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German Pages 489 Year 1999
ANDRE
BEATHALTER
Einseitige Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite zur Einwirkung auf Gesamtvereinbarungen im Rahmen wirtschaftlicher Krisen
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 166
Einseitige Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite zur Einwirkung auf Gesamtvereinbarungen im Rahmen wirtschaftlicher Krisen
Von
Andre Beathalter
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme BeathaIter, Andre: Einseitige Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite zur Einwirkung auf Gesamtvereinbarungen im Rahmen wirtschaftlicher Krisen I von Andre Beathalter. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 166) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09646-0
Alle Rechte vorbehalten
© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09646-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069
Meiner Frau Melanie Im Gedenken an meinen Vater
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1997/1998 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn als Dissertation angenommen. Später veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur sind bis Ende Juni 1998 berücksichtigt. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Herbert Fenn, danke ich nicht nur für die Betreuung dieser Arbeit, sondern auch für die Erfahrungen und Anregungen, die ich im Rahmen meiner Mitarbeit an seinem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozeßrecht sammeln durfte, und die an vielen Stellen in die vorliegende Arbeit eingeflossen sind. Herrn Prof. Dr. Meinhard Heinze danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Außerdem danke ich meiner Frau für die moralische Unterstützung und das Verständnis, das bei einer solchen Arbeit wegen der zeitlichen Inanspruchnahme erforderlich ist. Meinem Vater, Herrn Dr. Albert Beathalter, gedenke ich an dieser Stelle für die Unterstützung im Studium und zu Beginn der Doktorarbeit, deren Beendigung er durch seinen frühen und unerwarteten Tod leider nicht mehr erleben durfte. Meinem Onkel, Herrn Dr. Alfons Beathalter, danke ich für ständige konstruktive Kritik und moralische Unterstützung. Schließlich gilt mein Dank auch den vielen kleineren Helfern, die bei einer solchen Arbeit mitgewirkt haben und leider oft gänzlich unerwähnt bleiben. Bergisch Gladbach - Refrath, im Juli 1998 Andre Beathalter
Inhaltsverzeichnis Einleitung ........................................................................................ 21
Erster Teil Die Grundlagen der Untersuchung A. Die rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen ................................. 27 I. Die rechtliche Natur der normativen Wirkung ....................................... 29 1. Rechtsgeschäftliche Erklärungsversuche ........................................... 30 a) Rechtsgeschäftliche Erklärung und der Wortlaut des § 1 Abs.l TVG ..... 30 b) Normative Wirkung als Stellvertretung ......................................... 32 c) Normative Wirkung als Leistungsbestimmung durch Dritte ................. 35 aa) Unterwerfung im Tarifrecht ................................................. 36 bb) Unterwerfung in der Betriebsverfassung .................................. 37 d) Kollektiver Schuldvertrag ......................................................... 41 e) Ergebnis .............................................................................. 43 2. Einordnung als klassische Rechtssätze ............................................. 43 a) Autonomietheorie ................................................................... 44 b) Delegationstheorie .................................................................. 46 aa) Formelle Mängel im Verhältnis zu echter Delegation ................... 47 bb) Materielle Mängel ............................................................. 50 c) Integrationstheorie .................................................................. 52 3. Rechtsgeschäftliche Normensetzung ................................................ 54 a) Rechtsgeschäftliche Normensetzung aufgrund privatrechtlicher Unterwerfung ....................................................................... 54 b) Rechtsgeschäftliche Normensetzung aufgrund staatlichen Geltungsbefehls ............................................................................... 56 11. Zugehörigkeit der Gesamtvereinbarungen zum Privatrecht.. ...................... 71
\0
Inhaltsverzeichnis I. Tarifvertrag ............................................................................ 71 2. Betriebsvereinbarung ................................................................. 73 III. Der Rechtscharakter der Gesamtvereinbarungen .................................... 74 I. Rechtscharakter der Betriebsvereinbarung ....................................... 74 a) Satzungstheorie und Beschlußtheorie .......................................... 75 b) Die Vertrags- und die Vereinbarungstheorie ................................. 77 c) Stellungnahme ..................................................................... 78 aa) Betrieb als echter Verband .................................................. 82 bb) Betrieb als Verband aufgrund gesetzlicher Fiktion ..................... 85 2. Rechtscharakter des Tarifvertrages ................................................ 88 IV. Ergebnis .................................................................................. 89
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen ............................................ 89
I. Eingriff in erwachsene Besitzstände .................................................... 90 I. Ausschluß nach dem Gedanken des faktischen Arbeitsverhältnisses ........... 91 2. Meinungsstand zum Schutz vor rückwirkenden Eingriffen ...................... 92 3. Eigene Stellungnahme ................................................................. 95 11. Unechte Rückwirkung .................................................................. 102 111. Ergebnis ................................................................................. 104 C. Beendigung der Gesamtvereinbarungen ipso facto in einer wirtschaftlichen Notlage ................................................................................ lOS
I. Unmöglichkeit ............................................................................ 105 1. Zahlungsunflihigkeit ................................................................. 105 2. Theorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit.. ................................... 106 11. Auflösende Bedingung .................................................................. 108 1. Zulässigkeit der Vereinbarung einer auflösenden Bedingung ................. 108 2. Wahrscheinlichkeit einer solchen Vereinbarung ................................ 109 a) Ausdrückliche Vereinbarung ................................................... 109 b) Immanente Bedingung nach der Lehre von der c1ausula rebus sic stantibus ........................................................................... 110 c) Unentwickelte Bedingung ....................................................... 110 D. Zusammenfassung Erster Teil.. .......................................................... 111
Inhaltsverzeichnis
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Zweiter Teil Möglichkeiten und Grenzen des wirtschaftlich motivierten einseitigen Arbeitgebereingriffs in Betriebsvereinbarungen und ihre Rechtsfolgen A. Anfechtung .................................................................................. 113 I.
Das Rechtsinstitut der Anfechtung .................................................. 113
11. Anwendbarkeit der Anfechtungsregeln auf Betriebsvereinbarungen .......... 114 III. Die wirtschaftliche Krise als Anfechtungsgrund .................................. 117 1. Anfechtung bei einer unerwarteten allgemein schlechten Entwicklung .... 117 2. Anfechtung wegen Eigenschaftsirrturn i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB ........... 117 a) Nach allgemeiner Definition des Eigenschaftsirrtums .................... 117 b) Eigenschaftsirrtum im Sinne des offenen Kalkulationsirrtums .......... 118 B. Widerruf ..................................................................................... 120 C. Rücktritt ...................................................................................... 120 D. Ordentliche Kündigung ..................................................................... 121 I.
Allgemeine Begrenzung des Kündigungsrechts auf Dauerschuldverhältnisse ............................................................................. 122 1. Begrenzung auf Dauerschuldverhältnisse ....................................... 122 2. Bedeutung der Beschränkung auf Dauerschuldverhältnisse .................. 123
11. Die ordentliche Kündigung von Betriebsvereinbarungen der zwingenden Mitbestimmung ......................................................................... 125 III. Ordentliche Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen ................... 127 1. Problemlltellung ..................................................................... 127 2. Einschränkung der freien Kündbarkeit .......................................... 131 a) Freie Kündbarkeit nach der h.M ............................................. 131 b) Einschränkung nach Schaub und analoge Anwendung des § 2 KSchG ...................................................................... 132 c) Einschränkung nach Hilger I Stumpf und Übergangsregelung durch Leistungsplan i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG .................. 134 d) Einschränkung durch Harmonisierung mit den individualrechtlichen Gestaltungsmitteln nach Hanaul Preis ........................ 135 e) Stellungnahme ................................................................... 137 3. Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen ............................ 147
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Inhaltsverzeichnis a) Nachwirkung analog § 4 Abs. 5 TVG ....................................... 147 b) Nachwirkung sogenannter Teilmitbestimmung ............................ 151 c) Nachwirkung teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen bei bloßer Änderungsabsicht des Arbeitgebers ......................................... 153 IV. Teilkündigung von Betriebsvereinbarungen ....................................... 157 V. Zusammenfassung: .................................................................... 158
E. Die außerordentliche Kündigung .......................................................... 159 I.
Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung ................................. 160
11.
Der Begriff des wichtigen Grundes und seine konkrete Anwendbarkeit ...... 161 1. Begriff des wichtigen Grundes im allgemeinen ................................ 161
a) Wichtiger Grund aus der Sphäre des Kündigungsgegners ................ 161 b) Wesentliche Änderung der Vertragsverhältnisse .......................... 162 2. Anwendbarkeit ...................................................................... 165 III. Wirtschaftliche Umstände als wichtiger Grund ................................... 167 1. Konkrete wirtschaftliche Umstände als wichtiger Grund .................... 167
2. Gesamtwirtschaftliche Lage des Arbeitgebers als wichtiger Grund ........ 169 a) Bewertung nach allgemeinem Zivilrecht .................................... 169 b) Abweichung aus betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ...... 171 c) Abweichung aus dem Wesen kollektiver Verträge ........................ 173 IV. U nzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bei Veränderung wirtschafticher Grundlagen ............................................................... 174 1. Gesetzliche Risikoverteilung ...................................................... 175 a) Nach den allgemeinen Zivilrechtsgrundsätzen ............................. 175 b) Aufgrund des Arbeitnehmerschutzprinizps ................................. 176 c) Nach § 120 InsO ................................................................ 179 d) Nach dem Betriebsverfassungsgesetz ........................................ 179 aa) Abweichende Risikotragung bei einer Betriebsvereinbarung durch die Betriebspartner ................................................ 180 bb) Abweichende Risikotragung bei der Einigungsstelle ................. 184 cc) Der Tatbestand der wirtschaftlichen Notlage .......................... 185 2. Vertragliche Risikotragung ....................................................... 190
Inhaltsverzeichnis
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3. Weitere Kriterien der Unzumutbarkeitsprüfung .............................. 193 V. Rechtsfolgen der außerordentlichen Kündigung ................................... 194 VI. Abdingbarkeit der außerordentlichen Kündigung ................................. 195 VII. Zusammenfassung .................................................................... 196 F. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage .................................................... 197 I.
Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ........................ 197 1. Allgemeiner Tatbestand im Zivilrecht ......................................... 197 2. Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Zivilrecht ........ 201
11. Der Eingriff in Besitzstände .......................................................... 205 1. Rechtfertigung aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses als Gefahrengemeinschaft und dem Solidaritätsgedanken .................................. 208 a) Personenrechtliches Gemeinschaftsvemältnis mit dem Arbeitgeber ... 208 b) Betriebliche Gefahrengemeinschaft I Solidarität der Arbeitnehmer ... 212 c) Allgemeine Treuepflicht der Arbeitnehmer ................................ 215 2. Besondere anspruchsbezogene Treuepflicht.. ................................. 216 a) Grundgedanke .................................................................. 216 b) Anspruchsbezogene Treuepflicht bei freiwilligen Zusatzleistungen ... 217 c) Anspruchsbezogene Treuepflicht bei Sozialplanansprüchen ............ 219 3. Wegfall der Geschäftsgrundlage des Individualanspruchs .................. 221 4. Ausstrahlung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zwischen den Betriebspartnern auf die Individualebene nach allgemeinen Vertrauensgrundsätzen ................................................................ 226 5. Ergebnis ............................................ '................................ 228 III. Vertragsanpassung bei Betriebsvereinbarungen ................................... 229 IV. Vertragsaufsage ........................................................................ 234 V. Die Durchsetzung der Rechtsfolgen ................................................. 235 1. Das allgemeine Verfahren im Zivilrecht ...................................... 235
2. Bekanntmachung der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Betrieb .......................................................................... 236 3. Notwendigkeit gerichtlicher Feststellung vor einem EinigungssteIlenspruch ....................................................................... 236 4. Eigenmächtige Anpassung vor einem Einigungsstellenspruch ............. 239
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Inhaltsverzeichnis a) Verstoß gegen die Unabdingbarkeit gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG ....... 240 b) Verstoß gegen das Schriftformerfordemis des § 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG ...................................................... 240 c) Abweichung wegen Interessen auf kollektiver Vertragsebene ........... 240 d) Abweichung wegen der Interessenlage der normenunterworfenen Belegschaft ....................................................................... 244 aa) Materiellrechtliche Interessen ............................................ 244 bb) Formelle Interessenlage ................................................... 246 e) Ergebnis ..................................... , .................................... 248 VI. Das Verhältnis zur außerordentlichen Kündigung ................................ 248 1. Außerordentliche Kündigung als spezielleres Rechtsinstitut ................. 249 2. Subsidiäre Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage .............. 249 3. Stellungnahme ....................................................................... 251 a) Subsidiäre Anwendbarkeit aus allgemeinen Gründen ..................... 251 b) Subsidiäre Anwendung aus besonderen Gründen bei der Betriebsvereinbarung ..................................................................... 252 VII. Zusammenfassung ..................................................................... 254
G. Die Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen ......................................... 255 I.
Problemstellung und Meinungsstand ................................................ 256
11. Eigene Stellungnahme und Lösung .................................................. 258 111. Ergebnis ................................................................................ 262 Dritter Teil
Möglichkeiten, Grenzen und Auswirkungen des Arbeitgebereingriffs auf Tarifverträge A. Anfechtung .................................................................................. 263 I.
Möglichkeit der Anfechtung ......................................................... 263
11. Anfechtungsgrund ..................................................................... 264 B. Widerruf und Rücktritt ..................................................................... 265 I.
Widerruf ................................................................................ 265
11. Rücktritt ................................................................................. 266 C. Ordentliche Kündigung ..................................................................... 266
Inhaltsverzeichnis 1.
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Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung von Tarifverträgen ............. 266
1. Vertragliche Gestaltung als Ausgangspunkt .................................... 266 2. Bei Fehlen vertraglicher Absprachen ............................................ 267
11. Rechtsfolgen der ordentlichen Kündigung und ihre Bedeutung für die Arbeitgeberseite ........................................................................ 270
1. Eintritt und Rechtsfolgen der Nachwirkung .................................... 270 2. Änderungskündigung des Individualvertrages .................................. 274 a) "Dringende betriebliche Erfordernisse" ..................................... 275 b) Billigenswertes Änderungsangebot. .......................................... 279 3. Beendigung der Friedenspflicht .................................................. 279 III. Teilkündigung / Änderungskündigung .............................................. 282 IV. Bedeutung der ordentlichen Kündigung ............................................ 282 D. Die außerordentliche Kündigung .......................................................... 283 1.
Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung ................................. 283
H.
Kündigung wegen unverhältnismäßiger Beschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Arbeitgeber ...................................... 285
III. Wichtiger Grund wegen Irrtums über Einzelumstände .......................... 291
1. Konkrete Umstände als Geschäftsgrundlage ................................... 291 2. Unzumutbarkeit ..................................................................... 292 a) Unzumutbarkeit nur bei Gefahr tiefgreifender Folgen .................... 292 b) Bewertung der Unzumutbarkeit nach der Risikotragung ................. 293 IV. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung als Grundlagenstörung .................... 295 1. Die wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberseite als Geschäftsgrundlage ............................................................................ 296 a) Allgemeine zivilrechtIiche Grundsätze ...................................... 296 b) Analogie zu den §§ 76 Abs.5 S.2; 112 Abs.5; 2 Abs.l BetrVG ........ 296 c) Geschäftsgrundlage aus Inhalt und Zweck von Tarifverträgen .......... 297 2. Unzumutbarkeit der weiteren Vertragsdurchführung ......................... 298 a) Gesetzliche Risikoverschiebung wegen einer Gemeinwohlbindung ..... 299 b) Vertragliche Risikoverlagerung wegen Rechtsnatur des Tarifvertrages .......................................................................... 304
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Inhaltsverzeichnis c) Schranken der vertraglichen Risikotragung beim Branchentarifvertrag ....................................................................... 306 d) Besondere vertragliche Schranken der Risikotragung beim unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag ............................. 309 e) Besondere vertragliche Schranken der Risikotragung beim Firmenund beim vom Arbeitgeber selbst abgeschlossenen Haustarifvertrag ... 311 V. Verhandlungsversuchl Kündigungserklärungl Rechtsfolgenl Änderungsund Teilkündigung ..................................................................... 312 1. Verhandlungsversuch .............................................................. 312 2. Kündigungserklärung .............................................................. 313 3. Rechtsfolgen I Arbeitskampfrecht ............................................... 314 4. Änderungs-I Teilkündigung ...................................................... 319 VI. Ergebnis ................................................................................. 320
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage .......................................................... 322 I.
Vertragsanpassung neben außerordentlicher Kündigung ........................ 322 1. Außergerichtliche Vertragsanpassung ........................................... 323 a) Anpassung durch die Tarifparteien .......................................... 323 b) Zwangsschlichtung im Tarifrecht ............................................ 324 c) Zwangsschlichtung nach betriebsverfassungsrechtlichen Erwägungen. 325 2. Gerichtliche Vertragsanpassung .................................................. 326
11. Vertragsaufsage ........................................................................ 331 111. Ergebnis ................................................................................. 333
Vierter Teil Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten für die Arbeitgeberseite, eine Vertragsbindung einzuschränken oder zu beseitigen A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers ................................. 334 I.
Rechtsgeschäftliche Übertragung .................................................... 335 1. Regelung des § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB .................................. 336
2. Kollektivrechtliche Weitergeltung ............................................... 339 a) Betriebsvereinbarung ........................................................... 339 b) Firmentarif....................................................................... 340
Inhaltsverzeichnis
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c) Verbandstarif .................................................................... 341 3. Durchführungspflicht des neuen, Einwirkungspflicht des alten Arbeitgebers ........................................................................ 342 a) Verbandstarifverträge .......................................................... 343 b) Firmentarifverträge ............................................................. 348 11. Übergang durch Gesamtrechtsnachfolge ........................................... 351 I. Betriebsvereinbarung ............................................................... 353 2. Firmentarif. .......................................................................... 353 3. Verbandstarif. ....................................................................... 355 a) Analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG .................................. 355 b) EU-Richtlinienkonforme Auslegung des § 613 a BGB ................... 357 111. Ergebnis ................................................................................. 360 B. Der Verbandsaustritt und Verbandswechsel.. ........................................... 361 I.
Die gesetzliche Grundkonzeption .................................................... 362 l. Tarifbindung nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG ....................... 362 2. Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG und die Friedenspflicht ................ 365 3. Fortgeltung des Tarifvertrages bei Nichtkündigung nach der Mindestlaufzeit ..................................................................... 367 a) Uneingeschränkte Fortgeltung ................................................ 367 b) Quasikündigung ................................................................. 369
11. Vereinbarkeit der Fortgeltung mit der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG ...................................................................... 370 III. Zeitliche Höchstgrenze der Fortgeltung ............................................ 371 I. Beschränkung wegen Begebung der Normsetzungsbefugnis ................. 371 2. Beschränkung durch regelmäßige Tarifvertragsdauer ........................ 373 3. Beschränkung durch arbeitsrechtliche "Legislaturperiode" .................. 374 4. Zeitliche Begrenzung als verfassungskonforme Auslegung .................. 374 IV. Ergebnis ................................................................................. 376 C. Die Verbandsauflösung; Tarifunwilligkeit und die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung .................................................................................. 377 I.
Verbandsauflösung ..................................................................... 377
11. Gewollte Tarifunfähigkeit und Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ............. 382 2 Beathalter
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Inhaltsverzeichnis 111. Ergebnis ................................................................................. 384
D. Räumliche Verlegung/ Sachliche Änderung/ Fremdvergabe ......................... 385 I.
Räumliche Verlegung und sachliche Änderung des Betriebszwecks ........... 385
11. Fremdvergabe .......................................................................... 387 111. Ergebnis ................................................................................. 388 E. Tarifkonkurrenz/ Tarifpluralität und der Grundsatz der Tarifeinheit ............... 389 I.
Kollusion von Betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen ......... 390
11. Kollusion sonstiger Tarifnormen im Einzelarbeitsverhältnis Tarifkonkurrenz ........................................................................ 391 III. Kollusion sonstiger Tarifnormen auf der Betriebsebene -Tarifpluralität ...... 393 F. Einschränkungen der normativen Wirkung durch Abschluß anderer Abmachungen ................................................................................ 401 I.
Vorrang der Betriebsvereinbarung vor dem Tarifvertrag ...................... .401
11. Verändertes Verständnis des Günstigkeitsprinzips zwischen Kollektivnorm und Individualvertrag ............................................... 407 1. Das Günstigkeitsprinzip aus herkömmlicher Sicht ............................ 408 2. Günstigkeitsverständnis durch Privatautonomie ............................... 412 3. Steigerung der Sanierungschance als günstigere Regelung .................. 417 III. Kürzungsrecht der Betriebspartner als Annexkompetenz zu § 111 BetrVG .. 420 IV. Ergebnis ................................................................................. 422
Fünfter Teil Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung im Tarifrecht A. Gesetzliche Öffnungsklausel. .............................................................. 423 I.
Vereinbarkeit gesetzlicher Öffnungsklauseln mit der Betätigungsgarantie der Koalitionen nach Art. 9 Abs. 3 GG ............................................ 425 1. Konkurrenzverbot zu Lasten der Tarifvertragsparteien ...................... 426 2. Unabdingbarkeit .................................................................... 428
11. Tatbestandliehe Voraussetzungen einer gesetzlichen Öffnungsklausel ........ 430 1. Begriff der Notlage ................................................................. 430 2. Tarifliche Korridore / Optionslösung / Menuewahl .......................... 432 III. Rechtssetzungsmacht der Betriebspartner .......................................... 432
Inhaltsverzeichnis
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IV. Praktische Bedenken ................................................................... 435 B. Beschränkung des § 3 Abs. 3 TVG ...................................................... .437 I.
Umgestaltung in eine dispositive Fortgeltung ..................................... 437
II. Zeitliche Begrenzung der Taritbindung nach § 3 Abs. 3 TVG ................ .438 C. Abschaffung der Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG .................. 439 D. Anerkennung eines Außenseiterarbeitsverhältnisses ................................... 441 E. Globalisierung der Wirtschaft und Rechtswahl des Arbeitnehmers ................. 442 F. Ergebnis ...................................................................................... 447 Ergebnisse der Arbeit ......................................................................... 449 Schlußbetrachtung ............................................................................. 460 Literaturverzeichnis ........................................................................... 462 Sachwortverzeichnis ........................................................................... 483
Einleitung Anregung zu der vorliegenden Arbeit gaben zunächst die überraschend großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich im Gefolge der deutschen Wiedervereinigung einstellten. Dabei waren Gesamtvereinbarungen - also Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und neuerdings auch Richtlinien nach § 28 Abs. 2 SprAuG - unter falschen Erwartungen abgeschlossen worden, deren Durchführung angesichts der tatsächlichen Entwicklung teilweise ruinöse Auswirkung hatten bzw. gehabt hätten. Nachdem am 1.7.1990 das BetrVG in der ehemaligen DDR in Kraft getreten war, wurden auf Betriebsebene zahlreiche Sozialpläne abgeschlossen, um die im Zusammenhang mit der Einführung der Marktwirtschaft notwendig gewordenen betrieblichen Umstrukturierungen auch entsprechend den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes durchzuführen l . Beim Abschluß dieser Sozialpläne herrschte allgemein die Ansicht vor, daß die Wirtschaft der DDR als einer führenden Technologienation des Ostblockes zügig an das Westniveau herangeführt werden könne und deshalb ein Großteil der Ostunternehmen mit noch erträglichen Umstrukturierungen zu sanieren sei. Besonders wichtig war hierbei die Überzeugung, daß die Unternehmen einen Großteil ihres Ostmarktes würden halten können. Diese Erwartung hat sich nach den gravierenden politischen Umwälzungen im Ostblock nicht verwirkliche. Hinzu kamen weitere unerwartete Probleme, wie unzureichende Infrastruktur, technische Überalterung und ungeklärte Eigentumsfragen. Dies alles führte dazu, daß der erwartete Aufschwung Ost sich insbesondere im Hinblick auf die "Kosten der Einheit" in einen Pessimismus "Abschwung West" verkehrte. Dementsprechend überstiegen viele Sozialpläne die tatsächliche Wirtschaftskraft der Unternehmen, die sie abgeschlossen hatten.
I Nach der Rechtsprechung des BAG konnten vorher keine Abfindungsansprüche für Arbeitnehmer durch sogenannte Betriebskollektivverträge zwischen Betrieb und Betriebsleitung wirksam begründet werden. BAG AP Nr. 1 zu § 28 DDR-AGB = NZA 1992, 1135 ff.; zuletzt m.w.N. zur Kritik in der Literatur BAG NZA 1995, 687 ff.; vgl. auch Däubler BB 1993, 427 ff. 2 Vgl. Buchner NZA 1993, 289 ff. - 296.
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Einleitung
In Einzelfällen wurde der Dotierungsrahmen sogar auf Einzelaktiva, etwa auf einzelne Grundstücke, welche den wesentlichen Besitz des Unternehmens ausmachten, oder auf bestimmte Erwerbsaussichten, wie einen Großauftrag aus der Sowjetunion, gestützt. Dann stellte sich heraus, daß die angenommenen Voraussetzungen falsch waren, weil für das Grundstück ein Rückübereignungsanspruch bestand oder der Auftrag wegen des Zerfalls der Sowjetunion entfiel. Auch wurden Sozialplanansprüche in der Erwartung geschlossen, daß die Treuhand für ihre Erfüllung einstehen würde 3 • Die Treuhand hat jedoch aufgrund einer gemeinsamen Erklärung mit dem DGB und der DAG vom 13.04.1991 in ihrer Richtlinie zu Sozialplänen nur Ansprüche bis maximal 5.000.- DM für jeden betroffenen Arbeitnehmer übernommen4 • In all diesen Fällen stellte sich dann die Frage, ob und wie die Beteiligten eine Anpassung der Sozialpläne an die tatsächliche Lage erreichen können. Noch dramatischer war die Entwicklung im Bereich des Tarifwesens. In den neuen Bundesländern wurden im März 1991 einheitliche Tarifverträge im Industriebereich Metall abgeschlossen, die bei mehrjähriger Laufzeit eine stufenweise Anpassung des Lohnniveaus an den Weststandard vorsahen. Hiernach sollte der Tariflohn am 1. April 1993 um 26% steigen. Neben der oben schon ausgeführten unerwartet schlechten wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern kam im Metallbereich noch eine allgemeine Strukturkrise hinzu. Die Arbeitgeberverbände Elektro / Metall in den neuen Bundesländern trugen daraufhin seit Herbst 1992 vor, daß bei einem Festhalten am vereinbarten Stufentarifvertrag über 20% der verbandsangehörigen Unternehmen der Ruin drohe und zahllose Arbeitsplätze zerstört würden. Nachdem die tarifvertraglich vorgesehenen Revisionsverhandlungen ergebnislos blieben, erklärten die Arbeitgeberverbände im Frühjahr 1993 die außerordentliche Kündigung der Tarifverträge. Die Gewerkschaften hielten diese Kündigung für evident rechtswidrig 5 • Als Gegenmaßnahme veranlaßten sie Arbeitsniederlegungen, die sie als kollektive Ausübung des den Arbeitnehmern zukommenden Zurückbehaltungsrechts bezeichneten. Schließlich wurden doch neue Vereinbarungen getroffen und die Arbeitgeber nahmen ihre außerordentliche Kündigung wieder zurück6 • Dieser bis dahin einmalige Vorgang wiederholte sich sodann im August 1996, als diesmal der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie den im März Vgl. zu den tatsächlichen Vorgängen auch Meyer, NZA 1995,974 ff. - 974 f. Vgl. BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff= DB 1995, 1240 ff, dem dieser Sachverhalt zugrunde lag. S Vgl. AuA 1993, 164 "Kündigung von Ost-Tarifverträgen - klarer Rechtsbruch". 6 V gl. die Dokumentation der Geschehnisse in AuR 1993, S. 111 ff. 3
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Einleitung
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1995 abgeschlossenen ostdeutschen Stufentarifvertrag fristlos kündigte. Wiederum beriefen sich die Arbeitgeber darauf, daß sich die wirtschaftliche Lage zugespitzt habe, insbesondere auch wegen der Konkurrenz aus dem europäischen Binnenmarkt. Ohnehin seien in den meisten Unternehmen tatsächlich bereits Löhne unterhalb der Tarifvereinbarung gezahlt worden, diese also faktisch obsolet geworden. Schließlich wurde vor einer Flucht aus den Arbeitgeberverbänden gewarnt, weil über 10 % der Unternehmen ihren Austritt angekündigt hätten? Unabhängig von den gravierenden Problemen im Osten haben sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der gesamtdeutschen Wirtschaft ab Mitte 1992 aufgrund der Weltwirtschaftslage dramatisch entwickelt und nach einer kurzen Beruhigung im Jahre 1995 stieg seit 1996 die Arbeitslosigkeit auf eine bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht erreichte Höhe. Ein Ende der immer noch steigenden Tendenz ist zur Zeit nicht absehbar. Auch insoweit stellt sich die allgemeine Frage, wie die Arbeitgeberseite im Rahmen einer Rezession oder Strukturkrise im Bereich kollektiver Vereinbarungen Einsparungen herbeiführen kann, um einer drohenden Branchen- bzw. Unternehmenskrise möglichst frühzeitig entgegenzuwirken und drohende Insolvenzen abzuwenden8 • Eine praktische Reaktion auf die Rezession seit 1992 war das Bemühen zahlreicher Unternehmen, ihre bislang gewährten freiwilligen Leistungen zu reduzieren oder gar zu beenden. Dadurch hat insbesondere die Diskussion an Bedeutung gewonnen, ob eine grundlose Kündigung sogenannter freiwilliger Betriebsvereinbarungen ohne jegliche Nachwirkung zulässig ist. Im Herbst 1993 kündigte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die westdeutschen Metalltarifverträge und forderte sogar nominale Lohnkürzungen9 • Auch dieser Vorgang ist, wie schon die außerordentliche Kündigung der Osttarifverträge, einmalig in der deutschen Tarifgeschichte. Schließlich wird neben der Bekämpfung von Unternehmensgefährdungen insbesondere in Rezessionszeiten darüber diskutiert, wie man die zuvor erwähnte, seit den siebziger Jahren ständig steigende sog. "Sockelarbeitslosigkeit" bekämpfen kann, die auch bei einer wirtschaftlichen Hochkonjunktur Vgl. Pressemeldungen in SZ vom 31.08.1996 S. 1; FAZ vom 31.08.1926, S. 13. Dementsprechend wurden während der Rezession im Jahre 1982 Uberlegungen angestellt, inwieweit das Arbeitsrecht einen Beitrag zur Unternehmenssanierung bereitstellen könnte. So hieß das arbeitsrechtliche Thema der Abteilung E zum 54. DJT "Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht"zu dem das Gutachten von Hanau, Peter gefertigt wurde. 9 Vgl. Pressemitteilung FAZ vom 29.09.1993, S. 15 und den Kommentar von Rainer Hank "Angriff der Arbeitgeber" an selber Stelle. 7
8
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Einleitung
bestehen bleibt und sich mittlerweile zu einer unbestrittenen Massenarbeitslosigkeit entwickelt hat. Dabei wird im Rahmen der in neuester Zeit geführten Gespräche und Kontroversen um das "Bündnis für Arbeit"l0 auch die Frage nach Eingriffen in das bestehende Tarifsystem gestellt. Diese skizzierten Sachverhalte im Bereich des Betriebs- wie auch des Tarifwesens müssen spätestens seit der zweiten außerordentlichen Kündigung eines Tarifvertrages als eine echte Gefährdung der Tarifautonomie angesehen werden I I. Es wird sogar damit argumentiert, daß sich ohnehin kaum noch jemand an den Tarifvertrag halte. Das macht eine wissenschaftliche Behandlung der Fragen notwendig, ob, wie und mit welchen Folgen die Arbeitgeberseite auf den Bestand von Gesamtvereinbarungen einwirken kann, wenn Unternehmen oder ganze Branchen wirtschaftlich in Bedrängnis geraten und eine Krise droht. Unproblematisch ist hierbei nach ganz h.M. 12 entsprechend dem Grundsatz, "lex posterior derogat legi priori" , der Fall, daß sich die Partner der Gesamtvereinbarung auf eine Anpassung an die geänderten Umstände einigen kön-
JO Erklärung der Bundesregierung und Spitzenrepräsentanten der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften vom 23.01.1996 in NJW-Informationen Heft 8 I 1996 Umschlagseite XVI; vgl. schon die Interviews mit Schulte - Vorsitzender des DGB - "Wir müssen einen Pakt schließen" in der Zeit vom 21.10.1994, S. 28; und Necker - Präsident des BDI - "Den Griff des Staates lockern" in der Zeit aaO. S. 29. I I V gl. den Kommentar von Rainer Hank "Krise der Tarifautonomie" in der FAZ vom 15.04.1993 S. 1.; Bernd Rüthers "Der Bundeseinheitstarifvertrag ist tot" F AZ vom 10.06.1995 S. 11; Beuthienl Meik DB 1993, 1518 ff. - 1518; Unterhinninghofen AuR 1993, 101 ff. - 104 f.; Linnenkohl BB 1994,2077 ff. - 2082 faßt die rechtstatsächliche Entwicklung in den neuen Bundesländern als Tarifflucht zusammen, wobei sich eine kollektivrechtliche Subkultur auf betrieblicher Ebene entwickelt habe. Besonders besorgniserregend ist es m.E., wenn Söllner NZA 1996, 897 ff. - 900 als ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht bereits ParalelIen zur Weimarer Endzeit andeutet. Insoweit paßt es denn auch, wenn der Präsident von Gesamtmetall, Werner Stumpfe, in einem Gespräch im Deutschlandfunk Eingriffe in das Streikrecht forderte, nachdem der niedersächsiche Arbeitgeberverband in der Frage der 100% Lohnfortzahlung nachgegeben hatte - vgl. Leitartikel im Handelsblatt vom 10.12.1996 "Einigung in der Metallindustrie in Sicht"; vgl zur politischen Kritik an Stumpfe die Stellungnahmen wiedergegeben in dem Artikel "Kohl verteidigt das Streikrecht" Handelsblatt vom 10.12.1996 S. 4. Wolfram Engels forderte bereits 1993 - Wirtschaftswoche Nr. 6 vom 05.02.1993, S. 126 "Der Kommentar - Machtmißbrauch"-, die Reichweite der Koalitionsfreiheit zu prüfen, da es nicht angehe, "daß private Verbände mit delegierter Rechtsetzungsbefugnis ein ganzes Land ruinieren". 12 BAGE 1, 205 ff. - 213 f.; BAGE 54, 261 ff. = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung; BAG AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung; BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314ff, 315 = DB 1995, 1240 ff; BAG NZA 1998, 494 ff; Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 760 f.; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 197f.; m.w.N. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 284 ff.; Fitting / Kaiser / Heither / Engels BetrVG § 77 Rz. 163 f.
Einleitung
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nen. Ihre gemeinsame Regelungsmacht wird dabei im wesentlichen nur durch erworbene Besitzstände und den Vertrauensschutz begrenzt\3. Deshalb beschränkt sich diese Untersuchung auf die Frage, welche Möglichkeiten der Arbeitgeberseite zukommen, einseitig auch gegen den Willen des Vertragspartners auf der Arbeitnehmerseite auf Gesamtvereinbarungen einzuwirken. Zu deren Beantwortung sollen zunächst einige grundlegende Gesichtspunkte abgeklärt werden, um eine unübersichtliche Verquickung verschiedener Fragen zu vermeiden. Dabei ist an erster Stelle das Wesen und die rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen in die allgemeine Rechtsordnung zu bestimmen, um den Rahmen festzulegen, in dem die Möglichkeiten zur einseitigen Einflußnahme zu suchen und welche Grundsätze hierbei zu beachten sind. Da jeder einseitige Arbeitgebereingriff in Gesamtvereinbarungen die Frage nach dem Vertrauensschutz der Normenunterworfenen aufwirft, sollen sodann die grundlegenden Gesichtspunkte dieses Schutzes problematisiert werden. Schließlich ist der Vollständigkeit halber kurz auf der Basis der festgestellten Grundlagen vorab zu klären, ob wirtschaftliche Fehlentwicklungen schon ipso facto den Bestand von Gesamtvereinbarungen beeinflussen und sogar unwirksam machen können. Denkbar wäre etwa eine Art wirtschaftliche Unmöglichkeit bei drohender Insolvenz oder unerwarteter negativer Entwicklung. Wenn das der Fall wäre, würde die Grundlage für Einwirkungsrechte der Arbeitgeberseite entfallen. Sind die vorgenannten allgemeinen Fragen geklärt, kann anschließend auf die einzelnen denkbaren einseitigen Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Voraussetzungen eingegangen werden. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen für die Betriebsvereinbarung und den Tarifvertrag, erfolgt die Untersuchung für diese getrennt. Eine eigenständige Prüfung im Hinblick auf Richtlinien zwischen Arbeitgeber und Sprecherausschuß für leitende Angestellte gemäß § 28 Abs. 2 SprAuG unterbleibt l4 • Zwar haben auch diese im Falle des § 28 Abs. 2 SprAuG den Charakter einer Gesamtvereinbarung, wenn also ihre unmittelbare und zwingende Wirkung vereinbart ist. Doch ist die Wirkung solcher Richtlinien einer Betriebsvereinbarung über Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung nachgebildet. Mangels anderer Regelung ist die Kündigung binnen drei Monaten möglich und eine Nachwirkung nicht vorgesehen.
13 Die Bestimmung dieser Grenzen ist zwar in concreto umstritten. Eine Würdigung dieser Frage erfolgt jedoch zwangsläufig auch bei einer einseitigen Einwirkung der Arbeitgeberseite und erfordert daher keine eigenständige Auseinandersetzung. 14 Allgemein zu den Richtlinien zwischen Arbeitgeber und Sprecherausschuß Kramer, Stefan OB 1996, 1082 ff.
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Einleitung
Folglich gelten die Ausführungen für freiwillige Betriebsvereinbarungen für die Richtlinien des SprAuG nach § 28 Abs. 2 SprAuG entsprechend. Weiterhin sind andere denkbare Möglichkeiten zur einseitigen Einwirkung auf bestehende Kollektivvereinbarungen zu prüfen, die zumindest vergleichbare Ergebnisse hervorrufen bzw. hervorrufen sollen, etwa Ausgründung, sonstige Umwandlung oder die sogenannte Flucht aus dem Arbeitgeberverband im Tarifrecht. Schließlich soll noch kurz auf Reformvorschläge eingegangen werden, insbesondere zur Flexibilisierung der Flächentarifverträge etwa durch Einführung der viel diskutierten gesetzlichen Öffnungsklauseln zugunsten der Betriebspartner l5 •
15 So lautete das Thema der arbeitsrechtlichen Abteilung B zum 61. DJT 1996 "Empfiehlt es sich, die Regelungsbefugnisse der Tarifparteien im Verhältnis zu den Betriebsparteien neu zu ordnen?" Der erhebliche Werte- und Diskussionswandel, der sich hinter der zwischenzeitlichen Entwicklung vom 54. DJT mit seiner Frage nach sytemkonformen Modifikationen und der das Rangverhältnis und damit das ganze Arbeitsrechtssystem verändernden Frage des 61. DJT verbirgt, ist offensichtlich.
Erster Teil
Die Grundlagen der Untersuchung A. Die rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen Bei der rechtlichen Erfassung von Gesamtvereinbarungen sind zwei Teilbereiche zu unterscheiden, die für eine umfassende Einordnung von Bedeutung sind. Zum einen werden Rechte und Pflichten zwischen den Parteien der Gesamtvereinbarung geschaffen. Dies können Regelungen über die eigenen Beziehungen der Parteien untereinander sein, die etwa gesetzliche Bestimmungen abändern. Es kann auch nur die immanente Pflicht sein, getroffene normative Vereinbarungen einzuhalten (sog. Durchführungspflicht)l und während ihrer Gültigkeit keine Kampfrnaßnahmen einzuleiten (sog. Friedenspflicht)2. Dies ist der sogenannte obligatorische bzw. schuldrechtliche Teil der Gesamtvereinbarungen3 , dessen Zulässigkeit aus der allgemeinen Vertrags freiheit des § 305 BGB folgt. Wäre dies ihr einziger Inhalt, würden sie unzweifelhaft dem gewöhnlichen zivilen Vertragsrecht unterfallen und seinen Regeln folgen. Indes unterscheiden sie sich von anderen Verträgen gerade dadurch, daß sie vornehmlich dazu dienen, in einem sogenannten normativen Teil Absprachen zu treffen, die gemäß § 4 Abs. 1 TVG, § 77 Abs. 4 BetrVG (bzw. § 28 Abs. 2 S. 1 SprAuG) in den Individualarbeitsverhältnissen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zwingend und unmittelbar, also wie Rechtsnormen, gelten.
1 BAG OB 1983, 1098; Hanau. Peterl Adomeit Arbeitsrecht S. 78; ausflihrlich m.w.N. Läwisch I Rieble TVG § I Rz. 282 ff.; Schaub, Arbeitsrecht S. 1679. 2 BAG AP Nr. I zu § I TVG - Friedenspflicht; BAG AP Nr. 2 zu Art. 9 GG - Arbeitskampf; Hueck. Alfred/ Nipperdey I Stahlhacke, TVG § I Rz. 110; Säcker, OB 1967, 1086 ff. - 1086; Hanau. Peterl Adomeit Arbeitsrecht S. 77; ausflihrlieh m. w.N. Läwisch I Rieble TVG § I Rz. 271 ff. 3 MüHdbArbR - Läwisch § 246 Rz. 33; m.w.N. Wiedemann I Stumpf TVG § I Rz. 320; Läwisch I Rieble TVG § I Rz. 258 f.; Allerdings wird teilweise angezweifelt, ob schuldrechtliche Absprachen Inhalt von Betzriebsvereinbarungen sein können oder nur daneben möglich sind m.w.N. Hanau. Peter RdA 1989,207 ff. - 209. M.E. ist diese Beschränkung wenig sinnvoll - können die Betriebspartner schuldrechtliche Absprachen treffen, sind keine Bedenken dagegen ersichtlich, dies auch in der Betriebsvereinbarung zuzulassen.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Im Tarifrecht benennt § 1 Abs. 1 TVG diese Regelungen sogar ausdrücklich als Rechtsnormen4 • Diese Besonderheit macht es schwierig, Gesamtvereinbarungen in das bestehende Rechtssystem einzuordnen. Unsere Rechtsdogmatik lebt von der Grundvorstellung einer Zweiteilung in öffentliches und privates Recht. Das öffentliche Recht ist grundsätzlich von einer Über- und Unterordnung und der Möglichkeit hoheitlicher Fremdbestimmung gekennzeichnet, dem sich das Individuum zu beugen hat. Das private Recht hingegen ist der Ausfluß menschlicher SelbstbestimmungS , welcher gedanklich auch dem Katalog der Freiheitsgrundrechte zugrunde liegt6 • Im Privatrecht können sich deshalb Personen nur durch ihren eigenen Willen binden; Verträge gelten, weil die Parteien es selbst so wollen7 • Der Staat dient zunächst nur bei der Durchsetzung, wenn jemand die durch seinen eigenen Willen begründeten Verpflichtungen nachträglich nicht einhalten will 8 • Eine zwingende Fremdbestimmung ist dem Privatrecht grundsätzlich unbekannt. Die Gesamtvereinbarungen werden zwar von Subjekten geschlossen, die eigentlich dem Privatrecht angehören, dennoch erzeugen sie gemäß den §§ 4 Abs.l TVG und 77 Abs. BetrVG genauso wie Gesetze eine zwingende Fremdbestimmung in privatrechtlichen Individualverträgen. Deshalb stehen sie zwischen diesen beiden Rechtsgebieten9 •
4 Aufgrund der fehlenden Gleichsetzung im BetrVG und der erheblichen Unterschiede zum Tarifrecht wird dort teilweise nur von einer quasinormativen Wirkung gesprochen - Hanau, Peter RdA 1989 S. 207 ff. - Zutreffend ist hieran, daß die Gleichstellung mit Rechtsnormen im klassischen Sinne, soweit es Dritte betrifft, fragwürdig sein kann vgl Hanau 207 -, etwa ob eine durch Betriebsvereinbarung verlängerte Kündigungsfrist als Gesetz im Sinne der KO anzusehen war, wie es vor der Neuregelung durch das Beschäftigungsförderungsgesetz vor dem 01.10.1996 für Tarifverträge nach dem EGKO der Fall war. Für die grundlegende Frage nach der Grundlage der unmittelbaren und zwingenden Wirkung im Individualvertrag ist dies ohne Bedeutung, so daß hiermit nur eine begriffliche Differenzierung vorgenommen wird, um Unterschiede zum Tarifvertrag bereits sprachlich anzuzeigen. Für die vorliegende Arbeit kann diese Begrifflichkeit dahinstehen. Inwieweit abweichende Besonderheiten zum Tarifvertrag bestehen mögen, wird, soweit relevant, an den entsprechenden Stellen untersucht werden. S V gl. ausführlich Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1 S.1 ff., insbes. S. 6f. 6 V gl. Larenz AT des BGB, § 1 S. 1. 7 V gl. Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des BGB, Bd. I 1. Hbd. § 34 I u 11, S. 224 ff. 8 Dieterich RdA 1995, 129 ff. - 130. 9 Adomeit RdA 1967,297 ff. - 299; aus diesem Grund wird auch eine Aufgabe der bestehenden Zweiteilung in unserer Rechtsordnung und -dogmatik gefordert, vgl. insbesondere die umfassende Darstellung und Kritik von Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, der eine echte Zweiteilung für überholt hält, aaO. S. 116; des weiteren van der Ven, FS Nipperdey 1965 S. 681 ff, tendenziell auch Hofbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge S. 23. Da diese Zweiteilung zur Zeit Basis unserer Gesamtrechtsordnung ist und dies auch auf absehbare Zeit bleiben dürfte, wird sie der Arbeit zugrundegelegt.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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Dennoch bleibt eine Einordnung in das gegebene Rechtssystem unvermeidlich, wenn man sich mit einseitigen Einflußmöglichkeiten der Arbeitgeberseite beschäftigen will. Nur nach einer solchen Zuordnung kann man auf die hierfür gültigen Prinzipien zurückgreifen lO • Bei dieser Einordnung werden drei Bereiche der Rechtsnatur diskutiert, wenn sie auch natürlicherweise miteinander verwoben sind und dementsprechend ineinander greifen. Neben dem Problem der Zuordnung zum öffentlichen oder privaten Recht ist die Rechtsnatur im Sinne des Rechtscharakters der Vereinbarungen fragwürdig - namentlich, ob es eine Satzung, ein Vertrag oder eine Vereinbarung ist -. Schließlich stellt sich die Frage, wie die normative Wirkung zu erklären ist. Alle drei Themenkreise sind für die vorliegende Bearbeitung von erheblicher Bedeutung. Die Zuordnung zum öffentlichen und privaten Rechtsgebiet und der Rechtscharakter bestimmen, welche allgemeinen Rechtsgrundsätze Anwendung fmden und welche Gestaltungsmöglichkeiten neben den speziellen gesetzlichen Regelungen des TVG und des BetrVG in Betracht zu ziehen sind. Die rechtsdogmatische Begründung der normativen Wirkung gemäß § 4 Abs. 1 TVG und § 77 Abs. 4 BetrVG ist wichtig für die Problematik, welchen Beschränkungen die Gestaltungsmacht der Kollektivpartner aufgrund der normativen Wirkung unterliegen und welche Grenzen bei einseitigen Eingriffen der Arbeitgeberseite aus der Normenwirkung heraus beachtet werden müssen. I. Die rechtliche Natur der normativen Wirkung Grundlegend für alle drei Fragenkomplexe ist zunächst die Erklärung der normativen Wirkung als die hervorstechendste Besonderheit von Gesamtvereinbarungen. Dazu sind in der Rechtswissenschaft drei unterschiedliche Grundansätze verfolgt worden; eine rechtsgeschäftliche Erklärung, eine Bestimmung als hoheitliche Rechtsetzung und eine als rechtsgeschäftliche Normensetzung ll . 10 Es wird zwar häufig betont, daß dieser Einordnung nicht zuviel Bedeutung zugesprochen werden dürfte. Doch sollte man bedenken, daß eine rein fallorientierte Rechtsanwendung der Rechtssicherheit abträglich ist. Eine Systematisierung setzt notwendigerweise die Festlegung bestimmter Grundlagen voraus. Außerdem zeigt sich häufig in der Diskussion um Reichweite und Grenzen der Kollektivmacht das unterschiedliche Grundverständnis. Schließlich verlangt die Gesetzesbindung, daß man die in einer gesetzlichen Regelung enthaltene Basis nicht im Einzelfall ohne nähere Begründung beiseite schiebt. Gerade die Autoren, die dem Gesetzgeber seine kaum zu bestreitende Untätigkeit im Arbeitsrecht vorwerfen, sollten sich besonders um die Feststellung der in einem Gesetz enthaltenen Grundlagen bemühen. 11 Die in der Rechtslehre vertretenen Ansichten über das Wesen der Normenwirkung befassen sich vorwiegend mit Tarifverträgen. Sie sind sinngemäß weitgehend auch auf
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
1. Rechtsgeschäjtliche Erklärungsversuche Die rechtsgeschäftlichen Erklärungsmodelle wollen das Wesen der normativen Wirkung rein zivilrechtlich herleiten und versuchen daher eine Einordnung in Gestaltungsmittel der Privatautonomie, etwa der Stellvertretung und der Leistungsbestimmung durch Dritte.
a) Rechtsgeschäftliche Erklärung und der Wortlaut des § 1 Abs. 1 TVG Gegen eine rechtsgeschäftliche Einordnung scheint auf den ersten Blick der Wortlaut des § 1 Abs. 1 TVG zu sprechen. Der Gesetzgeber hat die tariflichen Regelungen dort als Rechtsnormen bezeichnet. Nach h.M. unterscheiden sich Rechtsnormen gerade vom Rechtsgeschäft dadurch, daß sie - in der Regel in generell-abstrakter Form - eine für den Einzelfall verbindliche Ordnung beinhalten, die selbstherrlich, also von einer freiwilligen Unterwerfung unabhängig ist l2 • Nach dieser Auffassung - der sogenannten Tatbestandstheorie - ist das Rechtsgeschäft lediglich ein Tatbestandsmerkmal, an dem die Rechtsnormen des Privatrechts anknüpfen lJ • Daher könnte man den Versuch einer rechtsgeschäftlichen Erklärung allein wegen des Wortlauts des § 1 Abs. 1 TVG ablehnen wollen. Doch muß dieses Verständnis schon insoweit relativiert werden, als die Unterscheidung zwischen Rechtsnorm und Rechtsgeschäft so eindeutig nicht ist l4 • Im Gegensatz zur Tatbestandstheorie wird von der sogenannten Normentheorie die Ansicht vertreten, daß ein wirklich qualitativer Unterschied zwischen Rechtsnorm und Rechtsgeschäft gar nicht existiere I 5 • Beide Gestaltungsmittel gelten nur auf der Grundlage einer jeweils höheren Norm, die zu einer Rechtsetzung befugt. So wie die Verfassung den Gesetzgeber ermächtigt und das ermächtigende Gesetz wiederum den Verordnungsgeber, so sei auch die Betriebsvereinbarungen anwendbar, weil es bei beiden GestaItungsmitteln gleichermaßen um das Spannungsfeld von Kollektivvertrag und individueller Freiheit geht. Im weiteren wird deshalb die Grundlage der normativen Wirkung für beide Gesamtvereinbarungen gemeinsam untersucht, soweit nicht ihre Unterschiede etwas anderes gebieten. 12 Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des BGB, § 32 III, S. 210; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts S. 76; Larenz, AT des BGB, § 1 S. 7; Stammler, Autonomes Recht, S.61. IJ Enneccerus-Nipperdey, BGB Allgemeiner Teil, 2. Bd, S. 857 ff.; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1-4, S. 5 f.; v. Thur, Andreas, Allgemeiner Teil, Bd. 1111, S. 3 ff; vgl. Darstellung m.w.N. in Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 84 f. mit Kritik 86 f. 14 Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 25ff.; vgl. auch Darstellung m.w.N. bei Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 52 ff. 15 Merkl, Allgemeines VerwaItungsrecht, S. 98 ff.; Kelsen, Hauptprobleme der Staatslehre, Vorrede zur 2. Aufl S. XII ff.; ausdrücklich für den Tarifvertrag Adomeit RdA 1967,297 ff. - 299 ff.; ders. m.w.N. Rechtsquellenfragen, S. 87ff.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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das Rechtsgeschäft die private Rechtsetzung unter zwei Individuen, die hierzu durch die gesetzlich eingeräumte Privatautonomie ermächtigt seien 16. Der Vertrag ist danach sowohl Rechtsgeschäft als auch Rechtsetzung inter partes und damit Rechtsnorm l7 • Es würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, diesem Streit nachzugehen, der ganz grundsätzliche rechtstheoretische Fragen betrifft l8 • Doch zeigt dieser Disput, daß allein dem Begriff "Rechtsnorm" in § 1 Abs. 1 TVG im Sinne einer Interessenjurispudenz keine abschließende Bedeutung beigemessen werden darf. Dies gilt umso mehr, als nicht zu übersehen ist, daß die h.M., wie im folgenden noch darzustellen ist, gerade im Hinblick auf das Gewaltmonopol des Staates Schwierigkeiten mit der Herleitung und Absicherung der tarifvertraglichen Wirkung als Rechtsnorm hat. Von dieser rechtstheoretischen Frage abgesehen, kann schließlich ohnehin nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber mit der Verwendung des Begriffs "Rechtsnorm" bewußt einen rechtswissenschaftlichen Streit über die dogmatische Einordnung der normativen Wirkung entscheiden wollte. Der Gesetzgeber überläßt diese Bewertung der Rechtswissenschaft und bedient sich technischer Begriffe allein mit dem Ziel, die damit verbundenen Wirkungen zur Anwendung zu bringen l9 • Vorliegend dürfte der Begriff Rechtsnorm vornehmlich dazu dienen, die entsprechende Behandlung von Tarifverträgen in anderen Gesetzen zu bewirken, bei denen jede Rechtsnorm als Gesetz gileo.
Vgl. Bucher, Das subjektive Recht, S. 55 ff.; Adomeit RdA 1967,297 ff. - 299 f. v. Hippet, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Rechtsetzung, S. 57 ff.; Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 11 S. 117 ff, insbesondere 118; Adomeit RdA 1967, 297 ff. - 300. \8 Vgl. insoweit m.w.N. die Darstellung bei Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille § 3 S. 21 ff. 19 Man kann sogar mit Ramm daran zweifeln, ob der Gesetzgeber überhaupt rechtsdogmatische Einordnungen verbindlich treffen kann, Ramm JZ 1962, S. 80 f. Seine originäre Aufgabe ist die Regelung selbst, während der Wissenschaft ihre dogmatische Bewertung zukommt. Zu weit führt allerdings die These Ramms, daß eine falsche Einordnung bedeutungslos sei. Gerade wenn er beispielhaft behauptet, dem Gesetzgeber brauche auch nicht gefolgt zu werden, wenn er in einem Gesetz eine Eule als Säugetier oder das Newtonsche Gravitationsgesetz als Teil der "Goldenen Bulle" bezeichnet, geht er im Ergebnis fehl. Der Gesetzgeber arbeitet schließlich häufiger mit Fiktionen und bisher hat niemand behauptet, Fiktionen seien unbeachtlich, weil sie nicht der Wahrheit entsprechen. Daher ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber, der eine falsche Einordnung vornimmt, diese im Hinblick auf bestimmte Folgen trifft und die Zuordnung zumindest eine Fiktion im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzgebers beinhaltet. 20 So ist die tarifvertragliche Regelung über Art. 2 EG BGB für das BGB und damit für das gesamte materielle Privatrecht als Gesetz anzusehen. Prozessual erfolgt die Gleichstellung mit Gesetzen über § 12 EG ZPO. Für die Bedeutung dieser Gleichstellung sei an den Streit bei § 22 Abs. 1 S. 2 KO (vgl. BAG DB 1985, 235 ff.) erinnert, ob eine tarifliche Kündigungsfrist als gesetzliche Frist im Sinne der KO anzusehen ist. Letzterer ist allerdings durch den zum 01.10.1996 vorzeitig für den Geltungsbereich der KO in Kraft getretenen § 113 InsO obsolet geworden. Danach gilt nunmehr eine gesetz16 17
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Daher ist auch eine abweichende dogmatische Zuordnung zulässig, soweit sie die gesetzgeberisch vorgegebenen Wirkungen erreiche! . Eine rechts geschäftliche Erklärung scheidet demnach nicht allein aufgrund des Wortlauts des § 1 Abs. 1 TVG von vornherein aus 22 •
b) Normative Wirkung als Stellvertretung Seit Beginn des Tarifwesens ergreift die normative Wirkung eines Tarifvertrages in der Regel nur die Individualparteien, die den Koalitionen der Gesamtvereinbarung durch Beitritt angehören. Im TVG ist dies in § 4 Abs. 1 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 TVG niedergelegt. In diesem Beitritt kann man konkludent eine Bevollmächtigung der jeweiligen Koalition sehen, entsprechende Absprachen zu treffen. Dementsprechend wurde von der sog. Vertretungstheorie angenommen, daß beim Tarifabschluß die Individualparteien von den Tarifparteien nur vertreten würden und somit die einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbst Parteien des Tarifvertrages wären23 • Hiermit kann zwar die unmittelbare Wirkung im Regelfall erklärt werden. Allerdings ist schon problematisch, warum gemäß § 4 Abs. 1 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 TVG ausnahmsweise die Taritbindung des Arbeitgebers genügt24 • Bei der Betriebsvereinbarung wird gleichfalls allein durch die Betriebszugehörigkeit eine normative Bindung der Arbeitnehmer begründet. In diesen Fällen müßte man über eine Art gesetzliche Bevollmächtigung der Tarif- bzw. der Betriebspartner nachdenken, um eine wirksame Stellvertretung der Arbeitnehmer herzuleiten. Daneben wird eingewandt, daß die Tarifpartner selbst gar nicht vertraglich gebunden seien und ihre Friedenspflicht eigentlich nicht zu begründen wäre 25 • Insoweit könnte man noch die Gesamtvereinbarung im normativen Teil als eine stellvertretende schuldrechtliche Absprache für die Individualparteien und im schuldrechtlichen Teil als unmittelbaren Vertrag zwischen den Koalitionspartners selbst auffassen. Schließlich ist es Stellvertretern gemäß § 305 BGB nicht verwehrt, zusätzlich eigene Vereinbarungen zu treffen, solange hiermit kein kollusiver Mißbrauch der Vertretungsmacht einhergeht.
liehe unabdingbare Kündigungsfrist von drei Monaten bei einer Kündigung. Weitere Beispiele finden sich bei MünchArbR Löwisch § 246 Rz. 19. 2! So auch Zöllner RdA 1964,443 ff. - 444; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz .. 144. 22 Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 22. 23 Lotmar, Der Arbeitsvertrag Bd. I, S. 755 ff.; m.w.N. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages S. 37 f. 24 Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 21. 25 VgI. m.w.N. die Darstellung bei Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages S. 38 f.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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Die entscheidende Problematik, die bei der Vertretungstheorie bereits im Kern - unabhängig von den zuvor genannten Fragen - Zweifel aufkommen läßt, ist jedoch die Unabdingbarkeie6 • Eine Bindung des Vertretenen an das Vereinbarte auch für den Fall, daß die unmittelbaren Individualvertragsparteien gemeinsam eine andere Regelung treffen wollen, ist dem Vertretungsrecht fremd. Eine Stellvertretung hindert die Vertretenen nicht daran, abweichende Neuregelungen zu treffen27 • Insoweit ist die zwingende Wirkung nicht zu erklären. Lotmar versuchte, diesem Einwand mit dem Parteiwillen zu begegnen. Weil Ziel des Tarifvertrages die gleichmässige Geltung in den Einzelarbeitsverhältnissen ist, solle die Unabdingbarkeit dem ursprünglichen Parteiwillen entsprechend Teil der einzelvertraglichen Regelung sein28 • Doch selbst eine ursprüngliche Einigkeit über die Unabdingbarkeit kann die Vertragsparteien nicht hindern, einvernehmlich diese aufzuheben. In jeder tarifwidrigen Absprache kann man insoweit bei objektiver Betrachtung konkludent die vorherige Aufgabe der Unabdingbarkeitsabsprache erblicken. Hiergegen versuchte sich Lotmar mit der Überlegung zu verteidigen, daß die anwesenden Parteien beim Abschluß des Tarifvertrages und die Parteien der Individualverträge nicht identisch seien. Die beim Vertragsschluß von einer großen Personengesamtheit gesetzte Schranke könne insoweit nicht später von den einzelnen ohne Zustimmung der Mehrheit geändert werden29 • Diese Verweisung auf die tarifabschließenden Personen steht im krassen Widerspruch zur eigenen Ausgangsposition, wonach die Tarifpartner nur als Stellvertreter agieren30 • Im Rahmen der Stellvertretung tritt der Vertreter lediglich ersatzweise für den Vertretenen auf, weshalb seine Handlungen gemäß § 164 Abs. 1 S. 1 BGB allein für und gegen den Vertretenen wirken. Mit dieser Funktion ist eine Kontrolle des Vertretenen durch den Vertreter nicht in Einklang zu bringen. Dieser Erklärungsversuch, die Unabdingbarkeit im Rahmen der Vertretungstheorie zu erklären, kann daher nicht überzeugen31 • Hinzu kommt, daß in tatsächlicher Hinsicht die Tarifpartner eine unbekannte Anzahl von einzelnen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vertreten müßten32 und dies bei ständiger Mitgliederfluktuation33 • Aus diesen Gründen Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 10. Vgl. Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag Teil I, S. 74 f. 28 Lotmar, Der Arbeitsvertrag Bd. I S. 755 ff. 29 Lotmar, Der Arbeitsvertrag Bd. I, S. 782. 30 So zu Recht schon Oertmann, ZfSozwiss Bd. 10 ( 1907 ) S. 9. 31 So auch für Betriebsvereinbarungen GK-Kreutz § 77 Rz. 183; 186. 32 Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 10. 33 Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 445, mit dem zutreffenden Hinweis, daß eine Konstruktion mittels einer unterstellten vollmachtlosen Vertretung nicht überzeugt, so aber Ramm JZ 1962, 78 ff. - 81. 26
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3 Beathaltcr
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
konnte sich diese Theorie auch nicht durchsetzen. Vielmehr folgt die ganz überwiegende Ansicht34 der von Sinzheimer begründeten Verbandstheorie 35 , wonach nur die Tarifpartner aus eigener Rechtsrnacht Vertragsparteien des Tarifvertrages sind. Insbesondere Ramm versuchte noch später im Rahmen seiner Differenzierungstheorie an Vorstellungen der Stellvertretung anzuknüpfen. Nach dieser Ansicht soll auf Arbeitgeberseite die sog. Kombinations- - auch Kumulationstheorie genannt - gelten, wonach der Verband sowohl sich selbst als auch stellvertretend die einzelnen Arbeitgeber im Tarifvertrag verpflichtet. Dagegen soll auf Arbeitnehmerseite die Verbandstheorie gelten36 . In einem gewissen Widerspruch zu der Wertung, daß auf der Arbeitnehmerseite die Verbandstheorie gilt, versuchte Ramm auch auf der Arbeitnehmerseite die Unabdingbarkeit mit einer Art sozialen Stellvertretung zu erklären. Den Gewerkschaften erwachse aus der Unterlegenheit des Arbeitnehmers ein sozialer Schutzauftrag, der auf Art. 20 und 28 GG fuße. Dieser führe zu einer sozialrechtlichen Vertretungsmacht der Arbeitnehmerverbände, die der Vetretungsmacht des gesetzlichen Vertreters bei § 107 BGB entspräche. Die zwingende Wirkung wird also damit erklärt, daß der Arbeitnehmer für etwaige Änderungen nicht die erforderliche "soziale" Geschäftsfähigkeit besitzen so1l37. Hierüber könnte man zwar noch im Bereich der Betriebsverfassung nachdenken, im Taritbereich ist jedoch zu beachten, daß die normative Wirkung in der Regel eben nur die Mitglieder erfaßt. Somit käme nach dieser Ansicht der Beitritt zu einer Gewerkschaft partieller Selbstentmündigung gleich, was schon befremdlich erscheine 8 • Völlig widersinnig ist, daß hiernach nur der in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt wird, der in der Einsicht der eigenen Schwäche einer Gewerkschaft beigetreten ist, während derjenige, der dies unterläßt, Herr seiner selbst bleibt. Wer seine Schwäche nicht erkennt oder mißachtet, müßte danach geradezu als geschäftsunfähig angesehen und erst recht dem besonderen Schutz der Gewerkschaft unterliegen. Daß der Gesetzgeber nur die Bindung der Mitglieder ausgesprochen hat, kann hiermit nicht in Einklang gebracht werden. Die Ansicht Ramms ist deshalb abzulehnen39 . 34 Statt vieler Erman-Hanau, Peter § 611 Rz. 187; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 179 ff.;Löwisch/ Rieble TVG § I Rz. 339; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. 2 § 69 11 4 und 5, S. 216; Palandt-Putzo Einf. v. § 611 Rz.65. 35 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag Teil I S. 72 ff. 36 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, S. 69 ff. - zusammenfassend S. 101 ff; ders. 1Z 1962, 78 ff - 82 f.; für die Vertretungstheorie trat ferner noch Radke AuR 1956, 273 ff.; ders. AuR 1957, 257 ff. ein; gegen diesen Schweer AuR 1957,109 ff. 37 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages S. 88 ff.; ders. 1Z 1962,78 ff. - 82. 38 Hofbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge, S. 31. 39 Ausführliche Kritik übt Zöllner RdA 1964,443 ff.; vgl. auch Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 22ff., der betont, daß unsere Verfassung die individuelle
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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Eine überzeugende Erklärung der normativen Wirkung von Gesamtvereinbarungen ist daher über das Vertretungsrecht nicht möglich.
c) Normative Wirkung als Leistungsbestimmung durch Dritte Bötticher hat die Überlegung geäußert, daß man die tarifliche Regelung der Einzelarbeitsverhältnisse als Leistungsbestimmung durch Dritte im Sinne des § 317 BGB auffassen könnte. Das Bestimmungsrecht der Verbände folge aus der Unterwerfung der Mitglieder beim Beitritt, was ein Dauergestaltungsrecht begründe. Die durch einen Dritten erfolgte Leistungsbestimmung sei hier für die Vertragsparteien schließlich unabdingbar, weil und soweit der Dritte ein eigenes Interesse an der Regelung hat. Dem Dritten komme insoweit ein echtes ihm zustehendes Gestaltungsrecht zu, das auch gegenüber den Individualparteien Geltung verlangt. Alsdann bedarf eine abweichende Vereinbarung seiner Zustimmung4o . Hiergegen wird vorgebracht, daß nach dieser Erklärungsweise eine Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers gleichfalls unzulässig sein müsse, da sie nicht dem Interesse der Arbeitgebervertretung entspricht. Mit dieser Lösung wäre konsequenterweise das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG nicht vereinbar. Doch könnte man dies noch damit rechtfertigen, daß der Gesetzgeber im Sinne des Arbeitnehmerschutzrechtes nur das Interesse der Arbeitnehmervertreter am Fortbestand ihrer Drittbestimmung gesetzlich anerkannt und eine Zustimmungserfordernis der Arbeitgeberseite bewußt ausgeschlossen hat. Der Versuch, die zwingende Wirkung vom Interesse des Dritten abhängig zu machen, erscheint bereits im Ansatz zweifelhaft. Im Zivilrecht können Vertragspartner prinzipiell auch abweichend von ihren rechtsgeschäftlich begründeten Verpflichtungen gegenüber Dritten vertragliche Abmachungen und Verfügungen wirksam treffen (vgl § 137 BGB)41. Lediglich bei sittenwidrigem kollusivem Zusammenwirken bzw. bei vorsätzlicher sittenwidriger Verleitung zu einem Vertragsbruch käme eine Ersatzpflicht nach § 826 BGB Freiheit und nicht das Sozialstaatsprinzip in den Vordergrund gestellt hat, was mit der von Ramm vertretenen partiellen Entmündigung kaum vereinbar sei. Dem kann nur zugestimmt werden, zumal der Gesetzgeber mit § 113 BGB gerade im Arbeitsleben von einer besonderen Teilgeschäftsfähigkeit Minderjähriger ausgeht. Dies steht mit einer partiellen Selbstentmündigung der Gewerkschaftsmitglieder in Widerspruch. Der unorganisierte Minderjährige wäre also ausnahmsweise geschäftsfähig, während der unbeschränkt Geschäftsfähige sich mit seinem Koalitionsbeitritt quasi selbst teilweise entmündigen würde. 40 Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung, S. 18 ff.; insbesondere zur Überlegunp eines echten Gestaltungs~echtes !?it zwingender Wirkung S. 23 ff. 4 Säcker, Gruppenautonomie und Ubermachtkontrolle S. 244 f.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
in Betracht42 • Im Rahmen einer Naturalrestitution gemäß § 249 BGB könnte man dann zu einer Anwendung der Kollektivregelungen gelangen. Es ist jedoch zu beachten, daß das Schuldrecht als relatives Recht zwischen den Parteien grundsätzlich deren Willen in den Vordergrund stellt und daher bei einer solchen Anwendung des § 826 BGB Vorsicht geboten ist41, umso mehr, als es in Wirklichkeit gerade um die Fremdbestimmung durch Dritte geht. Eine solche durchschlagende Fremdbestimmung kann daher allein gerechtfertigt sein, wenn sich beide Individualparteien der fremden Gestaltungsmacht unterworfen haben44 •
aa) Unterwerfung im Tarifrecht
Beim Tarifvertrag kann zwar für Inhaltsnormen noch eine Unterwerfung durch den Verbandsbeitritt angenommen werden, da diese nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit normativ gelten. Dagegen hängt die normative Wirkung bei betriebsverfassungsrechtlichen und Betriebsnormen gemäß § 4 Abs. 1 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 TVG allein von der Tarifbindung des Arbeitgebers ab. Bei den betriebsverfassungsrechtlichen Normen folgt sodann die praktische Erfassung der Nichtorganisierten aus der Tatsache, daß die Betriebsverfassung die Belegschaft als Gesamtheit betrifft und sich daher eine Trennung in Gewerkschaftsmitglieder und Nichtorganisierte verbietet, was der Gesetzgeber in § 75 BetrVG sogar ausdrücklich bestimmt hat. Die Betriebsnorm beruht auf dem Gedanken, daß eine betriebliche Frage einer einheitlichen ordnenden Behandlung in einem Betrieb bedarf, und deshalb die Geltung von der Mitgliedschaft aller Arbeitnehmer in der Gewerkschaft unabhängig sein muß45 • Diese Vereinbarungen wirken somit gegenüber unorganisierten Arbeitnehmern normativ, so daß die gesetzesgleiche Wirkung auch Personen erfaßt, die sich gerade nicht durch einen Verbandsbeitritt fremder Gestaltungsmacht freiwillig unterworfen haben. Im Tarifrecht besteht daher keineswegs immer eine Unterwerfung unter die fremde Gestaltungsmacht46 • Zum Teil wird versucht, § 3 Abs. 2 TVG als bloße Selbstbindung des Arbeitgebers aufzufassen, die nicht unmittelbar an die Arbeitnehmer gerichtet sei, 42 Vgl. BGHZ 12,308 ff. - 318 ff; 14,317 ff.; BGH NJW 1981,2148; EnneccerusNipperdey, Lehrbuch des BGB, Bd. I 2. HBd. § 14411 3. S. 891 f.; ausführlich zu diesen Fallkonstellationen m.w.N. Staudinger - Schäfer, § 826 BGB Rz. 173 ff. 43 BGHZ 12,308 ff. - 317; Staudinger - Schäfer, § 826 BGB Rz. 171 f. 44 V gl. Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 11. 45 BAG NZA 1990,850 ff. - 853; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 3 Rz. 69. 46 Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 21; Dies hat Bötticher auch gesehen Bötticher aaO. S. 26. Seine Überlegungen zu einer Erklärung der Tarifwirkung nach § 317 BGB hat er daher selbst als Gedankenspiel gewertet, S. 19; in diese Richtung auch BAG OB 1990, 1919 ff. - 1922.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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sondern den Arbeitgeber zwinge, im Rahmen seiner Vertrags freiheit diese Regelungen den Arbeitnehmern vorzugeben47 • § 3 Abs. 2 TVG beträfe einen Fall des rechtlichen Dürfens gegenüber den Verbänden und nicht des rechtlichen Könnens gegenüber dem ungebundenen Arbeitnehmer. Die tarifwidrige Abrede müßte also etwa wie die unzulässige Einstellung nach § 99 BetrVG wirksam sein48 • Mit dieser Konstruktion kann somit die zwingende Einführung einer solchen Regelung nicht erklärt werden, weshalb bei einem vorherigen Abschluß des Arbeitsvertrages eigentlich eine Änderungskündigung erfolgen müßte. Wie bei Einstellungen gemäß § 99 BetrVG könnte auch den tarifwidrig abgeschlossenen Arbeitsverträgen die Kündigung drohen. Diese Kündigungsmöglichkeit ist nicht überzeugend, wenn aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit eine unmittelbare Bindung der Arbeitnehmer unzulässig ist. Entscheidend ist daher, daß nach dieser Prämisse zwar nur der Arbeitgeber gebunden wäre, aber mittelbar doch wieder die gesamte Belegschaft erfaßt würde. Die Anforderungen an eine Begründung der Normsetzungsgewalt gegenüber der Belegschaft kann nicht durch eine solche mittelbare Bindung geschmälert werden49 •
bb) Unterwerfung in der Betriebsveifassung
Weiterhin ist zu beachten, daß Bötticher seine Überlegungen ohnehin auf das Tarifrecht beschränkt. Will man eine solche Erklärung auch auf die normative Wirkung im Betriebsverfassungsbereich erstrecken, müßte dort eine freiwillige Unterwerfung feststellbar sein. Zunächst könnte man an eine Unterwerfung unter das Bestimmungsrecht der Betriebspartner durch den Abschluß des Arbeitsvertrages und die Einbindung in den Betrieb denken, weil dies privatautonom erfolgt und hiermit die Zugehörigkeit zur Belegschaft geschaffen wird, die wiederum Grundlage der normativen Wirkung ist50 • Hiergegen ist bereits einzuwenden, daß der Arbeitnehmer sich dieser Unterwerfung unter einen Betriebsrat nicht bewußt sein muß. Er braucht keine Kenntnis von seiner Existenz zu haben. Dies kann 47 Zöllner, Anm. zu LAG Düsseldorf, AP Nr. 1 zu § 4 TVG Lehrlingsskalen; ders. RdA 1962, 453 ff. - 456 ff. ; ders. RdA 1964, 443 ff. - 446 f.; ders./ Loritz, Arbeitsrecht S. 382; Wiedemann FS 25 J BAG S. 635 ff. 657 Fn 75; im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG etwa Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 236 ff.; ders. Gutachten B zum 61. DJT, S. 66ff.; Lieb RdA 1967,441 ff. - 443 ff. 48 Hanau, Hans RdA 1996, 158 ff. -163 f. 49 Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 247 ff; Reuter FS Schaub 605 ff. - 614. 50 Hueck, Alfred/ Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Bd. II11, S. 1090; TravlosTzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 47 und 70; Nebel, Die Normen des Betriebsverbandes, S. 124 ff.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
schon deshalb nicht ausgeschlossen werden, weil ein betriebsratsfähiges Unternehmen, also eines bei dem die Voraussetzungen des § 1 BetrVG erfüllt sind, keinen Betriebsrat einrichten muß. Tatsächlich bestehen in vielen kleinen und mittleren betriebsratsfähigen Betrieben keine Betriebsräte. Somit kann das notwendige Erklärungsbewußtsein fehlen. Darüber hinaus richtet sich seine Erklärung grundsätzlich nur an den Arbeitgeber. Es liegt auch keine notwendige Vertragsbedingung vor, die der Arbeitgeber zur Grundlage seiner Erklärung gemacht hätte 51 . Die Betriebsverfassung ergreift das Arbeitsverhältnis vielmehr aufgrund der gesetzlichen Regelung und unabhängig vom Willen der Beteiligten, insbesondere wird es oft gar nicht dem Willen des Arbeitgebers entsprechen52 . Schon daher kann die normative Wirkung nicht ernsthaft aus einer vom Arbeitgeber aufgestellten notwendigen Vertragsbedingung abgeleitet werden. Schließlich muß dieser Ansatz völlig versagen, wenn ein Betriebsrat erst nach Vertragsabschluß erstmals eingerichtet wird. Entscheidend spricht gegen eine selbstbestimmte Unterwerfung, daß es den Arbeitsvertragsparteien gerade nicht freisteht, die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ausdrücklich auszuschließen. Freiwillige Unterwerfung kann schließlich nur angenommen werden, wenn es eine Alternative gibt. Wird an eine privatautonome Handlung eine zwingende gesetzliche Rechtsfolge geknüpft, so resultiert diese Konsequenz nicht mehr aus der Privatautonomie sondern allein in der Gesetzesbestimmung, welche die allgemeine Handlungsfreiheit einschränkt53 . Eine Unterwerfung unter das Bestimmungsrecht der Betriebspartner könnte ferner in der Unterordnung des Arbeitnehmers unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers liegen. Die Betriebspartner wären insoweit gesetzlich nur zur teilweisen gemeinsamen Wahrnehmung dieses Rechtes ermächtigt54.
51
Nebel, Die Normen des Betriebsverbandes, S. 131; Reuter ZfA 1995, 1 ff. - 34 f.
52 Zutreffend Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung in sozialen An~elegenheiten,
S. 60. Dies verkennen insbesondere Ehmannl Lambrich NZA 1996, 346 ff.- 350 f., wenn sie behaupten, daß sämtliche vorgegebenen gesetzlichen Folgen eines Vertrages letztlich Ausfluß der Privatautonomie seien, weil erst das objektive Recht die Grundlage und Schranken der Privatautonomie ergeben. Dieses an die Unterscheidung zwischen Inhaltsbestimmung, Sozialbindung und Enteignung erinnernde Verständnis der Privatautonomie verkennt, daß die durch Art. 2 Abs. 1 GG und im Arbeitsbereich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit zunächst grenzenlos und von einer gesetzlichen Ausgestaltung unabhängig existiert. 54 Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, S. 66 f., der allerdings ein vertragsunabhängiges originäres Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers unterstellt.;vgl. auch Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie S. 191 ff.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 319.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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Dem scheint auf den ersten Blick zu entsprechen, daß die Betriebspartner aufgrund des Günstigkeitsprinzips regelmäßig allein dort zwingende Regelungen treffen können, wo andernfalls dem Arbeitgeber ein individualvertragliches Direktionsrecht zustünde bzw. für den Arbeitnehmer eine schlechtere Absprache getroffen wurde. Doch gilt dies schon nicht ausnahmslos. So können beim Sozialplan normativ Ansprüche der Arbeitnehmer geschaffen werden, obwohl zuvor kein Direktionsrecht des Arbeitgebers bestand, auch wenn dies wegen ihrer Begünstigung praktisch zu keiner Gegenwehr der Arbeitnehmer führen wird. Das dem Arbeitgeber jeweils eingeräumte Direktionsrecht kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und etwa im Falle angestellter ,'"' Chefärzte erheblich beschränkt sein. Damit steht das gesetzlich für alle Arbeitsverhältnisse gleich geregelte Mitbestimmungsrecht in der Betriebsverfassung in Widerspruch55 . Entscheidend ist, daß das Direktionsrecht allein den Arbeitgeber und nicht die Betriebspartner ermächtigt56. Die normative Wirkung verhindert auch, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam abweichende Vereinbarungen treffen können, wie dies bei einer einseitigen Bestimmung durch den Arbeitgeber möglich bliebe. Dies kann nicht mehr mit der Unterwerfung unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers begründet werden. Das einseitige Direktionsrecht basiert auf der vertraglichen Ermächtigung und steht daher im Rang unter den Vertragsabsprachen. Folglich müßte der Arbeitnehmer auch neue Regelungen mit dem Arbeitgeber vereinbaren können. Die kollektive Regelung des Direktionsrechtes führt vielmehr dazu, daß mit Abschluß einer Betriebsvereinbarung ein bestehendes Direktionsrecht im Rahmen des Günstigkeitsprinzips konserviert wird und eine Änderung nur durch das Kollektiv erfolgen kann. Im Direktionsrecht liegt also keine auch nur mittelbare Unterwerfung unter ein Bestimmungsrecht der Betriebspartner . Weiterhin ist erwogen worden, in der Wahl des Betriebsrates einen privatautonomen Unterwerfungsakt zu sehen57 . Insbesondere sei zu beachten, daß ein Betriebsrat nicht notwendigerweise errichtet werden muß und daher auf eine freiwillige Entscheidung der Arbeitnehmer zurückgehe 58 . Soll die normative Wirkung wirklich von einer Unterwerfung unter das Bestimmungsrecht 55 Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten S. 67. 56 Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten S. 67 betont insoweit, daß es nicht gleichgültig ist, wem man ein Bestimmungsrecht übertragen hat. 57 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 344; Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 47; ähnlich die Überlegung von Birk ZfA 1986, 73 ff. . 96 f., wenn er rechtswirksame Vereinbarungen zwischen Belegschaft und Arbeitgeber nach dem "Mehrheitsprinzip" rechtfertigen will. 58 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
der Betriebspartner abhängen, die durch die Betriebsratswahl erfolgt, müßte diese durch die gesamte Belegschaft erfolgt sein. Denn die Gesamtheit der Belegschaft wird grundsätzlich von der zwingenden Wirkung der Betriebsvereinbarung erfaßt. Dies kann angesichts der diversen Möglichkeiten bei einer Betriebsratswahl keineswegs angenommen werden. Eine erste Betriebsratswahl findet bereits statt, wenn es drei Arbeitnehmer oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft verlangen (§ 17 Abs. 2 und 3 BetrVG)59. Ferner denke man daran, daß beim Wahlakt im Extremfall eine gültige Stimme genügt. Selbstverständlich ergeben sich in der Praxis größere Beteiligungen bei einer Betriebsratswahl. Sicher ist aber auch, daß keineswegs immer alle Arbeitnehmer eine Betriebsratsvertretung wollen, wählen gehen und gerade die konkret gewählten Mitglieder ihrem Wahlwunsch entsprechen. Die Wahl des Betriebsrates mag daher eine demokratische Legitimation seiner RepräsentantensteIlung nach dem Mehrheitsprinzip bewirken, eine rechtsgeschäftliehe Unterwerfung beinhaltet sie jedoch nicht60 • Dies zeigt, daß die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung nicht von einer Unterwerfung unter die Betriebspartner abhängt, die der bewußten mitgliedschaftlichen Legitimation der Tarifpartner durch Verbandsbeitritt auch nur ähnlich wäre61 • Sie wird vielmehr zutreffend als "Zwangsrepräsentation" bzw. "Zwangskorporation" bezeichnet62 , die ihre Grundlage allein in den gesetzlichen Bestimmungen des BetrVG hat63 • Man könnte schließlich die weitergehende Erstreckung auf Nichtorganisierte durch den Gesetzgeber zwar mit einer Verwirklichung der Betätigungsgarantie der Verbände aus Art. 9 Abs. 3 GG64 und dem Sozialstaatsprinzip 59 So Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 62. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 186; Staudinger-Richardi, Vor § 611 Rz. 1336; Canaris AuR 1966, 129 ff. - 136 ; ausfIihrIich m.w.N. Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 66 ff. 61 So denn auch die h.M. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 186; Canaris AuR 1966, 129 ff. - 139; m.w.N. Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 64 ff.; vgl. ferner die FundsteIlen der nachfolgenden Fußnote. 62 GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 186; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 316; Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 62; Heinze NZA 1994, 580 ff-581; Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 134; Thiele FS Larenz 1973, S. 1058. 63 Insoweit hat Richardi Gutachten B zum 61. DJT, S. 27 das BetrVG zu Recht von einer ".. Staatsintervention zur Verteilung von Regelungsmacht zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite innerhalb der Arbeitsorganisation der Unternehmen." gesprochen. Rieble RdA 1996, 151 ff. - 152 benennt die Betriebsverfassung als eine Staatsveranstaltung. 64 Nach ganz überwiegender Meinung schützt Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur die positive Koalitionsfreiheit des einzelnen, sondern auch die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer Betätigung selbst BVerfGE 4,96 ff. - 101 ff; BVerfGE 17,319 ff. - 333; 57, 220ff. - 245; BVerfGE 58, 233 ff. 246; BVerfGE 84, 212 ff.; BVerfGE 88. 104 ff; zuletzt BVerfG NJW 1996, 1201 f.; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 98; ders.l Rieble, TVG Grundl. 60
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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der Art. 20 und Art. 28 GG65 zu rechtfertigen suchen, welche hier der negativen Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten, die nach h.M. ebenfalls durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist66 , im Rahmen der Lehre von der praktischen Konkordanz (auch Theorie der Wechselwirkung von Grundrechten genannt) vorzuziehen sei67 • Doch wird damit schon eine Inpflichtnahme der Nichtorganisierten durch den Gesetzgeber vorausgesetzt, die mit einer rein rechtsgeschäftlichen Erklärung unter Anwendung des § 317 BGB in Widerspruch tritt68 • Folglich fehlt im Tarifrecht teilweise und im Betriebsverfassungsrecht gänzlich eine selbstbestimmte Unterwerfung unter Fremdbestimmung, so daß eine rechtsgeschäftliehe Herleitung der Normenwirkung über § 317 BGB nicht überzeugt.
d) Kollektiver Schuldvertrag Jacobi sah den Tarifvertrag als "kollektiven Schuldvertrag" an ähnlich dem Gesellschaftsvertrag. Dieser kollektive Vertrag schaffe allgemeine Vertragsbedingungen für die Einzelverträge. Die Legitimation hierfür folge aus dem Beitritt, der ein Akt der Unterwerfung sei69 • Er erblickte in der normativen Anknüpfung die erste Anerkennung eines Rechtes des sozialen Verbandes und der Möglichkeit kollektiver Willenserklärungen, die individuellen Willenserklärungen vorgehen70 • Jacobi hat schließlich auch die Betriebsvereinbarung als einseitig - nämlich auf Arbeitnehmerseite - kollektiven Schuldvertrag angeseRz. 12; Koberskil Clasen/ Menzel, TVG Einl. Rz. 80; a.A. Picker, ZfA 1986, 199 ff. 201 ff. 65 Die Betriebsverfassung ist eine gesetzliche Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips - Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S.26 und ausführlich S. 40 ff.; vgl. m.w.N. Staudinger-Richardi, Vor § 611 Rz. 1297 ff 66 BVerfGE 50, 290 - 367; BVerfGE 55, 7 -21; BVerfGE 64, 208 - 213 f; BVerfG AP Nr. 17 zu § 5 TVG; BAG AP Nm. 13,46,47 zu Art. 9 GG; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 120; Nikisch, ArbR II, S. 28 ff.; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 120; ders.l Rieble, TVG Grundl. Rz. 11; Schaub, Arbeitsrecht S. I 589f.; m.w.N. Wiedemann/ Stumpf, TVG Einl. Rz. 72; a.A. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 249; Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 382 ff.; Kempen/ Zachert, TVG Grd1.l29 ff.- 131.; Söllner, Arbeitsrecht § 9 IV S. 66 f 67 Vgl. Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 144 f; Schwarze, Der Betriebsrat im Dienste der Tarifvertragsparteien S. 196 ff; Dies erscheint umso mehr denkbar, als das BVerfG sich zuletzt veraniaßt sah, festzustellen, daß diese Betätigungsgarantie nicht nur im Kembereich verfassungsrechtlich geschützt ist. Vielmehr ist sie grundsätzlich geschützt und im Kembereich gemäß Art. 19 Abs. 2 GG so~ar unantastbar, BVerfG NJW 1996, 1201 f 8 Vgl. Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 22 f. 69 Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts S. 272 ff 70 Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts S. 283.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
hen71 • Dieser Ansicht scheint zu entsprechen, daß das TVG eine eigene Rechtsfähigkeit - die Tariffähigkeit - kennt72 , die bei Gewerkschaften regelmäßig unabhängig von der allgemeinen Rechtsfähigkeit vorliege 3 • Der Betriebsrat ist ebenfalls nur im Rahmen der Betriebsverfassung beschränkt rechtsfähig und nach h.M nicht vermögensfähig74 • Er kann lediglich gegenüber dem Arbeitgeber rechtswirksame Handlungen vornehmen. Soweit er ausnahmsweise im Rahmen seines Wirkungskreises mit Dritten Vereinbarungen abschließen darf, treffen die Verpflichtungen gleichwohl den Arbeitgeber75 • An dieser Erklärung stört schon im Ansatz, daß eine Rechtsform sui generis behauptet wird. Dies hat zur Folge, daß man je nach Bedarf all jene Grundsätze hineinlegen kann, die man gerade für richtig erachtet. Die Erfassung in das bestehende Rechtssystem erlaubt demgegenüber, Schlußfolgerungen zu ziehen und verpflichtet so zu einer stärkeren Selbstkontrolle bei der Rechtsanwendung. Die Flucht in die reine sui-generis-Typisierung ist deshalb selten hilfreich und der Versuch der Einordnung in überkommene Systeme vorzugswürdig. Die Lehre des kollektiven Schuldvertrages könnte schon deshalb nur durchgreifen, wenn eine sonstige Erklärung schlechthin unmöglich ist oder zumindest so zahlreicher Einschränkungen bedarf, daß der Einordnung keine Bedeutung mehr zukommen würde. Entscheidend ist aber, daß Jacobi den Vorrang der kollektiven Willenserklärung mit der selbstbestimmten Unterwerfung unter die Rechtsetzungsmacht der Kollektivpartner legitimiert. Diese Legitimation stößt auf die bereits erörterte Problematik, daß eine solche schon im Tarifvertragsrecht bei Betriebsund betriebsverfassungsrechtlichen Normen nicht besteht, und sie muß gänzlich bei der Betriebsvereinbarung versagen, wo ein privatautonomer Verbandsbeitritt in keiner Weise vorliege6 • Diese Problematik scheint Jacobi bei Jaeobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 349 ff. Vgl. Riehardi, Kollektivgewalt und Individualwille § 11 S. 127 ff.; Hersehel, Arbeitsrecht C III, S. 29. 73 Die Gewerkschaften sind historisch bedingt regelmäßig nichteingetragene Vereine - vgl. Enneeeerus-Nipperdey, Lehrbuch des BGB, § 116 III Fn 10, S. 694; Söllner, Arbeitsrecht § 10 III S. 71. 74 BAG EzA Nr. 4 zu § I BetrVG; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 41 ff.; Hessl Schloehauerl Glaubitz, BetrVG vor § 1 Rz. 27; Stege I Weinspach, BetrVG § 2 Rz. 2a.; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 1 Rz. 169; m.w.N. GK-BetrVG, Kraft § 1 Rz. 72 f.; der zutreffend von einer partiellen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsfähigkeit spricht. Dies gilt auch im Hinblick auf die Theorie der notwendigen Mitbestimmung, weil die fehlende Beteiligung des Betriebsrates hier nur gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Arbeitgeberhandlung fuhrt. Teilweise werden jedoch gewisse Ausnahmen gefordert vgl. Staudinger-Riehardi, Vor § 611 Rz. 1330. 75 Vgl. Staudinger-Riehardi, Vor § 611 Rz. 1330 f. 76 s.o. unter A I 3 a und b - Seite 36 ff. 71
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der Betriebsvereinbarung sogar übersehen zu haben. Denn außer der kurzen Feststellung, daß die Betriebsvertretung als gesetzlicher Vertreter der Arbeitnehmerschaft des Betriebes handele und insoweit abweichende individuelle Vereinbarungen ausgeschlossen seien, berührt er diese sich nach seiner Herleitung aufdrängende Frage überhaupt nicht77 • Die Einordnung als kollektiver Schuldvertrag ist daher im Ergebnis eine Notlösung, die schon im Tarifbereich auf die Normen beschränkt bleiben müßte, bei denen die normative Wirkung beiderseitige Tarifbindung erfordert. Die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung wäre danach völlig ungelöst. Schließlich wäre die Einordnung bedeutungslos, weil aus dem suigeneris-Charakter praktisch keine Schlußfolgerungen gezogen werden könnten. Aus diesem Grunde vermag auch die These des kollektiven Schuldvertrages nicht zu überzeugen.
e) Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, daß eine rein rechtsgeschäftliche Begründung unabhängig von der Schwierigkeit, eine Unabdingbarkeit herzuleiten, letztlich jedenfalls daran scheitern muß, daß es sich bei der Betriebsverfassung um eine Zwangs repräsentation handelt und auch im Tarifbereich die privatautonome Grundlage bei der Erstreckung von Betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer fehlt.
2. Einordnung als klassische Rechtssätze Die h.M. begreift den normativen Teil von Gesamtvereinbarungen als echte Rechtsetzung durch Private78 • Sie werden deshalb als Gesetze im materiellen Sinne aufgefaßt, was insbesondere mit dem entsprechenden Wortlaut des § 1 Abs.l TVG übereinstimmt. Umstritten ist in der h.M., woher diese Rechtsetzungsbefugnis kommt. Gegen eine Einordnung als klassische Rechtsetzung wird zwar eingewandt, daß die normative Wirkung auch von einer rechtsgeschäftlichen Unterwerfung durch Verbandsbeitritt abhängig sei. Eine solche Übertragung der RegelungsJacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 350. BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG - Arbeitskampf; AP Nr. 4, 6, 7 , 16, 17, 18 zu Art. 3 GG; Nipperdey, ArbR 1111, § 18 III, S. 346 ff.; Nikisch, ArbR 11, § 60 I 2, S. 45 u. § 69 11 4, S. 216 f.; Läwisch BB 1991,59 ff. - 60; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 33 IV, S. 335 ff.; Stammler, Autonomes Recht, S. 62; m.w.N. Wiedemann / Stumpf, TVG, §IRz.2Iff. 77 78
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
kompetenz quasi von unten nach oben, also von Normunterworfenen auf Normgeber, widerspreche dem grundsätzlichen Verständnis, daß der Rechtssatz hoheitliche Fremdbestimmung von oben nach unten sef9 • Wie bereits ausgeführt80 , besteht die normative Wirkung auch in Bereichen, wo von einer freiwilligen Unterwerfung der Individualvertragsparteien keine Rede sein kann. Daß der Gesetzgeber die Delegation im Tarifrecht grundsätzlich auf die Mitglieder der Koalitionen beschränkt, dient vornehmlich der Achtung der negativen Koalitionsfreiheit der Nicht- und Andersorganisierten, welche ebenfalls aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt8!. Soweit diese gemäß § 3 Abs. 2 TVG erfaßt werden, handelt es sich um Fälle, in denen eine beschränkte Normenwirkung mit der Ordnungsaufgabe nicht mehr zu vereinbaren ist, weil betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen in einem Betrieb nur einheitlich für die gesamte Belegschaft geregelt sein können. Die eingeschränkte Normsetzungsbefugnis soll demnach weitestgehend die Interessengegensätze zwischen kollektiver Tarifautonomie als Ausfluß der von der positiven Koalitionsfreiheit umfaßten Betätigungsgarantie der Verbände einerseits und der negativen Koalitionsfreiheit des Einzelnen andererseits im Sinne der praktischen Konkordanz verwirklichen82 • Diese generelle Kritik an den Rechtssatztheorien geht demnach fehl 83 •
a) Autonomietheorie Die Anhänger der sogenannten Autonomietheorie84 begründen das Normierungsrecht aus der historischen Entwicklung85 . Die tarifliche Rechtsetzung 79 Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 272 ff.; Schüren RdA 1988, 138 ff. 140, der schließlich annimmt, die Legitimation zur tariflichen Normensetzung folge aus der Erteilung eines tarifpolitischen Mandats der Gewerkschaftsmitglieder - aaO. 149; vgl. auch Brecher FS Nipperdey 1965, S. 32, der insoweit von einer "Reduzierung der staatlichen Macht von unten her" spricht; vgl. auch Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 29 ff., der wegen der von ihm gewünschten Gemeinwohlbindung gleichwohl sich den Rechtssatztheorien anschließt. 80 s.o. unter A I 3 a und b - Seite 36 ff. 8! Schüren RdA 1988, 13 8 ff. - 141 f. führt allerdings überzeugend aus, daß diese negative Koalitionsfreiheit zugleich das stärkste Druckmittel auf die Führungseliten der Verbande ist, weil sie bei einer Mißachtung der Mitgliederinteressen mit entsprechenden Austritten etc. rechnen müssen, was im Verband wiederum den Führungsanspruch der Elite in Frage stellt - Schüren bezeichnet dies als "Responsivität" der Elite. 82 Vgl. ausführlich m.w.N. Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 136 ff. 83 So auch Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 444. 84 Über den Begriff der Autonomie, was sie konkret sein soll etc, herrscht letztlich Unklarheit, vgl. Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 13 ff - 19; Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 128 ff. Vorliegend soll Autonomie in Abgrenzung zu verschiedenen
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wurde nicht vom Staat freiwillig geschaffen, sondern von den Tarifpartnern gegen den Staat erkämpft. Schon in Zeiten, in denen das Tarifvertragswesen noch nicht anerkannt war, wurden Tarifverträge abgeschlossen. Nach der Autonomietheorie soll dies beweisen, daß diese Normsetzungsbefugnis etwas Außerstaatliches, also den Verbänden Originäres, ist86 • Die Tarifpartner könnten in unserer pluralistischen Gesellschaftsform schließlich nicht als bloße Helfer des Staates aufgefaßt werden87 • Vielmehr sei die tarifliche Rechtsetzung originäre Selbstgesetzgebung der Mitglieder durch ihre Organe, weshalb auch die Demokratieprinzipien zu achten seienBB • Es bestehe kein Rechtset zungsmonopol des Staates, was die Existenz des Gewohnheits- und Naturrechts beweise. Indes hat das Grundgesetz eine echte Normsetzung nichtstaatlicher Stellen ohne staatliche Übertragung nur den Religiongesellschaften gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 WRV zur Ordnung ihrer eigenen innerkirchlichen Angelegenheiten zugestanden. Daneben wird von der Verfassung lediglich noch Gewohnheitsrecht als Recht neben dem Gesetz anerkannt, was aus der Bindung an Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet wird. Insoweit besteht zwar kein absolutes Rechtsetzungsmonopol des Staates. Soweit jedoch nicht bereits in der Verfassung eine Rechtsetzungsmacht Dritter vorgesehen ist, bedarf Recht, das vor staatlichen Gerichten Geltung genießen soll, erst der staatlichen Autorisierung. Darüber hinaus ist nach der Verfassung der Staat der einzige souveräne Verband auf seinem HOheitsgebiet89 • Die Anerkennung einer originären Rechtsetzungsmacht faktischer Verbände unter Berufung auf ihre "Autonomie" bedeutet zugleich die Anerkennung ihrer selbständigen Souveränität. Dies ist mit der grundgesetzlichen Wertung unvereinbar, wonach alleiniger Souverän das Staatsvolk ist, von dem alle Gewalt ausgeht90 • Die Verfassung sieht nicht vor, daß Teile des Volkes eine eigenständige Souveränität beanspruchen. Soweit die Kirchen ausgenommen wurden, steht hier noch die Vorstellung von der Trennung zwischen Staat und ähnlich klingenden Ansätzen der Delegationstheorie, als originäre unabhängige Macht im Sinne der Genossenschaftstheorie Dtto von Gierkes, Deutsches Privatrecht, Bd. I, s. 142 verstanden werden, vgl. auch Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 133ff 85 Bogs RdA 1956, Iff; vgl. m.w.N. auch die Darstellung von Travlos-Tzanetatos, Remelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 30 ff. 6 Vgl. v. Gierke, Genossenschaftstheorie; ders. Deutsches Privatrecht Bd. I, S. 118 f und 142 ff; Molitor, Erich AR Blattei Tarifvertrag I B Entscheidung 1. Anmerkung; ders., Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 72, ders. BB 1952, 203. 87 Söllner AuR 1966, 257 ( 260 ff); Galperin FS Molitor, S. 154; Herschel FS Bogs, S. 130 f. und Referat zum 46. DIT, Bd. 11, D S. 11, 16; Schnorr IR 1966, 327, 329; Söllner AuR 1966,257- 260 ff. 88 Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff. - 105 ff. 89 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, . 158 f; Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 33; vgl Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 137. 90 Vgl. Stammler, Autonomes Recht, S. 47 f. /58 ff.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Kirche im Hintergrund, wonach der Staat für das Diesseits und die Kirche für das Jenseits zuständig ist. Schließlich kann die Rechtsetzung gegenüber Nichtmitgliedern gemäß § 3 Abs. 2 TVG nicht mit der Autonomie erklärt werden, weil sie sich gerade nicht einem autonomen Verband angeschlossen haben91 • Die Autonomietheorie ist daher abzulehnen. Es kann auch nicht überzeugen, von einer originären Befugnis zu sprechen, welche der staatlichen Anerkennung bedurft habe, weil eine solche Autonomie damit rechtlich erst durch die Anerkennung zugestanden wird und mit der Berufung auf eine originäre Rechtsetzungsmacht in Widerspruch gerät92 • Eine originäre Rechtsetzungsbefugnis ist deshalb abzulehnen93 •
b) Delegationstheorie Der überwiegende Teil der h.M. erklärt die normative Wirkung hingegen mit einer echten Delegation staatlicher Rechtsetzungsgewalt auf die Parteien der Gesamtvereinbarung94 • Indem deren Normen gemäß §§ 4 Abs. 1 TVG und 77 Abs. 4 BetrVG gesetzesgleiche Wirkung entfalten, handele es sich um objektives staatliches Recht. Dieses setzten die Koalitionen entsprechend ihrer gesetzlich eingeräumten Autonomie. Mit dieser sei die Befugnis zur Rechtsetzung vom Staat auf die Verbände delegiert worden95 • Adomeit RdA 1967,297 ff. - 303. Stammler, Autonomes Recht, S. 59f.; Söllner, Arbeitsrecht § 1511 3 S. 122. 93 V gl. auch Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 13 ff. u. 22f. 94 BAGE 1,258 ff. - 264 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAGE 4,240= AP Nr. 16 zu Art. 2 BGG = RdA 1957,359 = BB 12957, 857; BAGE 40, 327 ff. - 334 = AP Nr. 8 zu § I TVG Form; Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 136 ff.; ders. RdA 1967, 297 ff. 303 f; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie S. 9 ff- 14; Canaris AuR 1966, 129 ff. 136; MünchArbR, Löwiseh § 246 Rz. 29 ff; Nikiseh, ArbR 11, S. 45; Hanau, Peterl Adomeit Arbeitsrecht S. 65; Hueek, Alfred/ Nipperdey, ArbR 11/1, S. 179.; Hinz, Tarifhoheit und Verfassungsrecht S. 138 ff.; Hersehel, Tarifmacht und Tariffiihigkeit, S. 26, Schnorr v. Carolsfold, Arbeitsrecht, S. 59, ders. RdA 1958,209; Reuß AuR 1958,352; KüehenhojJRdA 1959, 179; Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 29 ff 36; Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 36 ff.; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 243ff.; ders. I Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 102 f.; Wiedemannl Stumpf, TVG § I Rz. 29; mit deutlichen Einschränkungen auch Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 37 f; ders. RdA 1964, 443 ff. 95 BAG AP Nr. I zu Art. 9 GG - Arbeitskampf; AP Nr. 4, 6, 7 , 16, 17, 18 zu Art. 3 GG; Adomeit RdA 1967,297 ff. - 303 f; Hersehel, Arbeitsrecht S. 36; Hojbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge S. 52 f.; Nipperdey ArbR 11/1, § 18 II1, S. 346 ff; Nikiseh, ArbR 11, § 60 I 2, S. 45 u. § 69 II 4, S. 216 f.; Wiedemann I Stumpf, TVG, § I Rz. 29; Böttieher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung, S. 22 f. 91
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A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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aa) Formelle Mängel im Verhältnis zu echter Delegation Gegen eine Delegation staatlicher Rechtsetzungsbefugnis wird im Hinblick auf die Tarifverträge eingewandt, daß das TVG gemäß § 7 nur eine Anzeige abgeschlossener Tarifverträge im Tarifregister (vgl. § 6 TVG) verlangt. Eine Pflicht zur Veröffentlichung fehlt. Eine solche Publikation sei notwendig, damit den Normenunterworfenen zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet wird96 • Indes ist zu beachten, daß gemäß § 8 TVG vom Arbeitgeber ein ihn betreffender Tarifvertrag in seinem Betrieb auszulegen ist. Gleiches gilt für Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG. Entgegen der h.M. 97 kann auch nicht eingewandt werden, daß diese Auslegung nicht konstitutiv und daher eine Verletzung für die Geltung der Normen belanglos ist. Will sich der Arbeitgeber auf eine nicht ausgelegte Gesamtvereinbarung berufen, von deren Inhalt die Arbeitnehmer keine Kenntnis haben können, verstößt dies entgegen der h.M. gegen Vertrauensgrundsätze. Die Arbeitnehmer sind nicht am Abschluß der Kollektivnorm beteiligt und sind daher bei einer Nichtauslage in ihrem Vertrauen auf das Fehlen einer Kollektivregelung zu schützen. Da diese Vertrauenslage wegen der Auslagepflicht dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, ist ihm die Berufung auf den Inhalt einer nicht ausgelegten Gesamtvereinbarung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen des Verbots rechtsmißbräuchlichen Verhaltens zu verwehren. Eine Veröffentlichung ist daher notwendig, soweit die Normunterworfenen auch an nachteilige Bestimmungen gebunden werden sollen98 • Der Einwand ist jedoch insoweit berechtigt, als bei echter Delegation staatlicher Rechtsetzungsgewalt die Veröffentlichung von beschlossenen Rechtsnormen strengen Vorschriften unterliegt. Für staatliche Gesetze ist sie im
96 M.w.N. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 147; entsprechend schon für die TVVO Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 259 f. 97 BAG AP Nr. I zu § 1 TVG Bezugnahme auf den Tarifvertrag; BAG AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAG AP Nr. 1 zu § 8 TVG 1969; ArbG Frankfurt a.Main DB 1988, 1951; Koberski/Clasen/ Menzel, TVG § 8 Rz. 13; Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rz. 376, 412; v. Hoyningen-Huene NZA 1995, 969 ff. - 970 ff; Schaub, Arbeitsrecht S. 1740 f; Zöllner RdA 1964,443 ff. - 446. 98 So auch Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 520; MünchArbR, Löwisch § 250 Rz. 8; ders. / Rieble, TVG § 8 Rz. 10; Kempen/ Zachert, TVG § 8 Rz. 7; ausflihrlich für tarifliche Ausschlußfristen m.w.N. Koch, Ulrich FS Schaub 421 ff. -424 ff, insbes. 434 ff.; differenzierend Fenski BB 1987,2293 - 2297. Die h.M. nimmt freilich einen Rechtsmißbrauch nur bei weiteren besonderen Umständen an und zwar auch dann, wenn sogar Nichtorganisierte gemäß § 3 Abs. 2 TVG betroffen werden. Jenen kann aber keinesfalls die Kenntnis des Arbeitnehmerverbandes zugerechnet werden. Wenn man von echter Rechtsetzung ausgeht, ist dieses Ergebnis jedenfalls nicht haltbar - so auch Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 147.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Bundes- oder einem Landesgesetzblatt zwingend vorgeschrieben. Deren Fehlen spricht gegen eine echte Delegation. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man bedenkt, daß die Allgemeinverbindlicherklärung, die einen Verwaltungsakt darstellt, der öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 5 Abs. 7 TVG bedarf, während für delegierte staatliche Rechtsetzung weniger genügen würde. Schon die Frage der Publikation weist auf die eigentliche Schwäche der h.M. hin. Indem sie sich auf das Rechtsinstitut der Delegation beruft, verweist sie auf ein rechtlich erfaßtes Mittel, das durch die Verfassung zahlreichen Beschränkungen unterworfen ist. Die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen ist danach die Übertragung der eigenen Rechtsetzungsmacht auf eine andere Stelle. Aufgrund der Erfahrungen des Dritten Reiches, insbesondere mit dem Ermächtigungsgesetz, hat das Grundgesetz eine solche Verschiebung staatlicher Rechtsetzung nur unter besonderen Beschränkungen zugelassen. Hieraus hat die öffentlich-rechtliche Lehre bestimmte Grundanforderungen an die Übertragung von Rechtsetzungsmacht entwickelf9. Der Einwand, bei echter Delegation verliere der Delegierende seine Gesetzeskompetenz insoweit, als er sie überträgt und könne diese nur durch einen actus contrarius zurückerhalten 100, geht zwar noch fehl, weil auch bei gesetzlicher Delegation - etwa auf einen Verordnungsgeber - der Gesetzgeber seine originäre aus der Verfassung entspringende Legislativgewalt behält. Dort tritt der Verordnungs geber nur subsidiär neben den Gesetzgeber und verdrängt ihn nicht lol • Doch ist bei einer echten Delegation staatlicher Rechtsetzungsgewalt immer eine Staatsaufsicht über das ermächtigte Organ notwendig l02 • Wenn es der in Art. 9 Abs. 3 GG zum Ausdruck gekommenen besonderen Stellung der Sozialpartner entsprechen mag, keine fachliche Aufsicht vorzusehen lO3 , so spricht 99 Vgl. allgemein zur Delegation nach Art. 80 GG BVerfGE 1, 14 ff; BVerfGE 8, 274 ff; BVerfGE 33, 125 ff.; BVerfGE 33, 358 ff. ; BVerfGE 34, 52 ff. ; BVerfGE 38, 348 ff.; Katz, Staatsrecht Rz. 443 ff.; m.w.N. Münch, GG Art 80 GG Rz. 1 ff. 100 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 167. 101 BVerfGE 22, 330 ff. - 346; Münch, GG Art. 80 Rz. 5. 102 Zöllner RdA 1962,453 ff. - 456; Hinz, Tarifhoheit und Verfassungsrecht S.154. 103 Entsprechend ist bei originären Kommunalaufgaben eine Fachaufsicht unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 GG nicht zulässig, weil ihnen diese zur eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen sind; vgl. BVerfGE 26, 228 ff. - 237 ff; BVerfGE 79, 127 ff. Der Gesetzgeber kann daher nur durch entsprechende Gesetze den Zugriff über die Rechtsaufsicht herstellen. Darüber hinaus wäre eine Fachaufsicht mit dem Wesen der Tarifautonomie schon deshalb nicht vereinbar, weil diese die individuelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers durch eine kollektive Vertragsebene aufheben soll. So wie der Gesetzgeber in einer freiheitlichen Marktordnung nicht das konkrete Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bestimmen kann, ist ihm dies auch beim Tarifvertrag nicht möglich. Vgl. Stammler, Autonomes Recht, S. 144 ff, der in der gleichgewichtigen Tarifvertragsauseinander-
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das Fehlen einer Rechtsaufsicht gegen die Delegationstheorie lO4 • Dies kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß eine getroffene Gesamtvereinbarung mit der Gesamtrechtsordnung in. Einklang stehen muß und deshalb einer inzidenten gerichtlichen Rechtskontrolle unterworfen ist 105 • Das gilt für jede delegierte Normsetzung und genügt gerade nicht I 06 • Weiterhin kann eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen nur auf bestimmte Rechtssubjekte erfolgen. Der übertragende Hoheitsträger muß selbst festlegen, wer seine Rechtsetzungsmacht für ihn wahrnehmen darf. Im Tarifrecht wird nicht vorgegeben, wer mit wem Tarifverträge abschließen kann. Einzige Anforderung ist die Tariffahigkeit, die gemäß § 2 Abs. 1 TVG jeder Arbeitgeber ipso facto besitzt. Es besteht vielmehr Vertragsfreiheit in dem Sinne, daß sich ein Arbeitgeber aus juristischer Sicht aussuchen kann, mit welcher Gewerkschaft er einen Tarifvertrag abschließen will. Die normative Geltung knüpft demnach nicht an ein bestimmtes Subjekt an, dem Rechtsetzungsmacht delegiert wurde. Vielmehr wird sie mit dem Tarifvertrag als besonderes Gestaltungsmittel verbunden, so daß es eben nur auf das Vorliegen eines Tarifvertrages ankommt unabhängig von den jeweiligen Beteiligten. Wollte man dennoch eine echte Delegation annehmen, müßte man beim Wechsel des Tarifpartners eine Abänderung der Delegation verlangen, weil sich ihr Empfänger ändert lO7 • Das gleiche Bild zeigt sich bei der Betriebsvereinbarung. Auch hier wird die Rechtsetzungsmacht letztlich nicht auf bestimmte Personen übertragen. Der Betriebsrat unterliegt dem Wandel durch die Betriebsratswahlen. Zudem kann die Betriebsvereinbarung auf einem Spruch der Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG beruhen lO8 • Hier wird ebenfalls allein an die Rechtsform der Betriebsvereinbarung angeknüpft 109 • setzung immanent die Verwirklichung öffentlicher Interessen sieht und dem Gesetzgeber insoweit lediglich die Rolle zuweist, Rahmenbedingungen für eine gleichgewichtige Verhandlungsmacht zu schaffen. 104 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 147 ff; Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 174 f. 105 MünchArbR, Läwisch § 246 Rz. 31. 106 So ist sogar in den Gemeindeordnungen der Länder eine solche Rechtsaufsicht für echte Selbstverwaltungsaufgaben verankert, obwohl diesen ausdrücklich in Art. 28 Abs. 2 GG die Rechtsmacht zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten eingeräumt worden ist;- vgl. etwa § 116 Abs. 1 GO NW. Daher ist bei aller Wertschätzung der Tarifpartner nicht zu begründen, warum diese nicht auch einer solchen Aufsicht unterstehen sollten. 107 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 167 f.; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 247 u. 255 f.; m.w.N. Schotz, Koalitionsfreiheit, S. 57. 108 Der Einigungsstellenspruch stellt zwar keine echte Betriebsvereinbarung dar, doch wird er, soweit er die Einigung der Betriebspartner ersetzt, gleichbehandelt - statt vieler 4 Beathalter
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
bb) Materielle Mängel
Schon aus diesen formalen Gründen versagt die Delegationstheorie. Entscheidend ist allerdings die Tatsache, daß aus Art. 80 Abs. I GG für jede andere Art der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen abgeleitet worden ist, daß sie nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzt sein muß llo • Nur dies kann insbesondere dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes - der sog. Wesentlichkeitstheorie - genügen, wonach jeder grundrechtsrelevante Eingriff einer gesetzlichen Grundlage durch das Parlament bedarf - insoweit auch Parlamentsvorbehalt genannt _111. Die allgemeine Begrenzung des Tarifvertrages durch seine Legaldeftnition in § I Abs. I TVG ist hierfür viel zu pauschall 12 • Aufgrund der mangelnden Fachaufsicht ist die dortige Deftnition eine Generalermächtigung zur Normsetzung im gesamten Bereich der Arbeitsbedingungen, ohne daß irgendwelche Inhalte und Zweckbestimmungen auch nur andeutungsweise vorgegeben sind. Insoweit ist zudem zu beachten, daß das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung allein wegen der Beteiligung des Staates und im Hinblick auf die Anerkennung der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG als noch ausreichend demokratisch legitimiert betrachtet hat ll3 • Dann kann ohne eine solche konkrete Beteiligung nicht einfach Gleiches gelten. Im Betriebsverfassungsrecht kann man zwar teilweise noch annehmen, daß der Regelungsumfang (insbesondere §§ 87; 95; 112 BetrVG) und im groben (§§ 2; 74; 75 BetrVG) Zweck und Inhalt vorgezeichnet sind. Doch soll gerade nach der h.M. die Generalklausei des § 88 BetrVG eine generelle Ermächtigungsgrundlage sein und mithin eine umfassende Delegation staatlicher Rechtsetzungsbefugnisse beinhalten. Nach diesem Verständnis entfällt auch im Betriebsverfassungsrecht weitgehend jede nähere Begrenzung der Regelungsmaterie.
BAGE 29, 40 ff. - 47 f.; Richardi, BetrVG § 76 Rz. 110 -, so daß er in dieser Arbeit mit der Betriebsvereinbarung gleichgesetzt wird. 109 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 213. 110 Vgl. BVerfGE 33, 125 ff, 157 f.; Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 173; vgl. auch Zöllner RdA 1962, 453 ff. - 457. 111 Grundlegend BVerfGE 33,125 ff.- 158; vgl auch BVerfGE 44,322 ff. 112 Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 262 ff. - 271 ff. wollen dies mit der verfassungsmäßig vorgesehenen Tarifautonomie rechtfertigen. Doch sieht die Verfassung eine solche unmittelbar nicht vor, vielmehr wird sie nur mittelbar aus der Betätigungsgarantie der Verbände abgeleitet, die ihrerseits erst aus der positiven individuellen Koalitionsfreiheit gefolgert werden muß. Spätestens beim Zugriff auf Außenseiter kann dieser Ansatz daher nicht mehr weiterhelfen. 113 BVerfGE 44, 322ff.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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Damit ist gerade das Wesen der Delegation im Sinne des Art. 80 GG II4 also die nur eingeschränkte und zweckbestimmte Rechtsetzungsübertragung, um das Parlament von der Regelung untergeordneter Detailfragen zu entlasten - nicht gewahrt llS • Eine generelle Delegation tritt damit zu den verfassungsmäßigen Wertungen in Widerspruch, die in Erinnerung an das Trauma des Ermächtigungsgesetzes des Dritten Reiches im Grundgesetz verankert wurden. Die Theorie delegierter Rechtsetzung kann daher nicht überzeugen. Ihr hat sich das BVerfG jedenfalls für die Betriebsvereinbarung insoweit verschlossen, als es lediglich eine mittelbare Grundrechtsbindung für Betriebsvereinbarungen angenommen hat ll6 • Diese Entscheidung ist bei delegierter Rechtsetzung nicht zu rechtfertigen, weil dann die Betriebspartner "stellvertretend" für den Staat hoheitlich und mit Außenwirkung tätig geworden wären ll7 • Hoheitliche Tätigkeit mit Außenwirkung ist gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden ll8 • Im Taritbereich hat das BVerfG zwar eine unmittelbare Grundrechtsbindung für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge anerkannt ll9 • Da die Allgemeinverbindlicherklärung den Tarifvertrag jedoch erst durch einen hoheitlichen Akt zu einer allgemeinen Rechtsnorm erhöht, ist dies für den gewöhnlichen Tarifvertrag ohne Aussagewert. Die generelle Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung, die das BAG in ständiger Rechtsprechung vertritt 120 , hat das BVerfG jedenfalls bis heute nicht bestätigt.
114 Es sei insoweit klargestellt, daß Art. 80 GG nicht unmittelbar gilt, doch ist dessen entsprechende Wertung auch auf sonstige Formen der Übertragung der Legislativgewalt auf Dritte anzuwenden, weil nur so die Ableitung vom Volk als Ursprung sämtlicher Staatsgewalt gewahrt bleibt. IIS SO auch GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 192, wenn er von einer unzulässigen Rückverlagerung staatlicher Hoheitsgewalt in die Gesellschaft spricht, der allerdings inkonsequenter Weise anschließend keine Bedenken erhebt, wenn durch staatlichen Geltungsbefehl die Betriebsvereinbarung als privatheteronomes Rechtsgeschäft auf die Normenunterworfenen erstreckt wird - aaO. Rz. 194. 116 BVerfGE 73, 261 - 268 f. 117 Entsprechend wurde vielfach eine unmittelbare Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG angenommen, vgl m.w.N. Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 38. 118 Dementsprechend wird eine unmittelbare Grundrechtsbindung von einigen Autoren angenommen, vgl. Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 76 f.; Löwisch BB 1991,59 ff. - 60; Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 242 ff. 119 BVerfG AP Nr. 17 zu § 5 TVG. 120 Seit BAG AP Nr. 4 zu Art 3 GG, zuletzt vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 3 BAT, BAG AP Nr. 115 zu §§ 22,23 BAT 1975, BAG AP Nr. 6 zu § 17 BAT; so auch die h.M.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
c) Integrationstheorie Die Integrationstheorie ähnelt der Delegationstheorie, als sie ebenfalls von übertragener staatlicher Rechtsetzungsbefugnis ausgeht. Nach ihr ist die Übertragung nicht durch den Gesetzgeber in § 1 TVG erfolgt. Vielmehr soll den Verbänden die Rechtsetzungsmacht aus Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesen sein, weil sie diese für ihre Tätigkeit unbedingt benötigenl21 • Die Entziehung der Rechtsetzungsmacht wäre danach sogar ein Eingriff in den Kembereich des Betätigungsbereiches der Koalitionen, der gemäß Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit. Art. 19. Abs. 2 GG verfassungswidrig und daher nichtig wäre. Schon die Hypothese von der Notwendigkeit einer Rechtsetzungsgewalt erscheint zweifelhaft 122 • Anstatt eine zwingende Wirkung festzulegen, könnte man an die gesetzliche Schaffung von Sanktionsnormen denken, oder den Verbänden Unterlassungsansprüche gegen den Arbeitgeber gewähren. Dies ist dem Arbeitsrecht nicht fremd. So ist nach h.M. eine zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verabredete Einstellung, Versetzung oder Umgruppierung, die entgegen den Beteiligungsrechten des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG Küchenhoff FS Nipperdey 1965 Bd. 2, 341 ff; Hueck, Alfredl Nipperdey ArbR 11 / I, S. 373 ff. m.w.N. Däubler, TVG Rz. 411, der jedoch nur für die Arbeitnehmer eine Grundrechtsbindung annimmt Rz. 416 ff.; a.A. m.w.N. Dieterich FS Schaub S. 117 ff.120 ff. Die Entscheidung des BVerfG zur Betriebsvereinbarung widerspricht letztlich dieser Sichtweise. Es hat betont, daß allein die normative Wirkung nicht mit einer Übertragung öffentlicher Rechtsetzungsmacht gleichgesetzt werden dürfe, BVerfGE 73, 261, 268. Der Versuch, im Tarifbereich die unmittelbare Grundrechtsbindung damit zu rechtfertigen, daß § I TVG ausdrücklich von Rechtsnormen spricht und entsprechend in Abgrenzung von der Tarif- zur Betriebsverfassung in letzterer nur noch von "quasi"normativer Wirkung zu sprechen -so Hanau, Peter RdA 1989, 207 ff.- kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch im Tarifbereich an den Grundlagen für eine Übertragung der öffentlichen Rechtsetzungsmacht fehlt. Der Begriff der Quasi-normativen Wirkung verschleiert daher bei allen bestehenden Unterschieden zwischen Tarifvertrag und Betriebsverfassung die gleichgelagerte Problematik der Rechtfertigung einer unmittelbaren und unabdingbaren Wirkung von KollektivregeJungen im Individualbereich und trägt zu deren Lösung nicht bei. 121 Krüger Gutachten für den 46. DJT, S. 12 ff insbesondere -17 ff; vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 103 ff; ders. Gutachten zum 46. DJT, S. III f.; Waltermann RdA 1990, 138 ff - 140/ 144; ders. RdA 1993,209 ff. - 216 f.; ; Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 557 ff. - 563; ähnlich Adomeit RdA 1967,297 ff. - 305, der hieraus für die Delegationstheorie die besondere Ermächtigung des Gesetzgebers zur Dele:1ation herleiten will.; tendenziell Söllner NZA 1996, 897 ff. - 902. 12 Hanau, Peter RdA 1993, I ff. - 4 f; Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 16 f.; dagegen im Ergebnis BVerfGE 50, 369 - 371, das stets betont, daß Art. 9 Abs. 3 GG den Staat lediglich verpflichtet, überhaupt ein Instrumentarium zur Verfügung zu steilen, das außerstaatliche Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Tarifpartner ermöglicht. Die konkrete Ausgestaltung durch ein Tarifvertragsrecht ist nicht zwingend; m.w.N. Kirchhof, Private Rechtsetzung 181 f.
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erfolgt, individualrechtlich wirksam l23 • Die Mitwirkung des Betriebsrates wird über § 101 BetrVG abgesichert. Danach kann gegen den Arbeitgeber ein beträchtliches Ordnungsgeld und zwar wiederholt festgesetzt werden, wenn dieser Arbeitnehmer vor der Zustimmung des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 BetrVG bzw. der die Zustimmung ersetzenden Entscheidung des Arbeitsgerichtes nach § 99 Abs. 4 BetrVG im Betrieb beschäftigt. In diesem Fall hat der Gesetzgeber also einen effektiven Schutz des Betriebsrates ermöglicht, ohne eine zwingende Wirkung im Individualbereich zu verankern. Ähnlich könnte die Achtung von Gesamtvereinbarungen erzwungen werden. Für eine sinnvolle Betätigung der Koalitionen ist eine Rechtsetzungsbefugnis keineswegs unerläßlich, mag sie die Durchsetzung getroffener Vereinbarungen auch erheblich vereinfachen, weil auf diese Weise jeder Arbeitnehmer seine tariflichen Ansprüche sogleich selbst geltend machen und gerichtlich durchsetzen kann 124 • Weiterhin ist es wenig überzeugend, daß der Verfassungsgeber den Koalitionen als Personen des Privatrechts lediglich konkludent Rechtsetzungsgewalt zugewiesen haben soll, obwohl er aus den Erfahrungen in der nationalsozialistischen Unrechtsdiktatur heraus die Zuständigkeit für die Legislativgewalt klar verteilt und ihre Delegation strengsten Anforderungen unterworfen hat. Eine entscheidende Schwäche besteht ferner in der Tarifbindung von Aussenseitern über § 3 Abs. 2 TVG. Da diese Bindung die negative Koalitionsfreiheit berührt, kann sie nicht bereits aus der Verfassung abgeleitet werden. Gerade in diesem Punkt, der schon gegen einige andere Erklärungsversuche sprach, versagt somit auch die Integrationstheorie l25 • Schließlich spricht gegen die Integrationstheorie, daß sie nur die Rechtsetzung im Tarifrecht erklären könnte. Die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung ist damit nicht zu begründen. Die Einstellung und Arbeitsaufnahme in einem Betrieb vermag keinen Verbandsbeitritt zu ersetzen. Die Beleg123 BAG AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 9 zu Art. 33 11 GG; Schaub, Arbeitsrecht § 241VI la; Dietz / Richardi, BetrVG § 99 Rz. 232; Löwisch, BetrVG § 99 Rz. 3; v.Hoyningen-Huene RdA 1992,355 ff. - 359; ausführlich m.w.N. GK-BetrVG, Kraft § 99 Rz. 122 f.; a.A. Fitting/ Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 99 Rz. 64 a; Stege / Weinspach, BetrVG § 99-101 Rz. 123c, der nicht die notwendige Unterscheidung zwischen dem wirksamen, zivilrechtliche Individualarbeitsvertrag und der organisatorischen Eingliederung in den Betrieb vornimmt. Nur letztere wird durch eine arbeits,ferichtliche Entscheidung gemäß § 101 BetrVG beurteilt. 12 V gl. auch Kirchhoff, Private Rechtsetzung, S. 179 f., der zwar von einer Pflicht des Gesetzgebers ausgeht, überhaupt private Rechtsetzung zuzulassen, aber ebenfalls betont, daß Art. 9 Abs. 3 GG diesen erst zur konkreten Gestaltung verpflichtet und berechtigt und die heutzutage bestehenden Instrumentarien - Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Einigungsstellenspruch und nunmehr auch die Vereinbarung nach § 28 Abs. 2 SprAuG nicht vorgibt. 125 Zöllner RdA 1962, 453 ff. - 458.
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schaft kann daher nicht als eine freiwillige Personenvereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG angesehen werden. Da beiden Arten von Gesamtvereinbarungen eine normative Wirkung zu eigen ist, kann eine Begründung, die bestenfalls allein auf den Tarifvertrag anwendbar wäre, insgesamt nicht überzeugen 126 • Die Integrationstheorie ist daher abzulehnen.
3. Rechtsgeschäftliehe Normensetzung Einen vermittelnden Ansatz zwischen einer rechtsgeschäftlichen Begründung und der Vorstellung von echter Rechtsetzung wählen schließlich die im Vordringen befindlichen Theorien rechtsgeschäftlicher Normensetzung 127 • Bei ihnen setzen die privaten Gesamtvereinbarungen selbst echte Rechtsnormen.
a) Rechtsgeschäftliche Normensetzung aufgrund privatrechtlicher Unterwerfung Die Lehre der rechtsgeschäftlichen Normensetzung aufgrund vorheriger Unterwerfung betont letztlich im Anschluß an die genossenschaftliche Rechtstheorie, daß Normen nicht nur hoheitlich durch Gesetz, Verordnung und Satzung, sondern auch durch private Verbände geschaffen werden können. Dies zeige sich etwa an der gesetzlich vorgesehenen Vereinssatzung, mit der innerverbandliches Recht gesetzt werde. Die Macht zur Rechtsetzung der Tarifpartner sei also nicht hoheitlich übertragen, sondern folge vielmehr aus einem Akt privater Sanktionierung l28 • Insoweit sei die Rechtsetzungsmacht von unten nach oben delegiert. Der Tarifvertrag sei damit ein Fall "normativer Gestaltung innerhalb der Privatautonomie" und zeige, daß sich die "Privatautonomie nicht in der individuellen Vertragsfreiheit erschöpft" 129. Diese Auffassung entspricht im Ergebnis der Theorie originärer Rechtsetzungsmacht, nur daß sie einen neben dem Staat stehenden Verband mit originärer Rechtsetzungsbefugnis ablehnt und statt dessen diese Macht aus der rechtsgeschäftlichen Unterwerfung der Mitglieder ableiten will. Mit dem 126 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 80f.; vgl. auch die Kritik von Säcker, Grup;enautonomie und Übermachtkontrolle S. 265 ff. 1 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 164 f.; Kirchhoff, Private Rechtsetzung, S. 181 ff.; KäpplerNZA 1991, 745 ff. -749; Rehbinder IR 1968, S. 170; Dieterich FS Schaub S. 117 ff. - 121. 128 Rehbinder IR 1968, S.167 ff; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 164 f.; m.w.N. Hofbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge, S. 37 Fn 68. 129 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 164 f.
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Begriff rechtsgeschäftlicher Normsetzung sucht sie gleichzeitig eine bewußte Abgrenzung zur hoheitlichen Rechtsetzung. Daß sowohl für Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen im Tarifrecht wie auch für das gesamte Betriebsverfassungsrecht eine rechtsgeschäftliche Unterwerfung fehlt, wurde bereits dargelegtIJo. Für jene Bereiche kann diese Ansicht eine Rechtsetzungsmacht der Kollektivpartner nicht begründen. Diese Schwäche wird erkannt und daraus abgeleitet, daß Regelungen zu Lasten der Außenseiter in Betriebsnormen nicht getroffen werden könnten. Dies sei im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit ohnehin erforderlich, da staatliche Gesetzgebung erkennbar nicht vorliegt. Lediglich bei Regelungen des "betrieblichen Rechtsverhältnisses" sollen zwingende Vorgaben für den Arbeitgeber möglich sein, dessen Umsetzung mittelbar auch die Arbeitnehmer erfaßt l3l . Die Normensetzung im Betriebsverfassungsrecht sei in materiellen Angelegenheiten ebenfalls nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer zulässig 132 • Bei formellen Bedingungen 133 sei hingegen eine normative Regelung zulässig, wobei auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers und notfalls auf die Vernunft des Arbeitnehmers verwiesen wird l34 • Die Folgerungen aus der vermeintlich fehlenden gesetzlichen Ermächtigung sind nur zum Teil konsequent l35 • Würde tatsächlich keinerlei hoheitliche Ermächtigung bestehen, könnten auch keine noch so günstigen Regelungen unmittelbar und zwingend vereinbart werden. Das Zivilrecht kennt grundsätzlich keine Bevormundung eines Dritten. Dies beweist der in diesem Zusammenhang angeführte Vertrag zugunsten Dritter. Zwar erkennt der Gesetzgeber den Forderungserwerb ohne Zustimmung des Dritten an, doch liegt dem die Vermutung zugrunde, daß ein Dritter mit solchen allein begünstigenden Absprachen einverstanden ist. Dementsprechend ordnet § 333 BGB an, daß der Rechtserwerb des Dritten ex tunc entfallt, wenn er diesen zurückweist 136 • s.o. unter A I 3 a - Seite 36 ff. M.w.N. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 214 f. und 224 ff 236 f.; Richardi, BetrVG § 77 Rz.77ff. 132 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 319 f. 133 Mit dem Begriff der formalen Bedingungen werden solche Regelungskomplexe umschrieben, die nicht das Austauschverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sondern nur die Art und Weise der Leistungserbringung betreffen; vgl. m.w.N. Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht S. 508; Richardi will hiervon Bestimmungen herausnehmen, die den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung betreffen, weil dies wie der Arbeitsvertrag selbst die Grundlagenentscheidung der Individualparteien sei. Die betriebliche Mitbestimmung setze diese Grundentscheidung voraus, dürfe in diese aber nicht regelnd eingreifen - Richardi ZfA 1990,211- 232 f.; ders. OB 1990, 1613- 1616f.; ders. ZfA 1992,307- 325 f. 134 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 319. l35 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 209 f. 136 So auch Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1 - 5b., S. 9. 130 131
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Noch deutlicher wird das Erklärungsdeftzit bei formalen Bedingungen, worin Pflichten der Arbeitnehmer vereinbart sein können. Allein der Verweis darauf, daß solche Regelungen letztlich neutral seien und nicht das Austauschverhältnis verändern, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Eingriffe in die private Rechtsrnacht des einzelnen Arbeitnehmers ohne weiteres den Schutzbereich des Art. 12 GG tangieren, weil dieser die Gesamtordnung der Berufsausübung umfaßt 137 • Dies kann ohne Beteiligung hoheitlicher Gewalt nicht gerechtfertigt werden. Deshalb überzeugt die Theorie rechtsgeschäftlicher Normensetzung allein aufgrund einer Unterwerfung nicht 138 •
b) Rechtsgeschäftliche Normensetzung aufgrund staatlichen Geltungsbefehls Ein weiterer Erklärungsversuch, der in den Bereich einer rechtsgeschäftlichen Normensetzung fällt, ist die Theorie von der Rechtsetzung durch private Vereinbarungen aufgrund eines staatlichen Geltungsbefehles 139. Hierbei wird zwischen Rechtsetzung als einem Akt der Erzeugung und inhaltlichen Bestimmung von Regeln einerseits sowie ihrer Wirkung und Durchsetzungskraft andererseits unterschieden. Rechtsetzung im ersteren Sinne könne uneingeschränkt sowohl durch Private als auch durch den Staat erfolgen, da es sich hierbei letztlich um faktische Gestaltung handelt. Es bestünden sowohl staatliche wie auch private Regelungsordnungen nebeneinander. Lediglich die Wirkung dieser privaten Rechtsetzung ist vom Staat abhängig. Da er das Gewaltmonopol hat, wird eine private Rechtsnorm nur dann als Teil der staatlich garantierten Gesamtrechtsordnung verbindlich, wenn er sie mit seiner Autorität durch einen Geltungsbefehl versieht. Dieser Befehl wird
137 Vgl. Junker NZA 1997, 1305ff. -1306; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 215; ferner Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 35 ff- 70, der sich fälschlicherweise auf die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG beruft, obwohl bei einer betriebsverfassungsrechtlichen Einflußnahme auf den individuellen Arbeitsvertrag ipso facto die Berufsausübung nach Art. 12 GG tangiert wird. So später Hanau, Hans auch selbst RdA 1996, 158 fI. - 161. Am Ergebnis ändert diese Unterscheidung zwischen Art. 2 Abs. I GG und Art. 12 GG ohnehin nichts. 138 Wiedemann/ Stumpf, TVG § 1 Rz. 29. 139 Insbesondere Kirchhof!, Private Rechtsetzung; S. 181ff.; ähnlich schon Lieb, Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung, S. 29 ff - 62 ff. -67 insbesondere seine "Teildelegations- oder Sanktionstheorie"; Schlachter FS Schaub 651 ff. -655f.; wohl auch Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht S. 336 f; Voigt, Kollektiver Günstigkeitsvergleich S. 70 ff.; für die Betriebsvereinbarung Waltermann RdA 1996, 129ff. - 134; tendenziell bereits Rickei ZfA 1971, 181ff. - 193ff., der die Gesamtvereinbarungen als Tatbestand des TVG bzw. BetrVG auffassen will und damit im Ergebnis bereits zwischen privater Rechtserzeugung und staatlichem Geltungsbefehl unterscheidet.
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daher zum Bindeglied zwischen faktischer Rechtsetzung durch Private und der mit der Staatsgewalt versehenen anerkannten Gesamtrechtsordnung l4o • Die private Rechtsetzung ist danach als Grundmodell so zu verstehen, daß Privatsubjekte intern eine Regel erlassen und der Gesetzgeber diese durch einen staatlichen Geltungsbefehl zu einem Rechtssatz erhöht, der vor staatlichen Stellen, insbesondere den Gerichten, als Teil der Gesamtrechtsordnung anerkannt und angewandt werden muß 141 • Der Rechtssatz bleibt gleichwohl nichtstaatlich. Als typisches Beispiel dafür wird auf das Gewohnheitsrecht verwiesen l42 • Diese Anerkennung durch den Staat könne nicht nur im nachhinein erfolgen, sondern auch von vornherein, indem er Personen bestimmte Gestaltungsmittel abstrakt zur Verfügung stellt, deren spätere konkreten Inhalte er durch Geltungsbefehl vorab zur verbindlichen privat erzeugten Rechtsnorm erklärt. Dies kann man letztlich schon beim klassischen gegenseitigen Gesellschaftsvertrag und der Satzung des eingetragenen Vereins annehmen, in dem Individuen eine eigene vom Gesetzgeber anerkannte Ordnung schaffen können. Nichts anderes habe der Gesetzgeber beim Tarifvertrag mit dem TVG getan, als er ein existierendes privates Gestaltungsmittel mit seinem staatlichen Geltungsbefehl versah und ihm damit Rechtsnormencharakter verlieh l43 • Bei der Betriebsvereinbarung nach dem BetrVG habe er sogar eine neues Gestaltungsmittel entwickelt, an der er mit seinem Geltungsbefehl anknüpft 144 , Diese Erwägung wird man auch entsprechend auf die normativ wirkende Richtlinie nach § 28 Abs. 2 SprAuG übertragen können. Entscheidendes Merkmal dieser Theorie ist, daß die Rechtsetzungsbefugnis nicht delegiert ist, sondern eine inhaltliche Gestaltung durch Private bei Einhaltung der abstrakten Regelungsform mit einem staatlichen Geltungsbefehl verbunden wird. Die Rechtsetzung ist hiernach privat und wird gleichwohl mit staatlicher Autorität versehen. An dieser Auffassung überzeugt sogleich, daß sie ohne Delegation im dogmatischen Sinne eine Übertragung von Rechtsetzungsgewalt erlaubt. Diese Rechtsetzung bleibt privat, sie entfaltet ihre Wirkung allein aufgrund der staatlichen Anerkennung. Sämtliche Einwände, die gegen eine echte Dele140 Lieb, Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung, S. 33 spricht insoweit auch im Hinblick auf die tatsächlich dem Staat abgetrotzte Macht von dessen "resignierender Anerkennung". 141 So hat das Bundesverfassungsgericht Tarifverträge zutreffend auch als "RechtsregeIn kraft Anerkennung durch die staatliche Gewalt" bezeichnet - BVerfGE 34, 307 ff. 317. 142 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 138 ff. 143 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 140 f. 144 Kirchhof!, Private Rechtsetzung, S. 139 f.
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gation sprechen, greifen daher nicht. Die Beschränkungen der Delegation staatlicher Rechtsetzungsgewalt sind allerdings nicht Selbstzweck, sondern sollen eine unkontrollierte Abgabe von Hoheitsbefugnissen durch die Legislativgewalt verhindern l45 • Dies hat zur Folge, daß private Rechtsetzung nicht mit hoheitlicher gleichgesetzt werden darf. Die Gesamtvereinbarung selbst ist demnach insbesondere keine Gesetzgebung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie. Diese Theorie wird nicht ohne Grund auch mit dem Synonym "Parlaments" -vorbehalt bezeichnet. Der staatliche, demokratisch legitimierte Gesetzgeber hat hier nicht in einem verfassungsrechtlich festgelegten offenen Verfahren die wesentlichen Grundentscheidungen und damit den Inhalt der Gesamtvereinbarungen selbst vorgezeichnee 46 • Damit stellt sich im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie die Frage, ob der Gesetzgeber überhaupt eine solche faktische Rechtssetzungsverlagerung durch seinen Befehl vornehmen darf. Unproblematisch ist hierbei die Ermächtigung der Tarifparteien zur Normsetzung über ihre Mitglieder nach § 4 Abs. 1 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 TVG I47 • Dort beruht die normative Wirkung nicht allein auf dem hoheitlichen Geltungsbefehl, sondern setzt tatbestandlich darüber hinaus den freiwilligen Beitritt des Mitgliedes in die Tarifvertragspartei voraus. So wie der Gesetzgeber durch die Privatautonomie die Möglichkeit zur Selbstverpflichtung gewährt hat, ist es auch im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie grundsätzlich unproblematisch, wenn er die mit dem Verbandsbeitritt erfolgte und regelmäßig zum Selbstschutz mitbezweckte Unterwerfung unter die Verbandsmacht rechtlich anerkenne 48 • Dabei ist also der in vielen zuvor diskuKreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 97f. Waltermann RdA 1990, 138 ff., der zu zu Recht betont, daß mit dem Parlamentsvorbehalt das in Art 20 Abs. 2 S. I GG hervorgehobene Grundverständnis, wonach alle Gewalt vom Staate ausgeht, verwirklicht werden soll, was bei einer Verlagerung auf Private eben nicht oder nur im Hinblick auf den Akt der Verlagerung selbst der Fall ist; ders. RdA 1993,209 ff. - 215 f.; ferner Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 337. 147 Erst recht bestehen keine Bedenken gegen die normative Bindung des Arbeitgebers beim Firmentarifvertrag, da er dort selbst die Regelung mitgeschaffen hat. 148 Insoweit geht auch der Einwand Jacobi, Grundlehren des Arbeitstrechts, S. 268 ff., fehl, gegen die Vorstellung eines privatrechtlichen Vertrages, der objektives Recht setzt, spreche, daß dadurch der Staat sich selbst entmachte und schwäche. In Wirklichkeit überläßt er Privaten Regelungsbereiche, in denen er sich zu einer umfassenden eigenständigen Regelung - von der verfassungsrechtlichen Frage des Art. 9 Abs. 3 GG abgesehen - schlichtweg außerstande sieht. Er behält jedoch die Macht, notfalls selbst einzugreifen. Daß diese Möglichkeit besteht, beweist die Diskussion im Mai/ Juni 1996 um einen gesetzlichen Mindestlohn im Baubereich, der den beabsichtigten Schutz vor Billigkonkurrenz aus dem Europäischen Binnenmarkt durch die Entsenderichtlinie verwirklicht hätte; so auch Waltermann RdA 1990, 138 ff. - 141; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 337. Soweit zum Teil vertreten wird, der Schutzgedanke des Tarifrechts verbiete es dem Gesetzgeber, eine weitergehende Bindung als unbedingt notwendig zu verankern, wes145
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tierten Ansätzen hervorgehobene Gesichtspunkt der freiwilligen Unterwerfung von erheblicher Bedeutung, weil hiermit der staatliche Geltungsbefehl auch insoweit legitimiert werden kann, als ein wesentlicher Eingriff in die allgemeine Berufsfreiheit des tarifgebundenen Arbeitnehmers aus Art. 12 GG und! oder den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des tarifgebundenen Arbeitgebers aus Art. 12 GG und Art. 14 GG in Frage stehtl49 • Auch im Fall des § 3 Abs. 2 TVG bestehen keine Bedenken gegen die Bindung des Arbeitgebers an den staatlichen Geltungsbefehl, muß er doch Mitglied des entsprechenden Verbandes oder selbst Vertragspartner des Tarifvertrages sein. Ob dieser Befehl in der Betriebsverfassung und gegenüber den Außenseitern nach § 3 Abs. 2 TVG mit der Wesentlichkeitstheorie vereinbar ist, bedarf jedoch der Prüfung, weil dort eine freiwillige Unterwerfung der Arbeitnehmer nicht vorliegt und sogar auf Arbeitgeberseite fehlt, wenn eine Entscheidung durch die Einigungsstelle in Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung ergangen ist, die der Betriebsvereinbarung gleichsteht I so • Gleichzeitig stellt sich damit ferner die Frage, ob die gesetzliche Ermächtigung im Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht nach der häufig weitreichenden Auslegung der h.M. mit der Verfassung in Einklang gebracht werden kann151 • halb die Abschaffung des Günstigkeitsprinzips de lege ferenda unzulässig wäre - vgl. etwa statt vieler m.w.N. Hanau, Hans RdA 1996, 158 ff. - 161 f. -, überdehnt diese verfassungsrechtliche Auslegung m.E. den Chrakter des Grundgesetzes als Rahmenregelung. Es geht zu weit, das bestehende System mit seinen Regelungen immer als notwendiges Auslegungsergebnis der Verfassung darzustellen. Gerade das häufig hervorgehobene Argument, der Zusammenschluß der Arbeitnehmer begründe eine kollektive Privatautonmoie im Sinne gebündelter Individualinteressen und beseitige daher nicht die individuelle Privatautonomie, mißachtet, daß der Gesetzgeber jeden an seiner Entscheidung festhalten kann, seine Individualinteressen durch Bündelung mit den Individualinteressen anderer zu verfolgen. Er dürfte daher dieser gemeinschaftlichen Zweckverfolgung den Vorrang einräumen. Diese Frage kann hier jedoch unbeantwortet bleiben. 149 So auch Hanau, Hans RdA 1996, 158 ff. - 166; Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 446. Hierin offenbart sich der entscheidende Vorteil dieser Ansicht gegenüber der herrschenden Delegationstheorie. Während die Theorie privater Rechtsetzung durch staatlichen Geltungsbefehl die rechtsgeschäftliche Unterwerfung zur Legitimation der Norrnsetzungsgewalt fruchtbar machen kann, muß die Delegationstheorie diese allein mit der Übertragung hoheitlicher Befugnisse begründen, die jedoch sodann im Sinne der Wesentlichkeitstheorie zu weitgehend ist. ISO Soweit der Arbeitgeber als Vertragspartei eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen und damit die enthaltenen Regelungen mit geschaffen hat, oder sich in Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung einem Einigungsstellenspruch unterworfen hat, kann noch von einer selbstverantworteten Bindung ausgegangen werden. 151 Jedenfalls sollte man diese Frage nicht unter Hinweis darauf, daß letztlich die praktische Handhabung im Arbeitsrecht entscheidend sein müsse, als bloß theoretischer Natur zurückstellen. Ohne hinreichende Legitimation könnte es sonst den Arbeitsrechtlem wie den Verwaltungsrechtlern ergehen, als das Bundesverfassungsrecht -
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Versuche, die Unabdingbarkeit insbesondere unter Hinweis auf das Günstigkeitsprinzip, das Rechtsinstitut des Vertrages zu Gunsten Dritter und die betriebsverfassungsrechtliche Einschränkung eines individualrechtlichen Arbeitgeberdirektionsrechtes im Rahmen der Privatautonomie zu legitimieren I 52 , mißachten die Tatsache, daß freie Selbstbestimmung keine Bevormundung kennt und das Recht zur "falschen" Entscheidung umfaßt. Daher tangiert sogar die Unabdingbarkeit begünstigender Regelungen die Freiheitsgrundrechte der Unterworfenen. Insoweit gibt es auch keine "neutralen" Regelungen. Die Fehlerhaftigkeit solcher Ansätze offenbart sich insbesondere, wenn die Regelungsmacht über die betriebliche Ordnung im Betriebsverfassungsgesetz notfalls damit erklärt wird, daß "das Bedürfnis nach einheitlicher Ordnung im Betrieb ein derartiges Gewicht" habe, "daß der einzelne Arbeitnehmer sich einem entsprechenden Willen des Arbeitgebers kaum verschließen wird, zumal das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht berührt wird" 153. Hier wird letztlich aus einem Apell an die Vernunft einer Vertragsseite eine Verpflichtung hergeleitet. Das allgemeine Zivilrecht kennt eine solche Schranke erst im Rahmen der bewußten Schikane gemäß § 226 BGB. Eine solche muß bei einem "unvernünftigen" Verhalten - wer auch immer das objektiv bestimmen zu können glaubt - keineswegs vorliegen. Die gleichen Bedenken sind gegen den Versuch anzumelden, zwischen Regelungen zu unterscheiden, die das betriebliche Rechtsverhältnis und solchen, die das Individualverhältnis betreffen I54 • Selbst wenn man unterstellen würde, der Arbeitnehmer würde zunächst nur als Glied des Betriebes betroffen, kann dies nichts an der Tatsache ändern, daß er durch die zwingende Wirkung in jedem Fall auch individuell getroffen wird, was gerade der Ausschluß des Günstigkeitsprinzips nach der überwiegenden Meinung beweist l55 •
BVerfGE 33, I ff, 9 - die Regelung von Grundrechtseingriffen durch Verwaltungsrichtlinien im sogenannten besonderen Gewaltverhältnis und damit eine vermeintlich gewohnheitsrechtliche Regelungsbefugnis verwarf. 152 M.W.N. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 319 ff. 153 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 319; Zumal diese Unterstellung menschliche Eigenschaften mißachtet. Wird etwa der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit festgelegt, kann ein Langschläfer ein Interesse daran haben, weiterhin später zu erscheinen. Der Raucher mag auch gegen einen rauchfreien Arbeitsplatz sein. Objektiv ist eine berechtigende Günstigkeit dann nicht feststellbar, sofern man nicht grundsätzlich die subjektive Entscheidung als günstiger ansehen wollte mit der Folge, daß es entgegen dem Wortlaut des § 77 Abs. 4 BetrVG letztlich keine Unabdingbarkeit mehr gäbe. 154 Hueck, Alfred BB 1949,530 ff.; Dietrich, Betriebliche Normen nach dem TVG, S. 87 ff.; Buchner RdA 1966, 208 ff. - 209; LöwischlRieble, TVG § I Rz. 77; MünchArbR, Löwisch § 263 Rz. 13. 155 Statt vieler Hanau, Hans RdA 1996, 158 ff. - 164 f.; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz. 223 f.
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Werden demnach in den genannten Fällen die Kollektivpartner durch den gesetzlichen Geltungsbefehl ermächtigt, in die Freiheitsrechte der Unterworfenen einzugreifen, scheint dieser Geltungsbefehl nach der Wesentlichkeitstheorie eine verfassungsmäßig unzulässige Abgabe der Legislativgewalt des Gesetzgebers zu beinhalten 1s6 • Indes verlangt die Wesentlichkeitstheorie nicht, daß der Gesetzgeber alle Regelungen bis ins Detail selbst vorgeben muß. Im Rahmen dieser Theorie ist es bisher hingenommen worden, wenn der Gesetzgeber eine umfassende Regelung selbst nicht vornehmen kann und daher auf grobe Vorgaben ausweichen muß. Dies zeigt sich an den zahlreichen Generalklauseln, die in allen Rechtsgebieten bestehen und der Ausfüllung durch Verwaltung und Rechtsprechung bedürfen. Deren allgemeine Zulässigkeit ist aufgrund der praktischen Notwendigkeit bislang nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden. Jede gesetzliche Vertretung, Betreuung Dritter oder Verwaltung von Drittvermögen kann letztlich nur grobe Linien und äußere Grenzen aufzeigen. So kann etwa aus den Bestimmungen über die elterliche Sorge nicht eine notwendige konkrete Entscheidung der Eltern auch nur andeutungsweise herausgelesen werden, von Extremfällen abgesehen!S7. Wie schon der Name dieser Theorie deutlich macht, genügt es daher, wenn er die wesentlichen Vorgaben nach Inhalt, Zweck und Reichweite aufstellt. Diese dürfen sich sogar erst im Rahmen der Auslegung aus anderen Bestimmungen ergeben, wie dies gerade bei Generalklausein häufig der Fall ist. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen der gesetzlich notwendigen Regelungsdichte und der Eingriffsintensivität in die Grundrechte der Betroffenen, wonach die Vorgaben umso weitreichender sein müssen, desto intensiver der Eingriff ise s8 • Diese kann noch durch die Verfassungswerte beeinflußt werden, deren Verwirklichung der Gesetzgeber mit seinem Normenwerk bezweckt. Der Frage, ob die gesetzlichen Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz und § 3 Abs. 2 TVG diesen Anforderungen genügen und welche Folgerungen für deren Auslegung hieraus zu ziehen sind, kann in dieser Arbeit nicht umfassend nachgegangen werden. Für die hier interessierende Prüfung der IS6 Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 562 ff. hält dies für die notwendige Konsequenz der Theorie einer rechtsgeschäftlichen Nonnensetzung, da diese nur mit der Legitimation durch Unterwerfung argumentieren könne, mit der er dann diese Theorie auch gleichsetzt. Insoweit sei diese Theorie mit dem geltenden Recht nicht in Einklan? zu bringen. IS Der Gesetzgeber hat zwar bestimmte Entscheidungen der staatlichen Kontrolle etwa bei Grundstücksveräusserung und -belastung durch das Vormundschaftsgericht unterworfen. Im übrigen besteht aber nur eine Haftung im Rahmen der delegentia quam in suis -§ 1664 BGB-, die einen weiten Raum für mögliche Entscheidungen beläßt; vgl. die Kommentierung m.w.N. Pa1andt BGB zu § 1666. IS8 Waltermann RdA 1990, 138 ff. - 144; ders. RdA 1996, 129 ff. - 134 f.; ders RdA 1993,209 ff. - 216; ders. NZA 1994,822 ff. - 828.
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Theorie privater Rechtsetzung aufgrund staatlicher Anerkennung genügt es, diese Möglichkeit im Grundsatz aufzuzeigen. In der Betriebsverfassung soll dies anband der §§ 77 Abs. 3, 87 f. BetrVG geschehen, weil diese regelmäßig die meisten fmanziellen Belastungen begründen. § 87 BetrVG ist im Rahmen der Betriebsverfassung eine besondere Ermächtigungsgrundlage. In dieser hat der Gesetzgeber genaue Regelungskompetenzen für die Einbindung des Einzelnen in die betriebliche Gemeinschaft eingeräumt. Folglich hat er über den Umfang der Regelungsgewalt wesentliche Grundentscheidungen im Sinne des Vorbehaltes des Gesetzes getroffen.
Der Zweck des § 87 BetrVG ist zwar nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich jedoch durch seine Auslegung. Danach soll § 87 BetrVG sicherlich die Direktionsgewalt des Arbeitgebers beschränken und eine allzu große Selbstherrlichkeit nach dem Prinzip "Zucker und Peitsche" verhindern und beinhaltet insoweit in erster Linie eine Schutzfunktionls9 • Weiterhin soll die grundsätzliche Möglichkeit für eine betriebliche Ordnung geschaffen werden l60 • Daneben ist auch zu berücksichtigen, daß § 87 BetrVG durchweg Regelungskomplexe enthält, die einen kollektiven Bezug aufweisen. Solche Fragen können entweder nur einheitlich geordnet werden, oder es besteht zumindest die Gefahr, daß bei Individualvereinbarungen die Interessen einzelner Arbeitnehmer einseitig denen anderer vorgezogen oder geopfert werden. Letzteres wird etwa bei der Mitbestimmung über die Urlaubslage gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG deutlich. So soll die mitbestimmte Festlegung des Erholungsurlaubs im Streitfalle zwischen Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern sicherstellen, daß nicht einzelne Arbeitnehmer zu Lasten anderer Kollegen in Absprache mit dem Arbeitgeber bestimmte Termine belegen. Dies kann besondere Bedeutung bei der Frage erlangen, wer etwa während der Schulferien Urlaub nehmen darf. Die Verteilung freiwilliger Lohnzulagen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG soll ebenfalls sicherstellen, daß zusätzliche Leistungen nach "gerechten" Verteilungsgrundsätzen ausgeschüttet werden, und der Arbeitgeber nicht einzelne bevorzugt oder benachteiligt. Dies zeigt, daß § 87 BetrVG - wie auch das gesamte Betriebsverfassungsrecht - nicht nur dem Schutz vor einem übermächtigen Arbeitgeber dient, sondern eine Ausgleichsfunktion unter den Arbeitnehmern selbst beinhaltet. Diese Harmonisierung der gegensätzlichen Interessen der Arbeitnehmer untereinander - etwa beim Urlaub - hat Gamillscheg zutreffend als eine dritte Dimension des Arbeitsrechts bezeichnet l6l • Wie der Schutz der Belegschaft vor der Arbeit159 160 161
Canaris AuR 1966, 129 ff. - 129f.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht § 44, 4 S. 447. Canaris AuR 1966, 129 ff. - 130f. Gamillscheg FS Fechner 1969 135 ff. - 145.
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gebermacht wurzelt eine solche Ausgleichsfunktion als Schutz des Schwächeren im Sozialstaatsgebot der Verfassung. Da die Betriebsverfassung somit eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips ise 62 , kann hiermit eine Reduzierung der Rechtsrnacht des einzelnen Arbeitnehmers im Interesse und zum Schutze der anderen gerechtfertigt sein l63 • Schließlich wird auch die inhaltliche Ausfüllung durch die Vorgaben der §§ 2; 74; 75 und insbesondere 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG zumindest angedeutet und gleichzeitig deren äußerste Grenze aufgezeigt. Freilich sind die gesetzlichen Vorgaben für den konkreten Regelungsinhalt sehr abstrakt geblieben und belassen den Betriebspartnem einen weiten Ermessensspielraum. Da das Betriebsverfassungsgesetz für Kleinst- und Großbetriebe aus allen Branchen gleichermaßen gilt, war eine umfassende inhaltliche Vorgabe schon aufgrund der vielfältigen Interessen und äußeren Umstände, die in jedem Einzelfall zu berücksichtigen sind, gar nicht möglich. Gleichwohl kann aus diesen Vorgaben heraus nur ein Grundrechtseingriff mit relativ geringer Intensität legitimiert werden. Daraus folgt bereits, daß Eingriffe, soweit sie allein zum Schutze gegen den Arbeitgeber dienen, notwendigerweise den Vorrang günstigerer Absprachen belassen müssen. Insoweit ergibt sich das im BetrVG nicht ausdrücklich enthaltene Günstigkeitsprinzip also aus der im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt notwendigen Beschränkung der Regelungsmacht der Betriebspartner l64 • Soweit die Ordnungs- oder die Ausgleichsfunktion in Frage stehen, können sogar günstigere Absprachen unzulässig sein, wenn dies mit der Solidarregelung unvereinbar ise 65 • So kann bei einem vereinbarten Vgl. m.w.N. Staudinger-Richardi, Vor § 611 Rz. 1297 ff. Vgl. Dietz / Richardi, BetrVG § 77 Rz. 105; ausführlich m.w.N. Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 105 ff. 164 Ähnlich GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 204; Dietz / Richardi BetrVG § 77 Rz. 98. Die h.M. leitet das Günstigkeitsprinzip ohne weiteres aus einer Analogie zu § 4 Abs. 3 TVG oder dem Übermaßverbot ab - vgl. BAGE 53, 42 ff. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht S. 111 ff.; Löwisch, BetrVG § 77 Rz. 35; Gnade/ Kehrmannl Schneider/ Blanke/ Klebe, BetrVG § 77 Rz. 5; Halberstadt, BetrVG § 77 Rz. 29; Däubler/ Kittner/ Klebe, BetrVG § 77 Rz. 19; nunmehr unter ausdrücklicher Aufgabe der bisherigen Meinung auch Hess/ Schlochauer/ Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 89, der dies bei der Überarbeitung der Rz. 182 jedoch noch nicht umgesetzt hat; unklar bei Stege / Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 30 ff.; a.A. Leinemann DB 1990, 732 ff. - 735; tendenziell auch Dtto, Hansjörg NZA 1992, 92 ff. 106. Im Rahmen der Günstigkeit kann eine rechtsgeschäftliche Ermächtigung der Betriebspartner durch die Individualparteien auch zu ungünstigen Kollektivregelungen berechtigen, etwa durch eine ausdrückliche oder konkludente Öffnung von Einheitsregelungen für spätere Kollektivvereinbarungen. Ohne eine solche Ermächtigung ist der Ein~riff in individuelle Ansprüche unzulässig. .. 1 5 So auch Blomeyer NZA 1996, 337 ff. - 343, der allerdings notfalls eine Anderungskündigung des Arbeitgebers verlangt, wenn er im Arbeitsvertrag eine günstigere Regelung mit einem Arbeitnehmer vereinbart. Eine m.E. durchaus erwägenswerte 162
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Rauchverbot an einem gemeinsamen Arbeitsplatz keine Ermächtigung eines Einzelnen durch eine für ihn sicherlich günstigere "Raucherlaubnis" erfolgen, weil damit das Rauchverbot de facto wertlos wird. Allerdings darf die im Rahmen der Ausgleichsfunktion weitergehende Regelungsmacht nicht zu intensiven Grundrechtseingriffen mißbraucht werden. Damit ist ein erheblicher Eingriff in materielle Arbeitsbedingungen prinzipiell ausgeschlossenl 66 . So ist z.B. die nach h.M. zulässige zwangsweise Einführung von Kurzarbeit nach § 87 Abs. I Nr. 3 BetrVG unter gleichzeitiger Lohnkürzung l67 nicht nur wegen der extensiven Auslegung dieser Bestimmung, die das geschuldete Entgelt jedenfalls vom Wortlaut her nicht umfaßt, sondern gerade wegen der Intensitität des Eingriffs, der auch unter Berücksichtigung des Kurz-arbeitergeldes nach dem Arbeitsförderungsgesetz erhebliche Lohneinbußen verursachen kann, unhaltbar 168 . Es bleibt daher festzuhalten, daß § 87 BetrVG keine Delegation staatlicher Rechtsetzungsautonomie beinhaltee 69 . Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben, also Entscheidungen des Parlamentes, kann der staatliche Geltungsbefehl jedoch auf grundrechtsrelevante Rechtsetzung der Betriebspartner ausgedehnt werden. Die von der h.M. vertretene Ansicht, über die Generalklausei des § 88 BetrVG und im Umkehrschluß zum Tarifvorbehalt in § 77 Abs. 3 BetrVG I70 Lösung; dem Arbeitnehmer würde bis dahin ein Zurückbehaltungsrecht zustehen, weil der Arbeitgeber nicht den Arbeitsplatz mit den vertraglich geschuldeten Bedingungen bereithält. Ausnahmslos vertritt Leinemann OB 1990, 732 ff. - 735 f. den Vorrang der Betriebsvereinbarung im Bereich des § 87 BetrVG; tendenziell ebenso Dito, Hansjörg NZA 1992, 92 ff. - 106. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Frage der Grenzen bei jedem einzelnen Mitbestimmungstatbestand des § 87 BetrVG auszuleuchten. Es sei insoweit auf die Arbeit von Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten hingewiesen, wenn dort auch einzelne Eingriffsbefugnisse angenommen werden, die zu weit gehen - etwa die Einflihrung von Kurzarbeit unter Berufung auf § 87 Nr. 3 BetrVG. 166 So schon Canaris AuR 1966, 129 ff. - 131 ff. 167 BAG OB 1991, 1990; Hessl Schlochauerl Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 184; Stege I Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 75 ff; Eichenhofor RdA 1981,208 ff. - 211; GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 313, der aber wenig überzeugend die Lohnreduzierung als bloße Rechtsfolfie der Kürzung aus der Betrachtung ausklammern will - aaO. Rz. 311. 68 Canaris AuR 1966, 129 ff. - 135 f.; Söllner Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 615 BGB Kurzarbeit; Waltermann NZA 1995, 1177 ff. - 1181; scheinbar Richardi ZfA 1992, 307 ff. - 313 f., der in Dietz I Richardi, BetrVG § 87 Rz 259 das Gegenteil vertritt; überzeugend Däublerl Kiltnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz. 19a, der insoweit auf die Änderungskündigung verweist, wenn ein Arbeitnehmer die Erstreckung einer Betriebsvereinbarung auf ihn verweigert. 169 Waltermann NZA 1995, 1177 ff. -1180 f. 170 Zu der hier nicht zu vertiefenden Frage, ob § 77 Abs. 3 BetrVG mit der h.M. nur auf materielle Arbeitsbedingungen zu beziehen ist; vgl. die ausflihrliehe Darstellung und Kritik m.w.N. bei GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 71 ff.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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sei Im übrigen von einer unbeschränkten Rechtsmacht der Betriebspartner auszugehen, sämtliche soziale Angelegenheiten im Betrieb in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, was auch einen Eingriff in die Individualautonomie erlauben könne, sobald ein kollektiver Bezug besteht l71 , unterliegt insoweit Bedenken 172 • Im Hinblick auf den verfolgten Arbeitnehmerschutz und die Beteiligung des Arbeitgebers ist es hinnehmbar, wenn man die Arbeitnehmer allein begünstigt, weil diese aufgedrängte Begünstigung bei wertender Betrachtung nur als geringer Eingriff in die Privatautonomie erscheint und eine allumfassende Regelung des Gesetzgebers nicht möglich wäre. So begünstigen denn auch die in § 88 BetrVG aufgeführten Regelbeispiele sämtlich den Arbeitnehmer. Hieraus eine Regelungsmacht zum Nachteil der Arbeitnehmer abzuleiten, ist schon von daher sehr fragwürdig 173 • Die h.M. scheint gleichwohl zunächst wegen des von ihr gleichzeitig anerkannten GÜllStigkeitsprin171 BAGE 3, Iff - 4; BAGE 56, 18 ff - 24 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 = NZA 1987, 779; BAGE GS 63, 211 ff. - 216f. = AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972 = NZA 1990,816; BAGE 67, 377 ff. - 382 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = NZA 1991,734; BAGE 72, 40 ff. - 46 = AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebes = NZA 1993, 711 BAGE 56, 18 ff. - 25 ff; v.Hoyningen-Huene/ Meier-Krenz ZfA 1988,293 ff - 304 f.; Stege 1 Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 8 u § 88 Rz. 2; Fitting I Kaiser 1 Heither 1 Engels, BetrVG § 88 Rz. 3; Gnadel Kehrmannl Schneider! Blanke/ Klebe, BetrVG § 88 Rz. 1; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 252; Säcker ZfA 1972, Sonderheft 41 ff - 49 ff.; sehr weitgehend m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 127 ff.; GK-BetrVG, Wiese vor § 87 Rz. 31 § 88 Rz. 7 f.; streitig ist lediglich, ob dies auch bei personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zutrifft und ob die Mitbestimmung im Rahmen der Betriebsverfassung auch über die vorgesehenen Fälle hinaus auf die unternehmerischen Entscheidungen ausgedehnt werden darf vgl hierzu m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 5 ff. 172 Vgl. Heinze, NZA 1994, 580 ff - 58lf.; Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 134; ders. NZA 1995, 1177 ff. - 1181; ders. NZA 1994, 822 ff. - 828; ders. RdA 1993, 209 ff. - 216 f; Richardi BetrVG § 77 Rz. 62f; m.w.N. Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 206 ff.- 222, insbesondere S. 207 f.; Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff - 117; für Arbeitszeitregelungen Richardi ZfA 1990, 211 ff. - 222 ff. und 235 f; Leinemann OB 1990, 732 ff. - 736; Hessl Schlochauerl Glaubitz, BetrVG vor § 1 Rz. 67 f unter Hinweis darauf, daß das BetrVG 1972 nach heftigsten Auseinandersetzungen einen gesetzlichen Kompromiß zwischen Unternehmerfreiheit und Sozialbindung geschaffen habe, der einer wesentlichen Abänderung nicht zugänglich sei. Insoweit ist auch der Hinweis von Schaub RdA 1995, 65 ff. -71 auf die Begründung zum BetrVG 1972 von entscheidender Bedeutung, wonach gerade eine Tarifbindung aller Arbeitnehmer über die Betriebsvereinbarung. verhindert werden soll. Die Ansicht, die Tarifparteien könnten durch eine tarifliche Offnungsklausel den Betriebspartnern eine umfassende Regelungsmacht eröffnen, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls dann unhaltbar, wenn die tarifliche Öffnung so konkrete Vorgaben macht, daß die Betriebspartner an der kurzen Leine gehalten werden und bei objektiver Betrachtung nur als Transmissionsriemen zwischen tariflicher Regelung und Außenseiter dient, so zu Recht Schüren RdA 1988, 138 ff. - 143; ähnlich Duo, Hansjörg NZA 1992,92 ff - 102. 173 Richardi Gutachten B zum 61. OJT, S. 50 f; Blomeyer NZA 1996,337 ff. - 340; auch bei den Vertretern der h.M. sind insoweit Einschränkungen zu finden, so vertritt Steinmeyer RdA 1992, 6 ff - 11 f., daß die Betriebspartner nur eine Normsetzungsbefugnis für die Berufsausübung und nicht für die Berufswahl hätten.
S Beathalter
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
zips mit der Wesentlichkeitstheorie vereinbar. Da die fehlende gesetzliche Regelung von Ermächtigungstatbeständen und damit von gesetzgeberischen Grundentscheidungen über den Umfang der mittelbaren Übertragung von Rechtsetzungsmacht durch den staatlichen Geltungsbefehl für grundrechtsintensive Eingriffe im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie nicht genügt, können die Arbeitnehmer benachteiligende Eingriffe mit §§ 77 Abs. 3; 88 BetrVG nicht gerechtfertigt werden174 • Daher sind zwei Einschränkungen zu beachten. Zum einen muß der Günstigkeitsvergleich, soweit er im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie eine notwendige Beschränkung der Eingriffsmacht in die Individualrechte der Arbeitnehmer herbeiführt, ausnahmslos individuell erfolgen. Der vom Großen Senat vorgesehene kollektive Günstigkeitsvergleich l75 bei einem Eingriff in individualvertragliche Rechte auf betriebliche Altersversorgung, der von Anfang an heftige Kritik in der Literatur hervorgerufen hae 76 , ist somit unhaltbar l71 • Zum anderen ist bei sogenannten "neutralen" Regelun174 So auch m.w.N. Richardi ZfA 1992,307 ff. - 320 ff.; ders. RdA 1983,201 ff., den Vorrang der Privatautonomie betont. Soweit teilweise erwogen wird, diesen Mangel durch ein subjektives Wahlrecht des einzelnen Arbeitnehmers zwischen der Kollektiv- und seiner Individualregelung und somit durch dessen Zustimmung zu beheben, ist dieser Ansatz durchaus geeignet, verfassungsrechtIiche Bedenken zu beseitigen. Im Betriebsverfassungsgesetz ist ein solches Wahlrecht de lege lata nicht vorgezeichnet. Ob man daher in quasi verfassungskonformer Auslegung solcher Betriebsvereinbarungen dem Arbeitnehmer ein entsprechendes Wahlrecht einfach einräumen kann, oder ob die Betriebspartner dies selbst ausdrücklich vorsehen müssen, damit die Betriebsvereinbarung nicht wegen Überschreitung der Rechtsetzungsmacht nichtig ist, erscheint fragwürdig. Es würde den Rahmen der Arbeit sprengen, dieser Frage weiter nachzugehen. 175 BA GE 53, 42 ff. - 65 ff. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; zustimmend Voigt, kollektiver Günstigkeitsvergleich insbesondere S. 112 ff. Oe facto wollte das BAG ohnehin das zwischenzeitlich von der überwiegenden Meinung beerdigte Ordnungsprinzip (-zu diesem m.w.N. Dietz / Richardi, BetrVG § 77 Rz.121; Voigt, kollektiver Günstigkeitsvergleich S. 52 ff.; Darauf stützte sich noch BAGE 3, 274 = AP Nr. I zu § 32 SchwBeschG; BAG AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt; vgl. auch Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 295 ff ) zwischen Kollektivnormen und kollektiven Individualnormen aus praktischen Gründen hiermit erhalten; so wie es dies bereits zuvor mit dem Ablösungsprinzip (zu diesem m.w.N. Voigt, kollektiver Günstigkeitsvergleich S. 55 ff.; Dietz / Richardi, BetrVG § 77 Rz. 122) - damals nur noch deutlicher - wollte - vgl. BAG AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt. Aus gleichen Gründen kommt auch keine "Iückenftillende" Auslegung in Betracht, die die Betriebspartner wegen des kollektiven Bezugs von Einheitsregelungen zu nachteiligen Eingriffen in die Individualverträge berechtigen würde - so aber Löwisch OB 1983, 1709 ff. - 1710. 176 RichardiNZA 1990,331 ff.; ders. Gutachten B zum 61. DIT, S. 86; Blomeyer, FS Hilger / Stumpf 1983, S. 52 f.; vgl. auch ders. RdA 1983, 201 ff. - 206; Joost RdA 1989 7 ff - 18 ff., inbesondere 24 f.; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 221 ff. 17i' Nach der hier vertretenen Theorie von der privaten Rechtsetzung kann ein solcher Eingriff in Individualrechte LS.d. Wesentlichkeitstheorie nur zulässig sein, soweit diese Gestaltungsmacht den Betriebspartnem eröffnet worden ist. Insoweit kann bei Gesamtzusagen allenfalls eine konkludent erlaubte Ablösung in Betracht kommen, so etwa
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gen, wenn also deren GÜßstigkeit objektiv nicht feststellbar ist, der Selbstbestimmung der Arbeitnehmer der Vorrang einzuräumen 178 • Hieraus folgt etwa, daß bei einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit durch eine Betriebsvereinbarung es den Arbeitnehmern freisteht, individuell mit dem Arbeitgeber eine längere Arbeitszeit zu vereinbaren bzw. auf die Einhaltung einer früheren Vereinbarung zu bestehen, um mehr Lohn zu erhalten. Damit ist anband der §§ 77 Abs. 3, 87 f. BetrVG aufgezeigt worden, daß der staatliche Geltungsbefehl in den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes einer Auslegung zugänglich ist, die mit der Wesentlichkeitstheorie vereinbart werden kann179 • Die Theorie privater Rechtsetzung verbunden mit der staatlichen Anerkennung vermag daher im Betriebsverfassungsrecht die normative Wirkung überzeugend zu begründen. So verbleibt allein die Frage, ob auch im Tarifbereich die Erstreckung des Geltungsbefehls gemäß § 3 Abs. 2 TVG auf Außenseiter legitimiert werden kann I 80. Bei § 3 Abs. 2 TVG fehlen wie bei §§ 77 Abs. 3, 88 BetrVG nahezu jegliche gesetzgeberische Vorgaben. Daher könnte man wie bei §§ 77 Abs. 3, Löwisch Anm. zu BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. Die Macht der Betriebspartner, in die durch die Gesamtzusage vereinbarten Individualregelungen auch nachteilig einzugreifen, würde dann aus der Selbstbeschränkung der Einzelvertragsbestimmungen folgen. Dies kann m.E. jedoch nur unterstellt werden, wenn die Arbeitnehmer darauf hingewiesen wurden oder ihnen durch die Umstände (Aushang am schwarzen Brett) bekannt sein mußte, daß ihre Individualregelung im Betrieb kollektiv für alle gelten soll, andernfalls ist ein solcher Vorbehalt reine Fiktion; so auch Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 306; Voigt, kollektiver Günstigkeitsvergleich S. 47 ff.; vgl. zu diesen Überlegungen m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 223f./ 226; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 126; Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 12 ff.; Richardi RdA 1983, 201 ff. - 210 f.; ders. NZA 1990, 331 ff.-333; Leinemann DB 1990, 732 ff. - 736 f. Fehlt eine solche Eingriffsberechtigung, kommt eine Änderung nur durch die Änderungskündigung in Betracht, so auch Blomeyer FS Hi/ger I Stumpf 1983, S. 52 f.; Canaris RdA 1974, 18 ff. - 25 f.; Leinemann BB 1989, 1905 ff. - 1911f; denkbar dürfte für Altverträge aber aus Arbeitgebersicht ein Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen Rechtsprechungswandel (Aufgabe Ordnungs- und Ablösungsprinzip) sein, bei im Wege der Anpassung ein Änderungsvorbehalt fingiert wird - so Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht S. 145 ff. - 156 f. 178 So auch Kramer, Michael DB 1994, 426 f. - 427; tendenziell wohl auch GKBetrVG, Wiese § 87 Rz. 14. 179 Die Ausführungen zu § 88 BetrVG gelten für § 28 Abs. 2 SprAuG sinngemäß. 180 Entsprechend hielt Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 214 f. die Bestimmung des § 3 Abs. 2 TVG nach ihrem Wortlaut für verfassungswidrig und hat eine nach seiner Sicht verfassungskonforme Auslegung gewählt - vgl zuletzt Richardi Gutachten B zum 61. DJT, S. 66ff.; Bedenken äußern auch v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 17f.; Zöllner RdA 1962, 453ff, 458; ders., Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 22 f.; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 102; Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 68, wegen Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter, Buchner a.a.O. aber auch wegen Verstoßes gegen die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten und ihrer Verbände.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
88 BetrVG annehmen, belastende Eingriffe - wie etwa die Einführung von Torkontrollen - seien im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie immer ungerechtfertigt und nichtig l81 • Dabei würde jedoch vernachlässigt, daß die Verfassung mit dem Schutz der positiven Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG auch der Tätigkeit dieser Verbände einen besonderen Rang innerhalb des Gemeinwesens eingeräumt hat. § 3 Abs. 2 TVG betrifft Interessenlagen, in denen eine Regelung grundsätzlich nur einheitlich ergehen kann. Wie bereits erwähnt, folgt dies bei den betriebsverfassungsrechtlichen Normen schon aus der Tatsache, daß die Betriebsverfassung die Belegschaft als Gesamtheit erfaßt und sich daher eine Trennung in Gewerkschaftsmitglieder und Nichtorganisierte verbietet, was der Gesetzgeber in § 75 BetrVG sogar ausdrücklich festgehalten hat. Bei betriebsverfassungsrechtlichen Normen wird die Wesentlichkeitstheorie solange nicht verletzt, wie das GÜllStigkeitsprinzip umfänglich erhalten wird l82 • Dann führt die tarifliche Ermächtigung der Betriebspartner nur zu einer die Arbeitnehmer begünstigenden Ausweitung der betrieblichen Schutzebene. Soll hingegen auch der Vorrang ungünstigerer Regelungen, etwa die Einführung von Kurzarbeit, ermöglicht werden, ist nach hiesiger Auffassung die mittelbare Erstreckung der Tarifmacht auf die Außenseiter mangels mitgliedschaftlicher Legitimation nicht mehr zu rechtfertigen183 • Bei Betriebsnormen muß es sich nach heute ganz überwiegender Ansicht in Abgrenzung zu Abschluß- und Inhaltsnormen um Bestimmungen handeln, die 181 So insbesondere Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 214 f., der Zugriffe aber im Bereich des "betrieblichen Rechtsverhältnisses" zulassen will - aaO. S. 224 ff. - 236 f.; sowie Zöllner RdA 1962,453 ff. - 456 f., der aber eine einseitige Bindung des Arbeitgebers bei § 3 Abs. 2 TVG unterstellt; vgl oben S. 36 f. I Soweit man unter Berufung auf die Theorie der notwendigen Mitbestimmung sogar individuell vereinbarte und nicht nur vom Arbeitgeber gemachte Gesamtzusagen flir unwirksam hält, wäre die Erweiterung freilich nicht mehr mit der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter vereinbar Richardi Gutachten B zum 61. DJT, S. 75 ff. Bei tariflicher Regelung der Organisation der Betriebsverfassung ist § 3 BetrVG zu beachten. Hierzu ausflihrIich Kempen, FS Schaub 357 ff. 183 Wank NJW 1996,2273 ff. - 2280 ff.; Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 137, der allerdings erwägt, eine solche Delegation bei einzelvertraglicher Bezugnahme zuzulassen. Doch geht diese Erwägung fehl. Besteht eine einzelvertragliche Bezugnahme bedarf es ohnehin keiner Erstreckung der Rechtsetzungsmacht über § 3 Abs. 2 TVG. Fehlt sie bei einem Arbeitnehmer, kann sie nicht durch eine bei den übrigen Arbeitnehmern vorhandene Bezugnahme ersetzt werden; vgl ferner Reuter ZfA 1995, 1 ff.- 45 ff. Ob eine solche Delegation überhaupt zulässig sein kann, oder wegen Verstoßes gegen ein Prinzip der "Tarifverantwortung" seitens der Tarifpartner und dem Gebot der koalitionspolitischen Neutralität seitens des Betriebsrates bzw. ohnehin unzulässig ist so etwa Rieble RdA 1996, 151 ff. - 153 f.; vgl. auch Stege / Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 6a / 7 - kann flir die vorliegende Arbeit dahinstehen. Soweit nicht nur Rechte und Pflichten der Betriebspartner untereinander besonderen Interessenlagen angepaßt werden sollen, spricht allerdings einiges flir eine solche Begrenzung.
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aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können und deren Aufnahme in den einzelnen Arbeitsverträgen evident sachlogisch unzweckmäßig wäre l84 • Durch die weitergehende Erfassung Nichtorganisierter nach § 3 Abs. 2 TVG beabsichtigt somit der Gesetzgeber eine Verwirklichung der Betätigungsgarantie der Verbände aus Art. 9 Abs. 3 GG 185 auch in solchen Angelegenheiten, die von den Tarifpartnern gerade nur bei einer solchen Erstreckung überhaupt geregelt werden können. Daher beinhaltet § 3 Abs. 2 TVG die Entscheidung des Gesetzgebers, im Rahmen der praktischen Konkordanz die Betätigungsgarantie der am Tarifvertrag beteiligten Verbände und ihrer Mitglieder der negativen Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten vorzuziehen, wenn die Geltung von der Zugehörigkeit zur Gewerkschaft unabhängig sein muß 186 • Da § 3 Abs. 2 TVG nur eine allgemeine Entscheidung des Gesetzgebers darstellt und keine konkreten gesetzlichen Vorgaben enthält, muß allerdings im Einzelfall in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift geprüft werden, ob die Regelung der Tarifpartner entsprechend der Lehre der praktischen Konkordanz l87 nach Anlaß, Ziel etc. noch erforder-
184 BAG AP Nr. 47 zu Art. 9 GG = NZA 1987, 233; BAGE 64, 368 ff. -383 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG=NZA 1990, 850ff=DB 1990, 1919ff; ausführlichm.w.N. Säcker I Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 143 ff.; Löwisch I Rieble, TVG § 1 Rz. 80 ff.; ; Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 718 ff. Nach dem hiesigen Normverständnis wird zutreffend eine Beschränkung auf Fälle der notwendiger Weise betriebseinheitlichen Regelung gefordert - Schwarze, Der Betriebsrat im Dienste der Tarifvertragsparteien S. 177 ff.; Otto, Hansjörg NZA 1992, 92 ff. - 102. Unhaltbar ist insoweit die neuere Entscheidung des BAG NZA 1996, 1214 ff., daß im Zirkelschluß argumentiert hat. Es begründete die Zulässigkeit einer tariflichen Bestimmung, daß die Geschäftsräume zu Sylvester geschlossen bleiben müßten damit, daß die Tarifpartner erkennbar nicht ein individuelles Arbeitsverbot für die tarifgebundenen Mitglieder sondern eine betriebsorganisatorische Maßnahme treffen wollten. Eine solche könne nur als Betriebsnorm geschaffen werden. Da aber die betriebsorganisatorische Maßnahme letztlich nur die Beschreibung der Rechtsfolgen einer Betriebsnorm ist, läuft diese Argumentation auf nichts anderes hinaus, als daß eine Betriebsnorm zulässig ist, wenn eine Betriebsnorm gewollt ist. Dabei ist im vorliegenden Fall offenkundig, daß die Wahl der Betriebsnorm allein darauf abzielte, die Außenseiter mit zu erfassen. 185 Dies erscheint um so mehr denkbar, als das BVerfG sich zuletzt veraniaßt sah, festzustellen, daß diese Betätigungsgarantie nicht nur im Kernbereich verfassungsrechtlich geschützt ist. Vielmehr ist sie grundsätzlich geschützt und im Kernbereich gemäß Art. 19 Abs. 2 GG sogar nahezu unantastbar, BVerfG NJW 1996, 1201 f. 186 Vgl. Säcker I Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 144 f.; Schwarze, Der Betriebsrat im Dienste der Tarifvertragsparteien S. 196 ff. Dies verkennt insbesondere Kempen AuR 1980, 193 ff. - 199, wenn er eine Beschränkung des § 3 Abs. 2 auf Fälle der unumgänglich einheitlichen Regelung für den Betrieb mit der Begründung ablehnt, daß hierdurch die Tarifautonomie entgegen der ratio legis des § 3 Abs. 2 TVG eingeschränkt, statt erweitert würde. Tatsächlich wäre aber ohne § 3 Abs. 2 TVG überhaupt kein Zugriff auf Außenseiter zulässig, weil die Tarifautonomie grundsätzlich nur gegenüber Mitgliedern legitimieren kann, was bereits in dem Wortende "autonomie" deutlich wird. 187 Hanau, Hans RdA 1996,158 ff. - 178.
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lich und angemessen ist l88 • Insbesondere dürfen nicht über Betriebsnormen Verbote umgesetzt werden, die als Inhaltsnormen durch günstigere Individualabsprachen verdrängt würden und deren kollektive Geltung nicht - wie etwa beim Rauchverbot - unerläßlich ise 89 • Im Ergebnis bedeutet dies, daß anders als bei §§ 77 Abs. 3, 88 BetrVG auch belastende Eingriffe wie Torkontrollen vereinbart werden können, wenn Anlaß und Umfang der Einführung im Einzelfall keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit darstellen. Somit kann festgehalten werden, daß die Theorie privater Rechtsetzung verbunden mit deren staatlichen Anerkennung auch mit § 3 Abs. 2 TVG vereinbar ist und die normative Wirkung der Gesamtvereinbarungen zu begründen vermag. Sie zwingt allerdings zu einem vorsichtigen Umgang mit der Rechtsetzungsmacht gegenüber Außenseitern im Tarifbereich und im gesamten Betriebsverfassungsrecht. Dieses die kollektive Rechtsetzungsmacht be-
188 Ähnlich Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 135 ff. 141 ff. Die sog. qualitativen Besetzungsregelungen der Druckindustrie, bei denen bestimmte Arbeiten nur an qualifizierte Fachkräfte übertragen werden durften, obwohl diese Arbeiten auch aufgrund des technischen Fortschritts von Hilfskräften verrichtet werden können, wäre daher nur zu rechtfertigen gewesen, wenn durch den Einsatz der Fachkräfte nachweislich Gefahren oder Störungen des betrieblichen Ablaufs etc. gedroht hätten. Daher sind diese Regelungen entgegen BAGE 44, 141 = AP Nr. 1 zu § I TVG Tarifverträge, Druckindustrie zum Tarifvertrag über die Einführung und Anwendung rechnergesteuerter Systeme v. 20.03.1978 (RTS-TV); BAG AP NT. 57 zu Art. 9 GG = DB 1990, 1919 ff; AP Nr. 67 zu Art. 12 GG zum MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie (MTV Druck) nicht mehr mit der Wesentlichkeitstheorie zu vereinbaren. so auch m.w.N. Hanau, Hans RdA 1996, 158 ff. - 181; Das Bundesverfassungsgericht hat wegen dieser Bedenken die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG zur Entscheidung angenommen. Soweit Kempen AuR 1980, 193 ff - 202 der Ansicht ist, die Berufsfreiheit sei durch die Tarifautonomie von vornherein beschränkt, ist dies mit der allgemeingültigen Vorstellung der praktischen Konkordanz unvereinbar, wonach gerade kein Grundrecht einem anderen vorgeht, sondern diese in Wechselwirkung zueinander treten und beide möglichst effektiv zu wahren sind. Bei dieser Betrachtung würde hingegen die negative Koalitionsfreiheit praktisch aufgehoben und der Betätigungsgarantie vollständig geopfert. Vgl auch die Erwägungen von Söllner NZA 1996, 897 ff - 905 f. 189 Zu Recht lehnt daher Löwisch DB 1989, 1185 ff. - 1186 f; ders. BB 1991,59 ff. 61; ders. in MünchArbR, § 265 Rz. 21 f einen generellen Ausschluß der GünstigkeitspTÜfung für Betriebsnormen, etwa bei einem Verbot der Samstagsarbeit, ab. M.E. dürfte aber beim Verbot der Samstagsarbeit bereits eine Betriebsnorm unzulässig sein, weil der Schutz der organisierten Arbeitnehmer über negative Individualnormen möglich ist und daher ein Bedürfnis zur Einbeziehung der Außenseiter gerade nicht besteht. Überzeugend auch die Ausführungen von Schüren RdA 1988, 138 ff. - 142 ff., der insbesondere am Fall des Leber-Kompromisses die Gefahren und Legitimationsdefizite einer Erstreckung der Tarifgeltung auf Außenseiter darlegt.
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schränkende Ergebnis spricht keineswegs gegen diese Ansiche 90 • Vielmehr ist diese Folge im Sinne des Parlamentsvorbehalts sogar geboten. Diese Theorie überzeugt schließlich dadurch, daß sie der Wirklichkeit entsprechend bei privater Rechtsetzung davon ausgehen kann, daß die Parteien in erster Linie ihre eigenen Belange und nicht öffentliche Interessen verfolgen, so wie es bei delegierter Rechtsetzung der Fall sein SOll191. Die normative Wirkung der Gesamtvereinbarungen ist also auf eine private Rechtsetzung verbunden mit einem staatlichem Geltungsbefehl zurückzuführen.
n. Zugehörigkeit der Gesamtvereinbarungen zum Privatrecht Neben der Problematik, wie die normative Wirkung dogmatisch einzuordnen ist, wird auch die Frage diskutiert, ob die Gesamtvereinbarungen dem öffentlichen oder dem Privatrecht zuzuordnen sind.
1. Tarifvertrag Beim Tarifvertrag will eine Mindermeinung unter Anwendung der Subjektstheorie 192 den normativen Teil in das öffentliche Recht verweisen l93 • Sie geht davon aus, daß der normative Teil echte Rechtssätze erzeugt. Die Tarifparteien übten insoweit übertragene Rechtsetzungsbefugnis aus. Da unsere Rechtsordnung die Rechtsetzungsbefugnis bei den Trägem hoheitlicher 190 So betont auch das Bundesverfassungsgericht, daß die Tarifparteien im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG prinzipiell nur zur Rechtsetzung gegenüber Mitgliedern berechtigt sein können. BVerfGE 44 322 ff. - 347; BVerfGE 64, 208 ff. - 215; ausführlich m.w.N. Schüren RdA 1988, 138 ff. Zu weitgehend Reuter FS Schaub 605 ff. - 613 fI., der § 3 Abs. 2 TVG wegen Verstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit der Nichtmitglieder für verfassungswidrig hält ohne die Regeln der praktischen Konkordanz zu berücksichtigen. 191 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 145 f.; zu der hieran anknüpfenden Frage der Gemeinwohlbindung der Tarifpartner wird noch ausführlich einzugehen sein; vgl. im Dritten Teil unter IV 2 a - Seite 300 ff. 192 Nach dieser Theorie ist entscheidend, ob wenigstens ein Beteiligter gerade in seiner Eigenschaft als Träger von "Hoheitsgewalt" betroffen ist, so etwa m.w.N. Larenz, AT des BGB, § 1 S. 3 Fn 2. Zu den einzelnen Unterscheidungstheorien zwischen öffentlichem und privatem Recht vgl. Heidelbach, Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht im Arbeitsrecht, S. 13 ff. 193 Nikisch, ArbR 11, S. 216 ff; Streng, Tarifvertrag und Einze1arbeitsverhältnis S. 30, 35f.; vermittelnd Heide/bach, Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht im Arbeitsrecht, S. 102, der eine Einzelprüfung für jede konkrete Rechtsfrage verlangt, dem Streit gleichwohl keine praktische Bedeutung beim ißt.
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Gewalt monopolisiere, müßten die Tarifpartner insoweit als Hoheitsträger tätig werden, so daß der normative Teil nach der Subjektstheorie dem öffentlichen Recht zuzuordnen sei 194 • Denkbar wäre auch nach der Interessentheorie l95 aus dem häufig beschworenen Postulat, daß die Tarifpartner im öffentlichen Interesse agierten, eine Zuordnung zum öffentlichen Recht abzuleiten 196 • Früher wurde aus der normativen Wirkung sogar gefolgert, der Tarifvertrag sei ein öffentlich-rechtlicher Vertrag 197 , eine echte Rechtsverordnung oder gar ein Gesetz, da Normen mit unabdingbarer Wirkung nur öffentlichrechtlich aufgestellt werden könnten l98 • Nachdem die normative Wirkung Folge einer privaten Rechtsetzung ist, kann diese Argumentation nicht überzeugen. Vielmehr ist zu betonen, daß die Zulassung tariflicher Rechtsetzung zwar indirekt auch das öffentliche Interesse an der Sicherung einer menschenwürdigen und gleichberechtigten Stellung des Arbeitnehmers in der Gesellschaft fördern mag, Primärzweck tariflicher Regelungen ist allein der Interessenausgleich zwischen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite auf kollektiver Ebene über die Rechte und Pflichten in den Individualverträgen l99 • Tarifliche Regelungen sichern also Privatinteressen und entsprechen allenfalls mittelbar Allgemeininteressen2OO • Diese mittelbare Wirkung ist zur Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht unbrauchbar. Mittelbar besteht an jeder vom Gesetz erlaubten privatrechtlichen Regelung ein Gesamtinteresse, andernfalls vom Gesetzgeber die gesetzlich vorgesehene privatautonome Vertragsordnung gar nicht erlassen worden wäre 20I • Der Tarifvertrag ist folglich Teil des Privatrechtes202 •
194 Nikisch, ArbR III, S. 219; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. 2 § 94 II 3 S. 432; Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis S. 30, 35f.; entsprechend hat Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen S. 28 f., die Tarifparteien als öffentliche Verbände eingeordnet. 195 Nach der Interessentheorie ist entscheidend, ob eine Regelung überwiegend im Interesse der Allgemeinheit oder einzelner Privater erfolgt, vgl. Larenz, AT des BGB, § I S.2. 196 Vgl. die Überlegung Hofbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge S. 22 f., der dies aber selbst ablehnt. 197 Nikisch, ArbR 11, S. 218; Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 35 f. 198 Vgl. m.w.N. Darstellung und Kritik bei Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts S. 258 f. und 271 f.; sowie Hofbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge S. 15 f. 199 Hofbauer, Rechtscharakter der Tarifverträge S. 22 f. 200 Picker ZfA 1986, 199 ff. - 222. 201 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre S. 294. 202 So denn auch die h.M. BVerfGE 34, 307 ff. - 316 = AP Nr. 7 zu § 19 HAG; BAG AP Nr. 18 zu Art. 3 GG; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie S. 32 f; Hueck, AIfred/ Nipperdey, ArbR III1 § 1811,341; Ramm JZ 1962,78; Wiedemann/ Stumpf, TVG § I Rz. 15; Koberskil Clasen! Menzel, TVG § I Rz. 227.
A. Rechtliche Einordnung der Gesamtvereinbarungen
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2. Betriebsvereinbarung Bei Betriebsvereinbarungen herrschte zunächst die Meinung vor, sie gehörten zum öffentlichen Recht203 • Nachdem die normative Wirkung bei Gesamtvereinbarungenaus einer privaten Rechtsetzung folgt, ist hiermit wie schon beim Tarifvertrag eine Zuordnung zum öffentlichen Recht nicht zu begründen. Neben der normativen Wirkung wurde darauf abgestellt, daß die demokratische Wahl eines Repräsentanten erfolge, der weisungsfrei ist. Die RepräsentantensteIlung ist dem Privatrecht etwa in Form des Testamentsvollstreckers oder Konkursverwalters durchaus geläufig. Die demokratische Wahl dient dazu, eine betriebliche Arbeitnehmervertretung zu legitimieren, welch~ die Interessen der gesamten Belegschaft wahrnimmt204 • Dies allein kann keine Zuordnung in das öffentliche Recht begründen. Mag die betriebliche Mitbestimmung aus dem Postulat des Sozialstaatsprinzips erfolgen, so soll das BetrVG zunächst die Übermacht des Arbeitgebers auf betrieblicher Ebene beschränken und dient demnach vornehmlich dem Schutz der Arbeitnehmer vor Mißbrauch seiner privaten Gestaltungsmacht205 • Das gleiche gilt, wenn im Rahmen der Ausgleichsfunktion der Betriebsverfassung die Macht oder Bevorzugung einzelner Kollegen im Interesse der übrigen Belegschaft zurückgedrängt werden so1l206. Damit erfolgt die betriebliche Mitbestimmung vornehmlich im Interesse der Arbeitnehmer und dient nur mittelbar dem Gemeinwohl, so wie es auch im sonstigen Privatrecht der Fall ist. Daher ist die Betriebsverfassung samt Betriebsvereinbarung mit der heute ganz h.M. dem Privatrecht zuzuordnen207 . Dies hat auch für die Einigungsstelle und ihrem der Betriebsvereinbarung gleichgestellten Spruch zu gelten. Sie ist ein gesetzlich strukturiertes, aber gleichwohl privates Organ - wie etwa 203 RGZ 107, 224ff.; RGZ 108, 167 ff.; RAG 5, 510 ff.; RAG 10, 12 ff.; Molitor, Erich FS Herschel 1955, S. 108; FlatowIKahn-Freund, Betriebsrätegesetz, S. 32f.; vgl. m.w.N. Darstellung bei Staudinger-Richardi, Vor § 611 Rz. 1335 und GK-BetrVG, Wiese Einl. Rz. 56 ff.; zum BetrVG 1972 wohl nur noch Erdmann/JürginglKammann, BetrVG 1972, § 1 Anm. 8; für eine jeweilige einzelne Zuordnung der verschiedenen Rechte und Pflichten Heidelbach, Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht im Arbeitsrecht, S. 101. 204 Zu dem Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmer vgl. m.w.N. Heinze ZfA 1988, 53 ff. - 55 ff. insbesondere 64 f. 205 Vgl. m.w.N. Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 79 ff- 90. 206 Vgl. m.w.N. Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 90 ff. 207 Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht, S. 492f.; Staudinger-Richardi, Vor § 611 Rz. 1430 f.; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 1 Rz. 230 f.; MünchArbR v.Hoyningen-Huene, § 289 Rz. 79 ff.; vgl. m.w.N. GK-BetrVG,- Wiese Einl. Rz. 55 ff. 66 I Kreutz, § 1 Rz. 6 ff. - 11; nunmehr offengelassen bei Hessl Schlochauerl Glaubitz, BetrVG vor § I Rz. 15, die in der Vorauflage noch der Zurodnung zum öffentlichen Recht folgten - BetrVG 3. Aufl. vor § 1 Rz. 15 ff.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
auch die Gläubigerversammlung im Konkursrecht -, weil sie von Privaten besetzt und im privatrechtlichen Bereich tätig wird208 •
m. Der Rechtscharakter der Gesamtvereinbarungen Auch die letzte Facette der Rechtsnatur von Gesamtvereinbarungen, nämlich die Frage der Einordnung ihres Rechtscharakters als Vertrag, Satzung o.ä., kann nunmehr unter der Maßgabe geklärt werden, daß diese private Rechtsetzung aufgrund staatlicher Autorisierung darstellen.
1. Rechtscharakter der Betriebsvereinbarung Die Betriebsvereinbarung als eine gemeinsame Absprache von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene wurde durch das BRG von 1920 eingeführt. Der Gesetzgeber hat hier ein privates Rechtsetzungsinstitut etabliert und anders als im Tarifrecht nicht auf gewachsene Strukturen zurückgegriffen209 • Mangels genauer Bestimmung im BRG entbrannte ein Streit über den Rechtscharakter der Betriebsvereinbarung. Die verschiedenen Meinungen können im wesentlichen in zwei Gruppen geschieden werden, bei denen jeweils zwei Modifikationen bestehen. Dies sind die Satzungs- und Beschlußtheorie einerseits, die beide von einem bestehenden Betriebsverband ausgehen21O , der sich mit den Betriebsvereinbarungen eine eigene Betriebsordnung in Form der Satzung schafft. Auf der anderen Seite stehen die Vertrags- und Vereinbarungstheorie, die einen solchen einheitlichen Verband ablehnen und lediglich einen Interessenausgleich zwischen den Betriebspartnem annehmen2ll . Der Betrieb wird dabei also nicht zu einem einheitlichen Verband 208 Vgl. m.w.N. BVerwG, DVBI. 1984, 49-50; Riehardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 15; Kirehhoff, Private Rechtsetzung, S. 224 f. 209 Das Gesetz selbst hatte zwar für dieses Institut keinen Begriff festgelegt, vielmehr wurde der Begriff "Betriebsvereinbarung" von Flatow -in Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung- in die juristische Diskussion eingeführt. 210 Hersehel RdA 1948,47 ff; ders. RdA 1956, 161 ff.; ders., Überindividualrechtliche Elemente, S. 255f.; ders. Arbeitsrecht S. 67; ähnlich Galperin BB 1949, 374 ff.; Galperin-Siebert BetrVG 1952, § 52 Rz. 23; Adomeit BB 1962, 1246 ff., weniger klar Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 146; Neumann-Duesberg RdA 1958, 372; Stege/ Weinspach, BetrvG § 77 Rz. 2; heute vornehmlich Reuter RdA 1991, 193 ff.; ders. ZfA 1993,221 ff.; Leinemann DB 1990,732 ff. - 735; Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 77 ff. 211 GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 31 f.; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 77 Rz. 13 f.; Heinze NZA 1994, 580; Däublerl Kittner/ Klebe, BetrVG § 77 Rz. 7 f; Riehardi, BetrVG § 77 Rz. 23ff.-25; MünchArbR Matthes, § 319 Rz. 1; TravlosTzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 57 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 16; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 183 f;
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verschmolzen. Durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 wurde zwar der Begriff Betriebsvereinbarung in den Gesetzestext übernommen. Der Gesetzgeber ließ die Frage nach dem Rechtscharakter offen. Auch die heutige Regelung in § 77 BetrVG hat zwar die wesentlichen Streitfragen der normativen Wirkung, des Kündigungsrechtes und der Nachwirkung in den Absätzen 4 bis 6 weitestgehend entschieden. Die Frage nach dem Charakter der Betriebsvereinbarung selbst ist jedoch nicht durch eine ausdrückliche Aussage des Gesetzgebers beendet worden2l2 •
a) Satzungstheorie und Beschlußtheorie Die Satzungstheorie wurde von Herschel entwickelt213 • Nach seiner Ansicht zeigt sich die Existenz eines solchen Verbandes "Betrieb" schon am Namen des Gesetzes, das von einer Betriebsverfassung spricht2 14 • Weiterhin sei selbst § 77 BetrVG mit "Gemeinsame Beschlüsse" überschrieben und zudem hieß es in § 52 BetrVG 52, daß die Betriebspartner die Betriebsvereinbarungen "gemeinsam beschließen"; von vertraglichem Angebot und Annahme also keine Spur215 • Neben dem Wortlaut wird auf die rechtliche Behandlung des Betriebes verwiesen. Insbesondere der Umstand, daß bei seinem Übergang die Arbeitsverträge gemäß § 613 a BGB mit dem Erwerber fortgelten, zeige die Existenz eines Verbandes "Betrieb" deutlich. Diese Regelung könne nicht erklärt werden, wenn man den Betrieb nur als eine zufällige Zusammenfassung vieler Einzelarbeitsverträge verstünde. Vielmehr erweise er hierdurch seinen Charakter als körperschaftsähnliches Ganzes, bei dem die Mitgliedschaft selbst von personellen Änderungen auf Seiten des Inhabers unberührt bleibe l6 • Schließlich habe der Staat mit dem Betriebsverfassungsgesetz dem Betrieb als Verband die Autonomie übertragen, seine Angelegenheiten selbst durch Satzung zu regeln. Das Abschlußverfahren beim Erlaß der Betriebsordnung entspreche dabei einem Zweikammerverfahren. Ähnlich dem Gesetzgebungsverfahren, in dem Bundestag und Bundesrat zwei übereinstimmende BeschlüsBesgen, Dietmar/Bleistein, Betriebsverfassungsrecht, Rz. 337; Hessl Sehloehauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 4 ff. - 5 f. 212 Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 52. 213 Hersehel RdA 1948,47 ff; ders. RdA 1956,161 ff; ders. FS Küchenhoff, S. 255 f; ders. Arbeitsrecht S. 67; ähnlich Galperin BB 1949,374 ff.; Galperin-Siebert, BetrVG 1952, § 52 Rz. 23; heute vornehmlich Reuter RdA 1991, 193 ff.; ders. ZfA 1993, 221 ff.; Leinemann DB 1990, 732 ff. - 735. 214 Hersehel RdA 1956, 167 f. 215 Hersehel FS Küchenhoff , S. 255. 216 HersehelRdA 1956, 166.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
se fassen, damit ein Gesetz wirksam entsteht, bedarf die Betriebsvereinbarung zwei gleichwertiger und gleichlautender Beschlüsse durch die Arbeitgeberunq Arbeitnehmerseite, die insoweit als Organe des Verbandes "Betrieb" tätig werden217 • Daß es sich um eine betriebliche Satzung und nicht um einen Vertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat handele, zeige sich ferner daran, daß nicht die Arbeitnehmer selbst, als Schuldner der zu regelnden Arbeitsverträge, sondern ein von ihnen gewählter Repräsentant, nämlich der Betriebsrat, über Abschluß und Inhalt entscheidet. Diese personelle Abweichung von Abschließenden und Unterworfenem der Vereinbarung sei dem Vertragsrecht des BGB unbekannt. Im BGB folgen die Vertragspflichten immer aus der autonomen rechtsgeschäftlichen Selbstbindung. Das Zivilrecht kenne eine Bindung an den Vertragsinhalt, den ein anderer abgeschlossen hat, nur im Rahmen der Vertretung und des Vertrages zugunsten Dritter. Auch dabei bedürfe es einer Bevollmächtigung oder Zustimmung und die Vertragsparteien könnten den Vertrag später jederzeit abändern. Insbesondere die normative Wirkung widerspreche somit der Auffassung, daß die Betriebsvereinbarung ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sei. Das Betriebsverfassungsgesetz verstand Hersehel deshalb als eine gesetzliche Grundsatzung, die durch Betriebsvereinbarungen ergänzt und modifIziert werden kann218 • Insoweit gab es nach seiner Ansicht auch keine obligatorischen Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Diese seien vielmehr entweder die normativ wirkende Modifizierung der Betriebsverfassung - wie bei Erweiterung der Mitwirkungsrechte - oder deren gesetzliche Rechtsfolgen - wie insbesondere bei der Durchführungspflicht -. Die Ansicht Hersehels, daß der Abschluß der Betriebsvereinbarung - vergleichbar dem Zweikammersystem bei der Bundesgesetzgebung - durch zwei gleichlautende Beschlüsse der Organe Arbeitgeber und Betriebsrat erfolge, war scharfer Kritik ausgesetzt. Häufig steht auf Arbeitgeberseite nur ein einzelner Arbeitgeber oder Vertreter der Arbeitgeberseite, der, wenn man Hersehel folgen würde, in einem inneren Akt der Willensbildung einen "Beschluß" fassen muß. Bei Kleinbetrieben, wo es nur einen Betriebsobmann gibt, müßte dies auch noch für die Arbeitnehmerseite gelten. Da ein Beschluß grundSätzlich mehrere Willenserklärungen voraussetzt, könne eine innere Willens bildung keinen Beschluß darstellen. Die Konzeption Hersehels ist deshalb als gekünstelt abzulehnen. Herschel RdA 1948,47 ff.; ders. RdA 1956, 168. Herschel RdA 1948,47 ff.; ders. RdA 1956, 168; so auch Leinemann DB 1990, 732 ff. - 735. 217 218
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Diesem Mangel der Satzungstheorie will die Beschlußtheorie entgehen219 , indem sie das Abschlußverfahren anders begreift. Nach ihr kommt die Betriebsvereinbarung durch die übereinstimmende und gleichlautende Willensbekundung von Betriebsrat und Arbeitgeber zustande, was als ein Beschluß im rechtstechnischen Sinne zu verstehen sei220 • Diese Theorie faßt damit ebenso wie Herschel die Betriebsvereinbarung als eine Satzung des Betriebsverbandes auf. b) Die Vertrags- und die Vereinbarungstheorie Der Satzungs- und Beschlußtheorie steht die ganz h.M. entgegen. Sie geht von einem Vertrag im Sinne des. §§ 145 ff BGB aus 221 • Dies entspreche insbesondere dem natürlichen Interessengegensatz zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Daß die Betriebspartner gemäß den § 2 Abs. 1 BetrVG und § 74 Abs. 1 BetrVG vertrauensvoll zusammenwirken sollen, bestimme nur den Rahmen, in dem jede Partei ihre Interessen verfolge. Der tatsächliche Interessengegensatz werde hierdurch nicht in Frage gestellt222 • Das gesamte Regelungswerk des BetrVG ziele erkennbar gerade auf den Ausgleich der bipolaren Interessen ab. Nur der Vertrag als Prozeß des "Sich-Einigens" werde darum dem Rechtscharakter der Betriebsvereinbarung gerecht223 • Soweit der Vertragstheorie die normative Wirkung entgegengehalten wird, müsse darauf verwiesen werden, daß diese heute aufgrund einer Anknüpfung an den Vertrags abschluß durch den Gesetzgeber in § 77 Abs. 4 BetrVG erfolge. Hieraus könne man keine Schlüsse über den Rechtscharakter des Abschlusses ziehen. Auch die Überschrift "Durchführung gemeinsamer Beschlüsse" über § 77 BetrVG sei insoweit irreführend. Dies zeige sich daran, daß der WortAdomeit BB 1962, 1246 ff., weniger klar Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 146. Neumann-Duesberg RdA 1958, 372; Stege / Weinspach, BetrvG § 77 Rz. 2; neuerdings wohl auch Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 77 ff.; Adomeit BB 1962, 1248 f. 221 GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 31 f.; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 13 f.; Heinze NZA 1994, 580; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz. 7 f; Richardi, BetrVG § 77 Rz. 23 ff.-25; MünchArbR-Matthes, § 319 Rz. 1; TravlosTzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 57 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 16; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 183 f.; Besgen, Dietmar/B/eistein, Betriebsverfassungsrecht, Rz. 337; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz 4 ff.-5 f; Hueck I Nipperdey ArbR 1l/2 § 65 E VI 1275. 222 GK-BetrVG, Kraft § 2 Rz. 12 ff.; vgl. Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 14; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 2 Rz. 6; Hueck I Nipperdey ArbR 11 I 2 § 65 E III, 1273. 223 GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 32; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 15 f.; Canaris AuR 1966, 129 ff. - 140; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz.14. 219
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laut "gemeinsame Beschlüsse" in § 52 Abs. 1 BetrVG 52 nunmehr in § 77 Abs. 1 BetrVG durch "Vereinbarungen" ersetzt worden ist. Die Grundthese der Satzungs- und Beschlußtheorie, daß der Betrieb ein rechtlicher Verband sei, wäre überdies wirklichkeitsfremd. Im Abschluß und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Ein- und Austritt aus dem Verband erblicken zu müssen, verstoße gegen den individualrechtlichen Charakter des Arbeitsvertrages. Insbesondere müsse ein Verband auch einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Das allgemeine Interesse am Wohlergehen des Betriebes oder einer guten Betriebsordnung könne hierbei kaum überzeugen. Eine solche soziale Bewertung des Betriebes, in dem die Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit untergehen, widerspreche der Wirklichkeit und sei keinesfalls rechtlich durch das Betriebsverfassungsgesetz untermauert worden. Die Vereinbarungstheorie geht auf eine grundlegende Arbeit Flatows zur Betriebsräteordnung zurück und erklärt den Namen Betriebsvereinbarung, den er im Rahmen seiner Darstellung entwickelte224 • Sie versteht die Betriebsvereinbarung als einen Vertrag im weiteren Sinne. Da beim Abschluß einer Betriebsvereinbarung nicht zwei korrespondierende anderslautende, sondern zwei gleichlautende Willenserklärungen abgegeben werden, handele es sich nicht um einen Vertrag im engeren Sinne, wie z.B. der Kaufvertrag einer ist, sondern um ein aliud, das Flatow Vereinbarung nannte. Es sollte also nur eine andere Begrifflichkeit entwickelt werden. Da die Vereinbarungstheorie also von einem Vertrag im weiteren Sinne ausgeht, kann sie im Rahmen dieser Untersuchung der Vertragstheorie zugeordnet und hier unberücksichtigt bleiben225 • c) Stellungnahme Der Gesetzgeber hat bis heute keine ausdrückliche Entscheidung zur Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung getroffen, was auch nicht seine Aufgabe ist. Der Streit um den Wortlaut ist vordergründig 226 , da insoweit Begriffe wie "beschlossen" zunächst mit dem eigenen- Wertverständnis belegt werden, um anschließend dem Gesetzgeber die eigene Wertvorstellung zu unterstellen. Genausowenig kann darauf abgestellt werden, daß der Gesetzgeber nunmehr in § 77 Abs. 1 BetrVG von Vereinbarungen statt von gemeinsamen Beschlüssen spriche 27 • Insgesamt ist mit der Annahme systematischer Entscheidungen Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 32, der zutreffend feststellt, daß dieser Unterscheidung keine rechtliche Bedeutung zukommt. 2 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 15; Hueck / Nipperdey ArbR 111 2 § 65 E III, 1273. • 227 So etwa GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 31. 224
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des historischen Gesetzgebers äußerste Zurückhaltung geboten, da das Betriebsverfassungsgesetz vornehmlich eine pragmatische Kompromißlösung in einer politisch umstrittenen Materie waf28 • Es muß daher nach dogmatischen Gründen für eine Einordnung gesucht werden. Ein wesentlicher Gesichtspunkt der Beschlußtheorie soll der Umstand sein, daß die normative Wirkung gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG mit einem rechtsgeschäftlichen Vertrag des Privatrechts unvereinbar ist, weil sie eine Rechtsetzung über Dritte beinhalte. Eine solche Regelungsmacht, wie sie § 77 Abs. 4 BetrVG erzeugt, kenne das BGB lediglich im Rahmen des Vereinsrechts und zwar in der Form der Satzung. Diese Rechtsetzung von Privaten über Dritte sei dort durch die vorherige Unterwerfung legitimiert, die der Vereinsbeitritt beinhalte. Die von den Betriebspartnern erlassenen Rechtssätze seien deshalb nach den Grundsätzen des BGB allein als Satzung zu erklären229 • Indes ist nach der hier vertretenen Theorie der privaten Rechtsetzung die Betriebsvereinbarung ein Gestaltungsmittel, dessen normative Wirkung erst auf den staatlichen Geltungsbefehl zurückgeht. Ein Satzungscharakter ist also damit nicht zu begründen. Entgegen dem allgemeinen Vertragsrecht kennt die Betriebsverfassung keine Wahl des Vertragspartners. Im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung besteht sogar durch das Einigungsstellenverfahren eine betriebliche Zwangsschlichtung, soweit nur ein Betriebspartner dies will. Beides ist der Vertragsfreiheit des BGB fremd und könnte gegen die Vertragstheorie sprechen. Das Betriebsverfassungsrecht dient von seiner Konzeption dazu, individualvertraglich eingeräumte Arbeitgeberrechte durch Schaffung einer kollektiven Schutzebene zu beschränken. Die Einführung einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung verfolgt hierbei den Zweck, neben der überbetrieblichen gewerkschaftlichen auch eine betriebliche Schutzebene zu installieren, die bei der Entscheidungsfmdung zu beteiligen ist. Insoweit mußte das Betriebsverfassungsgesetz an den Betrieb anknüpfen. Aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit konnte es nicht die Gewerkschaften zum Vertragspartner des Arbeitgebers machen. Vielmehr wurde der Betriebsrat als demokratisch legitimiertes Organ ihm als Verhandlungs- und Vertragsgegner gegenübergestellt. Demzufolge mußte letztlich eine Zuweisung - mangels Ausweichmöglichkeit - an die Betriebspartner erfolgen. Die fehlende Wahl des Vertragspartners ist also logische Folge der Einführung einer betrieblichen Ebene, die nichts über die Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung aussagt.
228 229
Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 23. Hiergegen allerdings schon Bickel ZfA 1971, 181 ff. - 188 f.
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Nachdem das Betriebsverfassungsgesetz zum Zwecke eines verbesserten Arbeitnehmerschutzes die zwingende Mitbestimmung eingeführt und gleichzeitig die absolute Friedenspflicht der Betriebspartner in § 74 Abs. 2 BetrVG fortgeschrieben hatte, mußte es ein Mittel für den Fall der Nichteinigung bereitstellen2JO • Folglich kann auch nicht im Hinblick auf das Einigungsstellenverfahren auf die Rechtsnatur geschlossen werden. Andererseits könnte man daran denken, daß die Bestimmung des § 77 Abs. 5 BetrVG, wonach die ordentliche Kündigung mit dreimonatiger Frist erlaubt wird, den vertraglichen Charakter beweise23 !. Während Satzungen grundsätzlich nur vom Satzungsgeber - hier also die Betriebspartner gemeinsam bzw. die Einigungsstelle - erlassen, geändert oder aufgehoben werden können, ist die Kündigung dogmatisch ein typisches Gestaltungsmittel des Vertragsrechts. Allerdings könnte der Gesetzgeber eine atypische Regelung getroffen haben, und das "Kündigungsrecht" wäre in Wirklichkeit ein falsch bezeichnetes einseitiges Aufuebungsrecht. Ein solches einseitiges Recht ist allerdings ein im Satzungsrecht untypisches Element232 • Das Kündigungsrecht spricht deshalb für eine vertragliche Rechtsnatur. Diese Einordnung ist noch nicht zwingend. Die Vertreter der Vertragstheorie stützen sich hauptsächlich darauf, daß das Betriebsverfassungsrecht den bipolaren Interessengegensatz der Betriebspartner regele und auszugleichen suche, der nur die Einordnung der Betriebsvereinbarung als Vertrag zulassen soll233. Prämisse dieser Begründung ist, daß Satzungen einen solchen Interessengegensatz nicht kennen. Indes muß man darauf verweisen, daß die Satzungen der Sozialversicherungen von Vertretern der versicherten Arbeitnehmer und Vertretern der beitragspflichtigen Arbeitgeber erlassen werden. Ist deren Gestaltungsspielraum durch die Sozialgesetzgebung zwar heutzutage sehr begrenzt, so kann dennoch ernsthaft ein bestehender bipolarer Interessenkonflikt nicht geleugnet werden. Weiterhin ist zu beachten, daß der Erlaß von Satzungen und sonstige Verbandsentscheidungen regelmäßig nicht durch das zuständige Organ einstimmig beschlossen wird (vgl. § 33 Abs. 1 BGB). Die Regelung, wonach eine Mehrheitsentscheidung genügt, damit begründen zu wollen, daß im Einzelfall Unklarheit über die Verwirklichung des allen gemeinsamen Interesses bestehen Vgl. Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 15. Vgl. etwa Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 6. 232 Auf diesen Gesichtspunkt hat schon Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 257, bei seiner Ablehnung der genossenschaftlichen Rechtstheorie hingewiesen; Adomeit hat daher vor Einflihrung des § 77 Abs. 5 BetrVG 1972 im Rahmen seiner Beschlußtheorie die Kündbarkeit von Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen - BB 19621250 f. 233 GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 32. 230 231
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könne, kann in einer pluralistischen Gesellschaft nicht überzeugen. Vielmehr soll der Mehrheitsbeschluß bei Satzungen und sonstigen Verbandsbeschlüssen gerade dazu dienen, trotz verschiedener und gegensätzlicher Interessen dennoch eine gültige Entscheidung zu erzielen, was häufig einen Komprorniß zwischen den Beteiligten und damit ein "Sich-Einigen" erfordert. Eine Satzung wird deshalb nicht durch Interessengegensätze der Beteiligten ausgeschlossen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, daß Satzungsautonomie regelmäßig dort notwendig ist, wo in einem Verband unterschiedliche Interessen bestehen und Mehrheiten genügen müssen, weil ein völliges "Sich-Einigen" aller nicht zu erwarten ist. Diese Situation liegt auch in der Betriebsverfassung vor, wo eine Vielzahl divergierender Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen berücksichtigt werden soll. Dies gilt umso mehr als die Belegschaft keine homogene Masse von Arbeitsproduktionsmitteln, sondern eine rechtliche Zwangsgemeinschaft menschlicher Individuen mit eigenen Zielen, Wertvorstellungen und Lebenssituationen ise34 • Der Interessengegensatz zwischen den Betriebspartnern kann somit nicht über die Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung entscheiden; im Gegenteil scheint die faktische Zwangsgemeinschaft für die Satzungstheorie zu sprechen. Die Satzung wird als ein Rechtsakt verstanden, mit dem ein Verband autonom seine innere Ordnung festlegt. Der Vertrag in seinem Grundmodell ist hingegen die autonome Selbstbindung zwischen Beteiligten, die sich im allgemeinen Rechtsverkehr gegenüberstehen. Insoweit erscheint eine abschliessende Entscheidung zwischen Vertrags- und Satzungstheorie über die Verbandseigenschaft möglich. Allerdings wäre im Falle eines Betriebsverbandes die Einordnung als Satzung nicht zwingend, weil auch der Gesellschaftsvertrag nach den §§ 705 ff BGB ein Vertrag ist. Mag der BGB-Gesetzgeber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts noch nicht als eigenständige Korporation, sondern nur als Vertrag der Gesellschafter verstanden haben, so ist das inzwischen gewandelte Verständnis nicht abzustreiten, wOI).ach ein solcher Vertrag die innere Ordnung eines Verbandes regelt. Während ein Vertrag somit die innere Ordnung eines Verbandes festlegen kann, ist dies die einzig vorgesehene Aufgabe einer Satzung. Demnach handelt es sich bei einer Betriebsvereinbarung um einen Vertrag, wenn der Betrieb kein Verband ist, während bei der Annahme eines Verbandes eine zwingende Lösung nicht ersichtlich ist. Jedoch dürfte in diesem Fall wegen der vielseitigen Interessengegensätze die Einordnung als Satzung vorzugswürdig erscheinen.
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s.o. unter AI 3 b - Seite 37 ff.; ferner unten Zweiter Teil F II 1 b - Seite 216 ff.
6 Beathalter
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aa) Betrieb als echter Verband
Ein Verband - auch als Körperschaft bezeichnet - liegt vor, wenn sich eine Mehrheit von Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammengeschlossen hat. Dieser Zusammenschluß muß darüber hinaus einen einheitlichen Namen tragen und vom Wechsel der Mitglieder, also vom jeweiligen Mitgliederbestand, in seiner Existenz unabhängig sein. Schließlich hat der Verband eine korporative Organisation und eine Satzung235 • Für die Frage der Verbandseigenschaft ist es hingegen unerheblich, ob die Mitgliedschaft freiwillig oder zwangsweise bzw. von Gesetzes wegen begründet wird. Das Betriebsverfassungsgesetz ist gemäß § 1 BetrVG nur auf Betriebe von mindestens fünf Arbeitnehmern anwendbar. Da begrifflich unter einem Betrieb die Zusammenfassung von sächlichen und personellen Produktionsmitteln verstanden wird, handelt es sich um einen Zusammenschluß mehrerer Personen236 • Dieser führt einen einheitlichen Namen, nämlich die Firma. Allerdings gibt es bei einem in mehrere örtliche Betriebe aufgeteilten Unternehmen keine differenzierten Namen. Da das Betriebsverfassungsgesetz an den Betrieb und nicht an das Unternehmen anknüpft, spricht dies gegen einen Verband. Man könnte sich hier jedoch durch die Angabe der Örtlichkeit beim Firmennamen behelfen. Der Betrieb weist mit dem Betriebsrat als Arbeitnehmerrepräsentanten, der Arbeitgeberseite als Gegenpart und der Regelung der Beteiligung bei den anfallenden Geschäften der betrieblichen Mitbestimmung eine korporative Organisation auf 37 • Weiterhin ist er durch die Bestimmung des § 613a BGB der Bestand vom Wechsel des Betriebsinhabers auf Arbeitgeberseite unabhängig. Auf Arbeitnehmerseite muß nur die Mindestzahl der Arbeitnehmer gemäß § 1 BetrVG bei einer Veränderung der konkreten Arbeitnehmerschaft erhalten bleiben, damit das Betriebsverfassungsgesetz greift. Auch die Amtsstellung des Betriebsrates ist von dem Wechsel einzelner Belegschaftsmitglieder unabhängig. Somit läßt ein Mitgliederwechsel den Betrieb und seine korporative Organisation in ihrer Existenz unberührt238 • 235 RG 143,213; BGH LM § 31 BGB Nr. 11; Münch, Art. 9 Rz. 24 ff.; PalandtHeinrichs, Einf. v. § 21 Rz. 7; vgl. Darstellung m.w.N. bei Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 50ff. 236 Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 86 ff. 237 Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 46; Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 104 ff. 238 Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 102ff.
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Nach der Satzungs- und Beschlußtheorie ist schließlich das BetrVG - modifiziert durch die Betriebsvereinbarungen - die Satzung der Körperschaft "Betrieb"239. Folglich hängt das Vorliegen eines Verbandes davon ab, ob der Zusammenschluß trotz möglicher Interessengegensätze letztlich einen einheitlichen Zweck verfolgt. Die Vertreter der Satzungs- und Beschlußtheorie wollen diesen in der Schaffung einer vernünftigen Ordnung zur Verwaltung betrieblicher Angelegenheiten erblicken. Indessen ist der h.M. zuzugeben, daß das BetrVG vornehmlich die Rechtsrnacht des Arbeitgebers, insbesondere sein Direktionsrecht, beschränkt, welche ihm nach den Individualverträgen mit den Arbeitnehmern zukommt. Deshalb ist es normalerweise Ziel des Arbeitgebers, seine Rechtsrnacht möglichst zur Unternehmensleitung wiederherzustellen bzw. im Rahmen der Leitung weitestgehend seine unternehmerischen Zielsetzungen ungehindert zu verfolgen. Er verhandelt mit der Betriebsvertretung vornehmlich zu dem Zweck, eine wirksame Unternehmensführung unter Durchsetzung seiner Interessen zu erreichen. Der Betriebsrat als Repräsentant der Arbeitnehmer verfolgt demgegenüber das Ziel, eine willkürliche bzw. allein am Arbeitgeberinteresse ausgerichtete Unternehmensführung einzuschränken und gegenläufige Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen. Soweit diese Interessen in Widerstreit geraten, wird der Interessengegensatz offenkundig. Spätestens bei Entgeltfragen erscheint die Berufung auf eine "gute Ordnung" dabei nur noch als "gekünstelte sozialromantische bzw. rechtspolitische Forderung "240. Genauso könnte man dann sagen, daß Verkäufer und Käufer den gemeinsamen Zweck eines guten Kaufvertrages verfolgen. Teilweise wird als Zweck auch von einer Förderung des Betriebswohls bzw. des verfolgten wirtschaftlichen Zwecks ausgegangen. Besonders deutlich wird dieser Gedanke bei Reuter, wenn er ausführt, die geschuldete Arbeitnehmerleistung sei heutzutage in der sozialen Wirklichkeit der Betriebe eine Integrationsleistung bzw. die Zusammenarbeit mit anderen bei der Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe. Entsprechend soll der versprochene Lohn sogar vorrangig nicht mehr als von Marktknappheit bestimmtes Entgelt, sondern als Mittel zur Förderung der Integrationsbereitschaft anzusehen sein241 . Besonders wichtig wäre dieser gemeinsame Zweck bei fmanzerheblichen Fragen. Mag auch der Fortbestand des Betriebes beiden Seiten nutzen, wird der Betriebsrat dennoch bemüht sein, der Belegschaft einen möglichst großen Anteil am Ertrag zu verschaffen, während der Arbeitgeber die Kosten des 239 240 241
Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 108 f. Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 53. Reuter ZfA 1993,221 ff. - 228 f.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Faktors Arbeit einschließlich der Folgelasten betrieblicher Einigung gering halten will. Demnach kann auch insoweit nicht von einem gemeinsamen Zweck im Sinne einer Förderung des Betriebswohls ausgegangen werden. Vielmehr findet hier in den vom Betriebsverfassungsgesetz gezogenen Grenzen ein ständiger Verteilungskampf zwischen den Partnern statt. Dem steht auch nicht die Behauptung Reuters entgegen, der betriebliche Lohn und die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit würden bewußt zur Motivation der Arbeitnehmer eingesetzt, um deren Integrationsleistung zu fördern242 • Abgesehen davon, daß Reuter für diese soziologische Behauptung den empirischen Nachweis schuldig bleibt, würde, selbst wenn man dies als Regel unterstellen wollte, es nicht den Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. Arbeitnehmern aufheben. Der Arbeitgeber wird auch dann einen Wert suchen und festlegen wollen, der noch zur Motivation genügt, während der Betriebsrat bzw. die Arbeitnehmer weiterhin ein möglichst hohes Entgelt anstreben. Wegen dieses Interessengegensatzes überzeugt auch nicht die von Reuter gezogene Konsequenz, der Arbeitsvertrag sei bei einem Betrieb eigentlich gar nicht mehr der Abschluß eines schuldrechtlichen Austauschvertrages, sondern ein mitgliedschaftlicher Beitritt des Arbeitnehmers zum Arbeitsverband "Betrieb ,,243 • Der Arbeitnehmer mag zwar ein Organisationsgebilde mit einem eigenständigen Regelwerk vorfmden und oft abgesehen vom Lohn und einigen Nebenfragen nur die Wahl des "take it or leave it" haben. Gleichwohl leistet er seine "Integrationsleistung" in erster Linie, um das vom Arbeitgeber versprochene Entgelt zu verdienen. Und auch der Arbeitgeber zahlt den Lohn, um die Gegenleistung des Arbeitnehmers zu erhalten. Daß der Lohn dabei nicht eine tayloristische Gegenleistung für einen bestimmten Arbeitserfolg, sondern ein Entgelt für die Integrationsleistung ist, mit anderen zur Verfolgung eines gemeinsamen Arbeitserfolges zusammenzuarbeiten, unterscheidet den Arbeitsvertrag als Unterfall des Dienstvertrages vom Werkvertrag. Daher ist es entgegen Reuter nicht wirklichkeitsfremd, wenn man den Arbeitsvertrag als Austauschvertrag auffaßt; im Gegenteil überspannt Reuter die Bedeutung von eventuellen Motiven, die den Arbeitgeber bewegt haben mögen, diesen und nicht jenen Lohn zu versprechen. Folglich ist realiter kein gemeinsamer Zweck vorhanden, den der "Betriebsverband " verfolgen könnte244 •
Reuter RdA 1991, 193 ff. - 197; ZfA 1993,221 ff. Reuter RdA 1991, 193 ff. - 197; ders. ZfA 1993, 221ff.-251; ders ZfA 1995, 1 ff. - 33 ff.; ders. FS Schaub 605 ff. - 626 ff. 244 Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 53; Müller, Gerhard AuR 1992,257 ff. - 257; vgl. auch v. Hoyningen-Huene,NZA 1989, 121 ff. - 124; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 32. 242 243
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bb) Betrieb als Verband aujgrund gesetzlicher Fiktion Nebel meint, dieser erforderliche gemeinsame Zweck könnte zumindest durch das Betriebsverfassungsgesetz an die Betriebspartner herangetragen worden sein245 • Der Betrieb sei somit ein gesetzlicher Zwangsverband, der die Partner zur Schaffung einer guten Ordnung und gemeinsamen Verfolgung des Betriebswohls verpflichtet. Dieser Zweck wäre danach gesetzlich auferlegt, also de facto vom Gesetzgeber fmgiert. Hierfür könnte insbesondere die Bestimmung des § 2 Abs. 1 BetrVG sprechen, der die Betriebspartner zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes verpflichtee46 • Eine solche Fiktion des gemeinsamen Zwecks "Gute Betriebsordnung und Betriebswohl " kann auch nicht mehr mit dem Argument abgelehnt werden, dies sei wirklichkeitsfremd. Fiktionen liegen schließlich aus der Natur der Sache nur vor, wenn etwas unterstellt werden soll, das tatsächlich nicht zutrifft. Doch setzt diese Überlegung eine entsprechende bewußte Entscheidung des Gesetzgebers zumindest als systemnotwendige Folge seiner Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes voraus. Der Gesetzgeber hat gerade keine Entscheidung zwischen Vertrags- und Satzungstheorien getroffen. Insoweit stellt § 2 Abs. 1 BetrVG zwar keinen bloßen Programms atz auf. Doch folgen· aus diesem grundsätzlich auch keine eigenständigen Rechte und Pflichten, sondern er ist lediglich bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der anderweitig in der Betriebsverfassung vorgesehenen Rechte und Pflichten zu beachten247 • Dementsprechend wurde in den Gesetzesberatungen ein Antrag der CDU/CSU Fraktion, dem Arbeitgeber Initiativrechte zur Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Arbeitnehmervertretungen einzuräumen, mit der Begründung verworfen, dies würde trotz des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit dem natürlichen Interessengegensatz zwischen Belegschaft und Arbeitgeber widersprechen248 • Der Gesetzgeber wollte somit weder einen gemeinschaftlichen Zweck noch einen Verband fmgieren. Folglich müßte sich aus den gesetzlichen Bestimmungen eine Notwendigkeit für eine solche Fiktion ergeben, die man dann im Sinne einer Lückenschließung anzunehmen hätte. Nebel, Nonnen des Betriebsverbandes, S. 89 ff. Nebel, Nonnen des Betriebsverbandes, S. 93 ff.; gegen ein solches Verständnis des ~ 2 Abs. 1 BetrVG Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 235 ff.- 239. 2 Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 62 f.; GK-BetrVG, Kraft § 2 Rz. 7; Hanau, Peter/ Adomeit Arbeitsrecht S. 116 f.; Hess/ Schlochauer/ Glaubitz - Hess, BetrVG § 2 Rz. 19; Stege / Weinspach, BetrVG § 2 Rz. 6; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 2 Rz. 10; Gnade/ Kehrmann! Schneider! Blanke! Klebe, BetrVG § 2 Rz. 3; ausfUhrlich Heinze ZfA 1988, 53 ff. -71 ff. 248 Betriebsverfassungsgesetz - Aus der ersten, zweiten und dritten Beratung des deutschen Bundestages, herausgegeben vom Presse- und Infonnationszentrum des Deutschen Bundestages, Bonn 1972, S. 200 Rz. 4.1.7. 245
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Der Erfolg einer solchen Fiktion wäre zunächst, daß tatsächlich ein Verband "Betrieb" gesetzlich konstituiert würde. Nachdem die normative Wirkung jedoch schon anderweitig erklärt werden kann, ist die Schaffung eines besonderen Verbandes hierfür nicht notwendig. Denkbar wäre mit der zwangsverbandlichen Zusammenfassung belastende Eingriffe auch von einiger Erheblichkeit in die Individualverträge, und zwar über § 88 BetrVG in allen Angelegenheiten, mitgliedschaftlich zu rechtfertigen, die - und wenn nur mittelbar - die kollektiven Interessen des Betriebsverbandes berühren249 • Entsprechend versucht Nebel, mit der verbandlichen Einordnung die Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts2SO dogmatisch zu legitimieren, wonach die Betriebspartner nach § 88 BetrVG im Rahmen eines kollektiven Günstigkeitsvergleichs berechtigt sein sollen, negativ in individuelle Regelungen über eine betriebliche Altersversorgung einzugreifen2sl • Auch in der aktuellen Diskussion um eine Öffnung der Tarifverträge für betriebliche Regelungen, insbesondere über elementare Fragen wie die Lohnhöhe, wird teilweise auf die demokratisch legitimierte Macht des Betriebsrates und seine Funktion als Organ der gesamten Belegschaft abgestellt2S2 , was ebenfalls nur bei einem Verbandsverständnis möglich ist. Den Betrieb als rechtlichen Zwangsverband und nicht nur als faktische Zwangsgemeinschaft aufzufassen, könnte also eine noch weitergehende Rechtsetzungsmacht der Betriebspartner begründen, als die h.M. ohnehin schon vertritt253 • Es stellt sich die Frage, ob ein solches Verständnis mit der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG und der Wesentlichkeitstheorie vereinbar ist. Wenn der Betrieb ein Verband wäre, müßte er jedenfalls unter Art. 9 Abs. 3 GG subsumiert werden, weil diese Mitbestimmung gerade zur Förderung von Wirtschafts- und insbesondere Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer im Betrieb dient. Der Arbeitnehmer würde folglich mit dem Eintritt in den Betrieb automatisch auch einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG beitreten. Weil die Mitgliedschaft unabdingbare Rechtsfolge 249 So dann auch Reuter ZfA 1995, 1 ff. - 68 f., der die Arbeitnehmer insoweit mit Minderheitsgesellschaftern vergleicht. 250 BAGE 53, 42 ff - 65 ff. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. 251 Ähnlich Reuter ZfA 1993,221 ff. - 232 ff. und 252, der zwar den kollektiven Günstigkeitsvergleich zu Recht als Widerspruch in sich ansieht, allerdings ausdrücklich betont, daß der betriebliche Lohn als Verbandsregelung kolIektivrechtIicher Natur und daher ohne weiteres von den Betriebspartnern auch nachteilig veränderbar sei; weitergehend behauptet er sogar in RdA 1991, 193 ff. - 197, daß der Lohn nur noch kollektiv verhandlungsfahig sei. 252 Ehmann ZRP 1996, 314 ff.; ders.l Lambrich NZA 1996, 346 ff. 253 Leinemann folgert hieraus ausdrücklich, daß das Günstigkeitsprinzip auf freiwillige Betriebsvereinbarungen keine Anwendung findet, DB 1990, 735ff.
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der Arbeitsaufnahme und damit des Abschlusses eines individuellen Arbeitsvertrages wäre, kann von einem freiwilligen Verbandsbeitritt nicht mehr die Rede sein. Dem Arbeitnehmer fehlt die Wahlmöglichkeit, dem Verband nicht anzugehören254 • Damit ist die negative Koalitionsfreiheit offensichtlich tangiert. Ein solch schwerwiegender Eingriff, der die negative Koalitionsfreiheit in einem elementaren organisatorischen Bereich ausschliessen würde, ist nur aus ganz besonderen Gründen zu rechtfertigen. Dies muß umso mehr gelten, als Art. 9 Abs. 3 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält und darüber hinaus sogar das einzige Grundrecht ist, das auch für Private unmittelbar untereinander gilt (Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG -sog. unmittelbare Drittwirkung). Letzteres dokumentiert in besonderem Maße, welche Bedeutung diesem Grundrecht im Grundgesetz innewohnt. Daher ist es entgegen Nebel 255 schon im Ansatz verfehlt, auf die Grundsätze zurückzugreifen, die bei der Beurteilung anzuwenden sind, ob die Schaffung eines sonstigen Zwangsverbandes gegen die negative allgemeine Vereinsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG der Zwangsmitglieder verstößt. Schon deshalb ist ein gesetzlicher Zwangsverband fragwürdig. Entscheidend ist jedoch, daß die Regelungsmacht der Betriebspartner aufgrund der Wesentlichkeitstheorie beschränkt ist. Grundrechtsrelevante Entscheidungen sind also allein dem Gesetzgeber vorbehalten. Dieses Verfassungsgebot steht ihm nicht zur Disposition. Er kann daher nicht über einen Zwangsverband die verfassungsrechtlichen Schranken der Übertragung und Anerkennung privater Rechtsetzungsmacht umgehen256 • Solche Zwangsgebilde findet man bezeichnenderweise nur in unfreiheitlichen Staats systemen, etwa in der früheren DDR257 • Hieraus hat der BGH bei Zwangsverbänden abgeleitet, daß diese ihre Mitglieder nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen mitgliedschaftlieh binden können. Für weitergehende Aufgaben muß jedem einzelnen Mitglied das Recht belassen bleiben, eine allein auf die gesetzliche Regelung beschränkte Zwangsmitgliedschaft zu wählen258 • Folglich kann mit einem Zwangsverband nicht das Zugriffsrecht der Betriebspartner ausgeweitet werden. Die gesetzliche Schaffung eines Verbandes ist somit ohne jeden Nutzen und verstößt gegen das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Der Betrieb ist somit im Rahmen der Betriebsverfassung kein Zwangsverband, sondern nur eine faktische Zwangsgemeinschaft, was seine Bedeutung gerade bei der Reichweite der Rechtsetzungsmacht der Betriebspartner entfaltet. 254
Vgl. oben AI 3 b - Seite 37 ff.
Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 111 ff. 256 Vgl. BVerfGE 33, 125 ff.; ähnlich Zachert RdA 1996, 140 ff. - 142, wenn er 255
feststellt, daß Zwangsmitgliedschaften dem Demokratiegebot widersprechen würden. 257 Rieble RdA 1996,151 ff. - 153. 258 BGH NJW 1995, 2981 ff. - 2983f.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Demnach fehlt es für eine Charakterisierung der Betriebsvereinbarung als Satzung an einem Betriebsverband. Die Betriebsvereinbarung ist daher ein privatrechtlicher Vertrag.
2. Rechtscharakter des Tarifvertrages Auch beim Tarifvertrag wurde zunächst aus der sog. genossenschaftlichen Rechtstheorie heraus, wonach jeder menschliche Verband eine eigene originäre innere Rechtsetzungsautonomie habe 259 , darüber nachgedacht, ob er die Satzung eines konkludent mit ihm gegründeten Tarifverbandes sein könnte 26o • Hiermit wollte man Schwierigkeiten überbrücken, die vor dem Inkrafttreten der TVVO und des heutigen TVG bestanden, um eine zwingende Wirkung der tariflichen Absprachen zu begründen. Dieser Erklärungsansatz lag im Gegensatz zum Betriebsverfassungsrecht insoweit näher, als die Tarifpartner nur befugt sind, Mitglieder zu vertreten, welche freiwillig beigetreten sind. Die h.M. sieht hingegen seit jeher den Tarifvertrag als Vertrag im Sinne des §§ 145 ff. BGB an261 • Neben dem Gesetzeswortlaut, der eben von einem Vertrag spricht, hat diese Ansicht besonders hervorgehoben, daß anders als bei der Betriebsvereinbarung keine Partei zu einem Tarifvertragsschluß gezwungen werden kann. Vielmehr besteht rechtlich neben der Abschlußfreiheit insbesondere die Freiheit der Wahl des Partners, wenn dies auch praktisch durch die überwiegende Gliederung der Verbände nach Industriebereichen obsolet ist. Die freie Wahl des Tarifpartners würde nach der Satzungstheorie bedeuten, daß vor Abschluß des Tarifvertrages ein Gemeinschaftsverband der Tarifparteien entstehen und mit dem Ablauf des Tarifvertrages nicht nur die Satzung des Tarifverbandes, sondern dieser selbst aufhört zu existieren. Dies vermag nicht zu überzeugen, weil der Tarifvertrag in zwei Sachverhalte, nämlich Verbandsgründung und Satzungsgebung, aufgeteilt wird262 • Nachdem die normative Wirkung mittlerweile in § 4 Abs.l TVG durch gesetzliche Anordnung abgesichert wurde, ist der von seinen Anhängern erhoffte Vorteil einer satzungsrechtlichen Auffassung entfallen263 , weshalb sie heute nicht mehr vertreten wird. 259 Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. I S. 142; vgl. m.w.N. Jacabi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 140f., der diese Ansicht ablehnt. 260 Bags RdA 1956, 1 ff. - 5. 261 Wiedemannl Stumpf, TVG § 1 Rz. 10; Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 444; Jacabi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 255 ff. 257; Löwisch I Rieble, TVG § I Rz. 346. 262 So zu Recht Ramm JZ 1962, 78 ff. - 79. 263 Überzeugend hatte bereits Jacabi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 253 darauf hingewiesen, daß auch mit einem solchen fiktiven Verband die unabdingbare Wirkung
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen
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Es kann demnach festgehalten werden, daß sowohl Betriebsvereinbarung als auch Tarifvertrag Verträge im Sinne der §§ 145 ff BGB sind mit der Folge, daß die entsprechenden zivilrechtlichen Grundsätze subsidiär zu den spezialgesetzlichen Regelungen gelten264 • IV. Ergebnis 1. Die normative Wirkung der Gesamtvereinbarungen stellt einen gesetzlichen Geltungsbefehl dar, der zur Anerkennung der privaten Rechtsetzung durch die Tarif- bzw. Betriebspartner im Rahmen der staatlich garantierten Gesamtrechtsordnung führt. Dieser staatliche Geltungsbefehl ändert nichts am privaten Ursprung der Rechtsetzung. Die Gesamtvereinbarungen sind insbesondere ihrem Inhalt nach nicht - auch nicht mittels einer vermeintlichen Delegation - auf eine parlamentarische Entscheidung rückführbar und genügen daher grundSätzlich nicht im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie, um grundrechtsintensive Regelungen zu rechtfertigen. Eingriffe sind daher außerhalb der mitgliedschaftlichen Legitimation im Tarifbereich nur in engen Grenzen zulässig. 2. Die Gesamtvereinbarungen selbst sind privatrechtliche Verträge und folgen deren Regeln. Insbesondere gibt es keinen rechtlichen Betriebsverband, der sich im Rahmen der Betriebsverfassung durch die Betriebspartner eine eigene Satzung gibt. Daraus folgt, daß bei der weiteren Bearbeitung neben den speziellen gesetzlichen Regelungen im Tarifvertragsgesetz und Betriebsverfassungsgesetz auf die allgemeinen Prinzipien und Gestaltungsrechte des Vertragsrechts zurückzugreifen ist.
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen Bei jedem einseitigen Eingriff der Arbeitgeberseite in Gesamtvereinbarungen stellt sich die Frage, inwieweit dieser mit dem Vertrauen des kollektiven Vertragspartners und der unterworfenen Arbeitnehmer vereinbar ist.
nicht zu erklären sei. Dessen interne autonome Ordnung hätte nicht die Kraft haben können, die gesetzlich anerkannte bindende Wirkung der Willensübereinstimmung der Individualparteien zu beseitigen. 264 Vgl. statt vieler für Tarifvertrag Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 139 f.; für Betriebsvereinbarung Heinze NZA 1994, 580 ff - 580; nicht überzeugend ist Däubler, TVG Rz. 158, der die BGB-Vorschriften grundsätzlich nicht anwenden will, weil der Tarifvertrag einem Sonderregime folge. Da der Gesetzgeber die vertragliche Grundlage des Tarifwesens gewählt hat, fehlt für ein solches allgemeines Sonderregime jede Rechtsgrundlage.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Die Frage eines schützenswerten Vertrauens des Partners bei Gesamtvereinbarungen - also der Gewerkschaft oder des Betriebsrates - gehört schon in die Prüfung, ob der Arbeitgeberseite ein Recht zur einseitigen Einflußnahme zusteht. Das Vertrauen wird hierbei durch das Prinzip der Vertragstreue gewährleistet. Die Frage nach einseitigen Gestaltungsrechten und damit nach den Grenzen der Vertragsbindung ist somit ohne weiteres auch die Frage nach den Grenzen des Vertrauens schutzes der am Vertrag festhaltenden Partei. Sie bedarf daher keiner vorweggenommenen allgemeinen Erörterung, sondern ist der späteren Untersuchung immanent. Ein grundlegend anderes Problem ist, welcher Vertrauensschutz aufgrund der normativen Wirkung für die Arbeitnehmer zu beachten ist. Der Vertrauensgrundsatz wird als elementares Rechtsprinzip heute in allen Rechtsgebieten angewendet und muß gerade im Rahmen der Gesetzgebung eingehalten werden l . Insoweit ist es denkbar, daß dem Arbeitgeber hieraus bei der Ausübung etwaiger Gestaltungsrechte und einem damit verbundenen Eingriff in den normativen Regelungsbestand weitergehende Schranken erwachsen, als sie sich allein aufgrund der Vertragsbindung ergeben. Dabei sind drei Varianten zu trennen. Zum einen kann ein Eingriff in bereits erworbene Besitzstände der Normenunterworfenen erfolgen; des weiteren kann er allein in die Zukunft wirken. Schließlich ist an einen Eingriff zu denken, der zwar erst in der Zukunft wirkt aber gleichzeitig bereits in der Vergangenheit erworbene Hoffnungen und Anwartschaften vernichtet, bevor sie zum Besitzstand erstarkt sind. Aufgrund der Vertragsfreiheit der Kollektivpartner ist prinzipiell sowohl mit einern ersatzlosen Wegfall als auch mit einer ablösenden Neuregelung zu rechnen, die für die eine oder andere Seite Verschlechterungen herbeiführt. Folglich ist ein Vertrauensschutz für Regelungen abzulehnen, die allein in der Zukunft wirken. Er kann darum nur wegen vergangener und gegenwärtiger Vorgänge Beschränkungen erfordern2 •
I. Eingriff in erwachsene Besitzstände Vorab ist festzustellen, daß für die vorliegende Arbeit die Untersuchung der Schranken eines Eingriffs in Besitzstände genügt, die auf einer Gesamtvereinbarung beruhen. Allein diese können durch die einseitige, möglicherweise 1 Grundlegend zum Vertrauensschutz im Privatrecht, Canaris, Vertrauenshaftung 1971. 2 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 430; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 38 ff.
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rückwirkende Einwirkung der Arbeitgeberseite auf die zugrundeliegende Gesamtvereinbarung in Frage gestellt werden. Für kollektivvertragliche Eingriffe in originäre Individualrechte aus den Einzelarbeitsverhältnissen sei lediglich darauf hingewiesen, daß sie nach der hier vertretenen Theorie der privaten Rechtsetzung im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie selbst bei ex-nunc Wirkung nur bei mäßiger Intensität und in engen Grenzen in Betracht kommen können, während rückwirkende Eingriffe nahezu ausgeschlossen sein dürfte3 •
1. Ausschluß nach dem Gedanken des faktischen Arbeitsverhältnisses Zunächst könnte man denken4 , daß die rückwirkende Änderung erworbener Besitzstände durch einen Zugriff auf die zugrundeliegende Gesamtvereinbarung kein Problem des Arbeitsrechtes sei, weil im Individualarbeitsrecht grundsätzlich anerkannt ist, daß ein faktisch begonnenes Arbeitsverhältnis nur ex nunc aufgehoben werden kann5 • Diese Beschränkung beruht auf den Schwierigkeiten einer Rückabwicklung, insbesondere nach dem Bereicherungsrecht6 • Die geleistete Arbeit kann nicht zurückgewährt werden und ein Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB könnte dem Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB ausgesetzt sein, soweit die Dienste nicht einen gleichwertigen Erfolg hervorgerufen haben. Dieses Ergebnis würde dem Dienstvertragscharakter des Arbeitsverhältnisses widersprechen, wonach eben kein Erfolg sondern nur Dienste geschuldet werden. Soweit hier noch über Abhilfe durch eine entsprechende Auslegung der bereicherungsrechtlichen Begriffe nachgedacht wird, erscheint es insbesondere unangemessen, gewisse Schutzrechte des Arbeitsrechts rückwirkend entfallen zu lassen, wie etwa die beschränkte Arbeitnehmerhafiung7 • Diese Schwierigkeit einer angemessenen Rückabwicklung besteht hingegen nicht bei nachträglicher Änderung einer kollektiven Regelung. Diese ist ohne weiteres durchführbar, weil sie lediglich später das Austauschverhältnis verändert, ohne es als causa der gegenseitigen Leistungen und sonstigen Schutz3 Zur Klarstellung sei angemerkt, daß dies nur für echte einzelvertragliche Regelungen gilt. Zulässig ist hingegen etwa ein tariflicher Eingriff in tarifdispositive gesetzliche Regelungen, weil dies der Gesetzgeber dann im Gesetz gestattet hat. Genauso ist es denkbar, daß die Individualparteien ihre Regelung tarifdispositiv gestaltet haben. 4 So denn Bürger! Stübing ArbRBlattei (D) Wegfall der Geschäftsgrundlage C. für die Geschäftsgrundlagenstörung; m.w.N. Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 1216. 5 Flume, Das Rechtsgeschäft, § 8.3, S. 101f.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht S. 136 f.; ausführlich m.w.N. Picker ZfA 1981, 1 ff. 6 Brox BB 1964,523 ff. - 527; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 1216. 7 Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht S. 137.
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wirkungen in Frage zu stellen. Eine Gesamtabwicklung nach Bereicherungsrecht droht nicht. Insoweit greift also keine Beschränkung für rückwirkende Regelungen ein.
2. Meinungsstand zum Schutz vor rückwirkenden Eingriffen Das RAG hat die Auffassung vertreten, daß ein rückwirkender Eingriff in erworbene Besitzstände grundSätzlich uneingeschränkt möglich sei und insoweit auch eine rückwirkende Lohnherabsetzung - im konkreten Fall freilich nur für einen halben Monat - gebilligt. Ein Anspruch auf der Grundlage einer normativen Bestimmung einer Gesamtvereinbarung trage insoweit die Gefahr seiner rückwirkenden Veränderung in sichs. Es stellte also auf den vertraglichen Charakter der zugrundeliegenden Gesamtvereinbarung und damit auf die allgemeine Vertragsfreiheit des § 305 BGB ab. Dem trat Herschel mit seiner sog. Verfügungstheorie entgegen9 • Danach löst sich ein Individualanspruch, der in einem Arbeitsverhältnis erwächst, mit seiner Erstarkung zum Vollrecht vom zugrundeliegenden Arbeitsvertrag und geht in das Individualvermögen des Arbeitnehmers über. Mit dieser Verselbständigung wird der Individualanspruch in seinem Bestand vom zugrundeliegenden Arbeitsverhältnis genauso weitgehend unabhängig, wie ein Junges gegenüber seinem Muttertier 1o • Den Kollektivpartnern sei der Zugriff auf die sodann privaten Ansprüche des Arbeitnehmers verwehrt, weil sie nicht mehr in deren Regelungsmacht für die Arbeitsverhältnisse fallelI. Während Herschel allein auf die Entstehung des Vollrechts abgestellt hat, versuchte Siebert die Sicherung entstandener Individualrechte kollisionsrechtlich mit dem Schutzprinzip zu erklären und entwickelte die Argumentation von der kollektivfreien Individualsphäre l2 . Die individualbezogenen Rechtspositionen gingen im Rahmen der Günstigkeit, welches eine Konkretisierung des Schutzprinzips sei, einer verschlechternden Kollektivregelung vor. Er unterschied dabei ursprüngliche Individualrechte, die auf einer individualvertraglichen Grundlage beruhen, und die sog. "gewordenen Individualpositionen" . Letztere basieren zwar auf einer Gesamtvereinbarung, entscheidend sei jedoch, ob der entstandene Anspruch allein in den Rechtskreis der Individualsphäre und privaten Bedingungen falle 13 • Letztlich gelangt er damit zum selben Ergebnis wie Herschel, weil ein Individualanspruch gerade mit seiner RAGE 14,389; 14,398; ähnlich Sehwerdtner ZfA 1975, S. 205. Hersehe!, Tariffähigkeit und Tarifmacht, S. 45 ff. 10 Hersehe!, Tariffähigkeit und Tarifmacht, S. 49. 11 Hersehe!, Tariffähigkeit und Tarifmacht, S. 48. Dem schloß sich Stah!haeke RdA 1959, 266-269f. an. 12 Siebert FS Nipperdey 1955, S. 128 ff. 13 Siebert FS Nipperdey 1955, S. 127 u. 134. S
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Erstarkung zum Vollrecht in die Individualsphäre wechsele und sodann durch das Günstigkeitsprinzip vor einer verschlechternden rückwirkenden Regelung geschützt würde l4 • Säcker ergänzte diese Ansichten noch mit folgender Überlegung. Ein rückwirkender Eingriff in entstandene und bereits erfüllte Ansprüche sei - nach seiner Ansicht - unstreitig ausgeschlossen. Dann könne nichts anderes für noch nicht erfüllte Ansprüche gelten. Ansonsten würden die Arbeitgeber, die bereits ihre Leistungen erbracht, und die Arbeitnehmer, die ihre Ansprüche noch nicht durchsetzen konnten, gegenüber den anderen willkürlich benachteiligt l5 •
Karakatsanis schließlich stützte ein absolutes Rückwirkungsverbot darauf, daß eine Fremdbestimmung über einen Anspruch, der die individuellste rechtliche Institution darstelle, nur unter Verstoß gegen Art. 2 GG möglich sei. Würde man gleichwohl die Rückwirkung zulassen, so könnten die Kollektivpartner auf diesem Umweg über die Individualansprüche bestimmen l6 • Das BAG hat sich der Verfügungstheorie bzw. der Theorie von der kollektivfreien Individualsphäre zunächst im Ergebnis angeschlossen I7 , jedoch im Einzelfall Einschränkungen vom absoluten Rückwirkungsverbot in gewordene Individualpositionen gemacht. So wurde die Rückwirkung akzeptiert, wenn ein dringendes Bedürfnis nach einer generellen Regelung bestehe l8 . Während der Begriff der kollektivfreien Individualsphäre bis heute in der Diskussion um die Grenzen der Reichweite der Kollektivmacht eine bedeutende Rolle spiele 9 , hat die h.L. sich letztlich diesen Theorien für die Frage des rückwirkenden Eingriffs in erwachsene Besitzstände nicht angeschlossen2o • Tendenziell wohl auch Zöllner RdA 1964,443 ff. - 447. Säeker, Grenzen der Tarifautonomie, AR-Blattei, Tarifvertrag I D unter IV; vg!. auch Säeker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 436 ff 16 Karakatsanis, Kollektivrechtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, S. 82 f. 17 Insbesondere BAGE 43, 305 = AP Nr. 9 zu § 1 TVG Rückwirkung mit zust. Anm. Hersehel; BAG AP Nr. 11 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip = DB 1962, 542 . 18 BAG AP Nr. 4 § 1 TVG Rückwirkung mit zust. Anm. Hueek, Alfred = DB 1962, 1278. 19 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 194; Löwisch, BetrVG § 77 Rz. 13; m.w.N. Hessl Schloehauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 20 ff. - 30 ff; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 50 ff.; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 25; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 267 ff. 20 Ausdrücklich Riehardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 433 ff; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 243 ff; Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 86 ff.; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 57; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 163 ff; Wiedemann I Stumpf, TVG Ein!. Rz. 226; im Ergebnis auch folgende Autoren, die rückwirkende Eingriffe in den Grenzen eines Vertrauensschutze zulassen wollen: Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 40 f; Halberstadt, BetrVG § 77 Rz. 28; MünchArbR-Matthes, § 319 Rz. 29 f; 14
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Vielmehr werden unter Berufung auf den Vertrauens schutz verschiedene Grenzen angenommen. So wird teilweise ein Eingriff in Lohnansprüche - zumindest in die laufenden Lohnzahlungen - ausgeschlossen, wobei darauf abgestellt wird, daß der Arbeitnehmer diese als Grundlage seiner Lebensführung benötige und entsprechend verbrauche21 • Andere halten Eingriffe für unzulässig, mit denen Bestimmungen auch für Zeiträume laufender Tarifverträge rückwirkend geändert würden. Die Tarifunterworfenen vertrauten insoweit auf die Befriedungs- und Kartellfunktion22 dieses Vertrages, also darauf, daß damit die Fragen für die Laufzeit eines Tarifvertrages endgültig geregelt seien. Erst für eine tariflose Zeit - insbesondere im Falle der Nachwirkung bis zum Abschluß eines Neutarifes - müßten die Normenunterworfenen mit einer rückwirkenden Neuregelung rechnen23 • Entsprechendes wird auch im Betriebsverfassungsrecht vertreten24 • Wieder andere betonen, daß jedenfalls abgewickelte Ansprüche unantastbar seien25 • Zum Teil werden allein nachteilige Änderungen abgelehne6 • Schließlich wird eine grundSätzliche Eingriffsberechtigung innerhalb der im Verfassungsrecht entwickelten, für den Gesetzgeber geltenden VertrauensgrundSätze angenommen27 • Mit einem grundSätzlichen Urteil vom 23.11.1994 hat sich das BAG bei einem Tarifvertrag unter ausführlicher Stellungnahme zu den vertretenen Nikisch, ArbR 11, 2. Aufl., S. 292 f; Huec/c, Alfred/ Nipperdey, ArbR 11, 1, S. 406 f; Huec/c, Alfred Anm. zu BAG AP Nr. 4 zu § 1 TVG Rückwirkung; MünchArbRLöwisch, § 252 Rz. 75; Hanau, Peter RdA 1989,207 ff. - 209; Hilger FS Larenz 1983 S. 253; Kempen / Zachert, TVG § 4 Rz. 33 ff, die allerdings auf Arbeitgeberseite nur einen eingeschränkten Schutz anerkennen wollen; insoweit geht Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 112 ff. fehl, wenn er von einer Einigkeit über die Unantastbarkeit erworbener Ansprüche ausgeht. 21 Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rz. 141; Däubler, TVG Rz. 286. 22 Ohne mit diesem Begriff eine negative Bewertung zu verbinden - so wird diese Kartellfunktion auch als Kostenbegrenzungsfunktion bezeichnet, Ziepke,DB 1991, S. 474. 23 Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 125; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 433 f; Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rz. 139; Huec/c, Alfred/ Nipperdey, ArbR III 1, S. 407; Stahlhacke RdA 1959, 266 ff- 269; Ziepke DB 1981, 474 für die rückwirkende Tariflohnerhöhung; mit Einschränkungen für besondere Fälle Däubler, TVG Rz. 285, Hagemeier/ Kempen/ Zachert/ Zilius, TVG § 4 Rz. 31 unklar bei Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 35. 24 Richardi, BetrVG § 77 Rz. 119ff; Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 111; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 168. 25 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 243 ff 26 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 189. 27 Vgl. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 430; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 38 ff; Besgen. Dietmarl Bleistein, Betriebsverfassungsrecht RZ.359.
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen
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Ansichten der Meinung angeschlossen, daß ein kollektiv begründeter Individualanspruch grundsätzlich in den Grenzen des Vertrauensschutzes seine Abänderbarkeit in sich trage. Zur Konkretisierung des Schutzes sei auf die Grundsätze zurückzugreifen, die im Verfassungsrecht für rückwirkende Gesetze entwickelt worden sind28 • Diese Sicht hat das BAG bereits auf das Betriebsverfassungsrecht ausgedehne9 •
3. Eigene Stellungnahme Zunächst soll die Berechtigung der zuletzt genannten Ansicht als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen geprüft werden, weil diese den Kollektivpartnern den größten Gestaltungsspielraum unter den vertretenen Meinungen einräumt. Die Pflicht des Gesetzgebers, bei der Gesetzgebung den Vertrauensgrundsatz zu wahren, wird aus dem Rechtsstaatsprinzip der Art. 20 GG und Art 28 GG gefolgert. Zwar kann sich der einzelne nicht unmittelbar hierauf berufen. Doch soweit ein Gesetz den Vertrauensgrundsatz verletzt, ist es ohne weiteres verfassungswidrig und damit nichtig. Ein nichtiges Gesetz kann im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG bzw. der spezielleren Freiheitsrechte, insbesondere der Art. 12 GG und Art. 14 GG, keinen belastenden Eingriff rechtfertigen. Folglich wird dem einzelnen über die Grundrechte mittelbar die Berufung auf die Verletzung des Vertrauensgrundsatzes eröffnet; es wird lediglich materiell die Popularklage ausgeschlossen. Die Grundrechte können normalerweise nur gegen den Staat geltend gemacht werden (sog. Abwehrrechtelo. Lediglich Art. 9 Abs. 3 GG enthält 28 BAG NZA 1995, 844ff. = DB 1995, 787 ff. = BB 1995, 831; bestätigt durch BAG DB 1995,2614; Dieser Wechsel kam nicht völlig überraschend, sondern wurde vorher bereits angedeutet, vgl. BAG DB 1984, 303; BAG ( 3 AZR 313 / 93 ) BB 1994, 724; flir rückwirkende Allgemeinverbindlicherklärungen BAG DB 1983, 722 ff. Das BAG hat allerdings zwischenzeitlich entschieden, daß auch nach dieser Rechtsprechung eine rückwirkende Änderung flir bereits aus den Verbänden ausgeschiedene Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer mangels mitgliedschaftlicher Legitimation nicht in Betracht komme - BAG BB 1995,675; BAG NZA 1996, 767 ff. Diese Sicht dürfte m.E. angemessen sein, weil solche Änderungen meist im Zusammenhang mit einem Gesamtvertrag vereinbart werden, der flir die Ausgeschiedenen nicht mehr Geltung erlangt. Insoweit käme die Rückwirkung einer Teilgeltung eines neuen Tarifwerkes gleich. Vgl. zur neueren Rechtsprechung auch Bott FS Schaub S. 47 ff. 29 BAG NZA 1996,386 ff. = ZIP 1996,602 ff. 30 Die weitergehende Ansicht des BAG und Nipperdeys, daß die Grundrechte im Arbeitsrecht wegen des Über- und Unterordnungsverhältnisses unmittelbare Geltung zwischen Privaten verlange, wurde vom BVerfG abgelehnt - BVerfGE 7, 198 ff- 204 ff. Teilweise wird eine unmittelbare Drittwirkung mit der Begründung gefordert, die staat-
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
eine sog. unmittelbare Drittwirkung, wonach auch privatrechtliche Verletzungen des Grundrechtes unwirksam sind. Die Rechtsetzung durch Gesamtvereinbarungen ist Bestandteil des Privatrechts und demnach eine unmittelbare Anwendung der Grundrechte von Art. 9 Abs. 3 GG abgesehen, wie auch der sonstigen Verfassungsprinzipien, ausgeschlossen3 ). Allerdings ist heute allgemein anerkannt, daß der Grundrechtskatalog im besonderen, aber auch die übrigen Verfassungsbestimmungen eine Gesamtwerteordnung erzeugen, die auf das Privatrecht ausstrahlt. Diese sog. mittelbare Drittwirkung wird durch eine der Werteordnung entsprechenden Auslegung und Anwendung von Generalklauseln, vor allem der §§ 138; 242 und 826 BGB erreicht32 • Demnach gelten die Grundrechte für die Kollektivpartner im Rahmen der privaten Rechtsetzung mittelbar33 • Bei der Prüfung, ob Gesamtvereinbarungen im Rahmen dieser Werteordnung verbleiben, ist sogar ein strenger Maßstab anzulegen, weil die Kollektivpartner gesetzesgleiches Recht für Dritte erzeugen, mag auch im Taritbereich häufig eine Unterwerfung vorliegen34 • Der Vertrauensgrundsatz ist eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips und damit einer der tragenden Staatszielbestimmungen unserer Verfassung. Seine Beachtung dient daneben mittelbar der Sicherung der Freiheitsrechte, weil dieser erst dem einzelnen eine planende Ausübung seiner Freiheitsrechte ermöglicht. Insoweit kann also festgehalten werden, daß die Kollektivverträge, weil sie mit ihrem normativen Teil in die wechselseitigen Rechte und Pflichten der liehe Abwehrfunktion sei durch die gesellschaftliche Wirklichkeit der Ausübung von sozialer Macht durch die Verbände überholt worden - m.w.N. Hagemeier! Kempen! Zachert! Zilius, TVG Ein\. 132. Da die mittelbare Drittwirkung diesem Bedürfnis genügt und der Verfassungsgeber keine Anpassung an diese vermeintliche Weiterentwicklung vorgenommen hat, überzeugt eine allgemeine unmittelbare Drittwirkung von Grundrechten nicht. 3) BVerfGE 73, 261 - 268 f; Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 37; ders. RdA 1964, 443-448; Richardi, Individualwille und Kollektivgewalt, S. 165; a.A. Waltermann RdA 1990, 138 ff. - 144, der wegen des im Privatrecht untypischen Rechtsetzungscharakters eine unmittelbare Bindung fordert. HiertUr genügt es aber, bei der mittelbaren Anwendung einen entsprechend strengeren Maßstab anzulegen. 32 Bei Betriebsvereinbarungen kann neben § 242 BGB auch auf § 2 Abs. 1 BetrVG und § 75 Abs. 1 BetrVG angeführt werden; so etwa GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 168. 33 Ausdrücklich für die Betriebsvereinbarung BVerfGE 73, 261-268 f Zu beachten ist, daß diese Grundrechtsbindung nach neuerer Rechtsprechung eindeutig in Bezug auf die Tarifpartner und nicht eines einzelnen Tarifvertrages gilt. Daher ist von den Tarifpartnern der Gleichheitsgrundsatz auch dann zu beachten, wenn sie bestimmte Sachfragen in unterschiedlichen Tarifverträgen für verschiedene Arbeitnehmergruppen regeln EuGH AP Nr. 50 zu Art. 119 EWG Vertrag = NZA 1994, 797 = EuZW 1994, 505; BAG NZA 1996, 656 ff 34 Biedenkopf, Gutachten zum 46. DJT, S. 114; vg\. Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht, S. 102 f; Söllner NZA 1996, 897 ff - 901.
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen
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Individualparteien gesetzesgleich eingreifen, mittelbar den gleichen Beschränkungen unterliegen, die dem Gesetzgeber wegen des Vertrauensgrundsatzes bei rückwirkenden Gesetzen auferlegt sind35 • Damit ist jedoch nicht entschieden, ob nicht mit einer der anderen Meinungen weitere Einschränkungen notwendig sind. Dabei können zunächst die Ansichten zurückgestellt werden, die bestimmte Eingriffe aufgrund des Vertrauensschutzes ausschließen wollen. Hierbei handelt es sich schon um die Prüfung, ob solchen Eingriffsfalltypen dessen Verletzung immanent ist und diese daher generell unzulässig sind. Davon in ihrer Begründung völlig unabhängig sind hingegen die Ansichten, die die "gewordenen Individualansprüche" als kollektivfreie Rechte vor jeglichem rückwirkenden Zugriff der Kollektivpartner abschirmen wollen. Gegen die Ansicht Herschels spricht, daß eine zum subjektiven Recht erstarkte Rechtsposition niemals von ihrer Grundlage absolut unabhängig wird. So ist jedes Recht, das auf der Grundlage eines Rechtsgeschäfts von einem anderen erworben wird, prinzipiell von diesem abhängig. Ist dieses oder wird es nichtig, so fehlt bzw. entfallt der Rechtsgrund und die Rechtsposition wird regelmäßig kondizierbar. Dies gilt auch für die "gewordenen Individualansprüche" . Wer sein subjektives Recht auf eine solche Gegenleistung begründen will, kann sich bei diesen nicht nur auf den Einzelarbeitsvertrag und seine Arbeitsleistung berufen, weil sich allein hieraus gerade nicht der Erwerb der hier in Frage stehenden Ansprüche ergibt. Erst die entsprechende Bestimmung der zugrundeliegenden Gesamtvereinbarung ist gemeinsam mit dem Einzelarbeitsvertrag die Basis für den Individualanspruch. Mit einer rückwirkenden Änderung dieser Regelung entfällt somit ein notwendiger Teil der Anspruchsgrundlage und damit nachträglich der ursprüngliche Rechtsgrund für eventuell bereits erbrachte Leistungen. Daß sich die zur individuellen Forderung erstarkte Rechtsposition nicht von ihrer Grundlage abstrahiert, zeigt sich weiter daran, daß sie den entsprechenden Bestimmungen unterworfen bleibt. So hängt die Verjährung 35 Ganz überwiegende Meinung BAGE 43, 305 ff. = AP Nr. 9 zu § 1 TVG Rückwirkung; m.w.N. Läwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 204 ff.; a.A. Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung S. 230 ff., der zu Lasten der Arbeitgeberseite eine unbeschränkte Rückwirkung mit der Rechtfertigung anerkennen will, daß diese aufgrund ihrer Übermacht auch im kollektiven Regelungsbereich keinen vollständigen Grundrechtsschutz beanspruchen könnten; vgl. auch ders., TVG Rz. 414 ff.. Diese Sicht mißachtet gerade die Grundidee der Kollektivregelung, die Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer durch ihre kollektive Interessenwahmehmung auszugleichen. Ist daher auf kollektiver Ebene grundsätzlich von einer echten Gleichheit auch im Rahmen der tatsächlichen Vertragsmacht auszugehen, fehlt jede Grundlage, der Arbeitgeberseite hierbei den mittelbaren Grundrechtsschutz zu versagen; so auch Säcker / Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 246 f. Läwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 189 ff.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
eines subjektiven Zahlungsanspruches gemäß den §§ 196 ff BGB gerade vom zugrundeliegenden Vertragstypus ab. Darüber hinaus können verschiedenste Einwendungen aus dem zugrundeliegenden Vertragsverhältnis und seiner späteren Entwicklung erwachsen. Auch Sieberts Begründung mit der kollektivfreien Individualsphäre gefolgert aus dem Schutz- und dem Günstigkeitsprinzip vermag nicht zu überzeugen. In § 4 Abs. 3 TVG wird nicht der Vorrang günstigerer Individualpositionen festgeschrieben, gleich aus welcher Rechtsgrundlage sie entspringen. Vielmehr müssen danach Abmachungen günstiger als die entsprechenden tariflichen Regelungen sein. Mit dem Begriff "Abmachung" und dem Vergleich zur tariflichen Regelung wird offenbar, daß § 4 Abs. 3 TVG nicht zur Wahrung von Besitzständen geschaffen wurde, sondern als Kollisionsregel entscheiden soll, welche von zwei verschiedenen Regelungsquellen, die den gleichen Sachverhalt betreffen, zur Anwendung kommt. Dasselbe gilt im Betriebsverfassungsrecht, wo § 4 Abs. 3 TVG analog angewendet wird. Etwas anderes läßt sich auch nicht mit dem Schutzprinzip begründen. Das Arbeitnehmerschutzprinzip als tragender Grundsatz des Arbeitsrechts folgt aus der Vorstellung des ohnmächtigen Einzelarbeitnehmers. Die Kollektivierung soll gerade das Ungleichgewicht auf der Individualebene beseitigen. Die Absicht einer sinnvollen Interessenvertretung der Arbeitnehmer durch ihr Kollektiv muß dabei prinzipiell unterstellt werden. Daher kann das Schutzprinzip nicht herangezogen werden, um die Rechtsrnacht der Kollektivpartner zu beschränken. Schließlich kann es im Einzelfall ohnehin die Frage sein, ob objektiv gesehen - diese Betrachtung ist beim Schutzprinzip schließlich geboten - der bessere Schutz des Arbeitnehmers nicht möglicherweise in einem Teilverzicht liegt, wenn dies seinen Arbeitsplatz sichert, oder durch andere Vorteile ausgeglichen wird. Es bleibt die begriffliche Trennung in kollektive und individuelle Rechtskreise. Diese ist schon unscharf und, wie zuvor gezeigt, ihre Herleitung fragwürdig, soweit sie als Kollisionsregel gedacht ist. Insbesondere darf nicht übersehen werden, daß einerseits Kollektivregelungen überwiegend individualwirkende Bestimmungen enthalten, andererseits erworbene Individualansprüche auf den Kollektivbereich zurückwirken und sei es nur, daß sie der Arbeitgeberseite Finanzmittel als Grundlage anderer Vergünstigungen entziehen. Eine klare Trennung ist insoweit nicht möglich36 • Des weiteren ist Karakatsanis Berufung auf den Anspruch als "individuellste rechtliche Institutiuon" zwar wohltönend, aber rechtlich unklar und verfas36 Vgl auch die weitergehende Kritik von Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 333 ff.; Travlos-Tzanetatos, Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 80 ff., die insbesondere den hinter der Rechtskreisabgrenzung stehenden Vorstellung vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis überzeugend widersprechen.
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen
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sungsrechtlich kaum zu legitimieren. Auf kein Grundrecht kann so leicht zugegriffen werden wie auf die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Verfügung über den Anspruch als subjektives Recht kann nicht generell als Teil des Kernbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit bezeichnet werden. Vielmehr fällt ein erworbenes Recht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und ein Eingriff in die Verfügungsmacht seines Inhabers ist entweder als Inhaltsbestimmung oder als Enteignung anzusehen37 • Von dieser Schwäche im Ansatz abgesehen, kann ein Verbot der rückwirkenden Änderung einer Gesamtvereinbarung auch nicht damit begründet werden, daß ansonsten die Kollektivpartner über diesen Umweg in den gewordenen Anspruch mit hineinregieren könnten. Seine Schwäche beruht gerade darauf, daß der Anspruch auf eine Gesamtvereinbarung und damit einen Vertrag zwischen den Kollektivpartnern zurückgeht. Dessen rückwirkende Änderung betrifft daher verfassungsrechtlich gesprochen nicht das Erworbene im Sinne des Art. 14 GG, sondern nachträglich den Erwerb der Forderung selbst. Der Gesetzgeber darf dementsprechend in den Grenzen zulässiger Rückwirkung prinzipiell entschädigungslos Erwerbstatbestände und damit erworbene Rechte wieder beseitigen oder schmälern. Lediglich wenn ein Eingriff durch überragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, muß der Gesetzgeber den Betroffenen eine angemessene Entschädigung für dieses von der Gemeinschaft abverlangte Sonderopfer gewähren. Es ist kein Sachgrund ersichtlich, der privaten Rechtsetzung bei Änderung ihres eigenen Regelungswerkes größere Schranken aufzuerlegen als dem staatlichen Gesetzgeber, umso mehr als die Rechtsetzung der Tarifpartner regelmäßig sogar mitgliedschaftlich legitimiert ise 8 • Schließlich verfängt das Argument Säckers nicht, wonach zum Schutz vor willkürlicher Ungleichbehandlung die erwachsenen aber aus welchen Gründen auch immer noch nicht erfüllten Ansprüche im Verhältnis zu den bereits erfüllten gleichbehandelt werden müßten, und letztere unstreitig unantastbar seien. Ohne bereits auf die Frage einzugehen, ob erfüllte Ansprüche tatsächlich unstreitig unantastbar sind, könnte eine solche Gleichbehandlung im Rahmen des Vertrauensschutzes notwendig sein, wenn beide Fallvarianten mangels sachlichem Unterschied gleich zu beurteilen wären. Somit dürfte in der Erfüllung kein eigenständiges besonderes Vertrauensmoment liegen. Damit würde die Grundlage für die Ausgangsthese entfallen, jedenfalls erfüllte Ansprüche müßten unantastbar sein. Sieht man hingegen in der Erfüllung einen besonderen Vertrauensumstand, ist eine Ungleichbehandlung sachlich begründet und nicht willkürlich.
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So für den Sozialplan Däubler NZA 1985, 545 ff. - 547. So auch BAG NZA 1995, 844 - 849 = DB 1995, 787 ff. = BB 1995, 831.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
Fehlt damit eine hinreichende Begründung für ein absolutes Verbot kollektiver Eingriffe in bestehende Besitzstände durch eine rückwirkende Änderung der zugrundeliegenden Gesamtvereinbarung, ist nunmehr allgemein auf den Vertrauensschutz und seine Folgen einzugehen. Hierbei kann auf die im Verfassungsrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Danach ist zunächst zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden39 • Echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber - hier also die Kollektivpartner - nachträglich in Tatbestände verändernd eingreift, die bereits vollständig der Vergangenheit angehören40 • Eine unechte Rückwirkung liegt hingegen vor, wenn in einen Vorgang, der in der Vergangenheit begonnen hat aber noch nicht abgeschlossen wurde - also gegenwärtig noch andauert -, formal mit Wirkung ex nunc eingegriffen wird mit der Folge, daß eine Rechtsposition materiell auch für den in der Vergangenheit liegenden Teil geändert wird, wobei problematisch ist, wenn diese hierdurch insgesamt nachträglich geschmälert oder entwertet wird41 • Der erworbene Anspruch zeichnet sich als Vollrecht dadurch aus, daß der Erwerb bereits in der Vergangenheit abgeschlossen wurde. Ein rückwirkender Eingriff auf einen solchen Besitzstand ist demnach ein Fall echter Rückwirkung. Eine solche Rückwirkung in tatbestandlich abgeschlossene Sachverhalte ist mit dem Vertrauensgrundsatz lediglich vereinbar, wenn ein Vertrauen nicht schutzwürdig ist oder gänzlich fehlt. Insoweit haben sich drei typische Fallkonstellationen herausgebildet42 • Dabei ist die wichtigste, daß der Normenadressat zum Zeitpunkt, auf den zurückbezogen wird, mit einer Neuregelung rechnen mußte43 • Weiterhin wurde ein schützenswertes Vertrauen abgelehnt, wenn bisher eine unklare, verworrene oder lückenhafte Rechtslage bestand. Hieran sind hohe Anforderungen zu stellen44 • Schließlich greift noch ein sog. 39 So die h.M. vgl. BVerfGE 30, 272 ff - 285; vgl m.w.N. Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rz. 138; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 166 hält diese Unterscheidung mangels Ab-
grenzungsschärfe flir ungeeignet. Mögen auch bei der Abgrenzung Zweifelsfragen bestehen, was flir Rechtsanwendung ohnehin typisch ist, so hat die Unterscheidung doch ihren Sinn, weil sie eine Konkretisierungshilfe bei der Bewertung darstellt, ob eine Re~elung noch dem Vertrauensgrundsatz genügt. Ständige Rspr. seit BVerfGE 30, 272-285f.; vgl. m.w.N. Maunz! Herzog! Dürig Herzog, GG Art. 20 Rz. 68; Münch, GG Art. 20 Rz. 27. 41 BVerfGE 30, 367-386; 30, 392-402; 63, 312-328ff.; vgl. m.w.N. Maunz! Herzog/ Dürig - Herzog, GG Art. 20 Rz. 68; Münch, GG Art. 20 Rz. 27. 42 Einzelfalle und weitere Untergliederungen etwa bei Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S.761 ff. 43 BVerfGE 37, 363-397f.; 45 142-173f.; BGHZ 100,6; vgl. m.w.N. Maunz! Herzog/ Dürig - Herzog, GG Art. 20 Rz. 67; Münch, GG Art. 20 Rz. 27; so flir die rückwirkende Allgemeinverbindlicherklärung auch BAG NZA 1997, 495 ff. = DB 1997, 433 f. 44 BVerfGE 19, 187-197; 45,142 ff. - 173; Katz, Staatsrecht, Rz. 203.
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen
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"Bagatellvorbehalt" , wenn ganz unerhebliche Nachteile verursacht werden45 • Ein weiterer vierter Typus, nämlich überragende Gründe des Gemeinwohls46 , kann nach hiesigem Verständnis der normativen Wirkung und der Rechtsnatur der Gesamtvereinbarungen nicht in Frage kommen, weil eine Delegation der Hoheitsbefugnisse, wie dargestellt, gerade nicht vorliegt und die Kollektivpartner daher nicht das Gemeinwohlinteresse, sondern allein ihr Verbandsinteresse verfolgen. Somit muß die Entscheidung, ob Eingriffe aus überragenden Gründen des Gemeinwohls erfolgen sollen, im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Ob ein rückwirkender Eingriff nach diesen Grundsätzen zulässig ist, erfordert gerade insoweit eine Einzelfallprüfung, als ein Vertrauens schutz nicht besteht, weil mit einer Neuregelung zu rechnen war. Dabei mögen die teilweise vertretenen Schranken, etwa keine Änderung laufender Tarifverträge, indiziell zutreffen, doch sind gerade im Einzelfall Ausnahmen denkbar. Kündigen etwa Tarifpartner ihre Absicht an, im laufenden Tarifvertrag bestimmte Regelungen mit Wirkung zu einem bestimmten Zeitpunkt ändern zu wollen, so müssen die Normenunterworfenen mit dieser Änderung rechnen und ein Vertrauensschutz kann jedenfalls nicht beansprucht werden, wenn die Ankündigung vor diesem Zeitpunkt liegt47 • Wurde die Absicht einer Lohnherabsetzung bekanntgegeben, müßte dies zumindest auch dann gelten, wenn deren ungefähres Ausmaß ebenfalls mitgeteilt wäre, weil dann jeder Arbeitnehmer bereits eine eventuelle Lohneinbuße im Rahmen seiner Lebensführung einkalkulieren konnte. Diese Beispiele zeigen, daß die oben aufgeführten Ansichten, soweit sie bestimmte Indizien zu allgemeinen und ausnahmslosen Schranken erheben wollen, nicht überzeugen können. Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung unausweichlich, in der diese Umstände selbstverständlich eine ausschlaggebende Rolle spielen können48 • Daß solche Beispiele auch nicht rein hypothetischer Natur sein müssen, beweist etwa die Einigung über die vorläufige 100 % ige Lohnfortzahlung im Bankgewerbe. Dort haben sich die Arbeitgeber zwar verpflichtet bis zur nächsten Tarifrunde im Krankheitsfalle den Lohn zu 100 % fortzuzahlen. Sie hielten sich gleichzeitig das Recht einer rückwirkenden
45 BVerfGE 30, 367 ff. - 389; 72, 258; vgl. m.w.N. Münch, GG Art. 20 Rz. 27; Katz, Staatsrecht, Rz. 203. 46 BVerfGE 13,261 ff; 30, 367-387ff.; BGH NJW 1976,475; vgl. m.w.N. Maunz} Herzog/ Dürig - Herzog, GG Art. 20 Rz. 67; Münch, GG Art. 20 Rz. 27. 47 Vgl. insoweit BAG NZA 1995, 844 ff. - 850 = OB 1995, 787 ff. = BB 1995, 831; vgl. auch die Anerkennung der Zulässigkeit von Rückforderungen, wenn im Falle eines Anrechnungsvorbehalts bei Tariflohnerhöhungen im Hinblick auf § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Leistungen zunächst ungekürzt unter Vorbehalt weitergezahlt wurden, bis mit dem Betriebsrat eine rückwirkende Anpassung der Verteilungsgrundsätze erzielt werden kann, BAG NZA 1996, 386 ff.; so auch Hanau, Peter RdA 1989, 207 ff. - 210. 48 Vgl. MünchArbR - Löwisch, § 252 Rz. 75.
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Herabsetzung der Lohnfortzahlung vor49 • Wäre in diesen Tarifverhandlungen eine rückwirkende Herabsetzung vereinbart worden, wäre ein schützenswertes Vertrauen nicht verletzt worden. Ob durch die Ausübung von Gestaltungsrechten und sonstigen einseitigen Einwirkungsmöglichkeiten auf Gesamtvereinbarungen durch die Arbeitgeberseite rückwirkend erworbene Besitzstände geschmälert oder beseitigt werden können, kann daher in der weiteren Arbeit nur indiziell und für das jeweils konkret in Frage stehende Recht nach den soeben festgestellten Grundsätzen geprüft werden.
n. Unechte Rückwirkung Zwischen echter Rückwirkung und rein zukünftiger Änderung gibt es noch eine dritte bereits eingangs erwähnte Eingriffsvariante. Ein Eingriff kann bei formaler Wirkung ex nunc noch nicht abgeschlossene aber bereits in der Vergangenheit begonnene Vorgänge betreffen und materiell eine Rechtsposition auch für den in der Vergangenheit liegenden Teil ändern insbesondere nachträglich schmälern oder entwerten. In entsprechender mittelbarer Anwendung der Grundsätze des Vertrauensschutzes bei der Gesetzgebung ist dies mit der sogenannten unechten Rückwirkung von Gesetzen gleichzusetzen50 • Danach ist ein unechter rückwirkender Eingriff grundSätzlich zulässig, weil mit einer zukünftigen Änderung immer zu rechnen ist. Im Hinblick auf die unechte Rückwirkung ist jedoch die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Ein Eingriff ist also zunächst bei offensichtlicher Ungeeignetheit oder Unzweckmäßigkeit nicht zulässig. Da insoweit dem Gesetzgeber und vorliegend in entsprechender Anwendung den Kollektivpartnern ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist, können hiermit nur ganz extreme Fälle, die dann eine bewußte Drittschädigung beinhalten würden, von vornherein ausgeschlossen werden. Im Ergebnis führt das Erfordernis der Angemessenheit als dritte Komponente der Verhältnismäßigkeit zu einer Abwägung zwischen dem Interesse des Einzelnen an der unveränderten Fortgeltung zum Schutze seiner bereits in der Vergangenheit begründeten Hoffnungen und Anwartschaften gegenüber dem mit der Änderung verfolgten Zweck51 • Soweit hiernach der Gesetzgeber Vertrauen enttäuscht, kann er zur Schaffung einer angemessenen Übergangsregelung verpflichtet sein. Fraglich erscheint, ob und inwieweit die Kollektivpartner einer solchen Angemessenheitsprüfung unterliegen. Die Gesamtvereinbarungen folgen deren 49 Vgl. "Bankarbeitgeber zahlen vorerst hundert Prozent Krankenlohn" Handelsblatt vom 10.12.1996, S. 4. 50 Vgl. BVerfGE 30, 367-386; 30, 392-402; 63, 312-328ff. 51 BVerfGE 30,292-402ff; 39, 128-145f.; 43, 242-286f.; 51, 356-362ff.
B. Vertrauensschutz der Normenunterworfenen
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allgemeiner Vertragsfreiheit und gründen damit auf der Vorstellung der materiellen Richtigkeitsgewähr des Vertrages 52 • Ist von einer Gleichgewichtigkeit der Partner prinzipiell auszugehen, würde eine gerichtliche Prüfung der Angemessenheit auf eine teilweise Inhaltskontrolle des vertraglichen Regelungswerkes hinauslaufen und damit die Richtigkeitsgewähr des Vertragsinstitutes in Frage stellen. Dies ist daher nur zu akzeptieren, soweit es zum Schutz der Normenunterworfenen aufgrund der Geltung der Vertrauensgrundsätze unerläßlich ist53 • Die Gesamtvereinbarungen unterliegen als Verträge der privatautonomen Willkür der Kollektivpartner, die regelmäßig gegenläufige Interessen verfolgen. Daher müssen die Normenunterworfenen mit einer "willkürlichen" Änderung kollektiver Verträge rechnen. Nur so werden die Kollektivpartner schließlich in die Lage versetzt, eigenständig und selbstverantwortlich eine Anpassung der Gesamtvereinbarungen an eingetretene Entwicklungen vorzunehmen. Ein Vertrauen der Normenunterworfenen in eine unveränderte Fortgeltung für die Zukunft ist daher regelmäßig nicht schützenswert54 • Insoweit stellt grundSätzlich erst der Erwerb eines eigenen Vollrechts auf der Grundlage der Gesamtvereinbarung eine Zäsur dar, weil das gewordene Individualrecht vom zukünftigen Fortbestand der Gesamtvereinbarung unabhängig wird. Dieses Vertrauen der Normenunterworfenen in den Fortbestand des Vollrechts muß notwendigerweise die kollektive causa umfassen. Im Ergebnis fehlt somit in den Fällen der unechten Rückwirkung prinzipiell ein berechtigtes Vertrauen, das im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Änderungsinteressen der Kollektivpartner beschränken könnte. Etwas anderes mag man mit der Rechtsprechung bei Ruhegeldzusagen annehmen, weil betriebliche Renten nur über ein Arbeitsleben erworben werden können und als Teil der privaten langfristigen Lebensplanung besonderen Schutz bedürfen, was schließlich auch der gesetzgeberischen Wertung mit dem speziell für diese Interessenlage geschaffenen BetrAVG entspricht. Dies kann jedoch nicht ohne weiteres auf andere Regelungsbereiche übertragen werden. Die von der h.M. vertretene Billigkeitskontrolle ablösender Betriebsvereinbarungen räumt zwar einen weitergehenden Vertrauensschutz ein55 • Doch KäpplerNZA 1991,745 ff. -747; Thiele FS Larenz 1973, S. 1053. Vgl. Thiele FS Larenz 1973, S. 1052 ff., der von evidenten Wertungsfehlem etc. spricht; ähnlich im Hinblick auf die Geltung von Grundrechten Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 448. 54 Vgl. BAG NZA 1995,844 ff - 850 = DB 1995,787 ff. = BB 1995,831; m.w.N. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 440 ff. 55 BAGE 54, 261 ff. = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung; AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung; Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 115 f.; Gamillscheg RdA 1968,407 ff. - 409, ; Löwisch DB 1983, 1709 ff. - 1711 f.; Besgen, Dietmarl Bleistein, Betriebsverfassungsrecht, Rz. 348; Halberstadt, BetrVG § 77 Rz. 44 f.; wohl auch Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 39a. 52
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
erfolgt diese Kontrolle nur bei der Ablösung, also gemeinsamen Handlungen der Betriebspartner , und nicht bei einem einseitigem Eingriff des Arbeitgebers, insbesondere nicht bei einer ordentlichen Kündigung der Betriebsvereinbarung. Es wird wegen der komplexen Zusammenhänge der späteren Prüfung vorbehalten, ob bei einseitigen Gestaltungsmitteln, insbesondere der ordentlichen Kündigung, von Betriebsvereinbarungen durch den Arbeitgeber nicht doch eine Billigkeitskontrolle erfolgen muß, wie es teilweise vertreten wird 56 • Regelmäßig ist daher eine unechte Rückwirkung aufgrund der vertraglichen Natur der Gesamtvereinbarungen ohne weiteres zulässig, weil es am schützenswerten Vertrauen der Arbeitnehmer fehlt. Nur dies beläßt den Sozialpartnern die notwendige Verhandlungsfreiheit, um auf vertraglicher Basis einen nach ihrer Auffassung jeweils ausgewogenen Interessenausgleich zu erzielen.
m. Ergebnis 1. Den Normenunterworfenen kommt im Bereich echter Rückwirkung der gleiche Vertrauens- und Bestandsschutz zu, wie ihn der Gesetzgeber bei entsprechenden gesetzlichen rückwirkenden Eingriffen einzuhalten hat. Ausgenommen ist eine Zugriffsrechtfertigung mit überragenden Gemeinwohlinteressen, weil deren Feststellung allein dem Gesetzgeber zukommt und nicht den Sozialpartnern, die mit ihrer privaten Rechtsetzung vornehmlich ihre Gruppeninteressen verfolgen. Zulässig ist hingegen der Bagatellzugriff, der Eingriff bei unklarer Rechtslage und der Fall des fehlenden Vertrauens, weil die Normenunterworfenen mit einer Änderung rechneten. Letzterer dürfte in der Praxis am wichtigsten sein. 2. Im Falle unechter Rückwirkung besteht grundsätzlich kein Vertrauensschutz der Normenunterworfenen.
Daneben ist umstritten, ob eine allgemeine Inhaltskontrolle über die Billigkeitsprufung zu erfolgen hat, doch kann dies in der vorliegenden Arbeit offen bleiben, weil es hier um die vollständige Beendigung von Regelungen für die Zukunft geht. 56 Vgl. hierzu ausführlich unten Zweiter Teil D III - Seite 128 ff.
C. Beendigung der Gesamtvereinbarungen ipso facto durch Notlage
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C. Beendigung der Gesamtvereinbarungen ipso facto in einer wirtschaftlichen Notlage Nachdem die Rechtsnatur der Gesamtvereinbarungen dargelegt ist, stellt sich die weitere Vorfrage, ob eine wirtschaftliche Krise, insbesondere eine Notlage, den Bestand von Gesamtvereinbarungen ipso facto beeinträchtigt.
I. Unmöglichkeit Zunächst ist zu erwägen, ob sich die Arbeitgeberseite auf das Unmöglichkeitsrecht berufen kann, wenn sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation die Pflichten aus der Gesamtvereinbarung nicht bewirken kann oder die weitere Erfüllung den Ruin des Unternehmens zu verursachen droht.
1. Zahlungsunfähigkeit Eine Rechtsordnung kann sinnvollerweise von niemandem Erfüllung verlangen, wenn sie diesem unmöglich ist. Deshalb wird der Schuldner grundsätzlich gemäß § 275 BGB von seiner Primärleistungspflicht befreit, wenn diese ihm unmöglich ist. Soweit der Schuldner sein Unvermögen im Rechtssinne zu vertreten hat, wird der Gläubiger auf Sekundäranspruche, insbesondere auf Schadensersatz in Geld, verwiesen. Wegen einer Geldschuld gilt jedoch das Prinzip "Geld hat man zu haben", so daß die eigenen finanziellen Schwierigkeiten keinen Einfluß auf die vertragliche Bindung haben l . Die wirtschaftliche Notlage ist eine Frage des finanziellen Unvermögens, die keine Unmöglichkeit begründet2 • Dementsprechend haftet der Schuldner nach einem Konkurs aufgrund des Rechts zur freien Nachforderung gemäß § 164 Abs. 1 KO 30 Jahre lang für seine Zahlungsunfähigkeit weiter. Selbst danach ist das Recht keineswegs erloschen, sondern nur seine Durchsetzung bei Erhebung der Verjährungseinrede dauerhaft gehemmt. Der Anspruch ist weiterhin existent und bei einer Leistung vollwertige causa, die eine Rückforderung ausschließt, § 813 Abs. 1 BGB und
1 Die Frage, ob man aus § 279 Abs.1 BGB - so BGHZ 83, 300; oder allgemein aus der Rechtsordnung - so Larenz, Schuldrecht Band I Allgemeiner Teil § 21 Id; Staudinger -Löwisch, § 2?? Rz. 2; Soergel - Wiedemann, § 279 Rz. 7 ableitet, insbesondere aus der prozessualen Uberlegung, daß bei einer zu vertretenden Unmöglichkeit ein Ersatz nur in Geld erfolgt, bzw. daß in der Zwangsvollstreckung und im Konkurs auch die unverschuldete Zahlungsunfähigkeit des Schuldners unbeachtlich ist, kann für die vorliegende Arbeit offen bleiben, da über das Ergebnis Einigkeit besteht - vgl. auch RGZ 106, 181; BGHZ 63, 139; BGH NJW 1989,1278. 2 Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 792.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
§ 222 Abs. 2 BGB. Dieser Grundsatz gilt auch im Arbeitsrecht. Das zeigen z.B. die Regelungen über den besonderen Schutz von Lohnforderungen im Konkurs, die nur sinnvoll sind, wenn die Zahlungsunfähigkeit eben nicht von der Leistungspflicht befreit.
2. Theorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit Etwas anderes könnte nach der Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit gelten, wenn die Leistungserbringung aufgrund äußerer Verhältnisse derart erschwert ist, daß die nunmehr notwendige Leistung in ihrem Gesamtzusammenhang zu den äußeren Umständen gegenüber der ursprünglich vereinbarten wirtschaftlich als eine völlig andere erscheine. Die Leistung nach der Gewichtung beim Vertrags abschluß sei dann eben unmöglich. Gedacht wird hierbei einerseits an Grenzfälle zur naturwissenschaftlichen Unmöglichkeit. Beliebte Beispiele sind das Halsband, das mit einem Schiff untergegangen ist, oder die Münzsammlung unter dem Fundament eines Hochhauses. Der Schuldner brauchte das Schiff nur zu heben, das Hochhaus abzureißen oder einen Tunnel zu graben, um seine Leistung erfüllen zu können4 • Dies sei aber eine überobligationsmäßige Belastung. Andererseits wurde an Fälle gedacht, wo durch extreme Umwälzungen und Katastrophen, z.B. infolge der Inflation nach den Weltkriegen, ein Festhalten an der ursprünglichen Vereinbarung unzumutbar erscheint. So hatte das Reichsgericht in zwei Fällen, in denen ein Kaufvertrag während des ersten Weltkrieges nicht durchführbar war und anschließend der Kaufpreis dem Wert der Sachleistungen nicht im entferntesten mehr entsprach, den Vertrag nach Unmöglichkeitsrecht entschiedens . Im Rahmen der vorliegenden Arbeit könnte man darüber nachdenken, ob die Gefahr einer Insolvenz aufgrund unerwarteter wirtschaftlicher Entwicklungen eine solche wirtschaftliche Unmöglichkeit darstellt6 • Dies ist schon abzulehnen, weil kein Tatbestand vorliegt, den die Theorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit erfaßt. Die Leistung als solche, insbeson3 So noch RGZ 88, 7lff. - 74; RGZ 90, 102 ff. -105; RGZ 92, 87 ff. - 88; RGZ 93, 341 ff. - 342; RGZ 94,45 ff - 47; RGZ 94, 68. 4 In diesen Extremfällen wird teilweise auch in Abgrenzung zu naturwissenschaftlicher Unmöglichkeit, von wertender bzw. praktischer Unmöglichkeit gesprochen - BGH NJW 1983,2873; Roth JuS 1968, 102 Fn 21. Ob eine solche Kategorie der Unmöglichkeit neben der naturwissenschaftlichen und der rechtlichen Unmöglichkeit im Hinblick auf die hier noch auszuführende Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage notwendig und sinnvoll ist, kann für die vorliegende Arbeit dahingestellt bleiben. S RGZ 94, 45 - 47; RGZ 94,68 - 69; vgl. auch RGZ 100, 131; RGZ 101, 81; RGZ 102,273; RGZ 107, 157. 6 In diese Richtung argumentiert Hälters DB 1975, S. 2179 ff. - 2184 zur Begründung eines Widerrufsrechts von betrieblichen Ruhegeldern wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten.
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dere im Verhältnis zur Gegenleistung des Arbeitnehmers, bleibt unverändert; was sich ändert, ist lediglich die Belastbarkeit der Arbeitgeberseite7 • Selbst wenn man in einem solchen Fall die Theorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit für einschlägig erachten wollte, müßte man die Frage stellen, ob ihr überhaupt zuzustimmen ist. Diese Theorie nimmt zur Ermittlung der Unmöglichkeit eine Leistungsbegrenzung mit dem Merkmal "Unzumutbarkeit" über den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB vor. Durch die Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht entfällt die Leistungspflicht ipso jure, und zwar ohne die Möglichkeit einer etwa vorzuziehenden Anpassung. Dies ist nicht notwendig, weil man äußere Umstände im Rahmen der Geschäftsgrundlage hinreichend berücksichtigen kann. Dann bewegt man sich von Anfang an im Bereich von Treu und Glauben, so daß nicht das scharfe Schwert des Unmöglichkeitsrechts eingreift, sondern zunächst die Möglichkeit einer Anpassung zu prüfen ist8 • Dem kann auch nicht die Unsicherheit entgegengehalten werden, die der generalklauselartigen Geschäftsgrundlagenlehre anhaftet, weil bei der Theorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit gleichfalls auf den wertungsbedürftigen Begriff der Unzumutbarkeit zurückgegriffen werden muß. Eine tatbestandliche Präzisierung wird somit nicht erreicht. Die Unsicherheit über die Rechtsfolgen ist hingegen notwendige Konsequenz einer primären Vertragsanpassung. Bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ist nicht nur der Berechtigte vor einer zu weitgehenden Vertragsbindung sondern auch der Vertragspartner vor einer völligen Vertragsauthebung zu schützen, wenn diese gemäß § 242 BGB nicht nötig ist. Dies folgt aus der Überlegung, den ehernen Grundsatz der Vertragstreue über § 242 BGB nicht weiter einzuschränken als unbedingt notwendig. Daneben ist zu beachten, daß bei einer Unmöglichkeit der Schuldner die Durchführung des Vertrages nicht mehr verlangen könnte, selbst wenn er dies in Anbetracht der Erschwerung noch wollte9 • Mit der h.M. ist deshalb die Theorie von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit abzulehnen lO •
Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. 1 S. 792. Esser! Schmidt, Schuldrecht Bd. 1 Allgemeiner Teil, 2. Teilband, § 24 II 2 (die bei fehlender Anpassungsmöglichkeit allerdings diese Theorie vertreten).; Larenz, Schuldrecht Band 1 Allgemeiner Teil § 21 1 e); m.w.N. Palandt -Heinrichs § 275 Rz. 12. 9 Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 79. 10 BGHZ 36, 233 ff. - 235; BGHZ 37,241; BGH LM § 242 Bb Nr. 12 = MDR 1953, 282; BGH LM § 242 Nr. 50 Bb = MDR 1966, 490; BGH BB 1956, 254; Larenz, Schuldrecht Band 1 Allgemeiner Teil § 21 1 e, S. 319 f.; Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 42 ff. 7
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11. Auflösende Bedingung
Eine automatische Beendigung der Gesamtvereinbarungen kommt weiterhin in Betracht, wenn die wirtschaftliche Situation eine auflösende Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 2 BGB wäre. Eine gesetzliche Anordnung dazu ist nicht gegeben. Deshalb bedarf es hierfür einer entsprechenden Regelung unter den Kollektivpartnem. Aus § 305 BGB in Verbindung mit. § 158 Abs. 2 BGB ergibt sich die privatrechtliche Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Bestimmung mit der normativen Wirkung der Gesamtvereinbarungen in Einklang steht.
1. Zulässigkeit der Vereinbarung einer auflösenden Bedingung Zunächst könnte man darüber nachdenken, ob der Begriff wirtschaftliche Notlage ausreichend bestimmt ist und ob eine Anknüpfung der Normenwirkung an Bedingungen, deren Eintritt nicht konkret vom Normengeber festgestellt wird, dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt. Wenn eine auflösende Bedingung "wirtschaftliche Not" auch auslegungsbedÜfftig ist, so ist der Begriff aufgrund der Rechtsprechung zur Verfallbarkeit von Rentenansprüchen in Notlagen durchaus bestimmbarlI. Schwerwiegender erscheint die Überlegung, ob es dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt, die Existenz einer normativen Bestimmung von dem Eintritt einer Bedingung abhängig zu machen, weil dann der Betroffene selbst überprüfen muß, ob diese Voraussetzung erfüllt und die Wirkung noch gegeben ist. Dies ist sicherlich ungewöhnlich. Andererseits ist hervorzuheben, daß jeder Tatbestand, der eine Rechtsfolge auslöst, sich zunächst an den Normenunterworfenen wendet. Insoweit muß er die konkrete Anwendbarkeit selbst prüfen. Eine Bedingung für die Geltung könnte zudem als Tatbestandsmerkmal in die Norm aufgenommen werden. Ist der Bestimmtheitsgrundsatz dann nicht verletzt, so kann nichts anderes gelten, wenn ein Sachverhalt einer Tatbestandsprüfung als Bedingungsprüfung vorausgeht. Insoweit hat das BVerfG schon entschieden, daß es sogar zulässig ist, wenn der Gesetzgeber das Inkrafttreten eines förmlichen Gesetzes von einer Bedingung abhängig macht 12 • Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz ist demnach nicht gegeben. 11 V gl. zum Begriff der "Wirtschaftlichen Notlage" eines Betriebes unten Zweiter Teil E IV I d), cc) - Seite 186 ff. 12 BVerfGE 42, 263 ff. - 282 ff. Dort ging es um ein Gesetz, mit dem die Bundesrepublik Deutschland im Gefolge des Falles "Contergan" eine Stiftung gründete, wobei
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Weiterhin könnte man in Erwägung ziehen, ob eine solche auflösende Bedingung gegen den Vertrauensschutz verstößt. Dazu müßte schützenswertes Vertrauen mißachtet werden. Es wurde schon ausgeführt, daß ein berechtigtes Vertrauen in einen unveränderten Fortbestand von Gesamtvereinbarungen grundsätzlich nicht bestehe 3 • Eine auflösende Bedingung mit ex nunc Wirkung ist daher unproblematisch. Eine Auflösung mit Wirkung ex tunc ist nach obigen Ausführungen nur in engen Schranken zulässig, soweit gewordene Individualrechte betroffen würden l4 • Die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung führt daher weder aus Bestimmtheits- noch aus Vertrauensgrundsätzen eine Rechtsunsicherheit herbei und ist daher auch bei Gesamtvereinbarungen zulässig I 5 • Die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung "wirtschaftliche Notlage" ist somit nicht ausgeschlossen.
2. Wahrscheinlichkeit einer solchen Vereinbarung a) Ausdrückliche Vereinbarung Eine auflösende Bedingung "wirtschaftliche Notlage" dürfte normalerweise nicht zu erwarten sein, weil die Kollektivpartner an den Eintritt einer solchen Situation nicht denken. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wird die Arbeitnehmerseite auf einer einvernehmlichen Änderung bestehen, da andernfalls eine Regelungslücke entstehen könnte, während eine Anpassung schon genügen würde. Außerdem setzt eine einvernehmliche Änderung die Zustimmung beider Seiten voraus. Bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit und den Umfang einer Anpassung, so müssen die Arbeitgeber die Arbeitnehmer überzeugen und sich letztlich mit dem begnügen, was deren Repräsentant akzeptiert. Entsprechend zeigt die Praxis der sogenannten Härteklauseln in Tarifverträgen l6 , daß die Arbeitnehmerseite über das Vorliegen solcher Umstände mitentscheiden will. Daher käme die Vereinbarung einer solchen auflösenden Bedingung einer gewissen Selbstentmachtung der Arbeitdie Hälfte des Stiftungsvennögens in Höhe von DM 100 Millionen von der Finna Chemie GrünethaI GmbH zu zahlen war. Das Gesetz sah gleichzeitig eine Freistellung der Finna Chemie GrünethaI GmbH von Ansprüchen der Geschädigten vor. Das Gesetz bestimmte ausdrücklich, daß es mit Einzahlung des Stiftungsbeitrages durch die Finna Chemie Grünetahl GmbH in Kraft tritt. 13 s.o. Erster Teil B. 11 - Seite 102 ff. 14 s.o. Erster Teil B. I - Seite 90 ff. 15 Vgl. MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 22; Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 54; Löwisch / Rieble, TVG § I Rz. 357. 16 Diese Klauseln erlauben eine einvernehmliche Befreiung von der Tarifbindung für besonders existenzgefährdete Unternehmen.
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nehmervertretung gleich. Der Widerstand der Arbeitnehmer gegen derartige Bestimmungen dürfte deshalb regelmäßig unüberwindbar sein. b) Immanente Bedingung nach der Lehre von der clausula rebus sic stantibus Nach der Lehre von der clausula rebus sic stantibus, die im älteren Gemeinen Recht entwickelt wurde, waren die wesentlichen äußeren Verhältnisse eines jeden Schuldvertrages Voraussetzung der andauernden Vertragsbindung. Eine erhebliche Veränderung dieser Umstände sollte die Bindung entfallen lassen. Das Rechtsverhältnis stand somit unter dem gedachten Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse. Die Lehre von der clausula rebus sic stantibus geht also letztlich von einer immanenten auflösenden Bedingung aus l7 • Hiernach käme zwar eine Berücksichtigung von erheblichen wirtschaftlichen Verschlechterungen in Betracht, doch wurde diese Lehre - im Gegensatz zu einigen älteren Gesetzesbüchern - bewußt nicht in das BGB aufgenommen. Ihre Anwendung scheidet daher aus. Außerdem würde, wie schon bei der Lehre der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, als Rechtsfolge nur die gänzliche Vertragsaufhebung möglich sein, was nicht der Schutzwürdigkeit des Vertragspartners im Sinne des Grundsatzes der Vertragstreue gerecht wird. Schließlich unterstellt man gerade dort eine Bedingung, wo wegen mangelnder tatsächlicher Vereinbarung oder entsprechender Gestaltungsrechte sich erst die Frage nach einer Beschränkung der Vertragsbindung stellt. In Wirklichkeit fehlt es also an einer solchen Bedingung, weshalb diese Lehre abzulehnen ist'8.
c) Unentwickelte Bedingung Schließlich käme noch eine auflösend wirkende Bedingung nach der Lehre
Windscheids von der unentwickelten Bedingung in Betracht. Danach sollen die wesentlichen äußeren Umstände die Wirkung einer Willenserklärung beschränken. Sie seien unentwickelte Bedingungen dieser Erklärung und damit auch des Vertrages, der hierauf fußt. Entfalle durch die Veränderung der Verhältnisse die Voraussetzung für die Willenserklärung, so werde der Vertrag unwirksam, zumindest könne man gegen die Inanspruchnahme die Einrede der Arglist erheben. Die unentwickelte Bedingung sollte somit eine Zwischenstufe zwischen dem bloßen Motiv und der tatsächlich vereinbarten Bedingung sein l9 • Vgl. m.w.N. Soergel- Teichmann, § 242 Rz. 203. Fikentscher, Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 7 f. 19 Vgl. m.w.N. Soergel- Teichmann, § 242 Rz. 204. 17 18
D. Zusammenfassung
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Problematisch an dieser Lehre ist schon die Abgrenzung von unerheblichen Motivirrtümern zu solchen unentwickelten Bedingungen. Zwar wollte Windscheid die Abgrenzung psychologisch nach dem Erwartungsbewußtsein des Erklärenden vornehmen, doch muß im Ergebnis eine normative Wertung erfolgen, weil andernfalls der Vertrauensschutz des Empfängers gemäß § 157 BGB mißachtet wird. Abzulehnen ist letztlich auch diese Konstruktion, weil sie als Rechtsfolge nur die vollständige Vertragsauflösung begründen kann, was aus den genannten Gründen nicht überzeugt20. Mit der Vereinbarung einer auflösenden Bedingung "wirtschaftliche Notlage" ist deshalb das Problem des Fortbestandes von Gesamtvereinbarungen in wirtschaftlichen Krisen nicht befriedigend zu lösen.
D. Zusammenfassung Erster Teil 1. Gesamtvereinbarungen sind privatrechtliche Verträge, die im normativen Teil private Rechtsetzung enthalten. Die normative Wirkung ist die Folge eines staatlichen Geltungsbefehls. 2. Da Gesamtvereinbarungen privatrechtliehe Verträge sind, fmden die Bestimmungen des BGB, vornehmlich des allgemeinen Teils, des allgemeinen Schuldrechts sowie die arbeitsrechtlichen Prinzipien Anwendung, sofern sich nicht aus den speziellen Regelungen des Tarif- und Betriebsverfassungsrechts oder aus der Natur der Sache etwas anderes ergibt. Für eine einseitige Einwirkung durch die Arbeitgeberseite kommen daher insbesondere Anfechtung, Widerruf, Rücktritt, Kündigung und die Vertragsaufsage in Betracht. 3. Da es sich um private Rechtsetzung handelt, stellt diese allein wegen des staatlichen Geltungsbefehles keine demokratisch legitimierte Rechtsetzung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie dar. Negative Eingriffe in die Rechtsstellung der Normenunterworfenen können daher lediglich getroffen werden, wenn a) die Betroffenen die private Rechtsetzung durch eine eigene privatautonome Unterwerfung legitimiert haben, so insbesondere bei beiderseitiger Tarifgebundenheit; b) die Betroffenen selbst am Abschluß der Gesamtvereinbarung beteiligt waren, also auf Arbeitgeberseite bei Betriebsvereinbarungen und Firmentarifverträgen; oder
20 Vgl. Fikentscher, Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 6.
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Erster Teil: Grundlagen der Untersuchung
c) gesetzgeberische Grundentscheidungen vorliegen, die einen begrenzten Zugriff nach Inhalt, Zweck und Ausmaß erlauben. Hierbei ist die mögliche Intensität eines Zugriffs von der gesetzlichen Regelungsdichte abhängig. Ein darüber hinausgehender Zugriff überschreitet die Grenzen der staatlichen Anerkennung und ist daher vor der Rechtsordnung unwirksam. 4. Aufgrund der gesetzesgleichen Wirkung ist die mittelbare Anwendung der verfassungsmässigen Werteordnung in besonderem Maße geboten. Die Sozialpartner müssen daher bei einem rückwirkenden Eingriff die allgemeinen Vertrauensgrundsätze beachten, die auch dem Gesetzgeber bei rückwirkender Gesetzgebung auferlegt sind. Daher ist ein echte Rückwirkung nur zulässig, wenn ein Bagatelleingriff erfolgt, eine unklare Rechts- oder Sachlage geordnet oder ein Vertrauen entfeHlt, weil die Normenunterworfenen mit einer rückwirkenden Neuregelung rechnen mußten, was ohnehin für die Handlungsfähigkeit der Sozialpartner unerläßlich ist. Bei der unechten Rückwirkung ist prinzipiell ein schützenswertes Vertrauen der Normenunterworfenen abzulehnen, weil sie aufgrund der privatrechtlichen Basis der Gesamtvereinbarungen mit einer Änderung rechnen müssen. 5. Der Bestand von Gesamtvereinbarungen ist vom Eintritt einer wirtschaftlichen Krise als Faktum unabhängig!. Das entspricht dem Gedanken, den Arbeitnehmerschutz durch kollektive Gesamtvereinbarungen gerade -in wirtschaftlich bedrängten Zeiten nicht ohne weiteres entfallen zu lassen, wenn der Arbeitgeber wegen Arbeitsplatzknappheit eine besondere Machtstellung innehat.
! Wer die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ipso jure eintreten läßt, kann insoweit zu einem anderen Ergebnis gelangen, als die wirtschaftliche Bedrängnis die Voraussetzungen dieses Rechtsinstituts erfüllt. Da es jedoch überzeugender ist, den Wegfall der Geschäftsgrundlage als Gestaltungsrecht aufzufassen - wie noch darzulegen sein wird - vgl. Zweiter Teil F I 2 - Seite 201 ff. -, erfolgt seine Erörterung erst unter den echten Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite.
Zweiter Teil
Möglichkeiten und Grenzen des wirtschaftlich motivierten einseitigen Arbeitgebereingriffs in Betriebsvereinbarungen und ihre Rechtsfolgen Da eine wirtschaftliche Krise nicht automatisch die Existenz von Gesamtvereinbarungen berührt, ist zu untersuchen, ob sie der Arbeitgeberseite Möglichkeiten eröffnet, nachträglich auf den Bestand abgeschlossener Gesamtvereinbarungen einzuwirken.
A. Anfechtung I. Das Rechtsinstitut der Anfechtung
Das Privatrecht eröffnet den Rechtssubjekten die Möglichkeit, ohne staatlichen Zugriff ihre Bedürfnisse selbst ~ befriedigen. Die vertragliche Selbstbindung erlaubt den Parteien, gegenseitige Rechte und Pflichten zu begründen und dadurch den Austausch von Rechtspositionen vorzunehmen. Sie lebt von der Idee, daß jeder sich durch seinen Willen verpflichten kann und zwar durch die Abgabe einer von einem Rechtsbindungswillen getragenen Willenskundgabe - der Willenserklärung -. Beim Vertrag erfolgt dies über den Prozeß des "Sich-Einigens", indem die Partner zu einem übereinstimmenden Geschäftswillen gelangen, den sie durch die Abgabe korrespondierender Willenserklärungen zum Ausdruck bringen I . Diese werden hierbei gemäß §§ 133 und 157 BGB objektiv nach dem Empfängerhorizont ausgelegt, sofern nicht beide Parteien eine Erklärung gleichermaßen in einem bestimmten abweichenden Sinne verstanden haben ("falsa demonstratia non nocet")2. Folglich kann der objektiv ermittelte Sinn einer Erklärung vom tatsächlichen Willen des Erklärenden abweichen. Die Bindung ist dann nicht mehr mit dem wirklichen Willen zu begründen. Vielmehr greift ein Verkehrsschutz aus dem Gedanken, daß derjenige, der mißverständliche Willenserklärungen abgibt, hierfür einstehen muß 3 • I Ennan _ Hefermehl, Vor. § 145 Rz. If.; Palandt - Heinrichs, Einf. v. § 145 Rz. I - 3; vgl. §§ 145 ffBGB. 2 BGHZ 20,110 ff; BGHZ 71,247 ff.; BGH NJW 1996, 1679; BAGE 22,174 ff.; m.w.N. Erman - Brox, § 119 Rz. 5; Palandt - Heinrichs, § 133 Rz. 8. Diese allgemeinen Auslegungsregeln gelten bei Nonnenverträgen jedoch nur eingeschränkt, weshalb die Anwendung des Grundsatzes "falsa demonstratia non nocet" bei Betriebsvereinbarungen nicht greifen dürfte.
8 Bcathalter
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Zweiter Teil: Einseitige Eingriffsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Das Rechtsinstitut der Anfechtung dient nun dazu, einen Vertragspartner von der Bindungswirkung, die seiner Willenserklärung gemäß § 130 BGB anhaftet, wieder zu befreien, sofern deren Inhalt von seinem tatsächlichen Willen abweicht. Es verhilft auf diese Weise der Grundidee der willentlichen Selbstbestimmung zum Durchbruch4 • Die Abweichung kann einerseits darin bestehen, daß der gefaßte Wille mißverständlich geäußert wurde; andererseits können für die Willensbildung maßgebliche Umstände in der vorgestellten Weise in Wirklichkeit nicht gegeben sein - sog. Motivirrtum. Die Anfechtung wird durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gemäß § 143 BGB vollzogen und vernichtet gemäß § 142 Abs. 1 BGB die fehlerhafte Willenserklärung ex tunc. Sie ist nur wirksam, wenn der Willensfehler einem Anfechtungsgrund gemäß den §§ 119 - 123 BGB entspricht; andernfalls bleibt es bei der Bindung an die objektiv ausgelegte Erklärung. Es stellt sich die Frage, ob der Eintritt wirtschaftlicher Schwierigkeiten zur Anfechtung berechtigt. 11. Anwendbarkeit der Anfechtungsregeln auf Betriebsvereinbarungen Die Anfechtung wegen einer wirtschaftlichen Krise kommt nur in Betracht, wenn dieses Rechtsinstitut auch für Betriebsvereinbarungen gilt. Da sie grundsätzlich auf alle privaten Willenserklärungen anwendbar ist, könnte ihrer Geltung bei Betriebsvereinbarungen lediglich deren normative Wirkung entgegenstehen. Ein Rechtssatz ist in seinem Bestand von einer fehlerhaften "Willensäußerung" des Normgebers unabhängig; vielmehr gilt sein objektivierter Wille. Will er diese Wirkung beseitigen, so muß er durch einen neuen Rechtsetzungsakt die Norm mit entsprechendem geändertem Inhalt erlassen. Insoweit könnte die normative Wirkung die Unzulässigkeit der Anfechtung von Gesamtvereinbarungen begründens• Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die gesetzlich angeordnete unabdingbare Wirkung erst tatbestandlich an den Vertrag anknüpft und somit die vertragliche Rechtsnatur gerade nicht ausräumt6 • Die Betriebsvereinbarung bleibt deshalb ein Rechtsgeschäft. Insoweit müssen sich Bestand und Ände3 Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des BGB, Bd. I, 2. Hbd., § 164 III 1. S. 1019 ff.; Erman-Brox, § 133 Rz. 19; Palandt-Heinrichs, § 133 Rz. 9. 4 Erman _ Brox, § 119 Rz. I; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 4.8, S. 59ff.; m.w.N: Palandt-Heinrichs, vor § 116 Rz. 19. 5 Für Tarifverträge Wiedemann/ Stumpf, TVG § 1 Rz. 109 (im Widerspruch zu § 4 Rz.25); Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 48.
A. Anfechtung
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rung der Betriebsvereinbarung an den vertragsrechtlichen Bestimmungen orientieren, andernfalls die vertragliche Richtigkeitsgewähr zweifelhaft ise. Erst danach ist zu überprüfen, ob das Ergebnis mit dem Normencharakter vereinbar ist. Die Anfechtung führt privatrechtlich zu einer Vernichtung der Betriebsvereinbarung. Damit entfallt der Anknüpfungstatbestand für die normative Wirkung gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG. Der normative Charakter verbietet dann die Anwendbarkeit der Anfechtungsregeln, wenn der Wegfall der normativen Regelung mit eben diesem Charakter unvereinbar wäre. Zunächst könnte man annehmen, daß eine Anfechtung, die gemäß § 142 Abs. 1 BGB ex tunc wirkt, mit dem Vertrauensschutz nicht in Ein-
klang zu bringen ist. Die Anfechtung einer Betriebsvereinbarung wäre dann nicht möglich. Doch ist im Individualarbeitsrecht die Möglichkeit einer Anfechtung anerkannt, die lediglich ex-nunc wirkt, wenn dort allerdings aus der Überlegung heraus, daß geleistete Arbeit nicht zurückgewährt werden kann und daher eine Rückabwicklung nach dem Bereicherungsrecht völlig unpraktikabel ist8 • Eine Anfechtung mit Wirkung ex-nunc ist also möglich, sodaß es zwar notwendig aber auch ausreichend ist, das Anfechtungsrecht entsprechend den obigen Ausführungen zum Vertrauensschutz zu beschränken. Im Ergebnis bedeutet dies, daß regelmäßig die Anfechtung nur ex nunc wirken kann, es sei denn, ein schützenswertes Vertrauen der Belegschaft fehlt und die Regelung kann ausnahmsweise faktisch noch für die Vergangenheit beseitigt werden9 • Die Anfechtung beseitigt demnach die Folgen der Willenserklärung und damit mittelbar die Betriebsvereinbarung grundSätzlich nur ex nunc. Eine ex tunc-Wirkung wäre ausnahmsweise zwar insoweit zulässig, als etwa die Normenunterworfenen von einer Anfechtbarkeit bzw. zumindest einem Streit zwischen den Betriebspartnern hierüber Kenntnis hätten, doch dürfte ein solcher Fall nicht häufig vorkommen. Ein Verstoß gegen Vertrauensgrundsätze ist durch ihre Beachtung innerhalb der Anfechtungrechte ausgeschlossen. Erklärt ein Arbeitgeber ausdrücklich eine Anfechtung ex tunc, so ist diese unwirksam und kann allenfalls gemäß § 140 BGB in eine ex nunc umgedeutet werden. Ist eine Anfechtung somit praktisch nur ex nunc möglich, so stellt sich die Frage, ob sie in diesen Fällen nicht durch das Rechtsinstitut der Kündigung, 6
Ähnlich für Kündigungen von Gesamtvereinbarungen Thiele RdA 1968, 424 ff. -
425. Für Tarifverträge MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 19. Vgl. m.w.N. Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 1216. 9 Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 77 Rz. 31; Dietz / Richardi, BetrVG § 77 Rz. 38; m.w.N. Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 192. 7
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Zweiter Teil: Einseitige Eingriffsrechte bei Betriebsvereinbarungen
welches gerade für eine zukünftige Vertragsbeendigung geschaffen wurde, als lex specialis verdrängt wird lO • Indes hat das BAG II und ihm folgend die herrschende Lehre l2 bereits im gleichgelagerten Streit im Individualarbeitsrecht darauf hingewiesen, daß erhebliche Unterschiede zwischen den Wirkungen einer Kündigung und einer Anfechtung bleiben. Während die Kündigung das bestehende Vertragsverhältnis beendet, vernichtet die Anfechtung die Willenserklärung und negiert damit die Vertragsgrundlage\3. Bei der Anfechtung ist der Vertrag als nie geschlossen zu behandeln. Darf eine Anfechtung aufgrund des Vertrauensschutzes nur ex nunc erfolgen, so bezieht sich diese ex nunc Wirkung allein darauf, daß die Betriebsvereinbarung causa des abgewickelten Leistungsaustausches bleibt und zur Bewirkung nicht erfüllter Leistungen für bereits erbrachte Gegenleistungen verpflichtet. Alle übrigen Grundsätze, die bei der Beendigung eines korrekt entstandenen Schuldverhältnisses gelten, greifen nicht l4 • Daher kommt z.B. kein Kündigungsschutz in Frage. Eine Dreimonatsfrist, wie sie § 77 Abs. 5 BetrVG bei der ordentlichen Kündigung von Betriebsvereinbarungen vorsieht, ist nicht einzuhalten. Im praktischen Ergebnis dürfte noch bedeutsamer sein, daß keine Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG erfolgt, weil die Vereinbarung nicht als abgelaufen sondern als nicht geschlossen gilt. Diese unterschiedlichen Rechtsfolgen wären fragwürdig, wenn es für diese Differenzierung an einer Rechtfertigung fehlt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Während eine Kündigung lediglich ein erst später krank gewordenes Schuldverhältnis beenden und daher zukünftig wirken soll, dient die Anfechtung dazu, einem Schuldverhältnis, welches von Anfang an wegen einer fehlerhaften Willenserklärung gestört ist, insgesamt seine Wirkungen zu entziehen. Der unterschiedlichen Behandlung liegen also andersartige tatsächliche Voraussetzungen zugrunde. Die Kündigung ist demnach kein spezielleres Rechtsinstitut sondern ein aliud. Die Anfechtung wird folglich nicht durch die Kündigungsregeln verdrängt. Eine Anfechtung von Betriebsvereinbarungen ist daher grundSätzlich möglich lS • 10 Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 194; HesslSchlochauerlGlaubitz BetrVG - Hess, § 77 Rz. 116; wohl auch Koberskil Clasen! Menzel, TVG § 1 Rz. 31; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz. 54; Brox BB 1964, 523 ff. - 527. 11 Grundlegend BAGE 5,159 ff.; bestätigt durch BAGE 11,269 ff. - 272. 12 Schaub, Arbeitsrecht S. 207 f.; MünchKomm-Söllner. § 611 Rz. 292 f.; so schon Molitor, Erich, Die Kündigung, S. 24 f; m.w.N. Picker ZfA 1981, 1 ff - 4ff, insbesondere 7 ff. 13 Grundlegend BAGE 5, 159 ff. - 162 ff. 14 BAGE 5, 159 ff. - 163. 15 Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 40; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 220.
A. Anfechtung
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ill. Die wirtschaftliche Krise als Anfechtungsgrund
Ist die Anfechtung allgemein zulässig, so kann die Arbeitgeberseite sie wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten dennoch nur wirksam erklären, wenn hierin ein Anfechtungsgrund liegt. Hierbei müssen zwei Fallgruppen unterschieden werden. Zum einen, daß beim Abschluß einer Gesamtvereinbarung von bestimmten konkreten Sachverhalten ausgegangen worden ist, die nicht vorliegen und eventuell eine wirtschaftliche Krise des Betriebes hervorrufen bzw. verstärken l6 • Zum anderen ist an die Konstellation zu denken, daß die konkreten Vorstellungen der Kollektivpartner korrekt waren, aber eine unerwartete negative Entwicklung später zu einer wirtschaftlichen Krise geführt hat.
1. Anfechtung bei einer unerwarteten allgemein schlechten Entwicklung Soweit es um eine allgemein unerwartete negative Entwicklung bei ansonsten korrekten Vorstellungen geht, ist zu beachten, daß die Anfechtung, wie oben ausgeführt, dazu dient, Fehler bei der ursprünglichen Willensbildung zu korrigieren. Wenn im Rahmen einer Vertragsabwicklung erst später unerwartete Entwicklungen eintreten, betrifft dies nicht mehr die Willensbildung, die der abgegebenen Erklärung zugrunde lag. Hier muß vielmehr im Vertragsrecht nach anderen adäquaten Möglichkeiten der Anpassung oder Beendigung des Rechtsgeschäfts gesucht werden. Eine Anfechtung ist jedenfalls nicht möglich.
2. Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB a) Nach allgemeiner DefInition des Eigenschaftsirrtums Sind allerdings konkrete Umstände in Wirklichkeit nicht so, wie sie von den Betriebspartnern bei Abschluß einer Betriebsvereinbarung zu Grunde gelegt wurden, stellt sich die Frage, ob hierin ein Anfechtungsgrund liegt. In diesen Fällen geht es nicht um eine mißverstandene Willensäußerung, sondern um einen Irrtum über Sachverhalte, die der Willensbildung zugrunde lagen. Es handelt sich damit um Fälle eines Motivirrtums 17 • 16 Erinnert sei an die in der Einleitung erwähnten Fälle, daß der Dotierungsrahmen eines Sozialplanes auf einem Grundstück, das das einzig wesentliche Vermögen des Betriebes darstellt, oder auf dem erwarteten Gewinn eines erteilten Großauftrages beruht und sich später herausstellt, daß ein Rückübertragungsanspruch bezüglich des Grundstückes besteht bzw. der Großauftrag entfällt. 17 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Irrtümern bei der Willenserklärung zu den Motivirrtümern bei der Willensbildung - Erman - Brox, § 119 Rz. 50; Enneccerus-
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Zweiter Teil: Einseitige Eingriffsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Das Gesetz kennt die Zulässigkeit einer Anfechtung wegen eines solchen Irrtums nur beim Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 2 BGB. Dieser ist gegeben, wenn sich eine Partei über solche Eigenschaften der Person oder der Sache irrt, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Darunter werden bei Personen deren Charakter und Befähigung etc. subsumiert, soweit sie für den Vertragszweck erheblich sind. Bei Sachen versteht man darunter neben ihrer Beschaffenheit auch die sogenannten wertbildenden Faktoren nicht aber den Preis selbst l8 • Folglich betrifft der in § 119 Abs. 2 BGB geregelte Motivirrtum äußere Umstände nur im Falle einer indirekten - via wertbildende Faktoren - Fehlvorstellung über den Wert von Diensten einer Person oder einer Sachleistung. Insoweit regelt er Fälle, in denen der Irrtum aus der Sicht des Irrenden das Synallagma des Vertrages selbst betrifft l9 • Bei der wirtschaftlichen Notlage ändert sich nicht der vorgestellte Wert der erbrachten Arbeitsleistung. Folglich führen die hier interessierenden falschen Vorstellungen nicht zu einer Verschiebung des von einer Partei vorgestellten Synallagmas, wie ihn die allgemeine Deftnition des Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB voraussetzt.
b) Eigenschaftsirrtum im Sinne des offenen Kalkulationsirrtums Soweit beide Betriebspartner bestimmte wirtschaftliche Umstände gemeinsam ihrem Vertrag zugrundegelegt haben, oder der Arbeitgeber sie derart deutlich in die Vertragsverhandlungen eingeführt hat, daß die Arbeitnehmerseite sie redlicherweise gegen sich gelten lassen muß, stellt sich die Frage, ob zumindest dies zur Anfechtung berechtigt. Dabei ist eine sinngemäße Anwendung der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum sogenannten offenen "Kalkulationsirrtum" in Betracht zu ziehen. Danach sollte bei einer Offenlegung von Kalkulationsgrundlagen der einen oder beider Parteien anzunehmen sein, daß sie als Motiv durch die Vertragsverhandlungen Bestandteil der Erklärung geworden seien. Da es sich hierbei nicht um die Abweichung des Nipperdey, Lehrbuch des BGB, Bd. I 2., Hbd., § 166 11, S. 1030 f.; m.w.N. Pa1andtHeinrichs, § 119 Rz. 29. 18 Erman _ Brox, § 119 Rz. 47; Larenz, AT des BGB § 20 11 S. 371ff.; m.w.N. Palandt - Heinrichs, § 119 Rz. 27. 19 Dementsprechend wird der Motivirrtum des § 119 Abs. 2 BGB teilweise auch als besonderer Erklärungsirrtum aufgefaßt. Noch weitergehend Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des BGB, § 168 I, II 2. S. 1042ff. u. S. 1046 f.; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 24 S. 476 ff., die verlangen, daß die Parteien in diesen Fallgestaltungen de facto eine verkehrswesentliche Eigenschaft zumindest konkludent zum ErklärungsinhaIt ihrer Willensäußerungen gemacht haben müssen, andernfalls ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliege. Eine solche Beschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dieses begnügt sich mit der Haftung für den Vertrauensschaden gemäß § 122 BGB, vgl. m.w.N. Larenz, AT des BGB § 20 11 S. 369 f.
A. Anfechtung
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Erklärten vom Gewollten, sondern um einen Motivirrtum handelt, hielt das Gericht es für sinnvoll, diesen über eine erweiterte Auslegung des § 119 Abs. 2 BGB zu erfassen. Soweit wirtschaftliche Umstände konkret in Vertragsverhandlungen eingeführt werden, kann dies letztlich nur zu dem Zweck einer Kalkulation erfolgen, so daß eine Anfechtung gemäß § 119 Abs. 2 BGB zulässig wäre. Diese Rechtsprechung war heftiger Kritik ausgesetzt. So wurde betont, daß die Offenlegung der Kalkulation durch eine Seite eine Verhandlungs strategie sein kann, um zu zeigen, billiger geht es nicht oder mehr ist nicht möglich. Daß aus einem solchen Verhalten eine Begrenzung der Bindung an die Willenserklärung folgen könne, sei nicht gerechtfertigt20. Vornehmlich ist zu betonen, daß eine erweiterte Auslegung des § 119 Abs. 2 BGB dazu führt, den Anfechtenden zu verpflichten, der anderen Partei Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB zu leisten. Beim offengelegten Kalkulationsirrtum erscheint dies kaum interessengerecht, täuschen sich doch beide Parteien gleichermaßen21 . Selbst wenn sich nur der Anfechtende irrt, erscheint ein Schadensersatz nach § 122 BGB nicht gerechtfertigt, wenn das Motiv derart offengelegt wurde, daß sich die andere Partei redlicherweise hierauf einzulassen hat22 • Ist damit eine erweiterte Auslegung des § 119 Abs. 2 BGB abzulehnen, so muß von einer Regelungslücke ausgegangen werden, die nicht mehr durch das Anfechtungsrecht sinnvoll geschlossen werden kann. Der Bundesgerichtshof hat sich der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht angeschlossen23 . Eine Anfechtung in diesen Fällen ist also auch nicht möglich. Es kann somit festgestellt werden, daß der Arbeitgeber aufgrund einer wirtschaftlichen Krise nicht zur Anfechtung einer Betriebsvereinbarung berechtigt ist, gleichgültig worauf diese zurückzuführen ist.
Larenz, AT des BGB § 20 11 S. 363f. Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des BGB, § 177 VI, S. 1086; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 23-4, S. 471. 22 Zum Teil wird eine Anfechtung analog § 119 unter Ausschluß des § 122 vertreten MünchKomm - Kramer, § 119 Rz. 124; offengeIassen OLG DüsseIdorfNJW-RR 1996, 1419 f. - 1420. Damit wird die gesetzliche Regelung praktisch aufgeweicht, um das gleiche Ergebnis wie bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage zu erzielen, was nur über § 242 BGB zu erklären ist. 23 Vgl. BGH LM § 119 Nr. 8 und Nr. 21; m.w.N. Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 327 ff. 20
21
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Zweiter Teil: Einseitige Eingriffsrechte bei Betriebsvereinbarungen
B. Widerruf Den Widerruf hat das BGB nicht geregelt. Er ist im Rahmen der allgemeinen Vertrags freiheit des § 305 BGB vereinbar und wird als Gestaltungsrecht verstanden, das einer Partei erlaubt, durch einseitige empfangsbedÜfftige Willenserklärung eine frühere Erklärung zu beseitigen oder einen abgeschlossenen Vertrag zu beenden. Wird dem Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung ein Widerrufsrecht vorbehaltlos oder für den Fall einer wirtschaftlichen Notlage gewährt, so könnte eine entsprechende Erklärung seinerseits genügen. Dieses Recht darf nicht mit den oft verwendeten "Widerrufsvorbehalten" bei wirtschaftlicher Notlage in Betriebsvereinbarungen, insbesondere über betriebliches Ruhegeld, verwechselt werden. Solche berühren gerade nicht die Betriebsvereinbarung selbst, sondern lediglich die daraus erwachsenen Individualansprüche der Arbeitnehmer. Es handelt sich daher um ein Leistungsverweigerungsrecht beziehungsweise eine rechtsvernichtende Einrede gegenüber einzelnen Arbeitnehmern in besonderer Unternehmenslage. Ein echter Widerruf im Sinn der Rechtsdogmatik ist dies nicht' . Wie schon erwähnt, spricht die Vertragsfreiheit des § 305 BGB für die Zulässigkeit eines vereinbarten Widerrufsrechtes. Eine solche Regelung steht auch mit der normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung in Einklang, da es in Abgrenzung zu einem auch denkbaren Rücktrittsrecht grundSätzlich nur eine Auflösung ex nunc bewirkt. Das Vertrauen darauf, ein uneingeschränktes Widerrufsrecht nicht völlig grundlos wahrzunehmen, wäre bei einer wirtschaftlichen Krise gewahrt. Für die Praxis werden sich Vereinbarungen über ein Widerrufsrecht ebenso wie auflösende Bedingungen nicht durchsetzen lassen, weil die Arbeitnehmerseite auf die Möglichkeit einer nachträglichen vertraglichen Anpassung verweisen wird, bei der sie mitentscheiden und -gestalten kann. Auch dieses Instrument ist daher unpraktikabel, um die Problemfälle zu lösen.
c. Rücktritt Der Rücktritt wandelt ein Schuldverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Er ist in den §§ 346 ff. BGB als vertraglich vereinbartes Recht I Insoweit ist auch die Ansicht von Durchlaub DB 1980, 496 ff. - 498 verfehlt, der ein Widerrufsrecht bei Sozialplänen in analoger Anwendung des Widerrufsrechtes beim betrieblichen Ruhegeld angenommen hat, dagegen Däubler NZA 1985, 545 - 550 f.; Naendrup AuR 1984, 193- 195 f.; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 88 ff.
D. Ordentliche Kündigung
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geregelt. Als gesetzlicher Rücktritt kommt er im Recht der Leistungsstörungen vor, wo auf die Bestimmungen der §§ 346 ff BGB verwiesen wird. Ein Rücktritt kann hier aus den dargelegten Erwägungen bezüglich des normativen Teiles praktisch nur ex nunc wirken. Damit entfällt ein wesentlicher Unterschied zu Widerruf und Kündigung, als das Leistungsverhältnis nicht mehr in ein Rückgewährverhältnis umgewandelt werden kann. Insoweit könnte man daran denken, daß der Rücktritt bei Betriebsvereinbarungen als Widerrufs- oder Kündigungsrecht auszulegen sei, weil er keine eigenständige Bedeutung neben diesen habeI. Es ist aber zu beachten, daß ein Rücktrittsrecht darauf abzielt, einen Zustand zu ermöglichen, der ohne Vertragsschluß bestünde. Da die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG dispositiv ist2 und ohne Abschluß einer Betriebsvereinbarung nicht greifen würde, wird mit einem vereinbarten Rücktrittsrecht konkludent die Nachwirkung für den Fall der Rechtsausübung ausgeschlossen. Der Rücktritt hat daher eine weitergehende Bedeutung und wird nicht durch Widerruf und Kündigung ausgeschlossen. Allerdings gilt hier aus gleichen Gründen wie beim Widerruf, daß seine Vereinbarung in der Praxis höchst unwahrscheinlich ise.
D. Ordentliche Kündigung Wie oben festgestellt, entfällt die Möglichkeit der Anfechtung regelmäßig deshalb, weil die äußeren Umstände für den Betrieb sich erst nachträglich so verändert haben, daß dadurch die Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung problematisch wird. Zum Zwecke einseitiger Reaktion einer Vertragspartei auf nachträgliche Änderungen der Interessenlage hält unsere Rechtsordnung das Gestaltungsrecht der Kündigung bereit. Dieses kann auch bei Betriebsvereinbarungen Anwendung fmden, wie die Existenz des § 77 Abs. 5 BetrVG beweist, der
I Vgl. RGZ 81, 303; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 221; Staudinger - Preis, § 626 Rz. 13; allgemein rur den Fall, daß ein Rücktritt nur Wirkung rur die Zukunft haben soll, Molitor, Erich, Die Kündigung, S. 17. 2 So jedenfalls die überwiegende Meinung; BAG AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung mit Anm Lund; zuletzt BAG DB 1991, 871 f.; Kempen ArbRdGgW 1993, 97 ff. 105; Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz. 198; Löwisehl Rieble, TVG § 4 Rz. 247; a.A. rur das Tarifrecht noch Hersehel ZfA 1976, 89 ff. - 97 unter Berufung auf das damals noch angenommene Ordnungsprinzip. 3 M.w.N. auch Naendrup AuR 1984,193 ff. - 197 Fn. 39 und 40.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
bestimmt, daß mangels anderer Absprache Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei Monaten kündbar sind. I. Allgemeine Begrenzung des Kündigungsrechts auf Dauerschuldverhältnisse
1. Begrenzung aufDauerschuldverhältnisse Die in § 77 Abs. 5 BetrVG enthaltene, uneingeschränkte Formulierung der Kündbarkeit könnte zu der Annahme führen, jede Betriebsvereinbarung sei frei kündbar. Das Kündigungsrecht ist ein Gestaltungsrecht, das nach Vertragsabschluß eine einseitige Aufhebung ex nunc bzw. nach Ablauf einer Kündigungsfrist erlaubtl. Sie kann bei Verträgen, die keine Dauerschuldverhältnisse regeln als Fälligkeitskündigung vorkommen. Eine Kündigung zur Beendigung des künftigen Leistungsaustausches gibt es hingegen regelmäßig nur bei Dauerschuldverhältnissen. Obwohl es in § 77 Abs. 5 BetrVG erkennbar um die Beendigungskündigung im letztgenannten Sinne geht, könnte die Formulierung des § 77 Abs. 5 BetrVG für Betriebsvereinbarungen insoweit etwas anderes bestimmen, als sie keine Beschränkung auf Dauerschuldverhältnisse enthält. Es ist jedoch zu beachten, daß das Recht einer Vertragspartei, sich einseitig aus einem Vertrag zu lösen, dem Grundsatz "pacta sunt servanda" prinzipiell widerspricht. Dieses Prinzip führt die Selbstbindung von Individuen durch eigene oder zumindest zurechenbare Willenserklärungen herbei, um eine funktionierende Privatrechtsordnung zu ermöglichen, in der der Einzelne ohne staatliche Intervention selber seine Bedürfnisse verfolgen und durchsetzen kann. Wenn ein einseitiges Lösungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen dennoch ohne ausdrückliche Vereinbarung von der Rechtsordnung gewährt wird, erfolgt dies aus der Überlegung, daß bei diesen Rechtsverhältnissen die auszutauschenden Leistungen nicht von Anfang an genau feststehen, sondern die vertragliche Gesamtleistung durch bloßen Zeitverlauf stetig anwächst. Im Hinblick auf den meist unbestimmten Zeitraum, den die Vertragsabwicklung umspannt, ist hier die Gefahr besonders groß, daß durch unerwartete Veränderungen die ursprüngliche Interessenlage einer Partei entfällt, weshalb die Kündigung grundsätzlich als spezielles Gestaltungsrecht für Dauerschuldverhältnisse angesehen wird2 • Die gleiche Interessenlage greift auch bei kollektiven Normenverträgen ein. Man kann daher dem Gesetzgeber nicht unterstelI Esser! Schmidt, Schuldrecht Bd. I Allgemeiner Teil § 20 I; Molitor, Erich, Die Kündigung S. 3. 2 Vgl. MünchKomm 2. Autl- Schwerdtner, Vor § 620 Rz. 39; Deutsches RechtsLexikon, Bd. 2 G - Q, Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses, S. 805 f.
D. Ordentliche Kündigung
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len, eine abweichende Regelung für Betriebsvereinbarungen gewollt zu haben, die nur einen konkreten Einzelfall betreffen. Es wird zwar teilweise die Auffassung vertreten, daß bei Betriebsvereinbarungen, die auf den Einzelfall beschränkt sind, das ordentliche Kündigungsrecht konkludent ausgeschlossen see. Dieser Ausschluß sei eine Vereinbarung im Sinne des § 77 Abs. 5 BetrVG, die jener Vorschrift vorgeht. Nach dieser Ansicht muß sich die Kündigung zunächst ausnahmsweise auf Verträge erstrecken, die keine Dauerschuldverhältnisse begründen, um diese anschließend über die Annahme eines konkludenten Ausschlusses wieder aus dem Anwendungsbereich der Kündigung zu verdrängen. Diese Sichtweise wirkt gekünstelt und ist, von der grundSätzlichen Beschränkung der Kündigung auf Dauerschuldverhältnisse aus betrachtet, überflüssig. Daher ist das Kündigungsrecht nach § 77 Abs. 5 BetrVG auf Dauerschuldverhältnisse beschränkt4 • Hierfür bedarf es keiner Subsumtion unter den Passus "soweit nichts anderes vereinbart ist". Die Begrenzung folgt vielmehr aus dem Rechtsinstitut der Kündigung selbst.
2. Bedeutung der Beschränkung auf Dauerschuldverhältnisse Bei betrieblichen Einzelfallgestaltungen geht es meistens um kurzfristige Angelegenheiten, wie etwa ein früheres Arbeitsende zu einem bestimmten Anlaß (Fußball-WM-Spiel), oder kurzfristige Mehrarbeit wegen eines Sonderauftrages. Über solche Maßnahmen wird normalerweise nicht durch eine den Formvorschriften des § 77 Abs. 2 BetrVG unterliegende Betriebsvereinbarung sondern durch eine sog. Regelungsabrede entschieden. Dabei ist es durchweg von geringer Bedeutung, daß die Kündigung nur bei Dauerschuldverhältnissen zulässig ist. Für die vorliegende Arbeit gewinnt dieser Gesichtspunkt allerdings insoweit an Gewicht, als der Sozialplan typischerweise eine auf den Einzelfall bezogene Betriebsvereinbarung ist5 • Gemäß der Legaldefmition des 3 Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 4; für Sozialpläne etwa Däubler NZA 1985, 545 ff. - 548f.; tendenziell MünchArbR - Matthes, § 319 Rz. 38; wohl auch GKBetrVG, Kreutz § 77 Rz. 312, wenn er darauf abstellt, ob nach dem Zweck eine Mindestlaufzeit anzunehmen ist; im übrigen lehnt er einen Kündigungsausschluß bei einer konkreten Sachverhaltsregelung jedoch ab, aaO. Rz. 311. 4 BAGE 13, 156 ff. - 158 f.; Dietz I Richardi, BetrVG § 77 Rz. 145; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 200; Däubler! Kittnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz.55. 5 Für die vorliegende Arbeit kann auf eine Darstellung des rein dogmatischen Streites, ob der Sozialplan eine Betriebsvereinbarung ist - so die h.M. BAGE 35, 160 = NJW 1982,70 = AP Nr. 12 zu § 112 BetrVG 1972, zuletzt BAG NZA 1995 , 314 ff, 316 -, oder nur gemäß § 112 Abs. I S. 3 BetrVG so zu behandeln ist, verzichtet werden,
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
§ 112 Abs. 1 BetrVG ist er gerade die Einigung über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die durch eine geplante Betriebsänderung entstehen. Es geht also um eine Einzelfallregelung6 • Auch fmanziell bedeutsame Sozialpläne, die betroffenen Arbeitnehmern für eine bestimmte Zeitdauer monatliche Zahlungen gewähren, müssen trotz des Leistungszeitraums als Einzelfallregelungen angesehen werden7 •
Die Einordnung eines Vertrages als Dauerschuldverhältnis hängt nicht allein davon ab, ob Leistungen über einen Zeitraum hinweg erfolgen, weil sonst jeder Ratenkauf als solches aufgefaßt werden müßte. Vielmehr ist mittlerweile allgemein anerkannt, daß ein Dauerschuldverhältnis erst vorliegt, wenn die Leistungspflicht durch bloßen Zeitablauf sich immer wieder erneuert und deshalb die Gesamtleistung nicht von Anfang an feststeht wie bei einem Vertrag, der in Teilleistungen erbracht wird8 • Schließlich könnten Sozialpläne anstatt monatlicher Zahlungen für einen bestimmten Zeitraum genauso eine einmalige Abfindung vorsehen, wie es regelmäßig geschieht, wenn der Dotierungsrahmen relativ niedrig ist. Die Auszahlung über einen längeren Zeitraum erfolgt in der Regel, um die Belastung für das Unternehmen zu mildem und eine höhere Gesamtleistung wirtschaftlich tragbar zu machen. Grundsätzlich begründen Sozialpläne daher keine Dauerschuldverhältnisse und sind deshalb nicht ordentlich kündbar9 • Nur wenn ein Sozialplan ausnahmsweise zeitlich unbegrenzte Ausgleichsleistungen für die Zukunft vorsieht oder die Zahlung laufender Leistungen vom Eintritt ungewisser Ereignisse abhängig gemacht wird - z.B. daß keine anderweitige Wiedereinstellung erfolgt ist -, handelt es sich insoweit um eine Regelung mit Dauercharakter 1o • weil dies keine rechtlichen Folgen auslöst; vgl. ausführlich GK-BetrVG, Fabricius §§ 112, 112 a Rz. 60 ff. 6 Vgl. BAG E 35, 160 = NJW 1982, 70ff - 71; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 52 ff. - 59. 7 Insoweit mißverständlich, wenn vielfach von Dauerregelung gesprochen -BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG =NZA 1995, 314ff - 316 =DB 1995,1240 ff.; Dietzl Richardi, BetrVG § 112 Rz. 90- und teilweise sogar eine Kündbarkeit erwogen wird, wenn Arbeitnehmer befristet laufende Zahlungen erhalten, vgl. etwa Fuchs, Der Sozialplan S. 117 f.; für außerordentliche Kündbarkeit Dietz I Richardi, BetrVG § 112 Rz. 91; Teubner BB 1974, 987 geht sogar allgemein von einer freien Kündbarkeit aus. 8 Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 55 f.; Däubler NZA 1985, 545 ff. - 549; Naendrup AuR 1984, 193 ff. - 199 f. 9 So die h.M. BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314 ff -316 = DB 1995, 1240; Kaven, Recht des Sozialplanes S. 136; Dietz I Richardi, BetrVG § 112 Rz. 89; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG §§ 112, 112 a Rz. 91; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 112 Rz. 118; Halberstadt, BetrVG § 112 Rz. 10; Löwisch, BetrVG § 112 Rz. 22; Wlotzke, BetrVG § 112 11 2 d; m.w.N. GK-BetrVG, Fabricius §§ 112, 112 a Rz. 73 f. 10 Vgl. den instruktiven Fall von BAGE 35, 160 ff. Dort waren für Arbeitnehmer, die in einen anderen Betrieb versetzt wurden, Wegevergütungen vorgesehen worden; vgl.
D. Ordentliche Kündigung
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Im übrigen begründen lediglich sog. Rahmensozialpläne Dauerschuldverhältnisse. Hierbei handelt es sich um Betriebsvereinbarungen, in denen für zukünftige Betriebsänderungen bereits im groben Grundsätze zur Aufstellung von Sozialplänen festgelegt werden, die teilweise schon sehr konkret sein können. Wegen ihres Seltenheitswerts können sie für die allgemeine Einordnung außer Betracht bleiben. Die aufgrund der Sozialplanpflicht besonders teuren Betriebsänderungen bei denen Entlassungen in nicht ganz unerheblichem Maße erfolgen, werden in der Regel von Unternehmen nur durchgeführt, wenn dies wegen wirtschaftlicher Zwänge unumgänglich ist. Schließlich stehen den damit verbundenen Kosten keine Arbeitnehmerleistungen gegenüberli. Betriebswirtschaftlich sind es Verlustposten. Solche Betriebsänderungen sind daher meist die Reaktion auf eine Krise, wo solche Ausgaben zur Unternehmenssanierung bzw. -rettung unvermeidlich erscheinen. Deshalb besteht die Gefahr, daß unerwartete Änderungen der zugrunde gelegten Unternehmenssituation in diesen Fällen besonders schwerwiegende Folgen haben, weil sie ein ohnehin schon kränkelndes Unternehmen treffen. Gerade für die vorliegende Arbeit ist dies mithin eine sehr bedeutsame Ausnahme. 11. Die ordentliche Kündigung von Betriebsvereinbarungen der zwingenden Mitbestimmung Bei Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten, in denen bei Nichteinigung jeder Betriebspartner die Einigungsstelle anrufen kann, deren Entscheidung die Einigung der Betriebspartner alsdann ersetzt (sog. zwingende Mitbestimmung), ordnet § 77 Abs. 6 BetrVG eine unmittelbare, freilich nicht mehr zwingende Nachwirkung an. Weil zudem mit dem Ablauf der alten Betriebsvereinbarung das Initiativrecht beider Betriebspartner zur Aufnahme von Verhandlungen und notfalls zur Anrufung der Einigungsstelle wieder neu entsteht, ist letztlich die freie Kündbarkeit in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung nicht in Zweifel gezogen worden 12 • auch Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 64 f.; Hessl Schlochauerl Glaubitz Hess, BetrVG § 112 Rz. 118. II Jedenfalls handelt es sich um keine wirtschaftlich meßbaren Gegenleistungen, wenn auch das BAG eine Art Gegenleistung in der Hinnahme und Akzeptanz der Betriebsänderung durch die Arbeitnehmer erblickt - BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314ff, - 316 = DB 1995, 1240 ff. Soweit das BAG insoweit auch auf die Hinnahme von Kündigungen und Versetzungen verweist, darf nicht übersehen werden, daß deren Rechtmäßigkeit nicht von Sozialplanleistungen berührt wird. 12 Zwar sind einige der Begründungen zur Einschränkung der freien Kündbarkeit bei Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung auch
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Eine Einschränkung wird deshalb nur durch andere in der maßgebenden Betriebsvereinbarung enthaltene Regelungen herbeigeführt. In der Praxis ist hierbei vor allem der Fall der Befristung relevant. Eine befristete Geltungsdauer ist regelmäßig als konkludenter Ausschluß der ordentlichen Kündigung für diesen Zeitraum aufzufassen; die Befristung bestimmt insoweit die Mindestlaufzeit l3 • Die Bedeutung des Kündigungsrechtes in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung liegt für den Arbeitgeber vor allem darin, daß nach Ablauf der Kündigungsfrist sein Initiativrecht wieder auflebt. Dadurch kann er neue Verhandlungen mit dem Betriebsrat verlangen und notfalls die Einigungsstelle anrufen, die eine Neuregelung treffen muß. Deren Entscheidung kann er gemäß § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG notfalls gerichtlich angreifen, wenn ihr Spruch entgegen § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG die betrieblichen Belange nicht hinreichend berücksichtigt. Der Arbeitgeber kann damit eine fmanziell untragbare Belastung beseitigen l4 • Noch tragbare aber wegen einer Krise nicht unbedenkliche Belastungen sind im Rahmen der Interessenabwägung durch die Einigungsstelle gleichfalls mit einzubeziehen und können zu einer Reduzierung des Leistungsumfangs führen. Praktisch sind die meisten mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten allenfalls mittelbar von fmanzieller Bedeutung. Gerade bei Geld- und geldwerten Leistungen setzt die Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG regelmäßig erst eine freiwillige Entscheidung des Arbeitgebers voraus, solche erbringen zu wollen. So ist es dem Arbeitgeber überlassen, ob er Sozialeinrichtungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG, Werksmietwohnungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG oder Zulagen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gewähren will. Die Mitbestimmung knüpft erst an eine solche Entscheidung an und läßt den Betriebsrat alsdann über die Voraussetzungen der Nutzung beziehungsweise die Verteilungsgrundsätze mitentscheiden, nach denen diese Leistungen den Arbeitnehmern zukommen sollen. Etwas anderes gilt allerdings für die Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Hier erfaßt die Mitbestimmung sowohl den Leistungs- als auch den Geldfaktor und schließt daher mitohne weiteres auf Betriebsvereinbarungen der zwingenden Mitbestimmung anwendbar. Dennoch wurde eine solche Erstreckung nicht in Erwägung gezogen. Zur Kritik gegen diese Einschränkungen siehe nachfolgend unter m. 13 BAGE 4, 232 ff= OB 1957,924; BAGE 16,58 ff. = OB 1964, 1342; LAG Saarland OB 1986, 48 f. 14 Daß diese Kündigungsmöglichkeit trotz des Ausschlusses der Sozialpläne für ein Unternehmen finanziell bedeutsam sein kann, zeigt die ausführliche Darstellung von Moll, Mitbestimmung beim Entgelt. Zu denken ist insbesondere an Sozialeinrichtungen, Werkswohnungen und die Lohngestaltung bei Akkord- und sonstigen leistungsbezogenen Löhnen und Prämien.
D. Ordentliche Kündigung
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telbar die Lohnhöhe ein l5 • Der Arbeitgeber kann den Weg der Kündigung beschreiten, wenn er in wirtschaftlich günstigen Zeiten Leistungen vereinbart hat, die er aufgrund einer Krise nicht mehr erbringen kann. Bis zu einer Neuregelung gilt die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG. Zwar ist der Sozialplan eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit, weil gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG bei Nichteinigung der Betriebspartner der Einigungsstellenspruch die Einigung ersetzt. Doch· wurde schon dargelegt, daß dieser als konkrete Regelung zur Bewältigung einer einmaligen Betriebsänderung grundsätzlich kein Dauerschuldverhältnis begründet und daher einer ordentlichen Kündigung nicht zugänglich ist.
ill. Ordentliche Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen
1. Problemstellung Obwohl der Wortlaut des § 77 Abs. 5 BetrVG nicht zwischen Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten der zwingenden und der freiwilligen Mitbestimmung unterscheidet, ist in den letzten Jahren die uneingeschränkte Kündbarkeit von freiwilligen Betriebsvereinbarungen in Zweifel geraten. Diese begründen sich aus einem Vergleich mit dem Bestandsschutz anderer arbeitsrechtlicher Vereinbarungen und der aus ihnen herrührenden Ansprüche mit jenem, welcher freiwilligen Betriebsvereinbarungen zu Teil wird. So sind individuelle Vereinbarungen prinzipiell nur mit einer Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG zu beseitigen. Hierbei muß eine soziale Rechtfertigung vorliegen und eine vorherige Anhörung des Betriebsrates kann gemäß § 102 BetrVG (bzw. des Sprecherausschußes gemäß § 31 Abs. 2 SprAuG) erforderlich sein. Dies gilt nach der h.M. auch für Gesamtzusagen oder eine betriebliche Übung, weil sie den Individualarbeitsvertrag entsprechend abändern und damit dessen Bestandteil werden sollen l6 • Selbst wenn Leistungen einem vereinbarten Widerrufsrecht des Ar15 So die h.M. BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Provisionen; BAG AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972, Provisionen; BAG DB 1983, 2470 ff.; BAG AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie = EzA Nr. 8 zu § (7 BetrVG 1972 Leistungslohn mit Anm. Gaul = SAE 1988, 253 mit Anm. Lieb; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 87 Rz. 352; Gnade/ Kehrmannl Schneider/ Blanke/ Klebe, BetrVG § 87 Rz. 50; Gaul, Dieter BB 1990, 1549 ff. - 1553; Wlotzke, BetrVG § 87 II lla; m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 832 und 859 ff.; Halberstadt, BetrVG § 87 Rz.137f.; a.A. Hess/ Schlochauer/ Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 532 f.; Stege / Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 189a; Dietz / Richardi, BetrVG § 87 Rz. 59lff. 16 BAG BB 1996, 748; BAG NJW 1996,75 f.; Schaub BB 1996, 1058 ff. - 1059; Voigt, Kollektiver Günstigkeitsvergleich S. 13 ff.; vgl. m.w.N. die Darstellung bei Schaub, Arbeitsrecht S. 961 ff. Ob die Vertragskonstruktion überzeugt, wonach das
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
beitgebers unterliegen, muß bei dessen Ausübung billiges Ermessen gemäß § 315 BGB gewahrt sein, andernfalls der Widerruf unwirksam ist. Dies wird einerseits damit gerechtfertigt, daß eine solche Kontrolle schon erfolgen müsse, um eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes zu vermeiden 17 • Ohnehin handele es sich bei § 315 BGB um einen allgemeingültigen Grundsatz, der in der gesamten Rechtsordnung gelte I8 • Daher sei eine angemessene Abwägung der gegenseitigen Interessen und letztlich ein rechtfertigender Sachgrund für den Widerruf erforderlich l9 • Bei den Kollektivvereinbarungen bestimmt § 77 Abs. 6 BetrVG für abgelaufene - also auch für durch Kündigung beendete - Betriebsvereinbarungen in einer Angelegenheit der zwingenden Mitbestimmung eine unmittelbare Nachwirkung bis zu einer neuen Abmachung. Freilich kann diese auch eine einzelvertragliche Vereinbarung sein. Doch ist hierfür die Zustimmung des Arbeitnehmers notwendig. Außerdem sind nach der herrschenden Theorie der notwendigen Mitbestimmung sämtliche Handlungen des Arbeitgebers gegenüber der Belegschaft rechtsunwirksam, die unter Verstoß gegen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates einseitig vorgenommen werden20 • Hierunter werden insbesondere auch Individualvereinbarungen mit den Arbeitnehmern subsumiert, die nicht für den Einzelfall konkret ausgehandelt, sondern vom Arbeitgeber als generelle Regelung aufgestellt und lediglich individuell durchÄnderungsangebot des Arbeitgebers in dessen Ankündigung, Aushang etc. und die konkludente Annahme durch die widerspruchslose Weiterarbeit der Arbeitnehmer liege, kann hier dahinstehen, vgl. insoweit m.w.N. MünchKomm-Söllner, § 611 Rz. 216 ff.; Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht S. 71ff. Eine nachteilige Vertragsänderung kommt für die Arbeitnehmer durch stillschweigende Arbeit bei einem Verschlechterungsangebot jedoch nicht in Betracht - zutreffend noch BAG NJW 1997, 212 = BB 1996, 2465 f., nicht überzeugend ist daher auf der Grundlage der Vertragstheorie die neuere Entscheidung BAG NZA 1997, 1007. Das vom BAG insoweit anerkannte Änderungsbedürfnis des Arbeitgebers sollte daher Anlaß sein erneut zu überdenken, ob nicht der Vertrauenstheorie zu folgen ist, bei der eine entsprechend langfristig angekündigte nachteilige Änderung ohne die vom BAG gemachten Verrenkungen möglich ist. 17 So insbesondere Hartung DB 1979, 1275 ff. -1276 u. 1278. 18 BAG AP Nr. 1 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Zusatzversorgung; BAGE 47, 238 ff. = DB 1985, 132 = AP Nr. I zu § 4 TVG Bestimmungsrecht; BAGE 55, 53 = AP Nr. 131 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG DB 1994,383 f. 19 Vgl ausführlich m.w.N. zum Widerrufsvorbehalt Leuchten NZA 1994, 721 ff. 724 ff; zu vorbehaltener Teilkündigung und Leistungsbestimmungsrechten des Arbeitgebers Hromodka DB 1995, 1609 ff. Allerdings kann dieser Schutz teilweise sehr gering ausgestaltet sein. So ist es überwiegend anerkannt, daß der Arbeitgeber, der jährliche Gratifikationen bisher jeweils unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt erbracht hat, diese für die Zukunft einstellen kann, und zwar auch für einen schon laufenden Bezugszeitraum zuletzt BAG NJW 1997,213. 20 Statt vieler BAGE 69, 134 ff. - 169 ff.; zuletzt BAG DB 1997,378 ff. = BB 1997, 472ff. = NZA 1997,274 ff.
D. Ordentliche Kündigung
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gesetzt werden21 . Insoweit handelt es sich faktisch um eine kollektive Regelung, die gerade nur von den Betriebspartnern gemeinsam geschaffen werden soll. Daneben hat der Betriebsrat nach neuerer Rechtsprechung einen eigenständigen allgemeinen Unterlassungsanspruch22 . Der Arbeitgeber kann folglich das Mitbestimmungsrecht nicht auf der individuellen Vertragsebene umgehen. Der Betriebsrat darf schließlich eine Neuregelung notfalls durch den Spruch der Einigungsstelle erzwingen, ihm kommt insoweit das sog. Initiativrecht zu. Bei Tarifverträgen greift gemäß § 4 Abs. 5 TVG für den normativen Teil ebenfalls eine unmittelbare Nachwirkung. Außerdem entfällt im Tarifrecht nach der Beendigung eines Vertrages die Friedenspflicht, wie sie für die Betriebspartner gemäß § 74 Abs. 2 BetrVG - bzw. für den Sprecherausschuß gemäß § 2 Abs. 4 SprAuG - unabdingbar gilt. Folglich droht der Arbeitgeberseite im tariflichen Bereich bei Nichteinigung sogar ein Arbeitskampf. Lediglich bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen sowie Richtlinien des Sprecherausschusses nach § 28 Abs. 2 SprAuG soll jederzeit durch eine Kündigung aus beliebigem Anlaß die Beendigung binnen der Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG - bzw. § 28 Abs. 2 S. 3 SprAuG - möglich sein, ohne daß eine Nachwirkung greift, und der Arbeitnehmerseite Mittel zur Verfügung stehen, eine Neuregelung zu erzwingen. Die vom BAG vertretene Ansicht, wonach eine Ablösung von Gesamtzusagen - mit der Folge ihres endgültigen Fortfalls - durch Betriebsvereinbarungen im Rahmen eines kollektiven Günstigkeitsvergleiches zulässig sein so1l23 , bekäme hierdurch eine neue Wendung. Der Schutz der Gesamtzusage durch § 2 KSchG würde durch die Kollektivierung entfallen und der freien Beendigungsmöglichkeit gemäß § 77 Abs. 5 BetrVG weichen. Ein Ergebnis, das mit der Grundintention des gestärkten Arbeitnehmerschutzes im Kollektiv unvereinbar erscheint. Indes zeigt dieser Widerspruch lediglich die Fehlerhaftigkeit der Ansicht des BAG, die hier bereits wegen der Unvereinbarkeit mit dem Parlamentsvorbehalt festgestellt wurde, nachdem die Betriebsvereinbarung als private Rechtsetzung einzuordnen ist. Bei einer vollständigen Ablösung (und nicht nur vorübergehenden Verdrängung) bliebe der sich ergebende Verlust von Be21 Ausführlich zur Abgrenzung der rein individuellen Abmachungen zu Individualvereinbarungen mit kollektiven Bezug, die damit mitbestimmungspflichtig sind. BAG AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit mit Anm. Meisel; GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 15 ff.; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 87 Rz. 11 ff. - 16. 22 Grundlegend BAGE 76, 364 ff. = DB 1994, 2450 ff.; BAG SAE 1995, 93 ff. mit kritischer Anm. Walker; zuletzt BAG DB 1997, 378 ff. = BB 1997, 472ff. = NZA 1997, 274 ff; zust. Halberstadt, BetrVG § 87 Rz. 144; zur Kritik hiergegen Stege I Weinspach. BetrVG § 87 Rz. 3a ff. 23 BAGE 53, 42 ff. - 65 ff. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. 9 Beathalter
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
standsschutz völlig unberücksichtigt, obwohl dies die Günstigkeit, gleich ob individuell oder kollektiv, immer in Frage stellen würde24 • Davon abgesehen erscheint es im Arbeitsrecht diskussionswürdig, den Schutz der Arbeitnehmer im Individualrecht weiter reichen zu lassen als im Kollektiv, solange die Beendigung frei erfolgen kann. Dies gilt um so mehr, als die Vielzahl fmanziell bedeutsamer Betriebsvereinbarungen sog. freiwillige Sozialleistungen betreffen, deren Rechtsgrundlage nach h.M. § 88 BetrVG ist, insbesondere betriebliches Ruhegeld, Weihnachts- und Urlaubsgeld, Gratifikationen und sonstige über- und außertarifliche Leistungen. So hat das BAG zumindest insoweit einen Schutz der Arbeitnehmer eingeräumt, als bei der Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen über Ruhegeld erworbene Versorgungsbesitzstände "kraft Gesetzes" geschützt sind25 • Hierunter versteht der Senat auch Anwartschaften. Mit Gesetz dürfte das BetrAVG gemeint sein, das in seinem ersten Abschnitt die sog. unverfallbaren Anwartschaften aus der früheren Rechtsprechung des BAG übernommen hatte. Diese müssen bei einer Kündigung der zugrundeliegenden Betriebsvereinbarung ebenso erhalten bleiben wie bei einer einvernehmlichen Abänderung durch Arbeitgeber und Betriebsrat. Es seien also dort - wie im Rahmen der Billigkeitsprüfung - die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten26 • Teilweise wurde dieser Schutz auch damit begründet, daß der Arbeitnehmer vorleistungspflichtig sei und daher der Arbeitgeber nach teilweiser Annahme der Gegenleistung das in Aussicht gestellte betriebliche Ruhegehalt als Entgelt hierfür nicht ohne jeden Sachgrund verweigern bzw. beseitigen könne. 24 So auch Hanau, Peter RdA 1989, 207 ff. - 210. Nach der hier vertretenen Theorie der privaten Rechtsetzung können Betriebsvereinbarungen individualrechtliche Vereinbarungen nur verdrängen. Eine weitergehende Wirkung, insbesondere die Nichtigkeit nach § 134 BGB, würde einen unzulässigen Eingriff in die Rechtssphäre des Arbeitnehmers bedeuten, weil die Betriebsvereinbarung kein Gesetz im Sinne der Wesentlichkeitstheorie ist, ähnlich Richardi ZfA 1992, 307 ff. - 323 f.; im Ergebnis auch BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972 mit zust. Anm. Löwisch. Eine andere Frage ist es, ob sie als abweichende Abmachung im Sinne des § 77 Abs. 6 BetrVG angesehen werden könnte. M.E. ist der Wortlaut "abweichend" auch mit zeitlichem Verständnis versehen, so daß eine abweichende Abmachung nur solche Absprachen sein können, die im Nachwirkungszeitraum oder zumindest in seiner Nähe getroffen werden. Dies entspricht auch der Sicherungsfunktion der Nachwirkung im Betriebsverfassungsgesetz. Findet eine Nachwirkung nicht statt, gelangt die verdrängte Individualvereinbarung wieder zur vollen Wirkung. 25 BAG AP Nr. 2 zu § 1 BetrA VG - Betriebsvereinbarung. 26 Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 27 ff.; Rech, Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen S. 110 ff. - 142 f.
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2. Einschränkung der freien Kündbarkeit
a) Freie Kündbarkeit nach der h.M. Obwohl damit die Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung arbeitsrechtlich unmittelbar den geringsten Bestandsschutz genießt, verbleibt es nach der h.M. bei der freien Kündbarkeit27 • Doch bedeutet dies keineswegs, daß eine Betriebsvereinbarung in diesem Bereich mit ihrem Ende jegliche Wirkung verliert. Vielmehr betont die h.M., daß die freie Kündbarkeit von den Folgen der Kündigung zu unterscheiden ises . So bleiben erworbene Rechte nach allgemeinen Grundsätzen von der Kündigung der Betriebsvereinbarung unberührt, weil mit Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale der Anspruchsgrundlage ein Anspruch entsteht, der sich als subjektives Recht von seiner Rechtsgrundlage emanzipiert. Eine rechtsvernichtende Einwendung des späteren Untergangs der anspruchsbegründenden Norm gibt es nicht. Dies würde gegen die Bestimmung des Inkrafttretens einer neuen bzw. hier des Außerkrafttretens der alten Norm verstoßen, weil die neue Rechtslage dann vor ihre zeitliche Geltung zufÜckerstreckt würde 29 • Daneben seien ausnahmsweise auch Anwartschaften auf betriebliches Ruhegeld im Bestand zu erhalten, weil ein besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers wegen der Bedeutung eines betrieblichen Ruhegeldes für seine Lebensplanung und seiner langen Vorleistungspflicht bestehe, wobei letztere es ihm regelmäßig schon nach einigen Jahren unmöglich mache, durch Arbeitsplatzwechsel noch eine umfängliche betriebliche Altersvorsorge andernorts zu erwerben. Insoweit ist zu bedenken, daß betriebliches Ruhegeld grundsätzlich auf eine Entlohnung der Mitarbeit und Betriebstreue während des ganz überwiegenden Teiles des Arbeitslebens ausgerichtet iseo• Dies entspricht dem verstärkten Schutz, den der Gesetzgeber bei der Übernahme früherer Recht27 BAG EzA Nr. 36 zu § 77 BetrVG 1972; BAG NZA 1995, 1010 ff; Loritz RdA 1991, 65 ff - 79; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 133 f.; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 309f.; vgl. ferner Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 208 f., der eine Ausnahme für Rechtsrnißbrauch annimmt, ohne zu erläutern, wann ein solcher vorliegen sol1; Blomeyer BetrA V 1979, 78 ff. - 83; ders. DB 1985, 2506 ff. - 2507, der sich al1erdings aaO. - 2509 selbst widerspricht, wenn er eine sachliche Kontrol1e fordert, ohne dies weiter zu vertiefen. 28 So ausdrücklich BAG AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung; BAG BB 1994, lO72ff - 1073; BAG NZA 1995, 1010 ff. - 1012; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 134 . 29 Vgl. Richardi NZA 1990, 331 ff.- 333; Heither BB 1992, 145 ff. - 148. Das ist im Ergebnis unstreitig, wenn es auch oft unnötiger Weise mit dem Vertrauensgrundsatz gerechtfertigt wird, obwohl dieser nur für zumindest unecht rückwirkende Eingriffe in Betracht kommt. 30 BAG AP Nr. 5 zu § 1 BetrA VG Betriebsvereinbarung; Dietz I Richardi, BetrVG § 77 Rz. 84 f.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
sprechung31 mit der Schaffung des BetrAVG, insbesondere der unverfallbaren Ruhegeldanwartschaften, beabsichtigt hae 2 • Im weiteren wird lediglich diskutiert, ob dieser Schutz sich auch auf eine Bestimmung über eine erdiente Dynamik bezieht, wenn also durch ein weiteres Verbleiben im Betrieb das später zu beziehende Ruhegeld weiter anwachsen würde33 • Demnach besteht nach der h.M. in gewissen Grenzen eine mittelbarer Schutz von Besitzständen und Anwartschaften34 • Im Gegensatz zur h.M. soll nach einigen Ansichten in der Literatur das Recht zur freien Kündbarkeit freiwilliger Betriebsvereinbarungen selbst oder deren Rechtsfolgen weiter eingeschränkt werden. Das wird zum Teil aus den Vertrauensgrundsätzen gefolgert, die im Verfassungsrecht für die Rückwirkung von Gesetzen entwickelt worden sind. b) Einschränkung nach Schaub und analoge Anwendung des § 2 KSchG So nimmt Schaub 35 eine vorrangige Pflicht des Arbeitgebers zu einer Änderungskündigung an, mit der er ein Angebot zu unterbreiten hat, das dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauens schutz zu genügen habe. In entsprechender Anwendung des § 2 KSchG soll der Betriebsrat die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt ihrer gerichtlichen Wirksamkeitsprüfung abschließen können36 • Ausgangspunkt seiner Ansicht ist ein anderes, gegenüber der h.M. reduziertes Verständnis des Regelungsumfangs von § 77 Abs. 5 BetrVG. Nach der h.M. erlaubt § 77 Abs. 5 BetrVG die ordentliche Kündigung mangels entsprechender Einschränkung ohne irgendwelche rechtfertigende Gründe. Schaub sieht in § 77 Abs. 5 BetrVG lediglich die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung und eine dreimonatige Kündigungsfrist für den Regelfall niedergelegt. Seiner Ansicht nach sagt die Bestimmung nichts darüber, ob und welche Voraussetzungen für eine Kündigung gegeben sein müssen, damit sie im Einzelfall zulässig und wirksam ist. Folglich bestehe eine Regelungslücke, die durch die allgemeinen Prinzipien der Privatrechtsordnung zu schließen sei, und zwar unabhängig davon, ob sie vom Gesetzgeber gewollt war37 • Vgl. hierzu Darstellung m.w.N. von Arnim BB 1972, 1411 ff. Loritz RdA 1991, 65 ff - 73; Kraft SAE 1990, 183 ff. - 185. 33 So die nunmehr ständige Rechtsprechung seit BAG DB 1986, 228 ff.; BAG EzA Nr. I zu § I BetrAVG Ablösung = DB 1988,291 ff. - 292; dagegen Kraft SAE 1990, 183 ff. - 186. 34 Vgl. neben den bereits zuvor Genannten - Heither BB 1992, 145 ff. - 148; Stege/ Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 44a; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 285. 35 Schaub BB 1990, 289 ff. 36 Schaub BB 1990, 289 ff. - 291. 37 Schaub BB 1990, 289 ff. - 290. 31
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Entgegen diesem Argumentationsansatz greift Schaub dann überraschenderweise doch nicht auf die Prinzipien der Privatrechtsordnung zurück, sondern versucht über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das ultima ratio Prinzip und den Vertrauensgrundsatz eine Einschränkung der freien Kündbarkeit herauszubilden. Die Anwendung dieser Grundsätze folgert er aus der Normenwirkung der Betriebsvereinbarung38 • Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordere, daß zwischen Kündigung und dem zu erreichenden Ziel eine "soziale Verträglichkeit" bestehe. Weiterhin müsse die Kündigung zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein. Aus dem ultima ratio Prinzip ergäbe sich desweiteren, daß der Arbeitgeber die Möglichkeit der Änderungskündigung nutzen müsse. Deren Zulässigkeit folge daraus, daß er die Betriebsvereinbarung grundSätzlich kündigen und Vorschläge für neue Regelungen machen könne. Dann sei die Zulassung einer Änderungskündigung unbedenklich39 • Schließlich müsse der Vertrauensgrundsatz hinreichend beachtet werden. Dies bedeute, daß im Falle echter Rückwirkung jede Beeinträchtigung unzulässig sei. Da eine echte Rückwirkung vorliegt, wenn bereits abgewickelte Rechtsverhältnisse betroffen sind, könne selbst in den Bestand von Anwartschaften nicht mehr eingegriffen werden, weil im Zeitpunkt ihres Erwerbs eine Rechtsgrundlage bestand. Auch im Falle einer unechten Rückwirkung, also wenn ein bestehendes Rechtsverhältnis nur mit Wirkung für die Zukunft tangiert wird und dennoch bereits erlangte Rechtspositionen nachträglich im ganzen entwertet werden, sind die Grenzen des Vertrauensgrundsatzes einzuhalten. Dabei ist anerkannt, daß bei der unechten Rückwirkung eine Abwägung zwischen dem Vertrauensschutz und dem verfolgten Interesse stattzufinden hat. Schaub setzt hierbei nun anstelle des öffentlichen das unternehmerische Interesse und wendet die gleichen Maßstäbe an40 • Als Schlußfolgerung aus diesen Prinzipien leitet er eine Prüfungspflicht des Arbeitgebers ab, ob nach diesen Verfassungsgrundsätzen eine Änderungskündigung erforderlich sei. Erklärt er sodann eine solche Kündigung, ist diese nur wirksam, wenn die vorgeschlagene Neuregelung den drohenden Vertrauensschaden kompensiert. Erfüllt sie dieses Erfordernis, so soll eine Ablehnung durch den Betriebsrat zu einer völligen Beendigung führen. Der Betriebsrat soll allerdings in Anlehnung an § 2 KSchG das Recht erhalten, das Angebot Schaub BB 1990, 289 ff. - 290. Schaub BB 1990, 289 ff. - 289 f. 40 Schaub BB 1990, 289 ff. - 290. 38
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unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung der Änderungskündigung anzunehmen41 • c) Einschränkung nach Bi/ger / Stumpf Übergangsregelung durch Leistungsplan LS.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Einen ähnlichen Ansatz wählen auch Bi/ger und Stumpf2, die formal zunächst mit der h.M. von einer freien Kündbarkeit ausgehen und wie diese Einschränkungen im Bereich der Rechtsfolgen diskutieren. Allerdings besteht nach ihrer Auffassung im Gegensatz zur h.M. grundsätzlich ein schützenswertes Vertrauen der Arbeitnehmer in den Fortbestand jeglicher Besitzstände. Dabei fassen sie unter Besitzstand auch sämtliche Anwartschaften, selbst wenn diese noch verfallbar sind43 , und unabhängig davon, ob sie Entgelt, Zusatzurlaub oder die Nutzung von Sozialeinrichtungen betreffen44 • Daher müsse grundsätzlich eine Abwägung zwischen den Beendigungsgründen des Arbeitgebers und den Vertrauensinteressen der Arbeitnehmer erfolgen. Insoweit obliege dem Arbeitgeber die Offenlegung seiner Motivation, wenn er die Berücksichtigung der ihn leitenden Sachinteressen erreichen wolle45 • Sodann soll eine Bewertung nach den Kriterien erfolgen, die von der h.M. im Rahmen der Billigkeitskontrolle ablösender Betriebsvereinbarungen entwickelt wurden, zumal eine Gleichbehandlung notwendig sei, um Wertungswidersprüche zu vermeiden46 • Sofern danach die Kündigung unter Beachtung der gegenseitigen Interessen formal zulässig ist, folgern sie des weiteren aus den Vertrauensgrundsätzen, daß der Arbeitgeber jedenfalls eine Übergangsregelung schaffen müsse. Letzteres erfordere einen Leistungsplan und sei damit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der zwingenden Mitbestimmung unterworfen, so daß die Übergangsregelung mit dem Betriebsrat gemeinsam beschlossen werden müsse 47 • Dieser Plan sei sodann auch im Rahmen eines Individualprozesses inzidenter gerichtlich überprüfbar48 • Schaub BB 1990,289 ff. - 291. Hilger/ StumpfBB 1990, 929 ff.; Hilger FS Dieter Gaul 1992, S. 327 ff. 43 Hilger/ StumpfBB 1990,929 ff. - 932 ff.; Hilger FS Dieter Gaul 1992, S. 335; so unabhängig von der Rechtsgrundlage auch Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 97 ff. -108 f. für betriebliche Ruhegelder. 44 Hilger/ StumpfBB 1990, 929 ff. - 936. 45 Hilger! StumpfBB 1990, 929 ff. - 933. 46 Hilger FS Dieter Gaul 1992, S. 335 f. 47 Hilger/ StumpfBB 1990, 929 ff.-933ff; Hilger FS Dieter Gaul 1992, S. 336ff.; dies. bereits tendenziell, FS Larenz 1983 S. 254; so auch für teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen, Schirge DB 1991,441 ff - 443. 48 Hilger/ StumpfBB 1990,929 ff. - 935; Hilger FS Dieter Gaul 1992, S. 336. 41
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Die formale Kündigung begründet danach lediglich materiell das Wiederaufleben eines Initiativrechts des Arbeitgebers, mit der er eine Neuregelung des Leistungsplanes nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verlangen kann49 •
d) Einschränkung durch Harmonisierung mit den individualrechtlichen Gestaltungsmitteln nach Hanau/ Preis
Hanau/ Preis 50 wollen hingegen die Kündigung im Rahmen einer Harmonisierung mit den individualrechtlichen Gestaltungsmitteln einschränken, wobei nicht ganz eindeutig ist, ob dies die Kündigung selbst oder nur ihre Rechtsfolgen betreffen soll. Dabei trennen sie deren Folgen in einen kollektiv- und in einen individuell-wirkenden Teil. Während die kollektive Wirkung der Kündigung unbedenklich und daher die Kündigung von Betriebsvereinbarungen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen, etwa Betriebskantinen oder Werkskindergärten, ohne weiteres zulässig sei, müsse bei Betriebsvereinbarungen, die Individualansprüche begründen, die individuelle Auswirkung der Kündigung mit den individualrechtlichen Möglichkeiten eines Widerrufs oder einer Änderungskündigung etc. in Einklang gebracht werden51 • Daher sei eine Kündigung von Normen, die den Inhalt der gegenseitigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis regeln, wie etwa Zulagen und Altersversorgung, - entsprechend als Inhaltsnormen bezeichnet - gegenüber Arbeitnehmern, die bereits im Betrieb sind, allein zulässig, soweit die Individualwirkungen mit den Grundsätzen der vorgenannten Individualgestaltungsrechte übereinstimmen würden; sie also auch bei einer entsprechenden individualrechtlichen Bestimmung erlaubt wäre 52 • Fehle ein Widerrufsvorbehalt und regele die Betriebsvereinbarung Arbeitsbedingungen, die den Umfang der beiderseitigen Hauptleistungspflichten betreffen, so soll die Kündigung nur gerechtfertigt sein, wenn sie nach dem Kündigungsschutzgesetz zulässig wäre 53 • Ist ein freier Widerruf vorgesehen, so müsse die Entscheidung des Arbeitgebers wie im Individualrecht zumindest das billige Ermessen gemäß § 315 BGB einhalten. Diese Gleichsetzung von Widerruf und Kündigung sei ohnehin notwendig, weil die Unterscheidung dieser Rechtsinstitute gekünstelt sei. Der Widerruf führe genauso die Autbebung einer Leistungspflicht herbei, wie sie bei einer Kündigung eintrete. Hilger! StumpfBB 1990,929 ff. - 935. Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. 51 Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. - 85. 52 Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. - 85ff.- 88. 53 Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. - 90 ff, insbesondere dort unter VI. 1. "Eckpunkte der Rechtskontrolle" . 49
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Die Anwendung des § 315 BGB begründen sie ferner mit dem Vertrauen des Arbeitnehmers, der mit solchen Leistungen angeworben werde und annehme, daß die Zusagen nicht jederzeit grundlos gekündigt werden können54 • Daher sei in jeder Betriebsvereinbarung über Inhaltsnormen konkludent eine Einschränkung des Kündigungsrechtes durch billiges Ermessen gemäß § 315 BGB vereinbart55 • Aufgrund des synonymen Verständnisses von Kündigung und Widerruf setzen sie weiter jede Regelung über ein Widerrufsrecht gegenüber den Arbeitnehmern in einer Betriebsvereinbarung mit einer abweichenden Vereinbarung über das Kündigungsrecht gemäß § 77 Abs. 5 BetrVG gleich56 • Die für einen Widerruf vereinbarten Voraussetzungen müssen also auch für eine Kündigung vorliegen. Dies wäre praktisch vor allem in Hinblick auf den steuerunschädlichen Widerrufsvorbehalt für eine wirtschaftlichen Notlage (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 5 BetrAVG) in betrieblichen Altersversorgungen von erheblicher Bedeutung57 • Die Harmonisierung mit den individualrechtlichen Gestaltungsmitteln wollen sie dogmatisch letztlich auf die Konstruktion des Vertrages zugunsten Dritter stützen. Bei Regelungsabreden und bei Betriebsvereinbarungen, die mangels Betriebsratsmandat unwirksam waren, insbesondere also Regelungen für Ruheständler, für deren Interessenwahrnehmung der Betriebsrat nach h.M. nicht mehr legitimiert ist, sei ein Vertrag zugunsten Dritter anzunehmen. Bei einer wirksamen Betriebsvereinbarung läge ebenfalls ein Vertrag zugunsten Dritter vor. Diese individualrechtliche Wirkung werde lediglich durch die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung überlagert und trete daher im Regelfall nicht in Erscheinung. Wird die wirksame Betriebsvereinbarung durch Kündigung hinfällig, müsse den Arbeitnehmern der gleiche Schutz wie bei einer anfänglich unwirksamen Betriebsvereinbarung zukommen. Insgesamt bestätige dies die Zwitterstellung der Betriebsvereinbarung zwischen Gesetz und Vertrag. Die Beseitigung des verdeckten Vertrages zugunsten Dritter kann danach wiederum nur erfolgen, wenn dies individualrechtlich möglich ist58 • Auch wenn sie es nicht ausdrücklich so benennen, deuten ihre Ausführungen darauf hin, daß sie im Ergebnis eine freie Teilkündigung im Hinblick auf Hanau, Peterl Preis NZA 1991, S. 81 ff. - 87. Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. - 93. 56 Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. - 87. 57 Hanau, Peterl Prei, NZA 1991, S. 81 ff. - 87 f. 58 Hanau, Peterl Preis NZA1991, S. 81 ff. - 89 f.; vgl mit einem ähnlichen Ansatz für den Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Sozialplanes, BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314ff - 318 = DB 1995, 1240 ff. 54 55
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neueintretende Arbeitnehmer für zulässig erachten, weil diese keinen Schutz beanspruchen können59 •
e) Stellungnahme Der Wortlaut des § 77 Abs. 5 BetrVG besagt "Betriebsvereinbarungen können, ... , mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden". Hieraus ergibt sich also keinerlei Beschränkung, vielmehr kann danach mangels abweichender Vereinbarung jede Betriebsvereinbarung gekündigt werden. Soweit Schaub den Wortlaut des § 77 Abs. 5 BetrVG darauf zu beschränken versucht, daß dieser lediglich die Möglichkeit der Kündigung überhaupt enthalte und im Falle der zulässigen Kündigung eine dreimonatige Regelkündigungsfrist anordne, folglich insoweit eine Regelungslücke bestehe, erscheint dies schon im Hinblick auf den uneingeschränkten Wortlaut wenig überzeugend60 • Ohnehin müßte eine lückenschließende Auslegung des § 77 Abs. 5 BetrVG dem zu vermutenden Willen des Gesetzgebers entsprechen. Die Privatrechtsordnung verlangt für eine ordentliche Kündigung außer nach dem Kündigungsschutzgesetz, dem Wohnraummietrecht und besonderen Kündigungsschutzbestimmungen in den Nebengesetzen keine Begründung. Als Schutz dient gerade die Kündigungsfrist, die es dem Betroffenen ermöglichen soll, sich auf die veränderte Situation einzustellen. Ein weitergehender Kündigungsschutz greift also prinzipiell nur, sofern er durch Gesetz vorgesehen ist61 • Wenn der Gesetzgeber eine Kündigunsbeschränkung gewollt hätte, wäre daher eine entsprechende ausdrückliche Bestimmung zu erwarten gewesen, und zwar gerade in § 77 BetrVG, der die allgemeinen Regeln für Betriebsvereinbarungen enthält. Daher wäre eine solche Regelungslücke wieder durch die freie Kündbarkeit nach der h.M. zu schließen.
59 Hanau. Peterl Preis NZA 1991, S. 81 ff.- 86ff., insbesondere wenn es auf S. 88 unter IV 3. am Ende heißt, daß die Kündigung gegenüber den Betriebsangehörigen also gegenüber einem Belegschaftsteil - nur möglich sein soll, wenn zumindest die Voraussetzungen des § 315 BGB vorliegen. Insoweit wird unterstellt, daß Hanau I Preis hiermit nicht zum Ausdruck bringen wollten, der Arbeitgeber müßte neben der Kündigungserklärung gegenüber dem Betriebsrat wegen der individuellen Wirkung noch eine Kündigungserklärung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern abgeben. 60 BAG DB 1990, 1871 ff. - 1872. 61 Vgl. auch Loritz RdA 1991, 65 ff - 69, der betont, daß die Anordnung des Gesetzgebers für den schwersten Eingriff in die Arbeitnehmerposition, nämlich die Individualkündigung des Arbeitsverhältnisses, nicht einfach auf begleitende Sozialleistungen ausgedehnt werden könne.
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Dementsprechend nimmt Schaub auch keine lückenschließende Auslegung vor, sondern greift zur Herleitung seiner Ergebnisse auf Verfassungsgrundsätze zurück. Diese müssen, wie schon ausgeführt, kraft der gesetzesgleichen Normenwirkung der Betriebsvereinbarung grundsätzlich mittelbare Beachtung finden. Sofern Einschränkungen aus der Werteordnung der Verfassung zwingend notwendig sein sollten, muß eine verfassungskonforme Auslegung des § 77 Abs. 5 BetrVG zu einer mittelbaren Anwendung der Verfassungsgrundsätze - notfalls über die §§ 138; 242 BGB - gelangen62 • Der Wortlaut des § 77 Abs. 5 BetrVG wäre insoweit allenfalls als äußerste Schranke der noch zulässigen Auslegung anzusehen. Die Begründung einer Regelungslücke ist hierfür belanglos und aufgrund der ansonsten gegebenen freien ordentlichen Kündigung sinnlos. Auch im übrigen überzeugt die Theorie Schaubs nicht. So ist die direkte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Berufung auf die normative Wirkung verfehlt. Dieser Grundsatz greift nämlich nur, wenn der Gesetzgeber in bestehende Rechte bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit eingreifen will. Er findet keine Anwendung, wenn dieser eine begünstigende Norm für die Zukunft abschafft. Ein Schutz der Betroffenen kommt dann allein wegen einer Rückwirkung nach den Vertrauensschutzgrundsätzen in Betracht. Zugegebenermaßen wird auch hierbei letztlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen Vertrauens schutz und verfolgtem Zweck angestellt. Doch ist die Grundwertung erheblich verändert, weil zuerst ein schützenswertes Vertrauen vorliegen muß, bevor überhaupt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt. Soweit Schaub zur Rechtfertigung seiner Ansicht sodann auf die Vertrauensgrundsätze für rückwirkende Änderungen von Gesetzen zurückgreifen will, kann an dieser Stelle noch offen bleiben, ob diese und inwieweit diese vorliegend anzuwenden sind. Selbst wenn man dies unterstellt, sind die von Schaub gezogenen Schlußfolgerungen unhaltbar. Zwar klingt es im ersten Moment plausibel, dem Arbeitgeber die Pflicht zu einer Änderungskündigung aufzuerlegen, wenn eine Beendigungskündigung gegen Vertrauensgrundsätze verstoßen würde. Doch ist eine Änderungskündigung gleichfalls eine Beendigungskündigung, wenn auch um ein Änderungsangebot erweitert. Würde der Betriebsrat ein zulässiges Angebot ablehnen, müßte dies konsequenterweise das vollständige Ende zur Folge haben. Der zwingende Vertrauensschutz der normenunterworfenen Arbeitnehmer, der im Ergebnis eine verfassungskonforme Auslegung des § 77 Abs. 5 BetrVG erforderlich machen soll, würde durch das fehlerhafte Verhalten eines anderen - wenn auch ihres Repräsentanten - vollständig verloren gehen, was nicht überzeugen kann. 62
Loritz RdA 1991, 65 ff - 68.
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Die Überlegungen von Hanau und Preis, die zu einer Harmonisierung mit den individualrechtlichen Gestaltungsmitteln führen sollen, setzen bei der Wendung "soweit nichts anderes vereinbart ist" in § 77 Abs. 5 BetrVG an, indern sie jeder Betriebsvereinbarung Verträge zugunsten Dritter unterlegen wollen. Auch die Gleichsetzung von Widerruf von Leistungen aus einer Betriebsvereinbarung mit einer Kündigung derselben geht in diese Richtung. Der Gleichsetzung von Kündigung und Widerruf könnte schon widersprechen, daß die Kündigung einer Betriebsvereinbarung immer deren völlige Beseitigung bewirkt, während ein Widerruf allein dazu führt, daß vorübergehend keine Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung oder einern individuellen Stammrecht mehr erwachsen63 • Wenn überhaupt kann der Widerruf nur in ganz krassen Fällen einen endgültigen Verlust von Ansprüchen bewirken -etwa wegen einer Sanierung durch Betriebsveräußerung-, die eine Befreiung von Altlasten erfordert. Dieser Unterschied wird besonders deutlich, falls der Widerrufs grund später entfällt. Dann entstehen nach einern Widerruf erneut Ansprüche, während bei der Kündigung die Rechtsgrundlage endgültig beseitigt wurde und somit auch für neue Ansprüche fehlt 64 • Aus diesem Grunde muß man die Gleichsetzung der Voraussetzungen von Kündigung und Widerruf noch nicht ablehnen. Vielmehr könnte man hieraus ein Erst-Recht-Argument ableiten: Ist schon die zeitweilige Einschränkung einer Betriebsvereinbarung von besonderen Voraussetzungen abhängig, so scheint es widersprüchlich, die völlige Beseitigung frei zuzulassen. Dieser Widerspruch löst sich jedoch schnell auf, wenn man die Zusammenhänge durchleuchtet. Die Betriebsvereinbarung hat, solange sie existiert, gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG normative Wirkung. Deren zeitweilige Aussetzung im Wege des Widerrufsrechts setzt sich über die gesetzliche Bestimmung des § 77 Abs. 4 BetrVG hinweg. Dies kann lediglich in besonderen Situationen im Wege teleologischer Reduktion zulässig sein. Dementsprechend wirkt der Widerruf nur solange fort, wie die Widerrufsgründe weiterhin vorliegen. Die Beendigung durch Kündigung des Arbeitgebers ist dagegen im System des § 77 BetrVG enthalten. Hierin liegt auch kein materieller Widerspruch, weil der Widerruf vornehmlich schon entstandene Individualansprüche beseitigt, während die Kündigung allein in die Zukunft wirkt. Sie betrifft deshalb bloße Hoffnungen der normunterworfenen Arbeitnehmer auf künftige Ansprüche und beseitigt nicht die bereits in der Vergangenheit erworbenen Ansprüche. Solche Erwartungen sind generell allenfalls in sehr beschränktem Maße geschützt. 63 Dies betonen BAG AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung; Kraft SAE 1990, 183ff. - 186. 64 So denn auch BAG EzA Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972, zustimmend GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 312.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Ferner kann eine Gleichsetzung nicht damit begründet werden, daß kein Arbeitnehmer bei einem Widerrufsvorbehalt eine Unterscheidung von Widerruf und Kündigung vornehme, deshalb mit einem allgemeinen Kündigungsrecht nicht rechne, sondern auf einen entsprechenden Bestandsschutz im Rahmen des Widerrufsvorbehalts vertraue. Ein solches Vertrauen ist nicht schützenswert. Im Privatrecht gilt die Regel, daß der Irrtum über Rechtsfolgen unbeachtlich ist. Etwas anderes kann dann gelten, wenn bewußt eine andere Rechtslage vorgetäuscht wurde. Auch Arbeitnehmer werden insoweit nicht vor dem eigenen Irrtum über Rechtsfolgen geschützt. Besonders bedenklich erscheint die Konstruktion von Hanau/ Preis, hinter jeder Betriebsvereinbarung, welche Inhaltsnormen über den Umfang der gegenseitigen Hauptleistungspflichten enthält, stehe gleichzeitig ein Vertrag zugunsten Dritter65 • Zunächst leidet diese Konstruktion an derselben praktischen Fragwürdigkeit, die schon gegen eine rechtsgeschäftliehe Herleitung der normativen Wirkung der Gesamtvereinbarungen erhoben wurde. So geben die Betriebspartner einmalig Erklärungen ab, welche die Belegschaft unabhängig von einer Fluktuation treffen. Allerdings könnte man hier noch über eine konkludente Vereinbarung nachdenken, wonach für neueintretende Arbeitnehmer bereits ein Vertrag zugunsten Dritter unter entsprechender aufschiebenden Bedingung mit abgeschlossen worden sei. Des weiteren hinkt ihr Vergleich mit Fällen, in denen die Betriebspartner für Pensionäre Vorteile in Betriebsvereinbarungen niederlegen, bereits im Ansatz. Bei dieser Sachlage haben nach h.M. die Betriebspartner mangels Mandat des Betriebsrates den gewollten wirksamen Abschluß einer Betriebsvereinbarung gerade nicht erreicht; die abgegebenen Willenserklärungen konnten den erstrebten Erfolg nicht bewirken. Dann und nur dann stellt sich die Frage einer Umdeutung in ein anderes Rechtsgeschäft gemäß § 140 BGB, das dem Willen der Betriebspartner entspricht. Zudem wird allgemein bei der Prüfung einer Umdeutung von Kollektiverklärungen in Individualvereinbarungen wegen der erheblichen Unterschiede ein strenger Maßstab angelegt66 • So muß zweifelsfrei ersichtlich sein, daß gerade der Arbeitgeber die Geltung 65 In Wirklichkeit dürften allerdings Hanau, Peterl Preis eine Art Gesamtzusage an die Arbeitnehmer vertreten durch den Betriebsrat meinen, da bei einem echten Vertrag zugunsten Dritter gerade der Betriebsrat Vertragspartner bliebe und wiederum kein Kündigungsschutz etc. bestehen würde. 66 Vgl. BAG DB 1990, 1871 ff. - 1873; BAG DB 1996, 1882 ff. = NJW 1996,3030 = NZA 1996, 948 ff. = BB 1996, 1717 ff.; zuletzt BAG NZA 1997, 951ff.; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 33; vgl auch in anderem Zusammenhang Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 172; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 91 ff.; ausführlich m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 47 ff.
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unabhängig von den Verhandlungen mit dem Betriebsrat wollte. Das ist allenfalls anzunehmen, wenn die Initiative vom Arbeitgeber selbst ausging, oder dieser in Kenntnis der Unwirksamkeit weitere Leistungen erbringt67 • Geht es um die Kündigung einer Betriebsvereinbarung, müssen die abgegebenen Willenserklärungen ihr Ziel einer wirksamen Betriebsvereinbarung erreicht haben. Dann ist eine Umdeutung unzulässig. Damit ist schon die entscheidende Schwäche dieser Konstruktion angesprochen. Die doppelte Verwendung der selben Willenserklärung für einen Kollektivvertrag und einen Vertrag zu Gunsten Dritter, wie es Hanau und Preis vorschwebt, mißachtet gerade die Absicht der Betriebspartner , Willenserklärungen allein auf kollektiver Ebene abzugeben und somit auch nur dort einen Rechtserfolg herbeizuführen. Schließlich ist ihre Grundidee, daß die Kündigung für die Betriebsangehörigen beschränkt wirkt, während sie für die neu in einen Betrieb eintretenden Arbeitnehmer jederzeit frei möglich sein soll, sehr bedenklich. Eine solche Aufspaltung scheint zunächst dem Grundzweck von Betriebsvereinbarungen zu widerlaufen, gleichförmige Arbeitsbedingungen für die gesamte Belegschaft aufzustellen68 • Allerdings ist zuzugeben, daß eine begründete Ungleichbehandlung mit diesem Zweck nicht in Konflikt gerät. Jedoch ist zu beachten, daß die Kündigung eine einzige Willenserklärung ist. Sie kann deshalb nicht in einen unwirksamen und in einen wirksamen Teil getrennt werden, je nachdem welche Auswirkungen der Vertrag auf die Normunterworfenen bereits hatte. Hanau-Preis könnten sich deshalb allenfalls mit einer Umdeutung der Vollkündigung in eine Teilkündigung behelfen. Die Zulässigkeit der Teilkündigung ist nicht unbestritten und kann nach allgemeiner Ansicht, wenn überhaupt, allein für selbständige Sinnbereiche eines Gesamtvertrages erfolgen, deren Beseitigung den Inhalt des Restvertrages nicht entfremdet. Eine zeitliche Zäsur durch die Kündigung führt nur eine persönliche Beschränkung des Anwendungsbereiches herbei und berührt damit die Wirkungsweite aller Regelungen gleichermaßen. Ein selbständiger Sinnbereich ist darin nicht zu erblicken. Eine Teilkündigung ist deshalb unzulässig. Damit ist im Rahmen des § 77 Abs. 5 BetrVG selbst kein Ansatz für eine Einschränkung der freien Kündbarkeit vorhanden. Insoweit verbleibt noch der Ansatz von Hilger und Stumpf, die formal eine mit dem Wortlaut übereinstimmende freie Kündigung zulassen. 67 BAG EzA Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972; BAG Nr. 16 zu § 77 BetrVG 1972; Stege/ Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 33; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 48; a.A. Hess/ SchIachauer / Glaubitz - Hess, § 77 Rz. 172. 68 Vgl. auch Laritz RdA 1991, 65 ff - 77, der die Gefahr einer gespaltenen Belegschaft betont.
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Ihre Auffassung erscheint stringent, da sie einen Vertrauens schutz für sämtliche Anwartschaften und Leistungen aus Betriebsvereinbarungen unterstellen und zu deren Schutz Übergangsregelungen verlangen. Dann ist es konsequent, wenn man bei Betriebsvereinbarungen über außer- und übertarifliche Zulagen sowie über sonstige Zusatzleistungen mit Entgeltcharakter dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG einräumt, weil eine neue Betriebsvereinbarung, die nur nach Vertrauensgrundsätzen Leistungen gewährt, zwangsläufig eine Änderung des Verteilungsschlüssels zur früheren Betriebsvereinbarung bewirkt. Indem sie dem einzelnen Arbeitnehmer die Möglichkeit belassen, in einem Individualprozeß inzidenter die Billigkeit der Übergangsregelung überprüfen zu lassen, machen sie den individuellen Vertrauensschutz auch nicht vom Verhalten des Betriebsrates abhängig. An dieser Konstruktion stört, daß der Gesetzgeber mit § 77 Abs. 5 BetrVG ausdrücklich die freie Kündbarkeit niedergelegt hat und diese materiell beseitigt wird, weil der Arbeitgeber gerade nicht mehr einseitig die Betriebsvereinbarung beenden kann. Im praktischen Ergebnis wäre das Kündigungsrecht contra legem weitgehend abgeschafft. Entscheidende Prämisse ist, daß ein zu schützendes Vertrauen besteht, welches durch eine adäquate Übergangsregelung zu wahren ist. Deren Schaffung kann nicht durch die Betriebspartner erfolgen. Eine solche Übergangsregelung in Gesetzen soll einen Ausgleich zwischen den im Rahmen des Vertrauensgrundsatzes schützenswerten Individualinteressen und den mit einem rückwirkenden Eingriff verfolgten Allgemeininteressen beinhalten. Dabei können an sich schützenswerte Interessen enttäuscht, entsprechende Anwartschaften und Aussichten geschmälert oder gar beseitigt werden. Insoweit hat der Gesetzgeber erheblichen Beurteilungsspielraum. Wenn man von schützenswerten Individualinteressen ausgeht, kann man eine Rechtsmacht zur Schaffung einer solchen ausgleichenden und zugleich eingreifenden Regelung den Betriebspartnern nach der Wesentlichkeitstheorie nicht zugestehen. Ihre Tätigkeit ist gerade nicht delegierte, sondern private Rechtsetzung und damit nicht hinreichend legitimiert. Dies sehen auch Bilger und Stumpf so, wenn sie dem Arbeitnehmer im Rahmen einer Inzidentkontrolle die Durchsetzung des zu schützenden Individualinteresses zugestehen. Dann ist der Umweg über eine Übergangsregelung aufwendig und unnütz69 • Die Aufgabe der Betriebspartner wäre darauf beschränkt, die Rechtslage festzuschreiben. Dies ist wiederum nicht ihre betriebsverfassungsrechtliche Funktion. Sie sollen regeln und nicht vorab richten. Räumt man ihnen hingegen einen Regelungsspielraum ein, so wäre über § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der gesetzlichen Entscheidung 69
So zu Recht Loritz RdA 1991,65 ff - 72.
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zuwider eine Mitbestimmung des Betriebsrates über die Entgelthöhe eingeführt 70 • Insoweit überzeugt auch diese Auffassung nicht. Eine interessengerechte Lösung muß vielmehr mit der h.M. an der Tatsache anknüpfen, daß erworbene Ansprüche durch eine Kündigung ihrer Rechtsgrundlage nicht berührt werden, weil sie sich mit ihrem Entstehen als subjektives Recht vom zukünftigen Bestand der Rechtsgrundlage gelöst haben7 !. Soweit es um unverfallbare Anwartschaften geht, hat der Gesetzgeber sie gegen den Zugriff des Arbeitgebers umfänglich schützen wollen. Die Erstreckung des Bestandsschutzes gemäß der §§ 1 ff BetrAVG auf Fälle einer Kündigung der zugrundeliegenden Betriebsvereinbarungen ist daher teleologisch begründet und überzeugt. Da der Wert einer erworbenen betrieblichen Ruhegeldanwartschaft mit einer von der Betriebszugehörigkeit abhängigen Dynamik ganz erheblich von deren Anwendung bestimmt wird, ist eine Ausdehnung des Besitzstandsschutzes auch auf diese sog. erdiente Dynamik gerechtfertigt, um eine Entwertung der Anwartschaft zu verhindern72 • Dies alles hindert nicht daran, eine Kündigung frei zuzulassen, andernfalls eine Beschränkung sogar neu eintretenden Arbeitnehmern ersichtlich ohne Grund zugute käme. Allein problematisch ist deshalb nach obigen Feststellungen der Schutz unverfallbarer Anwartschaften und sonstiger Chancen, die noch nicht zum festen Bestandteil des Arbeitnehmervermögens geworden sind. Die Beendigung der Betriebsvereinbarung bewirkt bei diesen, daß sie trotz formaler ex nunc Wirkung der Kündigung nicht mehr zum Vollrecht erstarken können und entwerten damit die erworbene Anwartschaft insgesamt. Wie bereits allgemein ausgeführt, handelt es sich insoweit um einen Fall unechter Rückwirkung. Es wurde auch schon dargelegt, daß die vertragliche Basis der Gesamtvereinbarungen die normative Wirkung vom privatautonomen Handeln der Sozialpartner abhängig macht und einem schützenswerten Vertrauen der Normenunterworfenen prinzipiell entgegensteht. Diese müssen vielmehr jederzeit mit einer ersatzlosen Beseitigung rechnen mit der Folge, daß noch nicht zum Vollrecht erstarkte Anwartschaften obsolet werden73 • Gegen ein umfassendes Vertrauen spricht daneben, daß der einzelne Arbeitnehmer aus Hanau, Peter Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 30 f. BAG EzA Nr. 46 § 77 BetrVG 72; Loritz RdA 1991, 65 ff. - 78; m.w.N. GKBetrVG, Kreutz § 77 Rz. 338. An dieser Stelle braucht noch nicht der Frage nachgegangen werden, ob ein Zugriff durch eine rückwirkende Verschlechterung möglich ist, da es bei einer Kündigung nur um die Beendigung in der Zukunft und nicht um einen Zugriff in die Vergangenheit geht. 72 Vgl. ausführlich Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 106 ff. 73 Loritz RdA 1991, 65 ff - 70. 70 7!
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mannigfaltigen Gründen seinen Arbeitsplatz verlieren kann und damit ebenfalls die Grundlage zum Erwerb des Vollrechts entfälle4 • Allerdings könnte man hiergegen einwenden, daß nach h.M. eine gerichtliche Billigkeitskontrolle ablösender Betriebsvereinbarungen erfolgeS, die gerade auch einen abgestuften Schutz solcher Anwartschaften und Hoffnungen beinhaltet. Dies umso mehr, als diese Kontrolle gerade mit der Gefahr eines Ungleichgewichts der Betriebspartner begründet und somit die materielle Richtigkeitsgewähr des Vertragsinstituts in Frage gestellt wird76 • Ob allerdings diese Überprüfung ablösender Betriebsvereinbarungen tatsächlich mit einer Gefahr des Ungleichgewichts der Betriebspartner gerechtfertigt werden kann, ist nicht unumstritten und widerspricht zumindest formal dem vertraglichen Ansatz, den der Gesetzgeber in der Betriebsverfassung gewählt hae 7 • Dieser Frage braucht vorliegend nicht weiter nachgegangen zu werden, weil der Gesetzgeber mit der freien Kündbarkeit nach § 77 Abs. 5 BetrVG und der fehlenden Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG gerade zum Ausdruck gebracht hat, daß freiwillige Betriebsvereinbarungen auch freiwillig bleiben sollen. Wer es für widersprüchlich hält, daß die gemeinsame Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch die Betriebspartner einer Billigkeitskontrolle unterliegt, während der Gesetzgeber dies für die einseitige Kündigung des Arbeitgebers eindeutig nicht verlangt, muß auch aus diesem Gesichtspunkt die Billigkeitskontrolle der h.M. erneut hinterfragen, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Im Ergebnis ist also ein schützenswertes Vertrauen im Hinblick auf Aussichten und Anwartschaften prinzipiell im Hinblick auf die freie Kündbarkeit BAG DB 1990, 1871 ff. - 1872. BAGE 54, 261 ff. = AP Nr. 9 zu § I BetrA VG Ablösung; AP Nr. 3 zu § I BetrAVG Betriebsvereinbarung; Heither BB 1992, 145 ff. - 147f; Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 115 f.; Gamillscheg RdA 1968, 407 ff. - 409, ; Läwisch DB 1983, 1709 ff. - 1711 f.; Besgen. Dietmarl Bleistein, Betriebsverfassungsrecht, Rz. 348; Dietz/ Richardi, BetrVG § 77 Rz. 86. 76 Canaris AuR 1966, 129 ff. - 140; Hanau, Peter Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 29 f. 77 Nicht ohne Grund spricht die Gegenmeinung daher auch von einer Entwertung und Infragestellung der gesetzgeberischen Konzeption der Betriebsverfassung vgl. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 164 ff.; Blomeyer FS Hilger / Stumpf, S. 51 f.; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 205 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 78; Thiele FS Larenz 1973, S. 1057 ff.; Stege / Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 24a; ausführliche Darstellung und Kritik m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 258 ff. Vgl. auch Leinemann BB 1989, 1905 ff. - 1906 f., der zutreffend darauf hinweist, daß die Arbeitsgerichte bei einem Spruch der Einigungsstelle nach § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG nur äußerste Ermessensgrenzen überprüfen dürfen - Dies zeigt deutlich die Haltung des Gesetzgebers, warum die gerichtlich geschaffene Billigkeitskontrolle m.E. mit dem Gesetzesvorbehalt unvereinbar ist, soweit man nicht ohnehin häufig von Billigkeitskontrolle spricht und doch nur eine gewöhnliche Rechtskontrolle meint. 74
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abzulehnen78 • Der rechtskundige Arbeitnehmer weiß, daß ihm nur die Hoffnung auf eine künftige Leistung zugestanden ist. Man kann nicht allein auf die Rechtsunkundigkeit abstellen. Der Arbeitnehmer wird schließlich auch im übrigen Geschäftsleben nicht vor Rechtsirrtum geschützt. Wie oben erwähnt, kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz solange nicht angewendet werden, wie kein Vertrauensschutz besteht. Ein Schutz unverfallbarer Anwartschaften kann deshalb ausschließlich aus der Individualebene über § 242 BGB herrühren. Insoweit sind die Gedanken von Schaub, Hilger und Stumpf heranzuziehen, daß der Arbeitgeber durch eigene Handlungen Bedenken gegen die freie Kündbarkeit ausräumen kann. Zweifel bestehen an der grundlosen Kündigung insoweit, als der Arbeitgeber die Arbeitnehmerleistungen schon entgegengenommen hat. Wenn der Arbeitgeber anschließend seine eigene Leistung aufgrund der Kündigung willkürlich zurückhalten will, so kann hierin ein "venire contra factum propium" liegen79 • Dies kann nur in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden80 . Deshalb leidet der Versuch eines Schutzes besonderer individueller Vertrauens lagen durch eine Einschränkung der Kündbarkeit daran, daß er im Kollektivbereich manifestiert werden so1l81. Dem widerspricht, daß individuelle Umstände in Kollektivvereinbarungen kaum ohne erhebliche Pauschalisierung sinnvoll bewältigt werden können. Hierin liegt keine Durchbrechung der Trennung von Kollektiv- und Individualbereich. Anknüpfung für diese Prüfung ist letztlich nicht die kollektive Vereinbarung sondern die Gegenleistung des Arbeitnehmers. Diese kann nicht sinnvoll in eine individuelle und eine kollektive Leistung getrennt werden, was sich besonders deutlich zeigt, wenn Arbeitgeberleistungen nicht kollektiv aufgestockt (etwa bei übertariflichen Zulagen), sondern Arbeitnehmerpflichten reduziert werden (etwa die Einführung verkürzter Arbeitszeiten). Ebensowenig kann die Annahme der Leistung durch den Arbeitgeber in eine individuelle und kollektive aufgespalten werden. Der Arbeitgeber ist eben sowohl Vertragspartner auf der kollektiven Betriebsebene als auch Empfänger der Individualleistungen der Arbeitnehmer. Die Entgegennahme allein genügt noch nicht. Der Arbeitnehmer muß prinzipiell mit einer Kündigung der Betriebsvereinbarung rechnen. Da es sich um MünchArbR - Matthes, § 319 Rz. 59. Vgl. Blomeyer FS Hilger/ Stumpf 1983, S. 48.; allgemein zu diesem Prinzip m.w.N. Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 312 ff.; ferner Wieacker, Präzisierung des § 242 BGB, S. 27ff., der betont, daß diesem nicht der Schutz vor Lüge oder Arglist, sondern der Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs also insbesondere des Partners zugrundeliegt. 80 So bereits Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 453. 81 BAG NZA 1995, 1010 ff. - 1012. 78
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die Frage handelt, ob aus § 242 BGB eine Verpflichtung des Arbeitgebers folgt, obwohl die ursprüngliche kollektive Rechtsgrundlage entfallen ist, muß die Annahme der Arbeitnehmerleistung ein Vertrauen nach Treu und Glauben erweckt haben. Hierfür muß im Rahmen einer wertenden Betrachtung die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers einem beliebigen Zugriff des Arbeitgebers entgegenstehen82 • Diese liegt nur vor, wenn die Leistung für die Lebensplanung des Arbeitnehmers von erheblicher Bedeutung ist. Es muß also im Regelfall um Geld- und Sachleistungen und nicht um andere Vergünstigungen gehen - etwa zusätzliche Urlaubstage nach bestimmter Betriebszugehörigkeit -. Es darf auch keine Bagatelleistung sein83 • Bei ihrer Bedeutung ist weiterhin zu berücksichtigen, ob ihr Fälligkeitstermin schon nahe herangerückt war, weil dann entsprechende Vermögensdispositionen des Arbeitnehmers erfolgt sein können, durch die er in wirtschaftliche Bedrängnis geraten kann. Schließlich ist bei sozialen Sicherungen, wie dem betrieblichen Ruhegeld, von erheblichem Gewicht, inwieweit der Arbeitnehmer sich notfalls andernorts noch nach der Kündigung vergleichbare Sicherheit verschaffen kann. Da es letztlich um die Begründung einer Leistungspflicht aus § 242 BGB geht, obwohl einem Vertrauen des Arbeitnehmers grundsätzlich die freie Kündbarkeit entgegensteht, ist bei der Schutzbedürftigkeit ein strenger Maßstab anzulegen84 • Liegt diese Schutzbedürftigkeit vor, und hat der Arbeitgeber bereits in erheblichem Maße Leistungen entgegen genommen, so ist in einem weiteren Schritt das Interesse des Unternehmens an der Beendigung zu prüfen. Dies bedeutet, daß die grundlose Kündigung im Kollektivbereich nunmehr im Individualbereich der besonderen Begründung bedarf. Die Interessenabwägung kann dabei nach den beim individuellen Widerruf zu § 315 BGB entwickelten Grundsätzen erfolgen allerdings immer unter Beachtung, daß der Arbeitnehmer zunächst kein schützenswertes Vertrauen genießt - also restriktiv -. Außerdem kann kein treuwidriges Verhalten des Arbeitgebers darin bestehen, für die Zukunft keine der Betriebsvereinbarung entsprechende Leistung mehr zu erbringen. Der Schutz über § 242 BGB kann daher grundsätzlich nur die er82 Entsprechend hat schon Diederichsen, Gedächtnisschrift Dietz 1973 S. 225 ff., insbesondere S. 231 f. erwogen, die Unverfallbarkeit betrieblicher Rentenanwartschaften aus einem Vertrauensschutz und der gleichzeitigen Aufhebung der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers unter Berufung auf das arbeitsrechtliche Schutzprinzip abzuleiten. 83 Dies entspricht der Rechtsprechung zu Rückzahlungsklauseln bei Gratifikationen etc, wo nach neuerer Entscheidung eine Rückzahlung bis zur Bagatellsumme von DM 200,00 unzulässig ist. 84 Vgl. allgemein BGH WM 1985, 876 f. - 877; Soergel - Teichmann, § 242 BGB Rz. 320, wonach bei grober Fahrlässigkeit des Vertrauenden der Einwand des § 242 BGB nur greift, wenn der Vertrauende aus gravierenden Umständen schutzbedürftig ist.
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brachten Leistungen umfassen. Soweit periodisch eine Geldzahlung in Frage steht, ist diese allenfalls anteilig erworben85 • Ein weiteres Verbot, daß kollektiv eingeräumte Leistungen den Arbeitnehmern nicht überraschend ohne jeglichen Grund entzogen werden dürfen, kann man annehmen, wenn der Arbeitgeber damit rechnen muß, daß seine Einstellung eine unzumutbare Härte bedeutet. Insoweit kommen insbesondere Sozialeinrichtungen in Betracht, deren Fortfall dem Arbeitnehmer Lasten aufbürden, die er nicht sogleich bewältigen kann86 •
3. Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen Zunächst schien die Streitfrage über eine Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen mit der Bestimmung des § 77 Abs. 6 BetrVG endgültig geklärt zu sein. Dort wird sie für die Fälle vorgesehen, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen den Betriebspartnern ersetzen kann. Sie ist also auf Betriebsvereinbarungen der zwingenden Mitbestimmung beschränkt. Argumentum e contrario - eine Nachwirkung von freiwilligen Betriebsvereinbarungen fmdet nicht statt87 • a) Nachwirkung analog § 4 Abs. 5 TVG Einige Autoren glauben eine ungewollte Regelungslücke entdeckt zu haben, die mit einer analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG, der Parallelnorm im Tarifrecht, zu schließen sei88 • 85 So wird auch allgemein dem Vertrauenden eine Änderung des Wertes oder der Art der geschuldeten Leistungen zugemutet, wenn dies der sachlich angemessenen Lösung entspricht - Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 323. 8 Als Denkbeispiel sei die Schliessung eines betrieblichen Kindergartens erwähnt. Hier dürften bei der derzeitigen Situation möglicherweise drei Monate zu knapp sein, um einen Ersatz zu finden. Insbesondere für alleinstehende Mütter könnte dies dazu führen, daß sie ihre Tätigkeit nur noch eingeschränkt ausüben können oder sogar kündigen müßten. Außer bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird man daher fordern müssen, daß der Arbeitgeber eine angemessene Frist einräumt, die je nach Sachlage sechs Monate oder ein Jahr betragen könnte. 87 So auch die heute h.M. BAG AP Nr. 40 zu § 77 BetrVG 1972; BAG EzA Nr. 35 zu § 77 BetrVG 1972 = DB 1990, 1871 = NZA 1990,814; BAG EzA Nr. 36 zu § 77 BetrVG 1972 mit Anm. Kittner; BAG BB 1994, 1072 ff.; BAG NZA 1995, 1010 ff; Löwisch, BetrVG § 77 Rz. 22; Halberstadt, BetrVG § 77 Rz. 43; Hessl Sch/ochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 229 f., 235; MünchArbR - Matthes, § 319 Rz. 54 ff.; ~oritz RdA 1991, 65 ff - 79. 88 Blomeyer DB 1990, 173 ff. - 174f. anders noch in DB 1985, 2506 ff. - 2508; Dietzl Richardi, BetrVG § 77 Rz. 109 ff. - 115; ders, Anm. zu BAG AP Nr. 40 zu § 77 BetrVG 1972; ders. Anm. zu BAG AP NT. 2 zu § 1 BetrAVG - Betriebsvereinbarung; ders. ZfA 1992, 307 ff. - 327 f.
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Der Umkehrschluß kann ihrer Meinung nach nicht gezogen werden, weil der Gesetzgeber mit der Norm des § 77 Abs. 6 BetrVG, gewollt oder ungewollt, ein anderes Problem gelöst habe, als es § 4 Abs. 5 TVG regelt. In seiner jetzigen Form betreffe § 77 Abs. 6 BetrVG allein die Frage, wie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates vor einem Arbeitgeber geschützt werden könne, der durch Kündigung getroffene Vereinbarungen wieder beseitigt, die möglicherweise gerade erst durch den Spruch einer Einigungsstelle herbeigeführt wurden89 • Durch die Bestimmung des § 77 Abs. 6 BetrVG sei dies letztlich für den Arbeitgeber kein Ausweg aus der zwingenden Mitbestimmung, weil die Normen wegen der Nachwirkung nicht entfielen. Deshalb betreffe § 77 Abs. 6 BetrVG lediglich das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber90 • § 4 Abs. 5 TVG beantworte hingegen, welchen Einfluß eine abgelaufene Tarifnorm als frühere kollektive Rechtsgrundlage noch auf das bestehende Arbeitsverhältnis ausübe. Die Nachwirkung sichere dabei die Ordnungsfunktion des Tarifvertrages, weil ohne sie die ordnende Gestaltung des Arbeitsvertrages durch den Tarifvertrag entfiele und ein inhaltsleerer Vertrag übrigbliebe, der erst einer neuen Ordnung unterworfen werden müßte. Diese ordnungspolitische Frage der Nachwirkung einer Norm über den Ablauf einer Gesamtvereinbarung hinaus habe der Gesetzgeber in § 77 Abs. 6 BetrVG nicht beantwortet, obwohl er dies wollte, weil eine Trennung in freiwillige und zwingende Mitbestimmung für dieses Problem nicht möglich sei91 • Die gefundene Regelungslücke müsse analog § 4 Abs. 5 TVG gefüllt werden, weil dieser die entsprechende Problematik für den Tarifbereich entscheide und § 76 Abs. 6 BetrVG den gesetzlichen Willen für eine entsprechende Lösung zeige 92 •
Blomeyer geht noch weiter und meint, eine Regelung dieser Ordnungsfrage müsse verhindern, daß Arbeitsverträge inhaltsleer werden93 • Konsequenterweise müßte der Gesetzgeber nach dieser Ansicht gezwungen sein, eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG zu normieren. Er hätte nicht einmal die Wahl, insgesamt eine Nachwirkung abzulehnen. Befremdlich ist allerdings, wenn Blomeyer dennoch die analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG für die
Blomeyer DB 1990, 173 ff. - 177. Dietzl Richardi, BetrVG 6. Aufl., § 77 Rz. 109 ff. - 112 f.; Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 40 zu § 77 BetrVG 1972; ders. ZfA 1992, 307 ff. - 327; Blomeyer DB 1990,173 ff. - 175. 91 Richardi ZfA 1992, 307 ff. - 327. 92 Blomeyer DB 1990, 173 ff. - 175. 93 Blomeyer DB 1990, 173 ff. - 175. 89
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Betriebspartner als dispositiv bewertet, obwohl die Arbeitsverträge dann gleichwohl ohne Inhalt wären94 • Richardi vergleicht die Problemlage schließlich noch mit dem Fall, daß nach abgeschlossener freiwilliger Betriebsvereinbarung der Betriebsrat entfällt. Dies allein führe nicht zur Beendigung dieser Betriebsvereinbarung. Andererseits kann der Arbeitgeber mangels Betriebsrates keine Kündigung mehr aussprechen. Doch könne der fehlende Arbeitnehmerrepräsentant nicht dazu führen, daß der Arbeitgeber seiner Lösungsmöglichkeiten verlustig geht. Deshalb müßten Bestimmungen, die das Einzelarbeitsverhältnis regeln, integraler Bestandteil der Arbeitsverträge werden, und könnten anschließend durch Änderungskündigung beseitigt werden. Nach Richardi darf nichts anderes gelten, wenn der Betriebsrat noch besteht95 •
Die Prämisse, daß die Regelungen einer Betriebsvereinbarung beim Wegfall des Betriebsrates Inhalt der Einzelarbeitsverträge werden, ist abzulehnen. Der fehlende Arbeitnehmerrepräsentant ist allenfalls für die Bestimmung des Kündigungsgegners problematisch, wenn man nicht ohnehin annimmt, daß durch den Wegfall einer Vertragsseite auch der Vertrag selbst gegenstandslos wird96 • Deswegen einen erheblich gesteigerten Schutz der Arbeitnehmer zu begründen, kann nicht überzeugen. Dieser würde bei einer Einbeziehung in den Einzelvertrag eintreten, da dann das KSchG greift oder zumindest § 315 BGB zu beachten ist, wenn man wegen der freien Kündbarkeit der Betriebsvereinbarung die Leistungsregelungen als frei widerruflich ansieht. Statt einen gesteigerten Schutz zu begründen, müßte in einem solchen Falle allenfalls eine gegenüber der Gesamtheit der Belegschaft ausgesprochene Kündigung die Erklärung gegenüber dem Betriebsrat ersetzen97 • Selbst wenn man einen Eingang in die Einzelverträge bejaht, wäre dies eine Einzelfallösung, um eine im BetrVG nicht behandelte Problemstellung zu bewältigen. Hieraus können keine Veränderungen der gesetzlichen Regelungen abgeleitet werden. Ein auftretender Widerspruch würde vielmehr die Frage aufwerfen, ob die getroffene Problemlösung mit den vorgefundenen gesetzlichen Wertun94
Blomeyer DB 1990, 173 ff. - 176; hierauf weist auch Loritz RdA 1991, 65 ff - 78
hin.
Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 40 zu § 77 BetrVG 1972. So mit gewichtigen Argumenten Gaul, Dieter NZA 1986, 628ff. - 629 f. Diese Sichtweise ist m.E. zutreffend, weil mit dem Betriebsrat ein Yertragspartner ersatzlos wegfallt und ein Vertrag als schuldrechtliche Sonderbeziehung zwischen zwei oder mehreren Parteien sein Ende finden muß, wenn eben dieser Vertragspartner wegfällt. Nach dieser Betrachtung muß der Arbeitgeber beachten, daß er gegebenfalls freiwillige Leistungen erbringt, flir die das gleiche Instrumentarium gilt, wie bei Leistungen ohne frühere Betriebsvereinbarung. 97 V gl. Blomeyer DB 1985, 2506 ff. - 2507, der von "lossagen" spricht; Fitting / Kaiser I Heither / Engels, BetrVG § 77 Rz. 149; ferner m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 324. die Betriebsvereinbarung ipso facto untergehen. 95
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
gen vereinbar ist. Die Erstreckung auf den Normalfall, wie es Richardi vorschlägt, ist daher abzulehnen. Der Theorie einer analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG ist mit
Leinemann vorzuwerfen, daß der Hauptzweck einer Lücke darin liegt, sie entsprechend der Vorstellung ihres Entdeckers zu fiillen98 • Nachdem der Gesetzgeber auch das Verhältnis von abgelaufener Betriebsvereinbarung zum Individualarbeitsverhältnis regeln wollte, ist erste zwingende Voraussetzung für eine Lücke die Behauptung, das Problem der Nachwirkung einer abgelaufenen Betriebsvereinbarung müsse für den zwingenden wie für den freiwilligen Betreich gleich geregelt werden. Nur dann hätte der Gesetzgeber diese Frage nicht beantwortet. Im Ergebnis behauptet die Mindermeinung, der Gesetzgeber hätte entweder insgesamt eine oder gar keine Nachwirkung zu normieren gehabt. Jede andere Entscheidung stellt einen untauglichen Versuch gesetzlicher Problemlösung dar. Eine solche Auffassung macht das gewollte Ergebnis zur Begründung, denn es lautet Gleichbehandlung, weil gleich zu behandeln ist. Woher diese Beschränkung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit kommen soll, wird nicht aufgezeigt, zumal die Dispositivität des § 4 Abs. 5 TVG99 wie des § 77 Abs. 6 BetrVG loo diese Gestaltungsfreiheit den Sozialpartnern für jede einzelne Gesamtvereinbarung eröffnet. Selbst wenn eine Lücke bestünde, steht § 77 Abs. 6 BetrVG einer analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG entgegen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung unstreitig das Verhältnis von Individualvertrag und Betriebsvereinbarung nach deren Ende und damit auch die Ordnungsfunktion bestimmen. Dann kann es keine dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entsprechende Lückenfüllung sein, wenn man seinen erkennbaren Willen für eine andersartige engere Regelung gegenüber § 4 Abs. 5 TVG durch dessen analoge Anwendung negiert lOl • Der Gesetzgeber hat diese Sichtweise auch in den Beratungen zum neuen Insolvenzrecht bestätigt. Dort wurde aus dem § 138 InsO des Regierungsentwurfs - dem heutigen § 120 InsO - der Satz 3, wonach ausLeinemann BB 1989, 1905 ff. - 1908. So jedenfalls die überwiegende Meinung; BAG AP Nr. 12 zu § 4 TVG Nachwirkung mit Anm Lund; zuletzt BAG DB 1991,871 f.; Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff. 105; Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz. 198; Löwischl Rieble, TVG § 4 Rz. 247; a.A. fIir das Tarifrecht noch Herschel ZfA 1976, 89 ff. - 97 unter Berufung auf das damals noch angenommene Ordnungsprinzip. 100 So die h.M. BAG AP Nr. 9 zu § 77 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 154; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 44; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 234; Löwisch, BetrVG § 77 Rz. 22; m.w.N: GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 343; Rech, Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen S. 20 ff - 36. 101 So auch GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 338. 98
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drücklich die Regelung des § 77 Abs. 6 BetrVG bei einer insolvenzbedingten Kündigung unberührt bleiben soll, mit der Begründung herausgenommen, daß dies irreführend sei, weil die meisten betroffenen Betriebsvereinbarungen der freiwilligen Mitbestimmung unterfallen und daher gerade keine Nachwirkung greift lO2 • Schließlich bewirkt eine solche Nachwirkung, daß eine Änderung nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erreicht werden könnte. Eine Mitwirkung des Betriebsrates kann bei einer Angelegenheit der freiwilligen Mitbestimmung jedoch nicht einmal über die Anrufung einer Einigungsstelle erzwungen werden. Wegen der absoluten Friedenspflicht des § 74 Abs. 2 BetrVG ergibt dies einen stärkeren Bestandsschutz, als er für Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung besteht lO3 • Diese Meinung ist deshalb mit § 77 Abs. 6 BetrVG unvereinbar und abzulehnen.
b) Nachwirkung sogenannter Teilmitbestimmung Nach anderer Ansicht soll eine Regelung nachwirken, wenn sie teilmitbestimmt ise 04 • So werden Betriebsvereinbarungen bezeichnet, in denen sich der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat über die Erbringung von Sozial- oder sonstigen Zusatzleistungen verpflichtet, wobei die Vereinbarung hinsichtlich des Gesamtleistungsvolumens - der sogenannte Leistungstopf - eine freiwillige Vereinbarung im Sinne des § 88 BetrVG ist lO5 , während die Regelung der konkreten Ausschüttung an die Belegschaft -sogenannter Verteilungsschlüsseldem Bereich gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dem Bereich der zwingenden Mitbestimmung zuzuordnen ise 06 • Eine Kündigung des freiwillig gewährten Leistungsumfangs hat naturgemäß eine Veränderung des vereinbarten Verteilungsmaßstabs zur Folge, weil nunmehr alle Betroffenen keine entsprechenden Leistungen mehr erhalten. Deshalb soll nach dieser Ansicht eine Nachwirkung auch für den Umfang greifen, bis eine neue Vereinbarung über den neuen Verteilungsmodus getroffen ist lO7 • Kübler / Prütling (Hrsg), Oas neue Insolvenzrecht Bd. I S. 317. BAG BB 1993, 289; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 44; Leinemann BB 1989, 1905 ff. - 1908; vgl. Loritz RdA 1991, 65 ff - 76 f. 104 Blomeyer OB 1985, 2506 ff. - 2508 f.; Däubler I Kittner I Klebe, BetrVG § 77 Rz.59. 105 BAG AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; h.M. Stege I Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 169 c; m.w.N. Rech, Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen S. 36 ff.; a.A. Moll, Mitbestimmung beim Entgelt, S. 188 f. u. 231. 106 V gl. zur Begrifflichkeit Blomeyer OB 1985, 2506 ff. - 2506. 107 Blomeyer OB 1985, 2506 ff. - 2508. 102
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Die h.M. hält dem zu Recht entgegen, daß entweder eine Mitbestimmung erfolge, die keinen Inhalt mehr hätte, weil die Leistung nur Null betragen kann, oder durch den mitbestimmten Verteilungsschlüssel würde über den dafür notwendigen "Geldtopf" mitentschieden lO8 • Dies würde gegen die gesetzliche Wertung verstoßen, wonach die Grundentscheidung über eine Arbeitgeberleistung an die Belegschaft mitbestimmungsfrei ist 109. Außerdem würde, wie schon zuvor beschrieben, ein verstärkter Bestandsschutz etabliert, weil ein Einigungsstellenverfahren nicht vorgesehen ist. Alternativ könnte man hier zwar die gesamte Regelung, also auch den Verteilungstopf, der zwingenden Mitbestimmung unterwerfen. Dann entscheidet die Einigungsstelle und im Rahmen der ErmessenspTÜfung auch das Gericht über den Geldtopf, den der Arbeitgeber "freiwillig" zu verteilen hat. Schirge erweitert denn diese These insoweit konsequent, als sie diese Trennung in Entscheidung über Umfang des Verteilungstopfes und daraufhin vorgenommene Verteilung für wirklichkeitsfremd hält. Regelmäßig würde man sich über die Höhe der den einzelnen Arbeitnehmern gewährten Leistungen einigen. Dazu käme die unberechenbare Veränderung der Belegschaft, die schon über ihre Gesamtanzahl den Verteilungstopf berühre. Letztlich nähme der Arbeitgeber bei Abschluß der Betriebsvereinbarung nur eine Schätzung der Gesamtkosten vor und bestimme seine Zahlung nicht vorab auf Mark und Pfennig. Zumindest wenn er einmal eine Leistung eingeführt habe, würde aus Vertrauensgründen ein vollständiges Mitbestimmungsrecht des Betriebrates zwingender Art entstehen, so daß eine "Kündigung" der Zustimmung des Betriebsrates bedarf11o • Eine so verstandene Mitbestimmung mißachtet die abschließende gesetzliche Regelung der zwingenden Mitbestimmung. Deren Erweiterung contra legern und gegen den Willen des Arbeitgebers wäre ein unzulässiger Eingriff in den gemäß Art. 12 und 14 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Diese Meinung führt somit zu einem mit der Rechtslage nicht zu vereinbarenden Ergebnis.
108 BAG EzA Nr. 35 zu § 77 BetrVG 1972 = OB 1990, 1871 = NZA 1990,814; BAG EzA Nr. 36 zu § 77 BetrVG 1972 mit Anm. Kittner; vgl auch Stege / Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 44; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 339; Rech, Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen S. 43. 109 BAG OB 1994, 987 ff. - 989; so selbst Hanau, Peter Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 30f. IIOSchirgeOB 1991,441 ff.-444.
O. Ordentliche Kündigung
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c) Nachwirkung teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen bei bloßer Änderungsabsicht des Arbeitgebers Schließlich wird vom Bundesarbeitsgericht lll und einem Teil der Literatur l12 die Meinung vertreten, daß eine Nachwirkung teilmitbestimmter Regelungen ausnahmsweise greifen müsse, wenn der Arbeitgeber eine teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung zwar zunächst kündigt, aber gleichzeitig im Wege einer Änderungskündigung ein verringertes Neuangebot abgibt bzw. auf sonstige Weise nach vollständiger Beendigung einen verringerten Neuabschluß betreibt. Der Arbeitgeber wolle schließlich in diesen Fällen das zur Verfügung gestellte Volumen in Wahrheit nur reduzieren ll3 . Daher bleibe über die Kündigung hinaus ein Regelungsbedarf im Hinblick auf den Verteilungsschlüssel bestehen, und es müsse entsprechend dem Zweck des § 77 Abs. 6 BetrVG, Regelungslücken zu vermeiden, eine Nachwirkung greifen. Da die Betriebsvereinbarung nur insgesamt nachwirken könne, erfasse die Nachwirkung sogar das Leistungsvolumen ll4 • Zum Teil wird die Rechtsprechung zur Mitbestimmung bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf außer- und übertarifliche Lohnleistungen in Bezug genommen. Richtig ist an dem Vergleich, daß auch bei der Tariflohnanrechnung eine Reduzierung des freiwillig erbrachten Verteilungstopfes beabsichtig wird. Die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf außer- und übertarifliche Lohnleistungen ist dem Arbeitgeber nur erlaubt, wenn er sich vorbehalten hat, sein Leistungsvolumen alleine durch die Anrechnung zu mindern. Einer Kündigung bedarf es nicht, so daß in keinem Zeitpunkt eine Beendigung der ursprünglichen Leistungszusage eintritt. Folglich verbleibt ein geminderter Verteilungstopf bei der Tariflohnanrechnung auch ohne Nachwirkung bestehen. Sollte hingegen die Tariflohnanrechnung den gesamten Verteilungstopf aufzehren, besteht gerade kein Mitbestimmungsrecht mehr. Sobald der Arbeitgeber in dieser Konstellation bei der Auszahlung der verbleibenden Zusatzleistungen vom ursprünglichen Verteilungsschlüssel, also der quotenmäßigen Verteilung des Leistungstopfes, an die einzelnen Arbeitnehmer abweicht, verändert er das vereinbarte Leistungsverhältnis und stellt die im Gefüge festgelegte betriebliche Lohngerechtigkeit in Frage, die durch die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gerade gesichert werden soll 11 5 • Dieser Eingriff berührt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus BAG OB 1994, 987 ff. Hanau, Peter RdA 1989,207 ff. - 210; wohl auch Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 44. 113 BAG OB 1994,987 ff. - 988 f.; so bereits Hanau, Peter NZA 1985 Beil. 2, 10 f.; ferner Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz. 59. 114 BAG OB 1994, 987 ff. - 989. 115 Hessl Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 463. II1
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 116 • Deshalb hat sich die h.M. entschlossen, im Rahmen der Theorie von der notwendigen Mitbestimmung zunächst die Zulagen insgesamt ungekürzt fortbestehen zu lassen, wenn dies auch eine überschießende Wirkung zeitige 17. Da dies nur unter vorübergehenden Verzicht auf die Mitbestimmung über die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit beseitigt werden könnte, ist dies bei der Tariflohnanrechnung vertretbar, zumal die Rechte des Betriebsrates aus § 87 BetrVG gerade ein Herzstück der Betriebsverfassung darstellen.
Da eine Nachwirkung nur in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber die ursprüngliche Vereinbarung insgesamt wirksam aufgekündigt hat und anschließend eine Neuregelung herbeiführen will, besteht jedoch ein ganz erheblicher Unterschied zur Rechtsprechung über die Mitbestimmung bei der Tariflohnanrechnung. Bei der Lohnanrechnung gilt die ursprüngliche Leistungspflicht mangels Mitbestimmung über die neuen Verteilungsgrundsätze fort, weil durch sie untrennbar Reduktion des Gesamtvolumens und Festlegung der neuen Leistungsverteilung zusammenfallen. Da die unwirksame Neufestlegung des Verteilungsschlüssels den alten Verteilungsplan nicht zu 116 Ständige Rechtsprechung seit der Entscheidung des Großen Senats, BAGE 69, 134 ff - 164 ff= AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. auch BAG NZA 1995, 792 ff.; BAG NZA 1995, 795 f.; Hessl Schlochauerl Glaubitz -Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 488 f.; vgl. m.w.N. die ausführliche Darstellung bei Stege I Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 174 ff. und GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 756 ff. Dieses Mitbestimmungsthema ist bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen recht häufig einschlägig, weil bereits eine vollständige Anrechnung oft zu einer Veränderung des Verteilungsschlüssels führt. Dieser bestimmt sich allein an den freiwilligen Zusatzleistungen und umfaßt nicht den tariflichen Mindestlohn. Deshalb kann eine Veränderung eintreten, wenn Tariflohnerhöhungen je nach der Tätigkeit der einzelnen Arbeitnehmer unterschiedlich ausfallen, und sich der jeweils freiwillig bezahlte Zusatzlohn unterschiedlich entwickelt. Auch bei gleichmäßigen Tariflohnerhöhungen kann eine Modifizierung erfolgen, wenn die ursprünglichen Zusatzleistungen nicht einheitlich verteilt wurden und die unterschiedslose Anrechnung den Anteil der freiwilligen Zusatzleistungen, die den Tariflohn übersteigen, in verschiedenem Maße aufsaugt. Noch häufiger treten Änderungen im Verteilungsschlüssel ein, wenn Tariflohnerhöhungen teilweise und bei einzelnen Arbeitnehmern in unterschiedlichem Maße angerechnet werden. Allerdings hat der Große Senat betont, daß eine Verletzung des Mitbestimmungsrechtes ausscheidet, wenn eine abweichende Verteilung dem Arbeitgeber rechtlich nicht möglich bzw nicht zumutbar ist, etwa weil die übertariflichen Leistungen in die Individualverträge unter dem Vorbehalt der Tariflohnanrechnung übernommen wurden und der Arbeitgeber bei vollständiger Tariflohnanrechnung gegenüber einem Teil der Arbeitnehmer Anderungskündigungen aussprechen müßte, um Geldmittel aus dem Verteilungstopfzur Umverteilung freizusetzen. 117 BAGE 69, 134 ff. - 169 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG BB 1994, 1072 ff.-1074; zuletzt BAG NZA 1997, 277 ff. = DB 1997, 332 f.; Hanau, Peter RdA 1989,207 ff. - 209; ausführlich m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 756 ff.; ders. RdA 1995,355 ff. Allerdings kann der Arbeitgeber unter Vorbehalt zahlen und damit nach einer Einigung eine Rückzahlung bzw. Verrechnung erzwingen, vgl. BAG NZA 1996, 386 ff.
D. Ordentliche Kündigung
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verändern vermag, bleibt der ursprüngliche Status erhalten, was in letzter Konsequenz das Volumen mitumfaßt. Durch die wirksame Kündigung wird hingegen kein Mitbestimmungsrecht verletzt. Der Arbeitgeber darf nämlich keine eigene Verteilungsregelung treffen, wenn er eine reduzierte Leistung weiter gewähren will. Nach Eintritt der Beendigungswirkung führt die Unwirksamkeit eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens daher nicht zur Wirksamkeit der ursprünglichen Regelung. Der erreichte Rechtszustand, den der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrates ändern will, ist nicht mehr die frühere Betriebsvereinbarung, sondern vielmehr die aufgrund der wirksamen Kündigung eingetretene Nichtregelung 1l8 • Zur Vermeidung einer Regelungslücke wäre es daher ausreichend, wenn man den Verteilungsschlüssel einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung nachwirken läßt l19 • Ob Volumen und Schlüssel in einer Betriebsvereinbarung verknüpft sind, kann dabei nicht entscheidend sein, weil allein die Zusammenfassung zweier Regelungen in einer Urkunde keine untrennbare Materie schafft. Die Beendigung der Betriebsvereinbarung mit Ablauf der Kündigungsfrist bewirkt rechtlich also eine Zäsur, die die Anwendung der Rechtsprechung zur Mitbestimmung bei der Tariflohnanrechnung auf die Frage der Nachwirkung gekündigter teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen verbietet. In Betracht kommt allenfalls eine ausschließliche Nachwirkung des Verteilungsschlüssels, so daß im Ergebnis keine Zahlungspflicht begründet wird. Erst wenn der Arbeitgeber ohne Festlegung der Verteilungsgrundsätze sich nach allgemeinen Regeln zur Ausschüttung eines neuen Zahlungsvolumens verpflichtet hat, ist die konkrete Auszahlung an die Belegschaft entsprechend dem nachwirkenden Verteilungsschlüssel vorzunehmen. Da diese Nachwirkung nicht dem Begehren des Betriebsrates entgegensteht, eine Neuordnung zu treffen, bleibt es ihm unbenommen, notfalls durch das Einigungsstellenverfahren neue Lohngrundsätze festzulegen. Nimmt der Arbeitgeber hingegen Zahlungen ohne Einigung mit dem Betriebsrat und entgegen dem nachwirkenden Verteilungsschlüssel vor, so haben die allgemeinen Grundsätze für mitbestimmungswidrige Maßnahmen zu gelten. Es greifen nach der h.M. also die Prinzipien der notwendigen Mitbestimmung ein l2O • Daneben hat der Betriebsrat nach neuerer RechtSo auch Leinemann BB 1989, 1905 ff. - 1908. Rech, Nachwirkung freiwilliger Betriebsvereinbarungen S. 63; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 339; MünchArbR - Matthes, § 319 Rz. 56. 120 Das BAG NZA 1995, 543 ff. hat insoweit zutreffend festgestellt, daß mitbestimmungswidrig geleistete Zahlungen, die der Arbeitgeber nicht mehr zurückfordern kann, die Mitbestimmung nicht beseitigen. Vielmehr werden diese Zahlungen, soweit sie nicht einem späteren mitbestimmten Leistungsplan entsprechen, nicht vom ursprünglich vorgesehenen Dotierungsrahmen abgezogen, so daß sich mittelbar der Dotierungsrahmen erhöht. Dieses für den Arbeitgeber höchst unerfreuliche Ergebnis dürfte zur Sicherung der Mitbestimmung vollkommen genügen. 118
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
sprechung einen allgemeinen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber l21 • Auch nach der Gegenmeinung kommt dem Betriebsrat zumindest nach § 23 Abs. 3 BetrVG ein Unterlassungsanspruch zul22. Selbst wenn man an der Effektivität dieser im Betriebsverfassungsrecht bereitgestellten Instrumentarien zweifeln mag, kann dies nicht zu einem weitergehenden Schutz mit überschießender Tendez führen, wie er gilt, wenn ein Arbeitgeber erstmals ohne Beteiligung des Betriebsrates eine freiwillige Zusatzleistung an die Belegschaft auszahlt. Warum diese Konsequenzen nicht mehr reichen, wenn der Arbeitgeber früher eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen hatte, ist nicht ersichtlich. Insoweit kann letztlich auch nicht mit dem Umgehungsgedanken argumentiert werden. Es kann zwar durchaus sein, daß der Arbeitgeber mit der Kündigung die Folgen einer bloßen Änderung vermeiden Will 123 , doch ist es niemandem verwehrt, unliebsame Folgen durch rechtlich zulässige Konstruktionen zu umgehen. Erst wenn der Sinn einer Norm den bezweckten Erfolg gerade verhindern soll, kann die rechtliche Gestaltung wegen der Umgehung unbeachtlich sein. Die Nachwirkung bei der reduzierten Leistungspflicht erfolgt aus der Überlegung, daß ein verteilungsfähiger Rest besteht, der irgendwie zu verteilen ist. Nach einer vollständigen Beendigung ist hingegen nichts mehr vorhanden, was auszuschütten wäre. Nach alledem ist eine Nachwirkung auch dann abzulehnen, wenn der Arbeitgeber mit der Kündigung eigentlich nur eine Verringerung verfolgt 124 • Es bleibt daher festzuhalten, daß eine irgendwie geartete Nachwirkung oder "Weitergeltung" mit dem geltenden Betriebsverfassungsgesetz nicht in Einklang steht 125 • 121 BAGE 76, 364 ff. = DB 1994, 2450 ff; BAG SAE 1995, 93 ff. mit kritischer Anm. Walker;zuletztBAGDB 1997,378 ff. =BB 1997, 472ff. =NZA 1997, 274 ff. 122 Walker in Anm zu BAG SAE 1995, 93 ff.; Stege / Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 3a ff. - 3b. 123 Faktisch ist dieser Fall allerdings schon kaum vorstellbar, weil dem Arbeitgeber grundsätzlich kein Änderungsrecht gewährt wird und eine einvernehmliche Änderung die Beteiligung des Betriebsrates beinhaltet. Denkbar wäre er deshalb nur bei den Anrechnungsfallen. Dort ist die Möglichkeit des Arbeitgebers zu einer vollständigen Beendigung seiner Leistungspflicht meist durch individuelle Vereinbarungen erheblich begrenzt. 124 Wohin die Rechtsprechung zur Nachwirkung bei beabsichtigten Änderungen führen kann, belegt eindrucksvoll LAG Köln NZA-RR 1996, 172. Dort hatten die Betriebspartner in zeitlichem Zusammenhang eine Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit und Überstunden einerseits und der Belegschaftsstärke andererseits. Das Gericht hat nunmehr bei der Kündigung der Betriebsvereinbarung über die Belegschaftsstärke eine Nachwirkung angenommen. 125 So auch die h.M. BAGE 61,87 ff.= AP Nr. 40 zu § 77 BetrVG 1972; BAGE 64, 336 ff. = AP Nr. 4 zu § 77 BetrvG 1972 - Nachwirkung; BAGE 66, 8 ff. = AP Nr. 5 zu § 77 BetrVG - Nachwirkung; BAG BB 1994, 1072ff; m.w.N. v.Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 204; Kempen ArbRdGgW 1993, 97 ff. - 102 f.
D. Ordentliche Kündigung
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IV. Teilkündigung von Betriebsvereinbarungen Schließlich soll noch im Rahmen der Betriebsvereinbarung die Möglichkeit einer Teilkündigung kurz berührt werden. Darunter versteht man im Gegensatz zur allgemein als zulässig anerkannten Änderungskündigung 126 nicht eine Beendigungskündigung mit dem Angebot, den Vertrag zu geänderten Bedingungen fortzuführen, sondern es sollen nur bestimmte Bedingungen aus dem unverändert fortgeltenden Vertrag herausgenommen werden127 • Dies ist für den KÜDdigenden von erheblichem Vorteil, wenn er nicht mit dem Vertrag insgesamt unzufrieden ist, sondern ihn nur einzelne Regelungen stören. Im Betriebsverfassungsrecht kommt dieser Überlegung im Bereich der zwingenden Mitbestimmung noch eine erhöhte Bedeutung zu, als die veränderte Betriebsvereinbarung als quasi neue Abmachung eine Nachwirkung wegen des gekündigten Teilbereichs in Frage stellen würde und ein Initiativrecht der Gegenseite erst aufgrund deren Vollkündigung eintreten könnte. Es wurde darüber nachgedacht, ob die Teilkündigung im Recht zur Vollkündigung als Minus enthalten ise 28 • Dies würde verkennen, daß durch die Herausnahme einzelner Regelungen im Wege der Teilkündigung die vertragliche Austauschgerechtigkeit verändert werden kann 129 • Der KÜDdigungsgegner darf im Rahmen der privatrechtlichen Selbstbindung am Vertrag nur insoweit festgehalten werden, als dessen konkrete Ausformung noch mit seiner Willenserklärung übereinstimmt, durch die er auf seiner Seite den Vertragsabschluß herbeigeführt hat. Ob der KÜDdigungsgegner am Vertrag auch unter veränderten Bedingungen festhalten will, muß daher seiner Entscheidungsmacht überlassen bleiben. Dieser Wertung entspricht allein die Anerkennung einer Änderungskündigung. Eine Teilkündigung ist hingegen nur dann mit der privatautonomen Bindung des KÜDdigungsgegners vereinbar, wenn er sie bereits beim Vertrags abschluß akzeptiert, also ein entsprechendes Recht dem KÜDdigenden vertraglich eingeräumt wurde 130 • Dies ist in der Praxis, soweit 126 Ausführlich Molitor, Erich, Die Kündigung, S. 46 ff.; vgl. im übrigen statt vieler Zirnbauer NZA 1995, 1073; speziell für Betriebsvereinbarungen GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 315; Schaub BB 1990,289 ff. 127 Gumpert BB 1969, S. 409 ff. - 4091 412; Hueek, Götz RdA 1968, S. 201 ff - 202. 128 Joaehim RdA 1957,326 ff. - 329. 129 BAG BB 1983, 1791; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 99; m.w.N. Palandt-Putzo, § 620 Rz. 34; MünchKomm - Sehwerdtner, Vor § 620 Rz. 59; Erman - Hanau, Peter § 620 Rz.92. 130 So die ganz h.M.: für Betriebsvereinbarung BAG AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG = DB 1964, 1342; Blomeyer DB 1985, 2506 ff. - 2506; allgemein für das Privatrecht ausführlich Molitor, Erich, Die Kündigung, S. 37 ff. - 45; für Kollektivverträge, Nikiseh, ArbR 11, S. 350; Hueek, Alfredl Nipperdeyl Stahlhacke, TVG § 1 Rz. 38; Hueek, Götz RdA 1968, S. 201 ff.-207f.; vgl. auch für das Individualarbeitsrecht: Hersehe/ BB 1958, S. 160 ff. - 162, Gumpert BB 1969, S. 409 ff. - 410/ 412; m.w.N. Hueek, aaO. 204 f.; Leuchten NZA 1994, 721 ff. - 724; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 98 f.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
ersichtlich, äußerst selten der Fall, wobei der Gesichtspunkt entscheidend sein dürfte, daß der potentielle Kündigungsgegner auf die Möglichkeit einer einvernehmlichen Änderung aufgrund entsprechender Nachverhandlungen verweisen wird. Im Betriebsverfassungsrecht kommt der Teilkündigung jedoch insoweit gewisse Bedeutung zu, als man von einem solchen, konkludent vereinbarten Recht ausgeht, wenn in einer umfassenden Urkunde mehrere selbständige, voneinander unabhängige Fragen geregelt worden sind, weil angenommen werden kann, daß eine unabhängige Kündbarkeit gewollt ist l3l • Da die Betriebsvereinbarung kein unmittelbarer Austauschvertrag ist, sondern auf eine kollektive Ordnung von Sachfragen abzielt, wird man diese Sichtweise akzeptieren können. Tatsächlich muß es sich in solchen Fällen aus materieller Sicht eigentlich um mehrere Betriebsvereinbarungen handeln, die nur der Einfachheit halber in einer Urkunde zusammengefaßt wurden. Sofern die Teilkündigung eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit betrifft, wirkt die gekündigte Regelung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach, weil die übrigen ungekündigten Regelungen bei echter Selbständigkeit mit dem gekündigten Teil nicht in Zusammenhang stehen dürfen. Aus dem gleichen Grunde besteht auch sogleich ein Initiativrecht der Gegenseite für eine Neuregelung. Folglich kommt dem Recht der Teilkündigung praktisch insoweit Bedeutung zu, als in einer Betriebsvereinbarung mehrere, voneinander unabhängige Fragen selbständig abgehandelt werden. Eine Einschränkung der Nachwirkung und des Initiativrechts der Gegenseite in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ist hiermit nicht zu erreichen.
V. Zusammenfassung 1. Die ordentliche Kündigung setzt voraus, daß es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Die im Bereich von Unternehmenskrisen bedeutsamen Sozialpläne werden daher nicht erfaßt, weil sie eine Einzelfallregelung für die jeweils konkrete Betriebsänderung darstellen. Eine Ausnahme bilden die sehr seltenen Rahmensozialpläne. 2. Die ordentliche Kündigung ist mangels anderer Vereinbarung sowohl für Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten der zwingenden als auch 131 BAGE 40, 199-206f.; BAP AP Nm. 10 zu § 59 BetrVG 52; BAG AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG 52; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 215; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 43; Dietzl Richardi, BetrVG § 77 Rz. 143; Hueck, Götz RdA 1968,201-208; ferner Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 136 und GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 313, die zutreffend darauf hinweisen, daß an die Feststellung der Selbständigkeit hohe Anforderungen zu stellen sind. Vgl. zur Teilunwirksamkeit BAG BB 1993,289 f.
E. Außerordentliche Kündigung
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- entgegen neuerer StiImnen - über Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung uneingeschränkt möglich. Es greift lediglich eine dreimonatige Kündigungsfrist. 3. Die aus einer Betriebsvereinbarung erworbenen Ansprüche und unverfallbaren Anwartschaften sind von dem Bestand ihrer Rechtsgrundlage unabhängig. Die Kündigung der Betriebsvereinbarungen beeinflußt sie deshalb nicht. 4. Im übrigen kann die freie Kündigung den Arbeitgeber nicht von seinen Treupflichten entbinden. Daher kann er auch ohne Nachwirkung gemäß § 242 BGB einen individuellen Ausgleich durch eine anteilige Leistung oder eine angemessene Übergangsregelung schulden, wenn er bereits einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerleistung entgegengenommen hat, der Arbeitnehmer in besonderem Maße schutzbedürftig ist und rechtfertigende, etwa wirtschaftliche Gründe nicht vorliegen. Wirtschaftliche Verschlechterungen steigern folglich die Anforderungen für eine Leistungspflicht aus § 242 BGB erheblich. S. Die ordentliche Kündigung ist geeignet, bei wirtschaftlichen Krisen jegliche künftigen Ansprüche aus freiwilligen Betriebsvereinbarungen nach Ablauf der Kündigungsfrist zu unterbinden, sofern sie nicht ausgeschlossen ist. Sie eröffnet im Bereich der zwingenden Mitbestimmung die Möglichkeit, neue Verhandlungen und Vereinbarungen zu erzwingen. 6. Die Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung ist zwar insoweit möglich, als faktisch in einer förmlichen Betriebsvereinbarung materiell mehrere voneinander unabhängige Betriebsvereinbarungen enthalten sind. Da hiermit keine Einschränkung der Nachwirkung und Initiativmacht der Gegenseite in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten zu erreichen ist, kommt der Teilkündigung vorliegend keine nennenswerte eigenständige Bedeutung zu.
E. Die außerordentliche Kündigung Neben der ordentlichen Kündigung ist bei Dauerschuldverhältnissen auch die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung in Betracht zu ziehen. Sie unterscheidet sich von der ordentlichen dadurch, daß sie nur aufgrund besonderer Umstände zulässig ist und daher im Gegensatz zur ordentlichen Kündigung immer eines Kündigungsgrundes bedarfl • Die bloße Einhaltung einer bestimmten Kündigungsfrist genügt nicht. I
Vgl. Molitor, Erich, Die Kündigung, S. 255 f.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Sie ist daher lediglich sinnvoll, wenn das Rechtsinstitut der ordentlichen Kündigung der Interessenlage nicht genügt, was aus zwei Gründen zutreffen kann. Zum einen kann das Recht zur ordentlichen Kündigung insgesamt vertraglich abbedungen sein - entweder ausdrücklich oder konkludent, wobei letzteres in der Praxis häufiger vorkommen dürfte, insbesondere im Fall befristet abgeschlossener Betriebsvereinbarungen -. Zum anderen kann die Einhaltung der Kündigungsfrist unzumutbar sein, was insbesondere naheliegt, wenn eine wesentlich längere als die Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG vereinbart wurde. Im Extremfall kann sogar eine fristlose außerordentliche Kündigung zulässig sein, obwohl die gesetzliche Regelung des § 77 Abs. 5 BetrVG uneingeschränkt gilt, wenn selbst die Einhaltung der Dreimonatsfrist unzumutbar ist. I. Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung
Während die ordentliche Kündigung durch § 77 Abs. 5 BetrVG dem Grunde nach behandelt worden ist, fehlt für die außerordentliche Kündigung jegliche gesetzliche Regelung. Dies bedeutet keineswegs, daß es im Umkehrschluß eine solche Kündigungsmöglichkeit nicht gibt. Vielmehr bedarf das auf längere Zeit angelegte Band des Dauerschuldverhältnisses im Gegensatz zum einmaligen Austauschverhältnis einer viel stärkeren Vertrauensgrundlage. Ausserdem wächst mit der Dauer der vertraglichen Bindung die Gefahr, daß äußere Umstände das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung oder die vertraglichen Grundlagen derart verändern, daß ein weiterer Austausch schlechthin unerträglich erscheint. Die Einräumung des außerordentlichen Kündigungsrechtes bedeutet letztlich auch keine Gefährdung des Grundsatzes der Vertragstreue, weil an einen Kündigungsgrund entsprechend hohe Anforderungen zu stellen sind. Deshalb ist unter analoger Anwendung bestehender Regelungen, vornehmlich der §§ 542; 554 a; 626; 671 Abs. 2 und 3; 723 Abs. 2 und 3 BGB, mittlerweile gewohnheitsrechtlich im Privatrecht die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung für jedes Dauerschuldverhältnis und insoweit auch für Betriebsvereinbarungen anerkanne . Der Gesetzgeber hat die außerordentliche Kündbarkeit nunmehr in § 120 InsO ausdrücklich anerkannt. Da jede Kündigung nur ex nunc wirkt, steht der Anwendung auf Betriebsvereinbarungen deren normative Wirkung nicht entgegen. 2 Allgemeine Ansicht BAGE 4, 232 ff. = OB 1957,924; BAGE 16,58 ff.; BAG AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972 = EzA Nr. 10 zu § 50 BetrVG 1972; LAG Saarland OB 1986, 48 f.; so schon unter dem BetrVG 1952 BAG AP Nr. 2 zu § 52 BetrVG = BB 1962,1081; LAG OüsseldorfBB 1957,966; DäublerNZA 1985, 545 ff.- 549 f.; Halberstadt, BetrVG § 77 Rz. 42; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 210; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 42; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 314; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 135.
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ll. Der Begriff des wichtigen Grundes und seine konkrete Anwendbarkeit
1. Begriff des wichtigen Grundes im allgemeinen Während die ordentliche Kündigung keiner Begründung bedarf, setzt eine außerordentliche einen besonderen Kündigungsgrund voraus. Dieser sogenannte wichtige Grund, der allein zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, liegt vor, wenn Tatsachen gegeben sind, die unter Abwägung der Einzelumstände und -interessen beider Parteien eine Vertragsfortsetzung für einen Partner unzumutbar machen3 • Diese Deflnition wird allgemein aus § 626 BGB abgeleitet4 •
a) Wichtiger Grund aus der Sphäre des Kündigungsgegners Ein wichtiger Grund kann einerseits auf Umständen beruhen, welche die Person oder das Verhalten des anderen Vertragsteiles betreffen und die Vertrauensgrundlage zum Vertragspartner zerstören, die für ein Dauerschuldverhältnis unerläßlich ist. Dabei geht es hauptsächlich um ein vertragswidriges Verhalten der anderen Seite, die das Vertrauen in die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung oder die Zumutbarkeit derselben entfallen läßt. Unabhängig von einem solchen Verhalten ist die Vertrauensbasis auch dann vernichtet, wenn sich die persönlichen Verhältnisse einer Vertragspartei so verschlechtert haben, daß man nicht mehr mit einer ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Vertragspflichten rechnen kann. In diesem Fall soll man sich von seinen eigenen Vertragspflichten befreien können, weil die Selbstbindung noch in einem anderen Rahmen erfolgte, als er sich nunmehr darstellt. Obwohl letzteres zu einer Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse führen kann, ist dieser Grund für die Arbeitgeberseite nutzlos, wenn sie sich wegen ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation vom Vertrag lösen will. Es ist insoweit allein auf die Vermögenslage der Gegenseite also des Kündigungsgegners abzustellen. Man soll nicht zur Leistung verpflichtet bleiben, obwohl eine Erbringung der Gegenleistung unwahrscheinlich ists. Dies läßt also den allgemeinen Grundsatz unberührt, daß jeder für seine eigene leistungsfähigkeit grundsätzlich einzustehen hat. Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 211. BGHZ 41, 108 ff; Esser/ Schmidt, Schuldrecht Bd. I Allgemeiner Teil § 20 IV 2 b; Erman-Hanau, Peter § 626 Rz. I; m.w.N. Palandt-Heinrichs, Eint. v. § 241 Rz. 19. S Daß diese Gefahr einen wichtigen Grund bedeuten kann, der zur Abweichung von vertraglichen Vereinbarungen berechtigt, zeigt schon § 321 BGB, der bei Vermögensverfall eine Vorleistungspflicht negiert. 3 4
11 Beathalter
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
b) Wesentliche Änderung der Vertragsverhältnisse Ein wichtiger Grund ist andererseits auch gegeben, wenn sich die Vertragsverhältnisse derart ändern, daß unter Abwägung der gegenseitigen Interessen das Festhalten am Vertrag für eine Seite unzumutbar ist. Insoweit ist eine außerordentliche Kündigung wegen wirtschaftlicher Entwicklungen möglich, wenn hierin eine wesentliche Veränderung der Vertragsverhältnisse liegen sollte. Eine solche setzt voraus, daß der in Frage stehende Umstand das Vertragsverhältnis berührt. Die Feststellung, welche Faktoren zu den rechtlich erheblichen Verhältnissen des Vertrages gehören, kann dabei nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Einzelnen abheben; andernfalls würde jedes willkürliche Motiv eines Beteiligten den Grundsatz der Vertragsbindung begrenzen. Dies würde die andere Partei häufig rechtlos stellen und wäre weder mit dem Gedanken des Verkehrs schutzes noch mit der Rechtssicherheit vereinbar . Daher ist ein Motivirrtum mit Ausnahme des Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB für die Gültigkeit von Willenserklärungen und Rechtsgeschäften unerheblich. Die eingetretene Änderung muß deshalb in Abgrenzung zum bloßen Motivirrtum Umstände betreffen, die der sog. Geschäftsgrundlage zuzuordnen sind. Damit befindet man sich in der Geschäftsgrundlagenlehre, bei der sogar die Rechtfertigung einer solchen eigenständigen Lehre selbst bis heute umstritten ist. Doch kann dieser Streit hier noch unbehandelt bleiben, weil selbst die Ansichten, die ein eigenständiges Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage insgesamt ablehnen, für die gesetzlich geregelte außerordentliche Kündigung die Geschäftsgrundlagenlehre als Subsumtionsfrage anerkennen, um zu bestimmen, ob ein Umstand die Vertragsverhältnisse essentiell berührt und daher zu einer unzumutbaren Vertragsbindung im Dauerschuldverhältnis führt6. Somit ist jedenfalls bei der außerordentlichen Kündigung die Geschäftsgrundlagenlehre anwendbar. Diese Lehre geht auf die sog. "clausula rebus sie stantibus" im Naturrecht zurück. Hierunter verstand man, daß ein Vertrag letztlich unter dem Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse steht. Eine wesentliche Veränderung der äußeren Umstände führte daher zur Begrenzung der Vertragstreue 7 • Windscheid versuchte die Geschäftsgrundlage im Rahmen seiner Lehre von der Voraussetzung als "unentwickelte Bedingung" der Willenserklärung zu erklären. Danach sollte die Fortdauer der als sicher vorausgesetzten Umstände für die Gültigkeit der Willenserklärung erforderlich sein, weil sie zwar nicht Flume, Das Rechtsgeschäft, § 26 S. 527. Vgl. die Darstellungen m.w.N. bei Soergel - Teichmann, § 242 BGB Rz. 203 und RZ.207. 6 7
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ausdrücklich vereinbart, aber dennoch Voraussetzung derselben seiß • Kam es zu einer entscheidenden Veränderung der Verhältnisse, so sollte dies letztlich eine Art auflösende Bedingung darstellen bzw. eine Arglist-Einrede begründen. Die Basis der heutigen Diskussion ist die von Oertmann entwickelte Lehre von der Geschäftsgrundlage, die an die vorgenannten Ansichten anknüpfte. Diese ist .. die beim Geschäftsschluß zutage tretende und vom etwaigen Gegner in ihrer Bedeutsamkeit erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich aufbaut .. 9 • Dieser Ansatz Oertmanns wird als subjektive Lehre bezeichnet, da sie auf einem tatsächlichen, zumindest aber einem ftktiven Willen der Beteiligten abstellt. Dieser Theorie schloß sich die Rechtsprechung an lO • Demgegenüber wurde von anderen Autoren eine objektive Lehre vertreten, die als Geschäftsgrundlage die Begrenzung der Vertragspflicht durch das ansieht, was dem verpflichteten Kontrahenten aufgrund seines den Wesenszweck eines bestimmten Vertragstypes erstrebenden Wirkungswillens zugemutet werden darf. Der Vertrag wird durch seine objektiven Grundlagen unabhängig davon begrenzt, ob die Parteien solche Umstände bedacht haben oder nicht 11 • Teilweise wird angenommen, daß ein Umstand durch Einbeziehung zur objektiven Geschäftsgrundlage wird.
In der weiteren Entwicklung versuchten Larenz und Wieacker beide Vorstellungen zu erfassen, wobei die subjektive in den Bereich der Irrtumslehre und die objektive in das Unmöglichkeitsrecht eingeordnet wurde 12 • Lehmann wollte hingegen beide zu einer Formel verbinden, wonach Geschäftsgrundlage Umstände sind, auf die sich der andere Vertragspartner eingelassen hat oder redlicherweise hätte einlassen müssen, wenn man die Unsicherheit des Umstandes erkannt hätte 13. Schließlich wird zunehmend eine Lehre vom Vertragsrisiko vertreten. Danach soll aus den Umständen des Vertrages und der gesetzlichen Regelung entnommen werden, welcher Vertragspartner das Risiko für den Eintritt bestimmter Umstände zu tragen hat. Dabei kann der Um8 Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung; ders. AcP 78, 161 ff. 9 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37. 10 RGZ 103,328 ff.; RGZ 168, 126. 11 E. Kaufmann, Völkerrecht S. 76 ff; Krückmann AcP 116, 157 ff; Locher AcP 121, I ff. 12 Wieacker FS Wilburg 1965, S. 241 ff.; Larenz, AT des BGB § 20 III S. 382; Larenz, Lehrbuch des SchR Bd I AT, § 10 IId) S. 137 f. und § 21 11 S. 320 ff. 13 Enneccerus-Lehmann, § 41 11 4.
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fang, in dem sich die äußere Situation verändert hat, dazu führen, daß ein an sich übernommenes Risiko nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als nicht mehr übernommen anzusehen ise 4 • Eine vollständige Durchdringung der Diskussion um die Geschäftsgrundlage würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen lS und bestenfalls den 56 von Chiotellis bereits im Jahre 1981 gezählten Theorien eine weitere hinzufügen, die im praktischen Ergebnis ohnehin nur ausnahmsweise zu unterschiedlichen Folgen führen. Für die weitere Bearbeitung wird daher wegen ihrer praktischen Bedeutung auf die tatbestandliche Begriffsbestimmung der Geschäftsgrundlage abgestellt, die von der Rechtsprechung verwendet wird l6 • Danach sind im Anschluß an eine Defmition von Oertmann 17 solche Umstände als Teil der Geschäftsgrundlage anzusehen, die sich eine Vertragspartei irrtümlicherweise vorgestellt - Fall der Fehlvorstellung - oder ihrem Handeln unbewußt zugrunde gelegt hat - Fall der fehlenden Vorstellung -, sofern die andere Seite diese Vorstellung erkannt hat oder erkennen konnte und sie redlicherweise gegen sich gelten lassen muß. Dabei ist insbesondere maßgeblich, daß der Geschäftswille eines oder beider Parteien erkennbar auf diesem Umstand aufbaues. Gehört danach ein Umstand zur Geschäftsgrundlage, so begründet seine Veränderung dann einen wichtigen Grund, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, wenn eine unveränderte Vertragsbindung dem Benachteiligten unzumutbar ist l9 • Dieses wertungsbedürftige Merkmal der Zumutbarkeit wird sodann mit der Frage der Vorhersehbarkeit und der grundsätzlichen Risikoverteilung des Vertrages und ähnlichen Erwägungen ausgefüllt, so daß es letztlich zu einer Kombination der verschiedenen Ansätze aus der Literatur kommt. 14 Fikentscher, Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisiko, inbesondere S. 43 ff.; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 317 ff.; ähnlich auch Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, insbesondere S. 130 ff., der aber vornehmlich auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und eine sog. Risikonutznießung (Diese soll vorliegen, wenn sich eine Partei die Einbeziehung besonderer Risken vergüten läßt Köhler S. 154.) abstellt Köhler S. 143 ff. 15 Vgl. m.w.N. die Darstellungen bei Soergel - Teichmann, § 242 BGB Rz. 208 ff.; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 312 ff. Die Bearbeitung der Geschäftsgrundlage von Schmidt im Staudinger § 242 Rz. 942 - 1449 umfaßt über 150 Seiten und stellt damit eigentlich schon eine Monographie innerhalb eines Kommentares dar. 16 Zu den verschiedenen Ansichten und Theorien neben dem Hinweis auf die einschlägige Kommentare sei insbesondere auf die Monographien von Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen und Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen, S. 21 ff. hingewiesen. 17 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37. IS BGHZ 25,390 ff - 392 = DB 1958,78; BAGE 52, 273 ff. - 276 = AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage; BAG DB 1991, 1733 f. 19M.w.N.BGHDB 1961, 1546=NJW 1962, 29ff-30; BAG DB 1991, 1733 f.
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2. Anwendbarkeit
Ist damit der wichtige Grund und der Begriff der Geschäftsgrundlage als möglicher außerordentlicher Kündigungsgrund hinreichend erläutert, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Einschränkungen dieser bei Betriebsvereinbarungen gilt. Da Betriebsvereinbarungen privatrechtliche Verträge sind, ist der Tatbestand des wichtigen Grundes prinzipiell auch auf diese anwendbar. Es bleibt zu prüfen, ob Besonderheiten der Betriebsvereinbarung diesbezüglich Schranken setzen. Abweichend vom normalen zivilrechtlichen Vertrag, der nur die Parteien bindet, stellt sich hier das Problem, daß für die Normenunterworfenen die Geschäftsgrundlage nicht erkennbar gewesen sein muß. Die am Vertrag selbst unbeteiligten Dritten sind grundsätzlich zu schützen2o • Deshalb könnte man der Ansicht sein, daß nach dem Vertrauensschutz eine Anwendung jener Rechtsinstitute unzulässig ist, die auf die Motivation der rechtsetzenden Betriebspartner abstellen, und somit die Geschäftsgrundlage zur tatbestandlichen Ausfüllung des wichtigen Grundes nicht oder nur ausnahmsweise verwendet werden darf. Dem scheint ein Vergleich zu der Auslegung der Normen einer Betriebsvereinbarung zu entsprechen21 • Dort ist zwar umstritten, ob sie wie bei Gesetzen nur den objektiv zum Ausdruck gekommenen Willen zu ermitteln hae 2 oder darüber hinaus auf den tatsächlichen insbesondere historischen Willen der Vertragspartner abstellen kann, wenn dieser aus dem Wortlaut nicht erkennbar war23 • Es besteht insoweit weitestgehend Einigkeit, daß sie keinesfalls 20 Für Tarifverträge BAG AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969 mit zust. Anm. Wiedemann, vgl. allgemein flir den Schutz außenstehender Dritter Westermann FS Hefermehl 1976, S.225. 21 Vgl. flir die gleiche Sachfrage beim Tarifvertrag Schaub NZA 1994, S. 597 ff.; Ananiadis, Auslegung von Tarifverträgen; ausflihrliche Darstellung m.w.N. Löwisch 1 Rieble, TVG § 1 Rz. 381 ff. 22 BAG OB 1994,2402; BAG NZA 1996,43 ff. - 45; Stege 1 Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 26; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 200 f.; Löwisch, BetrVG § 77 Rz. 7; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz. 26; Flatowl Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz, S. 312 f.; Schaub RdA 1995,65 ff. - 68 f.; Hilger FS Larenz 1983 S. 244; Dietzl Richardi, BetrVG § 77 Rz. 152; flir Tarifverträge BAG AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46,308 ff= AP Nr. 135 zu § 4 TVG Auslegung; BAG AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969 mit zust. Anm. Wiedemann. 23 Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 449; ders.! Loritz, Arbeitsrecht S. 339f.; Dütz FS Molitor 1988 S. 69 ff., insbes. 72 ff.; Kempenl Zachert, TVG Grdl. 306 ff.- 3101 317; ausnahmsweise auch Fitting 1 Kaiser 1 Heither 1 Engels, BetrVG § 77 Rz. 15; wohl auch Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 60 ff., der aber keine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut duldet aaO § 77 Rz. 61; vgl. ferner m.w.N. GKBetrVG, Kreutz § 77 Rz. 51 ff.
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nach dem tatsächlichen Willen erfolgen darf, wenn dieser den betroffenen Arbeitnehmern weder bekannt noch zumindest erkennbar ise4 • Bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung geht es allerdings um ihren aktuellen Inhalt. Insoweit kann das Vertrauen der Normenunterworfenen in eine geltende Regelung verletzt sein, wenn ein für sie nicht erkennbarer Inhalt zu ihrem Nachteil zur Anwendung käme. Diese Bedenken greifen bei der außerordentlichen Kündigung nicht durch, weil sie allein in die Zukunft wirkt und als Gestaltungsrecht der Erklärung bedarf. Weiterhin könnte gegen die Anwendung der Geschäftsgrundlagenlehre der Einwand erhoben werden, daß für die Belegschaft Rechtsunsicherheit entsteht, wenn die Betriebspartner über sie und damit die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung streiten25 • Diese Gefahr geht jedoch auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurück, die betriebliche Normensetzung auf vertraglicher Basis aufzubauen und ist daher der gesetzlichen Regelung immanent. Der Gesetzgeber adaptiert damit die Vorstellung der inhaltlichen Richtigkeitsgewähr des Vertrages zum Ausgleich widerstreitender Interessen durch die willentliche Selbstbindung der Parteien für die betriebliche Rechtsetzung. Die Geschäftsgrundlage gehört zu den Instituten, mit deren Hilfe die formelle Vertragsbindung der abgegebenen Erklärungen im Rahmen der wirklich beabsichtigten Bindung gehalten werden soll. Folglich würde man die einem Vertrag zukommende Richtigkeitsgewähr in Frage stellen, wenn man den Beteiligten wegen der normativen Wirkung nicht oder nur in krassen Ausnahmefällen die Berufung auf die Geschäftsgrundlage erlaubt. Schließlich wurde schon dargetan, daß eine einverständliche Neuregelung für die Zukunft durch die Betriebspartner jederzeit erfolgen kann, ohne hierdurch ein Vertrauen der unterworfenen Belegschaft zu verletzen, zumal der Fortbestand von Betriebsvereinbarungen in der Zukunft nicht erwartet werden darf. Folglich ist im Betriebsverfassungsrecht die Geschäftsgrundlagenlehre zur Herleitung des wichtigen Grundes einer außerordentlichen Kündigung uneingeschränkt anwendbar. 24 Dü!z FS Molitor 1988 S. 75; Hagemeier/ Kempen/ Zacher!/ Zilius, TVG Ein!. 241. Allerdings ist Zöllner RdA 1964, 443 ff. - 449 der Ansicht, daß grundsätzlich anzunehmen ist, den Tarifunterworfenen würde ein abweichender Wille bekannt werden. 25 Mit dieser Begründung verwirft das BAG AP Nr. 1 § 1 TVG Rückwirkung die Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung von Tarifverträgen nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage; gleichwohl verweist es sie Tarifpartner in solchen Fällen inkonsequenterweise auf die außerordentliche Kündigung, obwohl deren Wirksamkeit im Rahmen des Tatbestandsmerkmals des wichtigen Grundes wiederum von den für die Normenunterworfenen auch aus Umständen des Vertragsschlusses resultieren können, die aus dem Wortlaut des Tarifvertrages nicht ersichtlich sind.
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ill. Wirtschaftliche Umstände als wichtiger Grund Greift der Tatbestand des wichtigen Grundes auch bei der Geschäftsgrundlage von Betriebsvereinbarungen umfänglich durch, stellt sich im Rahmen dieser Arbeit die Frage, ob und wann die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers zu dieser Grundlage gehört und damit ihre Störung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung erzeugen kann. Hierbei kommen zwei Grundkonstellationen in Betracht. Zum einen kann die Wirtschaftslage allgemein schlechter sein, als beim Vertragsschluß angenommen wurde, ohne daß konkrete Vorstellungen bestanden bzw. in die Verhandlung eingebracht worden sind. Zum anderen können konkrete Vorstellungen - insbesondere im Hinblick auf bestimmte Vermögenspositionen - für den Abschluß einer Betriebsvereinbarung bedeutsam gewesen sein. 1. Konkrete wirtschaftliche Umstände als wichtiger Grund
Zunächst soll auf Fallgestaltungen eingegangen werden, bei denen einzelne Wirtschaftsdaten oder Vermögenspositionen in die Verhandlungen einbezogen wurden26 • Ob solche Umstände hierdurch zur Grundlage der Betriebsvereinbarung geworden sind, ist durch eine Einzelfallprufung zu ermitteln27 • Dies geschieht nach den allgemeinen Grundsätzen. Somit ist entscheidend, ob die Betriebspartner derartige Umstände für den Abschluß einer Betriebsvereinbarung zugrundegelegt haben oder ob zumindest der Arbeitgeber erkennbar von diesen ausging und der Betriebsrat sich redlicherweise hierauf einlassen muß 28 • Dabei genügt es nicht, daß allgemeine Wirtschaftsdaten zur Sprache kamen. Sonst könnte aus einer Verhandlungstaktik29 eine Beschränkung der Vertragsbindung gefolgert werden. Vielmehr muß durch die Verhandlungen deutlich geworden sein, daß der Abschluß der konkreten Betriebsvereinbarung zumindest auch auf diesen Faktoren maßgeblich basiert. Insoweit werden die Protokollnotizen von erheblicher indizieller Bedeutung sein. Sind die fraglichen Gesichtspunkte dort zur rechnerischen Grundlage
26 Insoweit geht es also um Sachverhalte die begrifflich unter die Problematik einer subjektiven Geschäftsgrundlage fallen. 27 Instruktiv für solche Einzelfallprüfungen im Rahmen von Sozialplänen die Ausführungen von Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 143 ff. 28 Larenz, AT des BGB § 20 III S. 385. 29 Wenn der Arbeitgeber z.B. mit Zahlenangaben den Betriebsrat von weitergehenden Forderungen abhalten will.
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von Leistungen gemacht worden30 , wird man ihre Zuordnung zur Geschäftsgrundlage nicht bezweifeln können, sofern es sich nicht erkennbar um rein fiktive Zahlenwerke gehandelt hat. Im übrigen ist zu beachten, daß die Geschäftsgrundlagenlehre wegen des Prinzips der Vertragstreue mit äußerster Vorsicht anzuwenden ist. Daher wird dem Arbeitgeber kaum der Nachweis möglich sein, daß ein Umstand nicht nur Teil der Verhandlungen, sondern tragende Grundlage des Abschlusses war. Der Arbeitgeber ist hierfür darlegungspflichtig und beweisbelastet, weil die Frage, ob ein Umstand Teil der Geschäftsgrundlage ist und damit seine Veränderung einen wichtigen Grund darstellen kann, die Voraussetzungen für ein ihm zugekommenes außerordentliches Kündigungsrecht betrifft, auf das er sich mit der Kündigung gerade beruft31 • Soweit sich der Arbeitgeber bereits während der Vertragsverhandlungen darüber bewußt ist, welche Faktoren er seiner Willensbildung unterstellt, sollte er diese durch Aufnahme in eine Präambel oder in einem eigenen Vertragspunkt "Grundlagen des Vertrages" dokumentieren. Dies ist ein bei Verträgen durchaus bekanntes Gestaltungsmittel. Auch Familiengerichte nehmen häufig eine Klausel in einen vorgeschlagenen Prozeßvergleich auf, aus dem sich die dem Gericht mitgeteilten und dem Vergleich zugrundegelegten Vermögensverhältnisse ergeben. Auf diese Weise kann späterer Streit über die Grundlagen der Unterhaltsberechnung im Rahmen einer Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO vermieden werden. Im Ergebnis sind nur ganz ausnahmsweise konkrete Wirtschaftsdaten oder -positionen Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung32 • Kein Fall der Geschäftsgrundlagenstörung liegt vor, wenn völlig neue Gesichtspunkte auftreten, welche die unmittelbar getroffene Regelung nicht berühren und von außen auf die Betriebspartner Einfluß nehmen. Insoweit ist es insbesondere kein eigenständiger Kündigungsgrund, wenn Subventionen nur unter der Bedingung gewährt werden, daß bestimmte Leistungen gestrichen oder gekürzt werden33 • 30 So etwa im Falle von BAG NZA 1995, 316 ff. , wo die Berechnung nach Grundsätzen erfolgte, die nach der Vorstellung der Betriebspartner später auch bei einer Erstattung durch die Treuhandanstalt von dieser verwendet werden sollten; vgl. ferner BAG AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 72-flasche Vorstellung über die zur Verfügung stehende Finanzmasse; BAG AP Nr. 14 zu § 112 BetrVG 72-Sozialplan bei vorgestellter Fortführung, Sanierung schlug jedoch fehl. 31 Vgl. für Wegfall der Geschäftsgrundlage beimTarifvertrag Buchner NZA 1993, 289 ff. - 296. 32 Däubler NZA 1985, 545 ff. - 551. 33 So geschehen bei der Sanierung der ARBED-Saarstahl GmbH, wo das LAG Saarland, DB 1986, 48f. ein Kündigungsrecht zu Recht ablehnte, ebenso Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 86f.
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2. Gesamtwinschaftliche Lage des Arbeitgebers als wichtiger Grund Regelmäßig werden konkrete Wirtschaftsdaten nicht derart eindeutig zur Basis einer Betriebsvereinbarung gemacht, daß sie deren Grundlage bilden. Sie werden häufig nur beiläufig erörtert. Deshalb stellt sich die Frage, ob bereits die allgemeine Unternehmenssituation Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung sein kann. a) Bewertung nach allgemeinem Zivilrecht Betrachtet man die Problematik aus der Sicht des BGB, so greift die Einstandspflicht des Schuldners für seine eigene fmanzielle Leistungsfähigkeit aus § 279 BGB. Die eigene Wirtschaftslage ist daher im BGB keine Geschäftsgrundlage, auf die sich der Schuldner einer Leistung berufen könnte 34 • Er bleibt verpflichtet, selbst wenn er aufgrund unverschuldeter Umstände zahlungsunfähig geworden sein sollte35 • Dies entspricht darüber hinaus der Überlegung, daß jeder sein Lebensrisiko selbst trägt und daher einen bei ihm eintretenden Schaden allein zu tragen hat, sofern nicht eine Abwälzung auf einen anderen vertraglich oder gesetzlich vorgesehen ist, etwa auf eine Versicherung oder auf einen Schädiger6 • Lediglich im familienrechtlichen Unterhaltsrecht des BGB spielt die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten eine so erhebliche Rolle, daß ihm die Möglichkeit zur Reduzierung seiner Zahlungspflicht nicht nur aus Unterhaltsurteilen und Prozeßvergleichen nach § 323 ZPO, sondern auch aus außergerichtli34 BGH WM 1979,204; BGH WM 1982,532; OLG OLdenburg NJW 1975, 1588; Soergel - Teichmann, § 242 BGB Rz. 235. Es wird zwar häufiger bei der Frage, ob eine Veränderung maßgeblicher Umstände einem Vertragspartner noch zumutbar sei, auf dessen Existenzgefährdung als "Opfergrenze" der Zumutbarkeit abgestellt, Soergel - Teichmann, § 242 Rz. 247. Doch dürfte trotz verschiedener mißverständlicher Äußerungen in Rechtsprechung (vgl. etwa BGHZ 17, 317 ff. - 327, wo ein Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen einer existenzbedrohenden Krise des Käufers zumindest offengelassen wurde) und Literatur darüber Einigkeit bestehen, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit regelmäßig keine eigenständige Geschäftsgrundlage ist. Ausnahmen werden hauptsächlich bei "inäquivalenten" Leistungen erwogen, wobei auf die Bestimmung des § 519 BGB - Recht des Schenkers, sich auf seinen Notbedarf zu berufen - verwiesen wird, MünchKomm - Roth, § 242 BGB Rz. 650. 35 BGHZ 63, 139, BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff - 317 = DB 1995, 1240 ff; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 115 f.; Etwas anderes gilt freilich f1ir den Gläubiger des in Vermögensnot geratenen Schuldners. Dem Gläubiger räumt schon das BGB Rechte ein - vgl. §§ 321; 610 BGB - Außerdem kann die wesentliche Verschlechterung des Leistungsvermögens einen außerordentlichen Kündigungsgrund erzeugen. 36 Vgl. Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 230.
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chen Vergleichen nach der Geschäftsgrundlagenlehre gemäß § 242 BGB gewährt wird. Dies ist insoweit wenig überraschend, als der gesetzliche Unterhaltsanspruch unter Verwandten zum Teil im Bestand, jedenfalls aber in der Höhe, durch die Leistungsfahigkeit des Verpflichteten beschränkt ise 7 • Diese Unterhaltspflicht ist schließlich Folge eines personenrechtlichen Ehe- oder Verwandtschaftsverhältnisses und nicht eines schuldrechtlichen Vertrages. Allerdings hat sich nach der Geschäftsgrundlagenlehre auch eine Anpassung vertraglicher Unterhalts- und Versorgungsverpflichtungen an die Lebenshaltungskosten durchgesetzt - also ein Ausgleich des Kaufkraftverlustes der nominellen Geldschuld -, wenn der Wert des Nominalbetrages erheblich gesunken und eine Anhebung dem Schuldner zumutbar ise 8 • Dies dient dem. Schutze des Gläubigers vor einer schleichenden Entwertung seiner Versorgung. Die Schutzwürdigkeit des Gläubigers folgt hierbei aus der Tatsache, daß seine Versorgung regelmäßig eine bedeutende Grundlage der eigenen Lebensplanung darstellt, was für den Schuldner auch ohne weiteres erkennbar ist. Die wirtschaftliche Lage des Schuldners ist allenfalls ein Hinderungsgrund für Anpassungen. Diese Grundsätze hat der Gesetzgeber mit § 16 BetrAVG für die betriebliche Altersversorgung übernommen, nur daß dort kein wesentlicher Kaufkraftschwund mehr erforderlich ist, sondern jeder Wertnachlaß in Dreijahresperioden auszugleichen ist. Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen kann die wirtschaftliche Lage eines Schuldners allein in Unterhalts- und Versorgungsfällen als Geschäftsgrundlage angesehen werden, wobei sie bei familienrechtlichen Ansprüchen auch die Reduzierung von Forderungen erlaubt, während sie bei vertraglichen Unterhalts- und Versorgungszusagen lediglich eine Begrenzung der Leistungsverpflichtung im Hinblick auf eine aufstockende Anpassung an die Lebenshaltungskosten bewirkt39 • Vgl. §§ 1360; 1569; 1581; 1603 BGB. Zum Teil wurde Erheblichkeit schon bei ca. 30% Wertverlust angenommen; Restriktiv noch BAGE 17, 120 ff. - 123; BGH WM 1968,473 f. - 474; sodann großzügiger BAG WM 1973,566; BGHZ 61,31 =NJW 1973, 1599; BGH WM 1977, 53; Soergel - Teichmann, § 242 Rz. 254; vgl. m.w.N. die Darstellung für betriebliche Ruhegelder Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 25 ff. 39 A..A. Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 102 f. für Sozialpläne mit dauerrechtlicher Wirkung, der eine analoge Anwendung der unterhaltsrechtlichen Grundsätze des Familienrechts damit begründen will, daß sich insoweit die Prognose über die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens als falsch erweist. Dies ist jedoch nur erheblich, wenn diese Prognose Geschäftsgrundlage ist. Hierfür genügt nicht der einfache Hinweis auf familienrechtliche Grundsätze, die in einem ganz anderen Zusammenhang stehen. So verwundert es nicht, daß Weber sodann für Sozialpläne ohne dauerrechtlicher Wirkung letztlich auch ohne Berufung auf die analoge Anwendung dieser familienrechtlichen Prinzipien aus den gleichen Erwägungen zu den selben Ergebnissen gelangt, Weber aaO., S. 127 f. 37 38
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Unter Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze könnte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigen. Dementsprechend hat das BAG auch eine solche allein wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit abgelehnt40 • b) Abweichung aus betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Es stellt sich jedoch die Frage, ob für Betriebsvereinbarungen aus dem Sinn und Zweck des Betriebsverfassungsrechts nicht etwas anderes gelten muß. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Betriebsvereinbarungen und allgemeinem Zivilrecht liegt darin, daß es sich um Kollektivverträge handelt, bei denen zum Schutze der einzelnen Arbeitnehmer Unternehmensentscheidungen mitbestimmt getroffen und geregelt werden. Diese Verpflichtung des Unternehmers durch das BetrVG ist wegen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums auch prinzipiell mit dem grundrechtlichen Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes gemäß Art. 12 und 14 GG vereinbar41 • Eine wirtschaftlich unvertretbare Entscheidung, die Arbeitsplätze gefährdet, könnte nicht mehr als Arbeitnehmerschutz angesehen werden. Außerdem unterliegt jede Sozialpflichtigkeit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so daß gesetzliche Regelungen im Normalfall nicht ruinös wirken dürfen. Diesen Überlegungen entsprechend hat der Gesetzgeber die verbindlichen Entscheidungen von Einigungsstellen in § 76 Abs. 5 S. 2 BetrVG einer gerichtlichen Kontrolle darauf unterworfen, ob sie die Belange des Betriebes hinreichend berücksichtigen. Durch § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG wird deutlich, daß hierunter insbesondere die wirtschaftliche Vertretbarkeit fällt. Der Gesetzgeber verlangt in § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG konkretisierend, daß das Gesamtvolumen von Sozialplan1eistungen den Fortbestand des Unternehmens und der verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährden darf. § 112 Abs. 5 BetrVG legt der Einigungsstelle dabei nicht etwa eine weitere Einschränkung über § 76 Abs. 5 S. 2 BetrVG hinaus auf, sondern erweitert deren Rechte, wie aus einem Interessenvergleich deutlich wird. Während es bei § 76 Abs. 5 S. 2 BetrVG um Regelungen geht, die alle Arbeitnehmer normalerweise gleichermaßen treffen, soll beim Sozialplan die besondere Last ausgeglichen werden, die manchen Arbeitnehmern zum Wohle des Betriebes wie auch der übrigen Belegschaft besonders aufgebürdet wird - speziell durch BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314 ff - 317 = DB 1995, 1240 ff. Grundlegend BVerfGE 50, 290 ff.; Es gibt insoweit auch keinen unantastbaren Grundsatz der mitbestimmungsfreien Untemehmerentscheidung - vgl. etwa BAG AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, bestätigt durch BVerfG AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 2 Rz. 53. 40 41
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Arbeitsplatzverlust. In diesem Fall muß ausnahmsweise eine extreme Belastung des Unternehmers zulässig sein, geht es doch um den schärfsten Eingriff, den der Arbeitgeber auf die individuelle ArbeitnehmersteIlung vornehmen kann. Somit muß § 112 Abs. 5 BetrVG als Erweiterung von § 76 Abs. 5 S. 2 BetrVG aufgefaßt werden. Daher ist die Grenzbestimmung des § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG für das Ermessen der Einigungsstelle beim Abschluß von Sozialplänen als äußerste Grenze der zulässigen Unternehmensbelastung auch bei den übrigen Entscheidungen der Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 S. 2 BetrVG anzuwenden. Auf diese Weise eröffnen die §§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 und 76 Abs. 5 S. 2 BetrVG einen Ausgleich zwischen dem Grundrechtsschutzanspruch des Arbeitgebers aus Art. 14 GG und Art. 12 GG einerseits und der erzwungenen Mitbestimmung des Betriebsrates als Ausfluß des Sozialstaatsprinzips andererseits nach der Lehre von der praktischen Konkordanz42 • Für Entscheidungen der Einigungsstellen in Fällen der zwingenden Mitbestimmung ist daher die Wirtschaftslage des Unternehmens kraft Gesetzes Geschäftsgrundlage. Damit ist allerdings noch nicht entschieden, ob die wirtschaftliche Situation auch allgemein Geschäftsgrundlage der Betriebsvereinbarungen ist, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat untereinander geeinigt haben. Für eine solche generelle Bewertung spricht zunächst die Intention der gesetzlichen Regelung der §§ 76 Abs. 5 S. 2 und 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG. Eine Arbeitsplätze gefährdende Mitbestimmung ist prinzipiell kein sinnvoller Arbeitnehmerschutz, weshalb im Interesse der Belegschaft und der Allgemeinheit eine Unternehmensinsolvenz unerwünscht ist. Die ausschließliche Beschränkung der gesetzlichen Regelung auf das Einigungsstellenverfahren dürfte aus mangelndem Problembewußtsein erfolgt sein, da sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat aus ureigenstem Interesse keinen Unternehmenszusammenbruch wollen und das Gesetz daher im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft als selbstverständlich davon ausging, daß beide Seiten - bewußt oder unbewußt gemeinsam den Fortbestand des Betriebes und die Erhaltung der Arbeitsplätze wahren wollen43 • Kommt es zu einer einvernehmlichen Regelung, muß angenommen werden, daß die Betriebspartner von einer wirtschaftlichen Vertretbarkeit ihrer Regelung ausgehen44 • Diese ist sogar gesetzlich vorgeschrieben, da § 2 Abs. 1 BetrVG beide Betriebspartner nicht nur zum Wohle der ArbeitVgl. auch Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 112 Rz. 162. Heinze DB 1996, 729 ff. - 732; ähnlich Hanau, Peter Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 44, wenn er betont, daß diese Bestimmung den Betriebspartnern jedenfalls zeige, womit im Falle der Nichteinigung zu rechnen sei. 44 So auch für Sozialpläne v.Hoyningen-Huene RdA 1986, 102 ff. - 103; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 2 Rz. 7 betrachten § 76 Abs. 5 S. 3 und § 112 Abs. 5 S.2 Nr. 3 als konsequente Wiederaufnahme der inhaltlichen Vorgaben des § 2. 42
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nehmer, sondern zugleich des Betriebes zu vertrauensvoller Zusammenarbeit verpflichtet4s • Mag § 2 Abs. 1 BetrVG auch keine eigenen Rechte und Pflichten begründen, so ist er dennoch kein bloßer Programmsatz. Das Gebot dieser Zusammenarbeit ist vielmehr bei der Wahrnehmung der Rechte und Pflichten nach dem BetrVG von den Betriebspartnern einzuhalten46 • Die wirtschaftliche Vertretbarkeit ist daher gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG von ihnen selbst zu achten47 • Die wirtschaftliche Unternehmenslage wird dementsprechend durch das BetrVG selbst zur Geschäftsgrundlage von Betriebsvereinbarungen erhoben48 und kann daher zu einem wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung führen. c) Abweichung aus dem Wesen kollektiver Verträge Selbst wenn man dieser Meinung nicht folgen wollte, müßte berücksichtigt werden, daß es sich bei der Betriebsvereinbarung um einen Kollektivvertrag handelt. Vertragsparteien sind die Betriebspartner. Sie einigen sich nicht über ein nach ihrer Ansicht angemessenes Verhältnis ihrer gegenseitigen Leistungen, wie es in den Privatrechtsverträgen der Regelfall ist. Vielmehr ist Kollektivvereinbarungen ein pauschaler Ausgleich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zu eigen, der vom Wert und den Umständen einzelner Leistungen abgehoben ist. Daß der Arbeitgeber hierbei seiner Willensbildung die wirtschaftliche Vertretbarkeit zugrundelegt, ist im Rahmen eigennützigen Handeins als selbstverständlich vorauszusetzen. Dies ist für den Betriebsrat auch erkennbar. Da die Betriebsvereinbarung ein Vertrag ist, in dem Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen geregelt werden sollen, und es eine Gegenleistung des Betriebsrates nicht geben kann, hat dieser eine Einbeziehung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit als Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben hinzunehmen. 4S Eine wörtlich entsprechende Anordnung trifft auch § 2 Abs. I SprAuG, so daß auch insoweit kein Unterschied zu freiwilligen Betriebsvereinbarungen besteht. 46 Ausführlich Heinze ZfA 1988, 53 ff. - 71 ff.; vgl ferner GK-BetrVG, Kraft § 2 Rz. 7; Hanau, Peter/ Adomeit, Arbeitsrecht S. 116 f.; Hess/ Schlochauer/ Glaubitz Hess, BetrVG § 2 Rz. 19; Stege / Weinspach, BetrVG § 2 Rz. 6; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 2 Rz. 10; Gnade/ Kehrmannl Schneider/ Blanke/ Klebe, BetrVG § 2 Rz. 3; Thiele FS Larenz 1973, S. 1058 bezeichnet insoweit § 2 Abs. I BetrVG zutreffend als normativ vorgegebene objektive Grenze der Betriebspartner. 47 Heinze DB 1996,729 ff. - 732; für den Sozialplan Weitnauer ZfA 1977, 111 ff.132; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 105 ff.-107; Hanau, Peter/ Adomeit, Arbeitsrecht S. 116 f.; vgl. auch Stege / Weinspach, BetrVG § 2 Rz. 7. 48 Ähnlich Meyer NZA 1995, 974 ff. - 976; für den Sozialplan Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 105 ff. - 112 f.; Weitnauer ZfA 1977, 111 ff. - 148 ff., der allerdings das Interesse der übrigen Gläubiger betont; tendenziell Hess/ Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 77 Rz. 223.
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Dem könnte noch die Tatsache widersprechen, daß über die Kollektivverträge auch die individuellen Austauschverhältnisse verändert werden, wenn sich der Arbeitgeber etwa durch eine Betriebsvereinbarung zu zusätzlichen Leistungen, wie Weihnachts-, Urlaubsgeld oder betriebliche Altersversorgung, verpflichtet hat. Der Eingriff in den Regelungsvertrag kann daher mittelbar den individuellen Leistungsaustausch betreffen. Die Betriebspartner können diese Zusatzleistungen wegen ihrer kollektiven Natur jederzeit abschaffen. Danach gilt für die Zukunft wieder die individuelle Vereinbarung, ohne daß dem Arbeitnehmer ein Ausgleich für die verlorenen Kollektivleistungen zusteht. Dies zeigt, daß kollektive Zusatzleistungen nicht immanenter Bestandteil des individualrechtlichen AustauschverhäItnisses geworden sind. Sie verändern es lediglich faktisch solange, wie sie geschuldet sind. Wird die Betriebsvereinbarung beendet, gilt das alte Austauschverhältnis fort. Daher kann der Einordnung der Wirtschaftssituation als Geschäftsgrundlage von Betriebsvereinbarungen nicht die Tatsache entgegengehalten werden, daß sie mittelbar das individuelle Austauschverhältnis und damit die individuelle Leistung und Gegenleistung beeinflussen. Auch ohne die gesetzlichen Bestimmungen des BetrVG ist somit die Wirtschaftssituation des Betriebes generell als Geschäftsgrundlage von Betriebsvereinbarungen anzusehen. Irren sich der Arbeitgeber, beide Betriebspartner oder die Einigungsstelle über die wirtschaftliche Lage bzw. Entwicklung des Unternehmens, so wird die Geschäftsgrundlage berührt. Folglich ist die allgemeine wirtschaftliche Situation des Betriebes Geschäftsgrundlage jeder Betriebsvereinbarung. Deren Störung kann daher zu einem wichtigen Grund erstarken, der zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt. IV. Die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bei Veränderung wirtschaftlicher Grundlagen
Ein wichtiger Grund, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, setzt des weiteren voraus, daß unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragspartner die fortdauernde Bindung im Hinblick auf die veränderten Umstände der einen Seite nach Treu und Glauben redlicherweise nicht mehr zugemutet werden kann. Diese Beschränkung dient dem Schutz des Rechtsverkehrs und soll vor allen Dingen eine Aushöhlung der Vertragstreue als fundamentalem Grundsatz des gesamten Privatrechts verhindern. Sie macht den Ausnahmecharakter von Eingriffen in die Vertragsbindung deutlich.
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In den letzten Jahrzehnten hat sich in Rechtsprechung und Literatur als ein wesentliches Entscheidungskriterium die Frage nach der Risikoverteilung herauskristallisiert. Hierfür ist zu ermitteln, wer nach der vertraglichen Regelung und in Ermangelung dieser nach den gesetzlichen Bestimmungen die Gefahr für eine Abweichung von Vorstellung und Wirklichkeit zu tragen hat, wessen Sphäre dieser Umstand zuzuordnen ist49 • Fällt das Risiko allein in die Sphäre dessen, der kündigen will, so ist ihm die fortdauernde Vertragsbindung zumutbar, und er ist zur außerordentlichen Kündigung mangels wichtigen Grundes nicht berechtigt. Ist die Gefahr keiner Seite oder dem Kündigungsgegner zugewiesen, sind im weiteren die gegenseitigen Interessen ausschlaggebend, wobei die fehlende Risikotragung noch nicht notwendigerweise die Unzumutbarkeit indiziertSo. Die Bestimmung der Risikoverteilung erfolgt primär anhand der vertraglichen und subsidiär nach den gesetzlichen Regelungen. Meist fehlen vertragliche Regelungen, weshalb zunächst die gesetzliche Verteilung festgestellt werden soll.
1. Gesetzliche Risikoverteilung Da Betriebsvereinbarungen privatrechtlicher Natur sind, hat Ausgangspunkt für die Bestimmung der gesetzlichen Risikoverteilung das allgemeine Zivilrecht zu sein. a) Nach den allgemeinen Zivilrechtsgrundsätzen Die Veränderung wirtschaftlicher Umstände betrifft allein die finanzielle Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers. Das gesetzliche Risiko im allgemeinen Zivilrecht für die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist in § 279 BGB niedergelegt und beinhaltet den Grundsatz "Geld hat man zu haben"sl. Schließlich kann der Schuldner am ehesten seine Leistungsfähigkeit beurteilen. Er hat sich vor der Begründung vertraglicher Pflichten von seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu überzeugen und muß nach Vertrags schluß dafür einstehen. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs würde insgesamt in Frage gestellt, wenn nicht nur die praktische Durchsetzbarkeit im Wege der Zwangsvollstreckung, sondern der Bestand von vertraglichen Ansprüchen 49 Vgl. etwa die Darstellung m.w.N. bei Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 214 ff., insbesondere 223 ff. 50 Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 245. 51 BGH WM 1979,204; BGH WM 1982,532; OLG OLdenburg NJW 1975, 1588; Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. \05; Soergel - Teichmann, § 242 BGB Rz. 235; MeyerNZA 1995,974 ff. - 978.
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selbst von der Zahlungsfahigkeit des Schuldners abhinge. Die Richtigkeit dieser Einschätzung erweist sich im Konkursverfahren52 • Dort werden bestimmte Forderungen aus Betriebsvereinbarungen besonders geregelt, was zeigt, daß sie vom Ruin des Unternehmens unberührt bleiben. Außerdem beseitigt ein Konkursverfahren de lege lata keine Verpflichtungen, sondern dient dazu, den Kampf der Gläubiger nach dem Prinzip "bellum omnes contra omnia" auszuschließen. Können Forderungen aus der Konkursmasse nicht befriedigt werden, so kann jeder Gläubiger sie anschließend weiter verfolgen53 • Der Auszug aus der Konkurstabelle steht dabei gemäß § 164 Abs. 2 KO einem vollstreckbaren Urteil gleich, gegen das gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 BGB die Einrede der Verjährung erst nach 30 Jahren erhoben werden kann. Auch die Verjährung führt letztlich nicht einmal zum Erlöschen des Rechtes, sie hemmt lediglich seine Durchsetzbarkeit auf Dauer. Die gesetzliche Risikoverteilung nach dem allgemeinen Zivilrecht beläßt die Gefahr eines Irrtums über die Leistungsfahigkeit oder einer abweichenden Entwicklung allein beim Schuldner. Dementsprechend haben einige Autoren die Ansicht vertreten, daß die Vertragsbindung auch bei der Betriebsvereinbarung schlimmstenfalls in die Insolvenz führt. Dies sei die Konsequenz privatautonomer Selbstbindung und des notfalls anknüpfenden Vollstreckungs- und Konkurssystems 54 • Noch deutlicher sagt es Naendrup, wenn er den Vergleich zieht, daß auch ein Mieter bei finanziellen Schwierigkeiten kein Recht erhält, sich von seinen Verbindlichkeiten loszusagen55 • b) Aufgrund des Arbeitnehmerschutzprinzips Erster Ansatz für eine abweichende Beurteilung könnte das Arbeitnehmerschutzprinzip sein. Dieses steht hinter dem gesamten Sondergebiet des Arbeitsrechts und folgt aus der Überlegung, daß der Arbeitnehmer als Individuum regelmäßig eine wirtschaftlich schwache Verhandlungsposition hat - vom Bundesverfassungsgericht auch als strukturelle Unterlegenheit bezeichnet56 • Während er für seine Lebensführung auf das fortlaufende Arbeitsentgelt angewiesen ist, hat der Arbeitgeber als Inhaber der Produktionsmittel regelmäßig Reserven. Bei konsequenter Anwendung allgemeiner Zivilrechtsgrundsätze besteht daher die Gefahr, daß die formale Vertragsfreiheit materiell auf ein 52
So auch für den Tarifbereich v. Hoyningen-Huene RdA 1991, 327 ff. - 331.
:~ Sog. Prinzip der freien Nachforderung; § 164 Abs. I KO.
Naendrup AuR 1984, 193 ff. - 201. Naendrup AuR 1984, 193 ff. - 20 I; vgl. auch Däubler NZA 1985, 545ff. - 551, der hierin eine vorweggenommene Inso1venreform im Arbeitsrecht erblickte. 56 BVerfGE 84, 212 ff. - 229; BVerfGE 92, 365 ff. - 395. 55
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Vertragsdiktat des Arbeitgebers hinausläuft57 . Das gesamte Arbeitsrecht dient dem Ausgleich dieses Ungleichgewichts58 . Daher gilt nach überwiegender Auffassung im gesamten Arbeitsrecht das Günstigkeitsprinzip, wonach eine Abweichung von den Bestimmungen höherrangiger Rechtsquellen zugunsten des Arbeitnehmers nicht aber zugunsten des Arbeitgebers zulässig ist (sog. einseitig zwingendes Recht)59. Dient das gesamte Arbeitsrecht dem Arbeitnehmerschutz, könnte dies zunächst für einen Erst-Recht-Schluß im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht sprechen. Wirtschaftliche Schwierigkeiten wären also allein Risiko des Arbeitgebers. Indes ist zu beachten, daß Ansprüche, die allein aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip abgeleitet werden, in Fällen wirtschaftlicher Not Einschränkungen unterliegen. Dies wird insbesondere bei der Betriebsrisikolehre deutlich. Sie wurde entwickelt, um die allgemeine Gegenleistungsgefahr des Schuldners nach § 323 BGB vom Arbeitnehmer abzuwenden. Kann der arbeitsbereite Arbeitnehmer aus Umständen, die keine Vertragspartei zu vertreten hat, seine Leistung nicht erbringen, verliert er nach der Betriebsrisikolehre entgegen § 323 BGB seinen Vergütungsanspruch nicht, sofern der Hinderungsgrund aus dem Betriebsbereich stammt. Dafür ist der Gedanke maßgebend, daß der Arbeitgeber Träger des allgemeinen Unternehmerrisikos ist. Er hat trotz § 323 BGB für nicht vorhandene Arbeit einzustehen. Dieses Rechtsinstitut ist mangels gesetzlicher Regelung ein Musterbeispiel für das Arbeitnehmerschutzprinzip60. Gerade hier wird das Betriebsrisiko des Arbeitgebers durch die Bestandsgefährdung des Betriebes begrenzt61 • Diese Einschränkung der Arbeitgeberhaf57 Zu den verschiedenen Überlegungen, mit denen das Vertragsungleichgewicht hergeleitet wird, vg!. Hanau, Peter, Mitbestimmung und Individualautonomie, S. 85 ff.90; Reuter ZfA 1995, I ff. -26 ff., der diese Unterlegenheit unter Hinweis auf die soziale Sicherung abweisen will. Dies kann m.E. nicht überzeugen. Wer die Diskussion um den "Abstieg" des Mittelstandes in den letzten Jahren verfolgt hat, kann nicht ernsthaft von Sicherheit sprechen. Vielmehr soll sich zur Zeit eine Spaltung der Gesellschaft in Besserverdienende und Schlechtverdienende bzw. Arbeitslose vollziehen, wobei der Unterschied zwischen diesen beiden wächst - vg!. Stern Nr. 8 vom 13.02.1997 S. 48 ff. "Jetzt geraten auch Facharbeiter und Führungskräfte in den Abwärtsstrudel". Reuter widerspricht sich schließlich auch selbst, wenn er später die Unabdingbarkeit mit der Sicherung des Arbeitnehmers rechtfertigt, die er aufgrund seiner "Marktposition" nicht selbst verwirklichen kann - ZfA 1995, 1 ff. - 53. 58 Reuß RdA 1968,410 ff. - 410; Nikisch, ArbR 11 S. 12; Grunsky, JuS 1970, 16 ff.17f; Koberskil Clasen! Menzel, TVG Ein!. Rz. 23; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 28 f. 59 Statt vieler BAGE 53, 42 ff; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht § 6 I 2, S. 62. 60 Vg!. Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 993 ff.; Schaub, Arbeitsrecht S. 859 ff.; ausflihrlich zur Betriebsrisikolehre, Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 52 ff. 61 BAGE 24, 446 ff.; MünchKomm-Söllner, § 615 Rz. 114; in der Literatur wird dies allerdings heute überwiegend abgelehnt, vg!. statt vieler Söllner, Arbeitsrecht § 32 V S. 273; Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht S. 240. 12 Beatha1ter
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tung kann nicht mehr mit der allgemeinen Begründung der Betriebsrisikolehre erklärt werden, wonach der Arbeitgeber allein die Gefahr für das Unternehmen zu tragen hat. Diese Gefahr würde sich gerade bei einer Existenzvernichtung verwirklichen. Die Begrenzung ergibt sich vielmehr daraus, daß die Betriebsrisikolehre aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip abgeleitet ist. Da die Vernichtung von Arbeitsplätzen kein sinnvoller Arbeitnehmerschutz mehr ist, steht das Arbeitnehmerschutzprinzip einer Berücksichtigung von wirtschaftlichen Notlagen nicht entgegen, sondern gebietet sie sogar. Dagegen wird vorgetr.agen, daß niemand gegen seinen Willen zu vernünftigem Opferverhalten gezwungen werden darf. Ein Prinzip, Rechte zum Selbstschutze zu beschneiden, kenne unsere Privatrechtsordnung nicht. Daher müsse der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zum Verzicht bewegen62 • Hierbei wird übersehen, daß das Verhalten einzelner Arbeitnehmer die gesamte Belegschaft treffen kann. Zwar ist umstritten, ob ein Arbeitnehmer aus Solidarität etc. gehalten ist, seine Rechte für das Gesamtwohl der Arbeitnehmerschaft einschränken zu lassen. Indes kann dieser Streit hier offen bleiben, weil zumindest solche Rechte, die im Wege der Rechtsfortbildung aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip abgeleitet wurden, aus eben diesem Prinzip tatbestandlich einzuschränken sind. Es kommt dann gar nicht erst zum Erwerb einer Rechtsposition, die durch eine Solidarität etc. beschränkt werden müßte. Das Betriebsrisiko des Arbeitgebers fällt daher in wirtschaftlicher Not auf die Arbeitnehmerschaft zurück. Aus dem Vergleich zur Betriebsrisikolehre ergibt sich also zunächst, daß das Arbeitnehmerschutzprinzip einer Beachtung von existenzgefährdender Situationen des Arbeitgebers nicht entgegensteht63 • Es stellt sich die weitergehende Frage, ob dies zu einer abweichenden Gefahrverteilung wie bei der Betriebsrisikolehre führt. Hierbei ist zu beachten, daß Ansprüche aus der Betriebsrisikolehre letztlich auf dem Arbeitnehmerschutzprinzip fußen. Die Forderungen aus Betriebsvereinbarungen sind hingegen aufgrund der normativen Wirkung der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarung geschuldet. Ein Eingriff in diese über das Arbeitnehmerschutzprinzip liefe daher auf eine Bevormundung der Arbeitnehmer hinaus. Dies ist abzulehnen64 • Das Arbeitnehmerschutzprinzip schreibt demnach die allgemeine Risikoverteilung weder fest, noch verändert es diese. Vgl. Schaub, Arbeitsrecht S. 861. Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 66; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 118 f. 64 Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 66. 62
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c) Nach § 120 InsO Durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 wurden bereits mit Wirkung zum 01.10.1996 die §§ 113, 120 -122 InsO und §§ 125 128 InsO für den Geltungsbereich der Konkursordnung (also für das Gebiet der alten Bundesländer) mit der Maßgabe in Kraft gesetzt, daß bis zum Inkrafttreten der gesamten InsO zum 01.01.1999 an Stelle des Wortes Insolvenz Konkurs tritt. Gemäß § 120 InsO ist der Insolvenzverwalter berechtigt, Betriebsvereinbarungen, die Leistungen vorsehen, welche die Masse belasten, mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zu kündigen, auch wenn das Recht zur ordentlichen Kündigung abbedungen oder eine längere Kündigungsfrist vereinbart ist. Hierin besteht zwar eine abweichende Risikoregelung, weil nunmehr die Insolvenz zu einer Beschränkung der Vertragsbindung führt. Indes ist dies kein Fall der Geschäftsgrundlagenstörung, weil die neue InsO in verschiedener Weise Rechte von Gläubigem beschränkt, und zwar unabhängig davon, ob in den vielfältigen denkbaren Verträgen die wirtschaftliche Lage überhaupt als Geschäftsgrundlage des Vertrages in Betracht kommt. Die InsO und insoweit auch die aus beschäftigungspolitischen Motiven vorzeitig in Kraft gesetzten Teilbestimmungen schaffen daher keine besondere Risikoregelung im Sinne der Geschäftsgrundlagenlehre, sondern setzen neue gesetzliche Rahmenbedingungen der Privatautonomie, die gerade die Vertrags freiheit einschränken. Dabei begründet das Gesetz in Abweichung zu den bisherigen Insolvenzregelungen65 quasi eine faktische Gefahrengemeinschaft aller Gläubiger der in Insolvenz gefallenen Rechtsperson. Das geschieht, um auch durch Beschneidung von privatautonom geschaffenen Rechten möglichst die Sanierungsfähigkeit zu erhöhen und, wenn dies nicht mehr möglich ist, zumindest alle Gläubiger angemessen an der Insolvenzmasse zu beteiligen. Schließlich soll die InsO den "Konkurs des Konkurses" durch bevorrechtigte bzw. dinglich abgesicherte Gläubiger zurückdrängen. d) Nach dem Betriebsverfassungsgesetz Weiterhin könnte das Betriebsverfassungsgesetz eine abweichende Risikoverteilung vornehmen. 65 Um Mißverständnissen vorzubeugen, besteht die Abweichung nicht darin, daß die Gläubiger in der Ausübung ihrer Rechte beschränkt werden, was es auch bisher gab; vielmehr sieht die InsO insbesondere auch § 120 InsO vor, daß Forderungen weitergehend als nach der VerglO ohne Ersatzansprüche gegen die Masse beschnitten werden können; daß eine Vielzahl von Verträgen nicht wegen der Insolvenz oder wegen rückständiger Zahlungen gekündigt werden können; daß die Sicherungseigentümer mit einem Teil des Verwertungserlöses sich an den Kosten der Insolvenzverwaltung beteiligen müssen.
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aa) Abweichende Risikotragung bei einer Betriebsvereinbarung durch die Betriebspartner Wie schon bei der Frage, ob die wirtschaftliche Situation Geschäftsgrundlage einer Betriebsvereinbarung ist, kann die Pflicht der Betriebspartner gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG bei jedweder Tätigkeit im Rahmen der Betriebsverfassung, das Wohl des Betriebes angemessen zu berücksichtigen, auch Anknüpfungspunkt für eine abweichende Risikoverteilung sein. § 2 Abs. 1 BetrVG zeigt, daß beim Abschluß einer Betriebsvereinbarung die wirtschaftliche Vertretbarkeit ausreichend beachtet sein muß. Daraus kann nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß eine betriebsgefährdende Regelung unbedingt unzulässig ist66 • Dies muß vielmehr anhand der Schutzwirkung der Betriebswohlbindung nach § 2 Abs. 1 BetrVG festgestellt werden.
Ein Zweck dieser Bindung liegt darin, den Arbeitgeber vor einer unverhältnismäßigen Belastung des Unternehmens zu bewahren, die durch den Betriebsrat und dessen Ausübung seiner Befugnisse drohen könnte. Insoweit dient die Betriebswohlbindung zunächst dem Schutz des Arbeitgebers 67 • Hierdurch wird die Belastung des Betriebsinhabers aufgrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums sinnvoll begrenzt, weil eine existenzvernichtende Mitbestimmung dem Kollektivschutz auf Betriebsebene widersprechen würde und somit ungeeignet wäre, Arbeitnehmersicherung als Ausfluß des Sozialstaatsprinzips zu verwirklichen. Daraus ergäbe sich eine unverhältnismäßige und damit verfassungswidrige Sozialbindung des Arbeitgebers68 • Jedoch kann hieraus keine abweichende Risikotragung begründet werden, wenn die Betriebspartner die Betriebsvereinbarung selbst abgeschlossen haben. Insoweit hat der Arbeitgeber privatautonom einen Vertrag abgeschlossen. Die Grundrechte begründen prinzipiell nur Abwehrrechte und schützen nicht vor eigenem unvernünftigen oder fehlerhaften Handeln. Demnach kann eine privatautonome Vereinbarung bei noch so nachteiligen Folgen nicht mehr gegen die Schranken der Sozialpflichtigkeit des Eigentums verstoßen. Diese Schutzfunktion kann somit 66 Entsprechend lehnt Weber eine allgemeine Abweichung der Risikotragung für die eigene Leistungsfähigkeit aus dem Betriebsverfassungsgesetz ab - Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 116 f. - und leitet allein aus den Besonderheiten des Sozialplans für diesen eine andere Risikoverteilung ab - Weber, aaO., S. 127 ff. 67 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 37. 68 Vgl. hierzu auch Leisner NJW 1996, 1511 ff., der allerdings im Hinblick auf die gesamten Lohnnebenkosten die Verfassungsrichter auffordert, die Grenze zwischen zulässiger Sozialbindung und unverhältnismäßiger Belastung zu finden. Hiermit muß m.E. jedes Gericht überfordert sein, wie will es Lohnnebenkosten als Belastung mit verbundenen Vorteilen, wie etwa sozialer Friede, hohes Lebenshaltungsniveau und damit erhebliche Kaufkraft für die Nachfrage, günstige oder sogar kostenlose Infrastruktur, Sicherheit etc. miteinander verrechnen und als eine von der Verfassung vorgegebene Entscheidung darstellen.
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keine abweichende Risikotragung begründen, wenn die Betriebspartner die Betriebsvereinbarung selbst abgeschlossen haben69 • Die Betriebswohlbindung hat noch eine zweite Wirkung. Sie integriert gleichzeitig das Arbeitnehmerschutzprinzip im Betriebsverfassungsrecht insoweit, als es die Begrenzung aktueller Arbeitnehmeransprüche zum Wohle der Belegschaft verlangt. Die Betriebsverfassung ist als Teil des Arbeitsrechts in erster Linie Arbeitnehmerschutzrecht. Eine existenzvernichtende Mitbestimmung widerspricht dieser Idee70 • Dieser Zweck der Betriebswohlbindung schützt demnach die normunterworfenen Arbeitnehmer. Folglich könnte hierin eine Grenze der Regelungsmacht der Betriebspartner liegen. Diese Schranke für zulässige Vereinbarungen zwischen den Betriebspartnern gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG kann erst überschritten sein, wenn auch der zweite Schutzzweck - das "anspruchshemmende" Arbeitnehmerschutzprinzip verletzt wird. Dies wäre der Fall, wenn es zu einer über die Leistungsfähigkeit hinausgehenden ruinösen Regelung kommt. Sollte die Grenze der eingeräumten Rechtsetzungsmacht überschritten sein, hätte dies die Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung zur Folge. Allerdings besteht gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG nicht nur die Bindung an das Betriebswohl, sondern auch an das Wohl der Arbeitnehmer7l • Da die Belange des Betriebes und der Arbeitnehmer häufig divergieren, wird hierdurch das bestehende Spannungs feld zwischen diesen Interessen nicht beseitigt. Vielmehr wird ein Ermessen der Betriebspartner geschaffen, welche Vorstellungen inwieweit den Vorrang genießen sollen. Daher stellt sich die Frage, ob die drohende Betriebsvernichtung eine absolute Schranke der Ermessensausübung darstellt, so daß die Betriebspartner diese Grenze unter keinen Umständen überschreiten dürfen. Insoweit ist in die
69 A.A. Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 127 ff., der im Hinblick auf den mittelbaren Einigungszwang durch das mögliche Einigungsstellenverfahren in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten die selbstbestimmte Entscheidung des Arbeitgebers nicht als vollwertig behandelt und schon hieraus eine abweichende Risikotragung ableiten will. 70 Ähnlich Canaris AuR 1966, 129 ff. - 130, wenn er mit der Betriebswohlbindung in "Konkretisierung der einzelvertraglichen Treuepflicht" flir die Arbeitnehmer allein nachteilige Betriebsvereinbarungen ausnahmsweise für zulässig hielt, sofern dies zur Erhaltung des Betriebes notwendig sei; ferner MünchArbR - v.Hoyningen-Huene, § 293 Rz. 9, der vom Interesse der dauerhaften Arbeitsplatzsicherung spricht; vgl auch zu Sozialplänen Stege / Weinspach, BetrVG § 112 Rz. 142. 71 In entsprechender Weise verlangt auch § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG und § 112 Absatz 5 S. I BetrVG eine angemessene Berücksichtigung der Belange der Arbeitnehmer. Insoweit gibt § 112 in Abs. 5 Nr. I und 2 BetrVG auch konkrete soziale Belange der Arbeitnehmer an, denen Rechnung getragen werden soll.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Überlegungen einzubeziehen, welche weiteren Belange der Arbeitnehmer berührt werden. Allein das Interesse an besseren Leistungen als im Einzelvertrag kann nicht durchschlagen, da es bei einer "anspruchshemmenden" Schutzwirkung gerade darauf ankommt. Die Betriebsverfassung gewährt insoweit mehr als der Arbeitsvertrag. Dann ist es unbedenklich, dieses "Mehr" prinzipiell durch die Betriebserhaltung zu begrenzen. Etwas anderes kann erst gelten, sofern der Einzelvertrag gefährdet erscheint und damit die Berufung auf die Erhaltung der Arbeitsplätze nicht mehr überzeugt. Dies könnte letztlich nur bei Betriebsvereinbarungen über Akkord- und Prämiensätzen im Sinne des § 87 Absatz 1 Nr. 11 BetrVG in Betracht kommen, weil diese ausnahmsweise mittelbar auch die Entgelthöhe regeln und damit in den Kern materieller Arbeitsbedingungen hineinreichen. Doch wäre diese Lücke des Einzelvertrages notfalls über § 612 Abs. 2 BGB zu schließen; was häufig die Fortschreibung der Betriebsvereinbarung über § 612 Abs. 2 BGB bedeutet. Demnach droht bei der ersatzlosen Beseitigung einer Betriebsvereinbarung kein inhaltsleerer Arbeitsvertrag, wie es bei Tarifverträgen der Fall sein könnte. Vielmehr ist die betriebliche Schutzebene konzeptionell gerade zwischen Tarifvertrag und Einzelvertrag angesiedelt und daher eher verzichtbar . Nur deshalb ist es auch unbedenklich, daß das Betriebsverfassungsgesetz bei Vorliegen der Betriebsratsfähigkeit nicht zwingend, sondern nur die fakultative Errichtung eines Betriebsrates vorsieht. Folglich bestehen keine anderweitigen Arbeitnehmerinteressen, die einer absoluten Begrenzung der Regelungsmacht der Betriebspartner durch die Betriebsexistenz entgegenstehen72 • Mithin wird die vertragliche Abschlußfreiheit bei Betriebsvereinbarungen durch den Zwang zur Erhaltung des Betriebes begrenze3 • Konsequenterweise muß auch die Risikoverteilung nach dem allgemeinen Zivilrecht abgeändert sein. Andernfalls wäre die bewußte Mißachtung der wirtschaftlichen Unternehmenssituation nichtig, während die unbewußte Überschreitung der Regelungsmacht unerheblich bliebe, obwohl beides gleichermaßen das Unternehmen ruiniert und damit dem Arbeitnehmerschutzprinzip zuwiderläuft. Folglich muß ein Irrtum über die wirtschaftliche Situation zum Zeitpunkt des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung beachtlich sein, wenn der Bestand des Unternehmens existentiell gefährdet wird.
Wohl auch Stege / Weinspach, BetrVG § 2 Rz. 7. Heinze DB 1996, 729 ff. - 732 spricht bei der Betriebserhaltung passend vom gesetzlich vorausgesetzten gemeinsamen Nenner der Betriebspartner; vgl. zur Beschränkung des rechtlichen Könnens der Betriebspartner durch § 2 BetrVG allgemein Heinze ZfA 1988, 53 ff. - 78 ff. insbes. 83. 72
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Für die Sicherung des Unternehmens ist es schließlich unerheblich, ob ein Irrtum zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorlag oder erst die spätere Entwicklung zu einer Betriebsgefährdung führt. Demnach muß die Bindung an das Betriebswohl genauso durchschlagen, wenn die wirtschaftliche Vertretbarkeit als Geschäftsgrundlage erst durch die zukünftige Entwicklung gestört wird. Im Falle der drohenden Existenzvernichtung scheint damit die Risikotragung nach Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 BetrVG auf den Betriebsrat zurückzufallen. Allerdings könnte man einwenden, daß der nunmehr im Bereich der KO in Kraft gesetzte § 120 InsO gegen ein solche Auslegung spricht, weil er eine Beschränkung der Vertragsbindung explizit für den Fall der Insolvenz vorsieht. Wenn der Gesetzgeber eine solche Regelung des Insolvenzrisikos für nötig hielt, könnte man - argumentum e contrario - annehmen, daß diese Risikoverlagerung ohne die neu geschaffene Bestimmung nach Ansicht des Gesetzgebers gerade noch nicht bestand. Indes würde diese Sicht zu kurz greifen. § 120 InsO dient zwar wie die zukünftige gesamte InsO vornehmlich dazu, die Sanierungsfähigkeit von Unternehmen gegenüber der bisherigen KO, VerglO und GesO zu steigern. Gleichwohl sind diese Beschränkungen und so auch § 120 InsO nicht auf die Fälle einer möglichen Sanierung beschränkt. Auch bei einer Zerschlagung des Unternehmens ist gemäß § 120 InsO ein unabdingbares ordentliches Kündigungsrecht des Konkurs- und zukünftig des Insolvenzverwalters gegeben. Vornehmlich sind die verschiedenartigen denkbaren Rechtsfolgen zu betonen. Eine außerordentliche Kündigung kann auch fristlos erfolgen; beim Wegfall der Geschäftsgrundlage kommen sogar rückwirkende Änderungen in Betracht. Die Schaffung eines unabdingbaren ordentlichen Kündigungsrechtes für die Insolvenz, kann somit nicht als abschließende Regelung auch für sonstige Rechtsinstitute aufgefaßt werden. Dementsprechend hat der Gesetzgeber sich bewußt einer solchen Entscheidung enthalten, was die Tatsache beweist, daß § 120 InsO ausdrücklich die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund unberührt gelassen hat. Diese Klarstellung wäre nicht notwendig gewesen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse keinen wichtigen Grund erzeugen könnten. Damit erkennt der Gesetzgeber also letztlich sogar an, daß die finanzielle Situation einen wichtigen Grund ergeben kann74 • Nach alledem ist die Risikotragung für finanzielle Schwierigkeiten abweichend vom allgemeinen Zivilrecht entsprechend dem Sinn und Zweck des 74 Dörner NZA 1991, 94 ff. - 100 ist insoweit der Auffassung, daß diese Regelung ohnehin überflüssig war, weil sich ihr Inhalt bereits aus der Betriebsverfassung ergeben habe. Dies ist m.E. jedoch zumindest in den Fällen der Zerschlagung nicht richtig, wo eine außerordentliche Kündigung mangels Sanierung nicht zulässig war.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
§ 2 Abs. 1 BetrVG im Falle der drohenden Existenzvernichtung dem Betriebsrat als Gläubiger und faktisch der normenunterworfenen Belegschaft aufzuerlegen. Allerdings gilt dies nur für die Gefahr der Existenzvernichtung. Bis zu dieser Schwelle steht allein der Arbeitgeber nach den allgemeinen Grundsätzen für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein. Außerdem ergibt die Herleitung aus dem Arbeitnehmerschutzgedanken, daß diese Verschiebung des Risikos nur stattfindet, wenn hierdurch eine Betriebserhaltung möglich erscheint.
bb) Abweichende Risikotragung bei der Einigungsstelle Wenn eine Betriebsvernichtung droht, ist gemäß § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG bzw. gemäß § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG das Risiko auch bei einem Spruch der Einigungsstelle auf die Belegschaft zu verlagern. Auch dort wird die Berücksichtigung der betrieblichen Belange und damit der wirtschaftlichen Vertretbarkeit verlangt, wie es § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG ausdrücklich bestimme5 • Es stellt sich hier allerdings die Frage, ob insoweit schon eine abweichende Risikotragung vor einer drohenden Betriebsvernichtung eintritt. Anders als bei der privatautonomen Selbstbindung ist der Spruch der Einigungsstelle als gesetzlich angeordnete Zwangsschlichtung für den Arbeitgeber letztlich ein aufgrund des Betriebsverfassungsgesetzes unfreiwillig und damit hoheitlich herbeigeführter Eingriff in seinen Betrieb. Folglich muß nunmehr der grundrechtliche Abwehrcharakter der Betriebswohlbindung berücksichtigt werden. Allerdings ist zu beachten, daß § 76 Abs. 5 S.4 BetrVG zum Schutze des Arbeitgebers die Möglichkeit eröffnet, den Einigungsstellenspruch durch Antrag binnen einer Zweiwochenfrist gerichtlich überprüfen zu lassen. Nimmt er dieses Recht nicht in Anspruch, besteht kein Grund, ihn weitergehend zu schützen als beim freiwilligen Abschluß einer Betriebsvereinbarung, wo er für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einzustehen hat. Durch den Ablauf der Zweiwochenfrist geht vielmehr das Recht des Arbeitgebers materiell unter, prüfen zu lassen, ob die Einigungsstelle bei ihrem Spruch innerhalb des ihr zukommenden Ermessenrahmens verblieben ist. Folglich muß es im Falle eines anfänglichen Irrtums bei der Grenze der drohenden Betriebsvernichtung bleiben. Doch ist zwischen einem anfänglichen Irrtum und einer unerwarteten Entwicklung zu unterscheiden. Letztere kann der Arbeitgeber innerhalb der Zweiwochenfrist gar nicht geltend machen. Daher könnte man annehmen, daß die Veränderung von wirtschaftlichen Umständen dann bereits die Risikolage 75 Insoweit besteht Einigkeit, daß ein Einigungsstellenspruch über einen Sozialplan keine weiteren Arbeitsplätze gefährden darf - vgl. m.w.N. GK-BetrVG, Fabricius §§ 112, 112 a Rz. 92 ff.
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verschiebt, wenn der Spruch der Einigungsstelle den Ermessensspielraum überschreiten würde, sofern dieser nunmehr im Rahmen der neuen Sachlage ergehen würde 76 • Insoweit läge eine ähnliche Situation wie bei der Behandlung rechtskräftiger Entscheidungen gemäß § 323 ZPO vor. Deren Abänderung ist von einer zukünftigen Entwicklung abhängig. Eine ursprüngliche Fehlvorstellung wird hierdurch nicht angreifbar, sondern unterfallt der gewöhnlichen Rechtskraft. Die außerordentliche Kündigung einer Betriebsvereinbarung wird immer nur dann interessant, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist oder längerfristig erklärt werden muß. Eine solche Beschränkung der ordentlichen Kündigung weicht von der Dreimonatsregelung des § 77 Abs. 5 BetrVG ab und muß daher aus dem Einigungsstellenspruch selbst folgen. Demnach ist die Ursache der weitreichenden Bindung bereits hierin angelegt. Diese Abweichung von § 77 Abs. 5 BetrVG kann wiederum im Verfahren gemäß § 76 Abs. 5 S.4 BetrVG geltend gemacht werden, wenn für einen solchen schweren Eingriff in das einseitige gesetzlich prinzipiell vorgesehene Lösungsrecht kein hinreichender Sachgrund vorliegt. Erfolgt dies nicht, ist die spätere Bindung insoweit nicht angreifbar77 • Dies ist schon im Hinblick auf die normenunterworfene Belegschaft sinnvoll, weil Unsicherheiten durch eine abweichende Behandlung von Einigungsstellensprüchen vermieden werden. Schließlich überzeugt die Beschränkung auf den Fall der drohenden Betriebsvernichtung, weil die Vertragsbindung auch Klarheit und Sicherheit zwischen den Betriebspartnern schaffen soll und dem Arbeitgeber eindeutige Kalkulationsgrundlagen an die Hand gibt. Daher muß das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen auf extreme Situationen begrenzt bleiben. Folglich ist auch beim Einigungsstellenspruch daran festzuhalten, daß das Risiko der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erst im Falle der drohenden Existenzvernichtung vom Arbeitgeber auf die Arbeitnehmerseite übergeht. cc) Der Tatbestand der wirtschaftlichen Notlage
Nachdem geklärt wurde, warum es bei Betriebsvereinbarungen entgegen den allgemeinen Grundsätzen zu einer Risikoverlagerung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kommt, ist nunmehr darzulegen, wann der Tatbestand einer drohenden Betriebsgefährdung vorliege 8 • In dieser Richtung Stege / Weinspach, BetrVG § 76 Rz. 25a letzter Absatz. Vgl. im Ergebnis LAG Hamm DB 1988, 2651; Gaul, Dieter BB 1990, 1549 ff. 1553. 78 Vgl. insgesamt BAGE 24, 163 ff. = AP Nr. 154 zu § 242 - Ruhegehalt; Paulsdorff, Insolvenzsicherung § 7 Rz. 146 ff.; Höhne BB 1967, S. 122 ff.-124; Hanau, Peter, 76
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Ausgangspunkt ist nach obigen Ausführungen der grundsätzliche Erhalt der Arbeitsplätze, mägen auch teilweise Entlassungen zur Unternehmenssanierung notwendig sein. Dies entspricht dem Ziel des Widerrufsrechtes bei Betriebsrenten, das dem Arbeitgeber in der sogenannten "wirtschaftlichen Notlage" von der Rechtsprechung selbst dann eingeräumt wird, wenn ein Widerrufsvorbehalt nicht vertraglich vorgesehen wurde. Dieser Begriff wurde vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 BetrAVG übernommen. Zum Zwecke einer einheitlichen Terminologie wird er im weiteren angewendet. § 7 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 BetrAVG enthält keine Legaldefmition, wann eine wirtschaftliche Notlage gegeben ist. Insoweit ist auf die Voraussetzungen zurückzugreifen, die die Rechtsprechung für den Widerruf betrieblicher Renten entwickelt hat.
Danach ist zunächst erforderlich, daß die Fortgeltung der bestehenden Regelung zu einer Vernichtung des Unternehmens führt; es müßte also wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Zerschlagung im Rahmen der Zwangsvollstreckung drohen79. Besteht diese Gefahr, ist hypothetisch für den Fall der Aufhebung der Vereinbarung zu fragen, ob dadurch der Ruin abgewendet werden kann. Diese Prüfung ist notwendig, weil das Ziel der Erhalt der Arbeitsplätze ist und nicht eine Verschlechterung der GläubigersteIlung von Arbeitnehmern bzw. Betriebsrat80 • Würde die vertragliche Bindung aufgehoben, ohne die Insolvenz zu verhindern, so wären nur die Verpflichtungen des Arbeitgebers gemindert, obwohl es dennoch zum Verlust der Arbeitsplätze kommt. Daher darf die Beendigung der Betriebsvereinbarung eine Insolvenz nicht nur hinauszögern, sondern der Arbeitgeber muß ein Sanierungskonzept haben, durch das das Unternehmen zukünftig auf eine sichere Basis gestellt wird81 • Insoweit wird Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 49 ff. Diese Prüfung dürfte zukünftig als sog. Sanierungsprüfung im Insolvenzverfahren vermehrt Bedeutung erlangen, vgl. dazu Wegmann DB 1987, 1901ff. 79 RAG ArbSlg 22, 12; BAG BB 1955,543; BAG NZA 1993,941 ff. - 943 = KTS 1993,672 ff. = SAE 1994, 182 ff. mit Anm Reuter; Heissmann RdA 1955,371 ff - 375. Soweit Meyer NZA 1995, 974 ff. - 983 darüber hinaus bereits eine ernsthafte Gefährdung im Wettbewerb oder der Kreditwürdigkeit genügen lassen will, geht dies zu weit. Die Vertragstreue kann nur ausnahmsweise beseitigt werden. Denkbar wird dies allenfalls sein, wenn dies nach dem neuen Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit in der neuen Insolvenzordnung bereits zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fUhrt. 80 A.A. lediglich Weitnauer ZfA 1977, 111 ff. - 148 ff., der die Bindung an die wirtschaftliche Vertretbarkeit als Schutz der übrigen Gläubiger auffaßt. Diese in sich fragwürdige Sichtweise ist jedenfalls durch die EinfUhrung des Sozialplangesetzes im Konkurs überholt worden. 81 BAGE 24, 163 ff. = AP Nr. 154 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; BAGE 50, 210 ff. 218; BAG NZA 1993,941 ff. - 943 = KTS 1993,672 ff. = SAE 1994, 182 ff. mit Anm Reuter; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 226f. - 228; Heissmann RdA 1955, 371 ff. - 375.
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von der Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit des Unternehmens gesprochen. Die Beseitigung künftiger Ansprüche aus einer einzelnen Betriebsvereinbarung wird häufig nicht genügen, um dieses Ziel zu erreichen. Vielmehr wird normalerweise ein Bündel von Maßnahmen ergriffen werden müssen, wozu auch die Beseitigung mehrerer Betriebsvereinbarungen gehören kann. Dann muß die Prüfung der Frage, ob die Insolvenz voraussichtlich vermieden wird, auf das Gesamtkonzept erstreckt werden. Um einseitige Benachteiligungen der Arbeitnehmerschaft oder einzelner Gruppen zu verhindern, verlangt die Rechtsprechung weiterhin, daß der Arbeitgeber zudem beim Unternehmensertrag Einbußen hinnimmt. Ferner muß beim Zugriff auf die Ansprüche der Arbeitnehmer ein ausgewogenes Verhältnis eingehalten werden, wobei besondere Belastungen und Schutzbedürfnisse einzelner zu beachten sind. Insoweit sind in der Regel erst Ansprüche der verbleibenden aktiven Belegschaft zu schmälern, bevor auf ehemalige Arbeitnehmer und Betriebsrentner zurückgegriffen werden darf2 • Außerdem wird gefordert, daß der Arbeitgeber alles unternimmt, damit auch andere seiner Gläubiger zumindest teilweise auf Forderungen verzichten. Allerdings können hieran keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, da er darauf keinen Anspruch hat83 • Darüber hinaus wird man eine Zuschußpflicht des Arbeitgebers aus seinem sonstigen Vermögen bejahen müssen, denn er haftet für die Verbindlichkeiten uneingeschränkt und müßte bei einem Konkurs aus seinem übrigen Vermögen leisten. Da es um die Abwendung einer Insolvenz geht, muß er diese drohende Haftung durch Zuschuß ausgleichen84 • Hierbei ist streng auf den Arbeitgeber abzustellen. Ist er eine juristische Person, bei der eine Haftung der Gesellschafter nicht oder nur beschränkt erfolgt, kann von den Gesellschaftern nicht verlangt werden, weiteres Vermögen einzusetzen. Dies wäre mit den gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkungen unvereinbar. Die Zuschußpflicht ist daher vornehmlich für 82 BAGE 24, 163 ff. = AP Nr. 154 zu § 242 BGB - Ruhegahlt; BAG NZA 1993,941 ff. - 943 = KTS 1993,672 ff. = SAE 1994, 182 ff. mit Anm Reuter; Hütig DB 1978, S. 694. Nach h.M. hat der Betriebsrat zwar mangels demokratischer Legitimation kein Mandat, Betriebsrentner und ausgeschiedene Arbeitnehmer zu vertreten; a.A. Hersehel FS Hilger/ Stumpf S. 311 ff.. Allerdings ist seine Beteiligung im Rahmen eines Gesamtkonzeptes auch in solchen Fragen sinnvoll und unschädlich, da im Streitfalle letztlich nur geprüft wird, ob das Verhandlungsergebnis wirksam ist, welches ohnehin vom Arbeitgeber umgesetzt werden muß. 83 BAG NZA 1993, 941 ff. - 945 = KTS 1993, 672 ff. = SAE 1994, 182 ff. mit Anm. Reuter. 84 BAGE 24, 163 ff. = AP Nr. 154 zu § 242 BGB - Ruhegalt; BAG Nr. 167 zu § 242 BGB Ruhegehalt m. Anm. Gumpert in BB 1975, S. 1114; Paulsdorff, Insolvenzsicherung § 7 Rz. 147.
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persönlich haftende Gesellschafter bei Personengesellschaften von praktischer Bedeutung, wenn die Gesamthand überschuldet ist85 • Schließlich ist zu prüfen, ob im Rahmen konzemrechtlicher Verflechtung auch Kapital außerhalb des selbständigen Unternehmens berücksichtigt werden muß 86 • Diesbezüglich hat das BAG entschieden, daß es für die Frage der wirtschaftlichen Lage darauf ankommt, wie sich die Konzernform oder Konzernpolitik darstellt. Von großer Bedeutung ist insoweit, daß das BAG mittlerweile der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Durchgriffshaftung im sogenannten qualifizierten faktischen GmbH-Konzern folgt 87 • Diese Haftung ist aus einer Analogie zu den §§ 302 ff AktG entwickelt worden88 und dürfte vom Sinn und Zweck auf alle übrigen Kapitalgesellschaften zu erstrekken sein. Danach gilt, daß ein herrschendes Unternehmen für die Verbindlichkeiten einer beherrschten Kapitalgesellschaft einzustehen hat, wenn es die Leitungsmacht innehatte, diese zum Nachteil des beherrschten Unternehmens und zum Vorteil des übrigen Konzerns genutzt hat. Diese Haftung fußt darauf, daß bei einer Kapitalgesellschaft dem Kapital Rechtspersönlichkeit verliehen wird. Deshalb sind Gläubiger wie auch die Mitgesellschafter davor zu schützen, daß durch konzemmäßige Verschiebung ein Gesellschafter Kapital entzieht. Dies kann faktisch auch durch die Unternehmenspolitik erreicht werden, wenn z.B. ein beherrschtes Unternehmen Konkurrenztätigkeiten zu Konzemmitgliedern beendet, so daß bei diesen höhere Gewinne anfallen. Die Rechtsprechung läßt mittlerweile eine natürliche Person als herrschendes Unternehmen genügen. Der Konzernbegriff erfordert noch weitere erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten in einem ähnlichen Bereich. Der Mißbrauch der Leitungsmacht wäre nach dem allgemeinem Grundsatz des Zivilprozesses, wonach jeder die Beweislast für die ihn begünstigenden Tatsachen trägt, von der Partei zu beweisen, die eine Durchgriffshaftung erreichen will. Da diese im Regelfall außerhalb des Unternehmens steht und ihr damit Einblick in die Betriebsunterlagen und die Entscheidungsprozesse normalerweise nicht möglich ist, hatte der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich eine Beweislasturnkehr vertreten, nach der das herrschende Unternehmen nachweisen mußte, daß seine Leitungsmacht nicht zum Nachteil des be85 Ausführlich zu den verschiedenen Haftungsgrundlagen, Ahrendl Rühmann, Haftung der Unternehmer, DB 1979, Beilage Nr. 2, S. 1 ff. 86 Vgl. Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 136 ff., der sogar faktische Verflechtungen berücksichtigen will. 87 Vgl. BAG AP Nr. 21 zu § 113 BetrVG 1972 unter II der Gründe; BAG NZA 1993, 316 ff.; BAG KTS 1993, 133ff.; BAGNZA 1993,941 ff. - 944f. =KTS 1993,672 ff. = SAE 1994, 182 ff. mit Anm. Reuter; ausführlich m.w.N. zu dieser Konstruktion MüHdbGesR Bd. 3 - Decher, 3 § 71. 88 Grundlegend BGHZ 95, 330 ff.; BGHZ 107,7 ff.; BGHZ 115, 187 ff.
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herrschten Unternehmens ausgeübt wurde89 • Nach heftigster Kritik90 , die der Rechtsprechung zu Recht vorgeworfen hat, damit die Haftungsbeschränkung faktisch aufzuheben, hat der Bundesgerichtshof mittlerweile diese Beweislastmnlcehr als Darlegungslast "präzisiert". Hiernach muß das herrschende Unternehmen nur noch substantiiert vortragen, daß es seine Leitung nicht zum Nachteil des beherrschten Unternehmens genutzt hat. Dies wird häufig durch bilanzmäßige Darstellung der Tätigkeit erfolgen. Der Gegner bleibt für konkrete Mißbrauchshandlungen oder die Unrichtigkeit der Darlegungen beweispflichtig und trägt insoweit insbesondere das non-liquet Risik091 • Diese Rechtsprechungsänderung hat auch das BAG übernommen92 • Mißbrauch kommt selbstverständlich allein in Betracht, wenn das Unternehmen bereits vor der Notlage beherrscht wurde. Der Unternehmenserwerb in bestehender Notlage schließt eine Konzernhaftung für frühere Leitungsfehler aus 93 • Darüber hinaus wird man eine Durchgriffshaftung und eine konzernorientierte Notlagenprüfung bejahen müssen, wenn Äußerungen des herrschenden Unternehmens bei den Arbeitnehmern ein berechtigtes Vertrauen erzeugt haben94 • Dies ist anzunehmen, wenn eine entsprechende konkrete mündliche Zusage erfolgte, was bei beschwichtigenden Arbeitgebererklärungen im Rahmen einer Sanierung oder Unternehmensveräußerung vorkommen kann, sofern die Erklärungsempfanger auf die Rechtsverbindlichkeit vertrauen durften95 • Dieser Gesichtspunkt erlangt schließlich auch Bedeutung, wenn ein Konzernbetriebsrat besteht. Eine Berücksichtigung des Konzerns darf nur erfolgen, wenn seine Haftung in der Insolvenz stattfmdet. Die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates setzt dies nicht voraus96 • So kann etwa eine Sanierung mit einem Konzernsozialplan einhergehen. Dennoch dürfen die SozialplanforBGHZ 115, 187ff. = AP Nr. 1 zu § 303 AktG = NJW 1991,3142 ff. Flume DB 1992,25 ff. - 29; Knobbe-Keuk DB 1992, 1461; m.w.N. MüHdbGesR Decher, § 71 Rz. 7,19. 91 BGHZ 122, 123 ff. = AP Nr. 2 zu § 303 AktG = NJW 1993, 1200 ff. 92 BAG AP Nr. 6 zu § 303 AktG = NJW 1994, 3244 ff.; zuletzt BAG NJW 1996, 1491 ff. und BAG DB 1997, 1287 f. = ZIP 1997, 1303 = NZA 1997, 1111; Diese Abstimmung war auch notwendig, um zu verhindern, daß der Sanierungsprüfung Ansprüche gegen die Konzernmutter unterstellt werden, zu deren Erflillung die Obergesellschaft weder bereit noch verpflichtet ist - so bereits Hanau, Peter, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 48. 93 So zu Recht BAG ZIP 1993, 1330 ff. - 1334. 94 Hanau, Peter, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 48. 95 Vgl. Birk ZfA 1986, 73 ff. - 96 f.; instruktiv die Auslegung der Erklärung des Vorstandssprechers der Deutschen Bank im Konkurs "Schneider" durch das OLG Frankfurt a.M. NJW 1997, 136 f. 96 Vgl. Hanau, Peter ZfA 1974, 1 ff. - 105. 89 90
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
derungen keinen einzelnen Betrieb zerstören. Auch bei Konzernvereinbarungen ist das Betriebswohl des § 2 Abs. 1 BetrVG einzuhalten. Der Haftungstatbestand muß vielmehr darin erblickt werden, daß der Konzern als einheitlicher Arbeitgeber mit dem Konzernbetriebsrat verhandelt und Vereinbarungen getroffen hat97 • Hier wird aus Konzernsicht gehandelt, was ein schützenswertes Vertrauen bewirkt. Abschließend ist festzustellen, daß nach allgemeinen Grundsätzen der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für einen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grund trägt, weil er eine rechtsändernde Einwendung gegen entstandene Pflichten erhebt. Ihm stehen alle üblichen Beweismittel zur Verfügung. Für den Beweis einer wirtschaftlichen Notlage kann auf die Rechtsprechung zum Widerruf des betrieblichen Ruhegeldes in wirtschaftlichen Notlagen zurückgegriffen werden. Danach ist durch betriebswirtschaftliches Sachverständigengutachten - regelmäßig durch Wirtschaftsprüfer - die drohende Insolvenz einerseits und das Bestehen einer Sanierungschance andererseits darzustellen98 • Der Arbeitgeber hat zugleich ein Sanierungskonzept vorzulegen, aus dem hervorgehen muß, daß er die Lasten der Sanierung mitträgt und der Arbeitnehmerteil gleichmäßig unter den verschiedenen Gruppen nach deren Schutzwürdigkeit verteilt wird. Insoweit sind die geplanten Maßnahmen und die zu erwartenden Einspareffekte aufzuzeigen99 • Ist unter diesen Gesichtspunkten eine Betriebssanierung möglich, so ist das gesetzliche Risiko für die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit auf die Belegschaft übergegangen.
2. Vertragliche Risikotragung Nachdem die gesetzliche Risikotragung untersucht ist, soll kurz über die Möglichkeiten einer abweichenden vertraglichen Regelung nachgedacht werden. Im allgemeinen Zivilrecht ist anerkannt, daß vertragliche Risikozuweisungen - gleich ob ausdrücklich bzw. konkludent vereinbart oder durch Vertragsauslegung zu ermitteln - prinzipiell gegenüber den gesetzlichen WertunSo auch Hanau, Peter ZfA 1974, 1 ff. - 105. BAGE 24, 163 ff. = AP Nr. 154 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; BAGE 50, 210 ff. 218f.; BAG ZIP 1986, S. 1141; vgl. hierzu Kayser, Sanierungsfähigkeit insolvenzbedrohter Unternehmen, BB 1983 S. 415 ff.; Höfer FS Hilger/ Stumpf 1983, S. 331 ff.; vgl. zur betriebswirtschaftlichen Prüfung auch Heubeck/Rössler/Sauerberg BB 1980, Beilage Nr. 13, S. 1 ff.; Hanau, Peter, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 46; Blomeyer RdA 1977., 1 ff. - 2. 99 Zuletzt BAG NZA 1996, 75 f. 97 98
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gen Vorrang haben lOo • Damit wird auch im Rahmen der Geschäftsgrundlagenstörung die Privatautonomie gewährleistet. In dieser Arbeit können allerdings nur allgemeine Erwägungen zu vertraglichen Risikozuweisungen bei Betriebsvereinbarungen angestellt werden, da insoweit immer eine besondere Einzelfallwürdigung erfolgen muß. Problematisch ist schon die Frage, ob eine vereinbarte Abweichung von der gesetzlichen Risikoverteilung zulässig und damit eine unzumutbare Geschäftsgrundlagenstörung bereits vor dem Eintritt einer wirtschaftlichen Notlage vorliegen kann. Insbesondere im Tarifrecht aber auch bei der Betriebsvereinbarung fmdet man öfters Äußerungen der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, wonach die Berufung auf die Geschäftsgrundlage aufgrund der normativen Wirkung lediglich in ganz engen Grenzen zulässig sein SOllIOI. Es sei auf die Interessen der normenunterworfenen Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Deshalb könnte man nur darauf abstellen, ob das Unternehmen durch die Berufung auf die Geschäftsgrundlage vor einer Insolvenz zu retten ist. Wie ausgeführt wurde, steht die normative Wirkung der Berufung auf die Geschäftsgrundlage nicht entgegen, da die Rechtsfolgen der außerordentlichen Kündigung nur mit einer Wirkung ex nunc greifen. Hier ist ein Vertrauen der Belegschaft grundSätzlich abzulehnen. Schließlich könnten sich die Betriebspartner jederzeit gemeinsam zu einer auch nachteiligen Neuregelung entschließen, ohne daß die Arbeitnehmer hiervor geschützt wären. Die Beschränkung der Unzumutbarkeit auf den äußersten Notfall kann auch nicht mit einer drohenden Unsicherheit für die Arbeitnehmer begründet werden, weil das Vorliegen eines Kündigungsgrundes zwischen den Betriebspartnern umstritten sein kann. Wie bereits dargelegt, folgt diese Unsicherheit aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber sich entschlossen hat, die Betriebsvereinbarung auf vertraglicher Grundlage aufzubauen l02 • Ebenso wie bei Irrtumsanfechtung eines Betriebspartners die Arbeitnehmer in eine ungewisse Lage geraten, ist dies bei einer außerordentlichen Kündigung wegen Störung der Geschäftsgrundlage der Fall. Folglich kann die Unzumutbarkeit bereits zu bejahen sein, obwohl noch keine wirtschaftliche Notlage vorliegt 103 • M.W.N. Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 223. Hessl Schlochauerl Glaubitz, BetrVG - Hess § 77 Rz. 211; Galperin BetrVerf 1958,41 ff. u. 61 ff. - 65. 102 V gl. oben 11 2 - Seite 165 f. 103 Vgl. Meyer NZA 1995,974 ff. - 979; zutreffend auch GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 314, wenn er gegen solche Einschränkungen betont, daß eine unter Berücksichti100 101
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Im weiteren stellt sich die Frage, welche Kriterien für eine vertragliche Verschiebung des Risikos der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit greifen können. Eine ausdrückliche Regelung wäre grundsätzlich maßgeblich. Doch wird diese meist fehlen. Eine vertragliche Abweichung wird daher nur dort in Betracht kommen, wo wirtschaftliche Faktoren konkret zur Geschäftsgrundlage gemacht worden sind und hieraus eine andere Risikoverteilung gefolgert werden muß 104 • Eine Möglichkeit, konkrete wirtschaftliche Faktoren zur Geschäftsgrundlage zu machen, ist die Kalkulation mit einer bestimmten Vermögensposition. Dies wäre etwa bei dem Fall anzunehmen, daß ein Sozialplan aus der Veräußerung eines Betriebsgrundstückes fmanziert werden soll, oder auf eine erwartete Zuwendung abstelleo 5 • Damit ist der Bestand und der Wert des Vermögensgegenstandes Geschäftsgrundlage. Die Kalkulation und vertragliche Vereinbarung auf dieser Grundlage machen deutlich, daß dieser Voraussetzung der eingegangenen Verbindlichkeit gewesen ist. Daher wird durch eine solche Vertragsbasis die Gefahr für eine erhebliche Wertschmälerung oder gar die Feststellung, daß der Vermögenswert nicht dem Betrieb zusteht, nicht mehr vom Arbeitgeber übernommen. Demnach tritt die Vertragsbindung zurück und dieses Risiko trägt die Arbeitnehmerseite. Schwieriger ist es, wenn bestimmte Erwartungen, etwa ein prognostizierter Gewinn, zugrunde gelegt wird. Wie oben ausgeführt, bedeutet dies nicht, daß er zugleich zur Geschäftsgrundlage geworden ist. Selbst wenn mit einer bestimmten Zahl kalkuliert wurde, kann dies ein im Verhandlungswege ftktiv festgelegter Wert sein, von dem niemand annimmt, daß er wirklich zutrifft. Doch gehört dies noch zur Frage, ob es sich um eine Geschäftsgrundlage handelt. Werden solche Wirtschaftsdaten wirklich zu einer solchen Grundlage, ist weiterhin problematisch, wann ein Irrtum das gewollte Risiko übersteigt und die uneingeschränkte Vertragsbindung unzumutbar wird. Insoweit geht es um Zahlenwerte, was noch keine nachvollziehbare Grenzziehung erlaubt. Es muß vielmehr eine Festlegung so wie bei Stichtagen und -werten erfolgen. Dies kann letztlich nur willkürlich geschehen. Denkbar ist, insoweit auf die 30%-Quote zurückzugreifen, die die frühere Rechtsprechung vor der Regelung in § 16 BetrAVG bei der Anpassung von Betriebsrenten verlangte l06 • gung aller Umstände festgestellte Unzumutbarkeit nicht mehr in eine stärkere oder geringere unterteilt werden kann. 104 Vgl. BAG AP NT. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314 ff.- 316 = DB 1995, 1240 ff.; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG §§ 112, 112 a Rz. 93. lOS V gl. BAG NZA 1995, 91 ff. für einen Fall, wo die Betriebspartner mit einer Zweckzuwendung der Treuhand gerechnet hatten. Das BAG sieht die Zuwendung sogar als Bedingung der Leistungspflicht an. 106 Im Zivilrecht wird allgemein eine Verdoppelung bzw. Halbierung als kritsche Grenze angesehen - vgl. m.w.N. Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 248.
E. Außerordentliche Kündigung
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Im Rahmen der Einzelfallprüfung wird man im übrigen darauf abzustellen haben, wie deutlich der Arbeitgeber seine Zustimmung beziehungsweise die Einigungsstelle ihren Spruch von bestimmten Umständen abhängig gemacht hat. Ist erkennbar, daß die Betriebsvereinbarung so nicht geschlossen worden wäre, ist von einer Verschiebung der Risikotragung auszugehen. Es würde dem Grundsatz vertrauensvoller Zusammenarbeit zuwiderlaufen, wenn ein Betriebspartner in einem solchen Fall auf der Vertragsbindung besteht, obwohl offenkundig ist, daß dieses Risiko nicht eingegangen werden sollte. Dieser Wille,· eine entsprechende Gefahr nicht tragen zu wollen, geht als vertragliche Vereinbarung der allgemeinen gesetzlichen Risikoverteilung vor. Bestehen hierbei Zweifel, so sind diese nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweistragungsregeln vom Arbeitgeber auszuräumen, der seine Verpflichtung beseitigen will.
3. Weitere Kriterien der Unzumutbarkeitsprüjung Neben der Risikotragung können noch andere Umstände bei der Zumutbarkeitsprüfung eine Rolle spielen. So stellt sich die Frage, welche Folgen es hat, wenn eine abweichende Entwicklung vorhersehbar war. Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß eine Nichtregelung trotz Vorhersehbarkeit die Anwendung der Grundsätze der Geschäftsgrundlagenstörung ausschließt 107 • Begründet wird dies mit dem Schutz des Vertragspartners, der bei einem Vertragsabschluß trotz Vorhersehbarkeit davon ausgehen durfte, daß der andere das Risiko für eine entsprechende Entwicklung übernommen hat. Diese Begründung greift auch hier. Wenn die Vorhersehbarkeit zu bejahen ist, darf der Betriebsrat annehmen, daß der Arbeitgeber die Gefahr einer abweichenden Entwicklung eingegangen ist, sofern er nicht ausdrücklich einen entsprechenden Vorbehalt verlangt. Allerdings ist zu beachten, daß die gesetzliche Risikoverschiebung dem Schutz der Arbeitnehmer vor einer Zerstörung des Betriebes als Erwerbsgrundlage dient. Daher greift diese Beschränkung der Regelungsmacht gegenüber dem Willen der Betriebspartner durch. Dann kann auch eine etwaige Vorhersehbarkeit der wirtschaftlichen Notlage nichts an dieser Schranke ändern. Folglich spielt die Vorhersehbarkeit nur bei einer für die Vertragsparteien dispositiven Riskoverlagerung eine Rolle, weil sie diese ausschließt. Da die Betriebsvereinbarungen Regelungsverträge sind, die neben den eigentlichen Austauschverträgen einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwischen Arbeitgeber und Belegschaft schaffen sollen, ist hier schon vorher die Zumutbarkeitsgrenze zu ziehen. Selbst die 30 % können im Einzelfall zu weit gehen. 107 Soergel _ Teichmann, § 242 BGB Rz. 238 ff.; Frey AuR 1956, 193 ff. - 194. \3 Beathalter
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die außerordentliche Kündigung ultima ratio ist. Daher wird im Rahmen der Unzumutbarkeit auch die Möglichkeit wenig einschneidender Eingriffe zu prüfen sein. So kommt die Pflicht zur Änderungskündigung in Betracht, wenn eine Reduzierung der Leistungspflichten genügt. Es wird zudem noch auf das Verhältnis zum Wegfall der Geschäftsgrundlage einzugehen sein. V. Rechtsfolgen der außerordentlichen Kündigung Rechtsfolge der außerordentlichen Kündigung ist grundsätzlich die fristlose Beendigung des Dauerschuldverhältnisses. Sie erlangt bei Betriebsvereinbarungen Bedeutung, wenn eine ordentliche Kündigung vertraglich abbedungen oder eine erheblich längere Kündigungsfrist als die Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG vereinbart wurde. Es geht also um Fälle, in denen der Arbeitgeber eine gesteigerte Selbstbindung eingegangen ist. Diese längerfristige Bindung führt häufig erst im Rahmen der Unzumutbarkeitsprüfung dazu, daß der Verweis auf die Regelungen zur ordentlichen Beendigung nicht mehr genügt, weil eine Kündigung in der kurzen Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG nicht vorgesehen ist. Könnte sie mit dieser Frist erklärt werden, so wäre dies ausreichend und eine außerordentliche Kündigung mangels Unzumutbarkeit nicht möglich. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber auch bei der außerordentlichen Kündigung die Dreimonatsfrist beachten muß. Soweit gesetzliche Regelungen zum Recht der außerordentlichen Kündigung bestehen, spricht der Gesetzeswortlaut, der teilweise synonym den Begriff der fristlosen Kündigung verwendet, dagegen. Dies verwundert nicht, kannte doch der historische Gesetzgeber des BGB noch keinen Kündigungsschutz, wie er sich für das Arbeits- und Wohnraummietrecht später entwickelte. Daher war diese Problemlage bei der Gesetzesentstehung nicht offensichtlich. Die ganz h.M. vertritt im Individualarbeitsrecht die Ansicht, daß eine außerordentliche Kündigung immer dann mit der gesetzlichen Frist für eine ordentliche Kündigung zu versehen ist, wenn ein wichtiger Grund sich entscheidend darauf gründet, daß dem Arbeitgeber die Einhaltung einer tatsächlich vereinbarten längeren Kündigungsfrist unzumutbar ist, während das Abwarten der gesetzlichen Kündigungsfrist noch zumutbar wäre. Begründet wird dies mit einer teleologischen Reduktion der Rechtsfolge. Die fristlose Beendigung sei insoweit eine überschießende gesetzliche Regelung, die durch Befristung der außerordentlichen Kündigung korrigiert werden muß 108 • 108 BAG AP Nr. 86 zu § 626 BGB = EzA Nr. 96 zu § 626 n.F. BGB = DB 1985, 1743 = BB 1985, 1743 = NZA 1985, 559 = NJW 1985,2606; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 1260; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 288f.; MünchArbR - Wank, § 117 Rz. 20.
E. Außerordentliche Kündigung
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Dem ist zuzustimmen, weil nur so dem Umstand Rechnung getragen wird, daß die Parteien mit der Vereinbarung längerer Fristen oder mit dem Ausschluß der ordentlichen Kündigung eine erhöhte Vertragsbindung herstellen wollten. Eine fristlose Kündigung würde gerade dieser Absicht ohne vernünftigen Grund entgegenlaufen. Diese Begründung ist auf alle Dauerschuldverhältnisse und daher auch auf Betriebsvereinbarungen übertragbar lO9 . Es ist somit festzustellen, daß die außerordentliche Kündigung grundsätzlich zur fristlosen Beendigung berechtigt. Beruht die Unzumutbarkeit allein darauf, daß für die ordentliche Kündigung längere Fristen vereinbart oder dieselbe ausgeschlossen wurde, ist die außerordentliche Kündigung entsprechend § 77 Abs. 5 BetrVG mit einer Dreimonatsbefristung zu verbinden. Die Beurteilung, ob die Einhaltung dieser Dreimonatsfrist zumutbar ist, muß bei Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung beachten, daß gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG eine Nachwirkung greift und der Arbeitgeber zudem im Sinne der Theorie der notwendigen Mitbestimmung eine Neuregelung benötigen kann. In diesem Bereich der Mitbestimmung ist daher eine fristlose Beendigung regelmäßig zulässig, sobald ein wichtiger Grund vorliegt. In Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung würden bei einer Befristung alle Pflichten nach drei Monaten enden. Daher wird eine Befristung grundsätzlich erforderlich sein, es sei denn aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage ist selbst diese nicht mehr zumutbar.
VI. Abdingbarkeit der außerordentlichen Kündigung Im Zusammenhang mit der außerordentlichen Kündigung stellt sich letztlich noch die Frage, ob die Betriebspartner dieses Gestaltungsrecht abdingen können. Nach ganz h.M. kann eine außerordentliche Kündigung nicht schlechthin ausgeschlossen werdenliD . Allerdings führt eine vertragliche Regelung, die dieses Rechtsinstitut insgesamt oder für bestimmte Gründe für unanwendbar erklärt, zu einer Verschiebung der vertraglichen Risikotragung und verändert die Schwelle zur Unzumutbarkeit ill . Letztlich bleibt immer ein Bereich, in So auch Blomeyer OB 1985,2506 ff. - 2507. Ausführlich m.w.N. Hersehel FS Nikisch 1958 S. 49 ff., insbes. 58 ff.; Hessl Schloehauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 2\0; vgl. für Tarifverträge OUo, Hansjör~ FS Kissel 1994, S. 801; a.A. Molitor, Erich, Die Kündigung S. 267 ff. 11 Molitor, Erich, Die Kündigung, S. 260 ff; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 130 f. 109 110
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
dem eine außerordentliche Kündigung nicht abbedungen werden darf. Einige Autoren unterscheiden daher - treffend - begrifflich zwischen relativen und absoluten Kündigungsgründen bzw. einer relativen oder absoluten zur Kündigung berechtigenden Unzumutbarkeie l2 • Für den Bereich der Betriebsvereinbarungen ist zu differenzieren, ob ein einzelner Umstand oder eine wirtschaftliche Notlage den wichtigen Grund erzeugen. Der einzelne Umstand kann als solcher immer ausgeschlossen werden. Eine wirtschaftliche Notlage ist hingegen entsprechend den obigen Ausführungen gemäß §§ 2 Abs. 1; 76 Abs. 5 S. 3; 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG absoluter Kündigungsgrund, wenn ein milderer Eingriff nicht möglich ist oder genüge lJ •
VII. Zusammenfassung 1. Die außerordentliche Kündigung ist auf Betriebsvereinbarungen bei einer Störung der Geschäftsgrundlage anwendbar. Ein schützenswertes Vertrauen der normenunterworfenen Belegschaft, das die Anwendbarkeit ausschließen würde, besteht nicht. 2. Die wirtschaftliche Situation des Betriebes ist aufgrund der Betriebswohlbindung in den §§ 2 Abs. 1; 76 Abs. 5 S. 3 und 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG Geschäftsgrundlage jeder Betriebsvereinbarung. Diesen Bestimmungen liegt ein "anspruchshemmendes Arbeitnehmerschutzprinzip" zugrunde, das die einzelnen Arbeitnehmer vor einem Kollektivschutz bewahren soll, der den Betrieb überfordert und damit die Erwerbsgrundlage zerstört. Dieser Grundgedanke führt zu einer gesetzlichen Verschiebung der allgemeinen Risikotragung für die Leistungsfähigkeit. Danach trägt ausnahmsweise der Betriebsrat rechtlich und die Belegschaft faktisch die Gefahr der mangelnden Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers, wenn eine Notlage vorliegt und eine Sanierungschance besteht. Die Notlage und die Sanierungschance hat der Arbeitgeber zu beweisen. Als Beweismittel wird ein betriebswirtschaftliches Sachverständigengutachten notwendig sein. 3. Beruht die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung auf dem Umstand, daß eine Kündigungsfrist von weit über drei Monaten vereinbart Hersehel FS Nikisch 1958 S. 58 f. Ähnlich Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 130 f. für Sozialpläne, allerdings mit der Einschränkung, daß die Notlage für den Arbeitgeber nicht schon konkret vorauszusehen war. Diese Einschränkung beruht darauf, daß Weber den mittelbaren Arbeitnehmerschutz durch die Betriebswohlbindung nicht gesehen hat und seine Ergebnisse allein auf der Vorstellung von einem Übermaßverbot der Arbeitgeberbelastung beruhen. 112 IIJ
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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wurde, so muß diese entsprechend mit einer Dreimonatsfrist versehen werden. 4. Die außerordentliche Kündigung ist nicht abdingbar. Durch einen vertraglichen Ausschluß werden jedoch die Voraussetzungen an einen wichtigen Grund gesteigert. Die wirtschaftliche Notlage ist als absoluter Kündigungsgrund nicht dispositiv.
F. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage Die Kündigung ist auf Dauerschuldverhältnisse beschränkt, so daß sie nach h.M. etwa bei Sozialplänen keine Anwendung fmdet!. Es entsteht daher die Frage, ob sich der Arbeitgeber in Krisensituationen seines Betriebes auch auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann und welche Rechtsfolgen hieran anknüpfen2 • I. Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
1. Allgemeiner Tatbestand im Zivilrecht Neben seinem grundSätzlich unbeschränkten Anwendungsgebiet weist das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gegenüber allen bisher behandelten Gestaltungsrechten noch weitere Besonderheiten auf. Es wirkt nicht nur wie eine Kündigung in die Zukunft, vielmehr können auch rückwirkende Veränderungen vorgenommen werden. Von besonderer Bedeutung ist, daß in erster Linie eine Vertragsanpassung an die geänderten Verhältnisse bewirkt werden soll. Erst wenn diese einer Partei nicht mehr zugemutet werden kann, kommt es zur Vertragsauthebung. Grundsätzlich ist es im Sinne der Privatautonomie wünschenswert, daß eine Anpassung nach entsprechenden Verhandlungen durch die Vertragsparteien selbst vorgenommen wird. Daher bestehen keine Bedenken, wenn teilweise in der Literatur gescheiterte Neuverhandlungen zwischen den Vertragspartnem als zwingende Voraussetzung für eine gerichtliche Anpassung aufgrund einer Geschäftsgrundlagenstörung angesehen werden3 • Zu weit geht es jedoch, die ! Däubler NZA 1985, 545 ff. - 548 ff.; a.A. bei "Dauerregelungen" Hessl Schlochauer! Glaubitz - Hess, BetrVG § 112 Rz. 118 ff. 2 Ob sich der Arbeitgeber stets oder nur dann auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, wenn eine außerordentliche Kündigung mangels Dauerschuldverhältnis nicht in Betracht kommt, wird noch später zu klären sein - s.u. VI. S. 249 ff. Zunächst geht es nur um die allgemeine Anwendbarkeit und Folgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei Betriebsvereinbarungen. 3 Horn AcP 181, 255 - 276 ff.; Hilger FS Larenz 1983, 251; für Sozialpläne Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 174 f.; wohl auch BAG AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 72.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Parteien allein hierauf mit der Folge zu verweisen, daß bei keiner Einigung die unzumutbare Regelung weitergilt4 • Die Anforderungen an vorherige Neuverhandlungen dürfen ohnehin nicht zu hoch gesetzt werden, insbesondere wenn eine Veränderung dringend erfolgen muß. Schließlich hat jede Seite ohnehin das Recht, auf ihrer Position zu verharren. Es verbietet sich insoweit allenfalls eine einseitige unangekündigte Anpassung, welche völlig überrascht. Juristisch wird es ohnehin erst interessant, wenn diese Einigung nicht erreicht wirds. Wie bereits angedeutet, herrscht über die Existenz eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage als eigenständiges Rechtsinstituts bis heute keine Einigkeit, wenn auch die überwiegende Meinung nicht mehr hierüber, sondern nur noch um den Inhalt streitet. Die überwiegende Meinung leitet das Rechtsinstitut heute aus § 242 BGB ab 6 • Die Gegenmeinung betont hingegen, daß dieses der gesetzlichen Wertung des BGB widerspriche. Tatsächlich stand der historische Gesetzgeber des BGB den damals diskutierten Vorläufern der Geschäftsgrundlagenlehre, also der clausula rebus sic stantibus und der Lehre von der unentwickelten Bedingung, aus Sorge vor einer möglichen Rechtsunsicherheit und der Entwertung der Vertragstreue zurückhaltend gegenüber8 • Dementsprechend hielt das BGB mit den Bestimmungen über die außerordentliche Kündigung zunächst nur einen auf Dauerschuldverhältnisse beschränkten Rechtsbehelf bereit. Für andere Verträge wurde ein solcher bewußt nicht vorgesehen. Damit scheint der Weg zu einem eigenständigen Rechtsinstitut verschlossen. Auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts lehnte folgerichtig eine allgemeine clausula-Lehre zunächst entschieden ab9 • Die Problemlösungen wurden, wie von der Mindermeinung gefordert, vornehmlich über die Vertragsauslegung, die Irrtumslehre, das Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 22. Alt. BGB) und das Unmöglichkeitsrecht gesucht lO •
4 So Horn AcP 181,255 ff. - 276 ff. - dagegen zu Recht Soergel- Teichmann, § 242 Rz.262. 5 So auch Hilger FS Larenz 1983 S. 251, wenn sie betont, daß die Verhandlungspflicht wohl oft vergessen werde, weil die Rechtsfrage immer nur vor die Gerichte kommt, wenn eine Einigung mißlingt. 6 RGZ 103, 328; BGHZ 61, 153 ff; Palandt - Heinrichs, § 242 Rz. 113; m.w.N. Erman - Sirp, § 242 Rz. 166. 7 Flurne, Das Rechtsgeschäft, § 26. 8 Vgl. m.N. Darstellung bei Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 203 und 205. 9 Grundlegend RGZ 50, 255 ff. - 257; noch nach dem ersten Weltkrieg zögernd RGZ 86,398; RGZ 90, 374. 10 Vgl. etwa einzelne Analogien zu §§ 609 BGB und §§ 626, 723 BGB in RGZ 60, 56 ff. - 60; RGZ 65, 185 ff. - 188; RGZ 65,37; RGZ 78, 385; RGZ 78, 421; RGZ 79, 151 ff. - 161.
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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Eine Änderung dieser Entwicklung trat im Gefolge des ersten Weltkrieges ein, als die Durchführung langfristiger Verträge wegen der Inflation für die sachleistenden Vertragsparteien unerträglich wurde. Zunächst versuchte die Rechtsprechung dieser Sozialkatastrophe mit der Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit zu begegnenlI, doch schloß sie sich schnell der seinerzeit von Oenmann l2 entwickelten Lehre von der Geschäftsgrundlage an13 • Ohne die Diskussion vollständig durchdringen und im Rahmen dieser Arbeit würdigen zu können, indiziert die immer wieder stattfmdende Anwendung der Geschäftsgrundlagenlehre, daß sie für eine interessenorientierte Rechtswissenschaft unumgänglich ist l4 . Auch ihre Gegner versuchen schließlich, durch entsprechende Anpassungen im BGB den nach ihren Vorstellungen notwendigen Ausgleich in gewissen Fällen zu schaffenl5 . Diese Entwicklung und die Notwendigkeit für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat der Gesetzgeber letztlich insoweit anerkannt, als er in § 60 VwVfG des Bundes - in den meisten Landesverwaltungsverfahrensgesetzen bestehen wortgleiche oder entsprechende Bestimmungen - für den öffentlich-rechtlichen Vertrag ein solches Institut tatbestandlieh etabliert hat. Daher kann die ursprüngliche Auffassung des historischen Gesetzgebers heute nicht mehr durchschlagen. Vielmehr ist auf die gesetzliche Anerkennung in anderen Gesetzen zu verweisen l6 . Gegen ein eigenständiges Rechtsinstitut wird von der Mindermeinung weiter vorgebracht, daß die generalklauselartigen Voraussetzungen den Grundsatz der Vertragstreue, wie auch die Rechtssicherheit, gefährdeten. Da jedoch auch die Gegenmeinung in gewissen Grenzen die Geschäftsgrundlage im Rahmen der Grundsätze der Auslegung, der Irrtumslehre und des Unmöglich11 RGZ 88, 71ff. - 74; RGZ 90, 102 ff. -105; RGZ 92,87 ff. - 88; RGZ 93,341 ff. 342· RGZ 94, 45 ff. - 47; RGZ 94, 68. d Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. l3 Tendenziell schon in RGZ 99, 115 ff. - 116; RGZ 100, 129; RGZ 103, 177; grundlegend unter ausdrücklicher Berufung auf die Geschäftsgrundlagenlehre RGZ 103, 328 ff. 14 Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 316 f.; Soergel - Teichmann, § 242 Rz. 222 spricht zutreffend von einem Restbestand der nicht sinnvoll durch das Leistun?sstörungsrecht mit seinen starren Folgen bewältigt werden kann. 1 Flume, Das Rechtsgeschäft, § 26 S. 494 ff. - 525 ff.; vgl. Staudinger - Schmidt, § 242 Rz. 1031, der jedoch die Fallgruppen differenzierend auswerten und eigenen Normen unterstellen will. Er verfolgt insoweit also lediglich die Aufgabe eines einheitlichen Rechtsinstituts des "Wegfalls der Geschäftsgrundlage", daß er durch eine Vielzahl konkreterer Normensysteme ersetzen will. Diese entwickelt er sodann ab Rz. 1140 ff. 16 Zu weiteren Fällen gesetzlicher Anerkennung vgl. Staudinger - Schmidt, § 242 Rz. 973 ff.
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keitsrechts berücksichtigen will 17 , führt sie letztlich nur zu einer Verschiebung des Meinungsstreites. Denn es wird zwar nicht mehr im Rahmen der Geschäftsgrundlagenbestimmung, doch dafür beim Motivirrtum, dem Unmöglichkeitsrecht oder der Vertragsauslegung genauso wertend entschieden werden müssen, ob eine abweichende Entwicklung zur Anfechtung oder anderen Hilfsmitteln berechtigen soll 18 • Die tatsächlichen Unsicherheiten bleiben bestehen. Folglich führt die Aufgabe des Rechtsinstituts vom Wegfall der Geschäftsgrundlage tatbestandlich nicht zu mehr Rechtssicherheit. Im Gegenteil ist festzuhalten, daß für die Geschäftsgrundlage eine Fallkasuistik entwickelt wurde, die mittlerweile einige Rechtssicherheit erzeugt. Eine abschließende Definition ist allerdings schon deshalb nicht zu erwarten, weil solche generalklauselartigen Instrumente benötigt werden, um im Rahmen interessenorientierter Rechtswissenschaft auf neue Sach- und Rechtsprobleme reagieren zu können. Ohnehin ähnelt trotz aller Unterschiede die Subsumtion unter abstrakte Rechtsbegriffe häufig dem case-Iaw. Schließlich betont die Mindermeinung, daß es keinen besseren Garant für die inhaltliche Richtigkeit eines Vertrages geben könne, als die Vertragspartner selbst, weil nur die Parteien das Recht und die Einsicht hätten, ihre gegenseitigen Bedürfnisse ausgewogen zu regeln. Dieser Anpassung hafte daher eine gewisse hoheitliche Inhaltskontrolle an, die mit der Privatautonomie nicht im Einklang stünde l9 • Auch diese Begründung vermag nicht zu überzeugen, weil die Wahl zwischen unveränderter Vertragsfortsetzung und Vertragsbeendigung bzw. -beseitigung dazu führt, daß hauptsächlich die Interessenlage einer Seite durchschlägt. Das Vertrauen auf die materielle Richtigkeit des synallagmatischen Vertrages nach dem Prinzip "do ut des" kann bei etwaigen Nachverhandlungen nicht mehr erreicht werden, wenn der Vertrag schon teilweise durchgeführt wurde und damit die Vertragsfreiheit durch die bereits teilweise erbrachten Leistungen und Rückgewährpflichten etc. ohnehin nur noch in beschränktem Maße besteht. Die Fälle des Geldwertverfalls nach den Kriegen machen dies besonders deutlich. Wird ein Kaufvertrag gleichlautend durchgeführt, erhält der Verkäufer einen Gegenwert für seine Sachleistung, der mit der ursprünglichen Wertvorstellung beider Parteien nichts mehr gemein hat. Hat der Käufer schon erhebliche Anzahlungen geleistet und man gewährt dem Verkäufer ohne weiteres ein Recht zur Vertragsaufhebung, so erhält der Käufer wirtschaftlich weniger zurück, als er dem Verkäufer bereits erbracht hatte. Die Anpassung gewährt hingegen die Möglichkeit einer angemessenen Beachtung der gegenseitigen Interessen. Insoweit droht keine richFlume, Das Rechtsgeschäft, § 26 S. 494 ff. - 525ff. Zutreffend Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 49, so auch Staudinger - Schmidt, § 242 Rz. 871 f. der selbst die Geschäftsgrundlagenlehre ablehnt. 19 Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft § 26 S. 527 f. 17
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F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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terliche Inhaltskontrolle, weil sie nur auf den veränderten Umständen beruhen darf. Der Richter hat bei der Rechtsfolgenfeststellung die im ursprünglichen Vertrag getroffenen Wertungen und das Verhältnis der auszutauschenden Leistungen zueinander zu wahren und darf sie gerade nicht durch eine neue nach seiner Ansicht angemessenen Regelung ersetzen20 • Letztlich sieht sich auch die Mindermeinung gezwungen, die richterliche Anpassung selbst für Unterhaltsvereinbarungen anzuerkennen21 • Es wird daher im folgenden auch neben der gesetzlichen Regelung des § 626 BGB vom Wegfall der Geschäftsgrundlage als eigenständigem Rechtsin-
stitut ausgegangen, wobei die tatbestandlichen Voraussetzungen bereits bei der außerordentlichen Kündigung umfassend dargestellt worden sind22 • Insoweit braucht nicht erneut darauf eingegangen zu werden, daß der Tatbestand uneingeschränkt anwendbar ist. Ein schützenswertes Vertrauen der Normenunterworfenen besteht insoweit nicht. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Betriebsvereinbarung auf vertraglicher Basis zu stellen, beinhaltet eben diese Unsicherheit für die Arbeitnehmer23 • Ob zu schützendes Vertrauen im Hinblick auf die Rechtsfolgenseite besteht, wird vornehmlich bei der Frage rückwirkender Anpassungen erdienter Besitzstände noch zu prüfen sein. Folglich ist im Falle einer wirtschaftlichen Notlage bei bestehender Sanierungschance ein Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben. Ein solcher kommt außerdem schon vor einer betrieblichen Krise in Betracht, wenn bestimmte Faktoren zur Grundlage der Vereinbarung gemacht wurden.
2. Rechts/olgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Zivilrecht Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist vornehmlich die Vertragsanpassung an die veränderten Umstände. Dabei geht es nicht um eine 20 Vgl. BGHZ 62,314 ff. -316 = DB 1974, 1282; BGH DB 1975, 1356 ff. - 1357; BGH WM 1978,228; OLG München NJW-RR 1994,469; Lörcher DB 1996, 1269 ff.1272; so auch Fikentscher, Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 106 f., wenn er ausführt, die vertragliche Risikostruktur müsse Umfang und Grenzen einer AnEassung begründen. I Flume, Das Rechtsgeschäft, § 26 S. 528; vgl. gegen die Mindermeinung auch die weiteren Ausführungen von Larenz, AT des BGB § 20 III S. 385 f. 22 Vgl. oben E II I b S. 162 ff. und insbesondere E III S. 167ff. 23 So hält den auch die h.M. den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Betriebsvereinbarungen für anwendbar BAG AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG 52; Däubler I Kittner I Klebe, BetrVG § 77 Rz. 55; m.w.N. Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 222 f. Vordergründig ist allerdings der Ansatz von Wank FS Schaub S. 761 ff.- 786, der eine Unsicherheit der Normenunterworfenen unter Hinweis auf eine notwendige Erklärung des durch die Geschäftsgrundlagenstörung Berechtigten ablehnt. Denn die Unsicherheit besteht weiter, wenn der Erklärungsgegner die Berechtigung und damit die Wirksamkeit bestreitet.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
eigenmächtige Neubestimmung des Vertragsinhalts; vielmehr soll diese Anpassung die im Vertrag getroffenen Wertungen und das ursprüngliche Verhältnis der auszutauschenden Leistungen wiederherstellen, wenn sie sich in unzumutbarer Weise zum Nachteil einer Vertragspartei verändert haben24 • Sie zielt damit auf den Erhalt des Vertrages ab. Ist eine Anpassung nicht möglich, nicht ausreichend oder der anderen Vertragspartei nicht zumutbar, eröffnet der Wegfall der Geschäftsgrundlage das Recht zur sog. Vertragsaufsage. Diese entspricht bei Verträgen ohne Dauerschuldcharakter letztlich einem Rücktrittsrecht und wird häufig synonym so bezeichnee5 • Beim Dauerschuldverhältnis wird die Vertragsaufsage von der außerordentlichen Kündigung verdrängt, soweit sie nur mit zukünftiger Wirkung erfolgt. Daneben kommt bei Dauerschuldverhältnissen schließlich eine rückwirkende Vertragsaufsage in Betracht26 • Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur nehmen an, daß die veränderte Rechtslage bei einer Anpassung ipso facto mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage eintritt und von Amts wegen zu beachten ise7 • Teilweise wird hingegen an ein Gestaltungsurteil gedacht, das erst die Rechtsfolgen herbeiführt28 • Schließlich wird in der Lehre wohl überwiegend von einem Einrede- beziehungsweise Gestaltungsrecht der belasteten Partei ausgegangen29 • Abzulehnen ist jedenfalls die Meinung, daß erst ein Urteil die Veränderung der Rechtslage bewirkt. Obwohl es abweichend vom Vertrag die Vertragspflichten neu bestimmt, handelt es sich hierbei nur um die Feststellung, welche Rechtsfolgen sich im Einzelfall aus § 242 BGB ergeben. Daß dabei das 24 Vgl. BGHZ 62, 314 ff. -316 = OB 1974, 1282; BGH OB 1975, 1356 ff. - 1357; BGH WM 1978, 228; OLG München NJW -RR 1994, 469; Lörcher OB 1996, 1269 ff. 1272; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 356f.; so auch Fikentscher, Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 106f., wenn er ausführt, die vertragliche Risikostruktur müsse Umfang und Grenzen einer Anpassung begründen. 25 Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 359. 26 Ob der Wegfall der Geschäftsgrundlage und damit die Möglichkeit einer Vertragsanpassung oder rückwirkenden Vertragsaufsage bei Oauerschuldverhältnissen gänzlich durch das Rechtsinstitut der außerordentlichen Kündigung verdrängt wird, ist umstritten und soll einer gesonderten Prüfung -- s.u. F VI - Seite 248 ff. -- vorbehalten bleiben. 27 BGH NJW 1972, 152; Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 262. 28 Vgl. m.w.N. Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 167 ff -172ff.; insoweit mißverständlich RGZ 100, 129; BGH NJW 1952, 137, wo von Rechtsgestaltung durch Urteil die Rede war. 29 Blomeyer Anm. zu BAG ArbRBlattei (0) Wegfall der Geschäftsgrundlage - Entscheidung I; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 359f.; m.w.N. Köhler FS Steindorff 1990 S. 615 f.; vgl. für den Tarifvertrag Belling NZA 1996, 906 ff. - 909; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 785.
F. WegfaIl der Geschäftsgrundlage
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Gericht einen Beurteilungsspielraum hat, beruht allein auf der Generalklausei des § 242 BGB, der keine konkreten Rechtsfolgen benennt. Der tatsächliche Beurteilungsspielraum bei Generalklausein ist nach juristischer Methodik kein rechtlicher Entscheidungsspielraum, sondern reine Rechtsanwendung, wenn auch faktisch ein Beurteilungsspielraum nicht abgestritten werden kann. Insoweit ist der Begriff eines verdeckten Gestaltungsurteils30 faktisch zutreffend31 • Man muß sich aber vor Augen halten, daß die materielle Rechtsänderung aus juristischer Sicht bereits vorher erfolgt ist. Die Annahme einer automatisch veränderten Rechtslage wird von der Rechtsprechung damit begründet, daß der Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben ist. § 242 BGB sei als Grundgebot der Redlichkeit sowohl unabdingbar als auch von Amts wegen zu beachten. Weil kein Grund bestehe, von diesem Prinzip beim Wegfall der Geschäftsgrundlage abzuweichen, erfolge hier eine Veränderung der Rechtslage ipso jure mit dem Eintritt der Voraussetzungen, ohne daß es noch eines weiteren vollziehenden Aktes bedarf, etwa eines Urteils oder einer Erklärung des Berechtigten. Der Inhalt eines Austauschverhältnisses mag nach den §§ 134 und 138 BGB nichtig sein, wenn die Rechtsordnung die Durchführung nicht hinnehmen will. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht demgegenüber die Treuwidrigkeit nicht darin, daß der Vertrag durchgeführt und seine Leistungen wie vereinbart ausgetauscht werden. Die Unredlichkeit liegt vielmehr darin begründet, daß die Verpflichtung allein aus einer früheren Willenserklärung des Schuldners folgt, obwohl die uneingeschränkte Bindung an seine Willenserklärung wegen der Veränderung der Gesamtsituation unzumutbar geworden ist. Wird ein Gegenrecht aus § 242 BGB eingeräumt, beruht eine Verurteilung auch darauf, daß der Berechtigte sich aufgrund privatautonomer Entscheidung nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft. Diese Befugnis genügt seinem Schutz, so wie es den Vertragsparteien ohnehin prozessual freisteht, ob und wie sie Rechtsansprüche im Zivilprozeß geltend machen, und welchen Sachverhalt das Gericht aufgrund ihres Vortrages der Entscheidung zugrunde zu legen hat. Schließlich gerät die Rechtsprechung in einen Wertungswiderspruch zum gesetzlich geregelten Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde für Dauerschuldverhältnisse32 • Dort handelt es sich unstreitig um ein Gestaltungs30 Haarmann, WegfaIl der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen, S. 10Hf. 31 Vgl. zu diesem Paradoxum zwischen dogmatischer VorsteIlung und Realität Rieble, KontroIle des Ennessens der EinigungssteIle S. 65 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassun?srechts Rz. 76 spricht insoweit auch von der "Lebens lüge der Juristen". 3 Darüber hinaus sehen sogar gesetzliche Anpassungsregeln eine Erklärung vor und machen von dieser auch die Anpassung abhängig - vgl. etwa § 593 Abs. 3 BGB oder § 4 Abs. 3 MHRG; ausfIihrIich hierzu Köhler FS Steindorff 1990 S. 612 ff.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
recht, das der Berechtigte dann ausüben muß, wenn der wichtige Grund in einer Geschäftsgrundlagenstörung liegt. Ein Anlaß, diese Störung beim Dauerschuldverhältnis nur nach einer Kündigung, im übrigen aber von Amts wegen zu berücksichtigen, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Insoweit ist die Rechtsprechung nicht konsequent, weil sie bei einem Rücktritt wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, also der Vertragsaufsage, eine Rücktrittserklärung verlange 3 • Deshalb ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage als Gestaltungs- bzw. Einrederecht aufzufassen. Freilich ist dieser Streit für die gerichtliche Praxis von untergeordneter Bedeutung, weil sich der Berechtigte während des Prozesses regelmäßig auf den Wegfall berufen wird. Selbst wenn er lediglich eine fortgeltende Vertragsbindung bezweifelt oder allein die veränderten Umstände dartut, wird damit konkludent das Gegenrecht ausgeübt. Außerdem hat der Richter zumindest den nicht anwaltlich vertretenen Berechtigten gemäß § 139 ZPO auf ein Gegenrecht hinzuweisen. Hat dieser in Unkenntnis der veränderten Umstände oder seiner Rechtsmacht die Leistung ohne gerichtliche Durchsetzung bewirkt, kann er diese gemäß §§ 813 Abs. 1, 814 BGB oder gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 1. Alt. BGB (condictio ob causam fmitam) zurückfordern je nachdem, ob man von einer Einrede oder einem Gestaltungsrecht ausgeht. Damit bleibt von der Rechtsfolge her noch zu klären, ob der Wegfall der Geschäftsgrundlage ein Gestaltungsrecht oder eine Einrede im Sinne des BGB darstellt. Unter einem Gestaltungsrecht versteht man die Rechtsmacht einer Person, durch einseitige Willenserklärung ein Rechtsverhältnis zu begründen, inhaltlich zu bestimmen, zu verändern oder zu beenden. Ein Wesensmerkmal dieses Rechtes ist es, erst durch seine Ausübung Rechtsfolgen zu erzeugen, die allerdings auch in die Vergangenheit wirken können - etwa bei der Anfechtung. Es ändert die materielle Rechtslage 34 • Die Einrede im Sinne des BGB ist ein prozessuales Gestaltungsmittel, welches nach der wohl h.M. auch ein Gestaltungsrecht ist. Anders als das gewöhnliche Gestaltungsrecht erzeugt die Einrede zwar schon vor Erhebung materielle Rechtsfolgen, wie z.B. gemäß § 390 S. 1 BGB, wonach eine Aufrechnung gegen eine einredebehaftete Forderung nicht zulässig ist. Andererseits soll es allein die Durchsetzung einer fortbestehenden Rechtslage verhindern35 • Gerade dies genügt für den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht. Schon wenn als Rechtsfolge die Leistungspflicht des Berechtigten herabgesetzt 33 BGHZ 101, 143 ff. - 150; zuletzt BGH NJW 1993, 1641 ff. - 1642 428 ff. - 430. 34 Vgl. Larenz, AT des BGB, § 13 11 7 S. 209f. 35 Vgl. mwN. Larenz, AT des BGB, § 1411 236 ff. - 238 f.
=
ZIP 1993,
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wird, könnte man nur eine dauernde Hemmung der Durchsetzung annehmen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage soll das Vertragsverhältnis an die neuen Umstände anpassen. Dem entspricht eine echte Veränderung des gesamten Rechtsverhältnisses. Dies muß erst recht in den Fällen gelten, in denen der Vertrag durch eine Erhöhung der Leistungspflicht des Vertragspartners angepaßt wird. Spätestens hier versagt eine Einrede. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet demnach ein Gestaltungsrecht des Berechtigten mit dem Wahlrecht zwischen Anwendung und Nichtanwendung, während die konkreten Rechtsfolgen aus § 242 BGB abzuleiten und notfalls gerichtlich festzustellen sind. Der Berechtigte kann deshalb die genauen Rechtsfolgen nicht selbst bestimmen. Praktisch führt er allerdings die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung herbei, indem er sein Gestaltungsrecht ausübt und sich entsprechend seiner Vorstellung von der neuen Rechtslage verhält. Soweit es um die Reduktion der eigenen Pflicht geht, wird er seine Leistung auf das nach seiner Ansicht richtige Maß anpassen oder den Vertrag als aufgehoben betrachten. Will er hingegen eine Mehrleistung des anderen Vertragsteils erwirken, muß er notfalls Leistungsklage erheben. Ist die Gegenseite mit einer vorgenommenen Kürzung nicht einverstanden, weil sie z.B. eine andere Bewertung vornimmt, so bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihrerseits Klage zu erheben. Folglich entscheidet im Streitfalle das angerufene Gericht abschließend über die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im konkreten Einzelfall. Dies ist dogmatisch eine Rechtsentscheidung, mit der eine schon veränderte Lage festgestellt wird. Es handelt sich nicht um ein Gestaltungsurteil. Für die weitere Bearbeitung bleibt festzuhalten, daß der Wegfall der Geschäftsgrundlage ein echtes Gestaltungsrecht eröffnet.
11. Der Eingriff in Besitzstände Im Gegensatz zur Kündigung können die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage normalerweise rückwirkend einen Vertrag verändern. Zwar entsteht grundsätzlich ein Individualanspruch, sobald alle tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Leistung aus einer Betriebsvereinbarung erfüllt sind, der sich vom weiteren Fortbestand dieser Vereinbarung emanzipiert. Doch würde eine rückwirkende Änderung der Betriebsvereinbarung dazu führen, daß nachträglich die damalige Anspruchsgrundlage entfällt. Bei der Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf Betriebsvereinbarungen tritt somit die Problematik auf, daß damit ein rückwirkender Zugriff auf er-
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
diente Besitzstände der Belegschaft einhergehen kann, der wie ausgeführt nur unter Beachtung des Vertrauensschutzes zulässig ise 6 • Somit stellt sich die Frage, ob und inwieweit erdiente Besitzstände durch eine Anpassung oder Aufhebung geschmälert oder gar beseitigt werden können. Man könnte einen solchen Übergriff der Grundlagenstörung von der Kollektivebene auf die entstandenen Individualansprüche damit begründen, daß der Gesetzgeber die Betriebsvereinbarung als Vertrag ausgestaltet hat und daher ein schützenswertes Vertrauen nicht bestehe. Insoweit wäre denkbar, daß man die Individualansprüche als mit den vertraglichen Fehlern und Leistungsstörungen der Betriebspartner belastet ansiehe 7 • So hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, daß die Betriebspartner bei einer Anpassung eines Sozialplanes an geänderte Verhältnisse in erwachsene Ansprüche eingreifen können. Es betont hierfür die bestehende Nähe zum Vertrag zugunsten Dritter und verweist insoweit auf den Einwendungsdurchgriff des § 334 BGB38 • Diese Wertung kann in ihrer Allgemeinheit nicht überzeugen. Der Verweis auf den Vertrag zugunsten Dritter ist verfehlt. Dort geht es um die Frage, ob ein Dritter Fehler im Deckungsgeschäft zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem gegen sich gelten lassen muß. Dies ist in jenem Zusammenhang interessengerecht, weil aus der Sicht des Versprechenden die Person von Leistung und Gegenleistung im Synallagma auseinanderfallt. Er leistet schließlich nur an den Dritten, um vom Versprechensempfänger die Gegenleistung zu erlangen, was letztlich dem Gedanken des § 320 BGB entspricht. § 334 BGB erhält demnach die synallagmatische Verbindung des Leistungsaustausches in einem Dreiecksverhältnis39 • Die Betriebsvereinbarung wirkt hingegen normativ auf das individualrechtliche Austauschverhältnis ein. Die Leistungen werden nur in diesem zweiseitigen Individualverhältnis erbracht. Eine uneingeschränkte Ausstrahlung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf die individuelle Leistungsebene mißachtet daher, daß die erworbenen Besitzstände bereits in der Vergangenheit durch Erfüllung aller Tatbestands36 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 430; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 38 ff. 37 Vgl. BAG NZA 1995,845 ff. - 849, wo es heißt" Wenn aber kollektivvertraglichen Regelungen die Schwäche der rückwirkenden Abänderbarkeit durch eine gleichrangige Norm in sich tragen, ist diese Schwäche auch den aus ihnen entstandenen Ansprüchen immanent."; tendenziell wohl auch Hilger FS Larenz 1983 S. 253; Stege / Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 31f. 38 BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff - 318 = DB 1995, 1240 ff; so auch Meyer, NZA 1995, 974 ff. - 984; bestätigt durch BAG BB 1996, 2624 f. = NZA 1997,109 ff. 39 Erman - Wetsermann, § 334 Rz. 1; Palandt-Heinrichs, § 334 Rz. 1.
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merkmale entstanden sind. Seit diesem Zeitpunkt greift eine rückwirkende Schmälerung oder Beseitigung in den Kernbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ein, dessen Schutzbereich "wohlerworbene Ansprüche und Rechte" umfaßt40 • Daher müssen die Arbeitnehmer prinzipiell darauf vertrauen können, daß der von ihnen erworbene Anspruch Bestand hat. Ein Zugriff muß mit der normativen Wirkung und der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG vereinbar sein. Deshalb sind die Rechtsgrundsätze rückwirkender Rechtsänderungen auch beim Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betriebsvereinbarungen einschlägig, und zwar auch bei Sozialplänen. Es geht daher nicht an, unter Berufung auf den Gedanken des § 334 BGB rückwirkende Eingriffe zuzulassen, ohne zu prüfen, ob hierdurch ein schützenswertes Vertrauen der Arbeitnehmer verletzt würde. Lehnt man ein Vertrauen ab, weil jeder Arbeitnehmer mit einem solchen Einwendungsdurchgriff generell rechnen müßte, würde man wiederum jeglichen Vertrauensschutz de facto versagen. Es wurde bereits dargelegt41 , daß man auch im Umkehrschluß unter Hinweis auf den Vertrauens- bzw. Besitzstandsschutz solche rückwirkende Eingriffe nicht generell ablehnen und damit die Beschränkung einer Anpassung oder Aufhebung auf die Zukunft rechtfertigen kann, wie es teilweise vertreten wird42 • Der Nutzen einer Vertragsanpassung hängt daher entscheidend von der Reichweite und den Grenzen des Vertrauens schutzes ab. Soweit ein Eingriff aus Vertrauensgrundsätzen aussscheidet, kann diese Möglichkeit praktisch wertlos sein, sofern die bereits erworbenen Ansprüche umfangreich sind. In der Praxis wirkt sich dies vornehmlich bei Betriebsrenten und Sozialplänen aus. Bei der Betriebsrente ist mit Eintritt der Unverfallbarkeit schon ein Individualanspruch gegeben. Dies bedeutet, daß bei einer betrieblichen Altersversorgung aufgrund Betriebsvereinbarung Individualansprüche auf zukünftige Leistungen bestehen, obwohl der Berechtigte noch Jahrzehnte berufstätig sein muß. Erst danach beginnt die konkrete Leistungspflicht, die in der Regel mit dem Tod des Berechtigten oder gar seiner Witwe und der abgeschlossenen Ausbildung der Waisen endet. Folglich kann eine solche Betriebsvereinbarung noch viele Jahrzehnte nach einer Anpassung oder ihrem Ende fortwirken. Ähnlich verhält es sich bei Sozialplänen, wenn eine Abfmdung nicht durch Einmalleistung, sondern durch teilweise mehrjährige Monatszahlungen er40 Vgl. BVerfGE 53, 257 ff. - 287 ff; BVerfGE 69, 272 ff. - 298 ff.; m.w.N. Maunz/ Herzog/ Dürig, GG Art. 14 Rz. 30 ff. 41 s.o. Erster Teil, B I - Seite 90 ff. 42 So aber Dietz/ Richardi, BetrVG § 77 Rz. 141; Bürger/ Stübing, ArbRBlattei (D) Wegfall der Geschäftsgrundlage C. 11.
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Zweiter Teil: Einseitige GestaItungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
folgt. Selbst bei Einmalleistungen ist es möglich, daß mit Abschluß des Plans die vorgesehenen Leistungen sogleich zu Individualansprüchen erstarken. Nachdem somit die praktische Bedeutung dargestellt ist, soll nunmehr der Frage nach etwaigen Rechtfertigungsmomenten für einen rückwirkenden Eingriff nachgegangen werden. Hierzu soll zunächst die Rechtsprechung und Literatur zum Widerruf betrieblicher Ruhegeldleistungen wegen wirtschaftlicher Notlagen auf einen allgemeingültigen Rechtfertigungsgrund hin untersucht werden, der auch hier weiterhelfen könnte. Dort läßt die h.M. einen Eingriff in Individualansprüche des Arbeitnehmers durch einen "Widerruf" zu und streitet über die Begründung43 , während eine Gegenmeinung dieses Widerrufsrecht entschieden ablehnt44 • Bei der Bewertung der Rechtfertigungsgründe für einen derartigen Eingriff ist zu beachten, daß es nunmehr um Individualansprüche aus jeglicher Rechtsgrundlage gehen kann, also aus dem Individualvertrag ebenso wie aus einer Gesamtvereinbarung, soweit nicht explizit auf Besonderheiten der Betriebsvereinbarung Bezug genommen wird.
1. Rechtjenigung aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses als Gejahrengemeinschajt und dem Solidaritätsgedanken Teilweise ist die Schmälerung individueller Ansprüche und Besitzstände mit einer Verpflichtung des Arbeitnehmers gerechtfertigt worden, die aus seiner Gefahrengemeinschaft mit dem Arbeitgeber oder seiner Betriebsgemeinschaft mit den anderen Arbeitnehmern folgen soll. Oft wird dazu auch auf die Solidarität der Arbeitnehmer verwiesen. Es ist daher zu prüfen, ob eine solche Gemeinschaft besteht, die rechtlich relevant ist. a) Personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis mit dem Arbeitgeber Das personenrechtliche Gemeinschaftsverhältnis mit dem Arbeitgeber soll sich aus dem personalen Charakter des Arbeitsvertrages ergeben45 • Dem liegt 43 BAGE 24, 163 ff. = AP NT. 154 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; BAG in AP Nr. 157; 175; 177 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; BAG AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage; Heither BB 1992, 145 ff. - 146; Hälters OB 1975, S. 2179 ff. - 2184; Wiedemann FS Stimpel 1985, S. 972 ff; Frey AuR 1956, 193 ff. - 195; Säcker, Gruppenautonomie und Ubermachtkontrolle, S. 412f.; Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, S. 261; Molitor, Erich RdA 1952, S. 124 ff.; Westphal, Betriebliche Ruhegelder, S. 71 ff.; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 23f. 44 Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung, S. 127 ff. - 134; B10meyer NZA 1985, I ff. - 2; kritisch auch GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 279. 45 Insbesondere auf der Grundlage der genossenschaftlichen Theorie Otto von Gierkes - Isele FS Maridakis 1963, 296; ferner Hueck, Alfred Treuegedanke im Privatrecht, S. 12 f.; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 36; Kauffmann OB 1966, S. 33 ff. - 35;
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der Gedanke zugrunde, daß der Arbeitnehmer nicht nur seine Arbeitsleistung, sondern sich selbst umfänglich in das Arbeitsverhältnis einbringt. Hiermit wird zunächst begründet, daß Arbeit keine "Ware" ist und der Arbeitsvertrag daher keinen reinen "Warencharakter" hat46 • Dem kann ohne weiteres zugestimmt werden, weil andernfalls die gesetzlichen und tariflichen Regelungen nicht zu erklären sind, die dem Schutz der Person und nicht der Bewertung dieser Arbeitsleistung dienen47 • Insoweit sei insbesondere auf die umfänglichen Bestimmungen und Rechtsfortbildungen verwiesen, die die Lohnfortzahlung trotz Ausfalls der Arbeitsleistung entsprechend dem Schlagwort "Lohn auch ohne Arbeit" betreffen. Über diesen Ansatz hinaus wird sodann unter Betonung des personalen Einschlags ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis zum Arbeitgeber angenommen, aus dem eine besondere Fürsorge- und Treuepflicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer folge 48 • Teilweise wird dem Arbeitsverhältnis sogar gesellschaftsrechtliche Qualität beigemessen49 • Soweit mit einem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis umfangreichere Fürsorge- und Treuepflichten im Hinblick auf die stärkere Einbindung der Person des Arbeitnehmers als bei üblichen Austauschverträgen begründet werden sollte, ist dies nicht erforderlich. Es ist heute anerkannt, daß neben den Hauptpflichten verschiedene Nebenpflichten bestehen, die von der Intensität der Leistungsbeziehung abhängen50 . Letztlich wird hier ein Zirkelschluß vorgenommen. Die erhöhten Fürsorge- und Treuepflichten sollen wegen des personalen Einschlags bestehen und daher ein Gemeinschaftsverhältnis vorliegen. Der personale Einschlag ist letztlich ein Synonym für das besondere Gemeinschaftsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, so daß im Ergebnis die Fürsorge- und Treuepflicht ihrerseits aus dem Gemeinschaftsverhältnis gefolgert wird, das sie rechtfertigen soll51. Der Komplex "Fürsorge" ist im Arbeitsrecht zumeist durch Gesetz oder Gesamtvereinbarungen speziell vorgegeben und bedarf keiner Herleitung aus Balkenkohl, Beseitigung oder Kürzung von Ruhegeld, S. 27; Hersehel, Arbeitsrecht S. 84; Heissmann RdA 1957,251 ff. - 252 ff.; Kritik m.w.N. bei Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 40 ff. 46 Lotmar, Der Arbeitsvertrag Bd. I S. 7; Sehwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 33. 47 Sehwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 86. 48 RAG ARS 25,5 ff. - 14. 49 Hanau. Peterl Adomeit, Arbeitsrecht S. 156 ff; vgl. aber auch Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 34 ff., der trotz gewisser ParalelIen die Unterschiede deutlich aufzeigt. 50 Fabrieius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 27f.; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 34 f. 51 Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 34. 14 Beathalter
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
§ 242 BGB. Derartige Regelungen beruhen auf keinem Gemeinschaftsverhältnis , sondern folgen dem Arbeitnehmerschutzgedanken. Hieraus kann keine umgekehrte besondere Treuepflicht des Arbeitnehmers gefolgert werden52 . Das Arbeitsrecht zeichnet sich gerade durch seine einseitige Schutzrichtung zugunsten des Arbeitnehmers aus. Nur er ist regelmäßig in der persönlichen und wirtschaftlich abhängigen Position, die ihn als gleichgestellten Verhandlungspartner des Arbeitgebers untauglich macht53 . Der Geldgeber muß sich hingegen nicht selbst als Individuum einbringen. Bei mittelständigen und größeren Unternehmen tritt meist eine Kapitalgesellschaft als Arbeitgeber auf, deren Geschäftsleitung nicht einmal bei den Gesellschaftern zu liegen braucht. Hinzu kommt die wirtschaftliche Macht und Unabhängigkeit durch die häufig sehr teuren sächlichen Produktionsmittel. Das Arbeitsrecht ist daher als Arbeitnehmerschutzrecht ausgestaltet. Eine besondere Berechtigung zur Anspruchs schmälerung über allgemeine schuldrechtliche Grundsätze hinaus ist ihm folglich wesensfremd und kann wegen des potentiellen Machtungleichgewichts nicht als Korrelat zum Arbeitnehmerschutz begründet werden. Insoweit ist zu Recht immer wieder darauf hingewiesen worden, daß nicht einzusehen ist, warum ausgerechnet der Arbeitnehmer Gläubiger zweiter Klasse sein so1l54 , obwohl es bisher keine solche Beschränkung sonstiger Gläubiger gibt, bei denen auch ganz erhebliche Abhängigkeiten bestehen können. Man denke etwa an spezialisierte Zuliefererfirmen - zum Beispiel für Autohersteller -, deren Maschinen nur Teile für bestimmte Automarken fertigen können. Diese Gläubiger sind ebenfalls auf Verdeih und Verderb an ihren Abnehmer gebunden.
Ferner ist die Ableitung eines Gemeinschaftsverhältnisses zum Arbeitgeber aus der Nähe zum Gesellschaftsrecht nicht überzeugend55 . Neben der Frage, ob eine solche allein wegen der Einbindung in den Betrieb und dem Interesse am Betriebsfortbestand schon zu begründen ist, sprechen zwei Gesichtspunkte gegen die Übernahme gesellschaftsrechtlicher Grundsätze. Zum einen widerspricht die Unterordnung der Arbeitnehmer unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers dem Grundgedanken des Gesellschaftsrechts, wonach gleichgestellte Gesellschafter gemeinsam über Wohl und Wehe der Gesellschaft entscheiden56 . Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß 52 Vgl. Grunsky JuS 1970, 16 ff.- 17ff, der eine besondere Treuepflicht über die allgemeinen Zivilrechtsgrundsätze hinaus im Hinblick auf den Arbeitnehmerschutzgedanken sogar als "juristisches Eigentor" bezeichnet, S.18. 53 Vgl. hierzu v. Arnim, Verfallbarkeit von Ruhegeldanwartschaften, S. 46 ff. 54 Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 30 f. 55 In dieser Richtung insbesondere Adomeit, Gesellschaftsrechtliche Elemente im Arbeitsverhältnis insbes. S. 8 ff.; kritisch hierzu auch Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung, S. 55 ff. 56 Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 35.
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diese Grundsätze in vielen Gesellschaften durch den Gesellschaftsvertrag erheblich modifiziert werden. Man muß schließlich bei der Zuordnung zu den Vertragstypen des BGB von den dortigen Ausformungen ausgehen, weil sie der Grundvorstellung des Gesetzgebers von dem jeweiligen Vertrag entsprechen; ein Gedanke, der sich in § 9 AGBG widerspiegelt. Dementsprechend wird in Fällen, in denen Gesellschafter sich anderen Mitgesellschaftern unterordnen müssen und ihre Beteiligung am Gewinn sich einer gewöhnlichen Arbeitsentlohnung annähert, sogar die Abgrenzung zum Arbeitsvertrag in entgegengesetzter Richtung problematisch. Einer solchen gesellschaftsähnlichen Gemeinschaft widerspricht entscheidend, daß es als Gegenstück zur Beteiligung am Unternehmerrisiko durch Lohneinbußen an einer Teilhabe am Gewinn mangelt57 • Außerdem wird mit einer solchen Konstruktion der tatsächliche Interessengegensatz der Arbeitsvertragsparteien in unnatürlicher Weise überdeckt 58 • Schließlich kann nicht mit der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensleitung, insbesondere nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976, eine gesellschaftsähnliche Einbindung der Arbeitnehmer begründet werden59 , weil eine Beteiligung an der Unternehmensführung keine Mithaftung erfordert60 • Gerade bei Kapitalgesellschaften zeigt sich, daß Geschäftsleitung und Haftung für den Unternehmensmißerfolg nicht notwendigerweise miteinander verbunden sind. Dies beruht darauf, daß dort die Gesellschafter nicht selbst die Geschäftsführung ausüben müssen, sondern diese Dritten dienstvertraglich übertragen können, was auch häufig geschieht. Ziel der Mitbestimmung ist allein, zum Schutze der Arbeitnehmerschaft die Unternehmensleitung durch die Präsenz von Arbeitnehmervertretern auch an deren Interessen auszurichten. Diesem Zweck entspricht es nicht, im Gegenzug dem Arbeitgeber Zugriff auf erworbene Besitzstände der Arbeitnehmer zuzugestehen. Wollte man tatsächlich mit der Mitbestimmung eine Vergesellschaftung begründen, so müßte man sich der Frage stellen, wie der unterschiedliche Grad der Beteiligung nach Unternehmensgröße und -art bei der Mithaftung der Arbeitnehmer zu berücksichtigen ist. Nach alledem bleibt festzuhalten, daß es dem Schutzzweck des Arbeitsrechts widerspricht, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine personelle oder personenrechtliche Verknüpfung anzunehmen, die den Arbeitgeber zu Eingriffen in die Individualansprüche der Arbeitnehmer berechtigt. Ein solMünchKomm-Sällner, § 611 Rz.29. MünchKomm-Sällner, § 611 Rz. 123. 59 Vgl. Ehmann DB 1973, 1994 ff.- 1995; Erman-Küchenhoff, BGB, § 615 Rz. 18. 60 Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes S. 32f.; m.w.N. Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 56 f. 57 58
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ches Gemeinschaftsverhältnis ist daher mit der heute ganz h.M. abzulehnen61 und kann somit Eingriffe in die Rechte und Besitzstände des Arbeitnehmers nicht rechtfertigen62 • Vielmehr muß man Schwerdtner zustimmen, wenn er der Theorie eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses vorgeworfen hat, daß es sich um eine sprachliche Beschwörungsformel handelt63 •
b) Betriebliche Gefahrengemeinschaft / Solidarität der Arbeitnehmer Die Einschränkung individueller Ansprüche wird weiterhin mit einer betrieblichen Gefahrengemeinschaft sowohl zum Arbeitgeber als auch zu den übrigen Betriebsangehörigen gerechtfertigt. Dabei wird betont, daß der Arbeitnehmer wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Arbeitgeber ein eigenes Interesse an dessen weiterer Existenz haben müsse. Die Arbeitnehmer bildeten daher mit dem Arbeitgeber eine betriebliche Gefahrengemeinschaft, die Eingriffe in Einzelpositionen zulasse, wenn dies zu einer Betriebsrettung dringend erforderlich sei. Grundlage dieser Gemeinschaft soll demnach das gemeinsame Interesse am Betriebsfortbestand sein64 • Ferner wird darauf abgestellt, daß der Arbeitnehmer mit der Eingliederung in den Betrieb Mitglied der Belegschaft als faktischer Gemeinschaft wird. Soweit einzelne Arbeitnehmer aus ihrer persönlichen Situation heraus kein größeres Interesse an der Fortexistenz des Betriebes haben, insbesondere qualifizierte Arbeitnehmer und Betriebsrentner, wird deren Einbindung mit der sog. "Solidarität der Arbeitnehmer" begründet65 • Dabei geht es also nicht mehr um Selbstschutz, sondern um Beschränkung durch das Interesse der übrigen Belegschaft - " .. Niemand darf das Fundament gefährden, auf dem nicht nur sein Haus, sondern auch die Häuser seiner Arbeitskameraden gebaut sind. .. ,,66. Der erste Begründungsversuch für eine betriebliche Gefahrengemeinschaft ist das angebliche gemeinsame Interesse am Betriebsfortbestand. Dahinter
61 Vgl. m.w.N. Fenn AuR 1971, 321 ff.; Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 54 ff.; Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis S. 23 ff.; Wolf, Das Arbeitsverhältnis - Personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis oder Schuldverhältnis; Blomeyer RdA 1977, I ff. - 6 f.; Däubler DB 1993,781 ff. - 783. 62 Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 129 f. 63 Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 66 ff. 64 Balkenkohl, Beseitigung oder Kürzung von Ruhegeld, S. 28 f.; Kauffmann DB 1966, S. 33 ff. - 33; Hanau, Peter, Möglichkeiten zur Sanierung von Unternehmen, S. ll f. 65 In jüngster Zeit hat sich Adomeit NJW 1994,837 f. auf die Solidarität der Arbeitnehmer berufen und unter gewissen Umständen die Zulässigkeit auch ungünstiger Eingriffe in einzel vertragliche Regelungen und Rechte gefordert. 66 Hilger / StumpfFS Müller S. 209, 214; ähnlich Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 42.
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steht, genannt oder ungenannt, meist die Überlegung, der Betriebserhalt liege im wohlverstandenen Interesse der Arbeitnehmer, weil niemand "den Ast absägt, auf dem er sitzt", oder "das Fundament zerstört, auf dem sein und das Haus seiner Kollegen errichtet ist". Schon dieser Selbstschutzgedanke ist äußerst bedenklich. Es kann zwar nicht abgestritten werden, daß regelmäßig ein beiderseitiges Interesse am Betriebsfortbestand existiert. Im Falle einer Leistungskürzung kann aber generell kein vorrangiges Interesse aller Arbeitnehmer hieran festgestellt werden. Spezialisierte Arbeitnehmer oder Angehörige von Berufsgruppen, für die auf dem Arbeitsmarkt hohe Nachfrage besteht, kommen ohne nennenswerte Einbußen oft sogar unter Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zügig an eine neue Beschäftigung. Es ist insoweit verfehlt, von einem "unverständigen Beharren" zu sprechen67 • Weiterhin ist nach materiellem wie prozessualem Zivilrecht jeder unbeschränkt Geschäftsfähige völlig frei zu entscheiden, ob er einen erworbenen Anspruch ganz oder teilweise durchsetzen will. Es fmdet keine Kontrolle statt, ob seine Handlung für ihn "objektiv" vernünftig ist, was im Rahmen der Selbstbestimmung des Zivilrechts überdies auch kaum bewertbar wäre. Ausnahmen hierfür bedürfen daher einer besonderen Rechtsgrundlage, wie etwa dem Schikaneverbot des § 226 BGB oder der aus § 242 BGB abgeleiteten unzulässigen Rechtsausübung. Eine Regelung oder Fallgruppe nach § 242 BGB, die auf die vorliegende Konstellation anzuwenden wäre, ist nicht ersichtlich. Soweit Sozialpläne betroffen sind, würde diese Argumentation jedenfalls bei solchen Arbeitnehmern versagen müssen, die aus dem Betrieb ausscheiden sollen. Diese sägen nicht an ihrem Ast, sondern stürzen bereits68 • Folglich stellt sich die Frage, ob die Eingliederung in den Betrieb einem Gemeinschaftsbeitritt gleichkommt. Unterstellt man zunächst, daß diese bei soziologischer Betrachtung tatsächlich der Fall wäre, könnte man über die Anknüpfung entsprechender Rechtsfolgen nachdenken. Folglich müßte die Belegschaft zunächst eine faktische Gemeinschaft bilden. Dies setzt zumindest eine gemeinsame Zielrichtung voraus. Dazu genügt jedenfalls nicht, daß Arbeitnehmer mit den sächlichen Produktionsmitteln des Betriebes zusammengeführt werden, um den jeweiligen Arbeitserfolg zu erzeugen. Kann das einheitliche Interesse nicht der bloße Betriebsfortbestand sein, so stellt sich die Frage, worin dieser sonst liegen könnte. Genau diese Fragestellung zeigt letztlich, daß faktisch keine Gemeinschaft besteht. Die Arbeitnehmer verrichten ihre Tätigkeit zwar gemeinsam, ihre weiteren Interessen, und zwar auch beruflicher Art, sind von ihrem Charakter, ihrer Lebenssituation und -planung 67 68
So etwa Hanau, Peter, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 27. So denn auch Weitnauer ZfA 1977, 111 ff. - 133 f.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
etc. abhängig. Insbesondere kann der Fortbestand des Betriebes nicht als Grundlage des Arbeitsverhältnisses zum gemeinsamen Interesse erhoben werden, weil für Teile der Belegschaft - etwa gesuchten Facharbeitern - eine anderweitige Beschäftigung unproblematisch ist, und einzelne Arbeitnehmer möglicherweise schon unabhängig von der Betriebskrise eine neue Beschäftigung, etwa zur Förderung ihrer Karriere, suchen. Aus diesen erheblichen Differenzen folgt zwangsläufig, daß jeder Arbeitnehmer andere Interessen hat, die er auf seine Weise verfolgt. Einen gemeinsamen Zweck "der Arbeitnehmerschaft" oder "der Belegschaft" gibt es somit nicht, gerade weil sie keine homogene Masse ist69 • Fehlt damit eine tatsächliche Betriebsgemeinschaft, so bleibt zu prüfen, ob eine rechtliche Vergemeinschaftung der Arbeitnehmer besteht. Diese könnte man im Rahmen des BetrVG bei der Belegschaft annehmen wollen. Es wurde bereits ausgeführt, daß das Betriebsverfassungsgesetz lediglich eine betriebliche Schutzebene eingeführt und keine Rechtsgemeinschaft der Arbeitnehmer begründet hat. Eine solche würde gegen die negative Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG verstoßen. Somit bleibt als Grundlage für eine Gefahrengemeinschaft lediglich die "Solidarität der Arbeitnehmer" übrig, die den einzelnen verpflichten soll, zugunsten der Interessen der übrigen Kollegen auf seine Ansprüche zu verzichten. Diese Solidarität ist schon häufig beschworen und in Entscheidungen beiläufig als Rechtfertigungsgrund für Einschränkungen individueller Rechte angeführt worden70 . Maßgebender Gesichtspunkt war sie bisher nur in der früheren Rechtsprechung und Literatur zum Betriebsrisiko bei Streiks - dem sog. Arbeitskampfrisiko -. Damals war nach der Vorstellung, "Alle Arbeitnehmer sitzen in einem Boot", geurteilt worden, daß arbeitskampfbedingte Betriebsstörungen immer zu Lasten aller Arbeitnehmer gehen, selbst wenn diese nicht einmal mittelbar von etwaigen Kampfergebnissen profitierten - "Sphärentheorie"71. Allerdings ist die Solidaritätshaftung bei dieser Problemlösung mittlerweile aufgegeben worden. Heutzutage wird allein auf die Möglichkeit eines mittelbaren Vorteils abgestellt72 • Es bleibt die Frage, ob eine solche Solidarität hier den Eingriff in erlangte Rechte der Einzelnen zu rechtfertigen vermag. Dies verlangt zunächst eine faktische oder rechtlich zu fmgierende Solidarität der Arbeitnehmer.
69 Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 31; Jorns, Betriebsrisiko, S. 155; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 1 Rz. 166. 70 Vgl. m.w.N. Pfarr / Kittner RdA 1974, 284 ff. 71 BAG AP Nr. 2 und Nr. 4 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 72 M.w.N. Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht S. 241ff.; Erman - Hanau, Peter § 615 Rz. 52.
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Faktisch mag zwar in kleineren Betrieben gelegentlich noch echte Kollegialität bestehen, die zu wahrer Solidarität im Sinne der Bereitschaft zum Verzicht für andere führen kann, doch wird überwiegend Egoismus vorherrschen, gerade wenn es um das Entgelt geht. In Großunternehmen, in denen man sich zu einem großen Teil nicht einmal persönlich kennt, fehlt jedenfalls eine umfassende Kollegialität zwischen allen Betriebsbereichen (etwa Werk, Büro, Lager), so daß die Annahme einer faktischen Solidarität im Arbeitsleben abwegig ise3 • Eine rechtliche Fiktion könnte man letztlich über das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 und 28 GG zu begründen versuchen. Der Eingriff in erworbene Rechte könnte gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG aus sozialstaatlichen Gründen gerechtfertigt werden74 • Doch ist dieses Prinzip nur eine Auslegungshilfe, und es ist dem Gesetzgeber überlassen, es mit Leben zu erfüllen. Deshalb setzt auch Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG eine gesetzliche Bestimmung voraus, die de lege lata fehlt, wenn man vom Fall des sog. Kollegenunfalls des § 105 SGB VII absieht, der den früheren § 637 RVO abgelöst hae 5 • Selbst dieser bezweckt keine Solidarität der Arbeitnehmer, sondern soll lediglich den Arbeitgeber vor einem Haftungsfreistellungsanspruch des Kollegen schützen, wodurch sein Haftungsausschluß nach § 104 SGB VII, ehemals § 636 RVO, leerlaufen könnte. Die Betonung einer Solidarität der Arbeitnehmer läuft daher auf ein standesrechtliches Klassendenken hinaus 76. Eine rechtlich verbindliche Solidarität der Arbeitnehmer besteht demnach nicht77 • c) Allgemeine Treuepflicht der Arbeitnehmer Als weitere Begründung zur Rechtfertigung von Eingriffen wurde die allgemeine Treuepflicht des Arbeitnehmers angesehen. Sie gebiete, ihm auch Opfer zuzumuten, die zur Rettung des Betriebes unumgänglich seien. Diese Überlegung fußt wiederum auf dem Verständnis, daß der Arbeitsvertrag ein besonderes personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis begründet, in dem die Treuepflicht des Arbeitnehmers der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 35 f. Tendenziell etwa Hanau, Peter Mitbestimmung und Individualautonomie, S. lO7ff. 75 Vgl. zur Neuregelung der §§ 635 ff. RVO durch das neue SGB VII Rolfs NJW 1996, 3177 ff. 76 So insbesondere Pfarr / Kittner RdA 1974,284 ff., die aus Art. 9 Abs. 3 GG ein Recht der Gewerkschaften zur Solidarisierung ableiten wollen - aaO. 290 f. 77 Ehmann DB 1973, 1994 ff. - 1995f; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 37 f. ; Schwerdtner ZfA 1979, 1 ff. - 11 f.; Blomeyer RdA 1977, 1 ff. - 10 f.; Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 129 f. 73
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
entspricht. Da diese Vergemeinschaftung nicht zu überzeugen vermochte, kann keine solche allgemeine Treuepflicht angenommen werden78 • Das Arbeitsverhältnis ist grundsätzlich ein schuldrechtlicher Austauschvertrag mit personalem Einschlag und kein personenrechtlicher Vertrag 79.
2. Besondere anspruchsbezogene Treuepflicht a) Grundgedanke Ein Zugriff wird beim betrieblichen Ruhegeld und sonstigen Zusatzleistungen wie Gratifikationen ferner damit begründet, daß die versprochene Leistung nicht nur Entgelt für die erbrachte Arbeit darstelle, sondern auch Fürsorgecharakter habe bzw. sogar eine reine Fürsorgepflicht sei80 • Diesem besonderen Charakter der betrieblichen Altersversorgung müsse eine entsprechende Treuepflicht gegenüberstehen, die eine Kürzung oder Streichung im Notfalle erlaube 81 • Zur Abgrenzung von der allgemeinen Treuepflicht des Arbeitsvertrages wird sie hier als besondere anspruchsbezogene Treuepflicht benannt. Die Prämisse, daß rein fürsorgliche Leistungen eine Treuepflicht beinhalten, die ein Leistungsbegehren verbietet, wenn dieses zum Ruin des Arbeitgebers führt, dürfte kaum ernsthaft angreifbar sein. Sie entspricht der im Rahmen von Treu und Glauben immer gebotenen Interessenabwägung. Diese Begründung kann nur greifen, wenn eine Leistung wirklich als Fürsorge zu bewerten ist. Hierbei ist strikt zwischen Anspruchsgrundlage und Leistungszweck zu unterscheiden. Wenn der Anspruch auf Treu und Glauben basiert, kommt seine Beschränkung durch die besondere anspruchsbezogene Treuepflicht in Betracht. Ist lediglich der Leistungszweck als Fürsorge anzusprechen, während die Anspruchsgrundlage die erbrachte Arbeit ist, so kann dies für eine besondere anspruchsbezogene Treuepflicht nicht genügen, weil sich die Leistung als Entgelt darstellt. Schließlich könnte sich auch keine pri-
78 Heute h.M. vgl. m.w.N. MünchArbR-Blomeyer, § 49 Rz. 1; Schaub, Arbeitsrecht § 53 I 1. 79 Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 40ff. - 60; Fenn AuR 1971, 321 ff.; Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 54 ff.; Fabricius, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis S. 23 ff.; Wolf, Das Arbeitsverhältnis - Personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis oder Schuldverhältnis. 80 Kauffmann DB 1966, S. 33 ff. - 34; Molitor, Erich betonte allerdings bereits in RdA 1952, 124 ff. -124 f., daß es sich bei Sonderzuwendungen - wobei er nicht das Ruhegeld hierunter faßte - schon vom Sprachgebrauch her nicht um Geschenke, sondern um Lohnleistungen handele, die neben den regulären Lohn hinzuträten. 81 Heissmann RdA 1955,371 ff. - 374 f.
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vate Altersversicherung mit befreiender Wirkung auf eine wirtschaftliche Notlage berufen82 • Ein Zugriff auf individuelle Rechte aufgrund einer besonderen anspruchsbezogenen Treuepflicht setzt daher voraus, daß es sich um echte Fürsorgeleistungen und nicht um Entgeltleistungen mit Fürsorgecharakter handelt. b) Anspruchsbezogene Treuepflicht bei freiwilligen Zusatzleistungen Die besonders kostenintensiven betrieblichen Sozialleistungen wurden früher von der h.M. als Fürsorge des Arbeitgebers angesehen, die er neben dem synallagmatischen Tariflohn erbringt83 • Zum Teil wird auch heute noch unter Berufung auf einen Doppelcharakter als Entgelt und Fürsorge für Betriebstreue eine entsprechende Behandlung gefordert. Es bleibt daher zu prüfen, ob betriebliche Sozialleistungen tatsächlich als Fürsorgeverpflichtungen des Arbeitgebers bewertet werden können. Dies könnte zunächst damit begründet werden, daß die betriebliche Sozialleistung über den geschuldeten Tariflohn hinausreicht. Der Tariflohn ist nur als Mindestlohn gedacht, wie das GÜDStigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zeigt. Daher kann der Tariflohn nicht als Höchstgrenze des Entgeltes angesehen werden mit der Folge, daß Mehrleistungen Fürsorgernaßnahmen sind. Vielmehr entspricht es dem Gedanken des Mindestlohnes, daß je nach örtlicher Lage und Situation auf dem Arbeitsmarkt ein höherer Lohn als echtes Entgelt gewährt werden muß, um die notwendigen Arbeitnehmer zu werben und an das Unternehmen zu binden. Für das betriebliche Altersruhegeld wurde ferner darauf verwiesen, daß ihm keine konkrete Arbeitnehmerleistung gegenüberstehe, sondern die langfristige Betriebstreue zu einer fürsorglichen Versorgung durch den Arbeitgeber führe. Außerdem sei der Eintritt des Versorgungsfalles und seine Dauer ungewiß, weil sie vom Todeszeitpunkt des Arbeitnehmers abhängen84 • Diese
82 Lediglich bei der Lebensversicherung hat der Gesetzgeber ein besonderes Sanierungsverfahren im § 89 Abs. 1 S.2 und Abs. 2 VAG etabliert, das der Aufsichtsbehörde auch das Recht einräumt, durch Verwaltungsakt die Verpflichtungen zum Besten der Versicherten herabzusetzen, wenn ein Konkurs nur so zu vermeiden ist. Dieses öffentlich-rechtliche Verfahren kann nicht einfach auf alle Fälle vertraglicher Fürsorgeleistungspflicht übernommen werden. Vielmehr muß argumentum e contrario mangels vergleichbarer Bestimmungen im übrigen eine solche Reduktion der Leistungsverpflichtung abgelehnt werden. - so auch Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 132 f.; tendenziell a.A. Sieg BB 1982, 1428ff. - 1428. 83 Heissmann RdA 1955,371 ff. - 372; ders. RdA 1957,251 ff. - 255 f. 84 Vgl. m.w.N. Heissmann RdA 1957,251 ff. -255.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Begründungen würden allerdings auf alle kurzfristigen Zusatzleistungen nicht zutreffen, etwa Einmalabfindungen durch Sozialpläne . Auch inhaltlich kann dieses Verständnis nicht überzeugen. Der Arbeitgeber wird nicht allein durch die langjährige Betriebstreue gebunden. Vielmehr ist eine Versorgungszusage Grundlage späterer Versorgungsansprüche8s . Diese erteilt der Arbeitgeber nicht aus uneigennützigen Motiven. Soziale Nebenleistungen sind ein zusätzlicher Anreiz, um Arbeitnehmer für das eigene Unternehmen anzuwerben und dort zu halten. Der Arbeitgeber bedient sich ihrer, um im Wettbewerb nach Arbeitskräften im Vorteil zu sein oder einen produktivitätshemmenden Arbeitnehmerwechsel zu verhindern86 • Solche Leistungen stellen demnach ein zusätzliches Entgelt dar (sogenannte Entgelttheorie)87. Dabei ist es unerheblich, ob man bei Betriebsrenten wegen des langen Zeitraums bis zum Erwerb einer unverfallbaren Anwartschaft nicht die Arbeit, sondern die Betriebstreue als entlohnt betrachtet. Auch in diesem Falle wird gerade die bereits erbrachte Betriebszugehörigkeit vergütet, und es kann deshalb keine weitergehende Treue verlangt werden, die sogar zum Verzicht auf die erworbenen Ansprüche verpflichtet. Schließlich ist es unschädlich, wenn konkrete Umstände, die den genauen Leistungsumfang bestimmen, wie der Eintritt des Versorgungsfalles und dessen Dauer, zum Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Verpflichtung übernimmt, noch ungewiß sind. Das BGB hält solche Einflüsse durch unbestimmte Ereignisse auf Verträge für zulässig, wie die gesetzliche Regelung der Bedingungsvereinbarung in den §§ 158 ff BGB zeigt88 . Demnach ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht die Grundlage der betrieblichen Sozialleistungen89 . Für echtes Entgelt besteht aufgrund der Einstandspflicht des Schuldners für die eigene Zahlungsfähigkeit keine Treuepflicht des Gläubigers, auf Erfüllung zu verzichten, weil dem Schuldner die Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 164 ff. Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 150. 87 Ständige Rechtsprechung seit BAGE 24, 177 ff. - 184 f. = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt = OB 1972, 1486; BAGE 29, 379 ff. = AP Nr. 177 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG OB 1986, 228 ff. - 229; BAG EzA Nr. 1 zu § 1 BetrA VG Ablösung = OB 1988, 291 f. - 292; Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie, S. 145 ff.; ders. ZfA 1979, 1 ff. - 8 f.; Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 18 ff.; v. Arnim, Verfallbarkeit von Ruhegeldanwartschaften, S. 87ff.; Hälters OB 1975, S. 2179 ff. - 2181; Blomeyer BetrA V 1979, 78 ff. - 80. 88 Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 57 ff., der aaO. S. 72 die Altersversorgung insoweit zutreffend als zweifach bedingte (hinreichende Betriebszugehörigkeit und Versorgungsfall nach der Ruhegeldzusage) Leistungspflicht des Arbeitgebers bezeichnet hat. 89 Fenn AuR 1971, 321 ff.; ders. JuS 1971,366 ff. - 368; Rebel, Widerrufbetrieblichen Ruhegeldes, S. 16ff.; m.w.N. Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 57 ff. 87. 8S
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Erbringung wirtschaftlich schwer fällt. Daher kann die Leistungspflicht des Arbeitgebers bei sozialen Betriebsleistungen nicht mit einer besonderen anspruchsbezogenen Treuepflicht eingeschränkt werden90 •
c) Anspruchsbezogene Treuepflicht bei Sozialplanansprüchen Etwas anderes könnte für Eingriffe in Ansprüche aus Sozialplanforderungen gelten. Während betriebliche Sozialleistungen auf einem eigenen freiwilligen Verpflichtungsakt des Arbeitgebers gleich welcher Art beruhen91 und insoweit als zusätzliches Entgelt anzusehen sind, folgt der Sozialplananspruch für den Betriebsrat zwingend aus der gesetzlichen Regelung des § 112 Abs. 1 S. 2 und S. 4 BetrVG, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vornimmt. Ob hiermit eine abweichende Behandlung gerechtfertigt werden kann, erscheint schon fraglich, weil die Leistungen selbst erst durch die Einigung der Betriebspartner konkretisiert und zur Entstehung gebracht werden. Insoweit ist die Situation mit den freiwilligen Betriebsvereinbarungen über Sozialleistungen vergleichbar. In beiden Fällen ist die materielle Anspruchsgrundlage unmittelbar die betriebliche Einigung, gleich ob § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG direkt oder nur gemäß § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG entsprechend gilt. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß der Sozialplan als Fürsorgeverpflichtung vom Betriebsrat erzwungen werden kann, während die Betriebsvereinbarung über soziale Zusatzleistungen auf einer freiwilligen Entscheidung des Arbeitgebers fußt und somit eine willentliche Selbstbindung ist, die regelmäßig nicht auf fürsorglichen, sondern wettbewerbsbedingten Motiven beruhen wird. Wegen dieses Unterschiedes kann eine andersartige Behandlung legitim sein. Nach der Formulierung des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG sollen mit dem Sozialplan wirtschaftliche Nachteile der Arbeitnehmer, die auf der Betriebsänderung beruhen, ausgeglichen oder gemildert werden. Individuelle Ansprüche werden damit nicht abgegolten. So kann ein entlassener Arbeitnehmer KündiVgl. LAG Hessen NZA-RR 1997, 17 ff; Blomeyer RdA 1977, 1 ff. - 6f.; SteinBetriebliche Altersversorgung S. 131 ff. 1 Teilweise wurde sogar aus der "Freiwilligkeit" einer Zusage eine erleichterte Widerrufsmöglichkeit gefolgert - ReußI Siebert, Die konkrete Ordnung des Betriebes, S. 105 f.; hiergegen mit dem überzeugenden Einwand, daß die rechtliche Relevanz einer "freiwilligen" Leistung erst durch die selbstverpflichtende Zusage erzeugt wird, Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 16f. Ob diese aus sozialer Gesinnung oder für Wettbewerbsvorteile gewährt wird, ist nach der Rechtsgeschäftslehre unerheblich. Es handelt sich um einen Motivirrtum. Allenfalls wenn nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Ruhegeld quasi geschenkt wird, könnte über eine analoge Anwendung des § 528 BGB (Verarmung des Schenkers) nachgedacht werden. Dem Regelfall wird dies jedenfalls nicht entsprechen. 90
me~er,
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Zweiter Teil: Einseitige GestaItungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
gungsschutzklage erheben und eine Abfmdung gemäß §§ 9, 10 KSchG begehr:en. Die Arbeitnehmer haBen andererseits auf einen Sozialplan mit Entschädigungen keinen Anspruch. Er steht vielmehr zur Disposition des Betriebsrates 92 • Er soll ihm die Möglichkeit geben, auf eine Betriebsänderung Einfluß zu nehmen; da der Arbeitgeber über die Betriebsänderung als solche nur im Rahmen des Interessenausgleiches eine Einigung versuchen muß und anschließend völlig frei in seiner unternehmerischen Entscheidung ist. Der Sozialplan stellt insoweit das Korrelat zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit dar, als die finanzielle Belastung hieraus regelmäßig in dem Maße steigt, wie mit der Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile erzeugt werden. Folglich muß er diese fmanzielle Belastung, der keine irgendwie geartete Arbeitnehmerleistung gegenübersteht, entsprechend im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidung einplanen93 • Diese Wechselwirkung hat in der Praxis dazu geführt, daß die Betriebspartner meist nicht zwischen Interessenausgleich und Sozialplan unterscheiden, sondern diesbezüglich eine einheitliche Regelung treffen94 • Der Sozialplan kann nach alledem - insbesondere mangels Gegenleistung der Arbeitnehmerseite - nur als gesetzliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden werden, die aus seiner Freiheit abgeleitet wird, aus unternehmerischen Motiven Entscheidungen zu Lasten der Belegschaft zu treffen95 • Mit diesem Verständnis stimmt dann auch überein, daß der Gesetzgeber es für notwendig erachtet hat, in § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG die wirtschaftliche Vertretbarkeit als Grundlage des Einigungsstellenspruchs besonders hervorzuheben96 , und es nicht etwa bei der Regelung des § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG zu belassen97 • Da die Sozialplanpflicht eine gesetzlich vorgesehene Fürsorgepflicht ist, scheint eine Beschränkung der daraus hervorgegangenen Ansprüche mittels einer besonderen anspruchsbezogenen Treuepflicht denkbar98 • 92 BAG AP NT. 11 zu § 112 BetrVG 1972, das eine gerichtliche Billigkeitskontrolle im Individualprozeß für ausgeschlossen hält. Mit überzeugender Argumentation weist Kraft in seiner Anm. zu dieser Entscheidung darauf hin, daß eine BiIIigkeitskontrolle überhaupt nicht in Betracht komme; vielmehr unterliegt der Sozialplan einer Rechtskontrolle, was auch Gleichbehandlungsgrundsätze umfaßt. 93 Vgl. Weitnauer ZfA 1977, 111 ff. - 114; m.w.N. GK-BetrVG, Fabricius § 111 Rz. 17 ff. - 30. 94 Vgl. GK-BetrVG, Fabricius §§ 112, 112 a Rz. 11 f. 95 Durchlaub DB 1980, 496 ff. - 497. 96 Zu den Maßstäben und der Feststellung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit vgl. m.w.N. v.Hoyningen-Huene RdA 1986, 102 ff. 97 Ähnlich Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 44 f., der sehr weitgehend in der Sozialplanpflichtigkeit darüber hinaus noch eine Verpflichtung zum angemessenen Ausgleich flir den Verlust des Arbeitsplatzes als subjektiverdiente Rechtsposition des Arbeitnehmers erblickt. 98 So dürfte das von Durchlaub DB 1980, 496 ff. - 498 angenommene Widerrufsrecht gemeint sein.
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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Der Sozialplan wird vom Gesetzgeber zwar nicht als gewöhnliche Betriebsvereinbarung angesehen, was § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG zeigt. Doch wird mit dieser Bestimmung gerade die Gleichbehandlung angeordnet, soweit sich nicht aus den übrigen Regelungen des Sozialplans etwas anderes ergibt. Daher ist dieser Plan selbst als private Rechtsetzung und nicht die gesetzliche Motivation, die zur Rechtsetzungsermächtigung geführt hat, Anspruchsgrundlage, aus der die individuellen Ansprüche erwachsen99 • Dann hat die gleiche Behandlung zu erfolgen, wie sie greift, wenn der Gesetzgeber selbst eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers durchnormiert hat. Als solche gesetzlichen Bestimmungen müssen letztlich alle Regelungen angesehen werden, die aufgrund des personalen Charakters des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber Leistungspflichten auferlegen, ohne daß entsprechende Gegenleistungen des Arbeitnehmers erbracht werden, also sämtliche Verpflichtungen, die Lohn auch ohne Arbeit gewähren - insbesondere durch das Entgeltfortzahlungsgesetz und Urlaubsgeld nach dem BUrlG -. Hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Entscheidung getroffen, müssen Beschränkungen aus dem Gesetz entnehmbar sein. Da die wirtschaftliche Notlage gewöhnlich keine gesetzliche Ausnahme darstellt, ist bei gesetzlichen Regelungen trotz des immanenten Fürsorgecharakters eine entsprechende anspruchsbezogene besondere Treuepflicht nicht gegeben. Für den Sozialplan bedeutet dies, daß nur aufgrund der in ihm enthaltenen Bestimmungen ein Zugriff auf die erwachsenen Individualansprüche zulässig
ise oo • Folglich kann auch bei diesen die Leistungsverpflichtung nicht mit einer besonderen anspruchsbezogenen Treuepflicht geschmälert werden. Eine Beschränkung der Individualansprüche aus Gesamtvereinbarungen aufgrund einer besonderen anspruchsbezogenen Treuepflicht ist damit nicht zu begründen. 3. Wegfall der Geschäftsgrundlage des Individualanspruchs Der wesentliche Gesichtspunkt, mit dem die h.M. einen Eingriff in die betriebliche Altersversorgung heutzutage rechtfertigt, ist der Wegfall der 99 Dies verkennt Weitnauer ZfA 1977, 111 ff. - 123 ff., wenn er unterstellt, der Sozialplan gelte nur Ansprüche ab, die eigentlich auch ohne diesen bestehen würden, ohne allerdings darzulegen, was in concreto die entsprechende Anspruchsgrundlage sein soll. Hier wird Regelungsmotiv des Gesetzgebers und Anspruchsgrundlage des von ihm gesetzten Rechts verwechselt. 100 Dies gilt jedenfalls insoweit, als man mit einer Treuepflicht als Korrelat zu einer Fürsorgeleistung eine Anspruchsbegrenzung rechtfertigen will. Ob Beschränkungen der betrieblichen Rechtsetzungsmacht gerade im Hinblick auf das Betriebswohl auch auf die individuellen Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung durchschlagen, ist eine hiervon unabhängige Frage und wird noch zu erörtern sein.
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Geschäftsgrundlage, wobei die Rechtsgrundlage der Zusage unerheblich sein SOWOI.
Die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts und zunächst auch des Bundesarbeitsgerichts haben früher den Widerruf bei wirtschaftlicher Notlage nicht mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern mit einem besonderen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erklärt. Als die Vorstellung dieses besonderen Verhältnisses mit erheblichen Fürsorgeund Treuepflichten aufgegeben wurde, hat das Bundesarbeitsgericht sich auf die Geschäftsgrundlage berufen. Hierbei hat es bisher nur sehr vage angedeutet, worin diese besteht, deren Fortfall zur Leistungsverweigerung berechtigt. So heißt es in dem Urteil, welches den Wandel von der Rechtfertigung mit der Treuepflicht zur Geschäftsgrundlagenlehre einleitete: "unausgesprochene Grundlage jeder Versorgungszusage" ist, "daß das Unternehmen in der Lage ist, diese Leistungen zu erbringen." 102 Im Rahmen der Zumutbarkeit wurde allerdings betont, daß dem Betriebspensionär die Duldung einer Leistungsschmälerung nur abzuverlangen sei, wenn das Unternehmen dadurch auch saniert werden könne 103 • In einer späteren Entscheidung hieß es, der "Bestand des Unternehmens" markiere "die Opfergrenze für beide Teile; denn von deren Erträgen sollen schließlich nicht nur die Inhaber, sondern auch die Kläger sowie die übrigen Pensionäre und Arbeitnehmer leben. ,,104 Allerdings wurde bisher nicht begründet, warum der Betriebsbestand die Opfergrenze bilden soll. Dies widerspricht nicht nur dem Grundsatz des § 279 BGB, vielmehr stellt sich nach der heutigen Entgelttheorie die Frage, warum der Arbeitgeber die Betriebsrenten vorübergehend oder endgültig kürzen beziehungsweise gänzlich streichen darf, während dies beim gewöhnlichen Arbeitslohn keineswegs in Betracht kommt. Der Betriebsbestand allein kann daher nicht ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern rechtfertigen. Daher bleibt nur der Gedanke des Bundesarbeitsgerichts, jede Versorgungszusage erfolge unter der Vorstellung, daß das Unternehmen diese aus seinen Erträgen erbringen kannIOs . Allerdings hat das Gericht bisher nicht begründet, 101 Heither BB 1992, 145 ff. - 146; Hölters DB 1975, S. 2179 ff. - 2184; Wiedemann FS Stimpel 1985, S. 972 ff. 102 BAGE 24, 163 ff. = AP Nr. 154 zu § 242 BGB - Ruhegehalt unter III 2 ader Gründe. 103 Selbe FundsteIle wie zuvor; seitdem ständige Rechtsprechung des BAG: BAG in AP Nr. 157 ; 175; 177 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; BAG AP Nr. 3 zu § I BetrAVG Geschäftsgrundlage. 104 BAG in AP NT. 157 zu § 242 BGB - Ruhegehalt unter III I b der Gründe. 105 Im Ergebnis auch Frey AuR 1956, 193 ff. - 195, der allerdings von einem "Grundsatz d{;r Ruhegehaltseinstellung bei Eigengefährdung" spricht und diesen gerade als Gegenkonstruktion zu einer Geschäftsgrundlagenstörung ansieht.
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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warum die Leistungsfähigkeit Grundlage der Versorgungszusage geworden sein soll. Die h.M. hat sich der Rechtsprechung angeschlossen, überwiegend jedoch ohne genauer zu bestimmen, warum die wirtschaftliche Notlage zum Wegfall der Geschäftsgrundlage jeder betrieblichen Ruhegeldzusage führen soll 106 • Säcker hat insoweit eine besondere Risikoregelung in diesem Falle angenommen, wobei er bei einer Unternehmensgefährdung von einer Zweckverfehlung ausgehe 07 • Hilger hat hingegen den Umweg über den Unternehmensertrag gewählt und eine Beschränkung nach Treu und Glauben dann zugelassen, wenn das Unternehmen keinen Ertrag erzielt l08 • Dieses gelte nicht schon bei einem vorübergehenden Verlust, sondern erst, wenn die Ertragsfähigkeit schlechthin und somit die Betriebsexistenz in Frage stehe. Dies rechtfertige sich schließlich aus dem Fürsorgecharakter lO9 des betrieblichen Altersgeides und der Solidarität der Arbeitnehmer I10 •
Gegen diese Erklärung wird vorgebracht, daß letztlich eine Geschäftsgrundlage unterstellt wird, um trotz heutiger Entgelttheorie zum gewünschten Ergebnis zu gelangenIlI. Auch im übrigen sei bislang nicht die überzeugende Begründung gefunden worden, mit der man den Widerruf betrieblicher Ruhegeldleistungen, gleich aus welchem Rechtsgrund, befriedigend erklären könne 112 • Zum Teil wird daher ein Widerrufsrecht des Arbeitgebers auch bei den Betriebsrenten abgelehnt, wenn es nicht ausdrücklich vereinbart ise 13 • 106 Blomeyer FS Hilger I Stumpf 1983, S. 46 f.; Hütig DB 1978, 693 f.; Besgen, Dietmarl Bleistein, Betriebsverfassungsrecht Rz. 355; Paulsdorff, Insolvenzsicherung § 7 Rz. 143. 107 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 412 f. 108 Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, S. 261; so auch Häfer FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 329 ff.; ähnlich Molitor, Erich RdA 1952, S. 124 ff. und Westphal, Betriebliche Ruhegelder, S. 71 ff., wobei nach diesen nicht die Ertragslage sondern die Möglichkeit des Arbeitgebers, daneben die Tariflöhne leisten zu können, Grundlage einer Ruhegeldzusage sein soll. 109 Ähnlich Rebel, Widerrufbetrieblic!len Ruhegeldes, S. 23f. 110 Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, S. 265. \\\ Vgl. Blomeyer RdA 1977, I ff. - 8 ff.; vgl. auch Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 130 f. 112 Wenn etwa Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 73 f. aus der Leistungsdauer des Ruhegeldes ein immanentes Verschlechterungsrisiko unterstellt, übersieht er, daß eine private Rentenversicherung sich nicht auf ihre eingeschränkte Leistungsfahigkeit berufen könnte. Denkbar erscheint im Ansatz die Überlegung, daß § 16 BetrAVG auch eine Anpassung nach unten erlaubt und damit die Wirtschaftslage zur Geschäftsgrundlage macht, Meilicke BB 1983, 74. Allerdings dürfte zumindest bei historischteleologischer Betrachtung § 16 BetrA VG anders zu verstehen sein. Mit § 16 BetrAVG soll eine Inflationsanpassung innerhalb der Wirtschaftskraft des Unternehmens sichergestellt und damit ein schleichender Wertverlust der Alterssicherung verhindert werden.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Durch die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 BetrAVG ist dieser jedenfalls nicht gesetzlich eingeführt worden 11 4. Intention dieser Norm ist der Schutz der Betriebspensionäre. Der Gesetzgeber hat sich bewußt aus dem Streit und der Entwicklung des Widerrufsrechts herausgehalten llS • Auch soweit der Gesetzgeber mit dem neuen Insolvenzrecht den § 7 BetrAVG abgeändert hat, so daß mit Inkrafttreten der InsO am 01.01.1999 die wirtschaftliche Notlage als eigenständiger Tatbestand abgeschafft sein wird, hat er materiell keine Entscheidung gegen diese getroffen. Die Insolvenzordnung erlaubt im Gegensatz zu den bisherigen Gesamtvollstreckungsverfahren schon bei drohender Insolvenz, also noch vor der Zahlungsunfcihigkeit bzw. Überschuldung, den Antrag auf Verfahrenseröffnung, um die Chance für eine Unternehmenssanierung zu verbessern. Damit kann der Arbeitgeber den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen, wenn die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Notlage vorliegen, und dies ermöglicht wiederum den Übergang der Pensionszahlungsverpflichtung auf den Pensionssicherungsverein. Die Ansicht Hilgers erscheint als Wiederbelebung der Fürsorgetheorie auf der Ebene der Vertragsabsprachen und kann daher nicht überzeugen. Andererseits kann man heutzutage nicht mehr von einer einfachen Unterstellung sprechen, wenn ein Leistungsverweigerungsrecht im Falle der wirtschaftlichen Notlage als vertraglich vereinbart angenommen wird. Es darf nicht übersehen werden, daß das Widerrufsrecht auf einer ständigen Rechtsprechung der gesamten Zivilgerichtsbarkeit fußt, welche mittlerweile über ein halbes Jahrhundert währt. Gerade im Arbeitsrecht, wo sich unbestritten Richterrecht entwickelt und entwickeln muß, hat man eine solche ständige Praxis, die früher kaum bestritten wurde, bei einer Auslegung der Willenserklärungen nach dem objektiven Empfangerhorizont gebührend miteinzubeziehen. Medicus hat sogar erwogen, ob man nicht prinzipiell auf das Rechtsverständnis zum Zeitpunkt der Abgabe einer Willenserklärung abstellen muß, da ansonsten die Abgabe der Willenserklärung und der damit verbundene Erfolg einer "Lotterie" gleichkäme 116. Neuerdings wird sogar erwogen, den grund-
Danach führt eine schlechte Unternehmenslage bei § 16 BetrAVG nur dazu, daß eine Erhöhung im Rahmen der Inflationsentwicklung nicht erfolgt. Sie führt jedoch nicht zur Herabsetzung des bereits geschuldeten Ruhegeldes. 113 Schwerdtner ZfA 1979, 1 ff. - 34 f.; Blomeyer RdA 1977, 1 ff. - 12, der sogar die Wirksamkeit ausdrücklicher Vorbehalte in Zweifel zieht; so auch Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 127 ff. - 134. 114 So aber Hanau, Peter, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 27; Däubler NZA 1985, 545 ff. - 550; dagegen Steinmeyer, Betriebliche Altersversorgung S. 133 f.; vgl auch Rebel, Widerruf betrieblichen Ruhegeldes, S. 62 ff. IlS BT- Drucks. 7/2843, S. 7. 116 Medicus NJW 1995,2577 ff - 2581; ähnlich und m.w.N. Münch, eh, NJW 1996, 3320 ff. - 3321 f.
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rechtlichen Vertrauens schutz auch gegenüber der Rechtsprechung mit der Folge anzuwenden, daß die Rechtsprechung ihre Spruchpraxis nur eingeschränkt auch für die Vergangenheit ändern darfll7 . In Anbetracht dieser Judikatur ist anzunehmen, daß der Arbeitgeber bei seiner Erklärung von einem entsprechenden Vorbehalt ausgeht und ihn zur Grundlage seiner Willenserklärung gemacht hat. Dies ist bei objektiver Würdigung auch dem Empfanger erkennbar. Es greift insoweit eine normative Wirkung des Faktischen ein, als die ständige Rechtsprechung die Voraussetzungen geschaffen hat, unter denen man heute die übernommene vertragliche Bindung bewerten muß 118 • Diese Auswirkung zeigt sich besonders deutlich daran, daß mit den Jahrzehnten die niedergelegten Widerrufsvorbehalte nur noch den Wortlaut entsprechender Leitsätze höchstrichterlicher Urteile wiedergaben und schließlich teilweise ganz weggelassen wurden. Auch die steuerrechtlichen unschädlichen Vorbehalte für entsprechende Kapitalrückstellungen wurden ständig diesen Anforderungen angepaßt. Eine solche Berücksichtigung der Rechtsprechung steht sogar mit der Überlegung im Einklang, welche die Kritiker eines solchen Widerrufsrechtes immer wieder im Rahmen des § 279 BGB eingebracht haben. Danach sei zu beachten, daß der Arbeitgeber bei seiner Selbstverpflichtung die Möglichkeit habe, das eingegangene Risiko abzuschätzen und so auch die eigene Existenzgefährdung abdecke. Dies muß dann gelten, wenn der Arbeitgeber im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung mit einem immanenten Widerrufsvorbehalt für den Fall der wirtschaftlichen Notlage gerechnet hat. Für die Zukunft bleibt zu wünschen, daß die Rechtsprechung die Vorstellung vom immanenten Vorbehalt aufgibt l19 , allerdings im Hinblick auf die Rechtssicherheit und das Vertrauen der Arbeitgeber nur mit Wirkung für künftig abgeschlossene Vereinbarungen über betriebliches Ruhegeld l20 • Diese Beschränkung ist auch mit den Interessen der Betriebsrentner vereinbar, da an die Stelle des Arbeitgebers die Insolvenzsicherung nach dem BetrAVG tritt l21 •
So insbesondere Louven, Problematik und Grenzen rückwirkender RechtspreS. 154 ff. -248 f. 11 Es ist ohnehin anerkannt, daß ein Rechtsprechungswandel einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen kann - vgl etwa BGHZ 25, 390 ff. - 392; Blomeyer Anm. zu BAG ArbRBlattei (D) Wegfall der Geschäftsgrundlage - Entscheidung I. 119 Blomeyer RdA 1977, 1 ff. - 12. 120 Aus ähnlichen Erwägungen hat das BAG eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1982 u.a. anerkannt, obwohl diese nach dem Urteil des Großen Senats des BAG AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG = NZA 1987, 168 ff. hätte unwirksam sein müssen vgl. BAGE 66,228 ff. - 240 = NZA 1991, 477ff. = ZIP 1991, 1161 ff. 121 Daß ein solches Vorgehen denkbar ist, zeigen die Entscheidungen des EuGH, der von zum Urteilszeitpunkt bereits anhängigen Verfahren abgesehen, häufig nur ein entsprechendes Verständnis mit Wirkung für die Zukunft vorschreibt, vgl. etwa 117
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\S Beath.alter
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Allerdings ist damit nur festgestellt, daß bei betrieblichen Altersversorgungen die Betriebserhaltung Geschäftsgrundlage zwischen den Vertragsparteien ist. Für andere Ansprüche und Besitzstände kann diese Argumentation nicht greifen, weil sie auf der historischen Entwicklung fußt und eine vergleichbare Entwicklung für solche Ansprüche in dieser Stringenz nicht ersichtlich ist. Im Ergebnis kann somit aus den Grundsätzen zum Widerruf betrieblicher Ruhegeldzusagen kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund abgeleitet werden, der bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage für Betriebsvereinbarungen über sonstige Leistungen gelten würde.
4. Ausstrahlung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zwischen den Betriebspartnem auf die Individualebene nach allgemeinen Vertrauensgrundsätzen Damit bleiben nur die allgemeinen Rechtfertigungsgründe für rückwirkende Rechtsetzung übrig. Wie bereits dargestellt, ist danach ein Zugriff zulässig, wenn ein Bagatelleingriff vorliegt, eine unklare Sach- oder Rechtslage geordnet, oder die Normenunterworfenen mit einer solchen rückwirkenden Regelung rechnen mußten. Der Gesichtspunkt des Bagatelleingriffs kann vorliegend kaum helfen, weil an den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund einer Gefährdung der Betriebsexistenz gerade erhebliche Anforderungen gestellt werden, die nicht durch geringfügige Eingriffe überwunden werden können. Lediglich wenn das Sanierungskonzept hauptsächlich die Entstehung zukünftiger Leistungsansprüche verhindern soll, kann in dessen Gefolge aus Gleichbehandlungserwägungen ein Eingriff in bereits erwachsene Ansprüche einzelner Arbeitnehmer zulässig sein, deren Höhe noch geringfügig sind. Eine unklare Sach- oder Rechtslage liegt beim Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht vor, sofern und solange die Betriebspartner nicht gerade darüber streiten, ob eine Grundlagenstörung vorliegt. Wird der Belegschaft ein solcher Streit mitgeteilt, kann dies allerdings dazu führen, daß künftig von einer unklaren Sach- und Rechtslage auszugehen ist. Außerdem ist mit einer einvernehmlichen rückwirkenden Regelung zu rechnen, sobald von einer Seite nach außen ein entsprechendes Begehren kundgetan wird. Demnach bleibt nur die Möglichkeit, daß mit einer rückwirkenden Neuregelung zu rechnen war, also jedem Arbeitnehmer bewußt sein mußte, daß ein solcher Eingriff möglich ist. Genau hier besteht ein denkbarer Ansatzpunkt. Rs. C - 262 / 88 Fall Barber; letztlich hat auch der BGH ausdrücklich diese Möglichkeit offen gehalten BGH NJW 1996,1467 ff. - 1469 f.
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Sicherlich muß der Arbeitnehmer nicht erwarten, daß irgendwelche Fehler auf der Betriebsebene sogleich auf seine erworbenen Besitzstände durchschlagen können. Dann gäbe es für ihn keinerlei Rechtssicherheit. Er kann in der Regel nicht wissen, was konkret Gegenstand der Vertragsgespräche war und welche Entwicklungen seine Besitzstände nachträglich noch in Frage stellen können. Dies gilt jedoch nicht für die immanenten Schranken, die der Gesetzgeber in der Betriebsverfassung den Betriebspartnern auferlegt hat l22 • Sie sind als Grenzen der betrieblichen Regelungsermächtigung zu beachten und stellen insoweit deren zwingende Grundlage dar l23 • Aufgrund ihrer gesetzlichen Niederlegung sind sie auch für jeden Arbeitnehmer erkennbar. Daß den Arbeitnehmern insoweit Rechtskenntnisse unterstellt werden, die sie faktisch nicht haben mögen, ist unschädlich, weil es bei Gesetzen nicht auf die tatsächliche Kenntnis, sondern die Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt. Diese gilt schon als gegeben, wenn die vorgesehene Veröffentlichung erfolgt ist, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch keine Möglichkeit zur Kenntnisnahme bestand. Ähnliches kommt in den Fällen in Betracht, in denen der Belegschaft bestimmte Geschäftsgrundlagen einer Betriebsvereinbarung bekannt waren oder doch sein mußten. Die Beweislast hierfür liegt allerdings beim Arbeitgeber l24 • Er kann dies am einfachsten sicherstellen, wenn er durchsetzt, daß die wirtschaftliche Basis als Geschäftsgrundlage in der Betriebsvereinbarung selbst aufgeführt l25 oder die entsprechenden Verhandlungsprotokolle und Materialien zum Inhalt der Vereinbarung erklärt werden. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen einer Betriebsgefährdung schlägt also auf die erwachsenen Ansprüche durch. Im Rahmen der Rechts122 Eine solche immanente Schranke ist nicht nur die Betriebsexistenz. Eine weitere Schranke ist zum Beispiel das Gleichbehandlungsgebot des § 75 Abs. I BetrVG. Insoweit ist m.E. im Hinblick auf die geänderte Sichtweise zur Gleichbehandlung von Mann und Frau beim betrieblichen Ruhegeld, namentlich wegen des unterschiedlichen Renteneintrittsalters, welches die meisten Betriebe in Entsprechung zum gesetzlichen unterschiedlichen Renteneintrittsalter auch als Grundlage der betrieblichen Regelung gewählt hatten, eine Anpassung zuzulassen, die die Belastung der Betriebe unverändert läßt. Zu dieser Problematik vgl die Überlegungen m.w.N. Berenz BB 1996,530 ff. 123 Heinze ZfA 1988, 53 ff. - 87 betont insoweit zurecht, daß die gesetzliche Ermächtigung durch das BetrVG sowohl Legitimation als auch Schranke der Ermächtigung ergibt und daher das "Dürfen" dem "Können" gleichsteht. 124 Hiermit läßt sich die Konstellation bewältigen, daß ein Sozialplan, der unter der Vorstellung einer Betriebsfortführung geschlossen wurde, besonders hohe Leistungen an entlassene Arbeitnehmer vorsieht, oder im Gegenteil besonders niedrige Leistungen. Muß der Betrieb gleichwohl stillgelegt werden, muß es den Betriebspartnern im ersten Fall möglich sein, insoweit Zugriff zu nehmen, um das Sozialplanvolumen nunmehr auf alle Belegschaftsmitglieder gleichermaßen zu verteilen; im letzteren Fall muß der Arbeiti?;eber auch eine Erhöhung der Abfindung hinnehmen. 1 So auch Meyer NZA 1995,974 ff. - 983.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
folgenfeststellung ist zu beachten, daß bei einer echten Rückwirkung, auch wenn sie abstrakt zulässig ist, die widerstreitenden Interessen hinreichend zu berücksichtigen sind, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen. Insoweit geIten die Überlegungen, die das Bundesarbeitsgericht bei der Betriebsrente ausgeführt hat. Es ist also zu prüfen, ob andere Arbeitnehmergruppen ebenfalls angemessen an der Betriebssanierung beteiligt werden etc. Weiterhin wird man aus dem Vertrauensschutz zusätzlich ableiten müssen, daß eine Reduzierung für solche Ansprüche grundsätzlich ausgeschlossen ist, die bereits vor der Geltendmachung der wirtschaftlichen Notlage erfüllt wurden. Dasselbe wird für Ansprüche anzunehmen sein, die nicht nur erwachsen, sondern sogar schon fällig geworden sind. Dies ist billig, weil der Arbeitgeber nicht durch eine schuldrechtlich unzulässige Leistungsverzögerung Vorteile erlangen darf126 • Die rechtzeitige Berufung auf die wirtschaftliche Notlage ist insoweit eine Obliegenheit des Arbeitgebers. Die Rückforderung von geleisteten Zahlungen dürfte im Rahmen einer solchen Interessenabwägung ausgeschlossen sein 127 • Ob eine Übergangszeit zum Schutze des Arbeitnehmers vorzusehen ist, der die erworbenen Ansprüche in seine Lebensplanung eingestellt hat, was er schließlich darf, ist von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Wegen der wirtschaftlichen Gefährdung des Arbeitnehmers - man denke nur an Abfmdungen für entlassene Arbeitnehmer -, sind an die Notlage des Unternehmens und insbesondere an die Ausnutzung anderweitiger Einsparmöglichkeiten, auch gegenüber den - weiterbeschäftigten - Kollegen, hohe Anforderungen zu stellen. 5. Ergebnis
Die wirtschaftliche Notlage schlägt als gesetzesimmanente Geschäftsgrundlage jeder Betriebsvereinbarung auf die erwachsenen Individualansprüche durch. Im übrigen kommt ein rückwirkender Zugriff nur in Betracht, wenn diese Grundlage für die Belegschaft aus der Betriebsvereinbarung selbst erkennbar war. Dies ermöglicht den nachträglichen Zugriff innerhalb der zuvor aufgezeigten Grenzen und erlaubt daher im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung beim Wegfall der Geschäftsgrundlage nachträgliche Eingriffe. 126 So auch die Wertung des BGH bei der vergleichbaren Frage, ob ein Schuldner sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen darf, wenn die Grundlagenstörung erst durch seine nicht vertragsgemäße Erfüllung eingetreten ist - BGH DtZ 1995,30 ff.; zu weit würde es allerdings gehen, eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern, die eine Abfindung ratenweise erhalten, mit solchen Arbeitnehmern zu verlangen, die ihre Zahlung einmalig erhalten - so Naendrup AuR 1984, 193 ff. - 198. Die Ungleichbehandlun~ legitimiert sich durch den späteren Eintritt einer Notlage. 1 7 So auch Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 42.
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III. Vertragsanpassung bei Betriebsvereinbarungen Wie im allgemeinen Zivilrecht sind die Betriebspartner zunächst auf eigene Neuverhandlungen mit dem Ziel zu verweisen, selbst eine angemessene Anpassung herbeizuführen. Dies gilt auch nach dem Ablösungsprinzip für eine einvernehmliche Änderung durch eine neue Betriebsvereinbarung, wobei die zuvor erörterten Schranken bei rückwirkenden Eingriffen zu beachten sind. Doch wurde schon festgestellt, daß die Anforderungen an vorherige Neuverhandlungen nicht zu hoch gesetzt werden dürfen und sich letztlich nur eine einseitige unangekündigte Anpassung verbietet. Interessant wird es ohnehin erst, wenn diese Einigung nicht erreicht wird 128 • Normalerweise führt die Ausübung des Gestaltungsrechts durch den Berechtigten zu einer Vertragsanpassung oder -aufhebung. Da eine Anpassung immer Vorrang vor der Aufhebung hat, stellt sich zunächst die Frage, ob und wie eine solche bei Betriebsvereinbarungen erfolgen kann. Dies ist mehrfach problematisch. So könnte sie, durch den Arbeitgeber oder das Gericht vorgenommen, gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates verstoßen. Weiterhin stellt sich im Hinblick auf Mitbestimmungsrechte und die Tatsache, daß es Normenunterworfene gibt, die weitere Frage, ob bei Betriebsvereinbarungen die Ausübung des Gestaltungsrechtes genügt oder der Arbeitgeber eine gerichtliche Feststellung im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren erwirken muß. Die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage greifen nur, wenn der Berechtigte sein Gestaltungsrecht ausübt. Im Ergebnis prüft das Gericht als neutrale Instanz, welche Vertragsanpassung dadurch eingetreten ist. Dieses Recht kann man nicht einer Partei abschließend zugestehen, weil diese im Zweifel die eigenen Interessen bevorzugen würde 129. Eine Anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommt daher bei der Betriebsvereinbarung erst in Betracht, wenn es eine neutrale Instanz gibt, die auch bei dieser im Streitfalle abschließend die veränderte Rechtslage feststellen kann. Als solche ist zunächst an das Arbeitsgericht zu denken. Auf der kollektiven Betriebsebene ist schon im Ansatz zu beachten, daß zwischen den Vertragsparteien kein Austauschverhältnis besteht. Vielmehr 128 Hilger FS Larenz 1983 S. 251, wenn sie betont, daß die Verhandlungspflicht wohl oft vergessen werde, weil die Rechtsfrage immer nur vor die Gerichte kommt, wenn eine Einigung mißlingt. 129 So die ganz überwiegende Meinung, sofern nicht ausnahmsweise etwas anderes aus der Vertragsgestaltung ersichtlich ist, vgl. BGHZ 71, 276 ff. - 283 f. = OB 1978, 1272; BGH OB 1978, 927 = BB 1978, 580; BGH WM 1978, 228 - 229; BGH OB 1995, 1272 = NJW 1995, 1360; Lörcher OB 1996, 1269 ff. - 1271.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
werden betriebliche Fragen durch einvernehmliche Lösung zwischen den Betriebspartnern geordnet. Die Verträge zielen nicht auf direkten Leistungsaustausch, sondern auf Regelung ab. Eine gerichtliche Vertragsanpassung würde demnach die Gestaltungsmacht der Betriebsparteien auf das Gericht übertragen, weil es das nach seiner Überzeugung vernünftige Ergebnis im Hinblick auf die veränderten Umstände und die ursprüngliche Vertragsgerechtigkeit zu suchen hätte. Dies ist nicht ungewöhnlich. Gerichte können auch beim Wegfall der Geschäftsgrundlage in Gesellschaftsverträgen durchaus originär fremde Regelungsmacht faktisch wahrnehmen, wenn solche Vereinbarungen anzupassen sind 130 • Für den Bereich der kollektiven Betriebsebene hat der Gesetzgeber hingegen prinzipiell eine andere Lösung gefunden. Dort hat er zwischen Rechtsund Regelungsfragen unterschieden 131 • Echte Rechtsfragen sind unstreitig den Arbeitsgerichten gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zugewiesen. Für Regelungsstreitigkeiten wurde hingegen im Betriebsverfassungsrecht von 1972 bewußt ein neues Organ errichtet -die Einigungsstelle des § 76 BetrVG-. Sie soll betriebsnah sachgerechte Lösungen fmden, für die nach Auffassung des Gesetzgebers einem außenstehenden Gericht der notwendige Einblick in die betrieblichen und unternehmerischen Notwendigkeiten fehlt. Diese Wertung ist zu achten l32 • Die Vertragsanpassung im Gefolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist eine echte Rechtsfrage, denn sie stellt eine schon veränderte Rechtslage fest. Da sie bei Regelungsvereinbarungen im Ergebnis einer Neuregelung gleichkommt, überschneiden sich insoweit diese Bereiche. Es ist daher zu fragen, welcher nach dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers für die Entscheidungskompetenz verbindlich sein soll. Gegen eine Anpassung durch die Einigungsstelle könnte sprechen, daß diese grundsätzlich nicht über Rechtsfragen zu entscheiden und eine endgültige Entscheidung durch eine Schiedsstelle gemäß § 101 Abs. 3 ArbGG im Arbeitsrecht nicht vorgesehen ist. Insoweit hat das BAG etwa festgestellt, daß eine Einigungsstelle nicht berechtigt ist, eine verbindliche Auslegung des Inhalts einer Betriebsvereinbarung vorzunehmen. Lediglich soweit Rechtsfragen für die Zuständigkeit der Einigungsstelle maßgeblich sind, darf die Einigungsstelle hierüber befinden 133. Doch ist diese Entscheidung nicht abschließend, 130 V gl. Palandt-Heinrichs. § 242 Rz. 162, wobei in der Praxis hauptsächlich die Angassung von Abfindungsklauseln zu Buchwerten Bedeutung erlangt hat. 31 Zu dieser Unterscheidung vgl. Hilger FS Larenz 1983 S. 245 ff. l32 Vgl. GK-BetrVG, Wiese Einl. Rz. 87 f.; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG Einl. Rz. 161; so auch Rieble, Kontrolle des Ermessens der Einigungsstelle S. 174, der die Trennung in Rechts- und Regelungsfragen selbst allerdings anzweifelt. 133 BAG AP NT. 43 zu § 76 BetrVG 72.
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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vielmehr kann jeder Betriebspartner den Spruch der Einigungsstelle mit dem Argument angreifen, daß dieser bereits mangels Zuständigkeit unwirksam ist. Unproblematisch ist das Verbot von Schiedsgerichten im Arbeitsrecht gemäß § 101 Abs. 3 ArbGG. Der Spruch der Einigungsstelle unterliegt der gerichtlichen Nachprüfung, wie jede andere Entscheidung auch. Demnach ist der Spruch der Einigungsstelle jedenfalls nicht abschließend. Es bleibt vielmehr die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle. Anders ist es mit der Zuweisung der Rechtsfragen zu den Arbeitsgerichten. Die Anpassung durch eine Einigungsstelle ist eigentlich eine Rechtsfrage und würde daher in die originäre Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallen. Doch müßte dann entgegen der gesetzgeberischen Zwecksetzung ein betriebsfremdes Arbeitsgericht entscheiden. Die Gefahr, betriebs- oder unternehmensnotwendige Gesichtspunkte zu vernachlässigen, wäre ebenso gegeben wie bei echten Regelungsfragen. Darüber hinaus gebietet der Vergleich zur Kontrolle von Entscheidungen der Einigungsstelle, eine unmittelbare gerichtliche Vertrags anpassung abzulehnen. Auch dort könnte das Gericht eine rechtswidrige Entscheidung der Einigungsstelle durch eine eigene ersetzen, weil die Neuregelung im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion als Rechtsfrage aufgefaßt werden kann. Dennoch ist anerkannt, daß eine Ersetzung nicht stattfmden darf. Das Arbeitsgericht kann nur die Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit einer Vereinbarung feststellen, nicht aber diese durch eine eigene Regelung ersetzen 134. Nach alledem erscheint eine Vertragsanpassung durch die Einigungsstelle im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Wertungen geboten 135 • Allerdings setzt dies im weiteren voraus, daß sie hierzu auch rechtlich befähigt ist. Insoweit ist zunächst zu bedenken, daß die Einigungsstelle nicht gegen den Willen einer Seite aktiv wird, solange eine alte Regelung fortbesteht. Es fehlt nämlich an einer Mitbestimmungslücke, die durch eine Zwangs schlichtung zu schließen wäre. Will ein Betriebspartner eine Neuregelung, so muß er zunächst die alte kündigen. Kann er dies nicht, greift die Vertragsbindung, die nicht durch das Einigungsstellenverfahren negiert werden darf. Vorliegend geht es nun darum, daß sich aufgrund einer Willenserklärung des berechtigten Betriebspartners eine Vertragsanpassung für eine bestehende Betriebsverein134 H.M. LAG Düsseldorf EzA Nr. 27 zu § 76 BetrVG 1972; Hess/ Schlochauer/ Glaubitz BetrVG - Hess. § 76 Rz. 64; Stege/ Weinspach, BetrVG § 76 Rz. 28; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 76 Rz. 138; a.A. Müller, Gerhard DB 1973,76 ff. -77. 135 Im Ergebnis auch BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff.- 316 = DB 1995, 1240 ff.; BAG BB 1996, 2624 f. = NZA 1997, 109 ff.; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG §§ 112 112 a Rz. 94; vgl. auch Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 176 f. und 179 f.; Hilger FS Larenz 1983 S. 251.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
barung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB vollzogen hat, deren Inhalt festzustellen ist. Deshalb könnte man annehmen, daß mangels Regelungslücke keinem Betriebspartner ein einseitiges Initiativrecht zukommt 136 oder daß zunächst eine außerordentliche Kündigung erfolgen müsse 137 • Doch wurde schon betont, daß die Feststellung der Rechtsfolgen einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der gegen eine Zuweisung der unmittelbaren Entscheidungsbefugnis auf das Arbeitsgericht spricht. Dann muß konsequenterweise im Hinblick auf die faktische Neugestaltung die Verweigerung der anderen Seite gegen ein Einigungsstellenverfahren unbeachtlich sein. Daher ist dem berechtigten Betriebspartner, hier also dem Arbeitgeber, beim Wegfall der Geschäftsgrundlage ausnahmsweise ein Initiativrecht trotz bestehender Regelung zuzugestehen, um den neuen Inhalt der vorhandenen Betriebsvereinbarung zu ermitteln 138 • Ist damit der Weg zur Einigungsstelle eröffnet, stellt sich im weiteren die Frage, ob diese verbindlich entscheiden kann. Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung ist dies zu bejahen, da dort nach den jeweiligen besonderen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes ihr Spruch die Einigung der Betriebspartner ersetzt. Sie ist bei ihrer Entscheidung an den Rahmen gebunden, den die Anträge der Betriebspartner abgesteckt haben. Deshalb ist es ohne Bedeutung, wenn die anpassende Entscheidung völlig neue Regelungen enthält, soweit diese im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung verbleiben. Problematisch wird es bei Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung. Für diese bestimmt § 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG, daß der Spruch der Einigungsstelle die Einigung nur ersetzt, wenn die Betriebspartner sich ihm vorab oder nachträglich unterwerfen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung wäre demnach eine Entscheidung der Einigungsstelle in solchen Angelegenheiten nicht verbindlich. Da es um die Verwirklichung einer neuen Rechtslage geht, müßte entgegen der gesetzgeberischen Intention das Arbeitsgericht entscheiden, oder es bliebe allein die Vertragsaufhebung, die gerade dem Primärzweck des Wegfalls der Geschäftsgrundlage widerspricht, nach Möglichkeit einen den Umständen angepaßten Interessenausgleich herzustellen. Vgl. Naendrup AuR 1984,193 ff. - 202 f. So Hilger FS Larenz 1983 S. 252. Dies führt aber eine Anpassung ad absurdum, weil mit der Kündigung der Vertrag aufgehoben und damit das Objekt der Abänderung beseitigt wird. Soweit Hilger dies mit der Klarheit für die Normenunterworfenen begründet, kann eine fehlende Mitteilung des Arbeitgebers im Rahmen des Vertrauensschutzes der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt werden. 138 So wohl auch BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff.- 316 = DB 1995, 1240 ff.; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG §§ 112 112 a Rz. 94; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 180, wenn er nach der gerichtlichen Feststellung, daß eine Geschäftsgrundlagenstörung vorliegt, von einem Aufleben des Rechts der Betriebspartner spricht, eine neue Vereinbarung zu treffen. 136 137
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Mit der Bestimmung des § 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG sollte verhindert werden, daß aus dem Wunsch, einen Schlichtungsversuch durch die Einigungsstelle zu betreiben, ein Abschlußzwang erwächst. Es geht um den Erhalt der Freiwilligkeit einer Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten nicht erzwingbarer Mitbestimmung. Das Schlichtungsverfahren soll soweit wirken, wie es beide Betriebspartner wollen. Ausgangslage ist bei § 76 Abs. 6 BetrVG, daß eine Regelung fehlt, deren Schaffung versucht werden soll. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage haben die Betriebspartner bereits eine solche getroffen. § 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG betrifft gerade nicht die hier anstehende Problemlage einer nachträglichen Anpassung. Es besteht eine Regelungslücke. Diese ist nach den allgemeinen Wertentscheidungen des Zivilrechts und der Betriebsverfassung zu schließen. Die Anpassung beruht auf § 242 BGB und soll eine neue, beiden Parteien zumutbare Regelung herbeiführen. Dadurch wird nicht die Bindung in einem Bereich freiwilliger Mitbestimmung erzeugt, vielmehr wird eine bereits bestehende Bindung verändert, also der Inhalt den Umständen angeglichen. Gegen eine solche Entscheidung können nur Bedenken bestehen, wenn sie einem Betriebspartner nicht zumutbar und daher die Anpassung als Ausprägung des § 242 BGB im Ergebnis nicht durchführbar ist. Eine nachträgliche Veränderung ist dem Arbeitgeber in allen Fällen zuzumuten, in denen der Einigungsstellenspruch seine Verpflichtungen reduziert. Ihm werden Verbindlichkeiten zum Teil erlassen, die aufgrund seiner eigenen Unternehmerentscheidung entstanden sind. Die Einigungsstelle darf hingegen keine neuen Verpflichtungen begründen, die die alte geschuldete Leistung übersteigen. Dies würde gegen die von der gesetzlichen Betriebsverfassung gezogenen Grenzen der betrieblichen Mitbestimmung verstoßen. Dasselbe gilt für nicht gleichartige Leistungen, weil die Einigungsstelle nicht für den Unternehmer entscheiden darf, ob ein Austausch der Leistungspflichten stattfinden soll. Dies bedeutet etwa, daß die Anpassung bzw. Beendigung von Betriebsvereinbarungen nicht mit einer Arbeitsplatzgarantie verbunden werden kann. Problematischer ist die Frage der Zumutbarkeit für den Betriebsrat. Er hat einer Regelung zugestimmt, die aus seiner Sicht zu seinem Nachteil verändert wird. Jedoch ist schon zu beachten, daß der Betriebsrat beim Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BGB verpflichtet ist, Nachteile hinzunehmen. Hält er den Wegfall der Geschäftsgrundlage für nicht gegeben, wird man ihm ohne weiteres analog § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG das Recht zugestehen müssen, dies im gerichtlichen Beschlußverfahren nach § 2 a ArbGG klären zu lassen. Weiter ist zu berücksichtigen, daß er im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung keine Betriebsvereinbarung hätte erzwingen können. Seine Beteiligung läuft daher in diesen Angelegenheiten neben allgemeinen Ver-
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
handlungen nur auf die Möglichkeit hinaus, ein Arbeitgeberangebot anzunehmen. Verneint man eine Anpassung, so bliebe die Vertragsaufhebung mit der Folge, daß der Betriebsrat eine neue Regelung allein mit Wohlwollen des Arbeitgebers erreichen könnte. Dem Schutz des Betriebsrates genügt daher das Recht, die angepaßte Betriebsvereinbarung zu beenden. Dann hat er die Wahl zwischen der modifizierten Regelung oder der völligen Beseitigung. Er steht dadurch nicht schlechter, sondern besser dar als bei einer unausweichlichen Vertragsaufhebung. Ein solches Recht zur sofortigen Beendigung nachträglich veränderter Betriebsvereinbarungen ist im Gesetz allerdings nicht enthalten. Daher muß der anpassende Einigungsstellenspruch dem Betriebsrat dieses zugestehen. Fehlt eine ausdrückliche Regelung, wird man sie als konkludent eingeräumt ansehen können. Tatsächlich dürfte kein Betriebsrat davon Gebrauch machen, weil er damit jegliche Ansprüche endgültig vernichtet. Eine Anpassung durch die Einigungsstelle ist somit in den dargelegten Grenzen auch im Bereich freiwilliger Mitbestimmung entgegen dem Wortlaut des § 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG gemäß § 242 BGB verbindlich und möglich I39 • Da die Einigungsstelle somit in der Lage ist, eine Anpassung von Betriebsvereinbarungen beim Wegfall der Geschäftsgrundlage vorzunehmen, ist nach obigen Ausführungen ihr die entsprechende Zuständigkeit zuzuweisen140 •
IV. Vertragsaufsage Gegen eine Vertragsaufsage bei Betriebsvereinbarungen bestehen letztlich keine Bedenken. Ist Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage eine wirtschaftliche Notlage, so wird häufig nur noch die Aufhebung den betrieblichen Bedürfnissen genügen. Da diese letztlich eine Regelung - wenn auch eine negative - ist, kann die Einigungsstelle jederzeit einen Spruch treffen, wonach die bisherige Betriebsvereinbarung ersatzlos entfällt. Weil diese Nicht-Regelung keinen weiteren Inhalt hat, die mit den betrieblichen Verhältnissen und Interessen der Betriebspartner abgestimmt werden müßten, bestehen gegen eine unmittelbare Aufhebung durch das Arbeitsgericht ausnahmsweise keine Bedenken. Soweit ein Arbeitsgericht angerufen 139 Damit gewinnt der Wegfall der Geschäftsgrundlage neben der Kündigung eine eigenständige Bedeutung und ist nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen -vgl. etwa GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 325, wie es Galperin BetrVerf 1958,42 ff. u. 61 ff. - 65f. unter der Prämisse angenommen hat, eine Anpassung käme keinesfalls in Betracht. Allerdings muß man dabei beachten, daß die Einigungsstelle erst mit dem BetrVG 1972 eingeführt wurde und daher in die Erwägungen Galperins nicht einfließen konnte. 140 Insoweit im Ergebnis zutreffend LAG Köln NZA-RR 1996, 24 f.
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wurde, ist zu beachten, daß zwischen Vertragsaufhebung und Anpassung ein Rangverhältnis besteht, wonach die vertragserhaltende Anpassung vorgeht. Deshalb muß ein etwa angerufenes Arbeitsgericht zunächst prüfen, ob eine Anpassung noch zumutbar ist. Ist dies der Fall, so darf es lediglich feststellen, daß ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt, wenn ein entsprechender Hilfsantrag ausdrücklich oder konkludent gestellt wurde. Die Anpassung selbst muß dann durch Anrufung der Einigungsstelle erfolgen. Nur wenn eine Anpassung nicht mehr möglich ist, darf also das Arbeitsgericht die Aufhebung feststellen trotz der Tatsache, daß dies eine negative Regelung beinhaltet. Darüber hinaus kommt auch eine rückwirkende Vertragsaufsage in den Grenzen des Vertrauensschutzes der Normenunterworfenen in Betracht. Dies kann insbesondere Bedeutung erlangen, wenn der Arbeitgeber diese Möglichkeit ankündigt und zunächst mit dem Betriebsrat über eventuelle Alternativen oder ein gemeinsames Vorgehen verhandelt. Scheitert dieses BemÜhen, kann der Arbeitgeber die Vertragsaufsage aus Vertrauensgesichtspunkten jedenfalls rückwirkend bis auf den Zeitpunkt der Androhung erklären. Weitergehende Eingriffe sind nach obigen Ausführungen ebenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen\4\.
V. Die Durchsetzung der Rechtsfolgen Nachdem dargelegt wurde, welche Rechtsfolgen denkbar sind, und welche Organe sie notfalls verbindlich feststellen dürfen, ist im weiteren zu untersuchen, wie der Arbeitgeber vorgehen kann, um diese zu verwirklichen.
1. Das allgemeine Verfahren im Zivilrecht Im allgemeinen Zivilrecht ist das Verfahren durch die Charakterisierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als Gestaltungsrecht vorgezeichnet. Derjenige, der sich darauf berufen will, erklärt dies gegenüber dem Vertragspartner und reduziert anschließend seine eigene Leistung auf das nach seiner Meinung angepaßte Maß bzw. fordert und klagt notfalls eine Mehrleistung durch die andere Seite ein. Dies ist unproblematisch, weil im allgemeinen Rechtsverkehr bei der gerichtlichen Prüfung das Ergebnis nur die Vertragspartner betrifft und Mitbestimmungsrechte nicht bestehen. Im Rahmen der Betriebsverfassung wirft eine solche Rechtsdurchsetzung durch den Arbeitgeber vor einer gerichtlichen Prüfung gleich zweifach Fragen auf; einmal, ob einem solchen Vorgehen die normative Wirkung entgegensteht; zum anderen, \4\ s.O.
F 11 - Seite 205 ff.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
ob diese einseitigen Maßnahmen mit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates kollidieren.
2. Bekanntmachung der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Betrieb Zunächst erscheint zweifelhaft, ob mit der normativen Wirkung vereinbar ist, wenn der Arbeitgeber sein Gestaltungsrecht vom Wegfall der Geschäftsgrundlage nur gegenüber dem Betriebsrat geltend macht und es dennoch gegen alle Arbeitnehmer als Normenunterworfene gile 42 • Dann besteht die Gefahr, daß Arbeitnehmer von einer veränderten Situation betroffen sind, ohne davon zu wissen. Dies ist mit dem Vertrauensschutzgedanken unvereinbar. Dem gleichen Ziel dient die Vorschrift des § 77 Abs. 2 BetrVG, die eine Auslegung von Betriebsvereinbarungen vorschreibt. In entsprechender Anwendung wird vom Arbeitgeber zu verlangen sein, daß er seine Ausübung des Gestaltungsrechtes zusätzlich durch Auslage bekanntmacht. Geschieht dies nicht, können spätere Feststellungen über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung grundsätzlich nur noch ex nunc erfolgen, sofern nicht besondere Umstände - z.B. eine außerordentliche Betriebsversammlung - eine Kenntnis der Belegschaft ergeben. Die Auslage stellt daher keine Pflicht, sondern eine Obliegenheit des Arbeitgebers dar, andernfalls der Vertrauensschutz eine rückwirkende Verschlechterung regelmäßig ausschließe 43 •
3. Notwendigkeit gerichtlicher Feststellung vor einem Einigungsstellenspruch Teilweise ist für den Bereich der Sozialpläne gefordert worden, daß Arbeitgeber und Einigungsstelle vor Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage deren Vorliegen gerichtlich feststellen lassen müssen, sobald der Betriebsrat sie bestreitet. Der Einigungsstelle wird zwar in der Regel das Recht zugestanden, ihre Zuständigkeit selbst zu prüfen, weil beide Betriebspartner einen Spruch der Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG gerichtlich mit der Begründung angreifen können, sie sei mangels Zuständigkeit unwirksam 144. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage soll dies nach Auffassung von So Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 172. Vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen flir rückwirkende Zulagenanrechnung auf Tariflohnerhöhung BAG NZA 1996, S. 386 ff. - 388 = ZIP 1996, 602 ff.- 604. 144 BAG EzA Nr. 1 zu § 111 BetrVG = DB 1975, 1322; BAG EzA Nr. 11 zu § 87 BetrVG Lohn- und Arbeitsentgelt = DB 1980, 1895; LAG DüsseldorfEzA Nr. 20 zu § 76 BetrVG = DB 1978, 1182; LAG Baden-Württemberg NZA-RR 1996, 53 f; Hessl 142
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Weber nicht gelten, weil aufgrund der bereits vorhandenen Regelung die Gefahr bestünde, daß zwei Betriebsvereinbarungen nebeneinander existieren und die Beteiligten für geraume Zeit nicht wissen, welche davon Gültigkeit hat. Auch wäre unsicher, ob die alte Regelung wiederaufleben könne, und welche Vereinbarung bis zu einer Rechtskraft gelte. Zur Erhaltung der Rechtssicherheit sei der Arbeitgeber verpflichtet, ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren durchzuführen, ehe er Rechtsfolgen mit Hilfe der Einigungsstelle feststellen läßt l45 • Nach dieser Auffassung würde in wirtschaftlicher Not der Wegfall der Geschäftsgrundlage praktisch keine Lösung bieten, sondern leerlaufen. Die Notlage setzt schließlich eine akute Existenzgefährdung voraus, die nur durch eine zügige Anpassung der Verpflichtungen beseitigt werden kann. Zweifelt der Betriebsrat hieran, so müßte der Arbeitgeber möglicherweise über drei Instanzen seine wirtschaftliche Situation nachweisen, was regelmäßig mehrere Jahre dauert l46 • Dann wäre der Arbeitgeber spätestens in der letzten Instanz ruiniert und eine Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage würde sich nunmehr wegen entfallener Unternehmensexistenz verbieten. Die gesamte Konstruktion wäre ad absurdum geführt. Diese Vorstellungen können daher vom Ergebnis her schon nicht befriedigen. Es bleibt zu untersuchen, ob eine solche unbefriedigende Lösung zwingend ist. Die Begründungen fußen letztlich auf der Sorge einer unerträglichen Rechtsunsicherheit. Entsprechend unterstellt diese Ansicht ihrer Lösung, daß diese ausgeräumt wird, was schon zu bezweifeln ist. Beantragt der Arbeitgeber im arbeits gerichtlichen Beschlußverfahren die Feststellung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, hat er sich gegenüber dem Betriebsrat hierauf berufen und dies in geeignetere Weise im Betrieb ausgelegt, so ist die Rechtslage bereits verändert. Es verbleibt lediglich die verSehloehauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 76 Rz. 20; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 76 Rz. 60; Stege I Weinspaeh, BetrVG § 76 Rz. 12 I 12c; m.w.N. GKBetrVG, Kreutz § 76 Rz. 93 ff. Beide Betriebspartner können neben dem laufenden Einigungsstellenverfahren ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren über die Zuständigkeit der Einigungsstelle herbeiflihren - BAG EzA Nr. 32 zu § 76 BetrVG mit Anm. Hersehel = DB 1982, 811; BAG EzA Nr. 33 zu § 76 BetrVG mit Anm. Gaul = DB 1982, 1413; Hessl Schloehauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 76 Rz. 21; Stege I Weinspach, BetrVG § 76 Rz. 12a. 145 Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 175 ff. - 179. 146 Die Gefahr, daß der Betriebsrat durch bewußte Verschleppung eines vom Arbeitgeber durchzuflihrenden EinigungsteIlenverfahrens diesen zu Zugeständnissen zwingt, hat schließlich den Gesetzgeber im Bereich des Interessenausgleichs veraniaßt, die Anforderungen in dem zum 01.10.1996 in Kraft getretenen § 113 Abs. 3 BetrVG drastisch herabzusetzen - vgl. hierzu Röder / Baeck BB 1996, Beil. 17 S. 23 ff.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
bindliche Feststellung, welche Rechtsfolgen mit der Ausübung des Gestaltungsrechtes eingetreten sind. Wird die Umsetzung der veränderten Rechtslage hinausgezögert, so entstehen dennoch keine geschützten Besitzstände, weil kein Arbeitnehmer sich erfolgreich gegen eine solche scheinbare Rückwirkung auf Vertrauensgrundsätze berufen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat, wie dargelegt, für die Gesetzgebung entschieden, daß ein Vertrauensschutz entfällt, sobald mit einer rückwirkenden Neuregelung zu rechnen ist. Mit der wirksamen Erklärung des Arbeitgebers darf kein Arbeitnehmer mehr auf den Bestand der momentanen Regelung vertrauen. Er muß vielmehr gegen sich gelten lassen, daß diese in Frage gestellt ist. Damit ist eine Neuordnung zu erwarten, die jedenfalls auf den Zeitpunkt der Auslegung und der arbeitsgerichtlichen AntragsteIlung zurückwirken darfl47 • Dies führt dazu, daß nur formal Rechtssicherheit besteht, materiell wegen einer möglichen Rückwirkung genauso Unsicherheit herrscht, was man schwerlich als echte Rechtssicherheit werten kann. Man könnte die Ansicht einer notwendigen gerichtlichen Feststellung noch damit stützen, daß keine rechtliche Unsicherheit besteht, weil jederzeit feststehe, welche Regelung gerade gültig ist. Indes fehlt es auch nicht an Rechtssicherheit, wenn man entgegen dieser Ansicht der Einigungsstelle das Recht einräumt, die eigene Zuständigkeit zu prüfen, denn dies hat zunächst keine Rechtsfolgen. Ist die Einigungsstelle tatsächlich unzuständig, weil kein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt, so ist ein abändernder Spruch der Einigungsstelle anfechtbar und durch das Gericht als unwirksam aufzuheben. Dies bedeutet, die alte Betriebsvereinbarung gilt uneingeschränkt fort und die neue ist von Anfang an nichtig. Ist hingegen die Geschäftsgrundlage entfallen, so ist der Spruch zulässig und bei Einhaltung der Ermessensgrenzen insgesamt wirksam. Er stellt dann den neuen Inhalt der Betriebsvereinbarung fest, der mit der Berufung auf den Geschäftsgrundlagenfortfall seitens des Arbeitgebers bereits eingetreten ist und den alten wirksam abgelöst hat. Es ist daher festzuhalten, daß zwar eine gewisse faktische, in keinem Fall eine rechtliche Unsicherheit eintritt. Schließlich könnte man diese Auffassung durch eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG zu stützen suchen. Danach ist eine 147 Vgl. den im Hinblick auf den Vertrauensschutz ähnlich gelagerten Fall in BAG NZA 1996, 386 ff., wo das BAG festgestellt hat, daß der Arbeitgeber Lohnzulagen unter Vorbehalt der späteren Kürzung fortzahlen kann, wenn er mit dem Betriebsrat einen neuen Verteilungsplan aushandeln will bzw. muß. Sodann steht einer Kürzung infolge der Betriebsvereinbarung oder eines Einigungsstellenspruches nichts mehr entgegen.
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Kürzung oder Einstellung von Versorgungsleistungen aus wirtschaftlicher Not dem Arbeitgeber erst erlaubt, wenn die Zulässigkeit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt worden ist 148 • Die Situation ist insoweit vergleichbar, als eine wirtschaftliche Notlage besteht und damit der Ruin droht. Doch ist die gesetzliche Zwecksetzung abweichend. § 7 BetrAVG behandelt den Insolvenzschutz in der betrieblichen Altersversorgung. Es geht darum, ob der Arbeitgeber oder der Pensionssicherungsverein das Ruhegeld zu zahlen hat. Ohne das Erfordernis der rechtskräftigen Feststellung bestünde die Gefahr, daß der Arbeitgeber seine Leistungen einstellt und der Pensionssicherungsverein die Übernahme verweigert, wenn sie um die Zulässigkeit einer Kürzung streiten. Der Arbeitnehmer würde in diesen Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Pensionssicherungsverein hineingezogen und müßte nun gegen einen oder beide klagen, obwohl es für ihn ohne Belang sein dürfte, wer zahlen muß 149 • Durch § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG wird also nur sichergestellt, daß die wirklichen Kontrahenten ihre Streitigkeiten untereinander austragen. § 7 Abs. I Satz 3 Nr. 5 BetrAVG wird von dieser Besonderheit bestimmt, weshalb er nicht auf allgemeine Störungen eines betrieblichen Vertragsverhältnisses paßt. Eine Analogie kommt daher nicht in Betracht. Folglich ist diese besondere Verfahrensweise nicht notwendig und wegen ihrer Umständlichkeit und der Gefahr einer zwischenzeitlichen Unternehmensinsolvenz nach der gesamten Interessenlage aller Beteiligten abzulehnen. Es bleibt vielmehr dabei, daß die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit vorab prüfen kann, ohne im Streitfall ein gerichtliches Vorverfahren abwarten zu müssen.
4. Eigenmächtige Anpassung vor einem Einigungsstellenspruch Eine andere Frage ist, ob der Arbeitgeber wie jeder Schuldner im Zivilrecht seine Verpflichtungen schon vor der Entscheidung einer Einigungsstelle oder eines Arbeitsgerichtes auf das nach der eigenen Ansicht geschuldete Maß reduzieren darfiso, also eine faktische Anpassung vornehmen kann. Insoweit ist zu untersuchen, ob gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht eine andere Interessenlage besteht, die eine abweichende Handhabung erfordert.
Zuletzt bekräftigt durch BAG NZA 1998, 255 ff. Vgl. die Begründung in BAGE 32, 220 ff. - 226 = AP Nr. 2 zu § 7 BetrAVG, das rechtfortbildend die heutige Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 5 BetrAVG vorweggenommen hatte; bestätigt durch BAG AP Nr. 4 zu § 7 BetrAVG und BAG AP Nr. 1 zu § 4 BetrAVG. 150 So wohl BAG BB 1996,2624 f. = NZA 1997, 109 ff.; Lehnt man dies mit Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 172 ff.-174 ab, so verwandelt sich das Gestaltungsrecht dogmatisch in ein Antragsrecht auf einen Feststellungsspruch. 148 149
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
a) Verstoß gegen die Unabdingbarkeit gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG Zunächst könnte die normative Wirkung von Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG gegen eine solche faktische Anpassung sprechen, weil
der Arbeitgeber insoweit vom Wortlaut der alten Betriebsvereinbarung abweichen will. Gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG ist er an den Inhalt der Betriebsvereinbarung unabdingbar gebunden. Die normative Wirkung erfaßt die Betriebsvereinbarung in Gestalt des gültigen Vertrages. Da mit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage das Gestaltungsrecht ausgeübt und die Rechtslage schon geändert ist, knüpft die normative Wirkung bereits an den neuen Vereinbarungsinhalt an. Ein Verstoß gegen § 77 Abs. 4 BetrVG liegt demnach nicht darin, daß sich der Arbeitgeber nach Ausübung des Gestaltungsrechtes entsprechend der neuen Rechtslage verhält.
b) Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG Weiterhin könnte man daran denken, daß eine faktische Anpassung ohne entsprechende schriftliche Niederlegung wegen Verstoßes gegen das Formerfordernis des § 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG gemäß § 125 BGB nichtig ist l51 • Diese Vorschrift gilt nur für den Abschluß oder die Änderung einer Betriebsvereinbarung kraft Rechtsgeschäfts. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage ist zwar die Ausübung eines Gestaltungsrechts erforderlich, die inhaltliche Modifizierung der Betriebsvereinbarung ist sodann nur noch gesetzliche Rechtsfolge. Diese wird von einem Schriftformerfordernis nicht erfaßt, so wie auch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung nicht der Auslegung bedarfl52 • Eine faktische Anpassung durch den Arbeitgeber verstößt demnach nicht gegen § 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG.
c) Abweichung wegen Interessen auf kollektiver Vertragsebene Betrachtet man des weiteren die Interessenlage des Betriebsrates als Vertragspartner , so kann eine faktische Anpassung gegen dessen Rechte aus der Betriebsverfassung verstoßen. Diese müssen allerdings erzwingbar sein, so daß im Bereich freiwilliger Mitbestimmung eine solche Anpassung unbedenklich ist.
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So für eine Anpassung bei Tarifverträgen Oetker RdA 1995,82 ff. - 97. M.w.N. Galperin/ Löwisch, BetrVG § 77 Rz. 62.
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Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung ist hingegen zu beachten, daß nach der herrschenden Meinung 153 alle Handlungen des Arbeitgebers grundsätzlich ohne eine Beteiligung des Betriebsrates unwirksam sind - sogenannte Theorie der notwendigen Mitbestimmung -. Daher ist es fragwürdig, ob der Arbeitgeber vor Einschaltung der Einigungsstelle alleine verändernd in den Bereich der Betriebsvereinbarungen eingreifen darf. Diese Theorie bezweckt einen effektiven Schutz der Mitbestimmungsrechte, den ein nachträgliches Rechts- und Einigungsstellenverfahren nicht bewirken kann. Echte Mitbestimmung soll sichergestellt werden, die nicht nur eine Beteiligung und Zustimmung des Betriebsrates im Sinne von einer Mitwirkung an der Arbeitgeberentscheidung, sondern eine gleichberechtigte Mitentscheidung umfaßt. Daher ist nach der reinen Theorie der notwendigen Mitbestimmung nur eine gemeinsame Entscheidung wirksam. Der Arbeitgeber muß auf den Betriebsrat zugehen und eine einvernehmliche Entscheidung herbeiführen, damit seine Handlungen rechtswirksam sind. Die Unwirksamkeitsfolge für Alleinentscheidungen des Arbeitgebers ohne Beteiligung des Betriebsrates bewirkt einen selbsttätigen Schutz der Mitbestimmung und ist gleichzeitig Sanktion für den Arbeitgeber l54 • Allerdings vertritt die h.M. diese Theorie nur eingeschränkt l55 • Ausnahmefalle werden anerkannt, wenn eine vorübergehende Alleinentscheidung des 153 Ständige Rspr. seit BAGE 3, 207-211f.; zuletzt BAG DB 1997,378 ff= BB 1997, 472 ff. = NZA 1997,274 ff; Halberstadt, BetrVG § 87 Rz. 5; v.Hoyningen-Huene RdA 1992, 355 ff. - 359; Löwisch, BetrVG § 87 Rz. 7 ff.; Stege I Weinspach. BetrVG § 87 Rz. 3; Wlotzke, BetrVG § 87 I 2; vgl. m.w.N. Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 185 ff. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Berechtigung der h.M. zu untersuchen, weshalb sie im weiteren unterstellt wird. Gleichwohl ist mit der Gegenmeinung vgl. etwa Dietz/ Richardi, BetrVG § 87 Rz. 80 ff. - 91 ff.; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 291 ff.; ders, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 18ff., Hessl Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 80 ff. - 83 ff.- die Frage aufzuwerfen, ob es dieses Schutzes wirklich praktisch bedarf. Inbesondere Blomeyer NZA 1996, 337 ff. - 341 ff. hat dies sehr überzeugend unter Würdigung der denkbaren Konstellationen in Frage gestellt. Dann ist aber die Berechtigung für eine solche partielle Entmündigung der Arbeitnehmer -vgl. auch Fenn ZfA 1971, 347 ff. - 384f.- zweifelhaft. Wegen der weiteren rechtlichen Bedenken vgl. die ausführliche Kritk bei den zuvor Genannten. 154 BAGE 69, 134 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung a.E.; ausführlich m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 89 ff. 155 BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit mit Anm Wiese; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 35; Stege I Weinspach BetrVG § 87 Rz. 13; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 87 Rz. 23; Dütz ZfA 1972, 247ff.267; ausführlich m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 138 ff. - 145 f.. So ist die absolute Nichtigkeitsfolge bei Arbeitnehmer begünstigenden Individualabsprachen nicht gesicherte Auffassung; selbst der Große Senat hat in BAGE 69, 134 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung a.E lediglich festgestellt, daß die Theorie der not16 Beathalter
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
Arbeitgebers erforderlich ist. Streitig ist, wann dies im einzelnen gegeben ist. Überwiegend werden sogenannte Notentscheidungen des Arbeitgebers akzeptiert ls6 • Solche liegen nur in ganz extremen Situationen vor - etwa Betriebsbrand oder Überflutung etc. -, sofern der Betriebsrat nicht sofort erreichbar ist. Teilweise wird eine Eilentscheidung für zulässig erachtet, wenn sie dringend getroffen werden muß 157. Einigkeit besteht darüber, daß jede mögliche Beteiligung des Betriebsrates eine Alleinentscheidung unzulässig macht. Für den Fall, daß der Betriebsrat zu Unrecht eine notwendige Eilentscheidung nicht mittragen will, ist der Verweis auf ein mögliches Einigungsstellenverfahren wenig hilfreich, da es langwierig ist. Daher wird die Verweigerung des Betriebsrates teilweise als Verstoß gegen das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit bzw. als Rechtsmißbrauch aufgefaßt und mit seiner Unerreichbarkeit bzw. seiner Zustimmung gleichgestellt, so daß der Weg zur Alleinentscheidung des Arbeitgebers wieder eröffnet ise s8 • Nach anderer Auffassung muß er eine einstweilige Verfügung insoweit erwirken, wie eine Maßnahme keinen Aufschub mehr duldet 159 • Kommt man hier zur uneingeschränkten Anwendung dieser Grundsätze, so würde der Arbeitgeber bei wirtschaftlicher Notlage in die Gefahr geraten, im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der Einigungsstelle bereits insolvent zu sein, weil er nicht sofort eine Anpassung vornehmen durfte. Lediglich wendigen Mitbestimmung jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen führt, die den Arbeitnehmer belasten und damit die gegenteilige Situation wohl bewußt nicht entscheiden -für Nichtigkeit von begünstigenden Normen aber GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 109; vgl. m.w.N. Hanau, Hans, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 187 ff. Nach der hier vertreten Sichtweise kann die Betriebsverfassung nur in ganz engen Grenzen bessere Individualabsprachen verhindern, wenn dies aus dem Solidarzweck selbst unvermeidbar ist. - s.o. Erster Teil, A I 3 b - S. 57 f. 156 Hessl Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 35; Stege I Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 13; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 87 Rz. 23; Dietzl Richardi, BetrVG § 87 Rz. 43 ff.; Dütz ZfA 1972,247 ff.- 267 ff.; ausführlich m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 138 ff. - 145 f. IS7 Hessl Schlochauerl Glaubitz - Glaubitz, BetrVG § 87 Rz. 29 ff. - 34 f.; Stege I Weinspach, BetrVG § 87 Rz. 8 ff. - 9; Löwisch in Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit, in der das BAG ein vorläufiges Bestimmungsrecht für Eilflille ablehnt. Das BAG versteht aaO. unter Eilentscheidung in Abgrenzung zur Notentscheidung eine voraussehbare Situation und lastet daher dem Arbeitgeber die vorherige Untätigkeit an. Dies überzeugt m.E., soweit ein Arbeitgeber tatsächlich rechtzeitig eine gemeinsame Entscheidung hätte notfalls über die Einigungsstelle herbeiführen können. Dies entspricht dann dem im vorläufigen Rechtsschutz anerkannten Grundsatz, wonach vorläufiger Rechtsschutz nicht zu gewähren ist, wenn die Dringlichkeit auf eigene rechtzeitige Untätigkeit zurückgeht. Doch muß eben eine solche Untätigkeit vorliegen. Diese Sicht wurde bestätigt durch BAG AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit. vgl. m.w.N. GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 138 ff. IS8 Vgl. BAG AP NT. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; GK-BetrVG, Wiese § 87 Rz. 94 f./ 138 ff. - 146. 159 Dietzl Richardi, BetrVG § 87 Rz. 42.
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die letztgenannten Ansichten würden noch einen Ausweg bieten. Doch kann schwerlich von einer Treuwidrigkeit des Betriebsrates gesprochen werden, wenn er möglicherweise die tatsächliche Situation verkennt und deshalb eine Entscheidung nicht mittragen will. Eine einstweilige Verfügung dürfte schon an der Schwierigkeit scheitern, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Voraussetzungen einer betrieblichen Notlage notfalls mittels betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachten glaubhaft zu machen, wenn der Betriebsrat dies entsprechend bestreitet. Die Theorie der notwendigen Mitbestimmung behandelt den Fragenkomplex, wie die Mitbestimmung zu verwirklichen ist. Dabei geht es um originäre Regelung von Sachfragen. Bei der Vertrags anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage handelt es sich hingegen um die Feststellung von Rechtsfolgen. Dieser kommt bei Betriebsvereinbarungen zwar eine faktische Regelungswirkung zu, weil sie Gestaltungsmittel für kollektive Vereinbarungen sind. Wegen dieser faktischen Wirkung erscheint eine Vereitelung der Mitbestimmung möglich, so daß eine sinngemäße Anwendung jener Grundsätze in Erwägung zu ziehen ist. Dabei besteht ein Spannungsfeld zwischen dem Gestaltungsrecht des Arbeitgebers einerseits, nicht mehr leisten zu müssen, als nach neuer Rechtslage geschuldet wird, und dem Schutz der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates vor zu weitreichenden Eingriffen des Arbeitgebers andererseits. Rechtlich handelt es sich hingegen nicht um eine neue Entscheidung, die der Mitbestimmung unterliegt, wenn der Arbeitgeber eine faktische Anpassung vornimmt, nachdem er sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen hat. Insbesondere ist zu beachten, daß die Handlung des Arbeitgebers nur insoweit wirksam ist, wie ein nachträglicher Einigungsstellenspruch sein Vorgehen bestätigt. Durch diese Rechtsfolgenfeststellung beim Wegfall der Geschäftsgrundlage wird das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates garantiert. Überschreitet der Arbeitgeber die Grenzen, welche die spätere Entscheidung der Einigungsstelle zieht, so ist sein weitergehendes Tun von Anfang an rechtswidrig, und er kann sich etwa nach allgemeinen Regeln im Verzug befinden. Die Mitbestimmung wir-d im Ergebnis durch die Möglichkeit eines nachträglichen Einigungsstellenverfahrens gewahrt. Problematisch bleiben danach allein Fallgestaltungen, bei denen unveränderliche Fakten geschaffen werden, deren Rückabwicklung unmöglich ist. So scheidet zum Beispiel bei einer Veränderung der betriebsüblichen Arbeitszeit eine Rückabwicklung aufgrund eines nachträglichen Einigungsstellenspruchs aus. Die wegen dieser einseitigen Maßnahme faktisch geleistete Arbeit kann für die Vergangenheit nicht mehr tatsächlich anders gestaltet werden. Es kämen allenfalls Ersatzansprüche in Betracht, die teilweise - etwa bei der Verlegung der Arbeitszeit - ins Leere gehen. In diesen Fällen bietet das Einigungs-
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
stellenverfahren keinen echten Schutz mehr für das Mitbestimmungsrecht. Eine faktische Anpassung des Arbeitgebers gefährdet demnach die Mitbestimmung des Betriebsrates, wenn unveränderliche Tatsachen geschaffen werden. Deshalb ist in diesen Fällen abweichend vom allgemeinen Zivilrecht eine Anpassung nur zuzulassen, wenn sie zur Erhaltung des Betriebes erforderlich und das Zuwarten auf einen Einigungsstellenspruch nicht zumutbar ist. Dies läßt den in der Unternehmenskrise besonders bedeutsamen Bereich der Geld- und geldwerten Leistungen unberührt, weil hier eine spätere Entscheidung der Einigungsstelle durch nachträgliche Zahlungen verwirklicht werden kann. Das Mitbestimmungsrecht als kollektives Interesse steht demnach einer faktischen Anpassung nur entgegen, wenn im Bereich der zwingenden Mitbestimmung eine nicht mehr zu berichtigende Sachlage erzeugt wird, und zugleich das Abwarten eines Einigungsstellenspruchs die Betriebsexistenz nicht gefährdet.
d) Abweichung wegen der Interessenlage der normenunterworfenen Belegschaft
aa) Materiellrechtliche Interessen Da es im Gegensatz zum Zivilrecht Normenunterworfene gibt, die zwar nicht Vertragspartner aber Adressat der Betriebsvereinbarungen sind und denen Ansprüche daraus zukommen sollen, kann eine abweichende Behandlung schließlich aus der Interessenlage der Belegschaft folgen. Wegen des Vertrauens schutzes braucht das Gestaltungsrecht des Arbeitgebers allerdings nicht eingeschränkt zu werden, da dieser bereits in dem Moment endet, wo der Arbeitgeber sich gegenüber dem Betriebsrat auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft und dies der Belegschaft bekanntgemacht wird. Es bleibt zu fragen, ob andere materielle Interessen der Arbeitnehmer eine Beschränkung des Gestaltungsrechtes gebieten. Würde man der Ansicht folgen, die dem Arbeitgeber verwehrt, vor einem unanfechtbaren Einigungsstellenspruch seine Leistungen aus einer Betriebsvereinbarung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage faktisch zu reduzieren oder einzustellen, so könnte den Arbeitnehmern ein Vorteil zuwachsen, der nicht zurückgewährt werden kann. Dies betrifft zwar nicht direkte Sach- und Entgeltleistungen. Solche können nach einer unanfechtbaren Entscheidung der
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Einigungsstelle gemäß §§ 812 ff BGB zurückgefordert werden l60 , weil die materielle Rechtslage sich bereits mit Ausübung des Gestaltungsrechtes durch den Arbeitgeber verändert hat und die Durchsetzung nur zeitlich verzögert erfolgt. Bei anderen Leistungen kann die Erstattung aus tatsächlichen Gründen unmöglich sein - etwa zusätzliche Urlaubstage; Zurverfügungstellung von Einrichtungen u.ä. -. Eine Rückgewähr müßte nach § 818 Abs. 2 BGB erfolgen. Hierfür müßte ein objektiver Wert festgestellt werden, was häufig nicht möglich ist. Insoweit können der Belegschaft also faktisch Vorteile erwachsen. Soweit der Arbeitgeber sich in den Grenzen des späteren Einigungsstellenspruches hält, würde dieser Vorteil im Widerspruch zur materiellen Rechtslage erwachsen, nach der die Leistungserbringung unzumutbar ist. Er dürfte daher nur als Nebeneffekt zur Wahrung anderer überragender Interessen eintreten. Es verbietet sich, damit eine vom allgemeinen Zivilrecht abweichende Handhabung des Gestaltungsrechtes zu begründen. Eine Beschränkung kann aus dieser Erwägung heraus lediglich durch Arbeitnehmerinteressen gerechtfertigt sein, die aus der Gefahr entspringen, daß der Arbeitgeber die Leistungserbringung weitergehend einschränkt, als es nach der materiellen Rechtslage zulässig ist und wie es durch den Einigungsstellenspruch später verbindlich festgestellt wird. Da der Spruch der Einigungsstelle die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage umfänglich klarstellt, ist deren Inhalt auch für die Vergangenheit maßgeblich. Die im Verhältnis zum Einigungsstellenspruch zu wenig erbrachten Arbeitgeberleistungen beruhen folglich nicht auf einer Rechtsänderung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Der Arbeitgeber muß sie nachträglich erfüllen. Insoweit entsteht also kein Nachteil für die Arbeitnehmer. Allerdings tragen die Arbeitnehmer in solchen Fällen das Risiko der zwischenzeitlichen Arbeitgeberinsolvenz. Ein Einigungsstellenverfahren und ein etwaiges nachfolgendes Gerichtsverfahren durch alle Instanzen kann mehrere Jahre dauern. In dieser Zeit können zahlreiche Ereignisse zum Zusammenbruch des Unternehmens führen. Besonders bedeutsam ist das Insolvenzrisiko, wenn der Wegfall der Geschäftsgrundlage mit einer wirtschaftlichen Notlage begründet wird. Dann ist der Ruin des Unternehmens in greifbarer Nähe. Eine Beschränkung des Gestaltungsrechtes würde die Arbeitnehmer somit 160 Im Rahmen der §§ 812 ff BGB ist zwar auch der Einwand der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB zu beachten. Sobald der Arbeitnehmer von dem Streit um die Fortgeltung und den verbliebenen Umfang einer Betriebsvereinbarung in Kenntnis gesetzt, ist ihm fortan die Berufung auf § 818 Abs. 3 BGB gemäß den §§ 819 Abs. 1; 818 Abs. 4 BGB verwehrt.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
davor schützen. Es stellt sich die Frage, ob dieses Risiko eine Abweichung zum allgemeinen Zivilrecht rechtfertigt. Hiergegen spricht, daß dann der Arbeitgeber, soweit er zulässigerweise seine Leistungen hätte kürzen dürfen, ohne Rechtsgrund Leistungen erbringen muß und seinerseits das Risiko einer Insolvenz der einzelnen Arbeitnehmer trägt, bei denen er zuviel Geleistetes nachträglich zurückfordern will. Entscheidend ist, daß auch im allgemeinen Zivilrecht die Gefahr der Schuldnerinsolvenz immer beim Gläubiger liegt, denn einen Anspruch auf einen zahlungsfähigen Schuldner gibt es nicht. Besondere Umstände, die eine andere Verteilung des Insolvenzrisikos gerade bei Betriebsvereinbarungen verlangen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere werden die Mindestarbeitsbedingungen nicht in Frage gestellt, weil diese den Tarifverträgen vorbehalten sind. Die materiellrechtlichen Interessen der normenunterworfenen Arbeitnehmer unterscheiden sich somit nicht von denen der Gläubiger im allgemeinen Zivilrecht. Eine abweichende Anwendung des Gestaltungsrechtes aus § 242 BGB ist hiermit nicht zu begründen.
bb) Formelle Interessenlage Schließlich ist zu prüfen, ob formelle Interessen der Arbeitnehmer eine Abweichung zum Zivilrecht erfordern. Dabei käme in Betracht, daß der Arbeitnehmer notfalls seine Ansprüche einklagen müßte, wenn der Arbeitgeber zu Unrecht Leistungen unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückhält. Doch ist der Gläubiger grundsätzlich auf den Klageweg verwiesen, sofern sein Schuldner nicht leistungsbereit ist. Eine Abweichung zum allgemeinen Zivilrecht ist hiermit nicht zu begründen, umso mehr als andernfalls der Arbeitgeber notfalls zur gerichtlichen Durchsetzung seiner Rückforderungsansprüche gezwungen sein kann und dadurch auch keine Prozeßökonomie erreicht wird. Ein anderer Gesichtspunkt ist, daß die Betriebsvereinbarung auf das Arbeitsverhältnis gesetzesgleich einwirkt. Sobald eine Entscheidung der Einigungsstelle vorliegt, ist jedes Arbeitsgericht berechtigt, deren Wirksamkeit im Rahmen anhängiger Verfahren inzidenter zu prüfen, wobei die Entscheidungen in den Individualprozessen unterschiedlich ausfallen können. Ist die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs jedoch in einem Verfahren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat rechtskräftig entschieden, hat diese Entscheidung nach h.M in analoger Anwendung des § 9 TVG eine erweiterte Rechtskraftwirkung und ist für diese Rechtsfrage in Individualprozessen präjudizie11 161 • 161 BAG AP Nr. 15 zu § 113 BetrVG 1972 = DB 1988, 609f.; BAG AP Nr. I zu § 84 ArbGG 1979 = EzA Nr. 59 zu § 112 BetrVG 1972 (zust Anm. Rieble) = NZA 1992,
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Dies wird man jedenfalls dann auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG akzeptieren können, wenn ein Arbeitgeber mit einer behaupteten Geschäftsgrundlagenstörung nicht durchdringt. Diese Sicht ist ferner mit Wirkung für die Zukunft hinnehmbar, weil die Arbeitnehmer ohnehin mit einer einvernehmlichen Änderung durch die Betriebspartner rechnen müssen und sie daher durch eine für alle Beteiligten verbindliche Entscheidung der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht in einem schützenswerten Vertrauen verletzt werden. Soweit auch rückwirkende Eingriffe anerkannt werden, wird man den am arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren zwischen den Betriebspartnern nicht beteiligten Arbeitnehmer einen effektiven Rechtsschutz nicht verweigern können. Andernfalls könnten die Betriebspartner durch entsprechenden Mißbrauch des Beschlußverfahrens - den nachzuweisen selten möglich sein dürfte - den materiellen Schutz der Arbeitnehmer durch präjudizielle Entscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit aushebeln. Insoweit muß also zumindest in diesen Fällen noch eine Inzidentprüfung erfolgen, ob die Betriebspartner mit ihren Regelungen in zulässiger Weise in die Rechte des einzelnen normunterworfenen Arbeitnehmers eingegriffen haben 162 • Ein Sonderverfahren, das für alle Betroffenen abschließende Gültigkeit hat, wie es in § 97 ArbGG für die Entscheidung über die Tariffahigkeit und -zuständigkeit einer Vereinigung geschaffen wurde, fehlt. Sobald ein Spruch der Einigungsstelle vorliegt, ändert ein Verfahren über dessen Wirksamkeit weder materiell noch formell wegen dieser Frage die Lage für den einzelnen Arbeitnehmer, sofern nicht die Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt wird. Auf letztere kann sich der Arbeitnehmer selbst berufen. Das Arbeitsgericht kann das Verfahren zudem aussetzen, wenn die Betriebspartner über die Wirksamkeit einen Rechtsstreit führen. Hierüber hat das Gericht gemäß § 53 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 148 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. In der Regel wird es die Aussetzung gerade im Hinblick auf § 9 TVG anordnen, um widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern und eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Vor einem solchen Einigungsstellenspruch müßte hingegen das Gericht selbst die eingetretene Änderung feststellen, wenn es über entsprechende Klagen der Arbeitnehmer zu entscheiden hat. Das Arbeitsgericht wäre mittelbar zur Entscheidung über faktische Regelungsfragen gezwungen, obwohl dies durch die Zuständigkeit der Einigungsstelle gerade verhindert werden sollte. Eine solche Befugnis ist daher abzulehnen. Dann kann das Arbeitsgericht über anhängige Klagen nicht urteilen, weil erst ein Spruch der Einigungsstelle 999 ff. = OB 1992, 1833 ff.; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 349; Dütz ArbRdGgW 1982,33 ff. - 53 ff.; a.A. Hanau, Peter RdA 1989,207 ff. - 211; Hilger FS Larenz 1983 S. 254; v.Hoyningen-Huene RdA 1992, 355 ff. - 363 f. 162 Diese Differenzierung vertritt ebenfalls ebenso ähnlich differenziert Duo, Hansjörg RdA 1989,247 ff. - 253; ders., Die Kündigung des Tarifvertrages, S. 793.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
überprüft werden kann und sich nach diesem bestimmt, ob und inwieweit der Arbeitgeber über die eingetretene Veränderung hinaus die Erfüllung seiner Pflichten zu Unrecht abgelehnt hat. Dies wäre die Verweigerung eines effektiven Rechtsschutzes, der gemäß Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährleisten ist. Auch eine analoge Anwendung des § 97 ArbGG über die Frage der Tariffähigkeit und -zuständigkeit einer Vereinigung hinaus kann nicht helfen, weil dies nur ein besonderes gerichtliches Verfahren und keine betriebliche Schlichtung durch die Einigungsstelle begründen würde. Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes der normunterworfenen Arbeitnehmer muß daher abweichend vom allgemeinen Zivilrecht dem Arbeitgeber das Recht verweigert werden, vor einem Einigungsstellenspruch eine faktische Anpassung vorzunehmen. Es wurde allerdings ausgeführt, daß das Arbeitsgericht eine Vertragsaufhebung feststellen darf, wenn eine Anpassung nicht mehr in Betracht kommt. Deshalb ist es unproblematisch, wenn der Arbeitgeber sich auf eine Vertragsaufhebung als einzig mögliche Rechtsfolge beruft. Folglich wird durch diese Beschränkung des Arbeitgebers der Wegfall der Geschäftsgrundlage im Rahmen einer wirtschaftlichen Notlage nicht ad absurdum geführt. Dauern die Verhandlungen im Einigungsstellenverfahren länger an, so kann die Unzumutbarkeit einer Anpassung noch eintreten und der Arbeitgeber sodann seine Leistungen sofort und gänzlich einstellen. Schließlich kann das Arbeitsgericht sodann im Individualprozeß ohne weiteres inzidenter eine Vertragsaufhebung umfänglich überprüfen. e) Ergebnis Der Arbeitgeber darf vor einer Entscheidung der Einigungsstelle keine faktische Anpassung vornehmen, weil abweichend zum allgemeinen Zivilrecht die Gerichtsbarkeit nicht selbst über die Anpassung entscheiden darf und damit eine Rechtsschutzlücke für die Arbeitnehmer bestehen würde. Dies kann dazu führen, daß der Arbeitgeber im Laufe des Einigungsstellenverfahrens berechtigt ist, auf die Vertragsaufhebung überzugehen, die er sogleich umsetzen darf, weil diese für die Arbeitsgerichte voll justiziabel ist.
VI. Das Verhältnis zur außerordentlichen Kündigung Geht man davon aus, daß jeder Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung erzeugt, so könnte diese das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage insoweit vollständig verdrängen.
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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Dagegen könnte im praktischen Ergebnis sprechen, daß beim Wegfall der Geschäftsgrundlage keine der Kündigung gleichkommende Vertragsaufuebung, sondern in erster Linie eine Vertragsanpassung an die geänderten Verhältnisse erfolgt. Einigkeit besteht in der Rechtswissenschaft darüber, daß das Recht zur außerordentlichen Kündigung eine gesetzliche Risikoregelung darstellt, die dem Wegfall der Geschäftsgrundlage vorgeht 163 • Daher berechtigt nach allgemeiner Meinung ein Umstand, der als Wegfall der Geschäftsgrundlage die künftige Vertragsaufuebung zur Folge hätte, bei Dauerschuldverhältnissen zur außerordentlichen Kündigung .. Ein Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist insoweit unzulässig und zudem überflüssig, weil es sich um einen subsidiären Notbehelf handelt. Ob dieser Vorrang auch gilt, wenn nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung oder eine rückwirkende Aufuebung zu erfolgen hat, ist umstritten. Dazu kann weder eine h.M. noch eine eindeutige Haltung der Rechtsprechung festgestellt werden.
1. Außerordentliche Kündigung als spezielleres Rechtsinstitut Nach einer Ansicht ist das Recht der außerordentlichen Kündigung eine umfassende gesetzliche Risikoregelung mit der Folge, daß keine Vertragsanpassung oder rückwirkende Aufhebung bei Dauerschuldverhältnissen möglich ise 64 • Dies sei interessengerecht, da bei einer Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses beide Seiten ihre zukünftigen Leistungen behalten können, während für erbrachte die noch vertragsgerechten Gegenleistungen bereits erhalten wurden. Die völlige Lösung des Vertragsbandes sei besser, weil eine richterliche Bestimmung des Austauschverhältnisses grundSätzlich unerwünscht und bei Dauerschuldverhältnissen unnötig sei. Die Vertragspartner blieben schließlich im Besitz ihrer künftigen Leistungen und könnten über ein neues Austauschverhältnis privatautonom verhandeln l65 •
2. Subsidiäre Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Die gegenteilige Auffassung betont hingegen, daß für die außerordentliche Kündigung nur die Möglichkeit der Vertragsbeendigung gesetzlich ausgestaltet 163 BGHZ 24, 91 ff. - 96; BAG NJW 1987,918 f. - 919; Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 270. 164 Flume, Allgemeiner Teil Bd. 11, S. 514; Stötter NJW 1971, 1993 f.; Frey AuR 1956, 193 ff. - 195 ff.; für die Aufhebung Emmerich, Leistungsstörungen, S. 358 165 BGHZ 24,91 ff- - 96; BGH DB 1980, 1163 f.; BAG DB 1986,2676; Stötter NJW 1971, 1993.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
sei. Eine Überschneidung der Rechtsinstitute liege nicht vor, soweit eine Vertragsanpassung oder rückwirkende Aufhebung in Frage steht l66 • Demnach könne die außerordentliche Kündigung keine gesetzliche Risikoregelung sein, die der Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorgeht. Weiterhin spräche die Interessenlage für die Möglichkeit einer Anpassung. Bei einem Dauerschuldverhältnis brauchten schließlich nicht in jedem Moment die Leistungen gleichwertig zu sein. Es könne vielmehr vorkommen, daß ein Vertragspartner am Anfang eines Schuldverhältnisses bewußt eine über dem Wert der Gegenleistung liegende Leistungspflicht übernommen hat, weil er aufgrund der Vertragsbindung einen späteren Ausgleich - z.B. durch Inflation bei mehrjährigen Verträgen - angenommen hat. Würde dann der zukünftige Austausch beendet, würde diese Investition in die Zukunft enttäuscht. Das könne nur richtig sein, wenn jegliche weitere Vertragsbindung für die andere Seite unzumutbar wäre. Im Ergebnis könne der vertragstreuen Partei also eher eine Anpassung als eine Kündigung zumutbar sein. Wegen des Grundsatzes der Vertragstreue gebühre daher auch bei Dauerschuldverhältnissen einer angemessenen Anpassung der Vorrang gegenüber der vollständigen Beendigung l67. Diesen Mangel könne man schließlich nicht dadurch beheben, daß man eine außerordentliche Kündigung nur zuläßt, wenn bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage einzig eine Vertrags aufhebung noch zumutbar wäre. Dann würden bei Dauerschuldverhältnissen an die praktischen Folgen höhere Anforderungen gestellt, die eine Veränderung äußerer Umstände hervorrufen muß, bevor eine rechtliche Berücksichtigung erfolgt. Diese Unterscheidung sei wenig überzeugend. Außerdem müßte letztlich auch hier eher die Unzumutbarkeit bejaht werden, da eine aktuelle Anpassung eben nicht zulässig wäre und sich die nachteiligen Folgen in der Zukunft weiter aufstocken l68 • Innerhalb dieser Ansicht wird diskutiert, ob und inwieweit auch eine rückwirkende Aufhebung und eine rückwirkende Vertragsanpassung mit Vertrau166 BGHZ 58, 355 ff - 363; BGH NJW 1983, 2143 ff.- 2144; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 163; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 96; ; vgl. auch Staudinger - Schmidt, § 242 Rz. 1398 ff. - 1409 ff.; wohl auch Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 270; nur im Verhältnis zur Vertragsanpassung Erman - Sirp, § 242 Rz. 183; Palandt - Heinrichs, § 242 Rz. 120. So auch der BGH, wenn er mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Leasingverträgen eine rückwirkende Aufhebung oder Anpassung für den Fall begründet, daß der Leasingnehmer in Ausübung der ihm vom Leasinggeber (und Käufer) übertragenen Gewährleistungsrechte gegenüber dem Lieferanten (und Verkäufer) die Minderung oder Wandelung erklärt; BGHZ 81, 298 ff. - 308 = WM 1981, 1219 ff. 167 Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 184; vgl. auch Heimann RdA 1957, 123 ff. - 125 für Betriebsrenten. 168 Herschel FS Nikisch, S. 49 ff.-58 ff.; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S.184.
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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ensgesichtspunkten vereinbar ise 69 • Da es im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage um Einzelfallgerechtigkeit geht, ist die Frage einer rückwirkenden Neubestimmung des Vertragsverhältnisses nur unter Beachtung der jeweiligen Interessen der beteiligten Partner im Einzelfall zu beantworten. Dabei ist selbstverständlich das Vertrauen des Vertragspartners und bei den Gesamtvereinbarungen auch der Normenunterworfenen in bereits abgewikkelte Geschehen angemessen zu berücksichtigen. Wie oben gezeigt, kann ein rückwirkendes Änderungsinteresse durchaus dem Vertrauensinteresse vorgehen. Der teilweise vertretene pauschale Grundsatz, rückwirkende Änderungen kämen bei Dauerschuldverhältnissen niche 70 oder nur in ganz besonderen Extremfällen in Betrache 71 , überzeugt deshalb nicht.
3. Stellungnahme
a) Subsidiäre Anwendbarkeit aus allgemeinen Gründen Für die erstgenannte Meinung dürfte zunächst der Wille des historischen Gesetzgebers sprechen. Nachdem er sich bewußt gegen die clausula rebus sic stantibus entschieden hatte, um die Vertragstreue nicht in Frage zu stellen, liegt es nahe, daß er mit der außerordentlichen Kündigung eine abschließende Regelung schaffen wollte. Gleichwohl kann dieses Argument nicht durchgreifen. Die Vorstellung des Gesetzgebers, ohne einen Notbehelf im Sinne des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auszukommen, ließ sich in der Praxis nicht durchhalten. Da der Gesetzgeber mit der außerordentlichen Kündigung das Prinzip der Vertragstreue allein bei Dauerschuldverhältnissen gerade auflokkern wollte, wäre es widersinnig, hiermit heutzutage eine restriktivere Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf eben diese Dauerschuldverhältnisse zu rechtfertigen. Weiterhin ist zuzugeben, daß bei Dauerschuldverhältnissen eher mit einer Änderung der Gesamtsituation zu rechnen ist, die zu einer Kündigung berechtigen kann. Indes kann eine abweichende Entwicklung nicht ohne weiteres 169 Generell zulässig nach Soergel - Teichmann § 242 BGB Rz. 264, der allerdings von einer Anpassung ipso jure ausgeht und daher die rückwirkende Anpassung lediglich als Geltendmachung eingetretener Rechtsänderungen versteht; vgl. m.w.N. Köhler FS Steindorff 1990 S. 615 ff. 170 Rückwirkende Eingriffe in Dauerschuldverhältnisse lehnte etwa das BAG ausdrücklich in BAG AP Nr. 1 zu § I TVG Rückwirkung; BAG AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage mit in diesem Punkt ablehnender Anm. von Mayer-Maly ab; ebenfalls für eine ausschließlich Kündigung Emmerich, Recht der Leistungsstörungen S. 358 f.; anders aber nunmehr BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff.316=DB 1995, 1240ff. 171 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen S.I 0 I f.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
eine Vertragsbeendigung rechtfertigen, sofern hierdurch die Interessen der Gegenseite unzulänglich gewahrt werden. Wenn auch regelmäßig bei Dauerschuldverhältnissen die Vertragsbeendigung einer gerichtlichen Anpassung vorzuziehen ist, weil beide Seiten ihre künftigen Leistungen behalten können, so genügt die Beendigungsmöglichkeit in jenen Fällen nicht, bei denen eine Seite anfangs bewußt höhere Leistungen erbringt, weil sie einen späteren Ausgleich erwartet. Als Beispiel sei darauf hingewiesen, daß fest vereinbarte Darlehnszinsen üblicherweise mit der Dauer der Festzinsvereinbarung steigen. In solchen Fällen wird daher eine längere Zinsbindung mit einem höheren Zins erkauft. Die Vertragsautbebung allein reicht daher in solchen Fällen nicht aus. Beiden Rechtsinstituten ist eine besondere Interessenabwägung immanent, weil sie als außerordentliche Rechtsbehelfe zur Veränderung der ursprünglichen Vertragsbindung dienen. Die Möglichkeit einer angemessenen Vertragsanpassung oder äußerstenfalls einer rückwirkenden Autbebung erlaubt es bei Dauerschuldverhältnissen, nicht nur auf der Tatbestands-, sondern auch auf der Rechtsfolgenseite eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dies allein ermöglicht, eine angemessene Lösung zu fmden, wenn entweder eine fortdauernde Bindung unter unverändertem Vertragsinhalt der einen und eine völlige Beendigung der anderen Seite nicht zuzumuten ist oder nur eine rückwirkende Autbebung interessengerecht ist. Schließlich nähern sich die tatsächlichen Verhältnisse bei befristeten Dauerschuldverhältnissen und langfristigen Austauschverhältnissen - z.B. langjährigen Abzahlungskäufen oder Darlehensverträgen - derart an, daß eine andersartige Behandlung nicht mehr berechtigt sein kann.
b) Subsidiäre Anwendung aus besonderen Gründen bei der Betriebsvereinbarung Der sinnvolle Effekt einer parallelen Anwendung von Vertragsanpassung und außerordentlicher Kündigung nebeneinander zeigt sich gerade bei Betriebsvereinbarungen besonders deutlich. Dort kann der Betriebsrat nur im Bereich der zwingenden Mitbestimmung einen Neuabschluß durchsetzen, so daß seine Interessen gewahrt bleiben. Bei einer freiwilligen Betriebsvereinbarung hingegen würde eine außerordentliche Kündigung dazu führen, daß wegen der fehlenden Nachwirkung jedwede mitbestimmte Regelung entfallt. Mangels Initiativrecht und verbindlichem Einigungsstellenspruch hinge eine Neuregelung allein von der Bereitschaft des Arbeitgebers ab. Da es sich bei Betriebsvereinbarungen nicht um echte Austausch-, sondern um Regelungsverträge handelt, hat der Arbeitgeber praktisch solange kein Interesse an ei-
F. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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nem Neuabschluß, wie er nicht bessere Arbeitgeberleistungen anbieten muß, um neue Fachkräfte zu werben, oder die vorhandene Belegschaft zu halten. Dies ist umso mehr bedenklich, weil ein Wegfall der Geschäftsgrundlage oder eine außerordentliche Kündigung vornehmlich bedeutsam werden, wenn die ordentliche Kündigung etwa konkludent durch Befristung ausgeschlossen oder eine wesentlich längere als die Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG vereinbart wurde. Eine solche abweichende Regelung zur ordentlichen Kündigung nach § 77 Abs. 5 BetrVG erzeugt eine gesteigerte Selbstbindung des Arbeitgebers. Kann eine Vertragsanpassung entsprechend den obigen Ausführungen durch die Einigungsstelle erfolgen, ist nicht einzusehen, warum der Arbeitgeber sich von jeglicher Last befreien darf. Vielmehr entspricht es gerade der gesteigerten Selbstbindung, wenn eine Anpassung an die neue Wirtschaftslage erfolgt. Weiterhin ist eine Anpassung in den Fällen erforderlicq, in denen die Betriebspartner die Nachwirkung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung vereinbart haben 172 • Denn hier beseitigt eine Kündigung gerade noch nicht die Folgen der Betriebsvereinbarung. Läßt man hingegen die freiwillig vereinbarte Nachwirkung gleichzeitig entfallen, wird wiederum die gesteigerte Selbstbindung des Arbeitgebers mißachtet. Daher ist eine Vertragsanpassung und äußerstenfalls eine rückwirkende Vertragsaufhebung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage neben einer außerordentlichen Kündigung anwendbar. Beide außerordentlichen Rechtsbehelfe, der Wegfall der Geschäftsgrundlage und die außerordentliche Kündigung, stehen somit nebeneinander. Die außerordentliche Kündigung geht im Falle der künftigen Vertragsaufhebung vor, doch ist dies wegen der identischen Rechtsfolgen letztlich nur eine begriffliche Frage. Die außerordentliche Kündigung ist allerdings für gewöhnlich vorzugswürdig, weil sie der gesetzlichen Wertung entspricht und eine faktische Inhaltsbestimmung durch Dritte unterbleiben kann. Die Vertragspartner sind vielmehr auf eigene Neuverhandlungen zu verweisen. Ausnahmsweise ist eine mögliche Vertragsanpassung oder eine rückwirkende Aufhebung zulässig, sofern nur auf diese Weise die berechtigten Interessen der vertragstreuen Seite hinreichend berücksichtigt werden können. Dies ist bei Betriebsvereinbarungen der freiwilligen Mitbestimmung regelmäßig der Fall, um so die gesteigerte Selbstbindung des Arbeitgebers ausreichend würdigen zu können. Zu weit führt es jedoch, grundSätzlich im Bereich der zwin172 Zur Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung zuletzt LAG Sachsenanhalt NZA-RR 1997,213.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
genden Mitbestimmung eine vorrangige Anpassung zu fordem 173 • Dies ist nicht nötig, weil mit dem Vertragsende das Initiativrecht der Gegenseite wieder auflebt.
Vll. Zusammenfassung 1. Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage fmdet auf Betriebsvereinbarungen tatbestandlich uneingeschränkt Anwendung. Solcher Wegfall liegt unabdingbar vor, wenn eine wirtschaftliche Notlage eingetreten ist und eine Sanierungschance besteht. Im übrigen können einzelne Umstände, die noch keine Notlage verursachen, einen Wegfall der Geschäftsgrundlage beinhalten. Freilich können solche ohne weiteres abbedungen werden mit der Folge, daß die vertragliche Risikoverteilung eine Berufung auf die Geschäftsgrundlage ausschließt. 2. Bei der Rechtsfolgenbestimmung ist zunächst zu beachten, daß eine rückwirkende Anpassung oder Aufhebung nur insoweit erworbene Individualansprüche berühren darf, als der Wegfall der Geschäftsgrundlage auf das Individualverhältnis durchschlägt, was aus Vertrauensgesichtspunkten lediglich möglich ist, wenn die Geschäftsgrundlage für die Belegschaft erkennbar war. Dies ist bei der gesetzesimmanenten Schranke der wirtschaftlichen Notlage immer der Fall. Im übrigen muß die Geschäftsgrundlage aus der Betriebsvereinbarung oder sonstigen der Belegschaft bekannten Umständen ersichtlich sein.
3. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage gewährt ein Gestaltungsrecht und bedarf daher der Ausübung durch die Abgabe einer Willenserklärung gegenüber dem Betriebsrat. Einer Erklärung gegenüber der Belegschaft bedarf es nicht. Der Arbeitgeber darf seine Leistungspflichten dieser gegenüber nach Vertrauensgrundsätzen allerdings erst ab dem Zeitpunkt reduzieren, wo sie vom Wegfall der Geschäftsgrundlage in Kenntnis gesetzt wurde. Eine Auslegung im Betrieb analog § 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG ist nicht zwingend. Sie ist wegen des Vertrauensschutzes sinnvoll und stellt insoweit eine Obliegenheit dar. 4. Auch bei Betriebsvereinbarungen kann neben der Auflösung eine Vertragsanpassung erfolgen. Diese ist von der Einigungsstelle und nicht vom Arbeitsgericht vorzunehmen, weil die Feststellung der Rechtsfolgen eine faktische Regelungswirkung beinhaltet. In diesem Fall ist der Spruch der Eini173 So für den Sozialplan Meyer NZA 1995, 974 ff. - 978; Kaven, Sozialplan, S. 137, was schon deshalb im Ansatz nicht überzeugt, weil Sozialpläne regelmäßig keine Dauerschuldverhältnisse sind und daher eine Kündigung ausscheidet.
G. Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen
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gungsstelle ausnahmsweise entgegen dem Wortlaut des § 76 Abs. 6 BetrVG auch im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung verbindlich, soweit er Pflichten des Arbeitgebers lediglich reduziert, ohne sie wesensmäßig zu verändern. Die Einigungsstelle kann zu diesem Zwecke direkt angerufen werden; eine vorherige gerichtliche Feststellung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist nicht notwendig. 5. Der Arbeitgeber darf unter Berufung auf die Geschäftsgrundlage keine faktische Anpassung vor einem Spruch der Einigungsstelle vornehmen, weil den Arbeitnehmern hiergegen kein wirksamer Rechtsschutz zukommen würde. Eine Vertragsaufhebung kann er unmittelbar durchsetzen, weil diese voll justiziabel ist. 6. Die außerordentliche Kündigung verdrängt in ihrem Anwendungsbereich als lex specialis die zukünftige Vertragsaufhebung nach den Regeln der Geschäftsgrundlagenstörung. Sie ist allgemein auch gegenüber einer Vertragsanpassung oder einer rückwirkenden Aufhebung vorzugswürdig, weil sie der gesetzlichen Wertung entspricht und eine faktische Inhaltsbestimmung durch einen Dritten unterbleiben kann. Die Vertragspartner sind dann auf eigene Neuverhandlungen zu verweisen. Eine Vertragsanpassung oder rückwirkende Aufhebung ist ausnahmsweise geboten und geht insoweit der außerordentlichen Kündigung vor, sofern nur auf diese Weise die berechtigten Interessen der vertragstreuen Seite hinreichend berücksichtigt werden können. Dies ist bei Betriebsvereinbarungen der freiwilligen Mitbestimmung regelmäßig der Fall, um so die gesteigerte Selbstbindung des Arbeitgebers berücksichtigen zu können.
G. Die Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen Bisher wurde ausführlich dargestellt, inwieweit der Arbeitgeber das Recht hat, einseitig auf Betriebsvereinbarungen einzuwirken. Damit ist der Problemkreis einseitiger Einflußmöglichkeiten bei Betriebsvereinbarungen nicht abschließend behandelt. Anders als im gewöhnlichen Zivilrecht, wo ein Vertrag mit seiner Beendigung regelmäßig nur noch als causa der ausgetauschten Leistungen dient und im übrigen allenfalls nachvertragliche Treuepflichten begründet, werden nicht alle Betriebsvereinbarungen nach ihrer Beendigung für die Zukunft wirkungslos. Vielmehr ordnet § 77 Abs. 6 BetrVG in Angelegenheiten der zwin-
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
genden Mitbestimmung an, daß deren Regelungen solange fortgelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werdeni. Wie im Rahmen der ordentlichen Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen dargestellt, ist eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG auf solche Vereinbarungen abzulehnen. Ebenfalls wurde bereits im Rahmen der ordentlichen Kündigung ausführlich dargelegt, daß auch teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen nicht nachwirken. Dies hat entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann für den mitbestimmungsfreien Teil zu gelten, wenn der Arbeitgeber zugleich den Neuabschluß einer reduzierten Betriebsvereinbarung beabsichtigt. In diesem Fall wirkt allerdings der Verteilungsschlüssel nach, der sich aus den alten Leistungsgrundsätzen ergibe.
I. Problemstellung und Meinungsstand Die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG verhindert im Bereich der zwingenden Mitbestimmung trotz formaler Beendigung einer Betriebsvereinbarung eine sofortige materielle Änderung der Arbeitsbedingungen. Dies hat zur Folge, daß vereinbarte Leistungsansprüche im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung, insbesondere in Sozialplänen im Sinne des § 112 BetrVG oder etwa bei Betriebsvereinbarungen über Akkord- und Prämiensätze gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, trotz beendeter Betriebsvereinbarung in gleicher Höhe zur Entstehung kommen. Allerdings kann einer lediglich noch nachwirkenden Regelung nicht das gleiche Vertrauen entgegengebracht werden wie unbeendeten Betriebsvereinbarungen, so daß eine rückwirkende Herabsetzung möglich ise. Die Bedeutung einer solchen Wirkung ist trotz der denkbaren rückwirkenden Herabsetzung nicht zu unterschätzen. Kommt keine Verständigung mit dem Betriebsrat zustande, müßte der Arbeitgeber das Einigungsstellenverfahren durchlaufen, bevor eine Beendigung faktisch wirksam werden kann. Dieses kann allerdings sehr langwierig sein, insbesondere wenn es der Betriebsrat hinauszögern will. 1 Bei der Nachwirkung des § 77 Abs. 6 BetrVG ist zwar umstritten, ob diese in entsprechender Anwendung der h.M. zu § 4 Abs. 5 TVG nur für Arbeitsverhältnisse gilt, die zum Zeitpunkt des Betriebsvereinbarungsendes bestanden - so etwa Blomeyer DB 1985, 2506 ff. - 2507-, oder generell für alle Arbeitnehmer - so unter Berufung auf den abweichenden Zweck des § 77 Abs. 6 BetrVG die Mitbestimmung zu gewährleisten m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 342; kann für die vorliegende Arbeit dahinstehen, da auch erstgenannte Auffassung einem Unternehmen in wirtschaftlicher Bedrängnis nur eine geringe und zufällige Entlastung bringen kann. 2 Vgl. oben unter DIll 3 c - Seite 152 ff. 3 BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995,314 ff.- 316 = DB 1995, 1240 ff; Meyer NZA 1995, 974 ff. - 977.
G. Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen
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So sollen z.B. Betriebsräte bei Betriebsänderungen mit der konkludenten Drohung einer bewußten Verschleppung des Verfahrens über einen Interessenausgleich einen höheren Dotierungsrahmen für Sozialpläne erwirkt haben. Dies hat den Gesetzgeber sogar dazu veranlaßt, im Rahmen der Insolvenzordnung die Stellung des Betriebsrates diesbezüglich herabzusetzen, wie insbesondere § 121 InsO zeigt. Die Bedeutung der Nachwirkung wird nicht dadurch gemindert, daß die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung nur für bereits bestehende Arbeitsverträge eingreifen4 und auch dort nicht mehr zwingend gelten, eine vertragliche Abweichung also möglich ist. Der Arbeitgeber müßte hierfür eine freiwillige einheitliche Neuregelung mit allen seinen Arbeitnehmern herbeiführen. Schon wenn eine Einigung mit einem Arbeitnehmer nicht zustande käme, bliebe ihm nur noch der sehr umständliche Weg der Änderungskündigung diesem gegenüber. Da regelmäßig das Kündigungsschutzgesetz Platz greift, müßte er insoweit jedenfalls dringende betriebliche Erfordernisse vortragen können, damit seine Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG wirksam sein soll. Allerdings könnte man diese dringenden betrieblichen Belange bei einer angespannten Unternehmenssituation bejahen. Der Weg über Individualvereinbarungen wird dem Arbeitgeber gerade im Bereich der zwingenden Mitbestimmung verschlossen. Eine einheitliche Neuregelung solcher Angelegenheiten für die gesamte Belegschaft durch Individualvereinbarungen würde aufgrund ihrer Gleichförmigkeit und damit ihres kollektiven Charakters das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates verletzen. Nach der Theorie der notwendigen Mitbestimmung wären daher sämtliche Individualvereinbarungen jedenfalls insoweit unwirksam, als sie für die Arbeitnehmer ungünstiger sind. Erst recht ist hiernach eine abweichende Einheitsregelung über eine Massenänderungskündigung ausgeschlossen, selbst wenn der Arbeitgeber dringendste betriebliche Gründe vorbringen könnte. Damit besteht die Gefahr, daß die Verzögerung der materiellen Beendigung durch die Nachwirkung eine drohende Insolvenz eintreten läßt, bevor im Wege des Einigungsstellenverfahrens die zu hohe Belastung abgebaut werden kann. In einer akuten fmanziellen Not kann daher die Nachwirkung die Existenzvernichtung des Unternehmens verursachen, obwohl diese gerade durch die Beendigung oder Anpassung der Betriebsvereinbarungen vermieden werden sollte. Deshalb stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine Nachwirkung bei Existenzgefährdung noch greifen darf. Die Äußerungen hierzu sind nicht sehr ausführlich und umfangreich. Sie können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Während die eine Meinung von 4
So die h.M. Stege / Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 44.
17 Beathalter
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einer Nachwirkung ausgehtS, betont die Gegenansicht, daß der Zweck einer außerordentlichen Kündigung die sofortige Beseitigung des Vertragsbandes sei. Daher könne bei ihr keine Nachwirkung zulässig sein6 • Das gleiche müsse für den Wegfall der Geschäftsgrundlage gelten7 , wenn eine Vertragsauthebung zu erfolgen habe. Während sich die erste Ansicht streng an den Wortlaut des § 77 Abs. 6 BetrVG hält, stellt die andere Meinung formal auf das verwendete Rechtsinstitut zur Beendigung ab. Beide Auffassungen vermögen nicht zu überzeugen. Die Nachwirkung vom Gestaltungsmittel abhängig zu machen, das die Betriebsvereinbarung beendet, läßt unbeachtet, daß eine außerordentliche Kündigung nur zulässig sein kann, weil die ordentliche Kündigung mit gesetzlicher Frist abbedungen wurde. In einem solchen Falle ohne weiteres die Nachwirkung entfallen zu lassen, wäre willkürlich. Gegen die andere Ansicht bestehen praktische Bedenken. Beruht die Beendigung auf der wirtschaftlichen Notlage, so erscheint es fragwürdig, den Grundsatz "paeta sunt servanda" zunächst gegenüber dem Betriebswohl zurückzustellen und anschließend hinzunehmen, wenn der Betrieb die Nachwirkung nicht übersteht. Dies könnte nur richtig sein, wenn § 77 Abs. 6 BetrVG keine andere Lösung zuläßt. Ferner sei darauf hingewiesen, daß dieser Meinungsstreit bei einer vorrangigen Vertragsanpassung unerheblich ist, weil es dann nicht zu einer Vertragsbeendigung kommt, was eine Nachwirkung ohne weiteres ausschließt. Es ist daher zu ermitteln, ob und inwieweit die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 6 BetrVG in wirtschaftlicher Not entfallen kann.
11. Eigene Stellungnahme und Lösung Eine Begrenzung der Nachwirkung aus § 77 Abs. 6 BetrVG wäre nutzlos, wenn diese Bestimmung allein deklaratorischen Charakter hätte und sie sich bereits aus anderen Grundsätzen zwangsläufig ergeben würde.
5 BAG DB 1995, 480 ff - 481; BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 1995, 314 ff.- 316 = DB 1995, 1240 ff; Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § 77 Rz. 58; MünchArbR - Matthes, § 319 Rz. 52. 6 LAG Saarland, DB 1986, 48; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § 77 Rz. 153; Weber, Abänderung von Sozialplänen, S. 83. 7 Generell keine Nachwirkung bei Geschäftsgrundlagenstörung Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 230.
G. Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen
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Welche Rechtsnatur der Nachwirkungsanordnung zukommt, ist umstritten8 • Weitestgehend Einigkeit besteht, daß sie konstitutiv ist9 • Lediglich bei der Annahme, daß die normative Wirkung kollektiver Vereinbarungen allein darauf beruht, daß sie Bestandteil des einzelnen Arbeitsvertrages wird, wäre eine Nachwirkung schlicht deklaratorisch lO • Diese Konstruktion ist den rein rechtsgeschäftlichen Deutungsversuchen der normativen Wirkung von Gesamtvereinbarungen zu eigen. Wie dargelegt, kann diese rechtsgeschäftliehe Einordnung nicht erklären, warum die Kollektivregelung für die Individualvertragsparteien unantastbar ist, und war daher abzulehnen. Nach der hier vertretenen Theorie der privaten Rechtsetzung aufgrund staatlichen Geltungsbefehls endet mit Ablauf einer Kollektivvereinbarung der Anknüpfungspunkt des Geltungsbefehlsli. § 77 Abs. 6 BetrVG bewirkt daher konstitutiv eine Fortgeltung der Regelungen einer Betriebsvereinbarung über ihren Bestand hinaus 12. Wie sie zu defmieren ist, kann vorliegend dahinstehen. § 77 Abs. 6 BetrVG ist jedenfalls konstitutiv und daher eine Prüfung erforderlich, ob seine Nachwirkung in wirtschaftlicher Bedrängnis begrenzt sein kann. Der Wortlaut spricht vom Ablauf einer Betriebsvereinbarung, ohne bei den Gründen der Beendigung zu unterscheiden. § 77 Abs. 6 BetrVG enthält lediglich die Begrenzung auf solche der zwingenden Mitbestimmung. Allenfalls könnte man in dem Wort "Ablauf" ein Indiz erblicken, daß der Gesetzgeber die gewöhnliche Beendigung vor Augen und nicht an eine außerordentliche Beendigung gedacht hatte, die auch als Abbruch bezeichnet werden könnte. Systematisch behandelt zwar § 77 Abs. 5 BetrVG als vorhergehende Bestimmung nur die ordentliche Kündigung. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, daß die Nachwirkung lediglich für diese gelten soll. Zunächst hätte bei anderer Auslegung erwartet werden können, daß der Gesetz8 Vgl. die umfassende Darstellung ftir das Tarifrecht von Rotter, Nachwirkung der Tarifnormen eines Tarifvertrages. 9 M.W.N. Stege I Weinspaeh, BetrVG § 77 Rz. 27. 10 Vgl. ftir das Tarifrecht die Kritik von Rotter, Nachwirkung der Tarifnormen eines Tarifvertrages, S. 20f. ; anders allerdings noch unter TVVO vgl. insoweit die Darstellung bei Hersehel ZfA 1976, 89 ff.- 92 ff. Diese bewußte Änderung der Rechtslage ist daher mit einer gleichbeibenden dogmatischen Begründung der Nachwirkung unvereinbar Hersehel ZfA 1976, 89 ff. - 94 ff. il Insoweit geht auch Nikiseh, ArbR H, S. 390 fehl, wenn er von einem Eingang der Normen in das Einzelarbeitsverhältnis mit der Begründung ausgeht, die Normen würden wie gesetzliche Regelungen Teil des gesamten Rechtsverhältnisses. Dies ist im Ansatz unzutreffend, so würden auch Gesetzesbestimmungen ftir einen Vertrag nicht weitergelten, wenn der Gesetzgeber sie ersatzlos streicht und nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten Übergangsregelungen schafft; vgl. auch Rotter, Nachwirkung von Tarifnormen, S. 21 f. 12 V gl. ftir das Tarifrecht Hersehe! ZfA 1976, 89 ff - 96; Zöllner RdA 1964, 443 ff. 445.
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
geber die Nachwirkung nicht in einem eigenen Absatz, sondern als weitere Sätze der Regelung über die ordentliche Kündigung in § 77 Abs. 5 BetrVG angeschlossen hätte. § 77 Abs. 5 BetrVG und § 77 Abs. 6 BetrVG haben zudem verschiedene Anwendungsbereiche. Während § 77 Abs. 5 BetrVG für alle Betriebsvereinbarungen gilt, sofern sie Dauerschuldverhältnisse begründen, ist § 77 Abs. 6 BetrVG einerseits deutlich enger, weil er nur Betriebsvereinbarungen zwingender Mitbestimmung erfaßt, und wirkt andererseits weiter, als er auch auf solche Anwendung fmdet, die kein Dauerschuldverhältnis begründen - insbesondere Sozialpläne -. Hervorzuheben ist schließlich, daß § 77 Abs. 6 BetrVG unabhängig von der ordentlichen Kündigung gilt, wenn eine befristete Betriebsvereinbarung durch bloßen Zeitablauf endet. Gesetzgeberisches Ziel des § 77 Abs. 6 BetrVG ist, eine Regelungslücke im Bereich der zwingenden Mitbestimmung zu verhindern. Wenn der Arbeitgeber vorübergehend notleidend ist, ändert dies nichts daran, daß ohne Nachwirkung gerade eine solche Regelungslücke entsteht. Der Gesetzgeber hat in § 77 Abs. 6 BetrVG keine Ausnahmen angedeutet. Daher ist anzunehmen, daß er die Interessen des Kündigenden durch die Möglichkeit, eine Zwangseinigung herbeizuführen, für hinreichend gewahrt erachtet hat. Der Arbeitgeber ist also prinzipiell auf die Möglichkeit einer neuen Betriebsvereinbarung zu verweisen, die er notfalls erzwingen kann. Folglich ist § 77 Abs. 6 BetrVG nach seinem Sinn auch anzuwenden, wenn der Betrieb in wirtschaftlicher Not ist. Aus diesem Grunde hat der Rechtsausschuß auch in den Beratungen zu § 138 des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung - dies ist der heutige § 120 InsO - den zunächst vorgesehenen Abs. I S. 3, wonach ausdrücklich die Regelung des § 77 Abs. 6 BetrVG unberührt bleiben sollte, mit der Begründung herausgenommen, daß sich dies ohnehin aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergebe. Vielmehr hielt man diese Regelung für irreführend, weil die meisten betroffenen Betriebsvereinbarungen solche der freiwilligen Mitbestimmung seien, bei denen eine Nachwirkung gerade nicht greift 13 • Der Gesetzgeber unterstellt also grundsätzlich auch in der Insolvenz eine Anwendung des § 77 Abs. 6 BetrVG. Eine Interpretation darf jedoch nicht allein auf die Norm selbst beschränkt sein. Vielmehr gehört zu einer vollständigen systematischen Auslegung weiter, daß man sie im Kontext des gesamten Gesetzes und der Gesamtrechtsordnung liest und ausdeutet. Daher ist zu prüfen, ob Gesichtspunkte außerhalb des § 77 Abs. 6 BetrVG dessen Nachwirkungsanordnung in wirtschaftlicher Bedrängnis einschränken.
13
Kühler / Prütting (Hrsg), Das neue Insolvenzrecht Bd. I S. 317.
G. Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen
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Solches könnte sich aus den Bestimmungen ergeben, die schon eine außerordentliche Beendigung von Betriebsvereinbarungen aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt haben. Dies sind die §§ 2 Abs. 1; 76 Abs. 5 S. 3 und 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG, nach denen bei jeder innerbetrieblichen Rechtsetzung das Betriebswohl, insbesondere die wirtschaftliche Vertretbarkeit, zu achten ist. Wie ausgeführt, dienen diese Normen unter anderem dazu, das Arbeitnehmerschutzprinzip auf der Ebene des Betriebsverfassungsgesetzes zu erhalten, um eine Existenzvemichtung des Unternehmens und damit einen drohenden Arbeitsplatzverlust für die Belegschaft zu verhindern. Dieses gesetzgeberische Ziel kann durch eine unbeschränkte Nachwirkung vereitelt werden. Zwischen dem Regelungsgehalt des § 77 Abs. 6 BetrVG und dem Schutzprinzip der §§ 2 Abs. 1; 76 Abs. 5 S. 3 und 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG besteht daher ein Spannungsverhältnis, sobald die Nachwirkung die weitere Betriebsexistenz in Frage stellt. Für einen Vorrang der betriebssichernden Bestimmungen spricht zunächst, daß die Bindung an das Betriebswohl in § 2 Abs. 1 BetrVG Grundlage der Koexistenz der Betriebspartner ist. Dabei handelt es sich um eine Maxime, die im gesamten Betriebsverfassungsrecht zu beachten ist. Wenn deren Regelungsmacht und insoweit auch die Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung nach der hier vertretenen Ansicht durch die Betriebsexistenz begrenzt wird, so darf für die Nachwirkung nichts anderes gelten. Die Nachwirkung soll eine Lücke verhindern. Ihr kommt insoweit selbst Regelungswirkung zu. Durch die Anordnung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG kann keine Regelung wirksam bleiben, welche von den Betriebspartnern so nicht mehr getroffen werden dürfte. Dies wird zusätzlich dadurch bekräftigt, daß nach ganz h.M. die Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG dispositiv ist und hinter ihr zumindest mittelbar eine den Grundsätzen des § 2 Abs. 1 BetrVG unterliegende Entscheidung der Betriebspartner steht, sie nicht auszuschliessen. Allerdings ist zu beachten, daß diese Wirkung vom Gesetzgeber nicht auf eine unbegrenzte Fortdauer angelegt ist. Der Arbeitgeber kann eine Neuordnung durch zügige Aufnahme der Verhandlungen und Betreibung des Einigungsstellenverfahrens vorantreiben. Deshalb ist der Vorrang der Grundmaxime des § 2 Abs. 1 BetrVG erst zu bejahen, wenn die Betriebsexistenz ernsthaft gefährdet wird. In der Praxis wird wegen der strengen Anforderungen an die Voraussetzungen für die Beendigung einer Betriebsvereinbarung infolge wirtschaftlicher Notlage deren Ende nahezu automatisch auch bedeuten, daß die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG entfallt. Diese Begrenzung muß jedoch dann eigenständig festgestellt werden, wenn die Beendigung noch keine
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Zweiter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Betriebsvereinbarungen
wirtschaftliche Notlage voraussetzt. Dies ist de facto der Fall, falls eine Betriebsvereinbarung durch ordentliche Kündigung ausläuft, zumal dafür regelmäßig keine Begründung notwendig ist. Die Anordnung des § 77 Abs. 6 BetrVG ist daher so auszulegen, daß die Nachwirkung entfällt, sofern dies zur Erhaltung des Betriebes notwendig ist.
ill. Ergebnis Die materielle Regelung einer Betriebsvereinbarung endet aufgrund der Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nicht durch ihren Ablauf, wenn es um eine Angelegenheit der erzwingbaren Mitbestimmung geht. Die Nachwirkung greift bei teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen, wenn der Arbeitgeber faktisch über eine Leistungsreduzierung den Neuabschluß einer geschmälerten Leistungsregelung beabsichtigt. Sie ist in diesem Falle allein auf den Verteilungsschlüssel beschränkt, der dem Leistungsplan der ursprünglichen Betriebsvereinbarung entspricht. Im Hinblick auf das Leistungsvolumen tritt keine Nachwirkung ein. Diese Nachwirkung gilt auch bei einer Beendigung durch eine außerordentliche Kündigung oder einer Vertrags aufsage wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Nachwirkung wird jedoch durch den Betriebserhalt begrenzt. Es gelten insoweit die Grundsätze der sog. wirtschaftlichen Notlage.
Dritter Teil
Möglichkeiten, Grenzen und Auswirkungen des Arbeitgebereingriffs auf Tarifverträge Nachdem die Möglichkeiten und Grenzen eines Arbeitgebereingriffs auf Betriebsvereinbarungen in der wirtschaftlichen Krise und ihre Folgen dargelegt sind, bleibt nunmehr zu prüfen, inwieweit diese Feststellungen bei den anderen Gesamtvereinbarungen, nämlich den Tarifverträgen, gelten.
A. Anfechtung I. Möglichkeit der Anfechtung Da der Tarifvertrag ein privatrechtlicher Vertrag ist, kommt auch hier die Möglichkeit einer Anfechtung in Betracht. Im Rahmen des zweiten Teils wurde dargelegt, daß bei den Betriebsvereinbarungen eine Anfechtung zulässig ist; daß sie jedoch wegen der normativen Wirkung aufgrund des Vertrauensschutzes der Normenunterworfenen meist nur mit Wirkung ex nunc zur Nichtigkeit führt. Eine Anwendung der Anfechtungsregelungen auf Tarifverträge wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, daß wegen der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz allein die Kündigung zulässig sein soll, wobei der Anfechtungsgrund einen außerordentlichen Kündigungsgrund beinhalten könntei. Soweit der Vertrauensschutz angesprochen wird, genügt diesem, wenn die Nichtigkeitsfolge regelmäßig ex nunc eintritt. Daß die Anfechtung neben der Kündigung dennoch sinnvoll ist, wurde bereits ausgeführe . Insbesondere sei daran erinnert, daß bei einer Anfechtung ein Vertrag als nicht geschlossen gilt. Daher tritt anders als bei einer Kündigung, wo der Tarifvertrag nur beendet wird, bei der Anfechtung keine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ein. Dies entspricht auch den Interessen bei einer Anfechtungslage, weil hier das vertragliche Band von Anfang an fehlerhaft war, und eine Nachwirkung diesen Fehler in die Zukunft weiterwirken lassen würde.
I
2
Kempen/ Zacher!, TVG § 4 Rz. 48. s.o. Zweiter Teil A II - Seite 115 f.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Allerdings wird im Rahmen der Rechtssicherheit immer wieder auf die Bedeutung des Tarifvertrages für eine große Zahl von Beteiligten hingewiesen. Insoweit scheint auf die Quantität der Normenunterworfenen abgestellt zu werden, welche mittelbar noch dadurch vergrößert wird, daß die meisten Arbeitsverträge trotz und gerade für den Fall fehlender beidseitiger Tarifgebundenheit deren Inhalt durch Bezugnahme in den Arbeitsvertrag aufnehmen. Eine solche Argumentation kann nicht überzeugen. In einem Rechtsstaat darf die Beurteilung, ob einem Betroffenen hinreichende Rechtssicherheit eingeräumt ist, nicht davon abhängen, wieviele Personen in der gleichen Situation sind. Daher ist eine Anfechtung entweder schon einem Betroffenen allein nicht zumutbar oder allen unabhängig von deren Zahl. Die Zumutbarkeit für den einzelnen folgt schon aus der Erwägung, daß er aufgrund des Zeitkollisionsprinzips nie davor geschützt ist, wenn Tarifparteien einen neuen Vertrag abschließen, der für ihn ungünstiger ist als der vorhergehende. Die bloße Hoffnung, daß eine verschlechtemdere Regelung selten und daher wenig wahrscheinlich ist, weil ein Neuabschluß notwendig ein Einvernehmen der Tarifpartner voraussetzt, kann rechtlich keine Bedeutung haben. Gegenüber der Betriebsvereinbarung kommt noch hinzu, daß beim Tarifvertrag die normative Wirkung regelmäßig auf einer privatautonomen Legitimation - dem Verbandsbeitritt - beruht. Im Falle des Firmen- beziehungsweise des durch Verbandstarif zugelassenen Unternehmenstarifvertrages beruht die Bindung des Arbeitgebers sogar unmittelbar auf seinem eigenen, selbstbestimmten Vertragsabschluß mit der Gewerkschaft. Folglich ist eine Anfechtung bei Tarifverträgen möglich, wenn auch wegen der normativen Wirkung die Nichtigkeitsfolge gewöhnlich nur ex nunc eintrite. 11. Anfechtungsgrund Es stellt sich die Frage, ob der Eintritt wirtschaftlicher Probleme zur Anfechtung von Tarifverträgen berechtigt. Dann müßte in dieser negativen wirtschaftlichen Entwicklung ein Anfechtungsgrund liegen. Beim Tarifvertrag sind ebenfalls zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Zum einen, daß beim Abschluß des Tarifvertrages von bestimmten Sachverhalten ausgegangen wurde, die nicht vorliegen und dadurch zu einer wirtschaftlichen Not führen. Zum anderen ist an die Konstellation zu denken, daß die konkreten Vorstellungen der Kollektivpartner korrekt waren, aber eine unerwartete negative Entwicklung später zu der wirtschaftlichen Krise geführt hat.
J
So Brox BB 1964, 523 ff. - 527; m.w.N. MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 19.
B. Widerruf und Rücktritt
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Soweit es um eine allgemein unerwartete negative Entwicklung bei ansonsten korrekten Vorstellungen geht, gilt wie oben ausgeführt4 , daß Veränderungen, die erst im Rahmen einer Vertrags abwicklung eintreten und nicht schon während der ursprünglichen Verhandlungen bestanden, keine Störung der Willensbildung darstellen, die der abgegebenen Erklärung zugrunde lag. Diese Fallkonstellationen liegen somit außerhalb des Regelungsbereiches der Anfechtungsbestimmungen, weil es nicht um anfangliche Willensfehler geht. Vielmehr muß im Vertragsrecht nach adäquaten Möglichkeiten der Vertragsanpassung oder -beendigung gesucht werden. Eine Anfechtung scheidet jedenfalls aus. Sind Umstände allerdings bereits beim Abschluß eines Tarifvertrages in Wirklichkeit nicht so, wie sie von den Tarifparteien zu Grunde gelegt wurden, stellt sich die Frage, ob hierin ein Anfechtungsgrund liegt. Es geht um keine mißverstandene Willensäußerung, sondern um einen Irrtum über Sachverhalte, die der Willensbildung zugrunde lagen. Es handelt sich damit um Fälle eines Motivirrtums. Nach der Regelung des § 119 Abs. 2 BGB sind solche nur beachtlich, wenn sie wertbildende Faktoren der einen oder anderen Leistung betreffen und daher indirekt das vorgestellte Synallagma des Vertrages verändern. Bei wirtschaftlicher Notlage ändert sich jedoch nicht der Wert der erbrachten Arbeitsleistung. Folglich führen die hier interessierenden Irrtümer nicht zu einer Verschiebung des Synallagmas, wie ihn die allgemeine Defmition des Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB voraussetzt. Da die Anfechtung wegen des offenen Kalkulationsirrtums abzulehnen ist5 , kann auch hiermit keine Anfechtung begründet werden. Es kann somit festgestellt werden, daß die Arbeitgeberseite aufgrund einer wirtschaftlichen Krise nicht zur Anfechtung eines Tarifvertrages berechtigt ist, gleichgültig worauf diese zurückzuführen ist.
B. Widerruf und Rücktritt
I. Widerruf Wie bei der Betriebsvereinbarung spricht beim Tarifvertrag die allgemeine Vertragsfreiheit des § 305 BGB für die Zulässigkeit eines vereinbarten Widerrufsrechtes. Es wurde bereits festgestellt, daß die normative Wirkung dem nicht entgegensteht, weil gerade in Abgrenzung zum Rücktrittsrecht regelmäßig nur eine Auflösung ex nunc erfolgt. Etwaiges Vertrauen, ein uneinge4 5
s.o. Zweiter Teil A III 1. - Seite 117 f. s.o. Zweiter Teil A II12 b) - Seite 118 f.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
schränktes Widerrufsrecht werde nicht grundlos wahrgenommen, wäre im Falle einer wirtschaftlichen Krise ebenfalls gewahrt. Für die Praxis werden sich beim Tarifvertrag Vereinbarungen über ein Widerrufsrecht kaum treffen lassen, weil die Gewerkschaften auf die Möglichkeit einer nachträglichen vertraglichen Anpassung verweisen werden, bei der sie mitentscheiden und -gestalten können. ll. Rücktritt
Aufgrund der normativen Wirkung könnte ein Rücktritt auch beim Tarifvertrag meist nur mit einer ex nunc Wirkung vereinbart werden. Obwohl er sich im wesentlichen vom Widerruf und der Kündigung dadurch abgrenzt, daß er ein Schuldverhältnis in ein Rückgewährverhältnis umwandelt, käme einem vereinbarten Rücktrittsrecht dennoch ein über ein Widerrufs- oder Kündigungsrecht hinausgehender Sinn zu, weil mit ihm eine Lage herbeigeführt werden soll, die bestehen würde, wenn der Vertrag nie geschlossen worden wäre. Insoweit entspricht es der Vereinbarung eines Rücktrittsrechts, wenn man die dispositive Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG als konkludent ausgeschlossen betrachtet. Folglich kommt diesem Rechtsinstitut rechtlich eine gewisse Eigenständigkeit zu. Indes hat auch der Rücktritt aus den gleichen Gründen wie der Widerruf in der Praxis keine Bedeutung.
C. Ordentliche Kündigung I. Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung von Tarifverträgen
1. Vertragliche Gestaltung als Ausgangspunkt Anders als im Betriebsverfassungsgesetz fmdet sich im Tarifvertragsgesetz keine Regelung über das Recht der ordentlichen Kündigung. Dies bedeutet keineswegs, daß diese Möglichkeit ausgeschlossen ist. Es gilt vielmehr die allgemeine Vertragsfreiheit des § 305 BGB. Daher kann für jeden Tarifvertrag das Recht zur ordentlichen Kündigung eingeräumt und inhaltlich frei gestaltet werden. In der Praxis ist die Vereinbarung üblich, nach der Tarifverträge mit einer Mindestlaufzeit versehen und anschließend frei kündbar sind. Eines Kündigungsgrundes bedarf es dann nicht. Folglich ist die Arbeitgeberseite im Normal fall auf die ordentliche Kündigung nach der Mindestlaufzeit verwiesen.
c. Ordentliche Kündigung
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Eine vorzeitige Beendigung durch eine ordentliche Kündigung ist solange ausgeschlossen. Aufgrund der Vertragsfreiheit und der verschiedensten denkbaren Interessenlagen sind in der Praxis weitere ganz unterschiedliche Bestimmungen zur Beendigung geschaffen worden. Aus diesem Grund hängt die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung immer vom einzelnen Tarifvertrag ab. Im Rahmen dieser Arbeit kann daher nur gefragt werden, welche Regelung gilt, wenn entsprechende Bestimmungen fehlen. Dabei ist allgemein anerkannt, daß zunächst zu prüfen ist, ob aus dem Vertragszweck und den getroffenen Regelungen eine konkludente Bestimmung abgeleitet werden kann. So ist in einer Befristung eines Tarifvertrages, wodurch dieser mit Ablauf eines bestimmten Zeitpunktes oder -raumes ohne weiteres endet, nach allgemeinen Grundsätzen der Ausschluß der ordentlichen Kündigung zu erblicken 1• Des weiteren ist eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen. So wird man bei einer Übergangslösung grundsätzlich davon ausgehen können, daß eine Kündigung jederzeit zulässig ist, um eine endgültige Neuregelung notfalls mittels Arbeitskampf durchsetzen zu können2 •
2. Bei Fehlen vertraglicher Absprachen Ist auch im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung keine Bestimmung über die ordentliche Kündigung zu fmden, stellt sich die Frage, ob die fehlende gesetzliche Regelung im Tarifvertragsgesetz die ordentliche Kündigung ausschließt. Dies wäre bei einer bewußten Gesetzeslücke denkbar, wenn die fehlende Regelung auf dem Willen des Gesetzgebers beruht, also eine vom Normanwender zu berücksichtigende bewußte Regelungslücke vorliegen würde 3 • Aus den Materialien ist eine solche Entscheidung nicht zu entnehmen. Vielmehr war schon in der früheren Diskussion unstreitig, daß nach allgemeinen Vertragsgrundsätzen selbst ohne ausdrückliche Regelung eine ordentliche Kündbarkeit greift4 • Auch sonst wird angenommen, daß ein unbefristetes Dauerschuldverhältnis frei kündbar sein soll, wenn dem nicht der ausdrückliche oder konkludente Parteiwille entgegensteht. Für gewöhnlich will keine Partei eine Ewigkeitsbindung eingehen5 • Ein Ausschluß der ordentlichen Kündigung würde ferner die Gefahr einer Versteinerung herbeiführen, da ohne 1 Überwiegende Auffassung m.w.N. Oetlrer RdA 1995, 82 ff. - 92; a.A. Thiele RdA 1968, 424 ff. - 426, der jedoch verkennt, daß die Parteien mit einer Befristungsabrede regelmäßig eine Mindestlaufzeit und damit eine entsprechende Vertragsbindung begründen wollen. Etwas anderes kann man nur annehmen, wenn im Einzelfall ein abweichender Wille erkennbar ist vgl auch BGH ZIP 1993, 367 ff. - 369. 2 Däubler, TVG Rz. 1435. 3 Vgl. Kempen / Zachert, TVG § 4 Rz. 42. 4 Vgl. mit umfangreichen Nachweisen Oetker RdA 1995,82 ff. - 85f. 5 BGH LM Nr. 8 zu § 242 BGB; BGH NJW 1988,332 f. - 333.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Kündigung die Friedenspflicht fortbesteht und eine Anpassung an Veränderungen nur aufgrund eines gemeinsamen Anpassungsvertrages möglich wäre6 • Daher hätte der Gesetzgeber schon ausdrücklich seinen Willen durch eine entsprechende Bestimmung kundgeben müssen, wenn er tatsächlich die ordentliche Kündbarkeit für den Fall der fehlenden Regelung durch die Tarifparteien hätte ausschließen wollen7 • Die ordentliche Kündigung bedarf grundsätzlich keiner Einschränkungen aus dem Gesichtspunkt des Vertrauens schutzes der Normenunterworfenen, weil kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand von Kollektivverträgen anerkannt werden kann. Erworbene Besitzstände bleiben von der ex nunc wirkenden Kündigung unberührt8 • Folglich ist bei fehlender Vertragsregelung eine ordentliche Kündigung zulässig. Weiterhin stellt sich die Frage, ob aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung die Tarifparteien jederzeit zu einer fristlosen Kündigung berechtigt sind9 • Daß die fehlende Bestimmung eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers und damit eine gewollte Regelungslücke beinhaltet, welche die Tarifpartner zur jederzeitigen grundlosen fristlosen Kündigung berechtigen würde, ist nicht feststellbar 10 • Demnach stellt sich die Frage, wie die bestehende Lücke zu behandeln ist. Insoweit ist zunächst entscheidend, ob die fehlende Regelung ausfüllungsbedürftig ist, was anzunehmen ist, wenn Handlungsbedarf besteht. Insoweit ist zunächst ein Blick auf die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen der ordentlichen Kündigung angezeigt, als sie die vorhandene gesetzliche Konzeption und Wertung im Zivilrecht widerspiegeln. Im Rahmen einer solchen Betrachtung zeigt sich, daß der Gesetzgeber bei nahezu jeder von ihm eingeräumten ordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses eine Kündigungsfrist vorsieht. Dieser liegt der Gedanke zugrunde, daß der Partner auf die Fortführung des Vertrages grundsätzlich vertraut und nicht durch eine fristlose Maßnahme völlig überrascht werden soll. Durch die Befristung erhält er Zeit, sich auf die ändernde Rechtslage einzustellen. Zwar ist diese Frist zumeist dispositiv, doch ändert dies nichts am Schutzgedanken. Wenn der Kündigungsgegner einer abweichenden Regelung zustimmt, hat er ein entThiele RdA 1968, 424 ff. - 426. So zu Recht Oetker RdA 1995, 82 ff. - 88 f. 8 Oetker RdA 1995, 82 ff - 92 f; vgl bei der Betriebsvereinbarung oben Zweiter Teil D III 2 - Seite l31 ff. 9 So etwa Jaeobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 216; Hersehel, Arbeitsrecht S.51; Hueek., Alfred/ Niperdey/ Stahlhaeke TVG § 1 Rz. 38; Hueckl Nipperdey, ArbR II/I S. 470; Nikiseh, ArbR 11 S. 350. 10 Vgl. m.w.N. Oetker RdA 1995, 82 ff. - 88 f. 6
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c. Ordentliche Kündigung
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sprechendes Risiko bewußt übernommen und darf daher nicht auf den Fortbestand in die Zukunft vertrauen. Dieser Schutz vor einer überraschenden Änderung der Rechtslage ist auch beim Tarifvertrag angezeigt, wobei hier nicht nur der Vertragspartner , sondern daneben die normunterworfenen Arbeitnehmer zu schützen sind. Aufgrund der allgemeinen gesetzlichen Wertung ist die fehlende Regelung als ausfüllungsbedürftige Lücke anzusehen. Damit stellt sich die Frage, ob durch analoge Anwendung einer anderen Norm die bestehende Lücke im zu unterstellenden Sinne des Gesetzgebers geschlossen werden kann. Hierfür kommt die Anwendung der Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG in Betracht. Es ist daher zu prüfen, ob eine analoge Anwendung dieser Norm dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers am ehesten entspricht. Zunächst könnte man dem entgegenhalten, daß die Wahl gerade dieser Frist des § 77 Abs. 5 BetrVG willkürlich ist, weshalb eine Analogie ausscheidet. Soweit diese Erwägung die Länge der Kündigungsfrist betrifft, ist zu beachten, daß bei jeder Festlegung von Stichtagen, Fristlängen u.ä. der Gesetzgeber unvermeidbar willkürlich handeln muß, sofern sich nicht ganz ausnahmsweise aus dem Sachzusammenhang eine logische Länge ergibt. Entscheidend muß daher sein, ob die Ausgangslage des geregelten Falles in § 77 Abs. 5 BetrVG der Interessenlage beim Tarifvertrag sehr nahe kommt. Dies wird man aus einem einfachen Grund bejahen müssen. Beide Vertragstypen stellen Gesamtvereinbarungen dar mit der Folge, daß bei der Interessenbewertung, die zur Fristlänge des § 77 Abs. 5 BetrVG geführt hat, nicht nur der Schutz des Vertragspartners, sondern auch das tatsächliche Vertrauen der Normenunterworfenen in den weiteren Regelungsfortbestand berücksichtigt worden ist. Genau dieser Aspekt muß bei einer Kündigung von Tarifverträgen mit in die Interessenbewertung einbezogen werden, weshalb eine analoge Anwendung des § 77 Abs. 5 BetrVG zur Schließung der Lücke im Tarifvertragsgesetz sinnvoll ist. Schließlich hat der Gesetzgeber diese Regelung auch auf Richtlinien des Sprecherausschusses durch § 28 Abs. 2 S. 4 SprAuG erstreckt, bei denen die zwingende Wirkung vereinbart ist. Gerade diese begrenzte Erstreckung auf normativ wirkende Richtlinien belegt die gesetzgeberische Vorstellung, daß wegen der Normenunterworfenen prinzipiell eine Kündigungsfrist angebracht ist ll . Folglich ist die Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG auf Tarifverträge analog anzuwenden, wenn selbst eine ergänzende Vertragsauslegung zu kei c
11
Oetker RdA 1995, 82 ff. - 92.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
nem anderen Ergebnis führe 2 • Die analoge Anwendung bestätigt ferner, daß für eine ordentliche Kündigung kein Grund erforderlich ist.
11. Rechtsfolgen der ordentlichen Kündigung und ihre Bedeutung für die Arbeitgeberseite
1. Eintritt und Rechtsjolgen der Nachwirkung Mit Ablauf der Kündigungsfrist endet zwar der Tarifvertrag, seine Rechtsnormen gelten jedoch gemäß § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Aufgrund dieser Nachwirkung des normativen Teiles führt die ordentliche Kündigung des Tarifvertrages allein noch nicht zu einer Änderung der materiellen Arbeitsbedingungen. Allerdings ist diese Nachwirkung dispositiv. Daher kann der Arbeitgeber neue Vereinbarungen auch auf der Individualebene schließen. Da es anders als in der Betriebsverfassung keine notwendige Mitbestimmung im Tarifrecht gibt, darf der Arbeitgeber zudem versuchen, durch entsprechende Individualabreden eine gleichmässige Leistungsreduzierung herbeizuführen, ohne daß dieses Vorgehen wegen seiner kollektiven Wirkung unwirksam wäre. Im Rahmen der Nachwirkung könnte man annehmen, daß eine andere Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG, welche die nachwirkende Regelung ersetzt, eine frühere einzelvertragliche Regelung sein kann. So läßt das Bundesarbeitsgericht beim Ende einer freiwilligen Betriebsvereinbarung über Zusatzleistungen frühere Individualabsprachen wieder aufleben13 • Die normative Wirkung verdränge nur ungünstigere Abmachungen, ohne sie etwa nach § 134 BGB nichtig zu machen l4 • Insoweit könnte man darüber nachdenken, ob frühere Vereinbarungen die nachwirkende Tarifregelung ersetzen. Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG spricht von "ersetzen". Dieser Begriff paßt eher auf eine nach Ablauf des Tarifvertrages geschlossene Regelung 15 • Für eine Ersetzung durch frühere Individualvereinbarungen kann angeführt werden, daß damit zumindest die gesetzliche Intention des § 4 Abs. 5 TVG gewahrt würde, inhaltsleere Arbeitsverträge zu verhindern. Indes ist dem entgegenzuhalten, daß Individualvereinbarungen faktisch nicht mehr für eine 12 So in einem obiter dictum BAG NZA 1997, 1234 ff.; Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 771; Wiedemann /Stumpf, TVG § 4 Rz. 18; Löwisch JZ 1996, 812 ff. 814; ders. in MünchArbR, § 249 Rz. 26; ders.! Rieble, TVG § 1 Rz. 360; Wank FS Schaub S. 761 ff. -763 f.; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 92. 13 BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. 14 BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. 15 VgI. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 49.
C. Ordentliche Kündigung
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befriedigende Inhaltsbestimmung des Arbeitsvertrages herangezogen werden können, wenn sie überholt sind. Eine Gefahr, die mit der Zeitdauer des Arbeitsverhältnisses wächst. Man stelle sich vor, daß bei einem Arbeitnehmer, der vor sehr langer Zeit eingestellt worden war, der ursprüngliche Lohn im Vertragstext bestimmt wurde. Daß dieser heute nicht mehr genügen kann, ist selbstverständlich. Diesem Problem könnte man zwar noch dadurch begegnen, daß man solche Uralt-Vereinbarungen als faktisch aufgehoben betrachtet l6 • Entscheidend muß allerdings die Überlegung sein, die das Bundesarbeitsgericht dazu bewegt hat, bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen ein Wiederaufleben der Individualabsprachen anzunehmen. Freiwillige Betriebsvereinbarungen wirken gar nicht nach. Die Frage lautete also, entweder keine Regelung mehr zu haben oder die schlechtere Individualvereinbarung von früher zu erhalten l7 • Diese frühere Individualpositionen erhaltende Sichtweise ist nach dem hiesigen Verständnis der Betriebsvereinbarung als private Rechtsetzung geboten, weil aufgrund des Parlamentsvorbehaltes ein vernichtender Eingriff durch Private in die Individualrechte Dritter unzulässig ist, und ein legitimierender Beitritt in der Betriebsverfassung fehlt. Solche Erwägungen passen gerade im Tarifrecht nicht, insbesondere weil die mitgliedschaftliehe Legitimation vorliegt und grundsätzlich jede tarifliche Rechtsnorm nachwirkt. Tarifwidrige Individualabsprachen werden daher gemäß § 134 BGB nichtig l8 • Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der die tariflichen Bestimmungen ausdrücklich als Rechtsnormen bezeichnet und damit gemäß Art. 2 EGBGB zu Gesetzen im Sinne des BGB gemacht hat l9 • Daher ersetzen frühere Individualvereinbarungen nicht die beendete Tarifregelung20 • Umstritten ist ferner die Frage, ob Individualverträge, die erst im Nachwirkungszeitraum abgeschlossen werden, von der Nachwirkung noch erfaßt werden. Vgl. Schwab BB 1994, 781 ff. - 783. BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972 mit zust. Anm. Läwisch. 18 Schaub, Arbeitsrecht S. 1701; Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 12 halten zwar die Nachwirkung für vorrangig. Sie gehen aber von einer bloßen Verdrängung aus, was insbesondere bei einer abbedungenen Nachwirkung oder einer tariflichen Neuregelung unter dem Niveau der ursprünglichen Individualvereinbarung eigenständige Bedeutung erlangen würde. 19 Zutreffend Frälich NZA 1992, 1110; In dieser Hinsicht ist denn auch die Unterscheidung von Hanau, Peter RdA 1989, 207 ff. zwischen der Rechtsnormqualität der Tarifregeln und der nur quasinormativen Wirkung der Betriebsregeln gerechtfertigt; so auch Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff. - 101 f; tendenziell a.A. wohl BAG AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972. 20 Läwisch / Rieble FS Schaub 457 ff. - 468 f.; dies. TVG § 4 Rz. 234, nunmehr auch Lieb, ArbR 6. Aufl. Rz. 479. 16
17
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Das Bundesarbeitsgericht lehnt eine solche weitreichende Wirkung ab21 • § 4 Abs. 5 TVG bewirke lediglich eine Weitergeltung der Tarifnormen im
Moment der Tarifbeendigung. Später abgeschlossene Arbeitsverträge würden daher nicht betroffen. Wird im Arbeitsvertrag allerdings auf Tarifverträge Bezug genommen, so umfasse die Bezugnahme regelmäßig auch nachwirkende Tarifverträge. Nach der Gegenmeinung werden demgegenüber später abgeschlossene Arbeitsverträge von der Nachwirkung erfaßt22 • Sie wirft der Rechtsprechung vor, daß diese sich zu sehr an die Rechtslage anlehne, die während der Weimarer Verfassung gegolten habe 23 • Damals wurde die unmittelbare Wirkung des Tarifvertrages erreicht, indem seine Regelungen in den Individualvertrag eingingen, so daß die spätere Nachwirkung allein auf der Fortgeltung des nunmehr veränderten Individualvertrages beruhte24 • Dieser Meinungsunterschied ist bei einer der üblichen arbeitsvertraglichen Bezugnahmen irrelevant. Allein wenn diese fehlt, kann es auf den Streit überhaupt ankommen. Dann ist zunächst zu beachten, daß die Nachwirkung nur dort zu einer Weitergeltung führt, wo die tariflichen Rechtsnormen selbst greifen würden. Fehlt eine individualvertragliche Bezugnahme, ist daher zusätzlich eine beiderseitige Tarifgebundenheit gemäß § 4 Abs. 1 TVG erforderlich. Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG spricht eher für die Gegenmeinung, weil die Weitergeltung der Rechtsnormen des Tarifvertrages allgemein angeordnet wird und eine Beschränkung auf bereits abgeschlossene Arbeitsverträge nicht erkennbar ise 5 • Weiterhin ist der Gegenmeinung zuzugeben, daß die konstruktive Begründung der Rechtsprechung, die in § 4 Abs. 5 TVG eine Weitergeltung kraft Gesetzes erblickt, welche lediglich bestehende Arbeitsverträge erfassen soll, letztlich im Widerspruch dazu steht, daß die Tarifpartner im übrigen Herr über die Nachwirkung sind und daher jederzeit ihr Ende vereinbaren können. Die Ausklarnmerung späterer Arbeitsverträge könnte jedoch aus dem Zweck der Nachwirkung gerechtfertigt sein, inhaltsleere Arbeitsverträge bis zum Abschluß eines neuen Tarifvertrages zu vermeiden, um die Ordnungs21 BAG AP Nr. 1 und Nr. 8 (mit Anm. Wiedemann) zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG SAE 1976, 85 ff. mit insoweit zust. Anm. Leipold; zuletzt BAG NZA 1998, 484 ff. 487 und LAG Hamm NZA-RR 1997, 489f.; vgl. aus der Literatur Koberskil Clasen! Menzel, TVG § 4 Rz. 189. 22 Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 294; Löwiseh / Rieble. TVG § 4 Rz. 226. 23 Hersehel ZfA 1976,89 ff. - 98 f.; Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff. - 104. 24 Vgl Darstellung bei Hersehel ZfA 1976, 89 ff. - 92 ff. 25 Kempen ArbRdGgW 1993, 97 ff. - 104.
c. Ordentliche Kündigung
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funktion des Tarifvertrages durch die überbrückende Nachwirkung zu erhalten26 • Der spätere Arbeitsvertrag muß als wirksamer Schuldvertrag die gegenseitigen Rechte und Pflichten hinreichend festlegen. Geschieht dies nicht, so können Lücken im Bereich der Entgeltfrage gemäß § 612 BGB gelöst werden. Da der Tariflohn Mindestlohn ist, wird der ortsübliche Lohn gewöhnlich sogar höher sein als bei einer nachwirkenden Tarifregelung. Dementsprechend wird der übliche Lohn nach § 612 BGB von der wohl h.M. ohne weiteres mit dem einschlägigen Tariflohn gleichgesetzt27 , was zwar nicht ganz richtig sein muß, aber Folge der Praktikabilität dieser Auffassung ist. Etwas anderes ist nur vorstellbar, wenn ein Tarifvertrag längerfristig beendet ist und seitdem eine Lohnsenkung am Arbeitsmarkt stattgefunden haben sollte. Ob man die Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG auf nachträgliche Verträge erstreckt, hat daher lediglich für die Frage Bedeutung, welche Anforderungen man an die andere Abmachung stellt, die eine abgelaufene Tarifregelung ersetzt. Die Gegenmeinung ist nur sinnvoll, wenn sie eine ausdrückliche abweichende Regelung verlangt28 • Andernfalls bedeutet jeder spätere Arbeitsvertrag, dessen Inhalt hinreichend bestimmbar ist, eine Ersetzung, weil er gerade in der Nachwirkung und damit bei beendeter zwingender Wirkung geschlossen wurde. Genau diese Überlegung spricht gegen eine Nachwirkung. Ihre Überbrückungsfunktion zielt schließlich darauf ab, daß ein Arbeitsvertrag der schon länger tariflich geregelt war, nicht obsolet wird, weil seine Regelung lückenhaft oder gänzlich überholt ist. Wird ein Arbeitsvertrag neu geschlossen, ist diese Zielrichtung unnötig, weil die Vertragspartner im Rahmen des Vertragsabschlusses alles aus gegenwärtiger Sicht Notwendige regeln können. Unterlassen sie es, so greifen die allgemeinen dispositiven Bestimmungen, insbesondere §§ 612 ff. BGB und etwa das BUrlG. Allein wenn die Nachwirkung ausgeschlossen wurde - § 4 Abs. 5 TVG ist nach überwiegender Ansicht dispositiv29-, kommt eine sofortige Änderung von Arbeitsbedingungen durch den Ablauf des Tarifvertrages in Betracheo• Doch 26 BAG AP Nr. 1 und Nr. 8 (Anm Wiedemann) zu § 4 TVG Nachwirkung; AP Nr. 2 zu § 4 Effektivklausel; AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz 186; Kempen ArbRdGgW 1993, 97 ff. - 104. 27 BAG DB 1996, 1284; Däubler NZA 1996,225 ff - 228; Lieb NZA 1994, 337ff. 338; MünchKomm-Söllner, § 612 Rz. 220; Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1405; Hromodkal Masehmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 165. 28 So denn wohl auch Hersehel ZfA 1976, 89 ff - 98 f., der zusätzlich die Möglichkeiten einer abweichenden Abmachung mit dem Ordnungsprinzip einschränken will. 29 BAG AP Nr. 12 zu § 4 TVG; BAG NZA 1998, 492 ff.; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz. 198; Kempen ArbRdGgW 1993, 97 ff. - 105; Löwisehl Rieble, TVG § 4 Rz. 247; Koberskil Clasenl Menzel, TVG § 4 Rz. 187; Kempenl Zaehert, TVG § 4 Rz. 308; a.A. Hersehel ZfA 1976, 89 ff. - 97, allerdings noch unter Berufung auf das früher vertretene Ordnungsprinzip. 30 Vgl. Kempenl Zaehert, TVG § 4 Rz. 10.
18 Beathalter
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
ist in diesem Falle zu beachten, daß entstehende Lücken im Bereich des Entgelts gemäß § 612 BGB zu schließen sind3 ). Wie erwähnt dürfte dies grundsätzlich zu einem übertariflichen, zumindest aber tariflichen Lohn führen, was für die Arbeitgeberseite keineswegs vorteilhaft sein muß. Aufgrund der Nachwirkung scheint die Beendigung des Tarifvertrages zunächst ohne Nutzen zu sein.
2. Änderungskündigung des Individualvertrages Da der nachwirkende Tarifvertrag lediglich dispositiv fortwirkt, kann der Arbeitgeber zunächst versuchen, mit seinen Arbeitnehmern einvernehmliche Anpassungen vorzunehmen. Sofern hierzu keine Bereitschaft besteht, bleibt ihm als Ausweg die Möglichkeit einer Änderungskündigung32. Eine ordentliche Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist gemäß §§ 620, 622 BGB grundlos möglich. Nach heute ganz überwiegender Ansicht ist die Änderungskündigung eine gewöhnliche Beendigungskündigung. Sie weicht davon nur insoweit ab, als sie mit einem Angebot verbunden wird, das Arbeitsverhältnis unter anderen Bedingungen fortzuführen. Ihr Beendigungscharakter tritt jedoch unweigerlich hervor, wenn die Änderungsofferte abgelehnt wird. Dann endet das Arbeitsverhältnis wie bei jeder anderen Kündigung. Folglich ist die Änderungskündigung ebenfalls gemäß den §§ 620, 622 BGB zulässig. Für Kleinunternehmen mit zehn und weniger regelmäßig Beschäftigten bietet sie ein schnelles Mittel zur Lohnreduzierung33 • Von den besonderen Ausnahmen der §§ 23 ff. KSchG abgesehen, gilt hingegen in Unternehmen mit mehr Mitarbeitern gemäß § 23 Abs. 1 KSchG das 3) So im Ansatz zutreffend BAG SAE 1995, 75 ff., allerdings zu weitgehend, wenn auch eine zukünftige Dynamisierung noch durch § 612 BGB abgedeckt werden soll. § 612 BGB kann hier nur im Moment der Regelungslücke herangezogen werden. Er bewirkt, daß das "Übliche" zum Vertragsinhalt wird. Eine weitere Verbesserung muß sodann der Arbeitnehmer selbst aushandeln. Vgl insoweit die berechtigte Kritik von Rieble SAE 1995, 78 ff. - 81 f. 32 Dabei kann dahinstehen, ob man mit einer verbreiteten Meinung in einer Massenänderungskündigung eine Angriffsaussperrung erblickt, da die Friedenspflicht durch den Tarifvertrag bereits sein Ende gefunden hat, vgl. m.w.N. Säcker DB 1967, 1086 ff.1087 - Zur Frage der Angriffsaussperrung siehe sogleich unter 3. 33 Wegen Arbeitnehmern, die nach der bis zum 01.10.1996 gültigen Fassung des Kündigungsschutzgesetzes dem Kündigungsschutz unterlagen, ist die Übergangsregelung des § 23 Abs. I S. 4 KSchG zu beachten. Danach kann eine Kündigung solcher Arbeitnehmer auch in Betrieben mit mehr als fünf nicht nur geringfügig Beschäftigten noch bis zum 30.09.1999 unzulässig sein.
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Kündigungsschutzgesetz. Danach ist die Kündbarkeit von Beschäftigten, die länger als sechs Monate im Betrieb angestellt sind, gemäß § 1 Abs. 1 KSchG nur zulässig, wenn sie sozial gerechtfertigt ist. Dieses Begriffsmerkmal wird in § lAbs. 2 KSchG deftniert. Sie darf lediglich aus verhaltens-, personenoder betriebsbedingten Gründen erfolgen. Die freie Kündbarkeit wird also erheblich eingeschränkt, so daß de facto besondere Gründe verlangt werden. Nach § 2 KSchG gelten diese Erfordernisse auch für die Änderungskündigung. Das Kündigungsschutzgesetz sichert daher sowohl den Bestand des Arbeitsverhältnisses als auch seinen Inhalt. Folglich muß die Änderungskündigung durch Gründe gerechtfertigt sein, die dieses Gesetz anerkennt. Für die vorliegende Arbeit stellt sich damit die Frage, inwieweit eine Änderungskündigung zulässig ist, welche die Leistungspflichten des Arbeitgebers reduzieren soll. Da eine solche rein wirtschaftlich aus der Unternehmenssicht motiviert ist, kann sie allenfalls als betriebsbedingt gerechtfertigt sein. Dies setzt nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG dringende betriebliche Erfordernisse voraus, die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstehen. Dabei ist der Wortlaut für die Änderungskündigung gedanklich um einen Passus "zu den bisherigen Bedingungen" zu erweitern. Da die Änderungskündigung nur soweit gehen darf, wie sie sozial gerechtfertigt ist, muß neben den dringenden betrieblichen Erfordernissen überprüft werden, ob das Änderungsangebot unter Beachtung der betrieblichen Bedürfnisse dem Arbeitnehmer billigerweise zugemutet werden darf. Der Arbeitgeber kann also nicht ohne weiteres eine Änderungskündigung erklären, wenn der Tarifvertrag beendet ist. Folglich ist für ihn des weiteren entscheidend, wann dringende betriebliche Erfordernisse es zulassen. a) "Dringende betriebliche Erfordernisse" Bei der Beendigungskündigung besteht Einigkeit, daß der Wegfall einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Die Maßnahme des Arbeitgebers, die diesen Fortfall begründet, ist hingegen nach überwiegender Meinung aufgrund der notwendigen unternehmerischen Entscheidungsfreiheit allein einer Mißbrauchskontrolle dahin zugänglich, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, wobei von einer Vermutung der sachlichen Begründung mit der Folge ausgegangen wird, daß der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für Umstände trägt, die auf eine willkürliche Entscheidung schließen lassen34 • Damit soll sichergestellt 34 BAGE 31, 157 ff. - 162; BAGE 55, 262 ff. - 270 f.; BAGE 65, 61 ff. = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969; BAG ZIP 1996, 1879 ff. - 1882; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 1338; Schaub, Arbeitsrecht S. 1190 ff.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
werden, daß sich die Arbeitsgerichte nicht über Gebühr in die Unternehmenspolitik einmischen und die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit zur Ausübung eines Gewerbes verletzen. In diesem Zusammenhang wird es akzeptiert, wenn der Arbeitgeber - jedenfalls bei deflzitärem Betriebsergebnisallein aus Kostengesichtspunkten Stellen abbaues. Unabhängig von der konkreten betrieblichen Situation darf der Arbeitgeber jederzeit innerbetriebliche Umstrukturierungsmaßnahmen mit der Absicht durchführen, möglichst kostengünstig zu produzieren, um so die Konkurrenzfähigkeit zu sichern bzw. zu steigern36 • Bei der Kündigung zum Zwecke der Lohnreduzierung stellt sich die Frage, inwieweit die Bewertung des Arbeitgebers, wonach eine bestimmte Lohnhöhe zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig sein soll, gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Zweifelhaft erscheint, ob genauso wie bei der Beendigungskündigung sinnvoll zwischen Maßnahme und dem hieraus resultierenden Kündigungsgrund unterschieden werden kann. Insoweit kann man in der Entscheidung zu einer Lohnkürzung Maßnahme und Kündigungsgrund in einem erblicken. Das Bundesarbeitsgeriche 7 und im folgend die h.M. 38 hat dies abgelehnt, weil andernfalls bei der Änderungskündigung praktisch jegliche gerichtliche Kontrolle entfallen würde. Es verweist darauf, daß das Kündigungsschutzgesetz im Rahmen des § 2 KSchG uneingeschränkt auf die soziale Rechtfertigung Bezug nimmt und damit den Schutz des Arbeitsverhältnisses auch inhaltlich sicherstellen soll. Daher sei die Absicht zur Lohnreduzierung selbst keine unternehmerische Entscheidung; vielmehr müßten dringende betriebliche Erfordernisse das Änderungsangebot bedingen. Diese seien gegeben, wenn die Senkung der Personalkosten die Stillegung des Betriebes oder den Abbau von Arbeitsplätzen verhindert39 • Insoweit wird eine akute Gefahr verlangt40 • Bedenkt man weiter, daß eine Änderungskündigung ebenfalls daraufhin überprüft wird, ob sie dem Arbeitnehmer im Verhältnis zu den betrieblichen Gründen zugemutet werden kann, so wird die Parallelwertung zum WiLAG Köln NZA-RR 1996, 48 = NZA 1995, 128 f. BAGE 55, 262 ff. = EWiR 1987, 1231 mit Anm. Schwerdtner = ZIP 1987, 1274; BAG ZIP 1996, 1879; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 1335 ff; Schaub, Arbeitsrecht S. 1194. 37 BAG AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969 = NZA 1986, 824 ff.; BAG AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung= NZA 1990,607 ff.; BAG NZA 1995, 626 ff. 38 Hromodka NZA 1996, 1 ff. - 9f.; ders./ Maschmann! Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 308; Zirnbauer, NZA 1995, 1076 f.; Hueck, Alfredl v.Hoyningen-Huene, KSchG § 2 Rz. 71b; LAG Köln NZA-RR 1996, 327 f. 39 BAG EzA Nr. 6 zu § 2 KSchG; LAG Köln NZA-RR 1996,327 f; Dänzer-Vanotti DB 1986, 1390 ff. - 1392; Schaub, Arbeitsrecht S. 1198. 40 Schaub BB 1996, S. 1058; vgl. Hueck, Alfredl v.Hoyningen-Huene, KSchG § 2 Rz. 72 f. 35
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derruf von Betriebsrenten und der Möglichkeit zur außerordentlichen Aufhebung von Betriebsvereinbarungen für den Fall der wirtschaftlichen Notlage offensichtlich. Nach der Sicht der h.M. kann der Arbeitgeber somit erst zur Änderungskündigung schreiten, wenn er dadurch sonst akute Beendigungskündigungen vermeiden will. Doch wird damit nicht dem Zweck einer betriebsbedingten Änderungskündigung Rechnung getragen, das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis an geänderte Verhältnisse anpassen zu können. Der Arbeitgeber wird insoweit gezwungen, sehenden Auges in eine Krise zu steuern, ohne eine Lohnkürzung vornehmen zu dürfen. Erst dann darf er reagieren. Dabei ist es regelmäßig schwerer und meistens kostenintensiver, aus einer Krise hinauszukommen, als sie rechtzeitig abzuwenden41 • So werden Kredite meist teurer und der Unternehmensruf in der Branche wird gefährdet, was Auftragsrückgänge bewirken kann. Befremdlich ist die Konsequenz für den Arbeitgeber. Um die Personalkosten frühzeitig zu senken, wird er letztlich auf Rationalisierungen verwiesen. Die insoweit notwendigen organisatorischen Maßnahmen sind als unternehmerische Entscheidung einer geringeren gerichtlichen Überprüfung unterworfen. Selbst die bloße Absicht, die Belegschaft zu reduzieren, kann schon eine unternehmerische Entscheidung sein, die lediglich auf Willkür untersucht wird42 • Der Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers wird noch dadurch gesteigert, daß er frei in der Entscheidung ist, Aufträge anzunehmen. Durch deren Ablehnung kann er die Rückführung der Belegschaft im Rahmen der Willkürkontrolle rechtfertigen43 • Es ist für den Arbeitgeber somit leichter, Arbeitsplätze abzubauen als Löhne zu reduzieren. Das Ergebnis der h.M. ist deshalb unbefriedigend44 • Ihre rechtliche Begründung stützt sich auf die Überlegung, daß das Kündigungschutzgesetz auch den Vertragsinhalt umfassend schützt und daher eine gerichtliche Kontrolle erfolgen muß. Die Lohnsenkung könne deshalb keine Unternehmerentscheidung sein. Es wird also recht unverblümt von der gewollten Rechtsfolge her definiert, ob eine solche vorliegt, dabei ist sie begrifflich nichts anderes als das Ergebnis einer Willensbildung des Arbeitgebers, wie er sein Unternehmen oganisatorisch, technisch und wirtschaftlich zu Hanau, Peter, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 99. BAG AP NT. 6 zu § 1 KSchG 1969; BAG AP NT. 1 zu § 1 KSchG BetriebsbedinJjte Kündigung. So hat das LAG Köln nicht nur festgestellt, daß eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers wegen Auftragsrückgangs nicht mehr gebraucht wird, sondern darüber hinaus ausdrücklich entschieden, daß die Gründe fur den Auftragsrückgang selbst nicht entscheidungserheblich sind - LAG Köln NZA-RR 1996, 48. 44 So auch Berger-Delhey DB 1991, 1571 ff.- 1572 f.; Hanau, Peter ZRP 1996, 349 ff. - 352. 41
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führen gedenkt. Bei seiner wirtschaftlichen Grundentscheidung zur Steigerung der Rentabilität kann er der Minimierungsmaxime folgen, indem er die Produktionskosten bei gleichem Produktionsergebnis senkt; oder die Maximierungsmaxime wählen, also bei gleichen Produktionskosten das Produktionsergebnis zu steigern suchen. Entscheidet sich der Arbeitgeber für die Minimierungsmaxime, so kann er Lohn- wie auch Kapitalkosten zurückführen. Stellt der Unternehmer auf die Lohnkosten ab, so kommt die Verringerung der Belegschaft durch Rationalisierung oder die Reduzierung der Löhne in Betracht. Der Arbeitgeber fällt also eine unternehmerische Entscheidung nach der anderen. Will er Lohnkosten durch Rationalisierung reduzieren, so muß er sich geeignete Maßnahmen mit der Folge entsprechender Entlassungen überlegen und die h.M. dankt es ihm mit einer Beschränkung auf die Willkürkontrolle. Nur wenn er den Weg der Lohnsenkung beschreitet, soll keine Unternehmerentscheidung mehr vorliegen. Dies vermag nicht zu überzeugen. Auch das Argument, der Arbeitgeber könne schließlich auch gegenüber anderen Gläubigern nicht wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten seine Verpflichtungen reduzieren45 , ist schon im Ansatz verfehlt. Ohne Kündigungsschutzgesetz wäre es dem Arbeitgeber jederzeit erlaubt, ohne sachliche Begründung eine Änderungskündigung auszusprechen, was gerade in den vielen Kleinbetrieben gilt, die dem Kündigungsschutzgesetz nicht unterliegen. Die Frage der Zulässigkeit einer Änderungskündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz ist daher nicht eine solche der Vertragstreue, sondern der Reichweite dieses gesetzlichen Sonderschutzes für die betroffenen Arbeitnehmer. Damit tritt die Überlegung in den Vordergrund, daß letztlich der Vertragsinhalt umfassend geschützt sein soll. Doch kann es nicht angehen, deshalb die Tatsache abzulehnen, daß eine Lohnreduzierung eine Unternehmerentscheidung ist, mit dem Ergebnis, daß die Voraussetzungen einer Änderungskündigung schärfer ausgestaltet sind als einer Beendigungskündigung. Der sachgerechtere Weg, den Schutz des Vertrags inhalts nicht preiszugeben, wäre daher, eine verschärfte Willkürkontrolle und die sich nach allgemeiner Meinung anschließende Prüfung, ob das Änderungsangebot aus den betrieblichen Gründen dem Arbeitnehmer billigerweise zugemutet werden kann, umfassend vorzunehmen. Dann könnte man Änderungskündigungen bereits zulassen, wenn ein sachliches Interesse von einigem Gewicht vorliegt, und im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle einen zusätzlichen Abgleich mit den Arbeitnehmerschutzinteressen erzielen46 • Hromodka NZA 1996, I ff. - 10. So zutreffend Löwisch Anmerkung zu BAG EzA Nr. 6 zuu § 2 KSchG; vgl. auch Wiedemann RdA 1961, I ff. - 4 f., der zutreffend darauf hinweist, daß bei einer Änderungskündigung die Intensität der abverlangten Änderung und die Dringlichkeit des betrieblichen Bedürfnisses einander entsprechen müssen; im Ergebnis ähnlich BergerDelhey OB 1991, 1571 ff. - 1573, wenn er einen Gleichklang mit dem Recht zur Been45
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b) Billigenswertes Änderungsangebot Folgt man dieser Überlegung, so kann das Unternehmen bei erkennbaren gravierenden wirtschaftlichen Einbußen grundsätzlich die Rentabilität durch Lohnreduzierungen wiederherstellen. Allerdings bewirkt die Billigkeitskontrolle des Änderungsangebots, daß kein "Hungerlohn" angeboten werden darf. Es muß also ein Mindestlohn gehalten werden. Kann das Unternehmen selbst diesen nicht mehr erwirtschaften, so ist der Ruin nach den Regeln der Marktwirtschaft hinzunehmen. Der branchenspezifische Mindestlohn soll nach seiner Ordnungsfunktion gerade durch den Tarifvertrag festgelegt werden47 • Dann muß er konsequenterweise Maßstab für die Billigkeit bleiben, sofern er erst kurzfristig ausgelaufen ist und nicht im Widerspruch zur Wirklichkeit steht48 • Eine einseitige Unterschreitung des nachwirkenden Tariflohnes durch Änderungskündigung muß man aus dieser Überlegung grundSätzlich ablehnen, wenn nicht ausnahmsweise in einer Branche mit geringer Tarifbindung auf der Arbeitgeberseite eine geringere Vergütung als der Tariflohn nachweislich üblich ist. Folglich eröffnet die ordentliche Beendigung des Tarifvertrages regelmäßig nicht die Möglichkeit, durch individualrechtliche Gestaltungsmittel den Tariflohn zu senken.
3. Beendigung der Friedenspflicht Das Ende des Tarifvertrages bedeutet nicht nur, daß seine Rechtsnormen in das Nachwirkungsstadium treten. Entscheidend ist vielmehr, daß mit Ablauf der Kündigungsfrist die relative Friedenspflicht endet, die jedem Tarifvertrag immanent ist und den Tarifvertragsparteien verbietet, während seiner Dauer Arbeitskampfmaßnahmen oder sonstigen Druck in bezug auf die geregelten Sachfragen auszuüben49 • Diese Bedeutung verstärkt sich noch, wenn die Tarifpartner darüber hinaus sogar eine absolute Friedenspflicht vereinbart haben, wonach jegliche Kampfmaßnahmen gleich zu welchem Regelungsziel zu unterlassen sind - also auch wegen Sachfragen, die im Tarifvertrag überhaupt nicht enthalten sind. Die Arbeitgeberseite kann nunmehr selbst zu Kampfmaßnahmen greifen, um einen Tarifabschluß mit geringeren Leistungen herbeizuführen. Das ihr hierfür zur Verfügung stehende Mittel ist die Angriffsaussperrung. Durch die digung verlangt, was letztlich nur eine Bezugnahme auf die freie Unternehmerentscheidung sein kann. 47 Zur Ordnungsfunktion BVerfGE 18, 18 ff. - 28 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG; Schaub RdA 1995, 65 ff. - 67f. 48 Vgl. Schaub BB 1996, 1059. 49 Vgl. hierzu m.w.N. Löwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 271 ff.
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suspendierende Wirkung dieser Aussperrung kann die Arbeitgeberseite die Fortzahlung der tariflichen Leistungen sofort verhindern50 und den Abschluß geringerer Leistungen kampfweise durchzusetzen suchen. Zwar wurde deren Zulässigkeit teilweise insgesamt angezweifelt. Doch hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, daß Art. 9 Abs. 3 GG eine Waffengleichheit im Arbeitskampf verlangt51 • Weiterhin würde die Koalitionsfreiheit der Verbände und somit auch der Arbeitgeberseite verletzt, wenn deren Verhandlungsfähigkeit einschließlich der Möglichkeit zur Führung eines wirksamen Arbeitskampfes nicht gewahrt würde 52 • Daher muß den Arbeitgebern ein Angriffsmittel zur Verfügung stehen, wenn sie eine Neuregelung herbeiführen wollen53 • Gegen die Zulässigkeit einer umfassenden Angriffsaussperrung könnte man insoweit Bedenken haben, als sie sich notgedrungen gegen die Arbeitnehmer, gleich ob organisiert oder nicht, und nur mittelbar gegen die Gewerkschaft richtet54 • Doch ist diese Problematik nicht anders als bei einer dem ultima ratio Grundsatz genügenden Abwehraussperrung 55 , wo regelmäßig auch 50 Vgl. bereits BAGE (GS) 1,291 ff. - 310, welches allerdings noch von einer lösenden Aussperrung ausging; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 354. 51 Ständige Rechtsprechung vgl. BVerfGE 84, 212 ff. - 228 ff. = NJW 1991, S. 2549 ff. -2551; BVerfGE 88, 103 ff. - 114 f. = NJW 1993, 1379; zuletzt BVerfG NJW 1996, 185 ff. - 186; so bereits das BAG in BAGE (GS) 1, 291 ff. - 308 f. 52 BVerfGE 84, 212 ff - 228 f. = NJW 1991, S. 2549 ff.- 2551; BVerfG NJW 1996, 185 ff. - 186. 53 Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I, S. 1037 ff. - 1039, der zu Recht darauf hinweist, daß die damit verbundene Selbstschädigung des Arbeitgebers einer willkürlichen bzw. verfrühten Angriffsaussperrung entgegenwirkt. Dies entspricht der Feststellung des BVerfG, wonach eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einem Angriffskampfmittel einer Kontrolle der Tarifziele gleichkomme, was unzulässig ist - BVerfG NJW 1991, S. 2549 ff.- 2551. Auf das Recht zur Aussperrung auch gegenüber Außenseitern hat bereits das BAG im Beschluß 1971 mit abgestellt BAGE 23, 292 ff. = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG - Arbeitskampf; a.A. MünchArbR - OUo, Hansjörg § 279 Rz. 71 ff., der die Arbeitgeberseite auf eine Massenänderungskündigung verweist. Dieser Verweis kann jedoch nicht überzeugen, da er der generellen Entscheidung gegen eine lösende Aussperrung widerspricht, endet doch das Arbeitsverhältnis, wenn der einzelne Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht annimmt. Zum anderen dürfte die Kündigung nach der bisherigen Sichtweise im Kündigungsrecht nicht weiterhelfen, da der Tariflohn als Mindestlohn die untere Grenze eines zumutbaren Änderungsangebotes sein dürfte. Ließe man diese Grenze fallen, müßten die Gerichte prüfen, ob die Arbeitgeberseite "vernünftige" Lohnsenkungen erreichen will, was ihre tatsächlichen Möglichkeiten übersteigen würde. 54 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 334; ähnlich Schulte NJW 1996, S. 1256 f., wenn er das Recht des Arbeitgebers zur Betriebsstillegung während eines Streiks als Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der nicht oder anders organisierten, arbeitswilligen Arbeitnehmer ansieht. 55 Zur allgemeinen Zu lässigkeit der Abwehrsperrung vgl. BAGE 23, 292 ff. - 306 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG OB 1988, 1902; ArbG Kassel, OB 1978, 2272 ff.; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 105.
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Nichtorganisierte und Streikunwillige betroffen sind. Die Arbeitnehmer dürfen sich schließlich auch ohne entsprechende Organisation an einem Streik beteiligen. Diesem organisationsunabhängigen Streikrecht muß dann zur Gewährleistung der Kampfparität der Tarifparteien ein Recht der Arbeitgeber zur Aussperrung unabhängig von der Organisationszugehörigkeit der Arbeitnehmer entsprechen. Dieses Risiko kann keinem Arbeitnehmer abgenommen werden. Darüber hinaus wird sogar zum Teil angenommen, daß eine Einschränkung der Aussperrung auf Gewerkschaftsmitglieder der kampfführenden Gewerkschaften gegen die garantierte Koalitionsfreiheit verstoßen könnte 56 • Das Recht zu einer Angriffsausperrung ist somit anzuerkennen57 • Wird eine Angriffsaussperrung zu Unrecht vorgenommen, kommt hiergegen auch eine einstweilige Verfügung in Betrachf8 • Die Arbeitgeberseite konnte tatsächlich bisher nur in Ausnahmefällen eine Rückführung von Leistungen erwirken. Vielmehr wird die Kündigung regelmäßig von der Gewerkschaft ausgesprochen, um eine Lohnerhöhung oder sonstige Verbesserungen durchzusetzen. Diese Praxis folgt aus dem Umstand, daß bei einer gleichbleibenden nominellen Leistungspflicht des Arbeitgebers aufgrund des Kaufkraftschwundes real eine Einkommensminderung der Arbeitnehmer eintritt, während die Arbeitgeber regelmäßig durch Preiserhöhung für das Arbeitsergebnis am Kaufkraftschwund partizipieren. Insoweit tritt eine relative Minderung der Lohnkosten ein, sobald der Tariflohn nicht an die Inflation angepaßt wird. Praktisch wird man von einer Gewerkschaft in einer Krise eher eine vorübergehende Duldung von realen Leistungsreduzierungen durch sogenannte Nullrunden oder durch Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate erwarten können, als im Rahmen eines Tarifvertrages eine Reduzierung des Nominallohnes ausdrücklich anzuerkennen59 • Bei einer Forderung nach umgehender Lohnsenkung treten daher große Umsetzungs schwierigkeiten auf. Doch läßt es sich rechtlich nicht vermeiden, 56 BAG AP Nr. 66 zu Art. 9 GG - Arbeitskampf; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 358, was aber m.E. zu weit führt, da es im Arbeitskampf auch durchaus zulässig sein muß, den Binnendruck für eine Gewerkschaft durch solche Beschränkungen zu verstärken. Die Gewerkschaft kann durch umfassende Ausweitung des Streikaufrufs gegensteuern; ähnlich MünchArbR Otto, Hansjörg § 278 Rz. 60 und § 279 Rz. 99 ff. 57 Zöllner! Loritz, Arbeitsrecht S. 442; Hanau, Peterl Adomeit, Arbeitsrecht S. 82; vgl. m.w.N. die Darstellung zur Aussperrung bei MünchArbR - Otto, Hansjörg § 275 Rz. 57 ff. 58 Vgl. LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 1997, 401f. 59 Insoweit ist mit Hromodka FS Wlotzke 1996 ? S. 345 f. den Gewerkschaften zu raten, sich deutlicher auf die Schaffung tariflicher Mindestbedingungen zu beschränken, weil dann in Krisen eine Anpassung der Löhne an die Bedingungen durch Tariflohnanrechnungen und Widerruf von betrieblichen Sonderzuwendungen erreicht werden kann.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
daß die Arbeitgeberseite notfalls durch Arbeitskampf die ihrer Ansicht nach notwendigen Regelungsziele durchsetzen muß. Alles andere liefe auf eine Tarifzensur hinaus, die in den Kernbereich der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie eingreift und daher mit der Verfassung unvereinbar ist. ill. Teilkündigung I Änderungskündigung Wie bereits für die Betriebsvereinbarung geschildert, wird auch beim Tarifvertrag die Zulässigkeit der Teilkündigung einer eigenständigen Regelung angenommen, wenn diese erkennbar von den anderen Regelungen unabhängig ist. Dabei ist Zurückhaltung geboten, weil es sich hierbei in Wirklichkeit auch um die Vollkündigung einer nicht nur zufällig mit anderen Regelungsvereinbarungen zusammen schriftlich fixierten Absprache handeln könnte. Da die Teilkündigung immer die Gefahr beinhaltet, die vertraglichen Kompromißlösungen einseitig zu verändern und auch bei Tarifverträgen eigentlich voneinander unabhängige Teile nur im Rahmen gegenseitigen Nachgebens bei diesen Teilfragen zustandegekommen sein können60 , dürfen an der vertraglichen Unabhängigkeit der Teilregelungen keinerlei Zweifel bestehen. Normalerweise ist die Teilkündigung somit ausgeschlossen61 • Wo eine Beendigungskündigung zulässig ist, kann selbstverständlich auch eine Änderungskündigung erfolgen. De facto wird hiermit bereits die Verhandlung über einen neuen Vertrag eingeleitet. Da die Änderung vom Willen der Gegenseite abhängt, kann sie hier unbeachtet bleiben. IV. Bedeutung der ordentlichen Kündigung
Die ordentliche Kündigung genügt den Interessen der Arbeitgeberseite in rechtlicher Hinsicht, selbst wenn eine Leistungssenkung praktisch schwer durchsetzbar sein wird, weil den Arbeitgebern eine Möglichkeit zur Anpassung gegeben ist. Dies gilt jedenfalls bei einer für Tarifverträge üblichen Mindestlaufzeit von in der Regel unter zwei Jahren; mag auch eine Neuregelung nach Ablauf der Mindestlaufzeit gewöhnlich nur beim Lohntarif erfolgen, während der Manteltarif meist unverändert bleibt oder ohne Kündigung einvernehmlich abgeändert wird. Da die Taritbeendigung auf kollektiver Ebene das Recht eröffnet, Leistungsreduzierungen durchzusetzen, ist eine Anpassung an geänderte Verhältnisse relativ zügig im Wege der Neuverhandlung denkbar. 60 61
Merlen BB 1993, 572 ff. - 573. So auch Löwisch I Rieble, TVG § 1 Rz. 362; MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 27.
D. Außerordentliche Kündigung
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Dementsprechend war für die hier besonders interessierende Problematik der Osttarifverträge im Elektro- und Metallbereich kennzeichnend, daß deren Laufzeit bei vorab vereinbarten stufenweisen Erhöhungen fünf Jahre betragen sollte. Die von den Arbeitgeberverbänden erklärten außerordentlichen Kündigungen erfolgten daher zu einem Zeitpunkt, wo bei gewöhnlicher Laufzeit diese Verträge bereits wieder frei kündbar gewesen wären.
D. Die außerordentliche Kündigung Im weiteren stellt sich die Frage, ob aufgrund überraschender wirtschaftlicher Entwicklungen ein Tarifvertrag mit einer vereinbarten Mindestlaufzeit oder einem festen Endzeitpunkt vorzeitig beendet werden kann. Tarifverträge sind gewöhnlich Dauerschuldverhältnisse, so daß abermals die außerordentliche Kündigung in Betracht kommt!. Allerdings wurde bereits ausgeführt, daß sie im Gegensatz zur ordentlichen Kündigung nur aufgrund besonderer Umstände zulässig ist und immer eines besonderen Grundes bedarf.
I. Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung Ebenso wie für die ordentliche fehlt im Tarifvertragsgesetz eine Behandlung der außerordentlichen Kündigung. Wiederum verbietet sich ein Umkehrschluß, wonach es eine solche nicht gibt. Vielmehr ist unter analoger Anwendung sonstiger Regelungen, vornehmlich der §§ 542; 554 a; 626; 671 Abs. 2 u. 3; 723 Abs. 2 u 3 BGB, mittlerweile gewohnheitsrechtlich für das gesamte Privatrecht anerkannt, daß jedes Dauerschuldverhältnis außerordentlich kündbar sein muß. Die langfristige Bindung eines solchen Rechtsverhältnisses bedarf einer besonderen Vertrauensgrundlage, zumal mit der Dauer der vertraglichen Bindung die Gefahr wächst, daß ein weiterer Austausch unzumutbar erscheint, weil aufgrund äußerer Umstände das Vertragsgefüge nachträglich in erheblicher Weise verändert wird. Da jede Kündigung ex nunc wirkt, steht der Vertrauensschutz der Tarifunterworfenen und damit die normative Wirkung einer Anwendung auf Tarifverträge nicht entgegen. Das Rechtsinstitut der außerordentlichen Kündigung ist daher auch im Tarifrecht uneinge-
I Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts S. 217; a.A. Herschel, Arbeitsrecht S. 51, der aber eine Aufhebung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage zulassen will. Dies kann aber nicht überzeugen, weil gerade die außerordentliche Kündigung das regelmäßig vorrangige Rechtsinstitut bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ist.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
schränkt anwendbar. Ein gerichtliches Auflösungsverfahren, wie es teilweise in den Anfängen des Tarifrechts gefordert wurde, ist nicht geltendes Reche. Für die vorliegende Arbeit stellt sich die Frage, ob auch beim Tarifvertrag wirtschaftliche Umstände einen wichtigen Grund darstellen können, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Dann müßte die wirtschaftliche Krise eine Tatsache sein, die unter Abwägung der Einzelumstände und -interessen der Vertragsparteien die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für eine Partei unzumutbar macht. Es wurde bereits ausgeführt, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts nur insoweit berücksichtigt werden, als sie gerade die Vermögenslage der Gegenseite, also des Kündigungsgegners, betreffen. Die eigene Finanzkraft folgt der Regel des § 279 BGB4 • Die Arbeitgeberseite könnte weder beim Firmentarif mit der eigenen noch beim Verbandstarif mit der Wirtschaftslage der verbandsangehörigen Unternehmen eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, weil diese auf die eigene Situation und nicht auf die des Vertragspartners gestützt würde. Folglich scheidet nach den allgemeinen Grundsätzen des Privatrechtes eine außerordentliche Kündigung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten aus 5 •
2 Ganz überwiegende Meinung BAG AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Arbeitsentgelt; zuletzt BAG NZA 1997, 1234 ff. und BAG NZA 1997, 830 ff. = JZ 98, 203 ff. mit zust. Anmerkung von Oetker; Kempenl Zachert, TVG § 4 Rz. 44 f.; Löwisch-Rieble, TVG § 1 Rz. 363 ff.; Thiele RdA 1968, 424 ff. - 426; Wiedemannl Stump/TVG § 4 Rz. 22; MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 28; Nikisch, ArbR 11, S. 351; Hueck, Alfredl Nipperdeyl Stahlhacke, TVG § 1 Rz. 39; Hueckl Nipperdey, ArbR II11 S. 471; Oetker RdA 1995,82 ff. - 88 ff.; Zachert RdA 1996, 140 ff. 149.; ders. NZA 1993,299 ff. - 300; vgl. SöllnerNZA 1996, 897 ff. - 905; Koch, FranzMichael AuA 1993,332 ff. - 334; Wank FS Schaub S. 761 ff. -764. Soweit dies verschiedentlich unter Berufung auf die Ordnungs- und Friedensfunktion des Tarifvertrages mit der Begründung in Zweifel gezogen wird, daß der Tarifvertrag gerade für seine Dauer klare und überschaubare Verhältnisse schaffen solle Beuthien! Meik DB 1993, 1518 ff. - 1518, betrifft dies, wie auch der Einwand des Schutzes der Normenunterworfenen, schon Erwägungen zur vertraglichen Risikozuweisung und ist damit erst bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, zu erörtern - so Belling NZA 1996, 906 ff. - 908. 3 Vgl. zu den historischen Vorschlägen und Entwürfen für Tarifordnungen mit zahlreichen Nachweisen Oetker RdA 1995, 82 ff. - 83 f. und 85 f. 4 Vgl. m.w.N. Soergel- Teichmann, § 242 BGB Rz. 235. 5 Zivilrechtlich unhaltbar ist daher auch ein Hinweis auf § 306 BGB wegen anflinglicher finanzieller Überforderung, so aber Kirchner "Verträge, die Unmögliches verlangen, sind nichtig" Handelsblatt 1993 S. 3.
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n. Kündigung wegen unverhältnismäßiger Beschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Arbeitgeber Anders als in der Betriebsverfassung gibt es im Tarifvertraggesetz keine besonderen ausdrücklichen Beschränkungen der Vertragsfreiheit, die Grundlage für ein außerordentliches Kündigungsrecht sein könnten. Doch wurde im Rahmen der Betriebsverfassung angesprochen, daß die Betriebsexistenz auch aus Verfassungserwägungen eine Schranke der gesetzlich begründeten Betriebsverfassung sein müsse, jedenfalls wenn die existenzgefährdende Wirkung eines Einigungsstellenspruches nicht auf eine privatautonome Selbstbindung des Arbeitgebers zurückgeht. Daher könnte man erwägen, ob die Unternehmensexistenz als Kernbereich des über Art. 12 GG und Art. 14 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eine verfassungsrechtliche Schranke der Tarifautonomie sein müsse. Gleichfalls könnte man einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der vom Arbeitsplatzverlust bedrohten Arbeitnehmer erwägen, deren Schutz durch die Tarifbindung zum Fluch zu werden scheint. Genau diese These hat neuerdings Löwisch aufgestellt, wobei er einen Eingriff auf der Arbeitnehmerseite lediglich der allgemeinen Vertragsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und nicht der spezielleren Berufsfreiheit des Art. 12 GG zuordnet6 • Dieser Sichtweise hat sich mit ähnlicher Begründung nunmehr auch Belling/ Hartmann angeschlossen7 • Diese Ansicht mißachtet, daß die Unternehmensexistenz grundSätzlich nicht als Schranke der Tarifautonomie angesehen und daher die Existenzvernichtung der sog. Grenzbetriebe ohne weiteres hinzunehmen ist8 • Nach der Auffassung von Löwisch und Belling/Hartmann soll nunmehr bei der Gefährdung des Unternehmens bzw. sogar bei der Gefährdung von Arbeitsplätzen die zwingende Wirkung von Tarifverträgen mit der Verfassung unvereinbar werden9 • Löwisch betont ferner, daß auch bei einem Verbandstarif keine besonderen quantitativen Anforderungen an die Zahl der bedrohten Unternehmen bzw. Arbeitsplätze gestellt werden dürfte, da es ja gerade um den Grundrechtsschutz des einzelnen Arbeitgebers bzw. Arbeitnehmers ge-
Läwisch NJW 1997,905 ff. - 906. BellinglHartmann NZA 1998, S. 57 ff. - 59 ff. 8 statt vieler Kittner FS Schaub 389 ff. - 390. 9 Läwisch NJW 1997, 905 ff. - 906 - These 2; BellinglHartmann NZA 1998, 57 ff. 59 ff.; ähnlich Adomeit, Regelung von Arbeitsbedingungen und ökonomische Notwendigkeiten S. 52 ff.; Rieble RdA 1996, 151 ff. - 155, die allerdings nur dem Mitglied ein Kündigungsrecht der Mitgliedschaft zugestehen wollen, wobei eine fortgeltende Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG nicht erfolge. 6
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he lO • Nach dieser Ansicht muß konsequenterweise also bereits der drohende Verlust eines Arbeitsplatzes aufgrund fortbestehender Tarifbindung mit der Verfassung unvereinbar sein. Konkret soll diese unverhältnismäßige Bindung vorliegen, wenn die Existenz des Unternehmens bzw. von Arbeitsplätzen gefährdet wird, weil es mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Unternehmen nicht möglich ist, die Tarifleistungen aus dem Wertzuwachs und dessen Erträgen in der Zeit nach Abschluß des Tarifvertrages aufzubringenlI. Allerdings müsse feststehen, daß eine anderweitige Möglichkeit der Abwendung nicht bestehe, insbesondere die Kürzung oder Einstellung tariflich nicht bzw. nicht in dieser Höhe vorgesehener Leistungen einschließlich der betrieblichen Altersversorgung genügt l2 . Außerdem müsse eventuell als milderes Mittel eine Änderungskündigung erfolgen\3. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei durch die Gerichte vollständig nachprüfbar l4 • Insoweit verweist Löwisch auf die § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG und § 16 BetrAVG, welche bewiesen, daß die Gerichte hierzu - notfalls im Wege der Einholung entsprechender Sachverständigengutachten - auch praktisch in der Lage sind l5 . Wenn eine fortbestehende Taritbindung nach obigen Maßstäben verfassungswidrig sei, könnten die Tarifparteien nach Löwisch den Vertrag außerordentlich kündigen l6 , während nach Belling/Hartmann die zwingende Wirkung der Tarifbindung entfallen solll7. Da Löwisch auch insoweit keine Schranken aufzeigt, muß den Tarifpartnern also ein außerordentliches Kündigungsrecht für den gesamten Verbandstarifvertrag zukommen, wenn nur ein Unternehmen oder ein einziger Arbeitsplatz nachweislich gefährdet wird. Um den Schutz des einzelnen zu gewährleisten, soll ihm auch selbst ein außerordentliches Kündigungsrecht seiner Tarifbindung zukommen I8 , was nach obigem konsequenterweise für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gelten muß, und zwar wiederum bei der Gefährdung nur eines
10 Läwisch NJW 1997,905 ff. - 906 - These 2; BellinglHartmann NZA 1998, 57 ff.59 f. stellen sogleich auf das einzelne Unternehmen ab. 11 Läwisch NJW 1997, 905 ff. - 907 - These 9. 12 Läwisch NJW 1997,905 ff. - 908 - These 10. \3 Läwisch NJW 1997,905 ff. - 908 - These 11. 14 Läwisch NJW 1997,905 ff. - 909 - These 14. 15 Läwisch NJW 1997, 905 ff. - 909 - These 15; Ob eine solche Tarifzensur überhaupt in Betracht kommt, zweifelte früher Läwisch insgesamt an - vgl. Läwisch I Rieble, TVG Grundl. Rz. 39. 16 Läwisch NJW 1997, 905 ff. - 907 - These 7. 17 BellinglHartmann NZA 1998, 57 ff. - 66 f. 18 Läwisch NJW 1997,905 ff. - 907 - These 8.
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Arbeitsplatzes. Die beendete Taritbindung lasse den Arbeitsvertrag zunächst faktisch unberührt, weil die Nachwirkung des § 4 Absatz 5 TVG greife l9 • Im Ergebnis gelangen somit sowohl Löwisch, wie auch BellinglHartmann zu einer dispositiven Fortgeltung der Tarifregelung. Soweit eine einverständliche neue Individualregelung nicht möglich sei, habe der Arbeitgeber die Möglichkeit, eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Dies sei auch unproblematisch, weil die Voraussetzungen für die Lösung von der Taritbindung den anerkannten Voraussetzungen entsprächen, die nach allgemeiner Ansicht die betriebsbedingte Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen jedenfalls erlaube. Der Arbeitgeber müsse dabei selbstverständlich die Sozialauswahl wahren und ein Änderungsangebot unterbreiten, das angemessen ist20 • Die von Löwisch vertretenen Rechtsfolgen sind in sich inkonsequent, weil eine verfassungswidrige Taritbindung und der entsprechende Tarifvertrag auch ohne Erklärung eines Tarifpartners oder eines gebundenen Arbeitgebers bzw. Arbeitnehmers insgesamt nichtig sein müßte. Schließlich ist noch niemand auf die Idee gekommen, bei verfassungswidrigen Gesetzen den Gesetzgebungsorganen eine Kündigungsrecht für das Gesetz oder den betroffenen Bürgern ein Kündigungsrecht ihrer Gesetzesbindung zu gewähren. Wer mit der Verfassungswidrigkeit argumentiert, kann - von Verstößen gegen Gleichheitsgrundsätze abgesehen - nur "nichtig" oder "verfassungskonform" sagen. Unklar ist ferner, warum bei Firmentarifverträgen eine verfassungswidrige Taritbindung des Unternehmens auch aus Arbeitgebersicht denkbar sein soll, wie es Löwisch behauptet, wenn er feststellt, daß auch solche Verträge nicht erzwingbar seien, wenn das Unternehmen oder Arbeitsplätze gefährdet würden21 • Schließlich ist der Arbeitgeber dann selbst Vertragspartner. Von diesen Gesichtspunkten einmal abgesehen, gehören die Ansichten von
Löwisch und BellinglHartmann zu den neuerdings vertretenen Ansichten, die - gewollt oder ungewollt - unser Tarifsystem derart itl Frage stellen, daß ein verläßliches Tarifwesen nicht mehr in Betracht käme, wenn man diese Meinungen verwirklichen würde. So soll nach Löwisch bereits ein Grenzbetrieb genügen, um beide Tarifparteien zu einer außerordentlichen Kündigung eines Verbandstarifes zu berechtigen. Da es in einer freien Marktwirtschaft immer Unternehmen gibt, deren Existenz auch aus ganz anderen Gründen gefährdet sein kann - es gibt z.B. so Löwisch NJW 1997,905 ff. - 908 - These 12. Löwisch NJW 1997, 905 ff. - 908 f. - These 13; Belling/Hartmann NZA 1998, 57 ff. - 60. 21 Löwisch NJW 1997,905 ff. - 908 - These 11. 19
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etwas wie Konkurrenz, was bei stagnierenden oder rückläufigen Märkten sehr schnell Folgen zeitigt -, dürfte es danach keine Verbandstarife mehr geben, die nicht jeder Tarifpartner jederzeit außerordentlich kündigen könnte. Er müßte nur im Verband ein solches existenzgefahrdetes Unternehmen suchen. Diese Folge würde auch nicht wesentlich durch die Prüfung verhindert, daß dem betroffenen Unternehmen gerade die Tarifleistungen unmöglich sein müssen. Schließlich dürften viele gefährdete Unternehmen rosigen Zeiten entgegensehen, wenn die Arbeitnehmer für einen Stundenlohn von zwanzig Pfennig oder hochqualifizierte Facharbeiter gegen eine Entlohnung in Höhe des Sozialhilfesatzes arbeiten würden. Dies mag zunächst lächerlich und polemisch klingen. Doch wer den Tariflohn als Mindestlohn beseitigt hat, muß beantworten, woher er einen Mindestlohn nimmt, der über solchen Werten liegen würde. Da sich diese Meinungen bisher nicht durchsetzen konnten und wir eine funktionierende Tarifordnung haben, fehlen schließlich gesetzliche Lohnregelungen. Eine analoge Anwendung der Sozialhilfesätze nach dem BSHG dürfte wohl kaum ernsthaft in Betracht kommen. Würde man auf § 612 BGB verweisen, käme man praktisch wieder zum Tariflohn, sofern es sich nicht um eine Branche mit geringer Organisation der Arbeitnehmer und Arbeitgeber handelt. Der Gesetzgeber könnte zwar nach dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen solche Bestimmungen treffen wollen, doch müßte man diese nach der Argumentation von Löwisch und Belling/Hamnann, wie auch die Lohnbestimmung über § 612 BGB, konsequenterweise unter Berufung auf die betroffenen Grundrechte verwerfen, weil diese gerade auch für staatliche Gesetze, und zwar gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar gelten. Selbst eine inzidenter erfolgende Festsetzung angemessener Lohnleistungen durch Arbeitsgerichte im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren wäre ausgeschlossen, weil auch diese im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG hoheitliche Gewalt ausüben. Da Löwisch selbst in bezug auf das einzelne Unternehmen die Möglichkeit des existenzgefahrdenden Firmentarifs beseitigt hat, bliebe letztlich nur die Festlegung im Rahmen praktischer Konkordanz aus Karlsruhe. Wer solche Erwägungen ernsthaft verfolgt, muß sinnvollerweise direkt die Festsetzung der tariflichen Arbeitsbedingungen durch das Bundesverfassungsgericht vorschlagen. Man ahnt daher, warum Söllner - ein ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht - im Hinblick auf die aktuellen Vorgänge und Diskussionen im Tarifbereich bereits ParalelIen zur Endzeit der Weimarer Republik sieht22 • Die Ausgangsthese dieser Mindermeinung, eine Tarifbindung sei verfassungswidrig, wenn sie die Existenz eines Unternehmens oder von Arbeitsplätzen gefahrde, ist nicht haltbar. Es wurde dargelegt, daß die tarifliche Normsetzung als private Rechtsetzung verbunden mit staatlichem Geltungsbefehl 22
Söllner NZA 1996, 897 ff. - 900.
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nicht unmittelbar den Grundrechtsschranken unterliegt und aufgrund der mitgliedschaftlichen Legitimation mit der Wesentlichkeitstheorie vereinbar ist. Diese Legitimation, die jeweils auf einem privatautonomen Beitritt beruht, dient gerade dazu, die Tarifpartner mit der Wahrnehmung der eigenen Interessen im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu betrauen, was insbesondere den Abschluß von Tarifverträgen umfaße 3 • Wenn die Mindermeinung dagegen einwendet, Verbandsmacht müsse bei jedem mächtigen Verband dort unzulässig sein, wo die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit eines Mitgliedes unbillig beschränkt wird, kann dem im Ansatz durchaus noch zugestimmt werden. Dieser Überlegung entspricht es etwa, wenn der Gesetzgeber den Arbeitnehmer durch § 4 Abs. 3 TVG bei günstigeren anderweitigen Abmachungen vor der Verbandsmacht abschirmt. Nicht nachzuvollziehen ist es jedoch, warum diese Bewegungsfreiheit gerade unbillig eingeschränkt sein soll, wenn das Unternehmen die Tarifleistungen nicht mehr aus seinen Erträgen und Wertzuwachs erbringen kann. Eine solche Gefährdung muß nicht auf tariflichen Regelungen oder zumindest nicht allein auf diesen beruhen. Eine Krise hat regelmäßig mannigfaltige Gründe. Das beginnt bei gewöhnlichen Marktschwankungen, geht über Fortschritt, neue Technologien - die für alte Technologien Konkurrenz darstellen , Mißmanagement und endet bei ausländischer Konkurrenz aus den Billiglohnländern. Daher gehört es mittlerweile zum Alltag, daß Wirtschaftszweige unabhängig von tariflichen Entgeltverpflichtungen in Not geraten oder gar verschwinden, während andere Branchen überraschend florieren. Gerade bei der Konkurrenz aus den Billiglohnländern wird deutlich, daß die Gewerkschaft nicht jegliche Lohneinbuße zur Erhaltung der Arbeitsplätze hinnehmen kann. Es muß z.B. ein Vergleich zu den übrigen deutschen Arbeitnehmereinkommen und Lebenshaltungskosten angestellt werden. Auch ist zu berücksichtigen, daß es dem Unternehmerrisiko entspricht, zeitweise Verluste hinnehmen zu müssen, so wie der Arbeitgeber unerwartet hohe Gewinne behalten darf, ohne dabei neuen Forderungen der Gewerkschaft während der Laufzeit eines bestehenden Tarifvertrages ausgesetzt zu sein. Dies alles zeigt, daß die Interessenlage nicht auf "weniger Lohn für Arbeit" verkürzt und als Grenze der Risikotragung fmgiert werden kann24 • Wer dies zum absoluten Bezugspunkt der rechtlichen Interessenabwägung zwischen notwendigem Mindestlohn und Interesse am Arbeitsplatz erhebt, dürfte in einigen Unternehmen deutlich unter der Sozialhilfegrenze angelangen und in 23 Mit dieser Begründung hat das LAG Düsseldorf NZA-RR 1996, 340 f. zutreffend einen fristlosen Austritt aus dem Arbeitgeberverband flir unwirksam erklärt. 24 WeIche Erwägungen eine Rolle spielen können, zeigt z.B. eindrucksvoll das in NZA 1996, 749 ff. abgedruckte Textil-Bekleidungs-Bündnis fur Beschäftigung und Ausbildung. 19 Beathalter
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anderen müßten die Arbeitnehmer noch Geld mitbringen. Insoweit entsprach es bisher der anerkannt zulässigen Folge eines Tarifvertrages, daß sogenannte Grenzbetriebe aufgrund gestiegener Tarifverpflichtungen dem marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampf nicht mehr standhalten und zusammenbrechen25 • Der Tarifvertrag, abgeschlossen durch die mitgliedschaftlich legitimierten Sozialpartner, stellt daher nach allgemeinen zivilrechtlichen Wertungen das im Verhandlungswege erzielte Übereinkommen über eine angemessene Interessenabwägung der Parteien und Betroffenen dar. Dies muß gerade im Falle von Krisen gelten, wo Arbeitnehmer zumeist in einer viel schwächeren Verhandlungsposition als in Boomzeiten sind. Der Tarifvertrag ist nach alledem als billige Lösung der betroffenen Interessen anzusehen und kann jedenfalls nicht im Hinblick auf eine Gefährdung von einzelnen Unternehmen oder Arbeitsplätzen mit dem Argument einer unbilligen, unverhältnismäßigen oder unzumutbaren Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit der Mitglieder negiert werden. Die innere Widersprüchlichkeit solcher Konstruktionen offenbart sich auch gerade dann, wenn Belling/Hartmann die Unverhältnismäßigkeit der Tarifbindung mit einem aus Arbeitnehmersicht fehlgehenden Schutz begründen und gleichzeitig neben der so noch zu erklärenden einvernehmlichen Vertragsanpassung auch eine Änderungskündigung des Arbeitgebers erlauben wollen. Der Arbeitnehmer sei nicht schützenswert, er könne ja schließlich das Arbeitsgericht anrufen26 • Dies bedeutet nichts anderes, als daß man dem tariflich "überschützten" Arbeitnehmer notfalls gleichzeitig die eigene Vernunftseinsicht abspricht und den Arbeitsgerichten im Wege staatlicher Fürsorge überläßt, angemessene Arbeitsbedingungen festzusetzen. Ist somit die mitgliedschaftliche Legitimation nicht durch eine entsprechende Beschränkung der Verbandsmacht aufgehoben, scheidet ein grundrechtswidriger Eingriff durch die Tarifbindung aus. Es entspricht vielmehr der gesetzlich angeordneten unabdingbaren Wirkung, daß es zu einer Existenzvernichtung tarifgebundener Unternehmen bzw. Arbeitsplätzen kommen kann. Im übrigen sei an dieser Stelle angemerkt, daß in nahezu allen Tarifbereichen tarifliche Ausschlußfristen bestehen. Sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer also einig, wird der bei einer untertariflichen Leistung in Betracht kommende Verzicht praktisch geheilt. In Anbetracht dieser Situation drängt sich der Verdacht auf, daß die Versuche, die Tarifbindung zu beseitigen, in Wirklichkeit nicht den "überschützten" Arbeitnehmer die Möglichkeit wiedergeben sollen, ihre Interessen bei drohendem Arbeitsplatzverlust selbst wahr-
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Duo, Hansjörg FS Kisse11994, S. 802; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 771. Bellingl Hartmann NZA 1998, 57 ff. - 60.
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zunehmen, sondern die Gewerkschaft als ernstzunehmenden Verhandlungsgegner auszuschließen.
m. Wichtiger Grund wegen Irrtums über Einzelumstände Es bleibt zu prüfen, ob bei Tarifverträgen eine abweichende Bewertung von der allgemeinen Risikotragung für die eigene Leistungsfähigkeit vorzunehmen ist. In Betracht käme eine außerordentliche Kündigung, wenn die wirtschaftliche Situation als Geschäftsgrundlage in das Vertragsverhältnis eingegangen ist und eine Veränderung dieser Umstände die Unzumutbarkeit der Vertragsdurchführung bewirkt. Die Prüfung des wichtigen Grundes entspricht insoweit wiederum den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage27 • Dazu muß die wirtschaftliche Situation zunächst Geschäftsgrundlage sein und über eine allgemeine Motivation hinausgehen. Dabei sind zwei Grundkonstellationen denkbar. Die Wirtschaftslage der Branche oder eines Unternehmens kann einmal allgemein schlechter sein, als beim Vertragsschluß angenommen wurde, ohne daß konkrete Vorstellungen bestanden bzw. in die Verhandlung eingebracht worden sind; zum anderen können konkrete Umstände gerade für diesen Abschluß entscheidend gewesen sein. 1. Konkrete Umstände als Geschäftsgrundlage
Ob konkrete Umstände im Einzelfall - etwa staatliche Subventionen wie der Kohlepfennig o.ä. - Grundlage eines Tarifvertrages geworden sind, folgt den allgemeinen Grundsätzen. Daher ist entscheidend, ob sie beim Abschluß eines Tarifvertrages entweder von beiden Tarifpartnern zugrundegelegt, oder zumindest von der Arbeitgeberseite erkennbar als Grundlage herangezogen worden sind, und die Gewerkschaft sich redlicherweise hierauf einlassen muß. Es kann hierfür - wie bei den Betriebsvereinbarungen - nicht alleine genügen, daß solche im Rahmen der Vertragsverhandlungen eingebracht worden sind28 , andernfalls könnte bloße Verhandlungsstrategie die spätere Vertragsbindung begrenzen. Vielmehr muß auch beim Tarifvertrag erkennbar sein, daß sein Abschluß in seiner konkreten Ausgestaltung zumindest mit auf diesen Umständen basiert und basieren sollte. Dies wird man insbesondere annehmen müssen, wenn sie nach den Verhandlungsprotokollen beiderseitige Kalkulationsgrundlage bzw. ausschlaggebendes Motiv29 der eingegangenen Leistungs27 Vgl. auch Löwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 365 ff., der von einer Kündigung wegen Weifalls der Geschäftsgrundlage spricht. 2 Vgl. die instruktive Darstellung in des Einigungsprozesses bei Tarifverhandlungen am Beispiel der Tarifrunde 1978 in der bundesdeutschen Metallindustrie in der gleichnamigen Dissertation von Schilling. 29 Belling NZA 1996, 906 ff. - 906 f. benennt als denkbare Beispiele:
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verpflichtungen waren. Da der Arbeitgeberseite nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast zukommt, wenn sie sich auf einen entsprechenden Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen wil130 , ist ihr wie bei der Betriebsvereinbarung zu raten, vorsorglich bei Vertragsschluß zumindest die wesentlichen Grundlagen in einer ausdrücklichen Bestimmung aufzunehmen und möglichst entsprechende Kündigungsrechte, Indexklauseln etc. zu vereinbaren31 • Daneben können konkrete Umstände auch im negativen Sinne Geschäftsgrundlage sein, wenn nämlich besondere Einzelumstände eintreten, die ganz überraschende Folgen erzeugen32 • Diese unterscheiden sich von der später zu erörternden unerwarteten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gerade dadurch, daß sie nicht ein Ergebnis aus diffusen mannigfaltigen Gründen sind, sondern ein plötzliches von außen auf die Vertragsgerechtigkeit einwirkendes Einzelmoment darstellen. 2. Unzumutbarkeit Allein die fehlerhafte Vorstellung von der Geschäftsgrundlage genügt noch nicht für einen wichtigen Grund, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Vielmehr ist das Interesse an einer vorzeitigen Beendigung mit dem Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages in Relation zu setzen. Zum Schutze des Rechtsverkehrs vor allzu schnellen Eingriffen in Vertragsbeziehungen muß daher zum Schutze der Vertragstreue neben der Geschäftsgrundlagenstörung zusätzlich die Unzumutbarkeit der weiteren Vertragsdurchführung gegeben sein. Hierbei handelt es sich um ein wertungsbedürftiges Tatbestandsmerkmal. a) Unzumutbarkeit nur bei Gefahr tiefgreifender Folgen Ähnlich wie für die Betriebsvereinbarung fmden sich dazu in der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Äußerungen, wonach bei Gesamtvereinbarungen im Hinblick auf deren normative Wirkung eine außerordentliche Kün- In Anlehnung an einen ähnlichen Fall in Berlin die Vereinbarung eines Kündigungsverbotes, welches im Hinblick auf in Aussicht gestellte öffentliche Zuschüsse erfolgt. Der Zuschuß wird nicht gewährt. - Die Zahlung von Überbrückungsgeldern für ältere freigesetzte Mitarbeiter bis diese Vorruhestandsgelder beziehen können. Der Gesetzgeber erhöht nunmehr das Vorruhestandsalter erheblich oder schafft den Vorruhestand evtl bei gleichzeitiger Heraufsetzuntr des Rentenalters ab. 3 Buchner NZA 1993, 289 ff. - 296. 31 Koch, Franz-Michael AuA 1993,232 ff. - 233. 32 Belling NZA 1996, 906 ff. - 908 benennt als Beispiel ein hoheitliches Produktionsverbot, eine unerwartete schwere Ölkrise aufgrund eines Öl-Embargos.
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digung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur in ganz engen Grenzen zulässig see 3 • Insoweit wird betont, es müsse eine schlechthin unerträgliche Situation drohen. Ein wirtschaftlich bedingter Eingriff in das Vertragsverhältnis wäre allenfalls denkbar, wenn ganz erhebliche Konsequenzen zu erwarten sind. Die Unzumutbarkeit könnte danach allein vorliegen, wenn etwa die Gefahr eines weitgehenden Arbeitsplatzverlustes im gesamten Tarifbereich oder eines Zusammenbruchs der gesamten Branche besteht. Indes ist zu beachten, daß die Kollektivpan:ner Herr der Gesamtvereinbarung bleiben und diese frei ändern können. Demnach gibt es keinen Schutz der normunterworfenen Individualparteien für die Zukunft. Da die Rechtsfolgen einer außerordentlichen Kündigung ohnehin nur ex nunc wirken, wurde bereits das Argument des Vertrauensschutzes zur Rechtfertigung einer Beschränkung abgelehnt. Auch wurde schon festgestellt, daß man eine solche nicht mit der drohenden faktischen Unsicherheit für die Individualparteien rechtfertigen kann, wenn das Vorliegen einer Geschäftsgrundlagenstörung streitig ist. Dies basiert allein auf der Entscheidung des Gesetzgebers, Gesamtvereinbarungen als Verträge auszubilden. Daher können immer Unsicherheiten aus dieser vertraglichen Gestaltungsform hervorgehen, etwa bei einem Streit über eine Anfechtung oder eine unterschiedliche Auslegung des Inhalts getroffener Regelungen; die Rechtsprechung zur Eingruppierung und der Auslegung der Eingruppierungsmerkmale füllt dementsprechend eigene Bände der AP. Folglich gelten die gleichen Prinzipien zur Feststellung der Unzumutbarkeit wie im Zivilrecht. b) Bewertung der Unzumutbarkeit nach der Risikotragung Besonders wichtig für die Frage der Unzumutbarkeit ist erneut, wer nach Vertrag oder Gesetz das Risiko für eine Abweichung von Vorstellung und Wirklichkeit zu tragen hat. Auch beim Tarifvertrag gibt es hierfür keine absoluten Kriterien, wie etwa eine bestimmte Zahl von drohenden Insolvenzen oder Arbeitsplatzverlusten. Vielmehr muß entscheidend sein, wie deutlich die Arbeitgeberseite gegenüber der Gewerkschaft konkrete Fakten zur Grundlage ihres Geschäftswillens gemacht hat. Waren sie als maßgebliche Basis offenkundig, so war erkennbar, 33 BAGE 28, 260 ff. - 267 = AP Nr. 1 zu § 36 BAT = SAE 1977,200; BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Rückwirkung = SAE 1957, 116 ff.; BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG = SAE 1957, 114; BAG AP Nr. 24 Verfassung NRW; BAG AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969 mit zust. Anm. Wiedemann; BAG NZA 1985, 160 ff. - 162; BAG NZA 1997,830 ff. = JZ 1998,203 ff. - 295 mit zust Anm. Oetker; Hueckl Nipperdey, ArbR 11 /1 S. 472.
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daß das Risiko einer Abweichung gerade nicht übernommen werden sollte. Dann muß schon jede erhebliche Abweichung genügen34 • Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Divergenz von Vorstellung und Wirklichkeit vorhersehbar war. Nichtregelung trotz Vorhersehbarkeit spricht dafür, daß derjenige, der sich auf die Grundlagenstörung berufen will, nicht in der Lage war, die Risikofrage im Rahmen der Vertragsverhandlungen in seinem Sinne durchzusetzen. Dann ist der Vertragspartner zu schützen, der annehmen darf, daß der andere das Risiko für eine entsprechende Entwicklung übernommen hat, weil er den Vertrag gleichwohl abgeschlossen hat. Die Vorhersehbarkeit muß hierbei strengen Anforderungen unterliegen, da sie als Gegenindiz zum erkennbaren Willen der Arbeitgeberseite herangezogen wird. Es genügt nicht, daß eine Abweichung möglich gewesen ist. Vielmehr muß diese Möglichkeit schon absehbar gewesen sein. Dies wird man in Fällen zu bejahen haben, wo derartige Entwicklungen bereits diskutiert werden35 • Soweit es um unerwartete Einzelgeschehnisse geht, die auf die Arbeitgeber durchschlagen, kann man diese hingegen allein nicht genügen lassen, um eine Verschiebung der Risikotragung anzunehmen, weil anders als bei positiv unterstellten Umständen hier gerade keine unausgesprochene Gefahrverteilung vorliegen kann. In diesen Fällen wird man verlangen müssen, daß bei Firmenund Haustarifen eine wirtschaftliche Notlage analog den Ausführungen zur Betriebsvereinbarung vorliege 6 • Beim Verbandstarifvertrag wird man in diesen Fällen auf die Unzumutbarkeit für einen erheblichen Teil der Betroffenen, also der verbandsangehörigen Arbeitgeber und mittelbar betroffenen Arbeitnehmer, abstellen müssen3? Dies heißt, es muß sowohl einer erheblichen Zahl der tarifgebundenen Unternehmen die Insolvenz, als auch mittelbar einem erheblichen Teil der Arbeitnehmer der Arbeitsplatzverlust drohen. Ein gesetzlicher Ansatzpunkt zur Bestimmung der Grenze der Erheblichkeit fehlt. In Abgrenzung zu der immer zu erwartenden Existenz von Grenzunternehmen, kann m.E. die Unzumutbarkeit für einzelne unerwartete Entwicklungen bejaht 34 Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 774. Um bei den Beispielen von Belling zu bleiben, ist es nicht einzusehen, daß die Regelung des Kündigungsverbotes oder der Überbrückungsgelder weiterhin fortgeIten soll, obwohl der Sachgrund entfallen ist. Soweit allerdings Arbeitnehmer bereits aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, ist entsprechend den Ausführungen zum Sozialplan ein Anspruch auf das tarifliche Überbrückungsgeld entstanden, der von einer Kündigung nicht berührt wird. 35 Beim Beispiel des Kohlepfennigs etwa ist eine Übernahme des Risikos anzunehmen, wenn während der Tarifverhandlungen politische Auseinandersetzungen über Umfang und Art und Weise einer Fortführung des sogenannten lahrhundertvertrages stattfindet. 36 s.o. Zweiter Teil E IV 1 d) cc) - Seite 185 ff. 3? So Buchner NZA 1993, 289 ff. - 298; Oetleer RdA 1995, 82 ff. - 95; Belling NZA 1996, 906 ff. - 108 f. für die allgemeine Entwicklung der Wirtschafts lage; vgl. auch ArbG Wiesbaden NZA 1997,451 ff. - 453.
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werden, wenn eine Existenzgefährdung für 15 % der gebundenen Unternehmen und Arbeitsplätze besteht. Abweichend zur betrieblichen Notlage wird allerdings in diesen Fällen nicht die Feststellung einer Sanierungsfähigkeit angestellt werden können. Denn die Tarifparteien können letztlich nur durch eine Neuregelung den Maßstab bestimmen, der bei der Sanierungsfähigkeit zugrunde zu legen ist. Daher ist das Recht zur außerordentlichen Kündigung nur zu versagen, wenn zweifelsfrei keine Sanierung mehr möglich ist. Im Regelfall wird hingegen die außerordentliche Kündigung in solchen Extremfällen zulässig sein, die letztlich der nachteilig betroffenen Partei ausschließlich zu dem Recht verhilft, effektive Neuverhandlungen in Anbetracht des unerwarteten Umstandes durchzusetzen. Da die Friedenspflicht beseitigt wird, kann sie letztlich nicht den Abschluß eines neuen Tarifvertrages ablehnen, ohne sich der Gefahr eines Arbeitskampfes auszusetzen. In Abgrenzung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung muß die eingetretene Notlage auch nachweisbar maßgeblich auf diesen Einzelumstand zurückzuführen und der Umstand muß nachweislich Geschäftsgrundlage des Tarifvertrages gewesen sein. Ist es hingegen nur ein Faktor unter vielen, gelten allein die folgenden Ausführungen zu einer allgemein unerwarteten Entwicklung. Entsprechend den obigen Überlegungen können spezielle Wirtschaftsdaten und sonstige konkrete Umstände eine Geschäftsgrundlagenstörung begründen, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. In der Praxis sind solche Fälle freilich bisher nicht entschieden worden, was belegt, daß eine enge Einbeziehung bestimmter konkreter Tatsachen eine seltene Ausnahme ist, oder sich die Parteien zu einer Alternativregelung bekannt haben, die eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich machte.
IV. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung als Grundlagenstörung Regelmäßig werden konkrete Erwartungen nicht derart eindeutig in Verhandlungen eingebracht, daß man von einer Geschäftsgrundlage sprechen könnte. Normalerweise werden, wenn überhaupt, nur vage Prognosen Grundlage des Tarifvertrages. Daher ist es fragwürdig, ob und wann die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung zur Störung der Geschäftsgrundlage führen kann.
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1. Die wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberseite als Geschäftsgrundlage a) Allgemeine zivilrechtliehe Grundsätze Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen gilt das Prinzip, Geld hat man zu haben. Die eigene Wirtschaftssituation ist im BGB prinzipiell keine Geschäftsgrundlage, auf die sich der Schuldner einer Leistung berufen könnte 38 • Die bestehenden Ausnahmen bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen beruhen allein darauf, daß der gesetzliche Unterhalt im Bestand und seiner Höhe von der Leistungsfahigkeit des Verpflichteten abhängt. Diese Beschränkung als Folge des personenrechtlichen Ehe- oder Verwandtschaftsverhältnisses kann nicht auf schuldrechtliche Austausch- oder Regelungsverträge übertragen werden. Die wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberseite ist daher generell nicht als Geschäftsgrundlage anzusehen39 • Folglich ist zu prüfen, ob beim Tarifvertrag eine abweichende Handhabung geboten ist.
b) Analogie zu den §§ 76 Abs. 5 S. 2; 112 Abs. 5; 2 Abs. 1 BetrVG Anders als im Betriebsverfassungsgesetz gibt es im Tarifvertragsgesetz keine Bestimmungen, die eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeber verlangen. Denkbar könnte deren analoge Anwendung sein. Dann müßte die Nichtregelung im Tarifvertragsgesetz eine ungewollte Lücke sein und die Analogie dem vermutlichen Willen des Gesetzgebers entsprechen. Indes bestehen zwischen beiden Materien erhebliche Unterschiede. Die Betriebsverfassung greift unabhängig vom Willen des Arbeitgebers Platz. Ihm werden allein aufgrund des Gesetzes Beschränkungen auferlegt, sobald eine Betriebsratswahl stattgefunden hat. Dies wird mit der Sozialpflichtigkeit des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes nach Art. 14 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Die Normen über die Beachtung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bilden eine Beschränkung dieser Sozialpflichtigkeit, die letztlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Durchbruch verhilft, weil eine ruinöse betriebliche Mitbestimmung nicht mehr als effektiver Arbeitnehmerschutz gelten kann. Des weiteren ist die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung nicht mitgliedschaftlieh legitimiert und daher eine Zwangsordnung. Den Arbeitnehmern darf kein Schutz aufgezwungen werden, der ihre Arbeits38 Etwas anderes gilt freilich für den Gläubiger eines in Vermögensnot geratenen Schuldners. Dem Gläubiger räumt schon das BGB Rechte ein - vgl. §§ 321; 610 BGB Außerdem kann die wesentliche Verschlechterung des Leistungsvermögens einen außerordentlichen Kündigungsgrund erzeugen. 39 Belling NZA 1996, 906 ff. - 908.
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plätze beseitigt. Demnach beruht die gesetzliche Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes in dieser Frage gerade auf dem hoheitlichen Eingriffscharakter des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Tarifvertrag kann hingegen nicht ohne die Bereitschaft der Arbeitgeber bzw. des Arbeitgeberverbandes abgeschlossen werden; es besteht insoweit die allgemeine Vertragsfreiheit. Dieser Vertrag stellt auch keinen hoheitlich herbeigeführten Eingriff dar. Folglich fehlt für eine analoge Anwendung die vergleichbare Interessenlage. Die mangelnde Regelung entspricht der allgemeinen Vertragsfreiheit und ist daher nicht als unbewußte Gesetzeslücke anzusehen, die eine Analogie erlauben würde.
c) Geschäftsgrundlage aus Inhalt und Zweck von Tarifverträgen Möglicherweise folgt aus dem Inhalt und Zweck von Tarifverträgen, daß die Wirtschaftslage der Arbeitgeber als immanente Grundlage anzusehen ist. Der Tarifvertrag ist ein kollektiver Wirtschaftsvertrag, in dem die Partner nicht nur ein angemessenes Verhältnis der konkreten gegenseitigen Leistungen der Tarifgebundenen suchen, sondern einen pauschalen Ausgleich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen erreichen wollen, der vom Wert und den Umständen einzelner Leistungen abgehoben ist. Insbesondere werden zum Beispiel auch Überlegungen zum Erhalt bestehender und Schaffung neuer Arbeitsplätze einbezogen. Die Arbeitgeberseite legt ihrer Willensbildung insoweit die wirtschaftliche Vertretbarkeit zugrunde. Diese Motivation ist der Gewerkschaft bewußt. Entsprechend den Überlegungen zur Betriebsvereinbarung wird man bei unternehmensbezogenen Tarif- und Firmentarifverträgen davon ausgehen können, daß die Arbeitgeber den Fortbestand des Unternehmens und daher eine unternehmensbezogene wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrem Geschäftswillen zugrundegelegt haben. Problematisch erscheint, ob für die Gewerkschaft beim häufigen Flächentarifvertrag die wirtschaftliche Vertretbarkeit ebenso hinreichend erkennbar ist. Die unternehmensbezogene Sichtweise muß hier versagen. Obwohl der Tarifvertrag als Vertrag zur Schaffung von Mindeststandards angesehen wird, ist es im Sinne der marktwirtschaftlichen Auslese hinzunehmen, daß er sogenannte Grenzbetriebe - d.h. Unternehmen am Rande der Insolvenz - in den Ruin treiben kann. Gleichwohl kann diese Überlegung nicht die Tatsache in Frage stellen, daß der Arbeitgeberverband die wirtschaftliche Vertretbarkeit prüft. Dies ist für die Gewerkschaft erkennbar. Was ihr allerdings zumeist verborgen bleiben wird, ist, nach welchen Wirtschaftsdaten die jeweils konkrete Wertung vorgenommen wurde. Diese Unkenntnis ändert nichts daran,
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Dritter Teil: Einseitige GestaItungsrechte bei Tarifverträgen
daß die wirtschaftliche Vertretbarkeit auch beim Branchentarif Geschäftsgrundlage ist. Sie betrifft vielmehr schon die weitere Überlegung, wer das Risiko einer Abweichung zu tragen hat. Soweit vorgebracht wird, das gesamtwirtschaftliche Geschehen könne nicht Geschäftsgrundlage sein, weil die Tarifpartner weder befugt noch in der Lage wären, dieses zu steuern40 , wird der Inhalt der Geschäftsgrundlagenlehre verkannt. In der Regel liegen solche Störungen gerade in Fällen vor, wo der Geschäftswille der Vertragsparteien auf der Grundlage äußerer, von ihnen eben nicht beeinflußbarer Umstände aufbaut - beispielhaft sei an die Fallgruppen der Sozialkatastrophe, Kriege, Handelsverbote und Rechtsprechungsänderungen erinnert. Auch ohne eine den Bestimmungen des BetrVG vergleichbare gesetzliche Regelung ist somit die Wirtschaftssituation der Arbeitgeber Geschäftsgrundlage von Tarifverträgen41 •
2. Unzumutbarkeit der weiteren Vertragsdurchjührung Schließlich setzt ein wichtiger Grund, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, neben der Geschäftsgrundlagenstörung zusätzlich voraus, daß unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragspartner die fortdauernde Bindung der einen Seite nicht mehr zugemutet werden kann. Dazu ist, wie ausgeführt, die Risikoverteilung von erheblicher Bedeutung. Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist zunächst erneut der Grundsatz, daß für die Wirtschaftslage die allgemeine gesetzliche Wertung des § 279 BGB eingreift, wonach jede Vertragspartei für die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat42 • Deshalb wird im folgenden für den Tarifvertrag nach einer gesetzlichen oder vertraglichen Abweichung von diesem allgemeinen Risikoverteilungsprinzip zu suchen sein. Wie bereits ausgeführt wurde, kommt eine verfassungsrechtlich hergeleitete Risikoverlagerung unter Berufung auf die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer Koch, Franz-Michael AuA 1993,232 ff- 233. Dito, Hansjörg FS Kissel 1994, S. 803 f., der allerdings mit der Problematik, ob generell eine Änderung zu einer Grundlagenstörung fUhrt, erkennbar die Fragen verknüpft, ob ein Umstand Grundlage ist und wer das Risiko einer Abweichung trägt. Die Feststellung, daß ein Umstand Geschäftsgrundlage war, besagt zunächst nur, daß er fUr beide oder fUr eine Partei - der anderen Seite erkennbar - wesentliches Motiv der Willensbildung war. Ob dies Rechtsfolgen zeitigt, ist von der Unzumutbarkeit der weiteren Vertragstreue abhängig, die viel schärfere Voraussetzungen erfüllen muß. 42 Dito, Hansjörg FS Kissel 1994, S. 796; allg. Soergel - Teichmann, § 242 BGB RZ.235. 40
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und dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Arbeitgeber nicht in Betracht.
a) Gesetzliche Risikoverschiebung wegen einer Gemeinwohlbindung Nach überwiegender Meinung unterliegt die tarifvertragliehe Abschlußfreiheit wegen ihres Rechtsetzungscharakters und des Rechts zum Arbeitskampf, welcher der Rechtsordnung als Friedensordnung der Rechtsgenossen eigentlich widerspricht43 , der Gemeinwohlbindung44 • Hierbei wird von einer Delegation staatlicher Rechtsetzungsbefugnisse ausgegangen, weshalb auch die Schranken gelten müßten, die der Gesetzgeber zu beachten hat, wenn er selbst Rechtsetzungsgewalt ausübt. Insoweit könnte man eine normative Verlagerung des Risikos für die Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberseite mit der Gemeinwohlbindung zu rechtfertigen suchen. Nach der hier vertretenen Auffassung von privater Rechtsetzung, die lediglich staatlich anerkannt wird, ist eine Gemeinwohlbindung nicht zu begrüDden45 • Die Tarifpartner handeln in ihrem eigenen Interesse wie andere Privatrechtssubjekte auch. Allein die Notwendigkeit einer vertraglichen Einigung nach dem Tarifvertragsgesetz soll ein interessengerechtes Ergebnis sicherstellen46 und mittelbar dem Gemeinwohl dienen47 • Jeder Eingriff in diesen Interessenausgleich stellt die praktische Richtigkeitsgewähr des vertraglichen Systems, damit den angemessenen Ausgleich und so gerade das "Gemeinwohl" in Frage. Läuft das tarifliche Ergebnis staatlicher Wirtschaftspolitik oder besonderen Allgemeininteressen zuwider, so bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, unter Wahrung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsgarantie der Koalitionen eine abweichende Regelung zu treffen48 • Den Tarifpartnern wird über Art. 9 Abs. 3 GG nur ein Normsetzungsrecht, nicht aber ein Monopol eingeräumt, das gesetzgeberische Regelungen ausschließen würAusführlich Picker ZfA 1986, 199 ff. - 208 ff. Gami/lscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 317 ff.; MünchArbR - Oft, Rz. 90; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 51 ff.; ders., Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 277 ff.; Hueck, Alfredl Nipperdey, ArbR 11/1, S. 391 und 11/2 S. 1627 f. u. 1655 f.; Krüger, Gutachten zum 46. DJT, S. 24 ff. und 58 ff.; Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 35 f.; ders.l Loritz, Arbeitsrecht S. 389f.; Rasch BB 1974, 1217 ff.; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG Ein!. Rz. 193 ff; ausführlich Knebel, Koalitionsfreiheit und Gemeinwohl, insbesondere S. 110 ff. 45 Vgl. Fenn ZfA 1971,347 ff. - 351 f.; Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S. 35 ff.; ausführlichst m.w.N. Picker ZfA 1986, 199 ff. - 217 ff.; so auch im Ergebnis Schmidt-Preuß JuS 1979,551 ff.- 552 f. 46 Löwisch 1 Rieble, TVG § 1 Rz. 1 ff. 47 Picker ZfA 1986, 199 ff. - 222. 48 Reuß ZfA 1970, 319 ff. - 331; Schmidt-Preuß JuS 1979, 551 ff.- 553 f. 43
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de49 • Daß er diesen Weg wegen der Macht der Koalitionen bisher nur selten beschritten hat, kann die rechtliche Bewertung nicht ändem50 • Dies ist jedenfalls den Gerichten nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung verwehrt. Eine Schranke könnte allenfalls aus § 826 BGB für den hypothetischen Fall gelten, wenn die Tarifpartner in der nachweisbaren Absicht der Schädigung Dritter, also auch der Normenunterworfenen, handeln würden51 • Selbst wenn man eine Gemeinwohlbindung annehmen würde, stellt sich darüber hinaus die Frage, wie ein Gericht überhaupt feststellen soll, ob ein Tarifvertrag gemeinwohlschädigend ist52 • Insoweit halten viele diese Bindung für nicht justiziabel 53 • Dieses Problem wird gerade anhand der Diskussion um die außerordentliche Kündigung der Osttarifverträge erkennbar. Dort wurde teilweise die Überschreitung der Gemeinwohlgrenze mit dem Drohen massenhafter Arbeitsplatzverluste und dem Niedergang ganzer Branchen begründet54 • Diese Argumentation setzt die Wertung voraus, daß man den Erhalt vieler Arbeitsplätze sowie der Wettbewerbsfähigkeit zum Gemeinwohl erhebt, während man demgegenüber Lohneinbußen zuläßt. Es gibt immerhin im Bereich der ursprünglichen Bundesrepublik Branchen wie Stahl, Kohle und Schiffsbau, in BVerfG DB 1996,2082 f. - 2082. Ob ein solcher gesetzlicher Interventionismus zu wünschen ist, darf bezweifelt werden, fUhrt er doch regelmäßig zu immer weiter gehenden Eingriffen vgl. auch Reuß AuR 1975,289 ff. - 293 f.; Erdmann ZfA 1980,417 ff. - 423 f. Unser Tarifvertragssystem hatte sich jedenfalls bisher gerade dadurch bewährt, daß es ein "Ausbalancieren der Kräfte, Mächte und Interessen unterhalb der staatlichen Ebene im gesellschaftlichen Raum" eröffnet hat - Heinze DB 1996,729 ff. -732. Äußerst bedenklich ist die heutige Situation, wenn man sieht, daß Söllner NZA 1996, 897 ff. - 900 als ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht bereits ParalelIen zur Endzeit der Weimarer Republik andeutet. 51 So wohl BGH NJW 1978, 2031; vgl. auch Hersehel RdA 1986, I ff. - 2. 52 Es wurden zwar einige Versuche der Konkretisierung unternommen, doch ist alIen Versuchen gemein, daß sie unpräzise bleiben müssen. Vgl. auch die kritische Analyse zu einer Bindung an das Stabilitätsgesetz von Reuß ZfA 1970,319 ff. - 332 ff. De facto könnte ein Verstoß gegen das Gemeinwohl wohl nur festgestellt werden, wenn eine Tarifregelung offensichtlich auf eine sinnlose Zerstörung der Wirtschaft hinausliefe. Diese Offensichtlichkeit ist praktisch wegen der Komplexität gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge kaum vorstellbar und könnte, wenn sie vorliegt, mit dem Schikaneverbot oder mit einem bewußten Zusammenwirken der Tarifpartner zu Lasten ihrer Verbandsmitglieder behoben werden. 53 Biedenkop/, Grenzen der Tarifautonomie, S. 81 u. 215; Kempen/ Zaehert, TVG Grdl. 135 ff.- 136; vgl. auch KisselNJW 1994,217 ff. 219; ders. NZA 1995, I ff. - 3, wenn er betont, daß tarifliche Vernunft und gesamtwirtschaftliche Verantwortung rechtlich nicht faßbare Begriffe sind und das Gericht nicht in der Lage sei, zu bestimmen, ob etwa eine Lohnerhöhung von 3,9 % oder 4,1 % angemessen sei. 54 Buehner NZA 1993, 289 ff. - 294. 49
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denen die deutsche Industrie seit Jahren nur durch staatliche Förderung international wettbewerbsfähig ist. Würde man hier unbeschränkt Lohneinbußen zulassen, so müßten die Arbeitnehmer wegen ostasiatischer und nunmehr auch osteuropäischer Konkurrenz zu Löhnen arbeiten, die unter dem Existenzminimum liegen55 • Dies zeigt, daß zwischen Lohnhöhe und wirtschaftlicher Belastung der Arbeitgeber ein ausgewogenes Verhältnis gefunden werden muß, bei dem viele Gesichtspunkte berücksichtigt werden können56 • Zu denken ist u.a. an Schwere und Gesundheitsbeeinträchtigung durch die Arbeit, Verhältnis zu Arbeitsentgelt in ähnlichen Branchen oder zum allgemeinen durchschnittlichen Arbeitslohn, notwendige Ausbildung und anderes mehr . Dabei kann es letztlich kein objektives Ergebnis geben. Vielmehr wird deutlich, daß es für den Tarifvertrag, ebenso wie im übrigen Privatrecht, bei der Bestimmung von Leistung und Gegenleistung keinen "richtigen Preis" gibe 7 • Daher hat schon Reuß zu Recht darauf hingewiesen, daß die Problematik der Gemeinwohlbindung eigentlich nicht die Frage ist, was dieses Wohl ist, sondern wer es verbindlich defmiert 58 • Durch das Tarifvertragsgesetz hat der Gesetzgeber die vertragliche Abschlußfreiheit mit dem Ziele einer potentiellen Richtigkeitsgewähr etabliert, so wie er dies auch im Zivilrecht für den Regelfall getan hat59 • Über die Aushandlung der Tarifverträge im Rahmen ihrer eigenen und der Interessen ihrer Mitglieder verwirklichen die Sozialpartner gerade nach der gesetzlichen Vertragskonzeption das Gemeinwohl60 •
55 Rieble RdA 1996, 151 ff. - 157 weist zu Recht darauf hin, daß wir mit Billiglohnländern nicht allein über den Lohn konkurrieren können, so lag der durchschnittliche Lohn fur eine Industriearbeiterstunde 1994 in Ungarn bei DM 4,70, in Polen bei DM 3,70 und in Tschechien bei DM 3,20 (vg!. Tabelle Nr. 25 /95 S. 7 in "Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland" herausgegeben vorn Institut der deutschen Wirtschaft Köln). 56 So zutreffend Zachert NZA 1993, 299 ff. - 301 gegen die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung in der ostdeutschen Elektro- und Metallindustrie. 57 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen S. 101; vg!. auch bei Schilling, Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen, die Darstellung der gegenseitigen Argumente der Tarifpartner, S. 124 ff. und seinen Vergleich mit den Theorien über den Ablauf von Tarifverhandlungen, S. 184 ff., die zu dem Ergebnis fUhren, daß jeder Tarifvertrag ein vorn Verhandlungsverlauf abhängiger Komprorniß ist, der wirtschaftliche, praktische und organisatorische Faktoren sowie aktuelle Präferenzen der Tarifpartner vereinigt - S. 213 f. 58 Reuß ZfA 1970, 319 ff. - 322; vg!. auch v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen S. 54 ff.; Pfarr/ Kittner RdA 1974,284 ff. - 291. 59 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen S. 101 f.; Thiele FS Larenz 1973, S. 1053; Hagemeier/ Kempen/ Zachert/ Zilius, TVG Ein!. 79 f. 60 Herschel RdA 1986, 1 ff. - 2 f.; Richardi ZfA 1990, 211 ff. - 221; wohl auch Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 320 ff.
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Die Gegenmeinung müßte hingegen den Gerichten die Aufgabe übertragen, diese Gewichtung vorzunehmen, was auf eine Tarifzensur hinausliefe 61 und nach ganz überwiegender Meinung mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar ist62 • Dem versucht man zwar dadurch zu entgehen, daß man von ganz offensichtlichen Verstößen spricht63 • Solche können beim Verhältnis von Arbeit und Gegenleistung letztlich nicht festgestellt werden. Ist jemand bereit, eine bestimmte Leistung zu erbringen, so müssen gemäß § 138 Abs. 2 BGB grundsätzlich besondere Umstände hinzutreten, damit man die Gegenleistung als überzogen und sittenwidrige Verpflichtung ansehen kann. Im übrigen ist beim Tarifvertrag ein unausgewogenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht feststellbar , weil Maßstab für ein auffälliges Mißverhältnis allenfalls der durchschnittliche Marktpreis sein kann. Dieser wird gerade nach unten durch den Tarifvertrag weitestgehend begrenzt. Auch wenn der Organisationsgrad in Deutschland im Durchschnitt lediglich bei etwa einem Drittel liegt, bildet der Tariflohn aufgrund der im übrigen gewöhnlichen vertraglichen Bezugnahmen eher die Mindestvergütung als eine mittlere oder gar hohe Entlohnung. Folglich müßte man mangels eines anderen Maßstabs allein an der Entgelthöhe ansetzen, was einer Preisbindung gleichkommt. Eine solche kann allenfalls in besonderen Notlagen durch eine gesetzliche Regelung getroffen werden64 • Sie darf hingegen nicht schon mit einer Gemeinwohlgrenze begründet werden, für die brauchbare Maßstäbe fehlen65 • Genauso geht der Bezug auf das Stabilitätsgesetz fehl 66 • Die dort genannten vier Ziele - Vollbeschäftigung, Preistabilität, stetiges Wachstum und ausgegli-
61 Reuß AuR 1975,289 ff. - 290 ff.; Richardi ZfA 1990, 211 ff. - 220; Löwisch / Rieble, TVG Grundl. Rz. 39. 62 Vgl. MünchArbR - Löwisch, § 246 Rz. 4; Löwisch RdA 1969, 129 ff. - 131. 63 Vgl. etwa Rüfner, RdA 1985, 193 ff. - 199; Thiele FS Larenz 1973, S. 1057; MünchArbR - Dtto, Hansjörg § 275 Rz. 90.
64 Soweit de lege ferenda eine gesetzliche Konkretisierung der Gemeinwohlbindung gefordert worden ist, Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 63 ff., bedarf es hierfür keiner unmittelbaren Gemeinwohlbindung der Tarifparteien. Dies würde vielmehr eine in den Grenzen des Art. 9 Abs. 3 GG zulässige inhaltliche Ausgestaltung der Tarifautonomie durch den Gesetzgeber darstellen. 65 Löwisch RdA 1969, 129 ff. - 130 f.; soweit Rüfner RdA 1985, 193 ff. - 196 dies annimmt, sofern "Minimalforderungen" mißachtet werden, über die "Konsens" bestehe, ist dies m.E. paradox, weil die Entscheidung der Sozialpartner gerade einen gesellschaftlichen Konsens widerlegt. 66 So etwa Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle S. 277 ff. - 281; ders., Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 51 ff.; Hueck, Alfredl Nipperdey, ArbR II11, S. 391 und II12 S. 1627f. u. 1655 f.; bereits vorher unter Berufung auf Vollbeschäftigung und Arbeitsplatzsicherung, Krüger, Gutachten zum 46. DJT, S. 60 ff.; Knebel, Koalitionsfreiheit und Gemeinwohl S. 129 ff., der schließlich annimmt,
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chene Außenhandelsbilanz - liegen wirtschaftswissenschaftlich in einem Spannungsverhältnis. Außerdem hat der Gesetzgeber damit lediglich seine Vorstellungen von einer sinnvollen Wirtschaftsentwicklung benannt, der kein Tarifpartner folgen muß67 • Wohin diese Sicht führen kann, zeigt anschaulich die Auffassung von Bulla und Rasch, die die Tarifpartner an die Empfehlungen des Sachverständigenrats und der Deutschen Bundesbank binden wollen68 , wobei Rasch konsequenterweise die Einführung der Zwangsschlichtung fordert69 • Auch wenn dies Einzelmeinungen geblieben sind, wäre deren Umsetzung als Eingriff in den Kembereich der Tarifautonomie ohnehin verfassungswidrig. Ferner ist vertreten worden, daß organisierte Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche gegenüber ihren Gewerkschaften haben könnten, wenn diese eine Lohnpolitik betrieben, die vermeidbare Arbeitslosigkeit herbeiführfo• Selbst wenn man solche Ersatzansprüche ernsthaft in Betracht ziehen wollte, würden sie aus der Innenbeziehung der Arbeitnehmer zur Gewerkschaft resultieren7 ! • die Tarifpartner dürften höchstens um 6% von den von der Bundesregierung vorgegebenen Orientierungsdaten abweichen - aaO. S. 165. 67 Fenn ZfA 1971, 347 ff. - 351 f.; Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 321 f.; Reuß ZfA 1970, 319 ff. - 332 ff.; ders. AuR 1975, 289 ff. - 292 f.; Kempen/ Zachert, TVG Ein\. 136; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 81 u. 215; vg\. auch Kissel NJW 1994, 217 ff. 219, wenn er betont, daß tarifliche Vernunft und gesamtwirtschaftliche Verantwortung rechtlich nicht faßbare Begriffe sind. 68 Rasch BB 1974, 1217 ff. - 1218; ähnlich Wochner BB 1993,515 ff. - 517 der bei einer erheblichen Abweichung von den Empfehlungen der Deutschen Bundesbank erheblich soll bereits eine Abweichung um 1 % sein - eine objektive Pflichtverletzung gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern annimmt. Wochner will bei fortlaufendem Verstoß sogar die Eigenschaft als Gewerkschaft mit der Begründung ausschließen, daß sie nicht mehr die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern suchten - aaO. 519. 69 Bulla FS Nipperdey 1965 Bd.II S. 79 ff- 100; Rasch BB 1974, 1217 ff.- 1220 f. 70 Wochner BB 1993, 515 ff., dessen Bestimmung des Schadensumfangs schon im Hinblick auf die Beweislast des Geschädigten für die kausale Herbeiführung seines konkreten Schadens mehr als fragwürdig ist. 7! So denn Wochner BB 1993,515 ff. - 516 f. M.E. kann eine solche Bindung an den "Arbeitnehmerwillen" nicht überzeugen. Die Arbeitnehmer haben als Mitglieder die Macht, ihre Satzung so aozufassen, daß sie der Führungselite die nach ihrer Meinung notwendigen Vorgaben machen. Geschieht dies nicht, scheint eine Mehrheit mehr oder minder hinter der Führung zu stehen. Außerdem steht es jedem Arbeitnehmer frei eine Gewerkschaft zu verlassen, was bei entsprechender Häufung auf die Führung den stärksten Druck ausüben dürfte. Wenn Wochner hiergegen einwendet, daß ein Austritt dem Arbeitnehmer wegen des ihm zuteil werdenden Rechtsbeistandes durch Gewerkschaften vor Arbeits- und Sozialgerichten unzumutbar wäre, ist dies doch reichlich übertrieben. Die Fraktion der Außenseiter, die schließlich eine Mehrheit von ca. 65 % der Arbeitnehmer stellt, scheint mit dieser unzumutbaren Lebenslage ganz gut zurecht zu kommen - ihre Verelendung ist mir jedenfalls noch nicht aufgefallen; übrigens gibt es seit einigen Jahrzehnten sog. Rechtsschutzversicherungen. Die Willensfeststellung der Arbeitnehmer ist ohnehin mehr als fragwürdig. Obwohl Wochner selbst dauernd auf die Osttarife
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Hieraus läßt sich kein Recht der Arbeitgeber ableiten, das auf die Risikoverteilung Einfluß nehmen könnte. Im Ergebnis ist folglich festzuhalten, daß keine spezialgesetzliche Abweichung vom Risiko nach den allgemeinen Bestimmungen des Zivilrechts bei Tarifverträgen besteht. Insbesondere bietet die Gemeinwohlbindung selbst keinen brauchbaren Bewertungsmaßstab, um bei wirtschaftlichen Krisen in die Lohnpolitik einzugreifen, falls man überhaupt von einer solchen Bindung ausgeht. Ein Eingriff in die Tarifautonomie kann allenfalls durch den Gesetzgeber stattfinden und muß sich dann an der Betätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG messen lassen. Den Gerichten ist eine Tarifzensur über diesen wertungsbedürftigen Begriff zu versagen.
b) Vertragliche Risikoverlagerung wegen Rechtsnatur des Tarifvertrages Fehlt demnach für den Taritbereich eine abweichende gesetzliche Risikoregelung, so muß eine besondere vertragliche vorliegen. Dabei darf keine echte Vereinbarung erwartet werden; eine solche fehlt aus der Natur der Sache beim Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Entscheiden müssen vielmehr die im Vertrag vorgefundenen Wertungen und Interessenlagen wie auch die Zwecksetzung. Dies ist grundSätzlich eine Einzelfallproblematik72 • Dennoch soll geprüft werden, ob es allgemeine Indizien gibt, die für eine abweichende Risikogestaltung im Tarifvertrag sprechen. Erster Ansatz könnte die Tatsache sein, daß diese Verträge ihrer Rechtsnatur nach Wirtschaftsverträge sind. Man könnte argumentieren, daß jede nicht rein marginale Abweichung von der angenommenen Wirtschaftsprognose die Grundlage der Willensbildung beseitigt, und deshalb die Gefahr einer abweichenden Entwicklung prinzipiell von keinem übernommen wird. Folglich könnte sich jeder Partner ohne weiteres vom Tarifvertrag lösen, wenn eine Entwicklung zu seinen Lasten erfolgt. Diese Überlegung kann eine solch umfassende Abweichung vom Zivilrecht nicht rechtfertigen. Dagegen spricht das praktische Hindernis, die Feststellung der negativen Veränderung gegenüber der ursprünglichen Vorstellung der verweist, konnten die Gewerkschaften der Metall- und Elektroindustrie just diese gegen ihren Willen bevormundeten Arbeitnehmer in erheblichem Umfang mobilisieren, durch Arbeitsniederlegung die weitestgehende Einhaltung der Tarifverträge zu erzwingen. 72 Die Feststellung einer besonderen einze1vertraglichen Risikozurechnung ist eine Auslegungsfrage und folgt den hierfür entwickelten Grundsätzen. Insoweit sei auf die einschlägige Kommentarliteratur -m.w.N. Palandt - Heinrichs, § 242 Rz. 127 ff.; Erman - Sirp, § 242 Rz. 172- verwiesen; instruktiv auch Ananiadis, Auslegung von Tarifverträgen, der zu Recht betont, daß Gesetzes- und Vertragsauslegung sich letztlich allein durch den Vertrauensschutz der Normenunterworfenen unterscheiden, S.39.
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Tarifparteien zu treffen. So fehlt schon ein eindeutiger Maßstab zur abschließenden Bewertung der Wirtschaftslage. Zwar existieren eine große Anzahl von möglichen Indikatoren, die teilweise gegensätzlich aufeinander einwirken. Auch gibt es gewisse hervorstechende Daten, wie etwa die vier Ziele nach dem Stabilitätsgesetz. Doch kann keines dieser Kriterien als zwingende Grundlage eines Tarifvertrages angesehen werden. Welche wirtschaftlichen Prognosen tatsächlich Grundlage waren, müßte aus dem Vertrag selbst oder zumindest den Verhandlungsprotokollen folgen. Wenn auch in Tarifverhandlungen wirtschaftliche Überlegungen einfließen, so werden sie im Regelfall nicht eingehend präzisiert und zur Berechnungsgrundlage erhoben. Deshalb ist praktisch kaum feststellbar , ob und wann eine solche Verschlechterung gegeben ist. Neben diesem Problem spricht entscheidend gegen eine Risikoverschiebung allein wegen des wirtschaftsvertraglichen Charakters des Tarifvertrages, daß es aufgrund der zahlreichen nationalen wie internationalen Einflußfaktoren keine eindeutig überschaubare Wirtschaftsentwicklung geben kann73 • Mehr oder minder große Abweichungen fmden immer statt. Würde man damit das Recht zur außerordentlichen Kündigung begründen, wäre die Regelungs- und Befriedungsfunktion74 des Tarifvertrages für seine Laufzeit nicht mehr zu gewährleisten. Vielmehr muß aus dieser Erwägung gefolgert werden, daß die Parteien sich der bestehenden Unsicherheiten bewußt sind. Dem Tarifvertrag kommt daher auch inter partes die Funktion zu, die Unsicherheit über das Entgelt zu beseitigen und so eine Konstante für die weitere Planung zu schaffen. Dementsprechend ist davon auszugehen, daß bei einem Wirtschaftsvertrag wie dem Tarifvertrag jede Partei das Risiko einer für sie nachteiligen Wirtschaftsentwicklung prinzipiell träges. Will eine Seite eine abweichende Regelung hiervon, so muß sie sich ein entsprechendes Kündigungsrecht ausdrücklich einräumen lassen76 • 73 Zu Recht weist Unterhinninghofen AuR 1993, 101 ff. - 104 darauf hin, daß sich jede Partei auch bewußt sein müsse, daß die Gefahr unvorgesehener Entwicklungen mit der ünkündbaren Mindestlaufzeit anwächst und insoweit ein erhöhtes Risiko eingegangen wird. Wer dieses Risiko bewußt eingeht, muß sich hieran festhalten lassen. Dies war gerade das Dilemma bei den Osttarifverträgen der Elektro- und Metallindustrie mit ihrer festen Laufzeit von flinf Jahren. 74 Auch Ordnungs- und Friedensfunktion genannt so Muhr BArbBI. 1993, 21 ff. - 23. 7S SO schon RAGE 3,231 ff. - 234 = ARS 5, S. 411 ff. - 416; LAG Hessen NZA-RR 1997, 17 ff.; zuletzt ArbG Wiesbaden NZA 1997, 451 ff. - 453 f.; Molitor, Erich, TVVO Anh. zu § 8 Rz. 10; Rüthers OB 1970,2120 ff. - 2124; Beuthienl Meik OB 1993, 1518 ff. - 1520; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 94; Zachert RdA 1996, 140 ff. - 149; ders. NZA 1993, 299 ff. - 300; Belling NZA 1996, 906 ff. - 908; Buchner NZA 1993, 289 ff. - 296 f.; Däubler ZTR 1996,241 ff. - 243; Wank FS Schaub S. 761 ff.-768. 76 So Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rz. 28; Wiedemann RdA 1969,321 ff. - 326; vgl. auch Löwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 369, die durch ein fehlendes Kündigungsrecht auch vertraglich von einer bewußten Risikoübernahme ausgehen.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Die wirtschaftsvertragliche Natur des Tarifvertrages verfestigt damit die gesetzliche Risikotragung.
c) Schranken der vertraglichen Risikotragung beim Branchentarifvertrag Nach den bisherigen Feststellungen trägt die Arbeitgeberseite das Risiko einer ihr ungünstigen Entwicklung, wenn sich nicht aus ganz besonderen Umständen des Einzelfalles ausnahmsweise etwas anderes ergibt. Es bleibt daher noch die Frage, ob diese vertragliche Gefahrtragung ebenso wie die gesetzliche nach § 279 BGB schrankenlos ist. Dies soll zunächst für den Regelfall des Branchentarifvertrages untersucht werden. Anders als der gewöhnliche Austauschvertrag des Zivilrechts ist der Tarifvert~ag als Wirtschaftsvertrag von seiner Zielrichtung selten auf den Leistungsaustausch inter partes ausgerichtet. Vielmehr dienen solche Verträge weitestgehend dazu, eine angemessene Grundordnung für die Individualvertragspartner zu schaffen. Deshalb steht nicht das Interesse im Vordergrund, sich einen Nutzen oder Vorteil zur Bedürfnisbefriedigung zu verschaffen, wenn dies auch den Ruin des Vertragspartners bewirkt. Die Gewerkschaft muß vielmehr im Sinne einer angemessenen Interessenwahrnehmung ihrer Mitglieder auch die existentielle Sicherung der tarifgebundenen Arbeitgeber vor Augen haben, weil eine Leistungsberechtigung, die den eigenen Arbeitsplatz vernichtet, den Arbeitnehmern letztlich nicht nützt, sondern schadet. Daher könnte man annehmen, daß eine Schranke des Risikos in der Gefahr massenhafter Arbeitsplatzverluste und Arbeitgeberinsolvenzen liegt. Während Steffan insoweit bereits eine Gefährdung von 10 % der betroffenen Unternehmen als absolute Grenze der Zumutbarkeit ansiehe1, wird nach anderer Ansicht verlangt, daß dem ganz überwiegenden Teil der Arbeitgeber eine weitere Tarifbindung unzumutbar sein müsse 78 • Gegen eine solche Sicht spricht nicht bereits die formale Betrachtung, daß die einzelnen Arbeitgeber beim Verbands tarif nicht Vertragspartner sind79 , weil dies die Besonderheiten StejJan JuS 1993, 1027 ff. - 1029. Buchner NZA 1993, 289 ff. - 298; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 95; Belling NZA 1996, 906 ff. - 108 f.; Hromodka FS Wlotzke 1996 ? S. 351 f.; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 770, der betont, daß gleichzeitig eine überwiegende Anzahl von Arbeitsplätzen gefahrdet sein müsse; tendenziell auch Thiele FS Larenz 1973, S. 1060, wenn er u.a. die Existenzgefahrdung bzw. -vernichtung als Grenze der Regelungsmacht der Tarifparteien bezeichnet. Wohl auch Koch, Franz-Michael AuA 1993, 232 ff. - 234, der vom Wortlaut her allerdings scheinbar jede Existenzgefährdung ohne Quantifizierung genügen lassen will. 79 Dito, Hansjörg FS Kissel 1994, S. 805. 77 78
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des Tarifrechts mißachtet. Der Arbeitgeberverband wird insoweit gerade für seine Mitglieder tätig, was der Gewerkschaft auch bewußt ist80 • Wie schon erörtert, muß eine solche Gefährdung nicht alleine auf tariflichen Regelungen beruhen, sondern kann auf mannigfaltigen Gründen fußen. Deshalb kann die Interessenlage nicht auf "weniger Lohn für Arbeit" verkürzt und als Grenze der Risikotragung fmgiert werden81 • Es entsprach bisher der anerkannt zulässigen Folge eines Tarifvertrages, daß sogenannte Grenzbetriebe aufgrund gestiegener Tarifverpflichtungen dem marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampf nicht mehr standhalten und zusammenbrechen82 • Wer nunmehr dem einzelnen Arbeitgeber ein außerordentliches Kündigungsrecht im Hinblick auf seine Mitgliedschaft im Verband unter Ausschluß der fortgeltenden Tarifbindung nach § 3 abs. 3 TVG für den Fall zuweisen will, daß seine Existenz gefährdet ist83 , bleibt die Begründung für eine solche Risikoverlagerung schuldig. Ein Verweis auf Art. 12 GG, Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG wurde insoweit widerlegt, weil der Arbeitgeber durch seinen Verbandsbeitritt die Ermächtigung zur tariflichen Normsetzung eröffnet hat und die Grundrechte niemanden vor der Erfüllung eingegangener Verpflichtungen schützt84 • Folglich kann allein mit der Gefahr zahlreicher Arbeitspiatzverluste8S und Arbeitgeberinsolvenzen keine Beschränkung der Risikotragung gerechtfertigt werden. Schließlich ist es der Gewerkschaft unbenommen, sich mit der Gegenseite auf eine neue Regelung zu einigen, wenn sie dies für oppurtun hält. Daher entspricht es nicht ihrem Interesse, wenn Arbeitgeber den Tarifvertrag einseitig kündigen können, statt eine einvernehmliche Änderung herbeiführen zu müssen. Nach allgemeinen Grundsätzen kommt zwar als äußerste Schranke noch die Sozialkatastrophe in Betracht. Diese Grenze wird auch bei Tarifverträgen gelten86 • Die Problematik der bisherigen Sozialkatastrophen nach zwei verlorenen Weltkriegen war vornehmlich durch eine rasante Geldentwertung gekennzeichnet. Die eigene Währung versagte als Zahlungsmittel, und alle hierauf gestützten Verträge wurden ihres Leistungsgleichgewichts beraubt. Eine Hromodka FS Wlotzke 1996? S. 351; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 769. s.o. D 11 - Seite 289 f. und D IV 2 a - Seite 300 f. 82 Duo, Hansjörg FS Kissel 1994, S. 802. 83 Rieble RdA 1996, 151 ff. - 155; Adomeit, Regelung von Arbeitsbedingungen und ökonomische Notwendigkeiten S. 52 ff. 84 So auch Duo, Hansjörg FS Kisse11994, S. 797 f. 8S Hieraufwill Duo, Hansjörg FS Kisse11994, S. 805 abstellen. 86 RAGE 3, 231 ff. - 234 = ARS 5, 411 ff. - 416; Dem entsprechen häufig verwendete Formulierungen, es müßten schwerwiegende, völlig unvorhersehbare Ereignisse eingetreten sein - vgl. etwa Däubler ZTR 1996, 241 ff. - 243. 80
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Geldentwertung kommt bei gleichbleibenden Nominallöhnen den Arbeitgebern zugute, so daß in einem solchen Extremfall letztlich nur ein Interesse der Gewerkschaft an der außerordentlichen Kündigung besteht. Da es nach dem oben Gesagten weder eine objektive Bewertung für die Frage einer absoluten Zumutbarkeitsgrenze gibt - ausgenommen die Sozialkatastrophe -, noch wegen seines wirtschaftsvertraglichen Charakters eine subjektive Grenze des Tarifvertrages feststellbar ist, liegt in der Weigerung der Gewerkschaft, einen bestehenden Flächentarifvertrag zu ändern oder zu beenden, keine Treuwidrigkeit. Dies ändert sich auch nicht dann, wenn beim Arbeitgeberverband eine Flucht aus dem Verband beginnen würde. Der Gesetzgeber hat mit § 3 Abs. 3 TVG deutlich zum Ausdruck gebracht, daß dies die einmal gefundene Regelung der Tarifparteien nicht berühren so1l87. Außerdem kann sich ein Verband nicht seiner Vertragstreue entziehen, weil er das Ergebnis nicht vorher intern hinreichend mit seinen Mitgliedern abgestimmt hat. So könnten Arbeitgeberverbände z.B. Tarifverträge unter der aufschiebenden Bedingung einer mitgliedschaftlichen Genehmigung im Rahmen einer Art "Urabstimmung" über das Tarifergebnis abschließen. Erfolgt keine hinreichende interne Abstimmung zwischen dem Verband und seinen Mitgliedern, so kann diese Unterlassung nicht dem Vertragspartner zum Nachteil gereichen88 . Auch die Annahme einer Obliegenheit der Gewerkschaft, bei einer erheblichen Veränderung der angenommenen Konjunkturentwicklung das Nachverhandlungsangebot des Tarifpartners nicht grundlos abzuweisen, andernfalls eine außerordentliche Kündigung wegen der Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme möglich wäre89 , erscheint wenig hilfreich. Sollte eine solche Pflicht wirklich angenommen werden, braucht die Gewerkschaft nur formal Verhandlungen zu betreiben, ohne eine Vertragsanpassung ernsthaft zu beabsichtigen, insbesondere wenn sie im Gegensatz zu den Arbeitgebern keine Notwendigkeit für eine Tarifvertragsänderung sieht oder diese sogar für unzweckmäßig hält. Ist hingegen auch nach der Auffassung der Gewerkschaft eine Änderung notwendig bzw. zweckmäßig, bedarf es keiner Rechtsverpflichtung zu entsprechenden Nachverhandlungen. Eine solche Pflicht ist daher wenig hilfreich und sinnvoll. Im Ergebnis ist damit festzustellen, daß beim Branchentarifvertrag, der Grundsatz des § 279 BGB praktisch schrankenlos gilt. Die Kündigung der 87 Vgl. ArbG Wiesbaden NZA 1997,451 ff. - 455. 88 ArbG Wiesbaden NZA 1997,451 ff. - 455; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 768; vgl. Beuthienl Meik DB 1993, 1518 ff. - 1518, der allerdings ein Recht der Mitglieder zur außerordentlichen Kündigung und als milderes Mittel ein Recht zur einseitigen "Suspendierung" der Mitgliedschaft durch die Mitglieder gegenüber dem Verband annimmt, ohne darzulegen, worin der Kündigungsgrund jeweils liegen soll. 89 Oetker RdA 1995,82 ff. - 95.
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Osttarifverträge im Jahre 1993 in der Elektro- und Metallindustrie und im Jahre 1996 in der Bauindustrie sind daher mangels KÜfldigungsgrundes unwirksam gewesen90 • d) Besondere vertragliche Schranken der Risikotragung beim unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag Da ein auf ein Unternehmen beschränkter Verbandstarifvertrag91 seine Regelungs- und Befriedungsfunktion nur erfüllen kann, wenn sein Fortbestand nicht von jeder abweichenden Entwicklung der Wirtschaftsfaktoren abhängt, wird man auch hier sagen müssen, daß er aufgrund seines wirtschaftsvertraglichen Charakters ebenso wie der Branchentarifvertrag von solchen Einflüssen unberührt bleibt. Obwohl die Gewerkschaft ein eigenes Interesse am Erhalt des Arbeitgebers hat, ist eine Beschränkung des Risikos bei der Gefahr von Arbeitsplatzverlusten und Arbeitgeberinsolvenzen abzulehnen. Es bestehen letztlich zu viele Faktoren, die auf die Rentabilität eines Unternehmens einwirken. Insbesondere kann die Abwägung weniger Lohn gegen Arbeit nicht genügen, weil nicht objektiv feststellbar ist, welche Lohnhöhe als absolute Mindestgröße bleiben muß, selbst wenn das Unternehmen dann wirtschaftlich zusammenbrechen sollte. Wird abweichend vom allgemeinen Tarifvertrag bewußt eine Sonderregelung für ein konkretes Unternehmen getroffen, stellt sich insoweit die Frage, ob sich daraus eine Schranke für das Risiko ergeben kann. Dies erscheint insbesondere denkbar, wenn es sich nach den für die Betriebsrenten entwikkelten Grundsätzen in einer wirtschaftlichen Notlage bei bestehender Sanierungschance befmdet und daher ein Verlust der Arbeitsplätze droht92 • Andererseits ist auch hier zu betonen, daß es kein Prinzip "weniger Lohn für Arbeit" geben kann, so daß alleine aus dem Einzelfallcharakter kein abweichendes Risiko gefolgert werden darf. Etwas anderes muß gelten, wenn der Tarifvertrag eine besondere Leistungsfähigkeit des Unternehmens berücksichtigt hat. Diese Grundwertung des Vertrages wird gerade widerlegt, wenn in einem solchen Falle eine wirt-
90 So für die Baubranche ArbG Wiesbaden NZA 1997, 451 ff.; vgl. ferner Kanzen NZA 1995,913 ff. - 918. 91 Vgl. m.w.N. zum Begriff und zur allgemeinen Zulässigkeit unternehmensbezogener Verbandstarifverträge Kempenl Zachert, TVG § I Rz. 25 und § 4 Rz. 231 ff; Wiedemannl Stumpf, TVG § 1 Rz. 112 und § 2 Rz. 87 ff. .. 92 So denn auch Bauer FS Schaub 19 ff. - 43, der auf die Zulässigkeit einer Anderungskündigung zur Senkung der Lohnhöhe abstellen will, die den Maßstäben der wirtschaftlichen Notlage entspricht.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
schaftliche Notlage eintritt. Fragwürdig ist daher, wann anzunehmen ist, daß eine solche Wertung einem Tarifvertrag zugrundliegt. Betrachtet man dazu zunächst den unternehmensbezogenen Verbandstarif, so handelt es sich um eine Sondervereinbarung. Sofern die Partner des Flächentarifs für ein dem Arbeitgeberverband angehöriges Unternehmen diese getroffen haben, erfordert das einen sachlichen Grund, weil die mittelbare Wirkung der Grundrechte aufgrund der normativen Wirkung verstärkt beachtet und daher Art. 3 GG gewahrt werden muß93 • Daher wird man bei einem unternehmensbezogenen Verbandstarif, der im wesentlichen nur höhere Leistungen des Arbeitgebers vorsieht, davon ausgehen müssen, daß die Vertragspartner eine besondere Leistungsfähigkeit angenommen haben. Andernfalls wäre der Vertrag aufgrund der mittelbaren Driuwirkung nach den §§ 138; 242; 826 BGB nichtig. Allerdings setzt diese Bewertung voraus, daß der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag keine wesentlichen anderen Abweichungen als in Entgeltfragen aufweist. Liegen weitere Sonderregelungen von einigem Gewicht vor, so haben die Parteien erkennbar nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch sonstige Besonderheiten des Unternehmens angemessen berücksichtigen wollen. Sofern diese im Zusammenhang mit den höheren Leistungen stehen, wovon grundSätzlich aufgrund des Kompromißcharakters eines Vertrages auszugehen ist, kommt eine besondere Risikotragung nicht in Betracht. Die Vermutung kann durch den arbeitgeberseitigen Nachweis widerlegt werden, daß die höheren Entgelte von anderen Regelungen unabhängig vereinbart worden sind, etwa weil auch diese nur die Arbeitnehmer begünstigen. Im Rahmen der Zumutbarkeitsbewertung wird man wie im Betriebsverfassungsrecht die Frage untersuchen müssen, ob das Unternehmen durch die Kündigung zu retten ist. Zu fragen ist weiterhin, welcher Lohn anstelle des vereinbarten Entgelts für die Sanierungschance einzusetzen ist. Dabei wird man berücksichtigen müssen, daß die außerordentliche Kündigung des unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags letztlich auf einen Vergleich mit dem Flächentarif zurückgeht. Mit diesem Branchentarif haben die Tarifparteien selbst einen Maßstab für den ihrer Ansicht nach angemessenen Mindestlohn geschaffen. Dieser wird einer Sanierungsprüfung zugrunde zu legen sein. Es ist jedoch zu betonen, daß dies nur die Bewertung der Sanierungschance betrifft. Die zulässige außerordentliche Kündigung bewirkt hingegen keine Rückführung auf den Flächentarif. Vielmehr endet der unternehmensbezogene Vertrag insgesamt und es tritt ein tarifloser Zustand ein.
93 So auch Wiedemann/ Stumpf, TVG § 2 Rz. 89 ff.; Hagemeier/ Kempen/ Zachert/ Zilius, TVG § 4 Rz. 234.
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Im Ergebnis ist demnach festzuhalten, daß beim unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag die Verschlechterung der Wirtschaftslage nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Eine Ausnahme gilt, wenn der Vertrag allein von einer erhöhten Leistungsfähigkeit ausgeht und daher bewußt mehr Entgeltleistungen vorsieht als der Branchentarif. Alsdann wird die Vertragsbindung durch die wirtschaftliche Notlage begrenzt, sofern eine Sanierungschance besteht. Bei deren Prüfung ist der Flächentarif Maßstab für die neue Entgelthöhe.
e) Besondere vertragliche Schranken der Risikotragung beim Firmen- und beim vom Arbeitgeber selbst abgeschlossenen Haustarifvertrag Denkbar erscheint, die vorherigen Überlegungen zum unternehmensbezogenen Verbandstarif uneingeschränkt auf den Firmentarif und den nach entsprechender Ermächtigung vom verbandsangehörigen Arbeitgeber selbst ausgehandelten Haustarif zu übernehmen. Es ist jedoch zu beachten, daß diese keine Sonderverträge der Tarifpartner des Flächentarifs sind, sondern ein Tarifvertrag zwischen einer Gewerkschaft und einem einzelnen Arbeitgeber ist. Eine Ungleichbehandlung kommt nicht in Betracht, vielmehr gilt die allgemeine Vertragsfreiheit. Daher wird man zu differenzieren haben. Wird der Firmen- bzw. Haustarif vor Abschluß des Flächentarifs vereinbart, so kann der Flächentarif nicht Vergleichsmaßstab für den Firmentarif gewesen sein. Demnach gilt die Vertragsbindung uneingeschränkt. Ist der Firmen- bzw. Haustarif demgegenüber später abgeschlossen oder an den Branchentarif auf sonstige Weise - etwa mittels einer dynamischen Verweisung 94 - ersichtlich angelehnt, so wird man annehmen können, daß die Tarifpartner des Firmen- bzw. Haustarifs einen Vergleich der Leistungsfähigkeit angestellt haben. Deshalb wird in einem solchen Fall die erhöhte Leistungsfähigkeit als besondere Geschäftsgrundlage anzusehen sein, welche die Risikotragung gemäß § 279 BGB begrenzt, wenn der Firmen- bzw. Haustarif überwiegend zugunsten der Arbeitnehmer vom Branchentarif abweicht. Allerdings gilt im Falle sonstiger Abweichungen das zum unternehmensbezogenen Verbandstarif Gesagte entsprechend. Auch beim Firmen- und Haustarifvertrag wird man nach obigen Ausführungen die Sanierungschance prüfen müssen.
94 Zur Zulässigkeit und den Grenzen dynamischer Verweisungen in Kollektivverträgen vgl. ausführlich Reinermann, Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Im Ergebnis ist demnach festzuhalten, daß beim Haus- und beim Firmentarifvertrag die Verschlechterung der Wirtschaftslage ebenfalls nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Eine Ausnahme gilt, wenn der Vertrag von einer erhöhten Leistungsfähigkeit ausgeht und daher bewußt mehr Entgeltleistungen vorsieht als der Branchentarif. Alsdann wird die Vertragsbindung durch die wirtschaftliche Notlage begrenzt, sofern eine Sanierungschance besteht. Bei deren Prüfung ist der Flächentarif Maßstab für die zu unterstellende neue Entgelthöhe. Insgesamt ist festzustellen, daß die wirtschaftliche Krise der tarifgebundenen Unternehmen - von der Sozialkatastrophe oder ganz besonderen Einzelgeschehnissen abgesehen - nur ausnahmsweise, und zwar allein bei einem tarifvertraglichen Bezug zur Leistungsfähigkeit des Einzelunternehmens, als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt. Dieses Rechtsinstitut kann daher lediglich ganz eingeschränkt der Arbeitgeberseite helfen.
V. Verhandlungsversuch/ Kündigungserklärung/ Rechtsfolgen/ Änderungs- und Teilkündigung
1. Verhandlungsversuch Nach neueren Entscheidungen des BAG ist der Belastete vor einer außerordentlichen Kündigung nach dem ultima-ratio Grundsatz verpflichtet, den Versuch einer tarifautonomen Anpassung zu unternehmen, insbesondere den Gegner zu Nachverhandlungen aufzufordern und solche mit diesem zu führen 95 • Gegen diese Verhandlungspflicht ist nichts einzuwenden. Wie an anderer Stelle ausgeführt, wird eine Nachverhandlungspflicht allgemein angenommen, bevor sich jemand auf eine Grundlagenstörung beruft. Es handelt sich insoweit allerdings nicht um das vom BAG gern als Allheilmittel zitierte ultima-ratioPrinzip. Vielmehr geht es hier ausschließlich um einen Umstand, der bei der Unzumutbarkeit zu berücksichtigen ist. Es ist nämlich niemandem unzumutbar, vom Vertragspartner an Verträgen festgehalten zu werden, wenn er nicht zunächst den Vertragspartner zwecks einvernehmlicher Anpassung angesprochen hat. Allerdings darf diese Verhandlungspflicht nicht zu einer mittelbaren Kontrolle des Tarifvertragsinhalts mißbraucht werden. Daher dürfen Änderungsbegehren beider Seiten inhaltlich nicht geprüft werden 96 •
95 BAG NZA 1997, 830 ff. = JZ 1998, 203 ff. mit zust Anm. Oetker; BAG NZA 1997, 1234 ff. 96 Im Ansatz zutreffend Oetker JZ 1998, 206 ff. - 209, dessen verlangte Prüfung, ob ein Änderungsangebot es dem Vertragspartner zumindest zumutbar macht, sich auf Nachverhandlungen einzulassen, jedoch bedenklich erscheint, wenn damit nicht nur
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2. Kündigungserklärung Die nach allgemeinen Grundsätzen form_ 97 und fristfreie Kündigungserklärung, welche gemäß § 6 TVG zum Tarifregister zu melden ist98 , kann grundsätzlich nur der betroffene Vertragspartner aussprechen. Dies ist beim Verbandstarif der Arbeitgeberverband als Tarifvertragspartei und nicht etwa ein Unternehmen selbst, was auch bei einem unternehmensbezogenen Verbandstarif gilt. Im letzteren Fall liegt allerdings ein schwerer Treueverstoß des Arbeitgeberverbandes gegenüber dem Mitglied vor, wenn er die außerordentliche Kündigung nicht erklärt, obwohl diese aufgrund einer erkennbar unterstellten und durch eine Unternehmenskrise widerlegten erhöhten Leistungsfähigkeit zulässig wäre. Der Arbeitgeber kann daher die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband in diesem Fall fristlos kündigen. Da der Verband an dem Fortgang des unternehmensbezogenen Verbandstarif kein schützenswertes Interesse haben kann, andererseits dieser Tarif nicht gegenstandslos werden soll, ist der unternehmensbezogene Verbandstarif sinnvollerweise wie ein Firmentarif zu behandeln, so daß der Arbeitgeber an die Stelle des Arbeitgeberverbandes tritt99 • Folglich kann er nunmehr den unternehmensbezogenen Tarif selbst außerordentlich kündigen. Will er allerdings den Schutz des Arbeitgeberverbandes nicht verlieren, so kann er diesen gemäß § 826 BGB auf Abgabe der Kündigungserklärung verklagen. Man wird dem Unternehmer auch einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB ab dem Zeitpunkt zusprechen können, an dem die Notlage offenbar wird und der Verband trotz entsprechender Aufforderung des betroffenen Arbeitgebers gleichwohl seiner Kündigungsverpflichtung nicht nachkommt. Teilweise wird darüber hinaus allgemein den Mitgliedern eines Arbeitgeberverbandes im Notfall ein eigenes Kündigungsrecht zugestanden. Nach a.A. soll zumindest ein Anwendungsverbot für die Gerichte in Individualprozessen bestehen, da die Normenunterworfenen nicht an unzumutbaren Normen festgehalten werden dürftenIOD. Dies mißachtet, daß eine Geschäftsgrundlagenstörung nur zwischen den Tarifvertragsparteien selbst vorliegt. Soweit der Arbeitgeberverband sein Gestaltungsrecht aus der Störung nicht ausübt, entscheidet er sich für die Fortgeltung des Tarifvertrages. Geschieht dies in satzungsmäßiger Weise, ist weder ein Kündigungsrecht der Mitglieder noch ein Anwendungsverbot für die Gerichte erforderlich. Fälle von Beleidigungen etc in Angebotsfonn erfaßt sein sollen. Denn diese Zumutbarkeit impliziert bereits eine Bewertung des Inhalts des Tarifangebotes. 97 WankFS Schaub S. 761 ff.- 775; vgl. m.w.N. Oetker RdA 1995,82 ff. - 99 f. 98 Oetker RdA 1995, 82 ff. - 100. 99 Däubler, TVG Rz. 1515; Kanzen ZfA 1975,402. 100 Belling NZA 1996, 906 ff. - 911 f.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Anders als beim Sonderfall eines unternehmensbezogenen Tarifs gibt es für den normalen Verbandstarif regelmäßig keinen Bezugspunkt wie Art. 3 GG, der die Tarifparteien zu einem ganz bestimmten Vorgehen verpflichten würde. Daher ist nicht die Tarifnorm unzumutbar. Vielmehr erscheint allein ihre Fortgeltung fragwürdig, weil die Vertragsbindung der Verbände aufgrund der Geschäftsgrundlagenstörung gegen Treu und Glauben verstoßen könnte. Dabei besteht die Treuwidrigkeit aber nicht bereits darin, daß ein Vertrag durchgeführt wird. Der Inhalt eines Vertrages mag nach den §§ 134 und 138 BGB nichtig sein, wenn die Rechtsordnung die Durchführung nicht hinnehmen will. Die Unredlichkeit liegt vielmehr darin begründet, daß die Verpflichtung allein aus einer früheren Willenserklärung folgt, obwohl die uneingeschränkte Bindung an diese Erklärung wegen der Veränderung der Gesamtsituation unzumutbar geworden ist. Übt der Arbeitgeberverband ein ihm wegen der Störung zukommendes Gestaltungsrecht nicht aus, so beruht seine weitere Bindung auch auf dieser Negativentscheidung und ist daher nicht treuwidrig. Der Tarifvertrag als Basis der Normenwirkung ist dann nicht in Frage gestellt. Daß gleichwohl eine Kündigung der einzelnen Arbeitgeber verlangt wird, offenbart die fehlerhafte Vorstellung von absoluten Regelungsschranken im Sinne einer Gemeinwohlbindung, die man über den Gesichtspunkt der Geschäftsgrundlage durchzusetzen sucht. Im Ergebnis steht somit grundSätzlich nur dem jeweiligen Vertragspartner und nicht den betroffenen Normenunterworfenen ein Kündigungsrecht zu. Lediglich im Falle des unternehmensbezogenen Tarifs kann bei einem Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsätze dem Unternehmen ein außerordentliches Austrittsrecht aus dem Verband mit der Folge zustehen, daß es anschließend selbst den Tarif kündigen kann. Daneben kommt in diesem Falle eine Klage gegen den Verband auf Abgabe der Kündigungserklärung in Betracht.
3. Rechts/olgen / Arbeitskampfrecht Die Rechtsfolgen der außerordentlichen Kündigung entsprechen denen der ordentlichen. Die Arbeitgeberseite muß daher, wie erwähnt, zusätzlich Maßnahmen ergreifen, um die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG zu beseitigenlOI. Allerdings wird zum Teil deren Beschränkung gefordert, damit die Arbeitgeber nicht zu Massenänderungskündigungen gezwungen seien l02 . Dies
101 Vgl. BAG 40,327 ff. - 343 = AP Nr. 8 zu § 1 TVG Fonn; BAG DB 1991,2088; BAG DB 1992, 1297; Frälich NZA 1991, 110 ff. - 110; Buchner NZA 1993,289 ff. 299dZachert NZA 1993,299 ff. - 301; Läwisch NJW 1997,905 ff. - 908. I 2 OUo, Hansjörg FS Kissel1994 S. 794; Bauer FS Schaub 19 ff. - 43 f.
O. Außerordentliche Kündigung
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verkennt, daß die Arbeitgeber, wie dargestellt l03 , mit einer Massenänderungskündigung keine untertariflichen Leistungen wirksam durchsetzen können, weil das Änderungsangebot dann nicht mehr zumutbar und damit unbillig wäre. Die Arbeitgeberseite muß vielmehr den Weg der Angriffsausperrung wählen, wenn sie eine sofortige Beendigung der nach ihrer Auffassung zu weit gehenden Leistungen bewirken will 104 • Daneben hat sie die Möglichkeit, rückwirkende Kürzungen für künftige Leistungen anzukündigen, damit sie zunächst mit der Gewerkschaft über eine Neuregelung verhandeln kann, ohne daß unantastbare Besitzstände begründet werden. Bei rechtlicher Betrachtung ist für die Arbeitnehmerseite eindeutig, wie sie auf eine außerordentliche Kündigung reagieren kann. Ist sie berechtigt, so ist ein durch die Gewerkschaft getragener Streik möglich, weil mit dem Tarifvertrag die bestehende Tarifregelung und damit die entsprechende Friedenspflicht beendet ist. Ist die Kündigung nichtig, so kommen nach überwiegender Meinung keine Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften in Betracht, weil es nicht mehr um eine Regelungs-, sondern um eine Rechtsfrage geht. Eine solche darf nicht durch Arbeitskampf entschieden werden, da sonst allein das sprichwörtliche Recht des Stärkeren gelten würdelos. Vielmehr ist die Entscheidung von Rechtsfragen und die Durchsetzung des Rechts mittels Zwanges in einem Rechtsstaat grundsätzlich ausschließlich dem Staat, namentlich den Gerichten, vorbehalten. Otto hat zwar erwogen, die Friedenspflicht nur für einen Angriff, nicht aber für die Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff der Gegenseite anzuwenden lO6 • Dem steht die Erwägung entgegen, daß ein Rechtsstaat die private Gewalt grundSätzlich verbietet. Allenfalls in besonderen Notlagen, in denen staatliche Hilfe nicht bzw. nicht rechtzeitig erreichbar ist, kann ein Rechtsstaat private Gewalt tolerieren, ohne seine eigene Existenzberechtigung in Frage zu stellen. Die Gewerkschaft steht hier ohne Kampfrecht keineswegs rechtlos dar, noch kann davon die Rede sein, daß im Sinne des § 229 BGB staatliche Hilfe unereichbar ist. Sie kann, gegebenfalls nach kurzer Androhung, den Tarifvertrag ihrerseits wegen des fortdauernden Vertragsbruchs der Arbeitgeberseite außerordentlich kündigen, wodurch die Friedenspflicht entfallt. Sie kann andererseits am Tarifvertrag festhalten und gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 256 ZPO vor 103 S.O. C 11 2 b - Seite 279 f. 104 Die sich aufdrängende Lösung über die suspendierende Aussperrung wird erstaunlicherweise meist gar nicht mit in die Überlegungen einbezogen, vgl. statt vieler bei Wank FS Schaub S. 761 ff.- 776 f. 105 Ganz h.M. BAG AP Nr.64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG OB 1988,2102; m.w.N. Walker NZA 1993,769 ff. -770f. 106 Duo, Hansjörg FS Kisse/1994, S. 807; Er kommt aber nach eingehender Prüfung - aaO. S. 808 ff. ebenfalls zu dem Ergebnis, daß ein Streik gegen eine unwirksame Kündigung unzulässig ist - aaO. S. 811 f.; a.A. - also Zulässigkeit des Streiks - aber Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 112.
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den Arbeitsgerichten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG) eine Klage auf Feststellung erheben, daß der Vertrag unverändert fortbesteht 107 • Ein rechtskräftiges Urteil hat gemäß § 9 TVG eine erweiterte Rechtskraftwirkung für alle Tarifgebundenen 108 • Daneben kommt in offensichtlichen Fällen ein einstweiliger Rechtsschutz in Betracht 109 • Das Klageverfahren kann zwar de lege lata langwierig sein, weshalb m.E. zu Recht, gerade auch um Rechtssicherheit für die Tarifunterworfenen zu erzeugen, de lege ferenda gefordert wird, für solche Verfahren als erste und letzte Instanz das Bundesarbeitsgericht zu etablieren llo . Gleichwohl kann die Arbeitnehmerseite sogleich Druck erzeugen. Ist die Kündigung unwirksam und erhalten die Arbeitnehmer, obwohl sie tarifgebunden bzw. der Tarifvertrag individuell in Bezug genommen ist, dennoch nicht die ihnen zustehenden tariflichen Leistungen, können sie diese individuell einklagen. Darüber hinaus können sie jeder für sich - bzw. nach überwiegender Meinung unter entsprechender ausdrücklicher Benennung auch kollektiv - ein Zurückbehaltungsrecht wegen ihrer Arbeitsverpflichtung geltend machen111, was für den Arbeitgeber nach § 615 BGB zu einer von ihm zu bezahlenden Arbeitsniederlegung führen kann. Entsprechend haben die Gewerkschaften nach der Kündigung der Osttarifverträge im Jahre 1993 nicht nur Feststellungsklagen und einstweilige Verfahren gegen die Arbeitgeberseite eingeleitet, sondern die von ihnen organisierten Arbeitsniederlegungen ausdrücklich als kollektiv ausgeübtes Zurückbehaltungsrecht der Arbeitnehmer bezeichnet. Die eindeutige Rechtslage wird für die Arbeitnehmerseite allerdings als gefährlich angesehen, wenn sie sich über die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Kündigung nicht sicher ist. Wird ein Arbeitskampf geführt, obwohl der Tarifvertrag nicht wirksam gekündigt ist, so wäre er rechtswidrig. Zwar hätArbG Wiesbaden NZA 1997,451 ff. - 452. Zwar greift diese Bindungswirkung nach h.M. nicht - auch nicht in analoger Anwendung- bei einzelvertraglicher Bezugnahme ohne Tarifbindung; BAG AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Rieble NZA 1992,250 ff. - 256; Löwisch/ Rieble, TVG § 9 Rz. 61 ff; Kempen/ Zachert, TVG § 9 Rz. 6; a.A. Wiedemann/ Stumpf, TVG § 9 Rz. 14; Germelmann/ Matthes/ Prütting, ArbGG § 2 Rz. 22, doch dürfte in der Praxis eine Abweichung unwahrscheinlich sein, zumal ein nicht tarifgebundener Arbeitnehmer jederzeit durch Gewerkschaftsbeitritt die Bindungswirkung auslösen könnte, sofern der Arbeitgeber dem Verband angehört. 109 Vgl. insoweit zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampfbereich zuletzt m.w.N. LAG Köln NZA 1997, 327 ff. - 330; Walker NZA 1993, 769 ff. - 774f. 110 Oetker RdA 1995, 83 ff. - 101. 111 Vgl. BAG AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG AP Nr. 52 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG StralsundNZA 1993, 811; Kempen/ Zachert TVG § 4 Rz. 99; Hanau, Peter/ Adomeit, Arbeitsrecht S. 96f.; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 361 f.; Walker NZA 1993,769 ff. - 771 ff. 107 108
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ten die Arbeitnehmer wegen des gewerkschaftlichen Streikaufrufs keine Abmahnungen, sonstige Maßregelungen oder gar Kündigungen zu fürchten, solange sie keine individuell vorwertbaren Exzeßhandlungen vornehmen, die unabhängig von der Rechtmäßigkeit eines Streikes ohnehin zu arbeitsrechtlichen Sanktionen berechtigen 112 • Doch müßte jedenfalls die Gewerkschaft gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der betroffenen Arbeitgeber diesen gegenüber Schadensersatz leisten, obwohl sie zur selben Zeit bei richtiger Einschätzung der Rechtslage zur Führung eines Arbeitskampfes berechtigt gewesen wäre. Andererseits soll ein kollektiv ausgeübtes Zuruckbehaltungsrecht rechtswidrig sein, wenn der Tarifvertrag wirksam gekündigt ist. Daher wird erwogen, die kollektive Arbeitsniederlegung je nach Rechtslage als Zuruckbehaltungsrecht oder als Arbeitskampf anzusehen, da wirtschaftlich jedenfalls eines dieser Rechte zur Arbeitsniederlegung bestehe 113 • Auf das Postulat der Rechtsprechung, die Arbeitnehmerseite müsse wegen des gleichen äußeren Bildes für eine Unterscheidung ausdrücklich klarstellen, wenn sie nur ein Zurückbehaltungsrecht kollektiv ausüben wolle, wäre insoweit zu verzichten 1l4 • M.E. ist diese rein faktische Betrachtung wenig überzeugend und praktisch nicht einmal notwendig. Es ist schon hervorzuheben, daß sowohl Adressat, Rechtsgrund, Ziel und Handelnder verschieden sind. Beim Streik handelt die Gewerkschaft, Adressat ist der Tarifpartner, Ziel ist ein neuer Tarifvertrag, und Rechtsgrund ist die Tarifautonomie. Beim Zurückbehaltungsrecht handeln zur selben Zeit die einzelnen Arbeitnehmer, Adressat ist ihr jeweiliger Arbeitgeber, Ziel ist die Einhaltung vertraglicher Pflichten und Rechtsgrund ist das jeweilige Arbeitsverhältnis ll5 . Diese Unterschiede offenbaren sich in Einzelfragen. Gewährt ein Arbeitgeber die vorgesehenen tariflichen Leistungen des gekündigten Tarifvertrages weiter, so besteht für seine Arbeitnehmer kein Zurückbehaltungsrecht. Es wäre sogar in gewissen Grenzen denkbar, daß der Arbeitgeber einzelne zentrale Arbeitnehmergruppen aus einer kollektiven Arbeitsniederlegung im Falle des Zurückbehaltungsrechts herausnimmt, indem er sich diesen gegenüber ausdrücklich zur Gewährung der tariflichen
112 BAG AP Nr. 78 zu § 626 BGB = NZA 1984, 34 ff - 36 f.; MünchArbR - Otto, Hansjörg § 282 Rz. 43f.; Söllner, Arbeitsrecht § 1211 3 fS. 101. 113 Walker NZA 1993, 769 ff. - 773; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 101 ff. 114 Oetker RdA 1995, 82 ff. - 10 1. 115 Dies sieht auch Oetker RdA 1995,82 ff. - 101, der sodann ausfUhrt, daß das Verbot des Arbeitskampfes fUr Rechtsfragen nur fUr andere zweifelsfreie und nicht auf den Fall einer streitigen Rechtslage passe - aaO. - 102. Dies ist m.E. nicht überzeugend. Ist die Rechtslage keinen Zweifeln ausgesetzt, kann einstweiliger Rechtsschutz erwirkt werden. Das Arbeitskampfverbot macht erst Sinn, wenn Rechtsfragen wirklich zweifelhaft sind.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Leistungen verpflichtet. Alsdann entfällt für diese Arbeitnehmer das Zurückbehaltungsrecht l16 • Die Sicht ändert sich auch nicht, weil die Unsicherheit aus der Sphäre der Arbeitgeber herrührt, die mit der Kündigung ausdrücklich die weitere Wirksamkeit des Tarifvertrages bestreiten. Es ist schließlich niemandem verwehrt, in ordnungsgemäßer Weise die einem zukommenden oder vermeintlich zukommenden Rechte wahrzunehmen. Die Gegenseite hat die Möglichkeit den Rechtsweg zu beschreiten. Jeder trägt dabei für sich das Risiko einer Fehleinschätzung. Fragwürdig könnte es allenfalls sein, wenn die Tarifpartner die Wirksamkeit unterstellen und dies sich später als beiderseitiger Irrtum herausstellt. Dies ist im Tarifrecht denkbar, weil die Tarifunterworfenen als Dritte im Rahmen ihrer Rechtsbeziehungen eine Inzidentprüfung verursachen können, solange nicht die Rechtslage gemäß § 9 TVG durch ein rechtskräftiges Urteil zwischen den Tarifpartnern abschließend entschieden ist. Hat die Gewerkschaft in dieser Situation den Arbeitskampf gewählt, so wird die Arbeitgeberseite kaum behaupten können, die Unwirksamkeit der Kündigung hätte der Gewerkschaft zumindest erkennbar sein müssen, ohne sich in einen Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten zu setzen. Folglich wird man in dieser Konstellation einen Schadensersatzanspruch der Arbeitgeber mangels Verschulden der Gewerkschaft oder wegen ganz überwiegenden Eigenverschuldens gemäß § 254 BGB verneinen müssenll7 • Dies wird man auch für einen Ersatzanspruch der einzelnen Arbeitgeber annehmen müssen, wenn sie bei einer Arbeitsniederlegung sich nicht ausdrücklich von der Kündigung des Arbeitgeberverbandes distanzieren. Sie haben dann für die Fehleinschätzung ihres Verbandes mit einzustehen, weil sie sich diese zu eigen gemacht haben. Die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes bleibt also ohne Folgen, solange nicht ein Arbeitgeber bestreikt wird, der aus der Kündigung keine Rechte herleiten will. Betrachtet man die zweite Alternative, so fällt sogar ein Rechtsirrtum bei der Ansicht auf, die eine Gleichbehandlung von Streik und Zurückbehaltungsrecht verlangt. Sie unterstellt, daß bei einer wirksamen Kündigung ein Zurückbehaltungsrecht nicht in Betracht kommt. Dies würde voraussetzen, daß der Arbeitgeber mangels Nachwirkung die Fortzahlung der tariflichen LeiSo auch Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 99. Das BAG hat ein Mitverschulden bereits in einem Fall berücksichtigt, in dem der Arbeitgeber einen Streik provoziert hatte BAG AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl auch LAG Hamm OB 1981, 1571 ff - 1573. Hinzu kommt, daß der Gewerkschaft in dieser Konstellation ein außerordentliches Kündigungsrecht wegen Vertragsbruches zugestanden hätte, wenn sie die mangelnde Berechtigung erkannt hätte. 116 117
D. Außerordentliche Kündigung
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stungen verweigern dürfte, was mit § 4 Abs. 5 TVG nicht vereinbar ist. Die Arbeitgeberseite muß daher zur Angriffsaussperrung übergehen, wenn sie untertarifliche Leistungen durchsetzen will. Bis dahin haben die Arbeitnehmer einen Anspruch auf tarifliche Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Verweigern die Arbeitgeber daher ohne Angriffsaussperrung die Erbringung solcher tariflichen Leistungen, kommt den Arbeitnehmern gleichwohl ein Zurückbehaltungsrecht zu. Es ändert sich lediglich der Rechtsgrund für ihre Zurückbehaltung. Dieses folgt nicht mehr aus § 4 Abs. 1 TVG LV.m. § 3 Abs. 1 TVG, sondern aus § 4 Abs. 5 TVG. Nach alledem ist weder eine Änderung der gesetzlichen noch der richterrechtlichen Grundsätze für das kollektiv ausgeübte Zurückbehaltungsrecht, wie das Arbeitskampfrecht erforderlich. Der Arbeitnehmerseite ist daher grundsätzlich zu einem kollektiv ausgeübten Zurückbehaltungsrecht zu raten, das die Arbeitgeberseite zu einer Angriffsaussperrung zwingt, was auch nicht unbillig ist, weil diese eine Veränderung des Ist-Zustandes erreichen will. 4. Ä·nderungs- / Teilkündigung
Daß die Arbeitgeberseite bei Berechtigung zu einer Beendigungskündigung auch eine Änderungskündigung aussprechen kann, ist unproblematisch, weil die Änderungs- eine Beendigungskündigung ist, nur erweitert mit einem Angebot, den Vertrag zu anderen Bedingungen fortzusetzen. Zum Teil wird allerdings betont, daß die Arbeitgeberseite zu einem angemessenen Änderungsangebot nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet sein könnte 118. Dies vermengt m.E. die Rechtsinstitute des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der Kündigung. Ist die Prüfung der Angemessenheit eines Änderungsangebotes möglich, so wird damit faktisch über eine Anpassung bzw. ein Anpassungsangebot entschieden. Dann kann die Grundlagenstörung unmittelbar durch die Vertragsanpassung ausgeglichen werden. Die Kündigung wäre überhaupt nicht einschlägig. Ist eine solche Angemessenheitsprüfung jedoch nicht möglich, ist eine entsprechende Verpflichtung materiell nicht nachprütbar und somit überflüssig. Verschiedentlich wird gefordert, daß aufgrund des außerordentlichen Rechtsbehelfscharakters dieses Rechtsinstituts nur eine Kündigung des unzumutbaren Teils zugelassen werden dürfe, wenn der verbleibende Teil noch selbständige Bedeutung habe und sinnvoll durchführbar bleibe 119 • Dem ist mit der h.M. vorzuwerfen, daß eine Teilkündigung den Kompromißcharakter von Verträgen mißachtet und daher eine Verschiebung der Vertragsgerechtigkeit Oetker RdA 1995, 82 ff. - 96. Belling NZA 1996, 906 ff. - 911; Däubler ZTR 1996, 241 ff. - 244; Löwisch/ Rieble ,TVG § 1 Rz. 366; Otto, Hansjörg FS Kissel1994 S. 794. 1I8
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
bewirken kann l2O • Dies ändert sich auch nicht, weil es um einen außerordentlichen Rechtsbehelf geht. Würde man mit der Begründung, eine Vollkündigung verursache überschießende Wirkung, eine Teilkündigung zulassen l21 , kann gerade der Erklärungsempfänger benachteiligt werden, dem Verpflichtungen erhalten bleibt, mit denen er sich nur im Hinblick auf die vernichtete Regelung einverstanden erklärt hat. Teilweise wird auch an eine Teilkündigung für existentiell bedrohte Unternehmen gedacht l22 • Doch ist auch dies mit dem Kompromißcharakter nicht zu vereinbaren, weil auch die schwachen Unternehmen für die Festlegung der Tarifleistungen mitentscheidend sind, weshalb diese nicht anschließend aus dem Tarif herausgenommen werden dürfen. Eine Teilkündigung ist daher auch im Falle der außerordentlichen Kündigung eines Tarifvertrages abzulehnen l23 , während die Änderungskündigung zulässig ist. Letztere ist allerdings mangels inhaltlicher Kontrollmöglichkeit der Arbeitsgerichte nicht zwingend l24 • VI. Ergebnis 1. Auch beim Tarifvertrag können spezielle Wirtschaftsdaten und sonstige konkrete Umstände eine Geschäftsgrundlagenstörung begründen, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigen. In der Praxis sind solche Fälle freilich bisher nicht entschieden worden, was belegt, daß eine enge Einbeziehung konkreter Tatsachen eine seltene Ausnahme ist, oder sich die Parteien zu einer Alternativregelung bekannt haben, die eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich machte. 2. Die Wirtschaftssituation der Arbeitgeber ist zwar Grundlage von Tarifverträgen, obwohl eine den Bestimmungen des BetrVG vergleichbare gesetzliche Regelung fehlt, doch trägt das Risiko einer Abweichung nach allgemeinen Grundsätzen prinzipiell jede Vertragspartei selbst. Für eine Verschiebung der Risikolast bietet insbesondere die Gemeinwohlbindung selbst 120 Läwisch I Rieble, TVG § 1 Rz. 363; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 99; m.w.N. Hueck, Alfredl Nipperdey, ArbR II 11, S. 469; Wank FS Schaub S. 761 ff. - 780; Wiedemannl Stumff. TVG § 4 Rz. 20; Zachert AuR 1993,294 ff. - 294 f. 12 So ausdrücklich Belling NZA 1996,906 ff. - 911. 122 Däubler ZTR 1996, 241 ff. - 244. 123 Oetker RdA 1995, 82 ff. - 98 f.; Wank FS Schaub S. 761 ff. - 780. 124 Dies verkennt etwa Wank FS Schaub S. 761 ff. - 780 f., wenn er zwar zu Recht eine analoge Anwendung des § 2 KSchG auf eine Änderungskündigung des Tarifvertrages mit der Begründung ablehnt, daß die Gerichte ohnehin nicht das Änderungsangebot auf seine Angemessenheit überprüfen können, dann aber die Einbeziehung der angebotenen Änderungen in die Beurteilung der Kündigung in der Weise verlangt, daß die unveränderte Fortsetzung unzumutbar, die angebotenen Änderungen zumutbar sein müßten. Letzteres fUhrt jedoch ebenfalls zur gerichtlichen Tarifzensur.
D. Außerordentliche Kündigung
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keinen brauchbaren Bewertungsmaßstab, um bei wirtschaftlichen Krisen in die Lohnpolitik einzugreifen, falls man überhaupt von einer solchen Bindung ausgeht. Ein Eingriff in die Tarifautonomie kann allenfalls durch den Gesetzgeber stattfmden und muß sich dann an der Betätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG messen lassen. Den Gerichten ist eine Tarifzensur über diesen wertungsbedürftigen Begriff zu versagen. Dies ist für die Verläßlichkeit des Tarifvertrages letztlich unabdingbar. Im Ergebnis ist damit festzustellen, daß beim Branchentarifvertrag, der Grundsatz des § 279 BGB praktisch schrankenlos gilt. Die Kündigung der Osttarifverträge im Jahre 1993 in der Elektro- und Metallindustrie und im Jahre 1996 in der Bauindustrie sind daher unwirksam gewesen. Auch beim Haus- und Firmentarifvertrag, wie beim unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag berechtigt die Verschlechterung der Wirtschaftslage nicht zur außerordentlichen Kündigung. Eine Ausnahme gilt dort, wenn der Vertrag allein von einer erhöhten Leistungsfähigkeit ausgeht und daher bewußt ausschließlich mehr Entgeltleistungen vorsieht als der Branchentarif. Alsdann wird die Vertragsbindung durch die wirtschaftliche Notlage begrenzt, sofern eine Sanierungschance besteht. Bei deren Prüfung ist der Flächentarif Maßstab für die neue Entgelthöhe. Dies folgt beim unternehmensbezogenen Verbandstarif aus dem Gleichbehandlungsanspruch der Mitglieder, während es sich beim Haus- und Firmentarif im Wege der Auslegung ergibt. Bei letzterem ist jedoch entscheidend, ob der Haus- und Firmentarif erst nach dem einschlägigen Branchentarif abgeschlossen wurde und dieser insoweit als Maßstab gedient haben kann. Die wirtschaftliche Krise der tarifgebundenen Unternehmen - von der Sozialkatastrophe oder ganz besonderen Einzelgeschehnissen abgesehen - ist demnach nur ausnahmsweise, und zwar allein bei einem tarifvertraglichen Bezug zur Leistungsfähigkeit des Einzelunternehmens als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht zu ziehen. 3. Ein Kündigungsrecht steht grundsätzlich nur dem jeweiligen Vertragspartner und nicht den betroffenen Normenunterworfenen zu. Lediglich im Falle des unternehmensbezogenen Verbandstarifs kann bei einem Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsätze dem Unternehmen ein außerordentliches Austrittsrecht aus dem Verband mit der Folge zustehen, daß es anschließend selbst den Tarif kündigen kann. Daneben kommt in dieser Konstellation eine Klage gemäß § 826 BGB gegen den Verband auf Abgabe der Kündigungserklärung in Betracht. 4. Eine Teilkündigung ist daher auch im Falle der außerordentlichen Kündigung eines Tarifvertrages abzulehnen, während die Änderungskündi21 Bcathalter
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
gung zulässig ist. Letztere ist allerdings mangels inhaltlicher Kontrollmöglichkeit der Arbeitsgerichte nicht zwingend. 5. Die Arbeitgeberseite vernichtet mit der Kündigung nicht die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Daher ist die Arbeitgeberseite zu einer Angriffsaussperrung gezwungen, wenn sie die tatsächlichen Verhältnisse ändern will. Mißachtet die Arbeitgeberseite die Nachwirkung, kommt der Arbeitnehmerseite die Möglichkeit zu, kollektiv ihr Zurückbehaltungsrecht auszuüben.
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage Nach den vorangegangenen Erwägungen zum wichtigen Grund steht fest, wann ein Wegfall der Geschäftsgrundlage tatbestandsmäßig vorliegtl. Jedoch verdängt die außerordentliche Kündigung als gesetzliches Gestaltungsrecht das Institut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, wenn bei Dauerschuldverhältnissen nur die Vertragsauthebung mit Wirkung ex nunc in Betracht kommt. Daher könnte der Wegfall der Geschäftsgrundlage allein in folgenden drei Fallgestaltungen eigenständige Bedeutung erlangen.
I. Vertragsanpassung neben außerordentlicher Kündigung Bedeutung würde dem Wegfall der Geschäftsgrundlage gegenüber der außerordentlichen Kündigung zukommen, wenn dadurch eine Vertragsanpassung erfolgen könnte. Es wurde bereits ausgeführt, daß die Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen nicht schon deshalb ausscheidet, weil insoweit das Recht der außerordentlichen Kündigung vorrangig und abschließend ist. Wie bei der Betriebsvereinbarung dargelegt, ist die Vertragsanpassung zwar dogmatisch echte Rechtsfmdung. Dennoch kommt ihr bei der Gesamtvereinbarung faktische Regelungswirkung zu. Sie betrifft eben einen Vertrag, der normative Bestimmungen für Individualverträge schafft. Da das Ergebnis I Wie oben ausgeführt, wird zwar häufig nur eine restriktive Anwendbarkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beim Tarifvertrag mit der Begründung zugelassen, daß die Normenunterworfenen zu schützen seien - BAGE 28, 260 ff. = BAG AP Nr. 1 zu § 36 BAT; BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Rückwirkung; BAG AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage. Doch ist ohnehin schon Voraussetzung, daß einer Seite die Vertragsfortführung unzumutbar ist, was regelmäßig hohe Anforderungen bedingen wird. Zum anderen ist dem Vertrauensschutz der Normenunterworfenen genügt, wenn bei der Rechtsfolgenseite deren Interessen ausreichend geachtet werden - so auch Belling NZA 1996, 906 ff. - 907 f.
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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einer solchen Anpassung nicht von vornherein feststeht, sondern eine neue, den Änderungen angepaßte Gewichtung der gegenseitigen Interessen unter Beachtung der früheren vertraglichen Wertung, insbesondere der Wertigkeit der gegenseitigen Leistungen, erfordert, stellt sie faktisch eine Neuregelung dar.
1. Außergerichtliche Vertragsanpassung a) Anpassung durch die Tarifparteien Zunächst sind die Parteien allgemein auf Nachverhandlungen zu verweisen2 • Führen diese zu einer einvernehmlichen Anpassung, gelten die allgemeinen Grundsätze für ablösende Tarifregelungen. Bedenklich wäre es allerdings, die Friedenspflicht für solche Neuverhandlungen zu suspendieren3 • Würde diese beseitigt und beachtet man die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG, so stellt sich die Frage, warum nicht sofort ein Recht zur außerordentlichen Kündigung gewährt wird. Die Rechtsfolgen wären - vom Fortbestand der streitigen Tarifregelung abgesehen - die gleichen und man müßte nicht mit einer Ausnahme zum Arbeitskampfprinzip arbeiten, wonach bei bestehender tariflicher Regelung kein Arbeitskampf zum Zwecke der Neuregelung in Betracht kommt. Soweit sogar die Friedenspflicht nur für den durch die Veränderung der Umstände in Frage gestellten Vertragsteil und nicht für den Tarifvertrag insgesamt suspendiert sein soll4, würde mittelbar eine der Teilkündigung gleichkommende Beschränkung eintreten, die aus denselben Gründen abzulehnen ist. Ist der Tarifvertrag auch nur teilweise in seiner Geschäftsgrundlage gestört, kann eine Neuregelung der Parteien schließlich den gesamten Tarifinhalt betreffen. Dann kann nicht durch Beschränkung auf betroffene Teile die Verhandlungsposition einer Seite benachteiligt werden. Lehnt eine Partei Neuverhandlungen ab, so soll dies eine schwere Verletzung der fortbestehenden Treuepflicht darstellen, welche die andere Seite zur außerordentlichen Kündigung berechtige5 • Dies vermag nicht zu überzeugen. Erkennt eine Tarifpartei die Notwendigkeit von Neuverhandlungen, bedarf es keiner besonderen Verpflichtung, da diese entweder verhandlungswillig oder zumindest bei einer Verhandlungspflicht bloße Scheinverhandlungen führen wird. Verkennt die verhandlungsverweigernde Tarifpartei die Situation, so 2 BAG NZA 1997, 830 ff. = JZ 1998, 203 ff. ; BAG NZA 1997, 1234 ff.; ArbG Wiesbaden NZA 1997, 451 ff. - 452; Belling NZA 1996, 906 ff. - 909; Wank FS Schaub S. 761 ff. -787. 3 So Belling NZA 1996, 906 ff. - 909. 4 So aber Belling NZA 1996, 906 ff. - 909. 5 Belling NZA 1996, 906 ff. - 909.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
genügen die einseitigen Gestaltungsmittel aufgrund der Grundlagenstörung, die notfalls eine außerordentliche Kündigung auch verschuldensunabhängig erlauben. Der Umweg zur Begründung der Kündigung über eine schuldhafte Pflichtverletzung ist also überflüssig. Zudem ist er im Hinblick auf die Schuld nicht ohne weiteres sicher und kann zwischen den Parteien sogar eine Verschärfung der Gegensätze bewirken, da ein Fehlverhalten diskutiert und nicht der wirkliche Streitpunkt zum Verhandlungsgegenstand gemacht wird. Können sich die Parteien nicht ohne staatlichen Druck einigen, kann eine Vertragsanpassung als Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage daher nur angenommen werden, wenn auch eine Zwangsanpassung durch einen Dritten erfolgen könnte6 • b) Zwangsschlichtung im Tarifrecht Die besondere Regelungswirkung einer Vertragsanpassung bei einem Normenvertrag führt im Betriebsverfassungsrecht dazu, daß eine Vertragsanpassung nicht den Arbeitsgerichten, sondern der Einigungsstelle zugewiesen ist. Daher stellt sich zunächst die Frage, ob bei Tarifverträgen die Möglichkeit einer außergerichtlichen Zwangsschlichtung besteht. Zunächst käme ein Organ ähnlich der Einigungsstelle in Betracht. Anders als bei Betriebsvereinbarungen gibt es im Tarifrecht keine vergleichbare gesetzliche Regelung über ein neutrales Organ für eine Zwangsschlichtung. Dies resultiert daraus, daß es keinen Vertragsabschlußzwang gibt. Der Arbeitgeber kann aus rechtlicher Sicht jeglichen Tarifabschluß verweigern, selbst wenn er dies im Rahmen eines Arbeitskampfes nur bedingt durchhalten wird. Es besteht kein Bedürfnis zur Zwangsschlichtung, um die Unternehmensführung sicherzustellen. Vielmehr kann im Tarifrecht bestenfalls aus dem ultima-ratio-Grundsatz des Arbeitskampfes ein erfolgloser Schlichtungsversuch als notwendige Voraussetzung eines rechtmäßigen Arbeitskampfes abgeleitet werden7 • Einige Ländergesetze erlauben es, ein Schlichtungsverfahren zwangsweise herbeizuführen 8 • Im übrigen gilt das Kontrollratsgesetz Nr. 35, wonach ein Schlich6 Unhaltbar ist daher die Auffassung von Hromodka FS Wlotzke S. 352f., der einerseits bei einer Gefährdung des Durchschnittsunternehmens eine Anpassung ipso facto an das noch Tragbare annimmt, andererseits den Gerichten lediglich das Recht einräumt festzustellen, daß ein Abgehen vom Tarifvertrag zulässig war, ohne das neue Entgelt festzulegen. Dies würde doch heißen, einen effektiven Rechtsschutz bewußt zu versagen. Niemand wäre zur Entscheidung befugt, was nunmehr geschuldet ist. 7 Tendenziell BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 483; Söllner, Arbeitsrecht § 12, 5 c, cc. 8 Etwa § 12 Abs. 1 des Badischen Landesgesetzes über das Schlichtungswesen bei Arbeitsstreitigkeiten, der in der Praxis jedoch noch nie angewendet wurde und dessen
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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tungsversuch erfolgt, wenn sich die Tarifpartner hierauf verständigen9 • Selbst dann ist der Spruch nur verbindlich, wenn ihm beide Partner zustimmen, was auch vorher erfolgen kann lO • Zwar haben viele Tarifverträge Regelungen über einen Schlichtungsversuch vor einem Arbeitskampf, die aber unverbindlich ausgestaltet sind.
c) Zwangs schlichtung nach betriebsverfassungsrechtlichen Erwägungen Es stellt sich daher die Frage, ob vielleicht eine Zwangsschlichtung in entsprechender Anwendung der oben entwickelten Grundsätze für eine Vertragsanpassung in Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung in Betracht kommt. Hierfür scheint die gesteigerte Selbstbindung zu sprechen, die dem Arbeitgeber verwehrt, eine Betriebsvereinbarung mit der Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG zu kündigen. Genauso hat die Arbeitgeberseite durch den Abschluß des Tarifvertrages sich für dessen Laufzeit gebunden. Dementsprechend könnte man eine Anpassung zulassen, die lediglich eine Reduktion eingegangener Verpflichtungen ausspricht. Die Bildung einer Schlichtungsstelle wäre hierbei nach Art. IV ff des Kontrollratsgesetzes Nr. 35 denkbar. Neben der eingegangenen Selbstbindung darf allerdings nicht das Hauptmotiv für die gesetzliche Schaffung der Einigungsstelle als Rechtsinstitution übersehen werden. Im Betriebsverfassungsgesetz gilt der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG, weshalb gemäß § 74 Abs. 2 S. I BetrVG der Arbeitskampf zwischen den Betriebspartnern ausgeschlossen ist. Ohne die Einigungsstelle hätte der Betriebsrat und damit die Arbeitnehmerseite keinerlei Möglichkeit, einen Neuabschluß herbeizuführen. Nur hieraus erklärt sich diese gesetzliche Schaffung einer Art Zwangsschlichtung. Dies ist im Tarifrecht gerade nicht der Fall. Wird ein Tarifvertrag außerordentlich beendet, so greift seine Friedenspflicht nicht mehr. Die Gewerkschaft wird keineswegs schutzlos gestellt. Vielmehr gelten die Normen des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG fort, und die Arbeitgeberseite ist praktisch gezwungen, den Arbeitskampf zu eröffnen, um eine Reduzierung eingegangener Verpflichtungen zu verwirklichen. Demnach fehlt ein dringendes Bedürfnis für eine Zwangsschlichtung, weshalb sie mit der Betätigungsgarantie der Koalitionen unvereinbar wäre. Eine entsprechende Anwendung der
Verfassungsmäßigkeit zumindest zweifelhaft ist, vgl hierzu Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, § 42 II 2 b S. 436. Eine Zwangsschlichtung ist nach überwiegender Meinung auch im Rahmen eines Arbeitskampfes - unzulässig, Muhr BArbBI. 1993, 21 ff. - 22. 9 Art. II Abs. I Kontrollratsgesetz Nr. 35. 10 Art. X Kontrollratsgesetz Nr. 35; zum Schlichtungsverfahren m.w.N. Schaub, Arbeitsrecht S. 1641 ff.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
oben entwickelten Grundsätze für das Betriebsverfassungsrecht ist folglich im Tarifrecht abzulehnen. Eine außergerichtliche Zwangs schlichtung kommt mithin nicht in Betracht.
2. Gerichtliche Venragsanpassung Da kein sonstiges neutrales Organ zur Durchführung der Vertrags anpassung ersichtlich ist, könnte diese Funktion allein durch die Arbeitsgerichtsbarkeit wahrgenommen werden. Einigkeit besteht jedenfalls im Ausgangspunkt, daß die Anpassung faktisch eine Regelung ist, die grundsätzlich zunächst den Tarifparteien im Rahmen von Neuverhandlungen vorbehalten bleiben sollte. Unbedenklich wäre eine gerichtliche Anpassung mangels Einigung der Tarifpartner, wenn das Anpassungsergebnis durch die Umstände vorgegeben und eine gerichtliche Entscheidung lediglich feststellenden Charakter hätte. Bei der Sozialkatastrophe fehlt jeglicher Bezugspunkt, aus dem eine fest umrissene Anpassung hervorgehen könnte. Auch beim Firmentarifvertrag ist die unternehmerische Wirtschaftskraft allenfalls auf rein vertraglicher Basis als Grenze der Risikotragung anzusehen. Der Branchentarif darf nicht einfach auf den Firmen- oder Haustarif erstreckt werden. Vielmehr kann die Gewerkschaft gleichwohl höhere Forderungen stellen, wenn sie dies für oppurtun hält. Die vertragliche Risikotragung beschränkt daher die Vertragsbindung, sie ist hingegen nicht ohne weiteres Maßstab einer Vertragsanpassung. In diesen Fällen muß eine neue Gesamtbewertung der geänderten Umstände erfolgen, ohne daß ein bestimmtes Ergebnis vorgezeichnet wäre. Etwas anderes könnte für den unternehmensbezogenen Verbandstarif gelten. Im Gegensatz zum Firmen- und Haustarifvertrag kann hier die Beschränkung der Vertragsfreiheit der Tarifpartner aus dem Gleichbehandlungsgebot folgen, welches nach den Prinzipien der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte über die zivilrechtlichen Generalklausein in die Privatautonomie einstrahlt und bedingt durch die normative Wirkung im Tarifrecht verstärkte Beachtung zu fmden hat. Der unternehmensbezogene Verbandstarif, der dem Arbeitgeber im wesentlichen höhere Leistungen auferlegt, kann daher nur mit einer vermuteten besonderen Leistungsfcihigkeit gerechtfertigt werden. Die wirtschaftliche Notlage könnte diese derart widerlegen, daß nun eine Gleichstellung mit dem Branchentarif möglich istlI. J J Der ebenfalls denkbare umgekehrte Fall, in dem ein unternehmensbezogener Verbandstarif wegen angenommener geringerer Leistungsfähigkeit geringere Leistungen als im Verbandstarif vorsieht, ist vorliegend hingegen ohne Bedeutung, da dann bereits die
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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Hinsichtlich der Mindestlohnhöhe ist die Beschränkung leicht zu rechtfertigen. Wäre das Unternehmen nicht aus dem Branchentarif durch besonderen unternehmensbezogenen Verbandstarif ausgegrenzt worden, so gäbe es keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Das Unternehmen hätte die verbandstariflichen Entgelte zu entrichten und wäre bei existenzieller Gefährdung als Grenzbetrieb anzusehen; sein Zusammenbruch unter der tariflichen Last wäre dann eine Folge marktwirtschaftlicher Auslese. Daher kann die Beschränkung der Vertragsbindung wegen einer vermuteten besseren Unternehmenslage nicht zu einer weitergehenden Leistungsbeschränkung führen, als sie für jedes andere Unternehmen gilt, das dem Branchentarif unterliegt. Schwierig ist die Festlegung eines eventuell noch über dem Verbandstarif liegenden Wertes. Weicht der unternehmensbezogene Verbandstarif lediglich unwesentlich vom Branchentarif ab, so wird eine Angleichung an ihn in Betracht kommen. Dann wäre eine gerichtliche Anpassung zwar akzeptabel; allerdings dürfte es in dieser Situation schon an der Sanierungschance als Voraussetzung für die Zumutbarkeit einer Vertragsanpassung mangeln. Außerdem ist der Tariflohn als Mindestlohn gedacht und wird häufig individualvertraglich durch über- und außertarifliche Zulagen erhöht. Ein unternehmensbezogener Verbandstarif dürfte bei geringen Abweichungen ohnehin kaum abgeschlossen werden. Bei größeren Differenzen der Entgelthöhe ist eine Rückführung auf den Branchentarif nur mit der wirtschaftlichen Notlage zu rechtfertigen. Wenn die beweisbelastete Arbeitgeberseite nachweisen kann, daß allein diese Rückführung das Unternehmen retten könnte, läge der Inhalt der Anpassung fest. Doch wäre die Anpassungsentscheidung in diesem hypothetischen Extremfall gesetzlich durch die Bindung an den Gleicheitssatz vorgegeben. Sollte aufgrund der besonderen Sachlage im Einzelfall auch ohne gesetzliche Vorgabe ausnahmsweise nur eine Lösung in Betracht kommen, müßte der Bezugspunkt dafür aus dem Vertragsverhältnis stammen. Damit würde nicht erst die Anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, sondern bereits die hierzu vorrangige Vertragsauslegung zum entsprechenden Ergebnis führen. Von extremen hypothetischen Ausnahmefällen abgesehen, in denen durch gesetzliche Maßstäbe das Anpassungsergebnis vorgezeichnet sein könnte, besteht demnach immer ein großer Beurteilungsspielraum für eine angemessene Angleichung.
geringere Leistungsfähigkeit Geschäftsgrundlage war und eine weitereAnpassung nach unten grundsätzlich ausscheidet.
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Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
Die h.M. hält daher eine Anpassung mit der gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Tarifautonomie für unvereinbar, weil sie faktisch auf eine Tarifzensur durch die Gerichte hinausliefe 12 • Neuerdings wird von Otto erwogen, ob nicht zumindest bei einer rein finanziellen Grundlagenstörung eine gerichtliche Anpassung erfolgen könne. Dabei weist er darauf hin, daß man ohne diese Möglichkeit in das Dilemma gerate, entweder die Anforderungen an eine Beendigungskündigung senken oder die Vertragsbindung über die eigentlich unzumutbare Bindung hinaus aufrechterhalten zu müssen 13 • Dabei könne eine gerichtliche Anpassung in der Bandbreite der Differenz zwischen geltendem Tarif und Anpassungsforderung erfolgen 14. Noch weiter geht Belling, wenn er neben den Tarifparteien subsidiär die Gerichte zu einer Anpassung für berechtigt hält unabhängig davon, worauf die Grundlagenstörung beruht und welche Tarifregelungen betroffen sind. Allerdings sieht er die Anpassungsberechtigung insoweit enger als Otto, als er zunächst eine Aussetzung von Individualprozessen vergleichbar zu den Fällen verlangt 15 , bei denen das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Pflicht zur Neuregelung aufgegeben hat, weil mehrere Lösungen zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes denkbar sind, und mit dieser Vorgehensweise das politische Ermessen des Gesetzgebers gewahrt werden SOllI6. Solche Anordnungen zur Neuregelung werden mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht sogar mit Fristsetzungen verbunden, damit der Gesetzgeber nicht, wie teilweise vorgekommen, untätig bleibt und sich der verfassungswidrige Zustand perpetuiert. Entsprechend sei notfalls eine Tarifanpassung durch das Gericht selbst vorzunehmen, wenn eine weitere Aussetzung den Rechtssuchenden nicht mehr zumutbar wäre 17 • Schon die praktischen Folgen der Thesen von Ouo und Belling sind wenig überzeugend.
12 Ganz h.M. BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Arbeitsentgelt; Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 49; Löwisch / Rieble TVG § 1 Rz. 366; Bauer FS Schaub 19 ff. - 42; Däubler ZTR 1996, 241 ff. - 244; Dütz FS Molitor 1988 S. 75 f.; Galperin BetrVerf 1958, 42 ff. u. 61 ff. - 65; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 787; MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 31; Oetker RdA 1995, 82 ff. - 96 f.; Buchner NZA 1993, 289 ff. - 298; Unterhinninghofen AuR 1993, 101 ff. - 102f.; Wiedemann Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Arbeitsentgelt; vgl auch BAG Nr. 12 zu § 33 BAT - Gefahrenzulage; BAG AP Nr. 5 zu § 1 Seeschiffahrt - Dienstgrade. 13 Otto, Hansjörg FS Kisse11994, S. 793 f. 14 DUo, Hansjörg FS Kisse11994, S. 794. 15 Belling NZA 1996,906 ff. - 912. 16 Belling NZA 1996,906 ff. - 910. 17 Belling NZA 1996, 906 ff. - 912.
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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So droht bei der vorgeschlagenen Vertragsanpassung in der Bandbreite der Forderungen, daß beide Seiten von vornherein übertriebene Ansprüche stellen, weil eine staatliche Zwangsschlichtung - hierauf läuft eine gerichtliche Anpassung notwendigerweise hinaus - in der Regel zu einem Ergebnis in der Mitte führt, und man mit übertriebenen Forderungen versuchen kann, diese möglichst nah an den wirklich gewollten Wert heranzubringen. Eine solche Lösung dürfte daher die Fähigkeit der Tarifpartner schwächen, eine Anpassung selbst ohne die Zwangsschlichtung durch einen Dritten auszuhandeln. Diese Gefahr besteht auch beim Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen fmanzieller Schwierigkeiten der Arbeitgeberseite. Schließlich könnte die Gewerkschaft Lohnerhöhungen mit der Maßgabe fordern, nur ein hierdurch ausgelöster gesteigerter Konsum könne letztlich zur Überwindung wirtschaftlicher Schwierigkeiten führen 18 • Diese Forderung wäre auch nicht offenkundig verfehlt. Zwar hat sich die entsprechende staatliche Politik der Globalsteuerung wegen einer damit verbundenen steigenden Staatsverschuldung nicht durchgesetzt. Doch hat auch die Politik der staatsfreien Wirtschaft und der Wirtschaftsförderung durch Steigerung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen die wachsende Staatsverschuldung bisher genausowenig geschmälert und die Flucht der Unternehmen ins Ausland gestoppt. Noch schwieriger wird es, wenn die Gewerkschaft nur gegen Zugeständnisse der Arbeitgeberseite - etwa gegen Arbeitsplatzgarantien oder das Verbot bzw. die Minderung von Überstunden - kompromißbereit wäre. Letzteres zeigt, daß eine Aufteilung in finanzielle und sonstige Grundlagenstörungen wenig hilft, weil die hierdurch ausgelöste Anpassung keineswegs auf fmanzielle Gesichtspunkte reduziert zu bleiben braucht. Bei der Ansicht von Belling stört demgegenüber aus praktischer Sicht, daß in jedem Einzelprozeß eine andere gerichtliche Anpassung des Tarifvertrages droht, wenn kein Prozeß der Tarifpartner untereinander zu einer gemäß § 9 TVG generell bindenden Entscheidung führt. Damit ist die Ordnungs- und Befriedungsfunktion des Tarifvertrages in Frage gestellt. Nach Bellings Ausgangspunkt von einer gerichtlichen Notanpassung wegen der Gefahr der Rechtsverweigerung wäre ein solcher Prozeß unter den Tarifparteien selbst ausgeschlossen. Diese würden schließlich durch ihre Nichteinigung die Ursache setzen, welche eine gerichtliche Entscheidung ausschließt, so daß ihnen selbst keine unverschuldete Rechtsverweigerung droht. In rechtlicher Hinsicht ist ein Verweis auf das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG vordergründig 19. Schließlich hindert diese Form auch nicht 18 Vgl. etwa die Darstellung bei Schilling, Einigungsprozeß bei Tarifverhandlungen S. 123 f., der diese Argumentation der IG Metall in der Tarifrunde des Jahres 1978 wiedergibt. 19 So aber Oetker RdA 1995, 82 ff. - 97.
330
Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
die Gerichte an einer Auslegung des Tarifvertrages, ohne daß das Ergebnis schriftlich festgehalten werden müßte. Die Vergleichbarkeit von Auslegung und Vertragsanpassung scheitert auch nicht daran, daß eine Auslegung nach h.M. noch mit dem Wortlaut vereinbar und in diesem angedeutet sein muß, denn auch die Anpassung soll letztlich die Gerechtigkeit des Vertrages wahren, so wie sie sich gerade durch die schriftlich niedergelegten Tarifregelungen ergibt. Ausgangspunkt muß vielmehr die Tatsache sein, daß durch ihre faktische Regelungswirkung eine gerichtliche Vertragsanpassung einer gerichtlichen Tarifregelung gleichkommt. Damit wird vom Gericht in den Kernbereich der Tarifautonomie, nämlich der Selbstgesetzgebung der Tarifverbände und ihrer Mitglieder, vorgedrungen. Darüber hinaus fehlt der vom Gericht im Wege der Vertragsanpassung geschaffenen Norm die mitgliedschaftliche Legitimation, so daß auch ein Verstoß gegen die Wesentlichkeitstheorie droht20 • Eine solche Befugnis darf daher mit Belling nur im äußersten Notfall zugelassen werden, wenn keine den Tarifpartnern und Normenunterworfenen zumutbare Alternative besteht. Da dies nicht davon abhängig ist, ob die Grundlagenstörung finanzieller oder sonstiger Natur ist, kann diese Überlegung von Otto schon in ihrem Ansatz nicht akzeptiert werden. Damit stellt sich die Frage, ob mit Belling wegen der Gefahr der Rechtsverweigerung für die Normenunterworfenen von einer Notanpassung der Gerichte ausgegangen werden muß. Dabei ist festzustellen, daß die fehlende Einigung der Tarifpartner zunächst das Gericht nicht zur Anpassung ermächtigen kann. So betont auch Belling, daß man zwar aus dem Sozialstaatsprinzip und dem hieraus folgenden Arbeitnehmerschutzprinzip ein Recht der Gerichte ableiten könnte, in die Tarifautonomie einzugreifen, wenn die Parität der Tarifpartner faktisch gestört wäre; doch könne die Nichteinigung mit keiner gestörten Parität gleichgesetzt werden. Vielmehr sei dies dem Vertragsprinzip der Tarifautonomie immanent21 • Diese Sicht ist zutreffend, wobei noch hinzuzufügen ist, daß aufgrund der Wesentlichkeitstheorie auch im Falle einer gestörten Tarifparität ein gerichtlicher Eingriff in die Tarifautonomie nicht möglich wäre. Dies ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers. Auch im übrigen droht keine Rechtsverweigerung oder sonstige unzumutbare Folge, wenn man eine gerichtliche Anpassung ausschließt. In diesem Fall wird entsprechend den obigen Ausführungen jedenfalls nach gescheiterten Neuverhandlungen beiden Vertragsseiten das Recht zur außerordentlichen Kündigung zustehen. Dies ist eine angemessene Alternative, die einer gerichtlichen Anpassung vorzuziehen ist. Sie schließt keine Einigung im Wege von 20 21
Oetker RdA 1995, 82 ff. - 97. Belling NZA 1996,906 ff. - 910.
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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Neuverhandlungen aus. Aufgrund der beendeten Friedenspflicht kann jede Seite ihre Forderungen zusätzlich durch Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen suchen. Da die Geschäftsgrundlagenstörung zunächst nur das Binnenverhältnis zwischen den Tarifpartnern berührt und nur mittelbar die Normenunterworfenen betreffen kann, liegt auch keine Rechtsverweigerung vor, wenn diese am Tarifvertrag gebunden bleiben, bis die belastete Tarifpartei eine Kündigung erklärt hat. Dies gilt bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung sogar aufgrund der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG noch darüber hinaus, bis eine Neuregelung notfalls durch Arbeitskampf durchgesetzt ist. Demgegenüber vernachlässigt die Alternative Bellings die Interessen der Tarifpartner und Normenunterworfenen. Es ist inkonsequent, unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst eine Vertragsanpassung zu favorisieren, gleichzeitig aber die Friedenspflicht zu suspendieren und damit die Vertragstreue faktisch aufzuheben. Hierdurch wenJen die Tarifpartner und die Normenunterworfenen wie bei einer außerordentlichen Kündigung gestellt, nur daß bis zu einer Einigung der Vertragspartner eine unklare Rechtslage über den Tarifmhalt entsteht, mit der sodann bei Nichteinigung ein Eingriff der Gerichte in die Tarifautonomie legitimiert werden soll. Nach alledem ist wegen der mit einer Vertragsanpassung verbundenen Regelungswirkung und im Hinblick auf die Möglichkeit des Arbeitskampfes eine Anpassung durch die Gerichte abzulehnen. Dies liefe vielmehr auf die gerichtliche Regelung der Arbeitsbedingungen hinaus, die als Tarifzensur gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 GG unzulässig ist. Demnach fehlt ein Organ, das zur Vertragsanpassung autorisiert werden könnte, ohne in den Kernbereich der Tarifautonomie einzudringen. Folglich gibt es die einklagbare Rechtsfolge der Vertragsanpassung bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausnahmsweise im Tarifrecht niche2 •
n. Vertragsaufsage Wie ausgeführt, kann neben der Anpassung beim Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Vertragsaufsage zulässig sein. Da es sich hierbei um ein Ge22 Hieraus kann entgegen Galperin BetrVerf 1958,42 ff. u. 61 ff. - 65f. und Oetker JZ 1998, 206 ff. - 207 aber nicht gefolgert werden, es gäbe im Hinblick auf die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung bei Gesamtvereinbarungen keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dies übersieht, daß die Geschäftsgrundlagenstörung noch aus anderen Gesichtspunkten, etwa einer rückwirkenden Aufhebung, Bedeutung haben kann; vgl. Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 88. Insoweit hat das BAG diese Frage auch in neuster Zeit ausdrücklich offengelassen BAG NZA 1997, 830 ff. = JZ 1998, 203 ff.; BAGNZA 1997, 1234ff.
332
Dritter Teil: Einseitige Gestaltungsrechte bei Tarifverträgen
staltungsrecht handelt, mit dem sich der Erklärende von der Verbindlichkeit eines Vertrages lossagen kann, entspricht die Vertragsaufsage einem Rücktrittsrecht, sofern der gestörte Vertrag kein Dauerschuldverhältnis begründet, und wird deshalb häufig auch so bezeichnef3 • Daneben kann bei Dauerschuldverhältnissen nicht nur eine ex nunc wirkende außerordentliche Kündigung, sondern auch eine rückwirkende Vertragsaufsage erfolgen24 • Folglich kann mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ein Rücktrittsrecht vom Tarifvertrag begründet werden, wenn dieser kein Dauerschuldverhältnis begründet. Dieser Fall ist in der Praxis allerdings bisher nicht aufgetreten; jedenfalls sind weder theoretische Auseinandersetzungen noch praktische Urteile dazu bekannt geworden. Denkbar ist aber ein Firmentarif, der zur Durchführung einer konkreten Rationalisierungsmaßnahme oder sonstigen "Betriebsänderung" abgeschlossen wird25 • Hier würden die Erwägungen zum Sozialplan entsprechend gelten. Fragwürdig ist, ob daneben auch eine rückwirkende Aufhebung von Tarifverträgen unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zulässig ise6 • Häufig wird behauptef7 - so auch mit recht pauschaler Begründung von der Rechtsprechung28 -, dies sei mit dem Vertrauens schutz der Normenunterworfenen unvereinbar. Doch kann die rückwirkende Aufhebung jedenfalls dann aus Vertrauensgesichtspunkten zulässig sein, wenn die Arbeitgeberseite eine eventuelle Aufhebung angekündigt hat und anschließend, etwa nach gescheiterten Verhandlungen mit der Gewerkschaft über eine einvernehmliche Anpassung, eine Vertragsaufsage mit Wirkung zum Ankündigungszeitpunkt erklärt. Folglich ist auch im Tarifrecht eine rückwirkende Vertragsaufsage denkbar29 • 23 S.o. Zweiter Teil F I 2 - Seite 201 f; auch insoweit ist es auch im Tarifrecht verfehlt, eine absolute Verdrängung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage durch die außerordentliche Kündigung anzunehmen, so aber Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 49; Wank FS Schaub S. 761 ff.- 790 f 24 Die rückwirkende Vertragsaufsage darf nicht mit einer Anpassung verwechselt werden. Bei ersterem wird das Dauerschuldverhältnis als zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt aufgehoben behandelt, so daß zwischenzeitliche Leistungen zurückzugewähren sind, während bei einer Anpassung das Dauerschuldverhältnis fortbestehen bleibt, mag sein Inhalt auch künftig oder sogar rückwirkend abgeändert sein; vgl. zum Verhältnis der außerordentlichen Kündigung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage oben Zweiter Teil F VI - Seite 248 ff 25 Oetker RdA 1995, 82 ff. - 90. 26 Ausnahmslos lehnen dies ab Bürger/ Stübing ArbRBlattei (D) Wegfall der Geschäftsgrundlage C. I. 27 Buchner NZA 1993,289 ff - 295; Hueck. Alfred/ Nipperdey ArbR II / 1 S. 471 f; MünchArbR - Löwisch, § 249 Rz. 31; ZachertRdA 1996,140 ff. - 149. 28 V gl. etwa BAG AP Nr. 1 TVG Rückwirkung; BAG AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969 mit zust. Anm. Wiedemann. 29 Zu den allgemeinen Grenzen vgl. oben Erster Teil B I - Seite 90 ff.
E. Wegfall der Geschäftsgrundlage
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Die Arbeitgeberseite hat schließlich zu beachten, daß sowohl die Vertragsaufsage, als auch die rückwirkende Aufhebung wegen einer Geschäftsgrundlagenstörung nach allgemeiner Meinung eine entsprechende Gestaltungserklärung erfordert30 • Somit kann der Wegfall der Geschäftsgrundlage durchaus auch beim Tarifvertrag neben dem Rechtsinstitut der außerordentlichen Kündigung eine eigenständige Bedeutung erlangen, obwohl die Anpassung als Rechtsfolge ausscheidet. Auch die Vertragsaufsage ändert zunächst nichts an der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Die Tarifaufsage eröffnet wie die außerordentliche Kündigung nur die Möglichkeit zu effektiven, notfalls durch Arbeitskampfmaßnahmen erzwungenen Neuverhandlungen31 • Darüber hinaus erweitert sie im Falle der rückwirkenden Aufsage in den Grenzen des Vertrauensschutzes den Zugriffsbereich der Tarifpartner auf erworbene Besitzstände. ill. Ergebnis
Im Rahmen einer Geschäftsgrundlagenstörung kommt eine Vertragsanpassung bei Tarifverträgen nicht in Betracht, weil ein Organ fehlt, das zur Vertragsanpassung autorisiert werden könnte, ohne in den Kembereich der Tarifautonomie einzudringen. Insbesondere liefe eine gerichtliche Anpassung auf die gerichtliche Regelung der Arbeitsbedingungen hinaus, die als Tarifzensur gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 GG unzulässig ist. Eine Vertragsanpassung ist wegen der Möglichkeit des Arbeitskampfes auch nicht notwendig. Gleichwohl kann der Wegfall der Geschäftsgrundlage ausnahmsweise eigenständige Bedeutung erlangen, weil die Vertragsaufsage im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung auch bei Einzelfallregelungen möglich ist und in den Grenzen des Vertrauensschutzes rückwirkende Eingriffe erlauben kann.
30 BGHZ 101, 143 ff.- 150; BGH NJW 1993, 1641 ff. - 1642; m.w.N. Palandt Heinrichs, § 242 Rz. 132. 31 A.A. Belling NZA 1996, 906 ff. - 911, der allerdings die Möglichkeit einer suspendierenden Angriffsaussperrung nicht diskutiert.
Vierter Teil
Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten für die Arbeitgeberseite, eine Vertragsbindung einzuschränken oder zu beseitigen Gegenstand der bisherigen Untersuchung waren die Gestaltungsrechte der Arbeitgeber, um in wirtschaftlichen Krisen einseitig auf den Fortbestand der Kollektivverträge einzuwirken. Im weiteren sollen nun sonstige Möglichkeiten erörtert werden, bei denen die Arbeitgeberseite zwar nicht direkt mittels Gestaltungsrechte auf die Gesamtvereinbarungen einwirkt, sich aber gleichwohl die Frage stellt, ob die Arbeitgeber hierdurch ihre Verpflichtungen aus einer Gesamtvereinbarung einschränken bzw. beseitigen können.
A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers Der Vertrag als relatives Rechtsverhältnis zwischen zwei Rechtspersonen ist von deren Existenz abhängig. Da der Arbeitgeber bei der Betriebsvereinbarung und dem Firmentarifvertrag Vertragspartner ist, muß auch deren Verbindlichkeit prinzipiell an den abschließenden Arbeitgeber anknüpfen. Die Taritbindung erfaßt gemäß § 3 Abs. 1 TVG die Mitglieder des Arbeitgeberverbandes und im Falle des Firmentarifs den einzelnen Arbeitgeber, der somit sowohl unmittelbarer Tarifvertragspartner als auch Normenunterworfener in einer Person ist. Verliert ein Arbeitgeber seine Rechtspersönlichkeit, kann er nicht mehr Träger von Rechten und Pflichten sein. Folglich werden von ihm geschlossene Verträge für ihn gegenstandslos und eine etwaige Taritbindung ist beseitige. Dies ist unproblematisch, sofern das Unternehmen gleichzeitig aufgelöst wird - etwa wegen Insolvenz - und keine Unternehmensübemahme erfolgt. Sollte dies auch für den Fall gelten, daß andere an die Stelle des früheren Rechtsinhabers treten, so könnte der einzelne Arbeitgeber von ihm selbst abgeschlossene Gesamtvereinbarungen und seine Tarifbindung im Verbandstarif beseitigen, indem er durch Aus- und Umgründung, sonstige Umwandlung I Ob dies auch für die Auflösung eines Arbeitgeberverbandes gilt, ist umstritten und wird noch zu erörtern sein - vgl. unten C I. S. 377 ff.
A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers
335
oder rechtsgeschäftliche Übertragung Teile oder das ganze Unternehmen vom bisherigen Rechtsinhaber löst. Das Unternehmen könnte unter neuer Rechtspersönlichkeit von kollektivvertraglichen Verpflichtungen befreit fortgeführt werden. Zwar wäre dieser Weg nicht ohne Nachteile. So könnte er aufgrund etwaiger zu beachtender Förmlichkeiten umständlich und kostspielig sein. Desweiteren würde das Unternehmen sämtliche bestehende Regelungen verlieren, also auch die ihm günstigen. Schließlich entfiele die Friedenspflicht der Gewerkschaft, und der frühere verbandsmässige Schutz bestünde nicht mehr. Doch könnte der Arbeitgeber gleichwohl diese Möglichkeit in der Erwartung nutzen, neue Gesamtvereinbarungen aufgrund eingetretener wirtschaftlicher Schwierigkeiten so günstig zu erreichen, daß diese Nachteile übertroffen werden. Dies liegt besonders nahe, wenn ein Arbeitgeber sich in existentieller Not von einem Verbandstarif lösen könnte. In einem solchen Unternehmen ist die Kampfbereitschaft der Arbeitnehmer naturgemäß sehr gering und damit die Möglichkeit der Gewerkschaft beschränkt, Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Dieser gedankliche Ausweg setzt voraus, daß der Unternehmensübernehmer im Hinblick auf bestehende Gesamtvereinbarungen nicht in die Stellung des früheren Arbeitgebers einrückt.
I. Rechtsgeschäftliche Übertragung
Einen Weg zur Auswechslung des Rechtsinhabers bietet die rechtsgeschäftliche Übertragungl. Aufgrund der Möglichkeiten des Gesellschaftsrechtes erfordert sie nicht einmal, daß die wirtschaftlich hinter dem Unternehmen stehenden Personen dieses aufgeben. Vielmehr ist es ihnen unbenommen, das Unternehmen einer anderen Rechtsperson zu überlassen, deren wirtschaftlicher Inhaber sie gleichermaßen sind. Der Betrieb als Organisationseinheit von betrieblichen und immateriellen Gütern kann sogar ohne Übereignung an eine andere Rechtsperson übergeben werden, insbesondere durch Verpachtung oder sonstige Nutzungsüberlassung. Entscheidend ist allein, daß durch Rechtsgeschäft die Leitungskompetenz auf ein anderes Rechtssubjekt über-
2 In der Praxis kommt der rechtsgeschäftlichen Übertragung, insbesondere den Regelungen des § 613 a BGB eine hohe Bedeutung zu. Die Rechtsprechung und Literatur zu § 613 a BGB und den einzelnen Facetten einer rechtsgeschäftlichen Firmenübertragung - auch bei einer Unternehmenssanierung - sind daher so umfangreich, daß im folgenden nur wesentliche Fragen angerissen werden können. Eine umfassende Darstellung würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen.
336
Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
gehe. Der bloße Gesellschafterwechsel genügt hingegen selbst bei der Personenhandelsgesellschaft nicht, weil die Leitungskompetenz der Gesellschaft, also der Gesamthand, zufällt, die identisch bleibt4 • 1. Regelung des § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB
Die hierdurch begründete Mißbrauchsgefahr wird allerdings durch die Regelung des § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB eingeschränkt. § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt, daß bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang alle kollektivvertraglichen Normen, die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis regeln, in den Individualvertrag eingehenS . Insoweit wird deren Unmittelbarkeit durch Transformierung in den Individualvertrag kraft Gesetzes gewahrt. Damit würde eigentlich die Unabdingbarkeit enden. Der Schutz des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB wird deshalb noch zusätzlich gefestigt, indem die Änderung der in den Individualvertrag transformierten Kollektivnormen für ein Jahr ausgeschlossen bleibt. Dies stellt eine befristete Unabdingbarkeitsanordnung dar. Sie wird allerdings nach § 613 a Abs. 1 S. 4 1. Alt BGB zunächst begrenzt, wenn die Kollektivregelung selbst vorher ihre zwingende Wirkung verliert. Ihre Wirkung endet schließlich gemäß § 613 Abs. 1 S. 4 2. Alt. BGB, wenn im Falle fehlender beidseitiger Tarifgebundenheit ein neuer - einschlägiger - Tarifvertrag durch einzelvertragliche Bezugnahme individualvertraglich vereinbart wird.
Nach § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB gilt diese individualrechtliche Transformation dann nicht, wenn und soweit für die normierten Regelungsbereiche beim Erwerber bereits Kollektivverträge bestehen. Die Bestimmung ist nach h.M. auch einschlägig, wenn die Kollektivregelungen erst nach Betriebsübergang geschaffen werden6 • Diese Vorschrift ist eine gesetzliche Kollisionsregel bei Däubler, TVG Rz. 1570; Staudinger - Richardi, § 613 a BGB Rz. 49. Staudinger - Richardi, § 613 a BGB Rz. 50; Halberstadt, BetrVG § 1 Rz. 5. 5 Zutreffend hat Heime FS Schaub 275 ff. - 277 ff. darauf hingewiesen, daß nur kollektivvertragliche Regelungen über § 613 Abs. 1 S. 2 in den Individualvertrag eingehen und mit der einjährigen Veränderungssperre geschützt werden. Insbesondere scheidet damit eine Fortgeltung und erst recht ein einjähriger Bestandsschutz etwa bei nachwirkenden Regelungen aus, da diese nur noch aufgrund gesetzlicher Anordnung weitergelten. Letzteres würde ohnehin auch aus § 613 Abs. 1 S. 4 BGB folgen, da der nachwirkende Tarifvertrag jedenfalls seine zwingende Wirkung verloren hat. 6 BAG AP Nr. 49 zu § 613 a BGB = NJW 1987,94 = DB 1986, 1575 = NZA 1986, 687 = ZIP 1986,933; Däubler, TVG Rz. 1555; Schaub, Arbeitsrecht § 119 III 1; Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1403; Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 358; Hagemeier/ Kempen/ Zachert/ Zilius, TVG § 3 Rz. 44 b wollen sogar nur solche nach Betriebswechsel geschlossenen Tarifverträge hierunter fassen, weil für früher abgeschlossene Vereinbarungen auf Arbeitnehmerseite noch die mitgliedschaftliche Legitimation gefehlt habe. 3
4
A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers
337
Tarifvertrags- bzw. Betriebsvereinbarungskonkurrenz7 • Vom Wortlaut des § 613 Abs. 1 S. 3 BGB her scheint es allein auf die Tarifbindung des neuen Arbeitgebers nicht auch der Arbeitnehmer anzukommen8 • Doch zeigt die Bestimmung des § 613 Abs. 1 S. 4, 2. Alt BGB nach einer als h.M. bezeichneten Ansicht, daß § 613 Abs. 1 S. 3 BGB auf die tatsächliche Regelung durch- neue Kollektivverträge im Einzelarbeitsverhältnis abstellt und insoweit beiderseitige Tarifbindung voraussetzt, andernfalls auch unabhängig von der in § 613 Abs. 1 S. 4 BGB geregelten einzelvertraglichen Bezugnahme des neuen, einschlägigen Tarifvertrages der alte bereits aufgrund der Regelung des § 613 Abs. 1 S. 3 BGB verdrängt würde9 • Soweit hiergegen eingewandt wird, § 613 Abs. 1 S. 4 BGB ziele auf Fälle der fehlenden Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ab lO , wäre schon vom Wortlaut des Satzes 4 her eine Regelung zu erwarten gewesen, wonach bei fehlender Tarifgebundenheit des Arbeitgebers - denn nur hierauf soll es dann ankommen - die einzelvertragliche Bezugnahme die Fortgeltung beseitigt, umso mehr als der Begriff beiderseitiger Tarifgebundenheit durch § 3 Abs. 1 TVG vom Gesetzgeber bereits eindeutig deflniert ist. Folglich ist für § 613 Abs. 1 S. 3 BGB eine echte beiderseitige Tarifgebundenheit erforderlich ll . Hierdurch wird auch nicht die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers verletzt l2 • Denn so wie der Gesetzgeber zum Schutze der Tarifautonomie berechtigt war, mit § 3 Abs. 3 TVG eine Fortgeltung der Verbandstarife für einen aus dem Arbeitgeberverband ausgetretenen Arbeitgeber anzuordnen, ist es dem Gesetzgeber unbenommen gewesen, zum Schutze der Arbeitnehmer und Tarifautonomie die kollektiven Arbeitnehmerpositionen vor einer Entwertung durch eine rechtsgeschäftliehe Übertragung abzuschirmen. Diese Bindung wird zudem durch die Jahresfrist eingeschränkt.
7 Wegen der vielfältigen Einzelfragen bei diesem Konkurrenzverhältnis und der Abänderung durch neue Kollektivpartner vgl. Hanau. Peterl Vossen FS Hilger-Stumpf 1983, S. 271 ff.; Däubler RdA 1995, 136 ff. 8 So denn auch Kamlah, Bestandsschutz und Ablösung von Kollektivverträgen bei Betriebsübergang S. 115 ff.; Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1403; tendenziell zustimmend Hromodkal Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 354; Heinze FS Schaub 275 ff. -289 ff.; ferner Bauer FS Schaub 19 ff - 37 f., der gleichwohl von Analogie spricht. 9 Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 782 f.; Schaub, Arbeitsrecht § 119 III 1.; Däubler, TVG Rz. 1557; m.w.N. Hanau. Peterl Vossen FS Hilger-StumpfI983, S. 271 ff. - 292 f. 10 Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1404. 11 Für diese Sichtweise spricht ohnehin der Zweck dieser Bestimmung. Der Gesetzgeber hat insoweit lediglich den Vorrang der echten kollektiven vor einer lediglich individualvertraglich fortgeltenden Kollektivregelung sicherstellen wollen - vgl. BRDrucks 353 179 S. 18 = BT-Drucks. 8 I 3317 S. 11. Hieraus folgt, daß selbst bei Geltung eines neuen Tarifvertrages alte Regelungen nur verdrängt werden, wenn der neue Tarifvertrag eine entsprechende Regelung enthält -Hromodka DB 1996, 1872 ff. - 1875. 12 So aber Heinze FS Schaub 275 ff. - 290 f.
22 Beathalter
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
In diesen Fallgestaltungen ist die Mißbrauchsgefahr demgemäß reduziert, weil es sich selten um eine Neugründung handelt, wenn bereits Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge bestehen. Darüber hinaus setzen bestehende bzw. neue Kollektivregelungen im übernehmenden Unternehmen ohnehin die Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen durch Betriebsräte oder Gewerkschaften voraus, wobei die Gewerkschaften nach der MächtigkeitsIehre der h.MY keine Pseudogewerkschaften sein dürfen, denen die eigene Durchsetzungsfähigkeit fehlt und denen daher die Arbeitgeberseite ihren Willen faktisch aufzwingen kann. Schließlich bedarf die Verdrändung der Altregelung im Tarifrecht sogar der beiderseitigen Taritbindung und geht damit zugleich auf eine Organisationsentscheidung der betroffenen Arbeitnehmer zurück. Zwar können sämtliche durch § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB konservierten Kollektiv-rechte, also auch solche aus Tarifverträgen, durch Betriebsvereinbarungen beseitigt werden, da auch dann eine für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen verbindliche Kollektivregelung i.S.d. § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB vorliegt l4 . Doch wird die damit eröffnete Mißbrauchsgefahr wieder durch den Ausschluß von Betriebsvereinbarungen bei tariflicher bzw. tarifüblicher Regelung gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG negiert. Sämtliche vorstehenden Ausführungen gelten bei Außenseitern, bei denen der bisherige Tarifvertrag Anwendung fand, letztlich analog, wobei lediglich zu beachten ist, daß unmittelbar § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB Grund der individuellen Fortgeltung ist und daher eine Veränderungssperre von vornherein ausscheidetlS . Der Mißbrauch durch rechtsgeschäftliche Übertragung wird somit stark eingeschränkt. Der Schutz ist jedoch befristet, so daß eine Beeinträchtigung langfristiger Gesamtvereinbarungen möglich bleibt. Außerdem erfaßt § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB vom Wortlaut her mit der Beschränkung auf Regelungen über die Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis keine Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen. Allerdings ist nach wohl überwiegender Auffassung § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB auch auf Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen anwendbar, soweit sie 13 BAG AP Nr. 25 zu § 2 TVG = SAE 1969, 137; BAG AP Nr. 30, 32 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 34 zu § 2 TVG = DB 1986,755; BAG AP Nr. 36, 38 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 39 zu § 2 TVG = DB 1990,839; Kempenl Zachert, TVG Grdl. Rz. 87; Löwischl Rieble, TVG § 2 Rz. 25 ff.; Koberskil Clasen! Menzel, TVG § 2 Rz. 59ff.; kritisch m.w.N. Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht § 34 I 2 a.; vgl auch Dütz DB 1996,2385 ff., mit ausführlicher Darstellung der Indizien für die Durchsetzungsfähigkeit einer Gewerkschaft - aaO. - 2387 f.; ferner Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 2 Rz. 55 ff -72f. 14 H.M. statt vieler m.w.N. Henssler FS Schaub 311 ff. - 321; Bauer FS Schaub S. 19 ff. - 38. 15 M.W.N. Henssler FS Schaub 311 ff. - 322 ff.
A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers
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gleichzeitig Inhaltsnormen sind bzw. die IndividualsteIlung des Arbeitnehmers prägen l6 •
2. Kollektivrechtliche Weitergeltung § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB bezweckt den Schutz des Arbeitnehmers vor Nachteilen, die aus dem Betriebsübergang drohen. § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB ist daher gegenüber Regelungen subsidiär, die den kollektivrechtlichen Status vor dem Betriebsübergang erhalten l7 •
a) Betriebsvereinbarung Die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder gehen beim Betriebserwerb gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB auf den neuen Arbeitgeber über. Die Stellung des Betriebsrates wird durch den Betriebsübergang nicht berührt, sofern die Identität des Betriebes gewahrt bleibt, also keine Ein- und Umgliederung innerhalb der betrieblichen Organisationen des Erwerbes erfolgt. Damit gewährleistet § 613 a BGB die Kontinuität des amtierenden Betriebsrates 18 • Der Betriebserwerb unterscheidet sich von der bloßen Aneignung betrieblicher Sachmittel darin, daß der Übernehmer ihn als Organisationseinheit erlangt. Daher wurde von der h.M. seit jeher angenommen, daß auch die Betriebsvereinbarungen fortbestehen, solange die Identität des Betriebes gewahrt bleibe 9 • Dies ist im Betriebsverfassungsrecht in besonderem Maße systemkonform, da dieses nur an den Betrieb als Organisationseinheit anknüpft, ohne dessen Rechtsqualität irgendeine Bedeutung beizumessen2o • Der Betrieb kann 16 So Schaub, Arbeitsrecht § 119 11 1; Hanau. Peter I Vossen FS Hilger-Stumpf 1983, S. 271 ff. - 289 ff; Dem ist zuzustimmen, weil Art. 3 Abs. 2 der EG Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen - ABI. vom 5.3.1977 , Nr. L 61 126 - allgemein von kollektiv geregelten Arbeitsbedingungen spricht und somit unabhängig von der deutschen Tarifnormdogmatik für alle Arbeitsbedingungen eines Tarifvertrages anzuwenden ist. A.A. kein Übergang in das Individualverhältnis Löwisch I Rieble, TVG § 3 Rz. 83; uneingeschränkter Übergang Däubler, TVG Rz. 1541 f. 17 Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1401; m.w.N. Hanau. Peterl Vossen FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 271 ff. - 273 ff. 18 Vgl. BAG BB 1996,747 f.; Stege I Weinspach, BetrVG § 1 Rz.6. 19 BAG AP Nr. 1 zu § 52 BetrVG 52 mit Anm. Hueck. Götz = DB 1957,925; Hessl Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 226 f.; Kamlah, Bestandsschutz und Ablösung von Kollektivverträgen bei Betriebsübergang S. 130 ff.; Stege I Weinspach. BetrVG § 1 Rz. 6; Halberstadt. BetrVG § 1 rz. 6; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 327 ff.; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § I Rz. 107. 20 Ausführlich m.w.N. zum Betriebsbegriff in Rechtsprechung und Literatur Däublerl Kittnerl Klebe, BetrVG § I Rz. 31 ff.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
daher als Unternehmen selbständige Rechtsperson oder nur unselbständiger Teil eines Unternehmens mit mehreren Betrieben sein. Die Inhaberschaft setzt ferner kein Eigentum voraus, was die Möglichkeit einer Betriebspacht beweise!. Aufgrund der Subsidiarität des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB wird man hiervon auch weiterhin auszugehen haben, so daß sich dessen Anwendung auf die Fälle der Ein- und Umgliederung in die betriebliche Organisation des Erwerbers bzw. die Ausgliederung eines Betriebsteiles beschränkt22 • Die Mißbrauchsgefahr bei rechtsgeschäftlicher Betriebsübertragung ist dadurch so gut wie ausgeschlossen. b) Firmentarif Nach allgemeiner Ansicht ist eine rechtsgeschäftliche Übernahme des Firmentarifs möglich. Fraglich ist, ob diese automatisch erfolgt. Eine früher erwogene Fortgeltung des Firmentarifs über § 25 HGB oder § 419 BGB23 wird allgemein abgelehne\ weil diese Normen die vermögensrechtliche Haftung im Geschäftsverkehr betreffen und daher lediglich auf Austauschverträge ausgerichtet sind. Auf den Tarifvertrag als Normenvertrag passen sie nicht. Auch die Tatsache, daß ohne Übernahme der Tarifvertrag gegenstandslos wird, weil der Tarifpartner nicht mehr Inhaber der Arbeitsplätze ist, ist kein Argument für eine automatische Übernahme. Dies beschreibt lediglich eine Rechtsfolge. Die Behauptung, daß diese Konsequenz nur hingenommen werden könne, wenn ein rechtsgeschäftlicher Übergang des Tarifvertrages unzulässig wäre, ist eine Wertung, die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 613 a Abs. 1 BGB nicht nachvollzogen hat. Dort wird nur der Übergang der Arbeitsverhältnisse nicht der Kollektivvereinbarungen angeordnet. Auch sonst ist kein gesetzlicher Ansatzpunkt für einen solchen Übergang festzustellen2s •
2! Vgl. statt vieler die Darstellung m.w.N. bei Fitting I Kaiser I Heither I Engels, BetrVG § I Rz. 53 ff. 22 Zuletzt BAG NZA 1995, 223 ff., das klarstellt, daß diese Sichtweise auch nicht durch die Regelung des § 613 aI 2 BGB verdrängt worden ist, weil § 613 a BGB nur zu gunsten der Arbeitnehmer eingeführt wurde und keine verschlechternde Auslegung gestattet NZA 223 ff. - 225; so auch Hanau, Peterl Vossen FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 271 ff. - S. 273 ff.; Bachner, NJW 1996, 2881 ff. - 2881 f.; Däubler RdA 1995, 136 ff. 140; Stege I Weinspach, BetrVG § 77 Rz 34; Heinze FS Schaub 275 ff- 282 ff. 23 Vgl. Hueck, Alfredl Nipperdey, ArbR II11 § 22 B 11 la S. 473 f. 24 Däubler, TVG Rz. 1534; MünchKomm-Söllner, § 613 Rz 92; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 3 Rz. 73. 2S M.w.N. Hanau, Peterl Vossen FS Hilger-StumpJI983, S. 271 ff. - 295 ff.
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Schließlich können die Überlegungen für die Betriebsvereinbarung nicht ohne weiteres auf den Firmentarif übertragen werden. Während die Betriebsverfassung gerade am Betrieb als Organisationseinheit anknüpft, ist der Firmentarif immer auf den Arbeitgeber als Rechtsperson ausgerichtet. Dies kann auch nicht durch einen Hinweis auf die Tariffähigkeit eines jeden Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG negiert werden. Die Tariffähigkeit begründet nur die Möglichkeit einer Übernahme des Tarifvertrages. Sie beinhaltet jedoch keine Rechtsnachfolgeregelung. Auch wenn nur die Rechtsperson des Arbeitgebers wechselt, liegt daher gerade entgegen einer Auffassung von Kamlah26 keine "Arbeitgeberidentität" vor. Teilweise wird im Wege der Auslegung versucht, in die rechtsgeschäftliche Übernahme des Unternehmens zugleich eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Firmentarifs hineinzulesen, sofern die organisatorische Einheit erhalten bleibt. Der Tarifvertrag gehe nämlich dann als Teil dieser Gesamtordnung mit über, wenn der Erweber nicht ausdrücklich oder konkludent im Übernahmevertrag die Übernahme des Tarifvertrages ausschließe1 . Wann bei diesem Ansatz noch ein konkludenter Ausschluß vorliegen soll, wird allerdings nicht deutlich. Insgesamt ist gegen eine solche Auslegung einzuwenden, daß eine rechts geschäftliche Übernahme eines Tarifvertrages für die neu eintretende Tarifpartei der Neubegründung eines Tarifvertrages gleichkommt. Damit muß das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG gewahrt werden, das gerade jeder Partei die Bedeutung der eigenen Erklärung verdeutlicht. Diese Deutlichkeit fehlt bei der vorgeschlagenen Tarifbindung im Wege der Auslegung gänzlich, zumal die Auslegung auf Handlungen und Erklärungen gestützt wird, die im Verhältnis zwischen dem alten und dem neuen Arbeitgeber vorgenommen bzw. abgegeben werden und somit nicht einmal originär an die Gewerkschaft als Vertragspartner des Tarifvertrages gerichtet sind. Auch diese Lösung ist daher abzulehnen. Folglich gilt der Firmentarif nicht automatisch für den Erwerber28 • c) Verbands tarif Beim Verbandstarif scheidet eine kollektivrechtliche Übernahme aus, weil seine Bindung an die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband anknüpft29 • Ge-
26 Kamlah, Bestandsschutz und Ablösung von Kollektivverträgen bei Betriebsübergan? S. 134 ff. 2 So auch Hanau. Peterl Vossen FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 271 ff. - 296f.; ähnlich Kempenl Zachert, TVG § 3 Rz. 57. 28 Heute h.M. MünchArbR-Wank, § 120 Rz. 172; Hromodkal Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 238; m.w.N. Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1401.
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mäß § 38 BGB ist die mitgliedschaftliche Stellung in einem rechtsfähigen Verein weder vererblich noch übertragbar. Gleiches gilt für nichtrechtsfähige Vereine gemäß § 54 BGB in Verbindung mit §§ 717; 727 Abs. 1 BGB, nur daß im Erbfalle nach der Gesetzeslage der Erbe zunächst Gesellschafter und die Gesellschaft sodann aufgelöst würde. Dies wurde auf Koalitionen noch nie ernsthaft angewendet. Demzufolge fehlt es am mitgliedschaftlichen Anknüpfungspunkeo. Etwas anderes kann nur gelten, wenn ein Arbeitgeberverband gemäß § 40 BGB in seiner Satzung den Übergang der Mitgliedschaft vorgesehen hat. Hiervon wurde bisher kein Gebrauch gemache 1 • Teilweise wurde über eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG nachgedacht32 • Dieser verlängert die Tarifbindung im Falle des Verbandsaustritts und setzt demgemäß eine ursprüngliche Mitgliedschaft voraus. Durch eine analoge Anwendung auf den Erwerber würde möglicherweise ein Nichtorganisierter der Tarifbindung unterworfen. Wegen der privatautonomen Entscheidung zum Erwerb des Unternehmens wäre dies zwar noch mit der negativen Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar 3 , doch ist Grundlage der gesetzlichen Regelung die mitgliedschaftliche Legitimation zur Rechtsetzung. Deren Fehlen macht die Regelung des § 3 Abs. 3 TVG mit dem rechtsgeschäftlichen Erwerb unvergleichbar, was einer Analogie widerspriche 4 • Schließlich besteht keine Regelungslücke, da gerade § 613 a BGB eine gesetzliche Regelung der Problematik bringt, was eine Analogie sogar verbietee 5 • Folglich kann in einem verbandstarifunterworfenen Unternehmen durch Nutzung gesellschaftsrechtlicher und rechtsgeschäftlicher Mittel die Tarifbindung beseitigt werden mit der Folge, daß nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB die Transformation erfolgt, deren Unabdingbarkeit auf ein Jahr beschränkt ist.
3. Durchjührungspflicht des neuen Arbeitgebers, Einwirkungspflicht des alten Arbeitgebers Da die rechtsgeschäftliche Übertragung eines Unternehmens oder von Unternehmensteilen nur zu einer individuellen Fortgeltung von Tarifverträgen 29 Hromodkal Maschmannl Wal/ner, Der Tarifwechsel Rz. 238; m.w.N. Zöl/ner DB 1995, 1401 ff. - 1401. 30 BAG NZA 1994,948; BAG AP Nr. 2 zu § 3 TVG = BB 1975,422 = DB 1975, 695i DüwellNZA 1996,393 ff. - 395. 3 Düwell NZA 1996, 393 ff. - 395. 32 Däubler, TVG Rz. 1577b f. 33 Dies verkennen Wiedemannl Stumpf, TVG § 3 Rz. 78. 34 MünchKomm-Söllner, § 613 Rz. 95. 35 Bauer FS Schaub, S. 19 ff. - 34; Löwischl Rieble, TVG § 3 Rz. 81, a.A. Hanau, Peterl Vossen FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 271 ff. - 288.
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nach § 613 a BGB führt, ist überlegt worden, ob zumindest bei einer konzernmäßigen Verbindung von neuem und altem Arbeitgeber eine weitergehende Tarifbindung notwendig ist, um eine Umgehung der Folgen aus der Vertrags- und/oder Tarifbindung zu verhindern. Denkbar wäre eine Durchführungspflicht des neuen Arbeitgebers im Wege der Konzernhaftung bzw. eine Einwirkungspflicht des alten Arbeitgebers, wenn er die Geschäftsführung des neuen Arbeitgebers maßgeblich beeinflussen kann. Sofern alter und neuer Arbeitgeber Schwesterunternehmen sind, käme eine Einwirkungspflicht des dahinter stehenden herrschenden Unternehmens in Betracht, das sogar eine natürliche Person sein kann, wenn diese Allein- oder Mehrheitsgesellschafter der betroffenen Gesellschaften ist.
a) Verbandstarifverträge Die Erstreckung der Durchführungspflicht auf den Erwerber im Wege einer Art konzernmäßigen Durchgriffshaftung würde in die negative Koalitionsfreiheit des Erwerbers eingreifen, also Art. 9 Abs. 3 GG tangieren. Eine analoge Anwendung der Konzerngrundsätze, die zu einer allgemeinen Durchführung im Konzern führen würde, ist daher nur möglich, wenn eine naheliegende Umgehungsgefahr besteht, die mit gesetzlichen bzw. tariflichen Wertungen unvereinbar wäre. Sodann müßte zudem die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Folglich ist zunächst zu prüfen, inwieweit eine besondere Gefahr besteht, ursprüngliche Tarifbindungen unter Ausnutzung einer konzemmäßigen Struktur bewußt zu umgehen36 • Beim Verbandstarif ist eine Umgehung für das Gesamtunternehmen kaum möglich. Überträgt der Arbeitgeber seinen Betrieb auf eine Tochtergesellschaft, so gelten die Tarifregelungen über § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB fort, wenn das Tochterunternehmen nicht selbst Mitglied des Arbeitgeberverbandes und damit unmittelbar tarifgebunden ist. Ohne diese Mitgliedschaft entfällt gleichzeitig die Friedenspflicht. Ist es Mitglied eines konkurrierenden Arbeitgeberverbandes, der mit derselben sachlich zuständigen Gewerkschaft günstigere Leistungen vereinbart hat, würde die Fortgeltung bei beidseitiger Tarifbindung gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB und bei einzelvertraglicher Bezug36 Dabei soll die Gefahr einer Flucht durch die Produktionsverlegung ins Ausland unbeachtet bleiben, weil diese nicht im Konzernrecht, sondern auf der Kollisionsregel des Art. 30 Abs. 2 EGBGB beruht, wonach grundsätzlich das Arbeitsrecht des Staates anzuwenden ist, in dem gewöhnlich der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichtet - Art. 30 Abs. 2 Nr. I EGBGB. Diese Entscheidung des Gesetzgebers kann grundsätzlich nicht über allgemeine Erwägungen des Konzernrechts ausgeglichen werden, zumal der Arbeitgeber rechtlich unselbständige Produktionsstätten im Ausland errichten kann, die schon tatbestandIich keinem Konzernrecht unterfallen können.
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nahme gemäß § 613 a Abs. 1 S. 4 BGB beseitigt. Das Unternehmen kann jedoch auch ohne rechtsgeschäftliche Übertragung den Arbeitgeberverband wechseln. Der Arbeitgeber bliebe zwar gemäß § 3 Abs. 3 TVG an den Tarifvertrag seines alten Verbandes gebunden. Doch käme es in den Arbeitsverhältnissen wegen beidseitiger Taritbindung bzw. einzel vertraglicher Bezugnahme zu einer Tarifkonkurrenz, wenn nicht schon im Wege der Auslegung, insbesondere bei einer dynamischen Bezugnahme, nur noch die neue Tarifregelung greift. Dieses Konkurrenzverhältnis wäre nicht mehr nach dem Grundsatz der Spezialität auflösbar. Da die Taritbindung über § 3 Abs. 3 TVG nur vorübergehend schützt und anschließend bestenfalls in eine Nachwirkung übergeht, dürfte der Vorrang des Tarifwerkes aufgrund der aktuellen mitgliedschaftlichen Tarifbindung dem Arbeitnehmerschutz langfristig besser dienen und daher ähnlich der Zeitkollisionsregel die über § 3 Abs. 3 TVG konservierte alte Taritbindung verdrängen37 • Folglich ist dasselbe Ergebnis ohne Ausnutzung konzernmäßiger Möglichkeiten erreichbar. Die konzemmäßige Verbindung kann jedoch bei der Übertragung von Unternehmensteilen insbesondere im Hinblick auf die sachliche Tarifzuständigkeit eine Rolle spielen. Die Verbandstarifverträge bestimmen überwiegend ihren sachlichen Geltungsbereich nach dem Industrieprinzip. Sind mehrere Industriebereiche in einem Unternehmen vorhanden, entscheidet der Unternehmensschwerpunkt. So können Betriebsteile wegen des Unternehmensschwerpunktes von einem Verbandstarif mit vergleichsweise hohen Tarifleistungen erfaßt werden, obwohl sie eigentlich sachlich einem anderen Taritbereich mit niedrigeren Leistungen angehören38 • Werden diese Teile nunmehr auf Tochterunternehmen rechtsgeschäftlich übertragen, die dem Arbeitgeberverband für die Branche mit niedrigeren Tarifleistungen angehören, so gilt für das Tochterunternehmen unmittelbar nur der vergleichsweise schlechtere Vertrag aufgrund eigener Tarifbindung. Zwar gilt theoretisch die individuelle Fortgeltung des § 613 Abs. 1 S. 2 BGB, solange die Arbeitnehmer nicht der neuen zuständigen Gewerkschaft beitreten. Doch führt bereits eine einzelvertragliche Bezugnahme auf den jeweils im Betrieb gültigen Tarifvertrag zur Anwendung des neuen Tarifvertrages, der gemäß § 613 a Abs. 1 S. 4 BGB die Fortgeltung des Altvertrages beseitigt. Das Bundesarbeitsgericht hat darüber hinausgehend die dynamische Bezugnahme auf den Tarifvertrag selbst bei einer ausdrücklich konkret bestimmten Branche nach einem Verbandswechsel des Arbeitgebers im Wege der Auslegung in eine allgemeine Bezug-
So auch Gerhards BB 1995, 1290 ff.- 1292; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 301. Als Beispiel sei auf den Fall aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung hingewiesen, wo aus einem großen Kautbaus das Restaurant ausgegründet wurde und damit die tarifliche Zuständigkeit wechselte - BAG AP Nr. 64 zu § 613 a BGB = NZA 1987, 593 ff. 37 38
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nahme auf den jeweils sachlich einschlägigen Tarifvertrag umgedeutee 9 • Da nahezu in allen Arbeitsverträgen tarifgebundener Arbeitgeber solche Bezugnahmeklausein vorhanden sind, um eine gleichmäßige Behandlung der Belegschaft zu ermöglichen, führt hiernach die rechtsgeschäftliehe Übertragung sachfremder Unternehmensteile auf eine Unternehmenstochter praktisch zur sofortigen Anwendbarkeit des nunmehr einschlägigen Tarifvertrages. Allerdings muß man die Sicht des Bundesarbeitsgerichts insoweit anzweifeln, als gerade für den Arbeitnehmer aus einer fremden Branche bei den Vorstellungsgesprächen und dem Abschluß des Arbeitsvertrages die ausdrückliche Inbezugnahme eines günstigeren Tarifbereiches entscheidend gewesen sein kann, zumal es auch durchaus von Arbeitgeberseite üblich ist, auf gute Tarifleistungen, insbesondere bei Firmentarifverträgen, hinzuweisen. Da der Arbeitgeber die Bezugnahmeklauseln regelmäßig vorgibt, ist es daher angemessen, wenn er bei einer ausdrücklichen Bezugnahme auf eine bestimmte Branche oder einen Firmentarif sich hieran festhalten lassen muß40 • Allerdings wird auch in der Literatur vielfach die Ansicht vertreten, daß die Bezugnahme letztlich nur den jeweils für den Betrieb einschlägigen Tarif erfassen könne, weil sie dem Arbeitgeber eine einheitliche Behandlung aller Arbeitnehmer ermöglichen sollte. Sodann werden die Bezugnahmeklauseln als Verweis auf den jeweils einschlägigen Tarif ausgelegt41 • Diese Sicht betont zu stark das Arbeitgebermotiv für die vertragliche Bezugnahme. Der Arbeitgeber mag eine Vereinfachung beabsichtigen, doch verpflichtet er sich unbeschränkt. Beide Parteien bedenken regelmäßig die Möglichkeit eines Tarifwechsels, gleich aus welchem Grunde, oder ein Ende jeglicher Tarifbindung nicht, was gerade die fehlende Regelung für solche Fälle beweist. Daher wäre allenfalls an eine Geschäftsgrundlagenstörung zu denken42 • Doch wird auch häufiger von nicht tarifgebundenen Arbeitgebern der einschlägige Tarif durch Bezugnahmeklauseln faktisch umgesetzt. In diesem Fall hat der Arbeitgeber eine originäre Verpflichtung geschaffen, die er ohne entsprechenden Widerufsvorbehalt nicht einseitig beseitigen kann. Dann 39
BAG DB 1996, 2550 f.
=
BB 1996, 2628, ausführlich und zustimmend hierzu
Gaul, Björn NZA 1998, 9 ff. 40 Die Sicht des Bundesarbeitsgerichts ist letztlich nur im Zusammenhang mit dem von ihm vertretenen Grundsatz der Tarifeinheit zu verstehen, den es nicht nur mit der ganz h.M. im Falle echter Tarifkonkurrenz im Einzelarbeitsverhältnis, sondern auch im Falle der bloßen Konkurrenz auf Betriebsebene, der sogenannten Tarifpluralität, anwenden will. Auf diese Frage wird noch später gesondert einzugehen sein - s.u. E. III. S. 394 ff. 41 Vgl. m.w.N. Frieges DB 1996, 1281 ff. - 1282 f. Hromodkn DB 1996, 1872 ff. 1877 f.; ders.! Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 115 ff.; Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1407; Schwab BB 1994,781 ff. - 783 f., will mit diesem Argument die Bezu~nahme auch nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers entfallen lassen. 2 So denn in einem obiter dictum BAG AP Nr. 64 zu § 613 a BGB.
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besteht kein Grund, im Rahmen einer rechtsgeschäftlichen Ausgründung den Erwerber von dieser Pflicht freizustellen. Da der Arbeitnehmer häufig gar nicht weiß, jedenfalls nicht wissen muß, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt seines Vertragsangebotes tarifgebunden ist, können die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung entgegen vielfältiger Auslegungs- und Konstruktionsversuche nicht hiervon abhängig sein43 • Es ist im Rahmen einer Auslegung aus dem objektiven Empfängerhorizont nicht angängig, eine gleichlautende Erklärung des Arbeitgebers ohne klare Offenlegung der Verhältnisse von diesen abhängig zu machen. Auch der Arbeitgeber weiß aufgrund der Tatsache, daß er nach h.M. bei der Einstellung nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen darf, nicht, ob sein Angebot einer einzelvertraglichen Bezugnahme nur "deklaratorisch" neben die unmittelbare Normwirkung bei beiderseitiger Tarifbindung tritt, oder mangels Gewerkschaftszugehörigkeit konstitutiv eine solche begründet. Es ist daher verfehlt zwischen konstitutiver und deklaratorischer Erklärung zu unterscheiden und verschiedene Rechtsfolgen anknüpfen zu lassen44 • Dies gilt umso mehr, als wohl niemand daran zweifeln würde, daß nach einem Gewerkschaftsaustritt die Bezugnahme weitergilt und dadurch einzelvertraglich die Tarifbindung mittelbar erhalten bleibt. Auch der Hinweis auf die Ausweisungspflicht tariflicher Bindungen des Arbeitgebers nach dem Nachweisgesetz kann die Auslegung solcher Erklärungen nicht ändern45 • Dieser Nachweis erfolgt nämlich erst nach Vertragsschluß und kann daher nicht die eingegangene Vertragsbindung verändern. Denkbar wäre allenfalls eine Geschäftsgrundlagenstörung, wenn die wörtliche Bezugnahme nunmehr zu einer uneinheitlichen Anwendung führen könnte. Doch ist auch insoweit zu bedenken, daß der Arbeitgeber mangels eigener Tarifbindung eine solche nicht behaupten könnte. Daher kann er sich allenfalls auf eine Geschäftsgrundlagenstörung berufen, wenn er in den Vertragsverhandlungen deutlich zum Ausdruck gebracht hat, daß er sowohl tarifgebunden ist als auch, daß einziger Zweck der Bezugnahme eine Gleichbehandlung zwischen den Organisierten und Nicht- oder Anders-Organisierten ist. Schließlich soll hier noch offen bleiben, ob der Arbeitgeber überhaupt eine einheitliche Behandlung nach Wechsel der Tarifzuständigkeit noch gewährleisten kann46 • Folgt man nämlich der Lehre von der Tarifeinheit bei bloßer
43 So aber Schwab BB 1994,781 ff. - 784; Frieges OB 1996, 1281 ff. - 1282 f.; wie hier Hanau, Peterl Kania FS Schaub 239 ff. - 251 f., ob deren Unterscheidung bei einem Tarifwechsel zwischen OGB-Gewerkschaften und sonstigen Gewerkschaften überzeugend ist, a.a.O. - 252 ff., erscheint jedoch zweifelhaft. 44 Hanau, Peterl Kania FS Schaub 239 ff. - 248 f. 45 Frieges OB 1996, 1281 ff. - 1282. 46 Selbst das BAG hat nunmehr einen Fall der Tarifkonkurrenz bei teilweiser Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG und teilweiser Nachwirkung eines anderen Tarifvertra-
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Tarifpluralität nicht, können die ehemals Tarifgebundenen die alten Tarifleistungen nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB weiterverlangen, wenn sie nicht der neuen Gewerkschaft beitreten. Dann ist aber eine Anpassung der Verweisungsklauseln den Arbeitnehmern nicht zuzumuten, wenn der vom Arbeitgeber verfolgte Zweck hierdurch gerade nicht erreicht werden kann. Solche Bezugnahmen sollen auch dem Arbeitnehmer Gewißheit über die Geltung von Tarifverträgen verschaffen und dürfen daher nicht von den Veränderungen der kollektiven Bindung des Arbeitgebers abhängen47 • Eine dynamische Inbezugnahme muß gegenüber einer statischen Fortgeltung nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB den Vorrang erhalten mit der Folge, daß der Arbeitgeber die faktische Tarifbindung nur durch einvernehmliche Neuregelung oder Änderungskündigung beseitigen könnte. Damit wäre die Umgehungsgefahr bereits erheblich reduziert. Soweit es um die Möglichkeit geht, sachfremde Unternehmensteile aus dem Anwendungsbereich eines Verbandstarifes im Wege rechtsgeschäftlicher Übertragung herauszunehmen, ist maßgeblich, daß dieser Unternehmensteil zuvor nur aufgrund der rechtlichen Zusammenfassung mit dem Gesamtunternehmen von dem besseren Verbandstarif erfaßt wurde. Daher bestehen keine Bedenken, wenn diese eigentlich überschießende Tarifbindung nach Aufhebung der rechtlichen Zusammenfassung wieder beseitigt wird. Vielmehr wird damit die Anwendung sachlich näherstehender Tarifverträge ermöglicht, die neben schlechteren Leistungen auch zu Gunsten der Arbeitnehmer sachliche Besonderheiten und Notwendigkeiten berücksichtigen können. Folglich kann beim Verbandstarif eine konzemmäßige Verbindung zwar dazu genutzt werden, um die Tarifbindung zu beschränken oder zu beseitigen. Doch fehlt es an einer naheliegenden allgemeinen Umgehungsgefahr, weil die Folgen auch auf andere Weise herbeigeführt werden könnten oder der tariflich vorgesehenen Geltungsbeschränkung entsprechen. Sollte tatsächlich in einer extremen Weise im Einzelfall eine Umgehung gewählt worden sein, die nicht mehr mit den gesetzlichen und tariflichen Wertungen vereinbar wäre, käme selbstverständlich eine Nichtigkeit der Konstruktion gemäß § 242 BGB auch im Konzern in Betracht. Doch ist ein solcher Fall bisher nicht bekannt geworden und in tatsächlicher Hinsicht kaum vorstellbar. Damit mangelt es an einem dringenden praktischen Bedürfnis, weshalb mit der h.M. unter Betonung der negativen Koalitionsfreiheit des Erwerbers eine ges gemäß § 4 Abs. 5 TVG verneint und damit akzeptiert, daß mehrere Tarifverträge zur Anwendung gelangen - BAG NZA 1998, 40 ff. - 44 f. 47 LAG Baden Württemberg BB 1967, 500; vgl. für den Verbandsaustritt Däubler NZA 1996, 225 ff. - 228 .
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allgemeine Durchführungspflicht als Folge einer Art Durchgriffshaftung abzulehnen ist48 • Eine Einwirkungspflicht49 des Veräußerers ist ebenfalls abzulehnen. Er ist nicht Tarifvertragspartei, so daß ihn keine nebenvertragliche Verpflichtung trifft, die störungsfreie Durchführung des Vertrages als Zweck des Tarifwerkes zu fördern bzw. Handlungen zu unterlassen, die diesen beeinträchtigen könnten. Soweit der Veräußerer aufgrund seiner Taritbindung normativ zur Einhaltung des Tarifvertrages verpflichtet ist, wurde gezeigt, daß eine besondere Gefahr durch die konzemmäßige Struktur nicht begründet wird, so daß eine Regelungslücke neben den gesetzlichen Bestimmungen über die Taritbindung und ihre Folgen, insbesondere im TVG und in § 613 a BGB, nicht ersichtlich ist und damit deren Schließung durch analoge Anwendung von Konzerngrundsätzen von vornherein ausscheidet. b) Firmentarifverträge Auch beim Firmentarif bleibt die Frage, ob eine analoge Anwendung von Konzerngrundsätzen zu einer Durchführungspflicht des Erwerbers führen könnte. Beim Firmentarif ist die Gefahr einer Umgehung eher anzunehmen. So nützt es einem Unternehmen mit Firmentarif nichts, einem Arbeitgeberverband beizutreten, der einen günstigeren Verbands tarif mit derselben Gewerkschaft abgeschlossen hat, weil der Firmentarif und der Verbandstarif jeweils auf die gleichen Arbeitsverhältnisse Anwendung fmden würden und diese Tarifkonkurrenz nach dem Spezialitätsgrundsatz zur Anwendung des als sachnäher geltenden Firmentarifs führt. Gründet er hingegen ein Tochterunternehmen, welches dem Arbeitgeberverband beitritt und überträgt rechts geschäftlich das Unternehmen bzw. Unternehmensteile auf dieses, so geht gemäß § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB im Tochterunternehmen der Verbandstarif vor. Auch einzelvertragliche Bezugnahmen werden nunmehr regelmäßig den neuen Verbandstarif erfassen. Nach der Sicht des Bundesarbeitsgerichfo, welches die Bezugnahme auf den Tarif einer bestimmten Branche in eine Bezugnahme des jeweils einschlägigen Tarifvertrages umdeutet, müßte diese wohl selbst bei einer ausdrücklichen Benennung eines Firmentarifvertrages gelten. Daneben kann auch bei einem Firmentarif für Unternehmensteile eine Herausnahme erfolgen, wenn dieser Tarif vom Unternehmenschwerpunkt ausgehend zu vergleichsweise hohen Tarifleistungen führt. Anders als beim Verbands tarif ist diese Erstreckung jedoch nicht als überschießende Taritbindung 48
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BAG EzA Nr. 1 § 1 TVG Durchflihrungspflicht = NZA 1992,321 ff. = BB 1991,2380. Vgl zu dieser etwa BAG DB 1992, 1684 ff. - 1685 f. BAG DB 1996, 2550f. = BB 1996,2628.
= DB 1992,
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anzusehen, da die Tarifparteien Regelungen für das konkrete Unternehmen und damit gerade auch für solche Unternehmensteile geschaffen haben. Wegen dieser naheliegenden Umgehungsgefahr kommt für Firmentarifverträge eine Durchführungspflicht des Erwerbers im Sinne einer Konzernhaftung eher in Betracht. Gesetzlicher Ausgangspunkt der Konzernhaftung sind die §§ 302 f. AktG, die lediglich eine Verlusthaftung gegenüber Gläubigem vorsehen. Folglich beschränkt sich diese auf Geldleistungen. Nach einer Auffassung soll daher an allgemeine Durchgriffsregeln im Gesellschaftsrecht anzuknüpfen sein51 • So hat der Bundesgerichtshof Unterlassungspflichten einer Gesellschaft mittels Durchgriff auf eine andere Gesellschaft der gleichen Gesellschafter52 und schließlich auch auf faktisch beherrschende Gesellschafter53 erstreckt. Doch ging es in der ersten Entscheidung um einen Extremfall, bei dem sämtliche Gesellschafter einer OHG eine dieser obliegenden Unterlassungspflicht gemeinsam mittels einer anderen OHG verletzten. Bei der zweiten Entscheidung ging es um das Wettbewerbsverbot von Gesellschaftern und betraf damit das besondere interne Verhältnis der Gesellschafter zueinander. Aus solchen Einzelfällen darf keine allgemeine Erweiterung der Konzernhaftung auf sämtliche Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten abgeleitet werden. Das Gesetz sieht grundsätzlich nur die Verlusthaftung vor und erkennt damit die prinzipielle rechtliche Eigenständigkeit der Gesellschaften in einem Konzern an. Erweitert man diese Haftung auf sämtliche Verpflichtungsformen, so wird die rechtliche Selbständigkeit contra legern aufgehoben. Daher ist selbst bei einem naheliegenden Mißbrauch gesellschaftsrechtlicher Konstruktionen grundSätzlich an der Selbständigkeit der konzernangehörigen Gesellschaften festzuhalten. Eine konzernmäßige Durchführungspflicht gibt es insoweit nicht54 • Denkbar ist jedoch, ausnahmsweise eine Durchführungspflicht als Naturalrestitution zuzulassen, wenn der Erwerber gemäß § 826 BGB einstandspflichtig ist. Grundsätzlich binden Verträge allein die Vertragspartner, weshalb Dritte über § 826 BGB nur haften, wenn sie den anderen in einer inadäquaten Weise zu einem Vertragsbruch verleiten, etwa indem sie intern die Freistellung von Schadensersatzansprüchen vereinbaren oder sonst in sittlich anstößiger Weise im bewußten Zusammenwirken mit einer Vertragspartei die
Riesenhuber BB 1993, 1001 ff. - 1002f. BGHZ 54, 64 ff. 53 BGHZ 89, 162 ff. 54 BAG EzA Nr. 1 § 1 TVG Durchflihrungspflicht = NZA 1992, 321 ff. = DB 1992, 98 f. = BB 1991,2380; Henssler NZA 1994,294 ff. - 300; Löwisch I Rieble, TVG § 1 Rz. 264; vgl. auch Hagemeierl Kempen Zachertl Zilius, TVG § 3 Rz. 8; Wiedemann I Stumpf, TVG § 3 Rz. 42. 51
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Vertragsdurchführung vereiteln55 • Daher kann die Arbeitnehmerseite sich auf eine Durchführungspflicht des Erwerbers über § 826 BGB in Verbindung mit § 249 BGB nur berufen, wenn sie darlegen und notfalls beweisen kann, daß die Veräußerung in kollusivem Zusammenwirken ausschließlich in der Absicht erfolgt ist, die Durchführung des Firmentarifvertrages zu vereiteln. Da solche Umstrukturierungen meist eine Vielzahl anderer Auswirkungen haben - zumindest Veränderung der Haftungsmassen, Bilanzierung -, wird dieser Nachweis regelmäßig nicht möglich sein. Eine Beweislastumkehr ist jedoch nicht zu rechtfertigen. Allenfalls kommt eine Erleichterung der Darlegungsund Beweislast in der Weise in Betracht, daß nach Darlegung und etwaigem Nachweis der faktischen Beschränkung oder Beseitigung eines Firmentarifs durch rechtsgeschäftliche Übertragung, der Erwerber plausibel darlegen muß, welche sonstigen Motive hinter der Übertragung standen. Sodann wäre wieder die Arbeitnehmerseite dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß diese Motive in Wahrheit nicht vorlagen bzw. nicht mitentscheidend waren. Eine andere Frage ist, welche Folgen eine solche Beseitigung der Tarifbindung auf seiten des Veräußerers haben kann. Hier ist hervorzuheben, daß beim Firmentarif der Veräußerer nicht nur tarifgebunden, sondern selbst Tarifvertragspartei ist. Grundsätzlich darf keine Vertragspartei die Durchführung eines Vertrages bewußt vereiteln, andernfalls sie nach den Regeln der Leistungsstörungen haften kann. Diese Pflicht steht gedanklich auch hinter § 162 BGB und Fallgestaltungen der culpa in contrahendo, insbesondere der Pflicht, Vertragsverhandlungen bei beachtlichen Vorleistungen der Gegenseite nicht grundlos abzubrechen. Im Tarifrecht wurde diese nebenvertragliche Realisierungspflicht schon von Nikisch hervorgehoben56 und ist bisher nicht angezweifelt worden. Da der Firmentarif eine konkrete einheitliche Tarifregelung für ein Unternehmen bewirken soll, muß der Veräußerer diesen Zweck gegen sich gelten lassen und darf weder durch Nutzung gesellschaftsrechtlicher Strukturen noch durch sonstige Handlungen die Vertragsdurchführung vereiteln57 • Vielmehr muß er seine Leitungsmacht über eine Konzerntochter nutzen, um einen eingegangenen Vertrag nach Möglichkeit durchzuführen. Unterläßt er dies in einer solchen Konstellation, vereitelt er faktisch die Vertragsdurchführung im übertragenen Teil. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht zu Recht eine "Einwirkungspflicht" der Konzernmutter im Falle der 55 Staudinger - Schäfer, § 826 BGB Rz. 171 f. - ausführlich zu den Ausnahmen Rz. 173 ff. 56 Nikisch, ArbR II § 75 V, der allerdings von einem Verbot der Sabotage sprach. Zu Recht haben Wiedemann / Stumpf, TVG § 1 Rz. 355 darauf hingewiesen, daß es sich praktisch um einen Teil der Erflillungspflicht handelt und daher die Tarifuntreue nicht den Grad einer Sabotage erreichen muß. 57 Henssler NZA 1994, 294 ff. - 300; Riesenhuber BB 1993, 1001 ff. - 1003 f.; vgl. auch Nikisch, ArbR II S.§ 75 V; Wiedemann / Stumpf, TVG § 1 Rz. 355.
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Übertragung auf ein Tochterunternehmen angenommen58 • Allerdings ist diese nicht begrifflich mit der der Kollektivparteien auf ihre Mitglieder vergleichbar. Vielmehr geht es hier um einen Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung, der im Sinne einer Naturalrestitution die Konzernmutter zu einer entsprechenden Nutzung ihrer Leitungsmacht verpflichtet59 • Ist das veräußernde Unternehmen nicht Konzernmutter, sondern -schwester, so besteht mangels entsprechender hierarchiescher Stellung keine Leitungsmacht. Ein dahinter stehendes herrschendes Unternehmen ist nicht Vertragspartei. In diesen Fällen kann allenfalls eine entsprechende Einwirkungspflicht gemäß § 826 BGB bestehen. Insoweit muß wiederum die Arbeitnehmerseite darlegen und notfalls beweisen können, daß das herrschende Unternehmen seine Leitungsmacht dazu genutzt hat, die rechtsgeschäftliche Übertragung herbeizuführen, und zwar mit der ausschließlichen Absicht, den Firmentarif zu sabotieren. Im Ergebnis ist daher eine unmittelbare Durchführungspflicht des Erwerbers genauso wie eine Einwirkungspflicht eines hinter dem Veräußerer und Erwerber stehenden Dritten nur ausnahmsweise gegeben. Lediglich der Veräußerer ist aufgrund seiner Vertragsbindung grundsätzlich dazu verpflichtet, auch im Falle einer Übertragung auf ein Tochterunternehmen seine Leitungsmacht zu nutzen, um die Durchführung von Firmentarifverträgen zu ermöglichen.
n. Übergang durch Gesamtrechtsnachfolge Neben der rechtsgeschäftlichen Übertragung auf einen anderen kann die Rechtsperson des Arbeitgebers aufgrund gesetzlicher Universalsukzession verändert werden. In Betracht kommt zunächst die Erbfolge nach § 1922 BGB beim einzelkaufmännischen Unternehmen. Diese Universal sukzession kann, abgesehen von Fällen aus Kriminalromanen, für die hier in Frage stehende Problematik, ob die Arbeitgeberseite sich durr.h Umstrukturierungen von ihren kollektivvertraglichen Lasten befreien kann, unbeachtet bleiben. Für die vorliegende Arbeit ist vielmehr auf gesellschaftsrechtIiche Umstrukturierungen abzustellen, bei denen eine gesetzliche Rechtsnachfolge ein58 BAG EzA Nr. 1 § 1 TVG Durchführungspflicht = NZA 1992,321 ff. = DB ~.992, 98 f. = BB 1991,2380; a.A. Löwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 264, der hierin eine Uberdehnung der Vertragstreuepflichten sieht. 59 Zutreffend Riesenhuber BB 1993, 1001 ff. - 1004; vgl. auch Henssler NZA 1994, 294 ff. - 301.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
tritt. Solche hergebrachten Umbildungen, mit denen eine Universalsukzession einhergeht, sind Verschmelzungen - auch Fusionen genannt -, sowie formändernde Umwandlungen60 • Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind sie nunmehr im neuen Umwandlungsgesetz geregelt61 • Unter einer Fusion ist gemäß § 2 UmwG eine Gesellschaftsumstrukturierung zu verstehen, bei der ein Rechtsträger von einem anderen aufgenommen oder mit anderen zu einem neuen Rechtsträger verbunden wird. Mit der Eintragung der Verschmelzung in das Register des übernehmenden bestehenden Rechtsträgers tritt gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG die Gesamtrechtsnachfolge ein. Gleiches gilt bei einer Verschmelzung durch Neugründung gemäß §§ 36 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG, wobei die Eintragung des neuen Rechtsträgers gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 UmwG die Gesamtrechtsnachfolge auslöst. Die formändernde Umwandlung zielt hingegen nicht auf die Verbindung mehrer juristischer Personen. Vielmehr soll einer Gesellschaft der Wechsel der Gesellschaftsform ermöglicht werden, ohne sie hierfür liquidieren und alle ihre Rechte einzeln auf eine neu gegründete Gesellschaft übertragen zu müssen. Diese Umwandlung wird vornehmlich in den §§ 190 ff. UmwG geregelt. Gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG hat auch dabei die Eintragung - hier des Formwechsels - die Wirkung der Gesamtrechtsnachfolge. Während im Zivilrecht bisher zwischen Singular- und Gesamtrechtsnachfolge differenziert wurde, hat das Umwandlungsgesetz nunmehr neben der Gesamtrechtsnachfolge die Möglichkeit der Spaltung (§§ 123 ff UmwG) geschaffen, bei der eine bestehende Rechtsperson ganz (Aufspaltung) oder teilweise (Abspaltung/Ausgliederung) ihr Vermögen durch einen Spaltungsvertrag auf eine oder mehrere bestehende bzw. neue Rechtspersönlichkeiten überträgt (§ 123 UmwG). Dabei erfolgt gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG jeweils entsprechend den Bestimmungen des Spaltungsplans eine gesetzliche Teilrechtsnachfolge . In all diesen Fällen kann die frühere Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers untergehen bzw. sich nicht mehr auf einen Betrieb oder Betriebsteil beziehen. Damit stellt sich die Frage, inwieweit diese gesetzliche Gesamt- oder Teil60 Die als übertragende Umwandlung bezeichnete Übertragung einer Kapitalgesellschaft durch ihren Alleingesellschafter wird nunmehr unter die Fusion gefaßt - vJI. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UmwG. Die sich nunmehr ergebenden Möglichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen sind ausflihrIich dargestellt bei Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 197 ff.
A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers
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rechtsnachfolge einen Übergang der kollektivvertraglichen Bindung herbeiführt, sei es als deren Vertragspartner oder durch eine mittelbare Tarifbindung.
1. Betriebsvereinbarung Gesellschaftlichrechtliche Umstrukturierungen haben auf den Bestand von Betriebsvereinbarungen keinen Einfluß. Das Betriebsverfassungsrecht stellt nur auf den Betrieb ab. Die Veränderung des rechtlichen Trägers kann hier aufgrund der Universalsukzession bestehende Betriebsvereinbarungen nicht berühren. Der neue Rechtsinhaber tritt somit an die Stelle des früheren Arbeitgebers62 (vgl. auch § 322 UmwG). Wird der Betrieb tatsächlich aufgespalten, so entfällt die kollektive Fortwirkung63 • Allerdings greift sodann § 613 a BGB, der gemäß § 324 UmwG von den dortigen Bestimmungen unberührt bleibt. Daneben können noch die Bestimmungen über ein Übergangsmandat des Betriebsrates bei Betriebsspaltung (§ 321 UmwG) und über die Erhaltung von besonderen Mitbestimmungsrechten (§ 325 UmwG) eine Rolle spielen64 •
2. FirmentariJ Beim Firmentarif bestehen keine Probleme, wenn lediglich eine formändernde Umwandlung erfolgt. Das Unternehmen bleibt organisatorisch unverändert. Aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge tritt die Gesellschaft in ihrer neuen Rechtsform - beziehungsweise der frühere Allein- oder Hauptgesellschafter - in die Stellung als Tarifvertragspartei ein65 • Auch bei der Spaltung bleibt die Tarifbindung erhalten, da alle abgespaltenen Firmenteile aufgrund der Rechtsnachfolge in die Rechte und Pflichten aus dem Firmentarif eintreten, soweit sie die einzelnen Unternehmensteile betreffen. Daher wird aus einem Firmentarifvertrag eine Mehrzahl von Firmentarifverträgen, bei denen jeweils der neue Rechtsträger an die Stelle des ursprünglichen Tarifpartners TÜCkt66 • 62 BAG AP Nr. 89 zu § 613 a BGB; Müller, Thomas RdA 1996,287 ff. - 290; Bachner NJW 1996,2881 ff. - 2883; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 189; Joost Umwandlungsrecht und Arbeitsrecht S. 311 f.; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 326. 63 Müller, Thomas RdA 1996,287 ff. - 291; Halberstadt, BetrVG § 1 Rz.7. 64 Hierzu ausführlich Joost, Umwandlungsrecht und Arbeitsrecht S. 299 ff.; Wlotzke OB 1995, 40 ff. - 45 f. 65 Däubler, TVG Rz. 1571; Kempen/ Zachert, TVG § 3 Rz. 51; m.w.N. Hromodka/ MaschmannJ Wal/ner, Der Tarifwechsel Rz. 237; Henssler FS Schaub 311 ff. - 326 f. 66 Anders die h.M. Däubler RdA 1995, 141 ff.; ders. NZA 1996, 232; Kania OB 1995,625; m.w.N. Hromodka OB 1996, 1872 ff. - 1875: Die h.M. beachtet jedoch nicht hinreichend die neue gesetzliche Vorstellung einer Teilrechtsnachfolge. Eine solche 23 Beathaltc,
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Gleiches gilt normalerweise bei der Fusion, weil diese eine typische Universalsukzession darstellt. Doch tritt hier die Frage auf, ob und wie sich der Firmentarif in die Kollektivregelungen eines neuen Gesamtunternehmens einfügt, wenn der Übernehmer bereits weitere Unternehmen hat. Der Firmentarif wird regelmäßig als Unternehmenstarif abgeschlossen, so daß er vom Wortlaut her auf den Rechtsträger abstellt. Läßt man nun das aufnehmende an die Stelle des übertragenen Unternehmens treten, so müßte sich ein solcher Vertrag nach seinem Wortlaut auch auf das übrige aufnehmende Unternehmen erstrecken, das ihm bisher nicht unterlag. Eine so weitgehende Ausdehnung über die frühere Firma hinaus würde den Zweck einer Universalsukzession überschreiten, weil es nicht mehr beim Erhalt des status quo verbleibt. Deshalb muß jedoch nicht gleich allein auf die individualrechtliche Fortgeltung nach § 613 a BGB verwiesen werden67 • Da der Firmentarif eine besondere Regelung für ein bestimmtes Unternehmen ist, darf man nicht zu sehr an einer etwaigen Formulierung festhalten. Schließlich rechnen die Tarifparteien regelmäßig nicht mit einer Verschmelzung. Deshalb wird man sie so auszulegen haben, daß seine Geltung im Falle einer Fusion auf das alte Unternehmen beschränkt bleibt. Entsprechend wirkt ein Firmentarif des übernehmenden Betriebes nicht im aufgenommenen Unternehmen68 • Besteht im anderen Unternehmen ein Verbandstarif, so liegt zwar Tarifkonkurrenz vor, doch gilt nach dem sogenannten Spezialitätsgrundsatz gleichwohl der Firmentarif als sachnähere Regelung69 • Im Ergebnis kann sich ein Unternehmen mit solchen Umstrukturierungen nicht aus der Bindung eines Firmentarifs lösen.
muß als partielle Gesamtrechtsnachfolge sämtliche Pflichten umfassen, die in untrennbarem Zusammenhang mit dem übertragenen Teil stehen. Bei einem Firmentarif wird auch keine negative Koalitionsfreiheit o.ä. tangiert. Die Situation ist mit der Teilung eines Grundstücks vergleichbar, auf dem ein Grundpfandrecht lastet - sämtliche verselbständigten Grundstücksteile haften weiter, § 1109 BGB. Teilweise wird unter Berufung auf § 126 Abs. I Nr. 11 UmwG auch eine Regelung im Spaltungsvertrag gefordert, weil es um die Regelung der Folgen rur die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen gehe - Schwedhelm, Unternehmensumwandlung Rz. 787 u. 789. Doch kann es nicht überzeugen, daß ein Unternehmen im Spaltungsplan einseitig über den Fortbestand von Tarifverträgen entscheiden kann. 67 So aber Hanau, Peterl Vossen FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 271 ff. - 295 ff. 68 Däubler, TVG Rz. 1573f. 69 Hromodkal Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 237; Däubler RdA 1995, 136 ff. - 139 f.
A. Änderung der Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers
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3. Verbandstarif
Auch beim Verbandstarif stellt die formändemde Umwandlung kein Problem dar. Die Gesellschaft besteht unter Aufrechterhaltung sämtlicher Rechte und Pflichten letztlich fort. Es wird nur ein Austausch der Rechtsform vorgenommen. Das Gesetz will insoweit gerade die umständliche Formänderung durch Neugründung und Übertragung sämtlicher Rechte und Pflichten bzw. den Abschluß entsprechender Neuverträge mit Dritten unnötig machen. Daher bleibt auch die mitgliedschaftliche Stellung im Arbeitgeberverband ebenso unberührt wie die daran anknüpfende Taritbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG70 • In den Fällen der Verschmelzung wird nicht nur die Rechtsform des Arbeitgebers gewechselt. Vielmehr geht sein Vermögen mitsamt den Verpflichtungen auf einen anderen Rechtsträger über. Wie aus dem Einleitungssatz des § 2 Abs. 1 UmwG zu ersehen ist, wird die Rechtspersönlichkeit des Arbeitgebers hierdurch umfassend und endgültig beseitigt. Der neue Rechtsträger ist demnach nicht mehr mit dem früheren identisch. Gemäß § 38 BGB beim rechtsfahigen Verein und §§ 54, 717 BGB beim nichtrechtsfahigen Verein hat die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mangels abweichender Regelung in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag einen personengebundenen Charakter' so daß kein Übergang im Wege der Universalsukzession möglich ist. Folglich wird das neue Gesamtunternehmen nicht automatisch Mitglied des Arbeitgeberverbandes. Mangels Mitgliedschaft entfällt daher die Taritbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG71 • Dieselbe Problematik kann auch bei der neu geschaffenen Spaltung auftreten72 • Zwar wirken die Regelungen des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach73 , doch würde die Friedenspflicht entfallen, so daß die Arbeitgeberseite notfalls mittels individualvertraglicher Kündigung und insbesondere der Angriffsaussperrung eine Änderung erzwingen könnte. Unproblematisch ist daher nur der Fall, daß der neue Rechtsträger ebenfalls Mitglied desselben Arbeitgeberverbandes und daher aufgrund seiner eigenen mitgliedschaftlichen Stellung dem Verbands tarif untersteht. a) Analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG Liegt keine eigene Tarifbindung vor, könnte man an eine zwingende Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG denken. Dies setzt nach dem Wortlaut der 70 Insoweit zu pauschal MünchArbR-Läwisch, § 260 Rz. 27; Hromodkal Maschmann! Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 236; wie hier Henssler FS Schaub 311 ff. - 314. 71 Vgl. BAG BB 1993, 795 für privatisierte Betriebe; Wlotzke OB 1995,40 ff- 41. 72 Vgl die Beispiele von Bachner NJW 1996,2881 ff. - 2883; Schaub, Arbeitsrecht §117I13a. 73 Überwiegende Meinung Hromodkal Maschmann! Wallner, Der Tarifwechsel Rz.262; m.w.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 3 Rz. 80,83.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Bestimmung die frühere Tarifbindung voraus. Eine solche fehlt gerade beim neuen Unternehmensinhaber . Teilweise wird eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG befürwortet, weil es für seine Zielsetzung, den Verbandstarif vor einer Aushöhlung durch Handlungen der Verbandsmitglieder zu schützen, irrelevant sei, ob der Arbeitgeber austritt oder durch sonstige Vorgehensweisen seine Tarifbindung beseitige4 • Das Bundesarbeitsgericht hat eine solche Analogie zu § 3 Abs. 3 TVG bei einer Fusion mit der Begründung abgelehnt, daß eine Verschmelzung der Neugründung näherstünde als der Betriebsübertragung. Daher bestünde kein Anlaß zu einer Gleichstellung mit dem Verbandsaustritt75 • Diese Argumentation überzeugt insoweit nicht, als § 3 Abs. 3 TVG weder vom Wortlaut noch von seinem Zweck her auf den Verbands austritt beschränkt ist. Zudem spricht für eine Analogie, daß sie dem Grundgedanken der Universalsukzession entgegenkommt, da die Verpflichtungen des Altunternehmens weitgehend erhalten bleiben, obwohl der Übergang der Mitgliedschaft ausscheidet. Der Verbandstarif ist allerdings auf branchemnäßige Geltung ausgerichtet. Eine uneingeschränkte Analogie des § 3 Abs. 3 TVG hätte daher zur Folge, daß auch andere Betriebe des neuen Unternehmens erfaßt würden, die zuvor keiner Bindung unterworfen waren. Dies ist weder mit dem Gedanken der Universalsukzession noch mit dem Schutzgedanken des § 3 Abs. 3 TVG vereinbar, weil nicht nur eine bestehende Tarifbindung erhalten bliebe, sondern eine Ausweitung stattfände. Folglich ist eine uneingeschränkte Analogie abzulehnen. Um dem Vorwurf einer überschießenden Wirkung zu entgehen, wird auch eine restriktive Analogie vertreten. Danach soll § 3 Abs. 3 TVG nicht für alle Unternehmen des neuen Rechtsinhabers insgesamt, sondern nur für solche übernommenen Unternehmen gelten, die vor dem Übergang ihrerseits tarifgebunden waren76 • Gegen diese Erwägung wird der Einwand erhoben, daß die Tarifbindung nicht mit der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sei, weil der neue Unternehmensinhaber den Arbeitgeberverband nie durch seine Mitgliedschaft zur tariflichen Rechtsetzung ermächtigt hatte77 • Doch fmdet Däubler, TVG Rz. 1577b. BAG AP Nr. 2 zu § 3 TVG. 76 Däubler, TVG Rz. 1577b. 77 BAG AP Nr. 14 zu § 3 TVG; BAG AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskasse; BAG AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2006; Hromodka/ Maschmannl Wal/ner, Der Tarifwechsel Rz. 236; Henssler FS Schaub 311 ff. - 314 f. 74
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auch bei der Gesamtrechtsnachfolge der Unternehmensübergang faktisch nicht allein kraft Gesetzes unabhängig vom Willen des Übernehmers statt. Entweder ist seine Mitwirkung erforderlich, damit überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen eintreten können - so bei jeder Verschmelzung -, oder er kann zumindest nachträglich dem Übergang widersprechen und ihn damit rückwirkend wieder beseitigen - so gemäß §§ 1942 Abs. 1; 1944 ff BGB beim Erbübergang durch Ausschlagung -. Die Tarifbindung setzt also eine privatautonome Entscheidung des Übernehmers voraus. Daß es keinen Anspruch gibt, bei der Übernahme eines Unternehmens von tariflichen Pflichten befreit zu werden, zeigt § 613 a BGB. Eine Analogie verstößt daher keineswegs gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Richtig bleibt, daß anders als bei § 3 Abs. 3 TVG die Analogie nicht an eine frühere mitgliedschaftliehe Legitimation anknüpft, sondern nur auf die Freiwilligkeit der Übernahme verweisen kann. Es stellt sich darum die Frage, ob eine solche Analogie dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entspricht, obwohl ein Grundelement der Regelung gerade nicht vorliegt. Insoweit kann bei § 3 Abs. 3 TVG nicht allein auf die Zielsetzung des Gesetzgebers abgestellt werden. Es sind vielmehr auch andere Regelungen einzubeziehen, welche die Erhaltung tariflicher Normen beim Betriebsübergang betreffen. Zunächst könnte man an einen Vergleich zur Universalsukzession beim Firmentarif denken. Dort geht allerdings die Stellung als Tarifvertragspartei mit der Folge der Tarifbindung aus § 3 Abs. 1 TVG über. Hieraus können daher keine Schlußfolgerungen gezogen werden. Es bleibt sodann § 613 a Abs. 1 S. 2 - 4 BGB. Nach dieser Vorschrift wird nicht die Tarifbindung erhalten, sondern nur ein befristeter Schutz der Arbeitnehmer bewirkt. Der Gesetzgeber hält die Freiwilligkeit der Übernahme beim rechtsgeschäftlichen Übergang also nicht für ausreichend, um die Tarifbindung fortzusetzen. Diese gesetzgeberische Entscheidung widerspricht einer analogen Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG allein aufgrund freiwilliger Unternehmensübernahme. Diese ist auch die einzige Rechtfertigung für eine Tarifbindung des neuen Unternehmensinhabers bei einer Fusion. Eine Analogie des § 3 Abs. 3 TVG auf die Fusion beziehungsweise übertragende Umwandlung eines verbandsangehörigen Unternehmens ist deshalb abzulehnen. b) EU-Richtlinienkonforme Auslegung des § 613 a BGB Eine Transformation des Verbandstarifes in die Individualverträge nach § 613 a BGB scheitert nach seinem Wortlaut am Merkmal des rechtsgeschäft-
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
lichen Betriebsübergangs, weil die Universalsukzession eine Übertragung kraft Gesetzes ist. Die Gesamtrechtsnachfolge ihrerseits läßt die bestehenden Pflichten in der vorgefundenen Ausgestaltung übergehen. Deshalb bleiben die Arbeitsverhältnisse ohne weiteres erhalten, und zwar in ihrer ursprünglichen Form, so daß eine Transformation tariflicher Bindungen in individualrechtliche Verpflichtungen nicht stattfmdet. Demzufolge müßte die Verbandstarifbindung eines Unternehmens entfallen, wenn es durch Fusion oder übertragende Umwandlung auf einen anderen Rechtsinhaber übergeht. Eine Anwendung des § 613 a Abs. 1 S. 2 - 4 BGB auf den Betriebsübergang durch Gesamtrechtsnachfolge wird zum Teil gleichwohl angenommen. Dabei wird nicht ganz deutlich, ob es sich bereits um eine analoge Anwendung oder noch um eine Auslegung handeln soll. Eine solche Auslegung scheint zunächst durch § 613 a Abs. 3 S. 1 BGB angezeigt, weil dort die Anwendung des zweiten Absatzes für den Betriebsinhaberwechsel durch Verschmelzung und Umwandlung juristischer Personen ausgeschlossen wird. Argumentum e contrario wäre, daß Absatz 1 für diese Form des Betriebsübergangs gilt. Doch wurde diese Vorschrift laut den Materialien für überflüssig gehalten und nur aufgenommen, um Mißverständnissen bei der Anwendung des Absatzes 2 vorzubeugen18 • Es sollte also klargestellt werden, daß bei einer Gesamtrechtsnachfolge die Haftung des früheren Betriebs inhabers nach § 613 a Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist. Daher verbietet sich der Umkehrschluß für § 613 a Abs. 1 BGB. Gegen die Absicht des Gesetzgebers, mit § 613 a Abs. 1 BGB auch die Gesamtrechtsnachfolge zu erfassen, spricht weiter die Tatsache, daß der Übergang der Arbeitsverhältnisse schon durch die Universalsukzession eintritt und die Fortgeltung kollektiver Regelungen durch Transformation in den Individualvertrag nach § 613 a Abs. 1 S. 2 - 4 BGB an den rechtsgeschäftlichen Übergang nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB anknüpft. Die h.M. lehnte deshalb eine Anwendung des § 613 a Abs. 1 S. 2 - 4 BGB bisher ab19 • Die Gegenmeinung verweist auf Art. 1 Abs. 1 der EG-Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben
Begründung des Regierungsentwurfs;BT - Drucksache VI I 1786, 59. BAG AP Nr. 44 zu § 613 a BGB = NJW 1986,453 = NZA 1985,735; BAG AP Nr. 53 zu § 613 a BGB = NZA 1987, 123; BAG AP Nr. 75 zu § 613 a BGB = NZA 1989,461; BAG AP Nr. 85 zu § 613 a BGB = NZA 1990, 522; BGH AP nr. 50 zu § 613 a BGB = NJW 1985,2643 = NZA 1985, 737; MünchKomm-Sällner, § 613 Rz. 92 u. 95; m.w.N. Hagemeier! Kempenl Zachertl Zilius, TVG § 3 Rz. 38. 18
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oder Betriebsteilen, deren Umsetzung durch § 613 a BGB erfolgen sollte80 • Dort ist ausdrücklich bestimmt, daß sie nicht allein auf rechtsgeschäftliche Übertragung, sondern auch auf Inhaberwechsel durch Verschmelzung anzuwenden ist. Da nach Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen mindestens für ein Jahr fortgelten müssen, und eine sonstige Fortgeltung des Verbandstarifs im deutschen Recht nicht vorgesehen ist, müsse § 613 a Abs. 1 BGB gegen den Wortlaut auf die Verschmelzung ausgedehnt werden8l • Zwar hat eine EG-Richtlinie im Gegensatz zur EG-Verordnung keine unmittelbar gesetzes gleiche Wirkung, doch ist nationales Recht im Sinne einer Richtlinie auszulegen82 • Der EuGH hat sogar angenommen, daß Gerichte bei der Auslegung nationalen Rechts bloße Empfehlungen der Gemeinschaft zu beachten haben83 • Dem könnte man entgegenhalten, daß die Richtlinie nur eine Erhaltung für den Zeitraum eines Jahres fordert, während § 613 a Abs. 2 BGB zu einer unbegrenzten Fortgeltung führt und lediglich die Unabdingbarkeit für ein Jahr sichert. Doch hat der Gesetzgeber diese Bestimmung zur Umsetzung der EGRichtlinie erlassen und sich entschieden, lediglich die Unabdingbarkeit und nicht die Regelung selbst nach Ende des Jahres entfallen zu lassen. Der Verweis auf eine EG-Richtlinienkonforme Auslegung überzeugt in besonderem Maße, weil der Gesetzgeber mit § 613 a BGB gerade seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nachkommen wollte. Selbst wenn er zunächst nicht beabsichtigte, die Verschmelzung mit § 613 a Abs. 1 BGB zu erfassen, entspricht es daher seinem mutmaßlichen Willen, durch konforme Auslegung den Vorwurf einer Vertragsverletzung des EWG-Vertrages zu vermeiden. Jedenfalls kann die Absicht des Gesetzgebers, die Fusion trotz EG-Richtlinie auszunehmen, nicht festgestellt werden. Entgegen der bisherigen h.M. und Rechtsprechung ist daher im Wege richtlinienkonformer Auslegung § 613 a Abs. 1 S. 2 - 4 BGB auch auf die Fusion und übertragende Umwandlung anzuwenden84 • EG- Richtlinie vom 14.02.1977; ABI. vom 05.03.1977, Nr. L 61 126. Hanau, Peterl Vossen FS Hilgerl Stumpf 1983, S. 271 ff. - 289. Wenn der Wortlaut auch nur von Verschmelzung spricht, so ist dies auf die übertragende Umwandlung anzuwenden, weil Begriffe in einer EG-Richtlinie nicht nach nationalem Verständnis ausgelegt werden dürfen und die Zwecksetzung für die Erfassung jeglicher gesellschaftsrechtlicher Übertragung spricht. 82 Vgl. in anderen Fällen BGHZ 63, 26 ff. = NJW 1975,213 ff.; BGHZ 87, 61 ff. = NJW 1983, 1676 ff.; BGH MDR 1993, 531 ff. = NJW 1993, 1594 ff. 83 EuGH NZA 1991, 283; vgl. auch Däubler NZA 1992, 584. 84 So auch Däubler, TVG Rz. 1526 ff.; ob die Regelungen des § 613 a BGB den europarechtlichen Vorgaben in allen Fragen genügen, erscheint allerdings zweifelhaft; 80 81
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Dieses Ergebnis wird nunmehr auch durch den neuen § 324 UmwG unterstrichen. Dort hat der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, daß die Regelungen des Umwandlungsgesetzes die Wirkung des § 613 a BGB unberührt lassen. Da das Umwandlungsgesetz allein Tatbestände regelt, in denen der Gesetzgeber eine Gesamt- oder Teilrechtsnachfolge anordnet, macht diese Bestimmung nur Sinn, wenn § 613 a BGB auch bei einer solchen gesetzlichen Nachfolge gilt85 • Folglich wird der Inhalt des Verbandstarifvertrages bei der Verschmelzung gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB in die Individualarbeitsverträge transformiert, soweit er die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis betrifft und eine tarifliche Fortgeltung an der fehlenden Mitgliedschaft des Übernehmers scheitert. ID. Ergebnis 1. Der Austausch des Arbeitgebers durch Rechtsgeschäft oder gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ist für die Betriebsvereinbarung aufgrund ihrer Anknüpfung an die betriebliche Organisationseinheit ohne Wirkung. 2. Beim Firmentarif kann die Tarifbindung nur durch rechtsgeschäftliehe Übertragung beseitigt werden. In den Grenzen der Sätze 3 und 4 des § 613 a Abs. 1 BGB werden dabei seine Inhaltsnormen in die Individualarbeitsverhältnisse gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB übergeleitet und genießen unabdingbaren Bestandsschutz für ein Jahr. Wird die rechtsgeschäftliehe Übertragung in einem Konzern genutzt, um die Tarifbindung zu beseitigen oder zu beschränken, so ist das veräußernde Unternehmen als Vertragspartner des Firmentarifs verpflichtet, seine Möglichkeiten, insbesondere eine bestehende Leitungsmacht gegenüber dem Erwerber, zu nutzen, um die Durchführung zu gewährleisten. Der Erwerber oder Dritte können allenfalls über § 826 BGB zu Handlungen verpflichtet sein, die eine Durchführung ermöglichen. Bei einem Übergang durch gesetzliche Rechtsnachfolge wird der neue Inhaber Tarifpartei des Firmentarifs bzw. der Firmentarif spaltet sich in gleichlautende Firmentarife auf. vgI. insoweit umfassend die Arbeit von Kamlah, Bestandsschutz und Ablösung von Kollektivverträgen bei Betriebsübergang. 85 So auch Müller, Thomas RdA 1996, 287 ff - 287, Joost Umwandlungsrecht und Arbeitsrecht S. 317 ff.; Schaub, Arbeitsrecht § 117 II 2 c; Sagasser / Eula, Umwandlungen eRz. 36 u. 45; Eachner NJW 1996,2881 ff. - 2883 f; Wlotzke DB 1995,40 ff. - 42 f, der dies mit den gesetzlichen Motiven nachweist; a.A. Rieble SAE 1995, 77 ff 79 f.
B. Verbandsaustritt und Verbandswechsel
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3. Beim Verbandstarif führt eine formändernde Umwandlung zu keiner Veränderung in der Tarifbindung. Jede andere Form der Übertragung, sei es durch Rechtsgeschäft oder bei EG-Richtlinienkonformer Auslegung durch Gesamtrechtsnachfolge, löst die Transformation der Inhaltsnormen des Verbandstarifs in die Arbeitsverhältnisse gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB aus. 4. Durch Veränderung der Rechtsperson des Arbeitgebers kann folglich nur in beschränktem Maße der Tarifbindung entgangen werden. Eine kurzfristige Lösung aktueller Solvenzprobleme kommt hierdurch nicht in Betracht. Allerdings kann durch entsprechende Gestaltung der betrieblichen und gesellschaftsrechtlichen Strukturen eine Kostensenkung bewirkt werden, etwa wenn vom Unternehmensschwerpunkt abweichende sachfremde Betriebsteile durch rechtlich verselbständigte Tochterfirmen geführt werden, wenn der dann einschlägige Tarifbereich üblicherweise niedrigere Leistungen vorsieht.
B. Der Verbandsaustritt und Verbandswechsel Sowohl bei der Betriebsvereinbarung als auch beim Firmentarifvertrag ist der einzelne Arbeitgeber nicht nur normenunterworfene Individual-, sondern selbst Vertragspartei der Gesamtvereinbarung. Dementsprechend knüpft die gesetzliche Regelung über die Tarifgebundenheit in § 3 Abs. 1 TVG unmittelbar an den Arbeitgeber an. Demgegenüber wird seine Bindung beim Verbandstarif nach § 3 Abs. 1 TVG nur mittelbar durch seine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband erzeugt. Es stellt sich daher die Frage, welchen Einfluß der Fortbestand dieser Mitgliedschaft für die Tarifbindung hae. Man könnte auf die Idee verfallen, daß der Arbeitgeber, der seine Mitgliedschaft im Verband kündigt, mit Ablauf der Kündigungsfrist auch aus der Tarifbindung herausfällt. Entsprechend kam es bei Osttarifverträgen durch Austritte zu einer sogenannten Flucht aus dem Verbandstarif. Denkbar wäre auch, daß er gleichzeitig einem anderen Arbeitgeberverband beitritt, insbesondere wenn dieser in der Vergangenheit Tarifverträge abgeschlossen hat, die für den wechselnden Arbeitgeber günstiger gewesen wären. Ein solcher Wechsel würde dem Arbeitgeber den Vorteil verschaffen, daß er nach Ausscheiden aus dem alten Arbeitgeberverband nicht I Vgl. hierzu auch die Darstellung m.w.N. Hümmerich OB 1996, 1182 ff., der alIerdinfos keine eigene Position bezieht. Vgl. Kissel NJW 1994,217 ff. - 219. Dieser Austritt erfolgt gemäß § 39 BGB, weil die Arbeitgeberverbände regelmäßig rechtsfähige Vereine mit nicht wirtschaftlichen Zwecken i.S.d. § 21 BGB sind. Neben der Flucht aus gab es aber auch immer eine Flucht in Verbandstarife, weil Haustarife häufig über dem Verbandsniveau liegen, vgl. hierzu Löwisch/ Rieble FS Schaub 457 ff.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
allein den Gewerkschaften gegenübersteht, wenn diese mit Tarifforderungen an ihn herantreten, sondern wiederum Schutz durch den neuen Verband erhält. I. Die gesetzliche Grundkonzeption 1. Tarijbindung nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG Das Ausscheiden aus dem Verband ist zunächst ein Irrweg, wie ein Blick auf den § 3 Abs. 3 TVG zeige. Danach bleibt die einmal gegebene Gebundenheit bis zum Ende des Tarifvertrages bestehen. Ziel dieser Regelung ist es gerade, eine Umgehung der Tarifbindung durch ein Verlassen des Arbeitgeberverbandes zu vermeiden. Dementsprechend gelten tarifliche Bestimmungen auch dann, wenn der Arbeitnehmer erst nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers in die Gewerkschaft eintritt4 • In der TVVO war schon bestimmt, daß bei Austritt des Arbeitgebers der Tarifvertrag in den Arbeitsvertrag eingeht, was dem damaligen Verständnis der Nachwirkung entsprach. Einige Arbeitgeber haben diese fortwirkende Tarifregelung dann zügig durch Kündigung der Arbeitsverträge gänzlich beseitigt. Der Vollständigkeit halber sei jedoch betont, daß die Folgen der Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG nicht weiterreichen, als nach § 3 Abs. 1 TVG. Fällt daher ein Verbandsaustritt mit dem Herauswachsen aus einem Tarifbereich zusammen, endet die Tarifbindung genauso, wie sie bei fortbestehender Verbandsmitgliedschaft entfallen würde5 • Da auch die Tatsache, daß der Arbeitgeber bei einem Verbandswechsel einem neuen Verband beitritt, nichts an der Tatsache ändert, daß er zunächst aus seinem alten Verband austritt und hierdurch seine Tarifbindung in Frage gestellt wird, findet zunächst § 3 Abs. 3 TVG Anwendung. Es gelten insoweit nach allgemeiner Meinung die gleichen Grundsätze wie beim Verbands austritt6 • Daher bedarf der Verbandswechsel hier keiner besonderen Begutachtung. 3 Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß unabhängig von dieser kollektiven Geltungsfrage eine einzel vertragliche Bezugnahme fortgilt und ein Austritt danach für bestehende Arbeitsplätze praktisch wertlos sein kann - Hümmerich DB 1996, 1182 ff. 1182. 4 BAG SAE 1994, 157 ff. = DB 1994, 104 f. = BB 1993,2307. 5 BAG NZA 1998, 484 ff. - 486; BAG NZA 1998, 488 ff. - 489 f.; Dies ist schon deshalb überzeugend, weil bei einem Herauswachsen aus dem Taritbereich, der Verbandsaustritt regelmäßig nicht Flucht aus der Taritbindung, sondern Konsequenz aus der Tatsache sein wird, daß der alte Arbeitgeberverband ebenfalls unzuständig geworden ist. 6 Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 726 f.; Bieback DB 1989, 477 ff.- 477; Kanzen ZfA 1975,401 ff.; Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1290; ders.BB 1997, 362 ff. 363. Der Wechsel des Arbeitgeberverbandes ist allerdings eine Konstellation, bei der es
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Die Aufgabe der Mitgliedschaft aus dem Arbeitgeberverband nützt also nach der Vorschrift des § 3 Abs. 3 TVG zunächst nichts. Erst mit Ablauf des bestehenden Tarifvertrages tritt insoweit eine Wirkung ein, als der neu abgeschlossene Tarifvertrag das ausgetretene Mitglied nicht mehr erfaßt. Dabei ist nach zutreffender Auffassung eine Änderung des Tarifvertrages durch die Tarifpartner einem Neuabschluß gleichzustellen, so daß die Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG endee. Die Gegenmeinung, wonach eine Änderung für den Fortbestand der Taritbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG an unveränderte Regelungsbereiche ohne Bedeutung sein solls, mißachtet den Umstand, daß mit Wirksamkeit des Austritts die Legitimation des Verbandes zur Rechtsetzung für den Ausgetretenen entfällt. Da Tarifpartner oft voneinander zunächst sachlich nicht zusammengehörende Bereiche in einem gegenseitigen Nachgeben regeln, gibt es apriori keine völlig voneinander unabhängigen Sachgruppen. Diese für den GÜDStigkeitsvergleich notwendige beschränkte Betrachtung von Gesamtregelungswerken kann daher nicht zur Erhaltung von Teilwerken genutzt werden. Soweit die Gegenmeinung diese Argumentation mit der Begründung zurückweist, daß auch bei einer vom Willen der Tarifpartner abweichenden Auslegung oder Nichtigerklärung einzelner Tarifregelungen durch die Arbeitsgerichte, insbesondere wegen des normativen Charakters gerade § 139 BGB nicht angewendet würde 9 , wird nicht hinreichend beachtet, daß jene Folgen von den Tarifpartnern gerade nicht beabsichtigt waren und daher auch nicht unmittelbar aus ihrem rechtsgeschäftlichen Willen hervorgehen. Vielmehr stellen die Gerichte fest, daß der subjektive Wille der Tarifpartner vor der Rechtsordnung im Falle der Nichtigkeit keine und im Falle der abweichenden Auslegung nicht die gewünschte Anerkennung fmden kann. Demgegenüber ist die Abänderung durch die Tarifpartner unmittelbarer Ausfluß ihrer Willensbildung. Folglich liegt auch in einer beschränkten Änderung grundsätzlich eine neue Gesamtregelung durch die Tarifpartner. Die Erhaltung der Bindung an Teilbereiche ist daher regelmäßig mit der negativen Koalitionsfreiheit unvereinbar. zu einer Tarifkonkurrenz, jedenfalls zu einer Tarifpluralität kommen kann. Auf die Auswirkungen einer Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität wird noch gesondert einzugehen sein. Ferner kann nach Ablauf des alten Tarifvertrages jedenfalls für beiderseits Tarifgebundene die Nachwirkung entfallen. 7 BAG NZA 1992, 700 ff.; Bauer FS Schaub, S. 19 ff. - 24; Wiedemannl Stumpf TVG § 3 Rz. 36; Frölich, NZA 1992, 1106f.; Frieges DB 1996, 1281 ff. - 1281; Hromodkal Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 241; Söllner, Arbeitsrecht § 16 IV 2 S. 141. 8 Bieback DB 1989,477 ff.- 479; Däubler, TVG Rz. 1512 f; Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 728; Kempenl Zachert, TVG § 3 Rz. 32; MünchArbR-Löwisch, § 260 Rz. 29; Schwab BB 1994, 781 ff. - 781 f.; Däubler NZA 1996, 225 ff. - 227; Schaub BB 1995,2003 ff. - 2003; ders. BB 1996,2298 ff. - 2298; Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1292. 9 So Schwab BB 1994, 781 ff. - 781.
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Etwas anderes könnte akzeptiert werden, wenn nachweislich die verschiedenen Regelungskomplexe nicht nur materiell, sondern darüber hinaus gerade auch in ihrer Entstehung voneinander völlig unabhänig gewesen sind. Dabei wird mit dieser Beschränkung die Gefahr erheblicher Unsicherheiten für die Betroffenen hervorgerufen, die bei den Verhandlungen nicht zugegen waren. Aus diesem Grunde sollte auch für jene Fallgruppe die Fortgeltung von Teilbereichen abgelehnt werden; zwingend ist dies freilich nicht geboten. Selbst nach dem Ende des Tarifvertrages sind die Folgen der ehemaligen Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht völlig beseitigt. Nach überwiegender Meinung wirkt der frühere Tarifvertrag nach § 4 Abs. 5 TVG nach JO • Schon der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG paßt, weil ein neuer Tarifvertrag mangels Geltung keine ersetzende Abmachung istlI. Entscheidend ist, daß andernfalls die arbeitsvertragliehe Regelungslücke droht, die § 4 Abs. 5 TVG gerade verhindern soll 12 • Dies führt auch nicht zu einer unendlichen Bindung, wie häufig behauptet wird. Ist der Arbeitgeber nicht in unmittelbarer existentieller Not, braucht er nur den Nominallohn unverändert zu lassen, und seine Arbeitnehmer erleiden aufgrund der Inflation reale Lohnverluste; dies eröffnet ihm die Möglichkeit im Gegenzug zu Lohnerhöhungen wegen sämtlicher Regelungen neue Vereinbarungen mit den einzelnen Arbeitnehmern auszuhandeln I3. In den hier vertretenen Grenzen der Betriebsautonomie kommt ferner im Rahmen der Vorrangtheorie eine ablösende Betriebsvereinbarung in Betracht 14 • Darüber hinaus wurde bereits darauf hingewiesen, daß ohne Nachwirkung Regelungslücken über § 612 BGB und die sonstigen gesetzlichen 10 BAG EzA Nr. 14 zu § 4 TVG Nachwirkung = NZA 1992, 700 ff.; BAG EzA Nr. 15 zu§ 4 TVG Nachwirkung = NZA 1992,800 ff; BAG AP Nr. 13 zu § 3 TVG = BB 1992, 1213; BAG DB 1996, 1284 f. = NZA 1996,769 ff.; Schaub BB 1996, 1058 ff. 1058; ders. BB 1996, 2298 ff. - 2298; Frälich NZA 1992, 1106; Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 728 f.; Gerhards BB 1997,362 ff. - 362f.; Zachert RdA 1996, 140 ff. - 150; Krauss DB 1996, 528 f. - 528; Reuter ZfA 1995, I ff. - 41; Kempen/ Zachert, TVG § 3 Rz. 34; a.A. Läwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 242; MünchArbR-Läwisch, § 266 Rz. 19; Ehmann / Lambrich NZA 1996, 346 ff. - 356; mit der Begründung, ohne Mitgliedschaft des Arbeitgebers sei das Ende des Tarifvertrages die äußerste Grenze für dessen Normwirkung. Dies verkennt jedoch, daß § 4 Abs. 5 TVG gesetzlich die Folgen einer früheren Tarifgeltung regelt. Wodurch diese endet, und ob weiterhin eine Mitgliedschaft besteht, ist insoweit unerheblich. 11 Allerdings ist zuzugeben, daß der Begriff" Ablauf' zumindest in den Fällen nicht paßt, wo die Fortgeltung nur deshalb entfallt, weil die Tarifpartner eine Neuregelung treffen oder den fortgeltenden Tarifvertrag nur abändern - Gerhards BB 1997, 362 ff. 362. 12 BAG EzA Nr. 14 zu § 4 TVG Nachwirkung = NZA 1992, 700 ff.; BAG EzA Nr. 15 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG DB 1996, 1284 f. = NZA 1996, 769 ff.; Frälich NZA 1992, 1107; Gerhards BB 1997,362 ff. - 362 f.; Krauss DB 1996,528 f. - 529; vgl auch Schaub RdA 1995,65 ff. - 68; Läwisch JZ 1996,812 ff. - 821. I3 So zu Recht Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2003. 14 Vgl. m.w.N. Gerhards BB 1997,362 ff. - 363 f.
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Bestimmungen, etwa nach dem BurlG, zu schließen wären ls . Jedenfalls bei der Entgeltfestsetzung gemäß § 612 BGB würde dem Arbeitgeber sodann ein höherer Lohn drohen, entspricht der Tariflohn doch in der Regel dem Mindestlohn l6 • Es überzeugt auch nicht, eine Nachwirkung unter Hinweis auf die negative Koalitionsfreiheit abzulehnen l1 • Die Nachwirkung erfaßt den ausgeschiedenen Arbeitgeber, weil bei ihm eine tarifliche Regelung gegolten hat und daher die Gefahr besteht, daß in den Individualverträgen keine entsprechenden Absprachen getroffen wurden. Da die Nachwirkung gerade den hieraus drohenden Eintritt von Regelungslücken im Arbeitsvertrag verhindern soll, ist es auch im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit vertretbar, daß der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 5 TVG eine faktische Fortgeltung festgeschrieben hat; umso mehr, als es sich hierbei nicht um einen gezielten Eingriff auf ausgeschiedene Arbeitgeber, sondern um eine allgemeine von der fortbestehenden Verbandszugehörigkeit unabhängige und zudem dispositive Weitergeltung handelt l8 • Der Arbeitgeber muß daher nach Beendigung des Tarifvertrages eine beabsichtigte Reduzierung gegenüber seinen Arbeitnehmern erst noch durch weitere Handlungen - etwa Änderungskündigung oder Angriffsaussperrung - durchsetzen.
2. Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG und die Friedenspflicht Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG wird allein die Taritbindung über den Zeitpunkt des Austritts hinaus verlängert. Sie begründet nur die Geltung des normativen Teils. Der schuldrechtliche Teil des Tarifvertrages gilt hingegen lediglich zwischen den Tarifvertragsparteien, also Gewerkschaft und Arbeitgeberverband. Demgemäß wirkt er auch nach § 3 Abs. 3 TVG grundsätzlich nicht zwischen dem ausgetretenen Arbeitgeber und der Gewerkschaft, weil dieser nicht zum Vertragspartner fmgiert wird. Danach würde weder den Ausgeschiedenen noch die Gewerkschaft eine Friedenspflicht treffen l9 • Wollte man diesen Grundsatz uneingeschränkt durchhalten, könnte der Arbeitgeber jederzeit den Arbeitskampf eröffnen, um einen neuen TarifverDäubler NZA 1996, 225 ff. - 228; Zachert RdA 1996, 140 ff. - 150. Schaub BB 1996, 2298 ff. - 2298. 17 So aber LAG Köln OB 1990, 1243; Bauer FS Schaub, S. 19 ff. - 30f.; Löwisch I Rieble, TVG § 4 Rz. 242; Schwab BB 1994,781 ff. -782. 18 So auch BAG NZA 1996, 769 ff. - 771 = OB 1996, 1284 f; Hromodkal Maschmannl Wal/ner, Der Tarifwechsel Rz. 254; Däubler, TVG Rz. 1470; ders. NZA 1996,225 ff - 227f; Kempenl Zachert, TVG § 3 Rz. 34; Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz. 188. 19 M.w.N. Däubler, TVG Rz. 1509; für die fehlende Friedenspflicht der Gewerkschaft zuletzt LAG RheinlandPfalz NZA-RR 1998, 131. IS
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trag abzuschließen. Da der Tarifvertrag nachwirkt, wenn er den Arbeitgeber nicht mehr unabdingbar bindet, würde § 3 Abs. 3 TVG lediglich die Abänderung durch individualrechtliche Kündigungen verhindern und die Geltung für eintretende Arbeitnehmer erhalten. Zwar wäre damit die gesetzgeberische Absicht zunächst gewahrt, im Gegensatz zur TVVO eine unabdingbare Nachwirkung zu etablieren. Doch würde diese schon dann in Frage gestellt, wenn der Arbeitgeber mit Hilfe der suspendierenden Aussperrung die Fortgeltung faktisch beseitigen kann. Entscheidend kommt hinzu, daß durch § 3 Abs. 3 TVG das Verhandlungsergebnis in Form des abgeschlossenen Verbandstarifvertrages vor einer Aushöhlung und damit das Tarifvertragssystems selbst geschützt wird20 • Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß die Gewerkschaft beim Neuabschluß eines Tarifvertrages ebenfalls beteiligt ist. Denn sie unterliegt dann wegen des Arbeitskampfrisikos einem erheblichen Druck, der aufgrund veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse von anderer Qualität sein kann als beim vorherigen Abschluß des Verbandstarifes. Dies muß umso mehr gelten, als Arbeitskämpfe Geld kosten, und erneute Arbeitskämpfe nach Abschluß des Verbandstarifes die Mächtigkeit der Gewerkschaft einschränken können. Abgesehen davon, daß die Kampfbereitschaft der Arbeitnehmer erheblich beeinträchtigt sein dürfte, wenn kurze Zeit später nach einem möglicherweise erbitterten Arbeitskampf wieder für sie ein tarifloser Zustand eintritt und sie sich um die Früchte des Arbeitskampfes betrogen sehen. Aus diesem Grunde ist durch teleologische Auslegung die Fortgeltungsanordnung des § 3 Abs. 3 TVG für das ausgetretene Verbandsmitglied über die Tarifbindung hinaus auch auf die Friedenspflicht des Arbeitgebers zu erstrekken21 • Da es um den Schutz des Verhandlungsergebnisses der Gewerkschaft 20 Bauer FS Schaub, S. 19 fI. - 23; Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2003; a.A. Rieble SAE 1994, 158 ff. - 159, nach dessen Ansicht allein die konkret bestehenden Arbeitsverträge geschützt sein sollen. 21 Wiedemannl Stumpf, TVG § 3 Rz. 33; Hueck, Alfredl Nipperdey ArbR lI/I § 49 B 11 3; Bauer/ Di/ler DB 1993, 1085 f.; Hramadka/ Maschmannl Wallner, Der TarifwechseI Rz. 242 ; Kanzen ZfA 1975, 401 ff. - 418 ff.; vgl. tUr den Austritt von Arbeitnehmern BAG AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, das die Beteiligung einer Gruppe von Arbeitnehmer, die von einer Gewerkschaft zu einer anderen gewechselt waren, an einem Arbeitskampf ihrer neuen Gewerkschaft ftir rechtswidrig erklärte. In diesem Zusammenhang ist zwar umstritten, ob die Friedenspflicht auch die Gewerkschaft trifft, was teilweise mit dem Argument abgelehnt wird, daß § 3 Abs. 3 TVG beim Arbeitgeberaustritt nur die Gegenseite schützen will und der Arbeitgeber durch seinen Austritt sich gegen den Schutz des Verbandes entschieden hat - so Däubler NZA 1996, 225 ff. - 229; Kempen/ Zachert, TVG § 3 Rz. 35. Diese Frage kann ftir die vorliegende Arbeit unberücksichtigt bleiben. Läßt man einen Arbeitskampf durch die Gewerkschaft zu, so wird man allerdings die Fortgeltung des Tarifvertrages enden lassen müssen. Die Gewerkschaft verzichtet insoweit auf ihren Schutz. Es geht jedenfalls nicht an, der Gewerkschaft nach Eröffnung eines Arbeitskampfes jederzeit zu gestatten, die-
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geht, kann diese hingegen Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen22 • Hat die Gewerkschaft jedoch mit der Aufnahme von Kampfrnaßnahmen das frühere Verhandlungsergebnis gegenüber dem ausgeschiedenen Arbeitgeber in Frage gestellt, muß auch die Friedenspflicht des Arbeitgebers entfallen, und zwar endgültig. Der Arbeitgeber darf daher nach § 3 Abs. 3 TVG vor Ende der Tarifbindung keinen Arbeitskampf eröffnen, um den Vertrag abzuändern oder Zu ersetzen.
3. Fortgeltung des Tarifvertrages bei Nichtkündigung nach der Mindestlaujzeit a) Uneingeschränkte Fortgeltung Nach dem Gesetzeswortlaut gilt die Fortwirkung uneingeschränkt weiter, bis der Tarifvertrag selbst endet oder durch eine neue Abmachung ersetzt wird. Allein bei einem befristeten Vertrag ist die bleibende Bindung überschaubar. Die meisten Tarifverträge werden unbefristet abgeschlossen, wobei den Vertragsparteien das Recht zur Kündigung nach einer Mindestlaufzeit eingeräumt ist. Der Vertrag endet also nicht mit Ablauf dieser Mindestgeltungsdauer, sondern gilt weiter, bis er gekündigt wird. Der Tarifvertrag wirkt nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG auch für den ausgeschiedenen Arbeitgeber solange fort. Betrachtet man die Manteltarifverträge, die teilweise jahrzehntelang ungekündigt bleiben, so bliebe der Austritt bis dahin ebenfalls ohne jede Wirkung23 • Dies wird überwiegend als folgerichtiges Ergebnis des § 3 Abs. 3 TVG angesehen24 • Beim firmenbezogenen Verbandstarif soll allerdings das Kündigungsrecht auf den Arbeitgeber übergehen, so daß er selbst über die Fortgeltung entscheiden kann25 •
sen mit der Folge einzustellen, daß der alte Tarifvertrag fortgilt. Dies wäre eine Rosinentheorie, welche das Arbeitskampfrisiko unangemessen zu Lasten des Arbeitgebers verschieben würde. 22 Däubler, TVG Rz. 304; ders. NZA 1996,225 ff. - 229; Konzen ZfA 1975,401 ff.419ff. 23 Rieble SAE 1994, 158 ff. - 159. 24 Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 727 f.; Bieback OB 1989,477 ff.- 478; Däubler, TVG Rz. 300; ders. NZA 1996, 225 ff. - 226; Schaub BB 1995,2003 ff. 2003; Wiedemann/ Stumpf, TVG § 3 Rz. 35. 25 Däubler, TVG Rz. 302; a.A. Bieback OB 1989,477 ff.- 478, der weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitgeberverband ein Kündigungsrecht gewähren will. Dies ist
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Demgegenüber soll die Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG nach anderer Ansicht bereits zu jenem Zeitpunkt enden, zu dem eine Kündigung des Arbeitgeberverbandes wirksam geworden wäre, wenn die erste entsprechende Möglichkeit nach dem Austritt genutzt worden wäre 26 • Für eine mit dem Verbandstarif gleichgeschaltete Fortgeltung scheint die gesetzgeberische Zielsetzung zu sprechen, seine Unabdingbarkeit zu erhalten. Diese bleibt bis zu seinem wirklichen Ende bestehen27 • Doch darf man sie nicht als Selbstzweck ansehen. Mittelbar bezweckt § 3 Abs. 3 TVG, die durch den Verbandstarif erlangte Sicherheit für Arbeitnehmer und Gewerkschaften vor einer Entwertung durch Austritt zu schützen28 • Daher spricht gerade für ein vorzeitiges Ende der Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG, daß weder Arbeitnehmer noch Gewerkschaft auf eine längere Gültigkeit vertrauen durften, weil im Hinblick auf das Kündigungsrecht des Arbeitgeberverbandes ein dauernder Vertragsbestand eben nicht vereinbart war9 • Folglich wird diese ursprüngliche vertragliche Bindung durch ein vorzeitiges Ende der Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG nicht unterlaufen und damit die Tarifvertragsordnung nicht beeinträchtigt. Das spätere Verhalten des Verbandes mag zwar die Vertragsbindung verlängern, doch kann hieraus kein Vertrauen mehr gegen den ausgeschiedenen Arbeitgeber abgeleitet werden. Dieser hat durch den Austritt bereits vorher seinem Verband jede Legitimation entzogen. Deshalb ist die weitergehende Wirkung des § 3 Abs. 3 TVG für seine Zwecksetzung entbehrlich. Hinzu kommt, daß die Regelungsmacht des Verbandes aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG mit dem Austritt des Mitgliedes endet. Auch die Nichtkündigung beruht auf einer Entscheidung des Verbandes, ob er eine unveränderte Weitergeltung will. Sie erzeugt die gleiche Regelungswirkung wie der Neuabschluß mit gleichem Inhale o• Daher ist es angezeigt, den Ausgetretenen so zu stellen, wie wenn der Arbeitgeberverband nach Ablauf eines Tarifvertrages seine Weitergeltung ausdrücklich vereinbart hätte. Schließlich darf es nicht den Tarifparteien durch förmliche Ausgestalaber mit dem Ziel des § 3 Abs. 3 TVG nicht mehr vereinbar, weil der Tarifvertrag dann entgegen seinem Inhalt arbeitgeberseitig unkündbar würde. Bauer FS Schaub, S. 19 ff. - 24; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie S. 99 ff.; Hromodka FS Wlotzke S. 348; Läwisch/ Rieble, TVG § 3 Rz. 74; Schwab BB 1994,781 ff. - 781; Frieges DB 1996, 1281 ff. - 1281; entsprechende KlarsteIlung de lege ferenda fordert Läwisch JZ 1996, 812 ff. - 821. 27 V gl. BAG AP Nr. 15 zu § 3 TVG = BB 1993, 2307ff. 28 Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1290; Läwisch / Rieble, TVG § 3 Rz. 74. 29 Läwisch / Rieble, TVG § 3 Rz. 74; MünchArbR-Läwisch, § 260 Rz. 22; Schwab BB 1994,781 ff. - 781. 30 Läwisch / Rieble, TVG § 3 Rz. 74; Schwab BB 1994, 781 ff. - 781; Frieges DB 1996, 1281 ff. - 1281.
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tung der Tarifbeendigung und -fortführung überlassen werden, ob sie nach Austritt von Mitgliedern für diese noch weitere Entscheidungen mittreffen. b) Quasikündigung Eine andere Frage ist es, ob man die Beendigung automatisch eintreten läßt. Eine vertragliche Regelung des Kündigungsrechtes hat, soweit es die Kündigungsfrist und -form angeht, schließlich den Sinn, dem Kündigungsgegner Zeit zu geben, sich auf die ändernde Rechtslage einzustellen. Da die Gewerkschaft von dem Verbandsaustritt nicht informiert sein muß, könnte sie an eine weitere Vertragsbindung glauben. Der durch § 3 Abs. 3 TVG bezweckten Sicherung der Tarifvertragsordnung widerspricht es daher, wenn man einerseits die Kündigungsmöglichkeit zugunsten des Arbeitgebers anwendet, ohne andererseits eine Information zu fordern, wie sie der Tarifvertragspartner erwarten darf. Dies kann sogar im Interesse des Ausgeschiedenen liegen, falls er aus Gründen ausgetreten war, die nicht mit dem Tarifvertrag zusammenhängen, und er mit einer Fortgeltung des Tarifvertrages sogar einverstanden ist. Folglich wird man vom ausgeschiedenen Arbeitgeber verlangen müssen, der Gewerkschaft in der vorgesehenen Form und unter entsprechender Einhaltung von Fristen zu erklären, daß er der Fortgeltung für sein Unternehmen widerspricht, was einer Quasikündigung gleichkomme! . Dieser Lösung kann nicht entgegengehalten werden, daß die Kündigung als vertragliches Gestaltungsrecht nur dem Vertragspartner , also dem Arbeitgeberverband zusteht. Denn es ist gerade keine echte Kündigung, die den Verbandstarif insgesamt betrifft und zu der das Nichtmitglied selbstverständlich nicht berechtigt ist. Vielmehr handelt es sich um eine Obliegenheit mit dem Ziel, die Beschränkung der Fortgeltung zu erreichen. Auf diese Weise wird letztlich der Sinn und Zweck des § 3 Abs. 3 TVG gewahrt, die zum Austrittszeitpunkt bestehende tarifvertragliche Situation vor einer Aushöhlung zu schützen. Dabei ist es unerheblich, wie der Arbeitgeber seine Erklärung bezeichnet32 , solange seine Absicht deutlich hervortritt. Folglich endet die Tarifbindung des ausgeschiedenen Arbeitgebers entgegen dem uneingeschränkten Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG bereits, wenn er sich gegenüber der Gewerkschaft wie bei einer Kündigung durch den Arbeitgeberverband auf den Ablauf der Mindestlaufzeit des Tarifvertrages beruft. 3! Eine ähnliche Erklärungspflicht sieht Däubler bei einer Fortbindung über fünf Jahre hinaus vor. Er spricht insoweit von "lossagen" - Däubler NZA 1996,225 ff. - 227. 32 Dies gilt auch dann, wenn eine Kündigung nach dem Tarifvertrag als solche bezeichnet werden müßte, weil die Erklärung gerade keine echte Kündigung ist.
24 Beathalter
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11. Vereinbarkeit der Fortgeltung mit der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG Nach den vorangegangenen Ausführungen zur gesetzlichen Konzeption des § 3 Abs. 3 TVG hilft die Flucht aus dem Arbeitgeberverband nur sehr be-
schränkt. Es fragt sich, ob diese Vorschrift mit der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist, gilt doch hiernach eine tarifliche Regelung weiter, obwohl die Legitimation der Tarifpartner durch die freiwillige Verbandszugehörigkeit beendet wurde. § 3 Abs. 3 TVG setzt eine Taritbindung nach § 3 Abs. 1 TVG voraus. Erst hieraus folgt die gesetzliche Fortwirkung. Die Taritbindung erfordert ihrerseits, daß der Arbeitgeber freiwillig Mitglied der Koalition war und sich hierdurch ihrer Regelungsmacht unterworfen hat. Aufgrund dessen erhält § 3 Abs. 3 TVG lediglich Vereinbarungen, zu deren Abschluß der Verband durch den freiwilligen Beitritt seiner Mitglieder legitimiert war. Mithin beruhen diese auch noch auf der freiwilligen Legitimation33 •
Dies allein könnte allerdings die Weitergeltung noch nicht rechtfertigen, weil sie über die Verbandsmitgliedschaft hinaus dauert. Entscheidend ist jedoch, daß der Gesetzgeber damit die Unabdingbarkeit des Verbandstarifes gewährleisten und vor einer Flucht durch die Hintertür schützen will34 • Die Unabdingbarkeit ist ein bedeutendes Element der bestehenden Tarifvertragsordnung. Letztere wird ganz überwiegend zum Kerngehalt der Betätigungsgarantie und damit der positiven Koalitionsfreiheit zugerechnet. Die Bestimmung des § 3 Abs. 3 TVG stellt demnach eine Beschränkung der negativen Koalitionsfreiheit des ausgeschiedenen Mitgliedes zum Schutze der positiven Koalitionsfreiheit der Verbände dar. Es handelt sich um eine gesetzliche Ausformung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz. Die vom Gesetzgeber getroffene Gewichtung ist nicht zu beanstanden, sofern man sie wie hier versteht und insbesondere dem Ausgetretenen das Recht beläßt, einer Fortgeltung über den nächsten möglichen Kündigungszeitpunkt hinaus zu widersprechen35 • Ohne eine solche Wirkung könnte ein effektiver Schutz der Unabdingbarkeit des Verbandstarifes nicht sichergestellt werden. Zudem hat sich das ausgeschiedene Mitglied ursprünglich der Regelungsmacht des Arbeitgeberverbandes freiwillig unterworfen und kann nicht 33 Vgl. Konzen ZfA 1975,401 ff. - 408f; MünchArbR-Läwisch, § 238 Rz. 62; ausführlich m.w.N. Richardi, KollektivgewaIt und Individualwille S. 221 f. 34 Konzen ZfA 1975, 401 ff. - 410 f. 35 Insoweit geht es zu weit wenn teilweise die Fortgeltung insgesamt als verfassungswidrig angesehen wird; so tendenziell Rieble SAE 1994, 158 ff.- 159 f.
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beanspruchen, zugleich mit dem Austritt von allen Rechtsfolgen seiner damaligen autonomen Entscheidung wieder befreit zu werden36 • Die Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG ist daher mit der negativen Koalitionsfreiheit des Ausgetretenen vereinbar.
m. Zeitliche Höchstgrenze der Fortgeltung Obwohl die Gefahr einer zeitlich unbegrenzten Tarifbindung schon erheblich durch die Möglichkeit des Arbeitgebers reduziert ist, der Fortgeltung zum nächsten Kündigungstermin zu widersprechen, schließt der weitgefaßte Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 3 TVG nicht aus, daß die Tarifpartner einen sehr langfristigen Vertrag abgeschlossen haben, der nur außerordentlich gekündigt werden kann37 • Dann stellt sich die Frage, ob entsprechend dem Wortlaut die Bindung nach § 3 Abs. 3 TVG ohne jegliche Höchstdauer gilt.
1. Beschränkung wegen Begebung der Normsetzungsbefugnis Eine Höchstdauer wird von Löwisch / Rieble aus einer Beschränkung der Tarifvertragsfreiheit selbst abgeleitee 8 • Danach soll es den Tarifparteien verwehrt sein, Verträge mit überlanger Laufzeit zu schließen, was mittelbar auch die Fortgeltung des § 3 Abs. 3 TVG beschränkt. Die Begrenzung der Laufzeit sei erforderlich, weil den Parteien mit dem Tarifvertragsgesetz eine Normsetzungsbefugnis eingeräumt wurde. Sie dürften sich dieser Befugnis nicht durch überlange Bindung begeben. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung allein sei unzureichend, weil selbst eine beachtliche Änderung der Umstände noch keine Kündigung rechtfertigen muß, sofern kein Wegfall der Geschäftsgrundlage eingetreten ist. Genausowenig könne die Möglichkeit einvernehmlicher Änderung ausreichen, weil sie vom Willen der anderen Vertragspartei abhängt. Obwohl für jede Regelungsmaterie eine andere Dauer als überlange Bindung erscheinen könne, sei aus Gründen der Rechtssicherheit eine einheitliche Begrenzung zu wählen. Hierfür wird auf § 624 BGB zurückgegriffen, was einer zeitlichen Schranke von fünf Jahren gleichkommt. Dazu wird unter anderem auf ein Urteil Bezug genommen, in dem das Bundesarbeitsgericht bei einer dynamischen Verweisung auf einen anderen Tarifvertrag entschied, daß Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1291. Entgegen Gerhards BB 1997, 362 ff. - 363 ist der Arbeitgeber bei einem bereits abgeschlossenen Stufen vertrag nicht nur an die aktuelle Stufe zum Zeitpunkt des Austritts, sondern auch an die tariflich vorgesehene Weiterentwicklung gebunden. 38 Löwisch / Rieb/e, TVG § 1 Rz. 128f.; MünchArbR-Löwisch, § 251 Rz. 13 f.; zustimmend Däub/er NZA 1996, 225 ff. - 227. 36
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
durch eine zeitlich lange Bindung ohne Kündigungsrecht die Normsetzungsbefugnis nicht mehr hinnehmbar eingeschränkt werde 39 • Die diesem Urteil zugrundeliegende Fallgestaltung wies indessen die Besonderheit auf, daß dort eine dynamische Verweisung erfolgte. Im Gegensatz zur statischen Verweisung, wonach der Inhalt des in Bezug genommenen Regelungswerkes so in die eigene Norm inkorporiert wird, wie er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellt, ist bei einer dynamischen der jeweilige Inhalt maßgeblich. Daher wird durch eine dynamische Verweisung die Rechtsetzung mittelbar durch Dritte - hier den Tarifparteien des anderen Tarifvertrages - wahrgenommen. Die Übertragung tariflicher Normsetzungsbefugnis ist prinzipiell unzulässit o• Eine dynamische Verweisung kann deshalb nur aus dem Gedanken gerechtfertigt werden, daß aufgrund eines Vergleiches der Tarifbereiche und einer gewissen Prognose der künftigen Entwicklung des betroffenen Tarifwerkes die Tarifparteien einer vorhersehbaren Regelung beitreten wollen. Je länger der verweisende Tarifvertrag dauert, desto weniger kann zu Beginn abgeschätzt werden, wie diese Befugnis später ausgefüllt wird. Läßt man im Rahmen einer Bezugnahme auf ein fremdes Regelungswerk keine ordentliche Kündigung zu, obwohl eine lange Bindung erfolgt, so wird die Normsetzungsbefugnis faktisch abgegeben, was unzulässig ist. Treffen die Tarifpartner in ihrem Tarifvertrag alle Regelungen selbst, ohne auf Normen anderer zu verweisen, so kommt eine unzulässige Übertragung auf Dritte nicht in Betracht. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes ist demnach nicht auf Fälle eigener Regelung anwendbar. Bei einer selbständigen Festlegung des Tarifvertragsinhalts ist dessen Wirkung von Anfang an uneingeschränkt absehbar. Die Gefahr einer unvorhersehbaren Entwicklung des Norminhaltes besteht nicht. Lediglich das Risiko einer abweichenden Veränderung der äußeren Umstände wird übernommen. Dies ist im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässig. Allein wegen der Dauer wird die Normsetzungsbefugnis nicht aufgegeben. Des weiteren ist ein Vergleich zu § 624 BGB nicht angebracht. Diese Ausnahmevorschrift will Situationen verhindern, durch die der Dienstverpflichtete wegen des persönlichen Charakters seiner Verpflichtung zum Quasiuntertan eines Dritten gemacht wird. Die persönliche Freiheit soll geschützt werden. BAG AP Nr. 8 zu § I TVG Form. So etwa BAG AP Nr. 7 zu § I TVG Form; BAG AP Nr. 8 zu § I TVG Form; Läwisch / Rieble, TVG § I Rz. 126 ff. Nach der hier vertretenen Auffassung spricht gegen die Zulässigkeit der Übertragung von Normsetzungsgewalt, daß keine Rechtsetzungsbefugnis delegiert wird, die man als übertragbar ansehen könnte. Vielmehr erfaßt der staatliche Geltungsbefehl nur die private Rechtsetzung, die nach dem zur Verfiigung gestellten Instrumentarium erfolgt. Eine Verlängerung des Geltungsbefehls durch die Tarifpartner auf Dritte wird man hierbei nicht zulassen können. 39
40
B. Verbandsaustritt und Verbandswechsel
373
Tarifverträge sind reine Wirtschaftsverträge, auf die die Zwecksetzung des § 624 BGB in keiner Weise paßt. Schließlich werden sie auf der Ebene der kräftemäßigen Gleichstellung abgeschlossen, so daß der Schutz einer Vertragsseite vor ihrer privatautonomen Entscheidung nicht geboten ist. Keine noch so lange Vertragsbindung bedeutet somit eine Aufgabe der Normsetzungsbefugnis. Eine Beschränkung kann hieraus nicht abgeleitet werden.
2. Beschränkung durch regelmäßige Tarijvertragsdauer Nach der Ansicht Richardis ergibt sich durch die Legitimationswirkung der Mitgliedschaft selbst eine zeitliche Grenze des § 3 Abs. 3 TVG. Die privatautonome Entscheidung des Arbeitgebers, Mitglied in einem Verband zu sein, könne den Verband nur insoweit ermächtigen, als der Arbeitgeber mit einer entsprechenden Tarifdauer rechnen müsse. Die Bindung nach § 3 Abs. 3 TVG dürfe daher nicht weiterreichen als die übliche Laufzeit in dem konkreten Verband. Deshalb habe der ausgetretene Arbeitgeber nach der üblichen Dauer gegenüber den Tarifparteien den Anspruch, der Aufhebung der Bindung zuzustimmen. Das Recht, die gesetzliche Tarifbindung durch ihre Zustimmung zu beseitigen, folge aus der Zweckbestimmung des § 3 Abs. 3 TVG, deren Bestandsinteresse zu schützen41 • An dieser Argumentation stört schon das Ergebnis, daß die Sicherung der Unabdingbarkeit in Fällen versagt, wo die Tarifpartner aufgrund besonderer Umstände eine längere Tarifvertragsdauer als bisher üblich für angebracht halten. Eine solche faktische Selbstbeschränkung tarifvertraglicher Autonomie kann daher in der Bewältigung besonderer Krisen nachteilig sein. Entscheidend spricht gegen eine Beschränkung der Legitimation auf die Üblichkeit, daß nicht einzusehen ist, warum dies nur für die Tarifdauer gelten soll. Bei diesem Verständnis der Legitimationswirkung müßte die Regelungsmacht konserviert werden mit der Folge, daß auch keine neuen fachlichen, räumlichen oder persönlichen Geltungsbereiche beschritten werden dürften. Berücksichtigt man die ständigen gesellschaftlichen und technischen Veränderungen, so kann dies die Tarifvertragsordnung in Frage stellen. Vielmehr gelten die Grundsätze des Vereinsrechts, so daß sich die Regelungsmacht des Arbeitgeberverbandes aus seiner Satzung ergibt. Die mitgliedschaftliche Legitimation hat die daraus folgende Reichweite.
41
Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 222 ff. - 224.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
3. Beschränkung durch arbeitsrechtliche "Legislaturperiode" Nach Ansicht Biedenkopfs soll die Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG durch eine arbeitsrechtliche "Legislaturperiode" begrenzt sein. Die Legitimation durch die Mitgliedschaft zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses könne nicht unendlich verstetigt werden. Daher sei ihre Wirkung zeitlich zu begrenzen. Zur Bestimmung der Zeitdauer sei eine analoge Anwendung der Legislaturperiode des Betriebsrates angezeigt. Dabei gehe es um das gleiche Problem, wie lange die Ermächtigung einer Kollektivpartei andauere42 • Nach der heutigen Regelung des § 21 S. 1 BetrVG würde diese arbeitsrechtliche Periode vier Jahre dauern und mit dem Abschluß des Tarifvertrages beginnen. Dagegen spricht, daß nicht einzusehen ist, warum diese Frist gerade mit dem Tarifabschluß beginnen soll. Anders als im Betriebsverfassungsrecht resultiert die Legitimation nicht aus dem einmaligen Akt einer Wahl, sondern aus der Mitgliedschaft, die einen Zustand darstellt. Erst der Austritt beendet diesen legitimierenden Umstand43 • Außerdem fmdet sich im Gesetz selbst keinerlei Ansatzpunkt für eine solche zeitliche Schranke des § 3 Abs. 3 TVG.
4. Zeitliche Begrenzung als verfassungskonforme Auslegung Mangels einfachgesetzlicher Ansatzpunkte kann einer unbegrenzten Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG letztlich noch die negative Koalitionsfreiheit entgegenstehen, so daß sich eine zeitliche Beschränkung durch eine verfassungskonforme Auslegung ergäbe. Die Erhaltung der Tarifbindung über den Austrittszeitpunkt hinweg ist im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit nur durch die Lehre der praktischen Konkordanz zu rechtfertigen, wobei der grundSätzliche Vorrang der Betätigungsgarantie der Koalitionen aus der vorangegangenen rnitgliedschaftlichen Legitimation des Ausgetretenen folgt. Die praktische Konkordanz ist ein System, wonach kein Grundrecht uneingeschränkt über einem anderen angesiedelt ist. Nach diesem Prinzip treten die Grundrechte in Wechselwirkung miteinander. Widersprechen sich ihre Schutzrichtungen, ist ein Ausgleich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Gesamtordnung mit dem Ziel zu suchen, konkurrierende Grundrechte weitestgehend zu verwirklichen. Im Rahmen dieses Ausgleiches wird spätestens durch die Prüfung der Angemessenheit nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sichergestellt, daß keines völlig unberücksichtigt bleibt44 • Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie S. 232. So auch Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 223 f. 44 BVerfGE 41, 29 ff.- 50 f; m.w.N. Münch! Kunig, GG vor Art. 1 - 19 Rz 47; Katz, Staatsrecht Rz. 649 f. 42 43
B. Verbandsaustritt und Verbandswechsel
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Folglich ist festzustellen, wann die Regelung des § 3 Abs. 3 TVG nach der Lehre der praktischen Konkordanz ihre Grenze in der negativen Koalitionsfreiheit des Einzelnen fmdet. Wie erörtert geht die Zielsetzung, die Tarifvertragsordnung als Ausfluß der positiven Koalitionsfreiheit durch die Erhaltung des Verbandstarifes zu gewährleisten, der negativen Koalitionsfreiheit grundsätzlich vor, weil sein Abschluß noch von der mitgliedschaftlichen Legitimation gedeckt war und kein anderer Weg ersichtlich ist, mit dem der Verbandstarif vor einer Aushöhlung geschützt werden könnte. Andererseits muß den Tarifparteien die Möglichkeit von Koalitionsaustritten bewußt sein, so daß ihr Vertrauen auf den abgeschlossenen Verbandstarif nicht unantastbar ist. Vielmehr ist im Rahmen des Interessenausgleichs zu verhindern, daß Tarifpartner durch extrem langfristige Verträge die negative Koalitionsfreiheit ihrer Mitglieder teilweise beseitigen. Schon danach ist im Sinne der praktischen Konkordanz eine zeitliche Beschränkung des § 3 Abs. 3 TVG erforderlich. Hinzu kommt, daß der Vorrang der Betätigungsgarantie auf die freiwillige Legitimation der Mitgliedschaft gestützt ist. Der Bundesgerichtshof hat insoweit bereits aus der negativen Koalitionsfreiheit gefolgert, daß die satzungsmäßige Kündigunsfrist im Falle eines Arbeitnehmeraustritts aus seiner Gewerkschaft regelmäßig nicht sechs Monate überschreiten darf, obwohl § 39 Abs. 2 BGB eine Frist von bis zu zwei Jahren für zulässig erklärt45 • Diese Entscheidung kann man nicht unmittelbar anwenden und damit eine sechsmonatige Höchstgrenze begründen, weil erhebliche qualitative Unterschiede bestehen. So berührt § 3 Abs. 3 TVG die Frage der Verbandsmitgliedschaft selbst nicht. Vor allem wird die Regelungsmacht der Tarifpartner nicht etwa auf Außenseiter erstreckt, weil jede Neuordnung im laufenden Tarifvertrag seine Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG beendet. Lediglich die beim Austritt bestehenden Regelungen werden erhalten, zu deren Abschluß die Verbände noch durch die Mitgliedschaft legitimiert waren. Doch zeigt dieses Urteil, daß die negative Koalitionsfreiheit wegen ihrer unmittelbaren Drittwirkung gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auf die Vertragsfreiheit durchschlägt und eigene privatautonome Entscheidungen zu beschränken vermag. Demzufolge kann auch die mitgliedschaftliche Legitimation keinen unbegrenzten Teilverzicht auf die negative Koalitionsfreiheit begründen. Die Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG ist somit im Wege verfassungskonformer Auslegung zeitlich zu begrenzen. Problematisch ist dabei, diese Frist zu bestimmen. 45
BGH AP Nr. 25 zu Art. 9 GG.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Insoweit kommt tatsächlich eine Anknüpfung an die arbeitsrechtliche "Legislaturperiode" nach den Vorstellungen Biedenkopfs in Betracht. Allerdings darf dieser Zeitraum nicht bereits mit dem Abschluß des Tarifvertrages, sondern erst mit dem Austritt beginnen, weil nur so der Tatsache Rechnung getragen wird, daß der letzte Legitimationsakt im Tarifvertragsrecht nicht in einem ehemaligen Wahlakt, sondern in der andauernden Mitgliedschaft besteht. Im Ergebnis wäre in § 3 Abs. 3 TVG dann eine Höchstdauer von vier Jahren hineinzulesen. Gegen eine Übertragung der Wahlperiode des Betriebsrates auf die Fortwirkung nach § 3 Abs. 3 TVG wird eingewandt, daß diese auf dem betriebsverfassungsrechtlichen System beruhe, das auf den Tarifvertrag in keiner Weise passe. Dies zeige sich insbesondere daran, daß Betriebsvereinbarungen sogar bei der Wahl eines anderen Betriebsrates nicht enden. Es ist zwar zutreffend, daß die Gültigkeit der Betriebsvereinbarung keine Begrenzung durch die Legislaturperiode des Betriebsrates erfährt. Doch ist zu beachten, daß die entsprechende Anwendung nicht darauf abzielt, eine zeitliche Grenze für den Tarifvertrag zu froden. Dieser kann unbegrenzt abgeschlossen werden. Vielmehr geht es um die Frage, wie lange eine frühere Legitimation durch die Verbandszugehörigkeit weiterwirken darf. Unbeschadet der Tatsache, daß die betriebsverfassungsrechtliche Regelung auf ganz anderen Prinzipien aufbaut als im Tarifrecht gelten, darf andererseits nicht übersehen werden, daß es sich um die einzige gesetzliche Regelung im Arbeitsrecht handelt, welche die Frage der Legitimationsdauer betrifft46 • Schließlich spricht entscheidend für eine entsprechende Anwendung der betriebsverfassungsrechtlichen Legislaturperiode, daß eine dem Sachverhalt näherstehende Regelung fehlt. Ohne diese Adaption einer gesetzlichen Bestimmung bliebe nur der Weg eigener willkürlicher Festlegung, wenn man die Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 3 TVG wegen übermäßigem Eingriffs in die negative Koalitionsfreiheit verhindern will. Folglich ist die Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG auf eine Höchstdauer von vier Jahren beschränkt, die aus der betriebsverfassungsrechtlichen Wahlperiode abzuleiten ist. IV. Ergebnis
1. Nach dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband bleibt die Tarifbindung durch die Bestimmung des § 3 Abs. 3 TVG erhalten. 46 § 4 Abs. I Spr AuG ist erkennbar am BetrVG ausgerichtet und kann nicht als eigenständige Regelung angesehen werden, die ohnehin die gleiche Legitimationsdauer beinhaltet. Im Mitbestimmungsrecht richtet sich die Amtszeit letztlich nach der Dauer, für die das mitbestimmte Organ gewählt wird vgl. §§ 6 Abs. 2; 9; 13 Abs. 1 MitbestG.
c. Verbandsauflösung, Tarifunwilligkeit, OT-Mitgliedschaft
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2. Die Vorschrift erfaßt nach ihrem Sinn, den Verbandstarif als Verhandlungsergebnis zu schützen, neben dem normativen Teil auch die relative Friedenspflicht, damit der Arbeitgeber nicht vorzeitig einen neuen Tarif erzwingen kann. Die nach dem Wortlaut unbegrenzte Fortgeltung ist in zweierlei Hinsicht einzuschränken. Zum einen kommt dem Arbeitgeber ein Quasikündigungsrecht zu, mit dem er seiner Tarifbindung zum nächsten Kündigungszeitpunkt widersprechen kann. Schließlich ist § 3 Abs. 3 TVGin verfassungskonformer Auslegung auf eine Höchstdauer von vier Jahren zu beschränken. 3. Um sich aus dem Regelungswerk eines Tarifvertrages zu befreien, bietet der Verbandsaustritt für den Arbeitgeber nur eine sinnvolle Hilfe, wenn eine Kündigungsmöglichkeit nahe ist. In Fällen, wo der Arbeitgeberverband keine Änderung betreiben kann, weil der Tarifvertrag für längere Zeit unkündbar gestaltet wurde, kann sich der einzelne Arbeitgeber durch Verbandsaustritt dem Verbandstarif lediglich mit einer Vierjahresfrist entziehen, die mit dem wirksamen Austritt beginnt. 4. Der Nutzen des Verbandsaustritts ist für den einzelnen Arbeitgeber sehr beschränkt. Hinzu kommt die Gefahr, daß er von der Gewerkschaft zum Abschluß eines Firmentarifs - notfalls durch Arbeitskampf - gezwungen werden kann. Diese sind, soweit bekannt, kaum günstiger als der entsprechende Verbandstarif1 • Sinnvoll kann der Austritt mittelfristig im Rahmen eines Verbandswechsels sein, wenn die Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG endet und zugleich die Tarifverträge sowie der Schutz des neuen Arbeitgeberverbandes greifen, die für den wechselnden Arbeitgeber günstiger sind.
C. Die Verbandsauflösung; Tarifunwilligkeit und die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung I. VerbaD(lsauflösung Eine weitere Besonderheit, die aus den zwei Ebenen der Arbeitgeberseite beim Verbandstarif folgt, ist die Möglichkeit, die Auflösung des Verbandes zu beschließen. Dieser Weg ist zwar gefährlich, weil der verbandsmäßige Schutz entfällt und auch seine sonst üblichen weiteren Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden. Er könnte aber als ultima ratio in Betracht kommen, wenn die Taritbindung für die Arbeitgeber unerträglich wird, was zum Teil bereits
1 Schaub BB 1996, 1058 ff. - 1059; ders. BB 1996, 2298 ff. - 2300; Heinze DB 1996, 729 ff. - 735.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
in den neuen Bundesländern praktiziert wurde l . Dieser Ausweg setzt allerdings voraus, daß durch diese Auflösung tatsächlich die Tarifbindung der Arbeitgeber entfällt. Dem könnte wiederum § 3 Abs. 3 TVG entgegenstehen. Dessen Wortlaut läßt die einmal bestehende Tarifbindung bis zum Ende des Tarifvertrages fortdauern, ohne daß es darauf ankommt, auf welche Weise die Tarifbindung entfällt. Insoweit scheint eine unmittelbare Anwendung auf die Verbandsauflösung denkbar2 • Es ist jedoch zu beachten, daß § 3 Abs. 3 TVG gedanklich den Fortbestand des Tarifvertrages voraussetzt. Dessen weitere Exisenz wird durch die Verbandsauflösung gerade in Frage gestellt, weil allein der Arbeitgeberverband Partei des Tarifvertrages ist und nicht etwa seine Mitglieder. Ein Verein gilt gemäß § 49 Abs. 2 BGB im Falle seiner Auflösung nur insoweit als fortbestehend, als es die Durchführung der Liquidation erfordert. Aus dieser Fiktion ergibt sich im Umkehrschluß, daß der Liquidationsbeschluß im übrigen zum Verlust der Rechtsfähigkeit führe. Somit bewirkt die Auflösung des Verbandes den Fortfall einer Vertragspartei des Tarifvertrages4 • Da es keinen Rechtsnachfolger gibt, bedeutet dies gleichzeitig das Ende des Vertrages5 • Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Tarifvertrag nicht auch dann gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirken muß, wenn seine Geltung durch Verbandsauflösung entfallen ist. Die Rechtsprechung hatte dies bisher unter Berufung auf den Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG verneint6 • Doch muß mit der wohl h.L. 7 Vgl den von Schaub geschilderten Fall in BB 1995,2003 ff. - 2004. So Ramm, Parteien des Tarifvertrages S. 61 insbes. in Fn. 6a; Kempen / Zachert, § 3 TVG Rz. 39. 3 Erman _ Westerrmann, § 49 Rz. 5; Palandt - Heinrichs, § 49 Rz. 4; m.w.N. MünchKomm - Reuter, § 49 Rz. 7; a.A. Soergel - Hadding, § 49 Rz. 11. 4 Oer Arbeitgeberverband ist jedenfalls im Regelfall als rechtsfähiger Verein organisiert. Etwas anderes gilt gemäß § 730 Abs. 2 S. I BGB beim nichtrechtsfähigen Verein auch nicht, so daß es unbeachtlich wäre, wenn der Arbeitgeberverband ausnahmsweise ein nichtrechtsfähiger Verein sein sollte. 5 So auch BAG AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG OB 1987,590; Koberskil Clasen! Menzel, TVG § 2 Rz. 100; Schaub BB 1996, 2298 ff. - 2299; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 412; Friedrich FS Schaub S. 193 ff. - 194; vgl. flir den schuldrechtlichen Teil auch BAGE 23, 46 ff. = AP Nr. 28 zu § 2 TVG ; vielfach wird der Gegenseite nur ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt - Hueck, Alfred/ Nipperdey, ArbR III 1 § 22 BIll; m.w.N. Wiedemann/ Stumpf, TVG § 2 Rz 23. 6 BAG AP Nr. 17 zu § 613 a BGB = OB 1980, 262; BAG AP Nr. 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = OB 1994, 1683 = BB 1994, 724; BAG AP Nr. 2 zu § 3 TVG 1969 - Verbandsaustritt = OB 1995,231; BAG AP Nr. 22 zu § 1 TVG 1969 Vorruhestand=OB 1995, 1237. 7 Schaub BB 1995,2003 ff. - 2004; ders. BB 1996,2298 ff. - 2299; Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 789; Koberskil Clasen! Menzel, TVG § 2 Rz. 100; Hromodka OB 1996, 1872 ff. 1874; Hueck, A1fred/ Nipperdey ArbR 11 / I § 27 IV 3; m.w.N. 1
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C. Verbandsauflösung, Tarifunwilligkeit, OT-Mitgliedschaft
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und neueren Rechtsprechung8 betont werden, daß sein Zweck eine Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG gebietet. Danach sollen in erster Linie Lücken in den Arbeitsverträgen verhindert werden. Er hat also nicht allein eine Überbrückungsfunktion, wenn nach Ablauf eines Tarifvertrages noch keine Einigung über den Folgetarif erreicht worden ist. Unter "Auslaufen" im Sinne der Vorschrift muß man vielmehr jede Form der Beendigung der unmittelbaren Tarifbindung verstehen. Dies entspricht der Auslegung des § 4 Abs. 5 TVG, wie sie von der aktuellen Rechtsprechung im Falle des Verbands austritts vertreten wird, wenn ein neu ausgehandelter Tarifvertrag an die Stelle eines gemäß § 3 Abs. 3 TVG fortgeltenden Vertrages noch vor dessen Auslauf tritt, obwohl er dann ebenfalls nicht "ausgelaufen" ist, wie es der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG verlangt9 • Entscheidend ist für die Arbeitgeberseite ohnehin, daß selbst bei einer Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG die Friedenspflicht entfällt und jeder Arbeitgeber für sein Unternehmen den Abschluß von Firmentarifverträgen betreiben und notfalls durch Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen suchen kann. Der alte Vertrag entfaltet insoweit eben keine Bindungen mehr. Diese Möglichkeit der normenunterworfenen Arbeitgeber, durch Selbstauflösung des Verbandes den abgeschlossenen Tarifvertrag und damit die eigene Bindung zu beseitigen, erscheint im Sinne der Vertragstreue bedenklich. Daher gibt es verschiedene Versuche, eine solche Beendigung einzuschränken. Der erste Ansatz besteht darin, die Durchführung des Tarifvertrages als Teil der Liquidation anzusehen. Der Verein wäre gemäß § 49 Abs. 2 BGB und § 730 Abs. 2 S. 1 BGB hierfür noch als existent zu behandeln lO • Die Aufgabe der Liquidation besteht in der Versilberung des Vereinsvermögens, damit die Gläubiger geschützt werden. Der Tarifvertrag ist kein Austauschvertrag zwischen den Tarifparteien. Sein Abschluß und seine Durchführung gehören daher zum Vereinszweck. Dieser wird durch den
Kania OB 1995, 625 ff. - 630; der früheren Rechtsprechung folgen hingegen Löwischl Rieble, TVG § 2 Rz. 107 vgl. auch § 4 Rz. 240 ff.; MünchArbR- Löwisch, § 266 Rz. 17. 8 BAG NZA 1998,40 ff. - 42; BAG AP Nr. 4 zu § 3 TVG = BB 1987,403; BAG EzA Nr. 14 zu § 4 TVG Nachwirkung = NZA 1992, 700 ff; BAG EzA Nr. 15 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG OB 1996, 1284 f. = NZA 1996, 769 ff. 9 BAG AP Nr. 13 zu § 3 TVG 1969 = OB 1992, 1213; BAG AP Nr. 14 zu § 3 TVG 1969 = OB 1993, 1220; BAG AP Nr. 14 zu § 3 TVG 1969 Verbandszugehörigkeit. 10 So Hueck, Alfredl Nipperdey ArbR II I I S. 474 f. insbes. Fn. 59; Däubler, TVG Rz. 78; Soergel - Hadding, § 49 Rz. 3; Wiedemannl Stumpf, TVG § 2 Rz. 21; Kempenl Zachert, TVG § 3 Rz. 39.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Auflösungsbeschluß gerade aufgegeben 11 • Die Liquidatoren sind demnach nicht zur Durchführung des Tarifvertrages berufen, denn es gehört nicht zu ihren Aufgaben, Tarifverträge zu kündigen oder über eine eventuell notwendige Anpassung zu verhandeln 12 • Folglich ist eine Anwendung der §§ 49 Abs. 2; 730 Abs. 2 S. 1 BGB nicht möglich. Darüber hinaus würde jedenfalls die Rechtsmacht zum Abschluß neuer Tarifverträge fehlen. Eine solche beschränkte Tarifwilligkeit beseitigt jedoch die Koalitionseigenschaft und damit die Fähigkeit, Tarifvertragspartner gemäß § 2 Abs. 1 TVG zu sein 13 • Des weiteren könnte man eine Schadensersatzpflicht gemäß § 325 BGB erwägen, weil die Vertragsdurchführung durch die Verbandsauflösung unmöglich gemacht wird. Doch könnte der Ersatzanspruch nur gegen den Vertragspartner und nicht dessen Mitglieder geltend gemacht werden. Dies bedeutet, daß er allein auf Geld und nicht auf Naturalrestitution, etwa in Form der Rückgängigmachung der Auflösung, gerichtet sein könnte. Ein Geldanspruch dürfte die Arbeitgeber aufgrund der Haftungsbegrenzung auf das Vereinsvermögen nicht weiter stören. Eine Anwendung des § 325 BGB muß zudem angezweifelt werden. Die Liquidation ist ein gesetzlich geregelter Vorgang, und einen Grundsatz, daß die Auflösung bis zur Durchführung sämtlicher Verträge unzulässig ist, gibt es nicht. Schließlich wird eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG erwogen, weil schon der umfassende Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG solches nahelegt. Insbesondere der Zweck der Vorschrift, den Bestand des abgeschlossenen Verbandstarifs vor einer vertragswidrigen Aushöhlung zu schützen, gebiete eine entsprechende Anwendung auf die Verbandsauflösung l4 • Andernfalls würde eine vertraglich nicht vorgesehene Art der faktischen Beendigung ermöglicht. Außerdem wäre nicht einzusehen, warum Arbeitgeber, die vor der Auflösung ausgetreten waren, der Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG unterlägen, während die Mitglieder, die den Verband aufgelöst haben, frei würden l5 •
11 Dies legitimiert gerade den geringeren Bestandsschutz gegenüber Kauf- und Werkverträgen, was Däubler NZA 1996, 225 ff. - 233 gegen den Tariffortfall durch Verbandsauflösung anführt. 12 RAG BenshS 14, 595 ff. - 601; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille S. 219 f.; Nikisch, ArbR 11 S. 355; Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2004; Koberskil Clasen! Menzel, TVG § 2 Rz. 100a; MünchArbR-Löwisch, § 248 Rz. 32; dies verkennt Däubler NZA 1996, 225 ff. - 233. 13 MünchArbR-Löwisch, § 248 Rz. 32. 14 Maus, TVG § 1 Rz. 303; Frey RdA 1965, 363 ff. - 366; Däubler, TVG Rz. 77, 1521; ders. NZA 1996, 225ff.-233. 15 Däubler NZA 1996,225 ff. - 233.
C. Verbandsauflösung, Tarifunwilligkeit, OT-Mitgliedschaft
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Letzteres ist allerdings ein Scheinargument. Entfällt der Tarifvertrag durch die Verbandsauflösung, fällt auch die Tarifbindung der früher ausgeschiedenen Mitglieder weg, einfach weil der Vertrag vorzeitig sein Ende gefunden hae 6 • Eine analoge Anwendung bedeutet, daß der Tarifvertrag nach der hier vertretenen Auffassung bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit fortgilt. Treten zwischenzeitlich Änderungen der Verhältnisse ein, wäre nicht einmal eine einvernehmliche Anpassung möglich, weil auf der Arbeitgeberseite keine Vertragspartei mehr steht, die ihr Einverständnis erklären könnte. Es würde schon der Partner fehlen, um entsprechende Verhandlungen aufzunehmen l7 • Entscheidend ist letztlich, daß diese Analogie zur Erhaltung der normativen Wirkung führen würde, während der Tarifvertrag mit dem Verschwinden einer Vertragspartei und damit eines Normengebers selbst entfallen ise 8 • Der staatliche Geltungsbefehl knüpft im Tarifvertragsrecht an den Vertrag an. Aufgrund des Gewichts, das dem staatlichen Gewaltmonopol nach dem Grundgesetz zukommt, müssen an die Anerkennung privater Rechtsetzung hohe Anforderungen gestellt werden, was eine derart systemfremde Analogie verbietet. Es ist allein Aufgabe des Gesetzgebers, das private Regelungswerk über den Bestand des Tarifvertrages hinaus durch gesetzliche Anordnung anzuerkennen l9 • Dies hat er ausschließlich mit der dispositiven Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG getan, die vorliegend zum Zuge kommt. Die Gefahr einer Tarifvertragsbeendigung durch die Hintertür der Verbandsauflösung beruht daher auf dem System der frei gebildeten Koalitionen. Eine Fortgeltung - auch nur für die vorgesehene Mindestlaufzeit - ist auch nicht wünschenswert, da etwa bei einer auftretenden Krise ein Gesprächs- und Verhandlungspartner für eine Anpassung fehlen würde. Folglich können Arbeitgeber durch Auflösung ihres Verbandes die von diesem geschlossenen Tarifverträge beenden20 • Trotz der damit verbundenen Nachteile stellt dies beim Verbandstarif eine denkbare Notlösung dar.
16 Vgl. für den Fall des Herauswachsens aus dem Ge1tungsbereich Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 234. 17 Hierauf weist zu Recht Löwisch / Rieble, TVG § 2 Rz. 50 hin. 18 Schaub BB 1995,2003 ff. - 2004; MünchArbR-Löwisch, § 248 Rz. 79. 19 MünchArbR-Löwisch, § 248 Rz. 80. 20 So denn BAGE 53, 179 ff. = NZA 1987,246 ff. = AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG NZA 1998,40 ff. - 41.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
ß. Gewollte Tarifunfähigkeit und Mitgliedschaft ohne Taritbindung Entsprechendes gilt auch bei der sog. gewollten Tarifunfähigkeie l , wenn also der Verband durch Satzungsänderung die Kompetenz verliert, Tarifverträge überhaupt abzuschließen, weil die Satzung die Grenzen seiner Rechtsmacht und damit seiner Rechtsfähigkeit festlegt. Schließlich ist aus diesem Grunde zum Schutze des Rechtsverkehrs gemäß § 71 Abs. 1 BGB die Eintragung der Satzungsänderung konstitutiv. Mit dieser Eintragung verliert der Verband daher seine Eigenschaft als Arbeitgeberverband im Sinne des TVG22 und dürfte auch nicht mehr den vollen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen23 • Die Mitgliedschaft in einem solchen Verband begründet jedoch keine Friedenspflicht der Gewerkschaft; vielmehr kann diese gegen jeden einzelnen Arbeitgeber allein vorgehen und den Abschluß eines Firmentarifs notfalls im Wege des Arbeitskampfes erzwingen. Aus der vereinsrechtlichen Grundlage der Tarifzuständigkeit folgt schließlich auch, daß gegen eine Mitgliedschaft von Arbeitgebern ohne Taritbindung keine wesentlichen Bedenken bestehen, solange diese von der Entscheidung über Tarifverträge und Arbeitskampfmaßnahmen ausgeschlossen bleiben24 • Sie fördern letztlich über ihre Mitgliedsbeiträge lediglich den Arbeitgeberverband und nutzen daneben gewisse Vergünstigungen, etwa Beratung und Rechtsbeistand für gerichtliche Verfahren vor den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten gemäß § 11 Abs. 1 und 2 ArbGG. Ob allerdings letzteres mit dem Zweck des § 11 Abs. 1 und 2 ArbGG sowie mit dem Rechtsberatungsgesetz vereinbar ist, erscheint zweifelhaft, bedarf jedoch vorliegend keiner Vertiefung25 • 21
Wiedemannl Stumpf, TVG § 2 Rz. 47; MünchArbR-Löwisch, § 248 Rz. 77; a.A.
OUo, Sven Joachim NZA 1996,624 ff.- 626 will mit der Gegenmeinung zur Verbands-
auflösung eine Fortgeltung des Tarifvertrages gemäß § 3 Abs. 3 TVG annehmen. 22 M.W.N. Wiedemannl Stumpf, TVG § 2 Rz. 178 ff.; Löwisch I Rieble, TVG § 2 RZ.47. 23 Vgl. Schaub BB 1996, 2298 ff. - 2299 Nach wohl überwiegender Meinung ist zumindest der Wille, Tarifverträge abzuschließen, tatbestandliche Voraussetzung für eine Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG - vgl. zu den Begriffsmerkmalen der Koalition BVerfG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; BVerfG AP Nr. 15 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 14 zu § 2 TVG = BB 1963, 1377; BAG AP Nr. 36 zu § 2 TVG = BB 1987,967. Der Streit, ob auch das Merkmal der Mächtigkeit vorliegen muß, kann hier unberührt bleiben. 24 LAG Rheinland-Pfalz NZA 1995,800; Bauer FS Schaub, S. 19 ff. - 33; Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 528 f.; ausführlich Buchner NZA 1994, 2 ff.-4 ff.; ders. NZA 1995,761 ffund Schlochauer FS Schaub 699 ff. Die OT-Mitgliedschaft hat in jüngster Zeit eine so heftige Diskussion erfahren, daß im Rahmen dieser Arbeit die Fragen nur angerissen werden können, ohne ihren Rahmen zu sprengen. Weitergehend sei daher auf die Arbeit von Besgen, Nicolai Die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, verwiesen. 25 M.W.N. Buchner NZA 1994, 2 ff. -7.
C. Verbandsauflösung, Tarifunwilligkeit, OT-Mitgliedschaft
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Der hiergegen erhobene Einwand, auf diese Weise würde das Tarifrecht umgangen, übersieht, daß es keine Pflicht zur Mitgliedschaft gibt2 6 • Allerdings sind Mitglieder ohne Taritbindung aus tariflicher Sicht als Nichtmitglieder zu betrachten. Das heißt zunächst, für sie greift keine Friedenspflicht, die gegenüber dem Verband besteht. Eine Gewerkschaft kann jederzeit isoliert, notfalls durch Arbeitskampf, den Abschluß eines Firmentarifs betreiben27 • War der Arbeitgeber vorher Vollmitglied, greift § 3 Abs. 3 TVG für die letzten Tarifverträge, die vor dem Wechsel in die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung bestanden28 • Damit wird deutlich, daß die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung letztlich auf eine reine Serviceinanspruchnahme zusammenschrumpft29 , wobei der Arbeitgeber auch darauf hoffen mag, daß seine Beiträge als Fördermittel ihm im Rahmen abgeschlossener Verbandstarife mittelbar zugute kommen, werden doch diese sowohl für einen Firmentarif wie auch ohne diesen für die branchenüblichen Löhne mit maßgeblich sein. Wenn hiergegen eingewandt wird, § 3 Abs. 1 TVG stelle nur auf die Verbandsmitgliedschaft ab, so verkennt dies, daß nach allgemeiner Meinung eine Tarifpartei wirksam ihre Zuständigkeit beschränken darf, was auch die Schaffung einer Mitgliedschaft ohne Taritbindung einschliessen muß 30 • Dies gefahrdet auch nicht etwa das Kampfgleichgewicht, weil der Verband Finanzmittel von Arbeitgebern erhält, die am Kampfergebnis nicht partizipieren3l • Im Gegenteil kann die Gewerkschaft wegen der fehlenden Friedenspflicht gegen das einzelne Mitglied ohne Taritbindung vorgehen, ohne daß der Verband ihm im Arbeitskampf durch solidarische Aussperrung anderer Mitglieder zur Seite treten dürfte32 • Da die Erfahrung lehrt, daß ein Firmentarif in der Regel mindestens gleiche, häufig höhere Arbeitgeberleistungen vorsieht als der Verbandstarif33 , dürften die Mitgliedschaften ohne Taritbindung nur vorSchlochauer FS Schaub 699 ff. -711 f. Buchner NZA 1994, 2ff. - 7f. 28 So Buchner NZA 1994, 2ff. - 9; Dito, Sven Joachim NZA 1996, 624 ff.- 630 f.; Däubler NZA 1996, 225 ff. - 231 f., der allerdings primär die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung für unzulässig hält. 29 Vgl. Buchner NZA 1994, 2 ff. - 2; Der Verband könnte im Hinblick auf Mitglieder ohne Taritbindung letztlich nicht mehr Tarifverband, sondern einfaches Wirtschaftsunternehmen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG sein - Wank NJW 1996, 2273 ff. - 2279. Diese Frage kann hier dahinstehen. 30 Buchner NZA 1994, lff. - 4; ders. NZA 1995, 761 ff. - 764 ff.; Dito, Sven Joachim NZA 1996,624 ff.- 629; Schlochauer FS Schaub 699 ff. - 709. 3l So aber Schaub BB 1995, 2003 ff - 2005; ders., Arbeitsrecht S. 1728; Däubler NZA 1996,225 ff - 231. 32 Buchner NZA 1994, 2 ff. - 8, der finanzielle Unterstützungs leistungen erlauben will. Ob letzteres zu einer Verschiebung des Kampfgleichgewichts führen kann und daher unzulässig ist, kann hier dahinstehen, weil dies nicht die OT-Mitgliedschaft, sondern lediglich solche Unterstützungen ausschließen würde. 33 Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2004. 26 27
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
übergehender Natur sein, sofern der Arbeitgeber nicht ohnehin lediglich einen Beratungs- und Rechtsbeistandsservice wünscht. Ist letzteres etwa der Fall, weil der Organisationsgrad der Arbeitnehmer gering ist, wird der Arbeitgeber - vor die Alternative Tarifbindung oder Austritt gestellt - den Austritt wählen. Die Unzulässigkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung stärkt daher nicht das Kampfgleichgewicht zugunsten der Gewerkschaften34 , sondern dürfte in der Gründung von Sevicegesellschaften enden, denen keine Steuervergünstigung als gemeinnützig mehr zukäme. Nach alledem ist die satzungsmäßig vorgesehene Mitgliedschaft ohne Tarifbindung zulässig, sie bewirkt allerdings, daß der Arbeitgeber im Tarifrecht einem Nichtmitglied in jeder Hinsicht gleichzustellen ist.
ill. Ergebnis Die Verbandsauflösung und die satzungsmäßige Tarifunzuständigkeit haben das Ende vom Verband abgeschlossener Tarifverträge zur Folge. Es tritt lediglich die Nachwirklung des § 4 Abs. 5 TVG ein. Hiermit kann die Arbeitgeberseite daher im äußersten Notfall unter Verzicht auf den künftigen solidarischen Verbands schutz mittelbar ihre Tarifbindung vernichten, wenn die Arbeitgeber anschließend auch einzeln mit der Gewerkschaft über den Abschluß neuer Tarifverträge verhandeln und diese, wenn sie die nachwirkenden Regelungen beseitigen wollen, äußerstenfalls erkämpfen müssen. Die Verbands auflösung und satzungsmäßige Tarifunzuständigkeit eröffnet demnach der Arbeitgeberseite eine effektive Möglichkeit, den Tarifvertrag in einer wirtschaftlichen Krise zu beseitigen und damit die Grundlage für Neuverhandlungen bis hin zum Arbeitskampf zu schaffen. Dies gewährt ihrer Verhandlungs forderung besonderes Gewicht. Von der Notwendigkeit, eigene Vorstellungen vertraglich durchzusetzen, kann die Arbeitgeberseite ohnehin niemand freistellen, wenn man von der theoretischen Möglichkeit staatlicher Festlegung der Arbeitsbedingungen absieht. Daneben bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Arbeitgeberverband, doch handelt es sich dann aus der Sicht des Tarifvertragswesens und Arbeitskampfes um eine Nichtmitgliedschaft.
34 Buchner NZA 1995, 761 ff. - 768f.; Insoweit ist auch zu beachten, daß 10 % des DGB Beamte sind, die ebenfalls keiner Tarifbindung unterliegen, da ihre Rechtsverhältnisse bekanntermaßen durch Gesetze und Verwaltungsrecht ausgestaltet werden - vgl. Schaub BB 1996, 2298 ff. - 2299.
D. Räumliche Verlegung/Sachliche Änderung/Fremdvergabe
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D. Räumliche Verlegung/Sachliche Änderung/Fremdvergabe I. Räumliche Verlegung und sachliche Änderung des Betriebszwecks
Während § 3 Abs. I TVG die Bindung festlegt, setzt die Geltung tarifvertraglicher Regelungen des weiteren voraus, daß der Vertrag nach dem von den Vertragsparteien getroffenen Vereinbarungen einschlägig ist. Er beinhaltet insoweit durchweg eine erhebliche Zahl von Beschränkungen, die seinen Adressatenkreis betreffen. Zu nennen ist hier in erster Linie der räumliche Geltungsbereich 1, weil die meisten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nach Gebieten aufgegliedert sind. Weiterhin ist der fachliche - auch sachlich oder betrieblich genannte - Geltungsbereich von erheblichem Gewicht, wonach der Tarifvertrag nur für solche Betriebe gilt, die bestimmte Zwecke verfolgen2 - Metallverarbeitung, Baugewerbe, Einzelhandel etc. -. Denkbar sind auch persönliche Beschränkungen). Die Satzungen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände enthalten mehr oder minder konkrete Vorgaben, in welchem räumlichen und sachlichen Bereich sie tätig sein wollen. Nach überwiegender Meinung eröffnet erst diese satzungsmäßige Tarifzuständigkeit das Recht der Verbände zum Abschluß von Tarifverträgen, so daß diese Rechtsmacht auch nur innerhalb dieser Zuständigkeit besteht. Entsprechend begrenzen die Schranken der Tarifzuständigkeit neben der eigentlichen Tariffähigkeit die Rechtsmacht der Verbände, Tarifverträge abzuschließen und durchzuführen4 • Sie beschränken daher mittelbar die räumliche und sachliche Anwendbarkeit des Tarifvertrages, selbst wenn diese nicht ausdrücklich im Vertrag niedergelegt wurden. Der Arbeitgeber kann daher durch Sitzverlegung oder Umstellung auf eine tariffremde Produktion der tarifvertraglichen Anwendung ausweichen, obwohl er tarifgebunden bleibt5 •
Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 17 ff.; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 27 ff. M.w.N. Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 21 ff.; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 30 ff. ) M.w.N. Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 28 ff.; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 37 ff. 4 BAG AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich = DB 1956,991; BAG AP Nr. 3 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 1,3,4,5,7 zu § 2 TVG 1969 Tarifzuständigkeit; ausführlich Blank, Die Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften, der jedoch Tarifverträge nur bei offensichtlicher Tarifunzuständigkeit für unwirksam hält - S. 90 ff. -96 ; vgl. ferner m.w.N. Buchner ZfA 1995,95 ff - 97 ff, 105 f; Hromodka DB 1996, 1872 ff. - 1872; Löwisch/ Rieble, TVG § 2 Rz. 87 ff.; Wiedemann/ Stumpf, TVG § 2 Rz. 9 u. 27; Konzen ZfA 1975, 401 ff. - 415 ff.; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 384f.; Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 30 ff; Kempen/ Zachert, TVG § 2 Rz. 110; a.A. Gamillscheg, Kollektives ArbR Bd. I S. 536 ff.; früher m.w.N. Hagemeier/ Kempen/ Zachert/ Zilius, TVG § 2 Rz. 97 ff. 5 V gl. Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2003. 1 M.w.N.
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25 Beathalter
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Eine Mindermeinung hält eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG in diesen Fällen für angebracht, damit jegliche Unterlaufungsstrategien verhindert werden6 • Doch beruhen räumliche und sachliche Beschränkungen anders als die mitgliedschaftliehe Komponente der Normsetzungsbefugnis nicht auf dem Tarifvertragsgesetz, sondern auf dem jeweiligen Tarifvertrag oder der eigenen Satzung der Tarifpartner. Eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG würde folglich die tariflichen Anwendungsvoraussetzungen und somit wesentliche Bestandteile des Vertrags selbst in Frage stellen. § 3 Abs. 3 TVG ist darauf ausgerichtet, die gesetzliche Anknüpfung zu erhalten und auf diese Weise den Tarifvertrag zu sichern. Eine analoge Anwendung, mit der der Inhalt des Tarifvertrages verändert wird, widerspricht gerade diesem Zweck des § 3 Abs. 3 TVG7 • Wollen die Tarifpartner eine Fortwirkung des Vertrages, so bleibt es ihnen unbenommen, entsprechende Vereinbarungen gegen solche Fluchtmöglichkeiten ausdrücklich zu treffen. Die Gefahr einer Flucht aus dem räumlichen Geltungsbereich wird zudem durch die Tatsache gemindert, daß im neuen Bereich andere Gebietsvereinigungen der Gewerkschaft und des Arbeitgeberverbandes mit ihren Tarifverträgen vorhanden sind. Die dortige Gewerkschaft kann mangels Friedenspflicht jederzeit den Arbeitskampf eröffnen, wenn weder eine friedliche Einigung zu erzielen ist noch der Arbeitgeber dem nunmehr zuständigen Arbeitgeberverband beitritt. Auch eine Änderung des Betriebszwecks für das gesamte Unternehmen kann nicht als tarifwidrige Unterlaufungsstrategie angesehen werden, weil damit der Unternehmenscharakter geändert und auf diese Weise die Grundlage der Tarifgeltung beseitigt wird8 • Die Möglichkeiten, sachfremde Unternehmensteile auszugründen oder rechtsgeschäftlieh im Rahmen eines Konzerns zu übertragen, wurden bereits ausführlich mit den einhergehenden Rechtsfolgen behande1t9 • Wie bereits ausgeführt, tritt bei jeder Form der Beendigung der Tarifbindung für ein Arbeitsverhältnis die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ein lO , 6 Däubler, TVG Rz. 93b, 264, 271; LAG Bayern, Amtsbl. d. Bay. Staatsministeriums f. Arbeit u. Soziale Fürsorge 1958, Nr. 8, C 37. 7 Vgl. BAGE 32,113 ff. - 120=APNr. 17 zu § 613 aBGB; BAG SAE 1995,75 ff.76; BAG AP Nr 1 und Nr. 2 zu § 3 TVG Verbandsaustritt; Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 232 f.; Konzen ZfA 1975,401 ff. - 413. 8 Vgl. Bieback OB 1989,477 ff.- 478; Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 192 f. 9 s.o. unter A - Seite 334 ff., insbesondere Seite 344 f. 10 s.o. CI - Seite 378 ff.; so auch BAG AP Nr. 4 zu § 3 TVG = BB 1987,403; BAG NZA 1998,484 ff. - 487; BAG NZA 1998,488 ff. - 490 f; Gamillscheg, Kollektives
O. Räumliche Verlegung/Sachliche Änderung/Fremdvergabe
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was auch hier gelten muß. Wer der Gegenmeinung folgt, muß zumindest auf die gesetzlichen Mindestbestimmungen zurückgreifen, so daß das Entgelt über § 612 BGB abgesichert ist. Der Arbeitgeber muß folglich sogar bei einer räumlichen Verlegung oder sachlichen Zweckänderung noch weitere Maßnahmen ergreifen, um eine Änderung im einzelnen Arbeitsverhältnis durchzusetzen. Ob hierfür bereits der Beitritt zu einem neuen Verband genügt, oder er im Wege einer Angriffsaussperrung und sogar einer gleichzeitigen Massenänderungskündigung vorgehen muß - hier allerdings mit der Besonderheit, daß eine andere Gewerkschaft Angriffsgegner wäre -, soll offengelassen werden, weil dies von der noch später zu erörternden allgemeinen Frage abhängt, ob in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander Anwendung fmden können.
11. Fremdvergabe Schließlich könnte ein Arbeitgeber versuchen, durch Drittvergabe von Arbeiten Eigenleistungen zu beseitigen, die aufgrund der eigenen Taritbindung teuer erscheinen. Doch bestehen auch hier Schranken. Wird der Dritte - eventuell mit eigenen Arbeitnehmern - im Betrieb des Arbeitgebers tätig, so kann der Arbeitgeber gleichwohl zur Erbringung tariflicher Leistungen verpflichtet sein, wenn eine Gesamtschau der Einzelumstände ergibt, daß seine Selbständigkeit nur vorgespiegelt und daher tatsächlich als unmittelbarer Arbeitnehmer und etwaige Mitarbeiter, zumindest als mittelbare Arbeitnehmer einzustufen sind 11. Dies kann füF den Arbeitgeber sogar zu höheren Belastungen als beim Tariflohn führen, wenn er mit dem vereinbarten Entgelt die soziale Sicherung des Dritten abdecken wollte und nunmehr auf dieser höheren Grundlage die Zahlung des Arbeitgeberanteils an den Gesamtsozialversicherungsabgaben zusätzlich schuldee 2 • Dementsprechend hat das BAG kürzlich geurteilt, daß die Absicht des Arbeitgebers, unter formaler ArbR I S. 723; Schaub BB 1995,2003 ff. - 2004; ders. BB 1996,2298 ff. - 2299; Hromodka/ Maschmannl Wallner, Oer Tarifwechsel Rz. 258;a.A. Löwisch/ Rieble, TVG § 4 Rz. 240 ff.; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 409, flir den Fall, daß es im neuen Bereich eine andere tarifzuständige Gewerkschaft gibt. 11 Vgl. zur Abgrezung von Arbeitnehmer und Selbständigen BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte = OB 1961, 1136 = NJW 1961,2085; BAG AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit = OB 1983,2042 = BB 1983, 1855 = EzA Nr. 26 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LG München NZA 1997, 943 f.; Hromodka NZA 1997, 569 ff.; Löwisch, Arbeitsrecht Rz. 4; m.w.N. Schaub, Arbeitsrecht S. 42 ff.; Schaub; ausflihrlichst m.w.N. Worzalla, Arbeitsverhältnis - Selbständigkeit, Scheinselbständigkeit, insbesondere zu wichtigen Indizien Rz. 143 ff. und Rz. 410 ff. 12 Vgl. hierzu Worzalla, Arbeitsverhältnis - Selbständigkeit, Scheinselbständigkeit Rz. 395 ff.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Aufgabe der Arbeitgeberstellung selbst keine Arbeitnehmer mehr zu beschäftigen, sondern die Arbeit fremd zu vergeben, keine Unternehmerentscheidung darstellt, die zu einer Beendigungskündigung berechtigt, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Fremdvergabe weitgehend das Weisungsrecht behält 13 • Auch wenn der Arbeitgeber keine Scheinselbständigen nutzen will, sondern wirklich die Vergabe von Aufgaben an Dritte beabsichtigt - was die Regel sein dürfte -, ist darauf hinzuweisen, daß eine vollständige Übertragung von Dienstleistungsaufgaben im Wege der Fremdvergabe als rechtsgeschäftliche Betriebs- bzw. Betriebsteilübertragung im Sinne des § 613 a BGB anzusehen sein kann l4 • Folglich kann der Dritte gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet sein, die Arbeitnehmer zu übernehmen und ihnen gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB auch weiterhin die tariflichen und betrieblichen Leistungen zu gewähren. Sinnvoll kann dieser Weg für Unternehmen sein, die eine Aufstockung ihrer personellen Arbeitskapazitäten erwägen, mit den neuen Arbeitnehmern aber nicht unter einen teuren Tarifvertrag fallen wollen. Aus diesem Grunde hat z.B. die VW AG erwogen, eine eigene Zeitarbeitsftrma für anfallende Mehrarbeit zu gründen, die dem im Verhältnis zum Firmentarif günstigen Verbandstarif angehört 15.
m. Ergebnis Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß der Arbeitgeber aus einem ungenehmen Tarifvertrag die Konsequenz ziehen kann, woanders oder etwas andeBGH NJW 1997, 885f. Es würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, die Frage und Diskussion über die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Betriebs- bzw. Betriebsteilübergangs bei Dienstleistungen im Gefolge der neueren EuGH-Rechtsprechung darzulegen. Der EuGH hat mittlerweile die mit seiner Entscheidung EuGH DB 1994, 1370 f. = AuR 1994,274 aufgestellte Formel, wonach allein die Übertragung von Aufgaben auf Dritte als Betriebsteilübergang anzusehen sei, eingeschränkt und selbst festgestellt, daß diese Sichtweise unbeachtet lassen würde, daß der Begriff des Betriebes bzw. Betriebsteils nicht auf eine Tätigkeit beschränkt werden kann - vgl. EuGH NZA 1997,433 ff. = ZIP 1997, 516 ff. = DB 1997,628 ff. = EuZW 1997,244 ff. = BB 1997,735 ff; so denn auch BAG NZA 1997, 1050 ff. = DB 1997, 1720 f.; zustimmend zu dieser "KlarsteIlung" des EuGH Buchner NZA 1997,408 f.; Heinze FS Schaub 275 ff. - 275 ff.; Vielmehr ist für den Betrieb eine tatsächliche Organisationsstruktur entscheidend, die sächliche, geistige und personelle Produktionsmittel verbindet. Dabei mag zwar in einem Dienstleistungsbereich den sächlichen Mitteln nur geringe Bedeutu~g zukommen, doch muß gleichwohl zumindest eine anhand von Indizien feststellbare Ubertragung einer Organisationsstruktur verlangt werden. Insoweit überzeugt die Auffassung von WendelingSchröder, AuR 1995, 126 ff., insbesondere 130 f.; vgl. auch m.w.N. Schaub, Arbeitsrecht § 118 11; Fitting / Kaiser / Heither / Engels, BetrVG § 1 Rz. 94 ff.; Gaul, Bjöm AuR 1995, 119 ff. 15 Vgl. "VW will eigene Zeitarbeitsfirma", Handelsblatt Nr 64 vom 03.04.1997 S. 3. 13
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E. Tarifkonkurrenz, Tarifpluralität, Tarifeinheit
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res zu produzieren. Dadurch wird es ihm möglich, seine unmittelbare Tarifbindung aufzuheben. Darin darf man keine Umgehung sehen, weil er lediglich in zulässiger Weise Konsequenzen für seine unternehmerische Tätigkeit aus einem nach seiner Auffassung untragbar gewordenen Tarifwerk zieht. Gleichwohl wird der Tarifvertrag nicht folgenlos - solange der Arbeitgeber im Bereich der Bundesrepublik Deutschland verbleibt -, weil er gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt.
E. Tarifkonkurrenz I Tarifpluralität und der Grundsatz der Tarifeinheit Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit für Arbeitgeber könnte sich aus dem sog. Grundsatz der Tarifeinheit ergeben. Im Gegensatz zu einer denkbaren "Rosinentheorie" besagt diese Kollisionsregel, daß bei verschiedenen anwendbaren Tarifverträgen nur einer insgesamt zur konkreten Anwendung kommen kann, wobei der maßgebende Vertrag sich nach überwiegender Ansicht nach dem Grundsatz der Spezialität bzw. Sachnähe ergeben soll!. Sachnäher ist in diesem Sinne der auf einen kleineren Ausschnitt bezogene Tarifvertrag, also insbesondere ein Firmen- vor einem Verbandstarif und der nach dem Branchenschwerpunkt des jeweiligen Unternehmens sachnähere Verbandstarif vor einem sachferneren. Über diese Grundaussage besteht überwiegend Einver-
! BAG AP Nr. 2 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1957,358; BAG AP Nr. 3, 11, 12 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG AP Nr. 70, 126 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau; BAG AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1990, 129; BAG AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1990, 2527; BAGE 67, 330 ff. = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1991,1719 = BB 1991, 1861 ff.; BAG AP Nr. 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = BB 1994, 723; BAG AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1994,2633; Schaub, Arbeitsrecht S. 1696; Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 147; Löwisch/ Rieble FS Schaub 457 ff. - 460f. Nach anderen Ansätzen sollen nachfolgende Konkurrenzregeln gelten bzw. werden erwogen: - Vorrang der mitgliedschaftlichen Bindung vor der allgemeinverbindlichen Müller, Bernd NZA 1989,449 ff. - 452; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 421; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 299 - Vorrang des aktuellen vor einem nachwirkenden Tarifvertrag, Löwisch/ Rieble. TVG § 4 Rz. 299 - Vorrang des aktuellen vor einem fortgeltenden Tarifvertrag nach Verbandswechsel, Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1292; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 301 - Vorrang des günstigeren Tarifvertrages, Däubler, TVG Rz. 1493 f. - Kriterium der intensiveren Legitimationsqualität, Kempen/ Zachert, § 4 TVG Rz 136 - Wahlrecht des Arbeitnehmers Hagemeier/ Kempen/ Zachert/ Zilius, TVG § 3 Rz. 29; Merten, BB 1993, 572 ff. - 573; Gegen diese abweichenden Ansätze Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 135 ff.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
ständnis, mögen auch Einzelheiten bei der Feststellung der Spezialität umstritten sein. I. Kollusion von Betriebsund betriebsverfassungsrechtlichen Normen Nach wohl einhelliger Meinung gilt dieser Grundsatz der Tarifeinheit betriebsbezogen, soweit es um Betriebsnormen und betriebsverfassungsrechtliche Normen im Sinne des § 3 Abs. 2 TVG gehe. Dies ist bei Betriebsnormen unausweichlich, da nach hiesigem Verständnis nur solche Regelungen zulässig Inhalt von Betriebsnormen sein dürfen, die eine einheitliche Geltung für den Betrieb erfordern. Dies erlaubt keine Mischanwendung zweier konkurrierender Tarifverträge. Auch bei betriebsverfassungsrechtlichen Normen wird man diese Sicht aufgrund der Wertung des § 3 Abs. 2 TVG unterstellen können. Daher kann die Arbeitgeberseite durch Abschluß speziellerer Tarifverträge ungenehme Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen abstreifen. Dies ermöglicht ihr - zumindest aus der Sicht der Gewerkschaft des zurücktretenden Tarifvertrages - eine einseitige Aufhebung bzw. Änderung, sofern diese nicht auch Vertragspartner des spezielleren Tarifvertrages ist. Allerdings wird diese Möglichkeit in der Praxis erheblich durch den Zusammenschluß der meisten Gewerkschaften im DGB reduziert, bei dem eine interne Streitschlichtung betroffener Gewerkschaften untereinander über ihre Zuständigkeiten vorgesehen ist. Die Rechtsprechung hat insoweit sogar die Regelung über die DGB-Schiedsstelle für einen Zuständigkeitsstreit zweier DGBGewerkschaften als Beschränkung der satzungsmäßigen Tarifzuständigkeit der angeschlossenen Gewerkschaften mit der Folge angesehen, daß diese Außenwirkung entfaltet und der Arbeitgeber selbst mit einer sachlich zutreffenden Gewerkschaft keinen Tarifvertrag abschließen kann, wenn eine DGBSchiedsstelle anders entschieden oder bei notwendiger Anrufung noch nicht angerufen wurde 3 • Die daneben bestehenden DAG und ÖTV handeln ebenfalls in Absprache zum DGB und untereinander, um eine Aufsplitterung der Arbeitnehmerseite zu verhindern4 •
2 BAG AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1990, 129; BAG AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1990,2527; BAGE 67, 330 ff. = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = DB 1991,1719 = BB 1991, 1861 ff.; Merten, BB 1993, 572 ff. 576 ff.; Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 121. 3 BAG DB 1997,731 ff. 4 Die Tatsache, daß das Industrieverbandsprinzip eine Tarifpluralität nicht ausschließt, beweist gerade die häufigeren Entscheidungen über den Grundsatz der Tarifkonkurrenz. Eine Darstellung dieser Entscheidungen findet sich etwa bei Kraft RdA 1992, 161 ff. - 162 f.
E. Taritkonkurrenz, Tarifpluralität, Tarifeinheit
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Auszuschließen ist diese Möglichkeit schon deshalb nicht, weil es auch einige kleinere Gewerkschaften und insbesondere die konkurrierenden christlichen Gewerkschaften gibt. Doch muß der Arbeitgeber anschließend mit einer "besonderen" Behandlung durch die mächtigeren Gewerkschaften rechnen, die etwa höhere Leistungen in Inhaltsnormen für den Fall vorsehen können, daß bei einem Arbeitgeber die im Tarifvertrag vorgesehenen Betriebsund betriebsverfassungsrechtlichen Normen nicht zur Anwendung kommen. Die Bedeutung dieser denkbaren "Einsparungsmöglichgkeit" wird für die Arbeitgeberseite schließlich ganz erheblich dadurch reduziert, daß solche Normen nach hiesigem Verständnis gerade nicht die elementaren materiellen Arbeitsbedingungen von Lohn und Zeit regeln dürfen. ll. Kollusion sonstiger Tarifnormen im Einzelarbeitsverhältnis
- Taritkonkurrenz Einigkeit besteht auch insoweit, daß der Grundsatz der Tarifeinheit gerade dann gilt, wenn ein Fall der sogenannten Tarifkonkurrenz vorliegt5 , also nach gängiger Deflnition in einem konkreten Arbeitsverhältnis verschiedene Tarifverträge auf welcher Grundlage auch immer kollidieren6 • Solche Konstellationen sind etwa denkbar, wenn ein Unternehmen mitgliedschaftlich oder aufgrund staatlicher Allgemeinverbindlicherklärung einem Verbandstarif unterfallt und zugleich einen Firmentarif abschließt. Ein Unternehmen kann auch in mehreren Verbänden etwa aus unterschiedlichen Branchen Mitglied sein. Eine Tarifkonkurrenz kann auf der einzelvertraglichen Bezugnahme eines anderen Tarifvertrages beruhen, etwa bei der bereits erörterten Ausgründung von Untemehmensteilen mit anderem sachlichen Schwerpunke. Die Konkurrenz 5 Ständige Rechtsprechung seit BAG AP Nr. 4 zu § 4 TVG Taritkonkurrenz = BB 1957, 544; Fenn FS Kissel 1994 S. 236 ff; Konzen RdA 1978, 146 ff.; Wiedemannl Stumpf, TVG § 4 Rz. 162; Bieback DB 1989,477 - 479; Etzel NZA 1987, Beil. 1 S. 19; Kraft RdA 1992, 161 ff. - 165; Löwisch I Rieble, TVG § 4 Rz. 294; Hohenstatt DB 1992, 1678 ff. - 1679; MünchArbR-Löwisch, § 269 Rz. 21; Merten BB 1993, 572 ff. 573; Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1291; Kempenl Zachert, TVG § 4 Rz. 128 ff.; Hromodkal Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 134. 6 Hromodkal Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 131; Merten BB 1993, 572 ff. - 572; Kempenl Zachert, TVG § 4 Rz. 117. 7 Bei einer einzelvertraglichen Bezugnahme wird allerdings die Frage der Tarifeinheit und des vorrangigen Tarifvertrages sehr kompliziert. In dieser Prüfung vermischt sich die individuelle Günstigkeit gemäß § 4 Abs. 3 TVG mit der Konkurrenz von Tarifverträgen auf gleicher Ebene. Daher kann eine Entscheidung jedenfalls hier nicht allein mit der Sachnähe erfolgen. Dies verkennt insbesondere HAGE 67,330 ff. = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Taritkonkurrenz = DB 1991, 1779 ff. = BB 1991, 1861 ff., wenn es ausführt, daß es unerheblich sei, ob die Taritkonkurrenz auf eine einzel vertragliche Bezugnahme zurückzuführen ist. Setzt ein Arbeitnehmer, etwa ein qualifizierter und begehrter Facharbeiter, einzelvertraglich die dynamische Anwendung eines sachfremden Tarifvertrages durch, der regelmäßig höhere Tarifleistungen als der sachlich zutreffende
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
kann schließlich aufgrund der individualvertraglichen Fortgeltung von Tarifregelungen gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB herrühren. In all diesen Fällen darf nur ein Tarifvertrag gelten und nicht die jeweils für den Arbeitnehmer günstigere Regelung. Der Arbeitgeber kann die echte Tarifkonkurrenz jedoch nur sehr begrenzt beeinflußen. Die Arbeitnehmer sind aufgrund ihrer eigenen Organisationsentscheidung oder aufgrund der staatlichen Allgemeinverbindlicherklärung unmittelbar tarifgebunden. Der Arbeitgeber kann daher lediglich durch einzelvertragliehe Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag eine Tarifkonkurrenz herbeizuführen suchen. Doch kann er dies jedenfalls nicht kurzfristig ohne Mitwirkung seiner Arbeitnehmer erreichen, da er im Hinblick auf die unmittelbare Drittwirkung der negativen Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auch in einer wirtschaftlichen Notlage unter keinen Umständen, also auch nicht betriebsbedingt, eine Änderungskündigung verbunden mit dem Änderungsangebot aussprechen kann, den Arbeitsvertrag nur unter Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag fortzusetzen8 • Selbst wenn er eine Bezugnahme erreicht, ist es schon äußerst fragwürdig, ob hierdurch tatsächlich ein Fall der Tarifkonkurrenz eintritt, weil eine Kollektivnorm gemäß § 4 Abs. 1 TVG unabdingbar und daher eine einzelvertragliche Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag unwirksam ist, die den kollektivrechtlich geltenden Tarifvertrag verdrängen soll. Dies wäre nur im Rahmen der Günstigkeit des § 4 Ab. 3 TVG möglich, die festzustellen häufig nicht möglich sein wird. Will er mittelfristig der Taritbindung entgehen, genügt der Tarifvertrag vorsieht, so würde das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG verletzt, wenn man etwa im Falle der Allgemeinverbindlicherklärung des sachlich zutreffenden Tarifvertrages mit dem Grundsatz der Spezialität die günstigere einzelvertragliche Bezugnahme beseitigen würde. Andererseits kann nicht einfach die einzelvertragliche Bezugnahme als günstigere Lösung betrachtet werden, da sonst der Arbeitgeber einem organisierten Arbeitnehmer gegebenenfalls einen schlechteren Tarifvertrag aufzwingen könnte. Daher wird man darüber nachdenken müssen, ob neben der Spezialität oder Sachnähe nicht auch eine Gewichtung der verschiedenen Geltungsgründe zueinander bzw. eine differenzierte Lösung verfolgt werden muß. Beispielhaft erscheint es denkbar, allgemeinverbindliche Tarifverträge allgemein zurücktreten zu lassen, dem Arbeitnehmer einen Widerruf einzelvertraglicher Bezugnahmen bei Geltung eines anderen Tarifvertrages zu gestatten, der mitgliedschaftlichen Tarifbindung solange den Vorrang einzuräumen, bis der Arbeitnehmer aus der Gewerkschaft austritt. Insoweit dürfte es angebracht sein, die denkbaren Fallvarianten von überschneidender kollektiver und individueller Geltung zu typisieren, angemessenen Lösungen zuzuführen und hieraus abstrakte Grundsätze abzuleiten. Doch würde dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wo ohnehin bisher dieser Fragenkomplex noch nicht wissenschaftlich hinreichend durchdrungen wurde. Hinzuweisen ist auf entsprechende Ansätze bei Hohenstatt DB 1992, 1678 ff. - 1682 f. und Merten BB 1993, 572 ff. - 577f. 8 So hat denn auch das LAG-Berlin NZA 1997, 96 f. in einer ähnlichen Frage entschieden, daß eine Änderungskündigung eines tarifgebundenen Arbeitnehmers nicht zulässig ist, weil dieser den Abschluß einer tarifwidrigen Abrede verweigert hat.
E. Tarifkonkurrenz, Tarifpluralität, Tarifeinheit
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Verbandsaustritt, bei dem er kein Risiko eingeht, daß eine von ihm veranlaßte Bezugnahme einer rechtlichen Überrüfung nach § 4 Abs. 1 und Abs. 3 TVG nicht standhält oder im Wege der Spezialität verdrängt wird.
ill. Kollusion sonstiger Tarifnormen auf der Betriebsebene - Tarifpluralität Heftig umstritten ist die Frage, ob auch bei der sog. Tarifpluralität - diese liegt vor, wenn in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander gelten würden9 - ein solches Nebeneinander für sonstige Tarifnormen zulässig oder, wie bei den Betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen, ebenfalls nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen ist. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur nehmen im Falle solcher Pluralität eine umfassende Kollusion der Verträge an, die über den Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen ise o• Demgegenüber betont das neuere Schrifttum ganz überwiegend, daß dieser Grundsatz bei sonstigen Normen nur in bezug auf das Einzelarbeitsverhältnis Anwendung fmden dürfe. Im übrigen sei eine Verdrängung sonstiger Tarifnormen bei bloßer Tarifpluralität hingegen nicht zulässig, weil ohne Tarifkonkurrenz im Einzelarbeitsverhältnis keine aktuelle Kollusion eintritt, die Anlaß für eine Verdrängung sein könntelI. 9 BAG AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = OB 1990, 2527; BAGE 67, 330 ff. = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = OB 1991,1719 = BB 1991, 1861 ff.; Hro-
modka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel Rz. 132. 10 BAG AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = OB 1990, 129; BAG AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = OB 1990,2527; BAGE 67,330 ff. = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = OB 1991,1719 = BB 1991, 1861 ff.; bei Tarifpluralität zwischen OGB-Gewerkschaften Schaub BB 1996, 2298 ff. - 2300; bei Tarifpluralität wegen Verbandswechsels Gerhards BB 1995, 1290 ff. - 1292; differenzierend Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 752 f., der den Grundsatz der Tarifeinheit bei mehreren Tarifverträgen verschiedener Industriezweige rur sinnvoll hält. Er lehnt die Tarifeinheit jedoch bei dem Nebeneinander von Industrietarif und Berufstarif, etwa Tarif der Pilotenvereinigung, ab. Buchner ZfA 1995, 95 ff. - 110 ff. insbes. 117 ff. mit der Modifikation, daß er konstruktiv einen untemehmens- und nicht nur betriebsbezogenen Grundsatz der Tarifpluralität durch entsprechende Beschränkung der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaften erreichen will. Da er aber mit dem Grundsatz der Tarifeinheit zunächst die speziellste als einzig tarifzuständige Gewerkschaft feststellen will, setzt er letztlich diesen Grundsatz wie die Rechtsprechung voraus. 11 Fenn FS Kissel1994 S. 229 ff. - 236; Däubler, TVG Rz. 1502 ff; Merten BB 1993, 572 ff. - 575 ff.-579; MünchArbR-Löwisch, § 269 Rz. 17 ff.; Löwisch/ Rieble FS Schaub 457 ff. - 461; dies. TVG § 4 Rz. 290 ff.; Reuter JuS 1992, 105 ff; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht S. 422f.; Hohenstatt OB 1992, 1678 ff. - 1683, der betont, daß der Grundsatz der Tarifeinheit bei der Feststellung von Tarifpluralität in Auslegungsfragen eine Rolle spielen kann - aaO. - 1680; differenzierend Kania OB 1996, 1921 ff., der den Grundsatz der Tarifeinheit bei konkurrierenden Tarifverträgen von OGB-Gewerkschaften anerkennen will, weil die Satzung des OGB mit dem sog. Industrieverbandsprinzip
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Diese Frage ist für die vorliegende Arbeit deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung, weil sie dem Arbeitgeber verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, um der Bindung ungenehmer Tarifverträge zu entgehen. So ist es denkbar, daß er mit einer Gewerkschaft einen für ihn günstigeren Firmentarifvertrag abschließt 12 • Enthält dieser nur eine Betriebs- oder betriebsverfassungsrechtliche Norm, so genügt es für eine Anwendung des Tarifvertrages nach § 3 Abs. 2 TVG, wenn nur ein Arbeitnehmer im Betrieb dieser Gewerkschaft angehört. Sodann müßte nach der Sicht der Rechtsprechung der sachnähere Firmentarifvertrag andere Verbandstarifverträge ausschließen, und zwar unabhängig davon, ob diese eigentlich wegen beidseitiger Tarifgebundenheit, einzelvertraglicher Bezugnahme oder Allgemeinverbindlicherklärung gelten. Für die Nicht- oder Andersorganisierten kann also sogar bei staatlicher Allgemeinverbindlicherklärung oder beidseitiger Tarifgebundenheit ein tarifloser Zustand eintreten, der eigentlich nicht einmal durch eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG gemildert werden könnte, weil auch der nachwirkende Tarifvertrag im Falle der Pluralität durch einen spezielleren Tarifvertrag verdrängt werden müßte l3 • Zwar könnte die Rechtsprechung noch einschränkend prüfen, ob die Gewerkschaft, die den Firmentarif abgeschlossen hat, tariffahig, insbesondere mit ausreichender Mächtigkeit ausgestattet, und sonstige Schranken der Rechtsetzungsmacht, insbesondere ihre satzungsmäßigen Zuständigkeitsbestimmungen eingehalten hat. Doch sind solche Sekundärbehelfe fragwürdig und schließen nicht aus, daß sie im Einzelfall versagen. Neben der unmittelbaren Nutzung durch Abschluß eines konkurrierenden Firmentarifs fördert es mittelbar andere Möglichkeiten der Arbeitgeberseite, ihren Tarifverpflichtungen zu entgehen und kann diesen sogar erst die Effektivität verschaffen, die ihnen sonst fehlen würde. So wurde bereits bei der rechtsgeschäftlichen Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen, der gesetzlichen Rechtsnachfolge bei den verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Verschmelzung, der Aus- und Umgründung u.ä., dem Verbandswechsel 14 oder -auflösung, der Verlegung aus dem räumlichen Bereich oder der Änderung des sachlichen Betriebszwecks l5 angeeine Art Einplatzprinzip vorsieht - also jeweils nur eine zuständige DGB-Gewerkschaft für einen Industriezweig. Kania stellt somit auf die Möglichkeit einer satzungsmäßigen Beschränkung der Tarifrnacht ab. Doch bleiben auch dann die Fragen bei der Nachwirkung, der Allgemeinverbindlicherklärung und der einzelvertraglichen Bezugnahme bestehen. 12 Diese Gefahr betont auch Schaub BB 1995,2003 ff. - 2005. lJ Diese Konsequenz hat das Bundesarbeitsgericht alle~.dings in einer aktuellen Entscheidung nicht ziehen wollen, obwohl die praktischen Uberlegungen, mit denen das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifeinheit im übrigen begründet, auch hier greifen. 14 Auf diese Gefahr weist insbesondere Däubler NZA 1996, 225 ff. - 230 hin. 15 Vgl. Hromodka DB 1996, 1872 ff. - 1874 f.
E. Tarifkonkurrenz, Tarifpluralität, Tarifeinheit
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sprochen, daß zumindest der status quo für die Arbeitnehmer zunächst geschützt wird. Sei es, daß die alten Tarifregelungen unabdingbar gemäß § 3 Abs. 1 TVG, § 3 Abs. 3 TVG; § 5 Abs. 4 TVG, zunächst, wenn auch zeitlich begrenzt unabdingbar gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB oder zumindest dispositiv über § 4 Abs. 5 TVG erhalten bleiben. Eine einzelvertragliche Bezugnahme würde ohnedies bis zu einer neuen Absprache fortgelten. Wendet man in all diesen Fällen den Grundsatz der Tarifpluralität an, kann der Arbeitgeber der Fortgeltung des alten Tarifvertrages entkommen, ohne daß eine Bindung an die neue Tarifregelung im einzelnen Arbeitsverhältnis bestehen muß. Es kann daher in all diesen Fällen ein tarifloser Zustand eintreten, bei dem lediglich die gesetzlichen Mindestbedingungen geschuldet werden l6 • Nachdem die praktische Tragweite verdeutlicht wurde, soll nunmehr auf den Streitstand selbst eingegangen werden. Für die Entscheidung, ob bereits bei Tarifpluralität der Grundsatz der Tarifeinheit anzuwenden und damit die zuvor beschriebene Gefahr tarifloser Arbeitsverhältnisse und der arbeitgeberseitigen Möglichkeit, die Tarifbindung in mannigfaltiger Weise zu entgehen, hinzunehmen ist, muß man sich zunächst als Ausgangspunkt bewußt machen, daß eine gesetzliche Regelung für die Kollision von Tarifverträgen gänzlich fehlt. Folglich stellt jede Kollisionsregel eine Rechtsfortbildung dar. Da die Einschlägigkeit eines Tarifvertrages im erheblichen Maße die Stellung der Arbeitnehmer berührt, handelt es sich zumindest um einen erheblichen Eingriff in die durch Art.12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit17 • Soweit ein Tarifvertrag verdrängt werden soll, der nicht aufgrund staatlicher Allgemeinverbindlicherklärung oder einzelvertraglicher Bezugnahme gilt, greift eine solche Kollisionsregel in die durch Art. 9 Abs. 3 GG gleichermaßen geschützte positive Koalitionsfreiheit der betroffenen organisierten Arbeitnehmer, die auf die Stufe Nichtorganisierter zurückfallen 18, und der 16 Vgl. etwa Zöllner DB 1995, 1401 ff. - 1403 ff; Hromodka DB 1996, 1872 ff. 1876 für den Fall der Fortgeltung gemäß § 613 a BGB bei der Übertragung eines Betriebsteils mit abweichendem Branchenschwerpunkt Letzterer empfiehlt aus diesem Grund den Beitritt im neuen Verband - Hromodka aaO - 1878. 17 Teilweise wird angenommen, daß durch den Druck, zumindest die Leistungen des vorrangigen Tarifvertrages durch Verbandsbeitritt zu erlangen, die negative Koalitionsfreiheit eines Anders- oder Nichtorganisierten verletzt würde; LAG Niedersachsen LAGE Nr. I zu § 4 TVG Tarifpluralität; Hohenstatt DB 1992, 1678 ff. - 1681; Salje SAE 1993,79 ff. - 81. Dies verkennt jedoch, daß die Entscheidung, einer bestimmten Organisation nicht anzugehören, auch deren Rechtsetzungsbefugnis betrifft, so daß die Nichtanwendung gerade der negativen Koalitionsfreiheit entspricht. Insoweit wird kein anderer Zwang ausgeübt, als er sich ohnehin aus der notwendigen Beschränkung der Tarifgeltung auf die Mitglieder gemäß § 4 Abs. I TVG i.V.m. § 3 Abs. I TVG ergibt; so zutreffend Fenn FS Kissel1994 S. 233. 18 Reuter JuS 1992, 105 ff- 108; Schaub BB 1995, 2003 ff. - 2005; Löwisch I Rieble, TVG § 4 Rz. 290; MünchArbR-Löwisch, § 269 Rz. 17.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Betätigungsgarantie der Tarifpartner des zurücktretenden Tarifvertrages ein. Ein derartige Rechtsfortbildung ist im Rahmen der Gewaltenteilung nur zulässig, wenn eine Regelungslücke vorliegt, die unbedingt der Ausfüllung bedarfl9 • Eine Kollisionsregel muß jedenfalls gefunden werden, wenn sich zwei Festlegungen widersprechen, weil ein Lebenssachverhalt denklogisch nicht gleichzeitig in gegensätzlicher Weise behandelt werden kann. Aus der Überlegung, daß durch eine gleichzeitige Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem Arbeitsverhältnis der in den Tarifverträgen jeweils erzielte Verhandlungskompromiß und damit die innere Vertragsgerechtigkeit der betroffenen Tarifverträge aufgehoben würde, folgt daß bei Tarifkonkurrenz nebeneinander geltende Tarifverträgen nicht im Sinne einer gegenseitigen Ergänzung angewendet und eine Verdrängung nur auf solche einzelne Regelungen beschränkt wird, die sich tatsächlich widersprechen. Damit würde in die Tarifautonomie sämtlicher betroffenen Tarifpartner eingegriffen, was grundsätzlich unzulässig iseo.
Von diesem Ausgangspunkt her kommt also eine Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit bei betrieblicher Tarifpluralität ohne konkrete Tarifkonkurrenz nur in Betracht, wenn eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht. Andernfalls verletzt diese Rechtsfortbildung die positive Koalitionsfreiheit der organisierten Arbeitnehmer l wie der betroffenen Tarifpartner 2 gleichermaßen, wenn ein Tarifvertrag verdrängt wird, der mitgliedschaftlich gilt. In allen übrigen Fällen würde zumindest die allgemeine Berufsfreiheit der Arbeitnehmer verletzt23 • 19 AusflihrIich zur Rechtsfortbildung und ihren Voraussetzungen Fenn FS Kissel 1994 S. 216 ff.; vgl. auch Blomeyer BetrAV 1979,78 ff. - 78; Heußner FS Hilger/ Stumpf 1983 S. 318 ff.; Lieb OB 1973, 69 ff. - 72 ff. 20 Fenn FS Kissel1994 S. 237; Gamillscheg, Kollektives ArbR, Bd. I S. 755; Merten BB 1993,572 ff. - 573; Konzen RdA 1978, 146 ff. - 150; Löwisch/ Rieble, TVG § 4 Rz. 295; Nikisch, ArbR 11 § 8611 2. 21 Dies wird zum Teil sogar flir den Fall einer ausflillungsbedürftigen Regelungslükke mit beachtlichen Gründen angenommen von Fenn FS Kissel1994 S. 233; Löwisch/ Rieble, TVG § 4 Rz. 290; LAG Bremen LAGE Nr. 2 zu § 4 TVG, vorsichtiger Kraft RdA 1992, 161 ff. - 168. 22 LAG Niedersachsen LAGE Nr. 1 zu § 4 TVG Tarifpluralität; Fenn FS Kissel1994 S. 234 f.; Kraft RdA 1992, 161 ff. - 168; Merten BB 1993, 572 ff. - 575 f.; Müller, Bemd NZA 1989, 449 - 452; Hohenstatt OB 1992, 1678 ff. - 1681; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht § 37 IV 2. Soweit das BAG - AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = OB 1991, 1779 = NZA 1991,736 = BB 1991, 1861 - diesbezüglich argumentiert hat, Art. 9 Abs. 3 GG schütze nur den Kembereich der Betätigungsgarantie der Verbände, ist diese Sicht durch die jüngste Entscheidung des BVerfG - NJW 1996, 1201 f. - widerlegt, das ausdrücklich betont hat, daß die Betätigungsgarantie umfassend geschützt und im Kembereich sogar unantastbar ist. 23 Fenn FS Kissel 1994 S. 233 f. Dies gilt letztlich auch bei einem verdrängten allgemeinverbindlichen Tarifvertrag, weil die Allgemeinverbindlicherklärung einen
E. Taritkonkurrenz, Tarifpluralität, Tarifeinheit
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Erster Ansatzpunkt für eine Notwendigkeit, den Grundsatz der Tarifeinheit bei bloßer Tarifpluralität anzuwenden, könnte aus der Erwägung folgen, daß in Tarifverträgen Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen enthalten sein können und damit eine Konkurrenz allein aufgrund des betrieblichen Nebeneinanders entsteht. Da Leistungen im Rahmen von Betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen im Gegenzug zu niedrigeren Leistungen in den Inhaltsnormen vereinbart worden sein können, scheint es naheliegend, mit dem Hinweis darauf, daß der Grundsatz der Tarifeinheit die innere Vertragsgerechtigkeit der betroffenen Tarifverträge erhalten und damit die Autonomie der jeweiligen Tarifpartner gewährleisten soll, auch bei Pluralität nur einen Tarifvertrag durchgreifen zu lassen24 • Doch gelten die sonstigen Normen des Tarifvertrages unabhängig von einer Pluralität nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit. Ohne eine solche können die Einzelvertragspartner individuell im Rahmen der Gesetze vereinbaren, was sie wollen, also Z.B. auch Regelungen treffen, die Inhaltsnormen anderer Tarifverträge materiell entsprechen. Selbst im Falle beidseitiger Tarifgebundenheit können die Tarifpartner gemäß § 4 Abs. 3 TVG keine Höchstarbeitsbedingungen setzen, weshalb die Individualvertragsparteien auch bei beidseitiger Tarifgebundenheit das tarifliche Verhandlungsergebnis zu Gunsten der Arbeitnehmerseite individuell verschieben können. Folglich können die Tarifpartner bei den Verhandlungen lediglich unterstellen, daß ihr Komprorniß sich wegen sonstiger Normen allein auf beiderseitige Tarifgebundene und dies auch nur im Rahmen des GÜDStigkeitsprinzips bezieht. Da es vorliegend um Fälle bloßer Tarifpluralität geht, wird der Komprorniß der Tarifpartner nicht berührt, soweit diese hierbei die eigenen Grenzen ihrer Regelungsmacht berücksichtigt haben. Ist dies nicht der Fall, verdienen sie keinen Schutz. Es ist somit festzustellen, daß anders als bei der Tarifkonkurrenz im Einzelvertrag ein Nebeneinander der Tarifverträge bei Tarifpluralität nicht zu einem unzulässigen Eingriff in den Tarifkompromiß und damit in die Tarifautonomie führt. Mit dieser Erwägung ist der Grundsatz der Tarifeinheit bei bloßer Tarifpluralität nicht zu rechtfertigen25 • Daneben hat das Bundesarbeitsgericht hervorgehoben, daß Arbeitgeber bei der Einstellung nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen dürfen und dies auch später üblicherweise nicht nachholen. Vielmehr werde in der Praxis gerade über einzelvertragliche Bezugnahmen eine einheitliche Behandlung Schutz geschaffen hat, den die Rechtsprechung im Falle der Tarifpluralität auch dann negiert, wenn keine andere Regelung im Einzelarbeitsverhältnis gilt; vgl. auch Fenn FS Kissel1994 S. 235 f.; MünchArbR-Läwisch, § 269 Rz. 18. 24 So denn auch BAG AP Nr 19 zu § 4 TVG Taritkonkurrenz = DB 1990, 2527; BAGE 67, 330 ff = AP Nr 20 zu § 4 TVG Taritkonkurrenz = DB 1991,1719 = BB 1991, 1861 ff. 25 Merlen BB 1993,572 ff. - 574.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
aller Arbeitnehmer im Betrieb sichergestellt. Daher würde Rechtsunsicherheit erzeugt, wenn Arbeitgeber nunmehr die Organisation ihrer Arbeitnehmer und die sonstigen Umstände im Einzelarbeitsverhältnis prüfen müssen, um den jeweils anzuwendenden Tarifvertrag festzustellen. Doch folgt diese tatsächliche Unsicherheit aus den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten und der Zulässigkeit konkurrierender Kollektivpartner. Wer mit dieser Begründung Rechtseinheit verlangt, muß konsequenterweise den gesetzlichen Einheitsvertrag fordern. Schließlich bestehen rechtstatsächlich fast immer Unsicherheiten. Jede Auslegung von Tarifverträgen, etwa die Eingruppierung der einzelnen Arbeitsverhältnisse nach den abstrakten Eingruppierungsmerkmalen, kann mindestens gleichermaßen Rechtsunsicherheit erzeugen. Doch würde kaum jemand deshalb die Abschaffung "konkurrierender" Eingruppierungen vertreten26 • Auch ein Bedürfnis nach betriebseinheitlicher Behandlung der Arbeitnehmer aus Praktikabilitätserwägungen wird rechtlich nicht anerkannt. Es ist vielmehr Ausfluß der Privatautonomie, wie sie sich gerade in der negativen Koalitionsfreiheit und im Günstigkeitsprinzip manifestiert, daß Arbeitnehmer die Anwendung von Tarifverträgen ausschließen. Außerdem kann die Rechtsprechung keine einheitliche Behandlung unabhängig von der Tarifgebundenheit begründen, weil gerade tariflose Arbeitsverhältnisse entstehen können. Die Rechtsprechung schafft daher keine verbesserte Rechtssicherheit. Der Arbeitgeber muß bei einem Firnentarifvertrag nach der Rechtsprechung zwar nicht mehr die Mitgliedschaft der Arbeitnehmer in einer anderen Gewerkschaft als Grundlage für tarifliche Ansprüche gemäß § 4 Abs. 1 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. I TVG prüfen, doch muß er die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft des vorgehenden Tarifs feststellen27 • Ohne Nachfrage beim Arbeitnehmer erfahrt er dies ebenfalls nicht. Die Rechtsprechung nähert sich daher in bedenklicher Weise der Vorstellung von Betriebsordnungen an, denen der Arbeitnehmer zwangsweise beitritt, ohne dies konsequent umzusetzen. Im Gegensatz zu seiner Rechtfertigung ist sogar festzustellen, daß das Bundesarbeitsgericht in Wirklichkeit nur zusätzliche Rechtsunsicherheit schafft. Der Arbeitgeber muß nämlich nicht nur die Taritbindung und somit die Organisationszugehörigkeit des Arbeitnehmers prüfen, sondern er muß zusätzlich die nicht immer einfache Frage beantworten, welcher Tarifvertrag im konkreten Fall der speziellere und damit einzig gültige ise8 • 26 Insoweit ist Reuter - JuS 1992, 105 ff. - 106 zuzustimmen, daß von der Verbindlichkeit des gesetzlichen Arbeitsrechts wahrscheinlich kaum etwas übrig bliebe, wenn praktische Schwierigkeiten in ihrer Feststellung und Umsetzung eine Rechtsfortbildung auch auf Kosten ihrer Schutzfunktion gestatten würden. 27 So auch Löwisch I Riehle, TVG § 4 Rz 293; MünchArbR-Löwisch, § 269 Rz. 19. 28 MünchArbR-Löwisch, § 269 Rz. 20.
E. Taritkonkurrenz, Tarifpluralität, Tarifeinheit
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Wenn die Rechtsprechung es für denkbar hält, daß die Gewerkschaftsmitglieder eines spezielleren Firmentarifvertrages schlechtere Leistungen beanspruchen könnten als Nicht- oder Andersorganisierte - etwa im Falle einer Allgemeinverbindlicherklärung eines günstigeren Verbandstarifes - so mag dies erstaunlich erscheinen. Doch ist dies die Konsequenz der mitgliedschaftlichen Beschränkung der Tarifmacht. Genauso verwunderlich ist es doch, wenn ein Andersorganisierter trotz beiderseitiger Tarifgebundenheit, also auch des Arbeitgebers, an einen Verbandstarif, tariflos gestellt wird29 • Was hier also gerade aktuell werden kann und was die Rechtsprechung verhindern will, ist die Konkurrenz von Tarifpartnern im Wettbewerb um ihre Mitglieder und die Unorganisierten. Dies ist weder mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten allgemeinen Koalitionsfreiheit noch mit den dementsprechenden differenzierenden gesetzlichen Regelungen über die Tarifbindung zu vereinbaren30 • Soweit die Rechtsprechung schließlich auf die Unsicherheiten abstellt, die bei der Unterscheidung zwischen Betriebsnormen und Inhaltsnormen auftreten könnten, ist auch dies nicht überzeugend. Nach verbreiteter Meinung - auch der Rechtsprechung - hängt von dieser Unterscheidung die Anwendbarkeit des GÜDstigkeitsprinzips ab31 • Schon insoweit kann eine Feststellung erforderlich sein. Die Rechtsprechung vermeidet diese Feststellungslast des Arbeitgebers ohnehin ausschließlich bei der Frage, ob eine verdrängende Tarifkonkurrenz vorliegt. Er muß jedoch diese Feststellung anschließend für die Nicht- oder Andersorganisierten gleichwohl treffen. Deren Anspruch auf solche Leistungen hängt mangels beidseitiger Tarifgebundenheit gerade davon ab, ob gemäß § 3 Abs. 2 TVG die einseitige Tarifbindung des Arbeitgebers genügt, was eben nur bei Betriebs- und nicht bei Inhaltsnormen der Fall ist32 • Ein aus der Literatur stammender Begründungsansatz weist auf die arbeitskampfrechtliche Bedeutung hin. Grundsätzlich berechtigt ein Streikaufruf einer Gewerkschaft sämtliche Arbeitnehmer zur Arbeitsniederlegung, gleich ob diese Mitglieder der streikaufrufenden, einer anderen oder gar keiner Gewerkschaft sind. Andererseits könnten andersorganisierte Arbeitnehmer von der Friedenspflicht eines anderen Tarifvertrages betroffen sein. Ließe man dies unbeachtet, könnte sich der Arbeitgeber fortlaufend den Forderungen Hromodka OB 1996, 1872 ff. - 1874. Vgl. Wiedemann / Arnold Anm zu BAG AP Nr. 16 zu § 4 TVG Taritkonkurrenz, Merten BB 1993, 572 ff. - 574 f. 31 Nach der hier vertretenen Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG folgt dies aus der Tatsache, daß § 3 Abs. 2 TVG nur eine Erstreckung der tariflichen Rechtsetzung auf Nichtmitglieder bei einem unabweislichen tatsächlichen oder rechtlichen Bedürfnis nach betriebseinheitlicher Regelung erlaubt. 32 Merten BB 1993, 572 ff. - 574; vgl. auch Hohenstatt OB 1992, 1678 ff. - 1680 f.; Löwisch / Rieble, TVG § 4.Rz. 292. 29
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
verschiedener Gewerkschaften unter Streikandrohung ausgesetzt sehen, ohne sich effektiv auf bestehende Friedenspflichten berufen zu können. Aus dieser Überlegung wird teilweise abgeleitet, daß es für jedes Unternehmen nur eine einzige tarifzuständige Gewerkschaft geben dürfe, mit der Folge, daß andere Gewerkschaften mangels Tarifzuständigkeit dort keine wirksamen Tarifverträge abschließen könnten und folglich keine rechtmäßigen Arbeitskämpfe führen dürften33 • Abgesehen davon, daß mit solchen Erwägungen zumindest keine Verdrängung nachwirkender Tarifverträge nach einem Wechsel der Tarifzuständigkeit gerechtfertigt werden könnte, ist diese Ausschließlichkeit aus dem Tarifvertragsgesetz nicht ersichtlich. Sie dürfte vor dem Hintergrund der positiven Koalitionsfreiheit sehr fragwürdig sein. Sofern sich Bedenken aus dem richterrechtlich entwickelten Arbeitskampfrecht ergeben, die mit Wertungen des Tarifvertragsgesetzes in Widerspruch geraten, könnte dies aufgrund der vorrangigen Autorität des demokratisch legitimierten Gesetzgebers nur zu einer Anpassung des Arbeitskampfrechtes führen. Mit Richterrecht Gesetzesrecht zu brechen, ist nur bei der Verfassungswidrigkeit vorkonstitutioneller Gesetze denkbar. Eine Anpassung kann auch unschwer dergestalt erfolgen, daß Andersorganisierte eine sie treffende Friedenspflicht zu beachten und ein Streikaufruf sie daher abstrakt auszunehmen hat. Dies würde auf Arbeitnehmerseite zwar die Gefahr einer Schwächung durch Zersplitterung hervorrufen, doch wäre diese selbstverschuldet, wenn die betroffenen Gewerkschaften sich nicht entsprechend untereinander absprechen und einigen können. Umgekehrt gefährdet die Rechtsprechung mit ihrer Betrachtung die Kampffähigkeit der Gewerkschaften bei deren Nichteinigung faktisch noch stärker, weil der Arbeitskampf jener Gewerkschaft rechtswidrig sein müßte, deren Tarifvertrag ohnehin als sachfernerer verdrängt wird. Sind sich die Gewerkschaften uneinig, wer der sachnähere Arbeitnehmervertreter ist, droht ihnen die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes und damit Schadensersatzansprüche der Arbeitgeber. Es ist daher abschließend festzuhalten, daß bei bloßer Tarifpluralität keine Notwendigkeit für eine Kollisionsnorm besteht, welche nach dem Grundsatz der Tarifeinheit sämtliche Tarifverträge bis auf einen verdrängt. Die Rechtsprechung darf sich somit nicht auf eine Regelungslücke berufen, die sie zu dem damit verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Arbeitnehmer und der Tarifpartner der verdrängten Tarifverträge befugt. Damit verletzt sie das Gewaltenteilungsprinzip ebenso wie den Parlamentsvorbehalt nach der Wesentlichkeitstheorie gleichermaßen.
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Buchner ZfA 1995, 95 ff. - 117 ff.
F. Abschluß anderer/ "günstigerer" Abmachungen
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Im Ergebnis stellt nach hiesigem Verständnis der Grundsatz der Tarifeinheit kein Gestaltungsmittel dar, mit dem der Arbeitgeber seinen Taritbindungen ausweichen kann. Der Praktiker kann allerdings im Bewußtsein, daß die Rechtsprechung äußerst fragwürdig und damit in ihrem Fortbestand gefährdet ist, zur Zeit die Möglichkeiten der Kombination verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten mit dem Grundsatz der Tarifeinheit nutzen, um andere Tarifverträge trotz fortbestehender Bindung faktisch in ihrer Anwendung endgültig zu beseitigen34 •
F. Einschränkungen der normativen Wirkung durch Abschluß anderer Abmachungen Im weiteren sollen schließlich noch Versuche angesprochen werden, die zwar den Bestand von Tarifvereinbarungen unberührt lassen, aber deren unabdingbare Wirkung begrenzen bzw. ihr Rangverhältnis zur Betriebsvereinbarung verändern wollen.
I. Vorrang der Betriebsvereinbarung vor dem Tarifvertrag § 77 Abs. 3 BetrVG begründet nach ganz überwiegender Meinung einen Tarifvorrang gegenüber Betriebsvereinbarungen, der die Schaffung beitragsfreier Ersatzgewerkschaften verhindern und die absolute betriebliche Friedenspflicht erhalten solll. Aus diesem Grunde fmdet § 77 Abs. 3 BetrVG auch dann Anwendung, wenn der konkurrierende Tarifvertrag im konkreten Betrieb mangels Taritbindung des Arbeitgebers bzw. auch nur eines Arbeitnehmers gar nicht gilt2 • 34 Vgl. hierflir Hromodka/ Maschmannl Wallner, Der Tarifwechsel, die insoweit bewußt die Sicht des Bundesarbeitsgerichts unterstellt haben Rz. 158. I Halberstadt, BetrVG § 77 Rz. 4; Hess/ Schlochauerl Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 127 f.; Stege / Weinspach, BetrVG § 77 Rz. 12; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz.66. § 77 Abs. 3 ist zwar weitgehend tarifdispositiv - vgl. auch zu den Grenzen Hess/ Schlochauer/ Glaubitz - Hess, BetrVG § 77 Rz. 163 ff; Lohs DB 1996, 1722 ff. Eine solche Regelung kann nach dem hiesigen Verständnis der normativen Wirkung jedoch nur das Regelungsverbot des § 77 Abs. 3 BetrVG beseitigen. Im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie muß flir eine anschließende Regelung der Betriebspartner deren eigene Regelungsmacht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung vorliegen - zutreffend Richardi ZfA 1992, 307 ff. - 322. Für die vorliegende Arbeit bedarf dies hier keiner Vertiefung, da dies ohnehin eine Verständigung der Tarifpartner und eine entsprechende Regelung im Tarifvertrag erfordert, so daß es gerade nicht um einseitige Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite ohne Beteiligung des originären Vertragspartners geht. 2 So ausdrücklich BAG 1996,948 ff. - 949. 26 Beathalter
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Vierter Teil: Sonstige GestaItungsmöglichkeiten
Nach einer Auffassung soll § 77 Abs. 3 BetrVG hingegen verfassungswidrig sein, weil er jedenfalls unter Verstoß gegen das Übermaßverbot in die verbandliehe Betriebsautonomie eingreift, welche eine Fortsetzung der Privatautonomie im Betrieb sei3 • Es wurde jedoch bereits erläutert, daß es keinen Betriebsverband gibt, dem die Arbeitnehmer privatautonom beigetreten sind, so daß bereits dieser Denkansatz widerlegt ist4 • Nach einer weiteren Auffassung soll der in § 77 Abs. 3 BetrVG niedergelegte Tarifvorrang der verfassungskonformen Auslegung bedürfen. Die Betriebsautonomie sei ebenso wie der Tarifvertrag verfassungsrechtlich abgesichert, so daß die einseitige Bevorzugung der Tarifautonomie durch § 77 Abs. 3 BetrVG keinen Ausgleich im Sinne der praktischen Konkordanz darstelle 5 • Sodann wird unter Berufung auf den Subsidiaritätsgrundsatz der "sachnäheren" Betriebsvereinbarung der Vorrang vor einem Verbandstarifvertrag eingeräumt. Zum gleichen Ergebnis gelange man auch bei Anwendung des Günstigkeitsprinzips zwischen Verbandtarifvertrag und Betriebsvereinbarung . Hierbei müsse auf die Günstigkeit für die Belegschaft als Kollektiv abgestellt werden. Dies ergebe wieder den Vorrang der Betriebsvereinbarung, für die die Vermutung der günstigeren Regelung streite6 • Zwischen der Betriebsvereinbarung und dem Einzelvertrag gelte dann erneut die individuelle Günstigkeit, wobei der Betriebsvereinbarung der Vorrang zukomme, wenn eine betriebseinheitliche Regelung dringend erforderlich sef. Daß damit nicht nur der Fall einer praktisch nur einheitlich möglichen Regelung - wie bei der Zulässigkeit von Betriebsnormen notwendig - gemeint ist, zeigt der Hinweis, wonach bei der Günstigkeit beachtlich sei, ob durch eine Regelung der Konkurs drohe oder eine Verlegung der Produktion ins Ausland erforderlich und möglich sei8 • Selbst wenn die Betriebsautonomie nicht verfassungsrechtlich geschützt wäre, gebühre der Betriebsvereinbarung jedenfalls nach dem verfassungsrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatz der Vorrang vor einem Verbandstarifvertrag9 • Dieser Verfassungsgrundsatz besage, daß dort eine Regelung auf Reuter RdA 1991, 193 ff. - 199 f. s.o. Erster Teil A III 1- Seite 74 ff., insbesondere Seite 83 ff. 5 Ehmann ZRP 1996, 314 ff. - 315 ff. und 321; Ehmannl Lambrich NZA 1996, 346 ff. - 352 ff. 6 Ehmann ZRP 1996,314 ff. - 318; Ehmann I Lambrich NZA 1996, 346 ff. - 354; ähnlich bereits Reuter RdA 1991, 193 ff. - 201 f. und die Vorstellung Säckers DB 1967, 1086 ff. - 1089, der dort § 4 Abs. 3 TVG als Ausfluß des Spezialitätsgrundsatzes aufgefaßt hat. 7 Ehmann ZRP 1996, 314 ff. - 318 und 321; Ehmann I Lambrich NZA 1996, 346 ff. 354. 8 Ehmann ZRP 1996,314 ff. - 317 f. 9 Dieser Verfassungsgrundsatz wird aus dem Übermaßverbot und Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet. In dieser allgemeinen Form kann ein solcher Grundsatz nicht überzeugen. Dies mißachtet den Ermessensspielraum der Normgeber. Würde man hiermit ernst machen, müßten demnächst die Gerichte entscheiden, welche Gesetze noch mit dem 3 4
F. Abschluß anderer/ "günstigerer" Abmachungen
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höherer Ebene ausgeschlossen ist, wo diese auf niedrigerer Ebene ebenfalls effektiv erfolgen kann. Nach alledem erfasse § 77 Abs. 3 BetrVG nur das Verhältnis zwischen Firmentarifvertrag und Betriebsvereinbarung, wo es keine Subsidiarität mehr gibt 10 • Zunächst ist zu bemerken, daß es hier methodisch offenkundig nicht mehr um verfassungskonforme Auslegung des § 77 Abs. 3 BetrVG gehen kann, weil der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift einheitlich für alle Arten von Tarifverträgen deren Vorrang festlegen wollte. Wer dies für Verbandstarifverträge verfassungsrechtlich in sein Gegenteil verkehren will, versucht damit nicht mehr den Gesetzeswillen in quasi geltungserhaltender Anpassung weitgehend zu bewahren, was allein der Zweck einer verfassungskonformen Auslegung sein darfli. Die Gesetzesbestimmung müßte konsequenterweise nach dieser Meinung verfassungswidrig sein. Dieses Ergebnis ändert sich auch nicht, wenn man den Vorrang noch im Verhältnis zwischen Firmentarifverträgen und Betriebsvereinbarungen anerkennen will. Da der Gesetzgeber eine einheitliche Regelung für alle Tarifverträge getroffen hat, darf nur er entscheiden, was bei einer Verfassungswidrigkeit des einen Teils für den anderen gelten soll. Alles andere ist keine Rechtsauslegung mehr, sondern freie Rechtsschöpfung. Abgesehen davon müßten nach dieser Auffassung konsequenterweise auch Firmentarife zurückstehen, wenn ein Unternehmen mehrere Betriebe umfaßt und daher die jeweiligen Betriebsvereinbarungen spezieller sind. Von diesem methodischen Defizit abgesehen, ist nicht zu erkennen, weshalb die Betriebsautonomie einen eigenständigen Verfassungsrang haben sollte l2 • Der Gesetzgeber hat die Betriebsverfassung als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips geschaffen und könnte sie jederzeit in den Grenzen des Vertrauensschutzes für die Zukunft abschaffen. Die Betriebsverfassung resultiert in keiner Weise aus echter Privatautonomie. Soweit hier verschiedentlich ausgeführt wird, der Arbeitnehmer trete schließlich freiwillig in den Betrieb ein, was quasi einem Vereinseintritt entsprechen soll, und die Betriebsverfassung knüpfe eben hieran Rechtsfolgen an, wie sonst auch dispositive und zwingende Gesetzesbestimmungen mannigfaltige Folgen privatautonomer Erklärungen vorsehen I3 , geht dies zweifach fehl. Subsidiaritätsprinzip vereinbar sind. Ablehnend auch Blomeyer NZA 1996, 337 ff. 339. 10 Ehmann / Lambrich NZA 1996,346 ff. - 352 ff.; Ehmann ZRP 1996, 314 ff. - 318 und 321. II Dies ist aber notwendige Grundlage der verfassungskonformen Auslegung vgl. Heußner FS Hilger/ Stumpf 1983 S. 321; Söllner NZA 1996, 897 ff. - 902. 12 Kissel NZA 1995, 1 ff. - 3. 13 Ehmann / Lambrich NZA 1996, 346 ff - 351; Ehmann ZRP 1996, 314 ff. - 319.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
Zum einen schließt der Arbeitnehmer nur mit seinem Arbeitgeber einen Austauschvertrag, bei dem er sich verpflichtet, Arbeit zu erbringen. Dies mag in einem Betrieb geschehen, doch wandelt dies den Arbeitsvertrag nicht in einen Mitgliedschaftsvertrag . Zum anderen ist der Vergleich zu den anknüpfenden gesetzlichen Regelungen schon deshalb verfehlt, weil diese nicht Ausfluß der Privatautonomie sind, sondern schon deren Ausgestaltung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch den Gesetzgeber darstellen. Wenn sodann - übrigens ohne jeglichen Nachweis - behauptet wird, der Arbeitnehmer sei sich dieser Folgen im Rahmen seiner privatautonomen Entscheidung bei der Eingliederung in den Betrieb bewußt, muß man fragen, was damit belegt werden soll. Es dürfte allgemein bekannt sein, daß Grundstücksverträge der notariellen Form bedürfen, ohne daß die gesetzliche Schriftform deshalb eine privatautonome Entscheidung der Parteien wird. Wollte man so Privatautonomie verstehen, wäre - zugegebenermaßen in zynischer Übertreibung - alle Gesetzgebung eine privatautonome Entscheidung. Denn paßt jemandem ein Gesetz nicht, kann er den entsprechenden Staat verlassen, um einen Ort mit einer ihm bequemen Gesetzeslage zu suchen. Aus diesen Gründen überzeugt auch nicht die Argumentation, die Betriebsautonomie unterfalle sogar der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG, weil die Betriebsautonomie aufgrund der tatsächlichen Entwicklung zu einem echten Verbandswesen geworden sei, das der Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient 14 • Insoweit würde es sich nach den obigen Ausführungen um eine Zwangskoalition handeln, die mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht zu vereinbaren ise 5 • Folglich ist die Betriebsautonomie nicht durch das Grundgesetz abgesichert 16 • Soweit diese Ansicht betont, daß Zweifel wegen der Friedenspflicht und der nicht immer klaren Durchsetzungskraft von Betriebsräten nicht angebracht sind, und dabei hilfsweise auf die Möglichkeit hinweist, eine unzufriedene So aber Ehmann I Lambrich NZA 1996, 346 ff. - 350. s.o. Erster Teil A III 1 - Seite 74 ff.; insbesondere unter c) - Seite 83 ff. 16 ArbG Marburg DB 1996, 1925 ff. - 1928 = BB 1996, 2198 = NZA 1996, 1331; Heinze DB 1996,729 ff. - 734; ders. NZA 1997, 1 ff. - 6; Läwisch JZ 1996, 812 ff. 817; Rieble RdA 1996, 151 ff. - 153; Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 132; Zu weit geht es auch, die Betriebsverfassung über das Sozialstaatsprinzip in einem Kernbereich dem verfassungsmäßigen Schutz mit der Begründung zu unterstellen, es handele sich mittlerweile um ein historisch gefestigtes Instrumentarium des sozialen Ausgleichs; so Hessl Schlochauerl Glaubitz, BetrVG vor § 1 Rz. 40. Die Verfassung ist nicht auf Versteinerung angelegt, sondern in vielen Bereichen wertungsoffen. Sollte der Gesetzgeber daher eines Tages die Betriebsverfassung als unzeitgemäß oder unzweckmäßig betrachten, kann ihm die Abschaffung nicht verwehrt werden. 14
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Belegschaft könne den Abschluß eines Firmen- oder den Anschluß an einen Verbandstarif erkämpfen 17, ist dies eine inkonsequente Abweichung vom entwickelten Subsidiaritätsgrundsatz zugunsten einer Art Zeitkollisionsregel. Dies könnte nur nützen, wenn der sodann abgeschlossene Tarifvertrag Vorrang hätte. Daß ein Arbeitskampf zulässig sein soll, obwohl bereits eine "günstigere" bzw. "speziellere" Regelung mit dem Betriebsrat besteht, zeigt weitere Systembrüche, mit denen dieses Konzept behaftet ist. So ist es schließlich auch nicht nachvollziehbar, warum die Betriebsautonomie überhaupt aus der Sicht des Arbeitnehmers - und um die Verwirklichung seiner Privatautonomie soll es ja nach dieser Auffassung gehen - eine niedrigere Schutzebene gegenüber dem Tarifvertrag sein soll. Mit dieser Wertung wird doch gerade das zur Zeit bestehende gesetzliche Rangverhältnis zugrundegelegt, das im Rahmen verfassungskonformer Auslegung und praktischer Konkordanz widerlegt werden soll. Ein Verfassungsverstoß durch den Vorrang der Tarifautonomie nach § 77 Abs. 3 BetrVG ist daher nicht ersichtlich. Diese Meinung mißachtet
vielmehr, daß, obwohl Tarifautonomie und Betriebsverfassung gleichermaßen der Verwirklichung der Privatautonomie durch Kollektivschutz dienen, die Tarifautonomie durch die grundSätzlich freiwillige mitgliedschaftliehe Unterwerfung der Privatautonomie nähersteht wie der - wenn auch demokratisch legitimierte - Betriebsrat als Zwangsrepräsentant der Belegschaft 18 • Dabei kann offenbleiben, ob man hieraus im Umkehrschluß einen notwendigen Vorrang des Tarifvertrages selbst bei individuell günstigeren Regelungen in Betriebsvereinbarungen ableiten kann l9 • Soweit diese Auffassung noch eine einfachgesetzliche Auslegung betreibt, die ebenfalls zur GÜDStigkeit (und damit zum Subsidiaritätsprinzip?) führen soll, genügt es auf den Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG zu verweisen. Wenn hiergegen gesagt wird, dieser Vorschrift sei nicht ausdrücklich zu entnehmen, daß keine günstigeren Regelungen in Betriebsvereinbarungen getroffen werden können20 , obwohl sie ausdrücklich klarstellt, daß Arbeitsbedingungen, die in Tarifverträgen geregelt sind bzw. üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, so ist man als Rechtsanwender fassungslos. Wenn auch höflich formuliert, kann ein Regelungsverbot kaum deutlicher sein21 • Wenn überhaupt könnte man vom Wortlaut her nur Ehmann / Lambrich NZA 1996, 346 ff. - 353f. Vgl. Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 15 ff.; Blomeyer NZA 1996,337 ff. - 340. 19 So wohl Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S.29. 20 Ehmann / Lambrich NZA 1996, 346 ff. - 355. 21 Aus diesem Grund kann auch nicht die Erwägung Adomeits - Regelung von Arbeitsbedingungen, S. II ff. überzeugen, der jedenfalls bei einem Verbandsaustritt eine 17
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ernsthaft darüber diskutieren, ob § 77 Abs. 3 BetrVG auch dann gilt, wenn der Tarifvertrag mangels Tarifbindung des Arbeitgebers bzw. Tarifbindung zumindest eines Arbeitnehmers im konkreten Betrieb gar keine Anwendung findet 22 • Auch der Hinweis, § 4 Abs. 3 TVG lasse die günstigere Abmachung gerade ZU23 , mißachtet den Vorrang speziellerer Regelungen und verkennt, daß § 77 Abs. 3 BetrVG die Zulässigkeit und damit Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung regelt24 , während § 4 Abs. 3 TVG das Verhältnis zweier kollidierender Regelungen betrifft. Der Günstigkeitsvergleich müßte also zwischen dem Tarifvertrag und einem rechtlichen "Nichts" erfolgen. Die richtige Prüfungsreihenfolge kann daher nicht sein, vorab zu prüfen, ob eine Regelung durch Betriebsvereinbarung im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG günstiger ist als der Tarifvertrag, um anschließend die Existenz der Betriebsvereinbarung auch anband der Schranke des § 77 Abs. 3 BetrVG festzustellen. Vielmehr muß erst die Wirksamkeit einer Bestimmung untersucht werden, bevor sie der Günstigkeitsprüfung unterworfen werden kann25 • Verschiedentlich wird die Geltung der Günstigkeit zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung auch mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot begründet. Da der Arbeitnehmer durch das kollektive Arbeitsrecht geschützt werden solle, dürfe die zwingende Wirkung des Tarifvertrages nicht eine für ihn günstige Regelung beseitigen, weil dies gerade das Gegenteil des gewollten Schutzes im Kollektiv bewirken würde26 • Nun könnte man mit dieser Begründung § 77 Abs. 3 BetrVG als verfassungswidrig beseitigen und käme zu einer wirksamen Regelung, die dem Günstigkeitsvergleich unterworfen werden müßte. Doch ist zu beachten, daß der Gesetzgeber die Betriebsautonomie selbst geschaffen hat und es ihm daher prinzipiell freistand und weiterhin freistehe 7 , die von ihm gewollte Wirkungsweite der Beumfassende Regelungsmacht der Betriebspartner bejahen will, weil der Arbeitgeber mit der Tarifüblichkeit "gebrochen" habe. Hierauf kommt es nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 3 BetrVG gar nicht an. Außerdem ist dies nicht überzeugend, weil man mit dieser Agumentation, die Regelungssperre weiterhin dem originär verbandslosen Arbeitgeber auferlegen müßte, während sie für den Ausgetretenen trotz der Regelung des § 3 Abs. 3 TVG wegfällt. 22 BAG NZA 1996, 948 ff. - 949 Dieser Sichtweise des BAG ist im Rahmen der teleologischen Auslegung zuzustimmen, weil § 77 Abs. 3 BetrVG den Betriebsrat als Ersatzgewerkschaft unterbinden soll und genau diese Gefahr besteht, wenn eine Gewerkschaft bisher in einem Betrieb sich nicht durchsetzen konnte und nunmehr der Betriebsrat die Gewerkschaftsfunktionen übernehmen würde. 23 Müller, Gerhard AuR 1992,257 ff. - 261. 24 Waltermann RdA 1996,129 ff. -BI; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 109. 25 V gl. auch Kempen ArbRdGgW 1993, 97 ff. - 116. 26 Reuter RdA 1991, 193 ff. - 199 f. 27 Dabei ist es unerheblich, daß der Gesetzgeber mit der Betriebsautonomie das ihm von der Verfassung aufgegebene Staatsziel des Sozialstaatsprinzips verwirklichen will.
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triebs autonomie nach seinem politischen Willen zu definieren. Überschreitet eine Betriebsvereinbarung diese Grenzen, fehlt für ihre Existenz jede Grundlage, kann sie doch gerade nur auf dem Gesetzeswerk selbst beruhen. Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen der vom Gesetzgeber eingeführten Betriebsautonomie, die nur im Rahmen der Gesetze existiert, und der dem einzelnen von der Verfassung durch die Freiheitsgrundrechte eingeräumten Privatautonomie, die der Gesetzgeber zu achten hat. Ein absolutes Verbot abweichender und günstigerer Individualabsprachen mag daher verfassungsmäßig unzulässig sein28 , bei der Betriebsautonomie, die nach obigen Ausführungen aus keinem gegenüber dem Gesetzgeber bestehenden konkreten Verfassungsrecht folgt, ist dies nicht der Fall. Selbst wenn man entgegen allen diesen Bedenken zu einem Günstigkeitsvergleich käme, könnte dieser nicht unter Berufung auf die Interessen der Belegschaft eine Schmälerung einzelner Interessen rechtfertigen. Eine solche kollektive Sichtweise wäre mit dem Parlamentsvorbehalt unvereinbar29 • Der Günstigkeitsvergleich muß dementsprechend immer aus der Sicht des Einzelnen erfolgenJo • De lege lata ist daher eine abweichende Regelung durch eine Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen.
11. Verändertes Verständnis des Günstigkeitsprinzips zwischen Kollektivnorm und Individualvertrag Ein weiterer Ansatz, die Tarifbindung zu begrenzen, wird im Verhältnis zwischen Individualvertragsfreiheit und Tarifvertragsbindung gesucht. Die Sperre des Tarifvertrages soll beseitigt werden, um einzelvertragliche Abweichungen auch teilweise zu Lasten der Arbeitnehmerseite zu ermöglichen. Die Denn dieses erfordert gerade die gesetzliche Konkretisierung und verlangt vom Gesetzgeber nur in ganz extremen Fällen - Sozialhilfe damit niemand verhungert - eine konkrete Regelung. Soweit teilweise gesagt wird, die Betriebsautonomie sei bereits ein fester Bestandteil des Sozialstaatsprinzips geworden - Müller, Gerhard AuR 1992,257, könnte hiermit allenfalls eine Konservierung des Ist-Zustands gerechtfertigt, nicht aber ein über das Gesetz hinausgehender Anspruch hergeleitet werden. M.E. geht diese Sichtweise jedoch zu weit. Der Gesetzgeber muß auch weiterhin entscheiden können, ob und wie die Betriebsautonomie zukünftig zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips dienen soll und kann. Eine Erhöhung bestehender Regeln und Prinzipien auf Verfassungsrang würde jede Verfassung auf Dauer versteinern und eventuell notwendige AnRassungen ausschließen. 8 So m.w.N. Löwisch/ Rieble, TVG § 1 Rz. 173; Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht, S. 64 ff - 86 f. 29 Vgl. oben Erster Teil A 13 b) - Seite 57 ff. JO Rieble RdA 1996, 151 ff. - 153.
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zwingende Wirkung gemäß § 4 Abs. 1 TVG und damit der Vorrang der Tarifbindung vor dem Einzelvertrag wird allerdings nur in den Fällen des § 4 Abs. 3 TVG durchbrochen. Nach der ersten Alternative gilt die Individualvereinbarung anstatt der tariflichen Regelungen, wenn im Tarifvertrag die Möglichkeit abweichender Abreden zugelassen wird31 • Die Tarifpartner haben ihren Vertrag insoweit selbst dispositiv belassen. Diese Fallgestaltung hilft bei der hier zu behandelnden Problematik nicht weiter, da diese Öffnung bereits im Tarifvertrag enthalten ist oder von den Tarifpartnern nachträglich vereinbart wurde. Folglich kann die Arbeitgeberseite nicht einseitig die Nachgiebigkeit der Tarifregelungen herbeiführen. Nach der zweiten Alternative gehen andere Abmachungen dem Tarifvertrag vor, soweit sie "günstiger" sind.
1. Das Günstigkeitsprinzip aus herkömmlicher Sicht Nach der bisherigen Sichtweise erfolgt die Günstigkeitsprüfung durch den Vergleich von Sachgruppen32 • Dies bedeutet, daß innerlich zusammengehörende Regelungen im Tarifvertrag - wie etwa Urlaubsdauer, Urlaubsgeld den individualvertraglichen Abmachungen gegenübergestellt werden, die ihrerseits in Sinnzusammenhang stehen. Dieser Sachgruppenvergleich rechtfertigt sich einerseits damit, daß die bloße Betrachtung von Einzelbestimmungen zu einer Rosinentheorie führt, die den bestehenden inneren Zusammenhang mißachtet - etwa die längere Urlaubsdauer nach Tarifvertrag und das höhere Urlaubsgeld aus dem Einzelvertrag - und andererseits eine umfassende Bewertung aller Regelungen mit ihren Auswirkungen nicht durchführbar ist33 • Vgl. zu solchen Öffnungsklauseln m.w.N. Löwisch/ Rieble, TVG § 4 Rz. 121 ff. BAG AP Nr. 9 zu § 339 BGB; LAG München LAGE Nr. 3 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip; Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 188; Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rz. 243; Löwisch/ Rieble, TVG § 4 Rz. 198; m.w.N. GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 209. 33 Däubler OB 1989,2534 ff. - 2536 f.; ders. TVG Rz. 204, der allerdings in Rz. 206 erheblich zum Vergleich von Einzelbestimmugen tendiert; Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 197; MünchArbR-Löwisch, § 265 Rz. 40; Gegen diese Ansicht wird der Einwand erhoben, daß alle Regelungen eines Vertrages in inhaltlich wechselseitigem Zusammenhang stehen, was schon die möglichen Folgen positiver Forderungsverletzung auf den Gesamtvertrag gemäß den §§ 325, 326 BGB zeige. Dies überzeugt m.E. nicht, weil, wenn überhaupt, § l39 BGB heranzuziehen wäre. Daß die Parteien den Vertrag insgesamt in Frage gestellt sehen wollen, was nach § l39 BGB unweigerlich der Fall wäre, ist schon unwahrscheinlich. Zudem ist mit dem Arbeitnehmerschutzprinzip des Arbeitsrechts unvereinbar, den Arbeitsvertrag bei Unterschreitung tariflicher Mindestbedingungen entfallen zu lassen. Gegen einen Gesamtvergleich spricht auch, daß die Tarifparteien nicht nur in einer Gesamtschau, sondern in jeder Sachgruppe Mindestbedingungen festlegen wollen, Kort NJW 1997, 1476 ff. - 1479. 31
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Außerdem muß der Gewerkschaft die Möglichkeit belassen werden, für einzelne Regelungsfragen einen Mindestschutz festzulegen, der nicht durch eine im Gesamtvergleich günstigere Abmachung aufgehoben werden dürfte. Entsprechend sei nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 TVG der Vergleich zwischen abweichenden Abmachungen und den tariflichen Regelungen zu treffen, was gegen eine universelle Prüfung spricht. Ein solcher Vergleich ist keineswegs einfach. Schwierig ist bereits die Bestimmung, was zu einer Sachgruppe gehört, da in den Vertragsverhandlungen ganz unterschiedliche Bereiche miteinander verbunden worden sein können, was nicht ohne weiteres erkennbar sein muß - etwa weniger Lohnerhöhung für einen Urlaubstag mehr -. Außerdem stehen letztlich sämtliche Leistungen in Beziehung zueinander. Da eine universelle Gegenüberstellung von Tarifvertrag und Arbeitsvertrag unterbleiben soll, versucht die h.M.die Sachgruppen objektiv zu bestimmen. Sie müssen danach demselben Regelungsbereich angehören, oder in untrennbarem Zusammenhang stehen. Dafür kommen Komplexe, wie Urlaub, Kündigung oder Lohnleistungen, in Betrache 4 • Besonders problematisch wird im Sachgruppenvergleich, was zu geschehen hat, wenn abweichende Vereinbarungen zu einem Teil günstiger und in anderer Hinsicht nachteiliger sind, etwa mehr Urlaubsgeld bei weniger Urlaubstagen. Weitestgehend Einigkeit besteht im Ansatz darüber, daß § 4 Abs. 1 TVG zwar die Unabdingbarkeit zum Schutze des Arbeitnehmers festschreibe, warum grundSätzlich nicht seine subjektive Bewertung Vorrang habe, was günstiger sei. Andererseits beschränkt § 4 Abs. 3 TVG die Unabdingbarkeit und damit die Rechtsetzungsmacht der Tarifpartner. Folglich sei auch ihre Sicht unbeachtlich. Im Ergebnis muß daher eine vom Willen der Beteiligten unabhängige objektive Betrachtung erfolgen35 • Da die Günstigkeit im Rahmen des Arbeitnehmerschutzgedankens einen Vorbehalt für den Arbeitsvertrag etabliert, besteht auch noch überwiegend Einvernehmen, daß diese objektivierte Günstigkeit unter Einbeziehung der jeweiligen Einzelumstände aus der Sicht eines "verständigen Arbeitnehmers" zu prüfen ise 6 , wobei allein die für den
Vgl. hierzu Läwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 199 ff. MünchArbR-Läwisch, § 265 Rz. 47; Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S. 36; GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 210. 36 Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 186; Däubler OB 1989, 2534 ff. - 2536; GKBetrVG, Kreutz § 77 Rz. 212 f; Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht S. 175 ff. Die Gefahr, daß solche objektivierten Sichtweisen dazu mißbraucht werden, die eigene subjektive Bewertung als Maßstab anzulegen, wird deutlich, wenn man die den Arbeitnehmer entmündigenden Ausflihrungen des LAG Baden-Württemberg, OB 1989,2028 betrachtet, mit denen es feststellt, warum er mehr Freizeit mehr Lohn vorzuziehen habe. 34
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jeweils betroffenen Arbeitnehmer individuelle Günstigkeit und nicht etwa eine kollektive entscheidend ise 7 • Im Rahmen der Einführung der 38,5 Stundenwoche in der Metallindustrie wurde der Streit akut, wie der Günstigkeitsvergleich zu handhaben ist, wenn eine tarifliche Regelung gleichermaßen als Mindest- wie auch als Höchstarbeitsbedingung aufgefaßt werden kann. Nach einer Ansicht soll der Tarifvertrag gelten, weil die abweichende Abmachung im Falle objektiver Ambivalenz nicht feststellbar günstiger ist, wie es der Wortlaut des § 4 Abs. 3 TVG ausdrücklich verlanges. Die Unklarheit geht also zu Lasten der Individualvereinbarung. Hierfür könnte man noch systematisch anführen, daß § 4 Abs. 1 den Grundsatz der Unabdingbarkeit aufstellt und damit zu § 4 Abs. 3 TVG ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht. Bei solchen wird eine restriktive Auslegung der Ausnahmevorschrift vorgenommen. Da § 4 Abs. 3 TVG den staatlichen Geltungsbefehl einengt und den Tarifparteien das Recht nimmt, zwingende Höchstbedingungen zu treffen39 , dürfen diese gerade nicht festlegen, welche Kriterien für die Günstigkeit ausschlaggebend sind40 • Gleichzeitig beschränkt das Gesetz damit die Reichweite der mitgliedschaftlichen Legitimation, so daß auch hieraus kein Recht für Höchstbedingungen folgen kann. Diese Grenzen könnten die Tarifpartner mittelbar umgehen, wenn ihnen die DefInition der Günstigkeit im Falle der Ambivalenz faktisch überlassen bliebe41 • 37 M.w.N. Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht S. 173 f.; Läwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 187 ff.; MünchArbR-Läwisch, § 265 Rz. 32 f. 38 BAG AP Nr. \3 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip; Läwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 207; Däubler DB 1989, 2534 ff. - 2537; MünchArbR-Läwisch, § 266 Rz. 49; Zachert DB 1990,986 ff. - 989; Käppler NZA 1991, 745 ff. - 753; Kempen/ Zachert, TVG § 4 Rz. 190; Soweit bei der Arbeitszeitverkürzung eine objektive Günstigkeit mit der Begründung behauptet wurde, daß dies der Verbesserung der Gesundheit und der Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung in der Freizeit diene, was nach der bisherigen Sichtweise nicht durch Geld verkauft werden dürfe - Zachert DB 1990,986 ff. - 987 f.; Däubler DB 1989, 2534 ff. - 2535 und 2537; tendenziell auch Otto, Hansjörg NZA 1992, 92 ff. - 101, ist dies bei der heutigen Vollarbeitszeit nicht mehr angemessen. Ohnehin wird jedenfalls der Gesundheitsschutz insoweit bereits gesetzlich durch die AZO hinreichend geschützt. Umgekehrt überzeugt es nicht, unter Berufung auf Art. 12 GG bei der Arbeitszeit die Unabdingbarkeit ohne weiteres aufzuheben - so aber Hromodka FS Wlotzke S. 340 ff. 39 Vgl. Richardi ZfA 1990, 211 ff- 233; m.w.N. Streng, Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis, S. 78 ff- 85. 40 Dies verkennt insbesondere Käppler NZA 1991, 745 ff. - 752 ff., wenn sie eine Interessendefintion der Tarifpartner der Günstigkeitsprüfung unterlegen will. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, wäre von ihm kaum die Beschränkung der Tarifmacht durch § 4 Abs. 3 TVG geschaffen worden. 41 So aber ausdrücklich Zachert RdA 1996, 140 ff. - 145 und 147 f., der in bedenklicher Weise einen Vorrang mit den durch die Tarifpartner "gebündelten Individualinteressen" rechtfertigen will, was gerade die Existenz von Interessengegensätzen zwischen
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Nach anderen Ansichten soll die subjektive Entscheidung des Arbeitnehmers sodann günstiger sein42 , wobei ihm teilweise die Option eingeräumt wird, nach einer Entscheidung für die Individualvereinbarung die Kollektivvereinbarung nachträglich zu wählen43 • Ihm wird also ein ius variandi gewährt. Er soll lediglich verpflichtet sein, dem Arbeitgeber dies unter angemessener Fristsetzung anzukündigen, damit dieser sich auf die eintretende Änderung einstellen kann. Diese Ansätze widerstreiten damit der prinzipiellen Unabdingbarkeit nach § 4 Abs. 1 TVG44 • Teilweise wird auch versucht, zwischen inhaltlicher Ausgestaltung einerseits und der Freiheit, sich überhaupt arbeitsvertraglich zu binden, andererseits zu unterscheiden, wobei letzteres allein den Individualparteien vorbehalten sei. Schließlich könne niemand gegen seinen Willen zur Arbeit verpflichtet werden. Eine Festlegung der Arbeitszeit soll danach unter den Umfang der arbeitsvertraglichen Bindung fallen und allein der Individualvertragsfreiheit unterstehen45 • Doch spricht hiergegen schon, daß es keine objektiv feststellbare Grenze gibt, wo Arbeit in Gesundheitsgefährdung umschlägt. Die Arbeitszeitordnung stellt insoweit nur eine gesetzgeberische Wertung dar, die nicht das Ergebnis einer naturwissenschaftlichen Arbeit, sondern einer politischen dem Einzelnen und dem Verband und die Lösung des Konflikts durch § 4 Abs. 3 TVG verleugnet. 42 Buchner, Anmerkung zu LAG Baden-Württemberg, DB 1989,2028 ff.; Kramer, Michael DB 1994,426 f. - 427; Zöllner DB 1989,2121 ff. - 2126, der sogar die Mehrarbeit gegen höheres Entgelt für objektiv günstiger hält - aaO. - 2125. Letzteres überzeugt nicht, da niemand für sich in Anspruch nehmen kann, objektiv zu wissen, ob etwas mehr Freizeit oder mehr Geld günstiger ist - wer Teilzeit vereinbart, kann wohl kaum durch eine "günstigere" Tarifregelung zur Vollzeitarbeit verpflichtet werden, obwohl die Teilzeitarbeit nach dieser Sicht doch ungünstiger sein müßte. 43 Rieble RdA 1996, 151 ff. - 155 f.; Buchner DB 1990, 1715 ff. - 1720 ff.; vgl. Richardi ZfA 1992, 307 ff. - 326; so auch das BAG in der sicherlich speziellen Interessenlage bei einer Altersgrenze in einer Betriebsvereinbarung, die dem Arbeitnehmer die individualvertragliche Möglichkeit nimmt, noch über das Rentenalter von 65 Jahren hinaus weiterzuarbeiten - BAGE 63, 211 ff. - 221 = AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972 = NZA 1990, 816 ff.; auch Löwisch DB 1989, 1185 ff. - 1187; ders. BB 1991, 59 ff - 62 f. scheint ein Verfechter der Wahlmöglichkeit zu sein, doch hat er in Löwisch / Rieble, TVG § 4 Rz. 208 und im MünchArbR § 265 Rz. 50 diese Lösung eingeschränkt, als er nur von der Möglichkeit der Individualparteien spricht, eine Wahlmöglichkeit einzuräumen - für Altregelungen kann ein betroffener Arbeitnehmer danach also kein Wahlrecht erzwingen. 44 Wank NJW 1996, 2273 ff. - 2277 f.; Däubler DB 1989, 2534 ff. - 2537 f. 45 Richardi ZfA 1990,211 ff. - 232 ff. insbesondere 240 f.; ders. ZfA 1992, 307 ff. 324 ff. ; ders. Gutachten B zum 61. DJT 1996, S. 91 ff.; ähnlich Steinmeyer RdA 1992, 6 ff. - II f. bei kollektivvertraglichen Altersgrenzen, der - allerdings beschränkt auf die Betriebsvereinbarung - von einer fehlenden Normsetzungsbefugnis in Angelegenheiten der "Berufswahl" spricht, während er bei Tarifverträgen von einem regelmäßig unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ausgeht, wobei jedoch Ausnahmen - etwa Altersgrenzen bei Cockpit-Piloten zum Schutze der Flugsicherheit - möglich blieben.
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Einigung ist. Schließlich kann dieser Ansatz nicht bei allen ambivalenten Regelungen helfen. Die verschiedenen Lösungsansätze betreffen weitgehendst die Anwendung des GÜDStigkeitsprinzips auf Arbeitsbedingungen, die nicht unmittelbar die Entgeltleistungen des Arbeitgebers behandeln - ein mehr an arbeitgeberseitiger Leistung ist schließlich immer möglich und damit eine objektive GÜDStigkeit feststellbar -, sondern zum Schutze des Arbeitnehmers seine Verpflichtung zur Arbeitsleistung beschränken sollen. Dazu gehören neben der Wochenarbeitszeit insbesondere Urlaubsdauer , Samstagsarbeit etc. Da diese keine Unterschreitung der tariflichen Leistungspflichten ermöglichen, können sie für die vorliegende Arbeit außer Betracht bleiben.
2. Günstigkeitsverständnis durch Privatautonomie Einen anderen Weg geht Heinze, der keine Beschränkung auf ambivalente Regelungen vorgenommen hat. Nach seiner Ansicht ist ein geändertes Verständnis des GÜDstigkeitsvergleichs angebracht. Die Einzelabrede sei bereits dann günstiger, wenn sie auf einer privatautonomen Regelung des Arbeitnehmers beruht und dabei der Mindeststandard gewahrt bleibt, der durch die wertungsmäßige Summe sämtlicher Tarifverträge, also bei branchen- und flächenübergreifender Gesamtbetrachtung, gebildet wird. Gehe der einschlägige Tarifvertrag über diesen Mindeststandard hinaus, so sei er im Rahmen privatautonomer Vereinbarung ohne weiteres dispositiv, weil diese Entscheidung als solche günstiger sei. Diese Sicht der GÜDstigkeit setzt keine wirtschaftliche Not etc. voraus. Den Individualparteien wäre es immer möglich, die im geltenden Tarifvertrag festgesetzten Arbeitsbedingungen zu unterschreiten. Die Mindestarbeitsbedingungen nach der Gesamtheit aller Tarifverträge bilden dabei die äußerste Grenze. Dieses Verständnis wird mit der dienenden Funktion des Tarifvertragssystems begründet46 . Nach dem Grundgesetz verbiete sich eine Wertung, "in der die Vertragsfreiheit des Einzelnen nichts, die Vertragsfreiheit des Kollektivs aber alles bedeute"47. Der Vorrang des Tarifvertrages rechtfertige sich daher sozial staatlich allein aus der Gefahr, daß der potentiell ohnmächtige Arbeitnehmer nicht in der Lage sei, angemessene Vertragsbedingungen durchzusetzen. Diese Ohnmacht müsse zugleich die Grenze zulässiger Bevormundung
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Heinze DB 1996, 729 ff. - 733. Heinze NZA 1991,329 ff. - 330.
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durch den Vertrag bilden48 • § 4 Abs. 3 TVG versuche dieser Zielsetzung zum Durchbruch zu verhelfen, ohne hierfür einen Austritt aus der Koalition zu fordern. Die zu schützende Schwäche des Arbeitnehmers sei ausgeräumt, wenn dieser durch seinen individuellen Vertrag mit angemessenen Arbeitsbedingungen seine bestehende Verhandlungsmacht nachgewiesen habe. Aus dem Primat der Individualautonomie heraus, das im Arbeitsrecht durch die Berufsfreiheit des Art. 12 GG geschützt wird, müsse daher eine echte privatautonome Entscheidung immer als günstigere Abmachung angesehen werden49 • Eine rein quantitative Betrachtung nach der h.M. werde dem Verfassungsgebot nicht gerecht. Sodann bleibe nur noch die Prüfung, ob der einzelne Arbeitnehmer angemessene Arbeitsbedingungen durchgesetzt habe. Während beim Außenseiter § 138 BGB und sinngemäß § 9 AGBG die gesetzliche Mindestgrenze bestimme, sei - auch aus dem historischen Regelungsgedanken, den Arbeitnehmer vor sich selbst zu schützen - in der Gesamtheit der bestehenden Tarifverträge die sozialstaatliche Mindestgrenze des Art. 9 Abs. 3 GG zu suchen50 • Gegen diese Ansicht wurde vorgebracht, daß § 4 Abs. 3 TVG an die mitgliedschaftliche Selbstbindung anknüpfend bestehende Loyalitätspflichten gegenüber dem Verband durchsetzt. Doch erzeugt im Privatrecht eine mitgliedschaftliche Beschränkung keine Außenwirkung gegenüber Dritten. Die Verbindlichkeit im Außenverhältnis wurde damit gerechtfertigt, daß der Arbeitgeber als Dritter seinerseits einer vereinsrechtlichen Bindung untersteht51 • Dieser Argumentationsansatz mißachtet bereits, daß die Vereinspflichten jeweils im schuldrechtlichen Mitgliedschaftsverhältnis fußen, und ihre Addition keine Beschränkung der Vertragsfreiheit zwischen den Individualarbeitsparteien begründet. Entscheidend spricht gegen solche Loyalitätspflichten die Entscheidung des Gesetzgebers, günstigeren Abmachungen den Vorrang einzuräumen, ohne daß es auf die Vereinbarkeit mit Vereins interessen ankommt 52 , was in klaren Fällen wie übertariflichen Lohnzulagen unbestritten ist. Weiterhin kann man daran denken, daß entgegen der Befriedungsfunktion des Tarifvertrages der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber unter Druck gesetzt werden und aufgrund seiner Unterlegenheit diesem nicht ausweichen 48 Heinze NZA 1991,329 ff. - 332 f.; ders. DB 1996,729 ff. - 733; so auch die ganz h.M. zum Zweck des § 4 Abs. 3 TVG; Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht S. 64 ff.- 86f.; Leinemann DB 1990, 732 ff. - 732; Läwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 173. 49 Dies ist tendenziell mit der Ansicht vergleichbar, die ein Wahlrecht verlangt, so insbesondere auch unter Berufung auf Art. 12 GG Buchner DB 1990, 1715 ff. - 1718 ff. 50 Heinze NZA 1991, 329 ff. - 334 f. 5\ Käppler NZA 1991,745 -751f. 52 Reuter ZfA 1995, I ff. - 54.
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
könnte 53. Diese Erwägung kann die Privatautonomie nicht von vornherein verdrängen. Das Zivilrecht hält eine Palette von Bestimmungen bereit, die regeln, wann solcher Druck rechtlich relevant ist und welche Folgen er zeitigt. Soweit der Arbeitgeber hiernach zulässig handelt, ist es die Sache des Arbeitnehmers, in eigener Verantwortung und Selbstbehauptung dem entgegenzutreten. Einen Schutz vor sich selbst kennt das Zivilrecht nur in eng begrenztem Umfang. Zwar hat der Tarifvertrag nach dem bestehenden Günstigkeitsvergleich auch individualrechtlieh insoweit friedensstiftenden Charakter, als der Arbeitnehmer die tariflichen Leistungen nicht vertraglich durchsetzen muß, sondern sich auf sie bloß zu berufen braucht. Doch ist der Zweck des Tarifvertrages, das faktische Verhandlungsgleichgewicht wiederherzustellen54 • Die Befriedung ist insoweit nur ein Nebeneffekt, den die gesetzliche Regelung nicht in den Vordergrund gestellt hat. Daher ist weder aus dem Zivil- noch dem Tarifrecht zu folgern, daß Arbeitnehmern unter Berufung auf ihr Wohl die Pflicht zur Selbstbehauptung gänzlich abgesprochen werden muß 55 • Eine solche Bevormundung mag gemäß § 4 Abs. 3 TVG bei objektiver Günstigkeit hinzunehmen sein, wobei die schlechtere Individualabsprache ohne sonstigen Ausgleich die Vermutung der Unterlegenheit des Arbeitnehmers begründen dürfte. Bei objektiv günstigkeitsneutralen kollidierenden Regelungen ist hingegen eine solche Bevormundung nicht mehr mit dem verfassungsrechtlichen Freiheitsverständnis zu vereinbaren, zumal Arbeitnehmer im gesamten übrigen Rechtsverkehr sich genauso behaupten müssen, wie jeder andere Bürger auch. Schließlich stellen die abhängig Beschäftigten die Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung und die Vorstellung, diesen würde es allgemein an hinreichender Selbständigkeit fehlen, würde die Grundlage des demokratischen Verständnisses, in der das Volk oberster Souverän ist, widersprechen. Lediglich wegen der Gefahr der Benachteiligung im Rahmen der Arbeitssuche wird man dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht nach Abschluß des Arbeitsvertrages zugestehen müssen, damit er keine von ihm nicht gewollte Regelung hinnimmt, um überhaupt eingestellt zu werden56 • Gegen den Vorrang der Privatautonomie könnte weiterhin sprechen, daß die Unterschreitung tariflicher Mindestgrenzen dem Interesse der Verbände zuwiderläuft, weil hierdurch ihre Ordnungsfunktion in Frage gestellt wird, die dem Tarifvertragswesen immanent ist. Dieser Gedanke ist auch im Rahmen des Gesetzes berücksichtigt worden, demgemäß § 3 Abs. 3 TVG die Bindung 53
Vgl. ArbG Marbrug DB 1925 ff. - 1926f. = BB 1996, 2198 = NZA 1996, 1331;
Käffler NZA 1991, 745 ff. - 751; Dtto, Hansjörg NZA 1992, 92 ff. - 106 f. Gamillscheg RdA 1968, 407 ff. - 409; Reuß RdA 1968, 410 ff. - 410. Insoweit ist es bedenklich, wenn etwa Gamillscheg RdA 1968, 407 ff. - 408 formuliert, "daß eine in einem Jahrhundert des Arbeitsschutzes gewachsene Erkenntnis uns lehrt, daß der Arbeitnehmer auch des Schutzes vor sich selbst bedarf: ... " . 56 Diese Gefahr betont zu Recht Dtto, Hansjörg NZA 1992, 92 ff. - 106 f. 55
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sogar über den Verbandsaustritt hinaus verlängert, um eine Aushöhlung des Verbandstarifes zu verhindern. Dort wird das Interesse des Verbandes über die Freiheit des Einzelnen gestellt. Insoweit scheint die Sicherung der Verbandsinteressen auf den ersten Blick im Rahmen einfachgesetzlicher Auslegung beachtenswert. Allerdings verlängert § 3 Abs. 3 TVG nur die Tarifbindung, deren Umfang sich aus den Absätzen 1 bis 3 des § 4 TVG ergibt. Danach sind den Arbeitnehmer begünstigende Abmachungen ohne weiteres zulässig, gleichgültig ob sie Verbands interessen zuwiderlaufen. Diese können daher keinen Vorrang des Tarifvertrages begründen. Entscheidend ist, daß einer solchen Auslegung die normative Wirkung entgegensteht. Nach § 4 Abs. 1 TVG gelten die Tarifregelungen zwingend. § 4 Abs. 3 TVG formuliert eine Ausnahme. Versteht man diese als Norm, die den Vorrang der Privatautonomie in jegliche Richtung postuliert, so wird die Ausnahme zur Regel. Der Tarifvertrag ist entgegen § 4 Abs. 1 TVG dispositiv. Daher entspricht die h.M. dem gewöhnlichen Verständnis arbeitsrechtlicher Normen als einseitig zwingende Regelungen.
Heinze hat diese den Maßstab des § 4 TVG umwälzende Auslegung verfassungsrechtlich mit der Zielrichtung der zwingenden Wirkung zu rechtfertigen versucht. Sollen dem Arbeitnehmer angemessene Arbeitsbedingungen gesichert werden, müsse die Bindung enden, wo dieser Zweck erreicht ist. Diese Überlegung erscheint bestechend, und die verfassungsmäßige Verankerung in Art. 12 GG überzeugt. Doch darf nicht übersehen werden, daß keine umfassende objektive Bestimmung der Angemessenheit möglich ist. Nimmt man dazu den einschlägigen Tarifvertrag, so läuft dieser Gedanke ins Leere, weil dieser Vertrag und die angemessenen Mindestbedingungen automatisch übereinstimmen. Aus der Überlegung, die Beschränkung der Kollektivmacht könne nicht durch sich selbst definiert werden, soll daher nicht der einschlägige Tarifvertrag zur Bestimmung der Angemessenheit herangezogen werden. Vielmehr soll sich diese aus einer wertenden Gesamtbetrachtung aller bestehenden raum- und branchenübergreifenden Tarifverträge ergeben. Das dürfte schon an der Praktikabilität und lustiziabilität einer solchen Gesamtbetrachtung scheitern. In sämtlichen Tarifbereichen vollzieht sich notwendigerweise ein ständiger Wandel und sei es nur durch regelmäßige Veränderungen des Lohntarifs, der die Feststellung der Bandbreite schon behindert und erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugen würde. Die Bewertung aller Tarifverträge setzt des weiteren einen gewaltigen Verwaltungsaufwand voraus, der in einem etwaigen Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber schwerlich durchführbar sein dürfte, von der Kosten- und Zeitfrage einmal ganz abgesehen. Auch inhaltlich ist eine wertende Betrachtung schwie-
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Vierter Teil: Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten
rig und beschwört Willkür und Rechtsunsicherheit herauf. Sollen etwa die niedrigeren Osttarife das Mindestniveau insgesamt senken, und ist im Osten entsprechend das Westniveau zu berücksichtigen, so daß die dortigen Tarife unter dem Maß angemessener Arbeitsbedingungen liegen? Es müßten jedenfalls räumliche oder fachliche Tarife ausgesondert werden, die allein aufgrund spezieller Umstände vereinbart wurden. Schließlich erscheint es sehr fragwürdig, den einschlägigen Tarifvertrag durch sonstige Tarifverträge in seiner Wirkung zu begrenzen. Die Gliederung dieser in raum- und branchenbezogene Bereiche basiert auf der Überlegung, daß es keine für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleiche Angemessenheit gibt. Die Arbeitsbedingungen müssen vielmehr den Bedürfnissen im Einzelfall entsprechen. Grundsätzlich ist die Privatautonomie am geeignetsten, um zu adäquaten Regelungen zwischen zwei Vertragsparteien zu kommen, mag dabei einmal die eine oder die andere Seite günstigere Bedingungen erzielen. Da die privautonome Festlegung angemessener Bedingungen im Arbeitsrecht an der potentiellen Ohnmacht des Arbeitnehmers scheitert, soll gerade der Tarifvertrag helfen. Dieser muß notwendigerweise auf übliche Bedürfnisse abstellen und dazu pauschalisieren. Die Gliederung in örtliche und fachliche Tarifbereiche soll allerdings eine gewisse Sachnähe der jeweiligen Vertragsgestaltung gewährleisten. Damit wird ein Mittelweg zwischen notwendiger Nähe zum Einzelvertragsverhältnis und erforderlicher Pauschalisierung beschritten. Folglich ist der einschlägige Tarifvertrag immer eine sachnähere Regelung, weil er gerade den konkreten Bereich vor Augen hat. Dann müssen seine Bestimmungen als angemessenere Bedingungen grundsätzlich einer Globalbetrachtung vorgehen, die jegliche Sonderbedürfnisse mißachtet. Die Beschränkung des Tarifvorrangs auf angemessene Arbeitsbedingungen scheitert demnach an der Überlegung, daß der einschlägige und damit sachnahe Tarifvertrag hierfür immer den Maßstab bilden muß. Gleichwohl bleiben die Grundüberlegungen von Heinze wertvoll und behalten ihre Bedeutung. Aus seiner zutreffenden Bewertung der dienenden Funktion des Tarifvertrages folgt, daß der einschlägige Tarifvertrag dort nicht mehr allein zur Feststellung der Angemessenheit einer Bedingung herangezogen werden darf, wo man objektiv gleichzeitig von einer Mindest- wie auch von einer Höchstarbeitsbedingung sprechen kann, und allein die individuelle Einstellung hierüber zu entscheiden vermag. Dies ist bei Geld- und geldwerten Leistungen undenkbar; ein Mehr ist immer objektiv günstiger. Anders verhält es sich bei Beschränkungen der Dienstpflicht. Der Schutz vor zuviel Arbeitspflicht kann jederzeit und in jedem Bereich - wöchentliche Arbeitszeit, Jahresurlaub - in ein Verbot gewollter und insbesondere im Hinblick auf Gesundheitsschutz und Persönlichkeitsentfaltung unschädlicher Tätigkeit umschlagen. Diese Gefahr darf schon wegen der häufig bestehenden persönlichen
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Identifizierung mit dem Beruf nicht unterschätzt werden. Besondere Bedeutung kommt gerade dem Erwerbsziel zu. So kann mit der Arbeitszeitverkürzung eine Lohneinbuße verbunden sein, die der Arbeitnehmer nicht hinnehmen will. Darüber kann nicht mehr allein die Wertung der Tarifpartner entscheiden, weil sie nach § 4 Abs. 3 TVG nicht berechtigt sind, Höchstbedingungen zu setzen. Soweit die Regelung einen Schutzzweck verfolgt, muß daher in objektiver Betrachtung geprüft werden, ob ihre Beschränkungen im Bereich des Erforderlichen bleiben. Die dafür maßgebenden Schranken müssen ihrerseits wertend bestimmt werden, weil die Angemessenheit eben keine feste Größe ist. Für das Beispiel der zulässigen regelmäßigen Höchstarbeitszeit kann daher nicht nur auf medizinische Erwägungen abgestellt werden, sondern auch auf eine gesellschaftssoziologische Sichtweise. Genau hier erscheint die Überlegung von Heinze sinnvoll, eine Gesamtbetrachtung der bestehenden Tarifverträge als Indiz des gesellschaftlichen Verständnisses vorzunehmen. Aufgrund ihrer punktuellen Betrachtung ist diese zudem noch praktikabel57. Da insbesondere im Rahmen von Einstellungsverhandlungen noch kein arbeitsrechtlicher Schutz eingreift und eine Benachteiligung daher nicht auszuschließen ist, wird man allerdings dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht einräumen müssen, zur tariflichen Regelung zurückzukehren, um die Freiwilligkeit zu gewährleisten. Es würde allerdings nichts dagegen sprechen, dieses Recht enden zu lassen, wenn ein Kündigungsschutz greift. Wegen der notwendigen Beschränkung auf ambivalente Arbeitsbedingungen ist diese Überlegung allerdings ungeeignet, eine Unterschreitung tariflicher Leistungspflichten des Arbeitgebers zu legitimieren. Sie hilft damit der Arbeitgeberseite nicht weiter, wenn sie in einer Krise ihre Pflichten aus der Tarifbindung schmälern will.
3. Steigerung der Sanierungschance als günstigere Regelung Weiterhin wird versucht, die normative Wirkung bei einer wirtschaftlichen Krise in einem tarifgebundenen Unternehmen unter Berufung auf das Günstigkeitsprinzip zu begrenzen58 • 57 Es ist ohnehin zu vermuten, daß Heinze seine Ausführungen, die gerade im Kontext der Arbeitszeitverkürzung erfolgten, in diesem Sinne verstanden wissen wollte; in DB 1996, 729 ff. - 733f. spricht er davon, daß eine privatautonome Entscheidung keinen Vorrang haben könne, soweit "der Tarifvertrag echte Mindestarbeitsbedingungen festlegt, anders jedoch bei Höchstarbeitszeiten, die aus dem Gesundheits- und Personenschutz nicht mehr gerechtfertigt sind." Insoweit ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen. 58 Adomeit NJW 1984, 26f; ders. Das Arbeitsrecht und unsere wirtschaftliche Zukunft, S. 14 ff.; ähnliche Erwägungen stellt Adomeit in NJW 1994,837 f. an, wobei er allerdings die individuelle Günstigkeit dort nur aufgrund einer "doppelten Repräsentati-
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Die untertarifliche Leistung könne günstiger sein, wenn hierdurch eine erkennbare Verbesserung der Unternehmenssituation herbeigeführt, also eine Sanierungschance begründet würde. Die Erhaltung des Arbeitsplatzes sei nichts Außerrechtliches und müsse daher in die GÜDStigkeitsprüfung einfließen. Einem solchen Verständnis stehe auch kein Verbandsinteresse vor einer Aushöhlung des Tarifvertrages in Grenzbetrieben oder Krisenzeiten entgegen, weil die Koalitionen nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Standesorganisation ihrer Mitglieder durch das Grundgesetz geschützt und vom Gesetzgeber zur Rechtsetzung ermächtigt werden. Schließlich könne die Unternehmenskrise wesentlich darauf beruhen, daß die Tarifparteien ihrer Aufgabe zur Bewältigung von Krisen und Rettung von Grenzbetrieben gerade nicht genügt haben. Jeder Tarifvertragsschutz könne zum Ballast werden. Die Arbeitnehmer wüßten selbst am besten, was für sie die günstigere Regelung ist. Auf diese Weise würde letztlich auch der Marktwirtschaft entsprochen. Die freiwillige Lohnminderung führe ganz automatisch zu einer Abkehr von diesem Berufszweig, wenn dort nichts mehr zu verdienen sei. Nach dieser Ansicht sollen die Arbeitnehmer also gemäß § 4 Abs. 3 TVG berechtigt sein, untertarifliche Leistungen zu vereinbaren, sofern dadurch die Gefahr baldiger Arbeitslosigkeit gemindert wird. Zunächst könnte man gegen diese Auffassung einwenden, daß die kollektive Regelung dem Arbeitnehmer ermöglicht, sich aus vielfältigen Streitfragen herauszuhalten und damit nicht in die Gefahr zu geraten, vom Arbeitgeber direkt im Zusammenhang mit solchen Entscheidungen benachteiligt zu werden59 • Einer zwingenden Wirkung kommt sicherlich eine Befriedungsfunktion zu, die durch die Einführung unbeschränkter "Wahlrechte" wieder aufgehoben würde. Diesen Frieden im Betrieb hat das BAG jedenfalls als ein wesentliches Motiv für den Tarifvorrang vor der betrieblichen Mitbestimmung anerkannt60 • Allerdings ist auch der unbeschränkt geschäftsfähige Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Notwendigkeit zur Selbstbehauptung zu verweisen. Sobald ihm arbeitsrechtlich Rechte und Ansprüche eingeräumt und Regelungen getroffen sind und er solche nicht erst aus seiner strukturell unterlegenen Verhandlungsposition heraus aushandeln muß, ist er daher auf seine Eigenverantwortung zu verweisen. Schließlich muß er seine Ansprüche selbst durchsetzen und gegebenenfalls einklagen, denn die Gewerkschaft hat diesbezüglich ohnehin kein Recht zu einer wie auch immer gearteten vertretungsweisen Prozeßstandschaft. on" durch Gewerkschaft und Betriebsrat beseitigt sehen will. vgl. ferner Buchner NZA 1996, 1304 ff. 59 So etwa KäpplerNZA 1991, 745ff. -751; Duo, HansjörgNZA 1992,92 ff - 106 f. 60 BAGE 5, 226 -228; BAGE 14, 140-144, Wiese RdA 1968,41 ff.; kritisch hierzu Zöllner FS Nipperdey 1965, Bd. 11 S. 701-702; Säcker RdA 1967,370-37If.
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Problematisch wird die Einbeziehung der drohenden Arbeitslosigkeit in den Günstigkeitsvergleich. Wieviel Lohnverlust ist die gesteigerte Sanierungschance wert? Könnten Arbeitnehmer vorübergehend sogar auf den Lohn gänzlich verzichten, oder gibt es noch Schranken und wo sollen diese liegen? Diese Fragen werden durchaus gesehen, wenn etwa sehr zurückhaltend formuliert wird, daß für den Juristen die Günstigkeit zweifelhaft sein könne. Doch sollen die Arbeitnehmer dies alles allein beurteilen und abwägen. Deren Entscheidung entspräche daher letztlich der Selbstbestimmung, die durch die Tarifautonomie gerade nicht beseitigt, sondern nur geschützt werden solle. Diese subjektive Eigenbewertung der Günstigkeit durch den einzelnen Arbeitnehmer tangiert die Rechtssicherheit, zumal wenn ihm ein Wahlrecht zukommt, das vielleicht erst später in einem Rechtsstreit ausgeübt und den Vertragsinhalt dann nachträglich bestimmen kann. Wird der drohende Arbeitsplatzverlust im Rahmen des Sachgruppenvergleichs mit zum Bezugspunkt der Günstigkeitsbeurteilung, so stellt sich weiterhin die Frage, warum allein der mögliche Verlust der Beschäftigten im Rahmen des Günstigkeitsvergleiches zu beachten sein soll und nicht generell auch die Chancen zur Arbeitsaufnahme. Müßte es für Arbeitnehmer nach dieser Begründung nicht genauso günstig sein, auf Rechte zu verzichten, um ihre Einstellungs- und Fortbeschäftigungschancen zu steigern - ein Schwerbehinderter verzichtet etwa auf tarifliche Sonderansprüche, die über das Schwerbehindertengesetz hinausgehen oder ein Arbeitsloser verzichtet auf den Tariflohn, um eingestellt zu werden -? Die Beschränkung allein auf die Not des Unternehmens ist inkonsequent, wenn man entscheidend auf den Arbeitsplatz beim Günstigkeitsvergleich abstellt. Des weiteren verläßt diese Art der Günstigkeitsermittlung bewußt den Boden der objektiven Bestimmung im Rahmen des Sachgruppenvergleichs, um den tariflichen Mindeststandard zu unterlaufen. Es wird nicht aufgezeigt, wo die Schranken dieser Selbstbestimmung liegen und wie der noch zu beachtende Mindestschutz erreicht werden soll. Der Verweis auf gesetzliche Regelungen ist jedenfalls sehr begrenzt hilfreich, weil lediglich für Nebenansprüche, wie Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle etc., zwingende gesetzliche Regelungen bestehen. Für den Lohn als Hauptleistung des Arbeitgebers fehlt eine solche. Es sei denn man nehme gemäß § 612 BGB das branchenübliche Entgelt, womit man im Ergebnis wieder zum tariflichen Mindestlohn gelangt, wenn nicht sogar ein übertariflicher Lohn branchenüblich sein dürfte. Neben diesen grundlegenden Bedenken, die bereits diesen Überlegungen entgegenstehen, ist entscheidend, daß § 4 Abs. 3 TVG die Tarifregelung auch für den Arbeitnehmer zwingend ausgestaltet. Sie soll verhindern, daß der Arbeitgeber die potentielle Ohnmacht des einzelnen im Individualbereich
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nutzt, indem er Druck ausübt. Diesem Schutzzweck entsprechend wird gemäß § 4 Abs.4 TVG die Möglichkeit des Arbeitnehmers, auf entstandene Rechte zu verzichten, ausdrücklich vom Einverständnis der Tarifparteien abhängig gemacht und die Verwirkung seiner Rechte gänzlich ausgeschlossen. Es kann wenig überzeugen, die zwingende Wirkung für den Arbeitnehmer allein von seiner Entscheidung abhängig zu machen, weil auf diese Weise das Tarifrecht für ihn entgegen § 4 Abs. 3 TVG wieder dispositiv wird. Schließlich ist es besonders bedenklich, den Vorrang des Individualrechts gerade in einer Unternehmenskrise vorzusehen, in der Arbeitnehmer aus existenzieller Angst naturgemäß viel opferbereiter sind als im Normalfall. Läßt man in der Krise die zwingende Wirkung mit der Begründung fallen, der Arbeitnehmer wisse schon, was für ihn günstiger sei, so müßte dies erst recht in entspannter Wirtschaftslage gelten. Konsequenterweise wäre die zwingende Wirkung insgesamt abzulehnen, was eindeutig dem Tarifvertragsgesetz widerspricht. An diesem Ergebnis würde weder eine Zustimmung des Betriebsrates noch im Rahmen einer Urabstimmung des überwiegenden Teiles der Belegschaft61 etwas ändern, wobei letzteres zugleich dem Prinzip der repräsentativen Interessenvertretung der Belegschaft durch den Betriebsrat widerspricht62 • Folglich beeinflußt eine Sanierungschance und der Erhalt des Arbeitsplatzes nicht den GÜDstigkeitsvergleich63 • Die Zahlungsfahigkeit des Arbeitgebers ist im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs vielmehr nach § 279 BGB zu unterstellen. Im Ergebnis ist festzustellen, daß der GÜDStigkeitsvergleich auch in einer wirtschaftlichen Krise uneingeschränkt fortgilt und keine Auflockerung der Taritbindung zugunsten der Einzelverträge ermöglicht.
m. Kürzungsrecht der Betriebspartner als Annexkompetenz zu § 111 BetrVG Ein weiterer Ansatz, um die tarifvertraglichen Mindestbedingungen zu unterschreiten, besteht darin, den Betriebspartnern eine entsprechende Befugnis zuzuweisen, sofern ein Arbeitsplatzabbau aufgrund einer Unternehmenskrise droht, der gemäß § 112 Abs. 1 BetrVG die Beteiligungsrechte nach den §§ 111 ff BetrVG auslöst. Dies würde zwar die Mitwirkung des Betriebsrates voraussetzen, doch wäre es aus der Sicht des Tarifvertrages eine einseitige 61 Kanzen NZA 1995, 913 ff. - 919 schlägt dies für eine Zustimmung von 75 % der Belegschaft vor. 62 V gl. Hanau, Peter Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 106. 63 Däubler, TVG Rz. 194; Richardi Gutachten B zum 61. DJT 1996, S. 86.
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Gestaltungsmöglichkeit der Arbeitgeberseite, weil der Betriebsrat nach dem Verständnis der Betriebsverfassung nicht als betrieblicher Arm der Gewerkschaften angesehen werden darf. Er ist vielmehr aufgrund freier Wahl durch die Belegschaft legitimiert, ohne daß es auf deren Organisationsgrad ankommt. Diese Befugnis soll aus den §§ 111 ff. BetrVG als Annexkompetenz abzuleiten sein64 • Dabei sei es unerheblich, daß der Gesetzgeber sie selbst nicht behandeln wollte, da insoweit das Problembewußtsein gefehlt habe. Es bestehe also eine Regelungslücke. Weil eine Krisenbewältigung durch die Betriebspartner nur möglich sei, wenn sie dazu die Befugnis hätten, müsse sie eingeräumt werden. Im Rahmen der Einführung von Kurzarbeit und bei den sogenannten ablösenden Betriebsvereinbarungen sei schon die Möglichkeit eines solchen Zugriffs bejaht worden. Die Eingriffsbefugnis in die tarifliche Regelung als solche ergebe sich durch die Aufhebung der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG für Sozialpläne65 • Diese Argumentation kann nicht überzeugen. § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG hebt allein die Regelungssperre auf. Kommt es Z1.i kollidierenden Sozialplanregelungen im Tarifvertrag und der betrieblichen Einigung, so gilt das Günstigkeitsprinzip66. Ein günstiger Sozialplaninhalt im Tarifvertrag würde daher einem Sozialplan der Betriebspartner vorgehen. Daß der Erhalt des Arbeitsplatzes nicht die Unterschreitung tariflicher Leistungsansprüche im Rahmen der Günstigkeit zu begründen vermag, wurde zuvor ausgeführt. Zudem muß für einen solch einschneidenden Eingriff in das Tarifvertragssystem und damit in die Betätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG eine positivrechtliche Regelung gefordert werden. Schließlich will Reuter den Betriebspartnern ein Recht zum Abschluß von Notbetriebsvereinbarungen einräumen, die sogar untertarifliche Leistungen vorsehen67 • Doch leitet er dies aus seinem Verbandsverständnis des Betriebes ab. Da der Betrieb als Verband widerlegt wurde, hilft auch dieser Ansatz nicht weiter. Vollmer DB 1982, 1670 ff. - 1671 f. Vollmer DB 1982, 1670 ff. - 1671 f. 66 Galperin/Löwisch, BetrVG § 112 Rz. 53; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG § 112 Rz. 64; Richardi, BetrVG § 112 Rz. 146; zum Teil wird auch die Anwendung von § 87 verlangt - Hanau, Peter ZfA 1974, 89 ff. - 106 - was aber schon systematisch nicht überzeugt, weil diese Norm überhaupt nicht auf die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten anwendbar ist. Zum Teil wird mit Spezialitätserwägungen gearbeitet Meyer RdA 1996, 181 ff. - 183ff, was selbst beim Haustarif nicht überzeugt, weil dann zwei gleich spezielle Regelungen nebeneinander bestehen. 67 Reuter ZfA 1995, I ff. - 68 ff. insbesondere 71. 64
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IV. Ergebnis
Die Unterschreitung tariflicher Leistungspflichten zum Erhalt von Arbeitsplätzen stellt keine günstigere Regelung im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG dar. Die Leistungspflichten im einschlägigen Tarifvertrag sind vielmehr Mindestbedingungen. Die Betriebspartner haben weder eine originäre noch eine Annexkompetenz aus § 111 BetrVG, durch die sie den Tariflohn bei einer Unternehmenskrise schmälern dürfen, um Entlassungen zu verhindern. Vielmehr greift neben dem GÜflStigkeitsprinzip die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, soweit es nicht um einen Sozialplan geht, § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG. Der firmen- wie verbandstarifunterworfene Arbeitgeber kann bei einer wirtschaftlichen Krise - nicht einmal vorübergehend - mit den einzelnen tarifgebundenen Arbeitnehmern wirksam untertarifliche Löhne vereinbaren. Sofern die Arbeitnehmer nicht der Taritbindung unterliegen, gilt selbstverständlich die allgemeine Vertrags freiheit in den Grenzen der allgemeinen Gesetze, insbesondere Sittenwidrigkeit des § 138 BGB. Die Arbeitgeberseite wird aber auch in der Praxis nur selten mit den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern untertarifliche Löhne vereinbaren, weil dann mit deren Beitritt in die Gewerkschaft und so lediglich mit einer Stärkung des Tarifgegners zu rechnen wäre Der firmen- wie verbandstarifunterworfene Arbeitgeber kann bei einer wirtschaftlichen Krise auch mit dem Betriebsrat nicht wirksam untertarifliche Löhne vereinbaren. Dieser Weg ist sogar den nichttarifgebundenen Arbeitgebern verwehrt, da die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG unabhängig von der Taritbindung des Arbeitgebers greift.
Fünfter Teil
Aktuelle Diskussionen zur F1exibilisierung im Tarifrecht Die betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur einseitigen Einflußnahme des Arbeitgebers während einer Unternehmenskrise sind bisher nicht insgesamt als unbefriedigend angesehen worden trotz mancher Diskussionen über Einzelfragen. Selbst beim Firmentarif wurde nur wenig Anstoß an der Gesetzeslage genommen. Zunächst galt dies weitgehend auch für Verbandstarifverträge, obwohl dort schon früher die Erforderlichkeit gesehen wurde, zumindest in Krisen eine betriebsnähere Tarifpolitik - notfalls durch die Betriebspartner - durchzusetzen. Im Bereich des Verbandstarifes ist bei den Auseinandersetzungen um die Angemessenheit der Tarifverträge im Elektro- und Metallbereich der neuen Bundesländer erstmals eine Diskussion über gesetzgeberische Möglichkeiten zur "Flexibilisierung" des Tarifrechts aufgekommen. Die wesentlichen Vorschläge hierzu sollen in gebotener Kürze im Hinblick auf rechtliche Auswirkungen und Bedenken wie auch in bezug auf ihre Praktikabilität hin skizziert werden.
A. Gesetzliche Öffnungsklausel Im Vordergrund der Überlegungen steht ein Vorschlag der von der Bundesregierung eingesetzten Deregulierungskommission, um "marktwidrige" Regelungen abzubauen. Diese hatte sich zwar grundsätzlich für die Beibehaltung der Unabdingbarkeit im Tarifvertragsrecht ausgesprochen. Doch sollte im Notfall den Betriebspartnern das Recht abweichende Absprachen zur Rettung des Unternehmens eingeräumt werden!. Der Tarifvertrag würde danach für die Betriebspartner in der Unternehmenskrise per Gesetz dispositiv. In Anlehnung an die sog. tarifliche Öffnungsklausel des § 4 Abs. 3 1. Alt. TVG werden diese Überlegungen unter dem Begriff der gesetzlichen Öffnungsklausel diskutiert. ! Vgl. m.w.N. Darstellung bei Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S. 13 ff.; Hanau, Peter RdA 1993, I ff. - 2; vgl. ferner den neuen Vorschlag von Löwisch NJW 1997, 905 ff. - 909 ff. (Thesen 16 bis 24), der in der Sache aber weitgehend dem Vorschlag der Deregulierungskommission unter stärkerer Betonung der Prüfung fur das einzelne Unternehmen entspricht.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
In diesem Zusammenhang war auch von einem Vetorecht der Koalitionen die Rede. Da diese schon nach geltendem Recht jederzeit ein Unternehmen durch Vereinbarung einer tariflichen Öffnungsklausel zur betriebsnahen Gestaltung ermächtigen können2 , muß dieser Vorschlag wohl so verstanden werden, daß dieses Vetorecht nur von den Tarifpartnern gemeinsam ausgeübt werden könnte, bei Weigerung einer Vertragsseite also unbeachtlich bliebe. Noch weitergehend wurde von der Monopolkommission die prinzipielle und von Notlagen unabhängige Einführung von tariflichen Korridoren gefordert, bei denen die Betriebspartner die endgültige Höhe der tariflichen Leistungen und Arbeitspflichten festlegen - sogenannte Korridorlösung. Denkbar sei auch die Festlegung von Höchstsätzen, die bei Gegenleistungen des Arbeitgebers, wie z.B. Arbeitsplatzgarantien, unterschritten werden dürften - sogenannte Optionslösung. Schließlich wurde eine sog. Menuelösung erwogen, bei der die Tarifparteien verschiedene denkbare Varianten vorgeben und die konkrete Auswahl den Betriebsparteien überlassen. Die negative Haltung der Monopolkommission zu festen Tarifverträgen ist allerdings aus ihrer Aufgabe zu erklären. Ohne die Verfassungslage des Art. 9 Abs. 3 GG und die besonderen gesetzlichen Regelungen durch das Tarifvertragsgesetz würden die Sozialpartner mit dem Tarifvertrag unter Verstoß gegen § 1 GWB ein Kartell bilden3 • Die Monopolkommission suchte insoweit Vorschläge, die der Betätigungsgarantie der Verbände aus Art. 9 Abs. 3 GG noch genügen und gleichzeitig die Kartellwirkung des Tarifvertrages beschränken. Noch weitergehend verlangte bereits 1986 der Kronberger Kreis die völlige Öffnung des Tarifvertrages für die Betriebspartner . Jede solche Öffnung bedeutet zunächst eine Begrenzung der Regelungssperre der § 77 Abs. 3 BetrVG und § 87 Abs. 1 BetrVG. Sie ist aus der Sicht der Betriebsverfassung unproblematisch und würde deren System nicht völlig sprengen. Es würde allerdings zu einer erheblichen Verschiebung der Gewichte zwischen Betriebs- und Tarifpartnern kommen, weil der grundSätzliche Tarifvorrang je nach Reichweite der Vorschläge partiell oder gänzlich aufgehoben würde. Systemfremd erscheint allerdings, daß eine für die Arbeitnehmer bei individueller Betrachtung ungünstigere Betriebsvereinbarung gerade den günstige2 Entsprechend wurden sogenannte Härteklauseln in den Osttarifen übernommen, wonach die Tarifpartner betriebsnahe Arbeitsbedingungen vereinbaren können, um sanierungsfähige Unternehmen zu retten, vgl. Lohs DB 1996, 1722 ff - 1723 f. Über den praktischen Erfolg dieser Klauseln, die immer eine Einigung der Tarifpartner erfordert, wird gestritten, vgl. FAZ v. 11.02.1997 Nr. 35 S. 13 "Hickel: Härtefall-Klausel hat sich in Ostdeutschland bewährt". 3 M.W.N. Säckerl Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 206 ff226.
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ren Tarifvertrag verdrängen soll, und damit nicht nur die zwingende Wirkung nach § 4 Abs. 1 TVG, sondern auch das Günstigkeitsprinzip nicht gilt, welches grundsätzlich auf die Kollision arbeitsrechtlicher Regelungen unterschiedlicher Ebenen angewendet wird. Da dem Günstigkeitsvergleich die Idee zugrunde liegt, dem Arbeitnehmer nur dort den Schutz vor der Unabdingbarkeit einer höheren Regelung zukommen zu lassen, wo er durch eigene Vereinbarung oder durch die Bestimmungen einer darunter liegenden Schutzebene weitergehende Rechte und Ansprüche erwirbt. Diesem Zweck widerspricht genauso jede Umdeutung in einen kollektiven Günstigkeitsvergleich, wie sie bei der Berufung auf das Interesse der Belegschaft an der Weiterexistenz des Betriebes anklingt, wie auch ein Gesamtvergleich unter Einbeziehung des gesichert fortbestehenden Arbeitsplatzes für den Einzelnen. Wie schon ausgeführt, ist es nämlich keineswegs gewiß, daß der Lohnverzicht für jeden Arbeitnehmer gegenüber einem Arbeitsplatzfortfall als günstiger angesehen werden kann, insbesondere wenn dieser gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt besitzt. Zum anderen öffnet diese Sichtweise einer umfassenden gerichtlichen Vertragsinhaltskontrolle Tür und Tor, müssen die Gerichte doch entscheiden, wo die Grenze der zumutbaren Lohnkürzung liegt, die auch für einen sicheren Arbeitsplatz nicht unterschritten werden darf. Es darf zwar daher nicht übersehen werden, daß sich hinter einer Arbeitsplatzsicherung de facto durchaus ein elementares Arbeitnehmerinteresse verbergen kann und regelmäßig verbergen wird. Doch führt die Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes entweder zu einer umfänglichen Prüfung der Betriebsentscheidungen im Sinne eines Gesamtgünstigkeitsvergleichs durch das Arbeitsgericht oder im Sinne des subjektiven Günstigkeitsvergleichs aufgrund der faktisch wiederhergestellten allgemeinen Vertragsfreiheit zu einer Abschaffung der Unabdingbarkeit. Eine solche Öffnungsklausel müßte daher mit einer besonderen Kollisionsregel verbunden werden, die der betrieblichen Regelung den Vorrang einräumt. Dies wird bei der weiteren Prüfung gesetzlicher Öffnungsklauseln unterstellt.
I. Vereinbarkeit gesetzlicher ÖtTnungskIauseln mit der Betätigungsgarantie der Koalitionen nach Art. 9 Abs. 3 GG
Ob solche gesetzlichen Öffnungsklauseln in zulässiger Weise geschaffen werden können, berührt mehrere rechtliche Problemkreise. Zunächst ist zu diskutieren, ob sie mit der Bestands- und der Betätigungsgarantie der Koalitionen vereinbar sind, zumal letztere unter anderem einen Anspruch auf ein effektives Tarifvertragssystem umfaßt. Daneben ist zu erörtern, ob die Voraussetzungen für eine gesetzliche Öffnung in hinreichender Form tatbestandlich dargestellt werden können. Schließlich bleibt die Frage, ob eine Öffnung zugunsten der Betriebspartner den gewünschten Erfolg bewirken kann.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
1. Konkurrenzverbot zu Lasten der Tarijvertragsparteien Zum Teil wird gegen gesetzliche Öffnungsklauseln eingewandt, die Vorschriften der §§ 77 Abs. 3 und § 87 Abs. 1 BetrVG bewahrten die Gewerkschaften vor der Konkurrenz einer gesetzlich eingeführten betrieblichen "Tarifsetzung", welche den Arbeitnehmern zudem kostenfrei aufgrund der Betriebszugehörigkeit zukomme. Diese betriebliche "Schmutzkonkurrenz" - dazu noch letztlich durch den Arbeitgeber fInanziert - würde die Gefahr eines weiteren Mitgliederschwundes bei den Gewerkschaften heraufbeschwören und damit deren Bestand und Mächtigkeit gefährden. Darüber hinaus würde die gesetzliche Öffnung zuungunsten der Tarifregelung aus Sicht der Arbeitnehmer den Schutz durch die Gewerkschaft völlig in Frage stellen. Soweit bereits bei günstigeren Betriebsvereinbarungen eine Bestandsgefährdung der Gewerkschaften angenommen wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß Tarifverträge meistens über einzelvertragliche Bezugnahme Bestandteil des Individualvertrages werden, ohne daß der Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft wäre. Die sog. Außenseiter sind in der Realität bei einem Organisationsgrad der Arbeitnehmer und Beamten von ca. 36,2 %4 die Mehrheit. Insoweit besteht schon heute eine kostenlose Teilhabe vieler Nichtorganisierter am Tarifabschluß der Gewerkschaften. Da die Betriebsverfassung ein Arbeitskampfverbot enthält, ist nicht gewährleistet, daß die Betriebsräte dennoch auf Dauer übertarifliche Leistungen aushandeln könnten, wenn nicht ohnehin eine entsprechende Bereitschaft des Unternehmens besteht. Soweit ein Unternehmen übertarifliche Leistungen erbringen will, kann dies die Gewerkschaft schon heute nicht verhindern. Der Arbeitgeber kann sich durch Gesamtzusagen etc einzelvertraglich binden, wenn er auch regelmäßig hierzu eine Absprache mit dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erzielen muß. § 77 Abs. 3 BetrVG verbietet nur die kollektivrechtliche Begründung mit dem Betriebsrat mittels Betriebsvereinbarung5 • Auch insoweit tritt keine wesentliche Veränderung der bestehenden Verhältnisse ein6 • 4 Vgl. Tabelle 124, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, 1996, herausgegeben vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. 5 Hieraus hat das ArbG Marburg im Fall Viessmann, wo Arbeitgeber und Betriebsrat sich auf eine individualvertragliche Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 38 Stunden ohne Lohnausgleich verständigt hatten, festgestellt, daß ein Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft gegen den Arbeitgeber daran scheitere, daß nicht der Weg einer Betriebsvereinbarung gewählt worden war - ArbG Marburg DB 1996, 1929 ff. = BB 1996,2202 =NZA 1996,1337 ff.; so auch KortNJW 1997, 1476 ff. - 1480 f. 6 Richardi, Gutachten B zum 61. DIT, S. 47, der zutreffend ausführt, daß § 77 Abs. 3 BetrVG "den Betriebsrat als Partei einer Betriebsregelung" ausschaltet, "nicht aber die Betriebsregelung selbst."; vgl. auch m.w.N. Birk ZfA 1986, 73 ff. - 101 ff. gelangt sogar zu der Ansicht § 77 Abs. 3 BetrVG könne nur als symbolische Gesetz-
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Weiterhin ist in der betrieblichen Praxis der Tariflohn die Basis übertariflicher Leistungen. So werden regelmäßig tarifliche Lohnerhöhungen nicht vollständig auf über- und außertarifliche Zahlungen angerechnet, sondern häufig wird der GesamtIohn entsprechend erhöht. Aus diesen Gründen haben die Arbeitnehmer auch dann ein ureigenes Interesse an der Tariflohnentwicklung, wenn ihr Betriebsrat über- und außertarifliche Zusatzleistungen vereinbart. Schließlich gewährt die Gewerkschaft im Arbeitskampf allein ihren Mitgliedern Streikunterstützung und darf nur diesen gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG kostenfreien Rechtsbeistand vor den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten zur Verfügung stellen. Auch wenn ungünstigere Regelungen unbeschränkt zugelassen würden, bliebe der Tarifvertrag als Maßstab noch von Bedeutung, weil eine untertarifliche Leistung die Gefahr der Abwanderung der Leistungsträger hervorruft, die andernorts tarifliche oder sogar übertarifliche Vergütungen erhalten können7 • Soweit es um gesetzliche Öffnungsklauseln in Notlagen geht, bewirkt die Beschränkung des Anwendungskreises noch stärker die Gefahr einer Abwanderung von Leistungsträgem. Auch dies dürfte ein Grund dafür sein, daß Arbeitgeber regelmäßig gar nicht zwischen Mitgliedern und Außenseitern bei der Anwendung der Tarifverträge unterscheiden. Nach alledem ist eine Gefährdung der Attraktivität und damit des Bestandes der Gewerkschaften zumindest nicht offensichtlich, insbesondere da die tatsächlichen Veränderungen der bisherigen Verhältnisse nicht so gravierend sein dürften und die Bedeutung des Tarifvertrages jedenfalls als Vergleichsmaßstab von erheblichem Gewicht bliebe. Wie das Bundesverfassungsrecht 1996 im Rahmen seiner Entscheidung zur Änderung des § 116 AFG durch den Gesetzgeber im Jahre 1986 ausgeführt hat, obliegt es bei gesetzlichen Eingriffen in die Rahmenbedingungen des Arbeitskampfes grundSätzlich zunächst dem Gesetzgeber selbst zu beurteilen, welche Auswirkungen sein Eingriff voraussichtlich auf die Kampfparität haben wird und ob die Kampfstärke beider Parteien hinreichend gewahrt bleibt8 • gebung angesehen werden, da die betriebliche Praxis § 77 Abs. 3 BetrVG in mannigfaltiger Weise mißachte bzw. legal umgehe und dies dem Gesetzgeber bei der Schaffung des BetrVG 1972 aufgrund der Erfahrungen zur Vorläufernorm des § 59 BetrVG 1952 bewußt war - insbesondere 104 ff. 7 Wo diese Gefahr nicht besteht, weil sich die gesamte Branche in einer existenziellen Krise befindet, hilft die rechtliche Regelungsschranke des § 77 Abs. 3 BetrvG ohnehin nicht wirksam. Eine Belegschaft, der ein Arbeitsplatzverlust droht, wird häufig eine tarifwidrige Behandlung akzeptieren, vgl etwa Linnenkohl BB 1994, 2077 ff. - 2078 ff. Faktisch wird dieses Vorgehen auch durch tarifliche Ausschlußfristen unterstützt, die den Arbeitgeber von der Gefahr befreien, für einen langfristigen Zeitraum tarifliche Mehrleistungen erbringen zu müssen; hierzu ausführlich m.w.N. v. Hoyningen-Huene NZA 1995, 969 ff. - 970 ff. 8 BVerfG NJW 1996, 185 ff. - 186.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
Diese Beurteilungsprärogative kann nach der Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes nicht auf Eingriffe im Arbeitskampfrecht beschränkt werden. Das Gericht hat selbst zunächst die Herleitung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Kampfparität aus der Betätigungsgarantie über die Gewährleistung eines effektiven Tarifvertragssystems vorgenommen9 • Damit müssen diese Ausführungen insgesamt im Rahmen der positiven Garantien der Verbände aus Art. 9 Abs. 3 GG gelten. Somit muß es auch bei gesetzlichen Öffnungsklauseln zunächst dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ob er von einer Bestandsgefährdung der Gewerkschaften ausgeht. Eine verfassungswidrige Maßnahme liegt erst vor, wenn von vornherein eine erkennbare Fehleinschätzung vorliegt. Dies wird man nach obigen Ausführungen nicht behaupten können. Daher kann der Gesetzgeber nicht wegen reiner Mutmaßungen über eventuelle Auswirkungen auf die Attraktivität und damit den Bestand der Gewerkschaften unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG daran gehindert werden, eine gesetzliche Öffnungsklausel einzuführen lO • Sollten sich diese Befürchtungen später bewahrheiten, wäre er allerdings verpflichtet, hervorgerufene Störungen zu beseitigenIl.
2. Unabdingbarkeit
Zum Teil wird im Hinblick auf die Beschränkung des § 4 Abs. 1 TVG eingewandt, daß die Unabdingbarkeit zum unantastbaren Kembereich der Koalitionsfreiheit gehöre und gesetzliche Öffnungsklauseln daher immer gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstießen 12 • Diese Freiheit verpflichtet den Gesetzgeber, den Koalitionen ein Tarifvertragssystem zur Verfügung zu stellen, mit dem sie Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sinnvoll regeln können. Hierzu zähle nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ebenso die Unabdingbarkeit. Doch behandelt diese Entscheidung das Tarifvertragssystem im allgemeinen. Da das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont hat, daß der Gesetzgeber die Betätigungsgarantie der Koalitionen in den Grenzen des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit ausgestalten dürfe lJ , kann eine auf Sonderfälle beschränkte Regelung nicht ohne weiteres als Eingriff in den Kembereich gewertet werden. BVerfG NJW 1996, 185 ff. - 186. VgI. auch GK-BetrVG, Kreutz § 77 Rz. 67. II VgI. BVerfG NJW 1996, 185 ff. - 186 f. 12 Müller, Gerhard AuR 1992,257 ff. - 258 f.; Hanau, Peter RdA 1993, 1 ff. - 10 f., der bereits in AuR 1983, 257 ff. - 264 die Auffassung vertreten hat, daß die Unabdingbarkeit zum unantastbaren Kernbereich der Betätigungsgarantie gehöre; vgl. auch Rüfner, RdA 1985, 193 ff. - 196; Söllner NZA 1996, 897 ff. - 899. lJ BVerfGE 4, 96 ff.-l07; BVerfGE 44, 322ff.; vgl. auch Säckerl Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie S. 94 f.; Kissel NZA 1995, 1 ff. - 1. 9
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Nach anderer Ansicht darf der Gesetzgeber solche Klauseln lediglich für Fälle einführen, bei denen die Tarifpartner bereits versagt haben, etwa keine erforderlichen Abmachungen zur Problembewältigung fmden konnten. Solche wären insbesondere Härteklauseln, wie sie teilweise in den neuen Bundesländern bestanden. An dieser Ansicht stört, daß der Gesetzgeber erst tätig werden darf, wenn das Tarifsystem im Einzelfall nachweisbar nicht weitergeholfen hat. Bedenkt man die Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens, so läuft eine solche Beschränkung faktisch auf ein Verbot hinaus. Dieser Versuch, den Gesetzgeber unter Berufung auf die Kembereichsgarantie der kollektiven Koalitionsfreiheit de facto von einer gesetzlichen Öffnungsklausel apriori auszuschließen, überrascht insoweit, als er demgegenüber z.B. im Kommunalrecht anerkanntermassen originäre Kommunalaufgaben an sich ziehen sowie bestimmte Regelungsinhalte und Verfahren vorgeben kann, solange noch ein hinreichender eigenständiger Bereich für kommunale Selbstverwaltung verbleibe 4 • Vielmehr kommt dem Gesetzgeber das Recht und die Pflicht zu, bereits zur Sicherung der Gemeinwohlbelange - also präventiv - und nicht erst zur Abwendung einer bereits eingetretenen Gemeinwohlschädigung in die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifparteien einzugreifen, auch soweit es um Regelungen der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen gehes. Entscheidend muß daher sein, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen eng gefaßt werden und der geregelte Fall als Ausnahme erscheint, so daß den Koalitionen in erheblichem Umfange Raum zur eigenständigen Regelung belassen wird l6 • Es wäre daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn diese für wirtschaftliche Notlagen oder zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen aufgelockert würde l7 • Der Vorschlag des Kronberger Kreises, den Tarifvorrang gänzlich abzuschaffen, ist hingegen mit der Verfassung solange unvereinbar, wie auch ungünstigere Regelungen der Betriebspartner grundSätzlich Vorrang haben sollen, jedenfalls wenn diese von einer Zustimmung der Arbeitnehmer völlig unabhängig wären I8 • Damit kann dieser Ansatz aus der weiteren Betrachtung herausgenommen werden. Dies gilt umso mehr, als der Kronberger Kreis widersprüchlich argumentiert. Er hebt zunächst die Kartellwirkung des TarifVgl. Stammler, Autonomes Recht, S. 66 ff. BVerfGE 92, 365 ff. - 394 u. 398; Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S. 38; Kissel NZA 1995, I ff. - 5. 16 Thiele FS Larenz 1973, S. 1046; Wank NJW 1996, 2273 ff. - 2275, der insoweit von der Zu lässigkeit gesetzlicher Randkorrekturen spricht. 17 Richardi, Gutachten B zum 61. DIT, S. 44; Heinze NZA 1995,5 ff. - 7; Henssler ZfA 1994, 487 ff. - 511; Konzen NZA 1995, 913 ff. - 919; vgl. allgemein zu der Befugnis des Gesetzgebers, die Tarifautonomie zu gestalten und zu beschränken m.w.N. Läwisch / Rieble, TVG Grundl. Rz. 16 ff. 18 Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S. 43. 14 15
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vertragswesens hervor und vergleicht dabei die niedrige Mitgliedsquote mit der faktischen Allgemeinwirkung durch die übliche einzelvertragliche Bezugnahme. Da es nicht einzusehen sei, daß der Arbeitnehmer, der als Konsument sich rechtsgeschäftlich in jeder Form verpflichten und für sein ganzes Leben überschulden kann, im Arbeitsrecht partiell entmündigt werde, müsse der Vorrang der Betriebspartner gelten l9 • Die Übertragung auf die Betriebspartner ist im höchsten Maße unverständlich, zumal man just zuvor eindringlich auf die individuelle Selbstbestimmung hingewiesen hat. Dies wird besonders deutlich, wenn der Tarifvertrag mittels individualvertraglicher Bezugnahme gilt. Dann müßte die privatautonome Verpflichtung durch den Arbeitsvertrag nach dem Vorschlag des Kronberger Kreises durch die Zwangsrepräsentation des Betriebstrates ersetzt werden. Dasselbe gilt - wenn auch in abgeschwächter Form - für das Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung; setzt die unmittelbare Tarifbindung doch regelmäßig eine privatautonome Unterwerfung unter die fremde Rechtsetzung voraus, während die Belegschaft eine faktische Zwangsgemeinschaft iseo.
ß. Tatbestandliche Voraussetzungen einer gesetzlichen ÖtTnungsklausel 1. Begriff der Notlage
Im Vorschlag der Deregulierungskommission sollte die wirtschaftliche Notlage als Tatbestandsmerkmal aufgenommen werden. Dieser Begriff wäre wegen der Rechtsprechung zur betrieblichen Alterssicherung, insbesondere zu § 7 Abs. 1 S. 3 N. 5 BetrAVG, für einen Einzelbetrieb ausreichend eng gefaßt. Gleichwohl wird eingewandt, daß seine Unklarheiten sich an der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 3 Ni. 5 BetrAVG zeigten, wonach der Träger der Insolvenzsicherung für betriebliches Ruhegeld erst aufgrund rechtskräftiger Feststellung der Notlage an die Stelle des Arbeitgebers tritt und dieser bis dahin seine Zahlung nicht einstellen darf l . Doch dient diese Vorschrift vornehmlich dazu, den Arbeitnehmer davor zu schützen, gegen eine oder beide Seiten klagen zu müssen, obwohl es sich de facto um einen Streit zwischen dem Arbeitgeber und dem Träger der Insolvenzsicherung handelt. Der Begriff selbst ist hingegen fest umrissen, wenn auch seine Feststellung und Beweisbarkeit problematisch und regelmäßig nur im Wege eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens möglich ist. Bei einem Firmentarif, der ein 19
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Kronberger Kreis S. 16 ff. Richardi, Gutachten B zum 61. DJT, S. 21f. Hanau, Peter RdA 1993, 1 ff. - 3.
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Unternehmen mit mehreren Betrieben erfaßt, ergeben sich auch keine wesentlichen Schwierigkeiten, weil bei der Prüfung einer betrieblichen Notlage und der Sanierungsfahigkeit ohnehin entscheidend auf den Arbeitgeber und damit auf das Unternehmen abgestellt wird. Daher wäre auch eine umfassende Würdigung der Notlage und Sanierungsfahigkeit für ein aus mehreren Betrieben bestehendes Unternehmen beim Firmentarif möglich. Der Gesetzgeber müßte allenfalls festlegen, ob die Vernichtung einzelner Betriebe die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens in Frage stellt, wie es bei einer betrieblichen Sichtweise zwangsläufig der Fall wäre. Dagegen würde sprechen, daß bei einer unternehmensbezogenen Prüfung der Verlust von Einzelbetrieben dem Verlust von Betriebsteilen im Rahmen einer betriebsbezogenen Prüfung entsprechen würde, die unbedenklich wäre. Der Hinweis auf die Rechtsprechung versagt jedoch beim Verbandstarif, wenn bei der Notlage auf den Verband abgestellt wird. Dieser ist kein homogenes Gebilde, dessen Wirtschaftslage und Sanierungschance umfassend geprüft werden könnte. Der Gesetzgeber müßte daher für den Verbandstarif nachvollziehbare Merkmale aufstellen, die eine Notsituation indizieren22 • Andernfalls wäre der Eingriff in die Koalitionsfreiheit nicht hinreichend vorgezeichnet, was nach der Wesentlichkeitstheorie unzulässig wäre. Alternativ könnte mit der Deregulierungs- und der Monopolkommission die Zulässigkeit einer Abweichung für den jeweiligen Betrieb und damit auch im Verbandstarif betriebsbezogen erfolgen. Allerdings würde dies automatisch einen Wettbewerbsvorteil für jeden Grenzbetrieb bewirken, selbst wenn der Tarifvertrag keinerlei übermäßige Ansprüche begründet. Ob dies in der Allgemeinheit akzeptabel ist, erscheint insoweit bedenklich, als solche Unternehmen gestärkt durch die Kostenersparnis Wettbewerber in Bedrängnis bringen können, die noch tarifliche Leistungen erbringen23 • Daher müßte eine solche Abweichung jedenfalls zeitlich eng begrenzt und die Möglichkeit einer wiederholten Anwendung restriktiv geregelt werden24 • Die vorgeschlagene Vgl. Lieb NZA 1994,289 ff. - 291. Lieb NZA 1994, 289 ff. - 291 stellt insoweit zutreffend fest, daß die wettbewerbswidrige Begünstigung bedenklich ist und niemand auf die Idee käme, einem eigentlich nicht mehr haltbaren Unternehmen Sonderkonditionen, etwa für Energie, Rohstoffe, Kredite etc., einzuräumen. Im Gegenteil dürften etwa Kreditleistungen wegen des gestieienen Risikos nur gegen erheblich höhere Zinsbelastung zu erhalten sein. 2 Vgl. Gentz FS Schaub S. 205 ff. - 214f. So muß etwa auch die gesetzliche Regelung zur Übernahme der Versorgungsleistungen durch den Pensionssicherungsverein insoweit de lege lata als mißlungen angesehen werden, als danach das Unternehmen auch nach seiner Sanierung nicht einmal die Zahlung der zukünftigen Pensionszahlungen wieder übernehmen muß, geschweige denn die bereits erbrachten Zahlungen erstatten muß. So zutreffend entschieden im Fall der Sanierung der AEG - BVerwG E 97, 1 ff. = ZIP 1995, 41 ff.; vgl auch Hahn, ZIP 1996, 209 ff. - 213 f. Dieser Mangel wird mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung beseitigt, deren Einführungsgesetz eine entsprechende Änderung des BetrAVG regelt. 22 23
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Zweijahresgrenze sollte nur im äußersten Falle erlaubt sein. Denkbar wäre, diese in zwei Einjahresperioden aufzuteilen und eine erneute Prüfung nach Ablauf der ersten Periode vorzunehmen. Nach Ablauf der hier vorgeschlagenen Aufteilung und gegebenenfalls verlängerten Erlaubnis zur betrieblichen Vereinbarung untertariflicher Leistungen müßte jedenfalls eine deutliche Sperrfrist - denkbar wären etwa fünf Jahre - etabliert werden, in der das Unternehmen nicht erneut Sonderrechte in Anspruch nehmen dürfte. Nach alledem ist eine tatbestandliehe Erfassung und Regelung für den Fall der wirtschaftlichen Notlage möglich. Die mit einem solchen Vorgehen verbundenen Gefahren für noch gesunde Unternehmen erfordern eine restriktive gesetzliche Regelung, die nicht Wettbewerbsvorteile für kranke Unternehmen verstetigt, sondern nur eine kurzfristige Entlastung im Rahmen einer Sanierung ermöglicht.
2. Tarifliche Korridore / Optionslösung / Menuewahl Bei diesen Vorschlägen erscheint hingegen sowohl die tatbestandliche Konkretisierung wie auch die Zweckmäßigkeit der Lösung fragwürdig. Macht der Gesetzgeber keine erheblichen inhaltlichen Vorgaben, werden die Tarifparteien Auswege wählen können, die nach ihren Vorstellungen gewollte Mindestbedingungen gewährleisten. So kann die Gewerkschaft bei den Korridoren durchzusetzen suchen, daß der untere Wert dem von ihr gewollten Mindestlohn entspricht. Wird ein gesetzlicher Zwang für Options- oder Menuelösungen eingeführt, ist eine ähnliche Strategie denkbar. Außerdem könnten die Tarifpartner unattraktive Alternativen mit dem von ihnen favorisierten Modell verbinden und somit faktisch die Wahl ihres Regelungswerkes herbeiführen. Wer dies verhindern will, muß vom Gesetzgeber inhaltliche Vorgaben erwarten. Dies wäre der Beginn gesetzlich geregelter Arbeitsmärkte, was mit der Betätigungsgarantie nicht mehr zu vereinbaren wäre. Soweit der Gesetzgeber schon heute Fragen in bestimmter Weise geregelt wissen will, kann er dies in der Regel durch tariffeste Gesetze erzwingen, solange er damit nicht die tarifliche Tätigkeit als solche in Frage stellt. Daher sind diese Lösungen als Grundlage gesetzlicher Öffnungsklauseln unbrauchbar. Allerdings sollten die Tarifverbände diese Möglichkeiten eigenständig in zukünftige Tarifverträge einbeziehen, um die von ihnen geforderte Flexibilisierung teilweise herbeizuführen.
m. Rechtssetzungsmacht der Betriebspartner Das entscheidende Problem, das gegen eine Zulässigkeit von Öffnungsklauseln nach den bisherigen Vorschlägen spricht, liegt in der unterschiedlichen
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Rechtsetzungslegitimation und dem Wechsel des Adressatenkreises. Während die Tarifvertragsbindung auf der mitgliedschaftlichen Legitimation beruht und unmittelbar nur die Mitglieder betrifft, sind die Betriebspartner zur Rechtset zung für die gesamte Belegschaft einschließlich der nicht Tarifgebundenen berufen. Durch die Umgestaltung des Tarifvertrages in eine Betriebsvereinbarung werden Außenseiter als Betriebsangehörige zwingend eingebunden25 • Die demokratische Legitimation des Betriebsrates rechtfertigt keinen solchen Eingriff. Dies zeigt sich schon daran, daß selbst der Gesetzgeber als demokratisch gewählter Repräsentant des Volkes zur Lohnlenkung nur in Extremsituationen und bei angemessener Entschädigung berechtigt wäre, sei es nach Art. 12 oder Art. 14 GG. Zudem ist der Betriebsrat kein staatlicher Gesetzgeber, so daß eine solche Regelungsmacht dem Parlamentsvorbehalt widersprechen würde, wonach grundrechtsrelevante Entscheidungen zumindest in den wesentlichen Grundzügen vom Gesetzgeber vorgezeichnet werden müssen. An dieser Bewertung würde sich auch nichts durch eine teilweise de lege ferenda vorgeschlagene 75%ige Zustimmung der Belegschaft ändern, weil damit der Eingriff in die Rechte der Minderheit nicht aufgehoben würde 26 • Vielmehr haben Außenseiter aus der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG Anspruch darauf, nicht durch Verschiebung der Zuständigkeiten unter eine modifizierte Tarifregelung zu fallen27 • Dies gilt auch für den Arbeitgeber, wenn eine Zwangsschlichtung über die Einigungsstelle ermöglicht würde 28 • Die gesetzliche Öffnungsklausel nimmt dem Außenseiter also seine Chance, eine eigenständige Regelung herbeizuführen. Deshalb verwundert es, daß auch die Monopolkommission diese Lösung vorgeschlagen hat, 25 Wollte man diese Folge mit dem Günstigkeitsprinzip beseitigen, so wäre die gesetzliche Öffnungsklausel sinnlos, da selbst in Bereichen mit hohem Organisationsgrad kaum die 40% überschritten wird und daher die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer als Außenseiter den Tarifvertrag nur in Bezug nehmen. Bei diesen gilt der materielle Gehalt des Tarifvertrages demnach individualvertraglich und würde als günstigere Regelung vorgehen. 26 So etwa Konzen NZA 1995,913 ff. - 919; Hromodka NZA 1996, 1233 ff. - 1236 und 1238; dagegen auch Kort NJW 1997, 1476 ff. - 1480; Löwisch JZ 1996,812 ff. 818. Soweit Hromodka die Bindung an ein solches Quorum der Belegschaft mit der Ungeeignetheit der Änderungskündigung rechtfertigt - aaO. 1234 -, kann dies schon deshalb nicht überzeugen, weil durch entsprechende Schaffung eines gesetzlichen, unabdingbaren Änderungskündigungsrechts mit relativ kurzer Frist durchaus eine Lösung geschaffen werden könnte. Die Gefahr, daß Leistungsträger abwandern, ist insoweit hinzunehmen. 27 Heinze NZA 1995, 5 ff. - 7; ders. OB 1996,729 ff. - 732; ders. NZA 1997, 1 ff. 4 f; Rieble RdA 1996, 151 ff. - 754. 28 Heinze OB 1996, 729 ff. - 732 und 734; ders. NZA 1997, 1 ff. - 4 f. 28 Beathalter
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obwohl der Außenseiter hierdurch rechtlich in ein Kartell gezwungen wird, dem er gerade bewußt nicht beigetreten war9 • Schließlich bestehen Bedenken aufgrund der positiven Koalitionsfreiheit der Gewerkschaftsmitglieder . Die durch ihren Beitritt in die Gewerkschaft und ihre mitgliedschaftliche Beteiligung an der Koalition legitimierte Rechtsetzung wird durch gesetzliche Öffnungsklauseln auf den Betriebsrat übertragen, obwohl dieser von Nichtorganisierten mit gewählt wird und nicht aus Angehörigen der Gewerkschaft bestehen muß 30 • Gleiches würde wiederum für die de lege ferenda geforderte Abstimmung der Belegschaft gelten, bei der Nichtund Andersorganisierte über die Tariffortgeltung entscheiden3 ). Eine Übertragung der tariflichen Rechtsetzungsmacht auf die Betriebspartner verkennt also, daß der Betriebsrat kein örtlicher Repräsentant der Gewerkschaft ist. Die betriebliche Rechtsetzung stellt nach ihrem Wesen, ihrer Reichweite und ihrer Legitimation keine Kleintarifebene dar, sondern ist ein aliud32 • Alternativ könnte man betonen, daß es nicht um Delegation der Rechtsetzungsmacht auf die Betriebspartner geht, sondern nur durch die Aufhebung der Sperre des § 77 Abs. 3 und 87 Abs. 1 BetrVG die originäre Rechtsetzungsmacht der Betriebspartner aktiviert würde33 • Doch wurde schon ausgeführt, daß ihnen im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie nur in engen Grenzen eine Rechtsetzungsmacht zukommt, soweit Arbeitnehmer auch an ungünstigere Regelungen normativ gebunden werden sollen. Daher hilft diese Argumentation bei der Absicht, untertarifliche Leistungen über eine Betriebsvereinbarung zu ermöglichen, gerade nicht weiter4 • Schließlich trägt die gesetzliche Öffnung eine ganz erhebliche Spannung in den Betrieb. Der Tarifvorrang dient auch dazu, eine Auseinandersetzung um materielle Arbeitsbedingungen nach Möglichkeit aus dem Betrieb herauszu29 Richardi Gutachten B zum 61. DJT 1996, S. 90; tendenziell auch Lieb NZA 1994, 289 ff. - 290. 30 Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff. - 110; Zachert RdA 1996, 140 ff. - 146; vgl. Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 137; ders RdA 1993, 209 ff. - 215 f.; Reuter ZfA 1995, 1 ff. - 68. 3) Läwisch JZ 1996, 812 ff. - 820. 32 So auch Molitor, Karl FS Schaub 487 ff. - 488 ff., der zutreffend von der Entstehung von Betriebsgewerkschaften spricht. 33 Vgl. Zachert RdA 1996, 140 ff. - 143. 34 Insoweit ist die teilweise - etwa Ehmannl Lambrich NZA 1996,346 ff. - 347, als Mindestforderung gewünschte Streichung der Tarifüblichkeit in § 77 Abs. 3 BetrVG auch nicht hilfreich. Neef FS Schaub 515 ff. hat ohnehin ausführlich dargelegt, daß diese Streichung auch im übrigen gegenüber der bestehenden Rechtslage kaum Veränderungen bewirken würde.
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halten und damit den Frieden im Betrieb zu wahren35 • Es besteht insoweit die Gefahr einer zweiten Lohnrunde 36 • IV. Praktische Bedenken
Neben diesen rechtlichen Gesichtspunkten, die eine solche Regelung zumindest höchst fragwürdig, wenn nicht sogar unzulässig machen, bestehen darüber hinaus erhebliche praktische Bedenken. Der Tarifvertrag soll Mindestbedingungen schaffen. Kann ein Unternehmen diese nicht erfüllen, so ist es als wettbewerbsunfähig anzusehen und sein Untergang entspricht der Marktwirtschaft. Erlaubt man dem Unternehmen den tariflichen Lohn zu unterschreiten, so wird seine marktwirtschaftliehe Schwäche durch einen den Wettbewerb verzerrenden Vorteil verdeckt37 • Es könnte mit reduzierten Löhnen möglicherweise seine Preise senken und damit andere Unternehmen gefährden, die bisher wettbewerbsfähig waren. Auch ist es erstaunlich, wie sich der Blick in der Krise allein auf die Arbeitnehmer beschränkt, obwohl es noch eine Vielzahl anderer Gläubiger gibt, die nicht zu Opfern gezwungen sind38 • Halten die Tarifparteien eine Unternehmenskrise für eine situationsbedingte Ausnahmelage, werden sie entsprechende Abweichungen selbst vereinbaren oder zulassen. Sind sie hingegen der Ansicht, das Unternehmen sei generell nicht mehr wettbewerbsfähig, so ist es befremdlich, diese Bewertung durch Gesetz dem Betriebsrat zu übertragen, dem der flächendeckende Überblick einer Gewerkschaft fehlen muß 39 • Dies gilt umso mehr, als dessen Objektivität zu keinem anderen Zeitpunkt zweifelhafter sein könnte40 • Eine Erwägung, die die Rechtsprechung zur Billigkeitsprüfung bei Betriebsvereinbarungen betont, die gerade mit der Gefahr des schwachen Betriebsrates im Vergleich zur Gewerkschaft begründet wird. 35 BAGE 5,226 - 228; BAGE 14, 140-144, Wiese RdA 1968, 41 ff.; kritsch hierzu Zöllner FS Nipperdey 1965, Bd. 11 S. 701-702; Säcker RdA 1967, 370 - 371 f 36 Lieb NZA 1994, 289 ff. - 291, der zutreffend darauf hinweist, daß das Unternehmen darüber hinaus gezwungen sein würde, seine betriebsinternen Daten in erheblichem Maße gegenüber dem Betriebsrat offenzulegen. 37 Dem entspricht es, daß ausnahmsweise sogar ein Unterlassungsanspruch der Konkurrenten gegen ein Unterschreiten des Tariflohns durch einen tarifgebundenen Arbeitgeber - jedenfalls im Falle der Allgemeinverbindlicherklärung - aus § 1 UWG gefolgert wird, wenn es nachweislich zu einer Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs kommt - BGH SAE 1995, 1 ff. mit Anm. von Thomas Müsgen. 38 Kittner FS Schaub 389 ff. - 396, hat insoweit überzeugend angemerkt, daß ein gesetzlich vorgesehener Beitrag der Arbeitnehmer zur Sanierung dazu fUhrt, daß andere Gläubiger diesen bei Sanierungsgesprächen vor der Insolvenz bereits fest einkalkulieren und damit der Arbeitnehmerseite erheblich Verhandlungsgewicht genommen wird. 39 Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 133; Hanau, Peter RdA 1993, 1 ff. - 5; Kissel NJW 1994,217 ff.- 219. 40 Hanau, Peter RdA 1993, 1 ff. - 6f.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
Wenn man gesetzliche Öffnungsklauseln einführen will, müssen daher m.E. verfahrensmäßige Regelungen getroffen werden, die jedem Tarifpartner die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung mit einer Rechtskraftwirkung analog § 9 TVG eröffnen. Dann wäre ausreichend gewährleistet, daß eine Schwäche des Betriebsrates insoweit nicht durchschlagen kann. Sowohl aus rechtlichen als auch praktischen Bedenken ist eine gesetzliche Öffnungsklausel in der vorgeschlagenen Weise abzulehnen41 • M.E. denkbar und auch sinnvoll - aber vermutlich politisch nicht durchsetzbar - wäre ein ganz anderer Weg der Tariflockerung im Falle wirtschaftlicher Not eines Unternehmens. Der Gesetzgeber könnte ein von der Zustimmung des Betriebsrates abhängiges, tariflich unabdingbares, betriebsbedingtes Änderungskündigungsrecht des Arbeitgebers in das KÜDdigungsschutzgesetz aufnehmen, wonach der Arbeitgeber im Falle einer wirtschaftlichen Notlage dem Arbeitnehmer zur Sanierung des Betriebes das Arbeitsverhältnis mit der Maßgabe kündigen kann, daß er dem Arbeitnehmer die Fortsetzung unter der Bedingung anbietet, eine befristete Lohnreduzierung - etwa zweimal ein Jahr - zu vereinbaren. Dem Arbeitnehmer bliebe neben der Annahme die Möglichkeit, das Änderungsangebot abzulehnen oder es gemäß § 2 KSchG unter Vorbehalt der Nachprüfung anzunehmen. Die Befristung würde den oben ausgeführten Gedanken berücksichtigen, daß eine Wettbewerbsverzerrung nur zeitlich begrenzt zulässig sein kann. Dementsprechend könnte ein solches KÜDdigungsrecht verwehrt sein, wenn in den letzten fünf Jahren bereits schon einmal eine befristete Lohnreduzierung auf diese Weise herbeigeführt worden war. Da das KÜDdigungsschutzgesetz ein besonderer vom Gesetzgeber gewährter Schutz ist, wäre seine Einschränkung jedenfalls zur Rettung existenzgefährdeter , aber sanierungsfähiger Betriebe auch aus dem Sozialstaatsprinzip unbedenklich. Gleichzeitig müßte in § 4 Abs. 3 TVG die Unabdingbarkeit um eine weitere dementsprechende Öffnungsklausel erweitert werden, da es sich dogmatisch um eine abweichende untertarifliche Individualvereinbarung zwischen Tarifgebundenen handeln würde. Alternativ zur befristeten Lohnreduzierung könnte die Befristung und der Wiederholungs ausschluß für fünf Jahre auch bei der tariflichen Öffnungsklausel selbst vorgesehen werden, so daß die Individualabsprache mit Ablauf der befristeten Öffnung wieder wegen Verstoßes gegen die Unabdingbarkeit des Tarifvertrages nichtig würde. Außerdem sollte den Tarifparteien das Recht 41 Anders mit knapper Mehrheit der 61. DJT - Beschluß 3. vgl. Mitteilungen NJW 1996,2995.
B. Beschränkung des § 3 Abs. 3 TVG
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zur gerichtlichen Klärung im Wege einer Feststellungsklage eröffuet und diesem die Rechtskraftwirkung des § 9 TVG zugestanden werden. Schließlich müßte der Gesetzgeber im Rahmen des Parlamentsvorbehaltes selbst die äußersten Schranken zulässiger Abweichungen bestimmen42 • Das heißt er müßte Pauschalgrenzen bestimmen - etwa keine Reduzierung unter 125 % des Sozialhilfesatzes oder unter 80 % des Tariflohnes und der sonstigen Tarifleistungen, was sinnvoller wäre -. Allerdings braucht diese Vorstellung nicht weiter vertieft zu werden, weil ihre politische Durchsetzbarkeit derzeit mit Sicherheit nicht gegeben sein dürfte.
B. Beschränkung des § 3 Abs. 3 TVG I. Umgestaltung in eine dispositive Fortgeltung Ein weiterer Vorschlagl geht dahin, die zwingende Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG durch eine dispositive Nachwirkung zu ersetzen. Damit soll
dem einzelnen Unternehmen auch im Zusammenhang mit einem gleichzeitig bei wirtschaftlichen Notlagen anerkannten Recht zum außerordentlichen Verbandsaustritt über die betriebsbedingte Kündigung die Möglichkeit eröffuet werden, von den Tarifverpflichtungen, insbesondere -entgelten, auf Leistungen zurückzugehen, die noch wirtschaftlich tragbar sind. Dadurch wird auch erreicht, daß die Prüfung der wirtschaftlichen Lage nicht beim Verband ansetzt, sondern auf das einzelne Unternehmen beschränkt werden kann, was die Bewertung analog der wirtschaftlichen Notlage im Betriebsverfassungsgesetz ermöglicht. Mit einer solchen Regelung wird die Ordnungs- und Friedensfunktion des Tarifvertrages von Anfang an in Frage gestellt. Wenn insoweit hohe Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung der Verbandsmitgliedschaft gestellt werden, übersieht dies schon die Möglichkeit eines ordentlichen Austritts, der wegen der negativen Koalitionsfreiheit spätestens nach einer Kündigungsfrist von 6 Monaten wirksam werden muß2 • Auch ist nicht klar, warum ein einzelnes Unternehmen wegen seiner wirtschaftlichen Lage die Mitgliedschaft außerordentlich kündigen darf. Es war bisher unstreitig, daß tarifge42 Die Gerichte könnten dies nicht, da dies einer Zwangsschlichtung und damit der Tarifzensur gleichkäme; Löwisch JZ 1996,812 ff. - 820. 1 Beuthienl Meik DB 1993, 1518 ff - 1519 f; Reuter FS Schaub 605 ff - 621f; ders. ZfA 1995, I ff - 40 f. 2 BGH AP Nr. 25 zu Art. 9 GG.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
bundene Grenzbetriebe durch einen Tarifvertrag mangels Wettbewerbsfähigkeit zerstört werden dürfen. Man müßte also schon durch eine Vielzahl von betroffenen Unternehmen eine Mißachtung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den gesamten Verband nachweisen. Damit wird die wirtschaftliche Zumutbarkeitsprüfung für den Verband nur verlagert, die als Verhandlungsergebnis gar nicht von Gerichten ersetzt oder überprüft werden könnte, da eine Vielzahl von Faktoren neben der Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberseite zu beachten sind. Eine Verkürzung auf "weniger Lohn für Arbeit" ist daher nicht zulässig und das Aussterben unrentabel gewordener Branchen hinzunehmen3 • Vielmehr ist nach unserem Tarifverständnis davon auszugehen, daß diese Verträge prinzipiell Mindestarbeitsbedingungen im Rahmen eines allgemeinen Interessenausgleiches festschreiben. Daher wären diese Maßstäbe auch bei einem zumutbaren Änderungsangebot im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung zu beachten4 •
ll. Zeitliche Begrenzung der Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG Ein weiterer Vorschlag besteht in einer Beschränkung der fortgeltenden Tarifbindung auf ein Jahrs. Nur auf diese Weise sei gewährleistet, daß ein interner Druck in den Verbänden bestehe, der eine Beachtung der Sachzwänge bewirke. Ob eine Befristung auf ein Jahr nicht bereits den Tarifpartnern die Möglichkeit zu einer mittelfristigen Lösung von Problemen verbaut, erscheint fragwürdig. Grundsätzlich dürfte die Beschränkung des § 3 Abs. 3 TVG allerdings gerade zur Optimierung der negativen Koalitionsfreiheit sinnvoll sein. Daher dürfte eine am Vereinsrecht angelehnte Höchstbindung von zwei Jahren m.E. angemessen sein. Dies läßt den Tarifpartnern die Möglichkeit zur mittelfristigen Problemlösung, ohne die Tarifgebundenen überlange an Verträge zu binden. Dies ist umso bedeutsamer, als der Fortbestand von Tarifverträgen bis zu ihrem ordnungsgemäßen Ende in der Praxis gerade dann fragwürdig geworden ist, wenn sie längerfristig abgeschlossen wurden. Man denke an die Stufenverträge der Ostmetall- und Elektroindustrie oder an die mehrjährigen Tarifverträge mit niedrigen Lohnerhöhungen Anfang der achtziger, als überraschend ein Boom mit entsprechender Inflation einsetzte. Eine sinnvolle Beschränkung der Tarifvertragsfreiheit könnte daher in einer gesetzlichen Höchstbefristung der Mindestlaufzeit liegen. Dies sollte nicht nur Vgl. auch oben S. 289 ff. Vgl. auch Konzen NZA 1995, 913 ff. - 919 f. S Rieble RdA 1996, 151 ff. - 155.
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C. Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeit gemäß § 5 TVG
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über § 3 Abs. 3 TVG für die Ausgetretenen, sondern darüber hinaus im TVG für die Abschlußfreiheit der Tarifpartner selbst niedergelegt werden. Dieser Vorschlag sollte unter Heraufsetzung auf eine Zweijahresfrist nicht nur auf § 3 Abs. 3 TVG bezogen, sondern als zusätzliche Schranke durch Aufnahme einer unabdingbaren Kündigungsmöglichkeit nach einer Laufzeit von zwei Jahren den Tarifvertragsparteien insgesamt auferlegt werden. Das gleiche hat bei einer anschließenden Verlängerung mangels Kündigung zu gelten.
C. Abschaffung der Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG Des weiteren wurde die Abschaffung bzw. stark beschränkte Anwendung der Allgemeinverbindlicherklärung nur aus ganz besonderen öffentlichen Interessen vorgeschlagen, insbesondere für tarifliche Regelungen über die Schaffung und Unterhaltung von gemeinsamen Einrichtungen, wie Lohnausgleichs- und Betriebsrentenkassen in Branchen mit hoher Fluktuation. Die Allgemeinverbindlicherklärung im heutigen Verständnis als Schutz vor "Schmutzkonkurrenz" durch den Außenseiter dränge dessen effektive Ausübung der negativen Koalitionsfreiheit schon begrifflich in die Nähe der Sittenwidrigkeit. Die nur auf Antrag der Tarifpartner mögliche Allgemeinverbindlicherklärung erstrecke de facto ihre Rechtsetzungsmacht auf Außenseiter und negiere gerade die Möglichkeit, daß nichtorganisierte Arbeitnehmer der drohenden Arbeitslosigkeit wegen zu hoher Tarifleistungen durch untertarifliche Löhne entrinnen können. Dies wäre wünschenswert, weil die Tarifpartner so mittelbar durch die Marktkräfte beschränkt und das bestehende Tarifkartell durch die Sachzwänge kontrolliert würde l • Richtig dürfte an dieser Überlegung sein, daß von der Allgemeinverbindlicherklärung gerade wegen der negativen Koalitionsfreiheit nur Gebrauch gemacht werden und entsprechend die Zustimmung des zuständigen Bundesministers für Arbeit und Soziales bzw. der ermächtigten obersten Landesarbeitsbehörden allein bei einem nachweislichen Bedürfnis erteilt werden sollte. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit festgestellt, daß eine Allgemeinverbindlicherklärung voraussetzt, daß die Interessen der Außenseiter bzw. Andersorganisierten angemessen berücksichtigt werden müssen2 • Dabei darf das Argument der Billigkonkurrenz keine Rolle spielen, weil es die negative 1 Reuter RdA 1991, 193 ff. - 202 f., der aber später selbst eine erhebliche Bedeutung einer Streichung des § 5 TVG bezweifelt hat - ZfA 1995, 1 ff. - 44 f. 2 BVerfGE 44, 322 ff. - 338 ff.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
Koalitionsfreiheit mißachtee. Tatsächlich ist die Anzahl der ganz oder teilweise allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge im Verhältnis zur Gesamtzahl eher gering. So waren im Jahre 1992 lediglich 507 von ca. 32000 Tarifverträgen allgemeinverbindlich erklärt worden. Es handelte sich vornehmlich um Bereiche, wo überwiegend Kleinbetriebe und/oder starke Arbeitnehmerfluktuation vorzufmden sind4 • Die Beteiligten scheinen sich somit bisher schon über die notwendig restriktive Handhabung durchaus bewußt gewesen zu sein. Darüber hinaus ist zu betonen, daß auch in Wirtschaftsbereichen ohne allgemeinverbindliche Tarifverträge gleichwohl in der Regel zumindest keine erheblich untertariflichen Leistungen vorzufmden sind5 • Dies dürfte daran liegen, daß es für die Arbeitnehmer schwer einzusehen wäre, wenn für gleiche Arbeit unterschiedlicher Lohn allein wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit gezahlt würde, zumal die Tariflöhne allgemein bekannt sind und daher im Gegensatz zu wirklich individuell ausgehandelten eine Differenzierung sofort offenkundig ist. Die tarifgebundene Arbeitgeberseite müßte bei einer untertariflichen Entlohnung der Außenseiter mit deren Beitritt zur Gewerkschaft rechnen, was für diese nicht erstrebenswert sein dürfte. Die meisten Außenseiter sind ohnehin keine bewußten Verweigerer der tariflichen Rechtsetzung, sie wollen lediglich Mitgliedsbeiträge an die Gewerkschaften sparen. Entsprechend nahm die Zahl der Gewerkschaftsangehörigen in der Nähe von Arbeitskämpfen wegen der Streikunterstützung zu, weshalb die Gewerkschaften mittlerweile Bestimmungen über eine Mindestdauer der Zugehörigkeit für die Streikunterstützung einführen mußten. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber müssen einerseits eine hohe Kamptbereitschaft fürchten, zumindest wenn sie deutlich und nicht nur geringfügig untertarifliche Leistungen gewähren wollen. Zum anderen besteht für sie die Gefahr, daß bei untertariflicher Entlohnung jedenfalls die Leistungsträger abwandern. Folglich ist eine Beschränkung weder wegen der bisher geübten Praxis der Allgemeinverbindlicherklärung notwendig, noch erscheint sie im praktischen Ergebnis für die Arbeitgeberseite sinnvo1l6 •
3 Reuter FS Schaub 605 ff. - 613; So hat das BAG AP Nr. 16 zu § 5 TVG = SAE 1980, 215 ff. zutreffend festgestellt, daß Konkurrenzerwägungen niemals die Allgemeinverbindlicherklärung rechtfertigen dürfen. Dies verkennt hingegen BVerwG NJW 1989, 1495, wenn es als Zweck des § 5 TVG den Schutz der Tarifgebundenen vor Außenseiterkonkurrenz ansieht. Ähnlich Junker NZA 1997, 1305 ff. - 1318; Kempen/ Zachert, TVG § 5 Rz. 5, die ebenfalls betonen, daß § 5 TVG nicht auf den Schutz vor Schmutzkonkurrenz abzielt. 4 Läwisch / Rieble, TVG § 5 Rz. 12 f; Reuter ZfA 1995, I ff - 44. 5 Wank NJW 1996,2273 ff. - 2279f 6 Hromodka FS Wlotzke S. 347 f So hat denn auch der 61. DJT mit großer Mehrheit diesen Reformvorschlag abgelehnt, Beschluß Nr. 5 - Mitteilungen NJW 1996,2995.
D. Anerkennung eines Außenseiterarbeitsverhältnisses
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D. Anerkennung eines Außenseiterarbeitsverhältnisses Weiterhin wurde verlangt, das Außenseiterarbeitsverhältnis anzuerkennen. Daher müsse der Arbeitgeber, wenn er nur einen untertariflichen Lohn zahlen wolle, nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen dürfen. Antworte der Arbeitnehmer wahrheitswidrig, sei der Arbeitgeber vor der Täuschung zu schützen; trete der Arbeitnehmer später in die Gewerkschaft ein, müsse der Arbeitgeber zur Kündigung wegen Unrentabilität des konkreten Arbeitsplatzes berechtigt seinl . Diese Forderung mißachtet die unmittelbare Grundrechtswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG. Niemand darf wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit benachteiligt werden. Würde man solche Außenseiterarbeitsverhältnisse zulassen und berücksichtigt man die Tatsache, daß die Gewerkschaften nach deutschem Tarifverständnis gerade keine union- bzw. closed-shops durchsetzen dürfen, müßte jeder Arbeitnehmer seine Rechte wieder ohne den Schutz des Kollektivs gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen, wenn dieser keine Tarifleistungen erbringen will. Dies kann bei hoher Arbeitslosigkeit auf einen Zwang zu untertariflichen Leistungen hinauslaufen. Tarifverträge wären faktisch lediglich noch Vorschläge. Der arbeitssuchende Arbeitnehmer kann ihre Geltung nur durchsetzen, wenn er eine entsprechende Verhandlungsmacht besitzt. Damit wird der kollektive Schutz ad absurdum geführt, der gerade mit der Ohnmacht der Arbeitnehmer begründet wurde. Eine solche Aushöhlung des kollektiven Arbeitsrechts überzeugt nicht. Diese Forderung scheint umso mehr fragwürdig, als die Anerkennung des Außenseiterarbeitsverhältnisses nur notwendig ist, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Somit muß die Tarifregelung entweder auf den Arbeitgeber unmittelbar selbst zurückgehen oder über dessen Mitgliedschaft im beteiligten Arbeitgeberverband von ihm legitimiert worden sein. Dann ist im Rahmen des Tarifvertrages eine angemessene Berücksichtigung seiner Interessen von Rechts wegen zu unterstellen, und er ist zur Durchführung vertraglich oder mitgliedschaftlieh verpflichtet. Ist er mit dem Tarifwerk nicht einverstanden, bleibt ihm im Falle des Verbandstarifes die Möglichkeit des Austrittes. Gerade bei Lohntarifen dürfte seine Bindung regelmäßig nicht weit über ein Jahr hinaus fortgelten. Mit diesem Vorschlag dürfte daher in Wirklichkeit die Absicht verfolgt werden, den Arbeitgebern unter fortbestehendem Schutz der Friedenspflicht die Möglichkeit zu eröffnen, das Tarifwerk faktisch außer Funktion zu setzen2 • Dem kann nicht gefolgt werden; zumindest sollte man dann die Abschaffung des gesamten Systems offen diskutieren3 • Reuter RdA 1991, 193 ff. - 203, ders. FS Schaub 605 ff. - 620. Ähnlich Kempen ArbRdGgW 1993,97 ff. - 120 ff. wegen der Einführung gesetzlicher Öffnungsklauseln, was m.E. dort jedoch im eng begrenzten Fall der Notlage von I
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
E. Globalisierung der Wirtschaft und Rechtswahl des Arbeitnehmers Adomeit hat im Hinblick auf die Globalisierung der Warenmärkte auch eine Globalisierung des Arbeitsrechts gefordert. Da eine Vielzahl deutscher Unternehmen wegen des "hochgestylten" deutschen Arbeitsrechts ihre Produktion ins Ausland verlege und ausländische Unternehmen aus dem gleichen Grunde in Deutschland nicht investierten, sei zu überlegen, den Arbeitsvertragsparteien abweichend zu Art. 30 EGBGB die Rechtswahl zu erlauben. Der Arbeitssuchende könne dann souverän entscheiden, ob er etwa nach amerikanischem Arbeitsrecht angestellt werden wolle. Den geringeren Bestandsschutz müßte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer durch einen stattlichen Lohn schmackhaft machen. Außerdem sei nicht einzusehen, warum amerikanisches Arbeitsrecht so unerträglich für deutsche Arbeitnehmer sei I. Daneben sei zumindest über die Möglichkeit einer befristeten Aussetzung von arbeitsrechtlichen Gesetzen nachzudenken2 • In diesem Zusammenhang berichtet er über ein koreanisches Unternehmen, das sich schließlich für eine Investition in einem osteuropäischen Land entschied. Dabei wurde zwischen Staat, Gewerkschaft und dem Investor ein Streikverzicht vereinbart, sanktioniert durch die Aufhebung von Arbeitsplatzgarantien bei Arbeitskampfmaßnahmen. Der garantierte Bruttoarbeitslohn betrug im Gegenzug umgerechnet monatlich mindestens DM 700,00, was etwa 150 % des Einkommens entsprach, der in diesem Land einem Hochschullehrer zukommt. Dieser Ansatz erscheint verfehlt. Adomeit ist zwar zuzustimmen, daß unser komplexes Arbeitsrecht mit seinem hohen Bestandsschutz ein Hindernis im Rahmen der globalisierten Wirtschaft darstellt. Dies mag ein Umstand sein, warum die deutsche Wirtschaft in eine Krise geraten ise, die nicht schnell zu überwinden sein dürfte. Indes kann es nicht überzeugen, dem durch die Möglichkeit freier Rechtswahl gegenzusteuern. Dies würde einen Wettbewerbsvorteil für neue Unternehmen begründen, was bestehende Betriebe in wirtschaftliche Bedrängnis bringen könnte. Daneben wird sich gerade der Arbeitssuchende nur schwerlich solchen Rechtwahlklauseln entziehen können. Was würde schließlich die Arbeitgeber daran hindern, in allen Verträgen das Arden Tarifpartnern als Beschränkung ihrer Rechtsetzungsmacht akzeptiert werden muß, die schließlich Voraussetzung ftir die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes ist. 3 Unabhängig von der Frage, ob eine Abschaffung überhaupt mit der Verfassung vereinbar wäre, hat sich der 61. DJT fast einhellig zum Verbandstarif bekannt, Beschluß Nr. 1- Mitteilungen NJW 1996,2995. I Adomeit, NJW 1996,2138 ff. - 2139. 2 Adomeit, NJW 1996,2138 ff. - 2140. 3 So etwa Fischer BB 1994, 278 ff.; a.A. Däubler OB 1993, 781 ff. - 787, der im Arbeitsrecht einen Standortvorteil sehen will.
E. Globalisierung und Rechtswahl des Arbeitnehmers
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beitsrechts Trinidads oder der Caiman-Inseln zu vereinbaren? Könnten dies zumindest die Gewerkschaften tarifvertraglieh ausschließen, würde der beabsichtigte Effekt voraussichtlich beseitigt. Weiterhin ist zu bedenken, daß die verschiedenen Rechtssysteme nur beschränkt kompatibel sind. So gibt es in den USA die Möglichkeit der closed-shops, in denen nur Gewerkschaftsmitglieder nach den Tarifverträgen arbeiten dürfen. Dieser Schutzmechanismus, der in Bereichen der amerikanischen Wirtschaft neben dem Gesetzesrecht teilweise eine erhebliche Rolle spielen kann, ist nach dem deutschen Verfassungsverständnis ausgeschlossen4 • In einer Vielzahl von Ländern gibt es gesetzliche Mindestlöhne bzw. eine staatliche Zwangs schlichtung im Tarifstreit, die bei uns gänzlich fehlen 5 • Schließlich überzeugt es nicht, in Deutschland ein gespaltenes Arbeitsrecht einzuführen, von den Schwierigkeiten für die Rechtsanwendung und -verfolgung bei der denkbaren Anwendung jedweden Rechts einmal abgesehen. Sinnvoll kann nur eine Überprüfung des deutschen Arbeitsrechts sein, wobei die Rechtsvergleichung auch aus dem Gesichtspunkt globalisierter Warenmärkte und sich ergebender Sachzwänge eine Rolle spielen kann. Gerade wenn Adomeit einen Fall schildert, in dem ein Monatslohn von DM 700,00 vereinbart wurde, zeigt sich das eigentliche Dilemma der Globalisierung. Dieser Betrag entspricht in Deutschland nicht dem eineinhalbfachen Gehalt eines Hochschullehrers, sondern liegt unter dem allgemeinen Sozialhilfesatz. Dieser Unterschied im nationalen Durchschnittseinkommen bzw. dem Lebenshaltungsniveau und -standards hat mannigfaltige Gründe; das Arbeitsrecht ist hierbei sicherlich nicht allein der entscheidende Faktor. Die Globalisierung führt zur Zeit dazu, daß die Produktion in verstärktem Maße in früheren Entwicklungsländern mit niedrigem Lebenshaltungsniveau erfolgt, während der Verkauf zu einem erheblichen Teil in reichen Industrieländern mit hohem Lebenshaltungsniveau stattfmdet, was für die so international arbeitenden Unternehmen sowohl eine erhebliche Kostensenkung als auch eine beträchtliche Gewinnspanne ermöglicht. Nicht ohne Grund erwirtschaften auch derart arbeitende deutsche Unternehmen trotz großer Arbeitslosigkeit zur Zeit immer höhere Gewinne. Ausgenommen waren hiervon hauptsächlich die Bereiche, die mit einer Urproduktion, namentlich Stahl, Kohle etc., in enger Verbindung stehen. Diese Entwicklung wird notwendigerweise zu einer allmählichen Angleichung der globalen Lebensbedingungen auf ein mittleres Niveau führen, was für Deutschland eine Herabsetzung des bisherigen Lebensstandards bedeuten 4 BAG AP Nr. 49 zu Art. 9 GG; Läwisch / Rieble, TVG § 1 Rz. 159; Hanau. Peter/ Adomeit, Arbeitsrecht S. 64. Dieses Verbot folgt letztlich auch aus Art. 11 EMRK EuGHMR EUGRZ 1981, 559. 5 Vgl. Däubler OB 1993,781 ff. -782 f.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
wird. Es ist die Aufgabe der Tarifpartner, diesen Vorgang zu begleiten, den sie nicht aufhalten können6 • Die häufige These, unser Arbeitsrecht im allgemeinen und die Sozialpartner im besonderen hätten jeglichen Realitätssinn verloren und dadurch eine Flucht ins Ausland in Gang gesetze, ist weder nachweisbar noch bei steigenden Unternehmensgewinnen in vielen Branchen als alleinige Ursache glaubhaft. Unsere Arbeitsbedingungen üben auf die Unternehmen einen hohen Wettbewerbsdruck aus, was nicht nur nachteilig ist. Er trägt vielmehr dazu bei, daß deutsche Unternehmen durch Rationalisierung und Modernisierung ihre Wettbewerbsfahigkeit steigern, was im Rahmen der Globalisierung ohnehin auf Dauer unumgänglich sein dürfte8 • Das Arbeitsrecht ist nach alledem nur Ausschnitt einer Gesamtproblematik. Mindestens genauso wichtig ist es, die Belastung der Unternehmen mit sonstigen Sozial- und Steuerlasten zu reduzieren. Ganz entscheidend ist auch, daß der hektischen Notgesetzgebung im Gefolge der Wiedervereinigung nunmehr eine auf längere Sicht angelegte und damit verläßliche Gesetzgebung, insbesondere im Steuerrecht, folgt, die Unternehmen zur Grundlage ihrer Planung machen können. Nicht ohne Grund hat eh. Münch kürzlich die Frage aufgeworfen, inwieweit Rechtssicherheit durch kontinuierliche Gesetzgebung und Rechtsprechung einen Standortfaktor bilden, der zur Zeit eher gegen Deutschland sprechen könnte 9 • Daneben sind eine umfangreiche Verrechtlichung, Überbürokratisierung (etwa komplizierte Planverfahren) und sonstige Nachteile, wie ein im Verhältnis zum Ausland scharfes Umweltrecht lO , zu benennen. Auch die starke Deutsche Mark kann eine mögliche Ursache unserer erheblich exportorientierten Wirtschaft sein. Darüber hinaus verhindert eine niedrige Inflation eine reale Lohnminderung bei nominellen Zuwächsen. Dies gilt übrigens auch für die sonstigen Lebenshaltungskosten. Zu Recht hat Rieble betont, daß niemand vorgeben könne, klüger zu sein als die Tarifpartner und daher ein Patentrezept für den Weg aus der Krise des Flächentarifes aufzeigen könne ll . Dabei handelt es sich eigentlich nicht wirklich um dessen Krise, sondern um die der gesamten Wirtschaftsordnung als Muhr BArbBl. 1993,21 ff. - 22. Ehmann ZRP 1996,314 ff. - 314; Ehmann / Lambrich NZA 1996,346 ff - 356. 8 Heinze OB 1996, 729 ff. - 735. 9 eh. Münch NJW 1996, 3320 ff. 10 Damit ist nicht gesagt, daß unser Umweltrecht nicht notwendig und zur Erhaltung lebensnotwendiger Ressourcen möglicherweise noch zu milde ist. Bei einer globalen Betrachtung kann jedoch nicht verleugnet werden, daß ausländische Produktionsstätten für den Verbrauch der Umwelt nichts oder weniger bezahlen müssen und damit einen Wettbewerbsvorteil erhalten. 11 Rieble RdA 1996, 151 ff. - 158. 6
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E. Globalisierung und Rechtswahl des Arbeitnehmers
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Folge der Globalisierung. Deshalb können im Anschluß an Rieble die Tarifpartner nur aufgefordert werden, neue Experimente zu wagen l2 • Fehlversuche lassen sich dabei nicht von vornherein ausschließen. Als Beispiele seien folgende Vorschläge erwähnt: 1. Eine Arbeitsgruppe von Ökonomen und luristen 13 hat den Tarifparteien empfohlen, analog dem Gesetzesvorschlag in ihren Tarifverträgen freiwillig Korridore, insbesondere eine Spanne von Tariflohnerhöhungen, vorzusehen. Dabei sollten Arbeitsplatzsicherungen, -garantien des Arbeitgebers und die Schaffung neuer Arbeitsplätze Berücksichtigung fmden l4 • 2. Eine ähnliche Richtung hat der Vorschlag, schuldrechtliche Tarifverträge abzuschließen, die den Individualparteien Gestaltungsraum belassen und gleichwohl Druck auf die Arbeitgeber erzeugen. Bei häufigem unbegründeten Abweichen zu Lasten der Arbeitnehmer müssen diese mit einem normativen Tarifvertrag rechnen, der notfalls erkämpft wird. Dabei könnten auch globale Daten - Lohnerhöhung um mindestens 2,5 %, im Durchschnitt aber 3,5 % vereinbart werden, deren Durchführung durch die Arbeitgeberverbände zu gewährleisten wäre I5 • Allerdings dürfte letzteres am Wettbewerb unter den Arbeitgebern scheitern. So wird ein solides Unternehmen kaum dazu bereit sein, 4,5 % mehr Lohn zu zahlen, damit der marode Konkurrent über eine Lohnerhöhung von nur 2,5% einen Wettbewerbsvorteil erhält. 3. Teilweise wird gefordert, verstärkt Firmentarife abzuschließen, da Verbandstarife zwangsläufig zu unflexibel seien l6 • 4. Weitere denkbare Ansätze zur Steigerung individueller Entscheidungsspielräume und die Lösung verschiedener Probleme deuten etwa Rieble 17 ,
12 Ähnlich Waltermann RdA 1996, 129 ff. - 133 und Söllner NZA 1996, 897 ff. 897, die die Tarifparteien zu entsprechender Kreativität aufrufen. Soweit insbesondere Zöllner die Auffassung vertritt, den Tarifpartnern käme kein beschäftigungspolitisches Mandat zu - Zöllner DB 1989,2121 ff. - 2121f. -, ist dem von der h.M. zu Recht nicht gefolgt worden. Welche Ziele die Tarifpartner in Ausübung ihrer Tarifautonomie ausüben, unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle, solange nicht die Beseitigung der verfassungsmäßigen Grundordnung verfolgt wird und wäre ohnehin nie zweifelsfrei feststellbar. Lediglich ihre Macht, Rechtsnormen zu setzen, ist gemäß § 1 TVG auf Arbeitsbedingungen begrenzt. 13 Bestehend aus Hermann Albeck, Hans D. Barbier, Gerhard Fels, Karl-Georg Loritz, Bernd Rüthers, Christian Wank und Oliver Siefert. 14 FAZ 05.06.1993 S. 13; vgl. auch Lohs DB 1996, 1722 ff. 15 Heinze DB 1996,729 ff. - 734 f. 16 Vgl. etwa v.Hoyningen-Huene RdA 1991, 327 ff. - 332 ff., insbesondere 335; hiergegen ausfIihrIich Molitor, Karl FS Schaub 487 ff. - 490 ff. 17 Rieble RdA 1996, 151 ff. - 157 f.
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
Kittner 18 und Molitor 19 an. Auch der 61. DJT hat mehrheitlich gefordert, daß die Tarifparteien zukünftig ihre tarifliche Regelungsdichte wieder zurückführen und sich deutlicher auf Mindestbedingungen im Verbandstarif beschränken sollten20 • Man muß auch unabhängig vom Kollektivrecht die Frage aufwerfen, ob wir uns unser Kündigungsschutzrecht länger leisten können, das die Arbeitnehmer rechtlich quasi verbeamteei. In der Praxis führt es häufig nur zu einer Abfmdungszahlung im Vergleichswege22 • Dennoch hat es erheblichen Einfluß auf die betriebliche Praxis wegen der Gefahr, daß der Arbeitgeber gegebenenfalls Lohn für mehrere Jahre nachzahlen muß, wenn seine Kündigung sich nach evtl. mehreren Instanzen als unwirksam erweist und der Arbeitnehmer keinen Drittverdienst erworben hat oder diesen nicht angibt. Denkbar wäre ein Kündigungsschutzrecht in Form von Abfmdungszahlungen analog der heutigen Praxis zu schaffen, bei denen die Höhe des Zahlungsanspruchs davon abhängig ist, daß keine verhaltensbedingten Kündigungsgründe vorliegen und die Abfindung für das Unternehmen wirtschaftlich vertretbar ist. Ein echter Kündigungsschutz nach heutigem Verständnis sollte sodann nicht bereits bei einer Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten, sondern etwa nach fünf Jahren und ab einem Lebensalter von etwa 40 Jahren greifen. Denkbar wäre auch den Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses auf Tarifbedingungen zu begrenzen, so daß der Arbeitgeber außer- und übertarifliche Leistungen ohne besonderen Grund unter Einhaltung der Fristen durch Änderungskündigung beseitigen könnte. Diese Erwägungen sollen nur als Anregungen dienen. Sie überschreiten die im Rahmen dieser Arbeit aufzuwerfenden Fragen und können daher an dieser Stelle nicht ansatzweise vertieft werden. 18 Kittner FS Schaub 389 ff. - 392 fund 416 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß eine zu großzügige Öffnung der Flächentarife deren Vorteil gegenüber den Fimentarifen, nämlich deren Ordnungs- und Befriedungsfunktion, beseitigen und den Arbeitskampf stärker in die Einzelunternehmen tragen würde, a.a.O. - 396 f. 19 Molitor, Karl FS Schaub 487 ff. - 495 f. 20 Beschluß 2 ades 61 DJT - Mitteilungen NJW 1996,2995; ähnlich die Tagung zur Rechtsvergleichung - Mitteilungen NJW 1997, 36 ff. - 39 unter IV, so auch Gentz FS Schaub S. 203 ff. -213f. 21 Auch das Beamtentum bedarf in vielen Bereichen dringend der Überprüfung, wenn eine Lösung der aktuellen Krise gelingen soll. 22 Vgl. Grunewald ZRP 1996,472 ff., der aus der häufigen vergleichsweisen Erledigung von Kündigungsstreitigkeiten auf einen mangelnden Kündigungsschutz schließt und dessen Stärkung fordert. Dies verkennt, daß vor dem Arbeitsgericht nur ausgesprochene Kündigungen abgehandelt werden. Eine andere Frage ist, ob der Arbeitgeber überhaupt eine Kündigung ausspricht oder dies wegen des Kündigungsschutzgesetzes unterläßt. Vgl. ferner zur Kritik an den am 01.10.1996 in Kraft getretenen Neuregelungen des Kündigungsschutzgesetzes durch das "Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze" Berkowsky OB 1996,778 ff.; Hanau, Peter ZRP 1996,349 ff. - 352 f.
F. Ergebnis
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F. Ergebnis Die vielbeschworene Krise des Flächentarifvertrages ist keine der Tarifautonomie, sondern Symptom einer Krise der gesamten Wirtschaftsordnung, die durch die Globalisierung ausgelöst worden ist. Kleinere Randkorrekturen - insbesondere gesetzliche Öffnungsklauseln bei wirtschaftlicher Not eines Unternehmens, gesetzliche Höchstdauer der unkündbaren Mindestlaufzeit von Tarifverträgen auf zwei Jahre - sind über gesetzliche Änderungen des Tarifvertragsgesetzes in den oben aufgezeigten Grenzen denkbar und teilweise auch sinnvoll. Im übrigen ist in der aktuellen Diskussion die Tendenz zu beobachten, bisherige Grundlagen des Tarifvertragswesens in einer Art und Weise in Frage zu stellen, daß deren konsequente Umsetzung das Ende des Tarifwesens sein dürfte. Bevor man wegen einer Krise, die ohnehin überwiegend im Zusammenhang mit der Metallbranche stehe, das gesamte Tarifwesen beseitigt, sollte man überdenken, welche Alternative besteht. Eine wirkliche Lösung muß daher sämtliche Regelungen des Arbeitsrechts im Hinblick auf die Globalisierung der Märkte auf den Prüfstand stellen und Beschränkungen des gesetzlichen Schutzes auf unbedingt notwendige Mindeststandards verfolgen. Dazu müssen die Wirtschaft und der Staat selbst ihre Hausaufgaben machen. Notwendig ist ein "Bündnis für Arbeit", was leider bisher nicht ersichtlich ist. Interessant ist insbesondere die Überlegung von Heinze, in einer Art "Baukastensystem" unter Aufgabe der strengen Trennung zwischen Dienstvertrag ohne nennenswerten Schutz des Dienstverpflichteten und Arbeitsrecht mit dem vollen Arbeitnehmerschutz den Individualparteien die Möglichkeit zu eröffnen, Zwischenformen konkret zu wählen, in denen sie für die verschiedenen Regelungskomplexe eigene Vorstellungen verwirklichen können. Bei bestimmten Voraussetzungen könnten dann im Gefolge bestimmter Rechte und Pflichten entsprechende Schutz- oder Ausgleichsregelungen greifen. Dies erscheint umso mehr angebracht, als die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Dienstverpflichtung als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Dienst- und Arbeitsvertrag häufig zweifelhaft und die Ergebnisse gerade im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit o!'t fragwürdig sind2 • In kleinsten Ansätzen sind solche Regelungen sogar vorhanden, wenn man etwa an die Sonderbestimmungen für Heimgewerbetreibende im Bundesurlaubsgesetz denkt. Auch die Tarifpartner ziehen nunmehr die Möglichkeit von entsprechenden Bausteinen im Rahmen ihrer Diskussion um die Flexibilisierung des Tarifvertrages bereits ein3 •
So auch Heinze NZA 1997, 1 ff. - 7. Heinze NZA 1997, 1 ff. - 3 f. 3 So etwa die IG-Metall in ihren 12 Thesen zu "Tarifautonomie und Flächentarifvertrag" veröffentlicht etwa in der NZA 1998, 88 ff. These 9. I
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Fünfter Teil: Aktuelle Diskussionen zur Flexibilisierung
Von dieser globalen Bewertung der Diskussion abgesehen, ist den Tarifparteien de lege lata zu empfehlen, Tarifverträge nur noch mit kurzer Mindestdauer abzuschließen, um das Risiko einer Fehleinschätzung zu mindern4 • Dabei zeigen die Erfahrungen, daß allein der Hinweis auf die Möglichkeit einer einvernehmlichen Anpassung bei langen Laufzeiten zumeist von dem durch die Entwicklung begünstigten Tarifpartner verständlicherweise nur halbherzig betrieben wird.
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Vgl Zachert RdA 1996, 140 ff. - 149.
Ergebnisse der Arbeit 1. Gesamtvereinbarungen sind privatrechtliche Verträge, auf die neben den Bestimmungen des TVG und des BetrVG die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre sowie die allgemeinen Prinzipen des Vertrags- und Arbeitsrechts Anwendung fmden!. Daraus folgt, daß der Bestand von Gesamtvereinbarungen vom Eintritt einer wirtschaftlichen Krise als Faktum unabhängig ist2 • Im normativen Teil enthalten sie private Rechtsetzung, wobei diese Wirkung Folge eines staatlichen Geltungsbefehls ist3 . Sie stellt trotz dieses Befehles keine demokratisch legitimierte Rechtsgebung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie dar. Negative Eingriffe in die Rechtsstellung der Normenunterworfenen können daher lediglich wirksam getroffen werden, wenn - die Betroffenen diese Rechtsetzung durch eigene autonome Unterwerfung legitimiert haben, so insbesondere bei beiderseitiger Tarifgebundenheit; - die Betroffenen am Abschluß der Gesamtvereinbarung unmittelbar beteiligt waren, so insbesondere der Arbeitgeber bei Betriebsvereinbarungen und Firmentarifverträgen; oder - gesetzgeberische Grundentscheidungen vorliegen, die einen begrenzten Zugriff nach Inhalt, Zweck und Ausmaß erlauben, dessen mögliche Intensität von der gesetzlichen Regelungsdichte abhängig ist4 • Aufgrund der gesetzesgleichen Wirkung ist die verfassungsmässige Werteordnung mittelbar zu beachten, insbesondere müssen die Sozialpartner bei rückwirkendem Eingriff die allgemeinen Vertrauensgrundsätze beachten, die auch die Legislative bei rückwirkender Gesetzgebung auferlegt sind5 • Echte Rückwirkung ist nur zulässig, wenn ein Bagatelleingriff erfolgt, eine unklare Rechts- oder Sachlage geordnet oder ein Vertrauen nicht berechtigt ist, weil die Unterworfenen mit einer rückwirkenden Neuregelung rechnen mußten6 • Bei unechter Rückwirkung ist ein schützenswertes Vertrauen der NormenunErster Teil, Erster Teil, J Erster Teil, 4 Erster Teil, 5 Erster Teil, 6 Erster Teil, I
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29 Beathalter
A S. 27 ff., insbesondere IV S. 89. C S. 105, ff. A I 3 b), S. 56 ff. A I 3 b), S. 57 ff. B, S. 89 ff. B I 3, S. 95 ff.
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terworfenen abzulehnen, da sie wegen der privatrechtlichen Basis der Gesamtvereinbarungen immer mit einer Änderung rechnen müssen7 • 2. a) Gerät ein Betrieb in eine wirtschaftliche Krise und stellt sich für den Arbeitgeber die Frage, welche einseitigen Lösungsmöglichkeiten ihm zukommen, um seine Belastungen aus Betriebsvereinbarungen zurückzuführen, insbesondere wenn eine einvernehmliche Neuregelung wegen bestehender Meinungsverschiedenheiten mit dem Betriebsrat über Vorliegen, Grund und sinnvolle Reaktionen auf eine Betriebskrise nicht möglich ist, so kommen zwar Anfechtung, Rücktritt und Widerruf so gut wie nicht in BetrachtS, doch genügt dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung einer Betriebsvereinbarung aufgrund der wirtschaftlichen Situation regelmäßig das ordentliche Kündigungsrecht, das bei Dauerschuldverhältnissen mangels anderer Vereinbarung sowohl in Angelegenheiten der zwingenden als auch der freiwilligen Mitbestimmung uneingeschränkt gilt. Es greift lediglich die dreimonatige Kündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG. Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung erfolgt zwar gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG eine Nachwirkung, doch eröffnet die Kündigung die Möglichkeit, neue Verhandlungen mit dem Betriebsrat und neue Vereinbarungen notfalls durch Spruch der Einigungsstelle zu erzwingen9 • Die Kündigung beeinträchtigt nicht bereits erworbene Ansprüche und unverfallbare Anwartschaften, vor allem die kostenintensiven Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung bestehen fort. Auch befreit sie den Arbeitgeber nicht von seinen Treupflichten, so daß er gemäß § 242 BGB in besonderen Ausnahmefällen trotz zulässiger Beendigung einer Betriebsvereinbarung aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu einem individuellen Ausgleich durch eine anteilige Leistung oder eine angemessene Übergangsregelung verpflichtet sein kann, obwohl ein echter Anspruch zum Zeitpunkt der Beendigung der Kollektivnorm nicht oder noch nicht bestanden hat lO • Eine weitere Einschränkung des Kündigungsrechtes folgt aus der alleinigen Geltung für Dauerschuldverhältnisse. Deshalb sind insbesondere die im Bereich von Unternehmenskrisen bedeutsamen Sozialpläne regelmäßig unkündbar, weil sie eine Einzelfallregelung für die jeweils konkrete Betriebsänderung darstellenlI. b) Die außerordentliche Kündigung ist ebenfalls auf Betriebsvereinbarungen uneingeschränkt anwendbar, wenn sie ein Dauerschuldverhältnis begründen. Erster Teil, B 11, S. 102 ff. Zweiter Teil A S. 113 ff. - 119; Zweiter Teil B S. 119; Zweiter Teil es. 120. 9 Zweiter Teil D ab S. 121 ff. - Zusammenfassung S. 158. 10 Zweiter Teil DIllS. 127 ff., insbesondere S. 137 ff. 11 Zweiter Teil DIS. 122 ff.
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Ergebnisse der Arbeit
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Sie kommt daher bei Sozialplänen regelmäßig nicht in Betracht. Schützenswertes Vertrauen der normenunterworfenen Belegschaft besteht wegen der ex nunc Wirkung grundsätzlich nicht. Allerdings gelten die Einschränkungen für die ordentliche Kündigung in gleicher Weise, insbesondere der Besitzstandsschutz. Der außerordentlichen Kündigung kommt im Hinblick auf die freie Kündbarkeit nach § 77 Abs. 5 BetrVG nur ausnahmsweise eigenständige Bedeutung zu, sofern die dispositive freie Kündbarkeit ganz oder im Rahmen einer Befristung zeitweise abbedungen ist., ebenso falls eine längere Kündigungsfrist vereinbart wurde 12 • Soweit in diesen Fällen die Einhaltung der Dreimonatsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG dem Arbeitgeber noch zumutbar ist, hat er seine außerordentliche Kündigung mit einer entsprechenden Frist zu versehen \3 • Diese Kündigung stellt einen außerordentlichen Rechtsbehelf dar. Sie ist deshalb im Gegensatz zur ordentlichen nicht abdingbar und bedarf zu ihrer Rechtfertigung immer eines wichtigen Grundes. Bei einer wirtschaftlichen Krise des Arbeitgebers kann dieser letztlich nur in einer Geschäftsgrundlagenstörung bestehen14 • Die wirtschaftliche Situation des Betriebes und die Auswirkungen von Betriebsvereinbarungen auf diese sind wegen der Betriebswohlbindung in den §§ 2 Abs. 1; 76 Abs. 5 S. 3 und 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG Geschäftsgrundlage jeder Betriebsvereinbarung15 • Diesen Bestimmungen liegt insoweit ein "anspruchshemmendes Arbeitnehmerschutzprinzip" zugrunde, das die einzelnen Arbeitnehmer vor einem Kollektivschutz bewahren soll, der den Betrieb überfordert und damit die Erwerbsgrundlage zerstört. Dieser Grundgedanke führt zu einer gesetzlichen Verschiebung des allgemeinen Risikos für die Leistungsfähigkeit. Danach trägt ausnahmsweise der Betriebsrat als Vertragspartner rechtlich und die Belegschaft als Betroffene faktisch die Gefahr der mangelnden Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers, wenn eine Notlage vorliegt und eine Sanierungschance besteht 16 • Notlage und Sanierungschance hat der Arbeitgeber durch ein betriebswirtschaftliches Sachverständigengutachten zu beweisen17 • Die wirtschaftliche Notlage ist als absoluter Kündigungsgrund nicht dispositiv 18 • c) Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage fmdet auf Betriebsvereinbarungen tatbestandlich ebenfalls uneingeschränkt Anwendung. Dieser Zweiter Teil EIS. 160 f. Zweiter Teil E V S. 194 ff. 14 Zweiter Teil E 11 S. 161 ff. 15 Zweiter Teil E III S. 169 ff; insbesondere S. 171 ff. 16 Zweiter Teil E IV S. 174 ff.; insbesondere S. 179 ff. 17 Zweiter Teil E IV 1 c) ce) S. 185 ff. 18 Zweiter Teil E VI S. 195. 12 \3
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Wegfall liegt unabdingbar vor, wenn eine wirtschaftliche Notlage eingetreten ist und eine Sanierungschance besteht. Im übrigen können einzelne Umstände, die noch keine wirtschaftliche Notlage verursachen, dennoch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage beinhalten. Freilich können solche ohne weiteres abbedungen werden mit der Folge, daß die vertragliche Risikoverteilung eine Berufung auf die Geschäftsgrundlage ausschließt 19 • Bei der Rechtsfolgenbestimmung ist zunächst zu beachten, daß eine rückwirkende Anpassung oder Aufhebung nur insoweit erworbene Individualansprüche berühren darf, als der Wegfall der Geschäftsgrundlage auf das Individualverhältnis durchschlägt. Das ist aus Vertrauensgesichtspunkten lediglich möglich, wenn diese Grundlage für die Belegschaft erkennbar war. Dies ist bei der gesetzesimmanenten Schranke der wirtschaftlichen Notlage immer der Fall. Im übrigen muß die Geschäftsgrundlage aus der Betriebsvereinbarung oder sonstigen der Belegschaft bekannten Umständen ersichtlich sein20 • Der Wegfall der Geschäftsgrundlage gewährt ein Gestaltungsrecht und erfordert seine Ausübung durch Abgabe einer Willenserklärung gegenüber dem Betriebsrat, die keiner Auslegung im Betrieb analog der Bestimmung des § 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG bedarf. Eine Erklärung gegenüber der Belegschaft ist nicht notwendig, aber sinnvoll. Der Arbeitgeber darf seine Leistungspflichten ihr gegenüber nach Vertrauensgrundsätzen regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt reduzieren, wo sie vom Wegfall der Geschäftsgrundlage in Kenntnis gesetzt wurde. Es stellt für ihn eine Obliegenheit dar, die er zu Beweiszwekken sinnvollerweise schriftlich vornehmen sollte21 • Bei Betriebsvereinbarungen ist neben der Auflösung vornehmlich auch eine Vertragsanpassung möglich. Diese ist wegen der faktischen Regelungswirkung von der Einigungsstelle und nicht vom Arbeitsgericht vorzunehmen. Deren Spruch ist insoweit ausnahmsweise auch im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung entgegen dem Wortlaut des § 76 Abs. 6 BetrVG verbindlich, sofern er Pflichten des Arbeitgebers lediglich reduziert ohne sie wesensmäßig zu verändern. Die Einigungsstelle kann zu diesem Zwecke direkt angerufen werden; eine vorherige gerichtliche Feststellung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist nicht notwendig22 • Der Arbeitgeber darf selbst keine faktische Anpassung vor einem Spruch der Einigungsstelle vornehmen, weil den Arbeitnehmern hiergegen unter Umständen kein wirksamer Rechtsschutz zukommen würde. Eine Vertragsauthebung kann er unmittelbar durchsetzen, weil diese voll justiziabel ist23 • Zweiter Teil FIS. 197 ff. Zweiter Teil FIlS. 205 ff.; insbesondere S. 226 ff. 21 Zweiter Teil F V S. 235 ff. 22 Zweiter Teil F III S. 229 ff. 23 Zweiter Teil F V 4, S. 239 ff. 19
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d) Die außerordentliche Kündigung verdrängt in ihrem Anwendungsbereich als lex specialis die künftige Vertragsaufhebung nach den Regeln der Geschäftsgrundlagenstörung. Sie ist gegenüber einer Vertragsanpassung oder einer rückwirkenden Aufhebung regelmäßig vorzugswürdig, weil sie der gesetzlichen Wertung entspricht und eine faktische Inhaltsbestimmung durch Dritte unterbleiben kann. Die Vertragspartner sind dann auf Neuverhandlungen zu verweisen. Eine Vertragsanpassung oder rückwirkende Aufhebung ist ausnahmsweise geboten und geht insoweit der außerordentlichen Kündigung vor, sofern nur auf diese Weise die berechtigten Interessen der vertragstreuen Seite hinreichend beachtet werden können. Dies ist bei Betriebsvereinbarungen der freiwilligen Mitbestimmung regelmäßig der Fall, um so die gesteigerte Selbstbindung des Arbeitgebers zu berücksichtigen24 • Die materielle Regelung einer Betriebsvereinbarung endet aufgrund der Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nicht durch ihren Ablauf, wenn es um eine Angelegenheit der erzwingbaren Mitbestimmung geht. Dies gilt unabhängig von der Frage, welches Rechtsinstitut zum Ende der Betriebsvereinbarung führt. Die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG ist im Wege teleologischer Reduktion durch den Betriebserhalt begrenzt. Es gelten insoweit die Grundsätze, die im Bereich der Altersversorgung für die Feststellung einer wirtschaftlichen Notlage des Betriebes einschließlich seiner Sanierungsfähigkeit entwickelt wurden25 • 3. a) Auch im Tarifrecht kann sich bei einer Wirtschaftskrise für die Arbeitgeberseite die Frage stellen, welche einseitigen Gestaltungsrechte ihr zukommen, wenn eine Einigung mit der jeweiligen Gewerkschaft als Tarifvertragspartner nicht möglich ist. Dabei genügt bei rechtlicher Betrachtung die ordentliche Kündigung regelmäßig den Interessen der Arbeitgeberseite. Zwar wirkt der Tarifvertrag zunächst gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach. Mit dem beendeten Tarifvertrag endet jedoch die Friedenspflicht und die Arbeitgeberseite kann notfalls einen Neuabschluß durch Angriffsaussperrung erkämpfen. Praktisch werden allerdings echte nominelle Leistungsreduzierungen nur schwer durchsetzbar sein, so daß es in der Realität meist zu Nullrunden oder Gehaltssteigerungen unterhalb der Inflationsquote kommt. Denkbar sind jedoch Einschnitte in Zusatzleistungen26 • Die vereinbarte Mindestlaufzeit von Tarifverträgen liegt meist bei einem Jahr und beträgt üblicherweise jedenfalls nicht mehr als zwei Jahre. Unzumutbare Belastungen für eine gewisse Dauer können nur entstehen, wenn entsprechende Entwicklungen tatsächlich bei Vertragsabschluß noch nicht Zweiter Teil F VI S. 248 ff. Zweiter Teil G S. 255 ff. 26 Dritter Teil C S. 266 ff.; zusammenfassend S. 282 f. 24 25
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erkennbar waren. Daher erreichen unerwartete Entwicklungen regelmäßig erst ein erhebliches Gewicht, wenn der Tarifvertragsabschluß einige Zeit zurückliegt und damit der Tarifvertrag bereits einige Zeit in Vollzug ist. Dann ist es bei den kurzen Mindestlaufzeiten von Tarifverträgen wahrscheinlich, daß die nächste Kündigungsmöglichkeit nicht weit entfernt ist. Für die Krise bei den Osttarifverträgen im Elektro- und Metallbereich im Jahre 1993 war dementsprechend kennzeichnend, daß die Arbeitgeberverbände zu einem Zeitpunkt außerordentliche Kündigungen erklärten, wo bei gewöhnlicher Laufzeit bereits eine freie Kündbarkeit gegeben wäre. b) Eine außerordentliche Kündigung wegen wirtschaftlicher Entwicklungen kommt beim Tarifvertrag nur aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsgrundlagenstörung in Betracht. Daneben besteht insbesondere kein Kündigungsrecht für die Mitglieder wegen unverhältnismäßiger Tarifbindung aus Art. 12 GG und Art. 14 GG, weil diese auf der freiwilligen Legitimation beruhe7 • Beim Tarifvertrag können zwar spezielle Wirtschaftsdaten und sonstige konkrete Umstände eine Geschäftsgrundlagenstörung begründen, doch sind in der Praxis solche Fälle bisher nicht entschieden worden. Das belegt, daß die enge Einbeziehung konkreter Tatsachen eine seltene Ausnahme ist oder sich die Parteien zu einer Alternativregelung bekannt haben, die eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich machte 28 • Obwohl eine den Bestimmungen des BetrVG vergleichbare gesetzliche Regelung fehlt, ist die allgemeine Wirtschaftssituation der Arbeitgeber zwar Grundlage von Tarifverträgen29 , doch trägt das Risiko einer Abweichung nach allgemeinen Grundsätzen prinzipiell jede Vertragspartei selbseo . Für eine Verschiebung dieser Last bietet insbesondere die Gemeinwohlbindung keinen brauchbaren Bewertungsmaßstab, um bei wirtschaftlichen Krisen in die Lohnpolitik einzugreifen, sofern man überhaupt eine solche Bindung annimmt3 l . Dieses Ergebnis ist für die Verläßlichkeit des Tarifvertrages letztlich unabdingbar. Beim Branchentarifvertrag gilt der Grundsatz des § 279 BGB praktisch schrankenlos. Die Kündigungen der Osttarifverträge im Jahre 1993 in der Elektro- und Metallindustrie und im Jahre 1996 in der Bauindustrie waren daher unwirksam. Auch beim Haus- und Firmentarifvertrag sowie beim unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag berechtigt die Verschlechterung der Wirtschaftslage nicht zur außerordentlichen Kündigung. Eine Ausnahme gilt, wenn der Vertrag allein von einer erhöhten Leistungsfähigkeit ausgeht und bewußt MehrleiDritter Teil Dritter Teil 29 Dritter Teil 30 Dritter Teil 31 Dritter Teil 27 28
D 11 S. 285 ff. D III S. 291 ff. D IV 1, S. 295 ff. D IV 2, S. 298 ff. D IV 2 a, S. 299 ff.
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stungen gegenüber dem Branchentarif vorsieht. Alsdann wird die Vertragsbindung durch die wirtschaftliche Notlage begrenzt, sofern eine Sanierungschance besteht. Bei deren Prüfung ist der Flächentarif Maßstab für die neue Entgelthöhe. Dies folgt beim unternehmensbezogenen Verbandstarif aus dem Gleichbehandlungsanspruch der Mitglieder, während es sich beim Haus- und Firmentarif im Wege der Auslegung ergibt. Bei letzterem ist noch entscheidend, ob der Haus- und Firmentarif erst nach dem einschlägigen Branchentarif abgeschlossen wurde und dieser insoweit als Maßstab gedient haben kann32 • Die wirtschaftliche Krise der tarifgebundenen Unternehmen - von der Sozialkatastrophe oder ganz besonderen Einzelgeschehnissen abgesehen - ist nur ausnahmsweise, und zwar allein bei einem tarifvertraglichen Bezug zur Leistungsfähigkeit des Einzelunternehmens, als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht zu ziehen. Ein außerordentliches Kündigungsrecht steht nur dem jeweiligen Vertragspartner und nicht den betroffenen Normenunterworfenen zu. Lediglich im Falle des unternehmensbezogenen Verbandstarifs kann bei einem Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsätze dem Unternehmen ein außerordentliches Austrittsrecht mit der Folge zustehen, daß es anschließend selbst den Tarif kündigen kann. Daneben kommt in dieser Konstellation eine Klage gegen den Verband auf Abgabe der Kündigungserklärung gemäß § 826 BGB in Betracht33 • Während eine Änderungskündigung zulässig ist, besteht auch im Falle der außerordentlichen Kündigung eines Tarifvertrages kein Recht zur Teilkündigung. Die Änderungskündigung ist mangels inhaltlicher Kontrollmöglichkeit der Arbeitsgerichte nicht nach dem Ultima-ratio-Grundsatz zwingend34 • Die Arbeitgeberseite vernichtet mit der Kündigung nicht die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Daher sind die Arbeitgeber zu einer Angriffsaussperrung gezwungen, wenn sie die tatsächlichen Verhältnisse ändern wollen. Wird die Nachwirkung mißachtet, kommt der Arbeitnehmerseite die Möglichkeit zu, kollektiv ihr Zurückbehaltungsrecht auszuüben35 • c) Die Geschäftsgrundlagenstörung hat neben der außerordentlichen Kündigung nur geringe Bedeutung, weil eine Vertragsanpassung bei Tarifverträgen nicht möglich ist. Es fehlt an einem neutralen Organ, das zur Anpassung autorisiert werden könnte, ohne in den Kembereich der Tarifautonomie einzudringen. Eine gerichtliche Anpassung liefe auf die gerichtliche Regelung Dritter Teil Dritter Teil 34 Dritter Teil 35 Dritter Teil 32 33
D IV 2 e, S. 311 ff. D V 2, S. 313 f. D V 4, S. 319 f. D V 3 S. 314 ff.
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der Arbeitsbedingungen hinaus, die gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 GG als Tarifzensur unzulässig ist. Eine Vertragsanpassung ist wegen der Möglichkeit des Arbeitskampfes auch nicht notwendig. Eigenständige Bedeutung kann der Wegfall der Geschäftsgrundlage daher nur ausnahmsweise erlangen, weil die Vertragsaufsage im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung auch bei Einzelfallregelungen möglich ist und in den Grenzen des Vertrauens schutzes rückwirkende Eingriffe erlauben kann36 • 4. Der Austausch des Arbeitgebers durch Rechtsgeschäft oder durch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ist für die Betriebsvereinbarung aufgrund ihrer Anknüpfung an die betriebliche Organisationseinheit ohne Wirkung. Beim Firmentarif kann die Tarifbindung nur durch rechtsgeschäftliche Übertragung beseitigt werden. Dabei werden seine Inhaltsnormen in den Grenzen der Sätze 3 und 4 des § 613 a Abs. 1 BGB in die Individualarbeitsverhältnisse gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB übergeleitet und genießen unabdingbaren Bestandsschutz für ein Jahr. Wird die rechtsgeschäftliche Übertragung in einem Konzern genutzt, um der Tarifbindung zu entgehen oder sie zu beschränken, so ist das veräußernde Unternehmen als Vertragspartner des Firmentarifs verpflichtet, seine Möglichkeiten gegenüber dem Erwerber zu nutzen, um die Durchführung zu gewährleisten. Der Erwerber oder Dritte können allenfalls über § 826 BGB zu Handlungen verpflichtet sein, die eine Durchführung ermöglichen. Bei einem Übergang durch gesetzliche Rechtsnachfolge wird der neue Inhaber Partei des Firmentarifs bzw. der Firmentarif spaltet sich in gleichlautende Firmentarife auf. Beim Verbandstarif führt eine formändernde Umwandlung zu keiner Veränderung der Bindung. Jede andere Form der Übertragung, sei es durch Rechtsgeschäft oder bei EG-richtlinienkonformer Auslegung durch Gesamtrechtsnachfolge, löst die Transformation der Inhaltsnormen des Verbandstarifs in die Arbeitsverhältnisse gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB aus. Durch Veränderung der Rechtsperson des Arbeitgebers kann nur in beschränktem Maße der Tarifbindung entgangen werden. Eine kurzfristige Lösung aktueller Solvenzprobleme kommt hierdurch nicht in Betracht. Allerdings kann durch entsprechende Gestaltung der betrieblichen und gesellschaftsrechtlichen Strukturen eine Kostensenkung bewirkt werden, etwa wenn vom Unternehmensschwerpunkt abweichende sachfremde Betriebsteile durch rechtlich verselbständigte Tochterfirmen geführt werden, sofern der dann einschlägige Tarifbereich üblicherweise niedrigere Leistungen vorsiehe7 •
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Dritter Teil E S. 322 ff. Vierter Teil A S. 334 ff.; zusammenfassend S. 360 f.
Ergebnisse der Arbeit
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5. Nach dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband bleibt die Tarifbindung durch die Bestimmung des § 3 Abs. 3 TVG erhalten. Die Vorschrift erfaßt nach ihrem Sinn, den Verbandstarif als Verhandlungsergebnis zu schützen, neben dem normativen Teil auch die relative Friedenspflicht, damit der Arbeitgeber nicht vorzeitig einen neuen Tarif erzwingen kann38 • Die nach dem Wortlaut unbegrenzte Fortgeltung ist in zweierlei Hinsicht einzuschränken. Zum einen kommt dem Arbeitgeber ein Quasikündigungsrecht zu, mit dem er seiner Bindung über den nächsten Kündigungszeitpunkt hinaus widersprechen kann39 • Schließlich ist § 3 Abs. 3 TVG in verfassungskonformer Auslegung auf eine Höchstdauer von vier Jahren zu beschränken4o • Um sich aus dem Regelungswerk eines Tarifvertrages zu befreien, bietet der Verbandsaustritt für den Arbeitgeber nur eine sinnvolle Hilfe, wenn eine Kündigungsmöglichkeit nahe ist. Der Nutzen des Austritts ist für den einzelnen Arbeitgeber daher sehr beschränkt. Hinzu kommt die Gefahr, daß er von der Gewerkschaft zum Abschluß eines Firmentarifs notfalls durch Arbeitskampf gezwungen werden kann. Firmentarife sind, soweit bislang bekannt geworden ist, kaum günstiger als die entsprechenden Verbandstarife. Sinnvoll kann der Austritt mittelfristig im Rahmen eines Verbandswechsels sein, wenn einerseits die Fortgeltung nach § 3 Abs. 3 TVG endet und andererseits zugleich die Tarifverträge sowie der Schutz des neuen Arbeitgeberverbandes greifen, die für den wechselnden Arbeitgeber günstiger sind. 6. Die Verbandsauflösung und die satzungsmäßige Tarifunzuständigkeit eines Arbeitgeberverbandes haben das Ende der von ihm abgeschlossenen Tarifverträge zur Folge. Es tritt lediglich die Nachwirklung nach der Bestimmung des § 4 Abs. 5 TVG ein. Im äußersten Notfall können die Arbeitgeber mit diesem Gestaltungsmittel unter Verzicht auf den künftigen solidarischen Verbandsschutz mittelbar ihre Tarifbindung vernichten, wenn sie anschließend auch einzeln mit der Gewerkschaft über den Abschluß neuer Tarifverträge verhandeln und diese notfalls erkämpfen müssen, um nachwirkende Regelungen faktisch zu beseitigen. Die Verbandsauflösung und satzungsmäßige Tarifunzuständigkeit eröffnen demnach eine effektive Möglichkeit, den Tarifvertrag in einer wirtschaftlichen Krise zu beseitigen und die Grundlage für Neuverhandlungen bis hin zum Arbeitskampf zu schaffen41 • Dies gewährt einer Verhandlungsforderung besonderes Gewicht. Die Notwendigkeit eigene Vorstellungen vertraglich durchzusetzen, kann der Arbeitgeberseite ohnehin niemand ersetzen, wenn man von der theoretischen Möglichkeit der staatlichen Festlegung der Arbeitsbedingungen absieht. Vierter Teil B I 2, S. 365 f. Vierter Teil B I 3, S. 367 ff. 40 Vierter Teil BIlIS. 371 ff. 41 Vierter Teil C I und 11, S. 377 ff.
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Ergebnisse der Arbeit
Daneben bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Arbeitgeberverband, doch handelt es sich dann aus der Sicht des Tarifvertragswesens und Arbeitskampfes um ein Nichtmitglied42 • 7. Einem Arbeitgeber steht es frei, aus dem ihm zu stark belastenden Tarifvertrag Konsequenzen zu ziehen und dazu seine Produktion außerhalb des räumlichen oder sachlichen Geltungsbereiches zu verlegen, um dadurch seine unmittelbare Taritbindung aufzuheben. Darin darf man keine Umgehung sehen, weil er in zulässiger Weise Folgerungen für seine unternehmerische Tätigkeit aus einem nach seiner Auffassung untragbar gewordenen Tarifwerk zieht. Gleichwohl wird der Tarifvertrag nicht folgenlos, - solange der Arbeitgeber im Bereich der Bundesrepublik Deutschland verbleibt -, weil er gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt43 • 8. Der Grundsatz der Tarifeinheit greift nur bei echter Tarifkonkurrenz ein, weshalb er kein Gestaltungsmittel darstellt, mit dem ein Arbeitgeber seiner Tarifbindungen effektiv ausweichen kann44 • Der Praktiker kann allerdings im Bewußtsein, daß die von der Rechtsprechung vertretene Tarifeinheit bei bloßer Tarifpluralität äußerst fragwürdig und in ihrem Fortbestand gefährdet ist, zur Zeit die Möglichkeiten der Kombination verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, um andere Tarifverträge trotz fortbestehender Bindung faktisch in ihrer Anwendung endgültig zu beseitigen. 9. Die Unterschreitung tariflicher Leistungspflichten zum Erhalt von Arbeitsplätzen stellt keine günstigere Regelung im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG dar, denn der einschlägige Tarifvertrag ergibt die Mindestbedingungen. Die Betriebspartner haben weder eine originäre noch eine Annexkompetenz aus § 111 BetrVG, durch die sie den Tariflohn bei einer Unternehmenskrise schmälern dürfen, um Entlassungen zu verhindern. Vielmehr greift neben dem Günstigkeitsprinzip die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, soweit es nicht um einen Sozialplan geht, § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG. Ein verbandstarifunterworfener Arbeitgeber kann in wirtschaftlicher Krise - nicht einmal vorübergehend - weder mit den einzelnen Arbeitnehmern noch mit dem Betriebsrat wirksam untertarifliche Löhne vereinbaren45 • 10. Zwar sind kleinere Randkorrekturen - insbesondere gesetzliche Öffnungsklauseln bei wirtschaftlicher Not eines Unternehmens, gesetzliche Höchstdauer der unkündbaren Mindestlaufzeit von Tarifverträgen auf zwei Vierter Teil C II S. 382 ff. Vierter Teil D S. 385 ff. 44 Vierter Teil E S. 389 ff. 45 Vierter Teil F S. 40 I ff. 42 43
Ergebnisse der Arbeit
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Jahre - über Änderungen des Tarifvertragsrechtes den aufgezeigten Grenzen denkbar und teilweise auch sinnvoll, doch ist darüber hinaus in der aktuellen Diskussion die Tendenz zu beobachten, bisherige Grundlagen des Tarifvertragswesens in einer Art und Weise in Frage zu stellen, daß deren konsequente Umsetzung das Ende des Tarifwesens sein dürfte. Bevor man wegen einer Krise das gesamte Tarifwesen beseitigt, sollte man überdenken, welche Alternative besteht. Die vielbeschworene Krise des Flächentarifvertrages ist keine der Tarifautonomie, sondern Symptom einer Krise der gesamten Wirtschaftsordnung, die durch die Globalisierung ausgelöst wurde. Eine wirkliche Lösung muß daher sämtliche Regelungen des Arbeitsrechts im Hinblick auf die Globalisierung der Märkte auf den Prüfstand stellen und Beschränkungen des gesetzlichen Schutzes auf unbedingt notwendige Mindeststandards verfolgen. Interessant ist insoweit die Überlegung von Heinze, in einer Art "Baukastensystem" unter Aufgabe der strengen Trennung zwischen Dienstvertrag ohne nennenswerten Schutz des Dienstverpflichteten und Arbeitsrecht mit dem vollen Arbeitnehmerschutz den Individualparteien die Möglichkeit zu eröffnen, Zwischenformen konkret zu wählen, in denen sie für die verschiedenen Regelungskomplexe eigene Vorstellungen verwirklichen können. Bei bestimmten Voraussetzungen könnten dann im Gefolge bestimmter Rechte und Pflichten entsprechende Schutz- oder Ausgleichsregelungen greifen. Dies erscheint umso mehr angebracht, als die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Dienstverpflichtung als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Dienst- und Arbeitsvertrag häufig zweifelhaft und die Ergebnisse gerade im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit oft fragwürdig sind. In kleinsten Ansätzen sind solche Regelungen sogar schon vorhanden, wenn man etwa an die Sonderbestimmungen für Heimgewerbetreibende im Bundesurlaubsgesetz denkt46 •
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Fünfter Teil S. 422 ff.
Schlußbetrachtung Auf der Grundlage der vorgenannten Ergebnisse läßt sich feststellen, daß wirtschaftliche Krisen einen Arbeitgeber bei Gesamtvereinbarungen nach allgemeinen Grundsätzen nicht ipso facto entlasten. Ein Arbeitgeber kann Betriebsvereinbarungen ohne größere Probleme durch ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Dreimonatsfrist für die Zukunft beenden, wenn diese sich nicht auf Einzelfälle beziehen oder er sich bewußt durch eine konkludente oder ausdrückliche Verlängerung der Kündigungsfrist bzw. durch Ausschluß der ordentlichen Kündigung einer gesteigerten Selbstbindung unterworfen hat. Daneben stellt die wirtschaftliche Notlage eine absolute Schranke für die Geltung von Betriebsvereinbarungen dar und kann sogar auf erwachsene Individualansprüche durchschlagen, so daß für den Arbeitgeber fast immer Möglichkeiten bestehen, in wirtschaftlicher Not sich effektiv von den Lasten betrieblicher Einigung zu lösen. Diese Beschränkung der allgemeinen Einstandspflicht für die eigene fmanzielle Leistungsfähigkeit resultiert aus der Tatsache, daß die Betriebsverfassung als Zwangskooperation der Belegschaft eine zusätzliche Schutzebene zwischen Arbeitsvertrag und Tarifvertrag ist. Ein solcher Schutz soll und darf sinnvollerweise nicht zu einer Existenzvernichtung des Betriebes führen und ist auch unbedenklich, weil der notwendige Mindestschutz den Tarifverträgen und Gesetzen vorbehalten ist. Ausnahmsweise kommt vor einer Notlage ein außerordentlicher Rechtsbehelf im Wege der außerordentlichen Kündigung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht, wenn ein Einzelmoment zentrale Grundlage einer Betriebsvereinbarung ist und sich als fehlerhaft herausstellt bzw. später wegfällt. In diesen Fällen kommt aufgrund des Vertrauensschutzes ein Zugriff auf erwachsene Individualrechte jedoch nur ausnahmsweise in Betracht. Im Betriebsverfassungsrecht ist damit den Interessen der Arbeitgeber hinreichend genüge getan. Im Tarifbereich gibt es für die Arbeitgeber nur in besonderen Einzelfällen die Möglichkeit, aus wirtschaftlichen Gründen mit vertraglichen Gestaltungsmitteln unmittelbar auf den Bestand von Tarifverträgen einzuwirken. Den Tarifparteien ist daher anzuraten, keinesfalls Verträge mit längerer Laufzeit abzuschließen. Der Gesetzgeber könnte dies durch die Aufnahme eines unabdingbaren Kündigungsrechtes im Tarifvertragsgesetz - etwa nach zwei Jah-
Schlußbetrachtung
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ren - festschreiben. Zu Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung im Rahmen ihrer Kontrolle nicht tarifliche Vernunft überprüfen und gesamtwirtschaftliche Verantwortung tragen kann. Diese Maßstäbe sind rechtlich de facto nicht faßbar und können daher nicht zur Grundlage einer außerordentlichen Kündigung erhoben werden. Insbesondere ist eine Herleitung aus Art. 12 GG und Art. 14 GG, wie auch aus einer Gemeinwohlbindung verfehlt und im letzteren Fall ohnehin nicht justiziabel. Auf Verbandsebene steht den Arbeitgebern allerdings für den äußersten Notfall die Möglichkeit zur Verfügung, durch Auflösung bzw. satzungsmäßige Tarifunzuständigkeit den Verbandstarifvertrag zu beseitigen. Allerdings greift einerseits eine dispositive Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG ein und andererseits endet die Friedenspflicht. Letzteres ist im Hinblick auf den entfallenden Verbandsschutz und der damit verbundenen Kampfsolidarität der Arbeitgeber für drohende Arbeitskämpfe von erheblichem Gewicht. Doch kann jeder Arbeitgeber, wenn eine einvernehmliche Lösung mit der Gewerkschaftsseite nicht in Sicht ist, notfalls im Wege suspendierender Aussperrung den Abschluß eines nach seiner Auffassung angemessenen Tarifvertrages kampfweise zu erzwingen suchen. Es läßt sich ohnehin letztlich nicht verhindern, daß Arbeitgeber arbeitskampfbereit sein müssen, wenn ein Streit über die Reduzierung von Tarifpflichten nicht friedlich beigelegt werden kann. Vor allem geht es nicht an, daß Arbeitgeberverbände sehenden Auges zur Vermeidung von Arbeitskämpfen Tarifverträge abschließen, um diese später "vorzeitig zu kündigen". Ein derartiger Rechtsbruch stellt die Verläßlichkeit der Verbände als Vertragspartner in Frage. Es darf nicht verwundern, wenn eine solche Mißachtung der Rechts- als Friedensordnung eines Tages umschlägt und die Gewerkschaften ihre Friedenspflicht in ähnlicher Weise in Frage stellen. Letztlich kann keine Unterlaufungsstrategie auf Dauer die Taritbindung verhindern, da sogleich eine zuständige Gewerkschaft mit neuen Kampfforderungen an den Arbeitgeber herantreten kann, der gemäß § 2 Abs. 1 TVG nun einmal tariffähig ist und bleibt. Die Diskussion um Änderungen des Tarifwesens setzt nicht wirklich an der Wurzel des Übels an. Nicht das Tarifwesen im besonderen gefährdet unsere internationale Weubewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze, sondern unser Arbeitsrechtssystem. Um internationale Weubewerbsfähigkeit wiederherzustellen, ist daher eine Überprüfung des gesamten Arbeitsrechtes notwendig. Es sollte darüber nachgedacht werden, das Arbeitsrecht für die Privatautonomie zu lockern und die strenge Trennung zum Dienstvertrag aufzugeben.
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Zöllner, Wolfgang / Loritz, Karl-Georg: Arbeitsrecht, 5. Auflage, München 1998
Sachwortverzeichnis Allgemeinverbindlicherklärung 439 Änderungskündigung - Individualvertrag 274 - Tarifvertrag 282, 319 Anfechtung - Betriebsvereinbarung 113 - Tarifvertrag 263 - Rechtsinstitut im allgemeinen 113 - Wirtschaftliche Krise 117 Arbeitnehmerschutzprinzip 176 Arbeitskampfrecht 3 14 Arbeitsverhältnis - als Gefahrengemeinschaft 208 Außenseiter / Anerkennung eines Außenseiterarbeitsverhältnisses de lege ferenda 441 Außerordentliche Kündigung Siehe Kündigung Autonomietheorie 44 Bedingung - auflösende 108 - unentwickelte 110 Beschlußtheorie 75 Betätigungsgarantie 396 Betrieb - Verbandscharakter 82 Betriebliche Gefahrengemeinschaft 212 Betriebliches Rechtsverhältnisses 55 Betriebsnorm - Allgemein 36, 68 - Tarifkonkurrenz 390 Betriebsrente - Entgelttheorie 217 - Fürsorgegedanke 217 Betriebsübergang (§613 a BGB) 336
Betriebsvereinbarung - Anfechtung 113 Auflösende Bedingung 108 Auslegung 165 Außerordentliche Kündigung 159 Ausstrahlung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf Individualebene 226 - Beendigung ipso facto in wirtschaftlichen Notlagen 105 - Beschlußtheorie 75 - Billigkeitskontrolle 103 - Drittwirkung der Grundrechte 95 - Echte Rückwirkung 90 - Nachwirkung freiwilliger 147 - Ordentl. Künd. freiwilliger BV 127 - Ordentl. Künd. zwingender BV. 125 - Rücktritt 120 - Satzungstheorie 75 - Teilkündigung 157 - Teilmitbestimmte BV 151 - Unechte Rückwirkung 102 - Unmöglichkeit 105 - Vereinbarungstheorie 77 - Vertrag zugunsten Dritter 140 - Vertragsanpassung 229 - Vertragsanpassung bei freiwilligen BV 232 - Vertragscharakter 74 - Vertragstheorie 77 - Wegfall der Geschäftsgrundlage 197 - Widerruf 120 - Wirtschaftliche Situation als gesetzliche Geschäftsgrundlage 171 - Wirtschaftliche Situation als wichtiger Grund 167 - Zuordnung zum Privatrecht 73
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Sachwortverzeichnis
Betriebsverfassung - Ausgleichsfunktion 62 - Betrieb als Verband 82 - Ordnungsfunktion 62 - Schutzfunktion 62 - Unterwerfung 37 - Wesentlichkeitstheorie 62 - Zwangsrepräsentation/ Zwangskooperation 40 Betriebsverfassungsrechtliche. Nonnen - Allgemein 36, 68 - Tarifkonkurrenz 390 Betriebswohlbindung 180 Delegationstheorie 46 Differenzierungstheorie 34 Drittwirkung der Grundrechte 95 Durchführungspflicht - Allgemein 27 - im Konzern 342 Einwirkungspflicht im Konzern 342 Freiwillige Betriebsvereinbarung Siehe Betriebsvereinbarung Fremdvergabe 387 Friedenspflicht - Allgemein 27 - Beendigung durch Kündigung 279 - Verbandsaustrittl-wechsel 365 Gemeinwohlbindung 299 Genossenschaftliche Rechtstheorie Siehe Autonomietheorie Gesamtvereinbarung - Änderungskündigung 282 - Anfechtung 114,263 - Auflösende Bedingung 108 - Außerordentl. Kündigung 159, 283 - Beendigung ipso facto in wirtschaftlichen Notlagen 105 - Drittwirkung der Grundrechte 95 - Echte Rückwirkung 90 - Nonnative Wirkung 29 - Ordentliche Kündigung 125, 266 - Rechtliche Einordnung 27 - Rücktritt 120, 266
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Schuldrechtlicher Teil 27 Teilkündigung 157,282 Unechte Rückwirkung 102 Unmöglichkeit 105 Vertragsaufsage 331 Vertragscharakter 74 Vertrauensschutz der Nonnenunterworfenen 89 - Wegfall der Geschäftsgrundlage 197,322 - Widerruf 120, 265 - Zuordnung zum Privatrecht 71 Geschäftsgrundlage 163 Geschäftsgrundlagenstörung Siehe Wegfall der Geschäftsgrundlage Gesetzliche Öffnungsklausel 423 Gewollte Tarifunfähigkeit 382 Gewordene Individualrecht! -position Siehe Lehre von der kollektivfreien Individualsphäre Globalisierung 442 Grenzbetrieb 285 Grundsatz vertrauensvoller Zusammenarbeit 180 Günstigkeitsprinzip Allgemein 408 Berücksichtigung des drohenden Arbeitsplatzverlustes 417 Sachgruppenvergleich 408 Vorrang der Betriebsvereinbarung vor dem Tarifvertrag 401 Vorrang der privatautonomen Individualvereinbarung vor der Kollektivnonn 407 Integrationstheorie 52 Interessenausgleich Kürzungsrecht als Annexkompetenz aus § 111 BetrVG 420 Interessentheorie 72 Kollektiver Günstigkeitsvergleich 66 Kollektiver Schuldvertrag 41 Kollektivfreie Individualsphäre Siehe Lehre von der kollektivfreien Individualsphäre Kombinationstheorie 34
Sachwortverzeichnis Kumulationstheorie 34 Kündigung - Änderungskündigung 274 - Begrenzung auf Dauerschuldverhältnisse 122 - wegen "dringender betrieblicher Erfordernisse" 275 Kündigung, außerordentliche Abdingbarkeit 195 Betriebsvereinbarung 159 Geschäftsgrundlagenstörung 162,248 Tarifvertrag 283 Wichtiger Grund 161 Wirtschaftliche Umstände als wichtiger Grund 167 Kündigung, ordentliche - Betriebsvereinbarung 125 - Rechtsinstitut im allgemeinen 121 - Tarifvertrag 266 Lehre vom offenen Kalkulationsirrtum 118 Lehre vom qualifizierten faktischen GmbH-Konzern 188 Lehre von der clausula rebus sie stantibus 110 Lehre von der kollektivfreien Individualsphäre 92 Lehre von der praktischen Konkordanz Siehe Wechselwirkungstheorie Menuewahl 432 Mitgliedschaft ohne Tarifbindung 382 Nachwirkung - Außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages 314 - Betriebsvereinbarung 255 - Betriebsvereinbarung in wirtschaftlicher Not 255 - Freiwillige BV 147 - Räumliche Verlegung 385 - Sachliche Verlegung 385 - Tarifvertrages 270 - Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen 151
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- Verbandsauflösung 378 - Verbandsaustritt bzw. -wechsel. 364 Negative Koalitionsfreiheit - Allgemein 41, 69 - Betrieb als Verband 86 - Fortgeltung der Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG 370 - Grundsatz der Tarifeinheit 395 - Gesetzliche Öffnungsklausel 432 Normative Wirkung - Autonomietheorie 44 - Delegationstheorie 46 - Differenzierungstheorie 34 - echte Rechtsetzung 43 - Integrationstheorie 52 - Kollektiver Schuldvertrag 41 - Kombinationstheorie 34 - Kumulationstheorie 34 - Leistungsbestimmung durch Dritte 35 - Rechtsgeschäftliehe Erklärungsversuche 30 - Rechtsgeschäftliehe Normensetzung 54 - Rechtsnatur 29 - Sozialrechtliche Vertretungsmacht 34 - Verbandstheorie 34 - Vertretungstheorie 32 - Wesentlichkeitstheorie 50, 58 Normentheorie 30 Optionslösung 432 OT-Mitgliedschaft Siehe Mitgliedschaft ohne Tarifbindung Outsourcing Siehe Fremdvergabe Parlamentsvorbehalt Siehe Wesentlichkeitstheorie Positive Koalitionsfreiheit - Gesetzliche Öffnungsklausel 425 - Grundsatz der Tarifeinheit 395 Privatautonome Unterwerfung - Betriebsverfassung 37 - Tarifrecht 36
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Sachwortverzeichnis
Rechtsgeschäftliche Nonnensetzung - Privatautonome Unterwerfung 54 - Staatlicher Geltungsbefehls 56 - Wesentlichkeitstheorie 58 Rechtswahl des Arbeitnehmers de lege ferenda 442 Rücktritt - Betriebsvereinbarung 120 - Tarifvertrag 266 Rückwirkung, echte - Faktisches Arbeitsverhältnisses 91 - Gesamtvereinbarungen 90 - Verftigungstheorie 92 Rückwirkung, unechte - Gesamtvereinbarungen 102 Sachgruppenvergleich 408 Satzungstheorie 75 Schlichtung im Tarifrecht 324 Schmutzkonkurrenz 439 Solidarität der Arbeitnehmer 212 Solidaritätsgedanke 208 Sozialplan - anspruchsbezogene Treuepflicht 219 - Unkündbarkeit 123 Sozialrechtliche Vertretungsmacht 34 Sprecherausschuß 25 Subjektstheorie 71 Tarifbindung Abschaffung der Allgemeinverbindlicherklärung de lege ferenda 439 Anerkennung eines Außenseiterarbeitsverhältnisses de lege ferenda 441 Beschränkung des § 3 Abs. 3 TVG de lege ferenda 437 Formändernde Umwandlung 352 Fusion 352 Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG 367 - Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere Umwandlungen 351 - Gewollte Tarifunfahigkeit 382 - OT-Mitgliedschaft 382 - Rechtsgeschäftliche Übertragung
auf Arbeitgeberseite 335 - Räumliche Verlegung 385 - Sachliche Verlegung 385 - Verbandsauflösung 377 - Verbandsaustritt 361 - Verbandswechsel 361 Tarifeinheit 389 Tarifkonkurrenz 389 Tarifliche Korridore 432 Tarifpluralität 389 Tarifrecht - Auslegungspflicht 47 - Unterwerfung der Tarifgebundenen 36 - Veröffentlichung 47 - Wesentlichkeitstheorie 67 Tarifvertrag - Änderungskündigung 282 - Anfechtung 263 - auflösende Bedingung 108 - Außerordentliche Kündigung 283 - Außerordentliche Kündigung und Arbeitskampfrecht 314 - Beendigung der Friedenspflicht .279 - Beendigung ipso facto in wirtschaftlichen Notlagen 105 - Befriedungsfunktion 94 - Drittwirkung der Grundrechte 95 - Echte Rückwirkung 90 - Finnentarifund Fusion 354 - Gemeinwohlbindung 299 - Geschäftsgrundlagen 291 - Kartellfunktion 94 - Kündigung wegen unverhältnismäßiger Einschränkung der Nonnenunterworfenen 285 - Kündigung wegen Unzumutbarkeit der Tarifbindung 285 - Nachwirkung 270 - Ordentliche Kündigung 266 - Risikotragung beim Branchentarifvertrag 306 - Risikotragung beim Finnentarif 311 - Risikotragung beim unternehmensbezogenen Verbandstarif 309 - Rücktritt 266
Sachwortverzeichnis -
Teilkündigung 282 Unechte Rückwirkung 102 Unmöglichkeit 105 Vertragsanpassung 322 Vertragsaufsage 331 Vertragscharakter 88 Wegfall der Geschäftsgrundlage 322 Wegfall der Geschäftsgrundlage und Neuverhandlungspflicht 312 - Widerruf 265 - Zuordnung zum Privatrecht 71 Tarifzensur - Gemeinwohlbindung 302 - Gerichtliche Vertragsanpassung 328 Tatbestandstheorie 30 Teilkündigung - Außerordentliche Tarifvertrag 319 - Betriebsvereinbarung 157 - Tarifvertrag 282 Theorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit 106 Transformation, individualrechtliche bei §613 a BGB 336 Unentwickelte Bedingung 110 Unmöglichkeit 105 Untemehmensbezogener Verbandstarifvertrag 309 Unzumutbarkeit - Betriebsvereinbarung 174 - Tarifbindung 285 Verbandsauflösung 377 Verbandsaustritt 361 Verbandstheorie 34 Verbandswechsel 361 Vereinbarungstheorie 77 Verfugungstheorie 92 Vertragsanpassung - durch Arbeitgeber vor Einigungsstellenspruch 239 - durch Einigungsstelle bei Betriebsvereinbarungen 230 - Freiwilligen BV 232 - Gestaltungsurteil 203 - Tarifvertrag 322,331 - Rechtsnatur 201
- Vorherige gerichtliche Feststellung des Geschäftsgrundlagenwegfalls bei Betriebsvereinbarungen 236 - Vertragsaufsage 331 Vertragstheorie 77 Vertrauensschutzl-grundsatz - Anfechtung von Gesamtvereinbarungen 115 - Erwachsene Besitzstände 90 - Geschäftsgrundlagenstörung bei Gesamtvereinbarungen 165 - Normenunterworfenen 89 - Unechte Rückwirkung 102 - Vertragspartners 90 - Vertretungstheorie 32 - Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Betriebsvereinbarungen 205 Wechselwirkungstheorie - Allgemein 41 - Einschränkung der Fortgeltung gemäß § 3 Abs. 3 TVG 374 Wegfall der Geschäftsgrundlage - Anpassung durch Arbeitgeber vor Einigungsstellenspruch 239 - Außerordentliche Kündigung 248 - Bekanntmachung 236 - Betriebsvereinbarung 197 - Eingriff in Besitzstände 205 - Einrede 201 - Gerichtliche Feststellung vor Vertragsanpassung durch Einigungsstelle 236 - Gestaltungsurteil 203 - Neuverhdlldlungspflicht 323 - Rechtsnatur 201 - Tarifvertrag 322 Wesentlichkeitstheorie - Betriebsvereinbarung 50, 58 - Tarifrecht 67 Wichtiger Grund - Unzumutbarkeit 174 - Wirtschaftliche Umstände 167 Widerruf - Betriebsvereinbarung 120 - Tarifvertrag 265 Wirtschaftliche Notlage 185
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488 Zahlungsunfähigkeit und Unmöglichkeit 105 Zurückbehaltungsrecht !kollektiv ausgeübt 316 Zwangskooperation 40
Sachwortverzeichnis Zwangsrepräsentation 40 Zwangsschlichtung im Tarifrecht Siehe Schlichtung