweisen, kann nur versuchen, wer eine ganze Menge Mathematik der richtigen Art versteht. Alle anderen können es nicht einmal versuchen, sind zu einem solchen Versuch nicht imstande. Bei gewöhnlicheren Handlungen fallen uns die Voraussetzungen eines Versuchs nur deshalb nicht auf, weil wir sie erfüllen. Damit scheidet die Variante der Konditionalanalyse mit „versuchen“ aus,¹⁵⁸ und da die komparativen Varianten mit „gute Gründe sehen für“, „für am besten halten“ und „sich entscheiden für“ ebenfalls aus dem Spiel sind, weil sie implizit oder explizit auf Handlungsalternativen verweisen, bleibt als einzige die Variante mit „wollen“ übrig. Allenfalls dieser Weg scheint für einen Konditionalanalytiker gangbar. Die damit verbundene Behauptung ist, dass „fähig, H zu wollen“ im Gegensatz etwa zu „fähig, dorthin zu schwimmen“ keinen Sinn hat. Diese Behauptung ist extrem wackelig, denn auch wenn, etwas zu wollen oder zu beabsichtigen, kein eigenes Handeln ist oder auch nur sein kann, ist es doch eine Art (inneres, mentales) Verhalten, jedenfalls etwas Aktives, und auch dazu könnte ein Subjekt unfähig sein. Ich sehe aber für eine Konditionalanalyse keine Möglichkeit, diese Festlegung zu vermeiden. Auch dieser (zweifelhafte) Weg wird aber kaum beschritten,
Siehe z. B. Tugendhat (). Eine solche vertritt, unter Berücksichtigung aller nötigen Komplikationen, Vihvelin ().
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stattdessen erschweren sich viele klassische und zeitgenössische Verteidiger der Konditionalanalyse ihre Aufgabe noch mehr und bringen sich meines Erachtens sogar in eine ganz hoffnungslose Lage dadurch, dass sie den Unterschied zwischen Fähigkeit und (einer anderen Art der objektiven) Möglichkeit nicht machen. Die Konditionalanalyse, so müsste ihre Linie sein, erfasst in der Tat, was einem Subjekt in einer bestimmten Situation zu tun möglich ist, nicht aber, was es möglicherweise tut. Damit lässt sich die Konzession verbinden, dass ein Subjekt in einer deterministischen Welt nur genau das möglicherweise tut (in einem ontischen Sinne), was es tatsächlich tut. Für seine Handlungsoptionen kommt es aber nicht darauf, sondern auf seine Fähigkeiten an. In diesem Sinne schreibt Kadri Vihvelin: The free will/determinism problem isn’t about whether it’s possible that our actions turn out differently, or whether it’s possible that we make different choices; it’s about whether we are free to choose and act in ways other than the ways we actually choose and act. And questions of our freedom are questions about what we are able to do, or what is in our power to do. If determinism robs us of free will it must be because determinism has the consequence that it is never, at any point in our lives, in our power either to make different choices or to perform different overt actions. (Vihvelin 2010)
Vihvelin spricht hier von Willensfreiheit, und es mag so scheinen, als sei der Härtetest für einen Kompatibilismus eher in Wollens- als in Handlungsalternativen zu suchen. Das ist meines Erachtens ein Irrtum. In einer deterministischen Welt existieren in einem bestimmten, leicht angebbaren Sinne weder Wollensnoch Handlungsalternativen, aber nur bei den letzteren gibt es überhaupt eine klare Bedeutung von „Alternative“ im Sinne von „Option“.Wer überlegt,was er tun soll, wägt Handlungsoptionen ab, nicht „Wollensoptionen“ (um von „Optionen, was ihm zu tun richtig scheint“ zu schweigen). Ob es „Wollensoptionen“ überhaupt gibt, ist zumindest unklar, und die Aussichten für einen Kompatibilisten, sich der Zumutung derartiger Optionen zu verweigern, sind bedeutend höher als im Falle von Handlungsoptionen. Diese braucht er unbedingt, um die Sinnhaftigkeit von praktischen Überlegungen und Entscheidungen zu gewährleisten, aber auch nur diese. Freilich, und das ist das Kernproblem, gehen mit verschiedenen Handlungsoptionen in einem trivialen Sinne verschiedene Wollensmöglichkeiten (wenn auch nicht „Wollensoptionen“) einher. Ist durch diese Unterscheidung zwischen Fähigkeiten und ontischen Möglichkeiten und der Aufstellung einer Konditionalanalyse für erstere – freilich unter Beachtung der in 11.4 erwähnten Komplikationen, die der Analyse einiges von ihrem Charme nehmen – ein solider kompatibilistischer Sinn von „Handlungsalternative“, „Handlungsmöglichkeit“ und „Handlungsoption“ etabliert? Zusätzlich zu der Hypothek, dass eine solche Analyse darauf festgelegt ist, dass es so
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etwas wie die Fähigkeit oder Unfähigkeit, etwas Bestimmtes zu wollen oder zu beabsichtigen, nicht gibt, eine Festlegung, von der unklar ist, ob sie sich durchhalten lässt, bleibt ein weiteres Unbehagen. Woher, so kann man in einem erneuten Anlauf fragen, kommt denn eigentlich die Sonderstellung des Wollens (oder was immer ein Konditionalanalytiker im Antezedens seines Lieblingskonditionals anführen mag)? Ein kontrafaktisches Konditional als solches zeigt ja normalerweise kein Können in irgendeinem Sinne, weder dem einer Möglichkeit, noch dem einer Fähigkeit, an. Warum sollte das bei gewissen Antezedentien anders sein? Nehmen wir die folgenden Schlüsse: „Wenn S größer wäre, würde er die Glühbirne ohne Leiter wechseln. Also kann S die Glühbirne ohne Leiter wechseln.“ Oder: „Wenn S intelligenter wäre, würde er die Aufgabe lösen. Also kann S die Aufgabe lösen.“ Oder: „S würde dir viele Gründe nennen, wenn er nur welche wüsste. Also kann S dir viele Gründe nennen.“ Diese Übergänge wirken alle sehr befremdlich. Keines der genannten Konditionale verweist auch nur im Geringsten auf eine Handlungsmöglichkeit von S. Im Gegenteil, jedes von ihnen deutet (im Sinne einer Implikatur) an, dass, und liefert einen Grund, warum, S die entsprechende Option gerade nicht besitzt. Die Frage ist, warum man den Satz „Wenn S wollte, würde S H tun“ nicht analog auffasst. Der Verdacht wäre, dass das daran liegt, dass uns das Wollen von etwas normalerweise sehr einfach zu sein scheint und wir es deshalb gar nicht als einschränkende Bedingung verstehen. Wenn man geneigt ist, das besagte Konditional für eine geeignete Umschreibung des praktischen Könnens zu halten, dann womöglich deshalb, weil man das Wollen eines Subjekts für etwas hält, das wenigstens unter normalen Umständen in seiner „Verfügungsmacht“ ist, das in einem anderen Sinne als die meisten seiner physischen oder mentalen Eigenschaften „bei ihm steht“. Da sich kaum bestreiten lässt, dass diese Wendungen auf Alternativen verweisen, muss die kompatibilistische Partei hier noch etwas liefern, um den Verdacht auszuräumen, dass an dieser Stelle doch ein Indeterminismus im Spiel ist. Der Verweis auf andere Varianten der konditionalen Analyse reicht diesbezüglich nicht aus: Dass es „bei einem stünde“, welche Gründe einem als gut oder welche Handlungsoption einem als die beste erscheint, wird man zwar kaum behaupten wollen. Aber diese Varianten wurden aus anderen Gründen bereits verworfen; es blieb nur die mit „wollen“ übrig. Zudem bestimmen gute Gründe eben dadurch das Handeln, dass sie das Wollen des Subjekts bestimmen. An diesem also hängt es. Seine besondere fähigkeitsanzeigende Stellung ist auf eine Weise einsichtig zu machen, die nicht unter Inkompatibilismusverdacht steht. Die Anwendung der besagten Formulierungen auf das Wollen ist freilich keine Selbstverständlichkeit; die kompatibilistische Partei kann hier wiederum einhaken. Das „bei einem stehen“ bezieht sich primär auf Handlungsmöglichkeiten,
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nicht aber, oder nur in einem abgeleiteten Sinne, auf das Wollen. Was bei einem steht, ist etwas, das man gegebenenfalls tut, und dass es bei einem steht, heißt eben, dass man es nur wollen muss, damit es geschieht. Nichtsdestoweniger bleibt die Frage, woher das entsprechende Konditional seine Fähigkeit bezieht, ein Können auszudrücken. Oder: Warum hängt das „es steht bei ihm“ gerade mit dem Wollen des Subjekts in dieser Weise zusammen, nicht aber mit anderen seiner mentalen Zustände oder Eigenschaften? Warum behandeln wir die Tatsache, dass ein Subjekt etwas Bestimmtes (nicht) will, nicht genauso wie beispielsweise die Tatsache, dass es etwas Bestimmtes (nicht) für wahr hält? Der Kontrast zwischen „es liegt an ihm, er muss es nur wollen“ und „es steht bei ihm, er muss es nur meinen“, „es steht bei ihm, er muss nur intelligenter sein“ und ähnlichen Sätzen ist frappierend. Man kann das Problem direkt an dem Begriff der Fähigkeit erläutern.Während ein Gegenstand cum grano salis eine Disposition zu xen genau dann besitzt, wenn er unter geeigneten Umständen xen würde, hat ein Subjekt die Fähigkeit zu xen genau dann, wenn es xen würde, falls es Gelegenheit dazu hätte, also geeignete Umstände herrschten, und es darüber hinaus in diesen Umständen xen wollte. Fähigkeiten unterscheiden sich von Dispositionen dadurch, dass ihre Manifestation kein Automatismus ist. Es reicht nicht aus, dass die richtigen Umstände herrschen, das Subjekt muss außer dem Besitz der Fähigkeit selber noch etwas hinzutun, damit sie ausgeübt wird. Und dieses etwas ist dasjenige, was in den besonderen fähigkeitsanzeigenden Konditionalen als Antezedens aufgerufen wird. Das gilt tatsächlich für alle Varianten der konditionalen Analyse, nur wird es in den anderen nicht explizit, weil in ihnen im Antezedens etwas auftaucht, das mit dem Wollen oder den Absichten des Subjekts sehr eng zusammenhängt: das Sehen von guten Gründen, die dann zu einer entsprechenden Absicht führen, das Treffen einer Entscheidung, das Wählen, das Versuchen, etc. Warum behandeln wir also das Wollen eines Subjekts nicht genauso wie seine anderen physischen oder mentalen Eigenschaften? Hat es sein Wollen direkt unter Kontrolle, seine sonstigen mentalen oder physischen Zustände aber nicht, oder nur indirekt, eben auf dem Weg über das Wollen? Hier haben wir genau dieselbe Situation wie bei der Rede von „es liegt an ihm“, „es steht bei ihr“, und ähnlichen Wendungen. „Kontrolle über“ bezieht sich in der vorphilosophischen Verwendung nicht auf das Wollen, sondern primär auf Körperbewegungen und dadurch beeinflussbare äußere Gegebenheiten, aber auch auf die eigenen Gedanken und andere mentale Zustände. Ausgeübt wird die Kontrolle jeweils durch das Wollen. Es scheint daher ungereimt, das Wollen oder Beabsichtigen selber zum Gegenstand der Kontrolle durch sein Subjekt zu machen. Wiederum wird man jedoch im Zuge der Rechtfertigung einer besonderen Stellung des Wollens dazu gedrängt, Kontrolle nun auf das Wollen selber zu beziehen. Tut man diesen Schritt oder
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behauptet sogar, dass es in Wahrheit das Wollen ist, das bei einem steht oder der eigenen Kontrolle unterliegt, und dass dies auf Handlungen nur insoweit zutrifft, als es für die dahinter stehende Absicht gilt, ist dem Kompatibilismus nicht geholfen. Denn die Rede von „bei einem stehen“ und „Kontrolle“ verweist auf Alternativen, nun auf Wollensalternativen, und somit muss die kompatibilistische Partei an dieser Stelle den Indeterminismusverdacht ausräumen. Lehnt man hingegen „Wollensoptionen“ ab und betont stattdessen, dass die Kontrolle über Körperbewegungen oder Gedanken eben durch das Wollen geschehe, so fragt sich wieder, wieso sie nicht ebenso auch durch das Sehen von guten Gründen, das Wissen, etc., ausgeübt wird.Wenn man also den Schritt grundsätzlich ablehnt, das Wollen des Subjekts selber zum Gegenstand, gar zum primären Gegenstand, seiner Kontrolle zu machen, zu dem, was (letztlich) „bei ihm steht“, und diesen Schritt womöglich für sinnwidrig hält, dann bleibt die Sonderstellung des Wollens rätselhaft. Diesem Dilemma kann ein Konditionalanalytiker meines Erachtens nicht entgehen. Man kann ihm insbesondere auch dadurch nicht entgehen, dass man verschiedene Formen der Kontrolle unterscheidet, etwa „regulative Kontrolle“ und „Lenkungskontrolle“, von denen die erste alternative Möglichkeiten impliziert, die zweite dagegen nicht.¹⁵⁹ Es fragt sich dann nämlich, warum nicht auch Charakterzüge oder Gefühle diese Lenkungskontrolle ausüben, und die besondere Rolle des Wollens bleibt wiederum unerklärt. Versteht man unter „Kontrolle“ etwas Anspruchsvolles, so verweist dieser Begriff klarerweise auf Alternativen, und dem Konditionalanalytiker ist nicht geholfen; versteht man etwas Schwächeres darunter, ist nicht mehr klar, warum gerade die Absichten einer Person diese Form der Kontrolle ausüben. Die Sonderrolle des Wollens, die ein Konditionalanalytiker jedenfalls braucht, kann von ihm nicht auf kompatibilistische Weise einsichtig gemacht werden. Julius Schälike beruft sich diesbezüglich darauf, dass wir mit unserem Wollen in praktischer Hinsicht identisch seien.¹⁶⁰ Der eigene „okkurrente Wille“ mache das Subjekt in praktischer Hinsicht aus, was von diesem Willen abhänge, hänge deshalb in einem emphatischen Sinne vom Subjekt ab.¹⁶¹ Der Wille des Subjekts könne als dessen „Kern“ interpretiert werden.¹⁶² Hiergegen bleiben dieselben Bedenken, ich werde sie aber nochmals ausbuchstabieren. Zunächst ist unklar, in welchem Sinne und warum man mit seinem Wollen oder den eigenen Absichten in höherem Maße identisch ist als mit seinen Wünschen oder Meinungen oder Ge
Siehe Fischer () sowie die Kurzfassung in Fischer et al. (), S. – . Siehe Schälike (), Abschnitt .. Siehe dort, S. . Siehe dort, S. .
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fühlen oder Charakterzügen. Diese sind schließlich auch für das eigene Handeln relevant, und oft in höchstem Maße. Warum machen einen die eigenen Wünsche, Meinungen, Gefühle oder Charaktermerkmale nicht, oder nicht im relevanten praktischen Sinne, aus? Schließlich sind es doch die eigenen! Die Idee ist vielleicht, dass wir jeden unserer Wünsche und jedes unserer Gefühle distanziert betrachten und uns fragen können, ob er oder es unser Handeln bestimmen sollte oder nicht. Dagegen können wir uns nicht von unserem „okkurrenten Willen“ distanzieren; wenn wir es tun, dann ist es eben nicht mehr unser Wille. Wir klammern ihn dann ein und fragen uns, ob wir so tatsächlich wollen (d. h. im Normalfall: dies tatsächlich tun) sollten. Dieses Merkmal scheint mir für eine Sonderstellung des Wollens jedoch nicht auszureichen. Man kann sich auch von jeder seiner Meinungen einzeln distanzieren und fragen, ob sie wirklich zutrifft oder was eigentlich für sie spricht, und in diesem Moment ist die jeweilige Meinung ebenfalls eingeklammert und insofern nicht mehr die eigene. Selbstverständlich kann man behaupten, dass allein durch das „Einklammern“ die Meinung ihrem Subjekt nicht verloren geht, aber eben dies könnte man auch vom Wollen sagen. Mir ist daher unklar, warum in dieser Hinsicht eine Disanalogie zwischen (beispielsweise) Meinungen und Absichten bestehen sollte. Vielleicht bin ich mit den soeben angestellten Überlegungen auf dem Holzweg und gemeint ist etwas anderes: Dass unser Wollen uns in praktischer Hinsicht ausmacht, bedeutet, dass unsere Absichten genau dasjenige sind, was an unseren Handlungen „bei uns steht“. Ob wir diese Absichten erfolgreich umsetzen, liegt nicht mehr an uns, sondern an der Welt. Deshalb haben wir eine Handlungsoption genau dann, wenn wir die entsprechende Handlung nur zu wollen brauchen, um sie zu tun. Und wenn wir überlegen, was wir tun sollen, dann geht es uns in der Überlegung zwar um das Handeln, aber sie erreicht ihr Ziel in der Ausrichtung unseres Wollens, der Bildung einer bestimmten Handlungsabsicht. Diese Auskunft setzt aber wiederum den problematischen Punkt voraus, nämlich, dass unsere Absichten in einem Sinne „bei uns stehen“, in dem unsere sonstigen mentalen Merkmale es nicht tun. Dieser Sinn, indeterministischer Implikationen verdächtig, ist gerade kompatibilistisch zu explizieren, und wir dürfen uns daher nicht einfach darauf berufen. Die Sonderrolle des Wollens wird so wiederum bloß konstatiert, nicht aufgehellt. Insgesamt gilt, dass, auch wenn Schälike Recht hätte, und das Subjekt in praktischer Hinsicht mit seinem Wollen identisch wäre, doch diese Identifikation eher eine weitere Art wäre, das Problem zu stellen, als dessen Lösung. Es handelte sich um ein Faktum, von dem gar nicht klar ist, dass es nicht mit inkompatibilistischen Annahmen verbunden ist. Damit verhält es sich genauso wie mit der verwandten, aber näherliegenden Auskunft, die Sonderrolle unseres Wollens bestehe darin, dass es der Ansatzpunkt für Beeinflussungsversuche unseres Verhaltens sei. Der Eindruck, unser Wollen
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stünde bei uns, könnte sehr wohl einfach eine Folge der Aufforderungen und Vorhaltungen sein, die wir uns wechselseitig machen und in internalisierter Form auch an uns selber richten. Damit wäre das Rätsel auf einfache Weise gelöst, aber nicht auf eine, die dem Kompatibilismus hilft. Zunächst richten sich ja Vorhaltungen wiederum nicht auf unser Wollen, sondern auf unser Handeln. In ihnen wird vorausgesetzt, dass man sein Handeln an ihnen ausrichten kann. Solange keine befriedigende kompatibilistische Explikation dieses Könnens gegeben ist, führt uns das also nicht weiter, zumal man jemandes Verhalten auch dadurch beeinflussen kann, dass man ihm neue Informationen gibt. Die Frage, ob eine einschlägige Sonderstellung des Wollens kompatibilistisch zu haben ist, bleibt dabei so offen wie zuvor. Wenn man darauf abhebt, dass Appelle oder Vorhaltungen explizit oder implizit mit dem „du musst nur wollen“ operieren, stellt sich einfach erneut die Frage, ob damit nicht ein unterstellter Indeterminismus einhergeht. Dieses Motiv kennen wir nun schon zur Genüge. Selbstverständlich kann man die Wirkung der Appelle auch oder sogar besser ohne einen Indeterminismus erklären, aber die Frage ist ja, was zu ihrem Sinn gehört. Die Tatsache, dass „du musst es nur wollen“ oder „du musst dir nur etwas Mühe geben“ häufiger wirksam im Sinne des Sprechers sind als „du musst es nur für wahr halten“ oder „du musst nur intelligenter sein“, kann zwar als determinismuskompatible Erklärung, warum wir das eine eher als das andere sagen, herhalten, aber eine parallele Rechtfertigung der Sonderstellung des Wollens wäre revisionär. Gezeigt würde dadurch nicht, dass und in welchem Sinne mein Handeln „bei mir steht“ oder ich etwas „nur wollen“ (im Gegensatz etwa zu: „nur für wahr halten“) muss, sondern lediglich, dass entsprechende Unterstellungen vergleichsweise häufig den gewünschten Effekt haben. All das bedeutet nicht, dass ich inkompatibilistische Implikationen des Wollens per se annehme. Es gibt meines Erachtens keinen Hinweis darauf, dass, wenn man ein Subjekt als etwas wollend oder beabsichtigend beschreibt, dabei automatisch indeterministische Annahmen im Spiel sind. Ich habe lediglich dafür argumentiert, dass, wenn man dem Wollen eine solche Sonderrolle zuspricht, wie es für eine konditionale Analyse des Könnens erforderlich ist, dabei indeterministische Konnotationen untergründig eine Rolle spielen und die Analyse nur deswegen überzeugend wirkt. Es ist ansonsten nicht klar, warum wir die Tatsache, dass jemand etwas nicht will, nicht ebenso behandeln wie die Tatsache, dass jemand etwas nicht weiß oder nicht für wahr hält. Der Verdacht indeterministischer Implikationen des „du musst es nur wollen“ kann somit nicht ausgeräumt werden, und deshalb hat hier der Inkompatibilismus die besseren Argumente auf seiner Seite.
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Darum hilft die Differenz zwischen „es ist S möglich, H zu tun“ und „es ist möglich, dass S H tut“ der Konditionalanalyse letztlich nicht. Man kann das Problem auch wie folgt verdeutlichen. Die erstgenannte Zuschreibung, die eine Handlungsoption auch in einer deterministischen Welt anzeigen soll, in der der zweite Satz falsch ist, bedeutet, dass S (unter den obwaltenden Umständen) imstande, in der Lage oder fähig ist, H zu tun. Man kann nun aber fragen: Fähig in welchem Sinne? Wenn wir sagen, dass jemand unter gewissen Umständen fähig sei, etwas Bestimmtes zu tun, etwa bei einem Geschäftsessen auf dem Tisch zu tanzen, und insofern über eine Handlungsoption verfüge, er diese aber sicher nicht nutzen, seine entsprechende Fähigkeit nicht ausüben werde – meinen wir dann „Fähigkeit“ lediglich in einem physischen Sinne, dass er also die körperlichen Voraussetzungen für die Handlung mitbringt, oder darüber hinaus auch in einem psychischen Sinne („der wäre zu so etwas imstande“)? Wenn letzteres, ist unklar, wie es mit einer solchen „umfassenden“ Fähigkeitszuschreibung vereinbar sein soll, dass es unmöglich ist, dass das Subjekt die entsprechende Handlung vollzieht. Meinen wir aber bloß ersteres, bleibt offen, ob die Handlungsoption tatsächlich vorhanden ist, denn womöglich ist das Subjekt psychisch zu so einer Aktion nicht in der Lage: „Er kann es nicht wollen“. Hier muss man etwas zusätzlich fordern, um die Handlungsoption zu sichern.Wir haben gesehen, dass die Konditionalanalyse an diesem Problem des „wollen Könnens“, so dubios und deutungsoffen der Ausdruck auch sein mag, scheitert.
11.7 Handlungsoptionen im Kompatibilismus: Resümee Ich komme zu dem Schluss, dass durch eine Konditionalanalyse keine überzeugende kompatibilistische Explikation von Begriffen wie „Handlungsalternative“, „Handlungsoption“ oder „Handlungsmöglichkeit“ erreicht wird. Sowie eine Analyse wesentlichen Gebrauch von einem Konditionalsatz macht, indem sie das, was ein Subjekt tun kann oder könnte, über das erklärt, was es unter gewissen Bedingungen täte, ist sie den diskutierten Einwänden ausgesetzt. Die eben skizzierte Auffassung der Konditionalanalyse mit der Unterscheidung zwischen dem, was jemandem in einer bestimmten Situation zu tun möglich ist, und dem, was jemand in dieser Situation möglicherweise tut, scheint zwar nicht aussichtslos zu sein. Es fehlt aber eine überzeugende kompatibilistische Rechtfertigung der Sonderstellung des Wollens sowie eine Argumentation dafür, dass man nicht in demselben Sinne, wie man (un)fähig sein kann, etwas Bestimmtes zu tun, auch (un)fähig sein kann, ein bestimmtes Tun zu wollen. Dass das Beabsichtigen selber kein Handeln ist, reicht dafür nicht aus. Und keiner der Ansätze zu einer Begründung der Sonderstellung des Wollens scheint das dargestellte Dilemma zu
11.7 Handlungsoptionen im Kompatibilismus: Resümee
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vermeiden, entweder die Sonderstellung gar nicht plausibel zu machen oder selber wieder auf alternative Möglichkeiten zu verweisen, die dann der Konditionalanalyse insgeheim zu Grunde liegen würden, während diese doch explizieren sollte, was die Rede von solchen Alternativen bedeutet. Was könnte ein Kompatibilist stattdessen versuchen? Aussichtslos scheint mir, die Begrifflichkeit des Könnens vom Einzelfall zu lösen, indem man etwa behauptet, „S kann (oder könnte) H tun“ bedeute „S tut in vergleichbaren Situationen manchmal H“ oder „S hat die allgemeine Fähigkeit, H zu tun“ (wobei dahingestellt bleibt, ob im konkreten Fall ihrer Ausübung etwas entgegen steht oder nicht). Selbstverständlich bezieht man bei einer anstehenden Entscheidung die Optionen auf die vorliegende Situation; es geht dabei darum, ob man unter den obwaltenden Umständen A oder B tut. Entsprechend müssen Handlungsoptionen, wenn sie überhaupt existieren, in der jeweiligen konkreten Situation und nicht irgendwie „im Allgemeinen“ bestehen. Auch die Idee, das Können auf eine sehr einfache Art und Weise kompatibilistisch zu interpretieren, indem man sagt: „S kann in einer konkreten Situation genau dann H tun, wenn es nahe mögliche Welten gibt, in denen (ein Gegenstück von) S in (einem Gegenstück) dieser Situation H tut“ ist aus diesem Grunde unbefriedigend.¹⁶³ Es ist klar, dass man in vielen Fällen an einer deterministischen Welt nur wenig verändern müsste, damit in einer gegebenen Situation etwas anderes geschähe, etwa eine Handlung, die tatsächlich ausbleibt, vollzogen würde. Das ist aber nicht ausreichend, um einem bestimmten Subjekt in spezifischen Umständen Optionen zu eröffnen. Es mag wohl sein, dass,wenn das Subjekt etwas anders geartet wäre als es ist, oder die Umstände etwas andere wären als sie sind, das Subjekt anders handelte. Es ist aber nicht zu sehen, wie das dem tatsächlichen Subjekt in der tatsächlichen Situation Handlungsmöglichkeiten verschaffen sollte. Wenn etwa jemand – ein wenig alltägliches Beispiel, das aber seinen Zweck erfüllt – derart gefesselt ist, dass seine maximal engagierten Bemühungen, die Fesseln zu lösen, aufgrund seiner physischen Konstitution und der Beschaffenheit des Materials gerade so eben scheitern, gibt es nahe mögliche Welten, in denen er (oder sein „Gegenstück“) die Fesselung löst und daraufhin etwas ganz anderes tut als die Person in der aktualen Welt, die dadurch aber ersichtlich keine entsprechenden Handlungsoptionen erhält. Ebenso scheitert die schlichte Auskunft, bei den Alternativen handle es sich eben um epistemische und nicht um ontische Alternativen. „S kann oder könnte H tun“ wäre dann zu verstehen als „Gegeben unseren Informationsstand, ist nicht
Siehe Peacocke (, Kap. ), und schon früher mit erheblichen zusätzlichen Komplexionen Lehrer ().
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auszuschließen, dass S H tut.“ Die eben abgewiesenen Alternativvorschläge haben überhaupt nur dann eine gewisse Plausibilität, wenn man sie in dieser Richtung interpretiert, also doch als Aussagen über den konkreten Einzelfall, dabei aber als epistemische Möglichkeiten betreffend: „S hat in Situationen, die der vorliegenden ähnlich sind, manchmal H getan, und deshalb müssen wir damit rechnen, dass S auch jetzt H tut.“ Oder: „S hat die allgemeine Fähigkeit, H zu tun, und wir sehen nichts, was im vorliegenden Fall ihre Ausübung verhindern würde.“ Konstruktionen dieser Art haben jedoch nur aus der Perspektive der 3. Person Sinn. Die Handlungen eines Subjekts werden wie beliebige Ereignisse behandelt, und da ist dann dieses oder jenes möglich – nämlich diese oder jene Entwicklung der Dinge epistemisch offen. Beim Blick auf die eigenen, aktuell anstehenden Entscheidungen ist diese epistemische Offenheit für das Bestehen von Handlungsalternativen nicht ausreichend. „Nach allem, was ich über mich und mein vergangenes Handeln weiß, ist es möglich, dass ich jetzt gleich H tue“ erfasst nicht das Spezifische einer Entscheidungssituation und impliziert deshalb, in einer solchen geäußert, geradezu ihre Verleugnung (als konversationale Implikatur). Wer dergleichen sagt, erklärt, dass er sich entweder nicht zu entscheiden gedenkt oder entscheidungsunfähig ist. Dass ich keine Meinung darüber habe, was ich tun werde, ist eine notwendige Bedingung des Entscheidens, aber nicht der wesentliche Punkt daran. Selbstverständlich weiß ich in vieler Hinsicht nicht, was die Zukunft bringen wird. Da heißt es einfach abwarten. Das Phänomen des Entscheidens aber impliziert über die epistemische Offenheit hinaus, dass der Handelnde jede der Optionen verwirklichen kann oder könnte, und diesem Merkmal kann man aus der Perspektive der 1. Person mit der Kategorisierung der Alternativen als epistemischen nicht beikommen. Somit sind für den Begriff der Entscheidung oder Handlungswahl die inkompatibilistischen Intuitionen zumindest für die Perspektive der 1. Person gut gestützt: negativ dadurch, dass es keine zufriedenstellende kompatibilistische Explikation der einschlägigen Begriffe gibt, positiv durch das Konsequenzargument und durch die Tatsache, dass ein Kompatibilist auf fragwürdige Konditionale festgelegt ist. Eine Entscheidung setzt aus der Perspektive des Subjekts mehrere Handlungsoptionen voraus. Sie wird mit Blick auf solche getroffen, und deshalb kann ein Kompatibilist sich der Aufgabe nicht entziehen, eine mit dem Determinismus verträgliche Explikation des Bestehens solcher Optionen zu geben, was nicht zu gelingen scheint. Weder die Einwände gegen konditionale Analysen von Möglichkeiten noch das Konsequenzargument sind dabei an die Perspektive der 1. Person gebunden. Wenn man diese aber verlässt, kann man die verschiedenen Möglichkeiten einfach als vom Subjekt unterstellte behandeln und immer noch von einer Entscheidung des Subjekts sprechen. Ich habe in 2.1 bemerkt, dass Entscheidungen
11.7 Handlungsoptionen im Kompatibilismus: Resümee
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keineswegs Handlungsoptionen, sondern bloß vermeintliche Handlungsoptionen erfordern: Jemand, der ohne sein Wissen in dem Zimmer, in welchem er sich befindet, eingeschlossen wurde, kann sich entscheiden, das Zimmer zu verlassen (um dann allerdings festzustellen, dass es nicht möglich ist). Man kann also aus der Perspektive der 3. Person ohne weiteres sagen, jemand entscheide sich gegen Alternativen, ohne diese wirklich zu haben, und für eine Handlung, ohne dass zu dieser Alternativen bestehen. In diesem Sinne sind, auch wenn Handlungsalternativen den Indeterminismus erfordern, Entscheidungen in einer deterministischen Welt möglich, aber selbstverständlich kann sich der Akteur selber diese Perspektive nicht zueigen machen: Wenn er sich entscheidet, vermeint er über wirkliche Handlungsalternativen zu verfügen und nicht über vermeintliche. Weiterhin kann man aus der Perspektive der 3. Person die Rede von Handlungsmöglichkeiten eines Subjekts epistemisch verstehen, und dann ist auch sie selber, und nicht bloß die von Entscheidungen, determinismuskompatibel. Obwohl diese Auffassung nicht erfasst, was wir meinen, wenn wir jemandem Handlungsmöglichkeiten zuschreiben – dies zeigen die besagten Argumente, das Konsequenzargument und das Scheitern konditionaler Analysen – so wäre ein epistemisch gewendeter Begriff der Handlungsoption aus der Perspektive der 3. Person doch immerhin möglich. Man fragt sich dann, was wohl passieren, wie jemand sich entscheiden wird, und bildet diesbezüglich bestimmte Erwartungen. Das Verhältnis des Subjekts zu seinen eigenen, aktuell anstehenden Entscheidungen lässt sich aber, wie gesagt, auf diese Weise nicht erfassen. Eine Entscheidung wie ein beliebiges Ereignis zu prognostizieren, ist das eine, ein anderes, sie zu treffen, und für das Treffen können die verschiedenen Möglichkeiten vom Subjekt nicht als bloß epistemische angesehen werden. Sonst gäbe es gar nichts zu entscheiden, es gälte nicht, die eine oder andere Option zu verwirklichen, sondern das Subjekt wäre lediglich in Unkenntnis über das Kommende. Auch Schälike, der eine umfassende Verteidigung des Kompatibilismus in Bezug auf Freiheit und moralische Verantwortung unternimmt und in diesem Zusammenhang die Konditionalanalyse des praktischen Könnens vertritt, kommt interessanterweise für die Perspektive der 1. Person, bei der Behandlung der „Phänomenologie konditionaler Freiheit“, zu inkompatibilistischen Einschätzungen: „Der Punkt ist […] dass man sich nicht so sehen kann, als sei man in seinem Wollen durch irgendetwas determiniert.“¹⁶⁴ „Der Ausspruch ‚es lag an dir‘ benennt einen Urheber, freilich keinen unbewegten Beweger, einen jedoch, der sich notwendig als unbewegt erfährt, als indeterminiert.“¹⁶⁵ Dies macht ihn an
Schälike (), S. . Ebenda, S. – .
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11 Entscheiden und Determinismus
seinem Plädoyer für den Kompatibilismus aber nicht irre, die Perspektive der 1. Person scheint für ihn nicht ins Gewicht zu fallen. Aber auch wenn wir es dabei mit einer Illusion des Indeterminismus zu tun hätten, die sich aus der Natur der entsprechenden mentalen Prozesse vollständig erklären ließe, würde dies nichts am Inkompatibilismus ändern. Illusion hin oder her, entscheidend ist, dass wir uns beim und im Entscheiden nicht als determiniert begreifen können.
11.8 Wahrscheinlichkeiten für Optionen aus der Akteursperspektive Alles in allem besteht also ein Inkompatibilismus im Hinblick auf die je eigenen anstehenden Entscheidungen. Dazu noch verschiedene Nachbemerkungen; zuerst eine vergleichsweise einfache. Es gibt zu dem hier konstatierten Phänomen kein Analogon im theoretischen Bereich, da man sich für das Haben einer bestimmten Meinung normalerweise nicht entscheidet. In den Vorgang der Meinungsbildung können zwar volitive und insbesondere auch entscheidungsförmige Elemente einfließen, aber nicht in einem direkt auf das Resultat bezogenen Sinne. Sie betreffen stattdessen die Aufmerksamkeitslenkung sowie die mehr oder minder große Zurückhaltung beim Urteilen. Und auch in diesen Bereichen sind sie keineswegs notwendig. Die Aufmerksamkeit kann von einem Gegenstand gefangen genommen werden, ein Gesichtspunkt sich aufdrängen und ein Urteil sich daraufhin einstellen. Der gesamte Vorgang der Bildung einer Meinung kann als frei von volitiven Elementen gedacht werden, und scheint es oft tatsächlich zu sein. Anders als bei Handlungen spielen bei Meinungen volitive und insbesondere entscheidungsförmige Aspekte keine essentielle Rolle, was nicht heißt, dass sie im Einzelfall nicht eine wichtige Rolle spielen.¹⁶⁶ Wesentlich schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie weit die indeterministischen Implikationen, die in dem Blick auf eigene vermeintliche Handlungsoptionen liegen, reichen, oder welcher Art sie genau sind. Dass Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person nicht determiniert sind, kann als Folgerung aus einem allgemeineren Sachverhalt erscheinen, nämlich dass Entscheidungen aus dieser Perspektive als in jedem Sinne unverursacht gesehen werden müssen. Wer zwischen verschiedenen Handlungsoptionen zu wählen hat, nimmt, so könnte man meinen, eine Perspektive ein, die nicht nur determinierende Ursachen, sondern auch die indeterministische Verursachung seines Entschlusses ausschließt. Besser gesagt, muss die Ursachenkette in dieser Sichtweise
Näheres dazu in . und ..
11.8 Wahrscheinlichkeiten für Optionen aus der Akteursperspektive
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irgendwie – in welcher Weise genau, das soll hier offen bleiben – vom Akteur ausgehen, in ihm ihren Ursprung haben. Dieser kann noch die Entscheidung als durch ihn selbst verursacht betrachten, aber weiter zurück geht es nicht. Der Akteur beginnt durch die Entscheidung eine neue Kausalreihe „aus dem Nichts“. Er kann und muss sich in dieser Weise als Ausgangspunkt eines kausalen Netzes sehen, oder als Anfangspunkt eines Teils des globalen Kausalnetzes, hinter den die Verursachung nicht zurückgeht. Er kann sich aber selber nicht als normalen Bestandteil eines kausalen Netzes sehen, durch den die Verursachung schlicht hindurch liefe. Die Perspektive des sich Entscheidenden würde dann mehr implizieren als lediglich ontische Alternativen, die auch bei indeterministischer, insbesondere probabilistischer Verursachung gegeben wären. Sie würde zudem den Gesichtspunkt des Initiierens in einem starken Sinne inkorporieren. Auffassungen dieser Art sind typisch für Vertreter der sogenannten Akteurskausalität, auf die ich in Teil III zu sprechen komme. Sie kommen ihnen aber keineswegs exklusiv zu. Ernst Tugendhat schreibt: Das heißt dann aber, dass jeweils ich den Ausschlag dafür gebe, für welches ich mich entscheide, bzw. ob ich mich mehr auf A hin anstrenge oder eher dem B nachgebe (bzw. mich für B entscheide), und das schließt aus, dass dies noch seinerseits von irgendetwas anderem abhängt. Es ist diese Stelle, an der man nicht umhin kann zuzugeben, dass, wie ich mich ausrichte, nicht mehr auf irgendwelche anderen Faktoren abwälzbar ist: insofern es nur noch von mir abhängt, ist es indeterminiert. Das folgt nicht aus dem, was wir unter Wollen verstehen, wohl hingegen aus dem, was wir unter Versuchen, Sichanstrengen, Entscheiden und Verantwortlichmachen (korrelativ: sich als verantwortlich wissen) verstehen.¹⁶⁷
Der Akteur begreift sich damit als unhintergehbaren Ausgangspunkt seiner Handlung, als „Urheber“ in einem sehr anspruchsvollen Sinne. Diese viel weiter gehende Inkompatibilität ist, was immer für sie sprechen mag, durch die bisherigen Überlegungen nicht gedeckt. Als etabliert kann nach dem Vorhergehenden nur die Implikation des Indeterminismus gelten. Wir können uns danach beim Entscheiden zwar nicht als determiniert, aber immer noch als ganz und gar in einem kausalen Netz aufgehend begreifen, das freilich nicht durchgehend aus Fäden der Notwendigkeit geknüpft sein könnte, vielmehr eine indeterministische Auffassung von Verursachung erforderte.¹⁶⁸ Diese kann insbesondere probabi-
So Tugendhat (), S. – , und ganz ähnlich die am Ende von . angeführten Passagen aus Schälike (). Inkompatibilistische Konzeptionen dieser Art werden von Kane () und Keil () vertreten; sie werden in . und . thematisiert.
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11 Entscheiden und Determinismus
listisch sein, also eine objektive Wahrscheinlichkeit für jeden direkten Kausalnexus annehmen. In der Tat scheint nicht nur die Annahme der Existenz objektiver Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Handlungsoptionen, sondern sogar die Kenntnis dieser Wahrscheinlichkeiten aus der Perspektive des Akteurs nicht zu grundsätzlichen Schwierigkeiten zu führen. Der Akteur kann sich vor der Entscheidung bewusst sein, dass er den verschiedenen Optionen unterschiedlich stark zuneigt; er kann sich ferner im Klaren darüber sein, wie er in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen entschieden hat. Jedes von beiden oder beides zusammen kann die Grundlage für eine Wahrscheinlichkeitszuweisung aus der Perspektive der 1. Person an die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten abgeben. Wie diese Wahrscheinlichkeit genau aus den vorliegenden Daten zu gewinnen ist, ist gewiss problematisch, aber nicht problematischer als bei anderen Ereignissen.¹⁶⁹ Zudem ist die Aussage „Wahrscheinlich werde ich mich so-und-so entscheiden, aber es steht noch nichts fest / ich lege mich noch nicht fest“ im Gegensatz zu „Ich werde mich so-und-so entscheiden, aber es steht noch nichts fest / ich lege mich noch nicht fest“ prima facie unverdächtig und sogar alltäglich. Das spricht dafür, dass der Akteur aus seiner Perspektive nicht bloß an die Existenz von Wahrscheinlichkeiten für die Realisierung der verschiedenen Handlungsoptionen glauben, sondern diese Wahrscheinlichkeiten sogar zu kennen meinen kann. Es fragt sich allerdings, ob eine derartige Zuschreibung von Wahrscheinlichkeiten nicht wiederum die Einnahme einer epistemischen Perspektive auf das Geschehen voraussetzt, die sich mit der Idee des Herbeiführens nicht verträgt. Müsste man nicht, wenn man bestimmte Wahrscheinlichkeiten für die Handlungsoptionen ansetzt oder auch bloß an deren Existenz glaubt, konsequenterweise wiederum vom Entscheiden Abstand nehmen und abwarten, welche Option vom Zufall realisiert wird? Angesichts der Vieldeutigkeit des Wahrscheinlichkeitsbegriffs und der Flexibilität probabilistischer Modellbildung ist es schwierig, diesen Verdacht zu einem Argument zu verdichten. Nehmen wir die Häufigkeitstheorie der Wahrscheinlichkeit, die den nächstliegenden Vorschlag für eine objektive Fundierung von Wahrscheinlichkeiten darstellt. Tatsächlich handelt es sich um eine ganze Familie von Konzeptionen, denen zufolge sich Wahrscheinlichkeitsaussagen auf tatsächliche oder hypothetische relative Häufigkeiten be-
Insbesondere haben alle Interpretationen des Wahrscheinlichkeitsbegriffs mit dem Problem der richtigen Referenzklasse zu kämpfen, wenn es darum geht, Wahrscheinlichkeiten auf einen bestimmten Einzelfall zu beziehen (siehe Hájek ). Das ist hier gegeben: Es liegt eine bestimmte Entscheidungssituation vor, und die Person ordnet spezifisch für diese (und nicht irgendwie „im Allgemeinen“) den verschiedenen Optionen Wahrscheinlichkeiten zu.
11.8 Wahrscheinlichkeiten für Optionen aus der Akteursperspektive
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ziehen. Wenn ein Subjekt vor der Entscheidung steht, entweder A oder B zu tun, und wenn es A stärker zuneigt als B (sagen wir um des Beispiels willen „doppelt so stark“ – falls so etwas Sinn hat), und wenn es erlaubt ist, diese relative Neigungsstärke für eine Wahrscheinlichkeitszuschreibung zu benutzen, dann sagt die Häufigkeitstheorie, dass bei einer „Wiederholung“ der Situation das Subjekt auf längere Sicht ungefähr doppelt so oft A wie B tun würde. Und dass, falls man die „Wiederholungen“ als unabhängig betrachten darf, dies in regelloser Weise geschähe. Die verschiedenen Entscheidungen würden also keinem bestimmten Muster folgen, nur dass eben auf längere Sicht A ungefähr zweimal so häufig gewählt würde wie B. Das scheint nun eine bedeutsame Einschränkung zu sein: Das Subjekt hätte nicht mehr die Möglichkeit, immer A oder immer B zu tun, sondern müsste im Gegenteil eine bestimmte Statistik beachten, und dabei auch noch Regelmäßigkeiten jeder Art vermeiden – wie anspruchsvoll! Es ist tatsächlich überhaupt nicht einfach, bei so etwas den Überblick zu behalten und willentlich eine Entscheidungsfolge zu produzieren, die diesen Anforderungen genügt. Aber selbstverständlich sind die „Wiederholungen“ bei menschlichen Entscheidungen in den allermeisten Fällen gerade nicht (im probabilistischen oder sonstigen Sinne) unabhängig. Die früheren Entscheidungen beeinflussen die späteren. Die Wiederholung wäre also keine unter relevant gleichen Umständen, und daher ist hier von vornherein kein einfacher Zusammenhang zwischen den unterstellten Wahrscheinlichkeiten und den tatsächlich auftretenden Häufigkeiten zu erwarten. Auch sonst ist dieser Zusammenhang keineswegs strikt: Es ist nämlich nicht definitiv ausgeschlossen, dass das Unwahrscheinlichere sich häufiger ereignet als das Wahrscheinlichere, sondern bloß extrem unwahrscheinlich.¹⁷⁰ Dies gilt bereits für normale Zufallsexperimente, bei denen die Wiederholungen tatsächlich unabhängig sind und unter den relevant gleichen Umständen stattfinden. Entsprechend ist es nicht unplausibel zu sagen, dass im Rahmen der Fiktion, dass die Zeit zurückgedreht und eine Person sich immer wieder unter den gleichen Umständen entscheiden würde, sie, auch wenn sie A viel stärker zuneigte als B, dennoch häufiger oder sogar immer B wählen könnte – nur sei das eben extrem unwahrscheinlich. Es ist nicht klar, dass durch Aussagen dieser Art der Charakter der Wahl oder des Herbeiführens aufgehoben oder in Frage gestellt würde. Dies gilt erst recht, wenn man objektive Wahrscheinlichkeiten metaphysisch nicht an tatsächliche oder hypothetische relative Häufigkeiten bindet, sondern für „Pro-
Das passt nun freilich nicht zu einer Häufigkeitsdeutung objektiver Wahrscheinlichkeit. Ich diskutiere hier nicht die verschiedenen Versuche, dieses Faktum doch irgendwie häufigkeitstheoretisch einzufangen, weil uns das zu weit vom Thema wegführen würde.
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11 Entscheiden und Determinismus
pensitäten“, der Wirklichkeit innewohnende fundamentale „Neigungen“ oder „Tendenzen“ hält. Hier fungieren „Neigungen“ direkt als Analysevorschlag für Wahrscheinlichkeiten.¹⁷¹ Die vorhergehende Diskussion ist beispielhafter Natur. Sie soll illustrieren, dass der Wahrscheinlichkeitsbegriff derart offen ist, dass es kaum möglich sein dürfte, das Ansetzen von Wahrscheinlichkeiten für aktuelle Handlungsoptionen aus der Perspektive der 1. Person als inkonsistent zu erweisen. Doch ist es wichtig hinzufügen, dass die (tatsächliche oder vermeintliche) Kenntnis entsprechender Wahrscheinlichkeiten für die rationale Entscheidungsfindung nichts leistet. Wer sich zwischen verschiedenen Optionen zu entscheiden hat, wählt rationalerweise diejenige, die ihm am besten, und nicht diejenige, deren Realisierung ihm am wahrscheinlichsten zu sein scheint. Das In-Anschlag-Bringen von Wahrscheinlichkeiten hat, unabhängig von der Frage ihrer Interpretation, Sinn nur im Rahmen einer Untersuchung, was geschehen wird, aber nicht im Rahmen der Beantwortung der Frage, was man tun sollte.¹⁷² Ein rationales Entscheidungsmodell hat deshalb keine Verwendung für Wahrscheinlichkeiten von Handlungsoptionen, sondern nur für bedingte Wahrscheinlichkeiten von deren Konsequenzen (nämlich unter der Bedingung, dass die jeweilige Option ergriffen wird). Allgemein gesprochen, enthält ein solches Modell nichts, was vom Subjekt für eine (sichere oder unsichere) Prognose der eigenen Entscheidung verwendet werden könnte. Daher finden insbesondere Ursachen, welcher Art auch immer, der eigenen Handlungen keinen Platz in entscheidungstheoretischen Modellen.¹⁷³ Dies kann man als den harten Kern der Idee des Neuanfangens einer Kausalkette beim Entscheiden betrachten.
Zu den verschiedenen Konzeptionen objektiver oder ontischer Wahrscheinlichkeiten erlaube ich mir, auf Vf. () zu verweisen. Spohn () unterscheidet eine epistemische und eine normative Perspektive und verortet alles Nachdenken über (auch indeterministische) Ursachen und über Wahrscheinlichkeiten in der ersteren, während die Überlegung, was man am besten täte, der normativen Perspektive zuzuschlagen ist. Diese These kann man in verschiedener Stärke vertreten. Für weitgehende Ansprüche siehe Spohn (, Kap. . und .; sowie Manuskript) und Levi (, Kap. , und ), anders dagegen das Entscheidungsmodell von Jeffrey (). Rabinowicz () verteidigt im Sinne Jeffreys die Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten zu Handlungsoptionen im Rahmen der Entscheidungs- und Spieltheorie, dabei ist allerdings ein Preis zu zahlen: Subjektive Wahrscheinlichkeiten können dann nicht mehr über Wettquotienten, die vom Subjekt akzeptiert würden, erläutert werden. Die Wahrscheinlichkeit, die ein Akteur einem Sachverhalt zuordnet, lässt sich dann im Allgemeinen nicht länger mit einer Verhaltensdisposition des Akteurs identifizieren. Damit wird eine Variante der hier vertretenen These im Effekt zugestanden.
11.8 Wahrscheinlichkeiten für Optionen aus der Akteursperspektive
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Nutzlosigkeit ist freilich etwas anderes als Widersprüchlichkeit. Dass es keinen Sinn hat, im Rahmen einer Entscheidungsfindung Wahrscheinlichkeiten für das Ergreifen der verschiedenen Optionen zu veranschlagen, noch, über Ursachen dafür zu spekulieren, warum man eine bestimmte Option ergreift (wenn man sie denn ergreift), heißt nicht, dass der Akteur keine Meinungen über derartige Sachverhalte haben könnte. Sie sind nur für das rationale Entscheiden irrelevant. Da sie dies aber sind, ist der Akteur qua Akteur mit ihnen nicht befasst, sondern nur insofern, als er nicht bloß Akteur ist, als nämlich dieselbe Person auch theoretische Betrachtungen und probabilistische Prognosen über ihr eigenes Entscheiden und Handeln anstellen kann. Damit betätigt sie sich aber in einer anderen Rolle, nicht mehr der des rational Entscheidenden und Handelnden, sondern der des Erkennenden mit einem speziellen Erkenntnisinteresse. In diesem Sinne ist es also wahr, dass, wer eine Entscheidung trifft, sich dabei und darin als jemand begreift, der eine Kausalkette aus dem Nichts neu beginnt. Zu einem echten Konflikt zwischen den beiden Rollen kommt es nur im Falle einer nichtprobabilistischen Prognose, einer schlichten Meinung darüber, wie man sich entscheiden wird (siehe 5.3). Aber auch sofern sie nicht konfligieren, laufen sie gewissermaßen nebeneinander her, ohne integrierbar zu sein. Stimmt es überhaupt, dass Wahrscheinlichkeitseinschätzungen, die das eigene künftige Handeln betreffen, für das rationale Entscheiden über dieses Handeln irrelevant sind? Wenn ich eine Handlungsoption wahrscheinlich doch nicht ergreifen oder ausführen werde, oder dieser Auffassung bin, ist es häufig objektiv oder subjektiv besser, nicht viel Mühe auf ihre Bewertung im Vergleich mit anderen Optionen zu verwenden. Was ich doch nicht tue, brauche ich nicht in praktischer Absicht in Erwägung zu ziehen, und was ich wahrscheinlich nicht tue, brauche ich nur zu erwägen, wenn die Alternativen sehr unattraktiv sind. So ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich ein Fitnessprogramm mit morgendlicher Gymnastik und Joggen regelmäßig absolvieren würde – auch wenn ich mich dafür entschiede. Also brauche ich nicht erst darüber nachzudenken, ob ich dergleichen in Angriff nehmen sollte. Wenn allerdings mein körperlicher Zustand ganz schlecht und andere Abhilfe nicht zu haben ist, mag es für mich vernünftig sein, es ernsthaft in Betracht zu ziehen und mich dann ggf. dafür zu entscheiden, auch wenn das besagte Wahrscheinlichkeitsurteil realistischerweise bestehen bleibt. Solche Beispiele führen zu verschiedenen Schwierigkeiten nicht nur für die Entscheidungstheorie, sondern auch für den Begriff der Handlungsoption. So scheitern die allermeisten ernsthaften Versuche, durch Ernährungsumstellung zunächst abzunehmen und das geringere Gewicht dann auf Dauer zu halten.¹⁷⁴ Die
Siehe Holton (, Kap. ).
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11 Entscheiden und Determinismus
Gesamt„handlung“ scheint also sehr schwer durchzuführen und ihr Status als Option ist dementsprechend fraglich, während das für die vielen kleinen dazu erforderlichen Teilhandlungen und Unterlassungen keineswegs gilt. Im Rahmen der Konditionalanalyse stellt sich diese Schwierigkeit so dar, dass es sein kann, dass das Subjekt jede einzelne Teilhandlung ausführen würde, wenn es das versuchte oder sich dafür entschiede, höchstwahrscheinlich aber nicht die Gesamthandlung. Letzteres hängt offenbar mit einer Erosion des entsprechenden Wollens zusammen, so dass man daran erneut die Bedeutung des „wollen Könnens“ für das „tun Können“ illustrieren kann. Da der Formenkreis der Akrasia oder Willensschwäche nicht mein Thema ist, gehe ich dem nicht weiter nach. Fälle dieser Art sind nicht ungewöhnlich, implizieren aber immer eine Form praktischer Irrationalität des Akteurs. Die Person ist sich unsicher, ob sie tun wird, was ihr zu tun am besten scheint; je unsicherer sie sich dessen aber ist, desto weniger Sinn hat es für sie zu überlegen, was sie tun sollte. Es bleibt daher wahr, dass die praktische Rationalität „im Grunde“ keine Verwendung für Wahrscheinlichkeiten von Handlungsoptionen hat; ein Modell rationalen Entscheidens enthält keine solchen. Im weniger reinen Alltag leisten sie uns aber bisweilen gute Dienste. Wenn wir gelernt haben, mit der eigenen Irrationalität, etwa der eigenen Willensschwäche, zu rechnen, können wir sie beim Entscheiden gleich mit in Anschlag bringen und fahren dann oft besser. Eine solche Integration in das rationale Entscheiden kann sich aber nur auf ein eingegrenztes, lokalisierbares Defizit beziehen. Seine Ausweitung (objektiv oder der eigenen Einschätzung nach) bedeutete dagegen die (objektive oder subjektive) Aufhebung des Sinns rationaler Entscheidungsfindung. Allein durch den Ansatz von Wahrscheinlichkeiten dafür, dass man dies oder jenes tun wird, seien sie für das Entscheiden nun relevant oder nicht, wird jedenfalls die Entscheidungssituation aus der Perspektive der 1. Person noch nicht aufgehoben. Dafür muss weiteres hinzukommen. Daher bleibt es dabei, dass nur die Annahme determinierender Ursachen aus der Perspektive des Subjekts ausgeschlossen ist. Eine Übertragung auf indeterministische Ursachen, sowie auf deterministische Ursachen für bloße Entschlüsse, also die Bildung von Handlungsabsichten ohne die Idee von Handlungsalternativen, findet nicht statt. Bei dem besagten Ausschluss aber geht es, wie gesehen, nicht nur darum, dass dem Subjekt die Entscheidung determinierende Faktoren, soweit es sie denn gibt, epistemisch nicht zugänglich sein können (zumindest nicht in einer Weise zugänglich, dass es dadurch in Stand gesetzt würde, seine Entscheidung zu prognostizieren). Es ist tatsächlich bereits die bloße Annahme der Existenz determinierender Ursachen, die mit der Perspektive auf die eigenen, aktuell anstehenden Entscheidungen unverträglich ist.
12 Überlegen und Determinismus 12.1 Formen des Determinismus als Idealfälle des Überlegens Der Gegenstand dieses Kapitels ist das theoretische und praktische Überlegen, das bisher nur am Rande zur Sprache kam. Anhand des „Vollbildes“ einer überlegten Handlung soll untersucht werden, an welchen Stellen genau und wie sich daraus indeterministische Implikationen ergeben oder nahegelegt werden. Größere Entscheidungen kommen normalerweise im Rahmen einer wenigstens minimalen Überlegung zustande; sie markieren ihren Abschluss. Man entscheidet, indem man Handlungsoptionen abwägt, eine sich dabei als die beste herauskristallisiert und man sie daraufhin ergreift oder eine entsprechende Absicht bildet. Nicht aber, indem man erst überlegt und urteilt, was zu tun am besten wäre, und sich danach in einem separaten Schritt dafür entscheidet. Ein solcher Wille als unabhängige Instanz widerspricht dem Sinn des praktischen Überlegens, wenn auch bestimmte Phänomene diese Sichtweise nahelegen.¹⁷⁵ Man sollte die Fälle, in denen Urteil und Handlung auseinander fallen, nicht so auffassen, als würde sich gerade an ihnen ein allgemeiner Zug der überlegten Willensbildung zeigen. Stellen wir uns also vor, dass sich eine Person fragt, was sie in einer bestimmten Sache tun sollte, und daraufhin eine entsprechende Überlegung anstellt. Ist es problematisch, das Auftauchen der Frage und das anschließende Beginnen der Überlegung für determiniert zu halten? Das scheint nicht der Fall zu sein. Wenn sich die Angelegenheit der Person aufdrängt oder von ihr für wichtig gehalten wird, liegt die Determination sogar nahe. Die Dringlichkeit oder Relevanz veranlasst die Person zu überlegen, was sie tun sollte.Wenn sie darauf reflektierte, könnte sie etwa sagen: „Ich muss jetzt nachdenken, was hier zu tun ist.“ Sicherlich stellte sie sich mit einer solchen Aussage nicht automatisch als determiniert hin – insbesondere kann das „muss“ normativ verstanden werden – aber die tatsächliche Unausweichlichkeit des Überlegens ist damit ohne weiteres vereinbar. Ebenso könnte ein Betrachter sagen: „Ich kenne die Person, sie wird in dieser Sache gut nachdenken, was zu tun ist.“ Wiederum impliziert eine solche Vorhersage, an der nichts Besonderes ist, nicht gleich einen Determinismus, aber sie weist doch in seine Richtung und ist mit ihm kompatibel. Verläuft der so angestoßene Überlegungsprozess notwendig indeterministisch, oder muss die Person selber ihn so auffassen? Wiederum ist nicht zu sehen, warum. Die Person hat verschiedene Ideen, ihr fallen verschiedene Argumente und Aspekte ein. Es gibt keinen Grund, warum ein Betrachter oder sie selber Siehe dazu ausführlicher ..
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12 Überlegen und Determinismus
annehmen müsste, dass sie ihr ohne Ursache einfallen. Diese Ideen, Argumente oder Gesichtspunkte scheinen ihr mehr oder minder überzeugend oder gewichtig zu sein, und auch diesbezüglich liegt ein Indeterminismus eher fern, ganz zu schweigen davon, dass er etwa zwingend wäre. Man sucht sich in der Regel nicht aus, inwiefern ein Argument einem einleuchtet: Hier ist kein Unterschied zum theoretischen Überlegen. Und man sucht sich im Großen und Ganzen auch nicht aus, was einem wie wichtig ist. Auch wenn es hier Spielräume gibt, auf die ich später zu sprechen komme, so ist doch nicht zu sehen, warum das praktische Überlegen ohne sie keinen Sinn haben sollte. Im Gegenteil: Wenn die Person sich fragt, was in ihrer Situation zu tun ist, dann geht sie davon aus, dass es bezüglich dieser Frage durch Überlegen etwas herauszufinden gibt, und weiterhin hofft sie, dass sie es durch ihr Überlegen herausfinden wird. Konsequenterweise wird sie sich wünschen, beim Überlegen möglichst kompetent, und das heißt im Idealfall so geartet zu sein, dass sie zuverlässig auf das Richtige kommt. Das impliziert aber, dass bereits im Vorhinein feststeht, was das Resultat ihrer Überlegungen sein wird. Dieser Idealfall liegt selbstverständlich häufig nicht vor, aber die Person wird, wenn sie eine entsprechende Reflexion anstellt, zumindest davon ausgehen, dass sie durch ihr Überlegen in der konkreten Situation die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine angemessene oder die richtige Handlung zu ermitteln. Ansonsten könnte sie sich das Überlegen auch sparen und nach Lust und Laune so oder so handeln. Unterstellungen dieser Art gehören zum Sinn des praktischen Überlegens. Sie implizieren zwar keinen Determinismus, aber weisen doch in seine Richtung, denn der Grenzfall der besagten Wahrscheinlichkeitserhöhung, dem die Person möglichst nahe zu sein hofft, wäre eben, dass sie beim praktischen Überlegen vollkommen treffsicher und damit für einen ebenso kompetenten Betrachter prinzipiell auch vorhersehbar ist. Die Person kann sich in dieser Beziehung selber als determiniert ansehen, oder wenigstens hoffen, dass sie es sei oder diesem Zustand möglichst nahe sei, eben in dem besagten Sinne der maximalen praktischen Überlegungsund Urteilskompetenz bezogen auf die konkrete Situation. Wiederum ist hier kein prinzipieller Unterschied zu theoretischer Überlegungs- und Urteilskompetenz zu erkennen. Nehmen wir nun an, die Person komme zu dem Schluss, dass sie H tun sollte. Daraus folgt nicht von selbst, dass die Person die Handlung dann auch vollzieht, aber es kann auch keine Rede davon sein, dass ein entsprechender Determinismus dem Sinn praktischen Überlegens widerspräche. Zu überlegen, was sie tun sollte, hat im Gegenteil nur dann Sinn, wenn die Person davon ausgehen darf, dass sie das Resultat ihrer Überlegung mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine entsprechende Handlung umsetzen wird. Ist dies nicht der Fall, oder meint die Person, dass es nicht der Fall sei, dann gerade hat es für sie objektiv oder subjektiv keinen
12.1 Formen des Determinismus als Idealfälle des Überlegens
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Sinn zu überlegen. Es handelt sich dann allenfalls um eine theoretische Betrachtung, was am besten zu tun wäre, ohne antizipierbare praktische Konsequenzen. An dieser Stelle ist also, wie beim vorhergehenden Punkt, nicht der Indeterminismus, sondern gerade umgekehrt die Determination der Handlung durch das praktische Urteil eine Voraussetzung des Überlegens – zumindest der Tendenz nach. Formulierungen wie „weist in die Richtung einer Determination“ oder „Determinismus ist der Tendenz nach eine Voraussetzung für“ verwende ich im Folgenden öfter. Sie zeigen an, dass eine Determination der richtigen Art der Idealfall wäre, dass aber für die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Aktivität auch eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit genügt: je höher, desto besser. Soweit die Skizze einer überlegten Handlung. Weder das in-Gang-setzen des Überlegungsprozesses, noch sein Verlauf, noch der Übergang vom Resultat dieses Prozesses zur Handlung müssen als indeterminiert begriffen werden. Wohl gibt es Raum für indeterministische Elemente.Vielleicht kommen der Person Argumente, Gesichtspunkte oder Ideen ohne zureichende Ursache in den Sinn.Vielleicht ist in einem gewissen Rahmen ontisch offen, wie sie diese Argumente, Aspekte und Ideen bewertet oder gewichtet. Vielleicht nimmt sie auch nach dem Ende der Überlegung von der entsprechenden Handlung ohne zureichende Ursache Abstand. All das ist denkbar. Es geht hier erst einmal nur darum, ob das praktische Überlegen, das in ein Urteil, was zu tun sei, mündet, und das nachfolgende Handeln gemäß diesem Urteil ohne derartige Elemente keinen Sinn hat. Dafür gibt es keine Indizien. Indeterministische Faktoren haben im Gegenteil zur Folge, dass das Richtige auf mannigfache Weise verfehlt werden kann, ihr Involviertsein stellt insofern grundsätzlich ein Defizit dar. Das heißt selbstverständlich nicht, dass jede Art der Determination besser wäre als ein Indeterminismus. Es muss schon die richtige Art sein, bei der nämlich die Person in ihrem praktischen Überlegen zuverlässig auf die beste Handlungsweise kommt und sie vollzieht. Ohne diese Art des Determinismus ist die Person beim praktischen Urteilen und Handeln nicht vollkommen treffsicher. Daher stellt sich eine bestimmte Art der Determination als Idealfall des praktischen Überlegens und jeder wesentliche Spielraum darin als ein Defizit dar. Es ist nicht gesagt, dass es eine beste oder richtige Handlungsweise – das, was die Person in ihrer Situation tun sollte – überhaupt gibt. Aber ohne eine solche entfällt auch das Ziel praktischen Überlegens. Zwar kann sich durch die Überlegung selber erweisen, dass in dem konkreten Fall (für die bestimmte Person) gar nichts herauszufinden ist, aber sowie die Person zu dieser Einschätzung gelangt, hat das Weiterüberlegen für sie keinen Sinn mehr. Falls das Ziel, auf das die Überlegung ausgerichtet ist, eine angemessene oder die richtige Handlung, vorhanden und für die Person erreichbar ist – und eben diese Existenz und Erreichbarkeit ist die Voraussetzung der Sinnhaftigkeit des praktischen Überlegens –
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12 Überlegen und Determinismus
ist hier für Willkür nur insofern Platz, als es mehrere gleichermaßen gute Handlungsoptionen geben kann. Insofern gleichgültig ist, welche von diesen realisiert wird, können dann Faktoren ganz beliebiger, auch deterministischer Art, den Ausschlag geben. Es ist somit insgesamt nicht zu sehen, welche Vorzüge ein Indeterminismus für das Überlegen, Urteilen und Handeln bieten sollte, ganz zu schweigen davon, dass es ohne einen solchen seinen Sinn verlieren oder unmöglich sein würde. All dies gilt für Überlegungen generell. Das Ziel theoretischen Überlegens ist das wahrheitsgemäße, zutreffende Urteilen, der Zweck praktischen Überlegens das gute oder richtige Handeln. Sofern in dieser Weise substantielle normative Anforderungen an die Resultate der Überlegungen bestehen und unabhängig von jeder Willkür unsererseits vorgegeben ist,wie die Meinung, die wir uns bilden, oder die Handlung, die wir vollziehen, aussehen sollte, ist in dem Idealfall epistemischer oder praktischer Kompetenz des Subjekts auch determiniert, wie es urteilt oder handelt. Und nur unter der Annahme solcher normativen Vorgaben und der Hoffnung auf wenigstens weitgehende epistemische oder praktische Kompetenz im konkreten Fall scheint das Überlegen überhaupt Sinn zu haben. Es geht dabei darum, etwas herauszufinden. Dies gilt sowohl für die Perspektive eines äußeren Betrachters wie für die der 1. Person. Deshalb kann nicht nur keine Rede davon sein, dass das überlegte Handeln oder Urteilen mit dem Determinismus unvereinbar ist, sondern eine bestimmte Form des Determiniertseins stellt, wie beschrieben, sogar seinen Idealfall dar. Das liegt einfach daran, dass die in Rede stehenden Vorgänge unter normativen Vorgaben stehen. Genau so weit wie diese Vorgaben reicht auch der besagte ideale Determinismus. Diese Sachlage wird allerdings dadurch verkompliziert, dass sowohl das theoretische wie das praktische Überlegen unter potentiell konfligierenden Normen stehen, und zwar einerseits der Richtigkeit oder Optimalität des Resultates, andererseits der Rationalität oder Vernünftigkeit des Überlegungsganges.¹⁷⁶ Wenn der überlegenden Person relevante Informationen fehlen oder irreführende Informationen vorliegen, dann gründet sich ihre Überlegung, was in einer bestimmten Angelegenheit der Fall oder zu tun sei, auf eine unzureichende oder fehlerhafte Informationsbasis. In diesem Fall können die besagten Normen zu divergierenden Ergebnissen führen. Die gerechtfertigte, begründete, rationale Meinung oder Handlung ist dann womöglich nicht die richtige. Unzutreffende Meinungen oder suboptimale Handlungen sind aber ebenso kritisierbar wie ir Die Ausdrücke „rational“ und „vernünftig“ verwende ich synonym. Ich möchte der Einfachheit halber nicht zwischen Vernunft und Rationalität, oder mehreren Formen der Rationalität, unterscheiden. Die grundsätzlichen Punkte, um die es hier geht, werden durch weitere Differenzierungen des Begriffs der Rationalität nicht berührt.
12.2 Der Widerspruch zu den Implikationen des Sich-Entscheidens
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rationale. Wenn aufgrund der defizienten Informationsbasis das richtige Resultat nur durch einen unvernünftigen Überlegungsgang erreicht werden könnte, macht das Subjekt auf jeden Fall etwas falsch: Entweder es überlegt und urteilt in irrationaler Weise, oder es handelt falsch bzw. bildet sich eine unzutreffende Meinung. In welchem Verhältnis stehen vernünftige Überlegungen mit gerechtfertigten Resultaten zu Überlegungen mit wahrheitsgemäßen oder richtigen Resultaten? Klar ist, dass die theoretische oder praktische Überlegung primär auf letzteres zielt, und dass die nächstliegende Idee, Rationalitätsnormen ihrerseits zu rechtfertigen, darin besteht, dass man sie als instrumentell für das Ziel der Wahrheit der Meinung oder Richtigkeit der Handlung auffasst. Entsprechend habe ich bisher dieses Ideal herausgestellt. Nichtsdestoweniger scheint das im hier einschlägigen Sinne ideal verfasste Subjekt dasjenige zu sein, das (in einer bestimmten Situation) vernünftig urteilt oder handelt, und nicht dasjenige, das richtig urteilt oder handelt. Da in Lagen, wo die beiden normativen Vorgaben auseinander fallen, die zutreffende Meinung oder richtige Handlung durch vernünftiges Überlegen nicht erreicht werden kann, müsste ein Subjekt, das dennoch verlässlich auf sie käme, auf uns sehr fremde Weise konstituiert sein. Es hätte gar keine Überlegungen nötig, sondern wüsste etwa „direkt“ oder „intuitiv“, was zu tun oder was der Fall wäre. Der Idealfall praktischen oder theoretischen Überlegens ist sicherlich der maximaler Vernünftigkeit und nicht der absoluter Treffsicherheit. Eine definitive Entscheidung über diesen Punkt ist indes nicht notwendig. Ob wir nun das vernünftige oder das richtige Handeln als das möglichst weitgehend zu realisierende Ideal ansehen, es bleibt dabei, dass jedes dieser Ideale auf einen Determinismus verweist, indem ein entsprechend verfasstes Subjekt unvernünftige oder suboptimale Handlungsoptionen zuverlässig verwerfen würde. Analoges gilt für Meinungen. Diese Diagnose soll nun in verschiedene Richtungen erläutert, modifiziert und vertieft werden. Sie stellt einen ersten Zugriff dar, dem eine Reihe von Bemerkungen folgt.
12.2 Der Widerspruch zu den Implikationen des Sich-Entscheidens In der obigen Skizze einer überlegten Handlung habe ich den Begriff der Entscheidung absichtlich vermieden. Wir wissen ja schon, wenn die Überlegungen des letzten Kapitels zutreffend sind, dass die Idee des Sich-Entscheidens aus der Perspektive der 1. Person einen Indeterminismus mit sich bringt. Es ist freilich nicht so, dass jede praktische Überlegung den Charakter einer Abwägung zwi-
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12 Überlegen und Determinismus
schen mehreren Handlungsoptionen besitzt. Bei einer solchen Abwägung und nachfolgenden Wahl zwischen ihnen handelt es sich um einen sehr wichtigen Spezialfall überlegten Handelns, aber dieser Fall macht nicht schon das Ganze aus. Wenn ein Akteur ein bestimmtes Ziel erreichen möchte und sich fragt, wie es gehen könnte, dann kann ihm alsbald eine gute Methode einfallen und er sie daraufhin ohne weiteres Zögern ergreifen. Auch dies ist ein Fall überlegten Handelns, und prima facie spielen Handlungsalternativen, und folglich die Wahl zwischen solchen, dabei keine Rolle. Angesichts derartiger Fälle ist die These, dass praktisches Überlegen stets auf Handlungsalternativen verweist, allenfalls in der folgenden, schwächeren Form richtig: Jede praktische Überlegung, auch wenn in ihr nicht verschiedene Handlungsoptionen explizit zum Gegenstand der Abwägung gemacht werden, wird vom Akteur jedenfalls mit dem impliziten Gedanken angestellt, dass er Verschiedenes tun könnte – was genau, kann dabei im Dunkeln oder sehr vage bleiben. Nur vor einem solchen Hintergrund aber hat es aus seiner Perspektive überhaupt Sinn, sich zu fragen, was er tun sollte. Ich habe in 1.3 dafür argumentiert, dass weder Entscheidungen noch Entschlüsse notwendig zum Handeln gehören. Überlegtes Handeln scheint ohne einen Entschluss, also das Fassen einer Handlungsabsicht, nicht möglich zu sein. Diese bildet den markanten Abschluss der praktischen Überlegung und leitet zum Handeln über (siehe 2.2). Dagegen scheint es im Rahmen dieses Prozesses weder zu einem expliziten Urteil darüber, was man tun sollte, kommen zu müssen, noch zu einer bewussten Entscheidung gegen Alternativen. Wir dürfen also die inkompatibilistischen Ergebnisse des letzten Kapitels nicht unmittelbar für überlegtes Handeln insgesamt in Anschlag bringen. Es lässt sich aber vertreten, dass das praktische Überlegen zumindest implizit stets auf eventuell völlig unspezifisch bleibende Handlungsalternativen verweist, und sein Abschluss in Form der Bildung einer Handlungsabsicht wenigstens implizit ein Urteil darüber enthält, was zu tun ist, was man tun sollte. Auf jeden Fall dürfen wir solches für alle anspruchsvolleren praktischen Kontexte annehmen, die ohne die Idee, dass man Verschiedenes tun könnte, nebst der Frage, was man denn tun sollte, nicht denkbar sind. Die praktische Überlegung dient in ihnen sowohl der Ermittlung und Spezifikation von Handlungsoptionen wie der Entscheidung zwischen diesen. Insofern die praktische Überlegung implizit oder explizit die Form des Abwägens zwischen Handlungsoptionen annimmt, ist aus der Perspektive des Akteurs ein Indeterminismus in Form der ontischen Möglichkeit, jede dieser Optionen zu ergreifen, unterstellt. Alles andere kann aber, wie eben skizziert, deterministisch gedacht werden. Insbesondere kann der Überlegende meinen oder hoffen, so verfasst zu sein, dass er in der konkreten Situation die richtige Option zuverlässig herausfindet und anschließend ergreift. Er kann also meinen oder hoffen, in der richtigen Weise determiniert zu sein – womit insbesondere
12.2 Der Widerspruch zu den Implikationen des Sich-Entscheidens
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determiniert wäre, welche Alternative er schließlich ergreift. Damit ergibt sich ein direkter Widerspruch zwischen der Voraussetzung des praktischen Überlegens, soweit es die Form der Abwägung zwischen Alternativen annimmt, und der Idee maximaler praktischer Kompetenz. Der Widerspruch besteht in nuce darin, dass suboptimale Handlungsoptionen gar keine sein sollten und auch tatsächlich keine sind, wenn die entsprechende praktische Kompetenz, die sich sowohl auf das Überlegen wie das Handeln erstreckt, vorhanden ist. Nicht darin besteht der Widerspruch, dass der Akteur beim Nachdenken bemerkt, dass etwas, das er zunächst für eine Handlungsoption hielt, tatsächlich keine ist – das wäre kein Problem –, sondern darin, dass er sich im praktischen Überlegen gleichzeitig für determiniert und für nicht determiniert hält, falls er sich einerseits die Kompetenz zuschreibt, das Richtige herauszufinden und auszuführen, andererseits aber von dem Vorliegen genuiner Handlungsalternativen ausgeht. Ist er sich seiner praktischen Kompetenz in dem vorliegenden Fall nicht sicher, so kann er wenigstens auf sie hoffen, und auch diese Hoffnung verträgt sich nicht mit dem Indeterminismus, der eine Voraussetzung des Abwägens von Alternativen ist. Der Widerspruch ist insofern real und nicht erst in der Reflexion konstruiert, als wir uns in gewissen Fällen die erwähnte praktische Kompetenz wie selbstverständlich zuschreiben. Es gibt Situationen, in welchen wir faktisch davon ausgehen und nach unseren gewöhnlichen Maßstäben auch davon ausgehen dürfen, dass wir in ihnen zuverlässig in der richtigen oder einer adäquaten Weise überlegen, urteilen und handeln werden. Zunächst sind viele alltägliche Entscheidungssituationen von dieser Art. Gemeint sind dabei nicht Fälle, in denen man sich gar nicht entscheidet, weil einem schon klar ist, was zu tun ist und man es einfach tut, sondern Fälle, die einem von der Struktur her so vertraut sind, dass man weiß, welche Art der Überlegung in ihnen zur Ermittlung der adäquaten Handlungsweise führt. Unser Leben und Zusammenleben beruht wesentlich darauf, dass wir uns bei vielen „kleinen“ oder Routine-Entscheidungen auf uns selber und auf andere verlassen können. Weiterhin gibt es die Situationen, in denen jemand vor einer wichtigen Entscheidung nicht alltäglicher Art steht, sich ihm nach kurzem Nachdenken erweist, dass eine der Optionen weitaus besser ist als alle anderen, und auch weiteres Überlegen an dieser Einschätzung nichts ändert. Es kann sich etwa so verhalten, dass eine Option für die Person sehr günstig ist, während gegen alle Alternativen erhebliche Einwände bestehen. Dergleichen muss nicht so offensichtlich sein, dass von Abwägen und Entscheiden keine Rede sein kann, aber es muss auch nicht so verborgen sein, dass einer halbwegs intelligenten und aufmerksamen Person nicht zuzutrauen wäre, nach kurzem Überlegen in der Sache klar zu sehen. Bei einem solchen Ablauf irgendwo einen wesentlichen Indeterminismus instal-
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lieren zu wollen, bedeutet eine erhebliche Verlegenheit. Dieser findet hier keinen natürlichen Ort – abgesehen davon, dass es sich immer noch um eine Entscheidung handelt. Es wäre aber komplett rätselhaft, wenn diese anders als auf eine bestimmte Weise getroffen würde. Der unkontrollierbare Rest, der in allen derartigen Fällen noch verbleibt, ist die Tatsache, dass Lapsus auch bei vergleichsweise einfachen Überlegungen und den darauf folgenden Entscheidungen und Handlungen nicht definitiv ausgeschlossen werden können. Was als „einfach“ zu gelten hat, bemisst sich dabei an den Fähigkeiten des jeweiligen Subjekts. Ebenso wenig können plötzliche Einbrüche von außen, die die Situation stark verändern, ausgeschlossen werden, und dasselbe gilt für plötzliche Veränderungen etwa der Wünsche des Subjekts, die eine grundsätzliche Neubewertung der Handlungsoptionen zur Folge haben. Aber Fehlleistungen bei relativ unkomplizierten kognitiven Anforderungen oder für das Subjekt unvorhersehbare Wendungen der inneren oder äußeren Situation sind nicht bloß selten, sondern unterminieren auch den Sinn praktischen Überlegens. Sie sind abnormale Fälle nicht nur im statistischen, sondern auch im normativen Sinne: Störungen des rationalen Handelns, bei denen im Übrigen gleichgültig ist, ob sie determiniert oder indeterminiert eintreten. Je wahrscheinlicher sie sind, desto sinnloser wird das Überlegen. Wessen Präferenzen sich leicht ändern, der muss nicht erst überlegen, was er tun sollte, denn er würde die entsprechende Entscheidung doch wieder umwerfen oder im Nachhinein bedauern. Dasselbe gilt, wenn sich die entscheidungsrelevanten Umstände leicht in unvorhersehbarer Weise verändern: Man liegt dann mit seiner Entscheidung allenfalls zufällig richtig und braucht sich die Mühe des Überlegens nicht zu machen. Und schließlich kann man sich das Überlegen auch sparen, wenn einem dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Fehler unterlaufen. Dass dergleichen tendenziell nicht auftritt, zählt also zu den Voraussetzungen praktischen Überlegens. Dieses ist umso sinnvoller, je umfassender die Klasse dieser Voraussetzungen erfüllt ist. In der Tat spricht nichts dagegen und sehr viel dafür, dass diese Voraussetzungen in vielen Fällen tatsächlich umfassend erfüllt sind. Auch wenn Fehlleistungen und Änderungen der relevanten Parameter im Vorhinein nie definitiv ausgeschlossen werden können, lassen sie sich, wenn sie eingetreten sind, im Nachhinein doch oft durch außergewöhnliche Umstände erklären, und daher ist zu vermuten, dass sie lediglich eine durchgehende epistemische Möglichkeit darstellen, der nicht stets eine ontische korrespondiert. Zudem würde, wie gesagt, eine solche ontische Möglichkeit in keiner Weise einen wünschenswerten Spielraum des Subjekts erweitern, sondern lediglich die Sinnhaftigkeit praktischen Überlegens reduzieren. Der entscheidende Punkt ist deshalb weniger das genaue Ausmaß, in dem die genannten Bedingungen erfüllt sind, als vielmehr, dass das
12.3 Gleich gute Optionen und die Gewichtung von Gründen
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praktische Überlegen seinem Sinne nach auf das möglichst umfassende Erfülltsein dieser Bedingungen angelegt ist. Man kann durch Berufung auf intervenierende Phänomene der skizzierten Art also nicht den Widerspruch beseitigen, der darin liegt, dass einerseits die Idee verschiedener Handlungsoptionen, zwischen denen man abwägt, einen Indeterminismus zu implizieren scheint, insofern keine befriedigende kompatibilistische Explikation des Begriffs der Handlungsoption vorliegt, während es andererseits wünschenswert und in vielen Hinsichten auch sehr wohl möglich ist, ein kompetenter Überlegender zu sein, bei dem von vornherein feststeht, welche von den vorhandenen Optionen er ergreifen wird: nämlich die beste, oder eine von mehreren gleichermaßen besten. Diese Sicht ist nicht einfach etwas Zusätzliches zu dem Anliegen des Überlegens und Entscheidens, das selber zum Gegenstand theoretischer Betrachtung und Beurteilung durch sein Subjekt werden kann, und diesem äußerlich.Vielmehr hängt die Sinnhaftigkeit des praktischen Überlegens davon ab, dass man sich in ihm die Kompetenz zuschreibt, das Richtige herauszufinden: eine Zuschreibung, die in dem Idealfall maximaler Kompetenz den besagten Widerspruch ergibt, und daher grundsätzlich auf diesen verweist. Wie jede Tätigkeit, so ist auch das praktische Überlegen auf seine optimale Ausführung hin angelegt, der das Subjekt so nahe wie möglich kommen möchte. Insofern es auf das richtige Entscheiden zielt, verweist das praktische Überlegen auf eine offene Zukunft. Insofern es auf das richtige Entscheiden zielt, verweist es auf einen deterministischen Idealfall adäquaten Überlegens, Urteilens und Handelns und büßt seinen Sinn mit zunehmender Entfernung davon immer mehr ein. Wir haben es also, so scheint es, mit einer der Akteursperspektive inhärenten Spannung oder sogar einem inhärentem Widerspruch zu tun, und nicht bloß mit einem, der sich daraus ergibt, dass der Akteur seine praktischen Bemühungen zusätzlich auch zum Gegenstand theoretischer Betrachtung machen kann. Auch das letztere wäre keineswegs harmlos, aber es wäre doch „nur“ ein Widerspruch zwischen verschiedenen Sichtweisen oder Befindlichkeiten in Bezug auf sich selbst des Subjekts und nicht innerhalb ein und derselben.
12.3 Gleich gute Optionen und die Gewichtung von Gründen Ich habe schon erwähnt, dass die Situation bei einer praktischen Überlegung auch die sein kann, dass mehrere Handlungsoptionen gleichermaßen richtig oder am besten sind. In einem solchen Falle wäre eben dies das Urteil, das die Überlegung erreichen sollte und idealerweise zuverlässig erreichen würde. Wir dürfen vom praktischen Überlegen generell nicht mehr erwarten, als dass der VerhaltensSpielraum durch die Überlegungen signifikant eingeschränkt wird. Es bleibt im-
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12 Überlegen und Determinismus
mer ein mehr oder weniger großer Spielraum übrig, denn die zur Verfügung stehenden Gründe legen die zu wählende Handlung niemals bis in jede Einzelheit fest. Wenn man von „der“ richtigen oder besten Handlungsoption spricht, so ist damit stets schon eine in der Regel harmlose Abstraktion verbunden, insofern diese optimale Handlung immer noch auf verschiedene Weisen vollzogen werden kann. Die Gründe gehen hier irgendwann aus, und wer nicht nur überlegt, was er in einer bestimmten Situation (grob) tun sollte, sondern auch bis in jede Einzelheit das „wie“ bedenkt, der wird tatsächlich handlungsunfähig. Und zwar nicht nur, weil die entsprechenden Überlegungen zu viel Zeit beanspruchen, sondern auch, weil rationale Gesichtspunkte für die Entscheidung nicht mehr zur Verfügung stehen.Wenn man Handlungsweisen sehr feinkörnig individuiert, dann steht jeder Person in jeder Entscheidungssituation eine unüberschaubare Vielzahl an möglichen Handlungen zur Verfügung, unter denen sich unmöglich eine bestimmte vor allen anderen rational auszeichnen lässt. Es kann also auch nach angemessener Würdigung aller vorhandenen Gründe mehrere Optionen geben, die als gleichermaßen beste erscheinen. Und es wird sogar immer solche geben, wenn man mögliche Handlungsweisen sehr kleinteilig unterscheidet. Zwischen den verbleibenden Optionen muss die Auswahl durch Gesichtspunkte erfolgen, die im Rechtfertigungssinne nicht relevant sind. Diese Auswahl kann, muss aber nicht die Form einer bewussten Entscheidung annehmen, und ebenso können, müssen aber nicht die dabei Ausschlag gebenden Gesichtspunkte dem Subjekt bewusst sein. Da sie auf keinen Fall Gründe darstellen, kommt es auf sie normalerweise nicht an. Die in der psychologischen Literatur prominenten Framing- und Priming-Effekte sind deshalb nur dann beunruhigend, wenn durch sie nicht ein rational bestehender Spielraum weiter reduziert wird, sondern das Subjekt entweder selber glaubt oder man billigerweise erwarten kann, dass Gesichtspunkte mit rechtfertigender Kraft den Ausschlag geben. Es ist sicherlich überraschend, in welchen Formen irrelevant scheinende Merkmale des Kontextes (framing), oder mit der jeweiligen Situation scheinbar ganz unverbundene vorherige Ereignisse (priming) auf Entscheidungen Einfluss nehmen können, aber das Phänomen als solches ist weder unerwartet noch unerwünscht – irgendwie muss die Entscheidung schließlich getroffen werden. Die Situation darf nur nicht so sein, dass wir meinen, dass es rationale Gesichtspunkte sind oder sein sollten, die den Ausschlag geben.¹⁷⁷
Besorgnis erregend ist es etwa, wenn die Höhe des Strafmaßes, das ein Richter in einem bestimmten Fall für angemessen hält, von dem Ergebnis eines vorherigen Würfelwurfs, den der Richter gesehen hat, erheblich beeinflusst wird (um einen häufig erwähnten Fall anzuführen, eine Primärquelle dafür ist Englich, Mussweiler und Strack ).
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Bei nach der Überlegung immer noch vorbleibenden gleichermaßen besten Optionen wird das Subjekt somit „zufällig“, nämlich nach Lust und Laune oder momentaner Stimmung, die eine oder andere Option realisieren. Wenn es zu dergleichen nicht fähig ist, sondern in zu weit getriebener Intellektualisierung des Handelns auch hier nach überwiegenden Gründen sucht, gerät es in die Lage von Buridans Esel. Bestimmte emotionale Störungen bewirken, dass Subjekte auch bei unbedeutenden Differenzen zwischen Handlungsmöglichkeiten nach Gründen suchen, eine Entscheidung so und nicht anders zu treffen, sich in dieser Überlegung verlieren und handlungsunfähig werden. Dies verweist auf die wichtige Rolle, die auch solche Gefühle beim menschlichen Handeln spielen, die prima facie keine normativen Bezüge aufweisen.¹⁷⁸ Bei geschwächtem oder gestörtem Gefühlshaushalt ist die Fähigkeit zu vernünftigem Handeln auch bei vollständiger theoretischer Durchdringung der Situation stark eingeschränkt. Damit zusammenhängend hat die Schädigung bestimmter Gehirnareale zur Folge, dass die Betroffenen praxisuntauglich werden, ohne irgendwelche kognitiven Defizite aufzuweisen. Die emotional basierte Fähigkeit zum willkürlichen Bruch der Symmetrie zwischen gleichermaßen guten Optionen lässt sich auch nicht externalisieren, indem man etwa einen Münzwurf darüber entscheiden lässt, ob man A oder B tut. Denn dazu muss man zunächst einmal die Optionen A und B den beiden Seiten der Münze zuordnen, und diese Zuordnung ist wiederum willkürlich.Wer also wirklich und wahrhaftig nicht in der Lage ist, etwas ohne zureichenden Grund zu tun, der kann sich auch durch solche Mechanismen nicht helfen.¹⁷⁹ Warum werden dann aber Entscheidungen überhaupt an solche Mechanismen delegiert, was ja nicht selten geschieht? Warum fällt es vielen Menschen nicht schwer, eine willkürliche Zuordnung von Handlungsoptionen zu den verschiedenen möglichen Ausgängen eines Zufallsexperimentes vorzunehmen, wohl aber, sich direkt für eine der Optionen zu entscheiden? Ein Grund ist, dass nur im ersten Fall dem „Schicksal“ oder anderen höheren Mächten ein Mitspracherecht eingeräumt wird, von denen man sich halb- oder unbewusst vorstellt, dass sie den Ausgang des Münzwurfs beeinflussen können. Es handelt sich in dieser Sichtweise also gar nicht um ein
Siehe dazu und generell zu der zentralen Rolle von Gefühlen für die adäquate Motivation Damasio (). Von diesen neuropsychologischen Ergebnissen zu unterscheiden ist die philosophische These, dass praktische Gründe letztlich auf Gefühle zurückgehen. Eine aktuelle Konzeption dieses Typs bietet Steinfath (). Auch dabei ist ein wesentlicher Bestandteil der Theorie die Ansicht, dass vernünftiges Handeln ohne eine emotionale Komponente nicht möglich ist; der Status dieser Unmöglichkeit ist aber ein ganz anderer als bei den hier besprochenen Phänomenen. Dies gegen Dennett (), S. .
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(reines) Zufallsexperiment. Ein anderer Grund kann sein, dass man nur durch das erstere Vorgehen eventuell vorhandene unbewusste Tendenzen in einem selber abschneidet, von denen man ausschließen möchte, dass sie die Entscheidung beeinflussen: etwa wenn ein Schiedsrichter aufgrund eines Münzwurfs entscheidet.¹⁸⁰ Beim theoretischen Überlegen hat die Konstatierung gleich gewichtiger Gründe rationalerweise eine Urteilsenthaltung zur Folge, die man sich sogar als psychologisch zwingend denken kann, insofern niemand einerseits das besagte Gleichgewicht deutlich vor Augen haben und andererseits dennoch eine Überzeugung in einer Richtung ausbilden könnte. Qualifikationen dieser Aussage werden später thematisiert. Dagegen ist es beim praktischen Überlegen mit der Konstatierung einer Pattsituation nicht getan. Diese muss irgendwie aufgebrochen werden, weil „Verhaltensenthaltung“ anders als Urteilsenthaltung nicht möglich ist. Während letztere bedeutet, dass man sich zu einem bestimmten Sachverhalt keine Meinung bildet,weil die verfügbaren Gründe sich (ungefähr, und soweit man das sagen kann) die Waage halten, impliziert, keine der als am besten befundenen Handlungsoptionen zu ergreifen, sich auf eine Weise zu verhalten, die, um das mindeste zu sagen, nicht optimal ist. Daher ist es nötig, beim praktischen Überlegen über die Fähigkeit zum willkürlichen Symmetriebruch zu verfügen. Es ist rational, an solchen Stellen eine Entscheidung zu treffen, die in ihrer konkreten Ausprägung rational nicht rekonstruierbar ist, und es ist gleichgültig, ob sie deterministisch oder indeterministisch zustande kommt. Dadurch wird die Idee, dass das praktische Überlegen seinem Sinne nach auf die richtige oder beste Handlungsweise zielt, nur wenig modifiziert. Es handelt sich dann eben um das Ergreifen einer optimalen Handlungsweise. Der Kontrast, der sich an dieser Stelle zum theoretischen Überlegen ergibt, liefert jedoch eine Einstiegsmöglichkeit in eine andere Betrachtungsweise des praktischen Überlegens, als sie bisher für mich leitend war. Es geht beim praktischen Überlegen, so die alternative Sichtweise, nicht ausschließlich und oft nicht einmal primär um die Ermittlung und Ausführung der besten oder richtigen Handlungsweise, sondern um einen Prozess der Selbstverständigung des Subjekts, das im Zuge der praktischen Überlegungen bestimmte Gründe zu den überwiegenden macht, anstatt herauszufinden, welche Gründe überwiegend sind. Ein einfaches Beispiel dafür liefert der eben besprochene Fall gleichermaßen guter Handlungsoptionen, zwischen denen das Subjekt einen Symmetriebruch unter anderem dadurch herbeiführen kann, dass es bestimmte Aspekte willkürlich
Siehe wiederum Dennett (), S. .
12.3 Gleich gute Optionen und die Gewichtung von Gründen
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stärker gewichtet, indem es beispielsweise sagt: „links ist mir sympathischer als rechts“, und sich daraufhin dem linken Heuhaufen zuwendet. Der interessante Fall ist freilich nicht die Wahl zwischen gleichartigen Optionen, bei denen kein relevanter Unterschied zu entdecken ist und für die deshalb auch gleich starke Gründe sprechen, sondern der Fall ungleichartiger Handlungsoptionen, bei denen Vor- und Nachteile kaum präzise verglichen werden können. Grobe Vergleiche sind wohl immer möglich; es erscheint zweifelhaft, dass es in einem strikten Sinne „inkommensurable“ Gründe geben kann. Aber grobe Vergleichbarkeit reicht zur Entscheidungsfixierung häufig nicht aus. Die Lage ist dann die, dass mehrere Handlungsoptionen Gründe auf ihrer Seite haben, ohne dass man sagen könnte, welche überwiegen, aber auch ohne dass man sagen könnte, die Vor- und Nachteile glichen sich insgesamt aus. Gründe kommen nicht mit so präzisen Gewichten daher, dass beliebig feine Wägungsprozesse möglich wären. Die Person muss sich dann durch ihr Überlegen dazu bringen oder durchringen, das eine oder andere wichtiger nicht zu finden, sondern zu nehmen, und macht sich dadurch zu einem Menschen, dem wenigstens in diesem Moment das eine oder andere wichtiger ist. Ein solcher war sie nicht von vornherein. In dieser Sichtweise ist das praktische Überlegen nicht etwas, bei dem man ohne weiteres von richtigen oder falschen Resultaten sprechen könnte. Fragen wie „Was sollte ich in dieser Angelegenheit tun?“ oder „Was zu tun wäre in dieser Situation am besten?“ klingen so, als hätten sie eine zuvor bereitliegende Antwort, auf die das Subjekt nur noch kommen muss, aber dies wäre zumindest partiell eine Täuschung. Das Finden der Antwort wäre ebenso ein Er- wie ein Auffinden. Es enthielte Momente der Selbstwahl oder Selbstmodifikation, indem der Mensch Klarheit darüber schaffen muss, welche Gesichtspunkte ihm letztlich wichtiger sind. Das praktische Überlegen stellte eine unauflösbare Gemengelage von epistemischen und kreativen Aktivitäten dar. Im Überlegen selber fielen Entscheidungen, die freilich nicht direkt als solche kenntlich wären und die spätere Handlungswahl dadurch bestimmten, dass durch sie die Gründe ihr bestimmtes relatives Gewicht erst erhielten. Diese Sicht auf das praktische Überlegen lässt den erwähnten deterministischen Idealfall, bei dem die Person zuverlässig das in ihrer Situation Richtige erkennt und ausführt, nicht zu, denn ein solches unabhängig von der konkreten eigenen Abwägung der Person feststehendes Richtiges, das getroffen oder verfehlt werden könnte, gäbe es gar nicht. Somit ergäbe sich auch kein Widerspruch zwischen indeterministischen Voraussetzungen praktischen Überlegens und einem deterministischen Idealfall desselben. Dieses Motiv der partiellen Selbstwahl im Kontext des praktischen Überlegens: das „sich zu einem Menschen machen, dem das-und-das so-und-so wichtig ist“, oder weniger dramatisch: das „Aspekte für sich zu Gründen machen“ oder „Gründen ein bestimmtes Gewicht verleihen“, ist nicht von der Hand zu weisen.
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Dabei geht es mir an dieser Stelle nicht darum, wie man sich einen solchen Vorgang genau zu denken hat, und auch nicht darum, inwiefern er einen Freiheitsgewinn bedeutet. Insbesondere gehe ich nicht der Frage nach, ob dabei stets eine Selbsttäuschung im Spiel ist, indem die Person sich erst dadurch festzulegen vermag, dass sie Ausschlag gebende Gründe fingiert, wo eigentlich keine sind. Einstweilen geht es nur darum, ob es diesen Aspekt beim praktischen Überlegen manchmal gibt, und dafür scheint einiges zu sprechen. Wenn man sich vergegenwärtigt, was beim Abwägen von Optionen passiert oder zu passieren scheint, ist er nicht zu vernachlässigen. Die Idee, dass es beim praktischen ebenso wie beim theoretischen Überlegen darum geht, etwas unabhängig von der Überlegung und vorgängig zu ihr Feststehendes zu erkennen, muss folglich modifiziert werden. Bei dieser Modifikation dreht es sich, um das ganz klar zu machen, nicht darum, dass das, was in einer bestimmten Situation zu tun ist, von den Eigenschaften des in der Situation befindlichen Subjekts abhängen kann. Dieser Punkt ist unstrittig. Es geht vielmehr darum, dass das Subjekt solche bestimmten Eigenschaften, die gemeinsam mit den Situationsumständen festlegen würden, was für es zu tun richtig ist, unabhängig von seinem Überlegen und Entscheiden noch gar nicht besitzt, oder allenfalls partiell besitzt. Man sollte es mit diesem Gesichtspunkt allerdings nicht übertreiben. Zum einen weisen gewiss nicht alle Entscheidungssituationen ihn in deutlicher Weise auf, und nur solche erfordern eine Modifikation der bisherigen Charakterisierung des praktischen Überlegens. Für alle anderen gilt das Gesagte weiterhin ohne Abstriche. Zum anderen sind Vorgaben, denen das Subjekt in seiner Überlegung und Handlung gerecht werden sollte, partiell immer vorhanden. Es kann nur darum gehen, dass sie nicht vollständig festlegen, was das Subjekt tun sollte. Sofern sie aber zumindest eine Handlungsoption, die zu ergreifen das Subjekt erwägt, ausschalten, ist die Situation des Widerspruchs bezogen auf diese Option wieder da. Denn einerseits unterstellt das Subjekt in seinem Überlegen, dass es sie in einem ontischen Sinne ergreifen könnte, andererseits wäre es idealerweise so verfasst, dass es in seinem und durch sein Überlegen diese Option zuverlässig ausschließt. Soweit, aber auch nur soweit, das Resultat, das der Entscheidungsfindungsprozess haben sollte, von vornherein feststeht, ist die optimale Befindlichkeit eine, in welcher das korrekte oder ein korrektes Resultat auch verlässlich erreicht wird. Das Ergreifen von Handlungsoptionen, die aus diesem Rahmen herausfallen, sollte gerade keine Option sein, und wird es auch nicht sein, wenn der Überlegende eine entsprechende praktische Kompetenz besitzt: Hier ist der Widerspruch. Bei uns allen trifft dies wenigstens auf gewisse Arten von Situationen näherungsweise zu, und je weniger es zutrifft, umso weniger Sinn hat das praktische Überlegen.
12.4 Eigenarten theoretischen Überlegens
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Es geht auch nicht an, die Rede von Entscheidungen oder die dabei aus der Perspektive des Akteurs bestehenden indeterministischen Implikationen auf solche Situationen zu beschränken, in denen – und auch nur insofern in ihnen – die vorhandenen Gründe nicht ausreichen, um eine der Handlungsoptionen als die beste zu erweisen. Wann immer das doch der Fall wäre, nämlich eine der Optionen als die beste erkannt würde, gäbe es in dieser Sichtweise gar nichts zu entscheiden oder zu wählen.¹⁸¹ Das aber würde bedeuten, dass sehr vieles, was uns wie eine Entscheidung vorkommt, bei der wir in überlegter Weise von mehreren Handlungsoptionen eine ergreifen, in Wahrheit keine ist, und keine wirklichen Optionen bestehen, einfach weil die entsprechende Offenheit bei der Gewichtung der Gründe fehlt. Eine solche Wendung würde den Begriff der Entscheidung oder Handlungswahl in erheblicher Weise transformieren. Insbesondere stellt sich, ob und inwiefern eine normative Offenheit besteht, oft erst selber in einem (vermeintliche) Handlungsalternativen abwägenden Überlegungsgang heraus. Eine Beschränkung von „Entscheidung“ auf Situationen mit einer durch die Überlegung nicht zu eliminierenden Offenheit hinsichtlich der richtigen oder vernünftigen Handlung wäre daher sehr restriktiv, machte aus einem Alltagsbegriff einen theoretischen Term und implizierte weitgehende Illusionsthesen.
12.4 Eigenarten theoretischen Überlegens Ich möchte nun ausführlicher auf das theoretische Überlegen eingehen, das ich bisher eher am Rande mitgeführt habe. Genau wie das praktische verweist es auf einen deterministischen Idealfall, aber anders als dieses nicht auch auf einen Indeterminismus, insofern in ihm die Idee der Entscheidung zwischen Alternativen an keiner Stelle eine wesentliche Rolle spielt. Es geht in ihm darum, etwas Vorgegebenes zu finden: die Wahrheit über seinen Gegenstand (Geist-auf-WeltPassensrichtung). Sich eine Meinung zu bilden, heißt nicht, sich für eine Meinung zu entscheiden. Wohl können entscheidungsförmige Elemente dabei eine Rolle spielen, diese betreffen in der Regel jedoch die Aufmerksamkeitsausrichtung und nicht die dabei sich einstellenden Gehalte selber (siehe 3.2). Noch setzt das theoretische Überlegen qua Tätigkeit Alternativen voraus. Gründe werden abgewogen, im Idealfall werden sie richtig abgewogen, und dieser Prozess resultiert in Siehe Holton (, Kap. ) und pointiert Ortmann (; Einleitung, §§ , , ), für die Entscheidungen nur dann nötig sind, wenn ausreichende Gründe fehlen, und deshalb getroffen werden müssen, weil sie fehlen. Eine rational zwingende Entscheidung ist dann ein Paradox, das eventuell dadurch verschleiert wird, dass der Akteur Ausschlag gebende Gründe fingiert.
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einer entsprechenden Meinung – das ist alles. Falls keine Ausschlag gebenden Gründe vorliegen, ist (graduierte) Urteilsenthaltung die vernünftige Reaktion, und nicht, wie beim praktischen Überlegen, ein willkürlicher Symmetriebruch. Jeder Erkenntnisprozess ist darauf angewiesen, dass er durch seinen Gegenstand oder in systematischer Weise mit diesem zusammenhängende Indikatoren geleitet wird und somit im Idealfall entsprechend determiniert ist. Soweit dies nicht der Fall ist, kann das Subjekt nichts erkennen, und die Angelegenheit bleibt idealerweise (partiell) offen. Es hat im Rahmen eines theoretischen Interesses keinen Sinn, derartige Spielräume durch Entscheidungen ausfüllen zu wollen. Erst recht geht es beim theoretischen Überlegen nicht um Selbstwahl und –definition. Diese und weitere Motive können zwar vorhanden sein, stellen aber sachfremde Elemente dar und müssen insofern abgeblendet werden. Selbstverständlich kommen wir oft zu bestimmten Meinungen nicht deshalb, weil die entsprechenden Gründe so stark wären, sondern weil wir sie aus Motiven, die mit der Wahrheitsfindung nichts zu tun haben, für stark halten, oder uns einreden, sie seien es. So haben wir viele Meinungen wenigstens unter anderem deshalb, weil sie uns gut gefallen, während das Gegenteil zu glauben uns weit weniger angenehm wäre. Aber dergleichen kann nicht vollständig reflektiert geschehen, dafür widerspricht es zu offensichtlich dem Sinn theoretischen Überlegens. Ein Indeterminismus hat deshalb in diesem besonders wenig Platz, ganz zu schweigen davon, dass er etwa essentiell wäre. Während die Rede vom „freien Abwägen von Gründen“, die manchmal benutzt wird, um Rationalität und Indeterminismus in Verbindung zu bringen, beim praktischen Überlegen insofern ihr eingeschränktes Recht hat, als es dabei auch um Selbstwahl im Sinne des letzten Abschnitts gehen kann, ist bei Erkenntnisprozessen nicht ersichtlich, was eine „freie“ Abwägung von Gründen einer einfachen Abwägung von Gründen voraushaben könnte. Stattdessen ist klar, dass dieses Abwägen ausschließlich von Gesichtspunkten geleitet sein sollte, die mit dem Ziel der Wahrheitsfindung in einem systematischen Zusammenhang stehen. Somit haben wir, klarer noch als beim praktischen Überlegen, beim theoretischen Überlegen die Situation, dass es auf einen deterministischen Idealfall hin angelegt ist. Und abermals verhält es sich so, dass diese Art des Determinismus bei epistemisch kompetenten Subjekten durchaus verwirklicht sein kann, ferner, dass wir alle wenigstens in bestimmten Konstellationen näherungsweise solche Subjekte sind, und schließlich, dass das theoretische Überlegen umso weniger Sinn hat, je weiter ein Subjekt aufgrund einer ungeeigneten mentalen Verfassung oder widriger äußerer Umstände von dieser Idealsituation entfernt ist. Auch diese Diagnose bedarf allerdings einer Qualifikation. Ich habe in 3.3 bemerkt, dass alle ausgearbeiteten Methodologien epistemischer Rationalität, über die wir verfügen, entscheidungsförmige Elemente enthalten, genauer müsste
12.4 Eigenarten theoretischen Überlegens
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man sagen: Elemente, die im Prinzip auf Entscheidungen zurückgehen können. Wenn man dem von mir eben skizzierten Bild konsequent folgen und auf solche Elemente ganz verzichten wollte, würde man in weitaus mehr Fällen zur Urteilsenthaltung gelangen, als es vernünftig erscheint. Die besagten Methoden könnte man dann nämlich schlicht nicht zur Anwendung bringen. Eine solche Haltung ließe sich nicht nur de facto nicht durchhalten, sondern wäre auch im Sinne des epistemischen Ziels kontraproduktiv. Das möchte ich im Folgenden ausführen. Es geht bei Methoden der Erkenntnisgewinnung einerseits darum, Irrtümer möglichst zu vermeiden, andererseits darum, möglichst viele einschlägige wahre Meinungen zu erwerben. Es ist von vornherein naheliegend, dass sich diese Ziele in einem Spannungsverhältnis befinden und gegeneinander abgewogen werden müssen. Das erste ließe sich optimal dadurch realisieren, dass man gar nichts für wahr hielte – dann glaubte man garantiert nichts Falsches. Das zweite ließe sich dadurch erreichen, dass man alles für wahr hielte und damit auch das Gegenteil von allem – dann entginge einem garantiert keine wahre Meinung. Diese Extreme stellen für uns keine tatsächlichen Möglichkeiten dar, aber sie veranschaulichen die Spannung zwischen den besagten Desideraten. Wem es in erster Linie darum zu tun ist, keine Fehler zu machen, wird sehr hohe Anforderungen stellen, bevor er eine Aussage als wahr akzeptiert. Solange wesentliche Zweifel bestehen, im Extremfall solange irgend vernünftige Zweifel möglich sind, führen solche Standards zur Urteilsenthaltung. Wenn das Ziel dagegen in erster Linie der Erwerb vieler wahrer Meinungen ist, dann reichen schon wesentlich schwächere Gründe aus, um zu sagen „so verhält es sich“.Wenn man weit in diese Richtung geht, brauchen die Gründe für die entsprechende Meinung nicht viel stärker zu sein als die Gründe, die ihr entgegen stehen. Es kann ohne weiteres auch von subjektiven Interessen und Entscheidungen abhängen, eine wie restriktive Vorgehensweise bei der Meinungsbildung man verfolgt, an welcher Stelle des angedeuteten Kontinuums man sich einordnet. Dabei sehe ich noch völlig von dem Problem ab, dass sich Gründe und Gegengründe möglicherweise nicht objektiv gegeneinander abwägen lassen. Ein präzises Beispiel und eine wichtige Illustration der Notwendigkeit, sich in einem solchen Kontinuum zu verorten und für den Spielraum, der dabei besteht, bilden die Hypothesentestverfahren der mathematischen Statistik.¹⁸² Bei jedem solchen Test bestehen Irrtumswahrscheinlichkeiten, nämlich eine Wahrscheinlichkeit dafür, die Hypothese zu Unrecht abzulehnen, weil die erhobenen Daten, Diese werden in jedem Lehrbuch der Statistik dargestellt. Eine philosophische Position, die solche Verfahren als paradigmatisch für empirisch-wissenschaftliches Vorgehen insgesamt ansieht und ihnen entsprechend grundsätzliche wissenschaftstheoretische Bedeutung zuschreibt, entfaltet Mayo ().
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obwohl sie wahr ist, nicht gut zu ihr passen (Fehler 1. Art), und ebenso eine Wahrscheinlichkeit dafür, die Hypothese zu Unrecht nicht abzulehnen, weil die Daten, obwohl sie falsch ist, recht gut zu ihr passen (Fehler 2. Art). Wie groß diese Irrtumswahrscheinlichkeiten jeweils sind, hängt von der Wahl des sogenannten Signifikanzniveaus ab. Wichtig ist nun, dass es bei gegebenem Aufwand (Anzahl der zu erhebenden Daten) in der Regel nicht möglich ist, die Fehlerwahrscheinlichkeiten 1. und 2. Art zugleich klein zu halten. Der Preis für eine Verminderung der einen ist eine Erhöhung der anderen. Ein Testverfahren kommt entweder vergleichsweise schnell dazu, die Hypothese zugunsten der Alternative abzulehnen, nämlich schon dann, wenn die Daten besser, aber nicht notwendig viel besser, zur Alternative als zur Hypothese passen. Aber in diesem Fall ist es auch recht gut möglich, dass die Hypothese verworfen wird, obwohl sie wahr ist. Oder das Verfahren fordert für die Ablehnung der Hypothese Daten, die hochsignifikant gegen sie sprechen, aber das bedeutet, dass der Test die Hypothese mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auch dann nicht ablehnt, wenn sie in der Tat falsch ist. Die Wahl des Signifikanzniveaus bei statistischen Tests liefert daher ein genaues Beispiel für die Notwendigkeit einer Entscheidung zwischen mehr oder weniger restriktiven Verfahren der Meinungsbildung. Je restriktiver das Testverfahren, desto deutlicher müssen die Daten gegen die Hypothese sprechen, damit es zu ihrer Ablehnung kommt. Dagegen bedeutet die Nicht-Verwerfung der Hypothese nicht ihre Akzeptanz, sondern Urteilsenthaltung: Die Daten sprechen im Rahmen des gewählten Standards nicht signifikant gegen die Hypothese. Das wird in der Praxis dann freilich häufig, aber fälschlicherweise, so verstanden, als zeigten die Daten die Wahrheit der Hypothese an, während sie in Wahrheit nur dazu passen, das heißt, keinen ausreichenden Grund zu ihrer Ablehnung geben. Eine grundsätzliche Alternative zu Vorgehensweisen dieser Art stellen Bayesianische Verfahren dar, in denen den Hypothesen selber Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden.¹⁸³ Insofern dabei die Dichotomie „für wahr halten – nicht für wahr halten“ oder „ablehnen – nicht ablehnen“ vermieden wird, und es stattdessen um eine rationale Änderung von Hypothesenwahrscheinlichkeiten im Lichte statistischer Daten geht, wird die Spannung zwischen den oben angesprochenen epistemischen Zielen, einerseits möglichst wenig Falsches, andererseits möglichst viel Wahres zu glauben, beseitigt, und ebenso die damit einhergehende Notwendigkeit der Entscheidung für ein mehr oder weniger restriktives Meinungsbildungsverfahren. Die Spannung wird durch Graduierung des epistemischen Grundbegriffs aufgehoben: Man spricht nicht mehr von der Wahrheit
Eine ausführliche Darstellung des und Plädoyer für den Bayesianismus als umfassende Theorie empirisch-wissenschaftlicher Erkenntnis bieten Howson und Urbach ().
12.4 Eigenarten theoretischen Überlegens
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oder Falschheit von Hypothesen, oder von darauf bezogenen propositionalen Einstellungen des Für-wahr- oder Für-falsch-Haltens, sondern von mehr oder minder wahrscheinlichen Hypothesen. Die potentiell entscheidungsförmigen Elemente tauchen hier nun aber an anderer Stelle auf, nämlich bei den Ausgangsoder Startwahrscheinlichkeiten für die Hypothesen, den sogenannten a-prioriWahrscheinlichkeiten. Um die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese im Lichte gewisser Daten anzugeben, muss sie erst einmal eine Anfangswahrscheinlichkeit erhalten, die durch die Daten dann modifiziert wird. Diese ist weitgehend willkürlich, da sie der Hypothese zugeordnet werden muss, noch „bevor“ irgendwelche Daten hereinkommen. Die Anfangswahrscheinlichkeiten sind kein Gegenstand rationaler Beschränkungen, sondern „subjektiv“: Jedes Subjekt hat seine eigenen, ausgeschlossen sind nur die durch Daten nicht modifizierbaren Extremwerte 0 und 1. Diese Subjektivität überträgt sich auf die Hypothesenwahrscheinlichkeiten, die aus den gewählten Startwahrscheinlichkeiten aufgrund der Daten entstehen, und lässt sich nicht grundsätzlich beseitigen.¹⁸⁴ Auch wenn die Anfangswahrscheinlichkeiten nicht auf Entscheidungen zurückgehen müssen, so können sie es doch tun: Es ist im Rahmen dieser Methodologie nicht verboten. Diese sagt überhaupt nichts dazu, wo sie herkommen, sie sind eben „subjektiv gegeben“. Lassen wir es bei diesen Skizzen bewenden. Die genannten Methodologien gehören zu den ausgefeiltesten, die im Felde der epistemischen Rationalität verfügbar sind. Sie betreffen freilich zunächst einmal statistische Hypothesen. In diesem Zusammenhang wurden sie entwickelt, und in diesen Kontext gehören ihre tatsächlichen Anwendungen. In der philosophischen Diskussion werden sie aber für beliebige empirische Hypothesen, und sogar für beliebige empirische Erkenntnis in Anschlag gebracht. Die formal-erkenntnistheoretischen Modelle neigen dazu, den Unterschied zwischen nicht-statistischen und statistischen Hypothesen einerseits und den Unterschied zwischen Hypothesen und Daten andererseits zugunsten einer einheitlichen Methodologie zurückzustellen. Wie dies geschieht, und wie viel diese Verallgemeinerung taugt, kann hier nicht diskutiert werden.
Entsprechende Versuche eines „objektiven Bayesianismus“ oder „logischer Wahrscheinlichkeiten“ sind sämtlich unbefriedigend, insofern die von ihnen aufgestellten Kriterien – im Wesentlichen handelt es sich dabei um Symmetrieprinzipien – zur Auswahl eines a-prioriWahrscheinlichkeitsmaßes, sofern überhaupt anwendbar und zu einer eindeutigen Lösung führend, selber alles andere als zwingend sind und daher als das Resultat einer vorgängigen Entscheidung aufgefasst werden können. Siehe dazu van Fraassen (, Teil III und IV, besonders Kap. ).
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Aufgrund der erwähnten Spannung zwischen den zwei epistemischen Zielen der Irrtumsvermeidung und der Wahrheitsfindung und angesichts der Tatsache, dass sich Gründe oft nur schwer präzise gewichten lassen, ist es jedoch auch unabhängig von dieser Verallgemeinerung plausibel anzunehmen, dass die genannten Methodologien in der Hinsicht exemplarisch sind, dass die Tätigkeiten, die wir unter dem Etikett „Meinungsbildung“ oder „Erkenntnisgewinnung“ ausführen, generell stärker von Präferenzen geprägt sind als man denken könnte und ich oben suggeriert habe. Und dies wäre kein abzustellender Fehler, sondern etwas Prinzipielles in dem Sinne, dass die einzige Alternative dazu eine intolerabel häufige Urteilsenthaltung wäre. Man muss daher konzedieren, dass auch vollkommen rationale theoretische Überlegungen von subjektiven Präferenzen und Voreinstellungen abhängen. Ob dabei explizite Entscheidungen eine Rolle spielen, ist sekundär. Systematisch gesprochen könnten sie es, de facto tun sie es nur ausnahmsweise, beispielsweise bei der Anwendung der skizzierten statistischen Methoden. Die Idee eines deterministischen Idealfalls bei der Meinungsbildung leidet dadurch jedenfalls Einschränkungen. Allerdings bieten auch beide Methodologien das Potential, die subjektiven, potentiell oder de facto entscheidungsförmigen Elemente für vorläufige zu halten, die sich mit fortschreitenden Untersuchungen, wenn immer mehr Daten hereinkommen, immer weniger bemerkbar machen. Im Bayesianismus gibt es entsprechende Konvergenzresultate: Unter bestimmten Zusatzannahmen entwickeln sich intersubjektiv zunächst stark divergierende Hypothesenwahrscheinlichkeiten bei übereinstimmenden Evidenzen in dieselbe Richtung und gleichen sich einander an. Im Rahmen der statistischen Testtheorie entspricht dem die Idee wiederholter und schärferer Hypothesentests. All dies ist freilich eine indirekte, voraussetzungsvolle Angelegenheit und nur ein unvollkommenes Surrogat der ursprünglichen Grundidee, dass vernünftige Meinungsbildung angesichts bestimmter Informationen zu einem eindeutigen Resultat führen müsse. Es scheint eher so zu sein, dass die Daten, Evidenzen oder Informationen den Prozess der Meinungsbildung rational einschränken, als dass sie ihm das Resultat vorgeben. Dies gilt bereits bei einem fixen, irgendwoher gegebenen Grundbestand an in Betracht gezogenen Hypothesen, der eine Voraussetzung der skizzierten Methoden ist. Erst recht gilt es bei offener, variabler Hypothesenbildung im Verlaufe des theoretischen Überlegens. Ich kann diese Thematik hier bei weitem nicht ausloten.¹⁸⁵ Stattdessen möchte ich mit drei grundsätzlichen Bemerkungen zu den Implikationen subjektiver,
Bezogen auf die empirischen Wissenschaften wird vieles davon unter der Rubrik „Werte in
12.4 Eigenarten theoretischen Überlegens
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potentiell entscheidungsabhängiger Faktoren bei der Meinungsbildung schließen. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die prinzipielle Spannung zwischen den gegenläufigen Zielen der Meinungsbildung – Wahrheitsgewinn versus Irrtumsvermeidung – als solche nicht bedeutet, dass im Lichte derselben Evidenzen diese oder jene Meinung rationalerweise ausgebildet werden kann, sondern es geht lediglich darum, entweder eine bestimmte, durch die Evidenzen nahegelegte Meinung auszubilden oder sich des Urteils zu enthalten. Weiter als bis dahin führen Erwägungen allgemeiner Natur nicht. Weiterhin hätte eine tiefgreifende Abhängigkeit des rationalen Für-wahrHaltens von subjektiven Präferenzen und eventuellen damit zusammenhängenden Entscheidungen eine erhebliche Revision unseres Verständnisses von Erkenntnis und Meinungsbildung zur Folge. Der mit Meinungen generell verbundene Wahrheitsanspruch sowie der mit ihrem Vertreten verbundene intersubjektive Begründungsanspruch, der die Zustimmung des Gegenübers erheischt, müsste aufgegeben werden. Zumindest würde sich beides vernünftigerweise nur an solche Subjekte richten können, die in den relevanten Hinsichten ähnliche Voraussetzungen machten wie man selber. Das ist normalerweise nicht das, was man mit einem Anspruch auf Begründetheit verbindet, und noch weniger passt es zu einem Wahrheits- oder gar Erkenntnisanspruch. Schließlich müsste auch eine durchgreifende entsprechende Revision unseres epistemischen Verständnisses an irgendeiner Stelle halt machen. Wer meint, dass das, was wir „Meinungsbildung“ nennen, stark von subjektiven Präferenzen und potentiell auch von Entscheidungen geprägt ist, in denen sich diese Präferenzen niederschlagen, der beansprucht damit ja, eine Einsicht gewonnen zu haben – eine Erkenntnis über Erkenntnisprozesse (oder was wir üblicherweise so nennen). Was ist nun mit dieser Erkenntnis – ist sie ebenfalls von subjektiven Faktoren geprägt? Aber warum sollte man sich diese Sichtweise dann zueigen machen? Dafür gäbe es keinen allgemein verbindlichen Grund, und jeder, der entsprechend divergierende Grundeinstellungen hätte, könnte an einem anderen, objektivistischeren Verständnis festhalten. Daran wird noch einmal deutlich, wie merkwürdig es ist, einerseits eine Einsicht zu beanspruchen, andererseits diese als von subjektiven Präferenzen abhängig zu konzipieren. Die mit einer umfassenden Subjektivierung einhergehende Revision der Bedeutung und der Implikationen des begründeten Für-wahr-Haltens ist von solcher Art, dass ihre Konsistenz fraglich ist.
den Wissenschaften“ abgehandelt. Siehe dazu etwa den gleichnamigen Sammelband Schurz und Carrier ().
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Abschließend können wir festhalten, dass das theoretische Überlegen auf objektive Wahrheit, auf Übereinstimmung mit den Tatsachen hin angelegt ist, und auf den damit verbundenen deterministischen Idealfall des zuverlässigen Erreichens der Wahrheit in der und durch die Meinungsbildung. Es gibt aber wie im Falle des praktischen Überlegens zwei Ziele und dazu gehörige Normen, die im konkreten Fall Verschiedenes verlangen können: zum einen eben das der Wahrheit, zum anderen das der Rationalität, des Gerechtfertigtseins relativ zu den vorliegenden Evidenzen. Die Überlegungen dieses Abschnitts machen deutlich, dass die Rede von einem deterministischen Idealfall bei letzterem problematisch ist und mit Einschränkungen versehen werden muss. Diese sind umso gravierender, je weniger bei der Meinungsbildung ein spezifischer Kontext mit substantiellen Hintergrundannahmen vorausgesetzt werden darf, der ihr den Rahmen gibt. Das hat potentiell auch Konsequenzen für das praktische Überlegen, tatsächlich aber keine, die über das oben Gesagte hinausgehen. Praktische Überlegungen spielen sich fast immer vor einem spezifischen Hintergrund ab, der in ihnen nicht problematisiert wird.
12.5 Abschließende Betrachtungen Was bedeutet nun der Widerspruch, der sich beim praktischen Überlegen dadurch ergibt, dass das Abwägen von Handlungsalternativen aus der Perspektive der 1. Person einerseits auf ontische Möglichkeiten, andererseits aber auf die Kompetenz verweist, die beste von ihnen herauszufinden und zu ergreifen? Er scheint sich aus der Sache selbst zu ergeben, allerdings ohne dass dies als etwas Überraschendes oder Skandalöses angesehen werden müsste. Das werde ich im Folgenden nach verschiedenen Richtungen zu verdeutlichen versuchen, indem ich einige Versuche, die Existenz eines solchen Widerspruchs zu bestreiten, analysiere. Die Rede von „Kompetenz“, so könnte zunächst eingewendet werden, deutet ein Können an, aber nicht notwendig die Aktualisierung desselben. Der Idealfall praktischer Kompetenz wäre der, in welchem eine Person die Fähigkeiten besitzt, auf das Richtige zu kommen und danach zu handeln, aber ob sie es dann täte, ob sie also diese Fähigkeiten ausübte, stünde in einem indeterministischen Sinne bei ihr und wäre nicht von vornherein festgelegt. Es gäbe somit keinen Widerspruch zwischen den Implikationen des Abwägens von Alternativen und der Hoffnung oder Selbstzuschreibung des Akteurs, bei diesem Abwägen maximal kompetent zu sein. Diese „maximale Kompetenz“ implizierte nämlich lediglich die Fähigkeit oder genuine Möglichkeit des nicht-zufälligen Auffindens und Tuns des Richtigen in der jeweiligen Situation, aber keinen Determinismus.
12.5 Abschließende Betrachtungen
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Das Wort „Kompetenz“ lässt sich in der Tat auf diese Weise verstehen und kann insofern zu einer Unterschätzung desjenigen Phänomens führen, das mit „prudentia“ oder hier mit „praktischer Kompetenz“ angesprochen wird. Der Sache nach geht es beim praktischen wie beim theoretischen Überlegen um das Auffinden des Richtigen, und bei ersterem auch um dessen Umsetzung, und nicht primär um die Fähigkeiten des Auffindens und Umsetzens. Sein Witz ist das richtige Handeln oder wahrheitsgemäße Meinen selber. Wenn wir uns in dieser Hinsicht auf eine Person, und insbesondere auf uns selber, verlassen, dann verlassen wir uns nicht bloß darauf, dass die entsprechenden Fähigkeiten vorhanden sind, sondern auch darauf, dass sie ausgeübt werden. Diese Ausübung in einer Situation, in der es darauf ankommt, gehört mit zu der Kompetenz, an der wir interessiert sind, und daher bezeichnet dieses Wort in unserem Kontext mehr als eine Fähigkeit: „Er wird auch in dieser etwas kritischen Lage ruhig bleiben und das Richtige treffen.“ Mit solchen Sätzen meinen wir nicht, dass er das Richtige zwar treffen könnte, aber seine Fähigkeiten zur Ermittlung und Ausführung der angemessenen Handlung womöglich nicht einsetzen wird, sondern das Letztere ist ein integraler Bestandteil des Idealfalls. Eine entsprechend verfasste Person zeichnet sich dadurch aus, dass sie in nicht-zufälliger Weise richtig handelt, nicht aber dadurch, dass sie zwar die Fähigkeiten dazu besitzt, auf ihre Ausübung aber auch gerne einmal verzichtet. Der besagte Widerspruch bleibt deshalb bestehen: Zu der Vorstellung der in praktischer Hinsicht ideal verfassten Person gehört die ihrer Verlässlichkeit und damit ihres Determiniertseins im Entscheiden und Handeln in den einschlägigen Situationen. Dass das praktische ebenso wie das theoretische Überlegen selber eine Aktivität, ein Verhalten und daher, sofern es absichtlich geschieht, nach dem hier zugrunde gelegten minimalen Handlungsbegriff auch ein Handeln ist (siehe Kap. 1), ist dabei nicht weiter problematisch. Eine Überlegung muss weder durch einen Entschluss noch durch eine Entscheidung eingeleitet werden, vielmehr kann es sich um ein (eventuell absichtliches) Verhalten handeln, das man einfach an den Tag legt. Erst recht muss ihr keine weitere Überlegung vorausgehen, und daher ist das Überlegen als solches nicht von den Erwägungen betroffen, die sich in inkompatibilistischer Richtung an solche Handlungen knüpfen, die das Resultat von Entscheidungen sind. Wohl kann es vorkommen, dass man sich zum Überlegen auch wieder entscheidet, womöglich sogar aufgrund einer weiteren, vorgängigen Überlegung, ob man überlegen solle, aber das sind Spezialfälle. An sich ist der Vorgang des Überlegens ebenso wenig an genuine Alternativen geknüpft wie jedes andere Verhalten. Ich habe schon angedeutet, dass es gar keine Schwierigkeiten macht, die Aufnahme einer Überlegung insbesondere als durch die Relevanz des Gegenstandes determiniert zu denken: Eine Frage- oder Problemstellung drängt sich dem Subjekt auf.
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Ist es möglich, dass sich eine praktische Überlegung ohne die Idee von Handlungsoptionen abspielt? Das Subjekt könnte sich beispielsweise einfach vorstellen, wie es wäre, wenn es sich auf die eine oder andere Weise verhielte, aber ganz ohne den Gedanken, dass es sich in der konkreten Situation auch so verhalten könnte. Nach einiger Zeit resultierte aus diesen Imaginationen ein Verhalten, und zwar würde von den Verhaltensweisen, die das Subjekt in Gedanken durchgespielt hätte, diejenige realisiert, die in ihren Aspekten und vermutlichen Folgen dem Subjekt am vorteilhaftesten schiene. Möglich wäre das, aber psychologisch doch sehr fernliegend. Das Subjekt dürfte noch nicht einmal die Idee haben, dass der Sinn dieser seiner mentalen Prozesse sei, dass es sich in seiner bestimmten Situation adäquat verhielte, denn damit kaufte es sich wiederum die Idee von Handlungsalternativen ein. Wenn sich aber jemand als dieses oder jenes tuend repräsentiert, und dieser Vorgang eben die Funktion hat, zu einer möglichst adäquaten Verhaltensweise zu führen, dann ist es im Falle eines der Reflexion fähigen Subjekts sehr naheliegend, dass dieser Zweck auch bewusst wird und das Überlegen daraufhin mit der Idee geschieht, dass das Subjekt sich unter den konkreten Umständen so oder so verhalten kann oder könnte. Ich habe im letzten Kapitel zu zeigen versucht, dass dieses Können sich nicht kompatibilistisch explizieren lässt und somit im Falle einer deterministischen Welt illusorisch wäre. Aber die Entstehung einer solchen Illusion wäre auch dort außerordentlich naheliegend, sicherlich vorteilhaft, und müsste deshalb nicht verwunderlich sein. Ich glaube daher nicht, dass die Existenz des Phänomens des Sich-Entscheidens als solche ein Argument gegen den Determinismus darstellt – trotz seiner Implikationen. Das empfundene Sich-Entscheiden gäbe es in einer deterministischen Welt vermutlich genauso wie in einer indeterministischen, denn die Erklärung für sein Bestehen ist höchstwahrscheinlich keine, die damit zusammenhängt, dass es tatsächlich Vorgänge ohne zureichende Ursachen gibt. Dass es uns beim Entscheiden so vorkommt, als könnten wir in einem ontische Alternativen implizierenden Sinne so oder so handeln, ist eine Folge der Art und Weise unserer Selbstrepräsentation bei diesem Vorgang. Etwas in dieser Art drückt Schopenhauer aus, indem er über jemanden, dem Handlungsalternativen durch den Kopf gehen, schreibt: Sein Irrthum und überhaupt die Täuschung, welche aus dem falsch ausgelegten Selbstbewußtseyn hier entsteht, daß er jenes Alles jetzt gleich könne, beruht, genau betrachtet, darauf, daß seiner Phantasie nur ein Bild zur Zeit gegenwärtig seyn kann und für den Augenblick Alles Andere ausschließt. Stellt er nun das Motiv zu einer jener als möglich proponirten Handlungen sich vor; so fühlt er sogleich dessen Wirkung auf seinen Willen […] dies heißt, in der Kunstsprache, eine Velleitas [Willensregung]. Nun meint er aber, er könne diese auch zu einer Voluntas [Wille, Absicht] erheben, d. h. die proponirte Handlung ausführen: allein dies ist Täuschung. Denn alsbald würde die Besonnenheit eintreten und die nach
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andern Seiten ziehenden, oder die entgegenstehenden Motive ihm in Erinnerung bringen: worauf er sehen würde, daß es nicht zur That kommt. Bei einem solchen successiven Vorstellen verschiedener einander ausschließender Motive […] dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv hin, welches die Einbildungskraft ihm vorhält […] und bei jedem denkt der Mensch, er könne es wollen und also die Fahne auf diesem Punkte fixiren; welches bloße Täuschung ist.¹⁸⁶
Nun meine ich, dass wir uns eben durch eine solche Täuschung entscheiden, insofern die Idee verschiedener Handlungsoptionen, von in der vorliegenden Situation „als möglich proponirten Handlungen“, diese Art Vorstellung einschließt. Ohne sie würden wir wesentlich schlechter handeln als mit ihr, und dennoch handelt es sich in einer deterministischen Welt um eine Illusion. Nach allem, was wir wissen, würde man in Bezug auf eine solche Welt besser von vermeintlichen Entscheidungen zwischen vermeintlichen Alternativen sprechen, aber das änderte nichts an den mentalen Phänomenen. Diese haben damit zu tun, wie sich Subjekte in Bezug auf ihr eigenes künftiges Verhalten repräsentieren. Dabei gibt es einen Modus, der die Existenz ontischer Alternativen impliziert, aber dieser Modus ist wahrscheinlich nicht deshalb vorhanden, weil solche Alternativen wirklich bestehen – auch wenn sie bestehen. Es ist sehr wohl möglich, dass sich die Frage von Determinismus und Indeterminismus auf der mikrophysikalischen Ebene entscheidet – dann nämlich, wenn sich das Verhalten von Aggregaten aus dem Verhalten ihrer Teile ergibt. Bei sämtlichen Phänomenen, mit denen Lebewesen normalerweise zu tun haben, würde es dann keinen empirischen Unterschied machen, ob sie genuin indeterministisch oder in instabiler Weise deterministisch verliefen, (also so, dass kleine Variationen in den Ursachen den Verlauf im Großen verändern können; siehe dazu 5.2). Man kann zwischen diesen Fällen nicht unterscheiden, noch wäre der Evolutionsprozess für einen solchen Unterschied sensibel. Das alles sind selbstverständlich keine Argumente für den globalen Determinismus. Ich sage lediglich, dass alles, was hier diskutiert wird, diese Frage offen lässt und keine Hinweise in der einen oder anderen Richtung liefert. Eines ist es,wie wir uns beim Entscheiden sehen oder verstehen (müssen), ein anderes, ob die Implikationen dieser Sichtweise zutreffen.¹⁸⁷
Schopenhauer (), Kap. III Ob der Determinismus wahr ist oder nicht, ist Gegenstand theoretischer Überlegung und nicht der Entscheidung. Es involviert darum insbesondere keinen performativen Widerspruch, die These des globalen Determinismus zu erwägen und sie für gut begründet oder wahr und damit die Rede von Entscheidungen und Handlungsoptionen für illusorisch zu halten. Siehe dazu auch ..
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12 Überlegen und Determinismus
Aus der Außenperspektive ist es ohne Widerspruch irgendeiner Art denkbar, dass das Abwägen von Gründen mit nachfolgender (Quasi‐)Entscheidung für die (Quasi‐)Option, für die aus der Perspektive des Subjekts die stärksten Gründe sprechen, vollständig determiniert geschieht, so dass das Subjekt überhaupt nur die (Quasi‐)Option ergreifen kann, für die seiner Einschätzung nach die besten Gründe sprechen. Erst wäre es determiniert zu überlegen, was es tun sollte, und dann verliefen diese Überlegungen ebenfalls determiniert, bis sie in eine determinierte (Quasi‐)Entscheidung mündeten. Problemlos ist diese Sicht aber nur als theoretische Betrachtung aus der Perspektive der 3. Person. Aus der Perspektive des Akteurs hingegen geht ein Urteil, dass man in der gegenwärtigen konkreten Situation mehrere Handlungsoptionen habe, dem Abwägen voraus und bildet seine Basis. Das Motiv zu überlegen, was zu tun am besten wäre, besteht für ein Subjekt nur, wenn es sich als an einem Verzweigungspunkt stehend repräsentiert, von dem aus es so oder so weitermachen kann oder könnte. Und das kann, wie wir gesehen haben, nicht etwa heißen „von dem aus es so oder so weitermachen würde, falls die entsprechenden Gründe ihm als die stärksten erschienen“, denn von starken oder weniger starken Gründen für Handlungsoptionen kann nur die Rede sein, wenn letztere bereits vorausgesetzt werden. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, dass der Blick des praktisch Überlegenden einer auf ontische Alternativen ist. Wie wäre es umgekehrt, zwischen verschiedenen Alternativen abzuwägen und zu entscheiden ohne den Gedanken, dass man eine gute oder die bestmögliche Wahl treffen werde? Dies ist leichter denkbar: Man ist im praktischen Überlegen zwar auf das Ziel des vernünftigen oder richtigen Handelns und die dazu gehörigen Normen bezogen, aber man muss nicht unbedingt eine Meinung dazu haben, wie weit man ihnen genügen werde, noch muss man sie überhaupt kennen. Die Rede von Voraussetzungen des praktischen Überlegens darf nicht so verstanden werden, als könne man nicht praktisch überlegen, wenn die derart benannten Bedingungen nicht erfüllt sind. Es handelt sich vielmehr um Bedingungen, die sich in der Reflexion als Bedingungen der Sinnhaftigkeit (und allenfalls zum Teil auch der Durchführbarkeit) des praktischen Überlegens darstellen. Zudem sind dabei Abstufungen möglich: Je besser etwa das Subjekt informiert ist und je klarer es denken kann, umso mehr Sinn hat es, dass es seine Entscheidung auf eine Überlegung, was zu tun sei, gründet. Je wahrscheinlicher unvorhersehbare Situationsänderungen oder Präferenzverschiebungen des Subjekts sind, desto weniger Sinn hat es. Selbstverständlich braucht ein Subjekt keine expliziten Meinungen über seine (generellen oder situationsspezifischen) praktischen Kompetenzen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, zu haben, um praktisch zu überlegen, aber wenn es darauf in vernünftiger Weise reflektierte, würde es
12.5 Abschließende Betrachtungen
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bemerken, dass das Überlegen umso mehr Sinn hat, je größer diese Kompetenzen sind. Diese Reflexion zeigt, dass der Idealzustand derjenige ist, in dem man den angesprochenen Normen zuverlässig genügt, dass das praktische Überlegen also auf einen deterministischen Grenzfall hin angelegt ist, ferner, dass es umso weniger Sinn hat, je weiter es von diesem Grenzfall entfernt ist, je wahrscheinlicher es also ist, dass es zu einer inadäquaten Handlung führt, und schließlich, dass man in vielen Fällen mit guten Gründen annehmen darf, dem Idealfall zumindest nahe zu sein. Insofern der Witz des Überlegens ist, sich in ihm von den stärksten Gründen leiten zu lassen oder das Richtige zu treffen, gibt es in ihm für einen Indeterminismus keinen natürlichen Ort und kann ein solcher keine konstruktive Funktion haben. Es bleibt deshalb dabei, dass der Widerspruch dem Sinn des praktischen Überlegens selber inhärent ist. Sowie das Subjekt sich über dessen Bedeutung im Klaren ist, tritt er zutage. Nichtsdestoweniger lässt sich meiner Meinung nach im Prinzip einsichtig machen, warum sich dieser Widerspruch ganz natürlich und sozusagen von selbst ergibt oder ergeben kann. An ihm ist nichts Geheimnisvolles. Um das wirklich zu zeigen, müsste man freilich viel genauer auf die tatsächlichen sowie die prinzipiell möglichen Arten der Selbstrepräsentation von Subjekten und ihrer (mentalen) Aktivitäten eingehen, was ich hier nicht versuchen werde.
13 Normativität und Determinismus 13.1 Aus Sollen folgt Können, aber kein Indeterminismus Bisher haben wir das Phänomen des Entscheidens zwischen Handlungsoptionen aus der Perspektive der 1. Person als eine Quelle des Inkompatibilismus identifiziert. Und da eine praktische Überlegung auf die Wahl der richtigen Handlung abzielt, impliziert auch sie, dass nicht eine Handlung mit Notwendigkeit vorgenommen wird. Zwar werden nicht in jeder praktischen Überlegung Verhaltensalternativen explizit durchgespielt, wohl aber beruht jede auf der impliziten Voraussetzung, dass das Subjekt unter den konkreten Umständen Verschiedenes – was genau, kann völlig unspezifiziert bleiben – tun kann oder könnte. Nur deshalb hat es für es Sinn, sich zu fragen, was es denn tun sollte. Daran anschließend frage ich nun, ob nicht Normativität überhaupt auf einen Indeterminismus verweist, wie es das Schlagwort nahelegt, dass aus „sollen“ „können“, und, so kann man ergänzen, auch „anders können“ folge. Normativität bedeutet die Existenz von Standards des Richtigen und Falschen, des Besseren und Schlechteren, des Gelungenen und Misslungenen, und impliziert damit Aussagen darüber, wie etwas beschaffen sein sollte, und dieses Sollen, so der Verdacht, hat ohne einen unterstellten Indeterminismus keinen Sinn. Ich sehe dabei von terminologischen Differenzierungen ab, auf die es in unserem Kontext nicht ankommt. Es entspricht der philosophischen Gepflogenheit im deutschen Sprachraum, „sollen“ als Signal für Normativität einzusetzen und geradezu als synonym damit zu gebrauchen. Dem folge ich hier, obwohl der tatsächliche Sprachgebrauch bei „sollen“ anders aussieht. Dass jemand etwas tun soll, bedeutet in den allermeisten Fällen, dass ein anderer will, dass er es tut, nicht mehr und nicht weniger. Der Sollenssatz bezieht sich auf dieses Wollen zurück und hat mit Normativität an sich nichts zu tun. Dass jemand etwas tun sollte, steht, wenn das „sollte“ ein Konjunktiv und keine Vergangenheitsform ist, für eine schwache Form der Normativität, die Ratgebung. Der sprachliche Ausdruck für eine starke Form der Normativität ist, dass jemand etwas tun muss. Man betrachte etwa die Wendungen: „ich soll mehr Sport treiben“, „ich sollte mehr Sport treiben“, „ich muss mehr Sport treiben“. Nur mit der dritten legt sich der Sprecher auf ein Verhalten fest, mit der zweiten sagt er, dass dieses Verhalten gut oder ratsam wäre, und in der ersten ist gar keine Normativität enthalten. Sie provoziert vielmehr die Rückfrage: „Wer sagt das?“ Ich will diese Unterschiede hier nicht weiter verfolgen.¹⁸⁸ Siehe zu diesem Themenkomplex Stemmer (, §).
13.1 Aus Sollen folgt Können, aber kein Indeterminismus
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Die Aufstellung von Normen, so könnte man jedenfalls meinen, habe nur Sinn, wenn der in ihnen ausgedrückte Standard nicht ohnedies beachtet werde: Aus „sollen“ folgt „anders können“. Außerdem habe sie nur Sinn, wenn das Subjekt, an das sie gerichtet sind, sie auch befolgen kann, wenn es durch sie nicht überfordert wird: Aus „sollen“ folgt „können“. Folgende Zitate sind repräsentativ: „Nun ist Normativität ohne Freiheit offenkundig witzlos, weil solchem, was sich unmöglich anders verhalten kann, nicht effektiv Vorschriften gemacht werden können. Neben einer gewissen Empfänglichkeit für Vorschriften scheint demnach Freiheit nötig, um den Begriff der Norm etablieren zu können.“¹⁸⁹ „Wenn die Norm tatsächlich vorschreibt, dann muss die Person, an die sie sich richtet, sowohl fähig sein, es zu machen, dass die Norm erfüllt wird, als auch muss sie fähig sein, es zu machen, dass die Norm nicht erfüllt wird – das heißt, sie muss fähig sein, frei zu wählen.“¹⁹⁰ So scheint Normativität als solche Wahl-, womöglich Willensfreiheit und insbesondere das Vorhandensein von relevanten Handlungsalternativen zu implizieren. Da das theoretische Überlegen genauso wie das praktische unter Rationalitätsnormen steht, wäre damit ein wahrhaft umfassender Inkompatibilismus etabliert. Wie die im letzten Kapitel besprochenen Idealfälle des vollständig rationalen theoretischen oder praktischen Überlegens oder des zuverlässig richtigen Handelns oder Urteilens zeigen, halte ich diesen Schluss für voreilig. Warum bestimmte Standards im Einzelfall erfüllt oder nicht erfüllt werden, sind Fragen, die vollständige und das heißt: deterministische Antworten zulassen. Dies habe ich oben in 10.2 in Bezug auf biologische Funktionen begründet, und es gilt für Normativität generell. Wohl sind Ge- und Misslingen generelle Möglichkeiten, und in der Tat hätte die Aufstellung von Normen, Regeln oder Vorschriften, die Rede von einem So-und-so-sein-Sollen keinen Sinn, wenn man diese Möglichkeiten nicht grundsätzlich beide im Blick hätte. Das heißt jedoch nicht, dass es sich dabei stets um reale Möglichkeiten handeln muss. Ein System oder Subjekt kann eine Konstitution aufweisen, die eine deterministische Erklärung dafür liefert, warum es, entweder generell oder im vorliegenden Fall, den einschlägigen Standards entspricht bzw. sie verfehlt. Im Grenzfall wäre sogar eine Welt denkbar, in der alles genauso ist, wie es sein soll, und in der reflektierende Subjekte dennoch mit normativem Vokabular operierten. Dafür reicht es aus, dass die Möglichkeit der Verfehlung vorstellbar ist, dass die Subjekte von ihr einen Begriff haben. Erst recht
Siehe Löhrer (), Abschnitt II. So Pothast (, S. ), aber nicht in eigener Sache, sondern in Übersetzung einer von ihm referierten Position.
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13 Normativität und Determinismus
gibt es in unserer Welt keinen Grund, hinter der Existenz von normativen Phänomenen einen Indeterminismus zu vermuten. Diese Diagnose erhält mannigfaltige Bestätigung, wenn man etwas konkreter wird und sich einzelne Klassen von Normen anschaut. Bei technischen und biologischen Systemen, denen eine bestimmte Funktion zugeschrieben werden kann oder für die diese Funktion sogar konstitutiv ist, sind selbstverständlich deterministische Erklärungen von unterschiedlichem Allgemeinheitsgrad für die Erfüllung oder Nicht-Erfüllung der Funktion, oder auch für ihre bessere oder schlechtere Erfüllung denkbar. Die Systeme können von vornherein in bestimmter Hinsicht falsch oder unzulänglich konzipiert sein, oder sie können aus bestimmten Gründen unter speziellen Umständen versagen. Umgekehrt können sie besonders tauglich und robust sein und in einer sehr großen Klasse von Umständen ihre Funktion zuverlässig erfüllen. Deterministische Hintergründe ändern nichts daran, dass hier von einem Sollen und von Normativität gesprochen werden kann. Das System leistet entweder, was es leisten soll, oder eben nicht, und dafür kann es jeweils zureichende Ursachen geben. Es ist kein prinzipieller Grund erkennbar, warum die Situation eine andere sein sollte, wenn wir Normen für menschliches Überlegen und Handeln betrachten. Die mentale Verfassung eines Subjekts könnte derart sein, dass bestimmte Normen allgemein oder in einer konkreten Situation mit Notwendigkeit eingehalten oder aber verletzt werden. Aufgrund der Komplexität menschlicher Subjekte sind deterministische Erklärungen hier schwerer zu haben als anderswo, der Gesichtspunkt der Normativität liefert für sich genommen aber keinen Grund, an ihrer Möglichkeit zu zweifeln. Zumal wir bei wiederkehrenden Typen von Situationen sowohl bei uns selber als auch bei uns gut bekannten Menschen in vielen Fällen eine starke Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit des Verhaltens konstatieren können. Wenn wir uns selber und andere kennen, wissen wir häufig, was wir hinsichtlich der Einhaltung oder Verletzung von Normen von ihnen unter bestimmten Umständen zu erwarten haben. Dergleichen Phänomene weisen wenigstens in die Richtung eines durch eine bestimmte kognitive und charakterliche Konstitution bedingten Determinismus, und wenn sie ihn auch nicht implizieren, so sind sie doch ohne weiteres mit ihm kompatibel und verweisen auf ihn als ihren Grenzfall. Dieser Grenzfall bedeutet jetzt nicht nur, wie im letzten Kapitel, ideale Formen des Determinismus bei einem praktisch oder epistemisch maximal kompetenten Subjekt, sondern Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit des Verhaltens überhaupt. Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit machen den Umgang mit einem Menschen noch wesentlich schwerer als prognostizierbare Fehlleistungen in bestimmten Umständen, auf die man sich immerhin einstellen kann.
13.1 Aus Sollen folgt Können, aber kein Indeterminismus
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Wenn wir bei Normen für menschliches Überlegen und Handeln trotzdem geneigt sind, dem Prinzip „aus Sollen folgt Können“ zuzustimmen, liegt das daran, dass wir entsprechende Normübertretungen einander häufig zum Vorwurf machen. Dies geht aber über das bloße Phänomen der Normativität hinaus und verweist auf Verantwortung für die Einhaltung oder Übertretung von Normen. Hier liegen inkompatibilistische Folgerungen in der Tat nahe. Ich wende mich diesem Thema im nächsten Kapitel zu. Sowie aber klar ist, dass eine solche Verantwortung nicht in Betracht kommt, haben wir keine Schwierigkeiten damit, auch bei menschlichem Verhalten von einer determinierten Einhaltung oder Übertretung von Normen auszugehen, ohne dass der Sollenscharakter dadurch verloren ginge. Das ist besonders deutlich bei Fällen von Überforderung, die bei Rationalitätsnormen sehr leicht zu haben ist. So gibt es im Allgemeinen keine Möglichkeit festzustellen, ob ein System von Meinungen widerspruchsfrei ist oder nicht. Stehen verschiedene Aussagen, die es sämtlich für wahr hält, in Widerspruch zueinander, dann verstößt das Subjekt damit gegen eine oder vielmehr die grundlegende Rationalitätsnorm. Ein solcher Widerspruch kann jedoch derart verborgen, seine Ableitung so kompliziert sein, dass die Inkonsistenz dem Subjekt auf keinen Fall zum Vorwurf gemacht werden kann. Ähnliches gilt für die probabilistische Kohärenz von graduierten Überzeugungen. Bei der Modellierung von Subjekten in der Entscheidungs- und Spieltheorie sowie im Bayesianismus wird entsprechend mit sehr großzügigen Idealisierungen operiert, um die formale Theoriebildung zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Diese Theorien sind daher als psychologisch-deskriptive sowie als Erklärungs- und Prognoseinstrumente nur von eingeschränktem Wert. Ihr Charakter ist deutlich ein normativer. All das ändert aber nichts daran, dass das Überzeugungssystem eines Menschen diesen Normen der Widerspruchsfreiheit und der probabilistischen Kohärenz unterliegt. Das eine ist die Existenz der Rationalitätsnormen, etwas anderes die Frage, inwiefern es in der Macht des Subjekts steht, sie zu beachten oder ihre Verletzung zu bemerken. Angesichts dessen griffe es zu kurz, etwa zu sagen, die erstgenannte Norm bestünde gar nicht darin, dass gleichzeitig für wahr Gehaltenes sich nicht widersprechen dürfe, sondern vielmehr darin, dass Widersprüche, sowie und soweit sie einem auffielen, zu beseitigen wären. Es gibt zwar auch diese Norm, und bei ihr bereitet die Idee der Zurechnung keine Schwierigkeiten, weil der Überforderungsaspekt wegfällt. Es handelt sich dabei aber um eine sekundäre Norm, die sich von der Norm der Widerspruchsfreiheit herleitet und ohne den Bezug auf sie unverständlich bliebe. Der einzige Grund, warum Widersprüche, die dem Subjekt auffallen, durch Modifikation des Überzeugungssystems zu beseitigen sind, ist, dass dieses System keine Widersprüche enthalten oder implizieren darf. Das letztere ist die grundlegende Anforderung an gleichzeitig Für-wahr-Gehaltenes,
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13 Normativität und Determinismus
auch wenn ihre Einhaltung nur in einem sehr eingeschränkten Sinne in unserer Macht steht. Ebenso wenig büßen andere Normen oder Ideale ihre Normativität dadurch ein, dass wir ihnen nur eingeschränkt gerecht zu werden vermögen. Dann trifft uns zwar auch nur ein entsprechend eingeschränkter Vorwurf, aber das ändert nichts daran, dass wir auch in diesen Fällen nicht so sind, wie wir sein sollten. Womöglich kann jedoch in diesen Fällen nicht von Vorschriften die Rede sein. Es fällt auf, dass beide oben angeführten Zitate von „Vorschriften“ und „vorschreiben“ sprechen. Gilt für Präskriptionen, was für Normen allgemein nicht gilt? Darauf würde ich folgendes sagen: Wenn sich ein substantieller Unterschied zwischen „präskriptiv“ und „normativ“ machen lässt, und folglich das mit jeder Norm einhergehende „so sollte es sein“ nicht automatisch als präskriptiv, oder nicht als im vollen Sinne präskriptiv, zu verstehen ist, dann ist das hier diskutierte Argument zugunsten des Inkompatibilismus von vornherein nicht einschlägig. Denn es geht hier eben um Normativität allgemein, und insbesondere diejenige Normativität, die beim Überlegen eine Rolle spielt, also um die Normativität von theoretischen oder praktischen Gründen. Während außer Zweifel steht, dass solche Gründe normativ sind und damit auch präskriptiv, sofern das aus ihrer Normativität allein folgt, gibt es keinen Anlass zu meinen, sie seien darüber hinaus auch noch präskriptiv in irgendeinem zusätzlichen Sinn. Ein Grund sagt in genau demselben Sinne, was jemand (pro tanto) tun oder für wahr halten sollte, wie beliebige Normen sagen, wie etwas beschaffen sein sollte. Über diese allgemeine Normativität hinaus haftet Gründen nichts speziell Präskriptives an. Es wäre also voreilig, Normativität für sich betrachtet mit ontischen Alternativen in Verbindung zu bringen. Wenn es auch wahr bleibt, dass normative Phänomene auf die grundsätzlichen Möglichkeiten der Erfüllung und der Verletzung der jeweiligen Norm verweisen, so müssen diese Möglichkeiten doch nicht in dem Sinne real sein, dass für jeden Anwendungsfall ein Indeterminismus impliziert wäre. Wir haben im Gegenteil häufig Grund zu der Annahme, dass sie es nicht sind. Es handelt sich um konzeptionelle Möglichkeiten, die über den Bereich des Vorstellbaren per se nicht hinausgehen müssen.
13.2 Globale Determinismusthesen und performative Widersprüche Ein ganz anders gearteter Grund zu meinen, dass Normativität und Determination nicht vereinbar seien, wird durch ein bekanntes Selbstwiderspruchsargument gegen den Determinismus transportiert. Die Grundidee des Argumentes ist, dass die Zurückführung einer Meinung auf Ursachen den mit ihr verbundenen „Gel-
13.2 Globale Determinismusthesen und performative Widersprüche
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tungsanspruch“ untergrabe. Der Determinismus impliziere, dass ein Subjekt das, was es meine oder tue, nicht aus Gründen meine oder tue, sondern aus Ursachen. Damit würden seine Überzeugungen und Handlungen auf eine arationale Quelle zurückgeführt. Für die Perspektive der 1. Person bedeute dies, dass, wer sich in seinen Urteilen oder Handlungen für determiniert halte, nicht außerdem einen Rationalitäts- oder Begründetheitsanspruch für diese Urteile oder Handlungen aufrecht erhalten könne, was im Falle der Meinungen bedeute, dass diese rationalerweise aufgegeben werden müssten. Insbesondere könne eine allgemeine Determinismusthese nicht konsistent vertreten werden. Wer eine solche These aufstelle, beanspruche, sie aus bestimmten Gründen für wahr zu halten, gleichzeitig impliziere der Gehalt der These aber, dass ihr Vertreter seine Meinungen nicht aus Gründen, sondern als Resultat der Wirksamkeit bestimmter Ursachen habe. Somit sei bei ihm ein performativer Widerspruch zu konstatieren: Der Gehalt, zu dem er die Einstellung des Für-wahrHaltens einnehme, sei nicht mit dem normativen Anspruch dieser Haltung zu vereinbaren, nämlich dem Anspruch auf Begründetheit. Die Meinungen anderer könne man auf Ursachen zurückführen (und ihnen damit freilich die Begründetheit absprechen), nicht aber die eigenen, die man dann nicht mehr rationalerweise vertreten könne. Eine einschlägige Textstelle findet sich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, 2. Sektion, die betitelt ist mit „Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden“. Kant schreibt dort: Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewusstsein in Ansehung ihrer Urteile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subjekt nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe, die Bestimmung der Urteilskraft zuschreiben. Sie muss sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig von fremden Einflüssen […]“ (Akademie-Ausgabe Band IV, Sd. 448)
Diese Art Argument wird immer wieder vorgebracht. Insbesondere spielt es, wenig überraschend, in der aktuellen, wesentlich durch die Neurowissenschaften angestoßenen Willensfreiheitsdiskussion eine wichtige Rolle.¹⁹¹ Seine Analyse zeigt die folgenden Bestandteile: In einem ersten Schritt wird konstatiert, dass mit jedem Für-wahr-Halten oder wenigstens mit jedem diskursiven Vertreten einer Meinung eine Unterstellung der Begründetheit oder des Gerechtfertigtseins der Meinung einhergehe, oder die Unterstellung, dass man die Meinung rationalerweise habe. Die Begriffe der Be-
Zu seiner Geschichte und verschiedenen Varianten siehe Pothast (, Kap. VII). Seine Rolle in der aktuellen Diskussion dokumentieren verschiedene Beiträge in Geyer ().
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13 Normativität und Determinismus
gründung, der Rechtfertigung und der Rationalität laufen nicht einfach auf das gleiche hinaus, von eventuellen Unterschieden können wir aber in unserem Kontext absehen. Der Anspruch ist jedenfalls, dass man in der eigenen Perspektive nicht etwas „einfach so“ oder ohne Grund für wahr halten könne, zumindest dann nicht, wenn man es anderen ansinne. Dieses „nicht können“ kann entweder als eine rationale oder darüber hinaus auch als eine psychologische Unmöglichkeit gemeint sein. Zumindest soll es das erstere sein. Der zweite Schritt besagt dann, dass das Verursacht- oder Determiniertsein einer Meinung ihre Begründetheit ausschließe, weil es die Zurückführung der Meinung auf eine arationale Quelle bedeute. Das heißt freilich nicht, dass ein anderes Subjekt die gleiche Meinung nicht doch aus guten Gründen haben kann. Um diesen Unterschied deutlich zu markieren, könnte man etwa von „Meinungsinstanzen“ sprechen; darauf will ich aus sprachlichen Gründen verzichten. In einem dritten Schritt kommt die Perspektive der 1. Person entscheidend ins Spiel: Wenn ein Subjekt für eine bestimmte seiner Meinungen behaupte oder impliziere, es habe sie aufgrund der Wirksamkeit bestimmter Ursachen, dann spreche es ihr eben damit die Begründetheit ab und könne sie deswegen nicht mehr rationalerweise aufrecht erhalten. Wolle es umgekehrt letzteres tun, dann müsse es eben das Verursacht- oder Determiniertsein dieser Meinung bestreiten. In dieser Situation sei viertens insbesondere, wer eine globale Determinismusthese aufstelle. Eine solche lasse sich deshalb nicht konsistent vertreten. Daraus folge fünftens, dass die These falsch sei: Was sich nicht konsistent (nämlich nur unter gleichzeitiger Aufgabe des unvermeidlich damit einhergehenden Rationalitäts- oder Begründetheitsanspruchs) für wahr halten oder behaupten oder vertreten lasse, das sei nicht wahr. Bei der Diskussion des Arguments nehme ich an, dass die Gleichsetzung von Determination und Verursachung nicht Teil des Problems ist.Wer gar nichts gegen die Vorstellung einer Notwendigkeit oder Alternativlosigkeit von begründeten Meinungen oder Handlungen hat, sondern nur – aus welchen Gründen auch immer – die Rede von ihrem Verursachtsein ablehnt, ist ein Kompatibilist in dem hier einschlägigen Sinne. Er weigert sich lediglich, determinierende Faktoren grundsätzlich als Ursachen aufzufassen. Obwohl ich das durchweg tue, ist es nicht mein sachlicher Punkt, sondern eine terminologische Angelegenheit. Es besteht der Sache nach kein Dissens mit jemandem, der es damit anders hält. Das wesentliche Merkmal der hier thematischen Determination ist die Notwendigkeit oder Alternativlosigkeit, es geht immer um „Determinismus“ in diesem Sinne, und es ist sekundär, ob man determinierende Faktoren auch als zureichende Ursachen ansprechen möchte oder nicht (siehe dazu 4.5, 8.1 und 9.1). Das dargestellte performative Widerspruchsargument lässt sich an vielen Punkten diskutieren. Jeder einzelne Schritt ist interessant, insbesondere auch der letzte, der von der rationalen Unvertretbarkeit auf die Falschheit der globalen
13.2 Globale Determinismusthesen und performative Widersprüche
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Determinismusthese geht. Er muss aber nicht unbedingt getan werden: Dass er seine Auffassung nicht ohne Selbstwiderspruch vertreten kann, sollte eine hinreichende Verlegenheit für einen Anhänger des Determinismus darstellen. Ich will im Folgenden nur an einer Stelle einhaken, die meiner Ansicht nach den wesentlichen Schwachpunkt des Argumentes ausmacht. An dieser Stelle zeigt sich meines Erachtens, dass ihm tatsächlich jegliche Überzeugungskraft abgeht. Alle anderen Schritte kann man zwar auch problematisieren, ich möchte aber lieber nicht in der Position sein, das Argument gerade dort anzugreifen.Wenn der Punkt, auf den ich jetzt zu sprechen kommen werde, nicht wäre, handelte es sich zumindest um ein sehr starkes Argument. Der problematische Schritt ist der zweite. Das skizzierte Selbstwiderspruchsargument gegen den Determinismus zeigt nicht etwa, sondern setzt schlicht voraus, dass zwischen begründeten Meinungen einerseits und verursachten oder determinierten Meinungen andererseits ein Ausschlussverhältnis besteht. Das Argument enthält keinerlei Begründung dieser Behauptung, die doch alles trägt. Bei oberflächlicher Betrachtung kann leicht der Eindruck entstehen, die Unvereinbarkeit würde durch das Argument etabliert, tatsächlich aber beruht es auf ihr, ohne sie irgend zu motivieren. Warum sollte denn eine Meinung (oder auch Handlung) nicht gute Gründe und außerdem zureichende Ursachen haben? Im einfachsten Falle wären die Gründe, die eine Person für ihre Meinung oder Handlung hätte, determinierende Faktoren und damit zureichende Ursachen der Meinung oder Handlung unter den obwaltenden Umständen. Es ist aber keineswegs nötig, so weit zu gehen, also (Beweg‐)Gründe als eine besondere Spielart von Ursachen aufzufassen. Es reicht völlig aus, dass sich die Relationen des Begründetseins einerseits und des Verursacht- oder Determiniertseins andererseits nicht ausschließen. Dass sie dies nicht tun, ist nun nicht etwas, das ein Anhänger des Determinismus in einer Reaktion auf das Argument zeigen müsste. Vielmehr hat, wer behauptet, dass eine prima facie sinnvolle und möglicherweise wahre These (nämlich die des globalen Determinismus) ohne Selbstwiderspruch nicht vertreten werden könne, den Selbstwiderspruch aufzuzeigen, und das ist ohne eine überzeugende Begründung des zweiten Schrittes schlicht nicht geschehen. Im Hintergrund dieses Schrittes steht die Idee, dass, falls Meinungen oder Handlungen determiniert oder verursacht wären, dies sozusagen an den Gründen vorbei der Fall wäre, die eventuell für sie sprechen, so dass die besagten Meinungen oder Handlungen von der Konstellation der Gründe unabhängig wären. Egal, wie diese Konstellation aussähe, die Meinungen oder Handlungen wären, durch invariante Ursachen bedingt, immer dieselben. In der populären Diskussion um Willensfreiheit und Determinismus wird oft so gesprochen, als laufe Determiniertheit auf starre Verhaltensschemata hinaus, was insbesondere die Unzugänglichkeit für Gründe einschließt. Dem kann und muss ein Determinist nun
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13 Normativität und Determinismus
allerdings widersprechen, wenn er dem besagten Selbstwiderspruch nicht ausgesetzt sein will. Er geht selbstverständlich davon aus, dass die Ursachen seiner Meinungen und Handlungen in geeigneter Weise mit den Gründen zusammenhängen, die er für sie besitzt. Für die Aufrechterhaltung des „Geltungsanspruchs“ einer These muss im Falle des Determinismus ein kontrafaktischer Zusammenhang der folgenden Art bestehen: Wenn die angeführten Gründe nicht wären, würde auch die Konstellation der Ursachen eine derart andere sein, dass die besagte Meinung nicht zustande käme. Allgemein lässt sich aus der Perspektive der 1. ebenso wie der 3. Person der Begründetheitsanspruch für eine als verursacht angenommene Handlung oder Meinung genau dann aufrecht erhalten, wenn man unterstellt, dass die Ursachen relevant anders aussähen, wenn die vorliegenden Gründe es wären. Ursachen und Gründe müssen geeignet zusammenhängen, kovariieren. Dies ist jedoch nicht etwa ein Zugeständnis, zu dem ein Determinist sich durchringen müsste, sondern das, was er ohnehin meint. Die Auffassung, unsere Meinungen und Handlungen, und damit, sofern es sie gibt, auch die Ursachen derselben, hätten keinen auch nur kontrafaktischen Bezug zu entsprechenden Gründen, ist eine massive Illusionsthese, die mit Determinismus und Indeterminismus, Kompatibilismus und Inkompatibilismus nichts zu tun hat. Das genaue Verhältnis von Gründen, sofern sie zu Beweggründen werden, und Ursachen kann dabei offen bleiben. Vielleicht sind Gründe spezielle Ursachen, vielleicht ist die Ursache der Meinung oder Handlung das Erfassen des Grundes in einem geistigen Akt, oder vielleicht ist das Verhältnis ein noch anderes. Es reicht aus zu behaupten, dass Gründe für und Ursachen von Meinungen oder Entscheidungen in der richtigen Weise korreliert sind oder kovariieren, um dem behaupteten performativen Widerspruch zu entgehen. Wir wissen selbstverständlich, dass diese Korrelation oder Kovarianz nicht immer besteht, aber soweit wir den Begründungsanspruch für eine unserer Meinungen oder Handlungen aufrecht erhalten und außerdem an ihr Verursachtsein glauben, müssen wir eine solche unterstellen. Dies läuft, wie angedeutet, auf die Behauptung bestimmter kontrafaktischer Konditionale hinaus. Nun könnte man hier wiederum ansetzen und fragen, was denn für die Wahrheit dieser Konditionale spreche. Warum sollte eine solche „passende“ Kovarianz von Gründen und Ursachen bestehen? Das ist eine Frage, die nicht weniger als die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes und das Körper-GeistProblem ins Spiel bringt. Es ist aber nicht zu sehen, weshalb ein Indeterminist bessere Karten in der Hand haben sollte, diese Aufgaben zu bewältigen, als ein Determinist. Auch ein Indeterminist muss ja meinen, dass seine Handlungen oder Meinungen relevant andere wären, wenn die Gründe relevant andere wären. Auch er muss kontrafaktische Konditionale der Art für wahr halten, dass er eine Ko-
13.2 Globale Determinismusthesen und performative Widersprüche
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varianz seiner Meinungen und Handlungen mit der Konstellation der ihm vorliegenden Gründe unterstellt. Unabhängig von jeder Diskussion um Determinismus und Indeterminismus setzt ein Begründetheitsanspruch für Meinungen und Handlungen die Empfänglichkeit des jeweiligen Subjekts für Gründe voraus. Dieses kann nur dann beanspruchen, seine Meinung oder Handlung erfolge aus bestimmten Gründen, wenn es mit ihr auf die vorhandenen Gründe reagiert, und das impliziert, dass die Meinung oder Handlung anders aussähe, wenn die vorhandenen Gründe relevant andere wären. Wenn zu diesem (impliziten) Anspruch ein deterministisches Weltbild hinzutritt, dann folgt offenbar weiter, dass, wenn die vorhandenen Gründe relevant andere wären, auch die Konstellation der wirkenden Ursachen eine andere wäre, da sonst die Meinung oder Handlung nicht anders ausfallen könnte. Der kausale Prozess, der die Meinung oder Handlung hervorbringt, kann nicht unabhängig von den Gründen und muss insofern für diese empfindlich sein, aber das Subjekt muss sowieso, Determinismus hin oder her, für Gründe empfänglich sein, wenn es etwas aus Gründen für wahr halten oder tun soll. Für die Zurückweisung des Selbstwiderspruchsargumentes reicht es deshalb aus, auf die Unbegründetheit des zweiten Schrittes hinzuweisen. Es ist nicht so, dass ein Determinist sich dadurch mit speziellen kontrafaktischen Konditionalaussagen oder Kovarianzbehauptungen belasten würde. Soweit diese aufklärungsbedürftig sind, sind sie es nicht mehr und nicht weniger als das Phänomen der Empfänglichkeit für Gründe überhaupt, das jeder, ganz gleich ob Determinist oder Indeterminist, unterstellen muss. Auch in diesem Kontext ist es hilfreich, sich den Idealfall maximaler Rationalität zu vergegenwärtigen. Was wird ein vernünftiger Mensch tun, wenn er mit einem zwingenden oder einem starken Grund, der ersichtlich durch nichts aufgewogen wird, konfrontiert ist? Er wird in Anbetracht dieses Grundes die entsprechende Meinung ausbilden oder die entsprechende Handlung ausführen, und zwar alternativlos. Damit ist er in dieser Angelegenheit determiniert. Weiterhin kann der Grund nach dem hier verwendeten weiten Ursachenbegriff auch als Ursache der Meinung oder Handlung angesprochen werden, aber das ist nicht essentiell. Entscheidend ist die Alternativlosigkeit und damit die Notwendigkeit, mit der angesichts des besagten Grundes die Meinung gebildet oder die Handlung ausgeführt wird. Es handelt sich um eine Determination durch gute Gründe oder den mentalen Prozess der Einsicht in sie. Besteht eine solche Notwendigkeit nicht, so ist das eben ein Fragezeichen an der Rationalität der betreffenden Person. Diese Grundstruktur bleibt auch dann bestehen, wenn sie mit den nötigen Qualifikationen versehen wird. Jawohl, Lapsus sind epistemisch niemals definitiv ausgeschlossen: Personen, wie wir sie kennen, sind dafür anfällig. Und relevante Aspekte einer Angelegenheit können verborgen sein und dann leicht übersehen werden. Aber das hat nicht mit einer wesentlichen Spannung zwischen Deter-
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13 Normativität und Determinismus
minismus und Rationalität oder Normativität, sondern mit unserer Unvollkommenheit zu tun. Und jawohl, auch angesichts eines sehr starken Grundes ist es nicht unvernünftig, eine Sache nochmals zu durchdenken und nach Gegengründen Ausschau zu halten, die man eventuell übersehen hat.Wenn aber nun die Zeit allmählich drängt und sich die Einschätzung bei weiterem Überlegen nur bestätigt, indem Gegengründe partout nicht auftauchen – was wird ein vernünftiger Mensch tun? Die Grundstruktur ändert sich durch solche Epizykel nicht. Und wir alle kommen in gewissen Typen von Situationen dem angedeuteten deterministischen Idealfall zumindest nahe. Das Festgelegt- oder Determiniertsein von Handlungen oder Meinungen bedeutet also als solches keineswegs ihre Zurückführung auf eine arationale Quelle, die unabhängig von vorhandenen Gründen ihre Wirkung entfaltet.
14 Verantwortung und Determinismus 14.1 Das einfache Argument für den Inkompatibilismus Der Hauptteil der philosophischen Diskussion um Willensfreiheit und Determinismus bezieht sich auf die Frage moralischer Verantwortung, moralischer Schuld und moralischen Verdienstes. Sie dreht sich darum, unter welchen Bedingungen Handlungen in diesem spezifischen Sinne zurechenbar sind, und ob diese Bedingungen unter deterministischen Umständen erfüllbar sind. Tatsächlich scheint es äußerst naheliegend zu sein, dass, wenn man sich über jemanden empört, jemandem Vorwürfe macht oder ihn moralisch verurteilt, man damit nicht nur impliziert, dass die Person anders hätte handeln sollen, sondern auch, dass sie anders hätte handeln können. Dass die Verletzung von Normen im Spiel ist, ist klar, und darüber hinaus handelt es sich um solche Normen, deren Beachtung in der Macht der Person steht – und zwar nicht bloß „im Allgemeinen“ oder „unter Normalbedingungen“, sondern unter den tatsächlich obwaltenden Umständen. Sonst könnte die Person mit den Worten entschuldigt werden: „Sie konnte (in dieser konkreten Situation, in der sie sich nun einmal befand) nicht anders.“ Wer wirklich und wahrhaftig nicht anders kann (und zwar in eben der spezifischen Situation), den trifft kein Vorwurf – es sei denn, er hat diese Situation oder den Zustand des Nicht-anders-Könnens in ihr selber herbeigeführt durch moralisch zurechenbare Handlungen, bei denen für ihn vorhersehbar war, dass sie zu der besagten Unfähigkeit führen würden. Qualifikationen dieser Art, deren genaue Formulierung ein eigenes Problem darstellt, sind in vielen Kontexten wichtig und sollten nicht unterschlagen werden. Sie ändern aber nichts an dem grundsätzlichen Sachverhalt. Der entscheidende Unterschied zwischen einer bloßen und einer vorwerfbaren Nicht-Erfüllung einer Norm ist, dass im letzteren Fall die Erfüllung in der Macht der betreffenden Person stand, dass es ihr also möglich gewesen wäre, der Norm Genüge zu tun, und die erwähnte Qualifikation bezieht sich lediglich auf den Zeitraum und die Umstände des Bestehens dieser Möglichkeit, die in geeigneter Form jedenfalls vorhanden gewesen sein muss. Diese Sichtweise stützt sich auf das Argument, dass bei moralischen Vorwürfen die Rückfrage „Was hätte die Person denn anderes tun können?“ stets sinnvoll zu sein und eine Antwort zu erfordern scheint. Diese Frage legt die Existenz von Verhaltensalternativen als Voraussetzung zumindest für moralische Schuld außerordentlich nahe. Angesichts dessen besteht die nächstliegende Strategie für einen Kompatibilisten darin, die Rede von Handlungsalternativen auf eine Weise zu verstehen, die den Determinismus nicht ausschließt. In der Tat ist zunächst einmal offen, ob das „sie konnte nicht anders“ als Entschuldigung sich
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nicht bloß auf bestimmte Formen der Festlegung bezieht, deren Vorliegen keineswegs aus dem Determinismus als solchem folgt.Wir wissen aber bereits aus der Diskussion in Kapitel 11, dass dieser Weg allem Anschein nach versperrt ist. Es hat sich herausgestellt, dass keine befriedigende kompatibilistische Explikation der Idee mehrerer Handlungsoptionen in einer konkreten Situation zu haben ist. Das war keineswegs von vornherein klar, und insofern ist auch nicht von vornherein klar, dass die dargestellte Grundintuition bei moralischer Zurechnung inkompatibilistischer Natur ist. Aber nach dem, was wir oben gesehen haben, ist sie es.
14.2 Moralische Verantwortung ohne Handlungsalternativen? Die Alternative für einen Kompatibilisten besteht darin, die besagte Intuition in Frage zu stellen und zu argumentieren, dass moralisch zurechenbares Handeln auch ohne einschlägige Alternativen möglich sei. Der wichtigste neuere Vertreter dieser Strategie ist Harry Frankfurt, der einerseits durch Beispiele zeigen wollte, dass wir manchmal auch dann Verantwortung zuschreiben, wenn dem Akteur in der gegebenen Situation nur eine Handlung möglich ist,¹⁹² und andererseits eine Konzeption moralischer Verantwortung vorschlug, die nicht nur mit einem (globalen) Determinismus, sondern auch mit dem Fehlen von Handlungsalternativen in jedem Sinne vereinbar ist.¹⁹³ Die entsprechenden Aufsätze von Frankfurt waren und sind außerordentlich einflussreich und haben jeweils eine eigene Subdiskussion nach sich gezogen, der ich hier nur zum Teil gerecht werden kann.¹⁹⁴ Frankfurts Konzeptionen von Willensfreiheit und Verantwortung fallen nicht zusammen, aber da es in diesem Kapitel um moralische Verantwortung geht, werde ich mich auf die letztere konzentrieren. Frankfurts Konzeption beruht auf der Idee, dass die Zustimmung zur eigenen Motivationslage verantwortungskonstituierend sei.Wer aus Motiven handelt, die er reflexiv bejaht, wer so motiviert ist, wie er motiviert sein möchte, der ist für sein Handeln verantwortlich.Wenn er sich reflexiv mit seinem Tun und den zugrunde liegenden Motiven identifiziert und in diesem Sinne voll und ganz hinter dem steht, was er tut, ist er dafür auch verantwortlich. Bei wem sich keine Dissoziation zwischen seinem Handeln und dem, was er reflexiv will, abzeichnet, bei dem ist nicht relevant, ob er anders kann oder nicht. Auch wenn er anders könnte, würde er nicht anders wollen. Alternativen
Siehe Frankfurt (). In Frankfurt (). Siehe Betzler und Guckes () zu Frankfurts Auffassungen insgesamt und Widerker und McKenna () sowie Kane (, Teil V) speziell zur Diskussion um die „Frankfurt-style cases“.
14.2 Moralische Verantwortung ohne Handlungsalternativen?
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sind für ihn nicht wichtig, weil er sie, wenn sie denn bestünden, doch nicht ergreifen würde, noch wünschen würde, sie ergreifen zu können. Mit den Worten „ich kann (oder konnte) nicht anders“ kann man sich deshalb nur dann entschuldigen, wenn man gerne anders können würde (oder gekonnt hätte), und zwar, weil man gerne anders handeln würde (oder gehandelt hätte). Verantwortungskonzeptionen dieser Art haben als gemeinsamen Nenner, dass für moralische Verantwortung das Handlungsmotiv mit anderen, in irgendeinem Sinne „höheren“ oder „tieferen“ Einstellungen des Akteurs zusammenstimmen muss. Was dieser Sinn ist und um welche Einstellungen es sich handelt, kann sehr verschieden aufgefasst werden. Für Frankfurt ist es eine Übereinstimmung zwischen Wünschen verschiedener Stufe, nämlich zwischen dem handlungsleitenden Wunsch und einem darauf gerichteten Wunsch zweiter Stufe, der erstere möge handlungswirksam sein. Statt eines solchen volitiven Kriteriums kann man auch ein eher kognitives nehmen, etwa dass die Handlung im Einklang mit den Werturteilen des Akteurs steht – wie immer man diese dann versteht. Obwohl es eine wichtige Frage ist, was man an dieser Stelle genau einsetzen sollte, brauchen wir für unsere Zwecke hier nicht zu differenzieren. Frankfurt selber hat seine Konzeption in späteren Arbeiten erheblich ergänzt, expliziert und auch modifiziert.¹⁹⁵ Ich gehe darauf nicht näher ein, einerseits, weil uns das zu weit von unserem Gegenstand, der Frage nach moralischer Verantwortung ohne Handlungsalternativen, wegführen würde, andererseits aber, weil ich mich hier mit Konzeptionen eines bestimmten Typs befassen und diesen weit fassen möchte. Leitend ist dabei der Gedanke, dass bestimmte mentale Einstellungen einen besonderen Status haben, nämlich beanspruchen können, das zu repräsentieren, was der Akteur „eigentlich“ will. Das (explizite oder implizite) Stellungnehmen zu den eigenen Wünschen spielt bei jeder praktischen Überlegung, die nicht lediglich auf die Mittel zur Erreichung eines eng umschriebenen gegebenen Zwecks zielt, eine wesentliche Rolle.Wenn man verschiedene Wünsche koordinieren und dabei gewisse zunächst oder vorrangig erfüllen möchte, andere zurückzustellen sich vornimmt, erst recht, wenn man grundsätzlich überlegt,was einem wie wichtig ist, reflektiert man in der einen oder anderen Weise auf die eigenen Wünsche und verhält sich zu ihnen. Man weist den einzelnen einen Platz in einem größeren Handlungszusammenhang oder, etwas hochmögend, einem Lebensentwurf an, den sie dann einnehmen – oder eben nicht, im Falle von Akrasia oder Willensschwäche. Dieses Platzanweisen kann implizit geschehen, mit einem Blick, der weniger nach innen als nach außen, auf die Gegenstände der verschiedenen Wünsche gerichtet ist, aber das
Siehe insbesondere Frankfurt (), () und nochmals zusammenfassend ().
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ändert nichts an dem grundsätzlichen Sachverhalt. Die Zweitstufigkeit ist ein charakteristischer Zug aller praktischen Überlegungen, die nicht auf eine ganz einfache und direkte Weise instrumentell sind. Dass man schlechthin nicht oder gerade doch möchte, dass ein bestimmter erststufiger Wunsch handlungsleitend sei, ist dabei nur ein Grenzfall, dessen Betonung eher verdeckt, worum es Frankfurt geht oder gehen sollte. Der typische Fall ist, dass man sich von einem gegebenen Wunsch (nur) in einem bestimmten Maße oder in bestimmter Weise leiten lassen möchte, ihn nicht schlechthin bejaht oder verneint, sondern (nur) in einem gewissen Umfang und Rahmen zu erfüllen beabsichtigt. Die Kritik, die durch verschiedene Züge von Frankfurts Präsentation zumindest sehr nahegelegt wird und ihn insofern auch trifft, dass er nämlich ein bloßes Randphänomen ins Zentrum seiner Verantwortungs- und Freiheitskonzeption stelle, lässt sich unter systematischen Gesichtspunkten also zurückweisen.¹⁹⁶ Ebenso wenig sind Verantwortungskonzeptionen dieses Typs auf die Ansicht festgelegt, die erststufigen Wünsche einer Person seien dieser äußerlich und müssten von ihr durch reflexive Bejahung oder andere Prozesse erst angeeignet werden, um ihr Handlungsgründe zu geben. Wiederum sagt Frankfurt vieles, das sich in diesem Sinne auffassen lässt. Damit würde er sich in eine philosophische Tradition stellen, die Wünsche (erster Stufe) grundsätzlich mit Misstrauen betrachtet, als etwas, das in ihrem Subjekt aufsteigt und sein Handeln direkt zu bestimmen droht, von ihm in dieser Rolle aber zurückzudrängen und lediglich wie ein von außen kommender Vorschlag aufzufassen ist, der von einer unabhängigen Instanz geprüft werden muss.¹⁹⁷ Wieder kann ich offen lassen, inwieweit diese Kritik Frankfurts eigene Auffassungen trifft. Sicherlich sind Verantwortungs- und
Eine solche Kritik wird wirkungsvoll von Kusser () vorgetragen. Ihr zufolge spielt die zweite Stufe nicht nur de facto keine wesentliche Rolle, sondern könnte eine solche im praktischen Überlegen und bei der Handlungsleitung auch gar nicht sinnvoll spielen. Da bleibt von Frankfurt nichts übrig. Die entscheidende Frage ist aber, ob es sich bei dem, was Kusser „praktische Überlegungen erster Stufe“ nennt, tatsächlich um einen (im Wesentlichen) erststufigen mentalen Prozess handelt. Das ist meines Erachtens nicht der Fall. Eine solche Kritik wird eingehend von Stemmer (, § ) geübt, der Frankfurt diesbezüglich in eine Linie mit Platon und Kant stellt. Die besagte unabhängige Instanz, die die Wünsche erst zu prüfen und die Handlungsleitung durch sie anzunehmen oder zu verwerfen hat, wäre bei diesen die Vernunft, bei Frankfurt wären es Volitionen zweiter Stufe. Das sieht von vornherein weniger plausibel aus, insofern es sich dabei auch nur wieder um Wünsche und eben nicht um eine Instanz eigenen Rechts handelt. Allen gemeinsam wäre aber die Idee, dass man hinsichtlich der eigenen Wünsche zunächst passiv und ihre Zugehörigkeit zu einem selbst problematisch ist, während der Akt ihrer reflexiven Aneignung oder Zurückweisung,wie immer näher zu bestimmen, etwas Aktives ist, das in einem prägnanten Sinne vom Subjekt selbst vorgenommen wird. Siehe auch Pothast ().
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Freiheitskonzeptionen des generellen Typs auf so weitgehende Annahmen nicht festgelegt. Dass man zu den eigenen Wünschen nicht nur de facto Stellung bezieht, sondern in größeren Handlungszusammenhängen dies auch tun und jeden auf seinen bestimmten Platz verweisen muss, um das eigene Handeln zu koordinieren und ihm Kohärenz zu verleihen,¹⁹⁸ ja dass sich das Subjekt erst auf diese Weise als ein zeitübergreifendes psychisch konstituiert, indem es nur so über eine episodische Existenz hinauskommt, impliziert nicht schon eine prima-facie-Entfremdung von den eigenen (erststufigen) Wünschen, die durch mentale Akte spezieller Art erst zu überwinden wäre. Dennoch kann man fragen, warum denn höherstufige Einstellungen (Wünsche oder Bewertungen), die sich auf das eigene erststufige Wünschen oder das handlungsleitende Wollen der Person beziehen, mit dem identifiziert werden können, was die Person „wirklich“ oder „eigentlich“ will. Es ist plausibel, dass die Möglichkeit der Repräsentation und Reflexion der eigenen mentalen Zustände dasjenige ist, was Personen ausmacht und die spezifische Differenz zu Tieren und kleinen Kindern darstellt. Da Personen, und nur Personen, für ihr Tun auch verantwortlich sind, sollte moralische Verantwortung etwas mit diesem Merkmal zu tun haben. Ebenso liegt es wegen des konstitutiven Zusammenhangs mit dem Personsein nahe, dass die Ergebnisse solcher Reflexion wesentlicher zu der Person gehören und eher mit ihr identifiziert werden sollten als ihre erststufigen mentalen Zustände. Dieser Vorrang kann aber kein einfacher und direkter sein. Es ist ja vorstellbar, dass jemand seinen Herzenswünschen aufgrund von anderen Wünschen Abbruch tut, die mehr mit dem zu tun haben, was sein Umfeld ihm in einem schlechten Sinne einredet. Er bejaht die letzteren und richtet seine Handlungen an ihnen aus, ist dabei aber von dem entfremdet, was er „im Grunde“ oder „eigentlich“ will. Es ist allgemein anzunehmen, dass vom sozialen Umfeld de facto akzeptierte Gesichtspunkte und Gründe in bewussten praktischen Überlegungen und Reflexionen über das eigene Tun leichter als andere, weniger öffentlichkeitstaugliche, zum Zuge kommen, insofern die Rechtfertigung einer Handlung sich selbst gegenüber eine internalisierte Form der Rechtfertigung anderen gegenüber ist. Es ist sicherlich auch so, dass dies zu besonderen Formen der Inauthentizität führen kann. Der Punkt ist nun aber, dass das Subjekt in einem solchen Falle nicht dadurch mit sich ins Reine kommt, dass es entgegen seinem Urteil darüber, was es am besten tun sollte, einfach den besagten Herzenswünschen folgt, sondern dadurch, dass es die Konstellation durchschaut, die Her Der diachrone Charakter der menschlichen Motivation und des menschlichen Handelns spielt bei Stemmer () eine zentrale Rolle, und er arbeitet deutlich heraus, dass es für die Koordination von Wünschen der Reflexion auf diese bedarf (siehe insbesondere § ). Er glaubt nur nicht, dass das Frankfurts Thema ist.
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zenswünsche wieder in ihre Rechte einsetzt und sich nun von den gegenläufigen, ihm bloß eingeredeten, partiell oder vollkommen distanziert. Da dies seinerseits ein Akt der Reflexion unter anderem auf die eigenen mentalen Zustände ist, nur mit einem anderen Resultat, ist die These vom Vorrang der zweiten Stufe, richtig verstanden, korrekt. Sie ist aber nicht korrekt als einfache Identifikation des „eigentlichen“ Wollens eines Subjekts mit dessen höherstufigen Einstellungen. Zu klären wäre weiterhin, ob es im Rahmen einer Konzeption dieser Art günstiger ist, das Verantwortlichkeitskriterium des Zusammenpassens von Einstellungen unterschiedlicher Stufe positiv zu formulieren, wie ich es hier getan habe, oder negativ, als Abwesenheit eines Konflikts. Ersteres hat den Vorteil, dass ohne weiteres herauskommt, dass Tiere für ihr Verhalten nicht verantwortlich sind, weil ihnen die Reflexionsmöglichkeit fehlt. Tiere haben keine mentalen Einstellungen in Bezug auf eigene mentale Zustände, sie werten ihre Wünsche und Motive nicht, sie bejahen oder verneinen sie nicht, und deshalb ist von vornherein klar, dass ein Zusammenstimmen von höher- und niederstufigen mentalen Zuständen bei ihnen nicht Betracht kommt. Aus prinzipiellen Gründen sind sie daher für ihr Verhalten nicht verantwortlich – gewiss ein erwünschtes Ergebnis. Analoges gilt für kleine Kinder. Die positive Fassung des Kriteriums hat allerdings den Nachteil, dass sie sehr anspruchsvoll ist. Wir wollen nicht sagen, dass jemand für sein Handeln nur dann verantwortlich sei, wenn er explizit seine eigenen Motive reflexiv bejahe oder positiv bewerte – das wäre ein unrealistischer Anspruch. Um an dem Kriterium festzuhalten, muss man stattdessen sagen, die Bejahung oder positive Bewertung der eigenen Motive sei oft nur implizit, aber es ist fraglich, ob sich hinter dieser Wendung etwas anderes verbirgt als die Abwesenheit eines Konflikts bei einem Wesen, das prinzipiell solcher Konflikte zwischen mentalen Einstellungen verschiedener Stufe fähig ist. Zudem legt die positive Fassung des Kriteriums die erwähnte grundsätzliche Entfremdung des Subjekts von seinen Wünschen nahe, die jeweils erst durch einen eigenen mentalen Akt zu überwinden wäre. Auch dieser Punkt muss hier nicht geklärt werden. Es geht mir, wie gesagt, um Frankfurtsche Verantwortungskonzeptionen im Sinne eines Gattungsbegriffs. Klar ist jedenfalls, dass, wenn durchaus keine entsprechende Spannung innerhalb der Person auszumachen ist, weil diese reflektiert und gerne und von ganzem Herzen (und was immer man hier noch anführen könnte) tut, was sie tut, dann die Entschuldigung „ich konnte nicht anders“ nicht in Betracht kommt. Und zwar nicht, weil es nicht wahr wäre, dass die Person nicht anders konnte – das bleibt vielmehr offen. Frankfurt schlägt keine Analyse, insbesondere keine kompatibilistische Analyse, von „anders können“ vor. Der Punkt ist vielmehr, dass die Person unter den genannten Umständen kein wie auch immer geartetes Interesse am Ergreifen einer alternativen Möglichkeit hat und daher mit einer solchen doch nichts an-
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fangen würde. Deshalb ist das Bestehen oder Nicht-Bestehen derartiger Möglichkeiten im Verantwortungssinne irrelevant. Ein Beispiel, das Frankfurt öfter verwendet, ist ein Drogenkonsument, der seine Sucht mit allen ihren Implikationen bejaht und die Droge gerne nimmt, die, wie wir annehmen wollen, immer ausreichend zur Verfügung steht. Wenn er die Droge nicht freiwillig einnähme (was er tut), würden ihn heftige Entzugserscheinungen dazu zwingen. Insofern gibt es für ihn keine Alternative zum Nehmen der Droge. Trotzdem ist er dafür voll verantwortlich, denn er ist sich seines Zustandes bewusst, bejaht ihn, und nimmt die Droge insofern freiwillig und nicht gezwungen. Der durch die Entzugserscheinungen auftretende Zwang ist eine Ursache im Wartestand, die, wie die Dinge liegen, tatsächlich nicht das Handeln des Süchtigen bestimmt, vielmehr erst dann zum Zuge käme, wenn dieser sich entschlösse, die Droge abzusetzen, was aber – so ist das Beispiel gemacht – nicht geschieht. Sein Handeln ist also nicht vom Zwang bestimmt und dennoch alternativlos, weil der Zwang eben gegebenenfalls einsetzen würde. Solange es dazu aber nicht kommt und der Süchtige an ein Aufhören nicht denkt, ist er laut Frankfurt verantwortlich für sein Tun. Er hat zwar keine Alternative zum Nehmen der Droge, aber er nimmt sie nicht, weil er keine Alternative hat. Wenn ihm die Alternative offen stünde, würde er sie doch nicht ergreifen, und es macht deshalb nichts aus, dass sie nicht vorhanden ist. Während Verantwortlichkeit für Frankfurt in einer Übereinstimmung der Handlungsmotivation mit Volitionen zweiter Stufe besteht, ist für Willensfreiheit mehr gefordert: nämlich, dass kontrafaktisch das handlungswirksame Motiv ein anderes wäre, wenn die Volitionen zweiter Stufe relevant andere wären. Diese anspruchsvollere Bedingung ist bei unserem Drogenkonsumenten nicht erfüllt. Wenn er sich besinnen und die Droge lieber nicht mehr nehmen würde, dementsprechend den höherstufigen Wunsch ausbildete, sein Verlangen nach der Droge möge verschwinden oder jedenfalls nicht mehr sein Handeln leiten, dann würde dieser Wunsch, so wie das Beispiel konstruiert ist, frustriert. Die im Beispiel imaginierte Person ist deshalb in Bezug auf ihren Drogenkonsum verantwortlich, aber nicht willensfrei. Da es hier um moralische Verantwortung geht,werde ich auf diesen Aspekt von Frankfurts Auffassungen nur am Rande eingehen. Das Beispiel ist jedoch nicht geeignet, die Vorstellung, dass zu moralischer Verantwortung Handlungsalternativen gehören, nachhaltig zu erschüttern. Zunächst ist die Charakterisierung der Lage gar nicht plausibel.Warum kann sich der Süchtige nicht in eine ausbruchsichere Entzugsklinik begeben? Oder, wenn es eine solche nicht gibt, seine Freunde bitten, ihn einzusperren, bis die Entzugserscheinungen überstanden sind? Da er sich die Droge offenbar leisten kann, sollte er auch Leute für eine solche Dienstleistung bezahlen können. Es scheint bei jeder halbwegs realistischen Ausgestaltung des Falls also doch relevante Alternativen
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zum Konsum der Droge zu geben. Freitod wäre auch eine (radikale) Alternative. Unser Eindruck von Verantwortung in dem Beispiel könnte daher rühren, dass wir solche Alternativen im Hinterkopf haben. Damit sich das Prinzip alternativer Möglichkeiten als Bedingung für moralische Verantwortung im vorliegenden Fall nicht einfach wie üblich zur Anwendung bringen lässt, muss man also zusätzlich annehmen, dass die Lage so ist, dass Alternativen zum Konsum durchaus nicht bestehen. Mit dieser zusätzlichen Annahme wird das Beispiel leider ziemlich künstlich und, noch mehr als zuvor, randständig. Lassen wir uns aber um des Arguments willen auf die nötigen Modifikationen ein: Ex hypothesi besteht keine Alternative zum Drogenkonsum. Aber, so könnte man im Sinne des Prinzips alternativer Möglichkeiten hier einwenden, was den Süchtigen im Beispiel verantwortlich macht, ist, dass er noch nicht einmal versucht, von der Droge loszukommen. Diesen Versuch könnte er, soweit das Beispiel reicht, sehr wohl unternehmen, und nur weil er dies unterlässt, ist ihm der Drogenkonsum moralisch zurechenbar.Wenn wir uns das Beispiel jedoch so erweitert denken, dass der Betroffene auch einen solchen Versuch unmöglich unternehmen kann, etwa weil ihn die Droge derart im Griff hat, dass der Gedanke ans Aufhören bei ihm nicht ernsthaft, sondern allenfalls als unverbindliches Gedankenspiel aufkommen kann, dann würden wir ihn nicht mehr verantwortlich machen – es sei denn, er hätte diesen seinen Zustand in zurechenbarer Weise herbeigeführt, beispielweise durch freiwilligen Erstkonsum der Droge bei Kenntnis ihrer Auswirkungen. In diesem Fall hätte der Betreffende aber zu einem früheren Zeitpunkt die Alternative gehabt, sich nicht in die besagte Verfassung zu bringen. Wenn wir uns das Beispiel konsequent ohne relevante Handlungsalternativen zu irgendeinem Zeitpunkt konstruieren, etwa: der Erstkonsum geschah ungewollt oder ohne Kenntnis der massiven Auswirkungen, die sich dann auch gleich einstellten usw., dann würden wir den Betroffenen für sein Tun nicht mehr verantwortlich machen. Der Hinweis auf unterlassene Versuche der Person, von der Droge loszukommen, um sie verantwortlich zu machen, mag dubios erscheinen. Handelt es sich denn hierbei überhaupt um Handlungsalternativen? Ist das Versuchen einer Handlung selber ein Handeln? Zumindest im Beispiel bereitet das keine Schwierigkeiten. Es geht dabei um ernsthafte Versuche, und diese implizieren verschiedene Maßnahmen, den Konsum der Droge zu unterbinden. Würde ein Abhängiger solche Maßnahmen ergreifen, damit scheitern, über dieses Scheitern entsprechende Enttäuschung zeigen, daraufhin weitere Anläufe unternehmen, die wiederum nichts fruchteten usw., dann würden wir ihn in der Tat für seinen Drogenkonsum (mit der erwähnten Qualifikation, dass er an seinem Zustand nicht durch früheres Handeln die Schuld trägt) nicht verantwortlich machen. Es ist tatsächlich ungefähr dies, was wir von jemandem erwarten, um ihn von der Verantwortung für seinen Konsum loszusprechen: Er tut, was er kann, er bemüht
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sich nach Kräften, ihn zu unterlassen, aber es gelingt nicht. Und hier sind selbstverständlich Handlungsalternativen im Spiel. Auch in den Handlungen, und nicht nur in eventuell schwer greifbaren Handlungsversuchen, besteht ein großer Unterschied zwischen einem widerwilligen, in seinen Entzugsversuchen scheiternden Süchtigen, der erst aufgrund solcher negativen Erfahrungen von Versuchen, von der Droge loszukommen, vernünftigerweise absieht, und dem von Frankfurt imaginierten Süchtigen, der gerne und im Alltagssinne freiwillig immer aufs Neue zur Droge greift. Der Unterschied besteht dann allerdings nicht mehr in dem Einnehmen der Droge als solchem. Und deshalb kann ein Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten den freiwilligen Süchtigen nur für seinen „bejahenden Konsum“ – insofern dazu eine Alternative besteht – und für seine Unterlassung von Versuchen, die Droge abzusetzen, verantwortlich machen, nicht jedoch für den Konsum als solchen, denn zu diesem besteht, so wie das Beispiel gemacht ist, gerade keine Alternative (unter Berücksichtigung der erwähnten Qualifikation). Frankfurt hingegen kann im Rahmen seiner Konzeption dem freiwilligen Konsumenten auch einfachhin Verantwortung für die Einnahme der Droge zusprechen. Das ist sicherlich ein Unterschied, der zugunsten von Frankfurt spricht, er ist aber nicht groß genug, um das Prinzip alternativer Möglichkeiten als Voraussetzung für moralische Verantwortung zu entkräften. Ein Vertreter dieses Prinzips wird eben zugestehen – allerdings auch zugestehen müssen – dass der Süchtige im Beispiel nur für die Art und Weise, in der er die Droge konsumiert, verantwortlich gemacht werden kann, nicht aber dafür, dass er sie überhaupt konsumiert (unter Berücksichtigung der besagten Qualifikation). Es geht dabei nicht um indirekte oder partielle Verantwortung des Süchtigen für seinen Konsum. Diese Gesichtspunkte sind andere und kommen erst ins Spiel, wenn wir die Geschichte der Sucht betrachten, uns also mit der stets mitgeführten Qualifikation beschäftigen. Geschah der Erstkonsum in moralisch zurechenbarer Weise und unter Wissen um die Folgen (um des Beispiels willen: sofortige unüberwindliche Abhängigkeit), dann ist der Süchtige aus der Sichtweise des Prinzips alternativer Möglichkeiten für seinen Erstkonsum direkt, für seinen späteren Konsum indirekt, und für beides vollständig verantwortlich, und zwar gleichgültig, ob er ein wollender oder ein widerstrebender Süchtiger ist. Geschah der Erstkonsum fahrlässig, so werden diese Verantwortlichkeiten zu partiellen. Ist der Erstkonsum in keiner Weise vorwerfbar, und hat er die um des Beispiels willen angenommenen extremen Folgen, dann ist der Konsum als solcher aus der Sicht des Prinzips alternativer Möglichkeiten ebenfalls in keiner Weise vorwerfbar, auch nicht indirekt oder partiell. Vorgeworfen werden kann dann nur noch der Modus, in dem der Konsum geschieht, falls und insofern zu diesem Modus eine Alternative besteht.
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Die These, dass für Verantwortlichkeit Handlungsalternativen nötig sind, kann somit angesichts dieses und ähnlich gelagerter Beispiele aufrechterhalten werden. Dafür ist allerdings ein Preis zu zahlen: Der Betroffene hat, so wie die Dinge in dem Beispiel liegen, im gegenwärtigen Stadium keine Alternative zum Drogenkonsum und ist daher für diesen für sich genommen nicht verantwortlich – anders als der Frankfurtschen Auffassung zufolge. Dass auch Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten geneigt sind, den Drogenkonsumenten verantwortlich zu machen, könnte daran liegen, dass sie stillschweigend annehmen, es hätte für ihn früher eine Alternative dazu gegeben, die er in zurechenbarer Weise ausgelassen hat, oder es bestünde jetzt für ihn eine Handlungsalternative, zwar nicht, den Konsum zu unterlassen, aber doch, einen entsprechenden ernsthaften Versuch zu unternehmen. Sowie man eine der beiden Unterstellungen macht, stehen alternative Handlungsmöglichkeiten im Raum, und ein Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten muss darauf bestehen, dass unsere Verantwortungszuschreibung darauf beruht, dass wir das Beispiel in diesem Sinne auffassen. Werden solche Lesarten ausgeschlossen, so sollte ihm zufolge auch unsere Zuschreibung ins Wanken geraten: Was hätte die Person denn tun sollen, oder was sollte sie jetzt tun? Die dialektische Situation ist folgende: Frankfurt wartet mit einer Konzeption moralischer Verantwortung auf, die als solche einiges für sich hat – ich komme darauf zurück – und bei der alternative Handlungsmöglichkeiten nicht erforderlich sind. Sein unmittelbarer Ansprechpartner ist daher jemand, der auf solchen Alternativen besteht, und ein solcher kann zunächst einmal ebenso Kompatibilist wie Inkompatibilist sein, oder auch sich diesbezüglich gar nicht positionieren. Dass er meiner Auffassung nach nur Inkompatibilist sein kann, beruht auf anderen, unabhängigen Überlegungen (siehe Kapitel 11), die für die jetzige Diskussion nicht in Anschlag gebracht werden müssen. Diese dreht sich darum, ob Verantwortlichkeit impliziert, dass man die in Rede stehende Handlung auch hätte unterlassen können – wie immer dieses „können“ zu verstehen sein mag. Das Beispiel des freiwilligen Drogenkonsumenten bietet einem Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten dabei Ausweichmöglichkeiten, aber für diese ist ein Preis zu zahlen. Frankfurt hat nun andere Beispiele in petto, die es dem Vertreter alternativer Möglichkeiten schwerer machen sollen, seine Position aufrechtzuerhalten. Tatsächlich bleibt bei ihnen die Situation aber grundsätzlich dieselbe. Auch die Struktur der Beispiele ist dieselbe: Eine Person handelt aus eigenen Erwägungen, eigenem Wollen und im vollen Bewusstsein ihres Tuns in bestimmter Weise, aber „Ursachen im Wartestand“, die, wie die Dinge liegen, tatsächlich nicht zum Einsatz kommen, sorgen für eine Situation, in der Alternativen zu der Handlung, oder zumindest zu der entsprechenden Sequenz von Körperbewegungen, nicht
14.3 Die Frankfurt-Beispiele
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bestehen. Das Neue ist nun, dass diese Alternativen nicht in der Form abgeschnitten werden, dass Versuche der Person, anders zu handeln, scheitern müssen, sondern in der Form, dass es zu solchen Versuchen gar nicht erst kommen kann. Dagegen können wir bei dem neuen Beispieltyp ruhig annehmen, dass, wenn es zu dem Versuch käme, die entsprechende alternative Handlung ausgeführt würde. Das Einsetzen von Zwang, wenn er denn nötig wird, erfolgt bei dem neuen Beispieltyp in einem viel früheren Stadium, eben so, dass bereits der Versuch abweichenden Handelns ausgeschlossen ist. Der Spielraum für das Bestehen verantwortungsrelevanter alternativer Möglichkeiten verringert sich deshalb erheblich – nach Frankfurts Intention verschwindet er ganz. Um diese „Frankfurt-style cases“ hat sich eine eigene Spezialdiskussion ausgebildet. Ich werde auf diese im Folgenden eingehen, aber ohne ihre ganze Komplexität abbilden zu können und ohne dass die von mir bisher vorgetragene Einschätzung dadurch wesentlich modifiziert würde. Der folgende Abschnitt vertieft sie und baut sie aus, kann aber ohne Schaden für den systematischen Gedankengang übersprungen werden, zumal die Frankfurtschen Beispiele in der Literatur bereits bis zum Überdruss diskutiert worden sind. Der Faden wird in 14.4 wieder aufgenommen.
14.3 Die Frankfurt-Beispiele Während Frankfurt seine positiven handlungs- und motivationstheoretischen Auffassungen immer erneut thematisiert und durch verschiedene Gesichtspunkte erheblich ergänzt hat, ließ er seine negative Argumentation, dass es für moralische Verantwortung keiner Alternativen bedürfe, stehen, ohne sie jemals wieder aufzunehmen.¹⁹⁹ Die von ihm zu diesem Zweck ersonnenen Beispiele, ihre möglichen Varianten und Deutungen haben schnell ein Eigenleben gewonnen, und es ist verständlich, dass er selber sich nicht nochmals eingehend dazu geäußert hat.²⁰⁰ Eine abstrakte Version des Beispiels, die bestimmte Probleme anderer Varianten vermeidet, sieht so aus: Der versierte Neurowissenschaftler Schwartz möchte sicherstellen, dass eine Person namens Joe eine bestimmte Handlung vollzieht. Zu diesem Zweck pflanzt Schwartz, ohne dass Joe davon Kenntnis hat, ein Überwachungs- und Manipulationsgerät in Joes Gehirn ein. Sollte Joe eine
Von kurzen Kommentaren und Repliken wie in Widerker und McKenna (), S. – , sehe ich dabei ab. Frankfurt () ist diesbezüglich fast mit Gettier () zu vergleichen.
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andere Handlungsweise als die von Schwartz gewünschte ernsthaft erwägen, oder sollte sich auch nur abzeichnen, dass er eine andere ernsthaft zu erwägen bereit ist, dann würde das Gerät dies registrieren und durch direkte Manipulationen an Joes Gehirnzustand die fragliche Handlung herbeiführen. Dieser Fall tritt, so wird angenommen, jedoch nicht ein. Es kann offen bleiben, ob oder in welchem Sinne er eintreten könnte – wie zuvor besteht der Witz der Frankfurtschen Argumentation unter anderem darin, dass er solche Fragen umgeht. Wir stellen uns also vor, dass es de facto nicht zum Eingreifen des Gerätes kommt. Joe denkt gar nicht daran, anders als von Schwartz gewünscht zu handeln. So überwacht das Gerät zwar die Vorgänge in Joes Gehirn, aber es wird nicht manipulierend tätig. Es stellt sich also nachträglich heraus, dass die von Schwartz eingebaute Sicherung nicht nötig gewesen wäre: Joe handelt ohnedies so, wie Schwartz das möchte. Die Anwesenheit der Sicherung bedeutet aber, dass Joe noch nicht einmal den Versuch einer abweichenden Handlung hätte unternehmen können. Ist Joe für sein Handeln verantwortlich? Wenn er es nicht ist, so die Intuition, die durch das Beispiel geweckt werden soll, dann jedenfalls nicht wegen des eingebauten Gerätes. Solange dieses nur überwachend, aber nicht manipulierend tätig ist, und solange sich daher alles für Joes Handeln Relevante so abspielt wie ohne Gerät, kann sich nichts an Joes Verantwortung ändern. Die Vorrichtung in seinem Gehirn spielt, so wie das Beispiel gemacht ist, keinerlei kausale oder sonstige Rolle beim Zustandekommen von Joes Handlung, sondern würde lediglich kontrafaktisch eine solche Rolle übernehmen. Da sie aber de facto keinen Einfluss ausübt, kann sie Joes Verantwortlichkeit nicht tangieren.Wenn wir also Joe ohne die Sicherungsvorrichtung in seinem Gehirn für die entsprechende Handlung verantwortlich machen würden, sollten wir es auch mit ihr tun, und das würde dann Verantwortlichkeit für ein Handeln bedeuten, bei dem sogar jeder Versuch der Ergreifung einer Alternative ausgeschlossen ist. Joe handelt, wie er handelt, nicht deshalb, weil alternatives Verhalten ausgeschlossen ist, sondern aus seinen eigenen Beweggründen und ist deshalb verantwortlich. Es kommt dabei nicht darauf an, ob wir bereit sind, bei dem kontrafaktischen Fall des Eingreifens des Apparates noch von einer Handlung Joes zu sprechen. Das scheint von der Art des Eingriffs abzuhängen. Vielleicht induzierte der Apparat, wenn er eingriffe, in Joe eine feste Handlungsabsicht, einen unerschütterlichen Entschluss, ohne weitere Überlegungen so zu handeln, der über Joe käme oder in ihm aufstiege, ohne dass Joe seine Quelle kennte. Es besteht dann meines Erachtens kein Grund, nicht von einer Handlung Joes zu sprechen. Wir wissen oft nicht, woher unsere (festen) Entschlüsse kommen. Sogar wer einem posthypnotischen Befehl gemäß etwas tut, scheint zu handeln, auch wenn er seine Handlung in einem schlechten Sinne rationalisiert. Und wenn jemand etwa sagt: „Auf einmal
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war ich sicher, dass dies das Rechte sei, tatsächlich war mir aber nur der Alkohol zu Kopf gestiegen“, dann bedeutet die Qualifikation nicht, dass der Handlungscharakter, sondern, dass die Rationalität und womöglich die Zurechenbarkeit der Handlung in Frage steht. So könnte es auch in Joes Fall sein. Nimmt man „handeln“, wie ich es hier durchweg tue, als „absichtliches Verhalten“, dann ist ohnehin klar, dass Joe, wenn der Eingriff des Apparates auf die angedeutete Art und Weise erfolgt, handelt. Ist jemand aber durchaus nicht bereit, Joes Verhalten, sofern es durch den Apparat ausgelöst wird, noch als Handlung anzusprechen, muss er stattdessen eben von „Verhalten“, von „Körperbewegungen bestimmter Art“ oder dergleichen sprechen, und es ist dann dieses Verhalten oder eine derartige Sequenz von Körperbewegungen, zu der keine Alternative besteht. Klar ist, dass Joe im Falle des Eingriffs des Apparates für das, was er tut oder was dann geschieht, nicht mehr verantwortlich wäre. Der Einfachheit halber spreche ich auch dieses Verhalten oder diese Körperbewegungen von Joe noch als seine Handlung an. Der Preis für die Verschärfung des Beispiels gegenüber dem des Drogenkonsumenten ist die utopische Annahme einer Überwachung und Manipulation der mentalen Vorgänge einer Person durch Überwachung und Manipulation der Prozesse in ihrem Gehirn. Dass diese Möglichkeit prinzipiell besteht, ist nicht gesagt. Wenn wir uns aber auf das Beispiel einlassen, bleiben einem Vertreter des Prinzips alternativer Möglichkeiten zwei Optionen. Zum einen kann er einfach leugnen, dass der Joe des Beispiels für sein Handeln verantwortlich ist – schließlich hat er keine Alternative! Was hätte er denn, bitte schön, tun sollen? Die notorische Frage kehrt einfach wieder, und damit stehen Intuitionen direkt gegeneinander. Wir werden sehen, dass das Insistieren auf dieser Rückfrage jedenfalls ein integraler Bestandteil der Antwortstrategie auf Frankfurts Beispiele ist, wenn man sich durch sie nicht überzeugen lässt.²⁰¹ Man sollte diese Karte aber nicht spielen, ohne sich näher mit den Beispielen auseinanderzusetzen. Zum anderen können nämlich alternative Möglichkeiten als Voraussetzung für Verantwortlichkeit dadurch verteidigt werden, dass man sie, dem ersten Anschein zum Trotz, auch im Beispiel auffindet, und, wie bei dem Drogenkonsumenten, die Einschätzung, dass Joe für sein Tun verantwortlich sei, mit der stillschweigenden Unterstellung solcher Möglichkeiten erklärt, wobei man hinzusetzt, dass, wenn auch diese Möglichkeiten explizit ausgeschlossen würden, der Eindruck von Joes Verantwortlichkeit schwände. Der Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten stellt dann nicht von vornherein Intuition gegen In-
Vor allem David Widerker () hat diesen Punkt stark gemacht.
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tuition, sondern erklärt die suggestive Wirkung der Beispiele mit seinen eigenen Mitteln. Das ist der bessere Weg, mit gegenläufigen Intuitionen umzugehen. Diese Überwachungsvorrichtung in Joes Kopf – wie schafft sie es eigentlich, jeglichen Versuch Joes, anders als von Schwartz gewünscht zu handeln, auszuschließen, ohne gleich das Gehirn zu manipulieren? Sie muss offenbar in der Lage sein, anhand irgendwelcher Indizien vorauszusehen, dass ein solcher Versuch bevorsteht oder droht. Die Maschine kann dabei ruhig zu restriktiv verfahren – ich habe den Fall so geschildert, dass sie bereits bei einer ernsthaften Erwägung Joes, anders zu handeln, eingreifen würde. Eine solche Erwägung ist normalerweise nicht hinreichend für den Versuch einer abweichenden Handlung, aber das Beispiel funktioniert nur dann, wenn sie im Falle Joes wenigstens notwendig ist, man also annimmt, dass ohne eine solche vorherige Überlegung Joe jedenfalls nicht abweichen würde. Könnte er auch spontan und unreflektiert anders als von Schwartz gewünscht handeln, dann könnte die Überwachung dadurch unterlaufen werden und Joe hätte, anders als im Beispiel intendiert, doch handfeste Handlungsalternativen. Die genannte Annahme müssen wir also zusätzlich machen. Mit dieser notwendigen Bedingung, die der Maschine als Signal zum Eingreifen dient, haben wir aber auch eine alternative Möglichkeit gefunden, die Joe trotz allem zur Verfügung steht, von ihm aber, so wie die Dinge im Beispiel liegen, nicht ergriffen wird. Er könnte nämlich eine andere Handlung ernsthaft erwägen, und dass er dies unterlässt, macht ihn verantwortlich. Schreitet der Apparat nicht erst bei ernsthaften Erwägungen ein, sondern, noch empfindlicher justiert, schon bei der bloßen Bereitschaft zu solchen, so können wir Joe gegebenenfalls vorwerfen, diese Bereitschaft nicht gehabt zu haben. Und so weiter. Es ist somit durchaus möglich, daran festzuhalten, dass Joe deshalb und nur deshalb verantwortlich für das besagte Handeln ist, weil es Dinge gibt, die er hätte tun können, um anders zu handeln, die er aber unterlassen hat. Er hat „nicht das Seinige getan“, um anders zu handeln – denn die Maschine hat ja nicht eingegriffen! Fügen wir aber hinzu, dass es nichts gab, das Joe hätte tun können, das den Apparat zum Eingreifen veranlasst hätte, dann, so die Behauptung gegen Frankfurt, wird unser Eindruck der Verantwortlichkeit ebenfalls untergraben. Diese Antwortstrategie firmiert in der Diskussion unter der Bezeichnung „flickers of freedom“.²⁰² Joes Freiheit im Sinne der Existenz alternativer Möglichkeiten ist ziemlich dürftig, sie „flackert nur noch auf“, besteht in „Funken von Freiheit“. Kein Gedanke, dass Joe anders als von Schwartz intendiert handeln
Die Bezeichnung stammt von John Martin Fischer, der diese Strategie eingehend untersucht hat (, Kap. .).
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könnte, kein Gedanke, dass er es auch nur versuchen könnte – er könnte es aber immerhin erwägen. Oder er könnte sich für eine solche Erwägung zumindest aufgeschlossen zeigen. Reichen solche Alternativen nun aus, um Joe verantwortlich zu machen? Es wiederholt sich, in verschärfter Form, die Situation, die wir schon bei dem Drogenkonsumenten hatten. Joes Verantwortung kann tatsächlich nicht mehr durch Berufung auf die Möglichkeit abweichenden Handelns erklärt werden, noch durch die Möglichkeit des Versuchs dazu, denn diese Alternativen sind ex hypothesi nicht vorhanden. Sie muss nun allein durch die unterlassenen Erwägungen oder die mangelnde Bereitschaft zu solchen zustande kommen. So wenig das ist, so ist es doch eine Replik auf Frankfurt. Denn mit den besagten Unterlassungen geht einher, dass Joe aus eigenem Antrieb tut, was er tut, anstatt durch den Apparat dazu gebracht zu werden. Die Alternativen sind deshalb relevant, weil mit ihrer Ergreifung das Gerät in Joes Gehirn die Kontrolle übernehmen und Schwartz verantwortlich werden würde. Könnte Joe gar nichts tun, was das Gerät zum Eingreifen bringen würde, dann wäre er auch in keinem Sinne für sein Handeln verantwortlich. Soweit die Replik auf Frankfurt. Für einen Vertreter des Prinzips alternativer Möglichkeiten kommt es dabei darauf an, dass Joe in zurechenbarer Weise etwas tun kann, das das Gerät zum Eingreifen bringen würde, das er aber tatsächlich nicht tut. Nur so wird er verantwortlich. Es reicht nicht aus, dass etwas passieren könnte, das den Eingriff der Apparatur veranlasst, denn die verantwortungsgenerierenden alternativen Möglichkeiten sind Handlungsmöglichkeiten und nicht bloß alternative Weltverläufe. Stellen wir uns etwa vor, dass die einzige Möglichkeit, die Joe dazu bringen könnte, eine andere Handlung als die von Schwartz gewünschte auch nur zu erwägen, ein erschütterndes Ereignis wäre, wie der Tod einer nahestehenden Person. Und stellen wir uns weiter vor, dass es die entsprechende psychische Erschütterung Joes wäre, die das Eingreifen des Gerätes veranlassen würde. Dieses würde dann nicht auf eine Handlung von Joe reagieren, sondern auf etwas ihn Involvierendes, dem er ausgeliefert wäre. In diesem Falle bestünden immer noch Alternativen für den Lauf der Dinge: Zwischen dem Einbau des Gerätes und der anvisierten Handlung könnte sich eine solche psychische Erschütterung ereignen und das Gerät daraufhin eingreifen, oder dergleichen könnte ausbleiben und daraufhin Joe, ohne ernsthaft über Alternativen nachzudenken oder dazu auch nur bereit zu sein, die von Schwartz und offenbar auch ihm selber gewünschte Handlung ausführen. In einer derartigen Konstellation muss ein Verteidiger des Prinzips alternativer Möglichkeiten auf jeden Fall bestreiten, dass Joe für sein Handeln verantwortlich wäre. Denn Joe kann hier nichts tun, was das Einschreiten der Apparatur provozieren würde, und dessen Unterlassung man ihm zurechnen könnte.
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Eine einfachere und direktere Replik auf Frankfurt wäre die folgende:²⁰³ Joe hat eine echte Alternative, und zwar, sich von dem Gerät zum Handeln bestimmen zu lassen. Seine Optionen sind: Handeln aus eigenem Antrieb – Handeln veranlasst durch die Apparatur. Und wenn man bei letzterem noch den Handlungscharakter leugnet, ergeben sich noch deutlicher die Optionen: eine bestimmte Handlung ausführen – zu einer entsprechenden Sequenz von Körperbewegungen durch den eingebauten Apparat veranlasst werden. Es gäbe dann sogar eine Alternative zu Joes Handlung! Wenn man die Sachlage so darstellt,versteht man auf einmal nicht mehr, wie das Beispiel das Prinzip alternativer Möglichkeiten als notwendige Bedingung für moralische Verantwortung überhaupt in Frage stellen kann. Es scheinen in Joes Fall keineswegs bloß „Freiheitsfunken“, sondern solide Alternativen vorzuliegen. Das Beispiel hätte dann jegliche Kraft eingebüßt. So einfach geht es allerdings nicht. Zum einen ist es,wie oben bereits bemerkt, problematisch, Joes Tun im Falle eines Eingriffs des Apparates den Handlungscharakter abzusprechen. Man braucht dazu einen anspruchsvollen Handlungsbegriff, der diverse Merkmale, die in der für mich leitenden Sichtweise lediglich die Vorgeschichte einer Handlung betreffen, als konstitutiv für das Handeln selber auffasst. Eine solche Weichenstellung wäre möglich, würde aber lediglich eine begriffliche Verschiebung bedeuten, und zudem eine wenig günstige. Es ist nicht gut, den Grundbegriff eines großen Zweigs der Philosophie, hier der praktischen Philosophie, nämlich den Begriff des Handelns, derart aufzuladen. Zum anderen weiß Joe gar nicht, noch kann er wissen, dass er diese Alternative – Handeln veranlasst durch den Apparat – hat. Daher kann ihm nachträglich auch nicht vorgeworfen werden, sie nicht ergriffen zu haben. Alles, was ihm vorgeworfen werden kann, ist, dass er eine alternative Handlung nicht erwogen hat, oder sich für eine solche Erwägung nicht aufgeschlossen gezeigt hat. Es bleibt somit bei den „Freiheitsfunken“. Sie sind es, die Joe in der Sichtweise des Prinzips alternativer Möglichkeiten verantwortlich machen – sie oder gar nichts. Es gelingt nicht, sie zu größeren Alternativen, über die Joe verfügt, aufzupumpen. Wir haben somit eine Replik auf Frankfurt, aber keine starke, sondern eine, die ihm etwas einräumen muss. Diese Replik ist, wie bemerkt, unabhängig davon, wie man die Rede von Handlungsoptionen oder das praktische Können expliziert, ob man diesbezüglich Kompatibilist oder Inkompatibilist ist. Die Gegensätze sind hier andere; es stehen Anhänger des Prinzips alternativer Handlungsmöglichkeiten als Voraussetzung für moralische Zurechenbarkeit gegen Frankfurts und verwandte Konzeptionen, und ich meine, dass sie ihre Position
Siehe z. B. Guckes ().
14.3 Die Frankfurt-Beispiele
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auch angesichts von Frankfurts Beispielen halten können. Für diese Zurückweisung ist allerdings ein Preis zu zahlen: Wenn das Gerät nicht eingreift, ist Joe nicht für die Handlung als solche oder für den Handlungserfolg verantwortlich, sondern nur für die genaue Art und Weise seines Zustandekommens. Denn nur diesbezüglich steht ihm eine Alternative offen. Insofern das Gerät Joe die Möglichkeit nimmt, die voreingestellte Handlung zu unterlassen, oder dies zu versuchen, oder eine Unterlassung auch nur ernsthaft zu erwägen, kann Joe, wenn man es mit den alternativen Möglichkeiten als Voraussetzung für Verantwortung ernst meint, nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass er all dies nicht tut. Seine Verantwortung schnurrt so erheblich zusammen, aber man kann daran festhalten, dass Joe nicht aus jeglicher Verantwortung im Zusammenhang mit der fraglichen Handlung entlassen ist. Es gibt für ihn relevante Alternativen, die er nicht ergreift.²⁰⁴ Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, dann hat Joe das Glück, dass er nur für bestimmte Aspekte davon verantwortlich ist. Insbesondere hätte sich der Erfolg auch ohne sein Zutun eingestellt, und Joe muss sein Gewissen mit diesem Erfolg nicht (zumindest nicht zur Gänze) belasten. Er hätte ja nichts tun können, das ihn verhindert hätte! Dennoch ist er charakterlich genauso zu beurteilen wie wenn er die Vorrichtung im Gehirn nicht hätte, denn diese greift ja nicht ein, und Joe weiß nichts von ihr. Joe hat also „moralisches Glück“. Wenn er das nicht zulassen möchte, ist ein Vertreter des Prinzips alternativer Möglichkeiten wirklich in Schwierigkeiten. Er darf dann die besagte Konzession an Frankfurt in keiner Form machen. Immerhin wäre, wenn das Gerät eingriffe, Schwartz allein für das Geschehen verantwortlich, und vielleicht lässt sich entsprechend vertreten, dass im Falle eines Nicht-Eingriffs Joe allein verantwortlich ist – aber nur, weil er etwas hätte tun können, das den Eingriff provoziert hätte. Ob sich diese Linie ausbuchstabieren und durchhalten lässt, ist mir unklar, und ich erwähne sie bloß, um sie wieder beiseite zu legen. Die Pointe des Prinzips alternativer Möglichkeiten scheint dadurch verloren zu gehen. Ich möchte das Gesagte weiter ausführen anhand eines Antwortversuchs auf Frankfurt, der aus inkompatibilistischer Perspektive naheliegend, tatsächlich aber unzureichend ist. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass für moralische Verantwortlichkeit ontische Alternativen nötig sind, kann man leicht den Ein-
Wer ist denn aber dann für die Handlung als solche oder das von Joe wie Schwartz angezielte Resultat verantwortlich? Im Sinne des Prinzips alternativer Möglichkeiten wird man wohl sagen müssen, dass Joe und Schwartz beide verantwortlich sind, wenngleich in eigentümlich asymmetrischer Weise. Die fragliche Handlung bliebe genau dann aus, wenn beide relevant anders agierten. Sie haben die alternative Möglichkeit sozusagen zusammen, aber Joe hat sie im Gegensatz zu Schwartz nicht allein.
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druck haben, dass die Beispiele von vornherein nicht greifen. Denn es scheint so, als würde die Vorhersageleistung, die der Apparat in Joes Gehirn erbringt, deterministische Bedingungen erfordern, in welchem Falle Joe aus inkompatibilistischer Sicht sowieso nicht verantwortlich wäre. Das Gerät kann Versuche abweichenden Handelns ja nur dann zuverlässig unterbinden, wenn es diese im Vorfeld ebenso zuverlässig detektieren kann. Sieht es einen solchen voraus, dann greift es ein und Joe ist für das folgende Geschehen nicht verantwortlich. Sieht es dagegen voraus, dass kein solcher Versuch erfolgen wird, dann muss Joe entsprechend determiniert sein – sonst wäre eine sichere Vorhersage ausgeschlossen – womit Joe aus inkompatibilistischer Sicht ebenfalls nicht verantwortlich ist. Wenn das wahr wäre, wäre es Frankfurt nicht gelungen, einen Fall beizubringen, in welchem jemand für sein Handeln verantwortlich ist, ohne alternative Handlungen auch nur versuchen zu können. Dass diese Gegenstrategie einen inkompatibilistischen Standpunkt voraussetzt, macht insofern nichts aus, als Frankfurt ja auch diesen treffen möchte. Es scheint somit, dass ein inkompatibilistischer Vertreter des Prinzips alternativer Möglichkeiten durch die Beispiele von vornherein nicht beeindruckt zu sein braucht.²⁰⁵ Diese Antwort auf Frankfurt ist instruktiv, aber unzulänglich. Sie übersieht, was ich in der hier diskutierten abstrakten Beispielvariante bereits berücksichtigt habe: dass das Gerät durchaus zu restriktiv verfahren kann. Es muss gar nicht vorhersehen können, ob Joe, wenn das Gerät ihn denn ließe, einen Versuch abweichenden Handelns starten würde oder nicht, sondern es muss nur bestimmte zeitlich vorhergehende notwendige Bedingungen eines solchen Versuchs detektieren können. Diese brauchen keineswegs auch hinreichend zu sein.Wenn es sich so verhält, ist das Gerät zu empfindlich eingestellt und greift auch dann ein, wenn es dessen gar nicht bedurft hätte, aber das macht nichts aus, solange die besagten Bedingungen nicht-trivialer Natur sind, das Gerät also nicht immer eingreift. Dass es solche nicht automatisch erfüllten, notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingungen für einen abweichenden Handlungsversuch gibt, ist ohne weiteres mit einem Indeterminismus hinsichtlich des Versuchs in Abwesenheit des Kontrollgerätes vereinbar. In diesem Fall könnte das Gerät die erforderliche Leistung erbringen, ohne dass Joe ohne Gerät in der relevanten Hinsicht determiniert sein müsste. Die Festlegung der Handlung und des entsprechenden Versuchs käme tatsächlich erst durch die Apparatur selbst zustande. Diese Fassung der Frankfurtschen Beispiele ist bereits ein Ergebnis der Diskussion um sie. Die ursprünglichen Versionen waren dem dargestellten Einwand
Auf diese Weise argumentieren Widerker () und Kane (, S. – , S. – ) gegen Frankfurt.
14.3 Die Frankfurt-Beispiele
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ausgesetzt. Sie lassen sich aber eben so modifizieren, dass auch Inkompatibilisten keine summarische Antwort mehr geben können und sich mit den Fällen konkret auseinander setzen müssen. Zur Illustration ziehe ich eine Fallschilderung von Derk Pereboom heran, die sich speziell an Inkompatibilisten (oder an Libertarier, also solche Inkompatibilisten, die die Plausibilität oder Wirklichkeit inkompatibilistischer Freiheit vertreten) richtet. Sie exemplifiziert die abstrakte Struktur, die ich hier durchweg im Auge habe: Joe is considering claiming a tax deduction for the registration fee that he paid when he bought a house. He knows that claiming this deduction is illegal, but that he probably won’t be caught, and that if he were, he could convincingly plead ignorance. Suppose he has a strong but not always overriding desire to advance his self-interest regardless of its cost to others and even if it involves illegal activity. In addition, the only way that in this situation he could fail to choose to evade taxes is for moral reasons. He could not, for example, [fail to] choose to evade taxes for no reason or simply on a whim. Moreover, it is causally necessary for his failing to choose to evade taxes in this situation that he attains a certain level of attentiveness to moral reasons. Joe can secure this level of attentiveness voluntarily. However, his attaining this level of attentiveness is not causally sufficient for his failing to choose to evade taxes. If he were to attain this level of attentiveness, he could, exercising his libertarian free will, either choose to evade taxes or refrain from so choosing (without the intervener’s device in place). However, to ensure that he will choose to evade taxes, a neuroscientist has, unbeknownst to Joe, implanted a device in his brain, which, were it to sense the requisite level of attentiveness, would electronically stimulate the right neural centers so as to inevitably result in his making this choice. As it happens, Joe does not attain this level of attentiveness to moral reasons, and he chooses to evade taxes on his own, while the device remains idle.²⁰⁶
Pereboom führt dieses Beispiel in der Absicht an, auch Inkompatibilisten zu der Anerkennung des Frankfurtschen Punktes – Verantwortung sei auch ohne Handlungsalternativen möglich – zu bewegen. Nach dem Vorhergehenden ist klar, dass ich nicht meine, dass er damit Erfolg hat. Aber Beispiele dieser Art vermeiden in der Tat das Dilemma, das für Frankfurt entstehen würde, wenn seine Gedankenexperimente derart wären, dass die Apparatur nur unter deterministischen Bedingungen leisten könnte, was sie leisten soll. Dies ist nicht der Fall, und angesichts dessen sollten (inkompatibilistisch oder anders gesinnte) Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten den oben beschriebenen Weg beschreiten und in jedem Beispiel, das eine Intuition der Verantwortlichkeit des Subjekts in uns wachruft, relevante alternative Möglichkeiten ausfindig machen. Nach diesen muss man auch hier nicht lange suchen: Joe hat die Option, sich in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit für moralische Belange zu begeben, oder dies zu unterlassen. Dass er es unterlässt, macht ihn verantwortlich. Pereboom (, S. – ) und zuvor (, Kap. , S. – ) sowie ().
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Verantwortlich wofür? Nicht für die gesamte vollendete Steuerhinterziehung, aber zumindest hat Joe es unterlassen, sich für moralische Belange hinreichend empfänglich zu zeigen.Wenn auch diese Alternative noch verschlossen wäre, kann und sollte ein Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten bestreiten, dass Joe in irgendeiner Weise für seine Steuerhinterziehung verantwortlich ist. So ist er es aber: wenn auch nicht oder nur zum Teil für die Steuerhinterziehung als solche, so doch für die Art und Weise, in der sie erfolgt. Pereboom selber sieht hier keine relevanten alternativen Möglichkeiten für Joe, meint nichtsdestoweniger, dass wir Joe für verantwortlich für die Steuerhinterziehung als solche halten würden, meint aber eben deshalb auch, dass die notorische Frage „Aber was hätte Joe deiner Meinung nach tun sollen?“ keine Antwort gestattet: When Widerker asks of Joe, in view of the fact that he had no robust alternative possibility, „What would you have him do?“,we should concede that there is no good answer. But against what we should admit to be this disturbing result,we should instead call attention to what Joe has actually done, and to the causal history by which his action came about.²⁰⁷
In diesem Zitat kommt die Pattsituation, die durch die Frankfurtschen Beispiele geschaffen, oder besser: nicht aufgelöst wird, sehr gut zum Ausdruck. Der Anhänger alternativer Möglichkeiten konfrontiert Frankfurt mit einem Dilemma, das in der Rückfrage „Aber was hätte die Person denn stattdessen tun können?“ zum Ausdruck kommt. Lautet die Antwort „Gar nichts, sie hatte keine Alternative!“, dann sollte er auch ihre moralische Verantwortlichkeit bestreiten. Lautet die Antwort dagegen: „Nun, immerhin hätte sie dies-und-jenes tun, etwa sich mental so-und-so einstellen können!“, dann haben wir eben darin die gesuchte alternative Möglichkeit. Ein Anhänger des Prinzips alternativer Möglichkeiten muss darauf bestehen, dass die verbreitete Intuition von Joes Verantwortlichkeit von der Unterstellung einer solchen Alternative herrührt und damit steht und fällt. Um eine Pattsituation handelt es sich deshalb, weil die Frankfurtsche Auffassung von Verantwortung einiges für sich hat. Das sieht man schon daran, dass ein Vertreter des Prinzips alternativer Möglichkeiten durch die Beispiele zu den besagten Konzessionen gezwungen ist. Man kann daher, wie Pereboom, zugeben, dass auf die notorische Rückfrage keine befriedigende Antwort möglich ist und dies als irritierendes Merkmal verbuchen, aber dabei bleiben, dass andere Situationsmerkmale es überwiegen und uns dazu bringen sollten, Joe trotz fehlender Alternativen für voll verantwortlich zu halten, und zwar für die Handlung insgesamt, in Perebooms Beispiel also für die Steuerhinterziehung als solche und nicht bloß für bestimmte Aspekte derselben. Denn diese wird von Joe, so wie die Dinge liegen, Ebenda, S. .
14.4 Reflexive Bejahung und Distanzierung vom eigenen Tun
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in jedem Sinne des Wortes eigenständig, freiwillig und reflektiert vorgenommen und der Erfolg dadurch kausal herbeigeführt. Alles in allem illustrieren Frankfurts Beispiele somit auf ihre Weise einen tiefen Intuitionenkonflikt und spitzen ihn zu, können ihn aber nicht entscheiden.
14.4 Reflexive Bejahung und Distanzierung vom eigenen Tun Für Frankfurt ist nicht eine Entstehungsgeschichte bestimmten Typs der fraglichen Handlung, die relevante Alternativen eröffnet, sondern die reflexive Bejahung der Handlungsmotive durch den Akteur entscheidend für Verantwortung. Und dazu passt, dass wir von Seiten des Akteurs das „Ich konnte nicht anders!“ nur dann als Entschuldigung akzeptieren, wenn sich darin eine Distanz zu der einschlägigen Motivationslage ausdrückt. Wir verstehen eine solche Aussage grundsätzlich so, dass der Sprecher wenigstens in der Rückschau gerne anders gehandelt hätte, aber durch irgendwelche Faktoren daran gehindert war. Die Aussage verweist auf einen äußeren oder inneren Zwang, dem der Sprecher zum Handlungszeitpunkt zu seinem Bedauern unterlag. Wir wären sehr verwundert, wenn er fortführe: „Was ich tat, tat ich gerne und unter vollständiger Bejahung meiner Motive, die ich auch jetzt aufrechterhalte, und wenn ich nicht anders konnte, so muss ich hinzusetzen, dass ich auch nicht anders wollte und nicht anders können wollte, und dass sich daran auch nichts geändert hat. Die besagte Handlung entspricht meinem Wertesystem, Alternativen kommen für mich gar nicht Betracht, an ihnen hatte und habe ich daher keinerlei Interesse.“ Eine etwas verstiegene Auskunft, aber wer derart hinter seiner Handlung steht und mit sich im Reinen ist, der kann zwar sagen „Ich konnte nicht anders“, aber dies wäre irreführend. Der Appell an die anderen zur Aufhebung der Verantwortlichkeit geschieht gerade nicht durch den Hinweis auf fehlende Alternativen schlechthin, sondern auf fehlende Alternativen, die der Handelnde gerne ergriffen hätte – die er ergriffen haben würde, wenn sie denn vorhanden gewesen wären. Gibt es solche nicht, weil der Handelnde das, was er tat, gerne tat und ohne sich Alternativen im Geringsten zu wünschen, und sich an dieser inneren Zustimmung auch nichts geändert hat, ist der Appell verfehlt – ganz gleich, ob für den Handelnden nun Alternativen bestanden oder nicht. Denn er hätte mit ihnen doch nichts angefangen, und würde es auch jetzt nicht. Warum sollte das Fehlen von Alternativen, für die der Handelnde doch keine Verwendung (gehabt) hätte, seine Verantwortlichkeit reduzieren? Es sind meines Erachtens Überlegungen dieser Art, mit denen Frankfurt seine Position unmittelbar plausibel machen kann, unabhängig von seinen Beispielen.
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14 Verantwortung und Determinismus
Diese sind merkwürdig konstruiert, ihre Diskussion führt in verschiedene Dickichte und zu keinem klaren Ergebnis, aber die dahinter stehende Intuition ist für sich einleuchtend. Wir haben die folgende bemerkenswerte Situation: Auf der einen Seite ist das entschuldigende „Was hätte sie denn tun sollen? Sie konnte nicht anders!“, in Bezug auf die handelnde Person gesprochen, das zentrale Argument dafür, dass zu moralischer Verantwortlichkeit Handlungsalternativen gehören. Auf der anderen Seite bemühe ich nun die Wendung „Ich konnte nicht anders!“, um Frankfurt zu unterstützen, der das besagte Prinzip gerade leugnet. Das ist deswegen möglich, weil, aus der Außenperspektive über einen Dritten gesagt, die Konstatierung der Alternativlosigkeit nicht die Implikation der Distanzierung des Akteurs von seiner Handlung hat, dies aber der Fall ist, wenn die Konstatierung von ihm selber vorgenommen wird. Die Sätze werden unterschiedlich verwendet. Ein anderer kann die Verantwortlichkeit des Akteurs durch den Hinweis auf das bloße Faktum leugnen, dass diesem die Handlungsalternativen abgingen. Er selber kann seine Verantwortung nicht so einfach loswerden, sondern muss sich von dem, was er tat, distanzieren,wobei dann die Frage auftritt, warum er es, angesichts der beanspruchten Distanz, denn tat, und nun erst verweist er darauf, dass er nicht anders konnte, was die Entschuldigung komplettiert. Ein komplexerer Fall liegt vor, wenn der Akteur die Distanz von seiner eigenen Handlung zwar nicht für den Tatzeitpunkt, aber für den gegenwärtigen Zeitpunkt, da er sich rechtfertigt, behauptet. In einem solchen Fall hängt es von den näheren Umständen ab, ob wir den Akteur ganz oder teilweise von der Verantwortung loszusprechen geneigt sind oder nicht. Wenn sich die Lage so darstellt, dass sich die handelnde Person zum Tatzeitpunkt zwar voll und ganz mit ihrem Handeln identifizierte, dies aber plausibel als temporäre Verwirrung betrachtet werden kann, die nicht typisch für die Person ist, so dass diese etwas tat, was „eigentlich nicht zu ihr passt“, dann ist die Person zumindest teilweise entlastet. Eine bloße Änderung in den Präferenzen und Wertungen reicht dagegen nicht aus. Wer jetzt ehrlich bedauert, was er damals aus ganzem Herzen tat, der übernimmt gerade Verantwortung und will sie nicht von sich abwälzen. In Extremfällen könnte man bei solchen Wandlungen sogar sagen „Er ist ein anderer geworden!“, aber es steht normalerweise außer Zweifel, dass auch dieser andere sich nun zu verantworten hat, was der metaphorische Charakter der besagten Wendung „er ist jetzt ein anderer“ anzeigt. Beschränken wir uns auf den einfachen Fall. Wenn die Identifikation des Akteurs mit seiner Handlung eine durchgängige und ungebrochene ist, hat der Satz „Ich kann/konnte nicht anders“, von dem Akteur geäußert, keine entlastende Funktion mehr, sondern würde als Unverschämtheit zurückgewiesen. Der Satz „Er kann/konnte nicht anders“,von einer dritten Person geäußert, kann dagegen auch unter diesen Umständen noch als wahr und entlastend akzeptiert werden. Das
14.4 Reflexive Bejahung und Distanzierung vom eigenen Tun
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liegt daran, dass, wer gar nicht anders will, von sich selber normalerweise nicht sagt, er könne nicht anders, sondern eben, er wolle nicht anders, und dieser Satz kann nun gewiss nicht als Entlastung vorgebracht werden. Dagegen scheint bei der Konstatierung des Nicht-anders-Könnens aus der Perspektive der dritten Person offen zu bleiben, inwiefern dieses Nicht-Können durch ein Nicht-Wollen bedingt ist. Auch diese Überlegungen widerlegen nicht das Prinzip alternativer Möglichkeiten; wir haben es, wie gesagt, mit einer Pattsituation zu tun. Ein Anhänger dieses Prinzips wird das „Ich kann/konnte nicht anders … weil ich nicht anders will/wollte“ immer so interpretieren, dass sich der Handelnde darin bewusst gegen Alternativen stellt, insofern ihr Vorhandensein anerkennt und deshalb das so verstandene „ich konnte nicht anders“ nicht benutzen kann, um seine Verantwortung zurückzuweisen.Wir erinnern uns daran, dass aus der Perspektive der 1. Person die eigenen Entscheidungen in einer Hinsicht nicht als alternativlos angesehen werden können, und dies könnte der Grund dafür sein, warum das „ich konnte nicht“ nicht verfangen kann, wenn es auf einem „ich wollte nicht“ beruht, denn die Andeutung des Mangels an Alternativen, die in der ersten Wendung steckt, wird durch die zweite wieder aufgehoben. Anders verhält es sich damit aus der Perspektive der 3. Person: Auch wenn das „sie konnte nicht“ auf einem „sie wollte nicht“ beruht, so kann doch aus dieser Perspektive das Wollen eben als alternativlos angenommen werden, und so bleibt die Entlastung von Verantwortung auch in dieser Konstellation bestehen. Während diese Rekonstruktion zum Prinzip alternativer Möglichkeiten passt, behält die dargestellte Frankfurtsche Gegenintuition ihr Gewicht, dass Möglichkeiten, die doch nicht ergriffen würden, und bei denen dies dem Handelnden auch nicht fraglich ist, für die Herstellung von Verantwortung nichts nützen. Und in diesem Zusammenhang können wir uns nun daran erinnern, dass aus der Perspektive der 1. Person die eigenen Entscheidungen in anderer Hinsicht sehr wohl als alternativlos erscheinen können, nämlich als am Guten oder Richtigen orientiert. Diese Pattsituation führt zu zwei Begriffen moralischer Verantwortlichkeit, die beide an gewichtige vortheoretische Einschätzungen anknüpfen. Die Frankfurtsche und verwandte Konzeptionen, die die Identifikation der Person mit ihrem Tun in den Mittelpunkt stellen, erfordern keine alternativen Handlungsmöglichkeiten und deshalb insbesondere keinen Indeterminismus. Wir haben es hier mit einem plausiblen kompatibilistischen Verantwortungsbegriff zu tun. Auf der anderen Seite haben wir den an die Wendungen „Sie konnte nicht anders!“ und „Was, bitte schön, hätte sie deiner Meinung nach in dieser Situation tun sollen?“ anknüpfenden Begriff, der alternative Möglichkeiten erfordert und deshalb nach dem, was wir aus Kapitel 11 wissen, inkompatibilistischer Natur ist.Wie ein solcher
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näherhin auszubuchstabieren wäre, bleibt an dieser Stelle offen und wird in Teil III behandelt. Ich erinnere nochmals daran, dass inkompatibilistische Implikationen in der Diskussion um Frankfurt als solche keine Rolle spielen, so dass als Ergebnis dieser Diskussion zwei Verantwortungsbegriffe dastehen: einer ohne und einer mit einer essentiellen Rolle für alternative Handlungsmöglichkeiten. Der erste hat auch für kompatibilistisch verstandene alternative Möglichkeiten keine Verwendung, und dass der zweite inkompatibilistisch ist, folgt nicht aus der Diskussion um Frankfurt, sondern aus der um van Inwagens Konsequenzargument und die Konditionalanalyse praktischen Könnens. Dieses gesagt, stütze ich mich nun aber auch auf die Ergebnisse dieser Diskussion und resümiere, dass es einerseits eine in sich stimmige und gut gestützte Konzeption moralischer Verantwortung gibt, die mit dem Determinismus nicht zu vereinbaren ist, andererseits aber auch eine, die dies sehr wohl ist.
14.5 Zwei Verantwortungsbegriffe Stellen wir uns vor, ein globaler Determinismus wäre wahr, und das gesamte Wesen, Tun und Denken von Personen wäre zurückführbar auf und vollständig kausal erklärbar durch Tatsachen, die ihrer Kontrolle in jedem Sinne des Wortes entzogen und daher von ihnen sicher nicht zu verantworten wären. Stellen wir uns vor diesem Hintergrund unsere Reaktion auf eine bestimmte moralische oder prudentielle Verfehlung vor – auf eine Handlung, die wir insgesamt negativ bewerten, die wir kritisieren, bei der wir meinen, die Person hätte besser etwas anderes getan. Bei solchen Handlungen ist die Frage nach der Verantwortlichkeit der Person besonders naheliegend. Um die beiden Verantwortungsbegriffe zur Anwendung zu bringen, imaginieren wir eine Person, die mit innerer Zustimmung tut, was sie tut, dabei reflektiert und aufgeklärt ist, die ihre Situation in allen relevanten Aspekten kennt und ihr Tun bejaht. Sie könnte sogar die wesentlichen Einflüsse kennen, die sie zu dem gemacht haben,was sie nun ist und insbesondere zu der von uns kritisierten Handlung geführt haben. All dies würde sie bejahen. Falls dieser Umfang an Kenntnissen zu unrealistisch wirkt, stellen wir uns stattdessen vor, dass es keinen Aspekt des Tuns der Person gibt, den sie einerseits nicht kennt und der andererseits, wenn sie von ihm erfahren würde, geeignet wäre, sie von ihrem Tun zu entfremden. Ihre Identifikation ist also in keiner Hinsicht eine scheinbare oder auf falschen Annahmen gegründete. Das bedeutet nicht, dass sie keine gegenläufigen Wünsche hat, wohl aber, dass sie sich bewusst und ohne jede Täuschung begründet entscheidet, diesen Abbruch zu tun.
14.5 Zwei Verantwortungsbegriffe
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Von so einer Person wäre es irreführend zu sagen, sie sei zu ihrem Handeln gezwungen, denn sie handelt in keinem Sinne gegen ihr Wollen oder gegen ihre Gründe, oder an ihrem Wollen oder ihren Gründen vorbei. Ebenso wäre es irreführend zu sagen, sie habe das „Pech“ gehabt, durch Veranlagung und Umwelt zu jemandem gemacht worden zu sein, der in dieser Weise falsch handelt (und dann noch mit einer so bejahenden Geisteshaltung!). Pech kann nur jemand haben, dem etwas zustößt, das er eigentlich nicht will, und wir gehen ja von einer Person aus, bei der davon keine Rede sein kann. Schließlich wäre es auch irreführend so zu reden, als seien der Person diejenigen charakterlichen Merkmale, die zu der Verfehlung führen, von den determinierenden Tatsachen, worin immer diese bestehen mögen, gegeben oder verliehen worden. Diese Eigenschaften sind zwar auf deterministische Weise zustande gekommen, etwa auf Veranlagung und Umwelt zurückführbar, aber insofern sie die Person ausmachen, sind sie zusammen mit dieser entstanden und ihr also nicht „zugefallen“. Es war niemand vorhanden, dem etwas gegeben, verliehen, zugeteilt hätte werden können und der bei dieser Zuteilung Glück oder Pech hätte haben können. Ihr Charakter macht vielmehr die Person (unter anderem) aus. Es hat keinen Sinn, sie in Gedanken von ihm zu trennen und ihm gegenüber zu stellen als etwas, das die Person erst bekommen hat.Wenn man doch so redet, ist immer eine Distanz der Person zu dem fraglichen Wollen oder den fraglichen Charaktermerkmalen unterstellt. Man setzt dann voraus, dass sie „im Grunde“ oder „eigentlich“ doch anders geartet ist oder etwas anderes will, und das ist, wie gesagt, nicht die Situation, die wir hier imaginieren. All das reicht, so meine ich, aus, um die Person in einem guten Sinne für verantwortlich zu erklären. Denn sie steht hinter dem, was sie tut, und ist damit, determiniert oder nicht, auch in einem einleuchtenden Sinne des Wortes frei. Entscheidend hierfür ist eben die wesentliche Identifikation der Person mit ihrem Tun, die sie nicht als eine zu beschreiben gestattet, die dieses Tun „eigentlich“ nicht will, deren Wesen man sinnvoll von ihrem Tun abtrennen, die man ihrem Tun gegenüber stellen könnte. Wann genau das der Fall ist, ist allerdings eine schwierige Frage. Die Frankfurtsche Idee der reflexiven Zustimmung zur eigenen Handlungsmotivation habe ich durch eine Aufgeklärtheitsforderung ergänzt, um die Ausführung posthypnotischer Befehle, durch einen Gehirntumor verursachte Verhaltensweisen und Vergleichbares als zurechenbare Handlungen auszuschließen. Normalerweise würde eine Person, wenn ihr Handeln derartige Hintergründe hätte und sie davon erführe, sich davon distanzieren. Zwingend ist das allerdings nicht – vielleicht ist sie ja so fest im Griff der entsprechenden Motivation, dass sie auch eine solche Genese bejahen würde. Die Frankfurtsche Grundidee gerät unter Druck, wenn nicht, wie es normalerweise stillschweigend geschieht, eine wie auch immer zu bestimmende Unabhängigkeit der reflektierten Zustimmung von der-
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jenigen Motivationslage unterstellt wird, die ihr Gegenstand ist. Wenn die Reflexion ein bloßer Reflex eines bestimmten Handlungsmotivs ist, scheint dessen Bejahung in ihr bedeutungslos zu sein. Darin spricht sich dann bloß dieses Handlungsmotiv nochmals aus, und es ist schwer zu sehen, was daran gelegen sein sollte. Eine starke Form der Unabhängigkeit, die die hier thematisierten Bedenken sofort ausräumt, ergibt sich, wenn man für die Volitionen zweiter Stufe eine bestimmte kausale Rolle fordert: Ein Wunsch erster Stufe ist deshalb und nur deshalb handlungsleitend, weil er zweitstufig bejaht wird.²⁰⁸ Das geht aber insofern zu weit, als man sich dadurch auf eine positive Fassung der Übereinstimmungsidee festlegt, die im Allgemeinen zu anspruchsvoll ist.²⁰⁹ Man wird das zumindest abschwächen müssen; wie genau, lasse ich offen. Frankfurt berücksichtigt in seiner Konzeption insgesamt zu wenig, woher die reflexive Zustimmung der Person zu ihrer Motivationslage eigentlich rührt. Die Volitionen zweiter Stufe erhalten eine unhinterfragte Autorität, für die Person selber zu sprechen. Ein Vorzug dieses Ansatzes ist, dass sich so eine elegante Parallele zwischen Handlungs- und Willensfreiheit ergibt, indem ein Wesen über Handlungsfreiheit verfügt, wenn es tut, was es tun möchte, und eine Person über Willensfreiheit, wenn sie will (in motivational durchschlagender Weise wünscht), was sie wollen möchte. Diese Bedingungen lassen sich schwächer verstehen, als bloß auf die Aktualität bezogen, oder stärker, Kontrafaktisches einschließend: Ein Lebewesen ist in seinem Handeln frei, wenn es täte, was immer es (in einem gewissen Rahmen) tun wollte, eine Person ist in ihrem Wollen frei, wenn sie wollte, was immer sie (in einem gewissen Rahmen) zu wollen wünschte. Die Auszeichnung der zweiten Stufe ist auch insofern plausibel, als das Personsein gerade durch das Vorhandensein mentaler Zustände zweiter Stufe charakterisiert werden kann. Trotzdem scheint es zu kurz zu greifen, Verantwortlichkeit allein an die besagte reflexive Zustimmung zu knüpfen, ohne sich darum zu kümmern, was ihr Hintergrund ist. Was immer hier genau zu fordern wäre – für unsere Zwecke reicht es aus festzuhalten, dass der Witz der Frankfurtschen und verwandter Verantwortungskonzeptionen darin besteht, dass das Handeln, indem die Person dahinter steht, in keinem Sinne als ihr aufgezwungen, fremd, nicht zugehörig usw. beschrieben werden kann. Wenn das der Fall ist, hat es einen guten Sinn, die Person insofern für verantwortlich zu halten, als sich kein Keil zwischen sie und ihr Verhalten treiben lässt. Der Determinismus als solcher reicht nicht aus, um eine solche Distanz herzustellen. Insbesondere lässt sich plausibel sagen, dass die
Kusser () spricht anschaulich von durchschlagenden Volitionen zweiter Stufe. Siehe oben ..
14.5 Zwei Verantwortungsbegriffe
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Person durch ihre reflexive, informierte Zustimmung zum eigenen Handeln einschließlich seiner Motive Verantwortung dafür übernimmt. ²¹⁰ Nun aber: Auch wenn dies alles zugestanden wird, wissen wir als Betrachter und Beurteiler doch, dass im Falle des Determinismus eine reflektierte und auch sonst in jedem Sinne ungetrübte Zustimmung der Person zum eigenen Handeln und dem eigenen Charakter nicht anders ausfallen kann, als sie es tut, und allein dies kann den Eindruck der Zurechenbarkeit aufheben und den der Schicksalhaftigkeit an seine Stelle setzen. Die Person geht mitsamt ihrem Tun ganz und gar in einem kausalen Netz auf, dessen Fäden beliebig weit in die Vergangenheit zurückreichen. Unsere Empörung gegenüber einer moralischen Verfehlung kann uns dann gegenstandslos scheinen, als eine leere Geste, oder ein Bluff, ein kalkulierter emotionaler Ausbruch mit Blick auf die künftige Verhaltensänderung der Person oder die Abschreckung von Dritten. Ich sage „kann“, nicht „muss“, weil ich meine, dass hier ein Punkt erreicht ist, an dem sich widerstreitende Intuitionen nur konstatieren, aber nicht ausräumen lassen. Ich wüsste nicht, was man jemandem entgegen halten sollte, der versicherte, seine emotionalen Reaktionen auf moralische Verfehlungen würden durch die Vision eines großen kausalen Netzes, in welchem alle Eigenschaften und inneren wie äußeren Verhaltensweisen der betreffenden Person restlos aufgehen, nicht berührt. Mir erscheint eine solche Reaktion allerdings nicht plausibel; je mehr ich über die kausalen Hintergründe einer Tat erführe, je mehr ich mir vorstelle, mir wären determinierende Faktoren, für die der Betreffende sicher nichts kann, weil sie weit vor seiner Geburt liegen, vollständig und deutlich bewusst, desto unangemessener würden mir die typischen emotionalen Reaktionen auf moralische Verfehlungen erscheinen. Man kann zwar versuchen, diese Emotionen, Haltungen und damit einhergehenden Handlungen durch den Gesichtspunkt der Verhaltenssteuerung zu erklären, in Teilen sogar evolutionär zu erklären. Und jede solche Erklärung, soweit sie erfolgreich ist, bietet damit auch eine Rechtfertigung dieser gesamten Praxis, indem sie zeigt, dass sie ihr Gutes, nämlich insgesamt positive Konsequenzen hat. Aber diese Sichtweise lässt sich in unsere Zurechnungspraxis selbst nicht integrieren, sie konstituiert eine äußere Perspektive, und würde man sie durchweg übernehmen und präsent haben, so würden sich die besagte Praxis selber und die für sie wesentlichen emotionalen Einstellungen erheblich verändern. Das Gefühl der Empörung ist nicht in der Form „vorwärts und seitwärts schauend“, wie es eine Rechtfertigung verlangt, die über positive Konsequenzen läuft. Ebenso gilt das für
Siehe Frankfurt () und () sowie dazu den Kommentar Dan-Cohen ().
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14 Verantwortung und Determinismus
das Gefühl der Schuld, das in einer solchen Sichtweise der Steuerung des eigenen Verhaltens dient und im Hinblick darauf erklärt und gerechtfertigt wird.²¹¹ Dadurch wird die Legitimität des Frankfurtschen Verantwortungsbegriffs nicht tangiert, sondern nur ein bestimmter Versuch als unzureichend erwiesen, diejenigen Einstellungen und Verhaltensweisen, die unsere faktische Zurechnungspraxis ausmachen, in einem determinismuskompatiblen Rahmen zu begründen. Und unzureichend ist der Versuch nicht deshalb, weil die von ihm angebotenen Erklärungen etwa falsch wären, sondern nur insofern er verkennt, dass er damit Desillusionierung betreibt, und zwar in massiver Weise. Wenn man tatsächlich der Auffassung ist, dass im Hintergrund der Empörung oder des Schuldgefühls der Versuch, andere oder sich selber zu beeinflussen, steht, und einem diese Auffassung stets deutlich präsent wäre, dann würde man sich nicht mehr oder in ganz anderer Weise empören oder schuldig fühlen. Zudem würden die Empörung und das Schuldgefühl die Zwecke, die dieser Erklärung zufolge mit ihnen assoziiert sind, kaum mehr erfüllen können. Damit hebt der Determinismus die moralische Verantwortlichkeit in einem wohlbestimmten und naheliegenden Sinne dieses Wortes tatsächlich auf. Es wäre hier nicht damit getan, stattdessen einfach von „Quasi-Verantwortung“ zu sprechen und mit dem neuen Ausdruck so weiter zu machen wie bisher. Denn alle Eigenschaften und Handlungen einer Person als notwendige Folgen von Tatsachen zu begreifen, die lange vor ihrer Entstehung bestanden haben, kann eben unsere emotionale Einstellung zu und unsere verhaltensmäßigen Reaktionen auf Personen und ihr Tun erheblich verändern. In diesem Fall ist „Quasi-Verantwortung“ nicht lediglich ein neues Etikett, sondern bezeichnet einen anderen Begriff, mit dessen Verwendung eine ganz andere Haltung und Praxis einhergeht.
Dies hat Peter Strawson () in seinem einflussreichen Aufsatz deutlich gemacht. Er ist ein Kompatibilist, der klar erkennt, dass instrumentelle Rechtfertigungen unserer moralischen Haltungen zwar mit einem Determinismus, aber nicht mit diesen Haltungen selber kompatibel sind und nur aus einer Außenperspektive gegeben werden können. Unsere Praxis moralischer Zurechnung beruht laut Strawson auf „reaktiven Einstellungen“, deren emotionale Komponente in Übelnehmen, Empörung und Schuldgefühl besteht. Diese Einstellungen sind für ihn ein Letztes, das keiner Rechtfertigung bedarf, und mit einem Determinismus deshalb in trivialer Weise vereinbar. Entsprechende Auffassungen werden als „reactive-attitude theories“ bezeichnet; im Anschluss an Strawson ist ein wichtiger Vertreter Jay Wallace (). Der zuletzt genannten Einschätzung folge ich nicht. Es gibt keinen Grund zu meinen, die unserer Zurechnungspraxis zugrunde liegenden reaktiven Einstellungen enthielten nicht auch weitgehende theoretische oder „metaphysische“ Festlegungen.
14.6 Moralischer Zufall
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14.6 Moralischer Zufall Dass wir es tatsächlich mit zwei in sich plausiblen, aber unvereinbaren Konzeptionen von Verantwortung zu tun haben und mit der entsprechenden Spannung leben müssen, möchte ich dadurch weiter bestätigen, dass ich für jede der beiden ein Feld anführe, auf dem sie sich bewährt, während die andere dort scheitert. Ich möchte zuvor aber nochmals daran erinnern, dass für die inkompatibilistische Seite, soweit ich sie bisher dargestellt habe, von einer Verantwortungskonzeption noch nicht die Rede sein kann. Einstweilen haben wir nur die Implikation des Indeterminismus, aber in welcher Weise Personen unter dieser Voraussetzung tatsächlich verantwortlich werden können, ist noch zu diskutieren. Dies wird in Teil III geschehen, und nicht nur hinsichtlich der moralischen Verantwortung, sondern auch in Bezug auf die anderen Begriffe und Phänomene, die in diesem Teil II auf indeterministische Implikationen hin untersucht werden. Solche Implikationen scheinen mir durch die Diskussion um den sogenannten „moralischen Zufall“ (moral luck) nahe gelegt zu werden. Dies ist ein Gebiet, auf welchem ein Inkompatibilist Punkte sammeln kann. „Moral luck“ bezeichnet die Situation, dass jemand in geringerem Maße als ein anderer moralisch schuldig wird oder sich höheres moralisches Verdienst erwirbt allein aufgrund von Differenzen in den Umständen, für die beide nichts können, die sie in keinem Sinne zu verantworten haben. Die erste Person hat einfach Glück, dass die Umstände so sind wie sie sind, und ihr Glück ist eines in moralischer Hinsicht, denn die besagten Differenzen sorgen dafür, dass sie durch ihr Handeln keine oder weniger Schuld auf sich lädt als die andere, oder sich Verdienst erwirbt, wo die zweite Person es nicht tut. Dass so etwas möglich sein soll, widerstrebt tiefliegenden moralischen Intuitionen. Eine wichtige Diskussion betrifft deshalb die Frage, ob es solches Glück oder Pech in moralischer Hinsicht tatsächlich gibt. Die Übersetzung von „moral luck“ mit „moralischem Zufall“ ist problematisch, insofern man Zufall mit Indeterminismus assoziieren kann, aber diese Art des Zufalls ist hier nicht gemeint. Es geht,wie gesagt, um Glück oder Pech im Sinne und aufgrund von Umständen, für die der jeweilige Akteur nichts kann. Mir scheint nun, dass nur ein Inkompatibilist in der Position ist, die Existenz von moralischem Zufall in sauberer Weise zu leugnen. Man muss das Phänomen selbstverständlich nicht bestreiten – ich möchte zu dieser Frage gar nicht Stellung beziehen – aber nur ein Inkompatibilist hat überhaupt die Option, die Existenz von „moral luck“ zurückzuweisen. Das scheint mir ein Vorteil seiner Position zu sein.²¹²
Levy () vertritt die Position, dass Kompatibilismus und Libertarismus gleichermaßen,
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14 Verantwortung und Determinismus
Klar ist, dass es bestimmter äußerer Umstände bedarf, um moralische Schuld auf sich zu laden oder moralisches Verdienst zu erwerben. Allein auf einer einsamen Insel kann man niemanden bestehlen; wenn niemand im eigenen Einflussbereich in Not gerät, kann man niemandem helfen. Der Punkt ist nun, dass für einen Inkompatibilisten, dem zufolge moralische Zurechenbarkeit unter deterministischen Voraussetzungen nicht zu haben ist, grundsätzlich jede Situation moralischer Verantwortlichkeit ambivalent ist. Da vorher nicht feststeht, was das Subjekt in ihr tun, noch, aus welchen Motiven es handeln wird, stellt sie für das Subjekt zwar stets eine Gelegenheit zu moralischem Verhalten dar, aber auch nicht mehr. Das Subjekt kann sie nutzen und sich in der Situation moralisches Verdienst erwerben beziehungsweise moralische Schuld vermeiden, es kann in ihr aber auch versagen. Deshalb ist es niemals einfach Glück (in dem hier einschlägigen Sinne), in eine solche Situation zu geraten, sondern es ist eine Herausforderung, die das Subjekt bestehen oder an der es scheitern kann. Nur wer aufgrund äußerer Umstände die Gelegenheit hat, jemandem in Not beizustehen, kann sich das entsprechende Verdienst erwerben; alle anderen haben diese Chance nicht. Aber diese anderen haben auch nicht die Gelegenheit vorbeizugehen, die Not leidende Person ihrem Schicksal zu überlassen und dadurch an ihr schuldig zu werden. Es ist deshalb nicht so, dass, in eine derartige Situation zu geraten, ein Privileg darstellt. Und dies gilt in der inkompatibilistischen Sicht für moralisch zurechenbares Verhalten generell. Jede kompatibilistische Verantwortungsauffassung hat dagegen das Problem, dass zwar nur der Helfer in der Not sich tatsächlich moralisches Verdienst erwirbt, im Falle der Wahrheit des Determinismus viele andere Personen sich aber ebenfalls solches erwerben würden, wenn sie nur in die entsprechende Situation gerieten. Sie kommen aber nicht hinein – das ist Pech für sie. Sie würden sich ebenfalls auszeichnen, finden aber keine Gelegenheit. Der Helfer hat also „moralisches Glück“: Er hat nicht nur eine äußere Gelegenheit zum Helfen, sondern es stand auch von vornherein fest, dass er sie ergreifen und sich Verdienst erwerben würde, während andere Menschen vergleichbar guten Charakters leer ausgehen. Ebenfalls „moralisches Glück“ haben diejenigen, die in einer Notsituation nicht
wenn auch in je verschiedener Weise, von dem Problem des moralischen Zufalls betroffen sind, und dass sie aus diesem Grunde beide scheitern: Wir sind für unser Handeln nicht moralisch verantwortlich (noch sind wir willensfrei). Inwiefern der Libertarismus dem Problem entkommen kann, diskutiere ich erst in Teil III; insofern hat die Auseinandersetzung hier vorläufigen Charakter. Eine Asymmetrie zu Ungunsten des Kompatibilismus ist erst erwiesen, wenn gezeigt ist, dass der Inkompatibilismus es besser machen kann. Zumindest erbt er nicht einfach die diesbezüglichen Schwierigkeiten des Kompatibilismus, das Zufallsproblem tritt bei ihm in ganz anderer Form auf.
14.6 Moralischer Zufall
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helfen würden, aber nicht mit einer solchen konfrontiert werden. Sie machen sich nicht der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, während ihre weniger glücklichen, dem Helfen ebenfalls abgeneigten Gesinnungsgenossen, bei denen die äußeren Umstände anders ausfallen, sich dieser Unterlassung schuldig machen. Ist das fair? Es scheint, dass man mit einer kompatibilistischen Verantwortungskonzeption in den sauren Apfel beißen und bei einem globalen Determinismus das Phänomen des Glücks und Pechs in moralischer Hinsicht für allgegenwärtig erklären muss. Die Alternative, Menschen nicht nach Handlungen, sondern nach ihrem Charakter Schuld oder Verdienst zuzuschreiben, also danach, was sie unter bestimmten Umständen, die gar nicht vorzuliegen brauchen, tun würden, ist nicht gangbar. Man kann den Charakter eines Menschen zwar danach zu bewerten versuchen, was er unter gewissen kontrafaktischen Bedingungen vermutlich tun würde, aber ihm aufgrund solcher kontrafaktischen Konditionale Schuld oder Verdienst beizulegen, hat keinen Sinn. Ebenso wenig geht es an, den Kompatibilismus durch Hinweis auf unsere epistemischen Beschränkungen zu verteidigen. Es mag sein, dass wir auch, wenn der globale Determinismus wahr sein sollte, nicht oder nur in Ausnahmefällen mit Bestimmtheit sagen könnten, wie jemand in einer bestimmten Situation, in die er de facto nicht gerät, handeln würde. Aber gleichgültig, wie optimistisch oder skeptisch man hinsichtlich unserer Erkenntnismöglichkeiten in diesem Bereich ist, unsere moralischen Intuitionen sind so geartet, dass wir uns dagegen sträuben, das Problem einfach dadurch verschwinden zu lassen, dass hier eventuell nicht mehr als gut begründete Vermutungen zu haben sind. Dieses Problem ist ja kein epistemisches, sondern entsteht durch den Gedanken, dass der Unterschied zwischen Schuld und Unschuld allein von Umständen herrühren kann, für die das Subjekt nichts kann – ganz gleich, ob wir nun in der Lage sind, solche Fälle sicher zu identifizieren oder nicht. Der Punkt ist, dass im Falle eines globalen Determinismus nur ein Charakter und Umstände zusammentreffen müssen, um eine bestimmte Handlung zu produzieren, wohingegen unter libertarischen Voraussetzungen objektiv offen ist, was passiert, wenn eine bestimmte Person in eine bestimmte Situation gerät. Es gibt freilich auch Beispiele für moralischen Zufall, die Inkompatibilisten ebenso betreffen wie Kompatibilisten. Wenn jemand in übler Absicht eine Handlung vollzieht, deren Erfolg durch ein für ihn unvorhersehbares Ereignis vereitelt wird, kann man ebenfalls von „moralischem Glück“ sprechen. Gegenüber dieser Art von Beispielen kann man aber auch darauf bestehen, dass der Erfolgs- und der Misserfolgsfall, sofern nur die Absicht deutlich vorhanden ist und von der Person alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, moralisch gleich zu bewerten sind, und dass es deshalb in diesem Bereich keinen moralischen Zufall gibt. Wer
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einen Mord versucht, der durch unvorhersehbare Umstände vereitelt wird – ein Windstoß lenkt den Pfeil ab – macht sich moralisch ebenso schuldig wie jemand, der die Tat vollendet, weil sein Pfeil wie beabsichtigt trifft. Ich möchte hier gar nicht für diese Position und also dagegen argumentieren, dass jemand, dessen Mordversuch erfolgreich ist, dadurch, dass er „einen Menschen auf dem Gewissen hat“, stärker belastet ist als jemand, dessen Handlung nicht ihr Ziel erreicht. Es geht mir, um das zu wiederholen, darum, dass ein Inkompatibilist eine Option hat, die dem Kompatibilisten fehlt. Er kann die Existenz von „moralischem Glück“ und „moralischem Pech“ bestreiten, indem er einerseits ernsthafte, absichtliche Versuche, die den Erfolg herbeizuführen geeignet sind, moralisch ebenso bewertet wie Handlungen, die ihr Ziel tatsächlich erreichen, und andererseits den Fall, dass schon mangels äußerer Gelegenheit kein Versuch unternommen wird, so betrachtet, dass objektiv offen ist, ob der Versuch unter solchen Umständen unternommen oder unterlassen würde. Falls das nicht offen ist, ist die Person aufgrund deterministischer Gegebenheiten nämlich auch nicht verantwortlich. Soweit der Unterschied zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus im Hinblick auf das Phänomen des moralischen Zufalls. Hierzu sind zwei Einschränkungen zu machen. Erstens haben wir im vorletzten Abschnitt gesehen, dass ein Vertreter des Prinzips alternativer Möglichkeiten in den Frankfurt-Fällen gezwungen ist, „moral luck“ zu konstatieren, indem die Verantwortung des Subjekts dort nur noch für gewisse Aspekte seines Tuns besteht. Ohne Apparat im Kopf wäre der Joe in Perebooms Beispiel für die gesamte, vollendete Steuerhinterziehung verantwortlich, mit ihm ist er es nur noch dafür, dass er moralischen Gesichtspunkten nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt – und das, obwohl der Apparat nicht eingreift. Ich habe offen gelassen, ob man hier nicht doch auf mehr plädieren kann, mich aber diesbezüglich pessimistisch geäußert. Die „Frankfurtstyle cases“ sind allerdings konstruierte Spezialfälle, die de facto nicht vorkommen, während bei einem kompatibilistischen Verantwortungsbegriff Personen andauernd und in massiver Weise moralisches Glück oder Pech haben. Dieses Phänomen durchzieht dann unser ganzes Leben. Zweitens ist es für die Diskussion um das Glück oder Pech in moralischer Hinsicht entscheidend, wie man sich zu kontrafaktischen Konditionalen der folgenden Art stellt: „Wenn diese Person in eine Situation dieser-und-jener Art geriete, dann würde sie so-und-so handeln.“ Die Möglichkeit der Leugnung der Existenz von „moral luck“ besteht genau dann, wenn im gegebenen Fall keines der einschlägigen Konditionale wahr ist. Es ist dann weder wahr, dass die Person unter den entsprechenden Umständen unmoralisch handeln (und sich damit schuldig machen) würde, noch ist es wahr, dass sie unter solchen Umständen moralisch handeln (und sich damit bewähren oder sich moralisches Verdienst
14.6 Moralischer Zufall
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erwerben) würde. Sondern: Es ist objektiv offen, was die Person täte, es gibt keine hinreichend spezifische kontrafaktische Tatsache über das, was sie in dieser Situation tun würde. Deshalb, und nur deshalb, ist es in moralischer Hinsicht weder Glück oder Pech für die Person, nicht in eine solche Situation zu geraten. Es ist nun allerdings nicht so, dass die Frage der Existenz von Wahrheitswerten für kontrafaktische Konditionale eine einfache Beziehung zu Determinismus und Indeterminismus aufweist. Betrachten wir wie oben in 11.3 die Standardtheorie der Wahrheitsbedingungen für kontrafaktische Konditionale, die Mögliche-Welten-Semantik in der Version von David Lewis. Ich ziehe sie wiederum nur zur Illustration heran. Ihr zufolge hängt der Wahrheitswert eines kontrafaktischen Konditionals A □→ B (lies: „Wenn A der Fall wäre, dann wäre B der Fall“) in unserer, der aktualen, Welt davon ab, was in gewissen derjenigen möglichen Welten der Fall ist, in denen das Antezedens A des Konditionals wahr ist. Vereinfacht gesprochen, betrachten wir unter diesen sogenannten A-Welten diejenigen, die der aktualen Welt maximal ähnlich („am nächsten“) sind. Ist in allen diesen, der aktualen Welt maximal ähnlichen A-Welten das Konsequens B des Konditionals wahr, so ist A □→ B wahr in der aktualen Welt. Gibt es hingegen unter den der aktualen Welt ähnlichsten A-Welten solche, in denen B falsch ist, so ist A □→ B in der aktualen Welt falsch. Ist in allen von ihnen B falsch, dann ist A □→ ¬B wahr in der aktualen Welt. Wenn in der Klasse der Fälle, die uns interessiert, „A“ den Sachverhalt bezeichnet, dass die Person in eine Situation der relevanten Art gerät, und „B“ den Sachverhalt, dass die Person in dieser Situation die moralisch geforderte oder empfohlene Handlung ausführt, so ist die Wahrheit von A □→ B damit äquivalent, dass die Person „moralisches Pech“ hat, nicht in die Situation zu geraten, denn sie würde unter den relevanten Umständen richtig handeln. Die Wahrheit von A □→ ¬B ist hingegen damit äquivalent, dass die Person „moralisches Glück“ hat, nicht in die in Rede stehende Situation zu kommen, denn sie würde in ihr falsch handeln. Damit von moralischem Glück oder Pech nicht die Rede sein kann, müssen also die Konditionale A □→ B und A □→ ¬B beide falsch sein. Das ist damit äquivalent, dass es unter den der aktualen Welt ähnlichsten A-Welten, in denen die Person (oder ihr „Gegenstück“ in der jeweiligen Welt) in eine einschlägige Situation gerät und die unter dieser Bedingung möglichst geringe Unterschiede zur aktualen Welt aufweisen, sowohl solche gibt, in denen die Person (oder ihr Gegenstück) moralisch richtig, als auch solche, in denen sie moralisch falsch handelt. Diese Lage der Dinge impliziert nun als solche keinen Indeterminismus. Was nämlich bei Unterstellung eines globalen Determinismus prinzipiell möglich ist, ist eine labile Abhängigkeit des Handelns einer Person von kleinen Modifikationen der Situation, oder von kleinen Änderungen ihres mentalen oder physischen
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14 Verantwortung und Determinismus
Zustandes. Beim Bestehen derart labiler Abhängigkeiten könnte man nicht mehr wahrheitsgemäß Dinge sagen wie: „Wenn eine solche Person in eine Situation wie diese geriete, würde sie so-und-so handeln“, solange man dabei nicht extrem detaillierte Charakteristiken einsetzte. Und wenn es solcher detaillierten Charakteristiken bedarf, dann ist, das ist entscheidend, ein Satz der Form „Wenn diese Person in diese Situation geriete, würde sie so-und-so handeln“ weder wahr noch falsch. Beunruhigend sind Wahrheiten (gleich ob wir sie jenseits vernünftigen Zweifels feststellen können oder nicht) wie: „Ich wäre in so einer bedrohlichen Situation auch weggelaufen und hätte meinen Freund im Stich gelassen, aber da ich nicht hineingeriet, habe ich mich dessen nicht schuldig gemacht. Diese andere Person aber hat es.“ Wenn nun das, was ich täte, von allerhand Details der Situation und meiner genauen Verfassung in ihr abhängt, ist keine Aussage mehr darüber wahr,was ich getan hätte – trotz Determinismus. Denn in welcher genauen physischen oder mentalen Verfassung wäre ich denn gewesen, wenn ich in eine Situation solcher Art, oder in ein Gegenstück der konkreten Situation, geraten wäre? Das ist einfach offen, nichts an dem Antezedens des Konditionals fixiert das, und deshalb gibt es bei einer Abhängigkeit meines Verhaltens von schwankenden, zeitlich variablen Details meiner Konstitution sowohl nahe mögliche Welten, in denen „ich“ in „diese Situation“ gerate und moralisch richtig handle, als auch nahe mögliche Welten, in denen „ich“ hineingerate und moralisch falsch handle. Es geht dabei nicht um ein epistemisches Problem, sondern um die Konstellation der nächsten möglichen Welten. Zum Vergleich: Auch wenn unsere Welt global deterministisch sein sollte, ist kein Satz der Form „Wenn ich jetzt einen Würfel zur Hand hätte und ihn werfen würde, dann würde die Augenzahl x kommen“ wahr. Es trifft nicht zu, dass die Augenzahl x kommen würde, denn das hängt davon ab, genau wie ich den Würfel aufnehmen und werfen würde, und nichts an dem Antezedens des Konditionals fixiert das. Unter den nächsten möglichen Welten, in denen das Antezedens wahr ist, gibt es sowohl solche, in denen der Wurf x liefert, als auch solche, in denen er es nicht tut. Deshalb trifft es auch nicht zu, dass die Augenzahl x nicht kommen würde. Und das gilt für alle x von 1 bis 6. Aber es ist wahr, dass eine von den Zahlen 1 bis 6 das Ergebnis des hypothetischen Wurfes wäre. Würfelte ich, würde eine dieser Zahlen erscheinen, es steht aber nicht fest, welche. In dieser Weise kann ein Kompatibilist nicht nur das Problem des moralischen Zufalls loswerden, sondern auch andere Vorzüge des Inkompatibilismus nachvollziehen (wenn auch nicht alle). Das Problem an Positionen dieser Art ist jedoch, dass sie eben dadurch, dass sie zwar die Vereinbarkeit von moralischer Verantwortung (oder „Willensfreiheit“) und Determinismus behaupten, aber, um bestimmte inkompatibilistische Intuitionen einzuholen, doch nur mit einem solchen Determinismus, der in bestimmten Hinsichten dieselben Konsequenzen wie ein
14.7 Gute Menschen
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Indeterminismus hat und von einem solchen de facto ununterscheidbar ist, auf der anderen Seite basale Vorzüge des Kompatibilismus opfern, hart ausgedrückt: sein Grundmotiv verraten. Moralische Verantwortung ist dann nur mit einem Determinismus spezieller Art vereinbar, nicht aber mit einem, der es etwa gestattete, sich auf Personen zu verlassen.²¹³
14.7 Gute Menschen Ich komme nun gerade umgekehrt zu einem Feld, auf dem Kompatibilisten zwanglos Punkte sammeln können, während Inkompatibilisten sich zu unplausiblen Konstruktionen gezwungen sehen. In Kapitel 12 über das praktische Überlegen spielte die Spannung zwischen der Unterstellung ontisch offener Möglichkeiten beim Entscheiden und der Idee praktischer Kompetenz, die die beste dieser Möglichkeiten zuverlässig erkennt und ergreift, eine zentrale Rolle. Diese Spannung tritt in der Diskussion um moralische Verantwortlichkeit in analoger Form auf. Gegen die inkompatibilistische Grundidee, dass moralische Schuld und moralisches Verdienst nur im Falle des genuinen Anders-HandelnKönnens möglich seien, ist immer wieder vorgebracht worden, dass sich der wahrhaft gerechte oder tugendhafte Mensch eben dadurch auszeichnet, dass er im Konfliktfall die moralischste Option allen anderen vorzieht. Er ist so geartet, so ist sein Charakter, wir können uns hierin auf ihn verlassen, und das bedeutet eben, dass es unmöglich ist, dass er in einer solchen Situation anders handelt. Es gibt dann keine ontisch offene Alternative zur moralischen Handlung. Selbstverständlich könnte und würde er anders handeln, wenn er wollte oder sich anders entschiede, aber eben dies ist ausgeschlossen. Er kann sich nur so entscheiden, kann nur gemäß der Tugend wollen, so ist er nun einmal. Dem inkompatibilistischen Standpunkt zufolge wäre so jemand unzurechnungsfähig und für sein Handeln nicht moralisch verantwortlich. Wieder stellt eine solche Person keinen sehr realistischen, aber doch einen idealtypischen Fall dar. Konfrontiert mit einer moralischen und einer oder mehreren deutlich weniger moralischen Handlungsoptionen wählt sie zuverlässig die erstere und könnte dabei sagen: „Ich kann nicht anders wollen, und ich will auch nicht anders können.“²¹⁴ Es hilft wenig, diese imaginäre Selbstbeschreibung dadurch in Frage zu stellen, dass man sagt: „Nun, das ist nicht wahr, du kannst dich Solche Varianten des Kompatibilismus werden von Holton (, Kap. und ) und List () vertreten. Siehe Spaemann (, S. ). Auch das Luther zugeschriebene Diktum „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ wird in diesem Kontext immer wieder angeführt.
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14 Verantwortung und Determinismus
sehr wohl für die unmoralische Handlung entscheiden; dass du es tust, ist eine ontisch offene Möglichkeit, aber du wirst oder würdest sie natürlich nicht ergreifen – das versteht sich.“ Eine solche Aussage ist extrem merkwürdig, und es wäre deshalb für einen Inkompatibilisten ein fast schon verzweifelter Schritt, sich auf dergleichen zu stützen. Wie kann es denn sein, dass wir einerseits eine ontisch offene Möglichkeit konstatieren und andererseits im selben Atemzuge behaupten, dass sie nicht eintreten werde oder würde?²¹⁵ Es geht hier nicht, wie man vielleicht versucht sein könnte zu denken, um einen zwar möglichen, aber extrem unwahrscheinlichen Sachverhalt. Erstens kann man auch von einem solchen nicht einfachhin sagen, dass er nicht eintreten werde oder würde, und zweitens bedeutete auch eine geringe Wahrscheinlichkeit an dieser Stelle, dass wir uns auf die Moralität der Person eben nicht verlassen könnten. Dies ist nicht die Situation, die wir hier imaginieren. Wenn wir uns in die Niederungen des wirklichen Lebens begeben, ist es dort immerhin noch so, dass real existierende Menschen, so wie sie zumindest in bestimmten Bereichen praktisch kompetent sind, in bestimmten Typen von Situationen sich zuverlässig für die moralische Option entscheiden. Für jeden gibt es irgendwelche Grenzen, die er nicht überschreiten würde, und wenigstens insoweit kann man ihm vertrauen. Dennetts Beispiel, dass er niemanden bloß für $1000 foltern würde, gehört hierher.²¹⁶ Wenn uns der vollständig tugendhafte Mensch auch wenig vertraut sein mag und wir vielleicht sogar Vorbehalte gegen die Einführung einer solchen Figur haben, sollten wir doch bedenken, dass wir ihm in gewissen Kontexten insofern gleichen, als wir wenigstens dort zuverlässig moralisch handeln, ohne dass dies besonders bemerkenswert wäre, und ohne dass sich irgendjemand daran stören würde, dass die alternative Handlung für uns schlicht nicht in Frage kommt und daher keine ontische Möglichkeit darstellt. Im Gegenteil, es wäre höchst irritierend zu erfahren, dass das Foltern für bloße $1000, ohne dass weiteres auf dem Spiel stünde, für jemanden eine genuine Handlungsoption darstellte. Für viele Menschen ist dergleichen in der Tat ausgeschlossen, und von den anderen haben die meisten „moralisches Glück“: sicherlich ein extremes Beispiel für diese Art von Glück, das aber nochmals deutlich macht, wie gravierend das dadurch aufgeworfene Problem ist. Entsprechend kann man sich auch den Ausschluss von Handlungsoptionen vorstellen, die weniger schlimm, aber in der jeweiligen Situation immer noch
Das gilt für Möglichkeiten generell: „Just try saying out loud: ‘If the coin were tossed, it MIGHT land tails, and it WOULD land heads if it were tossed.’“ (Hájek Manuskript, Abschnitt .., S. ) Dabei setzt Hájek ausdrücklich keine faire Münze voraus; die Wahrscheinlichkeiten für „Kopf“ und „Zahl“ können sein, wie sie wollen (und sie bräuchten auch gar nicht zu existieren). Siehe Dennett (, S. ).
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unmoralisch wären. Dieser Ausschluss ist kein Defizit, sondern ein Vorzug, genau wie praktische Kompetenz kein Defizit, sondern einen Vorzug darstellt, obwohl beide Male dadurch Handlungsmöglichkeiten wegfallen. Wenn man der Idee oder dem Klischee des durchaus vernünftigen oder durchaus moralischen Subjekts misstraut, sollte man sich an diejenigen Typen gewöhnlicher Situationen halten, in denen wir die Idealfälle näherungsweise verwirklichen und das auch ganz normal finden. Es wäre sehr merkwürdig, wenn in solchen Fällen zusammen mit den ontischen Alternativen auch gleich unsere moralische Verantwortlichkeit in Frage stünde, aber genau das ist es, worauf ein Inkompatibilist festgelegt ist. Wie im Falle praktischer Rationalität im Allgemeinen wäre es nicht überzeugend, aus der Tatsache, dass hierbei stets eine Restunsicherheit besteht, zugunsten der inkompatibilistischen Position etwas machen zu wollen. Denn erstens ist es sehr wohl möglich, dass diese Unsicherheit ausschließlich oder weitgehend unseren epistemischen Beschränkungen geschuldet ist. Sie könnte dann nicht, wie es zur Verteidigung von inkompatibilistischen Verantwortungszuschreibungen nötig wäre, im Sinne ontischer Handlungsalternativen gedeutet werden. Obwohl dergleichen notorisch schwer zu entscheiden ist, ist die inkompatibilistische Position an dieser Stelle zu stark festgelegt, um plausibel zu sein. Es spricht gar nichts dafür, bestenfalls ist es völlig offen, ob und welchen Fällen solche letzten Unwägbarkeiten tatsächlich auf ontische Verlaufsalternativen verweisen. Zweitens wird ein großer Teil der immer verbleibenden Unsicherheit durch „Unfälle“, wie Lapsus oder momentane Unaufmerksamkeit des Subjekts, abgedeckt, für die keine oder nur eine reduzierte Verantwortlichkeit besteht. Auch wenn es sich dabei um objektiv offene Möglichkeiten handeln sollte, sind es doch kaum solche, die in einer dem Subjekt moralisch zurechenbaren Weise realisiert werden.Was übrig bleibt, sind damit nur Fälle, in denen sich jemand aus heiterem Himmel ganz anders benimmt als sonst und etwa sagt: „Bisher bin ich dem Pfad der Tugend gefolgt, aber nun bin ich es leid.“ So etwas kommt zwar vor, und es ist auch keineswegs auszuschließen, dass es für solche Neubesinnungen keine zureichenden Ursachen gibt, aber man kann nicht allen Ernstes behaupten, dergleichen wäre bei jedem Handelnden jederzeit objektiv möglich. Es handelt sich vielmehr um Ausnahmefälle, die eine spezielle Vorgeschichte erfordern. Eine solche Wendung muss sich, ob determiniert oder nicht, innerlich vorbereiten und kann nur in bestimmten Konstellationen erfolgen. Die Idee, dass man sich jederzeit radikal umorientieren und bisherige Handlungsmuster in moralisch zurechenbarer Weise verabschieden könne, ist empirisch ungedeckt und phänomenologisch unplausibel. Damit wird drittens ein Einwand noch verstärkt, der von vornherein besteht: Die verbleibende Unsicherheit stellt viel zu sehr ein Randphänomen dar, als dass wir guten Gewissens sagen könnten: „Daran sieht man ja, dass wir Menschen uns
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im Normalfall auch jederzeit anders entscheiden können, und daran hängt unsere Verantwortlichkeit!“ Viertens handelt es sich bei dem deterministischen Fall um einen Grenz- und Idealfall. Wenn er näherungsweise verwirklicht sein kann, ohne dass die moralische Zurechenbarkeit der Handlungen verloren geht, ist nicht einzusehen, wieso dies dann der Fall sein sollte, wenn er zur Gänze realisiert ist. Ich will damit nicht die ontologische Kluft in Frage stellen, die zwischen 99,99 %iger Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit besteht, aber man sollte nicht Freiheit und Verantwortlichkeit in dieser Kluft ansiedeln wollen. Abgesehen davon, dass sie für praktische Rücksichten verdächtig klein ist, ist, wie gesagt, der deterministische Fall eben der Idealfall, während auch eine lediglich 99,99 %ige Wahrscheinlichkeit richtigen Handelns immer noch ein Defizit anzeigt. Wir sollten nicht gerade im vollkommenen Fall die moralische Zurechenbarkeit der Handlung zurücknehmen. Wer von inkompatibilistischen Argumenten im Hinblick auf die Zuschreibung moralischer Verantwortung überzeugt ist, sieht sich also mit dem Problem konfrontiert, dass die Existenz moralischer Normen aus sich heraus zu dem Gedanken einer idealen psychischen Verfassung Anlass gibt, in welchem diese Normen zuverlässig erfüllt werden, ebenso wie es sich bei den Rationalitätsnormen darstellt. Ob die moralischen Normen eine Teilklasse der Normen praktischer Rationalität sind, ist hier nicht Thema. Je nachdem handelt es sich bei dem deterministischen Motiv dieses Abschnitts um einen Spezialfall oder um eine Parallele zu dem in Kapitel 12 behandelten. Wir beurteilen den Charakter von Menschen unter anderem danach, wie nahe sie dieser deterministischen Vorstellung kommen, die nur dann mehrere Handlungsoptionen offen lässt, wenn es darunter im Hinblick auf die jeweiligen Normen gleichermaßen optimale oder aber unvergleichbare gibt. Ein nahe liegender Ausweg, den Inkompatibilisten angesichts des Problems ergreifen, dass der vollständig tugendhafte Mensch nicht unmoralisch handeln und daher ihrer Meinung nach für seine Handlungen nicht verantwortlich sein, insbesondere sich durch sie kein moralisches Verdienst erwerben kann, besteht darin, auf das Zustandekommen seines Charakters zu blicken. Soweit er der Person durch von ihr nicht zu verantwortende Umstände „verliehen“ ist, etwa von Geburt an oder durch ein günstiges soziales Umfeld, erwirbt sie sich durch ihre Handlungen in der Tat kein Verdienst und ist nicht für diese verantwortlich. Sofern sie aber durch früheres Handeln ihren jetzigen Charakter selber geformt hat, und damals genuine Alternativen bestanden, ist der hervorragende Charakter ihr eigenes Verdienst und die moralkonformen Handlungen, die ihm entspringen, sind der Person ebenfalls moralisch zuzurechnen. In dieser Weise möchten Peter van Inwagen und Robert Kane, obwohl Inkompatibilisten, den Fall genuin indeterministischer Entscheidungen sogar zu einem Ausnahmefall erklären. Nur selten
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sehen wir uns wie Herkules am Scheidewege, aber die Auswirkungen dieser „selfforming actions“, in denen wir unseren Charakter prägen und festigen, durchhallen das ganze Leben.²¹⁷ Nicht nur der Idealfall verlässlich moralkonformen Handelns veranlasst sie zu diesem Schritt, sondern die generelle Erfahrung, dass man in vieler Hinsicht das Verhalten von Personen vorhersehen, sich im Guten und Schlechten, und selbstverständlich auch vielfach in moralisch neutralen Kontexten, darauf verlassen kann. Wenn man also im Rahmen einer inkompatibilistischen Konzeption sowohl dem beschriebenen Idealfall Rechnung tragen, als auch kein unrealistisches Bild von den ontisch offenen Entscheidungsspielräumen von Menschen im Einzelfall entwerfen möchte, dann bietet es sich für Inkompatibilisten an, die Möglichkeit einzuräumen, dass viele oder die meisten unserer Entscheidungen und Handlungen determiniert sind, aber determiniert unter anderem durch einen Charakter, der in bestimmten Situationen genuin indeterministischer Wahl von uns in moralisch zurechenbarer Weise geformt wurde, weswegen unsere Verantwortung für die besagten Entscheidungen und Handlungen bestehen bleibt. Eine solche Strategie kann die inkompatibilistische Verlegenheit zwar abmildern, jedoch nicht ausräumen. Gegen sie erheben sich die folgenden Einwände. Erstens wird die Verantwortlichkeit für die eigenen Handlungen dadurch zu etwas Indirektem. Sehen wir uns eine Person mit einem durch frühere ontisch offene und direkt zurechenbare Entscheidungen geformten und nunmehr (in bestimmter Hinsicht) gefestigten Charakter an. Früher einmal wäre diese Person (in der nämlichen Hinsicht) frei und für ihr Tun direkt verantwortlich gewesen, jetzt aber wäre sie das nur noch insofern, als man in ihren gegenwärtigen Handlungen die ferne Konsequenz eines eventuell schon lange zurück liegenden charakterbildenden Verhaltens erblicken könnte. Im inkompatibilistischen Sinne frei wäre die Person zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr: Sie hätte sich (in bestimmter Hinsicht) ihrer Freiheit vielmehr freiwillig begeben. Die Vorstellung, dass man auf solche Weise seine Freiheit und direkte Handlungsverantwortung loswerden können soll, ist merkwürdig, und besonders merkwürdig ist sie im Falle unseres Phantasie-Idealmenschen, bei dem man ja nicht den Eindruck hat, dass ihm etwas Wünschenswertes abgeht. Zweitens kann Verantwortlichkeit im vollen Sinne nur für vorhersehbare Konsequenzen der eigenen Handlungen bestehen. Es ist aber nicht anzunehmen, dass zu dem Zeitpunkt, als die Person ihre „self-forming actions“ vornahm, ihr schon konkret vor Augen stand oder hätte stehen können, welche weiteren Handlungen aus dem so geformten Charakter unter künftigen Umständen einmal
Siehe Van Inwagen (), Kane (, Abschnitt VI; , Kap. .; , S. – ).
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hervorgehen würden. Die Verantwortung für die eigenen Handlungen wird in dem von Kane entworfenen Bild derart indirekt, dass sie in vielen Fällen nahezu aufgehoben scheint. Die Position ist in viel höherem Maße revisionär als es zunächst den Anschein hat. Eigentlich werden überhaupt nicht ihre Handlungen der Person moralisch zugerechnet und gegebenenfalls vorgeworfen, sondern ihr Charakter, aus dem sie sich unter den obwaltenden Umständen ergeben, sofern und nur insofern er das „eigene Werk“ (in einen geeignet ausbuchstabierten inkompatibilistischen Sinne) der betreffenden Person ist. Drittens geht auf diese Weise der Vorteil verloren, den der Inkompatibilismus auf dem Gebiet des moralischen Zufalls hat. Wer seinen eigenen Charakter derart geprägt hat, dass er in Situationen bestimmter Art verlässlich in bestimmter Weise handeln würde, für den kann es eben doch wieder Glück oder Pech in moralischer Hinsicht sein, wenn er nicht in solche Umstände gerät. Damit büßt der Inkompatibilist die Möglichkeit ein, die Existenz von moralischem Zufall zu bestreiten. Das ist eine Folge der Idee, dem Kompatibilismus entgegen zu kommen, indem Verantwortlichkeit und Determiniertheit doch zusammen bestehen können sollen, falls nur die Determiniertheit ihrerseits eine Vorgeschichte bestimmter Art hat. Viertens bleibt es dabei, dass, wenn der Charakter der Person zwar in bestimmter Hinsicht gefestigt ist, aber nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil durch ontisch offene und direkt zurechenbare eigene Entscheidungen, sondern etwa durch familiäre und sonstige soziale Umstände bereits frühkindlich derart geprägt wurde, die entsprechenden Handlungen der Person moralisch nicht oder kaum zurechenbar sind. Dem Retter in der Not müsste man dann sagen: „Na, bei dem Elternhaus ist es kein Wunder, dass du so hilfsbereit bist, darauf brauchst du dir gar nichts einzubilden – auch ich wäre so, wenn ich unter solchen Umständen aufgewachsen wäre! Ein Verdienst erwirbst du dir durch diese Handlung nicht.“ Fünftens hat diese Verantwortungsauffassung die Phänomenologie des Handelns aus der Perspektive der 1. Person gegen sich. Gerade die Handlungen, bei denen ein Mensch besonders mit sich im Reinen ist, bei denen ihm nicht fraglich ist, wie er handeln sollte, bei denen kein genuiner Konflikt besteht, der aufzulösen wäre, sondern bei denen ihm entweder sofort oder nach kurzem Nachdenken klar ist, was er (aus seiner Perspektive) tun sollte, gerade solche Handlungen sollen also nun diejenigen sein, bei denen er mangels Alternativen nicht „frei“ und für die er allenfalls indirekt verantwortlich ist. Dagegen soll die Situation des inneren Konfliktes, bei der die Dinge auf Messers Schneide stehen und erst nach einigem Hin und Her in der einen oder anderen Richtung aufgelöst werden, das Paradigma für eine freie und moralisch zurechenbare Entscheidung abgeben. Tatsache ist aber, dass solche Situationen für die meisten Menschen quälend sind und sie sich in ihnen unfrei fühlen, gerade weil sie den Eindruck haben, sie könnten sich durchaus auch anders entscheiden. Ihre Entscheidung hat
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dadurch etwas Beliebiges, weist einen Zug unmotivierter Willkür auf, der kein Zeichen von Freiheit zu sein scheint. Insgesamt ist dies ein zu hoher Preis für einen Inkompatibilisten, um die beschriebene Schwierigkeit auszuräumen. Meines Erachtens gibt es für das Problem keine befriedigende Lösung. Jede Konzeption, die praktische Freiheit und Verantwortlichkeit mit ontischen Handlungsalternativen zusammenbringt, ist dem Dilemma ausgesetzt, entweder für viele ganz alltägliche Situationen der handelnden Person Freiheit und Verantwortlichkeit abzusprechen oder aber einen Indeterminismus dort behaupten zu müssen, wo kaum etwas für ihn spricht und das wenige, was sich zu seinen Gunsten mit einigem guten Willen doch noch anführen lässt, überwiegend auf Lapsus des Subjekts hinausläuft. Eine interessante Reaktionsmöglichkeit auf dieses Dilemma stellt die Position von Susan Wolf dar, die allerdings nur zur Hälfte inkompatibilistisch ist.²¹⁸ Ich möchte diese Konzeption auch deshalb ansprechen, weil man durch eine auffällige Asymmetrie bei der Wahl der in diesem Abschnitt diskutierten Beispiele von selbst auf sie geführt werden kann. Und zwar ist für einen Inkompatibilisten die Idealfigur wesentlich peinlicher als ihr Widerpart im Negativen, und es sind für ihn Beispiele verlässlich und vorhersehbar moralkonformen Verhaltens schwieriger zu behandeln als analoge Fälle moralwidrigen Verhaltens. Denn während es unseren vortheoretischen Intuitionen widerspricht, dass gerade die gut gesinnte Person, der Mensch mit dem guten Charakter, für sein Handeln nicht verantwortlich sein soll, haben wir damit beim durchaus egoistischen oder bösartigen Charakter weniger Schwierigkeiten. Denn die Handlungsverantwortung scheint zu einem reifen Menschen zu gehören und etwas Positives zu sein, und wir wollen es nicht ausgerechnet den Menschen absprechen, die so sind, wie man nach gängigem Urteil sein sollte, und nicht gerade in den Hinsichten negieren, in denen jemand so ist, wie man sich das normalerweise wünscht. Dagegen sind wir viel eher bereit, jemanden, der in bestimmter Hinsicht oder, wenn so etwas denkbar sein sollte, durchweg zuverlässig moralisch versagt, von Schuld in dieser Hinsicht oder durchweg freizusprechen. Das liegt daran, dass wir in seinem Zustand, bei allen Schäden, die er anrichtet, auch etwas Unseliges erblicken. Er hat nicht die Möglichkeit, richtig zu handeln und derart zentralen Normen zu genügen. Nur auf diese positiv bewertete Möglichkeit, nämlich, moralischen oder auch Rationalitätsnormen zu genügen, kommt es deshalb, so könnte man meinen, für die Verantwortungszuschreibung an – nicht aber auf die entgegengesetzte Möglichkeit, gegen diese Normen zu verstoßen.
Siehe Wolf (). Das zentrale Kapitel findet man auch in Ekstrom (), S. – .
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Eben dies ist die Position von Susan Wolf.Verantwortlich ist, wer das Richtige erkennen und danach handeln kann (in einem Sinne mit ontischen Implikationen); ob er auch falsch handeln kann, ist unwichtig. Die „positive“ Möglichkeit muss ontisch vorhanden sein, die entsprechende Handlung von den Dingen, wie sie eben liegen, objektiv zugelassen werden, die negative nicht. Jemand, der sich in einer konkreten Situation notwendig in bestimmter Weise verhält, kann in dieser Situation nicht moralisch schuldig werden, denn entweder er handelt moralkonform – dann ist ihm nichts vorzuwerfen, oder er handelt moralwidrig – dann ist ihm mangels Alternative auch nichts vorzuwerfen. Insbesondere kann es in einer deterministischen Welt keinerlei moralische Schuld geben. Aber es kann moralisches Verdienst geben. Wer (in einer konkreten Situation) determiniert ist, das Richtige zu erkennen und danach zu handeln, der handelt (in dieser Situation) verantwortlich und erwirbt sich moralisches Verdienst ganz genauso wie der, der auch das Richtige erkennt und entsprechend handelt, aber dazu nicht determiniert ist. Und schuldig wird, wer (in der jeweiligen konkreten Situation) das Richtige erkennen und danach handeln kann (in einem ontischen Sinn), das eine oder andere aber unterlässt. Danach ist Wolf Kompatibilistin hinsichtlich moralischen Verdienstes, Inkompatibilistin hinsichtlich moralischer Schuld. Moralisch zurechenbares Handeln ist mit der Determiniertheit der handelnden Person vereinbar, sofern diese richtig, nicht aber, wenn diese falsch handelt. Im letzten Satz kommt das Problematische an Wolfs Position deutlich heraus. Sie scheint mir aber immer noch die relativ beste Reaktion auf das hier diskutierte Problem inkompatibilistischer Positionen zu sein, falls man möglichst viel von ihnen beibehalten will. Die „Lösung“ besteht freilich darin, dass man den Inkompatibilismus für die in Rede stehenden Fälle aufgibt. Man gibt der Kritik für diese Fälle einfach Recht: Wer in einer bestimmten Situation, einem bestimmten Typ von Situation, oder auch ganz generell moralkonform handelt, der darf ruhig entsprechend determiniert sein, ohne dass dadurch seine Verantwortlichkeit aufgehoben wird. Diese partielle und asymmetrische Aufgabe der inkompatibilistischen Intuition mag irritierend sein, sie ist aber nicht willkürlich, sondern findet ihre Rechtfertigung darin, dass zwischen richtigem und falschem Handeln eine Asymmetrie besteht, die zur Folge hat, dass es nur bei ersterem darauf ankommt, dass es uns tatsächlich offen steht. Wie immer aber diese Position abschließend zu bewerten ist: Sie kann die Vorteile des Kompatibilismus bei der Behandlung der dargestellten Fälle nicht beseitigen, vielmehr wird er für diese eben konzediert. Somit bleibt die Pattsituation zwischen kompatibilistischen und libertarischen Auffassungen von Verantwortung bestehen. Die ersteren kommen nicht umhin, die Allgegenwart moralisch relevanten Glücks und Unglücks einzuräumen, die letzteren, beim ideal tugendhaften Menschen und überhaupt in Fällen
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zuverlässigen und vorhersehbaren Handelns Freiheit und moralische Zurechenbarkeit in Frage zu stellen und sie derart gerade in solchen Fällen als eine allenfalls indirekte hinzustellen, die sich prima facie am wenigsten dafür eignen.
Teil III: Probleme des Libertarismus
Vorbemerkung In Teil II wurde die Frage der Vereinbarkeit mit dem Determinismus für Handlungen, Entscheidungen, theoretische und praktische Überlegungen, Normativität sowie moralische Verantwortung untersucht. Das Ergebnis war, dass die inkompatibilistischen Argumente im Falle von Entscheidungen und im Falle moralischer Verantwortung partiell überzeugend sind. Entscheidungen erfordern aus der Perspektive des Akteurs ontisch offene Möglichkeiten. Und es lässt sich plausibel begründen, dass ohne solche Möglichkeiten ein Subjekt für sein Tun nicht verantwortlich ist. Die Einschränkung „partiell“ bezieht sich im ersten Falle auf die Gebundenheit des Inkompatibilismus an die Perspektive der 1. Person. Ein Betrachter kann nicht nur ohne weiteres sagen, es stünde von vornherein fest, wie sich ein bestimmtes Subjekt entscheiden werde, sondern die Entscheidung kann ihm prinzipiell auch im Vorhinein bekannt sein. Eine weitere Einschränkung kann man darin erblicken, dass praktische Überlegungen, die in Entscheidungen münden, auch aus der Perspektive der 1. Person deterministische Grenzfälle besitzen, bei denen das Subjekt zuverlässig die richtige Option herausfindet und in die Tat umsetzt. Trotzdem bleibt es dabei, dass die Idee von Handlungsoptionen unter deterministischen Voraussetzungen aus der Sicht des Akteurs keinen Sinn hat. Anders als ein Betrachter kann er diese nicht rein epistemisch verstehen. Daraus resultiert beim praktischen Überlegen eine Spannung zwischen indeterministischen Voraussetzungen seiner Sinnhaftigkeit und einem deterministischen Idealfall desselben. Im zweiten Falle, bei der moralischen Verantwortung, hat die Einschränkung „partiell“ einen anderen Hintergrund. Hier beruht sie darauf, dass es eine überzeugende und an gewisse vortheoretische Intuitionen anschließende Auffassung von Verantwortung gibt, die keine alternativen Möglichkeiten erfordert, sondern nur die aufgeklärte Identifikation des Subjekts mit seiner Handlung. Ob und in welchem Sinne zu dem tatsächlichen Handeln Alternativen bestehen, ist dabei gleichgültig, da das Subjekt doch keine Verwendung für solche hätte. Unsere Intuitionen in Bezug auf moralische Verantwortung sind nicht einheitlich und gestatten kompatibilistische wie inkompatibilistische Ausgestaltungen. Beide haben dann komplementäre theoretische Vorzüge und Nachteile; eine Entscheidung zwischen ihnen lässt sich meines Erachtens nicht herbeiführen. Die Perspektive der 1. Person spielt dabei keine besondere Rolle. Das eine ist es nun, die Implikation des Indeterminismus in gewissen Hinsichten zu konstatieren, das andere, eine adäquate Rolle für den Indeterminismus im Rahmen eines ausgearbeiteten Modells von Entscheidungen oder moralischer
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Vorbemerkung
Verantwortung zu finden. Die Schwierigkeit besteht, grob gesagt, darin, dass das Auftreten genuin zufälliger Elemente beim Zustandekommen von Handlungen zwar ohne weiteres denkbar, aber nicht ebenso leicht einzusehen ist, wie gerade sie eine Entscheidung erst möglich oder das Subjekt moralisch verantwortlich machen sollten. Der Zufall droht im Gegenteil die Kontrolle des Subjekts über seine Handlungen und damit auch deren Zurechenbarkeit zu reduzieren. Im besten Falle schadet er nichts – je nachdem, an welcher Stelle er ins Spiel kommt – aber wie sollten genuin zufällige Vorgänge dafür sorgen, dass von Entscheidungen oder moralischer Verantwortung (in einem Sinne) überhaupt erst geredet werden kann? Das Problem eines Inkompatibilisten besteht darin, eine Variante des Indeterminismus zu finden, die von bloßem Zufall unterschieden ist, derart, dass einsichtig wird, dass mit einem Indeterminismus dieser Art und geeigneten weiteren Bedingungen Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person und moralische Verantwortung (in einem Sinne) befriedigend erfasst werden können. Eine solche Konzeption wäre der erste Schritt vom Inkompatibilismus zum Libertarismus, also der Position, dass einiges dafür spricht, dass wir tatsächlich frei in einem inkompatibilistischen Sinne sind. Der zweite Schritt bestünde dann darin, die empirische Plausibilität der entsprechenden Konzeption zu zeigen. Diese beiden Schritte sind der Gegenstand des dritten Teils der vorliegenden Arbeit. Wenn einer von beiden nicht gelingt, bleibt es bei den inkompatibilistischen Diagnosen, nur dass diese jetzt zu einem Skeptizismus in Bezug auf Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person und in Bezug auf moralische Verantwortung (in einem Sinne) Anlass geben. Es sieht dann so aus, als würden wir beim Entscheiden Voraussetzungen machen, die sich entweder nicht kohärent ausbuchstabieren lassen oder deren Erfülltsein in tatsächlichen Entscheidungssituationen unwahrscheinlich ist. Und es sieht ferner so aus, als könnten wir entweder gar nicht moralisch verantwortlich sein (in einem anspruchsvollen Sinne) oder als wären wir es de facto nicht, nämlich unter den in unserer Welt typischerweise obwaltenden Umständen. Eine Position dieser Art bezeichnet man als „harten Inkompatibilismus“. Die Vereinbarkeit mit dem Determinismus wird verneint, aber der Indeterminismus kann entweder nicht weiterhelfen, oder es spricht zu wenig dafür, dass unsere Handlungen tatsächlich in der erforderlichen Weise indeterminiert sind. Im ersten Fall, wenn also das Gelingen des ersten Schrittes in Frage gestellt wird, muss die Bezeichnung „harter Inkompatibilismus“ als irreführend gelten, weil sie einseitig die Unverträglichkeit mit dem Determinismus betont.Was wir uns bei Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person oder bei moralischer Verantwortlichkeit (in einem Sinne) vorstellen, könnten wir dann prinzipiell nicht haben, ganz gleich, ob wir in einer deterministischen oder einer indeterministischen Welt leben. Im zweiten Fall dagegen, wenn nur der zweite Schritt nicht
Vorbemerkung
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gelingt, könnte uns der Indeterminismus unter geeigneten weiteren Bedingungen verschaffen, was uns vorschwebt, nur stehen empirische Gründe der Annahme entgegen, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Das ist eine bedeutende Differenz, aber ich werde den Gepflogenheiten folgen und beide Arten von Positionen als „harten Inkompatibilismus“ ansprechen. Die Frage dieses Teils III ist also, ob sich die in Teil II gestellten inkompatibilistischen Diagnosen in eine adäquate libertarische Konzeption integrieren lassen, oder ob sie vielmehr zu einem harten Inkompatibilismus Anlass geben. Im Folgenden werde ich zunächst grundsätzliche Bedenken gegen libertarische Konzeptionen diskutieren, die sich unabhängig von jeder spezifischen Ausgestaltung ergeben. Dann werde ich einzelne libertarische Konzeptionen, die ich für repräsentativ halte, vorstellen und diskutieren. Als nächstes werde ich fragen, ob wir davon ausgehen dürfen, dass unsere Welt das richtige Maß an Indeterminismus enthält, um solche Konzeptionen empirisch plausibel zu machen. In diesem Zusammenhang wird dann insbesondere die Frage wichtig, wie viel ein libertarischer Versuch denn erbringen muss – was legitimerweise von ihm erwartet werden kann. Dieser Frage der Beweislast werde ich zuletzt nachgehen.
15 Libertarische Konzeptionen: Grundsätzliche Bedenken Bei inkompatibilistischen Konzeptionen von Entscheidungen und moralischer Verantwortung werden Fragen nach den Handlungsmöglichkeiten einer Person durch den Verweis auf vor dem Entscheidungszeitpunkt ontisch offene Alternativen beantwortet. Nichts an der Welt unter Einschluss der Person legt fest, wie diese entscheiden wird. Zunächst möchte ich drei Schwierigkeiten der Idee in diesem Sinne offener Handlungsalternativen diskutieren, die grundsätzlicher Natur sind und sich deshalb in gleicher Weise für alle libertarischen Konzeptionen ergeben. Diese Schwierigkeiten lassen sich in die Form von Einwänden bringen, die behaupten, dass das libertarische Projekt von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Die nähere Auseinandersetzung mit spezifischen libertarischen Auffassungen wäre dann überflüssig.
15.1 Handlungen aus heiterem Himmel Der erste Einwand besteht in der Behauptung, dass indeterministische Elemente im Rahmen der Genese einer Handlung diese zu etwas Unverständlichem machen würden. Zu etwas, das einem Wollen folgt, das sich „einfach so“ einstellt und für den Akteur selber, wenn er darauf reflektierte, wie für eventuelle Betrachter gleichermaßen rätselhaft wäre. Peter Bieri hat die Schilderung einer Person geliefert, die in dieser Weise agiert, die grundlos mal dies, mal jenes will und darin „absolut frei“ ist.²¹⁹ Ihre Handlungen lassen sich nicht in Beziehung zu ihrer Lebensgeschichte und Merkmalen ihres Charakters setzen und gestatten keine oder nur rudimentäre Erklärungen durch Beweggründe. Was sich in diesem rudimentären Sinne noch anführen lässt, sind in der Person plötzlich aufsteigende oder modifizierte Wünsche. Im Wesentlichen aber hängen ihre Handlungen nur dadurch mit ihr zusammen, dass es eben ihre Handlungen und d. h.von ihr gewollt sind. Es fehlt ein Hintergrund, der ein Licht auf dieses Wollen werfen könnte. Eines Morgens, wollen wir annehmen, wachen Sie mit dem Willen auf umzuziehen. Es ist noch nicht lange her, dass Sie in die jetzige Wohnung gezogen sind, es ist Ihnen darin gut gegangen, Sie haben viel Geld investiert, und noch gestern Abend haben Sie den bewundernden Gästen auf der Einweihungsparty erklärt, hier würden Sie nie wieder ausziehen. Doch jetzt, beim Frühstück, spüren Sie den klaren und festen Willen, die Wohnung zu
Bieri (), Kap.
15.1 Handlungen aus heiterem Himmel
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wechseln. Es berührt Sie seltsam, dass es so ist, aber gegen diesen überraschenden Willen ist nichts zu machen. Natürlich könnte es sein, dass er Sie schon auf dem Weg zum Makler wieder verlässt, aber wir wollen annehmen, dass er anhält, bis Sie eine neue Wohnung gefunden und die alte gekündigt haben. „Sag mal, spinnst du?“ fragen die Freunde. „Wieso“, sagen Sie, „das ist doch das Schöne an der Freiheit: dass man immer wieder ganz neu anfangen kann.“ „Ja, aber warum um Himmels willen willst du dort schon wieder raus? Es hat dir doch so gut gefallen, vom Geld einmal ganz zu schweigen.“ „Ich weiß nicht“, sagen Sie, „ich will es halt einfach und genieße es, keinen Grund angeben zu können. Ich fühle mich dabei so richtig frei.“ Und so kommt denn der Umzugswagen. Sie übergeben die Schlüssel und fahren zur neuen Wohnung. Und da passiert es: Während Sie auf die Ankunft des Umzugswagens warten, merken Sie, dass Sie hier auf gar keinen Fall einziehen wollen. Die Möbelpacker trauen ihren Ohren nicht, und nach dem ersten Ärger wird ihr Blick mitleidig wie einem Gestörten gegenüber. Als sie weg sind, stehen Ihre Möbel auf der Straße. Jetzt möchten Sie ins Kino gehen. Der Wunsch hat nichts mit der desolaten Situation zu tun, denn er hat mit überhaupt nichts anderem zu tun, auf einmal ist er einfach da und wird zum Willen. Als Sie spät in der Nacht wieder bei der neuen Adresse ankommen, sind die Möbel weg. Die Leute vom Sperrmüll haben sie mitgenommen. (Bieri 2001, S. 234– 235)
Es wäre für den Libertarismus fatal, wenn nach seiner Auffassung derartige Extremfälle, die gerade noch vorstellbar sein mögen, das Paradigma menschlichen Handelns abgeben würden. Aber das ist nicht der Fall. Ein Libertarier muss nicht mehr als ein Kompatibilist grundlose Entscheidungen und Handlungen zulassen. Solche mögen an bestimmten Stellen phänomenologisch plausibel sein: Ich habe in 1.2 dafür argumentiert, dass es zumindest Aspekte von Handlungen gibt, die trotz ihrer Absichtlichkeit grundlos sind. Und warum sollten nicht auch Handlungen als ganze manchmal ohne Grund erfolgen, etwa spielerisch? Es ist aber nicht einzusehen, wie solche Handlungen in der Debatte zwischen Kompatibilismus und Libertarismus etwas entscheiden könnten. Und es ist nicht so, dass ein Libertarier eher als ein Kompatibilist auf die Existenz von Handlungen, wie Bieri sie imaginiert, festgelegt wäre. Er muss keineswegs behaupten, dass die ontischen Möglichkeitsspielräume, deren Existenz er für Entscheidungen und für moralische Verantwortung für erforderlich hält, in irgendeinem Sinne maximal sind. Nicht alles, was eine Handlungsoption im Sinne der konditionalen Analyse des praktischen Könnens ist, muss dem Akteur im libertarischen Sinne offen stehen. In Frage kommen normalerweise nur Optionen, für die (aus seiner Perspektive) hinreichend starke Gründe sprechen und deren Wahl deshalb nachvollziehbar ist. Eine indeterminierte Entscheidung ist nicht per se eine grundlose Entscheidung. Umgekehrt kann es, sofern man sich auf grundlose, „unmotivierte“ Entscheidungen und Handlungen einlässt, solche selbstverständlich auch im kompatibilistischen Rahmen geben. Wenn man davon ausgeht, dass Handlungen normalerweise durch Gründe erklärbar sind, folgt daraus für den Libertarier, dass bei mehreren ontisch offenen
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15 Libertarische Konzeptionen: Grundsätzliche Bedenken
Handlungsoptionen jede von ihnen nicht bloß ergriffen, sondern in nachvollziehbarer Weise ergriffen werden kann. Für jede von ihnen spricht etwas, und wenn eine von ihnen aus der Perspektive des Subjekts starke Gründe auf ihrer Seite hat, so müssen normalerweise auch die anderen jeweils starke Gründe für sich haben. In diesem Rahmen der Gegenüberstellung der Gründe für verschiedene Handlungsoptionen ergeben sich für die libertarische Auffassung in gewissen Konstellationen tatsächlich Schwierigkeiten, die im dritten Einwand unten diskutiert werden. Diese Schwierigkeiten sind aber etwas anderes als der Vorwurf, die libertarische Modellierung impliziere die Möglichkeit von grundlosen Entscheidungen und Handlungen „aus heiterem Himmel“. Ob und inwiefern es solche gibt, ist nicht leicht zu sagen, aber ein Inkompatibilist muss sie nicht in höherem Maße zulassen als ein Kompatibilist. Dass sich das Subjekt in einem ontischen Sinne so oder so entscheiden kann, impliziert nicht, dass es sich für eine Option entscheiden kann, die es zwar ausführen würde, wenn es wollte, für die aber gar nichts spricht. Im inkompatibilistischen Bild werden Entscheidungen an ontischen Verzweigungspunkten getroffen, aber jeder der derart offen stehenden Wege bietet im Normalfall eine verständliche Fortführung des Lebens der betreffenden Person. Der erste Einwand zeichnet somit ein Zerrbild der libertarischen Position. Damit man es sich nun nicht umgekehrt mit ihm zu leicht macht, ist es wichtig zu sehen, woher er seine Motivation bezieht. Indeterminiertes Geschehen ist nicht vollständig durch zeitlich vorhergehende Faktoren zu erklären. Insbesondere folgt eine indeterminierte Handlung nicht aus dem Charakter, verstanden als die Gesamtheit der mentalen Dispositionen, der Person und den Umständen, in denen sie sich befindet. Die Person kann in der nämlichen Situation in einem ontischen Sinne dies oder jenes tun, und es gibt nichts an oder in ihr, das vorher festlegte, dass sie unter den obwaltenden Umständen gerade so und nicht anders entscheidet. Libertarische Freiheit besteht deshalb darin, dass man die Verbindung zwischen dem, was eine Person ist, und dem, was sie tut, lockert. Lockert genau in dem Sinne, dass das, was sie ist, nicht festlegt, was sie dann tut. Galen Strawson hält es für ausgemacht, dass, wie sich eine Person unter gegebenen Umständen entscheidet, dadurch festgelegt ist, wie die Person in diesem Moment ist. Um für ihre Handlung letztlich die Verantwortung („ultimate responsibility“) zu tragen, müsste sie daher, so meint er, auch ihre mentalen Eigenschaften, ihr „So-sein“, in verantwortlicher Weise gewählt haben. Daraus folge dann ein unendlicher Regress oder der Gedanke einer „causa sui“, denn diese imaginierte weitere (ohnehin wenig plausible) Wahl sei wiederum von einem Sosein der Person bestimmt. Auf diese Weise gelangt Strawson zu einem harten
15.1 Handlungen aus heiterem Himmel
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Inkompatibilismus.²²⁰ Es ist natürlich gleich der erste Schritt, bei dem ein Libertarier einhakt.²²¹ Der Charakter, die (für den Moment) gegebenen mentalen Eigenschaften einer Person, legen nur einen Entscheidungsrahmen fest, aber nicht, wie die Person dann darin agiert. Insofern hierbei ein Problem besteht, handelt es sich um das Problem der Erklärungslücke oder Zufallsproblem, das im nächsten Kapitel diskutiert wird. Wenn aber erst durch eine Lockerung der Verbindung zwischen den Eigenschaften der Person und ihrer Handlung Freiheitsspielräume entstehen, die moralische Zurechnung ermöglichen oder es erlauben, aus der Perspektive der 1. Person von einer „Entscheidung“ zu sprechen, dann kann man leicht auf den Gedanken kommen, dass diese Spielräume, und damit die ihnen entsprechende libertarische Freiheit, umso größer sind, je stärker die besagte Verbindung gelockert ist, und dass sie maximal sind, wenn gar keine Verbindung zwischen dem, was eine Person ist, und dem, was sie (in einer bestimmten Situation) tut, besteht – mit Ausnahme der zu jeder Handlung gehörigen Absicht. Dies wäre der von Bieri imaginierte Zustand, dem zufolge die maximale libertarische Freiheit mit der kompletten Unverständlichkeit des ihr entspringenden Wollens und Handelns zusammenfällt. Und der Verdacht wäre, dass das, was an diesem Grenzfall so problematisch ist, die libertarische Auffassung insgesamt belastet, nur dass es bei weniger durchgreifender Lockerung des Zusammenhangs zwischen den Eigenschaften und dem Handeln einer Person weniger augenfällig ist. Dass dieser Verdacht fehlgeleitet ist, wird deutlich, wenn wir uns fragen, in welchem Sinne genuin indeterminierte Handlungen nicht vollständig erklärbar sind – in welchem Sinne bei ihnen die Verbindung zwischen der Person und ihrem Tun gelockert ist – und warum genau dies beunruhigend sein sollte. Zunächst einmal sind solche Handlungen selbstverständlich kausal nicht vollständig erklärbar. Es gibt keine zureichenden Ursachen dafür, dass die Person gerade diese Handlung ausführt. Sie könnte, in einem ontischen Sinne, in der nämlichen Situation auch etwas anderes tun. Aber was sollte daran beunruhigend sein? Es bleibt ja doch ihre Handlung, und diese Handlung folgt ihrer Entscheidung. Tatsächlich ist es bei Bieri nicht die kausale Unerklärlichkeit, die zu dem beklemmenden Bild führt, sondern die rationale: die völlige Unverständlichkeit der wiederholten Sinnesänderungen des dargestellten Akteurs. Dass dergleichen (überhaupt oder unter normalen Umständen) möglich ist, braucht ein Libertarier aber nicht eher einzuräumen als ein Kompatibilist. Es ist gleichgültig, ob die entsprechenden Handlungen zureichende Ursachen (die dann nichts mit Gründen
Siehe Strawson (, , ). Siehe Keil (), S. .
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15 Libertarische Konzeptionen: Grundsätzliche Bedenken
zu tun hätten) besitzen oder nicht. Bei dem von Bieri imaginierten Handlungstyp kommen und gehen Intentionen grundlos, das kontinuierliche Wollen fehlt. So etwas mag vorkommen, und schlimmstenfalls in der von Bieri dargestellten Form, aber es kann in einer deterministischen Welt genauso viel oder wenig vorkommen wie in einer indeterministischen, und es bedeutet in jedem Fall den Zusammenbruch der rationalen Rekonstruierbarkeit des Verhaltens der Person.
15.2 Kontrollverlust als Folge des Indeterminismus? Ein zweiter grundsätzlicher Einwand gegen libertarische Positionen ist die Idee eines durch die indeterministischen Elemente bedingten partiellen Kontrollverlusts des Akteurs. Die erwähnte Lockerung der Verbindung zwischen dem, was die Person ist, und dem, was sie tut, soll die Kontrolle des Akteurs über sein Tun und damit dessen Zurechenbarkeit in Frage stellen. Wenn beim vorhergehenden Einwand der Indeterminismus die Nachvollziehbarkeit der Handlung gefährden sollte, so ist es hier der Handlungsstatus selber, der zur Disposition steht. Das ist aber, kurz gesagt, höchstens dann der Fall, wenn sich indeterministische Elemente zwischen die Entscheidung oder vorherige Absicht und das entsprechende Verhalten schieben. Wenn wir uns dagegen vorstellen, es sei die Entscheidung oder Absichtsbildung selber, die nicht determiniert ist, so scheint sich kein Problem zu ergeben. Die Person hat die volle Kontrolle über ihr Tun (oder kann sie haben), aber dafür, dass sie die Kontrolle gerade so (und nicht anders) ausübt, dass sie also gerade dies (und nicht jenes) tut, dass sie sich für dieses (und gegen jenes) entscheidet, gibt es eben keine zureichenden Ursachen. Das Element an Willkür, das hier unvermeidlich im Spiel ist, wird uns im Problem der Erklärungslücke noch beschäftigen. Aber dieses Element impliziert nicht per se einen Mangel an Kontrolle. Auch eine nicht vollständig erklärbare, nicht auf zureichende Ursachen zurückführbare Entscheidung kann doch meine Entscheidung sein. Es besteht kein Zweifel, dass ich sie treffe und dadurch bestimme, was ich tue, auch wenn zuvor nicht feststeht, wie ich sie treffen werde. Daraus scheinen sich weder mangelnde Kontrolle noch mangelnde Zurechenbarkeit zu ergeben. Was sich ergibt, ist die Frage, warum ich dies und nicht jenes tue, warum ich aus bestimmten Gründen A tue anstatt aus anderen Gründen B. Aber auch wenn es darauf keine Antwort gibt, so braucht doch deswegen kein Zweifel aufzukommen, dass ich mein Tun kontrolliere und dafür verantwortlich bin. Es ist wiederum wichtig sich klarzumachen, dass hier nicht etwa automatisch ein Rationalitätsdefizit im Vergleich zu kompatibilistischen Konzeptionen besteht. Ganz abgesehen davon, dass ein Rationalitäts- oder Begründungsdefizit nicht von selbst ein Kontroll- oder Zurechenbarkeitsdefizit anzeigt, ist es unabhängig von
15.2 Kontrollverlust als Folge des Indeterminismus?
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Kompatibilismus und Inkompatibilismus häufig so, dass mehrere Handlungsoptionen in gut nachvollziehbarer Weise ergriffen werden können, dass für keine von ihnen überwiegende Gründe sprechen. Gründe lassen sich zwar gewichten, aber nur in Ausnahmefällen exakt quantifizieren. Man kommt deshalb sehr leicht in eine Situation, in der einiges für A, aber auch einiges für B spricht, und man nicht sagen kann, dass die einen Gesichtspunkte die anderen überwiegen. In einer solchen Situation ist nicht begründbar, warum man A und nicht B tut, noch, warum man B und nicht A tut. Unter deterministischen Umständen gibt es dafür eine Erklärung durch Ursachen, unter indeterministischen Umständen nicht, aber auf keinen Fall gibt es eine Erklärung durch Gründe. Diese (partielle) Lücke besteht oder besteht nicht, je nachdem, ob es überwiegende Gründe für eine der Optionen nicht gibt oder gibt, aber der Determinismus trägt nichts dazu bei, eine solche Lücke zu schließen, und deshalb stellt sie keinen Einwand gegen libertarische Auffassungen dar. Wenn indeterministische Faktoren nach der Entscheidung auftreten, diese also (unter den gegebenen Umständen) das Verhalten nicht oder nur partiell determiniert, hat der Gedanke reduzierter Kontrolle deutlich mehr für sich. Auch ein nach der Entscheidung bestehender Indeterminismus bedeutet allerdings keineswegs von selbst einen Kontrollverlust des Subjekts. Es kommt vielmehr auf die spezifische Art und Weise an, in der sich dieser Indeterminismus bemerkbar macht.Wenn es dadurch geschieht, dass das Subjekt auch nach der Entscheidung in einem ontischen Sinne die Möglichkeit hat, noch einmal neu zu überlegen und sich umzuentscheiden, so ist diese offene Möglichkeit allein sicherlich kein Zeichen für reduzierte Kontrolle. Hängt dagegen die Umsetzung der Entscheidung davon ab, dass bestimmte zufällige Prozesse in für das Subjekt günstiger Weise verlaufen, indem, wenn sie eine andere Wendung nähmen, sein Körper andere als die intendierten Bewegungen vollführte, dann haben wir es tatsächlich mit einem Kontrollverlust zu tun. Wenn gar eine hohe (objektive oder subjektive) Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sein Körper ihm den Dienst versagt bei der Umsetzung seiner Absichten, dann hat es (objektiv oder subjektiv) nicht mehr viel Sinn zu überlegen und zu entscheiden. Im Extremfall geht die Handlungsfähigkeit verloren, und auch wenn es so schlimm nicht kommt, weil die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten nicht groß sind, so ist doch klar, dass jedes indeterministische Element, das sich auf diese Weise bemerkbar macht, die Kontrolle des Subjekts über sein Tun reduziert. Analoges gilt, wenn Handlungen, wie es ja in der Tat häufig ist, relevant andere Folgen haben als vom Subjekt beabsichtigt oder vorhergesehen. Indeterministische Elemente können auch nach der Ausführung der intendierten Körperbewegung deren Erfolg mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vereiteln. Die Kontrolle über den Körper ist dann zwar vorhanden, aber sie nützt umso weniger,
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15 Libertarische Konzeptionen: Grundsätzliche Bedenken
je höher nun diese Wahrscheinlichkeit ist, da man mithilfe der Kontrolle dann nur zufällig etwas erreicht. Im Extremfall wird das Handeln sinnlos; erst recht das Nachdenken, Planen und Entscheiden. Und auch wenn die Lage nicht so extrem ist, so bedeutet doch jedes indeterministische Element in dieser Phase eine Reduktion der Kontrolle des Subjekts über das interessierende Geschehen und damit der Sinnhaftigkeit des Handelns. Beide Formen der verminderten Kontrolle bedeuten nicht zugleich eine Verminderung der Zurechenbarkeit. Wenn beispielsweise eine unmoralische (oder strafbare) Handlung wie intendiert ausgeführt wird und den gewünschten Erfolg hat, dann ist es in weiten Grenzen für die moralische (und rechtliche) Verantwortung des Subjekts nicht relevant, dass die Sache auch hätte schiefgehen können. Wichtig ist nur, dass die Handlung von vornherein geeignet war, den intendierten Erfolg herbeizuführen: Die entsprechenden Misserfolgswahrscheinlichkeiten dürfen subjektiv, nämlich im Urteil und aus der Perspektive des Subjekts, sowie objektiv nicht zu groß sein. Das berührt aber nicht das Faktum der reduzierten Kontrolle. Auch wenn alles wie geplant, oder besser: erhofft, verläuft, das Subjekt sich wie beabsichtigt verhält und dieses Verhalten die gewünschten Folgen hat, so ist das doch ein Stück weit Glück, nichts, was das Subjekt kontrollieren könnte, und umso mehr Glück, je größer zuvor die objektive Wahrscheinlichkeit war, dass etwas dazwischen kommen würde. Diese Misserfolgsmöglichkeiten sprechen zunächst nicht speziell gegen libertarische Konzeptionen. Auch in einer vollständig deterministischen Welt kann man schließlich daneben schießen. Ob die Störung der Bewegung oder die Vereitelung des Erfolges, wenn sie denn eintritt, auf genuin indeterministische Elemente zurückgeht oder auf unvorhersehbare deterministische Einflüsse, macht keinen Unterschied für die Kontrolle des Subjekts und gegebenenfalls für den Faktor „Glück“. Zwischen einer indeterministischen und einer auf verwickelte Weise determinierten Welt besteht in den Hinsichten, die wir hier diskutieren, kein relevanter Unterschied. Aber während ein Kompatibilist ohne weiteres annehmen kann, dass der Weltverlauf nicht bloß determiniert, sondern auf solche Weise determiniert ist, die uns in vielen Fällen verlässliche Prognosen ermöglicht, muss ein Libertarier an dieser Stelle Schadensbegrenzung betreiben. Er muss entweder annehmen, dass sich indeterministische Elemente nur an den „richtigen“ Stellen finden: vorzugsweise beim Zustandekommen der Entscheidung, und tendenziell nicht mehr, oder doch nur in spezifischen Kontexten, danach, etwa beim nochmaligen Überdenken der Entscheidung aus guten Gründen. Oder er muss annehmen, dass für solche Elemente, wenn sie dort auftreten, wo sie auch ein Libertarier nicht brauchen kann, eine geringe Wahrscheinlichkeit „ungünstiger“ Verläufe besteht.
15.3 Nochmals: Klare Fälle von Entscheidungen
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Insofern hat der Vorwurf der Kontrollreduktion durch indeterministische Elemente einen gewissen Biss. Er gibt zu der empirischen Frage Anlass, ob es im Gehirn bei Prozessen, die zu den mit Entscheidungen korrelierten neurophysiologischen Phänomenen hinführen, signifikante indeterministische Aspekte gibt, aber nicht bei den Prozessen, die nach der Entscheidung zur Körperbewegung überleiten. Eine solche Differenz „im Geiste des Libertarismus“ sollte sich finden lassen, sonst ist die Position zwar nicht konzeptuell, aber empirisch geschwächt. Doch steht dies auf einem anderen Blatt. Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass der Indeterminismus als solcher zu verminderter Kontrolle führt.
15.3 Nochmals: Klare Fälle von Entscheidungen Der dritte grundsätzliche Einwand gegen den Libertarismus wird durch Situationen unbalancierter Handlungsgründe konstituiert, falls das Ungleichgewicht groß und relativ leicht zu sehen ist. Ich habe dieses Problem bereits in Kapitel 12 und 14.7 behandelt und fasse mich daher kurz. Es kommt nicht selten vor, dass die Gründe für eine bestimmte der vorhandenen Handlungsoptionen ganz klar die gewichtigeren sind und es daher irrational, im Extremfall geradezu verrückt wäre, die entsprechende Option nicht zu ergreifen. Inwiefern hat der Akteur dann die ontische Möglichkeit des Anders-Handelns? Selbstverständlich würde er anders handeln, wenn er anders handeln wollte, aber kann er denn anders wollen, sich anders entscheiden? Wie sollte das angesichts der weit überwiegenden und klar zu Tage liegenden Gründe für eine der Optionen möglich sein? Das Ergreifen einer Alternative hätte dann etwas Unerklärliches. Rätselhafterweise handelt der Akteur in einer für ihn wichtigen Angelegenheit völlig ohne Überlegung und tut dabei das Falsche. Oder: Rätselhafterweise erkennt er beim Überlegen die bei weitem stärkeren Gründe nicht, obwohl sie nicht schwer zu sehen sind. Oder: Merkwürdigerweise handelt er im vollen Bewusstsein der Asymmetrie gegen sein Urteil, was zu tun wäre. Wohl gibt es Menschen, die gar nicht erst dazu neigen, in wichtigen Angelegenheiten einigermaßen konzentriert oder überhaupt zu überlegen. Ferner ist, was offen zu Tage liegende Gründe sind, abhängig von den epistemischen Kapazitäten des jeweiligen Subjekts. Ein Übersehen, das bei dem einen verwunderlich wäre, ist bei einem anderen normal. Und gewiss gibt es manchmal verborgene Zwänge oder unbewusste Motive, die eine Erklärung des irrationalen Verhaltens liefern können. Solche und weitere Qualifikationen ändern aber nichts an dem grundsätzlichen Problem der libertarischen Position. Es ist nicht anzunehmen, dass ontische Möglichkeiten der skizzierten Art in jeder Entscheidungssituation, und sei der Fall auch noch so klar, bestehen.
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15 Libertarische Konzeptionen: Grundsätzliche Bedenken
Generell hat der Libertarismus also große Schwierigkeiten, sobald leicht einsehbare und deutlich überwiegende oder gar zwingende Gründe für eine Handlungsweise vorliegen. Das behauptete libertarische Anderskönnen wird dann empirisch wie phänomenologisch zweifelhaft und wirkt zudem (wenn es denn gegeben sein sollte) deplatziert: weit entfernt, irgendeine konstruktive Rolle zu spielen zu können, als ein bloßer Defekt, der bei einer besser verfassten Person nicht bestünde. „Ich müsste verrückt sein, in dieser Situation etwas anderes als A zu tun“, so kann das Subjekt zu sich selber und anderen sagen. Dieser Situationstyp muss keineswegs einer sein, in welchem gar nichts zu überlegen und zu entscheiden ist.Wohl sagt man nach der Einsicht in die Gründe leicht „Da gibt es ja nichts zu überlegen (oder gar: zu entscheiden)!“, aber das ist nicht wörtlich zu nehmen. Tatsächlich sieht sich das Subjekt mit mehreren (vermeintlichen) Handlungsoptionen konfrontiert und rasch erweist sich, dass für eine von ihnen wesentlich mehr spricht als für die Alternativen. In vielen solchen Hinsichten ist auf Menschen tatsächlich auch Verlass. Wir gehen im Alltag ganz selbstverständlich davon aus, dass Entscheidungen und Handlungen anderer entsprechend vorhersehbar sind. Es ist ihnen, in größerem oder geringerem Maße und abhängig von ihren Kompetenzen, häufig zuzutrauen, dass sie in einer Entscheidungssituation bestimmter Art relativ schnell die vernünftige oder beste Option identifizieren und diese dann ausführen. Libertarier sind daher mit einem Dilemma konfrontiert: Entweder sie behaupten, auch in jeder solchen Situation stünden dem Subjekt Alternativen ontisch offen. Oder sie sprechen dem Subjekt für solche Lagen ab, dass es sich entscheidet und für sein Tun verantwortlich ist. Beides ist wenig überzeugend. An den entsprechenden Stellen von Teil II habe ich dargelegt, warum ich meine, dass es für Libertarier keinen guten Ausweg aus diesem Dilemma gibt; weitere Überlegungen dazu folgen im nächsten Kapitel, bei der Diskussion spezifischer libertarischer Ansätze. Dieses Problem konstituiert einen wesentlichen Einwand gegen jede libertarische Konzeption, die an dieser Stelle etwas, das klarerweise ein Defizit ist, als durchweg vorhanden und konstitutiv für Entscheidungen und moralische Zurechenbarkeit hinstellen muss. Sich entscheiden kann und für sein Handeln verantwortlich ist der libertarischen Auffassung zufolge nur, wer dieses Defizit aufweist, das es ihm „ermöglicht“, sich in jedem Fall klar überwiegender Gründe krass irrational zu verhalten. Soweit drei grundsätzliche Einwände gegen die libertarische Auffassung, die unabhängig von der Auseinandersetzung mit konkreten Ausgestaltungen derselben ihre Verfehltheit zeigen wollen. Dabei geht es jeweils um angebliche negative Konsequenzen des Indeterminismus und noch nicht um die Rückfrage, wie man sich die Ausfüllung der von ihm eröffneten Spielräume positiv vorzustellen habe. Um diese zu beantworten, muss man sich mit einzelnen libertarischen
15.3 Nochmals: Klare Fälle von Entscheidungen
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Konzeptionen auseinandersetzen, was im folgenden Kapitel geschehen soll. Einstweilen halten wir fest, dass eine indeterministische Entstehungsgeschichte einer Handlung als solche weder ihre Verständlichkeit noch die Kontrolle des Subjekts über sie vermindern muss. Es ergibt sich allerdings die empirische Frage danach, ob, wenn wir denn schon Grund haben sollten, von einer indeterministischen Wirklichkeit auszugehen, wir darüber hinaus auch noch Grund haben, von einer solchen Wirklichkeit auszugehen, die den Indeterminismus gerade an den für die Absichten des Libertariers richtigen Stellen hat. Ob die libertarische Position die entsprechende empirische Unterfütterung erhalten kann, ist hier nicht zu klären. Ein prinzipieller Einwand erwächst dem Libertarismus allein durch die Situationen sehr unbalancierter Handlungsgründe. In einem ontischen Sinne offene Möglichkeiten finden hier keinen natürlichen Ort. Sie müssen durch Reflexion auf die menschliche Fehlbarkeit, die unmotiviert auf jeden Akteur und alle einschlägigen Situationen ausgedehnt wird, gewaltsam in die Ontologie eingetragen werden und treten hier in der Rolle von Störungen der Rationalität auf, so dass der Libertarismus gerade einem nicht in solcher Weise fehlbaren Akteur die Entscheidungsfähigkeit und Verantwortlichkeit für sein Handeln abspricht.
16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem 16.1 Das Zufallsproblem oder Problem der Erklärungslücke Lassen wir die im dritten Einwand von eben aufgeworfene Schwierigkeit einstweilen beiseite und konzentrieren uns stattdessen auf Fälle, in denen das Subjekt für mehrere Handlungsoptionen jeweils gute und entweder ungefähr gleich starke oder kaum vergleichbare Gründe hat. Dann erhebt sich die Frage, aufgrund wovon es die eine oder andere dieser Alternativen wählt. Selbstverständlich sind Überlegungs- und Entscheidungsprozesse denkbar, die indeterministisch verlaufen. Die Schwierigkeit besteht aber darin zu erklären, wie gerade dieses Merkmal den Akteur verantwortlich machen kann, anstatt seine Handlung zu einer Angelegenheit des Zufalls zu machen. Oder zumindest zu etwas (partiell) Unerklärlichem und auch für die handelnde Person selbst Rätselhaftem. Dieses sogenannte Zufallsproblem (englisch: „luck objection“) ist ein wesentlicher Einwand gegen libertarische Konzeptionen. Ich spreche zurückhaltender auch vom „Problem der Erklärungslücke“. Die Lücke bezieht sich auf kontrastive Erklärungen. Wir dürfen grundsätzlich und unabhängig von allen Diskussionen über Freiheit und Verantwortung annehmen, dass es, wenn eine Person eine bestimmte Handlungsoption ergreift, in der Regel Gründe gibt, die aus ihrer Perspektive für diese Handlung sprechen. Und wir dürfen, wenn wir einen indeterministischen Verursachungsbegriff zulassen, auch annehmen, dass es irgendwelche Ursachen für das Tun, oder vorsichtiger: für die damit einher gehenden physischen Abläufe gibt. Diese Ursachen machen die Handlung oder die korrelierten Körperbewegungen bei einer indeterministischen Kausalitätsauffassung ja nicht notwendig. Wir können also für das, was eine Person tut, auch wenn es nicht determiniert ist, sowohl Erklärungen durch Ursachen als auch Erklärungen durch Gründe finden, allerdings keine kontrastiven Erklärungen.Wenn die Person nämlich stattdessen etwas anderes täte, so würde es auch dafür sowohl Ursachen als auch Gründe geben. Warum tut eine Person in einer bestimmten Situation aus bestimmten Gründen A anstatt aus anderen Gründen B zu tun? Es sind solche Erklärungsfragen, die bei einem Indeterminismus weder in einer kausalen noch einer rationalen Lesart beantwortbar zu sein scheinen. Nur insofern ist der Ausgang des Entscheidungsprozesses rätselhaft, und nur falls der Frage „Warum diese Handlung?“ ein solcher kontrastiver Sinn beigelegt wird, bereitet sie libertarischen Konzeptionen Schwierigkeiten. Insbesondere scheint die handelnde Person selber nichts Informatives darüber sagen zu können, warum sie im Falle eines Indeterminismus und ontischen
16.1 Das Zufallsproblem oder Problem der Erklärungslücke
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Anders-Handeln-Könnens in der konkreten Situation unter dem Eindruck der Gründe für A A tut anstatt unter dem Eindruck der Gründe für B B zu tun. Sie tut eben das eine und nicht das andere; mehr scheint an dieser Stelle nicht zu sagen zu sein. Bereits bei der Diskussion des Einwandes von Bieri wurde allerdings klar, dass man so etwas auch im Rahmen kompatibilistischer Konzeptionen fragen kann. Wenn sowohl gute Gründe bestehen, A zu tun, als auch vergleichbar (oder unvergleichbar) gute Gründe, B zu tun, dann gibt es keine Erklärung durch Gründe, warum die Person A und nicht B tut. Auch die Person selber kann keine solche angeben. Bei einem Determinismus liefern dann Kausalfaktoren ohne rechtfertigende Kraft eine kontrastive Erklärung, aber dies ist eben eine reine Ursachen-Erklärung, die nicht zur rationalen Nachvollziehbarkeit der Entscheidung beiträgt. Unter indeterministischen Umständen fehlt eine solche Kausalerklärung, aber was macht das? In der Tat lässt sich an dieser Stelle kein Vorteil des deterministischen Bildes ausmachen. Aber die Frage ist nun umgekehrt, warum wir das indeterministische vorziehen sollten.Wie kann dieses uns im Gegensatz zu jenem aus der Perspektive der 1. Person Entscheidungen und Verantwortung (in einem anspruchsvollen Sinne) ermöglichen, wenn die Entscheidung partiell zufällig fällt? Wenn ein zufälliges Ereignis dafür verantwortlich ist, dass die Person A und nicht B tut, dann kann man aus ihrer Perspektive sicherlich nicht eher von einer Entscheidung sprechen, als wenn Kausalfaktoren ohne rechtfertigende Kraft den Ausschlag geben. Und ebenso wenig ist zu sehen, wie diese Differenz einen Unterschied für die Verantwortung der Person machen könnte. Das Zufalls- oder Erklärungslückenproblem, so wie ich es hier auffasse, zielt nicht auf spezielle nachteilige Konsequenzen des Indeterminismus, sondern besteht in der Frage, wie in seinem Rahmen bewerkstelligt wird, was unter deterministischen Gegebenheiten nicht erreicht werden kann. „Indeterminismus“ bedeutet zunächst einmal ein Negativum: etwas Fehlendes, die Nicht-Existenz zureichender Ursachen. Es kann aber nicht diese Lücke allein sein, die für Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person bzw. für moralische Verantwortung (in einem anspruchsvollen Sinne) zusätzlich zu auch für Kompatibilisten annehmbaren Bedingungen hinreichend ist, denn wenn diese Lücke mit bloßen Zufallsereignissen assoziiert wird, ist für den Libertarismus nichts gewonnen. Stattdessen muss hier etwas auf eine Weise geschehen, die kompatibilistisch nicht rekonstruierbar, aber auch nicht zufällig ist. Das Zufallsproblem, so wie ich es hier auffasse, besteht in dem Verdacht, dass es einen solchen dritten Weg nicht gibt, dass ein Libertarier nichts beibringen kann, was einen substantiellen Unterschied zu einem Zufallsereignis macht. Wenn dies nicht gelingt, ist der Libertarismus insbesondere im selben Maße vom Problem des moralischen Zufalls betroffen wie der Kompatibilismus,von dem
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
dies in 14.6 gezeigt wurde. Das kann verwirrend scheinen: Hat denn eine deterministische Welt Platz für den Zufall? Wie dort ist es auch hier wichtig, sich klarzumachen, dass die Übersetzung von „luck objection“ mit „Zufallsproblem“ ihre Tücken hat. Die englischsprachige Diskussion bietet in diesem Punkt mit „luck“ und „randomness“ (oder auch „chance“) deutlich verschiedene Ausdrücke, die in der entsprechenden deutschen Debatte leider beide mit „Zufall“ wiedergegeben werden. Das „Glück“ besteht in einer deterministischen Welt darin, dass man so geartet ist, dass man in der gegebenen Situation richtig entscheidet, oder umgekehrt, dass man in eine Situation gerät, in der man sich bewährt, während dies anderen, die sich ebenso bewährt hätten, nicht vergönnt ist. Pech hat man dagegen, wenn man in eine Situation kommt, in der man versagt, während anderen, die ebenso versagt hätten, dies erspart bleibt. Wenn es sich insbesondere um eine moralisch relevante Angelegenheit handelt, hat man im ersten Fall „moralisches Glück“, das dazu führt, dass man moralisches Verdienst erwirbt, im zweiten Fall „moralisches Pech“, indem man sich schuldig macht. Ich habe in 14.6 begründet, dass es in einer deterministischen Welt allenthalben moralisches Glück und Pech gibt, sobald man überhaupt Verantwortung von Akteuren für ihr Tun annimmt – eine Verlegenheit für jeden Kompatibilismus. Für den Libertarismus stellt sich das Zufallsproblem so dar: Falls es vom Zufall – und jetzt ist gemeint: von einem Zufallsereignis im indeterministischen Sinne („chance event“, „random event“) – abhängt, welche von mehreren ontisch offenen Handlungsoptionen ergriffen wird, dann steht nicht nur der Entscheidungscharakter in Frage, sondern auch die Zurechenbarkeit der Handlung. In einer moralisch relevanten Angelegenheit, in der man die entsprechenden Optionen hat, richtig zu handeln, wäre dann ein glücklicher Zufall, falsch, ein unglücklicher. Auch ein Libertarier wäre dann in der Situation, entweder die moralische Verantwortung für das Handeln ganz leugnen oder aber die Allgegenwart moralischen Zufalls einräumen zu müssen. Damit würde jeder Vorteil gegenüber dem Kompatibilismus zunichte. Ein Libertarier muss irgendwie dahin kommen, den Indeterminismus, der für ihn so wichtig ist, von bloßem Zufall (im Sinne indeterminierter Zufallsereignisse) zu unterscheiden und die Determinationslücken in relevanter Weise anders aufzufassen oder aufzufüllen.
16.2 Kanes Lösung Ich möchte zwei libertarische Ansätze, die sich speziell diesem Problem gewidmet haben, diskutieren. Robert Kane zufolge darf keine relevante Warum-Frage in Bezug auf eine Handlung unbeantwortet bleiben, wenn ihre Zurechenbarkeit
16.2 Kanes Lösung
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gewährleistet sein soll.²²² Es muss erklärt werden können, warum der Akteur in einer bestimmten konkreten Situation diese und nicht jene Handlungsoption ergreift, obwohl er in der nämlichen Situation in einem ontischen Sinne auch anders handeln könnte. Kanes Lösung sieht so aus, dass die Frage, warum der Akteur den Willensbildungsprozess in dieser und nicht in jener Weise, mit dieser und nicht mit jener Entscheidung beendet, dadurch zu beantworten ist, dass die entsprechenden Gründe dem Akteur als die gewichtigeren erscheinen. Wenn man nun weiter fragt, warum dies so ist, warum also der Akteur zu der Auffassung kommt, die Gründe für A seien im Vergleich zu denen für B die gewichtigeren, dann soll die Erklärung dafür nun gerade umgekehrt darin bestehen, dass der Akteur den Willensbildungsprozess mit der Entscheidung für A und nicht mit der Entscheidung für B beendet. Damit soll keine relevante Warum-Frage offen bleiben. Die Zirkularität dieser Erklärungsform wird von Kane explizit vermerkt, aber als verkraftbar angesehen. Dies kann jedoch kaum überzeugen. Erstens ist zwar das so oder so Terminieren der Willensbildung gut erklärbar durch Berufung auf das relative Gewicht der Gründe aus der Perspektive des Subjekts, aber die umgekehrte Erklärung wirkt weit weniger plausibel. Es klingt im Allgemeinen merkwürdig zu sagen, es seien einem die Gründe für A gewichtiger erschienen als die für B, eben weil man sich für A und gegen B entschieden habe. Für bestimmte Situationen freilich ist das, was Kane sagt, phänomenologisch nicht unplausibel.Wenn sich auch bei gründlichem Nachdenken nicht sagen lässt, ob die Gründe für A oder die Gründe für B die stärkeren sind, aber eine Entscheidung getroffen werden muss, könnte man die Idee haben, dass das Subjekt die Pattsituation dadurch auflöst, dass es sich zu einer der Optionen durchringt und eben dadurch und im selben Atemzug die entsprechenden Gründe für sich zu den stärkeren macht. Es ist allerdings fraglich, ob hier nicht eine Selbsttäuschung des Subjekts im Spiel ist. Ohne eine solche, so könnte man vermuten, müsste die zutreffende Beschreibung auch aus der Perspektive des Subjekts lauten, dass es sich in einer unklaren Situation oder angesichts gleich starker Gründe willkürlich für eine Option entscheidet, ohne dass sich dadurch an seiner Einschätzung des relativen Gewichtes der Gründe etwas ändert. Zweitens. Damit sowohl die Entscheidung durch die relative Gewichtung der Gründe als auch umgekehrt diese Gewichtung durch die Entscheidung erklärt werden kann, darf keiner dieser Vorgänge zeitlich vor dem anderen liegen. Eine zeitliche Asymmetrie wäre nämlich ein guter Grund, auch eine entsprechende Erklärungs-Asymmetrie anzunehmen. Und Kane sagt auch ganz konsequent, dass es sich um zwei verschiedene Aspekte oder Beschreibungsweisen desselben
Siehe Kane (, ).
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
Vorgangs handelt: eine volitive und eine kognitive. Damit geraten aber beide Erklärungsansprüche unter erheblichen Druck, denn: Was ist das für eine Art von Erklärung, bei der sich zwei Aspekte derselben Sache wechselseitig erklären, oder bei der ein Phänomen unter einer Beschreibung (einer kognitiven) sich selbst unter einer anderen Beschreibung (einer volitiven) erklärt, und umgekehrt? Wenn man hier überhaupt von Erklärung sprechen möchte, ist es jedenfalls ein sehr ungewöhnlicher Typ. Drittens ist, auch wenn man diese Art wechselseitiger Erklärung zweier Aspekte des Willensbildungsprozesses akzeptiert, doch klar, dass dieser Prozess, der uns hier mit einem volitiven und einem kognitiven Aspekt entgegen tritt, nun als Ganzes gerade keine Erklärung besitzt. Man muss ja nur fragen, wie es kommt, dass der Willensbildungsprozess so und nicht anders abgeschlossen wurde und – damit einher gehend – dem Akteur diese und nicht jene Gründe als die gewichtigeren erschienen, um zu sehen, dass nun diese Frage, die sich auf das Gesamtphänomen mit allen seinen Aspekten und möglichen Beschreibungsweisen bezieht, keine Antwort mehr findet, die Handlung also in dem besagten kontrastiven Sinn doch unerklärlich bleibt. Robert Kane gehört zu den wenigen Libertariern, die ihre Position so weit konkretisieren, dass ein Bezug zu Vorgängen im Gehirn hergestellt wird. Er stellt sich vor, dass bei einer schwierigen Entscheidung, bei der viel für A, aber auch viel für B spricht, temporär konkurrierende neuronale Netzwerke oder Erregungsmuster im Gehirn auftreten, die gegenläufigen Motivationen der Person entsprechen. Diese möchte, so Kane, in ihrer Situation sowohl A als auch B tun, aber das ist unmöglich. Auf diese Weise wird sie in unterschiedliche Richtungen gezogen, ist in sich gespalten, bis sich schließlich ein neuronales und, damit einhergehend, ein personales Subsystem durchsetzt, eine Motivation die Oberhand gewinnt und das Handeln bestimmt. Die physische Ursache dafür, dass sich das eine und nicht das andere Subsystem durchsetzt, ist letztlich ein zufälliges Mikroereignis. Die Konstellation ist also eine derart labile, dass winzige, genuin indeterminierte Faktoren ausreichen um zu bewirken, dass die Spannung in der einen und nicht der anderen Richtung aufgelöst wird.²²³ Man kann sich dies, physiologisch etwas gewagt, so veranschaulichen, dass das neuronale Netz als Ganzes – das Gehirn der Person – zwischen zwei stabilen Zuständen, zwei „Attraktoren“ (die sich bei bestimmten
Siehe Kane (, ). Robert Kane präsentiert damit eine Version der „Verstärker“Theorie, durch die seit dem Aufkommen der Quantenmechanik immer wieder einmal versucht wurde, indeterministische menschliche Freiheit durch die spekulative Konstruktion von geeigneten Verstärkungsmechanismen für mikrophysikalische Ereignisse im Gehirn zu sichern. Die ersten derartigen Versuche stammen von Pascual Jordan, neuere Varianten von Popper und Eccles () sowie Hameroff (), Hameroff und Penrose ().
16.2 Kanes Lösung
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Typen neuronaler Netze als Energieminima präsentieren) schwebt und ein mikrophysikalisches Ereignis dafür sorgt, dass der Systemzustand in Richtung des einen und nicht des anderen Attraktors läuft (in das eine und nicht das andere Energietal absteigt). Kane ist sich darüber im Klaren, dass Entscheidungen, bei denen die Dinge derart auf Messers Schneide stehen, wohl kaum die Regel sind, aber wir haben in 14.7 auch schon gesehen, dass er bereit ist, die Situationen genuin offener Wahl für spezielle Entscheidungen mit existentieller Tragweite, die „self-forming actions“, zu reservieren. Diese Verbindung zu Vorgängen im Gehirn macht Kanes libertarische Konzeption im Prinzip empirisch überprüfbar. Sie macht sie aber auch besonders angreifbar, und das ist sicherlich ein Grund, warum sich Libertarier normalerweise hüten, derart konkret zu werden. Sobald man nicht bloß allgemeine Aussagen über den Indeterminismus bei Entscheidungen oder den indeterministischen Lauf der Welt insgesamt macht, sondern genauer angeben möchte, welche Abläufe im Gehirn einer im libertarischen Sinne getroffenen Entscheidung korrelieren und ihre physiologische Supervenienzbasis darstellen,wird noch einmal klarer,warum das Zufallsproblem eine Herausforderung darstellt. Bei Kanes Ansatz stellt sich die Frage, ob die moralische Verantwortlichkeit der Person, und dass sie tatsächlich eine Entscheidung trifft, wirklich an der Tatsache hängen kann, dass das besagte Mikroereignis im Gehirn keine zureichenden Ursachen besitzt. Das ist doch sehr desillusionierend. Zudem scheint es, falls A eine moralisch gebotene und B eine moralisch verbotene Option ist, „moral luck“ zu sein, wenn die Person sich für A und gegen B entscheidet. Wäre das zufällige Mikro-Ereignis ausgeblieben oder in geeigneter Weise anders ausgefallen, dann hätte dies dazu geführt, dass die Person B tut, und dann hätte sie das „moralische Pech“, dass sich aufgrund eines zufälligen Mikroereignisses die unmoralische Motivation durchgesetzt hat. Dieses Bedenken möchte Kane dadurch zerstreuen, dass er behauptet, dass in dem Zustand der Unentschiedenheit die Person versuche, A zu tun, aber auch, B zu tun. Die Person schwankt also nicht bloß in dem Sinne, dass sie sich ernsthaft fragt, was sie tun soll, und die Situation insofern quälend ist, als die Person eigentlich gerne sowohl A als auch B tun würde. Sondern sie schwankt sogar in dem Sinne, dass sie dabei ist, gegenläufige Handlungsversuche zu unternehmen, die sich gegenseitig blockieren, oder aber, kaum dass ein wenig in der einen Richtung geschehen ist, ein Rückzug in Richtung auf die andere Option eintritt: ein „Schwanken“ im wörtlichen Sinne.Wenn die Person aber versucht, unmoralisch zu handeln, und es dann aufgrund eines zufälligen Ereignisses tatsächlich tut, dann ist ihr diese Handlung zurechenbar und sie macht sich schuldig, ebenso wie sich jemand schuldig macht, der etwa einen Mordanschlag unternimmt, bei dem nicht sicher, sondern nur genügend wahrscheinlich ist, dass er zum Ziel führt. Wenn der Mordversuch erfolgreich ist, dann trifft den Täter die volle Verantwortung auch
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
dann, wenn zuvor eine nicht zu vernachlässigende objektive Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass der Versuch scheitern würde. Kane parallelisiert auf diese Weise die Zurechnung einer bloß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgenden Handlung mit der Zurechnung von bloß wahrscheinlichen Handlungsfolgen.²²⁴ Dadurch möchte er plausibel machen, dass der Unterschied zwischen einer Person, die in der skizzierten Situation die moralische Option A wählt, und einer gleichartigen, die sich in der nämlichen Situation für die unmoralische Option B entscheidet, obwohl er in einem Sinne sicherlich ein bloß zufälliger ist, dennoch nicht zur Folge hat, dass die moralische Verantwortung des jeweiligen Akteurs vermindert ist. Diese Rekonstruktion führt jedoch nicht zum Erfolg. Zunächst ist es phänomenologisch wenig plausibel, Entscheidungssituationen mit ungefähr gleich starken oder schwer vergleichbaren Beweggründen so anzusehen, als würden in ihnen gegenläufige Handlungsversuche stattfinden. Das „Schwanken“ ist normalerweise ein Sich-Fragen, was zu tun besser wäre; dagegen wirken einander entgegengesetzte Handlungsversuche, die sich gegenseitig blockieren oder sabotieren, bis irgendwann der Würfel gefallen ist, pathologisch. Dazu mag es in Ausnahmefällen kommen, aber es deutet klarerweise einen Kontrollverlust an. Unfähig, sich zu entscheiden oder ein kontinuierliches Wollen aufzubauen, überlässt sich das Subjekt den Tendenzen seiner „Subsysteme“ und wird von ihnen hin- und hergeworfen oder durch sie gelähmt. Auch wenn wir berücksichtigen, dass es Kane hierbei nur um die relativ seltenen „self-forming actions“ geht, spricht doch wenig für ein derart krisenhaftes Bild. Weiterhin ergeben sich, wenn man Kanes Analyse akzeptiert, bizarre Konsequenzen für Zurechnungsfragen.²²⁵ Wenn die Person sich gegen die unmoralische Option B entscheidet und die moralisch gebotene Handlung A vollzieht, dann hat sie laut Kane dennoch versucht, B zu tun und wäre daher etwa des versuchten Totschlags schuldig. So problematisch uns der Charakter von jemandem erscheinen mag, der sich erst durchringen muss, einen Totschlag zu unterlassen, so wenig sind wir bereit, ihn, wenn er sich denn durchringt, des versuchten Totschlags zu bezichtigen. Das ist es ja gerade, was er glücklicherweise unterlassen hat! Und wenn umgekehrt in dem Lieblingsbeispiel Kanes die Geschäftsfrau, statt der angegriffenen Person beizustehen oder die Polizei zu alarmieren, den Weg zu der wichtigen Besprechung fortsetzt, ohne sich um den Zwischenfall zu kümmern, dann hätte sie Kane zufolge doch immerhin versucht, Hilfe zu leisten, insofern sie ernsthaft erwog, etwas zu unternehmen, und hin- und hergerissen war, bevor ihr
Siehe wiederum Kane (, ). Siehe Levy ().
16.3 Keils Lösung
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anderes Interesse sich durchsetzte. Damit hätte sie in gewisser Weise „ihr Bestes getan“: nämlich gegen gewichtige Eigeninteressen in einer gefährlichen Situation Beistand zu leisten versucht. Solche Konsequenzen sind sicherlich inakzeptabel. Der Preis für Kanes Antwort auf den Zufallsverdacht, die in der zeitlichen Rückverlegung von Handlungsversuchen dorthin besteht, wo wir sie normalerweise nicht vermuten würden, nämlich in den Prozess der Entscheidungsfindung, ist, dass man all das tatsächlich zu tun versucht, was man nach üblicher Auffassung lediglich ernsthaft erwägt oder zu dem man sich stark hingezogen fühlt. Kanes vielschichtige Antwort auf das Zufallsproblem ist also in mehreren Hinsichten nicht überzeugend. Der überwältigend starke Eindruck, den man von seinen Ausführungen mitnimmt, ist, dass es entgegen seinen Intentionen eben doch Zufall und der Person daher nicht zurechenbar ist, welche Handlungsoption sie im Falle einer genuinen „self-forming action“ ergreift. Ist die Wahl eine zwischen einer moralischen und einer unmoralischen Handlung, so hat die Person Glück in moralischer Hinsicht, wenn sie die erste, Pech in moralischer Hinsicht, wenn sie die zweite Option ergreift. Verantwortlich im kontrastiven Sinne, also dafür, dass das eine und nicht das andere geschieht, scheint sie dagegen nicht zu sein.
16.3 Keils Lösung Geert Keil bestimmt Freiheit als die Fähigkeit zur überlegten hindernisüberwindenden Willensbildung.²²⁶ Der Naturverlauf ist indeterministisch. Sukzessionsgesetze – ausnahmslose Regelmäßigkeiten zeitlich aufeinander folgender Ereignisse – gibt es nicht, oder allenfalls in der uneigentlichen Form zufälliger Regularitäten, die im Prinzip gestört werden könnten. Die essentiellen Eigenschaften der natürlichen Dinge legen fest, unter welchen Umständen sich diese Dinge wie verhalten würden. Naturgesetze sind wesentlich solche Dispositionen betreffenden Koexistenzgesetze, aber sie legen nicht fest, ob die entsprechenden Umstände bestehen oder nicht.²²⁷ Sie bestimmen also nicht, was geschieht, sondern schränken nur den Möglichkeitsspielraum ein. In der Regel bleiben zahlreiche Möglichkeiten objektiv offen. So besitzt eine Person im Normalfall die Fähigkeit zu überlegen, was sie tun soll, und ebenso die Fähigkeit, eine Überlegung an diesem oder jenem Punkt abzubrechen und dann im Lichte derjenigen Gründe, die ihr zu dem jeweiligen Zeitpunkt als die besten erscheinen, zu handeln.
Siehe Keil () und die Kurzfassung Keil (). Siehe auch Keil (), Kap. II.
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
Auch wenn eine Person faktisch nicht überlegt, so hätte sie es im Normalfall doch tun können, und zwar in genau der nämlichen Situation und in einem ontischen Sinne, und ist deshalb verantwortlich auch für Versäumnisse und Unterlassungen, bei denen sie gar nicht überlegt und gar keine bewusste Entscheidung trifft. Und wenn sie überlegt und dann aus bestimmten Gründen etwas Bestimmtes tut, so hätte sie doch in genau der Situation auch weiter überlegen oder die Überlegung vorher abbrechen und dann gegebenenfalls aus anderen Gründen etwas anderes tun können. Diese Konzeption bedeutet einen Fortschritt beim Problem der Erklärungslücke. Wenn die Person sagt: „Ich tue jetzt A, weil mir nach gründlicher Überlegung die Gründe für A die stärkeren zu sein scheinen“, dann lässt das weder in kausaler noch in rationaler Hinsicht Wünsche offen, nur ist nicht zu sehen, in welchem Sinne auch die Option B der Person in diesem Moment offen steht. Bei Keil ist das auch nicht der Fall; die Person hat normalerweise nicht die Möglichkeit B zu tun, wenn ihr die Gründe für A gewichtiger zu sein scheinen. Sie hat aber die Möglichkeit, anstatt A zu tun, weiter zu überlegen, was sie tun sollte. Ein solches Weiterüberlegen ist in der Regel rational möglich, zumindest für den Fall einigermaßen balancierter oder schwer vergleichbarer Handlungsgründe. Keil möchte seine Konzeption nicht auf diesen Fall beschränken, aber wir wissen bereits, dass der Libertarismus mit Situationen deutlich überwiegender und leicht einsehbarer Gründe für eine der Optionen nicht umgehen kann. Das gilt für Keils Konzeption genauso wie für alle anderen. Für solche Situationen ist nicht plausibel zu machen, dass das Subjekt, wenn es alles nochmals durchdenken würde, zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte, und auch die behauptete Rationalität des Weiterüberlegens steht früher oder später (und eher früher als später) sehr in Frage, das dann leicht zwanghafte Züge annimmt, ob man nicht doch etwas übersehen habe. Ich komme darauf zurück. In echten Konfliktsituationen aber, die sich auch bei näherem Hinsehen nicht leicht zugunsten einer Option auflösen lassen, kann sich die Einschätzung des relativen Gewichts der Gründe beim Weiterüberlegen verändern, mit dem Resultat, dass die Person am Ende doch B tut. Es wird also nicht behauptet, dass Freiheit darin besteht, gegen die besseren Gründe handeln zu können, oder darin, im Falle von Gründen, bei denen partout kein Übergewicht in der einen oder anderen Richtung zu erkennen ist, sich willkürlich der einen oder anderen Seite zuzuneigen. Sondern Freiheit besteht wesentlich in der Möglichkeit zum Weiterüberlegen, darin, alles noch einmal überdenken zu können. Diese Möglichkeit kann im Regelfall in rationaler Weise ergriffen werden, und dann ist der Ausgang wieder objektiv offen. Es ist aber normalerweise auch rational möglich, die Überlegung beim jeweils erreichten Stand abzubrechen und das zu tun, was dieser Stand nahelegt.
16.3 Keils Lösung
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Es ist jedoch nicht schwer zu sehen, dass die Erklärungslücke sich dadurch nur in anderer Weise ergibt. Statt der Frage, wie es kommt, dass die Person aus bestimmten Gründen A tut anstatt aus anderen Gründen B zu tun, fragt sich nun, wie es kommt, dass die Person aus bestimmten Gründen A tut anstatt noch weiter zu überlegen mit offenem Ausgang. Die Erklärungslücke besteht nun eben an dieser Stelle, und der Verdacht, dass hinter allem der Zufall steckt, aber nichts, wofür die Person verantwortlich gemacht werden könnte, besteht nun hinsichtlich dieser neuen Alternative. Gegen den Zufallsverdacht bringt Keil wesentlich den Begriff der Fähigkeit in Stellung. Was unterscheidet Fähigkeiten, oder Kantisch gesprochen „Vermögen“, von bloßen Möglichkeiten, wie sie auch bei Zufällen bestehen? Die Ausübung einer Fähigkeit ist etwas Aktives: „Eine Fähigkeit, die sich in bestimmten Bedingungen gleichsam automatisch aktualisiert, wäre von einer passiven Disposition nicht zu unterscheiden. […] Menschen, die eine Fähigkeit ausüben, müssen […] stets etwas hinzutun, damit das Fragliche geschieht.“²²⁸ Was müssen sie denn hinzutun? Nun, sie müssen unter den gegebenen Umständen die Fähigkeit ausüben wollen. Keil sagt das möglicherweise deshalb nicht deutlich, weil dann sofort ein Regress ersichtlich würde. Die Ausübung der Fähigkeit des Weiter-Überlegens ist selbst eine Handlung. Sie verweist wiederum auf ein entsprechendes Wollen: Was eine aktive Fähigkeit von einer passiven Disposition unterscheidet, ist, dass sich unter den einschlägigen Umständen eine Disposition von selbst aktualisiert, eventuell mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, die Fähigkeit hingegen dann und nur dann ausgeübt wird, wenn die Person das will. Wovon hängt es aber ab, ob sie will? Es scheint, dass wir keinen Schritt weiter gekommen sind und das Problem sich nur verlagert hat. Die Einführung von Fähigkeiten oder Vermögen verweist einfach wieder auf einen Entscheidungs- und Handlungskontext und zeigt keine dritte Möglichkeit zwischen Determinismus und Zufall auf. Es stellt sich nun eben die Frage, warum die Person eine bestimmte Fähigkeit, etwa die des Überlegens oder Weiter-Überlegens, in einer bestimmten Situation oder zu einem gewissen Zeitpunkt ausübt anstatt dies zu unterlassen. Aus diesem Grunde leistet die für Keil wichtige Rede von Fähigkeiten hinsichtlich des Problems der Erklärungslücke nichts. Analoges gilt für die traditionelle, an Kant anschließende Rede vom „Vermögen, den eigenen Willen zu bestimmen“. Diese Willensbestimmung, sofern sie als die Ausübung eines Vermögens oder einer Fähigkeit dargestellt wird, erscheint selber als eine (innere, mentale) Handlung, der dann ein weiteres Wollen entsprechen muss. Sieht man davon ab, dann bleibt von der Rede von Fähigkeiten und Vermögen nichts weiter übrig als die ontische Möglichkeit des Anders-Über-
Siehe Keil (), S. .
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
legens oder Anders-Wollens in derselben Situation, wie sie auch bei bloßer Zufälligkeit gegeben wäre. Es wird also in Wahrheit kein die beiden Situationstypen – Zufälligkeit versus Zurechenbarkeit der Willensbildung – unterscheidendes Merkmal aufgezeigt. Durch die Idee des Weiterüberlegens behandelt Keil auch das Problem der klaren Fälle, das ich in 15.3 als wesentlichen Einwand gegen jede libertarische Konzeption des Entscheidens und der moralischen Verantwortung identifiziert habe. Wenn jemand sich zwischen verschiedenen Optionen zu entscheiden hat und alsbald entdeckt, dass sehr viel für eine davon – sagen wir, A – spricht und sehr wenig für die Alternativen, dann ist das Ergreifen einer dieser Alternativen extrem irrational, und dass es stets eine ontische Möglichkeit darstellen soll, unglaubwürdig. Auf den ersten Blick nicht irrational und insofern viel besser verständlich ist jedoch das weitere Überlegen. Die Idee, dass dieses Weiterüberlegen in jedem Fall des Abwägens und der Wahl zwischen Optionen eine ontisch offene Möglichkeit darstellt, insbesondere in den klaren Fällen, scheint leichter verkraftbar. Denn auch wenn aus der Perspektive des Subjekts fast alles für die Option A spricht (oder, so kann das Subjekt sich sagen, zu sprechen scheint), kann es die Angelegenheit schließlich noch einmal überdenken, zumal wenn von der Entscheidung einiges abhängt. Vielleicht hat man etwas übersehen, warum sich übereilen? Das allgemeinere Motiv hier ist, dass, wenn viel für A und wenig für die Alternativen spricht, zwar das Ergreifen einer dieser Alternativen rätselhaft ist, nicht aber im selben Maße das bloße Unterlassen von A und das damit verbundene Aufschieben der Entscheidung.²²⁹ Es ist allerdings nicht schwer zu sehen, dass diese Wendung nur einen Epizykel darstellt. Bei wirklich klaren Fällen ist es ebenso ein Rätsel, wenn sich das Subjekt nicht früher oder später für die beste Option entscheidet, wie wenn es sich für eine andere entscheidet. Das Ausbleiben einer Entscheidung für A hat außerhalb eines relativ kurzen, wenn auch nicht scharf begrenzten Zeitintervalls in der Regel dieselben Konsequenzen wie die Entscheidung für eine Alternative. Die einzige Ausnahme davon ist eine Konstellation, in der, solange sich das Subjekt nicht positiv für etwas anderes entscheidet und die entsprechende Handlung einleitet, die Folgen ähnliche sind wie wenn es A tut.Wer sich zwischen A, B und C zu entscheiden gedenkt, der hat normalerweise wenigstens implizit eine Meinung dazu, was passiert, wenn er sich (in einem gewissen Zeitraum) gar nicht entscheidet; meistens ist das die schlechteste „Option“. Nur dann ist es nämlich überhaupt adäquat, die Situation als eine zu repräsentieren, in der man zwischen A, B und C zu wählen hat. Hierin liegt implizit, dass, sich für keines von diesen zu
In dieser Weise versucht auch Steward (, Kap. ) mit den klaren Fällen umzugehen.
16.3 Keils Lösung
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entscheiden bzw. keines von diesen zu tun, eine schlechte Sache wäre und von vornherein nicht in Frage kommt. Das kann freilich ein Irrtum, die Voraussetzung der Abwägung falsch sein. Beim Überlegen kann sich herausstellen, dass es weitere Optionen gibt, oder auch, dass es gar nicht nötig ist, sich in der fraglichen Sache zu entscheiden. Manchmal kann man die Dinge einfach laufen lassen, und insbesondere kann sich ergeben, dass sehr viel dafür spricht, A zu tun, dass aber, sich gar nicht festzulegen, vergleichbare Folgen hätte. Sieht man aber von derartigen Fällen ab, dann ist das längerfristige Ausbleiben der Entscheidung für A in Situationen mit der besagten Gründeverteilung eine ebenso unverständliche Sache wie eine Entscheidung für B oder C, und der gesamte rationale Spielraum des Subjekts besteht dann zwischen etwas kürzeren und etwas längeren Überlegungsprozessen, an deren Ende jedenfalls die Entscheidung steht, A zu tun. Es ist vergeblich, aus diesem eingeschränkten Spielraum Kapital für eine Rettung der libertarischen Konzeption in klaren Fällen schlagen zu wollen. Das Dilemma kehrt einfach wieder: Entweder der Libertarier behauptet einen irrationalen „Freiheitsspielraum“ in jedem Einzelfall einer klaren Entscheidung, der nur Subjekten mit massiven Rationalitätsdefiziten „offen steht“, oder das Subjekt entscheidet sich in libertarischer Perspektive gar nicht zwischen A, B und C und ist entsprechend nicht dafür verantwortlich, wenn es A anstatt B oder C tut. Die Zurechenbarkeit bezieht sich dann nicht mehr auf die gewählte Handlungsweise A, sondern nur noch darauf, dass sich das Subjekt gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt und nicht etwas früher oder später für sie entscheidet. Man kann es auch so sagen: Die dargestellte libertarische Replik auf das Problem der klaren Fälle beruht darauf, dass die Betrachtung vom primären Entscheidungsproblem weg auf ein anderes verschoben wird, das sich erst in dem vom primären Problem bedingten Überlegungsprozess ergibt und nun nicht mehr klar ist (oder sein muss).Wenn das Subjekt zwischen drei Handlungsoptionen A, B und C abwägt, dann kann sich innerhalb des Prozesses der Überlegung und Absichtsbildung in der Tat die Frage stellen, ob man noch weiter überlegen oder sich mit dem Erreichten zufrieden geben und die Option ergreifen soll, für die nach momentanem Stand der Dinge am meisten spricht. Diese neue Entscheidungsfrage ist aber nicht auf derselben Ebene wie die ursprüngliche angesiedelt, sie fügt nicht A, B und C eine weitere Option hinzu, sondern setzt vielmehr voraus, dass zwischen den Optionen A, B und C (und keinen anderen) abgewogen wird. Diese sekundäre Entscheidungsfrage muss nun kein klarer Fall mehr sein, und jede der bei ihr bestehenden Optionen – noch weiter überlegen oder sich jetzt für A entscheiden – kann in nachvollziehbarer Weise ergriffen werden. Es stellt deshalb keine Zumutung dar, nun diese Entscheidung für ontisch offen zu halten. Das
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
ändert aber nichts an der Zumutung, die darin besteht, auch die Entscheidung zwischen A, B und C für ontisch offen zu halten. In einem weiteren Schritt sieht man dann, dass diese Zumutung Konsequenzen auch für das sekundäre Entscheidungsproblem hat und sich dort in der Schwierigkeit fortsetzt, dass das Subjekt sich immer wieder für „noch weiter überlegen“ entscheiden können soll (in einem libertarischen Sinne), auch wenn sich an seiner Einschätzung des relativen Gewichts der Gründe nichts ändert, vielmehr diese immer erneut bestätigt wird. Wer zu lange überlegt, der verliert normalerweise die Optionen, zwischen denen er abwägt, und falls nun, wie wir es hier annehmen, tatsächlich sehr viel dafür spricht, A zu tun, und sehr wenig dafür, etwas anderes zu tun, dann ist das fortgesetzte Ausbleiben jeglicher Entscheidung in der Sache ebenso rätselhaft wie die positive Entscheidung für B oder C.
16.4 Akteurskausalität Kehren wir zu dem Problem des Fehlens kontrastiver Erklärungen zurück, das für die libertarische Position bei allen Entscheidungen auftaucht. Aufgrund des Indeterminismus gibt es im libertarischen Bild keine vollständige Erklärung dafür, warum eine bestimmte Handlungsoption aus mehreren ergriffen wird. Diese partielle Unerklärlichkeit impliziert aber nicht von selbst, dass es sich bei libertarischen Entscheidungen um Zufälle handelt oder die Person keine Kontrolle über das Geschehen hätte. Der Schluss vom Fehlen des Determinismus auf den Zufall ist nicht ohne weiteres gültig. Es könnte eine dritte Möglichkeit geben, um deren positive Ausgestaltung sich Kane und Keil meines Erachtens allerdings vergeblich bemühen. Diese dritte Möglichkeit scheint somit ein bloßes Postulat bleiben zu müssen. Sie läuft darauf hinaus, dass es in jedem Entscheidungsprozess nicht weiter zu erhellende Elemente der reinen Willkür gibt, deren Folgen dem Subjekt moralisch zurechenbar sind und die für seine Entscheidungsmacht sowie seine Handlungsverantwortung letztlich aufkommen – wie immer sie dies bewerkstelligen. Diese Elemente könnten damit zu tun haben, dass das Subjekt im Überlegen, was es tun soll, nicht bloß entdeckt, was ihm wie wichtig ist, sondern den verschiedenen Gründen ihr Gewicht für sich und sein Handeln erst verleiht. Das darf man sich selbstverständlich nicht zu radikal vorstellen, wenn es phänomenologisch irgend plausibel sein soll, und daraus ergibt sich das eben nochmals diskutierte Problem inkompatibilistischer Freiheitskonzeptionen, dass sie Entscheidungssituationen mit sehr ungleichgewichtigen Gründen nicht befriedigend rekonstruieren können. Bei einer eher ausgeglichenen Konstellation ist das anders. Gründe kommen nicht mit präzisen Gewichten versehen daher, und daher
16.4 Akteurskausalität
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treten solche Konstellation ebenfalls häufig auf. In ihnen steht nicht von vornherein fest, welche Seite rationalerweise überwiegen sollte. Dieses Überwiegen ist dann etwas, dass das Subjekt für sich erst herbeiführt, um zu einer Entscheidung zu gelangen, aber nichts, was es einfach entdecken könnte und bei vollständiger Rationalität zuverlässig entdecken würde. Alternativ könnte das Subjekt die Ausgeglichenheit der Gründe oder besser: den Mangel des deutlichen Überwiegens einer Seite und damit die rationale Pattsituation konstatieren, um sich dann auf indeterministische Weise willkürlich so oder so zu entscheiden. Betrachten wir zunächst den ersten Fall. Das relative Gewicht der verschiedenen Gesichtspunkte kristallisiert sich bisweilen erst beim und im Abwägen heraus und ist zumindest partiell nicht schon vorher da. So viel kann man konzedieren, aber kann man wirklich davon sprechen, das Subjekt „verleihe“ es den Gesichtspunkten? In diesem „Verleihen“ steckt das Problem, denn man darf es sich nicht als eine weitere Entscheidung denken, bei Strafe eines unendlichen Regresses: Aufgrund wovon wird denn diese weitere, der eigentlichen vorgängige Entscheidung über das relative Gewicht der Gründe getroffen? Man darf sich dieses Gewichten auch nicht seinerseits als begründet denken, denn es geht ja darum, die vorhandenen Gründe in handlungsrelevanter Weise zu gewichten. Gäbe es für die Verleihung dieser Gewichte wiederum Gründe, dann hieße das, dass man noch gar nicht alle vorhandenen Gründe erfasst hätte. Zureichende Ursachen kann es für die Gewichtung sowieso nicht geben, sonst wäre man ja beim Determinismus, und Zufall darf es auch nicht sein. Wir müssen uns also mit der Auskunft bescheiden, dass es sich um nicht weiter analysierbare Elemente der Willkür im Überlegungs- und Entscheidungsfindungsprozess handelt, die einfach so beschaffen sind, dass sie und ihre Folgen dem Subjekt moralisch zugerechnet werden können und ihm Entscheidungsspielräume eröffnen. Erst recht gilt das für den Fall des arbiträren Symmetriebruchs bei anerkannt gleichgewichtigen, oder besser: nicht anerkannt verschieden gewichtigen, Gründen. Ist nun die Annahme eines derart bloß behaupteten Dritten jenseits von Zufall und Determinismus legitim? Nehmen wir zum Vergleich eben den Begriff des Determinismus und der ontischen Notwendigkeit.Was lässt sich über notwendige Verknüpfungen in der Welt Erhellendes sagen? Wie sieht die Verbindung aus, vermöge derer ein Ereignis ein anderes herbeiführt und es notwendig oder objektiv so-und-so wahrscheinlich macht? Wenn wir keine „Humesche“ Reduktion solcher Modalitäten auf faktische Regelmäßigkeiten oder etwas Ähnliches annehmen (siehe 6.2), können wir dazu nichts weiter sagen, aber daraus folgt nicht, dass es solche Verknüpfungen in der Welt nicht geben kann. Dass das Unbehagen in diesem Fall wesentlich geringer ist als bei unserem Thema, liegt meines Erachtens daran, dass man es mit den Fundamenten der Wirklichkeit und nicht mit so hochstufigen Phänomenen wie menschlichem Entscheiden und Handeln und
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dessen moralischer Zurechnung zu tun hat. Hier aber scheint mir der Rückzug auf die bloße Auskunft „Es ist weder Zufall noch Determinismus, sondern ein Drittes, das den Akteur verantwortlich macht“ nicht statthaft zu sein. Bloße Stipulation, der Verweis auf eine angebliche pure Faktizität, ist niemals erhellend, aber an einigen Punkten womöglich unumgänglich. Das menschliche Entscheiden und die damit einher gehende Zurechenbarkeit sollte jedoch kein solcher Punkt sein.²³⁰ Ich möchte dies anhand der sogenannten akteurskausalistischen Positionen weiter erläutern, ohne sie eingehend zu diskutieren. Viele Libertarier wollen ihr Ziel dadurch erreichen, dass sie, anders als Kane und Keil, eine besondere Form der Verursachung annehmen, die Akteurskausalität, eine Spielart der Substanzkausalität. Ihr zufolge verursacht das „Selbst“ einer Person, so etwas wie ihr substantieller Kern, die Handlungen, ohne hierin durch etwas anderes determiniert zu sein. Sie unterscheidet sich dadurch von der gewöhnlichen Form der Kausalität, dass ihre Relata nicht Ereignisse oder Tatsachen sind, sondern es sich bei der Ursache um einen Gegenstand, eine Substanz handelt, eben um ein „Selbst“. Dieses Selbst erscheint als ein unbewegter Beweger – allerdings nicht im aristotelischen Sinne, sondern als Wirkursache – der von selbst neue Kausalketten in Gang setzt.²³¹ Diese Sichtweise wird dadurch nahegelegt, dass sich der Akteur im Entscheiden, oder gar im Handeln insgesamt, als letzte Instanz begreift: Es hängt nur von mir ab, was ich tue.²³² Die Entscheidung ist „nicht mehr auf irgendwelche anderen Faktoren abwälzbar“, insbesondere nicht auf die Motive des Akteurs.²³³ So kann es insbesondere zu einem Bild des Entscheidens kommen, bei dem der Akteur zu seinen Motiven steht wie zu Ratgebern, die verschiedene Handlungen, oder wie ein Richter zu Advokaten, die verschiedene Urteile emp-
Levy (, Kap. ) beansprucht etwas deutlich Stärkeres: Da die „freie“ relative Gewichtung der Gründe im Überlegungsprozess oder die willkürliche Symmetriebrechung beim Ergreifen einer Option nicht ihrerseits begründet sein kann – das begründet Levy ausführlicher als ich es hier getan habe – sind diese Prozesse, so es sie denn gibt, dem Akteur seiner Auffassung nach auf keinen Fall zurechenbar. Das Subjekt werde in ihnen nicht handelnd tätig, eben weil die Gründe fehlten, und damit betätige es sich nicht als Akteur. Für Levy zeigt das, dass der Zufallseinwand gegen alle Spielarten des Libertarismus durchschlägt. Dem folge ich nicht, denn mir ist nicht klar, warum man nicht auch ohne Grund etwas absichtlich und kontrolliert tun können soll. Handeln braucht nicht unbedingt Gründe: siehe .. Sollte das falsch sein, hätte Levy mit seiner Argumentation Recht. Die Stammväter der zeitgenössichen akteurskausalistischen Positionen sind Taylor () und Chisholm (, , ), die sich wiederum auf Thomas Reid () berufen. Ginet () vertritt die Position, dass das akteurskausalistische Bild unserem Handlungsverständnis adäquat sei und Reduktionsversuche desselben keinen Erfolg hätten, es selber aber hoffnungslos inkohärent sei – also eine Irrtumstheorie in Bezug auf unser gesamtes Handeln. Siehe Tugendhat (), S. .
16.4 Akteurskausalität
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fehlen. Er muss dem einen oder anderen Ratgeber oder Anwalt folgen, ist aber „frei“ darin, welchem.²³⁴ Durch den Akteurskausalismus werden bestimmte phänomenologische Befunde einerseits zugespitzt, andererseits ontologisiert.²³⁵ Bei jedem spezifischen Wunsch kann man sich prinzipiell fragen, ob und inwiefern man ihn in seinem Handeln berücksichtigen sollte. Bei jeder Wertung kann man sich prinzipiell fragen, ob sie richtig ist, ob man in ihr wertschätzt, was wirklich wertvoll ist. Und bei jeder einzelnen Meinung kann man sich prinzipiell fragen, was für sie spricht, ob man sie aus guten Gründen hat oder nicht. Die Möglichkeit einer solchen bewertenden Thematisierung eigener mentaler Zustände und der damit einhergehenden Distanzierung von ihnen ist für das Personsein konstitutiv. Das darf man aber nicht so interpretieren, als könne eine Person allen ihren Neigungen und Wertvorstellungen auf einmal gegenüber treten, sich über sie alle erheben, um dann diese oder jene handlungswirksam werden zu lassen. Für eine solche Entscheidung gäbe es keine Basis. Ein ausdehnungsloser Punkt hätte keine Mittel, sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Einem solchen Punkt verwandt ist der Homunkulus, der in vielen Spielarten des Akteurskausalismus implizit auftritt, insbesondere bei dem Vergleich von Motiven mit Ratgebern oder Anwälten. Ohne die Annahme eines Akteurs im Akteur sind Vergleiche dieser Art gar nicht zu verstehen. So kommen konsequente akteurskausalistische Auffassungen dahin, eine Person von ihrem Charakter abzutrennen, indem sie behaupten, dass wir oft erstere, bisweilen aber auch letzteren für eine Handlung loben oder tadeln und dabei etwa sagen könnten: „Dieses hat die Person selber getan – jenes war auf ihren Charakter zurückzuführen.“ Durch eine Unterscheidung dieser Art möchte Chisholm im Anschluss an Reid dem Einwand begegnen, ein wirklich guter Mensch sei für seine Handlungen normalerweise verantwortlich, aber es sei dennoch unmöglich, dass er etwas anderes als das jeweils von ihm erkannte Beste tue. Diesen Autoren zufolge würden wir im Falle einer solchen Notwendigkeit lediglich die mentale Beschaffenheit des Menschen loben, ohne ihm selber ein Verdienst für die daraus entspringenden Handlungen zuzusprechen:²³⁶ What was, by an ancient author, said of Cato, might indeed be said of him. He was good because he could not be otherwise. But this saying, if understood literally and strictly, is not
Dieses Bild stammt ursprünglich von Reid (, Essay IV, Kap. IV, S. – ) und wird von anderen Vertretern der Akteurskausalität übernommen. Siehe dazu auch Peacocke (, Kap. ) und Strawson (, Kap. , Appendix E). Reid (, Essay IV, Kap. I), Chisholm (, § ).
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
the praise of Cato, but of his constitution, which was no more the work of Cato, than his existence. (Reid 1788, S. 269)
Die in verdienstlicher Weise tugendhafte Person könne sehr wohl anders, tue es aber nicht. Es ist jedoch kaum möglich, Aussagen wie: Rational beings, in proportion as they are wise and good, will act according to the best motives; and every rational being, who does otherwise, abuses his liberty. The most perfect being, in every thing where there is a right and a wrong, a better and a worse, always infallibly acts according to the best motives. (Reid 1788, Essay IV, Kap. IV, S. 292)
damit in Einklang zu bringen. In einer libertarischen Sichtweise gibt es vor einer Handlung keinerlei objektive Gewähr, dass ein solches Subjekt nicht doch der Tugend entgegen handelt. Seine Tugendhaftigkeit bestünde dann in nichts anderem, als dass es de facto immer moralisch handelte und wäre überhaupt kein Merkmal seiner „Konstitution“. Die Klausel „in proportion as they are wise and good“ wäre dann zumindest irreführend, denn die Güte und Weisheit bestünde in der bloßen Tatsache, dass immer gut gehandelt wird, und wäre nichts dem zugrunde Liegendes. Hinter dem „always infallibly“ stünde nichts als diese pure Faktizität, die nur ex post zu konstatieren wäre, aber was soll dann das „infallibly“? Gerechtfertigt wäre nur das „always“.²³⁷ Nach Reid und Chisholm müsste man sagen: Viele Menschen handeln – einfach so – mal moralisch, mal unmoralisch, während womöglich einige wenige – wiederum einfach so – stets moralisch handeln, und das sind die vollkommen Guten. An irgendwelchen Differenzen der Umstände, der Motive oder des Charakters ließe sich der Unterschied nicht festmachen, denn dann wäre nicht der Mensch selber, sondern die günstigen Umstände, die passende Motivlage oder die Güte des Charakters für sein Tun verantwortlich. Ein solcher Kontrast ist abwegig; man kann einen Menschen nicht gegen seinen Charakter insgesamt ausspielen. Wenn man diesen abzieht, bleibt keine wie immer geartete mentale, geschweige denn handlungsfähige Instanz übrig. Zumindest hätte eine solche nichts, auf das sie ihre Entscheidungen stützen könnte. Die Identifikation des Akteurs mit gewissen seiner mentalen (oder auch physischen) Zustände und Eigenschaften, und sogar seinem Geist (oder Körper) insgesamt ist zwar sprachwidrig, kann aber ohne weiteres ontologisch korrekt sein.²³⁸ Ganz sicher ist es unangemessen, ihn seiner mentalen Verfassung einfachhin entgegenzusetzen, als wäre diese etwas ihm Externes.
Dass Reid mit „the most perfect being“ Gott meint, ändert für unsere Belange nichts. Siehe Peacocke (, Kap. ) über die „Illusionen der Transzendenz“.
16.4 Akteurskausalität
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Bevor Chisholm diese Gegenüberstellung vornimmt, bereitet er sie dadurch vor, dass er den Menschen gegen seine Wünsche und Überzeugungen ausspielt. Hier ist seine Sprache und sind die gewählten Vergleiche Dennettsche „Intuitionenpumpen“, wie sie im Buche stehen. Die (mögliche) Verursachung einer Handlung durch Wünsche und Überzeugungen wird mit der Verursachung des Tuns durch eine andere Person, die etwa „Hypnose“ anwendet und den Akteur dadurch zwingt (compelled him to perform the act), nicht etwa bloß irgendwie analogisiert, sondern geradezu gleichgesetzt. Genau dasselbe (precisely the same) soll nämlich gelten, wenn es anstatt eines Hypnotiseurs die Wünsche und Überzeugungen sind, die der Akteur „zufälligerweise hat“ (happens to have), die das Tun herbeiführen: „Since they caused it, he was unable to do anything other“ und „It makes no difference whether the cause of the deed was internal or external.“ Ferner sei im Falle einer solchen Verursachung die „Flut der Begierde“, der ein willensschwacher Mensch erliegt, der Flut des Wassers zu vergleichen, die einen schlecht konstruierten Damm durchbricht.²³⁹ Reflexionsfragen, in denen eine Distanzierung von gewissen der eigenen mentalen Zustände zum Ausdruck kommt, beantwortet eine Person anhand und im Lichte ihrer anderen Wünsche, Meinungen und Wertvorstellungen, und diese sind es, die das entsprechende Verhalten der Person dann (deterministisch oder nicht) erklären. Mit einer solchen Kritik wird keineswegs eine Humesche Motivationstheorie oder eine kausale Handlungstheorie vorausgesetzt.Wenn Chisholm etwa sagt: „For at times the agent, if he chooses, may rise above his desires and do something else instead“²⁴⁰, so ist diese Aussage zwar höchst problematisch, aber im Gegensatz zu seiner Auffassung des tugendhaften Menschen nichts, was ich hier kritisieren möchte. Es geht an dieser Stelle nicht um die Richtigkeit oder Falschheit des Wunsch-Überzeugungs-Modells des Handelns, sondern darum, dass man eine Person nicht ihren Wünschen und Überzeugungen insgesamt gegenüber stellen kann. Sollte es möglich sein, sich im Entscheiden über alle seine Wünsche (oder Begierden) auf einmal zu erheben, dann fällt die Entscheidung, sei sie determiniert oder nicht, eben aufgrund anderer mentaler Zustände, vermutlich aufgrund von Werturteilen. An seinen klassischen Vertretern wird die Grundidee und -motivation des Akteurskausalismus besonders deutlich. Die Position erfreut sich in neuerer Zeit wieder großer Beliebtheit, auch wenn ihre aktuellen Vertreter sich normalerweise
Siehe Chisholm (), § (S. in Ekstrom ). Die Übersetzung von „desire“ mit „Wunsch“, wie es im handlungstheoretischen Kontext durchweg geschieht, ist bisweilen problematisch. Bei der Wendung „flood of desire“ muss man im Deutschen von „Begierde“ oder „Verlangen“ sprechen. Siehe Chisholm (), § (S. in Ekstrom ).
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hüten, so offen wie Reid oder Chisholm zu sprechen.²⁴¹ Sie unternehmen aber auch beträchtliche substantielle Anstrengungen, um die Fragen zu beantworten, die sich beim akteurskausalistischen Libertarismus stellen. Ich möchte dies beispielhaft an der Konzeption von Helen Steward aufzeigen.²⁴² Erstens stellt sich das sogenannte Datiertheitsproblem: „Selbste“ sind persistierende, also zeitüberdauernde Entitäten, und wenn man sie selber, und nicht etwa Veränderungen an ihnen oder Geschehnisse, in die sie involviert sind, als Ursachen von Handlungen anführt, ist nicht zu sehen, warum eine derartige Ursache gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt und nicht früher oder später wirkt und eine neue Kausalkette in Gang setzt. Steward antwortet darauf, indem sie den Begriff der Ursache verkompliziert: Eine Ursache ist ein Tripel aus einer Entität oder Substanz („mover“), bestimmten Tatsachen oder Umständen („matterers“), und datierbaren Ereignissen („makershappen“).²⁴³ Das gilt Steward zufolge für Verursachung allgemein und nicht bloß für eine spezielle handlungstheoretische Variante. Es ist ein Vorzug ihrer Konzeption, dass sie mit einer Kausalitätsauffassung auskommt. Es sind grundsätzlich Dinge und nicht Ereignisse, die mit „kausalen Kräften“ oder „kausalen Vermögen“ ausgestattet sind. Deshalb verursachen primär sie eine Wirkung wie etwa das Zerbrechen einer Scheibe. Es ist wesentlich der Ball, der die Scheibe zerbricht, nicht das Ereignis seines Auftreffens auf sie. Ein Ereignis ist kraftlos, es kann nichts zerbrechen, niederdrücken, wegschieben, etc. Das kann nur ein Gegenstand, eine Substanz: Der Ball zerbricht vermöge gewisser seiner Eigenschaften die Scheibe. Dazu braucht es freilich einen Anlass („trigger“), und dieser ist nun in der Tat nichts anderes als das Ereignis des Auftreffens des Balls auf der Scheibe. Ohne ein solches Auslösungsereignis gibt es keine Freisetzung der kausalen Kräfte, hier des Balls. In welcher Form sich die kausalen Kräfte dann bemerkbar machen, hängt von weiteren Situationsumständen ab. Dass das auslösende Ereignis oft, aber fälschlicherweise, als „die“ Ursache gilt, ist der Humeschen Metaphysik geschuldet, der zufolge es so etwas wie kausale Kräfte gar nicht gibt, sondern bloß Abfolgen von Ereignissen oder Eigenschaftsinstanzen an Raum-Zeit-Punkten. Diese Metaphysik wirkt oft untergründig auch dort weiter, wo sie offiziell keine Rolle spielt; der Akteurskausalismus teilt sie aber nicht. Es gibt mit der Idee, dass Dinge als Ursachen auftreten, daher kein grundsätzliches Problem über die Ablehnung einer Humeschen Me-
Siehe Clarke (), O’Connor (a, ), Meixner (, Kap. ) sowie in den letzten Jahren Steward () und Alvarez (). Clarke hat seine Einschätzung später geändert, siehe die Auseinandersetzung Clarke (). Siehe die Monographie Steward (). Siehe dort, Kap. .
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taphysik hinaus. Der Datiertheitseinwand erledigt sich durch den Verweis auf das unverzichtbare Auslösungsereignis. Zweitens und vor allem erwecken libertarische Konzeptionen, wie gesehen, einen Homunkulusverdacht. Eine Art Kern der Person, eben das „Selbst“, entscheidet sich zwischen verschiedenen Motiven, die sich ihm präsentieren, indem es einem davon folgt – aber wie? Etwa aufgrund weiterer, höherstufiger Gründe? Das „Selbst“ scheint ein Akteur im Akteur zu sein, der aus verschiedenen Strebungen eine wählt, bestimmten Motiven folgt und andere (vorübergehend oder dauerhaft) hintanstellt, ohne dass einsichtig gemacht werden könnte, wie dies geschieht. Die akteurskausalistische Sichtweise externalisiert die Motive und macht sie von Merkmalen der Person zu etwas, dem diese sich gegenübersieht und zu dem sie Stellung zu beziehen hat. Damit ist das Problem der Entscheidung oder Handlungswahl aber nur auf eine andere Ebene verschoben. Statt überflüssigerweise eine weitere Instanz im Akteur selber zu postulieren, bei der sich alle Probleme wiederholen, kann man dann auch gleich bei der Person als ganzer stehen bleiben und sich fragen, warum sie so handelt, wie sie handelt. Diesen Einwand vermeidet Steward, indem sie die problematische Unterscheidung zwischen dem Akteur – bei ihr ist es im Allgemeinen ein tierischer Organismus – und einem substanziellen Kern desselben gar nicht macht.²⁴⁴ Es ist immer die Person oder das Lebewesen als Ganzes, das handelt, nicht ein wie immer geartetes „Zentrum der Spontaneität“ in ihm, das den Körper wie einen äußeren Gegenstand bewegt. Dafür handelt sich Steward irreduzible Top-DownVerursachung ein: Statt einen Homunkulus als „eigentlichen“ Akteur und kleinen Teil des Gesamt-Lebewesens anzunehmen, ist es dieses Gesamt-Lebewesen, das handelt und als Ganzes Veränderungen zunächst in sich selber (Beeinflussung seiner Nerven, Muskeln und Körperteile) und dadurch in der Welt jenseits seines Körpers bewirkt.²⁴⁵ Es verursacht nicht seine Absichten oder Handlungen – das ist eine schräge Ausdrucksweise, die Steward kritisiert – wohl aber im Handeln seine Körperbewegungen. Bei solcher genuinen Top-Down-Verursachung droht die Durchbrechung der Naturgesetze „unterer Seinsebenen“, etwa der mikrophysikalischen Ebene, von oben her. Um dem zu begegnen, muss Steward bestreiten, dass die unteren Ebenen von deterministischen Verlaufsgesetzen beherrscht werden. Entweder sind die entsprechenden Naturgesetze zwar Verlaufsgesetze, aber probabilistische, oder es sind gar keine Verlaufsgesetze, sondern Koexistenzgesetze, die Rahmenbedingungen oder Beschränkungen für mögliches Verhalten der Gegenstände dieser
Siehe dort, Kap. . Siehe dort, Kap. , auch hinsichtlich des Folgenden.
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Ebenen implizieren, aber auch nicht mehr – die dieses Verhalten also nicht festlegen, noch auch nur Wahrscheinlichkeiten dafür, sondern nur bestimmte Konstellationen ausschließen.²⁴⁶ In jedem Falle gilt dabei, dass auf den unteren Ebenen kein Determinismus herrscht. Ein bestimmter Zustand etwa der mikrophysikalischen Ebene legt zusammen mit den auf dieser Ebene geltenden Naturgesetzen die zeitlich folgenden Zustände dieser Ebene nicht fest. Der Mikrodeterminismus muss geopfert werden, wenn man Top-Down-Verursachung ohne Gesetzesdurchbrechung haben möchte. Hierbei handelt es sich um ein eigenständiges Motiv für den Inkompatibilismus, das zu denen, die ein Libertarier von Hause aus hat, hinzutritt. Auf den höheren Ebenen könnte bei der Annahme von Top-Down-Verursachung allein nämlich immer noch alles deterministisch ablaufen, nur die Gesetze der Mikrophysik dürften keine deterministischen Verlaufsgesetze sein. Jede Entscheidung und Handlung dagegen könnte voll determiniert sein, nur eben auf einer höheren Ebene, etwa psychisch-mental. Im Akteurskausalismus verbinden sich antireduktionistische und inkompatibilistische Anliegen, die man ein Stück weit trennen kann. Dass wir den Akteur nicht in kleinere Teile auflösen und sein Verhalten dergestalt analysieren können, heißt nicht von selbst, dass er das, was er tut, nicht notwendigerweise tut. Letzteres meinen Akteurskausalisten außerdem: Im Falle der Akteurskausalität legen das auslösende Ereignis und die Situationsumstände nicht fest, wie sich der Akteur verhält. Problematisch an dieser Konzeption ist die Idee der (irreduziblen) Top-DownVerursachung als solche. Steward hält Verursachung dieser Art für allgegenwärtig und versucht das anhand eines Beispiels aus der unbelebten Natur zu plausibilisieren: Ein Strudel im Wasser sei eine Makrostruktur, die die einzelnen Wassermoleküle in sich aufnehme und wieder aus sich entlasse und sie dabei kausal beeinflusse. Die Bewegung der Moleküle müsse von oben, von der Makrostruktur her, verstanden werden, die persistiere, während ihre Bestandteile beständig wechselten. Kritisch daran ist das „muss“. Es ist notorisch schwer, Beispiele zu liefern, in denen eine Reduktion des Ganzen auf seine (eventuell wechselnden) Teile prinzipiell ausgeschlossen scheint.²⁴⁷ Auf der anderen Seite ist an eine tatsächliche Reduktion des Verhaltens makroskopischer Gegenstände auf das ihrer Bestandteile, die sich konkret vorführen lässt, in vielen Fällen nicht im Entferntesten zu denken. Die Diskussion droht sich daher auf die wenig fruchtbare Frage, welche Seite die Begründungslast trage, zu verlagern.²⁴⁸ „Verhalten“ ist hier im sehr weiten Sinne zu nehmen, dem zufolge sich auch unbelebte Gegenstände verhalten können. Siehe Hoyningen-Huene (). Siehe dazu Kap. .
16.4 Akteurskausalität
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Drittens scheint die Gabe, aus dem Nichts heraus neue Kausalketten zu beginnen, etwas recht Wunderbares zu sein. Wie soll man sich insbesondere das Zustandekommen dieser angeblichen Fähigkeit denken? Wie könnte sich ein solches Merkmal phylogenetisch, also in der menschlichen Evolutionsgeschichte, entwickelt haben, und wie soll es sich ontogenetisch, also beim heranwachsenden Individuum entwickeln? Die meisten Akteurskausalisten halten diese besondere Fähigkeit für ein Privileg des Menschen, obwohl es keine ersichtliche Verbindung zu Prädikaten wie dem der Rationalität gibt, durch die das Menschsein typischerweise charakterisiert wird. Auch hier vermeidet Steward die Schwierigkeit, indem sie durch ihre Verursachungskonzeption gar kein Neuanfangen einer Kausalkette aus dem Nichts zulässt – es braucht immer ein auslösendes Ereignis – und zudem die für das Handeln relevanten Fähigkeiten nicht auf den Menschen beschränkt, sondern, indem sie den Begriff der Aktivität ins Zentrum stellt, auch Tiere darüber verfügen lässt. Auch hier stellen sich onto- und phylogenetische Fragen, aber es ist nicht klar, dass dadurch etwas über die Idee irreduzibler TopDown-Verursachung hinaus Problematisches ins Spiel kommt. Es scheint mir ein gelungener Zug, Akteurskausalität mit Aktivität überhaupt, und nicht schon gleich mit vernünftiger Aktivität, in Beziehung zu bringen. Dies aber nicht deshalb, weil der Begriff der Aktivität oder des Tuns im libertarischen Sinne verstanden werden müsste – ich habe in 10.2 dafür argumentiert, dass das nicht der Fall ist – sondern weil sich auf diesem Wege die Idee der Akteurskausalität eher plausibilisieren lässt.²⁴⁹ Stewards Konzeption vermeidet somit bestimmte ernste Schwierigkeiten anderer Ansätze in diesem Bereich. Ich lasse dahingestellt, ob sie haltbar ist, und frage stattdessen, warum man Akteurskausalist sein sollte – was durch eine solche Auffassung eigentlich gewonnen wird. Das scheint mir jenseits aller Fragen der Durchführbarkeit das Hauptproblem des Akteurskausalismus zu sein. Er bedeutet keinen Fortschritt beim Verständnis „freier“ Handlungen (oder, bei Steward, von Handlungen überhaupt), es wird nur einiges in Bezug auf diese stipuliert. Was Damit ist es dann nicht die vernünftige Natur, die durch diesen prägnanten Sinn von Aktivität gegenüber der unvernünftigen ausgezeichnet wird, sondern das Tierreich gegenüber anderen Lebensformen sowie der unbelebten Natur. Auch das kann freilich merkwürdig wirken, und aus systematischen Gründen wäre es befriedigender, auf diese Weise die ganze lebendige Natur gegenüber der unbelebten abzugrenzen. Entsprechende Ansätze finden sich in Jonas (), dabei droht einem dann freilich jeder prägnante Sinn von „Aktivität“ zwischen den Fingern zu zerrinnen. Diese erheblichen Abgrenzungsunsicherheiten müssen für den Akteurskausalismus nicht tödlich sein. Sie zeigen nur, dass, wenn sich hier ein bestimmtes Phänomen identifizieren lassen sollte, es erheblich graduierbar ist und stark entwickelte sowie ganz rudimentäre Formen zulässt. Die Entstehung dieses Phänomens aus der unbelebten Natur muss freilich, wenn man an seiner Irreduzibilität festhält, rätselhaft bleiben.
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16 Spezifische libertarische Ansätze und das Zufallsproblem
Steward bestenfalls zeigt, ist, dass man mit diesen Stipulationen durchkommen kann – dass sie nicht zu offenbaren Absurditäten Anlass geben. Das ist schon einiges, aber meines Erachtens nicht genug. Das Problem der klaren Fälle und das Problem der Erklärungslücke bleiben in vollem Umfang bestehen. Ein Akteurskausalist ist nicht nur in keiner besseren Position, sie zu lösen, als andere Libertarier, sondern hat auch gar nichts in der Hand, um eine Lösung zu versuchen. Akteurskausalistische Ansätze sind wie alle philosophischen Konzeptionen, die etwas Bestimmtes, das man haben möchte, eins-zu-eins in die Ontologie eintragen, eigentümlich steril. Sicherlich kann man sagen, der Akteur verursache seine Körperbewegungen und dadurch weitere Ereignisse in der Welt, er handle aus Gründen und könne auch anders, und er sei deshalb für sein Tun verantwortlich – aber wie ist das nun zu analysieren oder genauer zu verstehen? Außer Frankfurt würde hier ja kein Kompatibilist widersprechen, und auch dieser würde nur das „anders können“ als für zurechenbares Handeln überflüssig weglassen. Die akteurskausalistische Position fügt den genannten Formulierungen, die im Grunde Konsens sind und das Alltagsverständnis spiegeln, sozusagen per Hand Indeterminismus und Antireduktionismus hinzu, weil sie meint, dass diese Implikationen, recht verstanden, bestehen. Das geschieht zwar aufgrund bestimmter sprachlicher und phänomenologischer Anhaltspunkte, aber in ganz direkter und darum unproduktiver Weise, die das Verständnis der in Rede stehenden Vorgänge nicht erweitert oder vertieft. Wenn sie nicht in der an Reid und Chisholm illustrierten und von Steward zu Recht verworfenen Weise auf die Einführung eines Homunkulus hinauslaufen, wiederholen akteurskausalistische Positionen einfach, was allgemein zugestanden wird, nur dass sie den sprachlichen Ausdrücken gewissermaßen eine besondere Betonung verleihen. So kann es geschehen, dass Akteurskausalität versehentlich wie folgt charakterisiert wird: Despite the important differences between different accounts of agent-causation, all agentcausal theorists agree on two points: 1. An agent is a causal factor in the production of an action. 2. For a given action of an agent, the agent could have not caused it. Roughly, the agent could have done otherwise. (Nichols 2004, S. 475)
Man sieht hier eindrucksvoll, dass das, was der Akteurskausalist sagt, zunächst einmal das ist, was (fast) alle sagen, sowohl „vortheoretisch“ im Alltag, als auch theoretisch im Rahmen der Willensfreiheitsdebatte. Insbesondere würden alle Kompatibilisten 1. und – mit Ausnahme von Frankfurt und seinen Sympathisanten – auch 2. unterschreiben. Nur glaubt der Akteurskausalist, dass allein er die Sache ernst meint und alle anderen die jenigen Ausdrücke, die er in ihrer wirklichen und folgenreichen Bedeutung nimmt, in einem uneigentlichen Sinne verwenden.
16.4 Akteurskausalität
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Eine im akteurskausalistischen Sinne freie Wahl verträgt in keinem Fall eine kleinteilige Betrachtung. Man muss bei der Beschreibung ganz oben stehen bleiben, auf der Ebene des Akteurs, der sich so oder so entscheidet, aus diesen oder jenen Gründen, und der in der Situation, in der er sich befindet, in einem ontischen Sinne aus anderen Gründen anders entscheiden und handeln könnte als es de facto geschieht, und der, damit zusammenhängend, für sein Handeln verantwortlich ist. Möchte man Näheres über all dies erfahren, läuft man vor eine Wand: Der Akteurskausalismus hat einfach nicht mehr zu sagen. Auch ohne besondere reduktionistische Neigungen sollte einen die anscheinende Unmöglichkeit, hierzu irgendetwas weiter Gehendes, Informatives oder Erhellendes zu liefern, misstrauisch stimmen. Die Bemühungen und Überlegungen von Steward und ihren Mitstreitern betreffen nicht psychologische oder phänomenologische, sondern prinzipielle, zumeist metaphysische Fragen über Kausalität, Naturgesetze, Reduktion, Substanzen und ihre Eigenschaften, etc., die einen großen Abstand zu den alltäglichen Phänomenen halten, mit denen sich die Handlungstheorie befasst. Zusammenfassend können wir sagen: Eine Erklärungslücke besteht bei libertarischen Konzeptionen von Entscheidungen und Handlungen immer, aber dies wäre kein Einwand, wenn es gelänge, Lücken dieses Typs von solchen zu unterscheiden, die bei rein zufälligen Vorgängen bestehen. Und zwar nicht bloß verbal zu unterscheiden, indem man sie anders etikettiert, sondern so zu unterscheiden, dass man einsehen kann, wie Entscheidungsmacht und Verantwortlichkeit der handelnden Person in dieser Lücke zustande kommen. Hier wäre eine alternative Struktur sichtbar zu machen. Es ist nicht befriedigend, einen relevanten Unterschied einfach zu postulieren – unter Hinweis auf die verwendeten Begriffe – und den Opponenten die Beweislast zuzuschieben.²⁵⁰ Man sollte nicht behaupten, dass a priori klar ist, dass es außer Determinismus und Zufall nichts Drittes geben kann, sondern sich lediglich die Freiheit nehmen, diese dritte Möglichkeit wenigstens ansatzweise sehen zu wollen, bis dahin aber hinsichtlich ihrer und erst recht ihrer Realität in unserer Welt skeptisch sein.
Siehe dazu wiederum Kap. .
17 Zur Frage des Indeterminismus in unserer Welt 17.1 Die Lokalisierung indeterministischer Elemente Auch abgesehen von dem Problem der klaren Fälle von Entscheidungen und dem Problem der Aufweisung eines dritten Weges jenseits von Zufall und Determinismus (und deren Mischung), die ich für ungelöst halte, können libertarische Konzeptionen unsere Verantwortungszuschreibungen und unser Selbstverständnis beim Entscheiden nur dann stützen, wenn wir Anlass haben zu meinen, dass ihre empirischen Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere müsste unsere Welt im richtigen Maße und an den richtigen Stellen indeterministisch sein. Es ist klar, dass sich aus philosophischer Position zu dieser Frage weniger sagen lässt als zu den konzeptionellen Schwierigkeiten des Libertarismus. Im Nachgang einer Entscheidung, wenn auf diese entsprechende Körperbewegungen folgen, die wiederum bestimmte Wirkungen nach sich ziehen sollen, hat auch ein Libertarier keine Verwendung für indeterministische Elemente. Genauer gesagt, kommt es hier nicht nur auf möglichst weitgehende Determination, sondern sogar auf möglichst weitgehende faktische Vorhersehbarkeit an, die im Grenzfall Determinismus und darüber hinaus nicht allzu verwickelte Determinationsverhältnisse voraussetzt. Etwas zu beabsichtigen, hat nur dann Sinn, wenn man sich wenigstens einigermaßen sicher sein darf, dass man die Kontrolle über den eigenen Körper und dadurch über die näheren Auswirkungen von dessen Bewegungen besitzt, wenn man sich also ziemlich sicher sein kann, dass man in einem elementaren Sinne tun wird, wofür man sich entscheidet. Vollständige Sicherheit ist hier zwar weder nötig noch faktisch möglich, aber sie stellt doch wiederum den idealen Grenzfall dar. Je weiter man von diesem entfernt ist, umso weniger Sinn hat es zu überlegen, was man tun sollte, und sich zwischen verschiedenen Optionen zu entscheiden, da man das Heft des Handelns doch nicht in der Hand hält. Dasselbe gilt für die weiteren Auswirkungen des eigenen Tuns. Zwar bringt hier die Entscheidungstheorie realistischerweise Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen möglichen Auswirkungen einer Handlungsweise in Anschlag, aber auch das zeigt bereits eine Verlegenheit an. Je weniger sich über die Folgen des Ergreifens einer bestimmten Handlungsoption sagen lässt, desto schwerer ist es im Allgemeinen zu bestimmen, ob man sie wählen sollte oder nicht, und umso weniger orientiert wird die Entscheidung ausfallen.²⁵¹ Sind die Folgen nicht vor-
Ausnahmen bilden hier diejenigen Fälle, bei denen es primär um die Handlungsweise als solche und nicht um weitere Folgen derselben geht.
17.1 Die Lokalisierung indeterministischer Elemente
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hersehbar, so sollte man wenigstens über objektive Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Möglichkeiten verfügen. Sind auch diese nicht zu haben, gibt man sich mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten zufrieden. Diese können aber aus der Perspektive der 1. Person nicht bloß als subjektiv gedacht werden, denn dann hätte es keinen Sinn, seine Entscheidung eher auf diese Zahlen als auf irgendwelche anderen zu stützen.²⁵² Wenn ein Subjekt beim Erkennen oder Entscheiden mit Wahrscheinlichkeiten operiert, dann hält es diese für objektiv adäquat angesichts der ihm vorliegenden Informationen – wie immer dies genauer auszubuchstabieren ist. Bei weitgehend fehlenden einschlägigen Informationen gibt es realistischerweise noch nicht einmal subjektive Wahrscheinlichkeiten, und außer in Grenzfällen dann auch keine Prinzipien, die eine vernünftige Entscheidung anleiten könnten. Im rationalen Entscheiden wird also erstens vorausgesetzt, dass sich über die möglichen Folgen der möglichen Handlungen objektiv etwas sagen lässt, und zweitens, dass die Entscheidung festlegt, welche Option dann ergriffen wird. Wie wir bereits gesehen haben, stellen Diagnosen dieser Art nur einen ersten Zugriff dar, aber die nötigen Qualifikationen ändern am Grundsätzlichen nichts. Dass die Entscheidung die Handlung festlegt und alles andere eine Verminderung der Kontrolle des Subjekts bedeuten würde, muss dahingehend eingeschränkt werden, dass sich das Subjekt ja auch neu besinnen und daraufhin anders entscheiden kann. Beim Eintreffen wesentlicher neuer Informationen sind solche Wiederaufnahmen oft sogar rational zwingend. Aber auch ohne dies kann sich das Subjekt alles noch einmal überlegen und seine Einschätzung über das zu Tuende ändern, ohne dass das gleich ein ernstes Defizit an Rationalität oder gar Kontrolle anzeigen müsste. Aber dergleichen muss doch die Ausnahme bleiben, denn der Witz des Entscheidens ist schlicht auch, dass es nun irgendwie weitergeht und sich das Subjekt der Umsetzung seiner Entscheidung und anderen Dingen zuwenden kann. Ein Vorzug des Treffens einer Entscheidung ist, dass man sich nun entschieden hat. Unmotivierte Neubesinnungen sabotieren diese Leistung, untergraben tendenziell den Status des Entscheidens selber und führen im Extremfall zur Handlungsunfähigkeit. Dagegen ist bei durch neue Informationen motivierten Wiederaufnahmen des Verfahrens eine deterministische Betrachtungsweise nicht nur möglich, sondern stellt einen der nun schon wiederholt beschworenen Ide-
Der Bayesianismus, die Standardtheorie subjektiver Wahrscheinlichkeiten und ihrer Veränderung angesichts neuer Informationen, idealisiert diesbezüglich zu stark, und mit ihm die Entscheidungstheorie. Auch eine graduierte Überzeugung stützt sich aus der Perspektive des Subjekts auf irgendetwas, und wer von einer Sache wirklich gar keine Ahnung zu haben meint, der hat auch keine subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteile über sie.
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17 Zur Frage des Indeterminismus in unserer Welt
alfälle dar, indem das Subjekt auf die neue Lage im besten Fall in zuverlässiger Weise richtig reagiert. Insgesamt ändern solche Qualifikationen nichts daran, dass auch ein Libertarier die indeterministischen Elemente nach der Entscheidung in seinem Handlungsmodell klein halten muss: durch entsprechend geringe Wahrscheinlichkeiten oder durch ihre Bindung an besondere Anlässe, wenn der Sinn des Entscheidens nicht untergraben werden soll. Die Differenzen zu kompatibilistischen Positionen sind diesbezüglich nicht groß. Dagegen benötigt ein Libertarier reichlich indeterministische Elemente vor der Entscheidung, im Entscheidungsprozess. Die Welt muss für ihn an den richtigen Stellen und im richtigen Maße indeterministisch sein, und dies ist keine Konstellation, die „einfach so“ bestehen könnte. Dafür scheinen spezielle Strukturen vonnöten, und es liegt deshalb nahe, nach solchen Strukturen im Gehirn Ausschau zu halten – nach Strukturen, die eine extreme, für die mikrophysikalische Ebene im engeren Sinne offene Instabilität aufweisen und mit Gehirnregionen assoziiert sind, die beim Entscheiden eine wichtige Rolle spielen. Dagegen sollten sich derartige Strukturen in Hirnregionen, die mit der Handlungseinleitung, also der Umsetzung von Entscheidungen assoziiert sind, nicht auffinden lassen. In dieser Form hätten libertarische Konzeptionen recht spezifische empirische Konsequenzen, die potentiell verifizierbar oder falsifizierbar sind. Wir haben gesehen, dass sich Kane und andere auf etwas Derartiges einlassen. Die meisten Libertarier scheuen aber vor solchen Festlegungen zurück, die verdächtig an die Descartessche Zirbeldrüse erinnern. Und in der Tat würde ich vermuten, dass man die besagten Strukturen im Gehirn ebenso wenig finden wird wie den Ort einer Interaktion zwischen Körper und Geist. Ansinnen dieser Art wirken leicht absurd, doch scheint mir, dass,wenn sie wirklich absurd sein sollten, dies den Libertarismus insgesamt treffen würde und nicht bloß die von Kane, Popper oder Penrose vorgeschlagenen Versionen. Diese sind keineswegs naiv, sondern einfach konsequent: Wenn man eine libertarische Auffassung hat, ist es ein ganz natürlicher Schritt, etwas in dieser Art zu vertreten und damit das Risiko des empirischen Scheiterns in Kauf zu nehmen. Ebenso wird, wenn man einen Ort der Interaktion von Materie und Geist nicht ausfindig machen kann, der dualistische Interaktionismus insgesamt getroffen, und nicht bloß die von Descartes und seinen modernen Nachfolgern Popper und Eccles vertretenen spezifischen Varianten.
17.2 Indeterminismus als allgegenwärtig
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17.2 Indeterminismus als allgegenwärtig Die Alternative dazu ist, nicht bestimmte Punkte des Indeterminismus ausfindig machen zu wollen, sondern die Auffassung zu vertreten, dass dieser allgegenwärtig sei. Diesen Weg beschreiten Geert Keil, Gottfried Seebaß und Helen Steward; im Folgenden stelle ich die Keilsche Argumentationslinie dar.²⁵³ Dazu muss man der verbreiteten Auffassung entgegentreten, dass die Welt im makroskopischen Bereich im Wesentlichen deterministisch verfasst sei und es indeterministische Vorgänge (zumindest mit erheblich von 0 und 1 verschiedenen Wahrscheinlichkeiten) auf dieser Ebene nur ausnahmsweise gebe, wenn nämlich bestimmte mikroskopische Einzelereignisse makroskopische Konsequenzen hätten, was spezielle, entsprechend sensible Konstellationen oder Strukturen voraussetze. Die Alternative zu dieser Sichtweise ergibt sich aus einer Auffassung physikalischer Gesetze, die auf Pierre Duhem zurückgeht und in der zeitgenössischen Philosophie besonders von Nancy Cartwright stark gemacht worden ist.²⁵⁴ Dieser Auffassung zufolge beschreiben physikalische Gesetze mitnichten die Wirklichkeit, sondern idealisierte Modellsituationen. Diese könnten näherungsweise realisiert sein, und zwar dann, wenn Systeme auf natürliche oder künstliche Weise weitgehend von ihrer Umgebung isoliert sind. Diese Isolation – die freilich niemals vollkommen ist und durch hinreichend große äußere Einflüsse auch jederzeit ganz aufgehoben werden kann – erkläre die erfolgreiche Anwendung physikalischer Theorien in Hinsicht auf Erklärung, Vorhersage und Manipulation. Jede solche Anwendung sei aber nicht nur eine unvollkommene und stets gefährdete, sondern auch und vor allem eine Anwendung nur auf geeignete Ausschnitte der gesamten Wirklichkeit. Für diese Ausschnitte seien experimentelle Arrangements und Maschinen paradigmatisch, bei denen die nötige Isolation vom Experimentator oder Ingenieur künstlich herbeigeführt werde. Manchmal leiste die Natur von sich aus Ähnliches, etwa im Falle des Sonnensystems. Cartwright spricht daher generell von „nomologischen Maschinen“.²⁵⁵ Außerhalb solcher geeigneten Ausschnitte der Wirklichkeit hätten die physikalischen Gesetze jedoch weder (näherungsweise) Gültigkeit noch einen praktischen Nutzen. Bringt man oder geraten (zunächst weitgehend) isolierte nomologische Maschinen in Interaktion miteinander oder mit der Umwelt, dann regeln die physikalischen Gesetze nicht, was passiert. Zu solchen Zusammensetzungen oder Überlagerungen schweigt die Theorie, denn wir haben es nun nicht mit Situationen zu tun, die den Siehe Keil (, Kap. und .); siehe auch ausführlicher Keil (, Kap. II. und II.). Siehe Duhem () und Cartwright (, , ; besonders prägnant in , Kap. ). Siehe etwa Cartwright (, Kap. ).
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17 Zur Frage des Indeterminismus in unserer Welt
idealisierten Modellen, die von der Theorie behandelt werden können, ähnlich wären. An diesem Zusammensetzungs- oder Überlagerungsproblem soll jeder Versuch, von physikalischen Theorien ausgehend für einen globalen Determinismus zu argumentieren, scheitern. Es kann dieser Auffassung zufolge also keine Rede davon sein, dass die Physik uns Anlass böte zu meinen, die makroskopische Welt sei (im Wesentlichen und näherungsweise) deterministisch verfasst. Der Determinismus ist ihr zufolge vielmehr eine metaphysische Doktrin ohne empirische Stützung, die aus philosophischen Gründen vertreten wird. Sicherlich können auch solche gute Gründe sein, aber die Standardsichtweise stützt sich eben auf die Behauptung, dass unsere bewährten physikalischen Theorien einen weitgehenden Determinismus nahelegen, mit Ausnahme des atomaren und subatomaren Bereiches, und diese Behauptung sei falsch. Man könne den Dingen aufgrund empirisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse zwar Dispositionen oder Vermögen zuschreiben, sich in bestimmten Konstellationen auf bestimmte Weise zu verhalten, aber ob und wann diese Konstellationen in hinreichend ungestörter Weise auftreten, sei einfach offen und nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Behandlung.²⁵⁶ Selbstverständlich folgt allein daraus noch kein umfassender Indeterminismus – die besagte „Offenheit“ könnte epistemischer ebenso wie ontologischer Art sein – aber die naturwissenschaftlichen Einsichten liefern uns keine Handhabe, diese Frage in der einen oder anderen Richtung zu entscheiden. Da uns die Natur und die Vorgänge in der Welt in vieler Hinsicht indeterministisch erscheinen, insofern wir sie wegen des erwähnten Zusammensetzungs- oder Überlagerungsproblems nicht einmal prinzipiell mittels unserer Theorien vorhersagen können, hat, so die Idee, derjenige die Beweislast, der einen unterliegenden Determinismus behauptet. Da kein wissenschaftlicher Grund bestehe, einen solchen anzunehmen, sei es vernünftig, für unsere Lebenswelt von einem weitgehenden Indeterminismus auszugehen. Insbesondere sei es vernünftig, davon auszugehen, dass wir uns in Entscheidungssituationen einer ontisch offenen Zukunft gegenüber sehen, aber dies sei keine Besonderheit von solchen Situationen. Die Zukunft sei auch sonst in unbestimmbar vielen Hinsichten offen. Wir müssen somit keine speziellen Vorrichtungen ersinnen, die gerade dann, wenn wir uns zu entscheiden haben, einen nahezu allgegenwärtigen Determinismus ausnahmsweise außer Kraft setzen. Dieser Sichtweise, die im Gegensatz zu der des vorigen Abschnitts globaler Natur und deshalb in ihren Implikationen viel schwerer einzuschätzen ist, könnte man dadurch begegnen wollen, dass man rein philosophische Erwägungen zu-
Siehe besonders Cartwright (, Kap. ) und (, Kap. ).
17.2 Indeterminismus als allgegenwärtig
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gunsten des Determinismus anführt. Das habe ich hier nicht vor; vielmehr teile ich die Einschätzung, dass es unsere am besten bewährten naturwissenschaftlichen Theorien sind, die wir wegen der Frage des Determinismus oder Indeterminismus konsultieren sollten. Dabei – und dies ist ein erster Einwand gegen die die dargestellte Auffassung – müssen wir uns tatsächlich an die Theorien, nicht an beobachtbare Phänomene halten. Es ist nämlich zumindest unklar, ob diese uns tatsächlich weithin indeterministisch zu sein scheinen, ja sogar, was das überhaupt heißen, worin ein solcher „Anschein“ bestehen könnte. Der Indeterminismus ist eine negative These, die das Fehlen von etwas betrifft, ein Anschein dagegen etwas Positives. Es ist voreilig zu sagen, dass jemandem, der für ein Ereignis keine zureichenden Ursachen sieht, dieses als indeterminiert erscheint. Es erscheint ihm zwar nicht als determiniert, aber allein deshalb doch noch nicht als nicht-determiniert. Sind nun zweitens die naturwissenschaftlichen Theorien wirklich so aufzufassen wie Cartwright und Keil meinen? Der kritische Punkt ist das erwähnte Zusammensetzungs- oder Überlagerungsproblem. Hier stellt die Physik in Form der Vektoraddition von Kräften ein wichtiges Zusammensetzungsprinzip bereit, von dem man denken könnte, dass es prinzipiell erlaubt, von einfachen Bestandteilen und deren Wechselwirkung ausgehend das Verhalten beliebig komplexer zusammengesetzter Systeme zu rekonstruieren, die damit, solange sich nicht die atomare oder subatomare Ebene wesentlich einmischt, doch als deterministisch erwiesen wären. Cartwright wendet sich entsprechend gegen eine realistische Deutung der Vektoraddition: Wir seien es, die die Kräfte addierten, nicht die Natur. Während resultierende Kräfte insofern real sind, als man ihre Auswirkungen – die Beschleunigungen von Körpern – messen kann, sind die entsprechenden Komponentenkräfte ihr zufolge eine Angelegenheit unserer Modellbildung und nur im dispositionalen Sinne vorhanden.²⁵⁷ Die Frage wäre aber, warum man dies so sehen sollte.Was in der Physik typischerweise gemessen wird, sind gerade Komponentenkräfte, nicht resultierende Kräfte, und Instrumentalisten wie Realisten unter den Physikern sind sich darin einig, dass solche Größen real sind.²⁵⁸ Cartwright begründet ihre Ablehnung einer realistischen Interpretation der Vektoraddition von Kräften damit, dass es doch wohl absurd wäre zu sagen, ein Körper, auf den zwei entgegengesetzt gerichtete, betragsgleiche Kräfte einwirkten, bewege sich sowohl in die eine als auch in die andere Richtung derart, dass er insgesamt in Ruhe bleibe. Sie spricht damit so, als wären Bewegungen, und nicht
Siehe Cartwright (, Kap. ) und Keil (, Kap. II..). Für diesen Hinweis danke ich Andreas Bartels.
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17 Zur Frage des Indeterminismus in unserer Welt
Bewegungsänderungen, die Wirkungen von Kräften. Was man als eine bloße Laxheit ansehen könnte, die an der betreffenden Stelle der Auseinandersetzung mit einer Textpassage von Mill geschuldet ist,²⁵⁹ gewinnt argumentative Relevanz, indem der Gegenseite dadurch eine abwegige Behauptung unterstellt wird. Was sollte denn die Geschwindigkeit der entsprechenden „Komponentenbewegungen“ sein, und wie weit tragen sie den Körper jeweils? Der in Rede stehende Körper bewegt sich selbstverständlich nicht und hat zu jedem Zeitpunkt in alle Richtungen die Geschwindigkeit Null. Aber die Ablehnung von unmessbaren Komponentenbewegungen bedeutet nicht automatisch die Ablehnung von sehr wohl messbaren Komponentenkräften. Diese werden durch Cartwrights Argumente nicht tangiert, obwohl sie etwas anderes suggeriert. Wenn in dieser Weise Teil-Ursachen von Bewegungsänderungen real sind, muss man allerdings konsequenterweise auch sagen, dass ihre jeweiligen Wirkungen – Komponentenbeschleunigungen – ebenfalls vorhanden seien, sich aber gegenseitig aufhöben. Dass der besagte Körper in entgegengesetzte Richtungen betragsgleich beschleunigt wird, ist jedoch nichts, was man nicht in Kauf nehmen könnte. Es bleibt ja dabei, dass die resultierende Geschwindigkeit in jeder Richtung stets Null und der Körper daher auch komponentenweise in Ruhe ist. Wir dürfen somit durchaus an die Existenz von Teil-Ursachen von Bewegungsänderungen glauben, also an die Existenz von Komponentenkräften, und ebenso an die Existenz der entsprechenden Teil-Wirkungen, der Beschleunigungskomponenten, ohne auf schräge Behauptungen festgelegt zu sein wie die, der Körper bewege sich gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen. Betrag und Richtung der Beschleunigungskomponenten sind durch die Kraftkomponenten eindeutig fixiert. Da uns die physikalischen Theorien sagen, welche Sorte von Körper welche Kraft (nach Art, Richtung und Betrag) auf welche andere Sorte von Körper ausübt, scheint einer realistischen Deutung der Komponentenkräfte und der entsprechenden Komponentenbeschleunigungen nichts im Wege zu stehen.²⁶⁰ Es ist somit auch angesichts von Cartwrights Kritik sehr gut möglich, an einer realistischen und reduktionistischen Auffassung von Überlagerungsphänomenen festzuhalten.
Cartwright hat diese Passage geschickt ausgewählt: „In this important class of cases of causation, one cause never, properly speaking, defeats or frustrates another; both have their full effect. If a body is propelled in two directions by two forces, one tending to drive it to the north, and the other to the east, it is caused to move in a given time exactly as far in both directions as the two forces would separately have carried it.“ So John Stuart Mill in A System of Logic, zitiert nach Cartwright (), S. . Das ist Cartwright selber insofern bewusst, als sie zugesteht, dass „intuitions are strongly divided on these cases“ (eben dort, S. ), um ihre These später stattdessen auf ein anspruchsvolles Spezialbeispiel zu stützen.
17.2 Indeterminismus als allgegenwärtig
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Es kommt hinzu, dass dank der Leistungsfähigkeit heutiger Computer immer mehr „zusammengesetzte“ Phänomene aus der Interaktion ihrer Komponenten hergeleitet werden können. Ein wichtiges Beispiel sind die sogenannten ab-initioSimulationen, bei denen chemische und andere höherstufige Eigenschaften von Molekülen und anderen Teilchenaggregaten unter Verwendung unterschiedlicher physikalischer Theorien aus den Eigenschaften ihrer atomaren und subatomaren Bestandteile abgeleitet werden.²⁶¹ Solche faktischen Reduktionserfolge, von denen vor wenigen Jahrzehnten noch niemand zu träumen gewagt hätte, lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, ob man dem Überlagerungsproblem tatsächlich einen fundamentalen Stellenwert zuschreiben kann. Es scheint sich eher um ein epistemisches, großer Komplexität geschuldetes Problem zu handeln, das sich durch bessere Algorithmen und leistungsfähigere Rechner immer mehr in den Griff bekommen lässt. Zumindest spricht nichts gegen diese Auffassung. Meines Erachtens hat sich durch erfolgreiche Computersimulationen auf den verschiedensten Gebieten die Evidenzlage hinsichtlich des Zusammensetzungs- oder Überlagerungsproblems gegenüber dem Vor-Computer-Zeitalter deutlich verschoben. Es bleibt zwar ein kühner Extrapolationsschritt,von solchen Erfolgen auf die gesamte Wirklichkeit zu schließen, aber es ist nicht recht zu sehen, welchen Grund man hätte, hier irgendwo prinzipiell einzuhaken.²⁶² Drittens hat diese Strategie des Libertariers das Merkmal geringer Spezifität. Es ist bei den dargestellten allgemeinen Überlegungen zum Überlagerungsproblem, ganz unabhängig von ihrer Wahrheit oder Plausibilität, sehr schwer zu sehen, wie man jemals in die Position gelangen sollte abzuschätzen, ob sie dem Libertarier das liefern, was er braucht. Auch er möchte ja den Indeterminismus nur an bestimmten Stellen und muss ihn an anderen zumindest der Tendenz nach weitgehend ausschließen. Das Zusammensetzungsproblem, wenn man es ernst nimmt, liefert jedoch reichlich Raum für Indeterminismus allenthalben. Prinzipielle Überlegungen in Bezug auf empirisch-wissenschaftliche Modelle und Theorien sollen für spezifische Voraussetzungen menschlicher Motivation und menschlichen Handelns aufkommen. Dass sie dies tun, scheint eine bloße Behauptung bleiben zu müssen. Deshalb stellt sich bei der zweiten Strategie des
Auf diesen Typ Computersimulation hat mich Carsten Seck hingewiesen. Siehe Marx und Hutter (), insbesondere auch deren umfassende Bibliographie zum Thema. Deutlicher schreibt Barry Loewer: „Some philosophers, e. g. Nancy Cartwright, claim that evidence for fundamental physical laws is obtained only in very special circumstances for very simple systems and does not provide support for the nomological completeness of physics. I cannot get into this issue in this paper except to remark that a Nobel Prize is waiting for the scientist who demonstrates that the fundamental laws of physics that hold for microscopic systems fail for macroscopic systems.“ (Loewer , Fn. )
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Libertariers in besonderem Maße die Frage nach der Beweislast: zunächst in Bezug auf den Status des Zusammensetzungs- oder Überlagerungsproblems, ob es nämlich ein epistemisches oder ein ontologisches Problem sei, und dann nochmals bei seiner Relevanz für die Handlungstheorie.
18 Beweislastverschiebung Wir haben gesehen, dass die Frage, ob das für die Wahrheit libertarischer Konzeptionen erforderliche richtige Maß an Indeterminismus in unserer Welt vorhanden und entsprechend platziert ist, als weitgehend offen betrachtet werden muss. Zumindest gibt es keine starken Argumente in der einen oder der anderen Richtung. Man hat bisher besondere Strukturen im Gehirn, die sich als speziell instabil und offen für Ereignisse atomarer Dimension erweisen, und die darüber hinaus gerade bei Gehirnprozessen, die mit Entscheidungen assoziiert sind, eine wesentliche Rolle spielen, nicht identifizieren können. Aber solche Strukturen könnten da sein und bei Entscheidungen (bestimmter Art) ihre Rolle spielen, und es erhebt sich die Frage, ob wir nun von dieser Situation ausgehen dürfen oder nicht. Dürfen oder sollten wir uns wie gehabt als moralisch verantwortliche Akteure, die zwischen Handlungsoptionen wählen, verstehen, oder müssen wir dazu abwarten, ob die besagten Strukturen im Gehirn gefunden werden? Welche Partei trägt hier die Begründungslast? Noch deutlicher drängt sich diese Frage auf, wenn sich Libertarier auf das Überlagerungsproblem stützen. Dabei kann es von vornherein nicht um den Nachweis des Indeterminismus gehen, schon gar nicht eines Indeterminismus im richtigen Maße an den richtigen Stellen, sondern lediglich darum, einen Spielraum für die libertarische Sichtweise auf Entscheidungen und auf moralische Verantwortung zu gewinnen. Der Libertarier weist auf diese Weise die ihm von Deterministen unter Berufung auf physikalische Theorien aufgebürdete Beweislast zurück: Wir müssen gar nicht, so die libertarische Replik, besondere Konstellationen im Gehirn annehmen, denn die Physik liefert uns gar keinen (weitgehenden) Determinismus im makroskopischen Bereich, und ebenso wenig haben wir Anlass zu meinen, das Gehirn lasse sich beim Entscheiden als eine deterministische „nomologische Maschine“ auffassen. Deshalb dürfen wir ruhig davon ausgehen, dass wir beim Entscheiden nicht determiniert und die Zukunft ontisch offen ist. Aber dürfen oder sollten wir tatsächlich davon ausgehen, oder bräuchten wir nicht vielmehr positive und spezifischere Hinweise auf eine solche Offenheit? Analoge Fragen nach der Verteilung der Beweislast stellen sich bei den konzeptuellen Problemen libertarischer Positionen. Ich bin in Kapitel 16 zu dem Schluss gekommen, dass es dem Libertarismus nicht gelingt, zwischen der Skylla des Determinismus und der Charybdis des Zufalls hindurch zu steuern und eine dritte Möglichkeit aufzuweisen, auf die sich das libertarische Verständnis von Entscheidungen stützen könnte. Diesen Schluss habe ich jedoch nicht durch ein positives Unmöglichkeitsargument abzusichern versucht, so dass die Frage naheliegt, was denn seitens des Libertarismus hier eigentlich zu leisten ist. Warum
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reicht es für ihn nicht aus zu sagen, bei normalen menschlichen Handlungen liege weder Zufall noch Determination vor, sondern ein Drittes, das die Person im einschlägigen Sinne frei und verantwortlich mache? Dazu habe ich bemerkt, dass es für so hochstufige Phänomene wie menschliches Handeln, rationales Entscheiden und moralische Verantwortung nicht angehe, zumindest sehr dubios sei, dergleichen einfach zu postulieren, aber bürdet man damit der libertarischen Seite nicht zu Unrecht eine Begründungslast auf? Wer sagt denn, dass man hinter den Begriff einer emphatisch verstandenen Aktivität in der Analyse menschlicher Handlungen zurück kann? Diese Aktivität ist eben etwas nicht Determiniertes, aber auch nichts Zufälliges – Punkt. Die Kategorien, die für die „passive“ Natur erschöpfend sein mögen, versagen hier eben. Wer das leugnet, so könnten Libertarier replizieren, müsste erst einmal zeigen, dass es sich nicht so verhalten könne, denn schließlich verstünden wir uns ja als Handelnde wie von ihnen expliziert. Wenn es wahr ist, dass wir in unserem praktischen Selbstverständnis und unseren moralischen Einstellungen auf den Indeterminismus festgelegt sind – und das habe ich für Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person und in bestimmter Hinsicht auch für moralische Verantwortlichkeit bejaht – dann, so könnte man alles in allem meinen, hat die Beweislast, wer die Realität der Implikationen unserer diesbezüglichen Einstellungen leugnet. Er muss zeigen, dass starke Gründe vorliegen zu meinen, dass die Voraussetzungen unseres Selbstverständnisses nicht erfüllt sind: entweder, weil sie aus konzeptuellen Gründen nur schwer oder gar nicht erfüllbar scheinen, oder weil sie, obwohl erfüllbar, doch de facto nicht erfüllt sind. Der berüchtigte „Skeptiker“ ist es, der hier die Arbeit leisten muss; solange eine Pattsituation besteht, schlägt diese zugunsten der libertarischen Position aus, die unser bewährtes Selbstverständnis artikuliert. Zu dieser Asymmetrie gelangt man tatsächlich aber nur dann, wenn man bestimmte Aspekte unseres Selbst- und Weltverständnisses vernachlässigt und andere stark betont. Unser Alltagsdenken, unsere „vortheoretischen Einstellungen“ hinsichtlich menschlichen Handelns, Entscheidens und moralischer Verantwortung sind keineswegs so eindeutig libertarisch, wie Inkompatibilisten gerne behaupten.²⁶³ In Wahrheit gibt es eine Spannung in unserem Alltagsdenken, die sich in die philosophischen Debatten hinein fortsetzt. Dass ich die Sachlage so einschätze, ist angesichts der Positionen, die ich in dieser Arbeit bezogen habe, nicht überraschend. Ich habe an den entsprechenden Stellen meine Gründe dafür
Das Zitat von Geert Keil zu Beginn von . ist dafür charakteristisch. Nahmias, Morris, Nadelhoffer und Turner ( und , jeweils Abschnitt ) bringen zahlreiche Beispiele aus der englischsprachigen Literatur.
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vorgebracht. In dieselbe Richtung weisen aber auch empirische Studien, bei denen Studierende aus philosophischen Einführungskursen zu verschiedenen Szenarien befragt wurden, bevor das Problem der Willensfreiheit in ihrem Kurs zur Sprache kam.²⁶⁴ Die besagten Szenarien sind deterministischer Natur, und die Befragten mussten angeben, ob die Person in dem jeweiligen Szenario a) aus eigenem freien Willen handelt, b) für ihr Tun moralisch verantwortlich ist, und c) anders entscheiden könnte.²⁶⁵ Das erste Szenario ist folgendes: Imagine that in the next century we discover all the laws of nature, and we build a supercomputer which can deduce from these laws of nature and from the current state of everything in the world exactly what will be happening in the world at any future time. It can look at everything about the way the world is and predict everything about how it will be with 100 % accuracy. Suppose that such a supercomputer existed, and it looks at the state of the universe at a certain time on March 25, 2150 AD, 20 years before Jeremy Hall is born. The computer then deduces from this information and the laws of nature that Jeremy will definitely rob Fidelity Bank at 6:00 pm on January 26, 2195. As always, the supercomputer’s prediction is correct; Jeremy robs Fidelity Bank at 6:00 pm on January 26, 2195. (Nahmias et al. 2005, S. 566)
Eine klare Mehrheit der Probanden – um die 80 % – hält Jeremy für moralisch verantwortlich, und ungefähr ebenso viele meinen, dass er aus eigenem freien Willen handelt. Weniger, aber immerhin noch ungefähr 65 % aller Befragten meinen, dass Jeremy sich entscheiden könnte, die Bank nicht auszurauben. Interessanterweise ist es allein der letztere Punkt, der stark beeinflusst wird, wenn Jeremy anstelle einer verbrecherischen Handlung (Banküberfall) eine gute (Kind aus brennendem Haus retten) oder eine neutrale Handlung (joggen gehen) ausführt. Während sowohl bei positiv bewerteten als auch bei neutralen Aktivitäten die Zustimmung zu der moralischen Verantwortlichkeit Jeremys als auch zu seinem freien Wollen unverändert hoch bleibt, sinkt die Quote derer, die meinen, dass Jeremy sich unter den angegebenen Umständen entscheiden könne, das Kind nicht zu retten bzw. nicht joggen zu gehen, auf etwa 40 % ab. In einem anderen Szenario wurden eine moralkonforme und eine moralwidrige Handlung direkt einander gegenüber gestellt: Imagine there is a world where the beliefs and values of every person are caused completely by the combination of one’s genes and one’s environment. For instance, one day in this
Wie bei den meisten Experimenten der „behavioural sciences“ wurden auch hier Studierende als Probanden genommen. Das ist, um das mindeste zu sagen, ungünstig, die Verallgemeinerbarkeit der so erzielten Resultate fraglich. Siehe dazu sehr aufschlussreich Henrich, Heine und Norenzayan (). Nahmias et al. (, )
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world, two identical twins, named Fred and Barney, are born to a mother who puts them up for adoption. Fred is adopted by the Jerksons and Barney is adopted by the Kindersons. In Fred’s case, his genes and his upbringing by the selfish Jerkson family have caused him to value money above all else and to believe it is OK to acquire money however you can. In Barney’s case, his (identical) genes and his upbringing by the kindly Kinderson family have caused him to value honesty above all else and to believe one should always respect others’ property. Both Fred and Barney are intelligent individuals who are capable of deliberating about what they do. One day Fred and Barney each happen to find a wallet containing $1000 and the identification of the owner (neither man knows the owner). Each man is sure there is nobody else around. After deliberation, Fred Jerkson, because of his beliefs and values, keeps the money. After deliberation, Barney Kinderson, because of his beliefs and values, returns the wallet to its owner. Given that, in this world, one’s genes and environment completely cause one’s beliefs and values, it is true that if Fred had been adopted by the Kindersons, he would have had the beliefs and values that would have caused him to return the wallet; and if Barney had been adopted by the Jerksons, he would have had the beliefs and values that would have caused him to keep the wallet. (Nahmias et al. 2005, S. 570)
Hier meinten ebenfalls fast 80 % der befragten Personen, dass sowohl Fred als auch Barney aus eigenem freien Wollen handeln, etwas weniger meinten, dass die beiden sich jeweils anders entscheiden könnten, und 60 % hielten die beiden für moralisch verantwortlich. Es gab keine nennenswerten Unterschiede zwischen der diesbezüglichen Einschätzung der moralisch richtigen und der falschen Handlungsweise. Es kann nun nicht darum gehen, philosophische Konzeptionen auf Befragungen dieser Art zu stützen. Die Antworten sind von „Laien“, wurden relativ spontan gegeben, und sind nach menschlichem Ermessen nicht kohärent.²⁶⁶ Offenbar hängt viel davon ab, in welchen Termini die Fälle geschildert werden; so berichten die Autoren, dass man die Wörter „Determinismus“ und „determiniert“ vermeiden müsse, da viele Probanden meinen, sie würden per definitionem den Ausschluss der Willensfreiheit bedeuten, und sie im Sinne des Fatalismus interpretieren.²⁶⁷ Derartige Details illustrieren die Schwierigkeiten bei der Auswertung solcher Experimente: Während die Reaktion der meisten Probanden auf das Reizwort „Determinismus“ zunächst einmal Wasser auf die Mühlen der Inkompatibilisten darstellt, können Kompatibilisten damit kontern, diese Probanden würden darunter etwas anderes verstehen als Philosophen in der Willensfrei Inkonsistenzen lassen sich nicht ohne weiteres aus den Antworten allein ablesen, sondern bestehen nur vor einem Hintergrund zusätzlicher Annahmen, von denen es oft zwar wahrscheinlich, aber nicht ausgemacht ist, dass sie von der Versuchsperson geteilt werden. Nicht, dass Inkohärenzen nichts Alltägliches wären, aber ihr sicherer Nachweis kann gegen ein weit getriebenes „Nachsichtigkeitsprinzip“ bei der Interpretation von Äußerungen (und Handlungen insgesamt) schwierig werden. Siehe Nahmias et al. (), S. und Fn. .
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heitsdebatte. Trotz solcher Schwierigkeiten lässt sich aber sagen, dass die Resultate ein im Großen und Ganzen inkompatibilistisches Alltagsverständnis von Willensfreiheit, moralischer Verantwortung und Entscheidungsalternativen nicht stützen. Eher im Gegenteil – die meisten Fragen werden von einer deutlichen Mehrheit der Probanden im kompatibilistischen Sinne beantwortet. Die Gegenstimmen sind freilich auch immer vorhanden und bilden niemals eine zu vernachlässigende Größe.²⁶⁸ Selbstverständlich kann man sagen, die Befragten könnten die betreffenden Fälle nicht kompetent beurteilen. Ich selber habe ja eine inkompatibilistische Haltung in Bezug auf Entscheidungsalternativen (wenigstens aus der Perspektive der 1. Person) vertreten, und ich möchte meinen Standpunkt nicht aufgeben, bloß weil bis zu 75 % (manchmal zum Glück auch nur knapp 40 %) der Probanden diesbezüglich kompatibilistische Einschätzungen abgeben. Diese irren sich eben: Wenn sie nur richtig nachdächten, würden sie die inkompatibilistische Diagnose teilen (hoffe ich). Auch zeigen, wie gesagt, die doch sehr unterschiedlichen Prozentzahlen bei den verschiedenen Szenarien, dass ein bedeutender Anteil der Befragten prima facie inkonsistente Ansichten äußert. Es geht also nicht darum, diesen Antworten in irgendeiner Weise philosophischen Kredit zu geben, sondern schlicht um die Behauptung, unser „vortheoretisches“ Alltagsdenken sei inkompatibilistisch oder libertarisch. Davon kann nach den referierten Ergebnissen keine Rede sein.²⁶⁹ Eine andere Studie kommt dagegen zu dem Schluss, dass Probanden, wenn es um moralische Verantwortlichkeit geht, sowohl in abstracto als auch bei eher harmlosen Delikten überwiegend inkompatibilistische, bei hässlichen Verbrechensszenarien aber überwiegend kompatibilistische Einschätzungen abgeben.²⁷⁰ Die Autoren tendieren dazu, letzteres durch emotionale Überwältigung zu erklären und ersteres für „kognitiv“ zu halten, wonach die Intuitionen von Laien, recht bedacht, doch überwiegend inkompatibilistisch wären. Dieses Resultat steht, sofern es sich auf konkrete Szenarien mit leichten Delikten bezieht, im Der Minimalwert von % wird dort erreicht, wo Jeremy ein Kind aus einem brennenden Haus rettet. % der Befragten halten ihn bei dieser Handlung trotz der Vorhersage des Supercomputers für moralisch verantwortlich. Aber auch bei dem Bankraub sind es immerhin %, so dass man nicht sagen kann, die Resultate passten gut zu Susan Wolfs Position, der zufolge es für Freiheit und moralische Verantwortlichkeit darauf ankommt, dass man die ontische Möglichkeit hat, das Richtige zu erkennen und es aus dieser Erkenntnis heraus zu tun, wohingegen die Möglichkeit, es zu verfehlen, nicht wesentlich sei. Nahmias et al. (, Abschnitt ) setzen sich relativ ausführlich mit verschiedenen möglichen Versuchen auseinander, diese Konklusion zu bestreiten. Übrigens bezeichnen sich von den vier Autoren des Aufsatzes zwei als Kompatibilisten, zwei als Inkompatibilisten. Nichols und Knobe ()
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Widerspruch zu den eben besprochenen Befunden. Die Diskrepanz lässt sich unter anderem durch unterschiedliche Charakterisierungen des Determinismus erklären: Nichols und Knobe verwenden im Vergleich zu Nahmias et al.viel stärker offen modale Ausdrücke wie „necessary“, „had to happen“, etc. Auch bei der Studie von Nichols und Knobe gibt es aber in jeder Richtung erhebliche Prozentzahlen von „Abweichlern“, und die Gegenüberstellung von emotionalen Reaktionen auf bestimmte konkrete Fälle und eher „kognitiven“ Urteilen bei abstrakten Beschreibungen ist spekulativer Natur. Außerdem ist nicht klar, warum sie, wenn sie sich erhärten lassen sollte, zugunsten der letzteren und damit zugunsten des Inkompatibilismus ausschlagen würde. Hier wird unter der Hand die Frage,was unsere Alltagsintuitionen oder vortheoretischen Urteile seien, mit der Frage vermengt, wie viel Kredit Philosophen ihnen geben sollten. Es ist in Wahrheit allenfalls die letztere Frage, die tendenziell negativ zu beantworten ist, sobald nachgewiesen wird, dass „Emotionen im Spiel“ sind, aber auch das ist begründungsbedürftig. Man könnte dagegen geradezu sagen, dass erst bei hässlichen Verbrechen den Befragten klar wird, was auf dem Spiel steht, und sie dann ganz zu Recht nicht mehr auf den Gedanken kommen, allgemeine Erwägungen über determinierende Faktoren als moralisch entlastend gelten zu lassen. Was auch immer hier die richtige Analyse ist – auch diese Studie zeigt sehr deutlich die im Alltagsdenken inhärenten Spannungen bei der Frage nach dem Verhältnis von moralischer Verantwortung und Determinismus.²⁷¹ Dass Konzepte wie „Handlungsalternative“, „moralische Verantwortung“ und „freies Wollen“ inkompatibilistisch seien, ist somit etwas, das sich als Ergebnis einer eingehenden philosophischen Analyse einstellen kann, aber auch erst einstellen muss. Es ist nicht etwas, das „wir alle“, sofern wir nicht philosophisch verbildet sind, immer schon annehmen, das als ein natürlicher Ausgangspunkt dieser Analyse dienen und so der kompatibilistischen Seite eine Beweislast aufbürden könnte, die sich dann in der Lage sähe, eine artifizielle Rekonstruktion von und ein kompatibilistisches Surrogat für etwas anbieten zu müssen, das normalerweise indeterministisch aufgefasst wird. Ich vermute, dass sich ähnlich uneinheitliche Resultate ergeben würden, wenn man die Intuitionen von nicht einschlägig vorbelasteten Probanden zu der Frage der faktischen Determiniertheit menschlicher Handlungen (die vielleicht wiederum nicht so genannt werden dürfte) abfragte. Nichols und Knobe präsentieren auch dazu ein Resultat, demzufolge die meisten Befragten – nämlich sogar etwas mehr als 90 % – menschliche Entscheidungen für indeterminiert halten. Die Frage wurde den Probanden in einer abstrakten Formulierung gestellt,
Siehe dazu auch Feltz et al. () sowie Vf. ().
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die impliziert, dass man in einer determinierten Welt „nicht anders kann“ und damit insbesondere voraussetzt, dass kompatibilistische Analysen des Anderskönnens falsch sind. Nun meine ich das zwar auch, aber das ist nichts, das man beim Abfragen von Alltagsintuitionen bereits voraussetzen dürfte.²⁷² Insgesamt liegen in diesem Bereich noch zu wenige Ergebnisse vor, aber der Gedanke, dass Entscheidungen zumindest manchmal durch Charakter und Situationsumstände festgelegt sind und so im Prinzip vollständige Erklärungen zulassen, aus denen hervorgeht, wieso eine Person in einer bestimmten Situation etwas Bestimmtes tut, scheint nun wirklich nicht besonders fern zu liegen, ebensowenig wie der, dass man sich in vielen Hinsichten auf eine Person verlassen kann. Umgekehrt gibt es sicherlich auch die Vorstellung, dass wir einer offenen Zukunft entgegen gehen, die wir erst durch unsere Entscheidungen so oder so fixieren. Beide Seiten gehören zum Alltagsdenken, und je nachdem, wie man ein bestimmtes Szenario genau formuliert, und je nachdem, in welche Richtung die befragte Person eher denkt, wird sie in ihrer Antwort stärker von den in Richtung eines Determinismus weisenden oder stärker von den gegenteiligen Überlegungen beherrscht sein. Bei Laienbefragungen der dargestellten Art und zu dem Verhältnis von vortheoretischem Denken und philosophischer Reflexion stellen sich zahlreiche Fragen, deren Beantwortung erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Resultate der empirischen Erhebungen haben kann. Wie genau verstehen die Befragten die vorgelegten Szenarien? Verstehen sie sie überwiegend ähnlich? Haben viele Probanden deutlich ausgeprägte Intuitionen, so dass sie ihre jeweilige Antwort ohne zu zögern und mit einem Gefühl der Sicherheit geben, oder ist eine Mehrheit schwankend und antwortet, mit konfligierenden Intuitionen ausgestattet, erst nach einigem Hin und Her? Sind die Prozentzahlen spezifisch für eine bestimmte Gruppe? Inwiefern kann von einem Alltagsdenken die Rede sein; um wessen Denken geht es genau? In welchem Ausmaß enthalten unsere vortheoretischen Urteile abgesunkenes philosophisches Gedankengut, was die Trennung von der philosophischen Reflexion im Extremfall bis zur Unmöglichkeit erschweren würde? Hier ist zweifellos viel aufzuklären, für die Frage der Beweislast, um die es jetzt geht, ist das aber alles nicht entscheidend. Eine Eindeutigkeit und Einhelligkeit in unseren vortheoretischen Urteilen, die es erlauben würde, Kompatibilisten eine Begründungslast aufzubürden, existiert jedenfalls nicht.
Siehe auch Nichols () und besonders die Diskussion Nichols (a), Nahmias () und Nichols (b). Nahmias versucht gegen Nichols zu zeigen, dass nur ein neurophysiologischer Determinismus, bei dem gleichzeitig die Reduzierbarkeit mentaler auf GehirnZustände angenommen wird, den Intuitionen einer überwiegenden Mehrheit im Hinblick auf menschliche Entscheidungen zuwider läuft, nicht aber ein psychologischer Determinismus.
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Alles in allem ist es daher nicht gerechtfertigt, denjenigen, der die Möglichkeit oder Wirklichkeit libertarischer Freiheit bezweifelt, als einen Skeptiker vorzustellen. Es scheint eher so zu sein, dass die divergierenden philosophischen Positionen sich in der einen oder anderen Weise sämtlich auf bestimmte Züge des Alltagsdenkens berufen können, das in diesem Bereich nur sehr schwer kohärent zu rekonstruieren ist, zumindest starke interne Spannungen aufweist. Keine der gängigen philosophischen Positionen behauptet etwas prima facie Extraordinäres; ihre Vorzüge und Probleme zeigen sich erst bei näherer Untersuchung, nicht aber bereits dadurch, dass, pauschal gesprochen, von vornherein kontraintuitive Standpunkte bezogen werden. Nachtragen möchte ich, dass ich das Problem der Beweislast hier allein in theoretischer Hinsicht betrachte. Es ist die theoretische Würdigung der libertarischen ebenso wie der kompatibilistischen Position, die sich wegen der angedeuteten Ausgangslage meines Erachtens nicht auf Begründungslasten berufen kann, die die andere Seite angeblich hat, aber nicht bedient. Was es dagegen für unsere Praxis und unsere Einstellungen zu uns selber und zu anderen bedeutet oder bedeuten sollte, dass etwa, wie ich meine, eine überzeugende libertarische Konzeption von Entscheidungen und moralischer Verantwortung nicht vorliegt, ist eine ganz andere Frage. Ich habe in dieser Arbeit durchweg keinen Standpunkt zu Fragen dieser Art bezogen.²⁷³ Auch wenn sich aufgrund philosophischer Reflexion etwa herausstellen sollte, dass wir in keinem halbwegs plausiblen Sinne für unser Tun moralisch verantwortlich sind, also ein harter Inkompatibilismus begründet werden könnte, der weit über das hinausgeht, was hier vertreten wurde, kann doch keine Rede davon sein, dass wir allein deswegen unsere moralischen Einstellungen ändern sollten. Eine „illusionistische“ Position, der zufolge unsere moralische Praxis mit theoretisch unhaltbaren Annahmen durchsetzt, im Vergleich zu möglichen Alternativen aber eine durchaus positiv zu bewertende Angelegenheit und ihre Beibehaltung daher wünschenswert ist, bleibt möglich.²⁷⁴ Will man Thesen dieser Art diskutieren, dann kommen neue Gesichtspunkte ins Spiel, die hier nicht Thema waren.
Mit einer eng verwandten Frage, nämlich nach den diesbezüglichen Konsequenzen einer deterministischen Weltsicht, hat sich besonders gründlich Honderich () auseinandergesetzt. Siehe Smilansky ().
Fazit Beim Ausbuchstabieren unseres Selbstverständnisses als Handelnden gelingt es der kompatibilistischen Seite nicht, den Vorgang des Entscheidens aus der Perspektive der 1. Person plausibel so zu rekonstruieren, dass sich das Subjekt dabei gleichzeitig als determiniert betrachten könnte. Zudem ist moralische Verantwortlichkeit kompatibilistisch nur in einem vergleichsweise anspruchslosen Sinne zu haben.Wichtige Züge unserer moralischen Praxis lassen sich aber auch vor dem Hintergrund eines kompatibilistischen Verantwortungsbegriffs verstehen, und daher ist seine Situation in dieser Frage nicht so ungünstig. Die Unterschiede und Übergänge zwischen Kompatibilisten, die die Vereinbarkeit von moralischer Zurechenbarkeit und Determinismus behaupten, Revisionisten, die unsere Vorstellungen von Verantwortung kompatibilistisch reformieren möchten, und harten Inkompatibilisten, denen zufolge wir für unser Handeln nicht verantwortlich sind ganz gleich wie es mit dem Determinismus steht, die manchmal aber einen kompatibilistischen Ersatz für „echte“ Zurechenbarkeit anbieten, sind gradueller Natur.²⁷⁵ Das gilt insbesondere deshalb, weil erklärte Kompatibilisten nicht leicht bereit sind, von ihren Konzeptionen etwa implizierte Revisionen unserer Einstellungen als solche anzuerkennen. In der deutschsprachigen Philosophie ist Moritz Schlick das klassische Beispiel für jemanden, der sich nur deshalb als Kompatibilist sehen kann, weil er den Reformcharakter seiner Auffassungen verkennt.²⁷⁶ Er vertritt eine durch und durch „vorwärts schauende“ Konzeption von strafrechtlicher und moralischer Verantwortung, von Vorwürfen und Selbstvorwürfen. Ähnlich verteidigt Ulrich Pothast eine pragmatisch-soziale Konzeption moralischer Verantwortung, bei der der Witz von Schuldzuweisungen die Selbsterkenntnis des Akteurs und die Veränderung seiner Einstellungen ist.²⁷⁷ Pothast würde sich als Revisionisten betrachten, aber er hätte auch sagen können, er sei ein harter Inkompatibilist, denn schließlich „ergibt sich für die herkömmliche Verantwortlichkeit, dass ihr eine Fundierung in einer plausiblen Theorie des freien Handelns bis auf weiteres fehlt.“²⁷⁸ Unter den neueren Arbeiten verteidigt Achim Lohmar die These der moralischen Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit in einem anspruchsvollen Sinne; er ist nun aber ein Kompatibilist ohne Abstriche, denn Reformelemente spielen bei ihm keine
Diese Dreiteilung und die entsprechenden Übergänge werden beispielhaft illustriert durch die Diskussion zwischen Fischer, Vargas und Pereboom in Fischer et al. (). Siehe Schlick (), Kap. VII. Pothast (), Kap. X Siehe dort, S. .
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Rolle.²⁷⁹ Auch Julius Schälike repräsentiert dieses Lager, fordert uns aber auf, bestimmte Intuitionen hinsichtlich verminderter oder fehlender moralischer Verantwortung in Fällen „schwerer Kindheit und Gehirnwäsche“ aufzugeben.²⁸⁰ Durch sukzessive Gradunterscheide können erhebliche Differenzen entstehen, aber es ist trotzdem auffällig, dass es einerseits viele Kompatibilisten gibt, die sich auch bei wohlwollender Lesart keine Mühe geben, alle unsere Intuitionen in Bezug auf moralische Verantwortung einzufangen, sondern eher eine rationale Rekonstruktion anbieten, bei der bestimmte Modifikationen von vornherein einkalkuliert sind, und andererseits harte Inkompatibilisten, die unsere moralische (und juristische) Praxis nicht abschaffen, sondern einer zugegebenermaßen radikalen Reform unterziehen möchten.²⁸¹ Ein harter Inkompatibilismus muss selbstverständlich nicht mit Reformvorschlägen aufwarten. Galen Strawson und Barbara Guckes beschränken sich wie das vorliegende Buch auf theoretische Diagnosen, ohne nach deren praktischen Konsequenzen zu fragen.²⁸² Die umfassendste Untersuchung solcher Konsequenzen bietet Ted Honderich.²⁸³ Schließlich kann man auch den Gedanken aufgeben, eine Praxis müsse theoretischer Reflexion standhalten.²⁸⁴ Im weitesten Sinne könnte man alle diese Positionen als revisionistisch und kompatibilistisch bezeichnen, wobei die für nötig erachteten Revisionen erheblich differieren und Uneinigkeit darüber besteht, was überhaupt als Revision zu bezeichnen ist, als auch darüber, wie stark dadurch der Kern der Sache betroffen ist. Vergleichbare Manöver scheinen der kompatibilistischen Partei beim Blick des Subjekts auf die eigenen aktuellen Entscheidungen nicht zur Verfügung zu stehen.Wenn ich Recht habe, gibt es hier keinen Spielraum, und es muss bei einer Irrtumstheorie bleiben: Im Entscheiden vermeinen wir, aus in einem ontischen Sinne offenen Möglichkeiten eine auszuwählen, in einer deterministischen Welt wäre das jedoch niemals der Fall. Der libertarischen Seite gelingt es nicht, den Indeterminismus in der Entstehungsgeschichte menschlicher Entscheidungen so zu explizieren, dass ein relevanter Unterscheid zum bloßen Zufall deutlich würde. Zudem hat sie große Schwierigkeiten mit den zahlreichen Fällen praktischer Kompetenz, in denen wir uns auf uns selbst oder andere hinsichtlich des Treffens und der Umsetzung der richtigen oder einer adäquaten Entscheidung verlassen können. Schließlich ist auch offen, ob die Welt an den richtigen Stellen und im richtigen Maße indeter-
Lohmar () Schälike (), Kap. . Siehe z. B. Pereboom (), Kap. – . Strawson (), Guckes () Honderich () Smilansky ()
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ministisch ist. Soweit wir wissen, könnten alle unsere Gedankengänge, Entscheidungen und Handlungen determiniert sein. Es gibt kein Phänomen, das dagegen spricht. Unser Selbstverständnis beim Entscheiden mitsamt seinen Implikationen, die erst einmal herauspräpariert sein wollen, ist kein solches Phänomen, weil Determinismus und Indeterminismus Angelegenheiten der Tiefenstruktur der Wirklichkeit sind, die sich an der Oberfläche nicht einfach zeigen.Wir sind in unseren Handlungen teilweise vorhersehbar, teilweise nicht. Es mag sein, dass im letzteren Fall gar keine zureichenden Ursachen existieren, oder es mag sein, dass sie zu komplex oder verborgen sind. Einerlei – unsere Rede von Handlungsalternativen und unsere Praxis des Verantwortlichmachens hätte sich so oder so in genau derselben Weise entwickeln können, und alles würde sich auf genau dieselbe Weise ausnehmen. Wohl können dabei (implizite) Annahmen des Indeterminismus im Spiel sein – das ist es, wofür ich argumentiert habe – es wäre aber sozusagen ein glücklicher Zufall, wenn diese Annahmen zutreffend wären. Der Indeterminismus ist aus der Perspektive der 1. Person eine Voraussetzung des Entscheidens zwischen Handlungsalternativen, und insofern kann man sagen, wir hätten den „Eindruck“, beim Entscheiden nicht determiniert zu sein, tatsächlich aber führt diese Ausdrucksweise in die Irre. Im eigentlichen Sinne gibt es keinen solchen Eindruck, kein Datum, das wir empfangen und das uns den Anschein des Indeterminismus vermittelte. Eine Präsupposition ist etwas anderes als ein Phänomen.²⁸⁵ Auch bei einer Lösung des Zufallsproblems und bei genügend Hinweisen auf einen Indeterminismus im richtigen Maße an den richtigen Stellen würde das Problem unserer Unterstellung praktischer Kompetenz, des Sich-verlassen-Könnens auf uns selber und auf andere in vielen Kontexten, bleiben. Ich empfinde es als das gravierendste Problem eines Libertarismus. „Er wird uns gewiss nicht in dieser Situation sitzen lassen.“ Selbstverständlich kann oder könnte er uns sitzen lassen in dem Sinne, dass er würde, wenn er wollte. Aber so etwas würde er eben nie wollen – er würde sich niemals dafür entscheiden. Möchte man trotzdem sagen, er könnte sich in einem unbedingten Sinne dafür entscheiden, dies sei ontisch offen? Aber warum meinen wir dann, dass er es nicht tun würde – wenn er doch könnte? Kein Versuch, diese Fälle aus inkompatibilistischer Sicht befriedi-
Zum Vergleich: Der große Erfolg einer Modellierung der klassischen Glücksspiele mit Wahrscheinlichkeiten sagt als solcher nichts darüber aus, ob das Resultat in jedem einzelnen Fall durch die jeweiligen Anfangsbedingungen determiniert ist oder ob echter Zufall regiert.Wir haben auf dieser Stufe unserer Wahrnehmung und unserer Beschreibungen schlicht keine Möglichkeit, zwischen den beiden Fällen zu unterscheiden. Es wäre deshalb nicht richtig zu sagen, der Würfelwurf „erscheine“ uns als indeterminiert. Er erscheint uns nicht als determiniert, aber doch deswegen nicht schon gleich als nicht-determiniert.
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gend zu behandeln, hat überzeugt. Das heißt nicht, dass wir in solchen Situationen schon gleich eine Determination der Handlung annehmen, uns also sicher sind, dass sie vollzogen wird. Wir sind uns typischerweise nur im Hinblick auf die besagte Person sicher. Es mag etwas dazwischen kommen, das sie an der Ausführung der Handlung hindert, aber eben nicht in dem Sinne, dass die Person sich in zurechenbarer Weise anders entscheidet. Es ist ganz unplausibel anzunehmen, dass die dafür erforderlichen tiefgreifenden intellektuellen oder charakterlichen Veränderungen jederzeit kurzfristig möglich seien. Dem Phänomen der Entscheidung oder Handlungswahl scheint somit, zumindest aus der Perspektive der 1. Person, etwas Illusorisches anzuhaften, insofern man damit auf eine Form des Indeterminismus verwiesen ist, deren konzeptionelle und empirische Einlösbarkeit äußerst zweifelhaft ist. Zudem besteht, wie gesagt, eine Spannung mit deterministischen Implikationen bei Selbstzuschreibungen praktischer Kompetenz. Ist es aber glaubhaft, dass ein alltägliches Phänomen wie das Treffen von Entscheidungen solche Implikationen hat? Ist nach diesem Fazit nicht mit Händen zu greifen, dass eben doch eine kompatibilistische Analyse des Begriffs der Handlungsoption richtig sein muss, wodurch beide genannten Probleme verschwinden würden? An diesem Punkt stellt sich wiederum eine Beweislastfrage. Es geht diesmal nicht um die Behauptung, unsere Alltagsintuitionen seien libertarischer Natur und deshalb liege die Latte für Kompatibilisten und Deterministen hoch, sondern um die Behauptung, unsere praktischen Einstellungen könnten uns unmöglich auf eine abwegige oder gar inkonsistente Metaphysik festlegen, oder auch nur auf Verhältnisse, deren tatsächliches Bestehen generell zweifelhaft sei. Wir stoßen damit auf ein wichtiges Motiv kompatibilistischer wie libertarischer Positionen, das sie bei allen Unterschieden untergründig gemeinsam haben. Mit dem Libertarismus teilt der Kompatibilismus eine konservative Grundtendenz. Unsere gewöhnlichen Ansichten und Einstellungen werden verteidigt: Sie legen uns nicht auf unplausible oder falsche Annahmen fest, nicht zu reden von notwendig falschen oder inkohärenten Annahmen. Und so kombinieren Libertarier ihren Inkompatibilismus, von dem sie aus guten Gründen nicht meinen abrücken zu können, mit der Versicherung, wir hätten ausreichende Gründe zu der Annahme, unsere Welt sei in der richtigen Weise indeterministisch und dieser Indeterminismus laufe in den relevanten Hinsichten nicht auf bloßen Zufall hinaus. Während sie dadurch einige substantielle Festlegungen in Kauf nehmen, die in ihrer Realität erst einmal verteidigt werden wollen und klarerweise möglicherweise falsch sind – und zwar möglicherweise falsch in einem normalen Sinne, der keine speziellen skeptischen Szenarien erfordert – geht Kompatibilisten auch dies noch zu weit. Ihr Projekt wird zum Teil durch den Gedanken motiviert, dass die mit unserem Selbstverständnis und unseren moralischen Einstellungen verbundenen
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Annahmen der philosophischen Reflexion nicht bloß grundsätzlich standhalten, sondern dass dies auch nicht anders sein könne – skeptische Szenarien im engeren Sinne beiseite gesetzt. Kompatibilisten meinen zu Recht, dass der Determinismus doch ganz gut wahr sein könnte, und finden die Idee absurd, dass in diesem Falle niemand für sein Tun verantwortlich sein oder es aus der Perspektive der 1. Person nichts zu entscheiden geben sollte.²⁸⁶ Es versteht sich, dass mit solchen Diagnosen, die die mit bestimmten philosophischen Richtungen einhergehende Stimmung einfangen, wenig über die Qualität ihrer Argumente und nichts über die Wahrheit oder Falschheit der Thesen gesagt ist, aber bei der fundamentalen Frage, was man wie leicht in Kauf zu nehmen bereit ist, spielt dergleichen eine wichtige Rolle. Das Vorherrschen konservativer Positionen in der Willensfreiheitsdebatte der im weiteren Sinne zeitgenössischen Philosophie, die Tatsache, dass deutlich revisionistische Positionen oder ein harter Inkompatibilismus lange Zeit überhaupt nicht vertreten wurden, scheint mir eine historische Besonderheit zu sein.²⁸⁷ Dabei bezieht sich der Konservatismus der Libertarier, verkürzt gesagt, nur auf die aktuale Welt, und dies ist beunruhigend: Wissen wir wirklich, wie diese, und wir mit ihr, beschaffen sind? Der Konservatismus der Kompatibilisten bezieht sich dagegen auf alle möglichen „normalen“ Welten, und damit ist man auf jeden Fall auf der sicheren Seite. So verwundert es nicht, dass auch libertarische Positionen in der analytischen Diskussion lange ums Überleben kämpfen mussten und nur vereinzelt vertreten wurden. Mittlerweile ist das Feld wieder viel offener. Sicherlich ist nicht offensichtlich, dass sich die libertarische Position in keiner Variante erfolgreich ausbuchstabieren lässt. Und jedenfalls hat oder hätte der entsprechende Misserfolg nichts mit der Frage zu tun, inwiefern eine vage, implizite Sichtweise dieser Art unseren praktischen Einstellungen (partiell) zugrunde liegt. Dass Entscheidungen aus der Perspektive der 1. Person und moralische Verantwortlichkeit in einem anspruchsvollen Sinne über den Indeterminismus hinaus etwas vorauszusetzen scheinen, das sich nur sehr schwer artikulieren und einlösen lässt, ist nicht so merkwürdig, gegeben, dass wir in diesen Einstellungen uns selber und uns gegenüber stehende Personen als ein
Besonders deutlich ist dieses Motiv bei Strawson (), seinem Nachfolger Wallace () und Peacocke (, Kap. ). Für Lohmar (, Kap. VI) stellen die von ihm diagnostizierten Probleme des Inkompatibilismus ein zentrales Argument für den Kompatibilismus dar. Es ist zwar die Frage moralischer Verantwortung, die für Strawson,Wallace und Lohmar (nicht jedoch für Peacocke) im Zentrum steht, aber selbstverständlich würden sie Vergleichbares auch und erst recht für Entscheidungen behaupten. Siehe dazu auch die „verwunderte Anmerkung zur Philosophiegeschichte“ von Ulrich Pothast (), Kap. X..
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Ganzes und eine Einheit behandeln, hinter die man hinsichtlich der Genese der Handlung in einem bestimmten Sinne nicht zurück kann. Auch ist nicht von vornherein damit zu rechnen, dass sich die verschiedenen Perspektiven auf die Welt und auf uns selber bruchlos zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen lassen. Worauf uns unsere Einstellungen und Praktiken festlegen, kann selbstverständlich mit anderen Teilen unseres Weltbildes in Konflikt stehen. Sogar innerhalb einer Disziplin wie der Physik und ihrer Anwendungen gibt es Beispiele dafür, dass man je nach Bedarf für denselben Gegenstandsbereich verschiedene Modelle verwendet, die nicht zugleich zutreffend sein können. Wenn man will, kann man dies dadurch ausdrücken, dass man sagt, diese Modelle hätten einander widersprechende metaphysische commitments. Manche dieser Widersprüche sind insofern ersichtlich harmlos, als leicht klarzumachen ist, welche der Modelle nicht realistisch zu verstehen sind, warum man sie trotzdem verwendet und warum sie erfolgreich sind. Wer umfassende Reduktionsthesen vertritt, wird solches durchweg annehmen. Aber der Punkt ist, dass man aufgrund der Komplexität der Wirklichkeit und unterschiedlicher Anforderungen bereits innerhalb der Physik dazu gedrängt wird, verschiedene Modellierungen anzuwenden, die, sofern sie nicht instrumentalistisch aufgefasst werden, unvereinbar sind, und je nach Bedarf mal diese, mal jene zu wählen. Ohne weiteres ist es daher möglich, dass wir im alltäglichen Umgang miteinander ein Menschenbild zugrunde legen, das nicht nur anderen Dingen, die wir zu wissen meinen, implizit widerspricht, sondern auch interne Bruchlinien aufweist. Dass uns unser Selbstverständnis als Handelnde nicht nur in bestimmten Hinsichten auf eine eigentümliche Metaphysik festlegen, sondern darüber hinaus sogar inkohärent sein sollte, ist somit keineswegs abwegig oder überraschend. Die Reflexion zeigt nicht nur in dem hier diskutierten Feld, dass die Festlegungen, die wir intuitiv zu machen geneigt sind, wenn man sie durchdenkt, oft zu inakzeptablen Konsequenzen führen und insbesondere anderen Festlegungen widersprechen. Das ist nicht nur ein Resultat, sondern auch ein wichtiger Ausgangspunkt des Philosophierens. Es gibt keinen Grund, solche Spannungen und Widersprüche durchaus glätten zu wollen, weil man der Meinung ist, die Philosophie müsse im Wesentlichen alles so lassen, wie es ist. Es wäre im Gegenteil verwunderlich, wenn das so wäre. Der Idee, dass es innerhalb unserer vortheoretischen Auffassungen des Handelns eine grundlegende Spannung zwischen dem Sich-Entscheiden und der vollen moralischen Verantwortlichkeit im anspruchsvollen Sinne auf der einen und der prinzipiellen Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit vieler menschlicher Handlungen auf der anderen Seite gibt, stellen sich deshalb keine grundsätzlichen „metaphilosophischen“ Bedenken entgegen. Ich habe versucht zu zeigen, wie es kommt, dass ein Akteur, der sich mit verschiedenen Handlungsoptionen
Fazit
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konfrontiert sieht, sich im Entscheiden einerseits für indeterminiert hält, während er andererseits durchaus und nach menschlichem Ermessen oft zu Recht meinen kann, er werde dank seiner praktischen Kompetenz in Situationen der vorliegenden Art sicherlich die richtige oder eine adäquate Entscheidung treffen und ausführen und sei insofern determiniert. Zudem meinen wir manchmal nachträglich die Ursachen der eigenen Entscheidungen zu sehen und haben dabei keine Schwierigkeit, sie sogar als zureichende Ursachen zu begreifen, die erklären, warum man damals so und nicht anders gehandelt hat. Ebenso gibt bei Entscheidungen Dritter kein prinzipielles Problem mit dieser Betrachtungsweise. Fordern wir allerdings jemanden auf, sich zusammenzunehmen, wobei wir hinzusetzen „es steht allein bei dir“, dann liegt in dieser Evokation, die als ein bloßer Beeinflussungsversuch ganz schief rekonstruiert wäre, wiederum eine Sichtweise auf den anderen als indeterminiert, und damit hängt zusammen, dass es so schwerfällt, moralische Verantwortung in einem anspruchsvollen Sinne als mit dem Determinismus kompatibel zu sehen. All das ergibt sich, so meine ich, aus der Natur der Sache, und man wird den jeweiligen Perspektiven nicht gerecht, wenn man, um Kohärenz herzustellen, entweder die Vereinbarkeit der einen mit dem Determinismus erzwingen will oder in die andere künstlich einen Indeterminismus einführt. Im ersten Fall erhält man schräge Rekonstruktionen, die in Wahrheit tiefgreifende Revisionen sind, im zweiten Fall könnte ein Indeterminismus zwar de facto immer vorhanden sein, aber oft spricht gar nichts für ihn und er bleibt sachlich ein Fremdkörper. Entscheidungen sind eben, wenn man nicht gerade dabei ist sie zu treffen, Phänomene wie andere auch, und selbstverständlich ist es denkbar, dass sie zureichende Ursachen haben, und selbstverständlich können wir diese suchen und bisweilen finden. Die Spannung lässt sich nur auf Kosten des Eigenrechts einer der Perspektiven auflösen.
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Cartwright, N. 62, 84, 88, 313 – 317 ceteris-paribus-Klausel 8, 67, 77, 84, 87 Chaos 66 – 67, 71, 77, 83 Chisholm, R. 300 – 304, 308 Clarke, R. 304 Damasio, A. 99, 199 Dan-Cohen, M. 253 Datiertheitsproblem 304 – 305 Davidson, D. 113, 116 – 117 Dennett, D. 94, 102, 129, 199 – 200, 262, 303 Determination siehe Determinismus Determinismus 1 – 4, 15, 47 – 90, 97 – 98, 111 – 113, 122, 125 – 126, 130 – 146, 161, 177, 181, 189 – 193, 204, 210, 212 – 213, 218 – 228, 250, 252 – 261, 288, 310, 320, 330 – formaler / funktionaler 55 – 60, 85, 89, 99 – logischer 49 – 51 – vertikaler / synchroner 96 – 97 Disposition 85 – 88, 130 – 131, 156 – 158, 162, 174, 278, 293 – 295, 314 – 315 Dorato, M. 83 – 84 Dowe, P. 53, 61 Dretske, F. 128 – 129 Duhem, P. 313 Earman, J. 49, 57, 67 – 68, 75 Ekstrom, L. 267, 303 Emergenz 99 Englich, B. 198 Entscheidung, entscheiden 1 – 3, 12 – 13, 16 – 28, 132 – 135, 139, 145, 150 – 151, 158 – 162, 170 – 174, 179 – 188, 193 – 197, 276 – 278, 281 – 285 Entscheidungstheorie 39 – 40, 42, 186 – 188, 310 – 311 Entschluss 13 – 27, 38, 73, 132 – 135 Epiphänomenalismus 98 – 102, 104, 106 – 107, 135 Erklärung, erklären 1, 11, 13, 17, 43 – 44, 51, 53 – 54, 58, 65, 86, 89 – 90, 100, 113 – 115, 175, 177, 182, 196, 212, 217 – 219,
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Index
250, 253 – 254, 276 – 281, 283, 286 – 287, 289 – 290, 294 – 295, 298, 303, 308 – 309, 313, 325 – kontrastive 286 – 287, 290, 293, 298 Erklärungslücke 279 – 280, 286 – 287, 294 – 295, 308 – 309 Externalismus 99 Fähigkeit 122, 125 – 131, 143, 153, 158, 168 – 180, 199 – 200, 210 – 211, 227, 293 – 295, 307 Falkenburg, B. 60 Fatalismus 155, 322 Feltz, A. 154, 324 Festlegung siehe Determination Fischer, J. M. 127, 175, 240, 327 Frankfurt-Beispiele 237 – 247, 258 Frankfurt, H. 9, 92, 228 – 254, 308 Frankish, K. 32 Frede, M. 24, 29 Funktion 43, 50 – 51, 129 – 130, 155, 158, 217 – 218 Funktionalismus 14, 99 Gauthier, D. 75 Gettier, E. 32, 237 Geyer, C. 96, 101, 221 Giere, R. 84 Ginet, C. 136, 300 Goldman, A. 76 Grund/Gründe 1, 3, 11 – 13, 17 – 18, 42 – 46, 62, 72, 76, 114 – 117, 204 – 205, 209 – Beweg- siehe Motiv – praktischer 33 – 34, 42 – 44, 46, 91 – 94, 111, 147, 150 – 151, 154 – 158, 160 – 162, 168 – 175, 198 – 203, 213 – 215, 220, 230, 276 – 279, 280 – 283, 286 – 289, 293 – 295, 299 – 300 – Rechtfertigungs-/normativer 43 – 45, 220 – 226, 250 – 251 – theoretischer/epistemischer 32 – 34, 42 – 43, 46, 203 – 205, 208 – 209, 220 Guckes, B. 228, 242, 328 Haag, J. 30 Haggard, P. 102, 105 Hájek, A. 149, 184, 262
Halbach, V. 30 Hall, N. 85 Hameroff, S. 290 Handlung, handeln 1 – 33, 113 – 118, 122 – 131, 228 – 237, 276 – 280 Handlungs– ‐absicht siehe Absicht – ‐begriff 7 – 10, 14 – 15, 122, 125 – 132, 140, 211, 242 – ‐grund siehe Gründe, praktische – ‐option 2, 16 – 22, 27 – 30, 35, 41 – 42, 134 – 135, 139, 143, 147 – 163, 168 – 189, 192 – 203, 211 – 214, 216, 228, 242, 261 – 264, 273, 277 – 278, 281 – 298, 310 – 311, 319, 330 – 332 – ‐typ 16, 280 – ‐versuch 18, 25 – 26, 147, 150 – 151, 154, 158 – 162, 167, 170 – 171, 234 – 238, 240 – 244, 258, 291 – 293 – ‐wahl siehe Entscheidung Handlungstheorie 12, 14, 157, 309 – kausale 14, 113 – 118, 303 – teleologische 111, 113 – 118 Hausman, D. 58 Haynes, J. 105 Held, C. 129 Henrich, J. 321 Holton, R. 7, 93, 187, 203, 261 Homunkulus 24, 301, 305, 308 Honderich, T. 326, 328 Horn, C. 114 Hornsby, J. 25 Horwich, P. 58 Howson, C. 206 Hoyningen-Huene, P. 97, 306 Hüttemann, A. 83, 124 Hume, David 62 Humesche Metaphysik 85, 88 – 90, 146, 299, 304 Humesche Motivationstheorie 44, 91, 199, 303 Hypothesentest 205 – 206, 208 Identitätstheorie 99, 109 Indeterminismus, indeterministisch 4, 58 – 60, 81, 86 – 88, 93 – 95, 102, 121 – 122, 125 – 135, 173, 175 – 177, 181 – 183, 189 –
Index
195, 200 – 204, 212 – 220, 224 – 225, 255, 259, 264 – 267, 273 – 276, 280 – 293, 298 – 299, 310 – 320, 328 – 331, 333 Inkompatibilismus, inkompatibilistisch 3 – 4, 7, 15, 17, 54, 93, 121 – 123, 125 – 128, 135 – 136, 143, 148, 173, 176 – 177, 180 – 183, 216 – 220, 224, 227 – 228, 236, 242 – 245, 249 – 250, 255 – 268, 273 – 276, 278 – 279, 281, 298, 306, 320, 323 – 324, 329 – 331 – harter 4, 122 – 123, 274 – 275, 278 – 279, 326 – 328, 331 intendieren siehe beabsichtigen Interaktionismus, dualistischer 99, 102, 106, 312 Internalismus 44 Irrtumstheorie 300, 328 Jeffrey, R. 186 Jonas, H. 129, 307 Kane, R. 183, 228, 244, 264 – 266, 288 – 293, 298, 300, 312 Kant, I. 98, 124, 132, 221, 230, 295 Kapitan, T. 143 Kausalität 17, 42 – 43, 47 – 48, 53, 58, 60 – 66, 82 – 83, 89, 97 – 98, 100 – 103, 105 – 107, 111 – 118, 134, 142 – 144, 150, 157, 279, 286 – 287, 300, 304, 309 – indeterministische oder probabilistische 62 – 63, 66, 116, 183 – 184, 186, 188 – Rückwärts- 53, 82 Kausalkette, ‐netz 17, 20, 95, 132, 134, 142, 183, 186 – 187, 253, 300, 304, 307 Kausalketten, abweichende 117 – 118 Keil, G. 65, 114, 122, 128, 183, 252, 279, 293 – 298, 300, 313, 315, 320 Knobe, J. 323 – 324 Können, praktisches siehe Handlungsoption Kompatibilismus, kompatibilistisch 3 – 4, 54, 81, 94, 122, 125 – 126, 134 – 136, 139 – 147, 153, 156, 161 – 162, 172 – 173, 175 – 182, 224, 227 – 228, 236, 249 – 250, 256 – 258, 260 – 261, 266, 268, 277 – 282, 287 – 288, 308, 312, 322 – 331 – libertarischer 84 – 90
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Komplexität 58, 65, 68 – 70, 77, 218, 237, 317, 332 Konditionalanalyse 147 – 178, 181, 250 Konditionale 146 – 147, 154 – 158, 173 – 174, 180 – kontrafaktische 135, 142, 145 – 150, 156, 164 – 166, 244, 257 – 259 – materiale 164 – subjunktive siehe kontrafaktische Konsequenzargument 48, 136 – 147, 153, 180 – 181, 250 Kontrolle 9 – 10, 22, 29, 32, 94, 132, 136 – 141, 174 – 175, 241, 250, 274, 280 – 283, 285, 298, 310 – 311 Kontrollverlust 280 – 283, 292 Kusser, A. 230, 253 Landau, A. 125 Laplace, P. S. de 48, 54 – 57, 64, 80, 86 Lehrer, K. 152, 163, 166, 179 Lenkung siehe Steuerung Levy, N. 106 – 107, 255, 292, 300 Lewis, D. 56, 85, 144 – 146, 148 – 150, 157, 259 Libet, B. 101 – 110 Libet-Experimente 101 – 110 Libertarismus, libertarisch 4, 84 – 90, 122 – 123, 245, 255 – 257, 268, 274 – 312, 317 – 323, 326 – 331 List, C. 261 Löhrer, G. 114, 217 Loewer, B. 58, 60, 85, 89, 317 Lohmar, A. 94, 122, 327 – 328, 331 MacKay, D. 78 – 80 Martin, C. B. 156 Marx, D. 317 Mayo, D. 205 Mechanik, klassische 48, 55, 59 – 60 Meixner, U. 304 Melden, A. 111 Mele, A. 21, 85, 105, 117 Mittelstaedt, P. 62 Möglichkeit – epistemische 169, 179 – 181, 196 – im konditionalen Sinne siehe Konditionalanalyse
348
Index
– ontische 77, 86, 95, 130, 135, 169, 171 – 173, 179, 183, 191, 194, 196, 202, 210, 212 – 214, 220, 243, 261 – 268, 273, 276 – 289, 294 – 298, 309, 314, 319, 323, 328; siehe auch Indeterminismus Moore, G. E. 153 – 154, 161 moral luck siehe Zufall, moralischer Motiv 43, 91 – 93, 113 – 118, 212, 228, 233, 238, 247, 251 – 253, 276, 292 Müller, O. 103 Müller, T. 57, 167 Mumford, S. 84, 88, 127, 157 Nahmias, E. 153, 320 – 325 Naturgesetze 51 – 52, 83 – 90, 293, 305 Nichols, S. 153, 308, 323 – 325 Nichtlineare dynamische Systeme 66 – 67 Normativität 1, 3, 7, 43 – 46, 129, 186, 189, 192 – 193, 196, 199, 203, 216 – 226 Normen 2, 129, 192 – 193, 210, 214 – 215, 217 – 220, 227, 264, 267 Nötigung siehe Zwang Notwendigkeit 47, 49, 51 – 53, 63 – 67, 76, 80 – 85, 88 – 90, 93, 97 – 98, 112 – 114, 123, 125, 127, 136 – 138, 147, 155, 160 – 170, 183, 216, 218, 222, 225, 264, 268, 286, 299, 301, 306; siehe auch Determinismus O’Conner, T. 304 Option siehe Handlungsoption Ortmann, G. 27, 203 Parallelismus, psychophysischer 99 – 100 Peacocke, C. 21, 25, 29, 179, 301 – 302, 331 Pereboom, D. 245 – 246, 258, 327 – 328 Personsein 231, 262, 311 Perspektive – der dritten Person 45, 180 – 181, 192, 213 – 214, 224, 248 – 249, 253 – 254 – der ersten Person 18, 38, 132 – 135, 158 – 159, 170, 180 – 188, 192 – 194, 197, 203, 210, 213 – 216, 221 – 224, 249, 266, 273 – 274, 277 – 279, 282, 286 – 289, 296, 311, 320, 323, 329 – 331 Popper, K. 77, 103, 290, 312 Pothast, U. 28, 75, 77, 113, 217, 221, 230,
327, 331, 335, 341 – 343 Price, H. 53, 58 Priorität, ontische 48, 53, 58 – 59, 61 – 62, 64, 81, 90, 97, 100 Quantentheorie
51, 53 – 55, 59 – 60
Rabinowicz, W. 186 Rationalität, rational 1, 3 – 4, 29, 34 – 46, 71 – 76, 116, 186 – 188, 192 – 193, 198 – 200, 204 – 210, 217 – 226, 238 – 239, 263 – 264, 267, 279 – 280, 283 – 287, 294 – 299, 302, 307, 311 Reduktion, reduzieren 7, 51 – 52, 83, 89, 96 – 98, 112, 138, 299, 306, 308 – 309, 316 – 317, 325, 332 Reid, T. 91, 300 – 302, 304, 308 Relativitätstheorie 60 Rolffs, M. 156 Roth, G. 102 Roughley, N. 9 Ruby, J. 83 Salmon, W. 61 Schälke, J. 166 – 167, 175 – 176, 181 – 183, 328 Scheibe, E. 60 Schleim, S. 96 Schlick, M. 327 Schoeman, F. 336 Scholz, O. 116 Schopenhauer, A. 96, 167 – 169, 212 – 213 Schueler, G. 91, 114, 116 Schuld, moralische 3, 227, 254 – 258, 260 – 261, 267 – 268, 288, 291 – 292, 327; siehe auch Verantwortung, moralische Schurz, G. 208 Searle, J. 13, 29 – 30, 102 Seck, C. 317 Seebaß, G. 8, 96, 122, 127 – 128, 313 Sehon, S. 91, 114, 117 – 118 Selbstbezüglichkeit 71, 76 – 77 Sellars, W. 113 Singer, W. 100 Sklar, L. 60 Smilansky, S. 326, 328
Index
Sollen 2, 169, 216 – 219, 227, 236, 239, 246, 248 – 249 Soon, C. S. 105 Spaemann, R. 261 Spohn, W. 75, 186 Stalnaker, R. 148 Steinfath, H. 199 Stemmer, P. 41, 44, 216, 230 – 231 Steuerung (Lenkung) 10, 15, 22, 28, 36, 73, 117, 132, 175, 182, 221, 253 Steup, M. 32 Steward, H. 122, 127 – 128, 296, 304 – 309 Stier, M. 94 Strawson, G. 36, 278 – 279, 301, 328 Strawson, P. 254, 331 Sturma, D. 96, 102 Supervenienz, supervenieren 85, 89 – 90, 99 – 100, 103, 106 – 108, 146, 291 Syllogismus, praktischer 37 Tätigkeit siehe Aktivität, Verhalten Taylor, R. 300 Thermodynamik, statistische 59 – 60 Thomson, J. J. 41 Top-Down-Verursachung 315 – 317 Tugendhat, E. 171, 183, 300 Überlagerungsproblem siehe Zusammensetzungsproblem Überlegung, überlegen – praktische 1 – 3, 12 – 13, 17 – 18, 22 – 31, 36 – 42, 73 – 75, 112, 114, 169 – 170, 172, 176, 186 – 204, 210 – 212, 214 – 220, 229 – 231, 273, 281, 283 – 284, 293 – 300, 310 – 311 – theoretische 1 – 3, 29 – 36, 40 – 42, 71 – 72, 192 – 193, 203 – 211, 213, 217 – 220 Unterlassung, unterlassen 9 – 10, 14 – 15, 74, 122, 127, 131 – 132, 134 – 135, 139, 142 – 144, 147, 234 – 236, 240 – 241, 243, 245 – 246, 257 – 258, 292, 294 – 296 Ursache 1, 4, 11, 17, 42, 48, 53 – 55, 58, 60 – 62, 65 – 66, 93, 98, 101, 107, 111 – 118, 128 – 133, 137, 147, 182, 186 – 188, 190 – 191, 212 – 213, 218, 220 – 225, 233,
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236, 279 – 281, 286 – 287, 290 – 291, 299 – 300, 304, 315 – 316, 329, 333 Urteil, urteilen 1 – 4, 22 – 25, 29 – 44, 52, 57, 73 – 75, 109, 111 – 115, 182, 189 – 197, 200, 204 – 209, 214, 217, 221, 231, 282 – 283, 300, 303, 311, 324 – 325 Van Inwagen, P. 136 – 137, 143 – 144, 158, 250, 264 – 265 Velleman, D. 8 – 9, 31, 39, 74, 76 Verantwortung, verantwortlich 1 – 4, 87, 92 – 93, 95, 97, 121 – 122, 131, 138, 141, 181, 183, 219, 227 – 269, 273 – 278, 280, 282, 284 – 288, 291 – 298, 300 – 302, 308 – 310, 319 – 329, 331 – 333 Verdienst 3, 227, 255 – 258, 261, 264 – 268, 288, 301 Verhalten 7 – 15, 20, 26 – 27, 29, 69 – 71, 74, 76, 86, 91, 116, 127 – 132, 134, 139 – 140, 142, 151, 156, 167, 171, 176 – 177, 186, 197, 200, 211 – 213, 216 – 219, 223, 227, 232, 238 – 239, 251 – 254, 256, 260, 265, 267, 280 – 284, 305 – 306, 314 – 315; siehe auch Aktivität Verursachung siehe Kausalität Vihvelin, K. 85, 88, 156, 158, 171 – 172 Voluntarismus, doxastischer 29 – 30, 32 – 36, 40 Von Kutschera, F. 65 Von Wright, G. H. 41, 111 Vorhersehbarkeit, vorhersehbar 49, 55, 64 – 82, 133, 190, 196, 214, 218, 227, 244, 257 – 258, 265, 267, 269, 282, 284, 310, 329, 332 Vorsatz 8, 13 – 21, 24 – 26, 31, 36 – 37, 93; siehe auch Absicht Vorwurf, vorwerfen 2 – 3, 92, 219 – 220, 227, 235, 240, 327 Wagner, V. 91 Wahl siehe Entscheidung Wahrscheinlichkeit 39, 42, 55, 59 – 60, 63, 67, 74, 82, 149, 158 – 159, 163, 184 – 188, 190 – 191, 196, 205 – 208, 214 – 215, 262, 264, 281 – 282, 291 – 292, 295, 299, 306, 310 – 313, 329 Walde, B. 49
350
Index
Wallace, J. 254, 331 Walter, H. 96, 103 Weltzustand 48, 56 – 58, 80 – 81, 85 – 86, 136 – 142 Widerker, D. 228, 237, 239, 244, 246 Widerspruch, performativer 79, 213, 221 – 224 Wigner, E. P. 51 Wille 7, 14, 17, 20, 24, 28, 94 – 95, 98, 103, 106, 175 – 176, 189, 212, 221, 276 – 277, 289 – 290, 293, 295 – 296, 321; siehe auch Absicht, Wollen Willensakt 17, 20, 27 Willensfreiheit 3, 17, 24, 61, 91 – 98, 102, 105 – 106, 113, 122, 140, 172, 217, 221, 227 – 228, 233, 252, 321 – 323, 327 Willensschwäche 7, 23, 25, 92 – 93, 188, 229, 303; siehe auch Akrasia willentlich siehe absichtlich Williams, B. 32 Wittgenstein, L. 14, 102, 111, 113, 124 Wolf, S. 267 – 268, 323
Wollen, wollen 7 – 8, 13 – 14, 16 – 17, 20, 23 – 24, 27 – 28, 31, 37, 91 – 96, 154 – 155, 159 – 160, 162, 167, 170 – 178, 181, 183, 213, 216, 228, 231 – 232, 235 – 236, 249, 251 – 252, 261, 276 – 277, 279 – 280, 283, 292, 295 – 296, 321 – 324; siehe auch Absicht, Wille Wunsch, wünschen 7 – 8, 28, 31, 38 – 41, 44 – 45, 75 – 76, 91 – 95, 104 – 107, 109, 114 – 117, 175 – 176, 196, 229 – 233, 247, 250, 252, 276 – 277, 301, 303 Zufall, zufällig 67, 81, 184 – 185, 199 – 200, 255, 274, 281 – 282, 286 – 288, 290 – 293, 295 – 296, 298 – 300, 309 – 310, 319 – 320, 328 – 330 – moralischer 255 – 260, 266, 287, 291 Zufallsproblem 256, 279, 286 – 288, 291 – 293, 329 Zurechnung siehe Verantwortung Zusammensetzungsproblem 314 – 318 Zwang 7, 92 – 94, 162, 233, 237, 247 Zwei-Sprachspiel-Konzeption 111 – 113, 140