Einführung in die Religionswissenschaft [5 ed.] 353426410X, 9783534264100

Das Buch führt in klarer, leicht verständlicher Sprache in den Gegenstand und die Aufgaben der Religionswissenschaft ein

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German Pages 211 Year 2014

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
I. Systematisches Stichwort
II. Was ist Religion?
III. Religionsgeschichte
1. Religionsgeschichte als Fremdbeschreibung
2. Zur Geschichte der Religionsgeschichte
3. Religionsgeschichte und Sprache
4. Die Religionsgeschichte und ihre Quellen
a) Geschriebenes und Gesprochenes
b) Averbale Quellen
c) Dokumentation religiöser Darstellungsebenen
d) Religionswissenschaftliche Arbeitsteilung
5. Fragen religiösen Wandels
a) Ursprung und Entwicklung von Religionen
b) Faktoren religiösen Wandels
c) Religionsgeschichtliche Stadien und Reaktionsmuster auf religiösen Wandel
IV. Systematische und phänomenologische Zugänge
1. Historische und Systematische Religionswissenschaft
2. Was ist Religionsphänomenologie?
3. Zur Entwicklung der religionsphänomenologischen Forschung
4. Religionsphänomenologische Neuansätze
5. Der religionswissenschaftliche Vergleich
6. Religionstypologie
V. Religionssoziologische Zugänge
1. Geschichte und Richtungen religionssoziologischer Forschung
2. Themenbereiche religionssoziologischer Forschung
3. Religionssoziologische Typenbildungen
a) Typen religiöser Autorität
b) Typen religiöser Gruppenbildung
c) Religionssoziologische Typologien von Religionen und Gesellschaftssystemen
4. Säkularisierung – Fundamentalismus – „New Age“
VI. Religionsethnologische Zugänge
1. Geschichte und Richtungen religionsethnologischer Forschung
2. Die „theoretische Ebene“: Mythen
3. Die „praktische Ebene“: Riten
4. Religionsethnologische Symbolforschung
VII. Religionspsychologische Zugänge
1. Was ist Religionspsychologie?
2. Zur Geschichte der religionspsychologischen Forschung
3. Der Beitrag der Tiefenpsychologie
4. Gegenstand, Aufgaben und Methoden der Religionspsychologie
VIII. Weitere Zugänge zu den Religionen
1. Religionsgeographie – Religion-Umwelt-Forschung – Geographie der Geisteshaltung
a) Geschichte und Gegenstand religionsgeographischer Forschung
b) Aufgaben und Methoden religionsgeographischer Forschung
2. Religionsästhetik
3. Religionsökonomik
4. Zukunftsperspektiven
IX. Religionsphilosophie – Religionsbegründung – Religionskritik
X. Religionswissenschaft und Theologie
XI. Wissenschaftsorganisation und Kommunikation: Institutionelle Aspekte akademischer Religionsforschung
1. Religionswissenschaft als akademische Disziplin
2. Fachorganisationen und Kommunikation
XII. Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung
1. Wozu nutzt die Religionswissenschaft?
2. Themen und Aufgaben religionswissenschaftlicher Forschung
3. Die Zukunft der Religionswissenschaft
Bibliographie
Register
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Einführung in die Religionswissenschaft [5 ed.]
 353426410X, 9783534264100

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Klaus Hock

Einfhrung in die Religionswissenschaft 5. Auflage

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulssig. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 5., bibliografisch aktualisierte Auflage i 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermglicht. 1. Aufl. 2002 Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf surefreiem und alterungsbestndigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26410-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhltlich: eBook (PDF): 978-3-534-73851-9 eBook (epub): 978-3-534-73852-6

Inhalt I. Systematisches Stichwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Was ist Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Religionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religionsgeschichte als Fremdbeschreibung . . . . . . . . . 2. Zur Geschichte der Religionsgeschichte . . . . . . . . . . . 3. Religionsgeschichte und Sprache . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Religionsgeschichte und ihre Quellen . . . . . . . . . a) Geschriebenes und Gesprochenes . . . . . . . . . . . . b) Averbale Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dokumentation religiöser Darstellungsebenen . . . . . . d) Religionswissenschaftliche Arbeitsteilung . . . . . . . . 5. Fragen religiösen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ursprung und Entwicklung von Religionen . . . . . . . . b) Faktoren religiösen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . c) Religionsgeschichtliche Stadien und Reaktionsmuster auf religiösen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Systematische und phänomenologische Zugänge . . . . . . . 1. Historische und Systematische Religionswissenschaft . . . . 2. Was ist Religionsphänomenologie? . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Entwicklung der religionsphänomenologischen Forschung 4. Religionsphänomenologische Neuansätze . . . . . . . . . 5. Der religionswissenschaftliche Vergleich . . . . . . . . . . 6. Religionstypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Religionssoziologische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Geschichte und Richtungen religionssoziologischer Forschung 79 2. Themenbereiche religionssoziologischer Forschung . . . . . 90 3. Religionssoziologische Typenbildungen . . . . . . . . . . . 97 a) Typen religiöser Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Typen religiöser Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . 100 c) Religionssoziologische Typologien von Religionen und Gesellschaftssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Säkularisierung – Fundamentalismus – „New Age“ . . . . . 105 VI. Religionsethnologische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte und Richtungen religionsethnologischer Forschung 2. Die „theoretische Ebene“: Mythen . . . . . . . . . . . . . 3. Die „praktische Ebene“: Riten . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religionsethnologische Symbolforschung . . . . . . . . . .

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Inhalt

VII. Religionspsychologische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist Religionspsychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Geschichte der religionspsychologischen Forschung . . 3. Der Beitrag der Tiefenpsychologie . . . . . . . . . . . . . . 4. Gegenstand, Aufgaben und Methoden der Religionspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Weitere Zugänge zu den Religionen . . . . . . . . . . . . . . 1. Religionsgeographie – Religion-Umwelt-Forschung – Geographie der Geisteshaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschichte und Gegenstand religionsgeographischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgaben und Methoden religionsgeographischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Religionsästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Religionsökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zukunftsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Religionsphilosophie – Religionsbegründung – Religionskritik . 158 X. Religionswissenschaft und Theologie . . . . . . . . . . . . . . 162 XI. Wissenschaftsorganisation und Kommunikation: Institutionelle Aspekte akademischer Religionsforschung . . . . . . . . . . . 171 1. Religionswissenschaft als akademische Disziplin . . . . . . 171 2. Fachorganisationen und Kommunikation . . . . . . . . . . 175 XII. Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung . . . . . . 1. Wozu nutzt die Religionswissenschaft? . . . . . . . . . . . 2. Themen und Aufgaben religionswissenschaftlicher Forschung 3. Die Zukunft der Religionswissenschaft . . . . . . . . . . . Bibliographie Register

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I. Systematisches Stichwort Religionswissenschaft ist die empirische, historische und systematische Erforschung von Religion und Religionen. Entsprechend umfasst sie eine Vielzahl von Disziplinen, die unter je spezifischen Fragestellungen Religionen und religiöse Phänomene untersuchen und darstellen. Herkömmlicherweiser wird zwischen Historischer Religionswissenschaft und Systematischer Religionswissenschaft unterschieden: Die religionsgeschichtliche Forschung ist am geschichtlichen Werden interessiert und konzentriert sich auf die Untersuchung und Beschreibung des Besonderen, oft in Gestalt historischer Längsschnitte; die religionssystematische Forschung richtet demgegenüber ihre Aufmerksamkeit auf das Allgemeine und ist darum bemüht, in Form von Querschnitten Typisches herauszuarbeiten. Beide Zweige sind dabei eng aufeinander bezogen: Die Systematische Religionswissenschaft entwickelt ihre Systematik und ihre Typologien auf der Grundlage des empirischen Materials, das ihr die religionsgeschichtliche Forschung bietet; umgekehrt stellt die systematische Religionsforschung der Historischen Religionswissenschaft die Kriterien und Kategorien bereit, die für ein geordnetes Erfassen der geschichtlichen Vielfalt notwendig sind. Seit ihrer Emanzipation als eigenständige Disziplin im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hat sich die Religionswissenschaft in mehrere Teildisziplinen ausdifferenziert. Die Religionsgeschichte selbst blieb lange Zeit einer strikt philologischen Orientierung verhaftet; dies legte sich schon deshalb nahe, weil sie es vornehmlich mit schriftlichen Texten zumeist außereuropäischer Kulturen oder vergangener Epochen zu tun hatte. Innerhalb der Systematischen Religionswissenschaft erlangte seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Religionsphänomenologie so maßgebliche Bedeutung, dass die Termini „Religionsphänomenologie“ und „Systematische Religionswissenschaft“ bisweilen beinahe synonym gebraucht wurden. Ziel der Religionsphänomenologie war es, die verschiedenen religiösen Phänomene systematisch zu ordnen, ihre religiösen Inhalte zu bestimmen und auf diese Weise das „Wesen“ der Religion zu begreifen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Religionsphänomenologie in ihrer traditionellen Form unter heftige Kritik geraten. Erste zaghafte Neuansätze verzichten deshalb bewusst auf diese „Wesensschau“ und richten ihr Augenmerk auf die Frage nach den Intentionen, mit denen die Menschen den Phänomenen einen religiösen, d. h. für sie bindenden und nicht hinterfragbaren Sinn zuschreiben. Die Religionssoziologie beschäftigt sich mit Fragen der Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft. Als Bezeichnung für eine wissenschaftliche Disziplin geht sie auf Max Weber zurück und hat sich seither vornehmlich auf die Erforschung von Religionen in modernen, komplexen Gesellschaften konzentriert. Dabei ist sie insbesondere an Fragen wie der nach dem Verhältnis von Religion und gesellschaftlichen Organisationsfor-

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Systematisches Stichwort

men, Religion und Politik, Religion und sozialer Schichtung oder Religion und Familie interessiert; „Säkularisierung“, „Fundamentalismus“ und „Zivilreligion“ gehören z. T. schon seit vielen Jahrzehnten zu den wichtigsten Themen der Religionssoziologie. Gegenüber der Religionssoziologie hat sich die Religionsethnologie vornehmlich auf die Erforschung von Religionen in ehemals schriftlosen Kulturen – genauer: in weniger komplexen Gesellschaften – spezialisiert. Außerdem markiert das Kriterium des „kulturell Fremden“ eine weitere Differenz zwischen beiden Disziplinen, die sich in ihren Methoden kaum voneinander unterscheiden. Auf der theoretischen Ebene ihres Gegenstandsbereichs ist die Religionsethnologie u. a. mit der Analyse von Mythen befasst – den mündlichen Äquivalenten zu den „Heiligen Schriften“ –, auf der Ebene der religiösen Praxis beschäftigt sie sich beispielsweise mit der Untersuchung verschiedener Formen des Rituals; beide Ebenen werden allerdings stets in enger Wechselbeziehung gesehen. Bei ihrem Versuch, kulturell Fremdes wissenschaftlich zu erschließen, hat die Religionsethnologie seit einiger Zeit den Schwerpunkt auf die Erforschung von symbolischen Ausdrucksformen gelegt, über die sie Zugang zum Verständnis religiöser Bedeutungssysteme zu gewinnen hofft. Die Religionspsychologie ist demgegenüber vornehmlich mit der Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Religion befasst. Sie nimmt dabei ihren Ausgang bei der Feststellung, dass Religion – insbesondere auf der Ebene der religiösen Erfahrung und der religiösen Praxis – einen Ort im individuellen Erleben der Menschen hat. Sowohl empirisch arbeitende als auch tiefenpsychologisch orientierte Richtungen haben zur Entwicklung der Disziplin maßgeblich beigetragen; in jüngerer Zeit gewinnt die empirische Religionspsychologie aufgrund ihrer großen Erfahrung mit quantitativen und qualitativen Methoden für die Religionsforschung zunehmend an Bedeutung. Neben diesen „klassischen“ religionswissenschaftlichen Disziplinen sind noch weitere Forschungsrichtungen zu nennen, die in den letzten Jahrzehnten zur Entwicklung der Religionswissenschaft nicht unerheblich beigetragen haben: Die Religionsgeographie beschäftigt sich – häufig auch unter der Bezeichnung „Religion-Umwelt-Forschung“ oder „Geographie der Geisteshaltung“ – mit der Wechselwirkung von Religion und Umwelt, wobei sie sowohl die Prägung der Umwelt durch die Religion (Umweltprägung) als auch die Prägung der Religion durch die Umwelt (Umweltabhängigkeit) untersucht; die Religionsästhetik fragt nach dem, was an Religionen sinnlich wahrnehmbar ist, und versucht die komplexe Beziehung zwischen Religion und Wahrnehmungsprozessen zu analysieren; die Religionsökonomik als aufstrebende Subdisziplin der Religionssoziologie wiederum ist an der Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Wirtschaft interessiert, wobei sie sowohl die wirtschaftlichen Bedingungen als auch die ökonomischen Folgen religiösen Handelns in den Blick nimmt. Religionsbegründung und Religionskritik gehören ebenso wie die Religionsphilosophie zum Objektbereich akademischer Religionsforschung. Ihrem Selbstverständnis als Wissenschaft entsprechend, tritt die Religions-

Systematisches Stichwort

wissenschaft dabei allerdings ihrem Gegenstand – den Religionen – notwendigerweise „kritisch“ gegenüber. Eine Perspektive der Zusammenarbeit zwischen Religionswissenschaft und Philosophie eröffnet sich im gemeinsamen Bemühen um die Erarbeitung einer formalen Wissenschaftssprache auf der Grundlage klarer methodologischer Standards und Verfahrensweisen. Besonders strittig ist die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft. Weder die Synthetisierung in Gestalt einer „theologischen Religionswissenschaft“, noch die Abschottung einer vermeintlich wertfrei-objektiv arbeitenden Religionswissenschaft gegenüber der Theologie sind zukunftsfähige Modelle. Angesichts theologischer Vereinnahmungsstrategien sowie im Blick auf Immunisierungsstrategien von religionswissenschaftlicher Seite gilt es daran festzuhalten, dass die Religionswissenschaft als eigenständige akademische Disziplin mit der Theologie eine ganze Reihe von Berührungspunkten aufweist. Auch im Falle ihrer institutionellen Anbindung an theologische Fakultäten geht die Religionswissenschaft allerdings nicht in der Theologie auf. Gerade die Unterscheidbarkeit von Religionswissenschaft und Theologie eröffnet über ein methodisch kontrolliertes Nebeneinander hinaus die Perspektive auf ein sachlich gebotenes Miteinander. Im Laufe ihrer jungen Geschichte hat die Religionswissenschaft als akademische Disziplin ihre Position sowohl in den philosophischen und kulturwissenschaftlichen als auch in den theologischen Fakultäten – wenngleich hier im geringeren Maße – festigen können. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie gerade an den deutschen Universitäten nach wie vor in hohem Grade institutionell marginalisiert ist – und das angesichts einer Situation, in der Religion und Religionen in das Zentrum des aktuellen (welt-)politischen Geschehens gerückt sind: Mit Fragen wie der nach den Religionen als Akteuren globaler kultureller Konflikte, nach der Bedeutung sog. Neuer Religiöser Bewegungen oder nach der Dynamik religiöser Faktoren im Kontext von Migration und Integration stehen plötzlich hochbrisante politische Themen auf der religionswissenschaftlichen Tagesordnung. Wo Religion im Zusammenhang mit „kulturellen Konflikten“ ins Zentrum des öffentlichen Interesses tritt, ist die Religionswissenschaft in besonderer Weise ausgewiesen, diese Themen angemessen zu bearbeiten. Schon vor längerem hat sie nämlich einen Perspektivenwechsel vollzogen, der kürzlich auch in anderen akademischen Disziplinen beobachtet wurde: die Wende hin zu kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Indem sie Religion als kulturelles System begreift, positioniert sich die Religionswissenschaft als kulturwissenschaftliche Disziplin, deren Forschungsarbeit von nicht unerheblicher gesellschaftlicher Relevanz ist.

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II. Was ist Religion?

Bestimmungen des Begriffs religio

Die Frage nach dem Religionsbegriff führt unmittelbar in das Herz der Religionswissenschaft und zugleich in eine ihrer bedeutsamsten fachinternen Debatten, die in absehbarer Zeit nicht abgeschlossen sein wird – und wohl auch nicht abgeschlossen werden kann. Fast in jeder Einführung wird auf den Religionspsychologen James Leuba verwiesen, der bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts beinahe fünfzig verschiedene Definitionen von „Religion“ zusammengestellt hatte. Selbstverständlich verwarf er alle und bot statt dessen seine eigene als Alternative an. Inzwischen sind die Versuche, „Religion“ zu definieren, auf eine unüberschaubare Menge angewachsen, und es würde den Umfang dieses Bändchens sprengen, sie alle nur aufzuzählen. Auch wäre es wenig hilfreich, den vielen Definitionen von „Religion“ noch eine weitere hinzuzufügen und die Entscheidung hierfür ausführlich und langatmig zu begründen. Im Folgenden sollen deshalb lediglich einige Grundfragen des Umgangs mit dem Religionsbegriff angesprochen werden, um von da aus eine erste Orientierung im Dschungel der Religionsdefinitionen zu geben. Eines der Probleme bei der Bestimmung des Religionsbegriffs ist darin zu sehen, dass der Begriff selbst in einem ganz spezifischen kulturellen und historischen Umfeld entstanden ist – er gehört zunächst einmal in die abendländische Geistesgeschichte. Spätestens dann, wenn wir versuchen, den Religionsbegriff als Allgemeinbegriff auf Phänomene in anderen geschichtlichen und kulturellen Zusammenhängen zu übertragen, geraten wir in unerwartete Schwierigkeiten. Allerdings wird bereits der Begriff „Religion“ selbst nicht einheitlich verwendet, und sogar seine terminologische Ableitung ist umstritten. Zunächst beschreibt das lateinische religio, auf das er zurückgeht, „rücksichtsvolles Tun“ oder „gewissenhaftes Beobachten“. Wenngleich für die Römer im Wort religio vornehmlich der Aspekt der rituellen Exaktheit, des richtigen Tuns der religiösen Handlung angelegt ist, kann der Begriff in verschiedene Richtungen erschlossen werden. Cicero (106–43 v. Chr.) bestimmt religio in seiner Abhandlung De natura deorum („Über das Wesen der Götter“) als cultus deorum, also als „Götterkult“, als „Pflege“ oder „Verehrung“ der Götter, wobei das richtige rituelle Verhalten im Vordergrund steht. Quasi als Gegenbegriff zu neglegere, „vernachlässigen“, bezieht sich relegere, „sorgsam beachten“, auf den richtigen Handlungsablauf beim Gottesdienst oder genauer: beim „GötterDienst“. Cicero bringt damit das römische Verständnis von „Religion“ zum Ausdruck, dem zufolge es bei der Religion weniger darum geht, richtig zu glauben, als vielmehr darum, die auf die Götter gerichteten Handlungen richtig zu vollziehen – also nicht Orthodoxie, sondern Orthopraxis kennzeichnet die römische Religion. Lactantius, ein christlicher Schriftsteller und Redner aus dem 3./4. Jh.

Was ist Religion?

n. Chr., gibt allerdings eine andere Bedeutung an: Er leitet religio von religare ab – binden, wieder binden, rückbinden, zurückbringen. Später nimmt der große christliche Theologe Augustin (354–430) diese Bestimmung auf und beschreibt die religio vera, die „wahre Religion“ als diejenige, die darauf ausgerichtet ist, die Seele, die von Gott getrennt ist bzw. sich von ihm losgerissen hat, wieder mit Gott zu versöhnen und an ihn „zurückzubinden“. Kürzlich ist als dritte Variante vorgeschlagen worden, religio von rem ligare, „die Sache anbinden“ – im Sinne von „die Betriebsamkeit ruhen lassen“ – abzuleiten. Die Debatte über die zutreffende Ableitung des Terminus religio macht deutlich, dass die Bestimmung des Religionsbegriffs nicht im Sinne einer objektiven, „gegebenen“ Definition möglich ist, sondern an einen besonderen historisch-kulturellen Kontext gebunden bleibt. Allerdings spricht eine Reihe von Indizien für die Ableitung des Begriffs religio vom cultus deorum im Sinne des „richtigen Tuns“: So bezog sich der Gegenbegriff zu religio, die superstitio, nicht auf einen falschen Glauben (später: „Aberglauben“), sondern auf ein falsches Tun – falsch im Sinne einer inkorrekten oder auch übertriebenen, ohne Legitimation und Autorisierung vollzogenen Handlung. Ein weiteres Indiz für die Richtigkeit dieser Ableitung ist darin zu sehen, dass trotz der durch Augustin vorgenommenen theologischen Schwerpunktverlagerung des Verständnisses von religio auch im Christentum zunächst noch der Aspekt der Orthopraxis bewahrt geblieben ist: Religiosi sind Mönche und Nonnen, also Ordensleute, und der status religionis findet als status perfectionis vornehmlich im richtigen kultischen Handeln, nicht im „Geglaubten“ seinen Ausdruck. Zur Zeit der Reformation ergibt sich eine folgenschwere Akzentverschiebung in der Verwendung des Begriffs religio: Zum einen beginnen die Humanisten damit, religio mehr und mehr auf das zu beziehen, was der Volksmund als „gemeiner christlicher Glaube“ oder auch als „Bekenntnis“ bezeichnet; mit der Reformation wird „Religion“ dann zu einem Begriff, der eine kritische Funktion wahrnimmt – gegen „Aberglaube“ und „Magie“, aber auch gegen das in den Augen der Reformatoren unrechte kultische Tun der römisch-katholischen Kirche in ihren Gottesdiensten. Zum anderen setzt eine Tendenz zur Verallgemeinerung des Religionsbegriffs ein, die mit der Aufklärung nach und nach zum Durchbruch kommt: Zunächst wird „Religion“ zu etwas, das in konzeptioneller Gestalt als hinter, als Begriff über der Vielfalt der einzelnen Religionen steht – so bei David Humes (1711–1776) Verständnis von Religion als „natural religion“. Diese Entwicklung findet in der Spätaufklärung ihre Fortsetzung. Religion erscheint als ein ideales Ganzes, das nur in verkürzter und unzulänglicher Gestalt in den Religionen vorhanden ist. Damit tritt der Religionsbegriff zu den realen Religionen in ein doppeltes Spannungsverhältnis: Einerseits richtet er sich religionskritisch gegen die konkreten geschichtlichen Ausformungen der vorhandenen Religionen, indem er die Religion an sich zum archimedischen Punkt erklärt, von dem aus die Kritik an den konkreten Gestalten von Religion formuliert werden kann. Andererseits wird die Religion an sich der Religionskritik entzogen, da sie in einer sol-

der Wandel des Religionsbegriffs in der abendländischen Geistesgeschichte

die Verallgemeinerung des Religionsbegriffs in der Aufklärung

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Was ist Religion?

der Religionsbegriff im Dienst von Religionskritik und Religionsbegründung

Fehlende Entsprechungen zum modernen Religionsbegriff im klassischen Griechenland

chen formlosen Gestalt nirgendwo zu greifen ist. In diesem doppelten Spannungsverhältnis von Religion und Religionen spiegelt sich eine durchgängige Ambivalenz des aufgeklärten Religionsbegriffs, der Religionskritik und Religionsbegründung in sich aufzuheben beansprucht. Die sog. Ringparabel in Gotthold Ephraim Lessings (1729–1781) Schauspiel „Nathan der Weise“ ist hierfür ein besonders schlagendes Beispiel: Einerseits werden die konkreten Religionen – in diesem Fall: Judentum, Christentum und Islam – einer Kritik unterzogen, die sich vornehmlich gegen ihre jeweiligen Überlegenheitsansprüche und Vereinnahmungsversuche richtet. Andererseits gründet sich diese Kritik auf die Vorstellung der einen, wahren Religion an sich, die der Menschheit Zukunft und (Über-)Leben eröffnet. Gerade in der Anwendung des Allgemeinbegriffs „Religion“ auf die Christentumsgeschichte hat das erwähnte doppelte Spannungsverhältnis von Religionsbegriff und konkreten Religionen im 19. und 20. Jh. immer wieder sowohl zur Begründung einer Christentumskritik als auch zur Untermauerung des christlichen Absolutheitsanspruchs geführt: Einerseits wird mit dem allgemeinen Religionsbegriff der Anspruch des Christentums auf eine übernatürliche, vermeintlich „absolute“ Position jenseits der Geschichte grundsätzlich bestritten, und die christliche Religion kommt mit allen konkreten Religionen auf derselben Stufe und im Rahmen derselben Weltgeschichte zur Darstellung. Andererseits hat der Geschichtsevolutionismus in seiner Kombination mit der Konzeption von „Religion“ als Allgemeinbegriff im Singular dazu geführt, dass sich der Absolutheitsanspruch des Christentums auf neue Weise begründen ließ: durch die Annahme, „die Religion“ durchlaufe einen linearen Entwicklungsprozess und strebe auf diese Weise ihrer Verwirklichung in der Welt entgegen, wobei das Christentum als zivilisierteste und höchst entwickelte Gestalt von Religion diesem Ideal näher stünde als die anderen Menschheitsreligionen. Seit der Aufklärung haben wir also mit dem Problem zu tun, dass der Religionsbegriff als Begriff der abendländischen Geistesgeschichte einerseits seine Herkunft und seine inhaltlichen Bestimmungen dem spezifischen historisch-kulturellen Kontext Europas verdankt, dass er aber andererseits als Allgemeinbegriff den Anspruch erhebt, auch in anderen historisch-kulturellen Zusammenhängen etwas zu benennen, das dem entspricht, was er im („christlichen“) Abendland beschreibt. Doch die Sache liegt sogar noch komplizierter. Nicht nur in anderen Kulturen, sondern auch in anderen historischen Epochen gibt es zum Begriff „Religion“ keine unmittelbare Entsprechung. Selbst die Wiege der abendländischen Kultur, das klassische Griechenland, kennt keinen Terminus, der unserem Religionsbegriff korrespondiert: Eusébeia bezeichnet Ehrfurcht und Scheu, aber die gilt keineswegs nur gegenüber den Göttern, sondern auch gegenüber Menschen – verehrungswürdigen Personen – oder Dingen – bewährten Werten und Normen; latreía kann sich zwar auch auf einen kultischen Dienst beziehen, benennt zunächst jedoch ganz allgemein und im profanen Sinne eine Dienstleistung; und threskéia beschreibt einen konkreten Vorgang im Sinne einer Gebotserfüllung. Zwar gibt es gemeinsame Schnittmengen zwischen diesen Begriffen und unserem Religionsbegriff, doch geht die Bedeutung der griechischen Termini weit über

Was ist Religion?

das hinaus, was wir als „Religion“ bezeichnen würden. Unser Religionsbegriff grenzt also wichtige Aspekte aus, die nach griechischem Verständnis – zumindest begrifflich – von „Religion“ nicht abzutrennen sind, und wäre somit zu eng, um alle von den griechischen Termini erfassten Bereiche mit einzubeziehen. Der Sachverhalt wird nicht leichter, wenn wir uns in kulturellen Kontexten außerhalb des Abendlandes auf die Suche nach terminologischen Entsprechungen zu unserem Religionsbegriff begeben. Im islamischen Bereich gilt das Arabische dîn als ein solcher Terminus. Dieser Begriff leitet sich von der semitischen Wurzel dâna ab, was ungefähr bedeutet: etwas entrichten – nämlich das, was man (Gott) schuldig ist – und birgt somit ganz andere Assoziationen in sich als unser Religionsbegriff. So spricht der Koran etwa vom yawm ad-dîn – vom „Tag des Gerichts“. Im arabischen Sprachgebrauch kann dîn (Plural: adyân) durchaus eine Religion bzw. Religionen in unserem Sinne bezeichnen. Zugleich beschreibt dîn allerdings auch wieder mehr als bloß „Religion“, nämlich (von Recht und Ordnung geprägte) Lebensformen, Brauch und Sitte. Im indischen Bereich liegt der Sachverhalt nochmals anders. Hier ist der entsprechende Begriff dharma, aus dem Sanskrit, von der Wurzel dhr abgeleitet, was so viel wie „tragen“, „halten“ bedeutet. Dharma umfasst eine außerordentlich große Bedeutungs- und Assoziationsbreite, und das Spektrum reicht hier von mythischen Vorstellungen, nach denen die Götter den Kosmos „zusammenhalten“, über die Vorstellung eines kosmischen Ordnungsprinzips oder ein Verständnis von dharma als „Gesetz“, bis hin zur Bezeichnung für die Kastenordnung in hinduistischen Traditionen, die mit dieser Verwendung des Begriffs Aspekte des rituellen und sozialen Ordnungssystems in den Vordergrund stellen. In den Traditionen des Buddhismus wiederum wird der Begriff – im Pali als dhamma – auf die Lehre des Buddha bezogen, zum Teil auch auf den sog. „Achtfachen Pfad“ als Konkretisierung dieser Lehre; darin spiegelt sich sogleich das buddhistische Selbstverständnis wider, dass der Buddha keine metaphysischen Wahrheiten und keine „religiösen“ Dogmen verkündet habe, sondern in seiner Lehre lediglich die Ordnung der Dinge, wie sie wirklich ist – den dharma –, zum Ausdruck bringe. Dharma kann jedoch auch das Lehrsystem anderer Lehrer – oder gar die Lehre und das „Gesetz“ anderer Religionen – bezeichnen. Doch damit nicht genug: Dharma beschreibt die Praxis der Lehre bzw. Weltordnung im Sinne ihrer Verwirklichung bis zum nirvana – das selbst wiederum mit dharma synonym gebraucht werden kann; dharma kann als ethische Kategorie aber auch das rechte Verhalten bezeichnen; und schließlich wird es als ontologische, also das Seinsverständnis betreffende Kategorie zur Beschreibung derjenigen Faktoren verwendet, auf denen nach buddhistischem Verständnis die Existenz der Dinge beruht. Auch hier wird deutlich, dass es nur eine vergleichsweise kleine gemeinsame Schnittmenge zwischen unserem Religionsbegriff und der weiten Bedeutungsbreite von dharma gibt. Das Problem setzt sich fort, wenn wir weitere Termini zu unserem Religionsbegriff in Beziehung setzen: Wählen wir aus dem ostasiatischen Bereich den Begriff des dao – als „Weg“ oder „Prinzip“, das allem Wirklichen

Religion als dîn?

Religion als dharma?

Religion als dao?

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Was ist Religion?

der Religionsbegriff zwischen Allgemeingültigkeit und Kulturgebundenheit

zugrunde liegt –, so öffnen sich nochmals ganz neue Perspektiven auf die von uns mit „Religion“ gemeinte Sache; dao hat in diesem Zusammenhang nämlich auf der einen Seite eine spezifischere, auf der anderen Seite eine allgemeinere Bedeutung als „Religion“, indem er die Ordnung des Weltganzen bezeichnet, zugleich jedoch die Harmonie widersprüchlicher, zugleich aber zusammenhängender, sich gegenseitig bedingender Prinzipien beschreibt. Versuchen wir, die Vielfalt chinesischer Religionen durch eine Art Sammelbegriff zu bestimmen – durch den Terminus bai shen, ca. „Verehrung der Götter“ –, so bewegen wir uns wiederum in einem Bereich, der unserem Religionsverständnis einerseits sehr nahe kommt, andererseits aber lediglich einen Aspekt von „Religion“ im chinesischen Kontext in den Blick nimmt. Gänzlich den Boden unter den Füßen zu verlieren scheinen wir beispielsweise bei afrikanischen oder ozeanischen Religionen, wo wir zumeist nichts finden, was sich als klar unterscheidbarer Teilbereich „Religion“ vom Gesamtkontext der Kultur abhebt – kein Wunder, dass früher Reisende oder Ethnographen, die mit diesen Kulturen konfrontiert waren, entweder meinten, es gäbe dort überhaupt keine Religion, oder zu dem Schluss kamen, dort sei alles Religion. Was wir auch versuchen: Entweder ist unser Begriff „Religion“ zu eng oder zu weit, um das zu erfassen, was in anderen religiösen und kulturellen Traditionen mit Termini beschrieben wird, die unserem Religionsbegriff zu korrespondieren scheinen. In diesen Termini schwingen zudem unterschwellig Bedeutungen mit, die nicht unmittelbar dem entsprechen, was wir im Sinn haben, wenn wir an „Religion“ denken. Die Frage ist also: Findet sich in der Vielfalt der Religionen tatsächlich so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner, der berechtigterweise mit dem Begriff „Religion“ als Allgemeinbegriff wiedergegeben werden kann? Oder versperrt die Anwendung eines generellen Religionsbegriffs nicht gerade ein angemessenes Verständnis der Einzel„religion“, da wir in diesem Fall immer schon unsere Wahrnehmung der anderen Religion auf das reduzieren, was unserem Verständnis von „Religion“ entspricht? Jedenfalls gibt es gute Gründe, einen solchen Einwurf ernst zu nehmen. Unabhängig davon, wie wir diese Fragen beantworten, ändert das nichts am Grundproblem: Es bleibt eine letztlich unauflösbare Spannung bestehen, die sich daraus ergibt, dass unser Religionsbegriff einerseits an den historisch-kulturellen Kontext des Abendlandes gebunden bleibt, dass er andererseits aber als Allgemeinbegriff beansprucht, entsprechende Phänomene außerhalb dieses historisch-kulturellen Kontextes, dem er selbst entstammt, angemessen zu erfassen. Dieses Problem wäre gelöst, wenn es gelänge, das allen Religionen Gemeinsame zu identifizieren und begrifflich als „Religion“ zu fassen. Diesbezügliche Bemühungen gehen bislang vornehmlich in zwei Richtungen: Einerseits wird versucht, dieses Gemeinsame in bestimmten Inhalten, in einer gemeinsamen „Substanz“ zu suchen (substanzialistisches, bisweilen auch substanzielles Verständnis); manche Religionsforscher hoffen gar, auf diese Weise das allen Einzelreligionen zugrunde liegende „Wesen“, die „Essenz“ der Religion ausfindig zu machen. Ein anderer Versuch besteht darin, nach dem zu fragen, was die verschiedenen Religionen – unabhän-

Was ist Religion?

gig von ihren unterschiedlichen Inhalten – leisten, welche Strukturen jenseits einzelner, je eigener Gegenstände und inhaltlicher Aspekte ihnen gemeinsam sind, welche Funktionen sie erfüllen (funktionales Verständnis, das auch dem funktionalistischen zugrunde liegt, von diesem hier aber terminologisch unterschieden werden soll). Was das substanzialistische Verständnis von „Religion“ betrifft, so werden die Inhalte, die den kleinsten gemeinsamen Nenner der Religionen auszumachen scheinen, verschieden eng oder weit bestimmt. Aufgrund der Bindung des Religionsbegriffs an die abendländische Kultur- und Geistesgeschichte überrascht es dabei nicht, dass oftmals „Gott“ als konstitutives Grundelement solcher Definitionen genannt wird – bisweilen ganz konkret, manchmal auch in Gestalt eines Abstraktums („Gottheit“) oder im Plural („Götter“). So hat etwa Günter Lanczkowski Religion definiert als „ein unableitbares Urphänomen, eine Größe sui generis, die konstituiert wird durch die existenzielle Wechselbeziehung zwischen Mensch und Gott einerseits, … und andererseits den Reaktionen des Menschen, seine ‘Richtung auf das Unbedingte’“(12: 33 f.). Mit den Hinweisen auf das Urphänomen Religion sowie auf die Unableitbarkeit und Besonderheit von Religion als Erscheinung ganz eigener Qualität – sui generis – bestimmt Lanczkowski Religion als etwas, das allen Menschen gemeinsam ist und darin besteht, dass die Menschen Gott existenziell erfahren und darauf reagieren. Gott wird so zur konstitutiven Größe von Religion, Religion ohne Gott kann es nicht geben. Mit einer solchen Religionsdefinition steht Lanczkowski nicht alleine. Eine der „klassischen“ Bestimmungen von „Religion“ im Rahmen einer frühen Religionstheorie, die im Rahmen kulturanthropologischer Fragestellungen formuliert worden war und noch ganz unter dem Einfluss des Evolutionismus stand, kann als Vorläufer dieser Definition betrachtet werden: Edward Burnett Tylor (1832–1917) definierte Religion als „Glaube an geistige Wesen“ (133: 383 f.). Diese Definition unterscheidet sich von der Lanczkowskis lediglich dadurch, dass Tylor annimmt, im Frühstadium der religiösen Menschheitsentwicklung habe der Glaube an Geister gestanden, der später durch den Glauben an viele Götter (Polytheismus) bzw. an einen Gott (Monotheismus) abgelöst worden sei; als Allgemeinbegriff für Götter (im Singular oder Plural), Geister oder andere höhere Wesen dient ihm dabei der Terminus „geistige Wesen“ (spiritual beings). Auch der Religionssoziologe Milford E. Spiro definiert in dieser Tradition Religion als Institution, die aus einer „kulturell geprägten Interaktion mit kulturell postulierten übermenschlichen Wesen (superhuman beings)“ (zit. nach 23: 21) besteht. Günther Kehrer, der sich diesem Verständnis von Religion anschließt, stellt zu Recht fest, dass „alle substanziellen Definitionen von Religion in der einen oder anderen Weise auf die Bestimmung zulaufen, dass Religion der Glaube an übernatürliche Wesen sei und somit letztlich Modifikationen der Tylorschen Definitionen sind“ (ebd: 23). Gegen solche Religionsdefinitionen ist wiederholt der Einwand erhoben worden, dass nicht alle Religionen so etwas wie Gott, Götter oder „übernatürliche Wesen“ kennen, wobei u. a. immer wieder auf den frühen Buddhismus verwiesen wird. Andere substanzialistische Religionsdefinitio-

Substanzialistisches Religionsverständnis

Religion als Glaube an „höhere Wesen“

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Was ist Religion?

Heiligkeit und Transzendenzerfahrung

funktionales Religionsverständnis

soziale Integration

nen versuchen, diese Schwierigkeit zu umgehen, indem sie abstraktere Grundgegebenheiten als Inhalt bzw. Gegenstand von Religion bestimmen. Insbesondere in der Tradition der klassischen Religionsphänomenologie ist, der Begriff des Heiligen oder der Heiligkeit an diese Stelle gerückt. Nathan Söderblom hat explizit festgestellt, dass Religion auch „ohne bestimmte Auffassung von der Gottheit“ möglich ist, und kommt zu dem Schluss: „Heiligkeit ist das bestimmende Wort in der Religion“ (Hervorhebung von mir, K. H.; zit. n. 73: 76). Gleichzeitig definiert Rudolf Otto in seinem gleichnamigen Werk Das Heilige als grundlegende Kategorie, mit der „Religion“ erfasst wird. Dieser Traditionsstrang wird vielfach aufgenommen und weitergesponnen: Für Gustav Mensching „ist Religion erlebnishafte Begegnung des Menschen mit der Wirklichkeit des Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen“ (37:15); und Mircea Eliade behauptet zwar, aufgrund der von ihm gewählten Methodik einer morphologischen Darstellung religiöser Phänomene der Verantwortung enthoben zu sein, „Religion“ zu definieren, de facto bezieht er sich jedoch auf die Kategorie des Heiligen, das sich seiner Meinung nach in der Gestaltungsart verschiedener Erscheinungsformen des Heiligen – in der „Modalität“ unterschiedlicher „Hierophanien“ (76: 31 f. u. passim) – manifestiert. Andere substanzialistische Religionsdefinitionen abstrahieren noch stärker und bestimmen Transzendenz bzw. die Transzendenzerfahrung als Grundgegebenheit von Religion. Doch es ist fraglich, ob damit tatsächlich das allen substanzialistischen Religionsdefinitionen gemeinsame Problem gelöst werden kann: dass nämlich eine inhaltliche Bestimmung des Religionsbegriffs bestimmte „Religionen“ ausschließt. Inwieweit beispielsweise für den frühen Buddhismus, aber auch für den Konfuzianismus oder den Daoismus „Transzendenz“ bzw. „Transzendenzerfahrung“ konstitutiv ist, bleibt strittig. Solche Schwierigkeiten scheinen denjenigen Definitionen erspart zu bleiben, die auf substanzielle Bestimmungen von Religion verzichten. Sie fragen nicht, was Religion ist, sondern was sie tut bzw. was sie bewirkt, also was sie leistet und welche Funktionen sie erfüllt. Damit verbindet sich die Annahme, dass die Religion auf allgemeine und grundlegende menschliche Probleme reagiert, die nicht „technisch“ lösbar sind – auf Grundbedürfnisse, auf Sinnfragen, auf existenzielle Krisen etc. –, und dass ihre Leistung darin besteht, für diese Probleme „Lösungen“ anzubieten. Religion gehört folglich zum Menschsein des Menschen. Fraglich ist jedoch, inwieweit die genannten Probleme „an sich“, also kulturunabhängig auftreten; wenn dies nicht der Fall ist, müssen auch die Antworten darauf, was Religion leistet, je nach kulturellem Kontext äußerst unterschiedlich ausfallen, und wir haben es plötzlich mit einer Vielzahl funktionaler Religionsbestimmungen zu tun. Von Bedeutung ist jedoch auch die Frage, welche Leistung von Religion im Blick auf das Ganze der Kultur erwartet wird: In der Perspektive „klassischer“ funktionalistischer Modelle – hier wäre an erster Stelle auf den Hauptvertreter des ethnologischen Funktionalismus, Bronislaw Malinowski (1884–1942), aber auch schon auf den Religionssoziologen Émile Durkheim (1858–1917) zu verweisen – besteht die Hauptfunktion der Religion

Was ist Religion?

in der Integration der Gesellschaft. Damit verbindet sich zumeist ein Harmoniemodell von Kultur: Kultur, so die Annahme, „funktioniere“ in idealer Weise, wenn die verschiedenen Teilbereiche, aus denen sie existiert (Wissenschaft, Wirtschaft, Recht, Religion …), einander harmonisch ergänzen und aufeinander eingespielt sind. Die besondere Funktion und Leistung der Religion bestünde in diesem Zusammenhang darin, die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und auf diese Weise das harmonische Funktionieren der Gesellschaft zu gewährleisten. Aber trifft dies wirklich zu? Belegen nicht viele Beispiele – gerade aus der jüngsten Religionsgeschichte –, dass Religion auch eine desintegrierende Funktion hat und in dieser Gestalt gerade destabilisierend wirken kann? Auch funktionale Bestimmungen von Religion haben ihre Grenzen: Je konkreter sie auf bestimmte Kulturen bezogen sind, desto unterschiedlicher werden die Antworten auf die Frage ausfallen, was Religion ist. Ähnlich wie substanzialistische Religionsdefinitionen fallen funktionale Religionsbestimmungen umso allgemeiner aus, je abstrakter die Leistung von „Religion“ bestimmt wird. Ein Beispiel für einen besonders hohen Abstraktionsgrad ist die Religionstheorie des 1998 verstorbenen Religionssoziologen Niklas Luhmann, der die Leistung der Religion in etwa folgendermaßen bestimmt: Die Welt ist kontingent – d. h. sie ist zufällig so, wie sie ist, könnte aber auch anders sein; angesichts dieser Situation der Unsicherheit und Unbestimmtheit überführt die Religion Unbestimmbares in Bestimmbares, indem sie Komplexität reduziert: Sie wählt aus der Unendlichkeit aller Möglichkeiten aus und erzeugt auf diese Weise „Sinn“. Die besondere Leistung der Religion besteht also in ihrer orientierenden Funktion. Religion ist Kontingenzbewältigungspraxis durch Reduktion von Komplexität. Aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades lässt sich Luhmanns Religionsdefinition relativ leicht auf je konkrete, unterschiedliche Religionsformen anwenden. Doch wie die von Luhmann, so sind auch die anderen funktionalen Religionsbestimmungen vielseitiger Kritik unterzogen worden: Sie würden die spezifischen Inhalte und damit auch die „Innensicht“ der Religion völlig ignorieren, die Religion auf bloß Nicht-religiöses reduzieren und durch ihre Frage nach der Leistung bzw. der Funktion von Religion religiöse und nicht-religiöse Elemente völlig austauschbar machen. Sowohl substanzialistische als auch funktionale Religionsbestimmungen weisen offensichtlich eine Reihe von Problemen auf, die uns deutlich vor Augen führen, dass wir von einer klaren Definition von „Religion“ wohl noch weit entfernt sind. Angesichts der Grenzen und Unzulänglichkeiten beider Herangehensweisen ist eine „Kombination der funktionalen und substanziellen Methode“ vorgeschlagen worden, um einer Religionsdefinition schrittweise näher zu kommen und die jeweiligen Schwächen der funktionalistischen Bestimmungen durch die Stärken der substanzialistischen aufzuheben und umgekehrt: „Dem Außenaspekt der Religion ist durch die Verknüpfung der religiösen Inhalte und Formen mit dem Problem gesellschaftlicher und individueller Sinnkonstitution Rechnung getragen, dem Innenaspekt der Religion durch die Berücksichtigung ihres Transzendenzbezuges und der Veranschaulichungsformen des Transzendenten“ (186: 190). Doch auch eine

Orientierung und Sinngebung

Aporien substanzialistischer und funktionaler Religionsbestimmungen

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Was ist Religion?

Religion als „offenes Konzept“

Religion als Orientierungssystem

solche Kombination von funktionalen und substanzialistischen Bestimmungen von „Religion“ dürfte uns angesichts der Vielfalt der Selbst- und Fremdbestimmungen von „Religion“ auf absehbare Zeit keinen allgemeinen, alle Religionen umfassenden, über-historischen Begriff von Religion bescheren. Eine aus dem abendländisch-“christlichen“ Kontext stammende Religionsdefinition wird sich zunächst wohl immer an dem orientieren, was ihr im Rahmen ihrer Kulturgeschichte als „Religion“ bekannt ist. Wie der Zürcher Religionswissenschaftler Fritz Stolz festgestellt hat, formen sich dabei „Erfahrungen mit Christentum, Judentum, Islam und Antike … zu einem „prototypischen“ Bild von Religion … Von diesem prototypisch orientierten Ausgangspunkt her liegt eine substanzialistische Fragestellung nahe, welche das „Wesentliche“ einer Religion in bestimmten Inhalten sucht. Allerdings wird diese Fragestellung mit zunehmender Entfernung vom kulturellen und historischen Umfeld des Prototyps immer problematischer“ (15: 34). Hinzu kommt, dass sich auch im Kontext substanzialistischer Religionsdefinitionen nicht trennscharf bestimmen lässt, was nun genau „Religion“ ist, und was nicht. Religion als kulturelles Phänomen ist mit anderen Bereichen der Kultur – Wirtschaft, Recht, Kunst, politischer oder sozialer Ordnung etc. – so verschmolzen, dass sie nicht als eigenständige Erscheinung, sondern nur in dieser Verwobenheit in den Blick kommen kann: als Teil der Wirtschaft (z. B. Verbot von Sonntagsarbeit), als Teil des Rechts (z. B. als islamisches Personalstatutsrecht), als Teil der Kunst (z. B. als Gemälde mit religiösen Motiven), als Teil der sozialen oder politischen Ordnung (z. B. als Krönungszeremonie) … Religion ist also nicht an eindeutigen Inhalten festzumachen, ist nicht in ihrem „Wesen“ zu fassen. Von daher liegt es in der Tat nahe, auf eine Definition des Religionsbegriffs zu verzichten, wie beispielsweise der Bremer Religionswissenschaftler Hans Kippenberg vorgeschlagen hat. Dies trifft sich mit der auch bei anderen Religionswissenschaftlern zu beobachtenden Neigung, die Frage offen zu lassen bzw. Religion als „offenes Konzept“ zu bestimmen (18: 33). Ein solcher Verzicht auf die Bestimmung des Religionsbegriffs birgt allerdings neue Probleme in sich: Wenn „Religion“ tatsächlich nicht definiert werden kann – würde dies nicht bedeuten, auf Religionswissenschaft als eigenständige Disziplin ganz zu verzichten und sie in ihre Teildisziplinen – von den Philologien, der Soziologie und der Ethnologie über die Psychologie bis hin zur Orientalistik und anderen kulturwissenschaftlichen Fächern – aufzulösen oder völlig in eine größere Einheit – der Theologie oder der Philosophie – aufgehen zu lassen? Soll an der Eigenständigkeit der Religionsforschung als wissenschaftlicher Disziplin festgehalten werden, müsste also vielleicht nicht unbedingt eine enge Definition, zumindest aber eine annähernde Bestimmung von „Religion“ vorgenommen werden. In der Tat wurde und wird dies von verschiedener Seite versucht. Nicht selten bemühen sich dabei diesbezügliche Vorschläge um eine Vermittlung von funktionalem und substanzialistischem Religionsverständnis. Jacques Waardenburg etwa bestimmt „Religion auf abstrakter Ebene vor allem als Orientierung, Religionen als eine Art Orientierungssysteme“ (ebd: 34). Dies hat Vorteile in zwei Richtungen: Einerseits wird der Religionsbegriff

Was ist Religion?

nicht zu eng definiert, sondern offen gehalten, so dass auch solche Orientierungssysteme in den Blick genommen werden können, die sich selbst als nicht-religiös einordnen, bei genauerer Prüfung jedoch durchaus religiöse Elemente aufweisen; andererseits wird der Religionsbegriff nicht ins Beliebige ausgeweitet, sondern beschreibt verwandte Phänomene, die gewisse Merkmale gemeinsam haben. Waardenburg selbst nennt unter anderem Elemente wie „besondere Erfahrungen und Verhaltensweisen, die sich auf religiöse Kräfte und Zusammenhänge beziehen, die dem Leben und der Welt zugrundeliegen sollen …, für absolut gültig gehaltene Normen und Werte …, bestimmte jenseitige, unbedingt, ja absolut geltende Bezugspunkte, die sinngebend wirken …“ (ebd: 34 f.). Die religiöse Funktion dieser Orientierungssysteme sieht er darin, dass „ihre Sinngebung auch tatsächlich als objektiv, absolut geltend und somit evident hingenommen wird“ (ebd.: 35). Mit dieser funktionalen Bestimmung wird es möglich, einerseits Veränderung von „Orientierungssystemen“ weg von Religionen und hin zu „rein sozialen Systemen“ zu beobachten sowie andererseits die „religiöse“ Wirkung nicht-religiöser Orientierungssysteme religionswissenschaftlich zu analysieren. Auch von anderer Seite wurde verschiedentlich versucht, Kriterien zu benennen, die das mit „Religion“ Gemeinte näher bestimmen lassen, ohne es in das Zwangskorsett einer engen Definition zu pressen. Hier wäre unter anderem auf die von Charles Glock und Rodney Stark entwickelten Versuche zu verweisen, verschiedene „Dimensionen“ von Religiosität zu beschreiben: die ideologische Dimension, die ritualistische Dimension, die Dimension der Erfahrung, die intellektuelle Dimension, sowie die handlungspraktische Dimension. Glock selbst hat die von ihm vorgeschlagenen fünf Dimensionen später auf vier reduziert, andere wiederum fanden mehr als fünf Dimensionen: Der 2001 verstorbene britische Religionswissenschaftler Ninian Smart etwa unterscheidet in seinem Standardwerk über die religiöse Erfahrung der Menschheit die rituelle, die mythologische, die Lehr-, die ethische, die soziale und die Erfahrungsdimension; Ursula BoosNünning wiederum erweitert die fünf von Glock und Stark genannten Dimensionen um eine sechste – die Bindung an die Gemeinde –, fasst mehrere andere aber in der übergeordneten Kategorie „Allgemeine Religiosität“ zusammen. Diese Beispiele zeigen, dass auch die Bestimmung verschiedener Dimensionen oder Komponenten von „Religion“ äußerst uneinheitlich ist, ja widersprüchlich bleibt. Doch dieser Versuch, eine Reihe von Faktoren zu identifizieren, die es erlauben, das Bedeutungsfeld „Religion“ näher zu erschließen, zeigt uns zweierlei: Erstens sind die „handelsüblichen“ Definitionen von „Religion“ zumeist dadurch gekennzeichnet, dass sie ihren Gegenstand „eindimensional“ bestimmen. Dabei wird aus der Vielfalt der Faktoren ein bestimmter Aspekt ausgewählt und zur Grundlage der jeweiligen Religionsdefinition erhoben. Religion erscheint dann als „Glaube“, als „Erfahrung“, als „Ethik“, als „Denksystem“, als (rituelle) „Handlung“ usw. Ein solches Vorgehen reduziert „Religion“ also auf einen bestimmten Aspekt, muss sie jedoch zugleich – um die Definition allgemein gültig zu halten – so stark abstrahie-

Dimensionen von Religion

Komplexität und Pluralität der Bestimmung von „Religion“

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Was ist Religion?

Religion als wissenschaftliches „Konstrukt“

ren, dass die konkrete, gelebte Religion hinter der abstrakten Bestimmung kaum noch erkennbar ist. Zugleich verrät die so gewonnene Definition von Religion eine ganze Menge über diejenigen, die sie erstellt haben, ja sie sagt zumeist mehr über die Positionen und Vorlieben der Forschenden aus, als über die Religion selbst. Diese Beobachtung führt zur zweiten Feststellung: „Religion“ umfasst eine ganze „Familie“ von Komponenten. Der Religionsbegriff muss sich also auf eine Sammlung von verschiedenen Faktoren, Kriterien und Dimensionen beziehen, die – zusammen genommen – einen Rahmen beschreiben, innerhalb dessen die Religionswissenschaft ihren Gegenstand einzeichnen kann. Dieser Rahmen ist allerdings nicht „objektiv gegeben“, sondern durch die Tätigkeit der Religionswissenschaftler „konstruiert“: Sie – die Forschenden – sind es, die aus zusammengehörigen Elementen und Ausdrucksformen ein idealtypisches Raster erstellen, das bestimmt, was als „Religion“ gelten kann. Was also ist „Religion“? Zunächst ein wissenschaftliches Konstrukt, das ein ganzes Bündel von Bestimmungen funktionaler und inhaltlicher Art umfasst, mit dem zusammengehörige Elemente und Ausdrucksformen in einem Raster als Gegenstandsbereich religionswissenschaftlicher (und anderer) Forschung – als „Religion“ – erfasst werden können. Hierzu gehören u. a. Dimensionen der Ethik und des sozialen Handelns (Normen und Werte, Verhaltensmuster, Lebensformen), rituelle Dimensionen (kultische und andere symbolische Handlungen), kognitive und intellektuelle Dimensionen (Lehr- und Glaubenssysteme, Mythologien, Kosmologien etc., also das gesamte „religiöse“ Wissen), sozio-politische und institutionelle Dimensionen (Organisationsformen, Recht, religiöses Expertentum usw.), symbolisch-sinnliche Dimensionen (Zeichen und Symbole, religiöse Kunst, Musik etc.) und Dimensionen der Erfahrung (Berufungs- und Offenbarungserlebnisse, Gefühle mystischer Einheit, Heilungs- und Heilserlebnisse, Gemeinschafts- und Verschmelzungserfahrungen …). Mit diesen Bestimmungen wird auf eine eindeutige Definition von „Religion“ verzichtet, der Religionsbegriff bleibt im Sinne Waardenburgs bewusst offen. Dabei tritt dann auch die Frage, ob eher einem substanzialistischen oder einem funktionalen Religionsverständnis der Vorzug zu geben sei, in den Hintergrund, zumal die Möglichkeit erhalten bleibt, zwischen beiden Ansätzen zu vermitteln. Zugleich geraten die Forschenden selbst in den Blick, die in ihrer „konstruierenden“ Tätigkeit die einzelnen Dimensionen des religionswissenschaftlichen Gegenstandsbereiches verschieden gewichten und bei der Bestimmung von „Religion“ entsprechend unterschiedliche Akzente setzen. In der Religionswissenschaft besteht allerdings ein weitgehender Konsens darüber, dass ein religionswissenschaftliches Verständnis von „Religion“ nicht selbst „religiös“ sein darf, dass also strikt zu unterscheiden ist zwischen religiösem Diskurs – religiösen Aussagen, Handlungsträgern, Symbolen und Kategorien usw. – und religionswissenschaftlicher Konstruktion – der Bestimmung zusammengehöriger Elemente und Ausdrucksformen mit Hilfe eines Rasters formaler Begriffsbildungen auf der Ebene einer „Meta-Sprache“, einer wissenschaftlichen Fachsprache jenseits religiöser Rede.

Was ist Religion?

An dieser Stelle ist jedoch darauf zu achten, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Feststellung, dass es sich beim Religionsbegriff um ein wissenschaftliches Konstrukt handelt, besagt nun nicht, dass wir es mit einer bloßen Fiktion zu tun hätten, die in der Realität keine Entsprechung fände. Vielmehr schlägt sich „Religion“ nicht nur in unserer Alltagssprache nieder, sondern findet beispielsweise in Recht und Gesetzgebung als Gegebenheit ihre Beachtung. Religion ist damit mehr als nur Schall und Rauch – sie ist eine soziale Realität, ein spezifischer Kommunikationsprozess, der Wirklichkeiten schafft und durch soziale Handlungen selbst reale Gestalt gewinnt. Wir müssen uns allerdings der Tatsache bewusst sein, dass „Religion“ sowohl hinsichtlich inhaltlicher Bestimmungen als auch im Blick auf ihre Funktionen gegenwärtig einem rapiden Wandel und tiefgreifenden Veränderungen unterworfen ist. Politische Religion, Sport als Religion, Religion in der populären Kultur, Religion und Medien, neue Religiosität, New Age usw. wären einige der Schlagworte, die einen solchen Wandel anzeigen. Diese Umbrüche könnten uns nötigen, nach einem neuen Religionsbegriff zu suchen, der die veränderte Situation in angemessener Weise reflektiert.

die Realität der Religion

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III. Religionsgeschichte Die Religionswissenschaft als akademische Disziplin steht auf zwei Säulen: der Historischen Religionswissenschaft oder Religionsgeschichte, und der Systematischen Religionswissenschaft, auch Vergleichende Religionswissenschaft genannt. Diese Unterscheidung geht auf den Religionswissenschaftler Joachim Wach (1898–1955) zurück, der bereits 1924 vorgeschlagen hatte, das Fach entsprechend zu gliedern. Heute wie damals bezieht sich die Unterscheidung dabei auf zwei Teilgebiete der Religionswissenschaft, nicht auf zwei Fächer. Dieser Hinweis ist wichtig, da die Religionswissenschaft als akademische Disziplin unter verschiedenen Namen geführt wird: Wo sie in theologischen Fakultäten angesiedelt ist, heißt sie nicht selten „Religionsgeschichte“. Das bedeutet allerdings nicht, dass dort nur Historische Religionswissenschaft betrieben würde. Hier wie andernorts arbeiten die meisten Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler in beiden Sektoren des Faches.

1. Religionsgeschichte als Fremdbeschreibung

Allgemeine, Besondere und Spezielle Religionsgeschichte

Die Historische Religionswissenschaft zielt darauf, die geschichtlichen Entwicklungen von einzelnen Religionen bzw. innerhalb derselben nachzuzeichnen. Religionsgeschichte ist also zunächst „Arbeiten am Besonderen“ (11: 35), wobei die ganze Vielfalt der Religionen zum Gegenstand des Interesses werden kann: Lehre und Glaubenspraxis, Brauchtum und Organisationsgestalt, die Ausformung von Traditionen innerhalb der Religion wie ihre Beziehung zu anderen Religionen. Dabei bedient sich die Religionsgeschichte der üblichen historisch-kritischen Methoden und sucht die Unterstützung von benachbarten Wissenschaften wie Psychologie, Soziologie, Ethnologie etc. Unter formalen Gesichtspunkten lässt sich die Religionsgeschichte nochmals unterteilen in Allgemeine, Besondere und Spezielle Religionsgeschichte. Die Allgemeine Religionsgeschichte ist bemüht, wie schon der Name sagt, die Gesamtheit der Religionen in ihrer historischen Dimension in den Blick zu nehmen und darzustellen. In der Besonderen Religionsgeschichte geht es um die Darstellung des historischen Werdens und Wachsens einer Religion, also um die Geschichte beispielsweise des Hinduismus oder des Judentums. Die Spezielle Religionsgeschichte wiederum richtet ihren Blick auf die Geschichte einzelner Elemente entweder innerhalb einer bestimmten Religion oder im Zusammenhang einer mehrere Religionen übergreifenden religiösen Tradition. Beispiele für Ersteres wären etwa die historischen Entwicklungen der islamischen Engelslehre oder der buddhistischen Ethik, Beispiele für Letzteres die geschichtlichen Ausprägungen der Gestalt Abrahams in Judentum, Christentum und Islam, oder die unterschiedliche Entfaltung der karma-

Religionsgeschichte als Fremdbeschreibung

Vorstellungen in hinduistischen, jainistischen und buddhistischen Traditionen. So sehr die Religionswissenschaft versuchen sollte, das Selbstverständnis der Angehörigen einer untersuchten Religionsgemeinschaft „von innen her“ nachzuvollziehen, so deutlich muss sie auch darum bemüht sein, zwischen zwei Ebenen strikt zu unterschieden: zwischen Selbstbeschreibung und Darstellung, zwischen „Glaubenssätzen“ und dem Zitieren dieser Glaubenssätze, zwischen religiösem und religionswissenschaftlichem Diskurs. Der Religionswissenschaftler Wilfred Cantwell Smith hat einmal gefordert: „Es kann kein religionswissenschaftliches Untersuchungsergebnis Gültigkeit besitzen, wenn es nicht von Anhängern der betreffenden Religion anerkannt werden kann“ (66: 87). Eine solche Forderung ist aus verschiedenen Gründen äußerst problematisch. Die größte Schwierigkeit besteht darin, dass dann zwischen religiöser und religionswissenschaftlicher Begrifflichkeit nicht mehr klar unterschieden werden könnte. Religiöse Begriffe würden zu religionswissenschaftlichen Termini technici werden und in ihrem neuen Verwendungszusammenhang unerkannt die Wertungen ihres ursprünglichen, religiösen Kontextes einbringen. Das lässt sich besonders gut am Beispiel negativer Wertungen zeigen: Begriffe wie „Sekte“, „Magie“, „Aberglaube“ usw. sind als religionswissenschaftliche Termini im Grunde nicht zu verwenden, da sie stark von ihrer christlich-theologischen Herkunftsgeschichte geprägt sind, wo sie als apologetische Kampfbegriffe dienten und z. T. noch dienen. Manchmal lässt es sich allerdings nicht vermeiden, dass solche Kategorien auch in die religionswissenschaftliche Terminologie Aufnahme finden – so z. B. „Synkretismus“ oder „Bekehrung“. In diesem Falle ist es umso wichtiger, zwischen ihrem ursprünglichen, theologischen und dem neuen, religionswissenschaftlichen Verwendungszusammenhang zu unterscheiden. Ziel ist es ja, eine religionswissenschaftliche Begrifflichkeit – eine „Metasprache“ – zu entwickeln, die nicht mehr an spezifische religiöse Traditionen rückgebunden ist und in deren Sinne Wertungen vornimmt. Ähnlich wie der Begriff „Religion“ gehört auch der Terminus „Religionsgeschichte“ in den Horizont der europäischen Geistesgeschichte: Bis ins 17. Jh. hinein bezog er sich alleine auf die jüdisch-christliche Religionsgeschichte; für die Beschreibung von Religionen außerhalb dieser Tradition dienten geographische, kulturgeschichtliche oder andere Kategorien. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Begriff dann auch auf außerchristliche Religionen angewandt. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch entwickelte er sich zum Terminus technicus, der eine wissenschaftliche Disziplin bezeichnete. Er konkurrierte dabei mit anderen Begriffen wie „Religionswissenschaft“ oder „Vergleichende Religionsforschung“, mit denen er bis in die Gegenwart synonym gebraucht wird. Die Bezeichnung „Religions-Geschichte“ suggeriert dabei, dass es um die Beschreibung von Religionen in der Vergangenheit gehe. Tatsächlich wurde und wird Religionsgeschichte an vielen Universitäten häufig auch in diesem Sinne betrieben – so etwa an Forschungseinrichtungen, die sich mit altorientalischer Religionsgeschichte beschäftigen. Doch „Geschichte“ ist

Selbstbeschreibung und Fremddarstellung

Teilgebiet der Religionswissenschaft

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Religionsgeschichte

kein abgekapselter Zeitraum, sondern reicht weit über Vergangenes hinaus, und in entsprechender Weise ist die Gegenwart – selbst dann, wenn sie religionslos erscheinen sollte – durch die Religionsgeschichte mitgeprägt. Historische Religionswissenschaft kann sich also nicht auf die Vergangenheit beschränken, sondern findet zunehmend auch und gerade in der gegenwartsbezogenen Religionsforschung ihr Aufgabengebiet. Grundsätzlich lässt sich sagen: Wo heute akademische Institutionen die Bezeichnung „Religionsgeschichte“ in ihrem Namen führen, steht der Begriff in den meisten Fällen nur noch als pars pro toto für die religionswissenschaftliche Beschäftigung mit Religionen insgesamt. Im Weiterleben des Namens spiegelt sich die Tatsache, dass der historischen Forschung in der Religionswissenschaft nach wie vor zentrale Bedeutung zukommt. Allerdings hat sich weithin das Verständnis durchgesetzt, dass der Begriff „Religionsgeschichte“ nicht die Religionsforschung insgesamt umgreift, sondern nur eine – wenn auch gewichtige – Teildisziplin der Religionswissenschaft bezeichnet.

2. Zur Geschichte der Religionsgeschichte

die Anfänge der Religionsgeschichte

Die geschichtliche Betrachtung der Religionen beginnt selbstverständlich nicht erst zu dem Zeitpunkt, als sich die Religionsgeschichte als wissenschaftliche Disziplin formierte. Ihre Anfänge reichen vielmehr bis weit in die vorchristliche Zeit zurück. „Religionsgeschichte“ kam damals allerdings nicht als eigenständiger Gegenstand in den Blick, sondern wurde in Gestalt philosophischer oder historischer Darstellungen thematisiert. Für die frühe Entwicklung der Religionsgeschichte als wissenschaftlicher Disziplin war insbesondere das 1780 posthum veröffentlichte Werk von Charles de Brosses (1709–1777), Du culte des dieux fetiches ou parallèle de l’ancienne religion de l’Égypte avec la religion actuelle de Nigritie, von Bedeutung. In dieser Untersuchung entwickelt der Autor auf der Grundlage des religionsgeschichtlichen Vergleichs die Theorie vom „Fetischismus“: Die Verehrung besonderer Objekte stelle die älteste Form der Religion dar. Für die Bezeichnung dieser „besonderen Objekte“ verwendet de Brosses das portugiesische Wort feitiço (vom Lateinischen facticius, „künstlich hergestellt“). Mit seiner Untersuchung verschaffte er nicht nur dem Begriff „Fetisch“ einen festen Platz in der religionsgeschichtlichen Terminologie, sondern legte auch die Grundlage für das insbesondere im 19. Jh. weithin verbreitete Interesse an der Frage, was denn die „Urform“ der Religion sei. Wenige Jahrzehnte nach de Brosses’ Veröffentlichung kann sich die Religionsgeschichte nach und nach als wissenschaftliche Disziplin konstituieren. Die Historische Religionswissenschaft ist also ein Kind des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die „Entdeckung der Religionsgeschichte“ (H. Kippenberg) die Entdeckung der Dimension der Geschichte spiegelt. Dabei gibt es zwei bedeutsame Voraussetzungen für das Aufkommen der Religionsgeschichte und für ihre baldige Verfestigung als akademische Disziplin: Zum einen hatte sich inzwischen der Religionsbegriff von seiner

Geschichte der Religionsgeschichte

christlich-dogmatischen Identifikation mit dem Christentum befreit, zum anderen wird Religion nun als konkrete historische Größe aufgefasst; anstelle abstrakter Spekulationen über „die Religion“ soll mit der geschichtlichen Analyse die „tatsächliche“ Religionsgeschichte rekonstruiert werden – die Geschichte der Religionen, „wie sie wirklich gewesen ist“. Religionsgeschichte und Religionswissenschaft fallen in eins. Weitere Faktoren kommen hinzu: die Entstehung der modernen Sprachwissenschaften, die sich unter anderem dem Interesse der Romantiker an fremden Literaturen und Kulturen verdankt, die aufstrebende historischkritische Bibelwissenschaft innerhalb der theologischen Forschung und das Interesse an archäologischen Funden. Ein Schlüsselereignis auf dem Weg zur Entstehung der Religionsgeschichte als wissenschaftlicher Disziplin ist die 1771 erfolgte Veröffentlichung des Avesta in französischer Sprache durch Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron (1731–1805). Die Publikation dieses Textes gab das Startsignal für weitere Übersetzungen religionsgeschichtlicher Texte in europäische Sprachen, die Begeisterung der Romantiker für den Orient tat ein Übriges. In diesem Zusammenhang wäre etwa Friedrich Schlegels (1772–1829) 1808 erschienene Abhandlung Über die Sprache und Weisheit der Indier zu erwähnen. Bemerkenswert ist vor allem die Übersetzertätigkeit Friedrich Rückerts (1788–1866), der sich in seiner Koranübersetzung besonders darum bemüht, die ästhetischen Besonderheiten des arabischen Originals auch in der deutschen Übertragung zum Ausdruck zu bringen. Die Entwicklung der Philologie und der Vergleichenden Sprachwissenschaft bereiten weiteren Studien den Boden, die vornehmlich um die sprachliche Erschließung religionsgeschichtlicher Quellen bemüht sind. Höhepunkt dieser Entwicklung ist die seit 1879 erscheinende, insgesamt 49 Bände umfassende, von F. Max Müller (1823–1900) begründete und herausgegebene Reihe Sacred Books of the East. Damit ist zugleich die Grundlage für eine umfassende Aufbereitung und Übersetzung religionsgeschichtlicher Quellentexte gelegt. Sie findet unter anderem in der Arbeit des englischen Orientalisten T. W. Rhys Davids (1843–1922) und der von ihm gegründeten Pali Text Society mit der Literatur des TheravâdaBuddhismus und noch später im Werk von Daihatsu T. Suzuki (1870–1966) mit dem Schriftgut des Zen-Buddhismus ihre Fortsetzung. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts werden auch die Texte des Zoroastrismus erschlossen und herausgegeben. Kompilationen wie das Corpus Inscriptionum Latinarum oder das Corpus Inscriptionum Graecarum sowie die Publikation germanischer, keltischer u. a. nordeuropäischer Texte tragen zur religionsgeschichtlichen Erschließung von Quellen aus anderen geographischen und historischen Kontexten bei. Ein weiteres bedeutsames Stichdatum ist die sog. Ägypten-Expedition Napoleon Bonapartes, die zur militärischen Eroberung und wissenschaftlichen Erforschung des Landes führt. In ihrem Gefolge bringt die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen und der Keilschriften des Zweistromlandes ebenso wie die historisch-kritische Exegese in den Bibelwissenschaften einen bedeutenden Innovationsschub für die junge Disziplin der

die modernen Sprachwissenschaften

die historischkritischen Bibelwissenschaften

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Religionsgeschichte

Streit über Ursprung und Entwicklung von Religion

Religionsgeschichte. Insbesondere die Erschließung zunächst der altarabischen Quellen durch Gelehrte wie Heinrich Georg August Ewald (1803– 1875) und Julius Wellhausen (1844–1918), dann der mesopotamischen Schriften durch George Smith (1840–76) oder Friedrich Delitzsch (1850– 1922) gibt um die Wende vom 19. zum 20. Jh. den Anstoß zu diversen Schulbildungen: Die sog. Myth-and-Ritual-School – im Deutschen auch als „Kultgeschichtliche Schule“ bekannt –, die sich ausdrücklich gegen Theorien eines religionsgeschichtlichen Evolutionismus wendet (s. u. S. 38 ff.), ist in zwei Spielarten vertreten: einer durch Vilhelm Peter Groenbech (1873– 1918) angeregten und durch Sigmund Mowinckel (1884–1965) fortgeführten skandinavischen Richtung, der u. a. auch Geo Widengren (1907–1996) angehört, und einer britischen, deren prominentester Vertreter Samuel H. Hooke (1874–1968) war. Der britische Zweig greift die von Friedrich Delitzsch formulierte These des „Panbabylonismus“ auf, d. h. die Annahme einer im Alten Orient existierenden Einheitskultur, und entwickelt darauf aufbauend die Theorie, es habe in der gesamten Region ein einheitliches Muster (pattern) an Riten und diese begleitenden Mythen gegeben, in denen die Jahreszyklen kultisch begangen wurden. Auch der skandinavische Zweig – die sog. „Uppsala-Schule“ – nimmt ein einheitliches Kultschema an und richtet sein Interesse dabei auf die sog. „Königsideologie“ als Bindeglied zwischen den rituellen Ausformungen in den verschiedenen Regionen des Alten Orients. Die u. a. vom Alttestamentler Hermann Gunkel (1862–1932) mitbegründete Religionsgeschichtliche Schule profiliert sich in einer Phase der Blütezeit religionsgeschichtlicher Forschung überhaupt und sorgt zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der Theologie für Aufsehen: Sie setzt die gegen Ende des 19. Jahrhunderts erarbeiteten Ergebnisse der historisch-kritischen Bibelexegese voraus und radikalisiert sie, indem die biblischen Texte nicht nur ganz konsequent in den Kontext ihrer außerbiblischen Umwelt gestellt, sondern in radikaler Weise als geschichtlich gewachsene Texte begriffen werden, als Texte, die selbst „Geschichte“ sind: Kult und Gemeinde des frühen Christentums beispielsweise erweisen sich als Kontext und Quelle großer Teile des Neuen Testaments. Nach dem relativ frühen Tod mehrerer ihrer führenden Vertreter (Wilhelm Bousset, 1865–1920; Hugo Greßmann, 1877–1927; Ernst Troeltsch, 1865–1923), im geschichtlichen Umfeld der Kulturkrise nach dem Ersten Weltkrieg und angesichts einer Neuorientierung in der Theologie, die einem historischen Ansatz äußerst ablehnend gegenübersteht, kann die Religionsgeschichtliche Schule nicht mehr an ihre große Zeit vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen (s. u. S. 163 f.). Was die Religionsgeschichte als akademische Disziplin im 19. Jh. und bis weit ins 20. Jh. hinein stärker prägt als die genannten Schulrichtungen, sind jedoch der Entwicklungsgedanke und die damit häufig verbundene Suche nach dem „Ursprung“ der Religion, von dem her die gesamte Religionsgeschichte verstanden werden sollte. Die verschiedenen „Ursprungs-“ und „Entwicklungs“theorien wirken dabei weit über die Religionsgeschichte als Teildisziplin der Religionswissenschaft und werden beispielsweise auch in der Religionssoziologie oder in der Religionspsychologie rezipiert. Doch alle jene „Ursprungs-“ und „Entwicklungs“theorien treffen auch auf

Geschichte der Religionsgeschichte

heftigen Widerstand anderer Denkrichtungen – beispielsweise des o. g. skandinavischen Zweiges der Kultgeschichtlichen Schule – oder werden durch neue Ansätze in Frage gestellt bzw. weiterentwickelt – so etwa durch die auf den Ethnologen Leo Frobenius (1873–1938) zurückgehende sog. „Kulturkreislehre“, die religionsgeschichtliche Parallelen nicht mit der Hypothese gesetzmäßiger Entwicklungsphasen, sondern mit der Annahme einer historisch-geographischen „Diffusion“ (Zerstreuung) einzelner Kulturelemente bzw. -komplexe erklärt (s. u. S. 42). Die großen archäologischen Entdeckungen des 19. und 20. Jahrhunderts dürfen in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Religionsgeschichte nicht unterschätzt werden. Funde von prähistorischen Kunstwerken – insbesondere Höhlenmalereien in Südfrankreich – regen Forschungen über die frühgeschichtliche Religionsgeschichte an. Ausgrabungen in Troja, auf Kreta, in der Türkei, in Ägypten und anderen Regionen des Nahen Ostens erweitern die Kenntnisse über die griechisch-römische Antike und den Alten Orient. Der englische Archäologe Sir John Hubert Marshall (1976– 1958) trägt mit der archäologischen Erschließung der frühen Zivilisationen im Industal dazu bei, dass ältere religionsgeschichtliche Theorien über die Entwicklung der vedischen Religion revidiert werden müssen. Weitere Entdeckungen wie die von Angkor Wat (im heutigen Kambodscha) oder Borobudur (Indonesien) erweitern nicht nur unsere religionsgeschichtlichen Kenntnisse, sondern schaffen die Grundlage dafür, dass die Ikonographie, also die Erforschung von Inhalt und Funktion sichtbarer, gegenständlicher Kunstwerke, auch in der Religionsgeschichte an Bedeutung gewinnt. Neben manchen anderen Entwicklungen sind für die religionsgeschichtliche Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insbesondere drei Aspekte erwähnenswert: Zum einen erweitert sich nochmals die Masse der zur Verfügung stehenden religionsgeschichtlichen Quellen; durch die Entdeckung von altorientalischen Texten im vorderasiatischen Bereich oder von manichäischen u. a. Quellen entlang der alten Seidenstraße und durch Funde wie die von Qumran usw. steht der religionsgeschichtlichen Forschung neues Material zur Verfügung, dessen Aufarbeitung z. T. noch lange nicht abgeschlossen ist. Zum anderen treten die großen religionsgeschichtlichen Entwürfe des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts – insbesondere die Ursprungs- und Entwicklungstheorien – nach und nach in den Hintergrund, mehr noch: die Selbstverständlichkeit, mit der bislang die Religionsgeschichte insbesondere das außereuropäische Material nach ihren eigenen Kriterien maß, ordnete und auswertete, wird zunehmend in Frage gestellt. Im Zuge dieser Skepsis geraten schließlich selbst neuere religionswissenschaftliche Ansätze in die Kritik: Bietet „Das Heilige“, von Rudolf Otto (1869–1936) in seinem großen gleichnamigen Werk als religionswissenschaftliche Kategorie entfaltet, tatsächlich ein Konzept, das die religionsgeschichtliche Forschung in ihrer Arbeit weiterbringen wird? Die Religionsgeschichte ist eine junge Disziplin, noch kaum ihren Kinderschuhen entwachsen. Wie bereits erwähnt, steht ihre grundlegende Bedeutung für die religionswissenschaftliche Forschung außer Frage. Ebenso unstrittig ist jedoch, dass die Religionswissenschaft als Ganze nicht in der

der Aufschwung der Archäologie

Neue Akzente

die Rolle der Forschenden

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Religionsgeschichte

Religionsgeschichte aufgeht, oder anders ausgedrückt: Religionsgeschichte ist eine Teildisziplin der Religionswissenschaft. Dabei arbeitet sie als Historische Religionswissenschaft grundsätzlich nicht anders als alle anderen Geschichtswissenschaften und unterliegt denselben Bedingungen, Problemen – vielleicht sogar Aporien – und Begrenzungen. Dazu gehört, dass die Religionsgeschichte nicht „objektive“, quasi naturgesetzlich gegebene Tatsachen feststellt. Vielmehr steht der Forscher, die Forscherin selbst in einem geschichtlichen Kontext, aus dem heraus er oder sie die zur Verfügung stehenden Quellen befragt und mit ihnen in eine dynamische Beziehung tritt. Die Beschreibung der untersuchten Religion oder des analysierten Gegenstandes der Untersuchung ist also keine Festschreibung von Gegebenem, sondern Ergebnis einer Interaktion zwischen den Forschenden und ihren Quellen, bei der den Forschenden durchaus ein Stück weit die Rolle eines „Konstrukteurs“ zukommt. Diese Beobachtung ist für die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen religionsgeschichtlichen Forschens von nicht unerheblicher Bedeutung. Daraus ergibt sich nämlich die Forderung, dass Forschende in Sachen Religion ihre Instrumentarien – ihre Kriterien und Kategorien, ihre wissenschaftliche „Metasprache“ – immer wieder zu hinterfragen haben. Das bedeutet aber auch, dass sie ihr eigenes Tun, ihre eigene Rolle als „Konstrukteure“ in diesem Prozess der Interaktion mit den religionsgeschichtlichen Quellen kritisch reflektieren und problematisieren müssen.

3. Religionsgeschichte und Sprache

die Arbeit mit Übersetzungen

Die Religionswissenschaft, zumal die Religionsgeschichte, hat es häufig mit literarischen Quellen zu tun, die zumeist in fremden Sprachen verfasst sind – gleich, ob es sich dabei um historische Schriften aus längst vergangenen Zeiten oder um zeitgenössische Texte aus weit entfernten Regionen der Welt handelt. Religionsgeschichtliche Arbeit ist oft harte philologische Arbeit, und wer fundiert Religionswissenschaft betreiben will, sollte zumindest eine Religion in ihren Originalquellen studieren können. Selbstverständlich wird niemand ganz ohne die Hilfe von Übersetzungen auskommen; doch diesen – oftmals durchaus ausgezeichneten – Übersetzungen wird der Religionsforscher, wird die Religionsforscherin ein gesundes Misstrauen entgegenbringen müssen. Übersetzungen sind ja immer auch Interpretationen, und als solche wirken sie nicht selten verzerrend und suggerieren weitergehende, womöglich sachfremde und religionsgeschichtlich problematische Assoziationen. Dies trifft insbesondere für solche Texte zu, bei denen bereits das Original mehrere Deutungen offen lässt. Ein Beispiel hierfür wäre die Sure 96:3–4 aus dem Koran, wo im Zusammenhang mit der Erschaffung des Menschen Aussagen über Gott gemacht werden. In der Übersetzung von A. Th. Khoury heißt es hier: „Der Herr ist der Edelmütigste, der durch das Schreibrohr gelehrt hat …“. Max Henning hingegen hatte übersetzt: „der die Feder gelehrt …“. Rudi Paret wiederum führt in seiner – für wissenschaftliche Zwecke nach wie vor zuverlässigsten deutschen – Übersetzung alternative Möglichkeiten an:

Religionsgeschichte und Sprache

„… der den Gebrauch des Schreibrohrs gelehrt hat (oder: der durch das Schreibrohr gelehrt hat) …“. Ein weiterer Nachteil der Arbeit mit Übersetzungen liegt darin, dass oftmals die im Original verwendeten Begriffe nicht durchweg mit demselben deutschen Wort wiedergegeben werden (können). Wenn wir etwa zwei jüngere Übersetzungen der Bhagavadgita – die von Klaus Mylius und die von Peter Schreiner – nebeneinander legen, wird deutlich, wie grundsätzlich Wortwahl und Terminologie voneinander abweichen. Die Bedeutung der sprachlichen Entschlüsselung religionsgeschichtlicher Quellen geht aber noch weiter. Nicht nur auf die Überprüfung von Übersetzungen auf ihre „Richtigkeit“ kommt es an, sondern auf das Erfassen der Tiefendimension religiöser Termini technici. Davon sind nicht bloß zentrale Kategorien wie religio, dîn, dharma oder dao betroffen; auch religiöse Konzeptionen wie das islamische shirk („Polytheismus“), das hinduistische advaita („Nicht-Dualität“), das buddhistische dhyana („Meditation“) oder das polynesische tapu („Verboten“), Titel wie Messias („Gesalbter“), Mahdi („Rechtgeleiteter“), Kundun (Ehrentitel des Dalai Lama) oder Arhat („Heiliger“) sowie weniger prominente Namen und Begriffe sollten möglichst genau philologisch erschlossen werden. Dies garantiert nicht nur eine größere Exaktheit der religionsgeschichtlichen Arbeit, sondern eröffnet der religionsgeschichtlichen Interpretation weitere Verstehenshorizonte: Wer weiß, dass das arabische tawaffâ, wörtlich „abberufen“, in einigen koranischen Passagen auch als Umschreibung für „sterben“ gebraucht wird, kann die bis in die Gegenwart andauernde inner-islamische Debatte über den Tod und die Wiederkehr Jesu mit anderen Augen „lesen“; und wer mit den vielfältigen Implikationen des japanischen Wortes kami und seines Begriffsfeldes vertraut ist, wird die Übersetzung mit „Götter“ stets in dicke Anführungsstriche setzen – oder den Begriff besser gleich unübersetzt lassen. Wichtiger noch ist jedoch, dass jede Sprache bestimmte Strukturen bereitstellt, an die religiöse Ausdrucksformen und Vorstellungsweisen – ja gar die Grundzüge von Weltbildern gebunden sind. Ein bekanntes Beispiel aus der christlichen Theologiegeschichte wären die Missverständnisse zwischen Griechisch und Lateinisch sprechenden Gelehrten beim Streit um die richtige Formulierung der christlichen Trinitätslehre: Während die einen keine Schwierigkeiten damit hatten, im Blick auf die Wesensgleichheit der drei göttlichen Personen von una substantia und tres personae zu sprechen, fiel es den anderen recht schwer, die Rede von den drei Hypostasen (hypóstasis) und der einen ousía zu akzeptieren. Ein weiteres Beispiel wäre die Besonderheit der semitischen Sprachen, differenzierte Beziehungen zwischen zwei handelnden Größen zu beschreiben, die über eine strikte Trennung in aktives Subjekt und passives Objekt hinausgehen: Wenn mehrfach in der Tora bzw. dem Alten Testament die Rede davon ist, dass Gott Israel aus Ägypten „herausgeführt“ hat, so ist dies meist im Verbstamm des Hiphil ausgedrückt und bedeutet wörtlich: Gott hat „gemacht, dass Israel aus Ägypten heraufgeht …“. Wie eng der Zusammenhang zwischen Sprache und Religion ist, wird daraus ersichtlich, dass einschneidende religiöse Wandlungsprozesse oft mit einem Bedeutungswandel der Sprache verbunden waren bzw. auf die

die philologische Erschließung der Bedeutung religiöser Schlüsselbegriffe

Zusammenhang von Sprache und Religion

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Weitere Hilfswissenschaften

Entwicklung der Sprache selbst einschneidenden Einfluss hatten: Der Koran wurde zu dem großen Sprachregler des Arabischen, und Luthers Bibelübersetzung legte den Grundstein zur Vereinheitlichung des Deutschen; der Protest des Buddhismus gegen die Vorherrschaft der Brahmanen richtete sich auch gegen das Monopol des Sanskrit als alleiniger Ritualsprache; und durch die Identifikation der Bezeichnung des christlichen oder des islamischen Gottes mit dem Namen des afrikanischen Gottes ergeben sich im afrikanischen Christentum bzw. im afrikanischen Islam bedeutsame inhaltliche Veränderungen gegenüber dem in europäischen bzw. arabischen Ländern gepflegten Gottesglauben. Selbstverständlich geht Religionsforschung nicht in Philologie auf, und die Zeiten, als Religionsgeschichte sich vornehmlich auf die sprachliche Erschließung historischer Texte der Religionen des Altertums konzentrierte, sind lange vorbei. Dennoch nimmt die Philologie nach wie vor eine herausragende Stellung unter den religionsgeschichtlichen Hilfswissenschaften ein, zumal sie als Geburtshelferin der Religionswissenschaft die Emanzipation der jungen Disziplin von der Theologie förderte und sicherte. Ihre grundlegende Bedeutung ist dabei nicht auf die historische Religionsforschung begrenzt – zum einen, weil sich gegenwartsbezogene Religionsforschung gar nicht ohne Berücksichtigung der Vorgeschichte des Untersuchten betreiben lässt, zum anderen, weil auch und gerade aktuelle religionswissenschaftliche Fragestellungen nach einer philologisch untermauerten Analyse verlangen. Wenn ich z. B. die zeitgenössische Verwendung theologischer Termini technici durch Hausa oder Swahili sprechende Christinnen und Christen untersuche, komme ich nicht umhin, nach der exakten Herkunft der einzelnen Begriffe zu fragen und gegebenenfalls ihren arabischislamischen oder traditionell-afrikanischen Hintergrund zu analysieren: Was ist je assoziiert, wenn Hausa-sprachige Kirchen einmal von Gott als ubangiji, ein andermal als allah sprechen; und was bedeutet es, wenn christliche Theologie als ilmu tawhidi – vom Arabischen ‘ilm at-tawhîd, wörtlich: „Wissenschaft von der Einheit (Gottes)“ – bezeichnet wird? Neben der Philologie sind auch noch viele andere Disziplinen für die religionsgeschichtliche Arbeit als Hilfswissenschaften heranzuziehen. Doch die Bemühungen der Religionsforschung gehen selbst darüber hinaus. Bereits Günter Lanczkowski hat in seiner Einführung in die Religionswissenschaft unter Hinweis auf Heinrich Frick die Notwendigkeit unterstrichen, „dass sich der Religionsforscher … vertraut mache mit dem sachgemäßen Milieu“ (12: 43). Martin Greschat geht noch einen Schritt weiter und fordert von Forschenden in Sachen Religion, nicht alleine an Texten zu „kleben“, sondern Bilder, Handlungen, Klänge, ja selbst Geschmack und Gerüche wahrzunehmen, um buchstäblich mit Leib und Seele Religionsforschung zu betreiben: „Alle unsere Sinne sollten wir nutzen, weil auch die fremden Gläubigen, um fromm zu sein, keinen ihrer Sinne verstopfen“ (11: 62). In der Tat: religionsgeschichtliche Quellen bestehen nicht nur aus Texten.

Quellen

4. Die Religionsgeschichte und ihre Quellen a) Geschriebenes und Gesprochenes Wie oben festgestellt, stand die Philologie am Anfang der Religionsgeschichte. Bis heute bildet sie ihr Rückgrat und ist für weite Teile religionswissenschaftlicher Forschung unabdingbar. Dies gilt in besonderer Weise für die Historische Religionswissenschaft und vor allem dort, wo sie es mit schriftlichen Quellen zu tun hat. Diese Quellen lassen sich nochmals nach bestimmten Haupttypen unterscheiden, wobei die Grenzen zwischen diesen Texttypen aber durchaus fließend sind. Die bedeutsamsten religionsgeschichtlichen Quellentexte stammen aus dem Herzen der Religionen selbst. An erster Stelle stehen Quellen, die wir als „Heilige Schriften“ bezeichnen können. Sie haben für die jeweilige Religion grundlegende, konstitutive Bedeutung. Ihr Charakter kann aber durchaus unterschiedlich sein. Viele religiöse Traditionen kennen Offenbarungsschriften – also Texte, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft von einer höheren Macht offenbart („enthüllt“) und nach längerer oder kürzerer mündlicher Überlieferung schließlich schriftlich festgehalten wurden. Hierzu gehören etwa das Avesta, der Koran, die Tora, das Neue Testament, das Buch Mormon, das Kitâb-i Aqdas als – neben anderen Offenbarungsschriften – „Heiligstes Buch“ der Bahâ’î, das Ofudesaki der japanischen Tenrikyo oder „Die Göttlichen Prinzipien“ der Vereinigungskirche. Dabei gibt es allerdings erhebliche Unterschiede im Offenbarungsverständnis: So hat das abendländisch geprägte Christentum zu einem großen Teil die Lehre der Verbalinspiration, also des göttlichen Ursprungs jedes einzelnen Wortes der Bibel, nach und nach stillschweigend aufgegeben, während im Islam nur einzelne Querdenker einen solchen Schritt zu gehen wagen, die Vereinigungskirche hingegen eine aktive Mitwirkung ihres Stifters San Myung Mun bei der Offenbarung annimmt. In anderen Religionen gelten die „Heiligen Schriften“ nicht als geoffenbart – so etwa die Schriften des Buddhismus, die Schriften des Konfuzianismus oder der Âdi-Granth der Sikhs. Andere wiederum nehmen eine Art Zwischenstellung ein, wie etwa die Veden, denen ein nicht-menschlicher Ursprung zugesprochen wird und die in gewisser Weise als offenbart gelten, wobei jedoch über die genaue Form dieser „Offenbarung“ äußerst unterschiedliche Vorstellungen herrschen – so ist u. a. die Rede davon, dass Gott zwar Quelle, aber nicht Offenbarer der Veden sei. In unmittelbarer Nähe zu solchen Schriften stehen Texte, die wir als „Heilige Schriften zweiten Grades“ ansehen könnten – so etwa im Judentum die Tora-Auslegungen wie die Tosefta oder der Midrasch (während nach rabbinischer Auffassung der Talmud als mündlich überlieferte göttliche Offenbarung der schriftlichen Tora gleichrangig ist) oder im Islam der Hadîth, die Sammlung der „Mitteilungen“ über die „Gewohnheit“ (sunna) des Propheten Mohammed, d. h. über seine Handlungen und seine Worte, die ebenfalls als z. T. göttlich inspiriert gelten (in diesem Falle wird von einem hadîth qudsî, einer „heiligen Mitteilung“ gesprochen) und in man-

heilige Schriften

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religiöse Texte

religionsgeschichtliche Dokumente

chen volksislamischen Traditionen einen zumindest gleichartigen Rang neben dem Koran einnehmen. Davon unterscheidbar bleibt eine weitere Gruppe schriftlicher Quellen, „Heilige Schriften dritten Grades“ gewissermaßen: Kommentare und Erläuterungen der zentralen religiösen Urkunden, Gebete, theologische Traktate, Bekenntnisse, Heiligenlegenden, Biographien von Religionsstiftern und bedeutsamen religiösen Persönlichkeiten usw. Diese Quellen wären dann nicht mehr „Heilige Schriften“ im eigentlichen Sinne, und so könnten sie etwa als „religiöse Texte“ bezeichnet werden. Doch auch hier lassen sich die verschiedenen Kategorien nicht strikt voneinander trennen: So besteht die wichtigste Textsammlung heiliger Schriften des älteren Buddhismus, der buddhistische Pâli-Kanon – so genannt nach der Sprache, in dem er abgefasst ist – neben Lehrreden des Buddha aus einer Sammlung von Ordensregeln sowie Texten, die wichtige Begriffe der buddhistischen Lehre erläutern. Diese Schriften dürften innerhalb des Buddhismus ihrem Stellenwert nach von größerer Bedeutung sein als etwa die Ordensregel des Benedictus oder die Summa theologica des Thomas von Aquin innerhalb des Christentums, obgleich wir sie entsprechend unserer Einteilung in dieselbe Kategorie – „religiöser Texte“ – einordnen müssten. Die Besonderheit religiöser Schriften besteht darin, dass sie in poetischer oder systematischer Form als „Bekenntnisse“ religiöse Überzeugungen dokumentieren und uns aus erster Hand Aufschluss über die persönlich geglaubte, erlebte, praktizierte oder theoretisch durchdachte Religion geben. Die Imitatio Christi des Thomas à Kempis gehört in diese Kategorie ebenso wie die Werke Nâgârjunas, des Begründers einer wichtigen buddhistischen Schule im 3. Jh. unserer Zeitrechnung, oder die Poesie der islamischen Mystikerin Râbi’a al-‘Adawiyya. Allen bisher genannten Quellen ist gemeinsam, dass es sich um religiöse Texte handelt, die direkt aus dem Traditionsstrom religiöser Gemeinschaften stammen und denen von diesen Religionsgemeinschaften selbst Autorität zugesprochen wird, wenngleich in unterschiedlichem Maße. Daneben gibt es aber auch einen Typ von Quellen, die als religionshistorische Dokumente Informationen über Religionen enthalten. Zu diesen indirekten Quellen gehören zunächst Dokumente, denen nicht der „heilige“ oder zumindest religiöse Charakter der oben genannten Texte zukommt, die aber aus dem Umkreis der untersuchten Religionsgemeinschaft stammen und uns näheren Aufschluss über religionsgeschichtliche Entwicklungen geben können – Tagebücher, Tauflisten, juristische Texte wie etwa Staats-Kirchen-Verträge im Christentum oder Stiftungsurkunden über Schenkungen zu religiösen Zwecken (awqâf, Singular: waqf) im Islam, persönliche Notizen oder Briefe einzelner Religionsangehöriger etc. Zu den religionsgeschichtlichen Dokumenten zählen aber auch Texte, die uns nichts aus der religiösen Innensicht mitteilen, sondern von Außenstehenden geschrieben wurden. Solche Texte können durchaus wiederum selbst religiös gefärbt sein, wenn sie etwa aus einer (anderen) religiösen Perspektive und Motivation heraus abgefasst sind – so etwa Berichte von christlichen Missionaren über fremde Religionen oder von islamischen Ge-

Quellen

lehrten zusammengetragene, umfangreiche Häresiographien, polemische Beschreibungen abweichender Schulmeinungen, oft die einzigen uns erhaltenen Quellen über verfemte Sondergruppen oder vom Hauptstrom der Religionsgemeinschaft verworfene Lehren. Einen großen Bestand an solchen Texten finden wir in den Kolonial- und Missionsarchiven: Viele Informationen über die Entstehung Neuer Religiöser Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts insbesondere in Afrika und Asien, die den Kolonialbeamten Kopfzerbrechen und den christlichen Missionaren Konkurrenz bescherten, sind hier aufbewahrt und bilden einen fast unerschöpflichen Fundus für religionsgeschichtliche Forschung auf diesem Feld. Viele Dokumente, die auf den ersten Blick nichts mit Religion zu tun haben, können sich bei genauerem Hinsehen doch als wichtige indirekte, sekundäre Quellen erweisen: Reiseberichte arabischer Geographen enthalten Informationen über die Religionen der von ihnen dokumentierten Regionen; Namensregister oder Verwaltungsdokumente geben Auskunft über den Verlauf von religiösen Wandlungsprozessen; Inschriften, Titel oder Ernennungsurkunden verweisen auf die Akzeptanz von Religionen in der jeweiligen Gesellschaft usw. In einem Ensemble verschiedener religionshistorischer Dokumente könnten wir sogar wagen, moderne Literaturgattungen nach religionsgeschichtlich relevanten Informationen zu durchforsten – so z. B. Romane afrikanischer Autorinnen und Autoren. Dabei ist allerdings äußerste Vorsicht geboten, denn schließlich enthalten diese Texte ja Fiktionen, auch wenn beispielsweise die Beschreibung des kulturellen Kontextes einzelne religiöse Elemente in zutreffender Weise wiedergeben mag. Bisher war stets nur von schriftlichen Texten die Rede. Doch auch in mündlicher Form finden wir religionsgeschichtliche Quellen. „Heilige Texte“ können durchaus in Gestalt mündlich tradierter Überlieferungen existieren. Selbst „Heilige Schriften“ haben ja stets eine gewisse Phase der oralen Tradition durchlaufen. Beispielsweise haben die buddhistischen Mönche seine Lehre über mehrere Generationen mündlich weitergegeben, bevor sie nach ca. zwei- oder dreihundert Jahren aufgeschrieben wurde. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen – zumindest nach dem Selbstverständnis; so soll Josef Smith, der Begründer der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“, das ursprünglich auf goldenen Platten in „Reformägyptisch“ verfasste Buch Mormon mit der direkten Übersetzung ins Englische drei verschiedenen Schreibern diktiert haben. Heilige Texte in mündlicher Form finden wir vornehmlich in schriftlosen Religionen. Sie werden von religiösen Experten oftmals über viele Generationen weitergegeben, bevor sie mit der Religion verschwinden, wenn die letzten Spezialisten ihr Wissen mit ins Grab nehmen – falls sie sich nicht dazu entschließen sollten, es entgegen aller Gepflogenheit schriftlich aufzeichnen zu lassen. Mündliche Traditionen sind in der Regel nicht ungenauer als schriftlich fixierte Überlieferungen. Hier wie dort kommt es jedoch auch zu „Überarbeitungen“ des tradierten Materials, und hier wie dort lassen sich diese Veränderungen zumindest teilweise dadurch identifizieren, dass verschiedene Varianten kritisch miteinander verglichen werden.

religionsgeschichtliche Quellen in mündlicher Überlieferung

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„Heiligen Schriften“ in mündlicher Tradition können äußerst unterschiedliche Gattungen umfassen, wobei die „Heiligkeit“ der Texte durchaus variiert. Als ein gewisser Gradmesser mag die Öffentlichkeit des tradierten Wissens gelten: Je höher die Bedeutsamkeit der überlieferten Inhalte, desto begrenzter der Kreis der Überlieferer, desto behüteter – und oftmals geheimer – die überlieferte Botschaft. In erster Linie gehören Mythen zu diesen heiligen Traditionen, aber auch Spruchformeln oder Gebete sowie das gesamte rituelle Wissen, das oft weit über den Bereich hinausgeht, den wir als „religiös“ bezeichnen würden und medizinische oder psychologische Kenntnisse umfasst. Auch religiöse Texte finden sich vielfach in mündlicher Form. Im Unterschied zu schriftlich tradierten „Heiligen Texten“ handelt es sich hierbei zumeist um persönliche Bekenntnisse und Erfahrungen, aber auch Sprichwörter und religiöses Alltagswissen gehören in diese Kategorie. HansJürgen Greschat nennt als Beispiel für diese Art religiöser Überlieferung die ursprünglich mündlichen Ausführungen von Tahca Ushte, einem Experten der traditionellen Lakota-Religion, die 1972 unter dem Titel „Lame Deer: Seeker of Visions“ veröffentlicht wurden. Ein anderes Beispiel wäre „Der Gesang von Sirao und die Ordnung der Welt“, den der Ethnologe Wolfgang Marshall während einer Forschungsreise auf der indonesischen Insel Nias aufgenommen, übersetzt und 1976 in dem Bändchen „Der Berg des Herrn der Erde“ publiziert hat. Zum Teil findet sich ähnliches Material in der von Henri Bocquene veröffentlichten Autobiographie von Ndoudi Oumarou, einem Angehörigen des großen westafrikanischen Nomadenvolkes der Fulbe oder Fulani, „Moi, un Mbororo“, 1986 in Paris erschienen. Das Buch enthält eine ganze Reihe von Informationen über Weltsicht und Religion der Mbororo aus der Innenperspektive. Hierbei ist allerdings die Grenze zur nächsten Kategorie fließend. Mündliche Quellen für religionsgeschichtliche Forschung finden sich häufig in einer Form, die in etwa religionshistorischen Dokumenten entspricht. Zumeist stammen sie aus dem Umkreis der untersuchten Religionsgemeinschaft. Das wiederum bringt es mit sich, dass der Bekenntnischarakter und die individuelle religiöse Sichtweise stark ausgeprägt sind, wodurch der Übergang zur eben skizzierten Kategorie religiöser Texte in mündlicher Form recht durchlässig ist. Mündliche Quellen werden umso wichtiger, je weniger schriftliche vorhanden sind – und dies mag durchaus auch innerhalb einer religiösen Gemeinschaft der Fall sein: Enzykliken des Papstes oder die an katholischen theologischen Fakultäten vertretene Schultheologie können ja durchaus in krassem Widerspruch stehen zu dem, was beispielsweise die Mehrheit der bundesdeutschen katholischen Bevölkerung denkt, glaubt und tut. In der Regel wird mündlichen Quellen vor allem bei der Erforschung schriftlos tradierter Religionen besondere Bedeutung zukommen. Aber auch bei der religionsgeschichtlichen Erschließung Neuer Religiöser Bewegungen sind sie von großem Wert, da wir über diese häufig wenig schriftliche Quellen, aber auch kaum religionswissenschaftliche Sekundärliteratur zur Verfügung haben.

Quellen

b) Averbale Quellen Der religionshistorischen Forschung stehen Quellen nicht nur in Gestalt von Texten in schriftlicher oder mündlicher Form zur Verfügung. Das breite Spektrum der kulturellen Schöpfungen – die Musik, die Kunst, die gesamte materiellen Kultur, in der sich eine religiöse Gemeinschaft bewegt, selbst Gerüche! – bietet ein reichhaltiges, ja überquellendes Reservoir religionsgeschichtlicher Quellen, seien sie nun sichtbar oder unsichtbar. Die Töne des Gongs oder der Trommel dienen nicht nur der Kommunikation zwischen den Menschen oder ihrer Unterhaltung – sie können auch religiöse Botschaften übermitteln und entsprechende Wirkungen auslösen. So vermag bei den westafrikanischen Hausa der Klang der goge, einer Art einsaitige Violine, im sog. Bori-Kult Geister zu bannen, wenn das Instrument von einem entsprechenden religiösen Experten gespielt wird; und im abendländischen Christentum bringt „geistliche Musik“ auch ohne Worte religiöse Botschaften zum Ausdruck. Anschaulicher wird Religiöses jedoch – im unmittelbaren Sinne des Wortes – in Werken der Bildenden Kunst. Selbst dort, wo ein weit verbreitetes Bilderverbot diese Möglichkeit einschränkt, haben wir entsprechende sichtbare Quellen: Arabesken oder Kalligraphien, die religiöse Botschaften in ihrer Anschaulichkeit darstellen. Die Architektur zeugt von religionsgeschichtlichen Wandlungsprozessen und haut religiöse Botschaften in Stein: Das Minarett hat der Islam dem Christentum entlehnt, und ein Bauwerk wie der buddhistische Borobudur auf Java erzählt nicht nur in seinen Friesen u. a. von Leben und Legende des Buddha, sondern spiegelt in Grundriss und Aufbau die buddhistische Lehre wider. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Zu diesem Typ averbaler, wortloser religionsgeschichtlicher Quellen gehören aber nicht nur künstlerisch und ästhetisch besonders anspruchsvolle oder kostbare Werke, sondern auch „einfache“ Gerätschaften, religiöse Gebrauchsgegenstände sozusagen: Orakelstäbchen, Schamanentrommeln, Abendmahlskelche usw. – schier unendlich ist die Zahl solcher Gegenstände. Die 1926 gegründete Religionskundliche Sammlung in Marburg hat sich von Beginn an zum Ziel gesetzt, religiöse Gerätschaften als Anschauungsmaterial zusammenzutragen. In der Regel begegnen wir solchen sichtbaren, averbalen Quellen jedoch dort, wo sie im Gesamtzusammenhang ihrer jeweiligen Religion „leben“. Sichtbar, aber nicht gegenständlich sind Handlungen oder Bewegungen (Tanz!) als religionsgeschichtliche Quellen, so etwa in Form bestimmter Handzeichen und Gesten (fromme Katholiken bekreuzigen sich beispielsweise in bestimmten Situationen), als Verbeugung vor bzw. Umkreisen von Buddha-Statuen oder als komplexe Abläufe z. B. in Form hinduistischer Opferrituale. Oft sind sie mit anderen Elementen (Sprache, Musik, Gerüche, Bilder oder Gegenstände) kombiniert, können aber auch isoliert auftreten.

Musik und Kunst

Gegenständliches und Nicht-gegenständliches

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c) Dokumentation religiöser Darstellungsebenen Formen der Dokumentation religionsgeschichtlicher Informationen im Wandel der Zeit

Neue Medien als religionsgeschichtliche Quellen

Religionsgeschichtliche Informationen müssen festgehalten, dokumentiert werden. Am einfachsten ist es mit schriftlichen Quellen, die heutzutage der religionswissenschaftlichen Forschung leicht zugänglich sind: Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit können selbst Heilige Schriften in beliebiger Auflage vervielfältigt werden, auch wenn dies vielleicht manchen Gläubigen nicht ganz geheuer sein mag; ob der Koran auch in gedruckter Form erscheinen darf, war zur Zeit der Einführung der Druckerpresse im Osmanischen Reich heftig umstritten – und ist es in manchen ländlichen Regionen der islamischen Welt bis heute. Mündliche Mitteilungen bereiten ebenfalls kein Problem: Sie können elektronisch aufgezeichnet und, so dies nötig sein sollte, transkribiert werden. Doch selbst averbale Informationen lassen sich auf verschiedene Weise dokumentieren, und auch sie sind in Sprache „übersetzbar“ und schriftlich darstellbar; so hat der Anthropologe Peter Lienhardt einige Ausschnitte der gesungen vorgetragenen Ballade vom „Medizinmann“ in Notenschrift transkribiert. Gerüche, Bilder, Handlungen und religiöse Gerätschaften lassen sich beschreiben. Aber auch andere Formen der Dokumentation sind möglich: Gemälde oder Zeichnungen, Fotografien, Film- und Videoaufnahmen. Schon früh wurden die europäischen Forscher bei ihren Expeditionen von Künstlern begleitet, die darauf spezialisiert waren, alles festzuhalten, was von wissenschaftlichem Interesse sein könnte – darunter auch Bilder von religiösen Experten, Kultgegenständen oder rituellen Praktiken. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam dann die Fotografie zum Einsatz; die immense Bedeutung früher Fotografien beispielsweise für die Erforschung der Missionsgeschichte wird erst jetzt im vollen Umfang deutlich. Die Filmund Videotechnik ermöglicht wiederum ganz neue religionswissenschaftliche Dokumentationsformen; beispielsweise wurden über viele Jahre, inzwischen Jahrzehnte hinweg seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wichtige Aspekte des rituellen Lebens der Dogon, einer ethnischen Gruppe in Westafrika, dokumentiert, und vor beinahe drei Jahrzehnten entstand unter dem Titel Schamanen im blinden Land ein vielstündiger Film, der – auf zweieinhalb Stunden heruntergekürzt – auch mehrfach im Fernsehen ausgestrahlt worden ist. Die Medien des industriellen und nachindustriellen Zeitalters – Radio, Fernsehen, Internet – haben nicht nur veränderte Kommunikationsformen eröffnet, sondern erschließen der religionsgeschichtlichen Forschung auch neue Quellen. In Radio oder Fernsehen übertragene Gottesdienste, Meditationen oder Textauslegungen verlangen neue Formen der religiösen Selbstdarstellung, die weitere Veränderungen nach sich ziehen können: neue Themen und Inhalte, aber auch bislang unbekannte Organisationsformen – als Beispiel sei auf die meist „fundamentalistisch“ geprägten sog. Electronic Churches in den USA verwiesen. Noch weitergehende Perspektiven ergeben sich aus den Möglichkeiten des Internet: multimedial ausgebaute religiöse Botschaften, Chatrooms zur seelsorgerischen Betreuung, virtuelle Gebete … den Ausdrucksformen scheinen kaum Grenzen gesetzt. Zugleich

Quellen

ermöglicht es das Internet auch kleinen religiösen Gemeinschaften, die über eine nur dünne finanzielle Basis verfügen, durch ihre globale Präsenz im Netz zur „Weltreligion“ zu werden – zumindest virtuell. Für die religionswissenschaftliche Forschung ergeben sich daraus ganz neue Perspektiven für die Arbeit am Schreibtisch: Desk Top Research im Cyberspace. Doch die meisten Religionen existieren nicht nur im virtuellen Raum. Insofern wird religionsgeschichtliche Forschung darum bemüht sein, sich nicht bloß auf eine Darstellungsebene zu konzentrieren, sondern möglichst umfassend diejenigen Quellen zu analysieren, die ihr im Rahmen der jeweiligen Fragestellung und im Blick auf die untersuchte Religion zuverlässig Aufschluss bieten. Dabei lassen sich allerdings nicht von vornherein starre „Hierarchien der Darstellungsebenen religiöser Botschaft“ (Stolz) für die religionsgeschichtliche Forschung festlegen, d. h. die Frage, wie Bild, Sprache oder Handlung in einer Religion zueinander zu gewichten sind, ist – wenn überhaupt – erst nach einer detaillierten Analyse der einzelnen Bereiche zu beantworten. Dabei muss sowohl die Verknüpfung zwischen diesen Bereichen als auch der historische Wandel ihrer jeweiligen Bedeutung und somit die Möglichkeit einer Umgewichtung berücksichtigt werden.

d) Religionswissenschaftliche Arbeitsteilung Wenn bisher mehrfach davon die Rede war, dass Religionsgeschichte heute als Teildisziplin der Religionswissenschaft verstanden wird, so ergibt sich eine solche Einschätzung zum einen aus der oben kurz skizzierten wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung, zum anderen aber aus der inneren Logik und der daraus abgeleiteten Systematik des Faches. Diese Systematik orientiert sich vornehmlich an den zur Verfügung stehenden Quellen. Was ich frage, welche Religion ich befrage und welche Quellen mir zur Verfügung stehen – das sind drei Faktoren, die in äußerst dynamischer Weise aufeinander bezogen sind und sich wechselseitig bedingen. Die religionsgeschichtliche Forschung muss hierauf möglichst flexibel reagieren, will sie weiterführende Ergebnisse zu Tage fördern. Immerhin lassen sich jedoch ganz grob bestimmte Grundtypen von Religionen bestimmten Quellen und bestimmten Zugangsarten zuordnen: Im Zentrum klassischer religionsgeschichtlicher Forschung stehen die sog. Hochreligionen, denen sich die Religionsgeschichte in erster Linie durch die Untersuchung ihrer schriftlichen Dokumente nähert. Auf der Folie eines geschichtswissenschaftlichen Zugangs können darüber hinaus weitere Quellen analysiert werden und zum Verständnis der jeweils untersuchten Aspekte beitragen. – Die Erforschung der schriftlosen Religionen hingegen ist weithin der (Religions-)Ethnologie und der Religionsphänomenologie überlassen. Von ihr wird erwartet, dass sie mit allgemeinen Begriffen wie Geheimbund, Magie, Mythos, Tabu, Totem etc. den untersuchten Gegenstand systematisch beschreibt. – Die Beschäftigung mit Neuen Religiösen Bewegungen und gegenwärtigen Ausprägungsformen der Religionen wird wiederum anderen Disziplinen übertragen, allen voran der Religionssoziologie.

Systematik religionswissenschaftlicher Arbeitsweisen

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Religionsgeschichte

Komplementarität religionswissenschaftlicher Arbeitsweisen

Diese Art der strikten Trennung zwischen unterschiedlichen Zugangsweisen ist jedoch auf Dauer weder zufriedenstellend noch angemessen – zumal sich die hier unterschiedenen Religionstypen zunehmend überlagern und nicht mehr die „historischen“ Fragestellungen der Religionsgeschichte gegen die vermeintlich „ahistorischen“ der Ethnologie oder Soziologie ausgespielt werden können. Dennoch ist es bis heute bei einer gewissen Arbeitsteilung geblieben, wenngleich die zuvor deutlich abgesteckten Arbeitsbereiche durchlässiger geworden sind. So hatten sich beispielsweise Christian Sigrist und Rainer Neu in den 70er Jahren auf ein traditionell religionsgeschichtliches und theologisches Gebiet begeben und ethnologische Fragestellungen an religionsgeschichtliche Quellen angelegt. Umgekehrt wird seitens der Ethnologie schon seit langem angemahnt, dass die ihrem Fachgebiet zugeschlagenen schriftlosen Religionen ebensowenig „geschichtslos“ sind wie die sog. historischen Religionen. Außerdem ist die strikte Scheidung zwischen Schriftkulturen und schriftlosen Kulturen ohnehin problematisch; viele der letzteren besaßen durchaus voreuropäische Schriftsysteme, wie beispielsweise die in Südostnigeria beheimateten Igbo oder andere Ethnien in der Gegend des heutigen Nordkamerun. Die Scheidung zwischen den einzelnen Disziplinen kann und darf also nicht absolut sein; oftmals wird die religionswissenschaftliche Forschung arbeitsteilig vorgehen, und in vielen Fällen ergänzen sich die einzelnen Herangehensweisen komplementär.

5. Fragen religiösen Wandels Wie bereits oben bemerkt, befasst sich religionsgeschichtliche Forschung im engeren Sinne vornehmlich mit Fragen des religiösen Wandels. Sie hat in diesem Zusammenhang versucht, die Vielfalt der Religionen mit Entwürfen einer religionsgeschichtlichen Systematik zu ordnen, Theorien über die Entwicklung von Religionen zu entwerfen und Faktoren, Phasen und Formen des religiösen Wandels in Typologien zu erfassen.

a) Ursprung und Entwicklung von Religionen

Einfluss des Evolutionismus

Im 19. Jh. beginnt außerhalb theologischer Entwürfe die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Frage nach Ursprung und Entwicklung der Religionen. Dies geschieht jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund von zwei gewichtigen theoretischen Ansätzen, die sich zudem vielfach gegenseitig beeinflussten – dem philosophischen Entwicklungsdenken und dem naturwissenschaftlichen Evolutionismus –, und die Fortschrittsgläubigkeit des industriellen Zeitalters mag ein Übriges dazu beigetragen haben, solchen Denkmodellen zu einer gewissen Attraktivität zu verhelfen. Hegel selbst hatte mit seinem Entwicklungsmodell (These – Antithese – Synthese) weit über die Philosophie hinaus insbesondere auch auf die im 19. Jh. neu entstehenden Disziplinen eingewirkt. Besonders deutlich ist

Religiöser Wandel

dies bei dem französischen Sozialphilosophen Auguste Comte (1798– 1857) zu sehen, der ja als „Vater“ der modernen Soziologie gilt. Er rechnete mit drei Phasen der Menschheitsgeschichte, die sich vom Stadium der Religion über das der Metaphysik bis zu dem der positiven Wissenschaft entwickelt. Noch einflussreicher aber war das 1859 erschienene zweibändige Werk Charles Darwins, Über den Ursprung der Arten, das zur Grundlage des naturwissenschaftlichen Evolutionismus werden, aber auch andere Wissenschaftszweige prägen sollte. Eine wichtige Bedeutung kam dabei dem Sozialphilosophen Herbert Spencer (1820–1903) zu. Er wies den Weg, das Modell des Evolutionismus in außerphilosophischen Zusammenhängen anzuwenden, indem er es zunächst auf die Erkenntnistheorie übertrug. Hinsichtlich der Religionsgeschichte vertrat er die Ansicht, die Religion habe sich im Rahmen eines primitiven Totenkults aus der Verehrung der Manen, dem Ahnenkult entwickelt („ManismusTheorie“). Auf besonders fruchtbaren Boden fiel das evolutionistische Modell in der Ethnologie, die sich im Zeitalter der kolonialen Expansion zunehmend als aufstrebende Wissenschaft etablieren konnte. Sie wollte das ethnographische Material der außereuropäischen Kulturen dazu nutzen, verschiedene kulturelle Entwicklungsstufen der Menschheit nachzuzeichnen und ihren Ursprung zu rekonstruieren. Auf den Bereich der Religionsforschung angewandt, versuchte die Religionsethnologie in entsprechender Weise den Ursprung der Religion festzustellen und Gründe für ihre Entstehung zu beschreiben. Ihre Theorien basierten auf der Annahme, dass die religionsgeschichtliche Entwicklung geradlinig von einfacheren zu komplexeren Religionsformen verlaufe und die „ursprüngliche“ Religion sich entsprechend in der elementarsten Form von Religion finden müsse. Schon die ersten Ansätze hierzu sollten wissenschaftsgeschichtlich einen großen Einfluss auf die spätere religionsethnologische Theoriebildung ausüben. Beispielsweise hatte der Rechtsethnologe John Ferguson McLennan (1827– 1881) eine frühe „Totemismus-Theorie“ formuliert: Er sah den Ursprung der Religion in der engen Beziehung zwischen einer Gruppe und einem Tier, einer Pflanze oder auch einem Gegenstand, woraus sich ein bestimmtes Verhalten gegenüber diesem „Totem“ (aus der Sprache der nordamerikanischen Ojibwa-Indianer: oteman, „es gehört zu meiner Gruppe“) ableite. William Robertson Smith (1846–1894) wiederum betrachtete das kultische Opfermahl als Urgestalt der Religion: Religion vollziehe sich im gemeinschaftlichen Handeln des Ritus, von dem der Mythos als Interpretation oder deutende Nacherzählung lediglich abgeleitet sei. Als besonders prägend für die damalige religionsethnologische Theoriebildung erwies sich das Werk Edward Burnett Tylors (1832–1917) mit seiner sog. Animismus-Theorie. Ausgangspunkt war Tylors Interpretation des Umgangs der Menschen mit der Grunderfahrung des Todes und mit Erfahrungen wie Schlaf und Traum: Im Traum erlebe der Mensch, dass sich ein nichtkörperlicher Teil seiner Persönlichkeit vom Körper vorübergehend löst und auf Wanderung geht, oder dass ihm bereits längst Verstorbene begegnen; der Tod wiederum, bei dem nur der leblose Körper zurückbleibt, vermittle dem Menschen den Eindruck, dass dieses Nichtkörperliche nun

Religionsgeschichtliche Theorien über Ursprung und Entwicklung von Religion

Tylors AnimismusTheorie

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Religionsgeschichte

Frazers Magie-Theorie

endgültig den Menschen verlassen habe. Wie Tylor weiterhin an vielen Beispielen zu zeigen versucht, sei die Vorstellung einer nichtkörperlichen Lebendigkeit, der „Seele“ (lat. anima), auch auf Tiere und Pflanzen, ja sogar auf Gegenstände übertragen worden und habe im Erklärungsmodell einer „All-Beseeltheit“ Gestalt gefunden. Hieraus sei der Geisterglaube, dann der Glaube an viele Götter, der Polytheismus, und schließlich der Glaube an einen Gott, der Monotheismus, entstanden. Animismus dient Taylor dabei als Bezeichnung jenes Ursprungsstadiums der Religionsgeschichte, in dem der Glaube an die „All-Beseeltheit“ vorherrschend gewesen sei: Der „Glaube an geistige Wesen“ bilde den Ursprung der Religion. Nach Tylors Ansicht ist allerdings in verschiedenen Regionen der Welt die religionsgeschichtliche Entwicklung unterschiedlich schnell verlaufen. Die Frühphase der religiösen Menschheitsentwicklung lasse sich am besten durch das Studium der sog. „primitiven Kulturen“ erschließen, in denen zahlreiche Elemente jener Urreligion bewahrt seien. Aber auch auf allen späteren Stufen der religionsgeschichtlichen Evolution seien noch Relikte früherer Entwicklungsstufen, sog. survivals, erhalten, die uns erlauben könnten, Ursprung und Entwicklungsverlauf der Religion zu rekonstruieren. Ein weiterer, äußerst einflussreicher evolutionistischer Entwurf findet sich in Gestalt der Magietheorie von James George Frazer (1854–1941). Frazer beginnt mit der Feststellung, dass es dem Menschen stets darum ginge, seine Umwelt zu beherrschen. Zu diesem Zweck habe er gewisse Techniken entwickelt. Dabei handle er durchaus „rational“, indem er nach dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung fragt und deren Gesetzmäßigkeit aufzuspüren sucht. Auch die verschiedenen Formen von Magie dienten dem Ziel der Weltbeherrschung: Die kontagiöse Magie folge dem „Gesetz des Kontakts“ und versuche, die gewünschte Wirkung durch eine ursächliche Berührung herbeizuführen – so, wie etwa Jesus nach dem Bericht der Bibel einen Blinden mit seinem Speichel heilt; die homöopathische oder sympathetische bzw. imitative Magie orientiere sich am „Gesetz der Ähnlichkeit“ und sei bemüht, entsprechende Effekte durch analoge Handlungen auszulösen – indem beispielsweise Manipulationen an einer Puppe oder einem Bild des Feindes diesem selbst Schaden zufügen sollen. Nach Frazers Meinung unterscheidet sich die Magie in ihrem logischen Verfahren nicht von der Wissenschaft – beide fragen nach der kausalen Gesetzmäßigkeit, dem gültig wirksamen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Im Gegensatz zur Wissenschaft beruhe die Magie allerdings auf einer falschen Zuordnung von Ursache und Wirkung. Die Erfahrung der Erfolglosigkeit des Bemühens, mit der Magie die Welt zu beherrschen, habe dann zu einer Krise der Magie geführt, die im Rahmen der religionsgeschichtlichen Entwicklung durch den Animismus abgelöst worden sei: Nun rechne der Mensch mit „geistigen Wesen“, die über die Welt Macht ausüben. Folglich sei er darum bemüht gewesen, sich ihnen gegenüber so zu verhalten, dass sie ihm gewogen sind. Aus dem unterschiedlichen Umgang mit diesen „höheren Wesen“ hätten sich die verschiedenen Entwicklungsstufen der Religionsgeschichte ergeben. Für Frazer ist eine neue Phase durch das Aufkommen der neuzeitlichen Wissenschaft markiert.

Religiöser Wandel

Diese habe dem Menschen die Einsicht in den richtigen Zusammenhang von Ursache und Wirkung eröffnet und somit den Durchbruch zur tatsächlichen Weltbeherrschung ermöglicht. J. G. Frazer arbeitete auf der Grundlage umfangreichen religionsethnologischen und religionsgeschichtlichen Materials, knüpfte bei der Ausformulierung seiner Theorie jedoch an A. Comte und H. Spencer an. So teilte er die Geschichte der Menschheitsentwicklung in drei Stadien ein: Magie – Religion – Wissenschaft. Im Gegensatz zu Magie und Wissenschaft, die laut Frazer den Menschen dazu anregen, durch aktives Handeln Macht über seine Umwelt zu erlangen, habe die Religion eine Weltsicht vertreten, die nur in mittelbarer und passiver Weise auf Weltbeherrschung ziele; von daher repräsentiere sie eine vergangene Phase der Menschheitsentwicklung, die sich zunehmend von selbst erledige. Bis ins 20. Jahrhundert hinein fanden Tylors Ansichten Eingang in unterschiedliche religionsethnologische Ansätze bzw. wurden von ähnlichen Entwürfen abgelöst. Zu den bekanntesten gehört die auf Robert Ranulph Marett (1866–1943) zurückgehende Theorie des Dynamismus oder Animatismus bzw. Prä-Animismus. Die Entwicklung seines Entwurfs muss dabei vor dem Hintergrund religionswissenschaftlicher Debatten gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstanden werden: Bereits 1878 hatte der englische Missionar Robert H. Codrington (1830–1922) Friedrich Max Müller, der weithin als Begründer der modernen Religionswissenschaft gilt, seine Beobachtungen über ein auffälliges Phänomen der melanesischen Religion mitgeteilt, die er dann in seiner 1891 veröffentlichten Studie „Die Melanesier“ weiterentwickelte: Grundlegend für die Religion der Melanesier sei der Glaube an eine Macht, das mana, die mit Menschen oder Gegenständen eine Verbindung eingehe und auf diese Weise eine große Wirksamkeit entwickeln könne. Das gesamte religiöse Leben der Melanesier sei darauf ausgerichtet, mit dieser Macht zu verkehren und sie sich nach Möglichkeit dienstbar zu machen. Auf der Grundlage der Analyse dieses sowie weiteren religionsethnologischen Materials entwickelte Marett in der Folge seine ebenfalls evolutionistisch ausgerichtete Religionstheorie: Nicht der „Glaube an geistige Wesen“, wie Tylor lehrte, sei der Ursprung der Religion, sondern der Glaube an eine unpersönliche Macht (griechisch: d y´ namis) gehe dem Animismus voraus (daher „Prä-Animismus“), weshalb die Bezeichnung „Animatismus“ (lateinisch: animatus, „beseelt“) angemessener sei. Während Ansätze wie die von Tylor, Frazer oder Marett die Religionsgeschichte im Sinne einer positiven Evolution beschreiben, beurteilen andere Theorien die religionsgeschichtliche Entwicklung im Sinne eines Verfalls (deshalb auch Dekadenz- oder Deprivationstheorien genannt). Solche Vorstellungen reichen in ihren Anfängen bis in die Frühzeit der Christentumsgeschichte zurück und fanden später auch in nichttheologische Entwürfe ihren Eingang. So hatte beispielsweise im 18. Jh. der französische Historiker und Geograph Charles de Brosses (1709–1777), der den Begriff „Fetisch“ prägte und verbreitete, die Menschheitsgeschichte als Abirrung von der reinen Uroffenbarung Gottes gebrandmarkt: Der Fetischismus versuche, die in Gegenständen gegenwärtig geglaubten Kräfte zu manipulieren und sich dienstbar zu machen, anstatt auf Gott zu vertrauen. Ende des

Maretts DynamismusTheorie

Dekadenztheorien

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Religionsgeschichte

P. W. Schmidts UrmonotheismusTheorie

zur Kritik evolutionistischer Religionstheorien

19. Jahrhunderts wurde eine solche Verfallstheorie dann auf der Grundlage von ethnographischem Material neu formuliert: Andrew Lang (1844–1912) hatte entdeckt, dass in vielen der sog. „primitiven“ Kulturen neben dem Glauben an Geister oder an die Wirksamkeit unpersönlicher Kräfte auch unterschiedliche Gottesvorstellungen lebendig sind. Auf dieser Grundlage entwickelte er seine Theorie des Hochgottglaubens als Ur-Religion: Der Glaube an einen Hochgott sei unabhängig von Machtvorstellungen, Geisterglaube, Magie etc. und stelle die ursprüngliche Religion in ihrer reinsten Form dar. Alle anderen Religionsformen seien als spätere, vom Ideal des Hochgottglaubens abweichende Entwicklungen zu beurteilen. Eine Weiterentwicklung fand Langs Entwurf in der UrmonotheismusTheorie von Pater Wilhelm Schmidt (1868–1954). Sein Ansatz ist im Zusammenhang der sog. Kulturkreis-Lehre zu sehen, als deren Begründer der Geograph und Ethnologe Friedrich Ratzel (1844–1904) gilt. Die Kulturkreislehre versucht das Vorhandensein von auffälligen Parallelen in verschiedenen Kulturen aus ihrer geschichtlichen Verbreitung („Diffusion“) zu erklären: Sie geht davon aus, dass es durch Handel, Wanderung, Schifffahrt etc. zu einem ständigen Kontakt und Austausch zwischen den Kulturen gekommen ist, weshalb ähnliche Kulturelemente in geographisch weit auseinander liegenden Regionen zu finden sind. Dabei lassen sich nach Meinung der Vertreter dieser Theorie verschiedene „Kulturkreise“ voneinander abgrenzen, in denen jeweils bestimmte kulturelle Prägungen vorherrschend sind. Der Ethnologe Fritz Graebner (1877–1934) betonte in diesem Zusammenhang mehr die Bedeutung einzelner Kulturelemente, während der Afrikanist Leo Frobenius (1873–1938) Kulturen als organische Größen verstand, bei der die einzelnen Elemente stets in einem dynamischen Zusammenhang stehen und an das Paideuma, das Wesentliche einer Kultur oder ihre „Kulturseele“, rückgebunden bleiben. Wilhelm Schmidt, der Begründer der sog. „Wiener Schule“, knüpfte einerseits an die Kulturkreislehre an, andererseits nahm er Elemente von Verfalls- oder Dekadenztheorien auf. So bemühte er sich, verschiedene Kulturtypen historisch einzuordnen und in diesem Zusammenhang eine „Urkultur“ zu rekonstruieren, aus der sich alle Kulturformen entwickelt haben sollen. Zu den verschiedenen Merkmalen dieser Urkultur gehören nach Schmidt neben besonderen wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Formen auch spezifische religiöse Eigenheiten, eine „Urreligion“. Diese Urreligion sei durch den Glauben an einen Gott gekennzeichnet; alle späteren Religionsformen hätten sich aus diesem „Ur-Monotheismus“ entwickelt. Alle genannten Theorien wurden heftigster Kritik unterzogen und sind heute nicht mehr aktuell. Der Anspruch, aus dem ethnographischen Material zeitgenössischer schriftloser Kulturen den geschichtlichen Ursprung der Religion rekonstruieren zu können, musste bloße Behauptung bleiben; er ließ sich nicht einlösen, da diese Kulturen weder am Anfang der Menschheitsgeschichte stehen, noch ohne eigene Geschichte sind. Gleichermaßen hat sich die Vermutung einer geradlinigen Menschheitsentwicklung, der eine ebenso geradlinige religiöse Evolution entspricht, als nicht tragfähiges theoretisches Konstrukt erwiesen. Es kann der Kritik nicht standhalten, wenn es mit dem vielfältigen – und widersprüchlichen – religions-

Religiöser Wandel

geschichtlichen Datenmaterial konfrontiert wird. Denn Ähnlichkeiten der religionsgeschichtlichen Entwicklung zwischen manchen Kulturen können nicht auf die Religionsgeschichte insgesamt übertragen werden. Selbst wenn sich Entwicklungsabläufe nachzeichnen lassen, gehen sie nicht in geradliniger Gesetzmäßigkeit vor sich, sondern nehmen einen je nach Kultur und religionsgeschichtlichem Kontext äußerst unterschiedlichen Verlauf. Was bleibt dann von allen diesen Theorien? Einige Perspektiven, die sie eröffnet haben, waren berechtigt und sind auch heute noch von Bedeutung. So ist z. B. das von der Kulturkreislehre bevorzugte Bemühen, die Existenz von ähnlichen Elementen in räumlich weit auseinander liegenden Regionen geschichtlich zu erklären, in vielen Fällen sicherlich zutreffend; die Verbreitung des Rosenkranzes, der Lotus-Symbolik oder einzelner mythologischer Motive lässt sich jedenfalls aus historischen „Wanderbewegungen“ erklären. Weiterhin wurden im Rahmen dieser Theorien Begrifflichkeiten ausgebildet, die zum Teil bis heute dazu verwendet werden können, religionsgeschichtliche Phänomene in einem ersten Schritt zu erfassen und vorläufig zu klassifizieren, solange es alternativer, exakterer Begriffe ermangelt; Beispiele hierfür wären etwa Termini wie „Hochgott“, „mana“ oder „survival“. Gerade die letztgenannten Begriffe sind jedoch nicht unproblematisch und entbehren nicht einer gewissen Ambivalenz, wenn sie unkritisch gebraucht werden. Noch schwieriger ist dies bei Begriffen wie „Animismus“: Besonders Missionare und Missionstheologen sprechen gerne an der Stelle von „Animisten“, wo früher von „Heiden“ die Rede war, und die Angehörigen ethnischer Religionen oder kleinerer, lokal begrenzter traditioneller Religionen werden häufig unter der Kategorie „Animismus“ erfasst. Doch bei dem vermeintlichen „Animismus“ handelt es sich um eigenständige Religionen und komplexe religiöse Traditionen, die nicht in dem aufgehen, was der Begriff des Animismus als Terminus technicus für „Geisterglauben“ abdecken soll. Die evolutionistische Sicht der Religionsgeschichte ist allerdings nicht erst in jüngster Zeit in die Kritik geraten. Bereits die Kulturkreislehre stellt sie ja in Frage, indem sie kulturelle Ähnlichkeiten nicht auf dem Hintergrund der Folie einer geradlinigen Entwicklung, sondern aus ihrer geschichtlichen Verbreitung zu begreifen versucht. Bei Bronislaw Malinowski schließlich ist die Kritik erstmals auf die Spitze getrieben: Nicht die Stellung in einem Evolutionsprozess, sondern funktionale Zusammenhänge bestimmen die einzelnen Kulturen. Folglich stehen Magie, Religion und Wissenschaft nicht für verschiedene Stadien im Entwicklungsprozess der Menschheitsgeschichte, sondern können in ein und derselben Kultur gleichzeitig nebeneinander existieren. Doch das bedeutete nicht das Ende evolutionstheoretischer Ansätze in der Religionswissenschaft. Allerdings lassen sich die heutigen Entwürfe nicht mehr mit den oben vorgestellten vergleichen. Sie teilen weder deren Fortschrittsoptimismus, noch nehmen sie eine strikte Gesetzmäßigkeit linear verlaufender Entwicklungsprozesse an. Entsprechende Theorien werden insbesondere aus soziologischer Sicht vorgetragen, und wir werden später noch etwas detaillierter auf diese Entwürfe zu sprechen kommen.

Moderne entwicklungstheoretische Entwürfe aus der Religionssoziologie

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Religionsgeschichte

Ausgangspunkt von Entwicklungsmodellen sind dabei die sog. segmentären Gesellschaften, die in „Segmente“ von – meist verwandtschaftlich einander zugeordneten – Personengruppen unterteilt sind. Hieraus entwickelten sich zunächst die stratifizierten, also nach hierarchischen Schichten gegliederten, und schließlich die funktional differenzierten, komplexen Gesellschaften der Moderne. Aufgrund der engen Beziehung von Religion und Gesellschaft habe die gesellschaftliche Entwicklung unmittelbare Auswirkungen auf die Entwicklung der religiösen Systeme: Mit zunehmender Komplexität einer Gesellschaft verliert die Religion ihre zentrale Stellung – sie wird ein untergeordnetes Teilsystem neben vielen anderen. Weitere Entwürfe finden sich, wenngleich auf ungleich höherer Abstraktionsebene als hier in aller Kürze angerissen, beispielsweise bei Thomas Luckmann (geb. 1927), insbesondere aber bei Niklas Luhmann (1927– 1998). Schon zuvor hatte der amerikanische Soziologe Robert N. Bellah eine Fünf-Stufen-Theorie vertreten, in der er der Ausbildung komplexerer Gesellschaftsformen entsprechende religiöse Entwicklungsstufen zuordnete: von der „primitiven“ und „archaischen“ Religion über die „historischen Religionen“ zur „frühmodernen“ und „modernen“ Religion. Das hört sich sehr nach einem Schema an, das die Religionen in ein evolutionistisches Korsett zwängen will. Doch das ist nicht der Fall. Auch Bellah begreift die Entwicklung von Religionen nicht als naturgesetzliche Gegebenheit. Er will Tendenzen beschreiben, nicht ein Evolutionsmodell normativ festschreiben. Hierin unterscheidet er sich um Welten von den Evolutionstheoretikern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Vielleicht bleibt bei Bellah – wie auch bei vielen seiner Fachkollegen – allerdings ein Aspekt zu wenig beachtet: dass er nicht lediglich Sachverhalte beschreibend darstellt, die im Datenmaterial selbst, gewissermaßen „objektiv“ gegeben sind, sondern dass diese Zusammenhänge Produkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind, sich also der Konstruktion durch den Forscher verdanken. Die Frage nach der Entwicklung von Religionen ist dabei in besonderem Maße vom Standpunkt des Beobachters abhängig; sie kann sich stets nur aus seiner Perspektive zeigen, läuft also gewissermaßen auf ihn zu. Der Gefahr, die eigene Position zum Maß aller Entwicklung zu machen, muss dadurch begegnet werden, dass die Voraussetzungen kritisch reflektiert werden, die auf die Konstruktion dieses Entwurfs zielen. Doch das ist etwas, was nicht nur evolutionstheoretische Ansätze in der Religionsgeschichte betrifft, sondern für alles religionswissenschaftliche Arbeiten gilt – oder zumindest gelten sollte.

b) Faktoren religiösen Wandels Die religionsgeschichtliche Forschung im engeren Sinne ist insbesondere am Wandel der Religionen interessiert. Um ihn angemessen zu beschreiben, muss sie zunächst danach fragen, welche Faktoren dafür verantwortlich sind. Religionswandel ist allerdings kein isoliertes Phänomen, sondern Teil des allgemeinen geschichtlichen Wandels. Es gibt also äußerst vielfäl-

Religiöser Wandel

tige Ursachen des Religionswandels. Dabei ist es hilfreich, diese Ursachen zu klassifizieren, in verschiedene Gruppen einzuteilen. Üblich ist die Unterscheidung von endogenen, internen und exogenen, externen Faktoren. Der Religionswissenschaftler Günter Lanczkowski hat diese Unterscheidung im Sinne von inneren als „religiösen“ und äußeren als „nichtreligiösen“ Ursachen auf die Religionen selbst bezogen (12: 53). In der hier verwendeten Bedeutung allerdings werden diese Begriffe etwas weiter gefasst, indem das Umfeld der Religionen mit berücksichtigt ist: Endogene Faktoren sind „hausgemachte“ Ursachen des Religionswandels, die innerhalb des jeweiligen kulturellen Kontextes wirken, in dem eine Religion beheimatet ist; exogene Faktoren wirken von außen her darauf ein. In beiden Gruppen lässt sich dann nochmals unterscheiden zwischen „religiösen“ Faktoren im engeren Sinne und „kontextuellen“ Faktoren, also solchen, die Auswirkungen nichtreligiöser Bedingungen auf die Religion bzw. die Religionen beschreiben. Das alles sind natürlich recht künstliche Unterscheidungen; in der Praxis bedingen sich die Ursachen des Religionswandels in mannigfaltiger Form und sind vielfach ineinander verwoben. Bei internen Faktoren religiöser Art haben wir es mit Umbrüchen in der Religion selbst zu tun. Diese Umbrüche können von verschiedenen Teilgebieten der Religion ihren Ausgang nehmen – der Lehre, der kultischen Praxis, der Ethik usw. –, erfassen dann aber recht bald die Religion insgesamt und strahlen selbstverständlich auch auf andere Bereiche der Kultur aus. Beispiele hierfür finden sich zu Genüge an den „Bruchstellen“ der Religionsgeschichte, wo es zur Entstehung neuer Religionen oder religiöser Bewegungen gekommen ist (Islam, Buddhismus, Bahâ’î, aber auch Protestantismus, das Aufkommen der islamischen Mystik oder die Entstehung des Kimbanguismus). So hat beispielsweise die Lehre des Buddha im Verbund mit den gegen das Establishment der Brahmanen gerichteten sog. „asketischen Protestbewegungen“ auch zu massiven Veränderungen im Sozialsystem geführt: An die Stelle der Abhängigkeit vom priesterlichen Opferritual trat die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen, was wiederum die Verbreitung veränderter Wirtschaftsformen und den Aufstieg neuer sozialer Schichten (Händler) begünstigte. Auf den Zusammenhang zwischen protestantischer Ethik und Kapitalismus ist insbesondere vom Soziologen Max Weber hingewiesen worden. Auch Personen sind ein bedeutsamer interner Faktor religiöser Art, vielleicht der wichtigste. Wir haben es hierbei gleichermaßen mit individuellen Gestalten als auch mit kollektiven Trägergruppen als Agenten des Religionswandels zu tun. Beispielsweise gab und gibt es unzählige afrikanische Propheten, aber nur herausragende Persönlichkeiten wie Simon Kimbangu (1889–1951), Isaiah Shembe (1870–1935) oder William Wade Harris (1860–1929) konnten eine Bewegung begründen, die nicht nur kurzfristig existierte, sondern sich erfolgreich zu etablieren vermochte. Gleiches gilt selbstverständlich für die bekannten Stifterfiguren der großen Religionen. Doch diese wie jene hätten wenig bewirken können, wären sie bzw. ihre Sache nicht gleichermaßen durch ihre Anhängerschaft getragen und in einem bestimmten Umfeld zur Wirkung gebracht worden: Beispiels-

Religionswandel durch endogene Faktoren religiöser Art

Personen und Gruppen als Agenten religiösen Wandels

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Religionsgeschichte

religiöser Wandel durch Traditionskritik

weise hatten die Kimbanguisten Simon Kimbangu nicht nur zu seinen Lebzeiten und auf dem Höhepunkt seines Wirkens als Prophet anerkannt, sondern hielten ihm die Treue auch und gerade dann, als er gescheitert zu sein schien. Die Anfänge des Christentums wären ein analoges Beispiel. Die aus den eigenen religiösen Traditionen erwachsenden Veränderungen können unterschiedlichen Charakter tragen. Die Kritik an der überkommenen Religion, ja überhaupt Traditionskritik aus der eigenen Religion heraus, ist nicht selten mit Prozessen der Emanzipation von herkömmlichen Glaubensformen, Praktiken oder Organisationsstrukturen verbunden. Dabei kann es durchaus geschehen, dass auf ältere, „ursprünglichere“, vermeintlich „reinere“ Phasen der religionsgeschichtlichen Entwicklung zurückgegriffen wird, um diese Emanzipationsprozesse zu legitimieren. Dieses Muster findet sich in fast allen großen religiösen Reformbewegungen und spiegelt sich ja schon im Begriff selbst wider (re-formare). Das Motto ad fontes – „zu den Quellen!“ ist nicht auf die europäische Religionsgeschichte beschränkt. So haben beispielsweise reformorientierte Muslime bestimmte Entwicklungen der islamischen Geschichte als bida’ (sg.: bid’a) – illegitime „Neuerungen“ – kritisiert und im Kontrast hierzu ihre Programme entwickelt, die beanspruchen, sich unmittelbar an der authentischen Botschaft – dem Koran und der Sunna des Propheten – zu orientieren; und die sog. „alt-buddhistische Gemeinde“, 1921 von Georg Grimm (1868–1945) begründet, beansprucht, den Kern der durch die Tradition verfälschten, ursprünglichen Lehre des Buddha wieder entdeckt zu haben. Wandlungsprozesse können auch durch Religions- und Traditionskritik ausgelöst werden, die zwar nicht aus der jeweiligen religiösen Tradition selbst stammen, aber in ihrem kulturellen Umfeld entstanden sind. Zum Teil stehen sie deshalb zumindest indirekt im religionsgeschichtlichen Kontext der überkommenen Religion, zum Teil speisen sie sich allerdings auch aus Quellen anderer geistesgeschichtlicher Herkunft, zum Teil haben sie eine nicht- oder gar antireligiöse, oft aber eine ideologische Stoßrichtung. Typische Beispiele für diese Faktoren des religiösen Wandels sind die großen ideologischen Entwürfe des 19. und 20. Jahrhunderts – vom Marxismus mit seiner expliziten Religionskritik über den Liberalismus bis hin zu einem nicht selten quasireligiösen Nationalismus. Die von diesen Strömungen ausgehenden Anstöße wurden in den Religionen selbst teilweise aufgenommen und, wo nicht zurückgewiesen, modifiziert: So gingen in vielen Ländern Osteuropas die orthodoxen Kirchen eine enge Symbiose mit den jeweiligen Nationalismen ein, im Islam wurden Entwürfe eines „islamischen Sozialismus“ erarbeitet und umzusetzen versucht, oder Teile des nordamerikanischen Protestantismus verschrieben sich einem enthusiastisch propagierten Wirtschaftsliberalismus. Ein besonderes Muster des Umgangs mit religionsgeschichtlichen Wandlungsprozessen liegt dort vor, wo versucht wurde, die Religionskritik durch die Integration in das eigene System zu überwinden, so beispielsweise in der Theologie des wohl berühmtesten protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Barth (1886–1968), der die Religion als „Unglaube“ und „eine Angelegenheit, man muß geradezu sagen: die Angelegenheit des gottlosen Menschen“

Religiöser Wandel

(193: Bd. I,2: 327) bezeichnete und ihr den (christlichen) Glauben als Antwort auf den Einbruch der göttlichen Offenbarung gegenüberstellte. Im japanischen Denken finden sich vergleichbare Ansätze, bisweilen inspiriert durch Karl Barth. Interne Faktoren kontextueller Art für den religiösen Wandel gibt es in großer Zahl. Hier seien nur die gewichtigsten genannt. Veränderungen im Bereich der Wirtschaft können einen tiefgreifenden religiösen Wandel nach sich ziehen. Wir wissen beispielsweise, dass der Übergang von der (halb-)nomadischen zur agrarischen Wirtschaftsform einschneidende Veränderungen der altisraelitischen Religion nach sich gezogen hat: Der neue Jahresrhythmus bringt einen veränderten Festkalender mit sich, im Ackerbau verankerte religiöse Praktiken werden – wo nicht abgelehnt – integriert, der „mitziehende“ Gott übernimmt neue Verantwortungsbereiche etc. Auch technologischer Wandel löst Veränderungen im Bereich der Religionen aus: Wer will, kann sich etwa die Unterstützung eines in Paris lebenden machtvollen nganga (religiöser Experte, „Medizinmann“) „per Korrespondenz“ nach Kinshasa holen, oder bei der dortigen Radio-Kirche um Fürbitte nachsuchen; Videorecorder und Satellitenfernseher bringen den Imam aus der Türkei ins Berliner Wohnzimmer, und seelsorgerlichen Beistand kann ich über das Internet abrufen. Religionswandel ergibt sich auch aus Veränderungen in der sozialen Struktur der Gesellschaft. Diese fallen oft, aber nicht immer, mit wirtschaftlichen Wandlungsprozessen zusammen. So hat beispielsweise in vielen Regionen Afrikas das Aufkommen neuer religiöser Eliten die Autorität der traditionellen religiösen Experten unterminiert: Modern gebildete islamische Intellektuelle verdrängen die alte Gelehrtenschicht der ‘ulamâ’, und das komplexe Amt des nganga ist auf eine Vielzahl von Spezialisten übertragen, die nur noch für einzelne Aspekte des einst umfassenden Arbeitsfeldes zuständig sind. Auch politische Veränderungen können zu religiösem Wandel führen: Beispielsweise hat die Anerkennung des Christentums als religio licita, als „erlaubte Religion“, innerhalb kurzer Zeit deutlich erkennbare Auswirkungen auf die Kirche, Theologie und Ethik gehabt; und in der Frühphase des Islams hat die politische Integration der in Medina lebenden Gruppen in ein neu entstehendes Gemeinwesen den Charakter der islamischen Gemeinschaft nicht unerheblich verändert. Mit externen Faktoren religiöser Wandlungsprozesse haben wir dort zu tun, wo unterschiedliche Religionen und Kulturen aufeinander treffen. Zu früheren Zeiten schienen religiös-kulturelle Traditionen in relativer Homogenität und Isolation nebeneinander zu bestehen, so z. B. als „christliches Abendland“ und „islamischer Orient“. Auch ethnische Religionen sind deutlich voneinander abgegrenzt. Von daher ist zu erwarten, dass sich Einflüsse von außen bei den genannten Beispielen recht gut aufzeigen lassen. Doch Vorsicht: Homogenität, Isolation und Abgrenzung sind relative Größen, und die Wirkung externer Faktoren betrifft vielfach nicht den gesamten vermeintlichen religiös-kulturellen Komplex, sondern nur einzelne Bereiche. Beispielsweise hat der Rosenkranz aus dem Islam (und vermutlich

Religionswandel durch endogene Faktoren kontextueller Art

religiöser Wandel durch exogene Faktoren

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Religionsgeschichte

Zusammenhang von religiösen und nicht-religiösen Aspekten

ursprünglich aus Indien) nur ins katholische Christentum Eingang gefunden. Umgekehrt geht das Minarett auf das Vorbild der Kirchtürme zurück und ist im Islam weit, aber nicht überall, verbreitet – die Moscheen der Ibaditen sind ohne Minarett. In manchen afrikanischen Religionen gehören die religiösen Experten nicht der eigenen Gruppe an, sondern kommen von einer benachbarten Ethnie oder bilden gar einen „transethnischen“ Stand, d. h. sie stehen jenseits der strikten Zugehörigkeit zu einer einzigen Gruppe (so z. B. in manchen Regionen, insbesondere in Westafrika, die Schmiede, die als solche religiöse Experten tätig sind). Besonders bedeutsam sind externe Faktoren dort, wo Religionen aktiv aufeinander einwirken, vor allem, wenn sie in verschiedenen kulturellen Kontexten beheimatet sind. Die eindrücklichsten Beispiele hierfür sind sicherlich die neuzeitliche Missionsbewegung und der europäische Kolonialismus. Beide waren eng aufeinander bezogen und ineinander verwoben, sollten aber doch unterschieden werden, alleine schon um ihre durchaus unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen und um die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Mission, Kolonialismus und missionierter bzw. kolonisierter Religion und Kultur in den Blick zu bekommen. Auch die Expansion des Islams im ersten Jahrhundert der islamischen Geschichte bietet Beispiele für die Bedeutung externer Faktoren religiöser Wandlungsprozesse: Den christlichen Kirchen stand zwar aufgrund ihres rechtlichen Status einer anerkannten religiösen Minderheit eine gewisse Autonomie zu, doch haben sie sich unter dem Einfluss ihrer islamischen Umwelt im Laufe der Zeit nicht unerheblich gewandelt und in Theologie, Frömmigkeitspraxis, Ethik usw. eine andere Entwicklung eingeschlagen als ihre Geschwisterkirchen in nicht islamisierten Regionen. Beide genannten Beispiele zeigen indirekt, wie bei den externen Faktoren religiösen Wandels religiöse und nichtreligiöse Aspekte ineinander fließen: Die Festschreibung des rechtlichen Status’ der christlichen Kirchen hat religiöse Wurzeln, und christliche Mission wäre in manchen Gebieten, so etwa in den Kernlanden des Islam, ohne die koloniale Intervention und Protektion gar nicht möglich gewesen; beide Beispiele zeigen aber zugleich, wie religiöse und nicht-religiöse Aspekte auch bei der Kategorie der externen Faktoren unterscheidbar bleiben: Der genannte rechtliche Status für die Christen „neutralisierte“ in gewisser Weise den islamischen Bekehrungseifer, und aus der Kolonisierung ergibt sich nicht zwingend die Christianisierung qua Mission – ganz im Gegenteil war in manchen islamischen Regionen eine aktive Missionstätigkeit untersagt, da die Kolonialbeamten um „Ruhe und Ordnung“ in den betreffenden Gebieten fürchteten. Unberührt davon bleibt, dass externe Faktoren bei den Anhängern der betroffenen Religionen durchaus unterschiedliche Reaktionen hervorrufen konnten und somit auch verschiedene religiöse Wandlungsprozesse nach sich zogen. Eine Reaktion konnte darin bestehen, sich zurückzuziehen und von der Umwelt abzukapseln; das Judentum zur Zeit des babylonischen Exils wäre ein Beispiel hierfür, oder auch viele muslimische Gemeinschaften in manchen kolonisierten Regionen. Eine andere mögliche Reaktion war aber auch, sich gegenüber den externen Einflüssen zu öffnen, wie z. B.

Religiöser Wandel

einige muslimische oder hinduistische Reformbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Abkapslung und Öffnung konnten dabei unterschiedliche Grade der Intensität annehmen – von der Isolation über den begrenzten Austausch bis hin zu einer vollständigen Offenheit.

c) Religionsgeschichtliche Stadien und Reaktionsmuster auf religiösen Wandel Bei der Analyse religionsgeschichtlicher Wandlungsprozesse lassen sich typische Stadien und Phasen des Religionswandels feststellen, die in ähnlicher Weise in verschiedenen religiösen Traditionen zu finden sind. Entsprechende Beobachtungen können wir dort vornehmen, wo wir über Quellen verfügen, die religionsgeschichtliche Entwicklungen über einen längeren Zeitraum hinweg dokumentieren. Das ist vornehmlich bei Schriftreligionen der Fall. Günter Lanczkowski hat vorgeschlagen, den Wandel der Stadien in Stiftung, Entfaltung, Stabilisierung und Untergang (58: 122ff.) einzuteilen. An diesem Entwurf ist u. a. kritisiert worden, dass er sich zu sehr am Modell des individuellen Lebens orientiere und entsprechenden Vorstellungen über Religionen als „Organismen“ verpflichtet sei. Doch im Grundsatz hat sich seine Einteilung bewährt. Als erstes Stadium lässt sich die Entstehung und Entfaltung einer Religion feststellen. Sie ist oft mit der Aktivität eines Stifters verbunden – Mohammed und Jesus, der Buddha oder Bahâ’u’llâh. Das muss aber nicht immer der Fall sein. Insofern ist die Rede von einer „Stiftung“ missverständlich. In einigen Fällen könnte man bestenfalls von „verborgenen Stiftern“ sprechen, wie etwa im Falle des Hinduismus. Religionen entstehen allerdings nicht in einem Vakuum, sondern knüpfen stets an Vorhandenem an: das Christentum am Judentum; der Islam an Judentum, Christentum und altarabischen Religionen; der Buddhismus an den altindischen Religionen usw. Ein anderer Aspekt kommt hinzu: Üblicherweise wird zwischen der Entstehung von neuen Religionen und religionsgeschichtlichen Innovationen, also radikalen Neuerungen innerhalb einer religiösen Tradition, unterschieden. Doch diese Unterscheidung ist nicht immer unmittelbar einsichtig. Oft löst sich erst im Laufe der historischen Entwicklung eine Religion aus einer bestehenden religiösen Tradition. Das war häufig gar nicht beabsichtigt. Weder Jesus noch Mohammed noch Joseph Smith, auf den die Mormonen zurückgehen, waren mit dem Programm angetreten, eine neue Religion zu gründen. In manchen Fällen ist gar ungeklärt, inwieweit es sich um Innovationen innerhalb einer religiösen Tradition handelt oder um die Entstehung einer neuen Religion: Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung sehen sich als gläubige Muslime, während die Mehrheit der muslimischen Gelehrten sie als Häretiker aus der islamischen Gemeinschaft ausschließt. Doch ob wir es nun mit der Neuentstehung von Religionen oder mit radikalen Neuerungen innerhalb der Religionen zu tun haben: In beiden Fällen ist die Entstehungsphase von einer Dynamik gekennzeichnet, die mehr oder weniger alle Lebensbereiche umfasst und mit einer ausgeprägten Viel-

Entstehung und Entfaltung

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Religionsgeschichte

Stabilisierung und Konsolidierung

der Untergang von Religionen

Beispiele

falt religiöser Aktivitäten einhergeht. Das läuft nicht immer ohne Konflikte ab – denken wir nur an die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen urchristlichen Gruppierungen. Ein anderes Beispiel wäre die frühe Verkündigung Mohammeds, der eine radikale Kritik an den zeitgenössischen Verhältnissen formuliert und dessen Botschaft eine fruchtbare Eigendynamik erkennen lässt, die sich selbstbewusst vom religiösen common sense ihrer arabischen Umwelt absetzt. Entscheidend ist, dass sich in dieser ersten Phase noch nicht eine Richtung oder Schule gegen die anderen durchgesetzt hat und festlegt, was zu glauben, zu tun oder zu lehren ist. Religiöse Äußerungen im Stadium der Entstehung von Religionen bzw. der religiösen Innovation sind also dadurch gekennzeichnet, dass sie „ungeregelt“ verlaufen und ausgesprochen dynamisch sind. Eine gegenläufige Tendenz setzt in der nun folgenden Phase ein. Das Stadium der Stabilisierung oder Konsolidierung ist dadurch charakterisiert, dass durch Ausgrenzung oder Kontrolle Erreichtes gesichert, Strittiges geregelt, Vielfalt begrenzt und Dynamik vermindert wird. Beispielsweise konnte die buddhistische Gemeinschaft nach und nach bestehende Unklarheiten ausräumen, nachdem man sich auf mehreren Konzilen nicht nur über den Textumfang der verbindlichen Lehrreden des Buddha, sondern auch über entsprechende Regelungen für das buddhistische Ordensleben verständigt hatte; die frühchristliche Kirche wiederum fand stabile Formen, nachdem ungefähr im 3. Jh. über den Inhalt des Bekenntnisses, die Bedeutung des (Bischofs-)Amtes und die Grenzen eines verbindlichen Kanons Übereinstimmung erzielt worden war; und wie der Koran dokumentiert, war die Konsolidierung des Islams einen guten Schritt vorangekommen, nachdem durch die Offenbarung der medinensischen Suren konkrete Grundsätze und Anordnungen vorlagen, die das Leben der muslimischen Gemeinschaft regelten. In diesem Stadium der Konsolidierung bilden die Religionen zumeist auch feste Strategien für den Umgang mit religiösem Pluralismus aus. Diese Strategien bleiben als Orientierungsmuster für das Verhältnis zu anderen Religionen oft über lange Zeit hin bestimmend. Die letzte Phase des religionsgeschichtlichen Wandels beschreibt den Untergang von Religionen. Religiöse Traditionen können sehr schnell und unerwartet von der Bildfläche verschwinden, aber auch einen langsamen Tod sterben. Manche überleben – allen Widernissen zum Trotz und entgegen aller Erwartung –, obwohl sie ganz an den Rand der (Religions-)Geschichte gedrängt sind. Da jedoch viele einzelne Traditionen in veränderter Form weiterleben, lässt sich nicht immer mit Sicherheit der genaue Zeitpunkt des endgültigen Untergangs einer Religion feststellen. Andererseits können jedoch auch einzelne Elemente innerhalb einer Religion an Lebenskraft verlieren und schließlich ganz verschwinden. Einige Beispiele zur Illustration: Der Manichäismus, in gewisser Weise die erste große Weltreligion, verließ schon nach kurzer Zeit die Bühne der Religionsgeschichte; einzelne Elemente lebten aber mit ungebrochener Kraft weiter und fanden sogar in andere große Religionen wie Buddhismus und Christentum Eingang. Der auf alte iranische Wurzeln zurückgehende Parsismus existiert – wenngleich mit einer nur kleinen Anhängerschaft – bis heute; ähnlich wie im Falle der Religion der Yeziden gibt es sogar An-

Religiöser Wandel

zeichen einer möglichen Neubelebung, da die Möglichkeit einer „virtuellen“ Präsenz durch die neuen elektronischen Medien den Nachteil ihrer numerischen Schwäche ein Stück weit kompensiert. Die alte indische Religion, selbst ein Konglomerat unterschiedlichster religiöser Traditionen, konnte die asketischen Protestbewegungen, zu denen der Buddhismus gehörte, zwar nicht in ihrer traditionellen Gestalt überleben, sie hat jedoch bedeutsame Bausteine für den Aufbau des Hinduismus bereitgestellt, der seinerseits den Buddhismus aus Indien weitgehend verdrängte. Die altbabylonische oder auch die altindische Religionsgeschichte bieten gute Beispiele dafür, wie Götter in der Hierarchie absteigen und aufsteigen, aber auch ganz verschwinden können: Der junge, dynamische Stadtgott von Babylon, Marduk, setzt sich an die Spitze der Götterversammlung, indem er andere Götter in sich aufgehen lässt, und drängt selbst Anu, den Nachfolger des sumerischen Himmelsgottes An, in den Hintergrund; im Hinduismus durchläuft Shiva, der sich aus dem altindischen Rudra-Shiva entwickelt hat, eine beispiellose Karriere und macht selbst Brahma, den Weltschöpfer, für die hinduistische Frömmigkeitspraxis recht bedeutungslos. Viele ethnische Religionen, insbesondere im subsaharischen Afrika, kennen den Glauben an einen Hochgott, der sich gewissermaßen vom Alltagsgeschäft zurückgezogen hat und auch keine Verehrung genießt. Dieses Phänomen des deus otiosus, des „ruhenden Gottes“, ist in der Religionsgeschichte weit verbreitet. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um einen einst aktiven Gott handelt, der im Laufe der Zeit immer passiver wurde und schließlich in den Hintergrund trat. In einer nächsten Phase schwindet die Erinnerung an diesen Gott völlig – er „stirbt“. Es gibt keine Formel dafür, wann und unter welchen Voraussetzungen Religionen untergehen. Sicherlich sind ethnische Religionen durch ihre enge Bindung an die kulturelle und politische Selbstbehauptung eines Volkes eher gefährdet als Religionen, die mehrere Kulturen und Völker übergreifen. Aber auch hier lässt sich leicht die Gegenprobe machen: Der gerade erwähnte Manichäismus, eine multikulturelle und transethnische Religion par excellence, hat nicht überlebt – wohl aber die an eine ethnische Gruppe gebundene israelitische Religion in Form des Judentums. Die Frage, wie Religionen auf religiösen Wandel reagieren, stellt sich in allen Stadien – gleich, ob sie sich im Stadium der Entstehung und Entfaltung, der Stabilisierung oder des Untergangs befinden. Dabei ist der Umgang der Religionen mit religiösem Wandel selbst ein bedeutsamer Aspekt des religionsgeschichtlichen Wandels: Er kann dazu führen, dass sie sich weiter entfalten und ausbreiten – oder dass sie an den Rand gedrängt werden und untergehen. Dabei lässt sich allerdings nicht von vornherein berechnen, welche Strategie zu welchen Ergebnissen führt, da zu viele Faktoren den religiösen Wandel mitbestimmen. Selbstverständlich stellt sich schon in der Phase der Entstehung und Entfaltung einer Religion die Frage, wie sie sich gegenüber anderen Religionen und gegenüber ihrer eigenen dynamischen Vielfalt verhält. Dies kann in Abwehr, Übernahme oder Modifikation (12: 51) von Elementen der bereits vorhandenen religiösen Tradition geschehen. Ein gutes Beispiel hierfür bietet der Islam: Die christliche Trinitätslehre wird rundherum abgelehnt;

Abwehr, Anerkennung oder modifizierte Übernahme als Reaktion auf Religionswandel

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Religionsgeschichte

Gestalten der jüdisch-christlichen Tradition wie Abraham, Mose, Elija, David, Jona usw. finden Aufnahme in den Koran; die zur Zeit Mohammeds im Umlauf befindlichen „orthodoxen“ Christologien werden zurückgewiesen und durch eine eigenständige koranische Christologie ersetzt, die Christus in eine lange Reihe von Propheten stellt und als herausragenden Gesandten anerkennt, ihn aber zum Zeugen gegen das christliche Verständnis der Gottessohnschaft werden lässt. Genau genommen gibt es allerdings keine „wertneutrale“ Übernahme vorhandener Elemente, denn diese erhalten alleine schon dadurch eine neue Wertigkeit, dass sie in einen neuen Zusammenhang gestellt werden. Beispielsweise spielt die Gestalt Abrahams in allen drei „abrahamitischen“ Religionen – also Judentum, Christentum und Islam – eine herausragende Rolle, doch darf nicht übersehen werden, dass dies in je spezifischer Weise geschieht: Für Juden ist Abraham vornehmlich der Stammvater des jüdischen Volkes, Christen betrachten ihn in erster Linie als „Prototyp“ des Gottesgläubigen, in dessen geistiger Nachkommenschaft sie stehen, und Muslime sehen in ihm den Begründer des wahren Monotheismus, der „UrReligion“ des Islam. Wenn sich Religionen als eigenständige religiöse Traditionen behaupten können, müssen sie sich der Frage stellen, wie sie ihr Verhältnis gegenüber anderen Religionen bestimmen – und zwar sowohl gegenüber der religiösen Tradition, der sie selbst entstammen, als auch gegenüber „fremden“ Religionen aus anderen historischen und religiösen Kontexten. Die Bandbreite der möglichen Reaktionen liegt hier zwischen Ablehnung und Anerkennung, findet sich oft aber in gestuften Mischformen: Der Islam etwa lehnt alle polytheistischen Religionen radikal ab – was ihn allerdings nicht davon abgehalten hat, im Laufe der Religionsgeschichte immer wieder einen modus vivendi auch mit den Anhängern dieser religiösen Traditionen zu suchen: Den „Leuten des Buches“ (ahl al-kitâb) hingegen – Besitzern von „Offenbarungsschriften“, also in erster Linie Juden und Christen – bringt er eine relative Toleranz entgegen; das Christentum war über Jahrhunderte bestrebt, sich von seiner Mutter-Religion, dem Judentum, abzusetzen, ist jedoch nach der Erfahrung des Völkermordes an den Juden im 20. Jh. zunehmend dazu übergegangen, seine eigenen jüdischen Wurzeln wieder zu entdecken und das Judentum selbst entsprechend zu würdigen und anzuerkennen; eine ethnische Religion wiederum verhält sich gegenüber einer anderen ethnischen Religion insofern „tolerant“, als diese für sie keinerlei Bedeutung hat, da sie an die andere ethnische Gruppe gebunden ist. Zwei im Vorhergegangenen indirekt kurz angeschnittene Fragen sind für die religionsgeschichtliche Forschung immer wieder von Interesse gewesen und werden es auch künftig bleiben: Die eine beschäftigt sich dabei mehr mit dem Aspekt des geschichtlichen Werdens von Religionen durch Prozesse der Auswahl und Übernahme bzw. Modifikation im Kontext der Religionsgeschichte; die Diskussion hierüber wird vornehmlich unter dem Stichwort des „Synkretismus“ geführt. Die andere widmet sich dem Problem, wie Religionen ihr Verhältnis zu anderen bestimmen, welche Antworten sie also auf den religiösen Pluralismus geben; diesbezügliche De-

Religiöser Wandel

batten sind mit Begriffen wie „Toleranz“, „interreligiöse Beziehungen“ etc. verbunden und gewinnen angesichts der zunehmenden Präsenz unterschiedlicher Religionen innerhalb eines geographischen Raumes – durch Neubildungen, Wanderungsbewegungen, „Mission“ usw. – immer mehr an Relevanz.

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IV. Systematische und phänomenologische Zugänge 1. Historische und Systematische Religionswissenschaft

Priorität des Deskriptiven in der Historischen Religionswissenschaft

Religionsgeschichtliche Deskription und religionssystematische Reflexion

Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Die vermeintlich „saubere“ Unterteilung der Religionswissenschaft in Historische und Systematische Religionswissenschaft ist und bleibt ein Stück weit künstlich, gar gekünstelt. In Wirklichkeit sind beide aufeinander angewiesen und ineinander verschränkt – die eine ist ohne die andere handlungsunfähig. Dass der historisch-beschreibenden Darstellung gegenüber der systematisch-verallgemeinernden Interpretation eine gewisse Priorität zukommt, dürfte dabei allerdings außer Frage stehen: Ohne die detaillierte historische Erforschung des Werdens und Wandels einzelner Religionen und religiöser Traditionen liefe die Religionswissenschaft Gefahr, sich in abstrakten Spekulationen zu ergehen, die mit der tatsächlichen Welt der Religionen wenig zu tun hätten. Zudem hat die Entdeckung der Religionsgeschichte dazu beigetragen, die Religionsforschung aus theologischer und philosophischer Bevormundung zu befreien und in den Kontext geschichtswissenschaftlicher Perspektiven zu stellen: durch das strikte Beharren auf der Anwendung historischkritischer Methoden, durch die streng philologische Orientierung, und durch die Beschränkung auf die beschreibende Darstellung bei weitgehender Zurückhaltung mit verallgemeinernden Interpretationen. Die Historische Religionswissenschaft hat auf diese Weise immenses Datenmaterial zusammengetragen. Doch im Umgang mit diesem Datenmaterial zeigen sich bald auch die Grenzen einer religionswissenschaftlichen Betrachtungsweise, die darauf verzichten zu müssen glaubt, aus ihren Einzelanalysen weitergehende Schlussfolgerungen zu ziehen und ihre Ergebnisse mit übergreifenden Fragestellungen in Beziehung zu setzen; in letzter Konsequenz würde eine solche Begrenzung des eigenen Blickfeldes zu einer weitgehenden Isolation führen. In der Regel drängt die Religionsgeschichte als religionswissenschaftliche Teildisziplin aber ohnehin über sich selbst hinaus, indem sie die Einzelergebnisse ihrer Untersuchungen in einen größeren Diskussionszusammenhang stellt. Noch wichtiger ist ein weiterer Aspekt methodologischer und theoretischer Art: Strittig bleibt, inwieweit Historische Religionswissenschaft überhaupt „rein“ deskriptiv arbeiten kann, oder ob nicht doch zwangsläufig Elemente der Interpretation in die Darstellung einfließen müssen. Beruht die Behauptung, Religionsgeschichte beschränke sich strikt auf die Beschreibung von historischen Tatsachen, nicht ihrerseits auf theoretischen oder gar philosophischen Voraussetzungen, die der systematischen Reflexion bedürfen? Ist die religionsgeschichtliche Arbeit nicht in einem wei-

Historische und Systematische Religionswissenschaft

teren theoretischen Rahmen zu sehen, in dem Verallgemeinerungen, Klassifikationen, Abstraktionen, Systematisierungen, Vergleiche usw., also jene Arbeitsschritte, die üblicherweise der Systematischen Religionswissenschaft zugerechnet werden, zu ihrem ureigenen Handwerkszeug gehören? In dieser Frage gibt es äußerst unterschiedliche Positionen – vom Standpunkt, historische und systematische Religionsforschung müsse strikt voneinander getrennt werden, bis hin zur Auffassung, die Analyse der geschichtlichen Entwicklung religiöser Phänomene sei für den synchronen Vergleich und die systematische Erfassung unabdingbar. Es ist nicht zu erwarten, dass sich hier auf absehbare Zeit ein Konsens finden lassen wird. Ein grundsätzlicheres Problem kommt in der Frage zum Ausdruck, inwieweit eine historisch-beschreibende Analyse, die in den Religionen bloß geschichtliche, empirische Phänomene sieht, ihrem Gegenstand überhaupt angemessen ist; denn Religionen beanspruchen, über das bloß Geschichtliche, Empirische hinauszugehen. Dieses „Mehr“ zu erfassen hatte sich vornehmlich die Religionsphänomenologie zum Ziel gesetzt. Dabei hat sie eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die für die Religionsforschung von grundsätzlicher Bedeutung waren. Die wohl wichtigste wird bis heute äußerst kontrovers diskutiert – und bleibt wohl auch noch weiter strittig: Wenn die Religionsphänomenologie darum bemüht ist, die Wahrheitsfrage und den Glauben des Forschers bzw. der Forscherin „einzuklammern“ – wird dann nicht zugleich eine der zentralen Fragen der Religionen selbst aus ihrer Forschung ausgeklammert? Diese und ähnliche Probleme betreffen allerdings gleichermaßen die Religionsgeschichte und die Religionsphänomenologie: Denn sowohl historische als auch systematische Forschungen haben sich schon immer der Frage stellen müssen, wie Religion(en) zu verstehen und zu interpretieren sei(en). Insofern ist auch jenseits einer umfassenden radikalen Kritik an der Religionsphänomenologie vieles von dem, was sie bewegt hat, noch heute von Bedeutung – allem voran die Frage, wie Religionen angemessen zu verstehen sind, die Frage nach einer „hermeneutischen“ Religionswissenschaft. Dabei wird der Begriff „Religionsphänomenologie“ jedoch häufig vermieden – zu sehr ist er historisch vorbelastet. Das Bemühen um eine hermeneutische Religionswissenschaft ruft jedoch nochmals in Erinnerung, dass Historische und Systematische Religionswissenschaft eng aufeinander bezogen sind. Ob und inwieweit es möglich sein wird, ihre unterschiedlichen Interessen und methodischen Ausprägungen in eine umfassende religionswissenschaftliche Zugangsweise zu integrieren, ist dabei zur Zeit noch ebenso offen wie die Frage, ob und inwieweit nicht-normative, bloß beschreibende Forschung überhaupt möglich ist. Neuere Diskussionen (s. u.) stellen diese Fragen in einen weiteren Reflexionszusammenhang, der nicht nur die Religionswissenschaft als legitimen Teil menschlichen Wissens und akademischer Forschung betrachtet, sondern ihre historische Kontextualität berücksichtigt: Ob nach dem „Ursprung“, nach dem „Wesen“, nach der „Funktion“ oder nach der „Bedeutung“ von Religion(en) gefragt wurde und wird, ist immer auch in einem bestimmten kultur- und geistesgeschichtlichen Zusammenhang zu sehen.

die Frage nach einer hermeneutischen Religionswissenschaft

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Systematische und phänomenologische Zugänge

Aspekte der Systematischen Religionswissenschaft

Eine äußerst unklare Begrifflichkeit erschwert eine genaue Bestimmung dessen, was die „Systematische Religionswissenschaft“ denn eigentlich ausmacht. Nicht selten werden die Termini „Vergleichende Religionswissenschaft“, „Systematische Religionswissenschaft“ und „Religionsphänomenologie“ mehr oder weniger synonym gebraucht. Ein wenig weiter hilft hier schon Greschats Unterscheidung zwischen Religionstheorie, Religionsvergleich und Religionsphänomenologie als den „drei Wegen“ zu einer Systematischen Religionswissenschaft. Häufig wird „Systematische Religionswissenschaft“ allerdings weiter gefasst, so dass auch Disziplinen wie Religionssoziologie, Religionspsychologie etc. unter diese Kategorie fallen. Dennoch beschreibt Greschat mit den genannten „drei Wegen“ in der Tat grundlegende Aspekte der Religionsforschung, auf denen die Systematische Religionswissenschaft beruht. Diese drei Wege sind auf vielfältige Weise ineinander verwoben und voneinander abhängig, setzen ihrerseits aber allesamt die Historische Religionswissenschaft voraus, von deren Vorarbeit sie abhängig sind.

2. Was ist Religionsphänomenologie?

drei „klassische“ Richtungen

Nicht nur ihre Gegenstände und Ziele sind bis heute umstritten – nein, bereits die Frage, was die Religionsphänomenologie denn eigentlich ausmacht, ist bislang nicht eindeutig beantwortet worden. Eine recht allgemeine Verhältnisbestimmung von Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie, die Wachs Unterscheidung zwischen Historischer und Systematischer Religionswissenschaft widerspiegelt, findet sich bei Geo Widengren: „Die Religionsgeschichte gibt die historische Analyse, während die Religionsphänomenologie uns die systematische Synthese liefert“ (87: 1). Lanczkowski wiederum weist der Religionsphänomenologie die Aufgabe zu, „sachlich verwandte religiöse Phänomene einander zuzuordnen“ (12: 45). Nach einer herkömmlichen Einteilung werden drei Richtungen religionsphänomenologischer Forschung unterschieden: Die deskriptive Religionsphänomenologie beschreibt und klassifiziert einzelne Phänomene; in diese Gruppe gehören Arbeiten wie die von P. D. Chantepie de la Saussaye, K. Goldammer oder G. Lanczkowski. Die typologische Religionsphänomenologie erforscht zusammengehörige Gruppen von Phänomenen, auf deren Grundlage sich verschiedene Typen von Religionen unterscheiden und einordnen lassen; Beispiele hierfür finden sich u. a. in den Arbeiten von C. P. Tiele (1877–1900) oder auch G. Mensching (1959). Die phänomenologische Religionsforschung im engeren Sinne untersucht Wesen, Struktur und Bedeutung religiöser Phänomene; ihre wichtigsten Vertreter sind G. van der Leeuw, F. Heiler und M. Eliade. Diese Einteilung wird von J. Waardenburg weitergeführt; statt der von Bleeker genannten Richtungen unterscheidet er beschreibende und verstehende Religionsphänomenologie und nennt als weitere Richtungen die Neustil-Phänomenologie – wobei er auf A. Holl und A. Schimmel verweist – und die reflexive Religionsphänomenologie, die sich insbesondere quer

Religionsphänomenologie

durch die Werke von Vertretern der verstehenden Religionsphänomenologie zieht. Diese idealtypische Einteilung erlaubt zwar eine erste Orientierung, wird der Vielfalt religionsphänomenologischer Forschungsrichtungen aber nur teilweise gerecht. Wir haben es vielmehr mit äußerst unterschiedlichen Ansätzen innerhalb eines breiten Spektrums mannigfaltiger Herangehensweisen zu tun. Allerdings ist den genannten drei „klassischen“ Richtungen gemeinsam, dass sie darum bemüht sind, in der Vielfalt der religiösen Besonderheiten und Einzelheiten eine grundlegende Einheit anzunehmen, ohne die Vielheit aus dem Blick zu verlieren. Hierin liegt auch die Verbindung der Religionsphänomenologie zum Religionsvergleich und zur Religionstheorie: Denn nur wenn es irgendeine Grundlage der Vergleichbarkeit gibt, also eine letzte Einheit, lassen sich die unterschiedlichen, von der Religionsgeschichte in mühsamer „Arbeit am Besonderen“ erhobenen Einzelphänomene miteinander überhaupt vergleichen; und bloß wenn die Religionsphänomenologie diese Einheit in der Vielfalt religionsgeschichtlich partikularer Erscheinungen thematisiert, kann sie eine Religionstheorie entwickeln, die es sinnvoll erscheinen lässt, von einem Gesamtphänomen „Religion“ im Singular zu reden, ohne die Tatsache der Pluralität von Religionen zu leugnen. Eine weitere Gemeinsamkeit der drei „klassischen“ religionsphänomenologischen Richtungen ließe sich vielleicht auch noch darin sehen, dass sie ein besonderes Interesse daran haben, nach dem Sinn von explizit religiösen Gegenständen oder Tatsachen zu fragen, die sie zuvor von nichtreligiösen geschieden hatten. Seit ihren Anfängen setzte sich die Religionsphänomenologie damit in einen Gegensatz zur Theologie, da sie sich weigerte, aus explizit theologischer Perspektive Religion(en) zu studieren; alle religionsphänomenologischen Richtungen betrachteten die religiöse Erscheinungswelt als eigenständige Größe, und sie bestanden darauf, diese auch auf der Grundlage eigener Zugangsweisen zu erforschen. Zugleich begab sich die Religionsphänomenologie jedoch auch in Opposition zu empirisch arbeitenden Wissenschaften wie Philologie, Geschichte, Soziologie oder Ethnologie, die zum Teil – vornehmlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts – recht positivistisch ausgerichtet waren und sich darauf konzentrierten, wissenschaftlich gesicherte, vermeintlich „objektive“ Tatsachen festzustellen und die ihnen zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten freizulegen; demgegenüber beanspruchte die religionsphänomenologische Sichtweise, jenseits der von diesen Wissenschaften bereitgestellten methodischen Zugangsformen auf „Religiöses“ zugreifen zu können. Trotz aller Bemühungen der Religionsphänomenologie, sich als eigenständige Disziplin zu profilieren, gab es doch auch immer wieder Berührungspunkte zu anderen Forschungsrichtungen. Beispielsweise hat der Religionspsychologe William James (1842–1910), der sich selbst nie als Religionsphänomenologe verstand, durchaus „phänomenologisch“ gearbeitet: Er versuchte, religiöse Phänomene empirisch zu erheben, zu beschreiben und typologisch einzuordnen, ohne nach ihrer „Wahrheit“ zu fragen oder über sie Werturteile zu fällen und ohne sie in ein bestimmtes Interpretationsschema zu pressen. Allerdings unterschied er sich in einem

die Suche nach der Einheit der Religion in der Vielfalt der Religionen

Anspruch auf eigenständigen Zugang zum Religiösen

Beziehung zu anderen religionswissenschaftlichen Forschungsrichtungen

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Systematische und phänomenologische Zugänge

Religionsphänomenologie im Abseits

maßgeblichen Punkt von seinen Kollegen, die im eigentlichen Sinne religionsphänomenologisch arbeiteten: Er glaubte nicht, dass es so etwas wie ein „Wesen“ der Religion gibt, das auf Gott, auf das Heilige o. ä. verweist. Die Disparität der Ansätze, der Gegensatz zu sozialwissenschaftlich arbeitenden Disziplinen und die mangelnde Vermittlungsfähigkeit ihrer Entwürfe waren der weiteren Entwicklung der Religionsphänomenologie nicht zuträglich. Der weit verbreitete Vorwurf, sie sei lediglich „eine verkappte, privat betriebene Theologie“ und deshalb „zu überwinden“, hat ein Übriges getan, um sie ins religionswissenschaftliche Abseits zu drängen und in einem Handbuch der Religionswissenschaft auf drei Seiten ad acta zu legen (5: Bd. I: 308). Zaghafte Ansätze einer Neuformulierung der Religionsphänomenologie befinden sich zur Zeit noch in der Entwicklung.

3. Zur Entwicklung der religionsphänomenologischen Forschung der Begriff der Religionsphänomenologie

Brede Kristensen: systematische Grundlegung

Der Terminus „Phänomenologie“ stammt aus der Philosophie und wird bei Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ sogar zu einem Schlüsselbegriff: Trotz ihrer Unterschiedlichkeit sind alle Phänomene Ausdruck desselben Geistes, der sich in der Geschichte bewegt und schließlich zu sich selbst kommt. Dieses Modell erschien der Religionsforschung deshalb so attraktiv, weil es erlaubte, die Vielfalt der Religionen – die Erscheinungsformen – mit einer letzten Einheit der Religion – ihrem Wesen – zusammen zu denken. Nicht ohne Grund wählt Gerardus van der Leeuw (1890–1950) für sein Buch, in dem er den Entwurf einer systematischen Religionswissenschaft unternimmt, den Titel Phänomenologie der Religion. Dabei hatte der Begriff selbst schon früher in die Religionswissenschaft Eingang gefunden. Als Erster hat ihn vermutlich Pierre Daniel Chantepie de la Saussaye (1842–1920) in seinem Lehrbuch der Religionsgeschichte (1887) verwendet. Dort entwickelt er in einem „Phänomenologischen Teil“ ein ganzes Feld von Begriffen, die der nichtdogmatischen Beschreibung von Religionen und religionsgeschichtlichen Erscheinungen dienen sollen, wobei er sich vornehmlich auf Rituale konzentriert. Obgleich Chantepie de la Saussaye die Grundlagen der Religionswissenschaft in der Geschichtsphilosophie sieht, ist er wenig daran interessiert, seine phänomenologische Methode im Kontext philosophischer Erörterungen zu reflektieren. Sein Ziel ist es vielmehr, die Vielfalt der Religionen zu katalogisieren und eine angemessene Terminologie zu entwerfen. In späteren, überarbeiteten Ausgaben seines Lehrbuchs verzichtet er allerdings darauf und beschränkt sich auf die Erläuterung einiger weniger religionswissenschaftlicher Schlüsselbegriffe. Im Folgenden werden einige der bedeutsamsten Positionen der „klassischen“ Phänomenologie vorgestellt. Dabei können wir selbstverständlich nur die wichtigsten kurz skizzieren. Der Einfluss von William Brede Kristensen (1901–1937) auf die weitere Entwicklung der Religionsphänomenologie wurde bislang unterschätzt. Sein Beitrag besteht u. a. in der systematischen Ausformulierung der Auf-

Entwicklung religionsphänomenologischer Forschung

gabe einer Religionsphänomenologie gegenüber der Religionsphilosophie und der Religionsgeschichte: Letztere dient dazu, Informationen über die Religionen bereitzustellen, die von der Religionsphänomenologie systematisch-beschreibend geordnet werden, bevor die religionsphilosophische Arbeit auf dieser Grundlage nach dem Wesen der Religion fragen kann. Kristensen geht es darum, in persönlich engagierter Weise nach dem verborgenen religiösen Sinngehalt in den Phänomenen zu suchen – ein Ideal, das wohl auch auf seinen Schüler van der Leeuw gewirkt haben dürfte. Außerdem konzipierte er die Religionsphänomenologie in Verbindung mit einer radikalen Abkehr von allem evolutionistischen Denken, das seiner Meinung nach im Widerspruch zur religionswissenschaftlichen Arbeit steht: Es sei unhistorisch. Es war jedoch Gerardus van der Leeuw, der zunächst mit seiner 1924 im Original bzw. 1925 in Deutsch erschienenen Einführung in die Phänomenologie der Religion und dann 1933 mit seiner Phänomenologie der Religion der Disziplin zum Durchbruch verhalf. Das Werk des an der Universität Groningen lehrenden Religionsgeschichtlers ist dabei vor dem Hintergrund der philosophiegeschichtlichen Entwicklung zu sehen: Neben der Hegel’schen Philosophie beeinflusste inzwischen vor allem die um die Jahrhundertwende entstandene philosophische Phänomenologie Edmund Husserls (1859–1938) die religionsphänomenologische Debatte; auch andere philosophisch-phänomenologische Ansätze wie die von Karl Jaspers (1883–1967) oder Wilhelm Dilthey (1833–1911) fanden Berücksichtigung. Dabei wurden insbesondere zwei methodische Prinzipien rezipiert: die Epoché – der Verzicht auf ein Urteil – und die eidetische Reduktion – die Wesensschau. Das diente einem doppelten Ziel: Zum einen sollte der Anspruch auf „Objektivität“ durch das „Einklammern“ der eigenen Glaubensüberzeugungen und der Wahrheitsfrage gewahrt bleiben und zugleich der subjektive Faktor durch das „intuitive Verstehen“ Berücksichtigung finden. Zum anderen schien aufgrund der eidetischen Reduktion die Möglichkeit eröffnet, jenseits des evolutionistischen Denkansatzes das Wesen der Religion in den verschiedenen Religionen zu ergründen. Die Besonderheit von van der Leeuws Religionsphänomenologie liegt u. a. darin, dass er eine klare Methodologie entwickelt und diese auch offenlegt. Ausgangspunkt ist van der Leeuws Verständnis von Religion als einer Beziehung zwischen dem Göttlichen, der „Macht“, und dem Menschen: Die Art und Weise, wie diese Beziehung gestaltet ist, erlaubt es, die verschiedenen Religionen nach Form und Struktur zu unterscheiden und in bestimmte Typen einzuteilen. Was die religionsphänomenologische Arbeit im engeren Sinne betrifft, so richtet van der Leeuw sein Augenmerk ganz auf das Verhalten des Menschen gegenüber dieser Macht, die sich in unterschiedlichen Erscheinungen, Phänomenen zeigt. Entsprechend definiert er Religionsphänomenologie als „Reden über das, was sich zeigt“ (82: 638). Dabei sind die Phänomene nicht unmittelbar, „an sich“ greifbar, sondern werden im Prozess der religionsphänomenologischen Forschung rekonstruiert. Das geschieht so, dass der bzw. die Forschende auf der Grundlage eigener Erfahrungen das Phänomen strukturiert und einordnet. Diese eigenen Erfahrungen sind allerdings nicht völlig beliebig, sondern beziehen

Gerardus van der Leeuw: „Reden über das, was sich zeigt“

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Systematische und phänomenologische Zugänge

das Verstehen und die Epoché

Friedrich Heiler: Suche nach dem „Wesen“ der Religion

sich auf „das, was sich zeigt“, indem sie mit ähnlichen Phänomenen zusammengestellt werden. Wenn beispielsweise in der ägyptischen Religion die Rede von Horus ist, der „das Leben seinem Vater gibt, wenn er die Kraft dem Osiris schenkt“ (zit. nach ebd: 88), erfasst van der Leeuw die Gestalt des Horus gemeinsam mit analogen Erscheinungen als Heilandsgestalt, die lediglich in ihren besonderen geschichtlichen Ausprägungen, also im altägyptischen Kontext, noch detaillierter zu beschreiben ist. Ziel religionsphänomenologischer Arbeit ist das Verstehen. Hierzu müssen mehrere Komponenten ineinander greifen: Die Namengebung benennt und klassifiziert Phämoneme (z. B. „Feste“, „Sakramentalien“, „Mythus“ …); die „Einschaltung des Phänomens in das eigene Leben“ geschieht durch ein „Einleben in fremdes Erleben“, wodurch das nachempfunden werden soll, was von anderen erfahren wurde oder wird; die Epoché, die phänomenologische „Zurückhaltung“, eröffnet ein Schauen des Phänomens selbst, da weder die Identifikation mit denen, die das Phänomen unmittelbar erfahren, noch ein metaphysisches Fragen danach, was sich hinter ihm verbirgt, möglich ist; weiter ergibt sich eine Klärung des „geschauten“ Phänomens, indem Zusammengehöriges zusammengestellt und nach dem „idealtypischen Zusammenhang“ gesucht wird; das eigentliche Verstehen geschieht dadurch, dass alle diese einzelnen Komponenten gleichzeitig stattfinden. Dabei hat sich die religionsphänomenologische Arbeit jedoch stets der Korrektur durch die religionsgeschichtliche Forschung zu stellen. Van der Leeuw stellt fest, dass dieses ganze „scheinbar verwickelte Verfahren … keinen anderen Zweck als die reine Sachlichkeit“ habe – es geht um den Zugang zu den Sachen selbst. Hierzu bedarf es eines Sinnes, da die Religionsphänomenologie „die Sachen nicht beliebig erleben kann“. Der religiöse Sinn stellt sich hierbei dar als „derjenige, dem kein weiterer oder tieferer folgen kann. Er ist der Sinn des Ganzen“ (alle Zitate ebd: 638 ff.). In der Psychologie sieht van der Leeuw das Modell einer Vermittlung zwischen der Forderung nach „Objektivität“ in der Forschung und dem Anspruch auf gleichzeitige Berücksichtigung des forschenden Subjekts. Dieses Modell überträgt er auf die Religionsphänomenologie: In der Einfühlung, der Empathie, versetzten sich die Forschenden selbst in das Objekt ihrer Forschung bzw. erfahren und durchleben es in eigener Person von Neuem. Diese spontane, selbstvergessene Hingabe geht selbst noch der intuitiven Abstraktion voraus, mit der die Forschenden in der Epoché zum Verständnis des untersuchten Objekts vorstoßen. Noch vieles wäre über van der Leeuw zu sagen. Auch hat er später seine Religionsphänomenologie noch um weitere Aspekte ergänzt: So versucht er beispielsweise „Grundstrukturen religiöser Erfahrung“ herauszuarbeiten, die sich quer durch alle Religionen ziehen. Entscheidend am Gesamtwerk van der Leeuws ist, dass er mehr als andere seiner Fachkollegen darum bemüht war, der Religionsphänomenologie auch eine methodologische Grundlage zu geben. Friedrich Heiler (1892–1967) hat sich in seiner Religionsphänomenologie auf van der Leeuw bezogen, ohne allerdings in ähnlicher Weise wie

Entwicklung religionsphänomenologischer Forschung

dieser eine umfassende Methodologie zu entwerfen. Seiner Meinung nach geht es in der Phänomenologie alleine darum, „zum Wesen vorzustoßen“ (79:16), das allen religiösen Erscheinungen zugrunde liegt. Heilers berühmte Monographie über das Gebet lässt sich durchaus als Anwendung seiner Religionsphänomenologie lesen. Er versucht darin, die unüberschaubare Vielfalt des religionsgeschichtlichen Materials zu ordnen und „von innen heraus“ zu verstehen, was „das Wesen“ des Gebets ausmacht. Das besteht seiner Meinung nach „in der Relation zwischen Mensch und Gott“ (78: 148), wobei sich der Mensch bittend oder lobend an Gott wendet – eine Bestimmung, die Heiler als für die gesamte Religionswelt universal gültig erachtet. Dem liegt der Gedanke einer letzten Einheit aller Religionen zugrunde, und Heiler formuliert bewusst theologisch: „Aller Glaube, alle Religion wurzelt in der Ur-Offenbarung“ (ebd.: 148). Heiler unterscheidet drei Arten der Religionsforschung: eine, die in Längsschnitten historisch-geographisch an einzelnen Religionen orientiert ist; eine, die in Querschnitten verschiedene Typen von Religionen miteinander vergleicht; und eine – seine eigene –, bei der in konzentrischen Kreisen „die Religion der Menschheit als ein Ganzes genommen, die niedere und höhere Religion zusammengesehen“ (79: 19) wird. Von außen nach innen durchstößt die Religionsphänomenologie die sinnliche Erscheinungswelt, die geistige Vorstellungswelt und die psychische Erlebniswelt der Religion und dringt bis in den Kern vor, wo sich das Objekt der Religion, die göttliche Realität findet. Ein weiterer bekannter religionsphänomenologischer Entwurf, der in Gestalt eines umfangreichen Handbuchs ein monumentales Denkmal hinterlassen hat, ist der von Geo Widengren (1907–1996). Besonderes Charakteristikum dieses Werkes ist die Verbindung von systematischer und religionsgeschichtlicher Arbeit, wobei das Material, auf das sich die phänomenologische Interpretation bezieht, auf Widengrens eigenen philologischen und historischen Forschungen, insbesondere im Bereich der iranischen Religionsgeschichte, beruht. Widengrens Ansatz ähnelt dem von Heiler. Auch er fragt nach dem „Wesen“ der Religion, und auch er rückt den Gottesglauben in das Zentrum aller religiösen Erscheinungsformen. Um näher zu bestimmen, was das Wesen der Religion im Innersten ausmacht, stellt er die Religion der „Magie“ gegenüber: Wo der Mensch eine überlegene Macht als Gegenüber anerkennt, haben wir es mit Religion zu tun; wo er sie zu manipulieren sucht, liegt Magie vor. Widengren hat sich weitgehend darauf beschränkt, deskriptiv zu arbeiten. Mit Reflexionen über religionsphänomenologische Methodenfragen hält er sich weitgehend zurück. Wissenschaftssystematisch betrachtet er die Religionsphänomenologie als eine systematisch orientierte Unterdisziplin der Religionsgeschichte, der die Aufgabe zukommt, religiöse Erscheinungsformen zu beschreiben, zu ordnen, ihre Bedeutung zu interpretieren und die ihnen zugrundeliegenden Typen, Strukturen oder Mechanismen herauszuarbeiten. Die Kritik an Heiler und Widengren konzentriert sich unter anderem da-

Geo Widengren: religionsgeschichtliche Grundlage

Kritik an Heiler und Widengren: „Theologievorwurf“

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Systematische und phänomenologische Zugänge

Nathan Söderblom: Religion als Ausdruck des Heiligen

Rudolf Otto: das Numinose als mysterium fascinans et tremendum

rauf, dass beide davon ausgehen, die Gottheit erweise sich als das Wesen der Religion, und der Mensch reagiere in den Religionen lediglich in verschiedener Weise auf die Erfahrung Gottes; wie es sich dann mit Religionen ohne Gott verhalte, beispielsweise im Falle des frühen Buddhismus, erfordert aber im Rahmen einer solchen Theorie allerdings besondere Hilfskonstruktionen, um an der Allgemeingültigkeit und Übertragbarkeit des Entwurfes auf alle Religionen festzuhalten. Insbesondere Heiler gründet seinen Ansatz recht unverhohlen auf theologischen Voraussetzungen, was ihm wiederholt den Vorwurf eingebracht hat, ihm ginge es um eine „theologische Religionswissenschaft“ bzw. eine „religionsgeschichtliche Theologie“ (63: 26). Zwei Forscher, die ungefähr zur selben Zeit ihre Entwürfe entwickeln, suchen gleichfalls nach dem Wesen der Religion, bestimmen es aber nicht von der Gottheit her, sondern vom Begriff des „Heiligen“ als universalem und zentralem Element bzw. von der Beziehung zwischen heilig und profan: Nathan Söderblom und Rudolph Otto. Nathan Söderblom (1866–1931), lutherischer Bischof, Theologe und prominenter Religionsgeschichtler, gehört in die Reihe derer, die dazu beigetragen haben, der Religionsphänomenologie einen etablierten Platz innerhalb der Religionswissenschaft zu verschaffen. Berühmt geworden ist sein Ausspruch auf dem Totenbett: „Ich weiß, dass Gott lebt. Ich kann es beweisen durch die Religionsgeschichte“ (zit. n. 43: 169). Selbstverständlich lässt sich bloß spekulieren, was er damit gemeint haben könnte. Zumindest aber spiegelt es das, was sein Werk als ganzes durchzogen hat: sein Verständnis der Religion als Ausdruck des Heiligen, als Phänomen sui generis, das weder wegerklärt noch auf anderes reduziert werden darf. Fast wie eine Summe seines Denkens liest sich folgendes Zitat: „Heiligkeit ist das bestimmende Wort in der Religion; es ist sogar noch wesentlicher als der Begriff Gott. Die wahre Religion kann ohne bestimmte Auffassung von Gott bestehen, aber es gibt keine echte Religion ohne Unterscheidung zwischen ‘heilig’ und ‘profan’. […] Von allem Anfang an stellt das Heilige den wesentlichsten Zug des Göttlichen im religiösen Sinne dar“ (zit. n. 73: 76). Obgleich noch vor der Veröffentlichung von Rudolf Ottos opus magnum geschrieben, deutet dieses Zitat schon an, dass Söderblom in vielen Aspekten das Denken seines Marburger Kollegen widerspiegelt – und in manchem das vorwegnimmt, was später Mircea Eliade in extensiver Form entfalten wird. Söderbloms religionsphänomenologischer Entwurf hätte vielleicht mehr Aufmerksamkeit gewonnen, wenn nicht eine andere Publikation alles überragt und in seinen Schatten gestellt hätte: Rudolf Ottos Werk „Das Heilige“. Es erschien erstmals 1917 und enthält eine kompakte Theorie der Religion, die weit über die religionsphänomenologische Diskussion hinaus als umfassende Religionstheorie maßgebliche Bedeutung erlangte. Bereits der Untertitel des Buches skizziert ganz grob ein Programm: „Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen“. Ausgangspunkt ist dabei Ottos These, dass mit dem „Göttlichen“ ein Erfahrungsbereich gegeben ist, der zwar häufig mit „rationalen Prädikaten“ beschrieben wird, tatsächlich jedoch jenseits des Rationalen

Entwicklung religionsphänomenologischer Forschung

steht (ohne allerdings „antirational“ zu sein). Gott als Heiliges wurde im abendländisch-christlichen Denken stets zugleich als höchstes Gut und als vernünftiges Wesen gedacht, enthielt also eine ethische und eine rationale Komponente. Um sich dem „Irrationalen“ der Gottheit bzw. des transzendenten Anderen nähern zu können, präzisiert Otto seine Begrifflichkeit weiter. Das Heilige abzüglich der Elemente des Ethischen und des Rationalen nennt er das Numinose: Es kann nicht rational begriffen, sondern nur „erlebt“ werden im „Gefühl der Kreatur, die in ihrem eigenen Nichts versinkt und vergeht gegenüber dem, was über aller Kreatur ist“ (83: 10) – ein Gedanke, der sich, wenngleich in völlig anderer Terminologie, bereits bei Schleiermacher findet, der hier von „schlechthinniger Abhängigkeit“ sprach. Das Numinose selbst ist im Blick auf seine Reaktion, die es im Menschen hervorruft, durch zwei Merkmale gekennzeichnet: als mysterium tremendum, als Angst auslösendes Geheimnis, erweckt es im Menschen Gefühle des Schreckens und der Ehrfurcht, und als mysterium fascinans, als anziehendes Geheimnis, schlägt es den Menschen in seinen Bann und bewirkt in ihm Begeisterung. Selbstverständlich beschreibt Otto dieses ambivalente Numinose in seinen verschiedenen Schattierungen und illustriert es an vielfältigen Beispielen aus der Religionsgeschichte. Doch der entscheidende Zugang zum Verständnis des Irrationalen der Gottheit geschieht im Erleben, das er auch seiner Leserschaft in einem häufig zitierten Ratschlag anempfiehlt: „Wir fordern auf, sich auf einen Moment starker und möglichst einseitiger religiöser Erregtheit zu besinnen. Wer das nicht kann oder wer solche Momente überhaupt nicht hat, ist gebeten, nicht weiterzulesen. Denn wer sich zwar auf seine Pubertäts-gefühle Verdauungs-stockungen oder auch Sozial-gefühle besinnen kann, auf eigentümliche religiöse Gefühle aber nicht, mit dem ist es schwierig, Religionskunde zu treiben“ (ebd.: 8). Zu Ende gedacht, besagt dies: Nur wer selbst Erfahrungen mit Numinosem hat, kann verstehen, worum es in der Religion geht. Die Möglichkeit dazu ist nach Ottos Meinung jedoch jedem Menschen gegeben, es ist als „numinoses Gefühl“ in ihm vorhanden – gewissermaßen als anthropologische Konstante. Dies nennt Otto „a priori“, womit er sich einen Gedanken des Philosophen Immanuel Kant zu eigen macht: Ideen des Guten, der Absolutheit etc. ergeben sich nicht aus der Erfahrung, sondern sind im menschlichen Geist angelegt; in entsprechender Weise ist auch das Gefühl des Numinosen a priori im menschlichen Geist angelegt. Dabei handelt es sich um ein nicht abgeleitetes und auch nicht ableitbares Gefühl – und dies bedeutet in letzter Konsequenz, dass jeder Mensch nicht nur „von Natur aus“ religiös ist, sondern eigentlich auch religiöses Erleben haben müsste. Mehr noch als Söderbloms Ansatz ist Ottos Entwurf begeistert aufgenommen worden, hat aber zunehmend auch heftige Kritik erfahren. Obgleich beide nicht mit der Kategorie der Gottheit, sondern mit der des Heiligen als Zentralbegriff operieren, wird ihnen unter anderem vorgeworfen, dass diese Bestimmung des „Wesens“ der Religion auf ähnliche Probleme stößt: Hier wird eine spezifische Kategorie und ihre Grunderfahrung – die des Heiligen bzw. des Numinosen – als zentrales und universales Element pos-

Kritik an Söderblom und Otto

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Systematische und phänomenologische Zugänge

jüngere religionsphänomenologische Ansätze (Mensching, Lanczkowski, Goldammer)

jüngere Vertreter „klassischer“ Religionsphänomenologie: Bleeker, Khoury/ Girschek

tuliert, das der Wirklichkeit und Pluralität der Religionsgeschichte nicht gerecht wird. Dennoch hat dieser Ansatz auch Aufnahme und Weiterführung gefunden, so beispielsweise durch Mircea Eliade (1907–1986), den Nachfolger Joachim Wachs (1898–1955) in Chicago. Spätere religionsphänomenologisch orientierte Forscher im deutschsprachigen Bereich haben weitgehend darauf verzichtet, eine phänomenologische Methode in der Tradition Heilers auszuarbeiten und sich mehr oder weniger auf den Bereich der beschreibenden oder typologischen Religionsphänomenologie beschränkt. Gustav Mensching (1901–1978) entwickelt eine allgemeine Typologie der Religionen und einzelner religiöser Phänomene. Dabei geht er von einer grundlegenden Einheit aller Religionen aus, auf deren Grundlage religionswissenschaftliches Verstehen und Vergleichen möglich sein soll. Günter Lanczkowski (1917–1993) hat sich in seiner Einführung in die Religionsphänomenologie vornehmlich darauf beschränkt, einen Überblick über bestehende religionsphänomenologische Ansätze zu geben, allerdings keinen eigenständigen, weiterführenden Entwurf vorgelegt. Sein Anliegen ist es, Studierende hinzuführen „zur wissenschaftlichen, systematischen Anwendung des Vergleichs als des hermeneutischen Mittels zur Wesenserfassung religiöser Phänomene“ (25: VII), wobei er keine Vollständigkeit der Präsentation des religionsphänomenologischen Materials anstrebt, das er folgendermaßen einteilt: Gott und die Götter, Mythos, Heilige Ordnung, Typen religiöser Autorität, Heilige Sprache und heilige Schrift, Kult, Geschichtsbild. An anderer Stelle hat er sich spezifischen religionsphänomenologischen Studien gewidmet, z. B. in seinem Bändchen über Verborgene Heilsbringer. Kurt Goldammers (1916–1996) Formenwelt des Religiösen kann als exemplarisch für eine deskriptive Religionsphänomenologie gelten, die darum bemüht ist, die religiöse Erscheinungswelt in aller ihrer Vielfalt in den Blick zu nehmen. Goldammer möchte ihrem Variantenreichtum möglichst gerecht werden, indem er darauf verzichtet, sie in ein religionsphänomenologisches Gesamtsystem „einzuholen“. Vielmehr beschränkt er sich darauf, religiöse Vorstellungen, Handlungen etc. unabhängig von ihrem jeweiligen historischen, kulturellen und sozialen Kontext als eigenständige Phänomene aufzufassen und so zu klassifizieren, dass sie miteinander vergleichbar werden. Die in diesem Zusammenhang von Goldammer entwickelte Religionstypologie ist bislang wenig beachtet worden – vielleicht auch deshalb, weil er sie nicht weiter ausgearbeitet hat. Zu den Vertretern der „klassischen“ Religionsphänomenologie ist weiterhin C. J. Bleeker zu zählen, dem wir die übliche Einteilung der Disziplin in beschreibende und typologische Religionsphänomenologie sowie Phänomenologie „im eigentlichen Sinne“ verdanken. Ein Höhepunkt in der Diskussion um die Religionsphänomenologie war die Konferenz der International Association for the History of Religion (IAHR) in Turku (Finnland) im Jahre 1973. Hier stießen die unterschiedlichen Meinungen von Befürwortern und Gegnern einer religionsphänomenologischen Forschung aufeinander, ohne dass es zu einem Konsens über Eigenart, Methoden – und überhaupt: Sinn und Zweck der Disziplin gekommen wäre.

Entwicklung religionsphänomenologischer Forschung

Als jüngstes Beispiel einer religionsphänomenologischen Gesamtschau sei das auf zwei Bände angelegte Werk Das religiöse Wissen der Menschheit von Adel Theodor Khoury und Georg Girschek genannt. Im ersten Band werden Schöpfungsmythen und Erfahrungen der heiligen Macht bzw. der Gottesoffenbarung beschrieben, in ihrer Funktion analysiert und auf Gemeinsamkeiten befragt; der zweite Band soll Phänomene der sog. Schriftreligionen behandeln. Nach dem Verständnis der Autoren, die sich in ihrer Methodik völlig im Rahmen des klassischen Verständnisses religionsphänomenologischer Arbeit bewegen, „vertritt die Religionsphänomenologie keinerlei theologische Tendenz“ (167: 15). Die Durchführung und Präsentation selbst scheint jedoch eher das Gegenteil zu belegen und somit den immer wieder gegen die Religionsphänomenologie vorgebrachten „Theologieverdacht“ zu bestätigen. An mehreren Stellen werden Wertentscheidungen vorgenommen und daraus theologische Schlussfolgerungen gezogen – so z. B., wenn von Jesus als „Idealmodell der Erlösergestalt“ (ebd.: 305) die Rede ist. Widengrens Anspruch, dass die religionsphänomenologische Synthese auf soliden religionshistorischen Analysen basieren muss, ist in Bemühungen um eine „Historische Phänomenologie“ aufgenommen worden. Der Begriff findet sich bei mehreren Autoren (U. Bianchi, M. Dhavamony, N. Smart). Sie halten sich an die üblichen Prinzipien religionsphänomenologischer Arbeit (Epoché, Beschreibung, Typologisierung …), doch darüber hinaus geht es ihnen insbesondere darum, den historischen Kontext der untersuchten Phänomene sowie die Beziehungen zwischen diesen selbst stärker zu berücksichtigen. In Phenomenology of Religion unterstreicht Mariasusai Dhavamony außerdem den empirischen Charakter religionsphänomenologischer Forschung und stellt fest, dass ein Verstehen religiöser Phänomene nur über ihren „Ausdruck“, über das, worin sie sich manifestieren, möglich ist: Religiöse Phänomene sind „objektiv feststellbare“, aber „subjektiv verankerte Tatsachen“ (75: 16). Religionsphänomenologie als empirische Wissenschaft kann das „empirisch erfahrbare Wesen“ religiöser Phänomene erschließen, indem sie ihre innere Bedeutung erfasst – allerdings nur in der Gestalt, wie sie von den Menschen erfahren und gelebt werden. Im englischsprachigen Bereich hat außerdem insbesondere Ninian Smart (1927–2001) einige umfangreiche Werke veröffentlicht, die im Sinne der o. g. „Historischen Religionsphänomenologie“ konzipiert sind. Er belässt es allerdings nicht bei lediglich deskriptiver und typologischer Arbeit. Dies hat damit zu tun, dass er – ausgehend von seinem Verständnis einer „organischen Entwicklung“ der Religion und angesichts der fortschreitenden Globalisierung – den Gegenstand der Religionsforschung mehr und mehr ausweitet. Nun treten ganz allgemein „Weltanschauungen“ religiöser wie nichtreligiöser Art in den Mittelpunkt religionsphänomenologischer Arbeit, und das Interesse richtet sich darauf, welche Antworten sie auf menschliche Erfahrungen und existenzielle Fragen geben. Die Religionsphänomenologie, ja die gesamte Religionswissenschaft scheint damit ihre Aufgaben völlig zu verlagern. Sie dient nun vornehmlich der Interpretation der modernen Menschheitsgeschichte im globalen Kontext und wird so selbst zur

„Historische Religionsphänomenologie“: Dhavamony, Smart

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Systematische und phänomenologische Zugänge

J. Wach und die „Chicago-Schule“

M. Eliade: Religionsphänomenologie als Seinslehre

Quelle der kreativen Fortentwicklung dieser Weltanschauungen. Ihre Entdeckung eines grundlegenden „Föderalismus“ legt den Blick auf den weltanschaulichen Pluralismus frei, der durch interreligiösen bzw. interkulturellen Dialog eine gemeinsame Zukunft eröffnet. Ninian Smart nimmt damit eine Ausweitung des Verständnisses von Religionswissenschaft vor, die in vielem an Wilfred Cantwell Smith (1916–2000) erinnert. Dieser geht davon aus, dass das Phänomen „Religion“ insgesamt nur verstanden werden kann, wenn die Wechselbeziehung zwischen zwei Größen in den Blick genommen wird: zwischen dem „Glauben“ der einzelnen Gläubigen und den „kumulativen Traditionen“, in denen dieser Glaube sich entfaltet. Auch nach Smith eröffnen der interkulturelle Dialog und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Religionen und Weltanschauungen die Zukunft der Menschheitsgeschichte. Dies stellt einen Prozess dar, den die Religionswissenschaft „auf dem Weg zu einer Welttheologie“ – so der Titel eines seiner Spätwerke – reflektierend begleitet. Von verschiedener Seite ist bereits festgestell worden, dass Smarts Verständnis von Religionswissenschaft sich in seinen späteren Werken dem Eliades angenähert hat – zumindest, was Aufgabe und Zweck der Religionsforschung anbelangt und trotz aller Unterschiede in theoretischen Voraussetzungen und methodischen Ausführungen. Mircea Eliade (1907– 1986) ist der bekannteste Vertreter der sog. „Chicago-Schule“. Diese wurde durch Joachim Wach (1898–1955) begründet, der seit den 1930er Jahren die religionsphänomenologische Methode in den USA bekannt gemacht hat. Trotz seines religionssoziologischen Interesses und trotz seiner wiederholten Forderung nach strikt empirischer Orientierung in der religionswissenschaftlichen Forschung sieht er die Aufgabe der Religionswissenschaft unter anderem durchaus in ihrem Beitrag dazu, das „numinose Gefühl“ zu stärken und die Fähigkeit zur religiösen Erfahrung zu vertiefen. Mircea Eliade ist jedoch viel stärker als Joachim Wach an der religionsphänomenologischen Arbeit orientiert; er greift explizit die Kategorie des Heiligen auf und macht die Dichotomie von heilig und profan zur Grundlage seines Entwurfs. Eliades Einfluss auf die Religionswissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist kaum zu unterschätzen. Dazu haben insbesondere seine Studien über Yoga und über den Schamanismus sowie sein monumentales Werk über die Geschichte der religiösen Ideen beigetragen, aber auch seine religionsphänomenologischen Arbeiten wie z. B. Mythen, Träume und Mysterien und vor allem Die Religionen und das Heilige bzw. in gekürzter Ausgabe Das Heilige und das Profane. Eliade betrachtet Religion(en) als etwas, wo sich religiöser Sinn in sog. „Hierophanien“, Erscheinungen von etwas Heiligem, zeigt. Die Unterscheidung von heilig und profan dient ihm dabei quasi zur Entschlüsselung des Heiligen: Im Profanen zeigen sich universal gültige religiöse Symbole in ihrer empirischen, konkret erfahrbaren, kontext- und situationsbezogenen Dimension: Der Mond, das Wasser, die Steine etc. fungieren als „profane“ Träger dieser Symbole, die nach ihrer „heiligen“ Seite hin von kosmischer Bedeutung sind und auf transempirische, universale, jenseits von Raum und Zeit gültige Wahrheiten verweisen. Die Aufgabe der Religionsphänomenologie besteht nun darin, die Struktur der Symbole aufzuzeigen

Religionsphänomenologische Neuansätze

und den in ihnen enthaltenen Sinn zu entschlüsseln, der von existenzieller Bedeutung ist und den Menschen den Zugang zum „Sein“ erschließt. Eliade geht allerdings noch einen Schritt weiter. Er unterscheidet zwei große Typen von Religion bzw. religiöser Weltsicht: die archaisch-zyklische und die historisch-lineare. Erstere besitzt aufgrund ihrer Geschichtslosigkeit noch einen unmittelbaren Bezug zur übergeschichtlichen Wirklichkeit der Religion; letztere hat durch ihren „Fall“ – den „Fall“ in die Geschichte – diesen Bezug weitgehend verloren. Das findet in der Neuzeit durch den Prozess der Säkularisierung – den „zweiten Fall“ – ihre Fortsetzung: Den modernen Menschen ist nur noch partiell der Zugang zur religiösen Wirklichkeit – und damit zum Sein selbst – möglich. Eliade hat damit seine Religionsphänomenologie als eine Art „Seinslehre“ entworfen, in die er die einzelnen Religionen und religiösen Elemente einzuordnen versucht: Das Sein, der übergeschichtliche Sinnzusammenhang, „zeigt sich“; diese Erfahrung wird in religiösen Formen – als Mythen, Symbole, Riten usw. – konkret. Heiliges und Profanes treffen hier aufeinander und entfalten in ihren unterschiedlichen Ausprägungen durch die Menschen ihre religionsgeschichtliche Vielfalt. Doch im Grunde verweisen sie alle auf das eine Sein. Dies systematisch herauszuarbeiten ist Aufgabe der Religionsphänomenologie. Mit seinem Verständnis von Ziel und Aufgaben religionsphänomenologischer Arbeit hat Eliade sicherlich nicht unerheblich dazu beigetragen, dass die Religionsphänomenologie unter heftigen Beschuss gekommen ist. Viele Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler waren bald nicht mehr bereit, die metaphysischen Spekulationen, wie sie einzelne Vertreter des Faches praktizierten, zu akzeptieren. Die Religionsphänomenologie geriet unter „Theologieverdacht“. Die Kritik – zum Teil selbst von Vertretern der Disziplin vorgebracht – zielte zunächst vornehmlich auf die „Verstehende Religionsphänomenologie“. Doch bald blieben auch andere Richtungen, wie die „Beschreibende Religionsphänomenologie“, nicht mehr verschont. Viele, vielleicht die meisten Religionsforscherinnen und -forscher haben sich von ihr losgesagt. Die Wissenschaftlichkeit der religionsphänomenologischen Methode steht grundsätzlich in Frage, und es wird dafür plädiert, die Religionsphänomenologie zu „überwinden“ und möglichst zu „vergessen“ (5: Bd. I: 307 f.). Erst in jüngster Zeit wird wieder vorsichtig darüber nachgedacht, in welcher Hinsicht und unter welchen Bedingungen eine Neuformulierung der Religionsphänomenologie möglich sein könnte.

4. Religionsphänomenologische Neuansätze Die vorhergehende Übersicht hat gezeigt, dass es nicht die Religionsphänomenologie gibt, sondern eine Vielzahl religionsphänomenologischer Ansätze. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, es gäbe ebenso viele Ansätze, wie Religionsphänomenologen. Dasselbe gilt allerdings auch für diejenigen Positionen, die der Religionsphänomenologie kritisch gegenüberstehen. Religionsphänomenologische Neuansätze zeichnen sich nur

das Ende der Religionsphänomenologie in ihrer überkommenen Gestalt

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Systematische und phänomenologische Zugänge

J. Waardenburg und die „NeustilReligionsphänomenologie“

Religionsphänomenologie als Intentionsforschung

zögerlich ab. Zudem bewegen sie sich oft außerhalb der Nomenklatur „Religionsphänomenologie“. Das hat mit dem banalen Umstand zu tun, dass angesichts des Misstrauens gegenüber dieser Forschungsrichtung nur wenige sich heute noch als Religionsphänomenologe oder Religionsphänomenologin zu bezeichnen bereit sind. Allerdings werden viele inhaltliche Diskussionen, die früher innerhalb der Religionsphänomenologie stattfanden, inzwischen an anderer Stelle weitergeführt, wie z. B. die Debatte über religionswissenschaftliche Hermeneutik oder über Möglichkeiten und Perspektiven der Entwicklung von Typologien und Klassifizierungen in der Religionswissenschaft. Jacques Waardenburg hat seit mehreren Jahrzehnten nicht nur die bisherigen Entwicklungen in der Religionsphänomenologie immer wieder dargestellt und analysiert, sondern sich darum bemüht, diese Forschungsrichtung fortzuschreiben und weiterzuentwickeln. Dies tut er nicht, ohne selbst die „klassische“ Religionsphänomenologie einer grundsätzlichen Kritik zu unterziehen: Sie sei selbst oft zur Quasi-Theologie oder zur apologetischen Ideologie einer bestimmten Religion oder „des Religiösen“ geworden; sie habe in der Polemik gegen angeblich „reduktionistische“ Religionsforschung ihrerseits „Religion“ auf religiöse Erfahrung reduziert; sie sei durch ihre Fixierung auf idealisierte religiöse Gehalte blind geworden gegenüber institutionellen Aspekten und „äußerlichen“ Verhaltensmustern …, kurz gesagt: Sie sei darin gescheitert, religiöse Erscheinungsformen einsichtig zu machen und entsprechend darzustellen. Dennoch will Waardenburg die Religionsforschung nicht auf eine Tatsachenbeschreibung sichtbarer Ausdrucksformen oder eine rein rationalistische Theoriebildung beschränken, sondern sieht ihre vornehmliche Aufgabe in dem, was er als „Neustil-Phänomenologie“ bezeichnet. Sein Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass religiöse, aber auch andere kulturelle Phänomene nicht einfach einen Sinn „in sich“ tragen, also keine gleichsam „objektive“ Bedeutung haben. Vielmehr werden sie mit Sinn und Bedeutung besetzt. Die Forschung muss sich deshalb mit der Frage beschäftigen, welche Bedeutung die Phänomene für die Menschen haben, oder genauer: welchen Sinn die Menschen den Phänomenen zuschreiben. Sie hat sich also gewissermaßen der „subjektiven“ Seite der religiösen Erscheinungswelt zuzuwenden. Das geschieht, indem nach den Intentionen und Interessen gefragt wird, die in den subjektiven Sinndeutungen und Interpretationen zum Ausdruck kommen. In einem weiteren Schritt lassen sich diese Intentionen dann klassifizieren und analysieren. Die „objektiven Tatsachen“ empirischer Forschung werden somit als „menschliche Äußerungen“ interpretiert. Eine so verstandene Religionsphänomenologie sucht nicht mehr nach dem „Wesen“ der Religion oder religiöser Phänomene jenseits von Zeit und Raum, sondern fragt nun nach subjektiven Sinndeutungen innerhalb eines gegebenen zeitlichen und räumlichen Kontextes. Diese Neukonzeption der Religionsphänomenologie hat mehrere Vorteile. Einer ist darin zu sehen, dass sie über den Horizont einer „Vergleichenden Religionsgeschichte“ oder „Vergleichenden Religionswissenschaft“ hinausreicht: Sie eröffnet nämlich einen systematischen Zugang, bei dem nicht einfach bestimmte Erscheinungsformen religiöser Vorstellun-

Religionsphänomenologische Neuansätze

gen oder Handlungen aufgelistet und zusammengestellt werden, die sich ähnlich sind. Vielmehr fragt sie danach, welche Intentionen und Interessen bei der Interpretation dieser Phänomene und beim Umgang mit ihnen zum Ausdruck kommen. Dadurch wird vermieden, dass Phänomene zusammengestellt werden, die eigentlich nicht zusammengehören, da sie auf ganz unterschiedlichen Intentionen gegründet sind. Neustil-Religionsphänomenologie ist somit in erster Linie „Intentionsforschung“. Dabei konzentriert sie sich vornehmlich auf „religiöse Intentionen“, also auf Intentionen, die Phänomene und Tatbestände so deuten und interpretieren, dass sie für bestimmte Personen oder Gruppen einen absoluten bindenden, nicht hinterfragbaren Sinn erhalten. Solche religiöse Intentionen kommen in dem zum Ausdruck, was Waardenburg als „religiöses Imaginaire“, religiöse „Einbildung“ (imagination) bezeichnet. Diese ist nicht einfach als „Illusion“ abzutun, sondern beschreibt die Konstituierung subjektiver Sinndeutungen, wie sie sich dann in „äußerlich“ sichtbaren Religionsformen zeigen. Ein weiterer Vorteil der Neustil-Religionsphänomenologie besteht darin, dass die Konzentration auf die „subjektiven Sinndeutungen“ die Aufhebung der strikten Trennung zwischen religiösen, quasireligiösen oder nichtreligiösen Phänomenen erlaubt; diese unterscheiden sich entsprechend der Wertigkeit ihrer Bedeutung für die beteiligten Menschen, nicht entsprechend einer ihnen „objektiv“ als „religiös“ oder „nichtreligiös“ innewohnenden Qualität. Es gibt also nicht irgendwelche Erscheinungen, die an und für sich religiös wären, sondern es sind die Zuschreibungen, die Interpretationen und Deutungen, die sie religiös machen. Dasselbe Phänomen, derselbe Tatbestand kann für die einen in einem bestimmten Zusammenhang eine religiöse Bedeutung haben, für die anderen aber nicht. Religionen werden dabei als Sammelbecken, als „Systeme“ von Zeichen und Symbolen verstanden, die zwar mehr oder weniger miteinander zusammenhängen, aber grundsätzlich offen sind. Bei diesen Zeichen und Symbolen handelt es sich um Elemente unterschiedlicher Art und Herkunft, die Werte und Normen, Wahrheiten und Prinzipien repräsentieren, aber nicht zwingend als religiös verstanden werden müssen. Bestimmte Personen oder Gruppen wählen in bestimmten Situationen und im Rahmen eines bestimmten Verständnisses dieses Systems bestimmte Elemente aus, denen sie eine bestimmte Bedeutung geben und an denen sie sich orientieren. Die religionsphänomenologische Forschung ist darum bemüht, diesen äußerst komplexen Vorgang zu rekonstruieren, wobei sie sich vor allem auf die Frage konzentriert, welche Interpretation diesen Zeichen und Symbolen bzw. Symbolsystemen gegeben wurde oder wird und welche Bedeutung ihnen im jeweiligen Kontext zukommt. Das ermöglicht es, auch „Religion außerhalb der Religion“ in den Blick zu nehmen. Denn die Religionsphänomenologie beschäftigt sich vornehmlich mit der religiösen Deutung vorhandener Vorräte an Zeichen und Symbolen – und die kann auch außerhalb der herkömmlichen Religionen stattfinden. Schließlich wird durch die Einführung des Begriffs der Intention als Schlüsselkategorie die gegenwartsbezogenen Religionsforschung sowie die Erforschung religiösen Wandels und Neuer Religiöser Bewegungen erleichtert. Wir haben es hierbei nämlich mit Veränderungen in den „subjektiven

Konzentration auf subjektive Sinndeutungen

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Systematische und phänomenologische Zugänge

Reflexive Religionsphänomenologie: C. Colpe

Sinndeutungen“ zu tun, wobei alte und neue Elemente zusammengestellt, neu gedeutet und neu konstruiert werden. Diese Neukonstruktionen wiederum lassen sich im Blick auf ihre Intentionen und Interessen beschreiben, analysieren und klassifizieren. Der Neustil-Religionsphänomenologie stellt sich die Religionsgeschichte dar als Geschichte der ständigen Konstruktion und Dekonstruktion religiöser Phänomene und Religionen, also solcher Phänomene und Tatbestände, die aufgrund religiöser Intentionen als religiös wahrgenommen und gedeutet werden. Hinweise auf weitere Neuansätze finden sich im Umfeld der „Reflexiven Religionsphänomenologie“, die Waardenburg neben der Beschreibenden, Verstehenden und Neustil-Religionsphänomenologie als vierten religionsphänomenologisch orientierten Forschungsansatz nennt. In diesem Kontext hat auch Carsten Colpe einige Gedanken „Zur Neubegründung einer Phänomenologie der Religionen und der Religion“ (74: 131 ff.) skizziert. Ein Problem der phänomenologischen Methode besteht darin, dass sie Wesensaussagen über Phänomene unabhängig von deren historischen und sozialen Kontexten gewinnen will. Angesichts dieser „kaum lösbare(n) Aporie“ (ebd.: 146) fordert Colpe, die Religionsphänomenologie zur Geschichtswissenschaft und zur Sozialwissenschaft hin radikal offenzuhalten – auch um den Preis einer quantitativen bzw. qualitativen Partikularisierung ihres Geltungsbereiches. Eine weitere Schwierigkeit sieht er darin, dass zu einer Neubegründung der Religionsphänomenologie die Feststellung ihrer Autonomie nötig ist. Das wiederum hängt mit der Frage zusammen, ob die Religion ein nicht ableitbares Phänomen sui generis darstellt. Zu diesem Zweck müsste ausgeschlossen werden, dass Religion auf NichtReligiöses reduziert werden kann – und dies ist nicht der Fall. Doch es bleibt die Möglichkeit, den Status einer Autonomie der Religionsphänomenologie hypothetisch anzunehmen und das religionsphänomenologische Arbeitsprogramm quasi „provisorisch“ durchzuführen, wobei die Ergebnisse der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschung sowie diverser anderer Wissenschaften integriert werden müssen. Dabei sind insbesondere zwei weitere Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen ist darauf zu achten, dass der Vergleich von Phänomenen im Zusammenhang komplexer Systematisierung zu erfolgen hat, die ihm zu einer Mehrdimensionalität verhilft. Zum anderen muss die Religionsphänomenologie eine Metasprache entwickeln, die klar von der Objektsprache – also der Sprache ihrer eigenen Quellen – unterschieden ist. Mit seinen Überlegungen hat Colpe auf hohem Niveau einige Eckdaten zur Neubegründung einer Religionsphänomenologie skizziert. Mehr noch als Waardenburgs Ausführungen zur Neustil-Religionsphänomenologie harren sie der weiteren Diskussion, der konkreten Umsetzung und der breiteren Anwendung. Offensichtlich ist bislang also der Durchbruch zur Wiederbelebung der Religionsphänomenologie noch nicht gelungen.

Religionswissenschaftlicher Vergleich

5. Der religionswissenschaftliche Vergleich Das Vergleichen gehörte von Beginn an zu den zentralen Aufgaben religionswissenschaftlicher Arbeit. Bereits Max Müller war davon ausgegangen, dass Religionswissenschaft sinnvollerweise nur als Vergleichende Religionsgeschichte betrieben werden kann. Das bringt auch sein berühmtes Diktum zum Ausdruck „Wer eine (Religion) kennt, kennt keine.“ (59: 14). Die Bedeutung dieser Zugangsweise spiegelt sich darin, dass über viele Jahrzehnte hin die akademische Religionsforschung unter dem Begriff „Vergleichende Religionswissenschaft“ – oder Englisch: Comparative Religion, wie das Fach an manchen US-amerikanischen Colleges bis heute heißt – firmierte. Für die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der Religionsforschung war von besonderer Bedeutung, dass die vergleichende Methode die Möglichkeit eröffnete, die Allgemeinheit religiöser Phänomene aufzuzeigen. Das, was im „christlichen Abendland“ über Jahrhunderte hinweg als einmalig erachtet wurde, fand sich plötzlich in ähnlicher Gestalt auch in anderen Religionen: Messiasvorstellungen, der Gedanke eines Gottmenschen, Geburtsgeschichten der Religionsstifter … Es war zu vermuten, dass sich letztlich kein religiöses Phänomen nur in einer einzigen Religion finden ließ, sondern in mehreren – auch in solchen, die keine geschichtliche Verbindung zueinander hatten. Hieraus wurde auf die Allgemeinheit bestimmter religiöser Phänomene geschlossen. In dieser Allgemeinheit sah man auch den Sinn, die eigentliche Bedeutung der jeweiligen Phänomene bewahrt. Die Phänomene selbst galten lediglich als Varianten, die im Laufe der geschichtlichen Entwicklung entstanden waren und verschiedene Gestalten angenommen hatten. Der Vergleich sollte ihren allgemeinen Sinn erschließen und der Religionsforschung den Weg eröffnen, zur Erkenntnis des „Wesens“ der Religion durchzustoßen. Doch zumeist stehen andere Dinge im Vordergrund, wenn der Vergleich in der Religionswissenschaft zur Anwendung kommt. Er bietet sich ganz grundsätzlich dann als hilfreiches Vorgehen an, wenn es darum geht, Informationen aus der religionsgeschichtlichen Arbeit zu systematisieren, um die Vielfalt der Dinge zu ordnen. Dabei können zugleich Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede entdeckt werden. Beispielsweise stellte die ältere Vergleichende Religionsforschung in Analogie zur Sprachwissenschaft bestimmte „Religionsfamilien“ wie die indogermanischen Religionen zusammen. Umgekehrt konnten allerdings auch innerhalb zusammengehöriger Religionsgruppen – wie etwa den „Altorientalischen Religionen“ – gerade bei ähnlichen Überlieferungen (z. B. Schöpfungsgeschichte, Sintflutbericht etc.) bedeutsame Unterschiede herausgearbeitet werden. Zunächst müssen wir uns jedoch in einem ersten Schritt über verschiedene Formen des Vergleichs klar werden. In der religionsgeschichtlichen Forschung im engeren Sinne dient das vergleichende Verfahren zumeist dazu, ältere von jüngeren Quellen zu unterscheiden. Wo es sich beispielsweise um Texte handelt, ermöglicht der literarisch-geschichtliche Vergleich, Entwicklungen innerhalb einer schriftlichen Überlieferung nachzuzeichnen, eine ursprüngliche Textform zu rekonstruieren oder auch die

Religionswissenschaft als Vergleichende Wissenschaft

Quellenscheidung durch religionsgeschichtliche Vergleiche

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Systematische und phänomenologische Zugänge

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Phänomene

Beziehungen zwischen unterschiedlichen Varianten zu erhellen. Ein gutes Beispiel hierfür sind wissenschaftliche Arbeiten über die Frage der Entstehung des koranischen Textes oder auch Untersuchungen im Rahmen der historisch-kritischen Bibelexegese, die hier im Laufe der Zeit besonders verfeinerte Methoden entwickelt hat. Ziel dieser Art des Vergleichens ist es, das Besondere oder gar Einmalige herauszuarbeiten, um geschichtliche Entwicklungslinien nachzeichnen zu können. Ein solches Vorgehen erweist sich auch für die systematische Religionsforschung als äußerst ertragreich. Deren Interesse richtet sich allerdings weniger auf Details diachroner Entwicklungsverläufe innerhalb einer religiösen Tradition, als vielmehr auf die nachvollziehbare Gegenüberstellung von Erscheinungsformen, um ihre Gemeinsamkeiten, aber auch Eigenheiten zu beleuchten. Das ist bereits dann zu leisten, wenn lediglich zwei Phänomene miteinander verglichen werden. Der Vorteil dieser Beschränkung liegt darin, dass der Vergleich in die Tiefe geht, da das Verglichene in seinem jeweiligen Gesamtzusammenhang in den Blick kommt. Dabei kann es sich um verschiedene Dinge handeln – einzelne Begriffe, Lehren, Riten, Organisationsformen, ethische Normen, bestimmte Berufsgruppen und Gestalten … Beispiele hierfür wären etwa: der christliche und islamische Begriff des „Glaubens“, die hinduistische und buddhistische karma-Lehre, das Opfer im Islam und in afrikanischen Religionen, das Mönchtum in Buddhismus und Christentum, wirtschaftsethische Prinzipien in Islam und Christentum, die Gestalt des Mose in Judentum und Islam oder der afrikanische mganga und der muslimische mwalimu. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass stets nur Vergleichbares aufeinander bezogen wird: So ist es beispielsweise wenig sinnvoll, Gott im Judentum oder im Islam mit den buddhistischen deva („Göttern“) zu vergleichen; hier stehen sich nicht nur zwei völlig verschiedene Vorstellungswelten gegenüber – hier eine monotheistische, dort eine von ihrer Tradition her potenziell „a-theistische“ –, sondern auch der Stellenwert von Gott und den deva ist völlig unterschiedlich. Um einen sinnvollen Vergleich durchzuführen, muss das Verglichene je im Detail analysiert werden: Welche Voraussetzungen muss ein mwalimu bzw. ein mganga erfüllen, was sind seine Pflichten und Aufgaben? Bereits hieraus lässt sich zumeist feststellen, was überhaupt miteinander verglichen werden kann; beispielsweise beschreibt der kalâm, die islamische „Theo-Logie“, im Grunde nur die „Gotteslehre“ und macht somit lediglich einen winzigen Bruchteil dessen aus, was im Christentum unter „Theologie“ verstanden wird. Weiterhin ist zu fragen, wie die miteinander verglichenen Elemente in den Gesamtzusammenhang der jeweiligen Religionen eingebaut sind: Welche Stellung hat das Schlachtopfer am Ende des Fastenmonats innerhalb des Islams im Vergleich zur Stellung eines Schlachtopfers am Gedächtnisfest zu Ehren der Verstorbenen in einer afrikanischen Religion? Schließlich ist darauf zu achten, dass auch der Lebensbezug des Verglichenen berücksichtigt wird: Stehen das Gebot der Sabbatruhe oder die Einhaltung der Fastenvorschriften im Ramadan nur „im Buch“, oder wer-

Religionswissenschaftlicher Vergleich

den sie gelebt? – Als Faustregel kann hier gelten, was Hans-Jürgen Greschat über religionswissenschaftliche Vergleiche festgestellt hat: „Der komplette Vergleich eines Themas umfasst mithin zwei Antworten auf drei Fragen: (1) Wie ist etwas aufgebaut und eingebaut? (2) Wie funktioniert es? (3) Wie gehen die Gläubigen damit um?“ (11: 105). In eine andere Richtung geht die vergleichende Forschung, wenn das Interesse darauf gerichtet ist, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, um allgemeingültige Regeln zu entdecken – oder sie zu überprüfen und dadurch gegebenenfalls die Behauptung vermeintlicher Gesetzmäßigkeiten zu widerlegen. Ziel dieser Art des Vergleichens ist es, aus einem bestimmten Erkenntnisinteresse heraus danach zu fragen, ob, und wenn ja, welche allgemeinen Regeln sich im Blick auf die jeweilige Fragestellung feststellen lassen. Ein solches Vorgehen könnten wir auch als „induktive vergleichende Methode“ bezeichnen: Ausgehend vom empirischen Material werden die unterschiedlichen Erscheinungsformen nach bestimmten Typen geordnet. Ich versuche in diesem Fall also gewissermaßen, die verglichenen Phänomene selbst „sprechen“ zu lassen; so komme ich vielleicht zu einer Einteilung, die beispielsweise das Gebet als typische Erscheinung in zwei, drei oder mehreren Religionen entdeckt und dann als religionsübergreifende „Klasse“ religiösen Handelns oder religiöser Kommunikation begreift. Ein solches Vorgehen wirft allerdings einige kritische Fragen auf. Denn es geht in gewisser Weise von der idealistischen Annahme aus, dass sich die Kriterien des Vergleichs gewissermaßen aus dem Vergleich selbst ergeben – als ob die verglichenen Phänomenen in sich Hinweise darauf tragen könnten, nach welchen Maßstäben sie welchen Gruppen zuzuordnen sind. Das mag in Ausnahmefällen möglich sein – so vielleicht, wenn zwei Texte sich gleichermaßen als von Gott offenbart verstehen. Fraglich bleibt dabei allerdings immer noch, nach welchen Kriterien die Phänomene aus ihrem Gesamtzusammenhang herausgelöst wurden und was sie zu „religiösen“ Phänomenen macht. Außerdem ist zu fragen, wie sich verhindern lässt, dass ich trotz dieses induktiven Vorgehens letztlich nicht doch bewusst oder unbewusst, absichtlich oder unbeabsichtigt, von meinen – z. B. christlich und europäisch geprägten – Konstruktionsprinzipien ausgehe und den Vergleich unter Vorgaben durchführe, die dem Verglichenen selbst fremd sind. Das lässt sich auch an unseren Beispielen verdeutlichen: Der Annahme der Allgemeinheit des Gebets im oben genannten Sinne liegen eindeutig christlich geprägte Vorstellungen zugrunde; doch schon im Vergleich mit dem Islam zeigt sich sofort, dass wir es mit völlig unterschiedlichen Auffassungen von „Gebet“ zu tun haben, zumindest was das rituelle Pflichtgebet (salât) anbelangt. In der Praxis sieht das Verfahren zur Einteilung in Klassifikationen jedoch ohnehin meist anders aus: Die Phänomene werden nach Prinzipien zusammengestellt, die nicht aus dem Vergleich gewonnen sind, sondern auf Unterscheidungsmerkmalen beruhen, die von anderen, den Erscheinungen vorgeordneten und damit grundsätzlich „sachfremden“ Kategorien der Klassifikation abgeleitet sind. Ein solches Vorgehen könnten wir auch als „deduktive vergleichende Methode“ bezeichnen. In diesem Fall gehe ich

induktive vergleichende Methode: vom Material zur Klassifikation

deduktive vergleichende Methode: Ordnung des Materials nach Theorien

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Systematische und phänomenologische Zugänge

wertender Vergleich

von einer bestimmten Theorie aus und ordne die Vielfalt der religiösen Erscheinungsformen nach gewissen Kategorien. Auch dieses Prozedere wirft selbstverständlich einige kritische Fragen auf. Bedauerlicherweise werden nämlich häufig jene „sachfremden“ Kategorien der Klassifikation nicht offengelegt bzw. beruhen auf unbewussten Normen, die der Tradition der eigenen religiösen und kulturellen Überlieferung entnommen sind. Das größte Problem bei einem solchen Vorgehen besteht darin, dass Phänomene oftmals nach einem „analogen“ Verfahren zusammengestellt und verglichen werden. Dabei wird nicht in Rechnung gestellt, dass diese Phänomene in unterschiedlichen Traditionen völlig unterschiedliche Positionen einnehmen. Den Koran mit der Bibel oder die Gestalt Christi mit der Mohammeds zu vergleichen geht in gewisser Hinsicht an der Sache vorbei, wenn wir nicht fragen, welchen Stellenwert das hier miteinander Verglichene im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Religion hat; wird das berücksichtigt, müssen nämlich eher Christus mit dem Koran, Mohammed mit Paulus und die Bibel mit dem hadîth, den tradierten Sammlungen der Aussprüche Mohammeds und Berichte seiner Taten, verglichen werden. Davon unberührt bleibt nochmals die Frage, inwieweit der Vergleich tatsächlich ohne vorgängige Wertungen durchzuführen ist. Der Ausweg, Vertreter der jeweiligen Religion beim Vorgang des Vergleichens zu Wort kommen zu lassen, ist ehrenwert, dient dem Dialog zwischen den Religionen und hebt die je unterschiedlichen Positionen hervor, aus deren Perspektiven heraus sich die Wertungen erklären, kann unter religionswissenschaftlicher Perspektive jedoch das grundsätzliche Problem nicht lösen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist am ehesten darin zu sehen, dass auch beim religionswissenschaftlichen Vergleich ein „polyperspektivisches“ Vorgehen, d. h. die Einbeziehung und Reflexion möglichst vieler Faktoren und Bedingungen aus wechselnden Perspektiven, gewährleistet ist. Bei der Frage nach unterschiedlichen Formen des Vergleichs ist auch über Absichten und Ziele nachzudenken, die den Vorgang des Vergleichens selbst massiv prägen. So gibt es beispielsweise „wertende“ Vergleiche, wobei sich allerdings nochmals verschiedene Formen unterscheiden lassen. Weit verbreitet ist ein Vorgehen, das darauf zielt, beim Vergleichen das Andere, Fremde abzuwerten, wobei Unterschiede zum Eigenen als Defizite gewertet werden, so etwa, wenn von christlicher Seite das islamische Sündenverständnis als „oberflächlich“ gebrandmarkt wird, da diesem der Gedanke einer Erbsünde fremd ist; denkbar ist aber auch, dass mit dem Vergleich das Eigene relativiert oder sogar vertieft werden soll, so z. B. wenn Muslime in der biblischen Passionsgeschichte die Dimension des Leidens entdecken, das in der koranischen Christologie kaum eine Rolle spielt. Der Ausgangspunkt für einen solchen wertenden Vergleich kann ganz unterschiedlich begründet sein. Häufig ist die Nähe des verglichenen Fremden zum Eigenen – sei es die geographische, die zeitliche oder die inhaltliche Nähe – bereits ein bedeutsamer Faktor, der sich im wertenden Vergleich niederschlägt. Die Wertung selbst kann unterschiedlich begründet sein, je nachdem, welche Kriterien angelegt werden: So mag beispielsweise das Christentum und dessen vermeintliche religiöse

Religionswissenschaftlicher Vergleich

Überlegenheit oder die „westliche“ Gesellschaft und die von ihr beanspruchte Modernität als Norm erscheinen; möglicherweise wird auch, ausgehend von einem evolutionistischen Geschichtsverständnis, das angeblich im Abendland repräsentierte höchste Niveau der historischen Entwicklung zur Grundlage des Vergleichs. Ein Sonderfall des Vergleichs liegt vor, wenn er dazu dienen soll, einen allen religiösen Erscheinungen zugrundeliegenden „religiösen“ Tiefensinn zu erschließen. In diesem Fall dient das Vergleichen einem religiösen Ziel und wird so selbst zu einem religiösen Vorgang. Ein solches Verständnis der Vergleichs lässt sich im Werk von Mircea Eliade vermuten, der beispielsweise aus einem Vergleich zwischen der Bedeutung von Naturphänomenen in unterschiedlichen Traditionen eine den vielfältigen Erscheinungsformen zugrundeliegende Sinnstruktur erschließen wollte: Dieser „ontologische“ Vergleich fragt nach dem allem Sein zugrundeliegenden ontischen Sinn, dem „Seins-Sinn“ der religiösen Phänomene. Weit verbreitet war – beginnend mit der Komparatistik der „Vergleichenden Religionsgeschichte“ bzw. der Comparative Religion – bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus das Bemühen um einen „empirischen“ Vergleich. Dieser Vergleich selbst weist in der Regel wiederum unterschiedliche Dimensionen auf. Grundlage ist der konkrete, exaktbeschreibende Vergleich, der ohne weitere theoretische Reflexionen Ähnlichkeiten und Unterschiede zusammenstellt. Der Vergleich kann jedoch auch aus der Perspektive einer übergeordneten theoretischen Prämisse oder einer allgemeinen abstrakten Fragestellung erfolgen. Insbesondere der oben erwähnte „Vergleich zwischen zweien“ dient in diesem Zusammenhang bisweilen dazu, Theorien zu überprüfen: Beispielsweise wird die Theorie des Religion-Umwelt-Zusammenhangs – also die Annahme, dass ähnliche ökologische, ökonomische, gesellschaftliche und politische Umstände ähnliche Religionsformen (mit-)bedingen –, durch Vergleiche zwischen der Religion der nomadischen Maasai in Ostafrika und der Religion der nomadischen Fulbe in Westafrika bestätigt. Doch dieses Beispiel verweist indirekt schon auf die Formen und Zielsetzungen eines anderen Typs des religionswissenschaftlichen Vergleichs, wie er heute mehr und mehr üblich geworden ist: den „kontextuellen“ Vergleich. In den letzten Jahrzehnten hat der „kontextuelle“ Vergleich an Bedeutung gewonnen. Er beruht auf der Überlegung, dass ein Vergleichen unterschiedlicher Phänomene über die Religionen hinweg den Kontext der verglichenen Erscheinungen nicht nur berücksichtigen, sondern ihm einen besonders hohen Stellenwert zurechnen muss: den Ort des zu Vergleichenden im religiösen Gesamtsystem, die Gesellschaftsordnung, Sozialstruktur, Wirtschaftsform, politische Organisation usw. Damit wird das Vergleichen zu einem äußerst komplexen, aufwendigen Vorgang. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Vergleich nur auf wenige Religionen begrenzt wird, dadurch allerdings auch eine entsprechende Vertiefung erhält. Um ihrer schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, stützt sich die Religionswissenschaft hierbei auf die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen insbesondere aus dem Bereich der Human- und Sozialwissenschaften. Die Voraussetzungen und Bedingungen dieser Art des Vergleichs hat insbesondere

ontologischer Vergleich

empirischer Vergleich

kontextueller Vergleich

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Systematische und phänomenologische Zugänge

unterschiedliche Streubreite und Tiefendimension des Vergleichs

J. Waardenburg in seiner Einführung in die Religionswissenschaft beschrieben. Neben unterschiedlichen Formen des Vergleichs sowie den damit verfolgten Absichten und Zielen lassen sich noch weitere Aspekte benennen, aus denen die Komplexität des religionswissenschaftlichen Vergleichens ersichtlich wird. Da gibt es zum einen verschiedene Streubreiten des religionswissenschaftlichen Vergleichs, die nochmals in sich differenziert sind: Der Vergleich kann begrenzt sein und sich auf zwei oder mehrere Phänomene beziehen – oder eine globale Perspektive haben und so viele Phänomene wie möglich berücksichtigen. Dabei können wir die verglichenen Phänomene als Einzelerscheinungen, auf eine bestimmte Funktion hin, oder in ihrem Gesamtkontext untersuchen. Wenn wir uns beispielsweise darauf beschränken, neutestamentliche und koranische Wundergeschichten miteinander zu vergleichen, lösen wir konkrete Einzelphänomene aus ihrem Kontext heraus und analysieren Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede. Eine Ausweitung in die Breite ist dadurch möglich, dass wir auch Wundergeschichten aus anderen religiösen Traditionen in den Vergleich mit einbeziehen – sei es aus einem geographisch (z. B. Naher Osten) oder historisch (z. B. zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 8. Jh. n. Chr.) begrenzten Bereich, sei es durch die Berücksichtigung aller verfügbaren Wundergeschichten in der Perspektive eines globalen Vergleichs. Diese Breitendimension würde ein Vergleich gewissermaßen „quer“ ergänzen, der beispielsweise nach der Funktion der Wundergeschichten im Kontext der jeweiligen Schriften fragt oder gar die Gesamtsituation, in die eine solche Erzählung je gehört, zu berücksichtigen versucht. Zum anderen lassen sich verschiedene Tiefendimensionen des religionswissenschaftlichen Vergleichs unterscheiden: Wir können Vergleiche aus einer Perspektive heraus durchführen, die nicht von den untersuchten Phänomenen ausgeht, sondern von allgemein-menschlichen oder theoretischwissenschaftlichen Fragestellungen.

6. Religionstypologie

Religionstypologie und Typologie der Religionen

Der Begriff „Religionstypologie“ ist bis heute von großer Unklarheit gekennzeichnet. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen besteht über den Religionsbegriff kein Einvernehmen, zum anderen war der Typenbegriff mehrfachem Bedeutungswandel unterlegen, was seinen Gebrauch für die Religionswissenschaft nicht gerade empfiehlt. Hinzu kommt, dass auch in der Religionswissenschaft der Terminus „Religionstypologie“ äußerst unterschiedlich verwendet wurde. So hat beispielsweise Lanczkowski zwischen „Religionstypologie“ und „Typologie der Religionen“ unterschieden, wobei er letztere einmal der Religionsphänomenologie, ein andermal der Religionstypologie zuordnet. Religionstypologie versteht er dabei als „sachgemäße Art der Erfassung von Wandel und Pluralismus der Religionen“ (12: 50), während die „Typologie der Religionen“ „nicht den religionsgeschichtlichen Wandel, wohl aber den Pluralismus der Religionen“ betrifft. Damit ist „die Erfassung ihrer je-

Religionstypologie

weils typischen Züge, ihrer dominierenden Eigenarten gemeint …, die dann das Prinzip einer Gruppierung und Einteilung der Religionen bilden sollen“ (ebd.: 53). Wir wollen hier „Religionstypologie“ so verstehen, dass es um eine Typologie der Religionen geht. Diese ist darum bemüht, typische Elemente und vorherrschende Eigenschaften in den Religionen zu erfassen, um darauf aufbauend die Religionen selbst in entsprechender Weise einander zuzuordnen und in Gruppen einzuteilen. Viele jüngere Versuche einer Religionstypologie nehmen ihren Ausgang von Joachim Wachs Entwurf, der sich seinerseits auf Vorarbeiten zur Formulierung einer Typenlehre insbesondere aus dem 19. Jahrhundert bezieht und diese weiterentwickelt. Bereits in seiner 1924 veröffentlichten Habilitationsschrift hatte Wach gefordert, neben einer materialen Religionssystematik, die sich mit dem „empirisch Konkreten“ beschäftigt und einzelne Elemente religiöser Konzeptionen systematisch erschließt, eine formale Religionssystematik zu erstellen. Diese soll von dem empirisch Konkreten abstrahieren und das Gemeinsame herausarbeiten, indem „idealtypische“ Begriffe und Strukturen zu Typen zusammenstellt werden. Wach hat zwar die geforderte formale Religionssystematik als in sich geschlossene Gesamtkonzeption nicht vorgelegt, wohl aber in der Gegenüberstellung von Gemeinsamkeiten und Besonderheiten wichtige Hinweise für die Weiterarbeit auf religionstypologischem Gebiet gegeben: Die Besonderheiten können eine Grundlage dafür bilden, Religionen als Ganze zu typologisieren, während die Gemeinsamkeiten die Erstellung religionsübergreifender Typologien ermöglicht; solche Religionen haben beispielsweise Typen religiöser Führer, religiöser Gruppenbildung und religiöser Autorität gemeinsam. Ein späterer Ansatz zu einer Religionstypologie findet sich bei Kurt Goldammer. Er geht davon aus, dass bereits individuelle Persönlichkeiten eine „typenbildende Kraft“ entwickelt haben; gerade in ihrer Einmaligkeit sind sie zum Typ geworden und haben dadurch erst Typen geschaffen – den Heiligen, den Stifter, den Reformator etc. Entsprechendes findet sich bei Mythen oder Riten und anderen Bereichen. So haben sich im Verlauf eines komplizierten Prozesses schließlich verschiedene Typen herausgebildet: Im Blick auf ihre Besonderheiten unterscheidet Goldammer zwischen prophetischen, kultisch-priesterlichen und mystischen Religionstypen, und hinsichtlich der Gemeinsamkeiten nennt er Typen wie die Glaubensreligion, den mystisch-kontemplativen und ethisch-prophetischen Typ, und weiter die Kult- und Gesetzesreligion. Goldammer hat allerdings ebenso wenig wie Wach seinen Ansatz in Form einer in sich geschlossenen Religionstypologie präsentiert. In den typologischen Mustern sieht er vornehmlich methodische Grundsätze, die neue religionswissenschaftliche Erkenntnisse eröffnen: „heuristische Prinzipien“. Carsten Colpe hat u. a. dafür plädiert, eine „Typologie nach Strukturen“ (5: Bd. V: 431) vorzunehmen, die von der Verhältnisbestimmung von „heilig“ und „profan“ ausgeht. Die für die Unterscheidung grundlegenden Typenmerkmale finden sich dabei weniger im eigentlich religiösen, sondern vornehmlich im historisch-sozialen Bereich, unterliegen allerdings

formale und materiale Religionssystematik (J. Wach)

typologische Muster als heuristische Prinzipien (K. Goldammer)

Typologisierung nach Strukturen (C. Colpe)

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Systematische und phänomenologische Zugänge

allesamt der wechselseitigen Spannung von heilig und profan; beispielsweise lassen sich für religiöse Orden mehr Unterscheidungsmerkmale feststellen, wenn wir sie als soziale Organisationsform betrachten, als wenn wir in ihnen lediglich eine Gruppe von Gottesfürchtigen sehen. Colpe schlägt entsprechend folgende Typologisierung nach Strukturen vor: – Der umwelt- und sprachorientierte Typ: Hier sind heilig und profan in einem wechselseitigen Verhältnis so aufeinander bezogen, dass die Integration von Religion und Umwelt zum entscheidenden Merkmal wird und die Religion kaum eigenständige Institutionen hervorbringt. Beispiele hierfür wären die sog. prähistorischen und viele der traditionellen, ethnischen Religionen Nordeurasiens. – Der kulturell desintegrierte Typ: Heilig und profan sind polarisiert und entsprechend stehen sich religiöse und kulturelle Merkmale unabhängig gegenüber, wobei die Religion in selbständigen Institutionen organisiert sein kann. Dies ist beispielsweise bei den alten südamerikanischen Religionen und bei vielen der traditionellen Religionen des mediterranen Raumes der Fall. – Der ritenorientierte Typ: Besondere Merkmale sind hier selbständige Riten, denen oftmals eine von ihnen unabhängige Ethik korrespondiert. Beispiele sind u. a. die altindischen (vedischen) Religionen, die alte BonReligion Tibets oder die kanaanäischen Religionen. – Der zeitbezogene Typ: Hier tritt ein lineares Zeitverständnis mit Vorstellungen von einem Anfang und Ende der Welt als besonderes Merkmal in den Vordergrund. Das frühe Christentum und der frühe Islam sind profilierte Beispiele hierfür. – Der normenorientierte Typ: Das Merkmal der Orientierung an Normen schlägt sich hier nicht im Ritual, sondern im rechten Handeln, in der Orthopraxis, nieder. Als Beispiele wären hier etwa der Konfuzianismus oder das rabbinische Judentum anzuführen. – Der synkretistisch-komplexe Typ: Die vorübergehende Verbindung vielfältiger Elemente unterschiedlicher religiöser und kultureller Herkunft bedingt die Vielfalt der Merkmale. Beispiele sind u. a. die hellenistisch-synkretistischen Religionen oder Umbanda und Macumba. – Der synthetisch-komplexe Typ: Hier verbinden sich Elemente unterschiedlicher Herkunft nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer. Als Beispiele wären u. a. die großen Religionen wie neuzeitliches Judentum, Christentum, Islam und Mahâyâna-Buddhismus zu nennen. Die Aufgabe einer Religionstypologie ist bislang noch nicht in befriedigender Weise gelöst. Dies mag damit zu tun haben, dass sie unmittelbar mit den Problemen und Aporien verbunden ist, denen sich die Religionsphänomenologie insgesamt gegenübersieht. Nicht umsonst stellt Carsten Colpe die Aufgabe der Formulierung einer Religionstypologie in den Mittelpunkt seiner Vorschläge zur Neubegründung einer Religionsphänomenologie. Beide – Religionstypologie und Religionsphänomenologie – gehen dabei ein Stück weit ineinander auf.

V. Religionssoziologische Zugänge 1. Geschichte und Richtungen religionssoziologischer Forschung Religionssoziologie hat es mit Fragen der Beziehung zwischen Religion(en) und Gesellschaft(en) zu tun. Die Grenzen zur Religionsethnologie sind fließend – mehr noch: die Unterscheidung zwischen beiden ist letztlich künstlich und lässt sich nur bedingt mit dem Hinweis auf eine bestehende Arbeitsteilung rechtfertigen: In der Tat hat sich die Religionssoziologie auf Religionen in komplexen, modernen Gesellschaften konzentriert und die Religionen vornehmlich schriftloser Kulturen der Religionsethnologie überlassen. Die Religionssoziologie steht in gewisser Weise als „Bindestrich-Disziplin“ par excellence zwischen der Religionswissenschaft und der Soziologie, mit leichter Gewichtsneigung hin zur Soziologie. Daraus ergibt sich auch ihre spezifische Sichtweise auf Religionen und religiöse Gestaltungsformen: Religion erscheint – wie andere Äußerungen menschlicher Erfahrung und Kultur – als Produkt menschlicher Interaktion, als eine spezifische Form der sozialen Konstruktion. Religiöses kommt also als Ausdruck von Sozialem in den Blick und wird im Rückgriff auf Soziales erklärt. Das hat der Religionssoziologie den Vorwurf des „Soziologismus“ oder des „Reduktionismus“ eingetragen: Sie ignoriere die charakteristische Eigenart religiöser Phänomene und Kategorien und unterwerfe sie sachfremden Kriterien. Hierzu ist allerdings festzustellen, dass die Religionssoziologie qua Religions-Soziologie lediglich das tut, was ihre ureigene Aufgabe ist, nämlich soziologische Fragestellungen auf das Gebiet der Religionen anzuwenden. In Analogie zur Soziologie, die das soziale Handeln oder die Gesellschaft zum Gegenstand hat, sieht die Religionssoziologie religiöses Handeln bzw. die Religion als Teilbereich des sozialen Handelns bzw. der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang kann es auch nicht das Ziel der Religionssoziologie sein, Religiöses zu bekräftigen oder zu stützen. Ihr Interesse gilt beispielsweise nicht einer „Transzendenz“, sondern der Frage, welche Spuren der Glaube an die Transzendenz in der Gesellschaft hinterlässt. Formal gesehen, nehmen Religionswissenschaft und Soziologie wie auch Religionssoziologie hier dieselbe Position ein. Religion und religiöses Handeln sind der Gegenstand, nicht das Produkt ihrer Forschung. Beide widmen sich auch nicht der Religion „an sich“, sondern können lediglich über die Analyse konkreter Religionen zu allgemeineren Aussagen über Religion bzw. religiöses Handeln gelangen. Der Unterschied zwischen Religionswissenschaft und Religionssoziologie liegt eher in der Akzentsetzung ihres Forschungsinteresses. Letztere konzentriert sich auf die Gesellschaft, wobei sie als ausgeprägt gegenwartsbezogene Religionsforschung insbesondere die Gesellschaften der modernen „westlichen“ Welt in den

Religion als Ausdruck sozialen Handelns

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Religionssoziologische Zugänge

Auguste Comte: religion positive

Herbert Spencer: Heiligkeit und Privatbesitz

Marxistische Religionssoziologie und Kritische Theorie

Blick nimmt und ihr Augenmerk vornehmlich auf den Bereich des Alltagshandelns richtet. Der Begriff der Religionssoziologie erhielt seine Prägung als Bezeichnung für eine wissenschaftliche Disziplin, als Max Weber eine Reihe früherer Aufsätze im Jahre 1919 zusammenstellte und unter dem Titel Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie veröffentlichte. Fortan wurde der Begriff auch auf andere Forschungszweige angewandt, die nach der Rolle der Religion(en) in den modernen Gesellschaften fragen. Die Wurzeln der Religionssoziologie reichen allerdings noch weiter zurück. Als ihr Begründer – wie als Vater der Soziologie generell – gilt weithin Auguste Comte (1798–1857). Sein Ansatz trägt allerdings eher Züge einer Sozialphilosophie als einer (empirischen) Soziologie. Er sah die Menschheitsgeschichte in drei Stadien unterteilt – ein theologisches, ein metaphysisches und ein positives Stadium – , wobei er sich selbst und seine Theorie am Übergang zum dritten Stadium ansiedelte. Dieses ist seiner Meinung nach dadurch gekennzeichnet, dass sich eine theologieund metaphysikfreie Wissenschaft als „positives“, praxisbezogenes Erkenntnisprinzip durchsetzen wird. In denselben Zusammenhang gehört auch sein Plädoyer für eine „Wissenschaft der Gesellschaft“ – eben die Soziologie –, die in Analogie zu den Naturgesetzen jene Gesetze identifizieren soll, von denen die menschliche Gesellschaft und Moralität bestimmt sind. Religion selbst gehört nach Comtes Ansicht der Vergangenheit an und wird in der zukünftigen, modernen Gesellschaft vollständig überwunden sein. Lediglich die integrative Funktion der Religion hofft er in Gestalt einer „religion positive“, die allein der Wissenschaft verpflichtet ist, bewahren zu können. Ganz ähnlich hat Herbert Spencer (1820–1903) seine Soziologie in Gestalt einer evolutionistischen Sozialphilosophie entwickelt: Auch er betont die integrative Funktion der Religion, auch seiner Meinung nach gehört Religion einer vergangenen Phase der Menschheitsentwicklung an. Wissenschaftsgeschichtlich wirksam sollte vor allem Spencers Unterscheidung zwischen „Heiligem“ und „Profanem“ werden, die bis heute von vielen als besonders bedeutsame Kategorienbildung für die Religionsforschung erachtet wird: Das Prinzip der Unverletzlichkeit des Privatbesitzes habe sich daraus entwickelt, dass bestimmte Orte und Gegenstände tabuisiert wurden und als „heilig“ galten. Eine von dieser Tradition unabhängige Herkunftslinie der Religionssoziologie lässt sich auf die Religionskritik von Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) zurückführen. Der Marx’sche Überlieferungsstrang religionssoziologischen Denkens wurde dann auf der Grundlage der Theorie des Klassenkampfes u. a. von Wladimir I. Lenin (1870–1924) und Karl Kautsky (1854–1938) fortgeführt. In dieser Perspektive wird Religion als rein soziales Phänomen betrachtet, das einerseits Ausdruck des Protests gegen die bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen ist, andererseits aufgrund seines illusionären Charakters zum „Opium des Volkes“ wird. Auch in der marxistischen Religionssoziologie erscheint Religion als Teil einer – noch nicht ganz überwundenen – Phase der Menschheitsgeschichte, die in der klassenlosen Gesellschaft zum Verschwinden kommt.

Geschichte und Richtungen

Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Marx’sche Ansatz mit seiner religionskritischen Ausrichtung bei gleichzeitiger Kritik gegenüber den ideologischen Tendenzen der marxistischen Haupttraditionen u. a. in der Kritischen Theorie der sog. Frankfurter Schule weitergeführt. Ihre Hauptvertreter – Theodor W. Adorno (1903–1969) und Max Horkheimer (1905–1973) – stellten vornehmlich jene Aspekte in den Mittelpunkt ihrer skeptischen Betrachtung, die ihnen als Indizien dafür dienten, dass etablierte Religionen in der Regel die Legitimation bestehender Verhältnisse und somit die Konservierung herkömmlicher Herrschaftsformen stützen. Lediglich einige Sonderformen religiöser Protestbewegungen stellen sich nach dieser Lesart dem allgemeinen Trend entgegen. Vielleicht stärker als die Kritische Theorie haben andere in der Marx’schen Tradition stehende Denker wie etwa Antonio Gramsci (1891–1937) auf das ambivalente Potential der Religion hingewiesen: Sie kann Bewahrer des Bestehenden sein, aber auch als Motor sozialen Wandels agieren. Zu den genannten „Vorläufern“ der Religionssoziologie wären noch Henri Saint-Simon (1760–1825) und viele andere zu zählen. Die Vertreter der „klassischen“ Religionssoziologie nehmen durchweg auf sie Bezug, fassen aber ihren Forschungsgegenstand etwas genauer. Von besonderer Bedeutung ist allerdings, dass sie Religion als soziale Tatsache bzw. als besondere Form des sozialen Handelns begreifen, also als eine gesellschaftliche Realität, die nicht mehr nur einer vergangenen Phase der Menschheitsgeschichte zugeordnet und auf diese Weise evolutionistisch „entsorgt“ werden kann. Als Begründer der wissenschaftlichen Religionssoziologie gelten dabei Emile Durkheim (1858–1917) in Frankreich und Max Weber (1864–1920) in Deutschland; bisweilen wird in diesem Zusammenhang auch noch Bronislaw Kaspar Malinowski (1884–1942) genannt. Der besondere Beitrag Durkheims liegt darin, dass er die Religionssoziologie von einer Sozialphilosophie zu einer empirischen Wissenschaft umformte. Zu diesem Zweck entwickelt er eine exakte Begrifflichkeit, also eine wissenschaftliche Terminologie, und bringt sie im Rahmen klarer Verfahrensregeln, einer wissenschaftlichen Methodik, zur Anwendung. Durkheim bestimmt dabei den Gegenstand der Religionssoziologie mit dem Schlüsselbegriff der sozialen Tatsache (fait social): Soziale Tatsachen (faits sociaux) beschreiben alle jene Handlungen, die nicht in das Belieben des Einzelnen gestellt, sondern gewissermaßen durch die Erwartung der Gesellschaft vorgeprägt sind. Sie sind „Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die außerhalb des Einzelnen stehen und mit zwingender Gewalt ausgestattet sind, kraft derer sie sich aufdrängen“ (94: 107). Soziale Tatsachen unterscheiden sich von biologischen (wie Nahrungsaufnahme) oder psychologischen (wie Denken) und sind nach Durkheims Meinung als eigenständige Klasse auf regelhafte Abläufe hin zu untersuchen. Die Religion stellt dabei – neben Wirtschaft, Recht etc. – einen eigenen Bereich sozialer Tatsachen dar und ist als solcher Gegenstand der Religionssoziologie. Durkheim ist in diesem Zusammenhang insbesondere an der Funktion der faits sociaux interessiert: Welche Bedeutung hat eine soziale Tatsache für den weiteren Kontext, für die Gesellschaft? Diese Frage führt Durkheim

Emile Durkheim: Religion als soziale Tatsache

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Religionssoziologische Zugänge

Durkheims Definition von Religion

Identität von Religion und Gesellschaft

– im Zusammenhang mit einer empirischen Studie über den Selbstmord – zur Feststellung, dass der Religion als sozialer Tatsache für die Gesamtgesellschaft eine hohe Integrationsfunktion zukommen kann: Unterschiedliche Selbmordraten sind weder biologisch noch psychologisch, sondern soziologisch bedingt. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen der sozialen Integration und der Häufigkeit des Suizids. Die gemeinschaftsbildende Kraft der Religion kann den Drang zum Selbstmord bremsen. So weisen religiöse Gruppen mit engerer Bindung an die Gemeinschaft (insbesondere Juden und Katholiken gegenüber Protestanten und Freidenkern) eine niedrigere Selbstmordrate auf. Zum eigentlichen Gegenstand macht Durkheim die Religion in einem Aufsatz über die Definition religiöser Phänomene aus dem Jahre 1899 sowie in seinem Hauptwerk Die elementaren Formen des religiösen Lebens (1912). Dort findet sich seine berühmte Definition von „Religion“, in der die oben genannte Entgegensetzung von Profanem und Heiligem wiederkehrt und wo er von William Robertson Smith die Unterscheidung zwischen gedanklichen Konzepten und rituellen Handlungen übernimmt: „Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d. h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören“ (95: 75). Ganz auf der Linie der damals üblichen Debatten entwickelt Durkheim eine Totemismus-Theorie, um den Ursprung der Religion zu erklären: Ein Totem (Tier oder Pflanze) wirkt dadurch, dass es als heilig gilt, gemeinschaftsfördernd, es repräsentiert gewissermaßen die Gemeinschaft. Entsprechendes lässt sich auf alle Gesellschaften übertragen: „Heiliges“ wird dadurch zu einer sozialen Tatsache, dass es für die Gemeinschaftsbildung bedeutsam ist. Insofern gründet selbst der Bereich des Profanen auf dem Heiligen. Denn eine Gesellschaft kann nur dadurch Stabilität erlangen, dass das individuell-beliebige Verhalten zugunsten gemeinschaftsfördernder, sozialer Verhaltensweisen eingeschränkt wird. Diese Integrationsleistung wird von der Religion erbracht, indem sie den Einzelnen mit seinen egoistischen, die Gemeinschaft zerstörenden Strebungen in seine Schranken weist und auf übergeordnete, an der Gemeinschaft orientierte Normen und Regelungen verpflichtet. Durkheims Religionstheorie ist oftmals in der plakativen Formel: „Gott ist die Gesellschaft“ zusammengefasst worden. Vielleicht wäre es zutreffender, von der Identität von Religion und Gesellschaft zu sprechen. Denn wie die Religion, so begegnet in ähnlicher Weise auch die Gesellschaft dem Individuum als Transzendentes, als unableitbares Gegenüber. Dieser Transzendenzcharakter wird von Durkheim jedoch auf Soziales zurückgeführt; nur in ihrer Funktion, die Einzelnen in die Gesellschaft zu integrieren, nimmt die Religion den Charakter des Ewigen an und besitzt eine quasi existenzielle Qualität. Doch was erfüllt diese Funktion im Zuge des Säkularisierungsprozesses, also des sichtbaren Rückgangs religiöser Praktiken und Überzeugungen in der modernen Gesellschaft? Hier greift Durkheim Vorstellungen von einer religion civile (J. J. Rousseau) oder einer religion positive (A. Comte) auf, indem er von der seiner Meinung nach im Entstehen

Geschichte und Richtungen

begriffenen neuen „sozialen Religion“ erwartet, diese Integrationsleistung zu erbringen. Interessanter als dieses ideologische Konstrukt der neuen „sozialen Religion“ mit ihrer Mischung aus Nationalismus, bürgerlicher Kultur, säkularer Moral und positivistischer Wissenschaft ist es, die Folgen seiner Religionstheorie für die Aufgaben einer Religionssoziologie im besonderen – oder der Religionswissenschaft im allgemeinen – weiterzuspinnen: Nicht „die Religion“ als vermeintlich identifizierbarer Sektor, sondern die Gesellschaft in allen ihren Aspekten wäre letztlich der Gegenstand einer solchen Religionsforschung. Doch selbst die Durkheim-Schule verfolgte diesen Ansatz nicht konsequent weiter, sondern verlegte sich auf die detaillierte Analyse von speziellen Fragen im Rahmen von Einzelstudien. Henri Hubert (1872– 1927) und Marcel Maus (1872–1950) beschäftigten sich mit der Institution des Opfers, und letzterer widmete dem Gabentausch eine umfassende Analyse. Mauss führte auch Durkheims Gedanken weiter, dass die Vorstellung der Person im Sinne eines autonom handelnden Individuums als Produkt der abendländischen Christentumsgeschichte zu begreifen sei und insofern eine einmalige Entwicklung darstelle. Bisweilen wird Bronislaw Malinowski (1884–1942) als dritter „Klassiker“ der Religionssoziologie neben Durkheim und Weber gestellt, obgleich er stärker in der Ethnologie rezipiert wurde, was wohl insbesondere seinen umfangreichen ethnographischen Feldforschungen geschuldet ist. Außerdem verzichtet Malinowski darauf, die Frage nach der Rolle und Bedeutung von Religion in den modernen Gesellschaften – wie auch in den großen Schriftkulturen – ausdrücklich zu diskutieren. Auf dem Gebiet der religionsethnologischen und -soziologischen Theoriebildung gilt er jedenfalls als Begründer des Funktionalismus. Diesen entwickelt er insbesondere in Auseinandersetzung mit dem Werk J. G. Frazers. Dabei gelingt es Malinowski, den bislang vorherrschenden Evolutionismus zu überwinden und das Denken und Handeln der sog. „Primitiven“ als den Gesetzen der Logik gehorchend zu begreifen. Den Einsatz von Magie als empirisch nicht nachvollziehbare, „irrationale“ Handlungen erklärt er daraus, dass selbst bei weitgehender Naturbeherrschung unkalkulierbare „Restrisiken“ bleiben, die das Scheitern zielgerichteter Handlungen nach sich ziehen können. Die hierbei auftretenden gefühlsmäßigen Spannungen werden durch die Ausübung magischer Handlungen kompensiert. Analoges gilt für den gesamten Bereich der Religion: Sie dient, insbesondere in Phasen emotionaler Erschütterungen, der Krisenbewältigung – so beispielsweise im Rahmen von Initiationsriten, vornehmlich beim Bestattungsritual. Der Funktionalismus hat in der Religionssoziologie verschiedene Traditionen ausgebildet und ist im Laufe der Zeit weiter differenziert worden. An dieser Stelle sei exemplarisch lediglich auf Talcott Parsons (1902–1979) als Hauptvertreter des Strukturfunktionalismus verwiesen. Er sah die Funktion der Religion vornehmlich darin, das „soziale System“ dadurch aufrecht zu erhalten, dass sie einerseits gesellschaftlich gültige Normen auf grundlegende Werte zurückführt und andererseits Erfahrungen der Frustration angesichts von unerklärlichem Leiden, Tod und Sinnlosigkeit ausgleicht. Letztlich bedarf die Legitimation normativer Ordnungen – und

Durkheim-Schule

Bronislaw Malinowski: funktionalistische Kompensationstheorie

Strukturfunktionalismus

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Religionssoziologische Zugänge

Kritik am Funktionalismus

Max Weber: Sinnhaftes Handeln als soziales Handeln

damit die Integration der Gesellschaft – nach Parsons Meinung einer Begründung auf der Ebene der „letzten Wirklichkeit“, wobei der Religion die entscheidende Funktion zufällt. Doch in der religionssoziologischen Forschung regte sich im Laufe der Zeit auch mehr und mehr Kritik am Funktionalismus. So wurde etwa die in der funktionalistischen Interpretation übliche Unterscheidung zwischen den „irrationalen“ Grundlagen magischen Denkens und ihrer „rationalen“ Funktion grundsätzlich in Frage gestellt: Sind die im Kontext „magischer“ Praktiken geäußerten Glaubensanschauungen nicht Aussagen ganz eigener Art, die weder analog zu (natur-)wissenschaftlichen Aussagen interpretiert, noch funktionalistisch „entsorgt“ werden können? Insbesondere C. Geertz mahnte an, dass zunächst die Bedeutungssysteme, wie sie in religiösen Symbolen Anschaulichkeit erlangen, zu analysieren seien, bevor sie unmittelbar auf sozial-strukturelle Prozesse bezogen werden; denn Religionen spiegeln nicht einfach die soziale Ordnung, sondern wirken gestaltend auf sie ein – ähnlich wie Umwelt, politische Herrschaft und Macht, Reichtum usw. Max Weber, der als Begründer der deutschen Soziologie und Religionssoziologie gilt, ist im deutschsprachigen Bereich von ähnlicher Bedeutung wie Durkheim in Frankreich. Ähnlich wie dieser bemüht er sich um die Entwicklung einer kohärenten soziologischen Terminologie und Methodologie. Schlüsselkategorie ist bei Weber der Begriff des sozialen Handelns. Darunter versteht er ein Handeln, „welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (105: 3). Im Gegensatz zum bloßen (Sich-)Verhalten ist soziales Handeln mit Sinn verbunden, an Mitteln, Zielen und Werten ausgerichtet und in eine Vielfalt von Bedeutungszusammenhängen eingebunden. Entsprechend vermag die soziologische Analyse soziales Handeln in einzelne Bestandteile zu zerlegen: Handlungsziele, -zwecke und -mittel lassen sich klassifizieren, die konkreten Voraussetzungen und der Kontext des Handelns sind zu verrechnen, und der Bedeutungszusammenhang, in den jedes sinnhafte Handeln selbst eingebettet ist, kann bestimmt werden. Dieses sinnhafte Handeln hat immer schon die Gestalt sozialen Handelns, da es nicht als isolierter Akt vollzogen wird, sondern stets in ein Geflecht sozialer Beziehungen eingebunden ist, die sich wiederum rein formal klassifizieren lassen (so beispielsweise in Gebilde wie Familie, Berufsgruppe, Religionsgemeinschaft …). Wir haben es bei den genannten Kategorien durchweg mit Größen zu tun, die Abstraktionen darstellen. Darin zeigt sich ein Grundzug soziologischer Methodologie. Nach Webers Verständnis zielt die Soziologie – im Unterschied zu den Geschichtswissenschaften – nicht darauf, einzelne Handlungsabläufe in ihren ursächlichen Zusammenhängen zu analysieren. Vielmehr ist sie darum bemüht, allgemeine Begriffe zu entwickeln sowie generelle Handlungsmuster festzustellen und in Gestalt von „Idealtypen“ zu erfassen. „Idealtypen“ können Grundformen sinnhaften Handelns oder auch Grundtypen von Akteuren beschreiben. Als bewusste Abstraktionen finden sie in individuellen Ereignissen oder Gestalten der historischen Wirklichkeit keine unmittelbare Entsprechung, wohl aber dienen sie als

Geschichte und Richtungen

Folie für „Typisches“, vor dessen Hintergrund das Individuelle umso schärfer in den Blick kommen kann. Im Gegensatz zu Durkheim hat Weber auf eine eindeutige Definition von „Religion“ verzichtet. Seiner Meinung nach ist Religion primär um Sinngebung bemüht, wobei sie es insbesondere mit der Erfahrung von „Irrationalität“ zu tun hat: mit Tod, Unglück und Krankheit, mit unvorhersehbaren Ereignissen usw. Doch „Irrationalität“ und „Rationalität“ gehören zusammen, denn der Mensch reagiert auf die Widerfahrnisse des Schicksals nicht einfach „irrational“, sondern er versieht sein Leben mit sinnhaftem Handeln – und dazu gehört auch der Bereich der Religion. Die durch Religion erfolgte Sinngebung besteht für Weber vornehmlich darin, dass aus der unendlichen Anzahl möglicher Handlungen eine Auswahl getroffen wird. Die Handlungen wiederum orientieren sich an den in der Religion vorgegebenen Werten und sind entsprechend den davon abgeleiteten Zielen zugeordnet. Religiöses Handeln geschieht nicht in einem neutralen Raum, sondern vermischt sich mit anderen Formen sozialen Handelns, das auch auf andere Ziele ausgerichtet ist. Deshalb lassen sich innerhalb einer Religion je nach sozialer Gruppe unterschiedliche religiöse „Kulturen“ unterscheiden: die Religion der Kaufleute, der Bauern, der Krieger … Weber hat die Analyse der sozialen Differenzierung innerhalb einer Religion an verschiedenen religionsgeschichtlichen Beispielen – zumeist aus dem Bereich der großen Schriftreligionen – zu konkretisieren versucht. Zugleich widmete er sich der Frage nach der sozialen Wandlungsfähigkeit von Religionen. Ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen entwickeln dabei seiner Meinung nach jene Religionen, die sich an „magischen“ Handlungen orientieren (in agrarischen Kulturen) oder unter der Kontrolle einer hierarchischen Priesterschaft stehen (im urbanen Kontext). Doch auch der religiöse Traditionalismus wird immer wieder aufgebrochen und öffnet sich dem geschichtlichen Wandel. Eine wichtige Rolle misst Weber in diesem Zusammenhang den Propheten zu: Der Idealtypus des Propheten, wie ihn Weber insbesondere in Gestalt der alttestamentlichen Propheten repräsentiert sieht, unterwirft den magisch oder priesterlich geprägten Traditionalismus einer radikalen Kritik und setzt umfassende Innovationen in Gang. Diese sieht Weber durch eine fortschreitende „Rationalisierung“ gekennzeichnet. Darunter versteht Weber jenen Vorgang, bei dem die religiöse Sinngebung vereinheitlicht und systematisiert wird, was einen gleichermaßen „rationalisierenden“ Effekt auf die Verhaltensweisen der Gläubigen ausübt, die sich bislang in einer Vielfalt disparater Kulthandlungen geübt hatten; die Ausbildung eines strikten Monotheismus und die Ethisierung der religiösen Praxis in der israelitischen Religion wären typische Beispiele für solche Rationalisierungsprozesse. Dem Idealtypus des Propheten steht der Idealtypus des Mystikers gegenüber: Dieser reagiert auf die im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung erfolgte Ausdifferenzierung der Kultur mit einem Rückzug aus den nichtreligiösen Teilbereichen in den religiösen Sonderbereich, der allein Maß und Richtschnur all seines Tuns und Denkens ist. Wohl wenige religionssoziologische Theorien haben eine so aufgeregte Diskussion ausgelöst wie die sog. „Weber-These“ über den Zusammen-

„Idealtypen“ und religiöser Wandel

„Max-Weber-These“ über den Zusammenhang von Kapitalismus und Calvinismus

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Religionssoziologische Zugänge

Säkularisierungsthese

hang zwischen dem Aufkommen des Kapitalismus und der Entwicklung protestantischer Ethik im Gewande des calvinistischen Puritanismus. Den Gedanken, es bestehe eine engen Beziehung zwischen beiden Größen, konnte Weber dabei als bekannt voraussetzen, da entsprechende Beobachtungen schon zuvor mehrfach geäußert worden waren. Neu war allerdings Webers Erklärung für diesen Zusammenhang. Sein Ansatzpunkt ist dabei jedoch nicht die protestantische Wirtschaftsethik, sondern Calvins Lehre der doppelten Prädestination: Da entsprechend dieser Lehre von Gott bereits entschieden sei, wer zum ewigen Heil oder zu ewiger Verdammnis erwählt ist, bliebe dem Einzelnen nichts weiter übrig, als den aus der religiösen Ungewissheit resultierenden Zweifel durch ständige Tätigkeit und Arbeit zu verdrängen. Zugleich könne der berufliche Erfolg als Indiz für die Erwählung gelten. Diese dürfe jedoch nicht „aufgebraucht“ werden, sondern müsse sich in weiterem ethischen Lebenswandel und im Verzicht auf Konsum bewähren, um der Chance auf das jenseitige Heil nicht verlustig zu gehen. Eine solche Bewährung, ganz auf das Jenseits ausgerichtet, finde zwar in der innerweltlichen Askese ihren Ausdruck – doch indem dem wirtschaftlichem Erfolg gewissermaßen die Qualität eines „Symptoms“ göttlicher Erwählung zugeschrieben wurde, seien die herkömmlichen Skrupel gegenüber dem Gütererwerb entfallen. Diese Haltung findet nach Meinung Webers ihr Entsprechung im Geist des Kapitalismus: Der Kapitalist häuft die Güter nicht zum Zweck des Konsums auf, sondern führt den Gewinn als Neuinvestition in den kapitalistischen Produktionsprozess zurück. Arbeit, Pflichterfüllung, Konsumverzicht, Gewinnschöpfung um des Gewinns wegen – alles dies wird zur Signatur der Wirtschaftsgesinnung des Kapitalismus und entspricht strukturell der innerweltlichen Askese des Calvinismus, allerdings ohne ihre religiösen Implikationen. An dieser Stelle ist bereits indirekt ein weiteres wichtiges Thema der Weber’schen Religionssoziologie angesprochen: seine Säkularisierungsthese, die er allerdings nicht in Gestalt einer stringenten Theorie ausformuliert hat. Nach Weber ist der Rationalismus ein besonderes Kennzeichen der abendländischen Kulturentwicklung, setzt seinerseits jedoch einen Prozess voraus, den Weber als „Entzauberung“ bezeichnet und als religionsgeschichtliches Phänomen betrachtet: Diese Entzauberung ist der Religionsgeschichte gewissermaßen inhärent und stellt eine Reaktion auf die Erfahrung der „Irrationalität“ der Welt dar. Die Religionen haben auf diese Irrationalität eine Antwort zu geben versucht, sind dann aber Schritt für Schritt durch neue Deutungsversuche abgelöst worden, wenn die immer wiederkehrenden Erfahrungen von Sinnlosigkeit und Unerklärlichkeit nach neuen Antworten verlangten. Über Naturreligionen, kultische Religionen und ethische Religionen verlief die Entwicklung bis zu dem Punkt, wo die religiöse Ethik mit dem Problem des ungerechten Leidens konfrontiert war. Diese auch als „Theodizeeproblem“ bezeichnete Frage hat zusammen mit der fortgesetzten Erfahrung der „Irrationalität“ dazu geführt, dass es zu einer Entwertung der Welt kam, da keine einheitliche Sinngebung mehr möglich schien. Im Gegenzug hierzu wurde mit der Emanzipation des Kapitalismus aus seiner religiösen Vorgeschichte der Weg zu einer „Rationalisierung“ weiter Bereiche des Lebens frei. Diese gehorchen nun Eigenge-

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setzlichkeiten, die gegenüber religiösen Normen oder Deutungen völlig autonom sind. Umfassende Sinngebungen scheitern. Selbst die Wissenschaft vermag nur noch ausschnittsweise die Welt zu erklären. Dennoch hat die Entzauberung der Welt auch den Raum für subjektive Sinndeutungen eröffnet. Diese sind zwar nicht mehr miteinander zu vermitteln, stellen jedoch die Plattform dar, auf der die Religionsgeschichte in neuer Form weitergeht. Gerade die zuletzt skizzierten Gedanken, die, wie gesagt, von Weber nicht systematisch ausgearbeitet wurden, boten und bieten interessante Anknüpfungspunkte für weiterführende Diskussionen. Bemerkenswert ist insbesondere Webers Bemühen, die Moderne im Lichte religionsgeschichtlicher Prozesse zu sehen und somit gewissermaßen nach den religiösen Wurzeln der Moderne zu fragen. In immer neuen Variationen ist diese Thematik in der Religionssoziologie bis in die Gegenwart hinein wiedergekehrt, und in besonderer Weise hat sich die Wissenssoziologie damit beschäftigt. Wie der Name besagt, geht es diesem Zweig der soziologischen Forschung um das Wissen, und zwar vornehmlich das Alltagswissen: Was uns als Selbstverständlichkeit erscheint, beruht tatsächlich auf einer „sozialen Konstruktion der Wirklichkeit“, um deren Re-Konstruktion sich die Wissenssoziologie bemüht. Die Wissenssoziologie ist insbesondere mit den Namen von Peter L. Berger (geb. 1929) und Thomas Luckmann (geb. 1927) verbunden. Anders als Vertreter von Ansätzen, die in marxistischer Tradition stehen, stellen beide Wissenschaftler die positive, konstruktive gesellschaftliche Rolle der Religion in den Vordergrund, indem sie auf deren Potential bei der Krisenbewältigung und bei der Stabilisierung der Gemeinschaft in Phasen sozialer Umbrüche hinweisen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Menschen nicht nur materielle Objekte, sondern auch Bedeutungen, Verhaltensweisen, Ordnungsvorstellungen produzieren, „aus sich heraussetzen“ (Externalisierung). Diese treten ihnen dann als äußeres Gegenüber, als „objektive“ Verhaltensmuster, Vorschriften etc. entgegen (Objektivierung) und werden von ihnen entsprechend als „Gegebenes“ akzeptiert, an dem sie sich in ihrem Handeln ausrichten und das sie verinnerlichen (Internalisierung). Doch diese „konstruierte Wirklichkeit“, in der die Vielfalt disparater Erfahrungen in ein Bedeutungssystem integriert ist, bedarf der Legitimation. Die wiederum ist nur so lange gewährleistet, wie die jeweilige Weltdeutung eine „Plausibilitätsstruktur“ aufweisen kann. Hierbei fällt der Religion eine entscheidende Rolle zu. Zwar ist auch die Kultur – Berger spricht hier von „Nomos“ – darum bemüht, das drohende Chaos – die Gefährdung des als „Normalität“ Erfahrenen – zurückzudrängen und den „Kosmos“ – die gesicherte, ordnende Weltdeutung – auszuweiten. Doch erst die Religion ermöglicht hier eine Stabilisierung, indem sie den Nomos auf einen „heiligen Kosmos“ gründet und sich auch in Grenzsituationen bewährt. Hierzu gehören Erfahrungen der Erschütterung des Bedeutungssystems, die Berger unter der Kategorie des „Theodizeeproblems“ verhandelt. Beispielsweise muss die Frage des Todes von der Religion so beantwortet werden, dass diese extreme Form der Grenzerfahrung in Theorie und Praxis plausibel bleibt, wobei durchaus äußerst

Wissenssoziologische Religionstheorie

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Religionssoziologische Zugänge

das Problem der Plausibilität von Religion in der Moderne

N. Luhmanns Systemtheorie

unterschiedliche Optionen möglich sind (Vorstellungen von Wiedergeburt, Auferstehung, Aufgehen des Individuums in der weiterlebenden Gemeinschaft …). Luckmann und insbesondere Berger haben sich in ihren Arbeiten mit einer ganzen Reihe von weiteren komplexen Themen auseinander gesetzt, so etwa mit der Frage der Säkularisierung oder der Plausibilität und Legitimation neuzeitlicher Religion. In diesem Zusammenhang fragt vor allem Berger nach Spuren der „Transzendenz“ in der modernen, säkularisierten Gesellschaft. Berühmt geworden ist seine Beschreibung und Deutung folgender Szene: Ein Kind wacht nachts auf, weint und schreit nach seiner Mutter. Diese kommt und tröstet das Kind: „‘Hab’ keine Angst’, ‘alles ist in Ordnung’; ‘alles ist wieder gut’. … Dergleichen gehört zur Routine des Alltags und bedarf natürlich keiner artikulierten Grundlage. Aber gerade dass es so gewöhnlich ist, wirft die keineswegs gewöhnliche Frage auf – eine Frage, die unmittelbar in eine religiöse Dimension reicht: Belügt die Mutter das Kind? Nur wenn ein religiöses Verständnis des menschlichen Daseins Wahrheit enthält, kann die Antwort aus vollem Herzen ‘Nein’ lauten. Ist dagegen umgekehrt ‘das Natürliche’ die einzige Wirklichkeit, so lügt die Mutter. Sie lügt zwar aus Liebe, und deshalb lügt sie auch wieder nicht. Nimmt man sie jedoch statt bei der Liebe beim Worte und analysiert es radikal, so ist, was sie sagt, eine Lüge. Warum? Weil der Trost, den sie gibt, über sie und ihr Kind, über die Zufälligkeit der Personen und der Situation hinausreicht und eine Behauptung über Wirklichkeit als solche enthält. Eltern werden heißt die Rolle von Welterbauern und Weltschützern annehmen. … Alle Eltern … repräsentieren ein Weltganzes, das auf seinem tiefsten Grunde geordnet und vertrauenswürdig ist. … Der Hang des Menschen zu ordnen impliziert also eine transzendente Ordnung, und jede Geste des Ordnens ist ein Zeichen, gegeben in die und aus der Transzendenz“ (90: 66 ff.). Berger spricht in diesem Zusammenhang auch vom Phänomen des „induktiven Glaubens“, bei dem von Alltagserfahrungen her religiöse Dimensionen erschlossen werden können. Dies entspricht auch einer anderen Beobachtung, die Berger macht: Religion ist in der modernen, säkularen Gesellschaft nicht einfach verschwunden, sondern muss ihre Plausibilität auf andere Weise als früher bewähren, nämlich im Bereich der privaten, individuellen, ja individualisierten Erfahrung. Dem entspricht im Kontext des religiösen Pluralismus der „Zwang zur Häresie“, die Freiheit, nein Notwendigkeit der Wahl zwischen unterschiedlichen Angeboten auf dem weltweiten Markt der Religionen. Eine der wohl anspruchsvollsten religionssoziologischen Theorieentwürfe findet sich in der Arbeit von Niklas Luhmann (1927–1998). Das hohe Abstraktionsniveau seines Ansatzes macht es äußerst schwierig, Luhmanns Theorie auf begrenztem Raum angemessen zusammenzufassen – und, nebenbei bemerkt, es ist gleichermaßen eine außerordentliche Herausforderung, sie in Gestalt konkreter religionssoziologischer Analysen umzusetzen. Die Abstraktheit seiner Theorie birgt allerdings auch die Möglichkeit in sich, sie auf unterschiedliche historische Kontexte zu beziehen; nicht umsonst beansprucht sie allgemeine Gültigkeit. Luhmann hat die Frage nach der Funktion von Religion neu aufgegriffen und im Rahmen sei-

Geschichte und Richtungen

ner sog. Systemtheorie weitergeführt. Deren Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass jedes Handeln in „Systemen“ stattfindet und dass diese Systeme von ihrer Umwelt zu unterscheiden sind. Die Systeme selbst konstituieren sich dadurch, dass unter den in ihrer Umwelt vorhandenen Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten ausgewählt wird, was Luhmann als „Reduktion von Komplexität“ versteht. Auch Sinn entsteht durch diese Art der Selektion, wobei allerdings nicht nur das „System“, sondern zugleich mit der Systemgrenze auch die Systemumwelt noch im Blick bleibt. Diese Selektion ist jedoch selbst nochmals kontingent (zufällig). Zudem bleiben sowohl die Systemumwelt (weil außerhalb des Systems liegend und somit unabschließbar) als auch das System selbst (weil stets auf diese unabschließbare Umwelt bezogen) weiterhin von übermäßiger Komplexität gekennzeichnet. Hier kommt nun der Religion eine entscheidende, nämlich orientierende Funktion zu: Sie muss unbestimmbare in „bestimmbare“ Komplexität (97: 26) umwandeln, bei der die Veränderungen der Beziehung zwischen System und Umwelt nicht der völligen Zufälligkeit anheim gestellt sind. Dies geschieht dadurch, dass die Religion die Transformation von Unbestimmbarem in Bestimmbares – und damit die Kontingenz des Auswahlprozesses – „chiffriert“. Auf diese Weise setzt sie „das Bestimmte an den Platz des Unbestimmten“ und interpretiert so Kontingenz als notwendig Vorgegebenes, das nun „miterlebt (wird) als das, was kontingente Form notwendig macht, Das Miterleben wird als Bindung (religio) erfahrbar; es präsentiert die Unvermeidlichkeit reduktiver Bestimmungen, die sich als Unvermeidlichkeit an religiös chiffriertem Sinn selbst anzeigt“ (ebd.: 33). Eine entsprechende Chiffrierung würde etwa dann geleistet, wenn beispielsweise durch die Begründung eines Tabus in einem Mythos die „Zufälligkeit“ dieses Tabus als etwas Unerlässliches qualifiziert wird, an das die Angehörigen der entsprechenden Religion gebunden sind. Überall hat die Religion die Aufgabe, dadurch Orientierung zu geben, dass sie Komplexität reduziert und Kontingenz bewältigen hilft. Die Abstraktheit des Luhmannschen Ansatzes macht die Stärke seiner Religionstheorie aus. Aufgrund ihrer Allgemeinheit kann sie zwar nicht die spezifischen Besonderheiten einzelner Religionen erfassen, wohl aber eröffnen sich mit der funktionalen Betrachtung geeignete Perspektiven für den Vergleich zwischen den unterschiedlichsten Religionen. Selbstverständlich beschränkt sich die Religionssoziologie nicht auf den Bereich der hier in aller Kürze skizzierten Ansätze, und bereits innerhalb der „klassischen“ Religionswissenschaft wurden religionssoziologische Theorien und Untersuchungen rezipiert. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Arbeiten von Joachim Wach (1898–1955) und Gustav Mensching (1901–1978) zu verweisen. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen häufig Fragen der religiösen Gemeinschaftsbildung und des Einflusses religiöser Gruppen auf die weitere Gesellschaft. Wach hatte beispielsweise in seiner „Religionssoziologie“ herauszuarbeiten versucht, auf welche Weise unterschiedliche religiöse Haltungen und Erfahrungen in den Institutionen organisierter Religion zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus wäre noch auf die Kirchensoziologie als Sonderzweig der Religionssoziologie zu verweisen. Bislang hat sie sich vornehmlich auf die

Religionssoziologie in der „klassischen“ Religionswissenschaft (Wach, Mensching)

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Religionssoziologische Zugänge

Unterscheidbarkeit von Religion und Gesellschaft, aber keine Autonomie der Religion

abendländischen Kirchen konzentriert und ihr Augenmerk u. a. auf Prozesse der Säkularisierung, die Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft oder die Frage nach Religiosität und Glaubensvorstellungen der Laien gerichtet. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Gewicht der Religionssoziologie innerhalb der Religionswissenschaft deutlich erhöht. Dies spiegelt einen Trend weg von der im engeren Sinne religionsgeschichtlichen Forschung hin zu einer gegenwartsbezogenen Religionsforschung. Dass jedoch Religionssoziologie und Religionsgeschichte nicht gegeneinander ausgespielt werden können, hat u. a. Hans Kippenberg in seinen Arbeiten wiederholt auf überzeugende Weise verdeutlicht. Auch fällt ihm das Verdienst zu, die aktuelle Relevanz der Weber’schen Religionssoziologie für die Frage nach der Religion in der Moderne bewusst gemacht zu haben.

2. Themenbereiche religionssoziologischer Forschung Zur Zeit gibt es keine vorherrschende religionssoziologische Theorie. Je nach Erkenntnisinteresse und Gegenstandsbereich werden bestimmte (religions-)soziologische Paradigmen stärker bemüht als andere, und in entsprechender Weise können unterschiedliche soziologische Kategorien in den Vordergrund treten. So ist es z. B. möglich, Religion und bio-soziale Kategorien (gender als „soziales Geschlecht“, Familie, Jugendliche etc.) aufeinander zu beziehen, nach dem Zusammenhang von Religion und sozialer Schichtung („Klasse“) oder Zugehörigkeit („Ethnie“) zu fragen, die Wechselwirkung von Religion und den großen Bereichen der Sozialorganisation (Politik, Wirtschaft etc.) zu analysieren oder die Rolle der Religion in sozialen Prozessen (z. B. Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen, Staatenbildung, Globalisierung) zu beobachten. Im Folgenden sollen exemplarisch einige Themen vorgestellt werden, mit denen sich die religionssoziologische Forschung beschäftigt hat. Religionssoziologische Einführungen unterteilen üblicherweise und notgedrungen den Themenkomplex Religion und Gesellschaft, der ja im Grunde ihren gesamten Gegenstand beschreibt, in spezifische Problemfelder: Religion und Familie, Religion und Politik, Religion und Wirtschaft etc. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, in welcher Beziehung die Größe „Religion“ zu der Größe „Gesellschaft“ steht. Innerhalb der „klassischen“ Religionswissenschaft war es weithin üblich, eine relative Autonomie der Religion und folglich ein Gegenüber von Religion und Gesellschaft anzunehmen. Noch Lanczkowski stellt für die Wechselbeziehung von Religion und Gesellschaft fest: „profane Fakten können Variationen religiöser Vorstellungen, nicht aber das Wesen einer Religion selbst bedingen“ (12: S. 60). Selbst religionssoziologisch arbeitende Religionswissenschaftler wie J. Wach und G. Mensching hatten sich bei ihrer Gegenüberstellung von „religiösen“ und „natürlichen“ Gemeinschaften wohl von ähnlichen Gedanken leiten lassen. Damit wird allerdings ausgeblendet, dass die Differenzierung zwischen Religion und Gesellschaft bzw. Religion und anderen gesellschaftlichen Bereichen in der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung vergleichsweise spät auftritt.

Themenbereiche

Religion existiert nicht gegenüber oder gar „jenseits“ der Gesellschaft. Dennoch ist es völlig legitim, im Rahmen einer begrenzteren Fragestellung die Wechselwirkung von „Gesellschaft“ (in Gestalt sozialer Institutionen, Handlungen oder Prozesse) und „Religion“ (in Gestalt spezifischer, zumindest deskriptiv-analytisch unterscheidbarer Erscheinungsformen) zu thematisieren. Dies geschieht dann in Bezug auf eine Reihe von Einzelproblemen wie Individuum und Gesellschaft oder Religion und Schichtenbildung etc. Als kleinste „Einheit“ der Gesellschaft ist der einzelne Mensch insofern Gegenstand der Religionssoziologie, als er niemals „für sich“ lebt, sondern durch ein komplexes Geflecht sozialen Handelns in verschiedenen gemeinschaftlichen Bezügen steht. Auf abstrakter Ebene stellt sich die Verhältnisbestimmung von Individuum und Gesellschaft für die Religionssoziologie so dar, dass von der Gesellschaft zwar religiöse Vorstellungen und Vorschriften – wie die Begriffe bereits suggerieren – „vor“gegeben sind, von den Individuen allerdings je unterschiedlich verinnerlicht und in Denken und Erleben gestaltet bzw. in Handeln umgesetzt werden. Das methodische Problem religionssoziologischer Forschung besteht nun darin, dass immer nur dieses „individuelle“ Denken, Leben und Handeln empirisch erhoben werden kann, allgemeine Aussagen also Ergebnis eines Abstraktionsvorgangs sind. Die Religionssoziologie muss deshalb stets die Bewegung in beide Richtungen im Blick haben und zugleich als Einheit sehen: Das gesellschaftlich Vorgegebene wird erst in der Gestaltung durch das Individuum verwirklicht. Nicht immer wurde die „gleichgewichtige“ Wechselbeziehung von Individuum und Gesellschaft in dieser Gleichgewichtigkeit gesehen. Zur Blütezeit evolutionistischer Theoriebildungen in der Religionswissenschaft herrschte weithin die Vorstellung, in den modernen, „entwickelten“ Gesellschaften käme dem Individuum gegenüber der Gesellschaft absoluter Vorrang zu, während in „primitiven“ Gesellschaften das Individuum vollkommen in der Gemeinschaft aufginge. Solche Mutmaßungen wurden gestützt durch Theorien wie die von Lucien Lévy-Bruhl (1857–1939). Er nahm an, dass das Verhalten der Individuen in diesen „primitiven“ Gesellschaften durch eine „primitive Mentalität“ bestimmt sei. Zu deren wichtigsten Kennzeichen gehöre das Prinzip der „mystischen Teilhabe“ (participation mystique) und das „prälogische Denken“: Das Individuum orientiere sein Denken und Handeln ganz am kollektiven Bewusstsein und gehe insbesondere im religiösen Erleben in der Gemeinschaft auf; sein Denken sei zwar nicht unlogisch, aber der Gemeinschaftserfahrung untergeordnet. In der modernen Gesellschaft hingegen verhalte es sich genau umgekehrt: Hier habe sich der Schwerpunkt von der Gemeinschaft auf das Individuum verlagert, Verstand und logisches Denken besäßen Vorrang vor kollektiver Erfahrung und Gemeinschaftserleben. Lévy-Bruhls äußerst problematische Theorie findet schon lange nicht mehr Anwendung – seine Annahmen wurden durch die forschungsgeschichtliche Entwicklung nicht bestätigt. Vielmehr haben ethnographische Detailstudien wie die von Margaret Mead belegen können, dass auch in vormodernen Gesellschaften die Menschen unterschiedliche Formen von „Individualität“ entwickeln und folglich als „Individuen“ fassbar sind. An-

Lévy-Bruhls Theorie der participation mystique

Individualität und Gemeinschaftsbezug

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Religionssoziologische Zugänge

das Kastensystem

dere Forschungen wiederum – z. B. die von Paul Radin – waren der Frage nachgegangen, inwieweit sich klar unterscheidbare „Typen“ von Individuen identifizieren lassen, und fanden Beispiele hierfür gleichermaßen in modernen wie in vormodernen Gesellschaften. Obwohl diese Studien bisweilen über das selbst gesteckte Ziel hinausschossen, waren sie doch äußerst hilfreich: Sie räumten mit dem Vorurteil auf, in vorindustriellen Gesellschaften seien individuelle Eigenheiten in die Gemeinschaft eingeebnet, und sie zeigten auf, dass bei der individuellen Aneignung und Gestaltung gesellschaftlich vorgegebener religiöser Vorstellungen und Handlungsnormen eine große Variationsbreite existiert. Damit ist nicht in Frage gestellt, dass die Wechselbeziehung von Individuum und Gemeinschaft nicht auch gewissen Trends unterliegt oder typische Veränderungen durchlaufen kann. So lässt sich beispielsweise bei großen religionsgeschichtlichen Umbrüchen nicht selten eine Akzentverschiebung weg von der Gruppe und hin auf die Autonomie und Verantwortlichkeit des Individuums feststellen – denken wir nur an die Lehre des Buddha, die prophetische Verkündigung Mohammeds oder den Pietismus; zugleich aber wird der Gemeinschaftsbezug nicht annulliert, sondern neu definiert, „reformiert“: im buddhistischen Mönchsorden (sangha), in der islamischen Gemeinschaft (umma), in den evangelischen Konventikeln. Wenn nach dem Zusammenhang von Religion und sozialer Schichtung gefragt wird, haben wir zunächst in Rechnung zu stellen, dass es kein Schichtungsmodell gibt, das auf alle Gesellschaften übertragen werden könnte, und dass soziale Schichtungen veränderbare Größen darstellen – selbst in traditionalen Gesellschaften. Als besonders extremes Beispiel einer unmittelbaren Korrelation von Religion und sozialer Schichtung gilt das indische Kastensystem. Doch selbst hier ist Vorsicht geboten – der Sachverhalt ist komplizierter, als er auf den ersten Blick erscheint. Bereits der Begriff „Kaste“ – eine Fremdbezeichnung aus dem Portugiesischen – ist problematisch, bezeichnet er doch eine Erscheinung, wofür in Indien zwei unterschiedliche Termini stehen: varna („Farbe“) für die vier großen Stände (Priester, Brahmanen, Händler, Bauern), jati („Geburt“) für die im Alltag viel grundlegendere soziale Differenzierung; diese komplex strukturierte Vielfalt ist dann nochmals einem dichotomen Schema Reinheit – Unreinheit unterworfen und wird in ein hierarchisches Ordnungsschema eingefügt. Trotz seiner Rigidität im Einzelnen konnte das Kastensystem doch auch verblüffend flexibel sein und beispielsweise neue Gruppen integrieren oder eine gewisse Mobilität zulassen – ein Umstand, dem es wohl auch seine Langlebigkeit zu verdanken hat. Im Blick auf unsere Frage nach dem Zusammenhang von Religion und sozialer Schichtung ist allerdings entscheidend, dass im indischen Kastensystem ein durchgängiges religiöses Kriterienbündel jedes einzelne Mitglied der gesamten Gesellschaft in eine Hierarchie einordnet, und nicht bloß dazu dient, die Vorherrschaft einer in sich nochmals vielschichtig strukturierten Gruppe zu legitimieren. Selbstverständlich gibt es genügend Beispiele dafür, dass soziale Schichtungen nachträglich religiös legitimiert, ja gleichsam für sakrosankt erklärt werden – so etwa der Rassismus in Südafrika zur Zeit der Apartheid durch manche christliche Kirchen. Doch lässt sich daraus nicht umgekehrt schlie-

Themenbereiche

ßen, dass spezifische soziale Schichtungen in den Religionen selbst begründet seien. Diese erweisen sich hierbei vielmehr als äußerst flexibel, wie die Gegenprobe zum eben genannten Beispiel gut illustriert: Die meisten Kirche haben in der Frage der Apartheid eine antirassistische Haltung eingenommen. Ein weiteres Themenfeld der Religionssoziologie ist die Frage, ob – und wenn ja, weshalb – zwischen bestimmten sozialen Schichten und manchen Religionen ein besonders enger Bezug besteht: Parsismus und Jainismus weisen eine überdurchschnittlich hohe Rate an Kaufleuten unter ihren Mitgliedern auf; die Traditionen des Shivaismus sind stärker in der „Standesreligion“ der Priester, die des Vishnuismus mehr in der „Standesreligion“ der Krieger verwurzelt; der Mithras-Kult profilierte sich als ausgesprochene „Soldaten-Religion“; zwischen dem aufstrebenden Bürgertum und dem europäischem Protestantismus zur Zeit der Reformation bestand eine enge Affinität; Neue Religiöse Bewegungen im Europa des ausgehenden 20. Jahrhunderts waren besonders für Angehörige der Mittelschichten attraktiv … Doch bei der Beurteilung dieser Zusammenhänge müssen wir Vorsicht walten lassen und im Einzelfall weitere Differenzierungen vornehmen: Oftmals haben wir es nur indirekt mit „sozialen Schichtungen“ im eigentlichen Sinne zu tun (wie bei der Berufsgruppe der indischen Kaufleute); nicht selten spielt der religiöse Faktor eine nur mittelbare Rolle (bei den „Kriegerreligionen“); in vielen Fällen verbirgt sich hinter vermeintlich kollektiven Handlungsmustern lediglich eine Reihe individueller Strategien (bei den an allem scheinbar Neureligiösen interessierten europäischen Mittelschichten); bisweilen liegen eher spezifische historische Situationen vor, bei denen die religiöse Zugehörigkeit für soziale Mobilität funktionalisiert wird (beim aufsteigenden Bürgertum). Gegenüber monokausalen Erklärungen des Zusammenhangs von sozialer Schichtung und Religion ist also äußerste Skepsis geboten. Umso mehr drängt die Frage nach dem Bezug zwischen beiden Größen auf die Notwendigkeit verstärkter Forschungsbemühungen, um jenseits der „offiziellen Religionen“ (Vrijhof und Waardenburg) und über Die Religion von Oberschichten (Antes und Pahnke) hinaus weitere Formen schichtbedingter Religiosität in den Blick zu nehmen. Da sich die Religionssoziologie schwerpunktmäßig mit Religionen in modernen „westlichen“ Gesellschaften beschäftigt, drohte sich die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik bisweilen auf die Problematik der Beziehung zwischen Staat und Kirche zu reduzieren. Ein anderer Diskussionsstrang wiederum konzentrierte sich auf das Thema der religiösen Begründung politischer Institutionen bzw. fragte danach, inwieweit religiöse und politische Funktionen (früh-)staatlicher Herrschaftsformen identisch oder unterschieden waren. Doch beide Größen – Staat und Kirche – sind nur eine mögliche Gestalt religiöser bzw. politischer Organisationsformen: Beispielsweise hat sich der Staat zwar inzwischen als meistverbreitete Herrschaftsform durchsetzen können – aber seine Geschichte ist vergleichsweise jung, in weite Gebiete der Erde wurde er erst in der Neuzeit durch Kolonialismus und Imperialismus „exportiert“, und angesichts mancher Entwicklungen in einigen Krisenregionen scheint die

„Standesreligionen“

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Religionssoziologische Zugänge

Staat und Religion

Civil Religion in den USA (Robert N. Bellah)

„Zivilreligion“ außerhalb der USA

Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass eine einstmals vorhandene Staatlichkeit sich auflöst und durch andere Herrschaftsformen ersetzt wird. Allerdings hat die Religionssoziologie, insgesamt gesehen, stets das weitere Feld von Religion und Politik im Blick behalten. Sie beschäftigt sich mit der Frage der religiösen Legitimierung politischer Macht in vorstaatlichen Gesellschaftsformen, thematisiert die Rolle der Religion bei der Entstehung des Staates, analysiert das Verhältnis von Staat und Religion in außereuropäischen Kontexten oder fragt nach der Rolle der Religion in sog. segmentären Gesellschaften, wobei sie sich eng mit der Sozialanthropologie bzw. der Ethnologie berührt. Selbstverständlich galt und gilt das religionssoziologische Interesse insbesondere dem Sonderfall der Beziehung zwischen Staat und Kirche, wie sie sich im Abendland seit dem Mittelalter herausgebildet hat. Mit der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik in der modernen Gesellschaft eröffnet sich der Religionssoziologie schließlich ein schier unerschöpfliches Forschungsfeld, zumal insbesondere seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts unerwartete Entwicklungen eingetreten sind, die das religionssoziologische Interesse auf sich gezogen haben: das Auftreten „politischer Religionen“, der wachsende Einfluss sog. „fundamentalistischer“ religiöser Parteien und Gruppierungen in der Politik, die Rolle der Religion bei der Mobilisierung sozialer Protestbewegungen usw. Eines der in der Religionssoziologie viel diskutierten Themen ist die Frage der „Zivilreligion“. Die Debatte hierüber betrifft zwar den Bereich der Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft generell, berührt jedoch auch die Frage des Verhältnisses von Religion und Politik im engeren Sinne. Denn von Zivilreligion zu reden setzt nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch die Trennung von Staat und Religion voraus. Der Begriff hat Wurzeln in der französischen Aufklärung, wurde dann aber 1967 von dem Soziologen Robert N. Bellah (geb. 1927) eingeführt (Civil religion). Er analysierte u. a. Antrittsreden bedeutender amerikanischer Präsidenten, in denen er wichtige Elemente dieser Zivilreligion zu identifizieren meinte. Diese „Religion des Staatsbürgers“ oder auch „Religion für den Staatsbürger“ beschreibt eine Art religiöse Legitimierung des Staates: Durch Mythen (wie die Eroberung des Landes durch die weißen Siedler analog der alttestamentlichen Exodus-Tradition), „heilige Texte“ (die Verfassung), öffentliche Rituale (die nationalen Feiertage) und ein ganzes Geflecht von Zeichen und Symbolen – von der Inschrift „In God we trust“ auf der EinDollar-Note bis hin zu den „Stars and Stripes“ – wird ein umfassendes Wertesystem jenseits organisierter Religion geschaffen, durch das die Bürgerinnen und Bürger in die Gesellschaft integriert und in die Loyalität gegenüber dem Staat eingebunden werden. Bellah glaubte in der US-amerikanischen Zivilreligion vornehmlich Elemente aus dem Alten Testament identifizieren zu können: neben der bereits genannten Exodus- und Landnahme-Tradition einen Erwählungsglauben, die Rolle des Präsidenten als „Prophet“, den Gedanken eines göttlichen Bundes usw. Sicherlich lässt sich auch außerhalb Nordamerikas so etwas wie eine Zivilreligion finden, die dann allerdings eine andere Gestalt hat als die von Bellah in den USA beobachtete Civil religion. So sind beispielsweise die in

Themenbereiche

Deutschland als „Zivilreligion“ identifizierbaren Phänomene sowohl in ihren verbalen als auch in ihren praktizierten, äußerlich sichtbaren Formen weniger deutlich „religiös“ profiliert. Auch hier jedoch ist beispielsweise in der Präambel der Verfassung davon die Rede, dass die Gesetze „in der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ erlassen sind. Darin spiegelt sich das Wissen um die Tatsache, dass der Staat die Voraussetzungen nicht selbst garantieren kann, von denen er lebt, oder anders gesagt: Der Staat kann die allgemeinen Werte und Normen, auf denen er beruht, nicht erzeugen, sondern muss sie voraussetzen. Hier fällt dann in der Regel der Zivilreligion eine bedeutsame Rolle zu. Diese ist allerdings anders gestaltet als in den USA, vielleicht auch deshalb, weil in Deutschland manche ihrer Aufgaben zum Teil von den großen christlichen Kirchen wahrgenommen werden. Dennoch gibt es auch in Deutschland zivilreligiöse Praktiken und Diskurse, die eine Reihe wichtiger Funktionen erfüllen – von der Legitimierung des demokratischen Gemeinwesens über die Vermittlung verbindlicher Grundwerte bis hin zur Integration der Bürgerinnen und Bürger in die bundesdeutsche Gesellschaft. In der Religionssoziologie ist die Debatte über Zivilreligion allerdings noch längst nicht abgeschlossen. Immerhin bleibt strittig, inwieweit die genannten Funktionen – Legitimation der politischen und sozialen Ordnung, Bereitstellung eines tragenden Wertesystems etc. – tatsächlich religiöse Motive und Dimensionen implizieren und infolgedessen tatsächlich in religiösen – zivilreligiösen – Kategorien zu beschreiben sind. Religionssoziologische Forschungen, in denen die Beziehung von Religion und Familie thematisiert wird, haben zu berücksichtigen, dass weithin die Familie als Kern der Gesellschaft gilt. Dies ist sicherlich zutreffend – wobei allerdings bei weitem nicht geklärt ist, was denn genau „Familie“ ausmacht. Der Begriff „Familie“ selbst kommt aus dem Lateinischen, und sein Bedeutungsinhalt ist entsprechend von abendländischen Vorstellungen geprägt. Landläufig wird dann die Abstammung von einem Erzeuger zum wichtigsten Kriterium von „Familie“. Eine solche Bestimmung ist allerdings äußerst unbefriedigend. Denn sie hilft uns nicht dabei, die soziale Einheit „Familie“ genau zu definieren, und sie zieht nicht in Betracht, dass es weltweit äußerst unterschiedliche Ausprägungen von Familie gibt: Biologische (Abstammung) und soziale (Zugehörigkeit) Kategorien sind in vielen Kulturen nicht identisch, und von der – meist nur zwei Generationen umfassenden – Kleinfamilie bis hin zur Großfamilie gibt es eine ganze Palette unterschiedlicher Formen von Familie. Im Zusammenhang mit sog. TotemismusVorstellungen haben wir beispielsweise ein Verständnis von Familie vor uns, bei dem auch Bereiche der außermenschlichen Welt – Pflanzen oder Tiere – als der Familie zugehörig gelten. „Klassische“ religionssoziologische Betrachtungen innerhalb der Religionswissenschaft haben oftmals die religiöse Dimension der Familie in den Vordergrund gerückt – entsprechend der weit verbreiteten Ansicht, dass zu den Aufgaben der Religionssoziologie „zunächst die Erforschung der religiösen Sinngebung menschlicher Lebensgemeinschaften“ (12: 61) gehöre. In der Tat ist die Familie in vielerlei Hinsicht der Ort, wo sich Reli-

Die religiöse Dimension von „Familie“

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Religionssoziologische Zugänge

Prägung von Familienstrukturen

Erforschung der Wechselbeziehungen von gender und Religion

gion „abspielt“ – so sind die meisten der sog. Passageriten (insbes. Geburt, Geschlechtsreife, Eheschließung, Tod …), aber auch bestimmte Formen der Ahnenverehrung oftmals in der Familie angesiedelt. Dennoch ist Vorsicht dabei geboten, die Familie zum Brennpunkt religiöser Sinngebung und religiöser Praktiken bestimmen zu wollen; wir dürfen nicht aus der wichtigen Stellung der Familie im Kontext der Sozialgestalt „Kirche“, wie sie sich in der Christentumsgeschichte über die Jahrhunderte hinweg herausgebildet hat, voreilig auf die Familie als Ort des Religiösen generell schließen. Empirisch in zuverlässiger Weise erfassbar ist die Rückwirkung der Religionen auf die Entwicklung der Familienstrukturen und -formen. Dabei handelt es sich allerdings um äußerst langfristige Prozesse, die zudem durchaus nicht ohne Widersprüche verlaufen: Beispielsweise dauerte es Jahrhunderte, bis sich christliche Ehe- und Familienvorstellungen durchsetzen konnten, wobei die „reine“ kirchliche Ehelehre eine Reihe von Kompromissen eingehen musste (Scheidung, Empfängnisverhütung, voreheliche sexuelle Beziehungen …); und die meisten Religionen haben im Blick auf die Funktion und Bedeutung der Familie gegenüber manchen radikaleren Positionen in ihren Gründungsurkunden weitgehende Zugeständnisse gemacht – so beispielsweise das Christentum gegenüber dem paulinischen Ideal der Ehe- und Familienlosigkeit oder der Buddhismus gegenüber dem Ideal asketischer Hauslosigkeit in der Verkündigung des Buddha. Die religionssoziologische Geschlechterforschung als solche ist ein relativ junges Gebiet, wenn wir darunter das verstehen, was in den Sozialwissenschaften gemeinhin als Gender Studies bezeichnet wird. Selbstverständlich haben sich schon die traditionelle Religionssoziologie und selbst die „klassische“ Religionswissenschaft mit Themen wie der Stellung der Frau in den Religionen, geschlechtsspezifischen Sondergemeinschaften (Frauen- und Männerbünde, Mönchs- und Nonnenorden), Frauenrollen, „weiblichen“ Kulten, etc. beschäftigt. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ist jedoch der aus der Grammatik übernommene Begriff gender (englisch; „Geschlecht“, „Genus“) zur zentralen Kategorie der Frauenforschung geworden, was dann bald auf andere Forschungsbereiche ausgestrahlt hat. „Gender“ meint im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (engl.: sex) das „soziale Geschlecht“, die kulturell geprägte und sozial konstruierte, historisch wandelbare Interpretation von Geschlecht, wobei die Originalbegriffe gender und sex ins Deutsche übernommen wurden, da dieses eine solche begriffliche Unterscheidung nicht kennt. Die religionssoziologische Gender-Forschung richtet ihr Augenmerk insbesondere auf die Frage, wie die Religionen Gender-Vorstellungen geprägt haben bzw. noch prägen und wie diese auf soziale Organisationsformen, politische Machtstrukturen oder auch individuelle „Identitäten“ einwirken. Religiös bestimmte Frauenund Männerrollen können dabei gesellschaftliche Realitäten teilweise widerspiegeln bzw. mitformen, gehen aber nicht in ihnen auf, was insbesondere in den zum Teil äußerst kontrovers geführten Debatten über die Stellung der Frau im Islam deutlich geworden ist. Ein weiteres Gebiet religionssoziologischer Gender-Forschung ist beispielsweise das in der Religionsgeschichte weit verbreitete Phänomen der Überschreitung oder Auf-

Typenbildungen

hebung von Geschlechtergrenzen in der rituellen Praxis; nicht selten findet sich die Vorstellung, dass religiöse Experten ihre spirituelle Macht dadurch mehren können, dass sie ihr Geschlecht wandeln bzw. zu zwei- oder übergeschlechtlichen Personen mutieren.

3. Religionssoziologische Typenbildungen a) Typen religiöser Autorität Wie eingangs festgestellt, fragt die Religionssoziologie nach der Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft. Zugleich ist darin auch die Frage enthalten, welche religiösen Aufgaben einzelne Personen in der und für die Gesellschaft wahrnehmen. Dabei geht es allerdings nicht um das isolierte Handeln einzelner Individuen, sondern um idealtypische Grundmuster des Handelns, um religiöse Rollen. Wie erwähnt, hat Max Weber in diesem Zusammenhang beispielsweise zwei Grundtypen unterschieden: den des Propheten und den des Mystikers. Von „Typen religiöser Autorität“ zu sprechen geht auf Joachim Wach zurück und ist von späteren Religionswissenschaftlern verschiedentlich aufgegriffen worden. Der Begriff ist bei Wach selbst sowie bei Lanczkowski stark religionsphänomenologisch geprägt. Beide beziehen sich in ihren Arbeiten zugleich auch auf solche Aussagen, mit denen diesen Typen im Laufe der religiösen Traditionsbildung über ihre tatsächliche Rolle hinaus und jenseits der historisch feststellbaren Funktionen eine besondere Bedeutung zugeschrieben wurde. Eine im engeren Sinne religionssoziologische Typologie konzentriert sich demgegenüber auf die konkreten religiösen und sozialen Rollen von Personen, denen innerhalb der Gemeinschaft besondere Autorität zukommt, auf ihre in Ritus, Kultus, religiöser Traditionspflege und Wissensvermittlung wahrgenommenen Funktionen. Der Typus des „Verborgenen Heilbringers“ würde demzufolge nicht in diese Reihe gehören – dazu wird er ja erst nach seinem Tode. Wir müssen im Blick behalten, dass es sich bei dieser Typologie um Abstraktionen handelt, mit denen Verantwortlichkeiten beschrieben werden, die in der Realität von den konkreten Individuen zumeist nur teilweise und in Kombination mit anderen sozialen und religiösen Funktionen wahrgenommen werden: Der Mystiker kann auch prophetische Aufgaben erfüllen, der Priester zugleich Lehrer sein. Manche religiöse Experten integrieren gleich mehrere Funktionen in ihre Rolle: der mganga („Medizinmann“) handelt nicht selten als Wahrsager, Heiler, Seelsorger, Priester, Prophet usw. in einer Person; umgekehrt können die komplexen Aufgaben eines mganga jedoch arbeitsteilig an verschiedene Personen delegiert sein, die diese unterschiedlichen Rollen je für sich repräsentieren. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es weder einen abgeschlossenen Typenkatalog noch eindeutig umrissene Rollenprofile gibt. Im Folgenden werden lediglich exemplarisch einige Typen religiöser Autorität kurz skizziert. Der Prophet (oder auch die Prophetin) repräsentiert unter religionssoziologischer Perspektive vielleicht den dynamischsten Typus religiöser Auto-

Die Bestimmung von „Typen religiöser Autorität“

Beispiele für „Typen religiöser Autorität“

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rität; dies hat Max Weber sicherlich richtig gesehen. Zugleich finden wir den Typus des Propheten in vielen Gesellschaften und Kulturen an. Dabei bildeten religionsgeschichtlich gesehen die vorderasiatischen Religionen einen gewissen Schwerpunkt. Propheten bzw. Prophetinnen verkünden die Botschaft von einer „anderen“ Wirklichkeit, mit der sie die bestehenden religiösen, aber auch sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Realitäten konfrontieren. Durch ihre radikale Kritik rufen sie nicht selten sozial-religiöse Protestbewegungen ins Leben, aus denen bisweilen gar neue Religionen entstehen. Doch Prophetie kann auch institutionalisiert und als offizielle Funktion, als Amt in die organisierte Religion integriert werden. Wir kennen dieses Phänomen aus der altorientalischen Religionsgeschichte. Auch manche der „prophetischen“ afrikanischen Kirchen haben dem Amt des Propheten oder der Prophetin in der Kirchenhierarchie einen festen Platz zugewiesen. Der Priester bzw. die Priesterin nimmt zumeist einen klar definierten Platz innerhalb der gegebenen religiösen Organisationsstruktur ein. Seine – ihre – Tätigkeit ist als Beruf institutionalisiert. Nicht selten bildet das Priestertum einen eigenen Stand religiöser Experten, der in sich nochmals hierarchisch gegliedert ist. In dieser Gestalt scheint es vornehmlich eine Tradition und Kult bewahrende Funktion wahrzunehmen, doch dies muss nicht so sein: Ein Priester, eine Priesterin kann durchaus auch „prophetische“ Aufgaben erfüllen. Grundsätzlich ist das Priestertum vom Laientum sowohl sozial als auch religiös klar unterschieden. Es repräsentiert eine „andere Ordnung“, die jedoch in die bestehende hineinreicht und sie formt. Die priesterliche Tätigkeit kann funktional nochmals in verschiedene Teilbereiche aufgefächert sein: Die Priester und Priesterinnen vermitteln häufig (religiöses) Wissen, nehmen also lehrende Aufgaben wahr; sie wirken oft im seelsorgerischen Bereich; bisweilen erfüllen sie politische oder auch juristische Funktionen. Insgesamt gesehen, verfügen sie über ein hohes soziales Ansehen und eine ausgeprägte religiöse Autorität. Doch das Priestertum ist keine universelle Erscheinung. Religionen wie der Islam oder auch das protestantische Christentum lehnen ein institutionalisiertes Priestertum ab. Entsprechend der von dem griechischen Verb m y´ ein (wörtl. „verschließen“) abgeleiteten Grundbedeutung geht es dem Mystiker, der Mystikerin um eine „innere“ Erfahrung, in der die Kommunikation mit Gott, dem Absoluten, einer unbedingte Gültigkeit einfordernden anderen Wirklichkeit oder dem Sein an sich in besonderer Intensität erlebt wird. Diese recht allgemeine Beschreibung lässt vermuten, dass sich Mystiker und Mystikerinnen in jeder religiösen Tradition finden lassen. Im Gegensatz zum Priestertum haben wir es hier mit einem Typus religiöser Autorität zu tun, der am wenigsten formal institutionalisiert ist. Mystiker und Mystikerinnen erhalten ihre Bedeutung auch nicht so sehr aufgrund ihrer äußeren Machtstellung, sondern auf der Grundlage einer Anziehungskraft, die gewissermaßen „passiv“ ihre Wirkung entfaltet: Als „Heilige“, als in sich gekehrte Menschen entwickeln sie eine gleichsam „zentripetale“ Ausstrahlung auf andere. Ihre Kraft wirkt also von innen. Der spirituelle Lehrer als religionssoziologischer Typ findet sich in vielen

Typenbildungen

religiösen Traditionen. In Indien gewinnt er in Gestalt des Guru ein besonders deutliches Profil. In jüngerer Zeit ist der Begriff des Guru auch im Abendland rezipiert worden. Dort dient er zumeist der Beschreibung eines Verhaltens, bei dem der Lehrer von seinen Anhängern absoluten Gehorsam und völlige Unterwerfung unter seine geistige und geistliche Führerschaft einfordert. Damit ist zugleich ein Element der Rolle des religiösen Lehrers angesprochen, bei dem die bisweilen völlige Abhängigkeit des Schülers bzw. der Schülerin gegenüber anderen Aspekten der spirituellen Beziehung zwischen Lehrerschaft und Schülerschaft in den Vordergrund tritt. Dies muss jedoch nicht so sein; das geistige und intellektuelle Geleit des Lehrmeisters kann äußerst unterschiedliche Formen annehmen. Die gesellschaftliche Anerkennung des spirituellen Lehrers mag sich in einzelnen Fällen auch in seinem Status spiegeln – z. B. als Gelehrter, als Berater politischer Führer, als Erzieher o. ä. –, letztlich beruht sie aber auf den spirituellen und intellektuellen Fähigkeiten, die in idealer Weise in seiner Gestalt miteinander verbunden sind. Bisweilen wird in Typologien religiöser Autorität auch der Schamane bzw. die Schamanin genannt. Kennzeichnend für diese religiösen Experten ist, dass sie eine Reihe „archaischer Ekstasetechniken“ (M. Eliade) beherrschen. Die bedeutsamste dieser Techniken ist die Jenseitsreise, auf der die Schamanen Dämonen, Geistern, Ahnenseelen etc. begegnen, und von der sie mit neuen Einsichten zurückkehren. Die so erworbenen Kenntnisse können beispielsweise bei Krankenheilungen oder zum Wohl und Schutz der Gemeinschaft eingesetzt werden. Schamaninnen und Schamanen erfüllen in erster Linie „therapeutische“ Funktionen. Ihre Expertise hierzu beruht darauf, dass sie als „Eingeweihte“ über besondere Erfahrungen verfügen. Manche Forscher sahen im Schamanismus so etwas wie eine weltweit verbreitete Religionsform, die als religionsgeschichtlich ältere Schicht den historisch jüngeren Religionen zugrunde liegt. Allerdings ist es problematisch, wenn in diesem Zusammenhang das Schamanentum als quasi „universaler“ Typ religionsgeschichtlicher Autorität angesehen wird. Es gehört jedenfalls vornehmlich in den Kontext nord- und zentralasiatischer ethnischer Religionen. Hier konnten aus dem weiten Gebiet der Typologie religiöser Autoritäten nur einige wenige Beispiele in aller Kürze skizziert werden. Daneben gibt es noch viele andere – Waardenburg nennt neben den genannten als einige der geläufigen religiösen Autoritäten den Gnostiker und den Asketen, und Lanczkowski zählt hierzu unter Bezug auf die Wach’sche Typologie außerdem den Sakralherrscher, den Verborgenen Heilbringer, den Gesalbten, Stifter, Reformator, Gotteshüter, Märtyrer und Heiligen. Dabei hat er jedoch in religionsphänomenologischer Perspektive vornehmlich die jeweiligen Typen „an sich“ im Blick – weniger die Typen innerhalb ihres spezifischen Kontextes, d. h. in der Beziehung zu gesellschaftlichen und sozio-religiösen Erscheinungen in ihrem Umfeld, wie sie für religionssoziologische Fragestellungen von Interesse sind.

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b) Typen religiöser Gruppenbildung

Religiöse Gruppenbildungen als soziale Prozesse

„Kirche“ und „Sekte“ als soziologische Kategorien

Die klassische Religionswissenschaft hat als Grundlage ihrer Klassifikation religiöser Gruppenbildungen oftmals unterschieden zwischen solchen Gemeinschaften, die mit der bestehenden Gesellschaft in eins fallen („Volksreligionen“ oder „Stammesreligionen“), und solchen, die sich als religiöse Gemeinschaften von der „profanen“ Gesellschaft absetzen. Diese Unterscheidung lässt sich allerdings nicht strikt durchhalten. Denn einerseits sind „profane“ und „religiöse“ Gemeinschaften stets ineinander verwoben, und andererseits müsste die Annahme einer primordialen, also „ursprünglichen“ Identität zwischen beiden ignorieren, dass sich ebenfalls in „volks-“ oder „stammesreligiösen“ Gesellschaften funktionale Differenzierungen nach religiösen und nichtreligiösen Zwecken finden. Auf jeden Fall sind auch Prozesse religiöser Gruppenbildung stets als soziale Prozesse zu verstehen; sie unterscheiden sich von diesen lediglich dadurch, dass sich die Gemeinschaft explizit als religiöse Gemeinschaft versteht und von daher religiöse Aspekte in den Mittelpunkt rückt. In weniger differenzierten Gesellschaften ist die Tendenz zur religiösen Gruppenbildung erwartungsgemäß gering ausgeprägt. Wo sich entsprechende Ansätze finden (z. B. Männer- oder Frauenbünde, Altersklassen usw.), haben wir es mit Formen von Gemeinschaften zu tun, in denen die religiösen Aspekte in viele andere Funktionsbereiche integriert sind. Mit zunehmender Differenzierung der Gesellschaft kommt es zu verschiedenen Formen religiöser Gruppenbildung. Die religionssoziologische Debatte hierüber hat ihren Ausgangspunkt bei dem Versuch von Max Weber genommen, in Bezug auf die Kategorien „Kirche“ und „Sekte“ eine Typologie religiöser Gemeinschaftsbildung zu entwickeln: Charismatische Individuen wie Mohammed, Christus oder der Buddha leiten Innovationen ein, die dazu führen, dass sich kleinere Gruppierungen („Sekten“) von den etablierten, traditionellen Religionsgemeinschaften abspalten, im Laufe der Zeit aber selbst immer etabliertere religiöse Gemeinschaften ausbilden – wie z. B. im Christentum die Kirche. In ähnlicher Weise hat der mit Max Weber befreundete Ernst Troeltsch (1865–1923) vorgeschlagen, eine Typologie religiöser Gemeinschaftsformen zu erarbeiten, die auf der Dichotomie von „Sekte“ und „Kirche“ beruht. „Sekte“ beschreibt dabei einen Organisationstyp, der aus einer Abspaltung vom Organisationstyp „Kirche“ entstanden ist. Dabei bleibt die rituelle und lehrmäßige Unterscheidung gegenüber der Kirche, von der sie sich einst abgespalten hat, für die Identität der Sekte auch in ihrer weiteren Entwicklung von konstitutiver Bedeutung. Troeltsch sah „Sekte“ dabei nicht als negativen, gegenüber der Kirche minderwertigen Organisationstyp; beide Begriffe dienten ihm als soziologische Kategorien diesseits theologischer Werturteile. In diesem Zusammenhang entwickelte er einen Kriterienkatalog, mit dem er spezifische Charakteristika des Organisationstyps „Sekte“ zu beschreiben versuchte, so z. B. egalitäre Tendenzen, die Orientierung an alternativen Lebensformen, den engen sozialen Zusammenhalt der Gruppe, das strikte Festhalten an eigenständiger Glaubenspraxis, das Beharren auf den abweichenden Lehren der Gründungsphase usw.

Typenbildungen

Im Laufe der Zeit wurde allerdings zunehmend deutlich, dass für viele „Sekten“ nicht so sehr die Abspaltung von einer Kirche konstitutiv ist, sondern dass der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung entscheidende Bedeutung zukommt: Industrialisierung, Urbanisierung, soziale Umwälzungen bislang ungekannten Ausmaßes hatten nicht unerheblich dazu beigetragen, dass seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Entstehung neuer religiöser Gemeinschaften vom Organisationstyp „Sekte“ sprunghaft angestiegen war. Zudem wurde bereits Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts die auf der Dichotomie von Kirche und Sekte beruhende Typologie religiöser Gemeinschaften um den Begriff der „Denomination“ erweitert: Der US-amerikanische Theologe und Kirchenhistoriker Richard H. Niebuhr (1894–1962) sah darin eine für die USA typische Organisationsform, die als eine Art „Sekte der zweiten Generation“ zwischen den Organisationstypen „Sekte“ und „Kirche“ anzusiedeln ist. Nach und nach wurden so immer komplexere Typologien entwickelt. So entwarf beispielsweise der Soziologe Milton J. Yinger 1970 ein Modell unterschiedlicher religiöser Organisationsformen, das sich aus der Kombination von drei Variablen konstituiert: 1. Wie viele Mitglieder der Gesellschaft sind Mitglieder der religiösen Gemeinschaft? 2. Inwieweit stimmen die Werte der Gemeinschaft mit denen der Gesellschaft überein? und 3. Inwieweit weisen die religiösen Strukturen eine hohe Komplexität und signifikante Eigenheiten auf? In neueren soziologischen Ansätzen wird eine noch weitergehende Auffächerung der Typologie religiöser Gemeinschaftsbildung gefordert, die zudem in ihren Kategorien noch flexibler sein müsse, um auch widersprüchliche oder gar komplementäre Tendenzen innerhalb bestimmter Organisationstypen erfassen zu können – so beispielsweise die in vielen „Sekten“ zu beobachtende Kombination von scheinbar rückwärts gewandter Wiederbelebung religiöser Traditionen mit einer Offenheit gegenüber modernen Technologien und Ausdrucksformen. Angesichts der Tatsache, dass Begriffe wie „Kult“ oder „Sekte“ zunehmend zu negativ besetzten Begriffen geworden sind, hat in jüngerer Zeit der Terminus „Neue Religiöse Bewegung“ (New Religious Movement) als neutralere Kategorie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Aufgrund seiner Allgemeinheit sagt er recht wenig über die Organisationsform der damit bezeichneten religiösen Gemeinschaften aus. Auch kann er nicht verhindern, dass diese selbst in den letzten Jahren und Jahrzehnten einer zunehmenden gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt waren: Vorwürfe der an Mitgliedern vorgenommenen Gehirnwäsche – obgleich in dieser Form nicht bestätigt, wie E. Barker in ihrer Studie über die Vereinigungskirche zeigen konnte – einerseits, das Auftreten extremistischer Gruppen andererseits, haben dazu geführt, dass viele Neue Religiöse Bewegungen unter starken öffentlichen Druck geraten sind. Die religionssoziologische Forschung ist in diesem Zusammenhang darum bemüht, Neue Religiöse Bewegungen möglichst unparteiisch zu betrachten und nüchtern zu analysieren. Damit wird nicht in Frage gestellt, dass einzelne Menschen durch die aktive Mitgliedschaft in solchen Gruppierungen tatsächlich Schaden nehmen können. Es muss allerdings kritisch geprüft wer-

Komplexe Modelle religiöser Organisationsformen

Neue Religiöse Bewegungen

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Religionssoziologische Zugänge

den, ob es sich bei den indizierten Praktiken tatsächlich um kriminelle Aktivitäten handelt, oder ob sie nur unterstellt werden. Religiös nicht konformes Verhalten impliziert nicht gleich illegale Machenschaften. Auch die Tatsache, dass die Praxis mancher Neuer Religiöser Bewegungen – insbesondere in den modernen „westlichen“ Gesellschaften – nicht nur den traditionellen Wertvorstellungen etablierter Religionsgemeinschaften, sondern auch vielen säkularen Grundorientierungen – Individualismus, Fortschritt, Selbstbestimmung – widerspricht, mag erklären, weshalb diesen Gemeinschaften von „Sektenbeauftragten“, Massenmedien und Öffentlichkeit so großes Misstrauen entgegengebracht wird. In diesem Zusammenhang gilt es allerdings festzuhalten, dass Religionsfreiheit nicht ein Privileg der etablierten Kirchen und der großen Religionsgemeinschaften ist, sondern auch die Mitglieder der – zahlenmäßig oftmals aus kleineren Gruppen bestehenden – Neuen Religiösen Bewegungen einschließt.

c) Religionssoziologische Typologien von Religionen und Gesellschaftssystemen

Religion in segmentären Gesellschaften

Bereits im Rahmen unserer Ausführungen über das Verhältnis von Religion und Gesellschaft hatten wir kurz den evolutionstheoretischen Ansatz von Robert N. Bellah erwähnt. Seine Aussage, „dass sich komplexere Formen aus weniger komplexen Formen entwickeln“ (88: 268), war in diesem Zusammenhang auf Vorgänge bezogen, die sich im Bereich der Sozialsysteme wie auch in dem der „Symbolsysteme“ – also der Religionen – beobachten lassen. Religionen und soziale Systeme stehen dabei in einem engen Zusammenhang, da die Ausformung einer Religion nicht unabhängig vom jeweiligen Gesellschaftssystem geschehen kann. Der Ausgangspunkt religionssoziologischer Typologien von sozialen und religiösen Systemen ist dem evolutionstheoretischen Ansatz durchaus ähnlich: Unterschiede zwischen Typen von Religions- und Gesellschaftssystemen ergeben sich aus ihrer unterschiedlichen Differenzierung. Ganz im Gegensatz zur biologischen Evolutionstheorie ist allerdings nicht die Umweltanpassung, sondern die Umweltbeherrschung maßgeblich: Je differenzierter eine Gesellschaft ist, desto besser ist sie dafür gerüstet, ihre Umwelt zu beherrschen, was sich u. a. in zunehmender Arbeitsteilung, höher entwickelter Technologie und wachsender Distanzierung von der Umwelt niederschlägt. Gesellschaften mit vergleichsweise geringer Differenzierung werden als segmentäre Gesellschaften bezeichnet. Sie bestehen aus „Segmenten“, d. h. Gruppen von Menschen, deren Zusammenhalt vornehmlich auf verwandtschaftlichen Beziehungen beruht. Diese Verwandtschaftsgruppen stehen als Teile des Gesellschaftssystems nebeneinander, sind also nicht hierarchisch einander unter- oder übergeordnet. Allerdings sollte vermieden werden, in diesem Zusammenhang von „Stämmen“ zu sprechen; der Begriff „Stamm“ würde weder der Komplexität unterschiedlicher Verwandtschaftsgruppen in segmentären Gesellschaften gerecht werden, noch beschriebe er eine in der Wirklichkeit „ob-

Typenbildungen

jektiv“ vorfindbare Größe. Selbstverständlich organisieren sich Menschen in Verwandtschaftsgruppen (lineages, d. h. auf Verwandtschaftsgruppen einer gemeinsamen Abstammungslinie; Clans, Sub-Clans etc.), aber eben auch in Altersgruppen, lokalen Gruppen usw.; und „Stämme“ – großteils zu dem Zweck „erfunden“, den Kolonialadministrationen ihre Arbeit zu erleichtern – sind zumeist eine recht willkürliche Konstruktion von Einheiten, denen vielfach Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen zugeordnet wurden. Bezugsrahmen der Religionen segmentärer Gesellschaften ist die jeweilige Ethnie. Doch auch die ethnische Gruppe bildet keine fest umrissene Einheit, sondern sie ist in der Regel eine „erschaffene“, konstruierte Größe kollektiver Zugehörigkeit. Allerdings versuchen die Mitglieder dieser Einheit, als Gruppe zu handeln und die unterschiedlichen Lebensbereiche gemeinsam zu organisieren. Hierbei fällt der Religion dann bisweilen eine prominente Rolle zu: Sie gibt Orientierung, indem sie diese verschiedenen Lebensbereiche ordnet und aufeinander bezieht. Die enge Verflechtung von wirtschaftlicher, politischer, kultureller, sozialer … Wirklichkeit kommt dabei in der religiösen Praxis im Ritual zur Darstellung, wo zugleich Grundprobleme des menschlichen Lebens thematisiert werden. Die geringe Differenzierung segmentärer Gesellschaften findet auch im religiösen Bereich ihren Niederschlag: „Medizinmänner“ oder „Zauberer“, also religiöse Experten im Umgang mit den sichtbaren und unsichtbaren Mächten, erfüllen eine Vielzahl von Aufgaben – als Heiler, Propheten, politische Berater usw. Segmentäre Gesellschaften orientieren sich an Überliefertem – und entsprechend haben ihre Religionen traditionalen Charakter. Maßgeblich ist, was von Generation zu Generation überliefert wurde. Doch auch traditionale Gesellschafts- und Religionssysteme sind dem historischen Wandel unterworfen, der durch innere und äußere Neuerungen ausgelöst sein kann (s. o. S.44 ff.); und sie vermögen durchaus eine Art Geschichtsbewusstsein zu entwickeln, wenn auch nicht im Sinne eines modernen Verständnisses von Geschichte. So deuten viele Indizien darauf hin, dass es in manchen afrikanischen Religionen erst durch christlichen oder islamischen Einfluss zur Ausbildung von Hochgottvorstellungen gekommen ist; und die Mitglieder der westafrikanischen Sänger- und Erzählergilde der griots bewahren nicht nur viele Generationen zurückreichende Genealogien und Stammbäume im Gedächtnis, sondern auch die Erinnerung an bedeutsame historische Ereignisse. Die Religionen segmentärer Gesellschaften sind also weder geschichtslos noch unwandelbar. Mit zunehmender Differenzierung kommt es zur Ausbildung stratifizierter, also „geschichteter“ Gesellschaften. Sie bestehen aus „Straten“, Gruppen von Menschen, die sich aufgrund zunehmender Arbeitsteilung und Spezialisierung ausgebildet haben. Diese Bevölkerungsgruppen sind in Schichten, d. h. als hierarchisch gegliederte Teile der Gesellschaft, einander zugeordnet. Dabei sind es äußerst unterschiedliche Faktoren, die zu einer Stratifizierung von Gesellschaften führen können, so insbesondere wirtschaftlicher Wandel, politische Veränderungen oder technologische Innovationen. Beispiele wären etwa die Einführung neuer Produktionsweisen durch künst-

Religion in stratifizierten Gesellschaften

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Religionssoziologische Zugänge

Religion in komplexen Gesellschaften mit funktional differenzierten Teilsystemen

liche Bewässerung wie im Alten Mesopotamien oder durch den Übergang vom nomadischen Weidewechsel zum sesshaften Ackerbau wie im frühen Israel; die Einwanderung neuer – und dadurch verursachte Überlagerung ansässiger – Bevölkerungsgruppen wie im Alten Indien; oder die Auflösung traditioneller Clan-Strukturen durch neue Führungsschichten in der frühisraelitischen Staatenbildung. Außerdem gibt es unterschiedliche Formen der Stratifizierung von Gesellschaften – von äußerst einfachen Schichtenbildungen („Freie“ und „Unfreie“) bis hin zu komplexeren Gesellschaftssystemen, in denen mehrere Schichtungen – von Sklaven über Bauern bis zum Adel – übereinander liegen und gegebenenfalls von einer zentralen Institution – z. B. dem Königtum – gesteuert werden. Im religiösen Bereich zeigt sich die zunehmende Differenzierung der Gesellschaft zunächst in Gestalt einer fortschreitenden Institutionalisierung, Spezialisierung und Arbeitsteilung. Die Gilde religiöser Expertinnen und Experten gliedert sich dabei je nach ihren funktionalen Aufgaben und bildet organisierte Hierarchien aus: Der Arbeitsbereich eines „Generalisten“ verteilt sich nun auf Priester, Heiler, Wahrsager, Propheten usw. als klar voneinander unterschiedene Berufsgruppen, denen unterschiedliche Machtbefugnisse zukommen – vom kleinen Tempeldiener bis zum König als Oberpriester. Diese Differenzierung spiegelt sich auch in anderen Bereichen der religiösen Praxis: Verschiedene Kulte, an unterschiedliche Trägergruppen gebunden, entstehen, es kann in beschränktem Maße zur Ausbildung eines religionsinternen Pluralismus kommen, Kosmologien und Jenseitsvorstellungen entfalten sich, erste „Theologien“ werden entworfen. Stratifizierte Gesellschaften bieten in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung auch einen idealen Nährboden für religiöse Innovationen größeren geschichtlichen Ausmaßes. Mit zunehmender Differenzierung des Gesellschafts- und Religionssystems bilden sich interne Spannungen aus, wobei einzelne Gestalten oder kleinere Trägergruppen als Repräsentanten eines alternativen Religionssystems auftreten können, das sich in Opposition zum bestehenden Gesellschaftssystem stellt und im Falle eines Erfolges auch die Gesellschaft umformt: In der koranischen Verkündigung etwa wird mit dem Islam ein solches alternatives Religionssystem proklamiert, das insofern das Gesellschaftssystem verändert, als die traditionelle ClanSolidarität in die Solidargemeinschaft der umma aufgehoben wird; und die Lehre des Buddha nimmt zwar auf altindische Traditionen Bezug, deutet diese jedoch innerhalb eines neuen Gesamtsystems um, wodurch die Gesellschaft so verwandelt wird, dass das herkömmliche altindische Ständesystem in den buddhistischen Gemeinschaften nach und nach seine Relevanz verliert. Davon unberührt bleibt, dass die Träger dieser religiösen Innovationen oftmals gar keine neue Religion gründen wollten: Mohammed ging es um die Wiederherstellung der ursprünglichen „natürlichen Religion“ (dîn al-fitra) des Menschen, den islâm, und der Buddha beanspruchte lediglich, Einblick in den dharma, in die Ordnung aller Dinge zu geben. Gesellschaften mit extrem ausgeprägter Differenzierung können wir als komplexe Gesellschaften bezeichnen. Sie bestehen aus „funktional differenzierten Teilsystemen …, die einander durch keine klare Hierarchie zugeordnet sind. Vielmehr stehen diese Teilsysteme in wechselseitiger Inter-

Säkularisierung – Fundamentalismus – „New Age“

dependenz“ (15: 74). Ansätze zu komplexen Gesellschaftssystemen finden sich bereits in hoch differenzierten stratifizierten Gesellschaften des Altertums, kommen jedoch erst in der Neuzeit zum Durchbruch. Die vielfältige Differenzierung komplexer Gesellschaften schlägt sich darin nieder, dass einzelne gesellschaftliche Bereiche in Gestalt funktional komplexer Teilsysteme ausgeformt werden – Staat, Politik, Religion, Wirtschaft … –, in denen sich Religion lediglich als ein Bereich neben anderen findet. Darüber hinaus kommt es zu einem religiösen Pluralismus, zur Individualisierung und Privatisierung von Religion, zur „Auflösung“ von Religion in nicht mehr institutionalisierte Formen des Religiösen, wie wir es insbesondere in den modernen „westlichen“ Gesellschaften beobachten können.

4. Säkularisierung – Fundamentalismus – „New Age“ Ein stets wiederkehrendes Thema religionssoziologischer Debatten ist die Frage der Säkularisierung, die bereits oben im Zusammenhang mit der Weber’schen Religionssoziologie erwähnt wurde. Über ihren Inhalt und Verlauf sowie über ihre Bewertung herrscht allerdings kein Konsens. Übereinstimmung gibt es lediglich darin, dass zwischen Säkularisierung und Säkularisation strikt zu unterscheiden ist. Beide Begriffe gehen auf das lateinische saeculum zurück, dessen ursprüngliche Bedeutung, „Zeitalter“, im Mittelalter zu „Welt“ erweitert wurde. Säkularisation beschreibt den Vorgang der Enteignung kirchlichen Eigentums durch den Staat, während Säkularisierung einen Prozess bezeichnet, der im Deutschen noch am angemessensten mit „Verweltlichung“ wiederzugeben ist. Dieser recht allgemein gehaltene Begriff lässt jedoch nochmals eine Vielfalt von Interpretationen zu. So unterscheidet beispielsweise der Tübinger Religionssoziologe Günther Kehrer im Anschluss an L. Shiner fünf Bedeutungen des Begriffs Säkularisierung: als Verfall von Religion, als Übereinstimmung mit der Welt, als Entsakralisierung der Welt, als Abkehr der Gesellschaft von der Religion, und als Übertragung religiöser Inhalte in die weltliche Sphäre. Dementsprechend finden wir auf der einen Seite Vertreter von Positionen, die einen signifikanten Rückgang, vielleicht sogar ein „Verschwinden“ von Religion in modernen Gesellschaften generell konstatieren wollen. Dies wird auf der anderen Seite allerdings von jenen bestritten, die lediglich einen Wandel in der Sozialgestalt von Religion zu beobachten meinen. Die Debatte wird dadurch erschwert, dass uns nur zum Teil zuverlässige Daten vorliegen, auf die wir uns beziehen können. Immerhin wissen wir, dass beispielsweise die Teilnahme am sonntäglichen Kirchgang in allen europäischen Ländern während der letzten 100 bis 150 Jahre signifikant zurückgegangen ist. Was den Charakter der Säkularisierung ausmacht, bleibt also strittig. Die Beantwortung dieser Frage ist sicherlich zu einem guten Teil davon abhängig, von welchem Religionsverständnis die Analyse ausgeht: Wird nach der Funktion der Religion gefragt und diese so bestimmt, dass Religion auf existenzielle Probleme eine Antwort zu geben versucht, dann kann es im Grunde kein Verschwinden von Religion, keine Religionslosigkeit geben.

Vielfalt von Säkularisierungstheorien

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Religionssoziologische Zugänge

Säkularisierung als Bedeutungsverlust von Religion

Säkularisierung als Bedeutungswandel von Religion

Wird Religion hingegen als etwas verstanden, das durch bestimmte religiöse Inhalte definiert ist – also z. B. den Glauben an einen Gott oder an ein ewiges Leben –, dann sind Säkularisierungsprozesse relativ leicht zu identifizieren. Vielen Vertretern von Säkularisierungstheorien dient der unbestreitbare Rückgang kirchlichen Einflusses als Beleg für „Verweltlichung“ im Sinne eines Bedeutungsverlustes von Religion. Dieser wird durchaus unterschiedlich erklärt. Viele Forscher sehen allerdings in der Säkularisierung eine unmittelbare Folge von Modernisierungsprozessen: Industrialisierung und Urbanisierung haben die traditionelle Bedeutung der Religion in der Alltagskultur entwertet; mit zunehmender sozialer Differenzierung wird Religion aus dem öffentlichen Leben verdrängt und in gesellschaftliche Randbereiche verwiesen; eine „Vergesellschaftung“ des sozialen Lebens sowie die damit verbundene Anonymisierung sozialer Beziehungen und Entwertung institutioneller Einbindungen haben die Orientierungsleistung religiöser Werte für die Gestaltung des Zusammenlebens weitgehend bedeutungslos werden lassen; im Zuge einer wachsenden Individualisierung wird Religion mehr und mehr als Privatangelegenheit betrachtet und ist damit in der Öffentlichkeit weitgehend „unsichtbar“ geworden; und durch die Rationalisierung ist das gesellschaftliche Leben technischen und bürokratischen Prozessen von Zweck-Mittel-Beziehungen unterworfen, von denen die Religion ausgeschlossen ist … Von anderen Fachvertretern hingegen wird bestritten, dass das Faktum der Entkirchlichung als Säkularisierung im eben beschriebenen Sinne zu verstehen sei: Modernisierungsprozesse mögen vielleicht dazu führen, dass Religion im öffentlichen Raum nicht mehr eine solch prominente Position einnimmt wie dereinst; doch wäre es verfehlt, von einem Rückgang oder gar langsamen Verschwinden der Religion zu sprechen. Im Gegenteil: Es entstehen neue, dynamische Formen von Religion, die nicht mehr in Institutionen wie den großen Kirchen beheimatet sind, sondern von Individuen und kleineren Gruppen oder Bewegungen getragen werden. Wir haben es also mit religiösen Wandlungsprozessen hin zu neuen Sozialgestalten von „Religiosität“ zu tun. Diese Wandlungsprozesse werden nun allerdings wieder sehr unterschiedlich erklärt: Auch frühere Zeiten waren nicht „religiöser“ geprägt als die Moderne, da die öffentliche Teilnahme an Religion lediglich durch soziale Kontrolle und gesellschaftlichen Konformitätsdruck erzwungen war; der Rückgang beim Kirchenbesuch, ja selbst die Zunahme der Kirchenaustritte wird kompensiert einerseits durch ein größeres Engagement der verbliebenen Mitglieder, andererseits durch anhaltendes Wohlwollen der Ausgetretenen oder der bloß nominellen Mitglieder gegenüber kirchlichen Aktivitäten, was sich z. B. in der Spendenbereitschaft für verschiedene kirchliche Arbeitsbereiche niederschlägt; Säkularisierung ist lediglich ein europäisches Phänomen, da andernorts kein Zusammenhang zwischen der Modernisierung und einem Bedeutungsverlust von Religion festgestellt werden kann; selbst „Entkirchlichung“ ist nur dort zu beobachten, wo kirchliche Monopolstellungen vorgeherrscht haben – also in Europa –, während dort, wo ein konkurrierendes kirchliches „Marktangebot“ vorhanden war – beispielsweise in den USA –, kirchliche Religiosität nicht

Säkularisierung – Fundamentalismus – „New Age“

im Rückgang begriffen ist; Religion „verkleidet“ sich in unterschiedliche life-styles, die für die soziale Interaktion im Kontext der Globalisierung zunehmend an Bedeutung gewinnen … Die These vom „Verschwinden“ der Religion mag mit einer gewissen anti-religiösen Grundausrichtung mancher (religions-)soziologischer Entwürfe zusammenhängen. Zwar hatten die „Klassiker“ der Religionssoziologie wie Weber oder Durkheim der Religion – bei allen Vorbehalten, die sie ihr gegenüber hegten – auch in der Moderne noch eine Funktion zugesprochen. Die Generation der Religionssoziologen nach ihnen war hingegen davon ausgegangen, dass sich das Thema „Religion“ in der Moderne früher oder später von selbst erledigen würde – oder dass die Religion künftig allenfalls im Verborgenen einige marginale Funktionen für die Gesellschaft erfüllen könne. Allerdings hat unter den Religionssoziologen in dieser Frage nie Einigkeit geherrscht, und seit geraumer Zeit häufen sich die Stimmen derer, die darauf verweisen, dass in den letzten Jahrzehnten die öffentliche und politische Bedeutung der Religion signifikant zugenommen hat – und zwar nicht nur in den wirtschaftlich und technisch weniger etablierten Ländern der südlichen Halbkugel, sondern weltweit. Die „Rückkehr“ der Religion ist dabei in unterschiedlichen Kontexten und Ausprägungen zu beobachten: Im Zusammenhang mit neuen sozialen Bewegungen wie im Falle der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, als Wiederaufleben der orthodoxen Kirchen im postkommunistischen Osteuropa, in Gestalt der Renaissance konfuzianischer Ethik in den aufstrebenden Wirtschaften Südost- und Ostasiens oder als politische Ideologie wie im Falle radikal-islamischer oder radikal-zionistischer Bewegungen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass zwischen der Debatte über die Frage des „Verschwindens“ von Religion und der Diskussion über den „Fundamentalismus“ ein Zusammenhang besteht: Die „Rache Gottes“ (G. Keppel) muss diejenigen überraschen, die mit dem Verschwinden der Religion gerechnet hatten. Nun gehört der „Fundamentalismus“ ohne Zweifel zunächst in den Kontext der neuzeitlichen christlich-abendländischen, genauer: nordamerikanisch-protestantischen Christentumsgeschichte. Der Fundamentalismus ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus einer Bewegung entstanden, die vornehmlich vom weißen Mittelstand getragen wurde. Die Bemühungen dieser Bewegung waren anfangs darauf ausgerichtet, im Kampf gegen „liberale Theologie“ die sog. fünf biblischen Grundwahrheiten (fundamentals) zu verteidigen (Unfehlbarkeit der Bibel, Jungfrauengeburt Christi, leibliche Auferstehung Christi, stellvertretendes Sühnopfer Christi, leibliche Wiederkunft Christi). Ab den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts verlor der Fundamentalismus dann an Bedeutung, gewann aber in den 60er und insbesondere in den 80er Jahren wieder mehr an Gewicht. Entgegen ihren traditionellen Gepflogenheiten engagierten sich die Fundamentalisten nun mehr und mehr auch auf politischem Gebiet, verlangten die öffentliche Anerkennung traditioneller christlicher Moral und forderten die Ausrichtung staatlichen Handelns an christlichen Grundsätzen. Spätestens jetzt wurde klar, dass die Fundamentalisten nicht einem reaktionären Obskurantismus frönen, sondern als schlagkräftige, innovative Bewegung ihren

die „Rückkehr“ der Religion

Fundamentalismus und Moderne

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Religionssoziologische Zugänge

die apokalyptische Geschichtsdeutung

Kreuzzug gegen die Moderne mit ausgesprochen modernen Mitteln führen – mit Kommunikationstechnologie (electronic churches), effektivem Management, professionellen PR-Kampagnen etc. Unter religionssoziologischer Perspektive handelt es sich bei dem Konflikt zwischen Fundamentalisten und ihren liberalen Gegnern nur vordergründig um einen Streit über doktrinäre Positionen, wie sie in jenen „five fundamentals“ formuliert sind. Im Kern geht es vielmehr um die Frage des Umgangs mit dynamischen Prozessen der Modernisierung und des sozialen Wandels: War das „sozialmoralische Milieu“ (Riesebrodt) der weißen protestantischen Mittelschicht in den USA traditionell recht homogen zusammengesetzt – in ökonomischer Hinsicht sowie im Blick auf religiöse Zugehörigkeit, Lebensformen, Moral- und Wertevorstellungen usw. –, so zerbrach diese Homogenität im Zuge beschleunigter Modernisierungsprozesse. „Liberale“ Protestanten öffneten sich der Modernisierung und begannen, die damit gegebenen Chancen auf soziale Mobilität, wirtschaftlichen Aufstieg, Autonomie und Individualisierung zu nutzen – allerdings auf Kosten ihrer traditionellen Lebensführung. Fundamentalisten hingegen – obgleich in der Moderne lebend und mit moderner Technik, mit modernen Medien und modernen Marktmechanismen durchaus vertraut – verweigerten sich der Moderne insofern, als sie an herkömmlichen Werten festhielten und eine Relativierung überkommener Moralvorstellungen strikt ablehnten. Bezeichnend für die „modernen“ Fundamentalisten ist in diesem Zusammenhang ein Geschichtsverständnis, in dem sie den in ihren Augen voranschreitenden Verfall der Moral als Zeichen der bevorstehenden Endzeit interpretierten. Solche Endzeitvorstellungen sind allerdings nicht völlig neu, sondern stehen in der Tradition apokalyptischer Geschichtsdeutungen, die insbesondere im 19. Jh. zur Blüte kamen: Die gegenwärtige Welt, in der Unglaube, Unmoral und Dekadenz immer mehr zunehmen, ist der Verderbnis anheim gegeben, und nur diejenigen, die sich diesen Entwicklungen verweigern, werden gerettet. „Fundamentalistische“ Bewegungen in anderen religiösen Traditionen weisen ähnliche Grundmuster auf. Auch dort sind Endzeitvorstellungen nicht selten von zentraler Bedeutung, ihre inhaltlichen Ausprägungen müssen jedoch vom jeweiligen religionsgeschichtlichen Hintergrund her verstanden werden: Beispielsweise sind im jüdischen Fundamentalismus die religiöse Erwartung eines messianischen Reiches und der säkulare Zionismus miteinander verschmolzen. Im islamischen Fundamentalismus wiederum gilt die gegenwärtige Welt als jâhilîya (wörtl. „Unwissenheit“), als Ausdruck eines gotteswidrigen Heidentums, dem der „wahre“ Islam des neuen Zeitalters als Wiederherstellung der idealen islamischen Gemeinschaft entgegengestellt wird. Diese wenigen Beispiele machen anschaulich, dass religionssoziologische Untersuchungen zu Phänomenen wie dem des neuzeitlichen Fundamentalismus an inhaltlicher Qualität gewinnen können, wenn der religionsgeschichtliche Hintergrund bei der Analyse Berücksichtigung findet. Das bestätigt nochmals die Richtigkeit des von H. Kippenberg und anderen seit vielen Jahren eingeschlagenen Weges, Religionsgeschichte und Religionssoziologie näher zusammenzuführen.

Säkularisierung – Fundamentalismus – „New Age“

Ein weiterer Aspekt im Kontext der Säkularisierung sind Phänomene, die unter der Bezeichnung „New Age“ verhandelt werden. Aus religionssoziologischer Perspektive ist insbesondere von Interesse, dass sich hier Religion in Sozialformen äußert, die nicht zu organisierten Institutionen, ja nicht einmal zu festen Gruppenbildungen geführt haben. Wie Christoph Bochinger gezeigt hat, wird unter dem Begriff „New Age“ eine Reihe äußerst disparater Erscheinungen zusammengefasst, die allerdings auf eine längere Vorgeschichte zurückblicken können. Wouter Hanegraaff ist hier einen Schritt weiter gegangen und hat diese Vorgeschichte vornehmlich in esoterischen Traditionen der europäischen Religionsgeschichte zu identifizieren versucht, wobei seine Beobachtungen jedoch auf der Analyse einer äußerst selektiv wahrgenommenen Materialbasis beruhen. Was die scheinbar disparate Vielfalt des New Age im innersten zusammenhält, ist das Prinzip des „Holismus“, eine Ganzheits-Sicht, die Geist und Materie in Einheit sieht. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb die modernen Naturwissenschaften und ihr Verständnis des Kosmos und des Lebens für die New-Age-Bewegung so bedeutsam sind – scheinen sie doch die Möglichkeit zu eröffnen, das Materielle und das Immaterielle ebenso wie Religion und Wissenschaft zusammenzudenken. Im Zentrum solcher Vorstellungen steht der Gedanke des Kosmos als eines geordneten Ganzen, in das sich der Mensch harmonisch einfügen kann. Dieser Gedanke ist nicht neu. Bereits im 19. Jh. und dann stärker ausgeprägt im 20. Jh. wurde dem Erleben, der Erfahrung des Einzelnen in dieser Hinsicht eine besondere Wertschätzung entgegengebracht. Fast zwingend ergibt sich hieraus, dass die Sozialgestalt dieser Religiosität wenig institutionalisiert ist; ihre signifikanteste Ausprägung und Verwirklichung findet sie in Form individueller Selbsterfahrung.

„New Age“ und esoterische Traditionen

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VI. Religionsethnologische Zugänge 1. Geschichte und Richtungen religionsethnologischer Forschung „Fremdheit“ als Gegenstand der Religionsethnologie

Es ist schwierig, beinahe sogar unmöglich, zwischen Religionssoziologie und Religionsethnologie eine klare Trennungslinie zu ziehen. Lange Zeit schien das Kriterium der kulturellen „Fremdheit“ die Grenzen zwischen Ethnologie und Soziologie hinreichend zu beschreiben. Dementsprechend galt die Erforschung der eigenen Gesellschaft als soziologische, die der fremden als ethnologische Aufgabe. Bis heute mag der Reiz des „Exotischen“, des Fremden, das Interesse an der ethnologischen Arbeit zu speisen – und das ist ja auch völlig legitim. Doch die Grenze zwischen fremder und eigener Kultur ist nicht erst mit der Beschleunigung der Globalisierung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts fragwürdig geworden. Bereits 1955 hatte der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss in seinem Buch Traurige Tropen in einfühlsamer Weise beschrieben, wie die „Fremdheit“ gerade durch die ethnologische Forschung „aufgelöst“ wurde. Das bedeutet nun jedoch nicht, dass sich damit zugleich der Gegenstand der Ethnologie verflüchtigt hätte, wie Karl-Heinz Kohl am Beispiel der von ihm als „autochthon“ bezeichneten Religionen zeigt: Es „kann von einem Verlust des Gegenstands der Ethnologie im allgemeinen und der Religionsethnologie im besonderen nicht die Rede sein. Es gilt vielmehr, diesen in seinen sich fortlaufend wandelnden Formen immer wieder von neuem zu entdecken“ (117: 268). Nach herkömmlichem Verständnis befasst sich die Religionsethnologie mit den Religionen schriftloser Kulturen. Nun ist die Unterscheidung zwischen Religionen mit und ohne Schrift nicht so haarscharf zu ziehen, wie es auf den ersten Blick möglich scheint. Dennoch hat sich hier eine Art „Arbeitsteilung“ zwischen Religionsethnologie und Religionssoziologie erhalten, und die Religionsethnologie richtet ihr Augenmerk nach wie vor in erster Linie auf die Religionen (ehemals) schriftloser und technologisch weniger entwickelter Kulturen. In diesem Zusammenhang haben bestimmte Forschungsmethoden und -techniken in der religionsethnologischen Forschung besondere Prominenz erlangt – so etwa die teilnehmende Beobachtung –, doch werden diese auch bei religionssoziologischen Forschungsprojekten im Kontext moderner, komplexer Gesellschaften angewandt. Das hat u. a. sicherlich auch damit zu tun, dass „das Fremde“ eben nicht mehr nur in „exotischen“ Kulturen des außereuropäischen Raumes gesucht werden kann. Hier mag der religionsethnologische Blick dazu beitragen, neue, bislang unbekannte oder verborgene Facetten unserer eigenen Kultur ins Bewusstsein zu heben, indem die Auseinandersetzung zwischen dem Fremden und dem Eigenen thematisiert wird.

Geschichte und Richtungen

Die Religionsethnologie ist keine eigenständige Disziplin. Zwar konnte sie sich durch den interdisziplinären Austausch mit anderen religionswissenschaftlichen Disziplinen eine gewisse Sonderstellung erhalten; als ein Forschungsgebiet neben vielen anderen innerhalb des breiten Feldes ethnologischer Forschung war und ist sie allerdings auch immer von wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen der Ethnologie abhängig. So wird z. B. innerhalb der angelsächsischen Ethnologie herkömmlicherweise zwischen Sozialanthropologie (social anthropology) und Kulturanthropologie (cultural anthropology) unterschieden, wenngleich diese Differenzierung heutzutage kaum noch von Bedeutung ist und lediglich verschiedene Akzentsetzungen in der thematischen Ausrichtung betrifft: Die in Großbritannien beheimatete Sozialanthropologie legte den Schwerpunkt ihrer Forschung auf die Frage, wie gesellschaftliche Strukturen und Institutionen (z. B. Initiationsriten oder Geheimgesellschaften) das soziale Verhalten bestimmen, und war entsprechend stärker daran interessiert, allgemeine Grundmuster des religiösen Handelns herauszuarbeiten und zu analysieren. Die in den USA entstandene Kulturanthropologie fragte demgegenüber vornehmlich nach der Rolle und dem Sinn religiösen Handelns innerhalb einer bestimmten, jeweils als „Ganzheit“ verstandenen Kultur, woraus sich ihr bevorzugtes Interesse an Themen wie Kulturvergleich, Kulturkontakt, Kulturwandel etc. ergab. Die Vorgeschichte der Religionsethnologie zeigt, dass dieses Fach aus äußerst unterschiedlichen Wurzeln entstanden ist, was sich auch in der fachlichen Herkunft und Ausrichtung ihrer Pioniere spiegelt. Adolf Bastian (1826–1905) war als Begründer des Berliner Völkerkunde-Museums vornehmlich an der materiellen Kultur interessiert; sein Schüler, der gelernte Physiker Franz Boas (1858–1942), kann als Urheber der ethnographischen Feldforschung gelten; der Rechtsanwalt Lewis Henry Morgan (1818–1881) beschäftigte sich vornehmlich mit Fragen der Verwandtschaftsbeziehungen; Edward B. Tylor (1832–1917) wiederum hatte sich als Autodidakt in kulturwissenschaftliche Fragen eingearbeitet und ist während der „Vorgeschichte“ des Fachs zu einem bedeutenden Theoretiker geworden – nicht umsonst gilt er als Begründer der Ethnologie im Allgemeinen und der Religionsethnologie im Besonderen. Kennzeichnend für die Arbeit der frühen Religionsethnologen war, dass sie sich an der Frage nach dem „Ursprung“ der Religion orientierten. Das legte sich insofern nahe, als sie glaubten, in den sog. „primitiven“ Kulturen eine frühe Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte vor sich zu haben. Bereits der englische Anthropologe John Lubbock (1834–1913) hatte in seinem Buch The Origin of Civilization and the Primitive Condition of Man (1870) ein religionsgeschichtliches Entwicklungsschema entworfen. Ihm zufolge verlief die Entwicklung der Religionsgeschichte vom Atheismus – im Sinne einer Abwesenheit religiöser Ideen – über Fetischismus, Naturverehrung, Totemismus, Anthropomorphismus und Monotheismus als religiösirrationalem Eingottglauben schließlich zum „ethischen Monotheismus“. Die frühen religionsethnologischen Theorien gingen den gleichen Weg: Tylors Animismus, Spencers Manismus, Marrets Animatismus … Innerhalb der Pioniergestalten der Ethnologie im Allgemeinen wie der Religions-

Religionsethnologie als ethnologische Disziplin

die Anfänge der modernen Religionsethnologie

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Religionsethnologische Zugänge

J. G. Frazers Evolutionismus

B. Malinowskis Funktionalismus

ethnologie im Besonderen übte Tylor allerdings den bedeutsamsten Einfluss aus. Formal gesehen war James George Frazer (1854–1941) der erste Vertreter der Ethnologie: 1907 erhielt er den neu geschaffenen Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität von Liverpool. Als typischer „Schreibtischgelehrter“ trug er eine Unmenge religionsethnographischen Materials zusammen. Seine evolutionistische Religionstheorie nahm eine Entwicklung von der Magie über die Religion hin zur Wissenschaft an und erinnert damit an Comtes evolutionstheoretisches Konstrukt. Insgesamt gesehen gab Frazer zwar einige Anstöße für die Religionsethnologie, indem er eine Reihe religionsethnologischer Konzepte diskutierte – Tabu, Totem, Magie etc. Für die maßgebliche Entwicklung der religionsethnologischen Theoriebildung sollten sich jedoch andere Entwürfe als fruchtbarer erweisen – so insbesondere die des französischen Religionssoziologen Émile Durkheim. Der große Paradigmenwechsel in der Religionsethnologie fand in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts durch Bronislaw Malinowski (1884–1942) statt. Zugleich wurde in seiner Person und in seinem Werk nochmals deutlich, dass die Religionsethnologie in verschiedenen Forschungsrichtungen verwurzelt ist: Die Lektüre von Frazers The Golden Bough brachte Malinowski zur Ethnologie; von Durkheims Religionstheorie griff er die funktionalistische Sichtweise auf; und von Freuds Psychoanalyse erhielt er Anregungen für seine Annahme eines funktionalen Zusammenhangs zwischen den gesellschaftlichen Institutionen und dem Triebleben der Individuen. Malinowskis entscheidender Beitrag für die Entwicklung der Religionsethnologie lag jedoch auf einem anderen Gebiet: Er durchbrach mit seiner funktionalistischen Sichtweise den herrschende Evolutionismus in der Ethnologie, und er etablierte die teilnehmende Beobachtung als wichtigste Methode ethnologischer Forschung. Zwar hatte unabhängig von ihm auch Franz Boas evolutionistische Spekulationen strikt abgelehnt und die Bedeutung der Feldforschung unterstrichen. Doch bei Malinowski ging beides – die funktionalistische Religionstheorie und die Methode der teilnehmenden Beobachtung – Hand in Hand, und dies machte wohl einen Teil seines Erfolges aus. Anders als beispielsweise Frazer ordnete er Magie, Religion und Wissenschaft nicht in ein evolutionistisches Bezugsschema ein, sondern sah sie im Rahmen seiner funktionalistischen Theorie als unterschiedliche, aber gleichermaßen „vernünftige“ Antworten auf menschliche Bedürfnisse. Magie und Religion sind seiner Meinung nach Reaktionen auf Unwägbarkeiten des Lebens und haben ihre Funktion vornehmlich dort, wo Unkenntnis und Unsicherheit auftreten. Als Beispiel hierfür verweist Malinowski darauf, dass die Trobriander beim ungefährlichen Fischfang in den Lagunen auf Magie verzichten, während die gefährliche Hochseefischerei von zahlreichen magischen Praktiken begleitet ist. Religion und Magie unterscheiden sich seiner Meinung nach lediglich hinsichtlich ihrer Zielsetzungen: In der Magie geht es darum, konkrete Ziele zu erreichen – z. B. erfolgreichen Fischfang –, die Religion hingegen hat unspezifische Zielsetzungen – sie wird aus Gründen der Konvention oder anlässlich „großer“ Ereignisse praktiziert; ansonsten gewährleistet sie psychologische Unterstützung in Extremsituationen wie der Erfahrung des Todes.

Geschichte und Richtungen

Stärker als Malinowski mit seinem Funktionalismus orientierte sich Alfred R. Radcliffe-Brown (1881–1955) mit der Theorie des sog. StrukturFunktionalismus an Durkheim. Entsprechend rückte er weniger die Bedürfnisse des Individuums als vielmehr die der Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Dabei sah er die Rolle der Religion vornehmlich darin, die Gesellschaft zu stabilisieren, indem sie dazu beitrug, bestehende Gruppenstrukturen aufrechtzuerhalten. Die Generation der Religionsethnologen nach Malinowski blieb noch weitgehend dem funktionalistischen Erbe ihres Lehrers verpflichtet, so z. B. Raymond Firth. Andere wie beispielsweise Darylle Forde, Meyer Fortes oder Monica Wilson standen stärker in der Tradition des britischen Strukturfunktionalismus. Es gab aber auch schon sehr früh vereinzelte Versuche, neue Wege einzuschlagen. Hier ist insbesondere Edward Evan EvansPritchard (1902–73) mit seinen bahnbrechenden Arbeiten zu nennen. Bereits seine große Studie über die Zande aus dem Jahre 1937 eröffnete der religionsethnologischen Forschung neue Perspektiven: Nun steht nicht mehr die Frage nach der „Funktion“ der Religion im Vordergrund. EvansPritchard ist vielmehr darum bemüht, fremde religiöse Systeme in ihrer eigenen Logik zu rekonstruieren und von ihren jeweiligen Voraussetzungen her verständlich zu machen. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts trat eine neue Generation von Ethnologen an die Öffentlichkeit. Ihre ethnologische Ausbildung war zwar noch vornehmlich unter strukturfunktionalistischen Vorgaben verlaufen. Doch mit ihrer Hinwendung zur Analyse symbolischer Formen hatten insbesondere Mary Douglas und Victor W. Turner (1920–1983) in der Religionsethnologie die sog. „interpretative Wende“ eingeleitet, die auch in anderen Geisteswissenschaften festzustellen war. Diese Entwicklung hat bislang noch keinen Abschluss gefunden, und über ihren weiteren Verlauf lassen sich keine gesicherten Prognosen abgeben. Die Religionsethnologie in den USA widmete sich – ganz in der Tradition der Kulturanthropologie – vornehmlich der Beschreibung und Analyse von Religionen in konkreten kulturellen Kontexten. Als ihre bedeutsamsten Vertreter gelten etwa der Boas-Schüler Robert Lowie (1883–1957) und Ruth Benedict (1887–1948) mit ihren Studien zu den Schutzgeist-Vorstellungen bei den Crow-Indianern, oder Paul Radin (1893–1959), der sich u. a. mit Claude Lévy-Bruhls Theorie der „primitiven Mentalität“ kritisch auseinandersetzte. In Frankreich stellte die Religionsethnologie insofern eine Besonderheit dar, als sie zum einen schon immer eher ein Teil der Religionssoziologie war und zum anderen davon profitierte, dass ihre Vertreter aufgrund ihrer äußerst unterschiedlichen akademischen Herkunft je spezifische Expertisen einbringen konnten: Marcel Mauss (1872–1950) beschäftigte sich als Soziologe mit Fragen des Opfers und Konzeptionen des Tauschs im religiösen Kontext; Arnold van Gennep (1873–1957), mit seinem Werk über die Passageriten bekannt geworden, war Volkskundler, und der wohl bekannteste französische Ethnologe, Claude Lévi-Strauss (geb. 1908), kam aus der Philosophie. Vor allem die religionsethnologische Forschung in Großbritannien

vom Strukturfunktionalismus zur „interpretativen Wende“

Vielfalt religionsethnologischer Forschung

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Religionsethnologische Zugänge

Paradigmenwechsel von der „Funktion“ zum „Inhalt“

wurde von Frankreich her maßgeblich beeinflusst. So hatten beispielsweise Edmund Leach (1910–1989) oder Rodney Needham insbesondere den Strukturalismus von Claude Lévi-Strauss rezipiert. Dessen Grundansatz bestand darin, die innere Logik von Gedankensystemen, ja von Kultur überhaupt, dadurch zu analysieren, dass die ihnen zugrunde liegenden „binären Oppositionen“ herausgearbeitet werden, von denen einige als universal gelten, so z. B. die von männlich und weiblich, gekocht und roh etc. Gegenüber der britischen, US-amerikanischen und französischen ist der Einfluss der deutschen Religionsethnologie äußerst bescheiden geblieben. Viele Forscherinnen und Forscher haben ausgezeichnete ethnographische Arbeit geleistet. Doch im Bereich der religionsethnologischen Theoriebildung konnte die deutsche Religionsethnologie nur wenig auf die internationale Diskussion einwirken. Erwähnenswert sind immerhin die sog. Urmonotheismus-Theorie von P. Wilhelm Schmidt (1868–1954) oder Adolf E. Jensens (1899–1965) Arbeiten zu den Dema-Gottheiten. 1966 schreibt der US-amerikanische Ethnologe Clifford Geertz, die religionsethnologische Forschung seit dem Zweiten Weltkrieg habe „keine nennenswerten theoretischen Fortschritte“ (231 :44) erbracht. Von heute aus besehen trifft dies nicht mehr zu, und Geertz selbst hat, zumal mit seinem bahnbrechenden Aufsatz, aus dem dieses Zitat stammt, daran entscheidenden Anteil. Es muss allerdings auch festgestellt werden, dass die „interpretative Wende“ (ebd.: 23), die Geertz Anfang der 80er Jahre in Teilen der Ethnologie festzustellen meinte, in ihren Wurzeln bis in die 50er Jahren zurückreicht: Im Prozess der Entkolonialisierung sind der Ethnologie viele Selbstverständlichkeiten – insbesondere der ethnologischen Feldforschungspraxis – fraglich geworden, und die Wechselbeziehung zwischen Feldforscher(in) einerseits, der Datenerhebung und -aufbereitung sowie der Darstellung der erforschten „Gegenstände“ andererseits wurde zunehmend problematisiert. Ab den 60er Jahren stieg dann die Zahl der Publikationen, in denen diese Fragen aufgegriffen wurden. Der (religions)ethnologische Paradigmenwechsel wurde schließlich durch Geertz selbst, aber auch durch andere, wie Victor W. Turner oder Mary Douglas, vollzogen. Dieser Paradigmenwechsel ist verschiedentlich als Wende von der Struktur zur Bedeutung, von der Funktion zum Inhalt beschrieben worden. Dabei gilt das Interesse des neuen Ansatzes der Erforschung der verschiedenen Symbolsysteme einer Kultur, zu denen auch die Religion gehört. Bereits Marcel Mauss und Claude Lévi-Strauss hatten es ja als wichtigste Aufgabe der Ethnologie betrachtet, in der Dynamik gesellschaftlicher Prozesse die „Gesetzmäßigkeit“ des symbolischen Denkens zu erforschen. Turner, Leach u. a., obgleich z. T. von Lévi-Strauss beeinflusst, folgten allerdings nicht dem strukturalistischen Ansatz. Beispielsweise fragt Mary Douglas in ihrer Studie „Reinheit und Gefährdung“ nach symbolischen Handlungen, um den Zusammenhang von Reinigungsritualen und gesellschaftlicher Ordnung zu untersuchen; Geertz ist vornehmlich darum bemüht, Symbole und symbolische Handlungen in den Religionen auf ihre Bedeutung hin zu analysieren; Turner wiederum sieht in Ritualen ein System von Symbolen, die nicht-sichtbare Vorstellungen und Ideale, aber auch Spannungen und Ge-

Mythen

fährdungen öffentlich darstellen und auf diese Weise sichtbar, im unmittelbaren Sinne des Wortes „begreiflich“ machen. Ungefähr für den Zeitraum Mitte der 80er Jahren lässt sich in der Religionsethnologie nochmals eine Zäsur ausmachen. Mit der Kritik am symbolischen Ansatz wird zugleich eine „postmoderne Wende“ eingeleitet: Der Ethnologe als Autor und der von ihm verfasste Text tritt nun selbst in das Scheinwerferlicht des religionsethnologischen Interesses und der Kritik.

2. Die „theoretische Ebene“: Mythen Religionsethnologie hat es nach herkömmlichem Verständnis mit den Religionen schriftloser Kulturen zu tun, also mit solchen Religionen, die keine Heiligen Schriften kennen. Eine den Heiligen Schriften vergleichbare Rolle spielen in diesen Kulturen allerdings die Mythen: Als kollektive Überlieferungen stellen sie nicht individuelle Meinungen dar, sondern repräsentieren Wahrheiten, auf die sich die gesamte Gemeinschaft bezieht und in denen sie sich wiederfindet, ja, in denen sie sich „begründet“ weiß. Nun sind Mythen äußerst komplexe Gebilde, und wir finden sie auch nicht nur in „schriftlosen“ Kulturen. Folglich waren neben Ethnologen auch Philosophen, Theologen, Psychologen und Vertreter benachbarter Zünfte an ihrer Erforschung interessiert: Im Protest gegen die Aufklärung hatte im 19. Jahrhundert die „Mythologie“ im Sinne einer „mythologischen Wissenschaft“ die in Mythen vermuteten Weisheiten durch die Untersuchung von Unterschieden und Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen mythischen Überliegerungen zu erschließen versucht; spätere Ansätze waren darum bemüht, Mythen aus den Naturkräften oder aus einer „falschen“ Anwendung sprachlicher Äußerungen zu erklären; die Tiefenpsychologie sah in ihnen einen Ausdruck verborgener seelischer Vorgänge; Theologen wie Rudolf Bultmann waren bemüht, das Neue Testament zu „entmythologisieren“; Max Horkheimer oder Theodor W. Adorno als Vertreter der Kritischen Theorie sahen im „Mythos“ eine ideologische Gestalt zur Legitimierung von Herrschaft usw. In der Religionsforschung gab es, was die Mythenforschung anbelangt, eine weitgehende Arbeitsteilung: Religionshistoriker wie Karl Kerényi (1897–1973) waren schwerpunktmäßig mit Mythen des klassischen Altertums befasst, Religionsphänomenologen wie Mircea Eliade widmeten sich vornehmlich denen der „archaischen“ Gesellschaften, Soziologen wie Emile Durkheim fragten nach dem Zusammenhang von Mythologie und Sozialstruktur, und Ethnologen wie A.E. Jensen (1899–1965) beschäftigten sich mit den Mythen schriftloser Völker. J. Waardenburg ist um einer Integration verschiedener Ansätze bemüht und plädiert für eine hermeneutische Erforschung von Mythen. Diese zielt darauf, die Botschaft der Mythen zu entziffern und ihre „überzeitliche“ Bedeutung zu erschließen, in der die Wirksamkeit des Mythos begründet liegt. Nach Waardenburg muss eine solche hermeneutische Erforschung verschiedene Dimensionen umfassen: die Beschreibung von – im weitesten Sinne – „religiösen“ Erzählungen; die Analyse der Beziehungen zwi-

Vielfalt der Mythenforschung

hermeneutische Mythenforschung

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der Beitrag des Strukturalismus

Claude Lévi-Strauss: das Ende des Totemismus

schen Mythologie und Gesellschaftsordnung; die Klärung der Bedeutung von Mythen für die Traditionsbildung; die Erschließung der impliziten Bedeutungen von Mythen (z. B. hinsichtlich ihrer gemeinschaftsbildenden Wirkung); sowie die Darstellung der expliziten Bedeutungen der Mythen im Blick auf die von ihnen dargestellte Wahrheit („so ist die Welt“) und die von ihnen begründeten Normen („so ist zu handeln“). Mythen gehören zur theoretischen Ebene von Religion. Neben religiösen Konzepten (wie „Gott“, „Geist“, „Seele“ etc.), stellen sie die religionsethnologische Interpretation allerdings vor besondere Herausforderungen. Psychologischen Ansätzen begegnet die Religionsethnologie dabei stets mit Skepsis – zu individualistisch, zu kulturgebunden erscheint ihr deren Zugang. Mehr Sympathien finden Versuche, Mythen in Gestalt von „Idealtypen“ von Mythenzyklen zusammenzufassen und zu analysieren oder kulturgeschichtlich zusammengehörige Familien von Mythen zu identifizieren und zu interpretieren. Entsprechende Versuche waren im Blick auf indo-europäische Mythen von Georges Dumézil (1898–1986) u. a. unternommen worden. Einen äußerst anspruchsvollen Ansatz religionsethnologischer Mythenanalyse hat Claude Lévi-Strauss entwickelt. Dieser ist vor dem Hintergrund und im Zusammenhang mit dem von ihm vertretenen Strukturalismus zu sehen. Unter „Strukturalismus“ verbirgt sich ein Komplex von Theorien, Methoden und Fragestellungen, die ursprünglich aus der Linguistik stammen, bald aber auch – insbesondere in Frankreich – auf andere Disziplinen maßgeblichen Einfluss gewinnen konnten. Der Linguist Ferdinand de Saussure (1857–1913) kann dabei in gewisser Weise als Begründer des Strukturalismus gelten. Gegenüber einer historisch ausgerichteten (diachronischen) Sprachwissenschaft legte er den Schwerpunkt auf die synchronische Analyse. Deren Aufgabe sah er darin, die Elemente und Regeln der Sprache so zu analysieren, dass ihre wechselseitigen Beziehungen als geordnetes System sichtbar werden. Von diesem „Kommunikationssystem“ Sprache unterschied er den konkreten Vorgang des Sprechens: Wenn ein Mensch spricht, ist ihm das „System“ seiner Sprache vorgeordnet, und er bewegt sich innerhalb dieses Systems; sein Sprechen bleibt allerdings stets hinter den theoretisch gegebenen Möglichkeiten der Sprache zurück, denn niemand kennt alle Wörter oder wendet alle grammatikalischen Optionen an. Weiterhin unterschied de Saussure zwei Elemente in der Sprache: das Bezeichnende und das Bezeichnete. Ersteres ist das, was äußerlich wahrgenommen wird (z. B. der Laut eines Wortes), letzteres der Inhalt (das, was das Wort bedeutet). Sprache ist folglich ein System von Zeichen, das der Kommunikation dient. Aufgabe der Semiotik ist es, dieses Kommunikationssystem zu analysieren. Dabei werden die Zeichen in bestimmte Zusammenhänge gestellt, von denen es zwei Grundformen gibt: Ketten, in denen die einzelnen Elemente (Zeichen) in einer Sinnfolge auftreten – z. B. Verben in Sätzen –, und Reihungen, in denen die einzelnen Elemente (Zeichen) durch andere ersetzt werden – z. B. als Varianten von Aussagen oder Erzählformen. Die Zeichen haben also eine doppelte Funktion zu erfüllen. Die besondere Leistung von Claude Lévi-Strauss bestand nun darin, diese Überlegungen auf die Ethnologie übertragen zu haben – zunächst

Mythen

auf das Gebiet der Verwandtschaftsethnologie, dann auf das der Mythenanalyse und verschiedene andere Bereiche der Religionsethnologie. Dabei versucht er, das jeweilige „System“ auf die ihm zugrunde liegenden Strukturen hin zu entschlüsseln. In diesem Zusammenhang unterzieht LéviStrauss die herkömmlichen religionsethnologischen Theorien einer grundsätzlichen Kritik. So kann er unter anderem Das Ende des Totemismus konstatieren, indem er nachweist, dass die Totemismus-Theorien die tatsächlich vorfindlichen Klassifikationssysteme ignorieren und somit eine Konstruktion darstellen, bei der nicht zusammengehörige Phänomene zusammengestellt werden. Auch den bisherigen Magie-Theorien setzt er ein Verständnis entgegen, das von der „Wirksamkeit der Symbole“ (120: 204) ausgeht und magische Praktiken als ein Kommunikationssystem begreift, „in das sich bis dahin kontradiktorische Gegebenheiten einfügen lassen können“ (ebd.: 202). Aufgrund seines Verzichts auf Werturteile hatte der Ansatz von Lévi-Strauss für die Religionsethnologie ihren besonderen Reiz. Auch in seiner Mythenanalyse enthielt er sich jeglichen Urteils über die Geschichtlichkeit oder „Wahrheit“ einzelner Mythen als Varianten eines Mythos. Von Interesse war für ihn die dem Mythos selbst zugrunde liegende spezifische Struktur des mythischen Denkens, durch dessen Analyse er schließlich zu den Urstrukturen des menschlichen Denkens überhaupt vorzudringen hoffte. Ausgangspunkt der strukturalistischen Mythenanalyse sind allerdings die einzelnen Mythen – ähnlich, wie die Sprachwissenschaft zunächst von einzelnen Sätzen ausgehen muss, um über die darin sichtbaren Muster die betreffende Sprache und die ihr zugrunde liegende Struktur, ihre Grammatik, zu erkennen. Wie Lévi-Strauss meint, bringen Mythen dabei menschliche wie gesellschaftliche Grundprobleme zum Ausdruck, und insofern kann uns die Mythenanalyse auch über strukturelle Probleme innerhalb einer Gesellschaft Aufschluss geben. Allerdings sind Mythen nicht einfach nur Spiegelbilder der Gesellschaft, denn sie können auch Alternativen, „Gegenwelten“ entwerfen. Ähnlich, wie das Grundmuster einer Sprache, ihre Grammatik, nicht auf der Grundlage eines einzelnen Satzes verstanden werden kann, ist es auch nicht möglich, die Grundstruktur eines Mythos an einer einzelnen Mythe, einer einzelnen Variante des Mythos zu rekonstruieren. Deshalb stellt Lévi-Strauss verschiedene Varianten einzelner Mythen als „Reihungen“ – Erzählsequenzen – zusammen. Lévi-Strauss beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Analyse von Mythen innerhalb einer Kultur. Sein Ziel ist es vielmehr, zu den Grundstrukturen menschlichen Denkens überhaupt vorzudringen. Dabei geht er davon aus, dass das menschliche Denken überall und zu allen Zeiten nach den gleichen Prinzipien arbeitet. Es wird zwar je nach kulturellem und geschichtlichem Kontext durch diverse Außeneinflüsse mitgeprägt – aber in seinen Grundstrukturen bleibt es immer gleich. Die einzelnen Elemente, die „Bausteine“ des menschlichen Denkens, können also über Zeit und Raum hinweg miteinander verglichen werden. Folglich kann Lévi-Strauss Mythen aus völlig unterschiedlichen Kulturen als Varianten eines Grundtypus betrachten und bei seiner Analyse nach der allen spezifischen Ausformungen zugrundeliegenden „Ur-Struktur“ fragen. In diesem Zusammen-

strukturalistische Mythenanalyse

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Religionsethnologische Zugänge

das „wilde Denken“

hang werden zwei Aspekte des Ansatzes von Lévi-Strauss deutlich: Zum einen spielt Geschichte als diachronischer Ablauf von Ereignissen für die Mythenanalyse keine Rolle; zum anderen ist Lévi-Strauss der Meinung, dass sich die Grundlagen menschlichen Denkens am besten über Mythen erschließen lassen: Gerade in ihrer Bizarrheit, in ihrer vermeintlichen „Unlogik“ bringen sie auf unbewusster und unreflektierter Ebene die Strukturen des menschlichen Denkens zum Ausdruck. Nicht ohne Grund richtet sich deshalb das Interesse von Claude Lévi-Strauss auf die Mythologien schriftloser Völker. In ihnen meint er das „wilde Denken“ leichter aufdecken zu können als in hoch differenzierten Kulturen. Dieses „wilde Denken“ ist für Lévi-Strauss nicht etwa unlogisch oder „prä-logisch“, wie Lucien LévyBruhl mit seinem Konzept der „primitiven Mentalität“ angenommen hatte. Es repräsentiert vielmehr die – überall und zu allen Zeiten gleiche – Grundstruktur des menschlichen Denkens, wenngleich in anderen Formen und in unreflektierter Weise. Das „wilde Denken“ ordnet die Dinge beispielsweise nicht nach Prinzipien des Allgemeinen und Besonderen oder der hierarchischen Über- und Unterordnung. Vielmehr dienen bestimmte Merkmale der Dinge als Kriterium der Einteilung: heiß – kalt, männlich – weiblich, Wasser – Feuer, hell – dunkel. Die strukturalistische Religionsethnologie sieht ihre Aufgabe nun darin, dieses wilde Denken zu erschließen, wie es besonders im Bereich der schriftlosen Religionen zur Anwendung kommt. Zu diesem Zweck müssen seine Denkformen, die sich in anderen Ordnungs- und Klassifikationsprinzipien niederschlagen, in unsere Denkformen „übersetzt“ werden. Beispiele für jene von unseren Einteilungen abweichende Klassifikationsprinzipien lassen sich nicht nur in zeitgenössischen schriftlosen Kulturen, sondern auch in der (Religions-)Geschichte schriftloser Kulturen finden: die Unterscheidung zwischen „reinen“ und „unreinen“ Tieren, wie sie in Judentum und Islam besonders prägnant ausgeformt ist; daoistische Modelle von zwei entgegengesetzten Prinzipien – yin und yang -, die den gesamten Kosmos durchziehen und im Gleichgewicht des dao gehalten werden müssen; der Gedanke einer an der dynamischen Interaktion zwischen weiblichem und männlichem Prinzip orientierten Ordnung des Kosmos, wie wir sie beispielsweise in vielen Mythologien des Alten Indien oder des Alten Orient finden, etc. Claude Lévi-Strauss hat die strukturalistische Analyse besonders ausführlich im Bereich der Mythenexegese zur Anwendung gebracht, wovon seine voluminöse, drei Bände umfassende „Mythologica“ beredtes Zeugnis gibt. Doch auch andere Bereiche der Religionen – die rituelle Praxis, religiöse Experten etc. – waren Gegenstand seines Interesses. Seiner Meinung nach lassen sich auch dort durch die strukturalistische Analyse die Grundstrukturen des menschlichen Denkens erheben, das überall und zu allen Zeiten gleich arbeitet.

3. Die „praktische Ebene“: Riten Lieder, Hymnen, religiöse Konzepte, Mythen, Sprichwörter, Normen und Verhaltensregeln betreffen, wie gesagt, die theoretische Ebene der Religion. Hier drückt sich Religiöses großteils in verbaler Form aus. Auf der

Riten

praktischen Ebene hingegen haben wir es mit Handlungen zu tun, mit dem Ausdruck von Emotionen und mit Verhalten. Beide Ebenen stehen nicht nur miteinander in einem engen Zusammenhang, sondern weisen auch vielfältige Bezüge zu anderen Bereichen der jeweiligen Gesellschaften auf, so z. B. zur Wirtschaft. Wie wir oben gesehen haben (s. S. 102 ff.), lassen sich verschiedene Typen von Religions- und Gesellschaftssystemen unterscheiden, wobei zwischen dem Bereich der Religion und dem der Gesellschaft ein gewisser Zusammenhang besteht. Das trifft auch auf weniger komplexe Gesellschaften zu, an deren Religionen die Religionsethnologie in besonderer Weise interessiert ist. Ein wichtiges Kriterium bei dieser Typologisierung von Gesellschafts- und Religionssystemen ist u. a. die Wirtschaftsform, die in weniger komplexen Gesellschaften mit der Religion bei weitem enger verzahnt ist als in differenzierteren Gesellschaften. In Kulturen, deren Wirtschaftsform auf Jagd und Sammeln beruht, ist die Religion entsprechend mit den Tätigkeiten der Jäger und Sammler verknüpft. Nicht selten werden Flora und Fauna als eigene Größe identifiziert oder in der Gestalt einer machtvollen Wesenheit personifiziert: als Herr des Waldes oder Herrin der Bären etc. Erfolgreiches Jagen und Sammeln ist nur dann möglich, wenn diese „Eigner“ von Tieren und Pflanzen den Menschen wohl gesonnen sind und ihnen auch in Zukunft gewogen bleiben. Deshalb nehmen die Menschen – meist mittels religiöser Experten – Kontakt zu ihnen auf, um sich ihres weiteren Wohlwollens zu versichern. In Kulturen, deren ökonomische Grundlage auf der Landwirtschaft basiert, nimmt nicht selten die Erde eine wichtige Stellung in der religiösen Praxis ein: Sie garantiert mit ihrer Fruchtbarkeit das Überleben. Gleichermaßen können der Himmel, Regen, Wind oder die Sonne in diesem Zusammenhang als Garanten von Fruchtbarkeit, Wachstum und Reife im Zentrum des rituellen Lebens stehen. Himmel und Sonne sind auch in den Religionen nomadischer Hirtenvölker von großer Bedeutung. Das kann sich beispielsweise darin zeigen, dass Gottesnamen und Gottesvorstellungen häufig mit dem Himmel assoziiert sind. Was die religiöse Praxis insgesamt anbelangt, so spiegelt sich insbesondere in der Form des Opfers die jeweilige Wirtschaftsform wider. Wildbeuterkulturen opfern Teile der gefundenen Früchte oder des erjagten Tieres. Die Gabe richtet sich meist an die Eigner der Tiere und Pflanzen, und das Opfer ist als Ausdruck des Dankes, der Entschuldigung und der Bitte zu verstehen. Häufig findet sich die Vorstellung, dass die Seele des erjagten Tieres ihrem Eigentümer zurückgegeben wird. Agrarische Kulturen opfern häufig die „Erstlinge“ ihrer landwirtschaftlichen Produkte. Auch Haustiere können als Opfer dienen. In diesem Fall wird ein Teil des Opfers nicht selten unter der Gemeinschaft verteilt und gegebenenfalls sogar in einem gemeinsamen Mahl verzehrt. Die letztgenannte Form des Tieropfers ist insbesondere bei nomadischen Gesellschaften weit verbreitet. W. Robertson Smith hat unter Bezug auf solche Opferformen seine Totemismus-Theorie entworfen: Ursprung des Opfers – und schließlich der Religion überhaupt – sei die Tötung und der gemeinsame Verzehr des Totemtieres, also jenes Tieres, zu dem die Gemeinschaft

der Zusammenhang von Religion und Wirtschaftsform

der Zusammenhang von Wirtschaftsform und Opferarten

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Religionsethnologische Zugänge

Ritus und Ritual

Grundtypen des Ritus

eine enge, quasi-verwandtschaftliche Beziehung unterhält. Diese Theorie konnte jedoch am religionsethnographischen Material nicht bestätigt werden; eine Tötung des Totemtieres kommt in der Regel nicht vor. Die religionsethnologische Ritenforschung blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück: Evolutionistische und funktionalistische Richtungen haben sie nicht selten dazu instrumentalisiert, Indizien zu liefern, die der Untermauerung ihrer Theorien dienen sollten – und entsprechend kamen Riten dann bisweilen lediglich als überholte Relikte der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung oder bloß als „Ventile“ gesellschaftlicher oder individueller Spannungen in den Blick. Insbesondere durch die Ausweitung des Ritenbegriffs ist die Ritenforschung jedoch seit den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts mehr und mehr in den Mittelpunkt des (religions-)ethnologischen Interesses gerückt. Diese Ausweitung braucht nicht zu überraschen; sie ist bereits im Begriff selbst angelegt: Ein Ritus – vom indogermanischen rta, „Ordnung“ abgeleitet – beschreibt ja zunächst lediglich ein Verhalten gemäß einer Ordnung. Erst das ordnungsgemäße Handeln strukturiert das Chaos der Welt und verwandelt Unordnung in Ordnung. Geregeltes Handeln drängt aber auch auf Wiederholungen, um die geschaffene Ordnung wiederherzustellen, aufrechtzuerhalten oder zu verfestigen. Dies alles geschieht nicht in einem abgetrennten „religiösen“ Raum, sondern bezieht sich auf die Gesamtheit der Lebenswelt. Wenn sich Gesellschaften dann in verschiedene „Systeme“ wie Recht, Wirtschaft, Religion etc. ausdifferenzieren, finden wir diese Tendenz zum geregelten, wiederholten Verhalten auch außerhalb des religiösen Bereiches: in Alltagsriten, in der Ritualisierung des öffentlichen Auftretens, in der rituellen Inszenierung politischen Handelns usw. Vor diesem Hintergrund wurde verschiedentlich vorgeschlagen, gegenüber dem Ritus im religiösen Bereich „den außerreligiösen Ritus ‘Ritualisierung’, also Ritual zu nennen“ (16: 85). Ob sich diese terminologische Differenzierung durchsetzen kann, ist allerdings fraglich. Denn selbst wenn es möglich wäre, zwischen religiös und außer-religiös eine klare Demarkationslinie zu ziehen, was eine eindeutige Definition von „Religion“ voraussetzen würde, blieben die Übergänge zwischen Ritus und Ritual oftmals fließend. Die Arbeiten von Mary Douglas und Victor W. Turner scheinen eher nahezulegen, dass die Besonderheit rituellen Handelns u. a. darin zu sehen ist, dass es eben nicht nur auf einen spezifischen religiösen Bereich beschränkt ist. Für weniger komplexe Gesellschaften tritt dieses Problem ohnehin kaum auf, da hier jene Bereiche ineinander verwoben sind, die sich in komplexeren Gesellschaften auseinander differenziert haben. Rein formal lassen sich bestimmte Grundtypen des Ritus unterscheiden, wenngleich diese Unterscheidungen oftmals recht subjektiv sind. Der Ethnologe Josef Franz Thiel etwa schlägt folgende Einteilung vor: Apotropäische (vom Griechischen apotrópeios, „abwehrend“) Riten zielen darauf, drohendes Unheil abzuwehren; Eliminationsriten dienen dazu, Bedrohliches zu vernichten oder zumindest zu bannen und aus der Gemeinschaft zu entfernen; Purifikationsriten wiederum sollen Menschen oder Dinge in einen Status der Reinheit versetzen, in dem es ihnen möglich ist, bestimm-

Riten

te Dinge zu empfinden oder Handlungen auszuführen – so beispielsweise, den Ahnengeistern gegenüberzutreten, mit Geistern, Göttern oder anderen Mächten in Kontakt zu treten, Befreiung von Schuld zu erlangen, etc. Am bedeutsamsten sind aber die sog. Übergangsriten. Wie bereits erwähnt, hat Arnold van Gennep die Bedeutung dieses Ritentyps erkannt und analysiert. Als rites de passage bezeichnet er dabei alle jene Riten, in deren Mittelpunkt der Wandel eines Zustandes steht. Dabei unterscheidet er zunächst verschiedene Arten von Übergangsriten: Riten des räumlichen Übergangs, Riten des zeitlichen Übergangs und Riten, die den Übergang des Menschen in einen neuen Status betreffen. Zum ersten Typ gehören alle jene Riten, die mit dem jahreszeitlichen Wechsel zu tun haben: Vollmond oder Neumond, Frühjahrs- oder Winteranfang markieren in vielen Religionen Zeiten für oftmals komplexe Übergangsriten. Riten des räumlichen Übergangs spielen dort eine Rolle, wo bestimmte Räume verlassen oder betreten werden: heilige Bezirke, das Gebiet der eigenen ethnischen Gruppe, geschlechterspezifisch zugeordnete Stätten wie Männerhäuser etc. Am bedeutsamsten sind Passageriten, die sich auf Menschen selbst beziehen und vornehmlich an den Übergängen zwischen den Lebensphasen angesiedelt sind: Geburt bzw. Schwangerschaft, Pubertät, Heirat, Tod. Sie betreffen gleichermaßen das Individuum wie die Gemeinschaft. Denn es sind wohl je Individuen, die den Übertritt von einer alten in eine neue Situation vollziehen, doch wird die gesamte Gruppe daran beteiligt, da auch sie am Wandel teilhat. Auch außerhalb dieser lebenszyklischen Riten gibt es rites de passage, die Übergänge begleiten: die Initiation in ein bestimmtes Amt – z. B. als König oder religiöser Experte –, in bestimmte Gruppen und Stände – beispielsweise in Gilden oder Geheimgesellschaften –, oder die Aufnahme von Fremden in die eigene Gesellschaft. Van Gennep stellte fest, dass die Übergangsriten aus drei Phasen bestehen: Trennung – Verwandlung – Eingliederung. Er hält es sogar für gerechtfertigt, die Passageriten „bei genauerer Analyse in Trennungsriten („rites de séparation“), Schwellen- bzw. Umwandlungsriten („rites de marge“) und Angliederungsriten („rites d’agrégation“) (zu) gliedern“ (114: 21). Alle drei Phasen werden von zum Teil komplexen rituellen Handlungen begleitet. In der Phase der Trennung wird symbolisch der Tod der alten Existenz, der Untergang des alten Status vollzogen; die Verwandlung ist von einer oft chaotischen und bedrängenden rituellen Dramatisierung begleitet; die Eingliederung schließlich vollzieht sich im Rahmen ritueller Praktiken, die darauf zielen, die Gemeinschaft wieder zusammenzuschweißen, sie als Ganzes neu zu begründen. Dabei ist zu bedenken, dass für die Betroffenen selbst diese unterschiedlichen Phasen in der Praxis eine Einheit bilden. Gerade im Zusammenspiel ihrer einzelnen Elemente liegt die integrative Kraft der Übergangsriten, ihre Macht, „die Phasen des menschlichen Lebens mit denen des tierischen und pflanzlichen Lebens zu verknüpfen und sie darüber hinaus – aufgrund einer gleichsam vorwissenschaftlichen Erkenntnis – mit den großen Rhythmen des Universums in Verbindung zu bringen“ (ebd.: 186). Van Genneps Strukturschema der Übergangsriten wurde von der akademischen Welt in Frankreich weitgehend ignoriert oder abgelehnt. Doch

Typen und Phasen von Übergangsriten nach van Gennep

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Religionsethnologische Zugänge

Victor W. Turners Ritualtheorie

Liminalität

communitas

auch außerhalb Frankreichs, vornehmlich im englischsprachigen Bereich, wurde seine Theorie nur zögerlich und erst recht spät, ab den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, rezipiert. Am nachhaltigsten hatte wohl der aus Schottland stammende Sozialanthropologe Victor W. Turner (1920–1983) van Genneps Ansatz aufgenommen und weiterentwickelt. Zunächst war sein Interesse – in guter strukturfunktionalistischer Tradition – auf Fragen der Sozialstruktur und der Politik gerichtet, konzentrierte sich dann jedoch zunehmend auf die Bedeutung des Rituals. Im Zusammenhang mit seinen berühmt gewordenen Feldforschungen unter den Ndembu rückte Turner nach und nach von einem statischen Verständnis sozialer Systeme, wie es der Strukturfunktionalismus vertrat, ab. In den Mittelpunkt seiner Überlegungen trat nun die Auffassung von Gesellschaft als einem prozesshaften Geschehen. Die bei diesem Geschehen aufkommenden Spannungen und Widersprüche finden im „rituellen Prozess“ – so der Titel seiner 1969 erschienenen Studie – Ausdruck. In diesem Zusammenhang greift Turner auf das Strukturschema van Genneps zurück, wobei er die mittlere Phase der Passageriten, also die Schwellen- bzw. Umwandlungsriten, als entscheidende Phase jenes rituellen Prozesses betrachtet. Das Ritual verdankt sich nach Turners Meinung einer Krise. In ihm kommt der Widerspruch zwischen der vorfindlichen Ordnung der Gesellschaft und den auseinander strebenden, diese Ordnung aufhebenden Interessen und Wünschen von Individuen oder einzelnen Gruppen zum Ausdruck. Denn obgleich die Menschen in einer geordneten, strukturierten Welt leben (und leben müssen), streben sie doch immer wieder danach, diese Ordnung aufzuheben und eine Welt zu „erschaffen“, in der die geordnete Struktur ihre Bedeutung verliert und von Chaos und Anarchie abgelöst wird. Diese komplexe Wechselwirkung von „Struktur und AntiStruktur“ – so der Untertitel jener eben genannten Studie – wird im Ritual thematisiert und kommt als „Drama“ zur Darstellung. In gewisser Weise erneuert sich die Gesellschaft also im Ritual, das die Zerstörung der bestehenden Struktur durch die Antistruktur inszeniert, die gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte dadurch aufhebt und auf prozesshafte Weise die Ausbildung einer neuen Struktur eröffnet. Diese Inszenierung geschieht in Gestalt von Schwellen- und Umwandlungsriten in jener Übergangsphase, die Turner als „liminale Phase“ (vom Lateinischen limen, „Schwelle“) bezeichnet. In der „Liminalität“ ist die Struktur aufgehoben. Das rituelle Verhalten stellt nicht selten eine Inversion, eine Verkehrung des „normalen“, alltäglichen Verhaltens dar: Die am Ritual Beteiligten sind während dieses Übergangs in einem Status außerhalb jeglichen Status, ihre üblichen gesellschaftlichen und sozialen Rollen sind aufgehoben. Wie sich insbesondere an den Initiationsriten zeigen lässt, findet in der Liminalität eine Verwandlung der Teilnehmenden statt: Die rituelle Inszenierung bringt dies zumeist so zum Ausdruck, dass der Eintritt in die Liminalität durch Todessymbolik, der Austritt daraus durch Geburtssymbolik dramatisiert wird. Im Zustand der Liminalität bilden die Beteiligten eine besondere Art der Gemeinschaft, die communitas. Sie repräsentiert gewissermaßen die Anti-Struktur zur üblichen, normativen Sozialstruktur und steht somit für die Aufhebung gesellschaftlicher Hierarchien, Autoritäten

Riten

und Ordnungsmuster. Die Anti-Struktur der communitas in der Liminalität dient letztlich allerdings der rituellen Erneuerung der gesamten Gesellschaft, indem sie in eine neue Ordnung überführt wird: Aus der Anti-Struktur wird Struktur, die Erfahrung der communitas begründet eine neue gesellschaftliche Stabilität. Später hat Turner versucht, seine Ritualtheorie auf die modernen, komplexen Gesellschaften zu übertragen und beispielsweise im Theater der rituellen Praxis analoge Abläufe zu entdecken. Seitens der Religionsethnologie wurde und wird solchen Universalisierungstendenzen stets eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Festzuhalten ist, dass sich Turner mit seiner Ritualtheorie weitgehend von einem strukturfunktionalistischen Verständnis abgesetzt hat, wie es in der Religionsethnologie maßgeblich war. Seiner Meinung nach sind das Ritual und seine Symbolik nicht nur Epiphänomene oder Verkleidungen von tiefer liegenden sozialen oder psychologischen Prozessen, sondern haben einen „ontologischen Wert“, in dessen Zentrum die Religion steht: „religion … is really at the heart of the matter“ (132: 31). Eine besondere Form des Rituals ist das Opfer. Ihm kommt in vielen Religionen eine zentrale Bedeutung zu. Eine allgemein anerkannte Opfertheorie gibt es jedoch nicht – im Gegenteil: Das Opfer gehört zu denjenigen Phänomenen in der Welt der Religionen, die besonders kontrovers diskutiert werden. Der deutsche Begriff „Opfer“ rückt die Handlung in den Vordergrund (vom Lateinischen offere, „anbieten“, „darbringen“ – oder operari, „vollziehen“, „vollbringen“), kann sich jedoch auch auf das Dargebrachte, das Geopferte beziehen. Sachlich entspricht es dem englischen bzw. französischen sacrifice, aus dem lateinischen sacrificium (sacer = „heilig“ und facere = „tun“) abgeleitet. Opfer lassen sich in vielerlei Hinsicht klassifizieren: nach ausführenden Akteuren, Adressaten, dargebrachten Objekten, Zeit und Ort, Art oder Motiv des Opfers. Diese Kategorien sind jedoch durchaus von unterschiedlichem Gewicht, und innerhalb eines Typs kann es Überlappungen geben, wie sich etwa am Beispiel der Opferarten zeigen lässt: Wie bereits oben erwähnt (S. 119 f.), besteht eine gewisse Beziehung zwischen Opferarten und Wirtschafts- bzw. Gesellschaftsformen. Gegenüber Ackerbauern und Viehzüchtern besitzen Jäger und Sammler keine Haustiere oder Feldfrüchte, die sie als „Erstlingsopfer“ darbringen könnten – aber auch sie praktizieren die Opferung von Tieren oder Früchten an die jeweiligen „Eigner“. Hirtenkulturen wiederum kennen neben dem blutigen Tieropfer unblutige Opferformen, so z. B. die Tierweihe. Blutopfer lassen sich also nicht gegen Erstlingsopfer oder gegen vegetabile Opfer ausspielen. In vielen Kulturen existieren mehrere Opferarten nebeneinander oder werden gar in allen ihren Formen praktiziert. Die meisten Opfertheorien – insbesondere in der Psychologie und der Verhaltenswissenschaft – haben ihr besonderes Interesse jedoch auf das blutige Opfer gerichtet. Psychologische Theorien im Gefolge von Sigmund Freud sehen es als Ersatzhandlung, während nach ethologischen Erklärungsansätzen Opferriten der Steuerung des Aggressionstriebs dienen. Auch die Religionsethnologie hatte sich seit ihren Anfängen immer wieder

Opferarten

Opfertheorien

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Religionsethnologische Zugänge

Vieldimensionalität des Opfers und der Opfersymbolik

mit dem Opfer beschäftigt. Dabei ließ sie sich lange Zeit von der letztlich unergiebigen Frage nach den „Ursprüngen“ des Opfers leiten. Nach Edward B. Tylor beispielsweise war das Opfer anfänglich eine Gabe an die Geister, um sich ihrer Gunst zu versichern, und hat sich im Laufe der Religionsgeschichte bis hin zu Formen des Lob- und Sühneopfers im Sinne der christlichen Tradition verfeinert. W. Robertson Smith stellte den Opferbegriff in den Rahmen seiner Totemismus-Theorie, und James G. Frazer sah den Ursprung des Opfers in der „magischen“ Schlachtung des Gottkönigs. Henri Hubert und Marcel Mauss eröffneten ein breiteres Verständnis des Opfers, indem sie es in den Kategorien einer Gabe zu verstehen versuchten: Das Prinzip des do ut des, des Gabenaustausches, stellt eine Kommunikation zwischen dem Gebenden und dem Adressaten des Gegebenen her und setzt sie zueinander in Beziehung. Adolf E. Jensens Opferverständnis wiederum ist in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Theorie des Dema-Komplexes zu sehen: Das Opferritual spiegelt den Dema-Mythos wider und ist als dramatische Vergegenwärtigung der Tötung der urzeitlichen Dema-Gottheit zu verstehen, aus deren Körper die Feldfrüchte und andere menschliche Kulturgüter entstanden sind – ein Ereignis, das die Entfaltung der menschlichen Kultur überhaupt erst begründet hat. René Girard hat im Blick auf das Opfer den Aspekt des Tötens in den Mittelpunkt gestellt. Obgleich von Hause aus Literaturwissenschaftler, stützt er seine Opfertheorie auf religionsethnologisches Material. Den Ursprung des blutigen Opfers – und den Ursprung des Sakralen überhaupt – sieht er darin, dass sich die Aggressionen der Gruppe auf ein Objekt konzentrieren. Allerdings wird nicht dieses selbst, sondern ein Ersatzobjekt zum Opfer, dessen Darbringung die Erneuerung und Fruchtbarkeit der Gemeinschaft nach sich zieht. Diese „Sündenbocktheorie“ findet Girard vornehmlich am Beispiel von Vorstellungen und Praktiken im Kontext des sakralen Königtums in Afrika bestätigt: Ein „Scheinkönig“ übernimmt als Sündenbock die Rolle des Opfers, während die Sakralität auf den tatsächlichen König übertragen wird. Girards Theorie geriet nicht nur deshalb in die Kritik, weil er mit dem ethnographischen Material recht freizügig umging; auch aufgrund ihrer theologisierenden Implikationen – Jesus, der sich selbst als „Sündenbock“ opferte und damit das Opferritual überwand – wird sie mit Skepsis gesehen. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive hat der Gräzist Walter Burkert im Zusammenhang mit dem Opfer die Bedeutung des Tötens als sakralen Akt in den Mittelpunkt opfertheoretischer Erwägungen gestellt. Seiner Meinung nach ist das Töten des Opfertieres ein „Grunderlebnis des ‘Heiligen’“: Der Mensch „wird sich seiner selbst bewusst als homo necans“ (108: 9). Doch ähnlich wie bei Girard wird hier das religionsethnographische Material über die Maßen strapaziert, um eine bestimmte Opfertheorie zu untermauern. Das Opfer ist in der Praxis ein äußerst vieldimensionales Geschehen, das sich nicht auf bloß einen Aspekt reduzieren lässt. Wir brauchen uns nur die Opferpraxis einer einzelnen afrikanischen Ethnie vor Augen zu führen, um uns der Vielfalt und Komplexität der Bedeutung des Opfers bewusst zu werden. So lässt sich etwa am Beispiel des Rinderopfers und des

Symbolforschung

anschließenden Opfermahls bei den Mbanderu zeigen, dass das Konzept des „Sündenbocks“ oder des homo necans keine bedeutende bzw. überhaupt keine Rolle spielt. Andere Aspekte sind viel wichtiger, wie Sundermeier in diesem Zusammenhang gezeigt hat: die rituelle Bestätigung der Bindung an die Verstorbenen, die Erneuerung der Gemeinschaft, die Gemeinschaft mit den Ahnen … Deutlich wird auch, dass die sozialen und religiösen Funktionen des Opfers eng aufeinander bezogen sind. Von dieser Vielschichtigkeit des Opfers leitet sich auch seine Lebendigkeit ab. Selbst wenn es tiefgreifende Prozesse des religiösen Wandels durchlaufen hat, treten andere Aspekte in den Vordergrund und neue Elemente werden sichtbar. Jedenfalls wird dieser Vieldimensionalität des Opfers eher eine Sichtweise gerecht, die es als Symbol begreift und seine Symbolik zu entschlüsseln versucht.

4. Religionsethnologische Symbolforschung Der bedeutsamste Beitrag der Ethnologie zur Religionswissenschaft ist wohl darin zu sehen, dass sie die Aufmerksamkeit auf die Erforschung von Symbolsystemen gelenkt hat. Nicht erst Claude Lévi-Strauss hat „Die Wirksamkeit der Symbole“ (120: 204) entdeckt. Er hat aber die Aufgabe der Ethnologie darin gesehen, die Grundstrukturen des symbolischen Denkens zu erforschen – und damit den Horizont der ethnologischen Forschung weit über die traditionellen Arbeitsbereiche hinaus in Richtung auf eine Anthropologie der Kommunikation erweitert. Dies ist u. a. insbesondere von Edmund Leach aufgegriffen worden, der komplexe Systeme der Klassifikation und der symbolischen Nomenklatur ausgearbeitet hat. Andere Religionsethnologinnen und Religionsethnologen haben bei der Erforschung von Symbolsystemen ihr Hauptinteresse auf die Symbolik der Mythen – so Lévi-Strauss selbst –, insbesondere aber auf die Symbolik der Rituale gerichtet. Dabei wurden die Schwerpunkte durchaus unterschiedlich gesetzt: Mary Douglas zum Beispiel hat sich darauf konzentriert, nach dem Zusammenhang von Ritual und Gesellschaftsordnung zu fragen. In diesem Zusammenhang analysiert sie die Symbolik der Körpererfahrung, in der sie Vorstellungen sozialer Ordnung und ritueller Inszenierung symbolisch vermittelt sieht. Auf dieser Grundlage lassen sich kulturelle Strukturen bestimmen, in die auch religiöse Verhaltensweisen eingebunden sind. Victor W. Turner wiederum ist darum bemüht, im Kontext seiner Forschungen zum Ritual eine Theorie der religiösen Symbolik zu entwerfen. Im rituellen Prozess sieht er ein Konglomerat von Symbolen. Der Ritus selbst lässt sich entschlüsseln, indem diese Symbole in ihren elementarsten Zusammenstellungen analysiert werden. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie gesellschaftliche (wie individuelle) Konflikte, Widersprüche, Wertvorstellungen, Gefährdungen, Hoffnungen …, die sonst im Verborgenen liegen, im Ritual sinnlich zur Darstellung bringen. Die Symbole selbst sind dabei äußerst komplex. Sie haben nicht eine einfache Bedeutung, sondern geben eine Vielzahl von Bedeutungen wieder. Lévi-Strauss hatte im Zusammenhang seiner strukturalistischen Anthropologie ja eine binäre

Victor W. Turners Theorie der religiösen Symbolik

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Religionsethnologische Zugänge

Clifford Geertz und die symbolische Richtung der Kulturanthropologie

sakrale Gegenstände, Ahnenverehrung und Gottesvorstellungen

Grundstruktur als Ordnungsprinzip eines Symbolsystems angenommen und Symbole entsprechend auf der Folie binärer Beziehungen (kalt – heiß; männlich – weiblich …) interpretiert, die weitere, ebenfalls binär strukturierte Differenzierungen auslösen. Turner hingegen geht von einer triadischen Klassifikation aus. So identifiziert er beispielsweise im NdembuRitual drei primäre Farben (schwarz, weiß, rot). Alle anderen Farben sind von diesen abgeleitet, und die gesamte Wirklichkeit wird in Entsprechung zu den triadischen Hauptfarben eingeteilt. Die Vieldeutigkeit der Symbole befindet sich dabei im Spannungsfeld zwischen zwei Polen: dem „orektischen“ (vom Griechischen orektikós, „die Begierde betreffend“), d. h. emotionalen und dem „ideologischen“, d. h. an Normen und Idealen orientierten. Darüber hinaus müssen bei der Entschlüsselung der Symbole drei Bedeutungsebenen unterschieden werden: die erste („exegetische“) erschließt die manifeste Bedeutung, die zweite („operationale“) eröffnet den Zugang zur latenten Bedeutung, und die dritte („positionale“) legt die gänzlich unbewusste Bedeutung frei, indem sie die komplexen Beziehungen der Symbole untereinander sowie im Gesamtkomplex der Symbole analysiert. Die Beschäftigung mit Symbolen ist für Turners Theoriebildung so grundlegend geworden, dass er seinen Ansatz durchgängig mit dem Kunstbegriff der „Symbologie“ (symbology) charakterisiert. Den bedeutsamsten religionsethnologischen Beitrag der letzten Jahrzehnte verdankt die Religionswissenschaft Clifford Geertz. Auch bei ihm steht die Analyse von Symbolen im Mittelpunkt, und nicht umsonst gilt er als der Vertreter der symbolischen Richtung der Kulturanthropologie. Sein Interesse richtet sich darauf, die verschiedenen Symbolsysteme einer Kultur zu untersuchen, zu denen auch die Religion gehört. Die Analyse der Symbole soll dabei die in ihnen materialisierten Bedeutungssysteme erheben und den Zugang zu ihnen in Form einer „dichten Beschreibung“ erschließen – einer Beschreibung, die sich nicht nur auf die Präsentation einzelner Daten beschränkt, sondern die gesamte Komplexität jener Bedeutungssysteme herausarbeitet. Die Religionsethnologie umfasst ein weites Feld, und es konnten hier nur einige wenige Aspekte kurz vorgestellt werden. Noch viele andere Bereiche wären zu nennen, so etwa die Bedeutung sakraler Gegenstände: Bestimmte Objekte, die bisweilen als „Fetische“ bezeichnet werden, sind mit wirksamen Kräften „geladen“ und müssen entsprechend „behandelt“ werden. Auch Masken leben bzw. werden in bestimmten Zusammenhängen lebendig. Ein weiteres, umfangreiches Feld religionsethnologischer Forschung ist der Bereich des Umgangs mit den Ahnen. Ob es sich tatsächlich um „Ahnenverehrung“ im engeren Sinne handelt, ist dabei nicht unumstritten – zumindest sind jedoch die Grenzen zwischen „Verehrung“ und „Ehrerbietung“ fließend, und je nach kulturellem und religiösem Kontext kann die Stellung der Ahnen durchaus unterschiedlich sein. Auf jeden Fall wird der enge Zusammenhang von Religion und Sozialorganisation auf dem Gebiet des Umgangs mit den Ahnen besonders deutlich, und in wenigen anderen Bereichen wirken soziale und religiöse Welt so eng ineinander; denn die Ahnen sind als „lebende Tote“ Teil der Gesellschaft.

Symbolforschung

Ein bedeutsamer Arbeitsbereich der Religionsethnologie betrifft die Gottesvorstellungen. Diese Thematik wird zumeist im Rahmen der Diskussion um die Verehrung eines „Höchsten Wesens“ behandelt. Dabei ist allerdings zugleich darauf hinzuweisen, dass das abendländische Verständnis von Gott bzw. Göttern bei weitem nicht mit dem des „Höchsten Wesens“ in den meisten ethnischen Religionen deckungsgleich ist. Davon abgesehen muss auch nochmals in Erinnerung gerufen werden, was bereits oben (S. 103) erwähnt wurde: Die Vorstellung und Verehrung eines „Höchsten Wesens“ oder überhaupt von Göttern haben in viele dieser Religionen erst im Laufe der Zeit Eingang gefunden. Beispielsweise sind die Hochgott-Vorstellungen in vielen afrikanischen Religionen erst durch christliche oder islamische Einflüsse entstanden. Gegenteilige Sichtweisen, dass es in allen afrikanischen Religionen schon von je her die Vorstellung eines „Höchsten Wesens“ gegeben habe, mögen zum Teil – vielleicht unbewusst – noch in der Tradition der „Urmonotheismus“-These von P. Wilhelm Schmidt stehen.

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VII. Religionspsychologische Zugänge 1.

zwischen Religionswissenschaft und Psychologie

Was ist Religionspsychologie?

Wie wir gesehen haben, beschäftigen sich Religionssoziologie und Religionsethnologie mit Fragen der Beziehung zwischen menschlichen Gemeinschaftsformen und Religionen. Doch Religion hat im Bereich der religiösen Erfahrung und der religiösen Praxis auch einen Ort im individuellen Erleben der Menschen. Damit ist die Religionspsychologie befasst – eine Disziplin mit ganz spezifischen Fragen und Methoden sowie einer eigenen Herkunftsgeschichte. Wir müssen dabei jedoch wiederum in Rechnung stellen, dass es nicht „die“ Religionspsychologie gibt. Vielmehr haben wir es mit einer Reihe von psychologischen Zugängen zum Phänomen der Religion(en) zu tun, die äußerst vielfältig sein können. Das religiöse Erleben ist allerdings nicht nur für das Individuum bedeutsam, sondern hat auch auf die weitere Gemeinschaft seine Auswirkungen: ein Berufungserlebnis, der plötzliche Durchbruch einer Erkenntnis jenseits herkömmlicher Erfahrungsbereiche, Trance-Erfahrungen – alles dies bleibt nicht auf die Erlebniswelt einzelner Menschen begrenzt, sondern drängt nach außen und wird auch gesellschaftlich wirksam. Insofern sind religionspsychologische Fragestellungen weit über den Bereich der Religionspsychologie im engeren Sinne von Bedeutung: Die Psychologie hat den „Faktor Religion“ gleichermaßen in Rechnung zu stellen, wie umgekehrt die Berücksichtigung des Einflusses psychischer Dispositionen und Abläufe für die Religionswissenschaft von Bedeutung ist. Vor diesem Hintergrund muss allerdings doch erstaunen, dass die Religionspsychologie innerhalb des Spektrums der religionswissenschaftlichen Disziplinen eine recht untergeordnete Rolle spielt. Das mag damit zu tun haben, dass über lange Zeit hin – und sicherlich bis in die Gegenwart hinein – zwischen Vertretern der Psychologie auf der einen Seite und der Religionsforschung auf der anderen Seite stets ein gewisses Misstrauen geherrscht hat und immer noch herrscht: Psychologen, in Glaubensfragen nicht selten indifferent oder gar religionskritisch, haben oft eine gewisse Skepsis gegenüber dem Vorhaben, etwas, das mit Religion zu tun hat, zum Gegenstand psychologischer Forschung zu machen. Umgekehrt sind Religionsforscher bisweilen misstrauisch gegenüber psychologischen Fragestellungen und Perspektiven, die sie als reduktionistisch oder als unsensibel gegenüber religiösen Dimensionen erachten. Das muss jedoch nicht unbedingt bedeuten, dass religionspsychologische Perspektiven grundsätzlich als illegitim zurückgewiesen werden. Beispielsweise hat Rudolf Otto die Religion als vorgeordnete Größe betrachtet, die sich seiner Meinung nach allerdings vornehmlich in der religiösen Erfahrung niederschlägt: Das Numinose ist „objektiv“ vorgegeben, und die Aufgabe der Religionspsychologie ist es, die unmittelbare Reaktion, den Reflex auf die Erfahrung des Heiligen im Seelenleben des Men-

Geschichte

schen zu studieren. In ähnlicher Weise sah Gerardus van der Leeuw die Aufgabe der Religionspsychologie darin, „das Seelische in und an der Religion zu verstehen“, erklärt sie dann aber als für die Religionsforschung nicht mehr zuständig, denn in der Religion „zeigt sich mehr als Nur-Seelisches“ (82: 651). Nach Friedrich Heiler droht die Religionspsychologie sogar die Religionsforschung von ihrem „eigentlichen Zentrum“ (79: 10) abzulenken. Günter Lanczkowski führt diese Kritik weiter, indem er den angeblich „reinen Immanentismus“ (12: 63) und die „radikale Psychologisierung“ (ebd.: 64) mancher religionspsychologischer Ansätze geißelt; dadurch werde die Religionspsychologie zu einer „Ersatzwissenschaft mit kritischer Tendenz, die der Religionsforschung nicht zugerechnet werden kann“ (ebd.: 64). Hier lässt sich unschwer der Vorwurf des Reduktionismus erkennen, wie er auch von theologischer Seite gegenüber der Religionspsychologie immer wieder geäußert wird. Umgekehrt gibt es jedoch auch Entwürfe, die der Religionspsychologie eine apologetische Aufgabe zuschreiben; eine solche Position hat beispielsweise der Theologe Georg Wobbermin (1869–1943) vertreten. In deutlicher Gegenposition zu einem „religiösen“ Verständnis der Religionspsychologie hat der Begründer des „Archivs für Religionsgeschichte“, Wilhelm Stählin (1883–1975), bereits mit seiner programmatischen Einführung in der ersten Ausgabe dieser Fachzeitschrift die Aufgabe der Religionspsychologie klar begrenzt: Sie beschäftigt sich mit „im Menschen sich abspielenden Phänomenen“, wobei die Religion selbst nur insoweit in den Blick kommt, als sie „in Erlebnissen des Individuums besteht, oder soweit sie Einblicke und Handlungen eines Individuums oder einer Gemeinschaft zu beeinflussen imstande ist“ (zit. n. 5: Bd. I: 87). Auf den ersten Blick trifft sich diese Aufgabenbeschränkung der Religionspsychologie mit der von Otto, van der Leeuw oder Heiler geforderten Begrenzung ihres Gegenstandes auf die beobachtbaren menschlichen „Reflexe“ gegenüber dem Religiösen. Im Gegensatz dazu geht Stählin allerdings nicht davon aus, dass Religion eine objektiv vorgegebene Größe sei, sondern lässt diese Frage zunächst offen: Religion ist das, was jeder Religionspsychologe als Religion bezeichnet. Angesichts dieser Situation gilt nach Ulrich Mann mehr als für jede andere religionswissenschaftliche Disziplin: „Die Religionspsychologie ist immer noch in sich zerstritten, sowohl hinsichtlich ihres Ziels und Sinns, wie ihrer Methoden“ (26: 151). Diese Zerstrittenheit erklärt sich zum Teil allerdings auch aus ihrer geschichtlichen Entwicklung.

2. Zur Geschichte der religionspsychologischen Forschung Die Wurzeln religionspsychologischen Denkens reichen weit zurück und sind mindestens so alt wie die ersten schriftlichen Zeugnisse. Indem der Mensch über sich nachdenkt, stößt er unweigerlich auf Fragen, die seelische Aspekte seines Lebens berühren. Auch in der abendländischen Geistesgeschichte gibt es eine lange Tradition von Ansätzen, die der Introspektion, der Betrachtung des seelischen Innenlebens, besondere Bedeutung zumes-

Begrenzung der Aufgabe

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Religionspsychologische Zugänge

Anfänge in den USA

William James

sen – von Paulus über Tertullian und Gregor von Nyssa zu Augustin, von Luther und Melanchthon bis hin zu Schleiermacher und Kierkegaard … Doch in allen diesen Fällen haben wir es noch nicht mit Religionspsychologie im eigentlichen Sinne zu tun; selbst Feuerbach entwickelt seine Religionskritik auf der Grundlage psychologischer Fragestellungen und Betrachtungen – ohne sich jedoch auf einen Begriff von Psychologie beziehen zu können. Die Religionspsychologie ist beinahe so alt wie die Psychologie selbst. Diese konnte sich in etwa zu jener Zeit als eigenständige Disziplin von der Philosophie emanzipieren, als die Religionswissenschaft damit begann, sich gegenüber der Theologie zu verselbstständigen. Die anthropologisch, philologisch oder historisch ausgerichtete Religionsforschung hat in diesem Zusammenhang sicherlich dazu beigetragen, dass ein akademisches Klima entstand, das der Erprobung neuer Fragestellungen und Verfahrensweisen, methodischer und theoretischer Ansätze zuträglich war. Die Wurzeln der Religionspsychologie als empirisch fundierter Wissenschaft liegen eindeutig in den USA: Angeregt durch statistische Untersuchungen von Francis Galton (1822–1911) über den Einfluss des Gebets auf Gesundheit und Karriere hatten zunächst Granville Stanley Hall (1846– 1924), dann Edwin Diller Starbuck (1866–1947) und James Henry Leuba (1868–1946) den Grundstein der Religionspsychologie gelegt. Die Anfänge der Disziplin sind allerdings vornehmlich mit dem Namen von William James (1842–1910) verbunden. Insbesondere durch seine internationale Reputation als Philosoph und Psychologe konnte er der entstehenden Disziplin der Religionspsychologie zu weltweiter Anerkennung verhelfen. Im Gegensatz zu Starbuck oder Leuba beschäftigte sich James nicht mit „durchschnittlich“ religiösen Menschen oder bestimmten ausgewählten Gruppen und ihrer Religion, sondern mit religiös herausragenden Persönlichkeiten, wobei er vornehmlich auf Quellen zurückgriff, die zumeist in Gestalt von literarischen Selbstzeugnissen vorlagen. Durch die methodische Beschränkung auf „Spitzenwerte“ hoffte er, seelische Vorgänge in den Blick zu bekommen, die sich als religiöse Erfahrungen von anderen Erfahrungen unterscheiden und entsprechend leichter beobachten lassen. James gilt als Vertreter des philosophischen Pragmatismus, was auf seinen religionspsychologischen Ansatz prägenden Einfluss hat: Der Mensch dränge auf Handeln, das sein Leben fördert, und dieses Prinzip komme auch im Medium unbewusster oder vorbewusster seelischer Prozesse zum Ausdruck. Religion ist nach James stets im individuellen Leben angelegt, und insofern kann auch nur die Religion des Individuums, die subjektive, „persönliche“ Religion Gegenstand der Religionspsychologie werden. Aller Vielfalt der Religionen liege jedoch eine durchgängige Gemeinsamkeit zugrunde: Religion fördert das Leben – durch Bekehrungen, durch mystische Erlebnisse, durch Erfahrungen des Heiligen … und verwandelt das Ich des Individuums; dieses weiß sich in der Religion mit einem höheren Sein verbunden und kann so neue Kraft zur aktiven Lebensgestaltung schöpfen – unabhängig von der konkreten Gestalt der jeweiligen Religion.

Geschichte

Mit den genannten Vertretern konnte sich die amerikanische Religionspsychologie als empirische Disziplin etablieren und die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet maßgeblich prägen. Von besonderer wirkungsgeschichtlicher Bedeutung war die Einführung bzw. Weiterentwicklung quantitativer Methoden. Sodann arbeitete die Religionspsychologie von Beginn an nicht in einem „luftleeren“ Raum, sondern war stets darum bemüht, andere, spezifische Fragestellungen aus Bereichen der Sozialphilosophie oder der Entwicklungspsychologie etc. in ihre Forschungsvorhaben einzubinden. Zugleich berücksichtigte sie von Beginn an eine interkulturelle Perspektive, indem sie seelische Prozesse im Kulturvergleich zu beschreiben und zu analysieren versuchte, blieb also nicht nur auf die religiöse Monokultur des nordamerikanischen Protestantismus beschränkt. Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen war damit das Arbeitsfeld weiträumig abgesteckt, auf dem sich die religionspsychologische Forschung künftig zu bewähren hatte. In ganz andere Richtung als in den USA sollte sich die Religionspsychologie in Deutschland entwickeln. Hier sorgten zunächst Theologen wie Georg Wobbermin (1869–1943) dafür, dass die Werke der amerikanischen Religionspsychologen übersetzt und somit im deutschsprachigen Raum rezipiert wurden. Wobbermin selbst gab der Religionspsychologie dabei jedoch eine ausgesprochen theologische Bestimmung: Sie galt ihm bestenfalls als theologische Hilfswissenschaft zur Begründung der Systematischen Theologie, wobei er allerdings eine „Psychologisierung“ der Theologie vermeiden wollte. Die empirische Religionspsychologie rückt im Zuge dieser Rezeption weitgehend in den Hintergrund. In ähnlicher Weise hatte sich der Völkerpsychologe Wilhelm Wundt (1832–1920) – Vertreter der experimentellen Psychologie und Lehrer G. S. Halls sowie Begründer eines psychologischen Instituts an der Universität Leipzig (1879) – allmählich von der amerikanischen Religionspsychologie distanziert und religionspsychologische Fragestellungen weitgehend in religionsgeschichtliche Perspektiven eingeordnet. So betrachtet er in seiner zehnbändigen „Völkerpsychologie“ Religion als ein höheres Phänomen, das nicht durch die Anwendung von Methoden aus dem Bereich der experimentellen Psychologie, sondern lediglich durch Beobachtung erforscht werden kann. Wundt möchte auf der Grundlage ethnographischen und religionsgeschichtlichen Materials eine psychologische Entwicklungsgeschichte der Menschheit entwerfen. Die psychologische Grundlage dieser Entwicklungsgeschichte sieht er dabei im Gefühl der Zugehörigkeit zu einer übersinnlichen Welt, das mit dem sittlichen Handeln eine integrale Verbindung eingeht. Mit diesem Entwurf hatte sich Wundt von der empirischen Ausrichtung der Religionspsychologie, wie sie in den USA prominent wurde, weitgehend verabschiedet. Sein völkerpsychologischer Ansatz konnte lediglich in der Religionsethnologie, wo er zum Teil auch eigenständig weiterentwickelt wurde, eine gewisse Rolle spielen. Durch Wilhelm Stählin (1883–1975) und Karl Girgensohn (1875–1925) hingegen konnte sich auch im deutschsprachigen Bereich ein Verständnis von Religionspsychologie Gehör verschaffen, das zum amerikanischen Konzept eine gewisse Nähe aufwies. Im Umfeld der 1914 von Stählin ge-

Anfänge in Deutschland

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Religionspsychologische Zugänge

Anfänge in Frankreich

Ausdifferenzierung in Deutschland

gründeten Gesellschaft für Religionspsychologie und dem von ihm herausgegebenen Archiv für Religionspsychologie wurden unterschiedliche empirische Methoden in der Forschung angewandt, wobei Girgensohns Arbeit Zur differentiellen Psychologie des religiösen Gedankens einen nicht unerheblichen Beitrag leistete. In der frühen Entwicklung der Religionspsychologie lässt sich auch noch eine dritte, nämlich französischsprachige Tradition feststellen. Hier waren es zunächst vornehmlich Spezialisten aus dem Bereich der Psychiatrie, die sich mit religionspsychologischen Fragen beschäftigten: Pierre Janes (1859–1947), Théodule Amand Ribot (1839–1916) u. a. widmeten sich vornehmlich der Untersuchung des Zusammenhangs von Religion und psychopathologischen Erscheinungen sowie der biologischen Grundlage von Religion. Frühere Ansätze zur empirischen Erforschung der Ausformung religiöser Vorstellungswelten wurden später von Jean Piaget (1896– 1980) aufgenommen und im Zusammenhang seiner Untersuchungen zur Entwicklung kognitiver und moralischer Weltbilder weitergeführt. Diese Forschungen bewegten sich jedoch mehr im Schnittbereich von Entwicklungs-, klinischer und kognitiver Psychologie und wurden eher in der Pädagogik, kaum jedoch in der Religionswissenschaft rezipiert. Der bisweilen etwas krude Biologismus der ersten Generation französischer Religionspsychologen hatte aber auch eine gewisse Gegenreaktion provoziert, die vornehmlich von Psychologen mit katholischem Hintergrund getragen wurde. Insbesondere ab Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts entstand aus diesem Umfeld eine Reihe kompetenter religionspsychologischer Forschungsarbeiten. So erschien beispielswiese in der von dem belgischen Jesuiten André Godin herausgegebenen Lumen-VitaeStudien zur Religionspsychologie eine Reihe empirischer Fallstudien und theoretischer Erörterungen. Nachdem die Religionspsychologie erst einmal aus der Taufe gehoben war, entwickelte sie sich recht unterschiedlich weiter. Im deutschsprachigen Bereich hatte Sigmund Freud (1856–1939) mit der Psychoanalyse eine Forschungsrichtung begründet, die der Religionspsychologie völlig neue Anstöße gab. Diese Tradition ist u. a. durch Carl Gustav Jung (1875–1961) und Erich Neumann (1905–1960) aufgegriffen und weiterentwickelt worden. Daneben setzte sich auch die bereits oben erwähnte theologische Rezeption der Religionspsychologie fort, so beispielsweise durch die Arbeiten des protestantischen systematischen Theologen Wolfgang Trillhaas (1903– 1995). Seiner Meinung nach sind die empirischen Methoden insbesondere der experimentellen Psychologie nicht geeignet, tatsächliche „Wesenseinsichten“ über das religiöse Erlebnis zu erheben. Statt dessen bemüht sich Trillhaas um eine „verstehende“ Religionspsychologie. Dabei nimmt er im Anschluss an Rudolf Otto verschiedene „Grunderlebnisse“ an – Angst, Macht, Erfahrung des Getragen-Seins – und entwirft u. a. eine Typologie der religiösen Veranlagung. Von katholischer Seite hat Wilhelm Pöll einen systematischen Entwurf der Religionspsychologie vorgelegt, der sich ebenfalls stark an Rudolf Otto orientiert. Gegen Ottos Verständnis von Religionspsychologie hatte sich jedoch zuvor der Sozialpsychologe Willy

Geschichte

Hellpach (1877–1955) in seinem 1951 erschienenen Grundriss der Religionspsychologie mit scharfer Kritik gewandt: Die vornehmlich von protestantischen Theologen vertretene und auch in der Religionswissenschaft weithin übliche Vermischung von Theologie und Psychologie setze Gläubigkeit voraus und leiste deshalb keinen wissenschaftlichen Beitrag zur Religionsforschung. Religion sei außerdem gerade nicht, wie Otto behauptet hatte, „Heiliges minus Sittliches“, vielmehr werde die Religion erst durch das ethische Moment zur Religion. Doch die empirisch orientierte Religionspsychologie war zumindest vor dem Zweiten Weltkrieg durchaus von einiger Bedeutung. Insbesondere Werner Gruehn (1887–1961) knüpfte dabei an Girgensohns Arbeiten an. Seit Girgensohn hatte sich die sog. Dorpater Schule darum bemüht, der Religionspsychologie eine empirische Ausrichtung zu geben und in diesem Zusammenhang eine Reihe von Einzelstudien zu religiösen Phänomenen auf der Grundlage empirischer Untersuchungen durchgeführt. Dabei konzentrierte sie sich auf die experimentelle Psychologie als methodischer Grundlegung ihrer Forschungsreihen. In seiner 1926 veröffentlichten Religionspsychologie gab Gruehn dann eine systematische Übersicht über Grundlage, Methoden, Ausrichtung und Fragestellungen der jungen Disziplin: Die Wahrheitsfrage im Blick auf die Religion oder Glaubensinhalte ist auszuschließen; Selbstbeobachtung, Vergleich und Experiment bilden die wichtigsten methodischen Grundlagen; die Religionspsychologie befasst sich mit der Erforschung der Entwicklung von Religion, des „durchschnittlichen“ wie des „pathologischen“ religiösen Erlebens sowie der Individual- und Sozialpsychologie der Religion. Eine besondere Blüte hat das Fach dann im skandinavischen Bereich, wo die Religionspsychologie bereits seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts rezipiert wurde. Später ist sie insbesondere mit dem Namen des Dänen Villiam Groenbaek und des Schweden Hjalmar Sudén verknüpft. Sudén führte in seinen Studien rollenpsychologische Fragestellungen ein und widmete sich unter dieser Perspektive der Analyse einzelner religiöser Aspekte wie Gebet, Bekehrung, Jenseitsvorstellungen usw: Durch die „Übernahme“ der Rolle einer Gestalt aus der Religionsgeschichte eröffne sich den Gläubigen die „Aufnahme“ beispielsweise der Rolle Gottes; dies befähige sie, alle kommenden Ereignisse als Handeln Gottes wahrzunehmen. Dabei stehe nicht „Gefühlsmäßiges“, sondern die Erfahrung im Mittelpunkt des religionspsychologischen Interesses. Der besondere Vorteil der rollenpsychologischen Fragestellung liegt darin, dass sie grundsätzlich auf alle Religionen angewendet werden kann. Die Einrichtung eines Lehrstuhls für Religionspsychologie an der Universität Uppsala im Jahre 1967 bedeutete für das Fach auf dem europäischen Kontinent einen großen Schritt zur institutionellen Anerkennung. In Deutschland selbst spielte und spielt bis heute die empirisch orientierte Religionspsychologie eine recht untergeordnete Rolle. Noch am ehesten beschäftigen sich praktische Theologen oder Pastoraltheologen mit diesem Bereich. Hier gibt es eine Reihe äußerst anspruchsvoller Arbeiten, die auch um empirische Fundierung bemüht sind. Beispielsweise haben sich J. Scharfenberg und H. Faber darum verdient gemacht, psychoanalytischen

Entwicklung in Skandinavien

empirisch orientierte Religionspsychologie in Deutschland

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Religionspsychologische Zugänge

jüngere Entwicklung in den USA

Behaviorismus und Religion

Kategorien innerhalb der Religionspsychologie wieder größere Geltung zu verschaffen, während M. Josuttis u. a. mit einigen Aufsehen erregenden Experimenten empirische Untersuchungen über den Zusammenhang von Drogenerfahrung und religiösen Erfahrungen anstellten. Aus explizit nichttheologischer Perspektive hat sich insbesondere H. Zinser um die Weiterentwicklung der Religionspsychologie bemüht. Von psychologischer Seite jedoch ist die Religionspsychologie weitgehend vernachlässigt worden. Seit einigen wenigen Jahren jedoch scheint sich eine neue Phase in der Geschichte der Religionspsychologie abzuzeichnen, in der empirische Arbeit und theoretische Reflexion auf hohem Niveau aufeinander bezogen sind und eine mögliche Blüte religionspsychologischer Arbeit auch im deutschsprachigen Bereich erhoffen lassen. Etwas anders ist die Entwicklung in den USA und im angelsächsischen Bereich verlaufen. Dort hatten die hoffnungsvollen religionspsychologischen Ansätze in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ihre Fortsetzung gefunden, allerdings nicht im gleichen Ausmaß wie zuvor. Das allgemeine Interesse an der Religionspsychologie im engeren Sinne nahm ab, und die religionspsychologische Arbeit konzentrierte sich vornehmlich auf Spezialstudien und weniger auf die Diskussion grundsätzlicher Theorie- und Methodenprobleme. In den 30er Jahren setzte sich dieser Trend fort. Das ging Hand in Hand mit dem Durchbruch einer neuen Richtung in der Psychologie: dem sog. Behaviorismus (von behavior, Verhalten). Diese Anfang des 20. Jahrhunderts begründete Richtung arbeitete zunächst als reine „Reiz-ReaktionPsychologie“. Methoden wie die der Selbstbeobachtung wurden verworfen. Ziel war es, psychologische Aussagen auf der Grundlage objektiv beobachtbaren Verhaltens zu formulieren. In der Folgezeit verband sich der Behaviorismus vornehmlich mit dem Namen von Burrhus Frederic Skinner (1904–90) und seiner „Theorie der operanten Konditionierung“. Diese Theorie knüpfte an die „Theorie der konditionierten Reflexe“ des russischen Physiologen Iwan P. Pawlow (1849–1936) an: Er hatte in mehreren Versuchsreihen einen Stimulus (Klingeln einer Glocke) mit einem unkonditionierten Reiz (Bereitstellung von Fressen für einen Hund) gekoppelt, der eine bestimmte Reaktion auslöst (Speichelfluss); wie sich herausstellte, verursacht nach einer gewissen Zeit der „konditionierte“ Reiz (Klingeln) einen „konditionierten Reflex“ (Speichelfluss), ohne dass das Fressen bereitgestellt worden wäre. Im Unterschied hierzu wird bei der „operanten Konditionierung“ die Reaktion durch einen Stimulus, der gewissermaßen erst nach dem Verhalten kommt, konditioniert: erwünschtes Verhalten durch Strafe bzw. Strafandrohung, unerwünschtes durch Belohnung bzw. Aussicht auf Belohnung. Diese Stimuli werden als (negative oder positive) Verstärker bezeichnet. Für Skinner ist auch die Religion ein Verstärkersystem, indem das Verhalten des Individuums in Kategorien wie gut/schlecht, erlaubt/verboten, sündig/fromm beurteilt wird. Die Besonderheit der Religion besteht in diesem Zusammenhang lediglich darin, dass sie Verstärker benutzt, die „jenseits“ dieser Welt und dieses Lebens angesiedelt sind: Beschreibungen von Himmel und Hölle dienen als positive bzw. negative Verstärker, die das Verhalten der Gläubigen konditionieren.

Geschichte

Im angelsächsischen Raum änderte sich die Situation für die Psychologie im Allgemeinen und die Religionspsychologie im Besonderen ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts: Neben Tiefenpsychologie und Behaviorismus konnte sich – so sahen es zumindest ihre Vertreter – die humanistische Psychologie als „dritte Kraft“ etablieren. Ihr Ziel war es, die gesamte Breite menschlichen Verhaltens und Erlebens in den Blick zu nehmen. Hauptvertreter dieser Richtung war Abraham H. Maslow (1908–1970). Ausgehend von der Annahme eines allgemein-menschlichen Strebens nach Bedürfnisbefriedigung sieht er das Handeln des Menschen vornehmlich von dem Motiv bestimmt, Spannungen abzubauen und alles Unangenehme nach Möglichkeit auszuschalten. Dieses Streben versteht er als individuellen, andauernden Prozess der Suche nach Selbstverwirklichung. Dabei fällt ihm auf, dass viele jener Menschen, die er der Gruppe der „Selbstverwirklicher“ zurechnet, eines gemeinsam haben, nämlich sog. „Gipfelerfahrungen“ – besondere Formen der Erfahrung, die mystischen oder Transzendenzerfahrungen, wie sie aus der Religionsgeschichte bekannt sind, nahe kommen. Im Laufe seiner Arbeit bringt Maslow diesen Gipfelerfahrungen zunehmend Wertschätzung entgegen. Dies mag mit einem grundsätzlichen Kurswechsel seines psychologischen Ansatzes zu tun haben. Maslow propagiert nämlich mehr und mehr die Notwendigkeit einer Bewusstseinsveränderung, die solche Gipfelerfahrungen herbeiführen kann, womit er eine Kritik sowohl an der institutionalisierten Religiosität als auch an der etablierten Wissenschaft verbindet. Die Hauptaufgabe von Religion sieht er darin, das Wissen über jene Gipfelerfahrungen zu bewahren und Methoden bereitzustellen, durch die es den Gläubigen ermöglicht wird, ebenfalls solche Gipfelerfahrungen nachzuvollziehen. Schließlich scheinen Maslow die von der humanistischen Psychologie gesetzten Grenzen zu eng für seinen weiter reichenden Ansatz. Gegen Ende der 60er Jahre entwickelt er deshalb den Gedanken einer „vierten Kraft“ in Gestalt der sog. Transpersonalen Psychologie. Dieser Richtung geht es im Wesentlichen um die Erforschung von Erfahrungen und Bewusstseinszuständen, die jenseits des individuellen Erfahrungsbereiches liegen – die Erfahrung von „Energieströmen“, mystische Einheits- und Verschmelzungserfahrungen, Nahtoderfahrungen u.v. a. mehr. Die Schulpsychologie hat sich gegenüber dieser „vierten Kraft“ äußerst reserviert gezeigt, und nicht wenige warfen ihr vor, mehr Religion als Psychologie zu sein. Wie dem auch sei – ignorieren lässt sich die Transpersonale Psychologie trotz aller heftigen Kritik, auf die sie gestoßen ist, nicht. Für unsere Zwecke hier ist die Feststellung bedeutsam, dass auch die amerikanische Tradition der Religionspsychologie sich an dieser Stelle sehr weit von ihrem stärker empirisch ausgerichteten Erbe entfernt hat. Die Tradition der empirischen Religionspsychologie ist am besten noch in angrenzenden Gebieten – der Sozialpsychologie oder gar der Soziologie – bewahrt worden.

Humanistische Psychologie und Religionsforschung

Transpersonale Psychologie und Religionsforschung

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Religionspsychologische Zugänge

3. Der Beitrag der Tiefenpsychologie

Religion als „kollektive Zwangsneurose“

Der vielleicht nachhaltigste Beitrag zur Religionspsychologie kam aus der Tiefenpsychologie – einer Richtung, die mit den Namen von Sigmund Freud (1856–1939) und Carl Gustav Jung (1975–1961) sowie ihren Schülern verbunden ist. Freuds Ansatz kumuliert in der Feststellung, Religion sei als Illusion zu betrachten und habe ihre Wurzeln in der frühkindlichen (individuell) bzw. in der frühen menschheitsgeschichtlichen (kollektiv) Entwicklung. Das erste Mal hat Freud diese Überlegung in einem 1907 erschienenen Aufsatz mit dem Titel Zwangshandlungen und Religionsübungen veröffentlicht. Darin behauptet er einen Zusammenhang zwischen den individuellen zwanghaften Wiederholungshandlungen von Neurotikern und den kollektiven Ritualen, in denen Gläubige ihre Religion praktizieren. Beiden ist gemeinsam, dass sie auf die Abwehr von bzw. den Schutz vor Unheil und Versuchung zielen. Der Hauptunterschied besteht darin, dass religiöse Rituale dazu dienen, grundsätzlich antisoziale, destruktive Triebe und Handlungen zu verarbeiten und insofern gesellschaftliche Anerkennung finden, während individuelle Zwangshandlungen stigmatisiert sind und Zwangsneurotiker von der Gemeinschaft als krankhaft eingeschätzt werden. Doch es gibt laut Freud einen inneren Zusammenhang zwischen beiden: Religion ist eine „universelle Zwangsneurose“, die Zwangsneurose eine verzerrte Form von „Privatreligion“ (136: Bd. XIV: 328). Aber während die Religion das Ergebnis einer Sublimierung darstellt – einer Umwandlung unterdrückter Triebregungen in gesellschaftlich akzeptierte Ausdrucksformen –, ist die Neurose das Produkt einer Verdrängung eben dieser Triebe. Einige Jahre später (1913) hat Freud seinen Ansatz in einer umfassenderen Theorie erweitert und unter Bezug auf religionsgeschichtliches Material zu vertiefen versucht, wobei er sich vor allem auf die Arbeiten von W. R. Smith, J. G. Frazer und R. R. Marett stützte. Seine Theorie – die er selbst in der Form eines Mythos präsentierte – lässt sich in etwa so skizzieren: In der Frühzeit der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung wurde die Urhorde von einem starken Vater dominiert, der alle Weibchen besaß und die Söhne vertrieb oder terrorisierte. Die Söhne verbündeten sich jedoch, erschlugen den Vater und – „für den kannibalen Wilden selbstverständlich“ (136: Bd. IX: 171 f.) – verspeisten ihn, wobei sie sich im Akt des Verspeisens auf symbolische Weise zugleich mit ihm identifizierten und Anteil an seiner Stärke erlangten. Das Entsetzen, der Schock über die Untat jedoch führte zu einer Verdrängung oder Verschiebung des Ereignisses: Das Gedenken gilt fortan nicht der Tötung eines Menschen, sondern das Erinnern richtet sich auf die Tötung eines Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit begründenden Totemtieres, das alle ambivalenten Gefühle (insbesondere Hass und Angst sowie Liebe und Bewunderung) auf sich vereint. Es darf nicht getötet werden – außer zu besonderen kultischen Anlässen, in denen die Erinnerung an das Urgeschehen rituell nachvollzogen wird. Dies ist zugleich das Urdatum des Totemismus, den Freud im Anschluss an W. R. Smith als die Urform aller Religionen ansieht. Alle späteren Religionen gel-

Beitrag der Tiefenpsychologie

ten ihm lediglich als Ableitungen dieses religiösen Urtyps, die sich lediglich durch Verfeinerungen und Vergeistigungen davon unterscheiden. Als besonders schlagendes Beispiel gilt Freud dabei die Entwicklung der israelitischen Religion, auf die er in seiner Arbeit Der Mann Moses und die monotheistische Religion dasselbe Erklärungsmodell anwendet: Mose, ein monotheistischer Anhänger des Pharao Echnaton, hat die Israeliten aus Ägypten herausgeführt, wird dann aber im Verlauf der Wüstenwanderung von ihnen erschlagen. Der Vatermord wiederholt sich also und leitet eine neue Phase der Religionsbildung ein. Das individuelle Pendant dieses Musters hat nach Freud seine Grundlage in der frühkindlichen Sexualentwicklung: im Ödipus-Komplex. Dieses berühmte Kernstück der Freud’schen Theorie verdankt seinen Namen der griechischen Mythe des Prinzen von Theben, der – unwissentlich – den Vater tötet und die Mutter heiratet. Freud geht davon aus, dass in der frühkindlichen Entwicklung vor der sog. Latenzphase (ab dem 5. oder 6. Lebensjahr) der infantile Sexualtrieb besonders stark ausgeprägt ist: das (männliche) Kind begehrt die Mutter, fühlt sich jedoch von ihr hintergangen, da sie sich dem als übermächtig empfundenen Rivalen, dem Vater, hingibt. Dies fällt zusammen mit der Entdeckung der Geschlechtsorgane. Dabei löst die Feststellung, dass Mädchen keinen Penis haben, massive Kastrationsängste aus. Diesen entgeht das Kind, indem sein „Ich“ seine Triebe (das „Es“) unterdrückt und als verinnerlichte Form elterlicher Regulierungen ein „Über-Ich“ als diejenige Instanz entwickelt, in die hinein die väterliche Autorität integriert wird. Inwieweit Freud diese Theorie – als „Elektra-Komplex“ – auch als übertragbar auf die frühkindliche Entwicklung des weiblichen Kindes ansieht, ist ungeklärt geblieben. Jedenfalls handelt es sich beim „Ödipus-Komplex“ um einen Grundpfeiler der psychoanalytischen Theoriebildung insgesamt, der letztlich auch als Schlüssel zur Interpretation religiöser Phänomene dient. Die „Ontogenese“ – die individuelle Entwicklung des Ödipus-Komplexes – spiegelt die „Phylogenese“ – den Ursprung des Ödipus-Komplexes in der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung – und umgekehrt. Religion wurzelt also letztlich in einer kollektiven traumatischen Erfahrung und entfaltet sich analog dem individuellen psychologischen Entwicklungsvorgang. Wie Freud feststellt, erfordert Religion als kulturelles Phänomen Triebverzicht, ist jedoch zugleich Ersatzbefriedigung. Nun trifft dies auch auf andere kulturelle Teilbereiche zu – Wissenschaft, Kunst, Musik usw. Das Problem mit der Religion besteht laut Freud allerdings darin, dass sie – im Gegensatz zur Wissenschaft – wirklichkeitsfremd ist und – im Gegensatz zur Kunst oder zur Musik – nicht zugesteht, bloß Illusion zu sein bzw. Illusion zu produzieren. Religion stellt somit im Prinzip lediglich eine typisch neurotische Verzerrung der Wirklichkeit dar. Sie ist eine Illusion, und sie ist entbehrlich, da das, was sie leistet, auch anderweitig geleistet werden kann, und zwar ohne die von ihr ausgehenden Gefahren, wie sie in der Menschheitsgeschichte immer wieder offenbar geworden sind. Freud versteht seine Religionstheorie also eindeutig als Religionskritik. Religion ist in seinen Augen völlig überflüssig, und Religiosität ein Ausdruck von Infantilität. Der Mensch kann sich aus dieser Infantilität befreien, er muss es

Ödipus-Komplex: Phylogenese und Ontogenese

Religion als Illusion

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Religionspsychologische Zugänge

Grundlegende Unterschiede zwischen den Theorien Freuds und Jungs

das Prinzip der Individuation

aber nicht – es bleibt seiner eigenen Entscheidung überlassen, ob er infantil bleiben will oder nicht. Ein weiterer Beitrag der Tiefenpsychologie zur Religionspsychologie hat sich aus den Arbeiten von Carl Gustav Jung ergeben. Jung hatte zunächst eng mit Freud zusammengearbeitet. Nach ihrer Trennung ging Jung eigene Wege, was auch inhaltliche und methodische Konsequenzen mit sich brachte: Jung sieht die Religion bei weitem positiver als Freud; außerdem führt er in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Afrika und bei den Pueblo-Indianern Feldstudien durch. Diese können zwar nicht den Standards der damaligen ethnologischen Feldforschung genügen, sind jedoch ein Hinweis darauf, dass Jung darum bemüht war, nicht nur aus der Sekundärliteratur, sondern aus erster Hand religionswissenschaftliche Informationen zu verarbeiten. Im Laufe der Jahre hat Jung enge Beziehungen zu Religionswissenschaftlern, Theologen, Psychologen und Naturwissenschaftlern aufgebaut, aus denen der seit 1933 bestehende sog. Eranos-Kreis hervorging, der insbesondere durch die Veröffentlichung des Eranos-Jahrbuches von sich reden machte. Schon früh nach der Trennung von Freud hat Jung eine eigenständige tiefenpsychologische Theorie ausgearbeitet, die sich in einigen Punkten signifikant von der Freuds unterscheidet. Beispielsweise versteht Jung im Gegensatz zu Freud unter Libido nicht nur den Sexualtrieb, sondern eine Art psychische Energie, die in sich ambivalent ist; Freud stellt später der Libido den Destruktionstrieb als negative Triebkraft zur Seite, um diese Ambivalenz zum Ausdruck zu bringen. Auch in der Konzeption der menschlichen Person gibt es bedeutsame Unterschiede: Nach Freud setzt sich die Person aus drei Instanzen zusammen. Da ist zunächst das Ich: das durch Rationalität gekennzeichnete Bewusstsein; ihm ist das Vorbewusste angegliedert, das unbewusste Inhalte abrufen, d. h. ins Bewusstsein heben kann. Dann das Über-Ich (oder auch das „Ich-Ideal“): es hat sich in der frühen Kindheit entwickelt und ist diejenige Instanz, die Verhaltensnormen und moralische Vorgaben verinnerlicht und in Form unbewusster Inhalte gespeichert hat. Schließlich das „Es“: Hierbei handelt es sich um ein Konglomerat dynamisch-chaotischer Triebkräfte, die durch das Ich domestiziert werden müssen. Dies geschieht dadurch, dass das Ich die aus dem Es freigesetzten Energien zähmt und in Kulturleistungen umwandelt, was nach Freuds Ansicht in wirklichkeitsnaher (Wissenschaft) oder in illusorischer Weise (Religion) geschehen kann. Jungs Modell sieht völlig anders aus: Vom Ich, das im Großen und Ganzen dem „Ich“ der Freud’schen Theorie ähnlich ist, unterscheidet er „das persönliche Unbewusste“. Während sich das Ich auf der Ebene des Bewussten als „Person“, als „Du“ der Gesellschaft zeigt, enthält das persönliche Unbewusste, auf dem das Ich ruht, das Abgedrängte, Vergessene, Unterdrückte. Jung nennt diese Inhalte des persönlichen Unbewussten auch „Schatten“. Diese Schatten können eine eigene, dem Menschen durchaus gefährliche Dynamik entwickeln. Deshalb kommt es darauf an, dass der Mensch diese Schatten nicht weiter abdrängt, sondern in seine Persönlichkeit integriert. Durch diesen Prozess der „Individuation“ wird

Beitrag der Tiefenpsychologie

der Mensch mit sich selbst identisch und erlangt Ganzheit. Unterhalb dieses persönlichen Unbewussten findet sich jedoch noch eine weitere Schicht: das kollektive Unbewusste. Zugang zu ihm erlangt der Mensch durch sein persönliches Unbewusstes und die darin befindlichen Schatten. Die Inhalte des kollektiven Unbewussten bezeichnet Jung als Archetypen – bestimmte Motive und Bilder, die universal sind und erst spezifische Formen annehmen, wenn sie innerhalb eines bestimmten kulturellen Kontextes ins Bewusstsein treten. Wenngleich die genaue Beziehung zwischen Archetypen und Schatten in der Jung’schen Theorie widersprüchlich bleibt, findet sich doch ein gemeinsamer Nenner im Prinzip der Individuation: Die Begegnung mit den unspezifischen Manifestationen des kollektiven Unbewussten hat den Zweck, das „Ich“ mit den Archetypen zu konfrontieren und in das „Selbst“ zu integrieren. An dieser Stelle der Jung’schen Theorie liegt die Schnittstelle von Tiefenpsychologie und Religion: Jung betrachtet nämlich den Vorgang der Individuation als Alternative zu traditionellen Religionsformen. Ähnlich wie Rudolf Otto versteht Jung unter „Religion“ Erfahrung des bzw. Begegnung mit dem Numinosen. Im Gegensatz zu ihm sieht er jedoch im Numinosen nicht das „ganz Andere“, sondern betrachtet es als Teil eines jeden Menschen, das im kollektiven Unbewussten verankert ist: Gott bzw. die Götter sind Personifikationen des kollektiven Unbewussten. Sie sind Projektionen, nicht „objektiv“ wahrgenommenes Gegenüber der Psyche. Religiöses Leben spielt sich „innen“ ab. Was als „Versöhnung mit Gott, den Göttern oder dem Numinosen“ erscheinen mag, ist in Wirklichkeit ein Prozess der Individuation: die Erfahrung der Ganzheit, bei der die Manifestationen des Unbewussten in das Selbst integriert werden und die Symmetrie von Unbewusstem und Bewusstem das Selbst im Gleichgewicht hält. Diese Individuation wird nicht selten auch durch religiöse Symbole vermittelt, wobei darauf zu achten ist, dass die Symbole selbst „symmetrisch“ sind; beispielsweise betrachtet Jung die christliche Trinität als „asymmetrisches Symbol“, das durch eine „weibliche Seite“ – die Verehrung Marias – zu ergänzen ist. Die gemeinsame Schnittstelle von Religion und Psychologie in Jungs Theorie bezieht beide Bereiche so unmittelbar aufeinander, dass die Interpretation von religiösen Phänomenen mit der Interpretation von psychologischen Vorgängen in eins fällt: Die Botschaften der Religion sind mit dem, was die Seele mitteilen will, letztlich identisch. Die Religionen dienen in Jungs Entwurf vornehmlich dazu, bestimmte Symbole bereitzustellen, die der Seele auf ihrem Weg der Individuation, auf ihrer Suche nach Ganzheit und Integration des „Selbst“ dienen. Was in der religiösen Bildersprache in „objektiver“, vergegenständlichter Form erscheint, sind in Wirklichkeit innere Abläufe. Auffällig ist, dass Jung der Religion eine durchweg positive Rolle zuschreibt, während Freud seinen tiefenpsychologischen Entwurf als explizit religionskritische Theorie formuliert hat. Doch es gibt eine große Gemeinsamkeit: Beide halten Religion letztlich für ein Auslaufmodell. Nach Freud wird die Psychoanalyse im Laufe der intellektuellen Entwicklung die Religion mehr oder weniger überflüssig machen, und Jung geht letztlich davon aus, dass seine Tiefenpsychologie dasselbe Feld bearbeitet wie die Reli-

religiöse Symbole

Tiefenpsychologie als Religionsersatz

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Religionspsychologische Zugänge

Psychoanalyse und Religion in verschiedenen tiefenpsychologischen Traditionen

Entsprechung zwischen Religionen und psychologischen Entwicklungsphasen

gion, ihre Arbeit dabei allerdings besser verrichtet als diese. Einer der Schüler Freuds, Erich Fromm (1900–1980), ist der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Tiefenpsychologie bei Jung nachgegangen und hat dabei festgestellt, dass Jung einerseits die Religion lediglich auf einen rein innerseelischen Vorgang reduziert, andererseits aber unbewussten psychischen Abläufen einen gleichsam religiösen Stellenwert zuspricht. Nur scheinbar ist Jung also der Religion gegenüber freundlicher gesonnen als Freud – im Grunde lehnt auch er die geschichtlichen Religionen als überholt ab. Fromm selbst hat sich darum bemüht, das Verhältnis von Religion und Psychologie neu zu bestimmen. Die Psychoanalyse nutzt er als Plattform, von der aus er eine Kritik an den überkommenen Religionen formuliert. Dabei bezieht Fromm allerdings eine Position jenseits einer an der Vernunft orientierten Religionskritik. Ins Zentrum seiner humanistischen Psychologie rückt vielmehr die Frage, ob und inwieweit die Religionen der Selbstverwirklichung des Individuums im Wege stehen oder sie befördern. Vertreter sowohl der auf Freud wie auch der auf Jung zurückgehenden Richtung haben sich verschiedentlich mit religionspsychologischen Fragestellungen beschäftigt. In die Tradition der Jung’schen Tiefenpsychologie gehören u. a. Hans Schär und insbesondere Erich Neumann. Dieser hatte verschiedentlich einzelne Aspekte der Archetypenlehre Jungs auf die Religionsgeschichte anzuwenden und u. a. am Beispiel der „Großen Mutter“ zu entfalten versucht. Jungs Einfluss war weit über die Tiefenpsychologie hinaus wirksam und ist insbesondere in den Arbeiten von Karl Kerényi u. a. zur Mythologie nachweisbar, findet sich jedoch auch bei Mircea Eliade wieder. Einzelne Vertreter der Freud’schen Traditionslinie der Tiefenpsychologie haben sich ebenfalls mit religionspsychologischen Fragen auseinander gesetzt. Erich Fromm wurde gerade genannt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang u. a. auch Antoine Vergote (geb. 1927), der an der katholischen Universität Loewen Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts eine sog. „genetische Religionspsychologie“ entwickelt hat. Darin thematisiert er nochmals das Dilemma der Religionspsychologie, dass einerseits der Gegenstand des Glaubens selbst, also z. B. Gott, nicht Forschungsgegenstand der Religionspsychologie sein kann, dass die Religionspsychologie aber andererseits durch eine Reduktion auf Abläufe innerhalb der menschlichen Psyche ihren Gegenstand ebenfalls verzerrt darstellen würde. Vergote hat insbesondere im Rückgriff auf Kategorien der Tiefenpsychologie die Bedeutung von Vater- und Mutterrollen und -bilder für die Entwicklung von Gottesvorstellungen untersucht. Wie er selbst, so haben auch seine Mitarbeiter und Schüler ihre Arbeiten auf umfangreiche empirische Untersuchungen gestützt und in einschlägigen Zeitschriften wie Social Compass, Semeion oder Lumen Vitae veröffentlicht. Heije Faber hat dann 1972 einen Entwurf vorgelegt, der ausdrücklich an der Freud’schen Tiefenpsychologie anknüpft. Er versucht, zwischen den psychologischen Entwicklungsphasen des Individuums und verschiedenen Formen des religiösen Erlebens in den Religionen einen Zusammenhang herzustellen: Die orale Phase ist von einer engen Mutter-Kind-Beziehung

Gegenstand, Aufgaben und Methoden

und vom Gefühl des Urvertrauens – aber auch umgekehrt von einer UrAngst, dem Verlust der Mutter, gekennzeichnet; dieses Thema erhält in manchen Religionen einen hohen Stellenwert und wird gegebenenfalls rituell aktualisiert, wie z. B. in manchen hinduistischen Traditionen. Die anale Phase und die in ihr begründete Entdeckung der Verweigerung wie der Leistungsfähigkeit hat ebenfalls in manchen Religionen (so etwa im jüdischen Pharisäismus oder im christlichen Puritanismus) Anklänge. Die ödipale Phase, die durch die Ausbildung eines Über-Ichs gekennzeichnet ist, findet in den westlichen monotheistischen Religionen, also Judentum, Christentum und Islam, seine deutlichste Ausformung. Dem Übergang von der Latenz- zur Adoleszenzphase entspricht ein religiöses Entwicklungsschema, das sich weitgehend auf die religiöse Gegenwartslage anwenden lässt: Einem Stadium der zunehmenden Distanzierung von der Religion folgt im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Phase der religiösen Entwicklung, in der einerseits die Gruppe – und nicht die Institution –, andererseits die freie Selbstentfaltung – und nicht die Kirchengebundenheit – kennzeichnend sind. Trotz seines Versuchs, eine allgemein gültige Theorie zu entwerfen, lässt sich Fabers Konzept im Grunde nur auf den abendländischen Kontext anwenden. Darin spiegelt sich ein ganz grundsätzliches Problem des gesamten tiefenpsychologischen Ansatzes: die Frage nämlich, inwieweit die Tiefenpsychologie und ihre grundlegenden Theoriebestandteile nicht so stark kulturgebunden sind, dass sie auf andere Bereiche nicht ohne weiteres übertragen werden können. Im Schnittbereich von Ethnologie und Psychologie hat allerdings eine Reihe von Forschern versucht, die engen Fachgrenzen zwischen den Disziplinen zu überschreiten und auszuloten, inwieweit tiefenpsychologische Ansätze, Theorien und Methoden auf andere kulturelle Kontexte übertragbar sind. Die Arbeiten von Parin und Morgenthaler haben auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet, und die gesamte Richtung der sog. Ethnopsychoanalyse ist ohne diese Vorarbeiten nicht denkbar.

4. Gegenstand, Aufgaben und Methoden der Religionspsychologie Die bisherigen Ausführungen haben bereits anklingen lassen, dass weder über den Gegenstand noch über die Methoden der Religionspsychologie Einvernehmen herrscht und dass es noch nicht einmal eine Systematik gibt, in der sich die vielfältigen Aufgaben dieser Disziplin eindeutig darstellen ließen. Wie wir oben gesehen haben, ist das religionsphänomenologisch, bisweilen gar theologisch orientierte Verständnis von Religionspsychologie recht ambivalent. Einerseits wird ihre Zuständigkeit strikt beschränkt (auf „das Seelische“, soweit es mit Religion zu tun hat), zugleich wird sie jedoch beinahe im selben Atemzug als begrenzt, „immanentistisch“ oder reduktionistisch kritisiert, oder ihr wird ganz grundsätzlich für den gesamten Bereich der Religionsforschung die Zuständigkeit aberkannt. Andererseits ist jedoch ihr Gegenstand so weit gefasst worden, dass zwar nicht die

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Religionspsychologische Zugänge

„der Mensch“ als Gegenstand der Religionspsychologie

Grenzen zwischen Religionspsychologie und Religionswissenschaft, wohl aber die Grenzen zwischen Religionspsychologie und Religion zu verschwimmen drohen, so etwa, wenn im Kontext der humanistischen oder der transpersonalen Psychologie Fragen von „Selbstverwirklichung“ oder Transzendenzerfahrungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sind. In jüngster Zeit scheint sich aber mehr die Tendenz durchzusetzen, dass nicht „das Seelische in und an der Religion“, sondern der Mensch in seinen religiösen Lebensäußerungen als Gegenstand der Religionspsychologie zu bestimmen sei. In letzter Konsequenz bedeutet dies für die Religionspsychologie, den Vorwurf des Immanentismus und Reduktionismus positiv zu wenden und die notwendige Begrenzung religionspsychologischen Arbeitens und Forschens zum Programm zu erheben. In der Tat sind religiöse Akte des Menschen unter religionspsychologischer Perspektive in Kategorien der entsprechenden „innerweltlichen“ Akte zu beschreiben, und analog besteht die Aufgabe der Religionspsychologie auch darin, diese Akte im Kontext psychologischer, also innerpsychischer Abläufe zu erklären. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass die Gläubigen selbst diese Akte nicht als „innerweltlich“ betrachten, sondern ihre religiöse Wertigkeit gerade darin sehen, dass sie das Innerweltliche oder Innerpsychische übersteigen; für die religionspsychologische Analyse müssen entsprechende Aussagen und Sichtweisen jedoch methodisch ausgeblendet werden, da sie in ihrem substanziellen Gehalt empirisch nicht fassbar sind. Doch auch diese recht klare Bestimmung des Gegenstandes religionspsychologischer Forschung lässt noch einige Fragen offen. Denn selbst wenn der Mensch in seinen religiösen Lebensvollzügen Gegenstand der Religionspsychologie ist und wenn zugleich die substanziellen Inhalte seiner Religion methodisch ausgeblendet bleiben, stellt sich doch die Frage, wie religiöses von nicht-religiösem Handeln unterschieden werden kann, was also „innerpsychische Akte“ wie Dankbarkeit oder Verehrung von entsprechenden religiösen unterscheidet. Eine andere Schwierigkeit ist darin zu sehen, dass die Religionspsychologie mit der Begrenzung ihres Gegenstandes auf den Menschen in seinen religiösen Lebensvollzügen tatsächlich die Religion auf „rein“ innerseelische, subjektive Abläufe zu reduzieren droht. Doch Religionen sind ja eben gerade nichts bloß Individuelles, Subjektives – sie schaffen Verbindlichkeiten, werden von Gemeinschaften getragen und wirken gemeinschaftsbildend, stützen das Individuum im gesellschaftlichen Zusammenhang und prägen es bis in die letzten Verästelungen seiner „subjektiven“ Religion. Damit ist die Frage aufgeworfen, inwieweit die Religion als gesellschaftliche und geschichtliche Kraft die Psyche des Individuums und seine psychische Entwicklung prägt – eine Frage, die bislang noch wenig in Angriff genommen worden ist. Zumindest über einige formale Bestimmungen von Religion gibt es in der Religionspsychologie einen gewissen Konsens: So etwa, dass Religiosität aus einer Kombination von Verstand, Gefühl und Handeln besteht oder dass der religiösen Erfahrung gegenüber religiösen Ausdrucksformen in Wort und Tat Priorität zukommt. Eine solche Festlegung hat allerdings

Gegenstand, Aufgaben und Methoden

unmittelbare Konsequenzen für die religionspsychologische Forschung. Denn nun rückt die Erfahrung des Menschen noch vor dem, was er „glaubt“ (an Dogmen; z. B. die Jungfrauengeburt Jesu) oder „tut“ (in Ritualen; z. B. die Teilnahme an der Eucharistiefeier) in den Mittelpunkt des Interesses. Die Aufgabe wird für die Religionspsychologie dadurch allerdings nicht leichter. Jetzt muss sie sich nämlich der Frage stellen, wie diese „erfahrene“ Religion in den Lebensvollzügen der Menschen beobachtet werden kann, oder anders gesagt: Wie bestimme ich den „Grad“ individueller Religiosität? Eine Zeit lang galten Selbstbeobachtung und „Einfühlung“ als hilfreiche Methoden, doch haben sich spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts quantitative Methoden – so insbesondere die Einstellungsmessung – durchgesetzt. Wir sollten uns allerdings keinen Illusionen hingeben: Die Quantifizierung der Datenerhebung bringt uns in der Frage nach dem Verständnis von Religion nicht weiter, sondern führt die damit gegebenen Probleme lediglich in Form von „harten“ Daten vor Augen: Je spezifischer ich nach religiösen Erfahrungen frage, desto enger werden die Möglichkeiten, meine Fragen so zu operationalisieren, dass sie verallgemeinerungsfähig und dem angestrebten Vergleich dienlich sind. Aber auch, wenn wir nicht von quantitativen Einstellungsmessungen ausgehen, bleibt das Problem in ähnlicher Weise bestehen: Je enger unser Religionsverständnis ist, desto begrenzter sind die Möglichkeiten, aus religionspsychologischen Untersuchungen verallgemeinerbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Je nach dem Religionsverständnis richten sich religionspsychologische Untersuchungen mehr auf religiöse Inhalte oder auf die diese Inhalte vertretenden Personen. Letzteres wird dann der Fall sein, wenn, wie eben beschrieben, der religiösen Erfahrung gegenüber anderen religiösen Ausdrucksformen in Wort und Tat Priorität zukommt. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sich religionspsychologische Forschung auch auf religiöse Inhalte konzentriert; C.G. Jungs Bemühen, bei seiner Suche nach einer Psychologie der Religion im eigentlichen Sinne bestimmte Archetypen zu identifizieren, wäre ein Beispiel hierfür. Umgekehrt war W. James als „Klassiker“ der Religionspsychologie vornehmlich an dem interessiert, was von den Personen selbst geäußert wurde. Dabei beschränkte er sich allerdings auf besonders hervorragende Gestalten; ihm ging es also nicht um die religionspsychologische Erforschung „normaler“ Durchschnittsreligiosität. Später hat die Religionspsychologie allerdings genau hierauf den Schwerpunkt der Forschung gelegt. Ihre Arbeit wurde dabei nicht selten dadurch erleichtert, dass mehr und mehr allgemeines statistisches Material zur Verfügung stand, auf das sie sich bei ihren Analysen beziehen konnte. Oftmals waren die „Samples“ religionspsychologischer Untersuchungen allerdings recht zufällig zusammengestellt. Damit drohte bisweilen ein wichtiger Aspekt des religionspsychologischen Forschungskontextes ausgeblendet zu werden, der durchaus reflektiert werden muss, nämlich die Frage nach der Position der Forschenden. Es ist auffällig, dass Forscher wie J. Leuba, S. Freud oder B. Skinner, die persönlich der Religion äußerst skeptisch gegenüberstehen, in ihren Studien auch zu vergleichsweise negativen Ergebnissen kommen, während

das Problem der Beobachtung religiöser Erfahrungen

das Verhältnis der Forschenden zu Religion

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Religionspsychologische Zugänge

die Frage nach der Transzendenz

Forscher wie C. G. Jung, A. Vergote oder W. Trillhaas, die in der Religion einen positiven Wert sehen, Analysen und Theorien vorlegen, in denen die Religion in einem entsprechend freundlichen Licht erscheint. Aus der Stellung der Forschenden zur Religion ergeben sich aber auch noch andere Konsequenzen für die Religionspsychologie: Religiöse oder der Religion gegenüber positiv eingestellte Forscher messen den Methoden der Selbstbeobachtung, dem „Einfühlen“ oder dem verstehendem Nachvollziehen oftmals einen höheren Stellenwert zu, während areligiöse oder religionskritische Forscher eine solche Vorgehensweise eher ablehnen. Im Zusammenhang damit ergibt sich bisweilen noch die Frage, welche Kategorien der religionspsychologischen Untersuchungen am sinnvollsten anzuwenden sind: Von der erstgenannten Gruppe ist eher zu erwarten, dass sie im Verlauf der Untersuchung auf vorgegebene psychologische Kategorien verzichtet und Begrifflichkeiten religiöser Erfahrung und religiösen Tuns, die aus der religiösen Tradition selbst erwachsen, zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen macht. Die andere Gruppe hingegen würde vermutlich solche Kategorien bevorzugen, die innerhalb der Psychologie entwickelt wurden, und die untersuchten Gegenstände entsprechend analysieren. In diesen unterschiedlichen Optionen spiegeln sich zwei mögliche wissenschaftliche Vorgehensweisen: die der Beschreibung und die der Erklärung. Dahinter wiederum liegen zwei verschiedene Wissenschaftsmodelle verborgen: Nach dem ersten ist die Religionspsychologie eine Hilfswissenschaft der Religionsforschung mit eingeschränkter Autonomie, für das letztere gehört sie in den Bereich der Psychologie und hat deren methodischen und theoretischen Vorgaben zu gehorchen. Diese beiden Modelle beschreiben selbstverständlich idealtypische Positionen, die allerdings für ein unterschiedliches Verständnis von Religionspsychologie mit je eigener Gewichtung und Ausrichtung stehen. Letztlich kommen wir hier wieder zum Problem des Gegenstandes der Religionspsychologie und der Frage, wie er zu erforschen ist, zurück. Wie in diesem Kapitel eingangs festgestellt, muss die Religionspsychologie religiöse Akte als rein innerweltliche Akte betrachten. Sie folgt darin der bereits vor hundert Jahren von dem Genfer Psychologen Theodor Flournoy erhobenen Forderung, es gehöre zu einem der Grundprinzipien religionspsychologischer Arbeit, die Frage nach der „Transzendenz“ auszublenden. Die Schwierigkeit liegt nun allerdings darin, dass sich die Religionspsychologie aufgrund dieser Vorgabe in bloß negativer Bestimmung auf ihren Gegenstandsbereich bezieht: Sie sagt lediglich, was außerhalb ihrer Perspektive liegt, nicht aber, wie dieser „Faktor X“ positiv berücksichtigt werden kann. Die religionspsychologische Forschung vermag dieses Defizit lediglich methodisch zu kompensieren, indem sie berücksichtigt, dass die Transzendenz für den religiösen Menschen eine grundlegende Wirklichkeit darstellt und von daher in der Struktur seines Selbstbewusstseins verankert ist. Auch wenn die Frage nach der Transzendenz – und damit im Grunde die Wahrheitsfrage – ausgeblendet bleibt, ist die Religionspsychologie dennoch darum bemüht, zwischen „genuin religiösen“, pathologischen und nichtreligiösen Erfahrungen und Handlungen zu unterscheiden. Die Identifikation krankhafter Muster scheint in diesem Zusammenhang noch re-

Gegenstand, Aufgaben und Methoden

lativ einfach möglich zu sein; die Unterscheidung zwischen „echt“ und „nicht echt religiös“ ist hingegen schwieriger zu bewerkstelligen, da es an klaren Kriterien hierzu fehlt. So wird die Religionspsychologie in ihren aktuellen Untersuchungen nicht umhinkönnen, eine zumindest vorläufige Bestimmung von Religion zu geben. Dabei ist in der Tat die Frage nach der „Wahrheit“ der Religion auszuklammern; eine gewisse Positionierung der Forschenden hierzu wird sich nicht umgehen lassen – sie sollte allerdings offengelegt und reflektiert werden. Die bislang erörterten Grundprobleme der Religionspsychologie bestimmen auch Fragen der Methodologie. Hier teilt die Religionspsychologie das Schicksal der Psychologie, dass einerseits ihr Gegenstand dem Zugriff der Forschung schwer zugänglich ist und dass andererseits das forschende menschliche Subjekt seinem Gegenstand – dem menschlichen Subjekt – so nahe steht. Das mag zum Teil erklären, weshalb über lange Zeit in der Religionspsychologie solche Forschungsmethoden bevorzugt wurden, die aus dieser Nähe Nutzen zu ziehen versuchen: Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung, „Einfühlung“ und Übertragung analoger Erfahrungen. Diese Form der „weichen“ Zugangsformen differenziert sich in eine ganze Reihe qualitativer Methoden aus. Doch auch quantitative Methoden waren und sind in der religionspsychologischen Forschung von zunehmender Bedeutung. Insbesondere in der Sozialpsychologie wurde eine Reihe komplexer Methoden ausgearbeitet, die in religionspsychologischen Untersuchungen erfolgreich zur Anwendung kommen: Psychologische Experimente sind beispielsweise für Studien über den Zusammenhang von religiöser Bindung und Autoritätshörigkeit grundlegend gewesen; die Psychometrie fragt nach der Korrelation von bestimmten Variablen, so z. B. dem durchaus widersprüchlichen Zusammenwirken von religiösen Traditionen, religiösen Erfahrungen und dem daraus resultierenden Verhalten, wie in diversen Studien über den Einfluss der Religion auf die Entstehung von Vorurteilen; und die Beobachtung ermöglicht u. a. die Überprüfung komplexer psychologischer Theorien. In der Tat kann im Rahmen religionspsychologischer Untersuchungen das gesamte Arsenal psychologischer Methoden zur Anwendung kommen – vom offenen oder standardisierten Fragebogen bis hin zum Interview, und von der Inhaltsanalyse bis hin zu allen möglichen Formen der statistischen Erhebung. Doch die Vielfalt methodischer Möglichkeiten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Religionspsychologie nach wie vor, wie eingangs festgestellt, hinsichtlich Ziel, Aufgaben und Methoden zerstritten ist. Diese Zerstrittenheit wird sich nicht aufheben lassen, denn sie spiegelt letztlich nur die Strittigkeit von Zielen, Aufgaben und Methoden der Religionswissenschaft insgesamt.

Methodenvielfalt

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VIII. Weitere Zugänge zu den Religionen

zwischen Religionswissenschaft und Geographie

1.

Religionsgeographie – Religion-Umwelt-Forschung – Geographie der Geisteshaltung

a)

Geschichte und Gegenstand religionsgeographischer Forschung

Religionsgeographie beschäftigt sich, wie der Name vermuten lässt, in systematischer Weise mit den Beziehungen zwischen Religion und geographischer Umwelt. Sie darf allerdings nicht verwechselt werden mit der religiösen oder mythischen Geographie. Diese bezeichnet die in verschiedenen religiösen Traditionen vorhandenen Vorstellungen über die Erde und den gesamten Kosmos sowie das religiöse Studium dieser Überlieferungen. Wenn die Religionsgeographie das Verhältnis von Religion und geographischer Umwelt thematisiert, so nimmt sie grundsätzlich die hierbei bestehenden Wechselbeziehungen in den Blick: also nicht nur die Prägung der Umwelt durch die Religion (Umweltprägung), sondern umgekehrt auch die Prägung der Religion durch die Umwelt (Umweltabhängigkeit). Vielleicht noch stärker als andere religionswissenschaftlich orientierte „Bindestrich-Disziplinen“ steht die Religionsgeographie zwischen zwei Fächern: der Religionswissenschaft und der Geographie. Über eine endgültige Zuordnung lässt sich (noch) keine Entscheidung fällen, doch besteht eine gewisse Tendenz dazu, sie eher innerhalb der Geographie anzusiedeln und dort der Kulturgeographie oder, noch konkreter, der Sozialgeographie zuzuordnen. Religionsgeographisches Denken als solches reicht weit in die Geschichte zurück. Denker der klassischen Antike und mehr noch die arabischen Geographen sind wiederholt darauf gestoßen, dass die Formen kulturellen und religiösen Lebens je nach geographischen Gebieten variieren, und sie haben damit begonnen, bestimmte Muster und Regelmäßigkeiten des Zusammenhangs von Religion und Umwelt herauszustellen. In der frühen Neuzeit begannen dann (vornehmlich protestantische) Theologen damit, Spekulationen darüber anzustellen, welchen Einfluss etwa das Klima auf die Ausbildung der „heidnischen“ Religionen gehabt haben könnte. Die Beschäftigung mit der Religion-Umwelt-Beziehung beschränkte sich bald aber lediglich darauf, den positiven Einfluss des Christentums auf Wirtschaft und Kultur der „primitiven“ Völker hervorzuheben. Trotz schrittweiser Emanzipation der Geographie von der Theologie war das religionsgeographische Denken des 17. Jahrhunderts vornehmlich darauf fixiert, die Ausbreitung und die umweltgestaltende Macht des Christentums mit neuen Techniken der kartographischen Darstellung nachzuzeichnen. Seit dem 18. Jh. gewann – verbunden mit dem Namen Montesquieu (1689–1755) –

Religionsgeographie

ein seit der Antike bestehender Traditionsstrang von Neuem an Bedeutung, der darüber hinaus den Aspekt der Prägung kultureller und religiöser Ausdruckformen durch die Umwelt in den Vordergrund stellt. Die Geographie selbst – und damit die Erforschung der Umweltprägung durch die Religion – konnte bald weitgehende Anerkennung erlangen: Immanuel Kant bestimmte gegenüber der mit dem zeitlichen Nacheinander befassten Geschichte als Zeit-Wissenschaft die Geographie als Raum-Wissenschaft: Sie hat mit Erscheinungen zu tun, die sich innerhalb eines gegebenen Raumes zur gleichen Zeit ereignen. Hingegen verrannte sich die mit der Umweltabhängigkeit durch die Religion befasste Forschungsrichtung in der Folgezeit mehr und mehr in unhaltbare Spekulationen: Bestimmte Aspekte der geographischen Umwelt wurden – zum Teil recht willkürlich – herausgegriffen, und gewisse Eigenheiten der in jener Region beheimateten Religionen in deterministischer Weise von diesen Umweltbedingungen abgeleitet. In den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts hatten sich manche Vorstellungen des Geodeterminismus im deutschen Sprachraum als anfällig gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie erwiesen. Das mag dazu geführt haben, dass die Schulgeographie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wenig Interesse an einer Umweltabhängigkeitsforschung zeigte, obgleich bereits 1947 durch Paul Fickelers bedeutsamen Beitrag über Grundfragen der Religionsgeographie der krude Geodeterminismus kritisiert und die Wechselseitigkeit der Beziehungen zwischen Religion und Umwelt herausgestrichen worden war. Doch bedauerlicherweise hatte Fickeler selbst die Analyse gerade dieser Wechselseitigkeit nicht konkret ausgeführt, und bis auf wenige Ausnahmen – so etwa David E. Sophers Religionsgeographie aus dem Jahre 1957 – wurde in der Folge die Erforschung der Umweltabhängigkeit nur noch recht sporadisch und zumeist lediglich außerhalb der Geographie gepflegt. Manche Publikationen trugen mit ihrer Reduktion der Religionsgeographie auf Fragen der Umweltprägung dazu bei, dass für längere Zeit die Umweltabhängigkeitsforschung innerhalb der Geographie keine Rolle mehr spielte. Auch außerhalb der Geographie blieb der Aspekt der Umweltabhängigkeit in der religionsgeographischen Forschung recht unterentwickelt. J. F. Sprockhoffs programmatischer und in vielem bahnbrechender Beitrag über „Religiöse Lebensformen und Gestalt der Lebensräume“ aus dem Jahre 1964 konnte daran wenig ändern; denn er hebt zwar die Notwendigkeit hervor, die Wechselbeziehung von Religion und Umwelt in den Blick zu nehmen, konzentriert sich in seinen konkreten Ausführungen jedoch vornehmlich auf den Aspekt der Umweltprägung. Neben dem eben genannten Sopher innerhalb der Geographie hat im Bereich der Religionsforschung insbesondere Ake Hultkrantz mit seinem – allerdings auf ethnische Religionen beschränkten – religionsökologischen Ansatz dem Einfluss der Umwelt auf die Religion besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Seit Mitte der 80er Jahre sind dann von Manfred Büttner enorme Anstrengungen unternommen worden, eine weiter gefasste Konzeption von Religionsgeographie zu entwickeln, die den Beziehungen zwischen Religion und Umwelt gerade in ihrer Wechselseitigkeit besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Ganz bewusst redet Büttner weniger von „Reli-

Anfänge und Entwicklung der Religionsgeographie

Religion-UmweltForschung und Geographie der Geisteshaltung

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Weitere Zugänge

gionsgeographie“ als vielmehr von „Religion-Umwelt-Forschung“ oder, noch umfassender, von einer „Geographie der Geisteshaltung“. Damit hofft er, die beiden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges getrennten Stränge der Religionsgeographie – die Umweltprägungs- und die Umweltabhängigkeitsforschung – wieder zusammenzuführen. Das Hauptproblem dieses Vorhabens ist wohl darin zu sehen, dass der Gegenstandsbereich der „Religion-Umwelt-Forschung“ ins Grenzenlose zu wachsen droht, wie ja auch die Vielfalt, ja Disparität der Beiträge in den von Büttner herausgegebenen Sammelbänden erkennen lässt. Allerdings hat eine solche Neukonzeption auch Vorteile: Sie eröffnet die Möglichkeit, nicht nur über die wissenschaftssystematische Zuordnung der „Religionsgeographie“ nachzudenken, sondern auch ihren Gegenstand, ihre Hauptaufgaben und ihre Methoden von neuem kritisch zu reflektieren.

b) Aufgaben und Methoden religionsgeographischer Forschung

quantitative und qualitative Erhebung religionsgeographischer Gegebenheiten

Wie wir gesehen haben, thematisiert die Religionsgeographie zwei Aspekte der Beziehung zwischen Umwelt und Religion: die Umweltprägung – den Einfluss der Religion auf die Umwelt – und die Umweltabhängigkeit – den Einfluss der Umwelt auf die Religion. Beide Aufgaben sind allerdings lediglich formal voneinander zu differenzieren; entscheidend ist, dass die Beziehung Religion – Umwelt ausdrücklich in ihrer wechselseitigen Beziehung im Blick bleibt. Voraussetzung und somit vordringlichste Aufgabe für die Religionsgeographie ist in einem ersten Schritt allerdings, die Anwesenheit von Religion im Raum zu erheben, also die Frage nach der Verbreitung der Religion – oder, wie es in der Fachsprache heißt, des „Religionskörpers“, in der die abstrakte Größe „Religion“ sich konkretisiert. Dabei geht es nicht nur um eine rein quantitative Erhebung. Vielmehr ist zugleich nach der qualitativen Verbreitung zu fragen, also danach, wie sich der Religionskörper verteilt. Darin angelegt sind weitergehende Fragen wie die nach der Religionszugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Richtung innerhalb des untersuchten Religionskörpers; hier fallen Grundentscheidungen darüber, welche Kategorien anzuwenden sind, ob also beispielsweise eine bestimmte islamische Gruppierung dem Islam zugerechnet oder als Sondergruppe behandelt wird. Diese oftmals in kartographischer Form dokumentierte Erhebung enthält aber nicht nur Informationen über materiell fassbare Phänomene – z. B. Lage und Größe von Wallfahrtsorten, die Verteilung unterschiedlicher Gräberformen, das Vorhandensein bestimmter Siedlungsgestalten usw. –, sondern gibt auch Aufschluss über die Verteilung bestimmter Gruppierungen und Richtungen einer Religion, über ein bestimmtes Verhalten – wie beispielsweise das generative Verhalten, also die Frage der Reproduktion und die Bedeutung des Nachwuchses – und andere Faktoren nichtreligiöser Art wie wirtschaftliches Handeln, Sozialstruktur etc. In die Erhebung selbst fließen dabei allerdings auch schon bestimmte Interpretationen mit ein; so ist beispielsweise die Frage zu entscheiden, ob Kinder dem Religionskörper

Religionsgeographie

bereits zugerechnet werden können, wenn sie nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religion (noch) nicht dazugehören. Außerdem müssen die erhobenen Daten mit der gebotenen Vorsicht analysiert werden. Denn das Vorhandensein einer Vielzahl von Moscheen oder Kirchen in einer bestimmten Region ist nicht unbedingt ein eindeutiger Beleg für die tatsächliche quantitative Präsenz von Islam oder Christentum unter der Bevölkerung des jeweiligen Raumes. Diese Beispiele zeigen, dass die Aufgaben der Religionsgeographie weit in „klassisches“ religionswissenschaftliches Terrain hineinreichen. Erst nach dieser ersten Erhebung kann die Frage angegangen werden, wie die Religion den Raum geprägt hat. Hier konzentriert sich die Religionsgeographie zunächst auf die unmittelbar sichtbare Umweltprägung seitens der Religion: durch Kultbauten, durch die Anlage von religiösadministrativen Gebäuden, durch architektonische oder städteplanerische Entscheidungen … Zudem sind Umweltprägungen sekundärer Art in den Blick zu nehmen, wie etwa die vermehrte Züchtung von bestimmten Tieren zu Opferzwecken – z. B. Schafzucht im islamischen Kontext – oder der Anbau bzw. umgekehrt der Verzicht auf den Anbau bestimmter Früchte oder Pflanzen – z. B. Hopfen oder Trauben zur Bier- oder Weinherstellung; das Bild ist aber auch hier nicht eindeutig, wenn beispielsweise der blühende Weinanbau im islamischen Mittelalter in Betracht gezogen wird. Auf jeden Fall fragt die Religionsgeographie hier zunächst nach gegenständlichen Bereichen der Umweltprägung: Wie haben welche religiösen Gruppen durch ihr Einwirken die Umwelt verändert – etwa bei der israelitischen Besiedlung Palästinas oder durch die Herrnhuter Siedlungsformen? Wie haben Pilgerwesen, „religiöser Tourismus“ oder Migration die Gestaltung der Umwelt beeinflusst – z. B. in Lourdes, im Falle der schon eher „säkularen Pilgerfahrten“ zum bayerischen Kloster Andechs oder durch die Einwanderung nomadisierender Fulani aus der Sahel-Zone in den westafrikanischen Savannengürtel? Wie haben Religionen die Ausbildung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie mitgestaltet – beispielsweise in der islamischen Religionsgeschichte, wo das Zentrum von Medina nach Mekka, Damaskus, Bagdad, Kairo, Istanbul … wanderte, wodurch einstige Kernregionen an die Peripherie gedrängt wurden? Wie haben sich religionsgeschichtliche Überlagerungen ausgewirkt bzw. inwieweit ist die Umwelt davon nicht berührt worden? Das Phänomen der stabilitas loci, also des Weiterbestehens von Kultplätzen oder Heiligtümern nach dem Ende der alten Religion in der neuen wäre ein Beispiel dafür, wie die Religionsgeographie unsere Kenntnis religionsgeschichtlicher Veränderungsprozesse bereichern kann. Doch die Religionsgeographie fragt weit über gegenständliche Bereiche hinaus nach den Beziehungen und Prozessen zwischen Religion und Umwelt selbst. Denn es geht ihr um die Erforschung des komplexen Verhältnisses von Religion und Umwelt im Blick auf die Lebensformen im umfassenden Sinne – zumal sich religiöses und nichtreligiöses Handeln in ihrer Wechselwirkung mit der Umwelt nicht trennscharf unterscheiden lassen. Indem sich die Religionsgeographie auf den Raum als Bezugsgröße und Rahmen dieser komplexen Religion-Umwelt-Beziehung konzentriert,

Umweltprägung durch Religionen

gegenständliche Bereiche der Umweltprägung

Umweltprägung als Ausdruck komplexer Wechselwirkungen von Religion und Umwelt

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Weitere Zugänge

Umweltabhängigkeit

Umweltabhängigkeit in nichtkomplexen Gesellschaften

vermag sie religionsgeschichtliche Wandlungsprozesse, die auf der „religiösen Oberfläche“ noch nicht erkennbar sind, mittels einer Analyse des Raumwandels, der durch religiöse Umweltprägungen bedingt ist, bewusst zu machen. Beispielsweise können in nichtislamischen Städten die Eröffnung von Metzgereien, die halâl-Fleisch – also Fleisch von Tieren, die nach islamischen Vorschriften geschlachtet wurden – anbieten, oder umgekehrt in islamisch geprägten Regionen die Einrichtung von Gaststätten und Läden, die Alkohol ausschenken, ein Indiz für grundlegende Veränderungen traditioneller, religiös geprägter Lebensformen sein, die anderweitig (noch) nicht in den Blick gekommen sind. Wenn nach der Umweltabhängigkeit der Religion gefragt wird – also nach der Wirkung der Umwelt auf die Religion –, so ist unbedingt in Erinnerung zu behalten, dass es sich nur um einen Aspekt innerhalb komplexer Wechselbeziehungen zwischen den beiden Größen Umwelt und Religion handelt. So besteht ein Zusammenhang zwischen den Differenzierungen innerhalb einer Religion (Volksreligion – offizielle Religion; Religion von Unterschichten – Religion von Oberschichten; Sondergruppen – religiöser „mainstream“, konfessionelle Ausprägungen etc.) und Umweltbedingungen (Zentrum – Peripherie, Stadt – Land, Zugänglichkeit – Abgeschlossenheit …). Beispielsweise haben Kopftuch und Schleier im Islam ihren ursprünglichen „Ort“ im Milieu städtischer Oberschichten der islamischen Zentren, und nicht, oder weniger, in der bäuerlich geprägten Kultur ländlicher Regionen. An dieser Stelle gibt es dann eine Reihe von Schnittstellen mit der Religionssoziologie. Im Interesse einer konstruktiven Arbeitsteilung zwischen den Disziplinen ist deshalb bei religionsgeographischen Forschungen im Kontext der Frage nach der Umweltabhängigkeit darauf zu achten, dass „Umwelt“ hier vornehmlich als Bezugsrahmen räumlichgegenständlicher Elemente begriffen wird. Die feststellbare Wirkung der Umwelt auf die Religion ist allerdings nicht als bloßer Reflex zu beschreiben; vereinfachende Verallgemeinerungen nach dem Muster, die Besonderheiten des islamischen Monotheismus aus einer Prägung des Islams durch die Wüste erklären zu wollen, sind strikt zurückzuweisen. Die engste Beziehung zwischen Religion und Umwelt ist sicherlich in den sog. ethnischen Religionen gegeben. In weniger differenzierten, nichtkomplexen Gesellschaften sind Umweltbedingungen grundlegender für den Bestand, aber auch die Gefährdung der Gemeinschaft. Das mag erklären, dass dort oftmals vielen Naturphänomenen heilige Qualitäten oder besondere Verbindungen zur Religion zugeschrieben werden, so z. B. durch die Verehrung von Wasser- oder Baumgeistern, durch eine enge Beziehung zu bestimmten Tieren oder Pflanzen usw. In vielen Religionen ist diese Umweltabhängigkeit so prägend, dass sie über Jahrhunderte, ja Jahrtausende in der religiösen Vorstellungswelt bewahrt geblieben ist – denken wir nur an die altorientalischen Sintfluterzählungen, an die zwei in völlig unterschiedlicher Umwelt beheimateten Schöpfungsgeschichten der Bibel, an Paradiesvorstellungen mit dem Bild des Gartens, an die Bildersprache der Psalmen („Du weidest mich auf grüner Aue …“) usw. Bei alledem ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Grunde nie von einer unmittelbaren Prägung der Religion durch die Umwelt die Rede sein kann

Religionsgeographie

– sie ist stets vermittelt über die Wahrnehmung und Interpretation der Umwelt. Das hat weitreichende Folgen für die religionsgeographische Arbeit. Denn wenn die Umweltabhängigkeit der Religion erforscht werden soll, ist es nötig, zunächst diesen Vermittlungsvorgang der Umweltwahrnehmung, die immer nur selektiv ist, gewissenhaft zu untersuchen. In der Religionsgeographie ist hier von „mental maps“ die Rede, die mit sozialwissenschaftlichen Methoden zu erheben sind. Erst auf dieser Grundlage kann die Wirkung der Umwelt auf die Religion in verantwortbarer Weise analysiert werden. „Objektive“ und unmittelbare Umweltabhängigkeit gibt es nicht. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass sich in abgeschlossenen Gebirgsregionen ein ausgeprägtes Wandermönchtum entwickeln wird, so sollten wir nicht der Versuchung erliegen, in formelhafter Weise simple Umwelt-Religion-Relationen zu postulieren. Selbst in Extremfällen wie diesem Beispiel verbietet sich jeglicher Geodeterminismus. Außerdem stehen Umweltprägungen selbst nochmals in einer Wechselbeziehung mit geschichtlichen Wandlungsprozessen. Das wird deutlich, wenn wir uns beispielsweise ansehen, wie der jüdische Festkalender den agrarischen Zyklus des Kulturlandes mit den aus dem nomadischen Kontext stammenden Überlieferungen vermittelt. Einer der bedeutsamsten Beiträge religionsgeographischer Forschung liegt sicherlich in der Erforschung der Umweltabhängigkeit des religiösen Wandels, d. h. der Frage, wie religiöse Veränderungen durch Umweltfaktoren mitgeprägt werden. Wie eingangs bemerkt, ist noch nicht endgültig entschieden, wo genau die Religionsgeographie wissenschaftssystematisch anzusiedeln ist. Ihre erste Aufgabe – die Erhebung der Verbreitung und Verteilung von Religion – ist fraglos im Kontext traditioneller kulturgeographischer Zugangsweisen zu bewältigen. Bei der Analyse der Umweltprägung sind allerdings in stärkerem Maße religiöse und andere kulturelle Faktoren zu berücksichtigen: Umweltprägung ist ein Ergebnis kollektiver Handlungen, die zum Teil in der Vergangenheit liegen, so dass hier durch religionsgeschichtliche Untersuchungen ein nicht unerheblicher Beitrag zu leisten ist. Geht es um Forschungen im Rahmen der Frage nach der Umweltabhängigkeit, sind die methodischen Zugangsweisen noch mehr auszuweiten: Weder ist die Umwelt der Religion (diachronisch) im Verlauf der historischen Entwicklung „eingeschrieben“ worden, noch bestimmt die Umwelt (synchronisch) das Erscheinungsbild der Religion in unmittelbarer Weise. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Untersuchung der Vermittlungsprozesse durch Wahrnehmung und Interpretation der Umwelt: Wie wird sie gesehen, gedeutet und bewertet? Zur Erforschung dieses Vermittlungsprozesses sind wiederum bestimmte religionsgeschichtliche Faktoren zu berücksichtigen – so etwa, ob die Welt in den jeweiligen religiösen Überlieferungen als Teil einer „guten Schöpfung“ oder als Ausdruck dämonischer Bedrohung betrachtet wird. Doch die Erforschung der Umweltabhängigkeit am historischen Material bleibt schwierig, denn jene Vermittlungsprozesse zwischen Umwelt und Religion lassen sich nur bedingt durch religionsgeschichtliche Quellen erschließen. Hier hilft dann weiter, empirische Methoden aus dem Bereich der Sozialwissenschaften zu Rate zu ziehen. In beiden Fällen kommt jedoch den Forschenden selbst eine nicht unbedeutende Rolle zu, da sie mit

Umweltabhängigkeit vermittelt durch Umweltwahrnehmung

Wissenschaftssystematische Einordnung der Religionsgeographie strittig

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der Formulierung von Thesen und der Konstruktion von Theorien den Rahmen bestimmen müssen, innerhalb dessen sich die Umweltabhängigkeit beschreiben lässt. Das mag dazu beigetragen haben, dass es innerhalb der Geographie eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Umweltabhängigkeitsforschung gab und noch gibt – und dieses wiederum ist ein Indiz dafür, dass das letzte Wort über die wissenschaftssystematische Zuordnung der Religionsgeographie noch nicht gefallen ist.

2. Religionsästhetik „Sinnlich Wahrnehmbares“ als Gegenstand der Religionsästhetik

Analyse von Prozessen der Wahrnehmung von Zeichen

Im Zusammenhang mit unseren Ausführungen zur Religionsgeschichte sind wir darauf gestoßen, dass die Religionswissenschaft auch mit averbalen Quellen zu tun hat: mit Musik, Kunst, der gesamten materielle Kultur, ja sogar mit Gerüchen. Von daher liegt die Frage nahe, ob die Beschäftigung mit dieser Art von Quellen nicht als eigenständiger Bereich aus der Religionsgeschichte ausgegliedert werden sollte. Oben wurde ja auch schon die Religionsikonographie als eine Unterdisziplin der Religionsgeschichte erwähnt, die sich den künstlerischen, visuellen Aspekten von Religion widmet. Es liegt also durchaus nahe, einen weiteren religionswissenschaftlichen Bereich auszudifferenzieren, „um das, was an Religionen sinnlich wahrnehmbar ist, wie Religion den Körper und die verschiedenen Sinnesorgane des Menschen aktiviert, leitet und restringiert, möglichst einheitlich zu beschreiben und theoretisch zu durchdringen“, wobei religiöses Handeln als „symbolisches Handeln in einem durch Zeichen (über-)determinierten Felde“ verstanden wird (5: Bd. I:121 f.). Ein diesbezüglicher Versuch von H. Cancik und H. Mohr entfaltet drei Arbeitsfelder einer solchen Religionsästhetik: die Beschäftigung mit den Prozessen der Wahrnehmung von Zeichen, die Beschreibung der inneren Emotionen und ihres Ausdrucks in der Produktion von Zeichen und die Untersuchung von Zeichen in Gestalt von averbalen Äußerungen, also Gegenständen und Handlungen, im Rahmen der religiösen Kommunikation. Bereits in den Prozessen der Wahrnehmung werden nicht einfach Zeichen als äußere Daten lediglich registriert. Vielmehr sind die menschlichen Sinne aktiv und eigentätig – selektierend, kombinierend, interpretierend, verstärkend etc. – an der Aufnahme von Reizen und der darauf basierenden „Konstruktion“ von Zeichen beteiligt. Die Religionsästhetik fragt in diesem Zusammenhang danach, welche Sinne auf welche Weise welche Reize wahrnehmend verarbeiten. Die Welt der Religionen stellt ja eine Vielzahl von Reizen bereit und hat auch verschiedene Techniken oder „Traditionen“ des Reizentzugs (z. B. meditative Praktiken und asketische Übungen), der Reizüberflutung (z. B. bestimmte Festformen) oder der Konzentration auf ausgewählte Reize (z. B. Einsatz von Weihrauch in der Messe) ausgebildet. Auf diese Weise wird von den Religionen auf die Entwicklung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsweisen ein nicht unerheblicher Einfluss ausgeübt, der die menschlichen Sinne geformt und geprägt hat. Diese Prägung ist so stark, dass quasi „natürlich“ gegebene, da neurophysiologisch begründete und somit kultur-

Religionsästhetik

übergreifende Systeme der Farbwahrnehmung in verschiedenen religiösen Traditionen mit völlig unterschiedlichen Inhalten verknüpft werden: Weit verbreitet ist die Nutzung der Farben weiß oder schwarz – beides sind Nichtfarben – als Ausdruck der Trauer, doch in der Religionswelt können in diesem Zusammenhang durchaus auch andere Farben von Bedeutung sein – so etwa die „Leichenfarbe“ gelb. Religionen sehen unterschiedlich aus, sie riechen und schmecken unterschiedlich, sie fühlen und hören sich unterschiedlich an. Nicht nur Augen, Ohren und Nase, sondern der gesamte menschliche Körper ist „Wahrnehmungsorgan“ für die verschiedenen Reize. Er ist aber zugleich mehr, nämlich Ort der Produktion von Zeichen, Subjekt nichtverbaler Mitteilungen. Gerade in den Religionen kommt diese „nichtsprachliche Sprache“ des Körpers in besonders herausragender Weise zum Einsatz. Wohl bekanntestes Beispiel ist hierfür der Wechsel von Stehen, Sitzen und Knien oder gar Niederwerfen im Gebet. Religiöser Tanz, differenziertes Körperverhalten in komplexen Zeremonien oder rituelle Gestik und Mimik wären weitere Beispiele. In manchen Religionen sind Körperstellungen (z. B. Lotus-Sitz, Yoga-Übungen) oder Hand- und Fingergebärden (die berühmten mudras in Hinduismus und Buddhismus) von komplexer symbolischer Bedeutung. Vom Körper abtrennbare Teile (Haare, Fingernägel etc.) oder Ausscheidungen (Speichel, Sperma etc.) haben hohen, allerdings in den verschiedenen religiösen Traditionen durchaus unterschiedlichen Symbolwert. Körperliche Ausdrucksformen im Zusammenhang mit Besessenheitsphänomenen bringen wohl in besonders intensiver Form die inneren Emotionen zum Ausdruck, die beim Einsatz des Körpers im Produktions- und Mediationsprozess religiöser Mitteilungen erkennbar sind. Zeichen sind nach diesem Verständnis nicht einfach objektiv gegeben, sondern in einem Wechselprozess von Wahrnehmung und Produktion konstruiert. Zu den Aufgaben der Religionsästhetik gehört es, die unerschöpfliche Fülle der Zeichenwelt zu ordnen, zu systematisieren. Denkbar ist dabei eine Systematik, die sich an den Sinnen, an der Entstehung der Zeichen oder an der Funktion der Zeichen orientiert. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Zeichen nach ihrer Verwendung zu ordnen und entsprechend zu unterscheiden und Klarheit in die terminologische Differenzierung der Zeichenwelt zu bringen. Beispielsweise geben Signale in der Regel lediglich Anweisungen, Zeichnungen bilden wirklichkeitsbezogen oder schematisch Gegenständliches ab, Symbole verweisen auf etwas jenseits ihrer selbst – ein Wertesystem oder Glaubensinhalte, etc. Grundsätzlich richtet sich das Interesse der Religionsästhetik aber über diese Aufgaben der Systematisierung hinaus vornehmlich auf die Frage, wie die Religionen diese Zeichen geformt oder auf sie eingewirkt haben. Der Vorteil der Religionsästhetik gegenüber einer traditionellen religionsgeschichtlichen Beschäftigung mit averbalen Quellen ist darin zu sehen, dass hier ein komplexer, aber gleichwohl ineinander verschränkter Gegenstandsbereich der Religionswissenschaft in neuer Perspektive zusammen wahrgenommen und mit neuen methodischen und theoretischen Ansätzen untersucht werden kann. Damit ist implizit die Erwartung verknüpft, dass

Untersuchung von Vorgängen der Produktion von Zeichen

Interpretation von Zeichen im Kontext religiöser Kommunikation

Interdisziplinarität und Methodenpluralismus

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mit dieser neuen Perspektive auch neue Erkenntnisse zu erlangen sind. Die Religionsästhetik bewegt sich hierbei, was Theorie und Methodik anbelangt, im Schnittbereich einer Vielzahl von Disziplinen, die sich mit Fragen der Prägung von Wahrnehmung und Zeichen beschäftigen – von der Kunstgeschichte über die Philosophie bis hin zur Psychologie und Physiologie. Da „Zeichen“ im Mittelpunkt des Interesses der Religionsästhetik stehen, ist der Beitrag sozial- und kulturanthropologischer bzw. ethnologischer Ansätze zur Religionsästhetik besonders wichtig. Unter anderem ist in diesem Zusammenhang zu verweisen auf Clifford Geertz’ symbolisches Kulturverständnis, auf Victor Turners symbolische Anthropologie oder auf Pierre Bourdieus „genetischen Strukturalismus“, mit dem er die symbolischen Formen der Gesellschaft als ein System sinnlicher Tätigkeiten analysiert. Auf jeden Fall wäre die Religionsästhetik, sollte sie als eigenständige religionswissenschaftliche Disziplin begründet werden, durch einen extremen Pluralismus der Methodik und der theoretischen Grundlegung gekennzeichnet. Unbestritten bleibt jedenfalls, dass die kulturwissenschaftliche Erforschung der „sinnlichen“ Aspekte von Religion in aller ihrer Vielfalt ein ernst zu nehmendes Potential religionswissenschaftlicher Forschung darstellt, das in seiner Relevanz über den traditionellen religionswissenschaftlichen Bereich im engen Sinne weit hinausreicht.

3. Religionsökonomik Verhältnis zur Max-Weber-These

Gegenstand der Religionsökonomik

Die Wechselbeziehung von Wirtschaft und Religion gehört traditionellerweise in das Gebiet der Religionssoziologie. Hier hat insbesondere Max Webers berühmte Studie über die Bedeutung der protestantischen Ethik für die Entstehung kapitalistischer Wirtschaftsgesinnung die Forschung so nachhaltig beherrscht, dass viele Untersuchungen im Anschluss an diese These sich vornehmlich darauf konzentrierten, analoge Zusammenhänge in anderen Religionen zu finden. Dadurch wurde jedoch eine Reihe von Fragen ausgeblendet, die den Fortgang der Untersuchung über die Wechselbeziehung von Religion und Ökonomie hätten beschleunigen können, so etwa die Frage, ob ökonomisch scheinbar „sinnloses“ Handeln in Form von Opfern nicht doch einer sinnvollen Wirtschaftslogik folgt; die Frage, inwieweit religiöse Glaubensinhalte oder Handlungen auch ökonomisch bedingt sind; die Frage, inwieweit religiöse Güter als Wirtschaftsgüter betrachtet werden können; die Frage nach der ökonomischen Logik religiöser Institutionen usw. Erst seit zwei, drei Jahrzehnten haben die Bemühungen zugenommen, aus dem Schatten Webers herauszutreten und den Zusammenhang von Wirtschaft und Religion neu zu thematisieren. Damit scheinen sich ganz zart die Konturen einer neuen religionswissenschaftlichen Unterdisziplin abzuzeichnen: der Religionsökonomik. Wenngleich die Grenzen dieser Disziplin noch nicht gezogen sind, lässt sich doch jetzt schon relativ sicher benennen, wovon sie sich unterscheidet. Nicht in ihren Aufgabenbereich fällt die normative Beurteilung ökonomischen Handelns aus religiöser Sicht – das wäre die Aufgabe beispielsweise einer islamischen, christlichen

Religionsökonomik

oder buddhistischen Wirtschaftsethik. Nicht zu ihren Aufgaben gehört auch eine angewandte Forschung mit dem Ziel der Optimierung ökonomischer Abläufe religiöser Institutionen – dies wiederum müsste von ConsultingAgenturen innerhalb der jeweiligen Religionen erarbeitet werden, falls Bedarf an solchen Dienstleistungen bestehen sollte. Die Religionsökonomik fragt demgegenüber einerseits danach, inwieweit religiöses Handeln von wirtschaftlichen Bedingungen bestimmt und folglich in ökonomischen Kategorien zu erfassen ist, andererseits beschäftigt sie sich mit der Frage, was die wirtschaftlichen Folgen religiösen Handelns sind. Mit der letztgenannten Thematik greift sie im Grunde wieder eine Problemstellung auf, mit der bereits die Weber’sche Protestantismus-Kapitalismus-These befasst war, ohne jedoch die Position Max Webers zu übernehmen. Mit ihrem Ansatz, religiöses Handeln ebenso wie wirtschaftliches als rationales Handeln zu bestimmen, knüpft die Religionsökonomik ausdrücklich an der Nationalökonomie Adam Smith’s (1723–1790) an, der bereits vor zwei Jahrhunderten die These vertrat, dass Geistliche und christliche Kirchen – also Institutionen und ihre religiösen Experten – ebenso von den Marktkräften bestimmt sind wie alle anderen Produzenten und wirtschaftlichen Unternehmen. Unter dieser Voraussetzung macht sich die Religionsökonomik an die Aufgabe, Antworten auf Fragen zu finden, die herkömmlicherweise in den Aufgabenbereich der Religionssoziologie fallen: Was sind bestimmende Faktoren religiösen Verhaltens? Was bedingt die Entstehung religiöser Institutionen? Wie wirkt sich Religion auf Gesellschaft und Wirtschaft aus? … Dabei ist allerdings auffällig, dass die Religionsökonomik in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Aufschwung erlebt hat, während sie in Deutschland noch in den Anfängen zu stecken scheint. Das Themenheft des achten Jahrgangs der „Zeitschrift für Religionswissenschaft“ (1/2000), insbesondere der Beitrag von Dieter Schmidtchen, gibt den augenblicklichen Diskussionsstand recht prononciert wieder. Entsprechend der Grundannahme, religiöses als rationales Verhalten zu qualifizieren, dient die „Theorie der rationalen Entscheidung“ dazu, über die ökonomischen Determinanten religiösen Handelns Aufschluss zu erhalten. Dabei werden religiöse Güter wie andere Wirtschaftsgüter behandelt, die etwas kosten – und sei es Zeit. Ein darauf basierendes religionsökonomisches Haushaltsmodell geht von einer Austauschbeziehung zwischen religiösem und weltlichem Konsum aus, bei dem die Gläubigen in rationaler Weise Kosten und Nutzen abwägen. Auf dieser Grundlage kann eine ganze Reihe von Faktoren identifiziert werden, die das religiöse Verhalten beeinflussen. So lässt sich beispielsweise ein Zusammenhang zwischen dem Fehlen weltlicher Konsumangebote und einer erhöhten Teilnahme am kirchlichen Leben feststellen. Ein „ökonomisches“ Problem des religiösen Güterangebots liegt darin, dass die Gläubigen für ein Gut Zeit und Geld investieren, das erst nach dem Tode konsumiert werden kann. Zweifel daran, ob dies eintreffen wird, können erhebliche Schwankungen bei der Investitionsbereitschaft auslösen. Zugleich wird einsichtig, weshalb religiöse Anbieter, die schon in diesem Leben den Konsum spiritueller Gewissheit in ihrer Produktpalette bereitstellen, wachsenden Zulauf verzeich-

Ökonomische Determinanten religiösen Handelns

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Weitere Zugänge

Ökonomische Konsequenzen religiösen Handelns

nen. Wie die Religionsökonomik auf der Grundlage der Versicherungstheorie feststellt, können Gläubige trotz des Unsicherheitsfaktors, ob sie die Leistungen, für die sie Zeit und Geld investiert haben, auch tatsächlich in Anspruch nehmen können, durchaus eine positive Bilanz ziehen. „Der Fall ist völlig analog zum Erwartungsnutzen aus einer Feuerversicherung, der ebenfalls unabhängig davon ist, ob ein Haus abbrennt oder nicht“ (188: 23). Doch grundsätzlich ist der „Ertrag“ des Glaubens dem Gläubigen in einer Hinsicht ohnehin sicher, „denn auch in dem Fall, in dem er irrtümlich glaubt, wird er dies niemals erfahren, aber die sinnstiftende Kraft des Glaubens auf jeden Fall genossen haben“ (ebd.: 23). Die Religionsökonomie kann auch zum besseren Verständnis religiöser Institutionen wichtige Beiträge liefern. Beispielsweise geben clubtheoretische Modelle darüber Aufschluss, weshalb die von hohen Kosten gekennzeichnete Mitgliedschaft in sog. Sekten durchaus rationales Verhalten darstellen kann, und firmentheoretische Ansätze eröffnen neue Einblicke in die Funktionsweise der Großorganisation Kirche, indem sie etwa die katholische Kirche als „multinationales Franchiseunternehmen“ (ebd.: 28) auffassen. Hinsichtlich der Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen religiösen Verhaltens ist die Religionsökonomik in den letzten Jahren und Jahrzehnten mehr und mehr von der Max-Weber-These abgerückt. Zwar wird damit nicht behauptet, alle Religionen förderten in gleicher Weise kapitalistische Produktionsweisen. Aber es wird zunehmend davon ausgegangen, dass auf makrosozialer Ebene ein nur lockerer Zusammenhang zwischen Religion und Ökonomie besteht. Dieser ist auf der individuellen Ebene deutlicher erkennbar, aber eben nicht so eindeutig, dass sich allgemein gültige Korrelationen festschreiben ließen. Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Folgen religiösen Handelns für religiöse Institutionen setzt die religionsökonomische Analyse bei der Beobachtung an, dass religiöse Institutionen u. a. dem Zweck dienen, Transaktionskosten zu senken, d. h. die Bereitstellung religiöser Güter und Dienstleistungen für die Mitglieder zu verbilligen. Je nach den Rahmenbedingungen handeln religiöse Institutionen auf religiösen Märkten, deren Struktur „staatsmonopolkapitalistisch“ organisiert (wie bis vor kurzem die lutherische Kirche in Schweden), durch ein „marktbeherrschendes Duopol“ (ebd.: 41) gekennzeichnet (katholische und protestantische Kirchen in Deutschland) oder weitgehend dereguliert ist (wie in den Vereinigten Staaten). Unabhängig davon stehen alle Religionen jedoch in der Spannung, dass sie einerseits die Transaktion religiöser Güter anbieten, die allen offen stehen, andererseits jedoch für diese Transaktionen Zuwendungen verlangen, um selbst weiter bestehen zu können. Allerdings verdanken die religiösen Institutionen ihre Existenz nach religionsökonomischer Sichtweise der Tatsache, dass der religiöse Mensch aus rationalen Beweggründen handelt und deshalb an Transaktionssicherheit und an der Senkung von Transaktionskosten interessiert ist – was wiederum nur durch religiöse Institutionen gewährleistet werden kann. Ob sich die Religionsökonomik als eigenständige religionswissenschaftliche Disziplin etablieren wird, muss augenblicklich noch dahingestellt bleiben. Selbst wenn sie sich künftig nur als Teildisziplin der Religions-

Zukunftsperspektiven

soziologie behaupten kann, hat sie in den letzten Jahren unsere Kenntnisse über die Wechselwirkung von Wirtschaft und Religion doch maßgeblich bereichert. Eine Begrenzung ist momentan vornehmlich darin zu sehen, dass sie sich in ihren Untersuchungen vornehmlich auf das Christentum und die abendländischen Gesellschaften bezieht. Am Rande gibt es zwar auch einige Studien mit religionsökonomischen Implikationen zu einigen Aspekten in indischen Religionen oder im Islam, aber die Bewährungsprobe jenseits des abendländischen Kontextes steht für die Religionsökonomie noch aus.

4. Zukunftsperspektiven Mit Religionsgeographie, Religionsästhetik und Religionsökonomie haben wir drei Forschungsgebiete vor uns, deren künftige Stellung innerhalb der Religionswissenschaft bei weitem noch nicht geklärt ist. Im Falle der Religionsökonomie scheint sich ein gewisser Trend abzuzeichnen: Sie ist dabei, sich als autonome Subdisziplin innerhalb der Religionssoziologie zu positionieren. Über eine weitergehende Selbstständigkeit, gar ihren Aufstieg in den Rang einer eigenständigen religionswissenschaftlichen Disziplin, wird ihre künftige Arbeit entscheiden, insbesondere die Frage, inwieweit sie fähig ist, über die Annahme des Rationalverhaltens der Gläubigen hinaus, die Erforschung der Wechselbeziehungen von Religion und Ökonomie theoretisch und methodisch weiter auszubauen. Die Religionsästhetik ist im Blick auf ihre theoretischen und methodischen Grundlagen zu unspezifisch konfiguriert, als dass sie als eigenständige Disziplin im eigentlichen Sinne betrachtet werden könnte. Die interdisziplinäre Anlage der Religionswissenschaft potenziert sich in ihr nochmals um ein Vielfaches, und der Gegenstandsbereich religionsästhetischer Untersuchungen umfasst ein weites Feld, so dass es schwierig sein dürfte, der Religionsästhetik die für eine eigenständige Disziplin notwendigen klaren Konturen zu geben. Besonders strittig ist die Bestimmung des wissenschaftssystematischen Status jedoch im Falle der Religionsgeographie. Während es eine gewisse Tendenz gibt, sie der Geographie zuzurechnen, spricht doch auch vieles dafür, ihr in Gestalt der komplexen Religion-Umwelt-Forschung das Format einer eigenständigen religionswissenschaftlichen Disziplin zuzugestehen. Damit wäre in gewisser Weise auch die Kant’sche Zuordnung zwischen Zeit-Wissenschaft (Geschichte) und Raum-Wissenschaft (Geographie) – und in entsprechender Weise eine Differenzierung der Religionswissenschaft in Religionsgeschichte und Religionsgeographie – aufgenommen. Das hieße jedoch, dass die Religionsgeographie nicht nur eine fast unendliche Stoffmenge aufzuarbeiten hätte, sondern sich darüber hinaus im Gegenüber zur Religionsgeschichte der Frage stellen müsste, welche Methoden sie aufzubieten hat, die auch auf vergangene Zeiten anwendbar sind. Die wissenschaftssystematische Stellung der Religionsgeographie/ Religion-Umwelt-Forschung ist somit noch weitgehend ungeklärt.

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IX. Religionsphilosophie – Religionsbegründung – Religionskritik

der „klassische“ Begriff der Religionsphilosophie

Religionsphilosophie als Allgemeinbegriff

Zu einem der – vielen – strittigen Probleme in der Religionswissenschaft gehört die Frage, wie Religionswissenschaft und Religionsphilosophie einander zuzuordnen sind. Die Schwierigkeit, hier eine genaue Festlegung zu finden, hat auch damit zu tun, dass eine solche Bestimmung das Einvernehmen darüber voraussetzt, was unter Religion und Religionswissenschaft, was unter Philosophie und Religionsphilosophie genau verstanden wird. Ihrem Begriff nach ist die Religionsphilosophie im engeren Sinne zur Zeit der Aufklärung aufgekommen. Als „klassische“ Religionsphilosophie wurde sie von Kant mit seiner Arbeit über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft aus dem Jahre 1793 in den philosophischen Fächerkanon eingeführt und hat sich in der Folge in verschiedene Richtungen entwickelt, was sowohl durch viele Spezialstudien als auch durch umfangreiche Übersichtswerke bezeugt ist. Diese klassische Religionsphilosophie wurzelt selbst in religiösen – oder besser: theologischen – Traditionen: Hatte die „natürliche Theologie“ (theologia naturalis) die Möglichkeit der Gotteserkenntnis außerhalb der Offenbarung angenommen, so wurde dieser Ansatz in der theologia rationalis weiter entfaltet. Daraus entwickelte sich die Annahme, der Mensch könne alleine mit Hilfe der Vernunft – der „absoluten“ Vernunft, da losgelöst von allen Voraussetzungen einer Offenbarung und jenseits der historischen Ausformungen konkreter Religionen – Gott erkennen. Von hier aus entfalteten sich verschiedene Positionen einer Religionsphilosophie, die entweder die Religion zu begründen oder zu kritisieren versuchten. Kant wies in diesem Zusammenhang der Religionsphilosophie die Aufgabe zu, mit einer auf Vernunft gegründeten Religion die Grundlage der Moral zu schaffen, auf der die gesamte Gesellschaft beruht. Je mehr jedoch die destruktiven Folgen der Vernunft sichtbar geworden sind, desto fragwürdiger wurde die Absolutsetzung der Vernunft, wie sie die Aufklärung vorgenommen hat. In einem allgemeineren Sinne kann Religionsphilosophie allerdings jegliche Form der philosophischen Auseinandersetzung mit Religion(en) bezeichnen. Ein solcher genereller Begriff von Religionsphilosophie ist jedoch wenig hilfreich, da er mehr oder weniger jede Form des reflexiven Umgangs mit Religion umfassen würde. Auch lässt sich die Religionsphilosophie durch diese allgemeine Bestimmung nur schwer von benachbarten Disziplinen abheben: Wenn sie im Rückgriff auf die Prinzipien von Vernunft, Wissenschaftlichkeit und Aufklärung, im Rekurs auf empirische Methoden, die Religion zum Gegenstand ihrer Analyse macht, verschwimmen die Grenzen zur Religionswissenschaft; falls die Reflexion auf Religion allerdings in Rückbindung an Glaube und Kirche geschieht, ist sie mehr oder weniger identisch mit Theologie und insofern lediglich ein Teilbereich

Religionsphilosophie, -begründung und -kritik

Systematischer Theologie; und in Gestalt einer eigenständigen, auf nichtempirischen Grundlagen basierenden Religionsphilosophie tritt sie mit der Theologie in Widerspruch und wird ihrerseits zu einer Quasi-Religion – auch und gerade bei dem Versuch, Religion und Theologie begründen zu wollen, denn: „Das Absolute in etwas anderem gründen zu wollen, heißt schon es als Absolutes aufzuheben“ (Paul Natrop, zit. n. 12: 17). Jene allgemeine Bestimmung von Religionsphilosophie als reflexivem Umgang mit Religion hat also eine große Reichweite, die von der Religionsbegründung bis zur Religionskritik reicht und auch noch die Religionswissenschaft selbst umfassen kann, wobei die jeweils möglichen Positionen mit unterschiedlichen erkenntnistheoretischen oder hermeneutischen Perspektiven verknüpft sind. Versuche, diesen Pluralismus zu überwinden und einen Begriff von Religionsphilosophie zu etablieren, der die Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze zusammenbringt, führen im Grunde wieder zu einer abstrakten Allgemeinheit zurück und gehen mit einem recht vagen Begriff der Religionsphilosophie einher. Diesbezügliche Bemühungen sind allerdings zugleich darauf ausgerichtet, das Problem der unausweichlichen Nähe und nicht immer eindeutigen Abgrenzung zwischen Religionsphilosophie, Systematischer Theologie, Religionswissenschaft, Fundamentaltheologie … als Chance zu begreifen: Religionsphilosophie soll das Phänomen „Religion“ in dem Sinne reflektieren, dass sie den Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen prüft, d. h. der Religion unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Wahrheitsfrage kritisch gegenübertritt, ohne a priori, von vornherein, ihre Notwendigkeit oder Wahrheit beweisen zu wollen. In gewisser Weise sind damit die Anliegen der „klassischen“ Religionsphilosophie aufgenommen, allerdings mit entscheidenden Modifikationen. So wird der Vernunftbegriff der Aufklärung, der für die klassische Religionsphilosophie konstitutiv war, nicht übernommen – er hat sich durch die zerstörerischen Folgen seiner Anwendung ebenso diskreditiert wie zuvor die Religion, die der Barbarei wiederholt dienstbar geworden war. Weit verbreitet ist eine Verhältnisbestimmung von Religionswissenschaft und Religionsphilosophie, nach der sich die Religionswissenschaft von der Religionsphilosophie dadurch unterscheidet, „dass sie die Fragen nach der Wahrheit, Bewertung oder Geltung des religiösen Phänomens methodologisch ausklammert“ (169: 2). Eine solche Zuordnung ist allerdings selbst innerhalb der Religionswissenschaft nicht unumstritten. Daneben bietet sich allerdings noch eine weitere Verhältnisbestimmung von Religion, Religionsphilosophie und Religionswissenschaft an: Zum einen kann Philosophie – Religionsphilosophie – wie Religion selbst Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung sein, zum anderen kann Philosophie – Religionsphilosophie – allerdings auch als eine Art Fundamentaldisziplin auftreten, als „Metatheorie“ auf der Ebene wissenschaftlicher Konstruktion und Reflexion. Der erste Fall ist relativ einfach zu bestimmen: Gleich, ob Philosophie selbst religiöse Funktionen übernimmt, theologische Reflexionsarbeit leistet oder religiöse Geltungsansprüche philosophisch rechtfertigt – sie tritt in jedem dieser Fälle als Gegenstand religionswissenschaftlichen For-

Religionsphilosophie als kritische Reflexion

Religionsphilosophie als Gegenstand der Religionswissenschaft

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Religionsphilosophie, -begründung und -kritik

Religionsphilosophie als religionswissenschaftliche Metatheorie

der Beitrag der analytischen Philosophie

Religionswissenschaft und Religionskritik

schungsinteresses in Erscheinung. Dies gilt auch für solche Entwürfe, die um eine philosophische Begründung von Religion und Theologie bemüht sind. Religionsphilosophie als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung ist traditionellerweise vornehmlich christliche und jüdische Religionsphilosophie. In den letzten Jahren sind jedoch zunehmend auch buddhistische, islamische, hinduistische u. a. religionsphilosophische Entwürfe in das Blickfeld religionswissenschaftlichen Interesses getreten. Im zweiten Falle liegt die Sache etwas anders. Religionsphilosophie als Fundamentaldisziplin bzw. als Metatheorie ist eine Form der Reflexion, die noch vor Religionskritik und Religionsbegründung zum Tragen kommt. In dieser Funktion ist sie um nichtnormative Reflexion bemüht und enthält sich aller Versuche, einen bestimmten religiösen Standpunkt zu begründen oder zu verteidigen. Ihre Aufgabe besteht vornehmlich darin, die Frage zu erörtern, was Religiöses von Nichtreligiösem unterscheidet – also zur Klärung des Religionsbegriffs beizutragen. Darüber hinaus versucht sie, verschiedene Positionen normativer Art gegenüber der Religion zu beschreiben und systematisch zu analysieren – worunter Religionsbegründung und Religionskritik ebenso fallen wie philosophisch-weltanschauliche Orientierungssysteme quasireligiöser Art. Diesbezügliche Ansätze nehmen von der analytischen (Religions-)Philosophie ihren Ausgang. Bemerkenswerterweise gehört die analytische Philosophie zu denjenigen philosophischen Richtungen, die von jeher besonders religionskritische Traditionen inspiriert und befördert haben. In diesem Zusammenhang ist der analytischen Philosophie – vielleicht zu Recht – vorgeworfen worden, Religion stets auf Nichtreligiöses zu reduzieren – auf Ethisches (Religion als Bindung des Menschen an moralische Prinzipien) oder Pragmatisches (Religion als Mittel zur Erhöhung der Lebensqualität). Doch entscheidend und wissenschaftsgeschichtlich von bedeutsamerer Tragweite war die Wende von der Frage nach dem „Wesen“ der Religion zur Reflexion über die Bedeutung religiöser Sprache und Begrifflichkeit. Hier, im Bemühen um die Analyse religiöser Konzepte und Termini auf der Grundlage methodologischer Standards (nachvollziehbare Argumentationsführung, Logik, klare Terminologie etc.) eröffnen sich dann weitgehende Perspektiven der Zusammenarbeit von Religionsphilosophie und Religionswissenschaft. Dabei werden die Unterschiede zwischen beiden nicht verwischt, denn die Religionsphilosophie übernimmt „systematische und konstruktive Aufgaben“, während die Religionswissenschaft darauf zielt, „falsifizierbare oder verifizierbare Hypothesen aufzustellen, die mit Bezug auf die empirische, d. h. historische und/oder soziale Wirklichkeit überprüft werden können“ (233: 165). Religionskritik und Religionsbegründung gehören gleichermaßen zum Gegenstandsbereich der Religionsphilosophie und der Religionswissenschaft. Was die Religionswissenschaft anbelangt, so war ihr Verhältnis zu Religionskritik und Religionsbegründung lange Zeit von einer Sichtweise bestimmt, die zwischen einer Apologie der Religion und einem Verdikt der Religionskritik oszillierte. Beispielsweise stellte G. Lanczkowski apodiktisch fest, „dass eine Religionsphilosophie, die die Religion den Grenzen der ‘reinen Vernunft’ einordnet, nicht Teildisziplin einer Religionswissen-

Religionsphilosophie, -begründung und -kritik

schaft sein kann, die die Religion als unableitbare Größe sui generis behandelt“ (12: 71). Umgekehrt hat seiner Meinung nach die Religionswissenschaft mit einer radikalen Religionskritik, „die Religion als Religion von vornherein bestreitet und immanenten Bedingungen philosophischer, psychologischer oder soziologischer Provenienz unterstellen will …, überhaupt nichts zu tun“; gegenüber einer schleichenden Religionskritik in Gestalt „einer Art von Kritik und Herabsetzung religiöser Fakten“ muss sich die Religionswissenschaft seiner Meinung nach „sehr wohl wenden“ (ebd.: 73). Eine solche Position ist heute nur noch schwerlich aufrechtzuerhalten. Zum einen haben selbst normative religionsphilosophische oder theologische Positionen ausgeprägte Formen von Religionskritik entwickelt. Zum anderen jedoch ist jede ernsthafte religionswissenschaftliche Beschäftigung mit religiösen Begriffen, die mehr sein will als bloße Spekulation oder Phantasterei, notwendigerweise „kritisch“. Es steht außer Frage, dass diese Kritik sich „nicht ‘irgendwie’ als Zusatz zur wissenschaftlichen Bearbeitung eines Gegenstandes oder Themas … herstellt, sondern dass ihre Zielsetzung engstens mit der Konstruktion wissenschaftlicher Beobachtung und das heißt auch mit dem Selbstverständnis von Wissenschaft verbunden ist“ (179: 21). Mit der angedeuteten Neubestimmung des Verhältnisses von Religionsphilosophie und Religionswissenschaft im Gefolge analytischer (Religions-) Philosophie, wobei die Religionsphilosophie als metatheoretische Fundamentaldisziplin fungiert, ist das Thema der Zuordnung beider Disziplinen noch lange nicht abgeschlossen. Denn inzwischen sind beispielsweise Fragen wie die der „Verwandtschaft zwischen Quantentheorie und der Ontologie des Mâdhyamika-Buddhismus … zum Gegenstand der Debatte geworden“ (233: 167). Damit wird deutlich, dass auch die hier vorgeschlagene Bestimmung der Religionsphilosophie – entweder als Gegenstand oder als Metatheorie der Religionswissenschaft – der Komplexität der unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben von Religion, Religionswissenschaft und Religionsphilosophie sowie ihrer vielfältigen Wechselbeziehungen nicht ganz gerecht werden kann.

komplexe Beziehung zwischen Religion, Religionswissenschaft und Religionsphilosophie

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X. Religionswissenschaft und Theologie

Harnacks Verdikt

Die Frage nach dem Verhältnis von Religionswissenschaft und Theologie ist ein besonders strittiges und sensibles Thema. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass sich die Religionswissenschaft – wie so viele andere Wissenschaften – im Laufe der wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung von der Theologie emanzipiert hat, sondern dass beide, Theologie wie Religionswissenschaft, auf denselben Gebieten arbeiten und sich mit ähnlichen, zum Teil gleichen Fragestellungen beschäftigen. „Wer eine Religion kennt, kennt keine“ (59: 14) – Diese bereits oben zitierte Aussage von Friedrich Max Müller begleitet die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts beginnende Verselbstständigung der Religionswissenschaft gegenüber der Theologie und stellt implizit auch das bis dahin weitgehend unbestrittene Monopol der Theologie und ihren Anspruch in Frage, in Sachen „Religion“ allein zuständig zu sein und kompetente Antworten zu geben. Nicht ohne Grund hat A. von Harnack in seiner Rektoratsrede über Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte im Jahre 1901 seinerseits programmatisch festgestellt: „Wer diese Religion (d. h. das Christentum; K.H.) nicht kennt, kennt keine, und wer sie samt ihrer Geschichte kennt, kennt sie alle“ (199: 168). Damit wurden Entwicklungen eingeleitet, die nicht nur das Verhältnis von Religionswissenschaft und Theologie auf lange Zeit hin negativ beeinflussten, sondern auch maßgebliche Konsequenzen für die Wissenschaftsorganisation hatten, und zwar vornehmlich in zwei Richtungen: Zum einen – und das war eines der Hauptanliegen Harnacks – konnte verhindert werden, dass die theologischen Fakultäten in religionswissenschaftliche umgestaltet wurden; Harnack sprach nämlich der Religionswissenschaft nicht nur die Eigenständigkeit, sondern letztlich jegliche Existenzberechtigung ab. Zum anderen aber wandte sich Harnack auch vehement dagegen, religionsgeschichtlichen Studien innerhalb der theologischen Arbeit einen gesonderten Ort zuzuweisen; dies hatte zur Folge, dass die Religionswissenschaft nach und nach aus den theologischen Fakultäten „auswanderte“ – in die philosophischen Fakultäten und später dann in kultur- und gesellschaftswissenschaftlich ausgerichtete Fachbereiche. Selbstverständlich blieb Harnacks radikale Position nicht unwidersprochen: Jean Réville, französischer Kirchenhistoriker und Vertreter der sog. Religionsgeschichtlichen Schule, wandte sich noch im selben Jahr vehement gegen den religionsgeschichtlichen Kahlschlag, indem er darauf verwies, dass sowohl die Kirchengeschichte als auch die gegenwärtige Ausbreitung des Christentums sich stets in der Begegnung und Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen vollzogen hätten und deshalb eine besondere Berücksichtigung religionsgeschichtlicher Studien für die theologische Arbeit nicht nur wünschenswert, sondern grundlegend

Religionswissenschaft und Theologie

sei. Selbst an Harnacks Fakultät in Berlin wandte sich der Neutestamentler Adolf Deißmann vehement gegen die Ausgrenzung der Religionswissenschaft: Die Religionsgeschichte habe innerhalb des Theologiestudiums die Funktion, sowohl die Kenntnis der antiken Religionsgeschichte für die Anfänge des Christentums als auch die Kenntnis der Fremdreligionen als „Gegenwartsmächte“ zu vermitteln und sei deshalb integraler Bestandteil theologischer Arbeit. Der Hinweis auf die Bedeutung der Fremdreligionen als „Gegenwartsmächte“ bezog sich damals vornehmlich auf diejenigen Religionen, mit denen das Christentum in den klassischen Missionsgebieten konfrontiert war. Das Argument, religionswissenschaftliche Studien um der Mission willen zu betreiben, ist selbstverständlich von den Vertretern der damals noch jungen Missionswissenschaft aufgegriffen und weitergesponnen worden. So wurde beispielsweise protestantischerseits von Heinrich Frick (1893–1952) der Zusammenhang von Religionswissenschaft und Missionskunde „in ihrer organischen Verbundenheit“ thematisiert und katholischerseits von Josef Schmidlin (1876–1944) im Verbund einer „Missions- und Religionswissenschaft“ programmatisch als Einheit aufgefasst. Diese Tradition der Verbindung von Religionswissenschaft und Missionswissenschaft hat seither alle theologischen Paradigmenwechsel überstanden und ist später durch Missionstheologen wie G. Rosenkranz, H. Bürkle, H.-W. Gensichen und Theo Sundermeier konzeptionell fortgeschrieben worden. Trotz manchen Widerspruchs wurde in Folge von Harnacks programmatischer Rede die Religionswissenschaft innerhalb der theologischen Fakultäten institutionell völlig marginalisiert und anderen Fachgebieten – allen voran den alttestamentlichen Lehrstühlen – zugeordnet. Über Jahrzehnte hinweg war entsprechend dem in vielen theologischen Fakultäten vorherrschenden Verständnis von Religionswissenschaft lediglich die „Religionsgeschichte“ von Interesse – eine Religionsgeschichte, deren Aufgabe vornehmlich darin gesehen wurde, sich mit den Umweltreligionen der alt- und neutestamentlichen sowie der frühkirchlichen Zeit, also mit „toten“, durch die Christentumsgeschichte überwundenen Religionen zu beschäftigen. Vor diesem Hintergrund scheint auf einen ersten, oberflächlichen Blick hin erstaunlich, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die sog. Religionsgeschichtliche Schule innerhalb der Theologie so maßgeblichen Einfluss gewinnen konnte. Ihr Programm, das am deutlichsten von Ernst Troeltsch (1865–1923) ausgearbeitet wurde, zielte darauf, dem Christentum eben gerade keine Sonderstellung einzuräumen, sondern die gesamte Religionsgeschichte in den Blick zu nehmen. Bei genauerem Besehen stellt sich allerdings heraus, dass dieser religionsgeschichtliche Ansatz durchaus in eine theologische Intention eingebettet war: in das Bemühen, die Wahrheit des Christentums im Kontext der universalen Religionsgeschichte zu begründen. Es ging also nicht darum, Theologie in Religionswissenschaft zu verwandeln, sondern die historische Methode in eine „religionsgeschichtliche Theologie“ zu integrieren, um auf dem Wege des religionsgeschichtlichen Vergleichs das „Wesen“ des Christentums neu zu beschreiben und in Gestalt einer zeitgemäßen Apologetik gegenüber den anderen Religionen seinen Wahrheitsanspruch zu erweisen.

die Marginalisierung der Religionswissenschaft

das Programm der Religionsgeschichtlichen Schule

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Religionswissenschaft und Theologie

Religionstheologische Voraussetzungen der Religionsgeschichtlichen Schule

evangelische Religionskunde

Diese „eigenartige Verschränkung von Religionswissenschaft und Theologie“ (194: 218) stieß allerdings schon bald auf heftige Kritik sowohl seitens der Theologie als auch seitens der Religionswissenschaft: Von theologischer Seite wurde u. a. moniert, dass hier zwischen dem Gegenstand der Wissenschaft – der „nachweisbaren Wirklichkeit“ – und dem Gegenstand des Glaubens – der „erlebbaren Wirklichkeit“ in unzulässiger Weise ein Zusammenhang konstruiert werde. Daran anknüpfend, setzte sich nach dem Ersten Weltkrieg die sog. dialektische Theologie an die Spitze der theologischen Kritik und führte sie weiter aus. K. Barth, R. Bultmann und E. Brunner als führende Vertreter dieser Richtung hielten dabei zwar an der Wissenschaftlichkeit der Theologie fest, wandten sich allerdings dagegen, die Theologie allgemeinen wissenschaftlichen Verfahrensweisen zu unterwerfen. Die Besonderheit ihrer Wissenschaftlichkeit sahen sie vornehmlich darin, dass sie vom Glauben ausgeht. Religionen (einschließlich des Christentums) waren ihrer Meinung nach nicht Gegenstand der Theologie, da sie diesem Glauben diametral entgegengesetzt seien und als Ausdruck des Unglaubens gewertet werden müssten. Seitens der Religionswissenschaft wiederum wurde kritisiert, dass dem Programm der Religionsgeschichtlichen Schule eine theologische Absicht zugrunde liege – die Begründung des christlichen Wahrheitsanspruchs aus der Religionsgeschichte –, was das ganze Projekt insgesamt als wissenschaftliches Vorhaben diskreditiere und eher als eine Art „Prophetie“ (71: 121) erscheinen lasse. In der Tat trifft diese Kritik Wesentliches: Die Problematik des Programms der Religionsgeschichtlichen Schule ist vornehmlich darin zu sehen, dass sie auf religionstheoretischen Voraussetzungen beruht, die eine klare Unterscheidung von religionswissenschaftlichen (historischen) und theologischen (normativen) Aussagen nicht mehr zulassen: Troeltschs Rede von der „Gottmenschlichkeit“ der Religionsgeschichte markiert besonders deutlich diese Entscheidung, einen methodischen Ansatz (die historische Methode) mit einem theologischen Programm (dem Erweis der Wahrheit aus der Religionsgeschichte) zu verknüpfen, der zudem an einen bestimmten geschichtlich-kulturellen Kontext (das Großbürgertum der wilhelminischen Zeit, das in der abendländischen Zivilisation des beginnenden 20. Jahrhunderts den Garanten von Fortschritt und Wohlergehen sah) gebunden war. Mit dem großen Paradigmenwechsel in der Theologie, der mit dem Untergang der großbürgerlichen Ideale in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges einsetzte und die Vorherrschaft der sog. dialektischen Theologie begründete, wurde der religionsgeschichtliche Ansatz aus der Theologie mehr oder weniger eliminiert. Aus der Perspektive der dialektischen Theologie musste dies als konsequent erscheinen, solange die religionsgeschichtliche Methode auf einer theologischen Voraussetzungen basierte, wie dies bei Troeltsch u. a. Vertretern zweifellos der Fall war. Die Option, die religionswissenschaftliche Methode dieser theologischen Voraussetzungen zu entkleiden, hätte die Möglichkeit eines fruchtbareren Neben- und Miteinanders von Theologie und Religionswissenschaft eröffnet; doch dieser Weg wurde nicht begangen. Somit galt die Beschäftigung mit Religionen in der deutschsprachigen Theologie seither als

Religionswissenschaft und Theologie

etwas, das nicht zum eigentlichen theologischen Geschäft gehört; lediglich als „Evangelische Religionskunde“ betrieben, dient sie bestenfalls zur Illustration des konstatierten Gegensatzes von Glaube und Religionen (einschließlich der christlichen Religion). Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass der erste deutsche Theologentag, der 1927 in Eisenach stattfand, sich noch mehrheitlich für eine Öffnung der Theologie zur Religionswissenschaft hin aussprach. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nun jegliches religionswissenschaftliche Arbeiten aus den theologischen Fakultäten verbannt war. Vor allem in den exegetischen Fächern wurde die historisch-kritische Methode nicht nur beibehalten, sondern weiterentwickelt. Dabei war zwar das Verhältnis von religionswissenschaftlicher Methodik und Bibelexegese im Sinne einer theologischen Auswertung nicht immer klar, aber an der Notwendigkeit, in den exegetischen Fächern religionsgeschichtlich zu arbeiten, gab es grundsätzlich keinen Zweifel. Erst in jüngster Zeit sind in diesem Zusammenhang wieder neue – alte – Fragen aufgeworfen worden, wenn beispielsweise das Problem der Verhältnisbestimmung zwischen einer „Geschichte Israels“ und einer „Theologie des Alten Testaments“ zum Gegenstand der Debatte wird: Handelt es sich hierbei um zwei sich weitgehend ausschließende Alternativen, gehören beide zusammen, und wenn ja, wie, oder fallen sie gar in eins? Die dialektische Theologie hat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass sich Theologie und Religionswissenschaft im 20. Jh. zunehmend unabhängig voneinander entwickelten. Diese getrennte Entwicklung ist jedoch so verlaufen, dass keine der beiden Wissenschaften völlig zufrieden sein kann: So wurde durch die Vorherrschaft der dialektischen Theologie die Gefahr verstärkt, dass sich die Theologie durch ihre radikale Ablehnung der religionsgeschichtlichen Methode von den anderen Wissenschaften isoliert. In den 70er und 80er Jahren waren einzelne Theologen wie G. Sauter oder W. Pannenberg darum bemüht, dieser Gefahr entgegenzuwirken und in ihren theologischen Entwürfen den Zusammenhang zur Religionswissenschaft wieder herzustellen. In der Tradition lutherischer Theologie stehend, versuchte auch Carl Heinz Ratschow, das Gespräch zwischen Theologie und Religionswissenschaft wieder aufzunehmen: Von letzterer erwartete er eine detaillierte Expertise über die Unterschiede zwischen den Religionen sowie über ihre jeweiligen Eigenheiten, um auf dieser Grundlage das Spezifikum des christlichen Heilsverständnisses und seiner Folgen für den existenziellen Lebensvollzug des Menschen herauszuarbeiten. In der Religionswissenschaft lief der Prozess der Selbstvergewisserung und ihrer Abgrenzung gegenüber der Theologie nicht ohne Kontroversen ab. Einen Wendepunkt in dieser Debatte markierte dabei insbesondere die Diskussion über Aufgabe und Gegenstand der Religionswissenschaft im Rahmen des Kongresses der International Association for the History of Religions 1960 in Marburg. Seither besteht unter den meisten Fachvertretern ein weitgehender Konsens darüber, dass es in der Religionswissenschaft „um überprüfbare religiöse Vorgänge, Haltungen und Systeme, um das Verstehen der Gläubigen der verschiedenen Religionen ihrem Selbstverständnis gemäß“ geht, „nicht aber um Gültiges“ (51: 305. Hervor-

Religionswissenschaft und Bibelexegese

Folgen für die Theologie

Folgen für die Religionswissenschaft

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Religionswissenschaft und Theologie

Modelle des Verhältnisses Religionswissenschaft – Theologie aus theologischer Sicht

hebung von mir, K. H). In der Fortschreibung dieser Positionierung wehrt sich die Religionswissenschaft stets von neuem dagegen, als eine Art „Religionstheologie“ wieder in die Theologie hereingeholt zu werden, was nicht unerheblich dazu beitragen mag, dass sie in ihrem Bemühen, sich von der Theologie abzusetzen, bisweilen weit über das Ziel hinausschießt. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es allerdings keinen Konsens in der Frage der Verhältnisbestimmung von Theologie und Religionswissenschaft. Theo Sundermeier hat vier Modelle der Verhältnisbestimmung aus theologischer Sicht unterschieden, die in zutreffender Weise die möglichen Zuordnungen illustrieren. Nach dem ersten Modell stehen sich Theologie und Religionswissenschaft als zwei voneinander getrennte Kreise gegenüber, sind also „zwei völlig nebeneinander arbeitende Disziplinen“ (16: 223), die im Grunde nichts miteinander zu tun haben. Die eine Wissenschaft nimmt ihren Ausgang vom Glauben und richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Wort Gottes, die andere arbeitet wie alle übrigen Humanwissenschaften. Je nach Interesse oder spezifischer Forschungsfrage mag es punktuelle Zusammenarbeit geben, was allerdings nichts daran ändert, dass Theologie und Religionswissenschaft eine grundsätzlich unterschiedliche Ausrichtung haben. Vertreter dieses Modells finden sich vornehmlich unter den Vertretern der dialektischen Theologie und der von ihr beeinflussten theologischen Richtungen. Ein zweites Modell lässt sich in Gestalt zweier sich überschneidender Kreise darstellen. Das gemeinsame Schnittfeld beschreibt die Bestimmung des Menschen durch „Gesetz“ und „Umwelt“: von religionswissenschaftlicher Seite wird das menschliche Handeln als Reaktion auf die Transzendenz beschrieben, von theologischer Seite als Tun „unter dem Gesetz“; Sundermeier nennt neben dem oben genannten C. H. Ratschow u. a. P. Althaus, G. Ebeling und W. Trillhaas als Hauptvertreter einer solchen Sichtweise der Zuordnung von Theologie und Religionswissenschaft. Ein weiteres Modell beschreibt zwei konzentrische Kreise, bei denen der kleinere – die Religionswissenschaft – von einem größeren – der Theologie – umschlossen ist. Die religionswissenschaftliche Arbeit wird zu einem Teilbereich theologischer Arbeit, und somit geht Religionswissenschaft als Teil der Theologie in der Theologie auf. Sundermeier nennt hier neben W. Pannenberg und verschiedenen katholischen Entwürfen den Ansatz von E. Herms, der jedoch auch dem ersten Modell zugeordnet werden könnte. Nach Herms ist Theologie Religionswissenschaft – Religionswissenschaft, die als Kulturwissenschaft zu verstehen sei – „in exemplarischer Gestalt“. Dieser Theologie wird die Qualität einer Orientierungswissenschaft und Leitdisziplin zugeschrieben, in der die Religionswissenschaft aufgehoben ist. Umgekehrt ist nach Herms allerdings nicht alle Religionswissenschaft Theologie – doch an dieser Art der Religionswissenschaft hat die Theologie kein substanzielles Interesse: „Die Unterhaltung anderer religionswissenschaftlicher Studiengänge neben der Theologie bemisst sich aus dem Bedürfnis der religiös/weltanschaulichen Kultur einer Gesellschaft“ (200: 82). Als viertes Modell, das er selbst favorisiert, schlägt Sundermeier die Zuordnung von Religionswissenschaft und Theologie in Gestalt zweier Ellipsen mit einem gemeinsamen Brennpunkt vor. Damit bringt er zum Aus-

Religionswissenschaft und Theologie

druck, dass beide Wissenschaften ihren eigenen Freiraum haben, aber nicht unabhängig nebeneinander arbeiten. Die Gemeinsamkeit zwischen beiden ist seiner Meinung nach größer als im Falle zweier unabhängiger Disziplinen, bei denen sich nur die Forschungsgebiete überschneiden: „Die gemeinsame Basis: Die in allen Religionen zu findende primäre Religionserfahrung, und das heißt, der von der Natur und der Gesellschaft umschlossene Mensch in der Begegnung mit der Transzendenz, mit dem Göttlichen, die Heil als vitales, stets bedrohtes Wohlsein, als Segen erfahrbar macht“ (16: 242). Umgekehrt, aus religionswissenschaftlicher Sicht, stellt sich das Verhältnis von Religionswissenschaft und Theologie bei weitem komplexer und schwieriger dar, wie Sundermeier richtig feststellt. Eine erste Gruppe sieht eine „‘getrennt-harmonische’ Zuordnung“ zwischen beiden Wissenschaften und ist – wenngleich mit äußerst unterschiedlichen Intentionen – an Austausch und Kooperation interessiert. Als Beispiele hierfür nennt Sundermeier C. Colpe und W. C. Smith, wobei der erstgenannte allerdings an einer weitgehenden Unterscheidung von Theologie und Religionswissenschaft festhält, während für Smith die Aufhebung der Religionswissenschaft in einer „Welt-Theologie“ wünschenswert ist. Vielleicht wäre auch noch Günter Lanczkowski in diese Kategorie aufzunehmen, nach dessen Meinung die Religionswissenschaft und die Theologie „ein gemeinsames Anliegen“ haben, das „in der gemeinsamen Blickrichtung auf das Phänomen des Glaubens“ bestehe (12: 68). Einen Schritt weiter gehen jene Vertreter der Religionswissenschaft – zumeist Religionsphänomenologen –, die in der Suche nach dem Sinn und Wesen der Religion große Gemeinsamkeiten zwischen Religionswissenschaft und Theologie sehen und beide Wissenschaften eng aneinander rücken möchten – in diesem Zusammenhang ist in erster Linie an R. Otto, N. Söderblom und F. Heiler zu denken. Eine dritte Gruppe wiederum tritt für eine radikale Trennung von Theologie und Religionswissenschaft ein und vertritt ihre Position mit großer Vehemenz; Sundermeier verweist in diesem Zusammenhang auf H.-J. Greschat, K. Rudolph und andere. In Zusammenhang mit seiner Feststellung, dass „neuerdings in der Religionswissenschaft eine Aufwertung des Religionsbegriffes“ zu beobachten sei, nennt er als vierte Gruppe diejenigen Fachvertreter, die – analog der Arbeit von Jan Assmann innerhalb der Ägyptologie – „die immanente Sichtweise einer Religion nachzuvollziehen versuchen“ und ihre Plausibilitätsstrukturen „in das interkulturelle Gespräch einbringen“ (16: 231). Dieser Versuch, verschiedene Typen der Zuordnung von Religionswissenschaft und Theologie aus je religionswissenschaftlicher und theologischer Sicht in unterschiedlichen Modellen darzustellen, vermittelt einen ersten Einblick in die Komplexität der Diskussion über das Verhältnis zwischen beiden Wissenschaften. Die Problematik wird durch zwei Sachverhalte noch erschwert und erklärt vielleicht die große Emotionalität und Verve, mit der die Auseinandersetzung geführt wird: Zum einen besteht in Deutschland eine wissenschaftsorganisatorische Benachteiligung der Religionswissenschaft, die innerhalb der philosophi-

Modelle des Verhältnisses aus religionswissenschaftlicher Sicht

Wissenschaftsorganisatorische Benachteiligung der Religionswissenschaft

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Religionswissenschaft und Theologie

Verschmelzung von Religionswissenschaft und Missionswissenschaft

Polemik zwischen Religionswissenschaft und Theologie

schen, gesellschafts- oder kulturwissenschaftlichen Fakultäten ein Schattendasein führt oder Teil theologischer Fakultäten ist, wobei sie in letzterem Fall zumindest nach der Fächerordnung in der Theologie selbst aufzugehen scheint. Gegenüber der Religionswissenschaft ist die Theologie im Rahmen der in Deutschland üblichen, auf Konkordaten und Staats-Kirchen-Verträgen beruhenden starken öffentlichen Stellung der christlichen Kirchen vergleichsweise privilegiert. Dies spiegelt sich nicht nur auf vielen anderen Ebenen der Wissenschaftsorganisation – so gibt es beispielsweise bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft keinen religionswissenschaftlichen Fachausschuss; auch außerhalb des universitären Bereichs wird in erster Linie der Kirche und der Theologie, und erst an zweiter Stelle der Religionswissenschaft in Sachen „Religion“ die eigentliche Fachkompetenz zugesprochen. Die Angst der Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler, sowohl im Rahmen der Wissenschaftsorganisation als auch in der öffentlichen Wahrnehmung ins Abseits gestellt zu werden, ist vor diesem Hintergrund durchaus verständlich. Zum anderen ist die Religionswissenschaft an manchen theologischen Fakultäten in der Verbindung mit missionswissenschaftlichen oder auch ökumenewissenschaftlichen Lehrstühlen vertreten. Dies wiederum löst bei vielen Religionswissenschaftlern Ängste aus, die Religionswissenschaft würde durch solche Verbindungen zur Hilfswissenschaft für christliche Bekehrungsstrategien degradiert oder zur wissenschaftlichen Legitimation von Missionsbemühungen missbraucht. So wenig gerechtfertigt diese Ängste erscheinen, und so verständlich eine entsprechende Zuordnung von Missions- und Religionswissenschaft aus theologischer Perspektive sein mag – beides hat die Klärung der Frage nach der Zuordnung von Theologie und Religionswissenschaft nicht erleichtert, sondern zu einer weiteren Verhärtung der Positionen beigetragen. Es wäre sicherlich hilfreich, in der Diskussion über die Zuordnung von Theologie und Religionswissenschaft in einem ersten Schritt die Polemik aus der Auseinandersetzung herauszunehmen und mehr Nüchternheit einkehren zu lassen. Vorschläge von religionswissenschaftlicher Seite, Theologie auf Dogmatik und Moraltheologie als „nichtempirische, deduktive“ Wissenschaften zu reduzieren (202: 207) und für die Religionswissenschaft zu reklamieren, in objektiver Weise „fremden Glauben voraussetzungslos zu erforschen“ (11: 130), sind in diesem Zusammenhang ebenso wenig hilfreich wie Versuche von theologischer Seite, die Religionswissenschaft als „theologische Religionswissenschaft“ in die Theologie einzuholen oder penetrant zu unterstellen, die Religionswissenschaft würde in naiver Weise der Wissenschaftsideologie einer „objektiven Wissenschaft“ anhängen und die Voraussetzungen, an die sie gebunden ist, weder offenlegen noch kritisch reflektieren. Verständlich ist auch, dass viele Religionswissenschaftler mehr als skeptisch auf die Aufforderung reagieren, sie sollten sich „engagiert zur Pflege der sozio-historischen Traditionsinstitutionen bekennen, die der Kommunikation und Weitergabe just derjenigen Weltanschauung/Religion/Philosophie dienen, auf deren Boden sich das jeweilige Exemplar von Religionswissenschaft vollzieht“ (200: 83). Eine solche Reduktion der Religionswissenschaft auf eine „Innensicht“ mit der Implikation, sich aus-

Religionswissenschaft und Theologie

schließlich positiv auf Religion beziehen zu müssen, steht in diametralem Gegensatz zum augenblicklich weit verbreiteten Selbstverständnis der Religionswissenschaft, das an der Notwendigkeit einer Außenperspektive ebenso festhält wie an der Option einer doppelten kritischen Distanzierung gegenüber der fremden wie der eigenen Religion. Weiterhin wäre danach zu fragen, inwieweit Extrempositionen der Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Religionswissenschaft revidiert werden müssen. In diesem Zusammenhang erscheint die Forderung nach einer theologischen Religionswissenschaft oder einer religionswissenschaftlichen Theologie ebenso problematisch wie die Hoffnung, eine „keimfrei“ arbeitende Religionswissenschaft etablieren zu können, die das Vorhandensein und die Arbeitsweise der Theologie ignoriert und von den Forschenden „Religionslosigkeit“ als Vorbedingung religionswissenschaftlichen Arbeitens einfordert. Wie F. Stolz zu Recht festgestellt hat, sind sich Religionswissenschaft und Theologie in vielem näher, als manche Apologeten einer strikten Trennung annehmen. In der Tat „tut die Religionswissenschaft gut daran, sich auf die Theologie einzulassen; denn diese hat die Fragen, welche den kulturellen und religiösen Hintergrund des hier tätigen Religionswissenschaftlers bilden, auf der Ebenen der Reflexion in ungeheurer Breite und Tiefe bearbeitet“ (15: 44). Umgekehrt kann die Theologie nicht auf die Religionswissenschaft verzichten, die ihr zur notwendigen Distanz gegenüber der eigenen Tradition verhilft. Andererseits würde eine der Beliebigkeit überlassene Einschmelzung von Theologie und Religionswissenschaft oder eine Nivellierung theologischer und religionswissenschaftlicher Zugangsweisen die – letztlich nicht völlig zu überwindenden – Spannungen zwischen beiden vorschnell verschleiern und die Forschenden der Möglichkeit berauben, die darin beschlossenen hermeneutischen Probleme offenzulegen. Ziel sollte „ein methodisch kontrolliertes Nebeneinander beider Disziplinen“ (195: 62) sein, wobei man sie „dann am besten unterscheidet, … wenn man ein genaues Gespür dafür entwickelt hat, wo es erlaubt oder sogar sachlich nötig ist, die Grenze zwischen ihnen in der einen oder anderen Richtung zu überschreiten“ (162: 12). Dass es durchaus möglich ist, diese Unterscheidung – ohne völlige Trennung und Intransigenz und ohne gegenseitige Vereinnahmung und Einschmelzung – durchzuhalten, ist von verschiedenen Autoren vor kurzem am Beispiel der „Wahrnehmung von Fremdheit“ (233: 57 ff.), im Blick auf die Frage nach der Möglichkeit „wertender“ Aussagen (ebd.: 97 ff.) und im Zusammenhang grundsätzlicher Überlegungen zu „Überschneidungen, Annäherungen und Differenzen“ zwischen Religionswissenschaft und Theologie (ebd.: 123 ff.) recht überzeugend entfaltet worden. Schon zuvor hat Fritz Stolz mit seiner Unterscheidung zwischen einem „Durchdenken der Religion ‘von innen’ – in Theologie, Missionstheologie, Dialogtheologie, Theologie der Religionen“ – und einem „Durchdenken der Religion ‘von außen’“ – der Religionswissenschaft – gezeigt, wie Religionswissenschaft und Theologie unterschieden werden können, ohne aus dem Blick zu verlieren, dass beide auch eng aufeinander bezogen sind. Denn die bei-

Methodisch kontrolliertes Nebeneinander

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Religionswissenschaft und Theologie

„Engagierte Religionswissenschaft“

den Zugangsweisen zur Thematik „Religion“ – das Durchdenken „von außen“ (Religionswissenschaft) und „von innen“ (Theologie) – „lassen sich nicht vollständig voneinander trennen, sondern sie weisen Berührungspunkte auf. Beide vermitteln eine – unterschiedlich große – Distanzierung vom eigenen religiösen Herkommen. Beide bleiben aber in dieser oder jener Weise ihrem Herkommen verpflichtet.“ (15: 44) Die Debatte dürfte damit sicherlich noch nicht abgeschlossen sein. Insbesondere die Frage nach der Zukunft der Missionswissenschaft als akademischer Disziplin und ihrem Verhältnis zur Religionswissenschaft könnte hier neue Perspektiven eröffnen. So fragt beispielsweise der auf religionswissenschaftlichem und missionswissenschaftlichem Gebiet arbeitende Theologe Richard Friedli aus Fribourg im Blick auf „Erfahrungen mit universitären Neukompositionen“ (198: 185) nach der Möglichkeit einer Religionsforschung, in der – im Gegensatz zur üblichen Praxis der Religionswissenschaft – Wertungen und ethische Fragen einen prominenten Stellenwert einnehmen; eine solche Religionsforschung darf seiner Meinung nach jedoch – im Gegensatz zur traditionellen Missionswissenschaft – nicht mehr innerhalb des Kontextes von Religion und Theologie verhandelt werden, sondern außerhalb theologischer Institutionen und jenseits der Theologie. Damit ist aus der Perspektive einer spezifischen Problemstellung von neuem die Frage nach Möglichkeiten und Bedingungen einer „engagierten Religionswissenschaft“ eröffnet. Hatte bislang innerhalb der Religionswissenschaft seit dem oben erwähnten Marburger Kongress der von der Mehrheit der Fachvertreter getragene Konsens gegolten, dass sich der Religionswissenschaftler um eine „doppelte Distanz“ bemühen muss – vom Gegenstand wie von der eigenen Position –, so ist mit der Forderung nach einer „engagierten Religionswissenschaft“ diese „vorherrschende Übereinkunft innerhalb der Disziplin in Frage gestellt. Die zukünftige Entwicklung wird zeigen, ob und wie diese Prämisse modifiziert werden wird“(197: 121).

XI. Wissenschaftsorganisation und Kommunikation: Institutionelle Aspekte akademischer Religionsforschung 1. Religionswissenschaft als akademische Disziplin Selbstverständlich hat es an den europäischen Universitäten bereits seit Jahrhunderten religionswissenschaftliche Studien im weitesten Sinne gegeben. Doch als eigenständiges akademisches Fach ist die Religionswissenschaft vergleichsweise jung. Als Begründer der Religionswissenschaft gilt, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, Friedrich Max Müller (1823–1900). Er machte sich insbesondere durch die Edition einer Quellensammlung heiliger Schriften verdient und leistete einen ersten Beitrag zur theoretischen Begründung der Religionswissenschaft als akademischer Disziplin, die nach und nach an verschiedenen europäischen Universitäten an Bedeutung gewann. Dabei war er darum bemüht, in breiter Perspektive Material aus verschiedenen Arbeitsbereichen – Ethnologie, Volkskunde, Geschichtswissenschaft usw. – zu sammeln und aufeinander zu beziehen, um auf dieser Basis grundlegende Zusammenhänge bei der Beschreibung von Mythen, Riten, Kulten, Seelenvorstellungen etc. aufdecken zu können. An Müllers Arbeitsweise lassen sich zwei wichtige Beobachtungen machen: Zum einen hat die Philologie bei der Konstituierung der Religionswissenschaft als eigenständiger Disziplin eine entscheidende Rolle gespielt; zugleich wurden jedoch auch religionsgeschichtliche Methoden rezipiert, die insbesondere in den historischen und exegetischen Fächern der Theologie sehr früh auf einem besonders hohen wissenschaftlichen Niveau zur Anwendung kamen. Zum anderen jedoch zeichnete sich ab, dass schon damals der komplexe, aber dicht zusammengehörige Gegenstandsbereich der Religionswissenschaft nur ungenügend erforscht werden kann, wenn Religionsforschung so betrieben wird, dass sich voneinander unabhängige und relativ isoliert arbeitende Disziplinen mit einzelnen, aus dem Gesamtkontext gelösten Phänomenen beschäftigen. Wie sich u. a. zeigte, trug erst die fächerübergreifende Diskussion über die Grundlagen religiösen Handelns dazu bei, den im 19. Jh. und bis ins 20. Jh. hinein weithin vorherrschenden Evolutionismus zu überwinden. Zur Zeit Max Müllers hatte sich die Religionswissenschaft allerdings noch nicht als eigenständiges Fach etabliert; religionswissenschaftliche Studien waren, relativ isoliert voneinander, lediglich unselbstständig innerhalb der philologischen Fächer sowie innerhalb der Theologie möglich. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt dann die Institutionalisierung der Religionswissenschaft als eigenständige akademische Disziplin. Der erste religionswissenschaftliche Lehrstuhl wird von der Schweiz 1873 in Genf eingerichtet, ein weiterer entsteht im selben Jahr in den USA

die Anfänge

Institutionalisierung der Religionswissenschaft außerhalb Deutschlands

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Wissenschaftsorganisation

Institutionalisierung der Religionswissenschaft an deutschen Universitäten

Neuentwicklungen seit den 60er Jahren des 20. Jh.s

an der Universität Boston, seit 1876 gibt es in den Niederlanden in Amsterdam, Groningen, Leiden und Utrecht entsprechende Lehrstühle. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts folgen Frankreich, wo aufgrund der laizistischen Tradition die religionsgeschichtliche Forschung von Beginn an außerhalb theologischer Institutionen angesiedelt ist (Paris 1885 sowie Strasbourg), Italien (Rom 1886) und in den 90er Jahren Skandinavien: zunächst Schweden – durch Neugründungen in Uppsala, wo die Religionswissenschaft aus der klassischen Philologie erwächst und das im 20. Jh. mit Nathan Söderblom, Tor Andrea und Geo Widengren zu einem der renommiertesten Zentren religionswissenschaftlicher Forschung avancieren sollte, dann in Lund und in Stockholm – später Dänemark und Norwegen. Oxford erhält 1908 seinen ersten Lehrstuhl, nachdem bereits im 19. Jh. eine Reihe von schottischen Universitäten Stiftungslehrstühle aus Privatvermögen hatte einrichten können. Deutschland ist im Blick auf die Institutionalisierung der Religionswissenschaft in gewisser Weise ein „Nachzügler“ – selbst Japan hatte in Tokio sieben Jahre früher eine entsprechende Professur als Deutschland, wo 1910 in Berlin ein religionswissenschaftlicher Lehrstuhl, zunächst mit dem Dänen Edvard Lehmann besetzt, eingerichtet wurde. Dies ist allerdings durchaus bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Harnack mit seiner oben erwähnten Rektoratsrede die Religionswissenschaft zerschlagen hatte, bevor sie sich noch hatte institutionalisieren können. Weitere Lehrstuhlgründungen folgten, so in Leipzig, wo zunächst Nathan Söderblom wirkte, und in Bonn. Zusammen mit Marburg entwickelten sich hier erste Zentren religionswissenschaftlicher Forschung, wobei die Entwicklung der religionswissenschaftlichen Forschung nicht explizit an die Institutionalisierung eines religionswissenschaftlichen Lehrstuhls gebunden war: Rudolf Otto, dem Marburg die Einrichtung der Religionskundlichen Sammlung verdankt, war Systematischer Theologe – auf seinen Einfluss geht die Errichtung einer außerplanmäßigen Professur für Religionsgeschichte zurück, auf die 1920 Friedrich Heiler berufen wurde –, und später widmete sich auch der Kirchengeschichtler Ernst Benz religionswissenschaftlichen Fragestellungen. Die Zeit des Nationalsozialismus brachte einen Aufschwung der Religionswissenschaft mit sich, von der sich die Nationalsozialisten ideologische Schützenhilfe erhofften und eine betont antichristliche Ausrichtung erwarteten. Verständlicherweise wurde nach dem Zweiten Weltkrieg deshalb an denjenigen religionsphänomenologisch und theologisch orientierten Traditionen angeknüpft, die sich den ideologischen Prämissen einer „arischen“ Religionswissenschaft nicht gebeugt hatten. Ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts lässt sich im Blick auf die Institutionalisierung der Religionswissenschaft eine zweifache Entwicklung feststellen: Einerseits kommt es zu einer zunehmenden Verselbständigung der Religionswissenschaft gegenüber der Theologie, indem das Fach mehr und mehr innerhalb philosophischer und kultur- oder sozialwissenschaftlicher Fakultäten institutionalisiert wird. Auf der anderen Seite gewinnt die Religionswissenschaft allerdings auch innerhalb der theologischen Fakultäten zunehmend an Bedeutung, zumeist jedoch in der Kombination mit der Missionswissenschaft. Beispielsweise wird bei der Neugründung der evan-

Religionswissenschaft als akademische Disziplin

gelisch-theologischen Fakultät in München (1969) ein Institut für Religionsund Missionswissenschaft eingerichtet, und der Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Hamburg eröffnet zu Beginn der 80er Jahre neben dem schon länger etablierten Ökumenewissenschaftlichen Seminar 1981 ein Seminar für Missions- und Religionswissenschaft mit der dazugehörigen Professur. Diese Doppelstruktur in der Zuordnung der Religionswissenschaft an theologische und nicht-theologische Fakultäten oder Fachbereiche findet sich zu DDR-Zeiten auch im Ostteil Deutschlands, wo die renommierte Leipziger Religionswissenschaft außerhalb der theologischen Fakultät angesiedelt ist, während in Halle das Fach durch Arno Lehmann innerhalb der theologischen Fakultät in der Nomenklatur der Missionsund Religionswissenschaft vertreten wird. Die Religionswissenschaft als akademisch institutionalisierte Disziplin ist in Deutschland also noch nicht einmal ein Jahrhundert alt – und doch hat sie schon eine Reihe tiefgreifender Entwicklungen durchlaufen und weitreichende Veränderungen erfahren. Im Rahmen der Ausdifferenzierung der Wissenschaften beginnt sie bereits im 19. Jh., sich langsam aus der Theologie einerseits, der Philologie andererseits zu lösen und sich in der Phase ihrer universitären „Vorgeschichte“ als eigenständige Disziplin zu konstituieren – in einem Prozess, der bis heute noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Mit dieser Konstituierung als eigenständiger Disziplin emanzipiert sich die Religionswissenschaft aus der ihr bislang zugedachten Rolle, lediglich Teilaspekte von Religion zu thematisieren und bloß als Teildisziplin oder Hilfswissenschaft für Einzelfragen zuständig zu sein: Nun tritt das Thema „Religion“ in seinem Gesamtzusammenhang in den Blick. Dabei stellt sich die Position der Religionswissenschaft im Kontext der Wissenschaftsorganisation in Deutschland jedoch völlig anders dar als beispielsweise in Schweden, Großbritannien oder Holland. Wie bereits erwähnt, wurden in Holland bereits Mitte der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts die ersten religionswissenschaftlichen Lehrstühle eingerichtet. Dabei handelt es sich jedoch nicht im eigentlichen Sinne um Neugründungen. Vielmehr wurde im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens von 1876 eine Reihe von Lehrstühlen der theologischen Fakultäten in staatliche Lehrstühle umgewandelt, die nicht mehr dem Zugriff der Kirchen auf Lehrinhalte, Prüfungsordnungen und Berufungen unterliegen. Lediglich die Missionswissenschaft, die Dogmatik und die praktische Theologie werden durch kirchliche Lehrstühle vertreten. In ähnlicher Weise sind die theologischen Fakultäten in Schweden oder die meisten „Departments of Religious Studies“ in Großbritannien so verfasst, dass die Religionswissenschaft konfessionell ungebunden betrieben werden kann. In Deutschland hingegen ergibt sich wissenschaftsorganisatorisch ein zwiespältiges Bild: Einerseits hat sich die Religionswissenschaft zu einem Großteil aus den theologischen Fakultäten verabschiedet und sich in philosophischen, kultur- oder sozialwissenschaftlichen Fakultäten eingerichtet, wo sich inzwischen auch die Mehrzahl der religionswissenschaftlichen Professuren und Institute findet. Neben den traditionellen Zentren – Leipzig, Bonn, Marburg, Berlin, später Heidelberg oder Bremen – sind an weiteren Universitäten Neugründungen entstanden – beispielsweise in Bayreuth und Re-

Wissenschaftsorganisatorischer Status der Religionswissenschaft

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Wissenschaftsorganisation

Religionswissenschaft innerhalb und außerhalb der theologischen Fakultäten

gensburg (seit den 80er Jahren) oder jüngst in Erfurt. Andererseits hat die Religionswissenschaft innerhalb der theologischen Fakultäten ihre Position geringfügig ausbauen – wie beispielsweise durch die Einrichtung einer Professur 1991 in Rostock –, zumindest jedoch halten können, je nach Universität in der Nomenklatur der „Religionsgeschichte“ oder „Religionswissenschaft“ wie z. B. in Jena, Marburg, Göttingen oder in Kombination mit der Missionswissenschaft und/oder der Ökumenik wie beispielsweise in Erlangen, Hamburg, Heidelberg, an der Humboldt-Universität Berlin, in Mainz oder in München. An einigen Universitäten – wie z. B. in München oder Heidelberg – gibt es interdisziplinäre, interfakultative Studiengänge, an denen Fachvertreter aus theologischen wie auch aus philosophischen oder kulturwissenschaftlichen Fakultäten beteiligt sind. Es dürfte schwierig sein, gesicherte Prognosen darüber abzugeben, welchen wissenschaftsorganisatorischen Entwicklungen die Religionswissenschaft künftig unterworfen sein wird. Immerhin lassen sich einige Trends ausmachen. Beispielsweise hat sich die Tendenz zur Institutionalisierung der Religionswissenschaft außerhalb der theologischen Fakultäten in Deutschland fortgesetzt. Dies geht einher mit einem sprunghaften Anstieg der Studierendenzahlen, insbesondere in den traditionellen Zentren der Religionswissenschaft (Berlin, Bonn, Marburg, Leipzig). Doch auch die religionswissenschaftlichen Angebote innerhalb der theologischen Fakultäten stoßen auf ein wachsendes Interesse, was jedoch im krassen Widerspruch zur weithin üblichen Marginalisierung des Faches in den Studien- und Prüfungsordnungen der theologischen Fakultäten steht. Immerhin wird zunehmend auch in den theologischen Fakultäten erkannt, dass die von der Religionswissenschaft verhandelten Themen von besonderer Relevanz sind und dazu herausfordern, die Aufgaben und das Profil theologischer Fakultäten neu zu bestimmen. In welche Richtung dies gehen wird, ist noch weitgehend offen. Das Spektrum reicht hier von apologetisch gefärbten Positionen, die in gewisser Weise implizit an Harnacks Position anknüpfen (z. B. Eilert Herms), über Ansätze, die z. B. in der Kombination mit der Missionswissenschaft um eine Integration von Theologie und Religionswissenschaft bemüht sind (z. B. Andreas Feldtkeller oder Volker Küster), bis hin zum Bemühen, beide Disziplinen methodisch kontrolliert zu unterscheiden, ohne ihre Berührungspunkte zu leugnen und die sich daraus für Forschung und Lehre erwachsenden Anregungen fruchtbar zu machen (z. B. Andreas Grünschloß). Unabhängig von ihrer institutionellen Verankerung – ob innerhalb oder außerhalb der theologischen Fakultäten – ist der Themenkatalog für die Religionswissenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts derselbe: Nicht mehr die Frage nach dem „Wesen“ der Religion, sondern die Tatsache des religiösen Pluralismus bestimmt die Agenda.

Fachorganisationen und Kommunikation

2. Fachorganisationen und Kommunikation Wenn wir davon ausgehen, dass die Religionswissenschaft als akademische Disziplin seit ca. 100 bis 130 Jahren existiert, so wird erst relativ spät, nämlich 1950, ein internationaler Fachverband ins Leben gerufen. Selbstverständlich gab es bereits zuvor eine Reihe internationaler religionswissenschaftlicher Kongresse, doch waren diese in lockerer Folge vorbereitet und wurden nicht von einer Organisation getragen. Auf dem 7. Internationalen Kongress für Religionsgeschichte in Amsterdam wurde schließlich mit der „Internationalen Vereinigung für Religionsgeschichte“ (International Association for the History of Religions, IAHR – http://www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/iahr/) eine unabhängige Dachorganisation gegründet, der nationale – und später: regionale – Zweige als Mitglieder angehören. Ihr Ziel war und ist es, der Religionswissenschaft an den Universitäten größeres Gewicht zu verleihen und ihre Position als eigenständige akademische Disziplin zu stärken. Seit 1954 wird die Zeitschrift Numen. International Review for the History of Religions als Organ der IAHR veröffentlicht. Im Gründungsjahr der IAHR wurde am 1. September 1950 in Marburg der „Deutsche Zweig der IAHR“ gegründet – die Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte (DVRG – http://www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/dvrg/). Damit war für deutsche Religionsforscher aus verschiedenen institutionellen Zusammenhängen ein ausdrücklich religionswissenschaftliches Forum geschaffen, das auch als Plattform dafür dienen konnte, die Interessen der jungen Disziplin gemeinsam zu artikulieren und öffentlich zu vertreten. Seit 1993 erscheint mit der Zeitschrift für Religionswissenschaft (ZfR) im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung der DVRG eine Zeitschrift, die der Publikation ausschließlich religionswissenschaftlicher Beiträge dient. Damit wird an der Tradition des von 1898 bis 1941 erschienenen Archivs für Religionswissenschaft angeknüpft, das seinerzeit auch international ein hohes Renommee besaß und die religionswissenschaftliche Forschung maßgeblich beeinflusst hat. Unterhalb der Verbandsebene haben sich Arbeitskreise der DVRG gegründet – so der „Arbeitskreis Asiatische Religionsgeschichte“ (AKAR) (http://www.uni-bayreuth.de/departments/religionswissenschaft/akar.html). Im Jahr 2000 wurde mit der European Association for the History of Religions (EAHR – http://www.easr.de/) ein Verband gegründet, der gewissermaßen die „Zwischenebene“ zwischen dem Dachverband der IAHR und den verschiedenen europäischen nationalen Vereinigungen für Religionsgeschichte darstellt; er wurde auf dem 18. Kongress der IAHR in Durban/ Südafrika im August desselben Jahres der IAHR affiliiert. Somit besteht inzwischen nicht nur auf nationaler, sondern auf regionaler – wie etwa mit der Eastern African Association for the Study of Religions (EAASR) – und kontinentaler – wie z. B. mit der African Association for the Study of Religions (AASR) – Ebene ein weltumspannendes Netzwerk von religionswissenschaftlichen Vereinigungen. Daneben existieren noch andere Fachverbände, wie z. B. auf nationaler Ebene die 1970 gegründete Deutsche Religionsgeschichtliche Studien-

Religionswissenschaftliche Fachverbände

Religionswissenschaftliche Fachverbände für spezifische Interessen

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Wissenschaftsorganisation

Fachvertretung innerhalb der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie

Religionswissenschaft im Internet

gesellschaft (DRSG), die im Gegensatz zur DVRG stärker an religionsphänomenologischen Traditionslinien orientiert ist. Auf europäischer Ebene ist 1998 die Europäische Vereinigung für Religionswissenschaft (EurAssoc) gegründet worden, die zum Ziel hat, „das wissenschaftliche Studium der Religionen in allen ihren Äußerungen“ zu fördern. Allerdings ist es EurAssoc nicht gelungen, eine verfestigte Struktur zu etablieren. Sie besteht weiter als lockeres Netzwerk von Einzelpersonen, die auf religionswissenschaftlichem Gebiet arbeiten. Außerdem gibt es eine Reihe von Fachverbänden, in denen Religionsforscher mit spezifischen Forschungsinteressen ein Forum finden, so beispielsweise die Sektion Religionssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) (http://www.uni-leipzig.de/ ~relsoz/) oder die Internationale Gesellschaft für Religionspsychologie und Religionswissenschaft (http://www.socsci.kun.nl/psy/cultuur/users/jablonski/gezells chaft/german/deutsch.html). Darüber hinaus ist insbesondere auf den inzwischen seit 1989 bestehenden Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst (REMID) zu verweisen, der nicht nur eine ganze Reihe umfangreicher Dienstleistungen anbietet, sondern u. a. darum bemüht ist, neue Berufsfelder für Absolventinnen und Absolventen religionswissenschaftlicher Studiengänge zu erschießen (http://www.uni-leipzig.de/~religion/remid.htm). Die akademische Institutionalisierung der Religionswissenschaft einerseits innerhalb, andererseits außerhalb der theologischen Fakultäten spiegelt sich darin, dass neben der DVRG eine Reihe von Vertretern des Faches auch als Mitglieder der (protestantischen) Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (WGT) aktiv sind. Die entsprechende Sektion wurde 1999 von „Religions- und Missionswissenschaft“ in „Religionswissenschaft und Missionswissenschaft“ umbenannt. Dahinter steht eine programmatische Entscheidung: Mit der Umbenennung soll nämlich das Missverständnis vermieden werden, bei der an den theologischen Fakultäten vertretenen Religionswissenschaft handle es um ein rein theologisches Kombinationsfach, dessen Synthetisierung mit der Missionswissenschaft schon per se gegeben sei. Die neue Bezeichnung bringt vielmehr zum Ausdruck, dass die beiden Fächer trotz aller interdisziplinären Verbindungen klar zu unterscheiden sind. Mit den neuen Medien ist die Kommunikation zwischen den Fachvertretern bedeutend einfacher geworden. So gibt es im Internet beispielsweise eine Reihe von Diskussionslisten auf nationaler oder regionaler Ebene, die vornehmlich dem Informationsaustausch dienen, aber auch eine Plattform dafür bieten, religionswissenschaftliche Themen zu diskutieren oder spezielle Anfragen ins Netz zu stellen: Yggdrasil (deutsch), Dolmen (englisch), Candide (französisch) … – Informationen hierzu finden sich unter http://www.easr.de/. Über die oben genannten websites der großen Fachverbände finden die interessierten Internet-Nutzer leicht Verweise auf weitere Institutionen und Organisationen im Wissenschaftsbetrieb, die mit Religionsforschung befasst sind, und große Gateways geben Hilfestellung bei der Suche nach religionswissenschaftlich relevantem Material im Internet (z. B. http://www.academicinfo.net/religindex.html). Manche Institutionen bieten im Internet eine Reihe äußerst hilfreicher

Fachorganisationen und Kommunikation

Dienstleistungen an. Beispielsweise offeriert das Centre for Studies on New Religions, CESNUR (http://www.cesnur.org) einen Newsletter Service, der laufend und in kurzen Abständen über aktuelle Entwicklungen im Bereich der sog. Neuen Religiösen Bewegungen informiert; die dazugehörige website bietet Zugang zu umfangreichen Dokumentationsmaterialien, Analysen und weiteren Informationen. Einen vorzüglichen Internet Resource Guide for the Academic Study of Religion bietet z. B. die Universität Toronto (http://utl1.library.utoronto.ca/www/religious-studies.pathfi nder.htm), um nur ein Beispiel zu nennen. Über das Internet können sich alle Interessierten auch über das religionswissenschaftliche Lehrangebot und die Forschungsschwerpunkte an den Universitäten informieren. Dort finden sich nicht nur kommentierte Vorlesungsverzeichnisse, sondern teilweise Entwürfe von Lehrveranstaltungen, ganze Seminarplanungen mit dazugehörigen Literaturhinweisen oder sogar aufbereiteten Materialien zur entsprechenden Thematik. Bisweilen sind auch Vorträge, Aufsätze und wissenschaftliche Abhandlungen abrufbar. Beispielsweise ist über das Marburger Internet Journal of Religion (http:// www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/) u. a. der Zugriff auf das Marburg Journal of Religion (http://www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/mjr/) möglich, dessen redaktionelle Betreuung ein hohes wissenschaftliches Niveau garantiert. Selbst ein Blick auf die „privaten“ Websites einzelner Fachvertreter lohnt sich bisweilen. Insbesondere jüngere Religionswissenschaftler(innen) investieren viel Zeit und Energie in eine Internet-Präsentation, die den Besuchern eine Reihe äußerst hilfreicher Dienstleistungen bietet und wertvolle Hinweise für weiterführende Recherchen gibt. Überhaupt gehört „Desktop-Research“ heute zum alltäglichen Brot religionswissenschaftlichen Forschens und Arbeitens, und die traditionelle „Schreibtischarbeit“ erhält plötzlich eine ganz neue Dimension. Um mich beispielsweise über die aktuellen Bestände des Sondersammelbereiches Religionswissenschaft der Universitätsbibliothek Tübingen zu informieren, muss ich mich nicht mehr auf die Reise an den Neckar machen, sondern kann vom Computer in der Universitätseinrichtung vor Ort oder von zu Hause aus meine Anfragen starten. Mit der zunehmenden – und inzwischen schon unüberschaubaren! – Internetpräsenz religiöser Gemeinschaften und Organisationen werden schließlich große Bereiche des Internets selbst zum religionswissenschaftlichen Forschungsfeld; die „virtuelle“ Präsenz mancher religiöser Gruppierungen ist bisweilen stärker profiliert als ihr „reales“ Agieren. Welche Auswirkungen die neuen technologischen Entwicklungen über Forschung und Recherche hinaus auf die religionswissenschaftliche Lehre haben werden, ist noch nicht abzusehen; sicherlich bieten multimediale Präsentationen die Chance, den religionswissenschaftlichen Lehrstoff anschaulicher zu vermitteln – aber die buntere Verpackung garantiert noch keinen besseren Inhalt.

Desktop Research

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XII. Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung 1.

Wissensvermittlung

Wozu nutzt die Religionswissenschaft?

Wie jede akademische Disziplin, so muss auch die Religionswissenschaft Rechenschaft darüber ablegen, was sie für die akademische Diskussion erbringt und von welcher gesellschaftlichen Relevanz sie ist. Auf die Frage nach dem Nutzen der Religionswissenschaft lassen sich viele Antworten geben, von denen hier nur einige wenige kurz angeschnitten werden können. Zunächst ist die Religionswissenschaft in ganz pragmatischer Weise „nützlich“, indem sie Kenntnisse über Religionen und Kulturen vermittelt – nicht nur über fremde, entweder räumlich weit entfernte oder inzwischen in unmittelbarer Nähe vorhandene, sondern auch über die eigene, bisweilen fremd gewordene. Diese Wissensvermittlung beschränkt sich nicht nur auf den universitären Bereich, wenngleich sie dort besonders evident ist: Inzwischen sollte weithin Konsens sein, dass sich die religionswissenschaftliche Kompetenz von Theologiestudierenden nicht mehr nur auf Grundkenntnisse über die religionsgeschichtliche Umwelt des Alten und Neuen Testaments beschränken kann; auch Studierende der Politologie haben sich religionswissenschaftliches Wissen anzueignen, da sie spätestens bei Grundfragen der internationalen Politik auf religiöse Faktoren stoßen; und Wirtschaftswissenschaftler werden sich womöglich mit den Auswirkungen religiös begründeter Wirtschaftsethik auseinanderzusetzen haben, wenn sie beispielsweise mit dem Phänomen islamischer Aktienfonds konfrontiert sind. Die Schule ist eine weitere wichtige Institution, in der die Religionswissenschaft dazu beiträgt, verlässliches Wissen über Religionen bereitzustellen. Gleiches gilt für das weite Feld der Erwachsenenbildung und der Fortbildung, für den Bereich kirchlicher Akademien oder für Parteistiftungen, für die Politikberatung oder für Angebote im Bereich des Managertrainings: Im Grunde gibt es kein Gebiet der Wissensvermittlung, wo guten Gewissens auf religionswissenschaftliche Expertise verzichtet werden könnte; Grundkenntnisse über Religionen und religiöse Bewegungen sollten heutzutage nicht mehr nur zum exklusiven Bildungsgut einer kleinen intellektuellen Elite gehören, sondern integraler Bestandteil der Allgemeinbildung sein. Dazu gehört beispielsweise das Bemühen, die Wahrnehmung für das komplexe Zusammenspiel von religiösen und nichtreligiösen Aspekten zu schärfen, was ja durchaus eine anspruchsvolle Aufgabe ist, wenn etwa nach der religiösen Dimension bei Konflikten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen gefragt wird. Religionswissenschaftliche Grundkenntnisse helfen aber auch bei der Orientierung im Dschungel religiöser Angebote, und sie können dazu beitragen, dass Touristen bei ihren Reisen in

Wozu Religionswissenschaft?

fremde Länder den Religionen des Gastlandes mit genügender Sensibilität und Respekt entgegentreten. Die Beispiele dieser unmittelbaren „Nutzanwendung“ religionswissenschaftlicher Wissensvermittlung ließen sich beliebig fortsetzen. Eine besondere Form der Anwendung religionswissenschaftlichen Wissens besteht darin, dass die Religionswissenschaft aufgrund ihrer spezifischen Expertise eine Mittlerfunktion erfüllen kann. Dies gilt zunächst für die Begegnung zwischen den Religionen. Religionswissenschaft ist keine Religionstheologie, und deswegen kann und darf sie selbst keinen Dialog der Religionen führen. Ihre besondere Stellung und Kompetenz erlauben ihr aber durchaus, den Dialog der Religionen nicht nur zum Forschungsgegenstand zu haben, sondern an entsprechenden Prozessen selbst als Moderatorin und Wissensvermittlerin teilzuhaben. Eine wichtige Aufgabe als Mittlerin kann die Religionswissenschaft auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit oder bei der Arbeit von Hilfsdiensten wahrnehmen: Nicht wenige Projekte in diesem Bereich sind u. a. auch deshalb gescheitert, weil der religiös-kulturelle Hintergrund und damit die Religion selbst als konstitutiver Faktor nicht wahrgenommen oder falsch eingeschätzt wurde; ist es sinnvoll, industrielle Fischverarbeitung in einem Gebiet ansiedeln zu wollen, wo aufgrund religiöser Speisetabus schon seit Generationen auf das Verzehren von Fischen verzichtet wird? Eine weitere Aufgabe für diese aufklärerische Mittlerarbeit, die von der Religionswissenschaft geleistet werden kann, liegt darin, vorhandene Fehlinterpretationen, Vorurteile und Missverständnisse gegenüber anderen religiösen Traditionen zurechtzurücken, wie sie in vielen Medien, aber auch in Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern transportiert werden. Beispielsweise hat das Anfang der 90er Jahre unter Federführung von Abdoljavad Falaturi und Udo Tworuschka abgeschlossene „Kölner Schulbuchprojekt“ nachweislich dazu beigetragen, dass die Darstellung des Islams in deutschen Schulbüchern verbessert wurde, und das Tübinger Medienprojekt Tübinger Religionswissenschaft konnte mit seiner kritischen Analyse das Bewusstsein dafür schärfen, aufgrund welcher Mechanismen in den Massenmedien bestehende Vorurteile häufig weitertransportiert und verstärkt werden. Doch die genannte Wissensvermittlung kann auch einen weiteren, durchaus legitimen Bezugspunkt haben, indem sie nämlich dazu Anlass gibt, unsere eigene Situation dadurch kritisch zu reflektieren, dass wir die Ergebnisse religionswissenschaftlicher Studien auf unsere eigene Kultur und Gesellschaft, in der wir leben, zurückbeziehen. Jacques Waardenburg hat wohl zu Recht einmal darauf hingewiesen, dass wir eine solche Antwort auf die Frage nach dem „Nutzen“ der Religionswissenschaft „allerdings schwerlich einem breiteren Publikum oder Ministerialbeamten und Politikern verständlich machen können. Doch der wichtigste Ertrag dieser Art von Studien ist … die Bereitschaft, eine gewisse Weisheit und Klarheit zu gewinnen, … und sie der Gesellschaft zu vermitteln. Das Studium anderer Religionen und Kulturen bewegt uns, über die unsere nachzudenken“ (18: 34).

Mediation und Moderation

kritische Reflexion der eigenen Situation

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

2. Themen und Aufgaben religionswissenschaftlicher Forschung

Forschungsrichtungen und -themen der letzten Jahrzehnte

Als Günter Lanczkowski vor gut zwei Jahrzehnten seine Einführung in die Religionswissenschaft schrieb, leitete er seine Monographie mit einem Kapitel über die aktuelle Bedeutung der Religionswissenschaft ein, in dem er den Kontext der Religionsforschung im ausgehenden 20. Jahrhundert skizzierte. Ausgehend von der Feststellung, dass wir heute in der „Endphase des Zeitalters der Entdeckungen“ (12: 1) stehen, die durch einen „Pluralismus der Religionen“ (ebd.: 3) gekennzeichnet ist, wo aber „noch immer Religionen gestaltende Kräfte unserer Zeit“ (ebd.: 4) sind, ergibt sich für ihn „schon um der Orientierung in dieser Welt willen … die Forderung nach religionskundlichem Wissen. Und dieses setzt das Sachverständnis der Religionsforschung voraus“(ebd.: 6). Der Katalog seiner „Forschungsrichtungen und Forschungsaufgaben“ nimmt sich gegenüber der engagiert ausgeführten Skizze der religiösen Gegenwartslage, in die er sein Plädoyer für die aktuelle Bedeutung der Religionswissenschaft einzeichnet, seltsam spröde aus: Wie Lanczkowski feststellt, standen in den letzten Jahren und Jahrzehnten Gottesglaube und Mythos, Typen religiöser Autorität, Kult, Symbole sowie der religiöse Evolutionismus und seine Überwindung als Themenschwerpunkte auf der Agenda der religionswissenschaftlichen Forschung. Nun sind die in diesem Katalog aufgeführten Themen auch in den letzten zwei Jahrzehnten sicherlich nicht abschließend behandelt worden, so dass einige Desiderate bleiben, wenngleich sich die Religionswissenschaft vieler der von Lanczkowski aufgelisteten Themen angenommen hat und auch beachtliche Ergebnisse erarbeiten konnte. Beispielsweise hat sich im Blick auf die im Zusammenhang mit der Forschungsaufgabe „Gottesglaube und Mythos“ eingeforderten Studien zum Polytheismus eine ganze Menge getan, wie etwa Burkhard Gladigow in seinem Bericht über „Akzente, Perspektiven und Optionen der Forschung“ in Blick auf den „religionsgeschichtlichen Normalfall“ aufzeigt; seiner Meinung nach hat die Religionsforschung inzwischen „die besondere Stellung von Polytheismus in der Geschichte der Kulturen und Religionen näher bestimmt: seine grundsätzliche Regionalisierung, die Tendenz zur Pantheon- oder Systembildungen und seine spezifische Integrationsleistung für die jeweiligen Kulturen“ (221: 59). Auf dem Gebiet der Symbole als Gegenstand der Religionswissenschaft und überhaupt in der Symbolforschung ist seit den 80er Jahren so viel geschehen, dass Lanczkowski die heutige Landschaft kaum wiedererkennen würde; hier sei lediglich die Rezeption ethnologischer Ansätze durch die Religionswissenschaft erwähnt – vornehmlich solcher, die der Symbolik besondere Aufmerksamkeit widmen, wie die von M. Douglas, V. Turner oder C. Geertz. Insbesondere F. Stolz und J. Waardenburg haben in ihren systematischen Entwürfen zur Religionswissenschaft der Symbolanalyse eine zentrale Rolle für das Studium der Religionen zugewiesen, indem sie Religionen selbst als „Symbolsysteme“ bestimmten. Die veränderte Weltlage hat inzwischen weitere Themen auf die religionswissenschaftliche Tagesordnung gesetzt. Daraus ergeben sich neue

Themen und Aufgaben

Forschungsaufgaben, und es sind auch neue Forschungsrichtungen entstanden. Einige sollen im Folgenden kurz angesprochen werden. Dabei kann es allerdings nicht darum gehen, die veränderte Agenda in ihrer Gesamtheit zu referieren oder auch nur annähernd alle neuen Themen vollständig aufzuzählen. Vielmehr können hier lediglich einige wenige ausgewählte Beispiele aus dem weiten Feld der Religionsforschung des beginnenden 21. Jahrhunderts in aller Kürze zur Sprache kommen. Ein ganzer Komplex von Forschungsaufgaben ergibt sich im Zusammenhang mit dem Prozess der Globalisierung. Die nach dem Ende des Kalten Krieges einsetzenden sozialen, politischen und ökonomischen Wandlungsprozesse globalen Ausmaßes haben Veränderungen bewirkt, denen sich keine Religion entziehen konnte. Diese Veränderungen waren allerdings durchaus nicht einheitlich und stellen sich nicht nur für verschiedene Religionen, sondern je nach Region auch innerhalb derselben Religion durchaus unterschiedlich dar. Seit einigen Jahren hat sich die Religionswissenschaft dieser Thematik angenommen. So fand beispielsweise im Sommer 1999 in Nairobi/Kenya eine regionale Konferenz der AASR statt, die dem Thema „Die Religionen Ostafrikas und ihre Erforschung im Zeitalter der Globalisierung“ gewidmet war. An der Universität Bayreuth beschäftigt sich ein umfangreiches, interdisziplinär ausgerichtetes religionswissenschaftliches Forschungsprojekt im Rahmen eines größeren, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs am Beispiel afrikanischer christlicher Bewegungen in Nigeria und in Deutschland mit der Wechselbeziehung von „Globalisierung“ und „Lokalisierung“. Bis zum Ende der 90er Jahre war das Stichwort „Globalisierung“ zwar nur selten ausdrücklich in Titeln religionswissenschaftlicher Veröffentlichungen zu finden, doch hat de facto die Beschäftigung mit dem Thema selbst signifikant zugenommen. Dabei geraten durchaus unterschiedliche Stränge und Aspekte des Themas in den Blick: die – unterstützende oder bremsende – Funktion von Religionen bei Globalisierungsprozessen, die vereinheitlichende Wirkung der Globalisierung auf Religionen, oder aber auch die Differenzierung „globaler“ Religionen im Prozess ihrer Vermittlung in diverse lokale Kontexte. Eng verbunden mit der Globalisierung ist eine andere Thematik, nämlich die Frage nach der Rolle von Religionen im Zusammenhang mit Migration und Diasporabildung. Nicht erst aufgrund des Prozesses der Globalisierung seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts haben wir es weltweit mit umfangreichen Migrationsbewegungen zu tun, durch die sich das traditionelle religiöse Profil ganzer Regionen zum Teil signifikant verändert hat – denken wir nur an den transatlantischen Sklavenhandel, in dessen Verlauf auch afrikanische Religionen bzw. religiöse Traditionen ihren Weg nach Amerika fanden, oder an die Migration vornehmlich hinduistischer oder muslimischer Inder nach Südafrika, Fidschi oder auf die Westindischen Inseln, die bisweilen mit leeren Händen, aber nie ohne ihre Religion in der neuen Heimat ankamen. Für Europa ist dieser Prozess relativ jung, hat er doch erst im Rahmen der Dekolonisation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bzw. mit der Arbeitsmigration ab den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in stärkerem Maße eingesetzt. Auch zu solchen Fragen

Religion und Globalisierung

Religion, Migration und Diasporabildung

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

Religiös-politischer Radikalismus

Religion und Ethnizität

hat es in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger religionswissenschaftlicher Arbeiten gegeben. Von besonderem Interesse im Blick auf den deutschen Kontext ist in diesem Zusammenhang die Frage nach Transformationsprozessen des Islams in Deutschland vor dem Hintergrund der Präsenz türkischer Einwanderer. Ein weiteres Thema, dem von religionswissenschaftlicher Seite europaweit zunehmend Aufmerksamkeit gewidmet wird, ergibt sich aus der Anwesenheit einer ständig wachsenden afrikanischen Diaspora, wobei zumeist christlich orientierte afrikanische Gemeinschaften in den Blick kommen. Auch auf theoretisch und methodologisch orientierte Arbeiten ist in diesem Zusammenhang zu verweisen, die beispielsweise nach der religionswissenschaftlichen Relevanz des Begriffs „Diaspora“ als analytischer Kategorie fragen. Außerdem werden in zunehmendem Maße traditionelle Konzepte wie „Synkretismus“ oder „Inkulturation“ auf den Prüfstand gestellt, die von relativ statischen Größen und Prozessen ausgehen und ungenügend in den Blick nehmen, dass wir es im Grunde mit dynamischen „Transkulturationsvorgängen“ zu tun haben, die sich mit dem herkömmlichen begrifflichen Instrumentarium nicht mehr hinreichend analysieren lassen. Da internationale Migrationsbewegungen auf absehbare Zeit eher noch zunehmen werden, eröffnet sich hier ein besonders weites Feld für religionswissenschaftliche Forschung. In einem gewissen Zusammenhang mit Fragen von Globalisierung und Migration stehen noch zwei weitere Themenbereiche, die seit einiger Zeit schon das Interesse religionswissenschaftlicher Forschung auf sich gezogen haben: das weltweit beobachtbare Phänomen radikaler religiös-politischer Bewegungen sowie der Zusammenhang von Religion und Ethnizität. Der erstgenannte Themenbereich war bereits seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jh. unter dem Schlagwort des „Fundamentalismus“ verhandelt worden, wobei vornehmlich radikale islamische Bewegungen im Mittelpunkt des Interesses standen. Die Diskussion darüber wurde in der Öffentlichkeit mit großer Emotionalität geführt, und die Religionswissenschaft, bei der in dieser Frage die eigentliche Fachkompetenz liegt, konnte sich in der angeheizten Stimmung nur wenig Gehör verschaffen. Bis zur Gegenwart tut sie sich schwer damit, hier verlorenes Terrain zurückzugewinnen, zumal die akademische Debatte weitgehend von der Politologie und der Soziologie bestimmt wird, während der öffentliche Diskurs nach wie vor stark von den Vorurteilen und Feindbildern der 80er und 90er Jahre gefärbt ist. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang immer noch Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen“, die hierzulande im Göttinger Politologen Bassam Tibi ihren eifrigsten Protagonisten gefunden hat. Der Zusammenhang von Religion und Ethnizität ist in der zweiten Hälfte der 90er Jahre durch Kriege und gewalttätige Konflikte in verschiedenen Regionen der Welt eindrücklich und auf alarmierende Weise vor Augen geführt worden: die Kriege in Bosnien und im Kosovo, der Konflikt zwischen der islamistisch orientierten Regierung im Nordsudan und dem christlichen und – wie es heißt – „animistischen“ Südsudan, Zusammenstöße zwischen den christianisierten sog. Minderheitenethnien und der islamischen Mehrheitsbevölkerung in Nordnigeria, blutige Auseinanderset-

Themen und Aufgaben

zungen zwischen christianisierten Dajak und muslimischen Transmigranten auf Kalimantan … die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. In allen diesen Fällen kann die Religionswissenschaft aufgrund der ihr eigenen Sach- und Fachkompetenz maßgeblich zur Erforschung der Hintergründe dieser Konflikte und zur Erhellung des komplexen Zusammenhangs von Ethnizität und Religion beitragen; doch auch hier wird die Diskussion momentan vornehmlich von soziologischer, ethnologischer und politologischer Seite bestimmt – was nicht heißen soll, dass hier nicht ausgezeichnete Arbeit geleistet wird! –, und die religionswissenschaftliche Analyse scheint dem akademischen Diskurs hinterher zu hinken. Dieser oberflächliche Eindruck kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Religionswissenschaft zu beiden Themenbereichen bereits substanzielle Untersuchungen vorgelegt hat, zumal sie sich dabei nicht auf Aspekte fixiert, die seitens soziologischer oder ethnologischer Studien kompetenter analysiert werden können, sondern neue, bislang nicht berücksichtigte Aspekte in die Debatte einbringt. Beispielsweise hat Hans Kippenberg in einem Beitrag über „Kriminelle Religion“ die These entfaltet, es genüge nicht, vom „Missbrauch“ der Religion durch religiöse Gewalttäter zu reden. Vielmehr sei herauszuarbeiten, „dass Religion zur Definition einer Situation und zur Legitimation von Handlungen einen spezifischen Beitrag leistet“(229: 98), der umso durchschlagender wirkt, je weniger die Religion der Begrenzung durch vorhandene Rechtsordnungen unterliegt: „Wenn und wo eine Kontrolle von Religion durch das Rechtssystem zusammenbricht, hat Religion das Zeug, verbrecherische Handlungen zu autorisieren“ (ebd.: 110). Mit der Thematik der Globalisierung ist – wenngleich nur indirekt und mittelbar – noch eine Reihe weiterer Fragenkomplexe verbunden, die sich mit dem religiösen Pluralismus insbesondere im europäischen Kontext beschäftigen. Dieser Pluralismus ist zwar nicht neu, nimmt inzwischen jedoch aufgrund der Immigration nichtchristlicher Gemeinschaften nach Europa im Zeichen der zunehmenden Globalisierung auf der religionswissenschaftlichen Agenda einen höheren Stellenwert ein als früher. Allerdings sollte zuvor in den Blick kommen, dass die geistes- und kulturgeschichtliche Entwicklung Europas durchaus auch eigenständige pluralistische Traditionen ausgebildet hat, die jedoch nicht unmittelbar und auf den ersten Blick erkennbar sind. In diesem Zusammenhang wäre deshalb zunächst nach einer „Europäischen Religionsgeschichte“ zu fragen, die von der gängigen „Kirchengeschichte“ ebenso zu unterscheiden ist wie von deren – bisweilen aus antisemitischen Ressentiments genährtem – Gegenentwurf einer „wahren“ europäischen Religionsgeschichte, die der Verklärung germanischer oder keltischer Traditionen dient. Dabei geht es nicht nur um solche religionsgeschichtlichen Überlieferungslinien, die „auf der Rückseite der Aufklärung“ (211: 229 ff.) tradiert worden sind, sondern auch und vornehmlich um solche, die im Medium von Philosophien, Philologien und schließlich Naturwissenschaften transferiert wurden: „Seit ‘Sinn’ in zunehmendem Maße über die Deutung von ‘Welt’ gewonnen wird, treten Naturwissenschaftler als ‘Sinnproduzenten’ auf – oder werden über den Mechanismus der Popularisierung dazu gemacht.“ (220: 21). Vor dem Hintergrund einer so verstandenen europäischen Religionsgeschichte stellt

Religiöser Pluralismus, New Age und europäische Religionsgeschichte

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

Neue Religiöse Bewegungen

öffentlicher Raum und rechtliche Legitimierung von Religion

sich dann auch die Diskussion über die sog. „New-Age-Bewegung“ in neuem Licht dar: Bereits oben hatten wir darauf hingewiesen, dass „New Age“ nicht ausschließlich ein Konglomerat disparater Phänomene darstellt, die unter dem modischen Siegel „New Age“ nach Gutdünken zusammengestellt werden. Vielmehr können sich hinter diesem schillernden Begriff esoterische Traditionen verbergen, die auf dem Prinzip der Ganzheitlichkeit als gemeinsamen Nenner basieren. Dieser „Holismus“, der tief in alten naturphilosophischen Traditionen verankert ist und dessen Wurzeln bis in die antike Hermetik reichen, mag erklären, weshalb die moderne NewAge-Bewegung eine so starke Affinität zur theoretischen Physik verspürt hat und das Tao der Physik (F. Capra) zur Maxime der individuellen Lebensführung wird: Das menschliche Leben und der gesamte „Kosmos“ (griechisch: Ordnung), Geist und Materie bilden eine große Einheit, die im Einklang gehalten werden muss. Die Beschäftigung nicht nur mit Gemeinschaften und Phänomenen der sog. New-Age-Bewegung, sondern mit sog. Neuen Religiösen Bewegungen generell ist seit spätestens den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem der bedeutsamsten Arbeitsfelder der Religionswissenschaft geworden. Unter dieser Bezeichnung werden Erneuerungsbewegungen, Neureligionen oder religiöse Strömungen verschiedenster Herkunft, Größe und Ausrichtung zusammengefasst – wenngleich sie oftmals gar nicht so „neu“ sind, wie der Name suggeriert, sondern tiefgehende geschichtliche Wurzeln haben. Fernöstlich orientierte Gruppierungen gehören ebenso dazu wie aus christlicher Tradition erwachsene charismatische Bewegungen, „neuheidnische“ Gruppen in gleicher Weise wie sog. nativistische Kulte, die Spannbreite reicht von der Osho-Bewegung über die Vereinigungskirche bis zu Scientology und anderen Gemeinschaften. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erregten die sog. „Jugendreligionen“ in Europa und Nordamerika besonderes Aufsehen. Aus dieser Zeit stammt auch die Popularisierung des „Sekten“-Begriffs als Bezeichnung für neureligiöse Bewegungen, wodurch der Begriff von einem kirchensoziologischen Terminus zum Kampfbegriff interreligiöser Auseinandersetzungen mit dem Impetus der Stigmatisierung „abweichender“ Religiosität mutierte. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit mancher Gruppierungen wie der Scientology-Bewegung wurde in den 90er Jahren eine Enquete-Kommission des Bundestages eingesetzt, die 1998 ihren Endbericht über „Sog. Sekten und Psychogruppen“ vorlegte. Der Titel dieses Berichts macht deutlich, dass der Begriff der „Sekte“ in der Arbeit der Kommission problematisiert worden ist. Damit wurde einer wichtigen Einsicht aus religionswissenschaftlicher wie auch aus rechtlicher Perspektive Rechnung getragen: „Nicht der Begriff der Sekte, der … an die theologischen Kriterien der Unterscheidung von Kirche und Sekte … anknüpft, ist zur Grundlage der öffentlichen Diskussion der neuen religiösen Gemeinschaften zu machen, sondern die Grundsätze der Rechtsgemeinschaft“ (244: 231). Mit dem Hinweis auf Neue Religiöse Bewegungen als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung ist zugleich eine weitere Thematik angeschnitten, die im Horizont der Frage nach der rechtlichen Stellung der

Themen und Aufgaben

religiösen Gemeinschaften im geeinten Europa der Zukunft immer wieder auftaucht und zunehmend in das Blickfeld der Religionswissenschaft gerät: Die Frage nach der Stellung der Religion in der Öffentlichkeit. Diese Thematik hat zwei Dimensionen. Zum einen zeigen die zunehmenden gesellschaftspolitischen Konflikte um religiöse Symbolen und Stätten (lautsprecherverstärkter islamischer Gebetsruf, Bau von Minaretten, Eröffnung von Hindu-Tempeln …), dass im Blick auf die implizite Normierung des öffentlichen Raums „eine inhaltliche Neubesetzung dieser Normierung zugunsten der Repräsentanz bislang marginalisierter Gruppen … ansteht und zunehmend zwischen den gesellschaftlichen Gruppen verhandelt wird“ (208:187). Zum anderen hat die Stellung der Religion in der Öffentlichkeit mit der rechtlichen Legitimierung von Religion zu tun – einer Frage, der sich ein Forschungsprojekt am Erfurter Max-Weber-Kolleg widmet (http://www.uni-erfurt.de/maxwe/personen/kippenberg/kippenberg_ forsch.html). In diesem Zusammenhang ist unter historischer wie systematischer Perspektive danach zu fragen, welche unterschiedlichen Kriterien der Anerkennung bzw. Nicht-Anerkennung von Religionen sich in verschiedenen sozio-kulturellen Kontexten herausgebildet haben: Was macht eine Religion zur religio licita, zur (staatlich) geduldeten, gar geförderten Religion, was macht sie zum verbotenen Kult? Weshalb ist die Scientology Church in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt, in Deutschland hingegen nicht? Wie in diesem Kapitel eingangs bemerkt, sollten einige wenige ausgewählte Beispiele aus dem weiten Feld der Religionsforschung nur kurz angesprochen werden. Selbstverständlich gäbe es noch viel mehr zu berichten. Die Religionswissenschaft hat sich gerade in den letzten Jahren sehr ausdifferenziert, eine Vielfalt von Forschungsrichtungen weiter verfolgt und neue Forschungsaufgaben in Angriff genommen. Auf die Religionsökonomik als aufstrebende religionswissenschaftliche Teildisziplin wurde bereits oben verwiesen; die lokale Religionsgeschichte eröffnet nochmals ganz spezifische Zugänge zum Thema Religion mit Blick auf den jeweiligen Kontext „vor Ort“; die mündliche Religionsforschung wird auf längere Sicht hin ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Anwendung qualitativer und quantitativer Methoden in der religionswissenschaftlichen Feldforschung; die kritische Aufarbeitung der Geschichte der Religionswissenschaft und ihrer Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus ist augenblicklich in vollem Gange … Dabei erhält die Religionswissenschaft wichtige Anregungen selbstverständlich auch aus Entwicklungen in anderen Wissenschaften. Beispielsweise sind Gender Studies keine religionswissenschaftliche Errungenschaft, sondern wurden aus anderen sozialwissenschaftlichen Forschungsrichtungen rezipiert. Wie bereits erwähnt, gibt es Forschungen zur Stellung der Frau in den Religionen schon seit langem – man(n) denke nur an die große Monographie von Friedrich Heiler zu diesem Thema – und auch religionswissenschaftliche Frauenforschung ist seit einiger Zeit eine durchaus etablierte Forschungsrichtung innerhalb der Religionswissenschaft. Hingegen sind Gender Studies im engeren Sinne, also solche Forschungen, die nicht nur „Frauenforschung“ in traditioneller Hinsicht betreiben, sondern ausgehend von dem Geschlecht als sozialer Kate-

Ausdifferenzierung religionswissenschaftlicher Forschung

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

interdisziplinäre Ausrichtung religionswissenschaftlicher Forschung

gorie nach der Konstruktion geschlechtsspezifischer Rollen fragen, in der Religionswissenschaft noch relativ jungen Datums. Eine besondere Schwäche, aber auch eine außerordentliche Chance liegt in der interdisziplinären Anschlussfähigkeit wie auch potentiellen Universalisierbarkeit der Religionswissenschaft bei der Kooperation mit anderen Wissenschaften. Auf die „Entdeckung“ des Zusammenhangs zwischen der Attraktivität der theoretischen Physik für die „New-Age“-Bewegung und der Herkunft der von ihr gepflegten Esoterik aus naturphilosophischen Traditionen der europäischen Geistes- und Religionsgeschichte wurde bereits verwiesen. Doch das Gespräch zwischen Religionswissenschaft und anderen Wissenschaften, namentlich den Naturwissenschaften, geht noch weiter. So ist beispielsweise die alte religionswissenschaftliche Frage, ob Religion notwendig zum Menschsein gehört, nicht mehr nur als interne, innerhalb der Religionswissenschaft zu führende Debatte um die Religion als anthropologische Grundkonstante zu führen. Vielmehr haben sich religionswissenschaftliche Entwürfe heute „den Herausforderungen der Forschungsgeschichte zu stellen …: In welchem Maße ist es sinnvoll, evolutionstheoretische und soziobiologische Gesichtspunkte in die eigenen Verfahrensweisen einzubeziehen?“ (189: 10). Diese Frage führt nicht nur die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der Religionswissenschaft vor Augen, sondern eröffnet zugleich die Perspektive auf das Potential und die Kompetenz der Religionswissenschaft, sich in kritischer und dynamischer Weise mit neuen Fragen, Methoden und Zielbestimmungen auseinander zu setzen, wodurch sie sich als selbstbewusste und zukunftsfähige Wissenschaft erweist.

3. Die Zukunft der Religionswissenschaft

die „kulturwissenschaftliche Wende“ in der jüngsten Wissenschaftsgeschichte

Hundert Jahre nachdem Adolf von Harnack die Institutionalisierung der Religionswissenschaft als akademische Disziplin erfolgreich verhindert hat, indem sie einerseits in die Philologie abgeschoben, andererseits in der Theologie „aufgehoben“ wurde, hat sich die Religionswissenschaft aller Unbill zum Trotz als eigenständige Wissenschaft außerhalb der theologischen Fakultäten institutionalisieren können – und sich doch auch innerhalb der theologischen Fakultäten eine gewisse Position erkämpft und diese bis heute halten, in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sogar teilweise ausbauen können. Die sich daraus ergebenden Probleme und Spannungen in der Frage des Verhältnisses von Theologie und Religionswissenschaft oder Religionswissenschaft innerhalb und außerhalb der theologischen Fakultäten wurden bereits oben diskutiert und sollen an dieser Stelle nicht nochmals in aller Breite aufgenommen werden. Unabhängig von ihrer wissenschaftsorganisatorischen Verankerung sind die großen Themen für die Religionswissenschaft hier wie dort dieselben, und die Frage, welche Herausforderungen auf die Religionswissenschaft selbst künftig noch zukommen werden, stellt sich ihr in ähnlicher Weise – ob sie nun innerhalb oder außerhalb theologischer Fakultäten beheimatet ist. Die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung seit den 90er Jahren des

Zukunft der Religionswissenschaft

20. Jahrhunderts ist durch eine Wende von den Geistes- zu den Kulturwissenschaften gekennzeichnet. Dies hat Auswirkungen für eine ganze Reihe von Wissenschaften – beispielsweise auch für die Theologie. Zu Recht stellt in diesem Zusammenhang E. Herms fest, dass auch die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft vor dem Hintergrund dieser Wende diskutiert werden muss, und aus binnentheologischer Perspektive ist es durchaus verständlich, wenn er im Blick hierauf konstatiert: „Theologie ist Religionswissenschaft, und zwar in exemplarischer Gestalt Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft“ (200: 70). Aus religionswissenschaftlicher Sicht stellt sich der Sachverhalt allerdings etwas anders dar: Nicht Theologie, sondern Religionen haben plötzlich eine bislang unerwartete Aktualität erlangt, und zwar weniger in ihren christlichen Gestaltungen und im Schoße christlicher Kirchen, sondern an ganz anderen Orten der modernen Kultur: in der Werbung, in der Popmusik („Clapton is God“; Madonna, Nirvana …), in den Volkshochschulen (Yoga), in Wellness-Studios (Ayurveda), in Sportvereinen (Tai Chi – mit Teezeremonie), in der Kunst, im Internet oder in der Politik … Die Kirchenmitgliedschaft schwindet, New Age und Esoterik boomen. Angesichts dieses religiösen Pluralismus, verstanden als kulturelle Differenzierung, die gegenüber herkömmlichen Gestaltungen religiöser Vielfalt eine ganz neue Qualität erlangt hat, reklamiert die Religionswissenschaft in neuem Selbstbewusstsein kulturelle bzw. kulturwissenschaftliche Kompetenz. Selbstverständlich hat auch die Theologie ein verständliches und legitimes Interesse daran, diese Entwicklungen zu analysieren und für ihre spezifischen Fragestellungen auszuwerten. Sie beansprucht, dies als Religionswissenschaft zu tun, und will dabei als Kulturwissenschaft verstanden werden – „in exemplarischer Gestalt“. Die Frage ist jedoch, ob dieses „Exemplarische“ durch seine programmatische Gebundenheit an Christentum und Kirche nicht perspektivischen Einseitigkeiten und Verzerrungen unterliegt, die erst durch die Herstellung größtmöglicher Distanz zu ihrem Gegenstand aufzubrechen sind. Das kann die Theologie alleine aus sich heraus nicht leisten, auch nicht als „exemplarischer Fall von Religionswissenschaft“. Wir brauchen deshalb eine kulturwissenschaftlich orientierte Religionswissenschaft in nicht-theologischer Gestalt, der die Aufgabe zukommt, der Theologie „zu einer für sie selbst notwendigen Distanzierung der Tradition gegenüber“ (15: 44) zu verhelfen „Der cultural turn in den Humanwissenschaften“ (230: 12 u. passim) hat für die Religionswissenschaft insofern Bedeutung, als damit diejenige Traditionslinie ihre Bestärkung und Bestätigung findet, die Religionen als kulturelle Phänomene verstehen und erforschen will. H. Kippenberg und B. Gladigow illustrieren in ihrem Vorwort zur Dokumentation über Religionswissenschaft in Deutschland, die im Auftrag der DVRG erstellt wurde, am Beispiel von Samuel Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen“, welche überraschenden Folgen dieser Perspektivenwechsel für die Religionswissenschaft mit sich bringt: Wenn plötzlich Religionen als Hauptakteure globaler kultureller Konflikte auftreten – dann werden die Gegenstände der Religionswissenschaft zum Brennpunkt des aktuellen Weltgeschehens, und auf der religionswissenschaftlichen Agenda erscheinen

kulturelle Phänomene als Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

Religion als kulturelles System

die Religionswissenschaft nach dem „Verschwinden“ ihres Gegenstandes

plötzlich brisante politische Themen. Ein ähnlicher Vorgang wiederholt sich im Blick auf diese „kulturellen Probleme“ in Europa und Deutschland: Mit der Einwanderung und Eingliederung von Gemeinschaften, die durch andere religiöse Traditionen geprägt sind als die vorfindbare Bevölkerung, avanciert der religiöse Pluralismus als Ausdruck kultureller Vielfalt zu einer der zentralen Herausforderungen für Staat und Gesellschaft – und damit werden unversehens solche Themen zur zentralen gesellschaftpolitischen Aufgabe, denen sich die Religionswissenschaft schon seit längerem widmet. Nun war sicherlich lange Zeit strittig, ob und inwieweit die Religionswissenschaft überhaupt kulturwissenschaftlich arbeiten soll. Kippenberg und Gladigow verweisen in dem genannten Beitrag auf den „Antihistorismus in der Religionswissenschaft“, der insbesondere in der Gestalt der Religionsphänomenologie – vornehmlich repräsentiert durch R. Otto und M. Eliade – eine Abkehr der Religionswissenschaft von historischen und sozialwissenschaftlichen Arbeitsweisen begründen sollte. Vor diesem Hintergrund kommt in der Tat dem Aufsatz Religion als kulturelles System von Clifford Geertz aus dem Jahre 1965 in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht die Bedeutung einer Wasserscheide zu: Er markiert gleichermaßen das Ende des Funktionalismus wie der Religionsphänomenologie – jedenfalls in ihren „klassischen“ Spielarten. Religion wird nun verstanden als ein Phänomen, das als dynamische Kraft Kultur und Gesellschaft formt und nicht bloß ein irrationales individuelles Erleben benennt, wodurch es einer kulturwissenschaftlichen Beschreibung entzogen wäre; Religion kann aber auch nicht nur in Kategorien ihrer Funktion beschrieben werden, da ihre eigentliche Leistung darin zu sehen ist, dass sie ein kulturelles Bedeutungssystem darstellt, „mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln“ (112: 46). Folgerichtig gehört zur Aufgabe der Religionswissenschaft in einem ersten Schritt „eine Erforschung der Bedeutungssysteme, wie sie sich in den Symbolen materialisiert, die die eigentliche Religion ausmachen“ (ebd.: 94). C. Geertz hat mit seiner Bestimmung von Religion als kulturellem System einen Paradigmenwechsel markiert, hinter den die Religionswissenschaft heute nicht mehr zurückfallen kann. Dennoch sind damit selbstverständlich nicht alle Probleme der Religionswissenschaft schlüssig beantwortet. Die letzten Jahre und Jahrzehnte haben neue Fragen aufkommen lasen, die sich nicht nur auf die Gegenstände und Forschungsrichtungen der Religionswissenschaft beziehen, sondern die ihr Selbstverständnis und ihre eigene Zukunft betreffen. Auch hier sollen nur einige wenige Fragen exemplarisch angeschnitten werden, die künftig für die Religionswissenschaft Bedeutung erlangen könnten. Die Frage nach der Zukunft der Religionswissenschaft nach dem (vermeintlichen) „Verschwinden“ ihres Gegenstandes verweist die Religionswissenschaft zurück an ihre ureigene Frage: die nach der Religion. An erster Stelle wird sich die Religionswissenschaft also auch weiterhin, und zwar dauerhaft, damit zu beschäftigen haben, was das denn eigentlich ist, das sie zum Gegenstand hat – „Religion“.

Zukunft der Religionswissenschaft

Mit dem – wie gesagt: vermeintlichen – „Verschwinden“ der Religion ist eine Reihe von durchaus disparaten Entwicklungen beschrieben, die den Gegenstand der Religionswissenschaft schwer bestimmbar machen. So gibt es beispielsweise immer noch die in unterschiedlichen Variationen verbreitete Meinung, Religion als Epiphänomen der Menschheitsgeschichte würde sich im Verlauf fortschreitender Modernisierungsprozesse von selbst erledigen und schließlich verschwinden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt sich jedoch, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass – ganz im Gegenteil – die Religionen einen unerwarteten Aufschwung genommen haben. Doch damit ist für die Religionswissenschaft die Aufgabe, ihren Gegenstand zu bestimmen, nicht leichter geworden. Dies hat zum einen damit zu tun, dass die meisten Religionen den Begriff „Religion“ nicht – oder erst neuerdings – auf sich selbst anwenden; hier sei an Karl Barth erinnert, der mit der strikten Unterscheidung zwischen christlichem Glauben und Religion (wobei er durchaus primär das Christentum im Blick hatte) den christlichen Glauben dem Zugriff der Religionswissenschaft entzogen zu haben beanspruchte. Zum anderen hat es innerhalb der Religionswissenschaft Bemühungen gegeben, die auf eine methodische Eliminierung des Begriffs „Religion“ zielten; wie bereits oben erwähnt (s. S. 66), hat beispielsweise W. C. Smith versucht, das Dilemma des sich entziehenden Gegenstandes der Religionswissenschaft zu umgehen, indem er „Religion“ in „Glaube“ (faith) und „kumulative Tradition“ (cumulative tradition) zerlegte – ein Projekt, das wohl von heute aus besehen weitgehend als gescheitert betrachtet werden muss. Eine besonders radikale Position ergibt sich dann, wenn Religion als ein reines Konstrukt gesehen wird, als bloßes Produkt der Tätigkeit des Forschers, das außerhalb der Religionswissenschaft gar nicht existiert – so die provokante These von Jonathan Z. Smith, die insbesondere in einigen Traditionssträngen der US-amerikanischen Religionswissenschaft auf positive Resonanz gestoßen ist und erst kürzlich in einem von W. Braun und R. T. McCutcheon herausgegebenen umfangreichen Einführungswerk wieder positiv rezipiert wurde. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Sie verweisen auf das grundsätzliche Problem, dass die Religionswissenschaft eben nicht über eine eindeutige Definition von Religion verfügt, die es ihr erleichtern würde, sich als akademische Disziplin im traditionellen Sinne zu konstituieren und zu positionieren. Viele religionswissenschaftliche Entwürfe haben sich deshalb darum bemüht, ihren Gegenstand auf eine Weise zu beschreiben, die religionswissenschaftliches Arbeiten auch ohne eine „wasserdichte“ Definition von Religion möglich macht: so, dass „vorläufige“ substanzielle, funktionale oder aus einer Kombination von funktionalen und substanziellen Elementen gewonnene Definitionen vorgenommen werden; so, dass „Religion“ in verschiedene Dimensionen zerlegt wird; oder eben auch so, dass Religion lediglich als „Konstruktionstätigkeit“ gesehen wird, bei der dann das die Religion konstruierende Selbstbewusstsein des Religionswissenschaftlers seinen eigentlichen Gegenstand konstituiert. Doch die Frage nach der Bestimmung von „Religion“ bringt noch andere Schwierigkeiten mit sich: Selbst wenn ich mich einer Singularisierung von „Religion“ verweigere, auf eine Definition von „Religion“ verzichte und

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

Religionswissenschaft als globales Projekt

mich darauf verlege, Religionen (im Plural) zu studieren, kann ich diesen Problemen nicht entfliehen, denn es stellt sich unmittelbar die Frage: Was meine ich denn nun mit Religionen? Was gehört – etwa neben den großen „Weltreligionen“ – noch zum Gegenstandsbereich der Religionswissenschaft? Wie verhält es sich mit Ideologien oder sog. „säkularen Religionen“? Wie gehe ich mit Phänomenen um, die sich als „Religionen“ bezeichnen – an deren „Religion“-Sein aber von verschiedenen Seiten begründete Zweifel erhoben werden –, und wie mit Phänomenen, die sich verbitten, als „Religionen“ kategorisiert zu werden – wo jedoch alle Indizien es zu rechtfertigen scheinen, sie als solche zu bezeichnen? Also ist wohl doch die „konstruktive“ Tätigkeit des Religionswissenschaftlers ein nicht unbedeutender Faktor bei der Konstitution des Gegenstandes der Religionswissenschaft; dass „Religion“ jedoch nicht nur in dieser Konstruktionstätigkeit aufgeht, belegt bereits die banale Tatsache, dass sie in Begriff und Sache auch außerhalb der Religionswissenschaft vorhanden ist. Oben wurde erwähnt, dass sich aus dem Prozess der Globalisierung eine ganze Reihe neuer Forschungsaufgaben für die Religionswissenschaft ergibt. Doch der Prozess der Globalisierung betrifft nicht nur ihre Gegenstände, sondern die Religionswissenschaft selbst – und insofern stellt sich zu Recht die Frage nach der Zukunft der Religionswissenschaft als einem „globalen Projekt“. Dabei ist unbestritten, dass die Religionswissenschaft aufs engste mit der abendländischen Ideen- und Geistesgeschichte verwoben ist. Trotz mancher Ansätze zu einer „Religionswissenschaft“, die sich beispielsweise bei dem muslimischen Universalgelehrten al-Bîrûnî (973–1048) aufzeigen ließen, hat sich außerhalb des Abendlandes keine Religionswissenschaft als akademische Disziplin entwickelt. Wohl aber gibt es mehr und mehr Religionswissenschaftler(innen) mit anderem kulturellen und religiösen Hintergrund als das Gros der abendländischen Religionsforscher. Frank Whaling hat in einer Studie über Religionsforschung im globalen Kontext festgestellt, dass Religionswissenschaftler wie Ananda Coomaraswamy, Sarvepalli Radhakrishnan, D. T. Suzuki, Seyyid Hossein Nasr u. a., die aus einem nichteuropäischen Hintergrund stammen, Zugänge zur Erforschung der Religionen wählen, die sich von denen ihrer europäischen Kolleginnen und Kollegen signifikant unterscheiden. Dabei identifiziert Whaling sieben besondere Aspekte: Sie widmen sich vornehmlich der Erforschung ihrer eigenen Religion; ihr Interesse ist auf die großen lebenden Weltreligionen gerichtet; sie haben ein besonderes Gespür für die Gegenwartssituation, den jeweiligen konkreten Kontext, in dem sich die Religionen befinden; sie setzen sich kritisch mit dem Abendland auseinander und hoffen, trotz aller ambivalenten Beziehungen zum Westen, auf einen konstruktiven Beitrag eines interkulturellen Dialogs; sie sind besonders an philosophischen Fragen und Erörterungen interessiert; sie bekennen sich dezidiert zu ihrer religiösen Überzeugung; und sie sind sowohl an historischen als auch an „transzendenten“ Strukturen der Religionsgeschichte interessiert. Was bedeutet also der Prozess der Globalisierung – nicht nur der Religion, sondern auch der Religionswissenschaft – für die Zukunft der Disziplin? Und was heißt es, wenn „nichtwestliche“ Forschungsrichtungen

Zukunft der Religionswissenschaft

innerhalb der Religionswissenschaft ernst genommen werden sollen, wie immer wieder auf verschiedenen Konferenzen eingefordert wird? Welchen Beitrag können die spezifischen nichtabendländischen Perspektiven für die Weiterentwicklung der Religionswissenschaft leisten? Diese Fragen betreffen selbstverständlich nicht nur die Religionswissenschaft, sondern alle Humanwissenschaften. Edward Said hat mit seinem „Orientalismus“-Vorwurf innerhalb der orientalistischen Disziplinen bereits vor fast einem Vierteljahrhundert eine entsprechende, äußerst kontrovers geführte Debatte ausgelöst, indem er den betreffenden Wissenschaften vorwarf, mit ihren scheinbar „objektiven“ Beschreibungen dem Imperialismus in die Hand gearbeitet zu haben. Dieser Vorwurf war und ist in dieser Form sicherlich überzogen und lässt sich zudem nicht ohne weiteres auf die Religionswissenschaft übertragen. Doch die Religionswissenschaft wird sich der Frage stellen müssen, ob, inwieweit und an welcher Stelle sie Gefahr läuft, einem „intellektuellen Imperialismus“ den Weg zu bereiten; sind alle akademische Standards, Forschungsrichtungen und Methoden durchweg universalisierbar? Eine weitere Frage, die für die Religionswissenschaft an Bedeutung erlangen könnte, hat mit den soeben benannten Aspekten indirekt zu tun: die Frage nach der Rolle des Religionsforschers, der Religionsforscherin im Prozess der religionswissenschaftlichen Forschung. Diese Problematik hat mehrere Dimensionen: Zum einen bezieht sich die Frage nach dem „subjektiven Faktor“ auf die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Forschenden ihre Studien betreiben: „Eurozentrismen als Erkenntnisbarrieren in der Religionswissenschaft“ (205: 41 ff.) können die Darstellung ebenso „subjektiv“ verzerren wie andere kulturelle und wissenschaftliche Prägungen; die jeweiligen kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Bedingungen sollten im Kontext religionswissenschaftlicher Forschung möglichst kritisch reflektiert und expliziert werden, denn sie beeinflussen ganz maßgeblich den Forschungsprozess und stellen sich beispielsweise als „insider-outsider-Problem“ dar. Auf einer anderen Ebene liegt der „subjektive Faktor“ dann, wenn er etwa in Gestalt einer dezidiert religiösen Positionalisierung – also zum Beispiel in Gestalt eines christlichen Bekenntnisses – in den Forschungsprozess eingebracht wird und explizit in der Fragestellung oder in der Auswertung von Forschungsergebnissen zum Tragen kommt. Dies ist jedoch deutlich zu unterscheiden vom subjektiven Faktor in Gestalt einer persönlichen Prägung des Religionswissenschaftlers; hierbei handelt es sich nämlich nicht um eine bewusste Bekenntnisentscheidung und religiöse Positionierung, sondern um vorgängige Bestimmungen, denen jeder – ob er nun eine Bekenntnisposition einnimmt oder nicht – a priori unterworfen ist. Diese persönliche Konstitution liegt also auf einer tieferen Ebene und spielt eine entscheidende Rolle für die religionswissenschaftliche Forschung, insbesondere, wenn beispielsweise latente, oftmals vielleicht gar unbewusste positive oder negative Grundeinstellungen gegenüber „Religion“ generell, Erfahrungen, Ängste, Vorlieben usw. zum Tragen kommen, ohne dass im Forschungsprozess ausdrücklich Rechenschaft darüber abgelegt wird bzw. werden kann. Die Religionswissenschaft wird sich vor dem Hintergrund dieser Proble-

die Rolle der Forscher

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Perspektiven religionswissenschaftlicher Forschung

Religion und Religionswissenschaft

matik die Frage stellen müssen, wie sie konstruktiv mit solchen persönlichen Prägungen umgehen will. Ist es der Weisheit letzter Schluss, wenn versucht wird, sie einzuklammern, zu neutralisieren oder gar zu eliminieren? Müssen nicht gerade im Blick auf die eben skizzierte „Globalisierung der Religionswissenschaft“ diese persönlichen Dimensionen stärker bewusst gemacht werden und in den Forschungsprozess selbst mit einfließen? Ist religiöse Indifferenz eine Haltung, die religionswissenschaftliche Forschung erleichtert – oder ist sie ein ideologisches Konstrukt bzw. gar selbst von einer gleichsam „religiösen“ Qualität, die sich verzerrend auf die Forschung auswirkt, wenn sie nicht explizit der kritischen Reflexion unterworfen wird? Wie beeinflusst beispielsweise die radikal laizistische Position eines Religionswissenschaftlers seine Religionsforschung? Welche Auswirkungen hat es auf seine Ergebnisse, wenn er im Gegensatz dazu die Aufgabe des Staates darin sieht, die Religionen nicht nur zu respektieren, sondern auch zu fördern? Wir haben in exemplarischer Weise nur drei Fragestellungen herausgegriffen, deren Diskussion für die Religionswissenschaft in Zukunft an Bedeutung erlangen wird. Viele andere Beispiele für Fragen von gleichermaßen weitreichender Bedeutung wären noch zu nennen: Ist die Religionswissenschaft als eng umgrenzte, klar definierte Disziplin, als Verbund kulturwissenschaftlicher Disziplinen, oder als interdisziplinäres Fach mit eigenständigem Schwerpunkt zu konzipieren? Welche Beziehung besteht zwischen Religionswissenschaft und Politik – sowohl hinsichtlich der Frage nach dem erkenntnisleitenden Interesse in der Religionsforschung, als auch im Blick auf politische Erwartungen und Rahmenvorgaben? Welche Rolle spielen die Religionen selbst – vermittelt über den Standpunkt der Forscher, und sei es bloß im negativen Bezug auf die jeweils erforschte Religion – in der Religionswissenschaft, und umgekehrt: welche Rolle spielt die Religionswissenschaft für die Religionen? Gerade die letzte Frage ist von großer Aktualität und Brisanz; wie von soziologischer Seite festgestellt wurde, gehört „die beidseitige Verflochtenheit von Religion und Religionswissenschaft“ (243: 49) zur Signatur unserer Zeit. Das hat Konsequenzen nach zwei Seiten hin: zum einen für die Religionen, die ihrerseits die Religionswissenschaft zur eigenen (Re-)Konstruktion, Legitimation und Popularisierung „nutzen“ können; zum anderen für die Religionswissenschaft, die sich von der Illusion verabschieden muss, ihr Gegenstand, die Religion, würde ihr als lediglich Gegebenes entgegentreten. Damit rückt das Subjekt religionswissenschaftlicher Forschung in den Horizont der Frage nach dem Gegenstand der Religionswissenschaft – und entsprechend in den Reflexionszusammenhang religionswissenschaftlicher Theoriebildung: Der Religionswissenschaftler, die Religionswissenschaftlerin beschränken ihr Tun nämlich nicht darauf, lediglich Gegebenes zu registrieren und zu rezipieren; sie haben vielmehr selbst an jenen Prozessen teil, die zur Konstituierung des Gegenstandes der Religionswissenschaft führen.

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u.a. (Hrsg.): Encyclopedia of Religion, New York u.a. 22005. Krause, Gerhard und Mller, Gerhard (Hrsg.): Theologische Realenzyklopdie, Berlin und New York 1976ff. Science of Religion Bulletin. Abstracts and Index of Recent Articles, Amsterdam 1976ff. Salomone, Frank A. (Hrsg.): Encyclopedia of Religious Rites, Rituals, and Festivals, New York u.a. 2004. Smith, Jonathan Z. (Hrsg.): The HarperCollins Dictionary of Religion, San Francisco 2002. Stuckrad, Kocku von (Hrsg.): The Brill Dictionary of Religion, Leiden 2006ff.

b) Einfhrungen in die Religionswissenschaft 10d Chryssides, George D. und Geaves, Ron (Hrsg.): The Study of Religion. An Introduction to Key Ideas and Methods, London 2007. 10e Deming, Will: Rethinking Religion. A Concise Introduction, New York und Oxford 2005. 10f Johann Figl (Hrsg.): Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck u.a. 2003. 11 Greschat, Hans-Jrgen: Was ist Religionswissenschaft?, Stuttgart 1988. 11a Harding, John S. und Rodrigues, Hillary: Introduction to the Study of Religion, London u.a. 2009. 11b Hasenfratz, Hans-Peter: Religion – was ist das?: Lebensorientierung und andere Wirklichkeit, Freiburg u.a. 2003 (2002). 11c Hinnells, John R.: The Routledge Companion to the Study of Religion, London u.a. 22010 (2005). 12 Lanczkowski, Gnter: Einfhrung in die Religionswissenschaft, Darmstadt 21991 (1980). 12a McCutcheon, Russell T.: Studying Religion. An Introduction, London u.a. 2007. 12b Orsi, Robert Anthony (Hrsg.): The Cambridge Companion to Religious Studies, Cambridge u.a. 2012. 13 Schlette, Heinz Robert: Einfhrung in das Studium der Religionen, Freiburg 1971.

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Bibliographie 13a Segal, Robert Alan (Hrsg.): The Blackwell Companion to the Study of Religion, Malden u.a. 2009 (2006). 14 Sharpe, Eric J.: Understanding Religion, London 6 1999 (1983). 15 Stolz, Fritz: Grundzge der Religionswissenschaft, Gttingen 32001 (1988). 15a Kippenberg, Hans Gerhard und Stuckrad, Kokku von: Einfhrung in die Religionswissenschaft. Gegenstnde und Begriffe, Mnchen 2003. 16 Sundermeier, Theo: Religion – was ist das? Religionswissenschaft im theologischen Kontext, Frankfurt a.M. 22007 (1999). 17 Waardenburg, Jacques: Religionen und Religion. Systematische Einfhrung in die Religionswissenschaft, Berlin 1986. 18 Waardenburg, Jacques: Perspektiven der Religionswissenschaft, Altenberge 1993. 19 Wießner, Gernot: Religionswissenschaft, in: Campenhausen, Axel Freiherr von und Wießner, Gernot: Kirchenrecht – Religionswissenschaft, Stuttgart 1994, S. 64–178. 19a Wilke, Annette: Anstze und Methoden der Religionswissenschaft, Mnster 2006 (2002). 19b Yousefi, Hamid Reza: Grundlagen der interkulturellen Religionswissenschaft, Nordhausen 2006. 19c Yousefi, Hamid Reza u.a. (Hrsg.): Wege zur Religionswissenschaft – eine interkulturelle Orientierung. Aspekte, Grundprobleme, ergnzende Perspektiven, Nordhausen 2007. 20 Zinser, Hartmut (Hrsg.): Religionswissenschaft. Eine Einfhrung, Berlin 1988. 20a Zinser, Hartmut: Grundfragen der Religionswissenschaft, Paderborn u.a. 2010.

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c) Einfhrungen in einzelne religionswissenschaftliche Disziplinen 30 21 Baal, J. van und van Beek, W.E.A.: Symbols for Communication. Introduction to the Anthropological Study of Religion, Assen 21985 (1971). 21a Bowen, John Richard: Religions in Practice. An Approach to the Anthropology of Religion, Boston 52011 (1998). 21b Bowie, Fiona: The Anthropology of Religion. An Introduction, Malden u.a. 22009 (2000). 21c Gabriel, Karl (Hrsg.): Religion und Gesellschaft. Texte zur Religionssoziologie, Paderborn 22010 (2004). 21d Glazier, Stephen D. und Flowerday, Charles A. (Hrsg.): Selected Readings in the Anthropology

of Religion. Theoretical and Methodological Essays, Westport 2003. Heine, Susanne: Grundlagen der Religionspsychologie. Modelle und Methoden, Gttingen 2005. Henning, Christian; Murlen, Sebastian und Nestler, Erich: Einfhrung in die Religionspsychologie, Paderborn u.a. 2003. Holm, Nils G.: Einfhrung in die Religionspsychologie, Basel und Mnchen 1990. Kehrer, Gnther: Einfhrung in die Religionssoziologie, Darmstadt 1988. Knoblauch, Hubert: Religionssoziologie, Berlin 1999. Knoblauch, Hubert: Qualitative Religionsforschung. Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft, Gttingen 2003. Lanczkowski, Gnter: Einfhrung in die Religionsphnomenologie, Darmstadt 31992 (1978). Mann, Ulrich: Einfhrung in die Religionspsychologie, Darmstadt 1973. Matthes, Joachim: Einfhrung in die Religionssoziologie, 2 Bde., Hamburg 1969. Rinschede, Gisbert: Religionsgeographie, Braunschweig 1999. Rpke, Jrg: Historische Religionswissenschaft. Eine Einfhrung, Stuttgart 2007. Quack, Anton: Hexer, Heiler und Schamanen. Die Religion der Stammeskulturen, Darmstadt 2011 (2004). Spilka, Bernard u.a. (Hrsg.): The Psychology of Religion. An Empirical Approach, New York u.a. 42009 (1997). Thiel, Josef Franz: Religionsethnologie, Berlin 1984. Waal Malefijt, Annemarie de: Religion and Culture. An Introduction to Anthropology of Religion, New York und London, Neuausgabe 1989 (1968). Wallisch-Prinz, Brbel: Religionssoziologie. Eine Einfhrung, Stuttgart u.a. 1977.

d) Einfhrungen in die Allgemeine Religionsgeschichte: bersichtsdarstellungen 31 Asmussen, Jes Peter und Laessoe, Joergen in Verbindung mit Carsten Colpe (Hrsg.): Handbuch der Religionsgeschichte, 3 Bde., Gttingen 1971–1976. 32 Cancik, Hubert u.a. (Hrsg.): Die Religionen der Menschheit. Begrndet von Schroeder, Christel Matthias, Stuttgart 1961ff.

Bibliographie 33 Chantepie de la Saussaye, Daniel: Lehrbuch der Religionsgeschichte, 2 Bde., Tbingen 1897–89. 34 Eliade, Mircea: Geschichte der religisen Ideen, 4 Bde., Freiburg im Breisgau u.a. 2002 (1978). 35 Goldammer, Kurt und Heiler, Friedrich (Hrsg.): Die Religionen der Menschheit, Stuttgart 72003 (1959). 36 Lanczkowski, Gnter: Einfhrung in die Religionsgeschichte, Darmstadt 21991 (1983). 36a Markham, Ian S.: Encountering Religion. An Introduction to the Religions of the World, Oxford 2001. 37 Mensching, Gustav: Die Religion. Erscheinungsformen, Strukturtypen und Lebensgesetze, Mnchen 1967 (1959). 37a Partridge, Christopher, Das große Handbuch der Weltreligionen, Wuppertal 2006. Engl.: The World’s Religions, Oxford u.a. 32005. 38 Ratschow, Carl Heinz: Die Religionen, Gtersloh 1979. 39 Tworuschka, Monika und Udo (Hrsg.): Bertelsmann Handbuch Religionen der Welt. Grundlagen, Entwicklung und Bedeutung in der Gegenwart, Mnchen 1992. 40 Visible Religion. Annual for Religious Iconography, Institute of Religious Ico-nography, Groningen, 1982ff.

2. Stationen der Geschichte: Die Entwicklung der Religionswissenschaft bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts a) bersichtsdarstellungen, Anthologien etc. 41 Elsas, Christoph (Hrsg): Religion. Ein Jahrhundert theologischer, philosophischer, soziologischer und psychologischer Interpretationsanstze, Mnchen 1975. 42 Lanczkowski, Gnter (Hrsg.): Selbstverstndnis und Wesen der Religionswissenschaft, Darmstadt 1974. 43 Michaels, Axel: Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, Mnchen 32010 (1997). 44 Sharpe, Eric J.: Comparative Religion. A History, London 22003 (1975). 45 Waardenburg, Jean Jacques (Hrsg.): Classical Approaches to the Study of Religion. Aims, Methods and Theories of Research, Berlin u.a. 1999 (1973/1974). 46 Whaling, Frank (Hrsg.): Theory and Method in Religious Studies. Contemporary Approaches to

the Study of Religion, Berlin u.a. 1995 (1984/ 85). 47 Whaling, Frank (Hrsg.): The World’s Religious Traditions. Current Perspectives in Religious Studies. Essays in Honour of Wilfred Cantwell Smith, New York 1986.

b) Allgemeine Methodendiskussion, Schwerpunkt: Religionsgeschichtliche Zugnge 48 Berner, Ulrich: Gegenstand und Aufgabe der Religionswissenschaft, in: Zeitschrift fr Religionsund Geistesgeschichte 35 (1983), S. 97–116. 49 Bianchi, Ugo: Probleme der Religionsgeschichte, Gttingen 1964 (ital. 1954). 50 Eliade, Mircea und Kitagawa, Joseph M. (Hrsg.): Grundfragen der Religionswissenschaft. Acht Studien, Salzburg 1963 (amerik. 1959). 51 Flasche, Rainer: Die Religionswissenschaft Joachim Wachs, Berlin und New York 1978. 52 Gladigow, Burkhard und Kippenberg, Hans G. (Hrsg.): Neue Anstze in der Religionswissenschaft, Mnchen 1983. 53 Glock, Charles Y. und Stark, Rodney: Patterns of Religious Commitment, Berkeley 1968. 54 Glock, Charles Y. und Stark, Rodney: Religion and Society in Tension, Chicago 1965. 55 Honko, Lauri (Hrsg.): Science of Religion. Studies in Methodologv. Proceed-ings of the Study Conference of the Int. Association for the History of Religions, held in Turku, Finland, August 27–31, 1973, Den Haag und Paris 1979. 55a Idinopulos, Thomas Athanasius (Hrsg.): Comparing Religions. Possibilities and Perils, Leiden u.a. 2006. 56 Kitagawa, Joseph M.: Gibt es ein Verstehen fremder Religionen?, Leiden 1963. 57 Kitagawa, Joseph M. (Hrsg.): The History of Religions. Retrospect and Prospect, New York 1985. 58 Lanczkowski, Gnter: Begegnung und Wandel der Religionen, Dsseldorf und Kln 1971. 59 Mller, F. Max: Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft, Straßburg 1876 (engl. 1873). 60 Mller, Friedrich Max: Vorlesungen ber den Ursprung und die Entwicklung der Religion, Straßburg 1880 (engl. 1878). 61 Platvoet, Jan G.: Comparing Religions. A Limitative Approach, Den Haag, Paris und New York 1982. 62 Pye, Michael (Hrsg.): Marburg Revisited. Institutions and Strategies in the Study of Religion, Marburg 1989.

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Bibliographie 63 Rudolph, Kurt: Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft, Leiden 1992. 64 Seiwert, Hubert: Systematische Religionswissenschaft. Theoriebildung und Empiriebezug, in: Zeitschrift fr Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 61 (1977), S. 1–18. 65 Seiwert, Hubert: „Religise Bedeutung“ als wissenschaftliche Kategorie, in: Annual Review for the Social Sciences of Religion 5 (1981), S. 57–99. 66 Smith, Wilfred Cantwell: Vergleichende Religionswissenschaft: wohin – warum?, in: Eliade, Mircea und Kitagawa, Joseph M. (Hrsg.): Grundfragen der Religionswissenschaft, Salzburg 1963, S. 75–105. 67 Smith, Wilfred Cantwell: The Meaning and End of Religion, Minneapolis 1991 (1964). 68 Smith, Wilfred Cantwell: Towards a World Theology. Faith and the Comparative History of Religion, Houndmills u.a. 1996 (1981). 69 Stephenson, Gnther (Hrsg.): Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der Religionswissenschaft, Darmstadt 1976. 70 Vrijhof, Pieter Hendrik und Waardenburg, Jacques (Hrsg.): Official and Popular Religion. Analysis of a Theme for Religious Studies, Den Haag, Paris und New York 1979. 71 Wach, Joachim: Religionswissenschaft. Prolegomena zu ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlegung, Waltrop 2001 (1924). 72 Wach, Joachim: Vergleichende Religionsforschung. Mit einer Einfhrung von Joseph M. Kitagawa, Stuttgart 1962 (amerik. 1958).

c) Allgemeine Methodendiskussion, Schwerpunkt: Religionsphnomenologische Zugnge 73 Colpe, Carsten (Hrsg.): Die Diskussion um das „Heilige“, Darmstadt 1977. 74 Ders.: Zur Neubegrndung einer Phnomenologie der Religionen und der Religion, in: Zinser, Hartmut (Hrsg.): Religionswissenschaft. Eine Einfhrung, Berlin 1988, S. 131–154. 75 Dhavamony, Mariasusai: Phenomenology of Religion, Rom 1973. 76 Eliade, Mircea: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte, Frankfurt a.M. u.a. 1998 (1958; franz. 1948). 77 Goldammer, Kurt: Die Formenwelt des Religisen. Grundriß der systematischen Religionswissenschaft, Stuttgart 1960. 78 Heiler, Friedrich: Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung, Mnchen u.a. 51969 (1918).

79 Heiler, Friedrich: Erscheinungsformen und Wesen der Religion, Stuttgart u.a. 21979 (1961). 80 Kippenberg, Hans G. und Luchesi, Brigitte (Hrsg.): Religionswissenschaft und Kulturkritik. Beitrge zur Konferenz The History of Religions and Critique of Culture in the Days of Gerardus van der Leeuw (1890–1950), Marburg 1991. 81 Kristensen, William Brede: The Meaning of Religion. Lectures in the Phenomenology of Religion, Den Haag 21968 (1960). 82 Leeuw, Gerardus van der: Phnomenologie der Religion, Tbingen 41977 (1933). 83 Otto, Rudolf: Das Heilige. ber das Irrationale in der Idee des Gttlichen und sein Verhltnis zum Rationalen, Mnchen 2013 (1917). 84 Smart, Ninian: The Phenomenon of Religion, London u.a. 1978 (1973). 85 Sderblom, Nathan: Das Werden des Gottesglaubens, Hildesheim u.a. 1979 (21926; 1916). 86 Waardenburg, Jacques: Reflections on the Study of Religion. Including an Essay on the Work of Gerardus van der Leeuw, Den Haag, Paris und New York 1978. 87 Widengren, Geo: Religionsphnomenologie, Berlin 1969 (schwed. 21953).

d) Religionssoziologische Zugnge 88 Bellah, Robert N.: Religise Evolution, in: Seyfarth, Constans und Sprondel, Walter M. (Hrsg.): Religion und gesellschaftliche Entwicklung, Frankfurt a.M. 1973, S. 267–302 (amerik. 1964). 89 Berger, Peter L. und Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a.M. 242012 (1969; amerik. 1966). 90 Berger, Peter L.: Auf den Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz, Freiburg u.a. 2001 (amerik. 1969). 91 Berger, Peter L.: Der Zwang zur Hresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Freiburg u.a. 1992 (amerik. 1979). 92 Boos-Nnning, Ursula: Dimensionen der Religiositt. Zur Operationalisierung und Messung religiser Einstellungen, Mnchen und Mainz 1972. 93 Comte, Auguste: Die Soziologie. Die positive Philosophie im Auszug, Stuttgart 21974 (franz. 1830–42). 94 Durkheim, mile: Der Selbstmord, Frankfurt a.M. 2011 (franz. 1897). 95 Durkheim, mile: Die elementaren Formen des

Bibliographie religisen Lebens, Frankfurt a.M. 2007 (franz. 1912). 96 Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion, Frankfurt a.M. 62010 (amerik. 1967). 97 Luhmann, Niklas: Funktion der Religion, Frankfurt a.M. 2004 (1977). 97a Luhmann, Niklas: Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2007 (2000). 98 Mensching, Gustav: Soziologie der Religion, Bonn 21968 (1947). 99 Niebuhr, Helmut Richard: The Social Sources of Denominationalism, Gloucester 1987 (1929). 100 Parsons, Talcott: Gesellschaften. Evolutionre und komparative Perspektiven, Frankfurt a.M. 2 1986 (amerik. 1966). 101 Spencer, Herbert: The Principles of Sociology, 3 Bde., New Brunswick u.a. 2003 (1880ff.). 102 Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tbingen 1994 (1912). 103 Wach, Joachim: Religionssoziologie, Tbingen 1951 (engl. 1947). 104 Weber, Max: Religion und Gesellschaft. Gesammelte Aufstze zur Religionssoziologie, Darmstadt 2012 (1920–1921). 105 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Frankfurt a.M. 2010 (1921). 106 Weber, Max: Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung, hrsg. von Johannes Winckelmann, Gtersloh 92000 (1965); Die protestantische Ethik II. Kritiken und Antikritiken, hrsg. von Johannes Winckelmann, Gtersloh 6 1995 (1968). 107 Yinger, J. Milton: The Scientific Study of Religion, New York und London 1970.

e) Religionsethnologische, kulturanthropologische und kulturgeschichtliche Zugnge 107a Bennett, Clinton: In Search of the Sacred. Anthropology and the Study of Religions, London u.a. 2002 (1996). 108 Burkert, Walter: Homo necans. Interpretationen zu altgriechischen Opferriten und Mythen, Berlin 21997 (1972). 109 Douglas, Mary: Reinheit und Gefhrdung, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 51992 (1988; engl. 1966). 110 Evans-Pritchard, Edward E.: Hexerei, Orakel und Magie bei den Zande, Frankfurt a.M. 1978 (engl. 1937).

111 Frazer, James George: Der goldene Zweig, Reinbek 62011 (engl. 1922, Auszug aus: The Golden Bough, 12 Bde., London 1912–36). 112 Geertz, Clifford: Religion als kulturelles System, in: Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beitrge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a.M. 1983, S. 44–95 (engl. 1966). 113 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie der Kultur, in: Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beitrge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a.M. 1983, S. 7–43 (engl. 1973). 114 Van Gennep, Arnold: bergangsriten, Frankfurt a.M. u.a. 32005 (franz. 1909). 115 Girard, Ren: Das Heilige und die Gewalt, Ostfildern 22012 (franz. 1972). 116 Kippenberg, Hans G. und Luchesi, Brigitte (Hrsg.): Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse ber das Verstehen fremden Denkens, Frankfurt a.M. 21995 (1978). 117 Kohl, Karl-Heinz: Ein verlorener Gegenstand? Zur Widerstandsfhigkeit autochthoner Religionen gegenber dem Vordringen der Weltreligionen, in: Zinser, Hartmut (Hrsg.): Religionswissenschaft. Eine Einfhrung, Berlin 1988, S. 252–273. 118 Leach, Edmund: Kultur und Kommunikation, Frankfurt a.M. 1978 (engl. 1976). 119 Lvi-Strauss, Claude: Traurige Tropen, Frankfurt a.M. 202012 (franz. 1955). 120 Lvi-Strauss, Claude: Strukturale Anthropologie, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2008/2009 (franz. 1958/ 73). 121 Lvi-Strauss, Claude: Das Ende des Totemismus, Frankfurt a.M. 1997 (franz. 1962). 122 Lvi-Strauss, Claude: Das wilde Denken, Frankfurt a.M. 2010 (franz. 1962). 123 Lvi-Strauss, Claude: Mythologica, 4 Bde., Frankfurt a.M. 2008 (franz. 1964–71). 124 Lvy-Bruhl, Lucien: Die geistige Welt der Primitiven, Darmstadt 1966 (franz. 1922). 125 Malinowski, Bronislaw: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, Frankfurt a.M. 22006 (engl. 1944). 126 Malinowski, Bronislaw: Magie, Wissenschaft und Religion und andere Schriften, Frankfurt a.M. 1983 (engl. 1948). 127 Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a.M. 2011 (franz. 1923–24). 128 Radin, Paul: Die religise Erfahrung der Naturvlker, Zrich 1951. 129 Schmidt, Wilhelm: Der Ursprung der Gottesidee, Mnster 1926ff. (12 Bde.).

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Bibliographie 130 Smith, William Robertson: Die Religion der Semiten, Freiburg 1899 (engl. 21894). 131 Turner, Victor Witter: Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt a.M. u.a. 2005 (engl. 1969). 132 Turner, Victor: Revelation and Divination in Ndembu Ritual, Ithaca und London 1975. 133 Tylor, Edward Burnett: Die Anfnge der Cultur, 2 Bde., Hildesheim u.a. 2005 (1873; engl. 1871).

f) Religionspsychologische Zugnge 134 Faber, Heije: Religionspsychologie, Gtersloh 1973 (niederl. 1972). 135 Fowler, James W.: Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn, Gtersloh 2000 (engl. 1982). 136 Freud, Sigmund, Gesammelte Werke, London 1938ff., insbesondere: Bd. IX: Totem und Tabu (1913); Bd. XIV: Die Zukunft einer Illusion (1927); Bd. XVI: Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1937). 137 Fromm, Erich: Psychoanalyse und Religion, Mnchen 72008 (1966). 138 James, William: Die Vielfalt religiser Erfahrung, Frankfurt a.M. 2005 (engl. 1906). 139 Josuttis, Manfred (Hrsg.): Religion und die Droge. Ein Symposium ber religise Erfahrungen unter Einfluß von Halluzinogenen, Stuttgart u.a. 1972. 140 Jung, Carl Gustav: Gesammelte Werke, Olten 1958ff., insbesondere: Bd. V: Symbole der Wandlung (1952); Bd. IX/1: Die Archetypen und das kollektive Unbewußte (1934–1955); Bd. XI: Psychologie und Religion (1940/1962). 141 Leuba, James H.: A Psychological Study of Religion. Its Origin, Function, and Future, New York 1969 (1912). 142 Maslow, Abraham H.: Religions, Values and Peak Experiences, New York u.a. 1994 (1964). 143 Nase, Eckart und Scharfenberg, Joachim (Hrsg.): Psychoanalyse und Religion, Darmstadt 1977. 144 Neumann, Erich: Die grosse Mutter. Die weiblichen Gestaltungen des Unbewussten, Dsseldorf 2003 (1956). 145 Piaget, Jean: Das Weltbild des Kindes, Mnchen 9 2010 (franz. 1926). 146 Sundn, Hjalmar: Religionspsychologie, Stuttgart 1982 (schwedisch 1977). 147 Tart, Charles T.: Transpersonale Psychologie, Olten 1978 (engl. 1975).

148 Vergote, Antoine: Religionspsychologie, Olten 1970 (franz. 1966).

g) Weitere Zugnge: Religionsgeographie, Religionssthetik, Religionskonomik; Religionsphilosophie und Religionskritik 149 Bttner, Manfred, Hoheisel, Kurt u.a. (Hrsg.): Grundfragen der Religionsgeographie, Berlin 1985. 150 Fickeler, Paul: Grundfragen der Religionsgeographie, in: Erdkunde, 1 (1947), S. 121– 144. 150a Liedhegener, Antonius u.a. (Hrsg.): Religion – Wirtschaft – Politik. Forschungszugnge zu einem aktuellen transdisziplinren Feld, Zrich 2011. 151 Rudolph, Kurt und Rinschede, Gisbert: Beitrge zur Religion-Umwelt-Forschung, Berlin 1989. 152 Siebert, Rudolf J.: The Critical Theory of Religion. The Frankfurt School, Lanham u.a. 2001 (1986). 152a Siebert, Rudolf J.: Manifesto of the Critical Theory of Society and Religion. The Wholly Other, Liberation, Happiness, and the Rescue of the Hopeless, 3 Bde., Leiden 2010. 153 Sopher, David E.: Geography of Religions, Englewood Cliffs 1967. 154 Sprockhoff, Joachim Friedrich: Religise Lebensformen und Gestalt der Lebensrume. ber das Verhltnis von Religionsgeographie und Religionswissenschaft, in: Numen, 11 (1964), S. 85–146. 154a Tafner, Georg: Geld und Glauben. Was sie teilen – was sie trennt. ber Grenzen und Grenznutzen der Religionskonomie, Marburg 2009. 154b Vossen, Joachim: Religionsgeographie, Braunschweig 2003. 155 Wuchterl, Kurt: Philosophie und Religion. Zur Aktualitt der Religionsphilosophie, Bern 1982. 155a Wuchterl, Kurt: Kontingenz oder das Andere der Vernunft. Zum Verhltnis von Philosophie, Naturwissenschaft und Religion, Stuttgart 2011. 156 Zirker, Hans: Religionskritik, Dsseldorf 31995 (1982).

3. Neuere Literatur und aktueller Stand 156a Alles, Gregory D.: Religious Studies. A Global View, London u.a. 2008.

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240 Riesebrodt, Martin: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung. Amerikanische Protestanten (1910–28) und iranische Schiiten (1961–1979) im Vergleich, Tbingen 1990. 241 Said, Edward: Orientalismus, Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1981 (engl. 1978). 242 Sigrist, Christian und Neu, Rainer (Hrsg.): Ethnologische Texte zum Alten Testament, Bd. 1: Vorund Frhgeschichte Israels, Neukirchen 1989. 243 Tenbruck, Friedrich H.: Die Religion im Maelstrom der Reflexion, in: Bergmann, Jrg, Hahn, Alois und Luckmann, Thomas (Hrsg.): Religion und Kultur, Opladen 1993, S. 31–67. 244 Zinser, Hartmut: Der Begriff der Sekte und die Religionsfreiheit, in: Lhr, Gebhardt (Hrsg.): Die Identitt der Religionswissenschaft. Beitrge zum Verstndnis einer unbekannten Disziplin, Frankfurt a.M. u.a. 2000, S. 219–231.

Register Aberglaube 11, 23 Abraham 52 Âdi-Granth 31 Adorno, Theodor W. 81, 115 Ästhetik s. Religionsästhetik Ahmadiyya-Bewegung 49 Ahnenverehrung 126 Al-Bîrûnî 190 Althaus, Paul 166 Andrea, Tor 172 Animatismus 41, 111 Animismus 39, 40, 43, 111, 182 An/Anu 51 Antes, Peter 93 Anthropologie s. Kulturanthropologie Anthropomorphismus 111 Antisemitismus 183 Apokalyptik 108 Archäologie 25, 27 Archetypen 139, 140, 143 Asket 99, 152 Assmann, Jan 167 Atheismus 72, 111 Aufklärung 11, 12, 115, 158, 159, 183 Augustinus 11, 130 Anquetil-Duperont, Abraham Hyacinthe 25 Avesta 31 Bahâ‘î 31, 45 Bahâ’ullâh 49 Barker, Eileen 101 Barth, Karl 46, 47, 164, 189 Bastian, Adolf 111 Behaviorismus 134, 135 Bellah, Robert N. 44, 94, 102 Benedict, Ruth 113 Benz, Ernst 172 Berger, Peter L. 87, 88 Bhagavadgita 29 Bianchi, Ugo 65 Bibel, Bibelexegese 29, 30, 31, 40, 72, 74, 76, 85, 94, 107, 115, 150, 163, 165, 178 Biologismus 132 Bleeker, Cornelis J. 64, 65 Boas, Franz 111, 112, 113 Bochinger, Christoph 109

Bocquene, Henri 34 Bonaparte, Napoleon 25 Bon-Religion 78 Bori-Kult 35 Bourdieu, Pierre 154 Bousset, Wilhelm 26 Brahma 51 Brahmanen 45, 92 Braun, Willi 189 Brosses, Charles de 24, 41 Brunner, Emil 164 Buch Mormon (s. a. Mormonen) 31, 33 Buddha 32, 33, 35, 45, 46, 49, 50, 92, 96, 100, 104 Buddhismus 13, 15, 16, 22, 23, 25, 29–32, 35, 45, 46, 49–51, 62, 72, 96, 104, 153, 155, 160 Bürkle, Horst 163 Büttner, Manfred 147, 148 Bultmann, Rudolf 115, 164 Burkert, Walter 124 Calvin, Johannes 86 Cancik, Hubert 152 Capra, Fritjof 184 Chantepie de la Saussaye, Pierre Daniel 56, 58 Christentum 11, 12, 18, 22, 23, 25, 26, 30–32, 35, 41, 46–50, 52, 63, 71–75, 78, 83, 90, 92, 94–96, 98, 100, 102, 103, 107, 124, 127, 129, 139, 141, 146, 149, 154, 155, 157, 160, 162– 165, 168, 181–184, 187, 189–191 Christologie 52, 74 Christus 40, 49, 74, 100, 107, 124, 143 Cicero 10 Clan-Struktur 102–104 Codrington, Robert H. 41 Colpe, Carsten 70, 77, 78, 167 „communitas” 122, 123 Comte, Auguste 39, 41, 80, 82, 112 Coomaraswamy, Ananda 190 Crow-Indianer 113 Dämonen 151 „dao”, Daoismus 13, 14, 16, 29, 118 Darwin, Charles 39 David 52

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Register Deißmann, Adolf 163 Delitzsch, Friedrich 26 Dekadenztheorie 41, 42, 108 Dema-Gottheiten 114, 124 Deprivationstheorie s. Dekadenztheorie „Desktop Research” 177 „deva” 72 „dharma” 13, 29, 104 Dhavamony, Mariasusai 65 Diaspora 181, 182 Dilthey, Wilhelm 59 „dîn” 13, 29 Dogma, Dogmen 25, 143 Dogmatik 168, 173 Dogon 36 Douglas, Mary 113, 114, 120, 125, 180 Dumézil, Georges 116 Durkheim, Émile 16, 81, 84, 85, 107, 112, 113, 115 Dynamismus 41, 111 Ebeling, Gerhard 166 Echnaton 137 „electronic churches” 36, 108 Eliade, Mircea 16, 56, 62, 64, 66, 67, 75, 99, 115, 140, 188 Elias 52 Empirie, empirische Forschung 75, 77, 81, 82, 83, 96, 131–135, 140, 142, 151, 158, 160 Engels, Friedrich 80 Entwicklungstheorien 26, 27, 82, 111, 136 Epoché 59, 60, 65 Erbsünde 74 Eranos-Kreis 138 Ethik 13, 19, 20, 22, 45, 47, 48, 63, 72, 77, 78, 85, 86, 107, 133, 154, 155, 160, 170, 178 Ethnie, ethnische Religionen 78, 99, 103, 110–127, 147, 150, Ethnizität 182, 183 Ethnologie s. Kulturanthropologie, Religionsethnologie Ethnographie 91, 111, 112, 114, 120, 124, 131 Eucharistie 143 Eurozentrismus 191 Evangelische Religionskunde 165 Evans-Pritchard, Edward Evan 113 Evolutionismus 15, 26, 38, 39, 42, 43, 44, 75, 80, 81, 83, 91, 102, 112, 120, 171, 180, 185

Ewald, Georg August 26 Expertentum, religiöses 47, 48, 97, 103, 104, 118, 119, 121, 155 Faber, Heije 133, 140, 141 „fait social, faits sociaux” 81 Falaturi, Abdoljavad 179 Feldtkeller, Andreas 174 Fetisch, Fetischismus 24, 41, 111, 126 Feuerbach, Ludwig 130 Fickeler, Paul 147 Firth, Raymond 113 Flournoy, Theodor 144 Forde, Darylle 113 Fortes, Meyer 113 Frazer, James George 40, 41, 83, 112, 124, 136 Freud, Sigmund 112, 123, 132, 136, 137, 138–140, 143 Frick, Heinrich 30, 163 Friedli, Richard 170 Frobenius, Leo 27, 42 Fromm, Erich 140 Fulani 34, 149 Fulbe 75 „Fundamentalismus” 8, 94, 105, 107, 108, 182 Funktionalismus 16, 83, 84, 112, 113, 120, 188 Galton, Francis 130 Gebet 61, 73, 130, 133, 153 Geertz, Clifford 84, 114, 126, 154, 180, 188 Gender Studies 90, 96, 97, 185 Gennep, Arnold van 113, 121, 122 Gensichen, Hans-Werner 163 Geodeterminismus 147, 151 Geographie der Geisteshaltung s. Religionsgeographie Gesellschaften, komplexe 104, 105 Gesellschaften, segmentäre 102, 103 Gesellschaften, stratifizierte 103, 104, 105 Girard, René 124 Girgensohn, Karl 131–133 Girschek, Georg 65 Gladigow, Burkhard 180, 187, 188 Glaube, Gläubige 11, 19, 22, 23, 46, 66, 77, 85, 90, 100, 106, 133–136, 140, 142, 143, 154–158, 166–168, 180, 189 Glaube, induktiver 88

Register Globalisierung 181–183, 190, 191 Glock, Charles 19 Gnostiker 99 Godin, André 132 Goldammer, Kurt 56, 64, 77 Gott, Götter, Gottheit 10–15, 28–31, 40–42, 47, 51, 58, 59, 61–64, 71, 72, 73, 77, 82, 86, 94, 98, 106, 108, 116, 119, 121, 127, 133, 139, 140, 158, 164, 66, 67, 180 Graebner, Fritz 42 Gramsci, Antonio 81 Gregor von Nyssa 130 Greschat, Hans-Jürgen 34, 56, 73, 167 Greschat, Martin 30 Greßmann, Hugo 26 Griechenland 12, 13, 18, 27, 29, 146, 147, 163, 184 Grimm, Georg 46 „griots” 103 Groenbaek, Villiam 133 Groenbech, Wilhelm Peter 26 Gruehn, Werner 133 Grünschloß, Andreas 174 Gunkel, Hermann 26 Guru 99 Hadîth 31, 74 Häresie, häretisch 49, 88 Hall, Granville Stanley 130, 131 Hanegraaff, Wouter 109 Harnack, Adolf von 162, 163, 172, 174, 186 Harris, William Wade 45 Heiden, Heidentum 108, 146, 184 Heiler, Friedrich 56, 60–62, 64, 129, 167, 172, 185 „Heilige Schriften” 8, 31–37, 94, 115, 171 Heiliges, Heiligkeit, heilig 16, 58, 62, 63, 64, 66, 67, 77, 78, 80, 82, 87, 98, 99, 121, 124, 128, 130, 133, 149, 150 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 38, 58, 59 Hellpach, Willy 133 Henning, Max 28 Herms, Eilert 166, 174, 187 Hinduismus 13, 22, 23, 29, 35, 49, 51, 72, 141, 153, 160, 181, 185 Hochgottglaube 42, 43, 103, 127 „Holismus” 109, 184 Holl, Adolf 56 Hooke, Samuel H. 26

Horkheimer, Max 81, 115 Horus 60 Hubert, Henri 83, 124 Hultkrantz, Ake 147 Humanwissenschaft(en) 9, 18, 75, 166, 168, 172, 173, 187, 188, 191, 192 Hume, David 11, Husserl, Edmund 59 Huntington, Samuel P. 182, 187 IAHR (International Association for the History of Religions) 175 Idealtypen 84, 85, 97–105, 116 Igbo 38 Ikonographie 27, 152 Imam 47 Immanentismus 141, 142 Imperialismus 93, 191 Indien, Industal 13, 25, 27, 48, 51, 92, 93, 99, 104, 157, 181 Islam 12, 13, 18, 22, 29, 30, 31, 32, 35, 36, 45–49, 52, 72, 73, 78, 96, 98, 103, 104, 107, 108, 118, 127, 141, 148, 149, 150, 154, 157, 160, 178, 179, 181–183, 185 „jâhilîya” 108 Jainismus 93 James, William 57, 130, 143 Janes, Pierre 132 Jaspers, Karl 59 Jensen, Adolf E. 114, 115, 124 Jesus s. Christus Jona 52 Josuttis, Manfred 133 Judentum 12, 18, 22, 23, 31, 48, 49, 51, 52, 72, 78, 82, 108, 118, 141, 151, 160 „Jugendreligionen” 184 Jung, Carl Gustav 132, 136, 138, 139, 140, 143, 144 „kalâm” 72 Kant, Immanuel 63, 147, 157, 158 Kapitalismus 86, 154–156 „karma”-Lehre 72 Katholizismus 34, 35, 48, 82, 132, 156, 166 Kautsky, Karl 80 Kehrer, Günther 15, 105 Keppel, Gilles 107 Kerényi, Karl 115, 140 Khoury, Adel Th. 28, 65 Kierkegaard, Sören 130

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Register Kimbanguismus 45, 46 Kimbangu, Simon 45, 46 Kippenberg, Hans 18, 24, 90, 108, 183, 187, 188 Kirche, Kirchengeschichte, Kirchensoziologie 47, 89, 90, 92, 93, 94, 95, 96, 98, 100, 101, 102, 106, 107, 141, 149, 155, 156, 159, 162, 163, 168, 172, 173, 178, 183, 184, 187 Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage s. Mormonen: Kitâb-i Aqdas 31 Kölner Schulbuchprojekt 179 Kohl, Karl-Heinz 110 Kolonialismus, Entkolonialisierung 48, 93, 103, 114, 181 Konfuzianismus 16, 31, 78, 107 Koran 25, 28–32, 35, 46, 50, 52, 72, 74, 76, 104 Kosmos 109, 118, 146, 184 Kristensen, William Brede 58 Küster, Volker 174 Kult 26, 45, 64, 77, 85, 86, 97, 98, 101, 104, 136, 149, 171, 180 Kulturanthropologie 63, 125, 126, 130, 154, 186 Kulturen, „primitive” 111, 146 Kulturen, schriftlose 110, 115, 118 Kulturkreislehre 42, 43 Kulturwissenschaft(en) 9, 18, 75, 166, 168, 172, 173, 187, 188, 191, 192 Lactantius 10 Lanczkowski, Günter 15, 30, 45, 49, 56, 64, 76, 90, 97, 99, 129, 160, 167, 180 Lang, Andrew 42 Leach, Edmund 114, 125 Leeuw, Gerardus van der 56, 58–60, 129 Lehmann, Arno 173 Lehmann, Edvard 172 Lenin, Wladimir I. 80 Lessing, Gotthold Ephraim 12 Leuba, James Henry 10, 130, 143 Lévi-Strauss, Claude 110, 113, 114, 116–118, 125 Lévy-Bruhl, Lucien 91, 113, 118 Liberalismus 46 Lienhardt, Peter 36 Liminalität 122, 123 „lineages” 103 Lubbock, John 111 Luckmann, Thomas 44, 87, 88, 106

Luhmann, Niklas 17, 44, 88, 89 „Lumen Vitae” 132, 140 Luther, Martin 30, 130, 156, 165 Maasai 75 Macumba 78 Mâdhyamika-Buddhismus 161 Märtyrer 99 Magie 11, 23, 37, 40, 42, 43, 61, 83, 84, 85, 112, 117, 124 Mahâyâna-Buddhismus 78 Malinowski, Bronislaw 16, 17, 43, 81, 83, 112, 113 „mana” 43 Manichäismus 50, 51 Manismus 39, 111 Mann, Ulrich 129 Marduk 51 Marett, Robert Ranulph 41, 111, 136 Maria 139 Marshall, Sir John Hubert 27 Marshall, Wolfgang 34 Marxismus 46, 80, 81, 87 Marx, Karl 80 Maslow, Abraham H. 135 Mauss, Marcel 83, 113, 114, 124 Mbanderu 125 McCutcheon, Russell T. 189 McLennan, John Ferguson 39 Mead, Margaret 91 Meditation 153 Melanchthon, Philipp 130 Mensching, Gustav 16, 56, 64, 89, 90 „mental maps” 151 Messiasvorstellung 71, 108 Metaphysik 80 Metasprache 20, 23, 28, 70, „mganga” (s. a. nganga) 72, 97, 103 Midrasch 31 Migration 181, 182, 188 Mission, Missionswissenschaft 43, 48, 53, 163, 168, 170, 172–174, 176 Mithras-Kult 93 Mönchtum 72, 96, 151 Mohammed 31, 49, 50, 52, 74, 92, 100, 104 Mohr, Hubert 152 Monotheismus 42, 52, 72, 85, 111, 114, 127, 137, 141, 150 Montesquieu 146 Moral 107, 108, 132, 158, 160, 168 Morgan, Lewis Henry 111 Morgenthaler, Christoph 141 Mormonen 33, 49

Register Moschee 149 Moses 52, 72, 137 Mowinckel, Sigmund 26 „mudras” 153 Müller, Friedrich Max 25, 41, 71, 162, 171 „mwalimu” 72 Mylius, Klaus 29 „mysterium fascinans” 63 „mysterium tremendum” 63 Mystik, Mystiker 45, 85, 91, 97, 98, 130, 135 Mythos, Mythen 8, 13, 19, 20, 26, 34, 37, 43, 64, 66, 67, 77, 89, 94, 115118, 125, 136, 140, 146, 171, 180 Myung Mun, San 31 Nâgârjuna 32 Nasr, Seyyid Hossein 190 Nationalismus 46, 83 Nationalsozialismus 147, 172, 185 Ndembu 122, 125 Needham, Rodney 114 Neue Religiöse Bewegungen 9, 33, 34, 37, 69, 93, 101, 102, 177, 184 Neumann, Erich 132, 140 Neu, Rainer 38 Neustil-Religionsphänomenologie 56–68, 69, 70 „New Age” 21, 105, 109, 184, 186, 187 „nganga” (s. a. mganga) 47 Niebuhr, Richard H. 101 „nirvana” 13 Numinoses 63, 66, 128, 139 Ödipus-Komplex 137 Ökumene, Ökumenewissenschaft 168, 173, 174 Ofudesaki 31 Ojibwa-Indianer 39 Ontologie 75, 123, 161 Opfer 119, 123, 124, 125, 149, 154 Orientalismus 191 Orthodoxie 10, 46, 52, 107 Orthopraxie, Orthopraxis 10, 11, 78 Osho-Bewegung 184 Osiris 60 Otto, Rudolf 16, 27, 62, 63, 128, 129, 132, 133, 139, 167, 172, 188 Oumarou, Ndoudi 34 Pahnke, Donate 93 Pannenberg, Wolfhart 165, 166

Papst 34 Paradies 150 Paret, Rudi 28 Parin, Paul 141 Parsismus 50, 93 Parsons, Talcott 83, 84 Paulus 74, 96, 130 Pawlow, Iwan P. 134 Pharisäismus 141 Philologie 28, 30, 31, 61, 130, 171–173, 183, 186 Philosophie s. Religionsphilosophie Philosophie, analytische 160 Piaget, Jean 132 Pietismus 92 Pilger 149 Pluralismus 104, 105, 159, 174, 180, 183, 187, 188 Pöll, Wilhelm 132 Polytheismus 52, 180 Prä-Animismus 41, 111 Prädestination 86 Pragmatismus, philosophischer 130, 160 Priestertum 45, 77, 85, 92, 93, 97, 98, 104 Propheten, Prophetentum 77, 85, 97, 98, 103, 104, 164 Protestantismus, protestantisch 45, 82, 86, 92, 93, 98, 107, 108, 131, 132, 133, 146, 154–156, 173 Psalmen 150 Psychoanalyse 132, 133, 139, 140 Psychometrie 145 Psychologie s. Religionspsychologie Psychologie, humanistische 135, 140, 142 Psychologie, transpersonale 135, 142 Pueblo-Indianer 138 Puritanismus 86, 141 Quellen 25–30, 31–37, 46, 49, 70, 71, 130, 151–153, 171 Râbi‘a al-‘Adawiyya 32 Radcliffe-Brown, Alfred R. 113 Radhakrishnan, Sarvepalli 190 Radin, Paul 92, 113 Ramadan 72 Ratschow, Carl Heinz 165, 166 Ratzel, Friedrich 42 Reduktionismus 79, 89, 128, 129, 141, 142, 147, 168 Reformation 11, 77, 93, 99

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Register „religio” 10, 11, 89 „religion civile” 82 „religion positive” 80, 82 „Religion, soziale” 83 Religion-Umwelt-Forschung s. Religionsgeographie Religionen, afrikanische 103, 127, 181, 182 Religionen, „autochthone” 110 Religionen, altindische 31, 49, 78, 104, 118 Religionen, altorientalische 71, 78, 98, 118, 150 Religionen, indogermanische 71, 116 Religionen, nomadische 119, 151 Religionsästhetik 8, 152–154, 157 Religionsbegründung 8, 12, 158–160 Religionsethnologie 8, 18, 22, 37, 38, 39, 57, 79, 83, 94, 128, 131, 138, 141, 154, 171, 180 Religionsgeographie 8, 146–152, 157 Religionsgeschichte 7, 17, 22–53, 56, 70, 86, 87, 90, 92, 96, 98, 108, 109, 111, 124, 131, 133, 135, 140, 149–153, 157, 162–165, 171, 172, 175, 180, 183, 185, 190 Religionsgeschichte, Vergleichende („Comparative Religion”) 71, 75 Religionsgeschichtliche Schule 163, 164 Religionskörper 148 Religionskritik 8, 11, 12, 80, 81, 128, 137, 139, 144, 158, 159, 160, 161 Religionsökologie 147 Religionsökonomik, Religionsökonomie 8, 154–157, 185 Religionsphänomenologie 7, 37, 55–78, 97, 99, 115, 141, 167, 172, 176, 188 Religionsphilosophie 8, 9, 18, 24, 115, 130, 154, 158–160, 161, 168, 172, 173, 183, 190 Religionspsychologie 8, 26, 56, 112, 115, 116, 123, 128–145, 154, 161 Religionssoziologie 7, 8, 17, 18, 22, 26, 37, 38, 56, 57, 66, 79–109, 110, 113, 115, 128, 135, 150, 154, 155, 157, 161, 182, 183, 192 Religionssystematik 77 Religionstypologie 63, 65, 76–78, 101, 119, 132 Religionsverständnis, funktionalistisches/funktionales 15–18, 20, 89, 189

Religionsverständnis, substanzialistisches/substanzielles 14–18, 20, 189 Religionswissenschaft, Historische 7, 22, 24, 28, 31, 54 Religionswissenschaft, Systematische 7, 22, 54, 55, 72 Réville, Jean 162 Rhys Davids, Thomas William 25 Ribot, Théodule Amand 132 Riesebrodt, Martin 108 Ritual, Riten, rituell 8, 19, 20, 26, 30, 67, 72, 77, 78, 82, 83, 94, 96, 97, 103, 110, 113, 114, 118–124, 125, 136, 141, 143, 153, 171 Rom 10, 18, 27, 29, 146, 147, 163, 184 Rosenkranz, Gerhard 163 Rousseau, Jean Jaques 82 Rudolph, Kurt 167 Rückert, Friedrich 25 Sabbat 72 Säkularisation 105, 108 Säkularisierung 8, 67, 82, 83, 86, 88, 90, 102, 105, 106, 109, 149, 190 Said, Edward 191 Saint-Simon, Henri 81 „salât” 73 „sanga” 92 Saussure, Ferdinand de 116 Sauter, Gerhard 165 Schär, Hans 140 Schamane 99 Scharfenberg, Joachim 133 Schimmel, Annemarie 56 Schlegel, Friedrich 25 Schleiermacher, Friedrich D. E. 63, 130 Schmidlin, Josef 163 Schmidt, Pater Wilhelm 42, 114, 127 Schmidtchen, Dieter 155 Schöpfung 150, 151 Schreiner, Peter 29 Scientology 184, 185 Seele 116, 119, 128, 129, 131, 139, 140–142, 171 Sekte 100, 101, 102, 156, 184 Shembe, Isaiah 45 Shiner, Larry 105 Shiva, Shivaismus 51, 93 Sigrist, Christian 38 Sikhs 31 Sintflut 150 Skinner, Burrhus Frederic 134, 143 Smart, Ninian 19, 65, 66

Register Smith, Adam 155 Smith, George 26 Smith, Jonathan Z. 189 Smith, Joseph 33, 49 Smith, Wilfred Cantwell 23, 66, 167, 189 Smith, William Robertson 39, 82, 119, 124, 136 Söderblom, Nathan 16, 62, 63, 167, 172 Sopher, David E. 147 Soziologie s. Religionssoziologie Spencer, Herbert 39, 41, 80, 111 Spiro, Milford E. 15 Sprockhoff, Joachim Friedrich 147 Stählin, Wilhelm 129, 131 Stamm 102, 103 Starbuck, Edwin Diller 130 Stark, Rodney 19 Stifter 99 Stolz, Fritz 18, 169, 180 Strukturalismus 114, 116–118, 154 Strukturfunktionalismus 113, 122, 123 Sudén, Hjalmar 133 Sünde 74 Sundermeier, Theo 125, 163, 166, 167 Sunna 31, 46 „survival” 43 Suzuki, Daihatsu T. 25, 190 Symbole 69, 84, 94, 102, 113, 114, 115, 117, 121, 123, 125–127, 136, 139, 152, 153, 154, 180, 185, 188 „Symbologie” 126 Synkretismus 23, 52, 78, 182 Systemtheorie 88, 89, 116 Tabu 37, 89, 112, 179 Talmud 31 Tenrikyo 31 Tertullian 130 Theodizee-Problem 86, 87 Theologie 9, 18, 23, 26, 30, 34, 38, 47, 48, 57, 61, 62, 65, 66, 67, 72, 80, 100, 104, 107, 115, 130–134, 138, 141, 146, 158, 159, 160, 161, 162–170, 171–174, 176, 178, 179, 184, 186, 187 Thiel, Josef Franz 120 Thomas von Aquin 32 Thomas à Kempis 32 Tibi, Bassam 182 Tiefenpsychologie 136 Tiele, Cornelius P. 56 Tötung, rituelle 123, 124, 136

Tora 29, 31 Tosefta 31 Totem, Totemismus 37, 39, 82, 95, 111, 112, 117, 119, 120, 124, 136 Traditionalismus 85, 97 Transzendenz 16, 17, 63, 79, 82, 88, 135, 142, 144, 166, 167, 190 Trillhaas, Wolfgang 132, 144, 166 Trinität 29, 52, 139 Trobriander 112 Troeltsch, Ernst 26, 100, 163, 164 Turner, Victor W. 113, 114, 120, 122, 123, 125, 126, 154, 180 Tworuschka, Udo 179 Tylor, Edward Burnett 15, 39–41, 111, 112, 124 „‘ulamâ’” 47 Umbanda 78 „umma” 92, 104 Umwelt, Umweltabhängigkeit, Umweltprägung 75, 78, 102, 146–152 Ursprungstheorien 26, 27, 82, 111, 136 Ushte, Tahca 34 Vereinigungskirche 31, 184 Vergote, Antoine 140, 144 Vernunft 158, 159, 160 Vishnuismus 93 Vrijhof, Pieter Hendrik 93 Waardenburg, Jacques 18, 20, 56, 68, 69, 70, 76, 93, 99, 115, 179, 180 Wach, Joachim 22, 56, 64, 66, 77, 89, 90, 97, 99 Weber, Max 7, 45, 80, 81, 84–87, 90, 97, 98, 100, 105, 107, 154, 155, 156, 185 Wellhausen, Julius 26 Whaling, Frank 190 Widengren, Geo 26, 56, 61, 65, 172 Wilson, Monica 113 Wissenssoziologie 87 Wobbermin, Georg 129, 131 Wundt, Wilhelm 131 Yinger, Milton J. 101 Zeichen 152, 153, 154 Zinser, Hartmut 134 Zionismus 107, 108 Zivilreligion 8, 94, 95

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