Electric Laokoon: Zeichen und Medien, von der Lochkarte zur Grammatologie 9783050078175, 9783050035048

Schon im 18. Jahrhundert standen die Funktionen der poetischen und künstlerischen Zeichen in einem breiten Kontext versc

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German Pages 378 [380] Year 2007

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Electric Laokoon: Zeichen und Medien, von der Lochkarte zur Grammatologie
 9783050078175, 9783050035048

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ELECTRIC LAOKOON

LITERATURFORSCHUNG

Herausgegeben fur das Zentrum fur Literaturforschung von Eberhard Lämmert und Sigrid Weigel

Historische und systematische Studien zu einer vergleichenden Zeichentheorie der Künste

1. Michael Franz, Von Gorgias bis Lukrez. Antike Ästhetik und Poetik als vergleichende Zeichentheorie 2. Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert, hrsg. von Inge Baxmann, Michael Franz und Wolfgang Schaffner in Zusammenarbeit mit Bernhard Siegert und Robert Stockhammer 3. Electric Laokoon. Zeichen und Medien, von der Lochkarte zur Grammatologie, hrsg. von Michael Franz, Wolfgang Schaffner, Bernhard Siegert und Robert Stockhammer

ELECTRIC LAOKOON Zeichen und Medien, von der Lochkarte zur Grammatologie

Herausgegeben von Michael Franz, Wolfgang Schaffner, Bernhard Siegert und Robert Stockhammer

Akademie Vorlag

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Titelbild: Vorschlag fur eine pathognomische Korrektur am Laokoon-Kopf aus: Guillaume-Benjamin Duchenne, Mécanisme de la physionomie humaine ou analyse électro-physiologique de l'expression des passions applicable à la pratique des arts plastiques, Paris 1862 Redaktion: Gabriele Gast, Robert Stockhammer

ISBN 978-3-05-003504-8 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2007 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder Ubersetzt werden. Einband- und Reihengestaltung: Petra Horath, Berlin Satz: 01denbourg:digital GmbH, 85551 Kirchheim/Heimstetten Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

Einführung

VII

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

ι

1. Die Geburt der Literatur aus dem Rauschen der Kanäle. Zur Poetik der phatischen Funktion (Bernhard Siegert)

5

2. Exakte Texte. Francis Ponge und die Elektrizität (Robert Stockhammer)

42

3. Vom elektrifizierten Ausdruck zur elektrifizierten Statue (Michael Franz)

58

HUMAN MOTOR / RAUM / BEWEGUNG

77

1. »Induction psycho-motrice«. Zur technischen Wiederkehr der Kunst in Hysterie und Hypnose (Hans-Christian von Herrmann)

82

2. Der >labile Mensch< als Kulturideal. Wahrnehmungsutopien der Moderne (Inge Baxmann)

97

3. Beziehungsweise Zeit. Die Rückkopplung im anthropologischen Film (Ute Holl)

118

4. Bewegungslinien. Analoge Aufzeichnungsmaschinen (Wolfgang SchäfFner)

130

DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

147

1. Wahrnehmungsmaschinen. Wie Charles Cros das Sehen digitalisierte (Alexandre Métraux)

153

2. Das Unsichtbare im Film. Zu Fritz Langs M (Anton Kaes)

172

3. Die Materialität des Bildes bei Michel Foucault (Wolfgang Schaffner)

182

VI

INHALTSVERZEICHNIS

SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

195

1. Standards und Semiotik (Robert Brain)

200

2. Schlangenreden. Magie und Sprache um 1900 (Robert Stockhammer)

224

3. »Mehr als stilistische Differenzen«. Zur Debatte zwischen Derrida und Searle (Rodolphe Gasché)

243

SCHALTEN / RECHNEN / STEUERN

265

1. Zwischen Linguistik und Kybernetik. Lacans Diskurs der Psychoanalyse (Annette Bitsch)

270

2. Zeichen in Eigenregie. Über die Welt der Maschine als symbolische Welt (Bernhard J. Dotzler)

291

3. Electric Graphs. Charles Sanders Peirce und die Medien (Wolfgang Schaffner)

313

ANHANG

327

Literaturverzeichnis

329

Namenverzeichnis

347

Einführung Does not electricity mean more now than it did in the days of Franklin?

Charles S. Peirce

Die Statue des Laokoon, die Lessing zum Emblem der Frage nach den Zeichen erhoben hatte, verliert im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts ihre anthropomorphen Konturen. Denn durch die Entstehung von Polygraph, Film und Computer gibt der Mensch einen guten Teil seiner für ihn als animal rationale konstitutiven Funktionen an symbolische Maschinen ab; und umgekehrt wird sein Wesen in einem Unbewußten lokalisiert, das seinerseits als ebenso symbolisch wie maschinell erscheint. Maschinen sind von Zeichenprozessen nicht ablösbar, weil diese wie jene funktionieren, weil Signale an oder von Maschinen aus dem Bereich der Semiose nicht auszuschließen sind, weil das Sprechen über Maschinen von deren Funktionieren nicht scharf getrennt werden kann und weil das Kommunizieren durch Maschinen von diesen entscheidend verändert wird. Deshalb ist das Emblem für die Frage nach den Zeichen im Zeitalter ihrer Technisierung Electric Laokoon: keine Statue mehr, sondern eine elektrifizierte Figur. Er ist eher ein Anti-Laokoon, eine Umarbeitung und Umkehrung seines Vorgängers, dessen Platz und Eigenschaften er Punkt fur Punkt umcodiert und umwertet: Er rotiert, er bewegt sich ruckweise, er zuckt, er flimmert und oszilliert, er steuert, er schaltet und unterbricht. War Laokoon noch eine pygmalionische Ikone der Ausdrucks· und Illusionsästhetik, so ist Electric Laokoon eine daidalische Maschine, fur deren Betrieb Techniker und Ingenieure notwendig werden (58 ff.)1. Die lesbaren Gemütsbewegungen werden ersetzt durch einen Verbund von Bewegungen und Elektrizität, in dem Bewegungen durch Generatoren Elektrizität erzeugen und umgekehrt Elektrizität durch Induktion wieder Bewegung hervorbringt. Sind Zeichen die allgemeine epistemische Operationsform der Zirkulation des Wissens, so bilden zeichenbasierte Medien die ingenieurtechnische Operationsform fur Nah- und Fernübertragungen, für Großtechnologien ehemals rein geistiger Prozesse. Während Laokoon als Präzedenz- und Grenzfall der Darstellbarkeit im 18. Jahrhundert die Frage nach den Zeichen aufgeworfen hatte, rücken nun gerade diese Formen des Undarstellbaren in Formate technischer Darstellbarkeiten und Operationen. Wenn nämlich der Schrei 1

Auf Teile dieses Buches, in denen die entsprechenden Themen und Aspekte weiter ausgeführt wer-

den, wird hier wie im folgenden durch Seitenverweise im Text hingewiesen.

EINFÜHRUNG

des Laokoon fur Lessing als bloße »Öffnung des Mundes« in der Malerei nichts als »ein Fleck« und in der Bildhauerei nur als »eine Vertiefung« erschien und deshalb die Grenzen der Darstellung der Künste und Zeichen überschritt und von ihnen ausgeschlossen werden sollte, so sind es gerade diese Formen der Unterbrechung und Abwesenheit, Löcher und Einschnitte, diese Figuren der Abwesenheit, des Undarstellbaren oder des pathologischen Einbruchs des Realen, die zu den Basisoperationen des Electric Laokoon als eines Anti-Laokoon werden. Ansätze dazu gab es bereits im Laokoon-Paradigma des 18. Jahrhunderts — wie es der Band rekonstruierte, an den der vorliegende anknüpft. Schon dort war nicht nur die Optimierung von Maschinen in zunehmend reflektierter Weise abhängig von der Optimierung der Beschreibung von Maschinen.2 Überdies haben in jenem Jahrhundert autonome Künsder-Subjekte und Automaten gleichzeitig zu funktionieren begonnen, so daß ihm - um es nur am Bereich der Musik zu exemplifizieren - außer der freien Fantasie auch die Musikautomaten zu verdanken sind. Und deren »Geburt [...] aus der Textiltechnik«3 ist nicht nur deshalb offenbar, weil Jacques de Vaucanson außer mechanischen Flötenspielern auch ebensolche Webstühle konstruierte, sondern vor allem auch deshalb, weil beide Typen von Maschinen auf einer gemeinsamen Fähigkeit beruhten: Es waren die ersten Maschinen, die >lesen< konnten, die symbolische Anweisungen ohne das Interferieren von Menschen in Aktion oder Produktion umzusetzen vermochten, die also >Informationsverarbeitung< betrieben. Während Vorformen der Lochkarte und deren Implementierung in mechanische Webstühle schon auf 1728 datieren, erfolgte ihre massenhafte Verbreitung jedoch erst ein Jahrhundert später dank der Optimierung des Geräts durch Joseph-Marie Jacquard (297ff.).4 Seither hat die Lochkarte über Hollerith bis ins 20. Jahrhundert alle Neuerungen der Zeichen- und Informationstechniken überstanden und wurde im Jahr 2000 sogar zum Protagonisten bei der Wahl des mächtigsten Präsidenten der Erde. In ihrer maschinell durchgeführten regelmäßigen Lektüre mit konstantbleibendem Präzisionsgrad liegt der Vorteil gegenüber dem human factor beim Lesen. Das nützten und nützen Instrumente wie mechanische Flötenspieler oder Klaviere von Vaucanson bis Nancarrow zur Erzeugung von Takten, die kein Mensch zählen oder spielen könnte. Der signifikante Teil der Lochkarte scheint sich in der Abwesenheit des Kartenkartons nachgerade zu immaterialisieren - doch hat sich bei der Auszählung jener US-Präsidentenwahl in Palm Beach County, Florida, die Frage dramatisiert, wo die Grenze zwischen der Anwesenheit eines Zeichens qua Abwesenheit und der schlichten Abwesenheit von Zeichen, zwischen einem Null-Graphem und dem Nullpunkt der Graphie anzusetzen wäre: Sind bestimmte Perforierungen und Einbuchtungen des Papiers insignifikante Beschädigungen des Materials, oder sind sie als Loch und damit als Zeichen eines Wählerwillens zu werten? Die Antwort darauf und damit die Entscheidung über die

2 Vgl. Inge Baxmann/Michael Franz/Wolfgang Schaffner (Hrsg.), Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 420-425. 3 Ebd., S. 323. 4 Eine ausfuhrliche Beschreibung des Einlesens der Jacquaidschen Lochkarten liefert Donald Cardwell, Viewegs Geschichte der Technik, Braunschweig - Wiesbaden 1997, S. 121 f.

EINFÜHRUNG

amerikanische Präsidentschaft geriet unfreiwillig zur Sache einer grammatologischen Analyse - zum Gegenstand einer erweiterten Grammatologie, die auch den ganz handfesten, materialen Aspekten von Papiermaschinen Rechnung trägt.

1. Neue Laokoon-Debatten Über die »kläglichen Mißgeburten« von Vaucanson und seinesgleichen kann Thomas Alva Edison, wie er als »Zauberer von Menlo Park« schon im Alter von noch nicht einmal vierzig Jahren zum Protagonisten eines Romans avancierte, allerdings nur lachen. Wenn er 1886 - in der Phantasie von Villiers de l'Isle-Adam, die in jedem einzelnen Element auf dem Stand der Dinge ist - L'Èvefiiturekonstruiert, so kann er sich auf ein anderes Dispositiv von Techniken und Verfahren stützen als die Automatenbauer des 18. Jahrhunderts: auf die Elektrizität, »jene überraschende Lebenskraft«, die zum ersten Mal einen Androiden bewegen soll; auf die Hypnose, deren Zugehörigkeit zum Bereich der Wissenschaften sich Jean-Martin Charcot 1882 von der Académie des Sciences hatte bestätigen lassen; auf Phonographen, die Edison mit Sätzen von den größten Dichtern und subtilsten Metaphysikern bespielt, um sie der Eva der Zukunft an der Stelle von Lungenflügeln einzusetzen.5 Sein Selbstmißverständnis liegt wohl nur darin, daß er damit Die Frau zu konstruieren meint — wohingegen er eher als der Ingenieur des Electric Laokoon in die Geschichte einzugehen verdiente. Deshalb begleitet Villiers' Roman die einzelnen Abschnitte dieses Bandes. Wenn >Phonographs Papa< die Dichtung in sein Kind implementiert, so sorgt er damit fur eine neue Variante des Zusammenhangs von schönen und nützlichen Künsten. Denn diese beiden sind nicht so trennscharf zu unterscheiden, wie eine bestimmte Autonomie-Ästhetik glauben machen will. Immerhin beruhten bereits im 18. Jahrhundert die schöne Kunst des Flötenspielers und die nützlichen Produkte des Webstuhls auf derselben Lochkarten-Technik. Deshalb ließ sich schon das LaokoonParadigma nicht auf die Domäne der bildenden und sprachlichen Künste und nicht auf Lessings Frage beschränken, welche Zeichenordnung welchem Medium >vorteilhaft< sei. Oder vielmehr: Gerade um alle semiotischen Implikationen zu erschließen, die auch im Bereich der Künste am Werk sind, hatte es sich als notwendig erwiesen, Zeichentheorien und -praktiken in den verschiedensten Feldern zu erkunden. Die poetische Zeichenverwendung mag zwar spezifischen Gesetzen folgen, ist aber gleichwohl eingebunden in andere Zeichenpraktiken, die unterschiedlichsten Diskursfeldern und Machttechniken beigeordnet sind, und teilt deswegen mit diesen gemeinsame Prämissen wie die der Evidenz, der Steuerbarkeit oder Operationalisierbarkeit. Dies fuhrt stets auch zu Spannungsverhältnissen, wenn etwa Lessing selbst als Dichtungstheoriker an der Mündlichkeitsvoraussetzung festhielt, während er doch als Bi-

5

Vgl. Philippe-Auguste Villiers de l'Isle-Adam, L'Ève future (1886), Paris 1992; dt. von Anette Kolb u.d.T.: Edisons Weib der Zukunft (1909), revidiert u. d. T.: Die Eva der Zukunft, München 1972, S. 107f., 234 f. u. 277.

IX

X

EINFÜHRUNG

bliotheksleiter, bald nach der Abfassung des Laokoon, mit der Adressierbarkeit gigantischer Bücherspeicher befaßt war.6 Gleichwohl wurde noch im 20. Jahrhundert eine immanent kunsttheoretische Debatte fortgeführt, die sich noch immer auf Lessings Laokoon bezog, der dabei teils als Apotrop eines ästhetischen Purismus gegen die Konfusion der Künste aufgeboten, teils als Leittext fur deren kontrollierte »Verkoppelung« in Anspruch genommen wurde (3 f.). Im Verlauf dieser Debatten wurde sogar noch ein neues Medium wie der Film einfach in die Ordnung der klassischen Künste eingereiht. So hat Rudolf Arnheim die medientechnischen Fragen nach dem Verhältnis von Sichtbarem und Sagbarem im Sprechfilm unter dem bezeichnenden Titel »Neuer Laokoon« 1938 auf Lessings Distinktion zurückbezogen.7 Weil Arnheim einerseits ganz in Lessingscher Manier den Purismus der Künste vertritt, kann fur ihn der Tonfilm nur das »verwirrende Nebeneinander zweier Stimmen« verkörpern, »die jede ihre Sache nur halb sagen können, weil sie einander stören«. Diesen überkommenen Purismus der Künste, nach dem sich die »Eigenart der Dichtung« von der Malerei fundamental unterscheide, begründet Arnheim andererseits mit der sinnlichen und nicht zuletzt medientechnischen Differenz von optischer und akustischer Sphäre. Trotz dieser »Materialschranke« können diese Elemente zwar in mittelbarer Weise in Beziehung zueinander gebracht werden. Doch eine solche Verbindung des bewegten Bildes mit dem Sprechen ist fur Arnheim im neuen Medium Film ebenso schwierig wie in der alten Kunst der Malerei. Deshalb belege auch der Film die »Unmöglichkeit einer >echten< Verschweißung von Wort und Bild«, die sich vor allem an der »Bruchstückhaftigkeit des Dialogteils« gegenüber den kontinuierlichen Bildern verdeudicht.8 Zu entgegengesetzten Ergebnissen kommt jedoch ein Jahr später Sergej Eisenstein vor allem hinsichtlich des Zeichentrickfilms, den auch Arnheim als höchste Kunstform des Films versteht:9 »[...] it is only in cinema that are fused into a real unity all those separate elements of the spectacle once inseparable in the dawn of culture, and which the theatre for centuries has vainly striven to amalgamate anew.«10

2. Elektrifizierung der Zeichen und Medien Eröffnet der Tonfilm also einerseits neue Möglichkeiten der künstlerischen Selbstreflexion (172 ff.), liefert er andererseits als Aufzeichnungsmedium aber auch - etwa in der Ethnologie - neue Verfahren des Dokumentarischen, des Beweises, der Erkennt-

6

Vgl. Baxmann/Franz/Schäffner (Hrsg.), Das Laokoon-Paradigma, S. 47-51. Vgl. Rudolf Arnheim, »Neuer Laokoon. Die Verkoppelung der künsderischen Mittel, untersucht anläßlich des Sprechfilms« (1938), in: ders., Kritiken und Aufiätze zum Film, hrsg. von Helmut H. Diederichs, München 1977, S. 81-112. 7

8

Ebd., S. 82-89. » Vgl. ebd., S. 91 f. 10 Sergej Eisenstein, Film Forum. Essays in Film Theory, hrsg. u. übers, von Jaγ Leyda, San Diego - New York- London 1977, S. 181 f.

EINFÜHRUNG

nis oder der Manipulation (118 ff.). Selbst wenn Arnheim also noch beharrlich daran festhält, daß »die Ausdrucksmittel des Films [...] im Prinzip von der gleichen Art wie in der Malerei« sind, steht der Film im Zeichen des Electric Laokoon. Denn die Filmmaschine ist in doppeltem Sinne elektrifiziert: zum einen durch das elektrische Licht, das zum eigendichen Bildträger wird, zum anderen durch den Elektromotor, der die Filmrolle und damit die Bilder in Bewegung versetzt. Das Bewegungsbild kann zwar noch die Leinwand mit der Malerei als Aktionsfläche gemeinsam haben oder auf Zeichnungen beruhen, nimmt jedoch eine völlig neue, nämlich mechanische und schließlich elektrotechnische Seinsweise an: Die Drehbewegung der Filmmaschine ist Teil eines auf Rotation basierenden Maschinendispositivs, das sich im 19. Jahrhundert in unterschiedlichsten Formen ausbreitet; das Kino gehört zur Kinematik. Der Maschinenbau-Theoretiker Franz Reuleaux hat dieser Rotationstechnisierung 1875 geradezu metaphysische Dimensionen zugesprochen: So wie der alte Philosoph die stetige allmähliche Veränderung der Dinge einem Fliessen verglich, und sie in den Spruch zusammendrängte: >AllesfließtAlles rollt!« Durch die ganze Maschine hindurch kommt, verdeckt oder offen, dasselbe Grundgesetz des Rollens in der gegenseitigen Bewegung der Theile zur Geltung, indem wir auch die gradlinige Gleitung als ein Rollen auf unendlich fernen Bahnen ansehen können. [...] In der Maschine dagegen fuhrt die künsdiche Beschränkung der Bewegung dazu, dass die rollenden Figuren Bestand haben [...]. Hier durchlaufen diese Figuren ungezählte Male periodisch ihre gegenseitigen Lageveränderungen [...]. Für den praktischen Mechaniker [...] ist deshalb die Maschine auf besondere Art belebt durch die Uberall in ihr rollenden geometrischen Gebilde. Einzelne derselben treten leibhaftig hervor, wie an den Riemscheiben, den Reibungsrädern, ζ. B. denjenigen der Eisenbahnen. [...] Sie alle vollfuhren, theils vor dem leiblichen, theils vor dem geistigen Auge des Kinematikers ihr seltsames unermüdliches Spiel.11 Im Dispositiv der Rotation treffen Faradays Räderapparat und Induktionsspulen zusammen mit den graphischen Aufzeichnungsgeräten, die auf rotierende Walzen schreiben (130 ff.), Lesegeräten wie dem Grammophon, aber auch mit Joseph Plateaus stroboskopischen Scheiben und schließlich den Filmmaschinen der Brüder Lumière. In alle grundlegenden zeichen- und medientechnischen Operationsformen, in Schreiben und Lesen, in Bilder und Töne wird im 19. Jahrhundert mit der Rotation ein gänzlich unorganischer Bewegungstyp eingesenkt. Die Technisierung der Zeichen ist also in besonderer Weise mit Drehmechanismen verbunden, die aus nebeneinanderstehenden Zeichen sequentielle Zeichen in der Zeit erzeugen. Dieselbe Rotation prägt auch die Technisierung und Maschinisierung von Bewegung, da mit der Verknüpfung von Elektrizität und Magnetismus elektrische Maschinen möglich wurden: Generatoren, die, indem sie Drahtspulen in einem Magnetfeld rotieren lassen, Strom erzeugen, der

11 Franz Reuleaux, Theoretische Kinematik. Grundzüge einer Theorie des Maschinenwesens, Braunschweig 1875, S. 87 f.

XI

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EINFÜHRUNG

seit den 1880er Jahren in Form von Gleichstrom, Wechsel- und Drehstrom in großem Stil zunächst vor allem fur künstliche Beleuchtung eingesetzt wurde. Damit allerdings war, seit dem Beginn der Epoche des Elektromagnetismus und des Wechselstroms mit 0rsted und Faraday in den 1830er Jahren, in das >Alles rollt< ein >Alles zuckt< eingetreten. Wenngleich die Oberfläche der Rotation kontinuierliche Bewegungen, kontinuierliches Licht zu erzeugen scheint, so verraten sich schon im Flimmern der Filmmaschinen die Zerhackung durch das Malteserkreuz beim Filmvorschub, im Flackern der Glühlampen die Kommutatoren und Rheotome des Wechselstroms. Wechselstrom impliziert eben von Anfang an seine Unterbrechung, er ist ein Strom/Einschnitt-Strom. Elektrizität ist in diesem technisch-wissenschaftlichen Dispositiv nun Schwingung, Induktion, Feld. Elektrische Ladungen sind keine Fernwirkungskräfte mehr, sondern Nahwirkungen; Strom ist die Folge des kontinuierlichen Zusammenbruchs der Spannung im elektrischen Feld, das einen Leiter umgibt. Das Modell der Elektrizität ist daher nicht mehr der einmalige Schlag oder der kontinuierliche Strom, sondern der serialisierte Funke, die Impulsserie. Daran koppelt sich auch das Mediendispositiv der Digitalisierung: Impulsserien können Objekte Punkt für Punkt abtasten und sie als Daten und Signale übertragen (153 ff.). Als das zeichen- und medientechnisch vielleicht wichtigste Gerät der Epoche des Elektromagnetismus und des Wechselstroms kann das Relais gelten. Es implementiert die Differenzierung von Energie und Information bzw. die Aufhebung der UrsacheWirkungs-Äquivalenz der Kausalität, indem es Signale generiert und überträgt. Philosophisch wirksam wird dies etwa in Nietzsches Kritik der Kausalität in den 1880er Jahren, die sich auf den Begriff der >Auslösung< bezieht, mit dem Robert Julius Mayer den Sachverhalt beschrieb, daß minimale Energien Prozesse von ungeheuren Kräften und Endadungen bewirken können. Kulturell wirksam wird vor allem der von Faraday entdeckte Induktionsvorgang auf der Ebene nervöser Aktivitäten, wie sie Duchenne, Féré oder Charcot in unterschiedlicher Weise experimentalisieren und inszenieren ( 8 2 f f ) . Sprachtheoretisch wirksam wird der Stromkreislauf als Modell von Sprechakten, die in erster Linie etwas tun und nur in zweiter Linie etwas bedeuten (224 ff). Besonders vielfältig wirksam wird die Elektrifizierung von Zeichen- und Medienordnungen aber auch fur die alten und neuen Künste. So präfiguriert das RelaisDispositiv die hypnotischen Traumtanzvorfuhrungen: Wort, Musik oder das Licht sind Signale, die befehlsartig die Bewegungen des menschlichen Körpers auslösen, schockartig wie bei den Experimenten von Duchenne oder permanent wie bei Schrenck-Notzing oder Loie Fuller (91 ff). Kafka erträumt sich das Rauschen der elektrischen Medien als (unerreichbares) Reich eines >NullzeichensWechselfreude*, die ihn den (Wechsel-)>Strom der Zeit< als Abfolge von diskreten Einzelbildern erscheinen läßt (97ff.). Francis Ponge erkundet die Möglichkeiten einer >Quantenästhetik< auf der Grundlage des Triumphs diskontinuierlicher Bewegungen in der Physik ( 4 2 f f ) . Auch die Hörspieltheorie Richard Kolbs, die ihre größte Wirkung in den 1950er und 1960er Jahren entfaltete, gründet auf dem Dispositv schockartiger Auslösung, das inzwischen in das Radio, also in ein elektroni-

EINFÜHRUNG

sches Medium implementiert werden kann, welches mit seinen masselosen analogen Schaltern die Logik der Induktion und des Relais auf die Spitze treibt. Das durch das Radio übertragene »Wort« wirkt als Befehl (als »zeugende Kraft«) auf den Hörer, in dem es nach Art der Induktion Bedeutungseffekte auslöst; und die von jedem Leiter abgelösten und durch den »Äther« sich fortpflanzenden elektromagnetischen Schwingungen werden identifiziert mit einem »geistige [n] Strom«: Die Funkwellen sind wie der geistige Strom, der die Welt durchflutet. Jeder von uns ist an ihn angeschlossen, jeder kann sich ihm offnen, um von ihm die Gedanken zu empfangen, die die Welt bewegen. Der unendliche Geistesstrom trifft auf unseren kleinen, geschlossenen, mit Energien gespeisten und geladenen Denkkreis und versetzt ihn durch das feine Antennennetz unserer Nerven in Schwingung. Es ist das eine Art Influenz, die wir Intuition nennen. Der unsichtbare geistige Strom aber, der vom Ursprung kommt und die Welt in Bewegung brachte, ist seinerseits in Schwingung versetzt, gerichtet und geleitet vom schöpferischen Wort, das am Anfang war und das den Erkenntniswillen seines Erzeugers in sich trägt. [...] Der über die Erde hinausgeschleuderte freie Strom der Funkwellen erhält die Modulation durch das vom Hörspieler erzeugte Wort, das Sinn und Richtung durch den Dichter erhielt. Die elektrischen Wellen treffen den Menschen, gehen durch ihn hindurch, und es wäre nicht absurd, zu denken, daß der Menschen Nerven hätte, die die Wellen unmittelbar aufnähmen und im Gehirn zur Wahrnehmung brächten. Da uns ein solches Sinnesorgan fehlt, müssen wir außerhalb von uns einen geschlossenen, auf Influenz des freien elektrischen Stromes fein reagierenden Stromkreis aufstellen, der mittels einer Membrane die in elektrische Schwingungen transformierten Worte wieder in Worte zurückverwandelt und sie auf diese Weise mittelbar über das Ohr zum menschlichen Gehirn fuhrt.12

3. Semiotik und Zeichenpraktiken Das >semiotische< 18. Jahrhundert verfugte noch über einen Zeichenbegriff, der verschiedenste Praktiken in einem gemeinsamen Register reflektierte: Der Mathematiker, Philosoph und Kartograph Johann Heinrich Lambert oder der Kunsttheoretiker, Erfahrungsseelenkundler und Sprachpädagoge Karl Philipp Moritz mögen als Personifikationen dieser Möglichkeit dienen.13 Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts jedoch haben sich, forciert durch die Entwicklung von zeichenprozessierenden Maschinen, die verschiedenen Bereiche der Reflexion auf verschiedene Vorkommensweisen des Zeichens ausdifferenziert. Schon die Verwendungsweisen und -bereiche des Wortes >Symbol< (ζ. B. als auf Übereinkunft basierendes Zeichen in Peirce' Semiotik, als para-semiotisches Kunstzeichen der Goethezeit, als Traumsymbol der Psychoanalyse usw.) sind kaum noch kausal oder historisch auseinander abzuleiten, sondern fast nur noch enumerativ zusammenzustellen. Als >das Symbolische< tritt es überdies mit dem Zeichenmodell von >Signifikant< und >Signifikat< aus Saussures Semiologie in Konjunktion: im Strukturalismus mit all seinen disziplinaren Entfaltungen wie Eth-

12

Richard Kolb, Das Horoskop des Hörspieb, Berlin-Schöneberg 1932, S. 52 f.

13

Vgl. Baxmann/Franz/Schäfiner (Hrsg.), Das Laokoon-Paradigma, insb. S. 267-273 u. 439-459.

EINFÜHRUNG

nologie oder Psychoanalyse (270ff.)· In dieses Feld interveniert auch - um sich zugleich davon abzustoßen - Michel Foucault, wenn er schon früh auf der Materialität der Bilder diesseits ihrer symbolischen Verweiskraft insistiert (182 ff.) und damit eine wesendiche Eigenschaft des Begrifft der >Aussage< als Elementareinheit der Diskursanalyse vorbereitet. Zählen diese Zeichenkonzepte noch zum eingebürgerten Gegenstandsbereich der Sprach- und Humanwissenschaften, so fiihrt doch bereits das Wort »Symbol· in mindestens ein benachbartes Feld: in dasjenige der Logik und Mathematik, in dem während des 19. Jahrhunderts neue Formalisierungen des Zeichens wie auch neue Zeichensysteme entwickelt werden, um symbolische Maschinen in veränderter Gestalt möglich zu machen.14 Die Technisierung der Zeichen, wie sie durch Rechenmaschinen und Steuerungstechniken erfolgt, hat dagegen die praktische Mathematik vor allem der großen Zahlen, die statistische Erzeugung und Verwaltung von Daten zur Grundlage von nahezu allen empirischen und experimentellen Wissenschaften und der politischen Verwaltung von Menschen und Dingen werden lassen. Daten, die in besonderem Maße die Übertragung, Verarbeitung und Speicherung erleichtern und beschleunigen sollen, sind Zeichen, die über spezifische Formatierungen vorrangig fiir den maschinellen Zugriff optimiert werden. Diese hauptsächlich auf diskreten Einheiten basierenden Datensätze verbinden sich dann, wenn es um ihre Übertragung geht, mit der Nachrichtentechnik, die sich im 19. Jahrhundert zu einem fundamentalen Zweig der Technologie ausweitet und selbst immer wieder als Modell für unterschiedliche Übertragungsvorgänge wie etwa durch die Nervenleitungen dient. Mit der Nachrichtentechnik erhalten Zeichen als Übertragung energetischer Impulse den Charakter von Signalen: sei es diskreter, wie im Falle der dots und dashes in der Télégraphié, sei es analoger, wie im Falle des Telephons, das dabei die Grenze von Zeichen und Nicht-Zeichen in den Abstand von Signal und Rauschen überträgt. Obgleich diese Wissenschaften und Technologien ganz unterschiedlich sind und oft auch voneinander unabhängig entwickelt wurden, kommen sie darin überein, daß sie die Frage nach den Zeichen in ihrer Technisierung und Elektrifizierung mit jeweils spezifischen medientechnischen Dispositiven beantworten. Diese Entwicklung wirkt auch auf die traditionellen Disziplinen der Zeichen zurück: In den Sprachwissenschaften, der Philologie und der Archäologie werden neue unterschiedliche Techniken entwickelt, um vorhandene oder gefundene Zeichen lesen, ordnen und speichern zu können (200ff.). Die Erkundung der Zeichen und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, die der vorliegende Band unternimmt, beschränkt sich deshalb nicht auf die Semiotiken und Semiologien im engeren Sinne, sondern zielt auf dieses ganze Feld von zeichenprozessierenden Praktiken und Wissenschaften. Der Untersuchungszeitraum reicht von der Einfuhrung der Lochkarte bis zur Grammatologie, also bis hinein in die Gegenwart. In dieser Phase verändert sich das Laokoon-Paradigma als Produktionsform der Künste entscheidend: Einerseits erfolgt die Aus- und Entdifferenzierung von (akustischen, optischen und graphisch-symbolischen) Zeichen vor allem auf medientechnischer Ba14 Vgl. Sybille Krämer, Symbolische Maschinen. Die Idee der Formalisierung in geschichtlichem Abriß, Darmstadt 1988, insb. S. 121-137.

EINFÜHRUNG

sis; andererseits verlagert sich das Operationsrentrum von Zeichen zunehmend vom Menschen in die Maschine. Der Electric Laokoon durchschreitet dieses Feld in fünf Schritten: Er setzt ein mit der Frage nach der Transformation der Künste, die Literatur und Plastik als klassische Künste vor allem durch die Elektrizität erfahren. Die unterschiedlichen Modi von Aktionsformen, die spezifische Zeichenpraktiken mit medialen Techniken verbinden, werden in den Kapiteln Human Motor/Raum/Bewegung an der Produktion und Aufzeichnung der Körperbewegungen von Menschen und Maschinen untersucht, im Kapitel Das Sichtbare und das Sagbare an der Erfassung und Ausdifferenzierung des Optischen und Akustischen und im Kapitel Sprechen/Handeln/Hören an dem Status der Sprache im medientechnischen Zeitalter. Das abschließende Kapitel Schalten/Rechnen/Steuern schließlich konzentriert sich auf genealogische Linien der graphisch-symbolischen Zeichentechnologien, die Maschinen möglich machen, welche nur aus Zeichen und Schaltern bestehen. Die verschiedensten Zeichentypen sind dabei Gegenstände einer diskurshistorischen Rekonstruktion, nicht Instrumentarium einer semiotischen Analyse mit transhistorischem Anspruch. Die Geschichte der Theorien vom Zeichen ist untrennbar verbunden mit den medien- und maschinengestützen Zeichenpraktiken. Dies allerdings ist nicht unmittelbar evident fur diejenigen Theorien, welche in den Sprachund Humanwissenschaften die prominenteste Rolle spielten: die vorwiegend angelsächsische Semiotik in der Tradition von Charles S. Peirce und die vor allem im französischen und osteuropäischen Strukturalismus fortgeschriebene Semiologie in der Tradition von Ferdinand de Saussure. Das Desiderat, beide theoretischen Stränge aufeinander zu beziehen, bleibt bestehen, da es mit vereinzelten gegenseitigen Bezugnahmen - wie etwa einer Saussure gewidmeten Fußnote bei Ogden/Richards oder einem kurzen Peirce-Exkurs bei Derrida - nicht erfüllt ist. So hat etwa Roman Jakobson auf einem Peirce-Symposion der Johns Hopkins University 1977 bedauert, daß Saussures Cours de linguistique générale, »der in der großen Zeit des wissenschaftlichen Umbruchs, die dem Ersten Weltkrieg folgte, erschien, mit den Argumenten von Peirce nicht mehr konfrontiert werden« konnte: »[...] ein solches Messen teils übereinstimmender, teils rivalisierender Ideen hätte vielleicht die Geschichte der allgemeinen Sprachwissenschaft und die Anfange der Semiotik verändert«.15 Wenn beide Traditionsstränge sich einerseits gegeneinander, andererseits gegenüber medien- und maschinentheoretischen Fragestellungen - also auch gegen manche ihrer eigenen Entstehungsbedingungen - abschotteten, so hängt dies teilweise mit ihren internen Überlieferungsgeschichten zusammen. Denn weder Peirce noch Saussure haben ein Hauptwerk hinterlassen, das ihre basalen Konzepte in autorisierter Form zusammengestellt hätte. Vielmehr lag Peirce' Werk zunächst vor allem als Korpus verstreuter Aufsätze vor, wurde erst ab 1931 um seine Collected Papers ergänzt und wird seit 1982 in bislang sechs Bänden unter der Leitung von Nathan Houser in der Chro-

15

Roman Jakobson, »Peirce, Bahnbrecher in der Sprachwissenschaft«, in: ders., Semiotik. Ausgewählte Texte 1919-1982, hrsg. von Elmar Holenstein, Frankfurt/M. 1992, S. 99-107, hier S. 101.

EINFÜHRUNG

nological Edition der Writings of Charles S. Peirce ediert;16 unter Saussures Namen war zwar schon früh (1916) ein Buch erschienen, das mit seinem Titel Cours de linguistique générale den Anspruch auf eine allgemeine Darstellung seiner Theorie erhob doch erwies sich gerade die scheinbare Abgeschlossenheit dieses von Charles Bally und Albert Sechehaye aus Nachlaß-Notizen und Vorlesungsnachschriften zusammengestellten Buches als ebenso fruchtbar fur Saussures Wirkung wie fatal fur eine angemessene Rezeption seiner Argumentationsbewegungen. Wirkungsmächtig wurden in beiden Fällen Theorie-Fassungen, die beider eminent prozessuales Denken auf statische Systeme reduzierten, die vor allem Begriffsraster binärer oder triadischer Natur anzubieten schienen (>signifiantsignifiélangueparoleSynchronieDiachronie< im Falle Saussures; >indexiconsymboltypetoken< im Falle von Peirce). Zugleich hat diese Rezeption aus beiden theoretischen Strängen die kognitiven und kommunikativen Dimensionen des Handelns mit Zeichen überbetont: die zeichenvermittelte Erkenntnis und die regelgeleitete Verständigung zwischen (im Regelfall) zwei sich selbst und einander präsenten Kommunikationspartnern. Noch Jakobsons SechsFunktionen-Modell der Sprache folgt, bei aller Ausdifferenzierung im einzelnen, diesem vereinseitigten Typus der >face-to-faceKanals< berücksichtigt (5ff.); die sprachmagischen Praktiken, denen vor allem das frühe 20. Jahrhundert eine große Aktualität zumaß (224 ff.), sind keiner dieser Funktionen recht zuzuordnen; die spezifisch e Wirksamkeit vieler, vor allem auch maschinell gesteuerter Zeichenprozesse ist in das Modell kaum auch nur einzutragen. Im Feld des Electric Laokoon haben Semiotik und Semiologie also einen weniger erklärungsmächtigen, denn vielmehr verortungsbedürftigen Status. Deshalb geht es hier, einerseits, mehr um die Genealogie dieser Theorien aus den unterschiedlichen Praktiken und Wissenszweigen: um den Zusammenhang von Saussures Semiologie mit den berußten Trommeln, auf die Linguisten um 1900 die menschliche Stimme aufzeichneten (200 ff); um den Zusammenhang der aus der Semiotik entwickelten Pragmatik (Ogden/Richards und Malinowski) mit magischen Sprechakten von Südseebewohnern (224ff); um den Zusammenhang von Derridas Kritik an einer allzu planen Sprechakttheorie mit dem Handeln in akademischen Debatten (243 ff). Andererseits jedoch erlaubt es gerade ein medientechnisch geschulter Blick zurück auf die handschriftlichen Konvolute von Peirce und Saussure, aus ihnen Elemente für eine historische und theoretische Reflexion der Zeichen und ihrer Bedeutung fiir die Entstehung der technischen Medien herauszulesen.

16 Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition, hrsg. von Nathan Houser u. a., Bloomington/ Ind. 1982 ff. Der sechste und bisher letzte Band (1886-1890) erschien 2000.

EINFÜHRUNG

4. Interpretanten und Maschinen (Peirce) Diese Lektüre muß oft gegen die vereinheitlichenden Editionen und reduktiven Interpretationen anlesen, für die im Falle von Peirce etwa Charles W. Morris' Texte seit seinen Foundations of the Theory of Signs typisch sind. Morris' Vereinfachungen hat zwar schon 1946 der 87jährige John Dewey kritisiert, der als Student noch im Logikseminar von Peirce gesessen hatte; Deweys Aufsatz »Peirce' Theory of Linguistic Signs, Thought and Meaning« wurde jedoch bis heute wenig beachtet. Sein in diesem Zusammenhang wichtigster Kritikpunkt betrifft das Verständnis von Peirce' Terminus >interpretantSemiosis< - als »the doctrine of the essential nature andfundamental varieties of possible semiosis«, zielt also nicht , so sehr auf einen integralen Zeichenbegriff, denn vielmehr auf Fragen nach Bereichen und Prozessen, in denen Zeichen generiert werden. Der Interprétant bezeichnet hierbei eine zunächst nicht näher bestimmte bedeutungstragende Wirkung (significate outcome), die im Unterschied zur unmittelbaren Einwirkung von Objekten aufeinander aus der vermittelnden Wirkung des Zeichens - also aus einem triadischen Prozeß - hervorgeht. Aus dieser Akzentuierung der Wirkung von Zeichen folgt, daß etwa ein Befehl ein Zeichen ist, das zwar verstanden werden muß, um ausgeführt werden zu können, dessen letztwirksamer Interprétant jedoch eben seine Ausführung ist. In Peirce' Kategorien handelt es sich dabei um einen energetischen (im Unterschied zum emotionalen und logischen) Interpretanten. Der Befehl liefert Peirce ein Beispiel dafür, daß der Interprétant keine geistige Seinsweise haben muß (that it need not be of a mental mode of being). Das hat fundamentale Konse17

John Dewey, »Peirce's Theory of Linguistic Signs, Thought, and Meaning«, in: The Journal of Philosophy yiAll (1946), Nr. 4, S. 85-95, hier S. 87.

XVII

XVIII

EINFÜHRUNG

quenzen fur die Frage nach dem Verhältnis von Zeichen und Maschinen. An einer Stelle schreibt er: Ob der Interprétant notwendig ein triadisches Ergebnis sein muß, ist eine verbale Frage, das heißt, wie wir die Extension des Terms >Zeichen< begrenzen; aber es scheint mir angemessen, die triadische Produktion des Interpretanten wesendich fur ein >Zeichen< sein zu lassen und den weiteren Begriff, also Dinge wie beispielsweise den Jacquard-Webstuhl, >Quasi-Zeichen< zu nennen.18 Im selben Zusammenhang jedoch spricht er nicht nur von »Quasi-Zeichen«, sondern entscheidet sich sogar dafür, den Begriff des Zeichens zu erweitern: Zeichen ohne Interpreten existieren weniger offensichdich, doch mit vielleicht ebenso großer Gewißheit. Nehmen wir an, daß die Lochkarten eines Jacquard-Webstuhls vorbereitet und eingelegt wurden, so daß der Webstuhl ein Bild webt. Sind nicht diese Lochkarten Zeichen? Sie vermitteln Intelligenz — eine Intelligenz, die ihrem Geist (spirit) und ihrer bildnerischen Wirkung nach auf keine andere Weise vermittelt werden kann.19 Der Unterschied dieser alternativen Versionen hat entscheidende Auswirkungen auf den Status und die Reichweite der Peirceschen Semiotik. Werden die Lochkarten nämlich nur als »Quasi-Zeichen« betrachtet, so liegt die Entwicklung informationsverarbeitender Technologien außerhalb der Semiotik. In einer sich zunehmend herausbildenden technischen Welt von »Quasi-Zeichen« würde die Peircesche Semiotik dann nicht als ein avantgardistisches Projekt, sondern als ein Rückzugsgefecht des human interpreter erscheinen. Die alternative Version hingegen aktualisiert zum einen eine Einsicht in altbekannte Zeichen ohne Autor (wie Krankheitssymptome oder Zeichen des Wetters) und stellt ihr zum anderen - in einer Weise, die im 18. Jahrhundert noch nicht möglich gewesen wäre — die komplementäre Frage nach der Ersetzbarkeit eines menschlichen Lesers zur Seite. Das Konzept der Semiose, das nicht zufällig in eben diesem zuletzt zitierten Fragment eingeführt wird, erscheint als geeignete Grundlage für eine theoretische Behandlung auch solcher mit Lochkarten arbeitenden Signalprozesse. Peirce revidiert die verbreitete Meinung, »daß Zeichen meistens zwischen zwei Geistern oder Bewußtseinsschauplätzen (theatres of consciousness) fungieren, von denen derjenige der Aktive ist, der das Zeichen äußert (ob akustisch, optisch oder auf andere Weise), während der andere der passive Geist ist, der das Zeichen interpretiert«2®. Zur Definition der Semiose, so betont er, ist es nicht erforderlich, daß der Interprétant in jedem Fall eine Bewußtseinsveränderung zu sein hat. Wenn aber auch die Lochkarte als Zeichen gilt, werden ebenso Formen der Semiose zugelassen, die nicht zwischen »Bewußtseinsschauplätzen« ablaufen. Es ist auch zu fragen, ob »der Interprétant in allen Fällen zumindest ein genügend ähnliches Analogon zu einer Be-

18

Charles S. Peirce, »Der Kern des Pragmatismus - Drei Ansätze zu seiner Begründung« (1907), in: ders., Semiotische Schriften, Bd. 3, hrsg. u. übers, von Christian Kloesel/Helmut Pape, Frankfurt/M. 1993, S. 231-311, hier S. 281. 19 20

Ebd., S. 243. Ebd., S. 242.

EINFÜHRUNG

wußtseinsveränderung ist«21. Ganz bewußt beschränkt sich Peirce nicht einfach auf die psychical semiosis. Sein Konzept der Semiotik verlangt vielmehr, die grundlegenden Arten der möglichen Semiose zu erkunden. In dieser Blickrichtung zeichnet sich auch die Möglichkeit einer technischen Semiose ab. Peirce selbst hat eine indexikalische Maschine fur die Operationalisierung der Logik entwickelt, die buchstäblich auf dem Papier funktioniert - um schließlich elektrifiziert zu werden (313 ff.). Aber auch die Lochkarte, die dem Webstuhl einen Befehl gibt, zählt, insofern der Befehl ein Modellfall des energetischen Interpretanten ist, zu den Gegenständen einer Wissenschaft von der Semiose: Die automatisch regulierte Musterweberei und ein Gedicht gehören zum selben Bereich der theoretischen Reflexion. Ohnehin hat die Kunst des 20. Jahrhunderts, indem sie Statuen elektrifizierte (58 ff.) oder Gedichte von Computern generieren ließ (5 ff. u. 42 ff.), selbst an den Ort des Produzenten symbolische Maschinen gesetzt, die viele Dinge schneller und ausdauernder erledigen, als dies Menschen möglich wäre. Damit steigt auch die Menge der kursierenden und in Betrieb gesetzten Zeichen, die nur noch fur Maschinen lesbar sind. Denn aus den 24000 Lochkarten, aus denen die Stadt Lyon 1810 das Porträt ihres Bürgers Jacquard weben ließ, hätte kein menschliches Auge je das Bild ablesen können, das der Lochkartenwebstuhl in Form eines 66 X 81 cm großen Seidengewebes sichtbar werden ließ - selbst wenn man Claude Shannon nachsagt, daß es ihm möglich war, maschinentechnische Binärcodes wie arabische Zahlen zu lesen (298 f.).

5. Signifikanten in Transmission (Saussure) Auch im Falle Saussures sind vergleichbar anschlußfähige Überlegungen eher aus seinen Manuskripten als aus dem wirkungsmächtigen Cours zu entwickeln. £in bisher unbekanntes Konvolut von Manuskripten ist erst 2002 erschienen; im deutschen Sprachraum hatte Johannes Fehr 1997 neues Material vorgelegt und ebenso einläßlich wie prägnant kommentiert. Deutlicher als bisher zeichnet sich dabei besonders auch der ambivalente Status ab, den Saussure fur die »noch nicht existierende Wissenschaft« namens »Semiologie« vorsah. »Was Saussures Ansatz auszeichnet, ist, daß er die empirischen Befunde der Sprachwissenschaft seiner Zeit im Rückgriff auf die in Vergessenheit geratene Thematik der Zeichen theoretisch zu fassen versuchte.«22 Hierdurch wurde eine translinguistische Perspektive der Semiologie eröffnet, die allerdings von Anfang an in ein doppeltes Verhältnis zur Sprachwissenschaft und zur Semiotik des Peirceschen Typus trat: Sprache galt Saussure nämlich einerseits als ein besonderer Typ eines Zeichensystems unter vielen anderen, andererseits jedoch als das Modell der ganzen Semiologie, in dem einzig die Natur des Zeichens erkannt werden könne. 23 Ebd., S. 256. Johannes Fehr, »Saussure: Zwischen Linguistik und Semiologie. Ein einleitender Kommentar«, in: Ferdinand de Saussure, Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlaß, hrsg. von Fehr, Frankfurt/M. 1997, S. 17-226, hier S. 210. 23 Vgl. ebd., S. 122-125. 21 22

EINFÜHRUNG

Einerseits scheint so die Möglichkeit, die Sprachwissenschaft in einem erweiterten zeichentheoretischen Kontext zu situieren, durch die subsumierende Ableitung der Natur des Zeichens aus der Eigenart der gesprochenen Sprache zugleich zunichte gemacht. Die dominante strukturalistische Rezeption war dementsprechend von einem impliziten oder expliziten >Linguismus< geprägt, der den Unterschied zwischen einer formalisierten und einer natürlichen Sprache einebnete und damit wie eine Wiederkehr des Projekts einer Grammaire générale anmuten konnte. Andererseits fuhren gerade die Argumente, mit denen Saussure seine Privilegierung der Sprache begründet, zu wichtigen Einsichten, die möglicherweise auch im Umgang mit anderen Zeichensystemen relevant sind. Denn Saussure legt einen starken Akzent gerade auf den dynamischen, kontingenten Charakter dieses Zeichensystems: Unter allen semiologischen Systemen ist das semiologische System >Sprache< [>langueSprache«< tatsächlich das einzige ist, das diese Eigenschaft aufweist, so ist jedenfalls der damit gesetzte Akzent auf die Veränderlichkeit des Zeichens in der Zeit entscheidend. Statt eine rein synchrone und systemische Semioft^ im Sinne des 18. Jahrhunderts wiederzubegründen, versucht Saussures Semiologie all den im >Leben der Zeichen< eintretenden >Zufállen< gerecht zu werden, der »unbegrenzten Zersplitterung«, der die Sprache ausgesetzt ist (197ff.). Denn diese Veränderlichkeit in der Zeit, ebenso wie die Verschiedenheit der Einzelsprachen im Raum, befällt die Zeichen nicht von außen, sondern ist ihrer Existenzweise inhärent: »[...] ein jedes Symbol existiert nur, weil es in die Zirkulation hineingeworfen ist«25 - es ist in jedem Augenblick von seinen sozialen und historischen Dimensionen geprägt. In dem neu aufgefundenen Konvolut steht an dieser Systemstelle »TRANSMISSION«: Die Übertragung der Sprache ist von dieser selbst niemals scharf zu trennen; der zentrale Gegenstand der Linguistik ist kein >GegenStandlanguetranszendentale< Operation sichtbar, die auf der Grenze zwischen Leben und Tod selbst spielt. Von den hebenden Statuen< Duchennes bis hin zu den Performances Stellares werden menschliche Körper ganz buchstäblich in Stromkreisläufe eingeschaltet; doch auch die >expressiven Statuen< Charcots oder die hypnotisierten Traumtänzerinnen funktionieren nach einem Modell der Induktion, das der Elektrizität strukturanalog ist - nicht zufällig kombiniert Villiers' Edison bei der Herstellung der zukünftigen Eva< die Hypnose mit elektrischen Vorrichtungen. Diesseits sol1

Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (Paralipomena), in:

ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hrsg. von Wilfried Barner u. a., Frankiurt/M. 1985-2001, Bd. 5.2, S. 295.

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TRANSFORMATION DER KÜNSTE

cher Cyborg-Phantasien freilich, die anthropomorphe Ideale gerade durch ihre Elektrifizierung einzulösen versuchen, beharrt eine andere künstlerische Tradition darauf, da£ die Welt des Menschen und die der Elektrizität voneinander vollständig distinkt sind: Im Übergang von der pygmalionischen Plastik zur kinetischen Skulptur, deren technische Bedingungen in der Anwendung des Elektromotors und der modernen Lichttechnik liegen, werden Bewegung und >Lebendigkeit< voneinander entkoppelt. Wenngleich die kinetische Kunst der Avantgarden dabei teilweise an die daidalische Tradition der mechanischen Kunstwerke des Hellenismus und der Automatenfiguren des 18. Jahrhunderts anknüpft, so fuhrt sie diese doch nicht einfach mit neuen medientechnologischen Mitteln fort. Vielmehr insistiert sie zum einen darauf, daß ihre wenn auch noch so >mechanischen< Produkte nicht mehr (wie etwa noch von Lessing und Herder) aus dem Gegenstandsbereich von Ästhetik und Kunsttheorie auszuschließen sind; zum anderen erschließt sie der Kunst neue Materialien und Gestaltungsformen, jen- oder diesseits vom anthropomorphen Formenbestand des organischen Körpers. Für die Literatur ist das Verhältnis zwischen Signal und Zeichen, Energie und Information von Bedeutung geworden. Das Signal in seiner physikalischen Beschaffenheit hatte eine offensichdiche Eigenständigkeit gewonnen, seit es im 19. Jahrhundert (mit William Sturgeon, Joseph Henry oder Charles Wheatstone) zum zentralen Gegenstand eines Ingenieurwissens avancierte, dank dessen Zeichen über elektromagnetische Relais oder mittels Induktoren gesendet und empfangen werden konnten. Damit wurde die Vorstellung einer Lebendigkeit des Zeichens, die enargeia der Rhetorik (von der noch Lessing handelt), nachgerade in ein medientechnisch bzw. physikalisch Reales überfuhrt, ein Wissen über Redefiguren an Elektroingenieure abgetreten. Die Fähigkeit des Signals, eigene Disziplinen, Professionen und ganze Industrien zu begründen, eröffnet eine neue poetologische Dimension der Literatur im 20. Jahrhundert: die Bestimmung des Poetischen aus dem Bezug zum Kanal, zur Materie des Signifikanten in seiner Transmission. Ein solcherart geschärftes Materialbewußtsein artikuliert sich dann auch dort, wo Elektrizität nicht unmittelbar im Spiel ist, etwa beim Auftauchen der Typographie als eigenständigem Element der Literatur. Dies transformiert die Literatur selbst dann, wenn sie in vermeindich ganz traditionell referentieller Weise über Elektrizität schreibt. Denn die Elektrizität hat die Seinsweise der Dinge derart verändert, daß das Verhältnis des Dichters zu den Dingen herausgefordert ist: Mit ihr sind die Dinge - wie es Martin Heidegger beschreibt und worauf Francis Ponges Schreiben basiert - nicht mehr Gegenstand, sondern Bestand. Elektrizität kann nicht zum Gegenstand werden, weil sie zum künsdichen Bestand der Gegenstände geworden ist; Elektrizität hat die Dinge in ihr Bestehen bestellt. Elektroingenieur und Dichter werden in dieser Lage, statt nach dem dummen Modell der Two Cultures miteinander zu konkurrieren, Komplizen in der Parteinahme für die Dinge, in der Arbeit an ihrer Entbergung: der Ingenieur, indem er elektrische Kraft erschließt, speichert, verteilt und umformt; der Dichter, indem er die Parteinahme für die Dinge mit der Rücksicht auf die Wörter identifiziert. Beide arbeiten sie gegen die Seinsvergessenheit, die zugleich als Elektrizitätsvergessenheit und als Sprachvergessenheit droht.

1. Die Geburt der Literatur aus dem Rauschen der Kanäle Zur Poetik der phatischen Funktion

Serres und die Zeichen Im 20. Jahrhundert zerfällt der allgemeine Zeichenbegriff, der für das 18. Jahrhundert Ausgangspunkt der großen Distinktionslinien war, die das Wissen unterteilten (Ästhetik - mit ihrer internen Unterscheidung der Künste - , philosophische/naturwissenschaftliche Analysis, Ökonomie, Medizin etc.),1 in mehr oder weniger scharf voneinander geschiedene Bestandteile, die ihrerseits eigenständige Objekte und eigenständige wissenschaftliche Disziplinen begründen. Die drei am deutlichsten zu unterscheidenden Diskurse, die sich aus der Ausdifferenzierung des Zeichenbegriffs des 18. Jahrhunderts ergeben haben, sind: Erstens der Diskurs der mathematischen oder formalen Logik; er spricht von Symbolen und formalen Systemen oder Sprachen. Zweitens der Diskurs der modernen Sprachwissenschaft und der Semiologie; er spricht vom Zeichen, von Signifikant und Signifikat, von synchronen Systemen und diachronem Wandel.2 Drittens der Diskurs der Nachrichtentechnik; er hat es zu tun mit dem Signal und den physikalischen Eigenschaften von Übertragungskanälen. Diese Disziplinen des Zeichens verstehen sich als >scienceswie sie wirklich istle parasite< bedeutet im Französischen auch >Rauschen< oder >StörungBeziehung zur Beziehung« nicht der Kaufmann, sondern der Pirat; nicht die Straße, sondern der Wegelagerer. Die Störung geht der Beziehung voraus, sie ist der Grund der Beziehung. Das oder der Dritte geht dem Zweiten voraus: Das ist der Anfang der Medientheorie, jeder Medientheorie: »Es gibt ein Drittes vor dem Zweiten; es gibt einen Dritten vor dem anderen. [...] Es gibt stets ein Medium, eine Mitte, ein Vermittelndes.«15 »Gegeben seien zwei Stationen und ein Kanal. Sie tauschen, wie man sagt, Nachrichten aus. Wenn die Beziehung glückt, perfekt, optimal, unmittelbar, dann hebt sie sich als Beziehung auf. Wenn sie da ist, existiert, so weil sie mißlungen ist.«16 Mit anderen Worten: »Die Liebe ist eine Post. Gäbe es nicht die Distanzen und Verbindungen, die Strecken und Relais, die Unterbrechungen und Anschlüsse, die Trennungen und Kanäle - nichts wüßten wir von der Liebe.«17 Oder wieder mit Serres: »Die optimale Relation wäre die Null-Relation. Per definitionem ist sie nicht existent; wenn es sie gibt, ist sie nicht beobachtbar.«18 Die reine Relation ist nicht die vom Rauschen, den Unzulänglichkeiten der Sinne, dem Satan, dem Körper und dem Sündenfall unbefleckter Kommunikation, in der es kein Mißverstehen, keine Verzerrung des Sinns, keinen Botschaftsverlust gibt.19 Die reine Relation ist vielmehr die Nicht-Relation. Die Kommunikation der Engel kennt weder Rauschen, Signal noch Code. Das Denken selbst ist der Kanal. Das Sagen der Engel existiert den Scholastikern zufolge gar nicht, weil fur die Engel das Sagen*Wollen bereits Sagen ist.20 »Das ist das Paradox des Parasiten. Es ist ganz einfach, aber äußerst folgenreich. Der Parasit ist das Sein der Relation.«21 Daher wird in Serres' Kommunikationsmodell auch der Kanal zwischen den beiden Stationen Sj und S2 ersetzt durch den einfachen gerichteten Pfeil des Parasiten (siehe Schema 2). Das ist das elementare Glied der Parasitenkette. Und jeder Parasit wird seinerseits zum Wirt fur einen anderen Parasiten, bis der erste Parasit an die Stelle des letzten tritt und das System mit sich selbst rückkoppelt (siehe Schema 3).

» Ebd., S. 97. 16 Ebd., S. 120. 17 Manfred Schneider, »Nachrichten aus dem Unbewußten. Richard Wagners letzter Traum«, αι·. Jahrbuch der Bayerischen Staatsoper 1990/91, München 1990, S. 69-80, hier S. 69. 18 Serres, Dir Parasit, S. 120. "Vgl. Jean-Louis Chrétien, »Le langage des anges selon la scolastique«, in: Critique 35 (1979), Nr. 387-388, S. 674-689, hier S. 688. 20 Vgl. ebd., S. 681. - Nur weil Menschen auf das Sagen-Wollen die Arbeit der Vermittlung und des Ausdrückens folgen lassen müssen - so definiert die scholastische Angelologie das menschliche Sprechen in bezug auf das Sprechen der Engel - , gibt es bei ihnen das Gefühl des Scheiterns: entweder durch mangelhaftes Ausdrücken dessen, was man sagen will, oder durch ein Zuviel an Sinn, für das man dennoch verantwonlich ist. Hieraus erst ergeben sich die Möglichkeiten zu sprechen, indem man schweigt, und zu schweigen, indem man spricht. Wenn mit dem Sagen-Wollen das Nicht-Sagen-Wollen sich vermischt, wenn das Geheimnis sich in die Kommunikation selbst inseriert, dann entsteht überhaupt erst die Möglichkeit des Sprechens selbst. 21

Serres, Der Parasit, S. 120.

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE 3 Störet Si · 2 Parasit

Wirt Schema 1: Serres (1980)

Schema 2: Serres (1980)

Schema 3: Serres (1980)

Hinter P0 hat Serres an anderer Stelle ein Fragezeichen gesetzt,22 um anzudeuten, daß die Existenz eines Parasiten >nullter< Ordnung, das heißt die Existenz einer ursprünglichen Produktion, fragwürdig ist. Erst durch die Rückkopplung des ersten mit dem letzten Parasiten23 kommt die medien-ontologische Dimension des Rauschens zum Vorschein, die Bewegung des Systems zwischen Gabe und Entzug. Die Parasiten sind stets da, wenn das Signal, das sie vertreibt, nicht da ist. Nur das deutliche Signal bringt sie [die Parasiten] zum Verschwinden. Sie sind unvermeidlich, ganz wie das Hintergrundrauschen. Das Hintergrundrauschen ist der Grund des Seins, das Parasitentum ist der Grund der Beziehung. [...] Das System oszilliert, man kann es leicht konstruieren. Es existiert ganz, es kehrt ins Nichts zurück, je nach dem Geräusch, seiner Länge und seiner Zeit. Das Rauschen, seine Anwesenheit oder sein Fehlen, das Blinken des Signals, produziert das neue System, das heißt die Oszillation.24 22

Vgl. ebd., S. 12. Serres entwickelt das rückgekoppelte System am Beispiel der auf Äsop bzw. La Fontaine zurückgehenden Fabel von der Sudtratte und der Landratte: Die Stadtratte lebt bei ihrem Wirt, dem Steuerpächter, der ebenfalls ein Parasit ist, er parasitiert am Parasiten P0. Eines Tages kommt die Landratte (P}) zu Besuch zur Stadtratte (P2), und beide schmarotzen an der Tafel des Steuerpächters (P,), bis ein Geräusch (P4 = P,?) an der Tür sie beide vertreibt. 23

24

Serres, Der Parasit, S. 83. - Vgl. zum Parasitären als einer Möglichkeitsbedingung auch unten das Kapitel »>Mehr als stilistische Differenzen«! im Abschnitt SprechenIHandtlnIHönn, S. 257.

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TRANSFORMATION DER KÜNSTE

In Michel Serres' Kommunikationsmodell (das zugleich eine Ursprungsmetaphysik dekonstruiert) ist nicht die Beziehung Sender - Empfänger fundamental, sondern die Beziehung Kommunikation - Rauschen. Das war bereits die Quintessenz des Aufsatzes von 1964: »Einen Dialog fuhren heißt einen Dritten setzen und ihn auszuschließen versuchen. Gelungene Kommunikation ist der erfolgreiche Ausschluß dieses Dritten.«25 Die Vorrangigkeit, mit der Serres die Beziehung Kommunikation - Rauschen (vor der Beziehung Sender - Empfänger) behandelt, stellt ein Echo dar zu der Vorrangigkeit, die der Prager Strukturalismus in seiner Rezeption des Bühlerschen Dreifunktionenschemas der poetischen Funktion der Sprache zugewiesen hatte. Der Gestus von Michel Serres, die Abweichung, das Rauschen nicht als sekundär oder supplementär gegenüber der reinen Beziehung (der ursprünglichen Produktion, des nicht-entfremdeten Tausches) zu verstehen, sondern die Abweichung als die Sache selbst zu begreifen, was sinnfällig in der Beobachtung zum Ausdruck kommt, daß das Wort >parole< Teil des Wortes >parabole< ist, wiederholt den Gestus der Prager Strukturalisten und insbesondere Roman Jakobsons, die poetische Funktion der Sprache nicht als sekundär oder supplementär gegenüber der kommunikativen (referentiellen, denotativen) Funktion zu verstehen. Wie die Prager darauf bestanden, die Poetik als unveräußerlichen Bestandteil der Linguistik zu behandeln,26 so besteht Serres darauf, die Störung und das Rauschen als unveräußerlichen Bestandteil der Philosophie zu behandeln. Serres bewegt sich also einerseits in der Tradition der russischen Emigranten in Prag und ihrer Kritik an der logizistischen (anglo-amerikanischen) >Verwesentlichung< der begriffebildenden (referentiellen) Funktion der Sprache, andererseits verschiebt er den Akzent dieser Kritik auf die Marginalisierung des Kanals bzw. der >phatischen Funktion< der Sprache. Die >phatische Funktion< ist die letzte der zusätzlichen Funktionen, mit denen Jakobson und andere Karl Bühlers 1934 veröffentlichtes Dreifunktionenschema des sprachlichen Zeichens vervollständigten (siehe Schema 4). Bühler selbst stand mit den Prager Strukturalisten durch Vorträge im Cercle linguistique de Prague und über seinen Wiener Kollegen Trubetzkoy, den Begründer der Phonologie, in enger Verbindung, so daß eine kritische Rezeption des Bühlerschen Organonmodells durch die Prager nahelag.27 Die erste explizite Kopplung der Dichotomie des russischen Formalismus aus poetischer und referentieller Funktion mit der Bühlerschen Trichotomie (referentielle, emotive, konative Funktion) findet man in einem Beitrag von Mukarovsk^ zum Kopenhagener Linguistenkongreß von 1938. Wie von Jakobson bereits 1921 formuliert und wie in den berühmten Thesen des Cercle zum I. Slawistenkongreß im Jahre 1928, wird die poetische Funktion hier definiert als Bezug des sprachlichen Zeichens

Serres, »Der platonische Dialog«, S. 50. Vgl. Roman Jakobson, »Linguistik und Poetik«, in: ders., Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921—1971, hrsg. von Elmar Holenstein/Tarcisius Scheiben, Frankfurt/M. 1979, S. 83-121, hier S. 92. 27 Vgl. dazu Elmar Holenstein, »Einführung. Von der Poesie und der Plurifunktionalität der Sprache«, in: Jakobson, Poetik, S. 7-66, hier S. 12ff.; Szemerényi, Richtungen der modernen Sprachwissenschaft, S. 90-92. 25

26

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE

auf sich selbst.28 Nach dem Zweiten Weltkrieg kam 1952 (durch Jakobson) als fünfte die metasprachliche Funktion hinzu. Sie markiert die Begegnung der Linguistik mit dem Kommunikationsmodell der (aus der Nachrichtentechnik hervorgegangenen) Informationstheorie, die Claude Shannon, ihr Begründer, »a mathematical theory of communication« nannte. Hinter der Unterscheidung zwischen Nachrichtenquelle und Sender einerseits und Nachrichtenziel und Empfänger andererseits in Shannons Modell (siehe Schema 5), die durch den nachrichtentechnischen Kontext des Modells

Gegenstände und Sachverhalte

Nachrichtenquelle

Empfänger

Sender

-o 1

Signal

Nachrichtenziel

„ empfangenes

Nachricht

Störquelle

Schema 5: Shannon (1947)

28 Vgl. Jan Mukarovsky, »Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache«, in: ders., Kapitel aus der Poetik, Frankfurt/M. 1967, S. 44-54, hier S. 48. - Die Thesen des Präger Kreises erschienen in den Akten des I. Slawistenkongresses, d. h. in den Travaux du Cercle Linguistique de Prague 1 (1929), S. 5-29.

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

bedingt ist, verbirgt sich eigentlich die - dann von der Linguistik aufgegriffene - Unterscheidung zwischen message und code. Es ist nicht mehr die Funktion des Senders, eine Nachricht an einen Empfänger zu senden, sondern eine Nachricht, die vorher bereits von der Quelle ausgewählt wurde, zu codieren. Der Sender ist die eigenständige Instanz der Codieroperationen (der Empfanger umgekehrt der Decodieroperationen). Abgesehen von dieser Unterscheidung, ist der auffälligste Unterschied des Shannonschen Modells zum Dreifunktionenschema der Linguistik, daß Shannon der Störung (dem Rauschen) eine eigenständige und gegenüber den anderen Instanzen gleichberechtigte Rolle zugewiesen hat (der Kasten, der im Schema 5 die >Störquelle< repräsentiert, ist ebenso groß gezeichnet wie die Kästen, die Sender und Empfänger repräsentieren).29 Diese beiden Eigenschaften — die Ausdifferenzierung des Codes und das Auftauchen der >Störquelle< als eigenständiger Instanz — deuten bereits an, welche Beziehung in der Informationstheorie von vorrangigem Interesse ist: die Beziehung zwischen Code und Kanal (bzw. dessen Parametern: Rauschen und Kapazität). Tatsächlich gibt es vom Standpunkt eines Kryptoanalytikers oder Parasiten (der in der Leitung sitzt anstatt an ihrem Anfang oder Ende) keinen theoretischen Unterschied zwischen einem codierten oder einem gestörten Signal.30 Obwohl sich Jakobson 1960 in »Linguistik und Poetik« in bezug auf den Code auf die moderne Logik und ihre Unterscheidung zwischen Objektsprache und Metasprache bezieht, verwies er im selben Jahr in New York auf dem 12. Symposium in Applied Mathematics (das u.a. vom Institute for Defense Analyses gesponsert wurde) in einem Vortrag über »Linguistics and Communication Theory« auf den Einfluß der Shannonschen Theorie: Today, with respect to the treatment of coding problems in communication theory, the Saussurian dichotomy langue-parole can be restated much more precisely and acquires a new operational value.31 Jakobson hat die Shannonsche Informationstheorie vor allem im Kontext der Phonemanalyse rezipiert. Bit und Phonem sind als Basiselemente ihrer respektiven Systeme ja beide durch eine binäre Entscheidung konstituierte Einheiten. Genau darauf hob Jakobson I960 ab: The dichotomous principle underlying the whole system of distinctive features in language was gradually disclosed by linguistics and found corroboration in the binary

29 Vgl. Claude E. Shannon, »Die mathematische Theorie der Kommunikation«, in: Shannon/Warren Weaver, Mathematische Grundlagen der Informationstheorie, München - Wien 1976, S. 41-143, hier S. 44. 30 Vgl. Claude E. Shannon, »Die mathematische Kommunikationstheorie der Chiffriersysteme«, in: ders., Ein!Aus. Ausgewählte Schriften zur Kommunikations- und Nachrichtentheorie, hrsg. von Friedrich Kittler/Peter Berz/David Hauptmann/Axel Roch, Berlin 2000, S. 101-175, hier S. 139: »Aus der Perspektive eines Kryptoanalytikers ist ein Chiifriersystem fast mit einem gestörten Nachrichtensystem identisch.« 31 Roman Jakobson, »Linguistics and Communication Theory«, in: ders. (Hrsg.), Structure of Language and its Mathematical Aspects. Proceeding of the 12. Symposium in Applied Mathematics. Held in New York City April 14-15, 1960, Providence/R. I. 1961, S. 245-252, hier S. 247.

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE

digits (or to use the popular portmanteau - bits) employed as a unit of measurement by the communication engineers.32 Indessen ging es Jakobson nicht darum, die Phonologie als Wissenschaft aufzufassen, die sich einzig mit den von allen Redundanzen befreiten Phonemen, das heißt nur mit der Analyse distinktiver Merkmale beschäftigte. Demgegenüber hielt er an der Unterscheidung zwischen distinktiven und redundanten Merkmalen fest, deren Wechselbeziehung die Phonemanalyse zu untersuchen hätte. »Distinctiveness and redundancy, far from being arbitrary assumptions of the investigator, are objectively present and delimited in language.«33 Für Jakobson war das Phonemsystem ein Code, der aufgrund objektiv vorhandener Redundanzen auf den Kanal als Störquelle oder Parasit bezogen ist und der nicht durch Eingrenzung der phonologischen Analyse auf allein distinktive Merkmale >idealisiert< oder >logifiziert< werden darf. 1956 folgte insofern durchaus konsequent als letzte der sechs Funktionen die auf den Kanal Bezug nehmende >phatische FunktionGrund der Beziehung< selbst thematisiert. Malinowskis Erläuterung der »phatic communion« weist bemerkenswerte Parallelen auf zu Serres' Theorie der Kommunikation, nach der Kommunikation nicht Mitteilung von Bedeutungen, sondern Ausschluß eines Dritten ist. The breaking of silence, the communion of words is the first act to establish links of fellowship, which is consummated only by the breaking of bread and the communion offood. 37 Malinowskis Parallele zwischen der Kommunion von Nahrung und der Kommunion von Worten knüpft einen intrinsischen Zusammenhang zwischen Essen und Sprechen, wie ihn auch Michel Serres' Modell des Parasiten herstellt. Sprechen im Modus der »phatic communion« ist nach Malinowski wie bei Serres zunächst nur eine Unterbrechung - die Unterbrechung des Schweigens in Malinowskis anthropologischem, des Hintergrundrauschens in Serres' nachrichtentechnischem Modell. Kommunikation ist Ausschluß eines Dritten, das Oszillieren eines Systems zwischen Ordnung und Chaos. Das Bindeglied zwischen Malinowskis »phatischer Kommunion« und Serres' »Sein der Relation« (i. e. der Parasit) ist indes zweifellos Jakobsons Funktionenschema (siehe Schema 6), in dem der Kanal im Sinne der Shannonschen Informationstheorie mit Malinowskis »ties o f union« kurzgeschlossen wurde. »The phatic function is in fact the point o f contact between anthropological linguistics and technosciences o f informaCONTEXT (REFERENTIAL)

MESSAGE (POETIC)

ADDRESSEE

ADDRESSER (EMOTIVE)

CONTACT

(CONATIVE)

(PHATIC)

CODE (METALINGUAL)

Schema 6: Jakobson (1956)

36

Malinowski, »The Problem of Meaning«, S. 315. Ebd., S. 314.

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE

tion theory.«38 Wie aus einem 1987 im Magazin Omni veröffentlichten Interview mit Shannon hervorgeht, war Shannon offenbar bekannt, daß der zentrale Bezug seiner »information theory« auf den Kanal als >phatische Funktion< Eingang in die Linguistik gefunden hatte. A similar thing happens in the social system where we have lots of aids to communication. If you're talking to me I might say >what?< which is a feedback system to overcome some of the noise, and to get correct transmission.39 Michel Serres hat diesem »feedback system« einen >transzendentalen< Status gegenüber allen anderen Funktionen der Sprache eingeräumt. So wie die »phatische Kommunion« bei Malinowski jene Funktion der Sprache realisiert, die die Situation, die alle anderen Modi des Sprechens immer schon voraussetzen, als solche erzeugt, so geht in aller Kommunikation jedem Ausdruck oder Appell oder jeder Referenzierung ein primordialer Bezug zur Unterbrechung, zur Differenz, zur Abweichung voraus. With this recognition the phatic function becomes the constitutive occasion for all communication, which can thus no longer be conceptualized in the absence of difference and delay, resistance, static, and noise.40 Das Brechen des Schweigens gehört jedoch, wie Malinowski durchblicken läßt, in das Paradigma religiöser Kommunion, es ist eine Ersatzform fur das eucharistische Brechen des Brotes. »Phatische Kommunion« ist das Bindeglied zwischen Kommunikation und der Herstellung eines mystischen bzw. Sozial-Körpers im Ritual. Indes wäre es ein Fehlschluß, die technischen Kanäle als »magische Kanäle« aufzufassen, die die Funktion der »phatischen Kommunion« übernehmen würden. Im Gegenteil: Technische Medien haben das Andere der »phatischen Kommunion« - das Schweigen - in ihre Gewalt gebracht und es anderen als anthropologischen Gesetzen unterworfen. Damit erhöhen sie den Kommunionsdruck, der auf den sprechenden Wesen lastet, immens: Indem sie ein Schweigen bzw. Hintergrundrauschen erzeugen, dessen Reichweite globale Dimensionen angenommen hat, nötigen sie die in diesem Netz Gefangenen permanent zu Äußerungen im Modus »phatischer Kommunion«. Vor allem in der telephonischen Kommunikation hat von den Anfängen (Edisons »Hallo!«) bis zur gegenwärtigen Manie des mobilen Telephonierens offenbar die >phatische Funktion< alle anderen dominiert. Man könnte den Prioritätenwechsel bei den Akzentuierungen verschiedener Funktionen der Sprache, den Serres mit der Akzentuierung der >phatischen Funktion< gegenüber Jakobsons Akzentuierung der poetischen Funktion vollzog, reduktionistisch als eine vom historischen Apriori der Informationstheorie bedingte Ersetzung begrei38

Bruce Clarke, »Constructing the Subjectivity of the Quasi-Object. Serres Through Latour« (Vortrag

auf der Konferenz Constructions of the Self. The Poetics of Subjectivity, University of South Carolina, April 1999), in: http://english.ttu.edu/clarke/quasiobject.htm, o. S. 39

Shannon, zit. nach: Anthony Liversidge, »Profile of Claude Shannon«, in: Shannon, Collected Papers,

hrsg. von Neil J. A. Sloane/Aaron D. Wyner, New York 1993, S. xxviii. 40

Clarke, »Quasi-Object«, o. S. - Clarke zieht an dieser Stelle eine naheliegende Parallele zu Derridas

Schriftkonzept, die hier indessen nicht weiter verfolgt werden kann.

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

fen. Man kann diese Verschiebung innerhalb der Hierarchie der Funktionen des sprachlichen Zeichens jedoch auch in der Weise verstehen, daß die >phatische Funktion die Rolle, die die poetische Funktion im Funktionenmodell des Cercle gespielt hatte, übernimmt, ohne daß damit die poetische Funktion zum Verschwinden gebracht würde. Tatsächlich ist ja unverkennbar, daß der Parasit mit dem Poetischen in einer unauflöslichen Beziehung steht; die parabole ist der Grund der parole, nicht zuletzt Serres' eigener parole. Damit verändert sich indessen im Vergleich zu Jakobson die Bedeutung >des PoetischenDurchbruch< als Schriftsteller betrachtet. Kafka hat selbst in seinen Briefen an Bauer auf den Zusammenhang zwischen parasitärer Ökonomie und seiner Existenz als Schriftsteller angespielt: »Liebste, wie ich aus Deinen Briefen mein Leben sauge, das kannst Du Dir gar 43

Vgl. Franz Kafka, Die Verwandlung, in: ders., Drucke zu Lebzeiten, Textbd., hrsg. von Wolf Kittler/

Hans-Gerd Koch/Gerhard Neumann, Frankfurt/M. 1994 (Kafka, Schriften, Tagebücher, Briefe. Kritische Ausgabe), S. 195: »Grete, die kein Auge von der Leiche wendete, sagte: >Seht nur, wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit nichts gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, so sind sie wieder hinausgekommen.« Tatsächlich war Gregors Körper vollständig flach und trocken, man erkannte das eigendich erst jetzt, da er nicht mehr von den Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick ablenkte.« 44

»>[...] Ich schrieb ihm doch, weil du vergessen hast, mir das Schreibzeug wegzunehmen. Darum

kommt er schon seit Jahren nicht, er weiß ja alles hundertmal besser als du selbst. Deine Briefe zerknüllt er ungelesen in der linken Hand, während er in der Rechten meine Briefe zum Lesen sich vorhält!Untergang< der Nachricht im Rauschen zu sprechen: Es handelt sich ja nicht um eine Entstellung der Nachricht durch das Rauschen, also nicht um >Störungreinen< Sache (der Botschaft), die Abweichung gehört vielmehr, wie Serres sagt, zur Sache, »und vielleicht bringt sie diese erst hervor«54 - Poiesis als fundamentale Operation von Medien. Was Kafka erträumt, ist die Einfaltung der ersten fünf Funktionen des sprachlichen Zeichens (der referentiellen, der expressiven, der konativen, der poetischen und der metasprachlichen) in die sechste Funktion: die phatische. Der Traum feiert das Zugrundegehen der auf die Sache, auf den Sender, den Empfänger, auf den Code oder auf das Zeichen selbst gerichteten Funktionen des Zeichens im Kanal als ihr buchstäbliches >zum Grund gehenWunsch traumWunschtraumWunschtraum< (wie Kafka ihn verwendet) im orthodoxen Sinne irreführend, da er impliziert, daß es noch andere Träume geben könne, die keine Wunschträume wären. Terminologisch bei Freud ist dagegen die umgekehrte Zusammensetzung des Wortes: >TraumwunschDer entwendete Brief««, in: ders., Schriften, Bd. 1, hrsg. von Norbert Haas, Weinheim - Berlin 1986, S. 7-41, hier S. 22 f. 57 Sigmund Freud, Die Traumdeutung, in: ders., Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet, hrsg. von Anna Freud u. a„ Frankfurt/M. - London 61976, Bd. 2/3, S. 139. 54

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE

sehen manifestem Trauminhalt und latentem Traumgedanken. Das hängt wiederum mit dem ersten Punkt zusammen: Die Feststellung »Es war ein Wunschtraum« behauptet den Trauminhalt als Traumwunsch, sie unterbindet den Versuch, den Trauminhalt als Entstellung des latenten Traumwunsches zu lesen. Dabei gibt der Freud-Leser Kafka auch für nur oberflächliche Kenner der Traumdeutung einen unmißverständlichen Hinweis, wie eine solche Lektüre aussehen könnte. Man könnte den Traum schließlich leicht als eine entstellte Erinnerung oder als Parodie des berühmten >Stiegentraums< lesen, dessen Mitteilung und Deutung in der Traumdeutung Otto Rank zugeschrieben wird. Dann wäre die Vorstellung des Erzählers, der »mitten auf einer Treppe« unendlich viele Bögen aus den Umschlägen zieht und auf die Treppe wirft, entsprechend der Freudschen Sexualsymbolik einfach die Symbolisierung des Sexualaktes. Eine Deutung dieser Art übersähe indes den Lektürehinweis, den Kafka selbst mit seinem Kommentar, der Traum sei ein »richtiger Wunschtraum« gewesen, gibt. Die Absicht dieser Bemerkung ist, eine psychoanalytische Deutung im beschriebenen Sinne durchzustreichen: das heißt, ihre Möglichkeit zu erwägen, um sie dann verwerfen zu können. Es geht Kafka also um die Sichtbarmachung einer Verwerfung. Nota bene, will der Kommentar besagen: Die unerschöpflichen Briefe auf der Treppe sind keine Metapher, kein Symbol, kein Ersatz für den eigendich erträumten körperlichen Akt, dessen Nähe jede Schrift auslöscht, sie sind statt dessen die Sache selbst — ebenso wie die Briefe, die Kafka an Bauer schreibt, nicht Ersatz für die eigentliche Erfüllung der Liebe sind, sondern die Erfüllung dieser Liebe selbst. Der Traum, wie alle Träume, die Kafka in seinen Briefen erzählt, hat den Status einer poetologischen Reflexion. Das heißt, er betrifft die Bedingungen und das Wesen* der Literatur. Die Verwandlung des Symbolischen in das Reale, die den umgekehrten Weg geht wie die Logik, führt einen absoluten Grenzwert der Schrift ein - die Seinsweise analoger Medien - , den die Schrift nie erreichen kann, da sie als Schrift immer >digital< bleiben wird, auf den sie jedoch stets bezogen bleibt. Die Approximierung der physikalischen Materialität kontinuierlicher Kanäle, die den Tod des Zeichens in sich trägt, produziert eine notwendige Voraussetzung Kafkaschen Schreibens: die Möglichkeit >untoten< Lebens. Das wird durch Kafkas zweiten Traum verdeudicht, den >TelegraphentraumNimmersatt< genannt und es wurden die Briefe und Karten aufgezählt, die ich in der letzten Zeit bekommen hatte oder die auf dem Weg waren.58 Ergebnis der Traumarbeit, von Verschiebung und Verdichtung, ist ein Apparat, der Telephonie als Grenzwert von Télégraphié realisiert. Denn entweder ist der Apparat ein Telegraphenapparat,59 dann ist das geträumte Zimmer Kafkas ein Büro, von dem er wie Bauer direkt telegraphieren kann; oder aber das Zimmer ist tatsächlich Kafkas Zimmer in der Niklasstraße 36, dann ist der Apparat ein Telephon. Telegraphenapparate kommen in Privatwohnungen nicht vor; dagegen entspricht der im Traum erlebte Gebrauch des Apparates genau dem eines Telephons. Doch die Schnittstelle zwischen dem elektrischen Medium und dem Körper des >Benutzers< ist wiederum kein analoges elektro-akustisches Relais, sondern ein digitales Schreibrelais. Das kontinuierliche Sein des Kanals, das sich im Fall des Analogmediums Telephon durch das Rauschen der Leitung zu Gehör bringt, erscheint in Kafkas Traum verwandelt in ein weißes Papierbändchen, das den diskreten Zeichen >ferngeschriebener< Briefe vorausgeht. Deutlich stellt so der >Telegraphentraum< das komplementäre Gegenstück zum Traum von den Einschreibebriefen dar. Wie dort sich der >Untergang< der Schrift im analogen Rauschen ereignete, so ereignet sich hier das >Auftauchen< der Schrift aus dem weißen Kontinuum des Papierkanals. So wie im Traum von den Einschreibebriefen die >phatische Funktionschlucktphatischen Funktionphatische Funktion< der Zeichen des gesendeten Briefes alle anderen Funktionen dominieren: Statt zu bedeuten oder auszudrücken oder zu befehlen, handelt der getickerte Brief von nichts anderem als von vergangenen und zukünftigen Briefen. Die Involution der sozialen und denotativen Funktionen des Zeichens in die Funktion, die auf die Materialität des Kanals verweist, stellt die Befreiung des Zeichengebrauchs von den sozialen Disziplinierungen des Bedeutens dar. Bedeutung hängt für Kafka vollständig vom Beziehungsaspekt der Kommunikation ab - von den inexpliziten Anweisungen an die Kommunikationspartner, wie die zwischen ihnen

Kafka, Briefe an Feiice, 6.-7. 12. 1912 [vermutl. 7.-8. 12. 1912], S. 165f. 59

Offenbar handelt es sich um einen sogenannten >Hughes-ApparatKampf auf Leben und Todeßbare< Materialität. Zentral für das Verständnis dieser Kommunikationsphantasie ist daher der Name >NimmersattNimmersatt< ist eine schwächere Variante der fur Kafkas Poetologie insgesamt so zentralen Figur des >HungerkünsdersLebens< - Verlobung, Heirat, Familiengründung und -unterhalt - einfuhrt, 65 findet in der parasitären Logik des

60

Vgl. dazu Paul Watzlawick/Janet H. Beavin/Don D. Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen,

Störungen, Paradoxien, Bern - Stuttgart - Wien 1974. Kafka, Briefe an Feiice, 3. 4. 1914, S. 537. 62

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 2 1975, S. 148 f.

63

Vgl. dazu Jean-Marc Elias, »Le parlographe. La représentation d'une voix«, in: Revue des Sciences

Humaines, Nr. 195 (1984), S. 151-166, hier S. 153 (mit Bezug auf den Traum von den Einschreibebriefen): »Des feuilles sont pliées deux fois par jour et se plient à la demande que l'on réponde (deux fois par jour) comme s'il s'agissait A LA FOIS d'établir un continuum, une communication totale et de multiplier le geste de coupure.« 64

Auf die sprachliche Natur des Anerkennungsgeschehens in der Phänomenologie hat bereits Bruno

Liebrucks hingewiesen (vgl. ders., Sprache und Bewußtsein, Bd. 5: Die zweite Revolution der Denkungsart, Frankfurt/M. 1970, S. 82-96). 65

Im Kontext des >Hungerkünstlers< erscheint das Paradox des Kafkaschen Briefes in Zusammenhang

mit der Frage nach der Möglichkeit von Kunst (also als poetologische Frage).

TRANSFORMATION DER KÜNSTE Vampirismus, die die paradoxe Konstruktion eines >untoten Lebens< - eines geborgten Lebens - beglaubigt, so etwas wie eine subkulturelle Legitimierung. Zum Modell, das die Beziehung der einander an sich ausschließenden Bereiche der Sozialordnung und der literarischen Produktion regelt und Kafka eine parasitäre Position, die Position des Schriftstellers, einräumt, kann der Vampirismus allerdings nur werden, wenn das traditionelle Lebenselixier der Vampire, der Blutstrom, durch einen Schriftstrom ersetzt wird, ohne daß dabei die Semantik der Ernährung aufgegeben wird. Briefe erscheinen so als Nahrung, ihre Lektüre als Eß- oder Trinkvorgang. »Liebste, wie ich aus Deinen Briefen mein Leben sauge, das kannst Du Dir nicht vorstellen« 66 . Die Gegensätze von Gesundheit und Auszehrung, Tag und Nacht, Leben und Schreiben, sozialer Existenz und asozialer Abgeschiedenheit, die das semantische Feld bestimmen, in dessen Umkreis Kafka die Beziehung zu seiner Verlobten interpretiert, folgen dieser Logik des Parasiten, die den Bedeutungskomplex der Ernährung mit der >phatischen Funktion* der Zeichen überblendet. Kafka imaginiert sich im Traum als vampiresker Brief>Nimmersattwie ein Einsiedler« [i. e. das offenbar von Bauer angebotene Kulturmodell], das wäre nicht genug, sondern wie ein Toter. Schreiben in diesem Sinne ist ein tieferer Schlaf, also Tod, und so wie man einen Toten nicht aus seinem Grabe ziehen wird und kann, so auch mich nicht vom Schreibtisch in der Nacht.« (Ebd., 26. 6. 1913, S. 412.)

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE

transformiert, kommt zusätzlich die im Modell des Vampirismus angelegte Konfusion von Sexualtrieb und Nahrungstrieb, von Liebesanspruch und Ernährungsanspruch. Nun, alle diese "Widersprüche haben einen einfachen und nahen Grund, ich wiederhole es, [...] es ist mein Gesundheitszustand, nichts sonst und nichts weniger. [...] Deshalb vor allen Dingen und nicht einmal so sehr aus Liebe zu Dir brauche ich Deine Briefe und verzehre sie förmlich [.. .].68 Nicht nur hier denunziert Kafka den wahren Grund seines Briefverlangens. Er leitet sich ab von der Amalgamierung von Liebesakt und Ernährungsakt, die das Vampirmodell vorsieht: die Grenze zwischen Küssen und Trinken ist verwischt, das eine kann jederzeit in das andere übergehen.69 [...] wenigstens ahnen mußt Du es doch, daß mein Verlangen nach einer möglichst ununterbrochenen brieflichen Verbindung mit Dir seinen Grund nicht eigendich in der Liebe hat, denn die müßte Dich doch in Deiner jammervollen Müdigkeit der ganzen letzten Zeit zu schonen suchen, sondern in meiner unglücklichen Verfassung.70 An die Stelle eines idealistischen Konzepts der Sprache als Anerkennungsgeschehen, in dem sich das Subjekt als soziales Wesen konstituiert, tritt eine »phatic communion« in Form der medientechnischen Paradoxie einer »ununterbrochenen brieflichen Verbindung«. Malinowskis Definition der »phatic communion« entsprechend, ist das Brechen des Schweigens die einzige Funktion der Briefe. Drei einander wechselseitig bedingende Amalgamierungen heterogener Ordnungen bestimmen also den Komplex des Kafkaschen Kommunikationsbegehrens und bilden das fundamentale Schema der Kafkaschen Poetologie: Erstens das Paradox einer »ununterbrochenen brieflichen Verbindung«, in dem die diskrete Natur der Briefe, die den »Kampf auf Leben und Tod< zwischen dem Ich und dem Anderen interpungieren, amalgamiert wird mit der kontinuierlichen Natur eines analogen technischen Kommunikationsmediums, das den Schnitt als Manifestation der denotativen und sozialen Funktionen des Zeichens suspendiert. Zweitens die vampireske Übertragung der Liebe in den Bereich der Ernährung, die den sozialen Tausch- und Anerkennungsaspekt der Liebe durch den Aspekt des Parasitentums ersetzt. Und drittens die Verwandlung des Blutstroms in den Schriftstrom, durch die das Parasitenmodell anschlußfahig wird an den Topos von der Verwandlung von Leben in Kunst. Chiffre dieses Komplexes ist das Rauschen der technischen Kanäle. Es steht im Zentrum des dritten Kafka-Traums, des sogenannten >Pontus-Traumsphatische Funktion< in die Ordnung der abendländischen Literatur übersetzt wird.

68

Ebd., 26. 11. 1912, S. 129. Einen Vorläufer hat Kafka in dieser (und nicht nur in dieser) Hinsicht in seinem Lieblingsautor Kleist. Man denke an die Oszillation zwischen Küssen und Bissen in der Penthesilea: »PENTHESILEA. So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,/ Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,/ Kann schon das eine fur das andre greifen.« (Heinrich von Kleist, Penthesilea, in: ders., Sämtliche Werke und Βήφ, hrsg. von Helmut Sembdner, Dannstadt «1985, Bd. 1, S. 425, Vers 2980-2983.) 69

70

Kafka, Βήφ an Felice, 10. 4. 1913, S. 361.

25

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

Nun ich werde ja auch nicht schlafen, sondern nur träumen. Wie gestern ζ. B., wo ich im Traum zu einer Brücke oder einem Quaigeländer hinlief, zwei Telephonhörmuscheln, die dort zufällig auf der Brüstung lagen, ergriff und an die Ohren hielt und nun immerfort nichts anderes verlangte, als Nachrichten vom >Pontus< zu hören, aber aus dem Telephon nichts und nichts zu hören bekam, als einen traurigen, mächtigen, wortlosen Gesang und das Rauschen des Meeres. Ich begriff wohl, daß es für Menschenstimmen nicht möglich war, sich durch diese Töne zu drängen, aber ich ließ nicht ab und ging nicht weg.71 Der Traum bezieht sich auf den Topos des Musenanrufs, dem er eine neue historische Wendung gibt. Es handelt sich daher um nichts weniger als um eine poetische Sprachursprungsphantasie, die nach Herders Verabschiedung des theologischen Modells durch das anthropologische nun in einem medientechnischen Modell den Ursprung der Sprache wieder jenseits des Menschen zu finden versucht. Am Ursprung der Sprache spricht nicht mehr der Mund der Muse wie bei Homer, es macht auch kein Muttermund den Dichter sprechen wie in der Romantik,72 statt dessen erscheint als Ursprung der Sprache das Hintergrundrauschen des Telephonkanals, der signaltechnische >Grund des Seinsphatischen Funktion sich erschöpft, auf den Kanal als Nicht-Relation (d. h. auf den Parasiten) zu verweisen. Wenn Kafka mit dem Telephongesang, der ein Zwischenreich zwischen dem Körper und den zirkulierenden Zeichen definiert, auf jene etwa bei Herder überlieferte Theorie des Sprachursprungs anspielt, nach der des Menschen erstes Sprechen Gesang gewesen sein soll,74 dann handelt es sich jedenfalls um eine pervertierte Bezug-

Ebd., 22.-23. 1. 1913, S. 264. Vgl. Friedrich A. Kittler, Aufichreibesysteme 1800/1900, München 1985. 73 Franz Kafka, Das Schloß. Kritische Ausgabe, hrsg. von Malcolm Pasley, Frankfurt/M. 1982, S. 115 f. 74 Vgl. Johann Gottfried Herder, »Abhandlung über den Ursprung der Sprache«, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, Berlin 1891, Reprint Hildesheim 1967, Bd. 5, S. 57-59: »Die Tradition des Altertums sagt, die erste Sprache des menschlichen Geschlechts sei Gesang gewesen, und viele gute Musikalische Leute haben geglaubt, die Menschen könnten diesen Gesang wohl den Vögeln abgelernt haben. - Das ist freilich viel geglaubt! [...] War also die erste Menschensprache Gesang: so wars Gesang der ihm so natürlich, seinen Organen und Naturtrieben so angemeßen war, als der Nachtigallengesang ihr selbst, die gleichsam eine schwebende Lunge ist, und das war — eben unsre tönende Sprache. Condillac, Roußeau und andre sind hier halb auf den Weg gekommen, indem sie die Prosodie und den Gesang der ältesten Sprachen vom Geschrei der Empfindung herleiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung freilich die ersten Töne und erhob sie; so wie aber aus den bloßen Tönen der Empfindung nie Menschliche Sprache entstehen konnte, die dieser Gesang doch war; so fehlt noch Etwas, ihn hervorzubringen: und das war eben die Namennennung eines jeden Geschöpfs nach seiner Sprache. Da sang und tönte also die ganze Natur vor; und der Gesang des Menschen war ein Concert aller dieser Stimmen, so fern sie sein Verstand brauchte, seine Empfindung faßte, seine Organe sie ausdrücken konnten - Es ward Gesang, aber weder Nachtigallenlied 72

1. DIE GEBURT DER LITERATUR AUS DEM RAUSCHEN DER KANÄLE

nähme. Worauf der Gesang in Kafkas Traum hindeutet, ist nicht der phylogenetische Spracherwerb des Menschen, sondern der technikgeschichtliche Spracherwerb des Telephons. Nur fünf Tage vor dem >Pontus-Traum< hatte Kafka, wie er Bauer schreibt, einen alten »Jahrgang der Gartenlaube aus dem Jahre 1863 [...] durchgeblättert«75. Dieser Jahrgang enthält einen Artikel mit dem Titel »Der Musiktelegraph«, der von der Vorführung des von Philipp Reis erfundenen Telephons am 4. Juli 1863 in einer Sitzung des Physikalischen Vereins in Frankfurt am Main berichtet. Aus ihm konnte Kafka entnehmen, daß Reis' Apparat noch keine gesprochene Sprache, sondern nur »mäßig laut gesungene Melodien in einer Entfernung von circa 300 Fuß deutlich hörbar übertrug«76. Das Menschenwesen ist »aus dem Sprechen einer Sprache ereignet«77, die nicht mehr sprechbar ist im Maße, wie sie sich in einen Materiestrom oder ein Integral aller in der Bandbreite des Kanals möglichen Frequenzen verwandelt hat. Kafkas den Menschen nicht mehr von der Natur, sondern vom technischen Medium her denkende Sprachursprungsphantasie trägt der von der Physiologie des späten 19. Jahrhunderts ermittelten Tatsache Rechnung, daß die »Physiologie des Menschen nicht auf den Sinn, sondern auf die Mauer zwischen Rauschen und Signalcode eingerichtet«78 ist. An diesem signaltechnischen wie technikgeschichtlichen Ursprung der Sprache erhofft der Träumer, die Stimme der Literatur zu hören. Der Ursprung von Literatur wird der Poiesis der Medien überantwortet. Denn die »Nachrichten vom >PontusHörspielHörspiel< als literarische Gattung ermöglicht haben, geradezu von einer >negativen Radioästhetik< sprechen. Daß das Hörspiel überhaupt zur Literatur gerechnet wird, ist Ergebnis einer politischen Rauschunterdrückung, die vor allem einen experimentellen Hörspieltyp betraf, der in den 20er und frühen 30er Jahren von Künstlern und Intendanten der Avantgarde entwickelt wurde. Der Intendant des Berliner Rundfunks Hans Flesch und sein Kollege vom Schlesischen Rundfunk Friedrich Bischoff waren der Auffassung, daß das Ausgangsmaterial von Hörspielen nicht Texte seien, sondern Tonaufzeichnungen. Nicht >Schöpfung< im Sinne des literarischen Diskurses, sondern >Experiment< war das zentrale Konzept von Flesch und der ihm verbundenen Radiokünst-

York 1970, S. 54-57, hier S. 54: »Wherever we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs us. When we listen to it, we find it fascinating. The sound of a truck at 50 m.p.h. Static between the stations. Rain.« 106

Ebd., S. 54-56.

107 Vgl Serres, »Der platonische Dialog«, S. 50.

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

1er.108 Wenn das Ausgangsmaterial fur Hörspiele nicht Texte, sondern Tonaulzeichnungen sind, wird der Schnitt zum grundlegenden Mittel der Hörspielproduktion. Um Hörspiele schneiden zu können, mußte man sie zunächst aufzeichnen wie einen Tonfilm ohne Bilder. Im Auftrag von Flesch >drehte< Walter Ruttmann (vor allem bekannt durch seinen Stummfilm Berlin — Symphonie einer Großstadt) 1930 den >Hörfilm< Wochenende, indem er das von Engl, Massolle und Vogt 1921 erfundene Triergon-Verfahren (also Lichtton) verwendete.109 Damit trat das Radio nicht nur sendetechnisch, sondern auch produktionstechnisch ins elektronische Zeitalter ein. Die Elektronenröhre, wesentliches Element des Triergon-Verfahrens, machte einen Hörspieltyp möglich, der sich von der Literatur emanzipierte und auf Filmmaterial und ästhetischen Mitteln des Films (Schnitt, Montage) beruhte. Diese Versuche endeten indes 1932; sie wurden erst Ende der 60er Jahre vom Neuen Hörspiel wiederentdeckt und weitergeführt. Das Hörspiel nach 1945 Schloß nicht an die Weimarer Avantgarde an, sondern - mit massiver hörspieltheoretischer Unterstützung vor allem von Heinz Schwitzke — an die Theorien und ästhetischen Konzepte des Goebbelsberaters und (ab 1933) Intendanten des Bayerischen Rundfunks Richard Kolb. Dessen Doktrin vom »zeugenden Wort«, durch das im Inneren des Radiohörers das »Bild des Absoluten« gleichsam elektromagnetisch »ausgelöst« werde,110 wurde im >Worthörspiel< der Nachkriegszeit, dem sogenannten >Hörspiel der Innerlichkeitinneren Bühnelittréponge< verfugen, welche den geschichdich gewordenen Bestand der Sprache nicht nach einem ausschließlich statistischen Verfahren, sondern unter Verwendung von Lemmata konsultiert und nach Pongeschen Kriterien entscheidet, welche Wörter >passen< und welche nicht. In jedem Fall müßte die Intelligenz dieses Programms (und/ oder die seines Programmierers)23 derjenigen von Francis Ponge entsprechen, und die Ergebnisse des Programms hätten denselben Grad an (Un-)Vorhersagbarkeit wie diejenigen des Francis Ponge. Ob man solche Ergebnisse dann der »transklassischen Maschine«24 oder der Individualität von Autoren zuschreibt, wird vielleicht unerheblich, sobald deutlich ist, wie groß, so oder so, der Abstand zu dem ist, was eine Rassische Maschine< könnte. Ohnehin sind solche Spekulationen bloß dem Sachverhalt geschuldet, daß >Exaktheit< im Zeitalter von Informationstheorie und Großrechenanlagen nur als Formalisierbarkeit unter Einschluß von statistischen Größen gedacht wird. Ponge selbst, der für Benses Umgang mit Maschinen offenbar nur eine naive Bewunderung entwickeln konnte,25 hat seinen Begriff der Exaktheit vielmehr an seinem Gewährsmann Malherbe (1555-1628) entwickelt - und damit allerdings ein Modell bereitgestellt, das Bense und Walther wiederum unschwer auf ihr Interesse an Formalisierbarkeit zurückbeziehen konnten: »[...] die Vorliebe fur Malherbe ist [...] ein cartesianisches Sprachbewußtsein; das Bewußtsein, daß es nicht nur in der physikalischen Welt methodisch zugehe, auch in der sprachlichen.«26 Ob daraus die Programmierbarkeit von Ponges Texten abzuleiten ist, ist weniger entscheidend, als daß diesen in einem spezifischen Sinne die » Voraussetzung [fur] statistische und algebraische Messungen«27 zugrunde liegt. Denn prinzipiell läßt sich dies natürlich mit jedem beliebigen Text machen. Aber nur ein Text, der dem Exaktheitsanspruch von Ponge genügt, garantiert, daß die zufallige Verteilung seiner Parameter insofern nicht zufällig ist, als der Text genau so sein muß, wie er ist, daß kein Iota an ihm geändert werden dürfte, ohne daß er aufhörte zu >funktionieren< - Ponge schreibt in pour un malherbe mehrmals ausdrücklich vom »fonctionnement« der Sprache, davon einmal in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Erinnerung an die Elektrizität und seinen Text darüber.28 Ponges Texte, verfaßt nicht in einer formalen, sondern in einer materialen Sprache, die neben

Oder, falls das Programm von einem Programm geschrieben wird, die Intelligenz des Programmierers dieses Programms (ad infinitum). 24 Bense, Aesthetica, S. 259. 25 Vgl. Francis Ponge, »Pour Max Bense« (1970), in: ders., Nouveau nouveau recueil, Bd. 3:1967—1984, hrsg. von Jean Thibaudeau, Paris 1992, S. 24-28, hier S. 28. 26 Bense, »Francis Ponge«, S. 21. Vgl. Francis Ponge, pour un malherbe, Paris 1965; und die AuswahlÜbersetzung von Elisabeth Walther: praxis der spräche aus malherbe, Stuttgart 1967, dort auch das Nachwort von Walther. 27 Bense, »Francis Ponge«, S. 19; Herv. R. St. 28 Vgl. Ponge, pour un malherbe, S. 148. 23

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

einer irreduziblen optischen und akustischen Ausdehnung eine ebenso irreduzible Bedeutungs-Geschichte hat, sind keine mathematischen Formeln und keine Programme; aber sie teilen mit mathematischen Formeln, daß sie falsch werden, mit Programmen, daß sie aufhören zu funktionieren, wenn an ihnen einzelne Elemente ohne Rücksicht auf die ihnen eigene Struktur geändert werden. Der Einfluß der Elektrizität auf die Sprache ist irreversibel. Sprache (jedenfalls eine formalisierte) kann die Matrix von elektrischen Apparaten bilden, in diese implementiert oder in deren Metaphern verstanden werden.29 Aber: Man kann nicht entscheiden, ob die Sprache selbst elektrisch >istz. B.< auf die Elektrizität). Dieser Anspruch mag in hohem Maße problematisch sein, aber er hört damit nicht auf. Ponge schreibt über die Elektrizität, will etwas über ihren sehr spezifischen Status aussagen: daß sie existiert, daß ihre Existenz nicht vergessen werden sollte (vgl. 490), daß sie deswegen noch lange keine Vertraulichkeit erweckt (vgl. 503), daß sie (anders als etwa der Wind) in nichts an dem teilnimmt, was sie bewirkt (vgl. 504), daß sie einen irreversiblen Einfluß auf die Sprache hat.

Die Dinge (das heißt die Technik), die Wörter, der Mensch Das 20. Jahrhundert reflektierte sich gerne auf einer Matrix, die aus drei Vektoren besteht: Technik, Sprache und Mensch. In der phänomenologisch geprägten Tradition der französischen Philosophie stehen fur die Technik meistens, in einer Art von »phänomenologischer ReduktionBestand< der Möglichkeit von Gegenständen überhaupt ist, so ist die Elektrizität ihr künstlicher, historischer >Bestanderst< ungefähr zweihundert Jahre alten epistemischen Konstellation, welche die Lebewesen, die Ökonomie und die Sprache auf die zentrale Position des lebenden, arbeitenden und sprechenden Menschen hin orientiert hat. Eine seinerzeit aktuelle Schicht von Fou-

31 Martin Heidegger, »Die Frage nach der Technik« (Vortrag an der Technischen Hochschule München, 18. 11. 1953), in: ders., Vorträge und Aufsätze, Teil I, Pfullingen 31967, S. 5-36, hier S. 13-16. 32

Vgl. ebd., S. 15 (mit Bezug auf Hölderlins Ode Der Rhein). Sonne und Elektrizität sind auch Bedingung der Möglichkeit ihrer >Definition-BeschreibungHumanismus< involviert sind. Sartre nivelliert die Äußerlichkeit von Dingen, die mit dem Bewußtsein eben nicht zu verschmelzen sind, d. h. alles, was an ihnen >Bestand< ist. Und er nivelliert tendenziell - trotz aller Genauigkeit, mit der er die Sprache von Ponge beschreibt - die Äußerlichkeit der Sprache, wenn er sie mit dem >Menschsein< identifiziert. Es ist vor allem diese letztere Nivellie-

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Ponge verdankt es dem Aufsatz zu einem guten Teil, daß er schon vor seiner Begegnung mit der Tel Quel-Gruppe ein wenig bekannt war. * Vgl. Sartre, »Der Mensch und die Dinge«, S. 270 ff., zit. S. 274. 37 Ebd., S. 247. - Das Ponge-Zitat, mit dem Sartre diese Annahme belegt, bestätigt übrigens zweifellos eine Sorge fur den Menschen, keineswegs aber die Gleichsetzung von Sprechen und Menschsein oder gar die dienende Rolle des Fachmanns der Sprache. 38 39

Ebd., S. 290; vgl. auch S. 280. Ebd., S. 285 u. 288.

2. EXAKTE TEXTE

rung, gegen die Foucault anschreibt, wenn er die Geschichte des abendländischen Wissens bilanziert: Das einzige, was wir im Augenblick mit voller Sicherheit wissen, ist, daß niemals in der abendländischen Kultur das Sein des Menschen und das Sein der Sprache zusammen existieren und sich ineinander fugen haben können.40 Möglich ist es jedoch, das Spannungsverhältnis von Sprache und Mensch auszuloten. Ponge tut dies, gerade indem er sich nicht auf den Menschen, sondern auf die Dinge konzentriert: »je me fais tirer,par Us objets, hors du vieil humanisme« (536). Unter diesen Dingen, mit Hilfe derer Ponge sich einem alten Humanismus entzieht, sind - hier eben ohne phänomenologische Reduktion< - historisch gewordene, technische >Gestelle< wie die Elektrizität. Und diese haben nicht nur die Sprache verändert, sondern auch »une autre conception de l'homme« (496) entstehen lassen, »un homme mieux différencié« (505). Differenzierter ist dieser Mensch nicht deshalb, weil er die Apparate (wie das eine anthropozentrische Technik-Philosophie dachte) als verlängerte Körperglieder gebrauchen kann, sondern gerade, weil die Apparate, denen er sich stellt, ihm radikal äußerlich, »tous entièrement distincts de sa personne«· (507), sind.41 Die Sprache ist nicht die Technik, doch ist sie strukturanalog: Auch sie ist >Bestanden masseOrthographie des Gesichtsausdrucks< zur Kenntnisnahme. Unter den Zügen, die zu einer besonderen Ausdrucksbewegung gehören, unterscheidet Duchenne fundamentale Linien, die gewissermaßen die pathognomische Signatur geben, und sekundäre Linien, die etwas hinzufugen oder den Spannungs- und Steigerungsgrad von Emotionen beeinflussen. Auch wenn >große Künsder< weniger in den fundamentalen als in den sekundären Ausdruckslinien irrten, macht Duchenne eine befremdliche Entdeckung: Wiederholt neigen Künsder dazu, Linien, die stark berührende sympathetische Emotionen anzeigen, mit Ausdruckslinien der schlimmsten Leidenschaften zu verbinden, obwohl die Natur solche Verbindungen mechanisch unmöglich macht. Unter diesem Gesichtspunkt unterzog Duchenne auch verschiedene antike Plastiken einer physiologischen Kritik - darunter neben dem Kopf des von Duchenne auch unter dem Namen Arrotino geführten Schleifers aus der Marsyas-Gruppe und der Niobe (Kopie nach einem Original des späten 4. oder des 3. Jahrhunderts v. Chr.) auch die Laokoon-Gruppe. In Duchennes Antiken-Kritik geht es jeweils um den Antagonismus von m. frontalis (als Muskel der Aufmerksamkeit) und m. corrugator supercilii (als Muskel der Pein). Bei Kontraktion des ersteren wird die Stirn in ihrer ganzen Breite in Falten gelegt, bei Kontraktion des corrugator werden die Augenbrauen an der Nasenwurzel steil hochgezogen, und die Falten der Stirn beschränken sich auf deren mitderen Teil. Der Kopf des Laokoon muß sich den Vorwurf physiologischer Inkorrektheit gefallen lassen, weil Aufmerksamkeits- und Schmerzmuskel zugleich in Aktion gesetzt sind. Da die gleichzeitige Reizung antagonistischer Ausdrucksmuskeln keine klaren Zeichen, sondern eine Grimasse erzeugt, aus der Signale erst herausgefiltert werden müssen, müßte eigendich vom Laokoon gesagt werden, er grimassiere - wenn nicht die fundamentale Ausdruckslinie des Schmerzes dominieren würde. Der >Fehler< betrifft nur die sekundären Ausdruckslinien. Die Mittellinien auf der Stirn stünden in perfektem Einklang mit der schrägen und gewundenen Stellung, die die Augenbraue durch Kontraktion des Augenbrauenrunz-

3. VOM ELEKTRIFIZIERTEN AUSDRUCK ZUR ELEKTRIFIZIERTEN STATUE

lers einnimmt; doch die seitliche Furchung der Stirn kann der Physiologe mit seinen experimentalen Ergebnissen nicht vereinbaren. Duchenne ließ einen Gipsabguß anfertigen, in dem dieser Fehler korrigiert ist (Abb. 1 u. 2). Wenn Duchenne entscheidet, ob eine Kopf-Replik des Laokoon lediglich physischen oder auch moralischen Schmerz (als Ausdruck väterlicher Liebe) erkennen läßt, setzt er die ausdrucksmächtige Seele erneut in ihre, allerdings geschmälerten, Rechte ein.

Abb. 1: Kopf des Laokoon (Rom, Vatikan). Aus: Guillaume-Benjamin Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression (1862), hrsg. u. übers, von R Andrew Cuthbertson, Cambridge u. a. 1990, Abb. 70.

Abb. 2: Duchennes Vorschlag für eine pathognomische Korrektur am Laokoon-Kopf. Aus: Guillaume-Benjamin Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression (1862), hrsg. u. übers, von R. Andrew Cuthbertson, Cambridge u. a. 1990, Abb. 71.

Größere Schwierigkeiten bietet die gleichzeitige Kontraktion von frontalis und corrugator supercilii im Antlitz des Schinders aus der hellenistischen Marsyas-Gruppe (Abb. 3 u. 4). Wenn die queren Stirnfalten beibehalten werden, müssen Form und Richtung der Augenbrauen verändert werden. Duchenne findet sich in einen Deutungskonflikt verwickelt: Wenn es sich bei dem Arrotino um den Skythen aus der Marsyas-Gruppe handelt, dem Apollon befohlen hat, dem an einen Baum gefesselten Marsyas bei lebendigem Leibe die Haut abzuziehen, dann ist der Ausdruck des Schmerzes, der durch die Kontraktion des m. corrugator supercilii erzeugt wird, möglicherweise angemessener. Vielleicht wünschte der Bildhauer uns zu zeigen, wie der Skythe beim Anblick des unglücklichen Opfers, das aus einem so geringfügigen und frivolen Motiv heraus so grausam zu martern ausersehen war, von Furcht und Mideid erfüllt wurde. [...] Doch könnte das Herz eines Mannes mit groben Zügen und niedriger Stirn solchen Gefühlen zugänglich sein? Wünschte der Bildhauer einfach zu zeigen, wie der Barbar seine Arbeit unterbricht, um sein Opfer zu mustern?

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Abb. 3 u. 4: Duchennes Alternatiworschläge fur eine pathognomische Korrektur am Kopf des kauernden Skythen, des sogenannten Schleifers (Florenz, Uffizien). Aus: Guillaume-Benjamin Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression (1862), hrsg. u. übers, von R. Andrew Cuthbertson, Cambridge u. a. 1990, Abb. 68 u. 69.

[...] In diesem Falle könnte der aufblickende Skythe durch das Licht geblendet sein und seine Augenbrauen in einer Art Spasmus zusammenziehen [...]. Doch welche von diesen Hypothesen ist wahr?6 Vielleicht wird aber auch die Figur in einer so zwiespältigen Haltung gezeigt, daß die Deutungsalternativen nicht entscheidbar sind.7 Seine Antikenkritik hat Duchenne den Vorwurf eingetragen, Fürsprecher eines »anatomischen Realismus auf der Linie einer gewissen modernen künstlerischen Schule«8 zu sein. Duchenne wies den Vorwurf zurück, indem er sich selber nachdrücklich vom modernen Realismus abgrenzte, der die Natur lediglich in ihren Unvollkommenheiten und sogar Deformationen zeige und das Grobe, Vulgäre oder Triviale zu bevorzugen scheine. Keineswegs widersprach Duchenne dem Vorurteil, das den Hauptprobanden der elektrophysiologischen Studien in seiner Häßlichkeit als abnorm und ästhetisch reizlos abqualifizierte: eben jenen zahnlosen älteren Mann mit Halbglatze und ungepflegtem Haar, dessen halbgelähmte Muskeln Duchenne immer wieder bis zur Grimasse gereizt hatte. Doch gerade die Photographien, die Duchennes >alte und häßliche< Versuchsperson zeigen, lassen eine innovative Auffassungsweise er-

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Guillaume-Benjamin Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression (1862), hrsg. u. übers, von R. Andrew Cuthbertson, Cambridge u. a. 1990, S. 97; Übers. M. F. 7 Zur Marsyas-Gruppe vgl. Michael Franz, Von Gorpas bis Lukrez. Antike Ästhetik und Poetik als vergleichende Zeichentheorie, Berlin 1999, S. 490-494. 8 A. Latour, zit. nach: Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression, S. 109, Fußnote.

3. VOM ELEKTRIFIZIERTEN AUSDRUCK ZUR ELEKTRIFIZIERTEN STATUE

kennen, die in Schonungslosigkeit und Konsequenz an die bizarren und grotesken plastischen Parlamentarierköpfe von Daumier erinnert. Duchenne hätte einen solchen Vergleich mitnichten als Kompliment empfunden. Wenige Monate nach Erscheinen seiner Schrift Mécanisme de la Physionomie Humaine publizierte Duchenne separat einen zusätzlichen ästhetischen Abschnitt, in dem er nicht nur auf einige Kritiker antwortete, sondern auch seine »elektrophysiologische Ästhetik« in Arrangements vor der Kamera vorführte. Künstler und Kunsdiebhaber hatten Duchenne gefragt, warum er fiir einen ästhetischen Gegenstand wie die menschliche Mimik auf ein so häßliches Gesicht wie das seines Hauptprobanden, eines gewöhnlichen älteren Mannes mit partieller Gesichtslähmung, zurückgegriffen hätte. Die Begründung hatte Duchenne schon früher gegeben: Gerade das empfindungslose Gesicht habe ihm erlaubt, die Muskelaktion mit gleicher Effizienz wie bei einem Leichnam zu studieren.9 »Unter dem Einfluß meiner Elektroden wurde sein Gesichtsausdruck zur Manifestation des Gedankens (Aufmerksamkeit, Reflexion) oder durch differierende Leidenschaften belebt.« Doch Duchenne wollte auch den Forderungen der Ästhetik genügen: »Schönheit der Form, verbunden mit Exaktheit des Gesichtsausdrucks, der Pose und der Gestik«.10 Bereits in seinen physiologischen Hauptstudien hatte Duchenne der zentralen Versuchsperson einen »jungen begabten Künsder und Anatomen«11 beigegeben, von dem er überzeugt war, er werde den geltenden Schönheitsnormen in jeder Hinsicht gerecht. Von dem als Jules Talrich identifizierten Beau ließ er sich verschiedene Gesichtsausdrücke, die er elektrisch induzieren wollte, gleichzeitig vorspielen, um beides miteinander zu vergleichen und aneinander zu überprüfen.12 Talrich war augenscheinlich an Bühnenkonventionen fur Gesichtsausdrücke orientiert, wie sie im Frankreich der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts vorherrschten. In seinen zusätzlichen »Studien zu einer elektrophysiologischen Ästhetik« piazierte Duchenne sorgfältig ausgewählte Versuchspersonen in arrangierten Posen vor dem Photoapparat, um durch elektrische Stimulierung >ästhetische Gesichten zu bilden, die er - als Regisseur und Experimentator - mit Hilfe eines Assistenten photographierte. Mit einer erblindeten jüngeren Dame spielte er Gesichtsausdrücke einer Nonne beim Gebet durch - beständig in Gefahr, aber auch in Versuchung, Grimassen zu produzieren, weil er den Ausdruck jeweils in der linken und rechten Gesichtshälfte variierte: resigniertes Leiden vs. einfaches Traurigsein; tiefe Besorgnis vs. ekstatische Freude; irdische vs. himmlische Liebe usw. Mit einer anderen jungen Frau inszenierte er, sich allein auf seine Urteilskraft und sein künsderisches Gefühl verlassend, Stadien der Grausamkeit in Auftritten

9 Durch dieses Gesicht, das einem »lebenden Leichnam« gehört, wird Physiognomik, wie von Herrmann und Siegert schreiben, »überhaupt auf die Herstellung der Differenz zwischen Tod und Leben« bezogen (von Herrmann/Siegert, »Beseelte Statuen - zuckende Leichen«, S. 80 f.). 10 Duchenne, The Mechanism ofHuman Facial Expression, S. 102. 11 Ebd., S. 44. 12

Vgl. Jean-François Debord, »The Duchenne de Boulogne Collection in the Department of Morphology, L'École Nationale Supérieure des Beaux Arts«, in: Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression, S. 242-256, bes. S. 248; Übers. M. F.

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der Lady Macbeth, indem er seine Experimente mit dem Muskel der Aggression (dem Pyramidalmuskel der Nase) wiederholte: »Dieser Muskel war bei meiner jungen weiblichen Person so gut ausgebildet, daß ich auf ihrem Gesicht, auf dem ich soeben noch die süßesten und anrührendsten Emotionen gezeigt hatte, das Haupt der Medusa hervorrufen konnte, eine Furie und dergleichen mehr.«13 Duchenne reizte den Muskel der Grausamkeit gemäß der eigenen Interpretation der Shakespeareschen Figur. Zugleich reproduzierte er Darstellungskonventionen einer hochexaltierten Spielweise, die Pose an Pose reihte. Dies wird vor allem durch die pathetisch-konventionelle Gestik unterstrichen, die nicht elektrisch stimuliert ist, sondern den Geschmack des Arrangeurs dokumentiert. Dem entspricht auch Duchennes Wertschätzung des jungen Talrich, der in Haltung und Ausdruck vor allem Eitelkeit und Sentimentalität erkennen ließ. Duchennes Vorgehen ist durchaus widersprüchlich. Indem die Elektroden an die Stelle der seelischen Bewegungen treten, wird die traditionelle Ausdrucksrelation manifeste Symptome: Innerlichkeit des Ausdrückenden* (Karl Bühler) aufgebrochen. Der Affektausdruck kann auch unabhängig von Affekten produziert werden. Doch zugleich operierte Duchenne, wie jeder zeitgenössische Ausdrucksforscher, über einem Repertoire affektiver Ausdruckswerte, die er bestimmten ausdrucksfähigen Muskelbewegungen zuzuordnen suchte. Unter dem Einfluß der Elektroden des Regisseurs/Operateurs Duchenne verwandelt sich nicht nur das Gesicht, sondern der ganze Körper in eine bildsame Statue. Doch nicht die Plastik war Duchennes wichtigstes Medium, sondern die Photographie. Zwar hat Duchenne mit einem Modellierer zusammengearbeitet, um seine Korrekturvorschläge fur die antiken Plastiken Gestalt annehmen zu lassen, doch wichtiger war die Zusammenarbeit mit Photographen, sofern Duchenne deren Aufgabe nicht selbst übernahm. Er war hierbei weniger an Bewegung interessiert als an der Momentaufnahme des kontrahierten Muskels und der klaren fundamentalen Ausdruckslinie. Zeichner oder Plastiker wären nicht schnell genug gewesen, um den durch elektrophysiologische Stimulation erzeugten Ausdruck, der nicht über längere Zeit fixiert werden konnte, mit größtmöglicher Exaktheit festzuhalten; nur im neuen Medium Photographie konnte der elektrisch induzierte Ausdruck auf Dauer gestellt werden. Duchenne behauptete, er könne mit seinem elektrophysiologischen Verfahren auch Hysterikerinnen von ihren »muskulären Affektionen< befreien; dies hat Charcot dazu bewegt, die Duchennesche Methode in der Salpêtrière anzuwenden und mit der Hypnosetechnik zu kombinieren. In seinen Forschungen über den Hypnotismus hatte Charcot den Einfluß der Geste auf den physiognomischen Ausdruck studiert. »Wenn eine tragische Haltung der Physiognomie auch einen harten Ausdruck aufprägt, ziehen sich die Brauen zusammen.«14 Angesichts der Schwierigkeiten, »einem Mannequin, so gefugig es ist, gänzlich ausdrucksstarke Bewegung aufzuprägen«, ver13

Duchenne, The Mechanism of Human Facial Expression, S. 120. Jean-Martin Charcot, zit. nach: Georges Didi-Huberman, Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot, libers, von Silvia Henke/Martin Stingelin/Hubert Thiiring, München 1997, S. 326 f. 14

3. VOM ELEKTRIFIZIERTEN AUSDRUCK ZUR ELEKTRIFIZIERTEN STATUE

fuhr Charcot auch in umgekehrter Richtung und erkundete den Einfluß der durch Elektroden gereizten Physiognomie auf die Geste. Tatsächlich folgte die »angemeßene Geste« dem durch elektrische Muskelstimulation erzeugten Ausdruck, der auch beim Absetzen der Elektroden ebenso wie die Geste in Katalepsie verblieb. Charcot schreibt: »Das Subjekt sieht sich so in eine expressive Statue verwandelt, ein unbewegliches Modell, das mit einer ergreifenden Wahrhaftigkeit die verschiedensten Ausdrücke darstellt, aus welchen die Künstler mit Sicherheit größten Verdienst ziehen könnten.«15 Die vor allem als Photomodell in Szene gesetzte »expressive Statue« war Ausdrucksform der >tonischen Immobilitäthysterischen Kontraktur« eintrat. Am Begriff der Statue hebt Charcot hier offenkundig deren Bewegungslosigkeit hervor; als expressive Statue wird diese jedoch in einen performativen Zusammenhang einbezogen, der sie rückwirkend stimuliert. Ein Zeitgenosse berichtet: »Eine einfache Regung, zum Beispiel der Umstand, das Amphitheater der Vorlesungen in der Salpêtrière zu betreten, um dort von Herrn Professor Charcot seinen Hörern vorgeführt zu werden, genügt, um einen Anfall hervorzurufen.«16 Von der expressiven Statue führte kein Weg zur kinetischen Skulptur. Die elektrische Stimulation der Ausdrucksmuskeln zur künsdichen Belebung und realen Kinetisierung der expressiven Statue fand nicht in der Bildhauerkunst statt, sondern wurde im frühen Film inszeniert.17 Die Photographie fungierte bei Duchenne als ein Schockmedium, das kinetisiert und stillstellt. An dem Punkt, an dem der Ausdruck am lebendigsten erschien, war er zugleich mit Immobilisierung verbunden. Der neue Medienschub — elektrischer Induktionsapparat und Photographie — führte noch keinen Schritt über die Immobilisierung hinaus. Gerade deswegen konnte Duchenne mit seinen neuen Medientechniken einen Bezug zur Plastik herstellen, die er als statuarisch begriff, nicht aber zu jener anderen Tradition, die in der Geschichte der Plastik, ohne dieser zugerechnet zu werden, ihre Spur hinterlassen hat: zu der Tradition der mechanischen Kunstwerke« vom Hellenismus bis zum frühen 19. Jahrhundert.

Das daidalische Modell: Der Bruch mit der bewegungsillusionistischen Tradition in der Plastik des 20. Jahrhunderts Die Debatten über Bewegungs- und Ausdrucksprobleme in der Plastik waren nicht unabhängig von Grundverständnis und Wertschätzung der Plastik überhaupt, von ihrer kunst- und zeithistorischen Verortung, von Funktionsfragen und anderen kontextualen Aspekten. Der Weg zur elektrifizierten Statue war keineswegs geradlinig, er verlief über viele Umwege und läßt sich auch nicht - wie es Moholy-Nagy versucht i' Ebd., S. 327. 16 G. Gilles de la Tourette/G. Guinon/E. Huet, zit. nach: Didi-Huberman, Erfindung tier Hysterie, S. 284. 17 Vgl. Bernhard Siegert, »Post Mortem Performances. Duchenne de Boulogne and Expressionist Film«. Beitrag zum Colloquium Film und Animismus — Technobpen des Imaginären im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Berlin 1999, Typoskript.

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hat - als formgeschichtliche Konsequenz plastischer Volumengestaltung rekonstruieren. Es mußten schon erhebliche Veränderungen in Kunst und Kunstverständnis eingetreten sein, bevor technologische Möglichkeitsbedingungen, experimenteller Wagemut und ästhetische Bereitschaft zusammentrafen. Die wichtigsten waren die konsequente Verabschiedung jeder Nachahmungs- bzw. Abbilddoktrin, das ThematischWerden von Medium und Verfahren, die Emanzipation vom anthropomorphen Formenkanon. Als eine wesendiche formgeschichdiche Voraussetzung hat Moholy-Nagy die weitgetriebene Perforation des Blocks betrachtet, die zur >montierten Plastik< gefuhrt habe. Es mußte jedoch insgesamt ein Bruch mit bewegungsillusionistischen Konzepten und Traditionen erfolgt sein, bevor reale Kinetisierung der Plastik zum Formproblem werden konnte. Die Bildhauer der Moderne haben die »materiellen Beschränkungen der Plastik nicht deshalb aufzuheben gesucht, weil sie diese schlechthin fur defizitär hielten, aber sie haben es als absurd empfunden, auf die Beschleunigung der historischen Erfahrung und des alltäglichen Lebensrhythmus lediglich mit veränderten und erweiterten Mitteln zur Erzeugung einer Bewegungsillusion zu antworten. Wenn Bewegung sich in den technologischen, ökonomischen, soziokulturellen Zeitzusammenhängen immer stärker als ein zentrales Motiv aufdrängte, dann galt es, alle neu entstandenen Möglichkeitsbedingungen zu nutzen, um reale Bewegung in den plastischen Gestaltungszusammenhang einzuführen. Den Kinetikern des frühen 20. Jahrhunderts war durchaus bewußt, daß sie nicht die ersten waren, die kinetische Skulpturen schufen: Der pygmalionischen Ästhetik stellten sie das daidalische Modell gegenüber, das zum Ausgangspunkt einer anderen Traditionsbildung geworden war. Wenn Homer die von Hephaistos aus Gold gefertigten künsdichen Jungfrauen, die sich selber bewegen konnten, als daidala bezeichnete, gebrauchte er lediglich eine Sammelbezeichnung fur Kunstgebilde. Mit der Zeit ging die Erfindung des Hephaistos auch auf Daidalos über. Bei Homer hat das Lob der Kunstfertigkeit nicht nur zur Namensgebung und Individualisierung des Kunstfertigen gefuhrt (>Daidalos< wird Eigenname), sondern auch zur ersten technischen Utopie des beweglichen und selbsttätigen Werkzeugs. Denn es geht bei den goldenen Jungfrauen des Hephaistos nicht nur darum, daß sie sich bewegen, sondern darum, daß sie ihrem Erfinder zur Hand gehen können, da sie selbst von den Göttern mancherlei Werke erlernt haben. In diesem Sinne hat — anders als in der Kunsttheorie des 5. Jahrhunderts v. Chr. - Aristoteles die Legende von den daidalischen Figuren aufgefaßt und als technische Utopie zur Lösung der Sklavenfrage erneuert. In der Geschichte der griechischen Plastik blieb die reale Kinetisierung der Skulptur ein Sonderweg,18 der im 3. Jahrhundert v.Chr. zu den »mechanischen Kunstwerken< der alexandrinischen Ingenieure gefuhrt hat (Ktesibos von Alexandria, 2. Hälfte des 3. Jahrhundert v. Chr.; Philon von Byzanz, um 200 v.Chr.; in diese Tradition gehört auch Heron von Alexandria, 1. Jahrhundert 18 Die ersten griechischen Kunsttheoretiker im 5. Jahrhundert v. Chr. unternahmen alles, um Daidalos aus dem Mythenhimmel auf die Erde herabzuholen. Sie stellten die Hypothese von der historischen Existenz eines großen archaischen Kiinsders gleichen Namens im 7. Jahrhundert v. Chr. auf; diesem wurden die ersten Ansätze zur bildnerischen Bewegungsdarstellung zugeschrieben.

3. VOM ELEKTRIFIZIERTEN AUSDRUCK ZUR ELEKTRIFIZIERTEN STATUE n.Chr.). 1 9 Die von den Ptolemäern geförderten Ingenieure überwanden traditionelle Grenzen zwischen Handwerk und Wissenschaft; sie konstruierten Maschinen und trieben gleichzeitig die Forschung voran. Sie behandelten die automatopoietike

ebenso

als Bestandteil der praktischen Mechanik in ihren Lehrbüchern, wie sie Automatentheater beschrieben, deren Figuren sich nicht nur fortbewegen, sondern beispielsweise auch einen H a m m e r bedienen konnten, u m Schiffe auszubessern usw. Hierbei wurden Lösungsansätze fiir bestimmte technische Probleme (beispielsweise Antriebsmechanismus und Bewegungsübertragung) durchgespielt; so entwarf der >Mechanikos< Heron von Alexandria, gestützt auf den Artillerieingenieur Philon von Byzanz, einen Transmissionsmechanismus, der das Prinzip der Nockenwelle vorwegnahm. Was sie beschrieben, haben die Ingenieure größtenteils auch selber gebaut; die Beschreibungen fungieren zugleich als Anweisungen zur Herstellung »mechanischer Kunstwerken Diese sprengten den Rahmen der tradierten Kunstformen und gewannen ein Eigenleben zwischen wissenschaftlicher Demonstration, experimentellem Spiel und ästhetischem Objekt, das Lust an der Gestaltung selbst erregte. Die Automaten dienten ebenso dem Genuß der Kenner (vorwiegend im Kontext von Symposien und privaten Festen) wie der Volksbelustigung und der Propaganda für das Herrscherhaus. Innerhalb der Kunstform der Plastik blieb jedoch die Erzeugung einer Bewegungsillusion geltende N o r m . Die »mechanischen Kunstwerke< des Hellenismus haben aber eine daidalische Tradition gebildet, die zum historischen Referenzpunkt fur Neuansätze in der Renaissance und vor allem im 18. Jahrhundert wurde. D a ß die Kinetiker der Avantgarde auf diese Tradition Bezug genommen haben, muß nicht verwundern. Moholy-Nagy verweist in seinem 1947 posthum publizierten Buch Vision in Motion in einem Überblick über die kinetische Skulptur auch auf deren Vorgeschichte und erwähnt ebenso die hellenistische Ingenieurskunst wie die sich bewegenden, schreibenden und Schach spielenden Automatenfiguren des 18. Jahrhunderts. George Rickey, ein anderer Protagonist, Theoretiker und Geschichtsschreiber der kinetischen Plastik, nannte 1967 in seinem Aufsatz »Ursprünge der kinetischen Kunst« ausdrücklich »die von Heron von Alexandria im 3. Jahrhundert v. Chr. konstruierten Modelle zur Demonstration von Lehrsätzen durch physikalische Phänomene« und ebenso die Automatenkunst des 18. Jahrhunderts von Jacques de Vaucanson, Pierre Jacquet-Droz, seinem Sohn Henri Louis und anderen. 2 0 Jean Tinguelys Meta-Matiques

sind Zeichen- und Malmaschinen, die auch als H o m m a g e à Jacquet-

Droz aufgefaßt werden können. Die Meta-Matiques

lassen an die Stelle des psychi-

schen Automatismus der Surrealisten einen technischen Automatismus treten: Ein auf- und niederfahrender Stift schreibt auf einer hin- und herschlenkernden Unterlage in einer unregelmäßig ein- und aussetzenden Schreibbewegung. Der Betrachter wählt Farben aus und reguliert Wechsel, Dauer und Geschwindigkeit der Aktion.

Vgl. Henner von Hesberg, »Mechanische Kunstwerke und ihre Bedeutung für die höfische Kunst des frühen Hellenismus«, in: Marburger Wtnckelmann-Programm 1987, S. 47-72. 19

George Rickey, »Ursprünge der kinetischen Kunst«, in: Jörn Merkert/Ursula Prinz (Hrsg.), George Rickey in Berlin 1967-1992. Die Sammlung tier Berlinischen Galerie, Berlin 1992, S. 305-315, hier S. 305. 20

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

Bei allen Verweisen und Zitaten waren die Kinetiker der Avantgarde jedoch weit davon entfernt, die Tradition der »mechanischen Kunstwerke< und der Automatenfiguren lediglich mit anderen Mitteln fortzuführen. Vaucanson und andere Mécaniciens hatten nicht als Bildhauer gelten wollen, und ihre Arbeiten - der Flötenspieler, der provenzalische Schäfer und die Ente von Vaucanson, Schreiber, Zeichner und Harmoniumspielerin von Jacquet-Droz und seinem Sohn - wurden von den Zeitgenossen (einschließlich Lessing und Herder) auch nicht als eigenständiger Beitrag zur Geschichte der Plastik bewertet. Das Ziel, das der von Philosophen wie Voltaire und La Mettrie hoch anerkannte Vaucanson verfolgte, ging über den Rahmen der schönen Künste weit hinaus. Er strebte nichts Geringeres an, als »in der Kunst alles zu imitieren, was der Mensch zu machen gezwungen ist«21. Davon unterschieden sich die Avantgardisten des 20. Jahrhunderts vor allem durch einen dezidierten ästhetischen Geltungsanspruch, der sich auf den Eigenwert der Gestaltung gründete. Ein zweiter wichtiger Differenzpunkt betraf den anthropomorphen Mimetismus der Automatenfiguren, der freilich durch die Aufgabenstellung (Musizieren, Schreiben usw.) in bestimmter Hinsicht funktional bedingt war. Was dagegen die Kinetisierung im frühen 20. Jahrhundert zwar nicht begonnen, aber vorangetrieben hat, ist die Entkopplung von Statue und menschlicher Figur. Begonnen haben dies Kubismus, Futurismus und Konstruktivismus — sie schufen damit eine wesentliche Voraussetzung fur die kinetische Plastik, die im Dadaismus jedoch eine zweite Wurzel hat. Der Abschied vom anthropomorphen Formenkanon hat die Plastik keineswegs ihrer »Sprache< beraubt. Die Konstruktivisten haben den überkommenen formsprachlichen Bestand radikal in stereometrische und biotechnische Konstruktionselemente zerlegt, um ein anderes Formenrepertoire zu gewinnen und neue Weisen der >Beziehungsschaltung< zu erproben. Dies machte es zugleich auch möglich, sich frei von den Zwängen der Tradition erneut der menschlichen Figur zuzuwenden. Hierbei konnte der anatomische Formbestand des Menschen gänzlich umproportioniert und metamorphisiert werden. Ernsthafte Vorstöße zur kinetischen Plastik hatten jeweils technologische Möglichkeitsbedingungen: die mechanischen Kunstwerke des Hellenismus verweisen auf den Übergang von den cheiromantischen (handwerklichen) zu den mechanischen Künsten, die nicht nur auf methodischem Vorgehen, sondern auf dem Ingenium der Mechaniker beruhen. Die Automatenfiguren des 18. Jahrhunderts sind Begleiterscheinungen der Entwicklung von Maschinen mit Regulationsmechanismen.22 Die kineti-

21 Jacques de Vaucanson, Le Mécanisme du flûteur automate, présenté à messieurs de l'Académie Royale des Sciences par [...] auteur de cette machine, avec la description d'un canard artificiel, mangeant, beauvant, digérant & se vuidant, épluchant ses ailes & ses plumes, imitant en diverses manières un canard vivant. Inventé par le même. Et aussi celle d'une autre figure, également merveilleuse, jouant du tambourin & de la flûte suivant la rélation donnée depuis son mémoire écrit, Paris 1738, S. 18; Übers. M. F. 22 So hat Vaucanson eine wichtige Rolle in der Geschichte des mechanischen Webstuhls gespielt. Vor dem Hintergrund erstmaliger Verwendung durchlochten Papiers (Bouchon, 1725) bzw. durchlochter Pappen (Falcon, 1728), die beim Weben gemusterter Stoffe die Fäden ordnen, und der Erfindung des fliegenden Webschiffchens durch John Kay (1733) wandte sich 1745 auch Vaucanson der Konstruktion eines

3. VOM ELEKTRIFIZIERTEN AUSDRUCK ZUR ELEKTRIFIZIERTEN STATUE

sehe Plastik des 20. Jahrhunderts setzt Elektromotoren und Lichttechnik voraus. Die ersten Erfolge von Kybernetik und Robotik förderten den Übergang vom Elektrischen zum Kybernetischen in der kinetischen Plastik. In der bisherigen Geschichte der kinetischen Plastik lassen sich verschiedene Ansätze unterscheiden, die nicht nur Zäsuren in der Technologieentwicklung markieren, sondern sich zuletzt auch überlagern und miteinander konkurrieren: (1) Elektrifizierung: Einbau des Elektromotors als Antriebsmaschine und Einsatz elektrischen Lichts. Wurden die Elektromotoren zuerst versteckt, so wurden später Maschinen verwendet, um sie vorzuzeigen. Neben Naum Gabos Kinetischer Konstruktion (1919/1920), einem elektrisch in Vibration versetzten Metallstab, der das Phänomen der stehenden Welle hervorrief, ist vor allem László Moholy-Nagys Licht-Raum-Modulator (1922-1930) paradigmatisch: Eine kreisrunde Platte, die in langsame Rotation versetzt wird, trägt einen dreiteiligen Rahmen mit zwei durchsichtigen Trennwänden und einem Stabgitter; in den drei Sektionen des Rahmens werden unterschiedliche Bewegungen vollführt. Das auf die Maschine projizierte Licht bewirkt aufgrund der Bewegungsvielfalt der Konstruktion und ihrer Teile ein variables Licht- und Schattenspiel an den Wänden; so wollte Moholy-Nagy virtuelle Volumen erzeugen (Abb. 5). (2) Abkehr vom Elektrischen, Erkundung anderer Formen der Bewegung. Alexander Calder, graduierter Ingenieur, begann seine kinetischen Experimente 1926 in Paris mit anfangs thematisch-figurativen Drahtskulpturen, bis er 1931 zu motorisierten Gebilden aus geometrischen Konstruktionselementen überging, teilweise konstruktive Einflüsse, im allgemeinen aber ein freieres Formenspiel zeigend. Er stellte mehrere kinetische Skulpturen her, deren abwechslungsreiche Bewegung von einem Motor angetrieben wurde. Doch die Voraussehbarkeit der Bewegungen störte ihn, und er experimentierte unter Einbeziehung windgetriebener Formelemente, um unvorhersagbare Bewegungsspiele zu erreichen. Seine Mobiles sind vielleicht die bekanntesten Beispiele kinetischer Skulptur. Eigene Wege ist George Rickey gegangen. Er stellte in seinen Konstruktionen mit Hilfe von Kontergewichten eine labile Gleichgewichtssituation her, so daß Reaktionen auf äußere Einflüsse (Windhauch, Anstoß) als individuelles Eigenverhalten der Konstruktionselemente erscheinen. Seine mobilen Geftige aus überdimensionalen Nadeln sind mittels Kugellagern und Stoßdämpfern auf eine solche Weise in Gelenken befestigt, daß sie bei starkem Wind an ihrer höchsten Amplitude nicht gegeneinanderschlagen. Wie Elektromotoren auch weiterhin innovativ genutzt werden konnten, zeigten insbesondere die 60er und 70er Jahre (hierfür steht insbesondere Jean Tinguely). (3) Übergang vom Elektrischen zum Kybernetischen. Zu den Wegbereitern der Kybernetisierung der Plastik zählen Nicolas Schoeffer und Nam June Paik. Schoeffers CYSP I (1956, Abb. 6) ist ein Raumgerüst, montiert aus sich drehenden und schaukelnden, runden und quadratischen Konstruktionselementen, die von Elektromotoren angetrieben werden; zugleich reagiert CYSP auf Lichtintensität, Lichtfarbe, akustiselbsttätigen Musterwebstuhls zu, auch wenn ihm kein Durchbruch, wie erst 1784 Edmond Cartwright und zwischen 1790 und 1805 Joseph-Marie Jacquard, gelang. - Vgl. dazu unten das Kapitel »Zeichen in Eigenregie« im Abschnitt Schalten/Rechnen/Steuern.

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

Abb. 5: László Moholy-Nagy, Licht-Raum-Modulator (1922/1930). Aus: Eduard Trier, BiUhauertheorien im 20. Jahrhundert, Berlin 1992, Abb. 28.

sehe Intensität und akustische Höhe. Über ein Radar nimmt er Hindernisse wahr, die er dann umgeht. Mehrdeutige Signale lassen CYSPs Verhalten unvorhersehbar werden. 1964 fertigte der Koreaner Nam June Paik seine Skulptur RobotK456 (Abb. 7), benannt in ironischer Anspielung auf das Köchelverzeichnis der Mozart-Kompositionen und ausgerüstet mit zwanzig Channel Radio Control und zehn Channel Data Recorder. Das aus Stangen zu einem verfremdeten Humanoiden zusammengeschraubte Aluminiumskelett ist mit einem Motor ausgestattet, der Muskelkontraktionen simuliert. Robot Κ 45 bewegt sich auf motorisierten Füßen, die mit Rädern versehen sind, verfugt über Sensoren und Lautsprecher und kann elektronisch gesteuert werden. Ein Paar Gummibrüste unterstreicht die ironische Akzentuierung.

3. VOM ELEKTRIFIZIERTEN AUSDRUCK ZUR ELEKTRIFIZIERTEN STATUE

»feAbb. 6: Nicolas Schoeffer, CKSP/(1956). Aus: Hans-Jürgen Buderer, Kinetische Kunst. Konzeption von Bewegung und Raum, Worms 1992, Abb. 42.

(4) Konkurrenz der kinetischen Kunst mit Artificial Intelligence-Forschung und Robotik. Von einem bestimmten Punkt an wurde es fiir die kinetische Kunst schwierig, mit der Entwicklung spielender Automaten zu konkurrieren. Dieser Punkt lag in der Mitte des 20. Jahrhunderts, als Gray Walter seine elektronische Schildkröte konstruierte und Claude Shannon die künsdiche Maus Theseus, die selber ihren Weg durch ein Labyrinth findet; sie simuliert ein Trial-and-error-Verhalten und speichert Erfolg

TRANSFORMATION DER KÜNSTE

Abb. 7: Nam June Paik, Robot Κ456 (1965). Aus: Wulf Herzogenrath, Nam June Paik. Fluxtis. Video, München 1983, S. 45.

und Mißerfolg. Eine andere Maschine, deren Effekt von einem kinetischen Künstler kaum zu überbieten ist, wird in einem Nachruf auf Shannon beschrieben: ein einfacher schwarzer Kasten in Shannons Wohnzimmer mit einem einzigen Schalter, der selbstredend auf >off< stand. Kaum daß Freunde oder Besucher den Kasten nur sahen, legten sie den Schalter auf >on< um. Der Deckel ging auf, eine kleine weiße Automatenhand tastete nach dem Schalter, fand ihn, und stellte ihn wieder auf >offinterpersonale< Kommunikations- und Spielzeugroboter ausdifferenziert. Letztere sind Roboter >mit HerzJenseitiges< verweist, auf jene unsichtbare Struktur, in der sich die Einheit der modernen Lebenswelt und ihre Korrespondenz mit dem Kosmos manifestiert. Über den Rekurs auf esoterische Diskurse und kosmische Utopien gelang es Moholy-Nagy, gegen die seinerzeit übliche Orientierung der Bildkonzepte neuer Medien

22

Karl Nierendorf, »Einleitung«, in: Karl Blossfeldt, Urformen der Kumt. Photographische Pflanzenbilder, Berlin 1928, S. i-x, hier S. vif.

2. DER -LABILE MENSCH. ALS KULTURIDEAL an der Malerei neue visuelle Möglichkeiten der Medien Photographie und Film zu erfassen. Er betonte die Bedeutung der Bewegung als Wahrnehmungstechnologie sowie des Lichts und seiner Wirkung, wie sie später der >Absolute Film< realisierte. Es war die energetische Dimension, seine Dynamik und ständige Veränderung, die das Licht zu seinem bevorzugten Gestaltungsmittel werden ließ. Die kosmische Dimension des Lichts war schon ein Topos seit der romantischen Naturphilosophie. In seinem Artikel »geradlinigkeit des geistes — umwege der technik« spricht Moholy-Nagy von der »determination kosmisch entstehender beziehungen«23, von der »kosmischen expansion«: [...] die geniale eingebung als zentrumbildende expansion - ist nur von zeit und umständen (auch technik) bedingte form des urgedankens. ein beispiel: man wünscht immer mehr zu sehen als die äugen fassen können, das fernrohr reicht bis zum nächsten dorf; das mikroskop in die spalten der zelle; der fernseher bis zum kap der guten hofftiung, die nächste station wird der mond sein, umwegigkeit der technik hier (heute erkennbar): das problem des fernsehens nach anderen planeten mit linsen-systemen schaffen zu wollen, statt es ζ. B. durch elektrischmagnetisch-fotografische reagenzen zu lösen.24 Moholy-Nagy bezieht sich hier auf zeitgenössische kosmische Utopien und ihre Vorstellungen von einer »kosmischen Photographie< und einem »kosmischen Kinematographenewige SäuleScienzartemeraviglioso scientificobildlichen Dynamik< inspiriert, das die sinnlich wahrnehmbare Welt als Raum verstand, in dem sich Netze und Kreuzungspunkte von Energieflüssen treffen. Diese Vorstellung war schon in der Photographie des Unsichtbarem verbreitet. Ziel der futuristischen Malerei war es, jene Kräfte darzustellen, deren Existenz die okkulten Wissenschaften nachweisen wollten. Boccioni ging es darum, die vitale Lebensenergie und >Atmung der universellen Seele< auf die Leinwand zu bringen. Moholy-Nagy zitierte das »Manifesto dei pittori futuristi« (1910) und konstatierte: the futurists broke down the concept of repose, the static - and put forward that of movement - the dynamic. They showed us the new grasp of space by bringing into contrast the inner and the outer.29

Vgl. Camille Flammarion, Lumen, Paris 1866. So im Manifest »La scienza futurista« von 1916 (vgl. Simona Cigliana, Futurismo Esoterico. Contributi per una storia dell'irrazionalismo italiano tra Otto e Novecento, Rom 1996, S. 173). 28 Umberto Boccioni u. a., »Manifesto tecnico della pittura futurista« (1910), zit. nach: Linda Dalrymple Henderson, »Die moderne Kunst und das Unsichtbare: Die verborgenen Wellen und Dimensionen des Okkultismus und der Wissenschaften«, in: Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian. 1900-1915 (Ausstellungskatalog Kunsthalle Frankfurt/M.), Ostfildern 1995, S. 13-31, hier S. 14. 29 Moholy-Nagy, Vision in motion, S. 237. 26 27

2. DER .LABILE MENSCH- ALS KULTURIDEAL Das >Neue Sehen< galt ihm als Beginn einer neuen Ära der Menschheitsgeschichte, die auf dem universellen Prinzip der Relationen beruht. 3 0 Die unterirdische Struktur wird über Kontraste (wie hell/dunkel, positiv/negativ) und ihre konstruktive Anordnung greifbar. Gegen die Erfahrung einer Auflösung der Moderne suchte man nach neuen Ordnungsmustern, die eine chaotisch erscheinende Welt als Einheit erfahrbar machten. So übernahm Moholy-Nagy die These von der strukturellen Äquivalenz zwischen Formen der Technik und Naturformen von Raoul Francé. In seinem Buch von material zu architektur verweist Moholy-Nagy auf die >Biotechnik< Francés: der naturwissenschaftler raoul francé befaßt sich intensiv mit diesem problem, er nennt seine forschungsmethode und das arbeitsergebnis >biotechnikjeder Vorgang hat seine notwendige technische form, die technischen formen entstehen immer als funktionsform durch prozesse. sie folgen dem gesetz des kürzesten ablaufs: kühlung erfolgt nur an auskühlenden flächen, druck nur an druckpunkten, zug an zuglinien; bewegung schafft sich bewegungsformen, jede energie ihre energieform. es gibt keine form der technik, welche nicht aus den formen der natur ableitbar wäre.*31 Raoul Francé hatte in seinen Werken, vor allem in Die Pflanze als Erfinder, die Idee entwickelt, daß die Werke der Technik und die organische Welt nach den gleichen Prinzipien funktionieren. Die Prinzipien der Organisation und der Kristallisationsprozesse seien rhythmische, den technischen Erfindungen und der Natur, dem Universum, gemeinsam. 32 Die Medien erhalten innerhalb des >Neuen Sehens< eine besondere Funktion. Anstatt sie auf eine Abbildfunktion zu reduzieren, ging Moholy-Nagy davon aus, daß Medientechnologien wie Photographie oder Film ihre eigene Poiesis besitzen. Gegen die Beschränkung der Medien auf >Reproduktion< sollte ihr Potential entfaltet werden, indem eine neue Sinneskultur die rezeptiven Fähigkeiten des modernen Menschen auf den Stand der technischen Möglichkeiten bringt. Ohne alle Imponderabilien des menschlichen Lebens damit lösen zu wollen, kann man sagen, daß der Aufbau des Menschen die Synthese aller seiner Funktionsapparate ist; d. h. daß der Mensch einer Periode dann der vollkommenste ist, wenn die ihn aufbauenden Funktionsapparate - die Zellen ebenso wie die kompliziertesten Organe - bis zu der Grenze ihrer biologischen Leistungsfähigkeit benutzt werden. Die Kunst bewirkt dies - und das ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben, da von der Vollkommenheit des Funktionierens der ganze Wirkungskomplex abhängt. - Die Kunst versucht zwischen den bekannten und den noch unbekannten optischen, akustischen und andern funktionellen Erscheinungen weitgehende NEUE BEZIEHUNGEN herzustellen und diese in bereichernder Steigerung von den Funktionsapparaten aufnehmen zu lassen.33

30

Ebd., S. 114.

31

László Moholy-Nagy, von material zu architektur, München 1929, S. 60.

32

Vgl. Raoul H. Francé, Die Pflanze als Erfinder, Stuttgart 1920.

33

László Moholy-Nagy, »Produktion, Reproduktion«, in: ders., Malerei, Fotografie, Film, Weimar -

München 1927, S. 28 f., hier S. 28.

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HUMAN MOTOR / RAUM / BEWEGUNG

In technizistischer Terminologie wird hier die Aufgabe der Kunst als eine Vermitdung zwischen Bios und Technik formuliert. Anstatt überkommenen Vorstellungen von Bild und Medium anzuhängen, soll das künsderisch-kreative Potential neuer Medientechnologien entdeckt und befreit werden. Für Moholy-Nagy war der >Kinoapparat< nicht nur ein Medium der Reproduktion, sondern ein Beispiel für die Fusion von Kunst und Technik, die kreativ ist, indem sie neue Sinneseindrücke herstellt. Er verweist auf die Fusion von Künstler und Ingenieur. In dem gemeinsam mit Lajos Kassak herausgegebenen Buch netter Künstler (1922) finden sich im Abbildungsteil, der die avantgardistischen Kunstrichtungen der Zeit vorstellt, eine Photographie eines Filmprojektors sowie Bildausschnitte aus Hans Richters und Viking Eggelings Projekten fiir abstrakte Filme. Moholy-Nagy plante am Bauhaus eine >FilmversuchsstelleUmweg< zu erkennen gäbe: es ist ein Verhängnis der menschheitsgeschichte, daß die geistigen emanationen zu falscher auswirkung verleitet werden, nämlich entgegen individueller elastizität und immer vorwärtsschreitender neigung des einzelnen richtet sich die menschliche gemeinschaft - als summe von individúen - nach der Überlieferung angeblich unfehlbarer erfahrungen. angebliche Unfehlbarkeiten verdichten sich zu fester existenz und die geheiligte existenz treibt zur eigenen rechtfertigung. das ist traditionsgebundenheit, geistige massenlähmung, zeitbedingte umwegigkeit. das war auch das schicksal der pigmententdeckung. die erste Verwendung heiligte den zufall, der im pigment eine art lichdagerungsstätte, wenn auch in grobmateriell abtastbaren komplexen, gefunden hat. alle lichtgestaltung umwegt bis heute auf diesen spuren abendländischer maierei, obwohl seit der ersten laterna magica, seit der ersten camera obscura sich direkte wege des lichtbannens ergaben: projektorisch-reflektorische spiele mit farbig flutendem licht, flüssiges, immaterielles schweben, durchsichtiger farbenfall von leuchtenden garben, vibrieren des raumes mit schillernder lichtemulsion. umwege der technik: von der manuellen darstellung zum grafischen Stehbild, vom Stehbild zur kinematografie. vom flächigen zum plastischen, vom stummen zum sprechenden, vom undurchdringlichen zum durchscheinenden, vom kontinuierlichen zum simultanen, vom pigment zum licht. mit fieber erarbeiten geist und auge die neuen dimensionen des sehens, die heute schon foto und film, plan und Wirklichkeit bieten, die details für morgen, heute die Übung des sehens.34 Das Potential der Medien muß jedoch erst, in einer doppelten Bewegung, entfaltet werden: Einerseits gilt es, das technische Dispositiv im Umgang mit den Medien zu überwinden, das sie auf den industriellen Gebrauch beschränkt, um so ihr kreatives

34

Moholy-Nagy, »geradlinigkeit des geistes - umwege der technik«, S. 5.

2. DER .LABILE MENSCH« ALS KULTURIDEAL

Abb. 14: László Moholy-Nagy, ohne Titel. Aus: Lászli Moholy-Nagy. Musée Cantini Marseille. 5 Juillet-15 Septembre 1991 (Ausstellungskatalog), Marseille 1991, S. 171.

Potential herauszuarbeiten. Andererseits soll eine neue Sinneskultur die rezeptiven Fähigkeiten des modernen Menschen auf den Stand der technischen Möglichkeiten bringen. >Vision in motion< ist für Moholy-Nagy ein Sehen in Beziehungen jenseits des intellektuellen Zugriffs, das der Intuition bedarf: »The intuitive is the fluid world of all the senses whose movements throw up ever new forms and movements.«35

35

Moholy-Nagy, Vision in motion, S. 57.

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HUMAN MOTOR / RAUM / BEWEGUNG

Diese Vorstellung von der Bildrezeption ähnelt der Beschreibung, die Paul Klee in »Wege des Naturstudiums« gab, einem der programmatischen Beiträge zu dem aus Anlaß der Bauhaus-Ausstellung von 1923 edierten Buch. Dort heißt es: Sämdiche Wege treffen sich im Auge und führen, von ihrem Treffpunkt aus in Form umgesetzt, zur Synthese von äußerem Sehen und innerem Schauen. Von diesem Treffpunkt aus formen sich manuelle Gebilde, die vom optischen Bild eines Gegenstandes total abweichen und doch, vom Totalitätsstandpunkte aus, ihm nicht widersprechen.36 Wie Klee verstand Moholy-Nagy Organismen, Artefakte, Raum/Zeit-Relation und Licht als Teile einer gesamten kosmischen Bestimmung - doch erst die Medientechnologien ermöglichen die Erkenntnis des inneren Zusammenhangs des Lebens. Eine große Erschütterung schon wäre es, nur sein Gesicht mit dem langsam sich wandelnden Ausdruck eines langen Lebens, seinen wachsenden Bart usw. in 5 Minuten erleben zu können, oder den sprechenden und regierenden Staatsmann, Musiker, Dichter, Tiere, Pflanzen usw. in ihren Lebensfunktionen; durch mikrokosmisches Sehen werden hier die tiefsten Zusammenhänge enthüllt.37 Aufgabe des Künstlers ist es nach Moholy-Nagy, zum Stadium der immateriellen Transparenz vorzudringen, da erst diese ein >bewegtes Sehen< ermögliche, das der dynamischen Komplexität der Phänomene gerecht wird. Die Herstellung von Transparenz erfordert einen künstlerischen Prozeß der Abstraktion, in dessen Verlauf das Material über den künstlerischen Zugriff gewissermaßen immaterialisiert wird. Licht ist das privilegierte Medium der Transparenz. Ein Beispiel dafür sind die >PhotogrammePhotogramme< 1922 findet die Polarität Licht/ Schatten ihre Anwendung. Moholy-Nagy war fasziniert von der Möglichkeit, auf einer empfindlichen Schicht den direkten Abdruck des Lichts zu erreichen. Hier erkennt er eine Perspektive, um sich von den materiellen Mitteln (Pigmente, Pinsel etc.) als >Umwege der Technik< zu befreien und direkt mit dem Licht zu malen, jenem transparenten Medium an sich. Diesen Traum verfolgte er auch mit seinem >LichtRaum-Modulaton, einem mechanischen Apparat fur Lichtprojektionen (Abb. 5, S. 72 in diesem Band). Aufgebaut auf einer kreisrunden Metallplatte in drei Sektoren, rotiert der Licht-Raum-Modulator in langsamen Bewegungen wie eine Art kinetischmechanische Skulptur, die sich aus einzelnen plastischen Gebilden — Stäben, perforierten Kreisflächen, Spiralen - zusammensetzt. Da der Licht-Raum-Modulator über keine eigenen Lichtquellen verfugt, moduliert er Licht und Schatten, indem einerseits das eintreffende Licht von den hochpolierten Metall-, Kunststoff- und Glasteilen direkt reflektiert und gebrochen, andererseits auf die umliegenden Wandflächen umgelenkt wird, so daß bewegte - fast kinematographische - Schattenprojektionen entstehen. 36

Paul Klee, »Wege des Naturstudiums« (1923), zit. nach: Hans M. Wingler, Das Bauhaus. 1919-

1933 Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, Bramsche 2 1968, S. 86. 37

Liszló Moholy-Nagy, »Die Zukunft des fotografischen Verfahrens«, in: Malerei, Fotografie, Film,

S. 31-35, hier S. 34.

2. DER .LABILE MENSCH« ALS KULTURIDEAL

Abb. 15: László Moholy-Nagy, Torsion en spirale tie l'espace (Spiralendrehung im Raum). Aus: Lászlá Moholy-Nagy. Musée Cantini Marseille. 5 Juillet-15 Septembre 1991 (Ausstellungskatalog), Marseille 1991, S. 207.

Der Licht-Raum-Modulator war die Vorarbeit fur Moholy-Nagys eigenes Filmprojekt: Lichtspiel schwarz - weiß— grau (1930), ein abstraktes Spiel von Lichteffekten. Moholy-Nagy plante die Inszenierung riesiger Freiluft-Lichtspektakel in Anlehnung an die Wasserspiele der Barockzeit und dachte an eine Übertragung der Lichtspiele durch eine Art Fernsehtechnik. Der Traum von einer Entgrenzung ins All als einer weiteren Form der Immaterialisierung ist auch präsent in seinem szenographischen Projekt fur den futuristischen Film The Shape of Things to Come von Alexander Korda (1936). Dieser nicht realisierte Entwurf fur die Ausstattung des Films modulierte Licht und Schatten minéis architektonischer Metall- und Glaselemente. Einige Überlagerungen von Formen überwinden Moholy-Nagy zufolge Raum- und Zeitfixierungen. Sie setzen unbedeutende Einzelheiten in bedeutungsvolle und komplexe Ganzheiten um. »Die Durchsichtigkeit der Überlagerung deutet sehr oft auf Transparenz des Zusammenhangs überhaupt und macht unbemerkte strukturelle Eigenschaften des Gegenstandes erkennbar.«38 Eine solche Wahrnehmung zukünftiger Architektur und ein entsprechendes Verständnis räumlicher Beziehungen fand Moholy-Nagy auch bei Walter Gropius. Er kommentierte dessen Architekturverständnis folgendermaßen:

38

Moholy-Nagy, Vision in Motion, S. 210.

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HUMAN MOTOR / RAUM / BEWEGUNG

Ein Teil des Raums ist über ein System von Ebenen, Linien und Glas in den kosmischen Raum enthoben [...]. Die neue Architektur befindet sich in völliger Durchdringung mit dem Sternenraum.39

Von der Avantgarde zur Medienkunst Die Neukonfiguration von Künsten, Medien und Technologien im frühen 20. Jahrhundert, in deren Zusammenhang neue Modelle der Wahrnehmung und der Interaktion der Sinne entwickelt wurden, ist Teil der Umstrukturierung von Wissenskulturen in der Moderne. Gegen die traditionelle Orientierung an der Malerei und gegen ein am dominanten Wahrnehmungsmodus der Schriftkultur orientiertes Sehen wurden über okkultistische, biozentrische Diskurse und kosmische Utopien neue Modelle des Sehens und der Kommunikation entwickelt. Erst über diesen Rekurs auf >vormoderne< Wissenskulturen ließ sich die Begrenzung von Medientechnologien auf ihren industriellen Gebrauch überwinden und ihr kreatives Potential ausschöpfen. Dies verweist auf die Ambivalenz der Moderne selbst, auf die Präsenz und strukturbildende Rolle der sogenannten »Anderen Moderne< für die Entwicklung einer neuen Wahrnehmungskultur. An diese Experimente der Avantgarden haben erst die Performance- und Intermedia-Kunst der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts wieder angeknüpft. Sie experimentierten mit neuen Verbindungen zwischen Künsten, Wissenschaften und Medientechnologien. Die >Live Electronic ArtsVerhalten< als sichtbare Oberfläche psychischer Interaktion in ein eindeutiges Verhältnis zu zeit-räumlichen Koordinatensystemen gesetzt ist. Entgegen allen epistemologischen Absichtserklärungen aber fehlt fur die Aufnahmen aus Bali die Transformationsregel. Die Methode hinter Batesons filmischer Anthropologie läßt sich bestenfalls als Versuch beschreiben, das Prinzip der Aufnahme möglichst dem Zufall zu überlassen: [...] it is so hard to predict behavior, that it was scarcely possible to select particular postures or gestures for photographic recording. In general, we found that any attempt

10

Ebd., S. 127.

3. BEZIEHUNGSWEISE ZEIT

to select for special details was fatal, and that the best results were obtained when the photography was most rapid and almost random.11 Unschwer läßt sich in dieser Methode die epistemologische Jägerei aus der schriftlichen Ethnographie wiederentdecken. Mit der »random«-Photographie wollte Bateson die literarisierte Ordnung der Anthropologie und, mehr noch, den eigenen Anthropologen-Blick ausschalten. Sich dem Zufall als Prinzip des Abbildens anzunähern entsprach ganz der paradoxen Intention, intentionslos und ohne psychologische oder ethnologische Vorurteile die Balinesen in ihren eigenen Räumen und Zeitlichkeiten aufzunehmen. Der Anthropologen-Mann mit der Kamera hatte die komplexe, ungestellte Realität menschlicher Interaktion im Visier: »[...] we tried to shoot, what happened normally and spontaneously, rather than to decide on the norms and then get the Balinese to go through these behaviors.«12 Gerade das, was sich nicht in den Netzen symbolischer Bezeichnungen verfing, alles das, wofür es keine Sprache gab, was nicht >predictablekumulativen Aktion< zur Abszisse der Zeit in Form eines Plateaus. Es ist dieses Plateau, das dann

Bateson/Mead, Balinese Character; S. 50. Ebd., S. 49. 13 Gregory Bateson, »Bali. Das Wertsystem in einem Zustand des Fließgleichgewichts«, in: ders., Ökologie des Geistes, S. 156-181, hier S. 163. 11 12

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HUMAN MOTOR / RAUM / BEWEGUNG

mit Deleuze und Guattari philosophiegeschichtlich Karriere machen wird: »Eine Art von gleichmäßigem Intensitätsplateau hat den Höhepunkt ersetzt, ob im Krieg oder beim Orgasmus.«14

Zeiten Nicht zufallig war es eine Filmemacherin, Maya Deren, die Gregory Bateson darauf aufmerksam machte, daß Form und Verlauf seines Plateaus sich einzig der Struktur seines Abbildungssystems verdankten. Balinesische Gefühle kommen in seinem Schema nur deshalb als Abbruch einer aufsteigenden Linie vor, weil er eine Aus-Dauer in der Zeit systematisch nicht als Steigerung an Intensität verzeichnet. Das ließ sich auch anders denken. Deren schickt ihm ein naheliegendes Gegenbeispiel: »The duration in time f...] applied to sexual activity even in occidental cultures is not considered a negation but, on the contrary, valued as a considerable achievement«.13 Batesons Graphik, heißt das, enthält mehr Information über Bateson als über Bali, sobald die Graphik nicht in ihrem Bildwert gelesen wird, sondern in den Beziehungen, die sie herstellt. Die praktische Relativierung der Zeit gehört zu den Grundoperationen aller Filmemacher, gerade wenn sie Erfahrungsexperimente auf der Leinwand realisieren. Die Zeitstruktur ist das Moment am Filmischen, in der die Umwandlung diskreter Einzelbilder in Bewegungswahrnehmung bei jeder Vorfìihrung ein Imaginäres entstehen läßt, das seine Begründung in der technischen Realisierung nicht bewußt haben kann. Zeidupen oder Zeitraffer nehmen entsprechend als Ausdruck eines ganzen Bewegungszusammenhanges bestimmte emotionale Werte an, sie sind nicht einfach deren verlangsamter oder beschleunigter Ausdruck, sondern wirken schwermütig oder erleichtert, je nach Abspielgeschwindigkeit - ein Charme, der Chaplin davon abhielt, seine alten Filme in der Ära des Tonfilms auf Normalgeschwindigkeit umzukopieren, um die seltsame Diskrepanz zwischen melancholischem Zustand und hüpfendem Gang zu bewahren. Auch die Dauer einer Bewegung, eines Sprunges beispielsweise, die in der Montage künsdich verlängert, aus verschiedenen Sequenzen und Perspektiven zusammengesetzt sein kann, bedeutet, wenn sie gut geschnitten ist, gerade keine Neutralisierung, sondern eine ungeheure Steigerung von Erregung und Spannung. Auf diese Weise wird im Film Zeidichkeit in Emotionalität verwandelt. Seit Dsiga Vertovs Bewegungsanalysen und -synthesen im Mann mit der Kamera (1929) und spätestens seit Panofsky auch in Amerika die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, daß »die spezifischen Möglichkeiten des Films [...] sich definieren [lassen] als Dynamisierung des

14

Gilles Deleuze/Félix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 37. Maya Deren, »Vorlesungen 1947 an der New School for Social Research«, Typoskript, in: Archiv der Mugar Library, Boston/Mass. 15

3. BEZIEHUNGSWEISE ZEIT

Raumes und entsprechend als Verräumlichung der Zeit«16, hätte klar sein können, daß jede Relativierung der Zeitkonventionen im Film eine entscheidende Transformation all dessen ist, was ein Ethnologe als kulturelle Information aufnehmen kann. Es ist das transformatorische Handwerkszeug, mit dem Filmer und Filmerinnen ganz unabhängig vom Gefuhlszustand ihrer Schauspieler und deren Method-Acting Emotionen im Kinoraum produzieren können. Maya Deren, der Mead und Bateson das Bali-Material fiir einen Film über Rituale gegeben hatten, muß sich zuerst Mißbrauch dieser Methode vorwerfen lassen: Zu Hause am Sichtgerät, das nicht elektrisch, sondern mit einer Kurbel betrieben wurde, versetzte sie sich nach allen Regeln des Films als Kunst in eine Art selbstkontrollierte Rückkopplungs trance: The minute I began to put the Balinesefilmthrough the viewer, the fever began. It is a feeling one cannot remember from before, but can only have in an immediate sense. [...] The immediate physical contact with thefilm,the nearness of the image, the automatic muscular control of it [...] creates a sense of intimacy.17 Die selbstgesteuerte Trance läßt sich noch protokollieren. Erst wenn die Rückkopplung an den Zuschauerblick in der elektrischen Vorrichtung des Projektors verschwindet, kehrt die Transformation nicht als Imagination des Beobachters, sondern als imaginäres Wesen des Abgebildeten zurück. Die Verwandlung beginnt als Unregelmäßigkeit auf der Zeitachse. Die Geschichte der Kino-Psychosomatik, die mit Charcots Hysterie-Bildern einsetzt, ist bekannt. Doch wenn die Synopsis der hysterischen Krisen, wie sie durch die Schematisierung von Hunderten von Photographien der Patientinnen aus der Salpêtrière konstruiert wurde, als Anfang der kinematographischen Disposition eines neuen psychophysischen Menschenbildes betrachtet wird, dann muß ergänzt werden, daß sie seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts als neue, nämlich dynamisierte Ikonographie in Erscheinung trat. Mit dem neuen Leiter des photographischen Dienstes an der Salpêtrière, Albert Londe, waren die Bilder von einer Zeitachsenmanipulation modelliert. Auch dem Erfinder Londe hatte eine Revolution des wissenschaftlichen Blicks vorgeschwebt, die er durch die Einfuhrung der Chronophotographie in die Medizin realisieren wollte. Londes technische Erfindungen, die ultrakurze Belichtungszeiten gestatteten, waren die Voraussetzung dafür, daß an der Salpêtrière ein neues medizinisches Feld mit der Objektivität wissenschaftlicher Methoden eröffnet werden konnte: das Wissen vom Unwillkürlichen und Unbewußten, wie es sich in menschlichen Zitterund Tremor-Bewegungen äußert. Doch Londe hat die Photoserien der hysterischen Krisen keineswegs regelmäßig auf der Zeitachse aufgenommen, er konnte an den Kameras Belichtungszeiten und Belichtungsintervalle automatisch oder manuell verändern, und er hat in der Reproduktion der Aufnahmen sogar unterschiedliche Serien zu idealtypischen neuen kombiniert. Nicht nur die Pathologie des Hysterischen, sondern 16

Erwin Panofsky, Stil und Medium im Film (1936/1947), in: ders., Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers & Stil und Medium im Film, Frankfurt/M. u. a. 1993, S. 17-51, hier S. 22. 17 Maya Deren, Notebook 1947, 16. 2. 1947, in: Archiv der Mugar Library, Boston/Mass.

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die Manifestation eines weiblichen Unbewußten überhaupt wurde aus diesen gezinkten Photoserien destilliert. Nicht nur in der Medizin, der Physiologie und der Neurologie, sondern auch in der Anthropologie wurde der Mensch daraufhin sehr künsdich kinematographisch relativiert. Was Bateson als methodisches Scheitern seiner Ethnokinematographie erfährt, war die Wiederkehr des, mit Walter Benjamin, kinematographisch Unbewußten als Verwandlung des »concept of culture, personality and character formation« 18 . Die Abbildung der Körper ist über jede indigene Scham hinaus Verfilmung der Seelen. Ob in der Neurophysiologie oder der Ethnologie, dank der seriellen Photographie oder der Filmaufnahmen konnten unbekannte Bewegungen durch Zerlegung in Einzelbilder zeitlich formalisiert, in der Montage zu neuen Formen zusammengesetzt und in der Projektion als fremdes und unvorhersagbares Verhalten abgebildet werden, das im Rhythmus der intermittierend auf die Leinwand geworfenen Lichtimpulse die Nerven der Zuschauer affizieren, sie rühren, schrecken oder begeistern konnte. Wenn Bateson also in seinen ersten Filmaufnahmen den Zeitfaktor so gründlich ignoriert, dann einfach deshalb, weil er die Emotionen nicht wahrnahm, die sich aus der filmischen Formalisierung der Welt machen lassen. Alles, was er auf Zelluloid aus Bali >im Kasten hattetrasformatorethe penmanships wie es Gardener Anthony, der Ingenieur vom Tufts College, in seiner Introduction to the Graphic Language noch genannt hat,4 erfährt die Schrift eine Mechanisierung und Maschinisierung, die in die europäische Kultur die Figur einer eigentümlich automatisierten Aufzeichnung einfuhrt. Dies aber verändert den Status des Schreibens in entscheidender Weise. Wenn nämlich die Bewegung des Schreibens nur sich selbst aufzeichnet, ist das Schreiben in einen Bereich verschoben, in dem es nichts anderes bedeutet als seine Materialität. Es gibt also kein Signifikat, keine Bedeutung, die dieser Schrift vorausgeht noch sich in ihr ausdrückt. Das fuhrt auf die zentrale Frage nach dem eigentümlichen semiotischen Status dieser Kurven in ihrem doppelten Charakter von physischer und symbolischer Operation zugleich. Die grundlegende Studie von Robert Brain zur »Graphic Method« erschließt und situiert in exemplarischer Weise die graphische Methode in der Wissensordnung des 19. Jahrhunderts;5 und sie bildet damit auch den Ausgangpunkt dieser Überlegungen, die im folgenden zunächst die Epistemologie automatisierter Registrierung, wie sie Marey entwirft, zu skizzieren versuchen, um dann die Zeiger und Schreiber der graphischen Instrumente in ihrer neuen medialen Qualität zu bestimmen und schließlich die Frage nach dem epistemischen Status der Kurven und Graphen zu stellen, die ihrerseits Bestandteil eines maschinalen Dispositivs werden.

Mareys Discours de la méthode graphique Mit seiner Méthode graphique liefert Étienne-Jules Marey 1878 eine Bestandsaufnahme all der graphischen Techniken, die den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts eine neue Sichtbarkeit verleihen und ihnen ein optisches Display einsetzen. Mareys Méthode graphique ist aber zugleich eine Art Discours de la méthode auf dem Stand der 4 Vgl. Gardener Anthony, An Introduction to the Graphic Language, the Vocabulary, Grammatical Construction, Idiomatic Use, and the Historical Development with Special Reference to the Reading of Drawings, Boston 1922. 5 Vgl. Robert Brain, »The Graphic Method. Inscription, Visualization, and Measurement in Nineteenth-Century Science and Culture« (Diss.-Thesen), Los Angeles 1996, Typoskript.

4. BEWEGUNGSLINIEN

Dinge: Denn die historische Gründungsszene der graphischen Methode sieht Marey in Descartes' analytischer Geometrie. An die Stelle von Descartes' klaren und einfachen Ideen als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Verfahren treten bei Marey die Graphen: »Alles, was der Geist präzise zu erfassen und zu messen vermag, kann graphisch in klarer und genauer Weise ausgedrückt werden: Zahlen, Längen, Dauer oder Kräfte erhalten durch den Gebrauch von graphischen Gestalten ihren konzisesten und faßlichsten Ausdruck.«6 Descartes' analytische Geometrie brachte das Verhältnis von Zeichnen und Rechnen, das die frühneuzeitlichen Recheninstrumente mechanisch realisieren, aufs Papier, womit eine Theorie angeschrieben wurde, die den geometrisch-graphischen Gebilden den Status von Rechenoperationen zuweist. Derart wird Rechnen durch Zeichnen und Zeichnen durch Rechnen ersetzbar. Descartes, so schreibt Marey, entdeckte, daß die unterschiedlichen Punkte von Kurven, die durch konische Schnitte erzeugt wurden, innerhalb zweier rechtwinkliger Koordinaten einfache Relationen aufweisen, die sich fur die Darstellung in einer Gleichung eignen; er begründete damit die analytische Geometrie. Doch diese Entdeckung sollte den graphischen Ausdrücken eine neue und viel größere Tragweite verleihen. Anstatt nur räumliche Relationen auszudrücken, sollten die Kurven als Ausdruck der Relationen zweier beliebiger Größen dienen.7 Marey geht es um die Mathematisierung eines graphischen Modells auf der Basis von empirisch erzeugten Funktionen. Alle unterschiedlichen graphischen Darstellungsformen, die Marey der Méthode graphique zurechnet, von den statistischen Diagrammen über Landkarten und thematische Karten bis zu den Kurven der analogen Aufzeichnungsgeräte, stellen Fälle graphischer Funktionen dar. Nur unter dieser Voraussetzung werden die völlig unterschiedlichen Verfahren als homogenes Feld graphischer Operationen beschreibbar. Denn die Karte wird so ein Funktionsgraph mindestens zweier unabhängiger Variablen, die im orthogonalen Koordinatensystem aufgetragen werden. Und ebenso werden die Linien der Kurvenschreiber einer Berechenbarkeit zugänglich, die zugleich Maschinisierung bedeutet. Diese mechanischen graphischen Operationen haben ihre konkreten Vorbilder in der Maschinisierung des Rechnens auf der Basis von graphischen Recheninstrumenten. Denn wie schon Descartes' analytische Geometrie nichts anderes als die Theorie des Proportionalzirkels, des bis ins 19. Jahrhundert entscheidenden Rechengeräts, darstellt, ist die Méthode graphique

»Tout ce que l'esprit peut concevoir et mesurer avec exactitude s'exprime graphiquement d'une manière claire et précise: des nombres, des longueurs, des durées, des forces, trouvent dans l'emploi des figures graphiques leur expression la plus concise et la plus saisissante.« (Étienne-Jules Marey, La méthode graphique dans Us sciences expérimentales, Paris 1878, S. 1.) - Die Übertragungen ins Deutsche aus französisch angegebenen Quellen stammen hier und im folgenden vom Verfasser dieses Kapitels. 7 »[...] découvrit que les différents points des courbes engendrées par les sections coniques présentent avec deux coordonnées orthogonales des rapports simples susceptibles d'être représentés par une équation; il fonda ainsi la géométrie analytique. Or, cette découverte devait donner aux expressions graphiques une portée nouvelle et beaucoup plus grande. Au lieu d'exprimer seulement des relations d'espace, les courbes devaient s'appliquer à l'expression des relations de deux grandeurs quelconques.« (Ebd., S. 11 f.) 6

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neben ihrer rein materialen Seite der Aufzeichnung zugleich eine historisch spezifische Form der Nomographic. Was aber passiert, wenn James Watt Ende des 18. Jahrhunderts das Indikatordiagramm an der Dampfmaschine anbringt, dem Prototyp des Maschinalen im 19. Jahrhundert? »Alle entwickelte Maschinerie besteht«, so heißt es bei Karl Marx, »aus drei wesentlich verschiedenen Teilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeitsmaschine.«8 Marx bezieht sich hier auf Jean Victor Poncelet, der diese Dreigliedrigkeit des Maschinalen als »moteur«, »communicateur ou modificateur du mouvement« und »outil« einfuhrt. 9 Diese Koppelung gilt auch fur die Aufzeichnungsgeräte, die sich zusammensetzen aus einem »explorateur«, der eine Bewegung aufnimmt, einer »transmission«, die die Bewegung überträgt, und schließlich dem »recepteur«,10 der mit seinem Stift Schreibarbeit verrichtet. Während beim Indikator der Dampfmaschine diese auch den Motor fur die Aufzeichnung selber bildet, übernimmt bei den übrigen graphischen Apparaten meist ein Uhrwerk die Aufgabe eines Motors fiir den Papiervorschub. Die Tatsache jedoch, daß im maschinalen Modell auf der Position der Arbeitsmaschine Schreibstift und Papier auftauchen, macht aus dem graphischen Aufzeichnungsapparat ebenso wie aus Watts Dampfmaschine, wenn sie mit einem Indikator versehen ist, eine Schreibmaschine. Aufzeichnung, so kann man mit Deleuze und Guattari sagen, wird in die Produktion selbst hineingetragen. 11 Und nicht zufällig ist der Telegraph durch seinen dreigliedrigen Aufbau mit seinem »manipulateur«, der Übertragungseinheit und dem »recepteur«12 ebenso unmittelbares Vorbild der graphischen Apparate wie auch Steinheils >Zeichengeber< von 1838 durch das Endlospapier13 oder Wheatstones Chronoskop durch den Zeiger, der seinem elektromagnetischen Telegraphen endehnt ist: Mein Chronoskop bestand damals aus einem Uhrwerk mit Zeiger, der ging oder still stand, je nachdem ein Elektromagnet auf ein Stück weiches Eisen wirkte, es anzog, so wie ein Strom den Schraubendraht dieses Magneten durchlief, oder es losließ, so wie der Strom aufhörte, ganz wie in meinem elektro-magnetischen Telegraphen, von dem diese Erfindung als eine Ableitung angesehen werden kann.14 Entscheidender Unterschied jedoch ist, daß Telegraphen diskrete Zeichen übertragen, während die Signale der graphischen Apparate kontinuierliche Kurven sind. Wenn dabei die übertragene Bewegung zum Signal wird, das schließlich angeschrieben wird, Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie (41890), Berlin 1987, Bd. 1, S. 395. Jean Victor Poncelet, Traité de mécanique industrielle, Paris 1829, Teil III, § 11. 10 Marey, La méthode graphique, S. 126. 11 Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Anti-Ödipus, Frankfurt/M. 1974, S. 10. 12 Marey, La méthode graphique, S. 447. 13 Vgl. Carl August Steinheil, Über Télégraphié, insbesondere durch galvanische Kräfte (Akademievortrag vom 25. August 1838), München o. J. 14 Charles Wheatstone, »Ueber das elektro-magnetische Chronoskop«, in: Annalen der Physik und Chemie 65 (1845), S. 451^61, hier S. 451. 8 9

4. BEWEGUNGSLINIEN

Bewegung also in Schrift übergeht, so ist dieser Übergang ebenso wie die verrichtete Arbeit ein Maschineneffekt. Marey spricht bei diesem Übergang immer davon, daß die Bewegung »se traduisent«15. So gehorchen auch die Bewegungstypen, die die graphischen Apparate aufnehmen,16 einem kombinatorischen Maschinenmodell aus den Elementarbewegungen »rectiligne« und »alternatif«, wie sie Hachette in seinem Traité élémentaire des machines exemplarisch fur die École polytechnique beschrieben hat.17 Dabei variieren die Antriebsbewegungen, je nachdem, ob es sich um Myographie, Pneumographie oder Sphygmographie handelt oder physikalisch um mechanische, thermische oder elektrische Prozesse, und sie verlangen dabei spezifische apparative Differenzierungen. Dies sei hier an einem klassischen Reproduktionsinstrument verdeudicht, dem Pantographen, der nach Marey ein Apparat ist, »dessen gegliederte Teile die Reproduktion einer beliebigen Figur ermöglichen, sei es in der natürlichen Größe, sei es, je nach Bedarf, verkleinert oder vergrößert«18. Während der Pantograph üblicherweise etwa zur Reproduktion von Karten eingesetzt wurde, also zur Übertragung von Symbolischem in Symbolisches, wird er bei Marey kurzerhand zum analogen Aufzeichnungsgerät: »Wenn man an einer Spitze des Pantographen irgendeine Bewegung eingibt, wird die andere Spitze diese Bewegung anschreiben.«19 Bewegung und Schrift scheinen dabei austauschbar zu werden. Dies wird vor allem an Mareys »pantographe à transmission« deutlich, bei dem die »transmission« eine Fernübertragung der Bewegung möglich macht und die dadurch voneinander getrennten Teile des Pantographen nun zum »explorateur du mouvement« und »recepteur« werden.20 Dies schreibt jedoch keineswegs eine einförmige Übertragungsrichtung von Bewegung in Schrift vor, denn: »Es ist beliebig, welchen dieser beiden Teile man als Explorateur verwendet.«21 Dabei wird die Bewegung des linken Teils über die beiden Membrane und Druckschläuche auf die rechte Seite übertragbar, in diesem Falle eine Kreisbewegung: »Die Spitze des Explorateurs«, erläutert Marey, »zeichnet einen Kreis auf ein Stück berußten Glases; diejenige des Empfängers zeichnet dieselbe Figur.«22 Das Beispiel zeigt also nicht die Übertragung irgendeiner Bewegung, sondern die eines Zeichens, einer Kreisfigur. Die Tatsache, daß der Empfanger ebendiese Figur wieder 15

Marey, La méthode graphique, ζ. Β. S. 109 u. 243.

16

Vgl. Marey, »Appareils inscripteurs des mouvements«, in: ders., La méthode graphique, S. 107-214.

17

»Les quatre espèces de mouvemens circulaire continu et alternatif, rectiligne continu et alternatif,

combinées deux à deux, donnent six combinaisons. Ainsi il y a dix manières différentes de combiner entre eux les quatre mouvemens circulaires et rectilignes, et à chacune de ces manières correspond une série de machines élémentaires.« (Jean Ν. Ρ Hachette, Traité élémentaire des machines, Paris 1811, S. 5.) 18

»[...] dont les pièces articulées permettent de reproduire une figure quelconque, soit en grandeur

naturelle, soit réduit ou amplifié suivant le besoin.« (Marey, La méthode graphique, S. 130.) 19

»Si l'on imprime à l'une des pointes du pantographe un mouvement quelconque, l'autre pointe

inscrira ce mouvement.« (Ebd., S. 130.) 20

Ebd., S. 130 u. 132.

21

»On peut indiiFérement prendre comme explorateur l'un quelconque de ces deux groupes.« (Ebd.,

S. 132.) 22

Ebd.

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Abb. 17: Pantographe avec transmission du mouvement par l'air. L'appareil est vu d'en haut. (Pantograph mit Bewegungsiibermitdungen durch Luftdruck. Der Apparat wird von oben gezeigt.) Aus: Étienne-Jules Marey, La méthotiegraphique

dans les sciences expérimentales,

Paris 1878, S. 132.

aufzeichnet, verdeutlicht demnach nur dessen exakte Übertragung durch das Instrument. Die Tautologie des Vorgangs aber leistet etwas Entscheidendes, sie kalibriert das Instrument in eindeutiger Weise und macht damit klar, daß das, was das Instrument überträgt und schließlich aufschreibt, nicht seine Eigenbewegung ist, sondern diejenige wie immer auch arbiträre Bewegung, die der Explorateur aufnimmt.

Zeiger / Schreiber Wenn also die graphischen Apparate ebenso nachrichtentechnisch wie auch rein mechanisch Bewegung in Kurven der Bewegung übertragen, dann wird unklar, welchen symbolischen Status die Kurven haben. Deshalb ist zunächst ein Blick auf das Schreib-Element der graphischen Apparate, den Schreiber selbst, nötig. In meßtechnischer Hinsicht handelt es sich bei der analogen Aufzeichnung um einen neuen Instrumententyp, der die von ihm kontinuierlich erzeugten Daten auch ebenso kontinuierlich als Funktion der Zeit speichert. Die Kurven auf der graphischen Fläche repräsentieren daher Frequenzen in einer Dauer. Historisch geht dem die Erzeugung von diskreten Daten durch das Absehen von Dioptern und das Ablesen von Meßwerten an einer graphischen Skala des Instruments voraus. Dabei werden etwa beim Quadranten auf der Basis einer exakten Bedienung durch den Benutzer auf dem Instrument Schnittpunkte unterschiedlicher Geraden gebildet, denen dann diskrete Meßwerte zugewiesen werden können. Meßinstrumente dagegen, die ihre Meßwerte selbst anzeigen, wie z. B. Uhren, Manometer oder Waagen, haben einen Zeiger als ein zusätzliches Element, das die Einstellung des Instruments und damit die Erzeugimg eines diskreten Datums automatisiert. Deshalb zeigt der Zeiger, und er tut dies ohne alles Zu-

4. BEWEGUNGSLINIEN tun des Menschen, indem er trotz aller Einschwingbewegungen oder dynamischen Aspekte der gemessenen Größe schließlich den einen statischen Wert liefert, ohne ihn jedoch zu speichern. In beiden Fällen aber geschieht das Speichern dieser Meßwerte durch eine zusätzliche, davon getrennte Operation auf Papier. Dies zeigt die deudiche Trennung von Erzeugung und Speicherung diskreter Meßdaten. Datenspeichernde Meßinstrumente, wie etwa der um 1600 eingeführte Meßtisch, der mit einer Papierfläche versehen ist, auf welche die einzelnen Meßdaten aufgetragen werden, sind bis ins 19. Jahrhundert die Ausnahme. Erst eine Verbindung von Zeiger und Speicherung aber ermöglicht die graphische Darstellung von kontinuierlichen dynamischen Datenströmen. Statt diskreter einzelner Meßwerte beginnt Comte d'Ons-en-Brays Anemometer 1734 Kurven anzuschreiben - er fuhrt damit, wie auch Marey bemerkt 23 , erstmals bei meteorologischen Instrumenten die automatische Speicherung kontinuierlich erzeugter Meßdaten ein. 24 Dies bedeutet zugleich den Schritt vom bloßen Zeiger, dessen angezeigte Werte dann zusätzlich von Hand zu notieren sind, zu einem mechanischen Schreiber, der die Werte, die ein Zeiger nur nacheinander anzeigen kann, als kontinuierliche Kurve auf die sich fortbewegende Papierunterlage schreibt. Damit ergibt sich auf und an den Meßinstrumenten ein Schreibszenario, das in eine Geschichte der Schreiber, Kopisten und Zeichenübertragung eine Mechanisierung und Automatisierung einfuhrt, die dem Schreiben einen neuen epistemischen Status verleiht. So wird in d'Ons-en-Brays Apparat die Oberfläche eines von einem Uhrwerk bewegten Zylinders zu einer Schreibfläche für Nadeln, die die gemessene Windrichtung und Windstärke anschreiben: Eine Feder »dient zur Regulierung des genauen Abstands, den die Spitze jeder Nadel, die als Schreibstift dient, zum Zylinder einnehmen muß, um auf dem Papier zu gleiten und zu schreiben, ohne es zu zerreißen« 25 . Schreiben in seiner mechanisierten Form stellt daher neue Anforderungen an Papier und Schreibstift, wenn schon allein der kontinuierliche Kontakt von Feder und Papier zum technischen Problem wird. Der Schreiber muß nach Marey vor allem folgende Qualitäten aufweisen: Er muß »ohne Gewicht sein, vollständig elastisch in der Ausrichtung, in der er auf das Papier trifft, und vollständig starr in der anderen Ausrichtung« 26 . Doch der Schreiber kann nur dann exakt das schreiben, was er schreiben soll, wenn er die Bewegungen nicht deformiert oder durch andere »vibrations parasi-

" Vgl. ebd., S. 113. 24 Vgl. dazu Hebbel E. Hoff/Leslie A. Geddes/Roger Guillemin, »The Anemograph of Ons-en-Bray. An Early Self-Registering Predecessor of the Kymograph«, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 12 (1957), S. 424-448. 25 Louis Léon Pajot Comte d'Ons-en-Bray, »Anémomètre qui marque de lui-même sur le papier, non seulement les vents qu'il a fait pendant les 24 heures, et à quelle heure chacun a commencé et fini, mais aussi leurs différentes vitesses et forces relatives«, in: Histoire de l'Académie Royale des Sciences (1734), Amsterdam 1738, S. 169-185, zit. nach: Hoff/Geddes/Guillemin, »The Anemograph«, S. 429.

»[...] être sans pesanteur; parfaitement flexible dans le sens suivant lequel il rencontre le papier et parfaitement rigide dans l'autre sens; il ne doit pas gripper sur les rugosités du papier, et doit toujours être en contact avec la surface sur laquelle il écrit.« (Marey, La méthode graphique, S. 502.) 26

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Abb. 18: Anemograph von d'Ons-en-Bray. Aus: Hebbel E. Hoff/Leslie A. Geddes/Roger Guillemin: »The Anemograph of Ons-en-Bray. An Early Self-Registering Predecessor of the Kymograph«, in: Journal of the History of Mediane and Allied Sciences 12 (1957), Nr. 4, S. 424-448, Fig. 4.

tes«27 überlagert. »Der allgemeine Fehler der von den Physiologen benutzten Apparate war die Trägheit der Glieder, die die Bewegungsphasen übertragen sollten.«28 Deshalb muß das Gewicht der Teile, die sich schnell bewegen, möglichst reduziert werden, wie auch die Geschwindigkeit der »organes inscripteurs«29 selbst möglichst niedrig gehalten werden soll. Doch im Gegensatz zur Handschrift wird die Bewegung des automatisierten Schreibens aus zwei isolierten, sich überlagernden Schreibbewegungen zusammengesetzt: zum einen aus der Bewegung des Schreibers, zum anderen aus der Bewegung des Papiers selbst, die durch einen Uhrwerk-Papiervorschub bzw. -einzug erzeugt wird und deshalb - wenn nicht auf einen rotierenden Zylinder geschrieben wird - Endlospapier notwendig macht. Die Schreibstelle selbst, der Kontakt von Papier und Stift, wird derart konzipiert, daß störende Reibungskräfte vermieden werden. So ermöglicht die gekrümmte Papierfläche auf der Walze eine Verringerung der Kontaktstelle; außerdem liegt der Vorteil einer berußten Oberfläche, in die der Schreibstift eine Kurve einzeichnet, in der 27

Ebd., S. 113.

28

»Le vice commun des appareils employées par les physiologistes était l'inertie des organes qui devai-

ent traduire les phases des mouvements.« (Ebd.) 29

Ebd.

4. BEWEGUNGSLINIEN

gegenüber Tinte oder Bleistift entscheidenden Verringerung der Reibung. Solange deshalb der Schreiber selbst keinen Schreibstoff auf das Papier aufträgt, sondern vielmehr eine Rußauflage auf dem Papier entfernt, ist Schreiben in seiner mechanisierten Form nichts anderes als Löschen. Diese Inversion der Schrift, so scheint es, wird den mechanischen Anforderungen zur Erzeugung einer automatischen Schrift am meisten gerecht. Kein Schwarz auf Weiß also produzieren diese mechanischen Sekretäre, wie es die Geschichte der Schrift bis dahin prägt, sondern ein Negativ dazu. Dementsprechend entzieht mechanisches Schreiben dem Schreibstift Aktivitäten, wie etwa Tintenfluß und Fortbewegung, agentiviert statt dessen das Papier selber: Statt passive Schreibfläche zu sein, liefert das Papier den Schreibstoff und ersetzt zugleich die Bewegung der Hand übers Papier durch seine eigene Bewegung. »Wenn sich das Papier fortbewegt«, so erläutert d'Ons-en-Bray 1734, »zeichnet der Punkt, der es berührt, eine Gerade. Und damit die Zeichnung (le tracé) deutlich sichtbar wird, sollte das Papier mit feinpulvrigem Hartshorn-Puder eingerieben werden; denn auf diese Weise wird jede Spur wie ein Bleistiftstrich, der wieder einfach gelöscht werden kann, so daß sich das Papier mehrmals verwenden läßt.«30 Die unscheinbare Tätigkeit des Schreibers wird in der Maschinisierung zerlegt, indem die Aktionen des Schreibstifts einer Arbeitsteilung unterworfen werden. In dem Maße, in dem die koordinierten Schreibhandbewegungen mechanisch in die einzelnen Bewegungselemente von aufzuzeichnender und aufzeichnender Bewegung erstmals isoliert werden, kann das Schreiben sogar synchrone Datenströme übertragen: Auf ein und demselben Papier können parallel mehrere Schreiber angesetzt werden. Dieses Ausgangsmodell des mechanisierten Schreibszenarios ist seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich erweitert worden. So ermöglichen elektrische Signale eine Fernübertragung der aufzuzeichnenden Bewegung; und sie ermöglichen zudem, daß äußerst schwache Bewegungen aufgezeichnet werden können, indem der graphische Apparat wie ein elektrischer Telegraph operiert: »Eine sehr schwache Bewegung«, so Marey, wie der Herzschlag eines Frosches, reicht aus, einen leichten Stift zu bewegen, der durch seine Oszillationen einen elektrischen Stromkreis abwechselnd öffnet und schließt. Diese Unterbrechungen und Schließungen erzeugen in einem Elektromagneten Bewegungen von beliebiger Stärke, die den Ausschlag des Odographen mit der jeweils notwendigen Kraft bestimmen.31

30

Ons-en-Bray, »Anémomètre«, zit. nach: Hoff/Geddes/Guillemin, »The Anemograph«, S. 430.

31

»Un mouvement très-faible, comme le battement du coeur d'une grenouille, suffit pour déplacer une

tige légère qui, par ses oscillations, ouvrira et fermera tour à tour un courant électrique. Ces ruptures et clôtures produiront dans un électro-aimant des mouvements aussi puissants qu'on le voudra, et qui commanderont l'échappement de l'odographe avec autant de force qu'il sera nécessaire.« (Marey, La méthode graphique, S. 190.)

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Abb. 19: Oiseau transmettant les battements de ses ailes à un signal électro-magnetique et à un myographe inscripteur (Vogel, der seine Flügelschläge an ein elektromagnetisches Signal und einen Aufzeichnungs-Myographen übermittelt). Aus: Étienne-Jules Marey, La méthode graphique dans les sciences expérimentales, Paris 1878, S. 153.

Kurven / Graphen Trotz aller Maschinisierung des Schreibszenarios steht die Aufnahme, Übertragung und Speicherung von unterschiedlichen Bewegungsformen durch die graphischen Apparate und die dadurch erzeugte Kurvenschrift im Zeichen einer Unmittelbarkeit: Arthur Morin, einer der französischen Experten der Méthode graphiqu^2 und Professor an der École de l'Artillerie et Génie in Metz, hat dies auf die bekannte Formel gebracht: »La nature parle à ceux qui savent l'interroger.«33 Die graphischen 32 Vgl. vor allem Arthur Morin, Notice sur divers appareils dynamométriques, propres à mesurer l'effort du travail développé par Us moteurs animés ou inanimés, ou consommé par des machines de rotation, et sur un nouvel indicateur de la pression dans Us cylindres des machines à vapeur, Paris 1839. 33 »Die Natur spricht zu denen, die wissen, wie man sie befragt.« (Arthur Morin, zit. nach: Brain, »Graphic Method«, S. 74.) Vgl. Soraya de Chadarevian, »Die >Methode der Kurven< in der Physiologie zwi-

4. BEWEGUNGSLINIEN

Apparate produzieren, so sagt man, eine Schrift der Dinge selbst; es ist >legible handwriting< (Oliver W. Holmes),34 was die Kardiographen, Sphygmographen und Myographen sichtbar machen. Der Schreiber, den diese Apparate in Gang setzen, ist ebenso wie die Photographie eine Art »pencil of nature«35. All die Ableitungen dieser Schrift von der Natur als ihrem eigendichen Autor und Sender gründen jedoch auf der Tatsache der Selbstregistrierung. Denn die Übertragung der Bewegungen von Muskeln, Dampfmaschinen oder elektrischen Strömen in die Bewegung eines Stiftes, der schreibt, diese »inscription directe«36 erhält ihre eigendiche Qualität von der maschinellen Automatisierung. Wenn es nämlich, wie Poncelet in seinem Traité de mécanique (1845) schreibt, »das Wesen guter Maschinen ist, selbstgesteuert zu sein, so weit wie möglich und ohne Mithilfe menschlicher Intelligenz«37, so sind die selbstregistrierenden graphischen Apparate also zunächst nichts anderes als gute Maschinen, die den human factor durch endlose Aufmerksamkeit und Selbstverleugnung überbieten. Maschinen, die sich selbst aufschreiben, erzeugen also eine Schrift, die, wie Marey hervorhebt, nichts mehr zu tun hat mit einem System arbiträrer sprachlicher Zeichen: Diese scheinbar so unmittelbar natürliche Schrift einer »langage des phénomènes eux-mêmes« ist als »véritable langue universelle«38 eine Sprache jenseits des Menschen. Deshalb kann Marey auch die Méthode graphique mit der Archäologie, die Spuren des Vergangenen entziffert, vergleichen. Die >inscriptions< und >tracés< der graphischen Apparate sind daher ebenso weit von den Zeichen einer Buchstabenschrift entfernt, wie sie zugleich dadurch, daß sie die Form von Bewegungen aufzeichnen, in die Nähe des Bildes rücken. Deshalb erstaunt es nicht, daß Marey die Photographie wie auch die Stroboskopie zur Méthode graphique rechnet. Photographie stellt nämlich nur insofern einen Sonderfall davon dar, als sie sowohl die »inscription de mouvements extrêmement rapides«39 ermöglicht als auch, »Bewegungen einzuschreiben, die nicht genug motorische Kraft haben, um eine Feder über das Papier zu fuhren«40. Das Neuartige jedoch an dieser Kurvenschrift ist, daß sie maschinale Bewegung und symbolische Notation zugleich ist. Die Ausschläge der Schreiber sind die physikalische, materiale Seite eines Signals, das in die Maschine selbst eingeschrieben wird. Die Aufzeichnung ist also nicht eine Abspaltung von der Maschine oder eine symbolische Verdopplung, sondern sie ist im dreigliedrigen Maschinenmodell Teil der Maschine selbst. Dies verleiht der Schrift dieser mechanischen Sekretäre einen völlig sehen 1850 und 1900«, in: Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner (Hrsg.), Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentárteme 34

in den biologischen Wissenschaften 1850/1950, Berlin 1993, S. 28-49.

Vgl. Everett Mendelsohn, »The Social Locus of Scientific Instruments«, in: Robert Bud/Susan Coz-

zens (Hrsg.), Invisible Connections. Instruments, Institutions, and Science, Bellingham 1992, S. 5-22. 35

"William Henry Fox Talbot, The Pencil of Nature (1844-1846), New York 1969.

36

Marey, La méthode graphique, S. 196.

37

Poncelet, Traité de mécanique, S. 45.

38

Marey, La méthode graphique, S. iv.

3

' Ebd., S. 648.

40

»[...] d'inscrire des mouvements qui n'ont pas assez de force motrice pour conduire une plume sur le

papier.« (Ebd., S. 115.)

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neuen epistemischen Status. Die Kurven und Graphen sind Elemente einer maschinalen Datenübertragung, die als Output von der Maschine isoliert werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Analyse der Kurven, wie es in den Labors des 19. Jahrhunderts vor allem geschieht, durch den Experimentator vorgenommen wird. Dabei ist das Auge die entscheidende Schnittstelle: »The eye is the best judge of proportion«, heißt es in William Playfairs Lineal Arithmetic, denn es ist »able to estimate it with more quickness and accuracy than any other of our organs«.41 Im Anschluß an Playfair hat sich vor allem Alexander von Humboldt mit seinen graphischen Darstellungen der Fähigkeit des Auges bedient, auf einen Blick große Datenmengen zusammenfassen zu können;42 dies potenziert sich, wenn es sich bei Objekten wie den Kurven selbst schon um Datenkomprimierungen handelt: So wird aus dem Auge ein graphisch-mathematisches Instrument. In diesem Sinne entsprechen sich bei der analysierenden Betrachtung analoge und statistische Kurven, denn beide Typen werden, wenn sie auf einem Koordinatennetz aufgetragen werden, spezifischen Operationen zugänglich, die bloße Tabellen aus einzelnen Meßwerten nicht zulassen. Die graphischen Darstellungen ermöglichen nämlich, wie Marey hervorhebt, »optische Interpolationen, wozu Tabellen voller Zahlen sich keineswegs eignen. In diesem Sinne kann die Gestalt einer Linie mit einem gleichbleibenden Wert ein wirkliches Recheninstrument werden.«43 Dies ist der Grund, weshalb Marey auch nomographische Rechengeräte in seine Méthode graphique aufnimmt. Dort also, wo herkömmliche Maschinen die Werkzeug- oder Arbeitseinheit haben, mit der bestimmte kraftaufwendige Arbeiten ausgeführt werde können, lokalisiert sich ein Schreiber, dessen Arbeit Schreiben ist. Diese Schrift als Produkt, als Output ist daher immer noch Teil des maschinalen Gefuges. Wenn aber der Output in Form von Graphen und Kurven nicht mehr aus dem maschinalen Modell ausgekoppelt und einer Lektüre durch den Menschen unterzogen wird, sondern einem weiteren maschinalen Vorgang als Input dient, geht das analoge Aufzeichnungsgerät in eine Maschine über, die mit einer anderen Maschine kommuniziert. Genau dies geschieht bei einem analogen Rechengerät. Die graphischen Aufzeichnungen ermöglichen also selber Berechnungen, so wie es einerseits die analytische Geometrie einfuhrt und andererseits Geräte wie der Planimeter mechanisch vorfuhren. Zudem machen die graphischen Apparate, indem sie immer auch chronographisch sind, dynamische Prozesse in ihren Kurven sichtbar, die in einem Koordinatennetz mit einer Zeitachse als Abszisse angeschrieben werden. Die Analyse der Kurven wird damit vornehmlich eine Analyse von

William Playfair, Lineal Arithmetic, London 1798, S. 5. Vgl. dazu Brain, »Graphic Method«. Vgl. Wolfgang Schaffner, »Topographie der Zeichen. Alexander von Humboldts Datenverarbeitung«, in: Inge Baxmann/Michael Franz/Wolfgang Schaffner (Hrsg.), Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 359-382. 43 »[...] des interpolations à vue auxquelles les tables chargées de chiffres ne se prêtent nullement. C'est dans ce sens qu'une figure à lignes d'égal élément cotées peut devenir un véritable instrument de calcul.« (Marey, La méthode graphique, S. 102.) 41 42

4. BEWEGUNGSLINIEN Frequenzen und Amplituden. Gerade wenn es sich u m unregelmäßige Bewegungen handelt, wird dies besonders deudich: Bei unregelmäßigen Bewegungen kann man mit der graphischen Methode ein äußerst wichtiges Element erfassen; ich meine den Rhythmus, den die Unregelmäßigkeiten in bestimmten Fällen aufweisen. Dies ist wieder ein Fall, bei dem uns unsere Sinne sehr schlecht informieren. Denn sofern die Periode, in der die Wiederkehr desselben Aktes geschieht, lang und kompliziert ist, entzieht sie sich uns. Die flüchtige Erinnerung der Intervalle, die man beobachtet hat, löst sich auf, und wir erkennen dieselbe Periode bei ihrer Reproduktion nicht wieder. Im Unterschied dazu stellen sich die auf das Papier aufgetragenen Signale unseren Augen in aller Präzision dar; der Blick umfaßt einen genügend langen Verlauf der Spur, um die periodische Wiederkehr bestimmter Unregelmäßigkeiten zu erfassen; und wenn die Periodizität klar erkannt ist, fuhrt sie uns auf den Weg neuer Untersuchungen ihrer Ursachen.44 Wenn also nicht mehr das Auge die Interpolationen anstellt oder die Frequenzanalyse durchführt, sondern eine Maschine, dann erweist sich der Übertragungsprozeß von der Bewegung zur Kurve auch als umkehrbar. Genau dies fuhrt Edisons Phonograph vor. Während nämlich die Dechiffrierung einer phonographischen Kurve äußerst zeitraubend ist, operiert der Phonograph als bloße Umkehrung des Phonautographen: Der Zeichenstift eines Phonautographen ritzt auf dem drehenden Zylinder Vertiefungen ein, die bei einem neuen Umlauf des Zylinders den Stift antreiben, der sie produziert hat, und, indem sie eine Membran zum Schwingen bringen, die Töne der Stimme selbst wiederherstellen.45 Das Entscheidende am Phonographen ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht die Wiederherstellung der menschlichen Stimme, sondern die maschineninterne Kommunikation, die zwischen Phonautograph und Phonograph auf der Basis der Kurven abläuft. Damit wird der eigendiche Status der Kurven und Graphen als Maschinensprache deudich; denn die Maschinisierung dieser Schrift, die keinen menschlichen Leser mehr braucht, sondern als Input fiir Maschinen dient, also maschinell gelesen werden kann, markiert ebenso den neuen epistemischen Status dieser Schrift wie ihre Mathematisierung, durch die die Kurven als nicht analytisch gegebene Funktionsgraphen weiteren mathematischen Operationen zugänglich werden. Nichts anderes fuhrt der Mitte des 19. Jahrhunderts von Jakob Amsler-Laffon entwickelte Planimeter vor,

44

»Dans les mouvements irréguliers, la méthode graphique fait saisir un élément fort important, je

veux parler du rhythme que les irrégularités affectent dans certains cas. C'est là encore un point sur lequel nos sens nous renseignent fort mal. Pour peu que la période qui règle les retours d'un même acte soit longue et compliquée, elle nous échappe. Le souvenir fugitif des intervalles qu'on a observés s'efface et nous ne reconnaissons plus le retour d'une même période s'il vient à se reproduire. Au lieu de cela, les signaux placés sur le papier se représentent à nos yeux d'une façon précise; la vue embarasse une assez grande étendue de tracé pour saisir le retour périodique de certaines irrégularités, et quand la périodicité est bien constatée, elle nous met sur la voie de nouvelles recherches, relativement à la cause qui l'a produite.« (Ebd., S. 165.) 45

»[...] le style traceur d'une sorte de phonautographe grave sur un cylindre tournant des dépressions

qui, à un nouveau tour du cylindre, actionnent le style que les avait produites et, faisant vibrer la membrane, restituent les sons de la voix elle-même.« (Ebd., S. 644.)

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144

HUMAN MOTOR / RAUM / BEWEGUNG

der die graphische Aufzeichnung einer Konturkurve unmittelbar in den Wert des Flächenintegrals umsetzen kann und damit die Mathematisierung und die Maschinisierung der graphischen Aufzeichnung miteinander verbindet. Unabhängig von der Geschichte diskreter Lettern vom Buchdruck bis zur Schreibmaschine verläuft also jene Geschichte von durchgezogenen Linien, die sich spätestens mit den Lehrbüchern zur Kursivschrift des 15. Jahrhunderts von der Diskretheit der einzelnen Buchstaben löst und diese durch Ligaturen und eine minimale Anzahl von Basiselementen46 in einem Schreibfluß geometrischer Kurven auflöst. In dieser Geschichte stellen die selbstregistrierenden Apparate einen entscheidenden Schritt dar, denn sie produzieren eine Schrift völlig neuen Typs. Es handelt sich dabei um eine Sprache jenseits des Menschen; genau dies ahnen und wissen diejenigen, die diese Sprache deshalb als »langage des phénomènes eux-mêmes«47, als Sprache der Natur einordnen. Die Tatsache, daß graphische Aufzeichnung und mechanische Bewegung als ein und dasselbe erscheinen, daß Bewegung der Aufzeichnung entspringen kann und umgekehrt, markiert den eigentümlichen materialen Status dieser Kurvenschrift. Man könnte ihn ihren indexikalischen Status nennen, und zwar in dem eminenten Sinne, in dem Charles S. Peirce den indexikalischen Charakter von Zeichenoperationen bestimmt hat. Dieser besteht bekanndich darin, daß zum ikonischen und symbolischen Charakter von Zeichen noch eine »brute force in existence«48, eben der Index, hinzutreten muß.49 Der Hebel, der etwa bei der logischen Maschine den logischen Schluß als Zeichenoperation tatsächlich durchfuhrt und den Peirce zufolge die Philosophen immer vergessen, wenn sie von Logik sprechen - dieser Hebel ist eine mechanische indexikalische Bewegung und verleiht damit den diskreten logisch-algebraischen Zeichen eine neue maschinale Operativität. Die mechanisierten Kurven, so könnte man sagen, sind insofern, als die graphische Linie zugleich mechanische oder elektromechanische Bewegung ist, der Moment, in dem Grammatologie in eine graphische Maschine übergeht. Die Kurven sind Schriftzeichen, die die Kraft einer Bewegung anschreiben und die auch selbst wieder in ebendiese Bewegung umgesetzt werden können. Es sind Zeichen, die sich vollständig realisieren und bei denen Zeichen und Bezeichnetes, Signifikant und Signifikat zusammenfallen. Dies ist die gegenüber Zahlen und Buchstaben eigentümliche Qualität jener Linien: Im Unterschied zu den arbiträren Zeichen zählt hier jede noch so minimale Qualität des graphischen Körpers, seine Lage, seine Ausdehnung wie auch sein spezifischer Verlauf. Und die Linie der analogen Aufzeichnungsgeräte muß nicht mehr von Hand gezogen werden, wie es etwa in Kants Opusposthumum noch heißt, sie zieht sich vielmehr 46 Exemplarisch geschieht dies bei Gerardus Mercator, Literarum latinorum, quas itálicos, cursoriasque vocant, scribendarum ratio, Antwerpen 1540. 47 Marey, La méthode graphique, S. iv. 48 Charles S. Peirce, »Logical Machine«, in: ders., The New Elements of Mathematics, Bd. 5.1: Mathematical Miscellanea, hrsg. von Carolyn Eisele, Den Haag - Paris 1976, S. 625-632, hier S. 628. 49 Vgl. unten das Kapitel »Electric Graphs« im Abschnitt Schalten/Rechnen/Steuern.

4. BEWEGUNGSLINIEN

selbst. Während also die Wissenschaftler, die im 19. Jahrhundert der Obsession der Méthode graphique verfallen, noch glauben, in direktem Schriftverkehr mit der Natur zu stehen, hat sich heimlich eine ganz andere Kommunikation installiert, die ohne Natur, ohne die Bewegung menschlicher Hände und ohne ein lesendes Auge auskommt: Es sind Kurven, die mechanisch und automatisch sowohl aufgezeichnet als auch gelesen werden; Kurven als indexikalische Schrift von und fur Maschinen. Von hier aus wird zugleich der Weg deudich, den parallel dazu die diskreten Zahl- und Buchstabenzeichen vor sich haben, um im selben Maße wie die graphischen Linien technisch indexikalisiert zu werden.

(Wolfgang Schäßher)

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

À propos de vos yeux futurs, Hada!y, dites-moi...

»Es bleibt dabei«, hatte Lessings Laokoon entschieden, »die Zeitfolge ist das Gebiete des Dichters, so wie der Raum das Gebiete des Malers.«1 Doch die analogen Aufzeichnungsgeräte des 19. Jahrhunderts durchkreuzen mit ihren Kurven die Unterscheidung des Sagbaren und des Sichtbaren in eigentümlicher Weise: Sie übertragen Text und Bild gleichermaßen in eine lineare Folge. Indem sie vermeindich die »Sprache der Natur< aufzeichnen, scheinen sie die klassische Rede von der Lesbarkeit der Welt zu verwirklichen.2 Doch macht diese Kurvenschrift, welche ebenso wie die Schrift die Stimme ins Sichtbare von Linien übertragen kann, keineswegs die Signaturen der Dinge selbst lesbar. Vielmehr nehmen, einerseits, die graphischen Kurven, in die der >Polygraph< jede Bewegung von Körpern übertragen kann, den Status von Bild und Sprache an: Das Sichtbare ist zugleich sagbar; beide Zeichenarten werden numerisch analysierbar, prozessierbar und ineinander konvertierbar. Charles Cros' fiktive Bildmaschinen fuhren ein Modell vor, mit dem jedes Bild in eine endliche Anzahl kleiner Quadrate aufgelöst werden kann, deren Farbwert, Helligkeit, Sättigungsgrad und Position in Meßwerte übertragen werden können. Diese Digitalisierung übersetzt jedes Bild in eine Kette von Symbolen, die in das Bild zurückübersetzt werden können. Jener Verfahrensvorschlag, den Cros der Académie des Sciences vorlegte, doch selbst nie praktisch umgesetzt hat, wird mit der Bildtelegraphie, wie sie Arthur Korn wenige Jahrzehnte später entwickelt,3 zur technischen Realität: Der räumlich angeordnete Zeichenverbund wird sequentialisiert, in eine >Zeitfolge< aufgelöst und als Serie von Zeichen, wie eine Rede, übertragen. Auf medientechnischer Ebene verschwindet damit ein fundamentaler Unterschied zwischen dem Sichtbaren und Sagbaren. Andererseits jedoch radikalisiert sich gerade das bereits bei Lessing angelegte agonale Verhältnis des Sichtbaren und Sagbaren. Dies wird besonders deudich, wenn man beide Bereiche von der Frage nach dem indexikalischen Zeichen her beleuchtet. Schon die Kurven der analogen Aufzeichnungsapparate bildeten ein Ensemble symbo1 Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder über die Grenzen der Maleret und Poesie, in: den., Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Willried Barner u. a., Frankfurt/M. 1985-2001, Bd. 5.2, S. 131. 2 3

Vgl. exemplarisch Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt/M. 1981. Vgl. Arthur Korn, Bildtelegraphie, Berlin - Leipzig 1923.

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

lischer Elemente und realer Bewegung zugleich. Mit Charles S. Peirce sind sie am klarsten als eine indexikalische Schrift zu charakterisieren, wobei der genuine Index nicht als referentielle Relation aufzufassen ist, sondern die Schnittstelle (»Secondness«) zwischen der existentialen Ebene der Dinge und dem Symbolischen markiert: »If the Secondness is an existential relation«, schreibt Peirce in einem Syllabus 1903, »the Index is genuine. If the Secondness is a reference, the Index is degenerate. A genuine Index and its Object must be existent individuals (whether things or facts), and its immediate Interprétant must be of the same character. [...] Examples of Indices are the hand of a clock, and the veering of a weathercock.«4 Das Indexikalische als Einbruch des Realen (»Secondness«) fundiert jede Zeichenrelation (»Thirdness«): »It is particularity as against generality; brute interruption as against continuity; contingency as against law.«5 Mit diesem Typ des Indexikalischen verbindet sich seit dem späten 19. Jahrhundert ein ganzes Feld von Praktiken, die vor allem an widerständigen Elementen wie Schockmomenten, plötzlichen Erfahrungseinbrüchen, dem opaken Widerstand der Dinge, der auslösenden Gewalt von Elektrizität oder auch Indizien ansetzen. Im Bereich der Humanwissenschaften hat das Indizien- und Spurenleseparadigma sich auf Praktiken spezialisiert, in denen Spuren nicht etwa als Zeichen auf etwas Abwesendes, sondern auf die Existenz von etwas verweisen. Vor allem Kriminologie und Psychiatrie haben es mit Sachverhalten zu tun, die als Störung auftauchen und damit zugleich ein fundamentales Wahrnehmungsproblem stellen: Das regelmäßige Auftreten von Verbrechen ebenso wie die Einsperrung von Tätern und unberechenbaren, gemeingefährlichem Wahnsinnigen rufen Überwachungstechniken auf den Plan, die ein beständiges Horchen und Beobachten auf den Menschen ansetzen. So bildet sich das Überwachungsdispositiv heraus, das Fritz Langs Film M von 1931 geradezu pädagogisch vorführt und mit der Kamera sogar selbst inszeniert. Weil Verbrecher und Wahnsinnige nicht von sich aus mit scarlet letters herumlaufen, ist eine grenzenlose Indiziensuche notwendig, für die alles und jeder unter Verdacht von Täterschaft und Verbrechertum gerät. Wenn selbst namhafte Kriminologen (wie der Justizbeamte Erich Wulffen 1923) feststellen, daß jeder Mensch ein »verhüllter Verbrecher«6 ist, können nichtssagende und unscheinbare Details zum Indiz einer immer schon vorhandenen Täterschaft werden. Fritz Langs M markiert zugleich den historischen Einsatzpunkt der Foucaultschen Diskursanalyse — nicht nur, weil sich Foucault mit seiner 1954 entstandenen Einleitung zu Binswangers Traum und Existenz (1930) auf die Zeit zurückbezieht, in der Lang am Drehbuch fiir den am 14. Mai 1931 aufgeführten Film schreibt. Vor allem stellen Binswanger ebenso wie Lang Protagonisten der Kriminalpsychologie und Psychiatrie dar, die freilich aus grundsätzlich verschiedenen Perspektiven operieren: 4

Charles S. Peirce, »Sundry Logical Conceptions«, in: The Essential Peirce. Selected Philosophical Writ-

ings, Bd. 2: 1893-1913, hrsg. von Nathan Houser u. a., Bloomington 1998, S. 267-288, hier S. 274. 5

John Dewey, »Peirce's Theory of Linguistic Signs, Thought, and Meaning«, in: The Journal ofPhilos-

ophy XLIII (1946), Nr. 4, S. 85-95, hier S. 90. 6

Erich Wulffen, Das Weib als Sexualverhrecher, Berlin 1923, S. 9.

DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

Während Binswanger die Analyse von Wahnbildern zu einer weit in die Geistesgeschichte zurückgreifenden Textexegese gerinnen läßt, macht Lang, als Diskursanalytiker avant la lettre, die Techniken der Überwachung und Indiziengewinnung zum zentralen Gegenstand seines Films. Damit stehen sich hier eine hermeneutische und eine medientechnische Analyse psychopathologischer Phänomene gegenüber. Foucault, der sich im Rekurs auf Binswanger eine hermeneutische Bürde auflädt, gelangt in der Durcharbeitung dieser psychiatrischen Positionen gleichwohl zur zentralen Frage nach dem materialen Charakter des Bildes und damit zur Untersuchung historischer Praktiken. Diese Materialität des Bildes ebenso wie die Spuren in den Kriminalfällen indizieren etwas: Sie lassen sich nicht unmittelbar in Sprache umformen - womit das Sichtbare und das Sagbare in anderer, grundsätzlicher Weise wieder auseinandertreten. Der Stummfilm hatte das Sagbare ins Sichtbare integriert, indem er mit Zwischentiteln die Stimme als Bild der Schrift sichtbar machte. Vor allem seit der Entstehung des Tonfilms steht diese Vereinbarkeit jedoch angesichts der medialen Differenz zwischen dem Akustischen und Optischen wieder in Frage. Die Beziehung von Text und Bild, schon um 1930 in filmtheoretischen Debatten viel diskutiert, erscheint erneut als antagonistische, agonale. Lessings Rede von den >Eingriffen< in die jeweils gegnerische Seite wird in Foucaults Analyse von René Magrittes Ceci n'est pas une pipe zur Rede von einer Schlacht: »Zwischen dem Text und der Figur bestehen viele Verschränkungen - oder vielmehr gegeneinander geführte Angriffe, aufeinander geschleuderte Pfeile, Untergrabungs- und Zerstörungsversuche, Lanzenstöße und Verletzungen: eine Schlacht.«7 Diese agonalen Beziehungen und gegenseitigen Übergriffe zwischen Bild und Text aber fuhren Foucault zufolge zu einem eindeutigen Ergebnis: »Vielleicht ist es noch zuviel gesagt, wenn man von einer Leere oder einer Lücke [zwischen beiden] spricht: es ist eher das Fehlen eines Raumes, ein Verschwinden des gemeinsamen Ortes zwischen den Zeichen der Schrift und den Linien des Bildes.«8 W. J. T. Mitchell hat diese Unvereinbarkeit und Verselbständigung des Sichtbaren als den eigentlichen Fokus des pictorial turn bezeichnet: »Whatever the pictorial turn is, then, it should be clear that it is not a return to naive mimesis, copy or correspondence theories of representation, or a renewed metaphysics of pictorial >presencevisual literacy< might not be fully explicable on the model of textuality.«9

7

Michel Foucault, Dies ist keine Pfeife, Frankfurt/M. 1983, S. 18. Vgl. dazu das Kapitel »Les strates ou

formations historiques. Le visible et l'énoncable (Savoir)«, in: Gilles Deleuze, Foucault, Paris 1986, S. 55-75; William J. Thomas Mitchell, Picture Theory. Essays on Verbaland Visual Representation, Chicago 1994, S. 70. 8

Foucault, Dies ist keine Pfeife, S. 21.

» Mitchell, Picture Theory, S. 16.

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In zeichen- und medientechnischer Formulierung bedeutet der pictorial turn also: Selbst wenn das Bild, bis in seine kleinsten Elemente digitalisiert, prozessierbar wird, selbst wenn der Film das Sichtbare und Sagbare in einem neuen Nebeneinander als zeidiche Sukzession organisiert, trennt eine materiale und mediale Schranke Bild von Schrift oder Ton. Doch handelt es sich dabei nicht mehr um die Unterscheidung von >Zeichen in der Zeit< und >Zeichen im RaumZootrop< modifizierte und popularisierte Spielart dieses Apparats) anknüpfend, meint Cros, daß der menschliche Sehapparat Einzelbilder, die der Reihe nach mit einer Projektionszeit > '/10 Sek. auf die Netzhaut fallen, als ineinanderfließend, d. h. als visuelles Eindruckskontinuum, wahrgenommen werden. Dieses experimentell wiederholt bestätigte Gesetz der retinalen Trägheit liegt übrigens jenem Typ von Apparaten zugrunde, die, wie die von Plateau gebaute Maschine, aus Einzelbildern bewegte Bilder hinzaubern (Abb. 20). Ferner operiert Cros im Entwurf seines optischen Dispositivs mit den von Chevreul bereinigten Erfahrungswerten, von denen sich Färber und Kunstmaler ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Herstellung von Mischpigmenten auch leiten lassen.

Abb. 20: Dädaleum. Aus: Hermann von Helmholtz, Handbuch der Physiologischen Optik, Hamburg - Leipzig 2 1986, S. 495.

8

Cros, Œuvres complètes, S. 500: »Ainsi, chaque point du tableau donne lieu à l'évaluation de trois

grandeurs qui ne peuvent être confondues en un nombre unique. On peut donc dire qu'un tableau peint à cinq dimensions, deux pour la représentation du lieu des points élémentaires du dessein et trois pour la représentation des valeurs des teintes.« 'Vgl. ebd., S. 505.

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Wird ein Vorgang von einer Kamera aufgenommen, welche die geforderte Bilderzahl pro Zeiteinheit herstellt (oder wird der Vorgang mit einer entsprechend gebauten Vorrichtung synchron und nach erfolgter Filterung durch Linsen zeitgleich je nach Primärfarbwert auf mehrere lichtempfindliche Flächen projiziert), werden die derart entstandenen Bilder anschließend miniaturisiert und als pigmentierte Positivbilder auf einen durchsichtigen Träger montiert, wird schließlich der Träger mechanisch über einen Projektor mit der gebotenen Geschwindigkeit Bild um Bild auf eine Leinwand projiziert, erblicken die Betrachter den pigment- und formgetreu festgehaltenen Vorgang. Nach den bei Cros zu findenden Angaben kann ein Träger mit 10000 Bildern (deren jedes die Dimension eines Quadratmillimeters aufweist) ein Geschehen von 16 Minuten und 40 Sekunden reproduzieren10 — und zugleich als bewegliches Dokument archiviert, als Beweismaterial verwendet oder zur Ergötzung des Publikums gezeigt werden. Ein solches Dispositiv zur Reproduktion farbenfroher Vorgänge (Cros nennt als geeignete Beispiele Bühnenauffiihrungen, Schlachten, Unwetter, Jagden, Staatsfeiern, Pferderennen, Regatten)11 bastelt der Dichter aber nicht. Für die Gutachter der Akademie der Wissenschaften entwickelt er statt dessen das folgende Argument: Die mechanische Einrichtung, die dem Träger die gehörige Bewegung verleihen soll, braucht hier nicht beschrieben zu werden. Ich habe sie in meinem Kopf noch nicht abgeschlossen ; aber sie läßt sich meines Erachtens aufs einfachste ersinnen. All das wird sich übrigens an dem Apparat ersehen lassen, den in Auftrag zu geben ich die Absicht habe.12 Man kann bereits an dieser Stelle — gleichsam zur Bestätigung der vorhin behaupteten Äquivalenz zwischen leblosen und belebten Erregbarkeitsflächen - festhalten, daß Cros mit einem techno-wissenschaftlichen Apriori operiert. Weil zwischen belebten und unbelebten Erregbarkeitsflächen schon aufgrund der Modellierbarkeit der dort stattfindenden Prozesse medial kein Unterschied mehr besteht, erweist sich die Rematerialisierung dieser Prozesse durch ein mechanisches Dispositiv als eine universelle: Im erfolgreichen Dispositiv - sofern es kein physikalisches Gesetz verletzt, ist es letzdich unerheblich, ob es >im Kopf gebautein Problem lösen< heißen. Letzterer Ausdruck wird auf folgende Weise definiert: Es soll die Summe der bekannten Einheiten gefunden werden, die den Werten der unbekannten entsprechen. Ich muß folglich zuvor eine unstrittige, vollständig bekannte Einheit bestimmen, auf die ich die zu betrachtenden Phänomene zurückfuhre.20 Unter >Einheit< wird ohne viel meßtheoretischen Firlefanz ein χ verstanden, das nur ein positives oder ein negatives Vorzeichen, aber keinerlei Abstufungen kennt. Diese definitorische Voraussetzung wird im Falle kinematischer Prozesse durch den Kontakt erfüllt: Gegeben sei eine Gerade, auf der Β zwischen A und C wandert:21 A ι

B

c 1

Die Bewegung selbst bildet keine Einheit, da sie in infinitesimalen Abstufungen erfolgt. Sobald aber Β und A zur Deckung kommen, ist alles determiniert. Es liegt ein Kontakt vor, der jedwede Abstufung von sich weist, der also nach dem >Alles-oderNichts-Prinzip< entweder wirklich existiert oder wirklich nicht existiert. Eine erste Verallgemeinerung erfahrt die Einheitsbildung durch Digitalisierung vermittels Kontakten und Kontakt-Vorzeichenänderungen im Übergang von der Kinematik zur Dynamik. Eine beliebige Kurve über einer waagerechten Geraden repräsentiere einen Vorgang, der unter dem Einfluß einer Kraft variabler Stärke steht. Die Kurve stelle beispielsweise die Druckschwankungen dar, denen die Flüssigkeit in einem geschlossenen Gefäß ausgesetzt ist; es kann sich aber auch um die Darstellung des Verlaufs von Stromschwankungen handeln. Die Kurve werde von Senkrechten geschnitten, und zwar so, daß die zwischen der Kurve und den Senkrechten bestehenden Entfernungen konstant gehalten werden:22 Werden die Schnittpunkte zwischen Senkrechten und Kurve auf die waagerechte Gerade projiziert und werden die entsprechenden Schnittpunkte als Kontakte defi20

Ebd., S. 536: »Je veux arriver à faire connaître complètement le mode suivant lequel s'opère la trans-

mission des images colorées, de la rétine où elles se trouvent projetées, dans les organes plus reculés de l'encéphale. Je dois d'abord expliquer ce que j'entends par faire connaître complètement. Ces termes expriment l'équivalent de ce que les mathématiciens appellent résoudre un problèmes Et cette dernière expression est définie: trouver des sommes d'unités connues correspondantes aux valeurs des inconnues. Il me faut donc prédéterminer une unité incontestée et entièrement connue, à laquelle je ramène les phénomènes proposés.« 21

Aus: ebd., S. 537. - Diese und die folgenden Abbildungen aus den »Principes« sind graphisch so be-

arbeitet worden, daß die in den Œuvres complètes schwarz gedruckten Partien hier weiß (und umgekehrt) wiedergegeben werden - übrigens in Übereinstimmung mit den von Cros im Text gemachten Angaben. 22

Übersetzung der Kurve eines dynamischen Verlaufe in eine Kontaktserie, aus: ebd., S. 539.

1. WAHRNEHMUNGSMASCHINEN

niert (wobei die Steigungen des Kurvenverlaufs durch positive, Senkungen dagegen durch negative Kontakte repräsentiert sind), ergibt sich eine Serie unterschiedlich frequenter Kontakte. Das heißt: »[...] der Begriff der Kurve einer bestimmten Ausdehnung entspricht hier dem Begriff der Frequenz einer bestimmten Dauer. Ich kann also sagen, daß Kurven auf einer Ebene sich verhalten wie Frequenzen in der Dauer.«23 Analog zur Umwandlung eines Kontinuums in eine Kontaktserie konstanter oder variabler Frequenz soll das mechanische Dispositiv, das den einzelnen lichtempfindlichen Rezeptor nachahmt, die Kontinuität des visuell gegebenen Farbenspektrums umwandeln in eine Kontaktserie. Das besagt, daß die Unbekannte (der visuelle Farbeindruck) durch Einheiten im vorhin angegebenen Sinne vollständig determiniert wird. Wie bereits (auch Cros) bekannt, reagiert das Auge nicht nur auf Farbtöne, sondern auch auf Helligkeit und Sättigung. Versteht man den Einzelrezeptor als Analysator, der durch bestimmte Operationen eine Lichtempfindung in die Summe ihrer Komponenten zerlegt, dann muß das mechanische Dispositiv drei der oben erwähnten fünf Dimensionen eines chromatischen Elementarphänomens zu messen imstande sein. (Um die beiden Raumdimensionen brauchen wir uns keine Gedanken zu machen, da Cros zunächst nur das mechanische Äquivalent des Einzelrezeptors konstruiert und noch nicht die Vernetzung dieses Einzelrezeptors mit den benachbarten Rezeptoren. Angestrebt wird somit ein Dispositiv, das die Dimensionen >FarbtonHelligkeit< und >Sättigung< digital und damit auch seriell zerlegt.) Gegeben sei das Farbenspektrum, das statt als Band auf einer Ebene als geschlossener Kreis abgebildet sei. Dieser Kreis stehe fïir eine Scheibe aus einem undurchdringlichen festen Material, an deren Peripherie irgendein Punkt jeweils dem korrespondierenden Farbton des Spektrums entspreche. Der Mittelpunkt des Kreises bilde den virtuellen Schwerpunkt der vorläufig noch virtuellen materiellen Scheibe. Man wird ohne Mühe erkennen, daß diese Scheibe einerseits um den Schwerpunkt rotieren, andererseits in irgendeine Schieflage gebracht und schließlich entlang einer durch den

23

Ebd., S. 539: »[...] à la notion de courbure en telle étendue correspond ici celle de fréquence en telle

durée. Et je puis dire que les courbures sur un plan sont comme lesfréquencesdans la durée.«

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

Mittelpunkt verlaufenden Achse, die senkrecht zu einer Geraden steht, gehoben oder gesenkt werden kann. Graphisch sieht eine solche noch virtuelle materielle Scheibe in einem virtuellen Raum so aus wie auf der Zeichnung, die Cros anfertigt:24

An dieser Stelle seiner Argumentation vollzieht der Dichter jedoch einen theoretisch nicht ganz durchsichtigen Schwenk. Statt, wie nach der zuvor gemachten Annahme, über unbestimmt viele Farbtöne zu sprechen, handelte sein Text plötzlich nur noch von beliebig vielen Kombinationen dreier Grundfarben. Aus der Menge der auf dem Kreis durch Punkte repräsentierten Farbtöne werden jeweils die Punkte getilgt, die sich auf einer durch das Kreiszentrum fuhrendenden Geraden gegenüberliegen. Würde Cros weiterhin die durch die allgemeinen Voraussetzungen der Maschine gegebene Möglichkeit der gleichzeitigen Verbindung zweier auf der Scheibe repräsentierten Farbtöne zulassen, dann wäre unter bestimmten Bedingungen eine der drei postulierten Bewegungsarten dieser Scheibe entfallen.25 Also müssen die nunmehr vorgesehenen drei Farbpunkte ein Dreieck bilden, das so beschaffen ist, daß keiner der Schenkel durch den Kreismittelpunkt fuhrt. Handelt es sich dabei aber um Entsprechungen der drei zuerst von Thomas Young oder der drei später von Helmholtz26 angegebenen Grundfarben, auf die die Photorezeptoren der Netzhaut ansprechen, oder handelt es sich nach wie vor um drei Punkte aus dem Newtonschen Farbspektrum, die unter der soeben genannten einschränkenden Bedingung durch den Kreis vertreten sind? Darüber schweigt sich der Text aus.27 Halten wir also fest, daß drei chromatische 24

Geometrische Darstellung des visuellen Analysators, aus: ebd., S. 542.

25 Vgl. ebd., S. 544. 26

Helmholtz wird von Cros in einem anderen Text namentlich erwähnt (vgl. ebd., S. 584).

27

Aufschluß über Cros' eigene Farbentheorie bietet teilweise die kleine Abhandlung »Sur la classifica-

tion des couleurs et sur les moyens de reproduire les apparences colorées par trois clichés photographiques spéciaux« (Über die Klassifikation der Farben und über die Hilfsmittel zur Reproduktion farbiger Erschei-

1. WAHRNEHMUNGSMASCHINEN

Werte unabhängig von bestimmten Theorien der physikalischen und/oder der physiologischen Optik auf dem Kreis durch Punkte vertreten sind, nehmen wir mit Cros an, daß die Entfernung des Kreismittelpunktes zur Projektion desselben auf der Ebene α β γ δ in umgekehrtem Verhältnis zur Helligkeit steht, gehen wir schließlich davon aus, daß die Neigung des Kreises mit der Sättigung zu tun hat, so scheint mit dieser Geometrie eines virtuellen materiellen Dispositivs die Analyse einer Farbempfindung durch den Elementarrezeptor anhand der entsprechenden Bewegungsverläufe erzielbar zu sein. In der Tat ist dieses noch virtuelle räumliche Dispositiv fur die folgenden Bewegungsmöglichkeiten geeignet: (1) Es läßt Veränderungen der Summe der Einheiten nur einer Dimension (Farbton) zu, und zwar dadurch, daß sich der Kreis im Verhältnis zu einer Ausgangsstellung dreht. (2) Es läßt Veränderungen der Summe der Einheiten der in (1) genannten Dimension und Veränderungen der Summe einer zweiten Dimension (Sättigung) dadurch zu, daß der Kreis im Verhältnis zum Neigungswinkel von 0° (der Ausgangsstellung) geneigt wird. (3) Es läßt schließlich auch die Veränderungen der Summe der Einheiten in den in (1) und (2) genannten Dimensionen und die Veränderung der Summe der Einheiten der dritten Dimension (Helligkeit) zu, und zwar dadurch, daß der Kreis auf der durch seinen Mittelpunkt fuhrenden Geraden von einem als Ausgangsstellung definierten Punkt entfernt wird. Zur Veranschaulichung: Drei Punkte, die ein Dreieck der vorhin definierten Art bilden, repräsentieren drei Farbwerte. Wird der Kreis an einem Punkt in der Fallrichtung um eine durch die beiden anderen Punkte fuhrende Achse senkrecht nach unten bewegt, gerät der Kreis in eine bestimmte Neigung. Da der durch diesen Punkt und den höchsten Punkt des geneigten Kreises fuhrende Meridian stellvertretend fìir die Dimension der Helligkeit steht, zeigt die Stellung des virtuellen Dispositivs an, daß zwei Färb töne einer bestimmten Helligkeit um einen dritten, jedoch um χ Einheiten helleren Farbton ergänzt werden. Werden dagegen zwei Punkte des Kreises in der Senkrechten bewegt, verändert sich die Lage des Meridians; die Stellung des Kreises gibt folglich an, daß nur eine Farbe die zuvor gegebene Helligkeit behält, während die beiden anderen Farben um χ Einheiten heller geworden sind. Indes, in der Argumentation von Cros macht sich erneut ein Bruch bemerkbar. Nach Chevreuls Lehre nimmt die Helligkeit eines Pigments mit gradueller Zugabe von Weiß an Helligkeit zu. Mit der Beimischung von Schwarz verliert das Pigment an Sättigung. So ergibt sich, jedoch wiederum unter Absehung des farbtheoretischen Kontextes, die Darstellbarkeit jeder Farbe durch Farbmischung und durch Angabe von Helligkeits- und Sättigungswerten, folglich auch die Analyse der entsprechenden Farbe durch das virtuelle Dispositiv des mechanischen Analysators.

nungen durch drei besondere photographische Clichés) von 1879 (vgl. Cros, Œuvres competes, S. 583-586). Diese Abhandlung enthält auch die Beschreibung eines Farbwertmessers (chromomhrt).

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE Bleibt als vorerst letzter Schritt die Realisierung dieses virtuellen Analysators durch ein Realdispositiv. Cros entwirft dieses Dispositiv. Ein zweifach gewinkelter Arm wird mittels eines Gewichts um die von Ρ ausgehende Achse gedreht. Nun wird der Arm durch einen senkrecht auf Ρ wirkenden Druck derart bewegt, daß er unter die Arretierung gedrückt wird und damit um die eigene Achse rotiert:28

(9

Je nach Stärke des in Einheiten ausgedrückten Drucks wird ein Kontaktpunkt zwischen dem Arm und der Scheibe hergestellt, wobei diese Scheibe zugleich in eine bestimmte Neigung gebracht wird. Ist die auf Ρ wirkende Druckkraft erschöpft, schnellt der Arm in die Ausgangslage zurück. In einem zweiten Vorgang der beschriebenen Art wird ein anderer Punkt, nämlich B, auf der Scheibe entsprechend der Stärke des Druckimpulses nach unten gedrückt, wodurch der Meridian eine andere Lage einnehmen kann. Und in einem dritten Vorgang der besagten Art wird mit dem Punkt C ein Berührungskontakt hergestellt. Da jedem Punktkontakt ein bestimmter, in Einheiten ausgedrückter Farbwert entspricht, ist die Farbempfindung durch das Mischverhältnis der drei Farben (= trigonometrische Bestimmung des Dreiecks, das durch die Kontaktstellen auf der Scheibe gebildet wird), durch die Stellung des Meridians und durch die Entfernung des Mittelpunkts des Meridians zur Bezugsebene α β γ δ vollständig definiert. Und weil das Kontinuum der Reizung des Rezeptors als Serie diskreter Zustände gedacht und diese wiederum mechanisch als Kontaktserie verwirklicht wird, produziert der Analysator ein Resultat, dem graphisch die Gestalt eines Prismas

28

Darstellung des mechanischen Dispositivs des visuellen Analysators, aus: Cros, Œuvres complètes,

S. 546.

1. WAHRNEHMUNGSMASCHINEN gegeben werden kann, auf dessen Kanten die Menge der Kontakteinheiten abgebildet ist: 29 Ζ

X

• • • • ' • • •

Y



• • • • •





m

a

• • —

0

o o 0 o o A

0 o 0 o o o o

• • • • • • •

• •

•î/ o\ /o O 0 o o o o o

c

Β

Cros kommentiert: Man braucht also nicht in aller Ausführlichkeit zu erklären, wie die Stellung, in die die Scheibe durch den rotierenden Arm gebracht wird, durch drei Affektions- oder Kontaktsummen dargestellt wird [...]. Die berührten oder affizierten Elemente sind [...] schwarz gekennzeichnet. Man kann sie leicht zusammenzählen. Die drei Zahlen [...] repräsentieren die Stellung der Scheibe. Geht man davon aus, daß die Serien AX, BY und C Z die drei Mengen von Rot, Gelb beziehungsweise Blau darstellen, ist der durch die drei vorgenannten Zahlen zum Ausdruck gebrachte Ton zusammengesetzt aus: 11 Einheiten Weiß (drei gleiche Anteile der drei Farben), eine Einheit Orange und zwei Einheiten Rot. Es handelt sich also um ein sehr helles orangefarbenes Rosa.30 In seinen weiteren Überlegungen streift Cros das Thema der sich steigernden Komplexität seines Dispositivs. Z u m einen würde dieses unbestimmt oft aktiviert werden müssen, so daß es nach dem ersten analytischen Durchgang automatisch wieder in die Ausgangslage zu gelangen imstande wäre. Zugleich müßte der in einem analytischen Durchgang erzielte Kennwert registriert, das Dispositiv selbst fur den nächsten analy-

29

Ergebnis einer chromometrischen Analyse in Gestalt eines Prismas, aus: ebd., S. 550.

30

Ebd., S. 549 f.: »II n'est donc pas besoin d'expliquer longuement comment telle position, dans la-

quelle le cercle aura été amené par l'index tournant, sera représentée par trois sommes d'affections ou contacts [...]. Les éléments touchés ou affectés sont marqués en noir [...]; il est donc facile de les compter. La position du cercle est ainsi représentée par les trois nombres [...]. Si l'on admet que les séries AX, BY, CZ, représentent respectivement les quantités de rouge, de jaune et de bleu, la teinte exprimée par les trois nombres précédents sera composée de: 11 unités de blanc (trois parties égales de trois couleurs, une partie d'organgé et deux parties de rouge). Ce sera donc un rose orangé très clair.«

167

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE tischen Durchgang aber auch von seiner eigenen vergangenen Analysetätigkeit gereinigt sein müssen. Deshalb ersinnt Cros einen mechanischen Auslöschprozessor. Zudem ist, wie bereits angedeutet, dieser Einzelanalysator mit anderen solchen Analysatoren zu vernetzen. Um allerdings die Summe derselben möglichst gering zu halten nach Pierre Louis Moreau de Maupertuis' Prinzip der kleinsten Wirkung - , stellt Cros Überlegungen über die Verschaltung von Subdispositiven mit einem oder mehreren Metadispositiven an.

Motive fiir die Konstruktion und ihre Beziehung zur Wortästhetik Man kann sich mit Fug erneut fragen, warum ein derart auffälliger Aufwand mit einem eher bescheidenen Ergebnis unter Beibehaltung eines konstant hochgesteckten Ziels getrieben wurde. Ich kann mindestens drei Antworten anbieten, von denen ich zwei fur irreführend halte, so lange sie keine kulturhistorische Spezifizierung erfahren. Erste möglich Antwort: Cros hat sich mit den mechanischen Doppelgängern der Nervenapparate lediglich pour la beauté du geste befaßt - aus uneigennütziger, weil aus Kunstgebilden Lustgewinn ziehender, Freude an Gedankenfiguren und Phantasiegebilden, deren Umsetzung in Pläne bloß noch kontingentes Beiwerk gewesen wäre. Allein, der Verweis auf die schlichte Lust an maschinellen Dispositiven liefert keine brauchbare Erklärung. Zweite mögliche Antwort: aus einem unbändigen, womöglich verschrobenen, jedenfalls idiosynkratischen Spieltrieb heraus - womit eine psychologistische Antwort angepeilt würde. Ich vermute indes, daß ein psychologistischer Aufklärungsversuch genauso böse endet wie auch schon im Falle anderer Personen und anderer technischer Erfindungen. Bestimmt man die luststeigernde Freude an Gedankenfiguren und Phantasiegebilden und den technischen Spieltrieb nicht als individuelle Dispositionsmerkmale, die aus irgendwelchen innerpsychischen oder sonstigen Individualdeterminanten heraus eine Erklärung erheischen, sondern als Modulationen eines kulturell gegebenen gesellschaftlichen Trends, so entfiele die psychologistische Erklärung endgültig. Statt ihrer könnte dann beispielsweise die Suche nach neuen Ausdrucksformen im Bereich der Ästhetik, nach neuen technischen Machbarkeiten, nach Radikalisierung der Experimentalisierung ganzer Lebensregionen und nicht zuletzt die Suche nach einer Neudefinition des Subjekts das explanans bilden, das an dieser Stelle jedoch nicht artikuliert werden kann. Die Rückführung von Cros' Aufwand in der Herleitung und Umsetzung seines hirnmechanistischen Programms auf ausschließlich individualpsychische Ursachen erweist sich unter diesen Umständen jedenfalls als Scheinerklärung. Bleibt eine weitere, eine dritte mögliche Antwort: Cros' hochgradig plausibel anmutende Hypothese der funktionellen Gleichordnung lebender und unbelebter Rezeptoren und Rezeptor-Oberflächen erforderte bei konsequenter Auslegung eine Umsetzung in Realdispositive. Dabei war es ziemlich irrelevant, ob solche Dispositive einfach oder verschachtelt, der Architektur belebter nervöser Materie ähnlich oder ihrer

1. WAHRNEHMUNGSMASCHINEN

Verfassung nach unähnlich waren. Und daß Cros selbst seine mechanistische Denkund Handarbeit nicht fiir nutzlos, jedenfalls nicht fur die Ausgeburt eines Spieltriebs oder eines ästhetischen Fetischismus hielt, geht glaubhaft aus einer Fußnote der »Principes de mécanique cérébrale« hervor, in der ein Zusammenhang zwischen den mechanisch-perzeptiven Maschinen und der Erfindung des Phonographen hergestellt wird.31 Das wissenschaftsgeschichdiche Interesse für Cros mag nun ohne Verlust der Intensität eine Richtungsänderung erfahren, wenn man den Nachhall des techno-wissenschaftlichen Schaffensbereichs im literarischen Schaffensbereich näher zu bestimmen sucht. Allerdings sind derartige Reverberationen schwerlich mit gesicherter Eindeutigkeit zu identifizieren. Immerhin hat sich Cros nicht nur mit den Dispositiven aus seinem Kopf, sondern auch mit Apparaten, Instrumenten und Maschinen anderer Erfinder und Forscher beschäftigt. Und er hat literarische Texte rezipiert, in denen der Maschinismus32 des späteren 19. Jahrhunderts wortästhetisch verarbeitet wurde. Für die angemessene Erfassung der sich vermengenden Schichten techno-wissenschaftlicher und wortästhetischer Arbeit wären (kontrastiv oder ergänzend) andere Autoren und andere epistemische Kontexte jener Zeit heranzuziehen. So wäre beispielsweise Ernst Wilhelm von Briickes Sprachphysiologie genauer zu betrachten33 oder auch Ernst Machs otologische Studien, in denen der Gleichgewichts- und der akustische Apparat unter Experimentalbedingungen erforscht wurden. Besonderes Interesse verdienten in diesem Zusammenhang Machs Überlegungen zum Thema des künstlichen Ohres, das, aus unbelebten Materialien zusammengesetzt, die geometrisch-topographisch-mechanisch-funktionellen Beziehungen der einzelnen Bauteile nachahmen sollte, die für die Vermitdung der am Trommelfell (unter der Einwirkung von Schallwellen) entstandenen Vibrationen zu den akustischen Rezeptoren im Innenohr zuständig sind.34 Während Mach jedoch nach einem Realmodell suchte, das die Architektur des Ohres reduplizieren sollte, entwarf Cros in Paris ein unter mechanistischen Voraussetzungen stehendes, von architektonischen Analogien jedoch gänzlich unbeschwertes Modell fur die akustischen, optischen usw. Einzelrezeptoren. Wir haben es bei Mach, Cros und anderen Autoren folglich mit verschiedenen epistemischen Ansät-

31

Vgl. ebd., S. 557. Im Haupttext der »Principes« deutet Cros zuerst an, daß die Darstellung von Dop-

pelgängerdispositiven der nicht-visuellen Sinneswerkzeuge noch folgen müßte, um das Bild der Sensumechanik zu vervollständigen. Zugleich hebt er die Bedeutsamkeit der Betrachtung besonders des Gehörsinns hervor und ergänzt den Satz durch die Anmerkung: »Mes recherches dans dans ce sens ont un tel développement qu'elle doivent être publiées à part. C'est dans le cours de ce travail que j'ai imaginé le phonographe.« (Meine diesbezüglichen Untersuchungen haben einen derartigen Stand erreicht, daß sie gesondert veröffentlicht werden müssen. Im Verlauf dieser Arbeit habe ich den Phonographen erdacht.) 32

Gleichgültig, ob es sich um den industriellen, den verkehrstechnischen, den wafFentechnischen, den

physikalischen oder den physiologischen usw. Maschinismus handelte. 33

Auf die Relevanz dieses Forschungszweiges ist von anderer Seite bereits aufmerksam gemacht worden

(vgl. Friedrich Kittler, Aufichreibsysteme 1800/1900, München 1985, S. 283-294). 34

Vgl. Ernst Mach, »Beiträge zur Topographie und Mechanik des Mittelohres«, in: Sitzungsberichte der

Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Wien, Abt. II, Nr. 69, S. 221-243.

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

zen, jedoch mit der gleichen Abschaffung von >LebenstiefeFarbensprache< jede Anspielung auf irgendeine Farbsymbolik. Sie entsprach also dem Verständnis der Farbe als eines schlichten, medial bedingten Oberflächenphänomens. Welche Ergebnisse weiterfuhrende Studien des Crosschen Œuvres noch zutage fördern mögen - aus der Analyse der visuomechanischen und der in Umrissen rekonstruierbaren hirnmechanischen Dispositive wird ersichdich, daß sowohl in den technowissenschaftlichen als auch in den wortästhetischen Schriften dieses Autors die traditionelle Spaltung zwischen Subjekt und Objekt medial unterlaufen wird. In diesem Sinne gehört Cros - bei aller scheinbaren Einfachheit der wortästhetisch verarbeiteten Themen und bei aller ebenso scheinbaren Flüchtigkeit der Küsse, die er von seiner poetischen Muse erhalten hat — der neuesten Moderne des ausgehenden 19. Jahrhunderts an. Zudem verdeudicht der >Fall Crosschwarzes Rechteck< ist nicht weniger abstrakt, die Projektion läuft, aber das Bild ist dunkel, ohne Licht. Über die leere, dunkle Leinwand ertönt ein Gong und hallt nach. Dieser dumpfe Gongschlag war ein aus dem zeitgenössischen Radio her bekanntes Zeitzeichen, das den Beginn einer neuen Sendung markierte. In diesem Film konnotiert der Gong zugleich die Dringlichkeit der Zeit: Wird es der Stadt (d. h. der Polizei, der Verbrecherbande und der mobilisierten Bevölkerung) gelingen, den Kindermörder zu fassen, bevor er ein neues Opfer gefunden hat? Die Reduzierung und Abstrahierung der kinematographischen Mittel auf ihre elementarsten Bausteine - Bild (ohne Repräsentation) und Ton (ohne Melodie) - hat Methode. Sie verweist den Zuschauer von Anfang an auf den hohen Grad von medialer Selbstreflexion, der diesem Film als Übergangsfilm zwischen Stumm- und Tonfilm zu eigen ist. Es war Langs erster Tonfilm nach einer Schaffenspause von 19 Monaten, einer fur Lang untypisch langen Zeit. Der Verdacht war bereits aufgekommen, Lang sei ein grundsätzlicher Gegner des Tonfilms. Tatsächlich hatte sich Lang trotz des Drucks der UFA erfolgreich geweigert, seinem letzten Stummfilm, Die Frau im Mond (1928), nachträglich eine Tonspur zu unterlegen. Es kam darüber sogar zum Bruch mit der UFA, bei der er bis dato seine wichtigsten Filme (Dr. Mabuse, Die Nibelungen, Metropoli gedreht hatte. Beispielsweise Hitchcock hatte sich den Wünschen seines

1

Michel Foucault, Überwachen und Strafin. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M. 1981, S. 279.

2. DAS UNSICHTBARE IM FILM

Studios gefugt und 1930 seinem als Stummfilm gedrehten Blackmail nachträglich eine Tonspur hinzugefugt. Im Gegensatz zu den ersten UFA-Tonfilmen, die den Ton primär zur Erhöhung des Realismus-Effekts oder zur musikalischen Unterhaltung einsetzten, benutzte Lang die neue Erfindung, um diefilmspezifischeDominanz des Visuellen selbst in Frage zu stellen. Lang erkannte, daß die Einfuhrung des Tons nicht ohne Konsequenzen fur das gesamte Ensemble der kinematographischen Mittel bleiben konnte. In M dramatisiert Lang die neue Situation, indem er den Ton gegen das Bild ausspielt. Sehen und Sichtbarkeit selbst werden problematisiert, wenn es in dem Film einem Blinden zufallt, den Mörder an seinem Pfeifen zu identifizieren. Für Fritz Lang, den entschiedensten Semiotiker unter den frühen Filmregisseuren, stellte sich die Frage: Wurden durch die Einfuhrung des Tons Status und Funktion der im Stummfilm herrschenden Bildautonomie verändert? Ist das Gehörte ein eigener Bedeutungsträger, der unabhängig vom Sichtbaren operiert? Kann etwa ein Hupen im Off die Präsenz eines Autos andeuten, ohne daß man es sehen muß? Kein Stummfilm kann das Nichtsichtbare durch Ton sichtbar machen. Es stellt sich die Frage, ob der Ton dem Nichtgezeigten und Nichtgesehenen eine Präsenz verleiht, die das Gezeigte und das Gesehene zu unterminieren imstande ist. Verschärft der Ton die dem Film spezifische Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit? Langs Brillanz als Filmemacher besteht nun darin, daß er diesefilmtheoretischzentralen Fragen an einem Kriminal- und Detektivfilm thematisiert. Denn in diesem Genre geht es mehr als in anderen um das genaue Lesen von sichtbaren (und hörbaren) Zeichen, die den gesuchten Mörder verraten. Der Zuschauer selbst wird zum zeichenlesenden Detektiv. Gesten, Töne, Geschriebenes und Gedrucktes, Dinge, Weggeworfenes: Alles kann dem scharfen Auge zum Indiz werden, zum Zeichen, das den Täter überfuhrt. Allerdings sind diese Zeichen, wie der Film zeigt, bei weitem nicht eindeutig. Selbst über die Farbe der Mütze eines Verdächtigen wird gestritten: Vorgeladen aufs Polizeirevier, schreit einer der beiden Zeugen: »Sie war rot.« Schreit der andere: »Nein, sie war grün.« »Nein, rot.« »Nein, grün.« Die Kamera übertreibt die Absurdität, indem sie rapide zwischen den beiden erregten Gesichtern in Nahaufnahme hin und her schneidet. Das Fazit: Es ist kein Verlaß auf den Augenschein. Der Film selbst überfuhrt sich ironisch einer Hilflosigkeit — und nicht nur dadurch, daß es einem Schwarzweißfilm ohnehin unmöglich ist, zwischen einer roten und einer grünen Mütze zu unterscheiden. Es bleibt unklar, ob der als Mörder gebrandmarkte Beckert - das ihm mit Kreide aufgedrückte >M< markiert ihn, um zu verhindern, daß er im anonymen Gewühl der Großstadt untergeht (was aber trotzdem passiert) - auch tatsächlich der gesuchte Mörder ist. Wir sehen den Verdächtigten nicht bei der Tat, wir sehen auch kein Opfer. Die Kamera erfaßt ihn eher zufallig, als er durch die Straßen flaniert, an Schaufenstern stehenbleibt und kleine Mädchen anspricht. Choreographie und Schnitt deuten auf ihn als den Mörder, aber wir sehen den Mord nicht. Das Nichtgezeigte wird durch metonymische Zeichen angedeutet: Ein Ball, mit dem das Mädchen spielte, rollt allein ins Bild und kommt zum Stillstand in einer verlassenen Gegend. (Wir haben davor ein kleines Mädchen mit diesem Ball gesehen.) Ein Ballon, den der mutmaß-

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liehe Mörder dem Mädchen geschenkt hat (diese Szene wird von der Kamera von oben herab erfaßt, ohne daß man das Gesicht des Mannes sieht), schwebt frei ins Bild, bleibt in den Telephondrähten fur einen Moment hängen, und fliegt davon. Es mag der Ballon des Mädchens sein, aber es ist nicht mehr als eine Vermutung. Der Stuhl, auf dem Elsie sitzen sollte, bleibt leer, Teller und Gabel unberührt. Die Schreie der Mutter nach Elsie bleiben unbeantwortet. Der Tod wird nicht gezeigt. Er ist sichtbar durch Stille und Abwesenheit.

Zeitdruck Der Nullpunkt kinematographischer Vorführung - eine Projektion als Schwarzbild, als photographische Aufnahme ohne Licht - bringt von Anfang an das Nichtdarstellbare auf den bildlichen Begriff. Der dunkle Schatten, der am Anfang die ganze Bildfläche bedeckt, kehrt wieder als der Schatten eines Mannes, von dem wir ahnen, daß er der Kindermörder ist. Das erste Bild des Mörders ist ein Schatten mit einer Stimme aus dem Off. Der Schatten fällt auf das Suchplakat des Kindermörders und verdeckt das Wort »Mörder«. Das ungreifbare Phantom des Mörders ist von Anfang an präsent als Negation des Lichts. Lang spielt den ganzen Film hindurch mit dem Licht: Objekte und Menschen schieben sich vor die Lichtquelle und werfen dadurch ominöse Schatten, das Bild wird abgeblendet mit dem Resultat totaler Finsternis (die erste Szene beginnt nicht nur mit zehn Sekunden Schwarzfilm, sie endet auch damit), der Kindermörder knipst in seinem Versteck das Licht aus, um nicht gesehen zu werden - um so erschreckter sein Gesichtsausdruck, als ein Scheinwerfer ihn anstrahlt. Man spricht von einem Film, wenn eine inszenierte oder vorgefundene dreidimensionale Szene durch eine Kamera aufgenommen und auf eine zweidimensionale Fläche projiziert wird. Das Filmen ist dabei eine strukturierende Tätigkeit, bei der sich die Szene verwandelt und zu einem >Text< wird, dessen Zeichen einer genauen Lektüre bedürfen. Die Übersetzung selbst einer dokumentarischen Szene in eine Filmszene erfordert zahlreiche Entscheidungen: Entfernung, Bewegung und Blickwinkel der Kamera, Brennweite des Kameraobjektivs, mise-en-scbie und Beleuchtung ebenso wie Schnitt, Montage und die Bewegung der Figuren vor der Kamera. Dabei ist zwischen drei Codes zu unterscheiden: dem spezifisch kinematographischen Code (Kamera, Bildrahmen, Schnitt), dem Code, den der Film mit dem Theater teilt (Choreographie und Schauspielstil der Figuren, Bühnenbild und Beleuchtung) sowie einem dritten, der kulturell determiniert ist und historisches Wissen erfordert (die Kleidung der Darsteller, Sprache und Tonfall der Charaktere, offene und versteckte Hinweise auf Diskurse, die in der Zeit der Entstehung des Films zirkulierten). Alle drei Codes sind aufs engste in den ersten Einstellungen von M ineinander verwoben. Nach zehn Sekunden Schwarzbild blendet der Film langsam auf; eine Gruppe von Kindern wird sichtbar. Die Kamera erfaßt sie von oben - aus einem Winkel, der sie kleiner, verletzlicher, bedrohter erscheinen läßt, als wenn die Kamera sie auf Augenhöhe erfaßt hätte. Die Kinder stehen in einem Kreis, der durch den Bildausschnitt

2. DAS UNSICHTBARE IM FILM

halbiert wird. Wir vermuten, daß der Kreis sich außerhalb des Rahmens schließt. Die Kamera bewegt sich zunächst nicht; es gibt auch keine schnellen Schnitte wie etwa auf die Gesichter der Kinder, die statt dessen wie von einer Überwachungskamera beobachtet werden. Sie sind schäbig gekleidet - ein erster Hinweis auf die soziale Schicht, der sie angehören und die ihnen indirekt zum Schicksal wird. Denn die behüteten Kinder aus reichen Familien werden von der Schule abgeholt und entkommen damit dem Kindermörder. Die Arbeiterkinder spielen in einem Hinterhof ein Abzählspiel, bei dem jeweils ein Kind aus dem Kreis eliminiert wird - eine theatralisch-spielerische Inszenierung und Vorwegnahme des Kindermordes wenig später. Die aus dem Theater bekannte Choreographie, der zufolge Ausschluß am effektivsten demonstriert werden kann, wenn er aus einem geschlossenen Kreis erfolgt, verstärkt den Effekt. Die Kamera zeichnet das von den Kindern selbst in Szene gesetzte kleine Theaterspiel des »Du bist draußen« aus sicherer Distanz auf. Der Zuschauer wird dadurch nicht zur Einfühlung aufgefordert, im Gegenteil. Innerhalb der gesamten Szene ermöglicht die Kamera durch Entfernung, ungewöhnlichen Blickwinkel und relativ lange Einstellungen eine distanzierte Zuschauerpositionierung. Noch im Dunkeln wird der Ton langsam aufgeblendet. Wir hören einen Abzählreim: Warte, warte nur ein Weilchen Bald kommt der schwarze Mann zu dir Mit dem kleinen Hackebeilchen Macht er Schabefleisch aus dir. Ein kleines Mädchen steht in der Mitte und dreht sich mit ausgestrecktem Arm im Kreis. Jede Silbe des Reims wird übertrieben skandiert und dadurch hervorgehoben, daß die Hand auf jeweils ein Kind im Kreis deutet - als ob sie ein Uhrzeiger wäre, der sich ruckartig um das Zifferblatt bewegt. Die bildliche Anspielung auf Zeit (und die Unerbitdichkeit des Uhrzeigers, der in seinem Umkreisen nicht aufzuhalten ist) deutet bereits in der ersten Szene auf die Wichtigkeit der Zeit in diesem Film hin - die Uhr wird als Zeichen leitmotivisch wiederkehren. Der Zeitdruck wird nach dem Mord der kleinen Elsie fast unerträglich, da es bereits nach der ersten Szene darum geht, eine weitere Tat des Serienmörders zu verhindern. Wird der Schuldige nicht gefunden, wird es weitere Tote geben. Time is of essence. Darum wird Lang nicht müde, an die Zeit zu erinnern: sowohl mehrere Male im Dialog - so fragt etwa ein kleines Mädchen einen älteren Herrn, wie spät es sei - , aber auch im wortlosen Bild, wenn einer der Ganoven gestohlene Taschenuhren auf dem Tisch ausbreitet und sie einzeln auf ihr Funktionieren prüft. Als die Verbrecherbande auf ihren Boß wartet, der sich verspätet hat, steigt die Spannung derart, daß sich einer bei der telephonischen Zeitauskunft nach der genauen Zeit erkundigt. Das Anfangsbild der menschlichen Uhr (die ausgestreckte Hand als Zeiger, der Kinderkreis als Zifferblatt) deutet aber nicht nur auf die Signifikanz der Zeit, sondern auch auf die schicksalhafte Gnadenlosigkeit des Zufalls. Der Zeiger dreht sich, und bei dem letzten Wort, »dir«, bleibt er stehen — das Opfer ist gefunden: »Du bist draußen«. Es gibt keinen rationalen Grund, warum es dieses Kind und nicht ein anderes ist, außer daß es an dieser Stelle stand und der

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

Zeiger dort zum Stehen kam. Das Kind muß aus dem Kreis heraustreten, es ist eliminiert. Auch das ist ein Prozeß von höchster Zeichenkraft: Spielerisch wird hier vorweggenommen, was bald danach durch den unmotivierten Mord an Elsie tragische Wirklichkeit wird. Die Zuschauer von 1931 wußten, daß es sich bei diesem Reim um das sogenannte Haarmann-Lied handelte. Die Erinnerung an den Serienmörder Fritz Haarmann, der 1924 gefaßt, in einem von der Presse ausführlich verfolgten und sensationellen Prozeß zum Tode wegen siebenfacher Tötung verurteilt und noch im selben Jahr hingerichtet wurde, flackerte gegen Ende der 20er Jahre wieder auf, als ein neuer Serienmörder achtzehn Monate lang die Stadt Düsseldorf in Furcht und Schrecken hielt. Als Fritz Lang und Thea von Harbou ihr bereits 1929 begonnenes Drehbuch zu M im Mai 1930 abschlossen, war die Suche nach Peter Kürten noch im vollen Gange. Als der Film in Vorbereitung war, befand sich Kürten in Untersuchungshaft; bei der Premiere am 11. Mai 1931 war Kürten bereits zum Tode verurteilt; er wurde dann, nachdem sein Gnadengesuch abgelehnt worden war, am 1. August mit dem Fallbeil hingerichtet. Zu dem Zeitpunkt, als M in Berlin anlief, war das endgültige Schicksal von Kürten also noch nicht entschieden, und der Film besaß eine ungeheure Aktualität, die in den zeitgenössischen Kritiken auch als Sensationalismus und Sadismus gebrandmarkt wurde.

Zeichenprozesse Langs M, von der Presse damals mitunter auch Kürten-Film genannt, evoziert in dem Abzählreim die Angst vor dem Serienmörder. Obwohl es in der Weimarer Republik mehrere Massenmörder gab — außer Peter Kürten etwa auch Karl Denke und Großmann —, war doch Fritz Haarmann der berüchtigtste von allen. Der »schwarze Mann« in dem Abzählreim stand fur Haarmann, und der Hinweis auf sein »Hackebeilchen« erinnerte an sein Mordwerkzeug. Der Reim, unschuldig und naiv von Kindern aufgesagt, weist auch auf den Zusammenhang von Mord und Unterhaltung, einen Nexus, an dem letztlich auch Langs eigener Film als Story über einen Mörder und seine Opfer teilhat. Der Reim in der allerersten Einstellung des Films hat also verschiedene Funktionen: Er fuhrt das Motiv der Ausstoßung und Eliminierung ein, denn jedes Kind in diesem Kreis ist potentielles Opfer des Mörders. Das Abzähllied zeigt die unbewußte Präsenz der Mörder selbst bei Kindern, die das mütterliche Verbot, es weiterhin zu singen, einfach ignorieren. Während der Mutter die Bedeutung des Liedes klar ist, sprechen die Kinder aus, was >in der Luft liegtMörder< im Titel führten. Und das Zeichen >MM< in der Hand. Daß Identität einem nicht ins Gesicht geschrieben ist, daß sie sich nur performativ in Rollenspielen artikuliert, zeigt die berühmte Spiegelszene in M . Kurz nach dem Mord an Elsie Beckmann, während der Indizienaufnahme am Tatort, beobachten wir den verdächtigten Massenmörder, wie er in Großaufnahme sich selbst im Spiegel betrachtet und sein Gesicht fratzenartig verstellt. Die Szene ist für den Erzählvorgang unnötig (und wurde deshalb auch in früheren Fassungen weggelassen), aber sie hat zentrale Bedeutung fur die Konstruktion von Lorres Mörderfigur. Der Verdacht kommt auf, daß er den Mörder vielleicht nur spielt. Die Kamera zeigt Lorre, wie er mit den beiden Mittelfingern seine Mundwinkel herunterzieht und sich selbst nach Art eines Arztes zu sehen und zu examinieren scheint. Die von Lorre personifizierte Figur wird sich ihrer gewahr, indem sie sich selbst fremd wird. Der Gesichtsausdruck gibt die schockierende Wahrheit wieder, mit der sich Lorres M seiner eigenen Perversion des Tötungsdranges bewußt wird. Nichts an seinem Äußeren verrät seinen verbrecherischen Zug, dieser ist im Grunde unsichtbar. Gerade deshalb fällt es der Polizei so schwer, ihn als Täter zu identifizieren. Wie soll sich Wahnsinn oder Verbrechertum in den Gesichtszügen ausdrücken? Diese Frage wird von Lang theatralisch in Szene gesetzt: Lorre verändert und verunstaltet sein Gesicht, um es dem kursierenden physiognomischen Bild des Wahnsinns anzugleichen. Wer ist er? Der Spiegel gibt darüber keine Auskunft, er verdoppelt und spaltet, aber die innere Wahrheit bleibt verborgen. Deswegen experimentiert Lorre vor dem Spiegel mit seinen Gesichtszügen in einer Art Selbstversuch. Er möchte es gerne selber wissen: Ist er das häßliche Ungeheuer, als das ihn die öffendichkeit sieht (bis hinein in den Abzählvers, den die Kinder zu Anfang des Films aufsagen) und des-

2. DAS UNSICHTBARE IM RLM sen Steckbrief (bezeichnenderweise ohne Bild) an den Litfaßsäulen angeschlagen ist? Vielleicht, wenn seine Mundwinkel noch tiefer herabgezogen wären, würde er sich dann als Verbrecher erkennen? Diese Frage bleibt offen. Weder Kamera noch Komposition geben Hinweise darauf, wie kritisch diese Selbstdarstellung zu lesen ist. Das Paradox bleibt, daß der Schuldige, der überall in der Stadt gesucht wird, sich selbst als einen anderen - im Spiegel gefunden hat. Wie ein Kleinkind macht Lorre Grimassen und Gesichter, um zu sehen, ob das Spiegelbild auch wirklich alles nachahmt. Er verunstaltet sein Gesicht, um die Identität von Abbild und sich selbst zu prüfen, aber er erlebt sich als sein eigener Doppelgänger. Am Ende des Films schreit es aus ihm: »Und immer spür ich, es ist einer hinter mir her . . . Das bin ich selber! Und verfolgt mich . . . Manchmal ist m i r , . . . als ob ich selber . . . hinter mir her liefe!« Die Kamera zeigt, was die Polizei nicht sehen kann, denn dem investigativen Blick der Kamera entgeht nichts, selbst Ms Privatsphäre ist ihr nicht verschlossen. Aus der Sicht der Kamera liegt Lorres Selbstexaminierung in Großaufnahme auf derselben Ebene der Beweisfindung wie die Nahaufnahmen von Dingen, die in der Kriminalfahndung das genaue Lesen von Spuren und Indizien erlauben. So wird in M etwa ein Fingerabdruck als Diapositiv riesenhaft an die Wand projiziert, und die Inspektion einer Bonbonverpackung zeigt hundertfach vergrößerte Krümel, die dem nackten Auge verborgen sind, aber durch Kamera und technische Apparatur sichtbar gemacht werden. Lorres stummes Mienenspiel vor dem Spiegel ist eingebettet in eine Szene, in der ein graphologisches Gutachten über ihn erstellt wird. (Diese Szene ist selbst wiederum ein cut-away von einem Telephongespräch zwischen dem Polizeipräsidenten und dem Minister über das Versagen der Fahndungsaktion.) Die Kamera zeigt in einer Totalen einen Polizei-Graphologen, einen älteren Beamten mit dunkler Brille, wie er vor einer von unten bis oben mit identischen Aktenordnern bedeckten Wand auf und ab geht und einer Sekretärin im Vordergrund folgenden Bericht diktiert: Der obenerwähnte Rautenzug oder Schwellzug [...] registriert die pathologisch starke Sexualität dieses Triebmenschen. Die zerbrochene Schreibart mancher anderer Buchstaben ist in ihrer zeichnerischen Weise ein Ausdruck von Schauspielerei [genau bei diesem Wort erscheint Lorre in einer Großaufnahme vor dem Spiegel], die nach außen hin die Form der Indolenz, ja der Trägheit zeigt. Im ganzen Schriftbild ist ein schwer erweisbarer, aber intensiv fühlbarer Zug von Wahnsinn. Mit diesem Wort »Wahnsinn« endet die >Spiegel-Szene< mit Lorre, und der Film schneidet zurück zu dem Gespräch zwischen Minister und Polizeipräsidenten. Lorres Selbstbetrachtung in Großaufnahme ist also präzise durch die Worte »Schauspielerei« und »Wahnsinn« eingerahmt und damit in ihrem Spannungsbogen zwischen Simulation und Krankheit definiert. Ist das Sichtbare nur Fassade? Die Spannung, die Lang dadurch erzeugt, daß er räumlich auseinanderliegende Vorgänge - das Erstellen eines graphologischen Gutachtens und Lorres Grimassenschneiden vor dem Spiegel - durch Montage von Bild- und Tonspur zusammenzwingt, läßt sich nicht eindeutig auflösen: Ist die Großaufnahme Illustration oder Dekonstruktion der ungebrochenen wissenschaftlichen Apodiktik, mit der das Gutach-

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE ten im Off diktiert wird? Ist die Szene frühes Warnzeichen fur den Zuschauer, Lorre mit diagnostischer Distanz zu beobachten; spielt er nur oder ist er wirklich wahnsinnig? Oder zeigt die Szene, daß Lorre sich selbst auf eine Weise entfremdet ist, daß er die Mimik bemüht, um dem physiognomisch und graphologisch fixierten Typus des verbrecherischen Wahnsinnigen besser zu entsprechen? Vielleicht ist er gar nicht der Mörder, sondern einer jener 200 Selbstbezichtiger, die sich 1930 während der Fahndung nach Kürten bei der Polizei meldeten und vorgaben, der gesuchte Serienmörder zu sein?

Das all-sehende Auge In M erscheint die Kamera selbst als Teil des Überwachungsapparates, als all-sehendes Auge. Von der ersten Szene, in der die Kamera das Spiel der Kinder beobachtet, bis hin zu den Szenen, in denen sie dem Kindermörder auflauert, erscheint es, als ob Aufsicht und Kontrolle in dem Maße funktionieren, in dem die Stadt und ihre Bewohner sichtbar sind. Diesen Nexus von Überwachung und Macht nennt Foucault das »unendlich Kleine der politischen Gewalt«: Zu ihrer Durchsetzung muß sich diese Macht mit einer ununterbrochenen, erschöpfenden, allgegenwärtigen Überwachung ausstatten, die imstande ist, alles sichtbar zu machen, sich selber aber unsichtbar. Ein gesichtsloser Blick, der den Gesellschaftskörper zu seinem Wahrnehmungsfeld macht: Tausende von Augen, die überall postiert sind; bewegliche und ständig wachsame Aufmerksamkeiten; ein weites hierarchisiertes Netz [...] . 2 Der Film M zeigt diese Praktiken des Sichtbarmachens: Jeder beobachtet jeden, die Mütter blicken auf die spielenden Kinder, selbst Bettler mit dem Schild »Blind« um den Hals blicken über den Rand ihrer dunklen Brille. Die Kriminellen und Obdachlosen sind gemeldet und haben Ausweise. Die Berliner Polizei um 1931 rühmte sich, mehr als eine Million Fingerabdrücke gesammelt zu haben. Die Berliner Nervenheilanstalten und Irrenhäuser haben ihre Patienten genauestens erfaßt. Ein Alarmsystem verbindet das Bürogebäude mit der Polizei. Als die Nachricht von dem Überfall eintrifft, sieht man einen Beamten den verschlüsselten Text lesen. Die Kamera nimmt teil an der Überwachung, wenn sie es beispielsweise vorzieht, vor einer dichten Hecke, hinter der Beckert kaum auszumachen ist, zu warten, um nicht entdeckt zu werden. Mit einem Ruck weicht sie zurück, als Beckert plötzlich aufsteht und sich auf die spähende Kamera zubewegt. Es gibt kein Entrinnen in dieser totalen Überwachungsgesellschaft. Und doch: In eben dieser scheinbar total vernetzten und kontrollierten Großstadtgesellschaft passiert es, daß jemand unsichtbar ist und gerade durch seine Unsichtbarkeit das ganze System bedroht. Die Mitglieder der kriminellen und halbkriminellen Unterwelt sind der Polizei bekannt; sie werden von ihr im Auge behalten - nur bei

2

Ebd., S. 275.

2. DAS UNSICHTBARE IM FILM

größeren Verstößen scheint es Verhaftungen zu geben. Sie sind sichtbar. Die Figur des Serienmörders dagegen ist unsichtbar, sie erscheint wie die Verkörperung dessen, was die moderne Gesellschaft verdrängt hat, nämlich den Serienmord fünfzehn Jahre zuvor, als die Jugendlichen dieser Gesellschaft in den Krieg geschickt wurden. Zwei Millionen von ihnen wurden getötet, weitere Millionen kamen aus dem Krieg zurück als physische Krüppel oder unheilbar traumatisiert. Von Beckert wissen wir, daß er in einer Nervenheilanstalt behandelt und nicht anders als Zehntausende von Kriegsneurotikern als geheilt (wenn auch arbeitsunfähig) entlassen wurde und von einer kleinen Pension lebte. Der Zwang, unschuldige Kinder zu morden, ist der Wiederholungszwang, nach Freud (in »Jenseits des Lustprinzips«) Symptom eines Traumas, das in dem fur Soldaten an der Front charakteristischen Konflikt zwischen Tötenmüssen und Nichttötenwollen besteht. Lorres »Will nicht, muß. Will nicht, muß« am Ende seiner Verteidigungsrede bezieht sich genau auf diesen Konflikt. Langs selbstreflexives Spiel mit Unsichtbarkeit im Film hat demzufolge eine tiefere Begründung. Das Massenmorden des Krieges hat sich unterirdisch nach 1918 fortgesetzt und liegt unsichtbar der gesamten deutschen Nachkriegsgesellschaft zugrunde. Der mörderische Impuls erscheint in der Gestalt von Attentätern und serial killers. Die offene, immer lauernde und unvorhergesehene Gewalt auf der Straße erinnert an die Schützengräben. M macht die Unsichtbarkeit der Kriegserfahrung sichtbar. (Anton Kaes)

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3. Die Materialität des Bildes bei Michel Foucault

Michel Foucaults Arbeiten konstituieren ein Feld, das mittlerweile in der Geschichte und Theorie der Wissenschaften, Techniken und Künste zur Basis einer Forschung geworden ist, die sich aus der Enge von Spezialdisziplinen in transdisziplinäre Konstellationen bewegt hat. Im deutschen Sprachraum war und ist die Diskursanalyse vor allem im Bereich der Literaturwissenschaften produktiv geworden mit dem Effekt, daß diese sich zu einem der wichtigsten Protagonisten bei der Etablierung der Kulturoder Medienwissenschaften entwickelt hat. Längst also ist Foucaults Diskursanalyse derart ins Unbewußte gegenwärtiger Wissenschaft abgesunken, daß selbst FoucaultGegner nicht den Rahmen verlassen, den die Diskursanalyse geradezu unhintergehbar eröffnet hat. Dies ist Grund genug, gerade dann, wenn man Diskurs- oder Medienanalyse betreiben will, zu Foucault selbst zurückzugehen. Doch nicht, um sein Werk als >Theorie< in eine spezifische >Anwendung< umzusetzen, sondern um eine Praktik aufzusuchen und fortzufuhren, die den Namen Diskursanalyse trägt. Foucault lesen eröffnet deshalb auch die Aufgabe, die Diskursanalyse selbst mit ihren eigenen Mitteln zu untersuchen. In der zweiten Auflage seiner Histoire de la folie beschreibt und inszeniert Foucault genau diese Schwierigkeit, wenn er ein Vorwort voranstellt, das kein Vorwort sein soll. »Ich wollte, daß ein Buch sich nicht selbst diesen Textstatus gibt, auf den es Pädagogik und Kritik sicher reduzieren werden, sondern daß es die Ungeniertheit besäße, sich als Diskurs zu zeigen.«1 Welche Schwierigkeit also birgt schon für Foucault selbst die Überarbeitung von 1972 für das Ereignis Folie et déraison von 1961? Und um wieviel schwieriger ist daher das Unternehmen, diese Texte jetzt, vierzig Jahre später, zu lesen, um sie damit vielleicht genau zu dem zu machen, was sie als Diskurs zum Verschwinden bringt? Was heißt es daher, Foucault nicht als Text, sondern als Diskurs zu lesen? Schon in der Geburt der Klinik gibt Foucault dazu folgende Hinweise: Über das Denken der anderen zu sprechen, sagen zu wollen, was sie gesagt haben, bedeutet üblicherweise, daß man eine Analyse des Signifikats anstellt. Ist es aber unum-

1

Michel Foucault, Histoire de la folie à l'âge classique, Paris 1990, S. 10.

3. DIE MATERIALITÄT DES BILDES BEI MICHEL FOUCAULT gänglich, daß die anderswo und von anderen gesagten Dinge ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Signifikanten und des Signifikats behandelt werden? Wäre nicht eine Diskursanalyse möglich, die in dem, was gesagt worden ist, keinen Rest und keinen Überschuß, sondern nur das Faktum seines historischen Erscheinens voraussetzt? Man müßte dann eben die diskursiven Tatsachen nicht als autonome Kerne vielfältiger Bedeutungen behandeln, sondern als Ereignisse und funktionelle Abschnitte, die ein sich allmählich aufbauendes System bilden. Der Sinn einer Aussage wäre nicht definiert durch den Schatz der in ihr enthaltenen Intentionen, durch die sie zugleich enthüllt und zurückgehalten wird, sondern durch die Differenz, die sie an andere wirkliche und mögliche, gleichzeitige oder in der Zeit entgegengesetzte Aussagen anfugt. So käme die systematische Gestalt der Diskurse zum Vorschein.2 Um die Diskursanalyse also nicht zum bloßen Text einer Exegese werden zu lassen, wird im folgenden versucht, Foucaults Vorgehen auf sein eigenes Werk anzuwenden. Mit einem solchen Baustein fur eine Diskursanalyse der Diskursanalyse geht es nicht um ein selbstreflexives, dekonstruktives Verfahren. Vielmehr sollen damit blinde Flekken, das Ungedachte, der Diskurs, von dem die Diskursanalyse herkommt, in ihr selbst sichtbar werden können. Für ein solches Vorgehen bietet sich vor allem das diskursive Feld der phänomenologischen und daseinsanalytischen Psychologie und Psychiatrie in Frankreich um 1950 an, aus dem heraus Foucault >möglich< wurde und das daher den Horizont für eine Analyse der Diskursanalyse selbst bilden muß. Im Rahmen des geradezu dramatischen Prozesses, in dem zwischen 1950 und den frühen 60er Jahren aus dem Psychologen und Psychiater, dem Hermeneuten und Anthropologen Foucault der Diskursanalytiker wird, erhält dessen Auseinandersetzung mit Ludwig Binswanger, auf die sich die folgenden Ausführungen konzentrieren werden, eine entscheidende Rolle. Es geht dabei wieder um die Frage einer Diskurspraktik, um die Frage nach einer adäquaten Lektüre und Analyse des Traumbildes als eines indexikalischen Zeichentyps: Freuds Psychoanalyse steht dabei ebenso zur Disposition wie Husserls phänomenologische Untersuchungen von Anzeichen und Ausdruck oder Binswangers Analyse einer existentiellen Dimension des Traums. Anhand der eigentümlichen indexikalischen Existenzform des Bildes und des Imaginären, wie sie Foucault in seinem Text zu Binswanger in der Art einer Cartesianischen Meditation vorführt, sollen daher in exemplarischer Weise sowohl die Möglichkeitsbedingungen als auch die spezifische Wendung von Fragestellungen verdeutlicht werden, die eine Geburt der Diskursanalyse aus dem Geist von psychiatrischer Internierung, Hermeneutik und Anthropologie beschreibbar machen. Dies wird in drei Abschnitten geschehen: Nach einer Skizze des diskursiven Rahmens, in dem sich Foucaults frühe Arbeiten einfügen, wird (zweitens), ausgehend von der Einleitung in Binswangers Traum und Existenz, Foucaults Etablierung der spezifischen Untersuchungsebene einer Morphologie und Materialität des Bildes rekonstruiert, um daraus (drittens) zentrale Elemente des historischen Moments abzuleiten, der die Diskursanalyse möglich gemacht hat.

2

Michel Foucault, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt/M. 1985,

S. 15.

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

Vor dem Hintergrund dieser eigentümlichen Existenzform des Bildes wird zum Abschluß deudich, daß sogar der Foucault »avant d'être Foucault«3 oder >vor< der Diskursanalyse mit dem indexikalischen Einbrechen des Realen einen medienhistorisch und -theoretisch bedeutsamen Einstieg wählt und damit selbst für eine Genealogie spezifisch medienhistorischer Fragestellungen >nach< der Diskursanalyse als Ausgangspunkt dienen kann.

Psychiatrie und philosophische Anthropologie Die französische Psychiatrie um 1950 bildet den diskursiven Horizont fur die Herausbildung der Diskursanalyse. Foucault übt sich zu dieser Zeit in nahezu allen verfugbaren psychologischen und psychopathologischen Methoden:4 Nach seiner licence de psychologie (1949) arbeitet er mit Jacqueline Verdeaux in Jean Delays EEG-Labor an der Clinique de Sainte Anne, an der auch Lacan tätig ist. 1952 erhält er sein diplôme de psychopathologie am Institut de psychologie de Paris. Im gleichen Jahr arbeitet er in Lille als Experimentalpsychologe, er praktiziert unermüdlich Rorschach-Tests und ist wie die meisten avancierten Psychiater von der >modernen< Psychiatrie Jaspers', Kretschmers und Binswangen angezogen, die das Verstehen der kranken Persönlichkeit als weitere >Befreiung< des Wahnsinns in die psychiatrische Praxis eingeführt haben. Es liegt deshalb nahe, daß Foucault mit Jacqueline Verdeaux, die Traum und Existenz ins Französische übersetzt, 1953 den philosophierenden Psychiater Ludwig Binswanger in seiner berühmten Anstalt Bellevue in Kreuzlingen besucht. Foucault, der an der Übersetzung mitarbeitet, steuert schließlich eine Einleitung bei, die fur ihn selbst geradezu programmatischen Charakter erhält. Diese Schrift ist nach Maladie mentale et personnalité stmt zweite Veröffentlichung. »Diese Einleitung hier«, so fuhrt Foucault an, will nur eine Form von Analyse vorstellen, die weder eine Philosophie noch eine Psychologie sein soll; eine Analyse, die sich im Verhältnis zu jeder konkreten, objektiven und experimentellen Erkenntnis als fundamental bezeichnet; eine Analyse, deren Prinzip und Methode nur durch die Vorzugstellung ihres Gegenstandes bestimmt sind: des Menschen oder vielmehr des Menschseins.5 Der Einsatz ist so unbescheiden wie fundamental und trägt den Namen Mensch. Für diese Anthropologie der Imagination findet Foucault in dem Psychiater Binswanger den herausragenden Vertreter. Größer, so scheint es, könnte der Abstand nicht sein, der Foucault von dem trennt, was sein späteres Werk ausmachen wird. All das, was er

3 Judith Revel, »Sur l'introduction a Binswanger (1954)«, in: Luce Giard (Hrsg.), Michel Foucault. Lire l'ouvre, Grenoble 1992, S. 51-56, hier S. 51. 4 Zu den biographischen Daten vgl. Didier Eribon, Michel Foucault (1926-1984), Paris 1991; James Miller, Die Leidenschaft des Michel Foucault. Eine Biographie, Köln 1995. 5 Michel Foucault, »Einleitung«, in: Ludwig Binswanger, Traum und Existenz, Bern - Berlin 1992, S. 7-93, hier S. 7 f. Im folgenden erscheinen die Zitatbelege im Text.

3. DIE MATERIALITÄT DES BILDES BEI MICHEL FOUCAULT

1961 in seiner Einleitung zu Kants Anthropologie als »anthropologische Illusion« beschreiben wird, als notwendige Täuschung der Humanwissenschaften und jeder philosophischen Anthropologie, »die sich als natürlicher Weg zu den Grundlagen versteht« und damit der »transzendentalen Illusion [gleicht], die sich in der vorkantischen Metaphysik verbarg«,6 all das liegt 1954 als ebensolche Anthropologie unverhüllt vor. Und wenn es schließlich in der Ordnung der Dinge heißt, daß »der Mensch [...] eine Erfindung [ist], deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch sein baldiges Ende«7, dann macht gerade dieser Abstand entscheidende Grundbedingungen der Diskursanalyse deudich. Die philosophische Anthropologie, in die sich Foucault in den 1950er Jahren ausdrücklich einreiht, hat eine eindeutige Herkunft. Denn Karl Jaspers, Max Scheler oder Ludwig Binswanger mußten diese Disziplin nicht neu erfinden, sondern das psychiatrische Wissen vom Menschen schlicht auf eine philosophische Ebene heben. Was im Falle von Karl Jaspers' Allgemeiner Psychopathologie als oberste Stufe einer ganzen Kaskade von Ganzheiten erscheint, nach denen er das psychiatrische Wissen organisiert, nämlich das »Ganze des Menschseins«8, was bei Max Scheler aus der Kenntnis psychiatrischen Wissens als philosophische Anthropologie formuliert oder bei Viktor von Weizsäcker als >soziale Medizin< oder medizinische Anthropologie entwickelt wird, dies alles hat seine unmittelbare Bedingung in der Psychiatrie der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die ein Totalitätswissen vom Menschen erzeugt und umsetzt. Denn es »findet sich«, wie der Psychiater Hans Gruhle 1918 schreibt, »nur beim Psychiater dasjenige Material zusammen, an dem das Verstehen des Menschen erprobt, geübt werden kann«.9 Dies macht die Psychiatrie zu einem besonders privilegierten Ort für die Produktion humanwissenschaftlichen Wissens. Die Reformulierung der Anthropologie als einer philosophischen Disziplin in den 20er Jahren findet deshalb ihr historisches Apriori in der Ausweitung der Psychiatrie auf alle Bereiche des Wissens vom Menschen, sie ist also unmittelbarer Effekt dieses Machtwissens und keine neutrale philosophische Spekulation. Konsequenterweise werden philosophische Anthropologen deshalb den Verdacht nicht los, vielleicht nichts anderes als die Arbeit von Psychiatern zu tun. »Es ist nun«, so Max Scheler 1926, eine der fundamentalsten Fragen einer philosophischen Anthropologie, was diese sprunghaften Steigerungen des menschlichen Selbstbewußtseins in Wahrheit bedeuten. In scharfer Antithese gefragt: Bedeuten sie einen Prozeß, in dem der Mensch immer tiefer und wahrer seine objektive Stellung und Lage im Ganzen des Seins erfaßt? Oder bedeuten sie Zunahmen und Steigerung eines gefahrlichen Wahns — Symptome einer zunehmenden Erkrankung?10

6

Michel Foucault, »Introduction«, in: Emmanuele Kant, Anthropologie, übers, von Michel Foucault

(Thèse), Paris 1961, S. 129f. 7

Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/M.

1974, S. 462. 8

Karl Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, Berlin Ί 9 7 3 , S. 624-686.

9

Hans Gruhle, Psychiatrießr Ärzte, Berlin 1918, S. 1 f.

10

Max Scheler, Mensch und Geschichte, Berlin 1926, S. 65.

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE Binswangen anthropologische und philosophische Forschung findet deshalb nicht zufallig in der psychiatrischen Anstalt statt. Die meist gebildeten Insassen seiner Privatklinik (darunter Aby Warburg) bilden das Material seiner Untersuchungen. Die konkrete Existenz seiner Patienten wird fur Binswanger dabei zum philosophischen Problem, das er zum Modell einer daseinsanalytischen Psychiatrie ausbaut. 11 Mit der 1930 erschienenen Schrift Traum und Existenz, fur die Foucault 1954 sein Vorwort schreibt, verfolgt Binswanger im Anschluß an Heidegger eine neue Traumtheorie. Gerade die scheinbar so flüchtige Daseinsform des Träumens eröffnet nach Binswanger einen privilegierten Zugang zur Existenz. Binswanger formuliert damit eine Traumanalyse, mit der er die Freudsche Traumdeutung in entscheidender Weise zu überbieten versucht. Und sie wird zum Szenario für die Frage nach einer eigentümlichen epistemischen Qualität des Bildes gegenüber bloß symbolischen Deutungen. So bildet vor allem die Morphologie und Räumlichkeit des Bildes, die als manifester Trauminhalt in der psychoanalytischen Deutung immer aufgelöst wird, für Binswanger die irreduzible Qualität, die eine fundamentale Differenz zwischen dem Sagbaren und dem Sichtbaren begründet.

Das irreduzible Bild Foucault fügt sich also als philosophierender Psychiater in einen diskursiven Raum, der sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in besonderer Weise als Normalisierungswissen präsentiert. Seine »Einleitung« zu Traum und Existenz ist eine Art Meditation über die Analysepraktiken von Traumbildern, die alles andere als eine bloße Einführung in Binswangen Text darstellt. Dabei stehen unterschiedliche Verfahren zur Disposition: Foucault beginnt mit einer klaren Kritik von Freuds hermeneutischer Traumdeutung, in der die Traumbilder lediglich den manifesten Trauminhalt darstellten, der überstiegen werden müsse, um seine Bedeutung bloßzulegen. »Das Sprechen des Traums wird«, so Foucault, nur in seiner semantischen Funktion analysiert: seine morphologische und syntaktische Struktur wird von der Freudschen Analyse im dunkeln gelassen. In der analytischen Interpretation wird die Distanz zwischen dem Bild und der Bedeutung immer nur durch einen Überschuß an Sinn aufgefüllt: Das Bild in seiner Fülle ist durch Überdetermination determiniert. Die eigendiche Bildhaftigkeit der Sinndarstellung ist dabei völlig übersehen. (15) Für Foucault unterliegen die Traumbilder in der Freudschen Theorie als Symbole einer doppelten Genese: Zum einen verkörpern sie als Wunscherfüllung zwar die imaginäre Produktivität des Unbewußten, zum anderen sind sie Resultat einer Verdrängungsleistung, die nicht unmittelbar darstellt, was gemeint ist. »Das Bild ist ein Spre-

11

Vgl. dazu Ludwig Binswanger, »Über die daseinsanalytische Forschungsrichtung in der Psychiatrie«

(1946), in: das., Ausgewählte Werke, Bd. 3: Vorträge und Aufiätze, hrsg. von Max Herzog, Heidelberg 1994, S. 231-258.

3. DIE MATERIALITÄT DES BILDES BEI MICHEL FOUCAULT

chen, das nicht formuliert; es ist ein Reden, das zum Sinn hin nicht so durchlässig ist wie das Wort.« (17) Deshalb wird das jeweilige Bild nur zum Indiz für eine Bedeutung, fur einen symbolischen Zusammenhang. Jede Eigentümlichkeit des Bildes ist in der Psychoanalyse nur Funktion einer Bedeutung, das Sichtbare geht vollständig in einer Sagbarkeit der sprachlichen Bedeutung auf. Schon in den Studien zur Hysterie beschreiben Breuer und Freud diesen Vorgang in aller Deudichkeit: »Ist einmal ein Bild aus der Erinnerung aufgetaucht, so kann man den Kranken sagen hören, daß es in dem Maße zerbröckle und undeutlich werde, wie er in seiner Schilderung fortschreite. Der Kranke trägt es gleichsam ab, indem er es in Worte umsetzt.«12 Das Erinnerungs- oder Traumbild hat im Rahmen der symbolischen Ordnung der talking cure keinen irreduziblen imaginären Status, es löst sich bei der Umsetzung in Sprache einfach auf. Das Symbol erhält daher in der Traumdeutung einen eigentümlichen Zwischen-Status: »Das Symbol«, so Foucault, ist bei Freud nur der Berührungspunkt, in dem sich fiir einen Moment die Deutlichkeit des Sinns und die Materialität des Bildes (genommen als umgeformtes und umformbares Residuum der Wahrnehmung) treffen. Das Symbol ist die dünne Kontaktfläche, die eine innere und eine äussere Welt trennt und zugleich verbindet. (18) Das Traumzeichen hat also auch fiir Freud einen indexikalischen Charakter, da sich in ihm Sinn und die brute force des Bildes treffen. Doch die psychoanalytische Hermeneutik der Symbole macht damit eine eigentümliche Qualität des Bildes sichtbar und unsichtbar zugleich, indem das Bild nur den Oberflächeneffekt einer Sprache des Wunsches bildet, den die Psychoanalyse zum Sprechen bringt. Foucaults Kritik richtet sich damit vornehmlich gegen denjenigen Freud, den Jacques Lacan entdeckt hat, fiir den das Unbewußte sich als Sprache konfiguriert. Foucault sieht aber gerade in dieser >Versprachlichung< des Unbewußten und damit auch des Traumes eine Psychologie des Sinns am Werk, die den indexikalischen Charakter des Traumbildes eher verbirgt als offenlegt. Diese Kritik aber hat zwei entscheidende Konsequenzen: zum einen fiir Foucault selbst als Ausgangspunkt einer antihermeneutischen Analyseform, die gerade das nicht auf Sinn reduzible Bild ins Zentrum rückt; zum anderen für die Psychoanalyse. Denn das Jahr 1954 wird zu einem entscheidenden Jahr des Imaginären: Geradezu als instantané Parallelaktion zu dem Übersetzungsprojekt von Traum und Existenz und Foucaults Überlegungen zum Imaginären arbeitet nämlich auch Jacques Lacan in seinem Seminar das Imaginäre in seine Topik ein und verschiebt damit den Charakter des Symbolischen.13

12

Josef Breuer/Sigmund Freud, Studien über Hysterie, Frankfurt/M. 1981, S. 225f.

13

Vgl. Jacques Lacan, »Die Topik des Imaginären« (Februar/März 1954), in: ders., Das Seminar,

Buch I: Freuds technische Schriften, hrsg. von Norbert Haas/Hans-Joachim Metzger, übers, von Werner Hamacher, Weinheim - Berlin 1990, S. 97-206. - Foucault, der 1953 Traum und Existenz übersetzte, schickt um Ostern 1954 den fertigen Text seiner »Einleitung« an Jacqueline Verdeaux (vgl. dazu Miller, Die Leidenschaft des Michel Foucault, S. 109).

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Als weiteren Versuch einer Theorie des Symbols, die zeitgleich zu Freuds Traumdeutung erschienen war, fiihrt Foucault Husserls Logische Untersuchungen an, die sich im Begriff des Anzeichens auf den materialen Bestandteil des Zeichens konzentrieren.14 Während im Freudschen Symbol das Anzeichen mit der Bedeutungsebene vermengt und damit in seiner Eigentümlichkeit ausgelöscht wird, entwickelt Husserl am Anzeichen eine Konzeption des Symbolischen, die nicht in der Bedeutung aufgeht. Da das Anzeichen auf eine objektive Situation angewiesen ist, fuhrt es in ein Jenseits von Bedeutung und Symbolhermeneutik. »Zeichen im Sinne von Anzeichen (Kennzeichen, Merkzeichen u. dgl.)«, so schreibt Husserl, »drücken nichts aus.«15 Bei Foucault heißt es: »Für sich genommen, hat das Anzeichen keine Bedeutung; es kann nur indirekt eine bekommen, wenn ein Bewusstsein es als Anhaltspunkt, als Hinweis, als Absteckung benutzt.« (22) Das Anzeichen ist ein Indiz, dessen indexikalische Qualität auf die Existenz von etwas verweist. Foucault erwähnt hier neben den Spuren im Schnee, die fur den Jäger auf die Existenz eines Tieres verweisen, auch klassische Indizien wie den Ton der Stimme, Unterbrechungen und Versprecher, die im Rahmen von Gebärdenprotokollen seit der Constitutio criminalis carolina in der Strafrechtsgeschichte ihren Ort haben. Das Anzeichen löst sich also nicht in einer Bedeutungsschicht auf, sondern behält seinen irreduziblen materialen Charakter bei, der auf kein Signifikat, sondern auf die Existenz eines Sachverhaltes verweist. In dem Maße also, in dem Husserls Theorie des Zeichens den Bedeutungsakt von dem Anzeichen und dem Bild trennt, liefert sie Foucault den Baustein für eine Materialität des Bildes, die sich auf irreduzible Qualitäten gründet: »Es ist aber nicht gleichgültig«, so Foucault, dass genau dieses Bild dieser Bedeutung Gestalt verleiht. Es ist nicht gleichgültig, ob die Sexualität Wasser ist oder Feuer, ob der Vater ein Dämon der Unterwelt oder ein Sonnenherrscher ist. Das Bild hat sehr wohl seine eigentümlichen dynamischen Kräfte. Die Morphologie des Bildraums ist eine andere, wenn es sich um einen freien und hellen Raum handelt - oder um die Finsternis und Beklemmung des Gefängnisses. Die Bildwelt hat ihre eigentümlichen Gesetze, ihre spezifischen Strukturen. Das Bild ist ein bißchen mehr als die unmittelbare Erfüllung des Sinnes. Es hat seine eigene Dichte. (15) Genau diese Analyse einer Morphologie des Bildes findet Foucault in Binswangen Daseinsanalyse vor. Die Träume und Delirien seiner Patienten verbinden sich bei Binswanger mit einer Geschichte des Traumes, wie sie vor allem die Literatur sichtbar macht. Es handelt sich um Offenbarungen, die mit ihrem transzendenten Charakter das Individuum übersteigen und den Träumer mit einem, wie Binswanger schreibt, »überindividuellen Bildgehalt«16 konfrontieren. Die Traumbilder sind deshalb nicht nur eine via regia zum Unbewußten, sondern sie haben selber einen eigenen epistemischen Status. Diese Eigentümlichkeit der Traumwelt expliziert Foucault im Anschluß

14 Vgl. dazu Edmund Husserl, Logische Untersuchungen II, Bd. 1, Teil: »Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis« (1901), Tübingen 1980, bes. S. 23-32. >5 Ebd. S. 23. 16

Binswanger, Traum und Existenz, S. 126.

3. DIE MATERIALITÄT DES BILDES BEI MICHEL FOUCAULT

an Binswanger in spezifischen räumlichen und zeitlichen Dimensionen von epischen, lyrischen und tragischen Ausdrucksakten. Den räumlichen Gegensatzpaaren Nähe/ Ferne, Hell/Dunkel und Aufstieg/Sturz, auf denen sich die Ereignislogik der Traumbilder aufbaut, entsprechen unterschiedliche Zeitstrukturen: zirkuläre Wiederkehr, rhythmische Schwankung und die Gegenwart der Existenz: Wesenhafte Dimensionen der Existenz als Traum-Koordinaten Nähe - Ferne Hell - Dunkel Gipfel - Absturz

-

epischer Ausdrucksakt lyrischer Ausdrucksakt tragischer Ausdrucksakt

-

zirkuläre Zeit rhythmische Schwankung Zeitstruktur der Existenz

In dieser Schematisierung, die literarische Gattungsformen mit anthropologischen und existentiellen Erfahrungsformen kurzschließt, hat der tragische Ausdrucksakt mit den Koordinaten Aufstieg/Sturz und der Gegenwart der Existenz den absoluten Vorrang. Denn nur die tragische Erfahrung überfuhrt die anthropologische in eine ontologische Analyse der Existenz des In-der-Welt-Seins. Im Zentrum dieser Typologie des Bildraumes taucht also Literatur auf, die damit neben den Delirien und Träumen zum Residuum fur Existenzerfahrung wird. Doch bei diesen Analyseverfahren haftet an dem Bild immer noch ein fundamentaler Mangel, da es als Bild von etwas eine Abwesenheit voraussetzt. Gegenüber einem Bild, das auf das Wirkliche bloß verweist, formuliert Foucault eine Form der Sichtbarkeit, die ihre Wirklichkeit vollständig präsentiert. Einen Menschen imaginieren hieße also, gegen Sartre gewendet,17 nicht, seine Abwesenheit ins Bild zu setzen. Vielmehr heißt es, so Foucault, »die Welt werden, wo er ist: ich bin der Brief, den er liest, und ich sammle seinen aufmerksamen Leserblick auf mich; ich bin die Wände seines Zimmers, die ihn umstellen und beobachten und gerade nicht >sehen«< (80). In dem Maße jedoch, wie das Bild nur einen Als-ob-Status hat, verkörpert es nicht Imagination, sondern nur den »Moment ihres Verfalls« (86). Es markiert immer noch den Abstand, der das Wachbewußtsein von der Imagination des Träumens trennt. Doch genau diesen Abstand muß fur Foucault die Traumanalyse, um eine existentielle Bild- und Ausdrucksanalyse werden zu können, überwinden. Damit aber wird ein Bild als Gegenstand der Analyse deutlich, das das Imaginäre selber verkörpert: »Das Bild ist nicht mehr Bild von etwas, was abwesend ist und daher ersetzt werden muss; es verdichtet sich in sich selbst als die Fülle einer Gegenwart; es bezeichnet nicht mehr etwas, sondern wendet sich an jemanden. Das Bild ist dann eine Modalität des Ausdrucks.« (92) Vom Anzeichen, das nichts bezeichnet, sondern auf etwas Existierendes weist, über die Morphologie des Bildes fuhrt Foucaults Meditation zu einem Bild, das in seiner irreduziblen Dichte und Materialität eine spezifische epistemische und ontologische Qualität erhält. Denn das Imaginäre, das sich als totale Gegenwart der Existenz präsentiert, ist zwar sowohl für den Traum als auch fur das Delirium grundlegend. Es ist

17 Vgl. Jean-Paul Sartre, Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft, Reinbek b. Hamburg 1971.

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aber zugleich ein Erfahrungstyp, der den Menschen jenseits seiner selbst fuhrt und damit die anthropologische Analyse zu einer ontologischen vorantreibt. Die Imagination zielt nicht auf das Anhalten, sondern auf die Totalisierung der Existenzbewegung: man imaginiert immer das Entscheidende, das Endgültige, das Abschliessende; [...] Deshalb nähern sich die Hauptformen der Imagination dem Selbstmord. [...] Der Selbstmord ist nicht eine Beseitigung der Welt oder meiner Person oder beider zusammen. Es ist das Wiederfinden des Ursprungsmoments, in welchem ich mir Welt mache oder mich zu Welt [...]. Ein Selbstmord ist eine letzte Form des Imaginierens. (82 f.) Das Imaginieren versetzt also in eine Erfahrung, in der alles Ich ist: Die Tiefenhermeneutik, die alles von innen heraus verstehen will, findet daher im Traum einen Zugang zum Imaginären, das zugleich den Menschen und das Verstehen hinter sich läßt: »Auf dem Grunde seines Träumens trifft der Mensch seinen Tod - der [...] in seiner eigendichsten Form aber die Erfüllung seiner Existenz« (53) ist. Mit dieser Todesemphase jedoch hat Foucault längst den Rahmen der Binswangerschen Daseinsanalyse verlassen. Denn Todessehnsucht ist fiir den Psychiater Binswanger generell nicht einfiihlbar. Er schließt daher aus seiner Irrenanstalt, die fiir die Psychiater den Ort für die Begegnung mit derartigen Existenzerfahrungen bildet, den Selbstmord kategorisch aus. Und dieser findet in der Anstalt Bellevue auch tatsächlich nicht statt, denn selbstmordgefährdete Patienten werden von Binswanger vorher endassen,18 oder sie kommen, wie etwa der Dichter Raymond Roussel, der in Binswangen Klinik seine Drogensucht loswerden sollte, erst gar nicht in die Anstalt. Roussel aber, der die Entschlüsselung seiner Werke selbst noch einmal verschlüsselt hatte, entzieht auch sich selbst der Binswangerschen Hermeneutik. »An dem Morgen«, so heißt es in Foucaults Roussel-Buch, »als er sein Hotel zu einer Entziehungskur in Kreuzlingen verlassen sollte, fand man ihn tot auf.« 19

Zeitalter des Indexikalischen Foucault untersucht die psychoanalytische Symbolanalyse als Mittel einer ödipalisierung, die phänomenologische Indiziensemiotik als zentrales Verfahren kriminalistischer Tatbestandsaufnahme und die Daseinsanalyse als Teil einer psychiatrischen Praktik, die eine Tiefenhermeneutik über das Menschsein schlechthin anstellt. Dabei handelt es sich nicht um bloß theoretische Methodenfragen. Vielmehr bilden damit Praktiken den Gegenstand von Foucaults Überlegungen, die als historisch spezifische Machttechnologien der Humanwissenschaften gelten können, weil sie die Seele und den Menschen als Wirklichkeit ständig produzieren.20

Hinweis von Susan Lanzoni (Harvard). Michel Foucault, Raymond Roussel, Frankfurt/M. 1989, S. 32 20 Vgl. dazu Michel Foucault, Überwachen und Strafin. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M. 1977, S. 41: »Man sage nicht, die Seele sei eine Illusion oder ein ideologischer Begriff. Sie existiert, sie hat 18

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3. DIE MATERIALITÄT DES BILDES BEI MICHEL FOUCAULT

Mit dem Fokussieren auf die Stellung, die das Traumbild im Rahmen dieser Praktiken einnimmt, verfolgt Foucault die Frage, was Psychoanalyse, Phänomenologie oder Daseinsanalyse eigentlich analysieren. Es geht um die spezifische Zeichenrelation, die das Bild mit dem Wissen und der Macht herstellt. Wie in Maladie mental* et personnalité, wo Foucault nach einer Begründung des pathologischen Faktums des Wahnsinns sucht, ist er auch hier an der Begründung des spezifischen Untersuchungsmaterials interessiert, an der historischen Rekonstruktion eines epistemischen Dings.21 Es sind nicht die Bilder der Träume und Delirien selbst, die bei diesen Praktiken im Vordergrund stehen, sondern es ist immer etwas anderes, sei es ödipus oder der Mensch schlechthin. In dem Maße jedoch, in dem sich diese Konfigurationen nicht als transzendentale Begründungen fur die eigentümliche Existenzweise des Bildmaterials erweisen, fiihrt die Analyse auf zwei fundamentale Bestimmungen: Zum einen auf eine Geschichte der Macht, die keine transzendentalen, sondern historische Aprioris erfindet und durchsetzt; zum anderen auf eine Materialität des Diskurses, die »nur das Faktum seines historischen Erscheinens voraussetzt«22. Doch sogar der Weg in die Geschichte ist zunächst noch die Fortführung der phänomenologischen Daseinsanalyse, die Begegnungsmöglichkeiten zur Konstitution eines spezifischen Erfahrungsraums der Existenz herstellt. Genau dies bildet noch für Foucaults Geschichte des Wahnsinns den Ausgangspunkt. Indem nämlich Foucault dort die Begegnung mit dem Wahnsinn zwar nicht mehr im aktuellen Aufeinandertreffen von Patient und Psychiater sucht, sondern in der Geschichte, bleibt seine Histoire de la folie noch Teil dieser anthropologischen Hermeneutik. Die tragische Erfahrung mit dem Wahnsinn, die Foucault rekonstruieren will, kann nur noch in einem historisch fernliegenden Moment, im Akt der Trennung zu Beginn des klassischen Zeitalters sichtbar gemacht werden. Die Geschichte des Wahnsinns schreiben, wird also heißen: eine Strukturuntersuchung der historischen Gesamtheit - Vorstellungen, Institutionen, juristische und polizeiliche Maßnahmen, wissenschaftliche Begriffe - zu leisten, die einen Wahnsinn gefangenhält, dessen ungebändigter Zustand in sich selbst nie wiederhergestellt werden kann. Da uns jene unzugängliche, ursprüngliche Reinheit fehlt, muß die Strukturuntersuchung zu jener Entscheidung zurückgreifen, die Vernunft und Wahnsinn gleichzeitig trennt und verbindet.23 Jenseits dieses Moments der Trennung aber existiert das tragische Bewußtsein weiter »im Aufblitzen von Werken wie Hölderlins, Nervals, Nietzsches oder Artauds«24. eine Wirklichkeit, sie wird ständig produziert um den Körper, am Körper, im Körper - durch Machtausübung an jenen, die man bestraft, und in einem allgemeineren Sinn an jenen, die man überwacht, dressiert und korrigiert, an den Wahnsinnigen, den Kindern, den Schülern, den Kolonisierten, an denen, die man an einen Produktionsapparat bindet und ein Leben lang kontrolliert.« 21

Vgl. dazu Hans-Jörg Rheinberger, Toward a History ofEpistemic Things, Stanford 1997.

22

Foucault, Die Geburt der Klinik, S. 15.

23

Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft,

Frankfurt/M. 1981, S. 13. 24

Ebd., S. 536.

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

Auch die Literatur stellt daher fur Foucault ein Residuum tragischer Existenzerfahrung dar. Doch damit bleiben sowohl Foucaults Literaturbegriff, mit dem er Werke seit 1800 als spezifische Ausdrucksformen einer objektgewordenen Sprache bezeichnet, als auch seine Literaturanalysen, von Roussel über Flaubert bis Borges, der phänomenologischen und daseinsanalytischen Erfahrungsanalyse und damit den Humanwissenschaften verhaftet. Eben darin gründet auch Foucaults Rede von der »seltsamen Nachbarschaft von Wahnsinn und Literatur«25. Diese Nachbarschaft entspricht der anthropologisch-literarischen Ausdrucksanalyse der Binswanger-Einleitung, die aus der aktuellen psychiatrischen Praxis heraus in die Geschichte fuhrt: Die Strukturen des tragischen, epischen und lyrischen Ausdrucks haben also ihre anthropologische Fundierung. Die Analyse des Ausdrucksaktes in seiner Eigentümlichkeit sowie in seiner anthropologischen Notwendigkeit bleibt durchzuführen; in diesem Sinne könnte man die Ausdrucksformen des Exils, des Abstiegs in die Unterwelt, des Gebirges, des Gefängnisses untersuchen. (73) Was hier als Programm fur eine Anthropologie des Ausdrucks erscheint, macht den minimalen und zugleich fundamentalen Abstand deudich, der diese Ausdrucksanalyse von der Diskursanalyse trennt. Denn in der Geburt des Gefängnisses, wie sie Foucault zwanzig Jahre später schreiben wird, geht es weder um Existenzerfahrungen noch um tragische oder lyrische Ausdrucksakte. Vielmehr stehen dort gerade die historischen Möglichkeitsbedingungen all dieser anthropologischen Koordinaten im Zentrum der Untersuchung, wenn die neuen Machttechnologien der Beobachtung und Disziplin mit dem Verbrecher ein neues Individuum erfinden, das erst zu dem Modell des Menschen schlechthin wird, den Foucault 1954 noch als letzten Begründungshorizont annimmt. Die Morphologie des Bildraums, die den zentralen Analysegegenstand im Rahmen der Anthropologie der Imagination bildete, erweist sich damit als Sachverhalt, der auch fur die Materialität des Diskurses, wie sie die Diskursanalyse verfolgt, fundamental wird. Denn das Bild scheint im Rahmen der Diskursanalyse im Unterschied zu Texten den Ort einer Tatsächlichkeit zu besetzen. Selbst wenn all die strafjuristischen Traktate von einer Humanisierung des Strafvollzuges reden, so entsprechen die Praktiken tatsächlich, wie Foucault vorfuhrt, einer bloßen Verschiebung der Taktiken hin zu effizienterer Disziplinierung. So macht vor allem die konkrete historische Morphologie der Gefängnis- und Klinikräume ein Überwachungsdispositiv unmittelbar deutlich. Diese Architekturen und Sichtbarkeiten, diese >Bilder< erhalten den Charakter einer Positivität, die nichts bedeutet, sondern etwas vorfuhrt. Die Morphologie des Gefängnisraums, so könnte man sagen, inszeniert und indiziert ein Wissensdispositiv, das die Texte der Strafjustiz gerade nicht sichtbar werden lassen. Sobald also die Träume und Delirien der Patienten Binswangers, die von Todesvorstellungen, von dunklen, geschlossenen oder lichtdurchfluteten Räumen durchsetzt sind, nicht mehr als ahistorische, anthropologische Existenzerfahrungen analysiert werden, sondern als

25 Michel Foucault, »Der Wahnsinn, das abwesende Werk«, in: ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt/M. 1988, S. 119-129, hierS. 127.

3. DIE MATERIALITÄT DES BILDES BEI MICHEL FOUCAULT

Effekte konkreter historischer Praktiken der Internierung, wird sowohl die Nähe von phänomenologischer Analyse und der Analyse von Machtwissen deudich als auch der Abstand, der beide voneinander trennt. Die Hermeneutik existentieller Erfahrung im Rahmen psychiatrischer Internierung wird damit zu einer Möglichkeitsbedingung, die zur Geburt der Diskursanalyse fuhrt. Damit ist aber zugleich auch die hermeneutische und humanwissenschaftliche Last bezeichnet, die die Foucaultsche Diskursanalyse, vor allem dann, wenn sie von Wahnsinn und Literatur sowie deren seltsamer Nachbarschafe handelt, nie abgestreift hat. Mit der Frage nach dem Traumbild läßt Foucault also Schritt fiir Schritt Begründungsformen vom individuellen Subjekt über das Unbewußte bis zum Menschen hinter sich. Und in dem Augenblick, in dem er das Bild als Bild und damit nicht mehr als Bild der Existenz, sondern die Existenz des Bildes selbst zum eigendichen Gegenstand der Analyse erklärt, in dem Augenblick öffnet sich die Möglichkeit einer Diskursanalyse, die das Dokument als Monument betrachten, die Existenz des Bildes in ihren historischen Möglichkeitsbedingungen untersuchen wird. Die Diskursanalyse beginnt so mit einer Analyse des Bildes, das in seiner indexikalischen Qualität sich vollständig zeigt und keinen Überschuß an Bedeutung, keine Abwesenheit sichtbar werden läßt. Wenn das klassische repräsentative Zeichen eines war, das etwas Abwesendes anwesend machte, so kann man das Zeichen in Gestalt des Bildes bei Foucault als Indiz für ein neues Zeitalter bezeichnen: fur ein Zeitalter des Indexikalischen. Das verlangt andere Erkenntnis- und Verstehensoperationen, vor allem auch solche, die ohne den Menschen auskommen. Doch all dies ist fur Foucault zu dem Zeitpunkt, den die Binswanger-Einleitung markiert, immer noch Anthropologie, nämlich Anthropologie des Imaginären, die in eine Anthropologie des Ausdrucks weitergeführt werden kann. Dieser dramatische Punkt der Entscheidung, an dem die Möglichkeit einer Diskursanalyse gleichermaßen nah und fern erscheint, ist vielleicht genau der historische Moment, in dem die Diskursanalyse selber den Charakter eines Ereignisses bekommt, in dem sie sich als Diskurs ereignen kann und, wie wir wissen, auch tatsächlich ereignet hat.

Medien des Imaginären Die entscheidende epistemische Fragestellung in Foucaults Texten >vor< der Diskursanalyse gilt also der Begründung von Wissen, die auch in der französischen psychiatrischen Praxis in den 50er Jahren diskutiert wird. Die Fragen nach einer eigentlichen Begründung psychopathologischer Symptome, die sich aus der unübersichdichen Vielfalt psychiatrischer Praktiken ergeben und die Foucault in Maladie mentale et personnalité und in der »Introduction« zu Binswanger aufwirft, fuhren bei Foucault auf drei >quasi-transzendentale< Modelle: auf eine Genealogie, die in der Vergangenheit, in einem historischen Moment, die Phänomenologie des Wahnsinns begründet; auf Literatur, wenn sie eine »anthropologische Fundierung« (73) auszeichnet; und schließlich auf das Imaginäre. Diese Kaskade von Begründungen und Überbietungen von Begründungen macht ein fundamentales Bestreben nach der Etablierung einer

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DAS SICHTBARE UND DAS SAGBARE

apriorischen Ebene des Wissens deutlich. Mit den Analyseformen des Traumbildes von Freud über Husserl zu Binswanger verabschiedet Foucault unterschiedliche Modelle bloß sinnorientierter, semiotischer Lektüren dessen, was ein Traumbild tatsächlich ist und was die nicht zuletzt historische Materialität und Medialität des Bildes ausmacht. Mit der Frage nach einer Materialität und Historizität des Bildes durchzieht also Foucaults Werk von Anfang an auch eine medienhistorische Fragestellung; sie fuhrt über das Sichtbare und Sagbare im Werk des Dichters Raymond Roussel, über die Archäologie des ärztlichen Blicks oder die Repräsentationsordnung, fur die Las Meninas exemplarisch stehen, bis zur panoptischen Ordnung des Gefängnisses oder zur Malerei von Edouard Manet. Die Sichtbarkeit wird also bei Foucault selbst ein Indiz der Materialität des Wissens, das Bild, das das Sichtbare selbst ist, wird das Monument einer Macht, die keine transzendentalen, sondern historische Aprioris erfindet und durchsetzt. Das Bild als das Sichtbare nimmt eine fundamentale, wenn nicht die fundamentalste Ebene in der Begründungskaskade ein; es erweist sich in seiner indexikalischen Macht, indem es ein Wissensdispositiv >zeigen< kann. In dem Augenblick also, in dem Foucault 1954 das Bild als Bild und die Existenz des Bildes als solches zum eigentlichen Gegenstand der Analyse erklärt, in dem Augenblick öffnet sich die Möglichkeit einer Diskursanalyse, die die Existenz des Bildes in ihren historischen Möglichkeitsbedingungen untersuchen wird. Es fuhrt damit aus dem inneren Begründungszusammenhang der Diskursanalyse ein direkter Weg zu einer Analyse von Technologien des Imaginären, die Foucault selbst jedoch nur teilweise durchfuhrt, wie etwa in Surveiller et punir. So spricht er auch bei Manet zwar von der Materialität und dem Licht der Bilder,26 doch wendet er dies nicht zu einer Analyse von Photographie und Blitzlichtern, die die neue Sichtbarkeit von Manets Bildern medientechnisch >begründennur< diese epochemachende Kompilation, keineswegs jedoch Saussures sprachtheoretisches Denken dekonstruiere,4 hat sich in so drastischer Weise bestätigt, daß, zweitens, auch die Geschichte des Poststrukturalismus als eine einzige Wiederherstellung all jener Brüche erscheint, welche die Bally/Sechehaye-Edition mit ihren Homogenisierungen und Systematisierungen verdeckt hatte. Das von Saussure unablässig umkreiste Problem, wie einzelne Einheiten aus der Rede oder aus der Sprache als System herauszulösen sind, um überhaupt integrale Gegenstände der Analyse zu bilden, gilt nicht zuletzt fur >la langue< (die Sprache als System) selbst: Als Indogermanist, der er in all seinem Interesse an einer allgemeinen Sprachwissenschaft blieb, hat Saussure seinen Gegenstand bewußt nicht an dem Begriff >le langage* orientiert, an dem sich ein vermeindich analoger Theorietyp des 17. Jahrhunderts, etwa die Grammaire générale von Port-Royal, orientierte. Statt von angeblich bloßen Oberflächenstrukturen spezifischer Sprachen zu abstrahieren, setzt Saussure die »geographische Verschiedenheit« der Sprachen gerade als »primordiale« Tatsache voraus.5 >La langue* wahrt als Begriff für die Sprache als System doch zugleich ein Bewußtsein von der unhintergehbaren Einzelsprachlichkeit jeder spezifischen Sprache und der »unbegrenzten Zersplitterung«6, der sie ausgesetzt ist. Diese asystemischen Kontingenzen affizieren die >Sprache als System* nicht von außen, nicht als etwas, was als Ausnahme von einer Regel ausgeschlossen werden könnte, sondern operieren im Innern des Systems selbst als dessen Existenzbedingung. Derridas Argumentationsstrategie in der Auseinandersetzung mit John Searles systematisierungswütiger Theorie, die ganz auf dem Ausschluß >unreinerkonstative< Bezugnahme auf überhaupt etwas in der Welt. In ihrer handlungstheoretischen Fassung ist diese Einsicht ebensowenig im diskursfreien Raum >reiner< sprachphilosophischer Kontemplation entwickelt worden wie Saussures Semiologie oder Derridas Dekonstruktion. Sie verdankt sich vielmehr der Zusammenarbeit von Semiotikem wie Charles K. Ogden und Ivor Α. Richards mit Ethnologen wie Bronislaw Malinowski, die konsequent das Arbeitsprogramm Wilhelm von Humboldts Wiederaufnahmen, allgemeingültige Aussagen über Sprache gerade in der Auseinandersetzung mit >kleinenexzentrischen< Sprachen der Südsee auszuarbeiten. Malinowski war, mit magischen Sprechakten konfrontiert, klug genug, diese nicht einfach als das Andere der >normalen< Sprachverwendung zu beschreiben - und wenn hier die Elektrizität dazu dient, die Sprechakte in ihrer energetischen Dimension zu fassen, so ist dies vielleicht nur eine Metapher, immerhin aber eine gut motivierte: In beiden Bereichen kommt es nicht darauf an, was etwas bedeutet, sondern was es tut.

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1. Standards und Semiotik

Ein Gemeinplatz der modernen Geistesgeschichte besagt, daß jedes disziplinare Wissen eingewoben ist ins Netz der Sprache — sei es als der Träger der Tradition, des Gedächtnisses und der stummen und nichtausdrücklichen Gewohnheiten des Denkens oder sei es als das grammatische Apriori eines jeden möglichen Ausdrucks.1 Michel Foucault hat einige recht unterschiedliche Varianten dieser Behauptung unter die Lupe genommen - die der Hermeneutik, des Strukturalismus und der analytischen Philosophie - und die Bedingungen fur ihre Möglichkeit in der Wendung des frühen 19. Jahrhunderts diagnostiziert, durch die die Sprache selbst zum Gegenstand exakter wissenschaftlicher Untersuchungen wurde.2 Foucault hatte sicherlich recht, als er die Sprachwissenschaft als eine Schlüsseldisziplin des 19. Jahrhunderts bezeichnete, die ihren Widerhall in der Politik fand und an Kernpunkten mit anderen Disziplinen in Wechselwirkung trat. Dennoch haben sich die Wissenschaftshistoriker - selbst jene, die einen linguistic turn befürworten - merkwürdigerweise nur wenig fïir die Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts interessiert.3 Bevor man versucht, das Netz der

Die Literatur über das Verhältnis zwischen der Sprache und dem Denken des 20. Jahrhunderts ist riesig und für gewöhnlich auf eine der verschiedenen geistigen Strömungen bezogen. Eine Zusammenschau liefern Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Berlin 1923, Reprint Darmstadt 1994; Ian Hacking, Why does Language Matter to Philosophy?, Cambridge 1975; Richard Rorty, Philosophy and the Mirror of Nature, Oxford 1980. Katherine Hayles untersucht die Beziehungen zwischen den Feldtheorien und der strukturalen Linguistik in The Cosmic Weh. Scientific Field Models and Literary Strategies in the Twentieth Century, Ithaca/N. Y. 1984. In Chaos Bound. Orderly Disorder in Contemporary Literature and Science, Ithaca/N. Y. 1989, untersucht Hayles die Beziehungen zwischen dem Poststrukturalismus und der nichtlinearen Dynamik. 1

2 Vgl. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/M. 1974, S. 359-366. Vgl. dazu die Bemerkungen von Ian Hacking, »Night Thoughts on Philology«, in: History of the Present A (1987), S. 3-10. 3 Vgl. Gyorgy Markus, »Why is there no Hermeneutics of Natural Sciences? Some Preliminary Theses«, in: Science in Context 1 (1987), S. 2-51; Steven Shapin, »Pump and Circumstance. Robert Boyle's Literary Technology«, in: Social Studies of Science 14 (1984), S. 481-520; Geoffrey Cantor, »The Rhetoric of Science«, in: David Gooding/Trevor Pinch/Simon Schaffer (Hrsg.), The Uses of Experiment. Studies in the Natural Sciences, Cambridge 1989, S. 159-180; Mi Gyung Kim, »The Layers of Chemical Language«,

1. STANDARDS UND SEMIOTIK Sprache zu entwirren, wird es daher nützlich sein, zu rekonstruieren, wie es überhaupt erst gewoben wurde. 4 Wie so viele andere moderne Institutionen wurde auch das Netz der Sprache zumindest teilweise mit Hilfe von Präzisionsmessungen und Medientechnologien im Labor geknüpft. 5 Seit 1875, als die französische Société de linguistique anfing, mit dem Laboratorium von Étienne-Jules Marey zusammenzuarbeiten, entstanden bedeutende Forschungsverbünde zwischen Physiologen und Sprachwissenschaftlern, die das Ziel verfolgten, Sprechakte mit graphischen Aufzeichnungsgeräten zu untersuchen. Als diese Zusammenarbeit 1897 in die dauerhafte Einrichtung eines Labors fur experimentelle Phonetik am Collège de France mündete, verkündete der Meisterdenker der französischen Sprachwissenschaft und einer der Hauptsponsoren des neuen Labors, daß eben dieses neue Labor den Niedergang der deutschen spekulativen Philologie und den Aufstieg einer Wissenschaft von der Sprache besiegele. Michel Bréal zufolge wird die Sprachwissenschaft nun endlich in der Lage sein, Fakten aufzuzeichnen, anstatt Prinzipien a priori zu behaupten. Es wird keine Phonetik in vacuo mehr geben, die trotz ihrer extremen Gelehrsamkeit - mit Hilfe von technischen Begriffen nur irreführende oder vage Ideen vermittelt. [...] Statt über Hypothesen zu spekulieren wie die >primitiven Velarlaute< oder >das indoeuropäische jla sémantique^ and Saussure«, in: ders., From Locke to Saussure. Essays on the Study of Language and Intellectual History, Minneapolis 1982, S. 382-400. 8

Der Bruch wird beschrieben in Hans Aarsleff, From Locke to Saussure. Eine der wenigen Arbeiten von

Seiten der 'Wissenschaftsgeschichte, die auf die große Bedeutung des phonetischen Labors hinweisen, ist Sylvain Auroux, »La catégorie du parler et la linguistique«, in: Romantisme. Revue du dix-neuvième siècle 9 (1979), Nr. 25/26, S. 157-178, hier S. 170-173. 9

Aarsleff, »Bréal«, S. 393.

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Der Linguist Roy Harris behauptet, Saussures Kapitel über »La valeur linguistique« sei »das wichtig-

ste im gesamten Cours« (Roy Harris, Reading Saussure. A Critical Commentary on the »Cours de linguistique générale«, London 1987, S. 118).

1. STANDARDS UND SEMIOTIK

selbst besitzt, darunter die Messung phonetischer Werte im Labor, der Bréals Kollege am Collège de France, Marey, ein Jahr zuvor ein ganzes Kapitel seiner Abhandlung La méthode graphique en sciences expérimentales gewidmet hatte.11 Mareys Werk faßte die Arbeit über wissenschaftliche Darstellungstechniken in unterschiedlichen Gebieten von mehr als drei Jahrzehnten zusammen, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf ihre Anwendung in der Physiologie legte, seiner eigenen Disziplin, zu der er selbst bedeutende Beiträge beigesteuert hatte.12 Seit den späten 1850er Jahren war Marey zum wichtigsten französischen Vertreter der graphischen Aufzeichnungstechniken avanciert, die in Deutschland seit den 1840er Jahren die Labors der organischen Physiker< - Carl Ludwig, Hermann von Helmholtz, Karl von Vierordt und Emst Wilhelm von Brücke - erobert hatten.13 Das Erscheinen von La méthode graphique beflügelte den Ruf auf beiden Seiten des Rheins nach einer besonderen Disziplin, die allein den graphischen Darstellungstechniken in den Wissenschaften gewidmet sein sollte.14 Graphische Methoden spielten eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Linguistik im späten 19. Jahrhundert. Mit Hilfe von selbstschreibenden Geräten materialisierten die Linguisten die flüchtigen und nie zuvor gesehenen Phänomene der Sprache zu sichtbaren Gegenständen. Das image vocale oder image acoustique, um die Begriffe von Bréal bzw. von Saussure zu verwenden, diente dazu, das Konzept des Phonems zu kodifizieren, das Sylvain Auroux »den Schlüsselbegriff fur die Gründung der Disziplin Linguistik«15 genannt hat. Der materiale Signifikant oder das akustische Bild (Saussure behandelte diese beiden gewöhnlich als ein und dieselbe Sache) wurde transformiert in ein Kreislaufmodell der Kommunikation, in dem Worte oder sprachliche Botschaften ausgetauscht, gesendet, weitergegeben und empfangen wurden.16

Vgl. Étienne-Jules Marey, La méthode graphique en sciences expérimentales, Paris 1878, S. 390-398. Zu Marey vgl. François Dagognet, Étienne-Jules Marey. La passion de la trace, Paris 1987; Martha Braun, Picturing Time. The Work ofÉtienne-JuUs Marey (1830-1904), Chicago u. a. 1992. 13 Über die deutschen Physiologen und die graphische Methode vgl. Kathryn Olesko/Frederic L. Holmes, »Experiment, Quantification, and Discovery. Helmholtz's Early Physiological Researches, 1843-1850«, in: David Cahan (Hrsg.), Hermann von Helmholtz and the Foundation of Nineteenth-Century Science, Berkeley - Los Angeles 1993, S. 50-108; Soraya de Chadarevian, »Graphical Method and Discipline. Self-Recording Instruments in Nineteenth-Century Physiology«, in: Studies in the History and Philosophy of Science 24 (1993), Nr. 2, S. 267-291; dies., »Die »Methode der Kurven< in der Physiologie zwischen 1850 und 1900«, in: Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner (Hrsg.), Die Experimentalisierung des Lehens. Experimentalsysteme in den hiobgischen Wissenschaften 1850/1950, Berlin 1993, S. 28—49; Timothy Lenoir, »Helmholtz and the Materialities of Communication«, in: Osiris 9 (1994), Sondernr., S. 185-207. 11

12

14 Vgl. Gustave Le Bon, »La méthode graphique et les appareils enregistreurs«, 3 Teile, in: Études sur l'Exposition de 1878. Annales et archives de l'industrie au XIXsiècle 7 (1879), S. 229-432; G. Stanley Hall, »The Graphie Method«, in: The Nation. A Weekly Journal Devoted to Politics, Literature, Science and Art 29 (1879), S. 238 f. 15 Auroux, »La catégorie«, S. 169. 16 Vgl. über den ebenfalls in dieser Zeit stattfindenden Niedergang des monologischen und Aufstieg des neuen kreislaufförmigen Kommunikationsmodells, das sich an der Ökonomie des Telephons orientierte, Jacques Attali/Yves Stourdze, »The Birth of the Telephone and Economic Crisis. The Slow Death of

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SPRECHEN / HANDELN / HÖREN Artikulierte Laute, elementare Phoneme oder ganze Wörter wurden auf diese Weise zu Analogien der Punkte und Striche, die über Kabel durch das französische Empire übertragen wurden. »Wörter [...] sind wie Telegraphensignale«17, schrieb Bréal, die vorher festgelegte Werte besitzen, die übermittelt werden. Die Übertragung von Telegraphensignalen war natürlich abhängig von den Bemühungen um die Eichung der elektrotechnischen Standards.18 In Saussures Arbeit wird angenommen, daß die Eichung sprachlicher Werte keine Errungenschaft einzelner Spezialisten ist, sondern eine der Sprechergemeinschaft, die nicht nur die Bedeutung der Worte erzeugt, sondern auch die Art der Artikulation im menschlichen Körper. In der Sprache wie in der Télégraphié ist es eine unablässige Eichung von Standards, die dem Signifikanten einerseits sein arbiträres Wesen schenkt und ihm andererseits die nötige Widerstandskraft verleiht. In dem Maße, in dem die Linguistik von Bréal und Saussure nicht nur die speziellen Phänomene der Sprache betraf, sondern die ganze Skala der Kommunikationszeichen einschloß, scheinen die Präzisionsmessungen in den Laboratorien entscheidende Auswirkungen auf die Vermittlung moderner Werte gehabt zu haben.19

Visible Speech Innerhalb der Société de linguistique wuchs während der 1870er Jahre das Interesse an den traditionellen französischen Sprachtheorien, vor allem an jenen, die in der Tradition der Idéologues und der damit zusammenhängenden Tradition der Taubstummentheorien standen, die von Diderots Lettre sur les Sourds et Muets, von Joseph Marie de Gérando und vom Werk Jean-Marc-Gaspard Itards über das (in der Wildnis aufgewachsene) Kind von Aveyron beeinflußt waren.20 Obwohl der Unterricht im berühmten Fall des enfant sauvage ganz offensichdich fehlgeschlagen war, lieferte der Fall wichtige Erkenntnisse über den Spracherwerb, nicht nur bei geistig und körper-

Monologue in French Society«, in: Ithiel Pool (Hrsg.), The Social Impact of the Telephone, Cambridge/ Mass. 1977, S. 97-111. 17

Michel Bréal, Essai ¿le sémantique, Paris 5 1911, S. 255 f. Zur Bedeutung des Telegraphen fur die Mo-

dellierung der Information in den USA des 19. Jahrhunderts vgl. Jo Anne Yates, Control Through Communication. The Rise of System in American Management, Baltimore 1989, S. 21-36; Menahem Blondheim, News over the Wires. The Telegraph and the Flow of Public Information in America. 1844-1897, Cambridge/ Mass. 1994. 18

Zur Eichung der internationalen elektrotechnischen Standards vgl. Simon Schaifer, »Late Victorian

Metrology and its Instrumentation. A Manufactory of Ohms«, in: Susan Cozzens/Robert Bud (Hrsg.), Invisible Connections. Instruments, Institutions, and Science, Bellingham/Wash. 1992, S. 23-56; David Cahan, An Institute for an Empire. The Physikalisch-Technische Reichsanstalt. 1871-1918, Cambridge u.a. 1989. 15

Vgl. Simon Schaffer, The Laboratory Measurement of Modern Values, Cambridge o. J. Schaffer greift

hier die Rolle des Labors als Vermitder von wichtigen Themen der kulturellen Moderne auf. 20

Vgl. Jean-Marc-Gaspard Itard, The Wild Boy of Aveyron, New York 1932; Joseph Marie de Gérando,

De l'éducation des sourds-muets de naissance, Paris 1827.

1. STANDARDS UND SEMIOTIK

lieh Behinderten, sondern auch bei jenen anderen sauvages — den Provinzbewohnern - , deren sprachliche Unfähigkeit mühelos der Geographie zugeschrieben werden konnte.21 1874 wählte die Société de linguistique den Taubstummen-Experten Leon Vaïsse zu ihrem Präsidenten. Vaïsse, ein früherer Kollege von Maria Montessori und Autor des Buches De la parole considérée au double point de vue de la physiologie et de la grammaire (1853), verstand seine Wahl als ein »Zeugnis fur das Interesse der Sprachwissenschaftler an meiner lebenslangen beruflichen Arbeit«, denn im Taubstummenunterricht »werden einige der interessantesten Fragen der Sprachwissenschaft aufgeworfen und manchmal auch beantwortet«.22 Der Ansatz der französischen Taubstummen-Experten, so versicherte Vaïsse, bot »eine Sicherheit der Methode, von der die Philologen früherer Zeiten nicht zu träumen gewagt hätten«. Französische Linguisten, behauptete er, besäßen die geistige Reife, »den Pfad der voreiligen Spekulationen zu verlassen«, auf dem die deutschen Gelehrten wandelten: »Ihr, die französischen Linguisten, wißt die geduldige Gelehrsamkeit von der anderen Seite des Rheines mit dem Sinn fiir die Praxis von der anderen Seite des Kanals zu verbinden, und einfühlsame Kritik mußtet ihr noch nie aus dem Ausland importieren.«23 Vaïsses Kritik zielte vor allem auf die ausländischen Begriffe übergreifender Lautgesetze, die aus der geschriebenen, textuellen Sprachgeschichte abgeleitet waren. Als Spezialist fur Taubstummheit ging Vaïsse auf eine Weise an die Sprache heran, die das sprechende Individuum und seine vom Willen abhängige Fähigkeit, seine Artikulationsweise zu ändern, in den Vordergrund stellte.24 Vaïsses montessorianisches Programm stimmte also mit Bréals Angriffen auf die deutsche Auffassung der Sprache als einer geistigen Abstraktion (abstrait imaginaire) überein: Es muß physikalische und psychologische Determinanten des Sprechaktes geben. In seiner Ansprache als neugewählter Präsident vor der Société formulierte Vaïsse ein neues physikalistisches Forschungsprogramm, das die verschiedenen Interessen der Organisation in sich vereinigte: Die Sprache in der physikalischen Beschaffenheit ihrer Elemente ist es, was das Rohmaterial unserer gemeinsamen Forschungen darstellt. Ein wenig Luft wird von den Lungen ausgestoßen und trifft auf das Ohr, nachdem sie in Vibration versetzt, gebrochen und in verschiedener Weise gegen die Wände und Oberflächen des Mundraumes und von diversen Stellungen der Zunge abgelenkt wurde - das ist die Materie, aus der die artikulierte Sprache besteht. [...] Aber in ihrem Walten überträgt die Sprache [la parole], diese höchste und wichtigste Manifestation der menschlichen Seele, auf diesen Luft-

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Das Vermächtnis der Bemühungen Itardi fiir den Taubstummenunterricht wurde von Harlan Lane angetreten in seinem Werk The Wild Boy ofAveyron, London 1977. 22 Leon Vaïsse, zit. nach: Sitzungsprotokoll 9. Januar 1875, in: Bulletin de la Société de linguistique de Paris 1-2 (1869-1875), Nr. 1-12, Bd. 2, Nr. 12, S. cli-clvii, hier S. clii. 23 Ebd., S. cliii. 24 Vaïsse war einer der erklärtesten Verteidiger der oralen Methode im Taubstummenunterricht. Nach einer erregten Diskussion bei einer Konferenz im Jahre 1878 kletterte einer seiner Verbündeten auf das Podium und rief »Vive la parole!« (vgl. Lane, The Wild Boy, S. 252).

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SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

molekülen Gedanken, das unendlich Kleine ist versöhnt mit dem unendlich Großen, das Atom trägt die Welt!25 Vaïsse meinte, daß es die neue Lehre von der Energieerhaltung den Linguisten ermögliche, den Sprechakt als eine Größe aus Kraft und Bewegung zu behandeln.26 Zu diesem Zweck führte er eine Delegation von Mitgliedern der Société an, die Étienne-Jules Marey, dem herausragendsten französischen Fürsprecher einer Thermodynamik des Lebens, eine mögliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Untersuchung der Sprechphänomene mit Hilfe jener Aufzeichnungsapparate vorschlug, durch die der Physiologe mit seinen Arbeiten zur Kardiologie, Atmung und anderen Körperfunktionen berühmt geworden war. Vaïsse glaubte, daß Mareys graphische Methode dazu dienen könnte, ein ähnliches Transkriptionssystem zu entwickeln wie jenes, das der schottische Professor für Aussprache Alexander Melville Bell (der Vater des Telephonerfinders) entworfen hatte. In seinem System der visible speech, berichtete Vaïsse, zeichnet unser Kollege Bell auf einer Schautafel die Charaktere eines neuen phonographischen (oder vielmehr glossographischen) Alphabets, das er selbst seit einer Reihe von Jahren in seinem Sprechunterricht fur Schüler verwendet, die von Geburt an taub sind. Die Charaktere dieses Alphabets stellen, ausgerichtet an der Mediane, in rudimentären Grundzügen die Gestalt der wesendichen Sprechorgane in der Stellung dar, die sie während der Hervorbringung unserer verschiedenen phonischen Elemente einnehmen.27 Beils Werk inspirierte Vaïsse zu anderen graphischen Darstellungsformen der Sprache. Erst wenige Jahre zuvor hatte Marey die Ärztegemeinschaft von Paris mit seiner graphischen Methode in Aufregung versetzt, mit der er die Aufeinanderfolge, die Dauer und die Stärke der Bewegungen der inneren Herzkammern zeigen konnte.28 Nach diesem anfänglichen Erfolg hatte sich Marey dem Ziel verschrieben, die Technik der graphischen Selbstaufzeichnung auf so viele physiologische Funktionen wie möglich auszudehnen, und propagierte nichts weniger als eine Transformation der bedeutungskonstituierenden Szene des Experimentallabors. Folglich überrascht es nicht, daß er sich auf den Vorschlag stürzte, die Phänomene der Sprache dem Aufgabengebiet der graphischen Methode zu unterstellen, in der Absicht, die »blumige Sprache« der Wis-

25

Vaïsse, zit. nach: Sitzungsprotokoll 9. Januar 1875, S. cliii.

26

Eine Darstellung, wie die Thermodynamik die strenge Trennung zwischen belebter und unbelebter

Natur durcheinanderbrachte und dadurch einen neuen Rahmen fur die Theorien des kommunikativen Codes schuf, gibt François Jacob, Die Logik des Lebenden. Von der Urzeugung zum genetischen Code, übers, von Jutta u. Klaus Scherrer, Frankfurt/M. 1972, S. 190 f. 27

Leon Vaïsse, zit. nach: Sitzungsprotokoll 9. Januar 1875, S. dv.

28

Zu den medizinischen Debatten in Paris im Umkreis der Mareyschen Vorführung vgl. Jules Gava-

rett, Sur la théorie des mouvements du cœur, Paris 1864. Die allgemeinste Darstellung seiner Kardiographie gab Marey in Physiologie médicale de la circulation du sang basée sur l'étude graphique des mouvements du cœur et du pouls artériel, avec application aux maladies de l'appareil circulatoire, Paris 1863. Über Mareys Arbeit im Kontext der Kardiologie vgl. Robert G. Frank Jr., »The Telltale Heart. Physiological Instruments, Graphic Methods, and Clinical Hopes. 1854—1914«, in: William Coleman/Frederic L. Holmes (Hrsg.), The Investigative Enterprise. Experimental Physiology in Nineteenth-Century Medicine, Berkeley - Los Angeles 1988, S. 211-290.

1. STANDARDS UND SEMIOTIK

senschaft durch die Präzision von Maschinen zu ersetzen bzw. durch »die Sprache der Phänomene selbst«.29 Für die Linguisten sollten speziell zugeschnittene Untersuchungsmethoden in einem gut ausgerüsteten Labor die Autonomie ihrer Disziplin unterstreichen.30 Dasselbe sollte eine einzigartige Kategorie von Phänomenen leisten: Sprechen. Obwohl das Labor die Linguistik nicht in die Lage versetzte, sämtliche Brücken zur traditionellen Philologie abzubrechen, stellte es doch definitiv das traditionelle Primat des geschriebenen Wortes in den Sprachwissenschaften in Frage. Im Gewand des Sprechens wurde Sprache wieder zu einer Nachrichtenquelle, ein Thema, das die Philologie fast überhaupt nicht interessierte. Aber die kommunikationstheoretische Wende in der Linguistik, die irgendwann Teil der Durkheimschen soziologischen Studien des sozialen Bandes wurde, beruhte auf einer soliden physiologischen oder physikalischen Grundlage in dem Szenario der Aussprache und des Gehörs. Das ursprüngliche Projekt der neuen Phonetik-Forschergruppe, die aus Marey, dem Linguisten Louis Havet (dem Sekretär der Société) und dem Arzt und Taubstummen-Experten Charles Rosapelly bestand, war, die physiologischen Funktionen, die am Sprechakt beteiligt sind, in ihrer Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung einzufangen: durch Aufzeichnung der Bewegungen des Brustkorbs, des Kehlkopfes, der Lippen und des Luftdrucks in den Nasengängen. Obwohl die Probleme der Taubstummheit weiterhin zu ihren Aufgaben zählten, setzte Havet das Arsenal ihrer physiologischen Instrumente auf einen der kanonischen Texte der deutschen Sanskritphilologie an: das Pratisakhya, ein vedischer Text, dessen Alter auf über zweitausend Jahre geschätzt wurde und der seit mehr als zwei Jahrzehnten im Brennpunkt der Sanskritforschung stand.31 Das Pratisakhya besaß einen ganz besonderen Stellenwert unter den Vedas, denn es lieferte eine erschöpfende Beschreibung der launischen Aussprache des Sanskrit: Artikulation, Ton, Länge, Tonhöhe, Gleichmäßigkeit und Zusammensetzung. Die brahmanische Tradition überliefert, daß die Vedas nur eine Transkription einer mündlichen Tradition seien, die von den Rishis in erweiterten Zuständen des Bewußtseins praktiziert wurde (Dhyaana), weshalb die Phonetik der Mantras, die man in ihnen finden konnte, nicht auf der Basis der konventionellen Orthographie reproduziert werden konnte. Darüber hinaus wurde eine fehlerhafte Aussprache der heiligen Texte als Profanation angesehen.32 Um eine bessere Aussprache zu garantieren, enthielt das Pra-

Marey, Méthode graphique, S. vi. Vgl. Leon Vaïsse, »Notes pour servir à l'histoire des machines parlantes«, in: Mémoires de la Société de linguistique de Paris 3 (1878), S. 257-268. 31 Vgl. Adolphe Regnier, Études sur la grammaire védique. Pratiçakya du Rig-Veda, Paris 1859. 32 William S. Allen bemerkte später über die Vermengung von Vorschrift und Beschreibung in den Aphorismen der Pratisakhya·. »Their avowed purpose is to preserve the oral tradition of the sacred texts: to this end the direst penalties are threatened for mispronunciation, including descent to the hell of Kumbhipaka; the competent pupil, on the other hand, is encouraged by verses such as that which closes the Tattiriya-Pratisakhya - >He who knows the distinctions of tone and length may go and sit with the professors.«« (William S. Allen, Phonetics in Ancient India, London 1953, S. 6.) 29 30

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SPRECHEN / HANDELN / HÖREN tisakhya deswegen Beschreibungen derjenigen Teile des Körpers, in denen bestimmte Silbenlaute erzeugt werden, und der Art und Weise, in der sie hervorgebracht werden. Viele der beschriebenen Laute wurden in der Schrift nicht dargestellt. Viele der Laute wurden zum Beispiel bei der Aussprache zusätzlich in Verbindungen wie kn, km, tn, tm, pn, pm usw. eingeschoben. Die alten Hindus nannten diese Paarungen zwischen einem >stummen< Konsonanten und einem Nasal yama oder >ZwillingZwilling( eines anderen war. Während der Bildung des stummen Konsonanten, mit dem das Paar begann, blieb das weiche Gaumensegel geschlossen. Es öffnete sich jedoch im Augenblick der Erzeugung des Nasals. Die französischen Gelehrten gingen daran, als erste dieses Dilemma der vedischen Sprachwissenschaft zu lösen. Aber es stand noch mehr auf dem Spiel: Im Falle eines Erfolgs hätten sie damit zugleich die Grenzen des Selbstversuchs in der Phonetik im allgemeinen aufgezeigt und dadurch die Schlußfolgerungen der deutschen Philologie zum größten Teil entwertet. Charles Rosapelly deutete die Absicht an, mit der die Physiologen intervenierten, um die >organische Analyse< in philologischen Angelegenheiten zu überwinden.34

Moderne Phonetiker haben mit großer Ehrfurcht diese zwar kleinen, aber außerordentlich genauen Analysen [im Pratisakhya] aufgenommen; das physiologische Experiment wirft darüber hinaus ein weiteres Licht auf die verschiedenen Aktionen der Lippen, der Zunge und des weichen Gaumensegels bei der Bildung der Konsonanten.35 Rosapellys Experimentiermethoden wurden vom »Prinzip des geringsten Aufwandes« angeleitet, demzufolge »alle menschlichen Handlungen dahin tendieren, mit der kleinstmöglichen Anstrengung ausgeführt zu werden«.36 Deutsche Physiologen wendeten das Prinzip mit großem Erfolg an, um die Art und Weise zu beschreiben, wie Menschen lernen, die Muskelbewegung des Auges einzustellen, wenn sie sehen 1er-

33

Zur Diskussion deryamas im 20. Jahrhundert vgl. ebd., S. 75-78.

34

Der Begriff Phonem wurde in Verbindung mit diesen Experimenten zum ersten Mal verwendet -

nämlich in einem an die Société de linguistique versendeten Aufsatz des Philologen A. Dufriche-Desgenettes - als Alternative zu dem umständlichen >son du langages Er wurde von Louis Havet aufgegriffen, dem die Historiker der Phonetik das Verdienst zuschreiben, den Begriff autorisiert und mit Hilfe der Association phonétique internationale verbreitet zu haben, die er 1886 mitbegründete (vgl. Jirí Krámskf, The Phoneme. Introduction to the History and Theories of a Concept, München 1974, S. 21; David Jones, The History and Meaning of the Term »Phoneme«, London 1957). 35

Charles Rosapelly, »Inscription de mouvements phonétiques«, in: Physiologie Expérimentale. Travaux

du laboratoire de M. Mareyl (1876/77), S. 109-131, hier S. 113. Zu anderen Versuchen, maschinelle Messungen auf verschiedene Aspekte der indischen Kultur anzuwenden, vgl. Michael Adas, Machines as the Measure of Men. Science, Technology, and Ideologies of Western Dominance, Ithaca/N.Y. 1989. 36

Rosapelly, »Inscription«, S. 110.

1. STANDARDS UND SEMIOTIK

nen.37 Marey und Rosapelly beriefen sich auf das Prinzip, um analoge Prozesse zu ermitteln, die beim Erlernen der Aussprache von Sprachlauten im Spiel sind. Die Kritik der Physiologen am >organischen< phonetischen Selbstversuch betraf in erster Linie die Grenzen des menschlichen Hörvermögens. Die experimentelle Physiologie behauptete, dem unbewaffneten Gehörsinn überlegen zu sein, weil sie in der Lage war, phonetische Phänomene anderen Sinnesmodalitäten, insbesondere der Sichtbarkeit, zuzuführen. »Das Ziel unserer Experimente«, schrieb Rosapelly, »war, die Gehörsempfindung durch einen objektiven Ausdruck der Akte der stimmlichen Äußerung zu ersetzen.«38 Mit >objektiv< meinte Rosapelly >okular< und vor allem die wohlbekannte >Akustik des Auges ·

Λ

Γ

a p.

ma

Γ\

"λ Γ » "ο

V a +

4

44

4 4

P. n, V. 1. M 1.

io v a

• b.

-ρ ·

P. n V. i. M. 1. 4-

C

3

2

Γ Λ

ρa

am

wa

Γ

+

a m

r

..ρ

ma

\ / \

r

m a



\ /

Γ

AM/WWÏ^^

Abb. 22: Stimmpolygraphische Aufzeichnungen von Sanskikyamas. Aus: Charles Rosapelly, »Inscription de mouvements phonétiques«, in: Physiologie Expérimentale. Travaux du laboratoire de M. Many 2 (1876/77), S. 125.

211

212

SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

Die Konzentration auf die jenseits der Schrift liegenden Aspekte der Sprache führte zu einer verstärkten Untersuchung der Vokale, die sogar von der traditionellen Philologie als Problem angesehen wurden, da ja einige phonetische Alphabete wie das Arabische oder das Hebräische sie überhaupt nicht verzeichneten.43 Nachhallende Vokalklänge hatten im Zentrum verschiedener Versuche in den 1850er und 1860er Jahre gestanden, die menschliche Stimme graphisch aufzuzeichnen.44 Den wohl bemerkenswertesten dieser Versuche stellte die Bastelei eines ehrgeizigen jungen Stenographen namens Léon Scott de Martinville dar. Scott entwarf seinen Phonautographen in dem Bemühen, die Stenographie (die auch >Phonographie< genannt wurde) in den Rang einer automatischen und universellen Pasigraphie zu erheben, indem er die Natur dazu zwang, »von allein eine allgemeine Schriftsprache all ihrer Laute zu erzeugen«45 (Abb. 23). Die reine Stimme von Mutter Natur sollte über die Myriaden von Notationssystemen obsiegen, die alle nur auf bloßer Konvention gegründet waren und die Scott in seiner Histoire de la sténographie aufgezählt hatte.46 Um die direkte Aufzeichnung der Stimme zu erreichen, sprachen die Versuchspersonen von Scott in das breite Ende einer Glocke. Eine bewegliche Membran im Inneren der Glocke registrierte die Schwingungen, die mit Hilfe eines Schreibstiftes auf einer drehbaren Walze aufgezeichnet wurden, welche mit kohlegeschwäxztem Papier bekleidet war. Die sich so ergebenden Kurven waren höchst unregelmäßig und wenig nützlich. Trotz seiner offensichtlichen Schwäche inspirierte das Scottsche Instrument weitere Versuche, die Techniken zur Vokalaufzeichnung zu perfektionieren, insbesondere die von Frans Donders in Holland und kurz danach die von Rudolph Koenig in Frankreich.47 Der holländische Physiologe stellte die Theorie von Helmholtz auf den Prüfstand, wonach die Klänge der Vokallaute der Klangfarbe bestimmter musikalischer Instrumente entsprächen, die das Ohr unterscheiden könne, selbst wenn die Instrumente alle dieselbe Note spielen würden. Donders behauptete, daß die Klangfarbe verschiedener Vokale nach ihrer Entstehung im Kehlkopf in der Mundhöhle gebildet würde. Den besten Beweis dafiir lieferten Vokale, die ohne jede Beteiligung des Kehlkopfes geflüstert wurden. Diese Theorie implizierte, daß die Vokalisation als ein rein akustisches Phänomen studiert werden konnte, an dem die Artikulationsorgane nicht beteiligt waren. 43

Vgl. Wilbur Α. Benware, The Study of Indo-European Vocalism in the Nineteenth Century, Amsterdam

1974, S. 13 f. Vgl. auch Ferdinand de Saussure, Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européenes (Diss, phil.), Leipzig 1878. 44

Einen Überblick über die akustischen Apparate, die Mitte der 1860er Jahre im Gebrauch waren, ein-

schließlich solcher zur Aufzeichnung der Stimme, verschafft Franz-Joseph Pisko, Die neueren Apparate der Akustik, Wien 1865. 45

Léon Scott de Martinville, La fixation graphique de la voix, Paris 1857, S. 1. Zur Vermehrung der ste-

nographischen Instrumente in den Vereinigten Staaten vgl. Yates, Control Through Communication, S. 36-45. 46

Vgl. Léon Scott de Martinville, Histoire de la sténographie depuis les temps anciens jusqu'à nos jours,

Paris 1849. 47

Vgl. Franziskus Cornelius Donders, »Zur Klangfarbe der Vocale«, in: Annalen der Physik und Chemie

113(1868).

1. STANDARDS UND SEMIOTIK

Abb. 23: Léon Scotts Phonautograph. Aus: Étienne-Jules Marey, »Inscriptions des phénomènes phonétiques. Partie I: Méthodes directes«, in: Revue générale des sciences pures et appliquées 9(1898), S. 449.

Koenig antwortete mit einem großartigen Instrument, das Laute unmittelbar sichtbar machte - der sogenannten manometrischen Flammedid< und >daa< werden.60 In ihrer durchgängig standardisierten Form, wo die individuellen Sprecher Schallwellen erzeugen, die genügend miteinander übereinstimmen, damit sie ohne Fehler wiedererkannt werden, wird aus diesen lautlichen Konfigurationen mitsamt ihren dazugehörigen semantischen und

57

Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. von Charles Ballyi

Albert Sechehaye, übers, von Herman Lommel, Berlin 2 1967, S. 38. 5« Ebd., S. 143 u. 146. 59

Jean-Pierre Rousselot argumentierte in dieser Weise in seinem Aufsatz »La méthode graphique

appliquée à la recherche des transformations inconscientes du langage«, in: Comptes rendus du Congrès scientifique internationale des Catholiques (1891), sert. S, S. 109-112. Vgl. auch Michael Hagners schöne Darstellung der Arbeiten von Paul Broca und Carl Wernicke über die Lokalisation der Sprachfunktionen im Gehirn, eine wichtige Komponente des Saussureschen Konzeptes: Michael Hagner, »Vom Stottern des Menschen zum Stocken der Maschine«, in: Norbert Haas/Rainer Nägele/Hans-Jörg Rheinberger (Hrsg.), Im Zug der Schrift, München 1994, S. 26-31; ders., »Hirnbilder. Cerebrale Repräsentationen im 19. und 20. Jahrhundert« (Vortrag auf der Berliner Sommer-Akademie 1994). 60

Vgl. Harris, Reading Saussure, S. 204-218.

219

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SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

grammatischen Bezügen das, was Saussure sprachliche Werte< nannte.61 Diese sind vor allem anderen differentiell: Das genaueste Merkmal eines sprachlichen Zeichens »ist, das zu sein, was andere nicht sind«. Eben das ermöglicht es einem Sprecher, die richtigen Laute mit den richtigen Bedeutungen zu verbinden: Was bei einem Wort in Betracht kommt, das ist nicht der Laut selbst, sondern die lautlichen Verschiedenheiten, welche dieses Won von allen andern zu unterscheiden gestatten, denn diese Verschiedenheiten sind die Träger der Bedeutung.62 Sprachliche Werte, betonte Saussure, sind grundsätzlich Einrichtungen der Sprechergemeinschaft, obgleich sie sich nur im individuellen Sprechen der einzelnen Sprecher manifestieren. Sie existieren, genauso wie die langue selbst, »vollkommen [...] nur in der Masse«, und der einzelne »kann sie fur sich allein weder schaffen noch umgestalten«.63 Statt dessen trägt der einzelne Sprecher die Sprache wie ein provisorisches glossophonographisches Museum in seinem Gehirn; sie ist psychophysisch und anthropogeographisch geeicht und kann innerhalb bestimmter Genauigkeitstoleranzen jederzeit reproduziert werden. »Es ist das Wirken der rezipierenden und koordinierenden Fähigkeit, wodurch sich bei den sprechenden Personen Eindrücke bilden«, argumentierte Saussure, »die schließlich bei allen im wesendichen die gleichen sind«.64 Der Saussuresche einzelne Sprecher unterhält auf diese Weise eine Beziehung zur Sprechergemeinschaft, die sehr stark an die Beziehung zwischen dem Durkheimschen Individuum und dem Kollektiv erinnert. Wenn wir die Summe der Wortbilder, die bei allen Individuen aufgespeichert sind, umspannen könnten, dann hätten wir das soziale Band vor uns, das die Sprache ausmacht. Es ist ein Schatz, den die Praxis des Sprechens in den Personen, die der gleichen Sprachgemeinschaft angehören, niedergelegt hat, ein grammatisches System, das virtuell in jedem Gehirn existiert, oder vielmehr in den Gehirnen einer Gesamtheit von Individuen, denn die Sprache ist in keinem derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in der Masse.65 Saussures Ansicht über das Wesen des sozialen Bandes stellt eine unmittelbare Parallele zu der von Durkheim dar. In den Règles de la méthode sociologique beschrieb der Soziologe in ganz ähnlicher Weise einen gemeinsamen Schatz, aus dem die umlaufende Münze der Kommunikation bezogen wird: Das Zeichensystem, das ich verwende, um meine Gedanken auszudrücken, das Währungssystem, das ich verwende, um meine Schulden zu bezahlen, die Kreditinstrumente, die ich in meinen Geschäftsbeziehungen anwende, die Regeln, die in meinem Beruf angewendet werden usw. funktionieren unabhängig von meinem eigenen Gebrauch. Und das gilt gleichermaßen für jedes Glied der Gesellschaft. Hier also gibt es 61

Vgl. Saussure, Grundlagen, S. 132—146; Samuel Weber, »Saussure and the Apparition of Language.

The Critical Perspective«, in: Modern Language Notes (MLN) 91 (1976), S. 913-938. 62

Saussure, Grundlagen, S. 140.

« Ebd., S. 16f. « Ebd., S. 16. «Ebd.

1. STANDARDS UND SEMIOTIK

Formen des Handelns, des Denkens und des Fühlens, die die bemerkenswerte Eigenschaft besitzen, außerhalb des individuellen Bewußtseins zu existieren.66 Saussure ging davon aus, daß der Gesellschaftskörper genügend stabil und zusammenhängend sein müsse, damit eine fehlerfreie Übermittlung der Lautbilder im Kreislauf zwischen den Sprechern möglich sei. Die Arbeit an der Standardisierung des Sprachsystems nimmt daher die meisten Funktionen in Anspruch, die auch fïir die Aufrechterhaltung des sozialen Bandes selbst zuständig sind, zusätzlich zu denen, die den sprachlichen Aufgaben im engeren Sinne angehören. Es ist kein Zufall, daß Saussure seine zentrale Metapher fiir den sprachlichen Wert aus dem Bereich der Ökonomie bzw. der Geldtheorie wählte, um auf diese Weise die Verbindung zwischen Metrologie und Soziologie hervorzuheben.67 Wie Währungseinheiten, die als voneinander gesonderte Teile den Wert des gesamten Geldsystems ausdrücken, werden sprachliche Werte durch einen analogen Prozeß der Segmentation oder Artikulation fiir das Denken verständlich. Indem er die lautliche Masse mit sprachlichen Einheiten gleichsetzte, behauptete Saussure, daß der Laut keine »Hohlform [ist], in die sich das Denken einschmiegt, sondern ein plastischer Stoff, der seinerseits in gesonderte Teile zerlegt wird, um Bezeichnungen zu liefern, welche das Denken nötig hat«68. Die Bedeutung einer einzelnen Werteinheit wird auf diese Weise von der gesamten Struktur festgelegt. In der Formulierung von Bréal, von dem Saussure den Begriff des Wertes übernahm, »ahmen die Sprecher einer Sprache Bankiers nach, die die Werte, mit denen sie handeln, wie die Münzen selbst behandeln, da sie wissen, daß sie jene in jedem beliebigen Augenblick gegen Münzen eintauschen können«69. Saussure entfaltete die Metapher noch weiter und wies darauf hin, daß man Münzen nicht nur gegen ein Stück Brot eintauschen, sondern sie auch mit dem Wert anderer Münzen vergleichen kann, die sowohl dem gleichen Währungssystem als auch einem anderen angehören können, wie zum Beispiel in der Beziehung eines Markstücks zu einem Franc. Der Wert umfaßt immer zweierlei: erstens etwas Unähnliches, das für die Sache eingetauscht werden kann, dessen Wert zu bestimmen ist, und zweitens ähnliche Dinge, die man mit der Sache vergleichen kann, deren Wert in Rede steht.70 Saussure beharrte ausdrücklich darauf, daß das Material, aus dem die Münzen bestehen, keine Bedeutung fiir ihren Wert hat. »Es ist nicht das Metall eines Geldstücks, das seinen Wert bestimmt.«71 Folglich gibt es in der Sprache ebensowenig einen Goldstandard wie in der Geldpolitik eines Walrasschen Ökonomen. Sowohl die

66

Émile Durkheim, The Rules of Sociological Method. And Selected Texts on Sociology and its Method, hrsg. u. eingeleitet von Steven Lukes, übers, von W. D. Halls, London 1982, S. 51. 67 Französische Ingenieure verwendeten seit den 1830er Jahren diese Metapher fiir graphische Aufzeichnungen, die sie monnaie mécanique nannten (vgl. Jean Victor Poncelet, Cours de mécanique appliquée aux machines, Paris 1874, S. 2). 68

Saussure, Grundlagen, S. 133. Michel Bréal, »The Science of Language« (1879), in: ders., The Beginnings of Semantics. Essays, Lectures and Reviews, hrsg. u. übers, von George Wolf, London 1991, S. 123—136, hier S. 133. 69

70 71

Vgl. Saussure, Grundlagen, S. 137. Ebd., S. 141.

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monetäre als auch die sprachliche Münze muß in jedem Fall arbiträr bleiben. Der Wert kann nur durch den jeweiligen Stellenwert einer gegebenen Einheit im System bestimmt werden und nicht durch den Bezug auf ein außerhalb des Systems liegendes Maß. 72 Worte sind folglich »digitalisiert«, um Henry Collins' Bezeichnung für den Prozeß aufzugreifen, durch den Zeichen arbitrarisiert und haltbar gemacht werden.73 Sie sind immer schon geeicht und daher widerstandsfähiger, als wenn sie einfach nur den Wert des Materials besitzen würden, aus dem sie bestehen. Saussure verneinte also beharrlich die Bedeutung der materialen Verkörperung des Signifikanten: Daß Worte von Schallwellen übertragen werden, sollte ebensowenig eine Rolle spielen wie die Tatsache, daß Münzen aus Metall sind. Gleichermaßen muß die Linguistik in ihrer endgültigen Gestalt - als Semiologie - von allen Spuren der Sprachhervorbringung, der körperlichen Anstrengung und der materialen Kommunikationskanäle gereinigt werden, um Sprache als ein »formales System reiner Werte« behandeln zu können. »Die Sprechorgane haben ebensowenig mit der Sprache zu tun, wie die elektrischen Apparate, welche dazu dienen, das Morsealphabet zu übermitteln, mit diesem Alphabet zu tun haben.«74 Saussure ersetzte daher den Primat des Stimmapparats durch den Begriff der »Artikulation«: Eine gewisse Definition dessen, was man langage articulé nennt, könnte diesen Gedanken bestätigen. Im Lateinischen bedeutet articulus >Glied, Teil, Unterabteilung einer Folge von DingenZauber< zunächst nur in Anfiihrungsstrichen benutzt oder es mit dem Adjektiv »abgeblaßt« versehen hatte - »wirklich wieder zum Zauber geworden«.8 Die ganzen Implikationen des Wortzaubers entfalten sich, seit die Ethnologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts

4

Vgl. ζ. B. Austin C. Lescarboura, »Edison's Views on Life and Death. An Interview with the Famous

Inventor Regarding his Attempt to Communicate with the Next World«, in: Scientific American (30. 10. 1920), S. 446 u. 458-460; Nicola Tesla, »Talking with the Planets« (1901); dt. u.d.T.: »Gespräch mit den Planeten«, in: Justus Fetscher/Robert Stockhammer (Hrsg.), Marsmenschen. Wie die Außerirdischen gesucht und erfurulen wurden, Leipzig 1997, S. 161-168. 5

Vgl. Siegfried Seligmann, Der böse Blick und Verwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens

aller Zeiten und Völker, 2 Bde., Berlin 1910. 6

Vgl. dazu Robert Stockhammer, Zaubertexte. Die Wiederkehr der Magie und die Literatur 1880-1945,

Berlin 2000; dort auch S. 25-28 eine Kurzfassung der vorliegenden Darstellung von Ogden/Richards' und Malinowskis Theorie der Sprach(magi)e. 7

Carl Du Prel, Die Magie als Naturwissenschaft, 2 Bde., Jena 1899, 3. Seite der unpaginierten »Vor-

rede«. 8

Sigmund Freud, »Psychische Behandlung (Seelenbehandlung)«, in: ders., Studienausgabe, hrsg. von

Alexander Mitscherlich u. a„ Frankfurt/M. 1969-1979, Ergänzungsbd., S. 29.

225

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SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

zu einer Leitwissenschaft zu avancieren beginnt und die zentrale Funktion der Sprache fur die magischen Rituale der schriftlosen Gesellschaften herausarbeitet. In enger Nachbarschaft zu heute obsoleten Theorien vom Schlage du Preis entstehen solche, die das Nachdenken über Sprache im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt haben. Als Kenneth Burke kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Bruchstücke der Rhetorik, deren integrale Einheit von Sprachpraxis und -reflexion im Laufe des 18. Jahrhunderts zerfallen war, zu einer New Rhetoric zusammenzufuhren versuchte, stellte er fest, daß rhetorische Theoreme in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Feld von Theorien der Magie überwintert hatten.9 Burke knüpfte vor allem an Bronislaw Malinowski und Ernst Cassirer an, deren erste einschlägige Texte zeitgleich (in den 20er Jahren), wenn auch voneinander unabhängig, entstanden sind. Tatsächlich kann die Sprachtheorie Malinowskis als Arsenal einer überlebenden und wiederzubelebenden Rhetorik und zugleich als frühe Form einer Sprechakttheorie begriffen werden. Das Folgende versucht dies zu zeigen, indem es Malinowskis Sprachtheorie in einigen Details mit der Sprechakttheorie vergleicht, vor allem aber auf ihre verschiedenen zeitgenössischen Kontexte bezieht: auf Charles K. Ogdens und Ivor Armstrong Richards' Buch The Meaning of Meaning0, zu dem Malinowski ein vielbeachtetes Supplement beigesteuert hat, sowie auf die Konzeption des mana, die bei Cassirer wie bei Malinowski eine markant sprachtheoretische Wendung nimmt — ohne damit ihre machttheoretischen Implikationen zu verlieren. Die Theorie der Magie ist in eine Theorie der Sprache verschränkt, die auf der Höhe der Zeit Edisons ist.

Zeichensituationen: Diagramme des Zaubers und der Entzauberung Im Supplement zu The Meaning of Meaning zieht Bronislaw Malinowski - im selben Jahr, in dem Aby Warburg seinen Kreuzlinger Vortrag hält - programmatische Schlüsse aus seinem Forschungsaufenthalt auf den Trobriand-Inseln während des Ersten Weltkriegs. Demzufolge muß der Ethnologe Linguist sein, um sich ins Zentrum der Humanwissenschaften zu begeben: »For the questions of language are indeed the most important and central subject of all humanistic studies.«11 Zugleich muß der Linguist Ethnologe sein, um sich ins Zentrum der Sprache zu begeben. Schriftlose Gesellschaften haben fur die Untersuchung europäischer Sprechweisen nicht nur die

Vgl. Kenneth Burke, A Rhetoric of Motives (1950), Berkeley - Los Angeles 1969, S. 40-46. Zur Entstehung des Buches und den Anteilen der beiden Autoren - Ogden hat offenbar vor allem das Material beigesteuert, Richards für seine systematische Durchdringung gesorgt - vgl. John Paul Russo, I. Α. Richards. His Life and Work, London 1989, S. 94-98. 11 Bronislaw Malinowski, »The Problem of Meaning in Primitive Languages« (1923), in: Charles K. Ogden/Ivor A. Richards, The Meaning of Meaning. A Study on the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism, London 101960, Supplement I, S. 296-336; dt. von Gert Η. Müller u. d. T.: »Das Problem of Meaning in primitiven Sprachen«, in: Charles K. Ogden/Ivor A. Richards, Die Bedeutung der Bedeutung. Eine Untersuchung über den Einflußder Sprache auf das Denken und über die Wissenschaft des Symbolismus, Frankfurt/M. 1974, S. 323-384, hier engl. S. 298, dt. S. 325. 9

10

2. SCHLANGENREDEN

Funktion einer Kontrastfolie, sondern zugleich die eines Vorbildes. »[...] deprived of the ossified, fixed data of inscriptions«, erfährt der Ethnologe die Notwendigkeit, »the living reality of spoken language in fluxw zu untersuchen: Now I can claim that the Ethnographers perspective is the one relevant and real for the formation of fundamental linguistic conceptions and for the study of the life of languages, whereas the Philologist's point of view is fictitious and irrelevant.12 Diese phonozentristischen Argumente wären nicht allzuschwer zu dekonstruieren, etwa mit Hinweis auf archaische Wörter, welche die Trobriander mündlich tradieren, ohne sie selbst noch zu verstehen, die also keinewegs mehr >lebendig< sind, sondern einen schriftanalogen Status angenommen haben. Für das spezifische Programm Malinowskis ist jedoch entscheidender, daß daraus zwar ein >/Vizg7n¿phonozentrismusReference< im hier maßgeblichen Sinne (vgl. Art. »reference«, 1 d) ältere Belege bei Francis H. Bradley und Charles S. Peirce. 22

Vgl. Ogden/Richards, Meaning of Meaning, engl. S. 192, dt. S. 225: »[...] what I intended to refer to may be quite other than what I did refer to«; eine Anmerkung dazu kritisiert die Identifikation von Bedeutung und Intention bei Victoria Lady Welby. » Ebd., engl. S. 68, dt. S. 82. 24 Ebd., engl. S. 55 f., dt. S. 68 f. 25

Jacques Derrida, »Signature événement contexte« (1971); dt. von Donald W. Tuckwiller u. d. T.: »Signatur Ereignis Kontext«, in: Derrida, Randgänge der Philosophie, Frankfurt/M. 1976, S. 124-155; in modifizierter Übersetzung wiederabgedr. in: ders., Limited Inc., dt. von Werner Rappl unter Mitarb. von Dagmar Travner, Wien 2001, S. 15-45, hier S. 17. 26 27

Ogden/Richards, Meaning of Meaning, engl. S. 11, dt. S. 19. Ebd., engl. S. 21, dt. S. 30.

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gestellte Zeichen-Situation nur aus der Zeichen-Situation eines Lesers des Laokoon erschlossen werden kann. Daß Ogden/Richards darauf jedoch nicht ausdrücklich reflektieren, entspricht der gegenstrebigen Tendenz ihres Buches, Bedeutungen trotz der Einsicht in ihre Kontextabhängigkeit zu sistieren. Eklatante Beispiele für diese Tendenz sind etwa der Versuch, jeweils genau sechzehn, in drei verschiedene Klassen rubrizierte Bedeutungen von >beauty< und >meaning< zusammenzustellen28, oder das aus solchen Formalisierungen hervorgegangene Projekt eines nur aus 850 Wörtern bestehenden >Basic English^9. Richards' spätere Philosophy of Rhetoric- die kaum noch als integraler Text gelesen wird, obwohl die allgemein verbreitete Unterscheidung von >Tenor< und Vehikel· der Metapher dort entwickelt wird — ist von einem ähnlichen Spannungsverhältnis zwischen einer Theorie potentiell unkontrollierbarer Bedeutungen und einem Interesse an deren Kontrolle geprägt. Einerseits bestimmt Richards »all discourse [...] as over-determined« und »ambiguity as [...] an inevitable consequence of the powers of language«, weil Bedeutungen stets nur aus einem Kontext abgeleitet werden, der aus »a whole cluster of events« besteht.30 Auf der Grundlage dieser Annahme überfuhrt Richards die Kategorien der Bedeutung in solche der Wirksamkeit: »[...] what a word means is the missing parts of the contexts from which it draws its delegated efficacy«31. Weil Richards Rhetorik jedoch nicht nur als Untersuchung von MißVerständnissen konzipiert, sondern zugleich zu deren Vermeidung beitragen will, dient dasselbe Kontext-Theorem der Bedeutung zugleich als eine der »policeman doctrines«32, von denen Richards allen Ernstes in affirmativer Absicht handelt. So installiert er eine Sprachpolizei, die mit einer dynamischen Strategie der Kontrolle operiert.33 Schon The Meaning ofMeaning ist ein Beitrag zu einer Rhetorik, insofern das Buch mindestens ebenso von der Macht der Sprache wie von ihrer kognitiven Funktion handelt. Es steht unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, in dem die zentrale Funktion von Wörtern in einem universalen »mechanism of deceit«34 besonders deutlich geworden sei. Dieser Täuschungs-Mechanismus läßt sich offenbar nicht an einzelnen persuasiven Akten ausmachen, sondern nur noch als »verbal machinery«35 beschreiben, als Gesamt ineinander verzahnter Reden, das ganze Epochen dominiert.36 Das zweite Kapitel des Buches beschreibt >The Power of Words< jedoch weniger am Beispiel von Kriegs-Wort-Maschinen, als vielmehr im zeittypischen Rekurs auf eine omnipräsente magische Einstellung zur Sprache, bei Ägyptern und Juden, bei Rum28

Vgl. ebd., engl. S. 142f. u. 186f., dt. S. 169 u. 218f.

29

Vgl. Russo, Richards, S. 397ff.

30

Ivor Α. Richards, The Philosophy of Rhetoric, o. O. 1965, S. 39, 40 u. 34.

31

Ebd., S. 35.

52 Ebd., S. 38. 33

Vgl. zur Kritik an diesem Traum von einer totalen, kontrollierbaren Kommunikation: Geoffrey H.

Hartman, »I. Α. Richards and the Dream of Communication«, in: ders., The Fate of Reading and Other Essays, Chicago - London 1975, S. 20-40. 34

Ogden/Richards, Meaning of Meaning, engl. S. 17, dt. S. 25.

55 Ebd., engl. S. 26, dt. S. 35. 36

Vgl. ebd., engl. S. 17, dt. S. 25.

2. SCHLANGENREDEN pelstilzchen und Hegel (dessen Dialektik als eindrucksvolles Beispiel einer »monstrous symbolic machinery« apostrophiert wird).37 Hellsichtiger als Warburg, der Magie und Maschinen, Schlangenritual und Kupferschlangen in Opposition zueinander bringt, betonen Ogden/Richards, daß das 20. Jahrhundert aufgrund von »developments in the methods of communication« nicht weniger, sondern sogar mehr als irgendein vorausgegangenes Zeitalter unter den »ravages of such verbal superstitions« leide.38 Diesen Aberglauben oder diese magische Einstellung zur Sprache symbolisiert die durchgezogene Basislinie im rechten Dreieck, das Malinowski beigesteuert hat. Die beiden Dreiecke sollen nämlich der Opposition von An- und Abwesenheit des Zaubers entsprechen: Entzauberung heißt als diagrammatische Operation, die Linie zwischen »Symbol« und »Referent« in Punkte aufzulösen. Malinowski bestätigt nur Ogden/Richards' Annahme, wonach die magische Auffassung der Sprache eine direkte Verbindung von »symbol« und »referent« voraussetze;39 sein Supplement, das zum Buch hinzutritt, dient zugleich als zugrundeliegende Kontrastfolie, vor der sich der >entzauberte< Akt des Referierens abzeichnet. Dieser ist strukturell von der Abwesenheit des Referenten aus zu denken, auch wenn dieser zufällig anwesend sein sollte: »[...] what the sign or word [...] means is the missing parts of the context«40. Das >magische< Verständnis der Sprache hingegen geht von der Anwesenheit des Referenten aus: »A word is used always in direct active conjunction with the reality it means.«41 Wenn Malinowski die durchgezogene Linie zwischen Symbol und Referent als »mystically assumed relation« erläutert, bezieht er sich offenbar auf Lévy-Bruhls einflußreiche Beschreibung der »prälogischen Mentalität« von »Primitiven«, die vom Gesetz der »participation mystique« geprägt sei. Die Teilhabe von Wörtern an Dingen ist die semiotische Fassung der Annahme, daß »in den Kollektiworstellungen des primitiven Denkens die Gegenstände, Wesen und Erscheinungen auf eine uns unverständliche Weise sie selbst und zugleich etwas anderes als sie selbst sein können«.42

Declarations: Die Vorbereitung der Sprechakttheorie Mindestens ebenso wichtig wie der Unterschied zwischen der punktierten und der durchgezogenen Basislinie der Dreiecke ist jedoch der zwischen den Beschriftungen an ihren Spitzen: Wenn an die Stelle von »Thought or Reference« die Bestimmung

Vgl. ebd., engl. S. 29, dt. S. 39. 38

Ebd., engl. S. 29, dt. S. 38.

35

Vgl. ebd., engl. S. 11, dt. S. 18; sowie Malinowski, »Problem of Meaning«, engl. S. 324, dt. S. 365.

« Richards, Philosophy of Rhetoric, S. 34. 41

Malinowski, »Problem of Meaning«, engl. S. 323, dt. S. 362.

42

Luden Lévy-Bruhl, Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures (1910), Paris Ί 9 2 2 , S. 77: »[...]

dans le représentations collectives de la mentalité primitive, les objets, les êtres, les phénomènes peuvent être, d'une façon incompréhensible pour nous, à la fois eux-mêmes et autre chose qu'eux-mêmes« (dt. von Paul Friedländer u. d. T.: Das Denken der Naturvölker, hrsg. von Wilhelm Jerusalem, Wien - Leipzig 2

1926, S. 58).

231

232

SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

»Ritual Act (based on traditional belief)« tritt, so verlagert sich noch die dritte beteiligte Position in jenes Außen von Sprechern, in dem sich »Symbol« und »Referent« ohnehin schon befinden. Dem rituellen und nur dem rituellen (Sprech-)Akt entspricht die »mystically assumed relation« zwischen Symbol und Referent; nur in ihm schließt sich das Dreieck. Ein Ritus im strengen Wortverstand, dessen Paradigma der magische ist, ist von Intentionen unabhängig - Kategorien wie »Thought« kommen eben an keiner Position des magisch-semiotischen Dreiecks mehr vor. Fragen des Sinns mag der Ethnologe stellen, der solche Riten beobachtet und sie etwa als Ausdruck menschlicher Hoffnungen interpretiert;43 ein genau beobachtender Ethnologe wie Malinowski hält aber zunächst einmal fest, daß Fragen des Sinns in dem von ihm beobachteten Ritus nicht die entscheidende Rolle spielen. Damit überfuhrt Malinowski Ogden/Richards' Kontexttheorie der Bedeutung in eine Sprechakttheorie avant la lettre,44 Zugleich jedoch vermeidet er dabei, die Sprechakte mit einer gegenläufigen Geste dem Primat der Bedeutung wieder zu unterstellen, wie dies John L. Austin und John R. Searle später tun werden. Wenn Austin den »totalen Kontext«, den der gelingende Sprechakt nach seiner Theorie voraussetzt, wesentlich von »der bewußtefn] Anwesenheit der Intention des sprechenden Subjektes« abhängig macht, wird »die performative Kommunikation zur Kommunikation eines inten tionalen Sinns«.45 Gegen diese Inkonsequenz ist Malinowski gefeit, weil er eine Theorie spezifischer (magischer) Riten entwickelt, während Austin konventionelle Handlungen jeder Art mit Riten (in einem vagen Sinne) gleichsetzen wird.46 Derridas Einwand, daß es keinen totalen Kontext gebe, »der juridisch oder teleologisch erschöpfend determinierbar«47 ist, gilt fur all diese konventionellen Sprechhandlungen, Riten im vagen Sinne. Ein Ritus im strengen Sinne jedoch ist ein solcher totaler Kontext, weil er von Bedingungen abhängt, die von der Tradition normiert sind und deren Zahl endlich ist: Die dafür vorgesehene, von der Überlieferung bestimmte Person, die bestimmte Tabus einzuhalten hat, muß den Spruch am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt im exakten, ebenfalls von der Überlieferung gesicherten Wortlaut rezitieren48 dann funktioniert es, und es muß nur funktionieren, es braucht nichts zu bedeuten. 43 Vgl. Bronislaw Malinowski, Coral Gardens and Their Magic (1935), London 21965, Bd. 2, S. 244 f. u. a. Der zweite Band ist nicht in der deutschen Ausgabe, Korallengärten und ihre Magie, Frankfurt/M. 1981, enthalten, nur Auszüge sind als »Eine ethnographische Theorie des magischen Worts«, dt. von Gertraud Marx, abgedruckt in: Bronislaw Malinowski, Schriften in vier Bänden, Bd. 4.2: Schriften zur Anthropologie, hrsg. von Fritz Kramer, Frankfurt/M. 1986, S. 169-182. 44 Vgl. dazu auch Stanley J. Tambiah, »Form and Meaning of Magical Acts« (1973); dt. von Brigitte Luchesi u. d. T.: »Form und Bedeutung magischer Akte. Ein Standpunkt«, in: Hans G. Kippenberg/Luchesi (Hrsg.), Magie. Die sozialuiissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, Frankfurt/M. 1978, S. 259-296. 45 Derrida, »Signatur«, S. 34. Vgl. zu Derridas Auseinandersetzung mit der Sprechakttheorie das nachfolgende Kapitel »>Mehr als stilistische Differenzen«. 46 Vgl. John L. Austin, How to Do Things with Words. The William James Lectures Delivered at Harvard University in 1955, hrsg. von James O. Urmson, Cambridge/Mass. 1962, S. 18f. 47 Derrida, »Signatur«, S. 34. 48 Vgl. Malinowski, Coral Gardens, S. 223.

2. SCHLANGENREDEN

Genau festgelegt ist nach Malinowski auch das Verhältnis von Sprechakt und anderen Elementen des Ritus. Zumeist muß die Stimme sich an einen Gegenstand richten, der eine synekdochische Beziehung zum gewünschten Ergebnis hat. So wird etwa ein Zauberspruch, der schnelle und sichere Kanus garantieren soll, in eine Schlingpflanze gesprochen, die zum Zusammenfugen der Kanus verwendet wird.49 In den Zaubersprüchen selbst schlägt sich der Ritus in Elementen nieder, die man >ritusreferentielle< nennen könnte, insofern sie auf die Situation ihrer angestammten Verwendung selbst verweisen. Die Trobriand-Sprache verfugt über ein eigenes Präfix >bo-olumwalela< (Inneres) wird dann etwa >bomwalelaABRACADABRA< her sind Zaubersprüche von jenem >bo-< her zu denken, das jedes magische Sprechen muß begleiten können. Dieses >bo-< symbolisiert die absolute Bestimmbarkeit des Kontextes im (und nur im) magischen Ritus. Zwar bleibt die Möglichkeit bestehen, daß sogar magische Rituale mißlingen können. Dies kann aber nur dann eintreten, wenn eine ganz bestimmte, eindeutig benennbare Bedingung nicht erfüllt wird. Magisches Sprechen ist nicht dekonstruierbar. Die Zaubersprüche mögen ihrem nicht-trobriandischen Leser unendlich ausdeutbar erscheinen; im Ritus selbst kann sich ihre »irreduzible Polysemie«51 nicht entwickeln. Dieses Modell unterläuft die triadische Unterscheidung in lokutionäre, illokutionäre und perlokutionäre Akte, die vor allem John R. Searle definitiv voneinander zu trennen versucht hat. Während schon Ogden/Richards' Kontexttheorie der Bedeutung die Unterscheidung zwischen lokutionärer und illokutionärer Dimension des Sprechakts zusammenbrechen läßt, fällt in Malinowskis Theorie des spezifischen rituellen Sprechakts auch diejenige zwischen illokutionärer Kraft und perlokutionärer Wirkung. Searle selbst, der die erste Unterscheidung zu stabilisieren versucht, präzisiert an anderer Stelle genau denjenigen Fall, in dem die zweite Unterscheidung ausfällt, weil darin illokutionäre Kraft und perlokutionäre Wirkung52 nicht nur unscharfe Grenzen aufweisen, sondern systematisch voneinander ununterscheidbar werden. Unter den fünf Typen von Sprechakten, die er nach klareren Kriterien klassifiziert, als Austin dies getan hatte, isoliert Searle die >declarationdirectives< zu rechnen ist, bestenfalls eine Aktion veranlaßt, die zum gewünschten Ergebnis fuhrt (jemand schließt das Fenster), bewirkt eine >declaration< (wie z.B. »Hiermit ernenne ich Sie zum Professor.«) das gewünschte Ergebnis, ohne daß noch eine andere Aktion erfolgen müßte: »Declarations bring about some alteration in the status or condition

49

Vgl. Malinowski, Argonauts, engl. S. 429, dt. S. 469.

5» Ebd., engl. S. 434, dt. S. 473 u. a. 51

Derrida, »Signatur«, S. 44. - Diese Bestimmungen stehen nicht im >Widerspruch< zu Derridas Argu-

mentation, sondern markieren das Andere der >Dissemination< im Raum des Ritus. 52

Searle gibt zwar den Begriff der »perlokutionären Wirkung< weitgehend auf, handelt aber weiterhin

von der Einwirkung von >words< auf >worlddirectives< (etwa der Aufforderung, das Fenster zu schließen) kann das Ausbleiben der gewünschten Wirkung auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden: Entweder ist der illokutionäre Akt nicht geglückt (der Aufgeforderte hat die Aufforderung nicht verstanden oder sie für einen Witz gehalten); oder die perlokutionäre Wirkung hat sich nicht eingestellt (der Aufgeforderte weigert sich, das Fenster zu schließen, oder bricht sich auf dem Weg zum Fenster das Bein). Die Ernennung zum Professor hingegen ist vollzogen, wenn alle vorgeschriebenen Bedingungen fur die Ernennung zum Professor eingehalten werden; ob die Beteiligten die dabei gesprochenen Sätze verstehen oder nicht, sie fur einen Witz halten oder nicht, ist irrelevant. Konsequenterweise ist dieser Typus von Sprechakt unter den von Searle unterschiedenen Typen der einzige, der keine »Sincerity Condition« aufweist:54 Es ist zwar möglich, den Akt >Ernennung zum Professor< nur zu spielen; es ist aber unmöglich, den Satz »Hiermit ernenne ich Sie zum Professor« in einem Kontext, in dem alle sonstigen notwendigen Bedingungen fur die Ernennung zum Professor vorliegen, nur zum Spaß auszusprechen. Dies folgt daraus, daß die >declaration< der einzige Sprechakt ist, der untrennbar an eine »extra-linguistic institution« gebunden ist,55 welche die Bedingungen von Sprechakten in übergeordneten Sprechakten (wie etwa dem Hochschulgesetz oder der Überlieferung von magischen Riten) festhält. Dieser Begriff der >Institution< fällt systematisch zusammen mit dem von geschlossenen, vollständig bestimmbaren Kontexten. Searle reformuliert damit, ohne noch einen Begriff von Magie zu haben oder ein Bewußtsein von der ethnologischen Basis der performativen Semiotik zu zeigen, die Struktur desjenigen Sprechaktes, der in einem geschlossenen Kontext ergeht und dessen Paradigma der magische ist. Bereits Malinowski umkreist in Coral Gardens die Strukturanalogie von juridischen und magischen Sprechakten und vermerkt die Rolle von Institutionen fiir ihr Funktionieren.56 Seine Bestimmung des Zauberspruchs entspricht derjenigen der >declarationMagie< werden parallelisiert, seit sich Psychologen anschicken, mit Ethnologen zusammenzuarbeiten, »until the annals of the Salpêtrière [...] have been invoked in explanation of the weird terrors of the Yenisei and the Congo«59; Bücher über Suggestion und Hypnotismus irt der Völkerpsy-

53

John R. Searle, »A Taxonomy of Illocutionary Acts« (1975), in: ders., Expression and Meaning. Stud-

ies in the Theory of Speech Acts, Cambridge/Mass. u. a. 1979, S. 1-29, hier S. 17. « Vgl. ebd., S. 19. « Vgl. ebd., S. 18. 5Í

Vgl. Malinowski, Coral Gardens, S. 54 u. 234 f.

57

Malinowski, Argonauts, engl. S. 265, dt. S. 302 f.

» Ebd., engl. S. 264, dt. S. 302. 59

Edmund Gurney/Frederic W. H. Myers/Frank Podmore, Phantasms of the Living (1886), hrsg. von

Henry Sidgwick, London 2 1918, S. xli.

2. SCHLANGENREDEN chologie60 werden um 1900 ein prognostizierbares Ereignis, und Malinowski schreibt: »I have curative formulae from Trobriand magic which are based on exacdy the principles of the Nancy school.«61 Wem, mit einem Beispiel Freuds, erfolgreich suggeriert wurde, »Sie sehen eine Schlange«62, der sieht eine Schlange. August Forel kommentiert solche Sprechakte deshalb genauso wie Malinowski diejenigen der trobriandischen Magie oder Searle die >declarationsRhetorik< genannt wird. Der Poststrukturalismus, den Derrida ein Jahr nach Erscheinen von How to Do Things with Words begründet, indem er das Ende der »strukturalistischen Invasion«68 in einem Gedankenexperiment vorwegnimmt, hebt ebenfalls mit einer Betonung der Kraft von Zeichen an: »Morgen wird man [den Strukturalismus] vielleicht als ein Nachlassen, wenn nicht sogar als einen Verstoß in der Aufmerksamkeit der Kraft gegenüber [...] interpretieren.«69 Erst Paul de Man allerdings wird, darin an Kenneth Burke enger anschließend als an Derrida, dieses Interesse an der Kraft von Sprechakten in rhetorische Terminologie zurückfuhren.

60

Vgl. Otto Stoll, Suggestion und Hypnotismus in der Völkerpsychologie (1894), 2., umgearb. u. vermehrte Aufl., Leipzig 1904. 61 62

Malinowski, Coral Gardens, S. 236. Freud, »Psychische Behandlung (Seelenbehandlung)«, S. 29.

63

August Forel, Der Hypnotismus und die suggestive Psychotherapie (1889), Stuttgart 4 1902, S. 71. Vgl. auch Albert Moll, Der Hypnotismus, Berlin 1889, S. 36. 64 65 66 67

Malinowski, »Problem of Meaning«, engl. S. 322, dt. S. 362. Malinowski, Coral Gardens, S. 9. Vgl. Gorgias, Lobpreis der Helena, Abschnitt 8. Vgl. Derrida, »Signatur«, S. 143.

68

Jacques Derrida, »Force et Signification« (1963), in: ders., L'écriture et la différence, Paris 1967, S. 9—49, hier S. 9; dt. von Rodolphe Gasché u. d. T.: »Kraft und Bedeutung«, in: Derrida, Die Schrift und dieDiffirenz, Frankfort/M. 1972, S. 9-52, hier S. 9. 69 Ebd., frz. S. 11 (»On l'interprétera peut-être demain comme une détente, sinon un lapsus, dans l'attention à la force«), dt. S. 11.

235

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SPRECHEN / HANDELN / HÖREN

Gorgias hatte die Kraft der Rede ausdrücklich mit Zauberei parallelisiert, die schon bei ihm außer unter dem griechischen Wort goeteia auch unter dem persischen Fremdwort mageia firmierte.70 Um 1900 überwintert die Möglichkeit, Rede und Magie zusammenzudenken, in der Ethnologie, die zwar auf ganz anderen diskursiven Formationen beruht als die Rhetorik, mitunter jedoch mit dieser den Anspruch teilt, die Sprache in all ihren Implikationen zu fassen. Malinowski beschränkt sich weder auf die Verfaßtheit einzelner Äußerungen (das Feld der >elocutiowakanda< der Sioux, im >orenda< der Irokesen und (Karl Mays Monotheismus-Projektion zum Trotz) im >manito< der Algonkin. Alle diese Wörter können, wie Ernst Cassirer bilanziert, »unterschiedslos als Substantiv und Adjektiv und mit geringfügigen Modifikationen

70

Vgl. Gorgias, Lobpreis der Helena, Abschnitt 11.

71

Vgl. Aristoteles, Rhetorik III 7,1 (die grundlegende Definition des >preponInstitutionen< — im strukturellen Sinne vollständig determinierter Kontexte - gerechnet werden muß, insofern er das Funktionieren von >declarations< garantiert, und doch nicht zu den legitimen europäischen Institutionen - im juridischen Sinne - gerechnet werden kann. Charakteristisch fur den hybriden Status des Charisma-Trägers in der europäischen Phantasie um 1899 ist das aus Europäern und > Wildem gemischte Kollektiv von Anhängern, über das Kurtz im Herzen des Kongo gebietet. Ein solches Subjekt, dem unterstellt wird, zaubern zu können, wird wesendich als Redner bestimmt: »Kurtz really couldn't write a bit - >but Heavens! how that man could talk! He electrified large meetings. [...] He would have been a splendid leader of an extreme party.< >What party?< I asked. >Any party,< answered the other.«86 Oder einfach: »A voice! a voice!«87 Józef Teodor Konrad Korzeniowskis Landsmann Bronislaw Malinowski kommentiert, in derselben Fremdsprache: The voice [...] >generates< the power of the magic.88

Drill: Sprachmagie in Europa Malinowskis Phonozentrismus ist schon deshalb kein Logophonozentrismus, weil er im Rahmen einer Theorie der Sprache als Kraft und Macht steht. Diese Theorie ist jedoch nicht einfach das abstrakte Gegenteil einer Theorie der Bedeutungen; ein beWeber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124. « Vgl. Philippe-Auguste Villiers de L'Isle-Adam, L'Ève future (1886), Paris 1992; dt. von Anette Kolb u. d. T.: Edisons Weib der Zukunft (1909), revidiert u. d.T.: Die Eva der Zukunft, München 1972. 86 Joseph Conrad, Heart of Darkness {1899), hrsg. von Robert Kimbrough, New York-London 31988, S. 71 (zit. wird der Bericht des Binnenerzählers Marlow von seinem Gespräch mit einem Vertreter der Gesellschaft, in dessen Dienst Kurtz und Marlow standen). 87 Ebd., S. 60 (Marlows Worte). 88 Malinowski, Coral Gardens, S. 216. 84

2. SCHLANGENREDEN deutungsloser Signifikant vom Typus des >ABRACADABRA< ist eben nicht der idealtypische Zauberspruch. Malinowski hebt vielmehr hervor, daß die trobriandischen Formeln aus einem überraschend hohen Anteil durchaus verständlicher Wörter und Wendungen bestehen.89 Deutsche Wörter wie »Sehnsucht or Sauerkraut, Weltschmerz or Schlachtfest, Blutwurst or Grobheit, Gemüt or Gemeinheit«90 seien schwerer ins Englische zu übersetzen als manche Passagen aus trobriandischen Zaubersprüchen. »The belief that a word can grip the essence of things absolves the words of magic from the necessity of having ordinary significance. It does not by any means force them into meaninglessness.«91 Obwohl dieselben Wörter im Zauberspruch ganz andere Bedeutungen annehmen können als im Alltagsgespräch, obwohl Zaubersprüche in ihrer integralen Gestalt aufgrund ihrer rhythmischen Besonderheiten sofort als solche erkennbar sind, lassen sie sich nicht als das schlechthin Andere der Alltagskommunikation beschreiben. Wenn Malinowski deshalb in Coral Gardens einige Aussagen seines Supplements zu The Meaning of Meaning ausdrücklich korrigiert, so nimmt er zwar keineswegs seine dort getroffene Bestimmung des magischen Sprechaktes selbst zurück, sehr wohl aber die dort, in Übereinstimmung mit Ogden/Richards herausgearbeitete, trennscharfe Unterscheidung des magischen vom entzauberten Sprechen: I opposed civilised and scientific to primitive speech, and argued as if the theoretical uses of words in modern philosophic and scientific writing were completely detached from their pragmatic sources. This was an error, and a serious error at that. Between the savage use of words and the most abstract and theoretical one there is only a difference of degree.92 Malinowski betont, absichdich überwiegend Beispiele aus der eigenen Kultur angeführt zu haben,93 um die fließenden Grenzen zwischen magischen und entzauberten, trobriandischen und europäischen Sprechakten zu demonstrieren. Das magische Modell des Sprechens war bereits in The Meaning of Meaning als das ursprüngliche supplementiert worden, hatte dort jedoch noch als Kontrastfolie funktioniert. Jetzt hingegen steht die organisierende Opposition von Zauber und Entzauberung selbst zur Disposition, und der magische Sprechakt fungiert als idealtypisches Beispiel fur den »dynamism of words«94. Der Zauberspruch als »verbal act by which a specific force is let loose«95 ist nur ein Sonderfall einer allgemeinen Sprechakttheorie, die - ein Vierteljahrhundert vor dem Erscheinen von How to Do Things with Words - in Sätzen wie dem folgenden bilanziert wird: »All our considerations have led us to the conclusion that words in their primary and essential sense do, act, produce and achieve.«96 Die Ebd., S. 218. 5» Ebd., S. 12. 91 Ebd., S. 229, dt. »Theorie des magischen Worts«, S. 176. 92 Ebd., engl. S. 58. *> Vgl. ebd., S. 58. * Ebd., S. 52. » Ebd., S. 9. 96 Ebd., S. 52 89

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Sprachtheorie, die am magischen Sprechakt entwickelt wurde, wird auf die europäische Kultur zurückgewendet, ohne weiterhin auf Spezialfälle wie die >decIaration< oder den hypnotischen Rapport, ja nicht einmal auf die Werbung oder die Demagogie eingegrenzt werden zu können.97 Da Coral Gardens keine Diagramme mehr enthält und Malinowski die ursprünglich geplante explizite Auseinandersetzung mit den von ihm extensiv rezipierten Sprachtheorien verworfen hat,98 lassen sich die Konsequenzen dièser Korrekturen fur das semiotische Dreieck nur interpolieren. Entscheidend ist offenbar weniger die Frage danach, ob die Beziehungen zwischen Symbol und Referent mit punktierten oder durchgezogenen Linien angezeichnet werden müssen, denn vielmehr, einmal mehr, die Beschriftung der Spitze des Dreiecks. Diese ist, mit Malinowskis Argumenten, offenbar selbst dann nicht mehr mit Kategorien wie »Thought« zu bestimmen, wenn sie nicht geradewegs mit »Ritual Act« besetzt werden kann. Bereits in seinem Supplement hatte Malinowski alltägliche (nicht-rituelle) Formen des trobriandischen Sprechens, die sich von europäischen nur in Details unterscheiden, mit einem Dreieck veranschaulicht, dessen Basislinie ebenfalls punktiert ist, dessen Spitze aber mit »Act of Imagery« beschriftet ist.99 In Coral Garelens macht er seinen grundsätzlichen Einspruch gegen Kategorien wie »Thought« explizit: »The fact is that the main function of language is not to express thought, not to duplicate mental processes, but rather to play an active pragmatic part in human behaviour.«100 Mit >Behaviour< könnte die Position an der Spitze eines pragma-semiotischen Dreiecks mit allgemeinverbindlichem Anspruch beschriftet werden, nicht nur, weil Malinowski sich gelegendich auf Reiz-Reaktions-Mechanismen bezieht,101 sondern vor allem, weil er die Einübung der Synchronisation von Sprache und Körper betont: »Ultimately all the meaning of all words is derived from bodily experience.«102 Dafür sorgt der »drill«, der den Einzelnen zu einem »part and parcel of the orderly institutions of his community« macht.103 An diesem Punkt der Argumentation ist es gleichgültig, ob es sich bei solchen Institutionen um eine europäische Feuerwehr oder die der Magie handelt.104 Der magische Ritus ist nur ein spezifischer »type of perform-

' 7 Vgl. ebd., S. 237 f. (zur Affinität trobriandischer Zaubersprüche mit den Werbetexten »of my countrywoman Helena Rubinstein« sowie zu den »spell-binders« Hitler und Mussolini). 98

Vgl. ebd., S. xxii (zum geplanten »critical digest of the most recent works on linguistic theory«),

S. xxiii (»in no other branch of Anthropology has my reading been as extensive as in Linguistics«) u. S. 59 f., Fußnote 1, wo Malinowski einige Definitionen der Sprache als Ausdruck oder Kommunikationsinstrument (darunter diejenige Edward Sapirs) kritisiert. » Vgl. das Dreieck (B) zur Veranschaulichung der »Narrative Speech« bei Malinowski, »Problem of Meaning«, engl. S. 324, dt. S. 365. 100

Malinowski, Coral Gardens, S. 7.

101

Vgl. ebd., S. 56.

102

Ebd., S. 58.

103

Ebd., S. 57.

ι·« Vgl. ebd., S. 234.

2. SCHLANGENREDEN ance«105 unter anderen, in denen sich diese Einübung vollzieht. Das analytische Inhaltsverzeichnis konstatiert lakonisch: »Meaning due to >drill«mentalistische< Semiotik in eine >performative< überfuhrt worden. Zugleich hat die Konzeption der Sprache Valenzen angenommen, die ihren spezifischen historischen Ort deutlich erkennen lassen. Die meisten der weitverbreiteten Rekurse auf die Sprachmagie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sind zwar von archaisierenden Gesten geprägt, wie sie etwa, bei aller dialektischen Intention auf eine >profane ErleuchtungPsychomagie< ist eine Sprache als >Technomagie< geworden.108 Ein >psychomagisch< akzentuiertes Modell würde die Kraft der Sprache im persönlichen Charisma von Hypnotiseuren oder Demagogen, im Inneren von Menschen lokalisieren. Das >technomagisch< akzentuierte Modell hingegen lokalisiert die Magie der Sprache in einem Außen des Menschen. Sein Emblem ist der Golem, der in der »vergolemt[en/«109 Welt des Ersten Weltkriegs, welchen Malinowski auf den Trobriand-Inseln überlebt, erstmals im Film auftritt. Diesem Lehmgebilde wird einfach ein »magischer Zettel«110 implementiert, auf dem das hebräische Wort fur >Wahrheit< (>emetmetdirectiveprimitiven< Gesellschaften mit Kupferschlangenritualen aller Art

'»5 Ebd., S. 215. 106

Ebd., S. xxix. Ogden/Richards, Meaning of Meaning, engl. S. 26, dt. S. 35. ios Ygi Alfred Fankhauser, Magie. Versuch einer astrologischen Lebensdeutung, Zürich - Leipzig 1934, S. 122 ff. 107

109 110 111 112

Chajim Bloch, Der Prager Golem. Von seiner >Geburt< bis zu seinem >Todgenerates< the power of the magic.« Die Stimme steht als pars pro toto fur das Ritual, in dem sie verlautet: Each rite is the >production< or >generation< of a force and the conveyance of it, direcdy or indirecdy, to a certain given object which, as the natives believe, is affected by this force.118 Und der Strom ist die Sprache: umana which ultimately resides in words«. (Robert Stockhammer)

113 James

George Frazer, The Golden Bough. A Study in Magic and Religion (1890), gekürzt London 1954 (zuerst 1922); dt. von Helen von Bauer u. d. T.: Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Leipzig 1928, Reprint Reinbek b. Hamburg 1989, S. 297 u. 325. 114 Conrad, Heart of Darkness, S. 71. 115 Vgl. Sigmund Freud, »Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker« (1912/13), u. d. T.: Totem und Tabu, in: ders., Studienausgabe, Bd. 9, S. 311ff.,mit Zitaten aus der Encyclopedia Britannica-, sowie Ernst Cassirers Rede von der »Geisterelektrizität«, die »nur an einzelnen Stellen und in einzelnen Personen gewissermaßen aufgespeichert ist«, in: ders., Philosophie der symbolischen Formen (1923-1929), Reprint Darmstadt 1994, Bd. 2, S. 221. 116 Ernst Schertel, Magie. Geschichte, Theorie, Praxis, Prien 1923, S. 64. 117 Malinowski, Coral Gardens, S. 215, dt. »Theorie des magischen Worts«, S. 170. 118 Ebd., engl. S. 215, dt. S. 170. - Zur Kritik solcher Analogien zwischen Sprache und Elektrizität vgl. oben das Kapitel »Exakte Texte« im Abschnitt Transformation der Künste.

3. »Mehr als stilistische Differenzen« Zur Debatte zwischen Derrida und Searle

Die intellektuelle Debatte in der akademischen Welt rühmt sich dessen, ganz aufArgumenten zu basieren, und die Suche nach der Wahrheit gilt als oberstes Ziel. Sie findet scheinbar in leidenschaftsloser und unabhängiger Weise statt, zumeist ohne Fehden oder heftige Auseinandersetzungen. Wo gleichwohl Streit entbrennt, wird dieser der Extravaganz oder Überempfindlichkeit der Teilnehmer zugeschrieben und damit als eine bedauerliche Abweichung innerhalb des Bezirks interesseloser Debatten charakterisiert. Weil die Beförderung der Wahrheit als einziges Ziel erscheint, betreffen die Regeln der intellektuellen Streitkultur in der Universität nur die Weise, in der wohlgeformte Aussagen gebildet werden, wie sie zu interpretieren und zu anderen Aussagen oder auch zu etwas anderem als Aussagen - in Beziehung zu setzen sind. Zweifellos verrät das Herunterspielen der Polemik in der akademischen Kultur den Wunsch, dieser einen ihr eigenen Bezirk einzuräumen, der gegen die außeruniversitäre Welt abgeschüttet ist. Aber die intellektuelle Diskussion hat neben ihren syntaktischen und semantischen Dimensionen einen unvermeidbaren pragmatischen Aspekt. Sie strebt nicht nur danach, Fragen zu erklären, Thesen aufzustellen oder die Forschung zu befördern, sondern sie tut immer auch etwas. Sie hat einen performativen Charakter. Sobald sie unter pragmatischen Gesichtspunkten betrachtet wird, zeichnen sich die Grenzen zwischen akademischer und allgemeiner Kultur weniger scharf ab (ohne dadurch ganz aufgehoben zu werden). Und doch können die Axiome, die der intellektuellen Debatte zugrunde liegen, nicht mehr ignoriert werden. Daraus folgt die Verpflichtung, etwas Praktisches zum >Stil< dieser Debatte zu tun. Überdies wird, sobald die performative Natur der Debatten berücksichtigt wird, womöglich sogar die trennscharfe Unterscheidung von Syntax und Semantik einer Debatte verwischt. Dies impliziert vielleicht, daß die Erforschung des Wahren und Falschen, im Gegensatz zu der in der akademischen Kultur eingebürgerten Annahme, an sich schon in die performative Dimension der Debatte verstrickt ist. Bei bestimmter Gelegenheit - denn es ist notwendigerweise eine Möglichkeit, die immer eintreten kann — ist die Wahrheit vielleicht nicht einmal mehr das oberste Ziel der akademischen Diskussion. In jedem Fall fuhrt die Betrachtung ihrer pragmatischen Dimension notwendig dazu, nicht nur die philosophischen, sondern auch die ethischen und politischen Axiome der theoretischen Diskussion anzuerkennen. Man muß also auch etwas über diese Axiome in der theoretischen Diskussion tun.

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Die Bedingungen jeder Debatte / über die Sprechakttheorie Eine aktive Auseinandersetzung mit den Normen, die den Verlauf theoretischer Diskussionen regeln, erweist sich als um so dringlicher, wenn die Debatte etwas betrifft, was üblicherweise als ein Zweig der Semiotik beschrieben wird, nämlich die Disziplin der Pragmatik selbst. Denn diese ist ja, wie Jacques Derrida mit Bezug auf John L. Austins Sprechakttheorie betont hat, nicht einfach eine Theorie unter anderen, sondern hat »im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften — damit wir das nicht vergessen — Sprechakte zum Gegenstand, also Sprache [langage], in den sogenannten natürlichen Sprachen [langues dites naturelles], in sogenannter Alltagssprache [langage dit ordinaire]«. Da jedoch »theoretische Aussagen [...] Sprechakte sind«, kann ein theoretischer Diskurs wie die Sprechakttheorie grundsätzlich keine Theorie im klassischen Sinne sein. Daß seine Gegenstände Sprechakte in gewöhnlicher Sprache sind, schränkt in entscheidender Weise den »Prozeß der Abstraktion und Idealisierung« ein, den die Theorie fordert und der immer »ein durch die Sprachtheorie nicht formalisierbares und nicht idealisierbares Residuum« hinterläßt ( 114).1 »Dieser [Diskurs] ist somit im Gegenstand selbst, den er analysieren möchte, eingeschlossen, empfangender und (ein-)genommener Teil/Standpunkt [partie prenante et prise] zugleich.« (116 f.) Mehr noch: Wenn die Sprechakttheorie den performativen Charakter aller Sprechakte (einschließlich der theoretischen Äußerungen) ans Licht bringt, so verhindert ihr eigener pragmatischer Charakter, daß sie jemals die Reinheit einer Theorie erreichen könnte. Austins eingestandene Probleme beim Versuch, einzelne und einfache grammatische und lexikalische Kriterien fiir die Unterscheidung konstativer und performativer Äußerungen zu finden, resultierten unmittelbar aus einer Sprachanalyse, welche den »Linguistizismus und die Autorität des Codes« (42), kurz: die Theorie der Sprache, in Frage stellte. Daher kann man ohne allzu großes Risiko die Annahme wagen, daß sich aus demselben Grund die Unterscheidung zwischen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Dimensionen einer Äußerung verflüssigt und es nicht mehr möglich ist, die Sprechakttheorie auf eine theoretische Disziplin wie die Pragmatik zu beschränken. Ebensowenig kann eine Diskussion ihrer theoretischen Ansprüche ihrerseits beanspruchen, einen reinen theoretischen Zugang zu bieten. Die Debatte über die Sprechakttheorie ist also aus immanenten Gründen, mehr als jede andere Debatte, untrennbar von Fragen nach der Ethik des Diskurses. Wie Derrida in »Limited Inc. a b c ...« nahelegt, ist die Sprechakttheorie

1

[Anm. d. Übers.] Zitate aus Jacques Derridas Texten »Signature événement contexte« (Signatur Ereig-

nis Kontext, 1971), »Limited Inc. a b c...« (1977) und »Afterword. Toward an Ethic of Discussion« (Nachwort. Unterwegs zu einer Ethik der Diskussion, 1988) werden hier wie im folgenden nach der deutschen Ausgabe Limited Inc., übers, von Werner Rappl unter Mitarb. von Dagmar Travner, Wien 2001, im fortlaufenden Text belegt. Die Übersetzung wird jedoch häufig modifiziert, um dem Derrida-Verständnis besser gerecht zu werden, das der Autor dieses Beitrages vorträgt. Wenn dieser den Wortlaut der flüssig lesbaren englischen Übersetzungen von Derridas Texten weitgehend unmodifiziert übernimmt, so impliziert dies auch die stilistische Annahme, daß Derridas Französisch nicht von Anakoluthen, Inversionen und Neologismen geprägt ist, so daß diese auch nicht in einer deutschen Übersetzung zu erzeugen sind.

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN«

im Grunde und in ihrem fruchtbarsten, strengsten und interessantesten Teil [...] eine Theorie des Rechts oder des Gesetzes, der Konvention, der politischen Ethik, der Politik als Ethik. Sie beschreibt (in bester kantischer Tradition, wie Austin an einer Stelle anerkennt) die reinen Bedingungen eines ethisch-politischen Diskurses, insofern dieser Diskurs die Beziehung der Intentionalität zur Konventionalität oder zu Regeln voraussetzt. (153) Als Untersuchung dessen, was man mit Wörtern tut, tritt die Sprechakttheorie nicht nur der Normativität sprachlicher Akte entgegen; darüber hinaus lenkt sie ihre besondere Aufmerksamkeit auf Sprechakte mit offensichtlich ethisch-juridisch-politischen Implikationen (wie etwa versprechen, sich entschuldigen, vortäuschen, usw.). Aber die Sprechakttheorie muß, Derrida zufolge, »in sich das Gesetz ihres Gegenstandes oder ihren Gegenstand als Gesetz reproduzieren, verdoppeln; sie muß sich der Norm, die sie analysieren will, unterwerfen« (153). In dem Maße jedoch, in dem dieses Gesetz mit den »von einer gegebenen Ethik vorgegebenen ethischen Bedingungen« (188) identisch ist, beruhen die Gegenstandskonstitution und das begriffliche Instrumentarium in seiner idealen Reinheit - etwa in der Analyse eines aufrichtigen Versprechens - auf unbefragten ethischen Voraussetzungen. Aufgrund der Normativität, die all ihre Begriffe und ideellen Gegenstände durchdringt und aus der sie Vorschriften abzuleiten beansprucht, ist die Sprechakttheorie nicht nur keine Theorie im strengen Sinne mehr; sie ist überdies eine Theorie, die, indem sie das Gesetz einer gegebenen Ethik unbesehen übernimmt, »andere, ebenso irreduzible Bedingungen der Ethik im allgemeinen - dieser gegebenen oder einer anderen Ethik, oder eines Gesetzes, das nicht den abendländischen Begriffen von Ethik, Recht oder Politik entspräche - ausschließ [t], ignorier[t] oder marginalisier[t]« (188 f.). Diese unvermeidbare Verdopplung ihrer Norm im Inneren ihrer eigenen Analyse würde erfordern, daß die Sprechakttheorie fortlaufend darauf reflektiert, was sie selbst tut, wenn sie Sprechakte diskutiert oder über die Sprechakttheorie debattiert. Implizit verlangt sie von ihrem Theoretiker oder ihrer Theoretikerin, daß er oder sie in jedem Augenblick auf das Tun beim eigenen Argumentieren achtet. Daraus folgt, daß sich jede Diskussion über die Sprechakttheorie den performativen Dimensionen dieser Debatte zuwenden, ihre Axiome — die Regeln und Konventionen - offenlegen und die Normativität in Frage stellen muß: ihre Beschränkungen und Voraussetzungen, die all ihre Ansprüche und ihre Schritte prägen. Bei erneuter Durchsicht seiner 1977 mit John R. Searle über Austins Sprechakttheorie geführten Debatte bemerkt Derrida in einem Briefwechsel mit Gerald Graff,2 daß der theoretische oder philosophische >Inhalt< der Debatte im Rückblick keine große Rolle spielt (angesichts dessen, daß diese Inhalte andernorts weit detaillierter ausgearbeitet wurden). Der pragmatische Aspekt hingegen, die »Fragen des Rechts, der Moral und der Politik« in der akademischen Kultur im allgemeinen, laden zu weiteren Entzifferungsbemühungen ein. Diese Fragen jedoch haben Derridas Beitrag zu 2 [Anm. d. Übers.] Als »Nachwort. Unterwegs zu einer Ethik der Diskussion« ebenfalls in der zitierten deutschen Ausgabe von Limited Inc. enthalten (vgl. Anm. 1). Daraus stammen auch die beiden vorangegangenen Zitate.

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dieser Debatte von Beginn an ebenso gerahmt wie seine Absicht, die ethischen und politischen Axiome der akademischen Diskussion lesbar zu machen. Mit Bezug auf seine Antwort auf Searle notiert er, daß er in »Limited Inc. a b c ...« über die Gewalt der Diskussionen in der akademischen Welt »etwas zu sagen« und »gleichzeitig [...] etwas [darüber] zu tum (171) versucht habe. Gegenüber den Axiomen im Herzen von Searles Version der Sprechakttheorie - z. B. »den Werten des Schicklichen [propriety] und Eigentums, des Eigennamens, des copyright (der Autorenrechte)« - wurde es zur »Pflicht, sie gleichzeitig theoretisch und praktisch zu behandeln«. (175) Bevor ich mich jedoch der Derrida/Searle-Debatte selbst zuwende, möchte ich kurz beschreiben, wie sie entstand. Die Ende der 70er Jahre von Samuel Weber gegründete Zeitschrift Glyph war als. ein Forum fur Veröffentlichungen von Wissenschaftlern geplant, von denen viele auf Betreiben Richard Mackseys, des damaligen Direktors am Humanities Center, zur Johns Hopkins University gestoßen waren. Sie teilten ein Interesse an kontinentaleuropäischem, hauptsächlich französischem Denken, besonders an jenen innovativen Aspekten, die in Nordamerika fur die Literaturund allgemeine Textwissenschaft fruchtbar gemacht werden konnten. Das Ziel der Zeitschrift war es, wie Samuel Weber in seinem programmatischen Vorwort zu ihrem ersten Heft festhielt, die »Problematisierung des Repräsentationsmodells der westlichen Metaphysik« durch bestimmte europäische Denker an das anglophone Diskursuniversum anzukoppeln, um damit »Untersuchungskonzepte und -verfahren in einer Weise umzugestalten, die zu den spezifischen Unterschieden der anglo-amerikanischen Szene paßt«.3 Aber Glyph bot darüber hinaus ein Forum zur Diskussion bestimmter Tendenzen in der anglo-amerikanischen Philosophie an der Schnittstelle von Philosophie und Literaturwissenschaft sowie ihrer Wirkung auf Entwicklungen in der Avantgarde des kontinentalen, vor allem französischen, philosophischen und kritischen Denkens. Dies bildete den Kontext, in dem John R. Searle 1977 eingeladen wurde, sich mit Derridas Diskussion von Austins Sprechakttheorie in dem Aufsatz »Signature événement contexte« zu beschäftigen. Wohlgemerkt existierte seinerzeit noch keine englische Fassung von Derridas Text, so daß ihn Jeffrey Mehlman und Samuel Weber übersetzen mußten, um Searles Bedingung zu erfüllen, die er fur die Annahme der Einladung gestellt hatte. Sowohl diese Übersetzung von Derridas Aufsatz als auch Searles »Reiterating the Differences: A Reply to Derrida« erschienen in der ersten Ausgabe von Glyph, Derridas lange Antwort auf Searle (»Limited Inc. a b c . . . « ) folgte in der zweiten. Angesichts von Derridas Punkt fur Punkt verfahrender Widerlegung von Searles Kritik an seiner Austin-Interpretation wäre es ermüdend, die Debatte in allen Einzelheiten zu rekapitulieren. Ich beschränke mich deshalb auf allgemeine Bemerkungen. Zunächst sei daran erinnert, daß Searles Diskussion von »Signature événement contexte« sich außerhalb eines Kontextes vollzieht: Keine einzige Bezugnahme auf irgendeine andere von Derridas Schriften verrät in dem »Reply« auch nur die kleinste Bekanntschaft mit dessen Werk. Wenn Searle daher an einer Stelle die Problematik der

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Samuel Weber, »Program«, in: Glyph. Johns Hopkins Textual Studies 1 (1977), S. vii-xi, hier S. xf.

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Schrift aufnimmt, reproduziert er nur das seinerzeit in der nordamerikanischen akademischen Welt verbreitete Mißverständnis dieses zentralen Begriffs. Weniger überraschend (weil weniger gut bekannt), aber deshalb nicht weniger charakteristisch ist ein anderer Kontext, den der »Reply« unberücksichtigt läßt. Immerhin entstand »Signature événement contexte« in einer Phase intensiven wissenschaftlichen Austausches zwischen Philosophen aus Oxford und solchen an der École Normale Supérieure in Paris. Während der späten 60er und der frühen 70er Jahre fanden regelmäßig, in Oxford ebenso wie in Paris, Arbeitstreffen statt, die von Derrida, Alan Montefiore, Anthony Kenny, Jonathan L. Cohen und anderen initiiert wurden. An keiner Stelle jedoch ahnt Searle, daß Derrida mit der anglo-amerikanischen Philosophietradition durchaus vertraut ist. Man sollte hier auch festhalten, daß Émile Benveniste das Modell des Performativs (wenngleich nicht unter diesem Namen) bereits 1958 vorgestellt hatte und sich als erster Linguist mit Austins Sprechakttheorie beschäftigte.4 Im Frankreich der 60er und 70er Jahre war die pragmatische Sprachtheorie deshalb ein entscheidender Bezugspunkt, zumal für das Interesse, einige Beschränkungen des Strukturalismus zu überwinden. Ebenso hätte Searle einen anderen kontextuellen Aspekt von Derridas Auseinandersetzung mit der Sprechakttheorie berücksichtigen sollen, auf den sich Derrida bezieht, wenn er schreibt: >Signature événement contexte< analysiert die metaphysischen Prämissen der angelsächsischen - und zutiefst moralistischen - Theorie des Performativs, der Sprechakte oder diskursiven Ereignisse. In Frankreich liegen diese Voraussetzungen meines Erachtens der Hermeneutik Ricceurs und der Archäologie Foucaults zugrunde. (39) Drittens ist Searle vollkommen blind gegenüber der transzendentalen oder eher quasi-transzendentalen Stoßrichtung von Derridas Untersuchung in »Signature événement contexte«, der er sich nirgends stellt. Denn er bleibt fixiert auf das, was Derrida selbst das »allzu Offensichtliche« oder »Selbstverständliche« nennt, wenn es in bloß empirischen oder »realen« Kategorien verstanden wird: daß »ein schriftliches Zeichen die Kraft zum Bruch mit seinem Kontext« enthält oder daß die »Einheit der signifikanten Form sich nur [...] durch die Möglichkeit« konstituiert, »in Abwesenheit ihres >Referenten< wiederholt zu werden«. (28 f.) Wenn »Signature événement contexte« etwa spezifische »Züge f...] im eng definierten klassischen Schriftbegriff« in den Blick nimmt, so will der Aufsatz zeigen, daß diese Merkmale »verallgemeinerbar sind«. Als »Kerneigenschaften jeder Schrift« gelten sie nicht nur für alle Ordnungen von >Zeichen< und fiir alle Sprachen im allgemeinen [...], sondern sogar, Uber die semio-linguistische Kommunikation hinaus, fur das ganze Feld dessen, was die Philosophie Erfahrung, sogar Seinserfahrung nennen würde: die besagte >PräsenzReply< niemals berücksichtigt, ist, daß die beharrlichste Frage in >Signature événement contexte< darauf zielt, was ein Ereignis - das, im Falle eines Sprechakts, stattfinden soll - sein könnte, und ob die Struktur eines solchen Ereignisses Raum fiir Gewißheit oder einen Beweis läßt. (64) Austins Theorie der Performative wird nicht einfach auf deren eigenem Boden diskutiert, wenngleich die Sprechakttheorie durchaus eine Theorie bestimmter Ereignisse ist, sondern im Interesse an den fundamentalen Strukturen eines Ereignisses als solchem. Diese Beschäftigung mit dem Ereignis fuhrt zu Derridas sehr spezifischem Blickwinkel auf Austin und macht aus seiner Untersuchung, wie wir sehen werden, vor allem eine der Strukturen des Ausdrucks oder des lokutionären Aktes, die damit Austins vielfältigen Unterscheidungen hinsichtlich der illokutionären und perlokutionären Akte vorausgeht. Searles »Reply« achtet nicht auf dieses Interesse Derridas. Ich wende mich nun Derridas Antwort auf Searles »Reply« zu. Erstens erinnert Derrida - in der Entgegnung auf Searles Behauptung, er habe Austin mißverstanden, und in Reaktion auf Searles selbstgerechten Umgang mit Sätzen im Namen der Wahrheit — an einen der Gründe fiir sein Interesse an Austin (den er bereits in seinem ersten Essay betont hat): »Austin mußte die Analyse des Performativs der Autorität des Wahrheitswertes, der Opposition wahr/falsch, zumindest in ihrer klassischen Form, entziehen« (42); konsequenterweise habe Derrida selbst in »Signature événement contexte« möglicherweise »etwas anderes [getan]« als die Wahrheit zu statuieren. Derrida schreibt, daß er »einen Text, eine Schrift und Signaturen« vorgeschlagen haben könnte, deren Performanz (Struktur, Ereignis, Kontext usw.) ständig die Gegensätze der Begriffe oder Werte, die Strenge dieser entgegengesetzten Grenzen herausfordert, die von der Sprechakttheorie durch ihre Axiomatik selbst beglaubigt werden; und die Performanz eines Textes, der - um en passant die Frage nach der Wahrheit aufzugreifen (auch über Austins punktuelle Vorstöße in diese Richtung hinausgehend) - nicht mehr einfach unter ihre Gerichtsbarkeit fällt und an diesem Punkt als textuelle Performanz nicht auf •>verdikttve< Sätze (wie Austin vielleicht gesagt hätte) [...] zurückgeführt werden kann. (74 f.) Wenn also der Essay so geschrieben wurde, daß seine Äußerungen die Möglichkeit der Identifizierung nach den Kategorien und kategorialen Oppositionen der Sprechakttheorie unterlaufen, so ist Searles Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber der Äuße-

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN«

rungsform des Essays nicht nur nicht aufrichtig (im Sinne der Sprechakttheorie); er zeigt überdies einen Unwillen an, überhaupt nur die Möglichkeit einer anderen Position als der eigenen anzunehmen, und verletzt damit von Beginn an die grundlegenden Regeln von Debatten. Zweitens wiederholt Derrida in »Limited Inc. a b c ...« die Hauptargumente seines ersten Essays, reformuliert sie und entwickelt sie detaillierter. Angesichts von Searles Fehllektüre soll dies das Augenmerk darauf richten, was diskutiert hätte werden müssen, wenn eine Debatte über »Signature événement contexte« tatsächlich stattgefunden hätte. So soll die Reformulierung die »unwahrscheinliche« (59) Debatte wieder in Gang bringen. Obgleich »Limited Inc. a b c ...« keine neuen Einsichten eröffnet, werden die Thesen von »Signature événement contexte«, weil sie wiederholt werden, anders präsentiert. Wie der erste Essay etwas anderes zu tun versucht hatte, als die Wahrheit zu statuieren, so tut auch Derridas Antwort auf Searle etwas anderes, und tut es in wiederum anderer Weise. Indem der performative, der Akt- oder eher Ereignis-Charakter beider Texte betont wird, zeigt sich, daß jede Debatte über das, was »Signature événement contexte« - und, in dieser Hinsicht, jede Äußerung überhaupt - sagt und tut, auch den spezifischen Charakter dieser theoretischen Diskurse berücksichtigen muß. Dies ist besonders dringlich, wenn Diskurse oder Texte im Rahmen einer Debatte stehen. Überdies muß man, wenn diese Debatte die Sprechakttheorie betrifft, bei jeder Anwendung und Wiederanwendung dieser von der Sprechakttheorie anerkannten Probleme und Kategorien die Frage danach stellen, ob sie performativ sind oder nicht, in welchem Maße oder unter welchem Aspekt sie von per- oder illokutionären Akten abhängen, ob sie aufrichtig sind oder nicht, normal oder nicht, leer oder nicht, parasitär oder nicht, fiktional oder nicht, zitathaft oder nicht, literarisch, philosophisch, theatralisch, oratorisch, prophetisch oder nicht, usw. (68)

Die unvermeidbare Frage in einer Debatte über Sprechakttheorie zielt, mit anderen Worten, darauf, ob die fundamentalen Kategorien dieser Theorie in der Lage sind, dem spezifischen performativen Charakter auch nur eines einzigen Textes gerecht zu werden, der zu dieser Debatte beiträgt. Getreu dieser Forderung wird Derrida, auf die Untersuchung seines eigenen Tuns in der Antwort bedacht, Searles »Reply« als Beispiel· eines Ereignisses betrachten. Drittens: Obwohl Searles Lektüre von »Signature événement contexte« keine einzige der Minimalanforderungen erfüllt, die in der Debatte mit anderen Positionen erfüllt werden müßten (selbst wenn diese Position eine ausschließlich theoretische wäre, also keine Debatte eröffnen würde), weist Derrida sie nicht einfach als Nicht-Lektüre zurück. Trotz der beißenden Kritik, des sarkastischen Humors, der Streidust und der Wortgewalt, die Derrida ausspielt (vgl. 174), baut »Limited Inc. a b c . . . « Searles »Reply« zu einem Gegner auf, der eine Debatte wert ist. Dies geschieht an eben der Stelle, an der Derrida sich, unter Bezugnahme auf Searles Eingeständnis, er habe seinen Text mit D. Searle und H. Dreyfus diskutiert, entscheidet, »den mutmaßlichen und kollektiven Autor des Reply auf französisch »Société à responsabilité limitée< [»Gesellschaft mit beschränkter HaftungSignature Événement Contexteverstehen< hier noch ein Begriff ist, der vom vorgeblich konstativen Regime der Theorie oder der Philosophie beherrscht wird, wollen wir nicht das Wort >verstehen< benutzen, sondern sagen, daß Sari getroffen wurde. (72) Derrida bemerkt schon zu Beginn seiner Antwort, daß er von dem, was er in »Reiterating the Differences: A Reply to Derrida« gelesen habe, getroffen wurde, weil es ihm »sehr vertraut« erschien, eine »seltsame, unheimliche Vertrautheit« besaß (53) - womit er keinen Zweifel daran läßt, daß der Gegner mit dem Namen Sari, auf den er sich einläßt, die Metaphysik selbst ist. Tatsächlich wird in dem Text später verdeutlicht, daß das Vertraute am »Reply« nicht nur die grundlegenden Voraussetzungen der Metaphysik umfaßt, sondern darüber hinaus ein Inventar von Gesten, mit denen die Metaphysik jede Nachforschung behindert, die eine bestimmte Grenze überschreitet, und mit denen sie derart ihre eigene Verantwortlichkeit begrenzt. Anders gesagt stellt die Umbenennung des Autors in Sari nicht weniger als dasjenige her, was nach Heideggers Darlegung die wesendiche Bedingung fur jede Auseinandersetzung5 ist, daß nämlich das Argument des Gegners mit Rücksicht auf dessen stärkste Position ausgelegt werden muß. 6 Das ist die ethische Minimalbedingung, die an erster Stelle erfüllt werden muß, damit eine Debatte überhaupt möglich wird. Viertens. Bevor er mit der detaillierten Widerlegung von Searles Argumenten im »Reply« beginnt, bestimmt Derrida zur Klärung der Diskussion »einige technische Prozeduren« und schlägt »einige Vereinbarungen vor«. (75) Zwei technische Vereinbarungen garantieren die Integrität des zu diskutierenden Textes (des »Reply«) und die Möglichkeit des Lesers, bei jeder Behauptung zu überprüfen, ob sie gut begründet ist. Im Unterschied zu Searles Entscheidung, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, was ihm in Derridas Text am wichtigsten erscheint, entscheidet sich »Limited Inc. a b c . . . « , den ganzen Text einzubeziehen, nicht nur den Zusammenhang, in dem die Äußerungen vorgebracht werden, sondern auch alles, was fur die Argumentation peripher erscheinen könnte. In einem weiteren Unterschied zu Searle entscheidet sich Derrida aus Rücksicht auf seine Leser zu ausfuhrlichen Zitaten. Er räumt ein, daß der Leser oder Gesprächspartner, den er »dazu weder befragen kann noch will, jederzeit

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[Anm. d. Übers.] Das Wort >Auseinandersetzung< steht deutsch im Original.

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Vgl. Rodolphe Gasché, »Towards an Ethics of >AuseinandersetzungParasiten< produziert, ohne zugleich das >Eigene/Saubere< [propre] auszureißen.« (143) Indem er alle notwendigen Konsequenzen aus bestimmten Annahmen im Herzen der Sprechakttheorie zieht, Konsequenzen, denen die Theoretiker dieser Theorie selbst nicht gerecht werden, hält Derrida an der Regel der Strenge in der philosophischen Argumentation fest. Seine Strenge besteht darin, die ganzen Implikationen dieser Voraussetzungen zu berücksichtigen und sie bis zu ihrem logischen Ende zu denken. Er geht das theoretische Risiko ein, das die Sprechakttheoretiker bisher gemieden haben. Dieses Risiko liegt vor allem in der kompromißlosen Verantwortung fur die Folgen aus bestimmten Annahmen. Diese kritische Wachsamkeit und Verantwortlichkeit ist nicht nur theoretischer Natur, was sich schon daran zeigt, daß »Limited Inc. a b c ...« — im Gegensatz zum »Reply«, der sich eine Reihe von Freiheiten erlaubt und öfter ungenau, vag und gedankenlos ist - weder Abkürzungen noch einen einfachen Ausweg wählt. Nichts bleibt hier unbegründet oder unvollständig durchdacht. Die Antwort auf den »Reply« übernimmt die Verantwortung fur jeden einzelnen Zug und alles Gesagte, indem sie sich

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN« an jedem Punkt rechenschaftspflichtig zu bleiben zwingt. Diese kritische Wachsamkeit beschränkt sich jedoch nicht darauf, aus der Diskussion alles unvollständig Durchdachte auszuschließen und allen Implikationen der fundamentalen Einsichten in die Wiederholbarkeit der Sprechakte ihr ganzes Recht zu geben. Sie gilt überdies vor allem dem performativen Charakter der Debatte. In mindestens drei verschiedenen Weisen prägt dieses kritische Bewußtsein den Verlauf der Diskussion. Es betrifft nicht nur den Aussagecharakter aller Sprechakte und die normativen Axiome, welche diesen Akt formen, insofern mit seiner Äußerung etwas getan wird; es dient auch dazu, das Argument voranzutreiben (in actu eine These aufzustellen oder etwas zu zeigen, indem im Verlauf der theoretischen Demonstration ein Beispiel dessen hergestellt wird, was gesagt wird); schließlich arbeitet es die theoretischen Implikationen aus, die mit der Einsicht in die Wiederholbarkeit von Sprechakten einhergehen und sich auf jeden vollzogenen Akt auswirken. Der erste Aspekt dieser Wachsamkeit ist nachgerade ofFensichdich. In seinem Widerstand gegen den überkommenen Hang zur Abstraktion und Idealisierung dient dieser Aspekt dazu, die performative Dimension aller theoretischen Äußerungen zu aktualisieren und die Werte ans Licht zu bringen, welche die Kategorien und Bewegungen der Theorie formen. Wie verhält es sich jedoch mit dem zweiten Aspekt dieser Wachsamkeit? Im Anschluß an die Bemerkung in »Afterward. Toward an Ethic of Discussion«, wonach er Searle in »Limited Inc. a b c ...« Punkt für Punkt zu antworten versucht habe, schreibt Derrida: Damit vervielfache ich Aussagen, diskursive Gesten, Formen des Schreibens, deren Struktur meine Demonstration in einer gewissermaßen praktischen Weise stützt, d. h., indem sie fur Beispiele von >Sprechakten< gesorgt hat, die von sich aus eben die begrifflichen Gegensatzpaare unpraktikabel und theoretisch unzulänglich werden lassen, auf denen die Sprechakttheorie im allgemeinen, und Searles Version im Besonderen, beruht. (175) Hier zielt die kritische Wachsamkeit darauf, die auf der theoretischen Ebene aufgestellten Aussagen in der »Praxis von Syt&hakten [zu] exemplifizieren« (ebd.). So wird etwa der Sprechakt, der die Grenzen sprechakttheoretischer Kategorien aufzuzeigen versucht, selbst in eine Form gebracht, welche der Interpretation durch ebendiese Kategorien widersteht. Schließlich bemüht sich Derrida in »Limited Inc. a b c . . . « , fur die Argumentationspraxis selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen, daß alle Sprechakte strukturell von der Möglichkeit ihrer Korruption heimgesucht sind. Aus dieser kritischen Wachsamkeit auf den performativen Aspekt der Argumentation ergibt sich, daß kein einziges Argument vorgebracht wird, welches sich nicht zugleich innerhalb der Grenzen einschriebe, die aus dieser Möglichkeit unglücklicher Korruption hervorgehen. »Limited Inc. a b c ...« (genau wie »Signature événement contexte«, wie das >Beispiel< der Unterschrift zeigt) ist ein Text, dessen Niederschrift sich aufrichtig der immer schon lauernden Möglichkeit der Unaufrichtigkeit stellt. Kurz, die Niederschrift dieses Textes rechnet auf allen Ebenen mit der »-barkeit« (126) der Korrumpierbarkeit (der Nicht-Ausschließbarkeit, nicht unbedingt dem tatsächlichen Eintreten von Korruption) aller Schreibakte, insofern diese wiederholbar sein müssen, u m allererst solche Akte sein zu können.

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Wiederholbarkeit, das Quasi-Transzendental »Signature événement contexte« ist, wie bereits gesagt, eine Untersuchung, die in klassischen Begriffen transzendental· zu nennen wäre. Zwar warnt Derrida während seiner Diskussion der Wiederholbarkeit in »Limited Inc. a b c ...« davor, diese als »transzendentale Bedingung der Möglichkeit« zu verstehen, weil die Wiederholbarkeit im selben Moment, in dem sie die Beziehung einfuhrt, dank welcher etwas eine bedingte Wirkung einer davon radikal getrennten reinen Quelle wird, eben diese Beziehung auch schon unterbricht (vgl. 158). Wenn man deshalb also von einer quasi-transzendentalen Untersuchung sprechen muß, trifft diese abgetönte Kennzeichnung gleichwohl die spezifische Ebene, auf welcher der Essay seine Argumente entwickelt. »Signature événement contexte« spricht von einem »>Effekt< der Transzendentalität«, der »notwendigerweise [...] mit der [...] Möglichkeit der Schrift [...] verbunden« sei (25; Herv. R. G.). Ganz generell läßt sich zeigen, daß Derrida sich in dem Essay mit Möglichkeiten beschäftigt, die fur Sprechakte konstitutiv sind, Möglichkeiten also, ohne die es keine Sprechakte gäbe. Tatsächlich beschränkt sich sein Gebrauch des Wortes >Möglichkeit< in dem Essay ganz auf diesen Sinn. Daher rührt auch seine Unterscheidung zwischen »Möglichkeit« und »Eventualität« (vgl. 36), an die er in »Limited Inc. a b c ...« erinnert: »Die Möglichkeit, also die Tatsache, daß Performative jederzeit zitiert werden können [...], ist nicht diese Eventualität, d.h. daß diese möglichen Ereignisse [...] tatsächlich geschehen, sich ereignen.« (139) Im Unterschied zu der Möglichkeit, die jederzeit einen Sprechakt befallen kann und die deshalb wesentlich zu ihm gehört, bezeichnet »Eventualität« nur den faktischen Eintritt dieser Möglichkeit. Derrida behauptet: »Was die (eventuelle) Möglichkeit möglich macht, ist dasjenige, was sie, schon bevor sie als ein tatsächliches Ereignis (im geläufigen Sinne) eintritt, eintreten läßt, oder was jedes (im geläufigen Sinne) volle Ereignis daran hindert, voll, ganz einfach einzutreten.« (97) »Signature événement contexte« handelt vornehmlich von dem, was Derrida »strukturelle« oder »notwendige Möglichkeiten« nennt. Diese sollen erklären, welches Merkmal »im strukturellen Funktionieren der Markierung« empirische Ereignisse von »verunglückenden« Sprechakten möglich macht. (96) Wenn er die Struktur der linguistischen Markierung und die eventuelle Anwesenheit des Referenten - einschließlich der bezeichneten Bedeutung - diskutiert, bemerkt Derrida, daß diese Möglichkeit »das Zeichen [marque]« konstruiert; »und die eventuelle Anwesenheit des Referenten in dem Augenblick, in dem er bezeichnet wird, ändert nichts an der Struktur eines Zeichens \marque[, die impliziert, daß es ohne ihn auskommen kann«. (29) Zur weiteren Verdeutlichung dieser Möglichkeit, die eine notwendige Möglichkeit eher denn eine »empirische Eventualität« (ebd.) ist, wendet sich Derrida den Logischen Untersuchungen zu, in denen Husserl zeigt, daß die Verständlichkeit von Äußerungen sogar in der eventuellen Abwesenheit des Referenten intakt bleibt. Bei der Diskussion einer Äußerung vom Typ »Der Himmel ist blau«, die sogar verständlich oder lesbar bleibt, wenn kein Himmel sichtbar ist, stellt Derrida fest, daß es »zur Struktur der Möglichkeit dieser Äußerung [gehört], daß sie als leere oder von ihrem Referenten abgeschnittene Referenz gebildet werden und funktionieren kann. Ohne diese Möglich-

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keit, die zugleich die generelle, generalisierbare und generalisierende Wiederholbarkeit jedes Zeichens ist, gäbe es keine Aussage.« (29 f.) Statt weitere Beispiele zu geben (wie etwa die Zitierbarkeit), möchte ich diesem Hinweis folgen, wonach alle Möglichkeiten, die notwendigerweise eine Markierung befallen können, auf dasjenige zurückgeführt werden können, was hier Wiederholbarkeit heißt, also nicht auf faktische Wiederholungen, sondern auf die konstitutive Möglichkeit des Wiederholtwerdens oder, genauer, die Iterierbarkeit {itérabilité). Wenn diese Beispiele notwendiger Möglichkeiten >Beispiele< der Wiederholbarkeit im allgemeinen sind, so können sie selbstverständlich nicht einfach dasselbe wie die Wiederholbarkeit >selbst< sein. In dem Austins Sprechakttheorie gewidmeten Teil von »Signature événement contexte« erinnert Derrida daran, daß jener alle Äußerungen aus seiner Analyse ausschließt, die im Zitieren von aufrichtigen Sprechakten bestehen, weil er an den Konstituenten der illokutionären Kraft von gewöhnlichen, normalen, standardisierten Sprechakten interessiert ist, an ihrer (mit Habermas' Wort) »Handlungswirksamkeit«. Nachdem er betont hat, daß Austin zufolge alle Sprechakte per definitionem wiederholbar sind, daß also die Wiederholbarkeit eine dem Sprechakt per se zukommende Eigenschaft ist, fragt Derrida, ob das »Zitieren (auf der Bühne, in einem Gedicht oder in einem Selbstgespräch) [nicht] die bestimmte Modifikation einer allgemeinen Zitierbarkeit - oder eher einer allgemeinen Wiederholbarkeit - [ist], ohne die es nicht einmal einen >geglückten< Performativ gäbe?« (39) Zitierbarkeit ist die Möglichkeit, daß eine Äußerung zitiert werden kann, und damit eine Variante der allgemeinen Wiederholbarkeit, deren konstitutiven Charakter für Sprechakte Austin anerkannt hatte. Wenn es sich aber so verhält - auf welcher Grundlage kann Austin dann diese Möglichkeit des Zitierens aus seiner Analyse sogenannter standardisierter Sprechakte willendich ausschließen? Wie kann eine Beschäftigung mit der pragmatischen Wirksamkeit von gewöhnlichen Sprechakten ignorieren, daß Sprechakte solche nur sind, wenn sie wiederholbar sind, indem sie beispielsweise zitiert werden? Für Derrida ist dieser Ausschluß unmöglich, ja unzulässig, auf der Grundlage eben dessen, was Austin selbst über den Charakter des Sprechakts gesagt hat. Wie soll man diese Inkonsistenz interpretieren? Die plausibelste Erklärung fur Austins mangelnde Einsicht in die Unzulässigkeit dieses Ausschlusses wäre wohl, daß der Sprechakttheoretiker (ebenso wie Searle) nicht die vollen Konsequenzen aus seiner Einsicht in die notwendige Wiederholbarkeit der Sprechakte gezogen hat. Offensichtlich hat diese Einsicht in der Sprechakttheorie keinen ebenso transzendentalen oder eher quasi-transzendentalen Charakter wie bei Derrida. Die Sprechakttheorie hat nicht das ganze Register der Implikationen entfaltet, die in der eingeräumten Wiederholbarkeit von Äußerungen stecken. Vor allem hat sie den Sachverhalt vernachlässigt, daß, wenn eine Äußerung zitierbar ist, diese Möglichkeit ihr »immer eingeschrieben ist, daher notwendigerweise als Möglichkeit in das Funktionieren oder die funktionale Struktur« (81 f.) der Äußerung eingeschrieben ist. Weder Austin noch Searle bedachten die strukturelle Notwendigkeit des stets Möglichen; ebensowenig sind sie der Notwendigkeit der Wiederholbarkeit weiter nachgegangen, von der sie doch einräumen, daß sie eine unabdingbare Voraussetzung für Sprechakte ist. Nur wenn alle aus der Wiederholbarkeit von Sprechakten folgende Implikationen mitvergegenwärtigt wer-

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den, läßt sich die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Struktur der Wiederholbarkeit nicht länger ignorieren (vgl. 115f.). Nur unter dieser Bedingung kann die Wiederholbarkeit den Status eines >Gesetzes< annehmen. Gleichwohl war Austin (ebenso wie Searle) nicht theoretisch konsequent oder konsistent und hat diesen Schritt nicht vollzogen. Indem er einen Bereich sogenannter normaler und pragmatisch wirksamer Sprechakte abgesteckt hat, schloß er (wie Searle) die Augen vor dem, was er selbst erkannt hatte. Aber warum? Wenn Derrida die Struktur der Wiederholbarkeit ein Gesetz nennt, so bedeutet dies nach seiner Präzisierung nicht, »daß dieses Gesetz selbst die Einfachheit eines logischen oder transzendentalen Prinzips hätte. Man kann es nicht einmal fundamental oder radikal im traditionellen philosophischen Sinne nennen.« (146) An diesem Punkt kann man vielleicht die Gründe vermuten, aus denen Austin (ebenso wie andere Sprechakttheoretiker nach ihm) nicht die Folgen aus seinen eigenen Einsichten zieht. In all ihre Konsequenzen entfaltet, stellt die Wiederholbarkeit die Möglichkeit reiner, einfacher Unterscheidungen in Frage. Sie durchkreuzt die Möglichkeit, ein ideales Objekt wie eine gewöhnliche Sprache< zu konstruieren, das von nicht-gewöhnlichen Formen des Sprechens radikal zu trennen wäre. Unter Beachtung ihrer notwendigen Folgen hätte die Einsicht in die notwendige Wiederholbarkeit der Sprechakte Austin daran gehindert, einen idealisierten Bereich abzutrennen, in dem Äußerungen eindeutig sind, der vollständige Kontext dem Selbst gegenwärtig ist, die Intentionen transparent sind und die Bedeutung der vollständig individuellen Einmaligkeit des Sprechakts gegenwärtig ist. Tatsächlich ist ohne die Möglichkeit reiner Unterscheidungen und die Idealisierung ihres Objekts keine Theorie im strengen Sinne möglich. In der Sprechakttheorie, mit der wir hier zu tun haben, beruht die Theorie letzdich auf dem Ausschluß aller unaufrichtigen, als parasitär gewerteten Sprechakte aus ihrem Kompetenzbereich. Dieser methodologische Ausschluß ist die Bedingung ftir die grundlegenden logischen Operationen, die fur eine Theorie charakteristisch sind und damit vor allem auch fiir die Operation, die ein Zweites von einem logisch Ersten ableiten soll. In letzter Instanz muß der Widerstand der Sprechakttheorie - ein Widerstand, der somit ihrem Charakter als Theorie geschuldet ist — gegen den konsequenten Umgang mit ihrer eigenen Entdeckung damit erklärt werden, daß die Wiederholbarkeit, streng verstanden, kein Transzendental, sondern ein Quasi-Transzendental ist. Auf Transzendentalien kann sich jede Theorie leicht einstellen. Das Transzendentale, als reine konstitutive Bedingung der Möglichkeit, gehorcht dem fur Theorien charakteristischen Verlangen nach Idealität (also nach klaren Unterscheidungen) und fordert es zugleich. Aber die universelle und notwendige Struktur der Wiederholbarkeit besitzt nicht die Einfachheit eines apriorischen Transzendentals. Zu ihrem logischen Ende durchgedacht, ist Wiederholbarkeit eine »Nicht-Einfachheit«, die »ermöglicht und gleichzeitig begrenzt«. (146) Wenn die Wiederholbarkeit die notwendige Bedingung der Möglichkeit aller Idealität ist (einschließlich derjenigen der gewöhnlichen Sprache und ihrer Sprechakte), so ist sie zugleich dasjenige, was diese Idealität begrenzt, insofern die Möglichkeit der Wiederholung virtuelle Unreinheiten und die Möglichkeit der Korrumpierbarkeit in diese Idealität einschreibt. Tatsächlich impliziert die Wie-

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN«

derholbarkeit eine notwendige Möglichkeit der Veränderung. In ihrer Eigenschaft als Idealität selbst beherbergt die Wiederholbarkeit somit eine Begrenzung ihrer eigenen Idealität. Aus diesem Grund besitzt sie nicht die Reinheit eines Transzendentals und kann einfach nicht mehr in den Begriffen einer konstitutiven Idealität gedacht werden. Wiederholbarkeit als doppelte Grenze, die als Abgrenzung Sprechakte möglich macht und sie doch als Begrenzung gleichzeitig davon abhält, vollständige Reinheit zu erlangen, hätte vom Sprechakttheoretiker die Einsicht abverlangt, daß die Möglichkeit des Parasitären, statt die Sprache ins Verderben zu fuhren, eher deren »interne und positive Möglichkeitsbedingung« (38) ist. Sie hätte vom Sprechakttheoretiker das Eingeständnis abverlangt, daß ohne eine sogenannte Negativität - eine Abwesenheit, Unreinheit oder Unaufrichtigkeit - sogar die gewöhnliche Sprache, sein bevorzugter Gegenstand, nicht wirksam funktionieren könnte. Diese Weigerung der Theorie, den konstitutiven Charakter des Unaufrichtigen anzuerkennen und zuzugeben, daß »ein geglückter Performativ gezwungenermaßen ein >unreiner< Performativ ist« (39), bringt die präskriptiven sprechakttheoretischen Axiome in ihrem ganzen Umfang ans Licht. In diesem Widerstand steht nicht weniger auf dem Spiel als dasjenige, was der Sprechakttheorie zufolge Sprechakte sein sollten. Sie sollten, um es paradox zu sagen, Akte sein, die von denen zu unterscheiden sind, die in Wirklichkeit stattfinden — Akte also, die in der Wirklichkeit nie stattfinden. Tatsächlich definiert die Sprechakttheorie die »>gewöhnliche< Sprache [...] durch das Ausschließen eben des Gesetzes der Sprache« (38). Sie erklärt Formen zu bloßen Derivaten und Abnormalitäten, ohne die kein sprachlicher Akt den Wert eines Sprechaktes hätte. In »Signature événement contexte« wird die sprachliche Akte strukturierende Wiederholung in Begriffen einer Dehiszenz (Streufruchtigkeit) beschrieben. Derrida kommentiert: Wie im Register der Botanik, aus dem es seinen metaphorischen Wert bezieht, markiert das Wort gut, daß die gespaltene Öffnung im Wachstum einer Pflanze auch das ist, was positiv die Produktion, Reproduktion und Entwicklung ermöglicht. Dehiszenz (wie Wiederholbarkeit) begrenzt eben das, was sie erlaubt, ermöglicht das, dessen Strenge und Reinheit sie unmöglich macht. (99) Eine vollständige Einsicht in die Folgen dieser doppelten Wurzel« der Wiederholbarkeit, welche diese davon abhält, »die Rolle philosophischer Radikalität [zu] spielen« (146), hätte das Ziel der Sprechakttheoretiker blockiert, eine strenge Theorie zu entwickeln. Bei allen Schwierigkeiten jedoch, welche eine Berücksichtigung all dieser Implikationen fur eine Sprechakti/vonV im strikten Sinne gehabt hätte, verunmöglicht dies keineswegs eine strenge diskursive Darstellung des sprachlichen Gesetzes. Das ist der Punkt, an dem wir die Frage nach einer »allgemeinen Theorie< einfuhren müssen, auf die Austin in How to Do Things with Words anspielt, ohne ihr je zu entsprechen. »Signature événement contexte« zitiert zwei Beispiele von Austins Aufschub einer »allgemeinen Theorie< oder »allgemeinen Darstellung« hinsichtlich der »Unglücksfälle«, welche alle Äußerungen befallen können (vgl. 37). In »Limited Inc. a b c ...« jedoch bemerkt Derrida (in seiner Diskussion von Searles Behauptung im

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»Reply«, wonach dieser es sei, der nach Austin die allgemeine Sprechakttheorie entwickelt habe, »die selbst zu entwickeln Austin nicht lange genug gelebt hat«), daß er ebenso wie Searle denkt, daß Austin eine allgemeine Theorie von implizitem Status hatte. Diese war vorausgesetzt [...] und kann nicht das Ergebnis einer Ausdehnung oder Anhäufung von Resultaten oder Detailanalysen sein. Aber diese allgemeine Theorie erlaubte ihm nicht - und hat niemals irgend jemandem erlaubt - , das zu integrieren, was sie, sei es auch aus strategischen Erwägungen, zu Beginn ausgeschlossen hat, im Namen jener metaphysischen Begriffe, Werte und Axiome, auf welche diese Theorie als allgemeine Theorie aufbaute. (150) Daraus folgt, daß die allgemeine, wenngleich nur implizite Theorie, die Austin zugebilligt wird, eine Theorie ist, welche in Wahrheit den Sprechakttheoretiker daran hindert, jene >allgemeine Darstellung< der alle Äußerungen bedrohenden Übel zu liefern. Wenngleich unausgesprochen, ist diese Theorie, die Austins einzelnen Analysen (etwa von Akten des Vortäuschens oder des Entschuldigens) vorausgesetzt wurde, nicht die >allgemeine Theories die vielmehr, in Derridas Worten, »eine Neuerarbeitung der Axiomatik oder der Prämissen [der Sprechakttheorie] selbst erfordert hätte« (137). Folgerichtig ist die >allgemeine Theories die Austin dem Essay von 1971 zufolge niemals entwickelt hat und die Derrida dort auszuformulieren sich anschickt, offenbar eine >Theorie< in einem vollständig anderen Sinne als diejenige, die Austin in impliziter Weise vorangetrieben haben soll. Obgleich Derrida die allgemeine Theorie ausarbeitet, indem er den Konsequenzen von Austins Einsicht nachgeht, daß alle Sprechakte notwendigerweise fiir Unglücksfälle anfallig sind, ist diese Theorie weder eine einfache lineare Fortsetzung von Austins Ansätzen (weil die Axiome von Austins impliziter allgemeiner Darstellung jede Möglichkeit blockierte, diese Unglücksfälle ernst zu nehmen) noch eine Theorie im engen strengen Wortsinn, trotz ihrer Bemühung um Allgemeinheit. Es ist eine >allgemeine Theories die Austin, implizit oder explizit, nicht besitzen konnte, solange er ein Sprechakttheoretiker blieb. Um diesen Punkt schärfer zu pointieren, sei in Erinnerung gerufen, daß die Diskussion von Austins Theorie der Performative in »Signature événement contexte« von einer stets präsenten Fragestellung des Essays gerahmt wird. Diese Fragestellung, auf die meines Wissens noch kein Kommentator des Essays bzw. der Derrida/Searle-Debatte sein Augenmerk gelenkt hat, betrifft die Struktur des Ereignisses - die Ereignishaftigkeit des Ereignisses. In dem Abschnitt »Schrift und Telekommunikation«, welcher der Diskussion von Austins Werk vorausgeht, beschäftigt sich Derrida mit der Struktur der Markierung, also damit, daß eine bestimmte Abwesenheit in der Anwesenheit notwendig ist, damit die Anwesenheit überhaupt sein kann, was sie ist. Der Abschnitt des Essays, der sich der Sprechakttheorie zuwendet, steht unter der einleitend ausdrücklich markierten Absicht, »diese Frage etwas weiter voranzutreiben allerdings, um auch durch sie hindurchzugehen —, indem wir uns auf die Problematik des Performativi stützen« (32). Wie die gesamte Diskussion des Performativs zeigt, betrifft diese weitere Arbeit an der Struktur der Markierung, welche die Anwesenheit konstituiert, die Funktionen von Akt und Ereignis im Herzen der Sprechakttheorie selbst. Weil jedoch die Leitfrage hier den Konstituenten eines Ereignisses gilt, ver-

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN«

zahnt sich die gesamte Diskussion der Sprechakttheorie in bestimmte Punkte dieser Theorie. Tatsächlich betrifft die gesamte im Abschnitt »Parasiten. Iter, über die Schrift: Daß sie vielleicht nicht existiert« durchgeführte Analyse nicht mehr und nicht weniger als die Struktur des lokutionären Aktes selbst. In Vorwegnahme aller entscheidenden Differenzierungen im Feld spezifischer sprachlicher Akte schneidet Derrida in diesem Abschnitt »eine allgemeine und systematische Ausarbeitung der Struktur der Lokution« (37) an, eine (wie er in Erinnerung ruft) von Austin ja bereits vorgenommene Analyse. Derrida schreibt: Austin hat nicht berücksichtigt, was in der Struktur der Lokution (also vor jeder illokutionären oder perlokutionären Bestimmung) bereits jenes System von Prädikaten zur Folge hat, das ich graphematisch im allgemeinen nenne, und das somit alle späteren Oppositionen, deren Stichhaltigkeit, Reinheit und Strenge Austin vergeblich festzulegen suchte, durcheinander bringt. (34) Indem er sich auf den lokutionären Akt selbst konzentriert — auf den Akt oder die Ausführung dessen, »etwas zu sagen«, der als Akt ein Ereignis konstituiert - , beleuchtet Derrida »eine gewisse Konventionalität, die dem innewohnt, was die Lokution selbst konstituiert« (zusätzlich zu der »Konventionalität [...], die den Umstand der Aussage bildet«). (36) Dank dieses Schlaglichtes auf die Lokution können die Strukturen in den Vordergrund rücken, die der Performativ im allgemeinen erfordert, d. h. die Ermöglichungsbedingungen eines Ereignisses wie des Außerungsaktes. Nur eine solche allgemeine und systematische Darstellung dieser lokutionären Strukturen selbst kann jene >allgemeine Theorie< bereitstellen, die Austin, Derrida zufolge, nicht entwickelte. Eine Untersuchung der Struktur von lokutionären Akten bedeutet laut »Signature événement contexte«, »den Status des Ereignisses im allgemeinen« zu testen, den Status »von sprachlichen oder sprachlich bewirkten Ereignissen, der befremdlichen Logik, die von ihm vorausgesetzt wird und die oft unbemerkt bleibt«. (40) Obgleich Austin einräumt, daß kein Performativ rein ist, wird der Wert des >Aktes< im Sprechen, sein Charakter als Ereignis nicht systematisch befragt. »Wie in der gesamten ihn tragenden philosophischen Tradition« wird hier implizit der »Wert der Präsenz« vorausgesetzt, (97) den der erste Abschnitt von »Signature événement contexte« in Frage zu stellen begann. Die Beschäftigung mit der Lokution selbst betrifft genau die Reinheit eines einzelnen performativen Ereignisses. Derrida fragt: »Wäre eine performative Aussage möglich, wenn kein Zitat als Double die reine Einmaligkeit des Ereignisses spaltete, von sich selbst trennte?« Und diese Frage betrifft ja, wenn das vermeintlich anwesende und einmalige Ereignis einer Äußerung die Möglichkeit ihrer Wiederholung oder Zitation erfordert, den Status eines »>Eintreten[s]< oder der Ereignishaftigkeit eines Ereignisses«. (39) Wenn eine performative Äußerung, um zu glücken, eine »>codierte< oder wiederholbare Aussage« wiederholen, »einem wiederholbaren Muster konform«, sein muß, so daß sie durchaus »als >Zitat< identifizierbar« ist, (40) so läßt sich diese Äußerung, als Ereignis, nicht mehr als ein sich selbst gegenwärtiges, einzigartiges oder einmaliges Ereignis verstehen. Damit eine Äußerung stattfindet, aus ihr ein Sprechakt wird, muß eine »allgemeine Wiederholbarkeit [...] in die vorgeblich strenge

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Reinheit eines jeden diskursiven Ereignisses oder eines jeden Sprechaktes«· (ebd.) einbrechen. Um Ereignischarakter anzunehmen, darf das Ereignis eines sprachlichen Aktes nicht unwiederholbar sein. Wiederholbarkeit in diesem allgemeinen Sinne ist also nicht nur die Ermöglichungsbedingung des Ereignisses selbst, sondern zugleich auch, wie Derrida es in »Limited Inc. a b c ...« formuliert, »dasjenige, was [...] jedes (im geläufigen Sinne) volle Ereignis daran hindert, voll, ganz einfach einzutreten« (97). Mit dieser Konzentration auf die Struktur der Lokution wird »das Ereignis als Wert, der die gesamte Theorie der Sprechakte stützt«, in Frage gestellt. »Signature événement contexte« schlägt »eine andere Graphik von Ereignissen im allgemeinen« vor (ebd.), welche zeigt, daß der Wert der Anwesenheit, der den Begriff des Performativs in der Sprechakttheorie bestimmt, von einer allgemeinen Wiederholbarkeit abhängt und darum in besonderem oder strukturellem Maße parasitär ist. Es geht hier nicht darum, die Kategorie der Anwesenheit Uberhaupt zu torpedieren, sondern darum, zu zeigen, daß sie, ohne von einer allgemeinen Wiederholbarkeit bewohnt zu sein, unmöglich dem ersten Mal des Ereignisses und der Ereignishaftigkeit des Ereignisses gerecht werden kann. Wie Derrida in Qual Quelle schreibt: Wir bedürfen hier einer paradoxalen Logik der Ereignisse als Quelle, die sich nicht präsentieren, sich nicht selbst ereignen kann. Der Wert des Ereignisses ist vielleicht untrennbar von dem der Präsenz, er bleibt im strengen Sinne unvereinbar mit dem der Selbstpräsenz.8 Im letzten Abschnitt »Signaturen« fuhrt »Signature événement contexte« eine performative Operation durch, läßt ein Ereignis stattfinden: den scheinbar äußerst einmaligen Akt des Unterschreibens mit seinem Eigennamen. Die Durchführung dieses einmaligen Aktes zeigt nicht nur die Voraussetzung von Wiederholbarkeit an, insofern sie ohne eine zumindest implizite Bezugnahme auf das Gesetz unmöglich wäre, sondern auch, daß sie potentiell der Fälschung und dem Betrug ausgesetzt ist, denn »der Test der Beglaubigung gehört zur Struktur der Unterschrift selbst« (205). Wie Derrida nahelegt, kann keine Kategorie einer Theorie des Sprechens hoffen, diesem Akt in seiner ganzen Komplexität Rechnung zu tragen.

Das Versprechen einer kommenden Sprache Mit dieser Konzentration auf den lokutionären Akt, der den wichtigsten sprechakttheoretischen Unterscheidungen (einschließlich derjenigen zwischen Konstativen und Performativen) vorausliegt, versuchte Derrida, das System der graphematischen Prädikate des Ereignisses offenzulegen, also dasjenige, was er in »Deux mots pour Joyce« »das Gesetz« nennt, »das in der performativen Dimension ausgesprochen wird«.9 Die-

8 Jacques Derrida, »Qual Quelle. Die Quellen Valérys« (1971), in: ders., Randgänge der Philosophie, hrsg. von Peter Engelmann, Wien 1988, S. 259-289 u. 355-361, hier S. 280. 9 Jacques Derrida, »Zwei Deut für Joyce« (1982), in: ders., Ulysses Grammophon, übers, von Elisabeth Weber, Berlin 1988, S. 11-39, hier S. 29 f.

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN« ses Gesetz betrifft die allen bestehenden Regeln und etablierten Normen vorausgehenden Bedingungen, unter denen ein performativer Akt oder ein singuläres Ereignis stattfinden kann. Damit wird ein neues Konzept des Performativs begründet, das nicht nur in allen Konstativen wirkt, sondern auch in allen performativen Äußerungen, wie sie von der Sprechakttheorie definiert werden. Während der Begriff des Performativs in Austins Werk, zunächst und vor allem, als Gegensatz zum theoretischen Konstativ auftaucht und dort dazu dient, das Privileg des letzteren in der Philosophie, zumal im logischen Positivismus, zu entthronen, so kann dieser neue Begriff des Performativs nicht im Gegensatz zu behauptenden oder beschreibenden Akten definiert werden. Dies nicht nur einfach deshalb, weil solche Akte letztendlich immer eine performative Dimension (im Austinschen Sinne) enthalten. Wenn der >PerformativPerformativ< nennen. Erinnern wir uns auch daran, daß innerhalb des Gerüsts von Austins Theorie »ein Performativ ein Satz sein muß und ein Satz, der von sich selbst aus in einem gegebenen Kontext mit genügend Sinn begabt ist«11. Aber derjenige Performativ, den die allgemeine und systematische Ausarbeitung der lokutionären Struktur einbringt, gehört nicht zur Ordnung der Sätze. Wie das Gesetz der Ereignishaftigkeit, kann dieser »Performativ« im »klassischen philosophischen Gode« als »die transzendentale Bedingung jeder performativen Dimension«12 beschrieben werden. Eingedenk der Bedeutung von >Performativ< in der Sprechakttheorie und von >transzendental< in der Philosophie jedoch ist dieser Performativ weder Performativ noch transzendental, wenngleich er von aller Performativität und aller Transzendentalität vorausgesetzt wird.13 Diese neue Konzeption des Performativs trägt dem Sachverhalt Rechnung, daß ein erfolgreicher Performativ unrein sein muß. Um zu glücken, muß der Performativ die Möglichkeit mit sich fuhren, unernst, unaufrichtig, abnormal, pervers usw. zu sein. Er muß auch die Möglichkeit der Zweideutigkeit hinsichdich seiner eigenen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse besitzen. Damit er wirksam ist, muß in gewissem Maße unklar sein, welche Art von Akt er ist. Ein dafür paradigmatischer Fall ist der

10

Jacques Derrida, »Avances«, Vorwort in: Serge Margel, Le tombeau du Dieu artisan. Sur Platon, Paris

1995, S. 7 - 4 3 , hier S. 19. 11

Jacques Derrida, »Ulysses Grammophon« (1984), in: ders., Ulysses Grammophon, S. 43-116, hier

S. 101. 12

Ebd.

» Vgl. ebd., S. 107.

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Akt, mit dem ein Volk seine Unabhängigkeit erklärt. Wie Derrida in einer kurzen Analyse der »Declaration of Independence« argumentiert hat, »kann man nicht entscheiden - und das ist der interessante Punkt, die Kraft und der Gewaltstreich in einem solchen deklarativen Akt - , ob die Unabhängigkeit von dieser Äußerung festgestellt oder hergestellt wird«. Diese Unentscheidbarkeit ist kein Mangel, sondern eine Notwendigkeit. »Diese Unklarheit, diese Unentscheidbarkeit zwischen, sagen wir, einer performativen und einer konstativen Struktur ist erforderlich, um die gewünschte Wirkung herzustellen.« 14 Gerade die fehlende Möglichkeit der Entscheidung darüber, ob das Volk seine Befreiung konstatiert oder im Akt der Deklaration performativ ins Werk setzt, ist unabdingbar, damit diese Deklaration eine Konstitution oder einen Staat zu konstituieren vermag. Ohne einen bestimmten >performativen Widerspruch< kann kein erfolgreicher Performativ durchgeführt werden. In der Debatte mit Austin und Searle wird die performative Logik des Ereignisses vornehmlich im Ausgang von der Wiederholbarkeit diskutiert, zu der sich alle Äußerungen eignen können müssen. Die Einsicht, daß alle Sprechakte korrumpierbar sein müssen, daß sprachliche Akte ohne diese Möglichkeit nicht wären, was sie sein wollen, macht es, wie wir argumentiert haben, unzulässig, in die Analyse Normen und Werte (wie Reinheit, Normalität, Aufrichtigkeit usw.) einzubringen, deren Funktion nur darin bestehen könnte, negative Bewertungen vorzunehmen und Abweichungen von dieser Norm auszuschließen. Mit Blick auf die Folgen aus der Wiederholbarkeit müssen alle Diskussionen sprachlicher Akte sich daher nicht nur der Axiome kritisch bewußt sein, welche die Unterscheidungskriterien regeln, sondern auch verantwortlich auf die Unglücksfälle antworten, die jeden aufrichtigen sprachlichen Akt von innen heraus befallen können müssen, sogar ein Versprechen. Ohne die Möglichkeit einzuräumen, daß ein bestimmter Sprechakt in einen anderen umschlagen kann - ein Versprechen in eine Drohung - , ohne Berücksichtigung dessen, daß jede Äußerung unvermeidlich die Möglichkeit des Bösen mit sich trägt, lassen sich sprachliche Akte nicht adäquat diskutieren. Im Nachfeld der Debatte mit der Sprechakttheorie hat Derrida diese performative Logik des Ereignisses verfeinert. Im Verlauf seiner Diskussion des Status des ja in »Ulysses Grammophon« zeigt er, daß alle Äußerungen ein ko-extensives ja enthalten, als ein ja, das die Anrede an und durch einen Anderen bekräftigt — ein ja auf der Suche nach dem Anderen, ein ja als Antwort auf ein vorausgegangenes ja. Aus dieser Erkenntnis eines »minimale[n] und primäre[n] ja« als »transzendentale[r] Bedingung jeder performativen Dimension« 1 5 folgt eine Pflicht, in allen Äußerungen dem Anderen in seiner Andersheit zu antworten, dem Anderen, an welches die Äußerung, als Äußerung, gerichtet ist und dem sie hinsichtlich ihrer eigenen Einzigartigkeit verpflichtet bleibt. Derrida begann die oben erwähnte Diskussion der konstitutiven Unentscheid-

14

Jacques Derrida, »Unabhängigkeitserklärungen«, in: Uwe Wirth (Hrsg.), Perjbrmanz. Zwischen

Sprachphibsophie und Kulturwissenschaften, übers, von Friedrich Kittler, Frankfurt/M. 2002, S. 121-128, hier S. 124; Übers, modifiziert. 15

Derrida, »Ulysses Grammophon«, S. 102 u. 101. Vgl. Rodolphe Gasché, »On Responding Respon-

sibility«, in: ders., Inventions of Difference. On Jacques Derrida, Cambridge/Mass. 1994, S. 227-250.

3. »MEHR ALS STILISTISCHE DIFFERENZEN«

barkeit instituierender Sprache mit einer Erinnerung daran, daß ein performativer Akt wie die Unabhängigkeitserklärung eine(n) Unterzeichner(in) voraussetzt, der/die sich dafür einsetzt. Zugleich jedoch existiert dieser Unterzeichner (das unabhängige Volk) nicht vor jenem Akt - wenn es denn ein Akt der Befreiung ist. Daraus folgt, daß die »Unterschrift den Unterzeichner erfindet«. Derrida schreibt: »Sie räumt sich selbst einen Kredit ein, ihren eigenen Kredit, fiir sich selbst von sich selbst. Das selbst taucht hier in allen Fällen (Nominativ, Dativ, Akkusativ) auf, sobald die Unterschrift sich selbst Kredit gibt oder ihn verlängert«.16 Wie jedoch die »Declaration« auch zeigt, erfordert diese Selbst-Konstitution eine Gegenzeichnung, die Unterschrift im Namen Gottes, d. h. den Namen fiir die letztinstanzliche Unterschrift. Jede Selbst-Konstitution referiert also, mit anderen Worten, weiterhin auf die authentifizierende Gegenzeichnung eines Anderen. Was von der »Declaration« gilt, gilt auch, wie Derrida notiert, von alltäglichen Geschehnissen. Die Analyse stellt damit fest, daß jeder Äußerungsakt nicht nur den Autor oder Unterzeichner, sondern auch einen Anderen in Anspruch nimmt, den der Autor oder Unterzeichner verantwortlich in Anspruch nehmen muß, insofern seine Unterschrift eine >Funktion< des letzteren bleibt. In der Herausarbeitung des Sprechakts Versprechen - ein Sprechakt, dem Austin und Searle viel Aufmerksamkeit gewidmet haben - wird ein weiterer Zug der performativen Logik des Ereignisses, also auch der ethischen Verantwortung sichtbar. Wie die Fälle der »Declaration of Independence« und des ja, so möchte ich auch diesen Zug und die mit ihm einhergehenden Verpflichtungen nur grob skizzieren. Das Versprechen ist für Derrida nicht einfach ein Sprechakt unter anderen. Wie er in »Avances« feststellt, »gehört der theoretische und ontologische Diskurs über Versprechen zu dem, wovon er handelt; von Beginn an wird dieser Diskurs über sich hinausgetrieben und umfaßt (débordé) von dem Performativ des Versprechens, der sein Element bleibt und der, implizit oder explizit, ihm seine allgemeine Form überträgt«17. Wenn jedoch der Performativ des Versprechens eventuellen Akten des Versprechens ebenso vorausgeht wie dem theoretischen Diskurs über Versprechen (einschließlich des sprechakttheoretischen), so weil dieser Performativ in allen diskursiven Akten vorausgesetzt wird, insofern diese sprachliche Akte sind. Diesen Performativ des Versprechens zu verstehen heißt also, »das Vorher im Vorher, den Abgrund des Vorrangs, die absolute oder unvordenkliche Vorgängigkeit des Prinzips des Versprechens«18 zu denken. Wenn das Prinzip des Versprechens so vorgängig ist, dann deshalb, weil mit jeder Äußerung, welcher Art auch immer, ein Versprechen gegeben wird. Derrida bemerkt: Jedesmal, wenn ich den Mund öffne, jedesmal, wenn ich spreche oder schreibe, verspreche ich. Ob ich will oder nicht: Die schicksalhafte Übereilung des Versprechens muß hier von den Werten des Willens, der Intention oder des Sagen-Wollens getrennt werden, mit denen es vernünftigerweise verbunden ist. Der Performativ dieses Versprechens ist nicht ein Sprechakt unter anderen. Er ist in jedem anderen Performativ ent-

16

Derrida, »Unabhängigkeitserklärungen«, S. 124£; Übers, modifiziert. Derrida, »Avances«, S. 40. 18 Ebd., S. 29. 17

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halten, und dieses Versprechen verkündet die Einzigartigkeit einer kommenden Sprache.19 In klassischen Begriffen der Philosophie ist dieses Versprechen einer >noch-unerhörten Sprache^ das mit jeder Äußerung gegeben wird, das Versprechen einer Universalsprache. Zugleich jedoch ist dieses Versprechen, das im Vorgriff jegliche Sprache in die Einzigartigkeit eines Idioms zusammenruft, das Versprechen der >einen< Sprache, der »Eine-Sprache [monolangue] des Anderen. Das des bedeutet nicht so sehr Eigentum denn vielmehr Herkunft: Sprache ist für den Anderen, kommt vom Anderen, ist die Ankunft des Anderen.«20 Mit diesem Versprechen, das im Vorgriff alle sprachlichen Akte strukturiert, wird eine Verantwortung fur eine Sprache jenseits meines eigenen Idioms, die dem Anderen und der Sprache des Anderen in all ihrer Einzigartigkeit verständlich ist, unlösbar an jede Sprache geknüpft. Es ist eine Verantwortung fur eine andere als meine eigene Sprache (also unmöglich), eine kommende Sprache, ohne die ich jedoch womöglich nicht sprechen könnte. Die performative Logik des Ereignisses, die, wie wir gesehen haben, unerbittlich ethische Verantwortung einschließt, fordert also auch - nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, in einer Weise eben, in der sich das Theoretische mit dem Praktischen vermengt - dazu auf, das mit der Sprache einhergehende Versprechen in Betracht zu ziehen, das Versprechen einer kommenden Sprache. (Rodolphe Gasché)^

19 Jacques Derrida, Le monolinguisme de l'autre ou la prothèse d'origine, Paris 1996, S. 126. 2» Ebd., S. 127. 21 Dieser Beitrag wurde von Robert Stockhammer übersetzt.

SCHALTEN RECHNEN STEUERN

l'ingénieur qui avait mis ia main sur ie commutateur centrai

Inspiriert von Villiers de l'Isle-Adams Edison, der gerne akustische Medien miteinander verschaltet - etwa das phonographisch aufgezeichnete Lied einer längst verstorbenen Nachtigall via Telephon vom Broadway nach Menlo Park überträgt - , stelle man sich folgendes vergleichbares Arrangement fur optische Apparate vor: Jacquards auf dem eigenen Webstuhl gewebtes Selbstbildnis wird mit der von Villiers' Freund Charles Cros konzipierten Maschine zur Bildanalyse in diskrete Punkte zerlegt, die ihrerseits das geeignete Zeichenformat haben, um als Befehle fur Jacquards Webstuhl dienen zu können ... (ad libitum). Menschen sind, haben sie einmal diese Maschinen konstruiert, offensichdich nicht mehr nötig, um die Welt der Zeichen mit der Welt der Maschine zu koppeln. Maschinen können, erstens, Zeichen aufnehmen, also lesene die Lochkarten, mit denen der Webstuhl programmiert wird, das in Cros' Apparat eingelegte Bild. Maschinen können, zweitens, Zeichen ausgeben, also >schreibenLaut-Gedanke< Einteilungen mit sich bringt, und die Sprache ihre Einheiten herausarbeitet, indem sie sich zwischen zwei gestaltlosen Massen bildet.«16 Als Werte betrachtet, funktionieren diese Einheiten differentiell, als Zweierpaare von

kindliches Subjekt [...] seine Muttersprache lernt oder wenn es um jene sogenannt konkreten Lehrmethoden zur Erlernung von Fremdsprachen geht« (ebd., S. 22). Lacan entschleiert diesen Augenschein, nämlich jene naive Fehlinterpretation, die Sprache auf ihre Repräsentationsfunktion reduzieren will, die im Fingerzeig des Kindes nichts als eine Hinweisfunktion sehen will. In Wahrheit liegt in diesem kindlichen Zeigefinger noch etwas ganz anderes: das kindliche Begehren, das sich des Signifikanten bedient, und zwar nicht, um etwas zu bedeuten, sondern um etwas zu be-deuten, um sein eigenes unbewußtes Begehren auszudriikken, das heißt zu verschlüsseln. Das Motiv des Fingerzeigs läuft nicht darauf hinaus, eine Aussage über die Welt, sondern eine Aussage über die Lage des unbewußten Begehrens zu machen (vgl. ebd.). 14

Vgl. Saussure, Grundfragen, S. 133 f.: »Wir können also die Sprache in ihrer Gesamtheit darstellen

als eine Reihe aneinander grenzender Unterabteilungen, die gleichzeitig auf dem unbestimmten Feld der vagen Vorstellung (A) und auf dem ebenso unbestimmten Gebiet der Laute (B) eingezeichnet sind. Die Sprache hat also dem Denken gegenüber nicht die Rolle, vermittelst der Laute ein materielles Mittel zum Ausdruck der Gedanken zu schaffen, sondern als Verbindungsglied zwischen dem Denken und dem Laut zu dienen, dergestalt, daß deren Verbindung notwendigerweise zu einander entsprechenden Abgrenzungen von Einheiten fuhrt. Das Denken, das seiner Natur nach chaotisch ist, wird gezwungen, durch Gliederung sich zu präzisieren.« 15

Zu Saussures Beeinflussung durch Spiritismus und Psychophysik um 1900 vgl. Johannes Fehr,

»Saussure. Zwischen Linguistik und Semiologie. Ein einleitender Kommentar«, in: Ferdinand de Saussure, Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlaß. Texte, Briefe und Dokumente, hrsg., übers, u. eingeleitet von Fehr, Frankfurt/M. 1997, S. 17—226. Zu den Beziehungen zwischen Saussures Theorie, Spiritismus und den elektrischen Medien der Jahrhundertwende vgl. Wolfgang Hagen, Radio Schreber. Der »moderne Spriritismus« und die Sprache der Medien, Weimar 2001. 16

Saussure, Grundfragen, S. 134.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK

Laut und Vorstellung, die in einem simultanen Akt der Emergenz einander unentrinnbar versprochen wurden, formieren sie Totalitäten. Die oben dargelegte Aporie reflektiert sich in dem Widerspruch, der sich dadurch ergibt, daß zwischen Vorstellung und Laut einerseits zwar kein Copyright-Problem und also keine vordergründige Privilegierung des Signifikats existiert, daß jedoch trotzdem weiterhin zwischen Vorstellung und Laut eine klare Trennlinie gezogen wird. Saussures Insistieren auf der Sprache als Form, und nicht Substanz, geht nicht so weit, geht vielmehr in die Kurve kurz vor der Grenze des formalistischen Paradieses von David Hilbert, der zwischen Vorstellungen und Lauten sowenig unterschieden hätte wie zwischen Punkten, Geraden und Oberflächen. Mit seiner Inauguration der axiomatischen Methode in der Geometrie verläßt Hilbert endgültiger als Saussure die Episteme der Repräsentation.17 Er löst das Zeichensystem von jeder Anschaulichkeit, von jeder Vorstellung und Vorstellbarkeit, von jedem Weltbezug. »Die Gegenstände der Zahlentheorie sind die Zeichen selbst«18, schreibt Hilbert, und diese Zeichen stellen nicht länger Dualitäten von Signifikant und Signifikat dar, sondern reine Signifikanten. Hilberts Zeichen sind areferentiell und induktiv, sie funktionieren unwidersprüchlicher und radikaler differentiell als Saussures amphibische Gebilde, die sich als Werte zwar negativ abgrenzen, als Positivitäten, in denen sich »Elemente von zweierlei Natur verbinden«19, aber noch immer diejenigen Bedeutungen inventarisieren, die der Logos zuvor bereits im Blickfeld hatte. Denn Saussures Spekulation über den Ursprung der Sprache als gleichzeitige Formung zweier Nebel in ein duales Zeichen schildert noch immer ein logozentrisches Geschehnis, bei dem das transzendentale Signifikat, das Betriebsgeheimnis der reduplizierten Repräsentation, sich in der unzerreißbaren Kopplung verwirklicht. Diese Kopplung macht aus der Differenz letztendlich doch noch ein ganzes Wort, und also hat »das letzte Wort [...] immer der Sinn; wie könnte es auch anders sein, sofern die Sprache vom Wort her gedacht wird, da das Wort sich nur durch den Sinn bestimmt«20. Es ist kein Wunder, daß Saussure gerade diesen Ursprungsakt heranzieht, um das Credo der Arbitrarität zu zementieren, denn die Arbitrarität ist das Symptom des Sinns, des Logos. Ein Symptom entsteht laut Lacan immer an genau der Stelle, an der das Subjekt das Gesetz des Diskurses nicht versteht.21 Und der Ursprung des Gesetzes, der Ursprung des Symbolischen ist genau der Moment, der unmöglich verstanden werden kann, weder im logozentrischen noch auch im formalistischen Sinn. Denn ein formalistisches System kann unmöglich mit formalen Mitteln bewiesen werden - soviel zum Paradies. Ein Akt der Formalisierung, der zugleich ein Akt radikaler und pathogener Kontingenz ist, steht am Anfang des

17

Zu Formalismus und Axiomatik David Hilberts vgl. Bettina Heintz, Die Herrschaft der Regel. Zur

Grundlagengeschichte des Computers, Frankfurt/M. 1993, S. 22 ff. 18

David Hilbert, Neubegründung der Mathematik (1922), Darmstadt 1964, S. 18.

19

Saussure, Grundfragen, S. 134.

20

Weber, Rückkehr zu Freud, S. 38.

21

Vgl. Jacques Lacan, Das Seminar, Buch II: Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psy-

choanalyse, hrsg. von Norbert Haas/Hans-Joachim Metzger, übers, von Hans-Joachim Metzger, Weinheim -Berlin 1991, S. 169.

275

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Unbewußten, der im Realen prozessierenden Signifikantenkette. Der Moment der Seinskliiftung, der symbolischen Verkürzung macht aus einem besinnungslosen nirwanahaften Real-Sein das sprechende, das geklüftete, das dem Signifikanten unterworfene Subjekt.22 Von da an geht alles los.

S/s - Lacans Zeichen: Der Signifikant als différentielle Relation Im Seminar iii bedient sich Lacan des Saussureschen Zwei-Flüsse-Schemas, um zu demonstrieren, was da los geht und wohin das fuhren kann, und zugleich modifiziert er dieses Schema in entscheidender Weise. Saussure bildet in seinen berühmten Linguistikvorlesungen ein Schema ab mit einem Fließen, das die Bedeutung ist, und einem anderen, das der Diskurs ist, das, was wir vernehmen. Dieses Schema zeigt, daß das Zerlegen eines Satzes in seine verschiedenen Elemente schon einen gewissen Anteil von Willkür beinhaltet. Es gibt zweifellos diese Einheiten, welche die Worte sind, aber wenn man genau hinsieht, sind sie gar nicht so einheidich. Das ist nicht so wichtig hier. Saussure glaubt, daß es eine gewisse Korrelation zwischen Signifikant und Signifikat ist, die das Zerlegen des Signifikanten erlaubt. Freilich braucht es, damit die beiden gleichzeitig zerlegt werden können, eine Pause.23 Aus Saussures unifizierender Verbindungsnaht wird eine Pause, und zwar nicht ein substantielles Loch, sondern ein diskreter Schnitt, der »das Zerlegen des Signifikanten« erlaubt und damit den Signifikanten im Sinne eines solchen diskreten Elementes erst definiert, das jedem rein formalen System und jedem Algorithmus zugrunde liegt. Wie immer ohne jedes Scheppern von Destruktion, zieht Lacan ganz sanft und implizit das Saussuresche Zeichen aus dem Sumpf des Sinns, in dem es zur Hälfte steckengeblieben war, er beseitigt die Ambiguitäten, er beantwortet die Fragen, die bei Saussure offengeblieben waren. »Saussure versucht, eine Entsprechung zwischen diesen beiden Wellen zu definieren, die sie in Segmente gliedern würde. Aber die alleinige Tatsache, daß seine Lösung offen bleibt, [...] zeigt gut gleichzeitig den Sinn der Methode und ihre Grenzen.«24 Lacan erklärt, »daß man keine eineindeutige Entsprechung zwischen den beiden Systemen festsetzen kann«, er löst das fixe Bindeglied von Signifikant - Signifikat, er zeigt, daß es nur Gleitbewegungen von Signifikanten gibt, die zu unterschiedlichen Signifikatseffekten fuhren, und daß durch diese wiederum eine permanente Umschreibung des Systems herbeigeführt wird. Es ist so, »daß in der diachronischen Richtung mit der Zeit sich ein Gleiten herstellt, und daß alle Augenblicke das in Entwicklung begriffene System der menschlichen Bedeutungen sich verschiebt und den Inhalt der Signifikanten, die verschiedene Gebrauchsformen annehmen, modifiziert«.25 Aus logozentrischer Ewigkeit und Transzendenz, aus dem schüt-

22

Vgl. Jacques Lacan, »Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht«, in: ders., Schriften,

Bd. 1,S. 171-239, hier S. 220 ff. Vgl. auch ders., Das Seminar, Buch XI, S. 228 ff. 25

Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 142.

24

Ebd., S. 309.

» Ebd., S. 142 f.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK

zenden Baldachin über einer Welt, die keine Sprünge macht und sich im Denken exhaurieren läßt, wird ein unbewußtes Subjekt, das seine Geschichte in Form einer zirkulierenden Signifikantenkette und über die entsprechenden delete/rewnte-Funk.tionen prozessiert.26 Lacan radikalisiert das Prinzip der Differenz, das bei Saussure zwar präformiert ist, in letzter Instanz jedoch relativiert wird durch den Strich, der einerseits ein bestimmtes Signifikat einem bestimmten Signifikanten zuordnet und damit die Identität des Zeichens garantiert, andererseits eine noch immer substantielle Demarkationslinie zwischen den beiden Bereichen der Vorstellungen und Lautbilder aufrechterhält. In Lacans Reformulierung des Zeichens in reinen Strukturbegriffen werden konsequenterweise diese beiden Charakteristika des Saussureschen Zeichens einer Revision unterzogen. Lacan algorithmisiert das Zeichen, es geht also nicht um eine schlichte Inversion der Dominanzbeziehungen zwischen Signifikant und Signifikat. Denn das liefe letztendlich nur auf eine Hypostasierung und Ontologisierung des Signifikanten als transzendente, mit sich identische Einheit hinaus. Lacans Rede vom reinen Signifikanten aber meint eine radikal différentielle Artikulation, etwas, was sich nur zwischen zweien realisiert, aber niemals als einheitlicher Begriff fassen läßt, eine reine Strukturbeziehung, die sich weder objektivieren noch ontologisieren läßt, eine Bewegung von Differenzen, die in keiner Identität jemals zum Stillstand kommen wird. (Sie wird lediglich skandiert, sie induziert nachträgliche Sinneffekte in Form eines Signifikates, das als eine metaphorische Überdeterminierung oder Ubercodierung von Signifikanten nur strukturell, aber nicht länger substantiell vom Signifikanten unterschieden werden kann.) Der Algorithmus S/s beschreibt einen Signifikanten, eine signifikante Relation, eine signifikante Prozedur, ein Prozessieren von >reinen Signifikantem oder diskreten Elementen. Im Zuge einer Reflexion über die Installation des Signifikanten im Subjekt vergleicht Lacan die diskrete Relation, die dieser Signifikant ist, mit einer symbolischen Opposition von Tag und Nacht, die strikt von der imaginären, also sinnhaften, wirklichem Erfahrung von Tag und Nacht isoliert werden muß. Der Mensch ist nicht, wie alles uns vom Tier denken läßt, einfach eingetaucht in ein Phänomen wie dasjenige des Alternierens von Tag und von Nacht. Der Mensch setzt den Tag als solchen - und von da her kommt der Tag zur Gegenwart des Tages - auf einem Grund, der nicht ein Grund konkreter Nacht ist, sondern von möglicher Abwesenheit von Tag, wo die Nacht Unterkunft findet, und im übrigen umgekehrt. Der Tag und die Nacht sind sehr frühzeitig signifikante Kodes und nicht Erfahrungen. Sie sind Konnotationen, und der empirische und konkrete Tag kommt hier nur als imaginäres Korrelat, zu Anfang, sehr früh.27

26

Lacan entwirft das unbewußte Gedächtnis nach dem Prinzip von John von Neumanns integriertem

Programmspeicher: ein diachronisch modifizierter Code bestimmt zugleich die Aussagen und Handlungen des Subjekts in der Synchronie (vgl. Lacan, Das Seminar, Buch I: Freuds technische Schriften, hrsg. von Norbert Haas/Hans-Joachim Metzger, übers, von Werner Hamacher, Weinheim - Berlin 1990, S. 20 ff.; ebd., Buch II, S. 58 ff.). 27

Ebd., Buch III, S. 177 f.

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Der Tag als Signifikant ist ein diskretes Element, dessen anderes nicht die Nacht im Sinne einer imaginären Erfahrung von Dunkelheit, sondern die Abwesenheit von Tag ist. Tag und Nacht können nicht objektiviert werden, stehen nicht für empirische Erfahrungen, sondern konstituieren eine relationale Beziehung, in der eines nur das ist, was das andere nicht ist. Genommen als reiner Signifikant, ist der »Tag als Tag [...] kein Phänomen, der Tag als Tag impliziert die symbolische Konnotation, das die Gegenwart und die Abwesenheit konnotierende grundlegende Alternieren des Vokalen«28.

Aus/An, Fort/Da - Elektromagnetismus als Medienapriori des Unbewußten Es geht nicht um einen substantiellen oder konkreten, sondern um einen diskreten Wechsel von Tag und Nacht, Anwesenheit und Abwesenheit, 0 und 1. Tag und Nacht operieren als ein Signifikant und sind nicht zwei Signifikanten. »Magnetisches und elektrisches Feld rufen sich gegenseitig auf. Eine Rekursion ist geschaltet, die keine Abbruchbedingung kennt.«29 Faradays Induktionsspule von 1831 und ihre lange, umwegige Weiterentwicklung zu den Elektronenröhren der Computer des 20. Jahrhunderts werden zum technischen Apriori des Lacanschen Unbewußten. Das Prozessieren des reinen Signifikanten im Unbewußten, das diskrete Wechseln zwischen Tag und Nacht, läßt sich implementieren in den beiden diskontinuierlichen Momenten des Wechselstroms: Auch hier ist keiner der beiden elementaren Momente als solcher, sondern jeder ist stets nur, was der andere nicht ist. Ein elektrisches Feld existiert nicht fiir sich seiend neben einem nachfolgenden magnetischen Feld, ein elektrisches Feld induziert nur durch sein Zusammenbrechen ein magnetisches Feld usf. Irgendwann kommt es zur »Erscheinung eines Wesens, das nirgends ist«30, zur Erscheinung der >Fee ElektrizitätWechselstromphänomene< handelt, die dem Aufbau und Zusammenbruch eines Magnetfelds in einer Spule nicht nur entsprechen, sondern buchstäblich oder besser signifikantentechnisch dadurch induziert werden. Die oszillierende Pathologie des Wechselstroms schreibt sich als Trauma, als Unbewußtes in die Körper ein. 35

31

Ebd., Buch II, S. 383.

« Ebd. 33

Ebd., Buch III, S. 182.

34

Vgl. Siegen, »ALIENS«, S. 192 ff.

» V g l . ebd., S. 215 f.

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Freuds Entdeckung des Unbewußten oder Die Krise der Repräsentation Was sich hier jedoch als unbewußt konfrontiert, ist ein Phänomen, das sich mit dem klassischen Repräsentationsmodell nicht mehr fassen läßt und in dieser Unfaßbarkeit das Denkformat der Repräsentation selbst mit irreversiblen Effekten durchkreuzt. Es ist ein Phänomen, das sich nicht länger als ein herkömmliches wissenschaftliches Objekt beschreiben und klassifizieren läßt und damit wiederum das wissenschaftliche Subjekt selber gefährlich destabilisiert. Es ist ein phänomenologisches Phänomen im Sinne Heideggers, ein solches, fiir das Verdunklung und Verbergung konstitutiv sind;36 es ist das Auftauchen eines Subjektiven im Realen.37 Die Freudsche Erfahrung ist eine Erfahrung des Realen. Stand Freuds früher Entwurf einer Psychologie von 1895 noch unter dem Kommando von Charcots hartem Materialismus - jede psychologische Behauptung muß physiologisch-experimentell nachgewiesen werden —, so durchzittern bereits die im selben Jahr zusammen mit Breuer publizierten Studien über Hysterie Spuren von Verstörung. Alles deutet fur Freud darauf hin, daß bei der Hysterie, die er hier gewollt änigmatisch als eine Krankheit durch Vorstellung bezeichnet, eine psychische Verletzung physische Störungen hervorbringt und nicht umgekehrt. Das fuhrt Freud in eine Aporie, die mit den Voraussetzungen des Materialismus nicht lösbar ist. Die Krise läßt sich zeichentheoretisch reformulieren: Sind hysterische Symptome als Zeichen im Sinne einer materialistischen oder auch ontologisch-repräsentativischen Theorie zu nehmen? Repräsentieren Symptome das Sein, sei es im philosophischen, sei es im materialistischen Sinne? In diesem Fall müßten sie auf ein Signifikat oder einen materialistischen Referenten zu beziehen sein, und genau das sind sie nicht. Symptome sind Signifikanten ohne Signifikat bzw. Referenten. Die aporetische Erfahrung aus den Tagen der Hysterie-Forschung holt Freud Jahre später ein, etwas wiederholt sich, abermals wird er von Verwirrung und Irritation ergriffen, diesmal stärker, unausweichlicher: Abermals erblickt Freud das »Jenseits der Bedeutung«38. Er erblickt das neurotische Symptom, den Wiederholungszwang, reine signifikante Struktur, unerklärlich und anankastisch unerlöst vom Schlag der Bedeutung. Ein Zwang, der weder Ankunft noch Bedeutung, der vielmehr nur die reine und radikal bedeutungslose Rekursion ad infinitum will: Eine iterative Struktur ohne fixierbare Substanz diffamiert alle Zeichensysteme der Repräsentation und bewegt Freud zur Unterstellung eines Unbewußten. Das Unbewußte als Freudscher Begriff hängt sicherlich eng zusammen mit der >Funktion der Ursachen der Ursache der sym-

36

Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit (1927), Tübingen 1993, S. 35 ff.

37

Vgl. Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 221: »Wenn man vom Subjektiven spricht, und selbst wenn

wir es hier in Frage stellen, bleibt immer das Trugbild im Geist, daß das Subjektive zum Objektiven in Gegensatz steht, daß es auf der Seite desjenigen ist, der spricht, und sich aufgrund dieser Tatsache eben auf der Seite der Illusionen findet - sei es, daß es das Objektive deformiert, sei es, daß es es in Schranken hält. Die bis jetzt im Verständnis des Freudismus elidierte Dimension ist, daß das Subjektive nicht auf der Seite desjenigen ist, der spricht. Es ist etwas, dem wir im Realen begegnen.« 38

Ebd., Buch II, S. 240.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK

ptomatischen Wiederholung, dennoch stellt dieser Begriff keine Kausalitätsbeziehung im Sinne der materialistischen Psychiatrie her. Freuds Begriff bringt nicht etwa das Unbewußte auf den Begriff, Freuds Begriff des Unbewußten repräsentiert nicht das Unbewußte, weil das Unbewußte sich ja selbst bereits offenbarte als Repräsentation, als Repräsentation ohne Repräsentiertes, damit als eine, bezogen auf das klassische ontologische Modell, unmögliche Repräsentation. Freuds Begriff indiziert vielmehr gerade diese Unmöglichkeit, die Ursache in ihrer Unmöglichkeit und in ihrem ewigen Hapern, und inauguriert damit das Feld einer Erfahrung, der Freudschen Erfahrung des Realen. Lacan auf den Spuren Freuds nennt die Koordinaten dieses Feldes und zeigt, »daß das Freudsche Unbewußte genau an diesem Punkt anzusiedeln ist, also da, wo es zwischen der Ursache und dem, was die Ursache affiziert, hapert, und zwar immer. [...] Das Unbewußte zeigt uns vielmehr die Kluft, über die die Neurose mit einem Realen verbunden ist - einem Realen, das selbst nicht determiniert sein muß.« Im neurotischen Symptom, einer Iteration, die den unmöglichen Sinn verfehlt, um sich in dieser Verfehlung als repetitive Struktur zu reaktivieren, erschließt sich Freud ein Unbewußtes, und »es ist also Diskontinuität [...], in der das Unbewußte sich uns zuerst zeigt - in der Diskontinuität manifestiert sich etwas als ein Flimmern, Schwanken«.39 Es ist das Flimmern von Funken, die Diskontinuität des Wechselstroms - im Sinne eines medialen Aprioris - , der das Sein elektrifiziert und zucken und im diskreten elektromagnetischen Takt der Zuckung unmögliche Botschaften transportieren macht, Botschaften, die bei keinem wahren Sinn mehr landen, sondern im Gegenteil jeden wahren Sinn stochastisch-programmatisch verfehlen, um alternative und unterhalb der phantasmatischen Oberfläche jovial sinnfreie Sinneffekte zu generieren und dann überzugehen ins Wiederholen: Rekursion von Ewigkeit zu Ewigkeit. Diese operationalisierte Unmöglichkeit des Transzendentalsignifikats ist der Abgrund, der Abgrund des Unbewußten, in den Freud geblickt hat: Repräsentant ohne Repräsentiertes, reine Struktur und keine sie begründende Substanz, einzig die signifikante Artikulation eines Symptoms in operandu, das sich nicht repräsentativisch erden, das sich nicht ontologisieren und nicht materialistisch ableiten läßt. »Der Tag und die Nacht, das ist keineswegs etwas, das sich durch die Erfahrung definieren ließe.«40 An dem Ab-grund oder Ab-ort, aus dem das Es spricht des Unbewußten seinen Anlauf nimmt, existiert kein Referent, kein transzendentaler Sinn, kein ganzes fìir-sich-seiendes Un, weder in Form eines Flechsigschen Präparats noch als jenes großartige logozentrische Hauptsignifikat, das noch in Saussures Untrennbarkeit von Vorstellung und Lautbild überdauert. Dem Unbewußten als Struktur von Diskontinuität und Wiederholung geht nicht etwa ein Un rettend und begründend vorweg, sondern ein kontingentes Funkengewitter, das den Bruch im Realen, die Klüftung des Seins, das kleine diskrete un des »diskontinuierlichen Bösen«41 und in eins damit die sinn- und rettungslosen Tag/Nacht-Serien des unbewußten Begehrens erst induziert. "Ebd., BuchXI, S.28 u. 31. « Ebd., Buch III, S. 199. 41

Siegert, »ALIENS«, S. 218.

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Ist das Eindie un vor der Diskontinuität? Ich denke nicht, und alles, was ich die letzten Jahre gelehrt habe, geschah in der Absicht, die Forderung nach einem geschlossenen Einen zu Fall zu bringen [...]. Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, daß das in der Erfahrung des Unbewußten eingeführte un jenes un des Spalts, des Zugs, des Bruchs ist.42 Das Un des Unbewußten ist ein diskretes un, und der Begriff des Unbewußten ist der Begriff dieses un, womit automatisch die Grenze dieses und des Begriffs überhaupt angezeigt ist, das Verschwinden des wahren Sinns, das Versinken eines metaphysischen Hintergrunds, eine Repräsentation mit unmöglichen Augen, ein Fulgurit von diskreten Zuständen, eine divergente Signifikantenkette, die gegen unmöglich und nicht gegen elysisch geht, um aus dieser Unmöglichkeit jedoch verkürzte Elysien und: Begriffe zu erzeugen. Phantasmen von sahnigen Himmeln und Mitternachtsblau, Begriffe auf allen Meridianen und allen Kongressen dieser Welt: Es sind Bedeutungsübertragungen, Bedeutungseffekte, temporäre Haltewerte und Zwischenergebnisse einer unendlichen meerüberwandernden Rekursion. Doch vollzieht sich an diesen Haltewerten keine klassische Zeichenfunktion mehr, nicht die Repräsentation eines vollen Sinns, nicht die Konvergenz von Bedeutung und Ding. »Wir können [...] auf keinen Fall das Hinweisen auf das Ding als seinen grundlegenden Haltepunkt ansehen«, vielmehr besteht »eine absolute Nicht-Äquivalenz des Diskurses mit jeglichem Hinweisen«. Zwar zielt »der Diskurs wesentlich auf etwas [...], fur das wir keinen anderen Ausdruck haben als das Sein«, nur ist dieses Sein zu Zeiten Lacans zum »problematischen Ausdruck« geworden,43 sofern das Abzielen auf das Sein gerade nicht mehr zu dessen Präsentifizierung im Signifikat und damit zum glücklichen Endpunkt des Satzes fiihrt. Das Sein läßt sich im Gegenteil nie anders als mit einem unausweichlichen >Gefiihl des Nichtübereinstimmens< adressieren, das unbewußte Subjekt kann und muß das Sein immer und immer wieder nur versäumen und dann aus diesem schicksalhaft syntaktisierten Versäumnis ambulante Sinneffekte generieren.44 Jenes Sein S, das im Logozentrismus noch jeden Sinn beatmete, wird im Zeitalter der durch die elektrischen Medien automatisierten Psychoanalysen zum Realen im Sinne des Unmöglichen, es muß, um Sinn überhaupt prozessieren zu können, erst geklüftet, diskretisiert werden, es muß durch das »un des Spalts, des Zugs, des Bruchs« perforiert werden: S/. Es muß markiert werden durch das, was nach dem Untergang all der Epiphanien des Wahren und Ganzen aus Saussures friedlichem Verbindungsstrich zwischen Vorstellung und Lautbild geworden ist: die Lacansche Barre, der Trennstrich des »Algorithmus S/s«, der den Zugang des unbewußten Subjekts zum Signifikanten reguliert. Und [e]ines ist sicher: Dieser Zugang darf auf keinen Fall irgendwelche Bedeutung mit sich fuhren, soll ihm der Algorithmus S/s mit seinem Balken entsprechen. Denn es kann die-

42

Lacan, Das Seminar, Buch XI, S. 32.

« Ebd., Buch III, S. 164. 44

Vgl. ebd.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK

ser Algorithmus, sofern er selbst nur reine Funktion des Signifikanten ist, an dieser Übertragung nur eine Signifikantenstruktur aufzeigen.45 S/s bezeichnet nicht länger die für-sich-seiende Zeichen totali tät des Repräsentationsmodells, sondern einen Algorithmus, also eine artikulierte, in reinen Signifikanten oder diskreten Elementen vorliegende Vorschrift zur Erzeugung von Bedeutungs- und Bewußtseinseffekten. S/s ist der Algorithmus, der von der unbewußten, das heißt reinen Signifikanten-Ebene aus die Übertragung von Signifikaten steuert. Es geht nicht mehr um Repräsentation, sondern um Verschlüsselung und Codierung: Das Unbewußte ist ein im Realen implementierter bzw. korpsifizierter Rechenprozeß, der unter anderem jene Signifikate instruiert, die von ihrer Struktur her nichts anderes als übercodierte Signifikanten darstellen. Die Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat ist nicht mehr substantiell, sondern lediglich strukturell: Es handelt sich um zwei unterschiedliche, durch die Barre separierte Niveau-Ebenen, um zwei unterschiedliche »Ordnungen, die von vornherein getrennt sind durch eine Schranke, die sich der Bedeutung widersetzt. Dadurch wird es möglich, die dem Signifikanten eigenen Verbindungen und die Funktionsbreite derselben in der Genese des Signifizierten genau zu studieren«46. Das Studium der Genese des Signifizierten ist die ureigenste Tätigkeit und Leidenschaft der strukturalistischen Psychoanalyse, jener Theorie, die davon ausgeht, daß »jegliches Phänomen, das am analytischen Feld teilhat, an der analytischen Entdekkung, an dem, womit wir zu tun haben beim Symptom und bei der Neurose, [...] strukturiert [ist] wie eine Sprache«47, jener Theorie, die mit Freud begann. Freud, und nicht Saussure, ist fur Lacan der wahre und unbewußte Pionier der strukturalen Sprachwissenschaft. Freuds sich in der Traumdeutung offenbarendes Genie, so Lacan, liege in einer Antizipation der strukturalen Linguistik, es sei der »Geniestreich« Freuds, der mehrmals das gleiche Zeichen auftauchen sieht, [der] von der Vorstellung ausgeht, daß das etwas bedeuten muß, und dem es gelingt, den Gebrauch aller Zeichen dieser Sprache wiederaufzustellen. [...] das ist eine sensationelle Hypothese, die erlaubt, die gesamte Kette des Textes wiederherzustellen [.. J. 48 Die Traumdeutung ist die Urszene, mit der die Ent-zifferung der Signifikantenketten und Signifikantensysteme des Unbewußten begonnen hat, und Lacan setzt diese Dechiffriertechnik fort im Anschluß an die neu entstehenden Disziplinen der Stochastik, der Informationstheorie und der Computermathematik.49 Mit den Telephoninge-

45

Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 25 f.

« Ebd., S. 21. 47

Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 198.

48

Ebd., S. 17f. Vgl. auch ders., »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 34.

49

Um nur auf zwei Stellen unter vielen anderen zu verweisen, an denen Lacan seine Analysetechniken

nachdrücklich der Informationstheorie und Stochastik unterstellt: Das Seminar, Buch II, S. 103 ff. und 223 ff., sowie »Das Seminar über E. A. Poes >Der entwendete Briefwieselflinken< Strategien des unbewußten Begehrens: Analyse der Repetitionsstrukturen und Distribution der Signifikanten im Unbewußten, Disassemblierung und Neucodierung des unbewußten Programmspeichers, Approximierung des Source Codes des Begehrens - der ideale Psychoanalytiker wäre zweifelsohne ein Digitalcomputer. 50 Lacan rekonstruiert jene Rechen- und Codierungsprozesse, die das unbewußte Begehren in einem Signifikat oder auch alternativ - denn die Struktur ist isomorph - 5 1 in einem Symptom verschlüsseln. Es geht nicht mehr um die Elle des ganzen und wahren und transzendentalen Sinns, es geht um strukturalistisch-mathematisch entauratisierte Sinne, um Sinne als überdeterminierte Formationen von Signifikanten, die entziffert und recodiert werden können zu diskreten Elementen; 52 es geht um multiple und modifikable Sinne, die noch als Palliative einer unmöglichen Präsenz das Stigma von zeidicher Verschiebung und Versäumnis tragen, es geht schließlich um Sinne, die ihre letzten Mysterien bewahren vor dem Loch des Realen, aus dem sie vom Moment der ersten tödlichen Wechselstromzuckung, vom Moment des Un des Unbewußten an, getrieben durch den Wahn einer unmöglichen Läuterung, produziert worden sind. Das Zeichen des Zeichens, das besagt die Antwort, die der Frage zum Vorwand (prétexte) dient, ist darin zu sehen, daß ein beliebiges Zeichen ebensogut die Funktion eines jeden anderen übernehmen kann, und zwar genaugenommen deshalb, weil es ihm substituiert werden kann. Denn Tragweite hat das Zeichen nur, weil es entziffert werden muß. Ohne Zweifel soll die Abfolge der Zeichen Sinn annehmen aus der Entzifferung. Nicht aber gibt diese Abfolge ihre Struktur preis, weil eine Di(t)mension der andern ihren Term gibt. Was die Elle [des] Sinns wert ist, haben wir ausgesprochen. Daß es daraufhinausgeht mit dem Sinn, hindert nicht, daß dieser ein Loch macht. Eine entzifferte Mitteilung kann ihr Rätsel bewahren. [...] Aus dieser Erfahrung heraus bestimmt sich der Analytiker. Die von mir so genannten Bildungen des Unbewußten (formations de l'inconscient) zeigen ihre Struktur dadurch, daß sie entzifferbar sind.53

Metonymie und Metapher Der im Loch sich verlierende Sinn ist uneinholbar und unmöglich, dennoch können die Produktionsalgorithmen der sich aus dieser Unmöglichkeit ergebenden Sinneffekte, Sinnkonstitutionen der Nachträglichkeit oder Antizipation, entziffert werden. Lacan knüpft an die beiden von Freud explorierten Traummechanismen der Verschie-

hier S. 41 ff. Vgl. auch Henning Schmidgen, Das Unbewußte der Maschinen. Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan, München 1997. 50 Vgl. Lacan, »Das Seminar über E. A. Poes >Der entwendete Brief««, S. 58 f. 51 Vgl. Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 143. 52 Vgl. auch Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 22 f.: »Das fuhrt uns zu der Feststellung, daß auch der sinnerfüllteste Text fiir jene Analyse sich auflöst in unbedeutende Bagatellen, wogegen nur die mathematischen Algorithmen sich sträuben, die ihrerseits zu Recht ohne allen Sinn sind.« 53 Ebd., S. 7 f.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK

bung und Verdichtung an54 und präsentiert zwei Algorithmen, die die Aktivität des unbewußten Begehrens regeln: zum einen die Metonymie, die das Gleiten der Signifikantenkette, also die Bewegung des unbewußten Begehrens konstituiert, zum anderen die Metapher, die die Übertragung des Begehrens als Signifikat oder Symptom steuert. Lacan übernimmt die Konzeptionen von Metonymie und Metapher — und darauf verweist er mehrfach und nachdrücklich - aus der linguistisch-poetologischen Theorie Roman Jakobsons.55 Diese weist die Metonymie und die Metapher als die beiden Pole der Sprache aus, der jeweils zwei zentrale Funktionen oder Operationen des sprachlichen Zeichens in der Literatur entsprechen. So korreliert Jakobson die metonymische Dimension der Kontiguität oder Kontextualität dem literarischen Realismus, während die metaphorische Dimension der Substitution und Selektion die romantische und symbolistische Lyrik dominiert; Lacan resümiert diese Zuordnungen am Ende des dritten Seminars.56 Lacan adaptiert also zwecks Formalisierung der beiden zentralen Rechenoperationen des Unbewußten Jakobsons Funktionen von Metonymie und Metapher, um letztere jedoch zugleich einer fur diesen Akt notwendigen Modifikation zu unterziehen. Ahnlich wie er bei Saussure das in der Theorie des sprachlichen Wertes enthaltene Prinzip der Differentialität forciert, so liest er Jakobsons Funktionen mit den digital flackernden Augen des Informatikers aus Leidenschaft, der nur noch diskrete, aber keine realen oder substantiellen Beziehungen mehr anerkennt, für den Ontologie sich nur noch aus Operationalität ergibt. Metonymie und Metapher bei Lacan sind Varianten des basalen Algorithmus S/s, und somit lassen sich die Relationen ihrer einzelnen Elemente ausnahmslos differentiell bestimmen. Sowohl die Kontextualität der Metonymie als auch die Substitution der Metapher werden als reine Signifikanten-Beziehungen formalisiert. »Was den Signifikanten charakterisiert, ist nicht, daß er ein Objekt [...] ersetzen kann, sondern, daß er sein eigenes Substitut werden kann, welches eine Verkettung voraussetzt, [und] ein Gesetz, das die Signifikanten ordnet.«57 Die Kontiguität, die die Metonymie bestimmt, ist einfach die Signifikantenkette des Unbewußten, und der von der Metapher erzeugte Signifikatseffekt ist möglich nur aufgrund der Substitution von Signifikanten durch Superstrukturen von Signifikanten. Die Metonymie ist die korpsifizierte Form des Begehrens selbst. Sie ist »die eigentliche signifikante Funktion«58, im Grunde die unendliche Prozession diskreter Elemente: 0 und 1, Tag und Nacht, der blinde und wilde Lauf des Wechselstroms, der sich wechselseitig induzierenden und zerstörenden elektrischen und magnetischen Felder. Die metonymische Formel pointiert die diesem Begehren zukommende syn-

Vgl. ebd., S. 37. 55

Im Seminar, Buch III, beispielsweise bezieht Lacan sich ausdrücklich auf Roman Jakobson, »Two

Aspects of Language and Two Types of Aphasie Disturbances«, in: Morris Halle/Jakobson, Fundamentals of Language, Den Haag 1956, S. 55-75. 56

Vgl. Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 269-272.

57

Jacques Lacan, »Les formations de l'inconscient«, in: Bulletin de Psychologie XII/4 (1958), Nr. 156,

S. 250-256, hier S. 251; Übers. A. B. 58 Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 30.

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taktische Gerichtetheit auf etwas Unmögliches, zugleich eine syntaktische Verfluchung zur Unendlichkeit, als eine unaufhörliche Verschiebung. Die Bewegung des unbewußten Begehrens, jenes Dahintremolieren von zwei diskreten Zuständen, die sich wechselseitig nur in ihrer Mangelhaftigkeit, also ihrer relationalen Bezogenheit auf den jeweils anderen Zustand aufrufen, aber niemals zu sich selbst als Identitäten vorstoßen, läßt sich vorstellen als eine infinite Verschiebung des Seinsmangels. Die Formel »f (S... S') S = S (—Κ also die Struktur der Metonymie [zeigt an], daß die Verbindung des Signifikanten mit dem Signifikanten die Auslassung möglich macht, durch die das Signifikante den Seinsmangel (manque de l'être) in die Objektbeziehung einfuhrt«59, wobei gerade die Beziehung zum Objekt ja bei Lacans Subjekt eine unmögliche ist: Es ist jenes Objekt, dessen Irreduzibilität hinsichtlich jeden Versuchs der Repräsentation die Freudsche Erfahrung ausmacht. Es ist ein Objekt, dessen radikale Unmöglichkeit und Unzugänglichkeit im Algorithmus der Metonymie durch das Zeichen » - « dargestellt wird, also durch das, was in Lacans Theorie aus dem Saussureschen Strich geworden ist: Sperrlinie, Ab-ort, Minuszeichen, Bruchstrich — Lacan läßt da den Metonymien freien Lauf - , aber es handelt sich immer um eine symbolische Formalisierung des Unmöglichen und niemals um den Garantiestrich des Notwendigen wie in Saussures Zeichenkonsolidierung durch das Transzendentalsignifikat. Der >Algorithmus< der Metonymie beschreibt eine Funktion zwischen zwei Signifikanten, f ( S . . . S ' ) S , in der ein Signifikant differentiell auf einen anderen Signifikanten verweist, also ein diskretes Prozessieren, bei dem jedes Signifikat durch die Sperre (-) ausgesperrt bleibt.60 Auf diesem Wege realisiert sich das Subjekt in dem Verlust, in welchem es als unbewußt auftauchte, durch den Mangel, den es im Andern erzeugt, der Schneise folgend, die Freud aufdeckt als den radikalsten Trieb und den er >Todestrieb< nennt. Ein nicht zusoll hier ein anderes nicht zu- ausfüllen. [...] Das vel kehrt zurück in dem velie. Dies wäre das Ende der Operation.61 Im Grunde ist es das Ende der Operation, ein den Traum vom Aufhören, von einem Tod, dessen Advent Erlösung brächte wie ein Transzendentalsignifikat, immer wieder verfehlendes und sich in diesem Verfehlen reaktivierendes velie, ein verzweifelt untot perennierendes velie, das nicht zum thanatologischen Rausch, sondern immer nur als diskretes un oder vel wiederaufgerufen wird. Etwas kommt aber noch hinzu zu den Rekursionen »von Tag und von Nacht« als den »signifikante [n] Kodes« des Unbewußten: »der empirische und konkrete Tag kommt [...] als imaginäres Korrelativ« hinzu,62 zusammen mit der >empirischen Furcht< vor der Dunkelheit der Nacht, der imaginären, metaphorisch erzeugten Nacht. Die Metapher algorithmisiert die Erzeugung von SignifikatsefFekten, die sich einstellen an den temporären Haltewerten oder Steppunkten der unendlichen Begeh-

59 Ebd., S. 40 f. « Vgl. ebd. 61 Jacques Lacan, »Die Stellung des Unbewußten«, in: ders., Schriften, Bd. 2, S. 205-230, hier S. 222. 62 Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 177 f.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK

rensfunktion, Stundenglücke der Virtualität, in denen sich das Unbewußte und mit ihm der »Bann« der Freudschen Frage verschlüsselt überträgt: [...] diese Menschheitspyramiden, phantastisch, wie sie das Kaskadenhaite des Genießens dartun, Wasserspiele der Begierde, deren Anlage die Gärten der Este in barockem Schwelgen schillern läßt, höher noch würden sie die Lust gen Himmel schießen lassen, nur um uns in den Bann der Frage zu ziehen, was es eigendich ist, das da hinabsprüht.63 Die Formel der Metapher S = S (+) s vS/ schreibt vor, daß ein Signifikant durch einen anderen Signifikanten ersetzt wird, der die Barre überspringt und als Signifikat die Ebene des Bewußtseins konstituiert, während der ersetzte Signifikant innerhalb der unbewußten metonymischen Kette operant bleibt.64 An der Struktur der Metapher und damit des Prinzips der Bedeutung läßt sich der entscheidende Gegensatz von Saussures und Lacans Linguistik auf konzentrierteste Weise erkennen: Es geht nicht mehr um eine Zuordnung von zwei unterschiedlichen Sphären, Signifikant und Signifikat, Lautbild und Vorstellung, sondern um eine algorithmische, d. h. rein différentielle Artikulation von reinen Signifikanten oder diskreten Elementen: f(S'/S)S. Der Signifikatseffekt kommt nur durch eine Überdeterminierung von Signifikanten und durch ein Überspringen der Barre — angedeutet im Zeichen » + « - zustande, also durch einen Übergang auf eine höhere Strukturebene65 mit Ubercodierten Elementen namens Bedeutungen, die jedoch, und genau das geschieht am Ende einer jeden Übertragungsschleife, wieder zerlegt werden zu den reinen Signifikanten der metonymischen Ketten des Unbewußten. Der Sinn existiert nicht als solcher in Form eines bestimmten Elementes der Signifikantenkette, er kann nicht substantialisiert werden, hat keine Konsistenz, der Sinn liegt nur in struktureller Form vor, d. h. in Form einer differentiellen Kombination von Signifikanten. Es gibt kein ganzes, mit sich identisches, in sich ruhendes Signifikat, nicht eine winzige logozentrische Gedenksekunde lang, es gibt nur eine Prozedur, einen Algorithmus namens Metapher, der via Substitution oder Überdeterminierung ein >Sich-Niederschlagen des Signifikanten als Signifikat< instruiert, wobei der als Signifikatsfunktion operante Signifikant in einer diskreten kontextuellen Beziehung zu dem ersetzten oder verdrängten Signifikanten der unbewußten Kette bleibt. Der erste, sich als Signifikat niederschlagende Signifikant hat jenseits des Imaginären keine Konsistenz, während der zweite, der ersetzte Signifikant im Unbewußten insistiert. »Man

63

Jacques Lacan, »Kant mit Sade«, in: ders., Schriften, Bd. 2, S. 133-163, hier S. 158.

64

Vgl. Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 40 f., dazu auch S. 32.

65

Zu Lacans Begriff der Struktur vgl. ders., Das Seminar, Buch III, S. 218: »Letzten Endes, wenn man

sie genau betrachtet, erscheinen der Begriff der Struktur und derjenige des Signifikanten untrennbar. Tatsächlich handelt es sich, wenn wir eine Struktur analysieren, idealerweise zumindest, immer um den Signifikanten. Was uns am meisten befriedigt bei einer strukturalen Analyse, ist eine möglichst radikale Freilegung des Signifikanten.«

287

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SCHALTEN / RECHNEN / STEUERN

kann also sagen, daß der Sinn in der Signifikantenkette insistiert, daß aber nicht ein Element der Kette seine Konsistenz hat in der Bedeutung, deren es im Augenblick gerade fähig ist.« Aus diesem Blickwinkel wird auch die Kritik an Saussures phonozentrischer Linearität evident, gegen die Lacan die von Jakobson pointierte Kontextualität und Mehrdimensionalität ins Feld fuhrt. Der Diskurs stellt keine lineare Abfolge von Zeichen dar, sondern ist durch Horizontalität und Vertikalität konstituiert, er richtet sich aus »nach den verschiedenen Dimensionen einer Partitur«, er ist interpungiert durch Steppunkte, jene Haltewerte, an denen sich ein Sinneffekt konstituiert, der aber gerade nicht mehr aus dem Repräsentationspotential eines einzelnen Zeichens resultiert. Letzteres ist jedoch impliziert in Saussures Linearität, sofern diese nur unter Voraussetzung eines konsistenten Sinnelements, eines repräsentativen, aus Signifikat und Signifikant bestehenden Zeichens funktioniert. Lacan dagegen betont, daß der Sinn sich gerade nicht mehr in »seiner nominalen Vereinzelung« realisiert, daß er vielmehr induziert wird an genau den Punkten oder »Interpunktion[en]«, an denen ein einem Signifikant der horizontalen oder metonymischen Kette substituierter Signifikant die Barre durchbricht und eine vertikale oder metaphorische Dimension aufspannt, die von der Signifikantenkette des Unbewußten determiniert ist: »Tatsächlich gibt es keine signifikante Kette, die, gleichsam an der Interpunktion jeder ihrer Einheiten eingehängt, nicht alles stützen würde, was sich an bezeugten Kontexten artikuliert, sozusagen in der Vertikalen dieses Punktes.«66 Der Sinn ist ein nachträgliches Produkt einer unbewußten Rechenleistung. Bedeutungen wie auch die ergonomischen bewußten Egos, die allein noch an erstere glauben, werden von unbewußten Signifikanten ferngesteuert, mehr noch, à la Mandelbrot von ihnen simuliert.67 Sprechen ist nicht Repräsentation einer Welt, sondern eine unbewußte Verschlüsselung: Transformation, Permutation, Verschiebung und Substitution von Signifikanten, das Krypto-Gespenst des Unbewußten überträgt sein abgründiges Begehren. »Was diese Struktur der signifikanten Kette aufdeckt, ist meine Möglichkeit, genau in dem Maße, wie ihre Sprache mir und anderen Subjekten gemeinsam ist, das heißt, wie diese Sprache existiert, mich ihrer bedienen zu können um alles andere als das damit zu bezeichnen, was sie sagt.«68

Im Feld der kybernetischen Wissenschaften des 20. Jahrhunderts Das Unbewußte ist eine diskrete Prozedur im Realen, ausgestattet mit einem metaphorisch-stochastischen Algorithmus, damit in der ewigen Nacht des Wechselstromwahnsinns noch ein wenig »Sinn im Un-Sinn entsteht«69. Aber diese Sinne kommen aus der Fabrik der Phantasmen, ihre Dauer und Ganzheit sind imaginär, sie 66

Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 27 f.

67

Vgl. Lacan, Das Seminar, Buch I, S. 99 ff.

68

Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 29.

« Ebd., S. 33.

1. ZWISCHEN LINGUISTIK UND KYBERNETIK konstituieren sich nur als Nachträglichkeitseffekt oder Antizipation, denn jenes Präsens, das sowohl die klassische Bedeutung als auch das sich materialisierende Objekt unter der neurophysiologischen Sonde voraussetzen, ist genau das, was unmöglich ist, wie auch immer man den Todestrieb liest, als Insomnie oder als fatale Rekursion aufs Reale. Was Lacan betrifft: Er hat, mitgerissen vom digitalen Juchhu der 50er Jahre und als Freund und Schüler von »Abhörerfn] oder Entzifferer[n]« »von Beruf«70, den Todestrieb im ersteren Sinne gelesen, mit den schlaflosen Geistern der Funkeninduktoren, als eine vom Moment der symbolischen Tötung, der Diskretisierung an endlos zirkulierende Botschaft, als [j]ene Kette, die darauf insistiert, sich zu reproduzieren in der Übertragung, und die die Kette eines toten Begehrens ist, [die] wohnt in einem Gedächtnis, vergleichbar dem, das man ebenso nennt bei unseren modernen Denkapparaten (die auf einer elektronischen Realisierung der signifikanten Komposition basieren).71 Nach und mit Freud hat er das Unbewußte auf dem medialen Apriori moderner Denkapparate formalisiert und dessen Triebe über die Anwendung und informationstheoretische Weiterentwicklung linguistischer Theorien logisiert. Mußte er Saussures Linguistik in diesen Anwendungen zugleich entstellen und deren repräsentativische Implikationen destruieren, so konnte er die Modelle seines Freundes und Trinkbruders Jakobson größtenteils und dankbar einfach übernehmen. Zwar entwickelt Lacan bei der Spezifizierung der Jakobsonschen Metonymie und Metapher einen Grad an formalistischer Schärfe, hinter dem Jakobson weit zurückbleibt; allerdings ging es Jakobson auch um die Darlegung poetischer Funktionen, die zwar in medientheoretischen Kontexten stattfand, aber das Prinzip der Differentialität nicht mit solcher Strenge verfolgen mußte. Neben dem Transfer von Metonymien und Metaphern in die Kybernetik des Unbewußten - wenn letztere auch eine übrigens unkommentierte Manipulation von Jakobsonschen Funktionen auf diskrete Elemente, also eine algorithmische Struktur hin, erforderte - kann Lacan in einer ganzen Reihe von Schachzügen auf dem Weg von der Linguistik zur Informationstheorie von Jakobsons Konzeptionen profitieren. Der von Jakobson in den Blick gehobene materielle Aspekt des sprachlichen Zeichens wird fïir Lacan zum entscheidenden Mittel der Entpsychologisierung des Saussureschen Zeichens und ist damit zumindest einer unter anderen Wegen, die Lacan zum modernen Begriff der Information fuhren. 72 Des weiteren kann die Parallele - nicht Gleichsetzung - , die Lacan in »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten« zwischen dem Phonem und dem Signifikanten als diskretes Element zieht, mit großer Wahrscheinlichkeit auf Jakobsons Inbezugsetzung von Phonem und Bit zurückgeführt werden; 73 zumindest ist Jakobson eine der Stimmen, die Lacan da

70

Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 248.

71

Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 44.

72

Vgl. z. B. Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 222 ff.

73

Vgl. Roman Jakobson, »Linguistics and Communication Theory«, in: ders. (Hrsg.), Structure of

Language and its Mathematical Aspects. Proceedings of the 12. Symposium in Applied Mathematics. Held in

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290

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soufflierten. In diesem Zusammenhang ist auch die Übernahme des Jakobsonschen Begriffe des Shifters sowie die Unterscheidung von Aussage (énoncé) und Äußerung (énonciation)74 zu situieren; mit diesen Konzepten adaptiert Lacan mehr als nur eine terminologische Erweiterung seiner Differenzierungen zwischen dem unbewußten und dem bewußten Subjekt. Jakobson fuhrt diese Begriffe im Zuge einer Dekonstruktion des Husserlschen Ichs ein, und von daher ergibt sich eine klare Verbindungslinie zu Lacan, der Husserls Ich noch gründlicher liquidiert als Jakobson selbst. Noch entscheidender aber ist die Brücke, die die Linguisten Jakobson und Benveniste zur modernen Informationstheorie und insbesondere der mathematischen Theorie der Kommunikation von Claude Shannon geschlagen haben. Lacan, dessen Vektoren in dieselbe Richtung rasen, kann über diese Brücke gehen oder eben: rasen, schneller, fanatischer, computerbesessener und aus Berufsgründen kryptologischer, um dann über Jakobson hinauszuschießen und all dessen Funktionen zu algorithmisieren und zu elektrifizieren, diskrete Passionen. Dennoch ging es gerade nicht darum, Hilberts Traum des Symbolischen in Form einer Universalen Diskreten Maschine überdauern zu lassen. Hilbert brauchte keine Barre zum Überspringen, um operativ verkennen zu können, daß das Sesam der letzten Bedeutung in grauem Rauch verschwunden war, einfach weil er mit unerschütterlicher deutsch-nationaler Ruhe des Gemüts einer anderen Bedeutung fest verhaftet war: dem Phantasma des Einen-und-Ganzen75 der Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit der Mathematik. Für Hilbert war die »Frage [...], was es eigendich ist, das da hinabsprüht«76, verkennungstüchtig gelöst, Hilbert wollte nichts wissen von den Rätseln, »die das Begehren jeder >Naturphilosophie< aufgibt, seine Raserei, die den Abgrund der Unendlichkeit mimetisch wiederholt«77, Hilbert ist im Gegensatz zu Freud die Erfahrung jener »unsühnbaren Kränkung«78 des Anschließens des Seins an einen Wechselstromgenerator nie zuteil geworden. In Hilberts Universum gibt es nur die leisen silbrigen Klänge der übergehenden Differenzen, beinahe wie ein Husserlsches s'entendre parler, kein Flimmern, kein Schwanken, keine Diskontinuität. Lacan befand sich auf einer anderen Reise, im Strom des Realen, worin ein hypothetisches Unbewußtes, geklüftet, gebarrt, kopflos, auf der unendlichen Suche nach einer unmöglichen Erlösung ist. (Annette Bitsch)

New York City April 14-15,1960,

Providence/R. 1.1961, S. 245-252, hier S. 245. - Vgl. oben das Kapitel

»Die Geburt der Literatur aus dem Rauschen der Kanäle« im Abschnitt Transformation der Künste. 74

Vgl. Roman Jakobson, »Les embrayeurs, les catégories verbales et le verbe russe«, in: ders., Essais de

linguistique générale, Paris 1963, S. 176-196. Vgl. auch Émile Benveniste, Problèmes de linguistique générale (1956), Paris 1966. 75

Vgl. Lacan, Das Seminar, Buch III, S. 219.

76

Lacan, »Kant mit Sade«, S. 158.

77

Lacan, »Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten«, S. 44.

78

Jacques Lacan, »Hamlet VI: Das Begehren und die Trauer (1959)«, übers, von Susanne Hommel, in:

Wo es war, Nr. 3-4 (Ljubljana 1987), S. 19-32, hier S. 31.

2. Zeichen in Eigenregie Über die Welt der Maschine als symbolische Welt It may be helpfid at this stage to realize that the primary form of mathematical communication is not description, but injunction. George Spencer Brown

Strip-tease und Webstuhl Die Lust des Voyeurs mag zweifelhaft sein, unbezweifelbar ist sie doch: »Deshalb ist das Strip-tease langsam: es müßte so schnell wie möglich ablaufen, wenn sein Zweck die rituelle Entblößung wäre, aber es ist langsam, weil es Diskurs, Zeichenkonstruktion [...] ist.«1 So, wie man weiß, hat Baudrillard vor nunmehr zwanzig Jahren seine Ausrufung des Simulationszeitalters am glamourösen Anblick, an der Illusorik des Strip-tease in eins mit dem offenbaren - dem nackten und mithin bei weitem nicht so erregenden — Geheimnis seiner Funktionsweise zu verdeudichen unternommen. »Das Strip-tease ist ein Tanz: vielleicht der originellste der heutigen westlichen Welt. Sein Geheimnis liegt darin, daß eine Frau ihren eigenen Körper in einem autoerotischen Ritual zelebriert und er dadurch begehrenswert wird«2 - das ist die Seite der Faszination. »Es ist also kein Spiel, bei dem die Zeichen einer sexuellen >Tiefe< wegen abgelegt werden, es ist im Gegenteil ein sich steigerndes Spiel mit der Konstruktion von Zeichen«3 — das ist die Seite seiner semiotisch-medialen (Hyper-) Realität: seiner Tauglichkeit, die »Ära der Simulation«4 zu exemplifizieren, zu repräsentieren. Fällt heute das Stichwort Simulation, assoziiert man sogleich die »Suggestionskraft elektronischer Bildtechniken«5, die »rapide Entwicklung [...] auf dem weiten Gebiet der Computergraphik«, die »allgemeine Anerkennung und Verbreitung computerisierter Bilder«.6 Und selbst vor nur einem Jahrzehnt wußte sogar schon die Romanliteratur (nämlich Rogers Version von John Updike): »You see, it's not quite like a phoJean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod (1976), München 1982, S. 170; hier und im folgenden zit. unter Angleichung des Genus (das Strip-tease) an einen früheren Text gleicher Thematik von Roland Barthes (»Strip-tease«, in: ders., Mythen des Alltags [1957], Frankfurt/M. 1964, S. 68-72), wo es vorwegnehmend heißt: »Einzig die Dauer der Entkleidung macht aus dem Publikum den Voyeur [...].« 2 Baudrillard, Der symbolische Tausch, S. 167. s Ebd., S. 169. 4 Jean Baudrillard, Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 9. 5 Gottfried Boehm, »Die Bilderfrage«, in: ders. (Hrsg.), Was ist ein Bild?, München 1994, S. 325-343, hier S. 325. 6 Jonathan Crary, Techniken des Betrachters ( 1990), Dresden - Basel 1996, S . l l . 1

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SCHALTEN / RECHNEN / STEUERN

tographer sitting down in front of a scene, or even a painter doing what's in front of him dab after dab. In computer graphics, you store the mathematical representation of the object«7. Dagegen vor zwanzig Jahren? Sicher, da gab es zwar bereits jede Menge Fernsehen - wie längst das Reflektieren über Photographie und Film seit Benjamin um das Understanding Media nach McLuhan ergänzt worden war.8 Aber, bleibt zu erinnern, die Kunst des Imaging befand sich noch avant la lettre·, die Pop Art der Computer dominierten typographierte Rasterporträts (Abb. 27). Noch hatten die Fraktale ihren Siegeszug kaum begonnen: Mandelbrots Fractal Geometry of Nature erschien erstmals 1977. Keinen Tag früher kam der erste farbgraphiktaugliche PC mit einem Fernsehgerät als Bildschirm auf den Markt. Dessen Hersteller, die Apple Computer Inc., war im Jahr zuvor erst gegründet worden, und wohl waren die Entwicklungen graphischer Benutzeroberflächen in den Xerox-Labors bereits in vollem Gang, doch erst 1984 »machte der Macintosh von Apple Millionen von Menschen mit der grafischen Schnittstelle vertraut«9 - während die Reklame 1976 noch immer »Argumente gegen die letzten mechanischen Rechner auf Deutschlands Schreibtischen«10 aufzubieten fur tunlich hielt. Zwischen der Macht der Computer als der »der Binarität, der Digitalität«11 und der Macht der Bilder herrschte, mit einem Wort, noch bei weitem nicht jene Solidarität, wie man sie heute leicht fur gegeben annimmt. Darum das Strip-tease - oder jedenfalls seine Verwendung als populär-popularisierender Blickfang fur die Simulationstheorie. Wie so oft, hat Baudrillard sicherlich auch hiermit ein Beispiel gewählt, das vorab durch seine spektakuläre Darbietung zu bestechen versucht. Es soll, wenn nicht allein, so doch auch der ansonsten eher spröden These von der aktuellen Herrschaft der Simulation als einer Herrschaft des Codes etwas mehr Anschaulichkeit verleihen. Das Strip-tease, keine Frage, offeriert sich als reine Augenweide. Gerade als solche aber beschränkt es sich keineswegs auf die Funktion, mit den Mitteln des Variétés ein bißchen Farbe ins Grau der Theorie zu bringen, um vielmehr als Metapher (im Sinne Blumenbergs) zu fungieren, d. h. als Markierung einer »theoretischen Verlegenheit«12 von ebenso systematischem wie historischem Belang. Denn die Lust des Voyeurs mag unbezweifelbar sein; zweifelhaft bleibt sie gleichwohl, und das nicht aus Gründen des guten oder schlechten Geschmacks (um von guten oder schlechten Sitten gar nicht zu reden), sondern der Irrtümlichkeit, die der Inszenierung des Strip-tease wesendich eignet. Auf »die heiße und phantasmatische 7

John Updike, Roger's Version, New York 1986; hier nach der Taschenbuchausgabe, Harmondsworth

(Penguin Books) 1987, S. 117. 8

Vgl. Baudrillard, Der symbolische Tausch, S. 98 ff.

9

Howard Rheingold, Virtuelle Welten, Reinbek b. Hamburg 1992, S. 126 f. Vgl. zum Spaß auch Bill

Gates, Der Weg nach vorn, Hamburg 1995, S. 83ff. 10

So z. B. im Spiegel vom 24. 5. 1976, S. 208.

11

Baudrillard, Der symbolische Tausch, S. 115. Vgl. dazu auch Gérard Raulet, »Die neue Utopie. Die

soziologische und philosophische Bedeutung der neuen Kommunikationstechnologien«, in: Manfred Frank/Gérard Raulet/Willem van Reijen (Hrsg.), Die Frage nach dem Subjekt, Frankfurt/M. 1988, S. 283-316. 12

Wenn auch nicht einer unbehebbaren - wie das die Definition der >absoluten Metapher< fordert: vgl.

zuletzt Hans Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt/M. 1989, S. 808.

2. ZEICHEN IN EIGENREGIE

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38

Vgl. Charles Babbage, On the Economy of Machinery and Manufactures, London 1832 (1. u. 2., erw.

Auflage), 1833 (3., erw. Aufl.) u. 1835 (4., erw. Aufl.); übers, in zahlreiche Sprachen, so auch ins Deutsche u.d.T.: Ueber Maschinen- und Fabrikenwesen, Berlin 1833. 39

Charles Babbage, Passagesfromthe Life of a Philosopher, London 1864, S. 169; vgl. die ebd. folgende

Anekdote von der Vorführung des Porträts, das der Betrachter gerade nicht als Seidengewebe erkennt, um es vielmehr für einen Stich oder eine Lithographie zu halten. 40

So tradiert es der Sohn, Henry Prévost Babbage, »Aufbau der Analytical Engine« (1888), hier nach:

BRA 411 (s. Siglenverzeichnis in der folgenden Anm.). 41

Zitate von Babbage, seinen Söhnen und Zeitgenossen werden ab hier mit folgenden Siglen im fort-

laufenden Text nachgewiesen: BRA = Babbages Richen-Automate. Ausgewählte Schriften, hrsg. u. übers, von Bernhard J. Dotzler, Wien New York 1996. Darin - als für die obigen Überlegungen besonders einschlägig - enthalten: »Of the Mechanical Notation« (1864); »On a Method of Expressing by Signs the Action of Machinery« (1826); »Laws of Mechanical Notation« (1851); »Note sur la machine suédoise...« (1855). Speziell zur Mechanical Notation vgl. ferner die Seiten 46f„ 50, 58, 64, 166-172, 237, 256, 328, 390, 411f., 423 u. 431. Zu Notationsweisen allgemein vgl. die Seiten 256, 310, 313, 326, 331 f., 348, 352, 356, 363 f., 371 u.378.

2. ZEICHEN IN EIGENREGIE

Abb. 28: Ein aus Seide gewobenes Porträt Jacquards. Aus: Babbages Rechen-Automate. Ausgewählte Schriften, hrsg. von Bernhard J. Dotzler, Wien - New York 1996, S. 366.

PM = »Preface« (zus. mit John Herschel), in: Memoirs of the Analytical Society, Cambridge 1813, S. i-xxii. ON = »Observations on the Notation Employed in the Calculus of Functions«, in: Transactions of the Cambridge Philosophical Society 1 (1822), S. 63-76. IS = »On the Influence of Signs in Mathematical Reasoning«, in: Transactions of the Cambridge Philosophical Society 2 (1827), S. 325-377. N= Art. »Notation«, in: The Edinburgh Encyclopaedia, hrsg. von David Brewster u. a., Edinburgh 1830ff., Bd. 15, S. 394-399. Alle vier Texte sind auch enthalten in: The Works of Charles Babbage, hrsg. von Martin Campbell-Kelly, London 1989, Bd. 1, mit Angabe der jeweiligen Originalpaginierung.

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Seien die technischen Details, wie sie dies hätte leisten sollen, fur hier dahingestellt. Wichtig an dieser Stelle ist allein ihre Ausstattung mit Lochkarten. Denn wie um das hierfür entscheidende Vorbild fiir immer festzuhalten, prägten schon die Zeitgenossen den seither berühmten Slogan, »daß die Analytical Engine algebraische Muster webt, gerade so wie der Jacquard-Webstuhl Blätter und Blüten« {BRA 335), und wie um ihrer Zukunft vorauszueilen, wurde außerdem angemerkt: Tatsächlich kann die Maschine als materieller Ausdruck jeder beliebigen unbestimmten Funktion von beliebiger Allgemeinheit und Komplexität beschrieben werden, wie zum Beispiel: F (χ,y,ζ, logx, sinji χf usw.), was, wie man bemerken wird, eine Funktion aller anderen möglichen Funktionen mit beliebig vielen Größen ist. In diesem [...] neutralen oder Nulkustmd ist die Maschine bereit, jederzeit den Eindruck einer speziellen Funktion [...] zu erhalten, und zwar über die Karten, die einen Teil ihres Mechanismus bilden (und nach dem Prinzip der im Jacquard-Webstuhl benutzten Karten angewandt werden). {BRA 329)42 Neuerlich findet man so die (im übrigen von sämdichen Quellen solchermaßen betonte) Anlehnung an Jacquard erwähnt. Dazu handelt es sich hier um die zugleich prägnanteste wie (und weil) in höchster Zuspitzung abstrakte Formulierung dessen, was die Maschine dank ihrer Lochkartenadaption hätte sein sollen: Universalmaschine. Das ist oder war die Sensation. Daß eine Apparatur fur sich alles und nichts bezweckt, um aus diesem »neutralen Zustand< heraus in eine spezielle, zweckgerichtete Maschine fallweise erst verwandelt zu werden — nie zuvor hat es eine solche Erfindung gegeben. Daß darum die ganze Mathematik als »Funktion aller anderen möglichen Funktionen« in einer Maschine ihren »materiellen Ausdruck< finden könne - erst mit den Computern unserer Tage scheint diese Botschaft wirklich an ihr Ziel gekommen zu sein. In der Vergangenheit waren wir mehr daran gewöhnt, uns die Symbolstrukturen der Mathematik und der Logik abstrakt und körperlos vorzustellen - wenn man von Papier, Bleistift und Verstand absieht, die notwendig waren, um sie ins Leben zu rufen [zu beleben, zu aktivieren]. Die Computer haben die Symbolsysteme aus dem platonischen Reich der Ideen in die empirische Welt aktualer Prozesse verlagert, die in Maschinen oder Gehirnen oder in einer Verbindung beider ablaufen.43 Babbages Analytical Engine steht damit wie ein Brückenglied da, das Goethezeit und Gegenwart miteinander verbindet. Auf der einen Seite Novalis - um eine weitere, bedeutende Anspielung auf die Textilindustrie nicht zu übergehen: Die Mathematik,

42

Vgl. auch Babbages eigene Beschreibung: »Die Analytical Engine ist mithin eine Maschine allge-

meinster Natur. Gleichgültig, welche Formel man von ihr entwickelt haben will, es muß ihr deren Entwicklungsgesetz mit Hilfe zweier Sets von Lochkarten mitgeteilt werden. Sobald diese eingegeben wurden, handelt es sich um eine Spezialmaschine fiir diese besondere Formel« (BRA 241). 43

Simon, Die Wissenschaften vom Künstlichen, S. 20.

2. ZEICHEN IN EIGENREGIE

notierte er, »ist ein schriftliches Instrument [...]. Webstühle in Zeichen«44. Und auf der anderen Seite Turing - als derjenige, der definitiv die »Diskrete Universale Maschine« erfand: »Rechnungen«, notierte auch er, »werden fur gewöhnlich in der Weise ausgeführt, daß bestimmte Symbole auf ein Stück Papier geschrieben werden.«45 Darum kann man, so Turing weiter, ebenso den - Papiermaschine getauften - Verbund eines »Mensch[en], ausgestattet mit Papier, Bleistift und Radiergummi«, zur »Universalmaschine«46 erklären wie umgekehrt direkt eine solche »Maschine konstruieren, die die Arbeit dieses Rechnenden tut«47. Die Turing-Maschine, als das Grundmodell aller Computer, liest und schreibt bekanntlich selbst. Seitdem, könnte man sagen, operieren die Zeichen in Eigenregie. Das berühmte Menetekel, »daß die Maschinen die Macht übernehmen« oder, mit dem Wordaut des Originals, »we should have to expect the machines to take controlGeisteszustand< einzuführen, indem wir ein physikalischeres und eindeutigeres Gegenstück in Erwägung ziehen. Für den Rechnenden ist es immer möglich, seine Arbeit abzubrechen, fortzugehen und alles zu vergessen, um später wiederzukommen und die Arbeit fortzusetzen. Wenn er dies tut, muß er einen Zettel mit Anweisungen (die in irgendeiner standardisierten Form abgefaßt sind) zurücklassen, aus denen hervorgeht, wie die Arbeit fortgesetzt werden soll. Diese Notiz ist das Gegenstück zum >Geisteszustand b and b or < C.« Vgl. Novalis, Mathematische Fragmente, S. 593: »Die ganze Mathematik ist eigentlich eine Gleichung«..

2. ZEICHEN IN EIGENREGIE

answered«), artificial memory - und so, mit Blick auf solche Zweckmäßigkeit, geht Babbage dann zur abschließenden Untersuchung der performativen Qualität mathematischer Symbole über. Die verwendeten Zeichen, wiederholt er mehrfach, können und sollen erstens das Gedächtnis unterstützen: »assist the memory«; zweitens erleichtern sie den Mit- oder Nachvollzug des Rechenwegs·, »facilitate the processes«; woraus sich drittens ihre überragende Kapazität zur Informationsübertragung erklärt: By the happy union of the two [der beiden erstgenannten Eigenschaften], our formulae acquire that wonderful property of conveying to the mind, almost at a single glance, the most complicated relations of quantity, exciting a succession of ideas, with a rapidity and accuracy, which would baffle the powers of the most copious language. (IS 376) Babbage, mit nunmehr drei Titeln, die gleichwohl in einem abschließenden Wort sich zusammenfassen lassen, bringt also die Macht - »the powers« - der Zeichen auf die drei Grundfunktionen, die Medien als Medien definieren: Speichern, Rechnen, Übertragen. Damit erreicht auch er eine Homogenisierung von Codierung und Repräsentation, eine Durchdringung von Repräsentation und Exekution. NOTATION, (in mathematics) the art of adapting arbitrary symbols to the representation of quantities, and the operations to be performed on them. (TV 394) So beginnt der Lexikonartikel, den Babbage als eine Art Resümee zum Thema verfaßt hat, klassisch anhebend, und doch sogleich den Akzent verlagernd auf das prozedurale, das operative Moment - fur die Mathematik und deren Schriftlichkeit zumindest, wie jedenfalls der Zusatz in Klammern einzuschränken scheint. Aber bereits Novalis sprach von der Mathematik als einer »InstrumentenErfindungskunst«71. Ähnlich setzt die allererste Publikation Babbages mit Beobachtungen zur Geschichte der Mathematik ein und endet mit einem Vorgriff auf die Zukunft, in der die Kunst des Erfindens erfunden sein werde (vgl. PM xxi). Auch von daher erscheint die Unterstellung nicht abwegig, daß das, was Babbage - mit seiner eigenen bezeichnenden Wendung - über »the various dress« (IS 326) mathematischen Wissens zu sagen hatte, gleichermaßen von seiner Maschinenerfindung her wie immer schon auf diese hin zu begreifen sein mag. Um die Lücke zu schließen zwischen der Konstruktion einer Maschine fiir Zeichen und der Notierbarkeit von Zeichen für Maschinen, laborierte Babbage an der medialen Konfigurierung der Zeichen selber. Deshalb und nur deshalb hat Babbage seine Maschine zwar nie gebaut, aber dennoch verwirklicht. Und nur weil die Abstraktion, in und mit der dies geschah, der Anekdotensucht allen Kommunizierens in »ordinary language« nicht genügt, ist es vielleicht nicht müßig, zuletzt noch zu erinnern, welches Vor- und welches Nachspiel zu dieser Realisierung gehört. Die Literaturwissenschaft, in ihrer Zuständigkeit fur »Wort, Sprache und Bild«, zu der Goethe sich einmal in ausdrücklicher Abgrenzung gegen jede Verständigung durch »Zeichen und Zahlen« bekannte (Goethe an Naumann, 24. 1. 1826), hat sich wieder und wieder mit der Verzauberung beschäftigt, die das Puppenspiel ihm, Goe-

71

Novalis, Mathematische Fragmente, S. 128.

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the, selbst wie seinem Wilhelm Meister als das Initial seiner poetischen Einbildungskraft angetan haben soll.72 Eine Parallelgeschichte dazu - als das Initial seiner technischen Einbildungskraft - wird aber auch von Babbage berichtet: »Einst an der Hand seiner Mutter, erblickte er/ in einem hell erleuchteten Haus am Hanover Square/ einen Automaten von Vaucanson (Die metallische Tänzerin [Silver Lady\)J und das Räderwerk setzte sich in Bewegung.«73 Soweit die Vorgeschichte. Ihr Nachspiel beginnt 1834. Im selben Jahr reifen in Babbage die Pläne für die Analytical Engine und begegnet er dem Objekt seiner »early admiration« (BRA 39) wieder.74 Sogleich, denn das Wiedersehen ereignet sich bei Gelegenheit ihrer Versteigerung, erwirbt Babbage die Silver Lady, und es dauert nicht lange, da verfallen er und die Damen seines Zirkels auf das Spiel, sich mit der Garderobe ihres neuen Spielzeugs zu befassen. »Seine Schwestern, die er ihre Puppen aus und einkleiden sah, erregten in ihm den Gedanken, seinen Helden auch bewegliche Kleider nach und nach zu verschaffen«, erzählt Goethe von Wilhelm Meister. Und Babbage widerfuhr es kaum anders. Zuvor allerdings überwog doch das hauptberufliche Interesse des Erfinders, festzustellen, wie »das Automat« konstruiert worden war. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist so vernichtend wie — fiir Babbages eigenes Schaffen - erhebend zugleich. Die Silver Lady, so Babbage, wurde schlechterdings nicht konstruiert: »Tatsächlich schien so gut wie sicher, daß keinerlei Konstruktionszeichnungen fur das Automat angefertigt worden sein konnten, sondern daß das wunderschöne Produkt vielmehr nach einem System fortwährenden Ausprobierens entstanden war.« Anders die Maschine(n) von Babbage. »Die gesamte Mechanik der letzteren lag in Form von Konstruktionszeichnungen auf Papier vor, bevor auch nur ein Teil davon zusammengesetzt wurde.« Um aber diesen Unterschied feststellen zu können, mußte Babbage die Silver Lady freilich eher aus- als anziehen. »Ich erwarb die Silberfigur und machte mich nun daran, den ganzen Mechanismus in seine Teile zu zerlegen.« {BRA 39 f.) Auch wenn daher die Geschichte insgesamt vom Aus- und Einkleiden handelt, machte doch das Strip-tease, wenn man so will, den Anfang. (BernhardJ. Dotzler)

72 Vgl. Goethe, Wilhelm Meisters theatralische Sendung, 1.8; Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1.6; Dichtung und Wahrheit, 1.1 u. 2. 73 So die Nacherzählung von Hans Magnus Enzensberger, Mausoleum. Siebenunddreißig Balladen aus der Geschichte des Fortschritts, Frankfurt/M. 1975, S. 62. Vgl. Babbage, Passages, S. 17 f., bzw. BRA 39. 74 Für die vollständige Geschichte, in BRA nur in Auszügen übersetzt, vgl. Babbage, Passages, S. 365 f.

3. Electric Graphs Charles Sanders Peirce und die Medien

Der folgende Versuch, den Logiker und Semiotiker Charles Sanders Peirce als Medientheoretiker vorzustellen, unternimmt nicht mehr als in Peirce' Logik und Semiotik einige, vielleicht konstitutive Bausteine einer Geschichte der Medien sichtbar zu machen. Dies ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da die Logik vor allem seit ihrer Algebraisierung vollends ins Reich der idealen Objekte des Geistes aufgestiegen und damit zum ausschließlichen Bestandteil von Ideengeschichten geworden zu sein scheint. Denkregeln, Begriffsschriften, Algorithmen erscheinen als Teil einer idealen Sphäre, in der Geschichte, Techniken und Materialitäten gerade nicht mehr vorkommen. Im 19. Jahrhundert zeichnet sich zudem eine eigentümliche Kluft ab zwischen dem, was den Menschen ausmacht, und dem, was Denken heißt. Wenn nämlich jede psychologische und damit empirische Begründung des Denkens als dessen Störung erscheint, bleibt der Mensch nicht länger die Verkörperung schlechthin des Denkens, sondern wird eher zu dessen Hindernis. Wenn es schließlich in Edmund Husserls Logischen Untersuchungen heißt, daß diese »Analysen ihren Sinn und erkenntnistheoretischen Wert unabhängig davon haben, [...] ob es überhaupt so etwas wie Menschen und eine Natur gibt, oder ob all das nur in der Einbildung und Möglichkeit besteht«1, so wird deutlich, daß die Schnittmenge zwischen Mensch und Logik leer zu werden droht. Nicht unbeteiligt daran ist sicher die Tatsache, daß William Stanley Jevons schon 1870 erstmals eine mechanische Denkmaschine in der Royal Society vorgeführt hatte, die auf der Basis der Booleschen algebraischen Logik operiert. In dem Maße jedoch, in dem Charles S. Peirce Logik als Zeichenoperation formuliert und diese dabei als mediale Konstellationen beschreibt, kann Logik als ein Bereich des Wissens sichtbar werden, in dem materiale Elemente von entscheidender Bedeutung sind. Ausgangspunkt und Ziel der folgenden Überlegungen soll daher der erst 1973 bekanntgewordene Brief von Charles S. Peirce an Allan Marquand vom Dezember 1886 sein, in dem Peirce, wie es scheint, erstmals in der Geschichte überhaupt einen logischen Schaltkreis entwirft. Es wird nicht das letzte Mal sein, daß man dies erfindet, wie Paul Ehrenfest 1910 und ab 1935 schließlich all jene, die an Schaltungs1

Edmund Husserl, Logische Untersuchungen

II, Bd. 1, Teil: »Untersuchungen zu Phänomenologie und

Theorie der Erkenntnis« (1901), Tübingen 1980, S. 22.

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Optimierung und Rechenmaschinen arbeiten, vorfuhren. Doch das scheinbar naheliegende Zusammenfuhren von Boolescher Algebra mit einer neuen Interpretation, die nicht mehr Propositionen, sondern Schaltungen anschreibbar macht, erweist sich als alles andere denn als die längst fällige Einlösung dessen, was angeblich George Boole immer schon möglich gemacht hätte. Gerade die Geschichte der Algebra der Logik sowie deren Mechanisierung im 19. Jahrhundert machen deudich, daß es um keine klare Ausarbeitung eines Maschinisierungskonzeptes geht, das womöglich seit Lullus oder Leibniz die Geschichte der Logik geradewegs zum Computer fuhren würde. Für den Schritt von der Formalisierung logischer Operationen auf der Basis von Booles Algebra der Logik zu deren elektrischer Schaltbarkeit, der als fundamental für eine Geschichte der elektronischen Medien gelten kann, seien in Peirce' Arbeiten zur Semiotik, Logik und Diagrammatik einige Elemente sichtbar gemacht, die schließlich eine Rede vom Medientheoretiker Peirce rechtfertigen können. Peirce' logischen Diagrammen und vor allem den existential graphs kommt dabei als semiotischen Apparaturen eine eigentümliche mediale Qualität bei der Operationalisierung und Mechanisierung der Logik zu. In seinem Brief an Allan Marquand vom 30. Dezember 1886 übermittelt Peirce einige Verbesserungsvorschläge zum letzten Modell von Marquands logischer Maschine. Diesen fïigt er noch einige fundamentale Überlegungen hinzu, um die es hier gehen soll: I think you ought to return to the problem, especially as it is by no means hopeless to expect to make a machine for really very difficult mathematical problems. But you would have to proceed step by step. I think electricity would be the best thing to rely on.

Let A, B, C be three keys or other points where the circuit may be open or closed. As in Fig. 1 there is a circuit only if allait closed, in Fig. 2 there is a circuit if any one is closed. This is like multiplication & addition in Logic.2

2 Charles S. Peirce an Allan Marquand, New York, 30. Dezember 1886, in: Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition, Bd. 5: 1884—1886, hrsg. von Nathan Houser u. a., Bloomington 1993, S. 421-423, hier S. 423.

3. ELECTRIC GRAPHS

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Einige Elemente, die man als Möglichkeitsbedingungen dieses elektrifizierten Diagramms, dieses elektrischen Graphen, den Peirce hier anzeichnet, bezeichnen könnte, sollen im folgenden entlang diagrammatischer Operationen skizziert werden, die im späten 19. Jahrhundert im Rahmen der Optimierung der Booleschen Algebra eine zentrale Rolle spielen. Dabei geht es nicht zuletzt um die Peircesche Logik und Semiotik, die in seinen existential graphs eine neue Seinsweise der Zeichen sichtbar werden läßt, welche in entscheidender Weise dazu fuhrt, daß Papierlogik prinzipiell in Schaltungslogik übertragbar wird.

Logic and Control Die unterschiedlichen Ansätze zur Optimierung der Booleschen Algebra vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte zeigen, daß mit Booles eigenen Arbeiten längst nicht alle Bedingungen fur eine mechanische oder elektrotechnische Implementierung vorliegen. Zwei zentrale Sachverhalte jedoch sind schon fiir Boole entscheidend: Wenn, erstens, auch die bestehenden Formen der Kalküle meist quantitativ interpretiert werden, so soll dies doch keine allgemeine Bedingung von Analysis selber sein. »That to the existing forms of Analysis a quantitative interpretation is assigned, is the result of circumstances by which those forms were determined, and is not to be construed into a universal condition of Analysis.«3 Damit wird, zweitens, die symbolische Algebra frei fur unterschiedliche Interpretationen: »Every system of interpretation«, so Boole in seiner Mathematical Analysis ofLogic, which does not affect the truth of the relations supposed, is equally admissible, and it is this that the same process may, under one scheme of interpretation, represent the solution of a question on the properties of number, under another, that of a geometrical problem, and under a third, that of a problem of dynamics or optics.4 Trotzdem oder gerade deswegen aber erfährt Booles eigener immer noch extensiver Gebrauch von Zahlen deudiche Kritik. So verweist neben Peirce auch der Logiker Ernst Schröder in seinem Operationenkreis des Logikkalküls vor allem auf die darin begründete Unanschaulichkeit der Booleschen Logik. Diese Kritik jedoch fuhrt auf einen fundamentalen Unterschied, der logische und mathematische Kalkülisierung voneinander trennt. Denn spätestens seit Leibniz ist es gerade die Entlastung von aller Bedeutung, die die mathematischen Zeichenoperationen beschleunigt und es erlaubt, wie es der Mathematiker Holland 1766 formuliert, »daß die Hand gleichsam ohne Kopf [...] sicher fort calculiren kann«5. Doch genau dieser Sachverhalt erscheint plötz-

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George Boole, The Mathematical Analysis of Lope. Being an Essay Towards a Calculus of Deductive Reasoning (1847), in: ders., Collected Logical Works, Bd. 1: Studies in Logic and Porbability, hrsg. von R. Rhees, La Salle/111. 1953, S. 50. 4 Ebd., S. 49. 5 Georg Jonathan Holland, Sammlung der Schriften welche den logischen Calcul Herrn Prof. Ploucquets betreffen, mit neuen Zusätzen hrsg. von August Bök (1766), Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, S. 63.

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lieh in dem Maße, wie er fur Booles logischen Kalkül charakteristisch ist, als dessen entscheidender Mangel. Obwohl auch Schröder weiß, daß beim bloßen Operieren mit Zeichen gerade darin der entscheidende Vorteil liegt, »dass der Geist fur eine Weile davon dispensirt wird, sich die Dinge, um die sich die Untersuchung dreht, selbst gegenwärtig zu halten«, markiert er demgegenüber einen wichtigen Unterschied: Allein die Möglichkeit wenigstens, jeden Schritt mit der Anschauung zu controliren, wird man verlangen müssen, wenn auch von der Durchführung der Controle der Complikation wegen gerne Umgang genommen wird; an eine vollkommene Methode wird man [...] die Anforderung stellen, dass sie fähig sei, ihre elementaren Operationen Schritt vor Schritt, und nicht blos das Ganze derselben durch den Erfolg, zu rechtfertigen.6 Ein Verfahren also, bei dem jeder Schritt kontrollierbar bleiben muß, weist auf eine fundamentale Abkehr von dem Automatismus der Mechanisierungen von Arithmetik und logischen Diagrammen des 18. Jahrhunderts hin. Denn die Rechenmaschinen eines Leibniz zeichnete gerade ein Mechanismus aus, der, wenn er einmal in Gang gesetzt war, unbeirrbar auf seine Lösung zusteuerte. Diese Fixierung auf das bloße Resultat jedoch ist fiir Logiker wie John Venn und Schröder längst eine »den Geist nicht befriedigende Weise«7 des Rechnens. Die Verbindung von Logik und einer Kontrolle, die die Zeichenoperation Schritt fur Schritt überwacht, erweist sich als eigentümliche Erweiterung der Zeichenoperation, die zunächst den Menschen an die Operation zu binden scheint. Diese Opposition von Logik und Mathematik, die hier auftaucht, gilt sicher nicht fur Charles Babbage - geht es dessen Ingenieursmathematik einer Mechanical Notation doch gerade darum, die Tauglichkeit und Operativität von Zeichen vor allem dadurch zu sichern, daß die Analytische Maschine und ihre Operationen Schritt fur Schritt in allen ihren »gleichzeitigen und aufeinanderfolgenden Bewegungen«8 sichtbar werden können. Babbages »Tafel« oder »Plan« seiner Maschine erlaubt es daher, »auf einen Blick zu sehen, was jedes bewegliche Teil der Maschine zu jedem Zeitpunkt tat«.9 Der buchhalterische Kontrollblick, das Erfassen auf einen Blick, wird also konstitutiver Bestandteil einer diagrammatischen Zeichenoperation, die ihren Automatismus verliert und steuerbar wird. Dieser Blick unterscheidet sich aber von der synoptischen diagrammatischen Operation, wie sie etwa Johann Heinrich Lambert oder Gottfried Ploucquet noch in die Logik implementierten, denn dieser neue Blick kontrolliert und optimiert Zeichenoperationen Schritt fiir Schritt, die durch keine Repräsentationsordnung mehr gesichert sind.10 Die Papiermaschine erhält damit neben Papier und 6

Ernst Schröder, Der Operationenkreis des Logikkalküls, Leipzig 1877, S. iiif. ι Ebd., S. iii. 8 Charles Babbage, »Über eine Methode, Maschinenabläufe durch Zeichen auszudrücken« (1826), in: Bernhard J. Dotzler (Hrsg.), Babbages Rechen-Automate. Ausgewählte Schriften, Wien - New York 1996, S. 204-221, hier S. 205. » Charles Babbage, »Babbages Rechenmaschine« (1834), in: ebd., S. 119-179, hier S. 166. io Vgl. dazu John Venn, Symbolic Lope (21894), New York 1971, S. 123-125; Wolfgang Schäffher,

3. ELECTRIC GRAPHS

Bleistift mit dem kontrollierenden Auge ein weiteres Element, das fur die Herausbildung der modernen Papier- und Schaltungslogik von entscheidender Bedeutung ist. Der Physiker Paul Ehrenfest formuliert diese eigentümliche Funktion des Auges in seinem Notizbuch am 26. Mai 1910 in aller Deudichkeit; und er weiß sicher, wovon er spricht, denn in seiner im selben Jahr in der russischen Zeitschrift fiir physikalische Chemie erscheinenden Besprechung von Louis Couturats Algebre de la Logique erfindet Ehrenfest kurzerhand die Schaltalgebra, zum zweiten Mal also.11 Er schreibt: »Gelingt es einmal mit Hülfe des Logikkalküls so etwas wie Axiomatik der Logik zu fabricieren so wird alles auf die visuelle Controlle von Symboltransformationen hinauslaufen.«12 Während Boole selber nie Diagramme gezeichnet hat, zielen die Bearbeitungen seiner logischen Algebra vor allem auf eine Aufrüstung in diesem Sinne. Dies läuft über zwei parallele Strategien. Zum einen handelt es sich um Optimierungen des Logikkalküls durch die Reduktion und Vereinfachung der einzelnen Operationen und Zeichen. So fuhrt etwa Schröder das fundamentale Dualitätsprinzip ein, das fiir die Vereinfachung von Ausdrücken entscheidende Bedeutung erlangen wird. Es besagt, daß eine richtige Formel entsteht, »wenn man die plus- und minus-Zeichen durchweg mit Multiplikations- und Divisionszeichen und ausserdem die Symbole 0 und 1 mit einander vertauscht«13. Zum anderen aber geschieht dies auf der Ebene von Mechanisierungen und Diagrammen, die seit William S. Jevons und John Venn den Stand der Booleschen Algebra bedingen. In diesem Rahmen finden die Arbeiten von Peirce zur Algebra der Logik, zur Logik der Relative und vor allem die existential graphs ihren historischen Ort. Es geht Peirce dabei um eine Präzisierung des Zeichenbegriffs und die Effizienz von Zeichenoperationen, bei der die diagrammatische Ikonizität der Graphen und ihre Mechanisierbarkeit ineinander übergehen.

Philosophy of Notation Die Sichtbarkeit, mit der Schritt fur Schritt die Zeichenoperationen der Logik kontrollierbar werden, die Operativität der Zeichen, die einer idealen Ökonomie der Kürze und Beweglichkeit gehorchen, und die Realisierbarkeit, durch die die logischen Operationen in mechanische und elektrische übergehen können — diese drei fundamentalen Aspekte des Zeichens fiir die Herausbildung einer diagrammatischen Schaltungslogik bilden zugleich die elementaren Relationen, die nach Peirce das Zeichen als

»Die Geschwindigkeit des Denkens. Zur diagrammatischen Operation der Logik im 18. Jahrhundert«, in: Inge Baxmann/Michael Franz/Wolfgang Schaffner (Hrsg.), Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 339-358. 11 Eine Übersetzung der wichtigsten Passagen aus dem erstmals im Zchurnal russkogo fiziko-chimitscheskogo ohschtschestva erschienenen Aufsatz findet sich bei Heinz Zemanek, »Geschichte der Schaltalgebra«, in: Manfred Broy (Hrsg.), Informatik und Mathematik, Berlin 1991, S. 43-70, vgl. hier S. 52. 12 Paul Ehrenfest, Notebook, in: Harvard Archives, S. 683. 13 Schröder, Der Operationenkreis, S. 3.

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solches bestimmen. Die drei Zeichentypen, die Peirce als icons, symbols/tokens und indices klassifiziert, geben genau diese Relationen wieder. Während Peirce zunächst 1865 noch die Logik als reine Symbol-Operation begreift,14 legt er schließlich klar, daß sie nur im Verbund aller drei Zeichentypen operiert. In seiner »Algebra of Logic« von 1885 setzt Peirce genau mit dieser Unterscheidung ein: Die symbolische Dimension ist eine dreifache Relation des Zeichens auf sein Objekt als Effekt einer geistigen Verbindung. Die indexikalische Dimension dagegen ist eine direkte duale Relation des Zeichens zu seinem Objekt: »The index asserts nothing; it only says >ThereGeburt< bis zu seinem >TodTraumtänzerin< Madeleine«, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hrsg.), Ausdruckstanz. Eine mitteleuropäische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wilhelmshaven 1992, S. 199-211. Brandstetter, Gabriele: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Frankfurt/M. 1995. Braun, Martha: Picturing Time. The Work ofÉtienne-Jules Marty (1830-1904), Chicago u. a. 1992. Bréal, Michel: »The Science of Language« (1879), in: ders., The Beginnings of Semantics. Essays, Lectures and Reviews, hrsg. u. übers, von George Wolf, London 1991, S. 123-136. Bréal, Michel: Essai de sémantique. Science des significations (1897), Paris 5 1911. Bréal, Michel: »Des lois phoniques. À propos de la création du laboratoire de phonétique expérimentale au Collège de France«, in: Mémoires de la Société de linguistique de Paris 10 (1898), S. 1-11. Breuer, Josef/Freud, Sigmund: Studien über Hysterie (1895), Frankfurt/M. 1981. Briggs, John/Peat, F. David: Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theorie, übers, von Carl Carius, München 1990. Bryan, George Sands: Edison. The Man and His Work, London o. J. [1926]; übers, von Karl Otten u.d.T.: Edison. Der Mann und sein Werk, Leipzig o. J. [1927]. Bulletin de la Société de linguistique de Paris 1 - 2 (1869-1875), Nr. 1-12, Sitzungsprotokoll 9. Januar 1875, in: Bd. 2, Nr. 12, S. cli-clvii. Burke, Kenneth: A Rhetoric of Motives (1950), Berkeley - Los Angeles 1969. Cage, John: »The Future of Music. Credo« (1937), in: Richard Kostelanetz (Hrsg),John Cage, New York 1970, S. 54-57. Cahan, David: An Institute for an Empire. The Physikalisch-Technische Reichsanstalt. 1871—1918, Cambridge u. a. 1989. Cahan, David: (Hrsg.), Hermann von Helmholtz and the Foundations of Nineteenth-Century Science, Berkeley - Los Angeles 1993. Cajori, Florian: A History of Mathematical Notations, Bd. 1: Notations in Elementary Mathematics, La Salle 1928. Campe, Rüdiger: »Pronto! Telefonate und Telefonstimmen«, in: Friedrich A. Kittler/Manfred Schneider/ Samuel Weber (Hrsg.), Diskursanalysen 1: Medien, Opladen 1987, S. 68-93.

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Namenverzeichnis

AarslefF, Hans 202 Adamson, Robert 321 Adas, Michael 208 Aleksandrova, Nina 105 Allen, William S. 207 Amsler-Laffon, Jakob 143 Amsterdamska, Olga 201 Angström, Anders Jonas 50 Anthony, Gardener 132 Aristoteles 59, 68, 75, 236, 272 Arnheim, Rudolf Χ, XI, 33, 34, 35, 36 Arnold, Günter 60 Artaud, Antonin 191 Asmuth, Bernhard 236 Äsop 9 Attali, Jacques 203 Auroux, Sylvain 2 0 2 , 2 0 3 , 2 0 9 Austin, John L. 232, 233, 235, 244, 245, 246, 247, 248, 252, 255-259, 261, 262, 263 Baader, Franz Xaver 109 Babbage, Charles 2 6 7 , 2 6 8 , 2 9 8 - 3 1 2 , 3 1 6 Babbage, Henry Prévost 298 Babbitt, Irving 3 Bachmann, Ingeborg 36 Bally, Charles XVI, 197, 198, 219, 270 Barner, Wilfried 3, 58, 82, 149 Bardot, Brigitte 293 Barthes, Roland 2 9 1 , 2 9 3 , 2 9 5 Bassenge, Friedrich 82 Bateson, Gregory 118-120,121-123,124,125, 126, 127-129 Bateson, Mary Catherine 127 Bätschmann, Oskar 60 Baudelaire, Charles 170 Baudrillard, Jean 291, 292-294, 295, 297, 301 Bauer, Feiice 17, 18, 19, 21, 22, 24, 27 Bauer, Helen von 242

Baxmann, Inge Vili, Χ, XIII, 5, 142, 305, 317 Beavin, Janet H. 23 Becquerel, Edmond 155 Bell, Alexander Melville 61,206 Benjamin, Walter 1 2 6 , 2 4 1 , 2 9 2 Benn, Gottfried 48 Bense, Max XXIV, 28, 33, 38-41, 42, 47, 49, 51-53 Benveniste, Émile 247, 290 Benware, Wilbur A- 212 Berliner, Siegfried 27 Bernard, Claude 159 Bernhardt, Sarah 93 Bernheim, Hippolyte M. 91 Berz, Peter 1 2 , 7 5 , 3 2 4 Beugnot, Bernard 42 Bill, Max 104 Binswanger, Ludwig 150f., 183, 184-185, 188 f., 190, 192,193,194 Bischoff, Friedrich 35 BischofF, Michael 6, 7 Blaser, Werner 100 Bloch, Chajim 241 Blondheim, Menahem 204 Bloom, Margret 37 Blossfeldt, Karl 107,108 Blumenberg, Hans 149,292 Boccioni, Umberto 104,110 Boehm, Gottfried 291 Bök, August 315 Bollacher, Martin 60 Bölsche, Wilhelm 44 Bond, Martyn A. 36 Boole,George 2 6 8 , 3 0 7 f . , 3 1 3 , 3 1 4 , 3 1 5 f . , 3 1 7 , 318, 323, 325 Borges, Jorge Luis 192 Born, Jürgen 18 Bouchon, Basile 7 0 , 2 9 7

348 ANHANG Bouquet, Simon 198 Braakenburg, Johannes J. 44 Bradley, Francis H. 229 Bragaglia, Arturo 104 Braid, James 91 Brain, Robert 132, 140, 142 Brand, Steward 127, 128 Brandstetter, Gabriele 90, 95, 96 Braun, Martha 203,217 Bréal, Michel 201-204, 205, 209, 219, 221 Breton, André 51 Breuer, Josef 8 9 , 1 8 7 , 2 8 0 Brewster, David 299 Briggs, John 294 Broca, Paul 219 Brod, Max 18 Brogan, Walter 250 Brown, George Spencer 291 Broy, Manfred 317 Brücke, Ernst Wilhelm von 169,203 Brummack, Jürgen 60 Bryan, George Sands 241 Bud, Robert 141,204 Buderer, Hans-Jürgen 73 Bühler, Karl 1 0 , 1 1 , 6 6 Buhr, Gerhard 296 Burke, Kenneth 226,235 Bush, George W. VIII Cage,John 34f., 116 Cahan, David 2 0 3 , 2 0 4 , 2 0 9 Cajori, Florian 306, 310 Calder, Alexander 71 Campbell-Kelly, Martin 299 Campe, Rüdiger 27 Cantor, Geoffrey 200 Cardwell, Donald VIII Carnot, Nicolas Léonard Sadi 19 Carroll, Lewis 39, 40 f. Cartwright, Edmond 71 Cassirer, Ernst 200, 226, 236 f., 242 Chadarevian, Soraya de 140, 203 Chaplin, Charles 124 Charcot, Jean-Martin DC, XII, 3, 66 f., 87, 91, 125, 280 Chevreul, Eugène 156, 157, 165 Chomsky, Noam 52 Chopin, Frédéric 94 Chrétien, Jean-Louis 8 Cigliana, Simona 110 Clarke, Bruce 15 Cohen, Jonathan L. 247 Coleman, William 206 Colli, Giorgio 82,237 Collins, Henry 222

Condillac, Étienne Bonnet de 26, 29 Conrad, Joseph 238, 242 Coppola, Francis Ford 242 Cory, Mark E. 36 Couturat, Louis 218, 317 Cozzens, Susan 141, 204 Crary, Jonathan 291, 294 Cros, Charles 149, 153-171, 267 Cunningham, Andrew 201 Cunningham, Merce 116 Cuthbertson, R. Andrew 63, 64 Dagognet, François 203 Daidalos 68 Darwin, Charles 44 Daumier, Honoré 65 Debord, Jean-François 65 Degas, Edgar 171 Delay, Jean 184 Deleuze, Gilles 29, 124, 134, 151, 326 de Man, Paul 198,235 Demeny, Georges 216f. Denke, Karl 176 Deprez, Marcel 210 Deren, Maya 124, 125, 126 Derrida, Jacques XV, XVI, 15, 197 f., 199, 218, 222, 229, 232, 233, 235, 243-264, 272 Descartes, René 53, 121, 133, 183, 308 Dewey, John XVII, 75, 150 Dewitz, Hans-Georg 295 Diderot, Denis 204 Didi-Huberman, Georges 66, 67, 87 Diederichs, Helmut H. X Dilthey, Wilhelm 5 Döhl, Reinhard 36 Donders, Franziskus Cornelius 212, 214 d'Ons-en-Bray, Louis Léon Pajot Comte 137-139 Dotzler, Bernhard J. 86, 267, 296, 298, 299, 301,306, 308,316 Dove, Heinrich Wilhelm 279 Dragonet, François Dreyfus, Hubert 249 Dubbey, John M. 307 Du Bois-Reymond, Émile 279 Duchenne, Guillaume-Benjamin XII, 3, 61-67, 79 Dufriche-Desgenettes, A. 208, 209 Du Prel, Carl 1 0 9 , 2 2 5 , 2 2 6 Durkheim, Émile 207, 220 f. Edison, Thomas Alva IX, 3, 15, 143, 153, 201, 214, 217, 218, 224, 226, 238, 241, 267 Eggeüng, Viking 101,112 Ehrenfest, Paul 313, 317, 324

NAMENVERZEICHNIS Eich, Günter 36, 37 Eigler, Gunther 16 Eisele, Carolyn 144,268,322 Eisenstein, Sergej X, 101 Elias, Jean-Marc 23 Emrich, Wilhelm 28 Engelmann, Peter 260, 272 Engl, Joseph 36 Engler, Rudolf 198 Enzensberger, Hans Magnus 312 Eribon, Didier 184 Euklid 50 Falcon, Jean Baptiste 70,297 Falileev, Vadim 105 Fankhauser, Alfred 241 Faraday, Michael XI, XII, 278 Fechner, Gustav Theodor 109 Feht, Johannes XDCf., 198, 274 Feldmann, Carsten 48 Féré, Charles XII, 87 f., 89 Fetscher, Justus 225 Feyerabend, Ernst 27 Fick, Adolf 209 Fienbork, Matthias 95 Flammarion, Camille 109 f. Flaubert, Gustave 44, 192 Flesch, Hans 35 f., 37 Flechsig, Paul 281 Flichy, Patrice 303 Forel, August 235 Forestier, Louis 153 Foucault, Michel XIV, 45, 55f., 57, 86f„ 151, 172,180,182-194, 200, 247, 273 Fourier, Charles 216 Francé, Raoul H. I l l Franciscono, Marcel 101, 116 Frank Jr., Robert G. 206 Frank, Manfred 292 Franklin, Benjamin VII Franksen, Ole Immanuel 304 Franz, Michael VIII, Χ, XIII, 5, 64, 142, 305, 317 Frazer, James George 242 Freud, Anna 20 Freud, Sigmund 20f„ 89, 121, 181, 183, 186-188,194,225,235,237,242,270,279, 280 f., 283,284, 286, 287, 289, 290, 326 Friedländer, Paul 231 Frisé, Adolf 29,32 Fuchs, Georg 89-92 Fuller, Loie XII Gabo, Naum 71 Galison, Peter 6

Gasché, Rodolphe 235, 250, 262 Gates, Bill 292 Gavarett, Jules 206 Geddes, Leslie A. 137, 138, 139 Girando, Joseph Marie de 204 Giard, Luce 184 Giese, Fritz 97-99, 103, 105 Gleize, Jean-Marie 52 Goebbels, Joseph 36 Goethe, Johann Wolfgang XIII, 295 f., 300, 303, 31 If. Goldmann, Bernd 28 Gombrich, Ernst H. 95, 96 Gooding, David 200 Gorgias 235,236 Gorskij, Aleksandr A. 105 Graeser, Wolfgang 90 Graff, Gerald 245 Grassi, Ernesto 16 Greenberg, Clement 3 Gropius, Walter 100, 101, 115 Großmann, Karl 176 Gruhle, Hans 185 Grundmann, Heidi 13 Guattari, Félix 19, 124, 134, 326 Guillemin, Roger 137, 138, 139 Guinon, Georges 67 Guipet, Madeleine 91-94 Gunzenhäuser, Rui 52 Gurney, Edmund 234 Gutenberg, Johannes 49 Haarmann, Fritz 176 Haas, Norbert 187, 219, 269, 270, 273, 275, 277, 303 Habermas, Jürgen 7, 255 Hachette, Jean Ν. P. 135 Hacking, Ian 200 Hädecke, Wolfgang 296 Haeckel, Ernst 105 Hägen, Wolfgang 274 Hagner, Michael 141,203,219 Hall, G. Stanley 203 Halle, Morris 285 Halls, W.D. 221 Hamacher, Werner 187,277 Hammacher, Klaus 34 Handke, Peter 48 Harbou, Thea von 176 Harig, Ludwig 38, 39 Harriot, Thomas 310 Harris, Roy 202,219 Hartman, Geoffrey H. 230 Hartshorn, Charles 139,318 Hauptmann, David 12, 75, 324

349

350 ANHANG Hauptmann, Gerhart 296 Havet, Louis 207, 208, 209, 210 Hayles, Katherine 200 Hecker, Justus Friedrich Carl 84-86 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 23, 82, 83, 85 f., 87, 90, 92, 94, 95, 231, 326 Heidegger, Martin 4, 27, 31, 54 f., 186, 250, 280 Heider, KarlG. 118f., 126f., 129 Heine, Heinrich 296 Heintz, Bettina 275 Heller, Erich 18 Helmholtz, Hermann von 27, 154, 157, 164, 203, 209, 212, 214, 279 Henderson, Linda Dalrymple 110 Henke, Silvia 66,87 Henry, Joseph 4 Henze, Hans Werner 37 Hephaistos 68 Heraklit 59 Herder, Johann Gottfried 4, 26 f., 29 f., 60, 70 Herdt, Heinrich Ludwig 227 Hering, Ewald 96 Hering, Heinrich E. 96 Hermann, Ludimar 216 Heron von Alexandria 68, 69 Herrmann, Hans-Christian von 61, 65 Herschel, John 299,307 Herzog, Max 186 Herzogenrath, Wulf 74 Hesberg, Henner von 69 Heydenreich, Titus 295 Hilbert, David 6,271,275,290 Hirsch, August 84 Hitchcock, Alfred 172 f. Hider, Adolf 240 Hoff, Ferdinand XXIII Hoff, Hebbel E. 137,138,139 Hölderlin, Friedrich 55, 191 Holenstein, Elmar XV, 10, 227 Holland, Georg Jonathan 315 Hollerith, Hermann VIII, 326 Holmes, Frederic L. 203, 206 Holmes, Oliver W. 141 Homer 26,68 Hommel, Susanne 290 Hörisch, Jochen 27 Hornbostel, Erich Moritz von 30 Houser, Nathan XVf., 150, 268, 314 Hubert, Henri 227,236 Huet, E. 67 Hughes, David Edward 22 Humboldt, Alexander von 142 Humboldt, Wilhelm von 199

Husserl, Edmund 54, 183, 188, 194, 254, 290, 313 Itard, Jean-Marc-Gaspard 204f. Itten, Johannes 104 Jackson, Don D. 23 Jacob, François 206 Jacquard, Joseph-Marie VIII, XVIII, XDÍ, 71, 267, 268, 297f., 299, 300, 326 Jacquet-Droz, Henri Louis 69, 70 Jacquet-Droz, Pierre 69, 70 Jaerisch, Peter 59 Jakobson, Roman XV, XVI, 6, 10, 12f„ 14, 15 f., 227, 285, 288, 289 f. James, Frank A. J. L. 201 Jandl, Ernst 37 Janke, Wolfgang 34 Jaspers, Karl 184, 185 Jay, Martin 201 Jerusalem, Wilhelm 231 Jespersen, Otto 218 Jerons, Harriet A. 321 Jerons, William S. 313,317,321 Jones, David 208 Joyce, James 45, 52, 260 Kafka, Franz XII, 16-28, 29, 33, 34, 52 Kahn, Douglas 36 Kandinsky, Wassily 103 f., 105 Kant, Immanuel 144, 155,185,323 Kaplan, Steven 201 Kapp, Ernst 304 Karras, Theodor 22 Kassak, Lajos 112 Kay, John 70 Keller, Albert von 91 f. Kemp, Wolfgang 60 Kenny, Anthony 247 Kim, Mi Gyung 200 Kimbrough, Robert 238 Kippenberg, Hans G. 232 Kitder, Friedrich A. 12, 26, 27, 75, 84, 86, 169, 262, 296, 301, 324 Kittler, Wolf 17, 18 Klaus, Georg XXI-XXTV Klee, Paul 104,114 Kleene, Stephen C. XXII Kleist, Heinrich von 25 Kloesel, Christian XVIII, 318 Kluckhohn, Paul 301 Knilli, Friedrich 36,37 Koch, Hans-Gerd 17 Koenig, Rudolph 209, 212, 213 f. Köhler, Wolfgang 31

NAMENVERZEICHNIS Kolb, Anette DC, 238 Kolb, Richard XII f., 36 Koppen, Ulrich 45,87 Korda, Alexander 115 Korn, Arthur 149 Kostelanetz, Richard 34 Kramer, Fritz 227, 232 Krämer, Sybille XIV, 320 Krámsty.Jiff 208 Kretschmer, Ernst 184 Kriwet, Ferdinand 37 Ktesibos von Alexandria 68 Kunneman, Harry 250 Küpfmüller, Karl XXII Kürten, Peter 176, 180 Kurz, Dietrich 16 Kurz, Gerhard 17 Laban, Rudolf von 79, 105 f. Lacan, Jacques 20, 184, 187, 269, 270-290, 303, 306, 307, 326 LaCapra, Dominick 201 La Fontaine, Jean de 8 Lambert, Johann Heinrich XIII, 316 La Mettrie, Julien Offray de 70 Lammert, Angela 107 Lampi, Hans Erich 87 Lane, Harlan 205 Lang, Fritz 150f., 172-181 Lanzoni, Susan 190 Latour, Amédée 64 Latour, Bruno 131, 202 Le Bon, Gustave 99,203 Lehmann, Friedrich Rudolf 236, 237 Leibniz, Gottfried Wilhelm 27, 307, 314, 315, 316 Lenoir, Timothy 203, 209, 210, 223 Lescarboura, Austin C. 225 Lesniewski, Stanislaw 6 Lessing, Gotthold Ephraim VII, VIII, IXf., 3,4, 58, 60, 70, 82, 83,149,151, 229f. Lévi-Strauss, Claude 120 f. Lévy-Bruhl, Lucien 99,231 Leyda, Jay Χ Liebrucks, Bruno 23 Lissajoux, Jules 209 Liversidge, Anthony 15 Locke, John 7 Loers, Veit 101 Lommel, Herman 270 Londe, Albert 125 Lorre, Peter 178-180,181 Luchesi, Brigitte 232 Ludwig, Carl 130 f., 203 Luhmann, Niklas XXII

Lukes, Steven 221 Lukrez 48f. Lullus, Raimundus 314 Lumière, Auguste Marie Louis Nicolas XI Lumière, Louis Jean XI Lynch, Michael 131 Lysipp 58 Mach, Ernst 169 Macksey, Richard 246 Magnin, Émile 90f„ 94 Magritte, René 151 Mühl, Hans-Joachim 34 Malewitsch, Kasimir S. 172 Malherbe, François de 53 Malinowski, Bronislaw XVI, 13f., 15, 25, 199, 225, 226-228, 231, 232, 233, 234f„ 236, 237, 238-240, 241, 242 Mallarmé, Stéphane 44, 47 Mandelbrot, Benoit 292, 294 Manet, Edouard 194 Manovich, Lev 294 Maresch, Rudolf 278 Marey, Étienne-Jules 132 f., 135 f., 137-140, 141, 142-145, 170, 201, 202, 203, 206 f., 209 f., 213, 214, 215, 216, 217, 218 Margel, Serge 261 Marichelle, H. 216,218 Markow, Andre) A. 38 Markus, Gyorgy 200 Marquand, Allan 268, 313 f., 322, 324 Martersteig, Max 94 f. Martin, Roger 6 Marx, Gertraud 232 Marx, Karl 134 Massolle, Joseph 36 Matschoss, Conrad 297 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 168 Mauss, Marcel 227, 236 May, Karl 236 Mayer, Robert Julius XII Mayr, Otto 304,305 Mayröcker, Friederike 37 McCulloch, WarrenS. XXII McKendrick, John G. 218 McLuhan, H. Marshall 292,301 Mead, Margaret 99, 118-120, 122f„ 125, 126, 127 f. Meadows, Patrick 49 Medicus, Thomas 93 Mehlman, Jeffrey 246 Mendelsohn, Everett 141 Mentzos, Stavros 89 Mercator, Gerardus 144 Merkert, Jörn 69

351

352 ANHANG Mesmer, Franz Anton 91 Metzger, Hans-Joachim 187, 269, 273, : 277, 303 Meyer, Heinrich 295 f. Meyer-Eppler, Werner 40 Meyrink, Gustav 241 Michel, Karl Markus 37 Mies van der Rohe, Ludwig 100 f. Mikhailov, Aleksandr A. 105 Miller, George A. 40 Miller, Jacques-Alain 273 Miller, James 184,187 Mister, Nicoletta 105 Mitchell, "William J. Thomas 151 Mitscherlich, Alexander 225 Moholy-Nagy, Liszló 67f., 69, 71, 72, 99-102,104,106,108 f., 110-116 Moll, Albert 235 Monet, Claude 171 Montefiore, Alan 247 Montessori, Maria 205 Montinari, Mazzino 82, 237 Morin, Arthur 140 Moritz, Karl Philipp XIII Morris, Charles W. XVII, XXI f. Morse, Samuel Finley Breese 22,219,267 Mozart, Wolfgang Amadeus 72 Muche, Georg 104 Mues, Albert 34 Mukarovsty, Jan 10 f. Mülder-Bach, Inka 60 Müller, Ernst 86 Müller, Gert H. 226 Müller, Hedwig 98 Münsterberg, Hugo 79 Musil, Robert 28-33,34 Mussolini, Benito 240 Myers, Frederic W. H. 234 Myron 59 Nägele, Rainer 219 Nancarrow, Conlon VIII Napoleon Bonaparte 229 Naumann, Carl Friedrich 311 Neiman, Catrina 120, 126 Nerval, Gérard de 191 Neumann, Gerhard 17, 18, 28, 84 Neumann, John von 277 Newton, Isaac 126, 156, 164 Nierendorf, Karl 107 f. Nietzsche, Friedrich XII, 79, 82-84, 86, 88 f., 90,93,96,191,235, 237 Novalis 34, 300 f., 303, 306, 308, 310, 311

I,

''

,

Oberzaucher-Schüller, Gunhild 91 Ogden, Charles K. XV, XVI, 13,199, 225,226, 228-231, 232, 233, 239, 241 Ohm, Georg Simon 216 Olesko, Kathryn 203 Oppenheim, Hermann 279 0rsted, Hans Christian XII Ostwald, Wilhelm 218 Otten, Karl 241 Ovid 27, 59 f. Paik, Nam June 71,72,74,75 Panofsky, Erwin 124 f. Pape, Helmut XVIII, 318 Parsons, Talcott 61 Pasley, Malcolm 26 Paulsen, Wolfgang 17 Pawlow, Iwan P. 91 Peacock, George 307 Peat, F. David 294 Peirce, Charles S. VII, XIII, XVf., XVII-XDC, XXI, 5, 40, 144, 150, 199, 228, 229, 268, 269,313-326 Philipp IV., König von Spanien 194 Philon von Byzanz 68, 69 Pinch, Trevor 200 Pisko, Franz-Joseph 212 Pitts, Walter H. XXII Plateau, Joseph Antoine Ferdinand XI, 157,216 Piaton 16,48 Playfair, William 142 Ploucquet, Gottfried 316 Podmore, Frank 234 Poe, Edgar Allan 20,307 Politzer, Heinz 17 Polyklet 59 Poncelet, Jean Victor 134, 141,221 Ponge, Francis XII, 4, 42-57 Pool, Ithiel 204 Pörtner, Paul 37 Prager, Gerhard 36, 37 Prinz, Ursula 69 Proust, Marcel 52,295 Prütting, Lenz 93 Puysegur, Armand Jacques de Chastenet, Marquis de 91 Randell, Brian 297 Rank, Otto 21 Rappl, Werner 229,244 Raulet, Gérard 292 RaulfF, Ulrich 224 Regnier, Adolphe 207 Reichenbach, Karl von 103 Reijen, Willem van 292

NAMENVERZEICHNIS Reinacher, Eduard 37 Reis, Philipp 27 Renger-Patzsch, Alfred 1 0 7 , 1 0 8 Reuleaux, Franz XI, 304 Revel, Judith 184 Rhees, Rush 315

Schöning, Klaus 38 Schramm, Helmar 296 Schreiber, Jens 27

Rheinberger, Hans-Jörg 141, 202, 203, 219, 222 Rheingoid, Howard 292 Richards, Ivor Α. XV, XVI, 13, 199, 225, 226, 2 2 8 - 2 3 1 , 2 3 2 , 233, 2 3 9 , 2 4 1 Richter, Hans 112 Rickey, George 69, 71 Ricoeur, Paul 247 Risser, James 250 Ritter, Henning 227 Ritter, Johann Wilhelm 109 Roch, Axel 1 2 , 7 5 Rodin, Auguste 75 Rorschach, Hermann 184 Rorty, Richard 200 Rosapelly, Charles 2 0 7 , 2 0 8 - 2 1 1 Rosenberg, Jerry M . 297 Rousseau, Jean-Jacques 26, 198 Roussel, Raymond 49, 190, 192, 294 Rousselot, Jean-Pierre 219 Rubinstein, Helena 240 Ruesch, Jürgen 127 Rühmkorff, Heinrich Daniel 279 Russo, John Paul 226, 2 2 8 , 2 3 0 Ruttmann, Walter 36, 37

Schwerin, Christoph 43 Schwitters, Kurt 37

Samuel, Richard 3 4 , 3 0 1 Sapir, Edward 240 Sartre, Jean-Paul 43, 48, 56, 189 Saussure, Ferdinand de XIII, XV, XVI, X I X XXI, 5, 12, 197 f., 199, 202-204, 209, 212, 218-222,270-277,278,281,282,283,285, 286, 287, 288, 289 Saxl, Fritz 95 Schaffer, Simon 2 0 0 , 2 0 4 Schaffner, Wolfgang Vili, Χ, XIII, 5, 142, 305, 316,317 Scheiben, Tarcisius 10, 227 Scheler, Max 185 Scherrer, Jutta 206 Scherrer, Klaus 206 Scheitel, Ernst 242 Schestag, Thomas 4 8 , 4 9 Schings, Hans-Jürgen 60 Schleiermacher, Friedrich 16 Schlemmer, Oskar 104 Schmidgen, Henning 284 Schneider, Manfred 8 , 2 7 , 9 3 Schoeffer, Nicolas 71, 73

Schrenck-Notzing, Albert von XII, 91 f., 94 Schreyer, Lothar 104 Schröder, Ernst 3 1 5 f . , 3 1 7

Schwitzke, Heinz 36, 37 Scott de Martinville, Léon 212 f. Searle, D. 249 Searle, John R. 198, 232, 233 f., 235, 243, 245-252, 253, 255f., 257f., 261, 262, 263 Sechehaye, Albert XVI, 197, 198, 2 1 9 , 2 7 0 Seiner, Walter 86 Seligmann, Siegfried 225 Sembdner, Helmut 25 Semon, Richard 96 Serres, Michel 5-10, 1 4 , 1 5 , 16, 18, 20, 35, 40, 49 Severtsov, Aleksej 105 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper Earl of 58 Shakespeare, William 66 Shannon, Claude E. XIX, 6 , 1 1 f., 14£, 3 8 , 4 0 f „ 73, 74, 268, 290, 302, 303, 324 f., 326 Shapin, Steven 200 Sidgwick, Henry 234 Siegen, Bernhard 17, 61, 65, 67, 278, 279, 281 Simmel, Georg 154 Simon, Herbert A. 294, 300, 301 Sitting Bull 241 Sloane, Neil J. A. 1 5 , 3 0 2 Snow, Charles Percy 42 Sokrates 4 8 , 5 9 Sorel, Georges 99 Spencer, Baldwin 120 Spengler, Oswald 106 Spieker, Sven 308 Staley, Richard 201 Stanislawski, Konstantin S. 95 Staub, Hans 296 Stavenhagen, Bernhard 94 Steckner, Cornelius 100 Steinheil, Carl August 134 Stellare (Stelios Arcadiou) Stingelin, Martin 66, 87 Stöckemann, Patricia 98 Stockhammer, Robert 225 Stoll, Otto

235

Stourdze, Yves 203 Sturgeon, William 4 Suphan, Bernhard 26 Szemerényi, Oswald 5, 10

3

353

354 ANHANG Talbot, William Henry Fox 141 Talrich, Jules 65, 66 Tambiah, Stanley J. 228,232 Tarski, Alfred 6 Tesla, Nicola 224,225 Thibaudeau, Jean 53 Thüring, Hubert 66,87 Tietzel, Brigitte 297 Tïnguely, Jean 69, 71, 75 Untzmann, Ingrid 95 Tourette, Georges Gilles de la 67 Travner, Dagmar 229, 244 Trier, Eduard 72 Trubetzkoy, Nikolaj S. 10 Tuckwiller, Donald W. 229 Turing, Alan M. 268,269,301-303,306 Turing, Sara 301 Turk, Horst 296 Turner, Gerard L'E. 213 Turnheim, Michael 273 Ueding, Gert 236 Umbrecht, Bernard 296 Updike, John 291 f. Urmson, James O. 232 Uspenskij 105 Vaïsse, Leon 205f., 207 Vaucanson, Jacques de Vili, IX, 69, 70, 297, 298, 312 Velázques, Diego Rodriguez de Silva y 194 Venn, John 316, 317, 321 f. Verdeaux, Jacqueline 184,187 Vertov, Dsiga 101, 124 Vief, Bernhard 13 Vierordt, Karl von 203 Vieta, Franciscus 308 Villiers de l'Isle-Adam, Philippe-Auguste IX, 3, 224, 238, 267 Vogt, Hans 36 Voltaire 70 Vomdran, Edgar P. 297 Vries, Hentde 250 Vulff, Gregorij V. 105 Wagner, Ph. 216 Wagner, Richard XXIII, 8, 82, 96

Waller, Augustus 79 Walras, Léon 221 Walter, Gray 73 Walther, Caroline 39 Walther, Elisabeth 39,51,53 Walzer, Pierre-Olivier 153 Warburg, Aby 79, 95 f., 186, 224 f., 226, 231 Watt, James 19,134 Watzlawick, Paul 23 Weaver, Warren 12 Weber, Elisabeth 260 Weber, Max 237f. Weber, Samuel M. 27, 220, 246, 272, 275 Weigel, Sigrid 84 Weiss, Paul 318 Weizsäcker, Viktor von 185 Welby, Victoria 229 Werber, Niels 278 Wernicke, Carl 219 Wertheimer, Max 31 Werther, Julius von 93 f. Westphal, Gert 36 f. Wheatstone, Charles 4, 134 Whitehead, Gregory 36 Wickert, Erwin 36 Wiener, Norbert 126, 127, 128 Williams, Perry 201 Wimsatt, William K. 3 Wingler, Hans M. 108,114 Winkels, Hubert 27 Wirth, Uwe 262 Wolf, George 221 Woolgar, Steve 131,202 Wulffen, Erich 150 Wundt, Wilhelm 209 Wuttke, Dieter 95 Wyner, Aaron D. 15,302 Xenophon 59 Yates, Jo Anne 204,212,218 Young, Thomas 164 Zelter, Karl Friedrich 303 Zemanek, Heinz 317 Zischler, Hanns 222

LiteraturForschung Herausgegeben für das Zentrum fur LiteraturForschung von Eberhard Lämmert und Sigrid Weigel

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