Elektromagnetische Verträglichkeit [5 ed.] 3540420045, 9783540420040

Elektromagnetische Vertraglichkeit (EMV) ist ein moderner Oberbegriff fur die Beherrschung parasitarer elektromagnetisch

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German Pages 530 [534] Year 2007

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Elektromagnetische Verträglichkeit [5 ed.]
 3540420045, 9783540420040

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Adolf J. Schwab · Wolfgang Kürner Elektromagnetische Verträglichkeit

Adolf J. Schwab · Wolfgang Kürner

Elektromagnetische Verträglichkeit 5., aktualisierte und ergänzte Auflage

Mit 294 Abbildungen und 15 Tabellen

123

Prof. Dr.-Ing. Adolf J. Schwab Institut für Elektroenergiesysteme und Hochspannungstechnik Universität Karlsruhe Kaiserstraße 12 76128 Karlsruhe [email protected] Dr.-Ing. Wolfgang Kürner CASE³ Beratende Ingenieure GbR Am Felde 22 22765 Hamburg [email protected] [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-540-42004-0 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 3-540-60787-0 4. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1990, 1991, 1994, 1996 und 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Text und Abbildungen wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Verlag und Autor können jedoch für eventuell verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Satz: Digitale Druckvorlage der Autoren Herstellung: LE-TEX, Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 68/3180 YL – 5 4 3 2 1 0

Vorwort

Dieses Buch ermöglicht Entwicklern, Herstellern und Ingenieuren aller Disziplinen, einen schnellen Einstieg in die aktuelle Querschnittstechnologie der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV). Auf leicht lesbare, verständliche Weise erlangt der Leser alle zur schnellen Lösung praktischer Probleme erforderlichen, grundlegenden Kenntnisse über die Entstehung, Ausbreitung und Beseitigung unerwünschter elektromagnetischer Einkopplungen. Diese treten in der Praxis in Form von Funkstörungen, Einstreuungen, 50 Hz Brumm, Erdschleifen, Nebensprechen, elektrostatische Entladungen, etc. in der Automatisierungs-, Informations-, Kommunikationsund Messtechnik sowie in der Automobil- und Flugzeugindustrie auf. Entwurf und Entwicklung elektronischer Systeme erfordern intime Kenntnisse der EMV gerechten Systemauslegung, der Störmechanismen, der Umgebungsbedingungen und des geplanten Einsatzgebiets. Um ein sicheres und zuverlässiges System zu erhalten, müssen die EMV-Anforderungen von Anbeginn einer Entwicklung berücksichtigt werden. Das verlangt ein klares Verständnis der Einsatzumgebung (EMV Matrix), Kenntnis systeminterner und externer Wechselwirkungen, eine eindeutige Systemdefinition (Kenntnis der anzuwendenden Normen) und eine konsequente Sicherstellung der EMV während aller Phasen der Entwicklung (EMV Kontrollplan) bis hin zur Qualifikation (Emissionsmessungen, Störfestigkeitstests). Nur eine ganzheitliche und frühzeitige Betrachtung der EMV erlaubt kostengünstige, wirtschaftliche Lösungen, verringert die Wahrscheinlichkeit des Auftretens späterer elektromagnetischer Beeinflussungen und minimiert die Zeit zur Fehlersuche und Fehlerbeseitigung. Nach einer kurzen Einführung in die allgemeine EMV-Problematik und der Vorstellung wichtiger Begriffe folgt zunächst ein Streifzug durch die vielfälti-

VI

Vorwort

ge Natur elektromagnetischer Beeinflussungen und ihrer Übertragungswege. Ihm schließen sich systemtheoretische Formalismen zur Beschreibung elektromagnetischer Beeinflussungen im Frequenzbereich durch Linien- und Amplitudendichtespektren sowie eine Klassifizierung der verschiedenen Störquellen an. Die nachfolgende, detaillierte Erläuterung der verschiedenen Kopplungsmechanismen verfolgt die Absicht, die Sinne des Lesers für die meist nicht auf Anhieb erkennbaren parasitären Kopplungspfade zu schärfen und die Identifikation von Störspannungsquellen zu erleichtern. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die komplexe Materie der Berechnung elektromagnetischer Schirme, die dem Leser die Grundlagen für ein intimes Verständnis der elektromagnetischen Schirmung vermittelt. Wer auf schnelle Hilfe aus ist, kann diesen Teil zunächst überschlagen und sich unmittelbar mit Entstörmitteln und -maßnahmen sowie mit praktischen Problemlösungen vertraut machen. Eigene Kapitel über die Messung von Störemissionen und Störfestigkeiten sowie über Entstörmittelmessungen und EMV gerechtes Leiterplattendesign, schließlich die Wirkung elektromagnetischer Felder auf Organismen lassen den Leser schnell zum Fachmann werden. Ein eigenes Kapitel zum komplexen, umfangreichen Normungswesen der Prüf- und Messtechnik für die diversen Produktfamilien rundet das Werk ab. Ein repräsentatives Schriftenverzeichnis für jedes Sachgebiet erleichtert dem Leser den schnellen, vertieften Zugang zu seinem Spezialproblem. Das Buch ist seit der Erstauflage 1990 entsprechend dem Wandel der technologischen Herausforderungen stetig gewachsen und wird ab dieser 5. Auflage von zwei Verfassern gepflegt werden. Frau Diane Lauer danken beide Autoren für das Korrekturlesen, Frau Sigrid Cuneus und Herrn Dr. Boris Gebhardt vom Springer-Verlag für die rasche Fertigstellung und die ansprechende Ausstattung. Zum Wohl der Leser der 6. Auflage bitten die Autoren um Rückmeldung etwaiger Fehler sowie um Anregungen zur Verbesserung des Buches an [email protected] und/oder [email protected],

Karlsruhe, August 2007

Adolf J. Schwab, Wolfgang W. Kürner

Inhaltsverzeichnis

1

Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit......................................................... 1 1.1

Elektromagnetische Verträglichkeit, Elektromagnetische Beeinflussung ..........................1

1.2

Störpegel – Störabstand – Grenzstörpegel – Stördämpfung..................................................7 1.2.1

Logarithmierte bezogene Systemgrößen - Pegel.........................................................8

1.2.2

Störpegel und Störabstand ........................................................................................... 13

1.2.3

Statische und dynamische Störabstände digitaler Schaltkreise ........................... 16

1.2.4

Grenzstörpegel für Emissionen................................................................................... 20

1.2.5

Prüfpegel für Immissionen ........................................................................................... 23

1.2.6

Stördämpfung.................................................................................................................. 24

1.3

Natur der elektromagnetischen Beeinflussungen und ihrer Übertragungswege............. 25

1.4

Gegentakt- und Gleichtaktstörungen....................................................................................... 30

1.5

Erde und Masse ............................................................................................................................ 37

1.6

1.5.1

Erde ................................................................................................................................... 39

1.5.2

Masse ................................................................................................................................ 41

Beschreibung elektromagnetischer Beeinflussungen im Zeit- und Frequenzbereich ........................................................................................................................... 44 1.6.1

Darstellung periodischer Zeitbereichsfunktionen im Frequenzbereich durch eine Fourier-Reihe.............................................................. 45

1.6.2

Darstellung nicht periodischer Zeitbereichsfunktionen im Frequenzbereich – Fourier-Integral............................................................................ 51

1.6.3

2

EMV-Tafel ....................................................................................................................... 55 1.6.3.1

Übergang vom Zeitbereich in den Frequenzbereich ............................ 55

1.6.3.2

Rückkehr vom Frequenzbereich in den Zeitbereich ............................ 58

1.6.3.3

Berücksichtigung des Übertragungswegs ................................................ 61

Störquellen ...............................................................................................................................63 2.1

Klassifizierung von Störquellen................................................................................................. 65

2.2

Schmalbandige Störquellen........................................................................................................ 67 2.2.1

Kommunikationssender................................................................................................ 67

2.2.2

HF - Generatoren für Industrie, Forschung, Medizin und Haushalt.................. 71

VIII

Inhaltsverzeichnis 2.2.3

Funkempfänger – Bildschirmgeräte Rechnersysteme – Schaltnetzteile .................................................................................................................73

2.3

2.4

2.5

3

Netzrückwirkungen........................................................................................................74

2.2.5

Beeinflussungen durch Starkstromleitungen ............................................................75

Intermittierende Breitbandstörquellen.....................................................................................76 2.3.1

Grundstörpegel in Städten............................................................................................76

2.3.2

KFZ-Zündanlagen ..........................................................................................................76

2.3.3

Gasentladungslampen....................................................................................................78

2.3.4

Kommutatormotoren .....................................................................................................79

2.3.5

Hochspannungsfreileitungen .......................................................................................80

Transiente Breitbandstörquellen................................................................................................81 2.4.1

Elektrostatische Entladungen ......................................................................................81

2.4.2

Geschaltete Induktivitäten ...........................................................................................85

2.4.3

Transienten in Niederspannungsnetzen ....................................................................88

2.4.4

Transienten in Hochspannungsnetzen.......................................................................88

2.4.5

Transienten in der Hochspannungsprüftechnik und Plasmaphysik....................92

2.4.6

Blitze - LEMP..................................................................................................................92

2.4.7

Nuklearer elektromagnetischer Puls - NEMP..........................................................93

Umgebungsklassen........................................................................................................................95 2.5.1

Leitungsgebundene Störungen.....................................................................................95

2.5.2

Störstrahlung ...................................................................................................................97

Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen ......................................................................99 3.1

Galvanische Kopplung.................................................................................................................99 3.1.1

Galvanische Kopplung von Betriebsstromkreisen ................................................100

3.1.2

Erdschleifen ...................................................................................................................105

3.1.3

Kopplungsimpedanz von Mess- und Signalleitungen...........................................118

3.1.4

Rückwärtiger Überschlag ............................................................................................125

3.2

Kapazitive Kopplung..................................................................................................................126

3.3

Induktive Kopplung ...................................................................................................................129

3.4

Elektromagnetische Leitungskopplung ..................................................................................134

3.5

4

2.2.4

3.4.1

Elektromagnetische Kopplung zweier Leitungen..................................................135

3.4.2

Elektromagnetisch gekoppelte Mehrleitersysteme ................................................138

Strahlungskopplung....................................................................................................................142 3.5.1

Abstrahlung durch Gleichtaktströme.......................................................................147

3.5.2

Abstrahlung durch Gegentaktströme .......................................................................148

3.6

Erdung von Kabelschirmen ......................................................................................................149

3.7

Identifikation von Kopplungsmechanismen .........................................................................151

3.8

Beschreibung von Kopplungsmechanismen mit Hilfe numerischer Methoden............154

Passive Entstörkomponenten .............................................................................................. 157 4.1

Filter...............................................................................................................................................157

Inhaltsverzeichnis

4.2

5

4.1.1

Wirkungsprinzip – Filterdämpfung .......................................................................... 157

4.1.2

Filter für Gleich- und Gegentaktstörungen ............................................................ 161

4.1.3

Filterresonanzen ........................................................................................................... 163

4.1.4

Dissipative Dielektrika und Magnetika................................................................... 165

4.1.5

Filterbauformen ............................................................................................................ 168 4.1.5.1

Kondensatoren............................................................................................ 168

4.1.5.2

Drosseln........................................................................................................ 170

4.1.5.3

LC-Filter ....................................................................................................... 173

Überspannungsableiter.............................................................................................................. 177 4.2.1

Varistoren ...................................................................................................................... 178

4.2.2

Silizium-Lawinendioden............................................................................................. 182

4.2.3

Funkenstrecken ............................................................................................................ 183

4.2.4

Hybrid-Ableiterschaltungen....................................................................................... 186

4.3

Optokoppler und Lichtleiterstrecken .................................................................................... 188

4.4

Trenntransformatoren ............................................................................................................... 190

Elektromagnetische Schirme................................................................................................195 5.1

Natur der Schirmwirkung – Nahfeld, Fernfeld.................................................................... 195

5.2

Schirmung statischer Felder..................................................................................................... 205

5.3

5.2.1

Elektrostatische Felder................................................................................................ 205

5.2.2

Magnetostatische Felder ............................................................................................. 206

Schirmung quasistatischer Felder ........................................................................................... 207 5.3.1

Elektrische Wechselfelder .......................................................................................... 207

5.3.2

Magnetische Wechselfelder........................................................................................ 208

5.4

Schirmung elektromagnetischer Wellen................................................................................ 210

5.5

Schirmmaterialien ...................................................................................................................... 211

5.6

Schirmzubehör............................................................................................................................ 214

5.7

6

IX

5.6.1

Dichtungen für Schirmfugen ..................................................................................... 214

5.6.2

Kamindurchführungen, Wabenkaminfenster, Lochbleche ................................. 216

5.6.3

Netzfilter und Erdung ................................................................................................. 218

Geschirmte Räume für messtechnische Anwendungen ..................................................... 219 5.7.1

Reflexionsarme Schirmräume – Absorberräume................................................... 220

5.7.2

Modenverwirbelungskammern.................................................................................. 222

5.7.3

TEM-Messzellen ........................................................................................................... 228

5.7.4

GTEM-Zellen................................................................................................................ 229

Theorie elektromagnetischer Schirme.................................................................................233 6.1

Analytische Schirmberechnung............................................................................................... 234 6.1.1

Theoretische Grundlagen ........................................................................................... 234

6.1.2

Zylinderschirm im longitudinalen Feld................................................................... 237

6.1.3

Zylinderschirm im transversalen Feld ..................................................................... 244

6.1.4

Zylinderschirm im elektromagnetischen Wellenfeld............................................ 251

X

Inhaltsverzeichnis 6.1.5 6.2

6.2.1

7

Kugelschirm im elektromagnetischen Wellenfeld .................................................260

Impedanzkonzept .......................................................................................................................262 Klassische Betrachtungsweise ....................................................................................262 6.2.1.1

Reflexionsdämpfung...................................................................................264

6.2.1.2

Absorptionsdämpfung................................................................................267

6.2.1.3

Dämpfungskorrektur für multiple Reflexionen....................................268

6.2.2

Erweitertes Impedanzkonzept ...................................................................................269

6.2.3

Zusammenfassung des Impedanzkonzepts.............................................................276

EMV-Emissionsmesstechnik ............................................................................................... 279 7.1

Messung von Störspannungen und -strömen .......................................................................280

7.2

Messung von Störfeldstärken ...................................................................................................287 7.2.1

7.2.2

Antennen ........................................................................................................................287 7.2.1.1

E-Feld Antennen.........................................................................................287

7.2.1.2

Breitbandantennen .....................................................................................290

7.2.1.3

H-Feld Antennen ........................................................................................293

7.2.1.4

Schnüffelantennen......................................................................................294

7.2.1.5

Feldsonden ...................................................................................................295

7.2.1.6

Antennen-Symmetrierübertrager.............................................................295

Messgelände und Messplätze .....................................................................................297

7.3

Messung von Störleistungen.....................................................................................................303

7.4

EMB-Messgeräte .........................................................................................................................304 7.4.1

Störmessempfänger ......................................................................................................305 7.4.1.1

Spitzenwertanzeige.....................................................................................306

7.4.1.2

Quasi-Spitzenwertanzeige.........................................................................307

7.4.1.3

Mittelwertanzeige .......................................................................................310

7.4.1.4

Effektivwertanzeige ....................................................................................311

7.4.1.5

Einfluss der Empfängerbandbreite auf die Anzeige von Schmal- und Breitbandstörungen ...........................................................313

7.4.2

8

Spektrumanalysatoren .................................................................................................315

7.5

Messunsicherheit in der EMV..................................................................................................316

7.6

Automatisierte EMV-Messplätze.............................................................................................320

EMV-Störfestigkeitsprüftechnik.......................................................................................... 323 8.1

Simulation leitungsgebundener Störgrößen..........................................................................324 8.1.1

Simulation von Niederfrequenzstörungen in Niederspannungsnetzen (ms-Impulse) ....................................................................327

8.1.2

Simulation breitbandiger energiearmer Schaltspannungsstörungen (Burst) .............................................................................................................................328

8.1.3

Simulation breitbandiger energiereicher Überspannungen (Hybridgenerator).........................................................................................................331

8.1.4

Simulatoren für elektrostatische Entladungen (ESD) ..........................................337

Inhaltsverzeichnis

8.2

XI

8.1.5

Simulation schmalbandiger Störungen.................................................................... 341

8.1.6

Kommerzielle Geräte .................................................................................................. 342

Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen .............................. 345 8.2.1

Simulation schmalbandiger Störfelder .................................................................... 345 8.2.1.1

Spezialantennen, offene und geschlossene Wellenleiter.................... 347

8.2.1.2

Verstärker .................................................................................................... 352

8.2.2

Simulation breitbandiger elektromagnetischer Wellenfelder ............................. 353

8.2.3

Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen durch Strominjektion .................................................................................................. 355 8.2.3.1 Strominjektionsprüfungen an Kabeln und Gehäuseschirmen .............. 356 8.2.3.2 Prüfung der Störempfindlichkeit von Geräten durch Strominjektion in deren Kabelbäume.................................................... 357

9

EMV-Entstörmittelmessungen .............................................................................................359 9.1

Schirmdämpfung von Kabelschirmen.................................................................................... 359 9.1.1

Schirmdämpfung für quasistatische Magnetfelder (Kopplungsimpedanz) ................................................................................................. 359

9.1.2

Schirmdämpfung für quasistatische elektrische Felder (Transfer-

9.1.3

Schirmdämpfung für elektromagnetische Wellen (Schirmungsmaß) ............... 362

Admittanz)..................................................................................................................... 361 9.2

Schirmdämpfung von Gerätegehäusen und Schirmräumen ............................................. 363

9.3

Intrinsic-Schirmdämpfung von Schirmmaterialien............................................................. 370 9.3.1

Koaxiale TEM-Messzelle mit durchgehendem Innenleiter ................................. 370

9.3.2

Koaxiale TEM-Messzelle mit gestoßenem Innenleiter......................................... 371

9.3.3

Doppel TEM-Messzelle............................................................................................... 372

9.4

Schirmdämpfung von Dichtungen.......................................................................................... 374

9.5

Reflexionsdämpfung von Absorberwänden .......................................................................... 376

9.6

Filterdämpfung............................................................................................................................ 379

10 Repräsentative EMV-Probleme ............................................................................................383 10.1 Entstörung von Magnetspulen................................................................................................. 383 10.1.1 Beschaltung gleichstrombetriebener Magnetspulen ............................................. 384 10.1.2 Beschaltung wechselstrombetriebener Magnetspulen.......................................... 385 10.2 Funkentstörung von Universalmotoren................................................................................. 386 10.3 Elektrostatische Entladungen .................................................................................................. 389 10.4 Netzrückwirkungen ................................................................................................................... 391 10.5 Blitzschutz – Blitzschutzzonen-Konzept............................................................................... 393 10.6 Pulse Power Technik – Hochspannungslaboratorien ........................................................ 395 10.7 Messungen mit Differenzverstärkern ..................................................................................... 403 10.8 EMV gerechter Schaltschrankbau in der Automatisierungstechnik ............................... 405 10.9 EMV in der Medizintechnik .................................................................................................... 409 10.10 Wirkung elektromagnetischer Felder auf Organismen ...................................................... 412

XII

Inhaltsverzeichnis 10.11 Analyse von EMV-Problemen komplexer Systeme .............................................................418

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen ...................................................... 421 11.1 Leiterplattenwahl ........................................................................................................................421 11.2 Intrasystem-Beeinflussungen ....................................................................................................426 11.2.1 Störsignalverkopplungen über gemeinsame Impedanzen ...................................426 11.2.1.1 Ausführung der Stromversorgungsleitungen ........................................426 11.2.1.2 Stützung der Versorgungsspannung .......................................................427 11.2.1.3 Gestaltung der Schaltungsmasse .............................................................430 11.2.2 Übersprechen zwischen parallelen Leiterbahnen..................................................433 11.2.2.1 Nebensprechen und Gegensprechen......................................................433 11.2.2.2 Allgemeine Maßnahmen zur Reduzierung des Übersprechens .............................................................................................436 11.2.3 Signalreflexionen auf langen Leitungen...................................................................438 11.2.3.1 Vermeidung von Reflexionen durch Leitungsführung........................439 11.2.3.2 Anpassnetzwerke ........................................................................................442 11.3 Intersystem-Beeinflussung durch Störabstrahlung ..............................................................444 11.3.1 Abstrahlung von Signalstromschleifen.....................................................................444 11.3.2 Abstrahlungsprobleme bei hochintegrierten Schaltungen...................................446 11.3.3

Maßnahmen an Störquellen......................................................................................449

12 EMV-Normung...................................................................................................................... 453 12.1 Einführung in das EMV-Vorschriftenwesen .........................................................................453 12.2 EMV-Normungsgremien ...........................................................................................................454 12.3 Rechtliche Grundlagen der EMV - Normung........................................................................458 12.4 Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz...............................................................462 12.5 Benannte Stellen .........................................................................................................................468 12.6 EMV - Normen.............................................................................................................................470 12.6.1 EMV - Normen nach Problemkreisen geordnet ....................................................471 12.6.2 EMV-Normen nach Europanormen geordnet .......................................................483 12.7 Wichtige Anschriften..................................................................................................................492 Literatur........................................................................................................................................ 495 Index ............................................................................................................................................. 521

1

1.1

Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Elektromagnetische Verträglichkeit, Elektromagnetische Beeinflussung

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) ist der moderne Oberbegriff für eine seit den Anfängen der Elektrotechnik bestehende, seither ständig gewachsene Problematik. Bereits bei den ersten Rundfunksendern ergab sich die Notwendigkeit der Absprache, wer wann auf welchen Frequenzen mit welcher Sendeleistung senden durfte. Ferner erforderte der ungestörte Empfang der Rundfunksendungen, dass andere elektrische Verbraucher nicht unkontrolliert Hochfrequenzenergie aussenden und möglicherweise Funkstörungen verursachen durften. Mit dem Aufkommen der Elektronik und Mikroelektronik nahm die Zahl elektromagnetische Beeinflussungen (EMB) verursachender Geräte und Systeme sprunghaft zu, ebenso die Zahl auf solche reagierende Geräte und Systeme. Dies führte schließlich für alle elektrischen und elektronischen Einrichtungen zur Festlegung von Grenzwerten bezüglich Emission und Immunität. Unter Elektromagnetischer Verträglichkeit, EMV (engl.: EMC, Electro-Magnetic Compatibility), versteht man daher heute allgemein die friedliche Koexistenz aller Arten von Sendern und Empfängern elektromagnetischer Energie. Mit anderen Worten, Sender erreichen nur die gewünschten Empfänger, Empfänger reagieren nur auf die Signale von Sendern ihrer Wahl, es findet keine ungewollte gegenseitige Beeinflussung statt. Als Sender und Empfänger gelten im EMV-Kontext neben Fernseh- und Tonrundfunksendern alle Stromkreise und Systeme, die unbeabsichtigt umweltbeeinflussende elektromagnetische Energie aussenden (sog. Störer), wie – KFZ-Zündanlagen,



Leistungselektronik,

– Leuchtstofflampen,



Schaltkontakte,

– Universalmotoren,



Atmosphärische Entladungen etc.

2

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Beispiele für Empfänger elektromagnetischer Energie sind neben Rundfunkund Fernsehempfängern auch – Automatisierungssysteme,

– KFZ-Mikroelektronik,

– Mess-, Steuer- und Regelgeräte,

– Datenverarbeitungsanlagen,

– Herzschrittmacher,

– Bioorganismen etc.

Der moderne EMV-Begriff geht damit weit über die klassische Funkentstörung hinaus, beinhaltet sie jedoch nach wie vor oberbegrifflich. Elektromagnetische Verträglichkeit ist keineswegs selbstverständlich, da das elektromagnetische Spektrum ähnlich anderen Ressourcen zunehmender Verschmutzung unterliegt (engl.: spectrum pollution) und ihre Wahrung immer größere Anstrengungen erfordert. Im gegenseitigen Interesse aller Nutzer sind daher umfassendes Wissen um die Wirkungen elektromagnetischer Felder und Wellen auf elektromagnetische Systeme und Bioorganismen sowie eine disziplinierte Nutzung des elektromagnetischen Spektrums höchstes Gebot. Elektrische Einrichtungen können gleichzeitig als Empfänger und Sender wirken, z. B. Zwischenfrequenz von Superheterodyn-Empfängern, Zeilenfrequenz von Fernsehempfängern und Computerbildschirmen, Clock-Frequenz von Rechnern, usw. Man spricht deshalb auch von der elektromagnetischen Verträglichkeit einzelner Geräte. So definiert VDE 0870 [1.1] Elektromagnetische Verträglichkeit als „Fähigkeit einer elektrischen Einrichtung, in ihrer elektromagnetischen Umgebung zufrieden stellend zu funktionieren, ohne diese Umgebung, zu der auch andere Einrichtungen gehören, unzulässig zu beeinflussen“. Eine elektrische Einrichtung gilt demnach als verträglich, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Sender tolerierbare Emissionen, in ihrer Eigenschaft als Empfänger tolerierbare Empfänglichkeit für Immissionen, das heißt ausreichende Störfestigkeit bzw. Immunität aufweist. Das Problem der EMV taucht meist zuerst beim Empfänger auf, wenn der einwandfreie Empfang eines Nutzsignals beeinträchtigt ist, beispielsweise die Funktion eines Automatisierungssystems durch vagabundierende elektromagnetische Energie gestört oder gar unmöglich gemacht wird. Man spricht dann vom Vorliegen Elektromagnetischer Beeinflussungen, EMB (engl.:

1.1 Elektromagnetische Verträglichkeit, Elektromagnetische Beeinflussung

3

EMI, Electromagnetic Interference). Gelegentlich wird auch die Störgröße selbst als EMB bezeichnet, wenngleich hierfür, zumindest am Empfänger, der Begriff Immission treffender ist. VDE 0870 [1.1] definiert elektromagnetische Beeinflussung als „Einwirkung elektromagnetischer Größen auf Stromkreise, Geräte, Systeme oder Lebewesen“. Elektromagnetische Beeinflussungen können sich in reversiblen oder irreversiblen Störungen manifestieren. Beispiele für reversible Störungen sind zeitweise mangelnde Verständigung beim Telefonieren, Knackstörungen bei Schaltvorgängen in Haushaltgeräten (engl.: click); Beispiele irreversibler Störungen sind die Zerstörung elektronischer Komponenten auf Leiterplatten durch elektrostatische Aufladungen (EGB: elektrostatisch gefährdete Bauelemente, engl.: ESD, Electrostatic Discharge) oder Überspannungen bei Blitzeinwirkung (engl.: LEMP, Lightning Electromagnetic Pulse), die unbeabsichtigte Zündung elektrisch initiierter Komponenten in der Raumfahrttechnik usw. In der Praxis unterscheidet man reversible Beeinflussungen nach ihrer Stärke in – Beeinflussungen, die gerade noch tolerierbare Funktionsminderungen bzw. Beeinträchtigungen bewirken und – Beeinflussungen, die zu nichttolerierbaren Fehlfunktionen bzw. unzumutbarer Belästigung führen. Wegen der Vielfalt der in Frage kommenden elektrischen Einrichtungen, und um den Störeffekt explizit zum Ausdruck zu bringen, hat man für Sender und Empfänger die Oberbegriffe Störquelle und Störsenke geschaffen. Hiermit erhält man ein Beeinflussungsmodell gemäß Bild 1.1.

Bild 1.1: Beeinflussungsmodell mit Störquelle, Koppelmechanismus und Störsenke.

4

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Dieses grobe Modell ist noch wenig aussagekräftig, es wird daher in den folgenden Kapiteln weiter verfeinert werden. Im Gegensatz zu den Beeinflussungen zwischen verschiedenen Systemen, die man als Intersystem-Beeinflussungen bezeichnet, können Sender und Empfänger auch Teile ein und desselben Systems sein, man spricht dann von Intrasystem-Beeinflussungen, Bild 1.2.

Störquelle

Störsenke

System I

System II

Störquelle

Störsenke System

Bild 1.2: Intersystem-Beeinflussung (links) und Intrasystem-Beeinflussung (rechts).

Typische Beispiele für Intrasystembeeinflussungen sind parasitäre Rückkopplungserscheinungen in mehrstufigen Verstärkern, Signalwechsel auf benachbarten Datenleitungen elektronischer Baugruppen, Stromänderungen in Stromversorgungsleitungen und die durch sie verursachten induktiven Spannungsabfälle, selbstinduzierte Spannungen beim Ausschalten von Relais- und Schützspulen sowie komplexe Systeme mit mehreren Sendern und Empfängern. Wann Sender und Empfänger letztlich als elektromagnetisch verträglich bezeichnet werden, hängt wesentlich von der Art des Senders oder Empfängers ab. – Rundfunk- und Fernsehsender gelten als verträglich, wenn sie nur auf der ihnen zugewiesenen Frequenz, das heißt ohne merkliche Oberschwingungen arbeiten, und wenn die von ihnen abgestrahlten elektromagnetischen Felder in größerer Entfernung so weit abgeklungen sind, dass ein dort befindlicher auf gleicher Frequenz arbeitender Sender regional ungestört empfangen werden kann. – Sender, die parasitär elektromagnetische Energie an ihre Umwelt abgeben, gelten als verträglich, wenn die von ihnen erzeugten Feldstärken in einem bestimmten Abstand in Vorschriften festgelegte Grenzwerte (s. 1.2.3) nicht überschreiten, das heißt der einwandfreie Betrieb eines in diesem Abstand befindlichen Empfängers innerhalb seiner Spezifikationen möglich ist.

1.1 Elektromagnetische Verträglichkeit, Elektromagnetische Beeinflussung

5

– Empfänger gelten als verträglich, wenn sie in einer elektromagnetisch stark verseuchten Umwelt ihr Nutzsignal mit befriedigendem Störabstand zu empfangen in der Lage sind und selbst keine unverträglichen Störungen aussenden (z. B. Zwischenfrequenz beim Superhet-Empfänger). Durch geeignete Maßnahmen beim – Sender (Schirmung, Spektrumbegrenzung, Richtantennen, usw.) – Kopplungspfad (Schirmung, Filterung, Leitungstopologie, Lichtwellenleiter, usw.), – Empfänger (Schirmung, Filterung, Schaltungskonzept, usw.), lässt sich in praktisch allen Fällen eine ausreichende elektromagnetische Verträglichkeit erreichen. Aus wirtschaftlichen Gründen, und soweit technisch durchführbar, wird man jedoch zuerst eine möglichst hohe Verträglichkeit des Senders anstreben (Primärmaßnahmen) und die Härtung einer Vielzahl von Empfängern erst in zweiter Linie ins Auge fassen (Sekundärmaßnahmen). Typische Beispiele für Primärmaßnahmen sind die Verringerung der Netzrückwirkungen von Stromrichtern durch lokale Einzelkompensation und Filterung, die Schirmung von Mikrowellenherden oder die Beschaltung von Universalmotoren. Vielfach wird EMV erst durch konzertierte Maßnahmen bei allen drei Komponenten erreicht. Bei Intrasystem-Beeinflussungen kann man die Wahrung der elektromagnetischen Verträglichkeit meist dem Hersteller bzw. dem jeweiligen Betreiber überlassen, die ja beide an einem funktionsfähigen System interessiert sind. Speziell in der Datenverarbeitung und Kommunikation liegt das Vermeiden von EMB im ureigenen Interesse des Betreibers, beispielsweise bei Banken die Vermeidung des „Abhörens“ von Bildschirminformationen oder im militärischen Bereich die Vermeidung des Ab- bzw. Mithörens geheimer Informationen (engl.: TEMPEST – Temporary Emanation and Spurious Transmission) [1.2, 1.20]. Bei Intersystem-Beeinflussungen des Ton- und Fernsehrundfunkempfangs sowie der Funkdienste schreibt der Gesetzgeber [1.3] im Rahmen der Funkentstörung Grenzwerte tolerierbarer Emissionen vor (s. Abschn. 1.2.3 u. Kap. 12). Die zulässigen Emissionen stellen notwendigerweise einen Kompromiss dar, der sowohl die Natur der Sender als auch die technischen Bedürfnisse der im jeweiligen Frequenzbereich arbeitenden Empfänger berücksichtigen muss.

6

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Komplexe Systeme verlangen bereits im Planungsstadium die umfassende Berücksichtigung von EMV-Aspekten sowie den Einsatz EMV-förderlicher Komponenten und Maßnahmen (EMV-Plan). Hoher präventiver Aufwand KP lässt spätere EMB-Probleme mit nur geringer Wahrscheinlichkeit und auch nur geringe Nachbesserungskosten KN während der Inbetriebnahmephase erwarten. Umgekehrt führt geringer anfänglicher Aufwand mit großer Wahrscheinlichkeit zu hohen Nachbesserungskosten. Über der Wahrscheinlichkeit des Auftretens elektromagnetischer Beeinflussungen WEMB aufgetragen, zeigt die Kurve für den gesamten EMV-Aufwand K P + K N ein Minimum, Bild 1.3.

Bild 1.3: Kostenkurven K P = f( W EMB ) für rechtzeitig geplante EMV-Maßnahmen und K N = g( W EMB ) für nachträglichen Aufwand während der Inbetriebnahme. Gesamte EMV-Kosten K =K P + K N mit Kostenminimum.

Das Anstreben des EMV-Kostenminimums setzt eine intime Kenntnis der Entstehung, Ausbreitung und Einkopplung elektromagnetischer Beeinflussungen voraus, die wenig augenfällige Beeinflussungspfade frühzeitig erkennen lässt und übertriebenen Entstöraufwand sowie Maßnahmen am falschen Platz vermeiden hilft. Leider finden sich nicht wenige Projektverantwortliche mangels umfassender Planung bezüglich EMV-Aspekten, mangels ausreichenden EMV-Bewußtseins sowie wegen der parasitären Natur vieler EMV Phänomene häufig überrascht am rechten Ende der Abszisse wieder. Daher ist es unerlässlich, bereits bei der Spezifikation einer Komponente oder eines Systems EMV-Anforderungen und deren Umsetzung zu verankern. Während der gesamten Entwicklung muss die EMV in das Design einfließen und kontinuierlich nachgeprüft werden. Ein EMV-Plan und entwicklungsbegleitende Tests stellen dann größtenteils sicher, dass die Qualifikation, der Nachweise der EMV, gelingt.

1.2 Störpegel – Störabstand – Grenzstörpegel – Stördämpfung

1.2

7

Störpegel – Störabstand – Grenzstörpegel – Stördämpfung

Zur quantitativen Beurteilung der elektromagnetischen Verträglichkeit bedient man sich logarithmischer Verhältnisse der jeweils zur Diskussion stehenden Größen wie Spannungen, Ströme, Feldstärken, Leistungen etc. Die Verwendung logarithmischer Verhältnisse erlaubt die übersichtliche Darstellung von Größenverhältnissen, die sich über viele Zehnerpotenzen erstrecken, und besitzt weiter den Vorzug, dass man multiplikativ verknüpfte Verhältnisse auf einfache Weise additiv verknüpfen und damit Begriffe wie Störabstände usw. einführen kann. Man unterscheidet zwei Arten logarithmischer Verhältnisse, Pegel und Übertragungsmaße. – Pegel beziehen Systemgrößen, z. B. Spannungen, auf einen festen Bezugswert, z. B. U 0 =1μV . Die bezogenen Systemgrößen bezeichnet man dann z. B. als Spannungspegel. – Übertragungsmaße setzen Ein- und Ausgangsgrößen eines Systems in logarithmierte Verhältnisse. Diese dienen der Kennzeichnung der Übertragungseigenschaften des Systems. Die Verhältnisse stellen logarithmierte Kehrwerte von Übertragungsfaktoren des Frequenzbereichs dar (s. a. Abschn. 1.6). Typische Beispiele sind die Leitungsdämpfung, die Schirmdämpfung, die Verstärkung, die Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung etc. Die ins Verhältnis gesetzten Größen müssen Frequenzbereichsgrößen sein, das heißt komplexe Amplituden, Amplitudendichten etc. Es werden jeweils nur die Beträge (Amplituden oder Effektivwerte) der Größen ins Verhältnis gesetzt. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass das Rechnen mit Pegel- und Übertragungsmaßen vor allem bei der Bildung von Mittelwerten (zum Beispiel bei statistischen Auswertungen) und dem Einfließen additiver Anteile (zum Beispiel Offsets) überlegt erfolgen muss, um gängige Fehler zu vermeiden. Es sind zuerst die absoluten Größen zu bestimmen, bevor die eigentliche Berechnung der Mittelwerte erfolgt. Pegelmaße werden grundsätzlich durch die „Einheit“ dB gekennzeichnet. Nach IEC 60027 ist die Schreibweise für das Kennzeichnen von Pegeln klar definiert. Allerdings wird sie von nahezu niemandem richtig angewandt, da sich im Laufe der Zeit gebräuchlichere Schreibweisen eingeprägt haben. Ein Leistungspegel wird nach IEC 60027 durch

8

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

⎛ P ⎞ ⎛ P ⎞ LP(re1mW) = 10 lg ⎜ 1 ⎟ dB oder kürzer LP /1mW = 10 lg ⎜ 1 ⎟ dB ⎝ 1mW ⎠ ⎝ 1mW ⎠

berechnet. Der jeweilige korrekt augedrückte Leistungspegel würde dann beispielsweise durch „LP/1pW=3dB“ ausgedrückt. Der Ausdruck „3dBpW“ soll nach IEC 60027 ausdrücklich vermieden werden. Wie schon erwähnt, wird dies in der Praxis nicht oft umgesetzt. Wir orientieren uns nach der herrschenden Meinung und fahren fort mit „3dBpW“.

1.2.1

Logarithmierte bezogene Systemgrößen - Pegel

Mit Hilfe des dekadischen Logarithmus log10 (x) = lg(x) definiert man beispielsweise folgende Pegel in Dezibel (dB): Spannungspegel:

udB = 20 lg

Ux dBμV / m U0

Bezugsgröße Strompegel:

idB = 20 lg

EdB = 20 lg

HdB = 20 lg

(1-2)

I0 = 1μA

Ex dBμV / m E0

Bezugsgröße

H-Feldstärkepegel:

U0 = 1μV

Ix dBμA I0

Bezugsgröße E-Feldstärkepegel:

(1-1)

E0 = 1

(1-3) μV m

Hx dBμA / m H0

Bezugsgröße

H0 = 1

(1-4)

μA m

Eine Ausnahme bildet das Leistungsverhältnis, bei dem Zähler und Nenner jeweils dem Quadrat der betrachteten Amplituden proportional sind. Es tritt nur der Faktor 10 auf.

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung

pdB = 10 lg

Leistungspegel:

9

Px dBpW P0

Bezugsgröße

(1-5)

P0 = 1pW

Unter der Voraussetzung eines einheitlichen Widerstands R x = R 0 stimmen die dB-Werte der Leistungspegel mit den anderen Pegeln überein. Ursprünglich wurde der Begriff dB nur für Leistungsverhältnisse verwendet,

pdB = 10 lg

Px dB P0

bzw.

pB = 10 lg

Px B P0

,

wobei B für Bel steht (in Erinnerung an den Erfinder des Telefons, Alexander Graham Bell ). Da Leistungen dem Quadrat einer Spannung, eines Stromes etc. proportional sind, ergibt sich bei letzteren zusätzlich der Faktor 2 (vergl. (1-1) und (1-5)). Bei Spannungen, Strömen und Feldstärken entsprechen nachstehende Pegelangaben folgenden Verhältnissen 3dB

2,

6dB

2,

Für Leistungen gilt dagegen 10dB

20dB

10,

120dB

106

.

10 .

Obige Pegel wurden unter Verwendung einer festen Bezugsgröße ermittelt und werden daher oberbegrifflich als absolute Pegel bezeichnet. Sie machen eine Aussage über den Wert der jeweils betrachteten Größen. Ein Pegel von 20dBm entspricht einem Wert von 20dB über 1 mW, ein Pegel von -16dBì V einem Wert von 16dB unter 1 ì V. Da der Logarithmus einer Zahl keine Dimension besitzt, stellen bezogene Systemgrößen ebenfalls reine Zahlen dar. Um dennoch die Natur des von ihnen repräsentierten Verhältnisses zum Ausdruck zu bringen, wird der Pegel in dB noch mit μV, μA etc. erweitert, beispielsweise zu dBμV, dBμA. Wie schon oben erläutert, bezeichnet dBm den Bezug einer Leistung auf 1 mW. Andere häufig benutzte Bezugsgrößen sind 1 W, 1 V, 1 ì V oder auch 1 A bzw. 1 μA. Ähnlich wie für dBm findet man auch hierfür die nach Norm eigentlich nicht korrekten Schreibweisen dBW, dBV, dBì V, dBA, dBì A, dBW/m², dBV/m, dBì V/m, dBA/m und dBì A/m.

10

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Um ein Gefühl für die vorkommenden Größenordnungen von Pegelangaben zu geben, hier einige Beispiele: – Der Ausgangsleistungsbereich von Signalgeneratoren geht üblicherweise von -140dBm bis +20dBm das heißt 0,01 fW (Femto-Watt) bis 0,1 W. – Mobilfunk-Basisstationen senden mit +43dBm oder 20 W, – Handys senden mit 10dBm bis 33dBm oder 10 mW bis 2 W. – Rundfunksender senden mit 70 dBm bis 90 dBm bzw. 10 kW bis 1 MW. – Störfeldstärken von 20dBμV/m entsprechen 10 μV/m Ähnlich wie oben mit dem dekadischen Logarithmus Verhältnisse in dB gebildet wurden, lassen sich mit dem natürlichen (Neperschen) Logarithmus Verhältnisse in Neper (Np) bilden, z. B.: uNP = ln

Ux Neper U0

bzw.

pNP =

1 Px ln Np 2 P0

.

(1-6)

1 Neper entspricht dem Verhältnis U x U0 = e . Neper und Dezibel lassen sich ineinander umrechnen, ln

Ux U Np = 20 lg x dB U0 U0

bzw. 1Np = 8,686dB

oder

1dB = 0,115Np

.

(1-7)

So gilt für die Verhältnisse 10:1

2,3Np=20dB

100:1

4,6Np=40dB

1000:1

6,9Np=60dB

In beiden Darstellungen erhöht sich ein bestimmter Pegel um jeweils den gleichen Betrag für jede weitere Größenordnung. Die Attribute dB und Np weisen lediglich auf die Art der verwendeten Logarithmus-Funktion hin (lg bzw. ln). Sie sind keine Einheiten, werden aber häufig wie solche benutzt.

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung

11

Im Folgenden seien noch einige Rechenbeispiele für absolute und relative Pegel aufgeführt: Beispiel 1: Spannungsverhältnis V U eines Verstärkers UE = 1V, U A = 100 V → VU = 100 V /1V = 100,

VU = 20 lg (100 V 1V ) dB = 20 lg(100)dB − 20 lg(1)dB = 60dB − 20dB = 40dB.

Beispiel 2: Leistungsverhältnis PU eines Verstärkers PIn = 1mW, POut = 25 W → VP = 25 W / 0,001W = 25000,

PU = 10 lg ( 25 W 0,001W ) dB = 10 lg(25) − 10 lg(0,001) = 13,98dB + 30dB = 43,98dB. Beispiel 3: Möchte man bei verstärkten Signalen den notwendigen Generatorpegel berechnen, der für eine bestimmte Ausgangsleistung benötigt wird, eignet sich die Darstellung in Pegelmaßen, um die Berechnungen zu vereinfachen: Signalgenerator → Verstärker → Empfänger Gegeben sei ein Verstärker mit 25 W Ausgangsleistung bei 1 mW Eingangsleistung → PU = 10 lg(25 W / 0,001W)dB ≈ 44dB .

Benötigter Leistungspegel am Empfänger: 22dBm → Notwendiger Generatorpegel = 22dBm − 44dB = −22dBm .

Beispiel 4: Abnahme der Feldstärke Oftmals liegen bestimmte Grenzwerte für gestrahlte Emissionen nicht für den gebrauchten Messabstand vor. Zur Abschätzung der Emission wird deshalb oft auf den jeweiligen Abstand umgerechnet: Gegeben: Gesucht:

Messwert: e = 100dBμV / m in 3 m Abstand zum Prüfling. Äquivalenter Messwert e' in 10 m Entfernung.

12

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

E' (1μV / m) E' d d = → 20 lg = 20 lg E d' E /(1μV / m) d' → e'− e = 20 lg

d d → e' = e + 20 lg d' d'

e' = 100dBμV / m − 10,46dB = 89,54dBμV / m

Beispiel 5: Umrechnung Leistungspegel → Spannungspegel Häufig liegen bestimmte Größen nicht in der Einheit vor, in welcher sie, beispielsweise mit Grenzwerten, verglichen werden sollen. Kennt man den Wellenwiderstand des benutzten Systems, so können auf einfache Art und Weise die Pegel mit deren verschiedenen Bezugseinheiten durch einen additiven Term als Annäherung ineinander überführt werden. Gegeben: Gesucht: P=

R = 50 Ω, P = U02 / R, U0 = 1μV, P0 = 1mW. Umrechnung in Form von p / dBm = u / dBμV + X

U2 P U2 U2 U02 → = = 2⋅ R P0 P0 ⋅ R U0 P0 ⋅ R

Logarithmieren: ⎛ U2 U20 ⎞ ⎛ U2 ⎛P ⎞ = 10 lg ⎜ 2 10 lg ⎜ ⎟ = 10 lg ⎜ 2 ⋅ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎝ P0 ⎠ ⎝ U0 P0 ⋅ R ⎠ ⎝ U0

→ p/ dBm = u / dBμV + 10 lg

⎞ ⎛ U20 ⎞ ⎟⎟ + 10 lg ⎜⎜ ⎟⎟ ⎠ ⎝ P0 ⋅ R ⎠

(1μV )2 1mW ⋅ 50 Ω

→ p / dBm = u / dBm − 107dB

.

Beispiel 6: Messung von Signalen an der Rauschgrenze Eine häufig vorkommende Aufgabe ist die Messung schwacher Signale in der Nähe des Rauschens des Messgerätes, beispielsweise eines Empfängers oder eines Spektrumanalysators. Das Messgerät zeigt die Summe aus Eigenrauschen und Signalleistung an. Nun soll die Signalleistung allein bestimmt werden. Voraussetzung für die folgende Rechnung ist, dass das Messgerät die Effektivleistung der Signale

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung

13

anzeigt. Bei Leistungsmessern ist das fast immer der Fall, bei Spektrumanalysatoren muss der so genannte RMS-Detektor eingeschaltet werden. Man bestimmt zunächst das Eigenrauschen PN des Messgeräts, durch Abtrennen des Messsignals. Danach misst man das Signal mit Rauschen Ptot . Die Leistung P des Signals allein erhält man durch Subtraktion der linearen Leistungswerte. Beispiel: Der angezeigte Rauschpegel PN eines Spektrumanalysators (ohne angelegtes Signal) beträgt -80dBm. Mit Eingangssignal steigt die Anzeige auf Ptot = −75dBm . Wie groß ist die Leistung des Signals P in dBm? −80

PN = 10 10 mW = 0,00000001mW −75

Ptot = 10 10 mW = 0,0000000316 mW P = Ptot − PN = 0,0000000216 mW P = 10 lg

0,0000000216 mW = −76,65dBm 1mW

Die Signalleistung P beträgt also -76,65dBm. Man sieht, dass ohne Korrektur des Rauschens der Pegel des Signals immerhin 1,65dB zu hoch angezeigt wird. 1.2.2

Störpegel und Störabstand

Logarithmische Verhältnisse tragen je nach ihrer physikalischen bzw. technischen Bedeutung besondere Namen. So unterscheidet man in der Elektromagnetischen Verträglichkeit bei Pegeln folgende absoluten und relativen Pegel. Absolute Pegel: Störpegel

Bezogener Wert einer Störgröße. Die Obergrenze zulässiger Störpegel bilden die in DIN/VDE-Bestimmungen festgelegten Grenzwerte für Funkstörungen (s. Abschn. 1.2.3 und Kap. 12).

Störschwellenpegel

Bezogener kleinster Wert des Nutzsignals, dessen Überschreitung durch den Störpegel am Empfangsort als Störung empfunden wird.

14

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Bezogener 100% Wert des Nutzsignals.

Nutzpegel

Relative Pegel: Störabstand

Pegeldifferenz zwischen Nutzpegel und Störschwellenpegel (auch berechenbar als logarithmisches Verhältnis von Nutzsignal und Störschwelle).

Störsicherheitsabstand

Pegeldifferenz zwischen Störschwellenpegel und Störpegel (auch berechenbar als logarithmisches Verhältnis von Störschwelle und Störgröße.

Diese Begriffe sind in Bild 1.4 veranschaulicht.

dB Nutzpegel (100% Nutzsignal)

Störabstand

Störschwellenpegel Störsicherheitsabstand Störpegel f Bild 1.4: Beispiele logarithmischer Verhältnisse. Definition von Störabstand und Störsicherheitsabstand. (In der Regel sind die Pegel keine Parallelen zur Abszisse, sondern in problemspezifischer Weise von der Frequenz abhängige Spektren).

Im Gegensatz zu den auf eine bestimmte Bezugsgröße (z. B. 1 μV) bezogenen absoluten Pegeln werden relative Pegel als Pegeldifferenzen ermittelt.

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung

15

Störpegel, Störschwellenpegel und Nutzpegel sind in der Regel frequenzabhängige Größen. Demnach sind Störsicherheitsabstand und Störabstand ebenfalls Größen, die von der Frequenz abhängen können. Bei Analogsignalen der Messtechnik begnügt man sich häufig mit einem Störabstand > 40 dB (Messfehler bleiben dann unter 1%), für Rundfunk und Fernsehen gelten Werte zwischen 30 und 60 dB, für Telefon ca. 10 dB als ausreichend. Genaue Zahlen sind im Einzelfall den jeweils geltenden Normen zu entnehmen. Im Gegensatz zu Systemen mit analoger Signalverarbeitung, bei denen die Festlegung der Störschwelle je nach Qualitätsansprüchen (Störempfinden) offensichtlich verhandlungsfähig ist, zeichnen sich digitale Systeme dadurch aus, dass sie unterhalb einer von der Schaltkreisfamilie abhängigen Schwelle überhaupt nicht gestört bzw. oberhalb dieser Schwelle sicher gestört werden. Hierbei ist noch zwischen statischer und dynamischer Störsicherheit zu unterscheiden. Liegt die Einwirkdauer einer Störung unter der Schaltverzögerungszeit, sind höhere Störpegel eher tolerierbar als bei statischer Beanspruchung (s. Abschn. 1.2.3). Speziell bei der Netzrückwirkungsproblematik (s. Abschn. 2.2.4) versucht man wegen der starken Kopplung der Störquellen so genannte Verträglichkeitspegel festzulegen, die unter Berücksichtigung der Summenwirkung aller am Netz betriebenen potentiellen Störer ausreichende elektromagnetische Verträglichkeit im Elektroenergiesystem gewährleisten [1.17]. Diese Verträglichkeitspegel bilden die Grundlage sowohl für die Dimensionierung der statistisch verteilten Störfestigkeit von Geräten als auch für die Festlegung statistisch verteilter zulässiger Störemissionen. Da der Maximalwert von Netzstörungen nur mit Hilfe statistischer Schätzmethoden ermittelt werden kann und die Wahrung der EMV an Hand dieses maximalen Pegels wirtschaftlich nicht durchführbar wäre, wird der Verträglichkeitspegel in die Lücke zwischen den Maxima der Wahrscheinlichkeitsdichten gelegt. Genau genommen legt man den Verträglichkeitspegel so, dass er mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, z. B. 95%, nicht überschritten wird und dass die Störfestigkeit der Geräte grundsätzlich oberhalb dieses Pegels liegt, Bild 1.5.

16

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Pegel

Störfestigkeit

Verträglichkeitspegel

Störgröße

Wahrscheinlichkeitsdichte Bild 1.5: Festlegung des Verträglichkeitspegels für eine bestimmte Störgröße, z. B. 5-te Oberschwingung.

Wie hoch der Störschwellenpegel eines Geräts über den Verträglichkeitspegel gelegt wird (Störsicherheitsabstand) ist eine Frage der Bedeutung des Geräts. Dies können sicherheitsrelevante, ebenso jedoch aus besonderen Qualitätsansprüchen heraus gewachsene Gründe sein. Nach herrschender Meinung ist zwischen den umgebungsbedingt auftretenden maximalen Störpegeln und der Störfestigkeitsanforderungen an ein Gerät ein Mindestabstand von 6dB zu gewährleisten. Gebräuchliche Sicherheitsabstände (engl.: Margin) zwischen Emissionsgrenzwerten und Störfestigkeitsanforderungen betragen beispielsweise in der Flugzeugindustrie teilweise über 80dB.

1.2.3

Statische und dynamische Störabstände digitaler Schaltkreise

Bei digitalen Schaltkreisen unterscheidet man zwischen statischer und dynamischer Störfestigkeit. Für Störsignale, deren zeitliche Dauer größer ist als die Signalverzögerungszeit des Schaltkreises (engl.: delay time, tD), wird die Störfestigkeit durch den statischen Störabstand charakterisiert, s. Bild 1.6.

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung U Ub

USt

A UeA

B UaA

UeB

USt = UeB - UaA

17

UaB U aH, min U eH, min Umschaltschwelle U eL, max U aL, max

Erlaubter Spannungsbereich für "High" Verbotene Zone Erlaubter Spannungsbereich für "Low" t

Bild 1.6: Zur Erläuterung des statischen Störabstands bei digitalen Schaltkreisen. Die Indizes e und a kennzeichnen Ein- und Ausgangsspannungen, H und L High- und Low-Zustände. UaL,max und UaH,min sind die vom Hersteller garantierten Spannungswerte für die Low- und High-Zustände.

Für die störsichere Auslegung einer elektronischen Schaltung sind die statischen Mindeststörabstände oder auch Worst-case-Störabstände für den Lowund High-Zustand heranzuziehen. Diese können aus den vom Schaltkreishersteller garantierten Werten UaL, max und UaH, min für die Low- und High-Zustände ermittelt werden, Bild 1.6.

Low-Zustand:

UStL = UeL, max − UaL, max

High-Zustand:

UStH = UeH, min − UaH, min

Die Spannungen U eL, max und U eH, min sind die für eine eindeutige Erkennung des Low- bzw. High-Zustandes erlaubten Spannungswerte. In vielen Schaltkreisdatenblättern sind typische statische Störabstände angegeben. Diese erheblich günstigeren Werte basieren auf reduzierten Betriebsbedingungen wie beispielsweise einem eingeschränkten Temperaturbereich und sollten deshalb für EMV-Betrachtungen nicht herangezogen werden. In Tabelle 1.1 sind Beispiele statischer Worst-case-Störabstände für verschiedene TTL- und CMOS-Schaltkreise dargestellt [B1, B3, 11.9].

18

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit Tabelle 1.1: Statische Worst-case-Störabstände verschiedener Logikfamilien.

Familie

TTL

Typ

Betriebsspannung [ V ]

U StL [ V ]

U StH [ V ]

5

0,3

0,7

2

0,2

0,4

4,5

0,8

1,25

6

1,1

1,7

LS (Low-Power-Schottky)

ALS (Advanced-LS)

AS (Advanced-Schottky)

F (Fairchild-AS, Fast)

CMOS

HC (High-Speed-CMOS)

AC (Advanced-CMOS)

CMOS-TTL

3

0,8

4,5

1,25

5,5

1,55

HCT (High-Speed-CMOS-TTL)

5

0,7

2,4

ACT (Advanced-CMOS-TTL)

Da reale integrierte Schaltkreise nicht sofort auf ein am Eingang anliegendes Nutz- bzw. Störsignal reagieren, sind mit abnehmender Störimpulsdauer höhere Störspannungsamplituden tolerierbar. Dieses Störsignalverhalten wird durch den dynamischen Störabstand beschrieben, Bild 1.7 [11.10, 11.11, 11.12]. Es ist allerdings zu beachten, dass bei sehr kurzen Impulsen hoher Amplitude der Schaltkreis dielektrisch und/oder thermisch zerstört werden kann. Ein weiteres wichtiges Kriterium, das bei der EMV gerechten Auswahl von Logikbauelementen beachtet werden muss, sind die Anstiegs- bzw. Abfallzeiten der erzeugten Logiksignale. Je steiler die Signalflanken sind, desto breiter wird das erzeugte Frequenzspektrum, Bild 1.7.

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung V

19

5

4 USt

HCMOS 3 CMOS 2 TTL 1

0.3 0.5

1

2

3

5

10

20 30 tP

100 ns

Bild 1.7: Abhängigkeit des Störabstands unterschiedlicher digitaler Schaltkreise von der Störimpulsdauer eines rechteckförmigen Störsignals. USt ist der Störabstand und tp die Störimpulsdauer.

Zusätzlich bewirken hohe Verarbeitungsgeschwindigkeiten bzw. Taktfrequenzen eine Verschiebung des kompletten Störspektrums zu höheren Frequenzen (s. a. Abschn. l 1.6). Die Konsequenz ist eine deutliche Verschärfung der Beeinflussungsproblematik, da kapazitive und induktive Koppelpfade grundsätzlich ein frequenzproportionales Übertragungsverhalten zeigen. Für die störsichere Auslegung einer elektronischen Baugruppe sollten daher Schalt- bzw. Verarbeitungsgeschwindigkeiten nicht höher gewählt werden, als zur Lösung der Schaltungsaufgabe unbedingt erforderlich. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Werte für verschiedene Bauelementfunktionen der gleichen Technologie sehr unterschiedlich sein können. Tabelle 1.2 stellt Anstiegs- und Abfallzeiten sowie Signalverzögerungszeiten verschiedener Schaltkreistypen dar.

20

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Tabelle 1.2: Signalanstiegs- und -abfallzeiten sowie Signalverzögerungszeiten verschiedener Schaltkreistypen. Abkürzungen siehe Tabelle 1.1. Familie

Typ

Tr [ns ]

TTL

S LS ALS AS F HC AC HCT ACT

4,5 24,0 32,0 2,2 3,4

CMOS CMOS-TTL

Tf[ ns ]

t DH [ ns ]

t DL [ ns ]

2,2 6,0 1,4 0,6 0,6

3,9 7,0 8,0 2,3 3,1 6,2 2,5 12 0,9

3,1 8,0 2,7 1,0 1,2 6,6 2,5 8,4 4,1

2,5 1,4 2,9 1,4

0,9

Des Weiteren treten selbst für funktionell gleiche Bauelemente je nach Hersteller deutliche Unterschiede auf [11.13].

1.2.4

Grenzstörpegel für Emissionen

Zur Gewährleistung eines einwandfreien Ton- und Fernsehrundfunkempfangs sowie ungestörter Funktion der Funkdienste dürfen die Emissionen von Störquellen bestimmte, von der Frequenz abhängige Grenzstörpegel nicht überschreiten. Diese Grenzstörpegel sind in DIN/VDE-Bestimmungen festgelegt, die ihrerseits wieder auf internationaler Zusammenarbeit in der IEC bzw. CISPR beruhen (s. Kap. 12 und B23). Letztlich orientieren sich die Störpegel am unvermeidlichen Hintergrundpegel natürlicher Quellen (kosmisches Rauschen, Impulsstörungen entfernter Gewitter, engl.: sferics etc.). Sie werden m.a.W. so festgelegt, dass Emissionen in einem vom Verwendungszweck abhängigen bestimmten Abstand (z. B. 3 m, 10 m oder 30 m) auf den Hintergrundpegel abgeklungen sind. Man unterscheidet Grenzstörpegel für – Funkstörspannungen, – Funkstörleistungen, – Funkstörfeldstärken. Erstere bilden die Obergrenze für die Störspannungen zwischen einzelnen Adern und Erde der an einem Betriebsmittel angeschlossenen Leitungen

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung

21

(unsymmetrische Funkstörspannung). Bei den üblicherweise anzutreffenden Leitungslängen elektrischer Geräte in Büros, Haushalten etc. setzt ab ca. 30 MHz merkliche Abstrahlung ein, so dass die Funkstörspannung mit zunehmender Frequenz an Aussagekraft verliert. Ab 30 MHz schreibt man daher Grenzwerte für die Funkstörleistung vor, die mit speziellen Absorptionsmesswandlerzangen gemessen wird (s. Abschn. 7.3). Schließlich dürfen in definierten Abständen von den Störquellen die dort herrschenden Funkstörfeldstärken bestimmte Grenzstörpegel für elektrische und magnetische Felder nicht überschreiten. Weiter wird zwischen Grenzwertklassen A und B unterschieden [1.27]. Geräte der Klasse A sind für den Einsatz in industriellen und kommerziellen Betriebsräumen mit vergleichsweise starker Störumgebung gedacht und dürfen daher höhere Emissionen abgeben als Geräte der Klasse B, die speziell für den Wohnbereich vorgesehen sind. Letzterer ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass in 10 m Abstand vom betrachteten Gerät mit dem Betrieb eines Ton- oder Fernsehrundfunkempfängers gerechnet werden muss. Geräte der Klasse A (Typische Beispiele: Arbeitsplatzrechner, Industrie HF Generatoren) müssen die Grenzwerte der Klasse A einhalten. Geräte, die nicht die Grenzwerte der Klasse A einhalten oder für die es keine Normen gibt (früher Klasse C), können nach positiver Beurteilung durch eine "Benannten Stelle" (s. Kap. 12) dennoch betrieben werden, sofern sie keine unannehmbare Beeinträchtigung von Funkdiensten verursachen (Typische Beispiele: Großrechenanlagen, Hochfrequenzbeschleuniger). Die Beurteilung der Konformität von Geräten der Klasse A kann am Ort der Aufstellung oder auf einem Messplatz durchgeführt werden (s. Abschn. 7.2.2). Geräte der Klasse B (Typische Beispiele: Ton- und Fernsehrundfunkgeräte, Personal Computer, Haushaltsgeräte etc.) müssen die Grenzwerte der Klasse B einhalten. Die Beurteilung ihrer Konformität kann auf einem Messplatz oder durch eine Herstellerselbsterklärung „anhand der maßgebenden Erscheinung“ des Geräts bewertet werden. Geräte der Klasse B dürfen bezüglich ihrer Emissionen auch in Industriegebieten genutzt werden. Ein Beispiel für die Angabe von Grenzstörpegeln zeigt Bild 1.8. Weitere Grenzstörpegel finden sich in den jeweils zutreffenden Vorschriften (s. Kapitel 12).

22

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit 105

100 dBμ V

μV 80

104

Grenzwertklasse A

79,0 66,0

73,0

Grenzwertklasse B

60

103

56,0 102

40

20

10

-2

10-1

10

0

101

10

Frequenz

MHz

101

2

Bild 1.8: Grenzstörpegel von Hochfrequenzgeräten für industrielle, wissenschaftliche, medizinische und ähnliche Zwecke (ISM-Geräte VDE 0875 [1.27], s. a. 2.2.2).

Vor der Festlegung von Grenzwerten bzw. Grenzstörpegeln im Rahmen der europäischen Harmonisierungsbestrebungen war die Angabe von Funkstörgraden üblich. Neben ihrer Eigenschaft als frequenzabhängige Obergrenze für Funkstörungen (also dem Grenzstörpegel) weisen Funkstörgrade noch einen Kennbuchstaben auf, der eine Aussage über den Verwendungszweck bzw. die relative Störwirkung beinhaltet. – Funkstörgrad G:

Grobentstörte Geräte mit vergleichsweise hohen Störemissionen, die nur in Industriegebieten, bzw. nicht Wohnzwecken dienenden Betriebsstätten und Gebäuden (Banken, Büros) eingesetzt werden.

– Funkstörgrad N:

Normalentstörte Geräte, z. B. für die Verwendung in Wohngebieten.

– Funkstörgrad K:

Feinentstörte Geräte mit kleinem (K) Störpegel, z. B. für den Einsatz in Empfangsfunkstellen.

– Funkstörgrad O:

Geräte, die ihrer Natur nach keine Funkstörungen verursachen, z. B. Tauchsieder.

1.2 Störpegel - Störabstand - Grenzstörpegel - Stördämpfung

23

Funkstörgrade finden derzeit noch Verwendung in DIN/VDE 0875-Teil 3, da die dort aufgeführten Geräte in den harmonisierten Bestimmungen nicht erfasst sind (Hebezeuge, Aufzüge, Notstromaggregate etc.). Da bei Funkstörungen vorrangig der akustische bzw. visuelle Störeindruck eine wesentliche Rolle spielt, erfahren die elektrischen Messwerte eine entsprechende Bewertung (s. Abschn. 7.4.1). Bewertete Störgrößen haben sich im Rahmen der Funkentstörung sehr bewährt, sind jedoch gänzlich ungeeignet, wenn es um die Behandlung nicht Kommunikationszwecken dienender elektronischer Systeme geht (KFZ-Elektronik, Prozesssteuerungen, DV-Anlagen etc.). Beispielsweise toleriert das menschliche Ohr bei gelegentlichen Knackstörungen (engl.: click) wesentlich größere Pegel als bei Dauerstörungen, während eine elektronische Steuerung bereits bei nur einer die Störschwelle überschreitenden Knackstörung mit Fehlfunktionen reagieren kann. In diesen Fällen kommen daher nur unbewertete Größen in Frage (z. B. im Zeitbereich Impulsscheitelwerte, im Frequenzbereich Amplitudendichten).

1.2.5

Prüfpegel für Immissionen

Elektronische und elektrische Geräte sind im Betrieb einer für ihren Einsatzort typischen Störumgebung (Immissionen) ausgesetzt. Sie müssen daher gegenüber dieser Störumgebung eine anwendungs- bzw. produktspezifische Immunität besitzen. Diese wird in so genannten Störfestigkeits- bzw. Immunitätsprüfungen nachgewiesen. Bei diesen Prüfungen setzt man die Produkte elektromagnetischer Strahlung oder leitungsgebunden eingekoppelten Überspannungen bzw. -strömen etc. aus und überwacht das Nichtauftreten von Fehlfunktionen oder etwaigen irreversiblen Zerstörungen. Analog zu den Grenzwertklassen und Grenzwerten bei der Bewertung von Emissionen unterscheidet man beim Nachweis der Immunität gegenüber Immissionen zwischen verschiedenen Umgebungsklassen und angemessenen Prüfpegeln bzw. Prüfschärfen. Wegen ihrer Vielschichtigkeit werden diese Begriffe erst später im passenden Kontext ausführlich erläutert, Umgebungsklassen in Abschn. 2.5 im Anschluss an die Vorstellung repräsentativer Störquellen, Prüfpegel bzw. Prüfschärfen in Kap. 8 in Zusammenhang mit den verschiedenen Prüfgeneratoren zur Simulation unterschiedlicher Störquellen. Im Gegensatz zu den nicht verhandlungsfähigen Grenzwerten zulässiger Emissionen sind die verschiedenen Umgebungsklassen und die Angemessenheit einer bestimmten Prüfschärfe häufig Verhandlungssache zwischen Hersteller und Anwender. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass eine

24

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

erfolgreich bestandene normgerechte Störfestigkeitsprüfung zwar eine hohe, jedoch keine absolute Sicherheit gegen alle am späteren Einsatzort möglichen elektromagnetischen Beeinflussungen besitzt. Auch auf diese Thematik wird in Kap. 8 noch näher eingegangen.

1.2.6

Stördämpfung

Die Stördämpfung ist ein typisches Beispiel für logarithmische Verhältnisse der zweiten Art (Übertragungsmaße vergl. Einleitung v. Abschn. 1.2). Die Stördämpfung dient oberbegrifflich zur Kennzeichnung der Entstörwirkung von Entstörmitteln. Sie wird meist in Abhängigkeit von der Frequenz angegeben. Als Stördämpfung bezeichnet man beispielsweise das logarithmische Verhältnis der Spannungen vor und nach einem Filter (Filterdämpfung a F) oder der Feldstärken eines Raumpunkts vor und nach Anwendung eines Schirmes (Schirmdämpfung a S), a F = 20 lg

U1 U2

bzw.

a S = 20 lg

Ha Hi

.

(1-8)

Bei der Schirmdämpfung wird unter H a die in Abwesenheit eines Schirms herrschende Feldstärke, unter H i die innere, im geschirmten Raum anzutreffende Feldstärke verstanden (s. a. Abschn. 5.1). Auch hier nimmt a S in der Regel positive Zahlenwerte an. Die Filterdämpfung ist in der Regel positiv. Negative Filterdämpfungen ergeben sich bei Spannungsüberhöhungen am Ausgang durch Resonanzeffekte (negative Dämpfung Verstärkung, s. a. Abschn. 4.1.3). Durch Messung bestimmte negative Schirmdämpfungen stellen in der Regel ebenfalls Resonanzeffekte dar, da der Messaufbau die Feld-Charakteristik der Empfangsantenne im Innern des Schirmes erheblich ändert. Deswegen erfordert die Schirmdämpfungsmessung (siehe Abschn. 9.2) eine intime Kenntnis des Messaufbaus, um geeignete Maßnahmen zu treffen, die diese aufbaubedingten Resonanzen unterdrücken. Eine verwandte Größe ist die Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung, die aussagt, inwieweit eine Umwandlung von Gleichtaktsignalen in Gegentaktsignale geschwächt wird. Hierauf wird im Abschn. 1.4 ausführlich eingegangen.

1.3 Natur der EMB und ihrer Übertragungswege

1.3

25

Natur der elektromagnetischen Beeinflussungen und ihrer Übertragungswege

Das grobe Beeinflussungsmodell gemäß Bild 1.1 ist zunächst nur von beschränktem Wert. Um die elektromagnetische Verträglichkeit eines Systems gezielt planen zu können, müssen bekannt sein – die störende Umgebung (alle Sender), beispielsweise in Form von Spannungs- und Stromscheitelwerten, Feldstärken, Frequenzspektren, Flankensteilheiten, – die Kopplungsmechanismen, beispielsweise in Form von Filter- und Schirmdämpfungen oder komplexer Übertragungsfunktionen, – die Empfänglichkeit bzw. Empfindlichkeit der Störsenke (engl.: susceptibility), beispielsweise in Form von Störschwellen im Frequenz- und Zeitbereich. Während sich Störquellen und Störsenken vergleichsweise leicht durch Messung ihrer Emissionen bzw. Störschwellen charakterisieren lassen (s. Kapitel 7 u. 8), verlangt die Identifikation der zwischengeschalteten Kopplungsmechanismen ein intimes Verständnis der physikalischen Elektrotechnik und große Erfahrung in praktischer Schaltungstechnik. Schließlich handelt es sich häufig um parasitäre, vom Konstrukteur nicht vorgesehene Übertragungswege – z. B. in der Stückliste nicht auftretende Streukapazitäten, Streuinduktivitäten etc. – die sich oft erst durch die von ihnen verursachten elektromagnetischen Beeinflussungen offenbaren. Je nach Ausbreitungsmedium und Entfernung zur Störquelle gelangen Störgrößen über unterschiedliche Wege und beliebige Kombinationen davon zum gestörten Empfängerstromkreis. Beispielsweise bezeichnet man elektromagnetische Beeinflussungen als leitungsgebunden übertragen, wenn sie über eine oder mehrere Leitungen oder auch über passive Bauelemente (Kondensatoren, Transformatoren etc.) in die Störsenke eindringen (Kabelmantelströme, Netzzuleitung etc., sog. galvanische Kopplung). Dies gilt auch dann, wenn irgendwo zwischen Störsender und Empfänger die Störenergie stellenweise durch Kopplung oder Strahlung übertragen wird. So kann eine elektromagnetische Beeinflussung durchaus leitungsgebunden entstehen, sich dann aber durch Kopplung oder Strahlung ausbreiten und schließlich in anderen Leitungen wieder als leitungsgebundene Störung auftreten (z. B. Bürstenfeuer eines Kollektormotors, dessen lange Zuleitungen als Antennen wirken, Bild 1.9.).

26

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Elektromagnetische Umgebung (Störquellen)

Galvanische Kopplung

Elektrische Kopplung

Magnetische Kopplung

StrahlungsKopplung

(Leitungen)

(E-Feld)

(H-Feld)

(E/H-Feld)

Empfänger (Störsenke)

Bild 1.9: Kopplungsmechanismen elektromagnetischer Beeinflussungen.

Gewöhnlich beziehen sich die Bezeichnungen leitungsgebunden oder abgestrahlt auf einen bestimmten Ort längs des Übertragungswegs zwischen störendem Sender und gestörtem Empfänger, häufig auf den Sender oder den Empfänger selbst. Solange die Wellenlänge groß gegenüber den Abmessungen des Störers ist, breiten sich elektromagnetische Beeinflussungen vorwiegend leitungsgebunden oder durch elektrische bzw. magnetische Kopplung aus. Liegen Wellenlänge und Abmessungen in vergleichbarer Größenordnung, setzt die Abstrahlung ein. Die Grenze ist fließend, liegt jedoch für viele in der Praxis vorkommenden Fälle in der Größenordnung von 10 m, entsprechend einer Frequenz von 30 MHz. Mit anderen Worten, im Rundfunkfrequenzbereich von 0.1 bis 30 MHz herrschen leitungsgebundene Störungen vor, im UKWBereich und darüber Störstrahlung. Nachstehend werden die verschiedenen Kopplungsmechanismen qualitativ kurz vorgestellt, ihre ausführliche Behandlung erfolgt im Kapitel 3. Galvanische Kopplung Galvanische bzw. leitungsgebundene oder metallische Kopplung (engl.: conducted, metallic) tritt immer dann auf, wenn zwei Stromkreise eine gemeinsame Impedanz Z besitzen, sei es ein einfaches Leitungsstück, eine Kopplungsimpedanz (s. Abschn. 3.1.3.) oder einen sonst gearteten Zweipol, Bild 1.10.

1.3 Natur der EMB und ihrer Übertragungswege

UI

27

I Z

UII

II

Bild 1.10: Galvanische Kopplung zweier Stromkreise über eine gemeinsame Impedanz Z.

Der Strom im Stromkreis I (Störer) erzeugt an der gemeinsamen Impedanz Z einen Spannungsabfall, der sich im Stromkreis II (gestörtes System) dem Nutzsignal überlagert. Auf dieses einfache Ersatzschaltbild lassen sich Verträglichkeitsprobleme wie leitungsgebundene 50 Hz-Brumm-, Kabelmantelund Gehäusestromprobleme, Störungen, die über Netzzuleitungen am gleichen Netz betriebener Verbraucher zum Empfänger gelangen etc., zurückführen (s. Abschn. 3.1.1). Selbstverständlich kann bei vergleichbaren Leistungsverhältnissen beider Kreise auch der Strom des Kreises II im Stromkreis I eine Störung verursachen. Elektrische Kopplung Elektrische oder kapazitive Kopplung tritt auf zwischen zwei Stromkreisen, deren Leiter sich auf verschiedenen Potentialen befinden, Bild 1.11. E

230V/50Hz I

230V/50Hz I

ZS UII

a) Feldmodell

CStr 1

CStr 2

ZS II

UII

II

ZE

b) Netzwerkmodell

Bild 1.11: Beispiel für die elektrische Kopplung zweier Stromkreise I und II über das quasistatische elektrische Feld bzw. über Streukapazitäten (Feldmodell und Leitungsmodell).

Der störende Stromkreis I sei das 220 V Lichtnetz, der gestörte Kreis II ein unbedarfter Messaufbau, mit dem eine Spannung von wenigen Millivolt

28

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

mittels eines Oszilloskops gemessen werden soll. Zwischen dem auf 220 V Potential befindlichen Leiter und den quasi auf Erdpotential befindlichen Messleitungen des Versuchsaufbaus besteht ein elektrisches Feld, Bild 1.11 a, dessen beeinflussende Wirkung in einem Netzwerk-Ersatzschaltbild durch die Annahme von Streukapazitäten CStr1 und CStr2 nachgebildet werden kann, Bild 1.11 b. Die Netzspannung treibt durch die Streukapazitäten Wechselströme (Verschiebungsströme), die über die gemeinsame Masseverbindung zum Neutralleiter des Netzes zurückfließen. Der Strom durch CStr2 erzeugt über den Innenwiderständen von Sender und Empfänger im Stromkreis II, ZS und ZE, einen Spannungsabfall, der sich dem Nutzsignal als Störspannung überlagert. Da die Netzwerktheorie keine Felder, sondern nur Spannungs- und Stromquellen sowie passive Bauelemente kennt, geht die elektrische Kopplung des Feldmodells im Netzwerkmodell in eine leitungsgebundene Kopplung mit Kondensatoren als Koppelimpedanzen über. Die wahre Natur der Kopplung darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Magnetische Kopplung Magnetische oder induktive Kopplung tritt zwischen zwei oder mehreren stromdurchflossenen Leiterschleifen auf. Wir betrachten den gleichen Stromkreis wie in Bild 1.11, nehmen aber an, dass jetzt im Leiter des Lichtnetzes ein Strom von 20 A fließe (die elektrische Kopplung lassen wir der Übersichtlichkeit wegen außer Acht), Bild 1.12.

H

I = 20A/50Hz

I = 20A/50Hz

I

I

ZS

ZS UII

M

II

a) Feldmodell

ZE

UII

II

ZE

b) Netzwerkmodell

Bild 1.12: Beispiel für die magnetische Kopplung zweier Stromkreise I und II, a) über das quasistatische magnetische Feld, b) über eine Gegeninduktivität (Feldmodell und Netzwerkmodell).

1.3 Natur der EMB und ihrer Übertragungswege

29

Der Strom ist mit einem veränderlichen Magnetfeld verknüpft, das im gestörten Stromkreis II eine Spannung induziert, die sich dem Nutzsignal überlagert, Bild 1.12. Die Wirkung des Magnetfeldes des Kreises I auf den Kreis II wird im Netzwerkersatzschaltbild durch eine Gegeninduktivität M oder eine induzierte Quellenspannung dargestellt. Die in den Bildern 1.11 und 1.12 dargestellten Beeinflussungsmechanismen veranschaulichen sehr deutlich die gegenseitige Unabhängigkeit quasistatischer elektrischer und magnetischer Felder. Einerseits ist in Bild 1.11 die Beeinflussung durch das elektrische Feld nicht an die Anwesenheit eines magnetischen Felds gebunden, andererseits kann in Bild 1.12 unbeschadet einer etwa vorhandenen elektrischen Beeinflussung eine beliebig starke magnetische Beeinflussung vorliegen.

Strahlungskopplung Versteht man unter Strahlungskopplung jede Kopplung im nicht leitenden Raum, so zählen die zuvor beschriebene elektrische und magnetische Kopplung auch zur Strahlungskopplung, und zwar beschreiben sie den quasistatischen Bereich, in dem das elektrische und das magnetische Feld voneinander unabhängig sind (Nahfeld s. 5.1). Wir wollen hier den Begriff Strahlungskopplung auf die Fälle beschränken, in denen sich das gestörte Empfangssystem im Fernfeld des vom Störer erzeugten Strahlungsfelds befindet, elektrisches und magnetisches Feld also gleichzeitig auftreten und über den Wellenwiderstand des freien Raumes E H = Z = μ0 ε0 = 377 Ω

verknüpft sind, Bild 1.13.

Sender

Empfänger

Bild 1.13: Strahlungskopplung.

30

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Dabei muss das gestörte System nicht notwendigerweise eine Stabantenne aufweisen wie in Bild 1.13. Ebenso gut kann die elektromagnetische Beeinflussung auch über eine Rahmenantenne bzw. direkt in eine elektronische Schaltung ohne beabsichtigte Antenneneigenschaften einwirken. Wir werden an dieser Stelle die verschiedenen Kopplungsmechanismen nicht weiter vertiefen, ihre ausführliche Betrachtung erfolgt im Kapitel 3. Es sei jedoch erwähnt, dass in der Praxis meist mehrere Kopplungspfade gleichzeitig bzw. parallel wirksam sind und ein Pfad u. U. auch mehrere kaskadierte Kopplungsmechanismen beinhalten kann, was die zielstrebige Erklärung des Zustandekommens von Störungen beträchtlich erschwert. So können beispielsweise elektromagnetische Beeinflussungen auf fünf generischen Pfaden in eine speicherprogrammierbare Steuerung oder ein Automatisierungssystem eindringen, Bild 1.14.

Bild 1.14: Generische Pfade für das Eindringen elektromagnetischer Beeinflussungen in ein Automatisierungssystem.

Je besser das physikalische Verständnis der verschiedenen Kopplungsmechanismen, desto eher lassen sich die relevanten Pfade lokalisieren bzw. hinsichtlich ihrer Übertragungsdämpfung quantifizieren, und desto kostengünstiger lassen sich wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen.

1.4

Gegentakt- und Gleichtaktstörungen

Ein grundlegendes Konzept der EMV-Technik ist das Begriffspaar Gegentakt- und Gleichtaktstörungen. Diese Störungen verdanken ihre Existenz virtuellen Gegentakt- und Gleichtaktstörquellen, die nicht als physikalisches

1.4 Gegentakt- und Gleichtaktstörungen

31

Bauelement erkenntlich sind, sondern sich lediglich durch ihre störende Wirkung manifestieren (Dies macht ihre Identifikation und Lokalisierung so schwierig). Selbstverständlich lassen sie sich in einem elektrischen Ersatzschaltbild als ideale Spannungsquellen bzw. Quellenspannungen darstellen.

Gegentaktstörungen:

Gegentaktstörungen werden von Gegentaktstörquellen UGg0 verursacht, deren physikalischer Ursprung in magnetischer Kopplung (s. Abschn. 1.3 u. 3.3), gemeinsamen Impedanzen mit anderen Stromkreisen (galvanische Kopplung, s. Abschn. 1.3 u. 3.1) oder Gleichtakt/Gegentakt-Konversion liegt (s. unten). Im elektrischen Ersatzschaltbild liegen Gegentaktstörquellen in Reihe mit der Nutzsignalquelle UNutz, Bild 1.15.

I Gg

I Gg U Gg0

Z Q/2

U Nutz

UGg

U Gg 0 ZE U Nutz

ZE U sym

0

b)

UGg

ZE

Z Q/2 I Gg

I Gg

Z Q/2

U Nutz

Z Q/2

Z Q/2 a)

Z Q/2

I Gg U Gg

I Gg c)

Bild 1.15: Zur Definition von Gegentaktstörungen, a) in nicht geerdeten Stromkreisen, b) in symmetrisch betriebenen Stromkreisen, c) in unsymmetrisch betriebenen Stromkreisen.

Gegentaktstörquellen treiben Gegentaktstörströme I Gg , die in gleicher Richtung fließen wie die Nutzsignalströme, mit anderen Worten, im Hin- und Rückleiter eines Signalkreises entgegengesetzte Richtung besitzen. Die Gegentaktstörströme rufen an einer Empfängerimpedanz ZE einen Störspannungsabfall hervor, der bei nicht geerdeten Schaltungen (engl.: floating circuits) als Gegentaktstörspannung, Bild 1.15a, im Fall symmetrisch betriebener Stromkreise als symmetrische Störspannung, Bild 1.15b und in unsymmetrisch betriebenen Stromkreisen als unsymmetrische Störspannung in Erscheinung tritt, Bild 1.15c. Eine symmetrische Störspannung stellt damit einen Spezialfall einer Gegentaktstörspannung dar, bzw. ist in symmetrisch betriebenen Schaltungen mit ihr synonym.

32

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Am Empfänger tritt die Quellenspannung UGg0 der virtuellen Störspannungsquelle, vermindert um den Spannungsabfall an ZQ auf. Es gilt UGg0 = I Gg ZQ + I Gg ZE

.

(1-9)

Die in Reihe mit der Nutzspannung liegende Störspannung berechnet sich dann aus der Spannungsteilergleichung, UGg0 UStör

=

ZQ + ZE ZE

.

(1-10)

Im häufig zutreffenden Fall ZQ ZE wirkt UGg0 (ω) in voller Höhe als Störspannung. Abhängig von der jeweiligen Betriebsart gemäß Bild 1.15 wird diese Störspannung jeweils als symmetrische oder unsymmetrische Störspannung bezeichnet.

Gleichtaktstörungen:

Gleichtaktstörungen werden von Gleichtaktstörquellen UGl0 verursacht, deren physikalischer Ursprung in kapazitiver Kopplung (s. Abschn. 3.2), Potentialanhebungen von Masse oder Erdungspunkten (s. Abschn. 10.6) oder in Potentialdifferenzen räumlich auseinander liegenden Masse- und Erdklemmen bzw. Schutzleiterkontakte liegt, (s. Bild 1.10 u. Abschn. 3.1 sowie 10.6). Im elektrischen Ersatzschaltbild treten Gleichtaktstörquellen zwischen einem Stromkreis und Erde auf, Bild 1.16.

I Gl = 0

I Gl = 0 ZE

ZE

U Gl0 I Gl = 0 a)

U Gl0

I Gl = 0

b)

Bild 1.16: Gleichtaktstörquellen, UGl a) in symmetrisch betriebenen Stromkreisen, b) in unsymmetrisch betriebenen Stromkreisen.

1.4 Gegentakt- und Gleichtaktstörungen

33

Gleichtaktstörquellen treiben Gleichtaktströme I Gl , die in allen Leitern eines Signalkabels gleichsinnig zum Empfänger fließen. In erdfrei betriebenen Stromkreisen, können sich mangels eines geschlossenen Strompfades zunächst gar keine Gleichtaktströme ausbilden, Bild 1.16. Somit entstehen auch keine Störspannungsabfälle an der Empfängerimpedanz. Es lässt sich zwar zwischen den Klemmen der Empfängerimpedanz und Erde jeweils eine unsymmetrische Störspannung messen, an der Empfängerimpedanz selbst liegt jedoch nur die Differenz der beiden unsymmetrischen Spannungen, mit anderen Worten, die Nutzsignalspannung. Hohe Gleichtaktspannungen stellen in erdfreien Stromkreisen dennoch ein Problem dar, da sie zu Überschlägen der Isolation zwischen den Signalleitungen und den geerdeten Gerätegehäusen oder der Schaltungsmasse führen können, was in der Regel irreversible zerstörende Wirkungen zur Folge hat (s. Rückwärtiger Überschlag im Abschn. 3.1. und 4). Die Stromkreise in Bild 1.16 sind Idealisierungen, die nur für Gleichstromkreise und Wechselstromkreise niedriger Frequenz in guter Näherung gelten. Mit zunehmender Frequenz machen sich Leitungsimpedanzen ZL und insbesondere Streukapazitäten CStr bemerkbar, Bild 1.17. (2)

ZL

2

I Gl = 0 2

U unsym

C Str

2

U Nutz

U Gg

C Str U Gl

0

ZL

1

I Gl = 0 1

1

(1)

U unsym

Bild 1.17: Ausbildung von Gleichtaktströmen bei hohen Frequenzen, Veranschaulichung der Gleichtakt/Gegentakt-Konversion.

Die Gleichtaktstörquelle kann jetzt durch die parallelen Hin- und Rückleiter gleichsinnige Ströme (Gleichtaktströme) treiben, die über die Streukapazitäten und Erde zur Gleichtaktstörquelle zurückfließen können. Bei gleicher Impedanz von Hin- und Rückleitung (einschließlich der Innenwiderstände von Sender und Empfänger) und gleichen Streukapazitäten CStr 1 und CStr 2

34

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

tritt jedoch noch immer keine Störspannung zwischen den Empfängerklemmen in Erscheinung, da die Gleichtaktströme nicht nur gleichsinnig, sondern auch gleich groß sind. Erst im Fall ungleicher Impedanzen treibt die Gleichtaktstörquelle durch Hin- und Rückleiter unterschiedlich große Ströme, die an den Impedanzen unterschiedliche Spannungsabfälle hervorrufen. Nehmen Hin- und Rückleiter Spannungen gegenüber Erde an, so kommt es zu einer so genannten Gleichtakt/Gegentakt-Konversion. Die ungleichen Impedanzen bewirken, dass die Gleichtaktspannung ganz oder teilweise in eine Gegentaktspannung umgewandelt wird, deren Höhe sich als Differenz der unsymmetrischen Störspannungen ergibt. Die Anwendung der Maschenregel auf die im Ersatzschaltbild eingezeichnete Schleife ergibt (2) UGg + U(1) unsym − Uunsym = 0

bzw.

(1) UGg = U(2) unsym − U unsym

.

(1-11)

Ein Maß für den Umfang der Gleichtakt/Gegentakt-Konversion einer Schaltung ist der Gleichtakt/Gegentakt-Konversionsfaktor GGKF, der sich aus dem Verhältnis der resultierenden Gegentaktstörspannung UGg zur Spannung der Gleichtaktstörquelle UGl0 ergibt

GGKF =

UGg (ω) UGl0 (ω)

.

(1-12)

Bei vollständiger Konversion nimmt er den Wert 1 an, in perfekt symmetrischen Systemen den Wert Null. Real ist weder das eine noch das andere vorhanden, so dass immer Gleichtakt- und Gegentaktströme gleichzeitig vorhanden sind. Der Gleichtakt/Gegentakt-Konversionsfaktor lässt sich leicht messtechnisch quantifizieren, indem man die Nutzsignalquelle entfernt und eine Gleichtaktspannung in das eingangsseitig kurzgeschlossene System einspeist (s. a. Abschn. 3.6), Bild 1.18.

1.4 Gegentakt- und Gleichtaktstörungen

35

ZL

+Vcc USt (ω)

UGl (ω)

USt (ω) -Vcc

ZL

UGl (ω)

0

0

b)

a)

Bild 1.18: Messung der Gleichtakt/Gegentakt-Konversion, a) einer symmetrischen Doppelleitung, b) eines Differenzverstärkers.

Der Gleichtakt/Gegentakt-Konversionsfaktor entspricht der Gleichtaktverstärkung A Gl bei Operationsverstärkern (s. Abschn. 3.1.2). Zweckmäßig erweist sich die Einführung einer Gleichtakt/GegentaktDämpfung, die als logarithmisches Verhältnis des Kehrwerts des Betrags des Konversionsfaktors definiert ist (vergl. Schirmfaktor und Schirmdämpfung in Kap. 5),

GGD = 20 lg

UGl0 (ω) UGg (ω)

.

(1-13)

Die Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung ist nicht zu verwechseln mit der Definition der Gleichtaktunterdrückung (engl.: CMR, Common Mode Rejection) von Differenzverstärkern (s. Abschn. 3.1.2). Erstere erlaubt eine Aussage über den Absolutwert einer Störspannung, letztere eine Aussage über das Stör-/ Nutzsignalverhältnis. Gleichtaktstörungen begegnet man häufig in Verbindung mit Erdschleifen in der allgemeinen Messtechnik oder der MSR-Technik (Mess-, Steuer- und Regelungstechnik von Prozessleitsystemen). Beispielsweise sei eine Signalquelle über ein Koaxialkabel mit einem Oszilloskop verbunden, Bild 1.19.

36

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

U St (ω)

U Gl (ω) 0

Bild 1.19: Gleichtakt/Gegentakt-Konversion bei Erdschleifen, (Impedanz des Messkabelmantels nicht eingezeichnet).

Beide Gerätegehäuse seien aus Berührungsschutzgründen über ihren Schutzkontakt geerdet. Eine durch Induktion in der Erdschleife oder durch unterschiedliche Erdpotentiale verursachte Gleichtaktspannung UGl0 (ω) treibt einen Strom sowohl durch den Innenleiter als auch durch den Mantel des Signalkabels, die beide aus Sicht der Gleichtakt-Spannungsquelle parallel geschaltet sind. Quell- und Empfängerimpedanz bilden für die Gleichtaktspannung UGl0 (ω) einen Spannungsteiler, so dass an der Empfängerimpedanz ZE die Gegentaktspannung USt (ω) abfällt. Der Gleichtakt/GegentaktKonversionsfaktor der Schaltung ergibt sich zu

GGKF =

USt (ω) UGl0 (ω)

=

ZE ZQ + ZE

.

(1-14)

Hierbei ist impliziert, dass die Gleichtaktspannung UGl0 (ω) eingeprägt ist und nicht durch die Impedanz des Kabelmantels kurzgeschlossen wird. Für den meist anzutreffenden Fall ZE ZQ tritt die Gleichtaktstörung in voller Höhe als Gegentaktstörung am Empfänger auf, im angepassten Fall z. B. ZQ = ZE = 50 Ω , zur Hälfte (Leitungsimpedanzen vernachlässigt). Bei hohen Frequenzen fließt auf Grund der Stromverdrängung nur noch im Kabelmantel ein Störstrom. Als Gegentaktstörung tritt dann der auf der Innenseite des Mantels abgreifbare Spannungsabfall auf, dessen Höhe sich aus der Kopplungsimpedanz (engl.: mutual transfer impedance) berechnet (s. 3.1.2).

1.4 Gegentakt- und Gleichtaktstörungen

37

Die Gleichtakt/Gegentakt-Konversion einer Erdschleife lässt sich verringern durch eine Erhöhung ihrer Impedanz bis hin zur Auftrennung, durch Symmetrierung der Impedanzen der Signalhin- und -rückleitung und durch Schutzschirmtechnik. Auf diese Maßnahmen wird später noch ausführlich eingegangen (s. Abschn. 3.1.2). Weitere Ausführungen über Gleichtaktstörungen finden sich in den Abschn. 4.1.1 und 7.1 sowie im Literaturverzeichnis [3.1– 3.6]. Abschließend seien nochmals einige häufig anzutreffende synonyme Bezeichnungen für Gegen- und Gleichtaktsignale genannt: Gegentaktsignale

Gleichtaktsignale

– – – – – –

– – – – – –

Querspannung Symmetrische Spannung Differential mode Serial mode Odd mode Normal mode

Längsspannung Unsymmetrische Spannung Common mode Parallel mode Even mode Gleichlaufende Spannung

Leider ist die Nomenklatur in der Literatur nicht immer einheitlich, beispielsweise findet man gelegentlich Gegentaktsignale als Längsspannungen bezeichnet usw.

1.5

Erde und Masse

Ein weiteres wichtiges Konzept der EMV ist das Begriffspaar Erde (engl.: earth, ground) und Masse (engl.: signal ground oder circuit common). Mit dem Begriff Erdung verbinden Starkstromingenieure in der Regel Sicherheitsund Blitzschutzfragen, beispielsweise die Vermeidung unzulässig hoher Berührungsspannungen, Elektronikingenieure eher die elektromagnetische Verträglichkeit ihrer Schaltungen, beispielsweise die Vermeidung von Erdschleifen, 50Hz-Brumm, Behandlung von Kabelschirmen etc. Die unterschiedlichen Zielsetzungen verlangen nicht selten unterschiedliche Erdungsstrategien, so dass Fragen "richtiger" Erdung gelegentlich kontrovers diskutiert werden. Grundsätzlich bedarf ein elektrischer Stromkreis zunächst überhaupt keiner Erdung, da der aus einer Spannungsquelle austretende Strom nach Durch-

38

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

fließen des Verbrauchers nur den einen Wunsch kennt, zur anderen Klemme der Quelle zurückzufließen, Bild 1.20. I

I Bild 1.20: Einfaches Beispiel zur Veranschaulichung dessen, was eine Erdverbindung nicht bewirkt.

In obigem Ersatzschaltbild besteht für den Strom I überhaupt keine Veranlassung, über eine etwa vorhandene Erdverbindung (strichliert) nach Erde abzufließen, da keine Quellenspannung ersichtlich ist, die diesen Strom nach Erde treiben sollte. In Nichtbeachtung dieser elementaren Einsicht werden beim Auftreten von Störspannungsproblemen häufig ohne Not zusätzliche Erdleitungen verlegt, vorhandene Querschnitte vergrößert etc., in der trügerischen Hoffnung, Störspannungen quasi nach Erde "absaugen" zu können [1.26] (s. a. Abschn. 10.6). Eine zusätzliche Erdung kann auch verheerende Auswirkungen haben: Erdet man ein System an der Quelle und dem Verbraucher, können beispielsweise blitzinduzierte Spannungen sehr hohe Ströme über die entstandene Masseschleife treiben und sowohl Quelle als auch Verbraucher erheblich belasten. Dies zeigt, wie durchdacht ein Massekonzept hinsichtlich verschiedener Ansprüche ausgelegt sein muss. Dass eine einwandfreie Erdung dennoch eine essentielle Komponente sicher und zuverlässig betriebener elektrischer Systeme ist, geht aus den nachstehenden Betrachtungen hervor. Es ist jedoch streng zwischen zwei Philosophien zu unterscheiden, der so genannten Schutzerdung (Schutzleiter) zum Schutz von Menschen, Tieren und Sachwerten und der sog. Masse, dem gemeinsamen Bezugsleiter elektrischer Stromkreise (dies gilt für Starkstromwie für Schwachstromkreise). Obwohl Erde und Masse in der Regel an einer Stelle miteinander galvanisch verbunden sind, gibt es doch einen großen Unterschied: Erdleiter führen nur im Fehlerfall Strom, Bezugsleiter führen betriebsmäßig Strom und stellen häufig den gemeinsamen Rückleiter mehrerer Signalkreise zur Quelle dar.

1.5 Erde und Masse

39

Dieser Unterschied ist essentiell und es fehlt nicht an synonym verwendeten Begriffen, ihn semantisch zum Ausdruck zu bringen: Erde

Masse

Schutzleiter Erdung Schutzerdung Erdungsbezugsleiter (!) Gehäuseerde Stationserde

Neutralleiter Schaltungsmasse Signalreferenz Signalmasse Messerde 0V

Earth, Ground

Signal Ground

Earth Ground Protective Earth Fault Protection Ground Earth Equipment Ground Safety Ground

Signal Ground Signal Reference Control Common Circuit Common Neutral 0V-Bus

Im Folgenden werden die unterschiedlichen Aspekte zwischen Erde (Schutzerde) und Masse (Bezugsleiter) herausgestellt. Die Überlegungen zielen ausschließlich auf das Verständnis der den beiden Philosophien zugrunde liegenden Motivationen und Zielsetzungen ab und sind nicht als Anleitung zur vorschriftengerechten Errichtung von Erdungsanlagen gedacht. Hierfür gilt VDE 0100 „Bestimmungen über die Errichtung von Starkstromanlagen bis 1000V“ [B23]. Detaillierte Hinweise über Bemessungsfragen etc. findet der Leser vorrangig in [1.21] sowie in den hierzu erhältlichen Kommentaren [1.22–1.25].

1.5.1

Erde

Die Erdung dient dem Schutz von Personen, Tieren und Sachwerten. Gemäß VDE 0100 müssen in den üblicherweise anzutreffenden TN-Niederspannungsnetzen die Körper elektrischer Betriebsmittel mit dem geerdeten Punkt des Netzes durch einen Schutzleiter (PE, engl.: Protective Earth) oder dem PEN-Leiter (als Schutzleiter mitbenutzter Neutralleiter) verbunden sein. Unter Körper versteht man hier berührbare, leitfähige Teile von Betriebsmitteln, die nicht Teile des Betriebsstromkreises sind, jedoch im Fehlerfall unter Spannung stehen können (z. B. Gerätegehäuse), Bild 1.21.

40

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

L1 L2 L3

N

PEN

Trafostation

Gebäudeanschluss L1 L2 L3 N PE

Zähler kWh PEN F3 RB

Potentialausgleichsschiene Rohrletiungssysteme etc.

RA

Fundament Erder

Betriebsmittel Körper

Steckdose

Bild 1.21: Erdung im TN-Niederspannungsnetz (TN-Netz: „T“ entspricht der Erdung der Quelle; „N“ entspricht der direkten Verbindung der Körper mit der geerdeten Klemme der Quelle).

Im Falle eines Isolationsfehlers, z. B. eines Körperschlusses des Außenleiters L3, fließt kurzzeitig ein hoher Kurzschlussstrom, der das vorgeschaltete Überstrom-Schutzorgan F3 (Sicherung, Leitungsschutzschalter) zum Ansprechen bringt. Bei vorschriftsmäßiger Auslegung der Erdungsanlage gemäß VDE 0100 wird so ein zuverlässiger Berührungsschutz erreicht. Im störungsfreien Betrieb führt der PE keinen Strom (vernachlässigt man die marginalen Ableitströme durch die gesunde Isolation sowie die in Abwesenheit von Netzfiltern geringen Wechselströme durch die parasitären Streukapazitäten). Dagegen dient der Neutralleiter N als Rückleitung für die Betriebsströme aller zwischen den Außenleitern L1, L2, L3 und N geschalteten einphasigen Verbraucher. Die an der Potentialausgleichsschiene ankommenden Ströme fließen unbeschadet des Vorhandenseins einer Verbindung mit dem Fundamenterder über den PEN zu der sie treibenden Spannungsquelle zurück (in der Transformatorwicklung induzierte Spannung).

1.5 Erde und Masse

41

Wenn dennoch ein Teil der einphasigen Betriebsströme über RA zum Fundamenterder fließt, dann allein deshalb, weil auch dies eine Möglichkeit ist, durch das Erdreich über RB wieder zum Transformator zurückzugelangen. Obwohl der Neutralleiter wie der Schutzleiter an der Potentialausgleichsschiene auf Erdpotential (Fundamenterde) liegt, weicht sein Potential auf Grund der Spannungsabfälle der Betriebsströme mit zunehmender Entfernung deutlich vom Erdpotential ab, während der Schutzleiter durch seine Stromfreiheit auf seiner ganzen Länge Erdpotential besitzen sollte. Letzteres ist jedoch nur Wunschdenken, da einerseits, insbesondere in großen Forschungslaboratorien und Instituten, wenigstens ein Experimentator an seiner Laborschalttafel N und PE verbunden hat (weil sich dies möglicherweise bei seinem Experiment gerade als störspannungsmindernd erwiesen hat) und andererseits mit zunehmendem EMV-Bewusstsein auch zunehmend Netzentstörfilter eingesetzt werden, die in ihrer Summe nicht unbeträchtliche Ströme über PE fließen lassen. Die von diesen Strömen hervorgerufenen Spannungsabfälle wirken häufig als Gleichtaktspannungen in Erdschleifen. Man spricht dann auch von "verseuchter Erde". Während eine verseuchte Erde in Messsystemen gewöhnlich nur Störspannungen hervorruft, können bei komplexen klinischen Untersuchungen, die mehrere aus Steckdosen betriebene Geräte mit Netzschutzfiltern involvieren, unter Umständen auch lebensbedrohliche Situationen für Patienten entstehen. Schließlich spielt die Erdung eine große Rolle im Rahmen des Blitzschutzes, nicht nur von Gebäuden, sondern auch von Antennenmasten, elektrischen Energieübertragungsleitungen, Hochspannungsfreiluftschaltanlagen etc. In all diesen Fällen gilt es, den Erdwiderstand so niederohmig wie möglich zu gestalten, um die vom Blitzstrom bewirkte Potentialanhebung zu begrenzen. Hierauf wird im Abschn. 3.1.4 noch ausführlich eingegangen.

1.5.2

Masse

Unter Masse versteht man in der elektronischen Schaltungstechnik die gemeinsame Referenz, gegen die die Knotenspannungen einer Schaltung gemessen werden (Masseleitung, Bezugsleiter, Signalreferenz; engl.: ground oder circuit common). In einem einfachen Signalkreis ist dies der Rückleiter schlechthin, in einer elektronischen Schaltung die gemeinsame Rückleitung für alle Stromkreise, Bild 1.22 a, b.

42

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

UB RC1

Ri U1

U2

Ra

U1

RE1

RC3 T3

T2

T1

Ri

U2 RE2

RE3

RV

Schaltungsmasse

Masseleitung a)

RC2

b) Bild 1.22: Zum Begriff Masse in der Elektronik.

Die Masse kann, muss aber nicht Erdpotential besitzen. In der Regel wird sie jedoch an einer Stelle definiert mit dem Schutzleiter verbunden und damit auf Erdpotential gebracht. Die Masse der elektronischen Schaltungstechnik hat die gleiche Funktion wie der Neutralleiter N der elektrischen Energietechnik. Man könnte ihn mit gutem Gewissen auch als Masse ansprechen. Er ist der Bezugsleiter für die Knotenspannungen, führt Betriebsströme und ist an einer Stelle geerdet. Ob der Masseanschluss in Bild 1.22 b auch noch geerdet wird oder nicht, hat auf die Funktion der Schaltung zunächst keinen Einfluss (s. a. Bild 1.20). Wird eine räumlich ausgedehnte Schaltungsmasse jedoch an mehreren Stellen geerdet, entsteht eine Erdschleife (s. Bild 1.19). Bei unterschiedlichen Erdpotentialen können dann Ausgleichsströme fließen und an den Impedanzen der Masseleitungen Spannungsabfälle entstehen, die sich den Umlaufspannungen der einzelnen Maschen einer Schaltung als Gegentaktstörspannung überlagern. Bei hohen Frequenzen bedarf es nicht einmal einer galvanischen Erdverbindung, da bei Flachbaugruppen mit flächenhafter Masseleitung Erdschleifen durch deren Erdstreukapazitäten gebildet werden. Unabhängig von der Komplexität einer Schaltung – einzelne Flachbaugruppe, mehrere Flachbaugruppen in einem Baugruppenträger, verteilte Elektronikschränke – gibt es zwei topologisch unterschiedliche Realisierungen einer Schaltungsmasse:

1.5 Erde und Masse

43

– Zentraler Massepunkt mit oder ohne sternförmige Zuführung (engl.: single point ground), – Verteilte Masse bzw. Flächenmasse (engl.: multi point ground). Bild 1.23 zeigt zwei unterschiedliche Ausführungsformen mit zentralem Massepunkt. Gelegentlich wird die Schutzerde ebenfalls sternförmig mitgeführt (strichliert), z. B. für die individuelle Schirmung von Funktionseinheiten, Bild 1.23 b.

0V

0V

b)

a)

Bild 1.23: Beispiel für zentralen Massepunkt, a) zweckmäßige Ausführung mit sternförmiger Zuführung, b) weniger zweckmäßige Masse-Sammelschiene.

Um nicht zu viele parallele Masseleitungen zum Sternpunkt führen zu müssen, fasst man häufig Verbraucher vergleichbaren Leistungsniveaus sowie analoge und digitale Funktionseinheiten in separaten Gruppen zusammen, Bild 1.24.

Signal Kreise

Leistungselektronik, Relais

Elektronikschränke, Gehäuse

Bild 1.24: Zusammenfassung gleichartiger Funktionseinheiten in Gruppen.

λ 4. Der zentrale Massepunkt empfiehlt sich für Masseleitungen mit l Masse Kommt die Länge einer Masseleitung in die Größenordnung der Wellenlän-

44

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

ge, strebt ihre Impedanz gegen unendlich. Das Massepotential einer Flachbaugruppe wird dann nicht mehr vom zentralen Erdpunkt, sondern durch Streukapazitäten und Gegeninduktivitäten zu benachbarten Leitern bestimmt. Man geht dann zur verteilten Masse über, Bild 1.25.

Sub System I

Sub System II

Sub System III

Bild 1.25: Verteilte Masse.

Auf diese Weise erhält man sehr kurze und damit niederinduktive Massezuleitungen zur verteilten Masse, die selbst so induktionsarm wie möglich auszuführen ist. Etwaige Spannungsabfälle längs der verteilten Masse hält man klein durch eine niederinduktive flächenhafte Realisierung, z. B. bei Leiterplatten durch Masseflächen bzw. bei Multilayer-Platten durch einen eigenen Massebelag (0V). Verbleibende Spannungsabfälle längs der verteilten Masse können Ströme durch kapazitiv geschlossene Erdschleifen (Streukapazität zwischen Flachbaugruppe und Gehäuse) treiben. Hiergegen kann man einerseits einen Bypass-Kondensator zwischen die Masse- und die mitgeführte Erdleitung schalten (s. Bild 1.23) oder die Erdschleifen durch Ferritperlen hochohmig machen. Bezüglich der Problematik "Erdschleifen" wird auf Kapitel 3.1.3 verwiesen.

1.6

Beschreibung elektromagnetischer Beeinflussungen im Zeitund Frequenzbereich

Je nachdem, ob sich elektromagnetische Beeinflussungen vorzugsweise in Form diskreter Frequenzen, als Rauschen oder als Impulse bzw. transiente Schaltvorgänge manifestieren, erscheint es zunächst selbstverständlich, sich mit ersteren im Frequenzbereich, mit letzteren im Zeitbereich auseinanderzusetzen [1.7 - 1.12]. Da sich jedoch die Übertragungseigenschaften von Kopplungspfaden und Entstörmitteln bequemer im Frequenzbereich darstel-

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

45

len lassen, zieht man auch bei Zeitbereich-Störgrößen meist die Darstellung im Frequenzbereich vor. Den Übergang vom Zeitbereich in den Frequenzbereich leistet für periodische Vorgänge die Fourier-Reihe, für einmalige, transiente Vorgänge das Fourier-Integral.

1.6.1

Darstellung periodischer Zeitbereichsfunktionen im Frequenzbereich durch eine Fourier-Reihe

Sinus- bzw. cosinusförmige Störgrößen (harmonische Vorgänge) lassen sich sowohl im Zeitbereich als auch im Frequenzbereich unmittelbar darstellen, Bild 1.26.

u(ω)

u(t) u(t) = u sinωt

u

u t

ω

ω = 2πf

T Bild 1.26: Darstellung einer sinusförmigen Störgröße im Zeit- und Frequenzbereich.

Im Frequenzbereich kann man die Störgröße sowohl über der Kreisfrequenz ω als auch über der technischen Frequenz f = ω / 2π auftragen. Nichtsinusförmige periodische Funktionen – z. B. eine Sägezahnschwingung, eine Rechteckspannung oder Ströme von Stromrichtern, die sich bereichsweise analytisch beschreiben lassen – können mittelbar im Frequenzbereich dargestellt werden, und zwar als unendliche Summe von Sinus- und Cosinusschwingungen (Fourier-Reihe). Beispielsweise kann man sich eine unsymmetrische Rechteckspannung als Überlagerung einer Grundschwingung u1 der Grundfrequenz f1 = 1 T sowie unendlich vieler Oberschwingungen un mit Frequenzen nf1 (n = 3,5,7,..) entstanden denken.

Trägt man die Amplituden der Teilschwingungen über der Frequenz auf, erhält man ein diskretes Linienspektrum, Bild 1.27.

46

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

u(t)

u(fn)

u1

u1

u3

u3 t f1 =

T

ω1 2π

f3 =

ω3 2π

fn = nf1

Bild 1.27: Darstellung einer periodischen, nichtsinusförmigen Funktion (z. B. Rechteckspannung) als Summe sinusförmiger Spannungen. Zugehöriges Linienspektrum der Amplituden der Teilschwingungen, aufgetragen über der diskreten Variablen fn.

Die kleinste im Linienspektrum auftretende Frequenz ist die Grundfrequenz f1 = ω1 / 2π = 1/ T . Die Frequenzen der Oberschwingungen sind ganzzahlige Vielfache dieser Grundfrequenz, z. B. f3 = 3f1 . Ob jeweils nur Sinusfunktionen, Cosinusfunktionen oder beide (bzw. ungeradzahlige und geradzahlige Oberschwingungen) auftreten, hängt davon ab, ob es sich bei der Zeitbereichsfunktion um eine ungerade, gerade oder beliebige Funktion handelt. Analytisch lässt sich die Fourier-Reihe einer beliebigen Zeitfunktion u(t) auf verschiedene Arten darstellen.

Normal-Form: ∞

u(t) = U0 +

∑(A

n

cos(nω1 t) + Bn sin(nω1 t))

n =1

.

(1-15)

T

mit



,

(1-16)



,

(1-17)

2 An = u(t)cos(nω1 t)dt T 0 T

Bn =

2 u(t)sin(nω1t)dt T 0

T



1 U0 = u(t)dt T 0

.

(1-18)

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

47

Die Koeffizienten An und Bn sind die Amplituden der Teilschwingungen. Die Komponente U0 entspricht dem arithmetischen Mittelwert der Zeitfunktion (Gleichstromglied). Da sich Sinusschwingungen durch eine entsprechende Phasenverschiebung auch als Cosinusschwingungen darstellen lassen – z. B. sin(90° ± ϕ) = cos ϕ – verwendet man an Stelle der Normalform häufig die Betrags/Phasen-Form.

Betrags/Phasen-Form: ∞

u(t) = U0 +

∑U

n

cos(nω1t + ϕn )

n =1

mit

Un = A 2n + B2n

(1-19) ϕn = − arctan

und

Bn An

(1-20)

Un = g n (nω1 ) bezeichnet man als Amplituden-Linienspektrum. Un = nω1 ist die Größe, die gewöhnlich mit einem Spektrum-Analysator gemessen wird (s.7.4). Die Funktion ϕn = g ϕ (nω1 ) bezeichnet man als Phasen-Linienspektrum. Letzteres besitzt für die EMV-Technik nur in Ausnahmefällen Bedeutung (im Gegensatz zur Regelungstechnik, z. B. bei Stabilitätsbetrachtungen). Die Spektralamplituden Un besitzen die Dimension Volt, bei Strömen In die Dimension Ampere, etc.

Komplexe Form: Ergänzt man die obigen Gleichungen um einen Imaginärteil und ersetzt die trigonometrischen Funktionen mit Hilfe der Eulerschen Formel cos x + jsin x = e jx durch Exponentialfunktionen, erhält man die komplexe Darstellung, +∞

u(t) = U0 +



Cn e jnω1t = C0 +

−∞



∑ (C

+ne

jnω1t

+ C −n e− jnω1t

n =1

)

(1-21)

T

mit

Cn (nω1 ) =



1 u(t)e− jnω1t dt = Cn e jϕn = Cn e jϕn T 0

n = 0, ± 1, ± 2, ± ...

(1-22)

48

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Da auf der linken Seite der Gleichung (1-21) eine reelle Funktion steht, müssen auf der rechten Seite negative Frequenzen berücksichtigt werden (damit sich die Imaginärteile aufheben). Die Berücksichtigung negativer Frequenzen führt zu einem zweiseitigen Spektrum, Bild 1.28.

ϕn

|Cn|

-nω1 -2ω1 -ω1

-nω1

+ω1 +2ω1 +nω1

+nω1

Bild 1.28: Amplituden- und Phasenspektrum der komplexen Fourier-Reihe.

Die identischen Realteile der beiden Terme hinter dem Summenzeichen (für positive und negative Frequenzen ±nω1 ) addieren sich zur physikalisch messbaren Amplitude Un. Ein Koeffizientenvergleich mit der Cosinus-Form ergibt C + n + C − n = Un

und

C0 = U 0

.

Cn ist nicht identisch mit der komplexen Amplitude einer Wechselspannung der jeweiligen Frequenz nω1 . Während bei letzterer eine reelle Spannung u(t) als Realteil eines komplexen Zeigers erhalten wird,

{

u(t) = Re Ue jωt

}

,

ergibt sich bei der komplexen Fourier-Reihe eine reelle Spannung u(t) jeweils als Überlagerung zweier gegensinnig umlaufender komplexer Zeiger, deren Realteile sich zur physikalischen Amplitude addieren und deren Imaginärteile sich laufend gegenseitig aufheben. In der EMV-Technik verwendet man statt des zweiseitigen mathematischen Spektrums, ausgedrückt durch Cn = g( ±nω) , meist das einseitige physikalische Spektrum 2 C + n = g( +nω) für ausschließlich positive n, dessen Amplituden sich um den Faktor 2 von den Amplituden des zweiseitigen Spektrums unterscheiden. Die Amplituden des einseitigen Spektrums sind messbar, sie stimmen mit den Koeffizienten der reellen Cosinus-Form über-

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

49

ein bzw. entsprechen den Realteilen komplexer Wechselstromzeiger gleicher Frequenz. Unter Berücksichtigung obiger Überlegungen ist die Fourier-Reihe mit der komplexen Wechselstromrechnung sowie mit physikalischen Messungen kompatibel. Abschließend zeigt Bild 1.29 zwei periodische Rechteckspannungen gleicher Grundfrequenz, jedoch unterschiedlichen Tastverhältnisses, sowie die zugehörigen Linienspektren (ohne Gleichstromglied).

u(t)

u(t)

τ

τ u

u

|U(nf1)|

1 f

t

f1= 1T fn=nf1

f

|U(nf1)|

Δf = f1

f1=1T

fn=nf1

1

τ

T

t

T

f

1

si

f1

τ

si f2

Bild 1.29: Linienspektren zweier periodischer Rechteckspannungen mit unterschiedlichem Tastverhältnis (1:2). Einhüllende der Spektralamplituden: si-Funktion, Einhüllende der si-Funktion: Funktion 1/f.

Man stellt folgendes fest: – Die kleinste auftretende Frequenz f1 ist jeweils die Grundfrequenz. Sie entspricht dem Kehrwert der Periodendauer,

f1 =

1 T

.

(1-23)

50

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

– Die Amplituden der Oberschwingungen treten in konstantem Abstand Δf = f1 = 1/ T auf, das heißt bei ganzzahligen Vielfachen der Grundfrequenz, fn = nf1

.

(1-24)

– Aus der reellen Fourierdarstellung einer Rechteckimpulsfolge gemäß Bild 1.29, 1 ⎡ ⎤ ∞ τ⎢ 2nπτ 2nπτ ⎞ ⎛ ⎞⎥ ⎛ πτ 2n u(t) = uˆ ⎢1 + 2 cos(nω1t) + ⎜1 − cos ⎟ sin(nω1t) ⎟ ⎥ (1-25) ⎜ sin T⎢ T ⎝ T T ⎠ ⎝ ⎠⎥ n =1 ⎣ ⎦,



erhält man die Koeffizienten (Spektralamplituden) der Fourierreihe (ohne Gleichstromglied) zu τ Un = 2uˆ T

nπt T nπt T

sin

.

(1-26)

Die Einhüllende der Spektralamplituden folgt demnach einer si-Funktion (sinx/x), wobei bei der grafischen Darstellung meist der Betrag der si-Funktion bzw. der Koeffizienten gezeichnet wird. Die erste Nullstelle der si-Funktion liegt beim Kehrwert der Impulsdauer τ

f1si =

1 τ

.

(1-27)

Die weiteren Nullstellen folgen im Abstand nf1si . In praxi erscheinen die Nullstellen nicht so ausgeprägt wie in Bild 1.29, da durch unvermeidliche Unsymmetrien (z. B. exponentieller Anstieg und Abfall von Rechteckimpulsen) die Nullstellen verschliffen werden.

– Der konstante Faktor der si-Funktion

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

2uˆ

τ T

51

,

ist bei gleicher Periode nicht der Impulsamplitude uˆ , sondern der Imˆ , proportional. So kann ein hoher schmaler Impuls bei pulsfläche uτ niedrigen Frequenzen das gleiche Spektrum aufweisen wie ein niedriger breiter Impuls. Im obigen Beispiel besitzen daher die Spektralamplituden wegen der um 50% kleineren Impulsfläche nur den halben Wert. – Die Einhüllende der Amplituden der si-Funktion ist die Funktion 1/x. Für einen Rechteckimpuls mit unendlich großer Periodendauer T rücken die Spektrallinien und die Maxima der si-Funktion unendlich dicht zusammen. Man erhält das bekannte Spektrum 1/f der Sprungfunktion. Ähnliche Betrachtungen lassen sich auch für weitere Impulsformen mit anderen Einhüllenden anstellen, beispielsweise für Dreiecksimpulse, deren Einhüllende der si2-Funktion folgt (s. a. Abschn. 1.6.3).

1.6.2

Darstellung nicht periodischer Zeitbereichsfunktionen im Frequenzbereich – Fourier-Integral

Die Fourier-Reihe erlaubt nur die Darstellung periodischer Zeitbereichsfunktionen im Frequenzbereich. Vielfach hat man es jedoch mit nichtperiodischen Funktionen zu tun, z. B. Schaltvorgängen, Blitzen oder elektrostatischen Entladungen (ESD, engl.: Electro-Static Discharge) etc. In diesen Fällen lässt man die Periode T gegen unendlich streben und betrachtet den Grenzwert der Fourier-Reihe. Wir gehen aus von der komplexen Fourier-Reihe für periodische nichtkausale Funktionen (Integrationsgrenzen –T/2 und +T/2), +∞

u(t)per. =

∑C e n

−∞

jnω1t

+∞

=

∑ −∞

⎡ 1 +T / 2 ⎤ ⎢ u(t)e jnω1t dt ⎥ e jnω1t ⎢T ⎥ ⎣ −T / 2 ⎦



.

(1-28)

Da im Linienspektrum der Fourierreihe der Abstand der Spektrallinien Δf = Δω / 2π = f1 =

entspricht, kann man auch schreiben

1 T

52

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

u(t)per. =

1 2π

+∞

∑ −∞

⎡ +T / 2 ⎤ ⎢ Δω u(t)e− jnω1t dt ⎥ e jnω1t ⎢ ⎥ ⎣ −T / 2 ⎦



.

(1-29)

Gemäß der Riemannschen Integraldefinition, b



f(ω)dω = lim

nk

Δω→0

a

∑ f(nΔω)Δω

,

(1-30)

ni

gehen für T → ∞ , das heißt Δf → 0 – der inkrementale Spektrallinienabstand Δω hinter dem Summenzeichen in den infinitesimalen Abstand dω , – die diskrete Variable nΔω in die stetige Variable ω und – die Summe in ein Integral über.

Damit erhält man die Fourierdarstellung einer nichtperiodischen Funktion u(t)nichtper. .

1 2π

u(t)nichtper. = lim u(t)per. = T →∞ Δω→0

+∞ ⎛ +∞

⎞ ⎜ u(t)e− jωt dt ⎟ e jωt dω ⎜ ⎟ −∞ ⎝ −∞ ⎠ X(ω)

∫ ∫

.

(1-31)

Den Term +∞

X(ω) =

∫ u(t)e

− jωt

dt

(1-32)

−∞

nennt man Fourier-Transformierte, Spektralfunktion oder auch Spektraldichte von u(t), und X(ω) die Amplitudendichte. Mit der Abkürzung X(ω) ergibt sich die Fourierdarstellung einer nichtperiodischen Funktion u(t) zu 1 u(t) = 2π

+∞

∫ X(ω)e

−∞

jωt



.

(1-33)

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

53

Die Fourier-Transformierte und ihre Umkehrung sind also bis auf den Faktor 1/ 2π invers. Der Name Spektraldichte rührt daher, dass die Spektralfunktion X(ω) mit dem auf den Frequenzabstand bezogenen Linienspektrum Cn identisch ist. Mit T = 1/ Δf = 2π / Δω erhält man zunächst +T / 2

C n = Δf



u(t)e− jnω1t dt

.

(1-34)

−T / 2

Bezieht man die Amplituden Cn auf Δf und bildet den Grenzwert für T → ∞ (bzw. Δf → 0 ) erhält man C lim n = T →∞ Δf

Δf →0

+∞

∫ u(t)e

− jωt

dt = X(ω) ,

(1-35)

−∞

mit anderen Worten die Spektraldichte. Besitzt Cn beispielsweise die Dimension Volt, so besitzt die Spektraldichte X(ω) des vergleichbaren einmaligen Vorgangs die Dimension Volt/Hertz bzw. Voltsekunde. Offensichtlich lassen sich nichtperiodische Vorgänge ebenfalls als Überlagerung von Sinus- bzw. Cosinusschwingungen darstellen. Im Unterschied zu periodischen Vorgängen sind hier jedoch alle Frequenzen von −∞ bis +∞ mit den infinitesimalen Amplituden X(ω) df beteiligt. Da sich bei einmaligen Vorgängen die in einem Impuls enthaltene endliche Energie auf unendlich viele Frequenzen verteilt, stößt man bei der Frage nach der Amplitude einer einzelnen Frequenzlinie sofort auf das Problem, dass diese wohl unendlich klein sein muss. Um dieser Schwierigkeit aus dem Weg zu gehen, bezieht man die Impulsenergie auf die Frequenz und gelangt so zur Spektraldichte, deren Grenzwert für Δf → 0 endlich bleibt und gerade der Fourier-Transformierten entspricht. Umgekehrt besitzt dann die Fourier-Transformierte einer echt monochromatischen Sinusschwingung eine unendlich hohe Amplitudendichte, weil sich dann die Signalenergie auf eine einzige Frequenz mit der Linienbreite Δf = 0 verteilt (Dirac-Impuls). Analytisch drückt sich dies dadurch aus, dass das Fourierintegral einer Sinusfunktion nicht konvergiert. Physik und Mathematik verlaufen hier, wie auch sonst, in einträchtiger Harmonie. Die obigen Zusammenhänge erhellen die Tatsache, dass die Anzeige eines Störspannungs- oder Teilentladungsmessgeräts von seiner ZF-

54

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Bandbreite Δf abhängt. Je größer die Bandbreite, desto größer der angezeigte Wert (s. a. Abschn. 7.4). Trägt man in Anlehnung an das Linienspektrum periodischer Funktionen den Betrag der Spektraldichte über der Frequenz auf, erhält man das kontinuierliche Amplitudendichtespektrum eines nichtperiodischen Vorgangs. Aus der Fourierdarstellung eines Rechteckimpulses der Dauer τ und Amplitude uˆ u(t) =

1 2π

+∞

∫ uˆτ

−∞

sin(ωt / 2) jωt e dω ωt / 2

,

(1-36)

erhält man beispielsweise die „physikalische“ Amplitudendichte ( 2 X = Messwert, s. Abschn. 1.6.1) zu U(f) = 2uˆ τ

sin πfτ πfτ

.

(1-37)

Rechteckimpuls und zugehörige Amplitudendichte zeigt Bild 1.30

100 u(t)

80 60

u

40

τ t

a)

20

0.01

0.1

1 Frequenz in MHz

b)

Bild 1.30: a) Einmaliger Rechteckimpuls, b) physikalische Amplitudendichte.

Offensichtlich ist auch das kontinuierliche Spektrum eines einzelnen Rechteckimpulses eine si-Funktion (sinx/x). Die Nullstellen dieser Funktion sind wiederum identisch mit dem Kehrwert der Impulsdauer. Bei niedrigen Frequenzen stimmt die Sinusfunktion mit ihrem Argument überein, so dass der ˆ proportional ist. Anfangswert des Spektrums der doppelten Impulsfläche 2ut Für die Frequenzachse wählt man häufig einen logarithmischen Maßstab,

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

55

wodurch die Nullstellen der si-Funktion nicht mehr äquidistant verteilt sind, sondern mit wachsender Frequenz dichter zusammenrücken. 1.6.3

EMV-Tafel

Die Ausbreitung transienter Störungen, ihre Dämpfung längs des Ausbreitungswegs sowie ihre beeinflussende Wirkung an verschiedenen Stellen eines gestörten Systems lassen sich unmittelbar im Zeitbereich durch Differentialgleichungen beschreiben. In der Regel gestaltet sich jedoch die Behandlung im Frequenzbereich einfacher. Weil selbst im Frequenzbereich eine analytische Lösung noch vergleichsweise aufwendig ist, bedient man sich in der Praxis häufig der so genannten EMV-Tafel, die als graphische Realisierung einer Fourier-Transformation gesehen werden kann[1.13 - 1.16]. Die EMV-Tafel leistet – die graphische Bestimmung der Einhüllenden (worst-case) der Amplitudendichte eines gegebenen Standardstörimpulses (Graphische Transformation „Zeitbereich → Frequenzbereich“), – die Synthese einer störäquivalenten Impulsform aus einem gegebenen Störspektrum (Graphische Rücktransformation „Frequenzbereich → Zeitbereich“), – die Berücksichtigung der frequenzabhängigen Übertragungseigenschaften von Kopplungspfaden, Entstörmitteln etc. Im Folgenden werden diese Aspekte näher betrachtet.

1.6.3.1

Übergang vom Zeitbereich in den Frequenzbereich

Mit Hilfe der Fourier-Transformation ergibt sich für einen einzelnen Trapezimpuls gemäß Bild 1.31

τr τ Bild 1.31: Trapezimpuls.

u

56

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

die physikalische Amplitudendichte zu U(f) = 2uˆ τ

sin( πfτ) sin( πfτr ) πfτ πfτr

.

(1-38)

Für τr = 0 repräsentiert der Trapezimpuls einen Rechteckimpuls, für τ = τr einen Dreieckimpuls. Der Trapezimpuls deckt somit generisch einen Großteil in der Praxis auftretender Störimpulse ab.

Unsere worst-case Betrachtung beruht auf einer Approximation der Einhüllenden der Amplitudendichte eines Trapezimpulses durch drei Geradenstücke, Bild 1.32. u(f)dB

(2 uτ)dB

1 fu =πτ

1 f0 = πτ

log f

r

Bild 1.32: Einhüllende der physikalischen Amplitudendichte eines Trapezimpulses (Geradenapproximation), fu untere, f0 obere Eckfrequenz.

a) Niedrige Frequenzen, f < fu

Bei niedrigen Frequenzen ist die Sinusfunktion näherungsweise gleich ihrem Argument, so dass sich die Einhüllende als Parallele zur Abszisse erweist. U(f) = 2uˆ τ = const f

.

(1-39)

Die Amplitudendichte hängt ausschließlich von der Impulsfläche, nicht von der Impulsform, Amplitude oder der jeweils betrachteten Frequenz ab.

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

57

In Pegelmaßen erhalten wir u(f)dB ≈ 20 lg

2uˆ τ dB 1 μVs

.

(1-40)

1 1 ≤f≤ πτ πτr

b) Mittelfrequenzbereich,

Wir setzen den Zähler sin( πfτ) = 1 (worst-case) sowie den Quotienten sin(πfτr )/ πfτr wegen sin x ≈ x ebenfalls gleich 1 und erhalten: U(f) ≈ 2uˆ τ

1 = 2uˆ / πf πfτ

.

(1-41)

Die Amplitudendichte ist proportional 1/f und fällt daher geradlinig mit 20dB/Dekade ab. In Pegelmaßen erhalten wir u(f)dB ≈ 20 lg

2uˆ / πf dB 1 μVs

.

(1-42)

c) Hohe Frequenzen, f ≥ f0

Wir setzen sowohl sin( πfτ) = 1 als auch sin(πfτr ) = 1 (worst-case) und erhalten 1 1 , (1-43) U(f) ≈ 2uˆ τ πfτ πfτr bzw. U(f) ≈

2uˆ

π f τr 2 2

.

(1-44)

Die Amplitudendichte ist proportional 1/ f 2 und fällt daher geradlinig mit 40dB/Dekade ab. In Pegelmaßen erhalten wir u(f)dB ≈ 20 lg

2uˆ π f τr μVs 2 2

dB

.

(1-45)

58

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

Für beliebige Trapez-, Rechteck- und Dreieckimpulse, gekennzeichnet durch uˆ , τ und τr , lässt sich mit obigen Gleichungen die Einhüllende ihrer Amplitudendichte in doppelt logarithmischem Maßstab darstellen, Bild 1.33. u(f)dB

(2 uτ)dB

1 fu =πτ

1 f0 = πτ

log f

r

Bild 1.33: Amplitudendichten für Trapez-, Rechteck und Dreieckimpulse (schematisch). Für letztere gilt fu = f0 .

Die Eckfrequenzen ergeben sich durch Gleichsetzen der Funktionswerte in den Schnittpunkten der Geradenstücke. Die erste Eckfrequenz folgt aus !

2uˆ τ =

2uˆ πfu

zu

fu =

1 πτ

.

(1-46)

Die zweite Eckfrequenz folgt aus 2uˆ ! 2uˆ = πf0 π2 f02 τr

1.6.3.2

zu

f0 =

1 πτr

.

(1-47)

Rückkehr vom Frequenzbereich in den Zeitbereich

Ein gegebenes Spektrum wird durch drei geeignete Geradenstücke approximiert, wobei sich die Verwendung doppelt logarithmischen Papiers mit vorgezeichneten 20dB und 40dB Parallelenscharen als sehr zweckmäßig erweist, Bild 1.34.

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich

59

Bild 1.34: EMV-Tafel Die eingezeichnete Amplitudendichte entspricht gemessenen Werten im angepassten Betrieb, das heißt es handelt sich um das physikalische Spektrum geteilt durch 2, was dem rechnerischen Spektrum entspricht.

60

1 Einführung in die Elektromagnetische Verträglichkeit

ˆ uˆ / τr , τ, τr erhält man durch Bildung der Die gesuchten Kenngrößen uˆ τ, u, Umkehrfunktion der in Abschn. 1.6.3.1 ermittelten Geradengleichungen in Pegelmaßen.

Impulsfläche uˆ τ : uˆ τ = 10

Aus (1-40) folgt

u(f )dB 20

μVs 2

.

(1-48)

Für u(f)dB ist der Abstand der parallelen Geraden zur Abszisse einzusetzen.

Impulsamplitude uˆ : uˆ = 10

Aus (1-42) folgt

u(fu )dB 20

π fu ⋅ 10−6 V 2

.

(1-49)

Für u(fu )dB ist der Pegel bei der unteren Eckfrequenz zu nehmen. Flankensteilheit uˆ / τr :

Aus (1-45) folgt

uˆ = 10 τr

u(f0 )dB 20

π2 f02 ⋅ 10−6 V s 2

.

(1-50)

Für u(f0 )dB ist der Pegel der oberen Eckfrequenz zu nehmen. Für Rechteckund Dreieckimpulse gilt fu = f0 . Impulsdauer τ und Anstiegszeit τr (0 % auf 100 %) :

Beide Größen berechnet man aus den Eckfrequenzen, τ=

1 πfu

τr =

1 πf0

.

(1-51)

Für das in Bild 1.34 angenommene Spektrum eines Dreieckimpulses erhält man mit einem Taschenrechner folgende Kenngrößen:

1.6 Beschreibung der EMB im Zeit- u. Frequenzbereich 60

61

μVs 2

Impulsfläche

uˆ τ = 10 20

Impulsamplitude

uˆ = 10 20

Flankensteilheit

uˆ / τr = 10 20

Impulsdauer

τ = 1/ πfu

= 0, 318μs

Anstiegszeit (0 auf 100 %)

τr = 1/ πf0

= 0, 31 μs

60

π fu 10−6 V 2 60

1.6.3.3

= 500 μVs = 1570 V

π2 2 −6 f0 10 V / s 2

= 4,9 V / ns

Berücksichtigung des Übertragungswegs

Die Systemtheorie lehrt, dass sich die Fourier-Transformierte der Ausgangsgröße eines Systems durch Multiplikation der Fourier-Transformierten der Eingangsgröße mit der Systemfunktion A(jω) erhalten lässt, F2 (jω) = F1 (jω)A(jω)

.

(1-52)

Multipliziert man daher die Amplitudendichte FQ (jω) einer Störquelle mit dem Frequenzgang A K (jω) des Kopplungspfads und weiter mit dem Frequenzgang A E (jω) des gestörten Empfängers, so erhält man die störende Amplitudendichte am Empfängerausgang zu FE (jω) = FQ (jω)A K (jω)A E (jω)

.

(1-53)

Im logarithmischen Maßstab entspricht die Multiplikation einer Addition. Addiert man daher zur Amplitudendichte einer Eingangsstörgröße den Amplitudenfrequenzgang des Übertragungswegs, z. B. die Dämpfungskurve eines Entstörfilters, so erhält man die Amplitudendichte der Störgröße nach dem Filter, gegebenenfalls nach graphischer Rücktransformation gemäß 1.6.3.2 auch deren näherungsweisen, zeitlichen Verlauf. Auf diese Weise lassen sich anhand gemessener Störspektren die erforderlichen Entstörfilter, Schirme, Prüfimpulse zur Simulation etc. festlegen.

2

Störquellen

Quellen elektromagnetischer Beeinflussungen können natürlichen Ursprungs (Atmosphäre, Kosmos, Wärmerauschen etc.) oder „man made“ sein. Erstere müssen wir als naturgegeben hinnehmen, letztere lassen sich durch disziplinierte Nutzung des elektromagnetischen Spektrums und lokale Eingrenzung unbeabsichtigt erzeugter elektromagnetischer Energie erträglich (verträglich) machen. Die Quellen elektromagnetischer Beeinflussungen sind im gesamten Spektrum der elektromagnetischen Schwingungen anzutreffen. Beginnend mit der Frequenz 0 Hz, z. B. elektrostatische und magnetostatische Fremdfeldeinflüsse auf Zeigerinstrumente, Oszilloskopröhren und Messbrücken, über 50 Hz-Brumm und die Beeinflussung durch Energieübertragungsnetze, ELFKommunikationssysteme (engl.: Extra Low Frequency), Rundfunk- und Fernsehsender, Elektromedizin und Funknavigation erstrecken sich die Störquellen bis hin zur Radartechnik, zu Mikrowellenherden und Kosmischen Quellen. Hinzu kommen die zahllosen Schaltvorgänge in elektrischen Stromkreisen aller Art, deren breitbandige HF-Emissionen weite Bereiche des Spektrums überstreichen. Abhängig davon, ob elektromagnetische Beeinflussungen inhärent im Rahmen der gezielten Erzeugung und Anwendung elektromagnetischer Wellen entstehen oder ob sie parasitärer Natur sind und mit der primären Funktion der Quelle wenig gemein haben, unterscheidet man zwischen funktionalen Quellen (engl.: intentional sources) und nicht funktionalen Quellen (engl.: unintentional, incidental sources). – Funktionale Quellen: Zu dieser Gruppe zählen vorrangig Kommunikationssender, die bewusst elektromagnetische Wellen mit dem Ziel der Informationsverbreitung über Sendeantennen in die Umwelt abstrahlen. Weiter gehören hierher auch alle Sender, die elektromagnetische Wellen

64

2 Störquellen

für nichtkommunikative Zwecke erzeugen, z. B. HF-Generatoren für industrielle oder medizinische Anwendungen, Mikrowellenherde, Garagentoröffner etc. – Nichtfunktionale Quellen: Hierzu zählen alle Quellen, bei denen das Aussenden von Feldern und/oder Wellen ein unbeabsichtgter, parasitärer Begleiteffekt ist, beispielsweise KFZ-Zündanlagen, Leuchtstofflampen, Schweißeinrichtungen, Relais- und Schützspulen, Elektrische Bahnen, Stromrichter, Koronaentladungen und Schalthandlungen in Hochspannungsnetzen, Schaltkontakte (auch kontaktlose Halbleiterschalter), stromführende Leiterbahnen und Komponenten elektronischer Baugruppen, Nebensprechen, atmosphärische Entladungen, elektrostatische Entladungen, schnellveränderliche Spannungen und Ströme in Laboratorien der Hochspannungstechnik, Plasmaphysik und Pulse Power Technologie, usw. Während sich die Wahrung der elektromagnetischen Verträglichkeit funktionaler Quellen vergleichsweise einfach gestaltet – weil ihre Natur als Sender meist offenkundig ist und ihr von Anfang an Rechnung getragen werden kann – erweisen sich in der EMV-Praxis vorrangig die nichtfunktionalen Störer als problematisch. Ihre Existenz offenbart sich meist erst als letzte Erklärung für das unerwartete Fehlverhalten eines Empfangssystems. Die Identifikation nichtfunktionaler Störquellen stellt daher einen Schwerpunkt bei der Lösung von EMV-Problemen dar. Sind die Störquellen und ihr Koppelmechanismus erst erkannt, erweist sich die Wahrung elektromagnetischer Verträglichkeit meist vergleichsweise einfach. Die nachstehenden Unterkapitel verfolgen das Ziel, beispielhaft die Vielfalt an Störquellen aufzuzeigen und die Sinne für die Identifikation potentieller Störer zu schärfen. Dass die nachstehende Aufzählung nicht vollständig sein kann, versteht sich von selbst. Bei funktionalen Quellen wird auf die Angabe von Störintensitäten verzichtet, da diese in der Betriebserlaubnis über die Sendeleistung genau festgelegt sind. Bei nicht Übertragungszwecken dienenden Sendern müssen die Emissionen unterhalb bekannter Grenzwerte liegen, die durch einschlägige Vorschriften festgelegt sind (s. Abschn. 1.2.4). Zur vereinfachten standardisierten Beschreibung von Störumgebungen hat man für bestimmte Geräte und deren Einsatzort Störumgebungsklassen im Industriebereich und Haushalt definiert, die den typischen Emissionspegeln der im Folgenden behandelten Störquellen entsprechen (s. Abschn. 2.5). In anderen Industriebereichen, wie beispielsweise der Luftfahrtindustrie bilden der Einbauort im Flugzeug und die Installation den Rahmen der Umge-

65

2 Störquellen

bungsklasse und geben damit die zugehörigen Emissionsgrenzwerte und Störfestigkeitsanforderungen vor. Darüber hinaus wird auf weiterführende Literatur am Ende dieses Kapitels verwiesen.

2.1

Klassifizierung von Störquellen

Quellen elektromagnetischer Energie klassifiziert man vorzugsweise nach ihrem Erscheinungsbild im Frequenzbereich, also nach dem von ihnen emittierten hochfrequenten Spektrum. Man unterscheidet zwischen schmalund breitbandigen Quellen. Ein Signal gilt als breitbandig, wenn sich sein Spektrum über eine größere Bandbreite als die eines bestimmten Empfangssystems erstreckt (s. a. Abschn. 7.4.1). Es wird als schmalbandig bezeichnet, wenn sich sein Spektrum (Spektrallinienbreite) über eine geringere Bandbreite als die des Empfängers erstreckt, Bild 2.1.

Elektromagnetische Umwelt

Breitbandige Quellen

Schmalbandige Quellen I

I f

f

Rauschstörer

Transiente Störer

Bild 2.1: Einteilung von Sendern elektromagnetischer Energie in schmal- und breitbandige Quellen.

Schmalbandige Störquellen sind „man made“, beispielsweise Funksender, die auf der ihnen zugewiesenen Frequenz mehr Leistung abstrahlen als zulässig

66

2 Störquellen

(z. B. CB-Funk Nachbrenner), weiter durch Nichtlinearitäten von Senderbauelementen erzeugte Oberschwingungen, Leckstrahlung medizinischer und industrieller HF-Generatoren oder schlicht das 50 Hz-Lichtnetz. Sie werden üblicherweise durch Angabe ihrer Amplitude oder ihres Effektivwerts bei der jeweiligen Frequenz charakterisiert (Linienspektrum). Breitbandige Störquellen zeichnen sich durch ein Spektrum mit sehr dicht oder gar unendlich dicht beieinander liegenden Spektrallinien aus (kontinuierliches Spektrum, sog. Amplitudendichte, s. Abschn. 1.6.2). Typische Vertreter sind natürliche Störquellen (z. B. kosmisches Rauschen) sowie alle nichtperiodischen Schaltvorgänge. Es erweist sich als zweckmäßig, breitbandige Störer nochmals in intermittierende oder Rauschstörer und transiente Störer zu unterteilen. Intermittierende bzw. Rauschstörungen bestehen aus vielen dicht benachbarten bzw. sich überlappenden Impulsen unterschiedlicher Höhe, die sich nicht einzeln auflösen lassen. Transiente Störungen sind deutlich voneinander unterscheidbar und besitzen eine vergleichsweise kleine Wiederholrate, z. B. Schaltvorgänge bzw. Impulse. Breitbandige Störungen können statistisch verteilt sein, z. B. Korona auf Freileitungen, periodisch sein, z. B. Phasenanschnittschaltungen (Thyristorsteller) oder nichtperiodisch sein, z. B. Ausschalten einer Relaisspule. Bezüglich nichtperiodischer Störungen unterscheiden sich die klassische elektromagnetische Verträglichkeit, deren Hauptanliegen die Kontrolle von Funkstörungen war, und die moderne Interpretation elektromagnetischer Verträglichkeit beträchtlich. Während nämlich bei ersterer einzelne transiente Störimpulse, das heißt einmalige oder mit sehr geringer Wiederholrate sich wiederholende Knackstörungen (engl.: click) durchaus toleriert werden können (s. 7.1), vermag u. U. ein einziger Störimpuls in der Prozessleittechnik zu kostenintensiven Stillstandszeiten oder in der Luft- und Raumfahrt zu schwerwiegenden Folgen führen. Periodische nichtsinusförmige Störquellen, z. B. Netzrückwirkungen von Stromrichtern mit ihrem Linienspektrum von Oberschwingungen, zählen je nach Empfängerbandbreite zu den schmal- oder breitbandigen Störern, je nachdem, ob eine oder mehrere Spektrallinien innerhalb der Empfängerbandbreite liegen. Im Hinblick auf die Wirkung breitbandiger Signale auf einen Empfänger müssen diese noch nach ihrer Kohärenz unterschieden werden. Bei kohä-

2.1 Klassifizierung von Störquellen

67

renten Breitbandsignalen, deren Spektralanteile bezüglich Amplitude und Phase in einem festen Verhältnis zueinander stehen, ist die Reaktion des Empfängers proportional zu seiner Bandbreite für kohärente Signale. Bei inkohärenten Signalen, deren Spektralanteile sich willkürlich verhalten, nimmt die Reaktion des Empfängers mit der Wurzel seiner Bandbreite zu.

Bei schmalbandigen Signalen erübrigt sich obige Unterscheidung. Solange das Signalspektrum deutlich innerhalb der Empfängerbandbreite liegt, bleibt die Reaktion des Empfängers konstant. Vielfach sind Breitbandstörungen zunächst nur als Zeitfunktion, beispielsweise als Oszillogramm bekannt, das die Störwirkung im Frequenzbereich nicht unmittelbar erkennen lässt. Mit Hilfe einer Fourierzerlegung können die Zeitfunktionen jedoch in den Frequenzbereich überführt werden. In der Praxis bedient man sich hierzu meist der EMV-Tafel (s. Abschn. 1.6.3.2). Rauschstörer (Schnee auf einem TV-Bildschirm, kosmisches Rauschen etc.) lassen sich nicht deterministisch durch analytische Zeitbereichsfunktionen beschreiben. Sie manifestieren sich als Ergebnis sehr vieler nicht individuell erfassbarer Einzelereignisse. In ihrer Gesamtheit folgen Rauschstörer bestimmten statistischen Gesetzmäßigkeiten, die in gewissem Umfang Aussagen über ihr statistisches Verhalten zulassen. Schließlich sei erwähnt, dass die Einteilung von Störquellen in obiges Schema gelegentlich durchaus verhandlungsfähig ist. So sind die Zündfunken eines Kraftfahrzeugs zeitweise periodische, mit großer Häufigkeit aufeinander folgende transiente Vorgänge, die Gesamtheit aller KFZ-Zündfunken an einer stark befahrenen Kreuzung aber eher eine dem Rauschen ähnliche intermittierende Störung usw.

2.2

Schmalbandige Störquellen

2.2.1

Kommunikationssender

Starke Kommunikationssender erzeugen zum Zweck der Informationsübertragung oder -gewinnung bewusst elektromagnetische Energie und strahlen diese in kontrollierter Weise in die Umwelt ab (funktionale Sender). Sie lassen sich grob in fünf Gruppen einteilen, Bild 2.2.

68

2 Störquellen

Kommunikationssender

Drahtlose Datenübertragung WLAN Bluetooth WiMAX ZigBee RFID

Kommerzielle Sender

Sprechfunk

Richtfunk

Navigation

Radar

AM-Rundfunk FM-Rundfunk VHF-Rundfunk UHF-Rundfunk

Luftverkehr Seefahrt Mobilfunk Polizeifunk

Satellitenfunk Erdrelaisstationen

Luftverkehr Seefahrt Funkfeuer LORAN

Luftverkehr Seefahrt Verkehrsradar Luftüber-

(Long-range

wachung

CB-Funk Amateurfunk Industrie-

navigation)

sprechfunk

Bild 2.2: Einteilung von Kommunikationssendern. Die erste Gruppe umfasst leistungsarme Sender zur digitalen Datenübertragung. Oft fasst man die dritte und vierte Gruppe zu den Punkt-zu-Punkt Verbindungen (stationär oder mobil), die fünfte und sechste Gruppe in der Hochfrequenzmesstechnik zusammen.

Bei den drahtlosen Datenübertragungstechnologien für Datennetze (WLAN, engl.: wireless local area network) und Radiofrequenz-Identifikation (RFID, engl.: radio-frequency identification) handelt es sich meist um relativ leistungsschwache Sender mit wenigen hundert Milliwatt bei unterschiedlichen Nutzfrequenzen. Dort ist meist nur in deren Nahbereich mit Beeinflussungen zu rechnen [2.173]. Dagegen bilden leistungsstarke Sender, beispielsweise Radaranlagen oder Kurzwellesender, ein hohes Störpotential auch für entfernte Systeme. Die erlaubten Sendeleistungen bei den jeweiligen Sendefrequenzen sind je nach regionaler Lage, Sendezeiten und gerichteter Abstrahlung einvernehmlich mit der „International Telecommunication Union (ITU)“ bzw. den sich ihr freiwillig unterordnenden nationalen Gremien für das Spektrum-Management festgelegt (s. Kap. 12). Bei auf gleicher Frequenz arbeitenden Kommunikationssendern beruht die elektromagnetische Verträglichkeit auf ihrer räumlichen Trennung bzw. ihrer begrenzten Reichweite, beispielsweise bei den Funkzellen des Mobilfunks (engl.: cellular phone). Außerdem bilden Übertragungsprotkolle, Modulations- und Kodierverfahren, sowie Verschlüsselungen gerade bei digitalen Funksystemen eine weitere Möglichkeit in begrenztem Rahmen gleiche Nutzfrequenzen mit unterschiedlichen Funkdiensten zu belegen. Dabei sei zu erwähnen, das gerade Modulationsverfahren einen wesentlichen Anteil

69

2.2 Schmalbandige Störquellen

des Beeinflussungspotentials darstellen. Gepulste Signale oder amplitudenmodulierte Signale stellen meist ein größeres Beeinflussungspotential dar als phasenmodulierte oder frequenzmodulierte Signale. Zur Aufrechterhaltung der im internationalen Einvernehmen zustande gekommenen verträglichen Nutzung des Spektrums bedarf die Inbetriebnahme eines neuen Senders einer behördlichen Genehmigung, die erst nach Überprüfung bzw. Nachweis seiner Verträglichkeit erteilt werden kann [1.3]. Funküberwachungssysteme der Bundesnetzagentur überwachen die Einhaltung der technischen Spezifikationen der Sender, decken Schwarzsender und Funkstörungen auf etc. Das Vorliegen einer behördlichen Betriebserlaubnis hindert Kommunikationssender nicht, als massive Störer aufzutreten, wenn empfindliche Empfängersysteme in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft betrieben werden sollen. Umgekehrt darf nicht verwundern, wenn Automatisierungssysteme fehlerhaft agieren, falls ihnen ein zugelassenes Sprechfunkgerät zu nahe kommt. Aus diesem Grund wird in unmittelbarer Nähe von Prozessleit- und EnergieManagement-Systemen häufig auf den Betrieb von Sprechfunkgeräten verzichtet. Emissionen von Kommunikationssendern sind in der Regel schmalbandig und bestehen meist aus einer Trägerfrequenz, Seitenbändern sowie nicht beabsichtigten harmonischen und nichtharmonischen Oberschwingungen. Kommunikationssender sind im gesamten elektromagnetischen Spektrum anzutreffen, angefangen vom ELF-Bereich (engl.: Extra-Low Frequency) mit einigen 10 Hz für die U-Boot Kommunikation bis zu einigen hundert Gigahertz im Rahmen des Satellitenfunks. Erste Hinweise bei der Identifikation störender Kommunikationssender können nachstehende Frequenzen bzw. Frequenzbereiche bzw. die anschließenden Bilder 2.3 a und 2.3 b geben. Tonrundfunksender: Langwellenbereich Mittelwellenbereich Kurzwellenbereich Ultrakurzwellenbereich

(AM) (AM) (AM) (AM)

150

… 285

535

… 1605 kHz

3



kHz

26 MHz

87, 5 … 108 MHz

70

2 Störquellen

Fernsehrundfunksender: Band I Band III Band IV/V

(VHF) (VHF) (VHF)

Kanäle 1 … 4 Kanäle 5 … 12 Kanäle 21 … 60

41



68 MHz

174

… 230 MHz

470

… 789 MHz

⎫ ⎪ StationärePunkt-zu-Punktverbindungen,⎬ sieheBild 2.3 a und b ⎪ Navigation, Radar ⎭ MobilePunkt-zu-Punktverbindungen,

Bild 2.3 a: Belegung des elektromagnetischen Spektrums mit Funkdiensten, Region 1 (Afrika, Europa, UdSSR) [2.2-2.5 ], Zeitsignaldienste nur Deutschland [2.168, 2.169].

71

2.2 Schmalbandige Störquellen

Wie dicht gepackt der Frequenzplan eines Staates ist, zeigt der in Bild 2.3 b dargestellte Auszug aus der „United States Frequency Allocation Chart 2003“ für den Frequenzbereich von 1400 MHz bis 1700 MHz. Man erkennt unterschiedliche Funkdienste – Sateliten-, See-, Land- und Flugfunk –, die auch gemeinsame Nutzfrequenzen teilen. Frequencies / MHz (non-linearly spaced) 1700 1700 1675 1675 1670 1670 1668,4 1668,4 1660,5 1660,5 1660 1660 1626,5 1626,5 1613,8 1613,8 1610,6 1610,6 1610 1610 1558,5 1558,5 1550 1550 1549,5 1549,5 1545 1545 1544 1544 1535 1535 1530 1530 1525 1525 1435 1435 1432 1432 1430 1430 1429,5 1429,5 1427 1427 1400 1400

Services (S-E: space to earth, E-S: earth to space) Meteorological Satellite (S-E) Mobile ** Radio Astronomiy Radio Astronomiy Radio Astronomiy Mobile Satelilite (E-S) Aeronautical Radionavigation Aeronautical Radionavigation Aeronautical Radionavigation Aeronautical Radionavigation Aeronautical Mobile Satellite (R) (S-E) Aeronautical Mobile Satellite (R) (S-E) Aeronautical Mobile Satellite (R) (S-E) Mobile Satellite (S-E) Maritime Mobile Sat. (Space to earth) Maritime Mobile Sat. (Space to earth) Mobile** Mobile (Aeronatical Telemetering) Fixed** Fixed-Sat (S-E) Land mobile (TLM) Land mobile Radio Astronomy

Meteorological Aids (Radiosonde) Fixed (TLM) Meteorological Aids (Radiosonde) Space Research (passive) Mobilesat (E-S) Radio Det. Sat (E-S) Radio Det. Sat (E-S) Radio Det. Sat (E-S) Radionav. Satellite (S-E) Mobile Satellite (S-E)

Mobile Satellite (E-S) Mobile Satellite (E-S) Mobile Satellite (E-S)

Mobile Satellite (S-E) Radio Astronomiy

Mobile Satellite (S-E) Mobile Satellite (S-E) Mobile Satellite (S-E) Mobile Satellite (S-E) Mobile Fixed (TLM) Fixed (TLM) Fixed (TLM) Earth expl. Sat.

Mobile (Aero. TLM)

Land Mobile (TLM)

Space research (passive)

Bild 2.3 b: Belegung des elektromagnetischen Spektrums mit Funkdiensten, in USA, Auszug aus der „US Frequency Allocation Chart“ [Quelle: http://www.ntia.doc.gov/].

Die Angabe detaillierter quantitativer Information über die Emissionen von Kommunikationssendern geht weit über den Rahmen dieser Einführung hinaus und muss der speziellen Fachliteratur vorbehalten bleiben [2.1 - 2.5].

2.2.2

HF - Generatoren für Industrie, Forschung, Medizin und Haushalt

Die Mehrheit der nicht Kommunikationszwecken dienenden HF-Generatoren mittlerer und großer Leistungen findet man in der Industrie, Forschung und Medizin (engl.: ISM: Industrial, Scientific, Medical) sowie in Haushalten. Beispiele sind die in der Hochfrequenzerwärmung eingesetzten Sender für das Induktionshärten, -löten und -schmelzen, das dielektrische Leimtrocknen sowie für die Elektrotherapie und die heute weit verbreiteten Mikrowellenherde. Hinzu kommen Hochfrequenzgeneratoren für die Ionenimplantation, Kathodenzerstäubung, für Hochfrequenzlinearbeschleuniger und Hochfrequenzkreisbeschleuniger (Zyklotron, Synchrotron) usw. Alle ge-

72

2 Störquellen

nannten Geräte erzeugen bewusst Hochfrequenzenergie, um lokal elektrophysikalische Wirkungen hervorzurufen. Sie zählen daher zur Gruppe der funktionalen Sender. – Mittels hochfrequenter magnetischer Wechselfelder können leitende Werkstücke durch induzierte Wirbelströme rasch erwärmt werden [2.29, 2.30]. Die Frequenz bestimmt über die Stromverdrängung die Eindringtiefe (50 Hz bis 1 MHz). – Mittels hochfrequenter elektrischer Felder lassen sich verlustbehaftete Dielektrika durch die als Volumeneffekt freigesetzte Reibungswärme ihrer oszillierenden Dipole rasch erwärmen. Die Frequenzen liegen in der Regel deutlich oberhalb der Frequenzen für Induktionserwärmung (1 MHz 100 MHz). – Elektrische, magnetische oder elektromagnetische Felder werden in der Medizin zur Wärmebehandlung von Gelenken und inneren Organen herangezogen (27 MHz - 2450 MHz). Weiter finden HF-Generatoren zur Ultraschallerzeugung für Therapiezwecke (ca. 1 MHz) und Diagnose (1...5 MHz) Verwendung [2.7 - 2.9]. – Elektromagnetische Felder erwärmen in den Hohlraumresonatoren von Mikrowellenherden Speisen. Für diese Anwendung kommen sehr hohe Frequenzen, z. B. 2450 MHz zum Einsatz [2.31]. – Hochfrequenzbeschleuniger beschleunigen Elementarteilchen bis zu Energien von 20 GeV für die Grundlagenforschung, Werkstoffprüfung Strahlentherapie, Litographie usw. (10 MHz - 200 MHz). Die meisten dieser Geräte arbeiten auf den Frequenzen – 13,56 MHz, 27,12 MHz, 40,68 MHz, (HF-Bereich) – 433,92 MHz, 868 MHz, (UHF-Bereich) – 2450 MHz, 5800 MHz, 24125 MHz , (UHF/SHF-Bereich) die ausdrücklich für die oben erwähnten und ähnliche Anwendungen vorgesehen sind (s. a. Abschn. 2.5), so genannte ISM-Band Anwendungen (ISM, engl.: Industrial, Science and Medicin). Bei ausreichender Abschirmung der Anlage dürfen andere Frequenzen zur Anwendung kommen. Beim Betrieb auf den vorgesehenen Frequenzen ist durch Messung nachzuweisen, dass die Oberschwingungen der Anlagen die Grenzwerte für Funkstörer nicht überschreiten (s. Kap. 9). Darüber hinaus ist bei der Leckstrahlung die Kompatibilität mit der Species Mensch zu wahren (s. Abschn. 10.7).

2.2 Schmalbandige Störquellen

2.2.3

73

Funkempfänger – Bildschirmgeräte Rechnersysteme – Schaltnetzteile

Obwohl die in diesem Abschnitt behandelten Geräte überwiegend Opfer elektromagnetischer Beeinflussungen sind, geben sie nicht selten selbst Anlass zu Störungen. Alle genannten Geräte benötigen zur Ausübung ihrer Funktion lokale Oszillatoren, die über die Ein- und Ausgangsleitungen sowie über Gerätechassis und -gehäuse elektromagnetische Energie an die Umwelt abgeben. Superheterodynempfänger mischen die Frequenz der an ihrem Eingang liegenden HF-Spannung mit der lokalen Oszillatorfrequenz zur so genannten Zwischenfrequenz ihrer ZF-Verstärker (s. Abschn. 7.4.1) und strahlen sowohl die jeweils eingestellte Oszillatorfrequenz als auch die konstante Zwischenfrequenz samt Oberschwingungen ab [2.6]. Die Tonrundfunkzwischenfrequenz liegt für AM bei 455 kHz für FM bei 10,7 MHz. Bei Fernsehrundfunkempfängern liegt die Ton-ZF bei 5,5 MHz (BRD), 6,5 MHz (Osteuropa) bzw. 4,5 MHz (USA), die Bildzwischenfrequenz bei 38,9 MHz, ihre Mittenfrequenz bei 36,5 MHz. Konventionelle Röhrenbildschirmgeräte (TV-Empfänger, Rechnerterminals und Oszilloskope) stören durch ihre Ablenkgeneratoren für den Bildaufbau. Die Zeilenfrequenz (Grundschwingung der horizontalen Sägezahnspannung) beträgt 15,75 kHz bei einfachen und ca. 35 kHz oder gar 65 kHz bei Monitoren mit hohen Bildwiederholraten. Bei schnellen Oszilloskopen kann die Ablenkfrequenz gar 1 MHz betragen. Rechnersysteme können durch die Taktfrequenz der Mikroprozessoren ihrer CPU und ihrer Peripheriegeräte (Terminals, Drucker etc.) sowie die zugehörigen Verbindungsleitungen als Störer auftreten. Schaltnetzteile machen meist oberhalb 1 kHz durch die Grundschwingung ihrer Schaltfrequenz und ihre zugehörigen Harmonischen von sich reden. Die Emissionen der in diesem Abschnitt genannten Geräte müssen unter den in einschlägigen Vorschriften festgesetzten Funkstörpegeln bleiben. Man darf trotzdem nicht überrascht sein, wenn sich bei großer Packungsdichte von Rechnersystemeinheit, Bildschirm, Drucker, Plotter etc. Fehlfunktionen einstellen. In der Regel lassen sich diese Störungen durch Vergrößern des Abstands und andere räumliche Orientierung der Komponenten beheben.

74

2.2.4

2 Störquellen

Netzrückwirkungen

Unter Netzrückwirkungen versteht man die Erzeugung von Spannungsoberschwingungen und Spannungsschwankungen in Energieversorgungsnetzen durch elektrische Betriebsmittel mit nichtlinearer oder zeitvarianter StromSpannungskennlinie. So nehmen Transformatoren und Motoren mit hoher Induktion, leistungselektronisch geregelte Antriebe, Stromrichter für die Elektrolyse, Gasentladungslampen, Fernsehgeräte usw. auch bei zunächst sinusförmiger Netzspannung nichtsinusförmige Ströme auf, die längs ihres Pfades zu den Betriebsmitteln an den Netzimpedanzen nichtsinusförmige Spannungsabfälle verursachen. Die von den eingeprägten Verbraucherströmen verursachten Spannungsabfälle führen zu einer Verzerrung der Sinusform der 50 Hz-Netzspannung bzw. zu deren Oberschwingungsgehalt. Die von Lichtbogenöfen, Schweißmaschinen und Schwingungspaketsteuerungen verursachten Subharmonischen reichen herunter bis in den mHz-Bereich und führen zu periodischen und nichtperiodischen Spannungsschwankungen. Sowohl Oberschwingungen als auch Spannungsschwankungen führen zu Beeinträchtigungen technischer Einrichtungen und reichen von dielektrischen und thermischen Überbeanspruchungen von Kondensatoren und Motoren über Fehlfunktionen von Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen sowie Datenverarbeitungsanlagen, Lichtdimmern, Leittechniksystemen usw. bis zur Beeinflussung von Rundsteuerempfängern, Fernmeldeeinrichtungen etc. [2.22, 2.23, 2.32]. Bei den Spannungsschwankungen kommt zusätzlich die Species Mensch ins Spiel, wenn Helligkeitsschwankungen von Beleuchtungseinrichtungen (Flicker) über die Wirkungskette Lampe, Auge, Gehirn nichttolerierbare physiologische Wirkungen hervorrufen ([2.109, 2.118] s. a. Abschn. 10.4). Während Stromrichter in der Regel nur Harmonische der Grundfrequenz erzeugen, deren Ordnung sich für Gleichrichter beispielsweise gemäß ν = np ± 1

berechnen lassen (p Pulszahl, n = 1,2, 3,... ), erzeugen Frequenzumrichter und Schaltvorgänge auch beliebige Zwischenharmonische. Schließlich zählen zu Netzrückwirkungen auch Unsymmetrien, hervorgerufen durch zwischen den Phasen betriebene einphasige Verbraucher, z. B. Schweißmaschinen und Lichtbogenöfen.

2.2 Schmalbandige Störquellen

75

Netzrückwirkungen lassen sich bei Einzelanlagen teilweise rechnerisch bestimmen, in Netzen mit Hochfrequenzstromwandlern, Impulsstrommesswiderständen und schnellen Spannungsteilern messtechnisch erfassen [2.19, 2.21, 2.24 - 2.28, 2.35, B3, 2.56]. Spezielle Messeinrichtungen ermöglichen auch die Messung des zeitvarianten, frequenzabhängigen Netzinnenwiderstands [2.88, 2.159] am Anschlussort eines nichtlinearen Verbrauchers (engl.: driving point impedance). Die Bewertung von Netzflicker erfolgt mit speziellen Flickermessverfahren [2.20, 2.35, 2.158]. Weitere Hinweise über Netzrückwirkungen finden sich im umfangreichen Literaturverzeichnis [2.10–2.18] sowie im Abschn. 10.4.

2.2.5

Beeinflussungen durch Starkstromleitungen

In dicht besiedelten Gebieten verlaufen Hochspannungsfreileitungen mit 50 Hz und 16-2/3 Hz, Fernmelde- und Fernwirkleitungen, Erdgas- oder Mineralölpipelines häufig über längere Strecken parallel. Aufgrund ohmscher, induktiver und kapazitiver Kopplung entstehen unerwünschte Beeinflussungen von Kommunikations- und Datenleitungen sowie des kathodischen Korrosionsschutzes von Rohrleitungen. Darüber hinaus können unzulässig hohe Berührungsspannungen auch zur Gefährdung von Personen führen. Man unterscheidet zwischen Langzeit- Kurzzeit- und Impulsbeeinflussungen. Zu den Quellen der Langzeitbeeinflussung zählen die Betriebsströme des Normalbetriebs, Erdschlussströme in erdschlusskompensierten Netzen sowie bei kapazitiv überkoppelten Beeinflussungen die Hochspannung führenden Leiterseile. Quellen der Kurzzeitbeeinflussungen sind Kurzschlussströme und Doppelerdschlussströme von wenigen Zehntel Sekunden Dauer. Impulsbeeinflussungen schließlich werden durch Überspannungen von Schalthandlungen im Netz bewirkt. Diese zählen nach der hier vorgenommenen Klassifikation zu den breitbandigen Quellen und werden im Abschn. 2.4.4 noch näher erläutert. Während anfänglich Beeinflussungsprobleme ausschließlich durch Maßnahmen auf der Energieübertragungsseite gelöst wurden, z. B. durch symmetrische Anordnung der Drehstromleitungen in gleichseitigem Dreieck (Summe aller Felder ≈ 0), Verdrillen nicht symmetrisch angeordneter Leitungen, Resonanzsternpunkterdung (kleine Erdfehlerströme) etc., wurde später (etwa 1950) auch die starre Sternpunkterdung der 220 kV- und der

76

2 Störquellen

gerade aufkommenden 380 kV-Netze toleriert. Die Beeinflussung durch Starkstromleitungen ist ein Klassiker der Disziplin Elektromagnetische Verträglichkeit. Entsprechend umfangreich ist das seit vielen Jahrzehnten gewachsene Schrifttum, das eine gewisse Reife erkennen lässt [B21, B48, 2.38– 2.53 u. 2.85–2.87]. Wegen der Beeinflussung von Bioorganismen durch elektrische und magnetische Felder von Energieübertragungsleitungen wird auf Abschn. 10.8 verwiesen.

2.3

Intermittierende Breitbandstörquellen

2.3.1

Grundstörpegel in Städten

Aufgrund der hohen Bevölkerungs- und Verkehrsdichte herrscht in Städten ein beträchtlicher breitbandiger Grundstörpegel, der von KFZ-Zündanlagen, Nahverkehrsbahnen Haushaltgeräten, Gasentladungslampen, Elektrowerkzeugen, lokalen Oszillatoren, Geräten der Digitaltechnik etc. herrührt, sog. „man–made noise“. Die in der Vergangenheit für verschiedene Städte gemessenen Grundstörpegel zeigen einen sehr unterschiedlichen Verlauf, der stark von der Geographie und der Jahreszeit abhängt. Quantitativ können Unterschiede zwischen 20 bis 40dB auftreten, je nach Art der öffentlichen Verkehrsmittel (U-Bahn, Straßenbahn mit Gleich- oder Wechselstrom betrieben) sowie der Höhe der allgemeinen Verkehrsdichte (inkl. Flugverkehr), nationalen Standards etc. [2.78, 2.79, 2.83 u. 2.84]. Die Materie ist derart komplex, dass ihr eigene Bücher gewidmet werden [2.54, 2.55]. Einige typische Breitband-Störquellen werden wir im Folgenden näher betrachten.

2.3.2

KFZ-Zündanlagen

KFZ-Zündanlagen erzeugen Hochspannungsimpulse für die Funkenbildung an den Zündkerzen. Diese Impulse können in unterschiedlicher Art und Weise Beeinflussungen anderer elektronischer Systeme hervorrufen. Dabei sind wesentlich die Kopplungsmöglichkeiten ausschlaggebend, was nachfolgend erläutert wird. Beim Unterbrechen des Stromes i1 (t) in der Primärwicklung einer Zündspule entsteht eine Stromänderung di1 (t)/ dt . Die mit dieser Stromänderung

2.3 Intermittierende Breitbandstörquellen

77

verknüpfte Änderung des magnetischen Flusses, dφ1(t)/ dt induziert in der Sekundärwicklung eine hohe Spannung u2 (t) , Bild 2.4.

Bild 2.4: Hochspannungsimpulserzeugung in KFZ-Zündanlagen. CF Funkenlöschkondensator zum Schutz der Unterbrecherkontakte, CStr Streukapazitäten.

Parasitär werden auch in anderen Leiterschleifen des eigenen oder benachbarten Kraftfahrzeugs kleinere Spannungen induziert (magnetische Kopplung des Streufeldes und der Zuleitung). Der in der Hochspannungswicklung induzierte Spannungsimpuls bewirkt auf den Hochspannung führenden Zündleitungen eine große Spannungsänderung du2 (t)/ dt , die über Streukapazitäten bzw. den durch sie fließenden Verschiebungsstrom i v = CStr du2 (t)/ dt in benachbarten Kreisen und Leitern ebenfalls Störungen bewirken kann (kapazitive Kopplung). Beim Spannungszusammenbruch der Zündkerzen und der zwischengeschalteten Verteilerschaltfunkenstrecke entstehen durch Entladen der Kapazität der Sekundärwicklung wiederum schnelle Spannungs- und Stromänderungen, die durch Induktion und Influenz Störungen verursachen. Je nachdem, ob benachbarte Systeme maschen- oder sternförmig aufgebaut, hoch- oder niederohmig sind, werden die Beeinflussungen kapazitiv oder induktiv übertragen. Typische Störpegel der elektrischen Feldstärke in Straßennähe liegen zwischen –20 und +20dB(V/m)/kHz (Amplitudendichte) und reichen bis in den GHz-Bereich [2.57 - 2.59].

78

2.3.3

2 Störquellen

Gasentladungslampen

Die in Haushalten, Büros, Kaufhäusern usw. häufig anzutreffenden Niederspannungsleuchtstofflampen können auf unterschiedliche Weise als Störquellen wirken, Bild 2.5.

Bild 2.5: Niederspannungsleuchtstofflampe Glimmstarter G.

mit

Strombegrenzungsdrossel

und

Beim Betätigen des Lichtschalters S entsteht im Glimmstarter G (Glimmlampe mit Bimetallelektrode) eine Glimmentladung, durch deren Wärmeentwicklung sich eine Bimetallelektrode verformt und den Stromkreis durch die Heizwendeln der beiden Hauptelektroden in der Leuchtstofflampe schließt. Gleichzeitig lässt der geschlossene Kontakt die Glimmentladung im Starter erlöschen. Nach Abkühlen des Bimetalls (der Betriebsstrom der Heizwendeln reicht zur Erwärmung des Bimetalls nicht aus) öffnet der Schaltkontakt wieder, wobei der Stromabriss an der Induktivität des Vorschaltgeräts eine Selbstinduktionsspannung Ldi(t)/dt von einigen kV entstehen lässt. Diese Stoßspannung zündet zwischen den vorgeheizten Hauptelektroden die Gasentladung. Beim nächsten Stromnulldurchgang verlöscht die Entladung zunächst, zündet aber von da ab periodisch bei jeder Halbschwingung der Netzspannung wieder, sofern Zünd- bzw. Brennspannung der Lampe inzwischen durch erhöhte Elektrodentemperaturen entsprechend abgesenkt worden sind (die Erwärmung bewirkt eine Verringerung des Anoden- und Kathodenfalls). Unzureichende Elektrodentemperaturen führen zu den bekannten mehrfachen Zündversuchen von Leuchtstofflampen. Im stationären Betrieb spricht der Glimmstarter nicht mehr an, da seine Zündspannung größer ist als die Brenn- und Wiederzündspannung der Leuchtstofflampe mit warmen Elektroden. Niederspannungsleuchtstofflampen stören nicht nur beim Einschalten durch einen oder mehrere intermittierende Spannungsimpulse vergleichsweise großer Amplitude, sondern auch im Betrieb durch regelmäßiges Verlöschen und Neuzünden in bzw. nach jedem Stromnulldurchgang bei Spannungsam-

2.3 Intermittierende Breitbandstörquellen

79

plituden von nur wenigen hundert Volt. Da die Großsignalstörungen nur beim Einschalten auftreten, sind sie aus Sicht der Funkstörungen nur Knackstörungen geringer Häufigkeit und besitzen daher kaum Relevanz (s. Abschn. 2.1 und 7.1). Dagegen können sie bei anderer Gewichtung, das heißt in Nachbarschaft hochempfindlicher medizinischer und anderer Messgeräte eine sehr große Rolle spielen, u. a. auch bei Herzschrittmachern. Die während des stationären Betriebs mit einer Grundfrequenz von 100 Hz ausgesandten elektromagnetischen Beeinflussungen stören bei kleinen Abständen und bei Fehlen von Entstörmaßnahmen auf jeden Fall den Rundfunkempfang im Mittel- und Langwellenbereich. Die Störungen pflanzen sich überwiegend leitungsgebunden längs der Netzzuleitungen der Lampen aus. Leuchtstofflampen mit elektronischen Vorschaltgeräten (EVG) enthalten einen Hochfrequenzgenerator von ca. 30 bis 50 kHz, der die Lampe über ein LC-Glied (zur Strombegrenzung) speist. Typische Werte für den Oberschwingungsgehalt des Netzstroms sind 90 % dritte Harmonische, 75 % fünfte Harmonische und 60 % siebte Harmonische (von 50 Hz). Diese Oberschwingungen müssen je nach Vorschrift durch geeignete Filterung auf zulässige Werte verringert werden, was im Wesentlichen ein Problem des Platzbedarfs und des Preises ist. Schließlich kann neben der reinen Netzrückwirkung auch die NF-modulierte Infrarotstrahlung zu Beeinflussungen führen, beispielsweise bei IR-Fernbedienungen. Leuchtstofflampen für höhere Spannungen, sog. Leuchtröhren (z. B. Leuchtreklame), benötigen keine Vorheizung, da ihre Speisespannung in jedem Einzelfall unschwer der jeweiligen Zünd- bzw. Brennspannung angepasst werden kann. Hochdruckgasentladungslampen können relevante Störamplituden bis in den VHF- und UHF-Bereich aufweisen (schnellere Durchschlagsentwicklung bei hohen Drücken und kleinen Elektrodenabständen). Hohe Elektrodenund Gastemperaturen ermöglichen eine Reduzierung der elektromagnetischen Beeinflussungen wegen der kleineren Stromabriss- und Wiederzündspannungswerte. Über Gasentladungslampen besteht umfangreiche Literatur, auf die hier exemplarisch verwiesen wird [2.80, 2.81].

2.3.4

Kommutatormotoren

Bei der Stromwendung in Gleichstrom- und Universalmotoren treten in den Wicklungen und Zuleitungen schnelle Stromänderungen auf. Ist der Strom

80

2 Störquellen

bei der Trennung von Bürsten- und Lamellenkante nicht exakt Null, wird – wie bei allen sich öffnenden stromführenden Schaltkontakten (s. Abschn. 2.4.2) – der Strom über einen Lichtbogen aufrechterhalten (Bürstenfeuer). Beim Abriss des Bogens entsteht eine schnelle Stromänderung di(t)/dt. Letztere induziert in den im Strompfad liegenden Induktivitäten Selbstinduktionsspannungen Ldi(t)/dt sowie in etwaigen benachbarten Leiterschleifen Quellenspannungen Mdi(t)/dt. Zur lokalen Begrenzung der Störungen schaltet man in Reihe mit der Zuleitung konzentrierte Induktivitäten und parallel zu den Bürsten eine Bypass-Kapazität (s. Abschn. 8.1). Große Gleichstrommaschinen besitzen spezielle zusätzliche Wendepole und Kompensationswicklungen, die in den Ankerwindungen eine Gegenspannung induzieren und die Wicklung im Augenblick der Trennung von Bürsten- und Lamellenkante stromlos machen [2.82].

2.3.5

Hochspannungsfreileitungen

An der Oberfläche der Leiterseile von Hoch- und Höchstspannungsfreileitungen überschreitet die elektrische Randfeldstärke partiell den Wert der Durchbruchsfeldstärke der Luft, so dass es zu winzigen lokalen Teildurchschlägen kommt. Wegen der Inhomogenität des Feldes bleiben diese Entladungen auf die unmittelbare Nachbarschaft der Seile beschränkt, sog. Koronaentladungen. Die Teildurchschläge bewirken in den Leiterseilen Stromimpulse mit Anstiegs- und Abfallzeiten im ns-Bereich, die sich als Wanderwellen längs der Leitungen ausbreiten. In ihrer Gesamtheit bilden die zahllosen sich überlagernden Entladungsimpulse eine Rauschstörquelle, die zu Beeinträchtigungen des Funkempfangs führt. Ihr Spektrum erstreckt sich bis in den UHF-Bereich [2.60–2.77]. Nebenbei gesagt können diese Entladungen bei Höchstspannungsleitungen auch ein erhebliches akustisches Problem darstellen. Eine weitere Störquelle, die insbesondere auch bei Mittelspannungsleitungen zu beobachten ist, stellen kleine Funkenentladungen zwischen lose verbundenen Metallteilen oder Metallteilen und statisch aufgeladenen Isolatoroberflächen dar (engl.: micro sparks). Das Spektrum dieser Funkenentladungen erstreckt sich bis zu sehr hohen Frequenzen und ist vorrangig verantwortlich für Störungen des Fernsehrundfunks [2.110 - 2.113]. Funkstörungen von Hochspannungsfreileitungen sind sehr stark vom Wetter (Luftdichte, Regen, Rauhreif etc.) und dem Mastkopfbild abhängig. Trotz dieser komplexen Abhängigkeiten existieren zahlreiche aus international

2.3 Intermittierende Breitbandstörquellen

81

durchgeführten Messungen herrührende Ansätze, die in gewissem Umfang eine Vorhersage von Funkstörungen erlauben [2.114].

2.4

Transiente Breitbandstörquellen

2.4.1

Elektrostatische Entladungen

Mit dem Aufkommen der Chemiefasern und der Halbleitertechnik haben elektrostatische Aufladungserscheinungen und die mit ihnen verbundenen technischen Probleme und Verfahren vermehrte Bedeutung erlangt. Besonders beim impulshaften Entladen statisch aufgeladener Körper über einen Funken entstehen transiente Spannungen und Ströme, verknüpft mit transienten elektrischen und magnetischen Feldern, die nicht nur Funktionsstörungen in Rechnern, Schreibmaschinen, Telefonapparaten oder anderen elektronischen Geräten hervorrufen, sondern auch bleibende Zerstörungen elektronischer Komponenten bewirken können (engl. ESD, Electrostatic Discharge). Während komplette Systeme, z. B. Rechner-Tastaturen, speicherprogrammierbare Steuerungen etc. vergleichsweise resistent sind, reichen bei direkter Berührung von Halbleiterbauelementen und elektronischen Baugruppen minimale elektrostatische Aufladungen, die die betreffende Person u. U. gar nicht wahrnimmt, für eine Zerstörung aus. Elektrostatische Aufladungen entstehen bei der Trennung sich zuvor innig berührender Medien in Form einer Anhäufung von Ladungsträgern jeweils einer Polarität auf den separierten Komponenten. Zumindest eines der Medien muss ein Isolator sein, andernfalls würde sofort wieder ein Ladungsausgleich stattfinden. Elektrostatische Aufladungen entstehen zum Beispiel beim Gehen auf isolierenden Teppichen, Aufstehen von Stühlen, Handhabung von Kunststoffteilen, Ablaufen von Papier- und Kunststoffbahnen von Rollen, beim Fließen isolierender Flüssigkeiten durch Leitungen [2.88, 2.89], Aufwirbeln von Staub, Gasausstoß aus Raketen, Luftreibung an Flugkörpern usw. Je nach Materialpaarung können die Aufladungen positive oder negative Polarität gegenüber Erdpotential aufweisen. Bezüglich der Häufigkeit des Auftretens von EMV-Problemen durch elektrostatische Entladungen besitzt die Entladung aufgeladener Personen und Kleinmöbel (Stühle, Rollstühle, Messgerätewagen etc.) die größte Bedeutung. Daher werden im Folgenden diese Quellen elektromagnetischer Beeinflussungen näher vorgestellt.

82

2 Störquellen

Je nach Schuhwerk, Bodenbelag und Luftfeuchte kann sich eine Person auf Spannungen bis ca. 30 kV aufladen. Ab dieser Spannung setzen merkliche Teilentladungen ein, die ähnlich wie bei den Entladern von Flugzeugen weitere durch Aufladung zugeführte Ladungen augenblicklich über Drainageströme wieder abführen, so dass sich ein stationäres Gleichgewichtspotential einstellt. Gewöhnlich liegen die beim Gehen auf Teppichen entstehenden Potentiale bei 5...15 kV. In vergleichbarer Größenordnung (wegen meist größerer Kapazitäten, jedoch im Mittel leicht darunter) liegen die Potentiale elektrostatisch aufgeladener Kleinmöbel. Aufladungen unter 1500 Volt bis 2000 Volt werden von den betreffenden Personen meist nicht wahrgenommen, sind jedoch noch „hervorragend“ geeignet, Halbleiterkomponenten zu zerstören. Die gespeicherten Energien können je nach Kapazität des aufgeladenen Körpers (50 pF…1500 pF, CMensch typisch 150 pF) einige Zehntel Joule betragen. Allein die Existenz elektrostatischer Aufladungen bereitet nur selten EMVProbleme (statisch aufgeladene Skalenscheiben, Bildschirme etc.). Die eigentliche Problematik besteht in der raschen, impulshaften Entladung geladener Körper, während der Stromimpulse mit Anstiegszeiten im Nanound Subnanosekundenbereich auftreten. Nicht die raschen Spannungsänderungen, sondern die impulsförmigen Entladeströme und die mit ihnen verknüpften zeitlich veränderlichen magnetischen Felder führen in der Regel zu unerwünschten elektromagnetischen Beeinflussungen (s. a. Abschn. 10.3). In vielen Fällen lässt sich das Phänomen elektrostatischer Entladungen mit guter Näherung durch ein vergleichsweise einfaches Ersatzschaltbild modellieren, Bild 2.6.

Bild 2.6: Netzwerkmodell der Entladung einer aufgeladenen Person bzw. eines aufgeladenen leitenden Gegenstands. CP, RP Ersatzgrößen des statisch aufgeladenen Körpers. CE, RE Erdkapazität und Ableitwiderstand des Objekts, auf das entladen oder umgeladen wird. RS Serienwiderstand, LS Serieninduktivität.

83

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

Bei der Störquelle unterscheidet man im Wesentlichen zwischen Personen:

R S ca. 1kΩ

Kleinmöbeln:

R S ca. 10 Ω...50 Ω .

und

Betrachten wir zunächst eine Entladung direkt nach Erde ( R E → 0,CE → ∞ ) und nehmen wir die Induktivität des Entladekreises typisch mit 1 mH/m an, so gilt in ersterem Fall R S ωL S , das heißt die Entladung (Funkenstrom) erfolgt aperiodisch gedämpft mit der Zeitkonstanten T = CP R S . Im zweiten ωL S , das heißt die Entladung erfolgt oszillierend mit der Fall gilt R S Frequenz f = 1/ 2π LSCP , Bild 2.7.

Bild 2.7: Typische Stromverläufe bei der Entladung von Personen und leitenden Gegenständen.

Die Anstiegszeit der Ströme lässt sich mit Hilfe der Zeitkonstanten L S / R S abschätzen. Typische Stromsteilheiten liegen in der Größenordnung einiger 10 Ampère/Nanosekunde, typische Stromscheitelwerte bei 2 bis 50 A. Gewöhnlich treten bei der Entladung von Personen die größeren Stromsteilheiten, bei der Entladung von Gegenständen die größeren Stromamplituden auf. In beiden Fällen erklärt sich dies durch den unterschiedlichen Serienwiderstand RS. Stromparameter und beobachtete Stromverläufe schwanken in weiten Grenzen. Speziell bei Personen zeigen sich große Unterschiede, je nachdem, ob der Funke von einer Fingerspitze, großflächig vom Körper oder etwa einem

84

2 Störquellen

in der Hand gehaltenen leitenden Werkzeug (Schraubenschlüssel) ausgeht usw. Darüber hinaus ist der Entladungsfunke ein stark nichtlineares Phänomen. Bei nur schwacher Aufladung – das heißt für Personen bei Potentialen unter ca. 8 kV, für leitende Gegenstände unter ca. 3 kV – reißt der Entladungsfunke u. U. wegen mangelnder Ladungsnachlieferung nach kurzer Zeit ab und zündet erneut, wenn das Potential der Entladungszone (z. B. Fingerspitze) durch Nachströmen von Ladungen wieder angestiegen ist. Die Stromkurvenformen besitzen dann einen komplexen Verlauf, speziell in der Impulsstirn (engl.: predischarge, precursor). Zur Beschreibung dieser Varianten werden die konzentrierten Komponenten des einfachen Ersatzschaltbilds gemäß Bild 2.6 durch verteilte Parameter ersetzt und die Ausgleichsvorgänge mit Hilfe der Theorie elektrisch langer Leitungen mathematisch beschrieben [2.94–2.97]. Während bisher davon ausgegangen wurde, dass der aufgeladene Körper sich direkt nach Erde entlädt ( R E → 0,CE → ∞ ) und damit nach kurzer Zeit Erdpotential annimmt, gibt es auch sehr häufig den Fall, dass während einer elektrostatischen Entladung nur ein Teil der Ladungen auf einen anderen isoliert aufgestellten Körper R E → ∞ abfließt, z. B. die Potentialangleichung beim Berühren eines auf dem Arbeitstisch liegenden integrierten Schaltkreises oder beim Anfassen einer elektronischen Baugruppe. Der Entladungsfunke reißt dann ab, wenn beide Körper das gleiche Potential angenommen haben (abzüglich der Brennspannung des Funkens). Befand sich vor dem Funken auf CP die Ladung Q = CP UP ,

so erhält man das neue Potential U*P beider Partner aus der Gleichung Q = (CP + CE )U*P .

Ausgehend von diesem Potential entladen sich dann die parallel geschalteten Kapazitäten mit der Zeitkonstante TE = (CP + CE )

wobei in der Regel R S

RPRE , RP + RE

R P u.R E angenommen werden kann.

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

85

Wegen ausführlicher Zahlenangaben über die Höhe elektrostatischer Aufladungen bei verschiedenen Materialpaarungen und Luftfeuchten, über statistische Untersuchungen unter bestimmten Randbedingungen auftretender Entladeströme sowie ihrer zeitlichen Verläufe etc. wird auf das umfangreiche Literaturverzeichnis verwiesen [2.88–2.97, B 17]. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass das Beschränken oben durchgeführter Erörterung auf Entladung von Personen und Kleinmöbeln nicht von der Tragweite anderer ESD-Phänomene ablenken soll. So kann ein Entladungsimpuls in der Treibstoffleitung eines Flugzeuges ein verheerendes Ausmaß annehmen. Deswegen sei in solchen Systemen die Materialwahl mit Bedacht zu treffen und dessen Auslegung wohl überlegt sein.

2.4.2

Geschaltete Induktivitäten

Geschaltete Induktivitäten sind die am häufigsten anzutreffenden transienten Störquellen in Industrieanlagen bzw. -steuerungen. Beispiele für Induktivitäten sind die zahllosen Relais- und Schützspulen an den Schnittstellen zwischen automatischen Steuerungen und den Aktoren eines Prozesses, die Spulen der Aktoren selbst (Magnetventilantriebe etc.) sowie sämtliche Maschinenwicklungen, das heißt Motor- und Transformatorwicklungen. Beim Abschalten entstehen hohe transiente Überspannungen, die zu Wiederzündungen der Schaltstrecke, zur dielektrischen Zerstörung der Spule und vor allem zu elektromagnetischen Beeinflussungen benachbarter Komponenten und Schaltkreise führen können. Der Mechanismus der Störungsentstehung ist immer der gleiche, wobei man zwischen dem Öffnen und Schließen induktiver Stromkreise unterscheiden muss. Beim Öffnen eines induktiven Stromkreises versuchen die sich auseinander bewegenden Kontakte eine Stromänderung −di / dt herbeizuführen. Mit ihr verknüpft ist eine Flussänderung −dφ / dt , die durch Selbstinduktion im Stromkreis eine Spannung induziert. Diese Spannung liegt (zum größten Teil) über den sich öffnenden Kontakten und hält den Schaltlichtbogen aufrecht. In Wechselstromkreisen erlischt der Lichtbogen kurz vor einem Nulldurchgang des Stromes und zündet auch nicht wieder, wenn die Durchschlagsfestigkeit der Kontaktstrecke schneller ansteigt als die wiederkehrende Spannung über den Kontakten.

86

2 Störquellen

In Gleichstromkreisen reißt der Strom erst dann ab, wenn sich die Kontakte so weit voneinander entfernt haben, dass der zunehmende Brennspannungsbedarf des Lichtbogens die tatsächlich vorhandene Spannung übersteigt. Die maßgebliche Beeinflussung entsteht im Augenblick des Stromabrisses, wenn das Verlöschen des Lichtbogens bzw. die schnelle Wiederverfestigung bei weit geöffneten Kontakten den Strom mit großer Steilheit −di / dt gegen 0 zwingt. Die hierdurch entstehenden Selbstinduktionsspannungen betragen, auch bei Niederspannungskontakten, mehrere kV. Eine beabsichtigte Anwendung dieses Phänomens findet man in den KFZ-Zündspulen mit Unterbrechern (s. Abschn. 2.3.2), in den klassischen Funkeninduktoren sowie bei der induktiven Energiespeicherung mittels Öffnungsschaltern in der Pulse Power Technologie. Beim Einschalten induktiver Kreise laufen ähnliche Vorgänge ab. Sobald sich die Kontakte bis auf eine bestimmte Entfernung näher gekommen sind, kann es (bei höheren Spannungen) zu Vorzündungen durch die Gasstrecken kommen, spätestens aber beim Kontaktprellen wiederholt sich mehrfach das beim Öffnen eines Kreises bereits oben beschriebene Phänomen, wenn auch mit kleineren Amplituden. Das mehrfache Rück- und Wiederzünden wird im Englischen treffend als „burst“ bzw. „showering arc“ bezeichnet. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass nicht der Funke als solcher stört, wie gelegentlich fälschlich interpretiert wird, sondern sein Verschwinden (Stromabriss) bzw. seine Entstehung (Dielektrischer Durchschlag bei Vor- bzw. Wiederzündungen). Die extrem kurzen Zeiten für die Durchschlagsentwicklung in einer Schaltstrecke, bzw. auch für deren Wiederverfestigung, erklären die hohen beobachteten Steilheiten. Bei Halbleiterschaltern der Leistungselektronik sind die Steilheiten in der Regel geringer, der Effekt der Selbstinduktion tritt jedoch qualitativ in gleicher Weise in Erscheinung. Die Höhe der wirksamen Selbstinduktionsspannungen richtet sich nach der parasitären Spulenkapazität, Bild 2.8.

87

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

Bild 2.8: Zur näherungsweisen Ermittlung der maximalen selbstinduzierten Spannung unter Berücksichtigung der Spulenkapazität.

Die zu Beginn eines Abschaltvorgangs in einer Induktivität gespeicherte magnetische Energie berechnet sich aus dem herrschenden Momentanwert des Stromes zu Wm =

1 2 LI 2

.

Bei geöffnet angenommenem Schalter kann sich der Spulenstrom nur über die Wicklungskapazität C schließen, wobei die ursprünglich gespeicherte Energie zwischen den kapazitiven und induktiven Energiespeichern hin- und herpendelt. Betrachtet man einen Augenblick, in dem sich alle Energie gerade im kapazitiven Speicher befindet, erhält man unter Vernachlässigung der Verluste den maximal möglichen Spannungswert aus der Gleichung We =

! 1 1 CU2max = LI2 . 2 2

Selbstverständlich handelt es sich hierbei nur um eine näherungsweise Abschätzung, mit der man jedoch auf der sicheren Seite liegt. In praxi hängt die maximal erreichbare Abschaltüberspannung wesentlich von den Löscheigenschaften des Öffnungsschalters ab (Schaltmedium Gas oder Vakuum, mehrere in Reihe geschaltete Kontakte etc.). Je größer die erforderliche Brennspannung, desto früher reißt der Strom ab und desto größer ist die Stromänderungsrate di/dt. Überspannungen geschalteter Induktivitäten sind die häufigste Störungsursache in elektronischen Steuerungen. Ihrer Begrenzung bzw. Verringerung ist daher bei der Behandlung praktischer Entstörungsmaßnahmen ein eigenes Kapitel gewidmet (s. Abschn. 10.1).

88

2.4.3

2 Störquellen

Transienten in Niederspannungsnetzen

Transiente Überspannungen oder auch Spannungseinbrüche in Niederspannungsnetzen entstehen überwiegend beim betriebsmäßigen Schalten induktiver Verbraucher, worauf bereits im vorigen Abschnitt eingegangen wurde. Darüber hinaus entstehen Überspannungen aber auch beim Schalten kapazitiver Lasten, Ansprechen von Schutzschaltern und Sicherungen im Kurzschlussfall, Schalthandlungen in überlagerten Netzen sowie durch atmosphärische Überspannungen (Blitzeinwirkung, s. 2.4.6). Repetierende Transienten entstehen durch periodische Kommutierungsvorgänge in Stromrichtern. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Genese und der sehr unterschiedlichen Netzinnenwiderstände schwanken Scheitelwert umax, Steilheit du/dt, zeitlicher Verlauf und der Energieinhalt einer Störung in weiten Grenzen. Letzterer berechnet sich bei gegebenem Widerstand zu W=



2 ust dt . R

Allgemeine Aussagen können daher nur statistischer Natur sein. So lässt sich feststellen, dass Überspannungen in Fabriken und Haushalten sich weniger nach ihrer Höhe als nach ihrer Häufigkeit unterscheiden und dass extreme Überspannungen (>3 kV) relativ selten sind (Blitzeinwirkung, Ansprechen von Sicherungen [2.100, 2.101]). Erfreulicherweise werden sehr steile Überspannungen längs ihrer Ausbreitung auf Niederspannungsleitungen bezüglich Amplitude und Steilheit sehr rasch gedämpft, so dass ihre gefährliche Wirkung auf die Nachbarschaft ihrer Entstehung begrenzt bleibt [2.37, 2.105]. Im Hinblick auf die Auslegung der Störfestigkeit elektronischer Geräte wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Störspannungsmessungen in Orts- und Industrienetzen vorgenommen, deren detaillierte Ergebnisse im Literaturverzeichnis zu finden sind [2.99–2.106, 2.115, 2.166].

2.4.4

Transienten in Hochspannungsnetzen

In Hochspannungsschaltanlagen treten beim betriebsmäßigen Schließen und Öffnen von Trennschaltern zahlreiche Wiederzündungen auf, die in Sekundäreinrichtungen Überspannungen bis zu 20 kV hervorrufen können [10.7– 10.26]. Die Überspannungen können zu Fehlauslösungen des Netzschutzes oder gar zur Zerstörung von Sekundäreinrichtungen führen. Am Beispiel des Zuschaltens eines kurzen leerlaufenden Leitungsstücks an eine spannungsführende Sammelschiene lässt sich die Ursache des Entstehens von Über-

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

89

spannungen anschaulich erläutern, Bild 2.9. Unterschreitet die Durchschlagspannung der sich nähernden Schaltkontakte den Wechselspannungsscheitelwert, ereignet sich ein erster Durchschlag, während dessen das leerlaufende Leitungsstück auf gleiches Potential gebracht wird. Ist der Ladestrom auf vernachlässigbar kleine Werte abgeklungen, reißt der Lichtbogen ab. Da das nun isolierte Leitungstück sein Potential behält (engl.: trapped charge), kommt es zu einem zweiten Durchschlag, wenn sich der Momentanwert der Wechselspannung der Sammelschienen wieder um die Durchschlagspannung des inzwischen kleiner gewordenen Kontaktabstands vom Potential des leerlaufenden Leitungsstücks unterscheidet. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrfach, bis die Trennerkontakte sich metallisch berühren, Bild 2.9.

Bild 2.9: Entstehung von Überspannungen beim Zuschalten eines kurzen leerlaufenden Leitungsstücks (idealisierter Verlauf). Die Höhe der Potentialsprünge beim Wiederzünden und Umladen der leerlaufenden Leitung nimmt mit kleiner werdendem Kontaktabstand ab.

Die raschen positiven und negativen Potentialsprünge des leerlaufenden Leitungsstücks treiben über die Streukapazitäten zu benachbarten Leitungen Verschiebungsströme, du , i = CStr dt deren Scheitelwerte wegen der großen Spannungssteilheiten beträchtliche Werte annehmen können. Weiter induzieren die mit dem Ladestrom der Leitung und den Verschiebungsströmen verknüpften Magnetfelder in benachbarten Schleifen störende Quellenspannungen.

90

2 Störquellen

Der in Bild 2.9 gezeichnete Spannungsverlauf gilt nur für „elektrisch kurze“ leerlaufende Leitungsstücke, deren Laufzeit klein ist gegen die Anstiegszeit der Durchschlagsvorgänge (einige zehn bis hundert ns je nach Kontaktabstand). Selbst in diesem Fall verläuft das Auf- und Umladen nicht so glatt wie in Bild 2.9 gezeichnet, sondern in Form eines schwingenden Ausgleichsvorgangs [2.137, 2.138, 2.156, 2.163–2.165], auf den hier jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. Weiter können Drainageströme zu einer Dachschräge der in Bild 2.9 horizontal verlaufenden Partien der Leitungsspannung führen. Ist die Laufzeit des leerlaufenden Leitungsstücks größer als die Anstiegszeit der Wiederzündungen, laufen bei jedem Durchschlag eine Spannungs- und eine Stromwanderwelle in die Leitung ein, die am leerlaufenden Ende reflektiert werden und den in Bild 2.9 gezeichneten Spannungsverlauf noch komplexer werden lassen. Die längs der leerlaufenden Leitung sich ausbreitenden Wanderwellen koppeln in parallel laufende Leitungen wie oben Störspannungen und Störströme ein (s. a. Abschn. 3.4.1). Beim Öffnen von Trennern laufen sehr ähnliche Vorgänge ab, wobei sich hierbei jedoch die Spannungsamplituden der Potentialänderungen bzw. der Wanderwellen nach Beginn des Öffnungsvorgangs mit zunehmendem Kontaktabstand vergrößern und sogar den doppelten Scheitelwert annehmen können, unbeschadet etwaiger zusätzlicher Spannungsüberhöhungen durch Einschwingvorgänge bzw. Reflexionen. Besonders problematisch sind die beschriebenen Vorgänge in druckgasisolierten Hochspannungsschaltanlagen (GIS), bei denen die Anstiegszeiten der Zünd- bzw. Wiederzündvorgänge im Nanosekundenbereich liegen (engl.: Fast Transients). Die Schaltvorgänge breiten sich in diesem Fall im Innern der Kapselung als Wanderwellen aus, die an Diskontinuitäten des Wellenwiderstands (Isolierte Flanschverbindungen, Abzweige, Durchführungen etc.) teilweise reflektiert, teilweise weitergeleitet werden oder auch in den Raum außerhalb der Kapselung austreten können [8.25, 8.26]. Beispielsweise teilt sich eine an einer Freileitungsdurchführung austretende Wanderwelle in eine Wanderwelle längs der Freileitung und eine Wanderwelle zwischen Kapselung und Erde auf, wobei sich die Spannungsamplituden entsprechend den jeweiligen Wellenwiderständen einstellen, Bild 2.10.

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

91

Bild 2.10: Wanderwellenverzweigung beim Austritt aus einer gekapselten Schaltanlage. a) Freileitungsdurchführung, b) Kabelabgang (schematisch).

Im Falle eines Kabelabgangs tritt noch eine weitere Wanderwelle zwischen dem Kabelmantel und Erde auf. Aufgrund der Stromverdrängung, insbesondere des Proximity-Effektes, fließen die Ströme innerhalb der Kapselung nur in einer sehr dünnen Schicht unter der inneren Oberfläche, die Ströme im Außenraum nur in einer sehr dünnen Schicht unter der äußeren Oberfläche. Die Ströme in der inneren und äußeren Wand der Kapselung beeinflussen sich daher nicht. Die Wanderwellen zwischen Kapselung und Erde führen zu einer Potentialanhebung der Kapselung, die ohne besondere Vorkehrungen zu rückwärtigen Überschlägen (s. Abschn. 3.1.4) in periphere Leittechnikeinrichtungen führen. Darüber hinaus induzieren die transienten elektromagnetischen Wellen auch in nicht mit der Kapselung verbundenen Sekundäreinrichtungen Störspannungen, die nicht nur Fehlfunktionen, sondern auch Zerstörungen hervorrufen. Über Abschätzungen und praktische Messergebnisse maximaler Spannungsund Stromscheitelwerte, Anstiegszeiten der Wanderwellen von Schalthandlungen sowie der Feldstärken transienter elektromagnetischer Felder in Freiluftschaltanlagen und Hochspannungsprüffeldern liegt umfangreiche Literatur vor [2.137, 2.139–2.146], desgleichen über geeignete Maßnahmen zur Herabsetzung von Überspannungen in Sekundäreinrichtungen [2.147– 2.154].

92

2 Störquellen

2.4.5

Transienten in der Hochspannungsprüftechnik und Plasmaphysik

Für den Nachweis der Isolationsfestigkeit hochspannungstechnischer Apparate gegen innere und äußere Überspannungen in Hochspannungsnetzen werden Blitz- und Schaltstoßspannungen mit Anstiegszeiten im Mikrosekunden- und Millisekundenbereich mit mehreren Millionen Volt Scheitelwert erzeugt [2.119]. Stoßspannungen im Multimegavoltbereich mit Anstiegszeiten von nur wenigen Nanosekunden und Impulsströme im Megaamperebereich treten in der Pulse Power Technologie für die Fusionsforschung und die Simulation nuklearer Effekte auf [2.77, 2.120]. Wegen des um 120dB höheren Störpegels ist die messtechnische Erfassung der aus diesen Größen abgeleiteten Niederspannungsmesssignale mit einem Oszilloskop oder Transientenrekorder sehr schwierig, gehört jedoch zum technischen Alltag eines Hochspannungsforschungslabors [2.19]. Die Beschäftigung mit diesen massiven Beeinflussungen führte schon sehr früh zu einem intimen EMV-Verständnis [2.155, 2.156] und erklärt, warum gerade Ingenieure der Hochspannungstechnik sich heute vielfach mit EMV-Fragen wie NEMP, ESD oder innerem Blitzschutz befassen (s. Abschn. 2.4.1, 2.4.6 und 2.4.7). Im Kapitel 10, „Repräsentative EMV-Probleme“, wird auf die Entstehung und Beseitigung von Störspannungen in Hochspannungslaboratorien noch ausführlich eingegangen (s. Abschn. 10.6).

2.4.6

Blitze - LEMP

Blitze und die mit ihnen verknüpften transienten Felder (engl.: LEMPLightning Electromagnetic Pulse) führen zu massiven elektromagnetischen Beeinflussungen am Einschlagort sowie über den LEMP auch in dessen näherer Umgebung. Für die Auslegung von Blitzschutzanlagen des äußeren Blitzschutzes (s. Abschn. 10.5) können z. B. folgende maximalen Blitzstromparameter zugrunde gelegt werden [2.121, 2.133, 2.134], -

Stromscheitelwert



= 200 kA

-

Stromsteilheit

di / dt

= 300 kA / μs (für 100 ns) = 150 kA / μs (für 1 μs)

-

Ladung

-

Grenzlastintegral engl.: specific energy

∫ idt ∫ i dt

= Q = 500 As

2

= 107 A 2 s

W /R

= 107 A 2 s

.

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

93

Die Vielzahl der Blitzstromparameter liegt in den vielseitigen Wirkungen von Blitzentladungen begründet. So bestimmt der Stromscheitelwert die zu erwartenden Potentialanhebungen, die Stromsteilheit die induzierten Spannungen, die Ladung die Anschmelzungen sowie das Grenzlastintegral die adiabatische Erwärmung von Leitern. Die Zahlenwerte sind Obergrenzen und je nach Schutzbedürfnis und Bedeutung der Anlage verhandlungsfähig. Die meisten Blitze besitzen nur Scheitelwerte von wenigen 10 kA. Im Hinblick auf den inneren Blitzschutz (s. 10.5) können die mit einem Blitzstrom bzw. den Blitzteilströmen in der Erdungsanlage verknüpften elektrischen und magnetischen Felder sowie die von ihnen in Sekundär- und Datenverarbeitungseinrichtungen, MSR-Anlagen etc. induzierten Störspannungen und Störströme mit Hilfe der Maxwellschen Gleichungen für die jeweilige Entfernung vom Einschlagort und Geometrie des Empfangssystems unter Berücksichtigung der Gebäudeeigenschaften etc. im Einzelfall berechnet werden (s. 3.3 und [2.122–2.129, 2.132]). Die Häufigkeit der Gewittertage/Jahr für einen bestimmten Ort lässt sich dem sogenannten isokeraunischen Pegel entnehmen, der auf einer Weltkarte Orte gleicher Gewitterhäufigkeit durch „Höhenlinien“ verbindet [2.135, 2.136]. Diese Informationen sind aus vielen Gründen sehr bedeutsam, z. B. für Sachversicherungen, Exportfirmen etc. Dem isokeraunischen Pegel lässt sich beispielsweise entnehmen, dass Kenia 240 Gewittertage, dagegen Orte in Westeuropa nur 10 bis 30 Gewittertage im Jahr aufweisen.

2.4.7

Nuklearer elektromagnetischer Puls - NEMP

Die plötzliche Freisetzung von Kernenergie in einer nuklearen Explosion ist von einem intensiven Strahlungsimpuls aus γ - Quanten begleitet (hochenergetische Röntgenstrahlung im MeV-Bereich), die sich nach allen Richtungen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Bei einer Explosion in großer Höhe über der Erdoberfläche (z. B. 400 km) schlagen die auf die Erde zufliegenden Quanten aus den Atomen der dichteren Luftschichten infolge des ComptonEffekts sog. Compton-Elektronen heraus, von denen ein großer Teil die ursprüngliche Richtung des γ -Quants beibehält und auf seinem weiteren Weg zur Erde zahlreiche zusätzliche Elektronen durch Stoßionisation freisetzt (Sekundärelektronen). Die auf die Erde zufliegenden Elektronen bilden einerseits, zusammen mit den zurückgelassenen positiven Luftionen,

94

2 Störquellen

einen transienten elektrischen Dipol, andererseits aufgrund ihrer Ablenkung im Magnetfeld der Erde (Lorentz-Kraft F = Q [ v × B ] ) auch einen transienten magnetischen Dipol. Die zeitlich und räumlich veränderliche Ladungs- und Stromverteilung im Luftraum ist verknüpft mit einem transienten elektromagnetischen Wellenfeld, dem nuklearen elektromagnetischen Puls NEMP. Gemäß der zugänglichen Literatur besitzt der NEMP-Impuls näherungsweise einen doppelt exponentiellen Verlauf (qualitativ ähnlich einer genormten Blitzstoßspannung) mit einer Anstiegszeit von ca. 4 ns und einer Rückenzeit von ca. 200 ns, Bild 2.11.

Bild 2.11: Genormter zeitlicher Verlauf der transienten elektrischen Feldstärke eines NEMP-Impulses.

Der Maximalwert der elektrischen Feldstärke ist zu 50 kV/m genormt. Im Fernfeld berechnet sich hieraus mit Hmax = Emax / 377 Ω die maximale magnetische Feldstärke zu 133 A/m. Verwandte Effekte treten auch bei Explosionen in Bodennähe auf, man unterscheidet daher zwischen Höhen-EMP (auch EXOEMP, engl.: HEMP, High-Altitude EMP) und Boden-EMP (auch ENDO-EMP, engl.: SREMP, Surface-Region EMP). Bei letzterem sind jedoch die thermischen und mechanischen Effekte dominant. Schließlich gibt es noch den magnetohydrodynamischen EMP (MHD-EMP), einen extrem langsam, im Sekunden- bis Minutenbereich, verlaufenden Ausgleichsvorgang, der durch Wechselwirkung-

2.4 Transiente Breitbandstörquellen

95

en zwischen dem Erdmagnetfeld und den expandierenden ionisierten Gasmassen in der Atmosphäre hervorgerufen wird. Die Problematik des NEMP besteht in seiner flächendeckenden Wirkung, die sich über einen ganzen Kontinent erstrecken kann. Besonders gefährdet sind räumlich ausgedehnte Systeme (Energieversorgungsnetze, Telefonnetze etc.), in denen durch die verteilte Einkopplung und Ausbildung von Wanderwellen beträchtliche Energien akkumuliert werden können. Beim MHD-EMP werden niederfrequente, induktiv eingekoppelte Ströme in Energieversorgungsnetze diskutiert, die möglicherweise bei Leistungstransformatoren exzessive Sättigungserscheinungen hervorrufen könnten. Das Ausmaß der möglichen elektromagnetischen Beeinflussungen durch NEMP ist noch Gegenstand der Forschung und wird gelegentlich kontrovers diskutiert [2.61]. Wegen weiterer Hinweise wird auf das Literaturverzeichnis verwiesen [2.62–2.70].

2.5

Umgebungsklassen

Die Vielfalt der vorgestellten Störquellen legt zur vereinfachten standardisierten Beschreibung von Störumgebungen die Einführung typischer Umgebungsklassen nahe. Beispielsweise kann man für Geräte der Mess-, Steuer- und Regelungstechnik folgende Standardumgebungen definieren (s. z. B. VDE 0843 [B23], IEC 65-4 [2.167]).

2.5.1

Leitungsgebundene Störungen

Umgebungsklasse 1 (sehr niedriger Störpegel):

– Abschaltüberspannungen in Steuerkreisen durch geeignete Beschaltungen unterdrückt, – Starkstromleitungen und Steuerleitungen von Anlagenteilen höherer Umgebungsklasse getrennt verlegt, – Stromversorgungsleitungen mit an beiden Enden geerdetem Schirm und mit Netzfiltern versehen, – Leuchtstofflampen vorhanden. Typisches Beispiel: Rechnerräume.

96

2 Störquellen

Umgebungsklasse 2 (niedriger Störpegel):

– Abschaltüberspannungen geschalteter Relais teilweise begrenzt, keine Schütze, – Starkstromleitungen und Steuerleitungen von Anlagenteilen höherer Umgebungsklasse getrennt verlegt, – Getrennte Verlegung ungeschirmter Netzversorgungsleitungen und Steuer- bzw. Signalleitungen, – Leuchtstofflampen vorhanden. Typisches Beispiel: Messwarten in Kraftwerken und Industrieanlagen. Umgebungsklasse 3 (Industriestörpegel):

– Relaisspulen nicht beschaltet, keine Schütze, – Nicht verbindliche Trennung von Starkstrom- und Steuerleitungen von Anlagenteilen mit höherem Störniveau, – Netzversorgungsleitungen, Steuer-, Signal- und Telefonleitungen getrennt verlegt, – Nicht verbindliche Trennung von Steuer-, Signal- und Telefonleitungen untereinander, – Verfügbarkeit eines allgemeinen Erdungssystems. Typisches Beispiel: Kraftwerks- und Industrieleittechnik. Umgebungsklasse 4 (hoher Industriestörpegel):

– Unbeschaltete Relais und Schütze, – Nicht verbindliche Trennung von Leitungen von Anlageteilen mit unterschiedlichem Störniveau, – Keine Trennung von Steuerleitungen und Signal- bzw. Telefonleitungen, – Mehradrige Kabel für Steuer- und Signalleitungen. Typisches Beispiel: Außenanlagen der Kraftwerks- und Prozessleittechnik, Hochspannungsschaltanlagen. Umgebungsklasse X (extremer Störpegel):

Hier handelt es sich in der Regel um den Betrieb von Geräten in unmittelbarer Nachbarschaft extremer Störer. Für diese Sonderfälle, die naturgemäß nicht durch allgemeingültige Normen erfasst werden können, müssen zwischen Hersteller und Anwender Sondervereinbarungen getroffen werden bzw. sind u. U. auch vom Anwender zusätzliche Entstörmaßnahmen vor Ort zu ergreifen.

2.5 Umgebungsklassen

2.5.2

97

Störstrahlung

Umgebungsklasse 1:

Umgebung mit niedrigem elektromagnetischen Strahlungspegel, z. B. örtliche Rundfunk- und Fernsehstationen im Abstand von mehr als einem Kilometer, Sprechfunkgeräte niedriger Leistung. Umgebungsklasse 2:

Umgebung mit mäßiger elektromagnetischer Strahlungsintensität, z. B. Sprechfunkgeräte, die im Abstand ≥ 1m nahe empfindlicher Einrichtungen betrieben werden. Umgebungsklasse 3:

Umgebung mit sehr starker elektromagnetischer Strahlung, z. B. hervorgerufen durch Sprechfunkgeräte mit hoher Leistung in unmittelbarer Nähe von Steuer-, Mess- und Regeleinrichtungen. Umgebungsklasse 4:

Sehr starke Strahlung. Der Prüfschärfegrad ist zwischen Auftraggeber und Hersteller zu vereinbaren. In ähnlicher Weise kann man Umgebungsklassen an Bord von Flugzeugen und Schiffen, in Forschungseinrichtungen oder in Abhängigkeit klimatischer Bedingungen (z. B. für elektrostatische Aufladungen) etc. festlegen. Dabei werden Umgebungsklassen oft nicht nur durch die äußere Störumgebung des Gesamtsystems definiert, wie beispielsweise eine einfallende Radarwelle auf ein Flugzeug, sondern sind oft auch abhängig von der Art der Integration von Teilsystemen. Ein Beispiel hierzu sei die Definition der so genannten HIRF-Kategorien (engl.: High Intensity Radiated Fields) im Flugzeugbau, wobei unter anderem die Exponiertheit der Komponenten und die Schutzwirkung der Flugzeugstruktur mit in die Spezifikation der Prüfanforderung eingeht. Die in den Abschnitten 2.5.1 und 2.5.2 genannten Kriterien sind verhandlungsfähig, zwischen den Umgebungsklassen bestehen keine scharfen Grenzen. Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit von EMV-Maßnahmen darf nicht unbesehen jeweils die höchste Umgebungsklasse vorausgesetzt werden. Viel-

98

2 Störquellen

mehr sind an Hand einer Risikobetrachtung Störwahrscheinlichkeit, Anlagenwert, Stillstandskosten etc. gegenüber Mehrkosten für den ungestörten Einsatz in einer bestimmten Umgebungsklasse sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Die letztlich ausgewählte Umgebungsklasse legt die Prüfschärfe (engl.: test severity) fest, das heißt Prüfspannungs- und Prüfstromamplituden, die zum Beispiel um den Faktor 2 bzw. 6 dB über den in den jeweiligen Umgebungsklassen anzutreffenden Störpegeln liegen. Bei sicherheitsrelevanten Systemen, wie beispielsweise Flugsteuerungscomputer oder Fahrzeugkontrollsystemen (Antiblockiersystem, elektronisches Stabilitätsprogramm, usw.), liegen die Anforderungen bei Prüfpegeln sogar bis zu 12dB über den umgebungsspezifischen Störpegeln. Weitere Hinweise enthalten die jeweils geltenden Vorschriften sowie Kap. 8.

3

Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Im Folgenden werden die bereits im Abschnitt 1.3 vorgestellten grundsätzlichen Übertragungswege elektromagnetischer Beeinflussungen ausführlicher betrachtet. Darüber hinaus wird gezeigt, wie sich diese Übertragungswege mathematisch beschreiben lassen, was letztlich, zusammen mit der Methodik der Abschnitte 1.6.1 bis 1.6.3, eine Quantifizierung der am Empfangsort zu erwartenden Störgrößen ermöglicht.

3.1

Galvanische Kopplung

Galvanische Kopplung tritt auf, wenn zwischen zwei oder mehreren Stromkreisen leitende Verbindungen bestehen, bzw. wenn diese eine Impedanz gemeinsam haben. Man unterscheidet die – galvanische Kopplung zwischen Betriebsstromkreisen, beispielsweise am gleichen Netz betriebene Verbraucher, Bild 3.1 a, und die – galvanische Kopplung zwischen Betriebsstromkreisen und Erdstromkreisen, die sog. Erdschleifenkopplung, Bild 3.1 b.

ZK1

Zi

~ UNutz(ω)

Netzteil

ZK2 a)

~

b)

ZE ZK

UGl(ω)

Bild 3.1: Beispiele leitungsgebundener Störspannungsentstehung bzw. -übertragung durch galvanische Kopplung über eine Kopplungsimpedanz ZK , a) am gleichen Netz betriebene Verbraucher, b) Erdschleifenkopplung.

100

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Weitere typische Beispiele ersterer Art sind Netzrückwirkungen von Schaltnetzteilen und Stromrichtern, Stromänderungen beim Schalten digitaler Schaltkreise und Betätigen von Schütz- und Relaisspulen, Ströme in den Zuleitungen von Kollektormotoren usw. Die Erdschleifenkopplung ist ubiquitär und tritt immer dann auf, wenn Gleichtaktspannungsquellen (s. Abschn. 1.4) ungewollte Ströme durch mehrfach geerdete Bezugsleiter, Kabelschirme, Messgerätegehäuse etc. treiben. Die gemeinsamen Impedanzen werden synonym als Kopplungsimpedanz, Leerlaufkernimpedanz oder Transferimpedanz (engl.: mutual transfer impedance) bezeichnet. Diese Impedanzen beschreiben den Zusammenhang zwischen einem eingeprägten Strom und dem von ihm an einer Impedanz hervorgerufenen Spannungsabfall, der seinerseits als Quellenspannung (Gegentaktspannungsquelle, s. Abschn. 1.4) eines weiteren Stromkreises interpretiert wird.

3.1.1

Galvanische Kopplung von Betriebsstromkreisen

Besitzen zwei oder mehrere Stromkreise eine gemeinsame Impedanz, beispielsweise einen gemeinsamen Bezugsleiter, so erzeugt der Strom jeweils eines Stromkreises an der Kopplungsimpedanz ZK einen Spannungsabfall, der sich im anderen Stromkreis als Gegentaktstörspannung bemerkbar macht, Bild 3.2 a.

ZQI

Z QII U II

UI

a)

Z EII ZK

ZQI

Z EI

Z QII

Z EII

Z EI

U II

UI

b)

Bild 3.2: a) Entstehung von Gegentaktstörspannungen in Stromkreisen mit gemeinsamer Impedanz, b) Abhilfe: Z0 Quellenimpedanzen, ZE Empfängerimpedanzen.

Grundsätzlich läuft in diesen Fällen die Entkopplung auf die in Bild 3.2 b gezeigte Maßnahme hinaus. Beide Kreise sind nach wie vor noch galvanisch

3.1 Galvanische Kopplung

101

gekoppelt, jedoch nicht mehr über eine Kopplungsimpedanz, sondern nur noch in einem Punkt. Im Folgenden wird die oben schematisch aufgezeigte Problematik der Kopplung über gemeinsame Impedanzen am Beispiel der galvanischen Kopplung elektronischer Flachbaugruppen, integrierter Schaltkreise und anderer Verbraucher über die Innenwiderstände gemeinsamer Netzteile bzw. die Impedanzen gemeinsamer Stromversorgungsleitungen näher erläutert, Bild 3.3.

a)

Z = R + jωL

Funktionseinheit 1 Funktionseinheit 2

b)

Funktionseinheit 1 Funktionseinheit 2

Funktionseinheit 1

c) Funktionseinheit 2

Bild 3.3: a) Galvanische Kopplung von Funktionseinheiten über gemeinsame Impedanzen. b), c) Gegenmaßnahmen. Erläuterung siehe Text.

102

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

In Bild 3.3 a rufen Laststromänderungen der Funktionseinheit 1 Spannungsabfälle an den Impedanzen der Stromversorgungsleitungen und am Innenwiderstand des Netzteils hervor, die sich als Schwankungen der Versorgungsspannung aller weiteren parallel versorgten Funktionseinheiten bemerkbar machen und gegebenenfalls zu Fehlfunktionen führen. Der Spannungseinbruch berechnet sich im Zeit- und Frequenzbereich zu u(t) = Ri(t) + L

di(t) dt

bzw.

U(ω) = I(ω)Z

,

(3-1)

wobei eine etwaige Gleichzeitigkeit mehrerer Laststromänderungen zu berücksichtigen ist. In der Digitaltechnik überwiegt wegen der großen Stromänderungsgeschwindigkeiten der induktive Spannungsabfall meist den ohmschen Spannungsabfall.

Gegenmaßnahmen: – Reduzierung der Schleifenimpedanz der Stromversorgungsleitungen durch geringen Abstand, Verdrillen, doppelt kaschierte Leiterplatten und MultiLayer-Platten etc. – Betreiben der Funktionseinheiten mit höherer Versorgungsspannung und Einsatz individueller Schaltregler innerhalb einer Funktionseinheit. – Funktionseinheiten am Eingang mit ausreichend bemessenen Stützkondensatoren versehen, die während schneller Schaltvorgänge kurzzeitig hohe Ströme bei nur geringer Spannungsabsenkung liefern können. – Separate Stromversorgungsleitungen der einzelnen Funktionseinheiten zum Netzteil. Etwaige Spannungseinbrüche werden dann nur noch vom vergleichsweise geringen Innenwiderstand des Netzteils bestimmt, die Impedanzen der individuellen Zuleitungen bewirken eine Entkopplung der Funktionseinheiten untereinander, Bild 3.3 b. – Bei Funktionseinheiten sehr unterschiedlicher Leistungsaufnahme getrennte Netzteile vorsehen, Bild 3.3 c. Was hier beispielhaft für komplette Funktionseinheiten erläutert wurde, gilt auch im Kleinen innerhalb einer einzelnen elektronischen Flachbaugruppe, Bild 3.4 a, b.

3.1 Galvanische Kopplung

+

103

+

IC

a)

C IC

b)

Bild 3.4: Stromversorgung von Komponenten auf Flachbaugruppen. a) schlecht, b) besser.

Unter Berücksichtigung der oben für Funktionseinheiten aufgeführten Gegenmaßnahmen sind die Unterschiede beider Layouts selbsterklärend. Die bereits erwähnten Stützkondensatoren werden zur individuellen Kopplung gegebenenfalls auf einzelne IC ' s verteilt (s. a. Kap. 10). Dies bewirkt, dass die durch schnelle Flanken verursachte Störung bereits am Erzeuger gedämpft und nicht über die Platine verteilt wird. Selbstverständlich bedarf es einer genauen Festlegung der einzelnen Kapazitäten, um die Funktionalität der Bauteile sicherzustellen, da zu stark gedämpfte Anstiegsflanken die Funktion nachfolgender Baugruppen beeinflussen kann. Diese Problematik schildert im Übrigen die Herausforderung moderner Designs bei Verwendung schneller Schaltkreise, einerseits das Streben des EMV-Ingenieurs nach geringen Anstiegszeiten und andererseits des Elektronikentwicklers nach schnellen Anstiegszeiten. Auch bezüglich der Beeinflussung benachbarter Systeme weist das Layout gemäß Bild 3.4 b Vorteile auf, da stromdurchflossene Schleifen wesentlich kleinere Flächen besitzen und daher mit erheblich geringeren magnetischen Flüssen verknüpft sind [B18]. Für die rechnerische Abschätzung zu erwartender Beeinflussungen finden sich in Tabelle 3.1 einige Näherungsformeln zur Berechnung der Induktivität verschiedener Leiterkonfigurationen ([3.9, 3.10, 3.11] mit zahlreichen weiteren Literaturstellen).

104

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Tabelle 3.1: Näherungsformeln zur Berechnung von Induktivität und Wellenwiderstand häufig vorkommender Leitungstypen. Geometrie

Induktivitätsbelag

εr

μ0 2d ln π D

D

d

εr

h

377

π εr

μ0 2h ar cosh 2π D

D

h

Wellenwiderstand

εr

377 2π ε r

ln

2d D

ar cosh

2h D

b ≥ 0, 35 : h

μ0 b⎞ ⎛2 4 ⎜ ln 2 + ⎟ h⎠ ⎝π

377 b⎞ ⎛2 4 ⎜ ln 2 + ⎟ ε r h⎠ ⎝π

b < 0, 35 : h

μ0 8h ln 2π πb

2π ε r

b

377

ln

8h πb

b

εr

h

εeff =

εr + 1 + 2

ε r -1 10 × h 2 1+ b

μ0 b ≥ 1: 6 h ⎡b h ⎛ h⎞ ⎤ ⎢ + 2,42 - 0,44 + ⎜ 1 - ⎟ ⎥ b ⎝ b ⎠ ⎥⎦ ⎢⎣ h

377 6 ⎡b h ⎛ h⎞ ⎤ εeff ⎢ + 2,42 - 0, 44 + ⎜ 1 + ⎟ ⎥ b ⎝ b ⎠ ⎦⎥ ⎣⎢ h

μ b ⎛ 8h b ⎞ < 1 : 0 ln ⎜ + ⎟ h 2π ⎝ b 4h ⎠

377 2π εeff

⎛ 8h b ⎞ + ln ⎜ ⎟ ⎝ b 4h ⎠

Die Obergrenze für die Impedanz einer Stromversorgungsleitung bildet bei unendlich hohem di/dt der Wellenwiderstand Z0, so dass sich für „elektrisch lange“ Leitungsstücke ( l / ν > Ta , s. a. Abschn. 5.1) der Spannungsabfall in Abweichung von (3-1) berechnet zu

ΔU = Z0 Δ I

.

(3-2)

Die Wellenwiderstände Z0 häufig vorkommender Leitungstypen sind in der letzten Spalte von Tabelle 3.1 aufgeführt.

3.1 Galvanische Kopplung

3.1.2

105

Erdschleifen

Neben der im vorangegangenen Kapitel behandelten Kopplung mehrerer Betriebsstromkreise über eine gemeinsame Impedanz gibt es auch die Kopplung von Betriebsstromkreisen und Erdstromkreisen, so genannten Erdschleifen oder Ringerden (engl.: ground loop). Erdschleifen bzw. Ringerden zählen zu den häufigsten Ursachen elektromagnetischer Beeinflussungen. Betrachten wir beispielsweise eine Signalquelle, die über ein Koaxialkabel mit einem Oszilloskop verbunden ist. Beide Gerätegehäuse seien aus Berührungsschutzgründen über die Schutzkontakte ihrer Netzanschlussleitungen geerdet, Bild 3.5.

I Gl (ω)

USt (ω)

2

1 UGl (ω)

Bild 3.5: Erdschleife durch Mehrfacherdung (Kabelmantelimpedanz nicht gezeichnet). Gleichtaktquellenspannung UGl (ω) .

Eine durch Induktion oder durch unterschiedliche Erdpotentiale in der Erdschleife generierte Gleichtaktquellenspannung UGl (ω) treibt sowohl durch den Innenleiter als auch durch den Mantel des Signalkabels Gleichtaktströme I Gl (ω) . Der Gleichtaktstrom durch den Innenleiter ruft an den Sender- und Empfängerimpedanzen Spannungsabfälle hervor. Gemäß dem aus den Quell- und Empfängerimpedanzen gebildeten Spannungsteiler, ergibt sich für das Verhältnis Gegentaktstörspannung USt (ω) an der Empfängerimpedanz ZE zu Gleichtaktspannung UGl folgender Gleichtakt/GegentaktKonversionsfaktor (s. 1.4), GGKF =

USt (ω) UGl (ω)

=

ZE ZE + ZQ

.

(3-3)

106

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Hierbei ist impliziert, dass die Impedanzen von Innenleiter und Mantel gegenüber der Quellen- und Empfängerimpedanz vernachlässigt werden können und im Messkabel noch keine Stromverdrängung auftritt (s. 3.1.3). Für Z0 tritt die Gleichtaktstörung in voller den häufig anzutreffenden Fall ZE Höhe als Gegentaktstörung am Empfänger auf, im angepassten Fall, zum Beispiel Z0 = ZE = 50 Ω zur Hälfte. Bei hohen Frequenzen ändern sich die Verhältnisse grundlegend, wenn der Kabelschirm als Kopplungsimpedanz aufgefasst werden muss (s. Abschn. 3.1.3). Das logarithmische Verhältnis des Kehrwerts des Gleichtakt/GegentaktKonversionsfaktor bezeichnet man als Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung (s. Abschn. 1.4) U (ω) GGD = 20 lg Gl USt (ω) . (3-4) Die Gleichung (3-3) entspricht der Gleichtaktverstärkung (engl.: common mode gain) von Operationsverstärkern, A Gl =

U Ausgang UEingang

.

(3-5)

Eine nahe liegende Maßnahme zur Verringerung der Gleichtakt/Gegentaktkonversion ist die galvanische Auftrennung der Erdschleife, indem entweder Sender oder Empfänger ohne Schutzkontakt betrieben werden, Bild 3.6.

ZL = jωL

U St (ω)

U Gl (ω) ZStr = 1

2

1 j ω CStr

U Gl (ω)

Bild 3.6: Auftrennung einer Erdschleife durch einseitige Erdung.

3.1 Galvanische Kopplung

107

In dieser Anordnung findet bei Gleichspannung keine Gleichtakt/Gegentakt-Konversion statt. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass das nicht galvanisch geerdete Gerät eine Erdstreukapazität CStr gegenüber Erde aufweist, so dass bei hohen Frequenzen nach wie vor eine Erdschleife existiert. Mit zunehmender Frequenz können daher merkliche Störströme fließen, die wieder zu einer Gleichtakt/Gegentakt-Konversion führen. Zunächst erfolgt eine Spannungsteilung am Teiler gebildet aus der Streukapazität CStr (ZStr = 1/ jωCStr ) und der Induktivität L der Erdschleife ( ZL = jωL , mit L=1μH/m). Die Impedanz Z12 des Erdungssystems und der Erdverbindungen zu den Gehäusen sei vernachlässigbar klein verglichen mit der Impedanz des Signalkabelschirms, so dass sich das Verhältnis der Gleichtaktspannung UGl (ω) zu der an der Parallelschaltung von Hin- und Rückleitung des Signalkreises liegenden Spannung U'Gl (ω) unter der Voraussetzung (Z0 + ZE ) ZL ergibt zu UGl (ω) ZStr + ZL = U'Gl (ω) ZL

.

(3-6)

Die Spannung U'Gl (ω) teilt sich wieder auf die Impedanzen ZQ und ZE auf, so dass wir für das Verhältnis Gleichtaktspannung zu Gegentaktspannung erhalten UGl (ω) ZQ + ZE ZStr + ZL = ⋅ USt (ω) ZE ZL

.

(3-7)

Für hohe Frequenzen strebt ZStr gegen Null, was einer unendlich großen Kapazität bzw. einer direkten Erdung entspricht. Gleichung (3-7) geht dann über in die bereits bekannte Gleichung (3-3). Für Gleichspannungen nimmt ZStr den Wert unendlich an, was einer unendlich hohen Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung entspricht, das heißt USt (ω) = 0 . Mit von Null ansteigender Frequenz nimmt die Gleichtakt/ Gegentakt-Konversion mit 6dB/Oktave bzw. 20dB/Dekade zu bzw. die Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung entsprechend ab. Falls Sender und Empfänger erdfrei betrieben werden und beide etwa gleich große Streukapazitäten gegenüber Erde aufweisen, stellen sich in Gleichung (3-7) bei ZStr ein Faktor 2 bzw. in der Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung zusätzliche 6dB ein. Im vorgestellten Beispiel wird wohl immer ein Gerät aus Berührungsschutzgründen geerdet sein (das zweite Gerät ist dann über den Kabelschirm eben-

108

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

falls geerdet, solange das Signalkabel angeschlossen bleibt!). Es gibt jedoch zahllose Anordnungen, in denen tatsächlich eine beidseitig über Erdstreukapazitäten geschlossene Erdschleife auftritt. Ein typischer Fall ist die Erdschleife zwischen zwei elektronischen Flachbaugruppen innerhalb eines oder verschiedener Baugruppenträger, Bild 3.7.

~ CStr1

CStr2

~ ~

UGl (ω)

PE

Bild 3.7: Erdschleife zwischen Flachbaugruppen.

Die Schaltungsmasse ist zwar an einer Stelle im Elektronikschrank mit der Schutzerde verbunden, ist für Hochfrequenz jedoch durch Streuinduktivitäten abgekoppelt und wird daher in Bild 3.4 nicht eingezeichnet. Unbeschadet der unterschiedlichen Hardware verhält sich diese Anordnung bezüglich der Gleichtakt/Gegentakt-Konversion ähnlich wie das Beispiel Signalquelle/Oszilloskop im Fall beidseitig erdfreien Betriebs. Die bislang angestellten Betrachtungen gelten nur bereichsweise in guter Näherung. Im konkreten Einzelfall sind zusätzlich folgende Phänomene zu berücksichtigen: -

Für ωL = 1/(ωCStr ) gerät der Reihenschwingkreis aus Streukapazität CStr und der Induktivität L in Resonanz und führt je nach Dämpfung beliebig hohe Ströme (Stromresonanz).

-

Bei langen Signalleitungen und hohen Frequenzen muss die Leitungsimpedanz der Hin- und Rückleitung in Reihe mit der Quellen- und Empfängerimpedanz berücksichtigt werden.

-

Für Frequenzen, deren Wellenlänge in der Größenordnung der Signalkabellänge oder darunter liegt, darf nicht mehr mit der komplexen Wechselstromrechnung gerechnet, sondern muss die Theorie elektrisch langer Leitungen herangezogen werden.

3.1 Galvanische Kopplung

-

109

Speziell bei koaxialen Signalleitungen fließt bei hohen Frequenzen auf Grund der Stromverdrängung nur noch auf dem Kabelmantel Strom. Die Gleichtakt/Gegentakt-Konversion erfolgt dann über die Kopplungsimpedanz der Leitung (s. 3.1.3).

Unter Berücksichtigung der genannten Einflüsse besitzt die Frequenzabhängigkeit der Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung qualitativ den in Bild 3.8 dargestellten Verlauf. GGD dB

Zunehmende Kopplungsimpedanz auf Grund des magnetischen Durchgriffs

100 80

Abnehmende Kopplungsimpedanz durch Stromverdrängung

60

Leitungstheorie für I > λ /4

40 20

galvanisch

0 f

Bild 3.8: Typischer Verlauf der Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung für galvanisch und kapazitiv geschlossene Erdschleifen (schematisch).

Bei galvanisch geschlossener Erdschleife (beidseitige Erdung) erfolgt für niedrige Frequenzen eine vollständige Gleichtakt/Gegentaktkonversion. Die Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung beträgt 0dB und steigt erst bei höheren Frequenzen auf Grund des frequenzabhängigen Kopplungswiderstands an. Die Dämpfung wird jedoch nicht beliebig hoch, sondern fällt bei ansteigendem Kopplungswiderstand wieder ab, um bei sehr hohen Frequenzen, wenn die Messleitungen elektrisch lang werden, einen resonanzähnlichen Verlauf anzunehmen. Bei kapazitiv geschlossener Erdschleife (einseitige oder keine Erdung) ist bei Gleichspannung die Gleichtakt/Gegentakt-Dämpfung zunächst unendlich groß, fällt aber dann mit 20dB/Dekade ab und geht in den Verlauf der Kurve für beidseitige Erdung über.

Gegenmaßnahmen: Die obigen Betrachtungen ließen bereits erkennen, dass zumindest bei Gleichspannung und niederen Frequenzen durch einseitige Erdung eine für

110

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

viele Fälle befriedigende Gleichtaktunterdrückung erreicht werden kann. So zielen denn auch einige der nachstehenden Maßnahmen weiter auf eine Auftrennung der Erdschleife ab. Diese Alternativen kommen insbesondere dann zum Tragen, wenn sich weder Sender noch Empfänger erdfrei betreiben lassen bzw. wenn diese bei hohen Frequenzen etwa über große Erdstreukapazitäten permanent „geerdet“ sind, unbeschadet des Fehlens einer galvanischen Erdverbindung. Trenntransformatoren: Trenntransformatoren (engl.: Isolation Transformer) sind ein probates Mittel zur Unterbrechung von Erdschleifen im Fall nieder- und mittelfrequenter Nutzsignale, Bild 3.9.

CStr

a)

~

CStr

~ ~

UGl(ω)

b)

~

IGl

~ ~

UGl(ω) Bild 3.9: Trenntransformatoren zur Unterbrechung von Erdschleifen, a) kapazitive Restkopplung, b) „Bypass“-Schirm für den Gleichtaktstrom I Gl (ω) .

Während im Fall 3.9 a bei hohen Frequenzen über die nicht unbeträchtlichen Wicklungsstreukapazitäten CStr nach wie vor Gleichtaktströme zum Empfänger fließen können, werden diese im Fall 3.9 b durch den Schirm am Empfänger vorbeigeleitet. Die Bypass-Wirkung setzt eine niederinduktive Verbindung des Schirms mit der Empfängererde voraus.

3.1 Galvanische Kopplung

111

Da sich der Trenntransformator im Signalpfad befindet, muss sein Übersetzungsverhältnis über die Signalbandbreite konstant sein. Vielfach werden Trenntransformatoren auch netzseitig eingesetzt, womit diese Voraussetzung entfällt. Trenntransformatoren können bezüglich ihrer Schirme sehr komplex aufgebaut sein, worauf in 4.4 noch näher eingegangen wird. Neutralisierungstransformatoren:

Trenntransformatoren besitzen eine untere Grenzfrequenz und übertragen keine Gleichspannungen. Falls dies gefordert wird, können Neutralisierungstransformatoren bzw. Symmetriertransformatoren verwendet werden, Bild 3.10 (engl.: BALUN, BALanced-UNbalanced ). W1

I Gl

~

W2

~ ~ ~

U Gl (ω) Bild 3.10: Neutralisierungstransformator zur „Unterbrechung“ einer Erdschleife W1 = W2 : Windungszahl.

Beide Spulen sind gleichsinnig gewickelt, so dass sich die Durchflutungen der in entgegengesetzten Richtungen fließenden Nutzsignalströme kompensieren und daher der Transformator für sie nicht existent ist. Sie werden daher oft auch stromkompensierte Drosseln genannt (s. Abschn. 4.1.5.2). Für Gleichtaktströme wirken die Wicklungen als Drosseln und erhöhen damit die Impedanz der Erdschleife, was bei hohen Frequenzen sinngemäß einer Auftrennung gleichkommt. Oberhalb 1 MHz eignen sich als Neutralisierungstransformatoren sehr gut Ferritperlen und -ringe, die über beide Adern eines Signalkreises geschoben werden, bzw. Ferritkerne, um die beide Adern eines Signalkreises aufge-

112

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

wickelt werden [2.19, 3.28]. Die Leiter selbst bilden dann die gleichsinnigen Wicklungen des Neutralisierungstransformators, s. Bild 3.11 und 3.12.

Bild 3.11: Ferritperlen zur Erhöhung der Impedanz von Erdschleifen.

Bild 3.12: Erhöhung der Impedanz einer Erdschleife durch Aufwickeln der Signalleitung auf einen Ferritkern (z. B. bei Stoßspannungsmessungen in der Hochspannungstechnik und Laserphysik [B19]).

Optokoppler und Lichtleiterstrecken:

Mit dem Aufkommen der Mikroelektronik haben Optokoppler und Lichtleiterstrecken eine große Verbreitung gefunden. Beispielsweise sind die Einund Ausgänge von speicherprogrammierbaren Steuerungen und Automatisierungssystemen in der Regel durch Optokoppler gegen Gleichtaktspannungen verriegelt. Ihre Wirkungsweise geht aus Bild 3.13 hervor.

3.1 Galvanische Kopplung

113

a)

~

b)

~

Bild 3.13: a) Optokoppler, b) Lichtleiterstrecke.

Eine Leuchtdiode oder Laserdiode wandelt das elektrische Sendesignal in ein Lichtsignal um, das nach Übertragung durch ein elektrisch isolierendes lichtdurchlässiges Medium in einer Photodiode oder einem Phototransistor wieder in ein elektrisches Signal umgewandelt wird. Übliche Isolationsspannungen von Optokopplern liegen je nach Typ zwischen 500 V und 10 kV. Mit Lichtleiterstrecken können beliebige Potentialdifferenzen, z. B. bis in den Megavoltbereich, überwunden werden. Wegen ihrer hohen Gleichtaktunterdrückung werden Lichtleiterstrecken auch als störsichere Datenübertragungsleitungen, beispielsweise in Glasfaser-Rechnernetzen von Fabriken, in Elektroenergiesystemen etc. eingesetzt. Optokoppler und Lichtleiterstrecken übertragen digitale Signale perfekt, analoge Signale in vielen Fällen mit ausreichender Genauigkeit, je nach Signalverarbeitung (s. a. Abschn. 4.3). Differenzverstärker und Symmetrische Systeme

Differenzverstärker verstärken im Idealfall nur die Differenz der an ihren beiden Eingängen gegen Erde anliegenden Spannungen (s. a. Abschn. 10.8 u. [3.1]). Bei der Differenzbildung hebt sich eine beiden Signalen gemeinsame Gleichtaktkomponente heraus, so dass nur die Gegentaktkomponente resultierend in Ua ideal = A DUS am Verstärkerausgang auftritt (AD: Verstärkung f. Gegentaktsignale, s. a. Abschn. 1.4), Bild 3.14.

114

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Z L1 ZQ

~ US

ZL 2

U1

ZE

U2

ZE

Uaideal = ADUS

~ UGl

Bild 3.14: Differenzverstärker mit symmetrischem Eingang.

Beim idealen Differenzverstärker ist die Gleichtaktverstärkung für ein reines Gleichtaktsignal A Gl = Ua / UGl gleich Null. Real ist die Gleichtaktverstärkung jedoch geringfügig von Null verschieden. Als Maß für die effektive Gleichtaktunterdrückung verwendet man das Gleichtaktunterdrückungsverhältnis (engl.: CMRR Common Mode Rejection Ratio),

CMRR =

AD A Gl

.

Das mit 20 multiplizierte logarithmierte Gleichtaktunterdrückungsverhältnis CMRR bezeichnet man als Gleichtaktunterdrückung CMR (engl.: Common Mode Rejection), A CMR = 20 lg D A Gl . Die Gleichtaktunterdrückung liegt in der Größenordnung von 100 dB, je nach Verstärkertyp. In diesem Zusammenhang wird auch auf den mit der Gleichtaktverstärkung praktisch identischen Gleichtakt/Gegentakt-Konversionsfaktor in Abschn. 1.4 und 3.1.2 verwiesen. Unsymmetrien im Signalkreis, beispielsweise eine merklich von Null verschiedene Quellenimpedanz ZO , reduzieren die Gleichtaktunterdrückung merklich. Unter Berücksichtigung der Eingangsschaltung erhält man für das Verhältnis Störspannung am Ausgang zu Gleichtaktsspannung am Eingang

3.1 Galvanische Kopplung

UGg UGl

115

⎛ ZE ZE =⎜ = ⎜ ZE + ZL + ZQ ZE + ZL ⎝ 1 2

⎞ ⎟ ⎟ ⎠

.

(3-8)

Dieses Verhältnis entspricht dem gerade erwähnten Gleichtakt/GegentaktKonversionsfaktor aus Abschn. 1.4 und 3.1.2. Wichtig ist die Beachtung der begrenzten Gleichtaktaussteuerbarkeit, die bei Operationsverstärkern in der Regel ca. 2 V unter der Betriebsspannung liegt, mithin bei etwa 13 Volt. Es ist daher nicht möglich, mit einem gewöhnlichen Operationsverstärker eine auf 220 V Wechselpotential liegende Signalgröße zu erfassen. Beschränkte Abhilfe schaffen vorgeschaltete Teiler, die jedoch wegen ihrer inhärenten Unsymmetrie die Gleichtaktunterdrückung mit zunehmender Frequenz rasch verschlechtern. Vom Differenzverstärker mit seinem symmetrischen Eingang ist nur noch ein kleiner Schritt zu einem vollständig symmetrischen (engl.: balanced) System [3.4]. Bei einem symmetrischen System sind sowohl Hin- und Rückleitung eines Signalkreises als auch Sender und Empfänger symmetrisch aufgebaut, Bild 3.15.

a)

b)

TTL

RS 422

TTL

c)

Bild 3.15: Symmetrische Signalübertragung a) Prinzip, b) Symmetrierung mittels Symmetrierübertrager, c) Datenübertragungsleitung mit symmetrischem Leitungstreiber und -empfänger (z. B. RS 422 Schnittstelle).

116

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Bild 3.15 a lässt erkennen: – Galvanisch eingekoppelte Gleichtaktspannungen erzeugen in Hin- und Rückleitung identische Spannungsabfälle, so dass die Maschenregel, ohne Berücksichtigung des Nutzsignals, immer den Wert Null ergibt. – Von homogenen elektrischen und magnetischen Feldern eingekoppelte Spannungen heben sich gegenseitig auf (s. Abschn. 3.2). – Inhomogene magnetische Störfelder können in den Schleifen von Bild 3.1 eine Gegentaktspannung induzieren, die in Serie mit dem Nutzsignal als Störspannung auftritt. Dies wird jedoch in praxi durch Verdrillen von Hin- und Rückleitung unterbunden. Sollte die nach Verdrillung verbleibende minimale Restfläche bei starken Magnetfeldern noch störende Gegentaktsignale zulassen, bringt eine zusätzliche Schirmung endgültig Abhilfe. Im Bild 3.15 b wird gezeigt, wie zwischen unsymmetrischen Sendern und Empfängern unter Verwendung von Symmetrierübertragern (engl.: BALUN, BALanced-UNbalanced) eine symmetrische Signalübertragung bewerkstelligt werden kann. Bild 3.15 c schließlich zeigt eine eo ipso symmetrisch aufgebaute Datenübertragungsstrecke mit symmetrischem Leitungstreiber und -empfänger. Dank ihrer Störunempfindlichkeit erlaubt die symmetrische RS 422 Datenübertragung etwa 50mal größere Übertragungsentfernungen und Übertragungsraten als der unsymmetrische RS 232 Standard. Schutzschirmtechnik

Bei der Messung sehr kleiner Spannungen, beispielsweise von Thermoelementen und Dehnungsmessstreifen (engl.: low-level signals) oder der Messung kleiner Spannungen und Ströme auf hohem Potential (z. B. einige 100 Volt) reicht die mit Differenzverstärkern erreichbare Gleichtaktunterdrückung und Gleichtaktaussteuerbarkeit häufig nicht aus. In diesen Fällen greift man dann zur Schutzschirm-Technik (engl.: guarding) [3.5 - 3.7]. Um ihre Wirkungsweise leichter verstehen zu können, erläutern wir zunächst die Problematik eines erdfrei, das heißt schwebend arbeitenden Digitalvoltmeters oder Schreibers (engl.: floating instrument), mit dem ein auf hohem Potential UGl liegendes Signal US gemessen werden soll, Bild 3.16.

3.1 Galvanische Kopplung

117

ZL2

Hi

DVM

ZS US

~

UGl

~

ZL1

Lo

RG

CG

IGl

Bild 3.16: Messung der Spannung US einer auf dem Gleichtakt-Potential UGl befindlichen Quelle mittels eines schwebend arbeitenden Digitalvoltmeters mit erdfreiem Eingang (engl.: floating input).

Während bei den bisherigen Erdschleifenproblemen der Empfänger meist eindeutig geerdet war, muss hier die Eingangsschaltung erdfrei betrieben werden (andernfalls würde beim Anschluss der Lo-Klemme die Quelle UGl kurzgeschlossen werden, was bei niedrigem Innenwiderstand – z. B. 220 VNetz – spektakuläre Folgen hätte). Die Gleichtaktspannung UGl treibt in dieser Schaltung einen Gleichtaktstrom durch den endlichen Isolationswiderstand RG (ca. 109 Ω ) und die Schaltungskapazität CG (einige 1000 pF). Dieser Strom verursacht an ZL1 einen Spannungsabfallund und führt damit eine Gegentaktstörspannung in den Signalkreis ein. Je größer das Verhältnis ZG = R G + 1/(jωCG ) zu ZL1 ist, desto höher die Gleichtaktunterdrückung. Für ZG → ∞ und vernachlässigbarem Innenwiderstand ZS der Quelle könnte die Gleichtaktspannung UGl keine Messfehler verursachen. Praktisch realisierbare Impedanzverhältnisse begrenzen jedoch die Gleichtaktunterdrückung auf Werte um 80dB. Da 1/(ωC) mit zunehmender Frequenz immer niederohmiger wird, nimmt die Gleichtaktunterdrückung für höhere Frequenzen ab. Messeinrichtungen in Schutzschirmtechnik bieten Gleichtaktunterdrückungen von z. B. 160dB bei Gleichspannung und 140dB bei 50 Hz, Bild 3.17.

118

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

ZL2

Hi

DVM

ZS US

~

U Gl

~

ZL1

I Gl

Lo

RG

CG

RZ

CZ

Bild 3.17: Schwebend arbeitendes Digitalvoltmeter in Schutzschirmtechnik.

Der Anschluss des inneren, zusätzlichen Schutzschirms an die Messsignalmasse schafft einen niederohmigen Bypass für den Gleichtaktstrom I Gl , so dass dann an ZL nur noch eine minimale Gegentaktspannung abfällt. Bei der Messung der Diagonalspannung von Brückenschaltungen wird der Schutzschirm nicht mit einem der Diagonaleckpunkte, sondern mit der geerdeten Klemme der Speisespannungsquelle der Brücke verbunden. Die Anwendung der Schutzschirmtechnik ist in der Regel auf Gleichspannungen und niedrige Frequenzen beschränkt, da mit zunehmender Frequenz einerseits 1/(ωCG ) niederohmiger, andererseits die Stromaufteilung auf beide Pfade zunehmend durch deren Reaktanzen ωL bestimmt wird, so dass bei hohen Frequenzen der Effekt der Schutzschirmtechnik schnell abnimmt. Bei hohen Frequenzen bzw. in der Impulsmesstechnik kommt die BypassTechnik zum Einsatz. Auf sie wird jedoch erst im Rahmen der frequenzabhängigen Kopplungsimpedanz einer geschirmten Leitung eingegangen (s. 3.1.3). Schließlich sei bemerkt, dass die Gleichtaktspannung nicht die Spannungsfestigkeit des „guard“-Eingangs überschreiten darf.

3.1.3

Kopplungsimpedanz von Mess- und Signalleitungen

Mit dem im vorigen Kapitel behandelten Erdschleifenproblem eng verknüpft ist die Kopplungsimpedanz (engl.: transfer impedance) geschirmter Mess-

3.1 Galvanische Kopplung

119

und Signalleitungen, deren Schirme häufig erst Erdschleifen entstehen lassen. Wenn ein von einer äußeren Spannungsquelle hervorgerufener Störstrom über einen Kabelmantel oder -schirm fließt, so verursacht er an der inneren Oberfläche des Mantels einen Spannungsabfall, der sich als Störspannung in dem vom Kabelmantel geschirmten Leitungssystem bemerkbar macht, Bild 3.18.

Bild 3.18: Zur Definition der Kopplungsimpedanz ZK eines Koaxialkabels.

Innerer Spannungsabfall und Störstrom sind über die Kopplungsimpedanz des Schirms miteinander verknüpft. Die Kopplungsimpedanz wird aus Bild 3.18 unter der Voraussetzung, dass die Leitungslänge l klein gegen λ / 4 ist, als Verhältnis der komplexen Amplituden von Kabelmantelstrom und Störspannung definiert, ZK (ω) =

USt (ω) I St (ω)l

.

(3-9)

Durch gleichzeitigen Bezug auf die Länge „l“ wird die Kopplungsimpedanz eine von der jeweiligen Kabellänge unabhängige Größe. Die Kopplungsimpedanz ist eine frequenzabhängige komplexe Größe, ihre Definition ergibt nur im Frequenzbereich einen Sinn. Gelegentlich findet man auch den Begriff Stoßimpedanz, gewonnen aus dem Verhältnis einer Stoßstromamplitude i(t)max und einer beobachteten Spannungsamplitude u(t)max . Dieser Quotient ist systemtheoretisch nicht definiert (außer bei rein ohmschen Widerständen), von seinem Gebrauch ist abzuraten. Aus historischen Gründen wird die Kopplungsimpedanz vielfach noch als Kopplungswiderstand [3.8] bezeichnet, was jedoch nach obiger Definition weniger präzise ist. Ergänzt man in Bild 3.18 das linke Kabelende um eine Quelle mit Innenwiderstand ZQ , das rechte leerlaufende Kabelende um einen Empfängerein-

120

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

gangswiderstand ZE und zeichnet die den Störstrom treibende Spannungsquelle UGl ein, erhält man Bild 3.19, das mit Bild 3.5 elektrisch identisch ist.

~

ZK

ZE

ZQ ISt(ω)

ISt(ω)

~

UGl(ω) Bild 3.19: Erdschleife und Kopplungsimpedanz ZK .

Offensichtlich beschreibt die Kopplungsimpedanz den „worst-case“ einer Erdschleife mit koaxialer Signalleitung. Bei Gleichspannung und niedrigen Frequenzen entspricht die Störspannung USt (ω) der Gleichtaktspannung UGl (ω) in der Kopplungsimpedanzdefinition gemäß (3-9). Dies bedeutet eine vollständige Gleichtakt/Gegentakt-Konversion. Bei Vorliegen einer Quellen- und Empfängerimpedanz reduziert sich die Störspannung USt (ω) in bekannter Weise (s. 3.1.2) gemäß dem Übersetzungsverhältnis des Spannungsteilers aus ZQ und ZE , UGl (ω) ZQ + ZE = USt (ω) ZE

.

(3-10)

Die Behandlung von Erdschleifenproblemen mit Hilfe der Kopplungsimpedanz erweist sich vor allem bei höheren Frequenzen als vorteilhaft, wenn auf Grund der Stromverdrängung der Störstrom I St (ω) allein auf dem Schirm fließt (Kabelmantelstrom). Am Spannungsteiler des Innenleiters liegt dann nur noch der auf der Innenseite des Schirms in Längsrichtung abgreifbare Spannungsabfall, der je nach Schirmmaterial und -aufbau eine eigentümliche Frequenzabhängigkeit aufweisen kann. Bild 3.20 zeigt die typische Frequenzabhängigkeit des Betrags der Kopplungsimpedanz (sog. Kopplungswiderstand) von Flexwellkabeln und gewöhnlichen Koaxialkabeln mit Geflechtschirm (s. a. Abschn. 5.6.2).

3.1 Galvanische Kopplung

ZK R0

121

Geflechtschirm

1.0

0.5 Flexwellkabel

0

f Bild 3.20: Kopplungsimpedanz von Flexwellkabeln und gewöhnlichen Koaxialkabeln. Die Ordinate zeigt den Betrag der auf den Gleichstromwiderstand des Schirms normierten Kopplungsimpedanz (sog. Kopplungswiderstand).

Die Ursache für das unterschiedliche Verhalten beider Schirmarten bei hohen Frequenzen liegt im Durchgriff des Magnetfeldes. Bei Gleichspannung und niedrigen Frequenzen entspricht die Kopplungsimpedanz beider Schirme dem ohmschen Widerstand. Bei hohen Frequenzen fließt im Mantel eines Flexwellkabels (gewelltes Rohr) wegen der Stromverdrängung zunehmend weniger Störstrom auf der Innenwand, so dass vom inneren System auch zunehmend weniger Spannungsabfall detektiert werden kann. Beim Geflechtschirm greift dagegen das Magnetfeld des Störstromes in das innere System durch und induziert dort eine frequenzproportionale Spannung, was ab einer bestimmten Grenzfrequenz wieder einem Ansteigen der Kopplungsimpedanz ZK (ω) entspricht [3.8]. Im Zeitbereich macht sich der Kopplungswiderstand dadurch bemerkbar, dass ein sprungförmiger Störstrom I0 im Innern eines Flexwellkabels eine sprungförmige Störspannung mit näherungsweise exponentiellem Anstieg (gefaltete Exponentialfunktion) hervorruft [B19]. Die Anstiegszeit der Störspannung berechnet sich abhängig von der Wandstärke d, dem spezifischen Widerstand ρ und der Permeabilität μ des Schirmmaterials zu Ta = 0,237

μd2 ρ

.

(3-11)

Bei Geflechtschirmen überlagert sich dem monotonen Anstieg je nach Geflechtaufbau ein ausgeprägtes Über- oder Unterschwingen [3.24].

122

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Je kleiner die Kopplungsimpedanz eines Koaxialkabels ist, desto kleiner ist die erzeugte Störspannung und desto besser ist seine Schirmwirkung (s. 9.1). Mitunter benützt man zur Verringerung der Kopplungsimpedanz doppelt oder dreifach geschirmte Leitungen oder Flexwellkabel, deren Außenleiter aus einem gewellten, nahtlos verschweißten Metallmantel besteht. Häufig stellt sich die Frage nach dem Kopplungswiderstand „elektrisch langer“ geschirmter Leitungen. Hierunter versteht man Leitungen, für die im Frequenzbereich l > λ / 4 und im Zeitbereich Ta < τ gilt [B18]. Die Verteilung des Störstroms auf dem Schirm ist dann ortsabhängig, das heißt i(t) → i(t, x) . Bezüglich des Störstroms bildet der Kabelmantel mit der Umgebung eine elektrisch lange Leitung, auf der sich, abhängig von den Abschlusswiderständen an ihren Enden, im Frequenzbereich stehende Wellen mit Knoten und Bäuchen bzw. im Zeitbereich Wanderwellenschwingungen ausbilden. Der Zusammenhang zwischen der Stromwelle i(t,x) auf dem Kabelmantel und der im inneren System eingekoppelten Störspannung ist sehr komplex und hängt sowohl vom Verhältnis Kabellänge zu Wellenlänge bzw. Kabellaufzeit zu Anstiegszeit ab als auch von den Impedanzverhältnissen an Leitungsanfang und -ende. Die Schirmwirkung elektrisch langer Koaxialkabel lässt sich daher ab einer bestimmten Grenzfrequenz nicht mehr auf einfache Weise durch eine frequenzabhängige Kopplungsimpedanz beschreiben. Man liegt jedoch auf der sicheren Seite, wenn man den für kurze Kabellängen bei einer bestimmten Frequenz ermittelten Kopplungswiderstand mit der Länge des elektrisch langen Kabels multipliziert, da dieses Produkt im Regelfall die Obergrenze der zu erwartenden Störspannung darstellt. In gleicher Weise wie an den Kopplungswiderständen von Kabeln bewirken die Kabelmantelströme auch an den Übergangswiderständen lösbarer koaxialer Steckverbindungen sowie an Gehäusetrennfugen und Chassisteilen (Gehäuseströme) zusätzliche Störspannungen. Ein Kabelmantelstrom, der durch den mit Masse verbundenen Kragen der Eingangsbuchse eines Oszilloskops in das Gehäuse eintritt und dieses durch die Erdkapazität und den Schutzleiter wieder verlässt, erzeugt längs der Schaltungsmasse Spannungsabfälle, die galvanisch dem Nutzsignal uM (t) überlagert werden, teilweise aber auch durch kapazitive Kopplung auf den Abschwächer und den Eingangsverstärker gelangen, Bild 3.21.

3.1 Galvanische Kopplung

iSt

123

V

uM(t) uSt 0

uM(t) + uSt(t) uSt 1

uSt 2

uSt 3

iSt

Schaltungsmasse

Bild 3.21: Zur Erklärung der Kopplungsimpedanz einer Verstärkerschaltungsmasse.

Bei Kabellängen von wenigen Metern überwiegt die Kopplungsimpedanz des Messgeräts im Allgemeinen die Kopplungsimpedanz des Messkabels. Gute und weniger gute Oszilloskope, Spektrumanalysatoren, Funkstörmessempfänger bewertet man daher nicht zuletzt auch nach ihrer Gehäuse-Kopplungsimpedanz. Die Kopplungsimpedanz von Messgeräten und damit deren Störspannungsempfindlichkeit lässt sich messtechnisch abschätzen, indem in den Massekragen des Signaleingangs ein Stromsprung eingespeist wird [2.155, 2.156, B19]. Beispielsweise erhält man dann bei einem Oszilloskop trotz Fehlen eines Eingangsignals auf dem Bildschirm eine Strahlauslenkung ähnlich wie in Bild 3.22.

Bild 3.22: Störspannung hervorgerufen durch einen Gehäusestrom von 1 A. Zwischen den Abschwächerstellungen 1 mV/cm bis 20 V/cm ändert sich die Wiedergabe nur unwesentlich.

Die maximale Störspannungsamplitude ändert sich nur unwesentlich bei direkter Einspeisung auf die Erdbuchse des Elektronenstrahloszilloskops. Desgleichen verändern sich die hochfrequenten Anteile der Störspannung praktisch nicht, wenn das Oszilloskop ohne Schutzkontakt betrieben wird, da für hohe Frequenzen Signalgenerator und Oszilloskop über ihre Erd-

124

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

streukapazität geerdet bleiben. Die Störspannung muss nicht zwingend im Signalpfad auftreten, sondern kann auch die Zeitbasis des Oszilloskops beeinflussen. Beispielsweise führt eine der sägezahnförmigen Ablenkspannung überlagerte hochfrequente Schwingung zu einem zeitweise rückwärts laufenden Strahl (siehe z. B. Bild 10.9 in Kap. 10.6). Da die Kopplungsimpedanz nicht beliebig klein gemacht werden kann, läuft die Beseitigung der über diesen Kopplungsmechanismus hervorgerufenen Störspannungen entweder auf die Verringerung der Kabelmantelströme durch Erhöhung der Impedanz der Erdschleife hinaus, wie bereits im vorigen Abschn. 3.1.2 ausführlich erläutert wurde, oder auf die Verkleinerung der sie treibenden Gleichtaktspannungen bzw. auf die Bypass-Technik. Die Bypass-Technik eliminiert Kabelmantel- und Gehäuseströme gleich welchen Ursprungs, Bild 3.23.

Bild 3.23: Bypass-Technik, Messaufbau zur Unterdrückung von Kabelmantel- und Gehäuseströmen.

Die Spannungsquelle wird mit einem doppelt geschirmten Kabel verbunden, dessen innerer Schirm am empfangsseitigen Ende mit Signalmasse und dessen äußerer Schirm dort direkt geerdet wird; im Regelfall an der Wand eines offenen oder geschlossenen Schirmgehäuses (Baugruppenträger, Elektronikschrank, Schirmkabine). Aufgrund der Stromverdrängung fließt der Störstrom bevorzugt über den zusätzlichen äußeren Schirm und die äußere Oberfläche der Schirmkabine nach Erde ab. Er wird also am Messkabelmantel und am Oszilloskopgehäuse vorbeigeleitet. Diesen Bypass zu schaffen, ist in einer Vielzahl von Anwen-

3.1 Galvanische Kopplung

125

dungen die Hauptaufgabe der Schirmkabine und des doppelten Schirms eines Koaxialkabels, weniger deren eigentliche Schirmwirkung (s. a. Abschn. 10.6 u. [2.155, 2.156 u. 10.42]). Als Schirmkabine genügt daher häufig ein einseitig offener Blechkasten mit in der Rückwand eingesetzter Netzverriegelung bzw. ein Baugruppenträger. Die angestrebte Störstromverteilung wird in schwierigen Fällen durch auf dem Messkabelmantel aufgebrachte Ferritkerne unterstützt, die die für den Störstrom wirksame Impedanz des Messkabelmantels vergrößern und somit den Störstrom auf den äußeren Schirm zwingen [3.28].

3.1.4

Rückwärtiger Überschlag

Das Phänomen des rückwärtigen Überschlags tritt hauptsächlich in Forschungslaboratorien der Hochspannungstechnik, Plasmaphysik und Pulse Power Technologie sowie bei Blitzentladungen und gegebenenfalls beim NEMP auf. Während beim Abschalten induktiver Verbraucher Leitungen von Betriebsstromkreisen kurzzeitig Spannungen von mehreren kV gegenüber Masse oder Erde annehmen können (s. Abschn. 2.4.2 und 2.4.3), hebt sich bei rückwärtigen Überschlägen das Erdpotential bzw. die Masse um Spannungen von mehreren kV gegenüber Betriebsstromkreisen an. Bild 3.24 zeigt zwei typische Beispiele.

Bild 3.24: Rückwärtiger Überschlag. a) Fremdnäherung zur Elektroinstallation in einem Wohnhaus, ZE1: Blitzerder, ZE2: Fundamenterder b) Potentialanhebung am erdseitigen Ende einer Arbeitsimpedanz ZA (gepulster Hochleistungsgaslaser o. ä.) in der Pulse-Power Technologie. ZE1: Stoßgeneratorerde, ZE : Messerde, C1,C2 kapazitiver Messspannungsteiler. M

126

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

In Bild 3.24 a ruft der eingeprägte Blitzstrom längs der Impedanz der Ableitung und der Parallelschaltung der Erdungsimpedanzen ZE1 und ZE2 einen Spannungsabfall hervor, so dass sich das Potential im Punkt A kurzzeitig gegenüber der fernen Erde bis in den MV-Bereich anheben kann. Beim Erreichen der Durchschlagsspannung des kleinsten Abstands zur Elektroinstallation kommt es zu einem Überschlag von der Ableitung oder dem PEN zur Elektroinstallation, da diese gegenüber dem Punkt A quasi auf dem Erdpotential der fernen Erde in der Transformatorstation liegt (bis auf 2 ⋅ 220 V , die hier zu vernachlässigen sind). Abhilfe schaffen Maßnahmen des inneren Blitzschutzes (s. Abschn. 10.5), große Abstände, niedrige Erdimpedanzen ZE1 und ZE2 sowie eine Aufteilung des Blitzstroms auf mehrere Ableitungen, so dass die kleinen Teilströme längs der Ableitungsimpedanz auch nur kleinere Spannungsabfälle verursachen können. Bild 3.24 b zeigt ein typisches Beispiel des in vielen Variationen immer wiederkehrenden Problems transienter Potentialanhebungen in der Hochspannungsprüftechnik, Plasmaphysik und der Pulse Power Technologie. Der aus dem Energiespeicherkondensator fließende Strom i(t) ruft an der Impedanz der erdseitigen Rückleitung einen Spannungsabfall und damit eine Potentialanhebung von mehreren 10 kV im Punkt A hervor. Über das Messkabel hebt sich das Oszilloskopgehäuse entsprechend an, so dass es zu einem rückwärtigen Überschlag zum Netzteil des Oszilloskops kommen kann. Eine Maßnahme zur Verringerung der Potentialanhebung des Oszilloskops wäre die Erdung des Teilerfußpunktes. Es liegt dann wieder der im Kapitel 1.5 erwähnte Fall vor, dass der Strom i(t) ja gar nicht nach Erde fließen, sondern zum anderen Belag des Energiespeicherkondensators zurückkehren will. Die wichtigste Maßnahme ist daher zunächst die Bereitstellung einer möglichst niederohmigen, induktionsarmen Rückleitung zum Impulsgenerator. Hierfür eignen sich am besten breite Bänder aus Kupferblech. Daran anschließend kann man sich wieder Gedanken über die Notwendigkeit einer besseren Erdung machen (s. a. Abschn. 10.6).

3.2

Kapazitive Kopplung

Kapazitive oder elektrische Kopplung tritt auf zwischen Leitern, die sich auf unterschiedlichem Potential befinden. Infolge der Potentialdifferenz herrscht zwischen den Leitern ein elektrisches Feld, das wir im Ersatzschaltbild

3.2 Kapazitive Kopplung

127

durch eine Streukapazität modellieren. Unter der Annahme quasistatischer Verhältnisse [B18] und unsymmetrischer Systeme erhalten wir folgendes Ersatzschaltbild, Bild 3.25.

Bild 3.25: Typisches Beispiel kapazitiver Kopplung zwischen ungeschirmten unsymmetrischen Leitungssystemen. I Störendes System, II Gestörtes System.

RE und CE repräsentieren die parallel geschalteten Innenwiderstände von Sender und Empfänger des Systems II, CI/II die Streukapazität zwischen beiden Systemen. Die Nutzspannungsquelle ist nicht eingezeichnet. Das Ersatzschaltbild geht weiter davon aus, dass nur das System I das System II stört und nicht auch umgekehrt. Mit anderen Worten, der Spannungspegel im System I sei ein Vielfaches größer als im System II. Die passiven Komponenten CI/II sowie R E || CE wirken als frequenzabhängiger Spannungsteiler, so dass wir für das Verhältnis von Störquellenspannung zu Störspannung im System II erhalten UI 1/ jωCI / II + R E /(1 + jωR ECE ) = USt R E /(1 + jωR E CE )

.

(3-12)

In einem niederohmig angelegten System II gilt R E 1/(ωCE ) , der Spannungsteiler besteht dann im Wesentlichen noch aus CI/II und RE. Für das Verhältnis (3-11) ergibt sich dann UI 1/(jωCI / II ) + R E 1 = ≈ USt RE jωCI / II R E

.

Hieraus berechnet sich die Störspannung im Frequenzbereich zu

(3-13)

128

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

USt = UI jωCI / IIR E

.

(3-14)

Für den Zeitbereich erhalten wir entsprechend uSt (t) =

duI (t) CI / IIR E dt

.

(3-15)

Die Störspannung ist demnach neben der Frequenz bzw. der zeitlichen Änderungsgeschwindigkeit, der Koppelkapazität CI/II sowie dem ohmschen Gesamtinnenwiderstand des Systems II proportional. Hieraus ergeben sich unmittelbar die Gegenmaßnahmen: – Verkleinern von CI/II, z. B. durch möglichst kurze Strecken paralleler Leitungsführung (z. B. wire-wrap-Verdrahtung), Erhöhung des Abstands der Leiter, Schirmung des Systems II (s.u.), – Verkleinern von RE, das heißt niederohmige Schaltungstechnik. Die Wirkung eines Kabelschirms veranschaulicht Bild 3.26.

Bild 3.26: Verringerung kapazitiver Kopplung durch Schirmung.

Die vom System I ausgehenden Feldlinien enden jetzt alle auf dem geerdeten Schirm, die Ströme durch CI/II fließen direkt nach Erde ab und rufen keine Störspannungsabfälle an RE und CE hervor. Die ideale Schirmwirkung setzt voraus, dass – der Schirm ideal leitfähig und induktionsfrei ist, das heißt, dass sich das Potential des nicht geerdeten Endes des Schirms nicht auf Grund von Schirmströmen anhebt und dann doch wieder kapazitiv – jetzt auf Grund einer Streukapazität CSchirm / II – Ströme in das System II injiziert,

3.2 Kapazitive Kopplung

129

– der Schirm eine vernachlässigbar kleine Kopplungsimpedanz besitzt (s. Abschn. 3.1.3), – der Schirm einen vernachlässigbaren kapazitiven Durchgriff besitzt (s. Abschn. 9.1.2). Bei nicht vernachlässigbarem Durchgriff ist in Bild 3.26 zwischen dem Schirm und dem hoch liegenden Leiter des Systems II die so genannte Durchgriffskapazität einzuzeichnen. Diese erlaubt wiederum die Injektion von Strömen in das System II. Wegen des Begriffs Durchgriffskapazität wird auf Kap. 9.1.2 verwiesen. In schwerwiegenden Fällen ist als Schirm ein Metallrohr zu wählen, gegebenenfalls auch das geschirmte Kabel in einem Rohr zu verlegen. Selbstredend trägt auch eine Schirmung des Systems I zur Verringerung der Störungen des Systems II bei. Leider ist diese Lösung in vielen Fällen nicht realisierbar, beispielsweise in der Hochspannungstechnik. Dort müssen alle denkbaren Maßnahmen am gestörten System vorgenommen werden. Die quasistatische kapazitive Kopplung spielt in der Regel nur bei hochohmigen Empfängern eine Rolle, z. B. Oszilloskope und Transientenrekorder, hochohmige Mikrofonverstärker etc. Meist wird der Gesamtwiderstand RE durch Parallelschaltung der Quelle sehr niederohmig, so dass EMB nur bei leerlaufendem Empfängereingang auftritt. Neben der hier besprochenen unidirektionalen rein kapazitiven Kopplung gibt es auch das so genannte Nebensprechen (engl.: cross talk), das zwischen parallel geführten Signalleitungen vergleichbaren Leistungsniveaus auftritt (beispielsweise den zahllosen Aderpaaren bzw. -vierern in einem Telefonkabel). Die Kopplung in Fernsprechkabeln ist sowohl kapazitiver als auch induktiver Natur und sehr komplex. Wegen Einzelheiten wird auf das Literaturverzeichnis verwiesen [3.12 - 3.16].

3.3

Induktive Kopplung

Induktive bzw. magnetische Kopplung tritt auf zwischen zwei oder mehreren stromdurchflossenen Leiterschleifen. Die mit den Strömen verknüpften magnetischen Flüsse durchsetzen die jeweils anderen Leiterschleifen und induzieren dort Störspannungen. Die induzierende Wirkung der Flüsse modelliert man im Ersatzschaltbild wahlweise durch eine Gegeninduktivität oder

130

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

eine Quellenspannung [1.6]. Unter der Annahme quasistatischer Verhältnisse erhalten wir folgende Ersatzschaltbilder, Bild 3.27. M

II(ω)

II(ω)

ZI UI(ω)

~ UII(ω)

USt(ω)

ZII

ZE

ZI ~

UI(ω)

~

ZII

UII(ω) a)

~ USt(ω)

ZE

~ b)

Bild 3.27: Magnetische Kopplung zwischen zwei Stromkreisen. Modellierung des Induktionsvorgangs durch a) eine Gegeninduktivität, b) eine Quellenspannung.

Diese Ersatzschaltbilder gehen davon aus, dass nur das System I das System II störe und nicht auch umgekehrt. Mit anderen Worten, der Strompegel im System I sei ein Vielfaches größer als der Strompegel im System II. Für das Ersatzschaltbild gemäß Bild 3.27a berechnet sich die induzierte Spannung zu USt (ω) = I I (ω)jωMI / II

,

(3-16)

bzw. im Zeitbereich zu uSt (t) =

diI (t) MI / II dt

.

(3-17)

Der Induktionseffekt äußert sich in einer Gegentaktstörspannung im System II, deren am Empfängereingang auftretender Anteil sich nach dem Spannungsteiler ZII (ω)/ ZE (ω) richtet. Die Gegeninduktivität MI / II entnimmt man entweder einem Grundlagenoder Taschenbuch der Elektrotechnik [3.9 - 3.11] oder berechnet sie aus MI / II =

φI / II (ω) I II (ω)

,

(3-18)

3.3 Induktive Kopplung

131

wobei φI / II der das System II durchdringende Anteil des mit I I (ω) verknüpften magnetischen Flusses darstellt. Den Betrag des Flusses φI / II berechnet man mit Hilfe des Flächenintegrals φI / II =

∫ B dA

(3-19)

I

A II

über den Bereich A II (Fläche der Leiterschleife des Systems II). Für Überschlagsrechnungen nimmt man meist die magnetische Flussdichte BI räumlich konstant an, wodurch sich das Skalarintegral zu einem Skalarprodukt vereinfacht, φI / II = BI A II cos α

.

(3-20)

In dieser Gleichung ist α der Winkel, den B I und A II einschließen. Die magnetische Flussdichte B I erhält man aus dem gegebenen Strom I I mit Hilfe des Durchflutungsgesetzes [B18]. In der Praxis geht es zunächst weniger darum, die Gegeninduktivität MI / II zu berechnen, sondern sie als solche zu erkennen. Schließlich steht MI / II in keiner Stückliste und die magnetische Kopplung ist auch existent, wenn die Schleife des Systems II nicht galvanisch, sondern nur über eine Streukapazität geschlossen ist. In letzterem Fall wird die induzierte Spannung nicht am Spannungsteiler ZII (ω)/ ZE (ω) geteilt, sondern steht in voller Höhe zwischen den offenen Enden der Schleife II an. Die induzierte Störspannung ist eine eingeprägte Spannung, das heißt ihre Größe ist unabhängig von der Impedanz der Schleife II. Mit abnehmender Impedanz ZII (ω)/ ZE (ω) kann I II beliebig hohe Werte annehmen. Der Anteil der auf den Empfängereingang entfallenden Störspannung richtet sich ausschließlich nach dem Verhältnis ZII (ω)/ ZE (ω) , nicht nach dem Impedanzniveau. Gemäß den Gleichungen (3-16), (3-17) und (3-19), (3-20) ist die induzierte Störspannung neben der Frequenz bzw. Änderungsgeschwindigkeit des Stromes im System I der Gegeninduktivität MI / II und damit der Fläche A II proportional. Hieraus ergeben sich unmittelbar die Gegenmaßnahmen: – Verkleinern von MI / II durch möglichst kurze Strecken paralleler Leitungsführung, – Vergrößern des Abstands der Schleifen,

132

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

– Orthogonale Anordnung der Schleifen, –

Verdrillen der Leiter des Systems II (Verringerung von A II bzw. φI / II ),

– Schirmung des Systems II, – Reduktionsleiter auslegen. Das Verdrillen der Leiter ist die zunächst kostengünstigste und wirksamste Maßnahme zur Verringerung induzierter Spannungen. Sollte die verbleibende, isolationsbedingte Restfläche noch zu viel Störspannungen auffangen, bringt ein zusätzlicher Schirm weitere Abhilfe, 3.28 a. Bezüglich der Wirkungsweise dieses Schirms und der Behandlung der Erdung von Kabelschirmen wird auf Abschn. 3.6 verwiesen. Statt eines Kabelschirms werden gelegentlich auch Reduktionsleiter verlegt (wenn beispielsweise eine Schirmung aus isolationstechnischen Gründen nicht möglich ist). Reduktionsleiter bilden eine parallele Kurzschlussschleife, deren Magnetfeld das störende Magnetfeld teilweise kompensieren kann, Bild 3.28 b.

~ ZE

ZII

~

UII (ω) ~

b)

a)

Bild 3.28: a) geschirmte verdrillte Signalleitung, b) Signalkreis mit Reduktionsleiter.

Durch die Anwesenheit der Kurzschlussschleife (Index R) verringert sich die im System II induzierte Störspannung auf USt (ω) = jωφ Ext − jωMII,R I R

,

(3-21)

wobei jωφ Ext die induzierte Umlaufspannung und MII,R die Gegeninduktivität zwischen dem gestörten System II und der Reduktionsschleife ist. Der Strom I R der Reduktionsschleife berechnet sich zu

3.3 Induktive Kopplung

133

IR =

jωφ Ext

.

R R + jωL R

(3-22)

Damit lässt sich die induzierte Störspannung gemäß (3-21) umformen in ⎡ R + jω(L R − MII / R ) ⎤ USt (ω) = jωφ Ext ⎢ R ⎥ R R + jωLR ⎣ ⎦

(3-23)

bzw. USt (ω) = jωφ Ext ⋅ k

.

(3-24)

Den Faktor k nennt man Reduktionsfaktor Er setzt die induzierte Störspannung zum externen Feld in Beziehung k=

USt (ω) jωφ Ext ω

.

(3-25)

Der Fluß φ Ext (ω) berechnet sich gemäß Gl. (3-20) zu φ Ext = B Ext A R cos α

,

(3-26)

worin A R die Fläche der Reduktionsschleife und a der Winkel zwischen der Flächennormalen nA und der magnetischen Flussdichte B Ext darstellt. Letztere berechnet sich aus dem im störenden System fließenden Strom und dessen Geometrie. Selbstredend kann die Beeinflussung auch durch Verdrillen oder Schirmung des Systems I reduziert werden, was jedoch in der Regel meist aufwendiger (z. B. bei Starkstromleitungen) oder, falls nachträglich erforderlich, überhaupt nicht mehr zu realisieren ist. Zweckmäßigerweise wird bereits bei der Planung eine getrennte räumliche Verlegung notorisch störender und gestörter Leitungen in getrennten Kabelkanälen vorgesehen. Ein typischer Fall für den Einsatz von Reduktionsleitern im System I ist die Verringerung elektromagnetischer Beeinflussungen von Kommunikationsleitungen durch Erdseile parallel zu Hochspannungsfreileitungen, wobei allerdings nur Schirmfaktoren in der Größenordnung 0,5 erreicht werden (s. Abschn. 2.2.5 und

134

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

[B21]). Unbeabsichtigte Reduktionsleiter stellen auch alle elektromechanischen Einbauten in Elektronikschränken dar, die die Gesamtdämpfung eines Schranks merklich erhöhen können. Die magnetische Kopplung von Betriebsstromkreisen ist völlig unabhängig von einer etwaigen Erdung des gestörten Systems. Deshalb führt hier, wie auch beim Mechanismus des Abschn. 1.5, eine Verbesserung der Erdung bzw. eine Änderung der Erdungsverhältnisse nicht zum gewünschten Erfolg. Schließlich sei erwähnt, dass das System II nicht notwendigerweise ein Betriebsstromkreis sein muss, sondern sehr häufig auch eine Erdschleife sein kann. Die in dieser Schleife induzierte Spannung wirkt dann als Gleichtaktspannung für Betriebsstromkreise (s. Abschn. 1.4 und 3.1.2).

3.4

Elektromagnetische Leitungskopplung

Von elektromagnetischer Leitungskopplung spricht man bei gleichzeitig vorliegender gekoppelter elektrischer und magnetischer Beeinflussung zwischen zwei oder mehreren elektrisch langen Leitungen. Auf elektrisch langen Leitungen sind Spannungen und Ströme nicht mehr unabhängig voneinander wählbar (wie in den vorigen Abschnitten 3.2 und 3.3), sondern über den Wellenwiderstand der jeweiligen Leitung miteinander verknüpft (ähnlich wie die elektrischen und magnetischen Felder elektromagnetischer Wellen über den Wellenwiderstand des Raumes miteinander verknüpft sind). Ob eine Leitung elektrisch lang oder kurz ist wird im Zeit- und Frequenzbereich durch unterschiedliche Kriterien bestimmt [B18]: – Im Zeitbereich gilt eine Leitung als elektrisch lang, wenn die Anstiegszeit der auf ihr übertragenen Impulse in die Größenordnung der Laufzeit kommt oder sie gar unterschreitet, und damit Spannung und Strom einer Leitung vom Ort abhängen, das heißt u = u(t, x) und i = i(t, x) . – Im Frequenzbereich gilt eine Leitung als elektrisch lang, wenn die komplexen Amplituden von Spannung und Strom vom Ort auf der Leitung abhängen, das heißt U = U(x) und I = I(x) . Dieser Effekt tritt ein, wenn die Wellenlänge in die Größenordnung der Leitungslänge kommt oder sie gar unterschreitet. Die quantitative Beschreibung der elektromagnetischen Leitungskopplung von Mehrleitungssystemen ist mathematisch sehr anspruchsvoll, weswegen

3.4 Elektromagnetische Leitungskopplung

135

die grundsätzliche Vorgehensweise zunächst an einem Zweileitungssystem gezeigt wird. Anschließend folgt eine formale Erweiterung auf ein (n+1)Leitersystem. Einen Teil der mit diesen Berechnungen erhaltenen Erkenntnisse findet der Leser in der Thematik des Kap. 11 implementiert.

3.4.1

Elektromagnetische Kopplung zweier Leitungen

Bild 3.29 zeigt das Feldmodell und das Netzwerkmodell zweier paralleler Leitungen mit gemeinsamer Rückleitung. Das mit dem Leitungsstrom der aktiven Leiterschleife 1 (Nutzsignal) verknüpfte veränderliche Magnetfeld H(x,t) bzw. dessen Fluss durchsetzt die benachbarte passive Leiterschleife 2 und induziert dort eine Spannung, die einen induktiven Störstrom durch die Leiterschleife treibt. Zusätzlich besteht infolge des zwischen beiden Leitungen herrschenden Potentialunterschieds ein veränderliches elektrisches Feld E(x,t), das auf der passiven Leitung einen kapazitiven Störstrom influenziert . Der Unterschied zu der in den Abschnitten 3.2 und 3.3 behandelten rein induktiven und rein kapazitiven Kopplung besteht darin, dass hier die Größen u, i sowie E und H Funktionen von Ort und Zeit sind und außerdem eine Kopplung über den Wellenwiderstand des jeweiligen Systems aufweisen.

Bild 3.29: a) Feldmodell und b) Netzwerkmodell eines elektromagnetisch gekoppelten Zweileitersystems mit gemeinsamer Rückleitung. Leitung 1: störendes System, Leitung 2: gestörtes System, Leitungsbeläge R ' = R / l , L ' = L /1, C ' = C / l , G ' = G / l .

136

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Zur Herleitung der Differentialgleichungen für die Spannungen und Ströme auf den gekoppelten Leitungen beschränkt sich die Betrachtung zunächst auf ein elektrisch kurzes Leitungsstück der Länge L'12 ⋅ Δx , Bild 3.29 b. Die induzierende Wirkung des magnetischen Feldes des störenden Systems wird im Ersatzschaltbild durch eine Koppelinduktivität L'12 ⋅ Δx , die influenzierende Wirkung des elektrischen Felds des störenden Systems durch eine Koppelkapazität C'12 ⋅ Δx modelliert. Die Anwendung der Maschenregel ∑ u = 0 auf die von jeder Leitung mit ihrem Rückleiter gebildete Schleife, anschließende Division durch Δx und schließlich die Bildung des Grenzübergangs Δ → 0 [11.31], ergibt für die Leitung 1: −

∂u1(x, t) ∂i (x, t) ∂i (x, t) = R '1 i1 (x, t) + L '1 1 + L'12 2 ∂x ∂t ∂t

und für die Leitung 2: −

(3-27)

∂u2 (x, t) ∂i (x, t) ∂i (x, t) = R '2 i2 (x, t) + L'2 2 + L'21 1 ∂x ∂t ∂t

Analog hierzu erhält man durch Anwendung der Knotenregel ∑ i = 0 auf die Knoten P1 und P2 für die Leitung 1:



∂i1(x, t) ∂u (x, t) ∂u (x, t) = (G'1 + G'12 )u1(x, t) + (C'1 + C'12 ) 1 − G'12 u2 (x, t) − C'12 2 ∂x ∂t ∂t

und für die Leitung 2: −

(3-28)

∂i2 (x, t) ∂u (x, t) ∂u (x, t) = (G'2 + G'21 )u2 (x, t) + (C'2 + C'21 ) 2 − G'21 u1 (x, t) − C'21 1 ∂x ∂t ∂t

In diesen Gleichungen treten partielle Differentiale sowohl nach dem Ort als auch nach der Zeit auf. Durch Übergang vom Zeitbereich – u(x,t), i(x,t) – auf den Frequenzbereich – U(x), I(x) – das heißt Beschränkung auf sinusförmige Erregung und Übergang auf komplexe Amplituden, die alle den Faktor e jωt enthalten, kann die Zeitabhängigkeit eliminiert werden.

3.4 Elektromagnetische Leitungskopplung

137

Mit den Substitutionen ∂ → jω , ∂t

∂ d → , ∂x dx

ui (x, t) → Ui (x) ,

ii (x, t) → I i (x)

erhält man folgende gewöhnlichen Differentialgleichungssysteme im Frequenzbereich Leitung 1:



d U1 = (R '1 + jωL '1 )I 1 + jωL'12 I 12 dx

, (3-29)

Leitung 2:



d U2 = (R '2 + jωL'2 )I2 + jωL '21 I 21 dx



d I 1 = [G'1 + G'12 + jω(C'1 + C'12 )] U1 − (G'12 + jωC'12 )U2 dx

bzw. Leitung 1: und Leitung 2

(3-30) −

d I 2 = [G'2 + G'21 + jω(C'2 + C'21 )] U2 − (G'21 + jωC'21 )U1 . dx

Durch Übergang auf die kompakte Matrixschreibweise lässt sich bei gleichzeitiger Wahrung der Übersicht Schreibarbeit sparen:



d ⎡ U1 ⎤ ⎡R '1 + jωL '1 = dx ⎣⎢U2 ⎦⎥ ⎢⎣ jωL'21

⎤⎡I1⎤ ⎢ ⎥ ⎥ R '2 + jωL'2 ⎦ ⎢⎣ I 2 ⎥⎦ jωL '12

(3-31)

und −

−(G'12 + jωC'12') ⎤ ⎡ U1 ⎤ d ⎡ I 1 ⎤ ⎡G'1 + G'12 + jω(C'1 + C'12 ) ⎢ ⎥=⎢ G'2 + G'21 + jω(C'2 + C'21 )⎦⎥ ⎣⎢U2 ⎦⎥ −(G'21 + jωC'21 ) dx ⎢⎣ I 2 ⎥⎦ ⎣ (3-32)

Die Koeffizientenmatrix ⎡R '1 + jωL '1 ⎢ jωL' ⎣ 21

jωL '12

⎤ R '2 + jωL'2 ⎥⎦

138

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

wird als Impedanzbelagmatrix [ Z'] , die Koeffizientenmatrix −(G'12 + jωC'12 ) ⎡G'1 + G'12 + jω(C'1 + C'12) ) ⎤ ⎢ G'2 + G'21 + jω(C'2 + C'21 )⎥⎦ −(G'21 + jωC'21 ) ⎣

als Admittanzbelagmatrix [ Y '] bezeichnet. Mit diesen Abkürzungen lassen sich die linearen Differentialgleichungssysteme (3-21) und (3-32) weiter vereinfachen,



d [U] = [Z][ I ] dx

(3-33)

und −

d [ I ] = [ Y '][U] dx

.

(3-34)

Nochmalige Differentiation nach dem Ort und wechselseitige Substitution führt auf gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung für die Spannungen U und Ströme I , d2 dx 2

und

[U] = [Z'][ Y '][U'] = [ A ][U]

d2 dx 2

(3-35)

[ I ] = [ Y '][Z'][ I ] = [B][ I ] .

(3-36)

Nach Einsetzen der jeweiligen Größen und Randbedingungen lassen sich mit diesen Gleichungen die Spannungen und Ströme an jedem Ort, insbesondere am Anfang und Ende, der beiden Leitungen im Frequenzbereich berechnen [3.29].

3.4.2

Elektromagnetisch gekoppelte Mehrleitersysteme

Für ein Mehrleitersystem mit n parallelen Hinleitungen und einer gemeinsamen Rückleitung bedürfen die Impedanz- und Admittanzbelagmatrizen

3.4 Elektromagnetische Leitungskopplung

139

obiger Differentialgleichungssysteme (3-35) und (3-36) lediglich der formalen Erweiterung ⎡R '11 + jωL'11 [Z'] = ⎢⎢ ⎢⎣ jωL 'n1

jωL '12

jωL '1n

⎤ ⎥ ⎥ R 'nn + jωL'nn ⎥⎦

jωL'n2

und ⎡ n ⎢ (G'1k + jωC'1k ) ⎢ i =1 ⎢ [ Y '] = ⎢ ⎢ ⎢ −(G' + jωC' ) n1 n1 ⎢ ⎣



⎤ −(G'1n + jωC'1n ) ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ . n ⎥ (G'nk + jωC'nk )⎥ ⎥ ⎦ i =1



Die elektromagnetische Kopplung manifestiert sich in den Matrizen [ A ] bzw. [B] . Sie sind in der Regel keine Diagonalmatrizen, so dass die Spannung bzw. der Strom einer Leitung jeweils von den Spannungen bzw. Strömen aller anderen Leitungen abhängt. Die Entkopplung der Differentialgleichungen ist mit Hilfe einer Modalanalyse möglich. Die Vorgehensweise wird hier für Gleichung (3-35) gezeigt. Unter Voraussetzung der Existenz der Transformationsmatrix [ T ] werden durch eine lineare Transformation [11.32, 11.33] mit der Vorschrift

[U] = [ T ][ W ]

(3-37)

neue, voneinander linear unabhängige Spannungen

[ W ]T = [ W1(x),..., Wn (x)] erzeugt, für die jeweils die bekannten Leitungsgleichungen (s. [B18]) der Einfachleitung gelten, d2 dx

mit der Diagonalmatrix

2

[ W ] = ⎡⎣Γ2 ⎤⎦ [ W ]

(3-38)

140

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

⎡γ2 ⎢ 1 ⎡Γ2 ⎤ = ⎢ ⎣ ⎦ ⎢ ⎣⎢ 0

0⎤ ⎥ ⎥ 2⎥ γn ⎦⎥

.

Die Größen γ i sind die von der Einfachleitung bekannten komplexen Ausbreitungskonstanten. Wird die Transformationsvorschrift (3-37) in Gleichung (3-35) eingesetzt, erhält man d2 dx

2

[ W ] = [ T ]−1 [ A ][ T ][ W ]

.

(3-39)

Damit die Transformation auf die gewünschte Entkopplung führt, muss gelten

[ T ]−1 [ A ][ T ] = ⎡⎣Γ2 ⎤⎦ bzw.

[ A ][ T ] = [ T ] ⎡⎣Γ2 ⎤⎦

,

(3-40)

was unmittelbar aus dem Vergleich von (3-38) und (3-39) folgt. Zur Ermittlung der Elemente der noch unbekannten Transformationsmatrix [ T ] sind zunächst die Eigenwerte der Matrix [ A ] aus der charakteristischen Gleichung DET ([ A ] − λ [E ]) = 0

zu bestimmen. Die Matrix [E ] ist hierin die Einheitsmatrix [s. a. B48]. Die Rechenvorschrift zur Lösung der charakteristischen Gleichung führt auf eine lineare Gleichung n-ten Grades, deren Lösungen λ1 ..λ 2 als Eigenwerte der Matrix [ A ] bezeichnet werden und die identisch mit dem Quadrat der Ausbreitungskonstanten γ i sind. Die Elemente der Transformationsmatrix [ T ] gewinnt man anschließend beispielsweise durch Anwendung der Cramerschen Regel [11.34]. Durch die Modalanalyse erhält man also n neue Spannungswellen, die unabhängig voneinander mit ihren jeweils zugehörigen Ausbreitungskonstanten auf dem gekoppelten Leitungssystem fortschreiten. Diese Spannungswellen bezeichnet man als Eigenwellen oder Moden des Systems. In vollkom-

3.4 Elektromagnetische Leitungskopplung

141

mener Analogie zu der oben gezeigten Vorgehensweise lässt sich auch Gleichung (3-36) entkoppeln, so dass sich jeder Spannungs- und Stromzustand eines gekoppelten Leitungssystems durch Überlagerung seiner Eigenwellen darstellen lässt. Da für jede Eigenwelle eine Wellengleichung wie bei der Einfachleitung gilt, kann das Differentialgleichungssystem (3-38) mit Hilfe des Exponentialansatzes nach d'Alembert für jede Eigenwelle getrennt gelöst werden [11.31],

[ W ] = ⎡⎣e− γx ⎤⎦ [K hin ] + ⎡⎣e+ γx ⎤⎦ [K rück ]

.

Nach Bestimmung der Spaltenvektoren [K hin ] und [K rück ] aus den Randbedingungen am Leitungsanfang erhält man nach etwas längerem Rechengang die Spannungen und Ströme an beliebiger Stelle des Mehrleitersystems in Abhängigkeit von den Spannungen und Strömen am Leitungsanfang, 1 2

[U(x)] = [ T ] + ⎡e ⎣ 1 2

{⎡⎣e ⎤⎦ ([ T ]

+ γx ⎤



([ T ]

−1

[ I(x)] = [Z']−1 [ T ][Γ ]

(

−1

− γx

−1

− ⎡⎣ e +γx ⎤⎦ [ T ]

[U(0)] + [Γ ]−1 [ T ]−1 [Z'][ I(0)])

}

[U(0)] − [Γ ]−1 [ T ]−1 [Z'][ I(0)])

{⎡⎣e ⎤⎦ ([ T] −γx

−1

(3-41)

[U(0)] + [Γ ]−1 [ T ]−1 [Z'][ I(0)])

}

[U(0)] − [Γ ]−1 [ T ]−1 [Z'][ I(0)])

. (3-42)

Diese Gleichungen werden auch als verallgemeinerte Leitungsgleichungen eines (n+1)-Leitersystems bezeichnet. Der erste Term beschreibt die auf dem Leitungssystem hinlaufenden, der zweite Term die rücklaufenden Wellen. Aus der Überlagerung von hin- und rücklaufenden Spannungs- bzw. Stromwellen ergeben sich die messbaren Spannungen bzw. Ströme an jedem beliebigen Ort des Leitungssystems. Unter Berücksichtigung der Abschlussverhältnisse am Leitungsanfang und -ende können die Leitungsgleichungen bei zwei Leitungen mit einem Taschenrechner für komplexe Zahlen, bei mehreren Leitungen mit Hilfe eines geeigneten Rechenprogramms gelöst und die an den Abschlüssen auftretenden Koppelspannungen bestimmt werden [11.29, 11.30, 11.39]. Im Zeitbereich gestaltet sich die Behandlung gekoppelter Mehrleitersysteme mathema-

142

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

tisch aufwendiger. Der interessierte Leser sei deshalb an dieser Stelle auf die einschlägige, umfangreiche Spezialliteratur verwiesen [z. B. 11.32, 11.35, 11.36]. Die rein induktive und kapazitive Kopplung einfacher, elektrisch kurzer Mehrleitersysteme ergibt sich aus den hier hergeleiteten Gleichungssystemen als Grenzfall.

3.5

Strahlungskopplung

Unter Strahlungskopplung versteht man die Beeinflussung von Leiterstrukturen durch elektromagnetische Wellenfelder. In den beiden vorigen Abschn. 3.2 und 3.3 wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass elektrische und magnetische Wechselfelder als selbständige Phänomene ohne wechselseitige Kopplung auftreten. Diese Annahme ist auch immer zulässig, solange man sich im Nahfeld des störenden Systems befindet (s. 5.1). Im Fernfeld treten E und H immer gemeinsam und über das Induktionsgesetz rotE = -

∂B ∂t

(3-43)

gekoppelt auf [B18]. Man spricht dann von einer elektromagnetischen Welle. Ihre Feldstärken E und H können individuell angegeben werden, sie sind jedoch nicht mehr unabhängig voneinander wie bei quasistatischen elektrischen und magnetischen Feldern (s. a. Abschn. 3.4). Eine auf ein Leitergebilde einfallende elektromagnetische Welle EE, HE ruft dort Ströme und Spannungen hervor, die ihrerseits Ursache einer reflektierten elektromagnetischen Welle ER, HR sind. Die einfallende und die reflektierte Welle überlagern sich im gesamten Raum zu einem Nettofeld. Die Feldstärken dieses Nettofeldes erhält man durch Lösen der Maxwellschen Gleichungen für die vorliegenden Randbedingungen. Alternativ kann man sofort die Leitungsgleichungen unter Berücksichtigung der von der einfallenden Welle eingekoppelten Spannungen und Ströme aufstellen. Das grundsätzliche Vorgehen soll hier am Beispiel eines kurzen Abschnitts Δx einer elektrisch langen, verlustfreien Paralleldrahtleitung (s. a. [B18]) gezeigt werden, Bild 3.30.

3.5 Strahlungskopplung

143

Z EEZ (x+Δ x,z,t)

EEZ (x,z,t)

i(x+Δx,t)

P

i(x,t)

Z0

ic(x+Δx,t)

L’Δx

A

u(x+Δx,t)

iv

u(x,t) BEy (x,z,t)

C’Δx x+Δx

x y

Bild 3.30: Leitungsabschnitt Δx einer elektrisch langen, verlustfreien Paralleldrahtleitung.

Die Induktivität der aus Hin- und Rückleitung gebildeten Leiterschleife sowie die Kapazität zwischen Hin- und Rückleitung werden auf die Leitungslänge bezogen, das heißt als Beläge dargestellt, L' = ΔL / Δl

C' = ΔC / Δl

bzw.

.

Das Element Δx verhält sich elektrisch kurz, so dass die zeitlich veränderlichen Größen u(t) und i(t) nur von den konzentrierten Bauelementen des Ersatzschaltbilds dieses Leitungsabschnitts bestimmt werden, was eine quasistatische Behandlung unter Anwendung der Kirchhoffschen Regeln erlaubt. Die Anwendung der Maschenregel auf die Kontur C der Fläche A führt unter Berücksichtigung der von der Magnetfeldkomponente der elektromagnetischen Welle induzierten Umlaufspannung °

dφ ∂ ∂ U=− =− B E ⋅ dA = − dt ∂t ∂t



x +Δx z0

A

∫ ∫ B (x,z, t)dzdx E y

x

0

auf ∂i(x, t) ∂ L' Δx + u(x + Δx, t) − u(x, t) − ∂t ∂t

x +Δx z0

∫ ∫ B (x,z, t)dzdx = 0 E y

x

0

(3-44)

144

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

bzw. nach Division durch Δx und Bildung des Grenzwerts für Δx → 0 auf ∂i(x, t) ∂u(x, t) ∂ + = L' ∂t ∂x ∂t

z0

∫ B (x,z, t)dz E y

0

.

(3-45)

Die Anwendung der Knotenregel auf den Punkt P führt unter Berücksichtigung des von der elektrischen Feldkomponente der elektromagnetischen Welle influenzierten zusätzlichen Verschiebungsstroms durch die Kapazität C' Δx , ∂ i v = C' Δx ∂t

z0

∫ E (x + Δx,z, t)dz E z

(3-46)

0

auf ∂u(x + Δx, t) ∂ i(x, t) − i(x + Δx, t) − C' Δx + C' Δx ∂t ∂t

z0

∫ E (x + Δx,z, t)dz = 0 E z

0

bzw. nach Division durch Δx und Bildung des Grenzwerts für Δx → 0 auf

∂u(x, t) ∂i(x, t) ∂ C' + = C' ∂t ∂x ∂t

z0

∫ E (x,z, t)dz E z

0

.

(3-47)

Die linken Seiten der Gleichungen (3-45) und (3-47) sind die bekannten gekoppelten Differentialgleichungen erster Ordnung, die Spannungen und Ströme auf elektrisch langen Leitungen in Abhängigkeit von Ort und Zeit beschreiben [1.6], die rechten Seiten die Stör- bzw. Anregungsfunktionen des Systems. Die Lösung dieses Gleichungssystems mit Hilfe der Methode der Zustandsvariablen führt für beliebige Anregungen auf die gesuchten Spannungen an den wellenwiderstandsgerechten Abschlusswiderständen bei x=0 und x=l (in Bild 3.30 nicht eingezeichnet). In einem rein netzwerktheoretischen Ersatzschaltbild lässt sich die Strahlungskopplung durch verteilte Spannungs- und Stromquellen darstellen, deren Quellenspannungen bzw. -ströme den Anregungsfunktionen entsprechen, Bild 3.31.

3.5 Strahlungskopplung

145



~ C

Bild 3.31: Modellierung der Strahlungskopplung durch verteilte Spannungs- und Stromquellen.

Die Modellierung der Strahlungskopplung auf Leitungen mit Hilfe von Leitungsinduktivitäten und Leitungskapazitäten gemäß Bild 3.30 und 3.31 gilt nur für Anregungsfunktionen, deren Anstiegszeit groß gegen die Laufzeit zwischen den Leitern quer zur Ausbreitungsrichtung ist (TEM-Moden, Wanderwellentheorie). Diese Voraussetzung ist bei der Strahlungskopplung in gewöhnliche Mess- und Signalleitungen häufig erfüllt. Ein Gegenbeispiel ist die Strahlungskopplung des NEMP in Energieübertragungsleitungen. Letzterer Fall muß durchgängig feldtheoretisch behandelt werden. Die beiden gekoppelten Gleichungen (3-45) und (3-47) für die zwei Unbekannten u(x,t) und i(x,t) können auch in zwei entkoppelte Gleichungen für je eine Unbekannte umgeformt werden. Differenziert man eine Gleichung nach x, die andere nach t und setzt beide ineinander ein, führt dies zur Separation von u(x,t) und i(x,t), ∂2u ∂x

2

∂2i ∂x

2

− L'C'

− L'C'

∂2u ∂t

2

∂2i ∂t

2

= −L'C'

= −C'

∂t

∂2 ∂t

z0

∂2

2

2



EEz (x,z, t)dz

0

z0

∫ 0

BEy (x,z, t)dz

∂ ∂ + ∂t ∂x

∂ ∂ C' + ∂t ∂x

z0

∫ B (x,z, t)dz E y

,

(3-48)

.

(3-49)

0

z0

∫ E (x,z, t)dz E z

0

Schließlich kann man noch unter Verwendung von rotE = −dB / dt in kartesischen Koordinaten [B18] die rechten Seiten jeweils nur mit der elektrischen oder der magnetischen Feldkomponente ausdrücken. Die obigen Betrachtungen wurden unmittelbar im Zeitbereich durchgeführt. Zur Vereinfachung der Berechnung lässt sich das mathematische Modell auch im Frequenzbereich angeben. Die unbekannten Größen u(x,t) und i(x,t)

146

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

gehen dann in die nur noch vom Ort abhängigen komplexen Amplituden U(x) und I(x) über. Weiter ersetzen wir d/dt durch Multiplikation mit jω , und d2 / dt 2 durch Multiplikation mit (jω)2 . Die Gleichungen (3-45) und (347) gehen dann über in die einfacheren Gleichungen z0



dU(x) jωL' I(x) + = jω BEy (x,z)dz dx

(3-50)

o

dI(x) jωC'U(x) + = jωC' dx

und

z0

∫ E (x,z)dz E z

.

0

(3-51)

Weiter gehen die Gleichungen (3-48) und (3-49) über in d2 U(x) dx

2

d2 I(x) dx 2

z0

− (jω)2 L'C'U(x) = −(jω)2 L'C'



EEz (x,z)dz + jω

0

z0

− (jω) L'C' I(x) = −(jω) C' 2

2

∫ 0

BEy (x,z)dz

∂ ∂x

∂ + jωC' ∂x

z0

∫ B (x,z)dz , E y

(3-52)

0

z0

∫ E (x,z)dz . E z

(3-53)

0

Die Gleichungen (3-48), (3-49), (3-52) und (3-53) entsprechen formal der bekannten Telegraphengleichung im Zeit- und Frequenzbereich (s. a. [B18]). Gegenüber der quasistatischen Kopplung weisen die Lösungen für die eingekoppelten Spannungen und Ströme der Strahlungskopplung eine Besonderheit auf. Unbeschadet eines wellenwiderstandsgerechten Abschlusses bilden sich auf den Leitungen durch Mehrfachreflexionen von Gleichtaktgrößen ausgeprägte Wanderwellenschwingungen aus, deren Grundfrequenz durch die Laufzeit der Leitungen bestimmt wird. Die eingekoppelten Störgrößen können daher bei dieser Frequenz und ihren Vielfachen deutliche Resonanzüberhöhungen oder -auslöschungen zeigen. Ausführliche Zahlenbeispiele für eine Vielzahl verschiedener Leitungen finden sich in [8.23]. Eine wichtige Modifikation der hier vorgestellten symmetrischen Leitung im freien Raum stellt die Anordnung Leiter über Erde dar, z. B. in Form eines Kabelschirms. Die einfallende elektromagnetische Welle wird in diesem Fall an der mehr oder weniger gut leitenden Erdoberfläche reflektiert, so dass für die Anregungsfunktionen die Überlagerung der Felder der ankommenden

3.5 Strahlungskopplung

147

und reflektierten Welle eingesetzt werden muss. Hat man die Ströme auf dem Schirm berechnet, kann auch die im Innern des Signalkabels wirksame Störspannung mit Hilfe der Kopplungsimpedanz elektrisch langer Leitungen bestimmt werden [8.23, 8.24]. Die obigen Betrachtungen vermitteln lediglich einen kleinen Einblick in die grundsätzliche Vorgehensweise der Berechnung von Strahlungskopplungen. Die erfolgreiche mathematische Behandlung individueller praktischer Probleme verlangt nach einer umfassenden Vertiefung anhand des umfangreichen Literaturverzeichnisses [3.17 - 3.23]. Bezüglich der Verringerung der Strahlungskopplung durch Verdrillen, Schirmen etc. gelten die für quasistatische Felder in den vorangegangenen Abschnitten bereits angegebenen Maßnahmen unverändert.

3.5.1

Abstrahlung durch Gleichtaktströme

Dieser Abschnitt stellt ein einfaches Modell zur Abschätzung der Abstrahlung von Gleichtaktströmen auf Paralleldrahtleitungen oder PCBLeiterbahnen vor. Die Einzelleitungen lassen sich über eine Länge l als abstrahlender Dipol aufassen. Die Gesamtabstrahlung ergibt sich dann aus der Überlagerung der Abstrahlung der Einzelleiter-Dipole, Bild 3.32. l s

iC(t)

s/2

iC(t) d EC,max

P

Bild 3.32: Abstrahlung von Gleichtaktströmen auf einer Paralleldrahtleitung.

Zur Vereinfachung werden Winkelabhängigkeiten außer Betracht gelassen und lediglich die Abstrahlung auf der Ebene der Paralleldrahtleitung betrachtet. Außerdem wird vorausgesetzt, dass der Abstand s der Einzelleitungen wesentlich kleiner ist als der Abstand d zum betrachteten Feldpunkt P, wodurch s bei den weiteren Betrachtungen entfallen kann.

148

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Ohne weitere Herleitung ergibt sich nun das maximale elektrische Feld EC,max in P [3.30] zu

EC,max = 1,257 ⋅ 10

−6

ˆ 1 V i C (t) ⋅ f ⋅ l ⋅ ⋅ Hz ⋅ A m d

.

(3-54)

Als Beispiel sei der Störstrom auf einer 1 m langen Leitung berechnet, der in einem Abstand von 1 m ein elektrisches Feld von 25dbμV/m bei 100 MHz erzeugt (Grenzwert der Luftfahrtindustrie gemäß RTCA-DO160E [3.31]). Aus (3-54) ergibt sich dann ein maximal zulässiger Störstrom von iˆC (t) =

17,8 ⋅ 10−6 ⋅ 1 1,257 ⋅ 10−6 ⋅ 1 ⋅ 100 ⋅ 103

A = 1,42 mA

.

Man erkennt, dass bereits geringe Störströme ausreichen, um Feldstärkewerte zu erreichen, die bei Emissionsmessungen zu Grenzwertüberschreitungen führen können.

3.5.2

Abstrahlung durch Gegentaktströme

Auch Gegentaktströme erzeugen elektromagnetische Felder, obwohl diese durch die gegenseitige Kompensation der Einzelfelder größtenteils geringer ausfallen, als bei Gleichtaktströmen, Bild 3.33. l s

iD(t)

s/2

iD(t) d

E1

P E2 ED,max

Bild 3.33: Abstrahlung von Gegentaktströmen auf einer Paralleldrahtleitung.

Hier ist der Abstand s der Einzelleitungen zu berücksichtigen, da leicht zu erkennen ist, dass die Einzelfelder sich für s = 0 gegenseitig aufheben. Wieder wird nun ohne weitere Herleitung [3.30] das elektrische Feld im Abstand d beschrieben durch

3.5 Strahlungskopplung

ED,max = 1, 316 ⋅ 10

149

−14

2 ˆ V i D (t) ⋅ f ⋅ l ⋅ s ⋅ ⋅ d Hz2 ⋅ A ⋅ m m

1

.

(3-55)

Mit den gleichen Zahlenwerten wie im Beispiel des Abschn. 3.5.1 erhält den maximal zulässigen Störstrom auf einer 1 m langen Leitung mit s = 5 mm: iˆ D (t) =

17,8 ⋅ 10−6 ⋅ 1

(

1, 316 ⋅ 10−14 ⋅ 1 ⋅ 100 ⋅ 103

)

2

⋅ 0,005

A = 27 A

Man sieht also wie unwahrscheinlich hoch der Gegentaktstrom sein müsste um ein abgestrahltes, grenzwertiges Feld zu erzeugen.

3.6

Erdung von Kabelschirmen

Die Frage, ob ein Kabelschirm nur an einem oder an beiden Enden geerdet werden sollte, stellt sich immer wieder aufs Neue. Dies liegt darin begründet, dass es nicht nur eine richtige Antwort gibt und die zweckmäßige Erdung im Einzelfall von einer Reihe von Randbedingungen bzw. auch der unterschiedlichen Bewertung gewisser Vor- und Nachteile abhängt. Von großer Bedeutung ist die Ursache und Natur der Störung – leitungsgebunden oder durch elektrische und magnetische Felder eingekoppelt, Gleichtakt oder Gegentaktstörung etc. Weiter ist zu unterscheiden, ob ein Kabelschirm Teil eines Betriebsstromkreises ist, das heißt gleichzeitig als Rückleiter und als Schirm wirkt, oder ausschließlich Schirmfunktion gegenüber Störfeldern besitzt, Bild 3.34.

Bild 3.34: Kabelschirme mit unterschiedlichen Funktionen. a) Schirm als Teil eines Betriebsstromkreises, das heißt der Schirm ist gleichzeitig Rückleiter bzw. Bezugsleiter, b) Schirm mit reiner Schirmfunktion.

150

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Schirm als Teil des Betriebsstromkreises In diesem Fall verbietet sich eine beidseitige Erdung wegen des Erdschleifenbzw. Kabelmantelstromproblems (s. Abschn. 3.1.3). Ist die beidseitige Erdung systembedingt unvermeidlich, da sowohl Sender und Empfänger bereits ohne Kabel eo ipso einseitig geerdet sind (sei es auch nur durch eine hohe Erdstreukapazität), hilft bei exzessiven elektromagnetischen Beeinflussungen nur die Auftrennung der Erdschleife durch die in Abschn. 3.1.2 aufgeführten Maßnahmen. Schirm mit reiner Schirmfunktion In diesem Fall ist die beidseitige Erdung zwingend erforderlich, damit der Schirm seine Funktion als Reduktionsleiter (Kurzschlusswindung) gegen magnetische Störfelder überhaupt erfüllen kann (s. Abschn. 3.3). Ein nur einseitig geerdeter Schirm mit reiner Schirmfunktion vermag bei niederen Frequenzen nur elektrische Felder abzuschirmen. Dies auch nur bei kurzen Kabellängen, da das erdferne Ende vom geerdeten Ende durch die Schirminduktivität entkoppelt ist. Ein elektrisches Störfeld am erdfernen Ende vermag dann durchaus das dortige Schirmpotential anzuheben und damit kapazitiv in den Betriebsstromkreis einzukoppeln. Gelegentlich wird die Meinung vertreten, dass auch Kabelschirme mit reiner Schirmfunktion nur einseitig geerdet werden sollten, da bei starken Ausgleichsströmen im Erdnetz in seltenen Einzelfällen eine thermische Überlastung bzw. ein Ausbrennen von Kabelschirmen beobachtet wurde. Aus EMVSicht sind beidseitig geerdete Schirme höherer Stromtragfähigkeit bzw. parallel verlegte zusätzliche Kupferleiter ausreichenden Querschnitts sicher vorzuziehen. Vielfach wird dies aber aus wirtschaftlichen Gründen scheitern. Bei hohen Ansprüchen an die Schirmung von Messkabeln, beispielsweise in Hochspannungs- und Hochstromprüffeldern sowie in der Pulse Power Technologie, kommt man wegen der starken Potentialanhebungen und der starken Störfelder häufig nicht ohne zusätzliche Schirme aus, sog. BypassTechnik (s. Abschn. 3.1.3 u. [B19]). Vielfach wird die Notwendigkeit, nichtgeschirmte Adern an den Kabelenden so kurz wie möglich zu halten, stark unterschätzt. So entspricht 1 cm ungeerdeter Signalader bei guten Kabeln unschwer mehreren Metern geschirmten Kabels. Weiter spielt die Induktivität der Erdverbindung des Schirms eine

3.6 Erdung von Kabelschirmen

151

entscheidende Rolle. Ein rundum laufender koaxialer Schirmanschluss an ein Schirmgehäuse ist deutlich besser als die Erdung über einen Kabelzopf, vor allem, wenn dieser noch im Innern eines Schirmgehäuses angeschlossen wird, Bild 3.35.

Bild 3.35: Beispiele guter und schlechter Erdung von Kabelschirmen. PE: Schutzbzw. Gebäudeerde, SE: Schirmerde.

Wenngleich die Frage nach der richtigen Erdung von Kabelschirmen nach einer sorgfältigen Systemanalyse vielfach „straight-forward“ beantwortet werden kann, wird der Leser immer wieder Überraschungen erleben (unbeabsichtigte Erdverbindungen, stehende Wellen auf elektrisch langen Kabelschirmen etc.), die sich häufig nur experimentell klären lassen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Literaturverzeichnis verwiesen [2.116, 2.147, 3.25 - 3.27].

3.7

Identifikation von Kopplungsmechanismen

Die Identifikation von Kopplungsmechanismen verlangt ein intimes, physikalisches Verständnis der analogen Schaltungstechnik, der Wirkungsweise von Erd- und Masseverbindungen, des Unterschieds zwischen Induktion (Magnetfeld) und Influenz (Elektrisches Feld), der Wirkungsweise von Schirmen usw. Dieses Verständnis zu wecken und zu fördern, ist ein wesentliches Anliegen dieses Buchs. Dass die Identifikation von Kopplungsmechanismen auch bei hochentwickeltem EMV-Verständnis häufig trotzdem auf „trial and error“ hinausläuft, liegt in der Natur der Problematik. Sehen wir von offenkundigen Ausnahmen ab, z. B. gestörter Rundfunkempfang in der

152

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Nähe eines Staubsaugers, kann die Manifestation einer Störung theoretisch beliebig viele Ursachen haben. Es handelt sich daher in der Regel um mehrdeutige Problemstellungen, für die bekanntlich ohne zusätzliche Information keine eindeutige Lösung angegeben werden kann. Es ist die Aufgabe des Technikers bzw. des EMV-Fachmanns, diese zusätzliche Information durch eine umfassende theoretische und praktische Systemanalyse zu beschaffen. Ein wesentlicher Teil dieser Analyse besteht beim nachträglichen Auftreten eines EMV-Problems in geschicktem Probieren. Nutzsignale gelangen zum Eingang eines Empfängers über ungeschirmte oder geschirmte Leitungen. Bleibt eine Störung auch nach Abklemmen der Nutzsignalleitung vom Empfängereingang existent, ist der Empfänger unzureichend geschirmt oder er fängt die Störung über die Netzzuleitung ein. Eine eindeutige Klärung lässt sich durch vorübergehende Aufstellung des Empfängers in größerer Entfernung oder in einer Schirmkabine, Betrieb des Empfängers aus einer Batterie, Speisung über Isoliertransformator und Netzfilter etc. herbeiführen. Tritt eine Störung nur bei angeschlossenen Signalleitungen auf, erhebt sich die Frage, ob die Störung bereits an der Nutzsignalquelle existent ist oder erst längs der Übertragung des Nutzsignals zum Empfänger eingekoppelt wird. In letzterem Fall verdankt sie ihre Entstehung in der Regel der Kopplungsimpedanz des Schirms der Signalleitung oder der Gehäusekopplungsimpedanz (s. Abschn. 3.1.3). Auf der Signalmasse (Kabelmantel) ankommende Ströme rufen an diesen Kopplungsimpedanzen Spannungsabfälle hervor, die sich als Gegentaktsignal dem Nutzsignal überlagern (s. Abschn. 1.4, 3.1.2 und 10.6). Im Zweifelsfall lässt sich durch zwei Testmessungen leicht klären, ob Störungen bereits dem Nutzsignal eigen sind oder erst nachträglich eingekoppelt werden. – Bei der ersten Testmessung wird der Leitungsschirm mit der Masseklemme der Nutzsignalquelle verbunden, der aktive Leiter (Innenleiter) jedoch nicht angeschlossen. Mit anderen Worten, die Signalleitung wird eingangsseitig im Leerlauf betrieben. – Bei der zweiten Messung verbindet man zusätzlich den aktiven Leiter mit der Masseklemme, betreibt die Signalleitung also eingangsseitig im Kurzschluss. In beiden Fällen darf bei eingeschalteter Quelle am Empfänger kein Signal auftreten. Seltener werden Störungen auch unmittelbar infolge mangelnder elektrischer und magnetischer Schirmdämpfung des Kabelschirms eingekop-

3.7 Identifikation von Kopplungsmechanismen

153

pelt, was sich durch einen zusätzlich aufgebrachten Schirm herausfinden lässt. Vielfach ist die Signalleitung zum Empfängereingang nicht geschirmt, sondern besteht in Form von Leiterbahnen oder wire-wrap Verbindungen. Hier entstehen Gegentaktstörspannungen meist durch magnetische Kopplung, indem in der aus Hin- und Rückleitung gebildeten Schleife Spannungen induziert werden. Eine Verbesserung der EMV bringt hier eine Verringerung der Schleifenfläche. Galvanische Kopplungen lassen sich durch getrennte Stromversorgungsleitungen nachweisen. Ändert sich eine Störung nur unwesentlich beim Verändern der Erdungsverhältnisse, ist dies oft ein sicheres Zeichen für induzierte Spannungen (s. Abschn. 3.3). Ein starker Einfluss unterschiedlicher Erdung lässt dagegen auf kapazitiv eingekoppelte Störungen bzw. auf Kabelmantelstromprobleme (Ringerden) schließen. Erlauben die bislang vorgeschlagenen Maßnahmen keine eindeutige Identifikation des Kopplungsmechanismus, kann der Einsatz von Simulatoren wertvolle Hinweise geben. Durch Einkoppeln transienter Ströme in Erd- und Massesysteme sowie Einstrahlungsmessungen mit quasistatischen, elektrischen und magnetischen Feldern lassen sich letztlich alle denkbaren Mechanismen aufdecken. Schließlich hilft bei Intersystem-EMB auch die Analyse der Störumgebung mit Hilfe von Schnüffelsonden in Form kleiner Monopol- und Rahmenantennen (s. Abschn. 7.2.1). Erstere reagieren im Nahfeld störender Sender nur auf die elektrische Feldkomponente, letztere nur auf die magnetische Feldkomponente. Stromzangen und Tastköpfe erlauben in Verbindung mit einem Oszilloskop die Aufspürung leitungsgebunden übertragener Beeinflussungen. Die vorstehend aufgeführten Maßnahmen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie lassen jedoch erahnen, dass die Identifikation von Kopplungsmechanismen gelegentlich sehr zeitraubend sein kann, insbesondere wenn mehrere Mechanismen gleichzeitig und auch kaskadiert wirksam sind. In vielen Fällen geben die Hinweise jedoch ausreichend Hilfestellung, um EMV-Probleme zielstrebig anzugehen und mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand zu lösen. Strategien bei der Lösung von EMV-Problemen – auch unter dem Gesichtspunkt der Störcharakteristik – werden ebenfalls in Abschnitt 10.9 erörtert.

154

3.8

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Beschreibung von Kopplungsmechanismen mit Hilfe numerischer Methoden

Während die Bestimmung des Übertragungswegs einfacher Systeme und Zusammenhänge möglicherweise noch mit analytischen Methoden durchführbar ist, stellt sie bei realistischen Anwendungen eine große Herausforderung dar. Hier helfen numerische Simulationsmethoden weiter, die zunächst eine mathematische Modellierung eines Systems und darauf basierende Simulationsrechnungen ermöglichen. Ihre zunehmende Verbreitung begründet sich auch durch die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Computertechnik und die damit einhergehende Verfügbarkeit von Rechenleistung. Im Laufe der Zeit haben sich eine Vielzahl verschiedener Ansätze herausgebildet, die entweder möglichst universell anwendbar sind, oder auch nur eine bestimmte Problemstellung besonders effizient zu lösen versuchen. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über diese Ansätze und ihre Vorund Nachteile gegeben werden, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Dem interessierten Leser seien eine Reihe von umfassenden Artikeln nahe gelegt, die sich mit diesem Thema eingehender beschäftigen [3.30, 3.31, 3.32]. Alle Ansätze beruhen auf den Maxwell-Gleichungen, die sich sowohl im Zeitbereich -∂B ∂t divD = ρ rotE =

rotH = J + divB = 0

∂D ∂t

(3-56)

als auch im Frequenzbereich rotE = − jωB

rotH = J + jωD

divD = ρ

divB = 0

(3-57)

darstellen lassen. Die Simulationsmethoden unterscheiden sich durch die Art und Weise, wie die Maxwell-Gleichungen gelöst werden können. Im Wesentlichen gibt es zwei Klassen, Differenzenverfahren und Integralverfahren (s. a. [B18]). Erstere lösen die oben gezeigten Maxwell-Gleichungen direkt durch Aufstellen entsprechender Differentialgleichungen. Letztere stützen sich bei der Lösung auf Green'sche Funktionen, also spe-

3.8 Beschreibung von Kopplungsmechanismen mit Hilfe numerischer Methoden 155

zielle Lösungen der Maxwell-Gleichungen, deren passende Kombination durch das Verfahren für bestimmte Randbedingungen bestimmt wird. Bei den Differenzenverfahren wird durch den lokalen Differenzenoperator jeweils nur die direkte Umgebung eines Feldpunktes betrachtet. Dadurch zeichnen sich diese Verfahren durch eine relativ einfache Implementierung aus. Im Gegenzug erfordert dies aber, dass der gesamte betrachtete Problemraum geeignet diskretisiert werden muss, um ein ausreichendes Netz an Feldpunkten zu haben. So ist es zum Beispiel bei großen Abständen zwischen relativ kleinen Objekten notwendig, den gesamten die Objekte umgebenden Raum ausreichend fein zu diskretisieren, was zu einer sehr großen Anzahl Unbekannter führt. Besonders die Bestimmung der Abstrahlung eines Objekts, welche eigentlich einen unendlich ausgedehnten, offenen Problemraum voraussetzt, ist für diese Verfahren eine große Herausforderung. Der unbegrenzte Raum muss dazu durch die Anwendung spezieller Randbedingungen (beispielsweise Perfectly Matched Layers (PML) [3.33, 3.34]) an den künstlich einzuführenden Grenzen des diskretisierten Gebiets nachgebildet werden. Andererseits sind diese Verfahren bei Problemstellungen mit von vorneherein begrenzten Problemgebieten äußerst effizient und leicht zu verwirklichen. Bei den Integralverfahren wiederum werden mit den Green'schen Funktionen globale Operatoren verwendet, das heißt es werden Wechselwirkungen über den gesamten Problemraum hinweg betrachtet. Dies, zusammen mit den sich ergebenden Integro-Differential-Gleichungen, resultiert in einer häufig sehr aufwendigen Implementierung dieser Verfahren. Außerdem erweist sich die Behandlung inhomogener Probleme als sehr schwierig. Bei der Behandlung von Problemen mit inhomogenen Umgebungen stellt die Diskretisierung des gesamten Problemraums dennoch wieder einen Vorteil dar, da in jedem Teilraum die Umgebungsbedingungen individuell definiert sind. Vorteilhafterweise beinhalten diese Ansätze die Abstrahlungsbedingung bereits implizit. Dadurch sind sie gerade für offene Probleme geeignet. Außerdem verlangt dieser Ansatz, dass meist nur die im Problemraum auftretenden Grenzflächen diskretisiert werden müssen. Dies kommt einer Reduktion der Problemdimension gleich und ergibt weniger Unbekannte. Neben dieser Klassifizierung in Differenzen- und Integralverfahren kann, wie auch schon bei der Beschreibung der elektromagnetischen Beeinflussungen, zwischen Verfahren im Zeit- und im Frequenzbereich unterschieden werden. Diese ergibt sich in natürlicher Weise durch die Verwendung der Maxwell-

156

3 Koppelmechanismen und Gegenmaßnahmen

Gleichungen im Zeit- bzw. im Frequenzbereich als Grundlage der Formulierung. Sowohl Differenzen- wie auch Integralverfahren können im Zeitund im Frequenzbereich angewandt werden. Welche Formulierung letztlich gewählt wird, hängt von der Natur der zu beschreibenden Phänomene ab. Frequenzbereichsverfahren sind besonders für periodische bzw. bandbegrenzte Signale und kontinuierliche Signale von Vorteil, da sie eine besonders effiziente Behandlung direkt im Frequenzbereich zulassen. Zeitbereichsverfahren müssten hierfür einen eingeschwungenen Zustand berechnen. Außerdem spricht das Vorhandensein frequenzabhängiger Elemente in einem System für die Anwendung von Frequenzbereichsverfahren. Zeitbereichsverfahren kommen vor allem bei transienten Signalen zum Einsatz. Bei geeigneter Wahl des Simulationsmodells decken sie mit einer einzigen Rechnung den gesamten interessierenden Frequenzbereich ab. Schließlich stellen die Zeitbereichsverfahren überhaupt die alleinige Möglichkeit dar, Systeme mit nichtlinearen, zeitabhängigen Elementen untersuchen zu können.

Verbreitete Vertreter der Differenzenmethoden sind zum Beispiel die „Finite Differenz Time Domain“ (FDTD) Methode [3.35], die „Transmission Line Matrix“ (TLM) Methode [3.36, 3.37], die „Finite Elemente Methode“ (FEM) [3.38] oder auch die „Finite Difference Frequency Domain“ (FDFD) Methode [3.39]. Die meistverwendeten Vertreter der Integralverfahren sind sicherlich die „Momentenmethode“ (MoM) [3.40] und die „Boundary Elemente Methode“ (BEM) [3.41]. Beide finden sowohl im Frequenzbereich wie auch im Zeitbereich Verwendung. Im letzteren Fall spricht man dann von der „TimeDomain Methode of Moments“ (TDMOM) [3.42, 3.43] und von der „TimeDomain Boundary Integral Equation“ (TDBIE) Methode [3.44]. Zur weiterführenden Erörterung der einzelnen Verfahren sei hier auf die zitierten Referenzstellen verwiesen.

4

Passive Entstörkomponenten

Filter, Überspannungsableiter und andere Entstörkomponenten werden sowohl unmittelbar an der Störquelle zur Verringerung von Emissionen, z. B. Entstörfilter, als auch unmittelbar vor einem Empfänger zur Unterdrückung von Immissionen, z. B. Störschutzfilter, angeordnet. Da den Komponenten meist nicht anzusehen ist, ob sie der Entstörung oder dem Störschutz dienen sollen, wird im Folgenden einheitlich von Entstörkomponenten gesprochen, was sowohl für Störquellen wie für Störsenken sinnfällig interpretierbar ist. Schirme sind ebenfalls passive Entstörkomponenten. Ihrer großen Bedeutung wegen werden sie jedoch in eigenen Kapiteln behandelt (s. Kap. 5 und 6).

4.1

Filter

4.1.1

Wirkungsprinzip – Filterdämpfung

Filter dämpfen die Ausbreitung von Störungen längs Leitungen. Ihre problemlose Verwendung setzt voraus, dass die spektralen Anteile des Nutzsignals mindestens um die Flankenbreite der Filterkurve von den spektralen Anteilen der Störungen getrennt sind. Durch eine geeignete Auslegung der Eckfrequenzen (engl.: cutoff frequency) und Flankensteilheiten der Filterübertragungsfunktion erreicht man eine selektive Dämpfung der Störungen ohne merkliche Beeinträchtigung des Nutzsignals. Die passiven Filterkomponenten bilden mit den Impedanzen der Quelle und des Empfängers Spannungsteilerschaltungen, deren frequenzabhängiges Übersetzungsverhältnis, als logarithmisches Verhältnis genommen, die reale

158

4 Passive Entstörkomponenten

Filterdämpfung ergibt. Erlaubt ein kleiner HF-Innenwiderstand der Störquelle keine wirkungsvolle Spannungsteilung, kann durch Reihenschaltung von Drosseln das Teilerverhältnis vergrößert werden. Die Grundkomponenten von Filtern sind demnach für den Betriebsstrom auszulegende Längsimpedanzen und für die Betriebsspannung auszulegende Querimpedanzen mit meist überwiegend reaktivem Anteil, Bild 4.1. Zi a)

U St

Zq=

U Nutz

1 j ωC

ZE

U StE + U NutzE

ZE

U StE + U NutzE

ZE

U StE + U NutzE

Zi b)

U St

Z I = j ωL

U Nutz

Zi

Z I = j ωL

U St c)

Zq=

U Nutz

1 j ωC

Bild 4.1: Elementare Filterschaltungen , a) mit Querimpedanz Zq , b) mit Längsimpedanz Zl , c) LC-Filter.

Unterstellt man, dass die Filterdämpfung im Frequenzbereich des Nutzsignals vernachlässigbar ist, erhält man für die drei Fälle in Bild 4.1.

a)

b)

a F = 20 lg

a F = 20 lg

USt (ω) UStE (ω)

USt (ω) UStE (ω)

Zi + = 20 lg

ZE ⋅ Zq ZE + Zq

ZE ⋅ Zq

(4-1)

ZE + Zq

= 20 lg

Zi + Zl + ZE ZE

(4-2)

4.1 Filter

c)

159

a F = 20 lg

USt (ω) UStE (ω)

Zi + Zl + = 20 lg

ZE ⋅ Zq ZE + Zq

ZE ⋅ Zq

(4-3)

ZE + Zq

Die Filterdämpfung aF ist frequenzabhängig, man stellt sie daher meist graphisch als Frequenzgang a F = g(f) dar. Je nach Größe der Quellen- und Lastimpedanz am Ausgang, zuzüglich etwaiger Leitungsimpedanzen, kann die Filterdämpfung ein- und desselben Filters sehr unterschiedliche Frequenzgänge besitzen. Da ein Hersteller nicht für beliebig viele Kombinationen von Eingangs- und Ausgangsimpedanzen Dämpfungskurven angeben kann, findet man in den Katalogen meist die so genannte Einfügungsdämpfung, die von identischen, in angepassten Systemen häufig anzutreffenden Standardwerten für ZQ und ZE ausgeht, z. B. je 50 Ω , Bild 4.2.

Bild 4.2: Schaltung zur Messung der Einfügungsdämpfung (Substitutionsmessung mit und ohne Filter) in einem 50 Ω -System.

Die Einfügungsdämpfung ist definiert als logarithmisches Verhältnis der Störspannungen am Empfängerwiderstand mit und ohne Filter,

a F = 20 lg

U0StE (ω) UStE (ω)

.

(4-4)

160

4 Passive Entstörkomponenten

Häufig findet man auch die Definition a F = 20 lg

UQ (ω) 2 UStE (ω)

,

(4-5)

die die Leerlaufspannung der Störquelle zur Störspannung am Empfänger in Beziehung setzt, wobei dann wegen des angepassten Betriebs im Nenner ein Faktor 2 auftritt. Am Zahlenwert von aF ändert sich hierdurch nichts. Die Einfügungsdämpfung ist ein treffendes Maß zur Beurteilung der Filterwirkung in angepassten Systemen und erlaubt einen Vergleich von Filtern gleicher Bauart unterschiedlicher Hersteller, versagt aber völlig als Maß zur Beurteilung der Filterwirkung bei Systemen mit beliebigen Sender- und Empfängerimpedanzen, z. B. Netzfilter. Bei von 50 Ω abweichenden Impedanzen ist man als Anwender gezwungen, die realistische Filterdämpfung in jedem Einzelfall für vorgegebene ZE und ZQ entweder rechnerisch mit Hilfe der Gleichungen (4-1), (4-2), (4-3) bzw. aufwendigerer Modifikationen (Vierpolgleichungen der Filtertheorie) unter Verwendung einer Impedanztafel zu ermitteln oder messtechnisch zu bestimmen. Letzteres gilt insbesondere für dissipative Filter (s. 4.1.4) und Filter mit nichtlinearen Komponenten (Spulen mit im Bereich der Sättigung betriebenen ferromagnetischen Kernen). Dieser Aufwand erübrigt sich lediglich bei sehr geringen Ansprüchen an eine quantitativ genau bekannte Dämpfung, großem Frequenzabstand zwischen Nutz- und Störsignal und näherungsweise bekannten Innenwiderständen. Bei mehrstufigen Filtern ist der Unterschied zwischen realistischer Filterdämpfung und Einfügungsdämpfung weniger krass, wenn man die erste und letzte Stufe gedanklich zur Sende- bzw. Empfängerimpedanz hinzu schlägt. In vielen Fällen kann man durch Grenzwertbetrachtungen für f → 0 bzw. f → ∞ sowie für ZE , ZQ 50 Ω bzw. ZE , ZQ 50 Ω abschätzen, ob die realistische Filterdämpfung besser oder schlechter als die Einfügungsdämpfung sein wird, m. a. W., ob man auf der sicheren Seite liegt oder nicht. Eine Anleitung zur Umrechnung der Einfügungsdämpfung auf beliebige Sender- und Empfängerwiderstände findet sich in [4.2], Hinweise speziell zur Auswahl von Netzfiltern in [B10] und [4.39, 4.40]. Neben der grundsätzlichen Problematik einer zunächst unbekannten realistischen Filterdämpfung gibt es bei der Auswahl eines Filters zahlreiche weitere Punkte zu beachten, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird.

4.1 Filter

4.1.2

161

Filter für Gleich- und Gegentaktstörungen

Die Topologie eines Filters hängt wesentlich von der Natur der Störung ab. Wie bereits im Abschn. 1.4 ausführlich erläutert, unterscheidet man bei leitungsgebundenen Störungen zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Störspannungen. Erstere treten zwischen Hin- und Rückleitung von Betriebs- oder Signalstromkreisen auf, letztere zwischen deren Leitern und einem Referenzleiter, meist dem Schutzleiter (s. Abschn. 1.4). Entsprechend gilt es zwei Störstromarten zu unterdrücken, Gleich- und Gegentaktstörströme. Für beide müssen Filtereigenschaften separat spezifiziert werden. Betrachten wir zunächst das Ersatzschaltbild einer Störquelle mit Spannungsquellen für symmetrische und unsymmetrische Störspannungen, beispielsweise den Universalmotor eines Staubsaugers, Bild 4.3.

(2)

U 0 unsym

L1 U sym

U 0 sym

N

+

(1)

U 0 unsym

U (2) unsym

U(1) unsym PE

Bild 4.3: Störquellenersatzschaltbild mit Spannungsquellen für symmetrische und unsymmetrische Störspannungen.

Die symmetrische Störspannung ergibt sich als Differenz der unsymmetrischen Störspannungen, wie die Anwendung der Maschenregel auf die in Bild 4.3 eingezeichnete Schleife zeigt, (2) U(1) unsym − Uunsym + Usym = 0

bzw.

,

(4-6)

.

(4-7)

(1) Usym = U(2) unsym − Uunsym

162

4 Passive Entstörkomponenten

Das Ersatzschaltbild lässt weiter auf Anhieb erkennen, wie die drei Störspannungsquellen durch Entstörkondensatoren zwischen den Leitern L1, N, PE hochfrequenzmäßig kurzgeschlossen werden können, Bild 4.4 a.

(2)

(2)

U 0 unsym

U 0 sym

U 0 unsym

L1 CX

(1)

U 0 unsym

CY

U 0 sym

N

CX

(1)

U 0 unsym

CY

N

CY

CY

PE

PE

a)

L1

b)

Bild 4.4: Entstörung einer Störquelle mit Gegentakt- und Gleichtaktstörungen, a) durch Entstörkondensatoren, b) durch Entstörkondensatoren und vorgeschaltete Drosseln

Bei kleinen Quellenwiderständen würde die Entstörung allein mit Kondensatoren u. U. exzessiv große Kapazitäten erfordern. Zur Umgehung dieser Schwierigkeit kann der Quellenwiderstand durch Reihenschaltung von Induktivitäten erhöht werden, Bild 4.4 b. Je nach Art der Störung wird man nur Kondensatoren zwischen Hin- und Rückleiter, zwischen beiden Leitern und Schutzerde oder auch in beiden Pfaden vorsehen. Bei Filterkondensatoren für Starkstromanwendungen unterscheidet man gemäß VDE 0565 [4.1] zwischen Kondensatoren der X- und Y-Klasse, sog. Xund Y-Kondensatoren. Erstere werden zwischen Hin- und Rückleiter von Betriebsstromkreisen geschaltet und dürfen beliebig große Kapazitäten besitzen. Bezüglich der zu erwartenden dielektrischen Beanspruchung durch Transienten im Niederspannungsnetz bzw. geräteeigene Abschaltüberspannungen unterscheidet man noch zwischen den Unterklassen X1 (Scheitelwerte > 1,2 kV) und X2 (Scheitelwerte < 1,2 kV). Y-Kondensatoren werden zwischen die Leiter von Betriebsstromkreisen und Schutzerde PE geschaltet. Sie überbrücken somit die elektrische Isolation

4.1 Filter

163

eines Geräts. Durch diese Kondensatoren fließt im normalen Betrieb eines Geräts ein Wechselstrom (Ableitstrom, engl.: Leakage current), der bei Fehlen des Schutzleiters in der Netzzuleitung nicht zu einer Gefährdung von Personen führen darf, Bild 4.5.

Bild 4.5: Leitungsströme durch Filterkondensatoren zwischen Außenleitern und Gehäuse. ZF: parasitäre Isolations-Ableitimpedanz.

Abhängig von Gerätetyp sind Ableitungsströme zwischen 0,75 mA und ≤ 3,5 mA zulässig [4.3], was einer Obergrenze von einigen 1000 pF entspricht. Verlangt die Filterung größere Kapazitätswerte, sind zusätzliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen, z. B. Fehlerspannungsschutzschalter gemäß VDE 0100 [1.21]. Neben einem begrenzten Kapazitätswert besitzen Y-Kondensatoren dank geeigneter Auslegung ihres Dielektrikums und ihres Aufbaus grundsätzlich eine erhöhte elektrische und mechanische Sicherheit gegen Kurzschlüsse. Gewöhnlich umgeht man größere Kapazitätswerte im Y-Pfad durch Vorschalten stromkompensierter Drosseln (s. Abschn. 4.1.5.2).

4.1.3

Filterresonanzen

Die Zusammenschaltung reaktiver Komponenten (Spulen und Kondensatoren) in einem Filter stellt ein schwingungsfähiges System dar, das in der Nähe seiner Eigenresonanzen zu negativer Filterdämpfung, das heißt einem Einfügungsgewinn führen kann. Desgleichen können auch reaktive Senderund Empfängerimpedanzen zusammen mit den reaktiven Komponenten

164

4 Passive Entstörkomponenten

eines Filters Resonanzphänomene hervorrufen. Diese Probleme können durch Verlagerung der Eigenresonanzen in einen unproblematischen Frequenzbereich (mehrstufige Filter) oder Bedämpfung der Resonanzen durch Widerstände bzw. durch verlustbehaftete (dissipative) Dielektrika und Magnetika gelöst werden (s. Abschn. 4.1.4) Neben den makroskopischen Eigenfrequenzen zusammengeschalteter reaktiver Komponenten weisen auch einzelne Komponenten auf Grund parasitärer Bauelementeeigenschaften individuelle Eigenfrequenzen auf. Spulen wirken nur unterhalb ihrer Eigenfrequenz fL als Induktivität, oberhalb fL werden sie durch parasitäre Windungskapazitäten CStr kurzgeschlossen. Diesem Effekt kann in gewissen Grenzen durch einen kapazitätsarmen Aufbau begegnet werden (s. 4.1.5.2). In gleicher Weise wirken Kondensatoren nur unterhalb ihrer Eigenfrequenz fC als Kapazität, oberhalb fC wird der Strom durch die parasitäre Induktivität ihrer Zuleitungen und Beläge begrenzt (Bild 4.6). ZI Ω

CStr

105 104 103 102 101 100

ideale Spule

fr

lg f

Zq LStr

Ω

100 10-1 10-2 10-3

idealer Kondensator fr

lg f

Bild 4.6: Resonanzeffekte passiver Filterkomponenten hervorgerufen durch parasitäre Bauelemente. Zl : Längsimpedanz, ZQ : Querimpedanz.

Die Streuinduktivität steckt bei stirnflächenkontaktierten Wickeln (engl.: extended foil) im Wesentlichen in den Zuleitungen. Es obliegt daher dem Anwender, durch extrem kurze Leitungen die Eigenfrequenz möglichst hoch zu halten. Dies gilt nicht nur für den Einbau von Filterkondensatoren, sondern auch kompletter LC-Filter. In jedem Fall ist die Kontaktierung mit Masse bzw. dem Schutzleiter so niederinduktiv wie möglich zu gestalten. Bei

4.1 Filter

165

Durchführungskondensatoren und SMD-Komponenten (engl.: SurfaceMounted Devices) erübrigt sich diese Fürsorge, da deren Eigenfrequenz nur noch durch ihren inneren Aufbau bestimmt wird.

4.1.4

Dissipative Dielektrika und Magnetika

Wie im vorigen Abschn. 4.1.3 bereits angedeutet, lassen sich Filterresonanzen und Eigenresonanzen einzelner Filterbausteine durch dissipative Dielektrika und Magnetika dämpfen. Dies kann einerseits makroskopisch, beispielsweise durch Mischkerne oder Ferritkerne mit Kurzschlusswindungen aus Widerstandsdraht, andererseits auch durch inhärente Materialeigenschaften bewirkt werden, z. B. verlustbehaftete Übertragungsleitungen (engl.: lossy lines). In letzterem Fall beschreibt man die Materialeigenschaften durch ihre komplexe Permittivität (Dielektrika) bzw. ihre komplexe Permeabilität (Ferro- und Ferrimagnetika). Dissipative Dielektrika: Elektrische Isolierstoffe weisen neben der ohmschen Restleitfähigkeit, die auch bei Gleichspannung auftritt, bei Wechselspannungsbeanspruchung zusätzliche Wirkverluste auf, die von den rhythmisch im elektrischen Wechselfeld oszillierenden Ionen und Dipolen herrühren (makroskopisch gesehen Reibungsverluste). Diese Polarisationsverluste können die Verluste auf Grund der ohmschen Restleitfähigkeit um ein Vielfaches überwiegen. Die frequenzabhängigen Eigenschaften verlustbehafteter Dielektrika werden gewöhnlich durch ihre komplexe Permittivität beschrieben. Die komplexe Permittivität ist definiert als ε = ε '− jε ''

,

(4-8)

bzw. die relative komplexe Permittivität nach Division durch ε0 als ε ε' ε '' ε '' = − j = εr − ε0 ε0 ε0 ε0

.

(4-9)

Der durch ε0 dividierte Realteil entspricht dem gewohnten ε r . Er ist ein Maß für die reine Kapazitätserhöhung in Anwesenheit eines Dielektrikums,

166

4 Passive Entstörkomponenten

C = C0 ε r (C0: geometrische Kapazität ohne Dielektrikum). Der Imaginärteil ist ein Maß für den ohmschen Wechselstrom-Verlustwiderstand R = R 0 / ε '' bzw. den Verlustleitwert G = G0 ε '' (ohmsche Restleitfähigkeit bei f = 0 vernachlässigt).

Dissipative Kondensatoren können im Ersatzschaltbild als Parallelschaltung einer idealen Kapazität und eines ohmschen Verlustwiderstands dargestellt werden, Bild 4.7.

G = G 0 ε" =

ωC0

ε0 ε"

C = C0εr = C0

ε' ε0

U(ω)

I(ω) Bild 4.7: Ersatzschaltbild eines verlustbehafteten Kondensators.

Da ε ' und ε '' frequenzabhängig sind, hängen auch die Kapazität und der Leitwert von der Frequenz ab, das heißt C = C(ω) und G = G(ω) . Im Frequenzbereich gilt I(ω) = Y(ω)U(ω) = ( G(ω) + jωC(ω)) U(ω)

.

(4-10)

Als Verlustfaktor bezeichnet man den Quotienten tan δC =

ε '' ε'

.

(4-11)

Er erlaubt die Berechnung der im Dielektrikum erzeugten Wärmeverluste P = U2 ωC tan δC

.

(4-12)

Den Kehrwert des Verlustfaktors bezeichnet man als Güte Q. Bei typisch dissipativen Dielektrika liegt Q in der Größenordnung von Eins. Die Wirkund Blindströme sind dann hinsichtlich ihres Betrags vergleichbar.

4.1 Filter

167

Dissipative Ferro- u. Ferrimagnetika (Ferrite): Magnetische Werkstoffe weisen im magnetischen Wechselfeld Wirkverluste auf, die von Wirbelströmen, Ummagnetisierungs- und Nachwirkungsverlusten herrühren. Diese Kernverluste können die Stromwärmeverluste der Wicklungen von Filterspulen bei weitem überwiegen. Gewöhnlich beschreibt man die frequenzabhängigen Eigenschaften verlustbehafteter Magnetika durch ihre komplexe Permeabilität, μ = μ '− jμ ''

,

(4-13)

bzw. die relative komplexe Permeabilität nach Division durch m0 als μ μ0

=

μ' μ '' μ '' −j = μr − j μ0 μ0 μ0

.

(4-14)

Der durch μ0 dividierte Realteil entspricht dem gewohnten μ r . Er ist ein Maß für die reine Induktivitätserhöhung in Anwesenheit eines Ferromagnetikums bzw. eines Ferrimagnetikums (Ferrit), L = L0 μ r . Der Imaginärteil ist ein Maß für den ohmschen Kernverlustwiderstand R = ωL0 μ ''/ μ0 (Lo: geometrische Induktivität ohne Magnetikum, Drahtwiderstand und Verluste der Drahtisolation vernachlässigt). Dissipative Induktivitäten werden im Ersatzschaltbild als Parallelschaltung einer idealen Spule und eines die Eisenverluste repräsentierenden ohmschen Widerstands dargestellt, Bild 4.8.

LP

IL

R Fe

IV

I(ω)

U(ω) Bild 4.8: Parallelersatzschaltbild einer verlustbehafteten Induktivität. LP ideale Induktivität des Parallelersatzschaltbilds, RFe Eisenverlustwiderstand.

168

4 Passive Entstörkomponenten

Die gewöhnlich durch eine Reihenschaltung modellierten ohmschen Leitungsverluste sind bei dissipativen Induktivitäten und geringer Windungszahl (z. B. Ferritperlen) gegenüber den Eisenverlusten zu vernachlässigen (s. a. 4.1.5.2). Im Frequenzbereich gilt ⎛ 1 1 ⎞ I(ω) = IR Fe + IL = U(ω)Y(ω) = U(ω) ⎜ + ⎟ ⎝ R Fe jωLP ⎠

(

)

.

(4-15)

Als Verlustfaktor bezeichnet man den Quotienten tan δP =

jωLP μ '' = R Fe μ'

.

(4-16)

Er erlaubt die Berechnung der im Ferro- bzw. Ferrimagnetikum erzeugten Wärmeverluste P = I2 ωL tan δP

.

(4-17)

Den Kehrwert des Verlustfaktors bezeichnet man als Güte Q. Bei typisch dissipativen Magnetika liegt Q in der Größenordnung von Eins. Die Wirk- und Blindströme sind dann hinsichtlich ihres Betrags vergleichbar.

4.1.5 4.1.5.1

Filterbauformen Kondensatoren

Kondensatoren sind das am häufigsten eingesetzte Entstörmittel. Zusammen mit dem HF-Innenwiderstand der Störquelle bilden sie einen Spannungsteiler, der die hochfrequenten Störspannungen im Verhältnis der beiden Blindwiderstände herunterteilt. Ihre Entstörwirkung ist umso besser, je geringer ihre Eigeninduktivität und je höher der HF-Innenwiderstand der Störquelle ist. Die Eigeninduktivität hängt von der Länge der Anschlussleitungen, vom Einbau und dem inneren Aufbau ab. Spezielle Bauformen erlauben eine direkte Verbindung mit den Belägen ohne zusätzliche Anschlussleitungen im herkömmlichen Sinn, Bild 4.9.

4.1 Filter

169

a)

Zweipolkondensator

b)

Dreipolkondensator

c)

Vierpolkondensator (Nichtkoaxialer "Durchführungskondensator")

Koaxialer "Durchführungskondensator" (Wickelform) d)

Durchführungskondensator (Kreisförmiger Plattenkondensator) e)

Bild 4.9: Verschiedene Bauformen von Entstörkondensatoren mit in alphabetischer Reihenfolge abnehmender Eigeninduktivität bzw. zunehmender Eigenfrequenz.

Radialsymmetrische Durchführungskondensatoren d) und e) sind nur bei asymmetrischen und unsymmetrischen Störungen, nichtkoaxiale „Durchfüh-

170

4 Passive Entstörkomponenten

rungskondensatoren“ c) dagegen auch bei symmetrischen Störungen einsetzbar. Viele Entstörprobleme verlangen gleichzeitig nach symmetrischer und unsymmetrischer Entstörung (s. a. Abschn. 10.2). Hierfür gibt es spezielle Entstörkombinationen [4.4], Bild 4.10.

Bild 4.10: Mehrfachentstörkondensatoren, a) Dreifachkondensator (XYY-Kondensator), b) Zweifachkondensator (XY-Kondensator).

Koaxiale Durchführungskondensatoren besitzen dank ihres induktionsarmen Aufbaus höchste Eigenfrequenzen oberhalb 1 GHz. Ihre Verwendung ist nur in Verbindung mit Schirmgehäusen sinnvoll und beschränkt sich auf Grund ihrer Bauform auf asymmetrische und unsymmetrische Störungen. Bezüglich des Unterschieds zwischen X- und Y-Kondensatoren wird auf Abschn. 4.1.2 verwiesen.

4.1.5.2

Drosseln

Drosseln finden Verwendung, wenn der HF-Innenwiderstand einer Quelle zu klein ist, um allein mit Kondensatoren eine ausreichende Spannungsteilung bzw. Entstörwirkung zu erzielen. Dies gilt insbesondere für unsymmetrische Störungen, bei denen die Kapazität der Y-Kondensatoren einen bestimmten Wert nicht überschreiten darf. Die Entstörwirkung einer Drossel ist umso besser, je niedriger ihre Eigenkapazität ist (s. Abschn. 4.1.3). Bei kleinen Stromstärken sucht man die Spulenkapazität durch eine Aufteilung in mehrere Kammern klein zu halten (Kammerwicklung), bei großen Stromstärken durch einlagige Wicklungen mit hochkant gewickeltem Flachkupferdraht [4.5], Bild 4.11.

4.1 Filter

171

Bild 4.11: Aufbau von Stabkern-Entstördrosseln mit geringer Streukapazität, a) Kammerwicklung, b) Flachkupferwicklung.

Drosseln besitzen meist einen Kern aus ferromagnetischem Material. Die hierdurch bewirkte Induktivitätszunahme kommt einer Erhöhung der Entstörwirkung aber nur dann zugute, wenn das Material nicht bereits durch den Betriebsstrom bis in die Sättigung vormagnetisiert wird. Eine Messung der Einfügungsdämpfung bei kleinen Strömen ist daher in der Regel wenig aussagekräftig. Die Abnahme der wirksamen Permeabilität mit zunehmendem Belastungsstrom ist bei Drosseln ohne Luftspalt deutlich ausgeprägter als bei Drosseln mit Luftspalt (Stabkerndrossel) oder bei Eisenpulverkernen. Dient eine Drossel nur zur Dämpfung asymmetrischer Störungen, erweisen sich stromkompensierte Drosseln bzw. Ringkerndrosseln als sehr vorteilhaft [4.6], Bild 4.12, siehe auch 3.1.2.

Bild 4.12: Stromkompensierte Drossel.

172

4 Passive Entstörkomponenten

Bei gleichem Wicklungssinn heben sich die magnetischen Flüsse der Betriebsströme im Hin- und Rückleiter nahezu vollständig auf, so dass die Vormagnetisierung durch den Betriebsstrom vernachlässigbar wird. Anstelle konventioneller Drosseln mit vergleichsweise hoher Windungszahl finden bei Frequenzen ab 1 MHz häufig Ferritperlen Verwendung, die auf die Leiter aufgeschoben ( n = 1 ), oder Ringkerne, um die Messleitungen aufgewickelt werden (s. a. Abschn. 3.1.3). Elektrisch macht sich diese Maßnahme als Reihenschaltung einer Induktivität und eines ohmschen Widerstands im Leitungszug bemerkbar [4.8, 4.9]. Im Ersatzschaltbild stellt man Ferritperlen meist als Parallelschaltung einer idealen Induktivität mit einem die Eisenverluste repräsentierenden ohmschen Verlustwiderstand RE dar (s. a. Abschn. 4.1.4). Der Leiterwiderstand wird hierbei vernachlässigt, da die Eisenverluste bei hohen Frequenzen und geringer Windungszahl die Leitungsverluste um Größenordnungen überwiegen. Die Wirbelstromverluste sind proportional f 2 , die Hystereseverluste proportional f . Das Parallelersatzschaltbild ist daher physikalisch sehr sinnfällig, da dann die Induktivität für f = 0 den Verlustwiderstand praktisch kurzschließt, was der Nichtexistenz von Eisenverlusten bei Gleichstrom entspricht. Bild 4.13.

Bild 4.13: Ersatzschaltbild von Ferritperlen (Streukapazität nicht berücksichtigt).

Abschließend seien nochmals die Vor- und Nachteile geschlossener und offener Eisenkreise sowie die Eigenschaften verschiedener Kernmaterialien zusammenfassend dargestellt. Genaue Zahlenangaben der frequenzabhängigen Permeabilität sind Herstellerdatenbüchern und Fachbüchern über Werkstoffe passiver Bauelemente zu entnehmen [4.10, 4.11, 4.41, 4.42].

4.1 Filter

173

Tabelle 4.1: Vor- und Nachteile geschlossener und offener Eisenkreise sowie die Eigenschaften verschiedener Kernmaterialien. Flußpfad Geschlossener Eisenkreis (Ringkern)

Offener Eisenkreis (Stabkern)

Eisenloser Kern

Hohe Permeabilität

Mittlere Permeabilität

Niedrige Permeabilität

Hohe Induktivität

Mittlere Induktivität

Geringe Induktivität

Stark nichtlinear

Schwach nichtlinear

Linear

Geringes Streufeld

Starkes Streufeld

Mittleres Streufeld

Bezüglich Linearität geringe Strombelastbarkeit

Bezüglich Linearität hohe Strombelastbarkeit

Bezüglich Linearität beliebige Strombelastbarkeit

Bezüglich Erwärmung hohe Strombelastbarkeit (geringe Windungszahl, hoher CUQuerschnitt)

Bezüglich Erwärmung mittlere Strombelastbarkeit (mittlere Windungszahl, mittlerer CU-Querschnitt)

Bezüglich Erwärmung geringe Strombelastbarkeit (hohe Windungszahl, geringer CU-Querschnitt)

Dynamoblech (Ferromagnetika)

Ferrit (Metalloxid-Keramik, sog. Ferrimagnetika)

Carbonyleisen (Eisenpulver, gewonnen durch Verdampfen von Eisenpentacarbonyl Fe(CO)5)

Mittlere Permeabilität

Hohe Permeabilität

Geringe Permeabilität

Späte Sättigung

Frühe Sättigung

Späte Sättigung

Mittlere Baugröße

Geringe Baugröße

Großes Bauvolumen

Wirbelstromverluste wegen ohmscher Leitfähigkeit

Minimale Wirbelstromverluste

Minimale Wirbelstromverluste ( σ → 0 wegen isolierter Pulverpartikel)

Kernmaterial

(σ → 0)

4.1.5.3

LC-Filter

Zur gleichzeitigen Dämpfung symmetrischer, unsymmetrischer und asymmetrischer Störungen, Vergrößerung der Flankensteilheit, Erzielung hoher gleich bleibender Dämpfung über einen weiten Frequenzbereich etc. werden häufig mehrere Kondensatoren und Drosseln zu LC-Filtern kombiniert. Man

174

4 Passive Entstörkomponenten

unterscheidet im Wesentlichen zwischen Netzleitungsfiltern und Filtern für Daten-, Signal-, und Telefonleitungen. Netzleitungsfilter Netzleitungsfilter werden zur Entstörung und zum Störschutz ein- und dreiphasiger Geräte eingesetzt, z. B. bei Schaltnetzteilen, Rechnern, Büromaschinen etc. Sie stellen für den Betrieb in 230 V/400 V-Niederspannungsnetzen ausgelegte Tiefpassfilter dar, die lediglich das 50 Hz Nutzsignal ungehindert durchlassen. Je nach Dämpfungsanforderungen, Einbauverhältnissen etc. gibt es zahllose Varianten, die in den Herstellerkatalogen ausführlich beschrieben sind [4.10, 4.42]. Ein typisches Beispiel eines einphasigen Netzleitungsfilters zeigt Bild 4.14. Dr1

Dr2

L CY

CX

RE CY

PE N

Bild 4.14: Beispiel eines einphasigen Netzleitungsfilters für symmetrische und unsymmetrische Störungen (unterschiedliche magnetische Kopplung durch unterschiedlichen Wicklungssinn). RE Entladewiderstand für die vergleichsweise große XKapazität, Dr1 stromkompensierte Drossel für asymmetrische Störungen, Dr2 Ringkerndrossel für symmetrische Störungen (SIEMENS).

Die Dämpfungseigenschaften von Netzfiltern stehen und fallen mit den eingangs- und ausgangsseitigen Impedanzen der Systeme, in denen sie eingesetzt werden (s. Abschn. 4.1.1). Außerdem besteht die Gefahr, durch ungeeignete Wahl des Filterkonzepts und der Filterdimensionierung Resonanzerscheinungen hervorzurufen, die das Emissionsverhalten eher noch verschlechtern. Deswegen ist eine individuelle, exakte Filterauslegung mit wenigen, effizient eingesetzten Bauteilen einer Kombination unterschiedlicher Baukastenfilter auf jeden Fall vorzuziehen. Sollte das Systemdesign selbst gut genug sein, kann sogar auf aufwendige Netzfilter verzichtet werden (s. a. Abschn. 11.3.3). Hinweise zur Auswahl von Netzfiltern unter Berücksichtigung des Impedanzverhältnisses finden sich im Literaturverzeichnis [4.39 - 4.40]. Ein Beispiel eines 4-Leiter Entstörfilters für elektronische Anlagen zeigt Bild 4.15.

4.1 Filter

175

1,8 mH

L1 L2 L3

0,05 µF

1 µF 1,8 mH

1 µF 1,8 mH

1 µF

N

1,8 mH

1 µF

0,05 µF

0,05 µF

1 µF

1 MΩ

L2

1MΩ

L3

1 MΩ

1 µF

L1

N 0,05 µF

1 MΩ

Bild 4.15: Beispiel eines Netzfilters für ein Drehstromsystem mit Neutralleiter (SIEMENS).

Durch Kaskadierung mehrerer aufeinander abgestimmter Netzfilter für unterschiedliche Frequenzbereiche lassen sich Filterketten für Abschirmkabinen bis 35 GHz aufbauen [4.23]. Filter für Daten- und Telefonleitungen Während bei Netzleitungsfiltern das Nutzsignal bei 50 Hz liegt und sich daher im Spektrum deutlich von hochfrequenten Funkstörungen absetzt, nimmt bei Filtern für Daten- und Telefonleitungen das Nutzsignal selbst einen breiten Raum des elektromagnetischen Spektrums ein. Filter für Daten- und Telefonleitungen verlangen daher nach hoher Flankensteilheit. Daneben sind diese Filter in der Regel für kleinere Dauerbetriebsspannungen ausgelegt [4.15]. Im Gegensatz zu Netzfiltern werden sie meist in Systemen bekannter Impedanz betrieben. Dissipative Filter Die Tatsache, dass gelegentlich ungünstige Konstellationen von Filterübertragungsfunktion sowie Sender- und Empfängerimpedanz einen Einfügungsgewinn bewirken, führte zu dissipativen Filtern (s. Abschn. 4.1.4). Zur Kategorie dissipativer Filter zählen Ferritperlen, Filter mit dissipativen Komponenten, EMB-unterdrückende Ummantelungen (engl: suppressant

176

4 Passive Entstörkomponenten

tubing) und dämpfungsbeschwerte Leitungen (engl.: lossy lines), Bild 4.16 [4.20].

Bild 4.16: Dämpfungsbeschwerte Leitungen (engl.: lossy lines), a) koaxialer Innenleiter, b) gewendelter Innenleiter.

Der Innenleiter dämpfungsbeschwerter Leitungen besteht aus einer gut leitenden metallischen Seele umhüllt von einer schlecht leitenden dissipativen Schicht. Dieser Sandwich-Innenleiter ist durch ein Dielektrikum vom äußeren Schirm getrennt. Bei hohen Frequenzen wird der Strom des Innenleiters von der Seele in den schlecht leitenden dissipativen Mantel gedrängt. Weitere Beispiele für die Anwendung dissipativer Materialien sind verlustbehaftete Ferrite in Steckverbindern [4.16] oder Durchführungskondensatoren [4.17, 4.19]. Speziell für die Entstörung von Phasenanschnittsteuerungen kleiner und mittlerer Leistung benötigt man Entstördrosseln mit hoher Dämpfung, damit während des beim Einschalten auftretenden Ausgleichsvorgangs im LC-Filterkreis der Haltestrom der Thyristoren nicht unterschritten wird. Man erreicht dies durch spezielle Mischkerne aus verlustreichem Kernmaterial und hochpermeablem Kernmaterial [4.13, 4.18]. Funkenlöschkombinationen In den vorangegangenen Abschnitten wurden als Längsglieder ausschließlich Drosseln eingesetzt, um im Dauerbetrieb die Stromwärmeverluste des Betriebsstromes klein zu halten. Werden Längsglieder nur transient von Strom durchflossen, können an Stelle von Drosseln vorteilhaft auch ohmsche Widerstände eingesetzt werden. Ein typisches Beispiel sind parallel geschaltete RC-Funkenlöschkombinationen für die Vernichtung der beim Abschalten

4.1 Filter

177

einer Spule (Relais-, Schützspule) frei werdenden induktiv gespeicherten Energie. Sie dienen einerseits der Verringerung des Abbrands der Schaltkontakte, andererseits der Reduzierung der durch Abschaltüberspannungen bewirkten elektromagnetischen Beeinflussungen (s. Abschn. 2.4.2). Ihre Wirkungsweise wird im Abschn. 10.1 noch ausführlich erläutert.

4.2

Überspannungsableiter

Überspannungsableiter (engl.: transient protection device, over-voltage protector, surge arrester, transient suppressor etc.) dienen der Begrenzung transienter Überspannungen, hervorgerufen durch Blitzeinwirkung, Abschaltüberspannungen induktiver Verbraucher, ESD, NEMP etc. Sie stellen stark nichtlineare Widerstände dar, die im Bereich der Betriebsspannungspegel sehr hochohmig, das heißt als Bauelement praktisch nicht existent sind, bei Überspannungen jedoch sehr niederohmig werden. Zusammen mit der Impedanz der Störquelle (bei langen Zuleitungen deren Wellen-widerstand Z0) bilden sie einen Spannungsteiler mit nichtlinearem Übersetzungsverhältnis, der Überspannungen auf Werte herunterteilt, die unterhalb der transienten Spannungsfestigkeit der zu schützenden Bauelemente liegen (Überspannungsschutz- bzw. Isolationskoordination s. z. B. Abschn. 10.5), Bild 4.17.

Bild 4.17: Überspannungsbegrenzung durch Spannungsteiler mit nichtlinearem Niederspannungsteil (Überspannungsableiter).

Die Spannung am nichtlinearen Widerstand RV ergibt sich mit Hilfe der Maschenregel zu u'St = uSt (t) − iSt (t)R Q

.

(4-18)

178

4 Passive Entstörkomponenten

Im Wesentlichen unterscheidet man drei Gruppen von Überspannungsableitern, die sich hinsichtlich Ansprechspannung, Stoßstrombelastbarkeit, Isolationswiderstand bei Betriebsspannung, Restwiderstand beim Ableiten, dynamischem Ansprechverhalten sowie zahlreicher weiterer Eigenschaften merklich unterscheiden: Varistoren, Dioden und Funkenstrecken.

4.2.1

Varistoren

Varistoren sind spannungsabhängige, nichtlineare Widerstände (engl.: VDR, Voltage Dependent Resistors) aus Metalloxid (vorzugsweise ZnO [4.35 4.38]). Ihre Strom/Spannungs-Charakteristik folgt im Arbeitsbereich näherungsweise der Gleichung I = KUα

,

(4-19)

wobei K ein Geometriefaktor (Tablettenfläche und Dicke) und α > 25 ein materialabhängiger Exponent ist. Die Kennlinie ist symmetrisch und ähnelt der einander entgegengeschalteter Zener Dioden, (engl.: back-to-back), Bild 4.18 a. log l/A

I

104 102 1

Arbeitsbereich

10-2

U

10

-4

10-6 10-8 10-10 10

a)

100

1000

log U/V

b)

Bild 4.18: Strom/Spannungs-Charakteristik von Varistoren, a) exponentieller symmetrischer Verlauf gemäß I = KUα , b) Kennlinie eines realen Varistors in doppelt logarithmischer Darstellung. Idealisierter Verlauf strichliert.

4.2 Überspannungsableiter

179

Aus dieser Kennlinie folgt mit (4-19) für den nichtlinearen statischen Widerstand in Abhängigkeit von der Spannung R=

U α

I(U )

=

U K ⋅U

α

=

1 1−α U K

.

(4-20)

In Datenblättern wird die logarithmische Abhängigkeit meist in doppelt logarithmischem Maßstab dargestellt, wodurch die Kennlinien die Form von Geraden annehmen, Bild 4.18 b. Außerhalb des normalen Arbeitsbereichs, bei extrem großen oder kleinen Strömen treten Abweichungen vom exponentiellen Verlauf auf (in Bild 4.18 b strichliert), die vom nicht spannungsabhängigen Restwiderstand im Innern der ZnO-Körner bzw. von äußeren Leckströmen herrühren. Die dynamischen Eigenschaften von Varistoren gehen aus ihrem Ersatzschaltbild hervor, Bild 4.19 a.

Bild 4.19: a) Vereinfachtes Ersatzschaltbild eines Varistors mit Zuleitungsinduktivität LStr und Tablettenkapazität CStr , b) Induktionsarmer Einbau eines Varistors (vergl. Bild 4.9).

Während die Widerstandsänderung des reinen Varistoreffekts an den Korngrenzen (Knickspannung je Korngrenze ca. 3...5 V) im Subnanosekundenbereich erfolgt, lassen sich auf Grund von Zuleitungsinduktivitäten LStr und Stromverdrängungserscheinungen für reale Bauelemente nur Ansprechzeiten im Nanosekundenbereich realisieren. Um daher die schnelle Schutzwirkung des aktiven Elements bei hohen Frequenzen bzw. großen Spannungssteilheiten voll auszuschöpfen, sind Varistoren bezüglich ihres Einbaus wie Entstörkondensatoren zu behandeln, z. B. Bild 4.19 b (s. a. Abschn. 4.1.5.1).

180

4 Passive Entstörkomponenten

Die Kapazität CStr ( ε r ca. 1200) liegt zwischen 100 pF und einigen 10000 pF, wobei die größeren Werte für niedrige Betriebsspannungen (geringe Tablettendicke) und hohe Stoßstrombelastbarkeit (große Tablettenfläche) gelten. Die hohe kapazitive Rückwirkung im ungestörten Betrieb verbietet den Einsatz von Varistoren in Hochfrequenzsystemen. (Ausnahme: Reihenschaltung von Varistoren mit Dioden deutlich kleinerer Kapazität, s. Abschn. 4.2.4). Im Hinblick auf den Überspannungsschutz erweist sich die hohe Varistorkapazität als günstig, sofern sie nicht durch eine große Zuleitungsinduktivität unwirksam gemacht wird. Die Auswahl eines Varistors erfolgt in fünf Schritten: – Aufsuchen eines für die vorliegende Nennbetriebsspannung zuzüglich positiver Spannungstoleranz (10% - 20%) spezifizierten Varistors (Frage der Tablettendicke): Das Spektrum der Betriebsspannungen in Herstellerkatalogen reicht von 5 Vdc bis zu einigen kV. – Ermittlung der Varistorgröße nach maximalem Stoßstrom: Der maximale Stoßstrom einer Schaltung wird mit Hilfe der Netzwerkanalyse aus der transienten Überspannung und dem Innenwiderstand der Störquelle (Impedanz ZQ oder Wellenwiderstand Z0 bei elektrisch langen Zuleitungen) berechnet. Die maximal zulässige Stoßstrombeanspruchung eines Varistors ist eine Frage der Häufigkeit der Beanspruchungen während der gesamten Lebensdauer. Bei einmaliger Beanspruchung reicht das Spektrum von 100 A bis zu 70 kA (Blockvaristoren). Bei wiederholter Beanspruchung müssen diese Werte u. U. um mehrere Größenordnungen reduziert werden. – Ermittlung der Varistorgröße nach Energieaufnahmevermögen: Der Stoßstrom erzeugt im Varistor die Wärmeenergie τ



τ



W = i R(u)dt = i(t)u(t)dt 2

0

,

(4-21)

0

die im einfachsten Fall für den „worst case“ – imax ⋅ umax ⋅ t – ermittelt wird. Bei einer Spule ergibt sich der worst case zu Wmax ≤

1 2 LI 2

.

(4-22)

4.2 Überspannungsableiter

181

Wie beim maximalen Stoßstrom ist auch das maximale Energieaufnahmevermögen eine Frage der Häufigkeit der Beanspruchungen während der gesamten Lebensdauer. Bei einmaliger Beanspruchung reicht das Spektrum von 0,14 J bis zu 10 kJ. Bei wiederholter Beanspruchung müssen auch diese Werte u. U. um mehrere Größenordnungen reduziert werden. – Ermittlung der Varistorgröße nach der Dauerbelastung: Bei periodischer Überspannungsbeanspruchung muss die Dauerverlustleistung abgeschätzt werden. Sie berechnet sich als Produkt der Energiedeposition eines einzelnen Impulses (gemäß 4-21) und der Impulsrate n (Zahl der Impulse pro Sekunde), P = Wn

,

(4-23)

bzw. als Quotient aus Energiedeposition und Periodendauer des repetierenden Vorgangs P=

W T

.

(4-24)

Je nach Baugröße liegt die Dauerbelastung im Bereich zwischen 1/100 und 2 Watt. – Überprüfung des Schutzpegels: Ist der maximale Stoßstrom bekannt, kann die Restspannung über dem Varistor der Strom/Spannungskennlinie entnommen werden. Sie muss unterhalb der Stoßspannungsfestigkeit der zu schützenden Einrichtung liegen. Falls der maximale Strom nicht eo ipso bekannt ist, geht man von einem Schätzwert für die Restspannung aus, berechnet mit Hilfe von Gleichung (4-18) einen angenäherten Strom, mit dem aus der Strom-Spannungscharakteristik ein verbesserter Schätzwert für die Restspannung erhalten wird. Mehrfache Iteration führt schließlich zur gesuchten Restspannung. Ausführliche Hinweise zur Auslegung von Varistoren sind den Datenbüchern der verschiedenen Hersteller zu entnehmen. Varistoren sind in Scheiben- und Blockbauform (große Ströme und Energien), als SMD-Komponenten und in Rohrbauform für Steckverbinder erhältlich. Varistoren werden als Überspannungsableiter auch im Schaltschrankbau als HutschienenElement eingesetzt, siehe Bild 4.20.

182

4 Passive Entstörkomponenten

Bild 4.20: Überspannungsableiter bestehend aus Basiselement und Schutzstecker mit Hochleistungsvaristor, zur Montage auf Hutprofil-Tragschiene, Nennspannung: 230 V AC, 1-kanalig (Phoenix-Contact)

Darüber hinaus gibt es mit ZnO gefüllte Thermo- und Duroplaste sowie Lacke für eine Vielzahl maßgeschneiderter Anwendungen. Schließlich sei erwähnt, dass es auch Varistoren aus anderen spannungsabhängigen Materialien gibt, z. B. Siliziumkarbid (hohe Leistung), die jedoch, verglichen mit ZnO-Ableitern, geringere Bedeutung haben. Siliziumkarbid findet Verwendung bei hohen Anforderungen an Langzeitstabilität, nachteilig ist sein geringer Nichtlinearitätsexponent ( α ≈ 2...7 ).

4.2.2

Silizium-Lawinendioden

Silizium-Lawinendioden (engl.: Silicon Avalanche Diodes) besitzen gegenüber normalen Halbleiterdioden den Vorzug, dass beim Überschreiten der Sperrspannung der pn-Übergang nicht durchschlägt, sondern einen großen Sperrstrom toleriert. Solange im Sperrbetrieb die in Vorwärtsrichtung zulässige thermische Verlustleistung bzw. bei Impulsbelastung das zulässige Grenzlastintegral ∫ i 2 dt nicht überschritten wird, tritt keine Zerstörung der Sperrschicht auf (kontrollierter Durchbruch). Gewöhnliche Zenerdioden finden schon seit langem als Überspannungsschutz in elektronischen Schaltungen Verwendung [4.4]. Für die EMV-Technik wurden spezielle SiliziumLawinendioden mit großflächigem pn-Übergang für hohe Sperrstromtragfähigkeit entwickelt (Suppressor Dioden, Transzorb: Transient Zener Absorber etc.). Silizium-Lawinendioden besitzen wie Varistoren eine Ansprechzeit im Subnanosekundenbereich, die jedoch in praxi durch Zulei-

4.2 Überspannungsableiter

183

tungsinduktivitäten in den Nanosekundenbereich verlagert wird. Ähnlich wie Varistoren weisen auch sie vergleichsweise große Kapazitäten auf (bis zu 15000 pF), was ihren Einsatz in hochfrequenten Systemen verbietet (Ausnahme: Reihenschaltung mit kapazitätsarmen Dioden, s. Abschn. 4.2.4). Silizium-Lawinendioden sind gewöhnlich unipolare Bauelemente. Durch gegensinnige Reihenschaltung zweier Dioden erhält man eine symmetrische Kennlinie. Die Auslegung von Silizium-Lawinendioden erfolgt ähnlich wie bei Varistoren anhand der von den Baulelementeherstellern bereitgestellten Kennlinien bzw. Grenzdaten. Ausführliche Hinweise finden sich z. B. in [B20].

4.2.3

Funkenstrecken

Funkenstrecken decken den größten Ansprechsspannungsbereich ab. Sie schützen sowohl Elektroenergiesysteme bei direkten Blitzeinschlägen (Ansprechspannungen bis in den MV-Bereich) als auch Telekommunikationsnetze (Ansprechspannungen größer 80 V). Verglichen mit Varistoren und Suppressordioden werden Funkenstrecken gelegentlich als harte Ableiter (engl.: hard limiter) bezeichnet, da ihre Spannungsabhängigkeit eher mit der eines Schalters vergleichbar ist, Bild 4.21.

u(t)/V

u(t)/V

1200

1200

dynamische Ansprechspannung

800

800

statische Ansprechspannung

400

400

Brennspannung 1

a)

2

3

4

1

t/µs

2

3

4

t/µs

b)

Bild 4.21: Schematischer Vergleich der Kennlinien von, a) Funkenstrecken und b) Varistoren.

184

4 Passive Entstörkomponenten

Bei dynamischer Beanspruchung schießt die Spannung an einer Funkenstrecke zunächst beträchtlich über die statische Ansprechspannung (gemessen bei 100 V/μs Spannungssteigerungsrate) hinaus. Nach einer statistischen Streuzeit zündet der Ableiter, worauf sich sein Widerstand um ca. 10 Zehnerpotenzen verringert und die Spannung zunächst auf die Glimmbrennspannung von 70...130 V, bei ausreichend kleinem Innenwiderstand der Störquelle weiter auf die Bogenspannung von ≤ 20...25 V (Anoden- und Kathodenfall) zusammenbricht. (Der Unterschied zwischen Glimm- und Bogenbrennspannung ist in Bild 4.21 nicht berücksichtigt). Die Stoßkennlinie einer Funkenstrecke (engl.: Voltage-Time-Curve) beschreibt ihr dynamisches Ansprechverhalten bei Beanspruchung mit Stoßspannungen zunehmender Spannungssteilheit. Sie wird vom Hersteller für jeden Funkenstreckentyp messtechnisch ermittelt, Bild 4.22 a.

uZ(t)/ V

uZ(t)/ V 104

du dt

103

UZStat

102 10-5

t/µs a)

10-4

10-3

10-2

t/µs

b)

Bild 4.22: Stoßkennlinie von Funkenstrecken, a) messtechnische Ermittlung einer Stoßkennlinie (strichlierter Verlauf: Leerlaufspannung des Stoßgenerators ohne Ableiter), b) typische Stoßkennlinie eines Herstellerkatalogs (schematisch).

Im Gegensatz zu Funkenstrecken besitzen weiche Ableiter (engl.: soft limiters) nur einen typischen Spannungswert. Das charakteristische Ansprech- und Brennverhalten harter Ableiter offenbart daher gleich zwei Nachteile gegenüber weichen Ableitern. Einerseits kann bei großer Steilheit die Spannung vor dem Ansprechen kurzzeitig doch sehr hohe Werte annehmen, die möglicherweise vom zu schützenden Objekt nicht toleriert werden, andererseits liegt der Brennspannungsbedarf des Ableiters sehr niedrig, so dass in Gleichstromkreisen der Ableiter nach Verstreichen der transienten Überspannung u. U. nicht löscht. In niederohmigen Netzen vermag dann die Betriebsspannung einen Folgestrom durch den Ableiter zu

4.2 Überspannungsableiter

185

treiben, der diesen thermisch zerstört. Ersteres Problem löst man durch Wahl eines Ableiters mit geeigneter Stoßkennlinie (soweit möglich) bzw. gestaffelten Grob- und Feinschutz (s. Abschn. 4.2.4), letzteres Problem durch Reihenschaltung mit einem weichen Ableiter (s. Abschn. 4.2.4). Den genannten Nachteilen stehen die herausragenden Vorteile hoher Stromtragfähigkeit sowie minimaler ohmscher und kapazitiver Rückwirkung im ungestörten Betrieb gegenüber. Beispielsweise liegt der Isolationswiderstand von Funkenstrecken im Bereich > 1010 Ω , ihre Kapazität im Bereich < 10 pF . So bilden denn auch in Edelgas betriebene Funkenstrecken (edelgasgefüllte Überspannungsableiter) [4.21] das Rückgrat des Überspannungsschutzes in Fernmeldenetzen, deren hoher Innenwiderstand und niedrige Betriebsspannung von 60 V < UGlimm die Ausbildung eines Folgestroms nicht zulassen. In niederohmigen Netzen und bei höheren Betriebsspannungen finden edelgasgefüllte Überspannungsableiter vielfach in Hybridschaltungen Verwendung (s. Abschn. 4.2.4). Abschließend zeigt Bild 4.23 einen edelgasgefüllten Überspannungsableiter im Schnitt.

Isolator

(Glas oder Keramik)

Elektroden Bild 4.23: Edelgasgefüllter Überspannungsableiter.

Je nach Anforderungen an das statische und dynamische Ansprechverhalten können das Gas, die Elektroden und etwaige Zündhilfen radioaktiv präpariert sein.

186

4.2.4

4 Passive Entstörkomponenten

Hybrid-Ableiterschaltungen

Der Vorzug hohen Ableitvermögens von Funkenstrecken sowie das schnelle Ansprechen und Fehlen eines Folgestroms bei Varistoren und Dioden legen eine Kombination harter und weicher Ableiter in Hybridschaltungen nahe [4.21, 4.22]. Eine mögliche Kombination ist die Reihenschaltung beider Ableiterarten, Bild 4.24 .

Bild 4.24: Reihenschaltung harter und weicher Ableiter, a) Reihenschaltung von Funkenstrecke und Varistor (Blitzschutz), b) Reihenschaltung einer Suppressordiode mit einer kapazitätsarmen Diode, c) wie b), jedoch in Brückenschaltung.

In Bild 4.24 a verhindert die Reihenschaltung des Varistors die Ausbildung eines Folgestroms in niederohmigen Netzen. Speziell im Blitzschutz findet Siliziumkarbid wegen seiner Langzeitstabilität als Varistormaterial Verwendung. Sein hoher Leckstrom kommt hier nicht zum Tragen, da der Varistor im ungestörten Betrieb durch die Funkenstrecke vom Netz abgekoppelt ist. Reihenschaltungen von Funkenstrecken mit spannungsabhängigen Widerständen werden im Blitzschutz als Ventilableiter bezeichnet (s. a. Abschn. 10.5). Zur Unterdrückung der kapazitiven Rückwirkung von Zener- und Suppressordioden in Hochfrequenzanwendungen schaltet man kapazitätenarme Dioden vor, Bild 4.24 b und c. In Vorwärtsrichtung muss die kapazitätsarme Diode für den maximalen Stoßstrom, in Sperrrichtung für eine Sperrspannung > U z ausgelegt sein. Neben der Reihenschaltung kommt auch die Parallelschaltung von Funkenstrecken und Varistoren zum Einsatz, Bild 4.25.

4.2 Überspannungsableiter

187

Bild 4.25: Parallelschaltung harter und weicher Ableiter, a) direkte Parallelschaltung , b) indirekte Parallelschaltung.

In Bild 4.25 a begrenzt der Varistor die Überspannung im Nanosekundenbereich auf seine Knickspannung, die über der Ansprechspannung der Funkenstrecke ausgewählt werden muss. Nach Verstreichen ihrer statistischen Streuzeit spricht auch die Funkenstrecke an, worauf die Spannung auf Werte < 20 V zusammenbricht. Der Strom durch den Varistor geht damit auf Werte kleiner ILeck des ungestörten Betriebs zurück. Die Funkenstrecke mit ihrem hohen Ableitvermögen übernimmt allein den Stoßstrom. Falls ein niedrigerer Schutzpegel als ca. 100 V gefordert wird, (z. B. in der MSR-Technik der Prozessleittechnik), entkoppelt man beide Ableiter durch einen ohmschen Widerstand oder eine Drossel, Bild 4.25 b. Dieses Prinzip der Aufteilung in Grob- und Feinschutz lässt sich für höchste Anforderungen auf einen dreioder auch mehrstufig gestaffelten Überspannungsschutz erweitern, Bild 4.26.

Bild 4.26: Dreistufig gestaffelter Überspannungsschutz (Schutzkaskade).

Schließlich ist je nach Störumgebung und Kopplungsmechanismus auch eine Ergänzung um ein LC-Filter sowie einen Optokoppler (s. 4.3) gegen Gleichtaktstörungen möglich, Bild 4.27.

188

4 Passive Entstörkomponenten

Bild 4.27: Umfassender Staffelschutz.

Überspannungsableiter und Hybridschaltungen aller Art sind in zahllosen Varianten vom Steckdosenschutz-, Koaxialleitungsschutz- und Datenleitungsschutzadapter (Zwischenstecker), bis hin zu Reihenklemmen und steckbaren Schutzkaskaden auf Europakarten im Handel erhältlich. Hinweise zur mathematischen Beschreibung von Netzen mit nichtlinearen Komponenten (Überspannungsschutzeinrichtungen) findet man im Literaturverzeichnis [4.33 - 4.36].

4.3

Optokoppler und Lichtleiterstrecken

Optokoppler bieten sehr hohe Gleichtaktunterdrückung und werden oft zur Auftrennung von Erdschleifen (s. Abschn. 3.1.2) eingesetzt, z. B. in den Einund Ausgängen speicherprogrammierbarer Steuerungen bzw. in Schnittstellen von Prozessleitsystemen, Bild 4.28.

Bild 4.28: Einsatz eines Optokopplers zur Unterdrückung von Gleichtaktsignalen (Auftrennung der Erdschleife).

4.3 Optokoppler und Lichtleiterstrecken

189

Optokoppler eignen sich vorzugsweise für die Digitaltechnik. Bei hohen Ansprüchen an Übertragungsbandbreite und mäßigen Anforderungen an den Übertragungsfaktor unter Umgebungsbedingungen finden sie aber auch zur Übertragung analoger Spannungs- bzw. Stromimpulse Verwendung. Abhängig vom optoelektrischen Empfänger weisen Optokoppler unterschiedliche Stromverstärkungen und Bandbreiten auf, z. B.:

Parameter:

I a /I e

B

Diode Transistor Darlington Transistor

10–2

10 MHz 300 kHz 30 kHz

0,3 3

Hohe Bandbreiten (10 MHz) bei gleichzeitig großer Verstärkung erhält man mit Optokopplern, in denen eine Photodiode mit einem Hochfrequenztransistor kombiniert ist. Die hohen Isolationsspannungen von Optokopplern sind meist sehr optimistisch spezifiziert und daher bei kritischen Anwendungen mit Vorsicht zu betrachten. Für hochfrequente Gleichtaktsignale nimmt die Gleichtaktunterdrückung von Optokopplern auf Grund der Streukapazität zwischen Eingang und Ausgang (1...10 pF) rasch ab. Die kapazitive Kopplung lässt sich durch eine geerdete Leiterbahn zwischen den Ein- und Ausgängen verringern, sofern dies spannungsmäßig zulässig ist. Beliebig hohe Gleichtaktunterdrückung, auch bei höchsten Frequenzen, lässt sich mit Lichtleiterübertragungsstrecken erreichen, Bild 4.29.

Schmitt Trigger

LED Treiber

Bild 4.29: Lichtleiterübertragungsstrecke.

190

4 Passive Entstörkomponenten

Während monolithische Optokoppler nur Spannungen bis etwa 10 kV isolieren, erlauben Lichtleiterstrecken die Überbrückung von Potentialdifferenzen bis in den Megavoltbereich, z. B. in Elektroenergiesystemen oder der Pulse Power Technologie. In diesem Zusammenhang seien auch über Lichtleiterstrecken isolierte Tastkopfsysteme erwähnt (z. B. ISOBE 3000 von Nicolet). Ausführliche Unterlagen über die Auslegung geeigneter Senderund Empfängerbausteine finden sich im umfangreichen Literaturverzeichnis [4.25 - 4.34].

4.4

Trenntransformatoren

Trenntransformatoren (engl.: Isolation Transformer) erlauben die galvanische Trennung von Wechselstromkreisen. Sie werden daher häufig zur Unterbrechung von Erdschleifen (s. Abschn. 3.1.2), Unterdrückung von Gleichtaktspannungen etc. eingesetzt, Bild 4.30.

Bild 4.30: Prinzip der galvanischen Trennung von Wechselstromkreisen durch Trenntransformatoren.

Für Gleichspannungen und Wechselspannungen von 50 Hz ist die Gleichtaktunterdrückung nahezu perfekt. Bei höheren Frequenzen nimmt die Gleichtaktunterdrückung wegen der Streukapazität zwischen Primär- und Sekundärwicklung zunehmend ab. Abhilfe schafft hier ein geerdeter Schirm, der Gleichtaktströme direkt zur Gleichtaktspannungsquelle zurückfließen lässt, Bild 4.31. Die Effektivität des Schirms hängt wesentlich von der Impedanz ZS der Rückleitung zur Gleichtaktspannungsquelle ab. Seine Erdung, gegebenenfalls auch Massung muss auf dem kürzesten Weg erfolgen. Je nach Lage der Gleichtaktspannungsquelle, Anordnung des Trenntransformators etc. erweist sich die Erdung eines Schirms wahlweise am Sender oder am Empfänger als vorteilhafter.

4.4 Trenntransformatoren

191

Bild 4.31: Verringerung der Kopplung über die Wicklungsstreukapazität durch einen geerdeten Schirm.

Für die Abschätzung der Gleichtaktunterdrückung müssen die Koppelkapazitäten zwischen dem Schirm und den Wicklungen bekannt sein (100 pF …1 nF). Bei unsymmetrisch angeordnetem Schirm und unsymmetrisch ausgelegter Isolation gegen transiente Potentialanhebungen (dies ist bei einem zweckmäßig dimensionierten Trenntransformator die Regel) muss auf den seitenrichtigen Einbau geachtet werden. Aufwendig gebaute Trenntransformatoren für Brückenschaltungen etc. besitzen bis zu drei Schirme, Bild 4.32.

Masse 1

Masse 2

Bild 4.32: Isoliertransformator mit drei getrennten Schirmen und unterschiedlichen Erdungsverhältnissen.

Die optimale Anbindung der Schirme hängt von der jeweiligen Schaltung und den vorhandenen Masse- bzw. Erdungsverhältnissen ab. Abschließend seien zwei typische Anwendungen von Trenntransformatoren erwähnt:

192

4 Passive Entstörkomponenten

Bild 4.33 a zeigt die galvanisch getrennte Übertragung von Steuerimpulsen an die Gitterelektroden von Leistungshalbleitern, die sich auf den unterschiedlichen Phasen-Potentialen eines Drehstromsystems befinden.

L1 L2 L3

CStr2

+120°

CStr1 (

)N

L1

+240°

a)

b)

Bild 4.33: Beispiele für den Einsatz von Trenntransformatoren, a) Galvanisch getrennte Ansteuerung von Thyristoren in der Leistungselektronik, b) Speisung eines Oszilloskops in einem Hochspannungsprüflabor.

Bild 4.33 b zeigt die Versorgung von Messgeräten über einen Trenntransformator in Laboratorien der Hochspannungsprüftechnik und der Pulse PowerTechnologie. Auf dem Messkabel ankommende transiente Kabelmantelströme können dank der galvanischen Trennung nicht mehr direkt über den Schutzleiter des Messgerätegehäuses nach Erde abfließen, sondern nur noch über die parasitäre Streukapazität CStr1 . Aufgrund der höheren Impedanz des Kabelmantelstrompfads bilden sich kleinere Kabelmantelströme und damit auch kleinere Störspannungen aus. Bei hohen Frequenzen bzw. schnellen transienten Potentialanhebungen ist aber die Gefahr des Einkoppelns merklicher Störspannungen in das Messkabel über dessen Kopplungsimpedanz nach wie vor gegeben, da dann CStr1 als Kurzschluss wirkt. So besteht denn auch die Aufgabe des Trenntransformators weniger in der Verringerung von

4.4 Trenntransformatoren

193

Störspannungen, sondern der Vermeidung eines rückwärtigen Überschlags (s. Abschn. 3.1.4). Der Transformatorschirm treibt den Netztransformator des Oszilloskops über die Kapazität CStr2 auf das gleiche Potential wie das Oszilloskopgehäuse und bannt so die Gefahr des rückwärtigen Überschlags.

5

5.1

Elektromagnetische Schirme

Natur der Schirmwirkung – Nahfeld, Fernfeld

Im Kontext der elektromagnetischen Verträglichkeit geht es im Wesentlichen um die Schirmung elektrischer Felder und magnetischer Felder durch geeignete elektromagnetische Schirme. Die Wirkungsweise dieser Schirme ist nicht vergleichbar mit dem Schirmungsprinzip, das beispielsweise einem Regenschirm zum Erfolg verhilft. Vielmehr dringen elektromagnetische Felder in einen Schirm ein und influenzieren dort Ladungen oder induzieren Ströme, deren elektrische bzw. magnetischen Felder sich dem jeweils initiierenden Feld überlagern und dieses damit teilweise kompensieren. Dabei ist zunächst unerheblich, ob die zu kompensierenden Felder ihre Ursache innerhalb oder außerhalb einer Schirmhülle haben, Bild 5.1. Feldursprung

Feldursprung

a)

b)

Bild 5.1: Reziprozität der Schirmwirkung (schematisch). a) Feldursache im Schirm; der Schirm dient z. B. zur Abschwächung der Störstrahlung einer Störquelle, b) Feldursache außerhalb des Schirms; der Schirm dient z. B. Schutz einer Störsenke vor Störstrahlung.

Ein Maß für die Schirmwirkung ist der Schirmfaktor Q, der die durch den Schirm gedämpfte Feldstärke mit der ungedämpften, in Abwesenheit des

196

5 Elektromagnetische Schirme

Schirms vorhandenen Feldstärke in Beziehung setzt, z. B. in einem magnetischen Feld H Q= i Ha . (5-1) Der Schirmfaktor ist in der Regel eine komplexe Zahl. In der Praxis rechnet man häufig mit der Schirmdämpfung, die als logarithmisches Verhältnis (s. Abschn. 1.2) des Kehrwerts der inneren und äußeren Feldstärke ermittelt wird: a s = 20 lg

1 Q

dB

.

(5-2)

Bezüglich des Feldtyps unterscheidet man zeitlich konstante und zeitlich veränderliche Felder. Erstere bezeichnet man auch als statische Felder, letztere unterteilt man nochmals in quasistatische Felder und elektromagnetische Wellen, Bild 5.2.

Zeitlich konstante Felder

Zeitlich veränderliche Felder Quasistatische Felder

Elektrostatische Felder

Magnetostatische Felder

Elektrisches Wechselfeld

Elektromagnetische Wellen Magnetisches Wechselfeld

Bild 5.2: Klassifizierung elektrischer und magnetischer Felder [B18].

Statische elektrische Felder herrschen beispielsweise in der Umgebung elektrostatisch aufgeladener Kunststoffoberflächen oder im Innern eines an Gleichspannung liegenden Plattenkondensators. Statische magnetische Felder herrschen in der Umgebung eines Permanentmagneten oder einer gleichstromdurchflossenen Spule.

Bei quasistatischen Feldern, beispielsweise von 50 Hz, wird deren zeitliche Änderungsgeschwindigkeit so gering angenommen, dass sich eine Feldänderung im betrachteten Feldgebiet überall gleichzeitig bemerkbar macht. Eine

5.1 Natur der Schirmwirkung --- Fernfeld, Nahfeld

197

Momentaufnahme eines zu einem bestimmten Zeitpunkt t ν gehörenden Feldbilds E ν = (x, y,z, t ν ) bzw. H ν = (x, y,z, t ν ) stimmt stets mit dem Feldbild des statischen Feldes einer vergleichbaren Gleichspannung bzw. eines vergleichbaren Gleichstroms überein. Quasistatische Felder stellen damit eine zeitliche Aneinanderreihung zu diskreten Zeitpunkten t existierender statischer Felder gleicher räumlicher Verteilung E ν = (x, y,z) bzw. H ν = (x, y,z) dar, die sich lediglich in ihrer Stärke um einen jeweils konstanten Faktor unterscheiden. Statische elektrische Felder sind mit möglicherweise gleichzeitig vorhandenen statischen magnetischen Feldern nicht gekoppelt. Sie können daher unabhängig von einander in ihrer Stärke variiert werden. Zeitlich veränderliche Felder treten dagegen immer nur gekoppelt auf. Dies gilt auch bereits für quasistatische Felder. Beispielsweise ist das magnetische Feld im Eisenkreis eines 50 Hz Transformators über das Induktionsgesetz stets mit einem elektrischen Feld gekoppelt, das Ursache der in jeder Windung induzierten Windungsspannung ist. Auch ein auf ein leitfähiges Schirmgehäuse auftreffendes 50 Hz Magnetfeld ruft in der Schirmwand Wirbelströme hervor, deren Ursache ebenfalls ein mit dem veränderlichen Magnetfeld gekoppeltes elektrisches Feld ist. Das von den Wirbelströmen erzeugte Magnetfeld ist dem einfallenden Feld entgegengerichtet und bewirkt so erst die eigentliche Schirmung. In ähnlicher Weise ist das elektrische 50 Hz Feld in einem Plattenkondensator mit einem Magnetfeld gekoppelt, das von dem durch den Kondensator fließenden Verschiebungsstrom herrührt. Auch dieses Magnetfeld ist mit einem elektrischen Feld verknüpft, das sich dem von den Ladungen auf den Kondensatorplatten erzeugten elektrischen Feld überlagert. Die Änderungsgeschwindigkeit des Magnetfelds ist aber bei 50 Hz noch so klein, dass das überlagerte elektrische Feld vernachlässigt werden kann. Zwischen den Kondensatorplatten herrscht daher näherungsweise das elektrostatische Feldbild, daher der Name quasistatisch. Beim quasistatischen elektrischen Feld wird also nicht der Verschiebungsstrom selbst vernachlässigt, sondern nur die induzierende Wirkung des mit ihm verküpften Magnetfelds. Andernfalls könnten beispielsweise 50 Hz Phasenschieber-Kondensatoren keine Blindstromkompenation bewirken. Bei quasistatischen Feldern macht sich die Kopplung der Felder, wenn überhaupt, nur lokal bemerkbar. Sie werden daher häufig auch als stationäre, das heißt ortsfeste Felder, oder im Kontext auch als Nahfelder bezeichnet. Aus-

198

5 Elektromagnetische Schirme

breitungsvorgänge finden nicht statt. Kann bei höheren Frequenzen das vom Magnetfeld des Verschiebungsstroms induzierte zusätzliche elektrische Feld nicht mehr gegenüber dem von den Ladungen auf den Belägen herrührenden elektrischen Feld vernachlässigt werden, treten außerhalb von Leitern Ausbreitungsvorgänge auf, mit anderen Worten elektromagnetische Wellen. Bei quasistatischen Magnetfeldern in Leitern beobachtet man zusätzlich das Phänomen der Stromverdrängung. Das mit einem Magnetfeld gekoppelte elektrische Feld bewirkt im Inneren eines Leiters eine Verdrängung der Stromflusslinien an die Leiteroberfläche. Der Strom fließt dann nur in einer dünnen Haut, daher der Name Skin-Effekt. Sinngemäß herrscht auch das Magnetfeld nur in diesem Bereich. Die stromtragende Schicht wird auch als Eindringtiefe bezeichnet [B 18]. Da die Stromverteilung und das Magnetfeld nicht mehr mit dem stationären Strömungsfeld eines im Leiter fließenden Gleichstroms übereinstimmen, spricht man hier von einem quasistationären Feld. Befindet sich der Beobachter bzw. der Empfänger in unmittelbarer Nachbarschaft einer Antenne, im sog. Nahfeld (engl.: near zone), so empfindet er ein stationäres (räumlich fixiertes) quasistatisches Feld. Speziell im Fall einer Stabantenne ein quasistatisches elektrisches Feld, im Fall einer Rahmenantenne ein quasistatisches magnetisches Feld. Im Nahfeldbereich ändert sich ein Feld zeitlich gleichsinnig, das heißt es nimmt überall gleichzeitig zu oder ab. In großem Abstand von der Antenne befindet sich ein Empfänger im sog. Fernfeld (engl.: far zone). Unabhängig von der Art der Antenne (Stab- oder Rahmenantenne) herrscht dort ein nichtstationäres, (das heißt sich ausbreitendes) elektromagnetisches Wellenfeld. Der Definitionsbereich eines Nahfelds ist nicht allein eine Frage des Abstands zur Antenne, sondern auch eine Frage der Änderungsgeschwindigkeit der Felder. Im Zeitbereich gelten Felder als Nahfelder bzw. quasistatische Felder, wenn die Zeitspanne, innerhalb der die Feldänderung erfolgt (Anstiegszeit Ta eines Feldsprungs), groß ist gegen die Laufzeit l / v innerhalb des Definitionsbereichs. Im Frequenzbereich gelten Felder als Nahfelder bzw. quasistatische Felder, wenn ihre Wellenlänge λ groß ist gegen die Ausdehnung des Definitionsbereichs. Die Unterscheidung Nahfeld/Fernfeld kann auch mathematisch formal erfolgen. Der Einfachheit wegen zeigen wir dies im Frequenzbereich. Wir gehen

5.1 Natur der Schirmwirkung --- Fernfeld, Nahfeld

199

aus vom Feldverlauf in der Umgebung eines Hertzschen Dipols in einem Kugelkoordinatensystem r, ϕ, ϑ , Bild 5.3. (z) (z) Er Hϕ

ϑ



r

(x)

(y)

(y)

ϕ

(x)

a)

b)

a)

b)

Bild 5.3: a) Hertzscher Dipol im Kugelkoordinatensystem r, ϕ, ϑ b) typische Feldlinien des elektrischen und magnetischen Nahfelds.

Die Lösung der Maxwellschen Gleichungen im Frequenzbereich führt auf folgende Ausdrücke für die komplexen Amplituden der Feldvektoren [5.1].

Eϑ =

2π 2 iˆlZ0 λ sin ϑ ⎡ 2π ⎛ 2π ⎞ ⎤ − j λ r + + 1 j r j r e ⎢ ⎥ ⎜ ⎟ λ j8π2 r 3 ⎣⎢ ⎝ λ ⎠ ⎥⎦

Er =

2π iˆlZ0 λ cos ϑ ⎡ 2π ⎤ − j λ r 1 j r e + λ ⎥⎦ j4π2 r 3 ⎢⎣

Hϕ =

2π iˆl sin ϑ ⎡ 2π ⎤ − j λ r 1 j r e + λ ⎥⎦ 4πr 2 ⎢⎣

,

.

,

(5-3)

(5-4)

(5-5)

Hierin bedeuten iˆ

Scheitelwert des Wechselstroms,

l

Dipollänge,

Z0

Wellenwiderstand des freien Raumes,

c

Lichtgeschwindigkeit im freien Raum, 1/ μ0 ⋅ ε0 .

μ 0 / ε0 ,

200

5 Elektromagnetische Schirme 2π

−j ω 2π Im Übrigen wurde gesetzt. Der Faktor e λ = λ c Phasenlage.

r

=e

−j

2ω r c

beschreibt die

Obige Gleichungen sehen nicht gerade einladend aus, sie lassen sich jedoch bei Beschränkung auf die beiden Grenzfälle Fernfeld/Nahfeld leicht interpretieren.

Fernfeld: In großer Entfernung, r λ / 2π müssen jeweils nur die Terme mit den höchsten Potenzen von r berücksichtigt werden, so dass sich (5-3), (5-4) und (5-5) vereinfachen zu 2π 2 iˆlZ0 λ sin ϑ ⎛ 2π ⎞ − j λ r Eϑ = ⎜j r⎟ e j8π2 r 3 ⎝ λ ⎠

Er =

Hϕ =

2π iˆlZ0 λ cos ϑ ⎛ 2π ⎞ − j λ r j r e ⎜ ⎟ j4π2 r 3 ⎝ λ ⎠ 2π iˆl sin ϑ ⎛ 2π ⎞ − j λ r j r e ⎜ ⎟ 4πr 2 ⎝ λ ⎠

,

(5-6)

,

(5-7)

.

(5-8)

Weiter darf wegen des Unterschieds in der Potenz von r die Komponente E r gegenüber Eϑ vernachlässigt werden, so dass letztlich nur Eϑ und Hϕ existent sind. Beide Komponenten stehen räumlich senkrecht aufeinander und sind transversal zur Ausbreitungsrichtung orientiert. Beide Feldkomponenten schwingen gleichphasig, ihr Verhältnis ist zeitlich und räumlich konstant, Eϑ = Z0 = μ0 ε0 = 377 Ω Hϕ

.

(5-9)

Den reellen Widerstand Z0 nennt man Feldwellenwiderstand des freien Raumes.

5.1 Natur der Schirmwirkung --- Fernfeld, Nahfeld

201

Nahfeld: In unmittelbarer Nähe einer Antenne, t λ / 2π werden der zweite und dritte Term jeweils klein gegen 1, so dass sich die Gleichungen (5-3), (5-4) und (5-5) vereinfachen zu Eϑ =

Er =

Hϕ =

iˆlZ0 λ sin ϑ j8π2 r 3 iˆlZ0 λ cos ϑ j4π2 r 3 iˆl sin ϑ 4πr 2

e

−j

e

−j

e

2π r λ

,

(5-10)

2π r λ

,

(5-11)

−j

2π r λ

.

(5-12)

Nach Schelkunoff [5.2] lässt sich auch hier formal ein Quotient Eϑ /Hϕ bilden, E ϑ Z0 λ = = Z0E Hϕ j2πr

.

(5-13)

Der Feldwellenwiderstand Z0E ist kapazitiv (vergl. ZC = 1/ jωC ). Bezüglich seiner Größe gilt wegen r λ / 2π bzw. λ / 2πr 1 Z0E

Z0

.

(5-14)

Man spricht daher auch vom hochohmigen Feld (engl.: high-impedance field) und meint damit das elektrische (kapazitive) Feld in der Nähe einer Stabantenne. Die im Nahfeld vorhandene Energiedichte ist überwiegend elektrischer Natur, das heißt w( r ) ≈ w e ( r ) =

1 2 εE 2

.

(5-15)

Während das H -Feld auch im Nahbereich transversal bleibt, weist das E Feld zusätzlich eine E r -Komponente auf. Eϑ und Hϕ sind im Nahbereich wegen des Faktors j um 90° gegeneinander phasenverschoben.

202

5 Elektromagnetische Schirme

Führt man obige Betrachtungen für das Feld in der Umgebung einer kleinen Stromschleife durch (Fitzgeraldscher Dipol, Rahmenantenne), so ergeben sich bezüglich der Koordinaten ϑ und ϕ strukturell duale Gleichungen, die im Fernfeld auf den gleichen reellen Feldwellenwiderstand Z0 = 377 Ω führen, im Nahfeld auf Z0H =

jZ0 2πr λ

.

(5-16)

Der Feldwellenwiderstand Z0H im Nahbereich einer Rahmenantenne ist induktiv (vergl. ZL = jωL ). Bezüglich seiner Größe gilt wegen r λ / 2π bzw. 2πr / λ 1 Z0H

Z0

.

(5-17)

Man spricht daher auch vom niederohmigen Feld (engl.: low-impedance field) und meint damit das magnetische (induktive) Feld in der Nähe einer Rahmenantenne. Die im Nahfeld vorhandene Energiedichte ist überwiegend magnetischer Natur, das heißt

w( r ) ≈ w m (r ) =

1 μH 2 2

.

(5-18)

Im Fernfeld stehen die elektrische und magnetische Feldkomponente wieder senkrecht aufeinander. Beide sind transversal zur Ausbreitungsrichtung orientiert. Während das E -Feld auch im Nahbereich transversal bleibt, weist jetzt das H -Feld zusätzlich eine Hr -Komponente auf. Obige Betrachtungen für die Felder in der Umgebung einer elementaren Stab- bzw. einer elementaren Rahmenantenne gelten unter der Voraussetzung l λ . Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, müssen die Leitungsgleichungen elektrisch langer Leitungen angesetzt werden. Der Hertzsche Dipol und der Fitzgeraldsche Dipol sind offensichtlich komplementäre Strukturen, die dem Babinet-Prinzip [B43] genügen. Gemäß diesem Prinzip besitzen die Fernfelder komplementärer Strukturen gleiche mathematische Struktur. So gilt für Dipol- und Rahmenantennen:

5.1 Natur der Schirmwirkung --- Fernfeld, Nahfeld

EFϕ = Z0 HH ϕ

und

HFϑ = −

203

1 ⋅ EH ϑ Z0

.

E r und Hr verschwinden im Fernfeld, die hochgestellten Indices „F“ und „H“ stehen für Fitzgerald und Hertz.

Bild 5.4 zeigt nochmals anschaulich die Babinet-Dualität zwischen Hertzschem Dipol (Stabantenne) und Fitzgeraldschem Dipol (Rahmenantenne) sowie schematisch zwei vereinfachte Beispiele für quasistatische Felder im Nahbereich.

0 0 Hϕ

E=

0 0 Eϕ

Er E = Eϑ

H=

Hr Hϑ

H=

0

0

elektrischer Dipol

magnetischer Dipol

a)

E(r)

H(r)

b) Bild 5.4: a) Babinet-Dualität zwischen Hertzschem und Fitzgeraldschem Dipol. b) Schematische Darstellung je eines quasistatischen elektrischen und magnetischen Nahfelds. Links: Quasistatisches elektrisches Feld im Nahfeld eines Stabantennendipols (Hertzscher Dipol). Rechts: Quasistatisches magnetisches Feld im Nahfeld einer Rahmenantenne (Fitzgeraldscher Dipol).

204

5 Elektromagnetische Schirme

Mit zunehmendem Abstand von einer Stabantenne fällt der Feldwellenwiderstand mit 20dB/Dekade von hohen Werten auf kleinere Werte ab und nähert sich in großer Entfernung asymptotisch dem Feldwellenwiderstand des freien Raumes. Umgekehrt steigt der Feldwellenwiderstand einer Rahmenantenne zunächst mit 20 dB/Dekade an und nähert sich dann ebenfalls asymptotisch dem Feldwellenwiderstand des freien Raums. In der Übergangszone zwischen Nah- und Fernfeld schwingt der Betrag des Feldwellenwiderstands für beide Felder unter/über den Wert des Feldwellenwiderstands Z0 des Fernfelds, Bild 5.5. 1M

Z Ω

100k 10k

Elektromagnetische Wellenfelder

1k 377 100 10

Nahfeld

1

Übergangsfeld

Fernfeld

0.1 0.01

0.03

0.1

0.3

0.63

1

5

10

r* = 2πr/λ

30

Bild 5.5: Feldwellenwiderstand hoch- und niederohmiger felderzeugender Anordnungen abhängig vom normierten Abstand von der Quelle.

Von diesen entfernungsabhängigen Feldwellenwiderständen wird im Kap. 6 bei der Berechnung von Schirmdämpfungen nach der Impedanzmethode (Schelkunoff-Methode) Gebrauch gemacht werden. Zur Schirmung elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder müssen die unterschiedlichen Feldeigenschaften mit in Betracht gezogen werden. In den nachfolgenden Abschnitten werden die für die jeweiligen Feldtypen unterschiedlichen Schirmungsmechanismen bezüglich ihrer Natur noch näher erläutert.

5.2 Schirmung statischer Felder

205

5.2

Schirmung statischer Felder

5.2.1

Elektrostatische Felder

Bringt man eine leitende Hohlkugel in ein elektrostatisches Feld, so wirken auf die verschieblichen Ladungen im Schirmmaterial Feldkräfte F = QE , die eine räumliche Umverteilung der Ladungen bewirken. Die Umverteilung der Ladungen findet ihr Ende, wenn die Tangentialkomponente der elektrischen Feldstärke an der Schirmoberfläche zu Null geworden ist, womit kein Grund mehr besteht, Ladungen längs der Schirmoberfläche zu verschieben. Logischerweise entspringen und münden dann die elektrischen Feldlinien senkrecht zur Schirmoberfläche. Das Feld der verschobenen Ladungen und das äußere Störfeld ergänzen sich im Schirminnern an jeder Stelle exakt zu Null. Es lässt sich zeigen, dass dieser Effekt nicht nur bei einer Hohlkugel auftritt, sondern sich auch bei beliebig geformten leitenden Hohlkörpern einstellt. Die Schirmdämpfung eines fugenlosen leitenden Schirms gegen elektrostatische Felder ist unendlich groß, was eine Berechnung der Schirmwirkung im Einzelfall entbehrlich macht. Dieser Effekt ist wohl bekannt und immer impliziert, wenn vom Faraday-Käfig die Rede ist. In den Abschn. 6.1.4 u. 6.1.5 wird noch gezeigt werden, dass die Schirmdämpfung endlich wird, falls sich die elektrischen Felder mit großer Geschwindigkeit zeitlich ändern. Deswegen sollte nach Möglichkeit die Benutzung des Begriffs Faraday-Käfig auf statische und quasistatische Felder beschränkt bleiben. Mit Hilfe des Gaußschen Gesetzes [B18] erhält man für die Normalkomponenten der elektrischen Feldstärke innerhalb und außerhalb des Schirms

E ni = 0

und

E na =

ρF ε0

,

(5-19)

wobei ρF der Flächenladungsdichte der verschobenen Ladungen entspricht. Für die Tangentialkomponenten gilt nach obiger Überlegung E ta = E t i = 0 . Schließlich ist noch zu erwähnen, dass auch dielektrische Hüllen eine gewisse Schirmwirkung gegen elektrostatische Felder aufweisen. Ähnlich wie ein magnetischer Fluss durch einen Eisenkreis hoher magnetischer Leitfähigkeit (Permeabilität μ ) definiert geführt wird, lässt sich auch ein elektrischer Fluss ψ durch ein Dielektrikum hoher dielektrischer Leitfähigkeit (Permittivität ε ) führen. Auf Grund der Brechung der elektrischen Feldlinien

206

5 Elektromagnetische Schirme

an der Grenzfläche verläuft der Fluss bei großem Verhältnis von Wandstärke d zu Durchmesser D überwiegend in der Wand, Bild 5.6.

Ei < Ea

Bild 5.6: Schirmwirkung einer dickwandigen dielektrischen Hohlkugel, z. B. Mauerwerk, Bariumtitanatschirm.

Die Schirmdämpfung in Neper bzw. dB berechnet sich nach Kaden [3.8] zu

a E = ln

Ea Np ≈ ln (1 + 1, 33 ⋅ ε r d / D ) Np , Ei

bzw. a E = 20 lg

Ea dB ≈ 20 lg (1 + 1, 33 ⋅ ε r d / D ) dB Ei

.

Eine merkliche Schirmdämpfung tritt offensichtlich nur für ε r d heißt für dickwandige, hochpermittive Schirme auf.

(5-20) D , das

Auf Grund des Gaußschen Gesetzes und des Induktionsgesetzes erhält man für dielektrische Schirme folgende Grenzflächenbedingungen

E t1 = E t 2

5.2.2

und

E n1 E n2

=

ε r2 ε r1

.

(5-21)

Magnetostatische Felder

Eine der elektrostatischen Schirmwirkung vergleichbare, durch Umverteilung von „Ladungen“ bewirkte magnetostatische Schirmwirkung existiert nicht. Beispielsweise besitzen die Kupferschirme von Koaxialkabeln keinerlei Schirmwirkung gegenüber magnetostatischen Feldern. Jedoch lassen sich in

5.2 Schirmung statischer Felder

207

gleicher Weise, wie elektrostatische Felder durch hochpermittive dielektrische Schirme geschwächt werden (s. oben), auch magnetostatische Felder durch hochpermeable ferromagnetische Hüllen schirmen. Auf Grund der Brechung der magnetischen Feldlinien an der Grenzfläche verläuft der magnetische Fluss bei dickwandigen, hochpermeablen Schirmen überwiegend in der Wand. Die Schirmdämpfung in Neper bzw. dB berechnet sich nach Kaden [3.8] zu a H = ln

Ha Np ≈ (1 + 1, 33 ⋅ μ r d / D ) Np Hi

bzw. a H = 20 lg

Ha dB ≈ (1 + 1, 33 ⋅ μ r d / D)dB Hi

,

(5-22)

wobei d und D wieder die gleiche Bedeutung haben wie in Bild 5.6. Auf Grund des Gaußschen Gesetzes und des Durchflutungsgesetzes ergeben sich bei stromfreier Schirmoberfläche folgende Grenzflächenbedingungen H t1 = H t 2

und

Hn1 H n2

5.3

Schirmung quasistatischer Felder

5.3.1

Elektrische Wechselfelder

=

μ r2 μ r1

.

(5-23)

Die Schirmung quasistatischer elektrischer Wechselfelder erfolgt, ähnlich wie im elektrostatischen Feld, durch Umverteilung der Ladungen. Während jedoch im elektrostatischen Feld die Schirmdämpfung unendlich hoch ist, stellt sich bei veränderlichen Feldern mit zunehmender Frequenz eine Phasenverschiebung ein, die die Schirmdämpfung endlich werden lässt. Dieser Effekt macht sich allerdings erst bei höchsten Frequenzen bemerkbar (s. Abschn. 6.1.4), das heißt wenn die Wellenlänge λ = c / f in die Größenordnung der Schirmabmessungen kommt. In der Praxis unterstellt man auch bei quasistatischen elektrischen Feldern in aller Regel eine unendlich große Schirmdämpfung. Es gelten dann die gleichen Randbedingungen wie im elektrostatischen Feld.

208

5 Elektromagnetische Schirme

Technische Schirme weisen naturgemäß Fugen auf, z. B. bei Gerätegehäusen an Frontplatte und Rückwand. Sind die einzelnen Wände eines Schirms nicht elektrisch miteinander verbunden, nehmen die Wandelemente das Potential des jeweiligen Feldorts an (wobei die Wände dem Feld Äquipotentialflächen aufzwingen), der Schirm ist praktisch wirkungslos, Bild 5.7 a.

a)

b)

Bild 5.7: Bedeutung von Potentialausgleichsverbindungen bei Schirmen gegen elektrische Felder, a) nahezu wirkungsloser Schirm mit unterschiedlichen, schwebenden Potentialen (engl.: floating potentials), b) erhebliche Verbesserung der Schirmwirkung gegen elektrische Felder durch Potentialausgleichsverbindungen.

Bei Schirmen gegen elektrostatische Felder reicht es zunächst aus, wenn die Schirmelemente wenigstens an je einem Punkt miteinander leitend verbunden sind, Bild 5.7 b. Es verbleibt die EMB des kapazitiven Durchgriffs durch die Schlitze (Schlitzkapazität ). Im Fall nichttolerierbarer Schlitzkapazität kann durch Labyrinthdichtungen eine spürbare Verbesserung erzielt werden. Bei höheren Frequenzen müssen die Schlitze häufiger kontaktiert werden, damit die den Potentialausgleich bewirkenden Ströme auf dem kürzesten Weg fließen können (s. a. Abschn. 5.3.2). Während ein allseits geschlossener Metallschirm keiner Erdung bedarf, um im Innern feldfrei zu sein, verlangt die Ausnutzung des Abschattungseffekts einzelner Schirmbleche sehr wohl eine Erdung. Einzelne geerdete Schirmbleche wirken aber weniger als Schirm, sondern als galvanischer Bypass.

5.3.2

Magnetische Wechselfelder

Bringt man eine leitfähige Schirmhülle in ein zeitlich veränderliches Magnetfeld, so werden in der Schirmwand Spannungen induziert, die auf Grund der Leitfähigkeit des Schirms auch Ströme zur Folge haben. Das Magnetfeld dieser Ströme ist dem erzeugenden Feld entgegengerichtet. Die Überlagerung

5.3 Schirmung quasistatischer Felder

209

des ursprünglichen äußeren Feldes mit dem Rückwirkungsfeld der Schirmströme führt im Schirminnern zu einem resultierenden Feld geringerer Feldstärke (s. a. Reduktionsfaktor, Abschn. 3.3). Da die Schirmwirkung gegen magnetische Wechselfelder von den Strömen in der Schirmwand lebt, ist hier das Vermeiden von Fugen besonders wichtig, Bild 5.8.

a)

b)

c)

Bild 5.8: Zur Schirmwirkung gegen magnetische Wechselfelder, a) nahezu wirkungsloser Schirm, b) Minimalforderung für Schirme gegen magnetische Wechselfelder, c) optimaler Schirm.

Bei Schirmen gegen magnetische Wechselfelder genügt es nicht, die einzelnen Wände durch wenige Potentialausgleichsverbindungen auf gleiches Potential zu bringen. Vielmehr müssen Fugen auf ihrer gesamten Länge durch leitfähige Dichtungen niederohmig überbrückt bzw. kurzgeschlossen werden (s. Abschn. 5.6). Der abträgliche Einfluss von Fugen geschlossener Schirme lässt die Schirmwirkung einzelner ebener Bleche erahnen [5.10]. Je höher die Leitfähigkeit eines Schirmmaterials, desto größer sind die bei gleicher induzierter elektrischer Feldstärke fließenden Schirmströme und desto höher ist die von ihnen bewirkte Schirmdämpfung. Da magnetostatische Felder keine Ströme induzieren können, besitzen nichtferromagnetische Hüllen für Gleichfelder ( f = 0 ) keine Schirmwirkung. Andererseits strebt die Schirmwirkung bei quasistatischen Magnetfeldern mit wachsender Frequenz gegen unendlich. Diese Tendenz findet bei Frequenzen ein Ende, für die neben dem quasistatischen Magnetfeld auch das Magnetfeld des Verschiebungsstroms berücksichtigt werden muss (elektromagnetische Wellen, siehe Abschn. 5.4 und Abschn. 6.1.4). Mit Hilfe des Gaußschen Gesetzes und des Induktionsgesetzes ergeben sich in Abwesenheit einer Oberflächenstromdichte (Oberflächenstrombelag) die Grenzflächenbedingungen zu

210

5 Elektromagnetische Schirme

Ht1 = Ht 2

und

Hn1 H n2

=

μ r2 μ r1

.

(5-24)

Oberflächenstromdichten treten nur bei vollständiger Stromverdrängung (perfekte Leiter, unendlich hohe Frequenz) auf. In diesem Fall gälte im Schirmmaterial H t1 = 0 , im umgebenden Dielektrikum H t 2 = J s , wobei J s eine Flächenstromdichte mit der Dimension A/cm darstellt. In letzterem Fall wäre die Schirmdämpfung für tangentiale Felder unendlich hoch. Während in der Praxis die Schirmwirkung gegen quasistatische elektrische Felder meist ohne langes Rechnen als perfekt angenommen werden darf, stellt sich bei quasistatischen magnetischen Feldern regelmäßig die Frage nach der Höhe der Schirmdämpfung. Diese muss in jedem Einzelfall für die vorgegebenen Parameter – Frequenz – Wandstärke – Leitfähigkeit – Permeabilität – Schirmgeometrie speziell ermittelt werden (s. Abschn. 6.1.1).

5.4

Schirmung elektromagnetischer Wellen

Mit zunehmender Frequenz verliert die quasistatische Betrachtungsweise ihre Gültigkeit, da die induzierende Wirkung des Verschiebungsstroms nicht mehr vernachlässigt werden kann. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn sich der Schirm im Fernfeld des Senders befindet, in dem elektrische und magnetische Felder nicht mehr über den Wellenwiderstand einer Antenne, sondern über den Wellenwiderstand des freien Raumes ( Z0 = 377 Ω ) miteinander gekoppelt sind. Während in quasistatischen magnetischen Wechselfeldern nur ein magnetisches Rückwirkungsfeld entsteht, tritt hier auch ein merkliches elektrisches Rückwirkungsfeld auf. Der Schirm wird selbst zum Sender und strahlt eine elektromagnetische Welle ab, deren Entstehung sich wie folgt erklärt.

5.4 Schirmung elektromagnetischer Wellen

211

Das elektrische Wirbelfeld E E der einfallenden elektromagnetischen Welle bewirkt gemäß J = σE E in der leitenden Schirmwand Ströme, die mit einem magnetischen Rückwirkungsfeld H R verknüpft sind. Das magnetische Rückwirkungsfeld ist seinerseits über das Induktionsgesetz mit einem elektrischen Wirbelfeld E R verknüpft, das zusammen mit H R die reflektierte elektromagnetische Welle bildet. Genau besehen findet dieser Mechanismus auch im quasistatischen Fall statt. Die elektrischen Wirbelfelder sind dort jedoch so schwach, dass sie im nichtleitenden Raum nur marginale Verschiebungsströme zu treiben in der Lage sind, die keinen merklichen Beitrag zu den von Leitungsströmen verursachten Magnetfeldern H a und H R leisten können. Im eingeschwungenen Zustand (komplexe Amplituden) besteht das Feld im Außenraum aus der Überlagerung der einfallenden Welle und der reflektierten Sekundärwelle, E = E E + E R . In der Schirmwand ergänzen sich die einfallende und die reflektierte elektrische Feldstärke zu Null, das heißt E E + E R = 0 bzw. E R = −E E . Zur Berechnung der Schirmwirkung müssen innerhalb und außerhalb des Schirmmaterials die Wellengleichungen herangezogen werden (s. Abschn. 6.1.4). Die Grenzflächenbedingungen für die E- und H-Komponenten sind die gleichen wie bei quasistatischen Feldern. Es stellt sich heraus, dass Schirmhüllen sich bei hohen Frequenzen wie Hohlraumresonatoren verhalten. Im Bereich der Eigenresonanzen treten Resonanzeinbrüche der Schirmdämpfung auf, die einen Schirm nicht gerade transparent, aber doch zumindest opak werden lassen, hierauf wird im Abschn. 6.1.4 und 6.1.5 noch ausführlich eingegangen.

5.5

Schirmmaterialien

Wie in den vorangegangenen Abschnitten 5.2 und 5.3 gezeigt wurde, eignen sich all die Materialien für Schirmzwecke, die für den Fluss des jeweiligen Feldes eine besonders hohe Leitfähigkeit aufweisen oder die auf Grund von Influenz oder Induktion ein Gegenfeld aufzubauen in der Lage sind. Am häufigsten werden Schirme aus Nichteisen-Metallen (NE-Metallen, z. B. Kupfer) und ferromagnetischem Material verwendet. Der Vergleich zweier gleich dicker Schirme aus Fe und Cu erhellt die Komplexität der Schirmwirkung, Bild 5.9.

212

5 Elektromagnetische Schirme as / dB

120 100 80

Cu

60

Fe

40 20 0

103

104

106 Frequenz/ Hz

Bild 5.9: Theoretische magnetische Schirmdämpfung as eines zylindrischen Schirmr0 = 5 m , raums im transversalen magnetischen Wechselfeld Parameter: d0 = 0,1 mm; σCu = 58 ⋅ 106 S / m; σFe = 7 ⋅ 106 S / m; μ rCu = 1; μ rFe = 200 .

Im Bereich unter ca. 100 kHz ist die Eindringtiefe größer als die Wandstärke (besitzt also keinen Einfluss), so dass das Material mit der besseren Leitfähigkeit die höhere Schirmdämpfung aufweist. (Die Schirmung beruht hier allein auf der Reduktionswirkung des als Kurzschlusswindung wirkenden Schirms (vergl. Abschn. 3.3)). Oberhalb ca. 500 kHz wird die Eindringtiefe δ=

1 πfμσ

(5-25)

kleiner als die Wandstärke, so dass die Permeabilität zum Tragen kommt und die Dämpfung des Eisenschirms, die des Kupferschirms übersteigt. Bei sehr niedriger Frequenz (10dB oberhalb 200 MHz und >20dB oberhalb 1 GHz [B24] (Messung der Reflexionsdämpfung s. Abschn. 9.5). Mit Kohlenstoff gefüllte Schaumstoffabsorber stellen ohne besondere Vorkehrungen eine hohe Brandlast dar, die bei Kurzschluss elektrischer Leitungen oder auch bei Bestrahlung mit zu hoher Leistungsdichte beträchtliches Gefahrenpotential besitzt. Eine leistungsfähige Feuerlöscheinrichtung und feuerhemmende Ausrüstung sind daher essentiell. Neben den oben beschriebenen Breitbandabsorbern kommen bei monochromatischen Störquellen auch aus mehreren parallelen Schichten bestehende Schmalbandabsorber zum Einsatz. Ihre Schichtdicken sind je nach Wellenlänge so ausgelegt, dass für bestimmte Frequenzen bzw. Wellenlängen an tieferen Schichten reflektierte Wellen einfallende Wellen infolge destruktiver Interferenz auslöschen (vergl. Laserschutzbrillen und vergütete Linsen im optischen Bereich des elektromagnetischen Spektrums). Zuverlässig reproduzierbare Störfeldstärkemessungen erfordern beträchtliche Erfahrung sowie fundierte Kenntnisse der allgemeinen Hochfrequenzmesstechnik. Wegen Einzelheiten über Störfeldstärkemessungen, insbesondere der räumlichen Anordnung, Erdung sowie der Berücksichtigung zuund abgehender Leitungen des Testobjekts etc., wird auf VDE 0877, Teil 2 [7.7] und weitere einschlägige Vorschriften verwiesen.

5.7.2

Modenverwirbelungskammern

Eine weitere Möglichkeit, Einflüsse durch Wandreflexionen auszuschließen, ist sich diesen und den Eigenresonanzen eines Raumes zu bedienen. Modenverwirbelungskammern (engl.: Mode Stirred Chamber, Reverberation Chamber) sind Schirmräume mit beweglich angeordneten großen Metallstrukturen (z. B. ähnlich den Rotorflügeln in Mikrowellenherden). Hierdurch lassen sich die Ausbreitungsbedingungen für Moden (Wellen mit Frequenzen, bei denen Eigenresonanz auftritt) kontinuierlich verändern und die räumliche Lage von Knoten und Bäuchen im Schirmraum in weiten Grenzen verschieben. Der Grundgedanke des Verfahrens beschränkt den Einsatz

223

5.7 Geschirmte Räume für messtechnische Anwendungen

auf Messfrequenzen, bei denen eine genügend hohe Modendichte besteht. Als Faustregel existieren dazu unterschiedliche Ansichten, die entweder das Dreifache der ersten Eigenresonanz (als ausbreitungsfähige Welle) oder eine Modendichte von 1,5 Moden/MHz fordern [7.9–7.12]. Die Frequenzen der Eigenmoden eines rechtwinkligen Raumes mit den Abmessungen a, b und d erhält man für m,n,p ≥ 0 mit 2

fm,n,p =

2

c0 ⎛ m ⎞ ⎛ n ⎞ ⎛ p ⎞ ⎜ ⎟ +⎜ ⎟ +⎜ ⎟ 2 ⎝ a ⎠ ⎝ b⎠ ⎝d⎠

2

.

(5-28)

Einen genäherten Ausdruck zur Bestimmung der Gesamt-Modenzahl N s (f) bis zu einer Frequenz f stellt Gleichung (5-29) dar [7.32]: 3

Ns (f) =

⎛ f ⎞ 8π f 1 ⋅ abd ⎜ ⎟ − (a + b + d) ⋅ + 3 c c 2 0 ⎝ 0⎠

.

(5-29)

Eine hohe Modenanzahl allein reicht jedoch nicht aus, um die Modenverwirbelungskammer für EMV-Messungen nutzbar zu machen. Wichtiger ist eine hohe Modendichte über den genutzten Frequenzbereich, das heißt eine hohe Anzahl von Moden für ein bestimmtes Frequenzintervall. Die Modendichte eines Hohlraumresonators ist in Bild 5.16 dargestellt und berechnet sich aus Gleichung (5-29) zu ΔN s (f) dN s (f) f 2 (a + b + d ) = = 8π ⋅ abd ⋅ 3 − Δf df c0 c0

. (5-30)

Moden pro 10 MHz-Intervall

300 250 200 150 100 50 0 0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

Frequenz in MHz

Bild 5.16: Modendichte einer Modenverwirbelungskammer (Institut für Elektroenergiesysteme und Hochspannungstechnik, Universität Karlsruhe).

224

5 Elektromagnetische Schirme

Letztlich werden durch ein aufwendiges Kalibrierverfahren [7.34] die Eignung der Kammer und die damit verbundene kleinste Nutzfrequenz bestimmt. Durch den metallischen Rührer werden die Randbedingungen im Hohlraumresonator ständig verändert. Die Vielzahl unterschiedlicher Rührerwinkel sowie Mehrfachreflexionen der elektromagnetischen Wellen an den Wänden erzeugen in der Kammer näherungsweise unendlich viele Resonanzfrequenzen, über deren Gesamtheit sich ein elektromagnetisches Feld einstellt, dessen Beträge der einzelnen Vektor-Komponenten einer jeweils gleichen Raleigh-Verteilung unterliegen. Eine hohe Modendichte ist die Grundvoraussetzung zur Erzeugung eines gleich starken elektromagnetischen Feldes im gesamten Arbeitsbereich einer Modenverwirbelungskammer. Durch die hohe Güte der Kammer lassen sich bei geringen Eingangsleistungen sehr hohe Feldstärken erzeugen, so dass auf kostenintensive Verstärkerleistung verzichtet werden kann. Ferner erhält man über die Vielzahl der Rührerstellungen statistisch gesehen ein elektromagnetisches Wellenfeld, dessen Richtung und Polarisation gleichverteilt ist. Seine Feldstärken werden mit statistischen Kenngrößen, wie Mittelwert und Standardabweichung beschrieben. Ein Drehen des Prüflings bzw. eine Änderung der Antennenpolarisation oder -höhe entfällt. Dadurch wird der Aufwand einer Messung reduziert und der Prüfling in seiner Gesamtheit betrachtet. Eine statistisch auswertbare Messung erfordert eine Vielzahl von Einzelmessungen [7.34], wobei mit steigender Anzahl statistisch unabhängiger Einzelmessungen die Ergebnisse genauer ausfallen als bei wenigen Einzelmessungen. Diese können in der Modenverwirbelungskammer in zwei verschiedenen Betriebsmodi erfolgen, dem Mode-Tuned- und dem ModeStirred-Betrieb.

Mode-Tuned-Betrieb Im Mode-Tuned-Betrieb wird der Rührer schrittweise gedreht und es wird nach jedem Schritt eine Messung vorgenommen. Üblicherweise liegt die maximale Anzahl der Schritte bei 200 bzw. 400 je Umdrehung, was einem Winkelschritt von 1.8° bzw. 0.9° entspricht. Ein spezielles Kalibrierverfahren [7.34, 7.35] stellt die notwendige Anzahl an Rührerschritten sicher. Die so gewonnene Messreihe wird anschließend einer statistischen Auswertung unterzogen.

5.7 Geschirmte Räume für messtechnische Anwendungen

225

Mode-Stirred-Betrieb Im Mode-Stirred-Betrieb dreht sich der Rührer kontinuierlich mit einer konstanten Umdrehungsgeschwindigkeit. Messungen werden in der Form vorgenommen, dass entweder die Verweildauer einer bestimmten Frequenz (bei Emissionsmessungen eine Messung im Max-Hold Betrieb) mindestens einer Rührerumdrehung entspricht, oder es werden mehrere Messungen während des Stirred-Betriebs durchgeführt und diese dann, ähnlich wie im Tuned-Betrieb, einer statistischen Auswertung unterzogen. Üblich sind bei dieser Betriebsart Umdrehungsgeschwindigkeiten von 3…10 U/min., wobei jedoch auch wesentlich höhere Umdrehungszahlen angewandt werden. Wie beim Mode-Tuned-Betrieb, ist für die Genauigkeit einer Messung die Anzahl statistisch unabhängiger Einzelmessungen ausschlaggebend. Die Höhe der Umdrehungsgeschwindigkeit ist nicht von allzu hoher Bedeutung [7.34]. Der Nachteil dieses Verfahrens liegt bei einer Störfestigkeitsprüfung darin, dass das Feld am Ort des Prüflings zu keinem Zeitpunkt stabil ist und sich schnell ändert. Prüflinge deren Empfänglichkeit für Störsignale eine bestimmte Trägheit aufweisen, können dann auf schnell wechselnde Feldstärken eventuell nicht reagieren. Modenverwirbelungskammern bieten bei Störfestigkeitsprüfungen gegenüber den üblicherweise verwendeten Absorberhallen eine kostengünstige Alternative. In der Modenverwirbelungskammer bildet sich bei Störfestigkeitsprüfungen im Gegensatz zum näherungsweise ebenen Wellenfeld einer Absorberhalle, ein räumlich und zeitlich veränderliches elektromagnetisches Feld aus, das von allen Raumrichtungen und in allen Polarisationen auf den Prüfling einwirkt. Somit wird ohne aufwendige Prüfprozeduren der WorstCase ermittelt. Emissionsmessungen (s. a. Abschn. 7.2.2) in der Modenverwirbelungskammer unterscheiden sich grundlegend von Messungen in Absorberkammern. Während in letzteren üblicherweise Feldstärken gemessen werden, bestimmt man in Modenverwirbelungskammern die abgestrahlte Gesamtleistung eines Prüflings, die vielen Umgebungen besser gerecht wird als eine Feldstärkemessung. Dies gilt insbesondere für Umgebungen, deren Verhalten selbst dem eines Hohlraumresonator gleicht. Die diesem Resonator zugeführte Leistung kann zur Anregung der Eigenfrequenzen und multiplen Reflexionen führen und so ein extremes Störklima erzeugen, wobei die Abstrahlungsrichtung des Störers nicht mehr zwingend auf die Störsenke ausgerichtet sein muss. Beispiele dafür sind unter anderem gering ausgestattete Schaltschränke, wenig ausgekleidete Flugzeugrümpfe oder –rumpf-

226

5 Elektromagnetische Schirme

abschnitte, U-Boote, oder Operationssäle mit Bleimantel zum Schutz vor Gammastrahlung. Schirmdämpfungsmessungen sind in Modenverwirbelungskammern am einfachsten zu realisieren, da bei einer Einfügungsdämpfungsmessung Fehlanpassungen im Messaufbau nur von geringer Bedeutung sind und auch keine Kalibrierung der Messumgebung stattfinden muss. Die Messzeiten zur Bestimmung der Schirmdämpfung in der Modenverwirbelungskammer liegen erheblich unter denen, die Absorberkammern benötigt wird. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass das aufwendige Drehen der Prüflinge und Mehrfachmessungen mit unterschiedlichen Prüflingsausrichtungen und Antennenpolarisationen entfällt. Bild 5.17 zeigt einen Messaufbau zur Schirmdämpfungsmessung in einer Modenverwirbelungskammer.

Bild 5.17: Innenraum einer Modenverwirbelungskammer mit Aufbau zur Schirmdämpfungsmessung (Institut für Elektroenergiesysteme und Hochspannungstechnik, Universität Karlsruhe).

227

5.7 Geschirmte Räume für messtechnische Anwendungen

Bild 5.18 zeigt den Vergleich der Ergebnisse zweier Schirmdämpfungsmessungen eines Gehäuses in einer Modenverwirbelungskammer und einer Absorberhalle. dB 120 SD in Modenverwirbelungskammer Minimum der SD in Absorberkammer Mittlere Schirmdämpfung in Absorberkammer Maximum der Schirmdämpfung in Absorberkammer

100 80 60 40 20 0 -20 300

400

500

600

700

800

900

1000

Frequenz / MHz

Bild 5.18: Vergleich der elektrischen Schirmdämpfung, ermittelt in der MVK und der Absorberkammer. (Messinggehäuse mit 250 mm Schlitzblende).

Während in der Absorberkammer je nach Gehäuseausrichtung unterschiedliche Dämpfungswerte ermittelt werden, liefern die Ergebnisse der Modenverwirbelungskammer eine oberflächengemittelte Schirmdämpfung, die einer Mittelung aller Absorberkammer-Messergebnisse über sechs Gehäuseausrichtungen entspräche [7.34]. Aufgrund ihrer Kompaktheit ist eine Modenverwirbelungskammer eine ideale Prüfumgebung mit geringem Platzbedarf. Komplexe Systeme können problemlos in die Kammer eingebracht werden, da das elektromagnetische Feld innerhalb des definierten Prüfvolumens überall gleichen statistischen Bedingungen gehorcht. Allerdings bedarf es zum Betrieb einer Modenverwirbelungskammer einer sehr komplexen Software, die auch das PostProcessing der Daten übernimmt. Die Modenverwirbelungskammer ist eine wirtschaftliche Alternative zu EMV-Prüfungen in Absorberkammern und zeichnet sich durch geringere Investitionskosten, geringe Brandlast, hohe Messdynamik und hohe Reproduzierbarkeit bei zum Teil schnelleren Gesamtmesszeiten aus.

228

5.7.3

5 Elektromagnetische Schirme

TEM-Messzellen

TEM-Zellen sind rechteckförmig aufgeweitete Koaxialleitungen zur Erzeugung transversaler elektromagnetischer (TEM) Wellen definierter Stärke für EMV-Störfestigkeitsuntersuchungen. Sie lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen auch für Emissionsmessungen einsetzen, werden jedoch überwiegend für Suszeptibilitätsmessungen und Kalibrierung von Messsonden eingesetzt (s. a. Abschn. 8.2.1.1) [8.19–8.23]. TEM-Zellen gehen an beiden oder auch nur an einem Ende in koaxiale Kabelsysteme gleichen Wellenwiderstands (meist 50 Ω ) über, Bild 5.19.

2w

Z0

g

d 2a

Bild 5.19: Klassische TEM-Messzelle (Crawford-Zelle [8.19]).

Das Querschnittverhältnis von Außen- und Innenleiter längs der Ausbreitungsrichtung wird wie bei offenen Wellenleitern so gewählt, dass der Wellenwiderstand konstant bleibt. Unter der Voraussetzung g w berechnet sich der Wellenwiderstand einer TEM-Messzelle gemäß [8.23] näherungsweise zu Z0 ≈

377 πg ⎞ ⎞ ⎛a 2 ⎛ 4 ⎜ − ln ⎜ sin h ⎟⎟ b 2b π ⎝ ⎠⎠ ⎝

Ω

.

(5-31)

Die optimale wellenwiderstandsgerechte Ausbildung der konischen Übergangsstücke und des Abschlusswiderstands ermittelt man mit Hilfe der Zeitbereichsreflektometrie (engl.: TDR, Time-Domain Reflectometry). Unterhalb der Grenzfrequenz für die Existenz des ersten TE-Modes (TransversalElektrische Welle mit EZ = 0 und HZ ≠ 0 , s. a. [7.21 u. 7.23]), fTE10 = c0 / 4a

(c0 : Lichtgeschwindigkeit)

,

(5-32)

229

5.7 Geschirmte Räume für messtechnische Anwendungen

lässt sich die elektrische Feldstärke im zentralen Innenbereich wie bei der Parallelplattenleitung näherungsweise aus E=

U d

(5-33)

ermitteln, worin U die Ausgangsspannung des Senders und d der Abstand zwischen Außen- und Innenleiter (Septum) ist. Die nutzbare Höhe liegt etwa bei einem Drittel des Plattenabstands. Im TEM Frequenzbereich lässt sich auch die Feldverteilung mit einem elektrostatischen Feldberechnungsprogramm ermitteln, was jedoch wenig hilfreich ist, da sich bei Zutreffen der TEM Voraussetzung die Feldstärke bereits aus (5-33) berechnen lässt und bei Nichtzutreffen auch der elektrostatische Code falsche Ergebnisse liefert. Die räumliche E-Feldverteilung, insbesondere in Wandnähe, wird messtechnisch mit E-Feld Sonden erfasst. Leitungsgeführte, elektromagnetische Wellen erzeugen an Diskontinuitäten, z. B. dem Übergang von der konischen Einspeisung in den quaderförmigen Mittelteil einer TEM-Zelle, Elementarwellen, die sich dem ursprünglichen Wellenfeld überlagern und dessen TEM-Charakter stören, Bild 5.20.

Z0

Bild 5.20: Störung des TEM-Modus in TEM-Zellen.

Um diesen Nachteil zu umgehen, verwendet man heutzutage fast ausschließlich so genannte GTEM-Zellen (s. Abschn. 5.7.4).

5.7.4

GTEM-Zellen

GTEM-Zellen (Gigahertz-TEM-Zellen) entsprechen quasi einer TEM-Zelle, die auf das pyramidenförmige Einspeiseteil beschränkt ist. Am Ende der

230

5 Elektromagnetische Schirme

Zelle sind Pyramidenabsorber angebracht und der Innenleiter wird mit 50 Ohm wellenwiderstandsgerecht abgeschlossen, Bild 5.21.

Hochfrequenzabsorber Widerstandsnetzwerk Kurzschlußwand Generator oder Empfänger

Ri = Z0

Koaxialer Anschluß

E-Feldlinien

Prüfvolumen

Bild 5.21: Schematischer Aufbau einer GTEM-Zelle.

Es tritt so nur eine hinlaufende Welle auf. GTEM-Zellen werden sowohl für Störfestigkeitsprüfungen (s. Kap. 8) als auch für Emissionsmessungen eingesetzt (s. Kap. 7). Aufgrund ihrer Größe sind sie jedoch nur für kleine bis mittelgroße Prüflinge geeignet (max. Prüfvolumina betragen derzeit 2 m³). Damit genügend Platz zum Einbringen von Testgeräten zur Verfügung steht, ist der Innenleiter nicht zentriert angebracht. An der spitzen Seite der GTEM-Zelle befinden sich die Anschlüsse, mit deren Hilfe zum einen ein Störfeld in die Zelle eingebracht werden kann, zum anderen kann über diesen Anschluss das Störsignal eines Testgerätes abgegriffen werden. Die Außenseiten der GTEM-Zelle werden aus einem sehr gut leitenden Material gefertigt, das sicherstellt, dass weder störende Felder aus der Innenseite der Zelle nach außen gelangen noch umgekehrt. So kann die GTEM-Zelle in normalen Räumen betrieben werden, ohne auf eine besondere Ausstattung dieser Laborräume achten zu müssen. Der wellenwiderstandsgerechte Abschluss zwischen Septum und Außenleiter besteht für mittlere Frequenzen aus einer Reihen- und Parallelschaltung konzentrierter Widerstände Z0 . Da ein perfekter Abschluss mit konzentrierten

5.7 Geschirmte Räume für messtechnische Anwendungen

231

Bauelementen nicht möglich ist, ordnet man vor dem Abschlussnetzwerk eine Absorberwand an, die bei höheren Frequenzen auftretende Reflexionen stark reduziert und damit den trichterförmigen Wellenleiter wie eine unendlich lange Kegelleitung ohne merkliche Reflexionen erscheinen lässt. Die GTEM-Zelle hat sich wegen ihrer klaren Feldverhältnisse bei Störfestigkeitsprüfungen sehr gut bewährt. Bei Emissionsmessungen werden die in einem Raumwinkel von 360 Grad abgestrahlten Emissionen an den Wänden des trichterförmigen Wellenleiters mehrfach reflektiert bzw. auch absorbiert, was zu zahlreichen vagabundierenden Wellenfronten führt. Das üblicherweise in der Antennentheorie gültige Reziprozitätsgesetz wird dann sehr fragwürdig, weswegen auch ein eindeutiger Antennenfaktor nicht mehr angegeben werden kann. Mit entsprechend hohem, mehrfachem Messaufwand, beispielsweise Vermessung des Messobjekts in mehreren Achsen, kann rechnerisch dennoch ein aussagekräftiger Messwert für Emissionen abgeleitet werden. Diese Art der Messung ergibt dann ähnlich der Messung der Emission in Modenverwirbelungskammern die abgestrahlte Gesamtleistung des Messobjekts. Umfassende Detailinformationen über GTEM-Zellen findet sich im Literaturverzeichnis [8.21, 8.30–8.33, 8.37].

6

Theorie elektromagnetischer Schirme

Die analytische Berechnung der Schirmwirkung elektromagnetischer Schirme verlangt das Lösen der Maxwellschen Gleichungen für die Gebiete innerhalb und außerhalb eines Schirms sowie in der Schirmwand selbst. Als Lösungen erhält man die Größen E i , E a und H i , H a , die zueinander in Beziehung gesetzt auf den Schirmfaktor bzw. die Schirmdämpfung führen. Diese Vorgehensweise ermöglicht ein über die bekannten Faustformeln hinausgehendes tieferes Verständnis der Wirkungsweise elektromagnetischer Schirme und macht die individuelle Wirkung eines Schirms einer genauen quantitativen Erfassung zugänglich. Die Methode ist jedoch mathematisch sehr anspruchsvoll und hat deswegen in der Vergangenheit noch nicht die gewünschte Verbreitung gefunden. Das Problem bei der analytischen Schirmberechnung beruht im Wesentlichen auf Schirminhomogenitäten wie Öffnungen, Dichtungen, Durchführungen, etc. Außerdem wird bei komplexeren Geometrien, die von einfachen Zylindern, Kugeln oder Quadern abweichen, die Lösung der notwendigen Gleichungssysteme zu aufwendig. Man bedient sich hier numerischen Verfahren auf die hierin diesem Kapitel jedoch nicht eingegangen werden soll. Im Folgenden wird an Hand einiger Beispiele steigender Komplexität – Zylinderschirm im quasistatischen magnetischen Störfeld H a ohne Rückwirkung auf den Außenraum, – Zylinderschirm im quasistatischen magnetischen Störfeld H a mit Berücksichtigung der Rückwirkung auf den Außenraum, – Zylinderschirm im elektromagnetischen Wellenfeld (mit reflektierter elektromagnetischer Welle),

234

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

versucht, den Leser in die grundsätzliche Vorgehensweise der analytischen Schirmberechnung einzuführen und ihm die Wege zur Lektüre der umfangreichen diesbezüglichen Literatur zu ebnen [6.8–6.13, B1, B18]. Für Leser, die eine schnelle Lösung suchen, wird im zweiten Teil dieses Kapitels auch das Impedanzkonzept vorgestellt, das auf einer Analogie zur Wanderwellentheorie beruht. Schließlich sei noch erwähnt, dass in beschränktem Umfang auch eine Schirmberechnung mit Hilfe von Netzwerkmodellen möglich ist [6.25, 6.26]. Große, komplexe Strukturen, beispielsweise Flugzeugrümpfe, werden hauptsächlich numerisch behandelt (siehe Abschn. 3.8).

6.1

Analytische Schirmberechnung

6.1.1

Theoretische Grundlagen

Die räumliche Verteilung der komplexen Amplituden der magnetischen Feldstärke H(x, y,z) und der elektrischen Feldstärke E(x, y,z) einer elektromagnetischen Welle wird durch die beiden folgenden partiellen Differentialgleichungen beschrieben [B18]. ΔH = jωσμH + ( jω) εμH 2

deren Laplace-Operatoren auf den Koordinaten folgende Bedeutung haben,

ΔH =

∂ 2H ∂x 2

+

∂ 2H ∂y 2

+

∂ 2H ∂z2

ΔE = jωσμE + ( jω) εμE 2

linken

ΔE =

∂ 2E ∂x 2

Seiten

in

∂ 2E

∂ 2E

+

∂y 2

+

∂z2

,

(6-1)

kartesischen

.

(6-2)

Die Differentialgleichungen (6-1) sind für den Außenraum (Index „a“), den Innenraum (Index „i“) und die Schirmwand (Index „s“) zu lösen, Bild 6.1. Dabei wird das Feld in der Schirmwand unterschieden in das zur Außenseite (Index „sa“) und zur Innenseite (Index „si“) bezogene Gebiet. Der Index„t“ bezeichnet die Tangentialkomponente des Felds.

6.1 Analytische Schirmberechnung

t Ea E st i

235

t außen (σ= 0) H a

E st Schirmwand (σ=0) H st a a E it

innen (σ= 0)

H st

i

H it

Bild 6.1: Integrationsgebiete der Gleichungen (6-1) und deren Ränder. Stetige Tangentialkomponenten der elektrischen und magnetischen Feldstärke an den Grenzflächen, s. (6-7).

Da im Luftraum innerhalb und außerhalb des Schirms σ = 0 gilt und in der Schirmwand σ jωε gesetzt werden kann (das heißt der Verschiebungsstrom ist gegenüber dem Leitungsstrom zu vernachlässigen), lassen sich die Gleichungen (6-1) derart vereinfachen, dass auf ihrer rechten Seite jeweils ein Term entfällt. Außen- und Innenraum, σ = 0 : ΔH = ( jω) εμH 2

bzw.

ΔE = ( jω) εμE 2

,

(6-3)

und mit der Wellenzahl k0 bzw. ihrem Quadrat k 02 = ω2 εμ ,

ΔH = − k02 H

ΔE = −k 20 E

.

(6-4)

Diese Gleichungen sind vom Typ der Wellengleichung. Sie beschreiben die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen im verlustfreien Raum.

236

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Schirmwand, σ

jωε :

ΔH = jωσμH

bzw.

ΔE = jωσμE

,

(6-5)

und mit der Wirbelstromkonstante k bzw. ihrem Quadrat k 2 = jωσμ ,

ΔH = k 2 H

ΔE = k 2 E

.

(6-6)

Diese Gleichungen sind vom Typ der Stromverdrängungsgleichung (Diffusionsgleichung, Wärmeleitungsgleichung). Sie beschreiben das räumlich zeitliche Verhalten quasistatischer elektrischer und magnetischer Felder in Leitern. Beschränken wir uns zunächst auf quasistatische Felder, reduziert sich die Schirmberechnung auf die Ermittlung des Verhältnisses der magnetischen Feldstärken H a und H i . (Die Schirmwirkung gegen quasistatische elektrische Felder ist praktisch beliebig hoch). Da in quasistatischen Feldern der Wellencharakter des Feldes (das heißt das Magnetfeld des Verschiebungsstroms) vernachlässigt werden kann, dürfen wir in allen drei Gebieten mit den Diffusionsgleichungen (6-6) rechnen. Bei der Lösung (Integration) der Feldgleichungen (6-4) und (6-6) entstehen, wie bei der Lösung eines unbestimmten Integrals, Integrationskonstanten bzw. -funktionen, die aus den Randbedingungen an der inneren und äußeren Schirmwand sowie aus der Anregung (Störfeld) ermittelt werden müssen. Für die Grenzflächen zwischen dem Störquellenraum, dem geschirmten Raum und der Schirmwand, Bild 6.1, gelten für Tangentialkomponenten der Feldstärken folgende Randbedingungen, E -Feld

H -Feld

Eat = Est a

Hat = Hst a

Eit = Est i

Hit = Hst i (6-7)

6.1 Analytische Schirmberechnung

237

wobei die Tangentialfeldstärken Est und Hat an der inneren und äußeren Oberfläche des Schirms natürlich verschieden sind (zusätzlicher Index „a“ bzw. „i“). Im Gegensatz zu gewöhnlichen Randwertproblemen sind in der analytischen Schirmberechnung nicht explizite Werte auf den Rändern gegeben, sondern Relationen zwischen den Randwerten auf beiden Seiten eines Randes (Stetigkeitsbedingungen gemäß (6-7)). Dies macht bei der Bestimmung der Integrationskonstanten ein etwas ungewöhnliches Vorgehen erforderlich, worauf in den folgenden Beispielen noch ausführlich eingegangen wird.

6.1.2

Zylinderschirm im longitudinalen Feld

Ein Zylinderschirm sei einem parallel zur Achse verlaufenden quasistatischen Magnetfeld ausgesetzt, Bild 6.2. z

Hi

Ha

Es

d ro Bild 6.2: Zylinderschirm im longitudinalen H-Feld.

Ha

Ei

Das mit dem äußeren Magnetfeld H a (Störfeld) verknüpfte elektrische Wirbelfeld E a [B18] bewirkt gemäß J = σE in der leitenden Schirmwand Kreisströme, die ihrerseits ein longitudinales Rückwirkungsfeld H R erzeugen (nicht eingezeichnet), das dem erregenden Feld entgegengerichtet ist. Übrig bleibt im Innenraum das geschwächte Nettofeld H i = H a − H R , i m Außen-

238

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

raum herrscht unverändert H a (s. unten). Wir interessieren uns nur für den Schirmfaktor Q = H i / H a und betrachten der Reihe nach den Außenraum, den Innenraum und die Schirmwand in einem Zylinder-Koordinatensystem. Zur Vereinfachung der Schreibweise verwenden wir ab hier innerhalb einer Berechnung nur noch Komponentenvektoren (kein Fettdruck; Ausnahme: Mehrdimensionale Vektoren in Definitionsgleichungen, oder wenn noch nicht feststeht, dass es sich um einen Komponentenvektor handelt). Weiter verzichten wir künftig auf den Querstrich zur Kennzeichnung der Größen als komplexe Amplituden.

Magnetische Feldstärke im Außen- und Innenraum sowie in der Schirmwand:

Außenraum ( r > (r0 + d); s = 0; k = 0 ) : Im Außenraum gilt mit und ohne Schirm H(r, ϕ,z) = Hz = Ha . Das Rückwirkungsfeld H R macht sich bei der vorliegenden Geometrie im Außenraum nicht bemerkbar, weil der aus den Rohrenden austretende Rückwirkungsfluss sich über den unendlich großen Querschnitt des Außenraums schließt. Das bedeutet, dass seine Flussdichte B R außerhalb des Schirms vernachlässigbar klein ist und damit auch gilt H Ra =

1 R Ba ≈ 0 μ0

.

(6-8)

Falls diese Aussage nicht sofort aus der Anschauung gewonnen werden kann, muss im Außenraum die Diffusionsgleichung ΔH a = k 2 H a gelöst werden, die sich noch wegen σ = 0 vereinfacht zu ΔH a = 0 . Da wir a priori nur quasistatische Magnetfelder betrachten, gilt die Diffusionsgleichung auch im Außenraum. Erst bei der Annahme eines störenden elektromagnetischen Wellenfeldes müsste im Außenraum die Wellengleichung herangezogen werden (s. Abschn. 6.1.4). Innenraum ( r < r0 ; σ = 0; k = 0 ) : In Zylinderkoordinaten lautet die Diffusionsgleichung (6-6) für die z-Komponente der magnetischen Feldstärke

6.1 Analytische Schirmberechnung

239

1 ∂ ⎛ ∂Hi ⎞ 1 ⎛ ∂ 2 Hi ⎜r ⎟+ ⎜ r ∂r ⎝ ∂r ⎠ r 2 ⎜⎝ ∂ϕ2

⎞ ∂ 2 Hi = k 2 Hi ⎟⎟ + 2 ⎠ ∂z

.

(6-9)

Impliziert man, dass Hi aus Symmetriegründen weder von j noch von z abhängt, entfallen die letzten beiden Terme auf der linken Seite und wegen σ = 0 bzw. k = 0 auch die rechte Seite der Gleichung. Die Diffusionsgleichung vereinfacht sich dadurch zur eindimensionalen Laplace-Gleichung in Zylinderkoordinaten, ΔHi =

1 d ⎛ dHi ⎜r r dr ⎝ dr

⎞ ⎟=0 ⎠

.

(6-10)

Zweimalige Integration führt zunächst auf dHi Ci = dr r

und schließlich auf Hi = C1 ln r + C2

.

(6-11)

Da das Feld bei r = 0 nicht unendlich werden kann, muss C1 = 0 sein. Hieraus folgt sofort Hi (r) = C2 = const.

.

(6-12)

Die magnetische Feldstärke im Innern ist also konstant, ihr Wert ist aber noch unbekannt. Um diese zu bestimmen ermitteln wir die magnetischen Feldstärken an der inneren und äußeren Schirmwand. Schirmwand ( r0 ≤ r ≤ (r0 + d); σ > 0; k ≠ 0 ) : Für den Feldverlauf in der metallischen Wand gehen wir wieder von der Gl. (6-9) aus, für k ≠ 0 . Aus Symmetriegründen vereinfacht sich diese jedoch zu: ΔHs =

1 d ⎛ dHs ⎜r r dr ⎝ dr

⎞ 2 ⎟ = k Hs . ⎠

Diese Differentialgleichung hat Zylinderfunktionen als Lösungen.

(6-13)

240

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Um die Lösung unseres Problems zu erleichtern, beschränken wir uns auf dünnwandige Schirme (r0 d) , wodurch das zylindrische Problem bezüglich der Abhängigkeit von r in ein ebenes eindimensionales Problem übergeht. Aus der eindimensionalen Diffusionsgleichung in Zylinderkoordinaten wird dann die eindimensionale Diffusionsgleichung in kartesischen Koordinaten, wobei wir aber statt x weiterhin r schreiben. d 2 Hs dr 2

= k 2 Hs

.

(6-14)

Diese Gleichung besitzt die allgemeine Lösung Hs (r) = Aekr + Be− kr

.

(6-15)

Versuchen wir die Integrationskonstanten durch Einsetzen der Randbedingungen zu ermitteln und berücksichtigen die Stetigkeitsbedingungen Hit = Hst i und Hat = Hst a an den Stellen r0 und r0 + d , erhalten wir

Hs (r0 ) = Hi = Aekr0 + Be− kr0

(6-16) und Hs (r0 + d) = Ha = Aek(r0 + d) + Be− k(r0 + d)

.

(6-17)

Somit hätten wir zwei Gleichungen, aus denen die beiden Unbekannten A und B wie gewohnt ermittelt werden könnten, wäre nur Hi bereits bekannt.

Um schließlich eine weitere Gleichung für die dritte Unbekannte Hi zu erhalten, ermitteln wir die elektrische Feldstärke im Innenraum und in der Schirmwand und setzen deren Tangentialkomponenten an der Grenzfläche Innenraum/Schirmwand einander gleich.

6.1 Analytische Schirmberechnung

241

Elektrische Feldstärke im Innenraum und in der Schirmwand:

Innenraum: Wir gehen aus vom Induktionsgesetz in Differentialform rotE i = − jωB i = − jωμ0 H i

.

(6-18)

Da E i nur eine Eϕ (r) -Komponente besitzt ( Ez = 0, E r = 0 ), bleibt von der Definition der Wirbeldichte rotE i in Zylinderkoordinaten, ⎛ 1 ∂Ez ∂Eϕ ⎞ ∂E r ⎞ 1⎛ ∂ ⎛ ∂E r ∂Ez ⎞ rotE i = ⎜ − − ⎟ar + ⎜ ⎟az ⎟ a ϕ + ⎜ (rE ϕ ) − r ⎝ ∂r ∂z ⎠ ∂r ⎠ ∂ϕ ⎠ ⎝ ∂z ⎝ r ∂ϕ

, (6-19)

nur der Term 1 d (rE ϕ )a z r dr

(6-20)

übrig. So ist auch erklärt, warum H i nur eine Komponente in z-Richtung besitzt. Hiermit vereinfacht sich das Induktionsgesetz (6-18) zu 1 d (rE ϕ ) = − jωμ0 Hi r dr

(6-21)

bzw. zu d(rEϕ ) = − jωμ0 Hi rdr

.

(6-22)

Beidseitige Integration und Kürzen durch r ergibt Eϕ = − jωμ0 Hi

μ k2 r =− 0 Hi r 2 2μ σ

,

(6-23)

mit k 2 = jωσμ , bzw. an der Grenzfläche Innenraum/Schirm Eϕ (r0 ) = Ei (r0 ) = −

μ0 k 2 Hi r0 2μ σ

.

(6-24)

242

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Schirmwand: Wir gehen aus vom Durchflutungsgesetz in Differentialform rotH s = σE s

.

(6-25)

Da H s nur eine Komponente Hz (r) besitzt, das heißt Hs = Hz (r) , Hϕ = 0 , Hr = 0 , bleibt von der Definition der Wirbeldichte rotH s in Zylinderkoordinaten, ⎛ 1 ∂Hz ∂Hϕ ⎞ ⎛ ∂H r ∂Hz rotH s = ⎜ − − ⎟ar + ⎜ ∂z ⎠ ∂r ⎝ ∂z ⎝ r ∂ϕ

nur der Term −

∂H r 1⎛ ∂ ⎞ ⎟ a ϕ + ⎜ (rHϕ ) − r ⎝ ∂r ∂ϕ ⎠

∂Hz aϕ ∂r

⎞ (6-26) ⎟az ⎠ ,

(6-27)

übrig. Hiermit vereinfacht sich das Durchflutungsgesetz (6-25) zu −

dHz = σEs dr

.

(6-28)

Differenzieren wir Gleichung (6-15) nach r dHs dHz = kAekr − kBe− kr = dr dr

(6-29)

und setzen das Ergebnis in Gleichung (6-28) ein, erhalten wir Es = −

(

1 dHz k = − Aekr − Be− kr σ dr σ

)

,

(6-30)

bzw. an der Grenzfläche Innenraum/Schirm Es (r0 ) = −

(

k Aekr0 − Be− kr0 σ

)

.

(6-31)

6.1 Analytische Schirmberechnung

243

Jetzt setzen wir die beiden Tangentialkomponenten (6-24) und (6-31) einander gleich (Stetigkeit der Tangentialkomponenten E it = Est i ) −

μ0 k 2 k Hi r0 = − Aekr0 − Be− kr0 2μ σ σ

und erhalten mit K = k

(

)

μ0 r0 μ 1 KHi = Aekr0 − Be− kr0 2

.

(6-32)

Mit den Gleichungen (6-16), (6-17) und (6-32) stehen uns nun drei Gleichungen für die drei Unbekannten Hi , A und B zur Verfügung.

Löst man die beiden Gleichungen (6-16) und (6-32) nach A und B auf und setzt in Gleichung (6-17) ein, erhält man für die Feldstärke im Innenraum

Hi =

Ha 1 cosh(kd) + K sinh(kd) 2

,

(6-33)

bzw. für den Schirmfaktor

Q=

Hi 1 = Ha cosh(kd) + 1 K sinh(kd) 2

und die Schirmdämpfung a s = 20 log

,

(6-34)

.

(6-35)

1 Q

a s = 20 lg cosh(kd) +

1 K sinh(kd) 2

244

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Mit k 2 = jωμσ folgt für ω → ∞ : k → ∞ und

Hi = 0

ω→ 0: k → 0

H i = Ha

und

.

Dass für ω → 0 auch bei einem ferromagnetischen Rohr die Schirmdämpfung as exakt Null ist, liegt in der Orientierung des Störfelds relativ zum Rohr sowie in der Tatsache begründet, dass das Rohr an beiden Enden offen angenommen wurde.

6.1.3

Zylinderschirm im transversalen Feld

Ein Zylinderschirm sei in ein transversal zur z-Achse orientiertes, homogenes Feld H a getaucht, Bild 6.3.

y Ha

Hi

Ez z

ro

ϕ x

d

Bild 6.3: Zylinderschirm im transversalen H-Feld.

Hier tritt eine neue Problemqualität auf: Um ein transversales Feld kompensieren zu können, braucht man einen axialen, in z-Richtung fließenden Strom (rechte Hand-Regel) bzw. eine axiale Feldstärke Ez = E . Im Gegensatz zum vorigen Beispiel erzeugt dieser Strom auch im Außenraum ein Magnetfeld H R , das sich dem ursprünglichen Feld H a überlagert. Man kann also im Gebiet „a“ nicht mehr von einem homogenen, konstanten Feld ausgehen! Die Ermittlung der Feldstärkeverteilung im Gebiet „a“ gestaltet sich erheblich aufwendiger.

6.1 Analytische Schirmberechnung

245

Magnetische Feldstärke:

Außenraum ( r > (r0 + d); σ = 0; k = 0 ) : Im gewählten Koordinatensystem besitzt die magnetische Feldstärke im Außenraum zwei Komponenten Hr und Hi ; Hz = 0 . Anstatt die räumlich zweidimensionale Laplace-Gleichung zu lösen, ermitteln wir zunächst die dem Magnetfeld über H = gradϕm zugeordnete Potentialfunktion ϕm (s. B18), aus der wir anschließend durch schlichte Differentiation die beiden Komponenten Hi und Hr berechnen können. Das magnetische Potentialfeld ϕm im Außenraum ist eine Überlagerung des Potentialfelds ϕa des ursprünglichen Felds Ha und des Potentialfelds ϕR des magnetischen Rückwirkungsfelds HR , ϕm = ϕa + ϕR

(6-36)

.

Zur Ermittlung von ϕm lösen wir die Laplace-Gleichung des magnetischen Skalarpotentials in Zylinderkoordinaten Δϕm =

1 ∂ ⎛ ∂ϕm ⎜r r ∂r ⎝ ∂r

2 2 ⎞ 1 ∂ ϕm ∂ ϕm + + =0 ⎟ ∂z2 ⎠ r 2 ∂ϕ2

.

(6-37)

Da ϕm in z-Richtung konstant ist, vereinfacht sich (6-37) zu Δϕm =

1 ∂ ⎛ ∂ϕm ⎜r r ∂r ⎝ ∂r

2 ⎞ 1 ∂ ϕm + =0 ⎟ ⎠ r 2 ∂ϕ2

.

(6-38)

Jetzt differenzieren wir noch den ersten Term nach der Produktregel und erhalten Δϕm =

∂ 2 ϕm ∂r 2

+

1 ∂ϕm 1 ∂ 2 ϕm + 2 =0 r ∂r r ∂ϕ2

.

(6-39)

Diese partielle Differentialgleichung lösen wir durch Produktansatz. Wir wissen, dass ϕm in großer Entfernung vom Schirm mit ϕa übereinstimmen muss, das heißt lim ϕm = ϕa = Ha y

r →∞

.

(6-40)

246

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Drückt man y durch Zylinderkoordinaten aus, das heißt y = r sin ϕ , dann wird es in Schirmnähe eine Funktion f(r) = Ha r geben, nahe gelegt durch ϕm = f(r)sin ϕ

.

(6-41)

Diesen Lösungsansatz setzen wir in die partielle Differentialgleichung (6-39) ein, 1 1 f ''(r)sin ϕ + f '(r)sin ϕ − 1 2 f(r)sin ϕ = 0 r r

,

(6-42)

dividieren durch sin ϕ und erhalten eine gewöhnliche Differentialgleichung 2. Ordnung in r, 1 1 f ''(r) + f '(r) − 2 f(r) = 0 r r

.

(6-43)

Dieser Differentialgleichungstyp hat bekanntlich zwei Lösungen f1 = C1 r

und

f2 =

C2 r

.

(6-44)

Ein Koeffizientenvergleich mit (6-41) liefert für r → ∞ C1 = Ha

.

(6-45)

Die Konstante C2 stellen wir als Produkt dar, C2 = Ha (r0 + d)2 R

,

(6-46)

in dem Ha (r0 + d)2 durch r dividiert, die Potentialfunktion des Rückwirkungsfelds eines Liniendipols ist, gebildet aus den in positiver und negativer z-Richtung fließenden Strömen in beiden Rohrhälften. R ist ein dimensionsloser Skalierungsfaktor, so dass C2 / r die gleiche Dimension besitzt wie C1 r , das heißt die des magnetischen Skalarpotentials. Damit erhalten wir 1 ⎛ ⎞ ϕm = (f1 + f2 )sin ϕ = ⎜ Ha r + Ha (r0 + d)2 R ⎟ sin ϕ r ⎝ ⎠

bzw.

(6-47)

6.1 Analytische Schirmberechnung

247

⎛ (r + d)2 R ⎞ ϕm = H a ⎜ r + 0 ⎟⎟ sin ϕ ⎜ r ⎝ ⎠

.

(6-48)

Der Term Ha (r0 + d)2 / r beschreibt die Struktur des Rückwirkungsfelds (Potentialfeld eines Liniendipols), der Faktor R seine Stärke (Funktion der Schirmabmessungen und des Schirmmaterials). Aus (6-48) folgen durch Gradientbildung, H = gradϕm ,

Hr =

⎛ (r + d)2 R ⎞ ∂ϕm = Ha ⎜ 1 − 0 2 ⎟⎟ sin ϕ ⎜ ∂r r ⎝ ⎠

Hϕ =

⎛ (r + d)2 R ⎞ ∂ϕm = Ha ⎜ 1 + 0 2 ⎟⎟ cos ϕ ⎜ r∂ϕ r ⎝ ⎠

(6-49)

und .

(6-50)

In diesen Gleichungen steckt nach wie vor noch die unbekannte Integrationskonstante C2 (verborgen in R). Diese muss noch aus den Stetigkeitsbedingungen ermittelt werden.

Innenraum (r < r0 ; σ = 0; k = 0) : Die Lösung der Laplace-Gleichung für den Innenraum führt auf nahezu die gleichen Terme wie im Außenraum, (6-49) und (6-50), wobei jedoch Hi endlich bleiben muss. Das heißt, dass die durch r 2 dividierten Glieder verschwinden, Hr = Hi sin ϕ = QHa sin ϕ

,

(6-51)

Hϕ = Hi cos ϕ = QHa cos ϕ

.

(6-52)

Nun könnten wir zwar die Feldstärke im Außenraum zur Feldstärke im Innenraum in Beziehung setzen, der Schirmfaktor Q enthielte aber noch die Unbekannte R und implizierte sich selbst. Zur Lösung dieses Problems berechnen wir zunächst die elektrische Feldstärke in der Schirmwand, berechnen aus ihr über das Induktionsgesetz die magnetische Feldstärke und setzen

248

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

dann die Tangentialkomponenten der magnetischen Feldstärken an beiden Grenzflächen der Schirmwand einander gleich.

Schirmwand (r0 ≤ r ≤ (r0 + d); σ ≠ 0; k ≠ 0) : Elektrische Feldstärke:

Die elektrische Feldstärke besitzt nur eine Komponente in z-Richtung, das heißt E = Ez (r, ϕ) . Die Diffusionsgleichung vereinfacht sich daher wegen E r = 0 und Eϕ = 0 bei gleichzeitiger Differentiation wie Gl. (6-38) zu ∂ 2 Ez ∂r 2

+

1 ∂Ez 1 ∂ 2Ez + 2 = k 2 Ez r ∂r r ∂ϕ2

(6-53)

.

Ihre Lösung suchen wir wieder mit Hilfe eines Produktansatzes, der jedoch hier wegen der kosinusförmigen Verteilung von Ez über dem Rohrumfang ( Ez = 0 für ϕ = π / 2 ) gewählt wird zu Ez = g(r)cos ϕ

.

(6-54)

Diesen Lösungsansatz setzen wir in die partielle Differentialgleichung (6-53) ein, 1 1 g ''(r)cos ϕ + g '(r) cos ϕ − g(r) 2 cos ϕ = k 2 g(r)cos ϕ r r

,

(6-55)

dividieren durch cos ϕ und erhalten eine gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung in r, 1 1 g ''(r) + g '(r) − 2 g(r) = k 2 g(r) r r

.

(6-56)

Ihre Lösung führt auf Zylinderfunktionen, weswegen wir uns wieder auf das ebene Problem beschränken. Für r0 d (dünnwandige Schirme) verschwinden die Terme mit den Faktoren 1/ r und 1/ r 2 , da sie einen merklichen Beitrag nur in der Nähe der Zylinderachse leisten,

6.1 Analytische Schirmberechnung

249

g ''(r) − k 2 g(r) = 0

.

(6-57)

.

(6-58)

Gleichung (6-57) besitzt die allgemeine Lösung g = Aekr + Be− kr

Damit folgt die allgemeine Lösung der Feldstärke zu

(

)

Ez = Aekr + Be− kr cos ϕ

.

(6-59)

Magnetische Feldstärke:

Mit Hilfe des Induktionsgesetzes in Differentialform rotE = − jωμH können wir aus (6-59) die magnetische Feldstärke in der Schirmwand ermitteln. Für den Komponentenvektor rot r Ez der Rotation erhalten wir

∂Ez = − jωμHr . (6-60) r∂ϕ Wir differenzieren zunächst (6-59) nach ϕ , setzen in (6-60) ein und lösen nach Hr auf, rot r Ez =

Hr =

(

)

1 Aekr + Be− kr sin ϕ jωμr

.

(6-61)

Für den Komponentenvektor rot ϕEz erhalten wir rot ϕEz = −

∂Ez = − jωμHϕ ∂r

.

(6-62)

Wir differenzieren jetzt (6-59) nach r, setzen in (6-62) ein und lösen nach Hϕ auf, Hϕ =

(

)

k Aekr − Be− kr cos ϕ jωμ

.

(6-63)

Das Gleichsetzen der Tangentialkomponenten der magnetischen Feldstärke an der Innen- und Außenwand des Schirmes führt auf vier Gleichungen für die Unbekannten R, Q, A und B. Setzt man die Feldstärken im Außen- und

250

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Innenraum zueinander ins Verhältnis bzw. löst man nach Q auf, so erhält man Q=

Hi = Ha

1 1⎛ 1⎞ cosh(kd) + ⎜ K + ⎟ sinh(kd) 2⎝ K⎠

.

(6-64)

Löst man nach R auf, so ergibt sich 1⎛ 1⎞ ⎜ K − ⎟ sinh(kd) 2⎝ K⎠ R= 1⎛ 1⎞ cosh(kd) + ⎜ K + ⎟ sinh(kd) 2⎝ K⎠

.

(6-65)

Diskussion für μ r = 1 (unmagnetischer Schirm): Für hohe Frequenzen strebt 1/K gegen 0, so dass sich der gleiche Schirmfaktor ergibt wie beim Zylinder im longitudinalen Feld. Die Schirmwirkung für magnetostatische Felder ist wegen μ r = 1 eo ipso Null. Mit Hilfe des Rückwirkungsfaktors lässt sich zeigen, dass bei hohen Frequenzen Hr auf der äußeren Schirmoberfläche verschwindet, das Feld also tangential an der Schirmwand entlang läuft (faktisch vom Schirm weg in den Außenraum gedrängt wird).

Diskussion für μ r

1 (ferromagnetischer Schirm):

Wegen μ r 1 werden bei niedrigen Frequenzen bzw. f = 0 die magnetischen Feldlinien in der Schirmwand gebrochen (Brechungsgesetz), was jedoch nur bei dickwandigen Schirmen (s. a. Absch. 5.3) und kleinen Rohrdurchmessern zu einer merklichen magnetostatischen Schirmwirkung führt. Mit Hilfe des Rückwirkungsfaktors R lässt sich zeigen, dass das Magnetfeld bei r = r0 + d nur noch eine r-Komponente besitzt, die Feldlinien also rechtwinklig auf der Schirmwand münden. Bei hohen Frequenzen bzw. geringer Eindringtiefe ( δ d ) verschwindet dieser Effekt wieder und das Feld verläuft tangential zur Schirmoberfläche wie beim unmagnetischen Schirm auch [3.8].

6.1 Analytische Schirmberechnung

6.1.4

251

Zylinderschirm im elektromagnetischen Wellenfeld

Ein Zylinderschirm befindet sich in einem elektromagnetischen Wellenfeld (Fernfeld einer Antenne), die einfallende elektrische Feldstärke E E sei parallel zur Zylinderachse orientiert, Bild 6.4.

HE

rp

EE

P

y

ϕ r0 x z

Bild 6.4: Zylinderschirm ( m r = 1 ) im elektromagnetischen Wellenfeld E , H .

d

Während im bislang betrachteten quasistatischen Fall nur ein magnetisches Rückwirkungsfeld H R entstand (s. Abschn. 5.3.2 u. 6.1.3), tritt hier auch ein merkliches elektrisches Rückwirkungsfeld E R auf (s. Abschn. 5.4). Dank der Vernachlässigung des Verschiebungsstroms galt in den vorangegangenen Kapiteln im Innen- und Außenraum rotH = 0 , was uns erlaubte, die magnetischen Feldkomponenten Hr und Hi aus einem magnetischen Skalarpotential ϕm zu ermitteln. Hier gilt wegen der Berücksichtigung des Verschiebungsstroms rotH = − jωε0 E . Die Feldstärken im Innen- und Außenraum müssen daher jetzt für die einfallende und reflektierte Welle aus den Wellengleichungen ermittelt werden (s. Abschn. 6.1), ΔH = (jω)2 εμH

und

ΔE = (jω)2 εμE

(6-66)

ΔH = −k02 H

und

ΔE = −k 20 E

(6-67)

bzw. .

252

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Das Störfeld sei eine monochromatische ebene TEM-Welle mit den Wellengleichungen ΔH E + k02H E = 0

und

E E + k02E E = 0

,

(6-68)

die in einem kartesischen Koordinatensystem folgende Lösungen haben (ab hier verzichten wir wieder auf Fettdruck und Unterstreichen): HE = Ha e− jk0 x

und

EE = −Z0 Ha e− jk0 x

.

(6-69)

In (6-69) bedeuten Ha die Wellenamplitude der magnetischen Feldstärke in Abwesenheit des Schirms und Z0 = μ0 / ε0 den Feldwellenwiderstand des freien Raums; das Minuszeichen indiziert, dass positive E in die negative zRichtung weisen. Die Lösungen der Wellengleichungen (6-68) in kartesischen Koordinaten lauten in Polarkoordinaten HE = Ha e− jk0 r cos ϕ

und

EE = −Z0Ha e− jk0 r cos ϕ

.

(6-70)

Dies sind wohlgemerkt immer noch die Lösungen der Wellengleichung in kartesischen Koordinaten, lediglich in Polarkoordinaten dargestellt. Um die Stetigkeitsbedingungen an der Zylinderoberfläche ausschöpfen zu können, benötigen wir jedoch die Lösungen einer Wellengleichung in Zylinderkoordinaten, die sich bekanntlich als sog. Zylinderfunktionen ergeben [B1]. Beispielsweise erhält man für die elektrische Feldstärke nach Approximation des Exponentialfaktors durch eine Fourierreihe EE = −Z0 Ha e− jk0 x = −Z0 Ha e− jk0 r cos ϕ

bzw. ∞ ⎡ ⎤ EE = −Z0 ⋅ Ha ⎢ J0 (k 0 r) + 2 (− j)n Jn (k0 r)cos(nϕ)⎥ ⎢⎣ ⎥⎦ n =1



.

(6-71)

In dieser Gleichung sind Jn die Besselsche Funktionen n-ter Ordnung. Mit den Lösungsansätzen gemäß (6-71) berechnen wir zunächst die totalen Felder

6.1 Analytische Schirmberechnung

E = EE + ER

253

und

H = HE + HR

(6-72)

im Außenraum, hieraus die Felder in der Schirmwand und aus letzteren die Felder im Innenraum. In der Schirmwand ergänzen sich die einfallende und die reflektierte Feldstärke zu Null, das heißt EE + ER = 0 bzw. EE = −ER . Außenraum ( r > r0 ) : Die elektrische Feldstärke einer von einem Zylinder ausgestrahlten elektromagnetischen Welle, hier die reflektierte Welle ER , wird beschrieben durch ∞ ⎡ ⎤ (2) E = Z0 Ha ⎢ b0 H0 (k 0 r) + 2 ( − j)n bn H(2) n (k 0 r)cos(nϕ)⎥ ⎢⎣ ⎥⎦ n =1



R

.

(6-73)

Im Gegensatz zu (6-71) treten hier an Stelle der Besselschen Funktionen Jn die Hankelschen Funktionen zweiter Art H(2) auf, die speziell die Ausn strahlung einer Welle beschreiben. An der Schirmoberfläche, r = r0 , ergänzen sich bei einem guten Leiter einfallende und reflektierte Feldstärke zu 0, das heißt EE (r0 ) = −ER (r0 ) . Die noch unbekannten Koeffizienten erhalten wir durch Koeffizientenvergleich von (6-71) und (6-73) an der Stelle r = r0 . Hieraus folgt bn =

Jn (k 0 r0 ) H(2) n (k 0 r0 )

(6-74)

.

Setzen wir die Koeffizienten bn in (6-73) ein, können wir das resultierende Feld im Außenraum angeben, ⎡ J0 (k0 r0 ) (2) E = ER + EE = Z0 Ha ⎢ (2) H0 (k 0 r) − J0 (k 0 r) ⎢⎣ H0 (k0 r0 ) ∞

+2

∑(−j)

n

n =1

⎤ ⎧⎪ Jn (k 0 r0 ) (2) ⎫⎪ Hn (k 0 r) − Jn (k 0 r)⎬ cos(nϕ)⎥ ⎨ (2) ⎥⎦ ⎩⎪ Hn (k0 r0 ) ⎭⎪

.

(6-75)

Die magnetische Feldstärke im Außenraum ermitteln wir aus (6-75) mit Hilfe des Induktionsgesetzes. Da E nur eine Komponente in der z-Achse

254

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

besitzt, das heißt E = Ez (r, ϕ) , reduziert sich das Induktionsgesetz in Differentialform, rotE = − jωμ0 H , auf ∂E = jωμ0 Hϕ ∂r

und

∂E = − jωμ0 H r r∂ϕ

.

Damit erhalten wir Hϕ =

⎡ J0 (k 0 r0 ) (2)' 1 ∂E = jHa ⎢ J'0 (k 0 r) − (2) H0 (k 0 r) jωμ0 ∂r H0 (k 0 r0 ) ⎢⎣ ∞

+2

⎤ Jn (k 0 r0 ) (2)' ⎪⎧ ⎪⎫ ( − j)n ⎨ J'n (k 0 r) − (2) Hn (k 0 r)⎬ cos(nϕ)⎥ Hn (k0 r0 ) ⎥⎦ ⎩⎪ ⎭⎪ n =1



(6-76)

und 1 ∂E 2jHa = jωμ0 r ∂ϕ k0 r

Hr = −



∑ n(−j)

n

n =1

Jn (k 0 r0 ) (2) ⎪⎧ ⎪⎫ Hn (k0 r)⎬ sin(nϕ) . (6-77) ⋅ ⎨ Jn (k0 r) − (2) Hn (k0 r0 ) ⎩⎪ ⎭⎪

Das negative Vorzeichen des Induktionsgesetzes verschwindet wegen 1/ j = − j; Z0 / ωμ0 wurde durch k 0−1 ersetzt. Damit haben wir das resultierende Feld im Außenraum bezüglich der elektrischen Feldstärke, Gleichung (6-75), und der magnetischen Feldstärke, Gleichungen (6-76) und (6-77), vollständig beschrieben. Schirmwand ( r0 ≥ r ≥ (r0 − 2) ) : Ausgehend von (6-76) folgt die magnetische Tangentialfeldstärke an der Schirmoberfläche ( r = r0 ) zu

Hϕ =

⎡ J' (k r) ⋅ H(2) (k 0 r0 ) J0 (k 0 r0 ) (2)' 1 ∂E = jHa ⎢ 0 0 (2) 0 − (2) H0 (k 0 r) jωμ0 ∂r H0 (k 0 r0 ) H0 (k 0 r0 ) ⎢⎣ ∞

⎤ ⎧⎪ J' (k r) ⋅ H(2) (k0 r0 ) ⎫⎪ Jn (k 0 r0 ) (2)' ( − j)n ⎨ n 0 (2) 0 Hn (k 0 r)⎬ cos(nϕ)⎥ − (2) Hn (k0 r0 ) H0 (k 0 r0 ) ⎥⎦ ⎪⎩ ⎪⎭ n =1



+2

. (6-78)

6.1 Analytische Schirmberechnung

255

Da zwischen Hankel- und Besselfunktionen die Beziehung (2) H(2)' n J n − Hn J'n =

2 πjz

(6-79)

besteht, (hier z = k 0 r0 ), lässt sich Gl. (6-78) vereinfachen zu 2Ha Hϕ (r0 ) = − πk0 r0

∞ ⎡ ⎤ 1 1 cos(nϕ)⎥ + 2 ( − j)n (2) ⎢ (2) Hn (k 0 r0 ) ⎢⎣ Hn (k0 r0 ) ⎥⎦ n =1



.

(6-80)

Für r0 d dürfen wir die Schirmwand wieder als ebenes Problem auffassen. Wir erhalten innerhalb der Wand für Hi aus der Diffusionsgleichung ∂ 2 Hϕ ∂r 2

= k 2 Hϕ

(6-81)

und den Randbedingungen Hϕ (r0 ) gemäß Gl. (6-7) sowie Hϕ (r0 − d) = 0 Hϕ =

sinh ( k [(d − r0 ) + r ]) sinh ( kd )

Hϕ (r0 )

.

(6-82)

Das Durchflutungsgesetz rotH = J = σE erlaubt uns die Berechnung der elektrischen Feldstärke an der inneren Oberfläche aus Hi . Für Ez erhalten wir zunächst Ez =

1 ∂Hϕ 1 k cosh ( k [(d − r0 ) + r ]) = Hϕ (r0 ) σ ∂r σ sinh ( kd )

,

(6-83)

und an der Stelle (r0 − d) Ez = Ez (r0 − d) =

mit

jωμ0 r0 k Hϕ (r0 ) = QHϕ (r0 ) 2 σ sinh ( kd ) Q≈

2 kr0 sinh ( kd )

(6-84)

(für große d) .

Mit Hi (r0 ) gemäß (6-80) folgt hieraus ∞ ⎡ cos ( nϕ ) ⎤ j 1 Ez (r0 − d) = − QZ0Ha ⎢ (2) + 2 ( − j)n (2) ⎥ π H (k r ) ⎢⎣ H0 (k0 r0 ) ⎥⎦ n 0 0 n =1



.

(6-85)

256

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Als nächstes berechnen wir EZ im Innenraum und setzen das Ergebnis an der Stelle r0 − d mit (6-85) gleich. Innenraum ( r < (r0 − d) ) : Wie im Außenraum ist auch im Innenraum die elektrische Feldstärke Lösung der Wellengleichung ΔE + k 20 E = 0 (vergl. (6-71)), ∞

∑(− j) c J (k r)cos(nϕ)

E = c0 J0 (k0 r) + 2

n

n n

0

.

(6-86)

n =1

Mit Hilfe der Stetigkeitsbedingung und einem Koeffizientenvergleich mit (685) erhalten wir die unbekannten Koeffizienten cn zu cn = −

ϕQZ0 Ha πHn (k0 r0 )Jn (k0 r0 )

,

(6-87)

und die Feldstärke zu ∞ ⎡ ⎤ J (k r) J (k r) j Ei = − QZ0 Ha ⎢ (2) 0 0 cos(nϕ)⎥ . + 2 ( − j)n (2) n 0 π Hn (k0 r0 )Jn (k0 r0 ) ⎢⎣ H0 (k 0 r0 )J0 (k 0 r0 ) ⎥⎦ n =1



(6-88) Die magnetische Feldstärke im Innenraum berechnen wir aus Gl. (6-88) mit dem Induktionsgesetz und erhalten (mit Z0 = μ0 / ε0 ) Hϕ =

⎡ J' (k r) 1 ∂E j = − QHa ⎢ (2) 0 0 π jωμ0 ∂r ⎢⎣ H0 (k 0 r0 )J0 (k 0 r0 ) ∞



+2

n =1

( − j)n

⎤ cos(n ) ϕ ⎥ H(2) ⎥⎦ n (k 0 r0 )J n (k 0 r0 ) J'n (k0 r)

(6-89)

sowie Hr = −

2QHa 1 ∂E =− πk 0 r jωμ0 r ∂ϕ



∑ n(− j)

n

n =1

Jn (k0 r) sin(nϕ) (2) Hn (k 0 r0 )Jn (k 0 r0 )

. (6-90)

In der Zylinderachse zeigt die Feldstärke in y-Richtung, wir erhalten für

6.1 Analytische Schirmberechnung

257

j QHa π H1 J1

Hϕ (r = 0, ϕ = 0) =

(6-91)

und für Hϕ (r = 0) Ha

=Q⋅

j πH1 J1

.

(6-92)

Die magnetische Schirmdämpfung für die H-Komponente einer elektromagnetischen Welle im Mittelpunkt des Zylinders folgt danach zu

a m = 20 lg

Ha = −20 lg Q + 20 lg πH1 J1 Hϕ (r = 0) Δa m

as

.

(6-93)

Die Dämpfung setzt sich zusammen aus der Schirmdämpfung a s für den quasistatischen Fall zuzüglich einem Term Δa m , der die Wellennatur berücksichtigt. Den Verlauf von Δa m zeigt Bild 6.5.

15

Δ am / dB

10 5

0

Δ am 0,38 0,5

5 -10

0,61 0,88

1,32 1,0

1,38

1,62 1,5

r0

Δ am Δ am

-15 -20

Bild 6.5: Differenzdämpfung Δa m für elektromagnetische Wellen (μ = μ0 ) .

258

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Bei niedrigen Frequenzen bzw. großen Wellenlängen, λ 0 r0 , stimmt die Schirmdämpfung a m mit der quasistatischen Schirmdämpfung a s überein (Δa m = 0) . Mit steigender Frequenz nimmt Δa m anfänglich zu, um dann aber negativ zu werden und die Schirmwirkung bei bestimmten Verhältnissen r0 / λ0 stark zu reduzieren (Resonanzkatastrophe). Die Minima der Schirmdämpfung decken sich mit den Resonanzstellen des als Hohlraumresonator aufgefassten Schirms. Resonanzen sind auch bei hochwertigen Schirmen unvermeidbar. Eine Abhilfe kann jedoch die Änderung der Schirmgeometrie, z. B. durch Einfügen von Diffusoren, oder das Einbringen von absorbierendem Material leisten, dass die elektromagnetische Energie im Schirminnern aufnimmt und somit dämpfend auf die Eigenresonanzen wirkt. Für die elektrische Feldstärke in der Zylinderachse erhalten wir aus Gl. (688) jQZ0 Ha E(r = 0) = − , (6-94) πH0 J0 und für E(r = 0) jQ =− Z0 Ha πH0 J0

.

Die elektrische Schirmdämpfung für die E-Komponente einer elektromagnetischen Welle folgt daraus zu

a e = 20 lg

Z0 Ha πH0 J0 = 20 lg = −20 lg Q + 20 lg πH0 J0 E(r = 0) Q as

Δae

. (6-95)

Auch hier lässt sich die Dämpfung wieder zusammensetzen aus der Schirmdämpfung a s für den quasistatischen Fall magnetischer Schirmdämpfung zuzüglich einem Term Δa e , der die Wellennatur berücksichtigt. Bei niedrigen Frequenzen bzw. großen Wellenlängen, λ 0 r0 , strebt die Schirmdämpfung a e gegen unendlich, da Δa e für f = 0 unendlich wird (idealer Faradaykäfig), Bild 6.6. Mit steigender Frequenz nimmt die elektrische Schirmdämpfung ab, da die Umverteilung der Ladungen beim Umpolen des Feldes zunehmend hinterherhinkt und eine vollständige Kompensation des eindringenden Feldes nicht mehr möglich ist. Für bestimmte diskrete Frequenzen tritt auch für das E-Feld die Resonanzkatastrophe ein und wirkt sich dadurch mindernd auf die Schirmdämpfung aus.

6.1 Analytische Schirmberechnung

Δ ae /dB

259

15 10 5 0

Δ ae 0,38

0,61

0,5 -5

0,88

Δ ae

1,32

1,38

1,0

1,62 1,5

r0

Δ ae

-10 -15 -20

Bild 6.6: Differenzdämpfung Δa e für elektromagnetische Wellen (μ = μ0 ) .

In gleicher Weise wie oben lässt sich auch die Schirmdämpfung für eine Welle mit parallel zur Achse orientierter magnetischer Feldstärke berechnen. Man erhält für die magnetische Schirmdämpfung

a m = −20 lg Q + 20 lg πH1 J1 as

Δam

(6-96)

und für die elektrische Schirmdämpfung

a e = −20 lg Q + 20 lg πH'1 J'1 as

Δae

.

(6-97)

Unabhängig von der Polarisationsrichtung der Welle zeigt die magnetische Schirmdämpfung das gleiche Verhalten, für die elektrische Schirmdämpfung sind jedoch die Resonanzstellen geringfügig verschoben, da in Δa e die Ableitungen der Zylinderfunktionen erster Ordnung auftreten. Die ausführliche

260

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Herleitung einschließlich einer weitergehenden Interpretation der Ergebnisse findet der Leser bei Kaden [B1].

6.1.5

Kugelschirm im elektromagnetischen Wellenfeld

Auf ähnliche Weise wie für den Zylinderschirm (nur noch aufwendiger) lässt sich auch für Kugelschirme mittels eines Kugelkoordinatensystems und zugehöriger Kugelfunktionen (Lösungen der Wellengleichung in Kugelkoordinaten) die Schirmdämpfung für quasistatische Felder und für elektromagnetische Wellen berechnen. Hier seien lediglich die Ergebnisse angegeben, eine kompakte Herleitung findet der Leser bei Kaden [B1].

Quasistatisches Magnetfeld:

Q=

1 1⎛ 2⎞ cosh(kd) + ⎜ K + ⎟ sinh(kd) 3⎝ K⎠

a s = −20 lg Q = 20 lg cosh(kd) +

,

1⎛ 2⎞ ⎜ K + ⎟ sinh(kd) 3⎝ K⎠

(6-98)

.

(6-99)

Elektromagnetisches Wellenfeld:

Magnetische Feldkomponente:

a m = −20 lg Q + 20 lg as

3 1 + (k 0 r0 )2 sin(k0 r0 ) − k0 r0 cos(k0 r0 ) (k0 r0 )3 Δa m

.(6-100)

6.1 Analytische Schirmberechnung

261

Elektrische Feldkomponente: a e = −20 lg Q as

+20 lg

(

)

3 1 − (k 0 r0 )2 + (k0 r0 )4 (k 0 r0 )2 − 1 sin(k 0 r0 ) + k 0 r0 cos(k0 r0 ) 5

(k 0 r0 ) Δae

. (6-101)

Für Δa m und Δa e ergibt sich qualitativ der gleiche Verlauf wie beim Zylinderschirm, die Resonanzstellen sind jedoch auf Grund der anderen Geometrie zu größeren Werten hin verschoben. Der Leser wird zu bedenken geben, dass Kugelschirme in der Praxis recht selten sind und mag sich fragen, wie er denn die Schirmwirkung einer eckigen Schirmkabine berechnen soll. In Anbetracht des bereits erheblichen Aufwandes für die Kugelgeometrie versucht man nicht, die eckige Kabine analytisch exakt zu berechnen, sondern nähert sie als Kugel an, deren Radius r0 der halben Kantenlänge der Kabine entspricht. Aufgrund des Eckeneffekts ist die Schirmwirkung in der Nähe der Ecken geringer, da der Wandstrom einen größeren Weg zurücklegen muss und damit einen größeren ohmschen und induktiven Spannungsabfall längs der Wand verursacht (vergl. „Näherungen“ bei Blitzschutzanlagen). Der Eckeneffekt lässt sich durch verrundete Ecken und höhere Wandstärke im Eckenbereich ausgleichen [6.14]. Für eine Kabine von 2 m Kantenlänge hat Kaden [3.8] den Dämpfungsverlauf berechnet und graphisch dargestellt, Bild 6.7. Die Schirmdämpfung as für quasistatische magnetische Felder steigt zwar theoretisch auf sehr hohe Werte an, bleibt aber in praxi wegen betrieblich bedingter Schwachstellen im Schirm (Türfugen, Wabenkaminfenster, (Netzeinspeisung) endlich; im hiesigen Beispiel ≤ 100dB . Zu diesem Wert addieren bzw. subtrahieren sich die wellenbedingten Zusatzdämpfungen Δa e und Δa m , deren Verlauf bereits bei den Bildern 6.5 und 6.6 diskutiert wurde. Je geringer die Güte des Hohlraumresonators (beispielsweise infolge zahlreicher Messgeräte im Innern) desto schwächer ausgeprägt sind die Resonanzstellen. Weitere Hinweise über die minimale Schirmdämpfung von Kugelschirmen im Resonanzfall finden sich unter anderem bei Lindell [6.18].

262

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

140

ae

ae 120 am /dB as 100

am ae

as

80

as

am

60 40 20 0 1

2

3 4 5 6 8 101

20 30 40 6080102

200 300 500

103

f/MHz

Bild 6.7: Schirmdämpfung einer Messkabine von 2 m Kantenlänge und 0,1 mm Kupferfolie (nach Kaden [3.8]).

Die in den Abschn. 6.1.2–6.1.5 vorgestellten analytischen Berechnungen stellen hohe Anforderungen an das verfügbare mathematische Rüstzeug und erhellen, warum in praxi die nachstehend erläuterte Impedanzmethode eine große Verbreitung gefunden hat. Die Komplexität der Aufgabenstellungen lässt sich beliebig weiter steigern. Aufbauend auf den bisherigen Betrachtungen kann die Berechnung von Mehrfachschirmen [6.15–6.17] oder gar die Verformung von Zeitbereichssignalen durch leitende und ferromagnetische Schirme, auch unter Berückichtigung der Sättigung, berechnet werden, was jedoch der weiterführenden Literatur vorbehalten bleiben muss [6.19–6.24, 6.27],

6.2

Impedanzkonzept

6.2.1

Klassische Betrachtungsweise

Die im Abschnitt 6.1 beispielhaft vorgestellte analytische Berechnung der Schirmdämpfung ist zwar sehr leistungsfähig, andererseits aber auch mathematisch sehr anspruchsvoll. Für schnelle, praktische Abschätzungen hat Schelkunoff daher schon sehr früh ein einfacheres Schirmdämpfungsmodell

6.2 Impedanzkonzept

263

entwickelt, das auf einer Analogie zur Wanderwellenausbreitung auf elektrisch langen Zweidrahtleitungen beruht [5.2, 5.3]. Wanderwellen sind leitungsgeführte TEM-Wellen (Elektromagnetische Wellen mit transversal zur Ausbreitungsrichtung orientierten E - und H -Feldstärkevektoren), so dass sich die für sie erarbeiteten Formalismen unschwer auf ebene Wellen im freien Raum übertragen lassen. Man ersetzt einfach in den sie beschreibenden Leitungsgleichungen [1.6] die komplexen Amplituden von Eingangsspannung U1 und Eingangsstrom I 1 durch die komplexen Feldstärken E1 und H1 sowie Spannung U2 und Strom I 2 am Ende durch E 2 und H 2 . Ähnlich wie Wanderwellen an Leitungsdiskontinuitäten teilweise reflektiert, teilweise durchgelassen bzw. längs verlustbehafteter Leitungen gedämpft werden, erfahren auch elektromagnetische Wellen an Diskontinuitäten des freien Raumes Reflexionen und innerhalb von Materie eine Schwächung. Eine Schirmwand quer zur Ausbreitungsrichtung einer ebenen Welle verursacht vergleichbare Effekte wie eine verlustbehaftete Leitung kleinen Wellenwiderstands im Zug einer verlustfreien elektrisch langen Leitung vergleichsweise hohen Wellenwiderstands, Bild 6.8.

Störquellen-Raum (Außenraum, Index a) Feldwellenwiderstand Za

Einfallende Welle Ha , Ea

Schirmwand (Index S) Feldwellenwiderstand ZS

H Sa ESa

Störsenken-Raum (Innenraum, Index i) Feldwellenwiderstand Zi

HSi E Si Austretende Welle Hi , Ei

Reflektierte Welle HRa

ERa

Reflexionsdämpfung Ra

d Grenzfläche a

Grenzfläche i

Bild 6.8: Wanderwellenanalogie für eine ebene Welle, die auf eine quer zur Ausbreitungsrichtung orientierte, unendlich ausgedehnte Schirmwand trifft (Reflexion, Transmission und Absorption).

264

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Die gesamte Schirmdämpfung S eines elektromagnetischen Schirms (im deutschsprachigen Raum mit „a“ bezeichnet) setzt sich dann aus mehreren Anteilen zusammen S ≡ a = R +A+B

.

(6-102)

In dieser Gleichung bedeuten R die Reflexionsdämpfung an den Grenzflächen a und i A die Absorptionsdämpfung durch die Abschwächung in der Schirmwand (Umwandlung elektromagnetischer Energie in Wärme durch Stromwärmeverluste) B ein Korrekturterm, der die mehrfachen Reflexionen innerhalb der Schirmwand berücksichtigt (kann entfallen für A > 10…15dB ) Die einzelnen Abschwächungskomponenten sollen im Folgenden näher erläutert werden.

6.2.1.1

Reflexionsdämpfung

Die Reflexionsdämpfung besteht aus zwei Anteilen R a und R i gemäß den zwei Grenzflächen a und i. Unter der Voraussetzung Za ZS wird ein Großteil der ankommenden Energie an der Grenzschicht a reflektiert und fließt zur Quelle zurück. Gemäß der Wanderwellentheorie ergibt sich für das Verhältnis der ankommenden Welle zur durchgelassenen Welle, z. B. für das elektrische Feld Ea Z + ZS = a ESa 2ZS

.

(6-103)

In gleicher Weise erfolgt auch an der inneren Grenzschicht i eine Beeinflussung der Welle durch Reflexion, die sich der ersten multiplikativ überlagert. Für die gesamte Schwächung durch Reflexion erhält man somit (mit Zi = Za ) Ea ( Za + ZS ) = Ei 4ZS Za

2

,

(6-104)

6.2 Impedanzkonzept

265

K=

bzw. mit

Za ZS

Ea (1 + K ) = Ei 4K

,

2

.

(6-105)

Damit ergibt sich die Reflexionsdämpfung zu

R = 20 lg

( Za + ZS )2 4ZS Za

= 20 lg

(1 + K )2 4K

.

(6-106)

Zur praktischen Abschätzung der Schirmdämpfung benötigt man einfache Faustformeln für die Feldwellenimpedanzen Za , ZS und Zi .

Feldwellenimpedanz im Störquellenraum:

Fernfeld: Befindet sich die Schirmwand im Fernfeld der Störquelle, so ist Za mit dem Feldwellenwiderstand des freien Raumes identisch (vergl. Abschn. 5.1), Za = Z0 = 377 Ω

.

(6-107)

Nahfeld: Befindet sich die Schirmwand im Nahfeld der Störquelle, so ist wie im Abschn. 5.1 ausführlich gezeigt wurde, der Feldwellenwiderstand sowohl eine Frage des Abstands r von der Störquelle als auch von ihrer Natur. In hochohmigen (quasistatischen elektrischen) Feldern (Stabantennen) gilt Za = Z0

λ 18 ⋅ 103 = Ω 2πr rm fMHz

.

(6-108)

In niederohmigen (quasistatischen magnetischen) Feldern (Rahmenantennen) gilt Za = Z 0

2 πr = 7, 9 r m fMHz Ω λ

.

(6-109)

266

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Feldwellenimpedanz der Schirmwand: Der Feldwellenwiderstand (engl.: intrinsic impedance ) von Materie berechnet sich allgemein zu ZS =

jωμ σ + jωε

.

(6-110)

Speziell für Metalle ( σ jωε ) gilt unter der Voraussetzung Wandstärke groß gegen Eindringtiefe (s. u.) ZS =

jωμ = σ

ωμ (1 + j) 2σ 2πfμ σ

ZS = ZS =

bzw.

(6-111)

(6-112)

Häufig wird ZS auch mit Hilfe der Eindringtiefe δ=

1

ZS =

ausgedrückt,

(6-113)

πfμσ 2 . σδ

(6-114)

Schließlich lässt sich die Reflexionsdämpfung unmittelbar durch die Materialkonstanten etc. ausdrücken, Fernfeld

R dB = 108 − 10 lg

μ r fMHz σr

Elektrisches Nahfeld

R dB = 142 − 10 lg

3 μ r fMHz rm2 σr

Magnetisches Nahfeld

R dB = 75 − 10 lg

μr fMHz σr rm2

.

(6-115)

In Gleichung (6-115) bedeutet σ r die auf Kupfer bezogene relative Leitfähigkeit, σr =

σ σ = σCu 5,8 ⋅ 107 S/ m

,

(6-116)

6.2 Impedanzkonzept

267

und rm den Abstand zur Quelle in Metern. Tabelle 6.1 gibt die relative Leitfähigkeit für einige häufig anzutreffenden Schirmmaterialien an. Tabelle 6.1: Auf Kupfer bezogene relative Leitfähigkeit von Schirmmaterialien.

σr

Metall Kupfer Silber Aluminium Messing Nickel Zinn Edelstahl

1,0 1,05 0,6 0,26 0,2 0,15 0,02

Abschließend sei bemerkt, dass eine Reflexionsdämpfung an einer Grenzfläche grundsätzlich positiv, negativ oder 0 sein kann, je nach Impedanzverhältnis. Die gemäß (6-106) ermittelte Reflexionsdämpfung berücksichtigt nicht, dass eine an der Grenzschicht i reflektierte Welle auch an der Grenzschicht a nochmals reflektiert werden kann usw. Multiple Reflexionen im Schirminnern werden durch den Korrekturterm B in Gl. (6-120) berücksichtigt, dessen Erläuterung aber zweckmäßig erst nach Einführung der Absorptionsdämpfung A erfolgt. 6.2.1.2

Absorptionsdämpfung

Die Absorptionsdämpfung beschreibt die exponentielle Schwächung ESa e−αd der einfallenden Welle beim Passieren der Schirmwand. Das Verhältnis der Scheitelwerte der am Grenzübergang a durchgelassenen Welle und der am Grenzübergang i ankommenden Welle beträgt ESa ESi

= e αd

,

(6-117)

und die Absorptionsdämpfung A = 20 log

ESa ESi

= 20 lg eαd

.

(6-118)

268

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Mit α = πfμσ und Umrechnung lg → ln merklich vereinfachen zu

lässt sich diese Gleichung

A dB = 1314 ⋅ dcm ⋅ fMHz μ r σr

,

(6-119)

mit m r , σ r relative Permeabilität und relative Leitfähigkeit.

6.2.1.3

Dämpfungskorrektur für multiple Reflexionen

Bei einer Absorptionsdämpfung A < 10…15dB beeinflussen die an der Grenzschicht a erneut reflektierten Wellen merklich die tatsächliche Größe von E i und Hi . Man erhält für den Korrekturterm BdB = 20 lg 1 −

( K − 1)2 −2 γd e ( K + 1)2

Mit γ = α + jβ = jωμσ = (1 + j) πfμσ und K BdB = 20 lg 1 − e−2d

πfμσ

.

(6-120)

1 vereinfacht sich (6-120) zu ⋅ e− j2d

πfμσ

.

(6-121)

Der Effekt multipler Reflexionen ist für Hi ausgeprägter als für E i . Das Schelkunoffsche Impedanzkonzept erscheint dem mit der Leitungstheorie vertrauten Leser sehr suggestiv, es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass gelegentlich Theorie und Praxis der ermittelten Schirmdämpfung beträchtlich auseinander liegen können. Die Diskrepanzen liegen gewöhnlich darin begründet, dass das Impedanzkonzept vom Designer überfordert wurde, dass die Schirmwand quer zur Ausbreitungsrichtung nicht unendlich ausgedehnt ist, dass bei Gehäusen die durchgelassene Welle an der gegenüberliegenden Wand erneut reflektiert wird und dass Fugen und Ecken praktischer Schirmgehäuse maßgeblich die totale Schirmdämpfung beeinflussen. Wesentlich bessere Ergebnisse über den gesamten Frequenzbereich liefert die in Abschn. 6.2.2 vorgestellte Erweiterung des Impedanzkonzepts mit der die gegenüberliegende Wand berücksichtigt werden kann. Die Dämpfungsanalyse von Öffnungen, z. B. Sichtfenster, Lüftungsöffnungen, Kamine, Gitter usw. ist in gewissen Grenzen ebenfalls mit dem Impedanzkonzept

6.2 Impedanzkonzept

269

möglich. Die Schirmdämpfung berechnet sich für solche Diskontinuitäten gemäß S = A a + R a + Ba + K 1 + K 2 + K 3

.

A a : Dämpfung einer einzelnen Öffnung R a : Reflexionsdämpfung einer Öffnung Ba : Korrekturterm für Mehrfachreflexionen K1 : Korrekturterm für die Anzahl der Öffnungen K 2 : Niederfrequenz-Korrektur K 3 : Korrektur zur Berücksichtigung der Strahlungsverkopplung zwischen den Öffnungen

Genauere Angaben über die Bedeutung und Quantifizierung dieser Terme findet man z. B. in [B12]. Zur weiteren Vertiefung und wegen Rechenhilfen in Form zahlloser Nomogramme, Computerprogramme etc. wird auf das einschlägige Literaturverzeichnis verwiesen [6.1, 6.28–6.32 und B16].

6.2.2

Erweitertes Impedanzkonzept

In der Schirmpraxis wird üblicherweise keine einzelne Schirmwand, sondern ein geschlossenes Schirmgehäuse verwendet, das bei diskreten Frequenzen wie ein Hohlraumresonator wirkt, in dessen Innerem Feldstärkeüberhöhungen bzw. Einbrüche der Schirmdämpfung auftreten. Dieser Effekt wird durch das Impedanzkonzept nach Schelkunoff nicht erfasst, was die häufig beobachteten Abweichungen zwischen Theorie und Praxis erklärt. Betrachtet man den senkrechten Einfall einer ebenen TEM-Welle auf einen Ausschnitt der Wand eines quaderförmigen Schirms, lässt sich das ursprünglich räumliche Problem auf ein eindimensionales Problem zurückführen (Parallel-Plattenschirm [B1]). Das Verhalten des idealisierten Rechteckschirms lässt sich im gesamten Frequenzbereich mit der so genannten Wellenmatrixmethode exakt berechnen [6.33]. Die Wellenmatrixmethode Zur Vereinfachung der „Buchführung“ vor- und rücklaufender Wellen wird bei diesem Verfahren eine andere Indizierung vorgenommen und zur Be-

270

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

herrschung der Komplexität von der Matrizenschreibweise Gebrauch gemacht. Darüber hinaus werden elektrisches und magnetisches Feld allgemein durch rechtslaufende bzw. linkslaufende Wellen „R“ und „L“ ersetzt.

Z0

T1

Z1

R 0 R1’

0

T 2 Z 2 = Z0

1

L 0 L 1’

D1

H − Feld : ri,i +1 = −

R1 R2’

2 L 1 L 2’ = 0

P1

E − Feld : ri,i +1 =

D2

a)

Zi +1 − Zi 2Zi ,d i,i +1 = Zi +1 + Zi Zi +1 + Zi

Zi +1 − Zi 2Zi +1 , d i,i +1 = Zi +1 + Zi Zi +1 + Zi b)

Bild 6.9: a) Auftreffen einer ebenen Welle auf eine ebene Schirmwand. R: rechtslaufende Welle, L: linkslaufende Welle; b) Reflexions- und Transmissionskoeffizienten „r“ und „d“ beim Übergang vom Medium i in ein Medium i+1.

Eine ebene Welle treffe aus dem Medium 0 kommend senkrecht auf die Trennfläche T1, die wie alle anderen Trennflächen als Vierpol betrachtet wird, Bild 6.9 a. Für die Amplituden der Wellenanteile in den Medien lässt sich unter Verwendung der in Bild 6.9 b angegebenen Koeffizienten folgender Zusammenhang herstellen. ⎛ R0 ⎞ 1 ⎛ 1 ⎜ ⎜ ⎟= ⎝ L0 ⎠ d0,1 ⎝ r0,1

r0,1 ⎞ ⎛ R '1 ⎞ ⎛ R '1 ⎞ = D1 ⎜ ⎟ ⎟ 1 ⎠ ⎜⎝ L '1 ⎟⎠ ⎝ L'1 ⎠

.

(6-122)

Die Transmissionsmatrix D1 beschreibt die Amplitudenänderung, die sich durch Reflexion und Transmission an der Trennfläche T1 ergibt. Für den Übergang von T1 und T2 gilt mit γ1 als Fortpflanzungskonstante im Medium 1 γ d ⎛ R '1 ⎞ ⎛ e 1 = ⎜ ⎜ ⎟ ⎝ L'1 ⎠ ⎜⎝ 0

0 ⎞ ⎛ R1 ⎞ ⎛ R1 ⎞ ⎟ ⎜ ⎟ = P1 ⎜ ⎟ ⎟ e ⎝ L1 ⎠ ⎠ ⎝ L1 ⎠ −γ1d

.

(6-123)

6.2 Impedanzkonzept

271

Im Sonderfall ideal nicht leitenden Mediums 1 erhält man mit β1 als Phasenkonstante im Medium 1 ⎛ e jβ1d P1 = ⎜ ⎜ 0 ⎝

0 ⎞ ⎟ e− jβ1d ⎟⎠

.

(6-124)

P1 wird Propagatormatrix genannt. Sie beschreibt Dämpfung und Phasenänderung im Medium 1.

Der große Vorteil der Wellenmatrixmethode besteht in der leichten Handhabung mehrfach geschichteter ebener Lagen unterschiedlichen Materials, so auch bei der Behandlung zweier Schirmwände (idealer Plattenschirm nach Kaden [B1]) gemäß Bild 6.10. Z0

Z1 T1

d

Z2 = Z0 T2

Z3 = Z1 T3

2s M2

d

Z4 = Z0 T4

s

R0

R2

R4'

L0

L2

L4' = 0

D1

P1

D2

P2

D3

P3

D4

Bild 6.10: Ebener Parallelplattenschirm mit im Unendlichen leitend verbundenen Platten im Fernfeld einer Antenne (ebene, freie TEM-Welle), Z0 = 377 Ω ; Z1 = (1 + j ) πμf / σ .

Durch Matrizenmultiplikation lässt sich auf einfache Weise formal folgender Zusammenhang zwischen dem einfallenden Störfeld R 0 und dem aus dem Schirm austretenden Feld R '4 aufstellen: ⎛ R0 ⎞ ⎛ R '4 ⎞ ⎜ ⎟ = D1P1D 2P2 D 3P3D 4 ⎜ ⎟ ⎝ 0 ⎠ ⎝ L0 ⎠

.

(6-125)

272

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Durch sukzessives Ersetzen der Transmissions- und Propagatormatrizen entsprechend den Gln. (6-122) und (6-123) erhält man ausführlich: ⎛ R0 ⎞ 1 ⎛ 1 ⎜ ⎟= ⎜ ⎝ L0 ⎠ d01 ⎝ r01

r01 ⎞ ⎛ e γd ⎟⎜ 1 ⎠ ⎜⎝ 0

0 ⎞ 1 ⎟ e−γd ⎟⎠ d12

⎛ 1 ⎜ ⎝ r12

r12 ⎞ ⎛ e2jβs ⎟⎜ 1 ⎠ ⎜⎝ 0

1 ⎛ 1 ⎜ d01 ⎝ r01

r01 ⎞ ⎛ eγd ⎟⎜ 1 ⎠ ⎜⎝ 0

0 ⎞ 1 ⎛ 1 ⎟ ⎜ e−γd ⎟⎠ d12 ⎝ r12

r12 ⎞⎛ R '4 ⎞ ⎟⎜ ⎟ 1 ⎠⎝ 0 ⎠



0 ⎞ ⎟ e−2jβs ⎟⎠

(6-126)

und γ1 = γ 3 = γ und β2 = β , also R '4 = R0 eγd + r01 r12 e−γd

(

)

2

(

2 d201d12

e j2βs + r12 eγd + r01e−γd

)( r

01e

γd

)

+ r12 e−γd e− j2βs

. (6-127)

Interessiert das Feld im Schirminneren, beispielsweise an der Stelle M2 (Mittelpunkt), setzt man: jβ s ⎛ R2 ⎞ ⎛ R '4 ⎞ ⎛ e = ( P2 )M D 3P3D 4 ⎜ =⎜ ⎜ ⎟ ⎟ 2 ⎝ L 2 ⎠M2 ⎝ 0 ⎠ ⎜⎝ 0

0 ⎞ ⎛ R '4 ⎞ ⎟D P D − jβs ⎟ 1 1 2 ⎜ 0 ⎟ e ⎝ ⎠ ⎠

. (6-128)

Mit Gl. (127) und r12 = −r01 erhält man:

(

) (

)

) (

)

2 −γd e γd − r01 e e jβs ⎛ R2 ⎞ = d01d12 ⎜ ⎟ 2 −γd 2 jβ 2s 2 ⎝ R 0 ⎠ M2 e γd − r01 e e eγd − e−γd − r01

(

)

(

r01 eγd − e−γd e− jβs ⎛ L2 ⎞ = d d ⎜ ⎟ 01 12 2 −γd 2 jβ 2s 2 ⎝ R 0 ⎠ M2 e γd − r01 e e − r01 eγd − e−γd

(

)

2

2

, (6-129)

e jβ2s

. (6-130)

e− jβ2s

Das resultierende Feld im Schirminneren an der Stelle M2 folgt aus der Superposition von Gl. (6-129) und (6-130): R 2 + L2 1 = d01d12 2 −γd jβs γd R0 e − r01e e − r01 e γd − e−γd e− jβs

(

)

(

)

.

(6-131)

6.2 Impedanzkonzept

273

Setzt man in Gl. (6-131) wahlweise für das magnetische und elektrische Feld die Beziehungen für die Reflexions- und Durchlasskoeffizienten ein, erhält man die Schirmfaktoren Q m = Hi / Ha und Q e = E i / Ea zu: Qm =

1 1 (6-132) sinh( γd) ⎛ Z1 ⎞ Z0 cos(β s) + j sin(β s) ⎟ + coth( γd)[cos(β s) + jsin(βs)] ⎜ Z1 ⎝ Z0 ⎠

und Qe =

1 1 (6-133) sinh( γd) ⎛ Z0 ⎞ Z1 cos(β s) + j sin(β s) ⎟ + coth( γd)[cos(β s) + jsin(βs)] ⎜ Z0 ⎝ Z1 ⎠ .

Eine aus der Sicht der Praxis wichtigere Größe als der Schirmfaktor Q ist die Schirmdämpfung S bzw. a (s. Abschn. 5.1). Für die magnetische Schirmdämpfung erhält man: Sm = a m = 20 lg cosh( γd) + γssinh( γd) ⎛ Z1 ⎞ Z cos(β s) + j 0 sin(β s) ⎟ + coth( γd)[cos(β s) + jsin(β s)] ⎜ Z Z 1 ⎠ +20 lg ⎝ 0 coth( γd) + γs = a s + Δa m

(6-134)

und für die elektrische Schirmdämpfung analog: Se = a e = 20 lg cosh( γd) + γssinh( γd) ⎛ Z0 ⎞ Z cos(β s) + j 1 sin(β s) ⎟ + coth( γd)[cos(β s) + jsin(β s)] ⎜ Z Z0 ⎠ +20 lg ⎝ 1 coth( γd) + γs = a s + Δa e

.

(6-135)

274

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Die magnetische und elektrische Schirmdämpfung setzen sich wie die analytische Lösung des Randwertproblems nach Kaden [B1] aus jeweils zwei Komponenten zusammen. Der Anteil a s repräsentiert in beiden Fällen die magnetische Schirmdämpfung im quasistationären Bereich, die Terme Δa m bzw. Δa e berücksichtigen die Wellennatur des störenden magnetischen bzw. elektrischen Feldes (s. Abschn. 6.1.4). In Bild 6.11 sind die Wellendämpfungen Δa m und Δa e des idealen Rechteckschirms in Abhängigkeit vom Verhältnis halber Plattenabstand s zu Wellenlänge l am Ort M2 (Symmetrieachse) dargestellt.

10

Δ ae/ dB Δam/ dB

5 0.5

1.0

- 15

2.0

s/λ

-5 - 10

1.5

Δae Δ am

- 20 - 25 - 30

Bild 6.11: a) magnetischer Wellendämpfungsanteil Δa m , b) elektrischer Wellendämpfungsanteil Δa e (gestrichelte Kurve); Schirmmaterial: Cu, Schirmdicke: 0,1 mm, Messort: Schirmmitte.

Die starken Einbrüche der elektrischen und magnetischen Dämpfung für Wellenlängen λ res 2 = 2s n (n = 1,2, 3) , rühren vom Resonanzverhalten des als Hohlraumresonator interpretierten Schirmgehäuses her. Für ungeradzahlige n erreicht das elektrische Feld im Schirmmittelpunkt seinen höchsten Wert, während das magnetische Feld verschwindet; für geradzahlige n ist das Verhalten der Felder gerade vertauscht. Die Pole der Dämpfungsfunktionen Δa m und Δa e bzw. a m und a e verdeutlichen den punktuell vollständigen Zusammenbruch magnetischer bzw. elek-

6.2 Impedanzkonzept

275

trischer Schirmwirkung (Resonanzkatastrophe). Berechnet man aus den Gln. (6-134) und (6-135) die Resonanzstellen (Pole der Dämpfungsanteile Δa m und Δa e ), so stellt man eine, bei üblichen Schirmmaterialien vernachlässigbare Abweichung zu den oben angegebenen Resonanzstellen λ res 2 = 2s n fest. Dies resultiert aus der endlichen Leitfähigkeit des Schirmmaterials, auf Grund derer ein Teil der Energie von den Schirmwänden absorbiert wird. In Absorberräumen, wo durch z. B. Pyramidenabsorber der Übergang vom Feldwellenwiderstand des freien Raums ( Z0 ) zum Feldwellenwiderstand der Schirmwände ( Z1 ≈ 0 ) stetig erfolgt, nutzt man dieses Verhalten der „Resonanzverstimmung“ in optimaler Weise aus. Trägt man die Schirmdämpfungsfunktionen a m und a e über der Frequenz f auf, kann man für allfällige Schirmgeometrien und -materialien nach quasistationären und nichtstationären Bereichen exakt abgrenzen. Beispielsweise ist in Bild 6.12 die magnetische Schirmdämpfung a m in der Mitte einer Messkabine dargestellt. 500 am / dB 400 300 200 100 0 1

102

104

106

f / Hz

108

Bild 6.12: Berechnete magnetische Schirmdämpfung in der Mitte einer Messkabine Kantenlänge 2 m, Schirmwände aus 0,1 mm starker Kupferfolie.

Wie aus Bild 6.12 ersichtlich, liefert das erweiterte Impedanzkonzept nicht nur die Resonanzfrequenzen im oberen Frequenzbereich, sondern es beschreibt auch exakt die quasistationäre magnetische Schirmdämpfung, wie man sie auch mit der feldtheoretischen Methode [B1] erhält. Das scheinbare Zusammenrücken der äquidistanten Resonanzstellen ist im logarithmischen Frequenzmaßstab begründet. Oberhalb von 100 MHz liefert die Rechnung Ergebnisse >100dB. Das ist theoretisch korrekt. Durch Inhomogenitäten im

276

6 Theorie elektromagnetischer Schirme

Schirm lassen sich jedoch derart hohe Schirmdämpfungswerte in der Praxis kaum erreichen. Hinzu kommt das Problem des messtechnischen Nachweises, denn die Messgrenze liegt selbst bei aufwendigem Messaufbau selten über 150 dB. Die Resonanzstellen s λ res liegen beim Rechteckschirm niedriger als beim Zylinder- und Kugelschirm und unterscheiden sich in brauchbarer Näherung nur um einen Faktor d: s λ res

+ δ mit δRe cht = 0 ; δZyl = 0,125 ; δKugel = 0,25

,

(6-136)

s entspricht dem halben Plattenabstand, beim Zylinder - und Kugelschirm dem Innenradius r0 . Das Verhältnis s λ res in Gl. (136) wird aus den Resonanzen des als Hohlraumresonator wirkenden Plattenschirms bestimmt, wobei diese Näherungsbetrachtung mit wachsendem s λ res zunehmend genauere Ergebnisse liefert.

6.2.3

Zusammenfassung des Impedanzkonzepts

Aus den vorheigen Abschnitten 6.2.1 und 6.2.2 lässt sich folgendes festhalten: 1. Die Gleichungen (6-134) und (6-135) beschreiben im gesamten Frequenzbereich exakt das magnetische und elektrische Schirmdämpfungsverhalten im Mittelpunkt eines idealen Rechteckschirms (Plattenschirms). 2. Die quasistationäre Schirmdämpfung der drei Idealschirme lässt sich aus einer einzigen Beziehung berechnen ( μ = μ0 ): a s = 20 lg cosh( γd) + εγssinh( γd)

.

(6-137)

Dabei muss man lediglich für den Faktor ε = 1 , 1/2 bzw. 1/3 in der Reihenfolge Rechteck-, Zylinder- bzw. Kugelschirm und beim Zylinderbzw. Kugelschirm s = r0 setzen. Gl. (6-137) ist für alle r0 / d > 100 gültig und besitzt im Resonanzbereich (z. B. 108 Hz aufwärts, entsprechend Bild 6.12) den Charakter einer Einhüllenden.

6.2 Impedanzkonzept

277

3. Die Resonanzfrequenzen des Zylinder- und Kugelschirms ermittelt man entspr. Gl. (6-136) aus den Resonanzfrequenzen des Plattenschirms. Letztere lassen sich mühelos aus der obigen Beziehung λ res 2 = 2s n (n = 1,2, 3) bestimmen. Nach Gl. (6-102) in Abschn. 6.2 berechnet sich die Schirmdämpfung aus drei Anteilen. Man kann sich daher fragen, ob die mit Hilfe der Wellenmatrixmethode gewonnene Lösung nach Gl. (6-131) überhaupt noch etwas mit ersterer Gleichung (6-102) gemeinsam hat. Etwas umgeformt erhält man für Gl. (131): R 2 + L2 1 e−γd = d01d12 2 −2 γd jβ s −2 γd − jβ s R0 1 − r01e e − r01 1 − e e

(

)

(

)

(6-138)

und aus ihr die für die magnetische und elektrische Schirmdämpfung gemeinsame Beziehung: 2 −2 γd jβs a = 20 lg eγd −20 lg d01d12 +20 lg (1 − r01 e )e − r01(1 − e−2 γd )e− jβs . (6-139)

A

R

B'

Vergleichend erkennt man, dass die beiden ersten Terme der Gln. (6-102) und (6-139), wieder als Absorptionsdämpfung A und Reflexionsdämpfung R bezeichnet, völlig übereinstimmen. Der dritte Term B' in Gl. (6-139) berücksichtigt sowohl die Mehrfachreflexionen innerhalb der Schirmwände als auch die Reflexionen im Schirminneren, der Term B in (6-102) jedoch nur die Mehrfachreflexionen in der Schirmwand. Damit stellt der Term B' die schlüssige Verbindung zwischen dem erweiterten Impedanzkonzept und dem feldtheoretischen Lösungsansatz nach Kaden her.

7

EMV-Emissionsmesstechnik

Emissionsmessungen identifizieren und quantifizieren die von Sendern bzw. Störquellen in die Umwelt abgegebene elektromagnetische Energie und erlauben den Nachweis der Einhaltung in Vorschriften festgelegter Grenzwerte für Funkstörungen. Im übergeordneten Sinne dienen sie allgemein dem Schutz der Resource Elektromagnetisches Spektrum. Die Terminologie der Emissionsmesstechnik ist überwiegend durch die klassische Funkstörmesstechnik geprägt, von der sich die neu hinzugekommene, nicht Kommunikationszwecken dienende allgemeine Störmesstechnik (Industrieelektronik, Elektromedizin, KFZ-Elektronik etc.) im Wesentlichen durch die unterschiedliche Bewertung der Störgrößen (s. Abschn. 7.4.1) und die Suszeptibilitätsmesstechnik (s. Kap. 8) unterscheidet. Emissionsmessungen erfassen – Störspannungen und -ströme, – Störfeldstärken (E-Feld, H-Feld, EM-Wellen), – Störleistungen. Abhängig von der Natur der Störgröße erfolgt die Ankopplung galvanisch oder über Stromwandler, Antennen, Absorberzangen etc. In allen Fällen liefern die Ankoppeleinrichtungen an ihrem Ausgang eine Spannung, die von einem Messempfänger, einem Spektrumanalysator oder einem Oszilloskop gemessen wird. Bezüglich der vorschriftengerechten Messung dieser Spannung gilt EN 55014 (DIN VDE 0875 Teil 14) [7.27], bezüglich der Messgeräte VDE 0876 [7.1]. Im Folgenden werden zunächst die Messverfahren und Ankoppeleinrichtungen für die verschiedenen Störgrößen vorgestellt,

280

7 EMV-Emissionsmesstechnik

anschließend im Abschn. 7.4 die für alle Störgrößen einheitlichen bzw. gleichermaßen einsetzbaren Messgeräte erläutert.

7.1

Messung von Störspannungen und -strömen

Störspannungen und -ströme sind leitungsgebundene Störungen, die über Netzzuleitungen, Datenleitungen etc. emittiert werden. Die Emissionen manifestieren sich zunächst als eingeprägte Ströme, die dann am Innenwiderstand des Netzes (Niederspannungsnetz, Kommunikationsnetz etc.) einen Spannungsabfall – die Störspannung – hervorrufen. Abhängig vom Netzinnenwiderstand vermag demnach ein und dasselbe Gerät unterschiedliche Störspannungen hervorzurufen. Um den Einfluss unterschiedlicher Netzimpedanzen zu eliminieren, schaltet man zwischen Netz und Prüfobjekt genormte Netznachbildungen (engl.: LISN – Line Impedance Stabilization Network) mit einer aus Sicht des Prüfobjekts mehr oder weniger einheitlichen Netzimpedanz [7.1]. Netznachbildungen erlauben weitgehend reproduzierbare, vergleichbare Messergebnisse unabhängig vom Netzinnenwiderstand des jeweiligen Prüflabors (Hersteller, Anwender) und verhindern darüber hinaus die Verfälschung von Störspannungsmessungen durch bereits im Netz vorhandene andere Störungen; speziell bei Messungen an Netzanschlussleitungen kommt ihnen die Spannungsversorgung des Prüfobjekts zu. Ein typisches Beispiel einer Netznachbildung für Netzanschlussleitungen zeigt Bild 7.1.

Bild 7.1: Netznachbildung zur Messung unsymmetrischer Funkstörspannungen. (Bezüglich einer energetischen Betrachtung von Knotenspannungen ist N der Bezugsleiter. Bezüglich einer Störspannungsbetrachtung ist PE der Bezugsleiter (s. a. Abschn. 1.5).

7.1 Messung von Störspannungen und -strömen

281

Jeder Leiter erhält seine eigene Entkopplungsdrossel, die das Prüfobjekt für hohe Frequenzen vom Niederspannungsnetz isoliert. Häufig wird die Netzdrossel in zwei Spulen unterteilt und mit Kondensatoren zu einem π -Filter ergänzt. Die Koppelkapazität CK leitet den Störstrom direkt über die genormte Nachbildungsimpedanz ZN ab. Die an den Nachbildungsimpedanzen ZN hervorgerufenen Spannungsabfälle der einzelnen Leiter werden der Reihe nach mit einem der im Abschn. 7.4.1 beschriebenen Messempfänger erfasst. Man unterscheidet zwischen „V“, „ Δ “ und „T“ Netzabbildungen. Für die Messung unsymmetrischer Störspannungen kommen so genannte V-Netznachbildungen zum Einsatz, in denen jeder Leiter eine Nachbildungsimpedanz sternförmig (bei zwei Leitern V-förmig) zum Bezugsleiter erhält, Bild 7.1. Auch der Schutzleiter besitzt eine Drossel. Diese Drossel verhindert das Eindringen hochfrequenter Störspannungen aus dem Netz auf die Messerde (Schirmkabinenwand etc.), gewährleistet aber trotzdem bei 50 Hz die Einhaltung der VDE Sicherheitsbestimmungen. Die Messung unsymmetrischer und asymmetrischer Störungsspannungen erlauben Δ -Netznachbildungen, in denen die Nachbildwiderstände für die unsymmetrischen Störspannungen und die Nachbildwiderstände für das Gegentaktsignal in Dreieck geschaltet sind, Bild 7.2.

Bild 7.2: Δ -Netznachbildung zur Messung unsymmetrischer und asymmetrischer Störspannungen.

Der Nachbildungswiderstand für das Gegentaktsignal Usym beträgt

R gegen

⎡⎛ 4 ⎞ −1 −1 ⎤ = ⎢⎜ R ⎟ + ( 4R ) ⎥ ⎣⎢⎝ 3 ⎠ ⎦⎥

−1

=R

.

(7-1)

282

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Für Gleichtaktsignale Uasym , für die beide Leitungen 1 und 2 miteinander leitend verbunden gedacht werden können, ergibt sich der Nachbildungswiderstand zu −1 −1 R gleich = ⎡( 2R ) + ( 2R ) ⎤ ⎣ ⎦

−1

=R

.

(7-2)

Der Nachbildungswiderstand für die unsymmetrischen Störspannungen U1unsym und U2unsym berechnet sich zu

R unsym

−1 ⎡⎛ 4 −1 ⎤ ⎞ = ⎢⎜ R + 2R ⎟ + ( 2R ) ⎥ ⎠ ⎢⎣⎝ 3 ⎥⎦

−1

=

5 R 4

.

(7-3)

Schließlich gibt es noch so genannte T-Nachbildungen für die ausschließliche Messung asymmetrischer Störspannungen symmetrisch betriebener Fernmelde-, Signal- und Steuerleitungen, Bild 7.3.

Bild 7.3: T-Netznachbildung für die ausschließliche Messung asymmetrischer Störspannungen symmetrischer Betriebsstromkreise [7.2].

Alle Arten von Netznachbildung erlauben auch die Messung symmetrischer Störspannungen, wenn ein entsprechender Entsymmetrierübertrager (engl.: BALUN; BALanced - UNbalanced) verwendet wird, der beidseitig Potential führende Leiter eines symmetrischen Betriebsstromkreises an den einseitig geerdeten Eingang des Störmessempfängers anpasst (s. a. Abschn. 7.2.1).

7.1 Messung von Störspannungen und -strömen

283

Niederspannungsnetze, Bordnetze, Kommunikationsnetze etc. besitzen unterschiedliche Innenwiderstände, so dass verschiedene Nachbildungsimpedanzen zum Einsatz kommen. Je nach räumlicher Ausdehnung bzw. Entfernung zum nächsten Verzweigungsknoten werden Nachbildungsimpedanzen durch Induktivitäten zwischen 5 μH und 50 μH (1 m Leitungslänge entspricht etwa 1 μH ) in Reihe mit einem von den Kupferquerschnitten abhängigen ohmschen Widerstand realisiert, Bild 7.4.

50μH 5Ω a)

5μH

50μH 50Ω

50Ω

b)

1Ω c)

100Ω 50Ω 50Ω

U st

d)

Bild 7.4: Beispiele für Netznachbildungsimpedanzen ZN . a) Niederspannungsnetze: Frequenzbereich 10-15 kHz bzw. 30 MHz, b) Industrienetze (I >25 A): Frequenzbereich 0,15-30 MHz, c) Bordnetze: Frequenzbereich 0,1-100 MHz, d) Klassische 150 Ω Nachbildungsimpedanz: Frequenzbereich 0,15-30 MHz.

Der in jeder Nachbildungsimpedanz enthaltene 50 Ω Widerstand wird bei dem jeweils mit der Messeinrichtung verbundenen Leiter durch den Innenwiderstand der Messeinrichtung ( Zi = 50 Ω ) ersetzt. Die früher verwendete 150 Ω Nachbildungsimpedanz gemäß Bild 7.4 d entstand aus der Überlegung, dass bei Hochfrequenz der Wellenwiderstand der Netze maßgeblich sei. Als Mittelwert zwischen dem Wellenwiderstand von Freileitungen (z. B. 500 Ω ) und Energiekabeln (z. B. 40 Ω ) einigte man sich auf 150 Ω . Bei hochohmigen Systemen würde die niederohmige Nachbildungsimpedanz ZN ≤ 50 Ω bzw. R N ≤ 150 Ω (Bild 7.4 d) zu kleine Störspannungswerte ergeben. In diesen Fällen wird die Störspannung mit hochohmigen, passiven oder aktiven Tastköpfen gemessen, deren Eigenschaften den jeweiligen Vorschriftenwerken zu entnehmen sind, z. B. [7.1]. Beim Einsatz von Hochspannungs-Differenztastköpfen zur Messung von Gegentaktsignalen zwischen spannungführenden Leitungen, beispielsweise den Außenleitern L1 und L 2 eines Drehstromsystems, ist zu beachten, dass Tastköpfe die Gleichtaktunterdrückung nachgeschalteter Differenzverstärker merklich reduzieren (s. a. Abschn. 10.7). Speziell für die Leistungselektronik und Hochspan-

284

7 EMV-Emissionsmesstechnik

nungstechnik bieten sich über Lichtleiterstrecken isolierte Tastkopfsysteme an (z. B. LDS-Nicolet ISOBE 5500). Häufig enthalten Netznachbildungen eine Buchse zum Anschluss einer künstlichen Hand für die Messung unsymmetrischer Funkstörspannungen an handgeführten Betriebsmitteln. Die Handnachbildung besteht aus einer am Betriebsmittel angebrachten Metallfolie, die über ein in der Netznachbildung integriertes RC-Glied (200 pF in Reihe mit 500 Ω ) mit dem geerdeten Gehäuse der Netznachbildung verbunden wird. Betriebsmittel mit Metallgehäuse werden ohne Folie direkt mit der Buchse für die Handnachbildung verbunden. Manche Emissionsprüfungen verlangen den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Netznachbildungen, beispielsweise bei einem Datenverarbeitungsgerät für den Netzanschluss und die Datenleitungen. Schließlich sei neben den reinen HF- bzw. EMV-Eigenschaften auch auf die begrenzte Strombelastbarkeit von Netznachbildungen hingewiesen, bei der bezüglich Dauerbelastbarkeit und erhöhter Kurzzeitbelastbarkeit unterschieden wird (Erwärmung der Drosseln). Ihre Überschreitung hat eine Zerstörung der Wicklungsisolation zur Folge. Die Komplexität der Störspannungsmessung legt alternativ die direkte Messung der eingeprägten Störströme mittels eines HF-Stromwandlers [7.1] nahe, Bild 7.5.

Bild 7.5: Störstrommessung mit Stromwandler und induktionsarmem Bypass-Kondensator CB.

Der Bypass-Kondensator schafft sowohl für Störströme vom Netz als auch für Störströme vom Testobjekt einen niederohmigen Rückschlusspfad, so

7.1 Messung von Störspannungen und -strömen

285

dass einerseits der „Kurzschluss“-Störstrom ( I St max ) des Testobjekts zum Fließen kommen kann, andererseits Störströme vom Netz das Stromwandlersignal nicht verfälschen. Für Stromwandler der EMV-Messtechnik ist gewöhnlich ein Übertragungsfaktor spezifiziert, der die an seinem Ausgang gemessene Störspannung zum Störstrom in Beziehung setzt, ZW =

USt (ω) I St (ω)

.

(7-4)

Der Störstrom in dB folgt damit aus den Beträgen zu ISt (ω)dBμA = USt (ω)dBμV − 20 lg ZW (ω) .

Stromwandlermessungen mit Netznachbildungen bekannter ZN (ω) erlauben auch sofort einen Schluss auf die Störspannung, USt (ω) = I St (ω)ZN (ω)

(7-5) Impedanz

.

(7-6)

Bild 7.6 zeigt den typischen Verlauf des Übertragungsfaktors von EMVStromwandlern (Stromsensoren).

Bild 7.6: Typischer Verlauf des Übertragungsfaktors von Stromsensoren.

286

7 EMV-Emissionsmesstechnik

In ihrem linearen Übertragungsbereich steigt der Faktor mit 20 dB pro Dekade über der Frequenz an. Brauchbare Empfindlichkeit bei niederen Frequenzen erfordert daher eine große Windungszahl, großen Windungsquerschnitt und einen Kern hoher Permeabilität. Andererseits wird die obere Grenzfrequenz von Stromsensoren durch ihre Eigenresonanz (Spuleninduktivität, Wicklungsstreukapazität) bestimmt. Hohe obere Grenzfrequenz und große Empfindlichkeit (große Windungszahl) schließen einander aus. Zur Erfassung von Störströmen über einen größeren Frequenzbereich sind meist mehrere Stromsensoren erforderlich. Bezüglich des mechanischen Aufbaus gelten für HF-Stromwandler ähnliche Überlegungen wie für Rogowskispulen [B 19]. Neben der Frequenzlinearität ist bei Stromsensoren mit Eisenkern auch die stromabhängige (aussteuerungsabhängige) Linearität ihres Übertragungsfaktors zu beachten, die bei CW-Betrieb durch eine Obergrenze für den Strom, im Impulsbetrieb durch die Spannungszeitfläche spezifiziert wird. Schließlich seien noch Flächenstromsensoren erwähnt, die mittels einer Induktionsspule das mit den Wandströmen in Schirmgehäusen oder Karosserieblechen verknüpfte Magnetfeld erfassen und somit auch den lokalen Flächenstrombelag zu messen gestatten. Reproduzierbare Störspannungsmessungen erfordern nicht nur die Verwendung geeigneter Netznachbildungen und Sensoren, sondern auch die Einhaltung der in den jeweiligen Vorschriften festgelegten räumlichen Anordnung aller an der Emissionsmessung beteiligten Komponenten, der sie verbindenden Leitungen und der Geometrie des Bezugsleiters, Bild 7.7.

Großflächige Bezugsmasse ( >4m2) Prüfobjekt

Messempfänger Netznachbildung

40 cm

80 cm

> 80 cm

Bild 7.7: Typischer Aufbau zur Messung leitungsgeführter Emissionen: Störspannungsmessung.

7.1 Messung von Störspannungen und -strömen

287

Speziell für die Messung leitungsgebundener Funkstörungen gilt EN 55014 (DIN VDE 0875 Teil 14). Bezüglich der Messgeräte zur quantitativen Erfassung von Störspannungen und Störströmen, einschließlich ihrer Bewertung, wird auf Abschn. 7.4 verwiesen.

7.2

Messung von Störfeldstärken

7.2.1

Antennen

Geraten die Abmessungen der Störquellen einschließlich ihrer Zuleitungen in die Größenordnung der Wellenlänge, wird die elektromagnetische Energie zunehmend in Form elektromagnetischer Wellen abgestrahlt. Diese Wellen und auch bereits quasistatische elektrische und magnetische Felder erfasst man mit Antennen, die an ihren Klemmen eine der zur messenden Feldstärke proportionale Spannung liefern. Die Wirkungsweise der unterschiedlichen Antennenbauformen wird im Folgenden näher erläutert. 7.2.1.1

E-Feld Antennen

Elektrische Felder influenzieren in Leitern Ladungsverschiebungen und führen zu Spannungsunterschieden zwischen isolierten, im jeweiligen Feld befindlichen Leitern. Naturgemäß bestehen daher Antennen für die Messung elektrischer Felder immer aus mindestens zwei Elektroden (z. B. Stabantenne/KFZ-Karosserie usw.), Bild 7.8.

Bild 7.8: Elektrische Stabantennen. a) Monopolantenne mit „Gegengewicht“ unsymmetrisch), 1 bis 30 MHz, b) Dipolantenne (symmetrisch) 10 MHz bis 1 GHz.

288

7 EMV-Emissionsmesstechnik

In Bild 7.8 a herrscht die influenzierte Spannung zwischen dem senkrechten Antennenstab und der sternförmig ausgebildeten Gegenelektrode, in Bild 7.8 b zwischen den beiden Hälften des Dipols. Da die Qualität, mit der das Gegengewicht einen perfekten Erdflächenleiter nachzubilden im Stande ist, von der Größe der Streukapazität zur geerdeten Umgebung abhängt, variiert die Ausgangsspannung von Monopolantennen mit dem Aufstellungsort. (Bei horizontalen Dipolen und vertikalen Dipolen in größerer Höhe über dem Boden ist die Spannung in erster Näherung vom Aufstellungsort unabhängig). Den Zusammenhang zwischen der von einem elektrischen Feld in einer Antenne influenzierten Leerlaufklemmenspannung und der lokalen Feldstärke bezeichnet man als Antennenhöhe oder -länge, heff =

U0 ESt

.

(7-7)

Der Name Antennenhöhe ist historisch bedingt und hat nichts mit der Höhe der Aufstellung einer Antenne über dem Erdboden zu tun. Von der effektiven Länge spricht man meist in Zusammenhang mit symmetrischen Antennen, von der Antennenhöhe meist in Zusammenhang mit unsymmetrischen Antennen. Beide Begriffe stehen mit der geometrischen Länge einer Antenne über deren sinusförmige Stromverteilung auf der Struktur in Zusammenhang, daher auch der Index „eff“ für effektive Antennenlänge. In einem Spannungsquellenersatzschaltbild für elektrisch kurze Antennen kommt diese Abhängigkeit u. a. durch die so genannte Totkapazität (Streukapazität zwischen den Antennenklemmen in der Nähe des Antennenfußpunkts) zum Ausdruck. Eine hohe Totkapazität bewirkt eine kleine Antennenhöhe bzw. -länge. Auf Grund des frequenzabhängigen, kapazitiven Blindwiderstands der Antenne nimmt die Antennenhöhe proportional mit der Frequenz zu. Durch die Verluste in der Antenne (Antennenwirkungsgrad), die Belastung einer Antenne mit dem Eingangswiderstand des Messempfängers ( 50 Ω ) und wegen der Messkabeldämpfung tritt am Empfänger nicht die Leerlaufspannung, sondern eine kleinere Spannung auf. Der Reziprokwert des Verhältnisses der am Empfängereingang gemessenen Störspannung USt und der gesuchten Störfeldstärke ESt ergibt den für die Praxis wichtigen Antennenfaktor AF,

7.2 Messung von Störfeldstärken

289

AF =

ESt USt

.

(7-8)

Da die Antennenhöhe von der Frequenz abhängt, ist auch der Antennenfaktor frequenzabhängig. Meist arbeitet man mit dem entsprechenden logarithmischen Verhältnis (Umwandlungsmaß, Übertragungsmaß) AFdB = 20 lg

ESt USt

.

(7-9)

Das Umwandlungsmaß wird vom Hersteller messtechnisch für das Fernfeld ermittelt und der Antenne als Eichkurve oder -tabelle beigegeben. Manche Hersteller liefern zusätzlich auch Umwandlungsmaße für den Nahfeldbereich (Unterschiede von 10 dB oder mehr!), beispielsweise für Messungen in einem Meter Abstand wie sie in der KFZ- oder Luftfahrtindustrie gebräuchlich sind. Mit (7-9) berechnet sich dann die gesuchte Feldstärke zu EStdBμV / m = UStdBμV + AFdB

.

(7-10)

Der Antennenfaktor besitzt gewöhnlich Werte zwischen 0 und 60dB, wobei ein hoher Antennenfaktor einer unempfindlichen Antenne entspricht (und umgekehrt). Im Fernfeld (s. Abschn. 5.1) hängen E und H über den Feldwellenwiderstand des freien Raumes zusammen, E = 377 Ω H

.

(7-11)

Aus der Messung der elektrischen Feldstärke lässt sich somit auch sofort die magnetische Feldstärke angeben, HStdBμA / m = EStdBμV / m − 52dB

.

(7-12)

290

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Im Nahfeld (s. Abschn. 5.1) sind E und H nicht in Phase, eine einfache Umrechnung mit dem Nahfeld-Feldwellenwiderstand gemäß Abschn. 5.1 hat daher keine physikalische, sondern nur formale Bedeutung. Stabantennen werden sowohl als elektrisch kurze Antennen als auch als abgestimmte, sich elektrisch lang verhaltende Antennen betrieben (Resonanzbetrieb). In ersterem Fall (z. B. einfache Monopolantenne) wird die Antenne als hochohmige Quelle mit kapazitivem Innenwiderstand durch die Belastung mit der Eingangsimpedanz des Messempfängers ( 50 Ω ) praktisch kurzgeschlossen, so dass der Antennenfaktor sehr hohe Werte annimmt. Man betreibt daher kurze Monopolantennen häufig als aktive Breitband-Antennen mit Vorverstärker, die nicht nur den Antennenfaktor reduzieren, sondern auch dessen Frequenzabhängigkeit verringern. Große Feldstärken von Breitbandstörern führen bei aktiven Antennen leicht zu Übersteuerung und Intermodulation. Neben der am Empfänger eingestellten Messfrequenz liegen an der Antenne noch viele andere Frequenzen, deren Summen und Differenzen (Intermodulationsprodukte) beliebige Kombinationsfrequenzen ergeben, die Minima im Spektrum „auffüllen“ und damit falsche Spektren vortäuschen können. Bei abgestimmten, in Resonanz betriebenen Antennen ( l = λ / 4 ) wird die Antennenkapazität durch die Antenneninduktivität kompensiert. Der Innenwiderstand der Antenne wird dann rein ohmsch (ca. 36,5 Ω beim Monopol, 73 Ω beim Dipol), was die Anpassung an das 50 Ω Messkabel merklich erleichtert. Einfache Stabmonopole und -dipole können, falls Platz vorhanden ist, durch ausziehbare Stäbe innerhalb eines bestimmten Frequenzbereichs kontinuierlich auf beliebige Frequenzen abgestimmt werden. 7.2.1.2

Breitbandantennen

Neben einfachen Monopol- und Dipolantennen gibt es weitere, sophistische Bauformen, die sich durch eine vergleichsweise große Bandbreite auszeichnen (Frequenzverhältnis etwa 1:10): – Bikonische Antennen, – Logarithmisch-periodische Antennen, – Konisch-logarithmische Antennen und – Hornantennen.

7.2 Messung von Störfeldstärken

291

Die Tatsache, dass bei Stabdipolen der Innenwiderstand sich mit zunehmendem Stabdurchmesser auf 30 Ω bzw. 60 Ω verringert und gleichzeitig die Resonanzschärfe abnimmt, legt für breitbandige Dipole die Verwendung dicker Stäbe nahe, Bild 7.9 a.

Bild 7.9: Breitbandige Dipole. a) Breitbandipol mit zylindrischen Stäben, b) konischer Breitbandipol (engl.: biconical antenna) 20 MHz bis 200 MHz.

Wegen der großen Totkapazität dicker Stäbe werden Breitbanddipole in praxi als konische Stabreusen realisiert, was letztlich auf den konischen Breitbanddipol führt, Bild 7.9 b. Durch Überlagerung der Felder mehrerer Dipole lässt sich über einen größeren Frequenzbereich eine bestimmte Richtwirkung und damit ein Antennengewinn (engl.: gain) erzielen, Bild 7.10.

Bild 7.10: Gekoppelte Dipolantennen a) Strahlungsgekoppelte Dipole (TV YagiAntenne), b) galvanisch gekoppelte Dipole (Logarithmisch periodische Breitbandantenne) 200 MHz bis 1 GHz.

292

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Im einfachsten Fall können die Dipole nur strahlungsgekoppelt sein, Bild 7.10 a. Eine einfallende Welle führt in den Hilfsdipolen zu Wechselströmen, die wiederum eine Sekundärwelle abstrahlen. Bei geeignetem Abstand überlagern sich die Sekundärwellen der Hilfsdipole durch konstruktive Interferenz derart, dass am eigentlichen Empfangsdipol eine höhere Feldstärke und damit auch eine höhere Spannung auftreten. In der EMV-Technik werden üblicherweise galvanisch gekoppelte Dipole mit periodisch logarithmischer Struktur verwendet. Das heißt, der Logarithmus je zwei aufeinander folgender Abstände und je zweier aufeinander folgende Längen der Antennenelemente ist konstant. Eine weitere logarithmisch periodische Struktur ist die konisch logarithmische Spiralantenne (engl.: Conical Log Spiral), Bild 7.11.

Bild 7.11: Konisch logarithmisch periodische Antenne, Breitbandantenne 200 MHz bis 1 GHz und 1 GHz bis 10 GHz.

Sie besteht aus zwei oder vier spiralförmig aufgewickelten Armen mit Einspeisung am verjüngten Ende. Die abstrahlende Region verschiebt sich je nach Frequenz in diejenige axiale Ebene, für die der Umfang des Konus gleich der Wellenlänge ist. Schließlich seien noch Hornstrahler erwähnt, die die stetige Anpassung eines am Ende offenen Hohlleiters an den Feldwellenwiderstand des freien Raums vornehmen, Bild 7.12.

Bild 7.12: Hornstrahler, Breitbandantenne 200 MHz bis 2 GHz und 1 GHz bis 12 GHz.

7.2 Messung von Störfeldstärken

293

Über den Einsatz der verschiedenen Antennentypen entscheiden Frequenzbereich, Platzverhältnisse, Störniveau etc. Wann welche Antenne letztlich verwendet wird, ist im Einzelfall den jeweils zutreffenden Vorschriften sowie Herstellerkatalogen zu entnehmen. 7.2.1.3

H-Feld Antennen

Magnetische Felder induzieren in einer elektrisch kurzen Leiterschleife eine eingeprägte elektrische Spannung (Umlaufspannung), die zwischen den Enden der aufgetrennten Schleife gemessen werden kann (Induktionsgesetz, [B18]). Passive Rahmenantennen bestehen daher schlicht aus einer oder mehreren Drahtwindungen, Bild 7.13.

a)

b)

Bild 7.13: Rahmenantennen für magnetische Felder, 20 Hz bis 30 MHz, a) mit einer Windung, b) mit mehreren Windungen.

Geringer Windungsdurchmesser und kleine Windungszahl ergeben eine hohe obere Grenzfrequenz und umgekehrt. Die obere Grenzfrequenz ist erreicht, wenn sich die Drahtlänge als elektrisch lange Leitung manifestiert (s. Abschn. 3.4 und [1.6]). Den Zusammenhang zwischen dem zu messenden Feld und der vom Messempfänger angezeigten Spannung beschreibt auch hier ein Antennenfaktor, wahlweise in Einheiten der magnetischen Feldstärke H oder der magnetischen Flussdichte B,

AFH =

HSt USt

bzw.

AFB =

BSt USt

.

(7-13)

294

7 EMV-Emissionsmesstechnik

In der Praxis rechnet man wieder mit logarithmischen Maßen, meist bezogen auf 1 pico Tesla (1 pT). Aktive Rahmenantennen besitzen einen batteriebetriebenen HF-Vorverstärker, der nicht nur den Antennenfaktor über einen großen Frequenzbereich weitgehend konstant hält, sondern auch insgesamt betragsmäßig verringert, m. a. W. die Antenne speziell bei niederen Frequenzen empfindlicher macht. Den Vorteilen aktiver Antennen stehen auch hier wieder als Nachteile Übersteuerungs- und Intermodulationsgefahr gegenüber. Rahmenantennen sind meist durch ein leitfähiges Rohr gegen die elektrische Feldkomponente geschirmt. Zur Vermeidung einer Kurzschlusswindung ist das Rohr geschlitzt. Die Schwächung des Magnetfeldes durch die Wirbelströme im Schirm ist im Antennenfaktor berücksichtigt. Steckt man durch den Rahmen einen Ferritstab, erhält man eine sehr kompakte Rahmenantenne hoher Empfindlichkeit und Richtwirkung, sog. Ferritantennen. 7.2.1.4

Schnüffelantennen

Neben den oben aufgeführten, über ihre Antennenfaktoren geeichten Messantennen für elektrische und magnetische Felder, gibt es für Monitorzwecke noch so genannte Schnüffelantennen (engl.: sniffer probes). Sie eignen sich für das Aufspüren parasitärer Felder an Schirmfugen, Transformatoren, Drosseln, elektronischen Baugruppen etc. [7.4]. Sie sind nicht kalibriert, bestehen schlicht aus einer oder mehreren Drahtwindungen oder dem herausragenden Innenleiter eines Koaxialkabels, und sind ohne Aufwand leicht selbst herzustellen, Bild 7.14.

a)

b)

Bild 7.14: Beispiele für „Schnüffelantennen“. a) H-Feld Antenne (geschlitztes Koaxialkabel), mit BALUN, b) E-Feld Antenne (abisoliertes Koaxialkabel).

7.2 Messung von Störfeldstärken

7.2.1.5

295

Feldsonden

Eine Besonderheit bilden isotrope Feldsonden-Systeme zur Messung der einzelnen E-Feld Vektorkomponenten. Diese bestehen meist aus einer elektrischen Sonde geringer Abmessungen deren Messwerte über Lichtwellenleiter zu einem Anzeigegerät übertragen werden.

Bild 7.15: Beispiel einer elektrische, isotrope Feldsonde [ar].

Verstärker und Optokoppler sind entweder akkubetrieben oder werden über einen Lichtwellenleiter per Laser versorgt. Alle 5-20 μs werden dabei die Messwerte erfasst und zur Monitoreinheit übertragen. Die Monitoreinheit zeigt dann entweder die x-, y- und z-Komponenten oder den Betrag des elektrischen Feldes an. Aufgrund der meist geringeren Empfindlichkeit gegenüber Antennenmessungen ⎯ typische Messbereiche liegen zwischen 0,5 V/m bis 800 V/m bei einer Auflösung von 0,01 V/m ⎯ liegt hier der Hauptanwendungsbereich bei der Kalibrierung und Erfassung von Feldern für Störfestigkeitsprüfungen oder beim Erfassen hoher elektrischer Felder im Rahmen der Personensicherheit. Feldmesssonden arbeiten meist nicht frequenzselektiv und sind zur Erfassung gepulster elektrischer Felder oft ungeeignet. 7.2.1.6

Antennen-Symmetrierübertrager

Antennen-Symmetrierübertrager (engl.: BALUN, BALanced, UNbalanced) dienen der Anpassung symmetrischer Antennen an koaxiale Mess- oder auch Speiseleitungen (Suszeptibilitätsmessungen). Beim Anschluss einer symmetrischen Antenne an eine koaxiale Messleitung teilt sich der an den Klemmen verfügbare Strom in eine Leitungswelle zwischen Innen- und Außenleiter und eine Mantelstromwelle zwischen Kabelmantel und geerde-

296

7 EMV-Emissionsmesstechnik

ter Umgebung auf. Um den Energietransport ausschließlich auf das Kabelinnere zu beschränken und störende Abstrahlung der Mess- oder Speiseleitung zu vermeiden, schaltet man zwischen Antenne und Kabel einen Symmetrierübertrager. Dieser kann im einfachsten Fall durch Aufwickeln eines Teils des Koaxialkabels zu einer unmittelbar vor der Antenne angeordneten Drossel realisiert werden. Diese Drossel stellt für den Kabelmantelstrom (unsymmetrischer Strom) eine erhöhte Impedanz dar. Für das Gegentakt-Nutzsignal (symmetrischer Strom) ist die Drossel wegen der Kompensation der Durchflutungen nicht existent, Bild 7.15 a.

Bild 7.16: Symmetrierübertrager. a) Leitungsdrossel (Breitband), b) 1:1 Breitbandübertrager, c) 4:1 Breitbandübertrager.

Auf diesem Prinzip beruhen auch Breitband-Ringkernübertrager, deren Wicklungen letztlich immer so geschaltet werden, dass symmetrische Ströme begünstigt, unsymmetrische Ströme unterdrückt werden, Bild 7.16 b und c. Je nach Aufbau kann gleichzeitig ein von 1 : 1 verschiedenes Übersetzungsverhältnis und damit eine Impedanztransformation vorgesehen werden. Neben den beschriebenen Breitbandübertragern kommen bei abgestimmten Antennen auch Symmetrierübertrager aus kurzen Leitungsstücken ( l = λ / 4 oder λ / 2 ) in Frage, die bei Resonanzfrequenz entweder nur als einfache Sperrkreise oder auch als Leitungstransformatoren mit einem von 1:1 verschiedenen Übersetzungsverhältnis wirken [7.5]. Symmetrierübertrager unterschiedlicher thermischer Belastbarkeit und Linearität machen den essentiellen Unterschied zwischen gewöhnlichen Empfangsantennen und Hochleistungs-Sendeantennen für Störfestigkeitsmessungen aus.

7.2 Messung von Störfeldstärken

7.2.2

297

Messgelände und Messplätze

Für die Messung von Störfeldstärken benötigt man ein geeignetes Messgelände und eine dem Frequenzbereich angepasste Messeinrichtung. Beide zusammen bilden einen Messplatz. Als Messgelände kommen in Frage das Freifeld oder, bei zu großem Störhintergrund durch Rundfunksender, reflexionsarm ausgerüstete, abgeschirmte Räume (Absorberkammern, s. u.). Typische Mindestabstände für eine Freifeldmessung zeigt Bild 7.17.

2D D

U St (ω)

3 D

Bild 7.17: Mindestabstände für Freifeldmessungen [7.7, 7.8].

Das Messgelände muss eben sein und darf innerhalb der Ellipse außer dem Testobjekt und der Empfangsantenne keine weiteren reflektierenden Gegenstände (Messgeräte etc.) > 5 cm Höhe aufweisen. Der Boden des Messgeländes soll gut leitfähig sein. Dies wird meist durch im Boden eingelassene oder durch oberflächig aufgelegte Metallplatten realisiert. Ausreichende Leitfähigkeit und Unabhängigkeit von außerhalb der Ellipse befindlichen reflektierenden Objekten (Bäume, Zäune, Gebäude, Leitungen etc.) bescheinigen eine erfolgreich verlaufene Messgeländeüberprüfung (s. unten). Sowohl im nicht idealen Freifeld wie in abgeschirmten Räumen treten Reflexionen auf. Neben der direkten Störstrahlungskomponente treffen an der Empfangsantenne auch vom Boden und anderen Hindernissen (Wände einer Schirmkabine etc.) reflektierte Wellen ein, Bild 7.18.

298

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Bild 7.18: Direkte und reflektierte Störstrahlung. a) Freifeld, b) Schirmraum.

Je nach Laufzeitunterschied kommt es zu konstruktiver oder destruktiver Interferenz, mit anderen Worten zu einer Verstärkung oder Schwächung des am Empfangsort gemessenen Felds. Die räumliche Feldverteilung wird dadurch stark inhomogen und macht die Ergebnisse von Störfeldstärkemessungen in oft nicht überschaubarer Weise von der räumlichen Anordnung der Prüfobjekte und Antennen abhängig. Gewissheit über die Eignung eines Messgeländes schafft die Messung der Messgeländedämpfung für den in Frage kommenden Frequenzbereich. Für eine Messgeländeüberprüfung benötigt man einen Sender, einen Empfänger und zwei (nach Möglichkeit) identische Antennen, Bild 7.19.

Δh

D

1m Sender

1m

UAntenne

Empfänger

Bild 7.19: Ermittlung der Messgeländedämpfung. Symmetrierglieder des Übergangs von der symmetrischen Antenne auf das unsymmetrische Koaxialkabel nicht gezeichnet (Erläuterung s. Text).

7.2 Messung von Störfeldstärken

299

Die Messgeländedämpfung definiert man als Verhältnis der Senderausgangsspannung zur Empfängereingangsspannung [7.18],

A=

US UE

bzw.

A dB = 20 lg US − 20 lg UE

.

(7-14)

Zur Berücksichtigung des Einflusses der vom Boden reflektierten Welle variiert man während der Messung die Höhe der Empfangsantenne um Δh = 3 m bis jeweils die maximale Anzeige erhalten wird (minimale Messgeländedämpfung). Um den Einfluss der Antennenzuleitungen auszuschalten, wird die Messgeländedämpfung als Einfügungsdämpfung ermittelt. Das heißt, als Senderspannung US setzt man nicht die am Sender angezeigte Spannung, sondern die bei direkt verbundenen Antennenleitungen mit dem Empfänger gemessene Senderspannung ein (s. Bild 7.19). Die Messgeländedämpfung ist dann ein Maß für den Spannungsverlust bei Strahlungsübertragung gegenüber leitungsgebundener Übertragung. Eine Aussage über die Eignung des Messgeländes liefert der Vergleich der Einfügungsdämpfung mit der theoretischen Messgeländedämpfung des idealen Freifelds. Letztere ergibt sich ausgehend von der Streckendämpfung im freien Raum nach Fränz [7.23, 7.24] unter Berücksichtigung der Reflexionen von der leitenden Bodenfläche zu [7.18, 7.25, 7.8] A=

D ⋅ fm GSGE ⋅ R ⋅ 23,9

bzw. A dB = 20 lg D + 20 lg fm − 27,6dB − GSdB − GEdB − R dB

.

(7-15)

In (7-15) bedeuten D

: Antennenabstand in m

GS : Sendeantennengewinn R

: Einfluss der vom Boden reflektierten Welle.

fm : Messfrequenz in MHz GE : Empfangsantennengewinn

300

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Die Größe R hängt vom Antennenabstand D und dem Strahlenweg Dr der am Boden reflektierten Welle ab: R = 1 − D / Dr . Für die verschiedenen Messentfernungen nimmt R dB folgende Werte an, D=3 m

: R dB =3,74dB…4,84dB

(Mittelwert 4,3dB)

D=10 m : R dB =5,46dB…5,86dB

(Mittelwert 5,7dB)

D=30 m : R dB =5,91dB…5,98dB

(Mittelwert 5,9dB)

Alternativ können nach [7.18] der Messabstand und der Einfluss der vom Boden reflektierten Welle in die theoretische Messgeländedämpfung eingerechnet werden. Für Halbwellendipole ergibt sich A=

279,1 ⋅ AFS ⋅ AFE fm EDmax

bzw. A dB = −20 lg fm − 20 lg EDmax + 48,92dB + AFSdB + AFEdB

.

(7-16)

In den Gleichungen bedeuten AFE :

Antennenfaktor der Empfangsantenne

AFS :

Antennenfaktor der Sendeantenne

EDmax

: Maximale elektrische Feldstärke im Höhenbereich der Empfangsantenne, erzeugt durch 1 pW Strahlungsleistung der Sendeantenne.

Subtrahiert man von der gemessenen und der theoretischen Messgeländedämpfung die Antennenfaktoren beider Antennen, erhält man die normierten Messgeländedämpfungen gemäß VDE 0877 Teil 2 [7.7]. Bei der Messung der Einfügungsdämpfung erfolgt diese Subtraktion automatisch, falls im leitungsgebundenen Fall die Antennenübertrager von den Antennen gelöst und mit den Koaxialkabeln in Reihe geschaltet werden (soweit konstruktionsbedingt möglich). Bild 7.20 zeigt den Verlauf der normierten theoretischen Felddämpfung über der Frequenz für verschiedene Messentfernungen D und variable Empfangsantennenhöhen hE .

7.2 Messung von Störfeldstärken

301

50 40 30 20 10

III II I

Bild 7.20: Normierte, theoretische Felddämpfung gemäß VDE 0877 [7.7].

0 -10 -20 -30 30 40 50 60

80 100

150 200

I: D=3 m, hE = 0, 5…1, 5 m; 300 400 600 1000 II: D=10 m, h = 1… 4 m; E MHz Frequenz III: D=30 m, h E = 1… 4 m.

Abweichungen > 3dB zwischen gemessener normierter Messgeländedämpfung und dem in Bild 7.20 dargestellten theoretischen Verlauf werden dem Ergebnis einer Störfeldstärkemessung als Korrekturwerte hinzugefügt. Sind die Abweichungen größer 10dB, ist das Messgelände ungeeignet. Eine Messwertkorrektur ist nach der Norm [7.26] zur Messgeländeüberprüfung zukünftig ausgeschlossen. Danach darf die gemessene normierte Messgeländedämpfung nicht mehr als ± 4dB abweichen, wobei zusätzlich horizontale und vertikale Antennenpolarisation, zwei verschiedene Höhen der Sendeantenne und deren Ortsvariation auf vier Positionen kreisförmig um ihr Zentrum berücksichtigt werden müssen. Bei der praktischen Durchführung von Störfeldstärkemessungen im klassischen Industriebereich wird das Prüfobjekt in einer Höhe von 0,8 m bzw. 1 m (je nach Vorschrift) auf einen drehbaren Tisch aus dielektrischem Material angeordnet. Standgeräte werden um maximal 0,15 m isoliert über dem Boden aufgestellt. Andere Bereiche, wie in der Luftfahrt und KFZIndustrie benötigen eine metallische Bezugsmasse als Tischoberfläche. Die Störfeldstärke ist bei jeder Messfrequenz für horizontale und vertikale Polarisation der Empfangsantenne zu ermitteln, wobei jeweils der Maximalwert (Drehtisch und Höhenvariation) festgehalten wird. Weicht die Messentfernung von der genormten Entfernung, z. B. 3 m, 10 m, 30 m ab, können bei Prüflingen, deren Abmessungen klein gegen die Wellenlänge sind, gemessene Feldstärkewerte näherungsweise auf die genormten Messentfernungen umgerechnet werden (s. a. Abschn. 5.1). Es gilt Tabelle 7.1.

302

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Tabelle 7.1: Proportionalitätsrelationen zur Umrechnung von Feldstärken auf verschiedene Messentfernungen.

Messentfernung Feldstärke

r < 0,1 ⋅ λ ∼ 1/ r

3

0,1 ⋅ λ < r < 3 ⋅ λ ∼ 1/ r

2

r > 3⋅λ ∼ 1/ r

Die Normen sehen diese Umrechnung wegen ihrem „Näherungscharakter“ jedoch nicht vor (siehe z. B. EN 55022) [7.28]. Abschließend zeigt Bild 7.21 einen typischen Versuchsaufbau für Störfeldstärkemessungen in einer Semi-Absorberkammer.

Netznachbildung 220V Störmessempfänger Oszilloskop Plotter

Netznachbildung Signalleitungen Prüfobjekt

3m

0.8 m

Bild 7.21: Typischer Versuchsaufbau für Störfeldstärkemessungen in SemiAbsorberkammer nach EN 55022.

Bezüglich der vorschriftengerechten Durchführung von Störfeldstärkemessungen (Leitungsführung und -längen, Abschluss von Leitungen durch Absorber und Netznachbildungen, räumliche Anordnung etc.) wird unter anderem auf EN 55022 (DIN VDE 0878 Teil 22) [7.28] und EN 55011 (DIN VDE 0875 Teil 11) [7.29] verwiesen. Außerdem beispielsweise für den KFZBereich EN 55025 (DIN VDE 0879 Teil 2) [7.30] und den Luftfahrtbereich RTCA-DO160 E Sektion 20 [7.31]. Ein weiteres Messgelände zur Erfassung gestrahlter Emissionen sind so genannte GTEM-Zellen (engl.: Gigahertz Transverse ElectroMagnetic Cell).

7.2 Messung von Störfeldstärken

303

Die GTEM-Zelle hat eine pyramidenähnliche Form. Im Inneren des Schirmraums befindet sich eine Platte als Innenleiter, so dass sich elektrisch eine koaxiale Struktur ergibt, s. a. Abschn. 5.7.4.

Modenverwirbelungskammern (engl.: Reverberation Chamber) sind ein weiteres Mess- und Prüfgelände für gestrahlte Felder, s. a. Abschn. 5.7.2. Bild 7.22 zeigt den Messaufbau einer Modenverwirbelungskammer mit Sende- und Empfangsantenne, sowie einem metallischen „Moden-Rührer“ (engl.: Stirrer).

Bild 7.22: Aufbau einer Modenverwirbelungskammer.

Zur weiteren Erläuterung von Emissionsmessungen in Modenverwirbelungskammern und der anzuwendenden Statistik sei wegen des großen Umfangs auf das Literaturverzeichnis [7.35 und 7.9–7.12] verwiesen.

7.3

Messung von Störleistungen

Störfeldstärkemessungen stellen hohe Ansprüche an das Messgelände, die Antennen sowie die gesamte Versuchsdurchführung. Zur Verringerung des messtechnischen Aufwands kann bei Geräten, deren Abmessungen klein gegen die Wellenlänge sind und deren Emissionen überwiegend über die als Antennen wirkenden angeschlossenen Leitungen abgestrahlt werden, an

304

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Stelle einer Störfeldstärkemessung eine Störleistungsmessung durchgeführt werden. Der auf einer Leitung gemessene Störstrom ergibt zusammen mit der Leitungsimpedanz eine Störleistung, die der in eine virtuelle Antenne eingespeisten Leistung entspricht, Bild 7.23. Absorber für Messkabel uSt(t) Störquelle Netz

Stromwandler

Absorber für Netzzuleitung

Bild 7.23: Absorberzange für Störleistungsmessungen [7.1, 7.3, 7.14].

Die Absorber auf der Netzleitung verhindern einerseits die Ausbreitung von Störströmen in das Netz, andererseits die Verfälschung des Messergebnisses durch ankommende Störströme aus dem Netz. Die Absorber auf der Messleitung dienen lediglich der Unterdrückung parasitärer, kapazitiv auf die Messleitung eingekoppelter Kabelmantelströme. Der Vorzug der Störleistungsmessung liegt in ihrer guten Reproduzierbarkeit und Unempfindlichkeit gegenüber äußeren Störeinflüssen. Letztere machen eine spezielle Absorberkammer häufig entbehrlich. Ihre Verwendung bietet sich speziell dann an, wenn die Emissionen der Störquelle dank einem EMC-tauglich ausgebildeten Gehäuse ausschließlich von den angeschlossenen Leitungen ausgehen oder die Gehäuseabmessungen klein gegenüber der Wellenlänge sind. Diese Art Messung, gemäß EN 55014, findet deswegen auch vorzugsweise bei Haushaltsgeräten statt, da diese meist von kleiner Bauweise sind.

7.4

EMB-Messgeräte

Die messtechnische Erfassung unterschiedlichster elektromagnetischer Beeinflussungen, wie Störspannungen, Störströme, Störleistungen, E-Felder, H-

7.4 EMB-Messgeräte

305

Felder etc., führt dank geeigneter Sensoren bzw. Messumformer (Tastköpfe, Stromwandler, Antennen) letztlich immer auf ein Spannungssignal uM (t) , das mit einem – Störmessempfänger, – Spektrumanalysator oder – Oszilloskop gemessen bzw. angezeigt wird. Aus dieser Information wird anschließend mit Hilfe der jeweiligen Übertragungsfaktoren bzw. der Übertragungsmaße der Messumformer (s. z. B. Abschn. 7.1, 7.2.1) auf die tatsächliche Störgröße geschlossen. Die Wirkungsweise von Störmessempfängern und Spektrumanalysatoren wird im Folgenden näher erläutert.

7.4.1

Störmessempfänger

Störmessempfänger sind im Wesentlichen abstimmbare selektive Spannungsmesser für Hochfrequenzspannungen. Sie arbeiten nach dem Überlagerungsprinzip (Superheterodynprinzip), das auch jedem Ton- und Fernsehrundfunkempfänger zu Grunde liegt, Bild 7.24. 1

2

3

4

5 Detektor

USt

Oszillator

Bild 7.24: Stark vereinfachtes Blockschaltbild eines Störspannungsmessgeräts (Überlagerungsempfänger, Superheterodynprinzip): 1 Eingangsabschwächer, 2 abstimmbarer Eingangskreis zur Vorselektion, 3 ZF-Erzeugung (Oszillator und Mischstufe), 4 ZF -Verstärker (selektiver Verstärker mit fester Mittenfrequenz), 5 Bewertungsglied mit Anzeigevorrichtung.

Die zu messende Spannung gelangt über einen Eingangsabschwächer 1 und ein auf die Messfrequenz abstimmbares Bandfilter 2 zur Mischstufe 3, in der dem vorselektierten Frequenzgemisch die einstellbare Oszillatorfrequenz überlagert wird. Mischprodukte mit Zwischenfrequenz (ZF) werden im ZF-

306

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Verstärker 4 (mehrstufiger Verstärker mit fest eingestellten Koppelfiltern für die ZF) selektiv verstärkt. Bei vielen Störmessempfängern lässt sich die maximale ZF-Bandbreite durch zuschaltbare ZF-Filter schmälerer Bandbreite nachträglich einengen. Je nach gewählter Anzeigeart (Detektorschaltung) und Vorschrift wird von der Einhüllenden der Ausgangsspannung des ZF-Verstärkers der – Spitzenwert, – Quasi-Spitzenwert (Bewerteter Spitzenwert), – Arithmetische Mittelwert oder – Effektivwert angezeigt [7.15–7.17]. Komfortable, moderne Störmessempfänger erlauben dank verschiedener integrierter Bewertungsglieder die Wahl unterschiedlicher Anzeigearten durch einfaches Umschalten. Des Weiteren besitzen Sie eine Max-Hold-Funktion und zusätzliche statistische Verfahren die meist softwaremäßig implementiert sind.

7.4.1.1

Spitzenwertanzeige

Die Spitzenwertanzeige zeigt die maximale Amplitude der gleichgerichteten Ausgangsspannung uR (t) des ZF-Verstärkers an (Einhüllende, Richtspannung), kalibriert in Effektivwerten einer sinusförmigen Störspannung, die die gleiche Richtspannung ergibt. (Bei sinusförmigen Eingangsspannungen ist ˆ ), Bild 7.25. die Richtspannung eine konstante Gleichspannung U = u(t)

uR(t)

ûR uZF(t)

CS

ûR S

uZF(t)

Bild 7.25: Spitzenwertdetektor (schematisch).

Die Diode richtet die veränderliche ZF-Wechselspannung uZF (t) gleich und lädt einen Speicherkondensator CS auf den maximalen Scheitelwert uˆ R der Einhüllenden auf. Die Einhüllende hat nur formalen Charakter und tritt nicht als physikalische Spannung auf.

7.4 EMB-Messgeräte

307

Der Kondensator hält den Maximalwert so lange fest, bis er durch den Schalter S manuell oder automatisch nach Verstreichen der zum Ablesen benötigten Zeit entladen wird. An Stelle des Schalters können auch hochohmige Entladewiderstände treten, die eine ausreichend große Entladezeitkonstante gewährleisten. Die Spitzenwertanzeige zeigt beim Anlegen einer sinusförmigen Spannung deren Effektivwert an. Weiter sei erwähnt, dass der Spitzenwert auch mittels einer Komparatorschaltung detektiert werden kann, in der die Diode durch eine veränderliche Gleichspannung in den Sperrbetrieb ausgesteuert wird. Die beim Übergang vom leitenden in den nicht leitenden Zustand herrschende Vorspannung ist ein Maß für den Spitzenwert (engl.: slideback peak detector). Bei Impulsen wird der Wert angezeigt, den eine Sinusspannung mit dem gleichen Spitzenwert aufweist. Dabei handelt es sich nicht um den breitbandigen Video-Impuls-Spitzenwert, sondern denjenigen, der nach Durchlaufen der Filterselektion aufgrund deren Impulsbandbreite entsteht. Dieser Spannungswert kann um Größenordnungen kleiner sein als der breitbandige Scheitelwert der Eingangsimpulse. Die Anzeige ist unabhängig von der Pulsfolgefrequenz (bis etwa zur Hälfte des Reziprokwerts der Filterbandbreite, darüber erfolgt individuelle Spektralauflösung). Der Spitzenwert-Detektor hat eine extrem kurze Aufladezeitkonstante, während die Entladezeitkonstante sehr lang ist. Daher genügt bereits eine sehr kurze Beaufschlagung mit einem Signal, um den vollen Spannungswert zur Anzeige zu bringen, andererseits muss die erfolgte Anzeige nach einer bestimmten Zeit wieder „gelöscht“ werden, da sonst die Anzeige auf dem Spitzenwert stehen bliebe. Der Peak-Detektor eignet sich daher bevorzugt für schnelle Frequenzabläufe, wenn ohne Verzug auch diskrete Signale mit ihrer vollen Spannung angezeigt oder geschrieben werden sollen. Für Impulse und modulierte Signale ergibt der Spitzenwert-Detektor die größte Anzeige, während bei Sinusspannungen alle Detektoren den gleichen Wert anzeigen.

7.4.1.2

Quasi-Spitzenwertanzeige

Die Quasi-Spitzenwertanzeige zeigt den bewerteten Spitzenwert der Einhüllenden der ZF-Spannung an. In dieser Anzeigeart wird der elektrische Wert

308

7 EMV-Emissionsmesstechnik

der Störspannung in eine Anzeige umgewandelt, die dem physiologischen Störeindruck des menschlichen Ohrs entspricht. Letzteres empfindet beim Rundfunkempfang Knackstörungen großen Scheitelwerts und geringer Häufigkeit ebenso störend wie Knackstörungen kleinen Scheitelwerts bei großer Häufigkeit (Psophometrische Kurve). Um diese Anzeigeart zu verstehen, sei zunächst erläutert, wie ein Störmessempfänger bei Beaufschlagung mit Impulsspannungen reagiert. Der Übertragungsfaktor des ZF-Verstärkers besitze einen rechteckförmigen Verlauf, stelle also einen idealisierten Bandpass mit der Mittenfrequenz f0 dar. Gelangt an den Eingang des Störmessempfängers ein Störimpuls, dessen Dauer (mittlere Breite δ ) kurz ist verglichen mit 1/ f0 , erscheint am Ausgang des ZF-Verstärkers eine Kosinusschwingung mit ZF-Frequenz, deren Amplitude mit der Funktion sin(x)/x moduliert ist, Bild 7.26.

uZF(t)

uSt(t)

1/BZF

δBZF

Einmalige Impulse (Transienten)

NichtperioPeriodische dische Impulse, Impulse Inkohärentes f1 BZF

Δf 1

T= f

t

fm

f1

f3

1

Bild 7.31: Zur Definition schmalbandiger Störungen.

f5

f

314

7 EMV-Emissionsmesstechnik

Nach dieser Definition zählen auch AM und FM modulierte Trägerfrequenzen zu schmalbandigen Störungen, wenn die wichtigen Modulationsprodukte innerhalb der ZF-Bandbreite liegen. Genormte ZF-Bandbreiten (z. B. nach CISPR) sind 200 Hz (Spektralbereich 10 kHz bis 150 kHz), 9 kHz (Spektralbereich 150 kHz bis 30 MHz) und 120 kHz (Spektralbereich 30 MHz bis 1000 MHz). Fällt jeweils nur eine Spektrallinie in die ZF-Bandbreite, so zeigt der Messempfänger unabhängig vom Zahlenwert der Bandbreite den durch 2 geteilten Scheitelwert der sinusförmigen ZF-Spannung an. Die Anzeige ist demnach in Effektivwerten geeicht und wird in Veff angegeben. Schmalbandige Störungen lassen sich als solche identifizieren, indem man die Mittenfrequenz des Empfängers um ±BZF verstimmt. Geht hierbei die Anzeige um mehr als 3dB zurück, liegt eine Schmalbandstörung vor. Ein weiteres Kriterium ist eine konstante Anzeige beim Umschalten auf eine größere Bandbreite (Änderung < 3dB zulässig). Schließlich rufen Schmalbandsignale sowohl bei der Mittelwert- als auch bei der Spitzenwertmessung die gleiche Anzeige hervor, während Breitbandsignale beim Umschalten von Spitzenwert- auf Mittelwertanzeige wesentlich geringere Spannungen anzeigen. (Bei pulsmodulierten Trägerfrequenzen erlaubt letzterer Teil keine eindeutige Aussage). Im Gegensatz zu Schmalbandstörungen hängt bei Breitbandstörungen die Anzeige von der Empfängerbandbreite ab. Eine Spitzenwertanzeige mit relativer Verstärkung V0 = 1 zeigt bei breitbandigen Störgrößen gemäß Gleichung (7-17) die Spannung uˆ R = 2 ⋅ A ⋅ BZF

,

(7-18)

bzw. gemäß Abschn. 1.6.1 die Spannung uˆ R = U(f) ⋅ BZF = 2uˆ τ ⋅ BZF

(7-19)

an, wobei U(f) die physikalische Amplitudendichte (Messwert) darstellt. Der angezeigte Wert ist bei kohärenten Störungen (Spektralamplituden und zugehörige Phase sind einander deterministisch zugeordnet, z. B. periodische Impulse) der Bandbreite proportional, das heißt die Anzeige ändert sich beim Umschalten von einer Bandbreite B1 auf eine Bandbreite B2 um

7.4 EMB-Messgeräte

315

ΔU = 20 lg

BZF1 BZF2

dB

.

(7-20)

Bei inkohärenten Störungen (engl.: random noise, z. B. Korona, Rauschen etc.) ist der angezeigte Wert der Wurzel aus der Bandbreite proportional, das heißt die Anzeige ändert sich beim Umschalten nur um ΔU = 10 lg

BZF1 dB BZF2

.

(7-21)

Die unterschiedliche Änderung der Anzeige kann als Kriterium für die Unterscheidung kohärenter und inkohärenter Breitbandstörungen verwendet werden. Gemäß Gleichung (7-19) zeigen Messempfänger unterschiedlicher ZFBandbreite in der Betriebsart Spitzenwertanzeige bei gleichem Signal am Eingang unterschiedliche Spannungswerte an. Um das Messergebnis unabhängig von der Empfängerbandbreite zu machen, bezieht man die gemessene Spannung auf BZF und erhält somit die physikalische Amplitudendichte (s. Abschn. 1.6.2), U(f) =

uˆ R = 2 ⋅ A ⋅ V0 = 2uˆ τ ⋅ V0 BZF

.

(7-22)

Als Bezugsbandbreite wird häufig 1 MHz gewählt. Die Einheit der gemessenen Amplitudendichte ist μV / Hz bzw. dBμV / Hz . Die Umwandlung auf andere Bandbreiten erfolgt für kohärente Signale in Anlehnung an (7-17), für inkohärente Signale in Anlehnung an (7-21).

7.4.2

Spektrumanalysatoren

Spektrumanalysatoren erlauben die rasche graphische Darstellung des Frequenzspektrums von Störgrößen. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Störmessempfänger ohne Vorselektion und einem integrierten Oszilloskop. Ein Sägezahngenerator steuert den lokalen Oszillator des Störmessempfängers über einen wählbaren Frequenzhub (Wobbelhub) aus und bewirkt gleichzeitig die Zeitablenkung des Oszilloskops. Die gleichgerichtete

316

7 EMV-Emissionsmesstechnik

ZF-Spannung (Hüllkurve, Richtspannung) wird in einem Videoverstärker verstärkt und an die Vertikalplatten gelegt, Bild 7.32.

uSt(t)

Detektor

Video Verstärker

Bild 7.32: Prinzipschaltung eines Spektrumanalysators.

Je nach Detektionsart und Bandbreite des Video-Verstärkers lassen sich Spitzenwert- und Mittelwertanzeige (in Einzelfällen auch Quasi-Spitzenwertanzeige) darstellen. Da sich die gewobbelte Mittenfrequenz der Empfängerbandbreite während eines Sägezahns nicht gleichzeitig in Front und Rücken eines einmaligen Vorgangs befinden kann, liefert ein Spektrumanalysator eine befriedigende Bildschirmdarstellung nur bei repetierenden Vorgängen bzw. Dauerstörungen. Spektrumanalysatoren eignen sich hervorragend zur Spektrumüberwachung, Aufnahme von Störhintergründen etc. Verglichen mit reinen Störmessempfängern stehen ihren Vorzügen höhere Rauschzahl, geringerer intermodulationsfreier Dynamikbereich (mangels mitlaufender Vorselektion), geringere Genauigkeit etc. gegenüber. Bei EMV-Abnahmeprüfungen wird daher Störmessempfängern meist der Vorzug gegeben. In einem gut ausgestatteten EMV-Labor sollten beide Empfängerarten vorhanden sein und sich gegenseitig ergänzen.

7.5

Messunsicherheit in der EMV

Eine wichtige Fragestellung bei jeder Messung ist die Genauigkeit, mit der das Messergebnis den wahren Wert der Messgröße wiedergibt und welche Faktoren das Messergebnis beeinflussen. Dazu dient die Messunsicherheitsermittlung. Eine Messung liefert immer nur einen Näherungswert des wahren Wertes der zu erfassenden Größe. Der wahre Wert ließe sich mit in einer idealen Messung erhalten. Da es jedoch bei realen Messvorgängen zahlreiche Einflussgrößen gibt, die zu Abweichungen führen, muss man diese

7.5 Messunsicherheit in der EMV

317

berücksichtigen und auch bei der Beurteilung von Prüflingen einfließen lassen. Die Messabweichung ist formal als Differenz F aus dem Messwert x m und dem wahren Wert x w der Messgröße bestimmt: F = xm − x w .

(7-23)

Als Maß für die Annäherung des Messergebnisses an den wahren Wert dient die Messgenauigkeit, deren quantitative Beurteilung in der Messunsicherheit u ausgedrückt wird. Darunter versteht man einen Wertebereich in dem der wahre Wert der Messgröße liegt. Die untere und die obere Grenze des Wertebereichs ist definiert nach xE − u

(obere Grenze) ,

xE + u

(untere Grenze) ,

(7-24)

wobei die Spanne des Wertebereichs 2u beträgt und x E das um systematische Fehler bereinigte Messergebnis ist. Messabweichungen lassen sich verursachungsgerecht in grobe, systematische und zufällige Fehler unterteilen. Tabelle 7.3: Fehlerarten als Ursache von Messwertabweichungen. Grobe Fehler

Systematische Fehler

Zufällige Fehler

z. B. falsche Handhabung eines Messgerätes, Defekt eines Messgerätes

z. B. falsche Justierung von Messgeräten, Nichtbeachten von Kabeldämpfungen

z. B. durch statistisches Schwanken der Messgröße

Grobe Fehler lassen sich bereits durch regelmäßige Wartung der Messgeräte und Schulung des Personals sehr einschränken. Bei systematischen Fehlern handelt es sich um Fehler, die unter gleichen Messbedingungen immer mit gleichem Betrag und Vorzeichen auftreten. Das so entstandene unberichtigte Messergebnis lässt sich durch Hinzufügen von Korrekturwerten in das berichtigte Messergebnis x E überführen. Dabei

318

7 EMV-Emissionsmesstechnik

werden die verschiedenen Messgrößen X1 , X 2 , X 3 ,… , X N , die auf die Messgröße Y einfließen, mit deren jeweils verbundenen Messabweichungen Δx1 , Δx 2 ,… , Δx N korreliert und eine Gesamtabweichung Δy der Ergebnisgröße y zugeordnet (Fehler-Fortpflanzungsgesetz systematischer Messabweichungen). Ein Beispiel hierfür wäre das Beachten der Messkabeldämpfung oder des Antennenfaktors einer Empfangsantenne.

Zufällige Fehler sind dagegen weder vorhersehbar noch korrigierbar. Sie können nur mit statistischen Methoden erfasst werden, indem man ihre Gesamtheit mit Hilfe statistischer Kennwerte erfasst, z. B. dem arithmetischen Mittelwert, dem Erwartungswert, der Standardabweichung und der Varianz. Mit Hilfe des Gaußschen Fehler-Fortpflanzungsgesetzes für zufällige Messabweichungen lässt sich das Messergebnis bezüglich der zu erwartenden Unsicherheit beschreiben. Zur Berechnung der gesamten Messunsicherheit (kombinierte Standardunsicherheit, uc (y) ) berücksichtigt man zusätzlich Empfindlichkeitskoeffizienten. Ein Empfindlichkeitskoeffizient ci gibt an, wie stark eine Eingangsgröße X i auf die Ausgangsgröße Y einwirkt, z. B. Proportionalitäten bei Spannungsmessungen. Dadurch kann nun die kombinierte Standardunsicherheit berechnet werden zu n

uc (y) =

∑ c u (x ) 2 2 i

i

i =1

.

(7-25)

Als erweiterte Messunsicherheit U wird der Bereich um den Mittelwert bezeichnet, in dem erwartet werden kann, dass die Messwerte mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auftreten. Sie berechnet sich zu U = k ⋅ uc (y)

,

(7-26)

wobei der Erweiterungsfaktor k auf den geforderten Grad des Vertrauens ausgelegt wird. Im Allgemeinen liegt k zwischen 2 und 3. Der meist verwendete Erweiterungsfaktor k=2 entspricht ungefähr einem Vertrauensniveau von 95%. Zur genauen Ermittlung von Messunsicherheiten in der EMV wird auf die deutsche Übersetzung des Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement (GUM) verwiesen [7.33].

7.5 Messunsicherheit in der EMV

319

Als Beispiel zur Angabe von Messunsicherheiten sei hier die Bestimmung der leitungsgebundenen Emission, speziell einer Störspannungsmessung angeführt, s. a. Abschn. 7.1, Bild 7.7. Tabelle 7.4 zeigt den Ansatz zur Bestimmung der kombinierten Standardunsicherheit bei einer Störspannungsmessung von 150 kHz bis 30 MHz mit einer 50 μH / 50 Ω -Netznachbildung: Tabelle 7.4: Messunsicherheitsermittlung für die Störspannungsmessung Eingangsgröße

Xi

Unsicherheitsbeitrag von x i

u(x i )

ci

c i ⋅ u(x i )

In dB

WV*, k

in dB

1

in dB

Kabeldämpfung

Lc

±0,1

Normal (k=2)

0,05

1

0,05

Fehlanpassung

δM

+0,7/-0,8

U-förmig

0,53

1

0,53

Empfängeranzeige

Vr

±0,1

Normal (k=1)

0,1

1

0,1

Anzeige Sinus

δVsw

±1, 0

Normal (k=2)

0,5

1

0,5

EMV-Messempfänger:

Puls/Amplitude

δVpa

±1, 5

Rechteck

0,87

1

0,87

Puls/Wiederholrate

δVpr

±1, 5

Rechteck

0,87

1

0,87

Rauschen

δVnf

±0

0

1

0

Nachbildungs-Impedanz

δZ

+2, 5 / − 2, 7 Dreieck

1,08

1

1,08

Teilungsfaktor

L amn

±0, 2

0,1

1

0,1

Netznachbildung: Normal (k=2)

Damit ergibt sich die kombinierte Standardabweichung gemäß (7-25) zu n

uc (y) =

∑ c u (x ) = 1,8dB 2 2 i

i

i =1

(7-27)

und die erweiterte Messunsicherheit zu U = 2uc (y) = 3,6dB . Diese Messunsicherheit muss nun bei der Bewertung einer Messung berücksichtigt werden. So kann ein Prüfling zwar mit seinem Messwert 1dB unterhalb des Grenzwertes liegen, zieht man jedoch die Messunsicherheit hinzu, lässt sich nicht mehr sicher aussagen, ob der Prüfling normkonform ist oder nicht. Gemäß DIN EN ISO IEC 17025 muss zu dem Messergebnis im Protokoll stets auch die Messunsicherheit mit angegeben werden. Die meisten gerätegebundenen Anteile der Messunsicherheit erhält man aus den Kalibrierunterlagen des Herstellers oder Kalibrierlabors. Weitere Messun-

320

7 EMV-Emissionsmesstechnik

sicherheitsanteile können beispielsweise von der selbst durchgeführten Kalibrierung der Messkammer herrühren.

7.6

Automatisierte EMV-Messplätze

Bedenkt man den zeitlichen Aufwand einer Störfeldstärkemessung, bedingt durch Drehen des Prüflings, Ändern der Antennenpolarisation, Ändern der Antennenhöhe, Ändern der Bandbreite in Abhängigkeit der Messfrequenzen, etc., so lässt sich erahnen, dass die Messdauer leicht mehr als 10 Stunden wenn nicht gar Tage betragen kann (je nach Komplexität und Betriebsmodi des Prüflings). Um nicht fortwährend Personal vorhalten zu müssen und die Messdauer zu verkürzen, versucht man den Messplatz weitgehend zu automatisieren. Hierbei wird die herkömmliche Bedienung und Beobachtung über Gerätefrontplatten von Messgeräten und Signalgeneratoren durch einen PC für die vielfältigen Auswertungs- und Steuerungsaufgaben unterstützt. Die Automatisierung umfasst in der Regel nicht nur den Mess- und Prüfprozess, sondern auch die Dokumentation und Bewertung der Ergebnisse durch spezielle Signalverarbeitung oder die Filterung von Signalen. Ebenfalls wird oft eine statistische Betrachtung mehrerer Messergebnisse verschiedener Prüflinge integriert. Die Anwendungssoftware wird problembezogen entweder selbst programmiert oder man bedient sich kommerzieller Software. Bei akkreditierten Prüflaboratorien muss die Software evaluiert und zertifiziert werden, was den Einsatz kommerzieller, bereits evaluierter Software nahelegt. Derzeit gibt es auf dem Markt zwei große general-purpose Softwarepakete zur Programmierung der Steuerung und der Datenübertragung von Messgeräten: „Agilent VEE“ (Agilent’s Visual Engineering Environment) und „LabView“ von National Instruments. Beide Programme bieten eine grafisch orientierte Programmiersprache. Zu den frei programmierbaren Lösungen kommen zusätzlich kommerzielle Komplettpakete verschiedener Hersteller hinzu. Sie sind in den Einstellmöglichkeiten und Parametrisierungen ebenfalls sehr flexibel gehalten. Ein

7.6 Automatisierte EMV-Messplätze

321

weiterer Vorteil kommerzieller Systemsoftware besteht in der SoftwareHotline, bzw. der Gewährleistungsgarantie der Software. Eine typische Prüfplatzkonstellation mit PC und IEC-Bus, zeigt Bild 7.33.

PC

HF-Signalgenerator

Leistungsmesser

Antennensteuerung

IEC-Bus

Drehtischsteuerung

E-FeldMonitor

Leistungsverstärker LWL Richtkoppler

Drehtisch mit Prüfling

Antenne

Feldsonde

Bild 7.33: Typische Struktur eines automatisierten Prüfplatzes.

Der meist verwendete Geräte-Bus ist der so genannte IEC-Bus (GPIB- oder HP-Bus). Acht Datenleitungen und acht Kontroll- und Steuerleitungen werden über ein 25poliges Kabel geführt. Bis zu einer Länge von 20 m können max. 31 Geräte angeschlossen werden. Die Übertragungsrate beträgt typisch 1,5 MBytes/s. Bus Extender erlauben eine Kabellänge von 300 m mit einer max. Übertragungsrate von 900 KByte/s. Über LWL Extender können 2 km mit einer max. Übertragungsrate von 1 MByte/s (IEEE 488.1) oder 2,2 MByte/s (HS 488) überbrückt werden. Die Verwen-

322

7 EMV-Emissionsmesstechnik

dung des HS 488 Protokolls erlaubt bis 20 m eine Übertragungsrate von bis zu 8 Byte/s. Eine galvanische Trennung bis 1600 V, wie auch eine direkte Ankopplung an das Ethernet (Übertragungsrate 50 kByte/s) ist durch zusätzliche Module (z. B. NI-GPIB-ENET) möglich. Abschließend zeigt Bild 7.34 einen größeren automatisierten Mess- und Prüfplatz.

Bild 7.34: Messplatz mit hohem Automatisierungsgrad zur Messung von Störfestigkeits- und Störaussendung von Kraftfahrzeugen (Audi AG/Rohde und Schwarz).

8

EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Immunitäts- bzw. Störfestigkeitsprüfungen dienen der Ermittlung der Widerstandsfähigkeit elektronischer Geräte gegen die an ihrem Einsatzort zu erwartenden Störgrößen. Letztere kennt man entweder aus Betriebserfahrungen der Vergangenheit oder auf Grund speziell durchgeführter Emissionsmessungen am Einsatzort (s. a. Kap. 2). Die Störpegel unterschiedlicher Umgebungen lassen sich grob verschiedenen Umgebungsklassen zuordnen, die ihrerseits eine bestimmte Prüfschärfe (engl.: test severity) nahe legen [8.1–8.3]. Eine bestandene Störfestigkeitsprüfung mit repräsentativen Störgrößen garantiert nicht, dass ein Gerät absolut störfest ist (z. B. im Extremfall eines direkten Blitzeinschlags). Sie erlaubt jedoch in vielen Fällen die Schlussfolgerung, dass das Gerät mit einer Wahrscheinlichkeit verfügbar sein wird, die komplementär ist zur Wahrscheinlichkeit des Auftretens beliebiger Störgrößen, die oberhalb der beim Test als repräsentativ eingestuften Prüfspannungen und -ströme bzw. der zugehörigen Felder liegen. Während für Emissionsmessungen bezüglich Durchführung und einzuhaltender Funkstörgrenzwerte seit langem umfangreiche und genaue Vorschriften zur Verfügung stehen, werden Störfestigkeitsprüfungen häufig auch nach internen Hersteller- oder Anwenderrichtlinien durchgeführt. Wesentlich ist, dass Hersteller und Anwender sich rechtzeitig auf die gleichen repräsentativen Störgrößen, insbesondere auch über den Innenwiderstand der sie erzeugenden Testgeneratoren einigen (falls diese nicht bereits durch Normen vorgegeben sind). Entspricht ein Gerät bezüglich seiner Störfestigkeit in Spezifikation und Normen festgelegten Beanspruchungen und fällt das Gerät beim Anwender trotzdem aus, obliegt es dem Anwender, seine Störumgebung durch separate Maßnahmen unter den Pegel der Prüfstörgrößen abzusenken. Wegen der sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Störfestigkeit von Automatisierungssystemen, KFZ-Elektronik etc. kann das vorliegende Kapitel verständlicherweise nur die essentiellen elektrotechnischen Grundlagen der verwendeten Verfahren und Geräte behandeln. Im konkreten Einzelfall sind die jeweils geltenden Vorschriften zu Rate zu ziehen (soweit existent).

324

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Entsprechend der Vielfalt der im Kap. 2 vorgestellten Störquellen und ihrer Emissionen existieren zahlreiche verschiedene EMB-Simulationsverfahren, Bild 8.1.

Suszeptibilitätsprüfung (EMB-Simulation)

Galvanische Kopplung

EnergieEnergieDiskrete Netzarme Über- reiche Übertransienten spannungen spannungen Frequenzen (CW) (Burst) (Blitz)

E- und H-Feld Elektromagnetische Wellen

Elektrostatische Entladungen (ESD)

Antennen im Frequenzbereich

Entladungsfunken in Luft

Antennen im Zeitbereich (Wellenleiter)

Strom Injektion

SF6 Koppelrelais

Bild 8.1: In der Suszeptibilitätsprüftechnik verwendete EMB-Simulationsverfahren.

Die für die unterschiedlichen Aufgabenstellungen erforderlichen Simulatoren und ihre Ankopplung werden im Folgenden näher erläutert.

8.1

Simulation leitungsgebundener Störgrößen

Zur Simulation leitungsgebundener Störgrößen benötigt man einen geeigneten Störgrößensimulator sowie eine Ankoppeleinrichtung. Letztere enthält sowohl Ankoppelelemente zum Prüfobjekt als auch Entkoppelelemente zum Netz. Bei Suszeptibilitätstests kommt der Ankoppeleinrichtung etwa die gleiche Aufgabe zu wie der Netznachbildung bei Emissionsmessungen, lediglich mit umgekehrter Wirkungsrichtung (s. Abschn. 7.1). So ist auch nicht verwunderlich, dass sich manche Koppelfilter sowohl für Emissionsmessungen als auch für Suszeptibilitätsprüfungen einsetzen lassen. Störsimulatoren lassen sich sowohl kapazitiv als auch induktiv an ein Prüfobjekt ankoppeln. In beiden Fällen muss man zwischen der Einkopplung

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

325

von Gegentakt- und Gleichtaktstörungen unterscheiden (s. Abschn. 1.4).Die kapazitive Einkopplung von Gegentakt- und Gleichtaktsignalen zeigt schematisch Bild 8.2.

LI

L1

LII

CN N CN PE

LI CN

Prüfobjekt

LII CK uSt

LII

CN N CN

CK

a)

LI

L1

PE

Prüfobjekt

LI LII CN CK

CK uSt

CK

b)

Bild 8.2: Simulation leitungsgebundener Störgrößen durch kapazitive Einkopplung a) Einkopplung von Gegentaktstörungen, b) Einkopplung von Gleichtaktstörungen.

Die Längsimpedanzen LI und LII verhindern einerseits das Eindringen der Prüfimpulse in das Netz, andererseits ist ihre Existenz unabdingbare Voraussetzung für die Erzeugung einer bestimmten Kurvenform am Prüfling. Ohne Längsdrosseln würde der vergleichsweise geringe Innenwiderstand des Netzes die meisten Störgrößensimulatoren praktisch kurzschließen. Da an den Drosseln bei 50 Hz höchstens 10% Spannungsabfall toleriert werden können, unterstützt man die Entkopplung zum Netz durch die Filterkondensatoren CN . Alternativ schaltet man vor die Ankoppeleinrichtung einen Stelltransformator, mit dem die Netzspannung beispielsweise auf 240 V erhöht und damit ein großer Spannungsabfall an den Längsdrosseln kompensiert werden kann. Vielseitig einsetzbare Ankopplungseinrichtungen erhalten zusätzlich einen Trenntransformator, der auch den Einsatz einseitig geerdeter Störgrößengeneratoren erlaubt. In gleicher Weise wie ein geringer Netzinnenwiderstand, vermag auch ein niederohmiges Prüfobjekt einen Störgrößensimulator derart zu belasten, dass die Aufrechterhaltung der geforderten Prüfgrößen Probleme bereitet. In jedem Fall ist daher die Einhaltung der geforderten Prüfschärfe unmittelbar an den Klemmen des Prüflings durch geeignete Spannungs- und Strommessein-

326

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

richtungen [2.19] nachzuweisen. Bei komfortablen Ankoppeleinrichtungen und Störgrößengeneratoren sind derartige Sensoren bereits fest eingebaut. Die induktive Einkopplung von Gegentakt- und Gleichtaktstörungen zeigt schematisch Bild 8.3.

uSt

uSt

1:1

L1 CK N PE

L1 Prüfobjekt

1:1 CK CK

N

Prüfobjekt

PE

a)

b)

Bild 8.3: Simulation leitungsgebundener Störgrößen durch induktive Einkopplung a) Einkopplung von Gegentaktstörungen b) Einkopplung von Gleichtaktstörungen.

Die Entkopplung zum Netz bewirken hier überwiegend die Kopplungskapazitäten CK , die für hohe Frequenzen einen Kurzschluss darstellen, so dass sowohl bei der Einkopplung von Gegentaktstörungen als auch von Gleichtaktstörungen die Störgrößen nicht transformatorisch ins Netz übertragen werden. Da der Breitbandübertrager den Strom bzw. den Spannungsabfall im Betriebsstromkreis auf den Ausgang des Störgrößensimulators transformiert, kann bei manchen Störgrößensimulatoren eine Kompensation dieser Größen erforderlich werden [8.4]. Die induktive Einkopplung wird mangels marktgängiger breitbandiger Impulsübertrager hoher Leistung seltener angewandt als die kapazitive Einkopplung. Schließlich sei die Einkopplung in Signal- und Datenleitungen erwähnt, die zweckmäßig über Edelgasüberspannungsableiter vorgenommen wird [8.5]. Nach diesen grundsätzlichen Betrachtungen soll im Folgenden die praktische Simulation verschiedener typischer Störungen näher erläutert werden.

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

327

8.1.1 Simulation von Niederfrequenzstörungen in Niederspannungsnetzen (ms-Impulse) Zum Nachweis der Störfestigkeit gegenüber Abschaltvorgängen von Überstromschutzorganen (Schutzschalter) müssen nach VDE 0160 [8.29] elektronische Betriebsmittel in Starkstromanlagen mit Überspannungen gemäß Bild 8.4 geprüft werden. u(t) Ta ~~ 0,1ms T=1,3ms

0,5ΔuSt ûSt = 2,3ûN

ûN+_10%

Bild 8.4: Spannungsimpuls zur Prüfung der Überspannungsfestigkeit elektronischer Betriebsmittel

t

Die Überspannungserzeugung erfolgt durch Entladung eines Energiespeicherkondensators im Augenblick des Scheitelwerts, Bild 8.5. Oszilloskop (erdfrei)

Störsimulator Störsimulator

u(t)

Oszilloskop

u(t) L1 L1 (L2)N

Z

X1 X2

Prüfling Zuleitung (max.5m)

L2 L3

0,5Z

X1

0,5Z

X2

0,5Z

X3

Prüfling Zuleitung (max.5m)

Bild 8.5: Überspannungsprüfung für ein- und dreiphasige Betriebsmittel. Z: Entkopplungsimpedanz (nach VDE 0160 [8.29]).

Während für einphasig betriebene Geräte einseitig geerdete Simulatoren zum Einsatz kommen, werden für zwei- und dreiphasig gespeiste Betriebsmittel Störsimulatoren mit erdfreiem, symmetrischem Ausgang benötigt. Die Potentialtrennung kann nicht durch einen nachträglich dem Störsimulator vorgeschalteten Trenntransformator bewerkstelligt werden, da das Simulatorgehäuse dann unzulässig hohe Berührungsspannungen annehmen würde.

328

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Die Größe des Energiespeicherkondensators richtet sich nach dem kapazitiven Eingangswiderstand des elektronischen Betriebsmittels und der Impedanz der Entkoppeldrosseln zum Netz. Die Kapazität ist fallweise so an den Prüfling anzupassen, dass die Zeitparameter gemäß Bild 8.4 auch erreicht werden ( Cmax = 250μF ). Alternativ zu Bild 8.5 lässt sich die Prüfspannung auch transformatorisch seriell einkoppeln (s. Abschn. 8.1). Neben Überspannungen müssen elektronische Betriebsmittel auch gelegentliche kurzzeitige Absenkungen der Betriebsspannung oder gar einen kurzzeitigen Netzausfall verkraften. Der Nachweis der Immunität gegen Spannungsabsenkungen kann beispielsweise mit der in Bild 8.6 gezeigten Schaltung erfolgen. Phasenbezug

Elektronischer Schalter

L1 ST

Prüfobjekt

N

Bild 8.6: Simulation von Netzspannungsabsenkungen. ST: Spartransformator.

Ein mit beliebiger Phasenverschiebung gegenüber Netzspannung triggerbarer elektronischer Schalter erlaubt die freizügige Simulation aller Arten von Netzstörungen. Typische Werte für die Netzausfalldauer sind 10 ms (1 Halbschwingung), für eine Spannungsabsenkung (50%) ca. 20 ms (1 Periode), s. z. B. VDE 0839 Teil 1 [B23] oder EN 61000-4-11. Bei periodischer Ansteuerung des Schalters und geeignetem Aufbau lassen sich auch periodische Spannungsabsenkungen, wie sie während Kommutierungsvorgängen bei Stromrichtern auftreten, simulieren.

8.1.2

Simulation breitbandiger energiearmer Schaltspannungsstörungen (Burst)

Abschaltüberspannungen von Relais- und Schützspulen sowie anderer induktiver Lasten manifestieren sich meist als Störimpulspakete auf Netz-, Signal- und Datenleitungen (engl.: burst, s. a. Abschn. 2.4.2). Für ihre Simu-

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

329

lation wurde der in Bild 8.7 dargestellte zeitliche Störgrößenverlauf genormt (VDE 0847 Teil 4-4 bzw. EN 61000-4-4 [8.36]).

u(t) kV

u(t) 90% kV

15ms

50%

TR 10%

Ta a)

t/ns

300ms

t/ms

b)

Bild 8.7: Zeitlicher Verlauf der Burst-Simulation. a) Einzelimpuls bei hoher Zeitablenkung, b) Störimpulspakete bei niedriger Zeitablenkung.

Die Einzelimpulse besitzen qualitativ den gleichen Verlauf wie die klassische Blitzstoßspannung der Hochspannungsprüftechnik (Doppelexponentialfunktion), quantitativ jedoch andere Zeitparameter: – Anstiegszeit

Ta = 5 ns ± 30%

– Rückenhalbwertszeit

TR = 50 ns ± 30%

Die Störimpulspakete sind durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet: – Burstamplitude – Burstperiode – Burstlänge. Der Scheitelwert der Impulse richtet sich nach dem zu prüfenden Gerätetyp bzw. nach der Natur der zu- und abgehenden Leitungen (Netzleitung, E/ALeitungen etc.), mit anderen Worten ihrer Nutzspannungspegel. Die Burstperiode beträgt grundsätzlich 300 ms ± 20% , die Burstlänge 15 ms ± 20% . Die Einzelimpulsperiode hängt von der Prüfschärfe ab, siehe Tabelle 8.1.

330

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Tabelle 8.1: Burstparameter für verschiedene Prüfschärfegrade (Beanspruchungsdauer 1 Minute). Prüfschärfe

Prüfspannung ± 10 %

Prüfspannung ± 10 %

(Stromversorgungsleitungen )

(Signal-, Datenleitungen)

Impulswiederholfrequenz

1

0,5 kV

0,25 kV

2

1

kV

0,5

kV

5

kHz

3

2

kV

1

kV

5

kHz

4

4

kV

2

kV

2,5

kHz

x

n. Vereinbarung

n. Vereinbarung

5

kHz

n. Vereinbarung

Störimpulspakete gemäß Bild 8.7 b lassen sich mit einer Schaltung nach Bild 8.8 erzeugen.

RL

S1 Paketsteuerung

S2

Cs

Einzelimpulserzeugung

LStr

50Ω

10nF

RE

uBurst

Bild 8.8: Prinzipschaltbild eines Burst-Simulators.

Der Schalter S1 bestimmt die Paketbreite und -periode, der Schalter S2 (freilaufende Funkenstrecke, gesteuerte Transistorkaskade) die Einzelimpulserzeugung und Einzelimpulsperiode. Die Impulsstirn wird in erster Linie durch die Zeitkonstante LStr / R E , der Impulsrücken durch die Entladezeit CSR E bestimmt. Bei der Einkopplung in Versorgungsleitungen (z. B. 220 V-Netz) kommt eine Koppeleinrichtung mit konzentrierten Koppelkondensatoren ( 10 μF bis 35 μF ) zum Einsatz, die gleichzeitig auch Entkopplungsdrosseln zum Netz beinhaltet (s. Abschn. 7.1 u. VDE 0847 Teil 4-4 [8.36]). Die Einkopplung in Signal-, Steuer- und Datenleitungen erfolgt über verteilte Koppelkapazitäten (kapazitive Koppelstrecken) mit einer Gesamtkapazität von ca. 50 pF bis 200 pF , Bild 8.9.

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

331

Burst Simulator

Bild 8.9: Einkopplung asymmetrischer Störspannungen mittels kapazitiver Koppelstrecke (s. a. VDE 0843 Teil 4 u. 0847 Teil 2).

Bei beschränkten Platzverhältnissen kann an Stelle der kapazitiven Koppelstrecke auch eine konzentrierte Koppelkapazität angeschaltet oder eine selbstklebende Metallfolie mit einer Kapazität von 100 pF gegenüber dem Kabelmantel aufgebracht werden. Die kapazitive Kopplung verleitet allzu häufig zu der Annahme, dass es sich um eine rein kapazitive Einkopplung handelt. Hier sollte jedoch nicht übersehen werden, dass der in die Koppelkapazitäten fließende Strom letztlich über Streukapazitäten oder galvanische Masseverbindungen zur Masseklemme des Burstgenerators zurückfließen muss (s. a. Abschn. 1.5 und 10.6) und die hierzu erforderliche Stromschleife induktiv mit den anderen Leitungen bzw. Betriebsstromkreisen des Prüfobjekts gekoppelt ist. Dies entspricht im übrigen auch genau der Realität, in der parallel verlaufende Leitungen von Relais- und Schützspulen nicht allein auf Grund ihrer sprunghaften Potentialänderungen zu kapazitiven Einkopplungen Anlass geben, sondern gerade wegen der in ihnen fließenden Ströme bzw. deren sprunghaften Änderungen di/dt parallel verlaufende Stromkreise induktiv beeinflussen (s. a. Abschn. 2.4.2 und 10.1). Wegen Einzelheiten der räumlichen Anordnung von Prüfobjekt, Simulator, Masse- und Erdleitungen sind die jeweils geltenden Vorschriften zu Rate zu ziehen.

8.1.3

Simulation breitbandiger energiereicher Überspannungen (Hybridgenerator)

Energiereiche Überspannungen entstehen infolge galvanischer oder induktiver Einkopplung atmosphärischer Entladungen, Schalthandlungen in Elek-

332

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

troenergiesystemen etc. Ihre Simulation erfolgt mit den klassischen genormten Kurvenformen für Blitz- und Schaltstoßspannungen der Hochspannungsprüftechnik, Bild 8.10 a. u(t)

u(t)

100% 90%

100% 90%

50%

50%

TR

30%

~ TR T’R ~

30%

10%

10%

T TS

a)

Ta

t

t

TR

b) TS = 1.25 Ta

TS = 1.67 T

Bild 8.10: Definition der Stirn- und Rückenzeit sowie der Anstiegszeit von Überspannungen. a) Stirnzeit TS und Rückenzeit TR nach ENV 50142 und IEC 60-1, b) Anstiegszeit Ta und Rückenzeit TR nach IEC 469-1.

Da die Bestimmung der Stirnzeit TS und der Rückenzeit TR gemäß ENV 50142 bzw. IEC 60-1 etwas umständlich ist, ermittelt man in praxi mit dem Cursor des Oszilloskops die Anstiegszeit Ta nach IEC 469-1 und multipliziert mit 1,25, TS = 1,25 ⋅ Ta

.

(8-1)

Für einen bestimmten physikalischen Spannungsverlauf ergibt die Auswertung eines Spannungsterms nach beiden Vorschriften zwar unterschiedliche Anstiegszeiten Ta 30 / 90 und Ta10 / 90 , jedoch unter Berücksichtigung von (8.1) selbstverständlich die gleiche Stirnzeit TS . Die Rückenzeit TR wird zur Vereinfachung meist als T 'R gemäß Bild 8.10 b ermittelt, was wegen TS TR und den großen Toleranzen meist zulässig ist.

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

333

Übliche Zeitparameter sind: – Blitzstoßspannung

1,2 / 50 : TS = 1,2 μs ± 30%, TR = 50 μs ± 20%

– Schaltspannung

10 /700 : TS = 10 μs ± 30%, TR = 700 μs ± 20%

.

Die Spannungsformen in Bild 8.10 sind stark idealisiert. Reale Blitzüberspannungen weisen häufig Stufen in der Stirn auf bzw. können sich aus mehreren aufeinander folgenden Überspannungen zusammensetzen (Multiple Blitze) und größere Steilheiten besitzen (s. Abschn. 2.4.6). Kurvenformparameter wie 1,2/50 oder 10/700 beruhen auf der Definition gemäß IEC 60-1. Zunehmend werden Impulsformen auch durch ihre Anstiegszeit gemäß IEC 469-1 charakterisiert, da dieses Verfahren eher der Auswertepraxis moderner Oszilloskope entspricht. Generatoren zur Erzeugung von Spannungsformen gemäß Bild 8.10 a wurden in der Vergangenheit als einstufige Stoßkreise mit vergleichsweise großem Innenwiderstand realisiert und in großer Zahl zur Isolationsprüfung eingesetzt, Bild 8.11.

FS

RL

CS

RD

CB

U0

RE

u(t)

Bild 8.11: Einstufige Stoßschaltung zur Erzeugung von Blitz- und Schaltstoßspannungen.

Beim Ansprechen des Schalters S (Funkenstrecke, Vakuumrelais, Thyristor etc.) wird der Energiespeicherkondensator CS über den Dämpfungswiderstand R D auf die Belastungskapazität CB umgeladen. Die Anstiegszeit bestimmt sich für CS CB zu Ta = 2,2 ⋅ R DCB

.

(8-2)

334

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Anschließend entlädt sich die Kapazität CB über R E mit der Zeitkonstante T ≈ R E (CB + CS ) . Obige Überlegungen gelten für kapazitätsarme, hochohmige Prüfobjekte. Bei Geräten mit Überspannungsschutzeinrichtungen (Edelgas- und Zn0-Ableitern, Schutzdioden, Filterkondensatoren etc.) ist eine reine Isolationsprüfung nicht sinnvoll, da die Schutzelemente die Prüfspannung auf niedrige Werte begrenzen und es überhaupt nicht zu einer Beanspruchung der Isolation kommt. Viel wichtiger ist dann die Frage, ob die Schutzelemente den Ableitstrom energiereicher Überspannungen (Überspannungen von Spannungsquellen mit niedrigen Quellwiderständen) verkraften können. Für diese Anwendungen wurde der Hybridgenerator (engl.: CWG, Combination Wave Generator) entwickelt, der an hochohmigen Prüfobjekten die geforderten Spannungsformen, an niederohmigen Prüfobjekten (z. B. nach Ansprechen des Überspannungsschutzes) einen genormten Kurzschlussstrom TS / TR = 8/ 20 μs gemäß Bild 8.12 fließen lässt (s. ENV 50142 [8.34] sowie [8.14]). Hierbei ist zu beachten, dass aus historischen und technischen Gründen Stromkurvenformen und Spannungskurvenformen unterschiedlich genormt sind.

i(t)

i(t)

i(t)

100% 90%

100% 90%

100% 90%

50%

50%

50%

10%

10%

10%

t

TS

a)

T’R~ ~ 0.8TR

b)

t

t

Ta

TR

max.30% TS=8μs TR=20μs

c)

Bild 8.12: Definition der Stirn- und Rückenzeit sowie der Anstiegszeit von Stoßströmen a) Stirnzeit TS und Rückenzeit TR nach VDE 0432 Teil 1 bzw. IEC 60-1. b) Anstiegszeit und Rückenzeit nach IEC 469-1. c) Verlauf des Stromimpulses 8 / 20 μs nach ENV 50142.

Ähnlich wie bei Stoßspannungen bestimmt man auch hier zunächst die Anstiegszeit Ta und multipliziert mit 1,25,

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

335

TS = 1,25 ⋅ Ta

.

(8-3)

Der unterschiedliche Faktor rührt von der unterschiedlichen Definition der Stirnzeit her (Stirngerade durch 10% statt 30%). Die Rückenzeiten unterscheiden sich um den Faktor 1,25, das heißt TR = 1,25 ⋅ T 'R

.

(8-4)

Übliche Zeitparameter für Stoßströme sind TS = 8 μs ± 20%

und

TR = 20 μs ± 20%

und

T 'R = 16 μs ± 20%

bzw. gemäß IEC 469-1 Ta = 6,4 μs ± 20%

.

Beim Stoßstrom 8/20 μs sei angemerkt, dass die Kurvenform nicht aperiodisch ist, sondern bis zu 30% unter die Nulllinie durchschwingen kann [8.10]. Die Grundschaltung eines Hybridgenerators zeigt Bild 8.13. FS

RL

CS

RS

RE

1

i(t)

LS

RS

2

u(t)

Bild 8.13: Hybridgenerator (Prinzipschaltung).

Im Gegensatz zu den herkömmlichen hochohmigen Stoßkreisen, bei denen die Pulsstirn durch das RC-Verhalten des Dämpfungswiderstands und der Belastungskapazität bewirkt wird, geschieht hier die Pulsformung mittels eines L/R-Glieds. Die Anstiegszeit des Leerlaufspannungsimpulses berechnet sich dann zu

336

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Ta = 2,2 ⋅ LS

die Rückenzeitkonstante zu CS

(

(RS

1

+ R S2

)

R E R S1 + R S2

(

R E + R S1 + R S2

)

,

.

)

(8-5)

(8-6)

Arbeitet der Generator näherungsweise auf einen Kurzschluss (gezündeter Edelgasableiter o. ä.), so berechnet sich die Anstiegszeit des Stoßstroms näherungsweise zu Ta = 2,2 ⋅ L S

die Rückenzeitkonstante zu CS

(

(RS

1

+ RP

R E R S1 + R P

(

)

R E + R S1 + R P

)

)

,

.

(8-7)

(8-8)

In (8-7) und (8-8) steht R P für den ohmschen Kurzschlusswiderstand des Prüfobjekts (z. B. Lichtbogenwiderstand), der in der Regel klein gegen R S1 angenommen werden kann. Ausführliche Hinweise über die Dimensionierung von Stoßspannungs- und Stoßstromkreisen enthält das Literaturverzeichnis [8.8–8.14]. Folgende Prüfschärfen finden derzeit Anwendung Prüfschärfe Leerlaufspannung / kV ± 10% 1

0,5

2

1,0

3

2,0

4 x

4,0 nach Vereinbarung

Tabelle 8.2: Prüfschärfen nach VDE 0847 Teil 4-2

Abschließend sei erwähnt, dass neben den genannten Spannungsformen auch andere Prüfspannungen denkbar sind, z. B. schwingende Schaltstoßspannungen etc., auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden soll.

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

8.1.4

337

Simulatoren für elektrostatische Entladungen (ESD)

Zur Simulation elektrostatischer Entladungen (s. 2.4.1) benötigt man im Wesentlichen einen Energiespeicher statischer Elektrizität (Hochspannungskondensator), eine Gleich(hoch)spannungsquelle, einen definierten Entladewiderstand und eine Entladeelektrode, Bild 8.14. 0-30kV

100MΩ

10Ω...1kΩ

RL CS

EE

Prüfobjekt

RS

150 pF

Masse- bzw. Erdungsband, Länge 2m

Bild 8.14: Prinzipschaltbild eines Simulators für elektrostatische Entladungen CS Energiespeicherkondensator, R S Entladewiderstand, EE Entladeelektrode.

Der aus einer Gleichspannungsquelle variabler Polarität auf einen wählbaren Spannungswert aufgeladene Kondensator CS wird über den Entladewiderstand R S und die Entladeelektrode EE auf das Prüfobjekt entladen. Die Entladeelektrode wird mittels einer vollisolierten Prüfpistole (s. Bilder 8.17 und 8.24) aus größerer Entfernung an das Prüfobjekt herangeführt bis die Durchschlagspannung der zunehmend kleiner werdenden Luftstrecke die Spannung an CS unterschreitet und die Entladung über einen Funken ermöglicht, so genannte Luftentladung. Für die Simulation von Körperentladungen sollte R S ca. ≤ 1 kΩ betragen, für so genannte Kleinmöbelentladungen 10… 50 Ω . Zur Vereinfachung sehen VDE 0846 [B23] und VDE 0847 Teil 4-2 [8.2] einheitlich 330 Ω vor. Hierbei wird ohne große Not auf einen Teil Praxisnähe verzichtet, da ja der Entladewiderstand ohne weiteres austauschbar vorgesehen werden könnte. Es gibt noch weitere Komplikationen. Auf Grund der statistischen Natur von Gasentladungen besitzt der Entladungsfunke nicht immer den gleichen zeitlichen Verlauf, auch hängt die Durchschlagsspannung der Entladestrecke von dem gerade herrschenden Luftdruck und der Raumtemperatur ab (also von der Luftdichte). Aus diesem Grunde koppelt man den ESD-Simulator häufig fest mit dem Prüfobjekt und schaltet die Hochspannung mittels eines

338

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

reproduzierbar schaltenden Hochspannungsrelais zu, so genannte Kontaktentladung, Bild 8.15. 0-30kV

100MΩ

10Ω...1kΩ

RL

Relais

Prüfobjekt

RS CS

Bild 8.15: ESD-Simulator mit Hochspannungsrelais, sog. Kontaktentladung.

Als Schaltrelais eignen sich H2 - oder SF6 -gefüllte Druckgas-Relais. Weniger geeignet sind wegen ihres starken Kontaktprellens Vakuumrelais. Simulatoren mit Hochspannungsrelais zeichnen sich durch eine besser reproduzierbare Kurvenform aus, simulieren aber die Daten eines elektrostatischen Entladungsfunkens in vieler Hinsicht mit geringerer „pulse fidelity“ als die einfache Schaltung gemäß Bild 8.14. Insbesondere entbehren sie des sehr schnellen Vorimpulses (engl.: precursor), der durch Ent- bzw. Umladung der in Bild 8.17 (s. unten) eingezeichneten Streukapazitäten entsteht (s. a. Abschn. 2.4.1). Unter Vernachlässigung des Vorimpulses wird derzeit folgender Normimpuls angestrebt, Bild 8.16. i(t) 90%

50%

TR Ta= 30ns _+ 30% TR= 30ns _+ 30%

10%

Ta

t

Bild 8.16: ESD-Normimpuls nach VDE 0847

Dieser Normimpuls lässt sich nur in einer bestimmten, in VDE 0846 [B23] beschriebenen Kalibrieranordnung erzeugen und ist lediglich für den Vergleich von ESD-Simulatoren unterschiedlicher Hersteller brauchbar. In praxi stellen sich eine wesentlich größere Anstiegszeit und Stromsteilheit ein. Geht man vom einfachen Ersatzschaltbild gemäß Bild 8.14 aus und schätzt die In-

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

339

duktivität des Entladekreises wohlwollend auf 2 μH, so kann bei einem Entladewiderstand von 150 Ω der Strom im fett gezeichneten Entladekreis nicht schneller als mit der Zeitkonstante L/R ansteigen. Für die Anstiegszeit des Stromimpulses erhält man dann Ta = 2,2

2 ⋅ 10−6 H L = 2,2 = 29 ns R 150 Ω

.

(8-9)

Kürzere Anstiegszeiten sind nur bei geringerer Leitungsinduktivität und/oder höherem Entladewiderstand möglich. Die Stromscheitelwerte in der Größenordnung von einigen zehn Ampere ergeben sich indirekt über die eingestellte Ladespannung des Energiespeicherkondensators. Nach VDE 0847 Teil 4-2 [8.2] gelten folgende Prüfschärfen. Tabelle 8.3: Prüfschärfen für ESD-Simulation. Grad

Prüfspannung Kontakt-Entladung

Luft-Entladung

2 kV 4 kV 6 kV 8 kV Spezial

2 kV 4 kV 8 kV 15 kV Spezial

1 2 3 4 x(1)

Bei gegebener Spannung berechnet sich der zugehörige Stromscheitelwert (unter Vernachlässigung parasitärer Streukapazitäten [8.10]) zu

iˆ = i(t max ) =

mit

und

U0 / L 1 ⎛ R ⎞ −⎜ ⎟ LC ⎝ 2L ⎠

t max =

2

e



R t max 2L

sin ω1t max

(8-10)

ω 2L 1 arctan 1 ω1 R

(8-11)

1 R − 2 LC 4L

(8-12)

ω1 =

.

340

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Der Energiespeicherkondensator CS und der Entladewiderstand R S sind gewöhnlich in einer Prüfpistole untergebracht, die einerseits eine Zuleitung zur Hochspannungsversorgung aufweist, deren 2 m langer Bezugsleiter andererseits mit der Bezugsmasse bzw. dem PE des Prüfobjekts verbunden wird. L1 N PE

Prüfling

Bezugsmasse (Cu-Blech) Bezugsleiter (Länge 2m)

Bild 8.17: Ersatzschaltbild einer Prüfanordnung mit Prüfpistole.

Obiges Ersatzschaltbild zeigt auch die den Vorimpuls bewirkenden Streukapazitäten. Die Anstiegszeit des Vorimpulses kann wegen der geringeren Induktivität des Entladekreises wesentlich kürzer sein als gemäß Gleichung (8-9) errechnet. Da der zeitliche Verlauf des Funkenstromes und insbesondere die Stromsteilheit der Anstiegsflanke offensichtlich stark vom Prüfaufbau abhängen, müssen bei hohen Ansprüchen an die Vergleichbarkeit der Prüfergebnisse die räumliche Anordnung der verschiedenen Komponenten und die Leitungsführung genau in Einklang mit den jeweils geltenden Vorschriften vorgenommen werden. Um bei Prüfungen auf der sicheren Seite zu liegen, ist der Bezugsleiter durch Bündeln und gutes Kontaktieren auf die minimale Länge zu verkürzen (kleinere Kreisinduktivität, größere Stromsteilheit). Man unterscheidet weiter zwischen ESD-Prüfungen im Labor und am Betriebsort. In ersterem Fall muss der Prüfling isoliert auf einer geerdeten Bezugsfläche aufgestellt werden (s. Bild 8.17), im zweiten Fall wird ohne leitende Bezugsfläche geprüft und die Masseleitung der Prüfpistole mit dem Schutzleiter der Netzzuleitung zum Simulator verbunden (an der Steckdose). Bei der Prüfung von Geräten mit hochwertigem Isolierstoffgehäuse wird wegen der Undurchführbarkeit obiger Messungen (es lässt sich kein geschlossener Stromkreis herbeiführen) die Entladung über einen Zusatzleiter (Koppelplatte) zum Bezugsflächenleiter vorgenommen, Bild 8.18.

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

341

Bild 8.18: ESD-Prüfung vollisolierter Geräte mittels benachbarter Kurzschlussschleife.

In Fortführung dieses Gedankens gibt es für manche Prüfpistolen Rahmenantennen- und kopfbeschwerte Stabantennenvorsätze für H- und E-Feldeinkopplung, Bild 8.19.

E H

Bezugsmassenfläche oder PE Bild 8.19: H- und E-Feld Antennen zur Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten von ESD-Simulatoren.

8.1.5

Simulation schmalbandiger Störungen

Die Simulation schmalbandiger Störungen ermöglicht die Beurteilung der Störfestigkeit elektronischer Einrichtungen gegenüber Oberschwingungen und Rundsteuersignalen der Energieversorgungsnetze etc. (s. Abschn. 2.2.4 und VDE 0847, Teil 2 [B23]). Als Störsimulatoren dienen Signalgeneratoren mit nachgeschalteten Leistungsverstärkern nach VDE 0846 [B23]. Die Störungen werden mittels spezieller Hochfrequenzübertrager induktiv in Netzversorgungs-, Steuer- und

342

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Signalleitungen eingekoppelt (s. VDE 0847, Teil 2 [B23]). Ein BypassKondensator bewirkt, dass die transformatorisch eingekoppelte Spannung in voller Höhe am Prüfobjekt auftritt, Bild 8.20. uSt

Netz

iSt

C=47μF

Prüfobjekt

Bild 8.20: Simulation schmalbandiger Störungen.

Die eingekoppelte Prüfstörgröße wird mit einem HF-Spannungswandler und einem Oszilloskop oder einem Störmessempfänger gemessen. Ein HF-Stromwandler erfasst den simulierten Störstrom (s. a. Abschn. 7.1). Bei den so genannten Strominjektionsverfahren (engl.: bulk current injection, BCI), s. Abschn. 8.2.3, handelt es sich ursprünglich um eine induktive Einspeisung eines hochfrequenten Störstroms der durch Beaufschlagung eines Leiters oder Leitungsbündels mit einem elektromagnetischen Feld äquivalent entstehen würde. Diese Art Störfestigkeitstest wird heutzutage ebenfalls dazu benutzt, rein leitungsgeführte Störungen zu simulieren, wie sie beispielsweise durch Stromrichter sowie andere getaktete Signalquellen entstehen können. Aufgrund der ursprünglichen Bedeutung der BCI-Tests in Zusammenhang mit gestrahlten Feldern wird an dieser Stelle auf Abschn. 8.2.3 verwiesen. 8.1.6

Kommerzielle Geräte

Zum Abschluss des Kapitels über Störfestigkeitsprüfungen seien nachstehend exemplarisch verschiedene kommerziell erhältliche Simulatoren für leitungsgeführte Störgrößen vorgestellt. Beispielsweise zeigt Bild 8.21 ein universelles, mikroprozessorgesteuertes Netzstörsimulatorsystem zur Simulation unterschiedlicher Störungen wie Netzspannungschwankungen und –unterbrechungen nach EN 61000-4-11.

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

343

Bild 8.21: NetzstörsimulatorSystem (Haefely PLINE).

Die Prüfstörgrößen sind von der Frontseite zugänglich, der Prüfling kann über eine einfache Schukosteckdose direkt verbunden werden. Fernsteuerung und Datenübertragung erfolgen über eine RS-232 oder IEEE-488 Schnittstelle. Einen typischen Burst-Simulator zeigt Bild 8.22.

Bild 8.22: Burst-Simulator (Teseq NSG2025).

Das Gerät erlaubt die Erzeugung von Bursts gemäß VDE 0847 Teil 4-4 (EN 61000-4-4). Das Modulkonzept erlaubt eine Anpassung des Geräts an unterschiedliche Prüflingsanbindungen (Schuko, CEKON,..) und Anbindung von Koppelstrecken. Außerdem besitzt es eine optische Verbindungsstrecke zur Fernsteuerung des Geräts durch eine Bedienungssoftware per PC. Einen typischen Hybridgenerator zur Durchführung von EMV-Prüfungen zeigt Bild 8.23. Dieser erzeugt bei hochohmig belastetem Ausgang, R L > 100 Ω , eine Normstoßspannung mit der Kurvenform 1,2/50 μs und bei

344

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

kurzgeschlossenem Ausgang einen Normstoßstrom mit der Kurvenform 8/20 μs, vgl. IEC 60, VDE 0432 , EN 61000-4-5

Bild 8.23: Hybridgenerator 6 kV /3 kA (HILO-Test).

In Verbindung mit dem eingebauten einphasigen Koppel-/Entkoppelnetzwerk werden die Ausgangsgrößen des SURGE-Generators der Versorgungsspannung einphasiger Prüflinge überlagert. Darüber hinaus können externe Koppel-/Entkoppelnetzwerke für 3-phasige Prüflinge und für Signalleitungen angeschlossen und bedient werden. Einen ESD-Simulator mit Prüfpistole zeigt Bild 8.24.

Bild 8.24: ESD-Generator bestehend aus Grundgerät und Prüfpistole bis 25 kV (EM-Test).

Die Prüfpistole kann verschiedene Entladekreise gemäß den unterschiedlichen Prüfvorschriften aufnehmen. Diese sind als steckbare Entlademodule ausgeführt und untereinander einfach austauschbar ebenso die Entladespitzen. Schließlich zeigt Bild 8.25 ein integriertes, einphasiges Transientenprüfsystem bestehend aus einem Netzstörsimulator, Hybridgenerator mit inte-

8.1 Simulation leitungsgebundener Störgrößen

345

griertem Stoßspannungsgenerator und Burstgenerator für Prüfungen gemäß EN 61000-4-4, EN 61000-4-5 und EN 61000-4-11.

Bild 8.25: EMV-Transientenprüfsystem Ecompac4 (HAEFELY EMC Technology)

8.2

Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

Die Simulation quasistatischer elektrischer und magnetischer Felder sowie elektromagnetischer Wellen erfolgt mit Hilfe von Sendeantennen und sie speisender Spannungsquellen. Wie bei leitungsgebundenen Störungen ist auch hier wieder zwischen schmalbandigen Störungen (z. B. Rundfunksender, monochromatische elektromagnetische Wellen) und breitbandigen Störungen (transiente Felder und Wellen) zu unterscheiden (s. a. Abschn. 2.1).

8.2.1

Simulation schmalbandiger Störfelder

Die Simulation schmalbandiger Störfelder muss mit Rücksicht auf den Schutz der Ressource Elektromagnetisches Spektrum (dank „postalischer“ Vorschriften justitiabel) in mit Absorbern ausgekleideten geschirmten Räumen erfolgen (s. Abschn. 5.6.5). Wegen der hohen Intensitäten darf sich während der Messungen kein Personal im Absorberraum aufhalten. Bei exzessiven Leistungsdichten besteht Selbstentzündungsgefahr der Absorber. Die Inbetriebnahme von Leistungsmesssendern und Leistungsverstärkern setzt eine Betriebsgenehmigung der Bundespost voraus (s. Kap. 12). Bezüglich der für bestimmte Umgebungsklassen (s. Abschn. 2.5) erforderlichen Prüfschärfen wird auf VDE 0843 Teil 3 [B23] und VDE 0847 Teil 3 [8.35] verwiesen. Als Sendeantennen kommen wegen des Reziprozitätsgesetzes grundsätzlich alle Antennen in Frage, die bereits im Rahmen der Emissionsmessungen (s. Abschn. 7.2.1) ausführlich behandelt wurden. Der Unterschied zwischen

346

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Empfangs- und Sendeantennen besteht im Wesentlichen darin, dass beispielsweise der Symmetrierübertrager am Übergang Koaxialkabel/Antenne thermisch und – bei Verwendung ferromagnetischen Materials – auch bezüglich seiner Linearität für die beträchtlich höhere Sendeleistung ausgelegt sein muss. Zur Speisung der Antennen kommen Spannungsquellen bestehend aus Funktionsgenerator und nachgeschaltetem Leistungsverstärker zum Einsatz. Je nach Breite des abzudeckenden Frequenzbereichs werden mehrere Funktionsgeneratoren und Leistungsverstärker erforderlich, die auf unterschiedlichen Oszillator- und Verstärkungsprinzipien beruhen. Um an einem Prüfobjekt bei allen Messfrequenzen eine konstante Feldstärke zu erreichen, müssen frequenzabhängige Verstärkungsschwankungen und Fehlanpassungen im closed-loop Betrieb mittels einer automatischen Pegelregelung kompensiert werden. Diese lässt sich im Wesentlichen auf zwei Arten realisieren: Im ersten Fall misst man die Feldstärke am Prüfling mit einem isotropen Feldsensor (s. a. Abschn. 7.2.1) und überträgt den Pegel mittels einer Lichtleiterstrecke zu einem Regelverstärker (engl.: levelling amplifier), der nach einem Soll-/Istwertvergleich die Verstärkung nachregelt, Bild 8.26.

Bild 8.26: Feldsimulation mit Regelschleife; Istwerterfassung mit Feldsensor.

Sophistische Regelverstärker haben meist mehrere Eingänge für mehrere Feldsensoren (Integralmessung). Im zweiten Fall verwendet man zur Istwerterfassung einen Richtkoppler (engl.: directional coupler), dessen Ausgangsspannung dem Regelverstärker zugeführt wird, Bild 8.27.

8.2 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

347

Bild 8.27: Feldsimulation mit Regelschleife; Istwerterfassung mit Richtkoppler.

Der Richtkoppler erlaubt die getrennte Messung der in Vorwärtsrichtung (zur Antenne) fließenden Leistung und der von der Antenne reflektierten, zum Sender zurückfließenden Leistung. Die Differenz beider Signale – die so genannte Netto-Leistung – ist unter der Berücksichtigung des Antennenwirkungsgrads ein Maß für die von der Antenne abgestrahlten Leistung. Gegenüber dem Richtkoppler besitzt die Pegelregelung mit isotroper Antenne als Istwertgeber den Vorzug, den Einfluss nichtisotroper Antennenstrahlungsdiagramme der Sendeantennen zu berücksichtigen. In praxi wird für Störfestigkeitsprüfungen mit gestrahlten Feldern das lokale Feld am Ort des später eingebrachten Prüflings mit Feldsonden einkalibriert. Die zum Erreichen der Prüffeldstärke notwendige Nettoleistung wird in Abhängigkeit der Frequenz notiert. Nach der Einbringung des Prüflings wird die jeweilige Netto-Leistung zu der entsprechenden Testfrequenz wieder eingestellt und sukzessive das Testfrequenzband durchfahren.

8.2.1.1

Spezialantennen, offene und geschlossene Wellenleiter

Neben den bereits im Abschn. 7.2.1 beschriebenen Antennen kommen speziell für Suszeptibilitätsprüfungen mit quasistatischen, elektrischen und magnetischen Feldern folgende Spezialantennen bzw. Feld-Koppeleinrichtungen zum Einsatz.

H-Felder 30 Hz bis 3 MHz: Zur Untersuchung der Störfestigkeit gegen konzentrierte magnetische Felder eignet sich ein Prüfaufbau gemäß Bild 8.28.

348

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Prüfobjekt

ief Bild 8.28: Zylinderspule zur Simulation konzentrierter quasistatischer magnetischer Felder.

Die axiale magnetische Feldstärke der Zylinderspule mit der Länge l und Windungen N berechnet sich näherungsweise zu

Hef =

ief N l

.

(8-13)

Soll das ganze Prüfobjekt einem räumlich ausgedehnten Magnetfeld ausgesetzt werden, eignet sich ein Prüfaufbau gemäß Bild 8.29 mit einer durch ein Holzgerüst fixierten Rahmenspule.

ief

Bild 8.29: Rahmenspule zur Simulation räumlich ausgedehnter magnetischer Felder.

Hier ist der Zusammenhang zwischen H-Feldstärke und Speisestrom ief nur durch Kalibrierung mit einer Magnetfeldmesssonde akzeptabel herstellbar.

Helmholtzspulen machen diese Kalibrierung entbehrlich, da ihre näherungsweise homogene Feldstärkeverteilung berechnet werden kann, Bild 8.30.

8.2 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

349

Hz(z,0) r0 r0

Bild 8.30: Helmholtzspulenpaar zur Erzeugung eines nur schwach inhomogenen, berechenbaren Magnetfelds.

r0

Zwischen zwei im Abstand r0 angeordneten Ringspulen vom Radius r0 ergibt sich die Feldstärke näherungsweise zu

Hzef (z,0) ≈ Hz (z, r0 ) = 0,715

ief r0

.

(8-14)

E-Felder 10 kHz bis 30 MHz bzw. 150 MHz: Quasistatische E-Felder lassen sich mit den in Bild 8.31 und 8.32 gezeigten Anordnungen generieren.

EIst

Bild 8.31: Unsymmetrisch eingespeiste E-Feld-Antenne.

350

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

50Ω

Prüfling

50Ω

EIst 200Ω

Bild 8.32: Symmetrisch eingespeiste E-Feld-Antenne mit externem Abschlusswiderstand.

Dank der Eingangsübertrager mit einem Windungsübersetzungsverhältnis von beispielsweise 1:2 lässt sich der 50 Ω Innenwiderstand der Leistungsverstärker an 4-fach größere Antennenimpedanzen anpassen. Gleichzeitig erhält man eine Verdopplung der Antennenspannung bzw. der Antennenfeldstärke und damit eine effektive Umsetzung der HF-Verstärkerleistung. Die Abschlusswiderstände sind thermisch für Leistungen bis zu einigen kW auslegbar. In Bild 8.32 transformiert ein zusätzlicher Übertrager den Abschlusswiderstand wieder auf 50 Ω , so dass handelsübliche, thermisch hoch belastbare koaxiale HF-Widerstände verwendet werden können Die mit obigen Anordnungen erzeugten elektrischen Felder sind sehr inhomogen und in ihrer räumlichen Verteilung nur unbefriedigend bekannt. Besser definierte Feldverhältnisse erhält man mit offenen Wellenleitern, Bild 8.33 (s. a. VDE 0843 Teil 3 [B23]).

Z0

Z0 d

Bild 8.33: Symmetrischer, offener Wellenleiter (Parallelplattenleitung, Streifenleitung).

Beide Platten bilden eine elektrisch lange Leitung. Die Dimensionierung der konischen Übergangsstücke und des Verhältnisses Plattenbreite zu Platten-

8.2 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

351

abstand erfolgt derart, dass der Wellenwiderstand Z0 von der Einspeisung bis zum Abschlusswiderstand konstant ist. Hierbei wird unter Wellenwiderstand immer der geometrieabhängige Leitungswellenwiderstand, das heißt das Verhältnis aus Spannung und Strom verstanden. Der Feldwellenwiderstand, also das Verhältnis E/H im Volumen zwischen den Leitern, beträgt bei TEM-Wellen unabhängig von der Geometrie immer μ0 / ε0 = 377 Ω (für μ r = 1 und ε r = 1 ). Bei Gleichspannung und niederen Frequenzen (λ l) herrscht zwischen den Platten ein quasistatisches elektrisches Feld, dessen Feldstärke sich aus E=

U d

(8-15)

berechnet. Die nutzbare Höhe liegt etwa bei einem Drittel des Plattenabstands. Bei höheren Frequenzen ( λ l, λ d ) breiten sich von der Einspeisung zum Abschlusswiderstand zwischen den Leitern geführte elektromagnetische Wellen mit transversalen elektrischen und magnetischen Feldstärken aus. Wegen dieser Transversalität kann dann das E-Feld nach wie vor aus Gleichung (8-15) berechnet werden, die Beanspruchung des Prüfobjekts ist jedoch eine andere als im rein quasistatischen Fall (s. Abschn. 5.4 und 6.1.4). Für sehr hohe Frequenzen, ( λ d ), geht auch die Transversalität verloren, es bilden sich merkliche höhere Moden aus und Gl. (8-15) verliert ihre Gültigkeit. Wird der parallele Teil der Plattenleitung sehr kurz gehalten, verhält sich der offene Wellenleiter wie eine Kegelleitung [8.17]. Eine besondere Anwendung von offenen Wellenleitern sind so genannte Streifenleiter (engl.: „Striplines“), Bild 8.34. Der Streifenleitung ist ein offener TEM-Wellenleiter, durch den ein elektromagnetisches Feld zwischen einer Massefläche und dem Streifenleiter erzeugt wird. Die Impedanz wird grundsätzlich über das Verhältnis von Streifenbreite b und Abstand h zur GroundPlane gemäß Z=

120 ⋅ π b h + 2,42 − 0,44 h b + [1 − h b]

an jedem Punkt der Streifenleitung eingestellt.

6

(8-16)

352

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik l b h

Z0

Abschluß

N-Anschluß

Bild 8.34: Unsymmetrischer, offener Wellenleiter.

Die Streifenleitung ist ein Messmittel, mit dem bei den meisten führenden Kfz-Herstellern vor allem Komponenten auf ihre Störfestigkeit und -emission untersucht werden. Anhaltspunkte zum Bau einer Streifenleitung befinden sich in den einschlägigen Normen, wie DIN 40839 oder DIN ISO 11452-5. Hier wird von einem Wellenwiderstand von 50 Ω oder 90 Ω ausgegangen. In den meisten Prüflaboratorien werden 90 Ω -Striplines verwendet, die auch die entsprechende Akzeptanz beim Kunden haben. Bei 90 Ω Impedanz treten höhere Moden erst bei höheren Frequenzen auf, ferner wird eine geringere Leistung für die gleiche Feldstärke benötigt wird. Geschlossene Wellenleiter haben den Vorteil, mit geringen Eingangsleistungen sehr hohe Feldstärken in deren Innern zu generieren und dabei relativ deterministische Feldbedingungen aufzuweisen. Durch die vollständige Schirmung wird die Umgebung zusätzlich geschützt. TEM-Zellen (s. Abschn. 5.7.3) und GTEM-Zellen (s. Abschn. 5.7.4) eignen sich hervorragend zur Erzeugung quasistatischer elektrischer Felder und gekoppelter transversaler E- und H-Felder. Zur Gruppe der Wellenleiter gehört im weitesten Sinn auch die Modenverwirbelungskammer, die bei Störfestigkeitsprüfungen zahlreiche Vorteile gegenüber der Absorberkammer aufweist (s. a. Abschn. 5.7.2) [8.38, 8.39].

8.2.1.2

Verstärker

Die Ausgangsleistung gewöhnlicher Messsender bzw. Signal- oder Funktionsgeneratoren ist gewöhnlich zu klein, um wirklichkeitsnahe Störfestigkeitsprüfungen durchführen zu können. Man verwendet daher zur Speisung der Antennen spezielle Leistungsmesssender bzw. nachgeschaltete Leistungsverstärker. Da bei Breitbandverstärkern hohe Bandbreite und Verstärkung einander ausschließen, benötigt man in der Regel mehrere, in unterschiedli-

8.2 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

353

chen Bandbreitenbereichen und mit unterschiedlichen aktiven Elementen arbeitende Verstärker. Die wichtigsten Verstärkereigenschaften sind: – Bandbreite – Verstärkung – Ausgangsleistung – Stabilität – Toleranz gegen Fehlanpassung am Ausgang. Ein idealer Verstärker besitzt innerhalb seiner Bandbreite (Differenz zwischen oberer und unterer Grenzfrequenz, B = fg0 − fgu ) eine konstante Spannungsverstärkung (engl.: gain), und zwar unabhängig von seiner Belastung (zwischen Leerlauf und Nennbetrieb). Bei realen Verstärkern schwankt die Verstärkung sowohl abhängig von der Frequenz als auch von der Belastung, so dass der Frequenzgang alles andere als eben ist. Die Verstärkung muss jedoch stets so groß sein, dass bei Vollaussteuerung am Eingang (z. B. 1 mW) auch in den Minima des Verstärkungsfrequenzgangs an einer vorgesehenen Last die geforderte Ausgangsleistung erzeugt werden kann. Erfreulicherweise vermögen die heute üblichen Regelverstärker auch bei sehr welligem Frequenzgang hier einiges gut zu machen. Bei fehlangepasster Belastung – z. B. durch eine stark frequenzabhängige Impedanz mit hohem Stehwellenverhältnis (engl.: VSWR – Voltage Standing Wave Ratio) – muss der Verstärker die reflektierte Leistung verkraften können. Darüber hinaus darf der Verstärker in keinem Betriebszustand durch unvorhergesehene Mitkopplung zum Oszillator werden (Schutzschaltungen). Vieles wäre noch zu sagen, dennoch wird dem Leser das Sammeln eigener Erfahrungen im Umgang mit Leistungsverstärkern nicht erspart bleiben.

8.2.2

Simulation breitbandiger elektromagnetischer Wellenfelder

Breitbandige elektromagnetische Wellenfelder treten im Fernfeld transienter Spannungs- und Stromänderungen auf, z. B. beim NEMP (Nuklearer Elektromagnetischer Impuls, s. Abschn. 2.4.7) und bei Blitzentladungen, in der Pulse Power Technologie oder in Hochspannungsprüflaboratorien. Für ihre wirklichkeitsnahe quantifizierbare Simulation benötigt man offene oder geschlossene Wellenleiter (s. Abschn. 8.2.1.1), die von Impulsspannungsquellen gespeist werden (engl.: radiation mode testing). Beispielsweise er-

354

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

zeugen NEMP-Simulatoren räumlich ausgedehnte transiente elektromagnetische Felder mit doppelt exponentiellem zeitlichen Verlauf (s. Bild 2.11 im Abschn. 2.4). Ein NEMP Simulator besteht im Wesentlichen aus einem Stoßspannungsgenerator, der Spannungsimpulse im Multimegavoltbereich mit Anstiegszeiten von nur wenigen Nanosekunden erzeugt sowie einem Wellenleiter zur Feldkopplung an das Prüfobjekt, Bild 8.35.

Bild 8.35: NEMP-Simulator.

Grundsätzlich handelt es sich bei einem NEMP Simulator um eine Abwandlung der bereits in Abschn. 8.2.1.1 erwähnten Streifenleitung. Wegen der großen Abmessungen werden Platten jedoch durch einzelne parallele Drähte ersetzt. Diese wirken gleichzeitig als Modenfilter, da im Gegensatz zu den Plattenleitern sich hier keine Ströme quer zur Ausbreitungsrichtung ausbilden können. Zahl und Abstand der Teilleiter bestimmen wesentlich die räumliche Feldverteilung [8.18]. Da die vergleichsweise große Induktivität gewöhnlicher Stoßspannungsgeneratoren im MV-Bereich eine direkte Erzeugung von Nanosekundenimpulsen nicht zulässt, führt man in einem Nachkreis eine Energiekompression durch, Bild 8.36. LS

MV

FS

CS

LN

FS

RL

CN

Stoßgenerator

Nachkreis

Bild 8.36: Stoßgenerator mit schnellem Nachkreis.

8.2 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

355

Je nach Dimensionierung unterscheidet man zwei Betriebsarten. Transferbetrieb: Im Transferbetrieb lädt der Stoßgenerator (Marxgenerator) die Transferkapazität ( CN ≈ CS ) in weniger als einer Mikrosekunde schwingend auf den gewünschten Scheitelwert auf, anschließend entlädt sich CN über die Last R L (ca. 50…100 Ω ). Dank der gepulsten Aufladung und damit nur kurzzeitigen Beanspruchung von CN lässt sich die Transferkapazität extrem induktionsarm aufbauen (Kondensator mit Wasserdielektrikum oder Folienkondensator in SF6 Pressgas). Die Anstiegszeit des NEMP-Impulses bestimmt dann die Zeitkonstante LN / R L , das heißt Ta = 2,2

LN RL

,

(8-17)

die Rückenzeit die Zeitkonstante CN R L . „Peaking“-Betrieb: Im „Peaking“-Betrieb wählt man CN viel kleiner als CS (ca. CS = 5CN ), so dass die Spannung an CN sehr rasch ansteigt. Die Funkenstrecke zündet bereits im Spannungsanstieg, CN kann dank seiner geringen Induktivität sofort viel Strom liefern und führt somit zu einem steilen Spannungsanstieg an der Last (Aufsteilungsfunkenstrecke). Der Spannungsanstieg an der Last breitet sich in Form einer Wanderwelle in das Leitungssystem konstanten Wellenwiderstands aus. Aufwendige NEMP-Simulatoren erlauben schnellen Repetierbetrieb zur Simulation multipler Impulse. Wegen des großen Aufwands und der Natur der Störquelle kommt NEMP-Simulatoren in der Regel nur im militärischen Bereich Bedeutung zu. Wegen weiterer Einzelheiten sei daher auf das Literaturverzeichnis verwiesen [B28, 8.24].

8.2.3 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen durch Strominjektion Die Prüfung der Wirksamkeit von Kabelschirmen und Schirmgehäusen gegenüber elektromagnetischen Feldern und Wellen erfolgt gewöhnlich durch

356

8 EMV-Störfestigkeitsprüftechnik

Simulation der Störfelder wie in den vorigen Abschnitten beschrieben. Diese Felder führen letztlich immer zu Strömen auf Kabelschirmen und Schirmgehäusen, die auf Grund des Durchgriffs und der Kopplungsimpedanz im Innern zu Störspannungen Anlaß geben. Die aufwendige Simulation dieser Störfelder lässt sich umgehen, indem man die ihnen induzierten Ströme gleich in die Schirme einspeist. Man unterscheidet zwischen Strominjektionsprüfungen an Kabelschirmen und Schirmgehäusen und Strominjektionsprüfungen an Kabelbäumen.

8.2.3.1 Strominjektionsprüfungen an Kabeln und Gehäuseschirmen Bei Strominjektionsprüfungen von Kabel- und Gehäuseschirmen speist man in die Schirme sinusförmige oder transiente Störströme ein, die über den Schirm bzw. über dessen Erdverbindungen, Schutzleiter, etc., zur Quelle zurückfließen. Diese Ströme führen bezüglich der innenliegenden Signalleiter zu einem resultierenden magnetischen Feld geringerer Feldstärke. Die Kabel und Gehäuseströme können ebenfalls aufgrund des Spannunsgabfalls auf der Stromstrecke einen störenden Einfluß haben. So erzeugt beispielsweise ein Kabelmantelstrom, der durch den mit Masse verbundenen Kragen der Eingangsbuchse eines Oszilloskops in das Gehäuse eintritt und dieses durch die Erdkapazität und den Schutzleiter wieder verlässt, längs der Schaltungsmasse Spannungsabfälle, die galvanisch dem Nutzsignal überlagert sind (s. a Abschn. 10.6). Diesen Effekt beschreibt man durch die Gehäuse-Kopplungsimpedanz. Die Kopplungsimpedanz von Kabeln und Gehäusen ist vor allem bei starken Feldern, beispielsweise hervorgerufen durch Blitzentladungen oder hochintensive gestrahlte Felder von Radaranlagen, von hoher Bedeutung. Deswegen ist die Messung der Kopplungsimpedanz eine wichtige Grundlage zur weiterführenden EMV gerechten Auslegung von Systemen. Die größten Schirmgehäuse findet man im Flugzeugbau und bei der Marine, wo in die Primärstrukturen beispielsweise in Flügelspitze oder Nase ein Strom injiziert wird, der ein äußeres einfallendes Feld simuliert, um die Kopplung auf innenliegende Leiter und Systeme zu bestimmen. Ebenso werden Blitzentladungen simuliert, um Immunität der Primärstruktur und die Kopplung in den Innenbereich des Flugzeugs zu bestimmen.

8.2 Simulation quasistatischer Felder und elektromagnetischer Wellen

357

8.2.3.2 Prüfung der Störempfindlichkeit von Geräten durch Strominjektion in deren Kabelbäume Die aus Gehäuse-Kopplungsmessungen gewonnenen Daten können zur Bestimmung von Prüfkriterien herangezogen werden, mit denen die Kopplung der äußeren Felder auf Signalleiter im Schirminnern simuliert werden. Ähnlich wie bei Emissionsmessungen die Messung von Störfeldstärken in bestimmten Fällen durch Störleistungsmessungen ersetzt werden kann (s. a Abschn. 7.3), lässt sich auch die aufwendige Einkopplung von Feldern in gewissem Umfang durch eine Strominjektion über Stromwandler bzw. Absorberzangen oder galvanische Einkopplung über Koppelnetzwerke gemäß IEC 801-6 ersetzen [8.15, 8.16, 8.26, 2.156]. Diese Technik (engl.: injection test mode oder bulk current injection (BCI)) hat zunehmend Bedeutung gewonnen und wird heutzutage bis in den GHzBereich angewendet. BCI-Tests gestallten sich oberhalb von 400 MHz als äußerst schwierig, da auf den jeweiligen Kabellbäumen und Leitungen resonanzen auftreten und große Fehlanpassungen vorherrschen können. Schließlich ist die Korrelation zwischen Prüfbedingung und Einsatzbedingung in sehr hohen Frequenzbereichen aufgrund der nicht bekannten Hochfrequenz-Eigenschaften vom Kabelbäumen (engl.: bundle) sehr fragwürdig. Reflexionen aufgrund einer anderen Art von Leitungsverlegung oder Durchgang durch metallische Träger und Strukturen haben oberhalb 100 MHz bereits spürbare Auswirkung auf das Hochfrequenzverhalten einer Leitung.

9

EMV-Entstörmittelmessungen

Entstörmittelmessungen quantifizieren die frequenzabhängige Dämpfung von Filtern, die Schirmdämpfung von Kabelmänteln, Gerätegehäusen und Messkabinen etc. Im Folgenden werden die grundsätzlichen Verfahren kurz vorgestellt. Die praktische Durchführung von Entstörmittelmessungen verlangt im konkreten Einzelfall eine intensive Befassung mit den relevanten Vorschriften und der jeweils angegebenen Literatur.

9.1

Schirmdämpfung von Kabelschirmen

9.1.1

Schirmdämpfung für quasistatische Magnetfelder (Kopplungsimpedanz)

Ein Maß für die Dämpfung quasistatischer magnetischer Wechselfelder durch Kabelschirme ist die Kopplungsimpedanz (engl.: transfer impedance). Sie ist definiert als Verhältnis der auf der Innenseite eines Kabelschirms auftretenden Spannung (galvanisch und induktiv eingekoppelt, s. a. Abschn. 3.1.3) zu dem auf der Außenseite im Kabelschirm fließenden Strom [3.8, 9.1–9.6]. Der Messaufbau für die Ermittlung der Kopplungsimpedanz wird durch ihre Definition nahe gelegt, Bild 9.1.

ISt (ω)

USt (ω)

Störmessempfänger

Bild 9.1: Messung der Kopplungsimpedanz mit koaxialer Rückführung des Störstroms (schematisch), I St (ω) : Störstromquelle.

360

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Ein Leistungsmesssender speist bei diskreten Frequenzen sinusförmige Ströme I St (ω) konstanten Effektivwerts in den Kabelmantel ein, der Störmessempfänger misst den vom Störstrom auf der Innenseite des Schirms hervorgerufenen Spannungsabfall. Für Kabellängen l λ / 4 ergibt sich die auf die Länge bezogene Kopplungsimpedanz, ZK (ω) =

USt (ω) I St (ω) ⋅ l

.

(9-1)

Je kleiner die Kopplungsimpedanz desto höher die Schirmwirkung und desto geringer ist die resultierende Störspannung USt (ω) . Zwischen der analytischen Funktion für den Kopplungswiderstand ZK (ω) und dem Schirmfaktor Q(ω) = Hi (ω) Ha (ω)

(9-2)

eines Zylinders besteht bereichsweise eine enge Verwandtschaft, so dass aus dem Kopplungswiderstand Näherungslösungen für den Schirmfaktor abgeleitet werden können [9.1, 9.32]. Numerisch lässt sich diese Verwandtschaft für beliebige Geometrien aufzeigen. Die Aussagekraft der Kopplungsimpedanz ist so hoch, dass häufig die Schirmwirkung bestimmter Schirmmaterialien über eine Kopplungsimpedanzmessung ermittelt wird. So kann man beispielsweise Maschendraht zu einem Rohr zusammenrollen, dessen Kopplungsimpedanz messen, und damit Aussagen über die Eignung dieses Materials für die Auskleidung von Schirmräumen gewinnen. In die gleiche Richtung zielen Suszeptibilitätsmessungen an Schirmgehäusen von Messgeräten, Steckverbindungen etc. [2.155, 2.156, 9.2–9.4]. Die enge Verwandtschaft zwischen Kopplungsimpedanz und Schirmdämpfung kommt auch auf anderen Gebieten der EMV-Technik zum Ausdruck, zum Beispiel immer dann, wenn die Wirkung elektromagnetischer Wellen durch die von ihnen induzierten Ströme durch Strominjektion bzw. durch Störleistungsmessungen simuliert wird (s. a. Abschn. 5, 7.3 u. 8.2.3). Die Kopplungsimpedanz ist eine der wichtigsten Größen in der EMV-Disziplin.

9.1 Schirmdämpfung von Kabelschirmen

9.1.2

361

Schirmdämpfung für quasistatische elektrische Felder (Transfer-Admittanz)

Quasistatische elektrische Felder wirken über den kapazitiven Durchgriff eines Geflechtschirms auf das geschirmte System ein. Ein Maß für die Schirmdämpfung ist in diesem Fall der Durchgriffsleitwert bzw. die TransferAdmittanz (engl.: transfer admittance). C12 U2

C2 C1

I Z0

U1

Bild 9.2: Messung der Transferadmittanz (schematisch), C12 ist die so genannte Durchgriffskapazität.

Der Durchgriffsleitwert ist dual zur Kopplungsimpedanz und wird definiert zu YT (ω) =

I(ω) ≈ jωC12 U2 (ω) ⋅ l

.

(9-3)

Im Gegensatz zur Kopplungsimpedanz ist der Durchgriffsleitwert nicht allein eine Eigenschaft des Schirms, sondern auch eine Funktion der Kapazität C2 der Messanordnung bzw. der Störumgebung.

In praxi rechnet man vorzugsweise mit dem kapazitiven Durchgriff, K12 =

C12 ⋅ l C1 ⋅ C2

,

(9-4)

eine vom Schirmaufbau aber nicht mehr von der Frequenz abhängige Kenngröße. Der kapazitive Durchgriff hat die Dimension m/F und wird wahlweise durch Messung der Teilkapazitäten oder mittels Spannungsmessungen bestimmt [9.3, 9.40].

362

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Im Gegensatz zur Kopplungsimpedanz hat die Transfer-Admittanz nur geringe praktische Bedeutung, da die induzierten Störspannungen die influenzierten Störspannungen meist merklich überwiegen (Ausnahme: Kabelschirme mit geringer optischer Überdeckung).

9.1.3

Schirmdämpfung für elektromagnetische Wellen (Schirmungsmaß)

Wie bereits mehrfach erwähnt, können Kabelschirme als Empfangs- oder Sendeantennen für elektromagnetische Wellen interpretiert werden (s. Abschn. 7.3. u. 8.2.3). Eine von außen auf einen Kabelschirm auftreffende elektromagnetische Welle führt zu Kabelmantelströmen, ein Strom im inneren System führt zur Abstrahlung elektromagnetischer Wellen in den Außenraum. Auf Grund der vorhandenen Reziprozität definiert man als Schirmungsmaß das mit 10 multiplizierte logarithmische Verhältnis der in das zu prüfende Kabel eingespeisten Leistung P1 = U12 / Z zur außen von einer Absorberzange gemessenen Leistung P2 = I2 Z' (Z': äquivalenter Impedanzfaktor), a s = 10 lg

P1 P2

.

(9-5)

Die Messung der äußeren Leistung erfolgt mit Hilfe von zwei Absorberzangen am sendernahen und -fernen Ende oder mit einem verschiebbaren Stromwandler, Bild 9.3.

T Messsender

Absorber

Absorber Störmessempfänger

Abschluß

Störmessempfänger

Bild 9.3: Messung des Schirmdämpfungsmaßes von Kabelschirmen mit Absorberzangen bzw. Absorbern und einem Stromwandler [9.5].

9.1 Schirmdämpfung von Kabelschirmen

363

Die Messung besitzt starke Ähnlichkeit mit der Ermittlung des Nah- und Fernnebensprechens (s. a. [3.12–3.16]). Abschließend sei erwähnt, dass es durchaus auch möglich ist, die Emissionen von Kabeln und Steckverbindern direkt mit Empfangsantennen zu erfassen und daraus Schlüsse auf deren Schirmwirkung abzuleiten [9.6].

9.2

Schirmdämpfung von Gerätegehäusen und Schirmräumen

Die Intrinsic-Dämpfung geschlossener Schirmhüllen – das heißt, die nur von der Geometrie, dem Schirmmaterial und dessen Wandstärke bestimmte Schirmdämpfung eines fugenlosen homogenen Schirms – ist meist sehr hoch (Ausnahme: Bedampfungen etc. s. Kap. 5) und kann mit den im Kap. 6 angegebenen Formeln abgeschätzt bzw. mit den im Abschn. 9.3 vorgestellten Anordnungen gemessen werden. Technische Schirme besitzen dagegen auf Grund herstellungsbedingter oder funktionell bedingter Fugen und Öffnungen meist eine deutlich geringere Schirmwirkung. Die letztlich verbleibende Schirmdämpfung muss messtechnisch ermittelt werden. Die Schirmdämpfung von Schirmräumen wird als Einfügungsdämpfung gemessen, Bild 9.4.

M a0

M am

a)

b)

Bild 9.4: Messung der Einfügungsdämpfung von Schirmgehäusen a) Leermessung (Anzeige a 0 ), b) Schirmmessung (Anzeige a m ).

Der Unterschied der Anzeigen ohne und mit Schirm ergibt die Schirmdämpfung, as = a0 − am

.

(9-6)

Je nach Feldcharakteristik (elektrisch, magnetisch), Frequenzbereich und Polarisationsrichtung kommen verschiedene Antennen in Frage (s. a. Abschn. 7.2), Bild 9.5.

364

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Bild 9.5: Antennen zur Messung der Einfügungsdämpfung von Schirmräumen in unterschiedlichen Frequenzbereichen.

Schirmdämpfungsmessungen an Gerätegehäusen und Elektronikschränken verlangen im Schirminnern eine möglichst kleine Antenne. Da eine Kalibrierung der Antenne nicht erforderlich ist, genügt hier eine beliebige Eigenbauversion, wie etwas eine Schnüffelantenne (s. a. Abschn. 7.2.1.4). Bild 9.6 zeigt zwei Möglichkeiten der Messung der Schirmdämpfung an Gerätegehäusen für unterschiedliche Frequenzbereiche [9.8–9.11 und 9.15].

M a)

b)

Bild 9.6: Messung der Schirmdämpfung von Gerätegehäusen a) Magnetfelddämpfung, 30 Hz bis 3 MHz (Messgerät im Schirmgehäuse), b) Schirmdämpfung im elektromagnetischen Wellenfeld, 30 MHz bis 1 GHz (Messgerät außerhalb des Schirmgehäuses).

Je nach Positionierung der Antennen – vor homogenen Schirmwänden, vor Spalten und Öffnungen oder in Raummitte – ergeben sich sehr unterschiedliche Werte. Im Rahmen einer „worst-case“-Betrachtung sind die niedrigsten Werte festzuhalten. Der Nachteil der Ortsabhängigkeit lässt sich durchaus

9.2 Schirmdämpfung von Gerätegehäusen und Schirmräumen

365

auch positiv interpretieren, indem auf diese Weise mit Schnüffelantennen leicht Leck- und Schwachstellen aufgespürt werden können [9.7]. Große Abschirmräume oder auch Schirmschränke werden mangels Portabilität nach der Raummittelpunktmethode vermessen, Bild 9.7.

Bild 9.7: Messung der Schirmdämpfung nach der Raummittelpunktmethode.

Hierbei handelt es sich um eine modifizierte Messung der Einfügungsdämpfung, wobei grundsätzlich in Schirmraummitte gemessen wird. Neben der Tatsache, dass bei obigen Verfahren weniger der eigentliche Schirm als seine Unvollkommenheiten (Fugen, Filter Wabenkaminfenster etc.) beurteilt werden, weisen Messungen der Einfügungsdämpfung noch die Problematik auf, dass das Messergebnis wesentlich von den Antennenstrahlungsdiagrammen abhängt und dass für andere Störquellen und -sender die Einfügungsdämpfung an der entsprechenden Schwachstelle durchaus andere Werte annehmen kann. Wegen der mangelnden Eindeutigkeit von Schirmdämpfungsmessungen wird zunehmend eine Beurteilung der Schirmdämpfung an Hand von Strominjektionsmessungen diskutiert [9.20, 9.8]. Der Zusammenhang zwischen einer Gehäusekopplungsimpedanz und der Schirmdämpfung ist zwar auch nicht eindeutig, ihre Messung ist aber viel einfacher. Die grundsätzliche Problematik der Schirmdämpfungsmessung liegt schlicht darin begründet, dass bei technischen Schirmen die Schirmdämpfung natur-

366

9 EMV-Entstörmittelmessungen

gemäß keine eindeutige Größe ist und daher grundsätzlich auch nicht eindeutig angegeben werden kann. Schirmdämpfungsmessungen von Gehäusen, Baugruppenträgern und Elektronikschränken werden klassischerweise in der Absorberkammer durchgeführt [9.9]. Die zu vermessenden Gehäuse müssen leer und Gehäuseöffnungen, wie z. B. Displays, sowie Durchführungen müssen mit den vorgesehenen Konstruktionselementen versehen sein. Der Prüfling muss in Strahlrichtung der Sendeantenne und mindestens in einem Abstand von einem Meter zur Sendeantenne stehen. Die Empfangsantenne muss mittig in den Prüfling eingebracht sein (Raummittelpunktsmethode) und soll im Vergleich zum Gehäuse klein sein. Die Messdynamik des Aufbaus soll mindestens 10dB größer sein als die Schirmdämpfung des zu vermessenden Gehäuses. Die Schirmdämpfung wird als Einfügungsdämpfung gemessen. Der Prüfling ist in seinen drei Raumachsen zu vermessen. Beispielsweise zeigt Bild 9.8 eine Messaufbau zur Schirmdämpfungsmessung nach VG 95373, Teil 15, KS 04 G [9.9]:

Bild 9.8: Messaufbau einer Schirmdämpfungsmessung in der Absorberkammer.

In der Mitte der Absorberhalle befindet sich die Empfangsantenne, um die bei der Messung der Schirm positioniert wird. Das elektromagnetische Feld wird mit einer logarithmisch-periodischen Antenne mit horizontaler oder

9.2 Schirmdämpfung von Gerätegehäusen und Schirmräumen

367

vertikaler Polarisation erzeugt (s. a. 7.2.1). Die Sendeantenne wird nahe der vorderen Wand in der Mitte der Raumbreite auf 1,5 m Höhe angebracht. Die Hauptstrahlrichtung wird parallel zur Raumlängsachse und somit genau auf das zu vermessende Gehäuse ausgerichtet. Die Antenne wird von einem Verstärker gespeist, der über einen Signalgenerator angesteuert wird. Gemessen wird mit einem Funkstörmessempfänger, der zusammen mit dem Signalgenerator über den IEC-Bus mit einem PC verbunden ist. Der PC übernimmt die Steuerung des Messablaufs und die Messdatenauswertung. Eine zusätzliche Schirmung der Messleitung durch ein massives Messingrohr und Ferritringe zur Unterdrückung der Rohrresonanzen sind ratsam, um Rückwirkungen des Messaufbaus zu unterdrücken. Zusätzlich zu den Wandabsorbern werden Bodenabsorber und eine mobile Absorberwand in der Kammer positioniert, um bessere Feldeigenschaften zu erreichen. Bild 9.9 zeigt einen solchen Aufbau für ein kleines Gehäuse.

Bild 9.9: Realisierung des Messaufbaus in der Absorberkammer für kleine Gehäuse.

Standgehäuse werden ähnlich vermessen, wobei diese auf einem Drehtisch innerhalb der Kammer auf einer Höhe von 20 bis 40 cm angebracht sind.

368

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Dabei wird wiederum das Empfangsantennenkabel innerhalb eines Messingrohres geführt, um Einkopplungen zu minimieren, Bild 9.10 a und b.

Bild 9.10 a: Realisierung des Messaufbaus für Schirmdämpfungsmessungen großer Gehäuse und Schränke (ohne eingebrachten Schirmschrank, so genannte Leermessung, Anzeige a 0 )

Bild 9.10 b: Realisierung des Messaufbaus für Schirmdämpfungsmessungen großer Gehäuse und Schränke (mit Schirmschrank, so genannte Schirmmessung, Anzeige a m )

9.3 Intrinsic-Schirmdämpfung von Schirmmaterialien

369

Erfahrungen aus zahlreichen Messungen zeigen, dass das oben erwähnte Verfahren einige Nachteile mit sich bringt: –

Die Schirmdämpfungswerte sind aufgrund stehender Wellen innerhalb des Gehäuseschirms vom Ort der Messantenne abhängig. Das bedeutet, dass eine ungenaue Positionierung der Messantenne im Mittelpunkt des zu vermessenden Gehäuseschirms die Ergebnisse der Schirmmessung beeinflusst.



Auf dem Schirm des Empfangsantennenkabels breiten sich eingekoppelte Gleichaktströme aus und versetzen diesen außerhalb des Gehäuses in Resonanz. Diese Resonanzen des äußeren Kabelschirms übertragen sich auf das Gehäuse und verfälschen die Messung, da der Antennenaufbau im Schirminneren als λ / 4 -Strahler wirkt.



Das Feld in der Absorberhalle ist inhomogen. Aufgrund der räumlichen Gehäuseausmaße ist das einfallende Feld nicht äquivalent zu dem Feld der Referenzmessung (ohne Gehäuse). Dieser Einfluss wird in der Differenzmessung nicht eliminiert. So verändern große Schirme merklich das Feld in der Halle, was zu falschen Ergebnissen führen kann.



Bei vielen Absorberkammern handelt es sich um Semi-Absorberkammern. Das bedeutet, der Fußbodenbereich besteht aus einer Metallplatte ohne zusätzliche Absorber, die also die Wellen reflektiert. Dies verschlechtert jedoch die Feldhomogenität in der Absorberkammer bzw. es treten indirekte Einstrahlungen durch die Fussbodenreflexion auf, und damit wird ihre Tauglichkeit für EMV-Messungen einschränkt.



In der Absorberhalle selbst sind große Verstärkerleistungen nötig, um eine gute Messdynamik zu erhalten.



Für schnelle Übersichtsmessungen ist dieses Verfahren aufgrund seines Aufwands nicht geeignet (Drehen des Prüflings, ändern der Polarisation der Sendeantenne).

Schirmdämpfungsmessungen und ihre Interpretation sind sehr vielschichtig und nur in enger Anlehnung an Vorschriften sowie mit intimem Verständnis für die inhärenten Unzulänglichkeiten der Verfahren befriedigend durchführbar. Weitere Hinweise finden sich im umfangreichen Literaturverzeichnis [9.9–9.16].

370

9.3

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Intrinsic-Schirmdämpfung von Schirmmaterialien

Die Intrinsic-Schirmdämpfung von Schirmmaterialien – das heißt ihre reine Materialeigenschaft, unabhängig von der Geometrie eines damit zu erstellenden Schirms – ermittelt man über die Messung ihrer Einfügungsdämpfung (s. a. Abschn. 9.2), Bild 9.11.

a)

E

b)

E

Bild 9.11: Messung der Einfügungsdämpfung von Schirmmaterialien. a) Leermessung (Anzeige a 0 ), b) Materialmessung (Anzeige a m ).

Der Unterschied der Anzeigen ohne und mit Schirm ergibt die Schirmdämpfung, as = a0 − am

.

(9-7)

Wie bei anderen auf der Messung einer Einfügungsdämpfung beruhenden Methoden hängt auch hier das Messergebnis nicht allein vom Prüfobjekt, sondern auch von der Messanordnung ab (s. a. Abschn. 9.2 u. 9.4). So erhält man mit unterschiedlichen Antennen, Antennenstrahlungsdiagrammen und Abständen zur Probe sowie unterschiedlichen Probenabmessungen in Querrichtung verschiedene Messergebnisse für das gleiche Material. Es wurden daher mehrere Modifikationen obiger Grundidee entwickelt, die zwar auch nicht zwingend zu einheitlichen Ergebnissen führen, dennoch in ihrer Gesamtheit eine treffendere Beurteilung des Schirmmaterials erlauben [9.23, 9.25, 9.26, 9.42].

9.3.1

Koaxiale TEM-Messzelle mit durchgehendem Innenleiter

Bei der koaxialen TEM-Messzelle mit durchgehendem Innenleiter (engl.: Transmission-Line Holder) wird die Materialprobe im Inneren einer aufge-

9.3 Intrinsic-Schirmdämpfung von Schirmmaterialien

371

weiteten Koaxialleitung konstanten Wellenwiderstands in radialer Richtung niederohmig kontaktiert angeordnet, Bild 9.12.

d M

Bild 9.12: Koaxiale TEM-Messzelle mit durchgehendem Innenleiter (ASTM, [9.21, 9.22]).

Die Materialprobe besitzt die Form eines Kreisrings, der Innenleiter ist durchgehend. Damit entspricht die Messanordnung dem von Schelkunoff vorgeschlagenen Impedanzkonzept für das Fernfeld (s. Abschn. 6.2). Die Eund H-Feldvektoren sind parallel zum Schirmmaterial orientiert. Ein Teil der vom Messsender M ankommenden TEM-Welle wird reflektiert, ein Teil zum Empfänger transmittiert, der Rest in der Probe dissipiert, das heißt in Verlustwärme umgewandelt. Die Übereinstimmung mit rechnerisch ermittelten Werten für die Schirmdämpfung elektromagnetischer Wellen, Dünne Proben: a S = 20 lg 1 +

377 Ω ⋅ σ ⋅ d 2

Dicke Proben: ,

a S = 20 lg 1 +

377 Ω ⋅ sinh ( γd ) 2⋅ μ ε

,

(9-8)

hängt insbesondere bei gut leitenden Proben wesentlich von der Kontaktierung der Probe zum Innen- und Außenleiter ab. Zur Umgehung dieser Problematik wurde die nachstehend beschriebene Koaxiale TEM-Messzelle mit stoßender Ankopplung an die Probe entwickelt.

9.3.2

Koaxiale TEM-Messzelle mit gestoßenem Innenleiter

Zur Verbesserung der Kontaktierung wird bei der TEM-Messzelle mit gestoßenem Innenleiter (engl.: Flanged Circular Coaxial Transmission-Line

372

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Holder) die Materialprobe in Scheibenform zwischen die Stirnflächen zweier stumpf aufeinander stoßenden Hälften einer aufgeweiteten Koaxialleitung eingebracht, Bild 9.13.

M

Bild 9.13: Koaxiale TEM-Messzelle mit Stoßankopplung (NBS, [9.24, 9.25]).

Die Stoßstelle zwischen den Innen- und Außenleiterhälften wird kapazitiv überbrückt. Dies führt zu einer von der Probendicke abhängigen unteren Grenzfrequenz (ca. 1…100 MHz ). Zur Aufrechterhaltung der kapazitiven Kopplung werden bei der Leermessung ein Kreisring mit den Abmessungen des Außenflansches und eine Kreisscheibe vom Durchmesser des Innenleiters aus Schirmmaterial eingelegt. Im Vergleich zur Messzelle mit durchgehendem Innenleiter liefert die Anordnung mit gestoßenem Innenleiter besser mit der Theorie übereinstimmende und besser reproduzierbare Messergebnisse. Die obere Grenzfrequenz beider Zellen wird durch die Ausbildung höherer Moden bestimmt und liegt bei ca. 1,6 GHz. Zur Ermittlung der Schirmdämpfung für quasistatische elektrische und magnetische Felder eignen sich die beiden nachstehend beschriebenen Anordnungen.

9.3.3

Doppel TEM-Messzelle

Die Doppel TEM-Zelle besteht aus zwei gewöhnlichen TEM-Zellen mit rechteckförmigem Querschnitt, die, ähnlich einem Richtkoppler, über eine Apertur miteinander elektromagnetisch gekoppelt sind, Bild 9.14. Das zu prüfende Material wird über die Apertur gespannt, wobei die Kontaktierung wieder eine wesentliche Rolle spielt. Im Gegensatz zu den beiden oben

9.3 Intrinsic-Schirmdämpfung von Schirmmaterialien

373

beschriebenen TEM-Zellen greift hier die elektrische Feldstärke normal, die magnetische Feldstärke tangential an.

Z0

M

M

a1 , a1 0

a2 , a2

m

0

m

Bild 9.14: Doppel TEM-Messzelle mit Aperturkopplung (NBS [9.26, 9.28, 9.29]).

Dank der beiden Ausgänge der unteren Zelle lassen sich die quasistatische magnetische und die quasistatische elektrische Schirmdämpfung getrennt bestimmen [9.27, 9.29, 9.42]. So ergibt die Addition beider Ausgangssignale a1 und a 2 jeweils einer Leer- und einer Materialmessung die Einfügungsdämpfung für das elektrische Feld

a e = 20 lg

∑a ∑a

0

,

m

(9-9)

ihre Differenzen die Einfügungsdämpfung für das magnetische Feld,

a m = 20 lg

Δa 0 Δa m

.

(9-10)

Schließlich sei die „Dual-Chamber“-Messzelle nach ASTM [9.22] erwähnt, bei der die Materialprobe unmittelbar zwischen wahlweise zwei elektrische oder magnetische Dipole gelegt werden kann, die von einem aufklappbaren, gemeinsamen Schirmgehäuse umgeben sind, Bild 9.15.

374

9 EMV-Entstörmittelmessungen

a)

b)

Bild 9.15: Dual-Chamber-Messzelle nach ASTM [9.22], a) elektrische Schirmdämpfung, b) magnetische Schirmdämpfung.

Elektrische und magnetische Feldstärke sind in dieser Anordnung normal zur Probe orientiert (Nahfeldsimulation). Auf Grund der Eigenresonanzen und der stark inhomogenen Feldverteilung lassen sich die Ergebnisse nur schlecht mit anderen messtechnisch oder rechnerisch erhaltenen Ergebnissen vergleichen. Der Vollständigkeit halber sei auf die Ermittlung der Schirmdämpfung über Kopplungsimpedanzmessungen (s. Abschn. 9.1.1 und [9.30, 9.32]) sowie auf Zeitbereichsverfahren hingewiesen [9.31].

9.4

Schirmdämpfung von Dichtungen

Wie in Kap. 5 ausführlich dargelegt wurde, beruht die Wirkung elektromagnetischer Schirme im Wesentlichen auf der ungehinderten Ausbildung von Schirmströmen. Gehäusefugen und Türspalte behindern die Stromausbreitung exzessiv und müssen daher durch leitfähige Dichtungen niederohmig überbrückt werden. Diese Aufgabe einer Schirmdichtung legt auch gleich die Messanordnung nahe, Bild 9.16.

9.4 Schirmdämpfung von Dichtungen

375

ISt(ω)

Dichtung

D USt(ω)

Bild 9.16: Messzelle für Schirmdichtungen

Die Anordnung entspricht praktisch einer Kopplungsimpedanzmesseinrichtung (vergl. (9-1)), ZD (ω) =

USt (ω)πD I St (ω)

.

(9-11)

Je niedriger der Spannungsabfall (bei eingeprägtem Strom), desto besser die Schirmwirkung. Um das Messergebnis von der Länge der Dichtung (Umfang πD ) unabhängig zu machen, gibt man die Kopplungsimpedanz als bezogene Größe an. Die Kompression der Dichtung ist nach den empfohlenen Herstellerangaben zu wählen. Dichtkonstruktionen mit Dichtrillen müssen gegebenenfalls in der Grundplatte geeignet nachgebildet werden. Zur Vermeidung einer kapazitiven Überkopplung bei hohen Frequenzen wird die untere Scheibe des Spannungsabgriffs mit hohem Lochanteil versehen. Da die Schirmwirkung im Wesentlichen von der spezifischen Leitfähigkeit der komprimierten Dichtung abhängt, lassen sich überschlägige Messungen auch mit einer Gleichstromquelle (Starterbatterie) und einem Ohmmeter vornehmen.

376

9.5

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Reflexionsdämpfung von Absorberwänden

Von einer Sendeantenne ausgestrahlte elektromagnetische Wellen erfahren an Hindernissen eine teilweise oder gar vollständige Reflexion. Bei monochromatischen Wellen führt die Überlagerung der hin- und rücklaufenden Wellen durch konstruktive und destruktive Interferenz zu einer stehenden Welle mit räumlich festen Knoten und Bäuchen. Beispielsweise zeigt Bild 9.17 das Stehwellenmuster vor einer leitenden Wand (z. B. Schirmwand). EE + ER

EE

- EE(t)

ER

Bild 9.17: Stehwellenmuster vor einer leitenden Wand.

EE(t)

Einhüllende

Die Randbedingung E=0 in Leitern bewirkt, dass der Momentanwert der einfallenden Welle EE an der Leiteroberfläche in jedem Augenblick durch einen gleich großen Momentanwert entgegengesetzter Polarität kompensiert wird (reflektierte Welle). Die Überlagerung erzwingt also an der leitenden Wand stets einen Knoten und weitere Knoten jeweils in Abständen λ / 2 vor der Wand. Die von Null verschiedenen Momentanwerte der stehenden Welle liegen innerhalb des schattierten Bereichs. Der Maximalwert der Einhüllenden entspricht dem doppelten Scheitelwert der einfallenden Welle. Besteht die Wand aus schlecht leitendem Material, muss E in der Wand nicht mehr exakt Null sein, es wird dann nur noch ein Teil der Welle reflektiert. Die Überlagerung der einfallenden Welle und der mit kleinerem Scheitelwert reflektierten Welle führt zu der im Bild 9.18 gezeigten Einhüllenden.

Emax Emin

Bild 9.18: Stehwellenmuster vor einer schlecht leitenden Wand, z. B. Absorberwand (schematisch).

9.5 Reflexionsdämpfung von Absorberwänden

377

Da die hin- und zurücklaufenden Wellen nicht die gleichen Amplituden haben, ergibt ihre Überlagerung eine fortlaufende Welle, deren veränderliche Amplituden innerhalb des schraffierten Bereichs liegen. Man beachte, dass die Einhüllende keine Sinusfunktion ist, die Minima sind schärfer als die Maxima. Das Verhältnis des Maximal- und Minimalwerts der Einhüllenden nennt man Stehwellenverhältnis (engl.: SWR, Standing Wave Ratio), S=

E max EE + ER = E min EE − ER

.

(9-12)

Das Stehwellenverhältnis nimmt den Wert 1 an, wenn kein Hindernis existiert, das heißt keine reflektierte Welle auftritt; es wird unendlich groß bei vollständiger Reflexion an einer ideal leitenden Wand ( Emin = 0 ). Bei bekanntem Stehwellenverhältnis lässt sich leicht der Reflexionsfaktor berechnen, r=

ER S − 1 E max − E min = = EE S + 2 E max + E min

.

(9-13)

Der Wert des Reflexionsfaktors schwankt zwischen 0 und 1 und kann sowohl positiv als auch negativ sein. Bei bekanntem Reflexionsfaktor erhält man für das Stehwellenverhältnis, S=

1+ r 1− r

.

(9-14)

Schließlich ist zu erwähnen, dass bei einer Wand mit reaktiven Komponenten ( μ r ≠ 0; ε r ≠ 0 ) der Reflexionsfaktor komplex wird, r=

ER EE

.

(9-15)

In Gleichung (9-14) ist dann mit dem Betrag des komplexen Reflexionsfaktors zu rechnen, S=

1+ r 1− r

.

(9-16)

378

9 EMV-Entstörmittelmessungen

Das Messprinzip geht aus Bild 9.19 hervor.

Messempfänger

Bild 9.19: Messaufbau zur Ermittlung des Stehwellenverhältnisses und der Reflexionsdämpfung von Absorberwänden (Prinzip).

Sämtliche Komponenten sind auf einem dielektrischen Wagen (Kunststoff, trockenes Holz) mechanisch fixiert. Durch horizontales Verfahren um Wege, die klein sind gegen den Abstand zwischen Antenne und Absorberwand, können mittels eines Richtkopplers und eines Messempfängers die in Abständen von λ / 2 auftretenden Maxima und Minima ausgemessen werden. Mit den Maximal- und Minimalwerten ergibt sich dann der Reflexionsfaktor aus Gl. (9-13) und die Reflexionsdämpfung aus dem 20-fachen Logarithmus,

a dB = 20 lg

E max − Emin E max + E min

.

(9-17)

Das Stehwellenverhältnis berechnet sich wieder zu S=

E max EE + ER = E min EE − ER

(9-18).

Die Messergebnisse hängen nicht allein von der Geometrie und der Intrinsicdämpfung des Absorbermaterials ab, sondern auch vom Antennenstrahlungsdiagramm der verwendeten Antenne und dem Einfallswinkel [9.33 –9.35]. So erfahren die von einer Sendeantenne abgestrahlten elektromagnetischen Wellen an Wänden, Decke und Boden einer Absorberhalle

9.5 Reflexionsdämpfung von Absorberwänden

379

multiple Reflexionen, deren Komplexität weit über die schematischen Darstellungen in Bild 9.17 und 9.18 hinausgeht, Bild 9.20.

Bild 9.20: Äquifeldstärkeflächen des elektrischen Feldes bei 50 MHz.

Beispielsweise zeigt Bild 9.20 die Äquifeldstärkeflächen des elektrischen Feldes der in Bild 5.15 wiedergegebenen Absorberhalle bei 50 MHz. Dies macht offensichtlich, dass eine reale Absorberkammer per se keine ideale Messumgebung darstellt und hinsichtlich ihrer Eignung für EMV-Messungen speziell untersucht werden muss. Diese Eignungsmessung im Sinne einer Messgeländedämpfung und Feldhomogenität ist den einschlägigen Normen genauestens beschrieben [s. bspw. 7.28, 7.29, 8.37]. Erst die Freigabe durch den erfolgreichen Eignungsnachweis erlaubt eine normkonforme und damit relativ reproduzierbare EMV-Messung.

9.6

Filterdämpfung

Filterdämpfungen werden gewöhnlich als Einfügungsdämpfung in eingangsund ausgangsseitig angepassten Systemen gemessen (s. Abschn. 4.1.1), wobei man zwischen der Filterdämpfung für symmetrische, asymmetrische und unsymmetrische Störspannungen unterscheidet, Bild 9.21.

380

9 EMV-Entstörmittelmessungen

1:1

1:1 Filter

a)

50Ω

50Ω

Filter b) 50Ω

50Ω

Filter c) 50Ω

50Ω

50Ω

50Ω

Bild 9.21: Messung der Einfügungsdämpfung von Filtern in einem angepassten System (hier 50 Ω ), a) Filterdämpfung für symmetrische Störungen, b) Filterdämpfung für asymmetrische Störungen, c) Filterdämpfung für unsymmetrische Störungen.

Die so erhaltene Filterdämpfung ist in ihrer Aussagekraft beschränkt auf – angepasste Systeme mit definierter Systemimpedanz (z. B. 50 Ω , 600 Ω etc.) und – Kleinsignalaussteuerung, das heißt auf Filterströme, für die ferromagnetisch beschwerte Drosseln sich linear verhalten. Beide Kriterien sind in der Regel bei Filtern in Hochfrequenzschaltungen oder Fernmeldesystemen etc. erfüllt. Bei anderen Quell- und Lastwiderständen ergeben sich völlig andere Dämpfungsverläufe. Weichen insbesondere die Quellen- und die Lastimpedanz wesentlich von 50 Ω nach kleineren Werten hin ab (z. B. bei Netzfiltern), so fließt durch die Längsdrosseln des Filters auch wesentlich mehr Strom, der etwa vorhandene Eisenkerne je nach Auslegung unterschiedlich stark in die Sättigung treiben kann. Filter gleicher Einfügungsdämpfung können dann extrem unterschiedliche Großsi-

9.6 Filterdämpfung

381

gnaldämpfungen aufweisen. Weitere Überraschungen ergeben sich bei Quellund Lastimpedanzen mit stark reaktiver Komponente (Resonanzerscheinungen). Mit anderen Worten, praxisnahe Ergebnisse lassen sich nur unter realistischen Einbau- bzw. Betriebsverhältnissen erhalten, die nicht nur die linearen Hochfrequenzeigenschaften, sondern auch das Großsignalverhalten bei Beschaltung mit Betriebsimpedanzen aufzeigen. Aussagen in dieser Richtung liefern Messungen mit Gleich- oder Wechselstromvormagnetisierung, gegebenenfalls auch Messungen mit Leistungsverstärkern [9.17–9.20 und 9.36–9.38]. Zur Prüfung der Spannungslinearität bei Überspannungsimpulsen (Spannungsfestigkeit) sind Stoßspannungsgeneratoren ausreichend kleinen Innenwiderstands, das heißt klassische Stoßspannungsgeneratoren großer interner Belastungskapazität oder Hybridgeneratoren zu verwenden (s. Abschn. 8.1.3).

10 Repräsentative EMV-Probleme

Dem einführenden Charakter dieses Buches Rechnung tragend, werden nachstehend noch einige EMV-Probleme von allgemeinerem Interesse näher betrachtet. Leser, die ihr aktuelles Problem in dieser Auswahl vermissen, werden auf die grundsätzlichen Betrachtungen in den vorstehenden Kapiteln und das zugehörige umfangreiche Literaturverzeichnis im Anhang verwiesen.

10.1

Entstörung von Magnetspulen

Beim Öffnen induktiver Stromkreise, z. B. Abschalten von Relais- und Schützspulen, Magnetventilen, Hubmagneten etc. entsteht zwischen den Schaltkontakten ein Lichtbogen, der mit zunehmendem Kontaktabstand plötzlich abreißt und dem Stromkreis eine rasche Stromänderung di/dt einprägt. Die mit dieser Stromänderung verknüpfte Änderung des magnetischen Flusses dφ / dt induziert in der jeweiligen Arbeitsspule eine transiente Selbstinduktionsspannung, die in einem Ersatzschaltbild als von der Lichtbogencharakteristik gesteuerte Quellenspannung in Reihe mit der Spule modelliert werden kann, Bild 10.1 (s. a. Abschn. 2.4.2). i(t) di(t) uL(t) = - L dt

u L

Bild 10.1: Entstehung von Abschaltüberspannungen beim Öffnen induktiver Stromkreise.

384

10 Repräsentative EMV-Probleme

Die induzierte Spannung tritt als Umlaufspannung [B18] über die Impedanzen des Stromkreises verteilt auf. Bei gelöschtem Lichtbogen liegt sie voll über der Kontaktstrecke und bewirkt dort gegebenenfalls eine oder multiple Wiederzündungen. Sowohl die hohe Stromänderungsgeschwindigkeit als auch die hohe Selbstinduktionsspannung führen durch induktive und kapazitive Kopplung des gesamten Stromkreises zu elektromagnetischer Beeinflussung benachbarter Stromkreise. Der Lichtbogen selbst ist wegen seiner kleinen räumlichen Ausdehnung als Störstrahlungsquelle von untergeordneter Bedeutung. In Wechselstromkreisen löscht der Lichtbogen kurz vor bzw. in einem Nulldurchgang, in Gleichstromkreisen mangels natürlicher Stromnulldurchgänge erst dann, wenn die Kontakte sich so weit von einander entfernt haben, dass die zur Aufrechterhaltung des Lichtbogens erforderliche Brennspannung die Betriebsspannung überschreitet. In letzterem Fall gesellt sich daher zur Störaussendung noch das Phänomen eines exzessiven Kontaktabbrands. Beide Probleme lassen sich mit den im Folgenden erläuterten Beschaltungsmaßnahmen zufrieden stellend lösen.

10.1.1 Beschaltung gleichstrombetriebener Magnetspulen Gleichstrombetriebene Magnetspulen werden wahlweise mit Dioden, Varistoren oder RC-Gliedern beschaltet, Bild 10.2.

Bild 10.2: Beschaltung von Gleichstromspulen.

In ersterem Fall wird parallel zur Spule eine in Sperrichtung gepolte Diode geschaltet ( IF ≥ 1, 5 ⋅ ISpule und UR ≥ 1, 5 ⋅ USpule ). Für die selbstinduzierte Spannung liegt die Diode in Durchlassrichtung, stellt als einen nahezu per-

10.1 Entstörung von Magnetspulen

385

fekten Kurzschluss dar. Der bislang über den Schalter geflossene Spulenstrom wird in den Kurzschluss kommutiert und klingt in diesem Kreis mit der Zeitkonstanten L / R F ab. Auf Grund des niedrigen Durchlasswiderstands R F der Diode nimmt die Zeitkonstante beträchtliche Werte an und führt beispielsweise bei Relais zu nicht tolerierbaren, extrem langen Abfallzeiten. Abhilfe schafft gegebenenfalls ein Widerstand in Reihe mit der Diode, Bild 10.2 b. Bei gleichzeitiger Forderung nach minimaler Überspannung und kurzer Abschaltzeit kommen Varistoren und RC-Glieder (sog. Funkenlöschglieder) zum Einsatz. Die Dimensionierung ersterer erfolgt in Anlehnung an Abschn. 4.2.1, die RC-Kombination wird so gewählt, dass der auf Betriebsspannung aufgeladene Löschkondensator C beim Abschalten durch die in der Spule gespeicherte Energie nahezu aperiodisch gedämpft entladen wird, das heißt,

(R + R S ) ≈ 2

L C

,

(10-1)

( R S : Spulenwiderstand). Um ein Verschweißen der Kontakte beim Einschalten zu verhindern, gilt für R die Nebenbedingung R ≥ U / IEmax . Sofern es nur um die Eliminierung der Abschaltüberspannung geht, hat man die Wahl, das RC-Glied sowohl über die Spule als auch über die Kontakte zu legen, Bild 10.2 e. In letzterem Fall wird der Spulenstrom beim Öffnen der Schalter in den parallel liegenden RC-Zweig kommutiert und zur Aufladung der Kapazität C verwendet. Dient die RC-Beschaltung ausschließlich der Funkenlöschung, beispielsweise in Gleichstromkreisen mit ohmscher Last, so muss die RC-Beschaltung über die Kontakte gelegt werden.

10.1.2 Beschaltung wechselstrombetriebener Magnetspulen Wegen der wechselnden Polarität der Betriebsspannung kommt hier die Beschaltung mit einer Diode nicht in Frage. Üblicherweise werden Varistoren und RC-Glieder eingesetzt, Bild 10.3.

386

10 Repräsentative EMV-Probleme

R

~

~ a)

C

R

~

b)

C

c)

Bild 10.3: Beschaltung von Wechselstromspulen.

Die Dimensionierung von Varistoren erfolgt in Anlehnung an Abschn. 4.2.1, die des RC-Glieds wieder in Hinblick auf den aperiodischen Grenzfall. Zur Vermeidung eines Dauerwechselstroms durch das RC-Glied kann ein Gleichrichter zwischengeschaltet werden, Bild 10.3 c. Bei drehstrombetriebenen Magneten werden die obigen Beschaltungen jeweils als Stern- oder Dreieckschaltungen realisiert. Die in den Bildern 10.2 und 10.3 gezeigten Schaltungen stellen lediglich die am häufigsten ausgewählten Beschaltungen dar. In Spezialfällen kommen auch Zenerdioden (s. Abschn. 4.2.2) sowie Kombinationen mehrerer Bauelemente in Frage, beispielsweise Z-Dioden gesteuerte Thyrisotoren. Die gewählte Methode richtet sich vorrangig nach der Aufgabenstellung – Schutz der Spulenisolation, Schutz der Kontakte, Entstörung etc. – und wird, insbesondere bei Massenartikeln, wesentlich durch wirtschaftliche Gesichtspunkte mitbestimmt. Weitere Hinweise finden sich im umfangreichen Literaturverzeichnis [10.32, 10.33].

10.2

Funkentstörung von Universalmotoren

Kollektormotoren in Küchenmaschinen, Staubsaugern, Elektrowerkzeugen etc. sind notorische, weit verbreitete Verursacher von Gleich- und Gegentaktstörungen (s. a. Abschn. 1.4 und 2.3.4). Die durch den Kommutierungsvorgang am Kollektor erzwungenen Stromänderungen bzw. deren Flussänderungen induzieren in den Feldwicklungen Selbstinduktionsspannungen e(t) = −dφ / dt bzw. E(ω) = − jωφ , die sich in einem Ersatzschaltbild als Quellenspannungen modellieren lassen, Bild 10.4.

10.2 Funkentstörung von Universalmotoren

387

E

CStr

L1

I Gg

M

U sym

CL

I Gg

CStr

E

N CL

U unsym

U unsym

I Gl

PE

Bild 10.4: Entstehung von Funkstörungen an Kollektormotoren.

Die Reihenschaltung beider Quellen in Bild 10.4 ergibt zunächst eine symmetrische Gegentaktstörung Usym (ω) . Darüber hinaus treiben die Quellen über die Streukapazitäten der Wicklungen unsymmetrische Ströme, die sich über die Leitungskapazitäten CL schließen. Die Höhe der unsymmetrischen Spannungen berechnet sich jeweils aus der Gleichung für das Übersetzungsverhältnis kapazitiver Spannungsteiler [B19] zu Uunsym (ω) E(ω)

=

CStr CL + CStr

.

(10-2)

CL erhält man vergleichsweise kleine unsymmetrische StörspanFür CStr nungen, für CStr CL (Blechpaket und andere Masseteile geerdet) sehr große unsymmetrische Störspannungen.

Am Rande sei vermerkt, dass die Streukapazitäten nicht zwingend an den in Bild 10.4 eingezeichneten Wicklungsenden angreifen. In einem aufwendigen Modell werden zweckmäßig an beiden Wicklungsenden Streukapazitäten vorgesehen. Aus dem Ersatzschaltbild nach 10.4 lässt sich durch Quellenumwandlung ein kanonisches Ersatzschaltbild herleiten, in dem allen drei Störspannungen eine eigene Spannungsquelle zugeordnet ist, Bild 10.5.

388

10 Repräsentative EMV-Probleme

(2)

(2)

U 0 unsym

U0 (1)

L1 (2)

U sym sym

U 0 unsym

U unsym +

N

U 0 unsym

L

U0

L

sym

CX

CY

(1)

U0

(1)

U unsym

unsym

CY

PE a)

b)

Bild 10.5: Ersatzschaltbild eines Kollektormotors, a) mit Quellenspannungen für die symmetrische und die beiden unsymmetrischen Störspannungen, b) mit Quellenspannungen, Entstörkondensatoren und Längsdrosseln.

Die Anwendung der Maschenregel auf die im Ersatzschaltbild Bild 10.5 a eingezeichnete Schleife liefert (2) U(1) unsym − Uunsym + Usym = 0

bzw.

,

(10-3)

.

(10-4)

(1) Usym = U(2) unsym − Uunsym

Die Gegentaktstörung ergibt sich somit als Differenz der unsymmetrischen Spannungen (s. a. Abschn. 1.4). Bild 10.5 a lässt auf Anhieb erkennen, wie die drei Störspannungsquellen durch Entstörkondensatoren zwischen den Leitern L1 , N und PE hochfrequenzmäßig kurzgeschlossen werden können und wie die Wirkung der Kondensatoren durch zusätzliche Längsdrosseln verstärkt werden kann, Bild 10.5 b. Im Gegensatz zu Bild 10.4 macht Bild 10.5 deutlich, dass eine rein symmetrische Beschaltung mit nur einem X-Kondensator (s. Abschn. 4.1.2) zwischen den beiden Anschlussleitungen keine Vollentstörung ermöglicht. Zunächst wird man daher zwei zusätzliche Y-Kondensatoren vorsehen. Diese Kondensatoren liegen zwischen den Anschlussleitungen und dem Schutzleiter und überbrücken somit die Isolation. Sie müssen daher als Berührungsschutzkondensatoren ausgebildet sein (s. Abschn. 4.1.2).

10.2 Funkentstörung von Universalmotoren

389

Im Fall CX > 10 C Y lässt sich meist ein Y-Kondensator einsparen, Bild 10.6.

Bild 10.6: Vollentstörung eines Kollektormotors mit je einem X- und Y-Kondensator.

Der X-Kondensator schließt beide Anschlussleitungen hochfrequenzmäßig kurz, so dass unerheblich ist, welche Anschlussleitung über C Y mit dem Schutzleiter verbunden wird. In einer wirtschaftlichen Lösung lassen sich beide Kondensatoren in einem Bauelement unterbringen (s. Abschn. 4.1.5.1). Leider entzieht sich die Bemessung der Kapazitätswerte für C X und C Y wegen der unbekannten Streukapazitäten und dem unbekannten Innenwiderstand der Gegentaktspannungsquelle einer einfachen rechnerischen Ermittlung. Eine Vorstellung von der Größenordnung liefern die Anhaltswerte C Y = 2500 pF , C X = 0,022 μF . Gewöhnlich werden die erforderlichen Mindestwerte experimentell ermittelt, was wegen des großen messtechnischen Aufwands zweckmäßig in Kooperation mit einem EMV-Haus oder einem Entstörmittelhersteller geschieht.

10.3

Elektrostatische Entladungen

Elektrostatische Entladungen (engl.: ESD, Electrostatic Discharge) entstehen in der Regel beim Potentialausgleich durch Reibungselektrizität aufgeladener Personen, Gegenstände und Komponenten mit der geerdeten Umgebung über einen Luftfunken (s. a. 2.4.1). Man unterscheidet – direkte Entladungen, beispielsweise Entladung einer aufgeladenen Person beim Berühren einer Rechnertastatur, eines Telefons mit Nummernspeicher, eines Codekartenlesers, oder Herausziehen einer elektronischen Baugruppe aus einer Kunststoffverpackung sowie

390

10 Repräsentative EMV-Probleme

– indirekte Entladungen, beispielsweise Entladung einer aufgeladenen Person über einen Messgerätewagen, eine leitende Tischplatte, ein Bedienfelds eines Aufzugs, eine Stehlampe [10.34], beim Aussteigen aus einem Kraftfahrzeug. Während in ersterem Fall nichtgeerdete Teile (z. B. Halbleitereingänge) durch galvanische Kopplung Spannungen bis zu mehreren kV gegen Erde annehmen und dielektrisch zerstört werden können, induzieren und influenzieren in letzterem Fall die mit einer indirekten Entladung verknüpften magnetischen und elektrischen Felder in benachbarten, nicht geschirmten Geräten Störspannungen und -ströme, die ebenfalls zu irreversiblen Störungen führen können. Abhilfemaßnahmen beim Auftreten von ESD-Problemen sind die – Vermeidung elektrostatischer Aufladungen durch antistatische Fußböden, antistatische Kleidung (Baumwolle statt Kunstfaser und Tierhaar), Kontrolle der Luftfeuchte auf >50%, – Härtung gefährdeter Geräte durch metallische Schirmgehäuse, metallisch leitfähige oder leitfähig beschichtete Kunststoffgehäuse, gehärtete Komponenten mit integrierten Schutzdioden, – Gefahrlose Ableitung elektrostatischer Aufladungen (z. B. beim unvermeidlichen Umgang mit elektrostatisch gefährdeten Bauelementen (EGB) in der Fertigung) durch leitfähige Verpackungen und Behälter [10.28, 10.29], leitfähige Arbeitsplatten (hochohmig geerdet!), hochohmige Potentialausgleichsleitungen zwischen Körperteilen und Arbeitsplatte, schwach leitende Fußböden und schwach leitendes Schuhwerk [10.27], bewußtes Berühren geerdeter Teile vor dem Anfassen elektrostatisch gefährdeter Komponenten und Flachbaugruppen. Da ein Gerätehersteller kaum darauf Einfluss hat, in welcher Umgebung seine Erzeugnisse später betrieben werden, empfiehlt sich eine fabrikseitige weitgehende Härtung gegenüber üblicherweise auftretender ESD-Beanspruchungen (s. Prüfschärfen im Abschn. 8.1.4). Die Härtung gegen ESD-Phänomene ist ein weites Gebiet. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Abschn. 2.4.1 und 8.1.4 sowie auf das Literaturverzeichnis [B17, B19, 2.91– 2.93] und die zahlreichen handelsüblichen Anti-ESD-Hilfen (leitfähiges Verpackungsmaterial, ESD-geschützte Arbeitsplätze etc.) verwiesen.

10.4 Netzrückwirkungen

10.4

391

Netzrückwirkungen

Netzrückwirkungen durch Schaltnetzteile, Vorschaltgeräte, Stromrichter der Leistungselektronik etc. sind ein Paradebeispiel für die leitungsgebundene Ausbreitung und Einkopplung elektromagnetischer Beeinflussungen. Ein von einem einzigen leistungsstarken Verbraucher aufgenommener nichtsinusförmiger Strom kann das Spannungsprofil im gesamten ihn umgebenden Netz verzerren und dadurch zahllose mittlere und kleine Verbraucher beeinträchtigen (s. a. Abschn. 2.2.4). Auch eine Vielzahl leistungsschwacher Verbraucher kann, wenn ihre Aktion synchronisiert erfolgt (Fernsehempfänger) merkliche Rückwirkungen verursachen [2.56]. Der Rückwirkungseffekt tritt deswegen so stark in Erscheinung, weil die in den nichtsinusförmigen Strömen enthaltenen Stromoberschwingungen I V jeweils eine frequenzproportionale Reaktanz ωV L = νω1L vorfinden und daher auch eine kleine Stromoberschwingung hoher Frequenz noch eine merkliche Spannungsoberschwingung U V verursachen kann. Eine weitere Verstärkung des Rückwirkungseffekts tritt ein, wenn dem störenden Verbraucher Kapazitäten CB zur Blindleistungskompensation parallel geschaltet sind. Diese bilden zusammen mit der Netzreaktanz einen Sperrkreis, in dem im Resonanzfall nicht nur sehr starke Spannungsüberhöhungen auftreten, sondern auch sehr große Schwingkreisströme durch die Kapazität in das Netz fließen können, Bild 10.7.

Bild 10.7: Erhöhte Netzrückwirkung bei kompensierten nichtlinearen Verbrauchern.

Gemäß gesetzlicher Verordnung („Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden“, Bundesministerium für Wirtschaft [10.6]) sind einerseits Elektrizitätsversorgungsunternehmen verpflichtet, Spannung und Frequenz möglichst gleich bleibend zu halten, so dass allgemeine Verbrauchsgeräte einwandfrei betrieben werden können, andererseits verlangt die gleiche gesetzliche Verordnung, dass Anlagen und Verbrauchsgeräte so zu betreiben sind, dass Störungen weiterer Abnehmer und störende Rückwir-

392

10 Repräsentative EMV-Probleme

kungen auf Einrichtungen des Elektrizitätsversorgungsunternehmens oder Dritte ausgeschlossen sind. Vorrangig obliegt die Bereitstellung und Überwachung einer bestimmten Spannungsqualität den Betreibern von Netzen, die zumindest die Oberschwingungseinspeisungen ihrer zahllosen anonymen Kleinverbraucher beherrschen müssen. Bei notorischen leistungsstarken Oberschwingungserzeugern muss die Verträglichkeit unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technischen Interessen aller Beteiligten angestrebt werden. Es bieten sich folgende technische Maßnahmen an [10.1–10.3, 2.18].

Im Netz: -

geringer Innenwiderstand des Netzes (begrenzt durch Kurzschlussleistung),

-

von der Last gesteuerte Blindleistungskompensation (über Thyristorsteller),

-

passive und aktive Saugkreise.

Beim Verbraucher: -

hohe Pulszahl bei Stromrichtern,

-

Anlaufstrombegrenzungen,

-

Fahrprogramme bzw. Verriegelungen bei mehreren Oberschwingungserzeugern,

-

passive und aktive Saugkreise.

Alle Maßnahmen laufen im Wesentlichen darauf hinaus, das Verhältnis Netzinnenwiderstand Zi und Verbraucherimpedanz ZV möglichst klein, bzw. das Verhältnis Netzkurzschlussleistung SK und Gerätehöchstleistung SA max möglichst groß zu machen. Im Hinblick auf eine worst-case Betrachtung ist für SK der kleinste, für SA max der größte denkbare Wert zu nehmen. Folgende Verhältnisse gelten beim Anschluss neuer Verbraucher als unbedenklich [10.5]: ⎫ ⎪ Oberschwingungungen und ⎬ ⎪ Zwischenharmonische ⎭ Spannungsunsymmetrien Spannungsschwankungen,

SK /SAmax >1000, SK /SAmax >150.

10.4 Netzrückwirkungen

393

Diese Zahlen sind nur grobe Richtwerte und können abhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten auch günstiger ausfallen. Netzrückwirkungen stellen in ihrer Vielfalt eine sehr komplexe Materie dar, deren erschöpfende Behandlung weit über den Rahmen dieses Buches hinausgeht. Detaillierte Informationen können der fachspezifischen Literatur entnommen werden [10.4, 10.5].

10.5

Blitzschutz – Blitzschutzzonen-Konzept

Man unterscheidet zwischen äußerem und innerem Blitzschutz. Ersterer dient dem Personen- und Gebäudeschutz und stellt bei direkten Blitzeinschlägen außerhalb des Gebäudes einen oder mehrere möglichst niederohmige und niederinduktive Strompfade nach Erde bereit (Blitzschutzanlage bestehend aus Fangeinrichtungen, Ableitungen und Erdungssystem); er ist eine Grundvoraussetzung für den inneren Blitzschutz und schützt elektrische Anlagen und elektronische Geräte im Innern von Gebäuden gegen Blitzteilströme und Potentialanhebungen im Erdungssystem sowie gegen die mit Blitzeinschlägen verknüpften elektromagnetischen Felder (LEMP, engl.: Lightning Electromagnetic Pulse). Eine ähnliche Unterscheidung findet man beispielsweise im Flugzeugbau, bei den direkten und indirekten Effekten (LDE, engl.: Lightning Direct Effects; LIE, engl.: Lightning Indirect Effects) [10.67]. Der äußere Blitzschutz von Gebäuden ist klassisch und wird in Einklang mit VDE 0185 [10.30, 10.31] erstellt; auf ihn soll hier nicht weiter eingegangen werden. Der innere Blitzschutz hat mit der weiten Verbreitung der Mikroelektronik sprunghaft an Bedeutung gewonnen. Unter innerem Blitzschutz versteht man eine Reihe von Maßnahmen, die einen Schutz gegen Überspannungen sowohl aus dem Energienetz (Schaltüberspannungen, Blitzüberspannungen) als auch durch direkten Blitzeinschlag bewirken. Die wichtigste Maßnahme ist zunächst der Potentialausgleich aller leitenden Teile (Heizungs-, Gas-, Wasserrohre etc.) mit der Blitzschutzanlage, dem Fundamenterder und dem geerdeten Neutralleiter (PEN) des Energienetzes. Weiter werden zwischen die aktiven Leiter L1 , L 2 , L 3 und die Potentialausgleichsschiene Ventilableiter geschaltet, Bild 10.8.

394

10 Repräsentative EMV-Probleme

Blitzschutzableitung

Hausanschluß

(Panzersicherung)

Zähler

Ventilableiter

L1 L2

Unterverteilung

KWh

L3 PEN

A ZE

Längsdrosseln Varistoren

L1 L2 L3 N PE

Wasser Gas Heizung

Potentialausgleichsschiene

Bild 10.8: Potentialausgleich und Staffelschutz gegen atmosphärisch bedingte Überspannungen.

Die Ventilableiter sprechen sowohl bei Überspannungen aus dem Energienetz als auch bei Potentialanhebungen des Punktes A während eines direkten Blitzeinschlags an. In letzterem Fall erfährt der Punkt A gegenüber der fernen Erde, beispielsweise der Erde des versorgenden Verteiltransformators, theoretisch eine Potentialanhebung im MV-Bereich. Die Spannung zwischen der Potentialausgleichsschiene und den Phasenleitern der Elektroinstallation wird jedoch nie größer als die Ansprechspannung der Ventilableiter. Mit anderen Worten, die gesamte Elektroinstallation erfährt die gleiche Potentialanhebung. Unter der Annahme eines Impedanzverhältnisses von 1:10 (Erdimpedanz/ Energieversorgungsnetz) fließen etwa 10% des Gesamtblitzstroms über die Energieversorgungsleitungen ab, wobei sich diese 10% nochmals auf die einzelnen Leiter verteilen. Damit bleiben nach dem Zähler atmosphärisch bedingte Überspannungen sicher unter 6 kV. Neben klassischen Ventilableitern kommen im inneren Blitzschutz spezielle Ventile mit einer Parallelschaltung von Funkenstrecke und Varistor zum Einsatz. Der Varistor begrenzt die relativ häufig auftretenden Überspannungen infolge ferner Blitzeinschläge, die Funkenstrecke spricht bei direktem Blitzeinschlag an, wenn infolge hoher Stromstärken am Varistor eine ausreichend hohe Restspannung verbleibt (s. a. Abschn. 4.2.4). Bei Bedarf können verbleibende Überspannungen ≤ 6 kV durch nachgeschaltete, über Leitungsinduktivitäten entkoppelte Varistoren weiter reduziert werden. Mit Hilfe eines zweckmäßig gestaffelten Schutzes

10.5 Blitzschutz --- Blitzschutzzonenkonzept

395

lässt sich, ähnlich wie in Energieübertragungs- und –verteilungsnetzen, eine perfekte Isolationskoordination erreichen. Nach VDE 0110 [10.36] sind in 230/400 V-Netzen, je nach Entfernung vom Hausanschluss und der Bedeutung der Betriebsmittel, noch die Überspannungspegel 4 kV, 2,5 kV und 1,5 kV festgelegt. Dieser Schutz deckt selbstverständlich auch induzierte Blitzüberspannungen sowie alle inneren, das heißt eigenerzeugten Überspannungen ab (z. B. Transienten im Niederspannungsnetz, s. Abschn. 2.4.3). Ausführliche Hinweise zum inneren Blitzschutz finden sich im Literaturverzeichnis [B23, B22, 10.35]. In Fortführung des Grundgedankens der Unterteilung in äußeren und inneren Blitzschutz kann man komplexe Anlagen und Gebäude mit zahlreichen informationstechnischen Einrichtungen formal nach dem Ordnungsprinzip des Blitzschutzzonen-Konzepts strukturieren. Hierbei wird die zu schützende Anlage in mehrere, vorwiegend vernestete Schutzzonen unterteilt. Die einzelnen Schutzzonen werden durch die Blitzschutzanlage des „äußeren“ Blitzschutzes, Gebäudeschirme (Metallfassaden, Armierungen, Hochspannungshallen etc.), innere Schirmräume, Messkabinen, Gerätegehäuse u.s.w. gebildet. An den Grenzen der Schutzzonen ergeben sich eindeutige Schnittstellen, an denen Blitzstrom- und Überspannungsschutzkomponenten einheitlich spezifiziert werden können [10.62–10.65 und B31].

10.6

Pulse Power Technik – Hochspannungslaboratorien

In der Fusionsforschung und der Hochspannungsprüftechnik stellt sich alltäglich die Aufgabe der Messung schnell veränderlicher hoher Spannungen und Ströme mit Scheitelwerten im MV- bzw. kA-Bereich und Anstiegszeiten im Mikro- oder gar Nanosekundenbereich. Bei der erstmaligen Inbetriebnahme der hierfür erforderlichen Messeinrichtungen, bestehend aus Spannungsteiler oder Impulsstrommesswiderstand, Verbindungskabel und Elektronenstrahloszilloskop, kann man auf dem Bildschirm eine Wiedergabe gemäß Bild 10.9 erhalten.

Bild 10.9: Oszillogramm des aperiodischen Stromverlaufs beim Entladen eines auf 100 kV aufgeladenen Kondensators eines Hochleistungsgaslasers.

396

10 Repräsentative EMV-Probleme

In den allermeisten Fällen, insbesondere bei Elektronenstrahloszilloskopen mit Einschubtechnik, entspricht diese Wiedergabe nicht dem tatsächlichen zeitlichen Verlauf des zu erfassenden Vorgangs. Dem eigentlichen Messsignal uM (t) sind Störspannungen überlagert, die auf verschiedenen Wegen das Ablenksystem erreichen. Im Zweifelsfall lässt sich durch Testmessungen leicht klären, ob die hochfrequenten Schwingungen eines Oszillogramms tatsächlich dem Messsignal eigen sind oder echte Störspannungen darstellen (s. Abschn. 3.6). Die Ursachen der Störspannungen liegen in Potentialanhebungen (engl.: bounce) und dem Vorhandensein der mit den schnell sich ändernden Spannungen und Strömen verknüpften elektromagnetischen Felder, insbesondere der beim Auf- und Entladen von Streukapazitäten entstehenden Streufeldänderungen [10.37–10.39]. Für das Zustandekommen der verzerrten Darstellung in Bild 10.9 gibt es vier Möglichkeiten: 1. Die elektromagnetischen Felder durchdringen das unvollkommen abschirmende Gehäuse des Elektronenstrahloszilloskops und rufen direkt im Vertikalteil Störspannungen hervor. Diese Schwierigkeit kann beseitigt werden, indem man das Elektronenstrahloszilloskop in einem abgeschirmten Messraum aufstellt (s. 5.6.4). Je nach Feldstärke und Frequenz genügt auch oft ein einseitig offener Blechkasten. Der Einfluss der Störfeldstärken wird weiter verringert, wenn die Entfernung zwischen Elektronenstrahloszilloskop und Stoßkreis vergrößert wird. 2. Quasistatische magnetische und elektrische Felder durchdringen die unvollkommene Abschirmung des Messkabels. Elektrische Felder greifen bei geringer Geflechtdichte auf den Innenleiter durch und influenzieren unmittelbar auf ihm eine Störspannung. Ein Maß für diese Störspannung ist der Durchgriffsleitwert des Kabels (s. Abschn. 3.2 u. 9.1.2). Magnetfelder erzeugen zu beiden Seiten des Innenleiters zwei gleichgroße, gegenphasige Spannungen, die sich gegenseitig aufheben. Aufgrund immer vorhandener leichter Exzentrizitäten des Innenleiters verbleibt eine Restspannung. Beide Störspannungen können jedoch im Allgemeinen gegen die durch Kabelmantelströme verursachten Störspannungen vernachlässigt werden (s. Abschn. 3.1.3, 3.2 u. 9.1.2). 3. Das Elektronenstrahloszilloskop fängt die Störspannung als leitungsgebundene Störung ( ≤ 30 MHz ) über seine Stromversorgung ein. Dies wird zweckmäßigerweise dadurch verhindert, dass man die Netzleitung mit einem Durchführungsfilter für Funkentstörung verriegelt. Um eine breit-

10.6 Pulse Power Technik - Hochspannungslaboratorien

397

bandige Kopplung hoher Güte zu erreichen, werden die Filter im Allgemeinen in eine Abschirmwand eingesetzt, das heißt mit einer der oben genannten Abschirmmaßnahmen kombiniert. Manchmal genügt es, die Netzzuleitung um einen Ferritkern zu wickeln (s. Abschn. 3.1.3), oder über die Netzzuleitung einen flexiblen Tombakschlauch zu schieben, der mit der Abschirmwand beziehungsweise mit dem Gehäuse des Elektronenstrahloszilloskops gut leitend verbunden wird. 4. Kabelmantel- und Gehäuseströme, bedingt durch Potentialdifferenzen in den Erdleitungen, verursachen Spannungsabfälle, die über die Kopplungsimpedanz Störspannungen erzeugen (s. Abschn. 3.1.3). Im Folgenden werden nun die Quellenspannungen für das Entstehen der Kabelmantelströme erläutert und daraus geeignete Gegenmaßnahmen abgeleitet.

a) Spannungsabfälle längs des Schutzleiters Aus Gründen der Betriebssicherheit sind die Gehäuse elektrischer Geräte im Allgemeinen mit dem Nulleiter des Mehrphasensystems oder auch einem gesonderten Schutzleiter verbunden. Über diese Leitungen fließen die Ableitströme aller anderen am gleichen Netz betriebenen Verbraucher, über den Nulleiter zusätzlich noch ein Teil der Betriebsströme dieser Geräte. Durch galvanische Verbindungen zwischen beiden Leitern kann der Schutzleiter ebenfalls einen Teil der Betriebsströme führen. Diese Ströme rufen längs der Null- und Schutzleiter Spannungsabfälle hervor, so dass zwischen den Schutzleiterkontakten verschiedener Steckdosen und auch zwischen verschiedenen Erdklemmen einer Schalttafel beachtliche Spannungen vorhanden sein können. Werden nun mehrere elektronische Geräte aus verschiedenen Steckdosen betrieben, so entstehen zusammen mit den Mänteln der koaxialen Signalkabel so genannte „Ringerden“ (engl.: ground loop, s. Abschn. 3.1.2). Durch diese Erdschleifen fließen Ausgleichsströme, die den eigentlichen Signalen eine Störspannung mit einer Grundfrequenz von 50 Hz überlagern (50 HzBrumm). Um diese Störspannung zu vermeiden, werden die Erdschleifen unterbrochen, indem nur ein Gerät mit Schutzkontakt betrieben wird. (Die Betriebssicherheit des Versuchsaufbaus leidet darunter zunächst keinen Schaden, da zwischen dem einen geerdeten Gerät und den nicht über einen Schutzleiter geerdeten Geräten eine galvanische Verbindung über die Kabelmäntel der Signalleitungen besteht. Trotzdem empfiehlt sich die Anwendung

398

10 Repräsentative EMV-Probleme

zusätzlicher Schutzmaßnahmen wie Schutztrennung, Standort-Isolierung etc.). Der gleiche Effekt tritt auch bei der Messung schnell veränderlicher hoher Spannungen auf, wenn der Hochspannungskreis direkt und das Elektronenstrahloszilloskop über seinen Schutzleiter geerdet wird. Während sich 50 HzStörspannungen sofort beseitigen lassen, indem meist das Oszilloskop ohne Schutzleiter betrieben wird, bleiben hochfrequente und transiente Störspannungen auch nach Auftrennen redundanter Schutzleiter bestehen, da das Oszilloskop und andere Geräte für hohe Frequenzen nach wie vor über ihre Erdstreukapazitäten mit Erde verbunden sind.

b) Induzierte und influenzierte Quellenspannungen Die mit den schnellveränderlichen Vorgängen verknüpften quasistationären magnetischen und elektrischen Felder induzieren und influenzieren auf dem Kabelmantel ( CStr in Bild 10.10) bzw. in der Erdschleife (schraffierte Fläche in Bild 10.10) Quellenspannungen, die ebenfalls Kabelmantel- und Gehäuseströme verursachen und so Störungen in der empfindlichen Messanordnung erzeugen. CStr

Influenzierte Quellenspannung

L FS CS

RM CStr

Induzierte Quellenspannung

SchutzleiterQuellenspannung

Bild 10.10: Schematische Darstellung eines Stoßstromentladekreises (FS Schaltfunkenstrecke, CS Stoßkapazität, R M Strommesswiderstand, L Arbeitsspule). Entstehung von Kabelmantelströmen durch induzierte und influenzierte Quellenspannungen sowie durch unterschiedliche Schutzleiterpotentiale.

10.6 Pulse Power Technik - Hochspannungslaboratorien

399

Die Wirkung beider Felder wird durch Verlegung der Messleitungen in Stahlpanzerrohren, die an beiden Enden geerdet sind, verringert. Das Stahlpanzerrohr schirmt elektrische Felder nahezu ideal, da die elektrischen Feldlinien jetzt nicht mehr auf dem Kabelmantel, sondern auf dem geerdeten Stahlpanzerrohr enden. Bei sehr hohen Frequenzen verringert sich die elektrische Schirmdämpfung; sie besitzt jedoch für die meisten Anwendungen noch ausreichend hohe Werte (s. Abschn. 5.4 u. 6.1.4). Die Schirmwirkung gegen magnetische Wechselfelder beruht auf der Tatsache, dass in der Schleife, gebildet aus dem an beiden Seiten geerdeten Stahlpanzerrohr und Erde, ein Strom fließt, dessen Magnetfeld das einfallende Feld teilweise kompensiert.

c) Potentialanhebungen im Stoßentladekreis Potentialanhebungen des Stoßgenerators sind neben induzierten und influenzierten elektromotorischen Kräften die wesentliche Ursache für das Entstehen von Störspannungen. Bild 10.11a,b zeigt einen Hochspannungskreis, bestehend aus dem Generator G und dem Prüfling P; ZE stellt die lokale Erdimpedanz dar. CStr CStr

G

G

P

IL

P

ZE

a)

ZE

b)

Bild 10.11: Anhebung des Erdpotentials in einem Hochspannungsentladekreis. a) zeigt den Verlauf der Streufeldlinien bei einem normalen Versuchsaufbau; b) den Verlauf, wenn sich die gesamte Anordnung innerhalb eines Faraday-Käfigs befindet [10.38]. G Stoßspannungsgenerator, P Prüfling, CStr Streukapazitäten, ZE Erdimpedanz, IL Ladeströme der Streukapazitäten.

400

10 Repräsentative EMV-Probleme

Von den auf Hochspannungspotential befindlichen Teilen der Anlage gehen elektrische Feldlinien zu der auf Erdpotential liegenden benachbarten Umgebung aus. Diesen Feldlinien ordnet man Streukapazitäten CStr zu, die bei Stoßvorgängen in kurzer Zeit aufgeladen oder entladen werden. Wegen der großen Änderungsgeschwindigkeiten der Spannungen können die Ladeströme sehr hohe Werte annehmen. Die Ladeströme fließen über die Erdimpedanz zum Fuß des Generators zurück und erzeugen auch bei kleinen Werten von ZE beträchtliche Potentialanhebungen, die Ausgleichsströme innerhalb des gesamten Erdnetzes verursachen. Befindet sich der Hochspannungskreis innerhalb eines Faraday-Käfigs, Bild 10.11 b, so enden die Streufeldlinien alle auf der Abschirmung. Die Ladeströme fließen auf der Innenseite der Käfigwand und können keine Potentialanhebung an ZE bewirken. Besondere Tiefenerder erübrigen sich in diesem Fall. Bild 10.12 veranschaulicht die Entstehung von Potentialanhebungen längs der Rückleitung zum Fuß eines Stoßgenerators.

FS CS Z ZE

L iSt

RM P

CStr

CStr

Bild 10.12: Schematische Darstellung eines Stoßstromentladekreises. Zur Erklärung des Entstehens von Störspannungen durch Potentialanhebungen an der Impedanz der Rückleitung des Arbeitskreises (Generator geerdet).

Nach dem Zünden der Funkenstrecke entlädt sich der Kondensator über die Arbeitsspule und den Messwiderstand R M . Am Verzweigungspunkt P – Anschluss des Kabelmantels des Signalkabels – teilt sich der Entladestrom auf. Der überwiegende Teil des Stroms fließt unmittelbar zum geerdeten Belag des Stoßkondensators zurück. Dabei ruft er einen Spannungsabfall über der Impedanz Z der Rückleitung hervor und hebt somit das Potential des Punktes P an. Diese Potentialanhebung ist die Quellenspannung für den Kabelmantelstrom. Um sie zu vernichten, wird allgemein empfohlen, nicht den

10.6 Pulse Power Technik - Hochspannungslaboratorien

401

Fuß des Stoßgenerators, sondern den Verzweigungspunkt P, die Erdklemme des Messwiderstands, zu erden. In diesem Fall liegt der Punkt P auf Erdpotential, dafür hebt sich aber jetzt das Potential des erdnahen Belags der Stoßkapazität um etwa den gleichen Betrag an. Aufgrund der Erdstreukapazität des Arbeitskreises wird auch diese Potentialanhebung wieder zur Quellenspannung für Kabelmantelströme, Bild 10.13.

FS CS Z CStr

L

RM P

ZE

CStr

Bild 10.13: Schematische Darstellung eines Stoßstromentladekreises. Zur Erklärung des Entstehens von Störspannungen durch Potentialanhebungen an der Impedanz der Rückleitung des Arbeitskreises (Messwiderstand geerdet).

Offensichtlich gibt es zwar bestimmte optimale Erdungsverhältnisse, bei denen die treibenden Quellenspannungen für die Kabelmantel- und Gehäuseströme vergleichsweise kleine Werte annehmen, ganz vermeiden lassen sie sich jedoch nicht. Der Ausweg aus dieser Situation liegt in der BypassTechnik die Kabelmantel- und Gehäuseströme, gleich welchen Ursprungs, eliminiert (s. 3.1.3 u. [2.155, 2.156 u. 10.42]). Sehr zu empfehlen ist die Verlegung der Messleitungen in außerhalb der Abschirmung bzw. unterhalb des Hallenerdnetzes liegenden Stahlpanzerrohren. Da die Ladeströme für die Streukapazitäten aufgrund der Stromverdrängung vorzugsweise auf der Innenseite der Abschirmung fließen (vgl. Erläuterung zu Bild 10.11 b), bleiben die Messleitungen frei von Kabelmantelströmen. Stoßanlagen für Abnahmeprüfungen an Geräten der Energieversorgungstechnik besitzen nicht nur eine koaxiale Messleitung vom Spannungsteiler zum Elektronenstrahloszilloskop, sondern eine Vielzahl von Steuer- und Messleitungen zwischen der eigentlichen Stoßanlage und dem Kommando-

402

10 Repräsentative EMV-Probleme

pult mit Messeinrichtung. Hier ist die Gefahr des zufälligen und unbewussten Entstehens von Erdschleifen besonders groß, Bild 10.14.

Bild 10.14: Schematische Darstellung einer Stoßspannungsprüfeinrichtung [10.40]. a) Zweckmäßige Verlegung der Steuer- und Messleitungen (Zweige); b) falsche Verlegung der Steuer- und Messleitungen (Maschenbildung).

Bild 10.14 b zeigt den prinzipiellen Aufbau einer Stoßanlage, in der mit Sicherheit unkontrollierte Potentialanhebungen und unbefriedigende Messergebnisse zu erwarten sind. Bild 10.14 a zeigt dagegen den vorschriftsmäßigen Aufbau der gleichen Anlage. Alle Leitungen gehen als Stichleitungen von einem Kabelbaum ab. Die Verdrahtung enthält keine Maschen, sondern nur Zweige. Sollten die äußeren Umstände einmal so ungünstig liegen, dass trotz aller beschriebenen Maßnahmen zur Störspannungsunterdrückung keine einwandfreien Messungen zu erreichen sind, so gibt es immer noch die Möglichkeit der völligen galvanischen Trennung des Arbeits- und Messkreises durch

10.6 Pulse Power Technik - Hochspannungslaboratorien

403

Lichtleiter und Übertragung des Signals auf optoelektrischem Wege (s. Kapitel 3). Abschließend sei erwähnt, dass leistungsfähige Hochspannungsprüflaboratorien meist voll geschirmt sind und bezüglich des geschirmten Volumens wohl zu den größten Faradaykäfigen in der Welt zählen. Die Schirmung hält einerseits die mit Stoßspannungsprüfungen verknüpften extremen transienten elektromagnetischen Felder von der Umgebung fern, andererseits erlaubt sie die Durchführung hochempfindlicher Teilentladungsmessungen an Hochspannungsapparaten ohne störende Beeinflussung durch Rundfunksender, Kraftfahrzeuge etc. [10.59–10.61].

10.7

Messungen mit Differenzverstärkern

Bei Messgeräten für Spannungsmessungen ist meist eine der beiden Eingangsklemmen ständig fest geerdet, z. B. der Massekragen der koaxialen Eingangsbuchse von Oszilloskopen und Störmessempfängern. Diese Geräte können daher nur für Spannungsmessungen an einseitig geerdeten Quellen eingesetzt werden. Sollten beide Klemmen der unbekannten Spannungsquelle erdfrei sein, so erfolgt spätestens beim Anschließen des koaxialen Messkabels zwangsweise eine Erdung derjenigen Klemme, die mit dem auf Erdpotential befindlichen Kabelmantel verbunden wird. Diese Vorgehensweise ist selbstverständlich nur dann zulässig, wenn nicht bereits andere Erdverbindungen im Betriebsstromkreis bestehen, da sonst unweigerlich Schaltelemente kurzgeschlossen würden. Zum Beispiel stellt sich bei Stromrichterschaltungen der Leistungselektronik die Aufgabe, Steilheiten, Löschund Zündzeitpunkte von Thyristoren zu messen, deren Hauptanschlüsse nicht auf Erdpotential liegen, sondern sich um eine Gleichtaktspannung von einigen Kilovolt vom Erdpotential unterscheiden können. Die grundsätzliche Problematik offenbart sich am einfachsten bei der Messung der Kurvenform der verketteten Spannung eines Drehstromsystems, Bild 10.15. L1 L2 L3

Bild 10.15: Messung der verketteten Spannung eines Drehstromsystems.

404

10 Repräsentative EMV-Probleme

Keine der beiden Klemmen ist geerdet. Der Versuch, die Spannung mit einem gewöhnlichen Tastkopf zu messen, würde beim Anschluss seiner Masseklemme unweigerlich zu einem Kurzschluss führen. In diesem und ähnlich gelagerten Fällen muss ein Differenzverstärker eingesetzt werden, dessen beide Eingänge erdfrei sind. Gelegentlich werden auch Messgeräte ohne Differenzeingang über Trenntransformatoren erdfrei betrieben, so dass dann beispielsweise der Massekragen einer koaxialen Oszilloskop-Eingangsbuchse auch mit einer Phase verbunden werden kann. Das Oszilloskopgehäuse führt dann jedoch lebensgefährliche Spannung und muss daher aus Berührungsschutzgründen in ein Isolierstoffgehäuse gepackt und über isolierende Verlängerungen bedient werden. Differenzverstärker verstärken nur die zwischen den beiden Leitern einer Messleitung ankommenden Messsignale. Gleichtaktsignale, die an beiden Leitern mit gleicher Phase und Amplitude auftreten, werden unterdrückt (s. 3.1.2). Das Messsignal u M ( t) wird entweder über zwei identisch abgeglichene Tastköpfe oder zwei gleichartige, am Ende mit ihrem Wellenwiderstand abgeschlossene Koaxialkabel zum Eingang des Verstärkers übertragen. Der Differenzverstärker besitzt zwei koaxiale Eingangsbuchsen zum Anschluss der beiden Messleitungen, Bild 10.16.

Bild 10.16: Erdungsverhältnisse beim Messen mit Differenzverstärkern [10.41].

Die Abschirmungen der Messleitungen sind am Gehäuse des Elektronenstrahloszilloskops geerdet und an dem der Quelle zugewandten Ende miteinander verbunden. Die beiden Kabelschirme bilden eine Kurzschlusswindung, die verhindert, dass in der aus den beiden Innenleitern, der Quelle und dem Oszilloskop gebildeten Schleife Störspannungen induziert werden.

10.7 Messungen mit Differenzverstärker

405

Eine aus Sicherheitsgründen erforderliche Erdung der Arbeitskreise ist erlaubt und hat keinen Einfluss auf die Differenzmessung, eine zusätzliche Erdung am Eingang der Kabel muss unterbleiben. Die Übertragung des Messsignals mit angepassten Koaxialkabeln empfiehlt sich bei allen Messaufgaben, bei denen der Quellenwiderstand entweder sehr klein gegen den Wellenwiderstand der Messleitungen ist oder den gleichen Wert wie deren Wellenwiderstand besitzt. Quellen mit hochohmigen Innenwiderständen und Hochspannungsmessungen erfordern die Verwendung gut abgeglichener spannungsfester Tastköpfe und Spannungsteiler. Bei unzureichender Gleichtaktunterdrückung bzw. extremem Gleichtaktsignal empfiehlt sich die Zwischenschaltung analoger oder digitaler Lichtleiterübertragungsstrecken (s. Abschn. 3.1.2 und 4.3). Moderne Digitaloszilloskope enthalten integrierte Berechnungsfunktionen, die eine Differenzbildung der Signaleingänge ermöglichen. Dabei ist selbstverständlich auch auf gleiche Zeitbasen der Signaleingänge zu achten. Ebenfalls können sehr steilflankige Signalimpulse trotz vermeintlicher Gleichzeitigkeit beider Eingangssignale bei der Differenzbildung aufgrund begrenzter Genauigkeiten zu fehlerhaften Ergebnissen führen. Beim Umgang mit der „automatischen“ Differenzberechnung ist deshalb die Plausibilität der Ergebnisse im Auge zu behalten.

10.8

EMV gerechter Schaltschrankbau in der Automatisierungstechnik

Die EMV gerechte Planung in der industriellen Steuerungstechnik dient der Sicherstellung der gesteuerten Produktionsabläufe ohne elektromagnetisch beeinflusste Fehlfunktionen. Darüber hinaus muss sie die Sicherheit der Mitarbeiter durch Ausschluss von Fehlfunktionen beispielsweise einer Roboterschweißanlage oder einer Stanzanlage gewährleisten. Bei vorsätzlicher Nichtbeachtung dem Stand der Technik entsprechender EMV-Maßnahmen haften die Verantwortlichen persönlich. Muss die Planung die Funktion der Anlagen sicherstellen, ist gerade bei stark emittierenden Anlagen und empfindlicher Steuerungstechnik der EMV besondere Aufmerksamkeit widmen. Dies umfasst sowohl eine elektromagnetisch verträgliche Strukturierung der Anlage hinsichtlich Potentialausgleich, räumlicher Trennungen und Stromversorgungskonzepte, als auch die

406

10 Repräsentative EMV-Probleme

detaillierte Planung EMV gerechter Schaltschränke. Die Planung gerätestörund zerstörsicherer sowie datenstörsicherer elektrischer Verteiler- und Steuerschränke muss den Einfluss technischer und atmosphärischer Störungen (Blitz, Burst, ESD usw.), periodischer Frequenzen aus Wechselwirkungen von Baugruppen sowie Ein- und Ausschwingvorgänge transienter Belastungen berücksichtigen. Meist besteht eine störsichere Schaltschrankinstallation aus CE gekennzeichneten und EMV geprüften Einzelgeräten, die zu einem System integriert werden. Ortsfeste Anlagen, und Anlagen die erst am Betriebsort ortsfest zusammengesetzt werden, bedürfen keiner Bescheinigung einer Benannten Stelle, keiner Baumusterbescheinigung, keiner Konformitätserklärung und keiner CE-Kennzeichnung. Der Begriff Anlage steht für eine Zusammenschaltung von Apparaten, Geräten, Aktoren, Sensoren und Kommunikationsbaugruppen, die zu einem bestimmten Zweck an einem gegebenen Ort synergetisch zusammenwirken. Ferner benötigen auch Zulieferteile für die Industrie, Handwerk und EMV fachkundige Betriebe keine CE-Kennzeichnung, unter der Voraussetzung, es handelt sich um nicht selbständig betreibbare Geräte, die nicht allgemein erhältlich sind. Daraus folgt, dass aus Sicht des EMV Gesetzes eine CE-Kennzeichnung nicht erforderlich, jedoch weitere Richtlinien die eine CE-Kennzeichnung erfordern, zu berücksichtigen sind (z. B. Niederspannungsrichtlinie). Trotz CE-Konformität und Einhaltung normativer Störaussendungs- und Störfestigkeitsgrenzwerte der Einzelkomponenten wird eine elektrische Anlage anfänglich fast immer elektromagnetische Unverträglichkeiten aufweisen. Der Planung des grundlegenden Aufbaus eines Schaltschranks bzw. von Schaltschrankgruppen muss deswegen immer eine umfassende EMVPlanung vorausgehen. Dabei werden externe sowie interne Störquellen und Störsenken identifiziert, sowie Kopplungsmechanismen analysiert, siehe Bild 10.17. Man erkennt so die grundsätzlichen Maßnahmen, um die EMV der Anlage sicherzustellen. Störsenken

Störquellen z.B.: - Funktelefone - Schaltnetzteile - Zündanlagen - Frequenzumrichter - Blitzeinschlag - Schweißgeräte

z.B.:

Kopplungspfade

(galvanisch, kapazitiv, induktiv, strahlungsgebunden)

- Prozessrechner - Funkempfangsanlagen - Steuerungen - Umrichter - Bussysteme - Messgeräte - Datennetzwerke

Bild 10.17: Exemplarisches Interaktionsmodell im industriellen Umfeld.

10.8 EMV gerechter Schaltschrankbau in der Automatisierungstechnik

407

Bei den verwendeten Geräten sind deren Nutzfrequenzen zu betrachten. Diese beinhalten in diesem Falle nicht nur Sendefrequenzen möglicher Funkübertragungsdienste, sondern auch interne Frequenzen und deren Vielfache von Quarzoszillatoren, Taktfrequenzen und weitere Störeinflüsse. Dieses Frequenzschema dient beim Erstellen des Interaktionsmodells der Analyse möglicher Beeinflussungen abhängig von den jeweiligen Frequenzbereichen. Die Überschneidung von Nutzfrequenzen mit sensiblen Frequenzbereichen einzelner Geräte und Systeme (Frequenzschutzbereich) zeigt mögliche Interaktionsrisiken auf. Für diese zu entkoppelnden Frequenzbereiche sind Entkopplungsempfehlungen über die räumliche Trennung und Schirmung, bis hin zum Filtereinsatz zu erarbeiten. Die eingesetzten Komponenten sind zweckmäßigerweise in einer EMV-Beinflussungsmatrix (kurz: EMVMatrix) zusammen zu stellen, siehe Tabelle 10.1.

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

1

0

1

Prozessorboard

0

Messeinrichtung

0

0

Gleichrichter

1

1

1

Wechselrichter

1

1

1

0

Netzteile

1

1

1

0

0

1

1

1

0

0

1

0

0

0

0

0

0

Schaltung ind. Lasten Bus-System

Bus-System

Netzteile

0

Lasten

Wechselrichter

0

Schaltung induktiver

Gleichrichter

SPS

Messeinrichtung

Quelle

Prozessorboard

Senke

SPS

Tabelle 10.1: Exemplarische EMV-Matrix eines Industrieschaltschranks.

1 0

408

10 Repräsentative EMV-Probleme

Eine Umsortierung nach Installationszonen mit Angabe von Nutzfrequenz und Pegeln und die notwendige Entkopplungsanforderung sind dann in der Zonenliste wiedergegeben, siehe Tabelle 10.2.

Pos.

Leitungsart

EMVMaßnahmen

Übertragungsfrequenzen

Schnittstelle

Zone

Gerät

Störfrequenzen

Tabelle 10.2: Exemplarische EMV-Zonenliste einer Schaltschrankinstallation.

1

6

Netzteil

Netzleitung

50 Hz

50 Hz ..MHz

Separation

H07V-K1,5

2

5

Wechselrichter

Stromversorgung

50 Hz

50 Hz …MHz

Filter in Zwischenkreis und Eingang

H07V-K2,5

Motorleitung

30-300 Hz

50 Hz …MHz

Filter in Zwischenkreis

Einfach geschirmt

Busleitung

1 MHz

1 MHz

Filter auf Daten I/O

Doppelt geschirmt, TwistedPair

Stromversorgung

DC

-

Nach Montageanleitung

Diskret I/O

DC

-

Internes Filterboard

TwistedPair

Analog I/O

DC

-

Internes Filterboard

Geschirmt

Profibus

-12 MHz

-12 MHz

Installation

Geschirmt, TwistedPair

ASI-Bus

167 kHz

167 kHz

Installation

Geschirmt, Twisted-pair

..

..

..

..

..

3

..

1

..

SPS

..

Abgesehen von Filterkomponenten können dafür auch räumliche Separation von Baugruppen empfohlen oder spezielle Schirmgehäuse eingesetzt werden. Je Frequenzbereich und Feldcharakteristik ist dafür ein geeignetes Schirmmaterial zu wählen (siehe dazu Kap. 5 und 6). Bei der Planung der Schaltschrankgliederung ist vor allem auf die Trennung von Anteilen mit hohen Leistungen (z. B. Umrichter) von Systemen geringer Leistungen (z. B. Steuerelektronik) zu achten. Eine Trennung innerhalb des

10.8 EMV gerechter Schaltschrankbau in der Automatisierungstechnik

409

Schaltschranks stellt dabei nur eine Minimallösung dar. Besser sind zwei oder mehr getrennte Schaltschränke für die einzelnen Funktionen oder eine Trennung durch interne schirmende Schottung zur adäquaten Komponententrennung. Ist dies aus Platzgründen nicht möglich, kann eine Kapselung empfindlicher Baugruppen in eigenen Schirmgehäusen in Kombination mit Filternetzwerken erfolgen. Ein EMV gerechter Aufbau von Schaltschränken ist umso bedeutender je höher der Vernetzungsgrad und die Komplexität der eingesetzten Elektronik ist. Die EMV-Planung reicht daher von der Strukturplanung eines Schranks bis zu seiner Einbettung in die jeweilige Umgebung. Potentialausgleich, Leitungsführung, Schirmkonzepte, Masseanbindung von Kabelschirmen und Gehäusen, Filterung, schließlich die Gebäudeplanung selbst, bilden ein vielschichtiges Interaktionsmodell. Auch eine sehr sorgfältige EMV-Planung wird im Regelfall nach Zusammenschalten aller Komponenten einige unerwartete EMV-Probleme aufweisen, die umfassende Nachbesserungen zur Folge haben können. Die erfolgreiche Inbetriebnahme komplexer Anlagen in angemessener Zeit erfordert großes Erfahrungswissen.

10.9

EMV in der Medizintechnik

In der Medizintechnik ist der Mensch beim Versagen der Technik unmittelbar vital betroffen. Lebenserhaltende Systeme, die einen komplexen Verbund von Diagnostik und Eingriffsmöglichkeiten in das „System Mensch“ darstellen, müssen deshalb umfassend auf ihre elektromagnetische Verträglichkeit im klinischen Umfeld untersucht und getestet werden. Fest installierte Geräte, beispielsweise Kernspintomographen, Herz-Lungen-Maschinen, aber auch mobile Apparate wie EKG-Geräte, Sonographen oder Infusionsgeräte, bilden ein vielseitiges Interaktionsmodell. Die Zunahme medizinisch-technischer Diagnose- und Therapiegeräte in den Operationssälen der Kliniken beinhalten neben der Verbesserung der Versorgung der Patienten auch neue Risiken. Verschiedene Geräte, die einzeln betrachtet die gängigen EMV-Normen und Richtlinien erfüllen, können im Zusammenwirken mit anderen Geräten unerwartete Effekte hervorrufen. Ein Planer muss daher alle möglichen Konfliktsituationen erkennen und beseitigen können.

410

10 Repräsentative EMV-Probleme

Dabei sind auch Beeinflussungen zu berücksichtigen, die mit dem kurativen Umfeld nicht direkt in Zusammenhang stehen. Typische Störer sind beispielsweise Personen-Funkrufsysteme oder Mobiltelefone von Patienten. Bild 10.18 zeigt ein typisches Beeinflussungsschema für den Klinikbereich.

Störquellen

Kernspintomograph Magnetstimulation Röntgengerät

Diagnostik Elektrokardiogramm Elektroenzephalografie Neuronavigation Anästesiemonitor Pulsoximeter Temperaturmessung Blutdruckmessung

Personen-Pager Mobilfunk (GSM/UMTS/..) ISM-Band Applikationen (RFID, Bluetooth,..) WLAN

Hyperthermie Koagulator Bohrer Kurzwellendiathermie

Therapie

Implantate

Funkdienste

Robotische Chirurgie Brutkasten HF-Chirurgie

Herzschrittmacher Cochlea-Implantate Hydrocephalus-Ventile Insulinpumpen Metallstifte/~platten Neurostimulator

Personen-Pager RFID

Störsenken Bild 10.18: Typisches Störklima im Klinikbereich.

Zur Analyse des Störklimas ist eine Betrachtung der Gebäudestruktur und -geometrie sowie ein EMV-Zonenkonzept zwingend erforderlich. Spezielle Baumaterialien, wie z. B. bleibeschichtete Gipsplatten im Trockenbau bzw. Abgrenzung stark emittierender Geräte bezüglich sensibler Bereiche, sind typische Maßnahmen, um eine Klinik elektromagnetisch verträglich zu gestalten. Der Neubau eines Klinikgebäudes muss deshalb auch unter EMVGesichtspunkten geplant werden. Hilfsmittel hierzu sind außer Erfahrungswerten im zunehmenden Maße die numerische Simulation der Wellenausbreitung in Gebäuden unter Berücksichtigung der jeweiligen Materialparameter, wie z. B. Wanddämpfungen bzw. Festlegung von Leitungstrassen oder Standorten von Funkrufsendern (s. a. Abschn. 3.8). Bild 10.19 zeigt eine solche Simulation und die Störpegel in den einzelnen Räumen.

10.9 EMV in der Medizintechnik

411

Bild 10.19: Funkfelddämpfung im 2. OG eines Klinikums mit bestimmten Materialparametern bei 900 MHz, (Quelle: DFG SFB425).

Dieser Themenbereich ist nicht nur als Inter- und Intrasystemkomplex im Klinikbereich zu verstehen. Herzschrittmacher oder Neurostimulatoren werden von Patienten im alltäglichen Leben getragen und sind Beeinflussungen unterworfen, die im Zusammenhang mit dem Klinikbereich nicht zwingend vorhersehbar sind; die Elektroden des Neurostimulators dürfen sich nicht vom Netzteil eines Radioweckers stören lassen, der Herzschrittmacher darf beim Benutzen eines Haartrockners oder Mobiltelefons nicht aus dem Takt geraten. Nicht deterministische Risiken wie Handys, Laptops von Patienten, alle möglichen Arten von Geräten, die durch externe Personengruppen in ein Klinikgebäude eingebracht werden können, stellen schwer einschätzbare Beeinflussungspotentiale für dort vorhandene elektrische und elektronische Systeme dar. Dadurch kommt es zu strengen Auflagen, die vom Personal und Anwendern eingehalten werden müssen, selbst wenn diese oft nicht auf den ersten Blick einleuchtend sind, oder vom Patienten nicht gerne akzeptiert

412

10 Repräsentative EMV-Probleme

werden, wie z. B. der Gebrauch der drahtgebundenen, hauseigenen Telefonanlage anstatt des Mobiltelefons. Hersteller und Entwickler elektrischer und elektronischer Produkte unterliegen deswegen schärferen EMV-Normen, was in der Abgrenzung dieser Normen zu Produkten im Industrie- oder Hausgebrauch ersichtlich wird. Derzeit wird immense Forschungskapazität und Entwicklungsleistung eingesetzt, um medizintechnische Bereiche in Bezug auf elektromagnetische Beeinflussung zu optimieren.

10.10 Wirkung elektromagnetischer Felder auf Organismen Das elektromagnetische Spektrum reicht von elektro- und magnetostatischen Feldern über elektrische und magnetische 50 Hz-Felder, elektromagnetische Radiowellen und Licht bis hin zu ionisierender γ -Strahlung, Bild 10.20.

1 Hz

1 kHz

1 MHz

1 GHz

1 THz

Radio + Fernsehen

Elektrizitätsversorgung

1015 Hz 1018 Hz 1021 Hz

IR-Licht-UV

Mikrowellen

Nichtionisierende Strahlung

f

γ-Strahlen

Röntgenstrahlen Ionisierende Strahlung

Bild 10.20: Elektromagnetisches Spektrum.

Je nach Intensität und Frequenz erweisen sich elektromagnetische Felder und Wellen für den Menschen als sehr nützlich oder auch als sehr schädlich. Im Bereich des ultravioletten Lichts (UV-Licht) und darüber ist die Energie elektromagnetischer Wellen W = h⋅f

(10-5) (h: Plancksches Wirkungsquantum, f: Frequenz)

10.10 Wirkung elektromagnetischer Felder auf Organismen

413

hinreichend groß, um aus der Elektronenhülle von Atomen Elektronen auszulösen, das heißt die Atome zu ionisieren. Die Strahlung löst mit anderen Worten chemische Reaktionen und andere Veränderungen aus. Beim Menschen erstrecken sich diese mit zunehmender Frequenz vom gewünschten Bräunungseffekt bis hin zu Hautkrebs und auch tiefer liegenden Krebsarten. Die verschiedenen Erscheinungsformen elektromagnetischer Wellen in diesem Energiebereich werden oberbegrifflich als ionisierende Strahlung bezeichnet. Der Bereich des sichtbaren Lichts, ohne den unser Leben auf der Erde gar nicht möglich wäre, leitet über zum Infrarotlicht (IR-Licht) bzw. zur Wärmestrahlung und den Mikrowellen. Die Wirkung von Mikrowellen beruht auf ihrer Kraftwirkung auf geladene Teilchen

Fe = Q(E + v × B )

.

(10-6)

Aufgrund dieser Kraftwirkung oszillieren Elektronen und Ionen (ionisierte Atome oder Moleküle) im Mikrowellenwechselfeld, schwingen Dipole um ihre Ruhelage. Die ihnen mitgeteilte kinetische Schwingungsenergie geben die Teilchen durch Stöße an andere Teilchen ab und erhöhen deren mittlere kinetische Energie. Diese Energiezufuhr manifestiert sich makroskopisch in einer Erwärmung bzw. Temperaturerhöhung des bestrahlten Guts und hat in Mikrowellenherden breite Anwendung gefunden. Neben der Kraftwirkung elektromagnetischer Felder und Wellen auf elektrische Ladungen und Dipole gemäß (10-7) existiert eine analoge Kraftwirkung auf magnetische Dipole und die an ihren Enden gedachten magnetischen Ladungen bzw. die sie verursachenden ampèreschen Kreisströme (Kernspintomographie). Mangels magnetischer Dipole mit hohem Dipolmoment treten hierbei jedoch keine makroskopischen Wärmeeffekte auf. Nach etwaigen anderen Effekten wird derzeit geforscht. Die im elektrischen Wechselfeld pro Volumeneinheit erzeugte spezifische Wärmeleistung ist der Frequenz proportional, nimmt also zu kleineren Frequenzen hin rapide ab. Auf Grund dieser Frequenzabhängigkeit und des Fehlens auffälliger Korrelationen hat man in der Vergangenheit geschlossen, dass die in der Kommunikations- und Energieversorgungstechnik üblicherweise anzutreffenden Feldstärken für die allgemeine Bevölkerung gefahrlos sind. Bei Kurzzeitversuchen im Labor konnten in diesem Bereich auch keine

414

10 Repräsentative EMV-Probleme

unmittelbaren Beeinflussungen festgestellt werden. Lediglich bei erheblich höheren Feldstärken ließen sich bestimmte Effekte wie Hochfrequenzverbrennungen, Magnetophosphene (Flimmern in den Augen) und ähnlichem nachweisen, die bereits seit langem bekannt sind. Untersuchungen hinsichtlich der Beeinflussung des Menschen durch starke elektromagnetische Felder sind im Wesentlichen für Personen von Bedeutung, die beruflich höheren Feldstärken ausgesetzt sind, z. B. Wartungspersonal von Hochspannungsschaltanlagen, Rundfunk- und Fernsehsendeanlagen, Industrie HF-Anlagen etc. Mangelnde Befunde aus Kurzzeituntersuchungen im Labor widerlegen nicht zwingend, dass eine Langzeitexposition mit kleineren Feldstärken nicht etwa doch bezüglich ihrer Ursache bislang unerklärte Effekte bewirken könnte. Da thermische Effekte bei kleinen Feldstärken und insbesondere niederen Frequenzen ausscheiden, denkt man hier insbesondere an nichtthermische, sog. biologische Effekte. So wurden einzelne Arbeiten veröffentlicht, in denen von Verhaltensstörungen, Störungen des Immunsystems, Kopfschmerzen, Müdigkeit, bis hin zu erhöhter Krebshäufigkeit [10.56] etc. berichtet wird. Derartige Zusammenhänge sind, falls sie tatsächlich existieren, nur in versuchstechnisch einwandfrei durchgeführten epidemiologischen Langzeitstudien aufzuzeigen. Das derzeit vorliegende Material über angeblich schädigende Wirkungen konnte bisher in Kontrollversuchen meist nicht bestätigt werden, die Thematik wird daher noch kontrovers diskutiert. Angesichts der Erfahrungen über die Gefährdung beruflich über längere Zeit übernormal hohen Feldstärken ausgesetzter Personen sind große Überraschungen nicht sehr wahrscheinlich. Dennoch ist eine endgültige Klärung dieser Fragen in höchstem Maße wünschenswert. Neben der Erforschung schädlicher Wirkungen besitzt die systematische Erforschung bisher nicht erkannter nützlicher Wirkungen vermutlich höheres Potential. Beispielsweise ist die transkranielle Magnetstimulation (TMS) eine nicht-invasive Technologie, bei der mit Hilfe starker Magnetfelder Bereiche des Gehirns stimuliert werden. Die medizinisch anerkannten positiven Wirkungen elektromagnetischer Felder, beispielsweise bei der Heilung von Knochenbrüchen, in der Elektrodiathermie usw. geben in dieser Richtung zu Hoffnungen Anlass. Schließlich sei kurz auf die Frage stark unterschiedlicher zulässiger Grenzwerte in verschiedenen Ländern eingegangen. Diesen Unterschieden liegen weniger unterschiedliche Erkenntnisse über die Gefährlichkeit elektromagnetischer Felder zugrunde, als unterschiedliche Definitionen dessen, was

10.10 Wirkung elektromagnetischer Felder auf Organismen

415

unter einem zulässigen Grenzwert zu verstehen ist. So beruhen die Grenzwerte Russlands und anderer osteuropäischer Länder häufig auf Feldstärkepegeln, denen unterstellt wird, dass sie keine wie auch immer gearteten biologischen Effekte hervorrufen können, während in westlichen Ländern meist von Feldstärkewerten ausgegangen wird, bei deren Überschreitung nachweislich gefährliche Wirkungen auftreten und die dann, gegebenenfalls um einen Sicherheitsfaktor reduziert, als maximal zulässige Grenzwerte definiert werden. Die Diskussion um die Festlegung dem tatsächlichen Gefährdungspotential angemessener Grenzwerte für die verschiedenen Feldarten und Frequenzen ist weltweit noch im Fluss. Praktikable Anhaltswerte geben die derzeit in der Bundesrepublik geltenden Grenzwerte nach VDE 0848 und die 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (26. BImSchG), die zum Teil die EU-Ratsempfehlung 1999/519/EG bzw. 2004/108/EC umsetzt. Speziell im Bereich des Arbeitsschutzes existieren Unfallverhütungsvorschriften bspw. der Berufsgenossenschaft für Feinmechanik und Elektrotechnik (BGFE), die zulässige Werte zur Bewertung unterschiedlicher Expositionsbereiche definiert [10.66] Beispielsweise zeigen die Bilder 10.21 und 10.22 Grenzwerte für den NF Bereich von 0 Hz bis 91 kHz:

1E+05 Bereich erhöhter Exposition

1E+04 E V/m 1E+03

Expositionsbereich 1 Expositionsbereich 2

1E+02 1E+01 1E+00 0,1

1

10

100

1000

10000

100000

f / Hz

Bild 10.21: Effektivwerte niederfrequenter elektrischer Feldstärken zum Schutz von Personen bei unmittelbarer Einwirkung [10.66].

416

10 Repräsentative EMV-Probleme

1E+06 1E+05 1E+04 H A/m 1E+03

Bereich erhöhter Exposition

1E+02

Expositionsbereich 1

1E+01

Expositionsbereich 2

1E+00 0,1

1

10

100

1000

10000

100000

f / Hz

Bild 10.22: Effektivwerte niederfrequenter magnetischer Feldstärken zum Schutz von Personen bei unmittelbarer Einwirkung [10.66].

Für niederfrequente Felder sind Bereiche erhöhter Exposition und der Expositionsbereich 1 kontrollierte Bereiche, in denen aufgrund der Betriebsweise oder der Aufenthaltsdauer sichergestellt ist, dass eine Exposition oberhalb der zulässigen Werte von Expositionsbereich 2 nur vorübergehend erfolgt. Speziell im Bereich erhöhter Exposition darf eine Aufenthaltsdauer von 2h/Tag nicht überschritten werden. Unter unmittelbarer Einwirkung sind direkt auf den Menschen einwirkende Felder zu verstehen. Diese wiederum erzeugen im Köper Ströme, deren zulässige Obergrenzen zu den abgeleiteten Feldstärkegrenzwerten führen. Diese Grenzwerte berücksichtigen nicht die Existenz von Herzschrittmachern, Implantaten etc., die eine erhöhte Empfindlichkeit für die betroffenen Personen mit sich bringen können und für die gegebenenfalls niedrigere Grenzwerte anzusetzen sind. Bei hochfrequenten Feldern gilt für die Expositionsdauer im Bereich erhöhter Exposition eine zulässige Expositionszeit von < 6 min. Im Expositionsbereich 1 und 2 gilt für die Einwirkdauer > 6 min., sozusagen der Daueraufenthalt. Die Grenzwerte im Bereich 1 MHz bis 300 GHz zeigen Bild 10.23 und Bild 10.24.

10.10 Wirkung elektromagnetischer Felder auf Organismen

417

1E+07 1E+06 Bereich erhöhter Exposition

1E+05 E V/m

1E+04 1E+03

Expositionsbereich 1

1E+02 Expositionsbereich 2

1E+01 1E+00 1E+06

1E+07

1E+08

1E+09

1E+10

1E+11

1E+12

f / Hz

Bild 10.23: Effektivwerte hochfrequenter elektrischer Feldstärken zum Schutz von Personen bei unmittelbarer Einwirkung [10.66].

1E+03 1E+02

H A/m

1E+01 Bereich erhöhter Exposition

1E+00

Expositionsbereich 1

1E-01

Expositionsbereich 2

1E-02 1E+06

1E+07

1E+08

1E+09

1E+10

1E+11

1E+12

f / Hz

Bild 10.24: Effektivwerte hochfrequenter magnetischer Feldstärken zum Schutz von Personen bei unmittelbarer Einwirkung [10.66].

418

10 Repräsentative EMV-Probleme

Die Ersatzfeldstärke in obigen Bildern entspricht einem Feldstärkevektor, der aus 3 in x-, y- und z-Richtung gemessenen Komponentenvektoren ohne Berücksichtigung der Phasenlage zusammengesetzt ist. Die obigen Erläuterungen und die angegebenen Grenzwerte dienen lediglich einer Einführung in die Problematik. Bei konkreten Problemen und Fragen bezüglich der genauen Interpretation der angegebenen Grenzwerte sind in jedem Fall die aktuellen Vorschriften und die umfangreiche einschlägige Literatur zu Rate zu ziehen [10.45–10.57].

10.11 Analyse von EMV-Problemen komplexer Systeme Meist kommt eine Betrachtung der EMV vor allem bei der Integration unterschiedlicher Systeme in eine gemeinsame Umgebung zu spät oder offenbart bei der Integrationsphase eine höhere Komplexität als vorher angenommen. Selbst wenn die Einzelsysteme als elektromagnetisch verträglich geprüft worden sind, können beim Zusammenspiel vieler Einzelsysteme neue EMVProbleme im erheblichen Umfang auftauchen. Bei der Systemintegration müssen nicht nur systemspezifische Kenntnisse, sondern auch ein fundiertes Wissen der Integrationsumgebung selbst vorhanden sein. Meist sind davon unterschiedliche Disziplinen der Elektrotechnik betroffen. Der Systementwickler und Integrierende steht nun vor der schwierigen Aufgabe, sich das Wissen dieser Disziplinen anzueignen, um sein System in dieser Umgebung elektromagnetisch verträglich zu integrieren. Ein Beispiel einer solchen vielseitigen Integrationsumgebung ist ein modernes Passagierflugzeug. Waren früher Seilzüge, Relais und einfache Hydrauliksysteme integriert, so beherbergen moderne Flugzeuge eine Vielzahl aufwendiger elektrohydraulischer, computergesteuerter Avionicsysteme und moderne Navigations- und Kommunikationseinrichtungen. Ein Systemingenieur, der in diese Umgebung ein Video-Unterhaltungssystem (engl.: In-flight entertainment system, IFE) integrieren möchte, muss sich diesbezüglich an vordefinierte Design- und Installationsvorschriften halten. Tritt nun bei der Fertigung oder Installation eine Abweichung auf, kann es bei der Inbetriebnahme des Systems zu Interaktionen mit anderen Flugzeugsystemen kommen. Die Fehlersuche gestaltet sich dann bei hochgradig komplexen Systemen als sehr aufwendig und verlangt nach einer durchdachten Strategie.

10.11 Analyse von EMV-Problemen komplexer Systeme

419

Es gibt dabei leider kein „Kochrezept“, mit dem alle EMV-Probleme gleichzeitig zu erschlagen sind. Allerdings gibt es sehr wohl eine Methodik, die im Grunde die in Kapitel 1 dargestellten Quellen-, Senken- und Pfadanalysen einschließt. Folgende Punkte sollten bei der Fehlersuche betrachtet werden: -

Störsenken: Empfängliche Untersysteme/Komponenten, Nutzfrequenzen, EMV Schutzmechanismen, Topologie Platine/Leitungen/Untersysteme, Charakteristik der Störsignale auf angeschlossenen Signal- und PowerLeitungen (Messung im Zeit- und Frequenzbereich, Transiente, Repetitionsfrequenzen, Störfrequenzen, ...)

-

Koppelmechanismus: Messverfahren (Schnüffelsonden, Leitungsmessungen, …), Ausschlussverfahren durch partielle Trennung/Abschalten von Leitungen/Untersysteme

-

Störquelle: Störerzeugende Untersysteme/Komponenten, Taktfrequenzen, Designfehler hinsichtlich EMV, Topologie, Platine/Leitungen/Untersysteme, Auskopplung der Störung

Die Reihenfolge der oben aufgeführten Vorgänge ist nicht als starr zu verstehen. Vielmehr richtet sich diese nach Vorkenntnissen und Genauigkeit der Beschreibung des Störfalls. Eine erfolgreiche Analyse verlangt in Teamarbeit uneingeschränkten Zugriff auf das System und seine Subsysteme. Das Wissen über diskrete Störfrequenzen ermöglicht oft einen Rückschluss auf den Kopplungsmechanismus: Niederfrequente Anteile werden meist über Leitungen geführt oder im Nahfeld kapazitiv oder induktiv ein- bzw. ausgekoppelt. Hochfrequente Störungen sind meist abgestrahlte Störungen. Wurde die Störfrequenz bestimmt, lässt sich oftmals durch eine Analyse der beteiligten Systeme hinsichtlich deren Nutz- bzw. Taktfrequenzen ein verantwortlicher Störer bestimmen. Bei breitbandigen Störern kann oft auf intermittierende Störer (Motoren), PWM-Schaltungen oder Gleich- bzw. Wechselrichter geschlossen werden. Als hypothetisches Beispiel sei hier das Vorgehen einer Störanalyse auf einem VHF-Kommunikationssystem aufgezeigt:

420

10 Repräsentative EMV-Probleme

Als Beeinflussung wurde auf zwei Känalen des VHF-Radios ein starkes Störgeräusch wahrgenommen. Eine Analyse der Störsenke ergab eine Störeinkopplung auf die Empfangsantenne. Dieses so genannte „Front-Door“Coupling war nur auf den Frequenzen fCh1 und fCh2 hörbar. Bei weiteren Messungen am VHF-Antennenport ergaben sich weitere charakteristische Frequenzen, die mit der Differenz Δ f=fCh1-fCh2 auftraten. Diese äquidistanten Störfrequenzen deuten auf Harmonische einer Grundfrequenz hin. Dies bedeutet in diesem Fall, dass eventuell nach einem Störer mit der Grundfrequenz fS= Δ f gesucht wird. Ein aufeinander folgendes Abschalten einzelner Systeme ergab ein Beenden des Störgeräuschs bei einem Untersystem. Bei der Analyse der Einzelkomponenten fiel ein Digital-Baustein des Untersystems auf, der mit der Frequenz fS getaktet wurde, der aber in der ursprünglichen Qualifikation unauffällig war. Daraufhin wurden diese Unterkomponenten begutachtet und ein anderer, dem Digital-Baustein vorgeschalteter, Takt-Baustein entdeckt, der nicht exakt dem ursprünglich spezifizierten Typ entsprach. Der IC-Zulieferer hatte die Produktion des alten Bausteins eingestellt und einen Nachfolger mit wesentlich kürzeren Anstiegszeiten geliefert. Diese Änderung, die funktionell keine Auswirkungen hatte, wurde zum Störfall in der Kommunikationstechnik. Leider ist in der Realität die Ursachenbestimmung nicht immer so problemlos. Vielmehr stößt man häufig auf nicht deterministisch reproduzierbare Beeinflussungsphänomene. Sind diese Beeinflussungen dazu noch Kombinationen unterschiedlicher Einzelfehler, so kann eine EMV-Analyse Tage, wenn nicht Wochen dauern. Weiterführende Literatur gibt es aufgrund der Komplexität dieses Themas nicht sehr viel. Meist wird das sehr spezielle, auf Erfahrung aufbauende, Wissen, in Workshops von Kennern der Branche mit tiefgehenden EMVKenntnissen angeboten.

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Auf Leiterplatten und in integrierten Schaltkreisen (IC's) treten grundsätzlich die gleichen EMV-Phänomene auf wie in verteilten Systemen, deren Komponenten durch fliegende Verdrahtung untereinander verbunden sind. Es gelten daher nicht nur die gleichen Koppelmechanismen, sondern auch die bereits in Kap. 3 für verteilte Systeme beschriebenen Gegenmaßnahmen. Entscheidend ist, dass der Entwickler selbst vorab „erahnt“, wo Koppelpfade entstehen können, und die zugehörigen, in keiner Stückliste aufgeführten parasitären Koppelimpedanzen, wie Streukapazitäten und Streuinduktivitäten, ihrer Größe nach abzuschätzen vermag. Sinngemäß lässt sich für Baugruppen auch eine Unterscheidung in Intrasystem- und Intersystem-Beeinflussung treffen. Die folgenden Unterkapitel befassen sich mit dem Einfluss der Leiterplattentechnologie, optimalen Stromversorgung, Massung und Erdung, dem Übersprechen zwischen Leiterbahnen, mit Reflexionen an Leitungsenden sowie der Kopplung zu benachbarten Baugruppen und Systemen. Das umfangreiche Literaturverzeichnis liefert dem Leser darüber hinaus weitere Hilfestellung bei der Lösung spezieller Probleme [z.B. 11.1–11.13 und B33–B47, B49– B53].

11.1

Leiterplattenwahl

Durch die Wahl der Leiterplattentechnologie wird neben der Integrationsdichte in entscheidendem Maße auch die elektromagnetische Verträglichkeit einer Baugruppe beeinflusst.

422

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Grundsätzlich unterscheidet man einlagige (engl.: single layer), zweilagige (engl.: double layer) und mehrlagige (engl.: multi layer) Leiterplatten, Bild 11.1. Lötauge (Pad)

Leiterbahn

Basismaterial

Durchkontaktierung (Via)

Bestückungsseite

0V

a) Einlagige Leiterplatte

b) Zweilagige Leiterplatte

Verdeckte Kontaktierung (Buried hole)

Durchkontaktierung (Via)

Isolierung (Prepreg)

Sackloch (Blind hole) c) Mehrlagige Leiterplatte

Bild 11.1: Grundsätzliche Ausführungsformen von Leiterplatten.

Der Schaltungsentwickler fällt seine Entscheidung über die erforderliche Leiterplattentechnologie zunächst in Abhängigkeit der Komplexität einer Schaltungsaufgabe. Können nicht mehr alle Leiterbahnen auf einer Seite untergebracht werden, bietet sich der Einsatz zweiseitig kupferbeschichteter Leiterplatten an. Höchste Packungs- und Leiterbahndichten sind nur auf mehrlagigen Leiterplatten realisierbar. Bezieht man neben diesen rein funktionellen Betrachtungen die passive und aktive Störsicherheit der Baugruppe mit ein, weiß der Fachmann auch bei geringerer Packungsdichte die Vorzüge der Multilayer-Leiterplatte zu schätzen. (Induktionsarmer Aufbau, Schirmbeläge s. Abschn. 11.2 und 11.3). Schnelle digitale Schaltkreistypen (z.B. ECL, AS-TTL) machen mehrlagige Leiterplatten unentbehrlich. Bild 11.2 zeigt ein Beispiel einer 4-lagigen Leiterplatte [B4, B5].

11.1 Leiterplattenwahl

423

Außenlage (Bestückungsseite und Signalleiterbahnen) Innenlage 1 (0 V - Lage) Innenlage 2 (Ub - Lage) Außenlage (Lötseite und Signalleiterbahnen) Bild 11.2: Beispiel für den Aufbau einer 4-lagigen Leiterplatte.

Die obere Außenlage ist die Bauelemente- oder Bestückungsseite. Auf ihr befindet sich auch ein Teil der erforderlichen Signalleiterbahnen (SIG). Die Innenlage 1 ist als flächenhaftes Bezugspotential (GND- oder 0V-Lage) ausgebildet (s. Abschn. 11.2.1.3). Die Signalleiterbahnen auf der Bestückungsseite bilden zusammen mit der 0V-Lage so genannte Mikrostreifenleitungen. Sie besitzen den Vorteil eines wohl definierten Leitungswellenwiderstands (s. Abschn. 11.2.3). Die Innenlage 2 führt die Betriebsspannung U b (VCC). Diese Lage ist, mit Ausnahme von Durchkontaktierungen, ebenfalls flächenhaft ausgebildet. Die untere Außenlage ist die Lötseite. Auf ihr können weitere Signalleiterbahnen untergebracht werden. Falls weitere Innenlagen für Signalleiterbahnen erforderlich sind, können die Leiterbahnen einer Lage orthogonal zu den Leiterbahnen benachbarter Lagen verlegt werden, Bild 11.3. Hierdurch lässt sich die kapazitive und induktive Kopplung unterschiedlicher Signalpfade klein halten (s. a. Abschn. 3.2 und 3.3).

Bild 11.3: Orthogonale Verlegung von Signalleiterbahnen auf benachbarten Leiterplattenlagen.

Leiterplattendesign ist eine der anspruchsvollsten Tätigkeiten eines Elektronikentwicklers. Nicht nur die reine Funktionalität, Materialeinsatz und

424

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Kosten müssen bewertet werden, sondern mit den sekundären Eigenschaften auch Entkopplung, Signalintegrität, Intra- und Inter-EMV (s. Abschn. 1.2 und 1.3). Um einen schnellen Eindruck von der Qualität einer Lagenanordnung einer Leiterplatte zu erhalten kann man sich grober Kennwerte bedienen, die nicht direkt quantitativ bestimmt, sondern relativ zu anderen Lagenvarianten ermittelt werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass jeweils 0V, U b und SIG existieren und jeweils eine Lage komplett beanspruchen. Diese Bewertung lässt jedoch die spezielle Natur der Signale, wie auch das spätere Layout je Lage außer Betracht. Sie dient im Wesentlichen nur einer Einschätzung der Leitenplatteneigenschaften durch qualitative Kennwerte: -

Der Begriff der Entkopplung bedeutet in diesem Zusammenhang die mögliche Ausbildung eines Flächenkondensators zwischen 0V und U b mit minimalem Lagenabstand. Je geringer der Abstand dieser beiden Lagen ist, desto ausgeprägter sind die kapazitiven Effekte und umso besser die Entkopplung.

-

Die Signalintegrität gilt als gut, wenn der SIG-Lage direkt eine 0V Lage als Nachbarlage angeordnet ist. Ist zwischen diesen beiden Lagen eine weitere SIG- oder U b -Lage angeordnet verschlechtert sich die Signalintegrität.

-

Die Intra-EMV wird durch eine Schirmung der SIG-Lagen durch eine 0VLage gegenüber der U b verbessert. Je weniger SIG-Lagen also durch eine 0V-Lage bezüglich U b geschirmt sind, desto schlechter wird die IntraEMV.

-

Die Inter-EMV bezieht sich auf das Emissionsverhalten der Leiterplatte. Werden alle SIG-Lagen durch eine 0V-Lage nach außen abgeschirmt und liegen die U b -Lagen ebenfalls innen und können durch eine Kantenkontaktierung abgeschirmt werden, so wird eine minimale Emission erwartet. Liegt jedoch zur SIG-Lage in direkter Nachbarschaft eine U b Lage, erhöht sich das Emissionspotential. Wird die U b -Lage nicht beidseitig durch 0V abgedeckt erhöht sich das Emissionspotential ebenfalls.

Tabellen 11.1 a und b stellen exemplarisch die Eigenschaften von 4-lagigen und 6-lagigen Leiterplatten bezüglich der oben genannten Bewertungspunkte gegenüber.

11.1 Leiterplattenwahl

425

Tabelle 11.1 a: Beispiel einer Bewertung der Lagenanordnung einer 4-lagigen Leiterplatte: Typ 1

Typ 2

Typ 3

Typ4

Lage 1

SIG

SIG

SIG

0V

Lage 2

0V

SIG

0V

SIG

Lage 3

Ub

Ub

SIG

Ub

Lage 4

SIG

0V

Ub

SIG

Entkopplung

Gut

Gut

Schlecht

Schlecht

Signalintegrität

Schlecht

Schlecht

Gut

Schlecht

Intra-EMV

Mittel

Mittel

Mittel

Schlecht

Inter-EMV

Schlecht

Schlecht

Schlecht

Schlecht

Tabelle 11.1 b: Beispiel einer Bewertung der Lagenanordnung einer 6-lagigen Leiterplatte: Typ 1

Typ 2

Typ 3

Typ4

Lage 1

SIG

SIG

0V

SIG

Lage 2

SIG

0V

Ub

0V

Lage 3

Ub

Ub

SIG

Ub

Lage 4

0V

Ub

SIG

SIG

Lage 5

SIG

0V

Ub

0V

Lage 6

SIG

SIG

0V

SIG

Entkopplung

Gut

Gut

Gut

Gut

Signalintegrität

Schlecht

Gut

Schlecht

Gut

Intra-EMV

Mittel

Gut

Schlecht

Mittel

Inter-EMV

Schlecht

Gut

Mittel

Mittel

Diese Vorgehensweise ist für komplexere Leiterplattenlayouts und -lagen nur bedingt verlässlich und versagt vollständig, wenn über die Lagenfläche hinweg der Flächenbezug beispielsweise von SIG auf U b wechselt. Moderne Leiterplatten-Design-Programme ermöglichen heutzutage nicht nur das Routing und Layouting, sondern gleichzeitig eine Bewertung des Layouts hinsichtlich der EMV und des Signalverhaltens. Feldberechnungssimulationen ermöglichen teilweise auch das Abstrahlverhalten der Leiterplatte zu simulieren.

426

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

11.2

Intrasystem-Beeinflussungen

11.2.1 Störsignalverkopplungen über gemeinsame Impedanzen Auf einer elektronischen Baugruppe sind insbesondere Stromversorgungsleitungen und die Schaltungsmasse Übertragungswege elektromagnetischer Störgrößen (galvanische Kopplung, s. a. Kap. 3). Die an den Kopplungsimpedanzen entstehenden Störspannungen können zu unzulässigen Schwankungen der Versorgungsspannung bzw. des Bezugspotentials (engl.: VCC, ground-ripple bzw. GND-ripple) und damit zu ungewollten Signaländerungen führen. Im Folgenden werden einige grundsätzliche Empfehlungen für die niederohmige bzw. niederinduktive Ausführung der Stromversorgungs- und Masseleitungen diskutiert. Weitere z. T. auf spezielle Anwendungen beschränkte Maßnahmen finden sich beispielsweise in [11.16–11.20].

11.2.1.1 Ausführung der Stromversorgungsleitungen Der logische Zustandswechsel eines integrierten Schaltkreises wird durch einen steilen Stromimpuls ausgelöst. Da im Schaltaugenblick kurzzeitig beide Endstufentransistoren leitend sind, fließt für diese Zeit im Hin- und Rückleiter der Stromversorgungsleitung zunächst ein Kurzschlussstrom iK , Bild 11.4. + Ub

+ Ub iK + iL

L

iK

iK + iL iL

H

H CL

iK

L

iEL

RL

CL

iK 0V

RL

iK + iEL 0V

a) Übergang von Low nach High

b) Übergang von High nach Low

Bild 11.4: Belastung der Stromversorgungsleitungen während der logischen Zustandswechsel eines TTL-Schaltkreises. CL parallel R L ist die Nachbildung der Eingangsimpedanz eines angeschlossenen Gatters. Die Kapazität der Leitung ist CL zugeschlagen.

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

427

Bei einem Pegelwechsel von Low nach High überlagert sich dem Strom iK der Ladestrom iL der angeschlossenen Lastkapazitäten, was im Wesentlichen zu einer Belastung der +U b -Leitung führt, Bild 11.4 a. Die Höhe der Stromimpulse ist dabei abhängig von der Schaltkreistechnologie, der Zahl der gleichzeitig schaltenden Ausgänge und der kapazitiven Belastung [11.14, 11.21]. Beim Übergang von High nach Low werden die Leitungs- und Eingangskapazitäten angeschlossener Schaltkreise entladen (Strom iEL ), Bild 11.4 b. In diesem Fall tritt zwar in der +U b -Leitung ein deutlich geringerer Strom auf, dafür wird aber die 0V-Leitung stärker belastet. Die mit den Schaltvorgängen verbundenen Stromimpulse rufen im Wesentlichen an den Induktivitäten der Stromversorgungsleitungen Störspannungen gemäß uStör = −L di / dt hervor, die zu Einbrüchen der Versorgungsspannung (engl.: voltage drop) bzw. kurzzeitigen Anhebungen des 0V-Potentials (engl.: ground-bounce [11.5, 11.9]) führen. Während der Einbruch der Versorgungsspannung einen Einbruch des High-Pegels anderer Schaltkreise zur Folge hat, werden durch Anhebungen des 0V-Potentials die Low-Pegel anderer an die gleiche 0V-Leitung angeschlossener Schaltkreise angehoben. Übliche Leiterbahnen besitzen einen mittleren Induktivitätsbelag von 10 nH/cm (s. a. Abschn. 3.1.1, Tabelle 3.1), so dass beispielsweise bei einer Stromsteilheit von 10 mA pro Nanosekunde bereits an einer 5 cm langen Leiterbahn ein Spannungseinbruch von 500 mV auftreten kann. Bei digitalen Systemen sind Schwankungen von ca. 3% der Versorgungsspannung tolerierbar [B33]; analoge Schaltungen reagieren wesentlich empfindlicher. Allein dieses Beispiel verdeutlicht die Forderung nach einer niederinduktiven Ausführung der Stromversorgungsleitungen. Die Hin- und Rückleitung sollte deshalb immer so kurz und so breit wie möglich ausgelegt werden. Ein Beispiel für die EMV gerechte Ausführung auf einer zweilagigen Leiterplatte wird im Abschn. 3.1.1 diskutiert.

11.2.1.2 Stützung der Versorgungsspannung Oftmals ist es trotz niederinduktiver Auslegung der Stromversorgungsleitungen erforderlich, den während schneller Schaltvorgänge notwendigen Strom kurzfristig aus so genannten Stützkondensatoren bereitzustellen. Diese sind bei einer Einzelbeschaltung so nah wie möglich am integrierten Schaltkreis zwischen +U b und 0V einzufügen. Der aufgeladene Kondensator

428

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

stellt gewissermaßen ein Ladungsreservoir „vor Ort“ dar, aus dem im Schaltaugenblick der erforderliche Strom sehr schnell zur Verfügung gestellt und die Schwankungen der Versorgungsspannung innerhalb einer gewissen Toleranz gehalten werden können (Pufferung der Versorgungsspannung). Die Größe der in der Praxis benötigten Kondensatoren richtet sich nach dem Strombedarf (Ladung) und nach der Änderungsgeschwindigkeit der erzeugten Logiksignale, C≈

ΔI ⋅ Δ t ΔU

.

(11-1)

In dieser Gleichung ist ΔU der zulässige Spannungseinbruch und ΔI die Stromänderung während der Zeit Δt . Damit die Ladung des Stützkondensators auch schnell genug zur Verfügung gestellt werden kann, müssen die Anschlussdrähte, die Wege im Kondensatorinnern sowie die Leiterbahnstrecken zwischen +U b - und 0V-Anschluss des integrierten Schaltkreises möglichst niederinduktiv ausgeführt sein. Die Beläge der Kondensatoren dürfen gleichfalls nur eine geringe Induktivität aufweisen. Moderne Keramik- und oberflächenmontierbare (SMD-) Kondensatoren (engl.: surface-mounted device) erfüllen diese Bedingungen in der Regel sehr gut. Detaillierte Betrachtungen über verschiedene Kondensatortypen für Stützzwecke findet der Leser beispielsweise in [11.22]. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass mit zunehmender Flankensteilheit die Stützkondensatoren umso näher an den +U b und 0V-Anschlüssen des IC's liegen müssen. Beim klassischen corner-pinning, d.h. +U b - und 0V-Anschluss liegen sich diagonal gegenüber, ist eine kurze Leiterbahnführung oft nicht realisierbar, Bild 11.5 [B46].

5 nH 3 cm bzw. 30 nH

Bild 11.5: Beispiel für eine ungünstige Platzierung des Stützkondensators auf einer einlagigen Leiterplatte.

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

429

Eine Möglichkeit, den Stützkondensator auf einer einlagigen Leiterplatte auch bei corner-pinning induktivitätsarm zu platzieren, ist in Bild 11.6 dargestellt. Die Leiterbahnen für +U b und 0V werden dabei schienenartig unter dem integrierten Schaltkreis hindurch geführt. Stützkondensator (SMD-Ausführung)

+ Ub 0V

Bild 11.6: Induktivitätsarme Platzierung der Stützkondensatoren zur Stützung der Versorgungsspannung.

Bei sehr schnellen Logikbausteinen sollten die Stützkondensatoren möglichst unter das Schaltkreisgehäuse gelegt werden. Bild 11.7 [11.24] zeigt eine individuell realisierbare Möglichkeit. Stützkondensatoren für die Montage unter oder über dem Schaltkreis sind kommerziell erhältlich (z.B. [11.25]).

0V Stützkondensator (SMD-Ausführung)

Leiterbahn IC +Ub Bild 11.7: Mögliche Platzierung eines Stützkondensators bei schnellen Logikschaltkreisen (Sicht von unten).

Die Frage nach Größe und Entfernung der Stützkondensatoren hängt vom Einzelfall ab, so auch die Frage, für wie viele Schaltkreise ein Stützondensator vorzusehen ist. Eine beispielhafte Stützung könnte folgendermaßen aussehen [B33]:

430

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

– Stützkondensatoren in der Größenordnung von 2,2 μF an den Ausgängen der Spannungsregler auf der Netzteilplatine. Bei induktivitätsarmer Stromzuführung kann u. U. auf diese Maßnahme verzichtet werden [11.26]. – Stützkondensatoren in der Größenordnung von 1 μF auf der Leiterplatte, und zwar in der Nähe des Versorgungseingangs. Diesem Nachladekondensator kommt die Aufgabe eines Ladungsreservoirs für nachfolgende Stützkondensatoren zu. – Verteilte Stützkondensatoren in der Größenordnung von 0,1 μF in Abständen von etwa 5 cm. – Je nach Arbeitsgeschwindigkeit folgen unmittelbar an jedem Logikschaltkreis lokale Stützkondensatoren von 1…10 nF .

11.2.1.3 Gestaltung der Schaltungsmasse Von wenigen Ausnahmen abgesehen (symmetrische und potentialfreie Signalübertragung) dient auf einer Flachbaugruppe die Schaltungsmasse (auch Bezugsleiter, Bezugspotential oder 0V genannt, s. a. Abschn. 1.5.2) als gemeinsame Rückleitung für die verschiedenen Signalstromkreise. Eine Störung des Bezugspotentials lässt sich ausschließlich durch Kleinhalten der Impedanz der Massestruktur vermeiden. Die Forderung nach einer geringen Induktivität der Schaltungsmasse erfüllt eine flächenhafte Ausführung (Massefläche, engl.: ground plane). In Bild 11.8 links ist eine optimale Massefläche zu sehen. Sie ist allerdings nur auf einer zweilagigen Leiterplatte bei geringer Packungsdichte oder bei Verwendung mehrerer Leiterplattenlagen zu realisieren.

Bild 11.8: Links: Flächenhafte Ausbildung der Schaltungsmasse auf der Rückseite einer zweilagigen Leiterplatte [B33]. Rechts: Kompromiss einer durchgängigen Massefläche [B36].

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

431

Da der Strom infolge des Proximity-Effekts („Nähewirkung“) auch in einer noch so breiten Rückleitung nur auf einer ähnlichen Bahn fließt wie in der darüber liegenden Hinleitung [11.27], Bild 11.9, stellt eine entsprechende Aufteilung der Masse in kleinere Flächen, wie in Bild 11.8 rechts dargestellt, häufig eine ausreichende Kompromisslösung dar [11.28, B36].

Signalleiterbahnen (Hinleitung)

Ihin Irück

Jrück x

0V 0V

(Großflächiger Massebelag)

Bild 11.9: Zur Erläuterung des Proximity-Effekts auf einer zweilagigen Leiterplatte mit Massefläche als Rückleitung (schematisch). Rechts: Schnitt durch die Leiterplatte.

Ein Massegitter (eng.: ground grid) erfüllt die Forderung nach geringer Induktivität ebenfalls recht gut. Die Diagonalen der Maschen sollten dabei kleiner λ / 20 sein, wobei λ die Wellenlänge der höchsten auftretenden Signalfrequenz ist [B33, B36], Bild 11.10 [11.21].

λ < 20

0V

0V

Bild 11.10: Ausbildung der Schaltungsmasse in Form eines Gitters.

Mehrlagige Leiterplatten bieten zusätzlich den Vorteil, dass sich neben der Schaltungsmasse auch die Zuführung der Versorgungsspannung als Ebene gestalten lässt, Bild 11.11.

432

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Signallage

Signallage 0 V - Lage

Ub - Lage

Bild 11.11: Flächenhafte Ausführung der Schaltungsmasse (0V-Lage) und Betriebsspannungszuführung ( U b -Lage) am Beispiel einer 4-lagigen Leiterplatte.

Abschließend sei bemerkt, dass bei Verwendung einer Multilayer-Leiterplatte die Möglichkeit besteht, eine von der Schaltungsmasse getrennte Schirmfläche einzuplanen. Weiterhin können bei ausreichend vielen Lagen die Schaltungsmasse und die Rückleitung für die Stromversorgung der aktiven Bauelemente als getrennte Lagen ausgelegt werden. Bei gemischten Schaltungen sind analoge und digitale Schaltungsmassen jeweils als eigene Lagen auszuführen. Da die Kosten für mehrlagige Leiterplatten allerdings mit der Lagenzahl überproportional steigen, ergibt sich hier sehr schnell eine wirtschaftliche Grenze. Als optimale Größe für wenig komplexe Schaltungen gelten Leiterplatten mit 4 bis 8 Lagen. Effektiv hinsichtlich der EMV lässt sich ab 6 Lagen ein gutes Konzept entwickeln. Leiterplatten mit 30 oder mehr Lagen werden für sehr komplexe Anwendungen realisiert. Zur Erdung der Schaltungsmasse wurden bereits in Abschn. 1.5.2 wichtige Anmerkungen gemacht. An dieser Stelle sei deshalb nur noch einmal darauf hingewiesen, dass die Schaltungsmasse analoger und digitaler Schaltungsteile sowie eines etwaigen Leistungsteils möglichst erst an der Geräte- bzw. der Gehäuseerde zusammengeführt werden sollten. Das gleiche gilt auch für die Schaltungsmassen verschiedener Flachbaugruppen (s. Abschn. 1.5.2). Kabelschirme mehradriger Leitungen dürfen niemals an die Schaltungsmasse angeschlossen werden. Schließlich sollten an den Steckverbindungen der Baugruppen für Schaltungsmasse und Versorgungsspannung jeweils mehrere benachbarte Pins belegt werden.

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

433

11.2.2 Übersprechen zwischen parallelen Leiterbahnen Werden auf gedruckten Leiterplatten zwei oder mehrere Signalleiterbahnen über längere Strecken parallel und eng beieinander geführt, können durch Signalüberkopplungen (Übersprechen, engl.: crosstalk) virtuelle Signalspannungen (Störspannungen) an den Eingängen „passiver“ Schaltkreise auftreten, s. a. Abschn. 3.2 bis 3.5. Eine typische Situation zeigt Bild 11.12. Das Nutzsignal auf der aktiven Leitung koppelt auf die benachbarte (passive) Leitung ein Störsignal ein, das beim Überschreiten zulässiger Schwellwerte zu einer Fehlfunktion des elektronischen Schaltkreises und somit der gesamten Schaltung führt. Sender >1

uNutz(t)

>1

uStör >1

>1 uStör(t)

Empfänger

Bild 11.12: Typische Situation für das Auftreten von Störspannungen durch Übersprechen zwischen parallelen Signalleitungen.

Besonders schwierig ist die Beurteilung des Übersprechens auf elektrisch langen Leitungen, wenn also die Anstiegs- und Abfallzeiten der Impulse kleiner sind als die Laufzeit der Leitungen. Die quantitative Beurteilung des Übersprechens erfordert eine mathematische Beschreibung gekoppelter Mehrleitersysteme (s. Abschn. 3.4). Die hieraus ableitbaren allgemein gültigen Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt. Da die Ein- und Ausgangsimpedanzverhältnisse logischer Schaltkreise im Low- und High-Zustand unterschiedlich sind, ergeben sich für die angeschlossenen Signalleitungen mehrere Kombinationen unterschiedlicher Betriebsbedingungen, die im Folgenden diskutiert werden. Abschließend erhält der Leser einige allgemeine Hinweise zur Reduzierung störender Koppelspannungen. 11.2.2.1 Nebensprechen und Gegensprechen Bei elektrisch langen Leitungen unterscheidet man zwischen parallelem und antiparallelem Betrieb [B33, 11.37].

434

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Sender >1

Empfänger

Sender

>1

>1

Leitung 1

Empfänger >1

Leitung 1

Leitung 2

Leitung 2

>1

>1

>1

>1

Sender

Empfänger

Empfänger

Sender

b) Antipralleler Betrieb

a) Pralleler Betrieb

Bild 11.13: Betriebsarten zweier Signalleitungen auf digitalen Baugruppen.

Im Falle des parallelen Betriebs der Leitungen liegen sich am einen Ende jeweils die Sender und am anderen Ende die Empfänger gegenüber, Bild 11.13 a. Der Signalfluss besitzt auf beiden Leitungen die gleiche Richtung. Bei antiparallelem Betrieb liegt der Empfänger der einen Leitung gegenüber dem Sender der anderen Leitung, Bild 11.13 b. Hier sind die Signalflüsse einander entgegengerichtet. Darüber hinaus lassen sich die durch Übersprechen auftretenden Störungen in Nebensprechstörungen und Gegensprechstörungen klassifizieren. Die Beeinflussung wird als Nebensprechstörung bezeichnet, wenn sich die gestörte Leitung im stationären Low- oder High-Zustand befindet, das heißt passiv ist. Beim Gegensprechen sind alle Leitungen aktiv, Bild 11.14. Sender

Empfänger

Sender

>1

>1

>1

Leitung 1 aktiv

Leitung 2 passiv ustör

Sender

>1

>1

Empfänger

Empfänger

a) Paralelles Nebensprechen Empfänger ustör

>1

ustör

>1

c) Paralelles Gegensprechen

Empfänger ustör

>1

>1

Leitung 1 aktiv Leitung 2 aktiv

Leitung 2 aktiv Sender

Sender

Sender

Leitung 1 aktiv

>1

>1

ustör

b) Antiparalleles Nebensprechen

Sender >1

>1

Leitung 1 aktiv

Leitung 2 passiv >1

Empfänger

Empfänger

>1

ustör

Empfänger

>1

Sender

d) Antiparalleles Gegensprechen

Bild 11.14: Zur Erläuterung der Begriffe Nebensprechen und Gegensprechen .

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

435

Nebensprechen: Im Falle des parallelen Nebensprechens ist im Allgemeinen mit einer geringen Beeinflussung zu rechnen, Bild 11.14 a. Wegen der niedrigen Ausgangsimpedanz des Senders ist die gestörte Leitung 2 auf dieser Seite quasi kurzgeschlossen. Bereits mit dem Start der übergekoppelten Spannungswelle beginnt auch schon die Entladung der Leitung, so dass die am Empfänger auftretende Koppelspannung in der Regel zu keiner Störung führt. Beim antiparallelen Nebensprechen verhindert der hohe Eingangswiderstand des Empfängers zunächst den Abbau der überkoppelten Störspannung, Bild 11.14 b. Die Störspannungswelle läuft auf der gestörten Leitung zum Sender, wird dort aufgrund des niedrigen Ausgangswiderstands mit umgekehrter Phasenlage reflektiert und baut erst im Zurücklaufen die Spannung ab. Die Störspannung liegt somit über die doppelte Signallaufzeit mit nahezu unverminderter Amplitude am Empfänger der gestörten Leitung an. Befindet sich die gestörte Leitung auf stationärem Low-Potential, werden im Bereich der Nutzsignalflanken impulsförmige Störspannungen übergekoppelt, Bild 11.15 a. Für den angeschlossenen Empfänger sind grundsätzlich die positiven Störspannungen, das heißt die zur Umschaltschwelle hinzeigenden Überschwinger kritisch. 500

1,2

300

0,8

100

0,4

- 100

0

- 300

- 0,4

- 500

- 0,8

- 700 - 900

a)

- 1,2 0

100

200

300

400

500

Zeit in ns

0

b)

100

200

300

400

500

Zeit in ns

Bild 11.15: Beispiel für im Fall des Nebensprechens übergekoppelte Störspannungen. a) Die gestörte Leitung befindet sich auf Low-Potential. b) Die gestörte Leitung liegt auf High-Potential.

Liegt die gestörte Leitung auf High-Potential, ergibt sich eine etwas andere Problemqualität. Eine übergekoppelte positive Spannung hebt die Ausgangsspannung des Senders über dessen High-Potential hinaus an, wodurch auch

436

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

der obere Transistor der Ausgangsstufe gesperrt wird (s. Abschn. 11.2.1.1). Damit ist auch der Ausgang des Senders hochohmig und die gestörte Leitung ist auf beiden Seiten hochohmig abgeschlossen. Die übergekoppelte Spannung steht solange an, bis sie durch eine übergekoppelte fallende Flanke kompensiert wird, Bild 11.15 b. Gegensprechen: Auch für das Gegensprechen ist der antiparallele Betrieb der Signalleitungen als kritischer einzustufen, weshalb die Betrachtungen auf diesen Fall beschränkt werden, Bild 11.14 c. Finden auf beiden Leitungen Signalwechsel statt, stören sich die Leitungen gegenseitig. Sind dabei die Nutzsignalflüsse gerade um eine halbe Periode gegeneinander versetzt, entsprechen die Verhältnisse den bereits diskutierten Bedingungen des Nebensprechens. In allen anderen Fällen überlagern sich die übergekoppelten Störspannungen und die Nutzsignalspannungen. Bei Leitungssystemen mit mehr als zwei gekoppelten Signalleitungen (z.B. Bussystemen) finden im worst case auf allen Leitungen gleichzeitig Signalwechsel statt, wodurch erhebliche Störspannungsamplituden auftreten können.

11.2.2.2 Allgemeine Maßnahmen zur Reduzierung des Übersprechens Die Form und Höhe der Übersprechspannungen wird von einer Vielzahl geometrischer, elektrischer und materialspezifischer Parameter wie -

Leiterbahnlänge, Leiterbahnbreite, Leiterbahnabstand, Leiterbahnplattenhöhe,

-

Ausgangsimpedanz der Sender, Eingangsimpedanz der Empfänger,

-

Dielektrizitätszahl

in nur schwer überschaubarer Weise beeinflusst [11.29–11.39]. Um störende Koppelspannungen von vornherein klein zu halten, ist im Verlauf der Leiterbahnverlegung auf möglichst kurze Koppelabschnitte zu achten. Beispielsweise können für schnelle Schaltkreistypen (AS, ECL, F- und SSchaltkreise) kritische Übersprechspannungen bereits bei Koppelabschnittlängen von 6 bis 10 cm auftreten. Für TTL-Schaltkreise liegen die Werte zwischen 15 cm (F, AS) und 25 cm (LS, ALS) [B33]. Die Vergrößerung des

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

437

Leiterbahnabstands zeigt insbesondere im Bereich kleiner (s < 2 mm) eine erhebliche Reduktionswirkung [11.38, 11.39].

Abstände

4 3

a)

2

b)

1 0 -1 -2 -3 -4

0

20

40

60

80

100

Zeit in ns Bild 11.16: Beispiel für die Wirksamkeit einer beidseitig mit der Schaltungsmasse kontaktierten Schirmleiterbahn. a) Koppelabschnitt ohne Schirmleiter, b) Koppelabschnitt mit Schirmleiter.

In kritischen Fällen lassen sich die Koppelspannungen durch Einfügen einer Schirmleiterbahn beträchtlich reduzieren, Bild 11.16 [11.30]. Die Schirmleiterbahn sollte dabei an beiden Enden niederinduktiv mit der Schaltungsmasse verbunden werden, Bild 11.17. Schirmleiterbahn auf beiden Seiten mit 0V verbunden

0V

Bild 11.17: Schirmleiterbahn zur Reduzierung störender Koppelspannungen.

438

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Hierdurch wird eine Kurzschlussschleife gebildet, deren Eigenmagnetfeld das für die Signalüberkopplung mitverantwortliche Magnetfeld der Erregerschleife teilweise kompensiert (s. a. Abschn. 3.3). Zusätzlich wirkt die Schirmleiterbahn als elektrischer Schirm, der die kapazitive Kopplung verringert (s. a. Abschn. 3.2). Schließlich sollten die Flankensteilheit der Nutzsignale und die Taktfrequenz immer auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben. Bei Anstiegszeiten unter 5 ns ist stets mit dem Auftreten kritischer Störspannungswerte zu rechnen [11.29].

11.2.3 Signalreflexionen auf langen Leitungen Signalreflexionen und die damit verbundenen Spannungsüberhöhungen durch Überlagerung hin- und rücklaufender Wellen werden auf digitalen Baugruppen im Wesentlichen durch Fehlanpassung zwischen dem Leitungswellenwiderstand der Leiterbahn und der Ausgangs- bzw. Eingangsimpedanz der angeschlossenen integrierten Schaltkreise verursacht. Weiterhin stellen Stoßstellen, Verzweigungen und Knicke im Zuge der Leiterbahn Wellenwiderstandsdiskontinuitäten dar, die unter Umständen ebenfalls Ursachen für das Auftreten von Reflexionen sein können. Während bei elektrisch kurzen Leitungen die Störsicherheit digitaler Schaltungen durch eine Fehlanpassung nicht nennenswert gefährdet wird, führen die auftretenden Signalreflexionen bei elektrisch langen Leitungen an deren Anfang zu Stufen in der ansteigenden und abfallenden Signalflanke sowie an deren Ende zu einem Über- bzw. Unterschwingen des Nutzsignals, Bild 11.18. U/V

U/V

Spannung am Anfang

6

6

5

5

4

4

3 2

3 2

1

1

0

0

-1 0

-1 0

20

40

60

80

100

t/ns

Spannung am Ende

20

40

60

80

100

t/ns

Bild 11.18: Beispiel für die Verzerrung der Nutzsignalform durch Reflexionen auf einer elektrisch langen Leiterbahn.

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

439

Die Folge solcher Signalverzerrungen können Fehlschaltungen sowie eine Verringerung der Verarbeitungsgeschwindigkeit des betroffenen Schaltkreises sein. Weitere negative Begleiterscheinungen sind eine verstärkte Signalüberkopplung sowie eine Verschlechterung des Strahlungsspektrums der gesamten Baugruppe.

11.2.3.1 Vermeidung von Reflexionen durch Leitungsführung Bei digitalen Systemen kann mit der Näherungsformel [B45] l krit ≈

1 ( Tr , Tf )min 2 τL

(11-2)

die kritische Länge abgeschätzt werden, ab der mit Signalreflexionen zu rechnen ist. In Gleichung (11-2) ist stets der kleinere Wert der Signalanstiegszeit Tr bzw. -abfallzeit Tf einzusetzen. Die spezifische Signallaufzeit τL berechnet sich für eine wie in Bild 11.19 dargestellte Mikrostreifenleitung zu [11.28] τL =

ε r,eff

c0

.

(11-3)

Hierin ist c0 die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ( c0 = 2,997 ⋅ 108 m / s ) und ε r,eff die effektive Dielektrizitätszahl. Durch letztere wird der Einfluss des geschichteten Dielektrikums (Luft/Leiterplattensubstrat) auf die Wellenausbreitung entlang der Streifenleitung berücksichtigt.

E

w

εr = 1 εr > 1

Bild 11.19: Schnitt durch eine Mikrostreifenleitung (schematisch).

h

440

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

In Bild 11.20 ist die effektive Dielektrizitätszahl ε r,eff als Funktion der relativen Leiterbahnbreite w/h für verschiedene relative Dielektrizitätszahlen dargestellt. 5 4,5

εr = 5 4,8 4,6 4,4 4,2 4 3,8

4 3,5 3

3,3 3,1 2,9 2,8 2,5 2,9 2,1

2,5 2 1,5 1 0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

w/h Bild 11.20: Effektive Dielektrizitätszahl von Mikrostreifenleitungen für verschiedene Substratmaterialien.

Eine näherungsweise Berechnung der effektiven Dielektrizitätszahl erlaubt folgende Beziehung [11.40]

ε r,eff ≈

εr + 1 εr − 1 ⎛ h⎞ + ⎜ 1 + 10 ⎟ 2 2 ⎝ w⎠

−0,5

.

(11-4)

Bild 11.21 zeigt eine Auswertung von Gleichung (11-2) für verschiedene Substratmaterialien. Der Einfluss der Leiterbahnbreite w und Subtrathöhe h auf die spezifische Signallaufzeit τL wurde dabei durch Zugrundelegung einer aus Bild 11.20 gewonnenen mittleren effektiven Dielektrizitätszahl vernachlässigt.

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

441

εr = 2,1

240

2,5 3,3 4,2 5

200 160 120 80 40 0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

20

Steilste Impulsflanke in ns

Bild 11.21: Beispiele kritischer Leiterbahnlängen für verschiedene Substratmaterialien, abhängig von der steilsten Impulsflanke des Nutzsignals.

Eine Verkürzung der Leiterbahnlänge auf Werte kleiner l krit kann durch geänderte Leitungsführung und/oder Umplatzierung der betreffenden Bauelemente erreicht werden. Die Anpassung des Leiterbahnwellenwiderstands an die Bauelementimpedanzen führt in der Regel zu keiner befriedigenden Lösung. Bild 11.22 zeigt den Wellenwiderstand für gängige Leiterplattensubstrate, abhängig von der relativen Leiterbahnbreite w/h. 320

2,3

280

100

εr = 1

2,1

90

2,5

80

2,8

240

3,3

200

70 3,8

60

5

160

50 4,6

120

40

4,2

30

80 0,01

0,05

0,1

0,5

1

2 3 4 5

20

w/h

Bild 11.22: Leitungswellenwiderstand von Mikrostreifenleitungen für verschiedene relative Dielektrizitätszahlen.

442

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Der Wellenwiderstand bewegt sich zwischen Werten von 20 bis 250 Ω , so dass eine Anpassung insbesondere infolge der hohen Eingangsimpedanzen der Logikbauelemente (TTL: einige zehn kΩ , CMOS: 1 MΩ ) nicht realisierbar ist.

11.2.3.2 Anpassnetzwerke Eine weitere Verringerung des Effekts von Signalreflexionen ist das Anpassen des Ausgangswiderstands eines Senderbauteils an den Wellenwiderstand der angeschlossenen Leitung. Hierzu empfiehlt es sich, einen zusätzlichen Widerstand R S in Serie zu schalten, Bild 11.23 a. R S ist so zu wählen, dass der Gesamtwiderstand ungefähr dem Wellenwiderstand der Leitung entspricht. Bei Leitungstreibern (engl.: line driver) ist dieser Serienwiderstand in der Regel bereits vom Hersteller integriert. Ub Ru

a) Serienwiderstand

b) Pull-Up-Widerstand Ub Ru

Rd

Rd

c) Pull-Down-Widerstand

d) Thevenin-Abschluss

Ub

Ub

Ru C Rd e) Thevenin-Abschluss für CMOS

f) Dioden

Bild 11.23: Netzwerke für die sender- bzw. empfängerseitige Anpassung.

11.2 Intrasystem-Beeinflussungen

443

Bei der Pull-up-Anpassung auf der Empfängerseite wird ein Widerstand R u von der Größe des Wellenwiderstands der Leitung gegen die Versorgungsspannung geschaltet, Bild 11.23 b. Schaltet man den Widerstand R d dem Schaltkreiseingang parallel gegen 0V, spricht man von einer Pull-downAnpassung, Bild 11.23 c. Der so genannte Thevenin-Abschluss besteht aus der Kombination von Pull-up- und Pull-down-Widerstand, Bild 11.23 d. Bei dieser Abschlussart sind die Widerstandswerte gleich dem doppelten Wellenwiderstand zu wählen. Für CMOS-Bauelemente wird aufgrund ihres hohen Eingangswiderstands eine spezielle Art des Thevenin-Abschlusses verwendet. Hierbei wird zum Pull-down-Widerstand zusätzlich ein Kondensator ( C ≈ 1000 pF ) in Reihe geschaltet, Bild 11.23 e. Die Auswahl der Abschlussart und der erforderlichen Bauelemente richtet sich nach der Widerstandskennlinie des Logikbauteils. Nähere Auskunft geben hier die Datenblätter der integrierten Schaltkreise (z.B. [11.43, 11.44]). Neben den z. T. vom Hersteller bereits in das Bauteil integrierten Klammerdioden besteht die Möglichkeit, den Eingang eines Schaltkreises zur Milderung der Reflexionseffekte zusätzlich mit Dioden zu beschalten, Bild 11.23 f. Hierdurch können die Über- und Unterschwinger des verzerrten Nutzsignals sowie eingekoppelte Störsignale auf sichere Werte begrenzt werden. Für Logikbauelemente ist eine ideale Anpassung aufgrund ihrer nichtlinearen Eingangs- und Ausgangskennlinien grundsätzlich nicht erreichbar. Oft reicht jedoch eine einseitige Anpassung aus. Eine Fehlanpassung bis zu 20% wird dabei toleriert. Die Verwendung von Anpassnetzwerken ist nicht ganz unproblematisch. Durch den Einsatz von Anpasswiderständen auf der Empfängerseite rücken das Low-Potential oder das High-Potential, im Falle des Thevenin-Abschlusses sogar beide, näher an die Umschaltschwelle heran, wodurch der statische Störabstand des Empfangsschaltkreises verringert wird. Weiterhin verringert der zusätzliche Stromverbrauch das Fan-Out des Sendeschaltkreises, die abzuführende Verlustleistung wird größer. Wählt man an Stelle der in Bild 11.23 eingezeichneten Betriebsspannung U b eine Hilfsspannung UH < U b , lässt sich die im Abschluss umgesetzte Wärme erheblich reduzieren. Der Aufwand für eine zusätzliche Hilfsspannungsquelle lohnt aber nur dann, wenn auf der Leiterplatte mehrere lange Leitungen angepasst werden müssen [11.37]. Für Leitungswellenwiderstände kleiner 50 Ω sind Anpassnetzwerke häufig nicht mehr geeignet, da in den meisten Fällen die Stromaufnahme unzulässig groß wird. Ein weiterer Nachteil der Anpassnetzwerke

444

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

besteht darin, dass auf der Leiterplatte mit entsprechendem Kostenaufwand zusätzliche Bauelemente unterzubringen sind.

11.3

Intersystem-Beeinflussung durch Störabstrahlung

Auf Leiterplatten wirken insbesondere Signal- und Stromversorgungsleitungen als unbeabsichtigte Sendeantennen [11.45]. Aber auch hochintegrierte Schaltkreise (z. B. Mikroprozessoren) sowie an die Baugruppe angeschlossene Leitungen können elektromagnetische Energie in nennenswerter Größe abstrahlen.

11.3.1 Abstrahlung von Signalstromschleifen Da auf Signalleiterbahnen im Wesentlichen Ströme geschaltet werden, können die aus Hin- und Rückleitung aufgespannten Leiterbahnschleifen als Rahmenantennen interpretiert werden, Bild 11.24. (z)

H Abstrahlfläche

θ E

r



Hr (y)

(x) Bild 11.24: Störabstrahlung von Leiterbahnschleifen auf einer einlagigen Leiterplatte und das Feld einer Rahmenantenne im Kugelkoordinatensystem r, φ, θ .

Im Frequenzbereich ergeben sich in der Umgebung einer Rahmenantenne mit einer Windung und der Fläche A im Kugelkoordinatensystem r, φ, θ folgende Ausdrücke für die komplexen Amplituden der Feldvektoren (s. a. Abschn. 5.1) [11.40]:

11.3 Intersystem-Beeinflussung durch Störabstrahlung

445

Hθ =

2 ˆ sin θ ⎡ iA 2π ⎛ 2π ⎞ ⎤ ⎛ 2π ⎞ 1 j r j r + + ⎢ ⎥ exp ⎜ − j r ⎟ ⎜ ⎟ 2 3 λ j 4πr ⎢⎣ ⎝ λ ⎠ ⎥⎦ ⎝ λ ⎠

Hr =

ˆ cos θ ⎡ iA 2π ⎤ ⎛ 2π ⎞ 1 + j r ⎥ exp ⎜ − j r ⎟ 2 3 ⎢ λ ⎦ j 2πr ⎣ ⎝ λ ⎠

Hφ =

ˆ iAZ 2π ⎤ ⎛ 2π ⎞ 0 cos θ ⎡ 1 + j r ⎥ exp ⎜ − j r ⎟ ⎢ 2 λ j2λr ⎣ ⎦ ⎝ λ ⎠

,

,

(11-5)

(11-6)

.

(11-7)

Die Feldstärken hängen somit von der aufgespannten Schleifenfläche A, dem Scheitelwert des Wechselstroms iˆ , der Frequenz f = c0 / λ ( c0 = Lichtgeschwindigkeit im freien Raum) und dem Abstand r zwischen Störquelle und Störsenke ab. Eine durchdachte Masse und Stromversorgung hinsichtlich der Aussendung und Empfänglichkeit von Störungen zielt im Wesentlichen darauf ab, die von Hin- und Rückleitungen gebildeten Schleifenflächen zu minimieren, Bild 11.25. Abstrahlfläche

Abstrahlfläche

0V

0V

Bild 11.25: Vergleich der wirksamen Abstrahlfläche bei einer einlagigen Leiterplatte (links) und einer zweilagigen Leiterplatte mit Massefläche (rechts).

Aus diesen Abhängigkeiten lassen sich unmittelbar nachfolgende Maßnahmen zur Reduzierung der Störstrahlung ableiten. Schleifenflächen kritischer Leiterbahnen (insbesondere Taktsignalleitungen) sind möglichst klein zu halten. Auf einer einlagigen Leiterplatte sind hierzu Signalhin- und -rückleitungen so dicht zusammen wie möglich zu verlegen, Bild 11.26.

446

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

+

+

IC

a)

C IC

b)

Bild 11.26: Einfacher Aufbau einer Stromversorgung auf Flachbaugruppen. a) schlecht (große Leitungsfläche), b) gut (minimierte Leitungsfläche mit Stützkondensatoren)

Durch eine großflächige Schaltungsmasse auf der Rückseite zweilagiger Leiterplatten oder eine Masselage bei mehrlagigen Leiterplatten lassen sich kleine Abstrahlflächen ohne großen Aufwand realisieren. Bei synchronen Schaltungen ist die Taktfrequenz so klein wie möglich zu halten (reduziert die Grundfrequenz f1 = 1/ T , T = Periodendauer). Steile Signalflanken sind zu vermeiden (reduziert die obere Knickfrequenz f0 = 1/( πTr ) in der EMV-Tafel (s. Abschn. 1.6.3.1)). Nicht für Leiterbahnen beanspruchte Flächen sollten als Kupferkaschierung bestehen bleiben [11.46, 11.47]. Beispielsweise führt eine Reduktionsschleife am Rand einer Leiterplatte in 3 m Abstand bereits zu einer Verringerung der abgestrahlten magnetischen Feldstärke um ca. 6dB. Eine als Schirmfläche dienende geschlossene Kupferfläche auf der Rückseite einer Leiterplatte reduziert die Feldstärke um ca. 10dB.

11.3.2 Abstrahlungsprobleme bei hochintegrierten Schaltungen Aufgrund der hohen Integrationsdichte und der enormen Signalverarbeitungsgeschwindigkeit stellen Mikroprozessoren und andere hochintegrierte Schaltungen (z. B. anwenderspezifische integrierte Schaltkreise ASIC's (engl.: Application Specific Integrated Circuit)) nicht zu vernachlässigende Störstrahlungsquellen dar. Innerhalb der integrierten Schaltung bilden die

11.3 Intersystem-Beeinflussung durch Störabstrahlung

447

Bonddrähte zu den äußeren Gehäuseanschlüssen sowie die Leiterbahnen auf dem Siliziumsubstrat ungewollte Antennen. Besonderes Augenmerk ist den externen Stromversorgungsleitungen zu widmen. Durch direktes Nebeneinanderlegen der Anschlüsse für Versorgungsspannung und 0V lässt sich die resultierende Abstrahlfläche sowohl auf der integrierten Schaltung als auch auf der Leiterplatte erheblich reduzieren. Bild 11.27 zeigt, wie durch verschiedene Pin-Belegungen die wirksame Abstrahlfläche minimiert werden kann [11.48]. Das Pin-Out in Bild 11.27 rechts kommt zusätzlich der induktivitätsarmen Platzierung eines Stützkondensators sehr entgegen. Mehrere U b - und 0V-Anschlüsse unterstützen die Bildung kleiner Schleifenflächen auf der Leiterplatte [11.49, 11.50]. Abstrahlfläche Ub

Ub

0V

0V

Ub

0V

Bild 11.27: Einfluss der Pin-Belegung auf die wirksame Abstrahlfläche.

Bei Mikroprozessoren kann durch eine interne Schaltlogik vermieden werden, dass die Ausgangstransistoren der Ausgangstreiberschaltungen gleichzeitig durchschalten. Hierdurch lassen sich hochfrequente Störsignale reduzieren, die von den Stromversorgungsleitungen auf der Leiterplatte abgestrahlt werden können. Dieser Effekt lässt sich durch Abrunden der Signale an der Stelle des High-Low-Übergangs des Ausgangssignals (engl.: output wave shaping) zusätzlich unterstützen [11.5, 11.51]. Bei Bussignalen führt das synchrone Schalten mehrerer Signale zu einer Überlagerung der spektralen Anteile der Einzelsignale. Bereits ein geringfügiger zeitlicher Versatz der Schaltflanken von Bussignalen (engl.: skewing) kann hier zu einer deutlichen Reduzierung der Störabstrahlung beitragen. Eine Einschränkung für das Skewing stellt allerdings die Taktrate dar. Je höher die Taktrate ist, desto weniger Zeit bleibt für das Skewing. Ist eine minimal notwendige Arbeitsfrequenz erforderlich, sollte diese beispielsweise erst innerhalb eines IC's vervielfacht werden (und zwar nur dort wo es erforderlich ist). Das Abschalten nicht benötigter Steuersignale, verringert zusätzlich das Störpotential der integrierten Schaltung [11.49, 11.52].

448

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

Gehäuse von hochintegrierten ICs, wie moderne Mikroprozessoren, sind heutzutage nicht mehr durchsteckmontierbar (engl.: Through Hole Technology, THT). Sie werden meist als oberflächenmontierbares Bauteil realisiert (engl.: Surface Mounted Devices, SMD), um Abstrahleffekte durch Anschlussleitungen zu vermeiden. Bei leistungsfähigen Mikroprozessoren ist die Anzahl der Pins derart hoch, dass die Seiten nicht mehr ausreichen, um die Anschlüsse oder SMD-Kontaktierungen aufzunehmen. Deshalb haben moderne ICs häufig keine Pins mehr an den Seiten, sondern sie werden mittels Kontaktflächen (Land Grid Array, LGA), Pins (engl.: Pin Grid Array, PGA) oder Lotkugeln (engl.: Ball Grid Array, BGA) an der Unterseite des Gehäuses auf der Platine befestigt, Bild 11.28.

Bild 11.28: Darstellung eines BGA-ICs.

Des Weiteren sind die unterschiedlichen geometrischen Abstände der elektrischen Anschlüsse auf einem (ungehäusten) Halbleiterchip (engl.: Die) und der Leiterplatte zu überbrücken. Die Anschlüsse des IC Dies (engl.: Pads) werden mittels Golddraht an ein Zwischenmaterial angeschlossen. Dieses Zwischenmaterial ist ein gestanztes Kupferblech (engl.: Leadframe) oder eine miniaturisierte Platine, so genanntes Substrat. Neue Technologien verzichten auf Drähte. Dabei wird die funktionale Seite des ICs nach unten auf die Kontaktfläche aufgesetzt (so genannte Flip-Chip Technologie). Der Anschluss an die Leiterplatte erfolgt schließlich über „Beinchen“ (Pins) oder über kleine Lotkugeln (Balls). Diese Art der Anschlusstechnik weist ein weitaus besseres Hochfrequenz- und EMV-Verhalten auf, als die ursprüngliche Anschlussart und wird heutzutage in hoch entwickelten ICs angewendet.

11.3 Intersystem-Beeinflussung durch Störabstrahlung

449

11.3.3 Maßnahmen an Störquellen Um Schaltungen hinsichtlich der EMV zu optimieren, bedarf es nicht nur eines optimalen Layouts, sondern ebenfalls der Reduzierung der Störungen am Ort deren Entstehung auf der Baugruppe selbst. Diese Störungen beruhen im Wesentlichen auf -

Störungen auf Netzversorgungsleitungen und angeschlossenen Signalleitungen

-

dem Schalten von Relais-Kontakten oder Halbleiterschaltern auf der Baugruppe,

-

Integrierten Spannungs- und Stromversorgungen (Wechselrichter, Gleichrichter, Stromrichterschaltungen (IGBT, etc.),

-

systembedingten Nutzfrequenzen (Bustakt, Prozessortakt, HF-Signalerzeugung.

Letztgenannte Störquellen sind nur im geringen Umfang reduzierbar, da sie zum Betrieb des Geräts inherent notwendig sind. Geräte, die durch ein Wechsel- oder Gleichstromnetz versorgt werden, unterliegen damit auch deren ungewollten Einflüssen. Netzgeführte Störungen stammen in der Regel von den angeschlossenen Verbrauchern oder von Stromrichtern. Diese können kapazitiv, induktiv oder galvanisch eingekoppelt sein. Eingestrahlte Störungen auf die Netzleitung sind meist von geringer Bedeutung. Ausnahmen bilden unter anderem in der Nähe befindliche starke Sender wie Radarstationen oder andere leistungsstarke HF- oder impulserzeugende Geräte. Beeinflussungen eines Geräts über ein Medium, dass nicht zum gewollten Empfang von Signalen verwendet wird (wie beispielsweise Stromversorgungsleitungen) nennt man Back-Door Coupling. Bei der Einkopplung über Empfangseinrichtungen, wie z. B. Antennen, (engl.: Front-Door Coupling) sind gestrahlten Felder jedoch wieder von Bedeutung. Dazu kommen selbstverständlich Einkopplungen durch Blitzschlag (direkt/indirekt, s. a. Abschn. 2.4.6) oder durch Hochspannungsleitungen (s. Abschn. 2.3.4). Durch Filternetzwerke (s. Abschn. 4.1) und Überspannungsschutz (s. Abschn. 4.2) lässt sich eine Baugruppe ausreichend gegen die leitungsgekoppelte Störungen schützen. Wird auf der Baugruppe eine wechsel- oder gleichgerichtete Spannung erzeugt, kann dies sowohl zu Intra-, wie auch Intersystem-Beeinflussungen

450

11 EMV gerechter Entwurf elektronischer Baugruppen

führen. Insbesondere Leistungshalbeiter, beispielsweise IGBTs (engl.: insulated-gate bipolar transistor), weisen durch ihre schnellen, steilflankigen Schaltvorgänge ein erhöhtes Störpotential auf. Vor allem bei induktiven Lasten (z. B. Drehstrommotoren) werden diese Schaltvorgänge zum Problem, da beim Schalten Spannungs- und Stromänderungen entstehen und gemäß dem Induktionsgesetz eine Selbstinduktionsspannung in der Spule entsteht, s. a. Abschn. 2.4.2 und 10.1.). Die übliche Entstörpraxis stützt sich auf den Einsatz handelsüblicher Filtersätze, die am netzseitigen Geräteanschlusspunkt angeordnet werden, Bild 11.29. Zwischenkreis

Netzfilter

Netz

Leitung

Motor

CZ

Bild 11.29: Darstellung eines „klassisch“ schlecht entstörten Stromrichters mit Störsignalpfad (gestrichelt)

Diese Filter verringern jedoch nur netzseitig leitungsgeführte Störungen und verhindern nicht die Intrasystem-Beeinflussung. Störungen auf der Ausgangsseite werden ebenfalls nicht reduziert. Bei entsprechender Last werden Störungen dann von den Anschlussleitungen abgestrahlt. Die Störfrequenzen können bis zu 100 MHz und mehr betragen. Die meist empirische Vorgehensweise zur Bestimmung aufwendiger Netzfilter führt hier also nicht zur gewünschten Verbesserung der EMV. Effektiver ist ein Schaltungsentwurf unter Berücksichtigung der konstruktiven Umsetzung, die von Anfang an die Optimierung von Ausbreitungswegen von der Entstehungsursache bis zur Störsenke im Auge hat. Dies geschieht bei IGBT-Stromrichtern entweder durch den Einsatz selektiver Sperrkreise, die Ausbreitungswege für die Störströme hochohmig machen, oder durch den Einsatz selektiver Saugkreise, die niederohmige Kurzschlusspfade für die Störströme schaffen [B50], s. Bild 11.30.

11.3 Intersystem-Beeinflussung durch Störabstrahlung

451

Zwischenkreis

Netzfilter

Leitung

Motor

CZ

Schutzleiterdrossel

Bild 11.30: Darstellung eines adäquat entstörten Stromrichters mit Störsignalpfad (gestrichelt) [B50].

Hier ist zu erkennen, dass sich der Hauptstörpfad im Zwischenkreis selbst befindet. Der Schutzleiter bleibt weitgehend frei von Störströmen, ebenso das Netzfilter, auf das bei einer guten Auslegung verzichtet werden kann. Ergänzend kann über die Ausgangsleitung entweder eine Gleichtaktdrossel oder ein Kabelschirm gesetzt werden. Die Gleichtaktdrossel blockt zusätzlich leitungsgebundene Störungen nach außen. Der Kabelschirm verhindert ein Abstrahlen der Störungen in die Umgebung. Die Motorleitungen werden über Durchführungskondensatoren durch ein schirmendes Zwischenkreisgehäuse geführt. Obiges Beispiel des Stromrichters veranschaulicht den grundlegenden Gedanken der Störunterdrückung an der Störquelle: Nämlich das Erkennen des Störpfads und dessen Minimierung, bzw. das Umleiten der Störung auf kürzestem Weg zur Störquelle zurück. Dieser Gedanke findet sich im einfachsten Sinne bei Stütz- und Abblockkondensatoren an ICs wieder (Abschn. 11.2.1.2) und sucht seine Perfektion bei komplexen Baugruppen, die sowohl Leistungselektronik als auch sensible Regeltechnik enthalten.

12 EMV-Normung

12.1

Einführung in das EMV-Vorschriftenwesen

Aufgrund der ubiquitären Präsenz der EMV-Problematik in allen Gebieten der Elektrotechnik und ihren zahllosen Anwendungen in anderen Branchen haben sich in der Vergangenheit die verschiedensten Gremien mit EMVNormungsaktivitäten befasst. Diese Vielfalt, verbunden mit der generellen Komplexität der EMV-Thematik und den europäischen Harmonisierungsbestrebungen, lässt das Vorschriftenwesen sehr heterogen erscheinen. Um den Einstieg in diesen Problemkreis zu erleichtern, werden im Folgenden die Grundzüge und der heutige Stand der EMV-Normung näher erläutert. Gemäß Kap. 1 sind Kriterien für die elektromagnetische Verträglichkeit eines Geräts einerseits die Nichtüberschreitung bestimmter Emissionsgrenzwerte, andererseits die Immunität gegenüber bestimmten Immissionsgrenzwerten. Beide Kriterien können durch intelligente Systemauslegung, bzw. Leitungsführung und gezielten Einsatz von Entstörmitteln bzw. -maßnahmen erfüllt werden (s. a. Kap. 4). Aus dieser Sicht lassen sich die EMV-Normen grob in drei bzw. sechs Klassen einteilen (s. a. Abschn. 12.5)

Emissionsnormen

⎧ Emissions-Grenzwerte ⎨ ⎩ Emissions-Messverfahren und -geräte

⎧ Imissions-Grenzwerte (Prüfschärfen) Störfestigkeitsnormen ⎨ ⎩ Störfestigkeits-Prüfverfahren und -geräte

Entstörmittelnormen

⎧ Entstörmittel-Eigenschaften) ⎨ ⎩ Entstörmittel-Prüfverfahren und -geräte

454

12 EMV-Normung

Die Thematik Emission ist Gegenstand der bereits Jahrzehnte bestehenden klassischen Funk-Entstörung und war in der Vergangenheit durch das Gesetz über den Betrieb von HF-Geräten (Hochfrequenzgerätegesetz – „HFrG“) gesetzlich geregelt (das am 31.12.95 außer Kraft trat) [1.3]. Seit dem 13.11.92 ist das neue Gesetz über die Elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten „EMVG“ in Kraft, das sowohl die Emission als auch die Thematik Immission, das heißt, Störfestigkeit bzw. Immunität, regelt. Im Rahmen von Übergangsbestimmungen [12.13] galt das „HFrG“ parallel zum neuen EMV-Gesetz bis zum 31.12.95 und lief dann endgültig aus. Die Thematik Entstörmittelnormen schließlich betrifft nur das Innenverhältnis Hersteller/Kunde und berührt den Gesetzgeber im Regelfall nicht. Die hier vorgenommene übersichtliche Einteilung lässt sich in praxi auf Grund branchen-, produkt- und umgebungsspezifisch unterschiedlicher Grenzwerte sowie angesichts der historischen Entwicklung der EMV-Normung derzeit nicht konsistent realisieren, so dass wahlweise aus übergeordneten Gesichtspunkten oder historischen Gründen andere Gliederungen praktiziert werden (s. Abschn. 12.2 und 12.6). Zunächst betrachten wir jedoch die Normungsgremien und die rechtlichen Grundlagen der EMVNormung. Ein Abschnitt über die Erlangung des Nachweises der Normenbzw. Gesetzeskonformität sowie drei nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gefilterte Zusammenstellungen derzeit verfügbarer Normen schließen das Kapitel ab.

12.2

EMV-Normungsgremien

Auf internationaler Ebene obliegt der IEC (International Electrical Commission) die Normung der gesamten Elektrotechnik und in diesem großen Rahmen auch die EMV-Normung. Innerhalb der IEC befasst sich mit EMVFragen vorrangig CISPR (Comité International Spécial des Perturbations Radioélectriques). Die von CISPR unter internationaler Beteiligung erarbeiteten Empfehlungen bzw. Bestimmungen schaffen die gemeinsame fachliche Grundlage für die nationalen Bestimmungen der Mitgliedsländer. In Deutschland liegt der Schwerpunkt der EMV-Normungsarbeit im Komitee des DKE (Deutsche Elektrotechnische Kommission), deren Unterkomitees in Teilbereichen der EMV arbeiten und für die Festlegung der entsprechenden DIN VDE und DIN Normenreihen zuständig sind.

12.2 Normungsgremien

455

Um nationale und internationale Normen als europäische Normen (EN) zu harmonisieren, wie es von der EG-Kommission in EG-Richtlinien festgelegt ist, wurde die CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechnique) und ETSI (European Telecommunication Standards Institute) geschaffen, deren technische Komitees (TC) sich mit dieser Aufgabe befassen, siehe Bild 12.1.

Bild 12.1: Hierarchische Struktur der EMV-Normungsgremien. Innerhalb der Gremien bearbeiten meist mehrere Technical Committees und, innerhalb dieser, sog. Workings Groups die zahlreichen Facetten der EMV. Erläuterung der Abkürzungen siehe Text.

Die CENELEC besteht aus dem europäischen Verband der nationalen Normungsinstitute auf dem Gebiet der Elektrotechnik aus EG, EFTA sowie weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern.

456

12 EMV-Normung

Die vielfältigen rein nationalen Normen und technischen Regeln wurden in Europa inzwischen durch Europäische Normen (EN) auf dem Gebiet der Elektrotechnik weitgehend ersetzt. Diese können auf unterschiedliche Weise entstehen: – als von der Europäischen Kommission geforderte Normen zur Ausfüllung der in EG-Richtlinien aufgestellten grundsätzlichen Anforderungen – als Einbringung nationaler „amtlicher“ oder „halbamtlicher“ Verordnungen und Richtlinien in Form von Normvorschlägen über die nationalen Normungsinstitute (die Mitglieder von CEN bzw. CENELEC sind) – als Vorschläge der interessierten Fachkreise über die nationalen Normungsinstitute oder durch kooperierende Konsortien direkt bei CEN bzw. CENELEC – als Vereinheitlichung (Harmonisierung) unterschiedlicher nationaler Normen im Rahmen von CEN bzw. CENELEC – als Übernahme international (weltweit) harmonisierter Normen (ISObzw. IEC-Publikationen). Entsprechend dem Dresdener Abkommen von 1996 werden grundsätzlich alle Normentwürfe der IEC zeitgleich im Rahmen einer Parallelen Umfrage auch bei CENELEC zur Kommentierung und im Rahmen der anschließenden Parallelen Abstimmung zur Annahme gestellt. Die von CENELEC ratifizierten (verabschiedeten) Europäischen Normen (EN) müssen von allen CENELEC-Mitgliedern als identische Nationale Normen übernommen werden – in Deutschland durch die DKE als DIN EN. Innerhalb von CENELEC befasst sich mit EMV-Fragen das Technical Committee 110, das auch die Störfestigkeit umfassend normt. Die Normen sind inhaltlich in drei Klassen eingeteilt: – Fachgrundnormen/Generic Standards beschreiben die Minimalanforderungen für Störaussendung und Störfestigkeit, gekoppelt an die Umgebungsart, z. B. Wohnbereich, Industrie, spezielle EMV-Umgebung. – Grundnormen/Basic Standards beschreiben phänomenbezogene Messund Prüfverfahren zum Nachweis der EMV sowie die geforderten Grenzwerte (Wichtig zum Beispiel für Hersteller von EMV-Prüfeinrichtungen). – Produktfamlien~ oder Produktnormen/Product Standards enthalten detaillierte Angaben über Prüf- und Messaufbauten, Betriebsbedingungen des Prüflings beim Messen bzw. Prüfen, zulässige Grenzwerte und Prüfschärfen etc. für bestimmte Produktfamilien oder Produkte.

12.2 Normungsgremien

457

Ab 1.1.1992 sind die neuen Europanormen, soweit sie bereits existieren und im Amtsblatt der EG gelistet sind, rechtlich verbindlich. Die am 30. Juni 92 existierenden, vergleichbaren nationalen Normen blieben im Rahmen einer Übergangsregelung bis 31.5.95 alternativ (jedoch ohne die Möglichkeit zur CE-Kennzeichnung) dazu in Kraft. Seit 1.1.1996 sind die Forderungen an den freien Warenverkehr innerhalb der EG zu erfüllen, es gelten heute ausschließlich die neuen Europanormen bzw. mit ihnen harmonisierte nationale Normen. Die CENELEC-Europanormen bilden bereits seit geraumer Zeit die Grundlage für die Harmonisierung nationaler Normen innerhalb der EGMitgliedsländer. Der Vollständigkeit halber sei noch die Thematik Spektrum-Management erwähnt. Mit dem Aufkommen der ersten Funksender ergab sich sehr rasch die Notwendigkeit internationaler Absprachen über eine koordinierte Nutzung des Hochfrequenzspektrums. Seit diesen ersten Anfängen obliegt das Spektrum-Management weltweit der ITU (engl.: International Telecommunication Union, franz.: UIT). Innerhalb der ITU – koordiniert das IFRB (International Frequency Regulation Board) in Verbindung mit den Radio Regulations [2.3] weltweit die Sendefrequenzen (engl.: frequency allocation), – befasst sich das ITU-R (Radiocommunication Bureau), früher CCIR (Comité Consultatif Internationale de Radiocommunication), mit technischen und betrieblichen Fragen des Funkverkehrs (und arbeitet daher eng mit dem IFRB zusammen), – befasst sich das ITU-T (Telecommunication Standardization Sector), gegründet am 1. März 1993, früher CCITT (Comité Consultatif Télégraphique et Téléphonique), mit technischen und betrieblichen Fragen des Telegraphie- und Telephonverkehrs. Auch die mit der ITU getroffenen Vereinbarungen sind rechtlich verbindlich (s. a. Abschn. 12.3). Auf die Thematik Spektrum-Management wird hier jedoch nicht weiter eingegangen, da sie für die überwiegende Zahl der Leser dieses Buches wenig relevant ist. Zusätzliche Information findet man beispielsweise in [2.1]. Neben den genannten Normungsgremien, die in Zusammenarbeit mit dem Gesetzgeber oder in seinem Auftrag rechtlich verbindliche EMV-Normen erarbeiten, gibt es weitere, oft branchenspezifische nationale oder internatio-

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12 EMV-Normung

nale Gremien, deren Normen zwar nicht rechtlich verbindlich sind, deren Befolgung aber im ureigensten Interesse eines Herstellers liegen, will er am Markt angemessen beteiligt sein. Typische Beispiele sind die NAMUR Störfestigkeitsnormen der chemischen Industrie, ISO-Normen in der Automobilindustrie, RTCA- bzw. EuroCAE-Normen der Luftfahrtindustrie, die ASTM-Norm für Messzellen zur Bestimmung der Schirmdämpfung leitfähiger Kunststoffe usw. (s. Abschn. 12.4). Schließlich seien der Vollständigkeit halber die vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) herausgegebenen VerteidigungsgeräteNormen erwähnt (VG-Normen), die umfassend besondere Aspekte von Verteidigungsgeräten und insbesondere das Zusammenwirken einzelner Komponenten in Systemen (Intrasystem-Beeinflussung) berücksichtigen [B24 u. B25]. Sie entsprechen in weiten Teilen amerikanischen Militärnormen (MilStandards).

12.3

Rechtliche Grundlagen der EMV - Normung

In der Bundesrepublik wird die elektromagnetische Verträglichkeit elektrischer und elektronischer Geräte durch DIN VDE-Normen bzw. europäisch harmonisierte EN-Normen geregelt. Waren in der Vergangenheit lediglich maximal zulässige Emissionen gesetzlich begrenzt, werden heute auch Mindestanforderungen an die Störfestigkeit per Gesetz festgeschrieben [12.3 bis 12.7, u. 12.10–12.13]. Die rechtlichen Grundlagen für die EMV-Normung bilden das – EMV-Gesetz „EMVG“. (Es betrifft alle Geräte, die elektromagnetische Störungen verursachen können (früher Hochfrequenzgeräte genannt) oder deren Betrieb durch diese Störungen beeinträchtigt werden kann. Mit anderen Worten, alle elektrischen und elektronischen Apparate, Anlagen und Systeme, die elektrische oder elektronische Bauteile enthalten. Es gilt nicht für kommerziell vertriebene Amateurfunkeinrichtungen sowie einige weitere Geräte, für die besondere Richtlinien bestehen. Das EMVG beinhaltet die Umsetzung der Rahmenrichtlinie 89/336/EWG des Rates der EG zur EMV in deutsches Recht [12.10, 12.13 bis 12.15]). Es ist seit 13.11.92 in Kraft und künftig die wichtigste, übergeordnete rechtliche Grundlage. Die Rahmenrichtline 89/336/EWG wurde durch die Rahmenrichtlinie 2004/108/EC am 31.12.2004 ersetzt. Die Umsetzung dieser

12.3 Rechtliche Grundlagen der EMV-Normung

459

Richtlinie in deutsches Recht wird voraussichtlich ab 20.07.2007 verbindlich (zur Drucklegung war der Gesetzestext noch nicht in Kraft getreten). Das EMVG wendet sich an Inverkehrbringer (Hersteller und Importeure) und Betreiber, vorwiegend jedoch an erstere. – Fernmeldeanlagengesetz „FAG“ (betrifft die Erteilung von Genehmigungen zum Errichten und Betreiben von Anlagen und Geräten der Nachrichtenübermittlung, z. B. Rundfunksender, Telefon, Telegraphie, Telex, Telefax etc. [12.1]). Es galt noch bis 31.12.1997 und wurde ab 1.1.1998 durch das so genannte Telekommunikationsgesetz „TKG“ ersetzt, das die Aufhebung des Kommunikationsmonopols der Bundespost, beispielsweise die Existenz privater Kommunikationsnetze etc. berücksichtigte. Bis zum 31.12.1995 gab es noch die beiden folgenden Gesetze: – Funkstörgesetz „FunkStörG“ (Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien über die Vereinheitlichung der Funkentstörung in nationales Recht [12.2]). Dieses Gesetz ist ab 13.11.92 durch das neue EMV-Gesetz ersetzt und trat am 31.12.95 außer Kraft. Es wandte sich an Inverkehrbringer. – Hochfrequenzgerätegesetz „HFrG“ (betraf alle nicht Kommunikationszwecken dienenden Geräte, die beabsichtigt oder unbeabsichtigt elektromagnetische Energie im Bereich 10 kHz bis 3000 GHz erzeugen [1.3], sog. Hochfrequenzgeräte). Das „HFrG“ ist seit 13.11.92 durch das neue EMV-Gesetz ersetzt und lief am 31.12.95 endgültig aus. Das Gesetz wandte sich zwar formal nur an Betreiber, wurde jedoch in praxi so gehandhabt, dass Hersteller und Händler bei Standardgeräten für den Betreiber bereits eine „Allgemeine Genehmigung“ erwirkt hatten und verlangte nur in Spezialfällen, dass der Betreiber selbst zusätzlich eine „Einzelgenehmigung“ erwirkte. Bezüglich des Emissionsschutzes war der Unterschied zum neuen EMVG daher nur gering. Nichtbefolgung rechtlich abgedeckter EMV-Normen stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die durch hohe Geldstrafen geahndet wird. Darüber hinaus können die betreffenden Geräte eingezogen werden (s. z. B. [12.2]). Schließlich sei zumindest erwähnt, dass auch die Zuweisung von Sendefrequenzen für Radio- und Fernsehrundfunksender durch ITU (s. Abschn. 12.1) rechtlich abgedeckt ist [12.11]. Die Zuständigkeiten für Einhaltung und Überwachung sowie Novellierung des EMV-Gesetzes haben sich im Laufe der Zeit öfters geändert. Nach der Auflösung des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation

460

12 EMV-Normung

(BMPT) übernahm das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) die weitere Überarbeitung der EMV-Vorschriften. Zusätzlich wurde das Bundesamt für Post und Telekommunikation (BAPT) restrukturiert und in die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) umbenannt. Diese ging im Juli 2005 in der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) auf. Die BNetzA überwacht jetzt die gesetzlichen Vorgaben des EMV-Gesetzes und greift bei Verstößen regulierend ein. Die Bundesnetzagentur erteilt an Betreiber so genannte Betriebsgenehmigungen für Kommunikationssender, nicht Kommunikationszwecken dienenden Hochfrequenzgeneratoren, Gemeinschaftsantennenanlagen, und bearbeitet Funkstörungen etc. Es ist ferner die zuständige Behörde für die Anerkennungen der im Folgenden Abschnitt erwähnten „Benannten Stellen“. In der Bundesrepublik ist mit dem seit November 1992 in Kraft getretenen EMV-Gesetz (EMVG) die Elektromagnetische Verträglichkeit gesetzlich verpflichtend für alle „Geräte, die elektromagnetische Störungen verursachen können oder deren Betrieb durch diese Störungen beeinträchtigt werden kann.“ Das EMV-Gesetz gilt für alle elektrischen und elektronischen Geräte, die – neu in der EU hergestellt werden und innerhalb der EU vertrieben werden – neu oder gebraucht aus Drittländern zum Vertrieb innerhalb der EU importiert werden. Es gilt nicht für Geräte, wenn diese – – – –

zum Export außerhalb der EU bestimmt sind zum Zwecke der Wiederausfuhr importiert werden temporär auf Messen und Ausstellungen betrieben werden bereits innerhalb der EU vertrieben wurden und gebraucht weiterverkauft werden sollen – luftfahrttechnische Erzeugnisse – Funkgeräte, die von Funkamateuren im Sinne der im Rahmen der Konstitution und Konvention der ITU (2) erlassenen Vollzugsordnung genutzt werden, es sei denn, diese Geräte sind im Handel erhältlich. – Betriebsmittel, die aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften

12.3 Rechtliche Grundlagen der EMV-Normung

461

a) einen so niedrigen elektromagnetischen Emissionspegel haben oder in so geringem Umfang zu elektromagnetischen Emissionen beitragen, dass ein bestimmungsgemäßer Betrieb von Funk- und Telekommunikationsgeräten und sonstigen Betriebsmitteln möglich ist, und b) unter Einfluss der bei ihrem Einsatz üblichen elektromagnetischen Störungen ohne unzumutbare Beeinträchtigung betrieben werden können. – Militärische Geräte Ein Hersteller darf das CE-Zeichen selbst anbringen, ist jedoch verpflichtet eine Konformitätserklärung anzufertigen, siehe Abschn. 12.4. Bei Bauteilen, die innerhalb der EU in den Verkehr gebracht werden, stellt sich die Frage, ob sie eine CE-Konformitätskennzeichnung benötigen oder nicht. Für Bauteile bei denen es sich um reine Zulieferteile handelt, das heißt die nicht für den Endverbraucher auf dem Markt erhältlich sind, keine eigenständige Funktion aufweisen und in einem Gerät oder System weiterverarbeitet werden, kann dies klar verneint werden. Das Gerät oder System bedarf allerdings beim Inverkehrbringen in der EG einer CE-Konformitätskennzeichnung. Bauteile und Baugruppen, die auf dem EG Markt vertrieben werden, und die für Endnutzer erhältlich sind und von diesem in Geräte eingebaut werden, unterliegen einer CE-Kennzeichnungspflicht. Schwierig wird es bei einem Bauteil, das sowohl als integriertes Teil eines Geräts, aber auch als einzelnes, eigenständiges Teil eingesetzt werden kann. Dabei klassisch zu nennen sind beispielsweise Netzteile, die sowohl integriert werden können, als auch – entsprechend mit Gehäuse versehen – selbst als Geräte funktionieren können. Als in Verkehr bringende Person muss man dann sehr aufmerksam bewerten, wie das Bauteil tatsächlich verwendet werden kann: Ob es nur von Fachpersonal weiterverbaut oder dem Endkonsumenten zugänglich gemacht wird. Eine Besonderheit bilden die sogenannten ortsfesten Anlagen. Eine ortsfeste Anlage ist eine besondere Verbindung von Geräten unterschiedlicher Art oder weiteren Einrichtungen mit dem Zweck, auf Dauer an einem vorbestimmten Ort betrieben zu werden, zum Beispiel vorgefertigte Schaltschränke einer Montagelinie einer Fabrik. Sie benötigen keine CE-Kennzeichnung und keine Konformitätserklärung. Grundlegende EMV-Anforderungen müssen jedoch erfüllt sein. EMV bedingte Störfälle muss der Betreiber

462

12 EMV-Normung

beheben. Ortfeste Anlagen sind nach den anerkannten Regeln der Technik zu installieren. Im Hinblick auf die Erfüllung grundlegender Schutzanforderungen ist die Verwendung der vorgesehenen Komponenten dementsprechend zu berücksichtigen. Die jeweiligen anerkannten Regeln der Technik sind zu dokumentieren, und der Verantwortliche/die Verantwortlichen müssen die Unterlagen für die zuständigen Behörden zu Kontrollzwecken zur Einsicht bereithalten, solange die ortsfeste Anlage in Betrieb ist.

12.4

Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz

Für den Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz sind drei Fälle zu unterscheiden. – Im Regelfall bestehen bezüglich der Konformitätsbewertung mit den im EMVG enthaltenen grundlegenden Schutzanforderungen Europanormen (die jedoch erst dann rechtsverbindlich sind, wenn sie im Amtsblatt der EG gelistet sind) bzw. mit ihnen harmonisierte nationale Normen, deren Fundstellen im Amtsblatt des BMWi veröffentlicht werden. Die Geräte können vom Hersteller selbst oder einem von ihm beauftragten EMVDienstleister (EMV-Testhaus, TÜV, VDE-Prüf- und Zertifizierungsinstitut – „VDE-PZI“, Universitätslabor etc.) gemäß den einschlägigen Normen typgeprüft werden. Meist genügt es jedoch „anhand der maßgebenden Erscheinungen“ die elektromagnetische Verträglichkeit des Gerätes zu bewerten, um festzustellen, ob es die Schutzanforderungen erfüllt. Auf Grundlage des technischen Berichts einer erfolgreich bestandenen Typprüfung oder einer eignen Bewertung „anhand der maßgebenden Erscheinungen“, stellt der Hersteller eine Konformitätserklärung gemäß EMVG [12.13] aus, in der er bestätigt, dass das Erzeugnis und alle nach den gleichen Fertigungsunterlagen hergestellten (baugleichen) Geräte den Schutzanforderungen der Schutzziele der EG-Richtlinien genügen. Diese Konformitätserklärung legitimiert für alle baugleichen Geräte die Verwendung der CE-Konformitätskennzeichnung s. Bild 12.2, die für Kontrollzwecke durch die zuständigen nationalen Behörden vorgesehen ist und nicht für Endverbraucher.

12.4 Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz

463

Bild 12.2: a) CE-Konformitätskennzeichnung, b) Design-Hilfe.

Die Konformitätserklärung existiert in der Regel nur einmal und muss beim Hersteller mindestens 10 Jahre nach letztmaligem Inverkehrbringen eines Geräts aufbewahrt werden. Der Hersteller muss den Inhalt der Konformitätserklärung in einer „Herstellererklärung“ darstellen und seinen Produkten beilegen. (Im Gegensatz beispielsweise zur Maschinensicherheit, bei der eine produktbegleitende Herstellererklärung obligatorisch ist). Die mit der CE-Konformitätskennzeichnung versehenen Geräte dürfen in der gesamten EG in Verkehr gebracht und von jedermann betrieben werden (entspricht der früheren „Allgemeinen Genehmigung“ des HFrG). Eine Ausnahme bilden Sendefunkgeräte, auf die weiter unten eingegangen wird. Falls für das Gerät auch noch andere europäische Richtlinien gelten, beispielsweise bezüglich Maschinensicherheit etc. darf die CEKonformitätskennzeichnung erst dann vergeben werden, wenn das Gerät den Schutzanforderungen aller existierenden Richtlinien genügt. Die CEKonformitätskennzeichnung kann auch bei alleiniger Konformität mit dem EMV-Gesetz verwendet werden, wenn für andere Richtlinien erst zu einem späteren Zeitpunkt die CE-Kennzeichnung verbindlich wird, beispielsweise für die Niederspannungsrichtlinie zum 1.1.97 oder für medizinische Produkte zum 14.6.98. – In bestimmten Fällen genügt ein Gerät nur teilweise den bestehenden Normen, oder es handelt sich um ein Gerät, für das noch keine europäischen Normen existieren. In diesem Fall kann der Hersteller von einer gemäß den Europanormen EN 17025, EN 45002 und EN 45003 sowie EN 17024, EN 45011 bis EN 45014 [12.16] von der BNetzA anerkannten „Benannten Stelle“ (engl.: competent body, z. B. VDEPrüfstelle in Offenbach) eine Konformitätsbescheinigung erlangen. Er kann jedoch auch abweichend davon eine Herstellerselbstbescheinigung in Verbindung mit Anlage I EMVG [12.13] austellen.

464

12 EMV-Normung

Die „Benannte Stelle“ greift auf technische Beschreibungen und eventuell bereits vorhandene Prüfberichte akkreditierter Prüflaboratorien zurück, um die Konformität mit dem EMV-Gesetz zu beurteilen, sie führt jedoch nicht selbst Messungen durch. Die „Benannte Stelle“ muss von einem möglicherweise im gleichen Hause befindlichen Prüflabor personell getrennt sein. Nach Erhalt der Konformitätsbescheinigung darf der Hersteller die bereits oben erwähnte Konformitätserklärung ausstellen. Im Sinne des Gesetzes ist eine benannte Stelle die Stelle, die technische Berichte ausfertigt oder anerkennt und Bescheinigungen über die Einhaltung der grundlegenden EMV-Schutzanforderungen ausstellt und hierzu von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum anerkannt ist. – Schließlich benötigen so genannte Sendefunkgeräte (Mobilfunkgeräte, Sender von Einbruchsicherungsanlagen etc.) zum Nachweis der Konformität eine EG-Baumusterbescheinigung. Diese erlangt ein Hersteller, falls EN-Normen existieren, von einer der EG-Kommission und den Mitgliedsstaaten „Zuständigen Stelle“ (engl.: notified body), in der Bundesrepublik die BnetzA. Im Besitz der EG-Baumusterbescheinigung kann ein Hersteller anschließend wieder eine Konformitätserklärung ausstellen und die CE-Konformitätskennzeichnung verwenden. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Vorgehensweisen, bei denen richtlinienkonforme Geräte anschließend von jedermann betrieben werden dürfen, benötigen Betreiber von Sendefunkgeräten eine zusätzliche, von der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) in Mainz bzw. deren Außenstellen zu erteilende „Besondere Genehmigung“. Sendefunkgeräte, die allgemein genehmigt sind, z. B. CB-Funkgeräte, bedürfen keiner Besonderen Betriebsgenehmigung. Die Erlangung des Nachweises der Konformität mit dem EMV-Gesetz entspricht bezüglich der Emissionen im Wesentlichen dem bisherigen Vorgehen nach dem Hochfrequenzgerätegesetz. Dieses betrifft jedoch allein die Funkentstörung, das heißt nur einen Teilaspekt der EMV, die Störaussendung. Dagegen fordert die Benutzung der CE-Konformitätskennzeichnung die Konformität mit der gesamten EMV, das heißt Störaussendung und Störfestigkeit sowie mit allen weiteren existierenden Richtlinien, z. B. Maschinensicherheit etc. Bild 12.3 zeigt den grundsätzlichen Entscheidungsbaum hinsichtlich der Bestätigung der CE-Konformität mit Ausnahme von Sendefunkgeräten.

12.4 Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz

465

Produkt

Ja

Nein

Normen anwendbar?

Europäische Normen angewandt. (Nötigenfalls bestätigt durch akkreditiertes Prüflabor.)

ProduktDokumentation

Nach Wahl des Herstellers

Interne Fertigungskontrolle

Bescheinigung durch Benannte Stelle Konformitätserklärung

CEKennzeichnung

Bild 12.3: Erlangung der CE-Konformität.

Bei der Kennzeichnung von Produkten mit CE-Konformitätszeichen muss die EMV-Konformitätserklärung mit erstellt werden und ist verbindlicher Teil der Gerätedokumentation. Diese umfasst

a. Technische Unterlagen: Anhand der technischen Unterlagen muss es möglich sein, die Übereinstimmung des Gerätes mit den grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie zu beurteilen. Sie müssen sich auf die Konstruktion und die Fertigung des Gerätes erstrecken und insbesondere Folgendes umfassen: – Datum der Erklärung – eine allgemeine Beschreibung des Gerätes – einen Nachweis der Übereinstimmung des Gerätes mit etwaigen vollständig oder teilweise angewandten harmonisierten EN-Normen

466

12 EMV-Normung

– falls der Hersteller harmonisierte Normen nicht oder nur teilweise angewandt hat, eine Beschreibung und Erläuterung • der zur Erfüllung der grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie getroffenen Vorkehrungen einschließlich einer Beschreibung der vorgenommenen Bewertung der elektromagnetischen Verträglichkeit bei einer Herstellerselbstbescheinigung, • der Ergebnisse der Entwurfsberechnungen, • der durchgeführten Prüfungen, • der Prüfberichte usw. • eine Erklärung der benannten Stelle, sofern diese angerufen wurde.

b. CE-Konformitätserklärung: Die Konformitätserklärung muss mindestens folgende Angaben enthalten: – einen Verweis auf die Richtlinie 2004/108/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 [12.10] – die Identifizierung des Gerätes, für das sie abgegeben wird – Namen, Unterschrift und Anschrift des Herstellers und gegebenenfalls seines Bevollmächtigten in der Gemeinschaft – Gegebenenfalls die Fundstelle der EG-Baumusterbescheinigung (nur bei Funkanlagen). Durch das Anbringen des CE-Konformitätszeichens bestätigt der Inverkehrbringer die Einhaltung aller innerhalb der EG gültigen Richtlinien, Normen und Gesetze, die für das Produkt relevant sind. Dies bedeutet auch die Beachtung nicht EMV relevanter Eigenschaften, wie zum Beispiel Toxizität oder Betriebsicherheit. Das CE-Konformitätszeichen ist jedoch kein Qualitätssiegel und sichert nicht den einwandfreien Betrieb eines Geräts oder dessen Güte zu. Die Sicherstellung der EMV-Konformität muss bereits in der Frühphase der Produktentwicklung einfließen und erfordert einen nicht vernachlässigbaren zeitlichen Aufwand. Allein die Sichtung der anzuwendenden Normen und Interpretation ihrer Anforderungen bedarf einer tiefen Kenntnis des Normungswesens und dessen Umsetzung. Die anzuwendenen Normen sind meist, wie in Abschn. 12.2 beschrieben, unterteilt in Grundnormen/Basic-Standards, Fachgrundnormen/GenericStandards, Produktfamilien- und Produktnormen/Product-Standards.

12.4 Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz

467

Verschiedene europäische Normen unterscheiden 2 Grenzwertklassen hinsichtlich der Störaussendungen. Die Grenzwertklasse A entspricht den typischen Umgebungsbedingungen in Industriegebieten. Die Grenzwertklasse B repräsentiert Umgebungsbedingungen im allgemeinen Wohnbereich. Geräte der Grenzwertklasse A, beispielsweise Arbeitsplatzrechner, dürfen vergleichsweise hohe Störpegel aufweisen. Geräte der Klasse B, beispielsweise Haushaltsgeräte, unterliegen bezüglich ihrer Emissionen schärferen Anforderungen (s. Abschnitt 1.2). Da der Einsatz eines Geräts in der Regel zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht eindeutig bekannt ist, müssen den Geräten Informationen über zu beachtende Einschränkungen für den Betrieb beigelegt werden. Werden Geräte an Orten betrieben, für die sie nicht ausgelegt sind, beispielsweise Betrieb eines Geräts der Klasse A im Wohnbereich, bedürfen sie einer Besonderen Genehmigung der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA, s. Abschn 12.7). Bei Geräten, deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen nach dem EMVG im Wohnbereich nicht gewährleistet ist, ist auf diese Nutzungsbeschränkung in einer vor dem Erwerb erkennbaren Form hinzuweisen. Geräte, die keinen solchen Einschränkungen unterliegen, können nach dem EMVG ohne Genehmigung betrieben werden, was als Betrieb durch jedermann bezeichnet wird. Das früher nach einer Typprüfung durch die VDE-Prüfstelle Offenbach vergebene offizielle Funkschutzzeichen, das sowohl hoheitliche (behördliche) Konformität als auch Normenkonformität bestätigte, entfällt künftig. Da die CE-Kennzeichnung nur hoheitliche Funktion hat und gemäß § 3 des EMVG nicht alle Normen zwingend erfüllt werden müssen, wurde vom VDE als Prüf- und Zertifizierungszeichen das VDE-EMV-Zeichen geschaffen, das von Herstellern freiwillig erlangt werden kann und dem Endbenutzer volle Normenkonformität garantiert, Bild 12.4.

Bild 12.4: Neues Prüf- bzw. Zertifizierungszeichen der VDE Prüfstelle in Offenbach, das dem Endbenutzer volle Normenkonformität garantiert.

468

12 EMV-Normung

Das EMV-Vorschriftenwesen ist auf Grund der Komplexität der Materie, zusätzlich aber auch wegen der europäischen Harmonisierungsbestrebungen und juristischen Übergangsregelungen zum Teil nur schwer durchschaubar. Alle gemachten Angaben gelten deshalb ohne Gewähr. Im Einzelfall sind die aktuellen Normen und der aktuelle Gesetzesstand bei der BNetzA bzw. seinen Außenstellen, dem BMWi sowie von den lokalen Gewerbeaufsichtsämtern zu erfragen.

12.5

Benannte Stellen

Abschnitt 12.4 beschrieb das Verfahren zum Nachweis der Konformität mit dem EMV-Gesetz. Dabei kann eine so genannte Benannte Stelle eingeschaltet werden, wenn – Harmonisierte Normen nicht vorhanden oder nicht angewandt wurden, – Harmonisierte Normen nur zum Teil angewandt wurden oder – Produktzertifizierung nach von der EG nicht anerkannten EMV-Normen notwendig ist. Ein Einschalten einer Benannten Stelle ist jedoch auch unter folgenden Voraussetzungen ratsam: – Es handelt sich um Produktzertifizierungen, bei denen eine Prüfung jedes einzelnen Produktes aufgrund der hohen Zahl ähnlicher Produktvarianten nicht praktikabel ist. – Bei Installationen, bei denen Prüfungen gemäß harmonisierter Normen aufgrund der physikalischen Eigenschaften der Installationen nicht praktikabel sind. Bei Geräten, bei denen der Hersteller europäisch harmonisierte Normen nicht oder nur teilweise angewandt hat oder für die keine Normen vorhanden sind, werden die grundlegenden EMV-Schutzanforderungen als eingehalten betrachtet, wenn die Übereinstimmung mit diesen Schutzanforderungen durch die Bescheinigung einer Benannten Stelle bestätigt wird. Eine Benannte Stelle erstellt ein EMV-Konzept und bewertet das Produkt im Hinblick auf seine EMV-Eigenschaften. In den meisten Fällen basieren die Entscheidungen der Benannten Stellen auf eingeschränkten oder voll-

12.5 Benannte Stellen

469

ständigen EMV-Prüfungen, selten allein auf der Produktdokumentation bzw. der technischen Beschreibung des Produkts. Werden EMV-Prüfungen durchgeführt, so muss sichergestellt sein, dass das beauftragte Prüflaboratorium die betreffenden Anforderungen der europäischen Normen DIN EN ISO/IEC 17025 (Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien.) und DIN EN ISO/IEC 45002 (allgemeine Kriterien zum Begutachten von Prüflaboratorien) erfüllt, Aus diesen Forderungen ergibt sich die organisatorische Trennung von Benannten Stellen und Prüflaboratorien. Ferner ist eine Benannte Stelle angehalten, entweder selbst die Kriterien gemäß DIN EN ISO/IEC 17025 und DIN EN ISO/IEC 45002 nachzuprüfen oder auf akkreditierte EMVLaboratorien zurückzugreifen. Letzteres hat für die EMV-Laboratorien den Vorteil, dass sie mit allen Benannten Stellen zusammenarbeiten dürfen. Um Benannte Stelle in Deutschland werden zu können, ist dies bei der Akkreditierungsstelle der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA), Dienststelle Mainz, zu beantragen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller die in §10 des EMVG [12.13] und die in der Beleihungs- und Anerkennungsverordnung (BAnerkV) angegebenen Voraussetzungen erfüllt. Eine Benannte Stelle muss ein dokumentiertes Qualitätsmanagementsystem entsprechend DIN EN 45011 [12.16] unterhalten (allgemeine Anforderungen an Stellen, die Produktzertifizierungssysteme betreiben). Aus dieser Norm heraus wurde bezüglich der zutreffenden Kriterien ein Fragenkatalog entwickelt, der sowohl den Antragstellern als auch den von der BNetzA anerkannten Begutachtern als Bewertungsgrundlage im Anerkennungsverfahren dient. Bei der Begutachtung der Benannten Stelle wird großer Stellenwert auf den Nachweis der Kompetenz des Personals gelegt. Es wird insbesondere eine umfassende Kenntnis aller EMV-Phänomene erwartet. Eine entsprechende Berufsausbildung und -erfahrung ist nachzuweisen. Außerdem muss aktuelles EMV-Wissen während der Begutachtung durch die korrekte Beantwortung individueller fachlicher Fragen nachgewiesen werden. Wichtigste Anforderungen an die Benannten Stellen sind demnach: – Personal, Mittel und apparative Ausstattung – technische Kompetenz, berufliche Integrität

470

12 EMV-Normung

– Unabhängigkeit und Verschwiegenheit von Führungskräften und Personal – Erfüllen zutreffender Forderungen, insbesondere nachfolgender Einzelanforderungen – Haftpflichtversicherung – freier Zugang der Benannten Stelle für Dritte – umfassendes Qualitätsmanagementsystem entsprechend DIN EN ISO/ IEC 17025 -

Mitgliedschaft im Gremium der nationalen Benannten Stellen

Alle deutschen Benannten Stellen werden nach ihrer Anerkennung im Amtsblatt der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen aufgeführt. Das Amtsblatt sowie Antragsunterlagen und weitere Informationen können unter http://www.bundesnetzagentur.de bezogen werden.

12.6

EMV - Normen

Nachstehend werden derzeit existierende DIN VDE-Normen und in der Diskussion befindliche Entwürfe nach Problemkreisen beziehungsweise historisch gewachsenen Begriffen (z. B. Funk-Entstörung) geordnet aufgelistet. Eine kompakte Darstellung des Inhalts dieser Normen findet sich im DIN VDE-Taschenbuch „Elektromagnetische Verträglichkeit 1“ [B23] sowie im DIN VDE-Taschenbuch „Funk-Entstörung“ [B26] (Anschriften zur Bestellung von Normen siehe Abschn. 12.7). Im Allgemeinen stimmen die DIN VDE-Vorschriften dank CISPR bzw. CENELEC in wesentlichen Teilen mit den Vorschriften anderer Länder und den harmonisierten Europäischen Normen weitgehend überein. Ergänzend werden am Ende einer jeden Gruppe auch einige von anderen Gremien herausgegebene branchenspezifische EMV-Richtlinien bzw. Empfehlungen aufgeführt. Die Zuordnung der Normen zu den verschiedenen Problemkreisen ist nicht strikt und mag abhängig vom Standpunkt des Lesers sicher gelegentlich verhandlungsfähig sein. Die hier vorgenommene Strukturierung erlaubt jedoch einen ersten Überblick und hat sich in der Vergangenheit gut bewährt.

12.6 EMV-Normen

471

Zum schnellen Auffinden von Europanormen bzw. entsprechenden nationalen Normen enthält Abschn. 12.6.2 eine Auflistung aller Europanormen nach fortlaufenden Nummern geordnet. Das EMV-Vorschriftenwesen unterliegt wegen der bereits oben erwähnten Harmonisierungsbestrebungen und insbesondere wegen der, zur klassischen Funk-Entstörung hinzugekommenen, zahlreichen neuen Themen stets dem Wandel, so dass die Auflistungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

12.6.1 EMV - Normen nach Problemkreisen geordnet I. Funk-Entstörung und Störschutzmaßnahmen: DIN VDE 0839 Teil 6-3: Ausgabe 06.05 (EN 61000-6-3)

EMV; Fachgrundnorm Störaussendung; Teil 1: Wohnbereich, Geschäfts- und Gewerbebereiche sowie Kleinbetriebe.

DIN VDE 0839 Teil 6-4: Ausgabe 08.02 (EN 61000-6-4)

EMV; Fachgrundnorm Störaussendung; Teil 2: Industriebereich.

DIN VDE 0845 Teil 1: Ausgabe 10.87

Schutz von Fernmeldeanlagen gegen Blitzeinwirkungen, statische Aufladungen und Überspannungen aus Starkstromanlagen; Maßnahmen gegen Überspannungen.

DIN VDE 0872 Teil 13: Ausgabe 10.06 (EN 55013)

Ton- und Fernseh-Rundfunkempfänger und verwandte Geräte der Unterhaltungselektronik Funkstöreigenschaften - Grenzwerte und Messverfahren

DIN VDE 0873 Teil 1: Ausgabe 05.82

Maßnahmen gegen Funkstörungen durch Anlagen der Elektrizitätsversorgung und elektrischer Bahnen; Funkstörungen durch Anlagen ab 10 kV Nennspannung.

DIN VDE 0873 Teil 2: Ausgabe 06.83

Maßnahmen gegen Funkstörungen durch Anlagen der Elektrizitätsversorgung und elektrischer Bahnen; Funkstörungen durch Anlagen unter 10 kV Nennspannung und durch elektrische Bahnen.

DIN VDE 0875 Teil 11: Ausgabe 08.03 (EN 55011, CISPR 11)

Industrielle, wissenschaftliche und medizinische Hochfrequenzgeräte (ISM-Geräte) – Funkstörungen - Grenzwerte und Messverfahren

DIN VDE 0875 Teil 14: Ausgabe 09.03

Elektromagnetische Verträglichkeit – Anforderungen an Haushaltgeräte, Elektrowerkzeuge und ähn-

472

12 EMV-Normung

(EN 55014, CISPR 14)

liche Elektrogeräte, Teil 1: Störaussendung

DIN VDE 0875 Teil 15: Ausgabe 09.03 (EN 55015, CISPR 15)

Grenzwerte und Messverfahren für Funkstörungen von elektrischen Beleuchtungseinrichtungen und ähnlichen Elektrogeräten

DIN VDE 0878 Teil 22: Ausgabe 09.03 (EN 55022, CISPR 22)

Einrichtungen der Informationstechnik – Funkstöreigenschaften - Grenzwerte und Messverfahren

DIN VDE 0879 Teil 1: Ausgabe 12.05 (EN 55012, CISPR 12)

Fahrzeuge, Boote und von Verbrennungsmotoren angetriebene Geräte – Funkstöreigenschaften, Grenzwerte und Messverfahren zum Schutz von Empfängern mit Ausnahme derer, die in den Fahrzeugen, Booten, Geräten selbst oder in benachbarten Fahrzeugen, Booten, Geräten installiert sind

DIN VDE 0879 Teil 2: Ausgabe 11.03 (EN 55025, CISPR 25)

Funk-Entstörung zum Schutz von Empfängern in Fahrzeugen, Booten und Geräten - Grenzwerte und Messverfahren

EWG 72/245 Annex 1:

Requirements to be met by vehicles.

EWG 72/245 Annex 2:

Model Information Document for EEC type approval of a vehicle in respect of its Electromagnetic Compatibility.

EWG 72/245 Annex 3:

EEC Type Approval Certificate in respect of a vehicle's Electromagnetic Compatibility.

RTCA-DO160 E Ausgabe 12.04

Environmental conditions and test procedures for airborne equipment

II. Netzrückwirkungen einschließlich Bordnetze: DIN VDE 0838 Teil 1: Ausgabe 06.87 (EN 60555-1)

Rückwirkungen in Stromversorgungsnetzen, die durch Haushaltgeräte und durch ähnliche elektrische Einrichtungen verursacht werden; Teil 1: Begriffe.

DIN VDE 0838 Teil 2: Ausgabe 10.06 (EN 61000-3-2)

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) Teil 32: Grenzwerte - Grenzwerte für Oberschwingungsströme (Geräte-Eingangsstrom =< 16 A je Leiter)

DIN VDE 0838 Teil 3: Ausgabe 06.06 (EN 61000-3-3)

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) Teil 33: Grenzwerte - Begrenzung von Spannungsänderungen, Spannungsschwankungen und Flicker in öffentlichen Niederspannungs-Versorgungsnetzen für Geräte mit einem Bemessungsstrom 16 A je

12.6 EMV-Normen

473 Leiter, die keiner Sonderanschlussbedingung unterliegen

DIN 40 839 Teil 1: Ausgabe 10.92 ISO 7637 Part 0: Ausgabe 08.90

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) in Kraftfahrzeugen. Leitungsgebundene Störgrößen, 12 V Bordnetze. Road vehicles - Electrical disturbance by conduction and coupling. Definitions and General.

ISO 7637 Part 1: Ausgabe 2002

Road vehicles - Electrical disturbances from conduction and coupling - Part 1: Definitions and general considerations

ISO 7637 Part 2: Ausgabe 2004

Road vehicles - Electrical disturbances from conduction and coupling - Part 2: Electrical transient conduction along supply lines only

ISO 7637 Part 3: Ausgabe 1995

Road vehicles - Electrical disturbance by conduction and coupling - Part 3: Vehicles with nominal 12 V or 24 V supply voltage - Electrical transient transmission by capacitive and inductive coupling via lines other than supply lines

III. Entstörmittel: VDE 0565 Teil 1: Ausgabe 02.02 (EN 60384-1)

Festkondensatoren zur Verwendung in Geräten der Elektronik - Fachgrundspezifikation

VDE 0565 Teil 1-1: Ausgabe 04.06 (EN 60384-14)

Festkondensatoren zur Verwendung in Geräten der Elektronik - Teil 14: Rahmenspezifikation – Festkondensatoren zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen, geeignet für Netzbetrieb

VDE 0565 Teil 1-2: Ausgabe 04.06 (EN 60384-14-1)

Festkondensatoren zur Verwendung in Geräten der Elektronik - Teil 14-1: Vordruck für Bauartspezifikation - Festkondensatoren zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen, geeignet für Netzbetrieb - Bewertungsstufe D

VDE 0565 Teil 1-3: Ausgabe 07.05 (60384-14-2)

Festkondensatoren zur Verwendung in Geräten der Elektronik - Teil 14-2: Vordruck für Bauartspezifikation - Kondensatoren zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen, geeignet für Netzbetrieb - Nur Sicherheitsprüfungen

VDE 0565 Teil 1-4: Ausgabe 07.05 (EN 60384-14-3)

Festkondensatoren zur Verwendung in Geräten der Elektronik - Teil 14-3: Vordruck für Bauartspezifikation - Kondensatoren zur Unterdrückung

474

12 EMV-Normung elektromagnetischer Störungen, geeignet für Netzbetrieb - Bewertungsstufe DZ

VDE 0565 Teil 2: Ausgabe 11.00 (EN 60938-1)

Drosseln zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen - Fachgrundspezifikation

VDE 0565 Teil 2-1: Ausgabe 11.00 (EN 60938-2)

Drosseln zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen - Rahmenspezifikation

VDE 0565 Teil 2-2: Ausgabe 12.00 (EN 60938-2-1)

Drosseln zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen - Teil 2-1: Vordruck für Bauartspezifikation; Drosseln, für die Sicherheitsprüfungen erforderlich sind - Bewertungsstufe D

VDE 0565 Teil 2-2: Ausgabe 12.00 (EN 60938-2-2)

Drosseln zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen - Vordruck für Bauartspezifikation; Drosseln, für die nur Sicherheitsprüfungen erforderlich sind

VDE 0565 Teil 3: Ausgabe 05.06 (EN 60939-1)

Passive Filter für die Unterdrückung von elektromagnetischen Störungen - Teil 1: Fachgrundspezifikation

VDE 0565 Teil 3-1: Ausgabe 05.06 (EN 60939-2)

Passive Filter für die Unterdrückung von elektromagnetischen Störungen - Teil 2: Rahmenspezifikation: Filter, für die Sicherheitsprüfungen vorgeschrieben sind - Prüfverfahren und allgemeine Anforderungen

VDE 0565 Teil 3-2: Ausgabe 08.05 (EN 60939-2-1)

Vollständige Filter zur Unterdrückung von Funkstörungen - Teil 2-1: Vordruck für Bauartspezifik. – Pass.ive Filter zur Unterdrückung elektromagn. Störungen - Filter, für die Sicherheitsprüfungen vorgeschrieben sind (Bewertungsstufe D/DZ)

VDE 0565 Teil 3-3: Ausgabe 08.05 (EN 60939-2-2)

Vollständige Filter zur Unterdrückung von Funkstörungen - Teil 2-2: Vordruck für Bauartspezifikation - Passive Filter zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen - Filter, für die Sicherheitsprüfungen vorgeschrieben sind (nur Sicherheitsprüfungen)

VDE V 0565: Ausgabe 12.98

Leitfaden für die Anwendung von Kondensatoren, Widerständen, Drosseln und vollständigen Filtereinheiten zur Unterdrückung elektromagnetischer Störungen

DIN VDE 0845 Teil 1: Ausgabe 10.87

Schutz von Fernmeldeanlagen gegen Blitzeinwirkungen, statische Aufladungen und Überspannungen aus Starkstromanlagen

12.6 EMV-Normen

475

IV. Emissionsmesstechnik: DIN VDE 0876-16 Teil 1-1 Ausgabe 04.06 (EN 55016-1-1, CISPR 16-1-1)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 1-1: Geräte und Einrichtungen zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Messgeräte

DIN VDE 0876-16 Teil 1-2 Ausgabe 09.05 (EN 55016-1-2, CISPR 16-1-2)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 1-2: Geräte und Einrichtungen zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Zusatz-/Hilfseinrichtungen - Leitungsgeführte Störaussendung

DIN VDE 0876-16 Teil 1-3 Ausgabe 09.05 (EN 55016-1-3, CISPR 16-1-3)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 1-3: Geräte und Einrichtungen zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Zusatz-/Hilfseinrichtungen - Störleistung

DIN VDE 0876-16 Teil 1-4 Ausgabe 09.06 (EN 55016-1-4, CISPR 16-1-4)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 1-4: Geräte und Einrichtungen zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Zusatz-/Hilfseinrichtungen - Gestrahlte Störaussendung

DIN VDE 0876-16 Teil 1-5 Ausgabe 09.05 (EN 55016-1-5, CISPR 16-1-5)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 1-5: Geräte und Einrichtungen zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Messplätze für die Antennenkalibrierung von 30 bis 1000 MHz

DIN VDE 0876-16 Teil 4-2 Ausgabe 09.05 (EN 55016-4-2, CISPR 16-4-2)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 4-2: Unsicherheiten, Statistik und Modelle zur Ableitung von Grenzwerten (Störmodell) - Unsicherheit bei EMV-Messungen

DIN VDE 0877-16 Teil 2-1 Ausgabe 05.06 (EN 55016-2-1, CISPR 16-2-1)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und

476

12 EMV-Normung Störfestigkeit - Teil 2-1: Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Messung der leitungsgeführten Störaussendung

DIN VDE 0877-16 Teil 2-2 Ausgabe 05.06 (EN 55016-2-2, CISPR 16-2-2)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 2-2: Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Messung der Störleistung

DIN VDE 0877-16 Teil 2-3 Ausgabe 03.06 (EN 55016-2-3, CISPR 16-2-3)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 2-3: Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Messung der gestrahlten Störaussendung

DIN VDE 0877-16 Teil 2-4 Ausgabe 09.05 (EN 55016-2-4, CISPR 16-2-4)

Anforderungen an Geräte und Einrichtungen sowie Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Teil 2-4: Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit - Messungen der Störfestigkeit

DIN VDE 0838 Teil 11: Ausgabe 04.01 (EN 61000-3-11)

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) Grenzwerte - Begrenzung von Spannungsänderungen, Spannungsschwankungen und Flicker in öffentlichen Niederspannungs-Versorgungsnetzen Geräte und Einrichtungen mit einem Bemessungsstrom