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German, French Pages 256 [262] Year 2014
Encore ces chers voisins Le Benelux, l’Allemagne et la France aux XIXe et XXe siècles Édité par Michel Dumoulin / Jürgen Elvert / Sylvain Schirmann
SGEI – SHEI – EHIE
EI SGEI HEI SHEI HIE EHIE Geschichte
Franz Steiner Verlag
Encore ces chers voisins Édité par Michel Dumoulin / Jürgen Elvert / Sylvain Schirmann
Studien zur Geschichte der Europäischen Integration (SGEI) Études sur l’Histoire de l’Intégration Européenne (EHIE) Studies on the History of European Integration (SHEI) ––––––––––––––––––––––– Nr. 7 Herausgegeben von / Edited by / Dirigé par Jürgen Elvert In Verbindung mit / In cooperation with / En coopération avec Charles Barthel / Jan-Willem Brouwer / Eric Bussière / Antonio Costa Pinto / Desmond Dinan / Michel Dumoulin / Michael Gehler / Brian Girvin / Wolf D. Gruner / Wolfram Kaiser / Laura Kolbe / Johnny Laursen / Wilfried Loth / Piers Ludlow / Maria Grazia Melchionni / Enrique Moradiellos Garcia / Sylvain Schirmann / Antonio Varsori / Tatiana Zonova
Encore ces chers voisins Le Benelux, l’Allemagne et la France aux XIXe et XXe siècles Édité par Michel Dumoulin / Jürgen Elvert / Sylvain Schirmann
Franz Steiner Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10931-4 (Print) ISBN 978-3-515-10967-3 (E-Book) Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Bosch Druck, Ergolding Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis / Table des matières / Contents JÜRGEN ELVERT Zur Einführung – Introduction ...................................................................................... 9
PARTIE 1 : DAS DREIECK BENELUX-D-F IM SCHATTEN DER BEIDEN WELTKRIEGE DES 20. JAHRHUNDERTS GENEVIEVE DUCHENNE Les intellectuels et l’idée européenne dans l’entre-deux-guerres ........................... 37 GEORGIE VERBEECK Die langen Schatten des zweiten Weltkrieges in Belgien ......................................... 51
PARTIE 2 : DIE ENTWICKLUNG DER DREIECKSBEZIEHUNGEN UNTER DEM DACH DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION MICHEL DUMOULIN Le développement des relations triangulaires dans le cadre de l'intégration européenne. La perspective de la durée. .................................................................... 67 WILFRIED LOTH Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Politik gegenüber den BeneluxStaaten und Frankreich ................................................................................................. 77 MARIE THÉRÈSE BITSCH La France dans la construction européenne face à l’Allemagne et au Benelux ..... 93
PARTIE 3 : UMSTRITTENE GRENZREGION IM DREIECK BENELUX-D-F IM 19. JAHRHUNDERT UND IN DER 1. HÄLFTE DES 20. JAHRHUNDERTS CHARLES BARTHEL Interregionale Firmenverflechtung als Grundstein internationaler Entspannungspolitik: die Arbed und das „Locarno“ der europäischen Stahlbarone ...... 105 PHILIPPE BECK Umstrittenes Grenzland Eupen-Malmedy. Geokulturelle und politische Betrachtungen bei Josef Ponten und Peter Schmitz ................................................ 123
PARTIE 4 : GRENZREGIONEN IM DREIECK BENELUX-F-D IM ZEICHEN DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION SYLVAIN SCHIRMANN Les régions frontalières du périmètre Benelux, Allemagne, France dans le contexte de l’intégration européenne ........................................................................ 143 BIRTE WASSENBERG L’impact du programme INTERREG sur la coopération transfrontalière dans l’espace du Rhin supérieur (1989-2008) .................................................................... 147
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INHALTSVERZEICHNIS / TABLE DES MATIÈRES / CONTENTS
CLAUDE GENGLER Die Großregion SaarLorLux/Rheinland-Pfalz/Wallonien. Stärken und Schwächen einer europäischen Kernregion ......................................................... 165 JOACHIM BECK Verwaltungskulturelle Muster in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Das Beispiel Oberrhein .................................................................................... 179
PARTIE 5 : BENELUX, DEUTSCHLAND UND FRANKREICH ALS WIRTSCHAFTSPARTNER IN EUROPA FRANÇOISE BERGER Le Benelux, l’Allemagne et la France en tant que partenaires économiques en Europe. Évolution, actualité et perspectives. ........................................................... 207 JEAN-FRANÇOIS ECK Quelques aspects des relations économiques et financières entre Nord-Pas-deCalais, Wallonie et Rhénanie du Nord –Westphalie aux XIXe et XXe siècles ....... 211
PARTIE 6 : FORMEN DES KULTUR- UND WISSENSCHAFTSTRANSFERS ZWISCHEN BENELUX, FRANKREICH UND DEUTSCHLAND HUBERT ROLAND Kulturtransfer und Ideengeschichte. Imagologische Betrachtungen im deutsch-belgischen Grenzraum ................................................................................. 223 GENEVIÈVE WARLAND Widersprüchliches Deutschland im Spiegel des geschichtswissenschaftlichen Diskurses in Belgien, Frankreich und den Niederlanden in den Jahren 1870-1920 ............................................................................................... 233 Albrecht Betz Entdämonisierung eines Stigmas. Der deutsche und der belgische Blick auf die Kollaboration .......................................................................................................... 249 Autorenverzeichnis / Index des auteurs / Index of authors................................. 255
ZUR REIHE „STUDIEN DER GESCHICHTE DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION“ ......... 257 CONCERNANT LA SÉRIE « ÉTUDES SUR L’HISTOIRE DE L’INTÉGRATION EUROPÉENNE » ................................................................................... 258 ABOUT THE SERIES “STUDIES ON THE HISTORY OF EUROPEAN INTEGRATION” ........ 259
ENCORE CES CHERS
VOISINS
Benelux, Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert Le Benelux, l’Allemagne et la France au XIXe et au XXe siècles Benelux, Germany and France in the 19th and 20th Centuries
Kolloquium in Köln, 19. bis 21. November 2008 Colloque à Cologne, du 19 au 21 novembre 2008 Congress in Cologne, November 19th to 21st 2008
ZUR EINFÜHRUNG – INTRODUCTION JÜRGEN ELVERT Im Kontext der neuzeitlichen europäischen Geschichte hat der hier in den Blick genommene Raum stets einen der zentralen Brennpunkte dargestellt. Aus wirtschafts- und sozialhistorischer Sicht konnte sich hier seit dem Mittelalter ein enges Geflecht von Verbindungen entwickeln, in dem auf unterschiedlichen Ebenen rege Beziehungen gepflegt wurden. Politisch hat der Raum, der heute das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich Belgien und das Königreich der Niederlande ausmacht, durchgehend eine wichtige geostrategische Position gegenüber mindestens drei der fünf großen europäischen Mächte besessen. Bis 1648 waren das die Habsburger Monarchie, Frankreich und England, seit dem 18. Jahrhundert dann Frankreich, Großbritannien und Preußen bzw. Deutschland. Die longue durée kann hier nicht im Detail in den Blick genommen werden, uns interessieren vielmehr die Verhältnisse seit dem 19. Jahrhundert. Seither haben sich die politischen und ökonomischen Gewichte in diesem Raum im Verhältnis zu den großen Nachbarmächten noch einmal grundlegend verschoben. Diese Gewichtsverlagerungen beeinflussten nicht nur die Geschichte der betroffenen Staaten, sondern die ganz Europas bis in die unmittelbare Gegenwart hinein erheblich. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn man die Ebene der Nationalgeschichte und die der bi- bzw. multilateralen Beziehungen verlässt und die europäische Geschichte insgesamt in den Blick nimmt. Damit komme ich zu den zwei meinen Überlegungen zugrunde liegenden Ausgangsthesen. Die erste These geht davon aus, dass die insbesondere nach der Reichsgründung von 1871 in den Niederlanden und Belgien geführte sicherheitspolitische Diskussion und die daraus beiderseits der belgisch-niederländischen Grenze gezogenen Schussfolgerungen die Voraussetzung waren für die im Benelux-Raum der 1950er Jahre ausgeprägt vorhandene Zustimmung zur Implementierung eines supranational organisierten europäischen Gemeinschaftsraums war. These zwei knüpft hier an und geht davon aus, dass diese Bereitschaft eine der zentralen Voraussetzungen für die erfolgreiche Implementierung des nachkriegszeitlichen europäischen Integrationsprozesses gewesen ist. Dieses Beispiel weist darauf hin, dass die Zäsur 1945, die bis dato von der Geschichtswissenschaft, vornehmlich der deutschen, unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Jahrzwölfts vorgenommen wurde und das 20. Jahrhundert gleichsam in zwei Teile geteilt hat, revidiert werden sollte, wenn man eine dezidiert europäische Geschichtssicht nutzt. Ich denke, dass die zunehmende Distanz zu einem historischen Phänomen es der Historiographie erleichtert, die langfristigen Zusammenhänge genauer zu erkennen. Wir haben das schon vor etwa zwei Jahrzehnten am Beispiel der Zwischenkriegszeit gesehen, die noch bis weit in die 80er Jahre hinein in eine „gute“ – die Weimarer – und eine „schlechte“ – die nationalsozialistische – Hälfte unterteilt wurde. Davon ist heute kaum noch die Rede, das Interbellum wird in der Regel als Einheit betrachtet. Warum sollte das nicht auch für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts insgesamt gelten? Doch zurück zum eigentlichen Betrachtungsgegenstand. Die 1860er Jahre standen unter dem Vorzeichen der Bismarck’schen Kriege gegen Dänemark und
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Österreich. Sie stellten sowohl für Belgien als auch für die Niederlande einen tiefen Einschnitt dar – in politischer, sicherheitspolitischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht. Die unterschiedliche geographische Lage der beiden Königreiche führte zu voneinander abweichenden Einschätzungen möglicher Konsequenzen einer preußisch-deutschen Reichsgründung. Als besonders problematisch wurde die Entwicklung in Belgien beurteilt. Hier erkannte man rasch, dass das erst wenige Jahrzehnte alte Königreich zwischen den französischen und den preußischen Interessen zerrieben zu werden drohte. Die seit 1839 bestehende Garantieverpflichtung Großbritanniens wurde in diesem Zusammenhang als nicht zwangsläufig gegeben angesehen. So ließ ein Statement Lord Palmerstons, demzufolge eine Garantiebestimmung zwar ein Interventionsrecht, keineswegs aber eine Interventionsverpflichtung enthalte, berechtigte Zweifel daran zu, ob Großbritannien Belgien wirklich unter allen Umständen helfen würde.1 Damit war die relative Schutzlosigkeit des in seiner Souveränität zu diesem Zeitpunkt völkerrechtlich immer noch eingeschränkten belgischen Königreichs offensichtlich geworden. Wie berechtigt entsprechende Sorgen waren, bestätigte ein – von Bismarck übrigens gebilligter – Artikel in der Londoner Times von 1870, demzufolge 1866 eine preußisch geduldete Annexion Belgiens durch Frankreich in preußisch-französischen Gesprächen durchaus in Erwägung gezogen worden war. Entsprechende Gerüchte hatten rasch europaweit die Runde gemacht und ließen aus belgischer Sicht Napoléon III. als Hauptgefahr erscheinen. Dennoch kam eine Anlehnung an Preußen nicht in Frage, weil das preußische Vorgehen gegen Dänemark gezeigt hatte, welches Schicksal einem kleinen Nachbarstaat Preußens bzw. des Deutschen Bundes drohen konnte, wenn preußische oder deutsche Interessen tangiert waren. Wenn 1864 noch ein Zusammengehen mit Frankreich einen möglichen Ausweg geboten zu haben schien, war dies nach 1866 für Belgien keine ernsthafte Alternative mehr. Stattdessen wurden in Brüsseler Regierungskreisen erste Stimmen hörbar, die in einer engeren Zusammenarbeit, möglicherweise sogar Föderation mit Holland Schutz vor französischen oder deutschen Annexionsgelüsten suchen wollten. Aus niederländischer Sicht kam eine solche Option jedoch nicht in Frage – trotz mancher durchaus wohlwollender Kommentare aus regierungsnahen Kreisen. Hier setzte man – anders als beim südlichen Nachbarn – auf konsequente Neutralität, die militärische Zusammenarbeit oder gar Bündnisse mit Dritten kategorisch ausschloss. Aber auch im Haag wurde das Vorgehen und die Erfolge Preußens von 1864 und 1866 mit Sorge betrachtet. Spätestens nach 1866 war in niederländischen Regierungskreisen klar, dass eine Neuausrichtung der eigenen Außenpolitik dringend vorgenommen werden musste. Noch vor 1864 hatte aus niederländischer Sicht die eigentliche Hauptgefahr im Süden gelegen, einmal aus historischen Gründen, zum anderen, weil die außenpolitischen Ambitionen des französischen Kaisers nur schwer einschätzbar waren. Nach 1866 schien sich dagegen so etwas wie eine zwei-Fronten-Situation herausgebildet zu haben, gegen Frankreich und gegen Preußen. Letzteres war nunmehr offensichtliche Vormacht im Deutschen Bund geworden, dem die Niederlande über Luxemburg und Limburg selber angehörten. Die Bereitschaft des niederländischen Königs, sein Großherzogtum an den französischen Kaiser zu verkaufen, um so Ruhe vor des1
Horst Landemacher, Die belgische Neutralität als Problem der europäischen Politik 1830– 1914, Bonn 1971, S. 255.
ZUR EINFÜHRUNG - INTRODUCTION
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sen Machtbestrebungen zu haben und damit zugleich über einen Bündnispartner gegenüber Preußen zu verfügen, zeigt deutlich, wie gefährlich die Lage im Haag eingeschätzt wurde. Bekanntlich hatte Bismarck auch diesen Plan durchsickern lassen, damit zu Fall gebracht und so Luxemburg den Weg in die – zunächst noch relative – Unabhängigkeit und Neutralität gebahnt. Gleichwohl blieb in den Niederlanden die Befürchtung bestehen, dass sich die Großen auf Kosten der Kleinen arrangieren könnten. Vor diesem Hintergrund gewannen in der niederländischen Öffentlichkeit Preußen-kritische Stimmen an Gewicht, die das zuvor durchaus vorhandene Preußen-Bild vom „germanischen Brudervolk“, Glaubensbruder und Mitstreiter gegen den Ultramontanismus und kontinentales Gegengewicht gegen Frankreich zunehmend überschattete. Diese veränderte Wahrnehmung war freilich primär an die Person Bismarck gekoppelt, der nun gerade im niederländischen protestantisch-konservativen Lager als ein zynischer und unchristlicher Machtpolitiker erschien, der die alte, christlich-legitime Ordnung Europas mit revolutionären Handstreichen zerstören wollte. Zusätzliche Nahrung erhielt dieser wachsende Anti-Borussismus durch manch deutsches publizistisches Traktat, in dem ein engerer Anschluss Hollands an Preußen und Deutschland gefordert wurde – man denke z. B. an Treitschkes Aufsatz „Die Republik der Vereinigten Niederlande“ von 1869. Insofern kann es nicht überraschen, dass die Sympathien der Niederländer nach dem Ausbruch des Krieges von 1870/71 mehrheitlich auf Seiten Frankreichs lagen – trotz der Abneigungen gegen Napoléon III, dem die Schuld am Kriegsausbruch angelastet wurde. Zudem zeigte die Mobilisation der niederländischen Truppen erschreckende Mängel sowohl in der Heeresorganisation wie im Festungswesen – was zum Sturz der amtierenden Regierung führte. Aber auch die neue Regierung setzte trotz einiger Verbesserungen des Militärwesens auf strikte Neutralität, wenngleich die Stimmen im Lande lauter wurden, die eine grundsätzliche Überprüfung dieser Haltung einforderten – was übrigens von Gerüchten über erneute preußische Annektionspläne in Bezug auf Luxemburg und Zweifel an der Bereitschaft Großbritanniens, im Falle einer Neutralitätsverletzung aktiv in das Kriegsgeschehen auf dem Kontinent einzugreifen, zusätzlich genährt wurde. Weder wurde Luxemburg annektiert, noch die niederländische oder belgische Neutralität verletzt, und Großbritannien auch nicht vor die Wahl gestellt, zu intervenieren oder eine Neutralitätsverletzung zu dulden. Das ist freilich weniger auf den Willen der preußischen oder der französischen Entscheidungsträger zurückzuführen, die Integrität des Benelux-Raums zu wahren, sondern war ein Ergebnis des Kriegsverlaufs, in dem sich entsprechende Fragen so nicht stellten. Wäre es opportun gewesen, hätte Bismarck Luxemburg ohne Zweifel zugunsten einer Verbesserung der geostrategischen Position Preußen-Deutschlands gegenüber Frankreich preisgegeben, ja möglicherweise sogar die Annexion Belgiens durch Frankreich akzeptiert. Im Grunde war das auch den Verantwortlichen im Haag und in Brüssel klar, und insofern reagierten sie zunächst erleichtert auf den preußischen Sieg und die Reichsgründung. Von einigen Schrammen abgesehen, waren sie unversehrt aus dem deutsch-französischen Krieg hervorgegangen. Gleichwohl hatte der Krieg deutlich gezeigt, wie verwundbar die beiden Königreiche und das Großherzogtum angesichts des weiterhin bestehenden deutsch-französischen Antagonismus
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waren. Beiderseits der belgisch-niederländischen Grenze löste das Ende des Krieges Staunen, Unbehagen und Bedenken aus. Schließlich lag die Wiener Ordnung, deren inhärentes Balanceprinzip gerade den europäischen Kleinstaaten eine ganze Weile zumindest die Illusion des Schutzes vor den Ambitionen großer Nachbarmächte gegeben hatte, nunmehr endgültig in Trümmern. Der Ordnung halber sei erwähnt, dass es weniger die deutsche Einheit war, die das spürbare Unbehagen auslöste – diese wurde allgemein als berechtigt angesehen –, sondern die Art und Weise, wie Bismarck die Einigung herbeigeführt hatte – eben auf dem Rücken einer Reihe von kleinen Staaten. Dass Belgien und Holland letztlich verschont geblieben waren, hielten schon 1871 viele aufmerksame Beobachter des Geschehens für ein Wunder. Die Beurteilungen des Friedensschlusses fielen entsprechend aus. Belgischerseits ging man nicht davon aus, dass sich die eigene delikate geostrategische Position nach der Niederlage Frankreichs grundlegend verbessert hatte. Frankreich sei infolge des Verlusts Elsaß-Lothringens zwar geschwächt, bliebe aber eine europäische Großmacht und besitze immer noch größeres politisches Gewicht, als es das Frankreich Ludwigs XIV. besessen habe, so das Fazit des belgischen Gesandten in Bayern, Jules Greindl. Es sei daher mit einer baldigen Wiedererstarkung des Nachbarn im Süden zu rechnen, der das Übergewicht des Reiches in wenigen Jahren wieder ausgleichen werde. Daraus folgerte er, dass es im deutsch-französischen Verhältnis niemals zu einer dauerhaften Friedensregelung kommen könne – nicht zuletzt deshalb, weil an die Stelle des Kabinettkrieges nun der Volkskrieg getreten sei.2 Für Emile Banning, den Berater des Königs in außenpolitischen Fragen, lag daher der Schluss nahe, dass « cette catastrophe (die Schlacht von Sedan) en écartant définitivement de la Belgique tout péril d’invasion devint le point de départ d’une phase nouvelle de sa neutralité; la période active succèdera à la période diplomatique. »3 Welche Überlebensmöglichkeiten aber besaß ein Kleinstaat überhaupt zwischen zwei einander feindlich gesinnten Großmächten, der zudem für beide das geradezu idealtypische Aufmarschgebiet in einem Kriegsfall war? Die belgische Regierung versuchte, diese Frage mit einer Doppelstrategie zu beantworten – einerseits setzte man die Politik der strikten Neutralität auf der europäischen politischen Bühne fort, andererseits wurde der militärischen Landesverteidigung deutlich größere Aufmerksamkeit als zuvor gewidmet. Aber der verstärkte Festungsbau – insbesondere im Maastal, in Namur, Lüttich und Antwerpen – strapazierte den Staatshaushalt über Gebühr und warf überdies bald schwierige innen- und sozialpolitische Probleme auf. Im Jahre 1887 zog der Generalsekretär im Brüsseler Außenministerium Auguste Lambermont eine nüchterne Bilanz der bisherigen Verteidigungsanstrengungen. Er war schon seit 1875 der festen Überzeugung gewesen, dass Deutschland im Falle eines Konfliktes mit Frankreich – mit dessen Ausbruch er über kurz oder lang fest rechnete – auf jeden Fall in Belgien einmarschieren werde, entweder als Garant Belgiens, sofern die Franzosen dazu einen Anlass geben würden, oder aber als Angreifer pur et simple, um des strategischen Vorteils willen. Seine Denkschrift befasste sich daher eingehend mit der europäischen politischen Gemengelage und kam zu dem Schluss, dass die Zugehörigkeit Belgiens zu einer 2 3
Zitiert nach Lademacher, a.a.O. S. 254. Ebd., S. 255.
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Entente europäischer Staaten die beste Lösung wäre – nur war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar, wie eine solche Entente zusammengesetzt sein könnte. Wesentlich konkreter wurde er in einem anderen Punkt – er forderte ein Zusammengehen mit den Niederlanden, das einerseits die geopolitische Lage Belgiens (und auch der Niederlande, wie er betonte) erheblich verbessern würde und darüber hinaus geeignet sei, die bestehenden wirtschafts- und handelspolitischen Konflikte zwischen beiden Ländern auszuräumen. Dieser Vorschlag stieß beim belgischen Premierminister Beernaert auf große Zustimmung. Dieser hatte selber schon seit längerem über eine belgisch-niederländische Defensivallianz nachgedacht und bereits in Gedanken gemeinsame Truppenkontingente aufgestellt. So sollte im Raum zwischen Maastricht und Lüttich ein niederländisches Armeekorps zusammen mit einer 60.000 Mann starken belgischen Kampfgruppe für eine Sicherung der Ostgrenze sorgen. Völkerrechtlich ließ sich eine solche Allianz als Maßnahme zur Sicherung der Neutralität beider Staaten rechtfertigen.4 Derlei Gedankenspiele, zu denen sich zeitgleich auch Pläne über eine belgisch-holländische Zollunion gesellten, wurden nördlich der Grenze durchaus mit Interesse verfolgt. So stand König Wilhelm III. dem Gedanken einer Annäherung beider Staaten aufgeschlossen gegenüber und dachte über eine dynastische Verbindung beider Königshäuser durch eine spätere Heirat des belgischen Prinzen Baudouin mit seiner kleinen Tochter Wilhelmina nach. Auch in Amsterdamer Handelkreisen wurden die Folgen eines wirtschaftlichen Zusammengehens mit dem Nachbarn im Süden positiv bewertet. Letztlich blieben entsprechende Überlegungen jedoch ohne konkrete Folgen. Der Umgang mit dem niederländischen Kolonialbesitz im Rahmen einer Zollunion hatte sich als ein um 1890 nicht lösbares Problem herausgestellt. Auch wurde die eigene Sicherheitslage als deutlich unproblematischer eingeschätzt als die belgische und man hielt die eigenen Streitkräfte für stark genug, um die Neutralität des Landes gegenüber Angreifern verteidigen zu können. Und selbst wenn deutsche Truppen durch das Land marschieren würden, glaubte man, neutral bleiben zu können, indem man sich einfach hinter die Wasserlinie zurückzog. Die relative Gelassenheit, die aus dieser Langeinschätzung spricht, steht im Gegensatz zur Aufgeregtheit von 1871. Das seinerzeit herrschende Mistrauen gegenüber dem neugegründeten Reich und seiner politischen Führung hatte sich infolge der auf Erhalt des Status quo in Europa gerichteten Politik Bismarcks gelegt. Mitte der 1870er Jahre war eine Studie im niederländischen Außenministerium sogar zu dem Schluss gekommen, dass der preußisch-deutsche Sieg über Frankreich von Vorteil für das eigene Land gewesen sei, da ein Sieg Frankreichs mit großer Wahrscheinlichkeit die Annexion des linksrheinischen Gebiets nach sich gezogen und so den Untergang der Niederlande und Belgiens bedeutet hätte. Zudem seien Luxemburg und Limburg aus dem deutschen Bundessystem herausgelöst und der König dort zum uneingeschränkten Souverän geworden, was künftige Verwicklungen nach dem Muster Dänemarks ausschließe. Manche Beobachter erklärten sogar das „deutsche Schwert zum Beschützer Belgiens und Hollands“, weil die monarchische Staatsform im Reich der Pariser Kommune vorzuziehen sei. Ein weiterer Grund für diesen niederländischen Paradigmenwechsel lag in dem bemerkenswerten Wirtschaftsaufschwung, den die Niederlande im Zuge der Gründerjahre erlebt hatten. Der Rhein war schon 1870 von 4
Zitiert nach: Lademacher, a.a.o., S. 270.
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allen Zöllen befreit worden und konnte sich erfolgreich gegen konkurrierende Infrastrukturprojekte wie den „Eisernen Rhein“, die Bahnstrecke KölnAntwerpen, behaupten. Infolge des deutschen Exportbedürfnisses nach 1871 hatte sich Rotterdam zu einem blühenden Rheinhafen entwickelt, der vom Aufschwung der Industrie an Rhein und Ruhr profitierte und binnen kurzem Amsterdam als niederländische Handelsmetropole ablöste. Angesichts solcher Erfolge war man in den Niederlanden gerne bereit, jene Stimmen aus dem Reich zu überhören, die angesichts der Bedeutung der Niederlande für den deutschen Wirtschaftsaufschwung einen engeren Zusammenschluss beider Staaten etwa zu einer Zollunion forderten. Andere sahen im niederländischen Kolonialreich sogar ein geradezu idealtypisches Gebiet, mit dem alle deutschen kolonialen Ambitionen auf einen Schlag befriedigt werden konnten. Ihren Höhepunkt erlebte die neu erwachte niederländische Deutschfreundlichkeit in der Regierungsperiode Abraham Kuypers von 1901 bis 1905, dessen christlich-patriarchalische und organische Staatslehre sich weitgehend aus deutschen Vorbildern speiste.5 Auf deutscher Seite wurde die niederländische Aufgeschlossenheit gegenüber dem Reich und seiner Kultur freilich in einem ganz anderen, von holländischer Seite so zweifellos nicht gewollten Sinne genutzt: Der Schlieffen-Plan, der in diesen Jahren ausgearbeitet wurde, stellte den deutschfreundlichen Kurs der Regierung Kuyper bei dem vorgesehenen Durchmarsch durch südniederländisches Gebiet in Rechnung. Wie sehr sich die deutschen Planungen dabei von einer niederländische Kooperationsbereitschaft ausgingen, zeigt der Verzicht auf den Einbezug südniederländischen Territoriums in der revidierten Fassung des Plans unter der Ägide Moltkes, nachdem die Nachfolger Kuypers wieder auf größere Distanz zum Reich gegangen waren.6 Ein zentraler Bestandteil des Schlieffen-Plans blieb nach 1905 freilich der Durchmarsch deutscher Truppen durch belgisches Hoheitsgebiet. Darüber machten sich die politisch Verantwortlichen in Brüssel keine Illusionen. Freilich waren die Kräfteverhältnisse nach 1904 (Entente cordiale) und 1905 (Rücktritt der Regierung Kuyper) sowie unter dem Eindruck des deutsch-britischen Flottenwettrüstens deutlich verteilt, so dass Belgien sich an die beiden großen Westmächte anlehnen konnte – nicht zuletzt auch deshalb, weil man, anders als um 1890, davon ausging, dass Großbritannien die belgische Neutralität nötigenfalls aktiv unterstützen würde. Wenn Henri Haag7 oder Jean Stengers8 in jüngerer Zeit betonten, dass die belgische Staatsführung den Schlieffen-Plan und die sich daraus ergebenden Gefahren für Belgien einfach ignoriert hätten, so ist das sicher zutreffend – allerdings kannten sie ihn in groben Zügen. Hier stellt sich dann die Frage, welche Alternativen es dazu denn gegeben hätte. Dass die Deutschen die Neutralität Belgiens im Kriegsfall mit Frankreich verletzen würden, war seit den 1870er Jahren fester Bestandteil aller sicherheitspolitischen Planspiele gewesen. Aufgrund der eigenen beschränkten Defensivmöglichkeiten, dem Scheitern der 5 6 7 8
Vgl. dazu z.B. Frieso Wielenga, Die Niederlande. Politik und politische Kultur im 20. Jahrhundert, Münster 2008, S. 68. Ebd., S. 66 f. Henri Haag, Le Comte Charles de Broqueville, ministre d’état, et les luttes pour le pouvoir (1910–1940), 2 Bde., Louvain-la.-Neuvel Brüssel 1990. Jean Stengers, « L'entrée en guerre de la Belgique », in: Guerres mondiales et conflits contemporains, 179 (1995), S. 13–33.
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Allianz mit den Niederlanden und der klaren Kräftebündelung nach 1904 in Mittel- und Westmächte blieb nur noch die Anlehnung an den Westen und die Hoffnung auf britisches Eingreifen im Falle einer Verletzung der eigenen Neutralität. Das wird spätestens 1912 in einem Bericht des belgischen Gesandten in Rumänien an König Albert deutlich. Hier wurde detailliert ein Gespräch mit dem rumänischen König beschrieben, der bei diesem über die deutschen Kriegsplanungen im Westen sprach. Der Bericht schloss mit dem lakonischen Satz „le miracle de 1870 ne se produirait plus“.9 Ich habe ein Kapitel europäischer Geschichte behandelt, dass m. E. zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Sicher – in Darstellungen zur belgischen und niederländischen Geschichte wird es berücksichtigt, aber in deutschen, französischen oder britischen Studien zur Geschichte des langen 19. Jahrhunderts wird diese Problematik in der Regel vom Antagonismus der Großmächte überschattet. Ferner fällt auf, dass sich auch die belgische und niederländische Historiographie in der jüngeren Vergangenheit nur am Rande und recht unsystematisch mit dem Thema befasst hat. In der deutschen Geschichtswissenschaft haben die Studien Horst Lademacher aus den 1960er und 1970er Jahren zuletzt umfassend behandelt, in Frankreich die Arbeiten Marie-Thérèse Bitschs von Anfang der 1990er Jahre. Was freilich fehlt, ist eine umfassende und systematische, aus den Akten geschöpfte Neubewertung des Themas, die weniger aus der nationalen Perspektive, sondern aus einer entschieden europäischeren Sicht heraus verfasst werden sollte. Welche Potentiale darin schlummern, lässt sich am Beispiel der Lambermont-Denkschrift aus dem Jahre 1887 zeigen. Er hatte seinerzeit eine messerscharfe Analyse der europäischen politischen Problematik vorgenommen und daraus einige aus der Sicht der europäischen Integrationshistoriographie bemerkenswerte Schlüsse gezogen. So konstatierte er zum Beispiel, dass die Sicherheit Belgiens nur in einer Entente der europäischen Staaten gewährleistet werden könnte, von der er freilich nicht wusste, wie diese aussehen sollte. Als zweitbeste Lösung empfahl er eine Allianz mit den Niederlanden, nicht nur in sicherheitspolitischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Damit hat er im Prinzip die Leitlinien formuliert, die dann im Wesentlichen von Paul-Henri Spaak, Jan-Willem Beyen und Joseph Bech im Rahmen des Messina-Prozesses der 1950er Jahre verfolgt wurden – bezeichnenderweise wiederum in einer Zeit, in der das europäische Integrationsprojekt aufgrund nationalstaatlicher Interessenpolitik zu scheitern drohte. Ein Blick in die Erinnerungen insbesondere Spaaks zeigt, wie sehr dessen Denken von der geradezu ausweglosen Problematik seines Landes geprägt war, das über Jahrzehnte zwischen den nationalen Interessen und Ambitionen zweier Großmächte zerrieben zu werden drohte. Die sich daraus für ihn, aber auch für die anderen Repräsentanten der BeneluxStaaten ergebenen Konsequenzen waren klar: Man musste das Problem an der Wurzel packen und solche Institutionen schaffen, die die Wahrung nationaler Interessen auf eine supranationale Ebene hoben. Insofern stellt die Geschichte des Benelux-Raums im Spannungsfeld der europäischen Großmächte des 19. und 20. Jahrhunderts ein Lehrstück dar für die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten europäischer Politik. Als unmittelbare 9
Zitiert nach: Benoît Amez, Dans les tranchées: les écrits non publiés des combattants belges de la Première Guerre mondiale : analyse de leurs expériences de guerre et des facteurs de résistance, Paris 2009, S. 278.
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Nachbarn und Beteiligte sind wir, denke ich, hierzulande gut beraten, uns intensiver als bisher mit diesem Thema zu befassen. Das betrifft nicht nur die Forschung und sollte durchaus weitergehen. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass sich dieses Thema gut für Projektwochen in Schulen eignen könnte, auch und gerade in Verbindung mit Exkursionen in die Nachbarländer, um dort ins Gespräch mit Gleichaltrigen zu kommen, Erfahrungen auszutauschen und den Genius loci zu spüren. Das wäre Geschichte zum Anfassen und würde dazu beitragen, ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Kapitel europäischer Geschichte mit neuem Leben zu erfüllen. Um abschließend noch einmal kurz zu den eingangs formulierten Thesen zurückzukommen: Ich habe versucht zu zeigen, dass die Erfahrungen, die die Benelux-Staaten in der Zeit des europäischen Hochimperialismus gemacht hatten, die Haltung derselben Staaten zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses nachhaltig geprägt haben. Die offensichtliche Unlösbarkeit des Problems, als Kleinstaat zwischen rivalisierenden Interessen der großen Mächte auf Dauer unbeschadet überleben zu können sorgte in diesem Raum für eine Integrationsdynamik, die die drei anderen, am Integrationsprozess der 1950er Jahre beteiligten Staaten mitzog und damit half, bestehende Schwierigkeiten infolge der EVGKrise von 1954 zu überwinden. Damit habe ich freilich auch gezeigt, wie wichtig der Einbezug des 19. Jahrhunderts in alle Studien ist, die sich mit Fragen der europäischen Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts befassen. Schließlich wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts all jene Strukturen und Denkmuster geprägt, die das europäische Einigungswerk nach 1950 überwinden wollte, die freilich dessen Verlauf bis in die Gegenwart selber nachhaltig beeinflusst haben. Die Forschergruppe „Ces Chers Voisins“, der Historikerinnen und Historiker aus Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland angehören, möchte mit ihren Aktivitäten dazu beitragen, den staatlichen, institutionellen und persönlichen Beziehungen in diesem Teil Europas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu fand seit 2007 eine Reihe von Tagungen statt, in Strasburg, Louvain-la-Neuve, Brüssel und Köln. Bei den in diesem Band versammelten Beiträgen handelt es sich um die überarbeiteten und aktualisierten Fassungen von Vorträgen, die in Köln anlässlich der Konfererenz „Ces Chers Voisins. Benelux, Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert“ zwischen dem 19. und 21.11.2008 gehalten wurden. In diesem Zusammenhang sei zunächst der Stadt Köln gedankt, die den Veranstaltern den Ratssaal zur Verfügung gestellt hatte. Ohne die tatkräftige und großzügige Unterstützung der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen hätte das ganze Projekt nicht durchgeführt werden können, dafür geht ein großer Dank von Köln nach Düsseldorf! Doch auch die anderen Freunde, Förderer und Unterstützer des Vorhabens sollen hier nicht vergessen werden. Mein Dank geht in diesem Zusammenhang an: die Université Robert Schuman, Strasbourg, die Université Catholique Louvain-la-Neuve, die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien, das Institut Français, Köln, die Vertretung der Europäischen Kommission in Bonn, das Staatsministerium des Großherzogtums Luxemburg, das Außenministerium des Königreichs der Niederlande, die Stiftung-Bundeskanzler Adenauer-Haus, Rhöndorf, sowie an das Zentrum für Europäische Studien der Universität zu Köln. Bei den Autorinnen und Autoren dieses Bandes bedanke ich mich für die Geduld, da sich die Drucklegung dieses Buches immer wieder verzögert hat. Das hängt zusammen mit dem Grundprinzip der „Studien zur Geschichte der Euro-
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päischen Integration“, die durch die Dreisprachigkeit den wissenschaftlichen Diskurs in Europa vertiefen möchte. Leider führt dieser Vorsatz immer wieder zu Verzögerungen, was auch als Hinweis darauf gelesen werden kann, dass dem grenzübergreifenden Wissenschaftsdiskurs in Europa gelegentlich immer noch ganz handfeste sprachliche Grenzen im Wege stehen. Zu danken ist schließlich auch Sebastian Funk und Kristina Weiß dafür, dass sie auch die hartnäckigsten Probleme im Zusammenhang mit der Veröffentlichung dieses Buches lösen konnten. Ein Beitrag, der auf der Kölner Tagung auf große Resonanz stieß, konnte leider nicht mehr gedruckt werden. Jörg Engelbrecht von der Universität Duisburg-Essen hatte über „NeutralMoresnet. Ein Kuriosum im deutsch-belgischen Grenzraum“ berichtet. Am 09.06.2012 jedoch verstarb der Inhaber des Lehrstuhls für die Landesgeschichte der Rhein-Maas-Region, Direktor des Instituts für niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalentwicklung und hochgeschätzter Kollege viel zu früh im Alter von nur 60 Jahren. Dieser Band sei daher dem Andenken an Jörg Engelbrecht gewidmet.
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INTRODUCTION JÜRGEN ELVERT L’espace dont il est question ici a toujours représenté un des points principaux dans le contexte de l’Histoire des temps modernes en Europe. Du point de vue économique et socio-historique un lacis étroit de relations s’y est développé depuis le moyen-âge. Dans ce lacis, on a entretenu des rapports intenses à différents niveaux. D'un point de vue politique, l’espace qui comprend aujourd’hui le grand-duché de Luxembourg, le Royaume de Belgique et le Royaume des PaysBas a toujours disposé d’une importante position géostratégique à l’égard d'au moins trois des cinq plus grandes puissances européenne, à savoir la Monarchie de Habsbourg, la France et l'Angleterre jusqu'en 1648, et depuis le XVIIIe siècle la France, la Grande-Bretagne, la Prusse, puis l'Allemagne. Ici, on ne peut pas prendre en compte la longue durée en détail, nous nous intéresserons plutôt aux relations à partir du XIXe siècle. Depuis ce temps-là, la valeur de la politique et de l’économie dans le Benelux a connu un plus grand changement que dans les grands États. Ce changement de valeur n’a pas seulement une influence sérieuse sur l’Histoire des États concernés mais plutôt sur celle de toute l’Europe jusqu’aujourd’hui. Cela devient surtout évident lorsque l’on quitte l’échelon de l’Histoire nationale et celle des relations bi- ou multilatéral pour poser le regard sur l’Histoire européenne en tout. J'en arrive à la présentation de mes deux thèses initiales qui constituent la base de mes réflexions: la première d'entre elles part du principe que la discussion au sujet de la politique de sécurité, qui a eu lieu surtout après la fondation de l’Empire de 1871 aux Pays-Bas et en Belgique, ainsi que les conclusions tirées chaque côté de la frontière belgo-néerlandaise étaient la condition préalable pour l’approbation, répandue dans le Benelux dans les années 50, de la mise en œuvre d’un espace de communauté européenne organisé de façon supranational. La deuxième est basée sur la première et suppose que cette motivation était une des conditions principales pour la mise en œuvre couronnée de succès du processus d’intégration européen d'après-guerre. Cet exemple laisse penser qu’il fallait réviser la césure de 1945 si on est résolu de se servir d’un point de vue européen sur l’Histoire. Sous l’impression des douze ans d’influence des nazis (1933-1945), les historiens, essentiellement en Allemagne, ont divisé le XXe siècle quasiment en deux parties jusqu’à présent. Je crois que la prise de recul croissante par rapport à un phénomène historique facilite aux historiens une reconnaissance plus précise des rapports à long terme. Nous l’avons déjà vu il y a environ deux décennies à l’exemple de l’entre-deuxguerres, époque que l'on a divisé jusque dans les années 80 en une « bonne » moitié, la période de Weimar, et en une « mauvaise », la moitié nationalsocialiste. Aujourd’hui, il n’en est presque plus question, en général, l’entredeux-guerre est considéré comme une unité. Pourquoi cela ne serait-il pas également valable pour l’Histoire du XIXe et du XXe siècle dans sa totalité? Mais revenons à notre sujet de départ. Les années 1860 étaient marquées par les mauvais augures que représentaient les guerres bismarckiennes contre le Danemark et l’Autriche. Sur les plans politique, économique et culturel, et sur le plan de la politique de sécurité elles représentaient non seulement pour la Bel-
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gique, mais encore pour les Pays-Bas une profonde coupure. La position géographique différente des deux royaumes menait à des jugements divergents concernant les conséquences que pourrait avoir la fondation d'un Empire germanoprussien. On estimait qu'elles seraient particulièrement problématiques pour la Belgique. On reconnut vite que les intérêts français et prussiens menaçaient d’écraser le royaume âgé de quelques décennies entre eux. On estimait que l’obligation de garantie que l'on avait depuis 1839 envers la Grande-Bretagne n'était pas forcément valable dans ce contexte. Ainsi, une déclaration publique de Lord Palmerston, selon laquelle une disposition de garantie signifiait certes un droit d’intervention mais absolument pas une obligation d’intervention, permettait que l'on doute que la Grande-Bretagne apporte vraiment son aide en toutes circonstances. Ainsi, la relative absence de protection du royaume belge dans sa souveraineté encore restreinte en droit international devenait de plus en plus évidente. Un article publié en 1870 dans le journal londonien « The Times », d'ailleurs approuvé par Bismarck, confirme des tels soucis. Selon cet article, en 1866, la Prusse et la France avaient tout à fait envisagé l'annexion de la Belgique par la France, ce que la Prusse tolérerait. En conséquence, des rumeurs avaient rapidement circulé, et pour l'opinion publique belge, Napoléon III était devenu le principal danger. Il était tout de même hors de question de se tourner vers la Prusse, car la manière dont celle-ci avait agi contre le Danemark avait montré quel destin pouvait menacer un petit État voisin de la Prusse ou plutôt de la Confédération germanique, si des intérêts allemands ou prussiens étaient touchés. Alors qu’en 1864 une coopération avec la France semblait offrir une issue à la Belgique, après 1866 cela ne représentait plus une alternative sérieuse. Au contraire, au sein du gouvernement commencèrent à s'élever des voix qui voulaient aller chercher une protection contre les envies d’annexion de la France et de l'Allemagne dans une collaboration étroite, peut-être même dans une fédération, avec la Hollande. Pour les Pays-Bas une telle option n’entrait pas en ligne de compte même si l'on entendait bien plus d’un commentaire bienveillant de la part de l'entourage des membres du gouvernement. A la différence de leur voisin du Sud, les PaysBas misaient sur la neutralité conséquente qui exclurait catégoriquement aussi bien toute collaboration militaire que toute alliance. Même à La Haye, on considérait la manière d’agir et les victoires de la Prusse de 1864 et de 1866 avec inquiétude. Au plus tard après 1866, il fut évident pour le gouvernement des PaysBas qu’il fallait effectuer une nouvelle orientation de la propre politique extérieure de toute urgence. Du point de vue néerlandais, encore avant 1864, le véritable danger principal s’était trouvé dans le sud. D’un côté pour des raisons historiques, de l’autre côté parce que les ambitions de la politique extérieure de l’empereur français n’étaient que difficiles à estimer. Après 1866, par contre, une sorte de situation sur deux fronts semblait avoir pris forme: contre la France et contre la Prusse. Cette dernière était désormais devenue l’évidente puissance hégémonique de la Confédération germanique dont les Pays-Bas, le Luxembourg et Limbourg faisaient eux-mêmes partie. Le fait que le roi néerlandais fut prêt à vendre son grand-duché à l’empereur français pour ainsi être quitte de sa soif de puissance et disposer en même temps d’un allié contre la Prusse montre clairement qu’à La Haye on estimait la situation comme dangereuse. Comme chacun sait, en ayant laissé filtré ce plan, Bismarck l’avait, fait échouer et avait ainsi permis au Luxembourg de se frayer un chemin vers l’indépendance et à la neutralité (relatives au début). Néanmoins, aux Pays-Bas demeurait la
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crainte que les grands puissent s’accorder aux frais des petits. Au vu de ces événements, les voix critiques vis à vis de la Prusse gagnèrent en importance dans l’opinion publique néerlandaise. Une ombre fut jetée sur l’image tout à fait présente de la Prusse comme peuple fraternel germanique, comme frère de foi et comme camarade de combat contre l’ultramontanisme et comme contrepoids continental contre la France. Toutefois, cette perception différente était a priori associée à la personne de Bismarck qui apparut dans le camp des Néerlandais conservateurs-protestants comme un homme politique d'hégémonie cynique et non chrétien qui voulait détruire l'ordre établi, chrétien-légitime en Europe par un coup de main révolutionnaire. Certains opuscules journalistiques allemands, qui revendiquaient un rattachement étroit de la Hollande à la Prusse, alimentaient aussi le camp contre ce prussisme exagéré qui grandissait au Pays-Bas. Pensons par exemple à l’essai de Treitschke «Die Republik der Vereinigten Niederlande» [la République des Pays-Bas Unis] de 1869. Sur ce point il n’est pas surprenant qu’après le déclenchement de la guerre de 1870 la sympathie des Néerlandais aille majoritairement à la France malgré l’aversion pour Napoléon III auquel on reprochait le déclenchement de la guerre. De surcroît, la mobilisation des corps néerlandais montrait des défauts effrayants, non seulement dans l’organisation de l’armée, mais encore dans la construction des forteresses ce qui mena à la chute du gouvernement en fonction. Mais malgré certaines améliorations au niveau militaire, le nouveau gouvernement misait également sur une neutralité catégorique bien que les voix qui revendiquaient un contrôle fondamental de cette position devenaient de plus en plus fortes dans le pays. De plus, des rumeurs à propos de nouveaux projets d'annexion de la Prusse visant le Luxembourg et des doutes quant au fait que la Grande-Bretagne soit prêtes à intervenir activement dans les événements d’une guerre sur le continent en cas de violation de la neutralité nourrissaient cette position. Le Luxembourg ne fut pas annexé, ni la neutralité néerlandais ou belge blessée si bien que la Grande-Bretagne ne fut pas confrontée au choix entre intervenir ou tolérer la violation de la neutralité. Cela est toutefois moins dû à la volonté des décideurs prussiens ou français qui voulaient garder l’intégrité de la région du Benelux mais c’était le résultat du déroulement de la guerre dans laquelle de telles questions ne se posaient pas. Si cela avait été opportun, Bismarck aurait sans aucun doute abandonné le Luxembourg en faveur d’une amélioration de la position géostratégique de l’Allemagne prussienne à l’égard de la France, peutêtre même aurait-il accepté l’annexion de la Belgique par la France. Au fond c’était clair pour les responsables à La Haye et à Bruxelles et sur ce point ils réagirent tout d'abord avec soulagement face à la victoire prussienne et à la fondation d’un Empire. Mises à part quelques éraflures, ils étaient ressortis intacts de la guerre franco-prussienne. Néanmoins, la guerre avait montré clairement que les deux royaumes et le grand-duché étaient quand même vulnérables face à l’antagonisme franco-prussien qui continuait à se maintenir. De chaque côté de la frontière belgo-néerlandais la fin de la guerre provoqua de l’étonnement, de la gêne et des réflexions. Finalement, l’ordre public de Vienne était définitivement en ruine. Pendant un bon moment, son principe d’équilibre inhérent avait justement donné aux petits États européens au moins l’illusion de bénéficier d'une protection contre les ambitions des grandes puissances voisines. Par souci de l’ordre, il fallait mentionner que c’était moins l’unification alle-
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mande qui déclenchait la gêne qui se faisait sentir (en général, on la considérait comme légitime) mais la manière dont Bismarck avait atteint l’unification, c’està-dire au détriment d’un nombre important de petits États. Beaucoup d’observateurs attentifs aux événements considéraient, déjà en 1871, comme un miracle le fait que la Belgique et la Hollande aient en fin de compte été épargnées. Le jugement de l’accord de paix était à l’avenant. Les Belges ne supposaient pas que leur délicate position géostratégique s’était améliorée essentiellement après la défaite de la France. Selon le bilan que dressa Jules Greindl, l’envoyé diplomatique belge en Bavière, à la suite de la perte de l'Alsace-Lorraine, la France était certes affaiblie mais elle restait une grande puissance européenne et possédait toujours une plus grande importance politique que l'avait possédée la France de Louis XIV. C’est pourquoi il prévit de reconsolider rapidement le voisin du Sud, ce qui compenserait quelques années plus tard la prépondérance de l’empire. Il en conclu qu'on n'arriverait jamais à une convention de paix durable entre la France et l'Allemagne, notamment parce qu'une guerre des peuples avait remplacé la place guerre ministérielle. Pour Emile Banning, le conseiller du roi en matière de politique extérieure, la conclusion que « cette catastrophe [la bataille de Sedan] en écartant définitivement de la Belgique tout péril d’invasion devint le point de départ d’une phase nouvelle de sa neutralité; la période active succèdera à la période diplomatique » tomba sous le sens. Quelles possibilités de survie avait un petit État qui était situé entre deux grandes puissances hostiles à l’égard l'une de l’autre, et qui, de surcroît, représentait en quelque sorte pour chacune le territoire idéal pour se déployer en cas de guerre. Le gouvernement belge essaya de répondre à cette question avec une double stratégie : d’un côté on poursuivi la politique de neutralité catégorique sur la scène politique européenne, de l’autre la défense nationale militaire bénéficia de nettement plus d’attention qu’auparavant. Mais la construction intensifiée d’ouvrages de défense, surtout dans la vallée de la Meuse, à Namur, à Liège et à Anvers, poussèrent le budget de l’État à bout et souleva, en outre, des problèmes au niveau de la politique intérieure et de politique sociale. En 1887, le secrétaire général du ministère des Affaires étrangères à Bruxelles, Auguste Lambermont, tira un bilan lucide des efforts fournis jusque-là pour la défense. Depuis 1875, il avait déjà la conviction véhémente qu’en cas de conflit avec la France, il comptait que tôt ou tard celui-ci déclencherait, l’Allemagne envahirait en tout cas la Belgique soit en tant que garant pour la Belgique, à moins que les Français en donnèrent l'occasion, soit en tant que assaillants « purs et simples » pour l'avantage stratégique. C’est pour cette raison que, dans son mémorandum, il s’occupa à fond de la situation politique confuse en Europe et arriva à la conclusion que l’appartenance de la Belgique à une entente des États européens était la meilleure solution. Mais à ce moment-là, la façon dont s'engendrerait une telle entente n’était pas du tout claire. Il devint plus concret lorsqu'il aborda un autre point, en revendiquant une alliance avec les Pays-Bas qui, d’un côté améliorerait considérablement la situation géopolitique de la Belgique (ainsi que celle des Pays-Bas, comme il le souligna), et d'un autre côté était vouée à régler les conflits en matière de politique économique et commerciale qui existaient entre les deux pays. Le premier ministre belge, Beernaert, était d’accord avec cette proposition. Depuis longtemps celui-ci avait réfléchit à une alliance de défense belgo-néerlandais et avait déjà pré-pensé un contingent de troupes com-
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mun. Dans la région qui s'étendait entre Maastricht et Liège, un corps d’armée néerlandais devait assurer la frontière à l’est avec une unité de combat belge comprenant 60.000 hommes. En droit international, on pouvait bien justifier une telle alliance en tant que mesure pour garantir la neutralité des deux États. Au nord de la frontière on suivait avec intérêt de telles idées, auxquelles s’ajoutaient simultanément des projets d’union douanière belgo-hollandaise. Le roi Guillaume III était favorable à l’idée d’un rapprochement des deux États et réfléchissait à une alliance dynastique entre les deux dynasties royales par un mariage futur du prince Baudoin avec sa petite fille Wilhelmina. Dans des cercles commerciaux d’Amsterdam, on voyait également d'un bon œil les conséquences d’une alliance économique avec le voisin du sud. Finalement, les réflexions que cela engendra restèrent pourtant sans conséquences. Le traitement des possessions coloniales néerlandaises dans le cadre d’une union douanière s’était révélé être un problème non-résoluble aux environs de 1890. On estimait que la propre situation de sécurité posait beaucoup moins de problèmes que celle de la Belgique et on considérait que les propres forces armées étaient assez fortes pour défendre la neutralité du pays contre d'éventuels assaillants. Même si des troupes allemandes défileraient dans le pays, on croyait pouvoir rester neutre en se retirant simplement derrière la ligne de flottaison. Le flegme relatif qui parle de cette estimation de longue durée est en contradiction avec l’excitation de 1871. La méfiance régnant à l’époque à l'égard de l’empire qui venait d’être fondé et de son gouvernement politique s’était apaisée suite à la politique de Bismarck qui visait le maintien du statu quo en Europe. A la moitié des années 1870, une étude du ministère des affaires étrangères néerlandais avait mené à la conclusion que la victoire germano-prusse sur la France avait été avantageuse pour le pays, car une victoire de la France aurait très probablement entraîné l’annexion de la région à l’ouest du Rhin et aurait par conséquence signifié la chute des Pays-Bas et de la Belgique. De surcroît, le Luxembourg et Limbourg auraient été détachés du système fédéral allemand et le roi serait devenu souverain absolu, ce qui exclurait des implications futures selon le modèle du Danemark. Quelques observateurs déclaraient même « l’épée allemande le protecteur de la Belgique et de la Hollande » parce que, dans l’empire, le régime monarchique aurait été préférable à la commune parisienne. Une autre raison pour ce changement de paradigme néerlandais se trouvait dans le boom économique remarquable que les Pays-Bas avaient vécu au cours des années de fondation. Dès 1870, le Rhin avait été libéré de toutes sortes de douane et s’imposait avec succès face à des projets d’infrastructure en concurrence comme le «Rhin de fer», la ligne de chemin de fer Cologne-Anvers. À la suite des besoins d’exportation allemands après 1871, Rotterdam s’était développé en port de Rhin en fleur qui profitait du boom de l’industrie dans la Rhénanie et la Ruhr et remplaçait sous peu Anvers en tant que métropole commerciale néerlandaise. Face à de tels succès, au Pays-Bas, on était volontiers prêt à ignorer les voix s'élevant au sein de l’empire qui, face à l’importance des Pays-Bas pour le boom économique allemand, demandaient une plus étroite fusion des deux États, par exemple au moyen d'une union douanière. D’autres considéraient même l’empire colonial néerlandais comme une région pour ainsi dire idéale, grâce à laquelle on pouvait satisfaire toutes les ambitions coloniales allemandes d’un seul coup.
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L‘amitié qui venait de naître à l'égard de l'Allemagne vivait son point culminant de 1901 à 1905 dans la période du gouvernement d’Abraham Kuypers, dont l’idéologie d’État chrétien-patriarcal et organique était calquée, à quelques détails près, sur les modèles allemands. Du côté allemand, on utilisait cette ouverture d’esprit néerlandaise face à l’empire et à sa culture toutefois dans un sens tout à fait différent et sans aucun doute non apprécié du côté hollandais. Pendant le passage prévu dans la région du sud des Pays-Bas, le plan de Schlieffen, élaboré au cours de ces années, facturait la ligne politique germanophile au gouvernement Kuyper. Le renoncement à la prise en compte du territoire des Pays-Bas du Sud dans la version révisée du plan sous l’égide de Moltke, après que les successeurs de Kuypers avaient pris de la distance par rapport à l’empire, montre combien les préparations allemandes comptaient sur la bonne volonté néerlandaise lorsqu'il s'agissait de coopérer. Après 1905, le passage des troupes allemandes dans le territoire national de la Belgique resta toutefois un point central du plan Schlieffen. Les responsables politiques de Bruxelles ne se firent aucunes illusions. Bien sûr, après 1904 (entente cordiale) et après 1905 (démission du gouvernement Kuyper) ainsi que sous l’impression de la course aux armements de flottes entre l’Allemagne et la Grande-Bretagne les rapports de forces étaient clairement répandus à tel point que la Belgique put se poser contre les deux puissances occidentales. D’autant plus que, à la différence de ce qui s'était passé aux environs de 1890, on partit du principe que, si besoin, la Grande-Bretagne soutiendrait la neutralité belge de façon active. Si Henri Haag ou Jean Stengers soulignèrent tout dernièrement que la gouvernance belge n’avait pas pris le plan Schlieffen et les dangers qui en résultèrent pour la Belgique en considération, cela est sûrement juste, toutefois ils en connaissaient les grandes lignes. Il se pose donc la question de l’alternative il y aurait eu. Depuis les années 1870, il a été un élément fixe de toutes sortes de jeux de stratégie dans la politique de sécurité que les allemands enfreindraient la neutralité de la Belgique en cas de guerre avec la France. En raison de la restriction des propres possibilités de défense, de l’échec de l’alliance avec les Pays-Bas et de la claire focalisation des forces en puissances occidentales et centrales après 1904, la Belgique n'avait plus qu’à se tourner vers l’occident et l’espoir de l’intervention britannique au cas d’une violation de sa neutralité. Cela apparaît à l’évidence au plus tard en 1912 dans un rapport de l’envoyé politique belge en Roumanie au roi Albert dans lequel il l’informe en détail d’une conversation avec le roi roumain durant laquelle celui-ci parla des préparations allemandes en vue d’une guerre à l’ouest. Le rapport conclut avec cette phrase laconique : «le miracle de 1870 ne se produirait plus». J’ai traité un chapitre de l’Histoire européenne qui est à mon sens en grande partie tombé, à tort, dans l’oubli. Dans des descriptions de l’Histoire belge ou néerlandais, il est évidemment pris en compte mais dans les études allemandes, françaises ou britanniques sur l’Histoire du long XIXe siècle, l’antagonisme des grandes puissances jette généralement une ombre sur cette problématique. De plus, on peut remarquer qu’également l‘historiographie belge et néerlandais n’ont étudié le sujet qu’accessoirement et presque sans méthode dans le passé récent. Dans la science de l’Histoire allemande, les études de Horst Lademacher des années 1960 et 1970 l’ont traité pour la dernière fois en détail, en France, c’étaient les ouvrages du début des années 1990 de Marie-Thérèse Bitsch. Ce qui manque bien sûr, c’est une réévaluation étendue et systématique du sujet, puisée
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dans les dossiers, qui devrait être rédigée moins dans la perspective nationale mais incontestablement d’un point de vue européen. L’exemple du mémorandum Lambermont de l’année 1887 montre bien les potentiels qui sommeillent dans ces dossiers. À son époque il avait effectué une analyse aigüe de la problématique politique européenne et il en avait tiré des conclusions remarquables du point de vue de l’historiographie de l’intégration européenne. Il constata par exemple que la sécurité de la Belgique ne pouvait être garantie dans une entente des États européen, dont il ne savait toutefois pas à quoi elle devait ressembler. Comme deuxième meilleure solution, il recommanda une alliance avec les PaysBas, pas seulement du point de vue de la politique de sécurité mais aussi de celui de la politique économique. Par cela il a en principe formulé les lignes directrices suivies sur l’essentiel par Paul-Henri Spaak, Jan-Willem Beyen et Joseph Bech au cadre du processus de la conférence de Messine des années 1950. Tout cela se passait à une époque où le projet de l’intégration européenne menaça d’échouer en raison de la politique d’intérêts des États-nationaux, ce qui en dit long. Un regard dans les souvenirs particulièrement de Spaak montre jusqu’à quel point ses pensées étaient marquées par la problématique désespérée de son pays qui menaçait pendant des années d’être « pilé » entre les intérêts nationaux et les ambitions de deux grandes puissances. Les conséquences qui en résultaient pour lui mais aussi pour les autres représentants des États-Benelux étaient claires : Il fallait saisir le problème à la racine et créer des institutions qui élèveraient la défense des intérêts nationaux à un niveau supranational. Sur ce point l’Histoire de l’espace Benelux représente un « Lehrstück » [pièce d’apprentissage] pour les frontières, mais aussi pour les possibilités de la politique européenne dans la zone de tension des grandes puissances européennes du XIXe et XXe siècle. En tant que voisins immédiats et impliqués nous sommes, je pense, dans ce pays bien inspirés de nous occuper intensivement de ce sujet. Cela ne concerne pas seulement la recherche scientifique et devrait absolument aller plus loin. Je pourrais, par exemple, m’imaginer que ce sujet puisse être adéquat pour des semaines banalisées à l’école, aussi et justement associé à des excursions dans les pays voisins pour y entrer en contact avec des personnes de la même classe d’âge, échanger des expériences et pour y comprendre le genius loci. Cela rendrait l’Histoire accessible aux jeunes et contribuerait à ressusciter un chapitre de l’Histoire européenne à tort tombé dans l’oubli. Finalement, j’aimerais revenir brièvement aux thèses formulées au début: J’ai essayé de montrer que les expériences faites par les États du Benelux à l’époque de l'apogée de l’impérialisme ont marqué de façon durable la position de ces mêmes États au début du processus d'intégration européenne. L’insolubilité évidente du problème de survivre pour une durée illimitée comme petit État entre des intérêts rivaux des grandes puissances sans dommages mitonna dans cet espace une dynamique d’intégration à qui les trois autres États participants au processus d’intégration des années 1950 se joignirent et ainsi elle aida à surmonter les difficultés qui existaient suite à la crise de la CED de 1954. Par cela, j’ai bien sûr également montré qu’il est important de prendre en compte le XIXe siècle dans toute sorte d’études qui s’occupent des questions de l’Histoire européenne de la deuxième moitié du XXe siècle. Après tout, tous les structures et modèles de pensées que l’entreprise d’entente européenne voulait surmonter après 1950 se sont formés au cours du XIXe siècle et ont bien sûr eux-mêmes influencé durablement son cours jusqu’à présent.
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Avec ses activités, le groupe de chercheur « Ces Chers Voisins », dont des historiennes et historiens de la Belgique, du Luxembourg, des Pays-Bas, de la France et de l’Allemagne font partie aimerait contribuer à prêter de l’attention aux relations nationales, institutionnelles et personnelles dans cette partie de l’Europe. Depuis 2007, un nombre important de congrès a eu lieu à ce sujet à Strasbourg, Louvain-la-Neuve, Bruxelles et Cologne. Les articles rassemblés dans ce volume représentent des versions remaniées et actualisée des communications faites à l’occasion de la conférence « Ces Chers Voisins. Benelux, Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert » entre le 19 et 21 novembre 2008. Dans ce contexte, il faut remercier la ville de Cologne qui a mis la salle du conseil municipal à la disposition des organisateurs. Sans le soutien énergique et généreux de la chancellerie du Land de la Rhénanie-Westphalie le projet entier n’aurait pas pu être réalisé. Pour cela, un grand merci de Cologne à Düsseldorf ! Sans oublier tous les autres amis, sponsors et protecteurs du projet. Dans ce contexte je dis merci: à l‘université Robert Schuman de Strasbourg, à l’université catholique de Louvain-la-Neuve, à la communauté germanophone de Belgique, à l’Institut Français de Cologne, à la représentation de la commission européenne de Bonn, au ministère d’État du grand-duché du Luxembourg, au ministère des affaires étrangères du royaume des Pays-Bas, à la fondation Bundeskanzler-AdenauerHaus de Rhöndorf ainsi qu’au centre d'études européennes de l’université de Cologne. Je remercie les auteurs de ce volume pour leur patience, car la mise à l’impression de ce livre a encore et toujours pris du retard. Cela est en rapport avec le principe de base des « Études de l’Histoire de Intégration Européenne » qui aimeraient approfondir le débat scientifique par leur trilinguisme. Malheureusement, cette résolution mène constamment à des ralentissements, ce qui peut être lu en tant qu’indication que, de temps en temps, des frontières linguistiques font toujours obstacle au débat scientifique transfrontalier en Europe. Je veux également exprimer mes remerciements à Sebastian Funk et Kristina Weiß d’avoir résolu même les problèmes les plus coriaces en rapport avec la publication de ce livre. Un article qui rencontra un écho très positif au congrès de Cologne n’a pas pu être publié. Jörg Engelbrecht de l’université de Duisburg-Essen avait tenu une conférence sur « Neutral-Moresnet. Ein Kuriosum im deutsch-belgischen Grenzraum ». Pourtant, le 9 juin 2012 le titulaire de la chaire pour l’Histoire régionale de la région Meuse-Rhin, directeur de l’institut de l’Histoire culturelle et du développement régional du bas Rhin et un estimé collègue décéda beaucoup trop tôt à l’âge de seulement 60 ans. C’est pour cette raison que ce volume est dédié à la mémoire de Jörg Engelbrecht.
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INTRODUCTION JÜRGEN ELVERT The area that is taken into account here has always been one of the major foci in the context of modern European history. From the perspective of socioeconomic history, a tightly knit network of connections with active relations on different levels has developed here since the middle ages. Politically, the space that today encompasses the Grand Duchy of Luxemburg, the Kingdom of Belgium, and the Kingdom of the Netherlands has been a continuous and important geostrategic position for at least three of the five European great powers. Until 1648, those powers were the Habsburg Monarchy, France, and England, and since the 18th century France, Great Britain, and Prussia (or Germany). The longue durée cannot be taken into account here in detail; we are mainly interested in the conditions since the 19th century. Since then, the regional political and economic weights have shifted once again fundamentally in relation to the great neighboring powers. This shift of power did not only influence the history of the affected states significantly, but also Europe’s entire history right up until the immediate present. This can be seen clearly when one leaves the level of national history and bi- and multilateral relations and focuses on the collective European history instead. This is where I form my two initial hypotheses, based on my considerations. The first thesis assumes that the conducted security policy talks between Belgium and the Netherlands, in particular after the foundation of the Reich in 1871, and their mutual conclusions were the requirements for the pronounced approval of the Benelux in the 1950s to implement a supranationally-organised common European space. The second thesis builds upon this foundation and assumes that this willingness was one of the central preconditions for a successful implementation of the post-war process of integration in Europe. This example indicates that the watershed of 1945, which to date has been conducted under the impression of the twelve years of national-socialism by the – primarily German – science of history and divided the 20th century into two parts, should be revised if one wants to utilize a dedicated European view on history. I think that the growing distance to a historical phenomenon facilitates the identification of long-term contexts for historiography. We have already seen this happen two decades ago with the example of the interwar period, which used to be divided into a “good” half - the Weimar Republic – and a “bad” half – Germany under national-socialism – well into the 80s. Hardly anyone mentions this nowadays. The interwar period is usually considered a singular unit. Why should this not also apply to the overall history of the 19th and 20th century? But let us return to the actual subject-matter. The 1860s stood under the augury of Bismarck’s wars against Denmark and Austria. They posed deep recesses for both Belgium and the Netherlands in regard to culture, politics, economy, and security policy. The differing geographical positions of the two kingdoms led to diverging assessments of potential consequences for a Prusso-German foundation of the Reich. Belgium evaluated this development as especially problematic. Here it was recognized quickly that the kingdom, which by then was barely a few decades old, was threatened to be ground down between French
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and Prussian interests. Great Britain’s guarantee obligation to Belgium, which had existed since 1839, was not considered to be necessarily mandatory in this context. A statement by Lord Palmerston declaring that the guarantee contained the right to intervene, but no obligation to intervene, fueled doubts on Great Britain’s readiness to come to Belgium’s aid under all circumstances. The defenselessness of the Belgian Kingdom, whose sovereignty was still restricted under international law, was thus made apparent. These worries were confirmed as being justified by an article published in 1870 in the London Times, which, by the way, had been approved by Bismarck himself. The article states that an annexation of Belgium by France in the year 1866 had been considered during FrancoPrussian talks and would have been tolerated by Prussia. Corresponding rumors quickly spread throughout Europe and – from a Belgian perspective – turned Napoléon III. into its main threat. However, a dependence upon Prussia was out of the question because Prussia’s procedure against Denmark indicated the kind of destiny that could befall a small neighboring state of Prussia or the German Confederation if their interests were affected. While associating itself with France would have been a viable exit strategy for Belgium in 1864, it was no longer a viable alternative after 1866. Instead, voices were raised in Brussels’ government circles that called out for a closer cooperation, or even a federation, with Holland in order to seek protection from France’s or Germany’s cravings for annexation. From a Dutch perspective, this option was out of the question – despite some benevolent comments coming from government circles. Unlike its southern neighbor, the Netherlands emphasized its consistent neutrality that ruled out any military cooperation or even alliances with third parties. But even The Hague had observed Prussia’s advances and successes in 1864 and 1866 with great concern. By 1866, it was obvious for Dutch government circles that an urgent realignment of their own foreign policy had to be undertaken. Prior to 1864, the Netherlands saw its main threat situated south of the border. This was due to historical reasons and the fact that the foreign policy ambitions of the French Emperor were difficult to estimate. Conversely, by 1866 a situation had developed that had sandwiched the Dutch between two fronts against France and Prussia. The latter had by then attained hegemony in the German Confederation, whose membership also included the Netherlands through Luxembourg and Limburg. The willingness of the Dutch King to sell his Grand Duchy to the French emperor in order to gain peace from the great power’s ambitions and also an ally against Prussia clearly shows how threatening the situation was assessed to be in The Hague. As is generally known, Bismarck also leaked this plan, which brought about its downfall and paved Luxembourg’s way into its – initially relative – state of independence and neutrality. Nonetheless, a fear about the “big ones” coming to an arrangement to the detriment of the “little ones” persisted in the Netherlands. Against this background, voices critical towards Prussia gained significance and increasingly overshadowed the pre-existing images of Prussia as a “Germanic sister nation”, a fellow brother in faith and comrade-in-arms against ultramontanism, and as a continental counterweight against France. This changed perception was primarily linked to Bismarck, who was viewed by the conservative Protestant Dutch as a cynical and unchristian proponent of power politics, who wanted to destroy the old legitimate and Christian order of Europe through the implementation of revolutionary coups. This growing anti-Borussianism gained
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additional nourishment through many publicized treatises that demanded a closer alignment of Holland to Prussia and Germany – consider, for example, Treitschke’s 1869 essay “The Republic of the United Netherlands”. Thereby it cannot be surprising that the sympathies of the Dutch lay mainly with the French after the outbreak of the war of 1870/71 – in spite of their animosity towards Napoléon III., who was held responsible for the outbreak of war. Furthermore, the mobilization of Dutch troops revealed shocking deficits in both their army and field fortifications, which led to the downfall of the incumbent government. Even though some military improvements were implemented, the new government emphasized its strict neutrality. At the same time, critical voices in the country were heard, demanding a fundamental examination of this position – which, by the way, was fed by rumors about renewed Prussians plans for the annexation of Luxembourg and doubts about Great Britain’s willingness to intervene in the course of the war in case of a violation of neutrality. Neither the annexation of Luxembourg, nor a violation of Dutch or Belgian neutrality ever took place, and Great Britain never had to choose between either intervening or having to tolerate a violation of neutrality. Admittedly, this was less a matter of the volition of Prussian or French policy-makers to preserve the integrity of the Benelux region than a result of the course of war, where corresponding questions were not asked. If it would have been opportune, Bismarck would have relinquished Luxembourg to France without a doubt – and probably would have even accepted a French annexation of Belgium – if it would have improved Prussia or Germany’s geostrategic position against France. Basically, this was obvious to the people in power in The Hague and Brussels, and in this respect they were at first relieved about the Prussian victory and the foundation of the Reich. Except for a couple of bruises, they arose unscathed from the Franco-German War. Nonetheless, the war made clear how vulnerable both kingdoms and the Grand Duchy were in face of the still-existing FrancoGerman antagonism. The end of the war led to astonishment, unease, and concern on both sides of the Dutch-Belgian border. After all, the order established in Vienna in 1815, whose inherent principle of balance gave the smaller states of Europe at least the illusion of security against the ambitions of their bigger neighboring states, was now shattered irrevocably. It was less the German unity that triggered the noticeable unease, which was generally seen as justified, but rather the way in which Bismarck brought about the unification – on the backs of a number of small states. The fact that Belgium and Holland were ultimately spared was already declared to be a miracle by many attentive observers of the events in 1871. The evaluations of the peace agreement went accordingly. On the Belgian side it was not assumed that its own fragile geostrategic position had been improved after the defeat of France. The Belgian ambassador in Bavaria, Jules Greindl, concluded that while France had been weakened through the loss of AlsaceLorraine, it remained a European great power that still possessed over greater political leverage than it did during the reign of Louis XIV. Thus a recovery of strength of the southern neighbor, which would rebalance the predominance of the Reich in a couple of years, was soon to be expected. Greindl concluded, therefore, that a permanent peace settlement between France and Germany would never exist – not least because the “war of the cabinets” had been replaced by the “people’s war”. Emile Banning, foreign policy advisor to the King, came to the
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conclusion that «cette catastrophe [the Battle of Sedan] en écartant définitivement de la Belgique tout péril d’invasion devint le point de départ d’une phase nouvelle de sa neutralité; la période active succèdera à la période diplomatique.» So which possibilities of survival did a small state vested between two mutually hostile great powers, which also happened to be the ideal deployment area for the two in an event of war, have? Belgium’s government tried to answer this question by implementing a double strategy. On the one hand, its policy of strict neutrality was to be continued on Europe’s political stage. On the other hand, significantly more attention was given to the country’s military defense than before. However, the increased fortification – especially in the Maas valley, Namur, Liège, and Antwerp – strained the national budget excessively and thus soon raised some complicated domestic and sociopolitical issues. In 1887, the general secretary of the foreign ministry in Brussels, Auguste Lambermont, gave the existing defense efforts a sober review. He was already convinced in 1875 that Germany would definitely march into Belgium in case of a conflict with France, whose outbreak he expected to happen sooner or later. Germany would act either as the Belgium’s guarantor if France’s actions would give cause for concern, or as its aggressor in order to gain a strategic advantage. His exposé thus examined closely the political conflict of Europe and concluded that an affiliation of Belgium with an entente of European states would be the best solution – it was just unclear at that point in time how such an entente should be assembled. He was much more concrete on a different issue – he demanded an association with the Netherlands, which would considerably improve Belgium’s geopolitical situation (and also that of the Netherlands, he emphasized) and, in addition, would allow for the eradication of the existing economic and trade policy conflicts between the two countries. This proposal was met with great approval by the Belgian Prime Minister Beernaert. He himself had already been pondering about a Dutch-Belgian defensive alliance for quite some time, and in his mind had already deployed joint troops. In the area between Maastricht and Liège, a Dutch battalion and 60.000 Belgian combatants were to secure the eastern border. Under international law such an alliance could be justified as a measure towards securing the neutrality of both states. These kinds of mind games, which were simultaneously joined by plans for a Dutch-Belgian customs union, were followed with interest by the Netherlands. King William III. himself was open towards the idea of a convergence between the two states and thought about forming a dynastic alliance that would link the two royal houses through a future marriage between his young daughter Wilhelmina and the Belgian Prince Baudouin. Amsterdam’s trade circles also positively evaluated the possible outcomes of an economic association with their southern neighbor. In the end, however, these considerations remained without tangible results. How to handle the Netherlands’ colonial possession in the context of a customs union had turned out to remain an unsolvable problem around 1890. Furthermore, its own security situation was evaluated as being significantly less problematic than the one Belgium had to face. The Netherlands also deemed their own military forces strong enough to defend the neutrality of the country against aggressors. And even if German troops would march into the country, it was believed that neutrality could be preserved by simply retreating behind the waterline.
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The relative calmness that spoke through this assessment of the situation was contrasted by the excitement of 1871. The contemporary mistrust towards the newly founded Reich and its political leadership had died down by then due to Bismarck’s policy of preserving the status quo in Europe. A mid-1870s study of the Dutch foreign ministry even came to the conclusion that a Prusso-German victory over France would be an advantage for the Netherlands, while a French victory would probably lead to an annexation of the areas on the left bank of the Rhine, which in turn would lead to the downfall of Belgium and the Netherlands. Furthermore, Luxembourg and Limburg had already been separated from the German Confederation, turning their king into an unrestricted sovereign and thus preventing future entanglements with Germany like the one that Denmark had experienced. Some observers even declared the “German sword the protector of Belgium and the Netherlands“ due to the monarchic form of the Reich’s government being preferred to the one exemplified by the Paris Commune. A further reason for this Dutch paradigm shift was the remarkable economic upturn which the Netherlands had experienced during the Gründerzeit. The Rhine had already been freed from all custom duties in 1870 and was able to successfully compete with infrastructure projects such as the “Iron Rhine”, the railway between Cologne and Antwerp. Due to Germany’s export needs after 1871, Rotterdam had developed into a thriving Rhine port that profited from the industrial boom along the Rhine and Ruhr rivers and thus quickly replaced Amsterdam as the Dutch capital of trade. In view of these successes, the Netherlands was willingly prepared to ignore those voices coming from the Reich that – due to the significance the Netherlands held for the German economic upturn – demanded a closer integration between the two states, such as a customs union. Others perceived the Dutch colonial empire to be the ideal space that would be able to satisfy all of Germany’s colonial ambitions in one fell swoop. The peak of the Netherlands’ newly awakened pro-German attitudes was experienced from 1901 to 1905 and under the government of Abraham Kuypers, whose patriarchic Christian and organic political theory was largely fed by German role models. The Dutch open-mindedness towards the Reich and its culture was, however, utilized by Germany in a completely different sense that would not have been approved by the Netherlands: The Schlieffen Plan, which was mapped out during these years, and its intended military advance through the southern parts of the Netherlands would have put a heavy price on the proGerman policy of Kuyper’s government. Just how much Germany’s planning anticipated a high willingness to cooperate from the Dutch can be seen by the relinquishment of an inclusion of the southern Netherlands in the plan’s revised version. It was modified under the aegis of Moltke after Kuyper’s successors had distanced themselves from the Reich again. However, after 1905 a military advance through Belgium’s sovereign territory remained an integral element of the Schlieffen Plan. The political leaders in Brussels did not delude themselves about this. After 1904 (Entente Cordiale), 1905 (the resignation of Kuyper’s government), and under the impact of the GermanBritish naval armament race, the balance of power had been clearly distributed in such a way that Belgium was able to shift itself towards the two Western great powers – not least because it was thought that, unlike in 1890, Great Britain would now support the neutrality of Belgium actively if deemed necessary. Re-
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cent assumptions by Henry Haag and Jean Stengers emphasize that the Belgian government simply ignored the Schlieffen Plan and its subsequent dangers for Belgium. Those conclusions were surely correct, but the Belgians also only had a very vague knowledge about the plan’s goals. This raises the question concerning the possible alternatives that would have been available at the time. Germany infringement on Belgium’s neutrality in case of a war with France had been a core element of all security policy simulations since the 1870s. Due to its own limited defense capabilities, the failure of an alliance with the Netherlands, and a clear consolidation of forces into either central or western powers after 1904, the only option left for Belgium was a close alignment with the West and the hope for a British intervention in case of a violation of Belgium’s neutrality. This was clear by 1912, when Belgium’s envoy in Romania sent a report to King Albert, stating that the Romanian King told him in detail about Germany’s plans for a war in the west. The report ended with the laconic sentence, „le miracle de 1870 ne se produirait plus“. I have covered a chapter of Europe’s history that, in my opinion, has been unjustly forgotten to a large extent. Of course, in representations of the history of Belgium and the Netherlands this chapter has been accounted for. However, in German, French or British studies about the history of the long 19th century this problem is generally overshadowed by the antagonism of the great powers. Furthermore, even the Belgian and Dutch historiography of the recent past dealt with this issue only marginally and rather unmethodically. This subject was last treated in Germany in Horst Lademacher’s comprehensive studies from the 1960s and 1970s, while in France it was covered in the early 1990s by the works of Marie-Thérèse Bitschs. What is still missing is a comprehensive, systematical, and record-based reevaluation of the subject-matter, which should be less based on national point of view, and more on a pronounced European perspective. The kind of potentials that slumber within this perspective can be seen in the example of Lambermont’s exposé. He conducted a razor-sharp analysis of Europe’s political complex of problems and – from the view of the historiography of integration in Europe – drew some remarkable conclusions. He stated, for example, that Belgium’s security could only be ensured through an entente of the European states. Obviously, it was not apparent to him how this entente should look. As an alternative solution he recommended an alliance with the Netherlands; not only in regard to security policy, but also in respect to economics. In doing so, he formulated the guidelines that were largely pursued by Paul-Henry Spaak, Jan-Willem Beyen, and Joseph Bech in the context of the 1950s Messina process – tellingly during a time in which the European integration project was threatened to fail due to the politics of national interests. Particularly a view into the memoirs of Spaak demonstrate how much his thoughts were molded by the virtually hopeless issue of his country, which was threatened to be ground down between the national interests and ambitions of two great powers. The resulting consequences for him and the other representatives of the Benelux states were thus clear: The root causes of the problem had to be eliminated by creating institutions that would elevate the protection of national interests onto a supranational level. In this respect, the history of the Benelux region in the field of tension between the European great powers of the 19th and 20th centuries can be seen as a lesson for the limits, but also the possibilities of European politics. I think that we as direct neighbors and participants would be well-advised to study this subject-
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matter more intensively. This does not only concern academic research and should thus be carried further. I can imagine, for example, that this subjectmatter would be suitable for project weeks in schools, especially in connection with excursions into the neighboring countries. In this way, pupils can enter into dialogue with their peers, exchange experiences, and get a feel for the genius loci. This would be living history and breathe new life into an unjustly forgotten chapter of European history. Finally, I would like to come back to my theses formulated earlier on: I tried to show that the experiences the Benelux states went through during the phase of European High Imperialism left a lasting impact on the attitude these states held during the beginnings of the European integration process. The apparent insolubility of the issue of being a minor state trying to survive on the long-term between the rival interests of the great powers provided for an integration dynamic in this area that influenced the three others states participating in the integration process of the 1950s and helped to overcome the existing difficulties that resulted from the EDC-crisis of 1954. I thus also showed how important the inclusion of the 19th century is for all those studies that deal with questions concerning the European history of the second half of the 20th century. Ultimately, all those structures and paradigms formed in the course of the 19th century, which the European project wanted to leave behind after 1950, had a sustained influence on the course of Europe into the present. Through their activities, the research group “Ces Chers Voisins“, which encompasses historians from Belgium, Luxembourg, the Netherlands, France, and Germany, would like to contribute to raising awareness for the national, institutional and personal relationships of this part of Europe. For this purpose, a series of conferences has been taking place since 2007 in Strasbourg, Louvain-la-Neuve, Brussels and Cologne. The collected contributions in this volume are revised and updated versions of lectures that took place in Cologne during the conference “Ces Chers Voisins. Benelux. Deutschland und Frankreich im 19. Und 20. Jahrhundert“ between the 19th and 21st of November, 2008. In this context, I would first like to thank the city of Cologne, which provided the council chamber to the organisers. The entire project could not have been undertaken without the active and generous support of the Chancellery of the state North Rhine-Westphalia. For this I would like to extend a very special thanks from Cologne to Düsseldorf! Our other friends, sponsors, and supporters of this project should also not be forgotten here. In this context, I would like to thank: the Université Robert Schuman, Strasbourg, the Université Catholique Louvain-la-Neuve, the Germanspeaking Community in Belgium, the Institut Français, Cologne, the representation of the European Commission in Bonn, the state ministry of the Grand Duchy of Luxembourg, the foreign ministry of the Kingdom of the Netherlands, the Foundation Federal Chancellor Adenauer House, Rhöndorf, and the Center for Comparative European Studies of the University of Cologne. I would also like to thank the authors of this volume for their patience during the times when the printing date was being repeatedly delayed. This issue was connected to the basic principle of the “Studies of the History of the European Integration”, which strives to deepen Europe’s academic discourse through its trilingual approach. Unfortunately, this goal repeatedly leads to delays, which can also be interpreted as a hint for the tangible language barriers that occasionally throw obstacles into the cross-border academic discourse. I would also like to thank Sebas-
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tian Funk and Kristina Weiß for solving even the most persistent problems linked to the publication of this book. Unfortunately, one of the contributions that had been received with positive feedback during the conference could not be printed in time for this volume. Jörg Engelbrecht from the University of Duisburg-Essen reported on “Neutral-Moresnet. Ein Kuriosum im deutsch-belgischen Grenzraum”. However, on the 9th of June, 2006, the holder of the chair of Regional History of the Rhine-Meuse region, director of the Institute for Cultural History of the Lower Rhine and Regional Development, and highly esteemed colleague, died far too young at the age of 60. This volume is thereby dedicated to the memory of Jörg Engelbrecht.
Partie 1
DAS DREIECK BENELUX-D-F IM SCHATTEN DER BEIDEN WELTKRIEGE DES 20. JAHRHUNDERTS
LES INTELLECTUELS ET L’IDEE EUROPEENNE DANS L’ENTRE-DEUX-GUERRES GENEVIÈVE DUCHENNE 1. Eviter un double écueil Evoquer les intellectuels et l’idée européenne dans l’entre-deux-guerres revient à risquer de se heurter à un double écueil tant il est, en effet, malaisé de définir ce que recouvrent exactement les notions d’« intellectuel » et d’« idée européenne ». Aussi, avant de revisiter « l’Europe de quelques esprits »1 – à savoir l’Europe de quelques Belges qui ont appréhendé plus spécifiquement cet espace recouvert par le « triangle » Benelux, France, Allemagne –, sans doute n’est-il pas superflu de baliser le propos par quelques réflexions. Nous ne tenterons pas ici de définir ce qu’est un « intellectuel » – la question est à ce point complexe qu’elle occupe, depuis bientôt trente ans, l’historiographie française. Michel Trebitsch2, l’un des experts de ce champ de recherche, s’interrogeait d’ailleurs, à l’aube du XXIe siècle, sur l’opportunité de fournir une définition définitive3. Bien entendu, il ne remettait pas en question le critère d’« engagement »4 – l’intellectuel étant celui qui, ayant acquis une notoriété dans un domaine artistique, scientifique, philosophique ou littéraire, va mettre son nom au service d’une cause. Toutefois, il insistait sur la nécessité de comparer, de relativiser et de contextualiser le mode d’intervention de l’intellectuel 1
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Nous paraphrasons à dessein M. Trebitsch qui a remarquablement étudié la question. Cf. M. TREBITSCH, « L’Europe des esprits: les intellectuels et l’idée européenne dans l’entre-deuxguerres », in M. BRUNET, P. LANTHIER (dir.), L’inscription sociale de l’intellectuel, s.l., L’Harmattan – Les Presses de l’Université de Laval, 2000, p. 113–130. Voir également de N. RACINE et de M. TREBITSCH, « L’Europe avant la pluie. Les intellectuels et l’idée européenne dans l’entre-deux-guerres », in Mélusine, t. XIV, 1994, p. 22–33; « L’Europe des intellectuels dans l’entre-deux-guerres », in Équinoxe, Printemps 1997, p. 23–36. Rappelons ici que l’historien – aujourd’hui décédé – a animé, aux côtés de Nicole Racine, le Groupe de recherche sur l’histoire des intellectuels à l’Institut d’histoire du temps présent. Voir, parmi de nombreuses publications, N. RACINE, M. TREBITSCH (dir.), Sociabilités intellectuelles. Lieux, milieux, réseaux, Cahiers de l’Institut d’Histoire du Temps présent, mars 1992 (Cahier n°20); N. RACINE, M. TREBITSCH, Intellectuels engagés d’une guerre à l’autre. Cahiers de l’Institut d’Histoire du Temps présent, mars 1994 (Cahier n°26); M. TREBITSCH, M.-Ch GRANJON., Pour une histoire comparée des intellectuels, Bruxelles, Complexe – IHTP/CNRS, 1998 (Histoire du temps présent). M. TREBITSCH, « Devons-nous définir l’intellectuel? », in L’inscription sociale de l’intellectuel, op. cit., p. 35–40. Critère essentiel pour les auteurs du Dictionnaire des intellectuels français. Les personnes, les lieux, les moments, Paris, Seuil, 2002 (cf. J. JULLIARD, M. WINOCK, « Introduction », p. 11–18). Voir aussi et entre autres de J.-F. SIRINELLI, Les intellectuels en France de l’affaire Dreyfus à nos jours, Paris, Armand Colin, 1986; « Générations intellectuelles », Cahiers de l’Institut d’histoire du temps présent, n°6, novembre 1987; Génération intellectuelle: Khâgneux et normaliens dans l’entre-deuxguerres, Paris, Presses Universitaires de France, 1994 (Quadrige, n°160); Intellectuels et passions françaises. Manifestes et pétitions au XXe siècle, Paris, Fayard, 1990.
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dans la Cité. Et l’historien de noter, à titre d’exemple, que la notion de travailleur intellectuel fut l’enjeu d’un important débat dans l’entre-deux-guerres notamment auprès du Bureau international du Travail (BIT)… Cette remarque a son importance lorsque l’on sait que l’idée européenne – idée qui surgit avec force après la Première Guerre mondiale pour contrer le déclin et éviter la guerre5 – n’a pas été, à l’époque, l’apanage des seuls « intellectuels »6. Une « élite »7, au profil souvent bigarré – elle est représentée par des avocats, des médecins, des industriels, des professeurs, des ingénieurs, des publicistes, des imprimeurs, des économistes, etc. – s’est aussi engagée, parfois corps et âme, dans la défense d’un idéal … l’unification de l’Europe8. « Il est nécessaire », remarquait d’ailleurs en 1933 l’ingénieur Robert Billiard – membre de la Chambre de Commerce de Bruxelles et européiste convaincu – « que les élites, très méconnues en ces temps de revendications souvent démagogiques fassent entendre à l’opinion publique la voix de la logique et de la pensée réfléchie »9… Sans doute ces hommes sont-ils, pour la plupart d’entre eux, peu connus, mais il n’empêche qu’en prenant la plume, qu’en signant des manifestes, qu’en organisant des conférences, ils ont eux aussi proposé une autre vision de la société européenne, une autre façon de gérer la Res Publica. Si cette réflexion, a surtout été portée par de « jeunes relèves »10, elle fut aussi relayée par des hommes politiques soucieux de sortir l’Europe, et partant leur pays, de l’impasse versaillaise11. Aussi – et j’en viens à une seconde remarque – dénier aux hommes politiques le statut d’« intellectuel » – comme le proposent Jacques Julliard et Michel Winock12 – parce qu’« ils ne se sont pas engagés dans l’action politique, puisque par définition, ils s’y trouvent déjà »13 – pose un double problème. 5 6
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R. FRANK, « Les contretemps de l’aventure européenne », in Vingtième siècle, n°60, octobredécembre 1998, p. 82–101. Comme le suggère encore dernièrement l’article de M. LEYMARIE, « Intellectuels », in Y. BERTONCINI (e.a.) (dir.), Dictionnaire critique de l’Union européenne, Paris, Armand Colin, 2008, p. 237–243. Il faudrait également revenir sur cette notion. En attendant, consulter S. KELLER, « Elite », in D. L. SILLS (ed.), International Encyclopedia of Social Sciences, vol. 5, New York, The Macmillan Company & the Free Press, 1972, p.26–29. Cf. G. DUCHENNE, Esquisses d’une Europe nouvelle. L’européisme dans la Belgique de l’entre-deuxguerres (1919–1939), Bruxelles, PIE-Peter Lang, 2008 (Euroclio. Etudes et documents, n°40). Archives de l’Université catholique de Louvain (AUCL), Gehec, Papiers Ch. Roger, Dossier n°2: Lettre de R. Billiard à Ch. Roger, Bruxelles, 1933. Cf. O. Dard, Le rendez-vous manqué des relèves des années 1930, Paris, PUF, 2002 (Le Nœud Gordien); O. DARD, E. DESCHAMPS (dir.), Les relèves en Europe d’un après-guerre à l’autre. Racines, réseaux, projets et postérités. Actes du colloque international d’histoire, Luxembourg, les 16, 17 et 18 mars 2005, Bruxelles, PIE-Peter Lang, 2005 (Euroclio. Études et documents, n°33). Signé le 28 juin 1919, le traité de Versailles devait en principe régler le sort de l’Allemagne et de l’Europe. En réalité, il hypothéquera lourdement le retour « d’une paix stable ». Cf. E. J. HOBSBAWM, L’Âge des extrêmes. Histoire du court XXe siècle, Bruxelles, Complexe, 1994, p. 60. Sur le traité de Versailles et ses répercussions dans l’entre-deux-guerres, cf. J.-J. BECKER, « Versailles, antichambre de la prochaine catastrophe », in 14–18, la très Grande Guerre, Paris, Le Monde Éditions, 1994. J. JULLIARD, M. WINOCK, « Introduction », in Dictionnaire des intellectuels français, op. cit., p. 11– 18. Ibid., p. 18.
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Premièrement parce que l’idée européenne est, dans l’entre-deux-guerres, « un fait d’opinion » qui ne parvient pas à s’imposer14. Dès lors, écarter de facto les hommes politiques d’un corpus d’intellectuels sous prétexte qu’« en proposant des analyses politiques ou des préceptes pour l’action, [ils] ne sont pas sortis de leur domaine professionnel; [mais] au contraire, ils ont voulu donner à celui-ci sa véritable dimension »15, présuppose que la cause défendue est au préalable inscrite à l’agenda politique. Or, cette posture nous semble anachronique. Ne pourrait-on pas considérer qu’un homme politique est un intellectuel lorsqu’il s’engage pour défendre une cause qui n’a pas encore complètement envahit l’espace politique? Deuxièmement, et plus fondamentalement, plaider pour l’application du label « intellectuel » à certains hommes politiques engagés, relève d’une perspective européenne. De fait, il est apparu qu’en Belgique, en Allemagne, comme en Europe centrale et orientale16, l’imbrication des « élites culturelles à la classe politique » est très forte17. A tel point que l’historien allemand Hans-Manfred Bock notait, à l’issue d’une large étude sur le sujet, « on a l’impression que la constitution des intellectuels en un groupe social autonome, à l’instar de la France, serait plutôt l’exception et l’intégration des intellectuels dans les élites culturelles ou politiques presque la règle »18. C’est pour cette raison, que « l’intellectuel belge » passe pour être un « oxymore » au « statut improbable »19. Il ne convient pas ici d’en détailler les raisons – pilarisation de la société belge, pluralité linguistique, etc. –, mais de convenir que l’imbrication des élites politiques et culturelles est telle qu’elle engage à reconsidérer la distinction à opérer entre sphère politique et sphère intellectuelle. Pour clore cette brève réflexion, notons que la question devient plus cruciale encore aux lendemains de la Deuxième Guerre mondiale. De fait, plusieurs intellectuels, belges notamment – curieusement partisans depuis longtemps de l’unification européenne20 –, seront condamnés par les tribunaux militaires pour faits de « collaboration politique, culturelle et intellectuelle » selon l’article 118bis 14
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A l’instar du pacifisme d’ailleurs. Cf. J.-F. SIRINELLI, « La France de l’entre-deux-guerres: un trend pacifiste? », in M. VAÏSSE (dir.), Le Pacifisme en Europe des années 1920 aux années 1950, Bruxelles, Bruylant, 1993, p. 45–50. J. JULLIARD, M. WINOCK, « Introduction », in Dictionnaire des intellectuels français, op. cit., p. 11– 18. Cf. W. LEPENIES, Qu’est ce qu’un intellectuel européen? Les intellectuels et la politique de l’esprit dans l’histoire européenne. Chaire européenne du Collège de France 1991–1992, Paris, Le Seuil, 2007, p. 37 (Traces écrites). Cf. H. M. BOCK, « Histoire et historiographie des intellectuels en Allemagne », in Pour une histoire comparée des intellectuels, op. cit., p. 79–95. Ibid., p. 79. Cf. P. ARON, J. GOTOVITCH, « Situation des intellectuels en Belgique », in Histoire comparée des intellectuels, Journée d’études, CERI, 23 janvier 1997, p. 11–18; P. ARON, « Existe-t-il un intellectuel belge? », in L’inscription sociale de l’intellectuel, op. cit., p. 21–24; C. VANDERPELEN-DIAGRE, J. GOTOVITCH, « Fascisme, autorité, identité. Valeurs des intellectuels francophones et flamands dans la collaboration », in A. BETZ, S. MARTENS (dir.), Les intellectuels et l’Occupation (1940–1944). Collaborer, partir, résister, Paris, Autrement, 2005, p. 278–279 (Mémoires, n°16). Belges mais aussi français. Cf. B. BRUNETEAU, « L’Europe nouvelle » de Hitler. Une illusion des intellectuels de la France de Vichy, Monaco, Éditions du Rocher, 2003, p. 10 (Démocratie ou totalitarisme).
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du Code pénal21. Autrement dit, si « l’histoire des intellectuels a partie liée, dès ses origines, avec la machine judiciaire »22, elle fait aussi intiment partie de la mécanique politique…
2. L’Europe de quelques esprits Si les élites intellectuelles et économiques ont été nombreuses à prendre, dans l’entre-deux-guerres, le parti de l’Europe23, tous – loin de là – ne se sont pas enflammés pour la cause... Les consciences européennes, ivres de nationalisme, sont alors fortement marquées par le souvenir douloureux de la Première Guerre mondiale – conflit sanglant, violent, fratricide qui a disqualifié l’Allemagne. a) Entre France et Allemagne Pourtant, des voix se rejoignent – au-delà du clivage vainqueurs/vaincus – pour demander l’instauration des Etats-Unis d’Europe. Or, la difficulté sera bien, dans un premier temps, de réconcilier les frères ennemis: « Dans une barque qui sombre », prévient le socialiste Jules Destrée24, « tous ceux qui sont menacés doivent faire un effort pour se sauver ensemble, sans commencer à discuter si le père d’un des passagers s’est mal conduit envers le père d’un autre. L’Europe, à mon avis, est dans une situation analogue. Elle risque de périr si elle n’arrive pas à s’unir »25. Et si, à l’époque, chacun pense que son pays, par ses qualités nationales, est le plus qualifié pour présider à l’unification du continent26, ce chauvinisme européiste étreint particulièrement la Belgique27. De fait, ce petit Etat, né en 1830, fort de 30 153 kilomètres carrés, entouré de grands et de petits voisins, occupe une place stratégique dans un espace européen en quête de stabilité et il entend bien le prouver28. Le discours est connu et entendu: « Trait d’union » entre la France et 21 22 23 24
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Loi du 8 juin 1867 portant le nouveau Code pénal, art. 118 bis. Cf. L HUYSE, S. DHONT, La répression des collaborateurs (1942–1952). Un passé toujours présent, Bruxelles, Crisp, 1993. Pour reprendre la belle expression de P. LEPAPE, « Le procès de l’erreur », in Le Monde, 26 septembre 1997. Il est ici question de « l’affaire Sofri ». R. FRANK, « Les contretemps de l’aventure européenne », in Vingtième siècle, n°60, octobredécembre 1998, p.87. Député socialiste de Charleroi, ancien ministre des Sciences et des Arts, Jules Destrée (Marcinelle, 21 août 1863 – Bruxelles, 3 janvier 1936) sera l’un des promoteurs les plus actifs de l’idée européenne en Belgique. Cf. G. DUCHENNE, « La pensée européenne du socialiste Jules Destrée », in Annales d’études européennes de l’Université catholique de Louvain, vol. 5: La Belgique et l’Europe, Bruxelles, Bruylant, 2001, p. 21–45. J. DESTREE, « Les États-Unis d’Europe », in Le Soir, 31 août 1929, p. 1. S. SCHIRMANN, Quel ordre européen? De Versailles à la chute du IIIe Reich, Paris, Armand Colin, 2006, p. 257 (L’Histoire au présent). Cf. G. DUCHENNE, Esquisses, op. cit., p. 49–63 et 639–653. Cf. M. DUMOULIN, « La Belgique entre la France et l’Allemagne », in E. LEONARDY, H. ROLAND (Hrgs), Die deutsch-belgischen Beziehungen im kulturellen und literarischen Bereich / Les Relations culturelles et littéraires belgo-allemandes 1890–1940, Frankfurt/M., Peter Lang, 1999, pp.15–28; H. ROLAND, « Âme belge, ‘entre-deux’ et microcosme: d’une fin de siècle à l’autre », in Textyles: Une Europe en miniature?, 2004, n°24, p. 7–15.
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l’Allemagne, la Belgique, « champ de batailles où l’Europe vient vider ses querelles » doit, « dans l’intérêt de la paix et l’équilibre européen », présider à l’union de ses voisins. C’est là que réside « sa mission » et, par-delà, « son salut »29. Pourtant, dans les années 1920, la diplomatie belge lorgne davantage vers la France de Briand… et curieusement, si des voix s’élèvent pour prôner la réconciliation avec la République de Weimar, l’opinion publique belge se méfie toujours beaucoup de l’horrible « Germania » et de l’affreux « Fritz »30. D’ailleurs, bien que stratégiquement situé entre l’Allemagne et la France, la Belgique ne semble pas avoir été la cible privilégiée de la propagande menée – depuis l’Autriche et non depuis l’Allemagne! –, par le prince Karl-Anton Rohan et par le comte Richard Coudenhove-Kalergi31. Rohan et ses Unions intellectuelles32 entretiennent, en effet, des liens plus étroits avec l’industriel luxembourgeois Emile Mayrisch et son Comité franco-allemand d’information et de documentation33; Coudenhove oriente davantage sa propagande paneuropéenne vers les pays de l’ancien empire autrichien – Autriche, Hongrie et Tchécoslovaquie – et vers l’axe Paris-Berlin34. La méconnaissance réelle ou supposée de la langue allemande en Belgique aurait-elle pénalisé l’européisme? C’est ce que croit l’avocat et futur diplomate
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G. DUCHENNE, « L’idée européenne en Belgique des années 20 aux années 50 », in G. DUCHENNE, V. DUJARDIN, M. DUMOULIN (dir.), Rey, Snoy et Spaak. Fondateurs belges de l’Europe. Actes du colloque de Rome des 10 et 11 mai 2007, Bruxelles, Bruylant, 2008, p. 35–53 (Bibliothèque de la Fondation Paul-Henri Spaak). Voir, outre les caricatures de Sennep ci-après, M. WIDART, « L’Allemand sous les coups de crayon: la représentation de l’Allemand à travers la caricature politique belge francophone de l’entre-deux-guerres », Mémoire de licence en histoire, Université catholique de Louvain, 2000. A ce sujet, cf. G. MÜLLER, « Richard Coudenhove-Kalergi et Karl-Anton Rohan: ‘la fuite sans fin’? Les communautés franco-allemandes après la Première Guerre mondiale et les projets pour l’unité européenne entre Vienne et Paris », in G. BOSSUAT, D. SAUNIER (dir.), Inventer l’Europe. Histoire nouvelle des groupes d’influence et des acteurs de l’unité européenne, PIE-Peter Lang, Bruxelles, 2003, p. 95–109 (Euroclio, n°27); « L’Europe de la culture ou une nouvelle aristocratie européenne: les réflexions et les projets de la ‘Fédération internationale des Unions intellectuelles’ (1924–1934) », in S. SCHIRMANN (dir.), Organisations internationales et architectures européennes (1929–1939). Actes du Colloque de Metz (31 mai – 1er juin 2001), Metz, 2003, p. 135–152 (Centre de recherche histoire et civilisation de l’Université de Metz, n°24). Le journaliste et écrivain Pierre Daye (Bruxelles, 24 juin 1892 – Buenos Aires, janvier 1960) semble être la personne de contact privilégiée de Rohan en Belgique. Cf. Archives et Musée de la Littérature (AML), Bruxelles: Papiers P. Daye: Lettre de K.-A. Rohan à P. Daye, Vienne, 29 juillet 1925. À propos de l’industriel luxembourgeois, Émile Mayrisch (Eisch, 10 novembre 1862 – 5 mars 1928), cf. J. BARIETY, « Le rôle d’Émile Mayrisch entre sidérurgies allemandes et françaises après la Première Guerre mondiale », in Relations internationales, n°1, mai 1974, p. 123–137; Ch. BARTHEL, « Émile Mayrisch et les dirigeants de l’Arbed entre la Belgique, la France et l’Allemagne: rivalités et complicités (1918–1925) », in M. DUMOULIN (éd.), Réseaux économiques et construction européenne. Economic Networks and European Integration, PIE-Peter Lang, Bruxelles, 2004, p. 125–144 (Euroclio, n°29). Cf. L. JILEK, « Paneurope entre 1923 et 1940: la réception du projet en Europe centrale et occidentale », in Relations Internationales, n°72, hiver 1992, p. 409–432.
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Henri Rolin35 qui consacre, en juillet 1925, un article au livre programmatique Paneuropa. Dans L’Esprit civique, sous le titre « États-Unis d’Europe », Rolin regrette précisément le silence qui entoure le projet paneuropéen36. Déplorant « l’ignorance réelle ou prétendue de la langue allemande dans le grand public »37, il reconnait à l’ouvrage « une complète originalité de pensée ». Rolin estime, cependant, que le projet de Coudenhove recèle deux erreurs à savoir d’exclure la Grande-Bretagne qui « manifeste expressément sa communauté d’intérêts avec les Nations d’Europe occidentale » et d’exagérer « le péril russe »38. Il conclut néanmoins par ces quelques mots: Mais s’il se trompe, il n’est pas le seul. En France comme en Allemagne et jusque dans la correspondance des diplomates, l’expression des États-Unis d’Europe acquiert de plus en plus de vogue. Il nous a paru utile de faire connaître à nos lecteurs un de ceux qui défendent cette idée avec le plus de précision et de force.39 Mouvement phare du courant européiste des années 192040, l’Union paneuropéenne se présentera en Belgique comme un élément stimulant le débat sur l’unité européenne. En ce sens, plus que les moyens à mettre en œuvre pour fédérer l’Europe, c’est essentiellement la place que devraient occuper la GrandeBretagne et les colonies dans l’espace européen qui retient l’attention des intellectuels belges41. De même, nombreux sont ceux qui insisteront sur les relations pacifiques que devrait entretenir l’Union européenne avec la Russie soviétique, d’une part, et les Etats-Unis d’Amérique, d’autre part. Mais, défini en réaction à l’équilibre instable instauré par les traités de paix, le programme paneuropéen sera directement tributaire du durcissement des relations franco-allemandes. Dès 1931, en décidant de soutenir le rapprochement économique entre l’Allemagne et l’Autriche42 – « prélude à une union douanière des États européens » – et les thèses révisionnistes allemandes, Coudenhove hypothèquera lourdement son crédit vis-à-vis de l’opinion publique française… et belge. « En Belgique », avertissait pourtant en juillet 1927 le ministre belge Aloïs van de Vyvere43, alors président de la section belge de Paneuropa, « il y a une opinion favorable à toutes les initiatives en vue de la paix. Mais, en même temps, aussitôt qu’il y est question
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A propos d’Henri Rolin (Gand, 3 mai 1891 – Bruxelles, 20 avril 1973), véritable « chantre de la sécurité collective », voir R. Devleeshouwer, Henri Rolin (1891–1973). Une voie singulière, une voix solitaire, Éditions de l’Université de Bruxelles, 1994. H. ROLIN, « États-Unis d’Europe », in L’Esprit civique, n°5, juillet 1925, p. 4. Ibid. Ibid. Ibid. F. THERY, Construire l’Europe dans les années 1920. L’action de l’Union paneuropéenne sur la scène franco-allemande, 1924–1932, Genève, Institut Européen de l’Université de Genève, 1998, p. 155 (Euroypa études 7–1998). Cf. G. DUCHENNE, Esquisses, op. cit., p. 288–298. R. COUDENHOVE-KALERGI, « Deutsch-Oesterreichische Zollunion », in Paneuropa, 7e année, (mars 1931), p. 98–114. A propos d’Aloïs van de Vyvere, cf. V. JANSSENS, Burggraaf Aloïs van de Vyvere in de geschiedenis van zijn tijd (1871–1961), Tielt, Lannoo, 1982, p. 237.
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de problèmes politiques, se manifeste un souci dominant de rester en accord parfait avec la France »44. Autrement dit, l’attitude des élites engagées au sein de Paneuropa/Belgique illustre bien le paradoxe de l’époque: tendre la main à l’Allemagne n’exclut pas une germanophobie de bon ton. Aussi, van de Vyvere n’hésite-t-il pas à conseiller à Coudenhove de changer le nom de son association: « Je me demande », écrit-il en juin 1929 à la suite de l’échec de l’implantation du mouvement à Bruxelles, « si le nom de Paneuropa n’est pas plutôt une cause de malentendus et de suspicions, et s’il ne faudrait pas trouver une autre dénomination? »45 – suggestion qui ne dut guère plaire à Coudenhove…46 Et van de Vyvere d’insister sur la nécessité de collaborer, le plus étroitement possible avec « les personnalités françaises les plus marquantes, et notamment avec Briand »47. Cette germanophobie affleure même chez les militants plus convaincus. Dans une lettre adressée en juillet 1927 à son homologue allemand, Friedrich von Lupin, le secrétaire général de Paneuropa/Belgique, le docteur Irénée van der Ghinst48, n’hésite pas à pourfendre l’Allemagne. Au même moment, il est vrai, la commission d’enquête du Reichstag a conclu à l’existence d’une guerre des francstireurs en Belgique pendant la Grande Guerre provoquant l’irritation de la Belgique49. Aussi, en dépit de son engagement européiste, van der Ghinst, ancien combattant de 14–18, détaille les atrocités perpétrés par l’Allemagne et revient sur la déclaration de guerre brutale, sur les dévastations inutiles de plusieurs villes, sur les impôts de guerre, sur les fusillades, sur les destructions d’usines, sur les déportations d’ouvriers…50 Dès lors, le médecin – il « s’enorgueillit d’avoir fait la guerre avec honneur, d’avoir servi loyalement (son) pays, mais sans rougir d’aucun acte posé vis-à-vis des ci-devant ennemis » – déplore le manque d’acuité politique de Coudenhove qui « ne semble pas se rendre compte que toute initiative venant de pays ci-devant ennemis rencontre ici une opposition sérieuse »51. Autrement dit, l’ère locarnienne n’a que superficiellement désamorcé les esprits. Si la France de Briand propose entre 1929 et 1930 de créer « une sorte de 44 45 46 47 48
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Rossiiskii Gosudarstvennyi Voennyi Arkhiv (RGVA), Moscou: Paneuropäische Union (PU), 554 I 13: Lettre d’A. van de Vyvere à R. Coudenhove-Kalergi, Bruxelles, 29 juillet 1927. RGVA, PU, 554 I 22: Lettre d’A. van de Vyvere à R. Coudenhove-Kalergi, Bruxelles, 11 juin 1929. Au sujet de l’ambivalence du vocable, cf. L. JILEK, « Paneurope entre 1923 et 1940 », op. cit., p. 415. Ibid. Au sujet du médecin belge (Bruges, 28 juillet 1884 – Watermael-Boisfort, le 30 avril 1949), cf. G. DUCHENNE, « Irénée Van der Ghinst », in Nouvelle biographie nationale, t. 9, Bruxelles, Académie royale de Belgique, 2007, p. 366–370. « Enquête pour rire: Le mensonge allemand des francs-tireurs », in Le Soir, 22 juillet 1927, p. 2. Au sujet de la légende des francs-tireurs en Belgique, cf. F. VANLANGENHOVE, Comment naît un Cycle de légendes, Francs-tireurs et atrocités en Belgique, 1916; et M. BLOCH, « Réflexions d’un historien sur les fausses nouvelles de la guerre », in E. BLOCH (textes réunis par), Écrits de guerre (1914–1918), Paris, Armand Colin, 1997. Voir, enfin, J HORNE, A. KRAMER, 1914. Les atrocités allemandes, Paris, Tallandier, 2005 (Contemporaine). RGVA, Paneuropäische Union Deutschland (PUD), 771 I 132: Lettre d’I. Van der Ghinst à F. von Lupin, Bruxelles, 11 juillet 1927. Ibid.
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lien fédéral » entre les nations européennes, elle refuse obstinément de réviser le Traité de Versailles… Or, c’est ce statu quo qui sera très largement dénoncé par les jeunes générations qui, au tournant des années 20 et 30, estiment au contraire qu’il faut changer la donne52. Aussi, le mot d’ordre de la revue parisienne Plans fera-t-il de nombreux émules parmi une jeunesse européenne qui n’a que faire du clivage vainqueurs/vaincus: « La paix a été manquée. Les traités sont l’amalgame de deux conceptions contradictoires. L’une juridique et jacobine, conçoit la paix comme une sanction comportant humiliation et réparation. L’autre évangélique et humanitaire, fait du vainqueur l’organisateur de la paix perpétuelle. Ne pouvant les concilier, on les a ajoutées au petit bonheur. »53 En attendant, la Belgique est mise hors jeu par deux grands voisins. Le rapport de force sans cesse croissant qui oppose l’Allemagne et la France54 et la crise économique qui s’abat sur l’Europe à la suite du crash boursier de Wall Street d’octobre 1929, l’obligent à chercher d’autres planches de salut. b) Les Pays-Bas et le Grand-Duché de Luxembourg Pour éviter l’effacement d’un pays qui n’a cessé d’être, depuis des siècles, un enjeu politique, économique et financier55, les responsables du pays se tournent vers leurs homologues néerlandais et luxembourgeois. Le 22 décembre 1930, la Belgique, aux côtés de la Norvège, de la Suède, du Danemark, des Pays-Bas et du Luxembourg, adhère au groupe d’Oslo qui préconise la coopération économique internationale pour abaisser les barrières commerciales et favoriser la coopération économique régionale et bilatérale56. Un an et demi plus tard, soit le 20 juin 1932, la Belgique signe à Ouchy, près de Lausanne, une convention avec les Pays-Bas et le Luxembourg pour réactiver et faciliter les échanges entre ces trois pays. L’initiative qui devait servir d’exemple pour d’autres accords n’attira aucun État, mais permit néanmoins une collabora-
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Cf. G. DUCHENNE, Esquisses, op. cit., p. 119–202. « La Ligne Générale », in Plans, n°2, février 1931, p. 5. G. DUCHENNE, « Les ambitions et les stratégies européennes d’un petit État: le cas de la Belgique des années 20 aux années 50 », in B. BRUNETEAU, Y. CASSIS (dir.) L’Europe communautaire au défi de la hiérarchie, Bruxelles, PIE-Peter Lang, 2007, p. 97–121 (Euroclio. Etudes et documents, n°32). Cf. M. DUMOULIN, « La Belgique entre la France et l’Allemagne », op. cit., p. 25. Sur la période antérieure, cf. M.-Th. BITSCH, La Belgique entre la France et l’Allemagne 1905–1914, Paris, Publications de la Sorbonne, 1994. G. VAN ROON, « Rapprochement en vagues successives. La préhistoire du Benelux », in A. POSTMA (e.a.) (dir.), Regards sur le Benelux. 50 ans de coopération, Bruxelles, Racine, 1994, p. 26– 30; et, du même auteur, Kleine landen in krisis tijd, van Oslostaten te Benelux (1930–1940), Amsterdam – Bruxelles, 1987, p. 63–119. Voir aussi les travaux de Th. GROSBOIS: « La naissance du Benelux (1941–1944) », in Cahiers du Centre de recherches de la Seconde Guerre mondiale, t. XV, décembre 1992, p. 53–100; « Les projets des petites nations du Benelux pour l’après-guerre (1941–1947) », in Plans des temps de guerre pour l’Europe d’après-guerre. Actes du colloque de Bruxelles, 12–14 mai 1993, Bruxelles, Bruylant, 1995, p. 95–125.
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tion économique et politique plus étroite entre les trois pays signataires57. Ces rapprochements, dictés surtout par la pression des événements dramatiques des années 1930, conduiront, le 5 septembre 1944, à la formation d’une nouvelle organisation régionale: le Benelux58 – considéré parfois comme un modèle d’intégration régionale réussie59, voire comme « le laboratoire de l’Europe »60. Toutefois, la Belgique n’a pas attendu la grande dépression des années 1930 pour rechercher des ententes régionales. Le 25 juillet 1921, elle avait, en effet, signé avec le Luxembourg une convention économique – l’Union économique belgo-luxembourgeoise (UEBL) – qui sera longtemps perçue par le Grand-Duché comme très contraignante – la Belgique est alors perçue « comme une puissance dominatrice »61. Il est vrai que les revendications territoriales telles que celles énoncées au sortir de la Grande Guerre par le Comité de Politique nationale (CPN) de Pierre Nothomb – on y retrouve Jules Destrée et Irénée Van der Ghinst – à savoir « un Escaut libre jusqu’à la mer, un Limbourg libéré, une influence belge en Rhénanie et un Luxembourg affranchi de toute ingérence étrangère »62 – avaient de quoi irriter le Luxembourg et… les Pays-Bas. De même, la conclusion d’accords commerciaux avec les Pays-Bas n’a pas toujours suscité l’unanimité du côté belge. Les unions douanières – « embryons de la future fédération européenne » – sont d’ailleurs âprement discutées par la Chambre de Commerce de Bruxelles où s’affrontent, à l’hiver 1930–1931, deux visions européennes63. L’ingénieur paneuropéen Robert Billiard et l’économiste louvaniste Fernand Baudhuin64 défendent avec acharnement une union douanière avec la Hollande et les pays du Nord. Leur principal détracteur est alors Paul Ectors, vice-président de la Chambre de Commerce de Bruxelles, qui tout 57 58
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Cf. Ch. KONINCKX, Léopold III, roi et diplomate. La politique extérieure de la Belgique et les initiatives de paix pendant l’entre-deux-guerres 1934–1940, Anvers, Éditions Van Ghemmert, 1997, p. 62–72. La convention d’union douanière signée le 5 septembre 1944 par les Pays-Bas, le Luxembourg et la Belgique constitue l’acte originel de la création du Benelux. Elle fut précédée d’un accord monétaire belgo-néerlandais en 1943 et entrera en vigueur le 1 er janvier 1948. Th. GROSBOIS, « La Belgique et le Benelux: de l’universalisme au régionalisme », in La Belgique, les petits États et la construction européenne, op. cit., p. 60. I. BERZINS, « Un Benelux en Europe de l’Est », in La Libre Belgique, 28–29 août 1999, p. 14. « Traité portant révision du Traité instituant l’Union économique Benelux signé le 3 février 1958 », La Haye, 17 juin 2008. Cf. www.benelux.be/Fr/act/act_nieuwVerdrag.asp (page consultée le 12 novembre 2008). G. TRAUSCH, « À hue et à dia: les relations belgo-luxembourgeoises dans l’entre-deuxguerres », in G. TRAUSCH (éd.), Belgique – Luxembourg. Les relations belgo-luxembourgeoises et la Banque Générale du Luxembourg (1919–1994), Luxembourg, Banque Générale du Luxembourg, 1995, p. 109. F. BALACE (e.a) (dir.), Pierre Nothomb et le Nationalisme belge de 1914 à 1930, Arlon, Académie luxembourgeoise, 1980; et R. DE VLEESHOUWER, « L’opinion publique et les revendications territoriales belges à la fin de la Première Guerre mondiale 1918–1919 », in Mélanges G. Jacquemyns, Bruxelles, 1968, p. 207–238. Le Comité central de la Chambre de Commerce de Bruxelles en ses réunions des 1 er et 8 décembre 1930 et des 9 et 19 février 1931 aborde la question des unions douanières. Cf. Comptes rendus des séances dans le Bulletin de la Chambre de Commerce de Bruxelles, n°1, 4 janvier 1931, p. 7–20; n°2, 11 janvier 1931, p. 33–39; n°5, 1er février, p. 101–105; n°6, 8 février 1931, p. 129– 135; n°7, 15 février 1931, p. 153–164; n°8, 22 février 1931, p. 177–181; n°10, 8 mars 1931, p. 221– 227; n°12, 22 mars 1931, p. 273–279. F. BAUDHUIN, En face et à côté de la crise. Politique économique, Louvain, Éditions Rex, 1932.
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aussi « partisan d’une Fédération européenne »65 estime qu’une union belgohollando-scandinave empêcherait la réalisation d’une union plus grande; aussi préfère-t-il commencer par une alliance douanière avec la France. Cette option est défendue par l’Union douanière européenne (UDE) – association européiste française qui est en réseau avec la Belgique et les Pays-Bas depuis l927 par le truchement de deux associations, l’une belge – l’Association belge de coopération économique internationale (ABCEI)66 – l’autre néerlandaise – l’Union économique européenne (UEE)67. Mais, la publicité menée par l’UDE autour de la conclusion d’une union douanière avec la France dérange une diplomatie belge qui craint qu’une telle association ne se fasse, de facto, qu’au seul profit de l’Hexagone68. Tandis que certains cercles envisagent des ententes économiques régionales, d’autres veulent renouer avec la culture et l’histoire. Dans la foulée des travaux de l’historien néerlandais Pieter Geyl69 – il considère la dislocation des Pays-Bas au XVIe siècle et la fondation de l’Etat belge comme un « déraillement » temporaire – plusieurs ténors du mouvement flamand rêvent d’une grande Néerlande ou d’un Diestland70. Aussi l’autoritaire Joris Van Severen71, adepte de Maurras et de Mussolini, lance le 6 octobre 1931 le Verbond van Dietsche NationaalSolidaristen (Verdinaso) – soit un groupe politique révolutionnaire de droite, antiparlementaire, créé pour instaurer un ordre solidariste dans un Etat thiois autoritaire72. Si le Vlaamsch Nationaal Verbond (VNV) lancé par le leader flamand Staf De Clercq entonne le même refrain73, Joris Van Severen modulera son dis65 66 67
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« Comité central. Séance du 1er décembre 1930 », in Bulletin de la Chambre de Commerce de Bruxelles, n°2, 11 janvier 1931, p. 34. Cf. G. DUCHENNE, Esquisses, op. cit., p. 76–86. Mundaneum (MDM), Mons: Papiers H. La Fontaine, Dossier HLF 089 « Europe. Projets d’Union européenne »: Correspondance entre CH. Günther (vice-président de l’Union économique européenne) et H. La Fontaine. Archives du Ministère belge des Affaires étrangères (AMAEB), Bruxelles: Dossier 11 440 I « États-Unis d’Europe »: Lettre d’Y. Le Trocquer à E. de Gaiffier d’Hestroy, Paris, 2 avril 1931. Lettre d’E. de Gaiffier d’Hestroy à P. Hymans, Paris, 7 avril 1931. Au sujet de P. Geyl (15 décembre 1887 – 31 décembre 1966), cf. J. C. BOOGMAN, « Pieter Geyl », in Bijdragen voor de Geschiedenis van der Nederlanden, vol. 21, Antwerpen, De Sikkel, 1967, p. 269–277; H. W. Von der Dunk, « Peter Geyl », in Nieuwe Encyclopedie van de vlaamse beweging, Tielt, Lannoo, 1998, 1. 1302–1305. Parmi ses travaux, voir Nederland en België, hun gemeenschappelijke geschiedenis en hun onderlinge bettrekkingen (1920); De Groot-Nederlandsche gedachte, 2 vol. (1925–1930), Geschiedenis van de Nederlandse Stam, 3 vol. (1930–1937, 1948– 1959, 1961–1962) et Eenheid et tweeheid in de Nederlanden (1946). Au sujet d’un concept dont le contenu n’a cessé d’évoluer depuis le XIX e siècle, cf. G. PROVOOST, « Dietsche beweging », in Winkler Prins Encyclopedie van Vlaanderen, t. I, 1972, p. 303; P. VAN HESSE, « Diets », in Encyclopedie van de Vlaamse Beweging, t. III, 1998, p. 3059– 3061; L. WILS, « De Grootnederlandse beweging 1914–1944: ontstaan, wezen en gevolgen » (p. 415–450) et L. VOS, « De Dietse Studentenbeweging 1919–1940 » (p. 451–494), in Colluquium over de gsciedenis van de Belgisch-Nederlandse bettrekkingen tussen 1945–1945. Colloque historique sur les relations belgo-néerlandaises entre 1815 et 1945, Brussel/Bruxelles, 10–12/12/1980, Gand, 1982; voir également Ch. LAPORTE, « L’Utopie d’une Grande-Néerlande », in La Libre Belgique, 13 mai 2008, p. 3. Au sujet de J. Van Severen (Wakke, 19 juillet 1894 – Abbeville, 20 mai 1940), cf. L. WILS, Joris Van Severen: een aristocraat verdwaald in de politiek, Davidsfonds, Louvain, 1994. G. PROVOOST, « Dietsche beweging », op. cit., p. 303. Au sujet de S. De Clercq (Everbeel, 16 septembre 1884 – Gand, 22 octobre 1942), cf. B. DE WEVER, Staf De Clercq, Bruxelles, Grammens, 1989.
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cours au fil de la décennie74: aux alentours de 1934, il envisage le rétablissement des XVII Provinces pour réunir les Flamands et les Néerlandais dans un Etat thiois où les Wallons bénéficieraient d’un statut particulier; en 1937, abjurant son anti-belgicisme, il prône le retour aux Pays-Bas bourguignons pour rassembler, sous une même bannière, Néerlandais, Belges et Luxembourgeois75… Curieusement, la période bourguignonne suscite, au milieu des années 1930, un enthousiasme certain auprès de la jeunesse universitaire du pays76. Toutefois, le parcours intellectuel de Joris Van Severen est atypique – le sentiment anti-belge étant très prégnant dans la Flandre de l’entre-deux-guerres. La norme est, en effet, à la remise en cause du rôle et de la place de l’État – ce qui amène certains à postuler la disparition même de la Belgique pour la sauvegarde de l’Europe. Ce raisonnement, qui n’est pas sans rappeler la propagande allemande menée en 14–18 en Belgique occupée, s’efforce de démontrer que le pays est une construction accidentelle et artificielle de la diplomatie européenne77. Or, cette posture, note l’historien Lode Wils, « va de pair avec un refus de démocratie et avec la diffusion de conceptions autoritaristes de droite, plus ou moins fascistes et, par la suite, nationales-socialistes »78. En ce sens, l’évolution des positions de l’hebdomadaire Nieuw Vlaanderen79 lancé, en octobre 1934, par le professeur louvaniste Hendrik Van De Wijer, illustre bien cette tendance. Favorable au fédéralisme, la revue adhérera, après les élections de 1936, au corporatisme autoritaire prôné par le VNV. Elle défendra la formation d’une « Derde Europa » qui, indépendante, regrouperait les États neutres autour du groupe d’Oslo. Durant « la drôle de Guerre », l’éphémère organe francophone Vie Politique égrainera aussi avec force ces arguments propres à faire valoir « la mission européenne de la Belgique… et des Pays-Bas ». Devant la montée des périls, c’est bien aux pays « neutres » de travailler à l’élaboration de la paix européenne80: « Quelle mission
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Cf. T. COBBAERT, « In het Nieuwe Europa. De Europese gedachte bij de Nieuwe Orde en collaboratie bewegingen in Vlaanderen (1931–1944) », Mémoire de licence en histoire, KUL, 2003. J. VAN SEVEREN, Programma van het Verbond van Dietsche Nationaal-Solidaristen, s.l., 1940. D’après le dépouillement de la Revue belge de Philologie et d’histoire, soulignons qu’à partir de 1935, la période bourguignonne est l’objet d’une vingtaine de mémoires de licence et de thèses de doctorat en histoire présentés dans les universités de Liège, de Gand, de Louvain et de Bruxelles. Cf. S. De SCHAEPDRIJVER, « Deux patries. La Belgique entre exaltation et rejet, 1914–1918 », in Cahiers d’histoire du temps présent, n°7, 2000, pp. 17–50 et plus spécialement, p. 20: « La nonexistence de la Belgique devient le leitmotiv d’un nouveau discours, dans lequel seront tour à tour soulignés le fait qu’elle n’est pas une ‘nation historique’, la pauvreté de ses traditions, la faiblesse de sa volonté collective, son caractère improvisé et hétéroclite ». L. WILS, Histoire des nations belges. Belgique, Wallonie, Flandre: quinze siècles de passé commun, Bruxelles, Labor, 2005, p. 231 (Histoire). Au sujet de « Nieuw Vlaanderen », cf. E. Gérard, « Nieuw Vlaanderen », in Nieuwe Encyclopedie van de Vlaamse Beweging, t. III, 1998, p. 3402–3404; sur sa vision européenne: T. Cobbaert, « In het Nieuwe Europa », op. cit., p. 47–50 et 87; et sur son corporatisme D. Luyten, « Le corporatisme, l’idéologie nouvelle d’une jeune élite belge », in Les relèves en Europe, op. cit, p. 203– 219. À ce propos, cf. Ch. KONINCKX, Léopold III, roi et diplomate, op. cit., p. 149–204.
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magnifique: la Belgique et les Pays-Bas, artisans d’une Paix européenne, – sauveurs de l’Europe et de sa civilisation! »81.
3. Entre utopie et la mélancolie: l’intellectuel européen Pour terminer ce rapide tour d’horizon, revenons à l’intellectuel et plus précisément au constat posé par le sociologue allemand Wolf Lepenies lors de leçons dispensées en 1991 au Collège de France82. Retraçant l’histoire – très européenne – de l’intellectuel, Wolf Lepenies indiquait que la période d’entre-deux-guerres est cruciale. C’est, en effet, à ce moment que « l’intellectuel européen » a véritablement pris conscience de la fin de l’utopie qui consistait à croire, dans le sillage du XVIIIe siècle, au progrès irrésistible des sciences, des arts et des métiers dont le siècle phare aura été le « stupide XIXe siècle »83. Depuis lors, l’intellectuel vit « le retour de la mélancolie ». Curieusement, le pessimisme qui envahit, après 14–18, l’espace européen – et qui se traduit pas la certitude du déclin84 – a débouché sur une nouvelle espérance quasiment millénariste: celle de voir le vieux continent s’unifier sous peine de disparaître… En d’autres termes, tandis que certains estiment que le XXe siècle, avec ses dérapages et l’effondrement du communisme, semble avoir affaibli l’utopie et sa promesse d’un monde meilleur, la question reste bien de savoir si nos sociétés peuvent vivre sans l’espoir d’un avenir meilleur et si l’unification de l’Europe qui incarne cet avenir meilleur peut être portée par des intellectuels?
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P. DEMEULENAERE, « Pour une paix européenne », in Vie politique, n°4, novembre 1939, p. 15. Ces leçons viennent de faire l’objet d’une publication: W. LEPENIES, Qu’est-ce qu’un intellectuel européen?, op. cit. L’expression de Léon Daudet fera fortune dans l’entre-deux-guerres pour dénoncer un XIXe siècle où se sont affirmées les nationalités et la croyance en un progrès illimité… À propos du déclin européen et des discours européistes qui s’ensuivent, voir entre autres: É. DU REAU, L’idée d’Europe au XXe siècle, Bruxelles, Complexe, 1996, pp.72–78 et Y. MUET, Les géographes et l’Europe. L’idée européenne dans la pensée géopolitique française de 1919 à 1939, Genève, Institut européen de l’Université de Genève (Euroypa études I–1996); J. NURDIN, Le rêve européen des penseurs allemands (1700–1950), Lille, Presses Universitaires du Septentrion, 2003 (Histoire et civilisations).
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4. Annexes
«Le rapprochement franco-allemand», « Le XXe siècle », 1er octobre 1926. Légende: GERMANIA – D’ailleurs, mon cher, il va nous falloir défendre la Liberté et le Droit contre les tyrans… BRIAND – …??? GERMANIA – DAME! LES ITALIENS…
«Le rapprochement franco-allemand», in Le XXe siècle, 2 octobre 1926. Légende: FRITZ à BRIAND – Je veux tout!… (Dessins de J. Sennep dans « La Liberté ».)
Caricature de Derso et de Kelen, 1931 (Paris, Musée des Arts décoratifs).
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ZUSAMMENFASSUNG Dieser Beitrag behandelt die Frage der Intellektuellen und der europäischen Idee in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen. Allerdings gibt es zwei Hindernisse, die dieses Unternehmen erschweren, zum einen die Schwierigkeit, sich über eine gemeinsame und zutreffende Definition der "Intellektuellen" und der "Europäischen Idee" zu einigen. Außerdem sollte, bevor man das "Europa der wenigen Geister" – also das Europa der wenigen belgischen Intellektuellen, die viel über das Dreieck (Benelux, Frankreich, Deutschland) nachgedacht haben – untersucht und revidiert, der Frage um die genaue Bedeutung des Begriffs ''Intellekt'' nachgegangen werden.
SUMMARY This contribution touches upon the issue of intellectuals and the European idea during the interwar period between the two World Wars. However, two obstacles complicate this approach, namely the difficulty of agreeing on commonly shared and accurate definitions of the terms “intellectuals” and “European idea”. Therefore, before examining and revising the “Europe of a few minds” – i.e. the Europe of a few Belgian intellectuals who gave a lot of thought to the area covered by the “triangle” Benelux, France, Germany – the question of the precise meaning behind the term “intellectual” will be tackled.
DIE LANGEN SCHATTEN DES ZWEITEN WELTKRIEGES IN BELGIEN GEORGI VERBEECK Die Gestaltung der Verhältnisse zwischen Deutschland und Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg folgt in zweifacher Hinsicht einem eigenen Entwicklungsmuster. Die belgisch-deutschen Beziehungen sind seltener als problematisch empfunden und durch gegenseitige Vorurteile belastet worden, als wie es Deutschland mit den meisten seiner Nachbarländer nach 1945 ergangen ist. Dies gilt für die Niederlande ebenso wie für Frankreich. In noch stärkerem Maße trifft es auf die osteuropäischen Länder wie Polen und die Tschechoslowakei zu, wo die deutsche Besetzung tiefe Wunden hinterlassen hat. Die Beziehungen beider Länder nach 1945 gestalteten sich auch völlig anders, als in der Periode nach dem Ersten Weltkrieg. Belgien war 1914 das erste Opfer der deutschen Aggression und das Verhältnis nach 1918 stand lange Zeit im Zeichen dieses nationalen Traumas. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wurden die gegenseitigen Beziehungen durch die Problemfragen zu EupenMalmédy, die Reparationen und die deutsche Schuldfrage im Allgemeinen belastet. Im Vergleich mit dieser Zwischenkriegsperiode erscheinen die Nachkriegsbeziehungen zwischen den beiden Ländern erheblich entspannter. Der Prozess der Normalisierung ging recht schnell vonstatten. Verkrampfungen, so wie sie die Niederlande lange Zeit in ihrem Umgang mit dem großen Nachbarn erfuhren, blieben in Belgien aus. In einer früheren Studie habe ich die belgisch-deutschen Beziehungen nach 1945 als eine Form von „gelassener Nachbarschaft“ gekennzeichnet. Im Vergleich mit anderen Ländern oder mit der Periode nach Versailles (1919) trifft dies sicherlich zu. Nach dem Drama von 1914/1918 hatte Belgien anscheinend die Lehren für seine Vergangenheitsbewältigung nach 1945 gezogen. In diesem Sinne war es anderen Ländern um eine historische Erfahrung voraus. Diese Umstände erklären auch das relativ geringe Interesse, das seitens der Wissenschaft und der historischen Forschung besteht, sich intensiv mit der Geschichte der belgischdeutsche Beziehungen zu beschäftigen. Was dabei auffällt, ist der Fakt, dass kulturelle und literarische Verbindungen viel mehr Aufmerksamkeit genießen als innenpolitische, internationale oder ökonomische Fragen. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges wurden in Belgien auf verschiedenen Ebenen sichtbar. Im Folgenden will ich auf eine Anzahl historischer Entwicklungslinien eingehen, die den Spezialisten bekannt sind, dem breiteren Publikum möglicherweise jedoch nicht. Weiterhin möchte ich auch einige weniger offensichtliche Aspekte des belgischen Nachkriegserbes beleuchten. Insofern kann von langen Schatten des Zweiten Weltkrieges durchaus die Rede sein. Belgien hat die deutsche Okkupation von 1940–44 relativ gut durchgestanden. Außer dem Leid, das bestimmte Kriegsopfer erfahren mussten, war der Schaden für das Land noch zu ertragen. Der Zweite Weltkrieg führte in Belgien zu einer Trendwende, die einen ausgesprochen internationalen Charakter hatte. In dieser Hinsicht stellte das kleine Belgien keine Besonderheit dar. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass jener Krieg ähnliche Folgen für das Land hatte, wie der Erste
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Weltkrieg. Er hatte einen starken Demokratisierungseffekt und verankerte die Integration der Massen im politischen System. Darüber hinaus verstärkte sich – zeitweilig – der belgische Patriotismus und es kam – ebenfalls zeitweilig – zu einem Rückschlag der flämischen Nationalbewegung, die sich durch ihre Kollaboration mit dem NS-Regime diskreditiert hatte. Im selben Zusammenhang löste der Krieg ein kurzes Aufflackern weltanschaulich-ideologischer Gegensätze aus, die die belgische Innenpolitik und die gesellschaftliche Ordnung des Landes während des 19. Jahrhunderts dominiert hatten. Die vielleicht wichtigste Auswirkung bestand jedoch darin, und das betraf die anderen kleinen Länder Nordwesteuropas ebenso, dass die Neutralitätspolitik definitiv ein Ende fand. Belgien geriet allmählich in den Strom von Internationalisierungs- und Globalisierungsprozessen. Die Modernisierung, die aus der Periode der deutschen Besetzung hervorgegangen war, wurde in der revisionistischen Geschichtsschreibung häufig dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich zugeschrieben. Es sei jedoch hervorgehoben, dass dieser Modernisierungsimpuls oftmals eher eine ungewollte Folge als eine zielbewusste Politik war. In Verbindung mit den „langen Schatten des Zweiten Weltkrieges in Belgien“ möchte ich einen Unterschied machen zwischen 1. den politischen und institutionellen Entwicklungen und dabei besonders der Nationalitäten-problematik, 2. der Vergangenheitsbewältigung und 3. dem Fortwirken antidemokratischer Traditionen. Einige Fragen gehören zur Domäne der allgemeinen Geschichte, andere sind Aspekte von Untersuchungsgegenständen, deren Erforschung noch in den Kinderschuhen steckt. Hier bedarf es weiterer Tiefenschürfungen.
1. Die belgische Nationalitätenproblematik a) Sprachenstreit zwischen Flamen und Frankophonen Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Belgien, im Unterschied zu den meisten anderen Ländern, die unter der deutschen Besetzung gelitten hatten, mit der Frage konfrontiert, wie es mit den Bürgern umgehen sollte, die sich der Kollaboration mit den Deutschen schuldig gemacht hatten. Zwar sind die Fragen des Umgangs mit und der Verarbeitung der Kriegs- und Kollaborationsvergangenheit mit anderen Ländern vergleichbar, aber im Fall von Belgien gehen sie mit der Nationalitätenproblematik einher. In Flandern bestand ein günstiger Nährboden für die Kollaboration, der vom flämischen Nationalismus und der daraus entstandenen Abkehr vom belgischnationalen Establishment gespeist wurde. Im frankophonen Landesteil war dies nicht der Fall. Dort ging die Kollaboration aus einem autoritären und konservativen „Belgizismus“ hervor. Das wirkte sich in bedeutsamer Weise auf den Identifizierungsprozess aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr der flämische Nationalismus eine herbe Niederlage, wurde er doch mit einer pro-deutschen Gesinnung assoziiert. In Wallonien verschwand der traditionelle „Belgizismus“ allmählich und machte einem wallonischem Regionalismus Platz, der das Erbe des Widerstands gegen den Faschismus widerspiegelte. Dieser Identifikationsprozess – Flandern, das den Gedanken an eine deutsche „Neuordnung“ wohlgesinnt gegenüberstand und Wallonien, das sich stolz auf
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das Erbe des antifaschistischen Erbe berief – hat das Verhältnis zwischen den beiden Sprach- und Kulturgemeinschaften im Land stark belastet und einen großen Einfluss auf die politische Kultur sowie die kollektive Erinnerung ausgeübt. Das äußerte sich besonders deutlich während der Zeit der Verurteilung der Kollaborateure. Nach 1945 wird in Belgien von strafrechtlicher „Repression“ und amtlicher „Säuberung“ gesprochen. Ebenso eindrücklich waren die Auswirkungen in der Zeit der so genannten „Königsfrage“. Die Abrechnung mit der Vergangenheit verschmolz mit weltanschaulichen und sprachgemeinschaftlichen Gegensätzen. So äußerten einige ihre Bedenken, ob der König als Staatsoberhaupt überhaupt noch tragbar sei, da er zu sehr in die pro-deutsche Anpassungspolitik involviert gewesen war. Die Grenzlinie zwischen Königstreuen und Königsgegnern verlief parallel mit der weltanschaulichen und sprachgemeinschaftlichen Bruchlinie. Es formierte sich ein überwiegend flämischer katholischer Block, der für die Rückkehr des Königs plädierte. Ihm gegenüber stand ein mehrheitlich französischsprachiger antiklerikaler Block, der sich gegen ihn aussprach. Ein missglücktes Referendum und die drohenden Unruhen im Jahre 1950 legten die neuralgischen Punkte der Nachkriegsdemokratie bloß. Da die Verhältnisse zwischen den weltanschaulichen und sprachlichen Blöcken zu angespannt waren, wagte die belgische Politik keine Experimente hinsichtlich einer direkten Demokratie mehr. Die Zerbrechlichkeit des nationalen Konsenses war zu offensichtlich. Belgien sollte sich vom Ende der 1960er Jahre an fortlaufend und verstärkt weiter in Richtung eines konföderalen Modells entwickeln. Es würde zu weit gehen, die ganze Nachkriegspolitik und die institutionelle Entwicklung Belgiens allein auf die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zurückzuführen. Der Erste Weltkrieg hat dahingehend eine viel größere Rolle gespielt. Damals hatte die deutsche Besatzungspolitik einen dramatischen Einfluss auf die Radikalisierung des flämischen Nationalismus und so seinen Zusammenprall mit dem belgischen Zentralstaat gefördert. In den 30er Jahren schien es, als ob die Kritik am belgischen Staat Hand in Hand mit der Ablehnung seiner politischen Fundamente oder mit anderen Worten seiner parlamentarischen Demokratie selbst ginge. Nach dem Zweiten Weltkrieg triumphierte die Demokratie schließlich über die autoritären Experimente des Interbellums und der Sieg des freiheitlichen Verfassungsstaats wurde zum Fakt. In Bezug auf die sprachgemeinschaftlichen Verhältnisse wirkte sich der unterschiedliche Verarbeitungsprozess hinsichtlich des Krieges jedoch in katastrophaler Weise aus und verschärfte den Entfremdungsprozess zwischen beiden Sprach- und Kulturgemeinschaften. Die Verselbstständigung Flanderns im belgischen Staatsverband wurde, in dem stets auf die Kollaboration in der Vergangenheit verwiesen wurde, in einem negativen Licht dargestellt. Der Slogan „Brüssel, ça jamais!“, den radikale Frankophone während der 60er Jahre in der Hauptstadt kreierten, zeigt, wie tief eine auf Kriegserinnerungen basierende Abkehr von den flämischen Forderungen reichte. Die „Königsfrage“ war der letzte kritische Punkt zwischen Flamen und Französischsprachigen, wobei auch in diesem Fall die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg eine prominente Rolle spielte. Bei den zwei folgenden Konflikten – der Streit um das Einheitsgesetz im Jahre 1961 und die Spaltung der Löwener Katholischen Universität 1968 – trat die Erinnerung an die Kriegsjahre hingegen völlig in den Hintergrund. Während der 1970er Jahre wurde Belgien von einem Strudel
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von „Staatsreformen“ erfasst. Der belgische Einheitsstaat wurde zu einem Bundesstaat mit konföderalen Zügen umgebaut. Der belgische Föderalismus stellt eine einzigartige Kombination von regionaler Dezentralisation und kultureller Autonomie dar. Was bedeutet, dass das Grundgebiet und die Regierungsbefugnisse sowohl zwischen den territorial abgegrenzten Regionen wie sprachgebundenen Kulturgemeinschaften verteilt sind. Im internationalen Maßstab gesehen hat dies zu einer einzigartigen Situation und zu einem typisch belgischen, unentwirrbaren Knäuel von Befugtheiten und Kompetenzen geführt. Befürworter argumentieren, dass gerade dieses institutionelle Chaos die beste Garantie für eine weitere gewaltfreie Entwicklung hinsichtlich des belgischen Nationalitätenproblems bietet. Pessimisten verweisen auf den starren, unregierbaren Charakter Belgiens, die permanente Instabilität und die drohende Evaporation Belgiens als Staat. Die Vermengung der Nationalitätenproblematik und der staatlich-institutionellen Entwicklung hat (vor allem in Flandern) eine Dynamik der Verselbstständigung in Gang gesetzt, die in gewisser Zeit das Ende von Belgien einläuten könnte. Ausgehend von einer breiten historischen Perspektive kann auf eine Anzahl auffälliger Unterschiede zwischen dem Föderalismus in Belgien und Deutschland hingewiesen werden. Die föderale Struktur Deutschlands wurde mit dem Grundgesetz von 1949 eingeführt, und sie hat sich seitdem nicht grundlegend verändert. Sie basiert auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens und wird nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. Sie gilt als eine historische Tatsache, die sich im Einklang mit der langen geschichtlichen Tradition einer territorialen Heterogenität (das Heilige Römische Reich) befindet. In Belgien dagegen stellt die Einführung des Föderalismus einen stufenweisen Prozess dar, dessen Ausgang eher ungenau formuliert ist. Die fünf aufeinander folgenden Staatsreformen waren eine Reaktion auf die zunehmenden Fragen nach mehr Befugnisverteilung. Wenn der deutsche Föderalismus die Folge eines konstitutionellen Beschlusses ist, so entspricht der belgische Föderalismus dem Resultat eines lang andauernden politisch-bürokratischen Prozesses. Der deutsche Föderalismus stützt sich, wie die meisten föderalen Systeme, auf territorial begrenzte Einheiten. In Belgien besteht ein asymmetrisches Modell, in dem regionale Zentralisation und kulturelle Autonomie nicht völlig identisch sind. Das erklärt sich allein aus dem fundamentalen Gegensatz zwischen flämischer und frankophoner Sicht auf den Föderalismus. Dabei spielen die Machtansprüche der zahlenmäßig dominierenden Flamen gegenüber der Französisch sprechenden Minderheit, die von ihnen als erdrückend empfundene Überfremdung und die daraus resultierenden Ängste eine gewichtige Rolle. Ein wesentlicher Unterschied besteht zweifelsohne in der Tatsache, dass es in Belgien um einen „Föderalismus mit zwei“ geht (abgesehen von der kleinen deutschsprachigen Gemeinschaft und die besondere Position der hauptstädtischen Region von Brüssel) und das Deutschland, wie die meisten Bundesstaten, viel mehr konstituierende Teilstaaten (16) hat. Letztendlich sind in Belgien die zentrifugalen Kräfte viele größer als in jedem anderen föderal organisierten Staat. Abschließend sei daraufhin gewiesen, dass der Nationalismus die Triebkraft der späteren staatlichen Umgestaltung von Belgien war. In Deutschland haben, abgesehen von einigen regionalistischen Sentiments in Bundesländern wie Bayern oder Sachsen, „volksnationalistische“ Gefühle eigentlich kein Gewicht. In Deutschland steht die föderale Struktur nicht zur Diskussion. In Belgien dagegen
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liefert sie den Zündstoff für einen anhaltenden Desintegrationsprozess. Eine separatistische Dynamik hat der föderalen Staatsstruktur einen konföderalen Charakter gegeben. Mit jeder Krise wird die föderale Loyalität erneut auf die Probe gestellt. Die Desintegrierung von Belgien – wobei der Staat all seine Befugnisse an Europa oder die autonomen Teilstaaten abtreten soll – formt ein Szenario, das kein ernsthafter Betrachter mehr von vornherein ausschließen kann. b) Die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens Zum Erbe von zwei Weltkriegen gehört auch die besondere Position, welche die kleine Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) in Belgien einnimmt. Durch ihre Existenz sowie die Stellung Brüssels als zweisprachige Hauptstadt wird der dualistische Charakter des Landes abgeschwächt. Diese Gemeinschaft fällt im belgischen Staatsgefüge kaum auf und dennoch ist ihr Dasein die Folge einer sehr bewegten Geschichte. Die so genannten „Ostkantone“ (Eupen, Malmédy, Sankt Vith) wurden 1919 aufgrund der Versailler Verträge Belgien zugeschlagen. Für Belgien entsprach diese Regelung einer der Konsequenzen, die sich aus dem durch die deutsche Besetzung erlittenen Leid ergab, sowie dem damit verbundenen Annexionsdrang des erstarkten belgischen Nationalismus. Zur Untermauerung der Gebietsforderungen wurde erklärt, dass diese Region bereits vor der Französischen Revolution zu den südlichen (habsburgischen) Niederlanden gehört hatte. Ursprünglich waren diese Forderungen noch weiter gefasst und reichten bis zum linken Rheinufer. Doch die Realpolitik der Alliierten dämpfte die Annexionspläne der belgischen Nationalisten. Nach dem Krieg organisierte Belgien auf dem zu annektierenden Gebiet eine (manipulierte) Volksabstimmung. Das halbkoloniale Regime der Regierung befremdete einen Großteil der örtlichen Bevölkerung. Erst nach 1925 kam es zu einer allmählichen Normalisierung. Es ließ sich allerdings nicht verbergen, dass die übergroße Mehrheit der deutschsprachigen der alten Heimat treu geblieben war. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 nahmen die Spannungen zwischen den pro-belgischen und pro-deutschen Kräften zu. Die pro-deutsche Gesinnung geriet in die Strömung der nationalsozialistischen Ideologie. Während des Interbellums hatte sich die belgische Regierung bemüht, die annektierten Gebiete an Deutschland zurückzuverkaufen, doch der Versuch misslang. Hitler vertrat eine offen revisionistische Politik, mit der die deutschen Volksgenossen aufgefordert wurden, „Heim ins Reich“ zu kehren. Dieses Ziel wurde schließlich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges mit Gewalt erreicht. Die Zwangsrekrutierung der Männer in die Wehrmacht, die mit der deutschen Annexion in 1940 einherging, forderte einen hohen Tribut an Menschenleben. Zugleich litt das Gebiet selbst schwer unter den Kriegshandlungen. Die anfängliche Jubelstimmung schlug schnell in Angst, Trauer und Resignation um. Mit der Befreiung durch die Alliierten war es mit der pro-deutschen Stimmung in der Bevölkerung endgültig vorbei. Nach dem Krieg versuchte Belgien mit harten juridischen Maßregeln den deutschen Charakter der Region zu verändern. Die öffentliche Meinung unterschied kaum zwischen ihren von NaziDeutschland annektierten Landesgenossen und den Deutschen im Alt-Reich, alles wurde mit dem verhassten Nazi-Regime gleichgesetzt. Doch als die flämisch-wallonischen Gegensätze immer stärker aufflackerten, fanden auch die
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deutschsprachigen Belgier ihren Platz im sich verändernden nationalen Kontext. Eine größere Autonomie der Deutschsprachigen sollte den antagonistischen Charakter des belgischen Sprachenstreits mildern. 1962 wurde das Land in vier Sprachgemeinschaften eingeteilt: in eine niederländische, französische, deutsche und die zweisprachige Region von Brüssel. Innerhalb der alten „Ostkantone“ – man sprach auch von „Alt-Belgien“ bzw. „Neu-Belgien“ – entstanden politische Strukturen, die dem Gebiet ein großes Maß an Selbstständigkeit zugestanden. Die deutschsprachige Gemeinschaft entwickelte sich zu einer autonomen Kulturgemeinschaft, die in so genannten kulturellen oder „personengebundenen“ Angelegenheiten (Bildung, Kultur, Soziales etc.) über eigene Befugnisse und die dafür notwendigen finanziellen Mittel verfügte. Hinsichtlich des Territorialprinzips blieb die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) ein Teil der wallonischen Region und untersteht deren Oberhoheit auf den Gebieten Wirtschaft, Infrastruktur, Umwelt, usw. Die besondere Position der DG in Belgien hat zu einer spezifischen regionalen Identität geführt. Das Gebiet ist wirtschaftlich gesehen stark in Wallonien verankert. Die Angst, in den aussichtslosen flämisch-wallonischen Streit hineingezogen zu werden, hat starke pro-belgische Gefühle ausgelöst. Sprachlich und kulturell wird sich nach wie vor an Deutschland ausgerichtet. Gefühlsmäßig sehen sich viele mit dem stabilen Nachbarn Luxemburg verbunden. Die Orientierung auf Deutschland bleibt ein zweischneidiges Schwert. Freilich übt der große Bruder in Bereichen wie der Unterhaltungskultur (Medien, Musik) einen großen Einfluss aus, aber darüber hinaus besteht eher die Neigung sich gegenüber „allem Deutschen“ zu distanzieren. Gern wird betont, dass Lüttich und Verviers näher liegen als Köln und Düsseldorf. Die konstitutionelle Position der DG ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Staatsstruktur Belgiens ist. Kulturelle Autonomie und regionale Dezentralisation sind nicht völlig identisch und sie haben zu einer einzigartigen Situation von multi-level governance beigetragen. Noch komplexer erscheint diese Situation, wenn man bedenkt, dass auf flämischer Seite die Institutionen auf der Ebene von Gemeinschaft und Regionen fusioniert sind, auf frankophoner Seite jedoch nicht. Landesweit wird allerdings die Tendenz deutlich, Kulturgemeinschaftliches und Regionales zu verbinden. Das bedeutet, dass DG schrittweise die Befugnisse einer territorialen Kulturgemeinschaft erhält. Damit sind nicht nur die kulturellen Befugnisse gemeint, sondern in wachsendem Maße auch Regierungsaufgaben, die bislang von der wallonischen Verwaltung übernommen wurden. Das unübersichtliche asymmetrische Staatsmodell Belgiens muss sich notwendigerweise Reformen und einer Vereinfachung unterziehen. Der Zweite Weltkrieg hatte tief greifende und langwierige Auswirkungen auf die politische Identität der deutschsprachigen Belgier. Die Kriegsjahre und die harte Säuberung durch die belgische Justiz hatten sich als ein Mantel des Schweigens und Verdrängens über das Gebiet gelegt. Eine kritische Besinnung auf die eigene Rolle und die Verantwortung erfolgte nur langsam. Zu tief war die Kluft zwischen den „Heim ins Reich“ – Anhängern und den „Profit-Patrioten“. Brüssel dagegen setzte alles auf eine Politik des nationalen Konsenses. Um die nicht verheilten Wunden der Kriegsjahre zu vergessen, erblühte unter den Deutschsprachigen in Ostbelgien ein Hyperpatriotismus, an den sie die Hoffnung knüpften, so als „gute Belgier“ akzeptiert zu werden. Gemeint ist damit jene „Belgitüde“, nach der Flamen, Wallonen, Brüsseler und Deutschsprachige in
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einem einigen starken Vaterland friedlich und tolerant zusammenleben sollen. In dem Maße, wie die Aussicht auf eine kulturelle Autonomie wuchs, diente diese dazu, zu verdeutlichen, dass die deutsche Sprache und Kultur Facetten der belgischen nationalen Kultur darstellen. Man betrachtete sich selbst eher als „Vermittler“ denn als betroffene Partei im heftiger werdenden Sprachenstreit der Flamen und Wallonen. Daneben haben Historiker auf den aufkommenden Opferdiskurs hingewiesen, der inzwischen unter der deutschsprachigen Gemeinschaft tonangebend ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg standen vor allem die Annexion und die erzwungene Assimilation im Vordergrund. Nach Beendigung des Krieges blieb der Opferstatus erhalten. Nachdrücklich wurde auf die Kriegsleiden und die unglückselige Lage zwischen „zwei Fronten“ verwiesen. Dieser Opferstatus sollte nun einerseits dadurch gefestigt werden, dass man sich als aufrechte Patrioten darstellte, die am belgischen Sprachenstreit keinen Anteil haben und andererseits als Vorreiter einer transnationalen Kooperation. Gemessen an der Fläche und der Einwohnerzahl verfügt die DG in Belgien über ein aus europäischer Sicht einzigartiges Maß an Autonomie. Diese ist selbst mit derjenigen Südtirols in Italien kaum zu vergleichen, denn die deutschsprachige Gemeinschaft ist stärker in die neue belgische Staatsstruktur integriert. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben den Bruch mit Deutschland forciert. Die europäische Integration und die zunehmende internationale Zusammenarbeit haben die Aussicht auf einen möglichen Anschluss an Deutschland weiter in die Ferne rücken lassen. „Man hat sich eingerichtet im belgischen Königreich, nach all den Schrecken und Verwerfungen des vergangenen Jahrhunderts. In den großen Streit zwischen Flamen und Wallonen mischen sich die Deutschsprachigen nicht ein, wenngleich sie auch wissen, dass sie sich mit Letzteren arrangieren müssen. Denn die wallonische Region ist für die Wirtschaft, die Landwirtschaft und die Infrastruktur der DG zuständig. Doch was geschieht, wenn Belgien tatsächlich auseinanderbricht? Ein Beitritt zur Bundesrepublik jedenfalls, als 17. Bundesland, steht keineswegs zur Debatte. Der Platz der Deutschsprachigen bleibt, wo er immer war: zwischen allen Stühlen“ (Carlo Lejeune in Die Zeit, 22.11.2007).
2. Die Verarbeitung der Kriegsgeschichte Verschiedene Beobachter haben darauf hingewiesen, dass die Art und Weise wie mit den Kriegsereignissen in Belgien umgegangen wird, in hohem Maße durch die innenpolitische Trennungslinie bestimmt wird. In vielerlei Hinsicht ist der Vergleich mit einem Land wie den Niederlanden sowohl auffällig als auch interessant. Ein Geschichtsbild, das derartig von weltanschaulichen und internen Gegensätzen durchkreuzt wird, ist in den Niederlanden undenkbar. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es im Nachbarland eine Tradition, die maßgeblich von der Regierung bewahrt wird und die darin besteht, ein auf einen nationalen Konsens ausgerichtetes Geschichtsbild des Krieges aufrecht zu erhalten. Als eindrucksvolle Vorbilder dafür gelten das Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie (RIOD, Vorläufer des heutigen NIOD) und die Rolle, die Dr. Lou de Jong als „Historiker des Vaterlandes“ spielte. Dies hatte in den Augen vieler zu
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einem monolithischen Geschichtsbild geführt, welches nicht nur nationalistisch, sondern auch stark moralisierend war. Erst mit Beginn der 1980er Jahre kam es allmählich zu einer Veränderung. Sie ging mit stets lauter werdenden Plädoyers einher, die forderten, die starre Dichotomie von goed und fout aufzulösen. Zunehmend erschienen auch, und das in viel größerem Umfang, als das zuvor der Fall gewesen war, die „grauen“ Kanten der Geschichte der Besetzung auf der Bildoberfläche. Dennoch besteht in den Niederlanden, hinsichtlich der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, nach wie vor ein größerer nationaler Konsens als in Belgien. In Belgien ist die einträchtige Erinnerung an die Kriegsjahre durch die innerstaatlichen politischen Bruchlinien gestört. Bereits die „Königsfrage“ brachte die Gegensätze zwischen dem überwiegend flämisch-katholischen und einem französischsprachigen freisinnigen Block ans Licht. Dabei spielten die Perzeption von Kollaboration und Widerstand sowie insbesondere die Frage, wie hoch die Strafe für diejenigen ausfallen sollte, die sich während des Zweiten Weltkrieges schuldig gemacht hatten, eine große Rolle. In Folge dessen entstand ein stark polarisiertes Geschichtsbild in dem das katholische Flandern assoziiert wird mit einer gegenüber den Besatzern und seinen Mitläufern beipflichtenden Haltung sowie das eines freisinnigen Walloniens und/oder französischsprachigen Belgiens mit dem Widerstand gegen die Besatzer und ihre Helfershelfer. Der Antifaschismus, der in vielen Staaten nach 1945 die Funktion einer nationalen zivilen Religion erfüllte, konnte in Belgien nur in dem südlichen Landesteil Eingang finden. Ähnliches geschah in Ländern wie der Tschechoslowakei oder Jugoslawien, wo die deutsche Okkupation bereits bestehende Nationalitätengegensätze verschärft hatte. In der Tat hatte der überwiegende Teil der flämischen Bewegung während des Krieges mit den deutschen Besatzern kollaboriert. Auf diese Weise kompromittierte sich die gesamte flämische Bewegung und wurde daraufhin von antifaschistisch Gesinnten angegriffen. Auf flämischgesinnter Seite entstand ein erheblich beschönigendes Bild, das die Kollaboration als eine Folge der Politik des belgischen Establishments darstellte, das ihre legitimen Forderungen zu wenig berücksichtigt hätte. Die interne ideologische Evolution des flämischen Nationalismus und insbesondere der Umstand, dass sie schon in den 1930er Jahren (also noch lange vor Kriegsausbruch) ins faschistische Fahrwasser gelangt war, wurde in dieser Geschichtsdarstellung fachkundig ausradiert. Die Kollaboration selbst sprach man von ihren gewalttätigen Aspekten frei. Das flämischgesinnte Bild der Kollaboration wurde seines tatsächlichen Inhalts entledigt und durch eine Leidensgeschichte von „verratenen Idealen“ und „verkehrt begriffenen Motiven“ ersetzt. Die Kollaboration geriet in ihrer Darstellung zu einer im Wesen legitimen Bewegung von „fehlgeleiteten Idealisten“. Dass sie viel mehr bedeutete, als die pure Zusammenarbeit mit einem fremden Staat, von dem man sich Hilfe für seine eigenen legitimen Zielstellungen erhoffte, wurde vergessen und verdrängt. An die Verwandtschaft mit dem Nationalsozialismus als Regime und Ideologie mochte man sich nicht mehr gern erinnern. Im schlimmsten Fall konnte so die Kollaboration beschrieben werden als taktischer Irrtum von Mitbürgern, „die das Beste für ihr Volk im Sinn hatten“. Auf französischsprachiger Seite konnte man mit solch spitzfindigen Formulierungen nicht viel anfangen. Dort entstand das Bild, das Flandern als Ganzes während der Besatzungszeit kollaboriert und sich dadurch gehörig die Finger
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verbrannt hatte. Die „flamingantische“ Rhetorik war während der flämischen Kollaboration allgegenwärtig. Innerhalb der wallonischen Kollaboration (Leon Degrelle und die Rex-Bewegung) war vom „Wallingantismus“ nicht oder kaum die Rede gewesen. Die Erinnerung an die wallonische Kollaboration konnte, in der nach dem Krieg aufkommenden Bewegung, viel leichter außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses platziert werden. Für die belgische Regierung war es unter den gegebenen Umständen besonders schwierig, eine Rolle hinsichtlich der Einigung auf einen nationalen Konsens über den Zweiten Weltkrieg zu übernehmen. Eine nationale Einrichtung wie das Navorsings- en Studiecentrum voor de Geschiedenis van de Tweede Wereldoorlog in Brüssel (Vorläufer des heutigen Studien- und Dokumentationszentrums Krieg und Zeitgeschichte – SOMA), erfüllte nicht dieselbe Funktion, wie sie das NIOD in Amsterdam übernommen hatte. Das NIOD wirkt als Regierungsinstitution, die bei jedem Vorfall im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg von der Politik als Schiedsrichter angerufen wird. Das betrifft jedoch nicht nur Probleme hinsichtlich der Kriegsgeschichte, sondern zunehmend auch Fragen, die sich mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigen, so wie mit dem Unabhängigkeitskrieg Niederländisch-Indiens oder dem Fall von Srebrenica. Allgemein gesehen lässt sich feststellen, dass sich Belgien gegenüber den Niederlanden, was die politischen Initiativen wie auch die der Medien und die Entwicklung der Geschichtsforschung an den Universitäten betrifft, im Rückstand befindet. Zweifelsohne hat das etwas mit der Fragilität des nationalen Konsenses zu tun, die jedes Gespräch über den Zweiten Weltkrieg zum Erstarren bringt. Landesweit bekannt war die Fernsehserie des Journalisten Maurice de Wilde, mit der er zu Beginn der 1980er Jahre an die Zeit des Krieges in Belgien erinnerte. Für ein breites Publikum war es die erste umfassendere Begegnung mit diesem Thema. Die Serie hatte einen ähnlichen Effekt, wie die Ausstrahlung des TV-Dramas „Holocaust“ in Westdeutschland im Jahre 1979. Die Erben der Kollaboration in Flandern nutzten die Gelegenheit, um eine grimmige Polemik gegen die Fernsehmacher zu starten. Erst Ende der 1980er Jahre hat sich auf verschiedenen Ebenen ein Umschwung vollzogen. Das Interesse an historischer Forschung ist nach dem Zweiten Weltkrieg dauerhaft gestiegen. Die wissenschaftliche Forschung hat sich professionalisiert und die Erweiterung des Forschungsprofils einer Institution wie dem SOMA zeigt, dass die einseitige Fixierung auf die Kriegsjahre nicht mehr zeitgemäß ist. Aufgrund des Aufkommens der extremen Rechten und die zum Teil heftigen Reaktionen der Zivilgesellschaft, richtet sich das gesellschaftliche Augenmerk verstärkt auf die rechtsextremen Tendenzen, vor allem in Flandern. Die Rhetorik eines ausgrenzenden Volksnationalismus trifft mehr und mehr auf den Widerstand einer kritischen öffentlichen Meinung. Diejenigen, die die deutsche Besetzung persönlich erlebt haben, sei es auf Seiten der Kollaboration, sei es auf der des Widerstandes, sind nicht länger tonangebend in der öffentlichen Debatte. Der Gedanke, dass radikale Flamen in den Jahren 1940 bis 1945 „Helden“ waren, die für ihr „eigenes Volk“ eintraten, verschwand in dem Maße, je deutlicher wurde, dass den Kollaborateuren viel mehr die Vernichtung der flämischen Zivilgesellschaft vor Augen schwebte. Ende der 1990er Jahre traten die Konturen eines Umbruchs deutlich zu Tage. Im Unterschied zu anderen Ländern geriet Belgien in die Spur einer internationalen Entschuldigungskultur. Den heißen Atem des im Zuge der Wahlen erstarkten
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rechten Radikalismus im Nacken, ergriff die Regierung Maßregeln, die verdeutlichen sollten, dass man sich der historischen Verantwortung bewusst war. 1995 wurde ein (viel kritisiertes) Gesetz verabschiedet, das die Leugnung des Holocaust als prinzipiell strafbar erachtet. Mit Machtantritt einer non-konfessionellen Regierung – einer Koalition aus Sozialisten, Liberalen und Grünen – unter dem liberalen Politiker Guy Verhofstadt, kam es zu einer Reihe von öffentlichen Entschuldigungen. Zweimal geschah dies im Zusammenhang mit der Rolle, welche die nationalen und örtlichen Behörden bei der Verfolgung der Juden gespielt hatten, durch den Premierminister Verhofstadt in Israel und vor einiger Zeit durch den Bürgermeister von Antwerpen, Patrick Janssen. Im Jahr 2000 setzte eine langwierige Diskussion darüber ein, ob es angebracht wäre, in der ehemaligen Dossinkaserne in Mechelen ein Holocaust-Museum einzurichten. In jener Kaserne befand sich von 1942 bis 1944 ein Durchgangslager für Juden, von dem aus sie in die Nazi-Vernichtungslager deportiert wurden. Viele der Initiativen und öffentlichen Bekenntnisse lösten heftige Polemiken aus. In Belgien und vor allem in Flandern hat sich während der letzten Jahre viel verändert und ereignet. Und doch weisen die häufig scharfen Debatten und Reaktionen auf schmerzhafte Weise auf das Fehlen eines nationalen Konsenses hin. Flandern erlebt – und nicht von allen bejubelt – einen Nationsbildungsprozess. Damit einher geht ein verstärkter Zugriff auf die Geschichte. Sie wird als wichtiger, auf die Nation bezogener Faktor benutzt. Man kann sich auch die Frage stellen, ob das Fehlen eines nationalen Konsenses per se zu betrauern ist oder ob es auch positive Seiten hat. Ein starker Konsens kann leicht zu einer Diabolisierung und zur Ausgrenzung führen. Die Möglichkeit der Entstehung eines nuancierten Bildes, wie zum Beispiel in Bezug auf die Kollaboration und ihre Beweggründe, ist relativ gering. In diesem Sinne gebührt dem Erhalt eines pluralistischen Bildes der Vorzug. So eine Darstellung ist nicht allein von einem allgemein gesellschaftlichen Standpunkt aus gesehen wünschenswerter, sondern vor allem auch von der wissenschaftlichen Forschung zu wählen.
3. Rechtsradikalismus und Populismus in der belgischen Politik Zum belgischen Erbe des Zweiten Weltkrieges gehört ebenso, insbesondere im flämischen Landesteil, eine starke rechtsradikale Tradition. An anderer Stelle wurde bereits auf die heftige Abwehrreaktion der demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen hingewiesen. Sie haben einen festen cordon sanitaire rund um den Vlaams Blok (seit 2004 Vlaams Belang) geschlossen, der bis zum heutigen Tag existiert. Als „Waffe“ gegen die extreme Rechte setzen sie ein kritisches Geschichtsbewusstsein ein. Im Vergleich mit den europäischen Bruderparteien stellt das VB eine der standfestesten rechtsradikalen politischen Gruppierungen mit einem stabilen gesellschaftlichen Nährboden dar. Die historische Kontinuität, die das VB mit dem Erbe des Zweiten Weltkrieges verbindet, ist nur mit der FPÖ in Österreich zu vergleichen. In Wallonien verschwand die gesellschaftliche Grundlage für die extreme Rechte nach Kriegsende fast völlig. Der autoritäre Belgizismus, auf den sich die Rex-Bewegung von Leon Degrelle geeinigt hatte, verlor sich im entlegensten Winkel des Landes. Eine kleine Gruppe rechtsradikaler Desperados verlor jeden
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Kontakt zum gesellschaftlichen Mainstream. Die Front National, eigentlich eine Kopie der größeren französischen Bruderorganisation, fiel im französischsprachigen Belgien lediglich durch ihre politische Marginalität und Bedeutungslosigkeit auf. In Flandern dagegen existierte unterschwellig eine rechtsextreme Bewegung, die vom Frust über die als zu streng erfahrene Bestrafung der Kollaboration durch die belgische Justiz gespeist wurde. Wo der reaktionäre Belgizismus an Einfluss verlor, bestimmten mit zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen „flamingantische“ Inhalte die politische Agenda. Mit anderen Worten: das rechtsradikale Programm konnte in Flandern viel leichter an die politische Hauptströmung anknüpfen als in Wallonien. Der Vlaams Blok war 1979, aufgrund des Unfriedens mit einem als zu gemäßigt empfundenen Kurses der Volksunie, den Verteidigern des moderaten flämischen Nationalismus, entstanden. Die Partei erlebte einen steilen Wahlaufstieg, der erst mit den nationalen Wahlen von 2007 etwas abflachte. 2004 wurde die Partei durch die höchste juridische Instanz des Landes auf Grund ihres Verstoßes gegen das Antidiskriminierungsgesetz verurteilt und benannte sich daraufhin in Vlaams Belang um. In Flandern, wie auch auf nationalem Niveau, wird das VB von anderen Parteien von der Macht fern und in einem Zustand permanenter Isolation gehalten. Kritiker haben mehrmals die Frage aufgeworfen, ob die Partei eher davon profitiert als Schaden genommen hat. Die sorgfältig kultivierte Underdog-Position hat der Partei tatsächlich mehr geholfen, als das sie dadurch zurückgewichen wäre. In Flandern gilt das VB als Prototyp der extremen Rechten, die in der flämischen Gemeinschaft einen starken Rückhalt findet. In anderen Ländern, wie den Niederlanden, sind rechtsextreme Gruppierungen zu einer Existenz in der Marginalität verurteilt (wie auch in Wallonien) und populistische Politiker (Pim Fortyn 2002) gewinnen nur zeitweilig viel Aufmerksamkeit. Ebenso hat der Nationalismus in den Niederlanden viel weniger Anziehungskraft als in Flandern. Im Laufe der letzten Jahre hat sich im Vlaams Belang, unter dem Einfluss eines allmählichen Generationswechsels und dem anhaltenden äußeren Druck, ein stiller Wandel vollzogen und die Partei reiht sich nunmehr in eine breitere populistische Strömung ein. Die Überlebenschancen und Zukunftsperspektiven des Rechtsradikalismus in den Niederlanden und Belgien lagen unter den langen Schatten des Zweiten Weltkrieges. In Wallonien verschwand der gesellschaftliche Nährboden für einen lebensfähigen Rechtsradikalismus beinahe vollständig. Wer sich auf das Erbgut berufen wollte, wurde sofort an den politischen Rand gedrängt. In den Niederlanden ließ ein dominierender Volksnationalismus kaum ein anderes als das polarisierte Geschichtsbild zu. Nur in Flandern hatte der Rechtsradikalismus, aufgrund überlieferter Unzufriedenheit über das ungelöste Nationalitätenproblem, eine Überlebenschance.
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SUMMARY The legacies of both world wars play a considerable role in Belgium’s current political system and culture. This is largely due to its complicated state structure and its underlying nationality problems. This article focuses on various aspects of the question. It deals with differences and similarities between various experiences of war, the positions of Belgium’s small German-speaking minority, recent trends in historiography, as well as the impact of right-wing radicalism in Belgian politics and society. The second half of the 20th century was marked by the rise of communal conflicts between Flemings and Francophones fuelled by political and cultural differences on the one hand and, even more importantly, an asymmetrical economic evolution of Flanders and Wallonia on the other hand. These subsistent conflicts have caused a far-reaching transformation of an originally unitary Belgian state into a federal state with openly confederalist tendencies. There is constant speculation by many observers both within and outside Belgium that this process of devolution might ultimately lead to the final partition of the country. It will be argued that, within this particular context and contrary to other countries, Belgium has a highly fragmentized and heterogeneous conception of its own national past.
RÉSUMÉ L’héritage des deux guerres mondiales joue un rôle important dans le système et la culture politiques en Belgique. Cela est en grande partie dû à son organisation d’État et à ses problèmes nationaux sous-jacents. Cet article traite de divers aspects de la question. Il est question des différences et des similitudes entre les expériences de guerre, de la position de la minorité germanophone, des tendances récentes de l’historiographie et de l’impact du radicalisme de l’extrême droite dans la politique et société belges. Les différences politiques et culturelles mais aussi une évolution économique inégale de Flandres et de Wallonie sont à l’origine de l’augmentation des conflits communaux entre les Flamands et les francophones dans la deuxième moitié du XXe siècle. Ces conflits subsistants ont causé une large transformation d’un État belge unitaire à l’origine en État fédéral avec des tendances confédéralistes. Des observateurs internes et externes spéculent constamment sur le fait que le processus de dévolution pourrait finalement mener à la division définitive du pays. A la différence d’autres pays, la Belgique dispose d’une conception fortement fragmentaire et hétérogène de son propre passé national dans ce contexte particulier.
Partie 2
DIE ENTWICKLUNG DER DREIECKSBEZIEHUNGEN UNTER DEM DACH DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION
LE DEVELOPPEMENT DES RELATIONS TRIANGULAIRES DANS LE CADRE DE L'INTEGRATION EUROPEENNE LA PERSPECTIVE DE LA DUREE MICHEL DUMOULIN C'est à la fois la difficulté et l'intérêt de ce colloque non seulement de croiser les regards mais de chercher autant que possible à examiner les facteurs de diverses natures qui interagissent dans le cadre d'un grand espace composé des pays formant le Benelux, de la Nordrhein-Westphalien et de régions françaises. Les réalités géographiques, économiques, sociales et culturelles de ce grand espace en ont fait un enjeu inscrit dans la longue durée qui, à l'instar de ce que l'on peut constater dans d'autres régions de l'Europe, est un paramètre essentiel de l'interprétation des situations contemporaines. Mais ces mêmes réalités, et dès lors les enjeux dont elles forment la substance, ont été souvent soumis à des volontés politiques centralisatrices imposant par le haut une organisation du territoire, des transports, du dispositif de défense du territoire, de la circulation des hommes, des biens et des capitaux, qui a tantôt heurté de front, tantôt renforcé des pratiques qui, précisément, étaient inscrites dans la durée. À cet égard, la construction européenne a impulsé un processus qui en visant la liberté de circulation des hommes, des capitaux, des biens et des services qu’accompagne une législation communautaire transposée dans les droits nationaux a encouragé la réouverture d’un espace qui n'en demeure pas moins profondément marqué par l'inscription dans le paysage physique, les cultures et les pratiques, à la fois d’un passé parfois commun en même temps que par les effets des politiques nationales au niveau régional. Cette observation en appelle immédiatement une autre. Nous devons tenir compte dans nos analyses et réflexions de l’existence, au plan politique et institutionnel de niveaux de pouvoirs européen, national, régional, voire local. L’existence de ces niveaux a conduit la sociologie politique, notamment, à développer, dans les années 1990, les travaux relatifs aux allégeances multiples. Pour le dire autrement, à modifier la célèbre formule de Socrate « Je ne suis ni Grec ni Athénien mais je suis citoyen du monde » en « Je suis Grec et Athénien et citoyen du Monde »1. Au-delà, il est permis de se demander jusqu’où la crise de l’État qui ne satisfait pas les aspirations du pays réel n’a pas contribué à encourager, dans le chef des mécontents, une tendance lourde visant à l’éversion de l’État par le régionalisme et/ou le recours à des États-Unis d’Europe, nouvelle patrie des régions libérées du joug national. Un Brun et un Hennessy en France, un Destrée et un Lodewijk De Raet en Belgique, d’autres voix encore – un Zanotti Bianco, voire un
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M. Dumoulin, « Europe une ou multiple. L’identité européenne en tant qu’enjeu de 1900 à nos jours », in M. DUMOULIN – G. DUCHENNE (dir.), L’Europe inachevée. Actes de la Xe Chaire Glaverbel d’études européennes 2004–2005, Bruxelles…Vienne, P.I.E. Peter Lang, 2006, pp. 13–39 (Actes de la Chaire Glaverbel d’études européennes, n°6).
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Gramsci en Italie – illustrent bien ce phénomène qui est détectable dès avant la première guerre mondiale2. Ce mouvement centrifuge, tantôt précoce, tantôt plus tardif, constitue le plus souvent une prise de distance avec l’État-Nation, voire un rejet de celui-ci. Qui plus est, l’existence de ce mouvement conduit à se poser la question du « retour du balancier » à propos du sentiment national. L’émergence de celui-ci à travers un processus complexe ne peut pas être compris uniquement comme le résultat de l’action des « bâtisseurs de la Nation ». Elle est en effet due, aussi, à la diffusion plus ou moins rapide ainsi que plus ou moins dense des idées dans les différents groupes de la société3. La construction qui résulte du processus est plus ou moins solide, plus ou moins pérenne. Et tandis que, le cas échéant, la construction en question poursuit son existence avec plus ou moins d’assurance, un ou plusieurs groupes de la société aspirent à ce qui est perçu comme rétrograde par les patriotes incarnant la modernité4, voire comme un acte de trahison, à savoir un retour vers le cadre régional en tant qu’espace privilégié de la vie politique, économique, sociale et culturelle. Ne serait-ce donc pas qu’il subsiste au sein même des espaces nationaux comme d’« invisibles frontières » héritées de la longue durée. D’« invisibles frontières » intérieures qui transgressent les frontières d’un État et débordent vers une partie d’un autre. Dans ce sens, les « frontières invisibles » peuvent parfaitement être transfrontalières et, dès lors, transnationales. Mais ce constat en appelle immédiatement un autre, à savoir que l’existence de ces « frontières invisibles » parfaitement admise à une époque est tout autant niée à une autre. Citons un exemple. En 1972, l’exposition « RhinMeuse » montée dans le cadre de l’accord culturel belgo-allemand à la Kunsthalle de Cologne et aux Musées royaux d’art et d’histoire à Bruxelles retrace six cents ans d’art et de civilisation dans la société rhéno-mosane5. L’initiative rencontre un énorme succès auprès du public, aussi bien en Allemagne qu’en Belgique. Dans l’introduction à l’édition en français du monumental catalogue de l’exposition, le président du comité organisateur belge, ce qui implique l’existence d’un comité allemand et, donc, l’absence d’un comité mixte, écrit: « Inconsciemment prisonniers des frontières politiques, les historiens de l’art ont longtemps méconnus les ensembles culturels de jadis, qui débordaient les cadres territoriaux issus des nationalismes du 19e et des cloisons linguistiques du 20e. Cette méconnaissance a entraîné des regroupements artificiels et des absorptions abusives »6. Et le président du comité allemand d’ajouter un autre élément essen2
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M. Dumoulin, M., « La réflexion sur les espaces régionaux en Europe à l’aube des années trente », in S. Schirmann (dir.), Organisations internationales et architectures européennes 1929–1939. Actes du colloque de Metz, 31 mai – 1er juin 2001, Metz, Centre de Recherche Histoire et Civilisation de l’Université de Metz, 2003, p. 17–33. Voir à ce sujet les réflexions stimulantes d’E. Witte à propos du cas belge: « Het natiebegrip in het zuidelijke krantendiscours aan de vooravond van de Belgische opstand (augustus 1829– juli 1830) », in Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden, vol. 121, n°2, 2006, p. 222–224. John Stuart Mill, Le gouvernement représentatif, Paris, Guillaumin, 1865, p. 343, n’écrivait-il pas (p. 343): « On ne peut supposer qu’un Breton ou un Basque de la Navarre française n’a pas plus d’intérêt à être (…) un membre de de la nation française accédant à égalité à tous les privilèges de la citoyenneté française (…) qu’à faire cavalier seul sur ses proches rochers, relique à demi sauvage des temps passés, tournant dans sa propre petite orbite mentale sans participer ou s’intéresser au mouvement général du monde ». Rhin-Meuse. Art et Civilisation, 800–1400, Cologne-Bruxelles, 1972. G.-H. Dumont, « ‘‘Humanius’’ (plus humain!)», Ibidem, p. 16.
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tiel à propos de la conception même de l’exposition qui voulait éviter de « refaire, en les additionnant, plusieurs expositions qui ont déjà eu lieu, (…) celle de 1951 sur l’art mosan (…) et celle intitulée ‘‘Tausend Jahre deutscher Kunst am Rhein’’ qui a eu lieu à Cologne en 1925 ». Sans l’écrire explicitement, l’auteur prenait acte qu’en 1925, la civilisation visée était allemande quand bien même du Rhin tandis qu’en 1951, elle était mosane, ce qui justifia que l’exposition ne soit montrée à Bruxelles, Rotterdam et Paris7. Cela étant, l’attention doit tout particulièrement se focaliser sur la politique de cinq parmi les six États qui constituèrent en 1951 la Communauté Européenne du Charbon et de l'Acier car ce sont bien les politiques de Bonn, Bruxelles, La Haye, Luxembourg et Paris, sans oublier celle de Rome, qui aboutissent à une première réalisation concrète. Tantôt ces politiques sont concertées; tantôt, elles s'opposent. L’image de « laboratoire de l'Europe », notamment au sein du Benelux sans être totalement surfaite, fait souvent l'objet d'une surinterprétation car elle apparait comme un bloc à la fois géographique, économique et démographique. Dès lors, si régulièrement, y compris dans le cadre de l’histoire récente de la construction européenne, le Benelux est présenté comme un modèle, il est tout auss1942i vrai que les situations abondent où celui-ci est remis en cause. C’est ainsi que la célèbre thèse de F. Hartog affirmant, en 1953, que l’existence d’un « BeneluxEffect » ou « effet Benelux » dû à l’union douanière entre les trois pays était la cause de l’augmentation spectaculaire des exportations des trois pays a été très vivement contesté8. De même, il paraît légitime de poser la question de savoir si, sur le plan politique, « trois petits font un grand »?9 Les trois États qui composent l’espace bénéluxien sont des monarchies parlementaires, deux d’entre eux ont possédé un empire colonial. Jusqu’en 1942 et la signature de la charte des Nations Unies leur histoire est marquée depuis le XIXe siècle par un statut de neutralité mais les Pays-Bas furent les seuls à en bénéficier durant la première guerre mondiale. Belges et Néerlandais qui avaient constitué le royaume des Pays-Bas de 1815 à 1830 se séparèrent du fait de la révolution qui fut une sécession de 1830 mettant en cause l’Europe de Vienne. Celle de Versailles, non sans entraîner des conséquences du point de vue de régions frontalières provoqua indirectement la constitution de l’Union économique belgoluxembourgeoise dont l’histoire est loin d’être un long fleuve tranquille. Ceci pour dire que la surévaluation de l’appréciation positive nous guette quand nous parlons d’un triangle comme celui que forme Benelux, lui-même sommet d’un plus vaste triangle dont les deux autres composantes sont la France et l’Allemagne. Fidèle à l'enseignement de Renouvin et Duroselle, il faut insister sur le rôle des forces profondes et leurs manifestations dans la durée. Ces dernières, au même titre que les politiques, sont particulièrement ambivalentes. L'espace et les populations du grand espace étudié sont localisés au cœur de l'Europe industrielle et urbaine. Ils sont au centre d'une sorte de « Mégalopolis » 7 8 9
A. Legner, « A propos de l’exposition et du catalogue », Ibidem, p. 17. L’historique de ce débat chez A. G. Harryvan, In pursuit of influence. The Netherlands’ European Policy during the formative years of the European Union, 1952–1973, Bruxelles…Vienne, PIE Peter Lang, 2009, pp. 106–107. M. Dumoulin, « Trois petits font-ils un grand? », dans The 21st Century Forum. The European Integration and Japan. The Bulletin of Yokohama City University, vol. 264, Social Sciences, n°2, Yokohama, 2001, p. 118–124.
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qui va de la région londonienne à la Ruhr. La densité de la population y est parmi les plus élevées au monde. Sa façade occidentale donne sur la mer la plus fréquentée du globe. Les ports d'Anvers et de Rotterdam dont la rivalité a pris le relais de celle qui opposa durant des siècles la cité schaldéenne à Amsterdam, mais également ceux de Zeebrugge, Dunkerque et Calais, ces trois derniers dans une niche particulière, forment, au point de vue des statistiques cumulées, un ensemble impressionnant. L'hinterland, proche et lointain, drainé par le Rhin et la Meuse, et dans une moindre mesure, l'Escaut, en sont des artères et des organes vitaux que gonflent les apports de la Moselle et d'un tissu particulièrement dense de canaux à grand gabarit, c'est-à-dire supérieur à 1.350 tonnes, qui forment une trame très dense. Celle-ci n'est pas seulement nationale puisque les systèmes rhénan, mosan et schaldéen sont reliés entre eux. En revanche, il y a lieu de relever que les liaisons fluviales entre la Belgique et les voies intérieures françaises sont médiocres. Au plan routier et ferroviaire, s'il est vrai que l'espace qui fait l'objet de notre attention peut être qualifié, ici aussi, de plus dense du monde, il y a lieu, dans le même temps, de rappeler que les liaisons transfrontalières ont généralement été tardives dans le secteur autoroutier, notamment en ce qui concerne les liaisons entre la Belgique et la France, et que, dans le secteur ferroviaire, celle entre Bruxelles et Luxembourg relève du surréalisme tandis que les chantiers de trains à grande vitesse mettant en communication les principales métropoles du grand espace ne sont pas achevés. Ces lenteurs, voire ces absences de décisions sont dues à de nombreux facteurs; les politiques de défense du territoire ont joué à cet égard un rôle déterminant, des difficultés rencontrées, sous le second Empire, par GuillaumeLuxembourg qui en alliant son réseau luxembourgeois à la puissante Cie de l'Est français déclenche l'opposition de la Prusse, aux difficultés de se rendre rapidement de Bruxelles à Lille sans rupture de charge et sans détour, la ligne de chemin de fer longeant scrupuleusement celle de la frontière d'État. Plus près de nous, l'explication de l'absence de liaison rapide entre les trois capitales européennes que sont Strasbourg, Luxembourg et Bruxelles, relève du secret de Polichinelle. Ces difficultés qui illustrent bien l'empreinte laissée par la construction des États Nations sur l'organisation des infrastructures et du territoire – qu'il suffise de rappeler le rôle de la DATAR en France –, conduisent à évoquer l'existence de frontières profondément gravées dans les mentalités. Pour en revenir aux voies fluviales, s'il est vrai, pour ne pas citer Victor Hugo10, que, comme l'a écrit Lucien Febvre dans sa magistrale étude sur le Rhin11, le « fleuve royal », que celui-ci est canal de civilisation comme l'est le Danube cher à cet explorateur d'identité de frontière qu'est Claudio Magris12, il a aussi été « limes » avant d'être objectif de la politique des frontières naturelles de la France. Et n'est-ce pas le moment de rappeler que les limites physiques des espaces se reflètent dans le vocabulaire? Des expressions telles que « OutreMoerdijk » encore utilisée par certains médias francophones en Belgique, « Outre-Rhin » qu'affectionnent certains Français, ont ceci de particulier qu'elles 10 11 12
V. Hugo, Le Rhin. Lettres à un ami, Paris, H. L. Daloye, Paris, 1848, 2 vol. A. Demangeon-L. Febvre, Le Rhin, problèmes d'histoire et d'économie, Paris, Armand Colin, 1935. C. Magris, Danubio, Milan, Garzanti, 1986.
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reflètent l'inclusion séculaire de régions appartenant à des ensembles nationaux plus ou moins anciens dans un ensemble caractérisé par des traits de culture et de civilisation qui ne coïncident pas nécessairement avec les premiers. Ces frontières de civilisation et de cultures découlent d'une histoire longue qu'il serait déplacé de rappeler ici si ce n’est, pour en revenir un instant au Rhin, que Febvre posait la question de savoir « quel État pourrait le revendiquer pour lui seul?»13. Mais comme le souligne Peter Schöttler, « le Rhin n'est pas un fleuve comme les autres. Il a deux histoires – et même plusieurs: une histoire allemande et une histoire française, une histoire suisse et une histoire néerlandaise, voire même une histoire belge et une histoire anglaise – en tous cas une histoire franco-allemande et une histoire européenne »14. Il reste que l'espace Rhin-Meuse et sa périphérie ont connu un mouvement d'intégration/désintégration au fil du temps, non sans que des facteurs culturels et religieux jouent un rôle centrifuge. À cet égard, l'existence, à Cologne d'un « quartier latin » et la tentation de considérer qu'« Outre-Rhin » précisément, on entre en terra incognita, ne relève pas de l'anecdote pour guide touristique en mal de couleur locale. Les « histoires belges » dont les Français étaient friands n'ont rien à envier à la férocité de l'humour exercé aux Pays-Bas aux dépends de leur voisin méridional, Flamands en tête. Et ceux-ci, rejoints par les Francophones, ne demeurent pas en reste au sujet des Hollandais qui, comme chacun sait, sont des « Kaaskoppen » (c'est-à-dire des « têtes de fromage »), tractant leurs caravanes bourrées de conserves alimentaires afin de ne pas dépenser leur précieux argent à l'étranger. Ces stéréotypes relèvent eux aussi de la durée. La fracture entre les Pays-Bas, les provinces du Nord, et l'espace Belgique, les provinces du Sud, remonte au XVIe siècle. Les ambitions de Louis XIV en Hollande ont laissé des traces, comme l'ont fait celles de Napoléon dans le Benelux et en Rhénanie. Et les deux guerres en ont bien entendu laissées aussi. Elles se manifestent parfois d’une manière inattendue. En effet, pour évoquer la question sans avoir recours au discours désormais classique sur les formes traditionnelles du souvenir, de la mémoire et de l'histoire, le domaine sportif recèle des trésors de comportements et d'expression. N'est-ce pas un grand quotidien néerlandais qui titrait, au lendemain de la victoire des Pays-Bas sur la « Mannschaft » en demi-finale de la coupe d'Europe des Nations de football de 1988: « Eindelijk wraak! »15, ce qui peut se traduire par « Enfin la revanche! » mais aussi par « Enfin la vengeance! ». Une revanche ou une vengeance, c’est selon, qui n’est pas simplement sportive. Dans un éditorial du quotidien La Libre Belgique publié au lendemain de la victoire des Pays-Bas sur l’URSS en finale de ce même championnat, le correspondant permanent à La Haye du journal écrit: « Le Hollandais moyen n’aime pas beaucoup les Russes et surtout pas les Allemands (…). Pour la demi-finale contre les Allemands, l’ambiance était lourde. Le mot ‘‘moffen’’ (‘‘boches’’ ou ‘‘Chleus’’) se retrouvait massivement dans les conversations. Une chanson, ‘‘We gaan naar Mofrika’’ 13 14 15
A. Demangeon-L. Febvre, Le Rhin, op. cit., p. 238. P. Schöttler, « Le Rhin comme enjeu historiographique dans l'entre-deux-guerres. Vers une histoire des mentalités frontalières », in Genèses, n°14, 1994, France-Allemagne. Transferts, voyages, transactions, p. 63. J. de Groot, « Eindelijk wraak! », in De Telegraaf, 22 juin 1988, p. 23.
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[‘‘Nous allons en Mofrika’’] pouvait déjà être entendue partout avant le tournoi. L’esprit de revanche et le retour à l’esprit national entretenu jusque dans la génération d’après-guerre n’a décidément pas disparu dans l’esprit hollandais quand il est question de leur voisin de l’Est »16. L’exemple de la victoire de l’équipe nationale des Pays-Bas sur celle de la République fédérale d’Allemagne un peu plus d’un an avant la chute du Mur n’est pas isolé. La longue série de rencontres amicales et officielles qui opposent tout au long du vingtième siècle les équipes de football de Belgique (« les diables rouges ») à celle des Pays-Bas (les « Oranje »), suscite à chaque fois un discours puisant inconsciemment les qualificatifs utilisés pour désigner l’adversaire dans une mémoire qui sert d’arsenal de propos désobligeants. Et que dire de ce commentaire sur les ondes de la radio-télévision belge francophone à l’occasion de la rencontre décisive pour la qualification en phase finale de la « Champions League » entre le Borussia Dortmund et le Club de Bruges le 27 août 2003? Parlant du comportement de l'équipe belge en cours de partie, le journaliste ne put s'empêcher de s'exclamer qu’elle résistait vaillamment « aux assauts des Panzers » avant de conclure, Bruges l’ayant emporté aux tirs au but, que « nous avions résisté et vaincu comme à deux reprises dans l'histoire ». Ces quelques exemples, tout en renforçant la conviction que les recherches relatives aux opinions publiques et la construction européenne devraient absolument être envisagées aussi en termes d'analyse des images et représentations de l'Autre, invitent à formuler quelques observations au sujet des enseignements que l’on peut retirer d’enquêtes d’opinion portant sur la confiance entre les peuples des pays qui retiennent ici notre attention. Une vaste enquête destinée à dessiner une psycho-géographie du monde dans dix-sept pays européens est conduite en 1980. Nous indiquons ci-dessous la hiérarchie de la confiance qui est affichée envers les autres peuples en Allemagne, en France et en Belgique, sachant que les résultats pour cette dernière sont quasiment identiques à ceux obtenus pour les Pays-Bas et le Grand-Duché de Luxembourg. Psycho-géographie du monde pour les
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 16
Allemands Suisse États-Unis Danemark Pays-Bas Luxembourg Belgique France
Français Suisse Allemagne Belgique Pays-Bas Luxembourg Danemark
Belges Luxembourg Pays-Bas France Suisse Danemark Grande-Bretagne États-Unis Irlande Espagne Allemagne
A. Glorieux, « Le retour des vieux démons », in La Libre Belgique, 27 juin 1988, p. 14.
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Le cas belge suscite au moins deux remarques. D’une part, « on remarque chez les Belges comme chez les Luxembourgeois, les Néerlandais et les Italiens, une certaine tendance à situer les Allemands près des Japonais, comme s’il y avait là une vision historique héritée de la dernière guerre »17. D’autre part, si l’on pose cette fois la question de savoir de qui, selon les Français, un Allemand de l’Ouest est « le plus proche par sa mentalité et son comportement », la réponse donne le résultat suivant: 1) un Français (41%), un Américain (29%), un Allemand de l’Est (22%), un Belge (21%)18. En d’autres termes, il existe une distorsion importante entre la psycho-géographie du monde selon les Allemands et celle que les Français leur attribuent. Ce jeu de miroirs déformant suscite à son tour d’autres questions parmi lesquelles celle de savoir quels sont les facteurs sur lesquels semble reposer la confiance entre les peuples. La réponse est assez surprenante. En effet, la race, la religion et la proximité géographique n’ont que très peu d’influence lorsqu’on les confronte à d’autres variables qui sont, d’une part, l’appartenance à un même groupe linguistique qui facilite la communication et, d’autre part, au niveau de développement économique dont la corrélation avec la confiance « résulte de l’acquis social plutôt que d’un processus de projection: les nations plus prospères inspirent nettement plus la confiance, mais elles ne sont pas nécessairement plus confiantes envers les autres peuples, projetant sur eux ce qu’elles ont expérimenté dans leur pays ». Ceci pour dire qu’un degré élevé de méfiance « est une constante dans certaines cultures »19. Cela dit, l'historien porte son attention sur des espaces, physiques et mentaux caractérisés notamment par une tension intense entre des niveaux nationaux, régionaux et locaux. A cet égard, les hommes d'entre-deux qu'ont été un Adenauer, un Bech, un Schuman et leurs collègues belges et néerlandais appartenaient à une génération marquée par les deux conflits mondiaux non sans que des manifestations de rapprochement entre espaces, voire de reconstitution d'espaces ayant existé, aient eu lieu. Le rapprochement entre les Pays-Bas et la Belgique autour de 1905, la constitution de l'union économique belgoluxembourgeoise, les contacts intenses, durant les années trente, entre États membres du groupe d'Oslo puis durant la guerre entre gouvernements en exil, forment le background des relations triangulaires à l'intérieur de Benelux avant que celui-ci ne devienne un sommet du triangle franco-germano-bénéluxien. Or, durant tout le temps où, au niveau politique et diplomatique, les États du futur Benelux multiplient les contacts dès avant la seconde guerre mondiale, il faut à tout le moins rappeler l'existence de courants prônant le nationalisme thiois quand ce n'est pas la reconstitution des États bourguignons20. Et que dire du discours qui explique, parfois longtemps après la seconde guerre mondiale, que la CECA renoue en quelque sorte avec l'espace de l'empire carolingien. 17 18 19 20
Documentation de l’auteur, R. Inglehart – J.-R. Rabier, La confiance entre les peuples: déterminants et conséquences, août 1983, p. 33. « Sondage: l’Allemagne vue par les Français », in Le Monde, 28 juin 1985, p. 2. Le total des scores enregistrés dépasse 100% car chaque pourcentage mentionné résulte de l’addition des résultats obtenus par chaque peuple en première et en deuxième réponses. R. Inglehart – J.-R. Rabier, La confiance, op.cit., p. 53. Ici aussi, le discours, de même que l’historiographie, permettent de relever des paradoxes comme l’illustre, par exemple, K. Ditt, « Franz Petri und die Geschichte der Niederlande: Vom germanischen Kulturraum zur Nation Europas », in Tijdschrift voor Geschiedenis, vol. 118, n°2, 2005, pp. 169–87.
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Cet entrelacs d'espaces qui tantôt se superposent, tantôt se recoupent, rend l'analyse particulièrement malaisée car aujourd'hui le grand espace dont nous parlons inclut plusieurs composantes dans le cadre de l'Union européenne et de l'Europe des Régions. Non sans insister sur le fait que certaines d'entre elles appartiennent à des États fédéraux, il faut souligner que Benelux n'est pas la seule référence. La « Grande Région » (Sarre, Lorraine, Luxembourg, RhénaniePalatinat et Wallonie), le triangle Flandre, Nord-Pas-de-Calais et Kent, sont autant d'espaces de coopération qui peuvent en inclure de plus petite taille comme, par exemple, l'Euregio Liège, Aix-la-Chapelle, Maastricht. Ces espaces, sans revenir à la question de l'image de l'Autre ne sont pas exempts de tensions marquant les limites de la coopération comme l'a parfaitement illustré au mois d'octobre de cette année le fait que les partenaires bénéluxiens aient repris chacun leurs billes, oserais-je dire leurs billets, dans le cadre du sauvetage du groupe Fortis dont, ô ironie de l'histoire, la composante belge passe sous le contrôle de la BNP Paribas. Ces quelques pages d’introduction font délibérément l'impasse sur bien d'autres points qui mériteraient d'être abordés. Parmi ceux-ci figurent les transferts culturels, intellectuels, scientifiques et techniques. À défaut de disposer d’une typologie qu’il nous soit permis d’en esquisser une en quelques mots21. Dans la plupart des cas, les transferts sont bilatéraux. C’est ainsi que l’influence d’entrepreneurs wallons sur le développement de la technique et l’utilisation de la machine à vapeur en Rhénanie a pu être jugée déterminante22. À l’inverse, pour puiser un exemple en dehors du catalogue des secteurs classiques – sidérurgie, industries électrique et chimique –, à savoir celui de l’industrie sucrière, relevons que la technologie allemande a répondu aux besoins d’entreprises belges à vocation nationale mais aussi internationale sur une base que l’on peut qualifier de monopolistique du fait de l’excellence de son « know how »23. Qui dit technologie et transfert de celle-ci dit aussi agents de ce dernier. À ce propos, un chantier est à ouvrir au sujet de la formation des ingénieurs. Le cas luxembourgeois est emblématique à cet égard. Il suscite notamment la question des raisons du choix entre la Belgique et l’Allemagne de même que celle du parcours après les études. Seule la multiplication d’enquêtes consacrées aux étudiants originaires des pays constituant l’espace qui nous occupe, et diplômés d’une université ou école technique supérieure d’un autre pays de celui-ci, permettrait d’appréhender la nature exacte et l’ampleur du phénomène. En effet, il serait téméraire de généraliser le cas de l’Université de Liège où le nombre d’étudiants étrangers diplômés des écoles d’ingénieur est impressionnant avant 1914 sans pour autant que celui des allemands, français, luxembourgeois et néer21
22 23
Ce qui suit doit beaucoup à la remarquable introduction de Jean-François Eck au colloque organisé à Lille les 11 et 12 octobre 2010 sur le thème des transferts de technologie en Europe du Nord-Ouest dont l’idée avait été lancée au colloque de Cologne, objet des présents actes. Voir J.-F. Eck, « Introduction », in J.-F. Eck – P. Tilly, Innovations et transferts en Europe du Nord-Ouest aux XIXe et XXe siècles, Bruxelles…Vienne, PIE Peter Lang, 2011, pp. 11–31. H. Seeling, Wallonische Industriepionere in Deutschland. Historische Reflektionen, Liège, Eugène Wahle, 1983. La traduction française chez le même éditeur: Les Wallons, pionniers de l’industrie allemande. Considérations historiques. Au sujet de cette question qui demande à être étudiée, de premières indications sont à trouver chez Q. Jouan, De l’expansion belge au retour du balancier: la Société générale de Sucreries et la Sucrerie et raffinerie de Pontelongo. Hommes, capitaux et réseaux, de la fin du 19 e à la première moitié des 20e siècles, Louvain-la-Neuve, Cehec, 2013 (tirage limité).
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landais attire particulièrement l’attention. De même, le cas de la Faculté polytechnique de Mons où pendant la seconde partie du XIXe siècle et le début du XXe, un grand nombre de jeunes Français firent leurs études, ne peut pas être généralisé sous prétexte que « certaines promotions comportaient jusqu’à 30 % d’élèves français qui, une fois diplômés, allaient en majeure partie constituer les cadres dirigeants des bassins français du Nord et du Pas-de-Calais »24. Ce qui est vrai, en termes de questionnement, à propos des étudiants, l’est aussi au sujet des enseignants et, bien entendu, des réseaux auxquels ils appartiennent. En résumé, il est souhaitable d’explorer plus avant ce que l’on pourrait nommer par analogie avec celles des Lettres, la « République des Sciences ». Celle-ci n’inclut évidemment pas seulement les ingénieurs. D’autres disciplines sont concernées parmi lesquelles le droit, l’économie ou l’histoire à propos desquels, soulignons-le au passage, les exemples abondent de l’existence de « passeurs » belges assurant le transfert de savoir de l’Allemagne vers la France et l’Europe latine comme le démontre le rôle d’un François Laurent, d’un Pirenne ou encore d’un Emile de Laveleye. La question des identités, y compris celle de frontières, de même que la question des transferts entre entités d’un espace régional donné soulèvent encore bien des interrogations, à commencer par celles portant sur les migrations saisonnières ou définitives sans oublier, aujourd’hui, les considérables mouvements pendulaires transfrontaliers. Au-delà des réponses techniques que rendent possibles le recours aux données quantitatives, il reste qu’une attention toute particulière devrait être davantage consacrée à la mémoire et aux représentations ainsi qu’à un élément désormais passé de mode mais qui tôt ou tard démontrera son caractère déterminant aux acteurs de la décision dans les matières politiques, voire économiques et sociales, à savoir la culture politique de l’Autre.
ZUSAMMENFASSUNG Es ist sowohl die Schwierigkeit als auch das Interesse dieser Tagung, nicht nur die Blicke zu kreuzen, sondern auch so weit wie möglich zu versuchen, die Faktoren unterschiedlichster Art zu untersuchen, die im Rahmen eines großen Raumes, bestehend aus den Beneluxländern, Nordrhein-Westfalen und französischen Regionen, miteinander interagieren. Die geographischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Tatsachen dieses großen Raums haben aus ihm – genau wie man es in anderen Regionen Europas feststellen kann – einen langfristigen Einsatz gemacht, der wesentlich ist, um die heutigen Situation zu verstehen. Aber diese selben Tatsachen – und folglich die Einsätze für die sie die Grundlage bilden – sind oft dem politischzentralistischen Willen unterworfen gewesen, der eine Organisation des Gebiets, des Transports, der Gebietsverteidigungsmaßnahmen, des Personen-, Güter-, und Kapitalverkehrs von oben verlangte, der die dauerhaft festgeschriebenen Praktiken mal direkt angegriffen, mal verstärkt hat.
24
125e anniversaire de la Faculté polytechnique de Mons, 1837–1962, Frameries, Union des imprimeries, 1962, p. 34.
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In diesem Hinblick werfen die Frage nach Identitäten, einschließlich der nach den Grenzen, genauso wie das Problem des Transfers zwischen Gebilden eines gegebenen regionalen Raums, einige Unklarheiten auf, angefangen bei denen die sich auf die saisonale oder definitive Migration beziehen und, nicht zu vergessen, der heutzutage existierende beachtliche Grenzpendlerverkehr. Über die Antworten technischer Art hinaus, die der Rückgriff auf Mengenangaben ermöglicht, bleibt, dass dem Gedächtnis und den Vorstellungen, sowie einem weiterem Faktor ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Dieser ist nunmehr nicht mehr modern, wird aber früher oder später den Entscheidungsträgern seinen ausschlaggebenden Wesenszug in der Politik, ja sogar in der Wirtschaft und im Sozialen zeigen: die politische Kultur des Anderen.
SUMMARY It is both the difficulty and in this conference’s interest to not only cross perspectives, but also to try and examine the diverse factors to the fullest that interact with each other in the context of a large area, which consists of the Benelux countries, North Rhine-Westphalia, and French regions. The geographic, economic, social, and cultural facts of this large area have – just as one can observe within the other European regions - created a long-term wager that is essential for the comprehension of the contemporary situation. But the very same facts – and thus the wagers for whom they provide a basis for – were often subject to the political-centralistic will, which demanded a top-down organization of the area, its defense measures, and its transport of persons, goods, and capital. This top-down approach sometimes attacked the established practices, and at other times reinforced them. In this regard, questions concerning identities, borders, and the issue of transfer between constructs of a given regional area give way to some uncertainties, such as the ones relating to seasonal or definitive migration, or the considerable border traffic caused by cross-border commuters. Besides the technical answers that enable access to quantitative information, there also persists the notion that memory, beliefs, and also a third factor should be given special attention. While this third factor, the political culture of “the other”, is no longer considered to be a modern one, it will sooner or later demonstrate to the decision-makers its decisive trait in the political, economical and social spheres.
DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND IHRE POLITIK GEGENÜBER DEN BENELUX-STAATEN UND FRANKREICH WILFRIED LOTH Aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland ist Europapolitik in erster Linie Frankreichpolitik. Zwischen Deutschland und Frankreich muss ein Ausgleich geschaffen werden, der Frankreichs Sicherheit garantiert, ohne Deutschland einseitig zu diskriminieren: Das ist der Grundgedanke vieler Initiativen zur Einigung Europas. Er führt zu der Vorstellung, dass das deutsch-französische Tandem im Mittelpunkt des europäischen Einigungsprozesses steht und Fortschritte in der Einigung von einer Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich abhängig sind.1 Grundlage dieses Verhältnisses ist die Einsicht führender Politiker der französischen IV. Republik [man muss das im Plural sagen und dabei auch die IV. Republik gegen ihre Kritiker verteidigen], dass Sicherheit durch Dominanz im westlichen Europa, wie sie Charles de Gaulle als Regierungschef am Ende des Zweiten Weltkriegs noch einmal durchzusetzen versucht hat, angesichts der OstWest-Spaltung Europas und des Kalten Krieges nicht mehr zu erreichen war. Die Bundesrepublik Deutschland war als starker Partner im westlichen Bündnis unverzichtbar, ökonomisch stark und auch militärisch stark: Da waren Garantien gegen eine deutsche Dominanz und eine abermalige Bedrohung durch Deutschland nur dann zu erreichen, wenn man den Deutschen anbot, sich selbst der gleichen supranationalen Kontrolle durch europäische Institutionen zu unterwerfen, in die die Deutschen eingebunden bleiben sollten. Schuman-Plan und PlevenPlan folgten dieser Einsicht; und soweit mit diesen Plänen noch Hoffnungen auf eine französische Führungsrolle in einem vereinten Europa verbunden waren, mussten sie in den Vertragsverhandlungen, die auf die französischen Initiativen folgten, weitgehend abgebaut werden. Die Benelux-Staaten kommen in dieser Vorstellung von einem Europa auf der Grundlage eines deutsch-französischen Ausgleichs notwendigerweise erst in zweiter Linie vor. Dies geschieht nicht aus Geringschätzung der kleineren Staaten, sondern ergibt sich aus dem objektiven Sachverhalt, dass eine Union zwischen Deutschland und den Benelux-Staaten allein, also ohne Frankreich, die sicherheitspolitischen Probleme des europäischen Kontinents nicht lösen würde. Gleichzeitig würde sie auf eine Hegemonie der Deutschen innerhalb der Union hinauslaufen, die die kleineren Staaten nicht wollen können. Nach den Erfahrun-
1
Vgl. dazu thesenhaft Wilfried Loth, Das deutsch-französische Bündnis: Grundlagen, Wandlungen, Perspektiven, in: Guido Müller (Hg.), Deutschland und der Westen. Festschrift für Klaus Schwabe zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1998, S. 357–365; zahlreiche Fallbeispiele bei Marie-Thérèse Bitsch (Hg.), Le couple France-Allemagne et les institutions européennes, Bruxelles 2002; zuletzt Corine Defrance/Ulrich Pfeil (Hg.), La France, l’Allemagne et le traité de l‘Élysée 1963–2013, Paris 2012.
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gen mit der Machtpolitik des Deutschen Reiches wird sie auch von den meisten Deutschen als kontraproduktiv angesehen.2 Dass die kleineren Staaten erst in zweiter Linie eine Rolle in der europäischen Konstruktion spielen, heißt nicht, dass man sie vernachlässigen könnte. Die deutsch-französische Union ist kein Selbstzweck; sie zielt auf ein größeres Europa, das die Benelux-Staaten als Kernregion notwendigerweise mit einschließt. Man braucht also die Zustimmung der Benelux-Staaten, wenn man in Europa vorankommen will. Außerdem kann man von diesen Staaten lernen – insofern sie mit Benelux das erste Beispiel für regionale Zusammenschlüsse in Europa gegeben haben. Und schließlich kann man sich der Dienste der Benelux-Staaten bedienen – wenn und soweit sie eine Vermittlerrolle zwischen Deutschland und Frankreich wahrnehmen.
Kompromisse in der Gründungsphase Konrad Adenauer, der die Grundlagen zu der hier skizzierten deutschen Europapolitik gelegt hat,3 hat die Benelux-Staaten freilich nicht als Einheit wahrgenommen. Belgien und Luxemburg waren ihm vertraut. Ihre Bedeutung im Kontext der westeuropäischen Montanindustrie kannte er seit den 1920er Jahren, als er sich als Kölner Oberbürgermeister mit der Verflechtung des westeuropäischen Wirtschaftsraums beschäftigt hatte. Er kannte die Einigungsinitiativen, die sich aus denProblemen von Kohle und Stahl ergaben, und er kannte die Menschen, die sie betrieben. Die Niederlande dagegen waren und blieben ihm ziemlich fremd. Er sah die antideutschen Ressentiments, die auf die Erfahrung mit der deutschen Besatzung 1940 bis 1944 zurückgingen, die Aversion gegen eine deutsch-französische Hegemonie, das Bemühen um ein Heranziehen Großbritanniens und der USA. Die Niederlande, soviel war ihm klar, waren ein schwieriger Partner. Die Haltung der Benelux-Regierungen zum Schuman-Plan ist von der Bundesregierung vorwiegend als ein Hindernis wahrgenommen worden. Die Hohe Behörde einem Ministerrat unterzuordnen, wie Dirk Spierenburg und Max Suétens in den Schuman-Plan-Verhandlungen forderten, barg aus deutscher Sicht die Gefahr, dass der supranationale Charakter und damit die Wirksamkeit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl weitgehend zurückgedrängt würde. Außerdem unterlag die Beteiligung der Bundesrepublik an einem Ministerrat immer noch dem Besatzungsstatut, während ihre Vertreter in der Hohen Behörde frei entscheiden konnten. Walter Hallstein als deutscher Delegationsleiter setzte der belgisch-niederländischen Forderung nach Kontrolle der Hohen Behörde durch einen Ministerrat daher den Vorschlag einer Kontrolle durch ein Parlament entgegen, das zur Hälfte aus Vertretern der nationalen Regierungen 2 3
Vgl. Wilfried Loth, Die Deutschen und das Projekt der europäischen Einigung, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Der lange Weg nach Europa. Historische Betrachtungen aus gegenwärtiger Sicht, Berlin 1992, S. 39–69. Zur Europapolitik von Konrad Adenauer vgl. insbesondere Hans-Peter Schwarz, Adenauer und Europa, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 27 (1979), S. 471–523; eine jüngere Zusammenfassung bei Wilfried Loth, Konrad Adenauer und die europäische Einigung, in: Mareike König/Matthias Schulz (Hg.), Die Bundesrepublik Deutschland und die europäische Einigung 1949–2000, Stuttgart 2004, S. 39–59.
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und zur Hälfte aus Vertretern der nationalen Parlamente bestehen sollte. Die schließlich erreichte Lösung, ein differenziertes Mitwirkungsrecht des Ministerrats bei Entscheidungen der Hohen Behörde, kann als ein Kompromiss zwischen deutschen und belgisch-niederländischen Vorstellungen angesehen werden.4 In den Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft erschienen die Benelux-Staaten abermals als schwierige Partner. Adenauer schätzte keineswegs, dass sie auch hier auf stärkere Mitwirkung der nationalen Regierungen drängten, als in dem französischen Vertragsentwurf vorgesehen war. Unter ihrem Einfluss trat an die Stelle des europäischen Verteidigungsministers ein neunköpfiges Kommissariat, das nur in den laufenden Geschäften der Ausrüstung und Versorgung selbständig operieren konnte. Fast alle wesentlichen Entscheidungen, vom Erlass von Vorschriften bis zur Erstellung des Budgets, wurden von einstimmigen Voten des Ministerrats abhängig gemacht.5 Für Hallstein ergab sich daraus ein Verlust an Handlungsfähigkeit. Adenauer sah mit Sorge, dass sich die Aussichten auf eine Ratifizierung durch das französische Parlament verringerten. Die gleiche Sorge führte ihn auch zum Widerstand gegen den Plan von Johan Willem Beyen, das Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft, die der Verteidigungsgemeinschaft den fehlenden parlamentarischen Rückhalt geben sollte, durch eine Zollunion der Sechs zu ergänzen. Aus Adenauers Sicht würde ein solches Junktim zwischen politischer und wirtschaftlicher Integration die Verwirklichung der Verteidigungsgemeinschaft nur hinauszögern. Angesichts der französischen Vorbehalte gegen eine Wirtschaftsgemeinschaft drohte sogar das Scheitern des gesamten Projekts. Auf einer Tagung der Außenminister der Sechs am 12. und 13. Mai 1953 in Paris kam es darüber zur Auseinandersetzung. Adenauer plädierte für eine schnelle Umsetzung des Entwurfs der ad-hocVersammlung; Paul van Zeeland und Beyen beharrten auf der wirtschaftlichen Integration. Da Frankreichs Außenminister Georges Bidault die Entscheidung hinauszögern wollte, musste Adenauer eine Niederlage hinnehmen: Es wurde beschlossen, die Frage einer Ausweitung des Vertrages auf den wirtschaftlichen Bereich zu prüfen.6 Das niederländische Beharren auf der Wirtschaftsgemeinschaft führte zum Scheitern der Verhandlungen über die Politische Gemeinschaft, und dieses hatte schließlich auch das Scheitern der Verteidigungsgemeinschaft zur Folge.7 4
5
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Hans-Jürgen Küsters, Die Verhandlungen über das institutionelle System zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in: Klaus Schwabe (Hg,), Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51, Baden-Baden 1988, S. 73–102; Matthias Schönwald, Walter Hallstein et les institutions européennes, in: Bitsch, Le couple France-Allemagne, S. 151–168, hier S. 152–155. Klaus A. Maier, Die internationalen Auseinandersetzungen um die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland und um ihre Bewaffnung im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956. Bd.2: Die EVGPhase, München 1989, S.1–234, hier S. 82–84; Arnulf Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, Taschenbuchausgabe, München 1971, S. 212–216. A. J. Harryvan/J. van der Harst/G. M. V. Mans/A. E. Kersten, Dutch attitudes towards European military, political and economic integration (1950–1954), in: Gilbert Trausch (Hg.), Die europäische Integration vom Schuman-Plan bis zu den Verträgen von Rom, Baden-Baden 1993, S. 321–347, insbesondere S. 335, 340–342. Vgl. Wilfried Loth, Die EVG und das Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft, in: Rainer Hudemann/Hartmut Kaelble/Klaus Schwabe (Hg.), Europa im Blick der Historiker, München 1995, S. 192–201.
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Umso mehr schätzte Adenauer die feste Haltung von Paul-Henri Spaak, als Frankreichs Ministerpräsident Pierre Mendès France im August 1954 versuchte, den EVG-Vertrag durch ein „Anwendungsprotokoll“ aufzuweichen, das die militärische Integration auf die deutschen Streitkräfte und die in der Bundesrepublik stationierten alliierten Streitkräfte einschließlich der britischen und amerikanischen Verbände beschränkte.8 Die Verhandlungen, die die Außenminister in Brüssel vom 19. bis 22. August 1954 über diesen Vorschlag führten, schildert Adenauer in seinen Memoiren so: „Die Verhandlungen wurden bis zum Schluss geleitet von Herrn Spaak, der diese Ausgabe in ganz ausgezeichneter Weise erfüllte. Er beherrschte souverän die komplizierte und schwierige Materie, macht wiederholt sehr gute Vermittlungsvorschläge und kritisierte oft außerordentlich scharf Mendès-France in einer Weise, wie sie bisher auf keiner Außenministerkonferenz üblich gewesen war. Er zeigte schonungslos die Unmöglichkeiten und die Schwächen der französischen Vorschläge.“9 Acht Wochen später, bei den Verhandlungen über die Pariser Verträge, erlebte Adenauer Spaak abermals als Partner, und auch Beyen und Joseph Bech wurden von ihm als Verbündete gegen Mendès France angesehen, der Deutschland immer noch einseitig zu diskriminieren gedachte. Im Hinblick auf das Problem der Kontrolle der deutschen Rüstung, das sich ohne die supranationale EVG anders stellte als zuvor, ging Spaak in die Offensive, indem er verlangte, nicht nur die Bundesrepublik, sondern alle kontinentaleuropäischen Staaten der NATO sollten auf die Produktion von ABC-Waffen verzichten. Wie nicht anders zu erwarten war, weigerte sich Mendès France, eine solche Verzichterklärung für Frankreich abzugeben. Als Adenauer dann für die Bundesrepublik erklärte, sie werde auf die Herstellung von ABC-Waffen verzichten, schlossen sich Spaak und Beyen für ihre Länder dieser Erklärung an. Adenauer konnte darauf hin zu Hause behaupten, dass auf der freiwilligen Erklärung „auch nicht der Schatten einer Diskriminierung liegt.“10 Auf die „relance européenne“, die Spaak und Beyen mit ihren Memoranden vom 2. und 4. April 1955 einleiteten,11 reagierte Adenauer allerdings ausgesprochen zurückhaltend. Die Schaffung einer Zollunion mit dem Ziel einer Wirtschaftsunion, wie sie Beyen erneut vorschlug, hielt der Bundeskanzler nach wie vor für unvereinbar mit den französischen Interessen. Die Bildung einer Sonderorganisation für die friedliche Nutzung der Atomenergie, wie sie Jean Monnet propagierte, schien ihm auch im deutschen Interesse problematisch zu sein. Sein Sonderminister Franz Josef Strauß zog die Zusammenarbeit mit den technisch viel weiter fortgeschrittenen Briten und Amerikanern einer Atomgemeinschaft vor, die offensichtlich in erster Linie Frankreich zugute kommen sollte.12
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Vgl. den Text des französischen Vorschlags in: Europa-Archiv 9 (1954), S. 6869f. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1953–1955, Stuttgart 1966, S. 282. Zur Rolle Spaaks auch Michel Dumoulin, Spaak, Brüssel 1999, S. 483–486. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands. Bd. 2: 1953–57, Düsseldorf 1990, S. 255. Vgl. HansPeter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952–1967, Stuttgart 1991, S. 154–157. Pierre Gerbet, La ‚relance’ européenne jusqu’à la conférence de Messine, in: Enrico Serra (Hg.), Il rilancio dell’Europa e i Trattati di Roma, Mailand 1989, S. 61–91. Vgl. Wilfried Loth, Deutsche und französische Interessen auf dem Weg zu EWG und EURATOM, in: Andreas Wilkens (Hg.), Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen 1945–1960, Sigmaringen 1997, S. 171–187.
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Gegenüber den Partnerregierungen setzte Adenauer daher zunächst einmal durch, dass die Beratungen über den belgischen Vorschlag vom 2. April bis zum Inkrafttreten der Pariser Verträge verschoben wurden. Spaak und Monnet ließ er wissen, dass er ihre Initiativen für „verfrüht“ halte.13 Als die Außenminister der Sechs dann Anfang Juni 1955 in Messina über die Vorschläge Spaaks und Beyens berieten, erklärte Walter Hallstein (der Adenauer vertrat), dass die Bundesregierung zwar Maßnahmen zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes befürworte, die Bildung neuer Institutionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch ablehne.14 Die Bildung einer Expertenkommission zur Beratung der Vorschläge zur wirtschaftlichen Integration, die die Außenminister in Messina beschlossen, hatte für Adenauer in erster Linie die Funktion, ein abermaliges spektakuläres Scheitern eines ehrgeizigen Europa-Projekts zu verhindern. Um Adenauer für die neuen Verträge zu gewinnen, bedurfte es einer nochmaligen Anstrengung Spaaks. Als die Verhandlungen der Expertenkommission, die Anfang Juli unter seinem Vorsitz in Val Duchesse tagte, im November 1955 in eine Sackgasse gerieten, suchte er den Bundeskanzler in seinem Haus in Rhöndorf auf, um ihm deutlich zu machen, dass die Initiative von Messina nicht scheitern dürfe. Angesichts der internationalen Lage, legte er Adenauer eindringlich dar, die durch die Konferenzen von Moskau und Genf entstanden sei, seien neue Anstrengungen für eine Verankerung der Bundesrepublik in Europa dringend erforderlich. Spaak meinte wohl Adenauers Besuch in Moskau im September 1955 und die Außenministerkonferenz der vier Großmächte vom 27. Oktober bis 15. November 1955 in Genf. Diese Argumentation überzeugte. Spaak gewann in der Unterredung den Eindruck, dass Adenauer „leidenschaftlich proeuropäisch“ ist, weil er in der Integration „das wirksamste Mittel und vielleicht das einzige“ sieht, „um Deutschland vor sich selbst zu schützen.“ „Die europäische Integration“, hielt Spaak in seinen Memoiren als gemeinsame Überzeugung der beiden Gesprächspartner fest, „gibt Deutschland einen Rahmen, in dem seine Expansion begrenzt bleibt, und schafft eine Interessengemeinschaft, die es absichert und die uns gegen gewisse Versuche und gewisse Abenteuer absichert.“15 Nach der Unterredung mit Spaak wies Adenauer seine Minister am 19. Januar 1956 an, für einen Erfolg der Verhandlungen über die „Herstellung eines gemeinsamen Marktes“ und die Gründung einer europäischen Atomgemeinschaft zu sorgen.16 Und als die Verhandlungen dann im Oktober 1956 gleichwohl wieder ins Stocken gerieten, entschloss er sich zu einer persönlichen Rettungsaktion. Am 5. November 1956 reiste er nach Paris, um im bilateralen Gespräch mit Mollet einen Ausweg aus der Krise zu finden. Gleichzeitig drückte er damit seine Solidarität mit der französischen Regierung aus, die wegen der Suez-Expedition gerade unter heftige Kritik aus den USA geraten war. Der Schulterschluss mit Mollet, der in Frankreich sehr positiv registriert wurde, ermöglichte es ihm, gegen die Zusicherung von Ausnahmereglungen im Falle wirtschaftlicher Schwie-
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Hanns Jürgen Küsters, Adenauers Europapolitik in der Gründungsphase der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31 (1983), S. 646–673. Anjo G. Harryvan/Albert E. Kersten, The Netherlands, Benelux and the relance européenne 1954–1955, in: Serra, Il rilancio, S. 125–157, hier S. 153–156. Paul-Henri Spaak, Memoiren eines Europäers, Hamburg 1969, S. 311f. Schwarz, Adenauer, S. 288f.
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rigkeiten die französische Zustimmung zur Schaffung des Gemeinsamen Marktes zu erhalten.17 Im Nachhinein stellte Adenauer die große Bedeutung Spaaks für das Gelingen des Unternehmens heraus: „Dass die Verträge zur Unterzeichnung vorgelegt werden konnten, dafür gebührt vor allem einem Manne Dank: Paul-Henri Spaak. Ohne seine unermüdliche Schaffenskraft, ohne seine mitreißende Arbeitsweise, ohne seine Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, ohne seine Gabe, zur rechten Zeit das rechte Wort zu finden, wäre das Werk nicht gelungen. Die Verhandlungen über die europäische Einigung trugen während ihrer ganzen Dauer den Stempel seiner dynamischen Persönlichkeit. Ihm war der Erfolg beschieden, den er verdient hatte. Dafür schulden ihm wir alle, dafür schuldet ihm ganz Europa Dank.“18 Selten sind die Pionierrolle und die Vermittlerrolle der Benelux-Staaten in der europäischen Konstruktion so deutlich bezeichnet worden wie in dieser Eloge von Bundeskanzler Adenauer.
Streit über die Politische Union Die geradezu privilegierten Beziehungen, die das deutsch-belgische Verhältnis in der Ära Spaak kennzeichneten, waren allerdings nicht von Dauer. Sie verschlechterten sich, als Charles de Gaulle im September 1960 die Initiative für eine Politische Union ergriff, die auf einem „organisierten Konzert der verantwortlichen Regierungen“ beruhen sollte.19 Der niederländische Außenminister Joseph Luns sah darin einen Versuch, die supranationalen Institutionen der EWG an die Seite zu drängen und insbesondere die Kommission zu entmachten, an deren Stärke der niederländischen Politik von Anfang an gelegen war. Außerdem drohte die regelmäßige politische Zusammenarbeit der Sechs den Graben zu Großbritannien noch zu vertiefen und die Aussicht auf einen Beitritt Großbritanniens zur EWG entscheidend zu verschlechtern. Drittens fürchtete Luns ein Zerbrechen der militärischen Integration der NATO. Eine eigenständige Verteidigungsorganisation der Sechs, womöglich unter französischer Führung und Abbau der amerikanischen Präsenz in Europa, lehnte er ab.20 Adenauer hingegen war für die Idee stärkerer Selbständigkeit der europäischen NATO-Partner durchaus empfänglich. Auch war er immer noch auf der Suche nach stärkerer politischer Integration, die die Deutschen unwiderruflich an den Westen binden sollte. Die Drohung des amerikanischen Präsidenten Eisenhower, ohne militärische Integration werde es keine amerikanische Truppenprä17 18 19
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Hanns Jürgen Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, BadenBaden 1988, S. 327–330; Wilfried Loth, Guy Mollet und die Entstehung der Römischen Verträge 1956/57, in: Integration 30 (2007), S. 313–319. Adenauer, Memoiren 1955–1959, Stuttgart 1967, S. 267. Pressekonferenz vom 5.9.1960, Charles de Gaulle, Discours et messages, Bd. 3, Paris 1970, S. 234–251. Vgl. zur Entstehung dieses Projekts Wilfried Loth, Jean Monnet, Charles de Gaulle und das Projekt der Politischen Union (1958–1963), in: Andreas Wilkens (Hg.), Interessen verbinden. Jean Monnet und die europäische Integration der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 253–267. Ralph Dingemans/Arend Jan Boekestijn, The Netherlands and the enlargment proposals, 1957–1963, in: Anne Deighton/Alan S. Milward (Hg.), Widening, Deepening and Acceleration: The European Economic Community 1957–1963, Baden-Baden 1999, S. 225–240, besonders S. 235f.
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senz in Europa mehr geben, ließ ihn zunächst zögern, auf de Gaulles Vorschlag einzugehen. Nachdem Jean Monnet ihm aber eindringlich dargelegt hatte, dass die politische Kooperation, wie de Gaulle sie vorschlug, „einen Fortschritt darstellen“ würde,21 entschloss er sich Ende 1960, die Initiative de Gaulles zu unterstützen.22 Luns war davon sehr überrascht. Beim Gipfeltreffen der Sechs am 11./12. Februar 1961 in Paris fand er sich in der Rolle des Neinsagers wieder, der die deutsch-französischen Pläne blockierte. Infolge seines Widerstands konnten die sechs Staats- und Regierungschefs lediglich die Einrichtung einer Studiengruppe beschließen, die die Vorschläge zu einer politischen Zusammenarbeit prüfen sollte. Als die Kommission unter dem Vorsitz von Christian Fouchet am 16. März 1961 zusammentrat, bestand der niederländische Vertreter Dirk Spierenburg darauf, dass in den regelmäßigen Zusammenkünften der Regierungen nicht über Fragen gesprochen werden dürfe, die in den Zuständigkeitsbereich der NATO fielen.23 Adenauer fasste darauf hin den Entschluss, mit der Verwirklichung der Politischen Union auch dann zu beginnen, wenn die Niederländer sich nicht beteiligten. Wenn es nicht anders ging, war er auch bereit, eine bloße Zweier-Union Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland als ersten Schritt zu akzeptieren. Die kleineren Staaten, so hoffte er, würden früher oder später schon folgen, wenn Frankreich und die Bundesrepublik die Vorreiterrolle übernehmen würden. Nachdem er sich am 20. Mai bei de Gaulles Besuch in Bonn mit dem französischen Staatspräsidenten auf diese Ziele verständigt hatte, konnte beim nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs am 18. Juli ein Grundsatzbeschluss zur Schaffung der Politischen Union durchgesetzt werden. De Gaulle erhielt die Zusicherung regelmäßiger Treffen der Regierungschefs mit dem Ziel einer „gemeinsamen Politik“. Die Behandlung sicherheitspolitischer Fragen im Rahmen der Politischen Union wurde nicht ausgeschlossen.24 Die belgische und auch die luxemburgische Regierung standen den Plänen de Gaulles zunächst viel aufgeschlossener gegenüber als die Niederländer. Spaak teilte Adenauers Überzeugung, dass die politische Integration vorangetrieben werden müsse, nicht zuletzt um die Bundesrepublik auch nach dem absehbaren Rücktritt des ersten Bundeskanzlers auf Dauer im westlichen Bündnis zu halten. Außerdem hoffte er, die Politische Union könne als Forum dienen, um die Krise der NATO zu überwinden: im Rahmen der Gespräche über eine gemeinsame Politik sollte Frankreich seine eigenwillige Haltung in der Sicherheitspolitik revidieren. Dass de Gaulle die Politische Union dazu benützen wollte, eine französische Hegemonie auf dem europäischen Kontinent zu errichten, wollte er nicht ausschließen. Spaak war aber überzeugt, dass dem französischen Präsidenten dies nicht gelingen würde. Die Spannungen zwischen der niederländischen und der belgischen Regierung, die aus diesen unterschiedlichen Auffassungen resultierten, gingen soweit, dass in belgischen Regierungskreisen schon von einem
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Monnet an Adenauer 18.11.1960, auszugsweise zitiert in Jean Monnet, Memoiren eines Europäers, München 1980, S. 553f. Loth, Monnet, S. 262. Georges-Henri Soutou, Le général de Gaulle et le plan Fouchet, in: De Gaulle en son siècle, Bd. 5: L’Europe, Paris 1992, S. 126–143, hier S. 132f. Ebd. S. 132–135.
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„möglichen Auseinanderbrechen von Benelux auf der politischen Ebene“ gesprochen wurde.25 Bei dem Gipfeltreffen in Bonn am 18. Juni 1961 gewann Spaak freilich den Eindruck, dass die niederländischen Befürchtungen hinsichtlich der Schwächung der europäischen Kommission und einer militärischen Sonderorganisation der Sechs nicht unbegründet waren. Als dann die britische Regierung am 9. August ihren Antrag auf Beitritt zur EWG bekannt gab, entwickelte sich daraus die Forderung, Großbritannien an den Verhandlungen über die politische Kooperation zu beteiligen. Eine britische Beteiligung schien Spaak jetzt das geeignete Mittel zu sein, die Gefahr einer Hegemonie Frankreichs und einer Desintegration der NATO zu bannen. Bei einem Treffen der Außenminister der Benelux-Staaten am 7. November 1961 in Brüssel machte Spaak seinen Kurswechsel deutlich. Sein luxemburgischer Kollege Schaus gewann den Eindruck dass „Spaak holländischer geworden ist als die Holländer“.26 Die Luxemburger schlossen sich dieser belgisch-niederländischen Achse nicht an. Spaak und Luns aber sorgten dafür, dass in den Entwurf des Vertrages für die Politische Union das Ziel einer „Stärkung der Allianz“ aufgenommen wurde und die Reform der bestehenden europäischen Gemeinschaften auf Rationalisierung und Koordinierung beschränkt blieb.27 Als de Gaulle im Januar 1962 diese Bestimmungen aus dem Entwurf strich, bestanden sie bei einer erneuten Außenministerkonferenz am 17. April 1962 darauf, dass der Vertrag über eine Politische Union erst nach einem Beitritt Großbritanniens zum Gemeinsamen Markt unterzeichnet werden dürfe. Die Verhandlungen der Fouchet-Kommission waren damit gestoppt, das Projekt der Politischen Union auf unabsehbare Zeit vertagt.28 Adenauer nahm dies den Niederländern und den Belgiern ziemlich übel. Dem niederländischen Außenminister galt sein ganzer Zorn. Noch Jahre später schimpfte er über den „langen Kerl“. „Stur, wie nur ein Holländer sein kann“, habe er sich im Frühjahr und Sommer 1962 aufgeführt: „Ich könnte ihm den Hals umdrehen“.29 „Luns hat die Politische Union kaputt gemacht“, beklagte er sich im Oktober 1963 bei einem Besuch von Dean Acheson.30 Auch auf Spaak war er nicht mehr gut zu sprechen Die Freundschaft, die wesentlich dazu beigetragen hatte, die Institutionen von 1954 und 1957 zustande zu bringen, betrachtete er als beendet.
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Yves Stelandre, Les pays du Benelux, l’Europe politique et les négociations Fouchet, in: Deighton/Milward, Widening, S. 73–88, hier S. 81. Zitiert nach dem Bericht des Baron de Vos van Steenjwijk vom 8.11.1961, ebd. S. 83. Ebd. S. 84f. Soutou, Le général de Gaulle, S. 140–142. Gespräch mit dem Schweizer Historiker Jean Rudolf von Salis am 5.8.1964, zitiert bei Schwarz, Adenauer, S. 737. Ebd. S. 855.
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Schwierigkeiten im deutsch-französischen Verhältnis Freilich hatte auch der deutsch-französische Vertrag, der dann als vorläufiger Ersatz für die Politische Union zustande kam, einen schwierigen Start: Zunächst wollte Adenauer kein exklusives Zweierbündnis mit Vorreiterfunktion, dann schreckte de Gaulle vor einem ratifizierungsbedürftigen Abkommen zurück; als Adenauer beim Besuch in Paris am 21. Januar 1963 überraschender Weise doch auf einem völkerrechtlichen Vertrag statt einer bloßen Vereinbarung bestand, hatten die Beamten große Schwierigkeiten, das protokollarisch vorgeschriebene Papier für ein solches Dokument aufzutreiben. Schließlich versah der Deutsche Bundestag, aufgeschreckt über die Gefahren für das westliche Bündnis, die angeblich in dem Vertragswerk steckten, den Vertrag bei der Ratifizierung einseitig mit einer Präambel, die all das bekräftigte, was de Gaulle bekämpfte: die engen Bindungen an die USA, den Ausbau der bestehenden Europäischen Gemeinschaften und das Bemühen um eine Aufnahme Großbritanniens, das sich unterdessen eindeutig gegen ein sicherheitspolitisch eigenständiges Europa ausgesprochen hatte.31 De Gaulle hat diese Desavouierung seiner europapolitischen Zielsetzungen damals vor Journalisten mit einem Kommentar versehen, der Bitterkeit und Resignation verrät: „Ach wissen Sie, die Verträge sind wie die jungen Mädchen und die Rosen: Sie blühen und verwelken. Wenn der deutsch-französische Vertrag nicht angewandt werden sollte, wäre das nicht das erste Mal in der Geschichte.“32 Dem hat Adenauer in einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten wenige Tage später entgegengehalten, von Rosen verstünde er ja nun eine ganze Menge, und er wisse, dass so ein Rosenstock, wenn er nur ordentlich gepflegt würde, jedes Jahr die prächtigsten Blüten hervorbringen könne.33 Tatsächlich schien es zunächst so, als ob de Gaulle die treffendere Diagnose gestellt hätte. Auf die Ratifizierung des Vertrags über deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft folgte paradoxer Weise eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland. Die deutsche Politik verlor im Übergang von Adenauer zu Erhard jedes Interesse an einem sicherheitspolitisch eigenständigen Europa, und de Gaulle ging mit der Politik des "leeren Stuhls" in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaften 1965 dazu über, den Weg zur Unabhängigkeit und zur Ost-West-Entspannung, die daraus resultieren sollte, im nationalen Alleingang vorzuexerzieren. Für das deutsch-französische Verhältnis hatte das fatale Folgen. Nicht nur, dass beide Länder spätestens seit dem Austritt Frankreichs aus der Militärorganisation der NATO 1966 sicherheitspolitisch getrennte Wege gingen. Weil ein politisches Europa nicht zustande kam, konzipierten beide Länder auch ihre Entspannungspolitik national, und daraus wiederum ergab sich auch ein latenter Gegensatz in der Deutschlandpolitik, der immer wieder zu wechselseitiger Entfremdung führte. Man darf nicht soweit gehen, die deutsche Teilung als Grundlage der deutschfranzösischen Annäherung zu bezeichnen. Aus französischer Sicht war das 31 32 33
Benedikt Schoenborn, La mésentente apprivoisée. De Gaulle et les Allemands, 1963–1969, Paris 2007, S. 29–56. Jean Lacouture, De Gaulle. Bd. 3: Le souverain, Paris 1994, S. 308. Ebd. S. 308f.
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deutsch-französische Bündnis vielmehr ein Instrument, um den Gefahren vorzubeugen, die aus der deutschen Teilung resultierten. Das schloss eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht aus; Voraussetzung war aus französischer Sicht nur, dass dabei die Bindungen erhalten blieben, die der westliche Teil Deutschlands unterdessen eingegangen war. De Gaulle bezog aus der Sorge um das deutsche Problem sogar ein wesentliches Motiv für seine Entspannungspolitik: Nicht zuletzt um die nationalen Ambitionen der Deutschen zu befriedigen (die er nach wie vor für virulent hielt), ohne den europäischen Frieden zu gefährden, schien ihm die Schaffung einer gesamteuropäischen Friedensordnung unerlässlich – eines „Europas des Friedens und des Fortschritts“, in das „das ganze germanische Gebilde fest eingeordnet“ werden sollte, wie er Chruschtschow im Frühjahr 1960 erläuterte.34 Von Willy Brandt ist zu erfahren, dass de Gaulle seine Unterstützung anbot, falls Deutschland den Weg eines deutsch-sowjetischen Dialogs beschreiten wolle.35 Als die Bundesrepublik dann aber im Zuge der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition zum bevorzugten Gesprächspartner Moskaus avancierte – die gleiche Bundesrepublik, die vor der Ära Brandt der gaullistischen Entspannungskonzeption ihre Zustimmung versagt hatte –, da wurden in Frankreich wieder die alten Ängste vor einer deutsch-sowjetischen Verständigung auf Kosten des Westens wach. Pompidou, für den das politische Europa kein greifbares Ziel mehr darstellte, verfolgte das wachsende Prestige auf der weltpolitischen Szene, das die Ostpolitik Brandts der Bundesrepublik einbrachte, mit großer Sorge. Als Brandt im September 1971 Breschnjew auf der Krim aufsuchte, ohne Paris vorher unterrichtet zu haben, glaubte er für einen Moment ernsthaft, eine Neuauflage des Rapallo-Bündnisses stünde unmittelbar bevor – und damit der Durchbruch zur Finnlandisierung Mitteleuropas.36 Gewiss konnten die ärgsten Spannungen in bilateralen Konsultationen wieder abgebaut werden. Die Regierung Brandt/Scheel beteuerte ihre Bündnistreue so beharrlich, dass das Rapallo-Gespenst wieder in der Versenkung verschwand. Doch verstand sich Pompidou nicht darauf, das politische Europa als Vorkehrung gegen seine Wiederkehr zu beleben. Konzeptionell weit weniger begabt als sein Vorgänger, beschränkte er sich darauf, konventionelle Gleichgewichtspolitik zu betrieben: den Beitritt Großbritanniens zur Verhinderung eines deutschen Übergewichts in der Europäischen Gemeinschaft. Deren Ausbau zu einer Politischen Gemeinschaft wurde damit ein weiterer Riegel vorgeschoben. Und gleichzeitig verlor die Entspannungspolitik an gesamteuropäischer Dynamik. Während die Bundesregierung darauf drängte, die politische durch eine militärische Entspannung zu ergänzen und insbesondere auf einen Abbau des konventionellen Übergewichts des Warschauer Paktes hinzuarbeiten, weigerte sich die französische Seite aus Sorge vor einer Ausdünnung der westlichen Präsenz in der Bundesrepublik, an den 1973 beginnenden MBFR-Gesprächen in Wien teilzunehmen. Frankreich entwickelte sich zu einer Status-quo-Macht, die sich damit begnügte,
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Zitiert nach Charles de Gaulle, Memoiren der Hoffnung. Die Wiedergeburt 1958–1962, Wien/München/Zürich 1971, S. 275. Willy Brandt, Erinnerungen, Berlin 1990, S. 252. Ernst Weisenfeld, Welches Deutschland soll es sein? Frankreich und die deutsche Einheit seit 1945, München 1996, S. 117.
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in der nationalen Force de frappe einen uneinholbaren Ausgleich für die wirtschaftliche Dynamik der Bundesrepublik zu sehen.37 Das wurde erst wieder etwas anders, als mit Giscard d'Estaing 1974 ein konzeptionell beweglicherer Politiker an die Spitze des französischen Staates trat. Giscard d'Estaing sah das gemeinsame Interesse von Franzosen und Deutschen an einem Ausbau der Entspannung, vor allem im Kontrast zu den amerikanischen Tendenzen, diese wieder zurückzunehmen; und er hatte auch verstanden, dass es dazu gemeinsamen Handelns in gemeinsamen Strukturen bedurfte. Da er zudem in Helmut Schmidt einen kongenialen Partner fand, konnten in seiner Amtszeit eine Reihe deutsch-französischer Erfolge erzielt werden: Gemeinsames Auftreten der Europäer auf der KSZE, das wesentlich zu deren Erfolg beitrug, gemeinsame Verteidigung europäischer Interessen gegenüber der amerikanischen Wirtschafts- und Währungspolitik, die Etablierung des Europäischen Währungssystems, das den Gefahren einer Desintegration der EG-Mitglieder im Zeichen der Wirtschaftskrise entgegensteuerte. 1980, als die Entspannung einem zweiten Kalten Krieg zu erliegen drohte, fassten Giscard und Schmidt die Bildung einer deutsch-französischen Militärallianz ins Auge, die Kern einer eigenständigen westeuropäischen Streitmacht im Rahmen der westlichen Allianz sein sollte: Die Bundeswehr sollte auf taktische Nuklearwaffen verzichten, dafür ihre konventionelle Kapazität deutlich ausweiten und unter ein gemeinsames Oberkommando mit den französischen Streitkräften treten; gleichzeitig sollte Frankreich den Aufgabenbereich der force de frappe (über die es nach wie vor allein entscheiden würde) auf den Schutz der Bundesrepublik ausweiten.38 Indessen war Giscard d'Estaing mit einem solchen Projekt der Mehrheit seiner Landsleute weit voraus, sodass nach seiner Abwahl im April 1981 nicht mehr davon die Rede war (und die Öffentlichkeit auch vorerst nichts davon erfuhr). Und dann konzentrierte sich auch die deutsche Politik mehr und mehr auf die Konsolidierung des Status quo, schon unter Helmut Schmidt und ebenso in den Anfangsjahren von Helmut Kohl. Die Durchsetzung des Nachrüstungsbeschlusses als Demonstration traditioneller Gleichgewichtspolitik, von Präsident Mitterrand mit einem spektakulären Auftritt vor dem Deutschen Bundestag demonstrativ unterstützt, passte zu diesem Kurs, nicht aber die Stärkung europäischer Gemeinschaftsstrukturen. Damit ging man in der Sicherheitspolitik einmal mehr getrennte Wege. Diejenigen Deutschen, die sich dabei unwohl und von Frankreich allein gelassen fühlten, setzten zumeist auf eine besondere Friedensmission der beiden deutschen Staaten und provozierten damit abermaliges französisches Misstrauen.
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Vgl. Wilfried Loth, Willy Brandt, Georges Pompidou und die Entspannungspolitik, in: Horst Möller/Maurice Vaisse (Hg.), Willy Brandt und Frankreich, München 2005, S. 167–180; Claudia Hiepel, Willy Brandt und Georges Pompidou. Deutsch-französische Europapolitik zwischen Aufbruch und Krise, München 2012. So erläutert von Helmut Schmidt in seiner Bundestagsrede vom 28.6.1984, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, S. 5601ff. Vgl. auch Helmut Schmidt, Arm in Arm mit den Franzosen, in: Die Zeit 29.5.1987.
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Vermittlerdienste der Benelux-Regierungen Nachdem der belgische und niederländische Wunsch einer britischen Mitgliedschaft 1973 verwirklicht worden war, konnte aber insbesondere Belgien wieder die Rolle des Anregers und des Vermittlers spielen, und das wurde auf der deutschen Seite durchaus gerne gesehen. So erwarb sich Ministerpräsident Leo Tindemans großes Ansehen, als er im Dezember 1975 dem Europäischen Rat auftragsgemäß einen „Bericht über die Europäische Union“ vorlegte, der pragmatisch Verbesserungen im institutionellen Aufbau der Europäischen Gemeinschaft anregte.39 Gewiss blieb der Bericht vorerst ohne Folgen; im Streit um die Höhe der britischen Beitragszahlungen und die Methoden der Agrarsubventionierung weigerten sich die Kollegen des Europäischen Rates, sich überhaupt mit Tindemans Empfehlungen zu beschäftigen. Als sich die französische Politik aber 1983/84 auf eine Stärkung der Gemeinschaftsorgane einließ, griff Bundeskanzler Helmut Kohl gerne auf die Anregungen zurück, die im Tindemans-Report enthalten waren.40 Die Sorge vor einem Abdriften der Bundesrepublik brachte Mitterrand nämlich dazu, die Integration im wirtschaftlichen Bereich voranzutreiben und die Möglichkeit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wenigstens anzudeuten. Infolge der Revision der französischen Haltung konnte der Europäische Rat im Dezember 1985 einen teilweisen Verzicht auf die Einstimmigkeitsregel sowie die Vollendung des Binnenmarktes bis zum Jahr 1993 beschließen. Gleichzeitig verlangte Mitterrand den Ausbau des Währungssystems zu einer Währungsunion, die der einseitigen Abhängigkeit der beteiligten Volkswirtschaften von der Deutschen Bundesbank ein Ende setzen sollte. Sodann reaktivierte er kurzzeitig die Westeuropäische Union und verständigte sich mit Bonn auf die Bildung eines deutsch-französischen Verteidigungsrates und einer deutschfranzösischen Brigade, die in Süddeutschland stationiert wurde. Inhaltlich kam die sicherheitspolitische Verständigung jedoch kaum voran. Die Regierung Kohl zeigte wenig Neigung, für den Ausbau des französischen Atomschirms zu zahlen; und Paris war nicht bereit, stattdessen die konventionelle Abwehrkraft zu stärken. Als Gorbatschows sicherheitspolitischer Kurswechsel neue Abrüstungsvereinbarungen ermöglichte, war man in Paris sogleich wieder besorgt. Den INF-Vertrag vom Dezember 1987, der sämtliche Mittelstreckenraketen aus Europa beseitigte, nahm Mitterrand nur zähneknirschend hin; gegen eine dritte Null-Lösung, die auch noch die verbliebenen Kurzstreckenraketen entfernte, sprach er sich strikt aus; und auch in den Wiener Verhandlungen über die Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa stellte sich die französische Delegation zeitweilig quer. Erst 1988 schaltete sich die französische Diplomatie aktiv in den Dialog mit Gorbatschow ein, freilich nur, um weitere unkontrollierte Entwicklungen zu verhindern, und ohne eigene Vorstellungen zur Neugestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur. 39
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L’Union européenne. Rapport au Conseil Européen, Brüssel 1976. Siehe Heinrich Schneider/Wolfgang Wessels (Hg.), Auf dem Weg zur Politischen Union? Diskussionsbeiträge zum Tindemans-Bericht, Bonn 1977; Jürgen Nielsen-Sikora, Europa im Umbruch: Der TindemansBericht von 1975, in: Historische Mitteilungen 19 (2006), S. 277–296. Vgl. hierzu Georges Saunier, Prélude à la relance de l’Europe. Le couple franco-allemand et les projets de relance communautaire vus de l’Hexagone 1981–1985, in: Bitsch, Le couple France-Allemagne, S. 463–485.
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Angesichts dieser Status-quo-Orientierung der französischen Sicherheitspolitik konnte es im Grunde nicht überraschen, dass Mitterrand und mit ihm die überwiegende Mehrheit der französischen politischen Klasse auf die plötzliche Möglichkeit zur deutschen Wiedervereinigung im Winter 1989/90 defensiv reagierten. Durch Kohls innenpolitisch motivierten Alleingang bei der Verkündung seines Zehn-Punkte-Programms zur Kanalisierung der Einheitsbewegung zusätzlich irritiert, tat er Alles, was der DDR eine Überlebenschance nach der demokratischen Revolution zu erhalten versprach. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an seine Reisen nach Kiew und Leipzig im Dezember 1989, seine Betonung der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen, sein Beharren auf eine Behandlung der deutschen Frage im Kreis der vier Siegermächte, seinen Plan einer gesamteuropäischen Föderation. Was unterdessen an internen Aufzeichnungen der Gespräche jener Wochen bekannt geworden ist, bestätigt den Eindruck, den seine Aktionen hervorgerufen haben. Dem letzten SEDRegierungschef Hans Modrow sagte er am 21. Dezember 1989, auf seiner Regierung ruhe „eine große Verantwortung hinsichtlich des europäischen Gleichgewichts“.41 Ironischerweise befand sich der ursprüngliche Perestroika-Skeptiker damit mit einem Male auf einer Linie mit Gorbatschow. Er handelte sich damit freilich eine doppelte Niederlage ein: zunächst optisch, im Hinblick auf das französische Prestige und die französische Befindlichkeit; und dann auch machtpolitisch – insofern, als nun infolge des französischen Abseitsstehens die BushAdministration die führende Rolle bei der Gestaltung der deutschen Einheit übernehmen konnte und sie folglich so ausfiel, dass sie amerikanischen Interessen mehr als allen anderen entsprach. „Partners in leadership“ wurde für die Amerikaner wie für die Deutschen zu einer glaubwürdigen Perspektive. Der französischen Niederlage stand ein ebenso doppelter Gewinn der Deutschen gegenüber: emotional und im Hinblick auf die Befreiung von den Lasten der Blockbildung. Angesichts dieser konträren Erfahrung war es für die Zukunft des deutschfranzösischen Verhältnisses und der europäischen Gemeinschaft von ganz zentraler strategischer Bedeutung, dass Kohl im Dezember 1989 die französische Forderung nach einer Währungsunion akzeptierte, gegen die er sich lange gesperrt hatte, und dass er sich auf dem Weg zum Maastricht-Vertrag vom Februar 1992 auch den französischen Vorstellungen von einer europäischen Verteidigungsidentität annäherte. Er demonstrierte damit, dass sich das größer gewordene Deutschland auch weiterhin in die europäische Solidarität einbinden lassen wollte, dass von seiner mittelfristig zu erwartenden Wirtschaftskraft keine politische Übermacht zu befürchten war.42 Die währungspolitischen Traditionen Frankreichs und der Bundesrepublik waren nun aber so unterschiedlich, dass es Mitterrand und Kohl schwer fiel, ihre 41
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Gesprächsaufzeichnung eines Mitarbeiters von Hans Modrow, veröffentlicht in Le Monde 4.5.1996. Vgl. Jacques Bariéty, François Mitterrand, Willy Brandt et la réunifiction de l’Allemagne (1981–1990), in: Möller/Vaisse, Willy Brandt und Frankreich, S. 248–255; Frédéric Bozo, Mitterrand, la fin de la guerre froide et l’unification allemande. De Yalta à Maastricht, Paris 2005. Vgl. Hans Stark, Kohl, l’Allemagne et l’Europe. La politique d’intégration européenne de la République fédérale 1982–1998, Paris 2004; Wilfried Loth, Helmut Kohl und die Währungsunion, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61 (2013), Heft 4.
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grundsätzliche Zustimmung zu einer gemeinsamen europäischen Währung in einen praktikablen Operationsplan umzusetzen. Hier spielten die Vermittlerdienste der Benelux-Vertreter eine ganze entscheidende Rolle. Ob es ohne sie gelungen wäre, die grundsätzliche Verständigung von Mitterrand und Kohl im Dezember 1989 in den Vertrag von Maastricht umzumünzen, erscheint im Rückblick mehr als fraglich. Jean-Claude Juncker, der als Außen- und Finanzminister Luxemburgs an den vorbereitenden Regierungskonferenzen zum Gipfel von Maastricht im Dezember 1991 beteiligt war, hat hierzu im Jahr 2002 bemerkt: „Wenn laufende Kameras ausgeschaltet sind, geben deutsche und französische Spitzenpolitiker zu, dass sie ohne die Handlangerdienste derer, die beide Länder besser kennen, als diese sich gegenseitig kennen können, nicht einigungsfähig gewesen wären. (...) Frankreich und Deutschland hätten die ihnen gemeinsame Schnittmenge nie bestimmen können, wenn nicht auch andere europäische Staaten brückenschlagende Vorschläge beigesteuert hätten.“43 Zumindest die Experten in Deutschland, die um die vermittelnde Rolle derjenigen wissen, die Juncker hier bescheiden „andere Staaten“ nennt, sind ihnen für diese konstruktive Arbeit dankbar. Das gilt auch für die Rolle, die Belgiens Ministerpräsident Guy Verhofstadt auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 gespielt hat. „Der Held von Nizza“ hat man ihn danach in der deutschen Presse genannt.44 Dankbar wurde registriert, dass Verhofstadt mit seinen Ausgleichbemühungen dazu beigetragen hatte, ein völliges Scheitern des Gipfels zu verhindern. Dass es ihm gelang, die Forderung nach einer Wahl des Kommissionspräsidenten mit qualifizierter Mehrheit durchzusetzen, wurde ebenfalls mit Anerkennung bedacht. Danach konnten die deutschen Europa-Experten die Leistungen des belgischen Premierministers bei der Vorbereitung des Gipfels von Laeken bewundern. Mit der Erarbeitung eines umfassenden Fragenkatalogs eröffnete er dem Konvent die Möglichkeit, über eine bloße Vereinfachung bestehender Regelungen der Europäischen Union hinauszugehen. Insofern kann man Verhofstadt als den eigentlichen Vater des „Vertrags über eine Verfassung für Europa“ bezeichnen, mit größerer Berechtigung als den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer, der mit seiner Rede an der Berliner Humboldt-Universität das entscheidende Stichwort gegeben hatte, oder den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, der das Amt des Konventspräsidenten zur persönlichen Rehabilitation nutzte.45
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Jean Claude Juncker, Der weite Weg in die Zukunft, in: Der Spiegel 4.3.2002, S. 168–179, hier S. 176. Vgl. Jan Viebig, Der Vertrag von Maastricht. Die Positionen Deutschlands und Frankreichs zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, Stuttgart 1999; Kenneth Dyson/Kevin Featherstone, The Road to Maastricht. Negotiating Economic and Monetary Union, Oxford 1999. Joachim Fritz-Vannahme, Ein ganzer Europäer. Belgiens Premier Guy Verhofstadt, in: Die Zeit 21.12.2002. Vgl. Wolfgang Wessels, Der Konvent: Modelle für eine innovative Integrationsmethode, in: Integration 25 (2002), S. 83–98; Daniel Göler, Der Gipfel von Laeken: Erste Etappe auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, ebd. S. 99–110.
DIE BRD UND IHRE POLITIK GEGENÜBER DEN BENELUX-STAATEN UND FRANKREICH
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Vermittlung als Profilierungschance Im Falle von Belgien und auch der Niederlande hat die innenpolitische Entwicklung der letzten Jahre solchen Vermittlerdiensten bekanntlich die Grundlage entzogen. Infolge der Aufsplitterung der politischen Kräfte haben die Regierungen an Handlungsfähigkeit verloren. Umso wichtiger sind die Vermittlungsbemühungen von Jean-Claude Juncker geworden, nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags aufgrund der Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden ebenso wie nach dem irischen „Nein“ zum Reformvertrag von Lissabon. Noch stärker wurde Juncker als Vermittler gebraucht, als Angela Merkel zunächst mit Nicolas Sarkozy und dann mit François Hollande in Streit darüber geriet, wie auf die Überschuldung einzelner Mitglieder der Eurozone reagiert werden sollte. Für die Interpretation des Verhältnisses zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten ist es wichtig zu sehen, dass diese Vermittlerdienste nicht einfach auf eine Unterstützung der deutschen Position hinauslaufen; Juncker agiert keineswegs als eine Art Juniorpartner von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Vielmehr geht es um den Abbau von Missverständnissen und die Begrenzung von Versuchen, sich im deutsch-französischen Verhältnis auf Kosten des jeweils Anderen durchzusetzen. Beides kommt trotz aller routinemäßigen Beschwörung der deutsch-französischen Freundschaft nach wie vor häufig vor, durchaus auf beiden Seiten. Insofern bleibt diese Vermittlerrolle für das Funktionieren und den Ausbau der Europäischen Union unverzichtbar. Belgien und die Niederlande wären, jedenfalls aus deutscher Sicht, gut beraten, wenn sie sie in Zukunft wieder stärker wahrnehmen würden. Es geht dabei auch um die eigenen nationalen Interessen, die in einer funktionierenden Europäischen Union besser aufgehoben sind als bei einer Blockierung der europäischen Politik.
RÉSUMÉ Pour l’Allemagne fédérale la politique européenne est en première ligne une politique française. Entre l’Allemagne et la France il faut trouver un compromis qui garantit la sureté de la France sans défavoriser unilatéralement l’Allemagne. Pourtant, l’union franco-allemande n’est pas une fin en soi; elle vise une Europe plus grande dont les États Benelux nécessairement font partie comme région centrale. Si l’on veut approfondir l’Europe on a donc besoin de l’accord de ces pays. En plus, on peut apprendre de l’expérience de Benelux comme première région intégrée de l’Europe. Et finalement, on peut profiter du rôle de médiateur entre l’Allemagne et la France que ces pays peuvent jouer. L’article montre comment des hommes politiques comme Johan Willem Beyen, Paul-Henri Spaak, Leo Tindemans, Guy Verhofstadt et Jean-Claude Juncker ont joué ce rôle à travers le temps.
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SUMMARY From a German perspective European policy is first and foremost French policy. Between Germany and France a compromise must be found which guarantees French security without discriminating against the Germans. Nevertheless, the Franco-German union is not an end in itself; it is aiming at a greater Europe of which the Benelux states as a core region of Europe necessarily are members. In order to deepen the intra-European relationship, mutual agreements between these states are always necessary. Futhermore, there is much to learn from the experience of the Benelux countries, as they were the first ones to participate in regional integration in Europe. And finally, the mediation between Germany and France can be useful – if the Benelux states choose to play this role. The article demonstrates how politicians like Johan Willem Beyen, Paul-Henri Spaak, Leo Tindemans, Guy Verhofstadt and Jean-Claude Juncker took over this role in different constellations of European integration history.
LA FRANCE DANS LA CONSTRUCTION EUROPEENNE FACE A L’ALLEMAGNE ET AU BENELUX (1950–2000) MARIE-THÉRÈSE BITSCH Cette communication se propose d’évoquer la politique européenne de la France face à l’Allemagne et aux Etats du Benelux qui constituent ses principaux partenaires dans la construction communautaire de l’Europe. Elle aborde le sujet dans une double perspective. D’une part, il s’agit de souligner les convergences et les divergences de vues et d’intérêt entre ces Etats qui forment le noyau central de l’Union européenne. D’autre part (mais simultanément), il convient d’analyser les relations, voire les rapports de force, qui s’établissent entre la France et ses voisins. D’emblée, et peut-être de manière un peu schématique, il faut rappeler que trois orientations, liées à son histoire et à sa culture politique, distinguent la France et, parfois, l’opposent à l’Allemagne et au Benelux: Premièrement, la France – qui est un pays anciennement unifié avec une organisation centralisatrice – est fortement attachée au maintien de ses prérogatives étatiques; elle défend souvent (mais toutefois pas systématiquement) une vision intergouvernementale de l’Europe alors que l’Allemagne et les pays du Benelux sont davantage enclins à souhaiter ou à accepter une Europe fédérale. Deuxièmement, la France a une tradition protectionniste et elle reste favorable à l’intervention de l’Etat dans l’économie alors que ses voisins sont, depuis longtemps, davantage tournés vers l’extérieur pour assurer leur prospérité et davantage marqués par une culture économique libérale. Troisièmement, la France qui a été l’une des grandes puissances coloniales (après le Royaume-Uni) cherche à s’appuyer sur l’Europe pour jouer un rôle international qu’elle ne peut plus assumer seule. Par contre, la RFA qui a longtemps adopté une attitude de retenue ou les pays du Benelux, qui sont de petites puissances avec des intérêts essentiellement économiques, sont moins portés à mener une politique de prestige. Cependant, si l’on étudie la politique française plus en détail, force est de constater que les positions sont plus nuancées et qu’elles varient selon les moments. Pour mettre en évidence à la fois les continuités et les changements, cet exposé distingue quatre périodes au cours de la deuxième moitié du XXe siècle, entre le lancement du plan Schuman le 9 mai 1950 et l’adoption du traité de Nice, sous présidence française, en décembre 2000: - le tout début des années 1950 marquées par l’invention de l’Europe communautaire, - les années 1955–1969 qui voient l’élaboration et la mise en œuvre des traités de Rome, - les années 1970/80 qui sont une phase d’adaptation pour la Communauté européenne,
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les années 1990, qui voient naître et se développer l’Union européenne, du traité de Maastricht au traité de Nice.
I. Les années 50 Une courte période, au début des années 50, semble contredire les hypothèses de départ sur une politique française orientée vers une Europe intergouvernementale et protectionniste. En effet, c’est la France qui prend l’initiative du plan Schuman. Elle propose la création d’un marché commun du charbon et de l’acier, placé sous la direction d’une Haute Autorité indépendante des gouvernements. Autrement dit: elle envisage la libre circulation des charbons et des produits sidérurgiques, à l’intérieur d’une Communauté dotée d’institutions supranationales. Ce projet correspond alors aux intérêts de la France pour au moins trois raisons. D’abord, il doit faciliter la réconciliation avec la RFA, à qui la France propose l’égalité des droits au sein de cette Communauté. Mais la France souhaite aussi la participation des pays du Benelux pour éviter le tête-à-tête avec l’Allemagne. Ensuite, ce projet doit satisfaire les Etats-Unis qui accordent à la France une aide économique, dans le cadre du plan Marshall, ainsi qu’une aide militaire et qui veulent une Europe occidentale organisée et forte face à l’Union soviétique. De plus, ce plan doit permettre à la France de reconstruire sa sidérurgie, en évitant d’avoir à se confronter à un concurrence trop sévère de la part de ses voisins allemand surtout, mais aussi luxembourgeois et belge. On sait que le gouvernement de Bonn (le chancelier Adenauer en particulier) accueille le projet avec enthousiasme parce qu’il y voit la chance de mettre fin aux discriminations politiques et économiques qui pèsent encore sur le vaincu de 1945. Par contre, les trois du Benelux, et principalement les Pays-Bas, sont assez réservés parce qu’ils redoutent une prééminence française dans une Communauté d’où le Royaume-Uni est absent. Pendant la conférence du plan Schuman, la France est donc amenée à faire des concessions au Benelux. Elle accepte de limiter les pouvoirs de l’institution supranationale et de créer, à côté d’elle, un Conseil des ministres qui représente les Etats et qui doit donner son accord à certaines décisions de la Haute Autorité. Un peu plus tard, après la ratification du traité de Paris créant la Communauté européenne du charbon et de l’acier (CECA), la France accepte aussi l’installation de ses institutions à Luxembourg, comme le propose le chef de gouvernement du Grand Duché, Joseph Bech, d’ailleurs soutenu par Adenauer. Ainsi, avec le plan Schuman et la création de la CECA, le France joue un rôle moteur dans la construction européenne. Elle cherche surtout à se rapprocher de l’Allemagne mais elle se montre conciliante pour parvenir à rassembler l’ensemble de ses voisins continentaux (à l’exception de la Suisse neutre et de l’Espagne franquiste). Par son initiative, la France jette les fondements de l’Europe communautaire et elle contribue à l’établissement de liens privilégiés particulièrement étroits avec ses voisins, à la fois sur le plan économique et sur le plan politique. Par contre, en 1954, en faisant échouer la Communauté européenne de défense (CED), la France prend le risque de distendre les relations avec ses voisins. Mais,
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la construction communautaire est alors relancée et consolidée grâce aux initiatives du Benelux qui aboutissent aux traités de Rome.
II. 1955–1969 De 1955 à 1969, la France exerce une grande influence sur l’élaboration et sur l‘application des traités de Rome, car elle cherche à freiner le caractère supranational des nouvelles Communautés et à imposer des décisions conformes à ses intérêts économiques. Pendant la négociation des traités, la France n’accepte le projet de marché commun général préconisé par l’Allemagne et le Benelux qu’à certaines conditions. Elle souhaiterait établir, au préalable, une Communauté européenne de l’énergie atomique (CEEA ou Euratom). Mais, selon l’exigence de l’Allemagne, un Junktim est établi entre les deux traités – créant d’une part Euratom et d’autre part la Communauté économique européenne (CEE) – qui devront être signés et ratifiés en même temps. La France, qui redoute la concurrence de ses partenaires et hésite à ouvrir son marché, cherche alors à obtenir des garanties. Elle souhaite une mise en place très progressive de l’union douanière et l’établissement d’un tarif extérieur commun relativement protecteur à l’encontre des importations en provenance des pays tiers. Elle veut aussi faire adopter une politique agricole commune (PAC), en contrepartie de l’ouverture de ses frontières aux produits industriels de ses voisins. Par ailleurs, la France tient à associer ses colonies d’Afrique noire à la CEE afin de favoriser leur développement et de parvenir, dans toute la mesure du possible, à une décolonisation en douceur. A peine les traités de Rome sont-ils entrées en vigueur que le retour au pouvoir du général de Gaulle, en 1958, va faire de la France un partenaire encore plus intransigeant avec ses voisins. Plus les années soixante avancent, plus la tension monte entre Paris et les autres capitales. Aussi longtemps qu’Adenauer peut jouer les conciliateurs (en fait jusqu’à son départ de la chancellerie en 1963), les frictions sont grandes surtout avec le Benelux. Par exemple, à propos du plan Fouchet, c’est-à-dire du projet français d’Europe confédérale, dont les partenaires pensent qu’il pourrait affaiblir aussi bien les Communautés que l’OTAN. Egalement au sujet de l’adhésion du Royaume-Uni qui est refusée par de Gaulle. Après 1963, la politique agricole commune devient – et pour de longues années – une grave pomme de discorde entre la France et la RFA, en raison de désaccords qui portent à la fois sur les niveaux des prix des produits de l’agriculture, les modalités du financement de la PAC et les pouvoirs des institutions communautaires. À partir du milieu des années soixante, Paris multiplie les initiatives qui sont sources de tension avec ses voisins: - politique de la chaise vide, dans la CEE et, plus tard, dans l’Union de l’Europe occidentale; - politique d’indépendance vis-à-vis des États-Unis;
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rapprochement avec les pays communistes (reconnaissance de la Chine, voyage à Moscou); sortie de l’organisation militaire intégrée de l’OTAN; deuxième veto contre la candidature britannique.
Toutes ces décisions, qui sont presque autant de gestes d’éclat, n’isolent pourtant pas complètement la France mais contribuent à l’affaiblir face à ses voisins.
III. Les années 70 et 80 Pendant les années 70 et 80 (de 1969 à 1989), la France s’efforce de maintenir un certain leadership mais elle doit davantage composer avec ses voisins. L’année 1969 est un tournant. Elle est marquée par la démission du général de Gaulle qui quitte l’Elysée au mois d’avril, puis par l’accord de principe sur l’élargissement qui va faire entrer dans la CEE trois nouveaux Etats dont un « grand », le Royaume-Uni, à partir de 1973. 1969 est aussi l’occasion d’une redéfinition des relations entre la France, consciente de perdre la prééminence en Europe, et ses voisins. Ce rééquilibrage est surtout sensible entre Paris et Bonn. La France garde, certes, des atouts particuliers, notamment sa force de frappe nucléaire et son siège permanent au Conseil de sécurité de l’ONU. Mais la RFA est devenue un géant économique, dotée d’une monnaie solide. Elle dispose d’une armée conventionnelle qui compte dans l’OTAN et la nouvelle Ostpolitik développée par le chancelier Willy Brandt lui donne du poids sur la scène internationale. Désormais, pour faire accepter son point de vue en Europe, la France doit avoir l’appui de l’Allemagne. Le président Georges Pompidou (1969–1974), qui a peu d’affinités personnelles avec Willy Brandt, sait qu’il ne peut pas agir avec succès sans le soutien du chancelier. Son successeur, Valéry Giscard d’Estaing (1974–1981), qui entretient des relations amicales avec Helmut Schmidt, a davantage encore intégré l’idée que la coopération avec l’Allemagne est incontournable. Il en va de même pour François Mitterrand qui se rapproche d’Helmut Kohl dès 1983. Cette entente franco-allemande n’exclut cependant pas l’existence de divergences de vues. Mais les propositions conjointes des deux gouvernements parviennent le plus souvent à convaincre et à entraîner les Etats du Benelux. Quelques faits permettent d’illustrer ces relations « triangulaires », en ce qui concerne, par exemple, le système institutionnel. Lorsque Pompidou avance, en 1969, l’idée d’une conférence des chefs d’Etat ou de gouvernement pour relancer l’Europe, sa proposition rencontre beaucoup de méfiance chez les trois du Benelux pour qui les sommets rappellent le plan Fouchet et souffrent donc d’une connotation gaulliste et intergouvernementale. Mais le ralliement rapide de la RFA conduit les autres partenaires à accepter une réunion au sommet, à La Haye, au mois de décembre, en s’efforçant d’y obtenir des décisions satisfaisantes pour eux. Cinq ans plus tard, lorsque Giscard d’Estaing cherche à institutionnaliser les sommets, en les organisant de manière fréquente et régulière sous le nom de Conseil européen, il ne manque pas d’obtenir l’appui préalable du chancelier Schmidt. Mais Giscard se donne alors un atout supplémentaire pour convaincre
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le Benelux en proposant l’élection du Parlement européen au suffrage universel direct qui avait été longtemps refusée par la France. Sur le plan monétaire également, l’entente franco-allemande s’avère indispensable. L’accord sur ces questions était pratiquement impossible au début des années 70, dans un contexte difficile marqué par la crise du dollar et le désordre monétaire international. Il se réalise en 1978, à un moment où le plan Barre a permis de diminuer le taux d’inflation en France. Souhaité surtout par Giscard d’Estaing mais présenté aux partenaires par Helmut Schmidt, le Système monétaire européen (SME) voit le jour en mars 1979. Il va favoriser le rapprochement des politiques monétaires de l’Allemagne, de la France et des Etats du Benelux et préparer l’union économique et monétaire (UEM) des années 90. De même, la grande relance des années 80 est possible seulement après le rapprochement entre Mitterrand et Kohl qui permet le succès du Conseil européen de Fontainebleau en 1984 et la mise en route du processus qui aboutit à la signature de l’Acte unique européen en 1986.
IV. Les années 90 Dans les années 90, qui voient la création de l’Union européenne par le traité de Maastricht (signé en 1992), le contexte de ces relations « triangulaires » est complètement modifié. Le tremblement de terre politique de 1989 entraîne l’effondrement du communisme en Europe de l’Est, la fin de l’existence des deux blocs de part et d’autre du rideau de fer, l’unification de l’Allemagne, la perspective d’un élargissement massif de l’Union européenne, l’accélération du phénomène de la mondialisation. La position de la France sur l’échiquier européen et international est aussi profondément modifiée. Depuis la fin de la guerre froide, la dissuasion nucléaire compte moins, ce qui enlève de son intérêt à la force de frappe française. Depuis la réunification et le traité 2+4, la France a perdu ses droits d’ancien vainqueur et elle se trouve face à un voisin allemand sensiblement plus imposant qu’elle sur les plans démographique et économique. Du point de vue géopolitique, elle se voit marginalisée alors que l’Allemagne se trouve désormais au cœur de la grande Europe. La puissance et l’influence relatives de la France se trouvent ainsi diminuées. De toute évidence, la France perd le leadership au sein de l’Union européenne au profit de l’Allemagne, dès la phase d’élaboration du traité de Maastricht et encore plus nettement par la suite. En 1989, les responsables français sont très favorables à l’union monétaire qu’ils préfèrent au SME parce qu’ils espèrent pouvoir participer davantage aux décisions et ne plus être à la remorque de la politique monétaire allemande. Par contre, les dirigeants de Bonn sont partagés et peu pressés d’abandonner un deutschemark stable et fort. Sur cette question, les Belges sont proches des Français, les Néerlandais plus proches des Allemands. Fin 1989, quelques semaines après la chute du mur de Berlin, le président Mitterrand fait pression en faveur d’une réalisation rapide de l’UEM et le chancelier Kohl accepte la convocation d’une conférence intergouvernementale (CIG) pour la fin 1990. Mais, pendant cette conférence, c’est l’Allemagne qui impose les modalités qui seront fixées par le traité de Maastricht: banque centrale européenne indépendante des gouvernements, union monétaire à deux vitesses, critères de convergence à respecter
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pour pouvoir participer à l’UEM. Parallèlement, l’Allemagne obtient la réunion d’une CIG chargée de préparer « l’union politique », également inscrite dans le traité, la politique étrangère et de sécurité formant le 2è pilier et la coopération en matière de police et de justice le 3è pilier. Pendant la préparation du traité suivant qui devait réviser rapidement le traité de Maastricht, la France est plutôt en retrait. Lorsque la CDU/CSU lance en 1994 le fameux « papier Schäuble-Lamers », les Français réagissent en ordre dispersé mais récusent dans l’ensemble l’orientation fédéraliste du projet. Faute d’un accord de fond entre Paris et Bonn, les avancées du traité d’Amsterdam (1997) sont modestes. Mais, fait marquant, la RFA arrive à faire entériner (et la France doit accepter) le pacte de stabilité monétaire qui consolide les critères de Maastricht. Trois ans plus tard, un nouveau traité est préparé, sous présidence française. À cette occasion, Paris ne fait pas preuve d’une grande capacité d’initiative, en partie en raison de la cohabitation entre un président gaulliste, Jacques Chirac, et le chef d’un gouvernement de la « gauche plurielle », Lionel Jospin. Au printemps 2000, c’est encore une fois d’Allemagne que vient une proposition audacieuse (mais qui reste lettre morte) avec le discours prononcé le 12 mai, à Berlin, par le ministre des affaires étrangères, Joschka Fischer. C’est aussi l’Allemagne qui est à l’origine de la Convention qui rédige la Charte des droits fondamentaux proclamée solennellement en décembre, lors du Conseil européen de Nice. Ce même sommet élabore péniblement un traité qui adapte les institutions communautaires à l’Europe des Vingt-sept. Mais les Français, qui s’accrochent alors à la parité franco-allemande et ne prennent guère en compte les préoccupations des « petits » Etats, ne parviennent pas à établir une coopération satisfaisante avec leurs voisins.
Conclusion Pour conclure, il faut souligner que la France adopte, en Europe, par rapport à ses voisins, une position constamment très spécifique, en fonction de ses intérêts propres, ou du moins des intérêts tels qu’ils sont perçus par ses dirigeants. La France cherche aussi, constamment, à exercer un leadership par rapport à ses voisins. Au début de la construction européenne, elle est seule, parmi les six Etats membres de la Communauté, à avoir la capacité politique de prendre des initiatives. Par la suite, elle cherche à pérenniser sa prééminence pour maintenir son standing de « grand » pays en Europe. Elle s’efforce d’instrumentaliser la Communauté afin d’exercer à travers elle un rôle qu’elle ne peut plus jouer seule sur la scène internationale. Elle cherche aussi à imposer sa vision d’un modèle européen ambivalent, plutôt intergouvernemental pour préserver l’autonomie des Etats membres, et d’abord la sienne, mais supranational lorsqu’elle l’estime nécessaire au bon fonctionnement des politiques communes ou à la sauvegarde de ses intérêts. Pour conduire cette politique, la France doit composer ou s’allier avec d’autres Etats membres de la Communauté/Union européenne. Pendant toute la période étudiée ici, la RFA est considérée et recherchée comme le partenaire privilégié. Les dirigeants de Paris n’ont pas d’autre alternative, étant donnée la relative faiblesse de l’Italie, d’ailleurs souvent plus atlantiste qu’européiste, et l’euro-
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scepticisme du Royaume-Uni qui reste en dehors de certains projets comme l’union monétaire ou l’espace Schengen. Chaque fois que Paris a voulu distendre les liens avec le gouvernement allemand, il a dû se rendre à l’évidence qu’il n’était pas possible de trouver un autre pays européen sur qui s’appuyer durablement et efficacement. C’est ainsi que Pompidou joue la carte de l’alliance avec l’Allemagne, après les tensions de l’ère de Gaulle-Erhard, que Mitterrand se rapproche de Kohl dès le début de l’année 1983, que Chirac essaie d’améliorer les relations avec Bonn, quelques mois seulement après son arrivée à l’Elysée. Plus que les affinités personnelles entre les dirigeants, ce sont les réalités politiques qui incitent à ce partenariat qui n’est pas toujours facile pour autant et qui s’avère plus compliqué pour Paris, au fur et à mesure que l’Allemagne monte en puissance, à partir des années 70 et plus encore après la réunification. Les Etats du Benelux sont pour la France des partenaires moins importants mais cependant indispensables. Aux yeux de Paris, ils sont trop anglophiles, trop atlantistes et, après quelques réticences de départ, trop attachés à l’intégration supranationale. Parmi les trois, les Pays-Bas sont les plus éloignés des vues françaises. Ils sont très favorables au marché commun et à l’adhésion du RoyaumeUni, très hostiles au plan Fouchet et à la dérive des institutions communautaires vers un fonctionnement intergouvernemental souhaité par la France. Mais Paris veut néanmoins obtenir leur coopération, au début pour éviter le face à face avec l’Allemagne, par la suite, après les élargissements, pour maintenir et consolider la cohésion de la Communauté. Il n’est pas étonnant que les cinq Etats soient perçus de l’extérieur et se perçoivent eux-mêmes comme le noyau central de l’Union européenne. Dans le papier Schäuble-Lamers de 1994 comme dans le discours de Joschka Fischer en 2000, ils sont présentés comme le moteur de l’intégration et comme l’avant-garde possible d’une Europe à plusieurs vitesses. Mais, à l’aube du nouveau millénaire, lors de la crise irakienne en 2003, les Pays-Bas se distancient de ce que les Américains appellent la « vieille Europe » (France, Allemagne, Belgique Luxembourg). Puis, en 2005, par une ironie de l’histoire, la France et les Pays-Bas sont les deux pays qui rejettent par référendum, à deux jours d’intervalle, le traité établissant une constitution pour l’Europe. La question est donc posée de savoir comment ces « chers voisins » peuvent coopérer pour jouer un rôle dans l’Europe élargie du XXIe siècle.
Bibliographie Association Georges Pompidou (Hg.): Georges Pompidou et l’Europe, Complexe: Bruxelles 1995, p. 691. Berstein, Serge/Sirinelli, Jean-François (Hgg.): Les années Giscard. Valéry Giscard d’Estaing et l’Europe (1974–1981), Armand Colin: Paris 2004, p. 272. Bitsch, Marie-Thérèse: Histoire de la construction européenne de 1945 à nos jours, Complexe: Paris 2008, p. 400. Bitsch, Marie-Thérèse: La construction européenne. Enjeux politiques et choix institutionnels, Peter Lang: Bruxelles 2007, p. 320.
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ZUSAMMENFASSUNG Dieser Artikel zielt darauf ab, sowohl eine vergleichende Studie zwischen der Europapolitik Frankreichs und seiner Nachbarn (Deutschland, Belgien, Luxemburg, Niederlande) zu erarbeiten, als auch die Beziehungen zwischen den betroffenen fünf Mitgliedstaaten der EG/EU in den Jahren von 1950 bis 2000 zu analysieren. Er stellt die Besonderheit der Politik Frankreichs heraus, die von der Geschichte und der Kultur des Landes abhängt, aber auch von der Interessenswahrnehmung und -vertretung der französischen Regierungen. Er zeigt außerdem, dass Paris sich darum bemühte, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen und dies auch mehr oder weniger bis zum Berliner Mauerfall 1989 schaffte. Trotz der Kooperationsschwierigkeiten zwangen die politischen Realitäten zu einer Zusammenarbeit zwischen diesen fünf Staaten, die seit 1950 den zentralen Kern des europäischen Einigungsprozesses bildete.
LA FRANCE DANS LA CONSTRUCTION EUROPEENNE FACE A L’ALLEMAGNE ET AU BENELUX 101
SUMMARY This article aims to establish a comparative study between European politics of France and her neighbours (Germany, Belgium, Luxemburg, Netherlands), as well as an analysis of her relations with the respective five member states in the EEC/EU, from 1950 to 2000. It shows the specificity of French politics depending on its history, culture and the defence of national interests, and the way they were perceived by the political authorities. It also shows that Paris tried to take on a leadership role in Europe and succeeded in doing so, more or less, until the fall of the Berlin wall. In spite of the cooperational difficulties, the political realities pushed towards a partnership of the five states that have constituted the core of European integration since 1950.
Partie 3
UMSTRITTENE GRENZREGION IM DREIECK BENELUX-D-F IM 19. JAHRHUNDERT UND IN DER 1. HÄLFTE DES 20. JAHRHUNDERTS
INTERREGIONALE FIRMENVERFLECHTUNG ALS GRUNDSTEIN INTERNATIONALER ENTSPANNUNGSPOLITIK DIE ARBED UND DAS „LOCARNO” DER EUROPÄISCHEN STAHLBARONE CHARLES BARTHEL Es mag auf Anhieb recht befremdend klingen: der Präsident der ersten im September 1926 gegründeten Internationalen Rohstahlgemeinschaft war ein eingefleischter „Kartellgegner”!1 Émile Mayrischs ablehnende Grundgesinnung in Bezug auf globale Firmenabsprachen war dabei nicht nur verankert in seinen persönlichen, durch den Manchesterkapitalismus geprägten liberalen Vorstellungen; sie fußte im Übrigen auf den durchweg schlechten Erfahrungen, die der Generaldirektor der luxemburgischen Aciéries Réunies de Burbach-Eich-Dudelange (Arbed) vor dem Krieg gesammelt hatte, als seine Hütte dem deutschen StahlwerksVerband angeschlossen war. Hinzu kam der Umstand, dass das im Rahmen der neuen Friedensordnung nach dem 14-18er Weltbrand entstandene und gemeinschaftlich geführte Konsortium der Arbed/Terres Rouges-Gruppe nun zur mächtigsten Schmiede in ganz Europa emporgestiegen war. Mit einer Erzeugung von weit mehr als einer Millione Tonnen Stahl und einer insgesamt zufriedenstellenden Produktivität konnte sie dem Mitte der Zwanzigerjahre zunehmend verschärften Wettbewerb durchaus trotzen, statt sich internationalen Abmachungen zu unterwerfen, die hauptsächlich ihren ausländischen Konkurrenten zum Vorteil zu gereichen drohten. Trotzdem stimmte Mayrisch dem damals sogenannten „Thyssen-Projekt” schließlich zu.2 Der Ansatz dieser „schwersten, folgenreichsten Entscheidung, die er je zu treffen hatte”,3 lag letzten Endes in den interregionalen, grenzüberschreitenden Verflechtungen des luxemburgischen Unternehmens verborgen, dessen inneres Gleichgewicht wegen der Wiederherstellung der deutschen Zollhoheit am 10. Januar 1925, und der damit verknüpften Frage der Aushandlung neuer europäischer Handelsverträge arg in Bedrängnis geraten war.
Das ungewisse Schicksal der Arbed/Terres Rouges-Abteilungen in Deutschland Wie prekär die Lage insbesondere bei den deutschen Abteilungen des luxemburgischen Konzerns war, lässt sich hervorragend am Beispiel von Rothe Erde in Aachen aufzeigen. Die Schmelzhütte – sie war nach Kriegsende mitsamt allen übrigen linksrheinischen Besitzungen der vormals Gelsenkirchener Bergwerks AG 1 2
3
ARBED, P.XXXVI (36), Aufsichtsratssitzung, 12.03.1926. U. NOCKEN, International Cartels and Foreign Policy: the Formation of the International Steel Cartel, 1924–1926, in: C. WURM (Hg.), Internationale Kartelle und Außenpolitik, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 1989, S. 33–82, hier S. 72 f. Vgl. auch F. BERGER, Les effets de la grande crise sur les relations franco-allemandes. L'exemple de la sidérurgie, in: Relations Internationales, 82(1995), S. 175–196. HADIR, 1 „Accords”, Denkschrift Mayrischs zum „Thyssen-Projekt”, 03.03.1926.
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an die Terres Rouges-Gesellschaft verkauft worden4 – lebte eigentlich von Anfang an „von der Hand in den Mund”.5 Die ohnehin schon wegen der geographischen Abseitslage des Aachener Reviers geringe Kundschaft ging stetig zurück, u.a. weil viele Deutsche sich weigerten bei einer Firma zu kaufen, deren Kapital, mit Ausnahme der zwanzigprozentigen Arbed-Anteile, nahezu ausschließlich Geldgebern aus den Ländern der Entente gehörte und in deren Aufsichtsrat sich mehrheitlich französische Stahlindustrielle tummelten. Der lange Arbeiterstreik während des Ruhrkampfes versetzte der Aachener Zweigstelle dann einen weiteren herben Schlag, von dem sie sich nicht mehr wirklich erholen sollte. Seither waren die Feuer im Hochofenbetrieb gelöscht und auch das Stahlwerk stand meistens still oder funktionierte bestenfalls mit stark verminderter Leistung. Um die Walzstraßen war es nicht wesentlich besser bestellt. Einige wurden kaum noch genutzt; andere fertigten nur Teile an, die hauptsächlich bei der Hüttenabteilung des Arbed-Eschweiler Bergwerks-Vereins (EBV) oder bei dem Kölner Kabelhersteller Felten & Guilleaume – einer gemeinsamen Arbed/Terres RougesBeteiligung – Weiterverwendung fanden. Der hierzu benötigte Rohstoff kam seit der Einstellung der eigenen Gusseisenproduktion allesamt aus den Schmieden des Großherzogtums. Letztere versorgten Rothe Erde nicht nur mit Blöcken oder Halbzeug; sie schanzten der deutschen Filiale gelegentlich auch Bestellungen zu, die im „Veredelungsverkehr” abgewickelt wurden. Mit anderen Worten, Grundmaterial, das aus Luxemburg stammte, wurde in Aachen zu Endwaren verfeinert, die dann entweder direkt in den Export oder zurück an den Auftraggeber gingen. Diese Zuliefertätigkeiten und Austauschgeschäfte waren aber nur möglich gewesen dank des sogenannten Kontingentparagraphen im Friedensvertrag von 1919. Um der luxemburgischen, so wie der elsässisch-lothringischen Wirtschaft die tiefgreifende Umstrukturierung nach der Loslösung aus dem Wirtschaftsverbund mit dem Kaiserreich zu erleichtern, hatten die Siegermächte in der Tat eine Übergangsbestimmung eingesetzt laut der Deutschland auch weiterhin Waren aus dem benachbarten Großherzogtum (und den neuen französischen Ostdepartments) abgabenfrei hereinholen musste, und zwar in derselben Größenordnung als „das Jahresmittel jener Mengen, die im Laufe der Jahre 1911 bis 1913 versandt” worden waren.6 Damit sollte aber am 10. Januar 1925 Schluss sein. Genau fünf Jahre nach Inkrafttreten der Versailler Regelung bezüglich der Transitionsphase wurde die Berliner Regierung wieder zuständig für die Erhebung von Zöllen, und es war anzunehmen, dass sie von ihrem Recht Gebrauch machen würde, provisorische Importgebühren zu kassieren bevor die noch auszumachenden Handelsverträge Klarheit über die endgültige Höhe der Einfuhrtarife schaffen sollten. Auch wenn vor dem besagten Stichdatum der tatsächlich zurückbehaltene Satz von 15 bzw. 25 Reichsmark je Tonne Stahl oder je Tonne Halbzeug also noch keineswegs bekannt war,7 so wussten Mayrisch und seine Mitarbeiter doch von vorneherein Bescheid um die anstehende Verteuerung der bisherigen trans4 5 6 7
Zur Gründung der Terres Rouges AG, siehe M. KIEFFER, La reprise du potentiel industriel de la société Gelsenkirchen et la constitution du groupe Arbed –Terres Rouges (1919–1926), in: Les années trente (Sondernummer der Hémecht), ISP, Luxemburg, 1996, S. 69–97. ARBED-„Conférences des directeurs techniques”, Sitzungsprotokoll, 06.09.1924. ARBED, AC.01720, Artikel 268.c des Versailler Friedensvertrags. F. CHOMÉ (Hg.), Arbed. Un demi-siècle d'histoire industrielle. 1911–1964, Arbed, Luxembourg, 1964, S. 60.
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nationalen Warenflüsse zwischen den diversen Zweigen eines und desselben Konsortiums. Würde die Verschlechterung der hausinternen Zusammenarbeit gar dergestalt einschneidend sein, dass man nicht umhin käme nach völlig neuen Organisationsschemata Ausschau zu halten? Jedenfalls wurde die Möglichkeit einer grundlegenden Umorientierung durchaus ins Auge gefasst. Seit geraumer Zeit schon beschäftigten sich die Verantwortlichen aus der Arbed-Chefetage intensiv mit der Problematik. Eine mögliche Option hätte darin bestanden sich des Aachener Sorgenkindes einfach zu entledigen, indem man sämtliche Anlagen niedergerissen und als Schrott veräußert hätte. Zusammen mit dem Verkauf der Grundstücke und der zum Werk gehörenden Arbeitersiedlung wären wahrscheinlich Einnahmen erzielt worden, die, berücksichtig man zusätzlich die bereits getätigten Abschreibungen, den seinerzeit mit der Gelsenkirchener vereinbarten Preis für Rothe Erde gerade mal so wettgemacht hätten. Allerdings haftete dieser „brutalen Lösung” ein nicht unwesentlicher doppelter Nachteil an. Erstens wäre eine vollständige Liquidierung „unseren deutschen Konkurrenten sicher sehr genehm”, denn die Ruhrkapitäne hätten sich auf diese Weise potentieller Überkapazitäten in Deutschland ohne eigenes Zutun billig entledigen können; zweitens wären die zu erwartenden Engpässe bei der Belieferung des EBV und der Felten & Guilleaume mit vorgewalztem Material mitnichten aus der Welt geschafft.8 Folglich blieb nur die Alternative des Umbaus. Sie wäre gleichbedeutend mit einer Gesundschrumpfung der Monatsproduktion auf etwa 18.000 Tonnen gewesen, die satt ausgereicht hätten, um den gesamten Bedarf der rheinischen Betriebe des luxemburgischen Konzerns zu decken. Dafür hätte man 2-3 alte Hochöfen gründlich umbauen und die Thomaskonverter durch ein modernes Martinstahlwerk ersetzen müssen. Aller Vorteile ungeachtet hatte aber auch diese zweite Lösung einen Haken. Ihre Verwirklichung wäre ziemlich teuer zu stehen gekommen, wobei obendrein nicht einmal geklärt war, ob die teilhabenden Franzosen überhaupt bereit gewesen wären, viel Geld für ein Projekt im Land ihrer ehemaligen Erzfeinde auszugeben.9 In Anbetracht dessen, was Mayrisch bis dato bereits alles mit seinen westlichen Geschäftspartnern erlebt hatte, schien ihre Zusage mehr als fragwürdig. Immerhin, und entgegen dem was man sich gemeiner Hand vorstellt, waren die meisten Stahlkocher Frankreichs seinerzeit nur recht zaghaft, ja sogar widerwillig beim Aufkauf der ehemals deutschen Schmelzhütten im lothringischen Moseltal miteingestiegen. Noch viel weniger waren sie am Teilbesitz der Saarwerke und an einer Übernahme der feilgebotenen Hütten im Großherzogtum interessiert gewesen. Erst auf Drängen von Louis Loucheur, dem Minister für industriellen Wiederaufbau, überwanden sie ihre ursprüngliche Zurückhaltung, um den patriotischen Maßgaben des „Montanprojekts” Folge zu leisten.10 Der von den Pariser Behörden ausgedachte Plan beanspruchte, der heimischen Schwerindustrie eine Hegemonialstellung in Kontinentaleuropa zu verschaffen. Er stellte die Herren 8 9 10
ANLux [Archives Nationales de Luxembourg], ARBED, Pr.21/1, Aufsichtsrat vom 19. Dezember. Entwurf, 10.12.1924. ANLux, ARBED, Pr.21/1, Notiz zur Übernahme der Terres Rouges-Gesellschaft und des EBV durch die Arbed, 18.09.1924; ARBED, AC.0407, Mayrisch an Jules Aubrun [Generaldirektor von Schneider le Creusot], 21.12.1926. Vgl. hierzu J. BARIÉTY, Les relations franco-allemandes après la Première Guerre mondiale. 10 novembre 1918 – 10 janvier 1925 de l'Exécution à la Négociation, Éd. Pedone, Paris, 1977, S. 140 f.
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vom Comité des Forges de France (CFF) jedoch vor kaum überwindbare finanzielle Hürden. Die meisten Stahlbarone hatten sich derart verausgabt, dass kaum Geld übrig blieb, um die neu erworbenen ex-deutschen Anlagen zu optimal integrierten Betrieben zusammenzuschweißen. So kam es bereits 1921 innerhalb der Terres Rouges-Gesellschaft zum offenen Bruch zwischen der sich am rheinischwestfälischen Expansionsmodell orientierenden Arbed und der Mehrzahl ihrer malthusianistisch denkenden französischen Geschäftspartner. Damals hatten die Luxemburger den Vorschlag unterbreitet, die belgische Zeche von Winterslag und die lothringische Erzkonzession von Droitaumont zu übernehmen, damit die Rohstoffbasis der Firma besser gesichert sei; die übrigen Anteilseigner, allen voran François de Wendel aus Hayingen und Léon Lévy von Châtillon Commentry, kritisierten das Vorhaben aber aufs Heftigste und brachten es schließlich zu Fall, unter dem Vorwand, die beiden Aktiva seien falsch, also viel zu teuer eingeschätzt worden.11 Inwiefern dieser besonders für Mayrisch höchst peinliche Zwischenfall noch von Bedeutung ist, werden wir etwas später erörtern. Zunächst sei aber noch kurz auf die ähnlich unsichere Zukunft der Arbed-Abteilung in Burbach an der Saar hingewiesen. Ab dem 10. Januar würde sich die Situation auch hier insofern zuspitzen, dass die nun schon seit fünf Jahren bestehende ökonomische Angliederung des Saarreviers an die III. Republik durch die Ziehung einer Zollgrenze zu Deutschland fortan bis zum Referendum von 1935 einen definitiven Charakter haben sollte. Die alles entscheidende Frage betraf daher zunächst die Haltung der Regierung in Berlin. Würde sie, wegen der offenkundig hohen politischen Bedeutung der Angelegenheit, den saarländischen Hütten auch weiterhin den freien Zugang nach dem Reich als traditionelles Absatzgebiet gewähren? Seit März 1924 gab es zwar offenbar ein Zollmoratorium laut dem die rein hypothetisch von der Industrie geschuldeten Einfuhrgebühren zunächst ausgesetzt wurden. Die Maßnahme bildete indessen keine echte Lösung. Zum einen waren die Werke gezwungen, hohe Sicherheiten oder Bürgschaften bei einer deutschen Bank zu hinterlegen. Was würde schlussendlich mit dem ganzen Geld geschehen? Wäre es nicht sinnvoller, damit beispielsweise dringend notwendige Investitionen zu finanzieren? Zum anderen bildete die Stundung lediglich ein Provisorium dessen – davon konnte man getrost ausgehen – das Berliner Kabinett sich rücksichtslos bedienen könnte, um ganz erheblichen Druck insbesondere auf die französischmajorisierten Werke wie Dillingen, Neunkirchen und Brebach, und damit auf Paris auszuüben, bevor Deutschland „dann einschreiten werde um die Saar vor einer wirtschaftlichen Katastrophe zu retten”.12 Wie lange aber würde das Kräftemessen dauern? Würden die beiden Staaten dies- und jenseits des Rheins rechtzeitig einen annehmbaren Ausgleich finden ehe die allgemeine Unsicherheit und Instabilität die Betriebe an den Rand des Ruins getrieben hätte? Bis zur Klärung ihres Schicksals müssten die Saarindustriellen wohl oder wehe mit ihren Kollegen des CFF klarkommen. Das war dennoch nicht so einfach, weil besonders diejenigen französischen Hersteller, die sich nicht im Saarbrücker 11 12
Weitere Details in: C. BARTHEL, Bras de fer. Les maîtres de forges luxembourgeois entre les débuts difficiles de l'UEBL et le Locarno sidérurgique des cartels internationaux. 1918–1929, ISP, Luxembourg, 2006, S. 32 f. ARBED, AC.7501, Unterredung mit Herrn Arthur Bommelaer [Geschäftsführer des Comité des Forges de la Sarre], 15.01.1925.
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Raum engagiert hatten, ihren stark durch hohe Zölle protegierten, und daher äußerst lukrativen nationalen Binnenmarkt am liebsten für sich allein behielten. Schon die Aufnahme der etwa drei Millionen Tonnen Stahl aus Lothringen hatte nicht jeder gern gesehen. Umso mehr hatte man mit allen Mitteln versucht, den Saarländern nur ein möglichst kleines Stückchen vom gewinnbringenden Kuchen abzutreten und sie ins wesentlich härtere Exportgeschäft abgedrängt. Daran schien schließlich im Dezember 1922 das Comptoir Sidérurgique Français gescheitert zu sein. Auch alle weiteren, seit Ende Herbst 1924 unternommenen Anstrengungen wenigstens ein bisschen Ordnung unter französischen Produzenten im Rahmen des Office Statistique des Produits Métallurgiques (OSPM) wiederherzustellen, zerschellten u.a. am Widerstand der Saar, die unter den gegebenen Umständen nun wenigstens ihre vollständige Freiheit beim Vertrieb ins Ausland wahren wollte.13 Dies wiederum trug letztlich dazu bei, dass die Gespräche zur Neubelebung des Londoner Schienenkartells (International Rail Makers Association) auf der Stelle traten. Seit Weihnachten 1921 waren sie immer wieder ohne konkretes Ergebnis vertagt worden.14 Darunter litt auch die Arbed/Terres Rouges-Gruppe. Im Zuge großangelegter Rationalisierungsmaßnahmen, welche die Abkehr vom reinen Stahl- und Halbzeugfabrikanten zugunsten des Fertigproduktherstellers abrunden sollten, standen Mitte der Zwanzigerjahre fundamentale Entscheidungen an wie zum Beispiel eben die unwiderrufliche Schließung der völlig unrentablen Schienenstraße auf Rothe Erde und die Verlagerung ihrer Produktion auf andere Konzernabteilungen. Demnach wurde es für Mayrisch und seine Mitstreiter höchste Zeit geordnete Verhältnisse zu schaffen.
Erste Lösungsversuche. Im Schlepptau Belgiens und Frankreichs Getreu seiner ureigenen Meinung über die bestmögliche Lösung der luxemburgischen Exporte nach Deutschland setzte Émile Mayrisch zunächst seine ganze Hoffnung auf die im September 1924 in Berlin beginnenden Gespräche zwischen Vertretern der Reichsregierung und des Brüsseler Kabinetts über ein neues Warenaustauschabkommen. Die Abmachung berührte das Großherzogtum unmittelbar, da das Land nach dem Krieg infolge seines Ausscheidens aus dem deutschen Zollverein in eine Wirtschafts- und Währungsunion mit den Belgiern eingetreten war. Obwohl letztere eigentlich allein für die Unterzeichnung von Außenhandelsverträgen zuständig waren, fanden diesmal – entgegen den sonst üblichen Gepflogenheiten – bilaterale belgisch-luxemburgische Konsultierungen im Vorfeld der eigentlichen Verhandlungsrunde statt. Wir kennen die Ansichten des Arbed-Generaldirektors daher ganz genau. Sie fanden Niederschrift in einem von ihm in seiner Eigenschaft als Präsident des Groupement des Industries Sidérurgiques Luxembourgeoises (GISL) verfassten Memorandums:
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Ebenda, Konferenz des CFF betr. die kommerzielle Organisation der französischen Metallurgie: Bericht über eine Unterredung mit Bommelaer, 15.01.1925; ARBED-„Vicaire”, Bericht über die Sitzung des CFF vom 7. Februar 1925, 11.02.1925. HADIR, 21.d.0 und 21.d.1, Verschiedene Sitzungsprotokolle, ab 1921.
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„freier Eintritt luxemburgischer Minette nach Deutschland, und deutscher Kohle und Koks nach der Union, ohne jede Abgabe oder sonstige indirekten Hemmnisse […]; gegenseitige Befreiung vom Zoll für alle Eisenfabrikate. Falls Deutschland Gebühren auf dem Import von Metallgütern aus der Union erheben sollte, dann sollten wir unsererseits die gleichen Sätze auf deutschen Lieferungen nach der Union anwenden; allerdings wäre es in dem Falle angebracht wenigstens für Gusseisen und Halbzeug die gegenseitige Zollfreiheit zu erreichen”.15 Die Sonderwünsche für Rohmaterialien sind natürlich auf die uns bereits bekannte Beziehung der Arbed und der Terres Rouges AG zu ihren Niederlassungen im Aachener und Kölner Raum zugeschnitten. Und trotzdem fügen sie sich nahtlos in ein langfristiges liberales Konzept des freizügigen Warenverkehrs im Sinne des später, in den Fünfzigern, entstandenen Schuman-Plans ein. Für die Verwirklichung derartiger Ziele war die Zeit damals jedoch noch nicht reif. Berlin verlangte einen Ausgleich für die großzügige Behandlung der Stahlhersteller aus Luxemburg. Zu einer solchen Konzession war Belgien aber keineswegs bereit, weil die Zugeständnisse an seinen Juniorpartner restlos zu Lasten anderer, belgischer Wirtschaftszweige gegangen wären. Ohnedies maß man an den Ufern der Spree einer Verständigung mit der belgisch-luxemburgischen Union nur eine höchst zweitrangige Bedeutung bei. Alle Aufmerksamkeit galt vielmehr dem deutsch-französischen Dialog, der einen Monat später, im Oktober, in Paris von Staatssekretär Ernst Trendelenburg aus dem Auswärtigen Amt eingeläutet wurde. Erklärtes Ziel war die Unterzeichnung einer Ein- und Ausfuhrregulierung die Modellcharakter für sämtliche übrigen Übereinkommen Deutschlands mit all seinen Nachbarn haben sollte. Allerdings gerieten Trendelenburgs Unterredungen mit dem französischen Handelsminister Eugène Raynaldy ziemlich rasch ins Hintertreffen, sodass der belgischen Delegation in Berlin letztlich nichts anderes übrig blieb, als sich am 4. April 1925 mit einem wenige allgemeine Richtlinien festhaltenden Modus vivendi zufrieden zu geben.16 Der fehlgeschlagene Versuch eine dauerhafte Lösung im Schulterschluss mit den belgischen Behörden herbeizuführen, bedeutete einen herben Rückschlag für die Leute im Arbed-Hauptquartier. Jede Menge Grund zur Beunruhigung gab es mittlerweile auch wegen der rapide steigenden Spannungen mit den Ruhrmagnaten, die nicht nur den Luxemburgern und Lothringern, sondern auch den „ausländischen” Saarhütten die Exporte nach Süddeutschland streitig machten. Angefangen hatte der Wettkampf mit der ironischerweise ausgerechnet in Paris ins Leben gerufenen Arbeitsgemeinschaft der Eisen-Verarbeitenden Industrie (AVI). Dabei ging es den Vertretern der sich damals im Aufbau befindlichen deutschen Rohstahlgemeinschaft (RSG) darum, die südlich des Main ansässigen klein- und mittelständischen Hersteller von Metallgütern dazu zu bewegen, sich nicht mehr wie eh und je bei ihren herkömmlichen Zulieferern aus Ostfrankreich und dem Großherzogtum einzudecken. Als Köder benutzten die Herren der Düsseldorfer Kartellzentrale Rabatte, die sie den Metallverarbeitungsunternehmen in Aussicht stellten. Für Erzeugnisse, die ins Ausland gehen sollten, würde man beispielsweise einen Teil oder, je nachdem, sogar den Gesamtbetrag des fälligen Zolls 15 16
ARBED, AC.017452, Memorandum des GISL, 02.08.1924. Vgl. M. SUETENS, Histoire de la Politique commerciale de la Belgique depuis 1830 jusqu'à nos jours, Lib. Encyclopédique, Bruxelles, 1955, S. 216.
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vergüten, selbstredend nur dann, wenn das Rohmaterial exklusiv über die der RSG angegliederten Produkt-Verbände bezogen würde. Unnütz zu sagen, dass der angestrebte deutsch-deutsche Deal zunächst geheim bleiben sollte.17 Mayrisch war trotzdem bestens im Bilde. Direktor Georg Zapf von der Felten & Guillaume hatte die Information direkt von seinem Freund Hermann Bücher, der als Präsidiumsmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie an den ersten deutsch-französischen Besprechungen teilgenommen hatte. Über das Kölner Kabelwerk wusste man in der Arbed also auch, dass die Führungselite in der Wilhelmstraße umso mehr über die Störmanöver der Ruhr erbost war als sie nach wie vor an Gustav Stresemanns Kurs auf eine rasche Verständigung mit den westlichen Ländern festhielt. Nichtsdestotrotz hatte Bücher vor übertriebenem Optimismus gewarnt. Wenn es darauf ankäme – hatte er Zapf gestanden – würden die Herren im Außenministerium allesamt „ins Mausloch kriechen, aus Furcht, eine begehrte Kundschaft zu verlieren”. Zapf zog aus alledem einen doppelten Schluss. Einerseits beurteilte er die Berliner „Absicht, Luxemburg in den deutsch-französischen Pakt einzubeziehen, […] nicht für wahrscheinlich, vielmehr nur für eine Geste, welche vorläufig nur beruhigend wirken soll”; andererseits hielt er es für „dringend notwendig”, alle „noch verbleibenden Abwehrmöglichkeiten” zu erörtern.18 Es gab fortan also gleich mehrere gute Gründe die Annäherung an Frankreich zu suchen. Um „mit dem westfälischen Löwen den Kampf aufzunehmen”,19 brauchte die Arbed dringend Verbündete, die sie bei den ebenfalls vom AVI-Abkommen bedrohten lothringischen Werken und französischen Saarschmelzen zu finden hoffte. Mayrisch verfasste also eilends eine vertrauliche Denkschrift,20 die er über André Vicaire vom Pariser Verkaufsbüro des Arbed-Konzerns an das Comité des Forges weiterleitete.21 Inwieweit diese Aufklärungsschrift zunächst die Franzosen, aber auch den deutschen Delegationsleiter anspornte auf die Unterzeichnung eines vorläufigen deutsch-französischen Modus vivendi zu drängen (17. Februar 1925), lässt sich anhand der Quellen nur erahnen. Sicher ist allemal, dass Trendelenburg bereits im Vorfeld der Vereinbarung gegenüber „den Vertretern der [westfälischen] Schwerindustrie kein Hehl daraus gemacht [hatte], dass er auf ihre Privatwünsche keine Rücksicht nehmen könne”, und er eine Lösung gegebenenfalls auch gegen den Willen der Ruhr energisch durchsetzen würde.22 Wie aber sollte die Regelung aussehen? Mit der Erörterung eben dieser Frage war Léon Lévy betraut. Kraft seines Amtes als Vize-Präsident des Comité des Forges hatte er gleich nach der Ouvertüre der deutsch-französischen Gespräche im Herbst 1924 von Raynaldy den Auftrag bekommen, erste Sondierungsgespräche mit den in Paris anwesenden Gesandten des Düsseldorfer Stahlhofs zu führen. Die ersten Treffen fanden in einer eher feindseligen Atmosphäre statt und
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ARBED, AC.7501, Karl Heimann-Kreuser [Leiter des Arbed Verkaufsbüros Arteweg in Köln] an Mayrisch, 24.12.1924. Vgl. auch E. DIERCKS, Das System der Ausfuhr-Rückvergütung in der deutschen Eisenindustrie, R. Diekmann, Köln, 1933, S. 26 f. ARBED, AC.7501, Zapf an Mayrisch, 20.12.1924. Ibid. ARBED, AC.7501, Denkschrift über die Vorhaben der deutschen Schwerindustrie, [Ende Dezember 1924, Anfang Januar 1925]. ARBED, AC.7501, Vicaire an Mayrisch, vertraulich, 07.01.1925. Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, 13.01.1925.
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endeten völlig unkonstruktiv,23 nicht zuletzt weil Lévy von Anfang an wenig Interesse an einem für beide Seiten annehmbaren Kompromiss auf der Grundlage eines fairen Austauschs zeigte, sondern vom Umstand profitierte, dass sein Minister „nicht verstand was los war”,24 um stur an einer Verlängerung des Versailler Diktats festzuhalten. Teils bedingt durch den Groll auf die ehemaligen Feinde, teils verursacht durch die tiefverwurzelte Protektionismuskultur kam tatsächlich für die Mehrheit der französischen Eisenlobby keine andere Alternative in Frage als die Neuauflage eines zollfreien Kontingents für weitere fünf Jahre. Der quälende Gang der Dinge behagte Mayrisch ganz und gar nicht. Gewiss, seit dem Scheitern seiner Wunschvorstellung gab es keinen anderen Ausweg mehr als ebenfalls, sozusagen im Windschatten der lothringischen Industrie, ein eigenes Kontingent für die Schmelzhütten des Großherzogtums zu verlangen. Es war auch bereits diesbezüglich zu einer ersten Fühlungnahme gekommen. Vertreter des GISL nahmen ab dem 7. April in Paris an den Vorarbeiten einzelner Expertengremien teil. Von den eigentlichen Plenarsitzungen mit Fritz Thyssen, Bruno Bruhn und Konsorten schlossen die Granden des CFF ihre luxemburgischen Kollegen allerdings kurzerhand aus. Dem typischen Großmachtgetue traute die Arbed Führung umso weniger als die Franzosen beanspruchten, sowohl in ihrem als auch im Namen der Saarunternehmen zu sprechen. Dass sie dabei ihre lothringischen Interessen denjenigen der saarländischen Betriebe überordneten, lag auf der Hand. Müsste Burbach also letztlich die Zeche zahlen? Und überhaupt, was würde passieren, wenn die festgefahrenen Positionen in den beiden Lagern dies- und jenseits des Rheins25 zu keiner brauchbaren Regelung unter Industriellen führen würden? Mayrisch war sich allzu im Klaren darüber, dass Berlin und Paris die Stahlakte dann erneut an sich gerissen hätten. „Bloß birgt dieser Weg ein gewisses Risiko für das Großherzogtum, weil die 2 Regierungen [in Deutschland und in Frankreich] sich nicht um Luxemburg scheren werden”.26
Mayrisch nimmt das Ruder selbst in die Hand Wie man sich der drohenden Gefahr, zusehends ins völlige Abseits abgedrängt zu werden, auf intelligente Art und Weise entziehen konnte, muss eindeutig als Karl Heimann-Kreusers Verdienst gewertet werden. Der pfiffige Kaufmann – er war nach dem Waffenstillstand von Mayrisch angeworben worden mit der Mission, die in Köln ansässige Artewek Handelsgesellschaft für Berg- und Hüttenerzeugnisse zur zentralen Vertretung der Arbed/Terres Rouges-Gruppe am deutschen Markt auf Vordermann zu bringen – pflegte nicht nur ausgezeichnete Beziehungen zu hohen Ministerialbeamten oder zu namhaften Ruhrmagnaten wie Ernst Poensgen (mit dem er persönlich befreundet war); sein Wissen und sein Können waren überdies gepaart mit einem fantasievollen Ideenreichtum, der den zün-
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ARBED, AC.7501, Vicaire an Mayrisch, 03.01.1925. J. BARIÉTY, Le rôle d'Émile Mayrisch entre les sidérurgies allemande et française après la première guerre mondiale, in: Relations internationales, 1(1974), S. 123–134, hier S. 130. Siehe hierzu, u.a., die gescheiterten deutsch-französischen Gespräche an denen 1924 auch die Wiederbelebung der IRMA zerschellt war. HADIR, 21.d.0 und 21.d.1. HADIR, 1.m.1, GISL. Sitzung vom 16. Juni 1925. Präliminarien: Aussage Mayrisch.
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denden Gedanken zur Formulierung des sogenannten Privatabkommens vom 29. Mai 1925 hervorbrachte.27 Geboren worden war die Abmachung im Salon des Pariser Grand Hôtel, wo Mayrisch, in Begleitung von Heimann-Kreuser und anderen Vertrauten, eine „lange Konversation”28 mit Thyssen und Poensgen führte. Hauptgegenstand des diskreten Tête-à-tête, und des schließlich daraus abgeleiteten Vertrags zwischen Arbed/Terres Rouges und der RSG, war die Versorgung der luxemburgischen Betriebe im Rheinland. In konkreten Zahlen ausgedrückt sollten die EBVHüttenabteilung, Rothe Erde und Felten & Guilleaume künftig ein jährliches Anrecht auf 175.000 Tonnen Stahlblöcke oder Halbzeug aus dem Großherzogtum haben, wobei die deutsche Seite sich verpflichtete, den Luxemburgern die Hälfte des von ihnen geschuldeten Zolls aus der RSG-Kasse zurückzuerstatten. Im Gegenzug engagierte sich Mayrisch – erstens – die drei erwähnten Filialen in die westfälischen Verbände einzubringen, und – zweitens – für die Dauer der Vereinbarung kein neues Stahlwerk in Deutschland zu errichten. Beide Bedingungen gereichten den Düsseldorfern zum Vorteil. Sie konnten dadurch sowohl die Syndizierung des nationalen Eisenwarenmarkts vorantreiben, als auch die ohnehin bereits an Rhein und Ruhr bestehende Überproduktion etwas eindämmen.29 Auch für die Luxemburger gab es einen interessanten Gewinn zu verzeichnen, weil man sich nun den aufwendigen Umbau in Aachen ersparen konnte. Zudem sollte jetzt auch möglich sein, angestammte, aber ungenutzte Produktionsquoten von Rothe Erde beispielsweise nach Burbach zu verlegen, was besonders attraktiv erschien, da bei dem Terres Rouges-Ableger in Aachen manche Walzstraßen wie die Schienenanlage stillstanden, wohingegen die Arbed-Abteilung im Saarbrücker Revier zusätzliche Mengen hervorragend zur vollen Auslastung eigener Kapazitäten einsetzen konnte. Damit nicht genug. Das Privatabkommen war auch aus taktischen Gründen Gold wert, da es ganz nebenbei auch erheblichen politischen Zündstoff beinhaltete. Zum einen barg das ihm zugrundeliegende Prinzip einer finanziellen Entschädigung als Kompensation für die Unterordnung unter die deutschen Verbände durchaus Vorbildcharakter für eine etwaige Lösung der noch zu regelnden lothringisch-luxemburgischen Kontingentsfrage; zum anderen offenbarte die angestrebte Abmachung, dass die Arbed, ohne jedes Zutun von Außen, weder von Brüssel noch von Paris, absolut fähig war, allein mit der RSG zu einem brauchbaren Resultat zu gelangen. Hätten die Spitzenleute aus der Arbed also ihre sonstigen Ausfuhren nach Deutschland nicht auf dieselbe, oder ähnliche Weise lösen können? Was wäre dann jedoch mit den übrigen Hütten des Großherzogtums passiert? Wären sie womöglich auf der Strecke geblieben? Oder hätte Mayrisch die heimischen Rivalen mit an Bord genommen und in „seine” deutsch-luxemburgischen Verträge eingebunden? Dann wären allerdings die Franzosen gehörig ins Wanken geraten. Denn auch wenn im Privatabkommen keine Silbe von Burbach geschrieben steht, so dürfte trotzdem niemandem die Brisanz einer – noch – virtuellen Ausdehnung der auf die Aachener und Kölner 27 28 29
ARBED-„M. Heimann-Kreuser”, 1952–1953; G. WENZEL, Deutscher Wirtschaftsführer. Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg, 1929, S. 894. ARBED, AC.7501, Mayrisch an Vicaire, 02.06.1925. Ebenda, Vertrag zwischen der RSG […] und dem Konsortium Felten & Guilleaume-EBVRothe Erde, [Juli/August 1925].
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Filialen zugeschnittenen Bestimmungen auch auf den saarländischen Ableger der Arbed entgangen sein. Zusammen mit Völklingen – der einzig wahren „deutschen” Hütte im Saarland – wären die Luxemburger sonder Zweifel stark genug gewesen, um der Bevormundung durch die III. Republik einen geradezu vernichtenden Schlag zu versetzen, und dies sowohl aus wirtschaftlicher als aus diplomatischer Sicht. Genau hierin lag im Übrigen der Grund, weswegen Thyssen und Poensgen so behände waren, bei ihren Kollegen in Düsseldorf für die Annahme von Heimann-Kreusers Kuhhandel zugunsten von Rothe Erde zu werben, genauso wie umgekehrt Mayrisch keinen Augenblick zögerte, das CFF über den Inhalt seiner Gespräche vom 29. Mai mit den beiden Wortführern des Stahlhofs ins Bild zu setzen.30 In beiderseitigem deutsch-luxemburgischen Einvernehmen sollte den Franzosen mächtig eingeheizt werden. Mit Erfolg. Nur wenige Tage nach dem Treffen im Grand Hôtel baten die Ruhrkapitäne die französische Seite um eine Wiederaufnahme des mittlerweile vollends festgefahrenen Dialogs. Gleichzeitig gaben sie dem CFF zu verstehen, dass dafür neutraler Boden am geeignetsten sei. In Paris kam man demnach nicht umhin einzulenken: die nächste Runde würde im Arbed-Sitz in Luxemburg stattfinden, wo nicht nur Franzosen und Deutsche, sondern auch Luxemburger und Saarländer zum ersten Mal nach dem Waffenstillstand als gleichberechtigte Parteien um einen Tisch versammelt sein sollten.31 Insofern darf das Treffen vom Dienstag, den 16. Juni 1925 nicht nur als erster echt europäischer Gipfel der Stahlbarone, sondern auch als Wendepunkt in der gesamten wirtschaftlichen Ausgleichspolitik der Zwischenkriegszeit betrachtet werden. Für Mayrisch bedeutete die Abkehr vom Bilateralismus gleichzeitig eine merkliche Aufwertung seiner eigenen Person. Von nun an befand sich der bis dahin ziemlich unbekannte Außenseiter auf dem Weg zu Ruhm und Anerkennung als „Vermittler” zwischen den Völkern.32 Nach einem aufreibenden Sitzungsmarathon der „länger dauerte als ich es auszuhalten vermochte”33 – so der französische Delegationsleiter Théodore Laurent – gelangte man trotz aller Schwierigkeiten am späten Abend des 16. Juni zu einem tragfähigen Kompromiss. Der von allen anwesenden hochrangigen Industrievertretern gebilligte Ausgleich beruhte auf der Grundlage von Bestimmungen, für die das kurze Zeit zuvor zwischen der Arbed und der RSG ausgehandelte Privatabkommen Pate gestanden hatte. So sollten die Luxemburger und die Lothringer während der drei folgenden Jahre Anrecht auf ein festgelegtes Ausfuhrkontingent nach Deutschland erhalten, wofür sie den vorgesehenen ganzen Tarif an das Reichszollamt ausrichten mussten, schließlich aber die Hälfte der bezahlten Gebühren wieder aus der Portokasse des Düsseldorfer Roheisenkartells zurückerstattet bekämen. Nur die Saarschmelzen genossen eine privilegierte Behandlung. Ihnen stand wegen des besonderen Status des vorläufig vom Völkerbund verwalteten Territoriums die volle Zollfreiheit für die ihnen zugedachte
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ARBED-„Vicaire”, Mayrisch an Vicaire, 02.06.1925. ARBED, AC.7501, Pinot an Mayrisch, 03.06 und 10.06.1925; Poensgen an Mayrisch, 09.06.1925; Mayrisch an Poensgen, 10.06.1925. Siehe u.a. G. MÜLLER, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, Oldenbourg, München, 2005. ARBED, AC.7501, Laurent an Mayrisch, 16.06.1925.
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Menge zu.34 Dafür jedenfalls wollten Poensgen und Thyssen sich bei der Regierung in Berlin stark machen.35 Es blieben demnach noch manche Dinge politischer, aber auch rein technischer Natur zu klären. Eigens zu diesem Zweck stellte man ein internationales Expertenteam zusammen. Es traf sich in der Folgezeit gleich mehrere Male im prächtigen Aufsichtsratssaal der Arbed und hakte beflissen alle noch offenstehenden Fragen ab – bis die versöhnlichen Bemühungen völlig unerwartet Ende Juli jäh abstürzten. Offenbar merkten die Deutschen erst jetzt, „dass sie bei dem Vorschlag in Luxemburg eine Dummheit gemacht hätten. Die Lage in Deutschland sei so außerordentlich traurig, sowohl was die Finanzverhältnisse, wie auch die Absatzmöglichkeiten anginge, dass sie tatsächlich die Riesenmengen nicht nach Deutschland übernehmen könnten”.36 Poensgens Eingeständnis spiegelt die wachsende Kritik wider, der sich im Stahlhof die Befürworter einer gütlichen Einigung ausgesetzt sahen. Sie gerieten zunehmend zur Zielscheibe der Radikalen, die, wie Peter Klöckner und Paul Reusch, nichts mehr von der Übereinkunft des 16. Juni wissen wollten.37 Manche Historiker haben daraus den etwas voreiligen Schluss gezogen, die RSG habe „bei den Verhandlungen in Luxemburg geblufft. Anders ist der Meinungsumschwung […] nicht erklärbar”.38 Die recht einseitige, den Ruhrmagnaten alle Schuld zuweisende Interpretation, muss jedoch angesichts der neuen Erkenntnisse aus den Mayrisch-Akten grundlegend reformiert werden. Die letztendlich wahren Verantwortlichen für den Untergang des Übereinkommens vom 16. Juni saßen nämlich im Pariser Industrie- und Handelsministerium. Obwohl die internationalen Verhandlungen der Stahlbarone noch keineswegs beendet waren, lief der inzwischen mit den deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen betraute hohe Funktionär Daniel Serruys, nach Rücksprache oder gar auf Betreiben von François De Wendel und Léon Lévy, sozusagen vor den Karren. Er machte sich das in der Arbed fast fertig geschnürte Maßnahmenpaket zu eigen, um es, „aus reiner Böswilligkeit oder in grober Unkenntnis der Sachlage”39 in die Form eines offiziellen staatlichen Abschlusses zu gießen, indem er ungeniert die Bereitwilligkeit Berlins ausschöpfte, wirtschaftliche Nachteile zugunsten einer Konsolidierung des politischen Einflusses Deutschlands an der Saar zu dulden. Dabei heraus kam das neue, am 12. Juli Trendelenburg unterbreitete Saarstatut. Es hatte nur provisorisch, während 4 Monaten Gültigkeit, sollte aber, wenn es dem Willen von Serruys nach gegangen wäre, in eine dauerhafte Konvention umgebettet werden, deren Inhalt auf Anhieb verrät, worum es den Franzosen letztlich ging. Die in Luxemburg vereinbarten Tonnagen waren neuerdings nicht mehr, wie ursprünglich geplant, an die Marktentwicklung im Reich gekoppelt, sondern fanden sich nun als absolutes Anrecht wieder, egal ob die RSG ihre Produktion wegen des schleppenden Verkaufs in Deutschland weiter drosseln musste oder nicht. Zudem wurde in einem Zusatzprotokoll festge34 35 36 37 38 39
Lothringen: 530.300 Tonnen – Luxemburg: 477.300 T. – Saar: 742.400 T. HADIR, 1.m.1, Bericht über die Sitzung vom 16. Juni 1925; ARBED, AC.7501, Forderungen [anonyme Notiz], [Juni 1925]. ARBED, AC.7501, Heimann-Kreuser an Mayrisch, 28.07.1925. HADIR, 1 „Accords”, Bemerkungen zur Notiz von Herrn Thyssen, 27.01.1927. R.E. LATZ, Die saarländische Schwerindustrie und ihre Nachbarreviere. 1878/1938. Technische Entwicklung, wirtschaftliche und soziale Bedeutung, Saarbrücker Druckerei, Saarbrücken, 1985, S. 172. ARBED, AC.7501, Vicaire an Mayrisch, 15.09.1925.
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halten, dass die Hütten der Saar ihre „Zollersparnisse” durch Ausgleichszahlungen an die lothringischen Unternehmen weiterreichen mussten. Letztere hätten daran ausreichend verdient, um auf die fünfzigprozentige Rückzahlung durch die RSG zu verzichten. Sodann hätten sie sich von dem für sie aus Prestigegründen inakzeptablen Verkauf der Kontingentsmengen unter der Obhut der deutschen Verbände befreien können.40 Es bedarf demgemäß keiner außerordentlichen Einbildungskraft, sich auszumalen, welche Reaktion die arglistige Aushöhlung des „Luxemburger Abkommens” bei der westfälischen Führungselite hervorrief. Sie fühlte sich, zu Recht, durch die Pariser Machenschaften übel hintergangen. Noch bevor der Reichstag im September 1925 Stellung gegen das Saarstatut beziehen konnte, brach sie einen „feucht-fröhlichen Kampf […] gegen Saar, Lothringen und Luxemburg, insbesondere gegen Lothringen”41 vom Zaun. Der tosende Handelskrieg führte natürlich auch zu einem vollständigen Abbruch der transnationalen Begegnungen unter Industriellen. Besonders in der Arbed war man darüber keineswegs erfreut.
Frontenwechsel. Die Arbed setzt zunehmend auf die deutsche Karte Der neuerliche Rückschlag wirbelte Mayrischs Pläne tatsächlich gehörig durcheinander. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Restrukturierungsvorhaben im Rheinland standen letztlich auch die gewaltigen Umbauarbeiten im Großherzogtum, für die sein Unternehmen eine 20 Millionen Dollar Anleihe in Amerika aufzunehmen gedachte. Das Geld sollte hauptsächlich in die Vernetzung der auf engstem Raum beieinanderliegenden Arbed-Hütte Esch-Schifflange und der drei Terres Rouges-Schmelzen Esch-Belval, Esch-Grenze und Audun-leTiche im benachbarten Lothringen fließen. Im Rahmen dieser großangelegten Rationalisierungsmaßnahme sollten die beiden letztgenannten Abteilungen zusätzliche Hochöfen anblasen, u.a. um die Schließung der Rohstahlerzeugung in Aachen aufzufangen. Die beiden erstgenannten Werke sollten dahingegen ihre Fertigungsanlagen vervollständigen, z.B. durch eine Blechstraße, welche die stillgelegte Flachproduktherstellung auf Rothe Erde hätte kompensieren können. Gleichzeitig war für den Winter 1925/26 eine de facto Übernahme der Terres Rouges-Gesellschaft durch die Arbed angesetzt. Die Mehrheit der französischen Aktionäre – allen voran De Wendel und Lévy, denen man seit der DroitaumontWinterslag-Affäre ohnehin nicht mehr über den Weg traute – sollten durch den Ankauf ihrer Anteile kurzerhand vor die Tür gesetzt werden!42 Der geplante Rundumschlag drohte jetzt allerdings durch die internationalen Turbulenzen durchkreuzt zu werden. Mayrisch hatte bislang das Inkrafttreten des Privatabkommens immer wieder hinausgezögert, weil er den Beitritt der rheinischen Zweigstellen in die westfälischen Syndikate als Faustpfand für eine 40 41 42
Ebenda, Abkommen zwischen Frankreich & Deutschland bez. des Warenaustauschs zwischen dem Saarbecken und Deutschland, 11.07.1925; Zusatzprotokoll. Ebenda, Heimann-Kreuser an Mayrisch, 13.08.1925. ARBED, P.XXXVI, Entwurf zur Organisation der Interessengemeinschaft Arbed/Terres Rouges, [Ende 1925]; Bericht an die Generaldirektion. Reorganisation der Abteilungen, 29.03.1926.
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Lösung der Frage von Burbach nicht aus der Hand geben wollte; fortan drehten die Deutschen den Spieß glatt um. Sie machten ihren Vertrag mit der Arbed von einem gleichzeitigen Verbandseintritt der luxemburgischen Hütte an der Saar abhängig. Mayrisch geriet folglich unter wachsenden Zugzwang. Verschärft wurde die ohnehin schon angespannte Lage durch eine Entwicklung im Saarbrücker Becken, die geradezu fatale Folgen für ihn haben könnte. Heimann-Kreuser hatte in Erfahrung gebracht, dass Hermann Röchling von Völklingen mehrere Male nach Düsseldorf gereist war, mit dem Ziel, sein Unternehmen den RuhrVerbänden zu unterstellen. Angeblich war er fürstlich bedient worden. Die Herren aus dem Stahlhof gedachten tatsächlich ihm eine Quote zu erteilen, die 10% über der Normalproduktion des Werks lag! Etwa gleichzeitig hatte Mayrischs Mann in Köln auch erste Gerüchte über die mögliche Veräußerung der sechzigprozentigen Beteiligung der französischen Gesellschaft Nord et Lorraine an Neunkirchen aufgeschnappt. Sollte der einzige Bewerber, Otto Wolff, die Anlage wirklich übernehmen, dann würde auch er die Anbindung an die RSG suchen, allein schon aus rein nationalen Erwägungen. Damit hätte sich das Kräfteverhältnis an der Saar zugunsten der Deutschen verschoben, und den restlichen zwei französischen Schmelzhütten Dillingen und Brebach sowie der ArbedAbteilung Burbach wäre nichts anderes übrig geblieben als denselben Weg zu gehen. Allerdings hätten sie als Bittsteller hinten angestanden und wären den vom Stahlhof diktierten Bedingungen machtlos ausgesetzt gewesen.43 Genau dies galt es mit allen Mitteln zu verhindern. Mayrisch wäre ein schlechter Geschäftsmann gewesen, wenn er nicht erkannt hätte, dass seine einzige Chance in einem Vorpreschen der Luxemburger bestand. Würden sie den Wechsel im Saargebiet einleiten, dann bestünde die durchaus berechtigte Aussicht auf eine großzügige Behandlung durch die Ruhrmagnaten und die Berliner Behörden. Der Generaldirektor warf demzufolge seine letzten Hemmungen über Bord und beauftragte Heimann-Kreuser umgehend mit Poensgen und Thyssen zum einen den Beitritt von Burbach in den westfälischen Verband, zum anderen ein „Sonderabkommen” für das luxemburgische Arbed-Kontingent in die Wege zu leiten, und zwar völlig losgelöst von den Anliegen und Vorstellungen der französischen Wirtschaft und Politik!44 Deren Verantwortliche wussten indessen „ganz genau”45 Bescheid über den Alleingang der Arbed-Führung. Teils über Vicaires Freunde und Bekannte, teils über andere Kanäle war Paris regelmäßig mit „vertraulichen” Nachrichten über Mayrischs forsche (und zugleich riskante) Extratour gefüttert worden, galt es doch bei dem mit den Deutschen abgekarteten Spiel die Franzosen dermaßen zu gängeln, dass sie ihre unhaltbare Blockadepolitik endlich aufgeben mussten. Serruys Abrüsten erfolgte geradezu postwendend. Ende Oktober wurde bereits ersichtlich wie man sich an den Ufern der Seine plötzlich bemühte zurückzurudern. „Die französische Regierung” – hieß es in einem Schreiben an Staatssekretär Trendelenburg – „ist nach wie vor überzeugt, dass die Frage des Zolltarifs zusammenhängt mit dem unter Industriellen […] geplanten Abkommen, das sich bereits in 43 44 45
ARBED, AC.7501, Briefwechsel von Heimann-Kreuser und Mayrisch, Oktober-November 1925. Ebenda, Heimann-Kreuser an Mayrisch, 06.01.1926: Niederschrift über die Sitzung am 5. Januar, Stahlwerks-Verband, Düsseldorf. Ebenda, Heimann-Kreuser an Mayrisch, 02.01.1926.
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groben Zügen im Modus vivendi abzeichnet, der in Luxemburg besprochen worden war”.46 Der Hinweis auf die mustergültigen Beschlüsse des ersten internationalen Stahlgipfels vom 16. Juni war nicht zu übersehen. Genauso wenig wie die darin enthaltene Botschaft des Handelsministeriums, es wolle sich künftig aus der verfahrenen Montanakte verabschieden. Mayrisch konnte rundweg zufrieden sein. Mit seinem klugen Schachzug war es ihm gelungen das Heft wieder in die Hand zu nehmen. Er gab es nicht mehr her. Er zog seine Drohung, ein Sonderabkommen für Burbach um die luxemburgischen Schmelzen von Arbed/Terres Rouges abzuschließen, erst dann wieder zurück, nachdem am Heiligabend 1925 feststand, dass das CFF der von ihm unterbreiteten Lösung der Saarfrage zustimmte. Alle Schmieden des Reviers sollten künftig der deutschen Rohstahlgemeinschaft beitreten, d.h. die Düsseldorfer Zentrale würde fortan in einem Gebiet das nach wie vor unter französischer Wirtschaftshoheit stand, den Produktionsrhythmus im Hochofenbetrieb bestimmen! Bezüglich der Regulierung des Verkaufs der Metallwaren wurden die Zuständigkeiten allerdings geteilt: die westfälischen Verbände gaben den Ton an für alle in den Export und – zollfrei – nach Deutschland versandten Tonnagen; das französische Kartell des OSPM begnügte sich dagegen mit der Kontrolle über die nach Frankreich und seinen Kolonien verschickten Mengen. Letztere wurden übrigens drastisch um 15% bis 20% gekürzt, womit die französischen Hersteller einen Teil ihres reichlich Gewinn abschüttenden Binnenmarktes zurückeroberten, den sie – aus politisch nationalen Gründen – nach dem Krieg auf Geheiß von Loucheur mit den Saarländern hatten teilen müssen.47 Gerade hierin liegt wahrscheinlich auch einer der Hauptgründe verborgen, weswegen man im Hexagon den Anfang 1926 gemachten deutschen Vorschlag zur Schaffung einer Internationalen Rohstahlgemeinschaft (IRG) begrüßte, und letztlich auch ganz froh darüber war, dass die öffentliche Meinung das Kartell – das in den Augen der Ruhrbosse die Überschwemmung des deutschen Absatzgebietes mit Material aus dem Westen über das Maß des saarländisch-lothringischluxemburgischen Kontingents hinaus vollständig unterbinden sollte – von Anfang an mit Mayrischs, im selben Jahr 1926 ins Leben gerufenen deutschfranzösischen Studienkomitee irrtümlicherweise auf eine und dieselbe Stufe stellte. Die Verquickung des Stahlpakts mit dem Völkerverständigungsgedanken half Paris in der Tat die doppelte politische Schlappe der de facto Angliederung der saarländischen Eisenwirtschaft ans Reich und den endgültigen Untergang des einst so stolzen „Montanprojekts” erträglicher zu gestalten, indem sich die Abmachungen der Stahlbarone nun problemlos in die Reihe der „Erfolge” der LocarnoDiplomatie einordnen ließen. Mayrischs Schaden sollte es nicht sein. Ganz im Gegenteil. Da es letztlich bei dem Unterfangen mehr um eine „Fassade”48 ging als um eine zwingende Produktionseinschränkung, die seine Expansionspläne ins Wanken gebracht hätte, konnte er, seiner inneren Überzeugung zum Trotz, der IRG getrost zustimmen. Ausschlaggebend für seine Entscheidung zum Mitmachen beim großen Kartell – das ja eigentlich gar kein echtes Kartell gewesen ist – gestalteten sich nicht nur die 46 47 48
ARBED, AC.„Vicaire”, Kopie: 17. Sektion, 27.10.1925. Ebenda, Abkommensentwurf der französischen und deutschen Eisenindustrien, 24.12.1925; Abkommen zwischen den saarländischen & deutschen Hütten. Entwurf, 22.01.1926. HADIR, 1 „Procès-verbaux”, 3. Sitzung des Kleinen Ausschusses …, 29.10.1929.
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ganz eigennützig von ihm maßgeblich beeinflussten allgemeinen Rahmenbedingungen, wie z.B. eine überhöhte Arbed-Quote, die Beschränkung der auf Überproduktion zu zahlenden „Strafe” auf lediglich 4 Dollar,49 oder die Erlaubnis des transnationalen Quotentransfers, ohne die eine optimale Rationalisierung der Produktionsabläufe im luxemburgischen Unternehmen mit seinen Ablegern im Saarland, im Rheinland und in Lothringen nur schwierig durchzuführen gewesen wäre. Denn am allerwichtigsten waren schlussendlich jene Verträge, die man damals allmählich mit dem Begriff „Nebenabkommen” der internationalen Industriellenvereinbarung zu bezeichnen begann, d.h. das sehr günstige Privatabkommen, die äußerst vorteilhafte Aufnahme Burbachs in die Düsseldorfer Verbände und das durchaus annehmbare luxemburgische Exportkontingent nach Deutschland. Alles in allem halfen sie ganz ungemein den Ausbau von Mayrischs Firma regelrecht zu vergolden und die Arbed gleichzeitig für den anstehenden Konkurrenzkampf mit den Vereinigten Stahlwerken fit zu machen.50
Schlussbetrachtung Mayrischs „europäisches Schicksal”51 wurde nicht wie vielfach später dargestellt durch philanthropische Versöhnungstheorien besiegelt, sondern von dem erst Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, am 10. Januar 1925, einkehrenden Wirtschaftsfrieden. Mit ihm drohte das innere Gefüge und die unternehmerische Grundlage eines interregional über die Landesgrenzen hinaus verflochtenen Konzerns wie der Arbed/Terres Rouges-Gruppe arg in Mitleidenschaft gezogen zu werden, weil sich die Politik, besonders diejenige der III. Republik, schwer tat, die nötige Stabilität für investitionsintensive Schwerindustriebetriebe zu schaffen. Als „unabhängige und individualistische Kämpfernatur”52 nutze der luxemburgische Generaldirektor dieses Vakuum skrupellos aus, um seine eigenen Interessen nötigenfalls auch zusammen mit dem wiedererstarkenden Verlierer des Ersten Weltkriegs gegen seine bisherigen Partner Belgien und Frankreich durchzudrücken. Von „Völkerverständigung” geht dabei in der Geschäftskorrespondenz des Stahlindustriellen natürlich nie die Rede. „Leute, die an der Spitze eines Unternehmens stehen” – pflegte sein Schwager Robert Brasseur stets zu sagen – „haben kein Anrecht auf Gefühle, aber es ist ihre Pflicht, mit dem Bleistift in der Hand, den produktivsten Nutzen für ihre Firma herauszurechnen und das Geschäft, das man ihnen anvertraut hat, dann in jene Bahnen zu orientieren […], die sich durch die Umstände aufdrängen”.53
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„Herr Mayrisch ist der Auffassung, dass ein Strafzoll von 4 Dollar nicht notwendigerweise ein Hindernis für eine Produktionserhöhung bilden muss; er meint, dass es manchmal vorteilhaft sein kann dieses Bußgeld zu zahlen, wenn man anderweitig von den Vorteilen einer Produktionserhöhung profitiert”. ARBED, AC.01760, 25. Konferenz des Arbed/Terres Rouges-Direktionskomitees, 16.08.1926. Zu Mayrisch und den IRG-Verhandlungen, siehe C. BARTHEL, Bras de fer …, op.cit., S. 454. BOSSUAT G., Les fondateurs de l'Europe, Belin, Paris, 1994, S. 40. ARBED, EIA „Comptoirs – procès-verbaux”, 10. Sitzung des Direktionskomitees der IRG in Paris, 07.03.1928. Feierliche Erklärung von Laurent anlässlich des unerwarteten Todes von Mayrisch. CHAMBRE DES DÉPUTÉS, Sitzungsbericht vom Freitag den 11. April 1919, S. 2685.
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RÉSUMÉ L'Arbed, le géant luxembourgeois de l'acier, et son directeur général, Émile Mayrisch, se trouvent au centre de la contribution. Celle-ci focalise surtout les participations allemandes de la forge et l'interpénétration transnationale des bassins industriels comme élément moteur de la détente en Europe occidentale vers le milieu des années vingt. À l'encontre des théories qui s'empressent de présenter Mayrisch tantôt comme un apôtre de la réconciliation entre les anciens ennemis de part et d'autre du Rhin, tantôt comme un adepte fervent de l'Entente Internationale de l'Acier, notre analyse met l'accent sur les répercussions strictement techniques et commerciales entraînées par le bouleversement intervenu à partir du 10 janvier 1925. L'expiration des clauses transitoires du traité de Versailles et la récupération de la souveraineté douanière par le Reich compromettent en effet les échanges intra-goupe, en l'occurrence entre les aciéries du Grand-Duché et les sites de transformation dans les régions d'Aix-la-Chapelle et de Cologne (Division métallurgique du Eschweiler Bergwerks-Verein, Rothe Erde, Felten & Guilleaume). Des pans entiers de la production menacent ainsi d'être arrêtés ou de subir une réorganisation de fond en comble. Voilà pourquoi Mayrisch n'hésite pas longtemps pour orchestrer lui-même les destinées de ses usines. Au lieu de se fier comme jusqu'ici au partenaire économico-douanier belge et à la collaboration avec la France, il jette par-dessus bord sa loyauté vis-à-vis des puissances victorieuses de l'Entente pour entrer directement en contact avec les leaders de Rohstahlgemeinschaft à Düsseldorf. Il en naît le soi-disant «accord privé». Ce contrat de fournitures extrêmement favorable à l'Arbed est encore important d'un autre point de vue. Il accorde à Mayrisch les moyens de contraindre Paris à la fois à abandonner sa politique de blocage en Sarre et à arroger aux Luxembourgeois une place de choix autour de la table de négociation franco-allemande. Le directeur général de l'Arbed s'en félicite. Son nouveau rôle de «médiateur» lui permet de renflouer le dialogue entre les deux grandes puissances de part et d'autre du Rhin tout en imprimant désormais son cachet personnel au «Locarno des barons du fer».
SUMMARY The contribution, which focuses on the Luxembourg steel giant Arbed and its director general Émile Mayrisch, discusses the importance of the interregional interpenetration of companies as a building block of the West European policy of détente in the mid twenties. In contrast to the conventional theories of reconciliation, which have chosen Mayrisch somewhat overzealously as the great advocate of the International Steel Cartel and as the selfless mediator between former enemies of World War I, attention in this paper is directed to the purely entrepreneurial aspects of the change which set in from January 10th 1925. The expiry of the economic provisional regulations of the peace treaty of Versailles and Germany’s recovery of its custom sovereignty actually jeopardized the flourishing internal exchange of goods especially between the company’s own steelworks in the Grand-Duchy and the Luxembourg participations in the Aachen and Cologne area (Eschweiler Bergwerksverein, Rothe Erde, Felten & Guilleaume). Entire lines
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of production risked coming to a standstill or having to be completely shaken up. Therefore Mayrisch didn’t lose little time in taking personal control of the destiny of his steel works. Instead of continuing to rely on the Belgian trading partner and on cooperation with France, he jettisoned his loyalty towards the victorious powers of 1918 and approached the leaders of the Düsseldorf Rohstahlgemeinschaft directly, with the consequence that the so-called private agreement was concluded. This supply agreement that was extremely advantageous to the subsidiaries of Arbed implied also plenty of political dynamite. It compelled Paris to give up its policy of blockade especially in the Saarland and to grant Luxembourg (that’s to say Mayrisch) a due place in the French-German dialogue that had reached deadlock. This unexpected position as a playmaker came in very useful to the director general. By taking cold-blooded advantage of this, he made his mark on the “Locarno of the steel barons”.
UMSTRITTENES GRENZLAND EUPEN-MALMEDY GEOKULTURELLE UND POLITISCHE BETRACHTUNGEN BEI JOSEF PONTEN UND PETER SCHMITZ PHILIPPE BECK Das heute belgische Gebiet Eupen-Malmedy-Sankt Vith gehört zu jenen umstrittenen Grenzgebieten, die im Laufe der Jahrhunderte infolge politischer Konflikte mehrmals die Staatszugehörigkeit gewechselt haben. Vor Ende des Ancien Regimes teilten sich die Reichsabtei Stavelot-Malmedy, das Kurfürstentum Trier, das Herzogtum Luxemburg und die Grafschaft Limburg das Gebiet. Im Zuge der Französischen Revolution wurden 1795 Eupen, Malmedy und Sankt Vith mit der Bildung des Ourthe-Departements erstmals in einer engerene politischen Entität vereint. Nach dem Fall Napoleons sprach der Wiener Kongress die Kantone 1815 Preußen zu, bis der Versailler Vertrag sie 1920 schließlich Belgien einverleibte. Der erneute Überfall der deutschen Armee auf Belgien im Jahr 1940 hatte die Annexion ans ‚Dritte Reich‘ zur Folge, die mit dem Ende des Krieges wiederrufen wurde. Heute bilden das Eupener und Sankt Vither Land die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) im belgischen Föderalstaat, während das Malmedyer Gebiet Teil der Französischen Gemeinschaft ist. Dieser Beitrag befasst sich ausschließlich mit der Zwischenkriegszeit, die weitgehend durch Diskussionen über die nationale Zugehörigkeit des Gebietes gezeichnet war. Nach einer kurzen Erläuterung der Folgen des Versailler Vertrags für Eupen-Malmedy wird ausführlich auf die Haltungen der Schriftsteller Josef Ponten (1883–1940) und Peter Schmitz (1887–1938) eingegangen, die nicht zuletzt exemplarisch die antagonistischen Pole widerspiegeln, die damals die öffentliche Meinung im Grenzgebiet bestimmten1. Die Analyse von bisher unberücksichtigten Archivalien und zeitgenössischen literarischen Dokumenten legt schließlich die Konstruierbarkeit nationaler Zugehörigkeit offen.
1. Eupen-Malmedy nach dem Versailler Vertrag Um eine gute Integration Eupen-Malmedys im belgischen Staat zu gewährleisten, wurde 1920 ein Übergangsregime eingesetzt, dessen Leitung dem General Herman Baltia2 anvertraut wurde. Den Bestimmungen des Friedensvertrages getreu organisierte er eine äußerst umstrittene Volksbefragung. Alle Studien be1 2
Für eine ausführliche Studie zur ostbelgischen Medienwelt von 1920 bis 1940 s. Heidi Christmann, Presse und gesellschaftliche Kommunikation in Eupen-Malmedy zwischen den beiden Weltkriegen, München 1974. Herman Baltia (1863–1938) wurde 1919 infolge seiner militärischen Erfolge bei Ypern und in Nord-Frankreich zum General-Leutnant ernannt. Seine Mehrsprachigkeit – er war Sohn eines luxemburgischen Generals und einer deutschen Mutter – und seine Erfahrung im belgischen Kongo machten ihn in den Augen der belgischen Regierung zum idealen Gouverneur für Eupen-Malmedy.
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legen, dass das Resultat durch Einflussmanöver sowohl von belgischer als auch von deutscher Seite beeinflusst wurde und die Bevölkerung über den Verbleib in der Heimat verunsichert war. So sprachen sich von 33 726 Stimmberechtigten lediglich 271 gegen den Staatswechsel aus3. Nach fünf Jahren nahm das Übergangsregime ein Ende. Die für Ostbelgien unglücklichen Parlamentswahlen von 1925, das Aufdecken geheimer Rückgabeverhandlungen mit Deutschland über Eupen-Malmedy4 sowie die Eupener Bürgermeisterfrage von 1926–285 waren Ereignisse, die die Errungenschaften der Vorjahre verspielten und den Mühlen der revisionistischen Bewegung frisches Wasser zuführten. Diese setzte sich für eine geheime Volksabstimmung ein und genoss bereits Ende der zwanziger Jahre Unterstützung von deutscher Seite. In diesem Sinne wurden verschiedene ostbelgische Organisationen vom Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) und ab 1933 von NS-Behörden bezuschusst6. Schließlich beauftragte der belgische Staat die Sûreté Publique und die örtliche Gendarmerie mit der Überwachung der ‚pro-deutschen‘ Bewegungen in Ostbelgien7. 1934 wurde sogar ein Entbürgerungsgesetz verabschiedet, das ein Jahr später vier namhaften ‚pro-deutschen‘ Aktivisten die belgische Nationalität entzog und sie des Landes verwies. Bis zum Einmarsch der Wehrmacht am 10. Mai 1940 bestimmten die Spannungen zwischen ‚pro-deutschen‘ und ‚pro-belgischen‘ Polen die Medienwelt sowie das politische, das öffentliche und auch das private Leben. Die Zeitungen waren meist eindeutig ‚pro-deutsch‘8 oder ‚pro-belgisch‘; die Position der Bevölkerung lag oft dazwischen. In diesem Rahmen gibt die Haltung der Schriftsteller Peter Schmitz und Josef Ponten einen Einblick in die oppositionellen Lager.
2. Zwei Schriftsteller aus dem Eupener Land Josef Ponten war zu Kriegsende bereits ein etablierter Schriftsteller, der Thomas Manns Wertschätzung erntete. Bekannt war er für seine bürgerlichen oder historischen Romane und Novellen, für seine Landschaftsbeschreibungen, aber auch 3
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S. hierzu Klaus Pabst, Eupen-Malmedy in der belgischen Regierungs- und Parteienpolitik 1914–1940, in Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 76 (1964), S. 206–515, insbes. S. 279 ff. sowie Heinz Doepgen, Die Abtretung des Gebietes von Eupen-Malmedy an Belgien im Jahre 1920, Bonn 1966, insbes. S. 186. S. hierzu Manfred J. Enssle, Stresemann’s territorial revisionism. Germany, Belgium, and the Eupen-Malmédy question, 1919–1929, Wiesbaden, 1980. S. Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland. Selbst- und Fremdbilder bei Josef Ponten und Peter Schmitz, 1918–1940, Brüssel u. a., 2013 (Comparatism and Society, hg. v. Hubert Roland, Bd. 21), S. 119–121. S. hierzu Martin R. Schärer, Deutsche Annexionspolitik im Westen. Die Wiedereingliederung Eupen-Malmedys im zweiten Weltkrieg, Bern/Frankfurt a. M. 1975, S. 29 ff., Bruno Kartheuser, Die 30er Jahre in Eupen-Malmedy. Ein Einblick in das Netzwerk der reichsdeutschen Subversion, Brüssel/Sankt Vith 2002 sowie Carlo Lejeune, Die Säuberung, Band 1. Ernüchterung, Befreiung, Ungewissheit (1920–1944), Büllingen, 2005. Xavier Rousseau & David Somer, Pour une histoire de la Sûreté de l’Etat en Belgique. Essai autour de 175 années de pénombre, in Marc Cools et alii. (éd.), De Staatsveiligheid. Essays over 175 jaar Veiligheid van de Staat. La Sûreté. Essais sur les 175 ans de la Sûreté de l’Etat, Bruxelles 2005, S. 49–74, hier S. 61. Wobei pro-deutsch nicht unbedingt mit pro-NS gleichzusetzen ist.
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für sein opus magnus Volk auf dem Wege (1933–1942). Dieser Romanzyklus und Pontens ambivalente Haltung im ‚Dritten Reich‘ mögen wohl die Hauptgründe für seinen schwindenden Bekanntheitsgrad nach dem Zweiten Weltkrieg sein. Dennoch tragen zwei Straßen – eine in seinem Geburtsort Raeren, die andere in Aachen – seinen Namen. Erst die jüngere Forschung hat sich mit dem Grenzgang Pontens zur NS-Zeit befasst9. Geboren wurde Ponten 1883 im damals preußischen Raeren. Als die Familie nach Aachen zog, verbrachte er die Wochenenden und Schulferien bei seiner Raerener Großmutter. Die „Landschaft Eupen“, wie der Dichter zu sagen pflegte, nimmt daher in seinem Werk eine besondere Stellung ein und wird in Siebenquellen (1909), seinem zweiten Roman, zum Handlungsschauplatz. Später taucht sie wiederholt in autobiographischen Schriften auf. Aus dem Blickwinkel der Grenzlandproblematik sind seine zu Beginn der zwanziger Jahre geschriebenen RheinAufsätze bemerkenswert, die vom internationalen Versöhnungsgeist der Nachkriegsjahre geprägt sind10. Als Ponten 1920 durch die belgische Armee gezwungen wurde, seine Aachener Wohnung zu räumen, zog er nach München, wo er Freundschaft mit Thomas Mann schloss. Dieser verhalf ihm zur Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie der Künste. Doch durch die krankhafte Geltungssucht Pontens kam es zum Bruch mit dem Nobelpreisträger11 und ab 1933 ließ er sich zunehmend von den Nationalsozialisten vereinnahmen. Die Annexion Eupen-Malmedys an Belgien war für Ponten eindeutig völkerrechtswidrig und er hoffte bis zu seinem Tod auf eine Rückkehr des in seinen Augen „volksdeutschen“ Gebietes nach Deutschland. Der Eupener Journalist und Schriftsteller Peter Schmitz (1887–1938), der vor allem für seinen heute weitgehend vergessenen Antikriegsroman Golgatha (1937)12 Achtung verdient, war wie alle Eupen-Malmedyer bis 1920 deutscher Staatsbürger und hat 1914/18 im kaiserlichen Heer an der Westfront in Nordfrankreich gekämpft. Infolge des Versailler Vertrags wechselt er die Nationalität und hatte schon früh ein nachweislich gutes Verhältnis zu den belgischen Behörden13. Er zählte zu den ersten Mitarbeitern der zweisprachigen Wochenzeitung La Nouvelle Belgique14 und des ab 1927 erscheinenden Grenz-Echos (GE), das bereits
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S. z. B. Gertrude Cepl-Kaufmann, Phönix aus der Asche. Europavisionen Westdeutscher Schriftsteller nach dem Ersten Weltkrieg, in: Peter Delvaux & Jan Papriór (Hg.), Eurovisionen. Vorstellungen von Europa in Literatur und Philosophie, Amsterdam und Atlanta 1996, S. 38– 59; Cristina R. Parau, Über die Genese politisch-legitimierender Sprachcodes. Josef Pontens Liminalität im Feld der nationalsozialistischen Ideologiebildung, Würzburg 2012 (Epistemata Literaturwissenschaft, Bd. 727); Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland. S. Gertrude Cepl-Kaufmann, Phönix aus der Asche; Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland, S. 495–522. S. Hans Wysling, Dichter oder Schriftsteller? Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Josef Ponten 1919–1930, Bern 1988 (Thomas-Mann-Studien, Bd. 8). S. Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland, S. 317–382. Neuauflage des Romans im Donat Verlag: Peter Schmitz, Golgatha. Ein Kriegsroman, Bremen 2013. Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland, S. 236 ff., 243 ff. Die wahrscheinlich von Baltia initiierte Zeitung erschien 1923–1940 wöchentlich. Das offizielle Organ der Liberalen Partei in Eupen-Malmedy wurde von Alfred François Sluse geleitet. Bis Juni 1927 veröffentlichte das Blatt nebst den französischen auch deutsche Artikel. Mit der Gründung des Grenz-Echos (GE) verlor es an Bedeutung.
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im April 1933 wegen seiner entschieden anti-nationalsozialistischen Haltung auf reichsdeutschem Boden verboten wurde. In einigen Artikeln beschreibt er den Werdegang seiner Heimat und stellt dabei dessen unvorteilhafte Entwicklung zur deutschen Zeit sowie die verheißungsvolle Zukunft im belgischen Staat in den Vordergrund. Den hurrapatriotischen „Stiefelleckern“, die sich nach einem militaristischen Deutschland sehnten, galt seine Verachtung. Nicht selten ergriff der aufmerksame Leser der Weltbühne und des Anderen Deutschlands das Wort, um den wiederaufkommenden Militarismus und dessen Übergreifen auf die pro-deutschen Milieus in Ostbelgien anzuprangern.15
3. Geheime Rückgabeverhandlungen und der Vertrag von Locarno Nach dem Ende des Übergangsregimes wurde das noch zerbrechliche Zugehörigkeitsgefühl zum neuen Staat durch das Aufdecken geheimer Rückgabeverhandlungen zwischen Belgien und Deutschland bezüglich Eupen-Malmedy und innerpolitische Missgeschicke erschüttert. Die Stellungnahmen in der ostbelgischen Presse waren gespalten und trugen zu einer Polarisierung in zwei Lager bei, die auch in der Wahlpropaganda der Parteien ihren Niederschlag fand. In diesem Kontext nahmen Josef Ponten und Peter Schmitz aktiv an der öffentlichen Diskussion teil. Um die ‚pro-belgische‘ Position der Liberalen zu untermauern, veröffentlichte Schmitz einen grundlegenden Artikel zur Entwicklung der wirtschaftlichen Lage Eupen-Malmedys, in dem er den Schwerpunkt auf die traditionsreiche und für die Gegend bedeutende Tuchindustrie legte16. Dabei greift der historisch versierte Präsident des Museumsvereins auf das 14. und 15. Jahrhundert zurück, als flämische Weber die Tuchkunst nach Eupen und Verviers brachten. Dass die Tuchindustrie im 17. Jahrhundert, als das Herzogtum Limburg zu den Spanischen Niederlanden gehörte, einen beachtlichen Status eingenommen hatte, weiß Schmitz durch die von Karl II. gewährten Gewerbeerlaubnisse zu belegen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts habe sie bemerkenswerten Wohlstand erreicht, dessen Zeugen die erhalten gebliebenen Patrizierhäuser in Eupen seien. Nach der Französischen Revolution blühte das Geschäft laut Schmitz weiter auf, indem Frankreich als neuer Absatzmarkt gewonnen wurde. Auf seinem Höhepunkt habe das Gewerbe durch die Angliederung an Preußen 1815 einen beachtlichen Rückschlag erlitten, denn die neuen Machthaber hätten den Export nach Frankreich verboten und somit die Tuchindustrie von ihrem bedeutendsten Absatzmarkt abgeschnitten. Preußen hingegen habe keine interessanten Möglichkeiten bieten können, so dass die Tuche hauptsächlich nach Spanien, Italien, Amerika und China geliefert worden seien. Schuld sei die Regierung und die ungünstige geographische Lage gewesen, die Eupen zum „wirtschaftlichen Hinterland der Grossstadt Aachen“ machte. Der Versailler Vertrag mache Eupen nun zur bedeutendsten Stadt „Neubelgiens“. Eine definitive Bilanz für die neue Lage 15 16
Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland, S. 243–310. P.S. [=Peter Schmitz], Eupen einst und jetzt, in: Nouvelle Belgique (=NB), 30.01.1926.
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wagt Schmitz jedoch nicht, auch wenn die Situation in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise zufriedenstellend sei. Andere Quellen weisen der Eupener Tuchindustrie jedoch auch einen Teil Selbstschuld zu. Denn nebst der abseitigen Verkehrslage Eupens innerhalb Preußens, habe die Eupener Tuchindustrie Mitte des 19. Jahrhunderts die Modernisierung verpasst17. Ferner habe sich die Tatsache gerächt, dass sie ihr Hauptabsatzgebiet in der durch zunehmende Unruhen nun entwerteten Levante gesucht hatte, anstatt um eine hegemoniale Marktposition im napoleonischen Frankreich zu kämpfen18. Josef Ponten kommentierte 1925 im Berliner Tageblattden Vertrag von Locarno, indem er die vertragsschließenden Mächte auf „ein zweites Elsaß-Lothringen“ an der Westgrenze Deutschlands aufmerksam machen möchte, das niemals zu Belgien gehört habe19. Wohlwissend, dass die Bestimmungen von Versailles befestigt würden, nimmt er im Namen des ‚Geists von Locarno‘ das „Opfer“ EupenMalmedys auf sich. Die Einleitung zum Artikel weist jedoch auch darauf hin, dass die Annahme des Paktes „keineswegs einen Verzicht auf die Wiedergewinnung Eupens im Wege friedlicher Verhandlungen zu bedeuten“ habe. „Die Möglichkeit, in diplomatischen Verhandlungen sich mit Belgien zu einigen, bleibt nach der Unterzeichnung des Paktes unverändert bestehen.“20 In einer späteren Klarstellung heißt es, der Vertrag von Locarno bedeute nur, dass Deutschland auf Waffengewalt verzichte. Ponten schwört, sich als Schriftsteller und Publizist bis an sein Lebensende für eine Revision der Grenze einzusetzen. Von Überheblichkeit befallen, droht er sogar der belgischen Regierung, ihr sei „das Missgeschick zugestoßen, daß ein deutscher Schriftsteller, der einiges Gehör findet, gerade aus diesem Land stammt, dessen undeutschen Charakter vor der unwissenden Welt nachzuweisen sie sich soviel Mühe gegeben hat“21. Die Nouvelle Belgique reagierte, indem sie sich zunächst über den geschwollenen Stil und Narzissmus des Schriftstellers lustig machte. Der Verfasser des Artikels bezeichnet Ponten als „übermodernen“ und „überspannten“ Dichter22. „Man muss schon ein Anhänger des Kubismus sein, um den Werken Pontens Geschmack abgewinnen zu koennen,“ spottet er in einer Weise, wie auch Kurt Tucholsky damals Ponten verhöhnte. Anschließend verteidigt er die ‚probelgische‘ Haltung seiner Zeitung, die ihm zufolge die des Großteils der Bevölkerung sei: „Nun moege sich Ponten [...] gesagt sein lassen, dass wohl der überwiegend groessere Teil der hiesigen Bevölkerung GAR NICHT MEHR NACH DEUTSCHLAND ZURUECK WILL.“23 Schließlich verweist er auf die historische 17 18 19 20 21 22 23
Ludwig Fettweis, Kritische Gedanken über die Eupener Tuchindustrie, in: Bernhard Willems (Hg.), Jahrbuch Eupen Malmedy St. Vith für Geschichte und Kultur II, Bad-Godesberg 1967, S. 138–141. Zum Kontext s. Martin Henkel & Rolf Taubert, Maschinenstürmer. Ein Kapitel aus der Sozialgeschichte des technischen Fortschritts, Frankfurt. a. M. 1979, S. 45. Dort ausführlichere Erklärungen und weiterführende Literatur. Josef Ponten, Meine Heimat. Das Land Eupen – Zur Beherzigung in Locarno, in: Berliner Tageblatt, 15. Oktober 1925. Auszugsweise auch in Eupener Zeitung (=EZ), 26.10.1925. Ibid., alle H. i. O. Id., Erklärungen Eupen betreffend, in EZ, 30.01.1926. L.D. [Identität des Journalisten unbekannt], An die Adresse des Herrn Josef Ponten, Schriftsteller in Berlin, in NB, 06.02.1926. Ibid., H. i. O.
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Ausführung von Peter Schmitz, um die bedeutungslose Lage Eupens unter deutscher Herrschaft zu belegen. Die Frage nach der „Erlösung“ Eupen-Malmedys deckte letztendlich burleske Züge im politischen Diskurs auf. In Belgien hatte sich der propagandistische Begriff „cantons rédimés“24, woraufhin Ponten den Spieß umdrehte und die Einwohner Eupen-Malmedys als „unerlöste Brüder“ bezeichnete. Für die Nouvelle Belgique war demnach klar: „Die Mehrzahl der hiesigen Einwohnerschaft WILL GAR NICHT ERLOEST SEIN.“25 Die liberale Zeitung spricht sich zwar eindeutig für Belgien aus, doch verwirft sie die Gemeinsamkeiten Eupen-Malmedys mit Deutschland nicht26. Mit dem Nachbarland teile es natürlich Sprache und Kultur; andererseits habe EupenMalmedy schon zur Zeit der Römer zur „Gallia Belgica“ gehört. Betont wird schließlich die Gewilltheit der Bevölkerung, sich in den neuen Staat zu integrieren. Es sollen aber die „völkische Eigenart“ der Einwohner und die wirtschaftliche Umstellung berücksichtigt werden. Einen Monat später wurde auf die klägliche Lage Südtirols – eines anderen umstrittenen Grenzlandes – hingewiesen und dem belgischen Staat Lob ausgesprochen, selbst wenn noch nicht alle Versprechen eingelöst worden seien und die Lage verbessert werden könne27. Schließlich greift die Nouvelle Belgique einen Beitrag der Berliner Illustrierten Zeitung auf, in dem Ostbelgien als „typisch wallonische Landschaft“ dargestellt wird. Der Redakteur nutzt die Gelegenheit, um die Haltung der Grenzbevölkerung folgendermaßen darzustellen: „Zeiten vergehen und die Liebe einer Grenzbevoelkerung zu einer bestimmten Nation wechselt. Vor einem Menschenalter standen die alten Eupener von ihren Sitzen auf und entbloes[s]ten ihr Haupt, wenn der Name ‚Napoleon’ fiel. Ein Grenzvolk wie die Neubelgier hat eben keine Tradition in ihrer nationalen Anhaenglichkeit. Die Sprache des Blutes ist weniger national. Die alteingesessenen Familien koennen unmoeglich rassenrein sein, da es zu natuerlich ist, dass auf einem Tummelplatz fast aller europaeischer Rassen und Nationen, wie ein solcher die neubelgischen Gebiete darstellen, die reine Erhaltung einer bestimmten Rasse unmoeglich ist. Unbedingt stammverwandt sind die Neubelgier mit allen Nachbarn in Osten, Norden, Süden und Westen. Abschliessend kann behauptet werden: Der Eupen Malmedyer hat internationales Blut in den Adern [...].“28
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Das frz. participe passé bzw. Adjektiv hat im weiteren Sinn die Bedeutung von „freikaufen“ und wurde u. a. in Zusammenhang mit Gebieten benutzt, die sich von bestimmten Steuern (z. B. Salz-, Getreide- od. Alkoholsteuern) freigekauft hatten. Das Verb kann aber auch die reliogiöse Bedeutung von „erlösen” haben. S. Le Trésor de la Langue Française Informatisé, Paris 2004 ff. Online: http://atilf.atilf.fr/ (01.08.2013). S. auch die kritischen Bemerkungen in Andreas Fickers, Von der Bewältigung überwältigt? Über Nutzen und Nachteil der Historie für Ostbelgien, in: Spuren in die Zukunft. Anmerkungen zu einem bewegten Jahrhundert, Büllingen 2001, S. 77–85, S. 81. L.D., An die Adresse des Herrn Josef Ponten, H. i. O. Anonym, Gegensätze?, in: NB, 09.01.1926. L.D., Vergleiche, in: NB, 20.02.1926. RENKIN, Eupen-Malmedy, in: NB, 18.09.1926.
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Diese kosmopolitische Sichtweise fasst die Problematik wohl am objektivsten und am weltoffensten zusammen und widerlegt die gängigen nationalistischen Argumente.
4. Die „Heimattreuen“ und die „Unentwegten“ im Land der Freiheit Entspannung der internationalen Konflikte wurde ebenfalls im Grenz-Echo angestrebt29. Von Anfang an bezog das ‚pro-belgische‘ Blatt Stellung und übte scharfe Kritik an den revisionistisch eingestellten Zeitungen und Parteien aus. Mit Argusaugen wurden auch das ‚Deutsche Reich‘, seine Aufrüstung und seine paramilitärischen Organisationen beobachtet, allerdings ohne dass man dem GE eine anti-deutsche Einstellung hätte vorwerfen können. Eindeutig deutschnationalistisch und anti-belgisch jedoch war die Haltung gewisser revisionistischer Zeitungen. In diesem Sinne spottet Anfang 1929 ein anonymer Verfasser: „Nach Ansicht dieser Leute [hier die Eupener Zeitung (EZ) und Der Landbote] muss der „heimattreue Belgier“, wenn er sich der Treue zur Heimat befleißigen will, ein preußischer Hurrapatriot sein. Er muss alles, was von Belgien kommt, verachten und unbesehen verdammen, ganz gleich, ob die Heimat und das neubelgische Volk leidet und zu Grunde geht.“30 Einer bestimmten „Kategorie“ der „Heimattreuen“ wird sogar Völker- und Kriegshetze vorgeworfen. Frühzeitig erkennt das GE die Gefahren der revisionistischen Bewegung in Eupen-Malmedy und Deutschland und schreibt, sie könne eigentlich nur Hassgefühle schüren und zu einem weiteren Krieg führen: „Ausgleich der Gegensätze und Völkerversöhnung müssen dem „Heimattreuen“ verdammenswerte Begriffe sein. Wenn er dann noch seine Unversöhnlichkeit, seinen Haß und seine Rücksichtslosigkeit gegen die elementarsten Belange des neubelgischen Volkes in Wort und Schrift ausposaunt, dann wird er in die Kategorie der „Unentwegten“ aufgenommen. Der „Unentwegte“ ist die Idealgestalt der Heimattreuen im Sinne der beiden genannten Zeitungen [EZ u. Landbote]. Ein solcher darf nicht zurückdenken an das Meer von Blut und Tränen, durch das die europäischen Völker während des Massenwahnsinns, Weltkrieg genannt, waten mussten. Der „Unentwegte“ muß verleumden und lügen, er muß den Haß schüren und das Endziel seiner Wünsche muß ein neuer Krieg sein.“31 Die sogenannten „heimattreuen Zeitungen“ würden in ihrer treu-deutschen Haltung sogar so weit gehen, die durch die Wirtschaftskrise hervorgerufenen Missstände im Rheinland zu verschweigen und ausschließlich die Lage in EupenMalmedy als schlecht hinzustellen. Um dem entgegenzuwirken, führte das Grenz-Echo beredte Beispiele aus westdeutschen Zeitungen an. Auch wenn die-
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S. z. B. Anonym, Schulbücher und Völkerversöhnung, in: GE, 18.01.1928 oder Ham., Locarnogeist?, in: GE, 18.07.1928. Anonym, Heimattreue, in: GE, 12.01.1929. Ibid., H. i. O.
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ses sich für die belgischen Interessen einsetzte, war seine Berichterstattung im hier berücksichtigten Kontext oft objektiver. Ende 1929 zieht Peter Schmitz Bilanz über Zehn Jahre neubelgische Geschichte32. Ausgehend von den Feststellungen, dass die belgische Regierung sich in den letzten Jahren bezüglich der Entwicklungen in Neubelgien sowie der Wirtschaftskrise und deren Einfluss auf das Gebiet „außergewöhnlich zurückhaltend“ verhalten habe, und dass die Frage nach einem Vergleich mit dem hypothetischen Verhalten der deutschen Behörden berechtigt sei, analysiert Schmitz die Entwicklung Eupen-Malmedys im belgischen Staat sowie das Verhalten der Bevölkerung seit der Anwendung des Versailler Vertrags. Er erinnert daran, dass das erste Halbjahr 1920, in dem in Eupen-Malmedy die Volksbefragung durchgeführt wurde, durch starke Unruhen und politische Unsicherheit in Deutschland gekennzeichnet gewesen sei. Im Rheinland hätten sich bedeutende Unabhängigkeitsbestrebungen breit gemacht und Berlin sei zum Schauplatz des Lüttwitz-Kapp-Putschs geworden. Ferner hätten der Generalstreik und der Zusammenbruch der öffentlichen Dienstleistungen verheerende Auswirkungen gehabt. Diese Ereignisse – und nicht etwa irgendwelche „Schikanen“ der belgischen Behörden – seien für die neubelgische Bevölkerung ausschlaggebend gewesen, sich nicht in den Protestlisten einzutragen. Zudem seien „wirklich einschneidende Schikanen gegenüber den Protestlern […] nie bekannt geworden,“ betont Schmitz33. Ein weiteres Argument ergibt sich für Schmitz durch einen Vergleich mit der Geldwechselfrage, die zu ihrer Zeit sehr wohl die neubelgischen Massen bewegt habe. Die Bevölkerung forderte einen besseren Wechselkurs für die inzwischen sehr wertgeminderte deutsche Mark und erlangte durch Protestzüge und einen Generalstreik ihr Ziel. Polemisch bemerkt Schmitz, dass diese Bewegung sich nicht gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags richtete, sondern sich geradezu auf diese Bestimmungen, d. h. die nunmehrige Zugehörigkeit zu Belgien, stützte. Somit erscheine die Zahl von 272 Protestlern34 als geradezu bedeutungslos. Schmitz lobt vor allem die Meinungs- und Pressefreiheit des Königreichs Belgien. Bezeichnend hierfür sei, dass es im Gegensatz zu Deutschland im belgischen Strafgesetzbuch „keinen Paragraphen, der Hochverrat bestraft“ gebe, so dass sogar die anti-belgischen Propagandisten in Eupen-Malmedy nichts zu befürchten hätten. Und gerade diese Freiheit nutze die soeben gegründete Christliche Volkspartei (CVP) aus und gehe sogar so weit, „moralische und finanzielle Unterstützung bei rechtsradikalen Kreisen und Institutionen in Deutschland“ zu suchen, um sich im angeblichen Kampf um die deutsche Sprache und Kultur „heimattreu“ zu geben. Dabei sei die „deutsche Kultur, genau so wenig in Neubelgien wie in der Schweiz bedroht“, betont Schmitz. Alles, was die radikale und aufwieglerische Politik der CVP bisher erreicht habe, sei der Wirtschaft, dem Handel und dem Tourismus in Eupen-Malmedy zu schaden und eine gewisse
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Veritas (= Peter Schmitz), Zehn Jahre neubelgische Geschichte, in: GE, 14.12.1929. Ibid. Richtig: 271, s. z. B. Heinz Doepgen, Die Abtretung des Gebietes von Eupen-Malmedy an Belgien im Jahre 1920, Bonn 1966, insbes. S. 186.
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„Unsicherheit auf allen Gebieten“ geschaffen zu haben. Die Existenz der Rückgabeverhandlungen verneint Schmitz35. Für die Zukunft gibt er sich optimistisch, auch wenn die neubelgischen „Heimattreuen“ an der Befreiungsfeier der zweiten Rheinlandzone teilnahmen oder die Landsmannschaft Eupen-Malmedy-Monschau Kontakte in Berlin habe. In zehn Jahren „werden die Bestrebungen der besagten Volksverhetzer der Vergangenheit angehören.“ Im Allgemeinen erhofft er sich eine besser Verständigung unter den Menschen, denn der „Wille zum Frieden und zur Versöhnung gewinnt immer mehr Anhänger und eine junge Generation wächst heran, die vorurteilsfrei die Dinge nimmt, wie sie in Wirklichkeit sind“ 36. Schmitz’ Analyse der ersten zehn Jahre neubelgischer Geschichte stellt hauptsächlich die Vorteile des Nationalitätenwechsels in den Vordergrund und ist dadurch polemisch gefärbt. Das gilt vor allem für das Verschweigen der belgischen Beeinflussungsmanöver bezüglich der Volksbefragung und die Kritik an der CVP. Diesbezüglich hat ihm die Geschichte allerdings Recht gegeben. Für Schmitz war das anscheinend eindeutige Ergebnis der Volksbefragung auf die unsichere Lage in Deutschland zurückzuführen und als eindeutiger Zuspruch für Belgien zu werten. Doch das Handhaben dieser Befragung stand im Widerspruch mit jeglichen Rechten zur freien Meinungsäußerung, was selbst der belgische sozialistische Politiker Louis de Brouckère seinerzeit ausdrücklich bemerkt hat37. Die historiographischen Studien belegen, dass die neubelgische Bevölkerung tatsächlich durch von Schmitz nicht erwähnte Druckmittel und Einschüchterungsmanöver beeinflusst wurde38. Von deutscher Seite her wurde Klage gegen Belgien in Bezug auf die zweifelhafte Volksbefragung beim Völkerbund eingereicht, jedoch ohne Erfolg39. Dass die liberale belgische Verfassung den „Heimattreuen“ viele Freiheiten ließ, ist nicht abzustreiten. Es ist in der Tat bemerkenswert, wie tolerant sich der belgische Staat gegenüber den sich radikalisierenden ‚pro-deutschen‘ Milieus in Eupen-Malmedy verhalten hat. Tatenlos ist die Regierung jedoch nicht gewesen. Ein erster Zwischenfall stellte die Eupener Bürgermeisterfrage von 1926–28 dar: Der Innenminister weigerte sich, den Kandidaten der Katholischen Partei zu ernennen, weil er dem pro-deutschen Heimatbund angehörte, was bei breiten Teilen der Bevölkerung Unverständnis hervorrief40. Weil sich folglich viele nicht mehr durch die Katholische Partei repräsentiert fühlten, wurde die Christliche Volkspartei (CVP) gegründet, die von deutscher Seite Unterstützung fand. Was Schmitz’ Kritik an der Lokalpolitik der CVP angeht, sei auf die Tatsache hingewiesen, dass er Mitbegründer der Liberalen Bewegung in EupenMalmedy41 war und folglich andere Ideen vertrat. Es muss ebenfalls erwähnt werden, dass die CVP 1929 als großer Sieger aus den Wahlen hervorging und somit zur bedeutendsten Partei in Ostbelgien aufstieg. Schmitz’ Zukunftsaussich-
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Ibid. Ibid. S. Le Peuple, 07.06.1919, S. 1. S. Klaus Pabst, Eupen-Malmedy ..., S. 279ff. oder Heinz Doepgen, Die Abtretung ..., S. 115ff. Eine bittere Pille, in: GE, 15.04.1931. S. Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland, S. 119–121. S. Anonym (Alfred F. Sluse), „Mort de M. P. Schmitz“, in: NB, 19.02.1938.
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ten waren jedoch teilweise visionär, wie aus den folgenden Abschnitten hervorgeht.
5. Zwei antagonistische Lager Die Entwicklung der zwanziger Jahre gebar somit zwei antagonistische Pole. Zu Beginn der dreißiger Jahre ließ eine kurzlebige Entschließung des Reichstags, die die Regierung aufforderte, sich um die Wiedervereinigung Eupen-Malmedys mit Deutschland zu bemühen, neue Hoffnungen in den „heimattreuen“ Kreisen aufkommen42. Auf ein erneutes Verlangen nach einer Revision des Versailler Vertrags seitens der pro-deutschen Presse konterte das GE: „Im übrigen muß nicht der Vertrag von Versailles, sondern die Stellung der unrechthabenden Kreise des deutschen Volkes zu allem Geschehenen, zu den logischen Folgen dieses Geschehens, zum Problem der Völkergemeinschaft revidiert werden!“43 Gemeint waren hiermit der Krieg, seine Ursachen und Folgen, dessen Wiederholung angesichts der Propaganda im Reich und in Ostbelgien eindeutig zu befürchten waren, wie es das GE oft genug wiederholte. Infolge der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, zu dessen Opfern auch die SPD gehörte, entsagten die neubelgischen Sozialistischen ab 1933 allen Ansprüchen auf eine geheime Abstimmung und somit der Hoffnung auf eine Rückkehr nach Deutschland. Für eine solche trat von nun an allein die CVP ein, die zunehmend in den Sog nationalsozialistischer Organisationen geriet. Hitler verschwieg offiziell seine Ansprüche auf Eupen-Malmedy, während seine Politik und Göbbels’ Propaganda-Abteilung eine andere Sprache sprachen. Dank Mitarbeitern wie Peter Schmitz, der für die belgischen und alliierten Nachrichtendienste tätig war44, gelang es dem GE geheime Dokumente zu veröffentlichen, die die wahren Absichten der Nazis offenbarten. Im März 1934 zitierte die Zeitung einen diplomatischen Bericht, der von Berlin aus an einen Nachbarstaat geschickt wurde: „Die Entwicklung in Belgien, unter dem neuen, jungen König [Leopold III.] dürfte zweifellos der Regelung der Frage Eupen-Malmedy günstiger sein [...]. Die deutsche Außenpolitik kann die natürlichen Gegensätze Holland-Belgien in absehbarer Zeit zur Wiedergewinnung Eupen Malmedys wirtschaftlich und politisch ausnützen. Die neue Regierung unter dem neuen König werde sicher dieser Entwicklung keinen dauernden Widerstand leisten können.“45
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Anonym, EN, 26.03.1931; Eine bittere Pille, in: GE, 15.04.1931, H. i. O. Anonym, Noch einmal: Politisches Moratorium, in: GE, 08.08.1931. S. Philippe Beck & Etienne Verhoeyen, Agents secrets à la frontière belgo-allemande. Des Services de Renseignements alliés et allemands entre 1920 et 1940 dans la région d'Eupen, in: Cahiers d'histoire du temps présent = Bijdragen tot de eigentijdse geschiedenis 1 (2009), S. 93– 134. Anonym, Neubelgische Hitler-Träume (von einer geheimen diplomatischen Quelle), in: GE, 02.03.1934.
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Schlussfolgernd verweist das GE auf die in Mein Kampf ausgelegte Ideologie und drückt seine Besorgnis über die Entwicklung in Deutschland und die Untätigkeit des belgischen Verteidigungsministeriums sowie der Eupen-Malmedyer Behörden aus: „Aber Hitlers Jetztpläne stimmen ganz mit seinen Ideen in seinem Glaubensbekenntnis „Mein Kampf“ überein! Seine Propaganda arbeitet ja schon lange in dieser [sic] Richtung. Göbbels Gelder fließen in dieser [sic] Richtung! Aber was sagen der belgische Verteidigungsminister und vor allem die Eupen-Malmedyer dazu.“46 Die belgische Regierung hatte sich in der Tat bisher sehr zurückhaltend gezeigt, obwohl die Geheimdienste sie schon früh über die besorgniserregenden politischen und militärischen Entwicklungen in Deutschland informiert hatte. Schließlich ermöglichte 1934 das Entbürgerungsgesetz die Ausweisung von vier namhaften Mitgliedern der CVP. Die ‚pro-deutschen‘ Zeitungen waren empört und stellten Belgien als unliebsames Vaterland dar. Das GE und Peter Schmitz hingegen begrüßten die Tatsache, dass die belgische Regierung „endlich“ tatkräftig wurde und „dem verbrecherischen Treiben [...] Einhalt“47 gebot. Ferner ließ Schmitz sich die Gelegenheit nicht entgehen, erneut auf die anti-belgische Propaganda der heimattreuen Zeitungen zu reagieren. Die Argumente beider Seiten hatten sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Die eine sprach von der „Vergewaltigung des Selbstbestimmungsrechts der neubelgischen Bevölkerung gelegentlich der Volksbefragung“48 und warf der belgischen Regierung Repressalien vor, während Schmitz beides als „Lüge“ abtat. Ferner kritisierte Schmitz die Käuflichkeit „der anderen Seite“, denn ihr „deutsches Herz“ hätten die „anti-belgischen Führer“ erst entdeckt, als „das Geld des ‚unpolitischen’ V.D.A. in ihre Taschen floß“49. Bezeichnend für die weitgreifende Spaltung und die Vereinnahmung der ‚pro-deutschen‘ Presse durch die NSOrgane war auch Schmitz’ Wortwahl, die allgemein im GE üblich war. So sprach er von der „neubelgischen Hitlerpresse“ und stellte fest, dass sie sich habe „gleichschalten“ lassen50. Bereits einige Monate nach der Machtübernahme und dem Verbot der Zeitung im ‚Dritten Reich‘ häuften sich im GE Meldungen wie Man lese und staune: „Ganz Eupen-Malmedy ist rein nationalsozialistisch“ (11.07.1933), Hitlertrabanten in Eupen-Malmedy (26.-27.08.1933) oder Wann Gleichschaltung Eupen-Malmedy? (07.09.1933).
6. Eupen-Malmedy in Josef Pontens Werken: „Aus verlorenem Westland“ Schon als Student träumte Ponten davon, den Eupener Raum literarisch darzustellen. Mit seinem zweiten Roman, Siebenquellen (1909), der den Aachener Stadt46 47 48 49 50
Ibid., H. i. O. Veritas (= Peter Schmitz), Zu einem Gesetz, in: GE, 31.07.1934, H. i. O. Ibid. Ibid., H. i. O. Ibid.
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teil Seffent sowie ein an Raeren erinnerndes Töpferdorf als Handlungsorte hat, verwirklichte er sein Projekt. In diesem „Landschaftsroman“, wie der Untertitel lautet, wird das ländliche Leben mit seinen Schützenfesten, dem sonntäglichen Kirchgang und den bukolischen Viehweiden beschrieben. Bereits hier greift Ponten das in seinen späteren Werken eine große Rolle spielende Thema der Wanderschaft auf. 1926 erschien eine Neuauflage von Siebenquellen und in den folgenden Jahren wurden verschiedene dem Buch entnommene Auszüge, die vornehmlich das ländliche Leben im Eupener Raum darstellen, veröffentlicht. Diese Neuauflage mag in erster Linie dadurch motiviert gewesen sein, dass Ponten mittlerweile den kommerziellen Durchbruch erreicht hatte und diesen Aufschwung nicht ungenutzt lassen wollte. Man kann aber auch die Frage stellen, ob es sich nicht um einen Versuch handelte, auf subtile Weise die Deutschheit des Gebietes beweisen zu wollen. Zumal enthielt die neue Ausgabe eingangs ein Selbstbildnis, in dem er darauf hinweist, dass er aus dem „heutigen Zwangsbelgien“51, „aus einem, wie es neueste politische Geschichtsnotzucht im Dienste der Eroberung durch Verträge will, angeblich undeutschen Lande“52 stammt. An selbiger Stelle verbreitet Ponten ‚völkisches‘ Gedankengut, wodurch seine Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten praktisch vorprogrammiert war, jedoch distanziert er sich gleichzeitig von jeglicher Form von Nationalismus: „Man kann gar nicht anders als aus seinem Volke fühlen. Ohne Volk sein, schlägt um in: ohne Karakter sein. [...] Wir waren, bevor wir waren, und werden sein, wenn wir nicht mehr sind – im Volke. – Spreche ich für Nationalismus? Meinem Herzen liegt Pazifismus näher.“53 Dass Ponten den Kampf um eine erneute Grenzänderung zugunsten Deutschlands nicht aufgab, belegt der Beitrag Aus meiner Kindheit im Eupener Lande, den er in verschiedenen Zeitungen54 sowie als eigenständiges Kapitel seinem Europäischen Reisebuch (1928) veröffentlichte55. In seinen Kindheitserinnerungen hebt er unter anderem die Spuren germanischen Kulturguts in Raeren hervor. Dazu gehören die Schützenfeste sowie die Burgen mit ihren Wassergräben: „Ich nehme an, es sind die alten festen Sitze, welche die germanischen Ankömmlinge, als sie über den Rhein hergebraust waren, inmitten der wohl keltischen besiegten Urbevölkerung des Landes einnahmen.“56 Hier wird nationalistisches Deutschtum auf anachronistsische Weise in die unmittelbare Nähe mittelalterlichen Germanentums gebracht, um deutsche Überlegenheit zu betonen. Schlussfolgernd schreibt Ponten: „Und dieses deutsche Land, das so selbstverständlich deutsch war, dass es uns nie in den Sinn gekommen wäre, seine Deutscheit beweisen zu wollen 51 52 53 54 55 56
Id. , Selbstbildnis, in: Id., Siebenquellen, Berlin 1926, S. 9–25, hier S. 14. Ibid., S. 20. Ibid., S. 21f. Z. B. Kindheit im Eupener Land, in: Berliner Tageblatt, Ausgabe für Berlin, Nr. 391, So, 19.08.1928. Josef Ponten, Aus meiner Kindheit im Eupener Lande, in: Europäisches Reisebuch. Landschaften, Räume, Menschen, Mit 20 Bildtafeln nach eigenen Aufnahmen des Verfassers, Bremen 1928 (=ERB), S. 199–212. ERB, S. 211.
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und in dem wir außer etwa einem über die Grenze kommenden belgischen Viehhändler nie einen Belgier sahen, wurde als angeblich undeutsch im Versailler Frieden zu Belgien geschlagen. Aber das letzte Wort in Sachen Eupen ist noch nicht gesprochen…“57 Genau diese Darstellung findet man in dem 1934 veröffentlichten Sammelband Landschaft, Liebe, Leben wieder – allerdings mit ein paar kleineren Änderungen. In der Einleitung fügte er nun hinzu, dass er in der „Landschaft Eupen in Zwangsbelgien geboren“58 wurde. Und wenn im Europäischen Reisebuch noch drei Auslassungspunkte den Artikel beendeten, so wurden diese hier durch einen definitiven Schlusspunkt ersetzt, als ob Pontens Hoffnungen auf eine erneute Grenzänderung durch den Machtwechsel in Deutschland erhärtet worden wären. Im gleichen Buch hob er die Zufälligkeit der politischen Grenzen zwischen den mittelalterlichen Herzogtümern seiner Heimatgegend zwischen Rhein und Maas hervor, während Peter Schmitz seine Kurzgeschichten in der Zeit des Ancien Regimes spielen ließ (wahrscheinlich um die Gemeinsamkeiten EupenMalmedys mit dem belgischen Gebiet zu betonen). Schließlich stellte Ponten eine Verbindung zwischen Blut und Boden her, indem er in Zusammenhang mit seiner Ahnenforschung einen „auf die lange Dauer unbezweifelbar wirksamen Einflusses eines Bodens auf Menschengeschlechter“59 postuliert. Doch hielt Ponten stets eine gewisse Distanz zur triefend-nationalistischen Blubo-Literatur, auch wenn seine frühe Mitarbeit an der Zeitschrift Der Türmer seine Vorliebe für ‚völkische‘ Dichtung belegt.60 Ein solches Verhalten erscheint vor allem aus heutiger Sicht widersprüchlich, doch waren solche Gratwanderungen für die damalige Zeit nichts Ungewöhnliches61. Kurt Tucholsky gehörte zu jenen, die Pontens Stil, seine Ambitionen und seine Argumentation bezüglich Eupen-Malmedy bespotteten. Anlässlich der Diskussion über einen Literaturpreis des Völkerbundes hatte Ponten in der Zeitschrift Pologne Littéraire zwar die Grundidee begrüßt, jedoch die französische Vormachtstellung kritisiert und seine Bedenken hinsichtlich der Objektivität einer Kommission für diesen Preis geäußert62. Tucholsky, der sich in derselben Zeitung als Gegner jeglicher Literaturpreise zu Wort meldete, ließ es sich nicht nehmen, den geltungssüchtigen Dichter kurz darauf in der Weltbühne ausgiebig zu zitieren und zu kommentieren: „Denken Sie sich zum Beispiel, mir, dem aus dem heutigen Zwangsbelgien stammenden Romandichter, gelänge ein hochwertiges Werk“ – das ist nicht 57 58 59 60 61
62
ERB, S. 212. Josef Ponten, Aus meiner Kindheit im Eupener Lande, in: Landschaft, Liebe, Leben. Novellen, Berlin 1934, S. 27–40, hier S. 27. Herv. PB. Id., Von des eigenen Lebens Unter- und Hintergrund, in: Landschaft, Liebe, Leben, S. 6–25, hier S. 10. Die Redaktion des Türmers an Josef Ponten, Briefe vom 12.10.1939 und 14.03.1940, Nachlass Josef Ponten, Stadtbibliothek Aachen (=JPAC), A.8.8b. Briefe an JP/Verleger. S. Manfred Gangl & Gérard Raulet (Hg.), Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Frankfurt a. M. u. a. 2007 (= Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik, hg. v. Wolfgang Bialas & Gérard Raulet, Bd. 10). S. Une initiative du P.E.N. Club polonais. Le prix littéraire de la Société des Nations. Enquête de la „Pologne Littéraire“, in: Pologne Littéraire, 15. Oktober 1931, Nr. 61, S. 1.
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auszudenken –, „in dem ich die unüberwindliche Sehnsucht der Menschen einer Landschaft, zu ihrem Volke zu gehören, ihr in den Sternen geschriebenes Recht darauf, hinreißend und preiswürdig schilderte, was ganz gewiß einen ‚seelischen und geistigen Fortschritt‘ enthielte, und der Roman spielte in meiner Heimat Eupen, glauben Sie denn wirklich, dass der Völkerbund“ – Momang, der Satz ist noch lange nicht zu Ende –, „dass der Völkerbund, in dem von der Führung heute noch an der ‚Unabänderlichkeit der Verträge‘ festgehalten wird, ein solches Werk krönen würde, auch wenn ich Hamsun hieße“ – heißt du aber nicht – „und sich das eingereichte Werk zum nächsten in Wettbewerb tretenden verhielte wie ...“ Ach, Kinder, gehn wir derweil frühstücken, bis der mit seinem Satz fertig ist! [...] Man denke sich, Eupen und Malmédy [sic] seien Deutschland zugesprochen worden. Und nach zehn Jahren käme Belgien und wollte das Land wiederhaben. Man stelle sich das Geschrei Pontens vor, der dann sicher auf die Unabänderlichkeit der Verträge pochte – welch ein Logiker!“63 1933 erklärte der Wahlmünchener sich bereit, unter den neuen politischen Verhältnissen Mitglied der Akademie der Künste zu bleiben und stellte gelegentlich dem Völkischen Beobachter – dessen Schriftleiter von 1923 bis 1938 Alfred Rosenberg war – Artikel zur Verfügung64. Auch das Deutsche Auslandsinstitut (DAI) interessierte sich zu diesem Zeitpunkt für Ponten. Wegen seiner Verdienste für den „volksdeutschen Gedanken“ wollte der Präsident Karl Strölin ihn als engen Mitarbeiter des Kulturrates gewinnen. Vor allem ging es ihm dabei um die Förderung der „grenz- und auslanddeutschen Belange“65, wozu natürlich auch das Gebiet Eupen-Malmedy gehörte. Der Feldpostausgabe Aus dem Eupener Land. Bilder und Geschichten (1936)66 – eine Auswahl aus Siebenquellen – kann man ebenfalls propagandistische Zwecke nicht ganz absprechen. Denn diese Art Edition war für die Soldaten67 bestimmt und diente dazu, das Lespublikum anhand anscheinend harmloser Beschreibungen, wie hier „Sommernachmittag“, „Schützenfest“ oder „Auf der Weide“, von der Deutschheit Eupen-Malmedys zu überzeugen. Dies gehörte zu den subversiven Aktionen von Göbbels’ Instanzen, um die sogenannte Heimkehr EupenMalmedys ins Reich populär zu machen. Als Ponten 1938 an einer Umschreibung von Siebenquellen arbeitete, bat ihn sein Verleger Julius Beltz mit einem Verweis auf die Politik Hitlers, den ausdrücklichen Anspruch auf Eupen-Malmedy zu unterlassen und den – im Brief nicht erwähnten – neuen Titel umzuändern: „Ich glaube wir können ihn wohl nicht mehr beibehalten; denn in der jetzigen Wendung steckt schließlich doch ein Anspruch auf Wiedergewinnung des 63 64 65 66 67
Ignaz Wrobel [= Kurt Tucholsky], Die deutschen Kleinstädter, in: Die Weltbühne, 23.02.1932, Nr. 8, S. 289. Brief vom Völkischen Beobachter an JP, 17.05.1933, JPAC, A.8.8b. Briefe an JP/Verleger. Brief von DAI, gez. Dr. Strölin an JP, 19.03.1934, JPAC, A.6.26. NSDAP. Josef Ponten, Aus dem Eupener Land. Bilder und Geschichten, Feldpostausgabe, Leipzig 1936 (= Lebendiges Wort, Bd. 19). S. http://www.feldpost-archiv.de/feldpost-d.html (10.09.2008).
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verlorenen Westlandes. Nach der endgültigen Erklärung des Führers haben aber alle solche Ansprüche zu unterbleiben.“68 Ein Jahr später wurde das Buch dennoch unter dem Titel Aus verlorenem Westland69 auf den Markt gebracht.70 Nach der Gleichschaltung – und vor allem nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Eupen-Malmedy am 10. Mai 1940 – häuften sich Auszüge aus Siebenquellen in den Zeitungen71. Allerdings war Ponten am 3. April 1940 gestorben, doch hätte er wohl keinerlei Einwände gegen die Publikation dieser Artikel gehabt. In den Jahren vor seinem Tod hielt er regelmäßig Vorträge in Österreich, Polen und der Tschechoslowakei, hatte dort zahlreiche Rundfunkauftritte und nahm am „Ersten großdeutschen Dichtertreffen“ in Weimar teil. Ferner stellte er dem SS-Leitheft, das der weltanschaulichen Schulung der SS und Polizei diente, einen Beitrag zur Verfügung72 und versprach dem Bund Deutscher Mädchen einen Vortrag73. Am 18. Mai wurde Eupen-Malmedy durch den „Heim-ins-Reich“-Erlass ans ‚Dritte Reich‘ angliedert. Wie zahlreiche andere Reichsdeutsche Zeitungen zelebrierte das Münchener Abendblatt die „Rückgliederung dieser seit über 1000 Jahren kerndeutscher Gebiete“74. Das Abendblatt erläuterte das durch den „Schandvertrag von Versailles“ erlittene Unrecht, kritisierte die Volksbefragung und zitierte Josef Pontens bereits angeführte Aussage: „Unser Land war so selbstverständlich deutsch, dass es uns nie in den Sinn gekommen wäre, seine Deutscheit beweisen zu wollen.“ Einst von Ponten geschilderte landschaftliche Begebenheiten Ostbelgiens – „die Wasserburgen, die ginsterbestandene Hochfläche des Venns, seine Kapelle am Wegrand, [...]“ – wurden nun explizit als Belege für den „deutschen Charakter“ Eupen-Malmedys angeführt. Auch die Monatszeitung Rheinland in Wort und Bild interessierte sich für Pontens Aufsatz Kindheit aus dem Eupener Land, der im Mai 1940 von den Münchener Neuesten Nachrichten infolge des Einmarschs der deutschen Truppen wieder veröffentlicht worden war. Die Zeitung widmete ihre ganze Juni-Ausgabe EupenMalmedy und wollte ebenfalls Pontens Beitrag abdrucken, in dem er von dem nun ehemaligen „Zwangsbelgien“ spricht75. Die Redaktion kam aber zu spät in Kontakt mit Pontens Witwe, um eine Veröffentlichung in der gewünschten 68 69 70
71
72 73 74 75
Brief von Julius Beltz an Josef Ponten, 08.10.1938, JPAC, A.8.8b. Briefe an JP/Verleger. Aus verlorenem Westland. Schauplätze und Vorgänge im Landschaftsroman Siebenquellen, Langensalza 1939 (Aus deutschem Schrifttum und deutscher Kultur, Bd. 561). Damit knüpfte Ponten ideologisch an die sog. Westforschung an (s. hierzu Burkhard Dietz, Helmut Gabel & Ulrich Tiedau (Hg.), Griff nach dem Westen: die Westforschung der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum, 1919–1960, Münster 2003). Z. B. Aus meiner Kindheit im Eupener Lande, in: Aachener Leben, Nr. 6, Kurzeitung Nr. 41, 04.02.1934; Winter in Eupen, in: Kölnische Zeitung. Stadt-Anzeiger, Abend-Ausgabe, Nr. 18, 10.01.1939; Eupen-Malmedy wieder im Reich, in: Münchener Abendblatt, 2. Ausg., Nr. 117, 20.05.1940. Lediglich durch den Kriegsausbruch und damit einhergehenden organisatorischen Gründen wurde er nicht veröffentlicht. SS-Hauptamt an Josef Ponten, Brief vom 09.11.1939, JPAC, A.8.8b. Briefe an JP/Verleger. JPAC, A.6.26. Briefe an JP/NSDAP. Eupen-Malmedy wieder im Reich, in: Münchener Abendblatt, 2.Ausg., Nr. 117, 20.05.1940, JPAC, K. Zeitungssausschnitte. Brief der Redaktion Rheinland in Wort und Bild an JP, 23.05.1940, JPAC, A.8.8b. Briefe an JP/Verleger.
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Nummer berücksichtigen zu können76. Dennoch zitierte sie Ponten mehrmals in dem Artikel mit den bekannt klingenden Titelworten „So selbstverständlich deutsch...“77. Zu den Mitarbeitern an dieser Ausgabe gehörten ebenfalls Josef Grohé, der Leiter des Gaus Köln-Aachen, sowie der bekannte Irridentist Joseph Dehottay, der 1935 infolge der Anwendung des Ausbürgerungsgesetzes aus Belgien ausgewiesen worden war.
7. Schlussfolgerungen Die antinomischen Stellungnahmen der Schriftsteller Peter Schmitz und Josef Ponten spiegeln die Umstrittenheit des Grenzlandes Eupen-Malmedy zwischen den beiden Weltkriegen wider. In der Tat gab es für beide Seiten Argumente in der Form von nationalistisch-historischen Begründungen, die als Konstrukte ideologisch eingesetzt wurden. Sie konnten somit sowohl für die nationale Zugehörigkeit Eupen-Malmedys zu Deutschland wie auch zu Belgien gefunden werden. Der Ablauf der von Belgien organisierten Volksbefragung war eindeutig umstritten, doch erwies sich die belgische Zugehörigkeit für die Bevölkerung letztendlich als vorteilhafter, vor allem in Anbetracht der Inflation, der Wirtschaftskrise und der beängstigenden politischen Entwicklung in Deutschland. Die ausgeprägte pro-belgische Einstellung Schmitz’ unmittelbar nach Anwendung des Versailler Vertrags mag überraschen und als opportunistisch gedeutet werden. Jedoch ist sie eher als Folge der Desillusion des Kriegserlebnisses zu verstehen. Ohne eine anti-deutsche Haltung einzunehmen, erkannte Schmitz die wirtschaftlichen und politischen Vorteile für Eupen-Malmedy in Belgien. Auch die politische Neutralität des Landes mag kein unbedeutendes Argument für den überzeugten Antimilitaristen gewesen sein. Sie entsprach genau der Haltung des Journalisten und Geheimagenten, der das Wiederaufrüsten des deutschen Reiches mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfte. Josef Ponten war von der konstitutiven Natur- und Landschaftsverbundenheit des deutsch-nationalistischen Diskurses aus dem auslaufenden 19. Jahrhundert beeinflusst. So ist seine Argumentation in Bezug auf Eupen-Malmedy keineswegs überraschend. Sein stärkstes Argument, das auch dasjenige aller ‚prodeutsch‘ eingestellten Neubelgier war, stellte das Verletzen des soeben verabschiedeten Selbstbestimmungsrechts der Völker dar. Im ‚Dritten Reich‘ wagte er einen Grenzgang, der in seinen Werken und seinem Verhalten Ausdruck fand78, doch seine angeführten regionalistischen Veröffentlichungen, sein Romanzyklus Volk auf dem Wege sowie historische Quellen können ihn nicht von einem gewissen intellektuellen Mitwirken an der bisweilen sehr subtilen NaziPropagandaarbeit freisprechen.
76 77 78
Brief der Redaktion Rheinland in Wort und Bild an JP, 18.06.1940, JPAC, A.8.8b. Briefe an JP/Verleger. Ludwig Mathar, „So selbstverständlich deutsch...“, in: Rheinland in Wort und Bild 6 (1940), S. 4–6. S. Cristina R. Parau, Über die Genese politisch-legitimierender Sprachcodes, sowie Philippe Beck, Umstrittenes Grenzland, S. 421–590.
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RÉSUMÉ Le territoire d’Eupen-Malmedy fait partie des régions frontalières controversées qui, suite à des conflits politiques, ont changé de nationalité à plusieurs reprises au courant des derniers siècles. Après vingt ans de règne français, le Congrès de Vienne attribua ce pays en 1815 à la Prusse jusqu’à ce que le Traité de Versaille décide de l’incorporer au territoire belge. Après l’invasion allemande en 1940, Eupen-Malmedy fut rapidement annexé au « Troisième Reich » et redevint belge à l’issu de la guerre. Cette contribution est conscarée à la période de l’entre-deuxguerres, qui fut marquée par des controverses concernant l’affiliation nationale d’Eupen-Malmedy. Un bref rappel des conséquences du Traité de Versailles pour ledit territoire donnera le cadre, qui sera suivi par une analyse des positions des écrivains Josef Ponten (1883–1940) et Peter Schmitz (1887–1938), représentant les pôles antagonistes ayant marqués l’opinion publique de l’époque. Sur base de pièces d’archives inédites et de textes contemporains, ces exemples démontrent l’interprétabilité des faits historiques et sociologiques à des fins nationalistes.
SUMMARY The territory of Eupen-Malmedy is one of those debated border regions that, as a result of political conflicts, has changed allegiance on numerous occasions since the beginning of the early modern period. After twenty years of French rule, the Congress of Vienna in 1815 decided to assign the region to Prussia, until the Versailles Treaty awarded the area to Belgium. As German troops entered the neutral country once more in 1940, Eupen-Malmedy was annexed to the ”Third Reich”, only to return to Belgium five years later. This paper focuses on the interwar period, when the national affiliation of the territory was thouroughly discussed. A brief recall of the consequences of the Versailles Treaty for EupenMalmedy will be followed by a thorough analysis of the stances of writers Josef Ponten (1883–1940) and Peter Schmitz (1887–1938), based on so far undetected archive material and contemporary writings. Both writers’ positions epitomize the antagonistic polarities of opinion which tore apart the region during the aforementioned period and show how historical and sociological facts can be interpreted either way to “”prove”“ national affiliation.
Partie 4
GRENZREGIONEN IM DREIECK BENELUX-F-D IM ZEICHEN DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION
LES REGIONS FRONTALIERES DU PERIMETRE BENELUX, ALLEMAGNE, FRANCE DANS LE CONTEXTE DE L’INTEGRATION EUROPEENNE
SYLVAIN SCHIRMANN Il semble évident de lier le processus de la construction européenne et celui de la coopération transfrontalière, surtout dans l’espace étudié par ce colloque. Il est d’abord tentant de noter que chronologiquement les deux processus sont concomitants. Dès les années cinquante, c’est-à-dire dès l’amorce de la concrétisation des projets européens, des coopérations informelles se développent entre les acteurs des espaces frontaliers des marges orientales de la France. C’est le cas, par exemple entre industriels lorrains et sarrois dans le cadre des chambres de commerce, une coopération certes encouragée par le statut de la Sarre, mais qui n’en continue pas moins après le retour de la Sarre à la RFA. Remonter aux origines de la coopération transfrontalière, c’est non seulement s’intéresser à cette période des initiatives isolées, mais c’est probablement aussi une invitation à regarder plus en arrière encore, tant des périodes comme celle de l’entre-deux-guerres livrent elles aussi leur lot d’initiatives intéressantes, annonçant des tentatives plus récentes. Un exemple: qui se souvient encore que c’est en 1935, qu’un bureau des échanges économiques franco-allemands voit le jour à Sarreguemines, sous l’impulsion du maire d’alors, Henri Nominé et d’industriels mosellans et sarrois, avec l’objectif premier de maintenir les courants économiques et les flux de personnes entre la Sarre et son arrière-pays français. Un catalogue relativement précis des réalisations à entreprendre a été élaboré alors. Avec l’espoir également que cette initiative serve la paix. Des ingrédients de futures formes de coopération se retrouvent déjà dans ce projet, qui n’est pas isolé, loin s’en faut. Si de nombreuses initiatives, plus anciennes qu’on ne le pense probablement, peuvent avoir servi de matrice à cette coopération transfrontalière, il est certain aussi que depuis l’amorce du processus de la construction européenne, la chronologie, les rythmes sont plus faciles à cerner. A la phase d’initiatives individuelles, succède la phase d’institutionnalisation. Celle-ci débute peu ou prou à la fin des années soixante. Avec elle apparaissent des acteurs variés, aux motivations diversifiées et complexes, bons témoins de la complexité des architectures institutionnelles des pays de la CEE. La coopération transfrontalière est d’abord affaire d’Etat, faut-il le rappeler. Surtout lorsqu’on est en présence d’Etats centralisés, comme le sont la France et le Grand Duché de Luxembourg. Il faut souvent un accord entre Etats pour l’initier, comme l’accord de Bonn en 1975 entre la RFA, la France et la Suisse pour créer le cadre de la coopération transfrontalière dans le Rhin supérieur par exemple. Elle reste également une affaire d’Etat dans les pays plus décentralisés, car – faut-il le rappeler – les compétences de l’Etat fédéral couvrent ce qui a trait à la frontière et aux relations avec l’étranger. Ces accords cadres ratifiés, la coopération met alors en jeu de nombreux acteurs institutionnels moins souverains: Länder, Communautés, Régions, départements. Une deuxième étape importante a été le vote de la loi française de décentralisation, avec l’apparition de la région ayant à sa tête un exécutif élu. Elle permet aux
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collectivités locales et régionales françaises de devenir des acteurs incontournables de la coopération. Elle permet aux Länder, par exemple, de trouver en face d’eux un partenaire français plus indépendant. En 1991, INTERREG ramène la CEE, puis l’UE dans ce périmètre, avec bien évidemment cette idée que la coopération transfrontalière peut être un vecteur d’Europe et d’européanisation. Apparaît ainsi un enchaînement partant des initiatives d’acteurs individuels: acteurs socio-économiques, parfois responsables politiques, voire du monde sportif et culturel. Le besoin de coopération est dans un second temps pris en charge par les Etats: accords cadres, programmes. Puis c’est au tour des acteurs régionaux concernés de prendre à leur compte le dispositif avant que l’Europe ne lui confère une perspective intégrative d’Euro-région. Ce schéma mérite d’être nuancé avec des approches au cas par cas, car les acteurs ne jouent pas la même partition d’une région à l’autre. Dans le périmètre Saar-Lor-Lux, par exemple, les acteurs socio-économiques restent prédominants. En 1976, par exemple, les organisations syndicales créèrent le premier conseil syndical interrégional, dont l’objectif initial était d’accéder aux aides régionales pour peser sur la restructuration économique de cette région affectée par la crise. L’expérience, avec des hauts et des bas, fut à l’origine de la création des CSI (plus d’une quarantaine aujourd’hui). Le second mettra dix ans à émerger dans l’espace: l’Interrégionale syndicale des Trois régions (Belgique, France, Luxembourg) en 1987. Cette initiative est à l’origine dès le début des années 1980 d’un euro-guichet social, qui conduit aux EURES transfrontalières. Le CSI peut s’appuyer sur des structures d’études (type COREF), participer à la mise en place d’un Conseil économique et social de la Grande Région. En Alsace, l’initiative est plus le fait d’instances et d’hommes politiques. Montent en puissance de nombreux acteurs régionaux, conduisant à un imbroglio administratif: Trirhena, Rhin supérieur, Arbeitsgemeinschaft du Mittlerer Oberrhein, Regio, Communauté d’intérêts économiques de la moyenne Alsace-Brisgau. Et la liste est loin d’être complète! La multiplicité des acteurs, des structures est source de rivalités: entre l’Etat et la région Alsace, à partir de 1982; ou encore entre les Länder et le Mittlerer Oberrhein ou la Regio-Freiburg. Derrière ces rivalités institutionnelles, il y a parfois des enjeux plus complexes. La montée en puissance de la Région Alsace en 1982 est aussi liée à la présence de la Gauche au pouvoir en France, l’Alsace restant à droite. La création d’une nouvelle structure, celle de la conférence des maires en 1990 reflète des caractéristiques similaires: les grandes villes de l’espace régional sont à gauche (Strasbourg, Mulhouse, Sélestat, Freiburg…). Elles supportent difficilement la mainmise d’une région ancrée à droite sur leur politique transfrontalière. Il y a même des querelles d’hommes: à titre d’exemple, les rivalités entre Scharping, Spaeth et Schäuble, côté allemand. Ce dernier élément permet de mentionner un autre écueil de la coopération dans l’espace concerné: la différence de poids politique entre des acteurs régionaux allemands (et dans une moindre mesure luxembourgeois), souvent hommes politiques nationaux de premier plan, voire très engagés à l’échelon européen, et les acteurs régionaux français de moindre plan, à de rares exceptions. On peut compléter le tableau allemand, en ajoutant: Lafontaine, Peter Müller, H. Kohl… alors que côté français, on peut à peine relever A. Zeller, Rausch, ou éventuellement Rossinot ou Longuet. Mais leur carrière ministérielle fut courte et leur poids politique national moindre.
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Malgré ces handicaps, il faut relever que la multiplicité des acteurs, la grande juxtaposition des structures n’a en rien entamé leur volontarisme (la coopération n’est pas en soi évidente). Les avancées (car il faut saisir les occasions favorables) sont réelles, favorisées également par l’absence de modèle préétabli de coopération. Elle permet même aux cantons suisses une ouverture sur l’Union européenne, surtout depuis Maastricht en 1992. Les acquis sont réels, notamment pour les régions françaises, dont le rôle se renforce progressivement. Les questions abordées sont de plusieurs ordres: culturelles certes, mais également économiques et de plus en plus environnementales, éducatives. L’aménagement du territoire est également un axe central: en témoignent par exemple Saar-Lor-Lux, Grande région, Metropol Oberrhein…. Restent deux questions: La première porte sur le sens de la coopération transfrontalière. Peut-on réellement dépasser la frontière? Ou ne la déplace-t-on pas simplement? N’est-ce qu’un aspect de relations pacifiées que les Etats européens ont su mettre en place après les conflits de la première moitié du XXe siècle? En mettant en place ces coopérations dans des régions affectées traditionnellement par ces conflits? Autrement dit quel est l’enjeu idéologique de la coopération transfrontalière entre « ces chers voisins »? Deuxième question: dans les espaces qui seront présentés, peut-on parler d’une authentique identité transfrontalière? Si oui, quelles en sont les composantes dans les « euro-régions » évoquées? Comment s’articulent-elles par rapport à l’échelon national? Régional? Et européen? Si cette identité est limitée, comment la renforcer? Comment la construire? (voir à ce sujet la construction du fait national)… L’émergence de cette coopération prouve en tout cas, comme elle est parallèle à l’intégration européenne, que les identités sont complexes et plurielles. Si la coopération transfrontalière peut compter sur les moyens de l’Union (cf. exposé 1), les deux interventions suivantes s’intéressent aux forces endogènes, aux expériences régionales qui stimuleraient l’émergence ou non d’une identité transfrontalière.1
1
Pour alimenter les réflexions contenues dans cette introduction à la partie 4, on peut se référer à: BITSCH Marie-Thérèse (dir.), Le fait régional et la construction européenne, Bruxelles, Bruylant, 2003. DUMOULIN Michel, « La réflexion sur les espaces régionaux en Europe à l’aube des années trente », in SCHIRMANN Sylvain (dir.), Organisations internationales et architectures européennes (1929–1939), Metz, Publications du CRHCEO, 2003, pp; 17–33. WASSENBERG Birte, Vers une euro région? La coopération transfrontalière franco-germanosuisse dans l’espace du Rhin supérieur de 1975 à 2000, Bruxelles, Peter Lang, 2007. SCHIRMANN Sylvain, « Le Conseil syndical interrégional Saar-Lor-Lux: un coin d’Europe en marche? », in DUMOULIN Michel (dir.), Réseaux économiques et construction européenne, Bruxelles, Peter Lang, 2004, pp. 317–330. WASSENBERG Birte/ BECK Joachim (dir.), Vivre et penser la coopération transfrontalière (vol. 4): les régions sensibles, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2011.
L’IMPACT DU PROGRAMME INTERREG SUR LA COOPERATION TRANSFRONTALIERE DANS L’ESPACE DU RHIN SUPERIEUR (1989–2008) BIRTE WASSENBERG « L’initiative Interreg joue un rôle primordial dans l’apport d’une plus-value à l’idée européenne »1, – telle est l’opinion de Monika Wulf-Mathis, commissaire européenne pour la politique régionale, en 1996. Pour la Commission européenne, cette plus-value se situe, prioritairement au niveau économique. En effet, au début des années 1990, l’initiative Interreg est introduite par la Commission pour stimuler une dynamique économique dans les régions transfrontalières, afin que ces dernières puissent contribuer à la réalisation du marché unique. Pour les régions concernées, elle permet la réalisation de projets transfrontaliers avec un cofinancement communautaire à hauteur de 50%. Après un projet pilote en 1989, trois générations de programmes ont vu le jour: Interreg I de 1991 à 1995, Interreg II de 1996 à 2000 et Interreg III de 2000 à 2006. En 2007, lors de la réforme de la politique régionale européenne, l’initiative Interreg disparaît au profit d’un objectif de coopération territoriale qui est directement intégré dans les nouveaux fonds européens2. Dans de nombreuses régions transfrontalières, la mise à disposition de l’outil financier « Interreg » permet de stimuler une coopération transfrontalière jusque là peu développée, comme, par exemple, le long des frontières avec les régions des pays d’Europe centrale et orientale, dans l’Europe du Nord (entre les régions des pays scandinaves et entre la France, la Belgique et le Royaume-Uni), ou encore en Méditerranée (entre l’Italie, la France, l’Espagne et le Portugal). Mais quelle est la plus-value d’Interreg pour les régions transfrontalières où la coopération existe déjà depuis les années 1960, comme, par exemple, dans l’espace frontalier franco-allemand ou le long de la frontière germanonéerlandaise? Pour répondre à cette question, l’espace du Rhin supérieur (l’espace de coopération transfrontalière entre la région Alsace, les régions allemandes du Bade- Wurtemberg et du Rhénanie-Palatinat ainsi que les cinq cantons de la Suisse du Nord-Ouest), qui pratique la coopération transfrontalière depuis la mise en place de l’association suisse, la Regio Basiliensis, en 1963 et qui connaît la réalité d’Interreg depuis la mise en place du projet-pilote en 1989 peut servir d’étude de cas. L’initiative Interreg, transforme-t-elle cette coopération transfrontalière déjà existante? Est-elle indispensable pour développer la coopération ou ne constituet-elle qu’un appui financier? Enfin, au fur et à mesure des différentes programmations d’Interreg, une coopération transfrontalière de l’espace rhénan, est-elle encore envisageable sans cet outil communautaire? 1 2
WULF-MATHIS, Monika commissaire européen pour la politique régionale, interview dans LACE-Magazine N°1, hiver 1997/1998, p.24. Règlement CEE n°1083/2006 du Conseil du 11.7.2006 portant dispositions générales sur le Fonds européen de développement régional, le Fonds social européen et le Fonds de cohésion.
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1. Du projet- pilote jusqu’à la réalisation d’Interreg I (1989–1995): identification transfrontalière et morcellement territorial L’initiative communautaire Interreg trouve son origine avec la réforme des fonds structurels en 19883. Alors que la politique régionale européenne, mise en place en 1975, ne tient pas compte des régions frontalières, le nouveau règlement du Fonds européen de développement régional (FEDER) crée une ouverture. Il donne la possibilité de « contribuer au soutien d’études ou d’expériences pilotes » dans les régions frontalières de la Communauté économique européenne (CEE)4. Sur cette base, des projets-pilotes peuvent être soutenus par le FEDER favorisant la coopération en matière de développement entre régions de la Communauté5. En mai 1989, la Commission européenne décide ainsi de soutenir des programmes-pilotes dans cinq régions européennes, parmi lesquelles figure l’espace du Rhin supérieur. a) Le développement d’un réseau régional dans l’espace Palatinat- Mittlerer Oberrhein- Alsace (PAMINA) grâce au projet-pilote de la Commission européenne Le projet-pilote est réalisé dans l’espace franco-allemand au Nord de la région du Rhin supérieur, dénommé Palatinat- Mittlerer Oberrhein- Alsace (Pamina). Sa définition et sa réalisation créent une dynamique d’identification transfrontalière dans cette petite partie de la région rhénane qui dépasse toutes les attentes. Ainsi, les acteurs locaux sur place définissent une véritable politique commune de développement régional, pour laquelle ils sollicitent ensuite un cofinancement européen6. Au printemps 1989, sur la base d’une déclaration commune, la déclaration de Wissembourg7, un comité de pilotage est d’abord mis en place, sous présidence de Daniel Hoeffel, président du Département du Bas-Rhin, dont la tâche principale est d’élaborer un concept de développement transfrontalier. Un groupe de travail technique est ensuite constitué le 10 mars 1989 pour assister le comité de pilotage8. Les bases pour les structures futures de la gestion d’Interreg sont alors déjà posées. Jusqu’à l’automne 1989, 38 actions transfrontalières dans les domaines prioritaires de l’économie et de l’environnement sont définies9. Parallèlement à ces travaux, les acteurs locaux de Pamina mettent sur pied un programme d’action. Sur conseil de la Direction générale (DG) XVI, ils sélectionnent, le 10 novembre 1989, 8 projets-pilotes parmi les 38 actions du concept de développement, dont, par exemple, la création d’une instance d’information et de conseil sur les questions transfrontalières, un réseau transfrontalier de pistes cy-
3 4 5 6 7 8 9
Reglement CEE n° 2052/88 du Conseil du 14.6.1988, JOCE L185, p.9 cf. SPIEKERMANN, Bernd, Europäische Regionalpolitik Empfehlungen zur Weiterentwicklung, Köln, 1988. Art.3§1, dernier alinéa du règlement FEDER de 1988. MESTRE, Christian, «La Communauté économique européenne et le développement de la coopération transfrontalière», Les régions de l’espace communautaire, Nancy, 1992, p.63, cf. Bulletin de la CEE n°11/89. BECK, Joachim, Netzwerke in der transnationalen Regionalpolitik, Baden-Baden, 1997, p.119. La coopération transfrontalière dans l’espace PAMINA, les 10 ans de la déclaration d'Intention de Wissembourg, instance Pamina, Lauterbourg, 1998, p.8. BECK, Joachim, op.cit., p.136. Ibid., p.140.
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clables ou une route touristique franco-allemande10. Comme le montre les différents projets, l’accent est déjà mis sur la mobilité transfrontalière. Ce programme est adopté par la Commission européenne en même temps que le concept de développement, le 5 janvier 1990, pour un coût total de 2 millions d’écus11. Il constitue la base pour les futurs programmes Interreg dans l’espace Pamina. Dès l’adoption du programme, les acteurs locaux procèdent sans tarder à la mise en œuvre de leur programme. Le premier projet, l’instance d’information et de conseil Pamina est créée à l’automne 199012. Les autres sont confiés à des groupes de projets chargés de leur mise en œuvre13. Ce principe de gestion sera également maintenu pour les programmes Interreg Pamina. A la fin du projet-pilote Pamina, en septembre 1991, les membres du comité de pilotage Pamina, les membres portent un jugement très positif sur les résultats du programme. L’instance Pamina reste le projet-maître de la phase-pilote et les acteurs Pamina réfléchissent déjà à la possibilité de la doter d’une personnalité juridique propre14. De plus, le projet-pilote donne « une impulsion non négligeable » à l’identification transfrontalière de l’espace Pamina15. Il permet, par la définition et la réalisation de projets communs qui sont pilotés par les acteurs locaux et régionaux, le renforcement du réseau régional sur place. Cette identification transfrontalière se poursuivra tout au long des générations de programmes Interreg jusqu’en 2006. Toutefois, elle reste limitée au niveau institutionnel et politique. Différentes études et sondages montrent en fait, que la population ne partage pas cette idée16. Mais, concrètement, elle a pour conséquence de créer un nouveau sous-espace institutionnel dans la région du Rhin supérieur. b) La division de l’espace transfrontalier après l’introduction de deux programmes dans la région du Rhin supérieur (Interreg I Pamina et Centre-Sud) Après la phase-pilote en 1989, la Commission européenne décide, le 30 août 1990, de mettre en place l’initiative Interreg comme un programme pour la coopération transfrontalière, qui s’applique à l’ensemble des régions frontalières (internes et externes) des Etats-membres17. L’initiative englobe la période de 1990 à 1995 et prévoit des fonds européens à hauteur d’1 milliard d’écus18. En raison du succès de la phase-pilote, il s’agit, pour la Commission, d’apporter son soutien à la réalisation, dans les zones frontalières, de projets « rassemblant des partenaires issus des différents pays constituant ces zones »19. Mais l’initiative communautaire 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Archives du département du Bas-Rhin (ADBR) 1585W23, mise en place du programme de coopération Pamina. Ibid. ADBR 1585W23, mise en place du programme de coopération PAMINA, convention du 29.10.1990, Lauterbourg. ADBR 1585W24, mise en œuvre du programme de coopération PAMINA, cf. Koordinierungsstelle Südpfalz, compte-rendu de la réunion du groupe de travail du 12.2.1990, à Lauterbourg. Ibid., compte-rendu du Comité de pilotage du 5.9.1991. « PAMINA à l’école de la coopération », DNA du 7.12.1993. Ibid. Communication de la Commission européenne C(90) 1562/3 sur l’initiative communautaire Interreg I du 30.8.1990, p.925. ZOLLER SCHEPERS, Regula, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein, Dissertation, Bamberg, 1998, p.66. ADBR 1585W11, directives de la CEE pour l’application du programme communautaire Interreg.
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Interreg a également un caractère symbolique, comme le montre la réalisation de la phase-pilote dans l’espace Pamina: elle a pour objectif de soutenir les activités régionales transfrontalières, dans un souci de « rapprochement des peuples aux frontières de la Communauté européenne »20. Dans la région du Rhin supérieur, l’introduction d’Interreg résulte en la division de l’espace transfrontalier. En effet, entre 1990 et 1991, pour le Rhin supérieur, deux programmes Interreg sont développés. Ceci est dû au fait que les acteurs de la région Pamina souhaitent maintenir la dynamique de réseau et d’identification régionale créée par le projet-pilote et refusent de se limiter à un seul programme qui engloberait tout l’espace du Rhin supérieur. L’instance Pamina développe donc dès le printemps 1990 une nouvelle liste de projets transfrontaliers pour le programme Interreg I21. Le comité de pilotage arrête, le 4 décembre 1990, un programme d’actions qui comporte 17 projets transfrontaliers22. Ces projets sont classés en six domaines prioritaires: la promotion des petites et moyennes entreprises, le développement du tourisme, l’environnement et l’aménagement du territoire, le développement de réseaux, la facilitation du transport transfrontalier et la coopération dans le domaine de la formation professionnelle et continue23. Le 5 mars 1992, la Commission européenne adopte le programme Interreg I de Pamina, accordant 3,84 millions d’écus aux 17 projets24. Par la suite, le nombre de projets est progressivement augmenté: en 1993, le dispositif du programme Pamina compte au final 29 projets25. La présence d’Interreg permet donc la réalisation de nombreux nouveaux projets, dont, par exemple, la création d’un réseau technologique ou l’aménagement du parc naturel transfrontalier26. Avec l’aide du programme, le réseau de l’espace Pamina est consolidé27. De son côté, l’espace au Centre et au Sud de la région rhénane se voit désormais contraint de mettre en place son propre programme. En octobre 1990, sur la base de leur concept de développement, qui a été adopté suite à la déclaration de Bürgeln28 de 1989, les partenaires allemands, français et suisses concernés (la Région Alsace, le Département du Haut-Rhin, les cantons de Bâle-Ville et BâleCampagne et le Land Bade-Wurtemberg) adoptent un programme opérationnel d’Interreg comportant un catalogue de 18 projets29. Parmi eux, sont prioritaires, d’une part, des opérations de promotion commune et en matière d’environnement, notamment un guide vert Michelin du Rhin supérieur, un schéma paysager commun et un plan de protection atmosphérique StrasbourgKehl30. D’autre part, la mise en place d’instances transfrontalières est favorisée, 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
BARNIER, Michel, commissaire européen dans, Les 10 ans d’INTERREG, brochure, Région Alsace, mai 2000, préface. ADBR 1799W15, gestion du programme Interreg Pamina. Ibid., ADBR 1799W15, gestion du programme Interreg Pamina, compte-rendu du Comité de pilotage du 4.12.1990 à Strasbourg. ADBR 1799W6, programme Interreg I Pamina, projets., cf. BECK, Joachim, op.cit., p.151. Décision de la Commission européenne K 92 837 sur le programme opérationnel Pamina. Ibid. ADBR 1799W17, compte-rendu du comité de suivi Interreg Pamina du 19.4.1993. Ibid. Ville en Bade-Wurtemberg. ADBR 1585W25, Interreg Centre-Sud, compte-rendu du groupe de travail du 17.10.1990, cf. « A Lauterbourg 1,2 M de sans frontière », L’Alsace du 28.1.1991. ADBR 1585 W14, guide Michelin, 1585W20, schéma paysager, cf. ZOLLER SCHEPERS, Regula, op.cit., p.67, Les 10 ans d’INTERREG, op.cit., p.957.
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comme les Informations- und Beratungsstellen (Infobest), ainsi que l’institut pour la coopération régionale et l’administration européenne (Euro-Institut), également à Kehl31. Le programme Interreg Centre-Sud est adopté par la Commission européenne le 9 mars 1992 et les partenaires régionaux obtiennent une aide communautaire de 6,9 millions d’écus32. Les actions prévues pour l’espace Centre-Sud sont comparables à celles mises en place dans l’espace Pamina et le nombre de projets augmente également au cours du programme: en 1995, Interreg I CentreSud compte au total 38 projets transfrontaliers33. A partir de la mise en place du programme Interreg, une nouvelle frontière est donc tracée. L’espace transfrontalier est désormais divisé en deux parties pour la gestion d’Interreg: l’espace Pamina au Nord et l’espace Centre-Sud du Rhin supérieur (cf. carte ci-dessous). Cette division, si elle correspond à la formation d’un réseau politique régional dans les sous-espaces concernés, pose par contre problème pour les porteurs de projets: ils se voient contraints de présenter deux demandes de concours communautaire, l’une pour Pamina et l’autre pour Centre-Sud, lorsqu’ils souhaitent réaliser un projet qui porte sur l’ensemble du territoire de l’espace rhénan. Car, la division territoriale se voit consolidée par la mise en place de différentes instances de gestion du programme dans les deux sous-espaces de la région transfrontalière. c) L’institutionnalisation d’Interreg dans l’espace rhénan Entre 1991 et 1995, les instances gestionnaires des programmes s’institutionnalisent progressivement. Interreg n’est donc plus seulement un instrument financier au service du développement de projets transfrontaliers, mais devient un volet à part entier de la coopération. En même temps, cette institutionnalisation renforce la séparation des deux programmes Interreg dans la région du Rhin supérieur. C’est sur demande de la Commission européenne, que le programme Interreg I est doté, dès 1991, de véritables institutions de gestion34. Pour assurer une gestion transfrontalière des projets, la Commission européenne souhaite en effet que les régions frontalières mettent en place des instances communes pour les programmes opérationnels35. C’est ainsi qu’un « comité de suivi » Interreg doit être constitué, comprenant des instances locales, régionales et nationales, partenaires du programme, et un membre de la Commission européenne. Le comité de suivi a en charge la coordination du programme et la prise de décision quant aux projets transfrontaliers sollicitant un cofinancement communautaire36. De cette manière, la Commission européenne cherche également à s’assurer d’être associée aux principales décisions du programme. 31 32 33 34 35 36
En français, Infobest signifie instance d’information et de conseil, cf. ADBR 1585W7, Infobest de Huningue, 1585W17, Euroguichet: INFOBEST Kehl, ADBR1585 W15, Euro-institut. Décision de la Commission européenne, K 92 838, sur le programme opérationnel CentreSud. Archives de la Région Alsace (ARA), 1949WR16, « Rapport final Interreg I Centre-Sud », Région Alsace, juin 1997, p.6. SCHWEICKER, Stephanie, Das Oberrheingebiet: Fortschreitende Integration einer Grenzregion, Universität Tübingen, 1998 p.64. BECK, Joachim, Netzwerke in der transnationalen Regionalpolitik, op.cit.,p.155. Ibid., cf. ZOLLER SCHEPERS Regula, op.cit.,p.67.
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Carte Interreg37 En réponse à la demande de la Commission, l’espace Centre-Sud se dote rapidement d’une structure de gestion transfrontalière. Après l’adoption de son programme opérationnel au printemps 1992, deux organes sont mis en place: le comité de suivi assure le suivi « politique » du programme et est présidé par le Regierungspräsident de Freiburg38. Il est assisté, au niveau technique, par un groupe de travail, présidé par la Région Alsace et composé de membres des administrations des mêmes instances. Sa fonction est de préparer les décisions du comité de suivi concernant l’éligibilité des projets et les montants à accorder39. 37 38 39
Source: Interreg I et II, La coopération transfrontalière dans l’espace PAMINA, publication du bureau PAMINA, Lauterbourg, 1998, p.25. ADBR 1799W14, compte-rendu de la réunion du comité de suivi Interreg Centre-Sud du 27.11.1992: le Regierungspräsident est le président du Regierungspräsidium, l’administration territoriale du Land Bade-Wurtemberg. ZOLLER SCHEPERS, Regula, op.cit., p.68.
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Grâce au projet-pilote, l’espace Pamina, quant à lui, dispose déjà d’un comité de pilotage et d’un groupe de travail. La mise en place d’instances de suivi Interreg pose donc la question de savoir si le nouveau comité doit être intégré au comité de pilotage du réseau Pamina. Dans un premier temps, les acteurs de Pamina se prononcent contre une fusion des instances de gestion. De son côté, la Commission européenne, qui souhaite être associée à la procédure de sélection des projets, recommande à l’espace Pamina de reprendre le modèle de gestion choisi dans le cadre du programme Centre-Sud40. Un compromis est trouvé à l’automne 1992: à l’instar de l’organisation adoptée par l’espace Centre-Sud, un comité de suivi est mis en place sous présidence de Daniel Hoeffel, qui est assisté, au niveau technique, par un groupe de travail41. À la fin d’Interreg I en 1995, les programmes Pamina et Centre-Sud d’Interreg I bénéficient donc d’une structure institutionnalisée de gestion, qui sera maintenue au fil des programmes Interreg ultérieurs: un comité de suivi politique et un groupe de travail technique. Cette structure de gestion est basée sur deux programmes opérationnels différents et gérés par deux comités de suivi distincts, chaque comité ayant présenté séparément son programme aux instances bruxelloises. Les fonds sont donc répartis sur un espace géographique non harmonisé42. Mais l’existence de cette structure va aussi favoriser la réalisation de nombreux projets transfrontaliers, car, pour la première fois, un outil de management transfrontalier est mis à la disposition de ceux qui lancent des initiatives transfrontalières. L’introduction d’Interreg dans l’espace du Rhin supérieur met donc en place une approche professionnelle à la coopération transfrontalière, basée sur une logique de projets transfrontaliers. Cette logique de projet va s’accentuer au cours du programme Interreg II.
2. Le programme Interreg II (1995–2000): vers une dynamique de projets transfrontaliers Dès 1993, la Commission européenne prévoit la poursuite de l’expérience d’Interreg avec un deuxième programme sur la période de 1995 à 200043. Cette fois-ci, elle met l’accent sur l’intégration transfrontalière: elle souhaite « encourager la création et le développement de réseaux de coopération » 44. Or, l’initiative Interreg II n’est plus exclusivement consacrée à la coopération transfrontalière. Elle est divisée en trois volets distincts, dont seulement un volet, le volet intitulé II A se réfère à la coopération transfrontalière (le volet II B étant consacré à l’achèvement des réseaux énergétiques et le volet II C aux actions transnationales d’aménagement du territoire)45. Ceci traduit la volonté de l’Union 40 41 42 43 44 45
ADBR 1799W16, lettre de la Commission européenne du 27.8.1992 à l’instance Pamina. Ibid., compte-rendu de la réunion du comité de suivi Interreg Pamina du 22.10.1992. « Délire transfrontalier en Alsace », Vie Publique, avril 1993, cf. ARA 1949 WR8, réunions du comité de suivi Interreg Centre-Sud (1994–1999) qui listent les projets gérés en commun. Livre vert sur l’avenir des initiatives communautaires, Commission européenne, COM 93 282, Bruxelles, 16.6.1993. Communication de la Commission européenne sur l’initiative Interreg II, 94/C/180/13, 1.7.1994, Art. I.3. Ibid.
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européenne (UE) d’insérer la coopération transfrontalière dans une perspective plus globale. Mais le nouveau dispositif ne porte pas atteinte aux montants financiers alloués par la Commission à la coopération transfrontalière, qui sont considérables. Ainsi, pour Interreg II, sur les 2 900 millions d’écus prévus par les fonds structurels, 2 400 millions sont réservés au volet II A, pour un total de 59 programmes opérationnels. Ceci dépasse largement l’enveloppe financière du programme Interreg I. L’aide apportée par la Commission européenne à l’espace du Rhin supérieur est également augmentée, passant à 24,5 millions d’écus pour Centre-Sud et à 11 millions d’écus pour Pamina46. Les montants financiers importants mis à la disposition des programmes Interreg II pour Pamina et pour Centre Sud ont pour effet de multiplier les projets. a) La multiplication des projets depuis la mise en place d’Interreg II L’évolution du programme Interreg II dans l’espace rhénan montre en effet une véritable dynamique de projets, qui justifie pour les acteurs régionaux, en particuliers ceux de l’espace Pamina, le fait de maintenir le principe des deux programmes opérationnels47. Le nouveau programme opérationnel Pamina est adopté par la Commission le 18 septembre 199548. Lorsque les premiers projets Interreg II Pamina sont acceptés, la dimension locale et humaine prime, car l’objectif est que la population s’identifie à l’espace Pamina49. Pour ce faire, les membres du comité de suivi Interreg définissent trois grandes orientations: la première est de parvenir à une équivalence des conditions de vie et à une égalité des chances pour l’ensemble des habitants de l’espace. Le deuxième axe concerne le développement durable, avec notamment un programme pour l’environnement. La troisième orientation s’intitule « cohésion et échange » et s’appuie sur la création, par exemple, d’une université populaire, le développement des cours de langue et d’un programme d’information sur la région Pamina50. Jusqu’en 2000, le comité de suivi Pamina adopte 51 projets Interreg dans les domaines les plus divers, comme, par exemple, la réalisation d’une « Véloroute Rhin », une analyse sur la qualité de l’air du Rhin supérieur, un programme d’action pour la jeunesse, ou un passeport des musées du Rhin supérieur51. Globalement, le nombre de projets dépasse largement celui du programme Interreg I52. L’espace Centre-Sud entre lui aussi dans la dynamique de projets. Le nouveau programme opérationnel Interreg II, adopté par la Commission européenne le 11 juillet 1995, est plus ambitieux que le précédent et se propose d’intervenir dans 46 47 48 49 50 51 52
Ibid., cf. ARA 1949WR47, « Rapport final Interreg II Centre-Sud », Région Alsace, Strasbourg, juin 2000 et « Rapport final Interreg II-Pamina », instance Pamina, Lauterbourg, juin 2000. BECK, Joachim, Netzwerke in der transnationalen Regionalpolitik, op.cit., p.163. ARA 1949WR24, « Programme opérationnel Interreg II-Pamina », Lauterbourg, septembre 1995. « PAMINA en cours d’identification », (interview avec le R. Rund, Regierungspräsident de Rhénanie-Palatinat), DNA du 10.9.1996. Ibid. Cf. Synthèse INTERREG II – Mise en œuvre par les régions frontalières françaises et leurs partenaires, document du bureau LACE, Région Alsace, août 1999, pp.43–51, pour les différents projets cités cf. ARA 1949WR 24–31. « PAMINA s’agrandit », Influences rhénanes du 20.02.1995.
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pratiquement tous les domaines de la coopération transfrontalière53. Il privilégie les grandes opérations: la coopération dans le domaine de la recherche, des infrastructures de transport ou la création d’un parc technologique transfrontalier (Biovalley)54. Mais beaucoup de nouvelles initiatives visent aussi à rapprocher la population transfrontalière. Il s’agit d’intensifier la formation transfrontalière (par la création d’un ouvrage scolaire transfrontalier ou une formation trinationale d’ingénieurs) ou l’échange des jeunes (avec un passeport vacances du Rhin supérieur)55. De même, le sport et la culture sont très présents, qu’il s’agisse de l’aménagement d’équipement ou de l’aide aux activités culturelles et sportives56. Au terme du programme, en 2000, 102 projets sont retenus par le Comité de suivi57. Le nombre de projets de la génération Interreg II, comme dans la région Pamina, a donc augmenté considérablement. Cette multiplication des projets entre 1995 et 2000 est un indicateur de la dynamique transfrontalière déclenchée par l’initiative communautaire. Grâce aux programmes Interreg II, Pamina et Centre-Sud, plus de 250 projets transfrontaliers sont réalisés au total58. La région du Rhin supérieur est à ce titre exemplaire: la forte concentration de la population, l’unité géographique et les convergences culturelles, stimulées par les dotations communautaires, expliquent cette multitude des projets59. Cette nouvelle dynamique est bien constatée et appréciée par les acteurs de la coopération transfrontalière dans l’espace du Rhin supérieur. Les responsables d’Interreg sur place vont jusqu’à afficher numériquement la plus-value du programme sur les plaquettes d’information pour les porteurs des projets: ils y intègrent une nouvelle « formule », à savoir 1+1=3, dans laquelle un plus un s’additionne à 3 (au lieu de 2)60. Mais l’optimisme général qui règne au début par rapport à Interreg et ses effets bénéfiques cède la place à une évaluation plus nuancée pendant la période de programmation d’Interreg II. b) Les premières évaluations critiques d’INTERREG A partir de la mi-1990, les acteurs transfrontaliers de la région du Rhin supérieur commencent, en effet, à porter un regard plus critique sur le programme Interreg. Dans un premier temps, ceci est du au fait qu’au cours de la réalisation d’Interreg II, les procédures financières s’alourdissent, la Commission européenne imposant un contrôle plus strict de l’utilisation des fonds communautaires. Ainsi, par exemple, les délais de transmission des fonds communautaires entre la Commission européenne et les régions frontalières se situent entre dix et douze mois. Ceci suscite la colère des élus régionaux, qui se sentent trahis par l’UE, qui avait annoncé Interreg comme une initiative à caractère régional, en 53 54 55 56 57 58 59 60
ARA 1949 WR17, « Rapport final Interreg II- Centre-Sud », op.cit., p.5, WR18, « Programme opérationnel Interreg II- Centre-Sud », Région Alsace, Strasbourg, juillet 1995. Ibid. Ibid. « Dix nouveaux projets transfrontaliers », DNA du 3.7.1996, certains de ces projets ne sont pas menés à terme, cf. ARA 1949WR 33–34, projets non-aboutis en matière de culture. ARA 1949 WR17, « Rapport final Interreg II- Centre-Sud », op.cit., p.17, ARA1949 WR9, WR10, réunions du comité de suivi Interreg-Centre-Sud, 1996–1999. Ibid. cf. ARA 1949WR47, « Rapport final Interreg II-Pamina », op.cit. Ibid., cf. « 10 ans d’Interreg: des réussites et des couacs », DNA du 16.10.1999. ARA 1949 WR17, Plaquette d’information pour les porteurs de projets du programme Interreg II Centre-Sud.
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accord avec le principe de subsidiarité. Jean-Paul Heider, conseiller régional et président du groupe de travail Interreg Centre-Sud déplore ainsi dès 1996 que « le centralisme parisien se trouve transposé à Bruxelles. La subsidiarité est une notion que la Commission devrait pratiquer de façon exemplaire. C’est à ce prix que nous empêcherons les eurosceptiques de gagner du terrain »61. Par ailleurs, les responsables de la coopération transfrontalière se sentent mis sous pression par la Commission européenne pour fournir des projets qui soient à tout prix économiquement rentables. Puisque les projets INTERREG sont censés « contribuer au développement socio-économique » de la région, la coopération transfrontalière est désormais étroitement liée à ce facteur de « rentabilité économique »62. Tout projet transfrontalier doit présenter une plus-value économique, si bien que la coopération ne peut plus se limiter à un simple échange d’information ou à une concertation. Mais, toutes les initiatives transfrontalières, peuvent-elles se baser sur un critère d’évaluation purement économique? Qu’en est-t-il de la plus-value économique d’un projet culturel ou humanitaire? A la fin de la période d’Interreg II, s’ajoute encore la peur des acteurs de la coopération franco-germano-suisse que pour la nouvelle programmation d’Interreg III, l’espace du Rhin supérieur puisse se voir réduire considérablement les dotations communautaires. En effet, la perspective d’élargissement de l’UE à l’Europe centrale et orientale laisse présumer que les fonds structurels soient plutôt alloués, à l’avenir, aux nouvelles régions membres économiquement défavorisées. Ainsi, la Regio Basiliensis organise, les 28 et 29 juin 2000, à Bâle, un colloque sur l’avenir d’Interreg. En effet, lors du colloque, Esben Poulsen, directeur du département Interreg à la Commission européenne, prévient d’emblée que « si les régions frontalières sont d’avis que la collaboration transfrontalière entre voisins est encore nécessaire après 2006, ils doivent veiller à ce que seules les vraies activités transfrontalières soient soutenues dans les programmes »63. Le but principal de colloque est alors pour les organisateurs suisses de convaincre les responsables invités de la Commission et du Parlement européen de l’importance d’Interreg pour la région du Rhin supérieur64. Ils soulignent ainsi surtout l’effet positif de l’ouverture du programme communautaire aux régions frontalières extérieures de l’UE. « Nous sommes en Suisse bénéficiaires mais aussi de moteurs du programme Interreg », affirme Hans-Martin Tschudi du canton Bâle-Ville en ouverture du colloque65. David Syz, le représentant du secrétariat d’Etat à l’économie du gouvernement fédéral suisse met l’accent sur la contribution d’Interreg à la politique d’intégration de la Suisse envers l’UE: « nous pouvons, grâce à Interreg, coopérer intensivement avec nos voisins européens pour des projets concrets, aborder des problèmes ensemble et exploiter les potentiels
61 62
63 64 65
ARA 1949WR43, congrès annuel LACE 1996, discours de Jean-Paul Heider, cf. 1949WR 48, extrait de la brochure de l’ARFE, 25 ans de travail en commun, op. cit. p.5. AUBIER, Armelle, « Analyse des Programmes opérationnels Interreg dans les régions frontalières françaises: la coopération transfrontalière: une réalité en devenir? », mémoire, Strasbourg, 1996–1997, p.61, BECK, Joachim, Netzwerke in der transnationalen Regionalpolitik, op.cit., p.164. JAKOB, Eric, « Rendez-vous 2000 der europäischen Grenzregionen », Schriften der Regio 18, Basel/Frankfurt am Main, 2001, p.30/31. Ibid., p.36. Ibid., p.54.
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de développement existants »66. Le président du Comité de suivi du programme Interreg Centre-Sud, Sven von Ungern-Sternberg du Regierungspräsidium Freiburg, quant à lui, pense que la réalisation de plus de 200 projets au cours des dix années d’Interreg dans l’espace du Rhin supérieur « a contribué à une intégration renforcée du paysage européen central »67. Or, lors du colloque, des voix critiques se font également entendre qui remettent en cause l’omniprésence d’Interreg dans la coopération transfrontalière. Ainsi, Karl Ahrens, le représentant de l’Association des régions frontalières d’Europe (ARFE) met les participants du colloque en garde: « Les aides attribuées par Bruxelles peuvent créer un danger de mise en tutelle par les bailleurs de fonds. La coopération transfrontalière doit se faire pour elle-même et non pour recevoir le plus de moyens possible de Bruxelles. (…) si Interreg devait s’arrêter un jour, la collaboration transfrontalière devrait pouvoir se poursuivre, même sans l’aide de l’Union européenne »68. En clôture du colloque, les responsables du Rhin supérieur vont jusqu’à formuler des recommandations pour une réorientation du prochain programme communautaire « pour que les possibilités offertes dans le cadre d’Interreg III puissent être utilisées à plus grande échelle, selon le principe de subsidiarité et pour le bien des citoyens », comme le propose Hans Martin Tschudi 69. Les acteurs transfrontaliers sur place se rendent dont bien compte des faiblesses du programme Interreg. En effet, la nécessité d’élargir le champ d’application d’Interreg à de grands projets d’investissement et d’associer davantage le citoyen au programme communautaire va être prise en compte dès la nouvelle programmation d’Interreg III.
3. D’Interreg III à la coopération territoriale (2000–2008) L’avenir d’Interreg III pour la période de 2000 à 2006 se décide le 21 juin 1999, lors de la réforme des fonds structurels70. Les objectifs des fonds structurels sont modifiés par rapport à l’ancien règlement, les cinq anciens objectifs étant regroupés en trois: promotion du développement et ajustement structurel des régions en retard de développement (objectif 1), reconversion économique et sociale des zones en difficulté structurelle (objectif 2) et adaptation et modernisation de politiques et systèmes d’éducation, de formation et d’emploi (objectif 3)71. Cette réforme va déjà dans la direction qui sera poursuivie par la politique de cohésion sociale en 2007, lorsque l’UE souligne le besoin de convergence et de la compétitivité régionale, ainsi que la promotion de l’emploi72. Or, la coopération transfrontalière en tant que telle n’est pas encore mentionnée. Les initiatives communautaires (dont Interreg) sont ainsi maintenues en tant que formes d’intervention du fonds, comme le précise l’article 9 du règlement73. Seule la gestion de
66 67 68 69 70 71 72 73
Ibid., p.63. Ibid., p.67. Ibid., p.71. Ibid., p.245. Règlement CEE n°1260/1999 du Conseil du 21.6.1999. Règlement CEE n°1783/1999 du Conseil relatif aux fonds structurels, du 13.8.1999. Cf. point sur le nouvel objectif de coopération territoriale ci-dessous (3b). Ibid.
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l’initiative Interreg est simplifiée. Elle est désormais financée par un seul fonds, le FEDER74. a) Le renforcement de grands projets d’investissement et des projets proche du citoyen dans Interreg III (2000–2006). Le nouveau programme Interreg III pour la période de 2000 à 2006 est publié par la Commission le 28 avril 2000. L’objectif affiché est « de renforcer la cohésion économique et sociale au sein de la Communauté par la promotion de la coopération transfrontalière, transnationale et interrégionale, ainsi que d’un développement équilibré du territoire de la Communauté »75. Cet objectif va déjà dans le sens de la politique de cohésion sociale qui sera définie en 2007: un lien direct est créé entre ces trois catégories de coopération, même s’il ne s’agit pas encore d’un regroupement dans un seul objectif de la coopération territoriale. Ainsi, la communication de la Commission en 2000 précise déjà que le programme Interreg comprend trois volets, qui diffèrent par rapport à ceux du programme Interreg II. A part le volet A sur la coopération transfrontalière, qui correspond à l’ancien volet A d’Interreg II, les volets de la coopération transnationale (volet B) et de la coopération interrégionale (volet C) s’ajoutent au dispositif. Mais pour la génération du programme Interreg III, la Commission européenne cherche d’abord à assurer la continuité: les nouvelles orientations d’Interreg prennent en compte les expériences de la période 1994 à 1999 et visent à renforcer les résultats obtenus76. L’UE reconnaît également le succès de l’initiative Interreg, car la dotation financière est considérable: Interreg III bénéficie pour les trois volets d’un budget total de 4,875 milliards d’euros (soit presque le double d’Interreg II). La réalisation du programme d’Interreg III dans l’espace du Rhin supérieur s’inscrit également dans la continuité. Fin 2000, les acteurs du Rhin supérieur réussissent à défendre auprès de la Commission le maintien des deux programmes Centre-Sud et Pamina. Par rapport à Interreg II, les enveloppes financières sont même légèrement augmentées: pour Interreg III A Centre-Sud, la dotation s’élève à près de 28 millions d’euros et pour le programme Pamina, le montant total du concours communautaire dépasse les 13,5 millions d’euros. Toutefois, les axes prioritaires dans l’espace rhénan correspondent aussi aux nouvelles propositions qui avaient été avancées lors du colloque sur l’avenir d’Interreg à savoir notamment, de contribuer au rapprochement des populations et à la cohésion sociale. En 2000, les responsables du programme Interreg III Centre-Sud, souhaitent ainsi promouvoir la coopération transfrontalière entre citoyens et institutions, la protection de l’environnement, l’intégration économique, sociale et culturelle, la recherche ainsi que l’éducation et la formation professionnelle77. Pour le programme Pamina, il en est de même: les priorités affichées mentionnent l’amélioration de la compétitivité régionale, la création d’un marché de l’emploi transfrontalier, la mise en valeur et la protection des res74 75 76 77
Ibid. Communication de la Commission européenne sur l’initiative communautaire INTERREG III, CE 2000/1101 du 28.4.2000. Ibid. Cf. « Programme opérationnel Interreg III A Centre-Sud », Région Alsace, Strasbourg, novembre 2001, « Programme opérationnel Pamina », instance Pamina, Lauterbourg, novembre 2001.
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sources naturelles et l’intégration socioculturelle78. Interreg III A prévoit donc des actions autour de notions phares qui se retrouveront dans les prévisions de l’Union pour la période de 2007 à 2013: « le développement régional intégré et durable du territoire, la préservation des écosystèmes, le renforcement de la cohésion sociale et l’émergence d’une conscience transfrontalière »79. En ce qui concerne les projets, Interreg III A dans la région du Rhin supérieur concentre ses actions autour de deux volets principaux. D’une part, des grands projets d’investissement sont favorisés, notamment dans les domaines de la recherche et de la technologie (comme, par exemple le projet Neurex qui vise à développer un réseau, dans la vallée du Rhin, dédié aux sciences du cerveau, le projet Microzonage qui établit une cartographie précise pour prévoir l’impact possible d’une catastrophe naturelle sur la région ou encore la coopération des universités rhénanes dans le cadre d’EUCOR pour promouvoir le potentiel trinational de formation et de recherche) ou dans le domaine des réseaux de communication (avec la construction de plusieurs nouveaux ponts sur le Rhin pour les piétons)80. Ceci a pour conséquence de diminuer le nombre de projets par rapport à Interreg II qui passe de 135 à 88. D’autre part, Interreg III A soutient des projets qui répondent plus spécifiquement aux besoins des préoccupations des habitants de la vallée du Rhin. Ainsi, par exemple, des eurodistricts sont prévus, dont le premier autour de l’espace Kehl-Strasbourg, qui consistent en la création de zones d’habitats transfrontaliers avec des services communs pour les citoyens, ou un programme-cadre est mis en place, dénommé « les rencontres du Rhin supérieur » qui permet la réalisation, avec l’aide administrative des pouvoirs régionaux, d’une centaine de projets de petite envergure, mais avec une forte plusvalue transfrontalière81. Ces deux volets d’Interreg III correspondent également déjà aux deux priorités affichées par l’UE pour la période après 2007: d’un côté favoriser l’amélioration des infrastructures de communication et de transport et, de l’autre côté, renforcer les actions en faveur d’un rapprochement de la population transfrontalière82. b) Le nouvel objectif territorial appliqué à l’espace rhénan: Interreg IV Cette nouvelle politique régionale de l’UE qui est introduite en 2007 constitue d’abord une rupture avec le passé. Après la réforme de la politique de cohésion du 20 juillet 2006 portant sur la période de 2007 à 2013, l’UE décide ainsi de supprimer l’initiative Interreg et de la remplacer par « la coopération territoriale européenne », qui devient un objectif à part entier (objectif 3)83. Celui-ci porte à la fois sur la coopération transfrontalière, la coopération transnationale et les réseaux de coopération et d’échanges. Les financements mis à disposition par l’UE pour cette période s’élèvent à 308 milliards euros pour soutenir les programmes 78 79 80 81 82 83
Ibid. INTERREG dans le Rhin supérieur, brochure Région Alsace, mai 2004, cf. www.interreg-dfch. org , consulté le 23.11.2006, p. 11. Ibid. Ibid. « La coopération territoriale dans les orientations stratégiques communautaires (OSC) », Mission opérationnelle transfrontalière (MOT), Paris, 5.7.2005, www espaces-transfrontaliers.org, consulté le 20.11.2006, p. 3. Règlement CEE n°1083/2006 du Conseil du 11.7.2006, op.cit.
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régionaux de croissance et stimuler la création d'emplois, dont 2,5 % (soit 7,75 milliards d'euros) sont consacrés à la coopération territoriale européenne84. Selon le Conseil des Ministres, la prise en compte de la dimension territoriale contribuera « à développer des communautés durables » et à éviter « qu’un développement régional inégal amenuise le potentiel de croissance global »85. Par rapport à la coopération transfrontalière, il est précisé qu’un effort doit être fait pour concentrer l’aide sur les priorités les plus importantes afin de soutenir la croissance et la création d’emploi86. Mais une dimension humaine et sociale s’inscrit également dans les objectifs pour la coopération transfrontalière, car l’UE souhaite soutenir les actions qui contribuent à l’intégration économique et sociale87. Cette rupture avec le passé ne signifie pas pour autant qu’Interreg est désavoué. En intégrant « la coopération territoriale » comme un objectif à part entier dans le nouveau dispositif de la politique de cohésion à partir de 2007, l’UE rend plutôt hommage à la dynamique créée par les différents programmes Interreg: la coopération transfrontalière est désormais une partie intégrante de la politique régionale, au même rang que la politique d’aide à l’emploi ou le développement durable. Car, l’UE se rend compte qu’une « coopération plus étroite entre les régions de l’UE devrait aider à accélérer le développement économique et à générer une croissance plus élevée»88. En même temps, l’incorporation d’Interreg dans un objectif plus général traduit la volonté de l’UE de sortir les régions frontalières de leur statut spécifique, confiné à la périphérie des régions communautaires. A côté de la coopération transnationale et interrégionale, la coopération transfrontalière devient donc un outil reconnu de la politique régionale. Pour l’espace du Rhin supérieur, les nouvelles orientations de la Commission européenne pour la coopération territoriale impliquent aussi une rupture avec le passé. Par rapport à la division « institutionnelle » de l’espace rhénan, la perspective d’un objectif unique de coopération territoriale vise à une approche plus globale et exige donc la suppression de sous-programmes dans une même région transfrontalière89. Jusque fin 2006, les deux programmes Interreg répondaient chacun à des problématiques différentes par des stratégies adaptées à son espace, tout en conservant une nécessaire cohérence et coordination, en particulier lorsqu'il s'agissait de mener des projets communs à l'ensemble du Rhin supérieur. Pour la nouvelle phase de programmation 2007–2013, un programme unique Interreg Rhin supérieur est présenté le 4 avril 2007 à la Commission européenne, dont la gestion est confiée à la Région Alsace90. La fusion des deux programmes Interreg Pamina et Centre-Sud est donc à l’ordre du jour. Si cette fusion est ressentie comme une simplification de gestion par les porteurs de projets, elle représente en revanche un bouleversement pour les acteurs institutionnels, notamment ceux de l’espace Pamina, pour lesquels le programme Interreg avait été 84 85 86 87 88 89 90
www.ec.europa.eu, consulté le 10.10.2008. Décision du Conseil de l’Union européenne relative aux orientations stratégiques communautaires en matière de cohésion du 18.8.2006. Cf. « Fiche d’information 2006 », inforegio et « Séminaire sur le futur objectif 3 des fonds structurels », Commission européenne, 21,22 février 2005, Bruxelles sur www.espacestransfrontaliers.org, consulté le 22.11.2006. « La coopération territoriale dans les orientations stratégiques communautaires (OSC) », op.cit. Décision du Conseil du 18.8.2006, op.cit., p. 47. Décision du Conseil du 18.8.2006, op.cit., p. 49. www.interreg-rhin-sup.eu, consulté le 10.10.2008.
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intégré dans une logique d’identification et d’institutionnalisation d’un sousespace de coopération91. Quant au contenu du nouveau programme de coopération territoriale pour l’espace rhénan, les responsables régionaux misent à nouveau sur la continuité. Premièrement, les recommandations du Conseil européen pour la coopération transfrontalière à partir de 2007 mentionnent bien que la priorité dans les régions transfrontalières plus expérimentées serait à accorder, d’une part, à la compétitivité transfrontalière et, d’autre part, « au renforcement d’une identité transfrontalière dans le cadre de la citoyenneté européenne »92. Ainsi, l’évolution du programme Interreg dans l’espace rhénan jusqu’en 2006 montre que les projets Interreg s’inscrivent déjà dans cette direction. Puis, les axes prioritaires du nouveau programme opérationnel du Rhin supérieur qui est accepté par la Commission européenne le 24 octobre 2007, vont également en ce sens: il s’agit « d’utiliser le potentiel économique de l’espace du Rhin supérieur en commun, faire une région intégrée en matière formation, de travail et d’habitat, et d’assurer un développement durable »93. Enfin, le programme est dénommé par les acteurs transfrontaliers du Rhin supérieur « d’un accord commun » comme le programme « Interreg IV »94. En dépit de la disparition d’Interreg des dispositifs des fonds communautaires, la région du Rhin supérieur continue donc à utiliser la dénomination Interreg pour son programme opérationnel. Ceci prouve qu’Interreg s’est établi comme un véritable volet de la coopération transfrontalière dans cette région que personne ne souhaite abolir.
Conclusion L’impact des programmes Interreg dans l’espace du Rhin supérieur depuis la mise en place du projet-pilote par la Commission européenne, en 1989, jusqu’à la définition de la coopération territoriale, en 2007, montre principalement trois tendances qui se renforcent au fur et à mesure des générations des programmes Interreg. Premièrement, à cause de la réalisation du projet-pilote entre 1989 et 1991 qui est limitée à l’espace Pamina au Nord de la région rhénane, Interreg crée une division de l’espace correspondant à deux programmes distincts: Interreg Pamina et Interreg Centre-Sud. Celle-ci ne se limite pas à une simple division territoriale, mais s’accompagne, au niveau politique local, d’une identification régionale aux sous-espaces créés et d’une institutionnalisation progressive renforçant les subdivisions territoriales. Ces dernières sont maintenues sous pression des responsables politiques locaux des sous-espaces concernés jusqu’à la fin d’Interreg III. En 2007, la nouvelle politique de cohésion sociale qui exige une 91
92 93 94
Toutefois, en 2007, l’institutionnalisation de Pamina est suffisamment avancée pour ne pas être remise en cause par la disparition du programme spécifique pour cet espace. En effet, un eurodistrict Régio Pamina est fondé en tant que groupement local de coopération transfrontalière en 2003, sur la base de l’accord de Karlsruhe, cf. www.eurodistrict-regio-pamina.eu, consulté le 1.2.2008. Ibid, p. 49. Décision de la Commission européenne C2007 5136 du 24.10.2007 portant adoption du programme opérationnel Interreg IV Rhin supérieur. Cf. Résumé du programme opérationnel Interreg IV, document disponible sur www.interreg-rhin-sup.eu, consulté le 10.10.2008.
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approche plus globale aux territoires régionaux (d’un point de vue européen) et qui rend ainsi impossible la maintenance des deux programmes dans l’espace rhénan, représente ici une véritable rupture. Les acteurs du Rhin supérieur se voient dans l’obligation de rompre avec le status quo et de fusionner les deux programmes opérationnels, même s’ils sont liés à une identification locale transfrontalière, notamment en ce qui concerne l’espace Pamina. Un deuxième impact d’Interreg sur la coopération dans l’espace du Rhin supérieur se situe au niveau du nombre d’initiatives transfrontalières. Il s’agit du déclenchement d’une dynamique de projets qui aboutit jusqu’à la fin d’Interreg III à un total de plus de 300 projets transfrontaliers dans les deux programmes du Rhin supérieur et qui montre que les régions frontalières disposent d’un potentiel de développement que la coopération transfrontalière peut exploiter. Ce potentiel est encore accru par une institutionnalisation de la gestion des projets transfrontaliers, avec la mise en place progressive de structures communes. Toutefois, à partir de la fin des années 1990, des critiques sont formulées par les responsables d’Interreg dans l’espace du Rhin supérieur quant à la lourdeur de la gestion financière imposée par la Commission européenne. Sans remettre en cause le succès d’Interreg, certains vont jusqu’à rappeler que le programme Interreg ne doit pas remplacer la coopération « classique » qui doit aussi pouvoir continuer sans aide communautaire. Or, le troisième impact d’Interreg sur la région du Rhin supérieur est que ce programme s’établit comme un véritable volet de la coopération institutionnelle que personne ne souhaite abolir. En effet, lorsque l’UE décide, dans le cadre de la réforme de sa politique régionale des fonds structurels en 2007, de remplacer Interreg par un objectif de coopération territoriale qui regroupe la coopération transfrontalière, interrégionale et transnationale, les acteurs du Rhin supérieur refusent d’accepter la suppression d’Interreg. S’ils sont obligés d’accepter la fusion des deux programmes Pamina et Centre-Sud, ils maintiennent l’appellation « Interreg IV » pour leur nouvel programme opérationnel pour la période 2007– 2013. Ceci montre qu’Interreg est bien ancré dans la pratique et la conscience des acteurs transfrontaliers sur place.
ZUSAMMENFASSUNG Drei Tendenzen lassen sich bei der Auswirkung des Interreg-Programms am Oberrhein seit Einführung des Pilotprojektes der Europäischen Kommission 1989 bis zur Definierung der territorialen Kooperation 2007 aufzeigen, die sich im Laufe der Interreg Programmgenerationen immer weiter verstärkten. Erstens hat Interreg aufgrund der Realisierung des Pilotprojektes von 1989 bis 1991, das sich allein auf den Pamina-Raum im Norden der Oberrheinregion begrenzte, eine Gebietsaufteilung bewirkt, die auch zwei unterschiedliche Programme zur Folge hatte: Interreg Pamina und Interreg Mitte-Süd. Diese Aufteilung war nicht nur räumlich bedingt, sondern wurde auf lokalpolitischer Ebene von einer regionalen Identifizierung mit den räumlichen Untereinheiten und einer progressiven Institutionalisierung begleitet, die diese territorialen Subdivisionen verstärkten. Letztere wurden vor allem unter Druck der politischen Verantwortlichen aus den betroffenen Gebieten bis Ende der Interreg III Periode
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beibehalten. Die neue Kohäsionspolitik 2007, die (aus Europäischer Sichtweise zumindest) einen globaleren Ansatz zu den Regionalgebieten erforderte und es daher unmöglich machte, die beiden Programme am Oberrhein beizubehalten, bedeutete in dieser Hinsicht einen wahren Umbruch. Die Akteure am Oberrhein sahen sich gezwungen, mit dem status quo zu brechen und die beiden operationellen Programme zusammen zu legen, obwohl diese einer lokalen grenzüberschreitenden Identifizierung entsprachen, insbesondere was das Pamina-Gebiet betraf. Eine zweite Auswirkung von Interreg auf die Zusammenarbeit im Oberrheingebiet zeigt sich bei der ansteigenden Anzahl grenzüberschreitender Initiativen. Es wurde eine wahre Projektwelle ausgelöst, die bis zum Ende von Interreg III mehr als 300 grenzüberschreitende Projekte im Rahmen beider InterregProgramme hervorgerufen hat und die beweist, dass grenzüberschreitende Regionen ein erhebliches Entwicklungspotenzial in sich bergen, das die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ausschöpfen kann. Dieses Potenzial wurde durch die Institutionalisierung des grenzüberschreitenden Projektmanagements und der progressiven Einrichtung gemeinamer Verwaltungsstrukturen noch vergrößert. Dennoch gab es ab Ende der 1990er Jahre einige Kritik von Verantwortlichen der Interreg-Programme am Oberrhein, die vor allem die von der Europäischen Kommission auferlegten umfangreichen Finanzkontrollen anprangerten. Ohne dabei den Erfolg von Interreg in Frage zu stellen, gingen einige Kritiker so weit, daran zu erinnern, dass Interreg nicht die „klassische“ Kooperation ersetzen sollte, die auch ohne finanzielle Unterstützung aus Brüssel weiterlaufen können müsse. Trotzdem kann als dritte Auswirkung von Interreg auf die Oberrheinregion festgehalten werden, dass das Programm sich als ein fester Bestandteil der institutionellen Zusammenarbeit etabliert hat, den niemand abschaffen möchte. In der Tat, als die Europäische Union im Rahmen ihrer regionalpolitischen Reform der Strukturfonds 2007 entschied, Interreg durch die Zielsetzung der transnationalen territorialen Kooperation zu ersetzen, die die grenzüberschreitende interregionale und transnationale Zusammenarbeit zusammenführen sollte, weigerten sich die Akteure am Oberrhein, die Abschaffung von Interreg so zu akzeptieren. Sie mussten zwar die Zusammenführung der beiden Programme Pamina und Oberrhein Mitte-Süd anerkennen, behielten jedoch die Bezeichnung « Interreg IV » für das neue operationelle Programm für die Periode 2007–2013 bei. Dies zeigt, dass Interreg schon fest in der Praxis und im Bewusstsein der grenzüberschreitenden Akteure am Oberrhein verwurzelt ist.
SUMMARY Three tendencies of how the Interreg program has had an impact on the Upper Rhine region – from the introduction of the pilot project by the European Commission in 1989 until the definition of territorial cooperation in 2007 – can be identified, and they have been intensifying over the course of several generations of the Interreg program.
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First, due to the realization of the pilot project from 1989 until 1991, which was solely limited to the area around Pamina in the northern part of the Upper Rhine region, Interreg has created a division of the territory, which in turn spawned two different programs: Interreg Pamina and Interreg Centre-South. This division was not only caused by territorial differences, but it was also accompanied on the local political level through a regional identification with the territorial subunits and by a progressive institutionalization, which reinforced these territorial subdivisions. The latter were retained until the end of Interreg III, mainly due to pressure exerted by local politicians from the affected territories. In 2007, the new cohesion policy, which demanded (at least from a European perspective) a more global approach to the regional areas and made it thus impossible to maintain both programs of the Upper Rhine region, represented a true break with the past. The actors of the Upper Rhine saw themselves forced to abandon the status quo and to merge the two operational programs, even though those programs complied with a local cross-border identity, which was particularly the case in the Pamina area. A second effect Interreg had on the cooperation in the Upper Rhine region can be seen by the increasing number of cross-border initiatives. The program triggered a wave of projects and the end of Interreg III, more than 300 bordercrossing projects had been created through the framework of both Interreg programs. This proves that cross-border programs have an enormous potential for development, which can be used to full potential through cross-border cooperation. This potential was increased further through the institutionalization of cross-border project management and a progressive implementation of shared administrative structures. However, since the end of the 1990s executives in the Interreg program have voiced some points of criticism that are mainly targeted at the extensive financial controls imposed by the European Commission. Without scrutinizing the success of Interreg, some critics went so far as to remind us that Interreg should not replace the “classic” cooperation, which is supposed be able to continue functioning even without financial support from Brussels. Still, for the third impact of Interreg on the Upper Rhine region it can be said that the program managed to establish itself as a permanent constituent of institutional cooperation, which no one wants to abolish. As a matter of fact, when the European Union decided during the regional reforms of the structural funds in 2007 to replace Interreg with the new objective of “transnational territorial cooperation”, the actors on the Upper Rhine region refused to accept its abolishment. While they ultimately had to accept the merging of the two programs Pamina and Centre-South, they were able to keep the designation “Interreg IV” for the new operational program during the period of 2007-2013. This shows that Interreg is already deeply rooted in the practice and consciousness of the crossborder actors on the Upper Rhine region.
DIE GROßREGION SAARLORLUX/RHEINLAND-PFALZ/ WALLONIEN STÄRKEN UND SCHWÄCHEN EINER EUROPÄISCHEN KERNREGION CLAUDE GENGLER Die Ziele dieses Vortrags bestehen darin, zu zeigen wie groß die Abhängigkeit zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und seinen Nachbarregionen bzw. staaten mittlerweile geworden ist, was die Großregion SaarLorLux/RheinlandPfalz/Wallonien ausmacht, inwiefern dieser große und äußerst komplexe Grenzraum zum Teil einzigartig in Europa ist und auf welche Potentiale der Zusammenarbeit und der Synergieentwicklung man zurückgreifen kann... wenn, ja wenn der nötige politische Wille vorhanden ist.
1. Ganz Luxemburg ist eine Grenzregion Mit seinen 2.586 km², einer maximalen Nord-Süd-Distanz von 82 km und einer Ost-West-Distanz von 57 km kann das ganze Land Luxemburg als eine „Grenzregion für sich“ bezeichnet werden. In der Tat ist kein Punkt im Landesinnern mehr als 30 km vom Ausland entfernt. Ganz Luxemburg ist im Übrigen „förderungswürdig“ im Rahmen der Interreg-Programme, ein Umstand, der natürlich vorteilhaft ist. Dabei verlief die Jahrhunderte dauernde Entwicklung vom Herzogtum Luxemburg, wie es im Mittelalter Bestand hatte, bis zum heutigen Großherzogtum, das viermal kleiner ist und in seiner jetzigen Ausdehnung erst seit knapp 175 Jahren besteht, alles andere als ruhig und friedlich. Ein kleiner Exkurs in die Geschichte Luxemburgs und ein Blick auf eine historische Karte zeigt uns im südlichen Teil Gebiete, die bereits 1659, nach der Unterzeichnung des Pyrenäenfriedens, an Frankreich abgetreten wurden. Im Osten des heutigen Luxemburgs sehen wir Landstriche, die 1815 – nach dem Wiener Kongress – an Preußen abgetreten wurden und schließlich im Westen ein ziemlich großes Areal (in der Hauptsache die heutige belgische Provinz Luxemburg) das 1839 – nach der belgischen Revolution – an das belgische Königreich abgetreten werden musste. Obwohl man davon ausgehen kann, dass vor fünfhundert Jahren die Einwohner des 10.000 km² großen Herzogtums nicht dasselbe „nationale Zugehörigkeitsgefühl“ entwickelt haben bzw. entwickeln konnten, wie wir es heute kennen, ist dieser historisch-kartografische Rückblick nicht uninteressant, insbesondere vor dem Hintergrund der vielfältigen Verflechtungen, die es heute noch – oder wieder – zwischen Luxemburg und seinen Nachbarregionen gibt.
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2. Eine wachsende Abhängigkeit vom nahen und fernen Ausland Luxemburg ist stark abhängig vom Ausland und ganz besonders von seinen drei Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich und Belgien, mit denen das Land gemeinsam die Großregion SaarLorLux/Rheinland-Pfalz/Wallonien bildet. Werfen wir einen Blick auf die Landesbevölkerung: Luxemburg kann man getrost als „demografischen Schmelztiegel“ bezeichnen, mit seinen 524.900 Einwohnern (Stand: 1.1.2012)1, darunter 295.000 Luxemburger (56%) und 229.900 im Land ansässige Ausländer (44%). Unter ihnen befinden sich 85.300 Portugiesen und 19.000 Italiener, aber auch 33.100 Franzosen, 17.200 Belgier und 12.300 Deutsche, also 62.600 Einwanderer aus den drei Nachbarländern Luxemburgs. Ohne Einwanderung würde die Landesbevölkerung seit Jahrzehnten schrumpfen! Bemerkenswert ist auch die Entwicklung des Arbeitsmarkts: Das Großherzogtum gilt als „Arbeitgeber Nummer 1 der Großregion“. Das Land zählte Ende 2012 382.000 Arbeitsplätze bei einer Wohnbevölkerung von 525.000 Menschen. 360.000 Arbeitende (94%) waren Lohnempfänger und davon 158.000(!) Grenzgänger (44%). Über 78.000 Menschen pendeln jeden Tag allein aus Frankreich ein und aus und jeweils rund 40.000 aus Belgien und aus Deutschland. In 10 bis 15 Jahren werden die Luxemburger eine demografische Minorität im eigenen Land darstellen – ein Umstand, der auf dem Arbeitsmarkt bereits heute der Fall ist: Der Privatsektor ist nämlich zu 80% in Ausländerhand.
3. Die Großregion SaarLorLux/Rheinland-Pfalz/Wallonien Die Großregion ist ein grenzüberschreitendes, transnationales Gebiet, das sich aus fünf Teilgebieten, nämlich dem Saarland, der Region Lothringen, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Bundesland Rheinland-Pfalz und dem belgischen Wallonien2 zusammensetzt, und vier EU-Mitgliedsstaaten unmittelbar betrifft: die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Belgien, die Republik Frankreich und das Großherzogtum Luxemburg. In diesem Raum werden offiziell drei Landessprachen3 gesprochen, also Deutsch, Französisch und Luxemburgisch; es treffen dort zwei große Kulturräume aufeinander, der germanische und der romanische. Wir haben es mit einem Kooperationsraum zu tun, der außergewöhnliche Potenziale besitzt und der sich mehr und mehr zu einem wichtigen, transnationalen Wirtschaftsraum entwickelt. Die Visitenkarte der Großregion (vgl. Tab. 1) kann sich sehen lassen: Eine Gesamtfläche von 65.400 km², eine Bevölkerung von 11,4 Millionen Einwohner, ein kumuliertes Bruttoinlandsprodukt (BIP) von über 320 Milliarden Euro, ein Dutzend Städte mit wenigstens 100.000 Einwohnern sowie 1 2 3
Quelle: STATEC, Luxemburg in Zahlen, Ausgabe 2013. Zur Region Wallonien gehören auch noch die Französische Gemeinschaft Belgiens und die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens. Das Französische, das Deutsche und das Luxemburgische („Lëtzebuergesch“). Die Muttersprache der Luxemburger wurde durch das Sprachengesetz von 1984 offiziell als solche anerkannt; gleichzeitig bekamen die französische und die deutsche Sprache den Status offizieller und gleichberechtigter Verwaltungssprachen. Das Luxemburgische wurde allerdings nie in den Rang einer Arbeitssprache der EU aufgenommen. Einige Landsleute bedauern dies zutiefst...
DIE GROßREGION SAARLORLUX/RHEINLAND-PFALZ/WALLONIEN
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zigtausend Unternehmen, von denen viele grenzüberschreitend bzw. international tätig sind. Abbildung 1: Die Großregion und ihre „Kernzone“ Quelle/Autor: Forum EUROPA – Karte: IRI
Gleichzeitig handelt es sich um einen Raum starker Gegensätze: Rheinland-Pfalz zählt fast acht Mal mehr Einwohner als Luxemburg; Lothringen ist neun Mal größer als das Saarland, dafür ist das Land an der Saar vier Mal dichter besiedelt; die Arbeitslosenquote ist in Wallonien drei Mal höher als in Rheinland-Pfalz. Von Interesse ist auch das Verhältnis zwischen Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerung: Das BIP Luxemburgs ist drei Mal größer als es vom demografischen Potential des Kleinstaats eigentlich sein soll(te); im Saarland und in Rheinland-Pfalz halten sich die Werte im Gleichgewicht; Lothringen und Wallonien fallen etwas ab, da ihr BIP „schwächelt“ im Bezug zu den demografischen und räumlichen Möglichkeiten. Der SaarLorLux-Raum (wie die Großregion auch oft genannt wird) kann noch mit zahlreichen anderen Stärken aufwarten, angefangen mit seiner geographischen Lage, seiner Geschichte, seiner kulturellen, architektonischen, städtebaulichen, artistischen und natürlichen Reichtümer, seiner Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Nicht zuletzt gilt die Großregion aber auch als „Wiege der Europäischen Union“, hat sie doch zahlreiche bekannte Staatsmänner hervorgebracht.
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Tabelle 1: Die Großregion: Bevölkerung, Fläche, Dichte, BIP, Arbeitslosigkeit Quellen: Statistische Ämter der Großregion; aktualisierte Arbeitsmarktdaten (Ende 2012/Anfang 2013), zum Teil Schätzungen und eigene Berechnungen Luxemburg Bevölkerung (Mio Einw.) in % Fläche (km²) in % Dichte (Einw./ km²) BIP (Mia €) in % BIP % / Bev. % Abeitslose in % Quote
0,52
Lothringen
SaarRheinland- Wallo- Gesamt land Pfalz nien 2,35 1,01 3,99 3,50 11,37
4,6 2.586
20,6 23.547
8,9 2.570
35,1 19.853
30,8 16.845
100 65.401
3,9 201
36,0 99
3,9 393
30,4 201
25,8 208
100 174
42,8
55,4
30,5
113,2
79,7
321,6
13,3 2,9
17,2 0,8
9,5 1,1
35,2 1,0
24,8 0,8
100 1,0
16.000
112.800
34.600
108.600
258.600
530.600
3,0 6,4
21,3 10,0
6,5 6,8
20,5 5,1
48,7 15,7
100 ~9
4. Die Grenzgänger, der „Zement“, der die Großregion zusammenhält Die Großregion SaarLorLux/Rheinland-Pfalz/Wallonien bildet so etwas wie ein Sammelbecken für Grenzgänger aller Art. Es werden mittlerweile gut 225.000 Grenzpendler gezählt. Damit zählt der erweiterte SaarLorLux-Raum ein Drittel sämtlicher in der EU arbeitenden Grenzgänger. Über 70% davon, fast 160.000 Personen, finden jeden Tag den Weg nach Luxemburg.
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DIE GROßREGION SAARLORLUX/RHEINLAND-PFALZ/WALLONIEN
Tabelle 2: Grenzgängerströme in der Großregion Quellen: Statistische Kurzinformationen der Statistischen Ämter der Großregion, 2013 (www.grande-region.lu); STATEC, Arbeitsmarktzahlen September 2012 (www.statec.lu); auf- bzw. abgerundete Zahlen Regionen Saarland Lothringen Luxemburg RheinlandPfalz Wallonien Gesamt
Am Arbeitsort (1) 42.600 1.500 159.000 17.100
In % 18,8 0,7 70,2 7,6
Am Wohnort (2) 25.200 103.500 600 56.500
In % 11,1 45,7 0,3 25,0
Saldo (1 - 2) +17.400 -102.000 +158.400 -39.400
6.200 226.400
2,7 100
40.600 226.400
17,9 100
-34.400 +/-0
Sämtliche Teilgebiete der Großregion sind von den Pendlerströmen betroffen, also nicht nur Luxemburg. Die Verteilung ist, wie so oft in der Großregion, sehr ungleichmäßig. Es gibt sowohl inter- als auch intra-nationale Bewegungen, beispielsweise zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz. Auffallend ist die starke Polarisierung auf Luxemburg und die Einseitigkeit der Ströme: Luxemburg „empfängt“ jeden Tag 159.000 Grenzgänger, „schickt“ aber nur 600 Arbeitnehmer zu seinen Nachbarn4. Ein wichtiger Hinweis: Nicht jeder Grenzgänger aus Frankreich ist ein Franzose. Unter den 17.700 Pendlern aus Lothringen beispielsweise, die im Saarland arbeiten, befinden sich fast 5.000 Deutsche, in der Hauptsache ehemalige Saarländer, die im Departement Moselle einen neue Heimat gefunden haben. Eine ähnliche Entwicklung erlebt zur Zeit Luxemburg: Viele Menschen verlassen das Land, um sich in unmittelbarer Nähe niederzulassen, arbeiten allerdings weiterhin im Großherzogtum. Somit werden auch immer mehr Luxemburger zu „Grenzgängern im eigenen Land“.
5. Was ist die Großregion? Ein „Paradies für Tanktouristen“ und andere Konsumenten? Ja, aber nicht nur... obwohl der Verkauf von Treibstoff (Benzin, Diesel), Tabakwaren und Alkohol (Spirituosen) pro Jahr über 1 Milliarde EURO in die Luxemburger Staatskasse spült. Die „Aire de Berchem“, an der Autobahn A3/E25 Luxemburg-ThionvilleMetz gelegen, ist Europas größte Tankstelle. Ein transnationaler Wirtschaftsraum? In der Tat. Die Wirtschaft sucht sich ihren Weg, auch und gerade in Grenzregionen, siehe die Grenzgänger- und Konsumentenströme, die Unternehmensverflechtungen, die Bedeutung des luxemburgischen Absatzmarktes für Handwerks- und Bauunternehmen aus der Region und nicht zuletzt die grenzüberschreitende Kundenbetreuung von Bank- und Finanzinstituten.
4
Und das sind zum Teil nicht einmal gebürtige Luxemburger.
170
CLAUDE GENGLER
Ein Kooperationsraum der Extraklasse? Zweifellos. Die Großregion zeichnet sich in der Tat durch eine große Zahl und eine exemplarische Vielfalt von Kooperationsstrukturen aus, und zwar auf (fast) allen Ebenen: Exekutive: Gipfel der Großregion, Legislative: Interregionaler Parlamentarier-Rat (IPR), Verwaltung: Regionalkommission bzw. Haus der Großregion, Kammern und Verbände: neben den üblichen Arbeitsgemeinschaften gibt es auch – einzigartig in Europa – einen Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion, Gewerkschaften und Parteien, Städte und Kommunen (Städtenetze wie Quattropole5 und Tonicités6), Universitäten: Charta der Universitäten, Interreg IV-Projekt „Universität der Großregion“, Polizei: gemeinsame Polizeidienstelle in Luxemburg-Stadt, Kultur: Vereinigung der Museen der Großregion, Vereinigung „Kulturraum Großregion“. Tabelle 3: Stärken-/Schwächen-Analyse einiger herausragender Institutionen Institution Gipfel der Großregion
5 6
Stärken (+) - Besetzung (höchste politische Ebene, d. h. die Chefs der Exekutive persönlich) - Größe der (theoretisch) zur Verfügung stehenden Verwaltungsapparate - Große Mediatisierung - Tradition (im Januar 2013 fand der 13. Gipfel seit 1995 statt) - Rotationsprinzip („Jeder kommt mal dran“)
Schwächen (-) - Unterschiedliche Kompetenzen - Kompetenzgerangel in einzelnen Teilgebieten (z. B. in Lothringen und in Wallonien) - Unterschiedliche Interessenslagen - Große räumliche Distanz zum Kern der Großregion (Mainz, Namur) - Zahl der Delegationen - Lange, komplexe Tagesordnungen - Kurze Beratungszeit - Kein zentrales, permanentes Sekretariat - Keine politische Sanktion, also kein Erfolgszwang - Keine kritische Bilanzierung („Tunnelblick nach vorn“)
Luxemburg, Trier, Saarbrücken und Metz. Luxemburg, Esch/Alzette, Longwy, Arlon, Thionville und Metz (Nota bene: Dieses Städtenetz hieß bis vor kurzem „Lela+“).
DIE GROßREGION SAARLORLUX/RHEINLAND-PFALZ/WALLONIEN
Interregionaler ParlementarierRat (IPR)
- Tradition (bereits 1986 gegründet) - Zahl der Mitglieder (zehn pro Partnerregion) - Relativ gute politischräumliche Repräsentativität
Regionalkommission SaarLorLuxTrier/Westpfalz
- Traditionsreiche Institution (besteht bereits seit 1971) - Zusammensetzung (hohe Regierungs- und Verwaltungsbeamte) - Vielseitigkeit (große Zahl der Arbeitsgruppen) - Einige interessante Studien, Vorschläge und Projekte
171
- Kaum eigene Kompetenzen - Rein beratend-konsultative Funktion - Nationale Sicht- und Herangehensweisen dominieren das Geschehen - Starke Fluktuation in der Zusammensetzung (bedingt durch viele Wahlen) - Keine politische Sanktion, also kein Erfolgszwang - Jahrelang kein klar identifizierter Auftraggeber, d. h. Mangel an klaren Richtlinien (seit 2005 wird deshalb direkt dem Gipfel zugearbeitet) - Unterschiedliche Zusammensetzung der Arbeitsgruppen (in Zeit und Raum) - Sprachprobleme (Übersetzung!) - Unterschiedliche Kompetenzen und Kompetenzverteilung - Kein gemeinsames Budget, Mangel an Koordination, Haus der Großregion wird z. T. den (hohen) Erwartungen (noch) nicht gerecht - chronischer Mangel an Visibilität
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CLAUDE GENGLER
Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion (WSA-GR)
- Zusammensetzung (Arbeitgeber-, Gewerkschafts-, Regierungs-, Kommunalvertreter und sonstige Experten) - Symbolcharakter (erstes grenzüberschreitendes Gremium dieser Art in Europa)
- Konzertierungsform in Deutschland so nicht bekannt - Hohe Mitgliederzahl (36 permanente und 36 Ersatzmitglieder) - Schwerfällige Plenarsitzungen - Mangel an Kontinuität (u.a. bedingt durch das Rotationsprinzip)
Trotz alledem stellt sich natürlich die Frage der Effizienz dieser Strukturen: Wie schaut das „Input/Output“-Verhältnis aus? Anders ausgedrückt: „Was kommt hinten raus“? Fakt ist, dass konkrete, strukturrelevante, langfristig ausgelegte, nachhaltige, bürgernahe und praxisorientierte Projekte (leider) Mangelware bleiben. Viele der genannten Strukturen „beschließen“ kaum etwas: Sie „fordern“, „raten“, „begutachten“, „begrüßen“, „wünschen“ und „empfehlen“, seit Jahren, manchmal sogar seit Jahrzehnten (vgl. Tab. 3).Ist die Großregion eine Solidargemeinschaft? Bis jetzt nicht. Trotz aller Stärken birgt der SaarLorLux-Raum nämlich eine ganze Reihe eindeutiger Schwächen und Probleme: Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, unqualifizierte Schulabgänger, sehr starke sozioökonomische Gegensätze, Verschuldung, Armut, demografische Alterung, Abwanderungstendenzen, Schrumpfungsprozesse, akuter Mangel an bezahlbarem Wohnraum usw. Der Luxemburger Arbeitsmarkt beispielsweise ist zweifellos grenz(en)überschreitend, die Arbeitsmarktpolitik bleibt jedoch ein rein nationales Handlungsfeld. Dasselbe gilt für die Sozialpolitik, die Gesundheitspolitik, die Bildungspolitik und viele andere wichtige Politikfelder. Dabei braucht jeder der fünf Partner den anderen. Drei Beispiele: a) Der Mythos des luxemburgischen Rekord-„Pro Kopf“-Bruttoinlandsprodukts. Knapp 520.000 Luxemburger erwirtschaften im Jahr 2011 ein BIP von 42,8 Milliarden Euro, was einem Durchschnittswert von 82.700 Euro pro Einwohner7 entspricht. Frage: Welchen Anteil dieses BIPs hat Luxemburg eigentlich seinen zahlreichen Grenzgängern zu verdanken? Unser Vorschlag: Das BIP durch die Einwohner plus die Familienmitglieder der Grenzgänger8 teilen... und sich über den immer noch sehr guten und hohen Wert von 47.400 Euro freuen. b) Der demografische Wandel in der Großregion. In Rheinland-Pfalz und im Saarland soll die Bevölkerung bis 2030 zum Teil deutlich zurückgehen. Von richtigen „Schrumpfungsprozessen“ – insbesondere im 7 8
Bei einer durchschnittlichen Landesbevölkerung von 518.000 Einwohnern. Macht bei einer durchschnittlichen Grenzgängerzahl von 154.400 und einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,5 Personen immerhin 386.000 Menschen. Zählt man die Einwohner dazu, lommt man auf eine „fiktive“ Landesbevölkerung von 904.000 Menschen.
173
DIE GROßREGION SAARLORLUX/RHEINLAND-PFALZ/WALLONIEN
ländlichen Raum – ist die Rede. Der Bevölkerungsrückgang macht sich übrigens bereits seit Jahren bemerkbar: Das Saarland hat seit 1994 76.000 Einwohner verloren, Rheinland-Pfalz seit 2005 immerhin 66.000. „Na und?“ wird ein kurzfristig denkender Luxemburger vielleicht dazu sagen. Geht es den Partnern jedoch demografisch gesehen schlecht, wird auf Dauer auch Luxemburg darunter leiden, und sei es nur dadurch, dass weniger Grenzgänger zur Verfügung stehen werden. Tabelle 4: Bevölkerungsprognose 2010–2030 Quelle: Statistische Ämter der Großregion (2011) Regionen
2010
In %
2030
In %
Entwicklung
Relativ
Gewichtung
Saarland
1.022.600
9,0
894.100
7,9
-128.500
-12,6%
-1,1 Pkt.
Lothringen
2.342.000
20,7
2.390.400
21,0
+48.400
+2,1%
+0,3 Pkt.
Luxemburg
502.100
4,4
646.700
5,7
+144.600
+28,8%
+1,3 Pkt.
RheinlandPfalz Wallonien
4.012.700
35,4
3.789.600
33,3
-223.100
-5,6%
-2,1 Pkte.
Gesamt
3.456.800
30,5
3.656.000
32,1
+199.200
+5,8%
+1,6 Pkt.
11.336.200
100,0
11.376.800
100,0
+40.600
+0,4%
+/-0,0 Pkt.
c) Das Gesundheitssystem bzw. die Gesundheitsversorgung. Ohne belgische Ärzte und ohne französische und deutsche Krankenschwestern würde das luxemburgische Gesundheitssystem zusammenbrechen. Gleichzeitig lassen sich Tausende Luxemburger9 in der Großregion operieren, behandeln, gesund pflegen. Krankenhäuser unterschreiben Kooperationsverträge, die Rettungsdienste werden grenzüberschreitend organisiert, es wird gemeinsam geforscht und ausgebildet... und das ist bestimmt erst der Anfang.
6. Neue Entwicklungen Stichwort „Grenzüberschreitende Wohnmobilität“:
Sie zeigt, wie durchlässig die Landesgrenzen mittlerweile geworden sind, etwa zwischen Luxemburg und seinen Nachbarregionen (vgl. Abb. 2). Ein von der Stiftung Forum EUROPA und dem luxemburgischen Ceps-Institut durchgeführtes Forschungsprojekt hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Zwischen 2001 und 2007 haben 7.715 Personen (nicht berufstätige Familienmitglieder nicht mitgezählt!) Luxemburg verlassen, um sich im nahen Grenzgebiet niederzulassen, darunter 1.900 Franzosen (25%), 1.842 Luxemburger (24%), 1.645 Belgier (21%), 637 Portugiesen (8%), 575 Deutsche (7%) sowie 1.116 Vertreter anderer Nationalitäten (15%). Von diesen 7.715 „Auswandernden“ haben 3.033 in Frankreich (39%), 2.608 in Belgien (34%) und 2.074 in Deutschland (27%) einen neuen Wohnort gefunden. 9
Seit mehreren Jahren jeweils zwischen 17.000 und 18.000 Personen.
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CLAUDE GENGLER
Während es die Französischsprachigen eher nach Frankreich und Belgien zieht und die Deutschen logischerweise nach Deutschland, bevorzugen die Luxemburger das deutsche Grenzgebiet entlang der Mosel. Die „Hemmschwelle“ (wenn es denn eine solche gegeben hat), sich im Ausland niederzulassen und weiterhin in Luxemburg seinem – in der Regel gut bzw. besser bezahlten – Beruf nachzugehen, ist in den letzten Jahren jedenfalls deutlich gesunken. Abbildung 2: Zahl der in Luxemburg arbeitenden Personen, die zwischen 2001 und 2007 das Land verlassen haben, um sich im Grenzgebiet niederzulassen Quelle: Ceps/Instead & Forum EUROPA (2010)
Zweites Beispiel: Die internationalen Metropolisierungstendenzen in und um die Stadt Luxemburg herum. In der Tat ist Luxemburg nicht nur die Hauptstadt des Großherzogtums gleichen Namens und gleichzeitig eine der drei europäischen Hauptstädte, sondern auch noch wirtschaftliches Gravitationszentrum der Großregion. Sie zählt zwar nur knapp über 100.000 Einwohner, dafür aber rund 180.000 Arbeitsplätze. Diese sind besetzt von zirka 40.000 in der Stadt wohnenden und etwa 70.000 aus „Rest-Luxemburg” stammenden Arbeitnehmern; dazu kommen ungefähr 70.000 Grenzgänger aus den umliegenden ausländischen Grenzbezirken. Nur 10% der Pendler benutzen öffentliche Transportmittel. Das luxemburgische Autobahnnetz gehört zu den meist befahrenen in ganz Europa und ist hoff-
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nungslos überlastet. Jeden Morgen und jeden Abend dasselbe Bild: „Rien ne va plus“ – Nichts geht mehr.Vor dem Hintergrund dieser schwerwiegenden Entwicklungen stellt sich natürlich die Frage der richtigen Governance. Zwar gibt es eine ganze Reihe toller und innovativer Projekte, etwa die gemeinsame Dienststelle für polizeiliche Zusammenarbeit im Grenzgebiet mit Sitz in der Stadt Luxemburg, das Schengen-Lyzeum in Perl, erstes deutsch-luxemburgisches Gymnasium, zugänglich für Schüler aus Deutschland, Luxemburg und Frankeich, die deutsch-luxemburgische Kläranlage von Perl-Besch, an der Mosel gelegen, das deutsch-luxemburgisch-französisches Hochwasserfrühwarnsystem, das „Kulturjahr 2007“, während dem „Luxemburg und die Großregion“ DIE europäische Kulturhauptstadt Europas waren, der drängende politische Wille, aus diesem Raum wirklich eine herausragende europäische Kern- und Grenzregion mit Modellcharakter machen zu wollen, scheint allerdings bis dato zu fehlen. Setzt eine effiziente Governance nicht absolute Transparenz, bedingungsloses Vertrauen, systematische Konsultations- und Konzertierungsprozesse sowie die prinzipielle Bereitschaft, auch mal auf etwas verzichten zu können bzw. etwas teilen zu wollen, voraus? Hierfür fehlt in der Großregion (im Moment noch) die nötige Weitsicht. Die Denkweisen und Handlungsmethoden sind leider immer noch sehr stark von strikt nationalen Denkschemen geprägt.
7. Einige grundsätzliche Überlegungen zum Schluss Ein Politikerspruch lautet: „Bevor wir uns in Sachen grenzüberschreitender Kooperation weiter aus dem Fenster hinauslehnen, muss die Großregion erst einmal Einzug in die Köpfe ihrer Bewohner halten.” Diesen Satz hört man leider sehr oft, dabei ist die grenzüberschreitende Dimension aus den Köpfen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger gar nicht mehr wegzudenken. „Moderne” Grenzen trennen zwar weniger und sind auch durchlässiger geworden, sind aber keinesfalls komplett verschwunden und machen nach wie vor die zum Teil gewaltigen Unterschiede deutlich, die Nachbarregionen voneinander unterscheiden. Grenzüberschreitende Kooperation sollte natürlich kein Selbstzweck sein. Sie ist selten einfach und braucht eine gehörige Portion politischen Willens und Durchsetzungskraft. Im Übrigen wachsen Grenzregionen von unten zusammen, nicht von oben. „Kooperation” ist nicht gleichzusetzen mit „Integration”. Die EU befindet sich in einem Integrationsprozess, mit (größtenteils) klar definierten Institutionen, Zuständigkeiten und Entscheidungsprozeduren. Es gibt Zielsetzungen und Direktiven, anders ausgedrückt: Rechte, Pflichte und Sanktionen. Ganz anders sieht die Lage in der Großregion aus. Nahezu alles, was hier passiert, erfolgt auf einer freiwilligen Basis. Es handelt sich demnach um einen ziemlich losen Zusammenschluss, mit Kooperationsstrukturen, die meistens nur wenig konkrete und verbindliche Entscheidungen treffen können. „Bilateral” kommt oft vor „multilateral”: In der Großregion sind bilaterale Treffen, Abmachungen und Projekte nach wie vor von großer Bedeutung. Zwei Partner einigen sich einfach schneller als drei, vier oder fünf. Manchmal kann es dann sogar zu „Nachahmungseffekten“ kommen, wenn beispielsweise ein dritter
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CLAUDE GENGLER
Partner sieht, warum und wie zwei andere Teilgebiete erfolgreich zusammenarbeiten. Die Bürger müssen informiert, sensibilisiert, motiviert, mitgenommen werden. Vor diesem Hintergrund spielt die Berichterstattung in den Medien, insbesondere in der Tagespresse, eine herausragende Rolle. Oft ist die Zeitung in der Tat die einzige Informationsquelle, zu der der einzelne Bürger Zugang hat. Die Großregion geht uns alle an. Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sollten deshalb nicht ausschließlich der Politik und der Verwaltung überlassen werden. Natürlich sind die von der Politik vorgegebenen Rahmenbedingungen wichtig für die grenzüberschreitende Kooperation. Wirklich innovative Kräfte findet man allerdings auf dieser Ebene eher nicht. Da sind dann andere Akteure gefragt, beispielsweise Unternehmen, Universitäten, so genannte „Denkfabriken“ und natürlich die oft zitierte, aber nur sehr selten implizierte Zivilgesellschaft.
Bibliografische Angaben und Quellen Carpentier, Samuel (Hrsg.): Die grenzüberschreitende Wohnmobilität zwischen Luxemburg und seinen Nachbarregionen. Schriftenreihe FORUM EUROPA, Band Nr. 6, Editions Saint-Paul, Luxemburg, 2010, S. 162. Cavet, Marine; Fehlen, Fernand; Gengler, Claude: Leben in der Großregion – Studie der grenzüberschreitenden Gewohnheiten in den inneren Grenzräumen der Großregion SaarLorLux/Rheinland-Pfalz/Wallonien. Schriftenreihe FORUM EUROPA, Band Nr. 2, Editions Saint-Paul Luxembourg, 2006, S. 148. Statistische Kurzinformationen 2013, Statistische Ämter der Großregion, Luxemburg/ Saarlouis, Januar 2013.
Interessante Internetseiten www.grossregion.net: offizielle Internetseite der Großregion www.grande-region.lu: Internetseite der statistischen Ämter der Großregion www.forum-europa.lu: Internetseite der Stiftung Forum EUROPA www.plurio.net: Kulturseite der Großregion www.statec.lu: Internetseite des luxemburgischen statistischen Amtes STATEC
RÉSUMÉ Cette communication insiste sur les nombreux liens qui existent entre le GrandDuché de Luxembourg et ses régions voisines que sont la Rhénanie-Palatinat, la Sarre, la Lorraine et la Wallonie. L’auteur cherche à montrer en quoi cette région transfrontalière déjà ancienne, très grande et extrêmement complexe, située au cœur de la « vieille Europe », est à maints égards uniques au sein de l’Union européenne. Le travail frontalier constitue le principal « ciment » de la Grande Région. Des dizaines de milliers de frontaliers (225.000 au total) traversent tous les jours une ou plusieurs frontière(s) pour aller travailler de l’autre côté. Et ce n’est pas tout :
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il y a aussi les flux transfrontaliers des consommateurs, les interconnexions entre entreprises et, bien sûr, la coopération institutionnalisée avec le Sommet de la Grande Région (niveau exécutif), la Commission régionale (niveau administratif), le Conseil parlementaire interrégional (niveau législatif), sans oublier le Comité économique et social de la Grande Région (patronat et syndicats), la Charte de coopération universitaire, les réseaux urbains transfrontaliers (Quattropole et Tonicités) et les unions transfrontalières des Chambres de Commerce et de l’Industrie et des Chambres de Métiers. La coopération transfrontalière avance à grands pas et les interdépendances augmentent tous les jours un peu plus. Quel serait le PIB du Luxembourg sans l’apport de ses quelque 160.000 frontaliers? Et quel serait son système de santé sans la présence de médecins belges et d’infirmières françaises et allemandes? Mais la Grande Région n’est pas encore un espace solidaire. Les clivages interrégionaux restent importants, tout comme les incohérences des systèmes politiques, juridiques et réglementaires, sans parler des mentalités, qui sont différentes, et des barrières mentales qui subsistent. Les régions transfrontalières sont devenues des espaces-charnières. Elles sont appelées à jouer un double rôle important, tant en matière d’intégration européenne que sur le plan du rapprochement des citoyens avec l’Europe. Certaines d’elles, et la Grande Région en fait partie, présentent des potentialités de développement extraordinaires et demandent, de ce fait, à être considérées à leur juste valeur. Et si l’Europe des Régions, dont il est souvent question, était en train de devenir une « Europe des Régions transfrontalières »?
SUMMARY This paper is deals with the multiple links existing between the Grand-Duchy of Luxembourg and its neighboring regions, namely Rhineland-Palatinate, Saarland, Lorraine region and Wallonia. We tried to illustrate that this quite ancient, vast and extremely complex cross-border region, located in the middle of « old Europe » can – from several points of view – be considered to be unique within the European Union. Cross-border work is undoubtedly the main « cement » of this transnational area. Thousands of commuters (225.000 within the total area) are crossing every day one or more border(s) to go to work. But that is not all: cross border consumption is very pronounced, there are many cross-border links and activities between firms and, of course, there is an amazing range of institutional cooperation structures. For example, the Greater Region Summit (executive level), the so called Regional Commission (administrative level), the Interregional Parliamentary Council (parliamentary level), and last but not least, the Council for Economic and Social Affairs of the Greater Region (employers’ organizations and trade unions), the charter for university cooperation, the cross border urban networks (Quattro pole, Tonicities) and the cross-border cooperation between Chambers of Commerce and Industry respectively between guild chambers. Cross-border cooperation is developing at a very high speed and interdependencies are increasing day and night. What would be Luxemburg’s GDP
VERWALTUNGSKULTURELLE MUSTER IN DER GRENZÜBERSCHREITENDEN ZUSAMMENARBEIT DAS BEISPIEL OBERRHEIN JOACHIM BECK 1. Grenzüberschreitende Gebiete: ein multidimensionales Phänomen Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa gewinnt beständig an Bedeutung. Spätestens mit der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes, d.h. dem offiziellen Wegfall der internen Grenzen in Europa, wurde offensichtlich, dass die europäischen Grenzregionen eine sehr spezifische und zentrale Rolle im Europäischen Integrationsprozess spielen. Dies wurde nochmals verstärkt durch die Osterweiterung, die das Spektrum dessen, was wir als grenzüberschreitende Gebiete in Europa definieren können, quantitativ, vor allem aber auch qualitativ erweiterte. Die Bedeutung der grenzüberschreitenden Gebiete lässt sich durch einige wenige Zahlen illustrieren: Ca. 30% der EU-Fläche lässt sich als Grenzgebiet einstufen. Schätzungsweise 30% der EU-Bevölkerung lebt in oder nahe von Grenzgebieten. Von den 362 beim Europarat registrierten Regionen sind mehr als 140 Grenzregionen. Lediglich 7% der europäischen Bevölkerung sind innerhalb der EU in dem Sinne mobil, dass sie im Laufe ihres Lebens in einem anderen Staat wohnen oder arbeiten – aber über 80% dieses insgesamt sehr relativen Phänomens findet in den Grenzregionen statt. Dieser spezifische Gebietstypus, der in den offiziellen Dokumenten sowie in den fachlichen und räumlichen Entwicklungsstrategien der Europäischen Kommission bislang eine eher untergeordnete Nebenrolle gespielt hat, erbringt spezifische Funktionen für die Verwirklichung des Europäischen Integrationsprozesses. Insbesondere im Zusammenhang mit den Diskussionen um das Grünbuch „Territorialer Zusammenhalt“ der Europäischen Kommission, wird deutlich, dass die Grenzregionen in diesem Kontext eine prominente Rolle spielen. Die spezifischen Potenziale, über die grenzüberschreitende Gebiete für die Entwicklung des territorialen Zusammenhalts in Europa verfügen, lassen sich anhand der folgenden 6 Innovationsfelder illustrieren: 1. Modell-Funktion: Grenzgebiete sind die idealen Modell-Räume für eine Politik der Stärkung des territorialen Zusammenhalts, da hier mit einer entsprechenden Kohäsionspolitik besonders einfach sichtbare Effekte erzielt werden können. 2. Akteursspezifische Integrationsfunktion: Die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Gebieten umfasst nicht nur Kooperation zwischen öffentlichen Akteuren, sondern kann auch gezielt wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenziale aktivieren: Der Bürgerbezug eines europäischen territorialen Zusammenhalts kann letztlich nur hier wirklich erlebbar gemacht werden.
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3. Aufgabenseitige Vernetzungsfunktion: Grenzüberschreitende Gebiete ermöglichen es, das Konzept des territorialen Zusammenhalts mit einer größeren thematischen Breite auszufüllen, als dies bei nationalen Gebieten der Fall ist. Zudem ist es hier leichter möglich, eine sektorübergreifende Sicht auf die territoriale Entwicklung zu verwirklichen und auch zu entsprechenden Clusterbildungen zu kommen. 4. Laborfunktion: Die grenzüberschreitenden Gebiete erfüllen in vielen Themenbereichen eine wichtige Laborfunktion für die Europäische Integration, sie sind experimentelle europäische Lebens-, Wirtschafts-, Arbeits- und Freizeiträume. Da die meisten Rechtsgebiete, die für diese horizontale Alltagsmobilität relevant sind (Arbeits-, Sozial- Steuerrecht etc.) bislang nicht durch die Europäische Union harmonisiert wurden, leistet die praktische grenzüberschreitende Kooperation der betreffenden Verwaltungsstellen vor Ort auch einen wichtigen Beitrag zur territorialen Kohäsion. 5. Steuerungsfunktion: Grenzgebiete sind besonders geeignet, neue Formen der territorialen Governance zu entwickeln, da sie für eine grenzüberschreitende Vernetzung von Schlüsselakteuren aus den Bereichen Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft stehen, Akteure verschiedener institutioneller und räumlicher Ebenen in Steuerungsprozesse integrieren und damit besonders gut geeignet sind, territoriale Entwicklungsziele integriert zu realisieren. 6. Scharnierfunktion: Grenzüberschreitende Gebiete sind wichtig für die Realisierung großräumiger transnationaler Korridore in Europa, denn sie sind die Scharniere unterschiedlicher nationaler Systeme. Nur wenn die Potenziale der grenzüberschreitenden Gebiete richtig entwickelt werden, lassen sich auch die transnationalen europäischen Entwicklungspolitiken realisieren. Entwickelte grenzüberschreitende Gebiete werden so von Engpassfaktoren bzw. Flaschenhälsen zu aktiven Promotoren und Partnern der europäischen Ebene. Die Europäischen Grenzregionen haben neben diesen übergeordneten Grundfunktionen noch eine weitere sehr spezifische Funktion: Sie sind geeignet, das politische Postulat des Wegfalls der europäischen Grenzen zugleich zu relativieren und zu differenzieren. Die Grenze ist heute in Europa ein multidimensionales Phänomen. Blickt man auf die Realitäten der Lebens- und Arbeitswelten sowie des Freizeitveraltens der Grenzbewohner, die horizontalen Verflechtungen von Wirtschaft und Forschung, die Kooperationen zwischen Politik und Verwaltungen so lässt sich feststellen, dass das Grenzphänomen und damit auch der Gegenstand der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sich nicht mehr nur auf eine einfache räumliche Trennfunktion reduzieren lässt. Grenzüberschreitende Gebiete sind Subsysteme die sich aus der horizontalen Vernetzung (und punktuellen Integration) von funktionalen Teilbereichen der jeweils in Frage stehenden nationalen Referenz-Systeme konstituieren. Neben der räumlichen umfasst die Grenze damit weitere Dimensionen, welche den analytischen Fokus der Ausgangsbedingungen, Strukturierungen, Verfahrensmuster und materiellen Lösungsbeiträge des Subsystems „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ erweitern.
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In der praktischen Realität der grenzüberschreitenden Gebiete zeigt sich zum einen, dass die politische Dimension der Grenze noch immer eine sehr starke Rolle spielt. Die Handlungslogik der Akteure wird primär dadurch geprägt, dass sich eine Dominanz der einzelstaatlichen gegenüber der grenzüberschreitenden politischen Rationalität konstatieren lässt: Wahlbezirke, politische Mandatsgebiete und politische Zuständigkeiten werden in der grenzüberschreitenden Realität noch immer primär durch die jeweiligen nationalen Regeln und Verfahren bestimmt. Auch in Grenzregionen wird ein Politiker zunächst einmal dafür wiedergewählt, was er für seine „eigenen“ Wähler und nicht dafür, was er für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit geleistet hat. Das Subsystem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hat keine eigenen, unmittelbaren politischen Legitimationsverfahren, diese müssen aus denjenigen der Partnerregionen abgeleitet werden: es gibt nirgends in Europa ein direkt gewähltes grenzüberschreitendes Parlament, sondern lediglich entsprechende Abordnungen aus dem einzelstaatlichen Kontext. Entsprechend schwierig ist es – insbesondere in Zeiten knapper werdender öffentlicher Haushalte – zu einer Rechtfertigung des grenzüberschreitenden Engagements insgesamt zu kommen. In den Parlamenten auf der lokalen, regionalen oder der staatlichen Ebene spielen die Themen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oft eine vergleichsweise eher nachgeordnete Rolle und im Zweifel wird der einheimische Kindergarten, die Renovierung der eigenen Schule, das eigene Gewerbe- und Baugebiet usw. dem grenzüberschreitenden Projekt vorgezogen. Im Subsystem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit treffen ferner unterschiedliche politische Systeme aufeinander, die durch jeweils eigene Verfahren, Regeln und Rationalitäten gekennzeichnet sind. Wahlverfahren, Stellung, Gestaltungsspielraum oder Ressourcenausstattung eines deutschen Bürgermeisters oder Landtagsabgeordneten lassen sich nur schwer vergleichen mit denjenigen seines französischen, schweizer, niederländischen, polnischen oder tschechischen Pendants. Auch die landesspezifischen politischen Kulturen und Verfahren der politischen Legitimierung unterscheiden sich vielfach grundlegend. Im Subsystem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit begegnen sich diese politischen Systemgrenzen auf vielfache Art und Weise. Die alltäglichen Schwierigkeiten in der Begründung einer gemeinsamen politischen Rationalität zur Lösung von strategischen Fragestellungen eines gemeinsamen grenzüberschreitenden Gebiets verdeutlichen die politische Dimension des Grenzphänomens. Sie hängen u.a. auch damit zusammen, dass es in den Medien und den Köpfen der handelnden und beobachtenden Akteure bislang noch keine grenzüberschreitende Öffentlichkeit gibt. Ähnlich stellt sich auch die ökonomische Dimension der Grenze dar. Noch immer besteht Europa primär aus nationalen Volkswirtschaften, die zwar in zunehmendem Maße mit einander verflochten, deren systemische Grundlagen und Ausprägungen jedoch trotz supranationaler Harmonisierungspolitiken primär einzelstaatlicher Natur sind. In den grenzüberschreitenden Gebieten kommen diese ökonomischen Systemgrenzen einmal mehr in besonderem Maße zum Tragen. Die grenzüberschreitende Clusterbildung stellt hier noch immer eher die Ausnahme dar. Dominant sind Produktions- und Wertschöpfungsketten, die an dem jeweiligen binnenstaatlichen Kontext ausgerichtet sind. Das Niveau unmittelbarer grenzüberschreitender Zulieferbeziehungen beispielsweise ist in vielen grenzüberschreitenden Gebieten im Vergleich zum internationalen Exportanteil
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der in Frage stehenden Unternehmen deutlich geringer ausgeprägt. Andererseits ist die Mobilität der Beschäftigten in Grenzgebieten sehr groß. Wenn in Luxemburg mehr Menschen arbeiten als dort wohnen, wenn 10% der Erwerbstätigen des Elsass in Baden bzw. der Nordwestschweiz arbeiten und damit das Grenzgängerphänomen in Europa ein sehr einseitiges ist, so illustriert dies letztendlich die ökonomische Dimension der Grenze. In der Regel haben sich in grenzüberschreitenden Gebieten jenseits des sog. kleinen Grenzverkehrs (Tank-, Tabak-, Konsumtourismus) bislang kaum funktionale Arbeitsteilungen in größerem Umfang entwickelt: Handel, Gewerbe, Produktion und Dienstleistungen bewegen sich jenseits der spezifischen Situation unmittelbarer grenznaher Städte auf einem Niveau, das deutlich unter 10% liegen dürfte. Die rechtliche Dimension der Grenze wiederum manifestiert sich darin, dass es bis heute keine transnationalen Rechtsinstrumente im eigentlichen Sinne gibt. Die verfügbaren Rechtsformen und -instrumente, auf welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa angewiesen ist, basieren in ihrer konkreten Anwendung und Ausgestaltung letztlich immer auf dem entsprechenden Rechtskreis des Sitzlandes. Ein grenzüberschreitender örtlicher Zweckverband (GÖZ) nach dem Karlsruher Übereinkommen, ein Verbund für die Territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) oder eine Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) nach dem sekundären EU-Recht begründen kein eigenes transnationales Recht, sie stellen vielmehr lediglich eine Fassade dar: das Fundament, die tragenden Wände bis hin zur den Details der Innenausstattung richten sich – um im Bild zu bleiben – nach den geltenden nationalen Vorschriften. Auch ein transnationales Vereinsrecht, das für viele Akteure eine interessante Alternative zu den öffentlich-rechtlichen Rechtsformen wäre, besteht nicht: ein Partner muss sich immer der Rechtsordnung eines anderen Partners unterwerfen, die Entwicklung einer gemeinsamen Lösung, die zugleich ein Symbol für eine echte grenzüberschreitende Integration wäre, ist demgegenüber kaum möglich. Hinzu kommt erschwerend, dass all diejenigen Rechtsgebiete, die für die horizontale Mobilität in Europa und insbesondere in den grenzüberschreitenden Gebieten von Relevanz sind (Arbeits-, Sozial-, Steuerrecht, Allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht etc) nicht durch den Europäischen Gesetzgeber harmonisiert sind und es auch bis dato kein primäres grenzüberschreitendes Verwaltungsverfahrensrecht gibt. Dass die EU im Interesse der Mitgliedstaaten zudem zunehmend von dem „integrationsfreundlichen“ Instrument der Richtlinie Gebrauch macht, verstärkt die rechtliche Dimension der Grenze zusätzlich, da hierdurch vielfach nationale Rechtsstandards auf der Ebene der Fachgesetze eher festgeschrieben, denn harmonisiert werden. Eng mit der rechtlichen ist auch die administrative Dimension der Grenze verbunden. Öffentliche Verwaltungssysteme in modernen Gesellschaften sind durch vertikale und horizontale Differenzierung charakterisiert. Für den Europäischen Kontext gilt dabei, dass die Verwaltungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten diesbezüglich höchst unterschiedliche Ausprägungen aufweisen: das Spektrum reicht von föderalen Staaten wie Österreich und Deutschland, über (dezentralisierte) Einheitsstaaten wie Frankreich bis hin zu interessanten Mischformen wie Spanien und Italien. In grenzüberschreitenden Gebieten treffen unterschiedliche Verwaltungssysteme auf einander. Das Paradoxon grenzüberschreitender Gebiete besteht dabei darin, dass es in den einzelstaatlichen Verwaltungssystemen per se keine Zuständigkeit für grenzüberschreitende Angelegen-
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heiten geben kann. Die vertikale und horizontale Differenzierung der einzelstaatlichen Verwaltungen und damit deren Zuständigkeiten enden immer an der Systemgrenze – und diese symbolisiert sich naturgemäß an der Staatsgrenze. Es ist ein Grundsatz des modernen Völkerrechts, dass die Zuständigkeiten eines Staates sich nicht auf das Territorium eines anderen Staates erstrecken können, dass also grenzüberschreitende Interdependenzen (sozioökonomische Verflechtungen und Potenziale, negative spill-over-Effekte wie Umweltverschmutzung etc.) entweder durch eigens dafür geschaffene supra- oder internationale Einrichtungen oder eben durch die jeweils zuständigen nationalen Verwaltungen selbst wahrgenommen werden, die dann mit dem Nachbarland kooperieren. Die Unterschiedlichkeiten der nationalen Verwaltungssysteme was Aufbau- und Ablauforganisation, horizontale und vertikale Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung, Personalstrukturen sowie Verwaltungskulturen anbelangt, verdeutlichen die administrative Dimension der Grenze sowie die Komplexität von Ansätzen ihrer kooperativen Überwindung. Dass das Phänomen der Grenze auch eine sprachliche Dimension umfasst, ist relativ leicht ersichtlich. Systemgrenzen sind in der Regel eben auch Sprachgrenzen und das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Staaten impliziert – auch wenn dies kein konstitutives Element des auf Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt abhebenden völkerrechtlichen Staatsbegriffs ist – auch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Sprachen. In der Praxis wirkt sich diese Grenze indessen oftmals eher auf der Ebene der Akteure der Kooperation denn auf der Ebene der Bevölkerung aus, denn diese Akteure sind sehr viel stärker auf den institutionellen, durch einzelstaatliche Charakteristika geprägten Rahmen rückverwiesen (Rechts- und Verwaltungssprache als nationale, offizielle Amtssprache), als dies die Bevölkerung ist, die ihrerseits wiederum oft über regionale und/oder nationale Dialekte sich grenzüberschreitende Kommunikationsräume erschließen kann. Die sprachlichen Grenzen werden gleichwohl in der Praxis der grenzüberschreitenden Gebiete unterschätzt: es stellt sich immer wieder heraus, dass weniger Personen als erwartet die Sprache des Nachbarn aktiv oder zumindest passiv beherrschen. Dies hat auch damit zu tun, dass die Grenzgebiete in Europa noch immer in der Regel auch Schnittstellen unterschiedlicher Kultursysteme sind. Je gewollter Europa sich nach dem Leitmotiv der Subsidiarität gerade auch in kultureller Hinsicht dezentral differenzieren soll – und nicht anderes intendieren die meisten Mitgliedstaaten und Regionen zu Recht – desto stärker wird damit die kulturelle Dimension der Grenze aufgewertet. Bei allen Schwierigkeiten, die die Herausarbeitung und Klassifizierung landestypischer Kulturmuster in methodischer wie auch in normativer Hinsicht mit sich birgt (kein Mensch ist nur der Automat seiner Kultur und Stereotypisierungen behindern die interkulturelle Verständigung) und unter kritischer Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen einer Schaffung allgemeingültiger Kulturstandards, kann am Beispiel der grenzüberschreitenden Gebiete doch beobachtet werden, dass der so genannten Akkulturation offensichtlich systemische Grenzen gesetzt sind. Interkultureller Austausch und interkulturelles Lernen findet natürlich auf vielfältigen Ebenen statt und wird durch zahlreiche Projekte und Programme in grenzüberschreitenden Gebieten auch zu befördern gesucht. Allerdings findet Akkulturation wenn, dann allenfalls auf der Ebene von Individuen, d.h. einzelnen Akteuren statt, nicht jedoch auf der Ebene von Systemen: Das deutsche Regierungspräsidium hat auch nach
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40 Jahren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit keine verwaltungskulturellen Muster der französischen Préfecture übernommen, ebenso wenig wie der französische Conseil Général, das polnische Marschall-Amt oder die Schweizer Kantonsregierung durch die Kooperation mit deutschen Behörden ihre institutionellen Muster verändert haben. Zwar findet auch auf dieser institutionellen Ebene ein beträchtlicher gegenseitiger Austausch statt, der zu Lerneffekten (z.B. was good practices im Nachbarstaat anbelangt) führen kann. In der Regel ist indessen schon sehr viel erreicht, wenn man zu einer Sensibilisierung dafür kommt, dass es kulturelle Unterschiede gibt und dass das Funktionieren des Nachbarn nicht per se besser oder schlechter ist, als die eigenen Praxis. Grenzüberschreitende Gebiete sind eben gerade keine Inseln der interkulturellen Verständigung, sondern Schnittstellen, an denen unterschiedliche Kultursysteme sowie die Möglichkeiten und Grenzen ihrer systemüberschreitenden Interaktion bisweilen besonders stark sichtbar werden. Dabei kommt, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, dem Faktor „Verwaltungskultur“ eine besondere Bedeutung zu.
2. Verwaltungskultur in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein 2.1 Dimensionen einer Analyse von Verwaltungskultur Das Konzept der Verwaltungskultur geht letztendlich zurück auf die politikwissenschaftliche Kulturforschung, wie sie durch die frühen Arbeiten von Almond/Verba aus den 60er Jahren zum Thema der Civic-culture1 begründet wurde. Es hat seit den 80er Jahren insbesondere in der politikwissenschaftlichen Verwaltungsforschung, als spezifische Differenzierung der Teildisziplinen „Vergleichende Regierungslehre“ sowie der Policy-Forschung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ausgangspunkt war zum einen die Beobachtung, dass die politisch-administrativen Systeme unterschiedlicher Länder durch spezifische Funktionsmechanismen charakterisiert sind, welche wiederum durch das Einwirken unterschiedlicher nationaler Basiskulturen erklärt werden können. Diese Basisbefunde wurden durch vergleichende Implementationsforschungen europäischer Programme und Rechtssetzungen sowie durch entsprechende Querschnittsanalysen sektoraler Politikfelder in unterschiedlichen Mitgliedstaaten bestätigt. Eine der ersten umfassenden empirischen Studien in diesem Zusammenhang hat der damalige Speyerer Politologe Werner Jann durchgeführt. Er hat drei Dimensionen von Verwaltungskultur herausgearbeitet: Als Verwaltungskultur I bezeichnet er die Summe von gesellschaftlichen Wertvorstellungen die in einem bestimmten Land gegenüber der eigenen Verwaltung bestehen. Ergänzt wird dies um ein Verständnis von Verwaltungskultur, das sich auf die innerhalb einer Verwaltung selbst bestehenden Wertvorstellungen bezieht (Verwaltungskultur II). Die Kombination beider Dimensionen lässt sich dann für die Analyse und Erklärung länderspezifischer verwaltungskultureller Handlungsmuster heranziehen (= Verwaltungskultur III). Demnach lässt sich Verwaltungskultur definie1
Almond/Verba 1993.
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ren als die Summe der Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen die in und gegenüber einer Verwaltung bestehen. Man bemüht dabei auch die Dichotomie von Hardware (= Strukturebene) und „Software (=Interaktions-/Werteebene) der öffentlichen Verwaltung. In dieser Tradition definiert Thedieck Verwaltungskultur wie folgt: „Im Gegensatz zu der (rechtlichen und organisatorischen) Struktur erfasst Verwaltungskultur die Werte, Normen, Orientierungen und Handlungsmuster der öffentlichen Verwaltung“2. Einen anderen, stärker systemisch geprägten Zugang zum Phänomen der Verwaltungskultur lässt sich über die Organisationswissenschaften finden. In Anlehnung an die frühen Arbeiten von Parsons/Linton hat Rudolf Fisch3 eine breitere Definition von Organisationskultur vorgelegt, die insbesondere für die Zwecke der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die als ein kooperatives Subsystem nationaler Institutionen verstanden werden kann4, geeignet ist. Von einer eignen Organisationskultur kann demnach immer dann gesprochen werden, wenn die Mitglieder einer Organisation über identische Handlungsmotive und Selbstverständnisse verfügen, auf gemeinsame und anerkannte Symbolsysteme rekurrieren, identische Normen- und deckungsgleiche Wertesysteme besitzen und wenn diese spezifische Handlungs- bzw. Reaktionsmuster für Standardsituationen entwickelt haben. Der Speyerer Verwaltungshistoriker Stefan Fisch wiederum hat das sehr einprägsame und schöne Bild von Verwaltungskulturen als „geronnene Geschichte“ geprägt, während Dieter Schimanke, Vizepräsident der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften, in Anlehnung an weitere Arbeiten von Werner Jann5, jüngst folgende vier Dimensionen herausgearbeitet und damit eine Grundlage für die insbesondere auch interdisziplinärvergleichende Verwaltungskulturforschung gelegt hat6: 1. Opinions, attitudes, values concerning public administration (administrative culture in the narrow sense and part of the political culture), 2. Typical models of roles and orientations of the members of public administration, 3. Specific typical behavior in public administration (e.g. in a national public administration with a difference to other national public administrations), and 4. Administrative culture in the broadest sense would cover patterns of behavior, organizational forms and principles stable over time in a defined unit (e.g. a nation); this definition is close to the classical understanding of the anthropological definition of culture Gemeinsam ist diesen Definitionen zum einen ein Objektverständnis, das sich zwischen der Makroebene eines Staates und der Mikroebene des Individuums als länderspezifischem „Kulturträger“ verorten lässt und das sich mithin auf die Meso-Ebene der Verwaltungsorganisation bezieht. Zum anderen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Verwaltungskultur immer beides ist, nämlich so2 3 4 5 6
Thedieck 2006. Fisch 2002. Beck 2007. Jann 2002. Schimanke 2007.
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wohl als unabhängige Variable zur Erklärung unterschiedlicher politischadministrativer Muster, Outputs und Outcomes öffentlicher Politiken herangezogen werden kann, aber andererseits eben selbst wiederum ein kontingentes Phänomen darstellt, das – im Sinne einer abhängigen Variable – , wenngleich in einer bestimmten zeitlichen Dimension, durchaus durch externe Faktoren beeinflussbar und tatsächlich auch beeinflusst ist7. Verwaltungskultur kann insofern nicht losgelöst von den kulturellen Basisausprägungen einzelner Länder oder globaler Kulturkreise8 betrachtet werden und sie ist umgekehrt auch nicht der alles erklärende Faktor – so wie dies in der jüngeren Vergangenheit etwa bei der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells zu beobachten war, als mancher Protagonist der neuen „Bewegung“ beklagte, der moderne Ansatz sei an den Beharrungskräften einer überkommenen bürokratischen Verwaltungskultur gescheitert. Vielmehr lässt sich – wie auch in diesem Artikel unter 3. am Beispiel der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu zeigen sein wird – in den meisten Fällen realistischerweise ein Verständnis von Verwaltungskultur als intervenierender Variable begründen, das die Bedeutung des Konzepts nicht zu schmälern, aber im Sinne eines Kontingenzmodells weiter zu differenzieren sucht.9. Das folgende Schaubild stellt die vorherigen Überlegungen zu Konzept und Analysedimensionen von Verwaltungskultur schematisch dar: Abbildung 1: Analytische Dimensionen von Verwaltungskultur Quelle/Autor: Joachim Beck, EURO-Institut Makro-Level: Staat/Gesellschaft
Qualtitative und quantitative Methoden
Meso-Level: Organisation/ Verwaltung
Abhängige Unabhängig Intervenierende Variable?
Mikro-Level: Das Individuum
2.2 Verwaltungskulturelle Basisausprägungen am Oberrhein: Deutschland, Frankreich, Schweiz In der (vergleichenden) Kulturforschung lassen sich eine Reihe von Analysekriterien identifizieren, die sowohl für die Makro- als auch für die Mikro-Ebene genutzt werden. Im Sinne einer Verortung von Verwaltungskultur als institutionelle Meso-Ebene ist die Anwendung dieser Kriterien im Hinblick auf die Identifikation und Beschreibung länderspezifischer kultureller Basisausprägungen von 7 8 9
Beck 2006. Siehe König 2008, S. 120 ff der zwischen angelsächsischer civic-culture und kontinentaleuropäischer legalistischer Verwaltungskultur unterscheidet. Beck 2008.
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großer Bedeutung: sie können auch den kontextuellen Ausgangspunkt für die vergleichende Analyse unterschiedlicher „nationaler“ Verwaltungskulturen bilden. Die Analyse einschlägiger Publikationen lässt zusammenfassend folgende sieben Kriterien der (inter-) kulturellen Differenzierung erkennen10: 1. Kommunikationsstil: Kulturelle Unterschiede verschiedener Länder können daran festgemacht werden, welche generellen gesellschaftlichen Kommunikationsstile dominieren. Die empirischen Befunde reichen diesbezüglich von Kulturkreisen, die einen eher impliziten Kommunikationsstil pflegen bis zu Ländern, in denen ein expliziter Kommunikationsstil dominiert. 2. Zeitverständnis: Die Wahrnehmung und Interpretation der Rolle, die der Faktor Zeit in sozialen Beziehungen spielt, ist ein weiteres kulturelles Differenzierungsmerkmal. In sogenannten polychronen Kulturen herrscht ein Zeitverständnis vor, demzufolge der Mensch die Zeit dominiert, während in sog. monochronen Kulturen eher die Zeit den Menschen dominiert, was dann wiederum in beiden Ausprägungen direkte Konsequenzen für das jeweilige Selbstverständnis, den Umgang mit Zeit sowie deren relativer Bedeutung im gesellschaftlichen Miteinander hat. 3. Handlungsorientierung: Internationale Vergleichsanalysen haben des Weiteren Länder identifiziert, in denen die primäre soziale Handlungsorientierung sich auf Personen als konkretem Gegenüber bezieht. Im Gegensatz hierzu gibt es Landeskulturen, die der jeweils in Frage stehenden Aufgabe ein größeres Gewicht beimessen. Hieraus lässt sich das kulturelle Differenzierungskriterium Sach- versus Personenorientierung ableiten. 4. Differenzierungsgrad: Einheitlichkeit versus Differenz sowohl in gesellschaftlicher wie organisatorischer Hinsicht bildet ein weiteres wichtiges Differenzierungskriterium, anhand dessen sich unterschiedliche kulturelle Basismuster verschiedener Länder analysieren lassen. 5. Diskursorientierung: Auch die Art und Weise, wie soziale Diskurse strukturiert werden, stellt ein interkulturelles Differenzierungskriterium dar. Die beiden Gegensätze, die sich im Rahmen von empirischen Studien diesbezüglich herausarbeiten lassen, bilden zum einen Länder bzw. Kulturkreise, in denen Dissens ein wichtiges Charakteristikum darstellt: Dissens wird nicht per se als negativ, sondern als produktiv gesehen. Dem stehen Länder gegenüber, die durch eine ausgesprochene Konsenskultur charakterisiert sind. Einen interessanten Indikator in diesem Zusammenhang stellt z.B. die Streikquote (= Zahl und Dauer von Streiks pro sozialem Konfliktereignis) eines Landes dar 6. Machtdistanz: Die räumliche und/oder persönliche Distanz unterschiedlicher Macht- und Entscheidungsebenen kann zwischen verschiedenen Ländern/Kulturkreisen ebenfalls erheblich variieren. Elitäre Kulturen verfügen in der Regel über eine sehr viel höhere gesellschaftliche und 10
Die folgende Klassifizierung basiert auf einer interpretativen Querschnittsanalyse der Arbeiten von Hofstede 1980; Hofstede 1994; Hall 1984; Jann 2002; Jann 2006; Eder 2000; Todd:1999; Demorgon 2004; Davoine 2005; Thedieck 1992; Thedieck 2007.
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dann auch organisatorische Machtdistanz, als dies bei sog. egalitären Kulturen der Fall ist. 7. Problemlösungsstil: Schließlich unterscheiden sich – nicht zuletzt als Summe der bisher genannten Kriterien – auch die jeweils vorherrschenden individuellen wie kollektiven Problemlösungsmuster verschiedener Kulturkreise zum Teil erheblich. In bestimmten Ländern, so der empirische Befund, finden Problemlösungen überwiegend in Form eines linearen, sehr stark analytisch geprägtem Stil statt, bei dem die einzelnen Problemkomponenten in der Regel priorisiert und dann sequenziell abgearbeitet werden. Andere Landeskulturen sind dem gegenüber dadurch gekennzeichnet, dass Probleme zirkulär angegangen werden, wobei eine nicht-lineare Problembehandlung zum Teil kreative Kombinationen der einzelnen Problemdimensionen beinhalten kann, was in der Regel zur parallelen Bearbeitung verschiedener, eher ganzheitlich geprägter Problemlösungen führt. Diese sehr holzschnittartige Betrachtung lässt erkennen, dass die vergleichende Kulturforschung durch ein wirkliches Dilemma geprägt ist: Auf der einen Seite benötigt man Kriterien, um kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten überhaupt identifizieren und erklären zu können. Auf der anderen Seite muss ein solcher Vergleich immer pauschal bleiben und birgt latent die Gefahr der Reproduktion kultureller Stereotypen mit sich. Für die Analyse der verwaltungskulturellen Ausgangsbasis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein lohnt sich eine solche vergleichende Betrachtung indessen in mehrfacher Hinsicht. Zum einen verdeutlicht sie, dass es am Oberrhein Kulturprofile gibt, die sich offensichtlich in wichtigen Kriterien zum Teil ganz erheblich unterscheiden. Zugleich zeigt sie, dass diese kulturellen Profile nicht per se als alternativ oder gegensätzlich betrachtet werden können, sondern dass eine pauschale Kontrastierung nur schwer möglich ist. Bei manchen Kriterien sind sich Frankreich und die Schweiz deutlich ähnlicher als etwa Deutschland und die Schweiz. Bei anderen Kriterien wiederum lässt sich eine stärkere Kongruenz zwischen Deutschland und Frankreich beobachten. Genau diese hohe Differenz im Detail macht auch den praktischen Umgang der drei Landeskulturen mit einander am Oberrhein so voraussetzungsvoll und (im positiven wie negativen Sinne) bisweilen so spannungsreich. Das folgende Schaubild fasst die kulturspezifischen Profile der drei Nachbarstaaten am Oberrhein zusammen: Tabelle 1: Kulturelle Basisausprägungen von nationalen Teilregionen – Beispiel Oberrhein Quelle: Beck 2008 Kommunikationsstil Faktor Zeit Handlungsorientierung Differenzierung Diskursorientierung Machtdistanz Problemlösung
implizit polychron Person Einheit Dissens hoch zirkulär
F F F F
CH CH CH D F
F F
CH
D D
D D D CH CH CH D
explizit monochron Aufgabe Vielfalt Konsens niedrig linear
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Ein solcher kriterienbasierter Vergleich zeigt zudem, dass auch die verwaltungskulturellen Unterschiede deutlich weiter gehen, als die simple Dichotomie zwischen „Zentralstaat“ Frankreich einerseits und „Föderalstaat“ Deutschland und Schweiz andererseits. Offensichtlich bestehen auch jenseits der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer kontinentaleuropäischen Verwaltungsfamilie sehr große Differenzen im Detail der jeweils vorherrschenden verwaltungskulturellen Muster. Es soll im Folgenden anhand einiger für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit besonders relevanter Merkmale des Objektereichs gezeigt werden, wie stark die oben skizzierten länderspezifischen Kulturmuster (Makro- und Mikroebene) auch im (überindividuellen) Bereich der institutionellen Verwaltungskultur (Mesoebene) wirken, wie also aus den Basiskulturen heraus, Spezifika der jeweiligen Verwaltungssysteme und Charakteristika der Interaktion mit ihren jeweiligen Systemumwelten plausibilisiert werden können. Ein für die praktische grenzüberschreitende Zusammenarbeit wichtiges Merkmal der drei Verwaltungskulturen ist die Handlungslegitimation der relevanten Akteure. Hier zeigen sich zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz einige interessante verwaltungskulturelle Differenzen. Während in Deutschland die Handlungslegitimierung der öffentlichen Verwaltung in aller erster Linie auf einer entsprechenden Rechtsgrundlage basiert, und daraus entsprechende Akteursqualitäten sich primär aufgrund transparenter Zuständigkeitsverteilungen und daraus resultierender Sachzusammenhänge ergeben, kommen zu diesem Gesichtspunkt in Frankreich noch weitere Faktoren hinzu. So ist hier sehr oft auch die politische Zweckmäßigkeit eines bestimmten Themas oder Projekts, ganz sicher aber die ex ante Entscheidung bzw. der Wille der Hierarchie und/oder der Politik sowie sehr häufig auch die persönliche Beauftragung ebenso entscheidend für die Konstituierung einer Handlungslegitimation in den öffentlichen grenzüberschreitenden Angelegenheiten. Für die Nord-Westschweiz wiederum lässt sich dem gegenüber generell ein Rekurs auf die ökonomische und vor allem auch gesellschaftliche Zweckmäßigkeit anführen, dessen Basis in der Regel der Bürger- und der politische Wille ist. Für den einzelnen Akteur steht öfters die Frage der fachlichen und der persönlichen Kompetenz im Vordergrund. Auch hinsichtlich der Handlungsform lassen sich aus der grenzüberschreitenden Kooperation interessante Erfahrungswerte beobachten. Generell ist für Akteure der deutschen Verwaltung die Schriftlichkeit als Ausdruck des spezifischen deutschen Legalismus in den öffentlichen Angelegenheiten (Entscheidungen und Verwaltungshandeln muss immer „gerichtsfest“ sein) von besonderer Bedeutung: „Wer schreibt der bleibt“ ist ein gängiges Selbstverständnis der deutschen Verwaltungskultur. Es lässt sich eine nüchterne, formale Verwaltungssprache konstatieren, bei Verwaltungsakten mit Außenwirkung gibt es eine Rechtsbehelfsbelehrung und in der Regel sucht man Transparenz durch die Angabe von Namen, Durchwahl und e- mail Adresse des Sachbearbeiters. Eine ganz anderes Selbstverständnis hat diesbezüglich die französische Verwaltungskultur: die Bedeutung des gesprochenen Worts, mündliche Absprachen und persönlicher Kontakte zwischen den Verwaltungen (sowohl im Verhältnis Verwaltung zu Verwaltung als auch zwischen Bürger und Verwaltung) haben hier eine im Vergleich zum Schriftlichen ebenso wichtige Rolle. Die schriftliche Form ist eher synthetisch und dokumentiert und legitimiert ex-post eine Entscheidung, wobei selbst bei Verwaltungsakten sehr oft keine Rechtsbehelfsbeleh-
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rung erfolgt. Generell ist auch das informelle Verwaltungshandeln, im Vorfeld von Entscheidungen sehr viel wichtiger als formale Handlungsformen. Hier gleicht die französische der schweizerischen Verwaltungskultur, bei der ebenfalls die mündlichen Absprachen und persönlichen Kontakte zwischen den Verwaltungen als Handlungsform sehr wichtig sind, diese jedoch in der Regel dann in schriftliche Kontrakte münden. In der Struktur des eingesetzten Personals für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hinsichtlich Status und Ausbildung zeigen sich ebenfalls interessante verwaltungskulturelle Unterschiede. Hier ist für Deutschland die hohe Bedeutung der Spezialisten zu nennen, die sich insbesondere darin äußert, dass in weiten Bereichen der deutschen Verwaltung noch immer eine juristische Sicht- und Arbeitsweise dominiert (sog. Juristenmonopol). Zudem ist die deutsche Verwaltungskultur dadurch gekennzeichnet, dass in der Regel eine hohe fachliche Statusorientierung gegeben ist (z.B. haben Dr. Titel eine hohe Bedeutung) und zugleich eine relativ geringe institutionelle und räumliche Mobilität besteht, die zu einer hohen Kontinuität der Mitarbeiter in ihrem fachlichen und organisatorischen Kontext der beruflichen Sozialisation führt. Dem gegenüber spielen in der französischen Verwaltung neben den Spezialisten auch Generalisten eine große Rolle. Die Spezialisten sind aufgrund der Ausbildung traditionell zwischen Staatsdienst und Gebietskörperschaften getrennt, die Statusorientierung erfolgt eher aufgrund der faktischen hierarchischen Stellung und es lässt sich insbesondere im Bereich der dekonzentrierten Staatsverwaltung eine hohe institutionelle und räumliche Mobilität konstatieren, mit der Folge, dass personelle Zuständigkeiten sehr oft wechseln. Da zudem die Aufgabendifferenzierung zwischen den verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften relativ schwach ausgeprägt ist, kommt es regelmäßig zu offenen Kompetenzfragen. In Arbeitssitzungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sitzen daher sehr oft mehrere Vertreter der französischen Seite (Vertreter Staat, Region, Departement, Kommunen) einem deutschen oder schweizer Pendent gegenüber. Letztere wiederum sind, was die Personalstrukturen anbelangt, ebenfalls eher dadurch gekennzeichnet, dass neben den Fach-Spezialisten Generalisten mit öffentlichen Managementkompetenzen eine hohe Bedeutung haben. Dies kann auch dadurch erklärt werden, dass das Berufsbeamtentum in der Nordwest-Schweiz bis auf sehr wenige Kernbereiche abgeschafft ist und Verwaltungsmitarbeiter als Angestellte, mit z.T. befristeten, sehr stark auf individuellen Zielvereinbarungen basierenden Arbeitsverträgen angestellt sind. Hinzu kommt eine sehr hohe institutionelle Mobilität, die sehr oft auch zwischen öffentlichem, privatem und halbstaatlichem Sektor stattfindet. Eines der wichtigsten verwaltungskulturellen Merkmale, das für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von hoher auch strategischer Relevanz ist, ist die Rolle und Art, die Arbeitssitzungen spielen. In Deutschland sind Sitzungen in der Regel durch einen pünktlichen Beginn und ein festes Ende gekennzeichnet, die Sitzungsleitung bemüht sich, durch ein straffes Zeitmanagement und eine aktive Moderation eine hohe Ergebnisorientierung sicherzustellen. Tagesordnungspunkte sind oft sehr detailliert, durch ausführliche Sitzungsunterklagen vorstrukturiert und werden chronologisch abgearbeitet. Probleme, Sichtweisen, Kritikpunkte und Erwartungen werden direkt angesprochen, es wird versucht, noch in der Sitzung selbst eine Lösung zu finden und Entscheidungen möglichst nicht zu vertagen. In diesem Punkt ähnelt die deutsche der Schweizer Arbeits-
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kultur sehr, wobei die genannten Gesichtspunkte hier in der Regel noch sehr viel konsequenter gelebt werden und zudem auf den kreativen Austausch von Ideen sowie der Schaffung einer produktiven Arbeitsatmosphäre besonderen Wert gelegt wird. Probleme werden zwar ebenfalls direkt angesprochen, allerdings ist die generelle Konsensorientierung deutlich höher als in der deutschen Arbeitskultur. In der Praxis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit lassen sich bezüglich der Arbeitssitzungen große Unterschiede zur französischen Arbeitskultur feststellen. Generell ist hier die Diskurs- und Ideenorientierung im Zweifel wichtiger als die Zeit- und Ergebnisorientierung, wobei Probleme allerdings nicht direkt angesprochen werden. Es kommt oft vor, dass verschiedene Tagesordnungspunkte parallel behandelt und im Verlauf der Sitzung auch andere, eher grundsätzliche und/oder strategisch relevante Punkte angesprochen werden. Insbesondere auf der technischen Ebene kann so dann bisweilen der Eindruck entstehen, dass die Arbeitssitzung letztlich nur ein Ort der Begegnung und des Austausches, nicht jedoch tatsächlich auch der realen (Vor-) Entscheidung ist. Demgegenüber sind informelle Problemlösungsmuster, die außerhalb der offiziellen Sitzung mit der politischen Hierarchie und den anderen administrativen Ebenen entwickelt werden, in der französischen Verwaltungskultur grundsätzlich von sehr viel größerer Bedeutung. Dies liegt u.a. anderem auch daran, dass die Modi der Entscheidungsfindung in allen drei Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. In Deutschland hat die Verwaltung traditionell eine sehr hohe Vorentscheidungsfunktion im Verhältnis zur Politik. Bekannt ist der Satz des Verwaltungsrechtlers Otto Mayer, der einmal sagte: „Verfassung vergeht, Verwaltung besteht 11. Der Mitarbeiter einer deutschen Verwaltung wird sehr viel Energie und Engagement in der Phase der Entscheidungsvorbereitung investieren, denn die Entscheidungsfindung selbst findet auf Basis abgestimmter und unterschriftsreifer Unterlagen statt. Entscheidungen werden dann auch in der Regel so umgesetzt, wie sie vorbereitet und getroffen werden. Dabei spielen formaler Entscheidungsregeln (z.B. Geschäftsordungen und – verteilungspläne) ebenso eine große Rolle wie die spätere (gerichtliche) Nachvollziehbarkeit und Transparenz. In Frankreich lässt sich, insbesondere auf der Ebene der Gebietskörperschaften wiederum eine deutlich geringere Vorentscheidungsfunktion der Verwaltung konstatieren: Die Entscheidung erfolgt durch die politische Spitze. Ohne die politische Grundsatzentscheidung kann die Verwaltungsebene nicht aktiv werden. Daher ist die französische Verwaltungskultur durch ein hohes Engagement der Verwaltung in der Entscheidungsumsetzung charakterisiert: hier werden dann die politischen Grundsatzentscheidungen mit Details und konkreten Maßnahmen/Projekten ausgefüllt. Charakteristisch hierfür sind z.B. die zwischen Staat und Gebietskörperschaften auf der politischen Ebene abgeschlossenen Planverträge, die letztlich keine rechtlich bindenden Dokumente darstellen, sondern in denen die großen Projekte in der Regel nur allgemein beschrieben und mit Globalsummen hinterlegt sind. Die Verhandlungen über ihre Konkretisierung erfolgen dann auf Verwaltungsebene in der Umsetzung. Entsprechend sind auch formale Entscheidungsregeln weniger von Bedeutung, sondern es dominieren die informellen, anlassbezogenen Muster, mit denen der politische Konsens unter Wahrung des Gesichts der beteiligten Partner sicher gestellt wird. Ganz an11
Zit. nach Bleek 1989.
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ders die Entscheidungsmuster der Nordwestschweiz: Hier hat die Verwaltung ebenfalls eine wichtige Vorentscheidungsfunktion, die Entscheidung erfolgt in der Sitzung tatsächlich durch die anwesenden institutionellen Vertreter. Geschäftsordnungen und formale Kriterien haben insofern eine hohe Bedeutung, als sie die Konsensorientierung symbolisieren. Es wird großer Wert auf die Transparenz der Entscheidung gelegt, wobei sich in der Praxis ein sehr enges und partnerschaftliches Zusammenwirken von Politik und Verwaltung beobachten lässt. Die Entscheidungsfindung in der Schweiz steht zudem oftmals unter dem Vorbehalt der Bürgerbeteiligung, da über wichtige Vorhaben nicht nur die Parlamente, sondern eben direkt auch das Volk entscheiden kann – dies stellt wiederum ein Spezifikum der Schweizer Entscheidungsmechanismen im Vergleich zu Deutschland und Frankreich dar. In der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zeigt sich ferner, dass auch die jeweiligen Arbeitsstile der drei Verwaltungskulturen sehr unterschiedlich sind. Generell lässt sich beobachten, dass man in Deutschland ein methodisches, regelgeleitetes, systematisch und sehr analytisches Arbeiten gewohnt ist, die Problemwahrnehmung ist eher zukunfts- als gegenwartsorientiert. Es herrscht eine sehr hohe Sachorientierung vor, Akteure sind aufgrund einer Zuständigkeit beteiligt. Sehr wichtig ist ferner die in der Regel konsequente Trennung zwischen Berufs- und Privatleben – man beginnt und beendet den Arbeitstag in der Regel früh: bekanntermaßen ist es in Deutschland sehr schwer, am Freitagnachmittag noch öffentliche Bedienstete zu erreichen. Das in der Nordwestschweiz vorherrschende Muster ähnelt dem deutschen im Grundsatz, wobei allerdings die Problemwahrnehmung und damit der Maßstab für entsprechende Politik- und Lösungsansätze noch sehr viel stärker zukunfts- bzw. strategieorientiert sind und gleichermaßen eine hohe Sach-, Kommunikations- und Personenorientierung gegeben ist. Der Arbeitsstil zeichnet sich im Gegensatz zu Deutschland zudem dadurch aus, dass eine sehr hohe Ergebnis- und Umsetzungsorientierung vorherrscht, die sich u.a. durch das im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung eingeführte Steuerungssystem der Leistungskontrakte mit Ergebniscontrolling erklären lässt. Damit kontrastiert ein französischer Arbeitsstil, der auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung den Gesichtspunkten der Kreativität, Offenheit und Spontaneität große Bedeutung zumisst. Zudem sind die öffentlichen Angelegenheiten in der Regel sehr viel stärker politisiert und können schnell in interinstitutionelle Konflikt- und Blockadehaltungen der Akteure umschlagen. Die Problemwahrnehmung wiederum ist sehr oft eher gegenwartsorientiert, wobei generell eine sehr hohe Kommunikations- und Personenorientierung zu beobachten ist. Charakteristisch ist ferner eine starke Durchlässigkeit von Berufs- und Privatleben: das bekannte Mittagessen, bei dem man Geschäfte „nebenbei“ erledigt ist für Schweizer und Deutsche bisweilen ungewohnt. Schriftliche Vermerke haben in der französischen Verwaltungskultur eine hohe Bedeutung – sie dienen aber sehr oft eher der internen Absicherung denn einer ausschließlich sachorientierten Politikvorbereitung. Auch die Unterschiede in der institutionellen Differenzierung sind letztlich Ausfluss der länderspezifischen Kultur, und können als prägend für die dominierenden verwaltungskulturellen Muster gelten. In Deutschland lässt sich eine klare und transparente Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung zwischen Verwaltungsebenen konstatieren: die Kommunale Ebene hat andere Aufgaben als die Ebene der Kreise, der Regierungsbezirke, der Landes- oder der Bundesverwal-
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tung. Dem gegenüber ist in Frankreich eine geringe Aufgabendifferenzierung und folglich ein hoher Abstimmungsaufwand zwischen den (zentralen und dekonzentrierten) staatlichen und vor allem zwischen den gebietskörperschaftlichen Verwaltungsebenen zu konstatieren. Andererseits gibt es auf der Ebene des Gesamtstaates den Grundsatz der Unteilbarkeit der Republik, durch den – als Ausfluss des generellen auf Einheitlichkeit orientierten Kulturmusters – eine Harmonisierung von Verwaltungskraft und -qualität im gesamten Staatsgebiet anzustreben ist. Daher werden stets Lösungsmuster angestrebt, die letztlich allen institutionellen Ebenen und Akteuren gerecht werden müssen – mit entsprechenden Konsequenzen was Innovationsfähigkeit und Effizienz des Verwaltungshandelns anbelangt. In der Schweiz wiederum lässt sich ebenfalls ein hoher institutioneller und ebenenspezifischer Differenzierungsgrad beobachten der dazu führt, dass hier ebenfalls eine ausgeprägte Verwaltungskultur der Konzertierung, Abstimmung und Kooperation bei gleichzeitiger Funktionsteilung der in institutionellen und ebenenspezifischen Aufgabenstrukturen und Entscheidungsarenen (z.B. inter-kantonal und inter-kommunal) gegeben ist. Dies wird nochmals dadurch verdeutlicht, dass sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Tatsache zum Teil sehr unterschiedlicher Handlungskompetenzen der beteiligten Akteure konfrontiert sieht. So findet man in der deutschen Verwaltungskultur eine Situation vor, in der, nicht zuletzt bestärkt durch das Prinzip der dezentralen Ressourcen- und Ergebnisverantwortung, eine hohe Handlungsautonomie auch von dezentralen Einheiten (z.B. Referatsleiter) gegeben ist, während in Frankreich, als Ausfluss der relativ hohen Machtdistanz, die deutlich geringere Entscheidungsautonomie des einzelnen Mitarbeiters eine zwingende Abstimmung mit der eigenen Hierarchie und mit den Mitarbeitern der anderen Verwaltungsebenen erfordert. In der Schweiz findet man demgegenüber eine im Vergleich zur deutschen Situation noch dezentralere Entscheidungsautonomie des einzelnen Mitarbeiters einer Organisation (die Machtdistanz ist nicht zuletzt auch aufgrund der Kleinräumigkeit der Verhältnisse im Schweizer System nur sehr gering ausgeprägt), die aber andererseits wiederum ohne die sehr enge Rückkopplung mit der Politik und dann – aufgrund der hohen interinstitutionellen Differenzierung – auch ohne eine intensive interinstitutionelle Abstimmung (interkantonal und interkommunal) nur bedingt realisierbar ist. 2.3 Verwaltungskulturelle Muster des grenzüberschreitenden Kooperationsytems Diese durchaus unterschiedlichen verwaltungskulturellen Grundmuster der drei Nachbarstaaten am Oberrhein haben für die Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und damit für die Funktionalität des grenzüberschreitenden Kooperationssystems eine prägende Wirkung. So zeigt sich etwa hinsichtlich der Problemwahrnehmung und -analyse, dass zwischen den beteiligten Partnern unterschiedliche Zeithorizonte und Ebenen der Problemanalyse vorhanden sind, die in der Regel auch zu divergierenden Bewertungskriterien und Zielen führen. Die Schwierigkeiten einer Abstimmung dieser unterschiedlichen Herangehensweisen führen im Ergebnis dazu, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Regel nur durch ein geringes Ausmaß originärer Problemanalyse, einen geringen Strategiebezug sowie oftmals durch
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eine Einseitigkeit der Initiativfunktion einzelner Akteure für neue Projekte charakterisiert ist. Hinsichtlich des grenzüberschreitenden Agenda-Setting lässt sich sehr oft ein Nachvollzug bzw. die Synchronisierung nationaler Themenkonturen beobachten. Zudem dominieren nicht selten teilräumliche Interessen über die grenzüberschreitenden Bedarfe. Unterschiede beziehen sich auch auf die Rollen von Verwaltung und Politik als Themen- und Ideengeber, was im Ergebnis oftmals zu einer nur geringen Selektivität bzw. einer Addition vielfältiger thematischer Ansätze in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit führt. Die Prozessorganisation der grenzüberschreitenden Kooperation ist durch die Herausforderung einer Synchronisierung von sehr unterschiedlichen Zuständigkeiten und Handlungskompetenzen charakterisiert, die im Ergebnis zu sehr kleinteiligen Arbeitsprozessen mit vielfältigen informellen Rückkopplungsschleifen führt. Die zu beobachtende Vielzahl von Gremien und Sitzungen steht damit für eine hohe Verfahrens- und eine relativ geringe Ergebnisorientierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die unterschiedlichen verwaltungskulturellen Basismuster zeigen sich auch in der hohen Komplexität der grenzüberschreitenden Entscheidungsvorbereitung. Unterschiedliche Rollen, Kompetenzen und Selbstverständnisse der Akteure führen regelmäßig zu einer – im Vergleich zum nationalen Kontext – erhöhten Komplexität der Vorbereitung und Strukturierung von Arbeitssitzungen. Dabei kontrastieren Verwaltungskulturen, die sich stärker über offen gehaltene, diskursbereite Projektideen definieren, mit solchen Kulturen, die bereits in einer sehr frühen Phase ausgearbeitete Projektvorschläge mit Plänen, Vertragsentwürfen und Businessplänen präsentieren. Mangelnde Kenntnisse über die Funktionsbedingungen der Partner führen ebenfalls dazu, dass die grenzüberschreitenden Muster der Entscheidungsvorbereitung durch Verzögerungen auf der Arbeitsebene sowie die Notwendigkeit einer Synchronisierung unterschiedlicher verwaltungskultureller Selbstverständnisse gekennzeichnet sind, mit dem Ergebnis, dass die Entscheidungsvorbereitungen ungewöhnlich lange dauern. Hinsichtlich der grenzüberschreitenden Entscheidungsfindung selbst lässt sich das transnationale Verhandlungssystem dadurch kennzeichnen, dass sehr starke Blockaden durch Veto-Positionen auf Arbeitsebene vorhanden sind. Dies wird nicht nur durch das Einstimmigkeitsprinzip verursacht, sondern auch dadurch, dass in den unterschiedlichen Verwaltungskulturen unterschiedliche Selbstverständnisse darüber bestehen, was eine Entscheidung ist und wer diese zu treffen hat. Die Vorentscheidungsfunktion wird daher durch ein enges interpersonelles und interinstitutionelles Netzwerk der Vertreter der offiziellen Kooperationspartner wahrgenommen. Dass dabei – jenseits des institutionell nur sehr geringen Kompetenzprofils für originäre grenzüberschreitende Entscheidungen – zwischen den beteiligten Verwaltungskulturen nicht selten eine große Diskrepanz zwischen Chef-Ebene und Techniker-Ebene besteht, kann auch als Ursache für die generell zu beobachtende Tendenz zur Entscheidungsvertagung und/oder vermeidung gesehen werden, durch die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vielfach noch immer charakterisiert ist. Unterschiedliche Interpretation von Entscheidungsinhalten sowie die institutionell geringe Bindungswirkung in der Umsetzung, führen zudem dazu, dass sich die materielle Dimensionierung grenzüberschreitender Entscheidungen sehr häufig auf Basisaussagen, Ankündi-
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gungen und übergeordnete externe Unterstützungs-Aspekte der Kooperation im „Außenverhältnis“ beschränkt. Hinsichtlich der Politikrealisierung schließlich lässt sich eine (systemische) Beschränkung auf solche Themenbereiche beobachten, die sich in der Schnittmenge von fachlicher, räumlicher und politischer Zuständigkeit zwischen den beteiligten Akteuren befindet. Da diese nicht per se evident ist, lassen sich sehr oft Verzögerungen in der Umsetzung durch unterschiedliche teilräumliche, politischadministrative Implementationskulturen beobachten. Zudem dominieren in der Umsetzung grenzüberschreitender Beschlüsse die großen Abhängigkeiten des grenzüberschreitenden Kooperationssystems von fachlichen und finanziellen Leistungsbeiträgen „externer“ Akteure. Hier kann das grenzüberschreitende Kooperationssystem nur selten die unterschiedlichen Programm- und Verwaltungskulturen etwa der „externen“ Ministerien in Paris, Stuttgart, Mainz und z.T. in Bern, aufbrechen. Die komplexen Realisierungsbedingungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit führen oftmals dazu, dass sich Projekte und Vorhaben in der Implementierungsphase nochmals aufgrund unterschiedlicher verwaltungskultureller Muster verzögern: inter-verwaltungskulturelle Probleme, Missverständnisse und z.T. auch Konflikte treten hier sehr oft zu Tage, ohne dass diese durch geeignete institutionelle Strukturen und Verfahren gelöst werden. Die im Vergleich zur nationalen Regionalpolitik tendenziell geringere Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit kann demnach sehr stark durch die hohe Divergenz der beteiligten Verwaltungskulturen erklärt werden. Die Suche nach dem Faktor „Verwaltungskultur“ in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hat aber noch eine andere Dimension. Das Subsystem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hat über die Jahre nämlich selbst ein eigenes verwaltungskulturelles Muster entwickelt, das im Sinne von systemischer Organisationskultur überindividuell und als Institution im weiteren Sinne interpretiert werden kann. Diese Verwaltungskultur der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist in hohem Maße funktional und ermöglicht es, das direkte „Durchschlagen“ der nationalen Verwaltungskulturen abzumildern. Blickt man nämlich auf die Handlungsmotive und das Selbstverständnis der beteiligten Akteure so zeigt die Geschichte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein, dass diese durch jeweils phasenspezifische gemeinsam getragene Leitmotive geprägt ist, die das Handeln und den Umgang der Akteure am Oberrhein geprägt haben: So stand in den 50er Jahren das Handlungsmotiv der Aussöhnung ehemaliger Kriegsgegner im Vordergrund und wirkte prägend für die Kooperation: diese war von einzelnen Persönlichkeiten getragen, die sich als Pioniere verstanden und z.B. direkte Kontakte über grenznahe Städtepartnerschaften entwickelten. Die 60er Jahre waren dem gegenüber mit dem Entdecken der Notwendigkeit einer Überwindung administrativer und nationaler Grenzen aufgrund zunehmender sozioökonomischer Verflechtungen gekennzeichnet, die nicht an den Staatsgrenzen halt machten. Nicht von ungefähr erfolgte z.B. die Gründung der Regio Basiliensis in dieser Phase. Die 70er Jahre wiederum waren geprägt von dem Glauben in die Notwendigkeit und Nützlichkeit einer gemeinsamen Institutionenbildung, die ihren Ausdruck in der Gründung der D-F-CH Regierungskommission (mit ihren beiden Regionalausschüssen, der späteren Oberrheinkonferenz) sowie weiterer Kommissionen und Ausschüsse fand. In den 80er und dann 90er Jahren bildete die Erkenntnis ein gemeinsames Leitmo-
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tiv, dass es nicht genügt, nur gemeinsam zu planen, sondern dass man auch gemeinsame Projekte realisieren sollte. Die Nutzung von EU-Fördermitteln für gemeinsame Projekte war und ist ein starkes gemeinsames Handlungsmotiv, das auch für das Selbstverständnis der Kooperation insgesamt in dieser Phase stehen kann. Heute steht demgegenüber das Interesse aller Akteure an einer gemeinsamen Nutzung der Potenziale der drei Teilregionen für die Positionierung als integrierte europäische Metropolregion sowie ein einheitlicher externer Auftritt im Vordergrund. Dies wird verbunden mit dem Wunsch einer Optimierung und besseren Vernetzung der bestehenden Institutionen sowie der Sektoren Politik/Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Sinne einer synergetischen, leistungsstarken grenzüberschreitenden Governance. Auch auf der Ebene der gemeinsamen Symbolsysteme lassen sich interessante Muster der grenzüberschreitenden Verwaltungskultur festmachen. Die Schaffung gemeinsamer Einrichtungen und Institutionen, die Entwicklung eigener Rechtsformen (Karlsruher Übereinkommen), die Bedeutung gemeinsamer Logos, die Nutzung symbolischer Orte für Treffen und Veranstaltungen, die Rolle von Fahnen etc. symbolisieren heute ein gemeinsames grenzüberschreitendes Selbstverständnis, das in seiner spezifischen Ausprägung ebenso charakteristisch für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gelten kann wie die (noch immer erfolglose) Suche nach einem allgemeingültigen Logo und einem nach außen kommunizierbaren Branding für die trinationale Kooperationsregion am Oberrhein. Hinsichtlich der Normensysteme (geschriebene und ungeschriebene Regeln) lassen sich ebenfalls Muster identifizieren, die als charakteristisch für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gelten können. Diese ist auf der Formalebene in der Regel durch Kooperationsverträge und Vereinbarungen zwischen den beteiligten Partnern strukturiert, in denen formale Entscheidungsverfahren und – regeln festgelegt sind. Generelle Gültigkeit hat zudem das Partnerschafts- und Kofinanzierungsprinzip, das letztlich beinhaltet, dass kein Projekt ohne alle Partner und damit auch nicht gegen den Willen eines der beteiligten Partner realisiert werden kann. Es bestehen ferner strukturierte Muster der Entscheidungsvorbereitung über Projekt- und Arbeitsgruppen sowie etablierte Muster der informellen trinationalen Abstimmung über personelle Netzwerke. Zweisprachigkeit der Dokumente aber auch die Differenzierung zwischen „offiziellen“ und „sonstigen“ Kooperationsformen sind weitere Elemente des grenzüberschreitenden Normensystems. Dazu gehört ferner die informelle Regel, dass Projekte nur zustande kommen, wenn sich alle Partner in ihnen wiederfinden können. Informelle Koppelgeschäfte, wie sie für Verhandlungssysteme normalerweise üblich sind, existieren im grenzüberschreitenden Kontext demgegenüber in Ermangelung hinreichender Verhandlungsmassen eher nicht. Als informelle Regel gilt, dass jeder seine Muttersprache sprechen kann, aber es gehört zum guten Ton, dass man auf dessen Boden die Sprache des Nachbarn spricht – nur dann hat man dort im Rahmen informeller Netzwerke die Chance auf tatsächliche Akzeptanz. Hinsichtlich gemeinsam getragener Wertesysteme war und ist die Kooperation am Oberrhein immer durch den Anspruch einer besonders guten und intensiven Zusammenarbeit getragen. Man bemüht sich stets um ein positives Erscheinungsbild und folglich finden (auch als Ergebnis einer intensiven abgestimmten Pressearbeit) sich auch kaum kritische Presseartikel, sondern eher Erfolgsmeldungen über die grenzüberschreitende Kooperation. Die beteiligten Akteure auf
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allen Ebenen sehen sich zudem als Überzeugungstäter, die an der Notwendigkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beständig festhalten, auch wenn unmittelbare Ergebnisse und kommunizierbarer Nutzen nicht immer sofort erkennbar sind. Man versteht sich zudem als Labor der europäischen Integration und definiert sich gegenüber dem Nationalstaat über den Anspruch der sog. „kleinen Außenpolitik“. Der Oberrhein wird daher immer als europäische Modellregion dargestellt mit dem festen Willen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit als eigenes Politikfeld zu sehen und weiter aufzuwerten. Zudem bilden auch der Respekt der kulturellen Unterschiedlichkeit sowie ein auf Vertrauen basierendes Miteinander weitere Elemente dieses gemeinsamen Wertesystems. Schließlich ist die grenzüberschreitende Verwaltungskultur auch dadurch gekennzeichnet, dass sich gemeinsame Handlungsmuster in und für Standardsituationen entwickelt haben. Deren sichtbarster Ausdruck besteht darin, dass heute alle institutionellen Partner der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit spezielle Organisationseinheiten für die Kooperation geschaffen haben. Diese bilden ein überindividuelles Netzwerk der grenzüberschreitenden Zuständigkeiten und sind durch einen hohen Professionalisierungsgrad in den grenzüberschreitenden Angelegenheiten gekennzeichnet. Ferner lässt sich die Schaffung gemeinsamer Arbeitsprozesse für die Politikentwicklung und -umsetzung beobachten, die ein sehr spezifisches oberrheinisches Muster darstellen: Relevante Themen werden durch sog. Dreiländer-Kongresse aufbereitet, deren Ergebnisse dann durch die Oberrheinkonferenz aufgegriffen und mit Hilfe der vorhandenen INTERREGMittel umgesetzt werden. Neue Themen werden am Oberrhein zunächst durch trinationale Basis-Studien aufbereitet. Die Arbeiten werden durch das Einsetzen bi- und trinationaler Projektgruppen auf der Arbeitsebene strukturiert, welche wiederum der Entscheider-Ebene zuarbeiten (Lenkungsausschuss). Eine wichtige Rolle spielen dabei die hauptberuflich für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit Tätigen, die als Sherpas ein dichtes, informelles Netzwerk von 15 bis 230 Personen bilden. Zudem lässt sich eine hohe Routinisierung der Entscheidungsinhalte und -prozesse durch einen standardisierten Sitzungsablauf beobachten (grenzüberschreitende Sitzungen folgen in der Regel demselben Ablauf – egal ob man auf der deutschen, der französischen oder der schweizer Seite tagt). Insbesondere auf der Chef-Ebene legt man Wert auf einen glatten Sitzungsverlauf: Konflikte müssen vorab auf der Arbeitsebene gelöst werden, denn die „Hochzonung“ von und damit die direkte Befassung der politischen Ebene mit konfliktträchtiger Themen soll vermieden werden. Dies würde mit einer weiteren Standardkonstellation kollidieren: derjenigen der Schaffung eines besonders angenehmen Umfelds für die Begegnungen, was auch durchaus die kulinarische Dimension umfassen kann. Das oberrheinische Mehrebenen-System verfügt damit über eine eigene Kooperationskultur, die nicht zuletzt auch deshalb als grenzüberschreitende Verwaltungskultur gekennzeichnet werden kann, weil diese Kooperation fast ausschließlich zwischen öffentlichen Akteuren stattfindet. Charakteristisch für das System ist, dass diese oberrheinische Kooperationskultur weniger durch eine Integration der vorhandenen nationalen Verwaltungskulturen, denn durch die funktionalen Erfordernisse (Lösung gemeinsamer Probleme, Entwicklung gemeinsamer Potenziale), die gemeinsam getragenen Wertehaltungen bzw. Nutzenerwartungen (Versöhnung, Programmverwaltung, regionale Positionierung
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in Europa) sowie die Spezifika der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als „kleiner Außenpolitik“ (Symbolik, diplomatischer Gestus) bzw. „dezentraler europäischer Innenpolitik“ (Laboratorium der europäischen Integration) begründet wird. Sie dürfte sich diesbezüglich nicht wesentlich von anderen Grenzregionen unterscheiden.
3. Zur Kontingenz von Verwaltungskultur in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Die Analyse der Kooperation am Oberrhein lässt indessen noch eine weitere sehr wichtige Facette des verwaltungskulturellen Phänomens in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erkennen, nämlich seine Relativität bzw. Kontingenz im Verhältnis zu anderen Faktoren. Wie wichtig ist der Faktor Verwaltungskultur in der Realität? Ist Verwaltungskultur eher eine abhängige oder eine unabhängige Variable? Die Analyse der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein bestätigt diesbezüglich den alten Erfahrungswert, dass der verwaltungskulturelle Faktor immer entweder über- oder unterbewertet wird. Unterbewertet wird er sicherlich in einer Sichtweise, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit lediglich als ein transnationales Regime betrachtet und dabei Analogien zu internationalen Verhandlungssystemen etwa auf EU-Ebene oder im Bereich der internationalen Beziehungen herstellt. Diese Facette ist in der Tat in der Literatur bislang erst im Ansatz aufgearbeitet und stellt damit ein sehr innovatives neues Forschungsfeld dar. Eine solche Interpretation legt den Schluss nahe, dass der kulturelle Faktor als Institution im weiteren Sinne überlagert wird, durch die macht- und interessengeleitete Interaktion zwischen rationalen Akteuren. In Anlehnung an entsprechende Modellbildungen der Rational Choice-Schule und dann auch der Spieltheorie, dürfte die Interaktion in grenzüberschreitenden Netzwerken institutioneller (Prinzipale) und individueller (Agenten) Akteure eher durch die in Frage stehenden materiellen und strategischen Verhandlungsgegenstände, den institutionellen Kontext vor allem aber durch die jeweiligen Interessenkonstellationen, denn durch verwaltungskulturelle Basismuster bestimmt sein. Die Gefahr einer Überbetonung besteht umgekehrt in wissenschaftlichen Ansätzen der vergleichenden Kulturforschung und dann spezifisch im Feld der inter-kulturellen Kommunikation. Hier hat der Leser einschlägiger Studien bisweilen den Eindruck, jegliche Interaktion in internationalen Netzen oder jede institutionelle und individuelle Beziehung zwischen Akteuren sei ausschließlich kulturell bestimmt. Der Praktiker der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wird diesbezüglich dann eher kritische Einwände hinsichtlich der Trag- und Leistungsfähigkeit von Modellen der Akkulturation bzw. Oszillation erheben und auf die Relativität der inter-personellen Lernpotenziale im Vergleich zur interinstitutionellen Herausforderung der Kooperation verweisen. Ein pragmatischer Ansatz lässt sich mit dem Konzept der kulturellen Kontingenz in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entwickeln. Diesem liegt die Beobachtung zugrunde, dass in den grenzüberschreitenden Angelegenheiten vielfach beide der oben skizzierten Sichtweisen mit einander verbunden sind. Rationale, interessegeleitete Interaktion und (verwaltungs-)kulturelle Gebun-
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denheit bedingen einander, sie sind auf vielfältigste Weise mit einander gekoppelt. Kriterien, anhand derer diese Kontingenz illustriert werden kann, sind neben dem Charakter eines in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Fragestehenden Politikfelds die Art der jeweiligen Aufgabe, der Institutionalisierungsgrad, innerhalb dessen die Kooperation stattfindet, die Art der Beziehungen der Akteure zu einander sowie die Typologie der Akteure, die sich in der jeweiligen Kooperationsbeziehung begegnen. Eine solche Betrachtung kann zu einem entsprechenden Kontingenzmodell führen, wie ich es an derer Stelle als Vorschlag formuliert habe: Tabelle 2: Kontingenz-Modell von Verwaltungskultur in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Quelle: Beck 2008
Charakter der Poli-tik Art der Aufgabe
-
Institutionalisierungsgrad Art der Beziehung Typologie der Ak- teure -
Bedeutung der Verwaltungskultur eher gering eher hoch distributiv - redistributiv Routine - geographisch sektoral - innovativ selbst-regulativ - regulierend - Intersektoral Koordination - Kooperation Information - Implementation Repräsentation - Planung Primärorganisation (Insti- Sekundärorganisation (Protutionen) jekte) persönlich - unpersönlich informell - formal regelmäßig - unregelmäßig Vertrauen - Misstrauen „win-win“ - „Nullsummen“ „Alte Hasen“ - „New comers“ Politiker - Technokraten Profis der GÜZ - geringe Handlungsauto hohe Handlungsauto nomie nomie
Demnach variiert die Relevanz des (verwaltungs)kulturellen Faktors in Abhängigkeit der Ausprägung anderer für die Kooperation relevanter Variablen: er korreliert mit diesen und kann nicht unabhängig gesehen werden. Anders formuliert: Ist grenzüberschreitende Politik durch Aspekte der strategischen Umverteilung gekennzeichnet und setzt sie eine Kooperation im Sinne von materiellem Interessenabgleich voraus, findet unregelmäßig in auf Zeit angelegten Projekten mit Nullsummencharakter und zwischen technokratisch agierenden Newcomern mit geringer Handlungsautonomie statt, so werden die inter- (ver-
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waltungs)kulturellen Konflikte sehr viel stärker ausgeprägt sein als in solchen Konstellationen, die sich eher in der unteren Hälfte der Matrix verorten lassen. Erklärt werden kann dies damit, dass in Fällen, die dem ersten Muster entsprechen, eben auch die jeweiligen differierenden institutionellen Faktoren eine sehr viel größere Bedeutung haben als in letzteren, in denen materiell in der Regel eben auch nur wenig auf dem Spiel steht. Es kommt nicht von ungefähr, dass weite Teile der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (GÜZ) sich in den vergangenen Jahren eher im unteren Bereich der Kontingenz-Matrix bewegt haben und damit eben auch inter-(verwaltungs)kulturell nur relativ wenig problematisch waren. Neuere Ansätze einer integrierten grenzüberschreitenden Governance erscheinen dem gegenüber sehr viel anspruchsvoller zu sein. Sie erfordern ein effektives Netzwerkmanagement, das sowohl die interne als auch die externe Dimension der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als Subsystem optimiert. Funktionale Institutionalisierungen können dabei das direkte Durchschlagen der unterschiedlichen nationalen Verwaltungskulturen abfedern und die Effektivität und Effizienz der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erhöhen. Regional Governance ist (normativ) auch für den grenzüberschreitenden Kontext die richtige Antwort auf die zukünftigen Herausforderungen. Daher besteht derzeit bei allen Akteuren eine große Euphorie und Erwartung und das Konzept wird aktiv im Konsens aufgegriffen. Mittelfristig dürften sich aber erhebliche interkulturelle Spannungen über die konkrete Ausgestaltung seiner Basiskomponenten ergeben. Damit diese zu produktiven interkulturellen Lern- und Innovationsprozessen führen, muss die Autonomie des grenzüberschreitenden Sub-Systems gegenüber dem institutionellen Kontext seiner Heimatinstitutionen erhöht werden. Stichworte, die in diesem Zusammenhang gerade auch im Hinblick auf die Schaffung der Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Verwaltungskultur von Bedeutung sind lauten: Grenzüberschreitende Öffnungsklauseln in nationalen Fachgesetzen, politischer Wille zum grenzüberschreitenden Aufgaben- und Kompetenztransfer (sog. horizontale Subsidiarität), flexible EU-Programme mit kompatiblen Förderkriterien sowie Vernetzung und Funktionswandel bestehender Strukturen. Damit besteht die Aussicht, dass sich auch die verwaltungskulturellen Muster der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit noch stärker an den zukünftigen Erfordernissen der grenzüberschreitenden Gebiete in Europa orientieren.
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SUMMARY The article analyzes the function of administrative culture in cross-border cooperation. The first section presents the specific characteristics of cross-border cooperation as an object for research. It is argued that the functioning of crossborder cooperation as a transnational sub-system is strongly influenced both by the administrative structures and cultures of the institutional partners (domestic institutions) involved. The analysis of administrative culture within this subsystem should be based on a perception as meso-level, constituting a functional interface between the cultural macro-level of the states and the micro-level of the individual actors themselves. Based on the example of the tri-national Upper-Rhine region, the different functions of administrative culture within a transnational context are analyzed. It is shown what different national patterns of administrative cultures meet each other in this cross-border territory and how specific functionalities of crossborder cooperation can be understood in this regard. It is argued that administrative culture must be interpreted as both an independent and a dependent variable of analysis. In addition it can be shown that the impact of administrative culture itself depends on various other factors that lead to a highly complex pattern of transnational interaction. Based on the findings, a model of contingency is developed, allowing to better capture the interdependency of administrative culture with other variables like the policy-dimensions and the concrete missions of action, the degree of institutionalization of the cooperation context, and also the structures and interactive constellations between the involved actors.
RÉSUMÉ La communication a comme objectif d’analyser le rôle que joue la culture administrative dans le contexte de la coopération transfrontalière. Dans un premier temps, l’objet et les particularités d'une telle analyse sont présentés. La coopération transfrontalière, telle est l’hypothèse, n'est qu'un sous-système, dont les caractéristiques constitutives et fonctionnelles sont majoritairement déterminées par les structures et les cultures des systèmes politico-administratifs des partenaires impliqués. En outre, le niveau d'analyse est orienté sur un niveau institu-
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tionnel, qui peut être décrit comme une dimension « méso », impactée par la dimension culturelle « macro » de l’Etat et la dimension culturelle « micro » de l’acteur individuel. Dans un deuxième temps, les différentes fonctions d'une telle culture administrative dans le cadre de la coopération transfrontalière sont analysées à travers l'exemple de la région trinationale du Rhin supérieur. Une réflexion sur les différentes cultures administratives qui se rencontrent dans cette région permet l’explication de certaines caractéristiques de la coopération transfrontalière. Il est démontré que la culture administrative joue à la fois le rôle d’une variable dépendante et indépendante. En outre, l’hypothèse selon laquelle la culture administrative (et l’enjeu de l’interaction entre différentes cultures administratives) n'est pas le seul facteur dominant pour l’explication des échantillons d’actions transfrontaliers est développée. Son rôle doit plutôt être interprété en lien avec d’autres facteurs indépendants, ce qui explique la grande complexité de l’analyse de son impact en tant que variable. Sur la base de cette réflexion, un modèle de contingence est développé. Celui-ci met la culture administrative en relation avec les caractéristiques stratégiques du fond de la coopération (dimension de la policy), les différentes tâches administratives à réaliser par les acteurs, le degré de l’institutionnalisation de la coopération en tant que telle ainsi que la structure des modes d’interaction entre les acteurs impliqués.
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BENELUX, DEUTSCHLAND UND FRANKREICH ALS WIRTSCHAFTSPARTNER IN EUROPA
LE BENELUX, L’ALLEMAGNE ET LA FRANCE EN TANT QUE PARTENAIRES ECONOMIQUES EN EUROPE ÉVOLUTION, ACTUALITE ET PERSPECTIVES FRANÇOISE BERGER Il faut tout d’abord remercier les organisateurs de ce colloque qui a permis de poursuivre une réflexion déjà largement amorcée, mais qui devra encore se prolonger tant les conditions actuelles sont mouvantes. Beaucoup de choses ont déjà été dites dans les premières sessions et nous ne ferons ici que quelques rappels sur la problématique économique. Le Benelux, l’Allemagne et la France forment un espace naturel unitaire, avec des ressources (minerai de fer et charbon pour l’essentiel) proches ou complémentaires. C’est la fameuse Europe lotharingienne (comme l’a présenté précédemment le secrétaire du Land à la culture) ou plus encore, l’Europe rhénane, un concept qui s’appuie très concrètement sur la géographie des transports et qui présente l’avantage d’incorporer totalement le territoire des Pays-Bas.
Des terres d’échanges et de conflits Cet espace politiquement divisé depuis longtemps fut un des centres des deux grands conflits européens du XXe siècle. La confrontation franco-allemande, qui dure de 1870 à 1945, a des retombées spectaculaires sur les voisins belges, luxembourgeois et néerlandais. Dans ces conflits, l’aspect économique n’est pas des moindres puisque c’est leur préparation qui nourrit l’industrie de l’armement, largement présente sur ces terres de la sidérurgie. Les guerres nourrissent aussi les ambitions de conquêtes industrielles: on peut ainsi citer le cas des régions minières qui deviennent des buts de guerre ou certaines tentatives de mainmise sur des entreprises sidérurgiques1. Ces enjeux économiques nourrissent aussi les concurrences dans les périodes de déséquilibres politiques. On peut rappeler la volonté de certains industriels français (mais avant tout du gouvernement) de profiter des difficultés allemandes en 1945/46 pour tenter de reprendre des parts de marché et d’atteindre une égalité de production avec l’Allemagne. Mais c’est aussi un espace où s’est construit un véritable ensemble économique à partir de la première révolution industrielle, un espace organisé par des courants d’échanges, avec des flux de matières premières, de marchandises et de main d’œuvre – celle-ci faisant aussi l’objet de concurrence lors des périodes de crise. C’est par la suite un espace organisé par des industriels, avec une organisation des échanges qui est allée, dans certains secteurs, jusqu’à une forme contractuelle avancée (ententes). Il s’y est exprimé une certaine solidarité pendant les périodes de crise, même si celle-ci ne fut pas toujours facile à négocier. Ainsi, les bases du Cartel de l’acier, mises en place en 1926, ont permis au secteur sidérur1
Cf. affaire de Wendel et procès Röchling.
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gique européen de résister relativement mieux que d’autres secteurs ou d’autres régions du monde, avec une réactivation de l’accord dès la fin de l’année 1932.
Un espace au centre de l’impulsion économique de la construction européenne Il s’agit aussi d’un ensemble de pays qui ont codifié leur interpénétration économique après la Seconde Guerre mondiale et dont les initiatives sont à l’origine de la construction économique européenne (cf. section 5). Il y a eu ainsi un changement de perspective et de dimension: alors que jusqu’en 1950, l’initiative des échanges venaient essentiellement des entrepreneurs, de la base en quelque sorte, c’est désormais l’initiative des États qui organise cet ensemble de manière plus globale et plus équitable également. Dans cet ensemble de pays se dégagent trois régions industrielles frontalières dans lesquelles les liens et les échanges sont les plus anciens et les plus nombreux (Nord-Est de la France, Wallonie et Rhénanie-Westphalie), auxquelles on peut adjoindre quelques espaces industriels du Luxembourg. Mais ces régions ne sont pas économiquement à égalité: parce que les régions allemandes et françaises appartiennent à des pays démographiquement importants, et donc à large marché national, elles n’ont pas la même perspective que les régions industrielles de la Belgique et du Luxembourg, deux pays qui ne disposent que d’un marché réduit et vont donc se battre sur les marchés à l’exportation. Ainsi, tant dans l’Entre-deux-guerres que dans l’après-guerre, ce sont plutôt deux ensembles (France-Allemagne d’un côté, et Belgique-Luxembourg de l’autre) à la fois interdépendants et complémentaires, mais parfois concurrents: dans les périodes économiquement difficiles, ils peuvent aussi s’affronter. Ceci est très visible dans toutes les négociations d’ententes industrielles de l’Entre-deux-guerres, puis dans le cadre de la CECA. La place des Pays-Bas est un peu spécifique: elle ne relève pas du cœur industriel, mais de l’accompagnement en amont (approvisionnement en bois, en matières premières) et en aval (ventes à l’exportation mondiale), grâce au contrôle du bassin du Rhin et de son embouchure. S’ils subissent inévitablement les mêmes crises, les Pays-Bas ont ainsi une position différenciée dans cet ensemble, au moins jusqu’aux années 1980.
Cet espace est-il menacé par la mondialisation? Avec la fin du charbon, la diversification de la production industrielle et le très fort développement du secteur tertiaire, on assiste à une recomposition économique des territoires qui bouscule les stratégies de production et d’échanges. Ces espaces largement ouvriers sont aussi, depuis le début de la révolution industrielle, des terres de conflits sociaux. Très forts, mais aussi très locaux jusque dans les années 1990, ils sont à nouveau d’actualité et ils ont trouvé de nouvelles formes d’action dans laquelle la dimension européenne commence à prendre de l’ampleur, comme le montrent les euro-manifestations et le sentiment nouveau
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de solidarité face à des grands groupes étendus à l’échelle européenne et mondiale. Pour finir cette introduction, il faut évoquer les perspectives pour ce cœur privilégié de l’Europe économique: résistera-t-il à ces recompositions qui s’opèrent tant à l’échelle européenne (avec « l’orientalisation » de l’Europe des 27) qu’à l’échelle mondiale (avec des concurrences mondiales exacerbées)? Il faudra sans doute attendre quelques temps pour entrevoir une réponse. Les trois communications qui suivent développent ces quelques aspects du partenariat économique.2 Jean-François Eck présente tout d’abord les échanges commerciaux et financiers entre la Rhénanie-Westphalie, le Nord-Pas-de-Calais et la Wallonie au cours du XXe siècle. Il pose la question des interdépendances entre les entreprises, les entrepreneurs, les travailleurs et pointe la difficulté des comparaisons due aux disparités du poids économique de ces trois régions. Sont abordés ensuite deux cas particuliers. Hein Klemann s’interroge sur la place spécifique de l’économie des Pays-Bas dans cet ensemble, démontrant un certain isolement qui ne se rompt véritablement qu’avec les débuts de la construction européenne. Enfin, Pierre Tilly évoque la construction de l’espace économique et social transfrontalier de l’Eurorégion Meuse-Rhin3, à travers l’étude du travail frontalier et du statut spécifique des travailleurs, dont la question syndicale.
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Cette annonce se réfère à la conférence. Ce volume rapporte exclusivement la contribution de Jean-François Eck (N.D.L.R.). Qui regroupe une région allemande, une région néerlandaise et trois régions belges.
QUELQUES ASPECTS DES RELATIONS ECONOMIQUES ET FINANCIERES ENTRE NORD-PAS-DE-CALAIS, WALLONIE ET RHENANIE DU NORD –WESTPHALIE AUX XIXE ET XXE SIECLES JEAN-FRANÇOIS ECK Dans les relations qui rassemblent ces « chers voisins » que sont l’Allemagne, le Benelux et la France, tout en les séparant par de vives tensions et oppositions, les aspects économiques et financiers méritent une place particulière, ne serait-ce qu’en raison du poids des activités concernées. De tout temps intenses, à toutes les époques de l’histoire, ces relations concernent plus particulièrement trois régions: le Nord-Pas-de-Calais, la Wallonie et la Rhénanie du Nord-Westphalie. Comment se présente la situation aux XIXe et XXe siècles? Sur ce thème, de nombreux travaux, plus ou moins récents, ont été effectués. Il ne peut être question ici que d’en présenter quelques éléments. Nous tenterons de le faire à travers le bilan d’une recherche collective menée durant trois années et demi (2008–2011) par une vingtaine d’historiens économistes originaires des universités situées dans ces régions, autour d’un thème commun intitulé « Efficacité entrepreneuriale et mutations économiques régionales en Europe du Nord-Ouest, du milieu du XVIIIe siècle à la fin du XXe siècle »1. Les relations économiques et financières trilatérales y ont été examinées sous plusieurs aspects que le groupe a cherché à prolonger dans plusieurs directions. On insistera ici sur trois d’entre eux: les interdépendances entre les entreprises présentes dans ces régions; puis la spécificité de leurs patronats et de leurs salariés respectifs; enfin leurs conséquences pour l’espace économique: les relations renforcent-elles son homogénéité ou lui procurent-elles des traits supplémentaires de diversité?
Les liens entre les entreprises Les interdépendances qui existent entre les entreprises présentes dans les trois régions sont multiples. Leur fondation met souvent en jeu des capitaux originaires de l’une ou l’autre d'entre elles: capitaux wallons ou rhéno-westphaliens qui s’investissent dans le Nord de la France, capitaux nordistes français qui créent des entreprises établies en Wallonie ou en Rhénanie du Nord-Westphalie. Très ancien, le phénomène se manifeste à l’occasion de la mise en place d’une frontière ou lors de l’établissement d’un tarif douanier. Parfois aussi il est lié à la volonté de contrôler telle ou telle source d’approvisionnement. On peut le suivre tout au long des phases successives d’industrialisation, en Nord-Pas-de-Calais par exemple.
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Les résultats ont donné lieu à plusieurs publications sous forme d’ouvrages collectifs et d’articles de revues, ainsi qu’à une présentation synthétique à laquelle nous nous permettons de renvoyer: Jean-François Eck, «Entreprises et espace: le cas de l’Europe continentale du Nord-Ouest, du milieu du XVIIIe siècle à la fin du XXe siècle », Histoire, économie et société, 2012, n°3, p. 31–50.
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Durant la première industrialisation, on constate l’étroite correspondance entre la fièvre minière qui apparaît au début du XVIIIe siècle dans le Nord de la France et l’établissement de la frontière qui sépare en 1713 les deux parties du Hainaut, celle qui continue à appartenir au royaume de France d’une part, celle qui est rattachée aux Pays-Bas autrichiens de l’autre. En privant de leurs approvisionnements traditionnels plusieurs industries grosses consommatrices comme les verreries, brasseries, sucreries, clouteries, chaîneries, cette frontière incite les entreprises concernées à trouver de nouveaux fournisseurs situés au sud du bassin charbonnier borain. La prospection minière entamée dès 1717 est le fait de familles telles que les Desandrouin, propriétaires de gisements situés près de Charleroi, mais aussi de verreries en Valenciennois, à Fresnes-sur-Escaut2. Plus tardivement, à la fin du XIXe siècle, à l’époque de la seconde industrialisation, apparaissent dans le Nord des constructeurs de matériel ferroviaire contrôlés par des capitaux belges qu’attire le lancement du plan Freycinet. On relève aussi la naissance de fabriques de produits chimiques d’origine allemande, telle que celle fondée en 1882 à Flers-Breucq, sur le territoire de la future Villeneuved’Ascq, par le groupe rhéno-westphalien Friedrich Bayer, contraint, pour pouvoir continuer à approvisionner en colorants les industriels du textile de LilleRoubaix-Tourcoing, de se conformer à la législation française qui subordonne la protection des brevets étrangers à leur exploitation effective sur le sol national3. Inversement, les capitaux nordistes sont souvent présents en Wallonie et en Rhénanie du Nord-Westphalie, dans des compagnies charbonnières belges comme Limbourg-Meuse, le Nord du Flénu et Anderlues ou allemandes comme Harpener Bergbau et Dahlbusch. L’interpénétration est également très poussée dans d’autres domaines comme l’industrie du tube. La société Escaut et Meuse, contrôlée par des capitaux belges, possède des établissements dans le bassin français de la Sambre, autour de Maubeuge, ainsi qu’à Liège, dans le quartier de Sclessin. Dans l’industrie du verre, plus précisément celle du verre noir destiné aux bouteilles de champagne, les principaux établissements productifs de l’AvesnoisThiérache ont fréquemment une origine belge, située en général dans la région de Charleroi4. Durant l’entre-deux-guerres, le renouvellement du tissu productif du NordPas-de-Calais suscité par la reconstruction passe par la création d’entreprises et l'apparition de branches qui résultent en grande partie d’initiatives wallonnes. C’est le cas d’Eternit-France, une société établie à Prouvy, près de Valenciennes, qui a été fondée en 1922 pour la fabrication de toitures en série grâce à l'exploitation d'un brevet d’amiante-ciment déposé par un inventeur belge, Jean Emsenss, en coopération avec le groupe Eternit-Belgique5. C’est aussi le cas d’entreprises productrices de soie artificielle et de rayonne qui élargissent aux fibres chimiques 2
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Yann Caron, « Spéculation et prospection minières en Hainaut au XVIIIe siècle », in J.-F. Eck et Didier Terrier (dir.), Aux marges de la mine. Représentations, stratégies, comportements autour du charbon en Nord-Pas-de-Calais XVIIIe-XXe siècles, Presses universitaires de Valenciennes, 2007, p. 11–49. Patrick Kleedehn, Die Rückkehr auf den Weltmarkt. Die Internationalisierung der Bayer AG Leverkusen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 1961, Stuttgart, Steiner Verlag, 2007, p. 302–303. Stéphane Palaude, Verreries noires d’Avesnois-Thiérache XIXe-XXe siècles, thèse, Université de Lille 3, dir. J.-F. Eck, 2009. Odette Hardy-Hémery, Eternit et l’amiante 1922–2000. Aux sources du profit, une industrie du risque, Villeneuve-d’Ascq, Presses universitaires du Septentrion, 2005.
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une industrie textile nordiste restée jusqu’alors cantonnée aux fibres naturelles. Deux d'entre elles, la Soie de Valenciennes et la Société française pour l’industrie textile, devenue ensuite la Soie Vauban, sont contrôlées par des capitaux belges. Enfin, au cours du second après-guerre, le phénomène se poursuit, à une cadence cependant ralentie à partir de 1959 par la disparition progressive des barrières douanières entre les six pays fondateurs du Marché Commun qui rend du même coup inutile le contournement des obstacles tarifaires, principal motif d’établissement à l’étranger de filiales ou d’établissements productifs. Certaines initiatives gouvernementales y contribuent, comme par exemple la création en 1986 d’une zone franche dans la région de Dunkerque, censée procurer des emplois face à la crise qui atteint les activités traditionnelles (chantiers navals, sidérurgie, raffinage pétrolier). Ainsi, dans l’ensemble du Nord-Pas-de-Calais, durant les années 1990, la Belgique se classe au premier rang des investisseurs étrangers et l’Allemagne au troisième, immédiatement derrière le Royaume-Uni6. À quelques exceptions près, il s’agit de firmes récentes, postérieures à 1980, présentes dans la métallurgie et la chimie, le BTP, les industries légères, mais aussi dans les services, notamment la logistique et la grande distribution. L’interpénétration entre les entreprises établies dans ces trois régions est donc durable. Elle aboutit à des situations complexes où la dimension trilatérale devient parfois directement perceptible. On peut la souligner à travers un exemple caractéristique: celui de la Compagnie métallurgique franco-belge de Mortagne, en Valenciennois, non loin de Saint-Amand7. Cette société est fondée en 1905 à Bruxelles par le groupe allemand de négoce en métaux non ferreux Aaron, Hirsch und Sohn, adossé à la Nationalbank für Deutschland. Elle traite du minerai de zinc importé en franchise douanière d’Australie qui lui parvient depuis Anvers, en remontant le cours de l’Escaut, puis de la Scarpe. Ce minerai est calciné grâce au charbon fourni en abondance et à bas prix par le bassin du Valenciennois. La firme, ayant établi son siège en Belgique, est faiblement imposée et parvient à dissimuler le fait qu’elle est contrôlée par des capitaux allemands, ce qui, en ces années d’avant-guerre, en ferait une cible facile pour les campagnes orchestrées dans les milieux nationalistes contre la présence allemande en France, d’autant plus que, dans son cas, ces capitaux sont d’origine juive. En 1919, les propriétaires allemands cèdent la place à la Compagnie royale asturienne des mines, faisant ainsi passer le contrôle de l’affaire à la Belgique. Au milieu des années 1920, elle assure une part importante de la production française de zinc (31% en 1925). Elle subsiste jusqu’en 1948. Allemande par ses origines, belge par sa raison sociale, puis par son contrôle, française par ses installations productives, cette entreprise semble le symbole des complémentarités et des interpénétrations d’intérêts qui forment l’un des aspects des relations examinées ici.
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Enquête du Service des études et des statistiques industrielles (SESSI), commentée par Serge Dormard, L’économie du Nord-Pas-de-Calais. Histoire et bilan d’un demi-siècle de transformations, Villeneuve-d’Ascq, Presses universitaires du Septentrion, 2001, p. 130–133. Odette Hardy-Hémery, « Croissance et déclin d’une implantation industrielle au XXe siècle: le zinc dans le pays de Saint-Amand. La Compagnie métallurgique franco-belge de Mortagne », Revue du Nord, 1970, n° 204, p. 43–84.
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Des acteurs sociaux aux caractères originaux A ce premier trait, s’ajoute, au niveau social, une spécificité des patronats et des salariés très marquée qui confère aux trois régions une forte originalité, sensible tout au long de la période. On peut en relever la marque pour chacune de ces catégories d’acteurs. Dans le monde patronal, on sait, depuis les ouvrages classiques de Rondo Cameron et d’Hans Seeling8, le rôle joué dans l’économie régionale par certaines dynasties qui y sont établies souvent dès le début du XIXe siècle et occupent une place dépassant parfois de très loin le niveau régional. Récemment étudiée, la famille Stoclet en fournit une illustration éclatante où se marient l’innovation technologique, notamment dans l’industrie du blanc de zinc, les investissements ferroviaires, surtout en Europe centrale, et le mécénat artistique, avec la collection rassemblée dans sa demeure de Bruxelles par le plus célèbre de ses représentants9. Une telle dynastie patronale, même si elle ne possède pas de ramifications aussi nombreuses que celles observables dans d’autres régions de l’Europe du Nord-Ouest comme la Haute Alsace, le canton de Bâle et le Pays de Bade, n’en est pas moins à la tête d’un réseau particulièrement étendu. La fortune de ces familles repose souvent sur des propriétés foncières sises dans plusieurs pays à la fois. On le constate dans les inventaires après décès de certains grands industriels du Nord à la fin du XIXe et au début du XXe siècle. A Armentières par exemple, la dynastie des Mahieu, longtemps puissante dans l’industrie du lin, renforce d’une génération à l’autre ses placements en Belgique10. Les terres de culture, qui y sont localisées dans une proportion de 17%, représentent déjà 840 hectares dans la fortune du fondateur de cette dynastie, mort en 1883. Moins de vingt ans plus tard, son fils, décédé prématurément en 1900, laisse à ses héritiers un patrimoine foncier de 1 300 hectares, pour 70% situé en Belgique. Il s’agit de riches domaines de culture céréalière et betteravière, situés de l’autre côté de la frontière, à proximité d’Ypres, dont certains comportent des demeures somptueuses, des manoirs et même un château, reconstruit en un pompeux style louis-quatorzien. En est-il de même des grands industriels wallons propriétaires de terres de rapport en Flandre française, Artois ou Picardie? Et comment sont composées les fortunes patronales de Rhénanie du NordWestphalie? Des points de comparaison pourraient sans doute être trouvés avec les patrons nordistes qui, en ce début du XXe siècle, semblent avoir renoncé au comportement austère et au désintérêt pour le mode de vie aristocratique qui les avaient longtemps caractérisés, tel du moins qu’ils sont analysés à travers toute une littérature. Un autre trait de comportement mériterait d’être comparé de part et d’autre de la frontière: l’importance accordée à la formation scolaire et universitaire dispensée dans le pays voisin pour les fils et les filles de grandes familles patronales: pensionnats et établissements religieux, surtout lors des périodes de tensions 8 9 10
Rondo Cameron, La France et le développement économique de l’Europe 1800–1914, Paris, Le Seuil, 1981 (traduction d’un ouvrage publié en anglais en 1961); Hans Seeling, Les Wallons pionniers de l’industrie allemande. Considérations historiques, Liège, Wahle, 1984. Michel Dumoulin (avec la collaboration de Pierre-Olivier Laloux), Les Stoclet, microcosme d’ambitions et de passions, Bruxelles, Le Cri éditions, 2011. Jean-Marie Wiscart, Au temps des grands liniers: les Mahieu d’Armentières 1832–1938. Une bourgeoisie textile du Nord, Arras, Artois Presse Université, 2010.
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politiques et idéologiques où, comme en France entre 1905 et 1921, l’enseignement est interdit aux établissements congréganistes; écoles d’ingénieurs de Liège ou de Mons d’où sont issus plusieurs dirigeants de grandes entreprises nordistes françaises. Ce patronat se montre souvent ouvert aux innovations, tant technologiques que commerciales, qui proviennent de l’étranger. On sait le rôle joué par les nouvelles méthodes allemandes d’extraction du charbon mises au point en Rhénanie, puis diffusées dans le Borinage et le Nord-Pas-de-Calais, comme par exemple le procédé de fonçage des puits Kind-Chaudron, inventé au milieu du XIXe siècle par l’ingénieur allemand Kind, puis perfectionné par le belge Chaudron11. Dans l’industrie du verre, un patron carolorégien, Henri Lambert, en contact étroit avec le Nord de la France et la Rhénanie, édifie en 1901 à Lodelinsart une verrerie dotée d’un four de très vastes proportions qui lui permet de réaliser des gains massifs de productivité12. Du côté des innovations commerciales, c’est à Cologne que le chocolatier Stollwerck inaugure au début du XXe siècle de nouvelles formes de distribution des tablettes par appareils automatiques inspirées des Etats-Unis, à Bruxelles qu’Emile Bernheim, le fondateur en 1897 des magasins « A l’innovation », suscite la naissance durant l’entre-deux-guerres d’une Association internationale des grands magasins réalisant, pour la première fois dans ce secteur, une véritable coopération internationale, tandis que c’est à Roubaix que les industriels du textile imaginent au début des années 1920 de se faire vendeurs de vêtements par correspondance, puis, après 1945, patrons de la grande distribution13. Si l’on se tourne à présent du côté de la main-d’œuvre, on constate l’intensité avec laquelle celle-ci circule entre ces trois régions, tout au moins jusqu’à une époque récente. Les spécialistes wallons de l’extraction minière, du soufflage du verre et de la fabrication des armes, souvent originaires de Liège, de Mons, de Charleroi, sont très recherchés et bénéficient d’avantages matériels enviables, tant dans le Nord de la France que dans les régions rhénanes. A un moindre niveau, le prolétariat wallon, puis flamand fournit aux compagnies charbonnières françaises une part non négligeable de leurs effectifs. Quand, après la catastrophe dont elle a été victime en 1906, la Compagnie des mines de Courrières doit reconstituer son personnel, c’est d’abord à la Belgique qu’elle s’adresse, une fois épuisées les ressources du Nord et du Pas-de-Calais. Sur les 2 500 mineurs nouvellement embauchés durant les trois années suivantes, 420, soit 16,7% du total, proviennent de Belgique, proportion presque équivalente à celle fournie par le département du Nord (18,2%), même si l’on reste loin de celle du Pas-de-Calais (40%). Dans ces nouvelles recrues, on remarque, à côté des habitants des bassins wallons, de nombreux salariés originaires des régions rurales et du littoral de 11
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Jean-Luc Malvache, « La diffusion des savoirs et des innovations dans la littérature technique et la presse corporative du secteur minier allemand (1850–1913) », in J.-F. Eck et Pierre Tilly (dir.), Innovations et transferts de technologie en Europe du Nord-Ouest aux XIXe et XXe siècles, Bruxelles, PIE Peter Lang, 2011, p. 69–83. Jean-Louis Van Belle, Un grand penseur toujours d’actualité: Henri Lambert (1862–1934), Braine-le-Château, Editions La Taille d’Aulne, 2010, p. 303–329. Angelika Epple, Das Unternehmen Stollwerck. Eine Mikrogeschichte der Globalisierung, Francfort/New York, Campus Verlag, 2010; Laurence Badel, Un milieu libéral et européen. Le grand commerce français 1925–1948, Paris, Comité pour l’histoire économique et financière de la France, 1999; « Le commerce: révolutions, rénovations », Entreprises et histoire, 1993, n°4, dirigé par Emmanuel Chadeau.
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Flandre occidentale (Alost, Bruges, Ostende, Poperinghe, Ostelaere, Tourhout)14. Le courant d’immigration qui, dans la seconde moitié du XIXe siècle, faisait de certaines villes du Nord, et d’abord de Roubaix, des villes davantage belges que françaises (55% de la population de Roubaix au recensement de 187215) est donc loin d’être tari. Quant aux migrations en provenance d’Allemagne, surtout fréquentes dans l'immédiat avant-guerre et durant les années 1920, on sait que beaucoup d’entre elles sont en réalité le fait de travailleurs polonais ayant déjà travaillé dans les charbonnages allemands, avant de passer, dans un deuxième temps, en Belgique ou en France où ils sont souvent désignés sous le nom de « Westphaliens ». Ces migrations définitives tendent toutefois à être remplacées par les mouvements de travailleurs frontaliers, à mesure que s’étendent les réseaux de chemins de fer secondaires et des lignes d’autocars. Il en résulte une pression à la baisse des salaires qui alimente les critiques des responsables syndicaux. A la Compagnie des mines d’Anzin, la fosse où les salaires restent au plus bas niveau durant tout l’entre-deux-guerres est celle située le plus près de la frontière, là où travaillent la quasi-totalité des Belges employés par la compagnie. C’est là aussi qu’est introduit à partir de 1934 le système Bedaux de rémunération aux points, fondé sur le chronométrage, honni des ouvriers qui font de son abrogation l’une de leurs principales revendications, temporairement satisfaite à l’époque du Front populaire16. Cette main-d’œuvre belge, à la fois faiblement syndiquée, docile aux injonctions patronales et mal payée, suscite une xénophobie susceptible de prendre une allure violente, à Lens et à Liévin en 1892, à Anzin en 190617. Certes la mobilité interrégionale de la main-d’œuvre ne doit pas être exagérée. Concernant surtout le monde de la mine, elle est moins marquée dans d’autres secteurs. En Valenciennois, les travailleurs de nationalité étrangère forment en 1930, date de l’ampleur maximale de l’immigration, 44% du personnel des houillères, mais 27% seulement de ceux de la métallurgie et l’immense majorité d’entre eux est composée, non pas de Belges, mais de Polonais. D’autre part, cette mobilité est sujette à de brusques retournements, dont le renvoi des Polonais en 1934 n’est pas le seul exemple: aux Ateliers de construction ferroviaire du Nord de la France, situés à Quiévrechain, sur la frontière même, la part des travailleurs frontaliers passe de 57% de l’effectif total en 1931 à 31% en 1938, une baisse de 26 points en sept années seulement qui coïncide évidemment avec la crise économique18. Il demeure que l’intensité de la mobilité de la main-d’œuvre demeure un trait constitutif des relations économiques entre Nord-Pas-de-Calais, Wallonie et Rhénanie du Nord-Westphalie pendant une bonne partie des XIXe et XXe siècles.
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Centre historique minier, 10 mars 1906. La catastrophe des mines de Courrières… Et après?, Lewarde, 2007, p.89–99. Chantal Pétillon, La population de Roubaix. Industrialisation, démographie et société 1750– 1880, Villeneuve-d’Ascq, Presses universitaires du Septentrion, 2006. Aimée Moutet, Les logiques de l’entreprise. La rationalisation dans l’industrie française de l’entre-deux-guerres, Paris, Editions de l’EHESSS, 1997. Gérard Dumont, « Une immigration fondatrice: les Belges », in Tous gueules noires. Histoire de l’immigration dans le bassin minier du Nord-Pas-de-Calais, collection Mémoires de gaillette, n°8, Lewarde, 2004, p. 17–31. Odette Hardy-Hémery, De la croissance à la désindustrialisation. Un siècle dans le Valenciennois, Paris, Presses de la Fondation nationale des sciences politiques, 1984, p. 238–240.
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Homogénéité et diversité de l’espace régional Finalement il ressort de toutes ces interdépendances l’image d’un univers relativement homogène. S’agit-il là d'une impression superficielle ou bien d’une réalité? Tel sera le dernier point qui sera abordé ici. La réponse, à vrai dire, ne peut qu'être nuancée, car s’il existe de grandes tendances qui contribuent à cette homogénéisation, d'autres au contraire soulignent qu’en sens inverse, entre les « chers voisins », les différences demeurent très présentes. De grandes tendances renforcent les traits communs entre ces trois régions, au premier rang desquelles les politiques de branches, le rôle des banques et l’influence des firmes multinationales, notamment anglo-saxonnes. Les politiques de branches s’appuient sur les entreprises de ces régions pour mettre en place des ententes et des comptoirs de vente qui conduisent à des rationalisations et des restructurations affectant profondément tout le tissu productif régional. Dans l’industrie du verre plat par exemple, la première entente conclue entre SaintGobain et les producteurs belges remonte à 186219. Contrarié durant les années 1920 par l'ampleur de l’enjeu technologique et financier que représente la modernisation des procédés de fabrication du verre à vitre, le phénomène reprend ensuite. Saint-Gobain, les Glaceries de Boussois qui regroupent plusieurs entreprises belges établies en France et la Compagnie Mécaniver, fondée en 1921 par des banques et industriels belges pour exploiter le brevet américain d’étirage mécanique, concluent en 1932 une entente dont l’une des dispositions consiste dans le partage du marché allemand autour d’une filiale commune, la Deutsche Tafelglas AG, dont le capital sera germanisé en 1937–1938, à la suite d’une opération imposée par les autorités nazies. De même, dans la fabrication des bouteilles, les producteurs indépendants passent sous le contrôle, soit de Saint-Gobain, soit de Boussois. Le passage à la fabrication de masse et à la mécanisation durant les années 1930, nécessité par la compression des prix de revient, seul moyen de faire face à la crise, aboutit ainsi à une concentration à la fois technique et financière commune aux trois régions. On pourrait en dire autant de l’action des grandes banques qui y sont présentes comme la Société générale en Belgique, la Banque de Paris et des Pays-Bas en France ou la Deutsche Bank en Allemagne. Elles n’hésitent pas à s’y faire fondatrices d’entreprises. C’est ainsi qu’est créée en 1849 la Société des hauts fourneaux de Denain et Anzin, par suite d’une fusion entre deux entreprises métallurgiques fondées quinze années auparavant. L’opération, réalisée par Paulin Talabot, bénéficie de l'aide de la Banque Rothschild qui souhaite disposer d’une firme capable de produire les rails nécessaires à la Compagnie du chemin de fer du Nord, fleuron de son empire industriel. Parallèlement, la Banque de Paris et des Pays-Bas contrôle à partir de 1881 les Forges et aciéries du Nord et de l’Est, à la tête desquelles elle place d'importants personnages comme Eugène Duclerc, ancien président du Conseil et ministre des Affaires étrangères, ou Gaston Griolet qui cumule ce poste avec la présidence du conseil d'administration de la banque durant une dizaine d’années. Les deux groupes fusionnent en 1948 pour donner naissance à Usinor.
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Jean-Pierre Daviet, Une multinationale à la française. Histoire de Saint-Gobain 1665–1989, Paris, Fayard, 1989.
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On connaît de même l’importance du portefeuille de la Société générale de Belgique. Durant l’entre-deux-guerres, période où il atteint son apogée, il comprend une part considérable d’actifs investis dans la grande industrie, alors majoritairement située en Wallonie (en proportion du total des actifs de chaque branche, 50% dans la métallurgie, 40% dans la verrerie, 30% dans l’industrie chimique, 25% dans les charbonnages)20. En Allemagne, la Deutsche Bank place ses représentants à la tête des conseils de surveillance de maintes grandes firmes rhéno-westphaliennes, des Charbonnages Dahlbusch à la Dortmund-Horden Hüttenunion, et des Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke à Otto Wolff21. Grâce à leur installation aux leviers de commande, elles sont ainsi en mesure de mener des politiques comportant toute une dimension d'intégration régionale. A certains égards, elles développent même une vision de la construction européenne différente de celle des hommes politiques, durant les années 1920 comme après 194522. Quant aux firmes multinationales, notamment anglo-saxonnes, on sait qu’elles prennent leurs décisions à partir de critères qui se veulent objectifs et sont tirés d’un examen de l'espace régional à l’intérieur duquel elles recherchent une localisation optimale des investissements, en fonction de l’étendue des marchés de consommation, de la situation dans l’espace géographique, de la densité des réseaux de transports, du niveau des coûts salariaux, du montant de la fiscalité locale, des possibilités de subventions accordées par les pouvoirs publics. Ainsi s’implantent dans ces régions de nombreux groupes multinationaux, par exemple ceux de la construction automobile à partir du début des années 1960, qu’il s'agisse de Renault à Douai, d'Opel à Bochum ou de Ford qui, il est vrai, avait fondé son usine de Neuss, près de Cologne, dès 193123. Le mouvement bénéficie du soutien des pouvoirs publics qui en attendent la création d’emplois de substitution à ceux qui disparaissent dans les branches « traditionnelles ». Certaines implantations ultérieures, comme celle de Toyota à Onnaing, près de Valenciennes, en 2000, auxquelles il faudrait joindre les emplois créés dans les industries annexes (pneumatiques, équipement automobile), montrent que les régions du Nord-Pas-de-Calais, de Wallonie et de Rhénanie du Nord-Westphalie font figure de terre d’accueil privilégiée pour cette branche, tout au moins jusqu’à une date récente où, à son tour, elle est frappée par la crise. Pourtant, même si ces régions se sont rapprochées, les différences entre elles demeurent très sensibles. Tout d’abord, elles ne situent pas à la même échelle. La puissance économique de la Rhénanie du Nord-Westphalie, du fait de la Ruhr, est sans commune mesure avec celles des bassins de Wallonie ou du Nord-Pas20
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Chiffres fournis par René Leboutte, Jean Puissant et Denis Scutto, Un siècle d’histoire industrielle (1873–1973). Belgique, Luxembourg, Pays-Bas, Paris, SEDES, 1998, p. 142. Voir aussi Ginette Kurgan-Van Hentenryk, Gouverner la Générale de Belgique. Essai de biographie collective, Bruxelles, De Boeck-Larcier, 1996. Lothar Gall et al., Die Deutsche Bank 1870–1995, Munich, Verlag C.H. Beck, 1995. Eric Bussière, La France, la Belgique et l’organisation économique de l’Europe 1918–1935 Paris, Comité pour l’histoire économique et financière de la France, 1992; Eric Bussière, Michel Dumoulin et Sylvain Schirmann (dir.), Milieux économiques et intégration européenne au XXe siècle. La crise des années 1970, de la conférence de La Haye à la veille de la relance des années 1980, Bruxelles, PIE Peter Lang, 2006. Voir l’exemple de Ford à travers les contributions de Thierry Grosbois (Belgique) et de Paul Thomes (Allemagne) aux volumes dirigés par Hubert Bonin, Yannick Lung et Steven Tolliday, Ford 1903–2003: The European History, 2 tomes, Paris, Editions PLAGE, 2003.
QUELQUES ASPECTS DES RELATIONS ECONOMIQUES ET FINANCIERES
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de-Calais. Elle provient en grande partie d’une diversification à la fois plus précoce et mieux réussie qui lui a permis d’échapper à la situation mono-industrielle dans laquelle se sont longtemps enfermés les foyers français et belges. Comme l’ont montré de nombreuses études, les raisons de cette réussite sont à rechercher dans la pratique d’un aménagement concerté de l’espace qui a rassemblé les diverses parties prenantes (pouvoirs publics locaux, grandes entreprises, syndicats) dès 1920, dans le cadre du Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, ancêtre des instances actuelles. Il faut tenir compte aussi, à partir de 1968, de l’intervention de la Ruhrkohle AG qui a assuré la transition vers l’après-charbon mieux que n’ont su le faire, dans leurs domaines respectifs, Charbonnages de France et la Région wallonne24. Enfin les dates à partir desquelles commence la reconversion ne sont pas les mêmes. Elle devient inéluctable dès le début des années 1950 à l'ouest du bassin charbonnier du Nord-Pas-de-Calais où l’on procède à la fermeture des puits non rentables, à partir de 1958 en Wallonie, date à laquelle le charbon commence à s’accumuler sur le carreau des mines, mais seulement à la fin des années 1960 dans la Ruhr. Il en est de même de la sidérurgie, en grande difficulté dans les bassins situés à l’intérieur des terres, qu’il s’agisse du Valenciennois, du Val de Sambre en France ou du Borinage et des bassins de Liège et de Charleroi en Belgique, alors qu'elle parvient longtemps à se maintenir dans la Ruhr lorsqu’elle est placée dans une position de front d’eau. Or les anciennes complémentarités qui tissaient entre les trois régions d’étroites interrelations tendent peu à peu à s’affaiblir, à mesure que les structures productives évoluent et que les parts relatives qu’y occupent des produits « traditionnels » tels que le charbon, le minerai de fer, les matériaux de construction, les produits chimiques s’amenuisent, affectant du même coup leurs relations réciproques. On peut aujourd’hui se demander ce qui reste, entre les « chers voisins », de leur interdépendance mutuelle. Des paysages où alternent les friches industrielles et les plates-formes logistiques articulées aux réseaux de transport ? Un patrimoine minier et sidérurgique difficile à préserver et à réhabiliter ? Des sociétés affectées par le chômage, la désagrégation des anciennes solidarités de classe et de quartier, les problèmes d'intégration des minorités ? Peutêtre est-il permis d'espérer que les expériences des uns et des autres serviront de modèles à tous dans la voie de la reconversion. Toujours est-il que l’héritage des relations économiques semble davantage représenté par un lot commun de difficultés que par un ensemble de réalisations porteuses d’avenir. Arrière-plan de rapports trilatéraux entre France, Benelux et Allemagne qui, aux XIXe et XXe siècles, ont traversé des configurations changeantes et connu des péripéties multiples, rythmées par les guerres, les mutations politiques, les oppositions idéologiques, les relations économiques et financières entre Nord-de-Calais, Wallonie et Rhénanie du Nord-Westphalie représentent un domaine où l’emportent les permanences. Non pas qu’elles restent immuables: l’évolution des techniques, les migrations de population, l’accélération de la circulation des marchandises, des capitaux et des informations y font sentir leur influence, tout 24
Stefan Goch (dir.), Strukturwandel und Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, Münster, Aschendorff Verlag, 2004. Pour une dimension comparative, voir Raine Schulze (dir.), Industrieregionen im Umbruch. Historische Voraussetzungen und Verlaufsmuster des regionalen Strukturwandels im europäischen Vergleich, Essen, Klartext, 1993.
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comme dans les autres secteurs de la vie économique. Il semble pourtant qu’elles aient longtemps constitué un domaine doté d’une relative autonomie, capable de s’entretenir sur lui-même. C’est cette ancienne interdépendance qui, aujourd’hui, tend à disparaître, dans un univers où triomphent d’autres logiques. Peut-être resurgira-t-elle quelque jour? Gageons que, si c’est le cas, elle revêtira des formes qui n’auront guère de rapports avec celles du passé et qui, pour l’instant, demeurent indéchiffrables.
SUMMARY Economic and financial relationships between the Benelux countries, France, and Germany are studied here through three exemplary regions that were mutually dependent on each other during the 19th and 20th centuries: Nord-Pas-de-Calais, Wallonia, and North Rhine-Westphalia. Enterprises born in one of these regions were often founded with capital stock provided by the other two regions. Employers and employees shared common features, which gave them strong peculiarities. Entrepreneurs on both sides of the border possessed wealth and an open mind for innovations, while workers were highly mobile. The shared space in those regions was often marked by similarities, which were promoted through a high frequency of cartelization, bank policies, and the investments of multinational companies. Despite the erratic success in these regions, structural change is still progressing. While this will gradually emancipate the regions from the entrapments of mono-activity, it will also cause their common characteristics to fade away.
ZUSAMMENFASSUNG Die wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen Frankreich, Benelux und Deutschland werden hier anhand dreier Regionen untersucht, die während des 19. und 20. Jahrhunderts in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander standen: Nord-Pas-de-Calais, Wallen und Nordrhein-Westfalen. Betriebe, die in einer dieser Regionen entstanden, erbrachten ihr Stammkapital oft aus den beiden anderen Regionen. Unternehmer und Angestellte wiesen gemeinsame Merkmale auf, die ihnen eine klare Besonderheit verliehen: Bei den Firmenchefs war auf beiden Seiten der Grenze Vermögen und Offenheit gegenüber Innovationen vorhanden, bei den Arbeitnehmern eine erhöhte Mobilität. Auch der gemeinsame regionale Raum hat lange Zeit zu Ähnlichkeiten geführt, die durch die Häufigkeit von Kartellbildungen, der Bankunternehmenspolitik und die Aufnahmerolle gegenüber Investierungen multinationaler Firmen betont werden. Auch wenn mit ungleichmäßigem Erfolg, schreitet heutzutage der Strukturwandel in diesen Regionen fort, durch welchen sie allmählich von den Fallen der Monoaktivität los kommen, folglich aber auch die gemeinsamen Charakterzüge verschwinden.
Partie 6
FORMEN DES KULTUR- UND WISSENSCHAFTSTRANSFERS ZWISCHEN BENELUX, FRANKREICH UND DEUTSCHLAND
KULTURTRANSFER UND IDEENGESCHICHTE IMAGOLOGISCHE BETRACHTUNGEN IM DEUTSCH-BELGISCHEN GRENZRAUM HUBERT ROLAND Im Vordergrund dieser Arbeitssitzung steht ein auf den ersten Blick überraschendes Forschungsdefizit, das der systematischen Auseinandersetzung mit den bilateralen deutsch-belgischen Beziehungen. Denn im Gegensatz zum Bereich der deutsch-französischen kulturellen Studien, dessen Entwicklung in der Nachkriegszeit bekanntlich den politischen Versöhnungsprozess zwischen beiden Ländern gefördert und begleitet hat, hat sich der gründliche Umgang mit dem deutsch-belgischen Austausch bis heute noch wenig entwickelt. Zwölf Jahre nach dem damals von Michel Dumoulin eröffneten Kolloquium von Louvain-la-Neuve 1996,1 der einen Aufschwung dieses Sonderforschungsbereiches initiiert und zur Gründung eines Arbeitskreises geführt hat,2 lassen sich die historischen Gründe für diesen Mangel nur noch skizzieren. Eins steht aber sicherlich fest: Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bzw. die deutsche Invasion des neutralen Staates Belgien am 4. August 1914 hat ein entscheidendes Trauma in der Geschichte der deutsch-belgischen Beziehungen, die bis dann, besonders im Bereich der Wissens- und Kulturtransfers, vorbildlich gelaufen war, dargestellt.3 Der 1933 kurz nach Hitlers Machtübernahme nach Belgien emigrierte Journalist Kurt Grünebaum, der als langjähriger Mitarbeiter der belgischen französisch- und deutschsprachigen Tageszeitungen Le Peuple und Grenz-Echo als Zeugen und Experten dieser Fragen galt,4 hat es in Gesprächen mit Freunden und Kollegen immer wiederholt: Der deutsche „Verrat“ am kleinen neutralen Nachbarland, die Gräueltaten der ersten Kriegsmonate gegen die Zivilbevölkerung, u.a. der Brand der Stadt Löwen und der Universitätsbibliothek, dann die Ereignisse in Dinant, Aerschot und anderen Städten,5 die Härte der ersten Besatzung mit solchen Maβnahmen wie die vorübergehende Deportation der belgi1
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Dumoulin, Michel, „La Belgique, entre la France et l’Allemagne“, in Leonardy, Ernst & Roland, Hubert (Hrsg.), Die deutsch-belgischen Beziehungen im kulturellen und literarischen Bereich/Les relations culturelles et littéraires belgo-allemandes 1890–1940, Frankfurt/M. [u.a.]: Peter Lang, 1999, S. 15–28. Eine sog. Kontaktgruppe des Fonds National de la Recherche Scientifique, d.i. der belgischen Forschungsgemeinschaft: „Questions culturelles et littéraires belgo-allemandes“. Zum heutigen Stand der Forschung zu diesem Thema verweise ich auf meinen Aufsatz „175 Jahre deutsch-belgische Wechselbeziehungen in Kultur und Literatur: Bilder und Wirklichkeit“, in Begenat-Neuschäfer, Anne (Hrsg.), Belgien im Blick: Interkulturelle Bestandsaufnahmen/Regards croisés sur la Belgique contemporaine/ Blikken op België: Interculturele Beschouwingen, Frankfurt/M. [u.a.]: Peter Lang, 2007, S. 449–471. Für eine Bilanz der historischen Forschung: Lademacher, Horst, „Belgien als Objekt und Subjekt europäischer Außenpolitik. Historische Fallstudie zu den politischen Determinanten und Möglichkeiten eines kleinen europäischen Landes“, in Revue Belge d’Histoire Contemporaine/Belgisch Tijdschrift voor Nieuwste Geschiedenis, XXXV, 2005, 4, S. 457–502. Siehe Baumann, Roland, „Kurt Grünebaum, entre l’Allemagne et la Belgique“, in ders. & Roland, Hubert (Hrsg.), Carl-Einstein-Kolloquium 1998. Carl Einstein in Brüssel: Dialoge über Grenzen, Frankfurt/M. [u.a.]: Peter Lang, 2001, S. 277–292. Siehe das Nachschlagewerk zu diesem Thema von Horne, John & Kramer, Alan, German atrocities, 1914: a history of denial, New Haven (Conn.): Yale University Press, 2001.
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schen Arbeitslosen im Dienste der deutschen Kriegsindustrie im Herbst 1916,6 waren es, die das öffentliche Bewusstsein in Belgien im Sinne des anti-deutschen Ressentiments jahrzehntelang geprägt haben. Über diese traumatischen Ereignisse hinaus lässt sich nun die darauffolgende lange Verdrängung des Verhältnisses zu Deutschland in Belgien allein vor dem Hintergrund des seit 1880 aufblühenden deutsch-belgischen Austauschs im europäischen Kontext schätzen. Die Intensität des Bruchs entspricht in der Tat unmittelbar dem Gefühl eines gegen 1914 erreichten Höhepunkts, wie sich am Beispiel der beiden „Nationaldichter“ Maurice Maeterlinck und Émile Verhaeren bestens belegen lässt. Ihre Vernetzung in den deutschsprachigen Ländern galt als exemplarisch: Alle Texte Maeterlincks erschienen nacheinander in den Übersetzungen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski bei dem Verleger Eugen Diederichs und sie wurden von groβem Erfolg gekrönt,7 während Stefan Zweig und der Verleger des Insel-Verlags Anton Kippenberg mit Begeisterung für das Werk Verhaerens warben.8 Von einem Tag auf den anderen stellten gerade diese beiden Dichter ihre Kompetenzen unreflektiert in den Dienst der belgischen Kriegspropaganda und brachen endgültig den Kontakt mit ihren deutschen und österreichischen Freunden ab. Im Bereich des akademischen Lebens und der wissenschaftlichen Kooperation war ebenso europäische Vernetzung ein Begriff und, wie Geneviève Warland in ihrer Doktorarbeit gründlich untersucht, und das Vertrauenspotential im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit zwischen angesehenen Historikern der Nachbarländer (Petrus Johannes Blok, Karl Lamprecht, Ernest Lavisse, Henri Pirenne) besonders groβ. Überall in Europa wird man die gravierenden Folgen dieses Bruchs des Dialogs bedenken müssen, aber besonders in Belgien hatte er eine bemerkenswerte Identitätskrise bei allen Intellektuellen zur Folge. Denn zu den Grundlagen der belgischen Identitätsbildung im 19. Jahrhundert, gehörte, vor allem im französischsprachigen Belgien, der gemeinsam von den Historikern und Schriftstellern aufgebaute Mythos, dass die sog. „belgische Seele“ (l’âme belge), laut dem bekannten Ausdruck von Edmond Picard fusion de romanisme et de germanisme sei.9 Keiner wünschte sich 1914 den schlagartigen Verlust der „deutsch-germanischen“ Komponente des belgischen Modells, den durch die deutsche Invasion notwendig gewordenen Zusammenbruch dieser vorbildlichen Idee einer Kultursynthese. Rückblickend erinnert der Erzähler von La déchirure (1966), der erste Roman des 1913 geborenen belgischen Schriftstellers Henry Bauchau, nach dem Brand des Ortes Sainpierre (tatsächlich Löwen) am Anfang des Kriegs, daran, dass die Belgier die Täuschung ihres Verhältnisses
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Siehe die von M. Amara, M. Dumoulin, J. Gotovitch und H. Roland herausgegebene, neue kritische Edition der Tätigkeitsberichte des Leiters der Politischen Abteilung Oscar von der Lancken Gouverner en Belgique occupée. Oscar von der Lancken-Wakenitz, Brüssel [u.a.]: P.I.E.Peter Lang, 2004, S. 230ff. Siehe Strohmann, Dirk, Die Rezeption Maurice Maeterlincks in den deutschsprachigen Ländern (1891–1914), Bern [u.a.]: Peter Lang, 2006. Siehe den von Fabrice van de Kerckhove herausgegebenen Briefwechsel Émile et Marthe Verhaeren-Stefan Zweig. Correspondance (Bruxelles: Labor/Archives et Musée de la Littérature, 1996; coll. « Archives du Futur »), insbesondere die ausführliche Einleitung van de Kerckhoves. Siehe die Einleitung zum thematischen Sonderheft Une Europe en miniature? der Zeitschrift Textyles. Revue des lettres belges de langue française, Nr. 24/2004 (Hrsg. Hans-Joachim Lope & Hubert Roland).
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zum „Anderen“, nämlich zum deutschen „Barbaren“, in gewisser Weise auch als Täuschung über sich selbst wahrnehmen mussten: « L'incendie de Sainpierre modifie fondamentalement nos rapports avec eux. Avant cela, seulement nos ennemis, ils sont ensuite des barbares. Comme si nous nous étions toujours trompés sur eux, et peut-être aussi sur nousmêmes. »10 Der deutsche „Verrat“ und die Mobilisation der 93 Intellektuellen, die sich mit dem bekannten Aufruf „An die Kulturwelt“ mit der Kriegspolitik einverstanden erklärt hatten,11 widersprachen dem Ruf des Kulturlands „der Dichter und Denker“, das nicht nur die Belgier idealisiert hatten. Dennoch wurden gerade von den deutschen Intellektuellen, den Nachfolgern der Anhänger der politischen Freiheit (Hatte sich Goethe nicht für Egmont, den „Vorläufer“ der belgischen Nation im 16. Jahrhundert interessiert?) Solidarität und Mitleid erwartet. Es folgte eine Welle Publizistik und schlechter Dichtung – wie Verhaerens Text „La Belgique sanglante“, in dem es die Rede von abgeschnittenen Füβen belgischer Kinder in den Manteltaschen deutscher Soldaten ist – die sich wiederum bemühte, das Bild der „barbarischen Deutschen“ zu vermitteln. Tatsächlich war diese Repräsentation keine Erfindung des Ersten Weltkriegs, sondern sie war in Frankreich als patriotisches Gegengewicht der romantischen Heimat der „Dichter und Denker“ im früheren Kriege von 1870 entstanden. Diese binäre Vorstellung der deux Allemagnes12 hatte beispielsweise die Wahrnehmung des belgischen naturalistischen Schriftstellers Camille Lemonnier geprägt. So wollte dieser den deutsch-französischen bzw. den preuβisch-französischen Krieg als Schock der Zivilisationen interpretieren: « La France est la nation moderne: elle est la révolution. La Prusse est la nation gothique. Du reste révolutionnaire aussi. Mais la première est la révolution en avant; la seconde est la révolution en arrière. C’est-à-dire, deux mondes. »13 Man stellt also fest, dass der imagologische Diskurs über Deutschland und die Deutschen die Besonderheiten des deutsch-belgischen Dialogs in der europäischen Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts verankert. Ob man es will oder nicht, er färbt auf die Wissens- und Kulturtransfers zwischen Nachbarländern ab, bestimmt ihren Inhalt im Sinne einer ideologischen Instrumentalisierung, und dies besonders in Krisen- und Kriegssituationen. Andererseits war er auch die Quelle von „produktiven Missverständnissen“, wie im unten erklärten Falle von Madame de Staëls idealisiertem romantischem Deutschland. In Genevièves Warlands Beitrag zu dieser Sektion geht es um Deutschlandbilder bei den nationalen Historikern und in den akademischen Kreisen der Nachbarländer zwischen 1870 und 1920. Deutschland wurde bekanntlich ein groβes Prestige als Land der Wissenschaft, der innovativen Methoden in Lehre und Forschung seit der Reform von Wilhelm von Humboldt anerkannt. In Frankreich 10 11 12 13
Bauchau, Henry, La déchirure, Bruxelles: Labor, 1986 (coll. „Espace Nord“), S. 32. Siehe von Ungern-Sternberg, Jürgen & von Ungern-Sternberg, Wolfgang, Der Aufruf „An die Kulturwelt!“: das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg; mit einer Dokumentation, Stuttgart: Steiner, 1996. Siehe Gödde-Baumanns, Beate, „L’idée des deux Allemagnes dans l’historiographie française des années 1871–1914“, in Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, Bd. 12 (1984), S. 609–619. [Camille Lemonnier], 1870. Paris-Berlin, Bruxelles: Librairie universelle J. Rozez, 1870, S. 27.
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hatten manche sogar die Niederlage von 1870 in diesem Sinne gedeutet und vertraten nun die Meinung, dass man in dieser Hinsicht „vom Feinde lernen“ musste.14 Aber als Korrelat bzw. als Gegenstück fürchtete man sich vor dem „neuen“ nationalistischen Preuβen nach der Reichsgründung. Die These der deux Allemagnes, von der schon wieder die Rede ist, war entstanden. Aber sowohl ihre Genese als die Pluralität der Deutschlandbilder intra und extra muros müssen weiterhin kontextualisiert werden. Der 2007 veröffentlichte Artikel von Manfred Beller über „die Deutschen“ im imagologischen Handbuch The cultural construction and literary representation of national characters15 schafft in der Konstellation dieser Deutschlandbilder Klarheit und hebt vor allem ihre historisch-diachronische Dimension hervor. Ohne dies hätten wir scheinbar mit zeitlosen Stereotypen zu tun. Wir wären also nicht im Stande, sie weder zu analysieren noch zu dekonstruieren. Ein erstes wichtiges Element, das die Beharrlichkeit der Repräsentationen von nationalen Typen erklärt, hat mit der starken Integration von Fremdbild und Selbstbild zu tun. Mit anderen Worten geschieht es nicht selten, dass eine kulturelle bzw. nationale Gemeinschaft sich ein von auβen auferlegtes Fremdbild im Sinne einer positiven Selbstbehauptung aneignet. Einem solchen Denkmechanismus entsprach bekanntlich die ursprüngliche Bildung des deutschen nationalen Mythos des Arminius, der bei Tacitus die Eigenschaften des Volkes der Germani verkörperte. Die deutschen Humanisten Conrad Celtis und Ulrich von Hutten machten aus dem Stereotypen eine vorbildliche Gestalt des heldenhaften Widerstandes gegen die Römer, ein Motiv das später immer wieder im Dienste des Nationalismus aktualisiert wurde, nicht zuletzt im Rahmen der anti-napoleonischen Propaganda im Stück Die Hermannschlacht (1809) von Heinrich von Kleist.16 Nationale Stereotypen sind also eine kollektive Verantwortung. In diesem Sinne ist es übrigens bemerkenswert, dass es im 17. Jahrhundert zwei französische Dramatiker, Georges de Scudéry und Jean Galbert de Campistron, waren, die vor dieser deutschen patriotischen Welle die Rezeption des Arminius-Motivs in der modernen Literatur initiierten.17 Was das positive Deutschlandbild der „Dichter und Denker“ angeht, kam ebenso der Impuls im Klima des romantischen Idealismus von auβen. Madame de Staël ist es, die diesen Topos in ihrem Buch De l’Allemagne popularisierte. Der Einfluss ihrer Vermittlung lässt sich bis heute spüren, so beispielsweise im Prestige eines Autors wie Ernst Jünger in Frankreich, der im 20. Jahrhundert von der surrealistischen Generation und ihren Anhängern als den „neuromantischen“ Weisen des Abenteuerlichen Herzens, nicht zuerst als den aggressiven Nationalisten der Stahlgewitter wahrgenommen wurde.18 Ein indirekt von Madame de Staël 14 15 16 17
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Siehe das Standardwerk von Digeon, Claude, La crise allemande de la pensée française (1870– 1914), Paris, Presses Universitaires de France, 1959. Beller, Manfred, „Germans“, in ders. & Leerssen, Joep (Hrsg.), Imagology. The cultural construction and literary representation of national characters. A critical survey, Amsterdam – New York: Rodopi, 2007 (Studia Imagologica 13), S. 159–166. Ibid., S. 160. S. auch den Aufsatz von Werner M. Doyé im 3. Band der Deutschen Erinnerungsorte (hrsg. von Étienne François und Hagen Schulze), München: Beck, 2003, S. 587–602. De Scudéry, Georges, Arminius ou les frères ennemis (1644); Jean Galbert de Campistron, Arminius (1684). S. die Notiz von Doris Claudia Borelbach im Dictionnaire du monde germanique (hrsg. von Élisabeth Décultot, Michel Espagne und Jacques Le Rider), Paris: Bayard, 2007, S. 57. Siehe Plard, Henri, „Ernst Jünger in Frankreich. Versuch einer Erklärung“, in Text+Kritik. Ernst Jünger, Nr. 105/106, 1990, S. 141–154.
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geerbtes „produktives Missverständnis“ also, sowie eine Selektion der Informationen bestimmen die Verhältnisse eines objektiven Kulturtransfers (die Rezeption Ernst Jüngers in Frankreich); imagologische Betrachtungen vermitteln ein partielles und partiales Bild dieses Autors im intellektuellen Bewusstsein der frankophonen Kultursphäre. Schon zur Zeit der Romantik wurde De l’Allemagne nicht nur in Frankreich, sondern auch in England und Russland rezipiert. Die Verflechtung von Fremdbild und Selbstbild stellt sich in dieser Fallstudie als exemplarisch heraus. Einerseits beruhen Madame de Staëls mangelnde Kenntnisse der deutschen Kultur und sogar der deutschen Sprache grundsätzlich auf ihren Vermittlern, u.a. Wilhelm von Humboldt und Wilhelm Schlegel.19 Andererseits soll ihr Buch für ihre eigenen Landesgenossen eine wesentliche Regenerierungsfunktion haben, indem ihnen der Spiegel einer vorbildlichen Kulturnation vorgehalten wurde. Genau in dieser Weise hatte sich eigentlich Tacitus durch das Motiv der Germanen direkt an die Römer richten wollen.20 Im belgischen Kontext hatten ebenso die positiven Deutschlandbilder im 19. Jahrhundert ihre Funktion erfüllt. Im Dienste des Identitätsbildungsprozesses einer belgischen Nation, die ihre flämische Komponente vernachlässigte, bzw. ihrer flämischen Bevölkerung elementare politisch-gesellschaftliche Rechte nicht anerkannte, hatten sie bis 1914 erhebliche Vorteile geboten: die symbolische Bewertung des flämischen Erbes (nicht zuletzt der Malerei, die als die „gemeinsame Sprache“ der Belgier galt bzw. immer noch gilt), die deutliche Abgrenzung von der französischen Kultur, mit der sich eine hoch ambivalente Beziehung entwickelt hatte,21 indirekte Auswirkungen des positiven Deutschlandimage, mit dem man sich einigermaβen identifizieren konnte, usw. In der Zwischenkriegszeit gestalteten sich die Deutschlandbilder in Belgien und in den Nachbarländern neu. In diesem Rahmen möchte ich lediglich auf besondere Evolutionen und Zäsuren jenseits der schon diskutierten Bipolarität der deux Allemagnes aufmerksam machen. Als Varianten des engagierten humanistischen Deutschland Schillers und Heines galt zuerst der soziale Aktivismus der Weimarer Kultur, dann nach 1933 „das andere Deutschland“ der Exilliteratur, dessen Chronik in Frankreich Albrecht Betz in seinen Publikationen untersucht hat.22 „Das unsichtbare Weimar“, so heiβt es im Beitrag von Marnix Beyen zu diesem Band, und ihre Avantgarde haben besonders in Flandern groβe Anerkennung gefunden. Dies lag teilweise daran, dass die flämische Avantgarde sich ebenso um die Bildung einer eigenen Identität kümmerte, und zu diesem Zweck sich nach der neuen fortschrittlichen Weimarkultur orientierte. Wieder geht es also in dieser historischen Situation um subtile Wechselbeziehungen zwischen Selbstbild und Fremdbild und um besondere Formen der Aneignung. 19 20 21
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Espagne, Michel, „De l’Allemagne“, im 1. Band der Deutschen Erinnerungsorte (hrsg. von Étienne François und Hagen Schulze), München: Beck, 2003, S. 225–229. Beller, op.cit., S. 161–162. Siehe meinen Aufsatz „Die belgischen ‚Gegensätze’ aus deutscher Sicht: Zwiespalt und/oder Kultursynthese“, in Hubert Roland & Sabine Schmitz (Hrsg.), Pour une iconographie des identités culturelles et nationales. La construction des images collectives à travers le texte et l’image/Ikonographie kultureller und nationaler Identität. Zur Konstruktion kollektiver ,images’ in Text und Bild, Frankfurt/M. [u.a.]: Peter Lang, 2004, S. 137–158. Betz, Albrecht, Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreissiger Jahre, München: edition text + kritik, 1986.
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Dabei hatte die Rezeption dieser Weimarkultur eine vorwiegende internationalistische Dimension, die sich vehement gegen alle Formen des Nationalismus richtete. Sie bahnte sogar zehn Jahre nach dem Kriegsende eine Versöhnung an über die Grenzen der damals kriegführenden Nationen hinaus. Signifikant ist beispielsweise in dieser Hinsicht die Brüsseler Aufführung des Stücks Hinkemann des expressionistischen Schriftstellers Ernst Toller (Dezember 1927), das die Thematik der Rückkehr des Soldaten inszenierte, bemerkenswert, in dem Sinne, dass das Stück das Mitleid mit Kriegsopfern aus beiden Lagern erregen soll. Folgendes betonte in der Tat die Rezension des belgischen Autors von Kriegsromanen Max Deauville: das für alle ehemaligen Soldaten gemeinsame Leiden nach der traumatischen Erfahrung, die eine europäische Generation durchmachen musste. Eindeutig handelt es sich hier um eine Rhetorik der Demobilisierungskultur, um einen allmählichen Ausweg aus dem nationalistischen Diskurs, dazu noch um ein fundamentales Misstrauen aller Ideologien: « N’est-ce pas là l’histoire d’Hinkemann le drame de Ernst Toller, drame venu comme une lame de fond de la profondeur de la dernière guerre, apportant avec elle un cri si douloureux et si poignant que seuls ceux qui ont réellement vécu la grande tragédie du monde moderne en peuvent ressentir toute l’angoisse et toute la détresse, ce cri qui répète, lancinant, que la souffrance humaine est au dessus de tous les enthousiasmes, de toutes les Brabançonnes, des Wacht am Rhein, des défilés en armes, des révolutions sociales, des théories marxistes et de la puissance des soviets. »23 Eine Überwindung des Nationalismus war tatsächlich grenzüberschreitend in gewissen Kreisen der jüngeren Generationen spürbar. Sie wurde durch unterschiedliche Beweggründe motiviert und mündete unter anderem in einem pazifistischen Diskurs bei Intellektuellen, die sich für geistige europäische Utopien begeisterten. Von den Mäandern der europäischen Idee in diesem Zusammenhang ist ausführlich die Rede im Beitrag von Geneviève Duchenne zu diesem Band. Sie mögen die politischen Projekte der Nachkriegszeit und die späteren Errungenschaften der Europäischen Union inspiriert bzw. genährt haben. Umso rätselhafter bleibt es, dass ein Flügel dieser europäisch-pazifistischen Netze, unter anderem in Belgien der besonders einflussreiche Minister und Theoretiker der Sozialdemokratie Henri De Man (1885–1953), im Zweiten Weltkrieg in die politische Kollaboration mit dem Nationalsozialismus geriet. Diesem Thema, mit dem Marnix Beyen im Rahmen seiner Forschung über das Kulturleben in Belgien im Zweiten Weltkrieg ebenso vertraut ist,24 widmet sich Albrecht Betz in seinem folgenden Beitrag und differenziert dabei die nationalen Perspektivwechsel im „Blick“ auf die Collaboration. Bei dem zukünftigen Kollaborateur Raymond De Becker (1912–1969) und seinem Freund, dem schon erwähnten Henry Bauchau (1913–2012), die erst am Vorabend des Ersten Weltkriegs geboren waren, hing die Überwindung des deutschfeindlichen Nationalismus mit einem hoch ambivalenten Deutschlandbild des neuen nationalsozialistischen Regimes nach 1933 zusammen. Das Mo23 24
Deauville, Max, „Les Théâtres à Bruxelles“, in La Renaissance d’Occident, Bd. 24, Februar 1928, S. 9. Beyen, Marnix, „Het cultuurleven. Een late terugkeer naar de romantiek“, in Van den Wijngaert, Mark e.a., Belgïe tijdens de Tweede Wereldoorlog, Antwerpen, Standaard Uitgeverij, S. 125–142.
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dell einer „jungen“ nationalen Gemeinschaft bzw. einer neuen gemeinschaftlichen Kultur, die die rational-individualistische, von der Renaissance geerbte Kultur transzendieren soll, wurde als sozial-gesellschaftliche Utopie wahrgenommen, die zum Ausweg aus der materiellen und geistigen Krise helfen würde: « Trouver un équilibre nouveau entre les exigences de la vie personnelle et celle de la vie collective, tel est bien le problème central de notre temps. Qu’il s’agisse de la famille, de la propriété, de la paix et aussi bien de la culture, dans tous les domaines c’est le sens exact des rapports entre la personne et la communauté qui s’est perdu ou affadi, et qu’il faut retrouver et adapter aux mouvantes réalités de notre siècle. »25 Mit dieser Rede über die nouvelle culture communautaire sehnen sich Bauchau und seine jungen christdemokratischen Kommilitonen nach einem „neuen Humanismus“, dem sich Künstler und Dichter auf gesellschaftlicher Ebene hingeben würden. Neue Wege und Bereiche sollen dieses Ideal verkörpern: das Gebiet der „regionalen Wirklichkeiten“, das der beruflichen Körperschaften, das der „neuen Mythen“, bei denen das Physische und das Geistige sich mit einander in Einklang befinden würden. Bauchaus Rede bezog sich zwar nicht explizit auf die nationalsozialistische Gesellschaft aber dieses Modell war schon zwischen den Zeilen spürbar, ohne dass er diesbezüglich Position bezieht. Wir wissen leider rückblickend, wie gerade solche Lebensbereiche im Nationalsozialismus missbraucht und pervertiert wurden. Den jüngeren europäischen Generationen, nicht allein christdemokratischer Inspiration, war diese Tatsache vor der Katastrophe nicht klar, vor allem wenn sie in den Nachbarländern Belgien, Frankreich und den Niederlanden, einer aktiven aber versteckten deutschen Propaganda ausgesetzt waren. Zum Schluss nur noch ein kleines methodologisches Fazit: Unmissverständlich, wie der deutsch-belgische Fall belegt, prägen Selbst- und Fremdbilder die Wissens- und Kulturtransfers zwischen europäischen Nachbarländern, auch wenn diese sich natürlich nicht auf imagologische Betrachtungen beschränken. Die Annäherung der Transfers, zu der die Beiträge zu dieser Sektion einen neuen Beitrag liefern, fördert die Studie der Mechanismen der Importierung von kulturellen Gegenständen und Praktiken von einer Kultursphäre in die andere, und insbesondere die Modalitäten ihrer originellen Aneignung. In späteren Arbeiten, die den deutsch-belgischen Kulturaustausch stärker in eine europäischen Rahmen integrieren würden, könnten die Funktionen und Einflüsse der Bilder in dieser dynamischen Entwicklung einer europäischen Kultur- und Sozialgeschichte gründlich untersucht werden.
RÉSUMÉ Cet article d’introduction à la section consacrée aux transferts de savoir et autres transferts culturels entre 1870 et 1945 analyse le poids des images sur ces transferts dans une perspective d’histoire transversale des idées. La Première Guerre 25
Bauchau, Henry, „D’une culture communautaire“, in La Cité chrétienne, 20. November 1936, S. 44.
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mondiale représenta une rupture décisive au niveau d’un dialogue belgoallemand florissant jusque-là. D’une part, la Belgique partageait l’enthousiasme des pays voisins par rapport au modèle intellectuel allemand – cf. la réforme exemplaire des universités – et à la réputation d’une Allemagne fondamentalement humaniste depuis le 18e siècle, la patrie des Dichter und Denker. À cela s’ajoutait l’idéalisation de l’Allemagne romantique, initiée par Madame de Staël et son ouvrage De l’Allemagne. Toutefois, la guerre de 1870 avait vu naître le motif dual des « deux Allemagnes », « l’Allemagne barbare » (assimilée à la Prusse) faisant fonction de contrepoids à toute idéalisation. D’autre part, la Belgique en particulier avait intégré une composante allemande ou germanique dans la définition et la constitution de sa propre identité, le modèle de l’âme belge, fusion de romanité et de germanité. L’invasion de 1914 et sa brutalité furent donc réellement de nature traumatique car la perte brutale de la composante « germanique » du modèle belge provoqua également une crise symbolique identitaire, que personne ne souhaitait. Pendant des décennies, les influences allemandes en Belgique, très réelles sur le plan historique, furent amnésiées, même si elles se firent encore sentir parmi certaines nouvelles générations de l’entre-deux-guerres. À la fin des années 1920, un début de courant de réconciliation trouva son expression dans les milieux artistiques et théâtraux, où les anciens soldats étaient actifs. L’avant-garde flamande s’inspira également par ailleurs de la culture « progressiste » de la République de Weimar. Même après 1933, certains jeunes intellectuels francophones en quête de renouveau d’une culture « communautaire » furent tentés de voir dans la société allemande national-socialiste une alternative au modèle occidental en crise, au moment où il était encore difficile de percevoir la nature totalitaire du régime nazi. À travers tous ces exemples, on constate la forte influence des images sur les transferts de savoir et d’idées, d’autant plus que la théorie de l’Imagologie permet clairement, de manière générale, d’observer une très forte interaction entre l’image de l’autre (Fremdbild, heteroimage) et l’image de soi (Selbstbild, autoimage).
SUMMARY This article introduces the section devoted to knowledge and other cultural transfers between 1870 and 1945. It more precisely analyses the decisive influence of images on those transfers, following a transnational perspective on the history of ideas. World War I represented a fundamental break in the cultural dialogue between Germany and Belgium, which had been flourishing until then. On the one hand, Belgium shared the enthusiasm of the neighbouring countries for the intellectual German model – i.e. the exemplary reform of the universities – as well as for the positive reputation of humanist Germany since the 18th century, the nation of Dichter und Denker. Besides, Madame de Staël and her book De l’Allemagne had helped to popularize the motif of an idealized Romantic Germany. However, the dual motif of the “two Germanies” was born during the War of 1870; the idea of “Barbarian Germany” (assimilated to Prussia) functioning as a counterpart to all idealization. On the other hand, especially Belgium had integrated a German
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(or Germanic) component to the creation and invention of its own identity, the so-called model of the âme belge, a fusion of Romanic and Germanic influences. This is why the invasion of 1914 and its brutality were also resented as a symbolic trauma, as Belgium suddenly lost the German component of this model, which eventually led to an identity crisis that nobody wished for. Thus, for more than a decade, the German influences, which had been real at a historical level, were forgotten in Belgium, even if they still were present among certain new generations. At the end of the 1920s some kind of reconciliation was expressed in the spheres of art and theatre, where former soldiers were active. The Flemish avantgarde also found a source of inspiration in the “progressive” culture of the Weimar Republic. Even after 1933 some younger French-speaking intellectuals in search of a new culture centered on the idea of “community” were tempted to see in the National-Socialist society model an alternative to the crisis-struck Western model. In those years it had been difficult to perceive from the outside the totalitarian nature of the Nazi regime. In all examples explained one may thus observe the strong influence of images on knowledge transfers, all the more so as the theory of Imagology clearly enables to generally observe a strong interaction between heteroimage and autoimage.
WIDERSPRÜCHLICHES DEUTSCHLAND IM SPIEGEL DES GESCHICHTSWISSENSCHAFTLICHEN DISKURSES IN BELGIEN, FRANKREICH UND DEN NIEDERLANDEN IN DEN JAHREN 1870–1920 GENEVIÈVE WARLAND Zwei Hauptmerkmale charakterisieren die europäischen Gesellschaften jener Zeit, insbesondere in den Jahren 1880–1914. Imperialismus einerseits, Globalisierung andererseits. Das erste Merkmal betrifft hauptsächlich die politische Haltung europäischer Staaten um ihre Position als Weltmacht: sei es das aufsteigende Königreich Belgien unter Leopold II., sei es die Dritte Republik in Frankreich, die um ihre interne Stabilität und die Beibehaltung ihrer internationalen Hegemonie kämpfte, sei es das Königreich Holland mit seinen Ostasiatischen Kolonien, sei es das neu in diesem Wettkampf gekommene Deutsche Reich. Das zweite dient der allgemeinen Charakterisierung supranationaler Verflechtungen: internationale Wirtschaftsbeziehungen, transnationale soziale und politische Interessen, die der Gründung vieler Bewegungen, Parteien und Organisationen beigeholfen haben, sowie der Zuwachs der wissenschaftlichen Kommunikation und Zusammenarbeit. Letztere lässt sogar von einer „Gelehrtenrepublik“ träumen. Die Neugier auf die Welt und die anderen Nationen sowie der Stolz über eigene nationale Errungenschaften kommen besonders in dem kulturellen Phänomen der Weltausstellungen hervor1. In der Repräsentation einer modernen und internationalen Gesellschaft spielt Deutschland eine große Rolle. Für die westeuropäischen Gelehrten ist es das Land, das mit seinen dynamischen Hochschulen den Ton in der Wissenschaft angibt. Die ausländische Rezeption des angegebenen Vorsprungs der deutschen Universitätsmodelle führt zu zahlreiche Beobachtungen von Hochschullehrern. Sie trugen dazu bei, ein neues Bild Deutschlands und seiner Universitäten zu schaffen. Ein solches Bild ist ein Konstrukt, das eine implizite Auseinandersetzung zwischen der Kultur des Anderen und der eigenen Kultur voraussetzt. Aus diesem Grund darf eine eingehende Analyse von Fremdbildern, die zugleich Selbstbilder sind („Auto-heteroimage“), nicht nur ideengeschichtlich die Aussage der Akteure betrachten. Vielmehr soll sie mit deren intellektueller und institutioneller Umwelt vertraut machen. Der Beitrag konzentriert sich auf solche Bildkonstruktionen von Historikern, die den Nachbarländern, Belgien, Frankreich und den Niederlanden gehören. Im Vordergrund stehen die reflexiven Wahrnehmungen führender Historiker, die die Modernisierung des Faches Geschichte in den jeweiligen Ländern vorangetrieben haben: Der französische Historiker Ernest Lavisse, der Belgier Henri Pirenne und der Niederländer Petrus Johannes Blok. Ihre Worte werden kontextualisiert und mit den Aussagen ihrer Schüler und Kollegen vervollständigt und 1
Das Interesse an diesem populärwissenschaftlichen Phänomen ist in dem letzten Jahrzehnt gewachsen. Siehe zum Beispiel Eckhardt Fuchs (Hg.), Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Comparativ, 2000, S. 5–6.
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nuanciert. Bei den hier erwähnten Historikern handelt es sich meistens um Mediävisten und Historiker der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die sich für die Internationalisierung, d. h. die Öffnung des Faches zu den Methoden und Ansätzen von Historikern aus verschiedenen Ländern stark eingesetzt hatten. Aus dem geschichtswissenchaftlichen Diskurs der Zeitspanne zwischen dem deutschfranzösischen Krieg von 1870 und dem Ersten Weltkrieg 1914–18 kommen m. E. drei Hauptbilder Deutschlands hervor: Deutschland als Land der Wissenschaft, die These der ‚zwei’ Deutschland und das ‚junge’ Deutschland. Das dritte Bild spielt allerdings in den Darstellungen der in Betracht gezogenen Historiker eine untergeordnete Rolle: Es wird entsprechend als ein Zweig der These der ‚zwei Deutschland’ anschaulich gemacht. Noch eine Bemerkung zur Logik der Bildkonstruktion2. Sie hängt von vielen Quellen und Faktoren ab, die aus geschichtlichen Übertragungen, zeitgenössischen Berichten und Klischees entstehen. Oft ist diese Konstruktion an eigene Erfahrung gebunden. Die Logik der Bildkonstruktion ist dynamisch: die Wahrnehmung des Anderen ist höchst kontextabhängig und ändert sich mit der Zeit. In den Verhältnissen zwischen zwei Ländern kommen historische Ereignisse sowie der Grad der Betroffenheit einer Generation oder einer Person durch geschichtliche Erfahrung (wie etwa ein Krieg) und deren ideologische Orientierung in Frage. Die Bilderkonstruktion setzt eine Beziehung voraus: Sie entsteht in dem Vergleich zwischen dem eigenen Bild und dem des Anderen. Dadurch enthält sie eine Selbstreflexivität, die allerdings meistens unthematisiert bleibt. Oft ist das Bild zweideutig: zum Beispiel sind viele Darstellungen französischen Autoren über Deutschland durch eine Hass/Liebe oder Faszination/Abwehr Verhältnis gekennzeichnet. Schließlich ist die Logik der Bilderkonstruktion pragmatisch oder intentional: Das entstandene Bild soll einen Wirkungseffekt (auf den Leserkreis oder auf den Publikum) haben. Variabilität, Selbstreflexivität, Zweideutigkeit, Intentionalität und Pluralität bilden heuristische Kategorien, die dazu dienen können, die Verschiedenartigkeit Fremd- und Selbstbilder zu thematisieren. Diese Kategorien verstehen sich nicht als rein deduktiv; sie ergeben sich aus dem Prozess theoretischer und empirischer Lektüre sowie aus der Praxis eines konstanten Vergleichs von Texten aus unterschiedlichen nationalen Kulturen. Die Logik der Bilderkonstruktion führt zu dem Schluss, dass es kein einheitliches Bild des Anderen in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit gibt. Es kann höchstens von dominanten Bildern gesprochen werden.
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Hier beschränke ich mich auf ein Paar aufschlussreiche theoretische oder programmatische Beiträge. Aus der Literaturwissenschaft soll der Sammelband von Manfred Beller und Joep Leersen (Hg.), Imagology. The cultural construction and literary representation of national characters. A critical survey, Amsterdam-New York, Rodopi, 2007 erwähnt werden. Aus der Geschichtswissenschaft kommt das durch Michel Espagne und Michaël Werner geöffnete neue Studiengebiet der Transfergeschichte in den Blick. Siehe u. a. Michel Espagne, « Kulturtransfer und Fachgeschichte der Geisteswissenschaften », Comparativ, 10, 2000, S. 42–61; Michael Werner und Bénédicte Zimmermann, «Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen », Geschichte und Gesellschaft, 28, 2002, S. 607–636.
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Deutschland als Land der Wissenschaft „Nul pays n’a plus contribué que l’Allemagne à donner aux études historiques ce caractère de rigueur scientifique“3, schrieb 1876 Gabriel Monod, Professor an der Ecole Pratiques des Hautes Etudes und an der Ecole Normale Supérieure, in der ersten Nummer der Revue Historique. Mit diesem Satz fasst er die vor dem Ersten Weltkrieg wiederholte Wahrnehmung europäischer Historiker über die deutsche Geschichtswissenschaft zusammen. Methodische Regeln (Textkritik und –interpretation), breite Thematik (von der politischen Geschichte bis zur Kulturgeschichte), Organisation der Lehre und Forschung: historisches Seminar, Kongresse der Fachgenossen, Fachzeitschriften, Quelleneditionen, Enzyklopädien, Handbücher und Lehrbücher sowie Monographien bilden die Wissenschaftslandschaft der deutschen Historiker, die mit Neid beobachtet wurde. Das Gesamtbild der Besucher deutscher Universitäten ist durch die Fülle des Lehrangebotes, der Bibliotheken und die Dynamik der wissenschaftlichen Produktion gekennzeichnet. In einem Brief an seinen Lehrer Godefroid Kurth, vergleicht Pirenne, der 1884–85 ein Jahr in Berlin und Leipzig studierte, das dortige universitäre Leben mit einer „grande ruche où chacun bâtit sa cellule dans l’œuvre totale“4. Auch Charles Seignobos, Schüler und Kollege von Lavisse an der Sorbonne, der sich in diesen Städten aufhielt und wie Pirenne die deutsche geschichtswissenschaftliche Produktion über die Jahre verfolgte, lobt ihre Vitalität: „L’enseignement allemand est supérieur en un point capital: il vit“ 5. Lavisse, der Anfang der 1870er drei Jahren in Berlin verbrachte, um seine Doktorarbeit über die brandenburgische Markgrafschaft vorzubereiten und mehrmals in den darauffolgenden Jahrzehnten nach Deutschland reiste, gibt folgende Beschreibung der deutschen Universitäten: „Elles sont riches, elles sont libres, elles sont puissantes, elles sont honorées“6. Dennoch erhebt die Aussage Lavisses weniger den Anspruch, die Wirklichkeit zu beschreiben als seine Wünsche für Frankreich zu formulieren. Der Aufsatz Universités françaises, universités allemandes in der Revue des deux mondes (1884) gehört einer Propaganda, die vom ihm und dem Philosophen Lucien Liard, zuständig für das Hochschulwesen beim Bildungsministerium, organisiert wurde, um die Wiedererrichtung der durch Napoleon I. in Facultés aufgelösten Universitäten in Frankreich zu fordern. Über ein gutes Jahrzehnt hinaus richteten sich die Bemühungen Lavisses, dem Haupt der Reformbewegung, nach diesem Ziel. 1896 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Struktur und die Aufgaben der neuen Universität definierte. Die hervorgehobenen Charakteristika der deutschen Universitäten drücken generell die Bildungs- und Ausstattungsdefizite im eigenen Land aus. So sprechen solche Feststellungen der Historiker mehr über die Lage im Ausgangsland als über die tatsächliche Lage in Deutschland, von denen sie meistens nur zum Teil berichteten. In ihren nicht veröffentlichen Papieren findet man Beweise über ihre eigentliche Motivation und ihre authentischen Wahrnehmungen. An den 3 4 5 6
Gabriel Monod, « Du progrès des études historiques en France depuis le XVIe siècle », Revue Historique, I, 1876, S. 29. Pierre Rion, « La correspondance entre Godefroid Kurth et Henri Pirenne (1880–1913) », Bulletin de la Commission royale d’histoire, CLII, 1986, S. 187. Charles Seignobos, Brief vom 30.07.1892, Universität Gent, NL P. Fredericq (BUG HS III 77). E. Lavisse, « Universités allemandes et universités françaises », Revue des deux mondes, 3, 1884, S. 634.
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Philologen Gaston Paris schrieb Lavisse, „dass man sich auf die inhärenten Möglichkeiten des französischen Systems konzentrieren sollte, anstatt das – oft falsch verstandene – deutsche zu imitieren“7. Indem sie manche Aspekte des Hochschulsystems des Nachbarlands ignorieren und andere unterstreichen, verfolgen die Darstellungen der Historiker die Verbesserung insbesondere der Forschungsbedingungen im eigenen Land. Wie der französische Historiker Charles Seignobos an den Belgischen Paul Fredericq, Kolleg von Pirenne in Gent, mitteilte: „vous avez voulu encourager les Belges à suivre l’exemple des Allemands, il vous fallait insister sur les avantages de leur système“8. Sowohl an die Politiker als auch an die Öffentlichkeit gerichtet, entsteht auf diese Weise eine Legitimationsstrategie, die die Aufmerksamkeit auf den Beitrag der Universität für die Nation ziehen soll. Ohne eng nationalistisch zu sein, verstanden die damaligen Historiker ihre Aufgabe im Dienste ihres eigenen Landes. In diesem Kontext wurden Nationalgeschichten (Histoire de France, Histoire de Belgique, Geschiedenis der Nederlandsche Volk) geschrieben, die von ihren Autoren zugleich als ein Akt der Wissenschaft und ein Akt der Vaterlandesliebe verstanden wurden. In diesem Kontext wurde Wert auf Bildung gelegt, und Lavisse ist der aktivste Befürworter der nationalen Aufgabe der Universität: „les universités seront des écoles de patriotisme (…)“ und „enrichir la science française, ce sera donc agrandir la France“9. Das Ideal Lavisses, der stark von der französischen Niederlage von 1870 geprägt war, knüpft an die von ihm dargestellte Erfolgsgeschichte der Deutschen von der Gründung der Humboldtsche Universität (1810) bis zur Gründung des Reiches (1870) an: „(…) par la fondation de l’Université de Berlin, [les Prussiens] consommèrent cette redoutable alliance de la force militaire prussienne et de l’esprit national allemand, qui a relevé la Prusse et l’Allemagne, vaincu l’Autriche et vaincu la France“10. Nicht nur in der Förderung der Forschung oder zum Zweck der allgemeinen Bildung der Staatsbürger liegt die Aufgabe der Universität. Sie liegt auch in der Formung einer weitreichenden nationalen Elite. Am Beispiel der an den deutschen Universitäten gewonnenen Erfahrung verfolgt sie das Ziel, eine intellektuelle und soziale Gemeinschaft von „Genossen“ zu bilden, die den „öffentliche Geist der Nation“11 verkörpern und verstärken sollte. Während ihrer jeweiligen Aufenthalte in Deutschland bewunderten Kurth und Fredericq die von den Studenten initiierten historischen Vereine, die intellektuelle Tätigkeiten und ein so-
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Zusammenfassung eines am 29.03.1879 geschriebenen Briefes von E. Lavisse an Gaston Paris durch Gabriele Lingelbach, Klio macht Karriere. Die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, S. 101. C. Seignobos, Brief vom 30.07.1892, loc. cit. E. Lavisse, « Universités allemandes et universités françaises », loc. cit., S. 652. Ders., Etudes sur l’histoire de Prusse, Paris, Hachette, 19167, S. 10. Vgl. mit Pirennes Beurteilung: « Du prodigieux développement qu’avaient pris en Allemagne les disciplines philologiques et historiques, on ignorait tout. Il fallut que la guerre de 1870 révélât brusquement la force et la puissance allemandes pour que l’on s’avisât qu’elles avaient grandi de pair avec la culture intellectuelle » (H. Pirenne, Histoire de Belgique, VII, Bruxelles, Lamertin, 1932, S. 268). Siehe Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin, Asher, 1902.
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ziales Leben zugleich unterstützten12. Lavisse wünschte sich eine derartige Entwicklung an der Sorbonne. Aber er verstand sie vielmehr fachübergreifend, damit die aus unterschiedlichen Regionen Frankreichs stammenden klugen Köpfe der Nation sich kennenlernten, Freundschaften knüpften und über das Studium hinaus in Kontakt blieben. Lavisse erdachte zu diesem Zweck die Universität als den „Wohnsitz der Jugend“: „elle se compose de salles de cours, de salles de brasserie, de promenades et de fêtes. On y étudie, on y boit, on y chante, on s’y bat, on y rêve, on y est jeune“13. Über die allgemeinen Repräsentationen der Universität hinausgehend darf die Thematik ‚Deutschland als Land der Wissenschaft’ in der Wahrnehmung belgischer, französischer und niederländischer Historiker in drei Hauptgebiete unterteilt werden: die geschichtswissenschaftliche Methode, die Organisation der geschichtswissenschaftlichen Lehre und Forschung und die Thematik der geschichtswissenschaftlichen Werke.
Geschichtswissenschaftliche Methode In jener Zeit der Professionalisierung der Geschichtswissenschaft, die sowohl in Belgien14 als auch in Frankreich15 und in den Niederlanden16 von der klassischen humanistischen Ausbildung sich zu emanzipieren suchte, um sich als eigenes Fach zu konstituieren, blicken die Historiker nach Deutschland. Dort hat eine Erneuerung stattgefunden: die durch Leopold von Ranke initiierte praktische Übung. Aus diesem Grund stellte der holländische Historiker P. J. Blok in seiner Eröffnungsrede als Professor für Geschichtswissenschaft an der Universität Gröningen 1884 fest: „Veel hoger dan de historische arbeid van Thiers staat die van den Nestor der geschiedvorser van onzen tijd, van Leopold von Ranke. […]. Alle geschiedkundige van onzen tijd hebben voor hunne methode aan von Ranke de grootste verplichting”17. Die praktische Übung ist das (bis zum heutigen Tag) erfolgreichste Exportgut aus Deutschland in den Geschichtswissenschaften. „Ce qui a le plus frappé mon attention pendant mon séjour en Allemagne, c’est un fait général: l’existence d’un cours pratique à côté de chaque cours théorique“, schrieb Kurth, der als Vater
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G. Kurth, « De l’enseignement de l’histoire en Allemagne », Revue de l’instruction publique, XIX, 1876, S. 92 und P. Fredericq, L´enseignement supérieur de l’histoire. Notes et impressions de voyage. Allemagne-France-Ecosse-Angleterre-Hollande-Belgique, Gand-Paris, Vuylsteke-Felix Alcan, 1899, S. 32f. « Université de Paris, Ouverture des conférences à la Facultés des Lettres, discours de Monsieur Lavisse », Revue internationale de l’enseignement, XVI, 1886, S. 22. Siehe auch das Kapitel über den Studentenverein in E. Lavisse, Etudes et étudiants, Paris, Armand Colin et Cie., 1890, S. 221f. Gesamtdarstellungen für Belgien gibt es nicht. Der folgende Beitrag gibt wertvolle Informationen: Paul Gérin, « La condition de l’historien et l’histoire nationale en Belgique à la fin du 19e et au début du 20e siècle », Storia della Storiografia, 11, 1987, S. 64–103. Pim den Boer, Geschiedenis als beroep. De professionalisering van de geschiedbeoefening in Frankrijk (1818–1914), Nijmegen, SUN, 1987. Siehe u. a. Jo Tollebeek, De toga van Fruin. Denken over Geschiedenis in Nederland sinds 1860, Amsterdam, Wereldbibliotheek, 1990. P. J. Blok, Het doel van de beoefening der geschiedenis. Rede uitgesproken op 26.09.1884 bij de aanvaarding van het hoogleraarsambt aan de Rijksuniversiteit te Groningen, ‘s Gravenhage, Martinus Nijhoff, 1884, S. 11.
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ihrer Einführung in Belgien gesehen wurde18. Lavisse an der Sorbonne, Pirenne in Gent und Blok zuerst in Groningen und danach in Leyde wenden diese Methode an: die ‚petite leçon’ (Lavisse)‚ ‚exercice pratique’ (Pirenne)‚ ‚privaatcollege’ (Blok) gehören von nun an der Standardausbildung der Historiker an. Anhand solcher quellennaher Arbeit mit Hilfe verschiedener kritischer Methoden19 lernen die Studenten in kleinen Gruppen unter der Führung eines Professors, wie die Geschichtswissenschaft aufgebaut wird. Aus dieser Zusammenarbeit entsteht ein wissenschaftlicher Geist, der die Forschenden bindet und dem Ruf der nationalen Wissenschaft zugute kommt20. Nach dem ersten Weltkrieg bündelt Pirenne seine Gedanken über die deutsche Geschichtswissenschaft in einem kurzen Satz: „Elle [la science allemande] a, si l’on peut ainsi dire, l’esprit de géométrie; elle n’a pas l’esprit de finesse“21. Damit meint er, dass die überspezialisierten deutschen Historiker fehlerhafte Theorie entwickelt hätten und es ihnen an politischem Sinn gefehlt hätte. Umgekehrt bleibt das in dem Zitat durch den Geometriegeist bezeichnetes Instrumentarium der deutschen Geschichtswissenschaft ein unausweichliches Modell der Wissenschaftlichkeit. Darunter zählt die praktische Übung, der Eckstein der geschichtswissenschaftlichen Ausbildung, wo die benötigten Kenntnissen und Fähigkeiten trainiert werden.
Organisation der Geschichtswissenschaften: die Autonomie der Lehre und Forschung Was die belgischen, französischen und niederländischen Historiker in ihrem eigenen Land anstrebten ist die Erhöhung des Forschungsanteils in der Ausbildung werdender Historiker. Es sollten nicht nur Lehrer ausgebildet werden, sondern auch Forscher. Daher sollten die Prüfungen nicht mehr hauptsächlich Kenntnisse abfragen, sondern auch wissenschaftliche Kompetenzen – Forschungsfähigkeit, wie ein kritischer Geist der Kandidaten – abverlangen. Darüber hinaus war eine Diplomarbeit vorgesehen, die die Fähigkeit selbständiger Behandlung eines Forschungsthemas prüfte. In ihrem Argumentationsmuster legten die Historiker viel Wert auf Lehr- und Lernfreiheit und hoben die deutsche universitäre Praxis als Modell hervor. Das durch belgische und französische Historiker idealisierte Bild der deutschen Universität, die eigentlich auch um die Beibehaltung ihrer Autonomie zu kämpfen hatte22, verfolgte das Ziel, die Autonomie der Lehre und der Forschung in der Reform der Universität in ihrem Land 18 19
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G. Kurth, « De l’enseignement de l’histoire en Allemagne », loc. cit., S. 88. Es ist die in den praktischen Übungen eingesetzte methodische Vielfalt, die Kurth am meisten beeindruckt hat: « (…) de sorte que la liberté dans l’enseignement produit ici des fruits admirables, parce que, n’étant astreinte à aucune méthode, elle peut les appliquer toutes, selon les convenances, les facultés et les goûts de ceux à qui elle s’adresse » (ibid., S. 95). Siehe zum Beispiel E. Lavisse, « L’enseignement historique en Sorbonne et l’éducation nationale », in ders., Questions d’enseignement national, Paris, A. Colin, 1885, S. 1–43. H. Pirenne, Ce que nous devons désapprendre de l’Allemagne, op. cit., p. 15. In diesem Beitrag vergleicht Pirenne den wissenschaftlichen Boom Deutschlands zu der RenaissanceBewegung, jedoch weniger künstlerisch und disziplinierter (ibid., S. 9). Die Historikertage sind aus der Reaktion deutscher Historiker entstanden, die sich gegen den Willen des Staates die Inhalte des Geschichtsunterrichts zu orientieren gewehrt haben. Siehe Matthias Middell, « Die ersten Historikertage in Deutschland 1893–1913 », Comparativ, 1996, 5–6, S. 21–43.
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zu berücksichtigen und den Hochschullehrer freie Räume zu verschaffen: „Il [die deutsche Regierung] a confiance dans le corps des professeurs choisis par luimême, il leur reconnaît une plus grande compétence pour tout ce qui concerne l’intérêt des études, il accueille leurs demandes, ne leur impose aucune méthode, leur permet d’organiser leur cours de la manière qui leur semble la plus convenable. Le programme est dressé par les professeurs eux-mêmes; ils enseignent ce qu’ils veulent et comme ils veulent de la sorte que chaque talent va où il se sent appelé, chaque spécialité se produit librement, et il est facile à tout professeur de devenir éminent dans une branche“, schreibt Kurth Mitte der 1870er23. Die gewiss von den Schikanen der laizistischen Staatsuniversität Lüttig und der liberalen Regierung an dem katholischen Historiker Kurth beeinflusste Darstellung, trifft die allgemeine Bewertung über das zu streng gestaltete und verschulte Programm der Geisteswissenschaften in den belgischen, französischen und niederländischen Universitäten vor den Reformen der 1890er Jahre in den zwei ersten Ländern und der 1920er Jahre in dem dritten. Nach dem ersten Weltkrieg bekam dieses Bild einer freien Wissenschaft Risse. So drücken die Aussagen Pirennes eines der bittersten Urteile gegen die deutsche Geschichtswissenschaft aus: “(...) sauf d’infimes exceptions, le corps professoral des universités se recrute entièrement dans les partis politiques gouvernementaux. Cette fameuse liberté académique, cette autonomie universitaire que nous admirions si bénévolement avant la guerre, ne sont, au fond, que des trompe-l’oeil“24. Dieses übertriebene Bild spricht die Verhältnisse zwischen Politik und Wissenschaft an, und stellt allgemein das Problem der ideologischen Gebundenheit der Hochschullehrer, die sowohl an die deutsche Historiker als an die anderen Nationen gerichtet ist. Die Ausübung eines methodologischen Nationalismus wurde durch Pirenne und Blok als ein allgemeiner Zug der Europäischen Geschichtswissenschaft vor dem ersten Weltkrieg erkannt und kritisiert. Die Lösung sah Pirenne in den heilenden Wirkungen des Komparatismus25 und Blok in einer Öffnung in Richtung auf die Universalgeschichte26. Beide begrüßten die Wiederaufnahme der internationalen Historikergemeinschaft – und im Fall Pirennes wirkten sie aktiv daran27.
Thematik der geschichtswissenschaftlichen Werke: die Theoriefähigkeit der Deutschen Nicht nur die Handbücher über Chronologie, Paleographie und Diplomatik oder die Gesamtdarstellungen wie die Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514 Rankes oder die Deutsche Geschichte Lamprechts, sondern 23 24 25 26 27
Université catholique de Louvain, Archives du monde catholique (ARCA), NL G. Kurth: Les études historiques en Allemagne. Notes manuscrites. Vgl. mit der Rede Lavisses in Revue internationale de l’enseignement, XXVI, 1893, S. 397. H. Pirenne, « Souvenirs de captivité en Allemagne (mars 1916 – novembre 1918) », Revue des deux mondes, 1920, S. 831. Ders., De la méthode comparative en histoire, Bruxelles, 1923. P. J. Blok, Geschichtsschreibung in Holland, Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 1924. Gemeint ist insbesondere die Tätigkeit Pirennes im internationalen Komitee der Geschichtswissenschaft. Siehe Bryce Lyon, Henri Pirenne. An intellectual biography, Gent, Storyscientia, 1971.
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auch die umfangreichen Studien über ein Spezialgebiet der Geschichte beeindruckten die ausländischen Historiker, sei es in der Rechtsgeschichte, in der Sozial- und Wirtschaftgeschichte oder in der Kirchengeschichte28. Pirenne wie Blok29, Blondel und Marignan in Frankreich, und andere Historiker im Nord-, Süd- und Zentraleuropa sind Anhänger des Kulturhistorikers aus Leipzig, Karl Lamprecht, der als Führer der neuen historischen Schule angesehen wurde30. In seinem Werk schätzen sie besonders den Abschied einer staatsorienterten Geschichtsschreibung zugunste einer Kulturgeschichtsschreibung, die soziale und wirtschaftliche Phänomene als Grundlage der Gesellschaft betrachtet. In diesem Sinn bewundern sie die Fähigkeit deutscher Historiker, Forschungsergebnisse zu systematisieren und Erklärungsmodelle zu entwickeln31. Aufgrund der Gefahr einer Übergeneralisierung und Einseitigkeit erscheinen diese theoretischen Ansätze nicht widerspruchslos. Mit Bezug auf die Historiker, die die Ursprüngen der Städte studierten, fasste Pirenne 1893 die Mängel ihrer Thesen so zusammen: „Peut-être cela vient-il de ce que le problème a été généralement envisagé à un point de vue trop étroitement national“32. Auch über die Theorie der städtischen Wirtschaft des Wirtschaftwissenschaftlers und Historikers, Karl Bücher, den Pirenne übrigens als Begründer der Methode der historischen Statistik lobt33, sagt er: “(...) un chef d’œuvre de pénétration et de compréhension économique. Mais elle est trop restreinte“34. Nach dem Krieg wiederholt er dieses Urteil über die deutsche Geschichtswissenschaft, jedoch mit schärferen Worten und in der neu gewonnenen Deutung, dass die deutsche Wissenschaft seines Gegenstandes wegen überhaupt nicht geeignet war, solche angeb28
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Zusammenfassend beschreibt Pirenne diese Wahrnehmung in « Histoire de l’Académie royale de Belgique. Histoire de la Classe des lettres et des sciences historiques 1772–1922 », Académie royale de Belgique. Bulletins de la Classe des Lettres, 5. Reihe, VIII, 1922, S. 199– 209. P. J. Blok, De geschiedenis als sociale wetenschap. Rede bij de aanvaarding van het hoogleraarsambt in de geschiedenis des vaderlands te Leiden gehouden den 6 oktober 1894, Groningen, J. B. Wolters, 1894. S. 22f. Neben seiner Deutschen Geschichte haben zwei weitere Publikationen Lamprechts einen großen Anklang im Ausland gefunden: Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter. Untersuchungen über die Entwicklung der materiellen Kultur des platten Landes auf Grund der Quellen zunächst des Mosellandes, Leipzig, 1885–86 und « Was ist Kulturgeschichte? Beitrag zu einer empirischen Historik », gedruckt in Herbert Schönebaum (Hg.), Karl Lamprecht. Ausgewählte Schriften zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte und zur Theorie des Geschichtswissenschaft, Aalen, Scientia Verlag, 1974, S. 257–327. Über den internationalen Ruhm Lamprechts, siehe Luise Schorn-Schütte, « Karl Lamprecht und die internationale Geschichtswissenschaft an der Jahrhundertwende », Archiv für Kulturgeschichte, 67, 1985, S. 417–464 und ders., Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1984. Um nur einige Bücher zu nennen, die Pirenne als Grundlage seiner Reflexionen in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte benutzte: W. Arnold, Geschichte des Eigenthums in den deutschen Städten, Basel, 1861; G. von Below, Der Ursprung der deutschen Stadtverfassung, Düsseldorf, 1892; K. Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, Tübingen, 1893; A. Dopsch, Die wirtschaftliche Entwicklung der Karolingerzeit, Weimar 1913; K. Hegel, Städte und Gilden der germanischen Völker, Leipzig, 1891; G.-L. von Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland, Erlangen, 1869–73; R. Sohm, Die Entstehung des deutschen Städtewesen, Leipzig, 1890; O. von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Berlin,1868. H. Pirenne, « L’origine des constitutions urbaines au Moyen Age », Revue Historique, LIII, 1893, S. 82. Siehe auch die Fortsetzung, loc. cit., LVII, 1895, S. 57–98 und 293–327, und « Villes, marchés et marchands », loc. cit., LXVII, 1898, S. 58–70. Siehe u. a. das Vorwort Pirennes zu der französischen Übersetzung Karl Büchers, Etudes d’histoire et d’économie politique, Bruxelles-Paris, Henri Lamertin – Félix Alcan, 1901. Ders., « Les périodes de l’histoire sociale du capitalisme », Académie royale de Belgique. Bulletins de la Classe des Lettres, 5te Reihe, IV, 1914, S. 262.
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lich universellen Modelle anzubieten: „En maintes occasions, leur exclusivisme national les a fait juger le monde, comme si le monde s’absorbait dans l’Allemagne. Leurs théories, par exemple, sur l’histoire économique, et particulièrement sur l’économie urbaine du Moyen Age sont toutes entières puisées à des phénomènes propres à leur pays. C’était de Florence, de Venise ou de Bruges qu’il fallait partir, puisque c’est là que le commerce et l’industrie ont connu leur expansion tout à la fois la plus ancienne et la plus complète; ils sont partis de Francfort et de Lübeck. Ils ont généralisé et étendu à toute l’Europe des faits empruntés à un milieu social incomplètement évolué (...)“35. Die Kritik Pirennes verstand sich als eine Warnung vor jeder Forschung, die aus einem im nationalen Rahmen geschnittenen Objekt allgemeingültige Folgen zieht. Jedoch hieß dies in Pirennes Sicht nicht ein durchaus ablehnendes Urteil über die deutsche Geschichtswissenschaft. Zu Recht besteht er auf die Qualität der Arbeiten in Sozialund Wirtschaftsgeschichte, die zu seinen ersten Anregungsquellen vor dem Krieg zählten: „Je suis le premier à reconnaître que les théories et les hypothèses émises par tant d’érudits éminents sur la constitution domaniale du haut moyen âge sur la nature du commerce médiéval, sur la formation des villes, sur celle des institutions territoriales, ont provoqué de toutes parts des recherches fécondes et excité de la façon la plus salutaire l’activité scientifique“36. Im Gegensatz zu der ersten Generation von Historikern wie Lavisse und Pirenne, die die Methodik und die Lehrformen der deutschen Geschichtswissenschaft in ihren jeweiligen Länder eingeführt haben und sich generell in den Jahren 1880-1914 lobend geäußert haben, ist die Generation ihrer Schüler von vornherein in ihrer Äußerungen über die deutsche Geschichtswissenschaft nuancierter und kritischer. Sie bestehen auf die Mängel und den Nachteilen des deutschen Hochschulsystems. Überspezialisierung der Seminare, die nicht die Notwendigkeit einer zusammenfassenden Darstellung im Auge behalten, überfüllte Vorlesungen und Seminare, pragmatisch orientiertes Verhalten der Studenten, die mehr nach Erhaltung ihres Diploms als nach Bildung und Forschung streben, sind die Hauptkritiken ausländischer Historiker, wie des Schülers Pirennes, Guillaume des Marez37, oder des Schülers Lavisses, Charles Seignobos, der sie am deutlichsten ausformuliert hat38. Ihre Kritiken treffen auf die interne Lage der deutschen Universität der Jahren 1880-1890, die sich in einer Demokratisierungskrise befindet, zu: Enormer Zuwachs an Studenten, Vermehrung der Privat Dozenten und Verschlechterung ihrer finanziellen Lage – die „kleine soziale Frage“ nach dem Ausdruck Lamprechts, der ein aufmerksamer Beobachter der neuen Herausforderungen der deutschen Universitäten ist39. Diese Kritiken setzen einen konstanten Vergleich voraus, in dem die Vorteile des eigenen Systems hervorgehoben werden. Während Seignobos den Elitismus einer Institution wie der des Privat Dozenten dem egalitären Laufbahn der agrégés entgegenstellt, preist Des Marez die Qualität der belgischen geschichtswissenschaftlichen Ausbildung im 35 36 37 38 39
H. Pirenne, « De l’influence allemande sur le mouvement scientifique contemporain », Scientia. Revue internationale de synthèse scientifique, September 1923, S. 177. Ders., Ce que nous devons désapprendre de l’Allemagne. Discours prononcé à l´ouverture des cours de l´Université de Gand le 18 octobre 1921, Gent, Vanderpoorten, 1922, S. 17. Siehe B. Lyon, « Guillaume Des Marez and Henri Pirenne: A Remarkable Report », Revue belge de philologie et d’histoire, 77, 1999, S. 1051–1078. Siehe insbes. C. Seignobos, « L’enseignement de l’histoire dans les universités allemandes », Revue internationale de l’enseignement, I, 1881, S. 563–601. K. Lamprecht (A. Köhler, hg.), Rektoratserinnerungen, Perthes, Gotha, 1917.
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Vergleich zu Deutschland und Frankreich an: „J’ai dû faire ici le même constat qu’à Berlin: notre enseignement n’est en rien inférieur, je dirais même qu’il est supérieur“40. Darüber hinaus kommen immer öfter Kritiken über nationalistische Züge der Geschichtswissenschaft, die die Ängste vor dem deutschen Imperialismus, der als Pangermanismus bezeichnet wurde, ausdrücken. Seignobos charakterisiert die deutsche Geschichtswissenschaft als eine « Mischung aus Philologie und Politik »41, Des Marez ist bei seinem Aufenthalt in Berlin 1897-1898 über den pangermanistischen Ansichten einiger Historiker entsetzt42. Auch Blok fechtet 1905 kulturimperialistischen Ansichten Lamprechts Belgien und Holland gegenüber in den Ergänzungsbänden seiner Deutschen Geschichte43 an, und wirft die These der Holländer als „kleine gleichsam halbdeutschstaatliche Trabanten“ kategorisch ab44. Diese Kritik seitens belgischer, französischer und niederländischer Historiker richtet sich zunächst gegen deutsche Historiker, die wie Lamprecht zeitweise Mitglieder des Alldeutschen Verbandes waren, bezeichnet aber tiefgreifend die von ihnen empfundene Gefahr des deutschen Nationalismus, der allgemein die Politik und die Gesellschaft kennzeichnete.
Die These der zwei Deutschland Die Aufsätze von Caro, La morale de la guerre. Kant et M. de Bismarck (1870) und Les deux Allemagnes. Madame de Staël et Henri Heine (1871) in La revue des deux Mondes haben eine große Wirkung gehabt45. Je nach ideologischen oder intellektuellen Affinitäten, wurden folgende Paare gebildet: Das Deutschland Goethes und das Deutschland Bismarcks, das Land der Dichter gegen das Land der Pragmatiker, das alte Deutschland und das neue Deutschland, Idealismus gegen Militarismus, Liberalismus gegen Zentralismus, und auch Katholizismus gegen Protestantismus46. In der Niederlage des deutsch-französischen Krieges von 1870 entstanden, spiegelt dieser Mythos ein Bild wider, das die Krisis der französischen Intellektuellen zeigt47. Seine Funktion ist die folgende: zum einen zeigt es, 40 41 42
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G. Des Marez, Brief vom 19. Mai 1898 aus Paris, Université libre de Bruxelles, NL H. Pirenne, 26.PP.7 (Briefwechsel 1897–98). C. Seignobos, « L’enseignement de l’histoire dans les universités allemandes », loc. cit., S. 599. Es handelt sich hier von Erich Liesegang, Autor eines von Pirenne geschätzten Buches (Niederrheinisches Städtewesen vornehmlich im Mittelalter. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der clevischen Städte, 1897), der Geschäftsführer des konservativen Vereins zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarkenprovinzen geworden war. Siehe B. Lyon, « Guillaume Des Marez and Henri Pirenne », loc. cit., S. 1056-1057. P. J. Blok, « Duitschland en Nederland », Onze Eeuw, II, 1905, S. 418–437. Ibid., S. 422. Diese Aufsätze hetzen keineswegs gegen Deutschland auf. In dem gemäßigten Ton taucht allerdings die unterschwellige Überlegenheit der französischen Nation auf. In Bezug auf die deutsche Wissenschaft schreibt Caro Folgendes: « il s’y joint, comme par surcroît, la plus grande liberté du travail intellectuel, la haute culture scientifique, et cette conscience réfléchie du droit qui se montre dans leurs livres, qui vient confirmer l’instinctive moralité du peuple, et qu’un dernier progrès réalisera, j’espère un jour, dans leur politique » (« La morale de la guerre », La revue des deux mondes, 6, 1870, S. 594). Beate Gödde-Baumanns, « L’idée des deux Allemagnes dans l’historiographie française des années 1871–1914 », Francia, 12, 1984, S. 609–619. Claude Digeon, La crise allemande de la pensée française (1870–1914), Paris, Presses universitaires de France, 1959 und Charles-Olivier Carbonell, Histoire et historiens. Une mutation idéologique des historiens français, 1865–1885, Toulouse, Privat, 1976, bes. S. 453f.
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dass Deutschland kein Erbfeind ist; es soll vielmehr zwischen ‚Gut und Böse’ in der deutschen Kultur unterschieden werden. Wenn die intellektuellen Beziehungen mit Deutschland aufgrund allgemeiner kultureller Wurzeln im Idealismus, Romantismus und Historismus begründet waren, sei gegen den durch die Einigung unter der preußischen Herrschaft aufgeschwollener Imperialismus, zu kämpfen. Zum anderen soll die These dabei helfen, den französischen Patriotismus wiederzubeleben. So hat diese eine positive Deutung, die das Werk Lavisses am besten verkörpert. Anstatt Preußen zu beschuldigen, sollen die Eigenschaften eines Staates gezeigt werden, der es geschafft hat, ungünstige Landgebiete zu befruchten und gegen die Einfälle von Außen zu sichern. Preußen ist zwar durch Lavisse als ein künstlicher Staat, der sich mit Gewalt („force“) durchgesetzt hat und nicht „organisch“ aus einem Volk (wie Frankreich) gewachsen ist, beschrieben. Aber in Preußen herrschten Macht und Ordnung: Alle (Soldaten, Beamte, Staatsbürger und auch der König) hatten Respekt vor der Staatsobrigkeit, wovon die militärische und geistige Leistungen der beste Beweis ist. Die Geschichte Preußens und die Geschichte Frankreichs sollen nicht mehr gegenübergestellt, sondern aneinandergelegt werden. Beide Länder, deren Geschichten eng verflochten sind, verdienen den beiderseitigen Respekt: „c’est une belle histoire que celle d’une nationalité factice créée par des princes avec l’aide de bureaux où a travaillé l’administration la plus laborieuse du monde. C’est une belle œuvre que d’avoir formé ce peuple prussien, habitué à l’ordre, à l’économie, à l’obéissance, instrument docile et fort d’un gouvernement qui a su, mieux qu’aucun autre en Allemagne, penser et vouloir. Mais c’est une belle histoire aussi que celle d’une longue vie nationale, animée d’une foule de passions, où l’on sent à travers les fortunes diverses, aux heures de folie et aux heures de raison, aux heures de lassitude et aux heures d’héroïsme, un homme, le Français, à l’esprit mobile, ouvert, généreux, et qui a tant agi et tant pensé que ses actes et ses idées ont profité à ses ennemis. Dénigrer par envie ou par ressentiment l’histoire de la Prusse, c’est faire outrage à la nôtre“48. Wie bei der Hervorhebung der öffentlichen Rolle der Universität hat dieses entschärfte Bild der Gegenüberstellung Deutschlands/Frankreichs bei Lavisse die Funktion das nationale Bewusstsein um die neue französische Dritte Republik zu konsolidieren. Im ersten Weltkrieg kommt die negative Deutung der These der zwei Deutschland wieder hoch, überschreitet die Grenzen Frankreichs und verbreitet sich unter den Kriegsgegnern49. 1915 schrieb Kurth: „le génie allemand a été empoisonné par l’esprit prussien, et c’est dans l’esprit prussien que se trouve l’explication claire et lumineuse de phénomènes qui paraissent à première vue inexplicables“50. Dieser preußische Geist wird durch die Ausübung der Macht charakterisiert, und zwar mit der Verletzung des Rechts im eigenen Staat und
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E. Lavisse, Etudes sur l’histoire de Prusse, op. cit., S. 16–17. Bernhard vom Brocke, « Wissenschaft und Militarismus », in W. M. Calder, H. Flashar, T. Lindken, Willamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt, wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985, S. 652–653. S. z. B. für England, R. Muir, Britain’s Case Against Germany. An Examination of the Historical Background of the German Action in 1914, Manchester, 1914. G. Kurth, Le guet-apens prussien, Paris-Bruxelles, Champion-Dewit, 1919, S. 122. Auszüge dieses Buches wurden durch G. Goyau in der Revue des deux mondes veröffentlicht: « Le guet-apens prussien en Belgique. Le témoignage de Godefroid Kurth », loc. cit., XXI, 1921, S. 76–113.
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anderen Staaten gegenüber51. Die Vereinigung Deutschlands unter der Führung Preußens 1870 bedeutete für Kurth den Anfang des Unglücks Deutschlands: „Pour son malheur, ce fut la Prusse qui présida à son unification. L’unité allemande passa des mains des poètes et des philosophes aux mains du chancelier de fer, qui ne connaissait que la force brutale“52. Die Schuld Preußens an der Nationalisierung Deutschlands wird auch durch Pirenne hervorgehoben, der Preußen als das „Schwert“ sieht, das den Liberalismus und den Idealismus in Deutschland getötet hat und das Volk in einem „Brustpanzer“ und in einer „mechanischen Organisation“ eingeklemmt hat53. Ähnlich geht es bei Lavisse, der in seinen vielen Kriegsschriften in der Revue de Paris besonders das Bild des Hochmutes der Deutschen hervorhebt: „orgueil de race, orgueil d’histoire, orgueil militaire, orgueil industriel, orgueil de comptoir“54. Auf diese Weise reduzieren Lavisse wie Pirenne nicht nur die politischen, sondern auch die wirtschaftlichen und die intellektuellen Taten der Deutschen vor dem Krieg als imperialistisch, nach dem Pangermanismus orientiert55. Dabei insistieren sie auf die Rolle der Gelehrten in der Verbreitung der Idee der Überlegenheit der deutschen Kultur, die ihrer Meinung nach eine der Hauptgründe des Krieges ist. Ein ausgewogenes Bild der kämpfenden kriegerischen Kräfte bekommt man von einem Vertreter eines neutralen Landes, Blok, der ihre Legitimationsstrategie enthüllt: wenn Frankreich und England klagen, sie würden gegen den preußischen Militarismus und Barbarei im Namen der Freiheit und Kultur kämpfen, tun sie es eigentlich aus ihren besonderen Interessen, die Ersteren um ElsassLothringen neu zu gewinnen, die Letzteren um ihre wirtschaftlichen Interesse zu gewähren. Seitens Deutschlands und Österreichs wurde um die Existenz als Staatsnation und die Handelsfreiheit auf dem Meer gekämpft56. Solche Stellungnahme Bloks verkündet die Vermittlerrolle, die die niederländischen Intellektuellen nach dem Weltkrieg spielen werden, um friedliche Beziehungen innerhalb Europas wiederherzustellen57.
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Ibid, S. 122–125. Vgl. mit H. Pirenne, « Le pangermanisme et la Belgique », Bulletin de l´Académie royale de Belgique (Classe des Lettres, etc.), n° 5, 1919, S. 30: « Avec l’adoration du germanisme, c’était l’adoration de l’Etat prussien, l’adoration de la force, le mépris du droit, de la justice, de la liberté qui s’introduisaient en même temps ». G. Kurth, Le guet-apens prussien, loc. cit., S. 125. H. Pirenne, « Le pangermanisme et la Belgique », Bulletin de l’Académie royale de Belgique. Classe des Lettres, 5–6, 1919, S. 9. In seiner im Krieg niedergeschriebenen Réflexions d’un solitaire, bemerkt er unter Le bismarckisme (24 Oktober 1918), dass das liberale Deutschland zu Recht nach Einheit strebte, jedoch nicht sich die „preußische Art“ wünschte. Trotz des Modernismusscheins Preußens mit einer einzigartigen Sozialgesetzgebung blieb das Reich eine erzkonservative Monarchie (loc. cit., S. 227–228). In den drei Rektoratsreden Pirennes zur Eröffnung des akademischen Jahres an der Universität Gent, sind die Änderungen Deutschlands im 19. Jahrhundert und den Kontrast zwischen dem neuen und dem alten Deutschland ein wiederkehrendes Thema. Siehe die teilweise schon erwähnten Reden: La nation belge et l’Allemagne. Quelques réflexions historiques (1919), L’Allemagne moderne et l’empire romain du moyen âge (1920), Ce que nous devons désapprendre de l’Allemagne (1921). E. Lavisse, Pages choisies, Paris, Librairie Larousse, 1915, S. 43. Gerd Krumeich, « Ernest Lavisse und die Kritik an der deutschen ‘Kultur’, 1914–1918 », in Wolfang J. Mommsen, Kultur und Krieg: die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München, R. Oldenburg, 1996, S. 150. P. J. Blok, « Buitenland », Onze Eeuw, 1915, 15/4, S. 464–465. Allgemein über die Motive der niederländischen Intellektuellen im Ersten Weltkrieg, siehe Ismee Tames, “Anti-Duits sentiment of strategie voor de toekomst: Nederlandse intellectuelen aan het begin van de Eerste Wereldoorlog”, Tijdschrift voor Geschiedenis, 116, 2003, S. 366–383.
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Gegen jedwede Form von Deutschfeindlichkeit, die sich durch die Erniedrigung des Landes – Blok kritisiert den Versailler Vertrag – ausdrücken konnte, führt Blok die Exzesse des deutschen Nationalismus an und führt diese auf den Enthusiasmus und die Überheblichkeit eines jungen Volkes zurück58, und bezieht sich dabei auf die These der Zwei Deutschland: „denn Deutschland war wirklich neu, nicht mehr das Land Goethes, sondern der Staat Bismarcks“59. Ähnlich wie Lavisse in seiner im Krieg neu aufgelegten Geschichte Preußens, preist Blok in einer in Halle 1919 gehaltenen Rede die Eigenschaften der Deutschen: „(…) Arbeitskraft, Arbeitsfähigkeit, Arbeitsgenie in allen Richtungen, materiell und geistig, die ihm [dem deutschen Volk] unter den Völker der Welt immer einen hervorragenden Platz versichert haben (…)“60. Diese an ein deutsches Publikum gerichteten vertrauensvollen Worte verfolgen den Anspruch der raschen Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen mit den Niederlanden, die den beiden Völkern zugute kommen sollen.
Die These der zwei Europa Um auf die These der zwei Deutschland zurückzukommen, soll es erwähnt werden, dass sie eine niederländische Variante hat. Sich auf die 1870 gehaltenen Rede eines holländischen Hochschullehrers, Tellegen, Duitschland en Nederland beziehend, schreibt Blok: „Bismarck werd het schrikbeeld van de eerzamer Nederlander“. In seiner Argumentation wird der verfassungsrechtliche Unterschied zwischen diesen Ländern besonders unterstrichen. Die autoritäre preußische Regierungsform – monarchisch, aristokratisch, protestantisch – wird der holländischen konstitutionellen Monarchie, die dem Volk persönliche Freiheit gewährleistet, entgegengestellt61. Ein solcher Unterschied bezeichnet eine weitere Unterscheidung zwischen zwei Europa – West- und Osteuropa –, und darüber hinaus zwischen zwei Nationsbegriffen, die staatsbürgerliche und die ethnische Nation. Wenn Blok schon 1905 auf diesen Unterschied aufmerksam macht, kommt dieser bei Pirenne erst in seinen in der Gefangenschaft niedergelegten Überlegungen zum Vorschein62. So unterscheidet die Überlegung Europe occidentale/Europe orientale (1. März 1918), zwei Volksbegriffe: einerseits die Nation, die Wert auf die politische Bildung der Staatsbürger legt, damit sie eine Öffentlichkeit bildet (westliches Europa); andererseits der Staat, der eine auf Gehorsamkeit gesetzte pädagogische Bildung fördert (östliches Europa)63. Ausführlicher als in dieser vereinfachten Entgegensetzung zweier europäischer Bildungssysteme führt Pirenne in Le pangermanisme et la Belgique (1919) den ontologischen Unterschied zwischen der staatsbürgerlichen Nation und der ethnischen Nation ein64. Wäh58 59 60 61 62 63 64
Dieses Argument des junges Volkes als eine Erklärung des Hochmutes und der Arroganz Deutschlands verwendet auch Pirenne (Ce que nous devons désapprendre de l’Allemagne, op. cit., S. 10–11). P. J. Blok, Holland, Halle a. S., Verlag Max Niemeyer, 1919, S. 16. Ibid., S. 42. P. J. Blok, « Duitschland en Nederland », loc. cit., S. 433f. B. und M. Lyon, Jacques-Henri Pirenne (Hg.), «‘Réflexions d´un solitaire’ by Henri Pirenne », Bulletin de la Commission royale d’Histoire, CLX, 1994, S. 143–257. Ibid., S. 205. H. Pirenne, « Le pangermanisme et la Belgique », loc. cit. Vgl. mit H. Pirenne, Ce que nous devons désapprendre de l´Allemagne, op. cit., S. 18.
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rend für Pirenne die erste Konzeption der Nation sich in dem rousseauistischen Sinn aus der Abstimmung der Einzelwillen und aus den gemeinsamen Rechten vollzieht, stellt die zweite eine natürliche Konzeption dar, die des Volksgeistes in dem sich Rasse und Sprache verschmelzen65. Pirenne folgend wird in den politischen Gebilden der letzten Art die Freiheit nicht als individuelles Recht anerkannt, sondern dem nationalen gemeinschaftlichen Interesse zugeordnet. Wie die These der zwei Deutschland wurde die These der ‚Zwei Europa’ als Waffe gegen Deutschland in Krisensituationen benutzt. Sie rechtfertigte den Kampf gegen einen Staat, der als Inbegriff des Antiliberalismus und Konservatismus wahrgenommen wurde. Sie bestärkte außerdem die Eigeninterpretation der Überlegenheit westeuropäischen politischen Gebildes. Ohne sich dessen bewusst zu werden, bauten die Historiker mit dieser These, die auf dem Vergleich der politischen und gesellschaftlichen Strukturen beider Teile Europas – der fortschrittliche Westen und der verspätete Osten – beruht, neue kulturelle Schranken, die ihrer Meinung nach den wirklichen historischen Entwicklungen entsprachen. Selbstgefällig und pauschal urteilend verhielten sie sich wie die deutschen Historiker die sie kritisierten. In jener Nachkriegszeit konnten die Historiker es nicht wahrhaben, dass staatsbürgerliche und ethnische Züge einer Nation Konstrukte sind. Sie zögerten die Tatsache anzuerkennen, dass die westliche Gleichheit mehr formal als real war; darüber hinaus ließen sie den deutschen Kosmopolitismus des 18. Jahrhunderts und das Liberalismuspotential Deutschlands im 19. Jahrhundert völlig außer Acht. Wenn die These der zwei Deutschland in Vergessenheit geriet – sie hatte mit der Etablierung der Weimarer Republik keine Gültigkeit mehr – gewann in den Geistes- und Sozialwissenschaften die andere These – die der zwei Europa, und noch mehr die der zwei Nationsbegriffe – an Gewicht: Sie strukturierte die Nationalismusforschung über das ganze 20. Jahrhundert hinweg66.
Schlussfolgerung Das ‚Land der Wissenschaft’ und die ‚These der Zwei Deutschland’ sind, wie ich es anhand des geschichtswissenschaftlichen Diskurses ansatzweise gezeigt habe, funktionale oder pragmatische Bilder. Die Wirkung solcher Bilder auf die nationale Öffentlichkeit ist wichtiger als deren Wirklichkeitsbezug. Auf der Diskursebene sind Selbstbild und Fremdbild miteinander verbunden. Nur eine geschichtliche Analyse ihrer Erscheinungsformen ermöglicht es, sie voneinander zu trennen. Der teilweise bewusste und teilweise unbewusste Prozess des Eindringens und Vermischens von Wahrnehmungen, die sich in diskursiven Bildern äußern, betrifft die Historiker von heute wahrscheinlich nicht weniger als die Historiker von gestern. Das Aufdecken solcher Verworrenheit, in der eine Projektion in dem Anderen und in der Zukunft stattfindet, wird aber den Historikern von morgen überlassen! 65 66
Ders., « Le pangermanisme et la Belgique », loc. cit., S. 5–6. Vgl. mit H. Pirenne, La nation belge et l’Allemagne, op. cit., S. 15–16. Siehe zum Beispiel die klassische Studie des Philosophen und Historikers Hans Kohn (1891– 1971), The idea of nationalism: a study in its origins and background, New York, The Macmillan Company, 1944.
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RÉSUMÉ La période des impérialismes est marquée par un double mouvement de nationalisation et d’internationalisation des sociétés. Ce mouvement est porté par un discours véhiculant de nouvelles représentations. Celles des historiens belges, français et néerlandais étudiés ici, en particulier Henri Pirenne, Ernest Lavisse et P. J. Blok, mettent en avant trois images essentielles de l’Allemagne: le pays des universités et de la science, l’Allemagne de Goethe s’opposant à celle de Bismarck et la jeune Allemagne du Second Reich, puissante et dynamique. Ces images servent tantôt de stimulant, notamment du point de vue des méthodes de recherche, tantôt de repoussoir: là, c’est le chauvinisme prussien qui est fortement critiqué. La première guerre mondiale, où l’Allemagne est le pays envahisseur, renforce la perception négative qu’en ont les historiens des nations voisines.
SUMMARY The imperialistic period is characterized by a twofold movement of nationalization and internationalization. This movement is accompanied by a discourse carrying new representations. Belgian, Dutch and French historians like Henri Pirenne, P. J. Blok and Ernest Lavisse put forward three main images of Germany: the country of universities and science, Goethe’s Germany facing Bismarck’s Germany, and a young imperial Germany that was dynamic and powerful. In some cases, these images worked as a model as far as the new research methods were concerned; in other cases, they were reluctant: the fierce criticisms were directed towards Prussian nationalism. The First World War, where Germany acted as the aggressor, reinforced the negative perception of the neighboring countries’ historians.
ENTDÄMONISIERUNG EINES STIGMAS DER DEUTSCHE UND DER BELGISCHE BLICK AUF DIE KOLLABORATION ALBRECHT BETZ Anders als über die meisten der Vorträge dieser Tage, bei denen zurecht Konsens und Kooperation im Mittelpunkt standen, könnte man über diesen letzten den Titel setzen: der Schlusspunkt als Kontrapunkt in moll. Zum Glück ist die Dunkelheit – die Phase 1940–44 in Westeuropa, zumal Belgien – eine historische; wie weit sie in die Nachkriegszeit hineinragte und keineswegs mit dem Kriegsende beendet und ausgelöscht war, bleibt kontrovers.1 Von den vielfachen Bereichen der Kollaboration soll auf all jene nicht eingegangen werden, die zum Teil bereits untersucht wurden: die militärische, die politische, die administrative, die wirtschaftliche. Sondern auf jene, die während des Kriegs bemüht war, Konsens und Kooperation herzustellen. Zu sprechen ist von der intellektuellen Kollaboration; denn ohne die vor allem publizistische Unterstützung bekannter belgischer Intellektueller,2 ihrer zeitweisen Zustimmung zu und Faszination durch Faschismus und Nationalsozialismus, wäre die Besatzung, trotz des massiven Einsatzes deutscher Propaganda und des Anknüpfens an die Flamenpolitik des I. Weltkriegs, anders verlaufen; wäre die relative Anerkennung einer deutschen Hegemonie des – wie es ab 1940 hieß – Neuen Europa vor allem in der Frühphase der Okkupation nicht denkbar gewesen. In den Worten der vielleicht bedeutendsten Gestalt unter diesen Intellektuellen, Hendrik de Man (zitieret wird aus der zweiten Fassung seiner Erinnerungen, 1948 in Genf erschienen unter dem Titel „Cavalier seul“): „Um zu verstehen, was in den besetzten Ländern Westeuropas geschehen ist, muß man betrachten, wie sich der Charakter des Krieges im Laufe der fünf Jahre verändert hat. Man kann nicht genug darauf insistieren. Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse – (gemeint ist der Beginn des Kalten Kriegs, A.B.) – haben in diesen Ländern viele Personen eine erstaunliche Kraft des Vergessens bewiesen. Im Ausland hat sich der Eindruck einer literarischen und cineastischen Propaganda festgesetzt, die ausschließlich gewisse sensationelle Aspekte der letzten Kriegsphase popularisiert hat; auch bei uns hat sich
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Das gilt auch nach dem Erscheinen des – als eine Art Bilanz konzipierten – Dictionnaire de la Seconde Guerre mondiale en Belgique, Brüssel 2008, das Paul Aron und José Gotovitch herausgegeben haben. – Erstaunlicherweise enthält es als Wörterbuch keine Eintragungen zu Personen und Protagonisten. – In einem separaten kleinen Text werden – am Beispiel von De Becker, Marceau und Poulet – die „Vérités et mensonges de la collaboration“ erörtert (Loverval, 2006). Frankreich und Belgien stehen im Zentrum von: A.Betz, S.Martens (Hg.): Les intellectuels et l’Occupation 1940–1944, Collaborer, partir, résister, Paris 2004. Die Universalisierung der 1929 einsetzenden Krise mit ihrer Erschütterung fast aller Lebensbereiche (wobei ein gewisser Zeitverzug in verschiedenen Ländern zu beobachten ist), gilt als eine der Hauptursachen für den europaweiten autoritären „turn“ in den 1930er Jahren. Antiliberal zu sein, die Überwindung der parlamentarischen Demokratie zu fordern, galt als „innovativ“. – Über die Anfälligkeit der demokratischen Gesellschaften für nationalistische Rückfälle und für autoritäre Experimente sind seitdem ganze Bibliotheken entstanden.
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ein erstaunlich falsches Bild der täglichen Wirklichkeit, vor allem der der Anfangsphase, festgesetzt.“3 Geschrieben wird dies in den aufgewühlten Nachkriegsjahren, in der Phase eines erneuten Systemwechsels, in einer Zeit der Abrechnungen. Die Gesellschaften der kurz zuvor noch okkupierten Länder (das gilt für Belgien ebenso wie für Frankreich und die Niederlande) suchen sich reinzuwaschen durch Säuberungen großen Stils (épurations), suchen die Opfer der Besatzung zu rächen und die eigene – erzwungene oder freiwillige – Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht vergessen zu machen. Darauf zielt de Mans Hinweis auf den phantastischen Gedächtnisschwund, die gigantische Verdrängung. Die Definitionsmacht über das Verhalten während des Krieges und die Erwartungen an den Neuaufbau ist an gewesene oder selbsternannte Vertreter der Résistance und die aus dem Exil zurückgekehrte Opposition übergegangen. Die gesamten Jahre seit 1940 werden vom sinistren Ende her beurteilt – Ernst Jünger wird sagen: wie mit dem Blick durch eine rußige Scheibe. So wird auch Collaboration pauschal identifiziert mit Verrat, die Kollaborateure mit Verrätern, viele werden mit diesem Stigma wie mit einem Brandzeichen versehen. Kurz: der ganze Bereich wird dämonisiert, bei nicht wenigen mit dem Ziel eigener Reinwaschung. Der Untergang des III. Reichs hat für diese Interpretation gleichsam die realhistorische Bestätigung geliefert. Erst heute wird deutlich, wie sehr solche Beurteilung in die Bewertungsmaßstäbe, politische und moralische, des Kalten Kriegs einging und wie lange man ihnen verpflichtet blieb. Daß bei einem solch inkriminatorischen Interpretationsansatz die zeitgenössischen Motive völlig ausgeblendet wurden versteht sich von selbst; ebenso, dass Interpretamente wie jenes von der ‚Illusion des Faschismus’ von vornherein – über die angeblich unentschuldbare politische Blindheit hinaus – auf die moralische Verurteilung, der Akteure zielte. Die Fragen nach ihrem Selbstverständnis, ihren eigenen Entwürfen und Zielvisionen wurden als indiskutabel gar nicht erst gestellt. Der schwarze Nebel des Verruchten, der viel Ambivalentes und Grenzwertiges jener Jahre mitverdeckte, sollte möglichst lange nicht aufgelöst werden und wurde in den betroffenen Ländern (gemeint ist eigentlich der ganze Kontinent: von Norwegen bis Griechenland) bis in die jüngste Zeit genährt von „Enthüllungen“. Die intellektuellen Kollaborateure, es ist unnötig daran zu erinnern, hinterließen – als Publizierende – unauslöschliche Spuren. Immer wieder wurden und werden in den zahlreichen Printmedien der Epoche Texte entdeckt. Berühmtestes Beispiel: die prodeutschen Literaturkritiken des späteren Stars der YaleUniversity Paul de Man, des Neffen Hendrik de Mans in Brüssels führender Zei-
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Henri de Man gilt, trotz aller nachträglichen Kritik nicht nur in Belgien, unverändert als einer der wichtigen politischen Geister der Epoche. Das schließt nicht aus, dass auch er seine Erinnerungen – drei Fassungen innerhalb von zwölf Jahren – zum Teil deutlich umakzentuierte. Ein genauer Vergleich der Varianten würde lohnen. Der chronologischen Folge nach geht es um: 1. Après Coup (Mémoires), Brüssel 1941, 2. Cavalier seul. 45 années de socialisme européen, Genf 1948 und 3. Gegen den Strom. Memoiren eines europäischen Sozialisten, Stuttgart 1953.
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tung Le Soir, die unter den Seziermessern der Ideologiekritik oder des Poststrukturalismus ihre vergiftete Substanz zu offenbaren scheinen.4 Aus deutscher Sicht wiederum wurde – bei der Aufarbeitung der Vergangenheit – der intellektuellen Kollaboration der besetzten Länder deswegen wenig Aufmerksamkeit zuteil, weil die reale Kollaboration, der konkrete Verbrechen zugeordnet werden konnten, jene als von geringerem Belang verdeckte. Irgendwie war sie Bestandteil des unübersehbar ausgeweiteten und unscharfen Bereichs der Propaganda, an dem sie partizipiert hatte, überall auf dem Kontinent; durchaus interessenbedingt und zielorientiert, doch völlig frei von Dämonie. Welche Beobachtungen und Fragestellungen wären heute, seit der Historisierung der Epoche, fruchtbar zu machen, um solche historischen Generalisierungen aufzubrechen? Wie wäre Zugang zur politischen und ästhetischen Vorstellungswelt der intellektuellen Kollaborateure in Belgien zu finden, von denen sich viele auf ihre Weise als belgische Patrioten verstanden, frei von Opportunismus oder Verrat? Und wie könnte die Analyse der Kollaboration auch als Teil des neuen Feldes der europäischen Intellektuellengeschichte in Angriff genommen werden?5 Einige Elemente seien im Folgenden genannt. Ausgangspunkt könnte die Frage sein, auf welcher konkreten politischen, sozialen und religiösen Krisenerfahrung das (zeitweilige) faschistische Engagement beruhte. Wieweit wurde der Zusammenbruch von 1940 – gesehen als zwangsläufige Folge des politischen Chaos der zersplitterten parlamentarischen Demokratie während der 1930er Jahre – verstanden zugleich als zu verarbeitendes Trauma der Niederlage wie auch als Chance zu einem Neuaufbruch? Wie versuchten sie – überzeugt dass die kommende Epoche die eines Europa unter deutscher Hegemonie sein werde – eigene Positionen mit denen der Okkupanten zu amalgamieren, hoffend auf Hilfestellung bei einer revolutionären, antibürgerlichen Transformation der belgischen Gesellschaft? Was verstanden sie unter Nationalsozialismus (der in der Zeit der Blitzkriege und -siege eine weitere Steigerung seiner Anziehungskraft entwickelte) und aufgrund welcher Fehleinschätzungen konnten sie das III. Reich als politischen Garanten für die Realisierung der eigenen, nationalen Utopie des Sozialismus betrachten, das als Bollwerk dem expandierenden Kommunismus Paroli bot und dank seiner weltpolitischen Machtstellung die Geschichte offenhielt? Auf welche Argumente gestützt waren sie (zeitweise) überzeugt von der Erfüllung ihrer Hoffnungen? Aufzufächern wären die Grade der Faszination und Zustimmung zum Faschismus als europäischer ideologischer Bewegung; ebenso ihre unterschiedlich starken Reserven und Vorbehalte gegenüber den Okkupanten – dank eigener Traditionen und anders definierter Interessen. Wo liegen die Schnittmengen zwischen den eigenen Feindbildern und denen der Besatzer? Innen- und außenpoli4
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Bezeichnend ist, dass die entsprechende wissenschaftliche Aufarbeitung nicht in Belgien, sondern in den USA geleistet wurde: W.Hamacher, N.Hertz, T.Keenan (Hg.): Wartime Journalism, 1939–1943. By Paul de Man, University of Nebraska Press, 1988; sowie (von den gleichen Herausgebern): Responses. On Paul de Man’s Wartime Journalism, University of Nebraska Press, 1989. – Vgl. auch: A. Betz, Intellektuelle Kollaboration in Europa. Paul de Man, ein inakzeptabler Artikel und Drieu La Rochelle; in: FAZ-Geisteswissenschaften, 18.7.2007. Eine vergleichende Europäische Intellektuellengeschichte bleibt nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Das gilt ähnlich für eine komparatistische Geschichte der Intellektuellen Kollaboration, die gegenüber der Exil- und Widerstandsforschung noch immer ein Schattendasein führt.
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tisch? Übergreifende Auffassung der meisten kollaborierenden Intellektuellen ist jedoch, im totalitären deutschen Reich den Geburtshelfer und Schutzherren eines „Neuen Europa“ zu sehen, als Ordnungsmacht der Mitte. Die Einigung des Kontinents – als politisch-ökonomisch-zivilisatorischem „Großraum“ zwischen Ost und West – erscheint ihnen als dringliches Ziel, das, nach vielen gescheiterten Versuchen, offenbar nur mit Waffengewalt durchzusetzen und in einer autoritären, hierarchischen Struktur zu verwirklichen sei. Grundiert sind solche Hoffnungen von der Geschichtsgewissheit, am Beginn einer neuen Ära zu stehen. Dies lässt sie dem Krieg einen revolutionären Sinn unterlegen. Die Gegenwart streife die – in den 150 Jahren seit der Französischen Revolution verbrauchten – Werte ab und gebe sich neue, die seit der deutschen Revolution von 1933 wirkten und sich in ganz Europa durchsetzen würden. Im III. Reich, als Heilszentrum, seien sie schon weithin Wirklichkeit geworden. Daher die alles überstrahlenden Erfolge auf dem Kontinent, der wegen seiner ethnischen, religiösen, sprachlichen Vielfalt einer starken Führung bedürfe. Auch eine Überwindung der flämischwallonischen Spaltung könne davon erhofft werden. Man wird nach solchen Motiven und Antriebskräften fragen müssen, um im Ideenhaushalt der kollaborierenden Intellektuellen klarer zu sehen. Sie sind Vermittler, Interpreten und Kommentatoren politisch-sozialer Ideen und Weltbilder, sie schreiben mit dem Gestus von Propheten oder Erziehern, im schwächsten Fall sind sie nur Transmissionsriemen der deutschen Propaganda. Zu fragen ist auch, wie sie – innerhalb der äußerst komprimierten Zeitspanne der Jahre zwischen 1940 und 1944 – auf den Wandel der Positionen des NS und der internationalen Politik reagierten. Wie sehr sie sich, zum Beispiel, in den Absichten Hitlers (und seiner die „europäischen“ Ambitionen nährenden Propagandisten) getäuscht hatten, wie sehr sie trotz der Einigungshoffnungen auf einer relativen Autonomie ihrer Länder bestanden und keineswegs der Vereinnahmung in ein Großgermanisches Reich zustimmten, zeigen die unterschiedlich massiven Distanzierungen ab Anfang 1943, nach dem Debakel von Stalingrad, mit dem sichtbar schwindenden Kriegsglück des Reiches. Sie waren bereit gewesen – führende Stimmen waren Robert Poulet, Raymond de Becker, Paul Colin und Pierre Daye – im Gegensatz zu den Europäisten des Widerstands, die für eine föderative und demokratische Struktur eintraten – sich für die Einigung und Führung Europas durch Hitlerdeutschland einzusetzen, als Partner; nicht aber einen Vasallenstatus zu akzeptieren. Es war übrigens diese Position, die sie nach dem Krieg, während der épuration, vor der Exekution bewahrte.6 Hinzugefügt sei an dieser Stelle die generelle Bemerkung, dass – was man als die condition collaboratrice bezeichnen könnte – von zahlreichen hybriden Erscheinungen gekennzeichnet ist, die durch das schnelle und oft irrational-zufällige Nacheinander von Politik, geschichts-philosophischen Konzepten, existentiellen Macht- und Interessenlagen und ästhetisch-schöpferischen Motiven auf den Plan gerufen wurde. All dies, verbunden mit dem erklärten Bruch mit der Welt des Liberalismus, gehört zu der verdrängten Schicht innerhalb der jüngeren Archäologie Europas, die es freizulegen gilt. Ferner ist, im Rahmen der „geistigen Zusammenarbeit“ während des Krieges daran zu erinnern, dass von seiten der Be6
Nicht nur jene, die 1945 wegen ihres publizistischen Engagements im Krieg knapp der Exekution entgingen – wie Robert Poulet und Raymond De Becker – , sondern auch André Cajatte (Félicien Marceau), Henri Bauchau und andere zogen es vor, nach dem Krieg in dem verglichen mit Brüssel größeren und mehr Anonymität garantierenden Paris zu leben.
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satzungsmacht herausgestellt wurde, der deutsche Führungsanspruch ergebe sich nicht nur durch die technische, militärische und organisatorische Stärke der neuen „Ordnungsmacht“ in der Mitte Europas; sondern auch durch die Überlegenheit deutscher Kultur. Es ist das militärisch gestützte „Angebot“ einer, im Vergleich zu den Dreißiger Jahren, anders gepolten „Wertegemeinschaft“. Zum Schluß sei erinnert: der zentrale, keineswegs eindeutige und viel Spielraum lassende Begriff Collaboration entstand im besiegten Frankreich; er sollte zunächst nur dessen offizielle Haltung gegenüber dem Deutschen Reich als Sieger bezeichnen. Nach dem Treffen zwischen Hitler und Pétain in Montoire im Oktober 1940 trat der Ausdruck seine politische ‚Karriere’ an, sehr rasch mit einem gewissen haut goùt versehen. Und er blieb keineswegs ein französisches Phänomen. Die Kollaboration wurde zum europäischen Phänomen mit nationalen Ausprägungen. Was rechtfertigt, innerhalb der europäischen „faschistischen Konstellation“, die besondere Beschäftigung mit Belgien? Als – nach dem Ausdruck Henri Pirennes – „carrefour“ erlebt Belgien seine romanisch-germanische Vielfalt seit dem 19. Jahrhundert sowohl synthetisch als auch antagonistisch. Die geographische und linguistische Spaltung in Frankophone und Flamen bedeutet eine unterschiedliche Ausrichtung auf Frankreich und Deutschland als die beiden – einander gegnerisch gegenüberstehenden – großen Nachbarn: eine besondere Herausforderung für die Kulturpolitik der deutschen Besatzungsmacht bereits während des Ersten Weltkriegs, erst recht während der Okkupation ab 1940. Während der flämische Zusammenhang in Belgien breit erforscht wurde, bildet der frankophone Bereich bis in die allerjüngste Zeit eine teilweise tabuisierte, weiße Fläche.7 Doch gerade die frankophonen Diskurse der Epoche spiegeln die Hoffnungen jener Intellektuellen, die ihre Konzepte mit Blick auf das „Neue Europa“ Hitlers für kompatibel hielten. Die traditionelle Orientierung auf Paris wurde – wenngleich nicht unterbrochen, so doch – erheblich modifiziert. Die Überzeugung, dank der Platzierung am geographisch-kulturellen Schnittpunkt (und der Verarbeitung der divergierenden europäischen Strömungen im eigenen Land) kompetent über den Westen urteilen und entsprechend Insiderrat beitragen zu können, verband sich mit der Hoffnung, unter den an das Reich angrenzenden Ländern ein kleiner, aber privilegierter Partner zu sein, der sich rechtzeitig positioniert hatte.
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Einen wichtigen Schritt voran bedeutete das Brüsseler Colloquium „Autour de Raymond De Becker“ am 5.–6.April 2012, geleitet von Geneviève Duchenne und Etienne Deschamps. Die Publikation der Vorträge ist in Vorbereitung. Zur unmittelbaren Vorgeschichte, dem belgischen „Europäismus“ der Zwischenkriegszeit, sei auf die umfassende Studie von Geneviève Duchenne hingewiesen: Esquisses d’une Europe nouvelle, Brüssel 2008 (Euroclio Nr. 40). – Zum Komplex publizistische und literarische Kollaboration während des Krieges ist die umfassende Dissertation von Michel Fincoeur hervorzuheben: Contribution à l’histoire de l’édition francophone sous l’Occupation allemande 1940–1944, Brüssel (ULB) 2006.
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SUMMARY The insight that fascism in last century's thirties and early forties was a European movement, combined with the understanding that modernity has to be conceived as a pluralistic concept, allow for new views on both the term of "collaboration" and on the process of preparing for a new Europe since the beginnings of World War II. The judgements that were pronounced during the Cold War years and founded on the only democratic and republican occidental values still transport distortions into our contemporary times. The fear of communism – real as well as pushed by politicians and the media – blocked the accessibility of more objective views from other perspectives.
RÉSUMÉ L’idée que le fascisme des années trente et du début des années quarante fut un mouvement européen, liée à l’autre idée qu’il n’y a pas une modernité mais plusieurs, jette une nouvelle lumière sur le terme Collaboration et sur la préparation d’une autre Europe pendant la IIème Guerre mondiale. Les jugements bien arrêtés pendant l’ère de la Guerre froide, fondés sur les seules valeurs occidentales démocratiques et républicaines provoquent les controverses jusqu’à aujourd’hui. La peur du communisme, aussi réelle qu’encouragée sans cesse par les politiciens et les médias, freinait les opinions de perspectives divergentes.
AUTORENVERZEICHNIS / INDEX DES AUTEURS / INDEX OF AUTHORS Jürgen Elvert ist Professor am Historischen Institut der Universität zu Köln und Inhaber des Jean Monnet Lehrstuhls für Europäische Geschichte. Geneviève Duchenne est professeur invité à l'Université catholique de Louvain et aux Facultés universitaires Saint Louis de Bruxelles. Georgi Verbeeck ist Professor für Deutsche Geschichte an der Universität Leuven und Associate Professor für Moderne Geschichte und Politische Kultur an der Universität Maastricht. Michel Dumoulin est professeur ordinaire émérite et professeur invité à l’Université catholique de Louvain-la-Neuve. Wilfried Loth ist Professor am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Marie-Thérèse Bitsch est professeur émérite à l’université de Strasbourg. Charles Barthel ist Direktor des Centre d’études et de recherches européennes Robert Schuman in Luxembourg. Philippe Beck ist Lehrbeauftragter an der Université catholique de Louvain-laNeuve. Sylvain Schirmann est professeur d’Histoire contemporaine et Directeur de l'Institut d’Études Politiques de Strasbourg. Birte Wassenberg est professeur d’Histoire contemporaine à l’Institut d’Études Politiques à Strasbourg et titulaire de la Chaire Jean Monnet depuis 2013. Claude Gengler Luxembourg.
ist Geschäftsführer
der
Stiftung
Forum
EUROPA
in
Joachim Beck ist Professor für Verwaltungsmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl. Françoise Berger est maître de conférences en Histoire à Sciences Po Grenoble. Jean-François Eck est professeur émérite d’Histoire contemporaine à l’Université Charles de Gaulle (Lille 3).
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AUTORENVERZEICNIS / INDES DES AUTEURS / INDEX OF AUTHORS
Hubert Roland ist maître de recherches des belgischen Fonds National de la Recherche Scientifique (FNRS) und Professor für deutsche Literatur und komparatistische Literaturwissenschaft an der Université catholique de Louvain (UCL). Geneviève Warland ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Université catholique de Louvain. Albrecht Betz ist Professor i.R. am Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft der RWTH Aachen.
ZUR REIHE „STUDIEN ZUR GESCHICHTE DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION“ Mit zunehmendem Abstand zum Beginn des europäischen Integrationsprozesses nimmt die Bedeutung der Geschichtswissenschaften im Spektrum der wissenschaftlichen Erforschung des Europäischen Integrationsprozesses zu. Auch wenn die übliche dreißigjährige Sperrfrist für Archivmaterial weiterhin ein Hindernis für die Erforschung der jüngeren Integrationsgeschichte darstellt, werden die Zeiträume, die für die Wissenschaft zugänglich sind, kontinuierlich größer. Heute können die Archive zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bis hin zur ersten Erweiterung eingesehen werden; in einem Jahrzehnt wird ein aktengestütztes Studium der Rahmenbedingungen der Mittelmeererweiterung und der Entstehung der Einheitlichen Europäischen Akte möglich sein. Darüber hinaus ist der Beitrag der Geschichtswissenschaften auch heute schon Rahmen der Erforschung der jüngsten Integrationsgeschichte nicht mehr zu übersehen. Ihre Methodenvielfalt hilft dabei, die durch Sperrfristen der Archive entstandenen Probleme auszugleichen. Allerdings findet der einschlägige geschichtswissenschaftliche Diskurs in der Regel immer noch im nationalstaatlichen Kontext statt und stellt damit, so gesehen, gerade in Bezug auf die europäische Geschichte einen Anachronismus dar. Vor diesem Hintergrund haben sich Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa und darüber hinaus dazu entschlossen, eine Schriftenreihe ins Leben zu rufen, die die Geschichte der Europäischen Integration nicht nur aus einer europäischen Perspektive beleuchtet, sondern auch einem europäischen Publikum vorlegen möchte. Gemeinsam mit dem Verlag Franz Steiner wurde deshalb die Schriftenreihe Studien zur Geschichte der Europäischen Integration (SGEI) gegründet. Ein herausragendes Merkmal dieser Reihe ist ihre Dreisprachigkeit – Deutsch, Englisch und Französisch. Zu jedem Beitrag gibt es mehrsprachige ausführliche und aussagekräftige Zusammenfassungen des jeweiligen Inhalts. Damit bieten die Studien zur Geschichte der Europäischen Integration interessierten Leserinnen und Lesern erstmals einen wirklich europäischen Zugang zu neuesten geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Geschichte der Europäischen Integration.
CONCERNANT LA SÉRIE „ETUDES SUR L’HISTOIRE DE L’INTÉGRATION EUROPÉENNE“ L’importance des recherches historiques ne cesse d’augmenter au sein de l’éventail qu’offrent les recherches scientifiques sur le processus d’intégration européenne, et ce à mesure que le recul par rapport au début du processus d’intégration européenne se fait de plus en plus grand. Même si le délai d’attente habituel de trente ans pour la consultation des archives constitue encore un obstacle pour les recherches sur l’histoire récente de l’intégration, les périodes accessibles à la recherche se révèlent de plus en plus étendues. A l’heure actuelle, les archives datant de la fondation de la Communauté Européenne du Charbon et de l’Acier jusqu’au premier élargissement peuvent être consultées ; d’ici dix ans, une étude documentée des conditions générales de l’élargissement méditerranéen et de la conception de l’Acte unique européen sera possible. La contribution des recherches historiques dans le cadre de la recherche sur l’histoire toute proche de l’intégration est dès à présent remarquable. La diversité de méthodes utilisées permet en effet de régler des problèmes engendrés par le délai de blocage des archives. Toutefois, le débat historique s’y rapportant s’inscrit encore généralement dans le contexte de l’Etat-nation et représente, de ce point de vue, un anachronisme par rapport à l’histoire européenne. C’est dans ce contexte que des chercheuses et chercheurs de toute l’Europe et au-delà ont décidé de lancer une série d’ouvrages qui mettent en lumière l’histoire de l’intégration européenne non seulement dans une perspective européenne, mais qui se veut également accessible à un large public européen. Cette série d’ouvrages, intitulée Etudes sur l’Histoire de l’Intégration Européenne (EHIE), a été créée en collaboration avec la maison d’édition Franz Steiner. Le caractère trilingue de cette série – allemand, anglais et français – constitue une particularité exceptionnelle. Chaque contribution est accompagnée de résumés plurilingues, détaillés et éloquents sur le contenu s’y rapportant. Les Etudes sur l’Histoire de l’Intégration Européenne offrent pour la première fois aux lectrices et lecteurs intéressés un accès réellement européen aux avancées historiques les plus récentes dans le domaine de l’histoire de l’intégration européenne.
ABOUT THE SERIES “STUDIES ON THE HISTORY OF EUROPEAN INTEGRATION” With increasing distance to the process of European integration, there is a growing significance of the historical sciences within the range of the scientific research on the European integration process. Even if the usual blocking period for archive sources is still an obstacle for researching the more recent history of integration, the periods which are accessible for the sciences are continuously becoming more extended. Today, the archives on the foundation of the European Coal and Steel Community are accessible as far as to the first extension; in one decade it will be possible to gain access to the appropriate files for studying the history of the prerequisites of the Mediterranean extension and the development of the Single European Act. Furthermore, already today the contribution of historic sciences in the context of researching the most recent history of integration cannot be overlooked. Their variety of methods helps with balancing problems resulting from the blocking periods for archives. However, usually the relevant historic discourse still happens in the context of national states and is thus, if we like to see things this way, rather an anachronism in respect of European history. Against this background, researchers from all over Europe and beyond have decided to found a series of publications which intends not only to shed light on the history of European integration from a European point of view but also to present this to a European audience. For this reason, together with the Franz Steiner Publishing House the series of publications Studies on the History of European Integration (SHEI) was founded. One outstanding feature of this series will be its trilingualism – German, English and French. For every contribution there will be extensive and telling summaries of the respective contents in several languages. Thus, by Studies on the History of European Integration interested readers will for the first time be offered a really European approach at most resent historic insights in the field of the history of European integration.
studien zur geschichte der europäischen integration studies on the history of european integration études sur l ’ histoire de l ’ integration européenne
Herausgegeben von / Edited by / Dirigé par Jürgen Elvert.
Franz Steiner Verlag
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ISSN 1868–6214
Birte Wassenberg / Joachim Beck (Hg.) Vivre et penser la coopération transfrontalière. Vol. 4: Les régions frontalières sensibles Contributions du cycle de recherche sur la coopération transfrontalière de l’Université de Strasbourg et de l’Euro-Institut de Kehl 2011. 323 S. mit 21 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09896-0 15. Philip Bajon Europapolitik „am Abgrund“ Die Krise des „leeren Stuhls“ 1965–66 2011. 415 S., kt. ISBN 978-3-515-10071-7 16. Oliver Reinert An Awkward Issue Das Thema Europa in den Wahlkämpfen und wahlpolitischen Planungen der britischen Parteien, 1959–1974 2012. 430 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10112-7 17. Christian Henrich-Franke Gescheiterte Integration im Vergleich Der Verkehr – ein Problemsektor gemeinsamer Rechtsetzung im Deutschen Reich (1871–1879) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1958–1972) 2012. 434 S. mit 3 Abb. und 12 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10176-9 18. Sven Leif Ragnar de Roode Seeing Europe through the Nation The Role of National Self-Images in the Perception of European Integration in the English, German, and Dutch Press in the 1950s and 1990s 2012. 272 S., kt. ISBN 978-3-515-10202-5 19. Alexander Reinfeldt Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Akteure und Strategien supranationaler Informationspolitik in der Gründungsphase der europäischen Integration, 1952–1972 2014. 332 S., kt. ISBN 978-3-515-10203-2
20. Jürgen Nielsen-Sikora Das Ende der Barbarei Essay über Europa 2012. 148 S., kt. ISBN 978-3-515-10261-2 21. Maria Gainar / Martial Libera (Hg.) Contre l’Europe? Anti-européisme, euroscepticisme et altereuropéisme dans la construction européenne, de 1945 à nos jours. Vol. 2: Acteurs institutionnels, milieux politiques et société civile 2013. 363 S., kt. ISBN 978-3-515-10365-7 22. Joachim Beck / Birte Wassenberg (Hg.) Grenzüberschreitende Zusammenarbeit leben und erforschen. Bd. 5: Integration und (trans-)regionale Identitäten Beiträge aus dem Kolloquium „Grenzen überbrücken: auf dem Weg zur territorialen Kohäsion in Europa“, 18. und 19. Oktober 2010, Straßburg 2013. 353 S. mit 23 Abb. und 7 Ktn, kt. ISBN 978-3-515-10595-8 23. Kristin Reichel Dimensionen der (Un-)Gleichheit Geschlechtsspezifische Ungleichheiten in den sozial- und beschäftigungspolitischen Debatten der EWG in den 1960er Jahren 2014. 273 S., kt. ISBN 978-3-515-10776-1 24. Kristian Steinnes The British Labour Party, Transnational Influences and European Community Membership, 1960–1973 2014. 217 S., kt. ISBN 978-3-515-10775-4 25. Yves Clairmont Vom europäischen Verbindungsbüro zur transnationalen Gewerkschaftsorganisation Organisation, Strategien und Machtpotentiale des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes bis 1990 2014. 505 S. mit 18 Tab und 2 Farbabb., kt. ISBN 978-3-515-10852-2
Le volume « Encore ces chers voisins », successeur du « Ces chers voisins », parle de la coopération entre les voisins européens, le Benelux, l’Allemagne et la France, pendant les deux derniers siècles. Leur point de départ est la majorité des communications faites à Cologne lors de la conférence « Ces Chers Voisins – Benelux, Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert ». Les articles traitent de la coopération transfrontalière dans l’espace européen et montrent que celle-ci n’a pas commencé seulement après 1945, mais remonte au contraire à une date bien antérieure.
Ils examinent les relations culturelles, linguistiques, économiques et politiques entres ces pays. À l’aide des questions suivantes, les auteurs analysent différents exemples de la coopération transfrontalière : Quel rôle revient au Benelux dans le processus de l’unification de l’Europe ? Comment s’organisent les espaces frontaliers dont certaines régions de l’autre pays sont plus proches que d’autres régions sur leur propre territoire national ? Les exemples illustrent quels problèmes peuvent apparaître lors d’une coopération transnationale avec des pays frontaliers. De surcroît, ils renvoient aux autres grands défis de l’Union européenne qui sont directement liés à ces problèmes.
SGEI SG SHEI SH EHIE E www.steiner-verlag.de
Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-10931-4
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7 83 5 1 5 1 093 1 4