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German Pages [252] Year 2006
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Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie
Herausgegeben von Eberhard Hauschildt, Franz Karl Praßl und Anne Steinmeier in Zusammenarbeit mit den Zeitschriften PASTORALTHEOLOGIE und WEGE ZUM MENSCHEN und der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie
Band 49
Vandenhoeck & Ruprecht
Einführung in die liturgische Theologie Zur Theorie des Gottesdienstes und der christlichen Sakramente
Von Andrea Grillo Eingeleitet und übersetzt von Michael Meyer-Blanck
Vandenhoeck & Ruprecht
Übersetzung von Introduzione alla teologia liturgica. Approccio teorico alla liturgia e ai sacramenti cristiani (ISBN 88-250-0779-5) © 1999 P.P.F.M.C. MESSAGGERO DI S. ANTIONIO – EDITRICE. Basilica del Santo – Via Orto Botanico, 11 – 35123 Padova/1999 PP.BB. ABBAZIA DI S. GUISTINA. Via G. Ferrari, 2/A – 35123 Padova
Den Mönchen Filippo und Romano in Padua mit Dank für ihre zuverlässige Begleitung
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-62393-3 ISBN 13: 978-3-525-62393-0 Wir danken der VELKD und der UEK für ihre Unterstützung. © 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einführung
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Einleitung (Michael Meyer-Blanck) . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.
KAPITEL Methodische und inhaltliche Vorbemerkungen . . . . . . . . 31
1.1. Theologische Arbeit zwischen Kulturwissenschaft und Kirchenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Theologische Forschung im Rahmen der Kultur . . . . 1.3. Der Ernst des theologischen Berufes . . . . . . . . . 1.4. Der „Habitus“ des Fragens und Verstehens . . . . . . 1.5. Über das theologische Lesen und Schreiben . . . . . . 1.6. Interdisziplinarität: Bezüge zu anderen Wissenschaften . 1.7. Zu den Begriffen „Liturgie“ und „liturgische Theologie“ 2.
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KAPITEL Das Theoriemodell: Voraussetzung, Verdrängung, Reintegration des Ritus in der Theologie . . . . . . . . . . 45
2.1 Theologie und Ritus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Liturgie und rituelle Erfahrung als eindeutige Voraussetzung der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Entstehung einer am Sakrament interessierten Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Zeitbedingte Grenzen der liturgischen Reflexion . . . 2.2.3. Der kultische Aspekt als Bewegung des Menschen zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die Verdrängung des Ritus und die Wiederentdeckung seiner theologischen Tragweite . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Verdrängung des Kultisch-Rituellen aus der Theologie 2.3.2. Wiederentdeckung der bleibenden theologischen Bedeutung der Liturgie . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Reintegration des Rituellen als Eckdatum der Theologie . . 2.5. Grenzen der theoretischen Rekonstruktion . . . . . . . . 2.6. Kontinuität mit dem Programm „Liturgie für die Menschen“
. 47 . 48 . 49 . 49 . 50 . 50 . 51 . . . .
51 52 52 53 5
2.7. Die Spannung zwischen anthropologischer Grundlegung und theologischen Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Anthropologische Erläuterung der Beziehung zwischen ritueller Erfahrung und Fundamentaltheologie . . . . . . . 2.9. Überleitung zur Entfaltung des Theoriemodells . . . . . . 3.
KAPITEL Der Ritus als Voraussetzung: Die „klassische“ Form von Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1. Klassische Theologie und Vorgeschichte der Liturgietheologie 3.2. Der Glaube und das Kultisch-Rituelle in der vormodernen Theologie am Beispiel Augustins . . . . . . . . . . . . . 3.3. Der Theorierahmen in Thomas von Aquins „De sacramentis in genere“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Exkurs: Das Aufkommen neuer praktischer und theoretischer Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Der Ritus als Voraussetzung der Theologie: „actus animae“ und „usus rerum exteriorum“ bei Thomas von Aquin . . . . 4.
KAPITEL Die Verdrängung des Ritus: Tendenzen in der jüngeren Sakramententheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1. Die Prinzipienfrage – nur ein Problem der Thomas-Interpretation? . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Frage der Sakramententheorie . . . . . . . . . . . 4.3. Der Grundansatz von Rahners Sakramententheorie . . . 4.4. Die ursprüngliche Formulierung des (vermuteten) Grundansatzes der „Summa Theologiae“ des Thomas . . 4.5. Umkehrung der Perspektiven: Von Thomas von Aquin zu K. Rahner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Recht und Aporien der Lesart Rahners . . . . . . . . . 4.7. Die Wiedergewinnung einer angemessenen Sichtweise mit Rahner und dem „wahren“ Thomas . . . . . . . . . . 5.
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63 64 67 70 73 76
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. 83 . 84 . . 86 . . 89 . . 92 . . 95 . . 97
KAPITEL Die Reintegration des Ritus und das Entstehen der liturgischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5.1. Die Gestalt und besondere Lebensgeschichte von M. Festugière 5.2. Das Problem einer „Fundamentalliturgik“ . . . . . . . . . 5.3. Liturgie und Moderne bei Festugière . . . . . . . . . . .
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6
5.4. Der Streit mit den Jesuiten – ein Konflikt aufgrund von Ähnlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Entwicklung einer kurzen philosophisch-anthropologischen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Begegnung mit dem philosophischen Denken . . . . . . 5.7. Die Aktualität der offenen Perspektive von 1913 und die aktuellen Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.
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KAPITEL Überlegungen zu einem neuen Wissenschaftszweig: Liturgische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. 6.6.
Liturgische Bewegung, Nostalgie und Theoriefortschritte Die benediktinische Neubesinnung bei P. Guéranger . . Die pastoraltheologische Betrachtung bei L. Beauduin . Grundtheorien des neuen Interesses an der Liturgie . . Schwierigkeiten mit dem neuen Weg: J. und R. Maritain Die Wahrnehmung der neuen liturgischen Frage bei R. Guardini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7. Die Schwierigkeit, den Ritus in die Grundfragen des Glaubens zu reintegrieren . . . . . . . . . . . . . . 7.
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KAPITEL Die liturgische Theologie O. Casels: Grundsätze und kritische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
7.1. Casels Sicht der Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Theologie und Anthropologie bei Casel . . . . . . . . . . 7.3. Kritik an Casel und Missverständnisse der Mysterientheologie 7.3.1. Die Kontroverse mit J.-B. Umberg und H. Prümm . . 7.3.2. Die Diskussion mit G. Söhngen . . . . . . . . . . 7.3.3. Aktuelle Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . 7.4. Die Rekonstruktion von Casels Denken bei S. Marsili . . . 8.
KAPITEL „Reine Theologie“: Die Radikalisierung bei S. Marsili
. . .
8.1. Das Konzept des heilsgeschichtlichen Verständnisses der Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1. Das nicht-rituelle Liturgieverständnis . . . . . . . . 8.1.2. Zum historischen Verständnis des liturgischen Aufbruchs 8.1.3. Zur Interpretation des 2. Vatikanums . . . . . . . . 8.1.4. Die Liturgie zwischen Kultus und sakramentaler Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8.1.5. Liturgie und Kirche . . . . . . . . . . . . . 8.2. Das ungeklärte Verhältnis von Kultus und Ritus . . . 8.2.1. Ritualvergessenheit . . . . . . . . . . . . . 8.2.2. Die Theologie Marsilis als „offenes Kunstwerk“ 8.2.3. Die erweiterte Bedeutung der Liturgie . . . . . 8.2.4. Marsilis Weiterführung des eigenen Ansatzes . 9.
9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 10.
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162 163 163 165 166 167
KAPITEL Eine theologische Sicht des Gottesdienstes: Die vermittelnde Position C. Vagagginis . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zu Genealogie und Schicksal der liturgischen Theologie . . Die Konstanten im Verhältnis von Gott, Mensch und Liturgie Liturgie und Bewusstsein „per connaturalitatem“ . . . . . . Weiterführung der Kritik von Marsili an Vagaggini . . . .
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KAPITEL Der christliche Gottesdienst als zelebriertes Geheimnis
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10.1. Das neue Liturgieverständnis . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Die Liturgietheologie in „Mediator Dei“ und „Sacrosanctum Concilium“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1. „Mediator Dei“, die erste Liturgieenzyklika . . . . 10.2.2. Die Struktur von „Mediator Dei“ . . . . . . . . 10.2.3. „Sacrosanctum Concilium“ als Eröffnung neuer Horizonte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4. Die Struktur von „Sacrosanctum Concilium“ . . . . 10.3. Grenzen eines narrativen Liturgieverständnisses . . . . . . 10.4. Exemplarische Vertiefung: „culmen et fons“ und Äquivalenzbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5. Fundamentale Ausdrucksformen der Liturgie . . . . . . . 10.5.1. Warum wird gefeiert? . . . . . . . . . . . . . . 10.5.2. Was wird gefeiert? . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.3. Wie wird gefeiert? . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.4. Der Vorrang der Gabe vor der Aufgabe . . . . . 10.6. Entwicklungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . .
185
11.
KAPITEL Neue Zugänge zur fundamentalen Bedeutung der Liturgie .
11.1. Einleitung: Die Werke von G. Bonaccorso und P. Sequeri . 11.2. Ein neuartiger Versuch der Korrelation von Glaube und Ritual (Sequeri) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1. Das Werk und seine grundsätzliche Anlage . . . . 8
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11.2.2. Das Fundamentale des rituellen Bezugs . . . . . . 11.2.3. Die Unmöglichkeit einer Entgegensetzung von Glaube und Heiligem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4. Unmittelbarkeit und Vermittlung des Glaubens . . 11.2.5. Grenzen der Untersuchung . . . . . . . . . . . 11.3. Das Konzept einer „durchdachten“ Liturgie (Bonaccorso) . 11.3.1. Geometrische Struktur und Leidenschaft für Proportionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2. Das fundamentale Interesse an der Liturgie . . . . 11.3.3. Die theoretische Qualität des Ansatzes . . . . . . 11.4. Verheißungsvolle neue Perspektiven . . . . . . . . . . . 12.
KAPITEL Neue Ansätze zum Verhältnis von Theologie und liturgischem Ritus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.1. Zwischenbilanz der aktuellen liturgischen Theologie . . 12.2. Die Bedeutung des Ritus für das Verständnis von Gottesdienst und Glaube . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1. Der Ritus als Verlust von theologischer Reinheit 12.2.2. Der Ritus als Datum theologischen Denkens . 12.3. Die neuesten Entwicklungen im Fach Liturgik . . . . 12.4. Erste und zweite anthropologische Wende . . . . . . 12.5. Zur Verhältnisbestimmung zwischen Liturgietheologie, Sakramententheologie und Fundamentaltheologie . . . 12.6. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9
Vorwort Auch ein aus Vorlesungen entstandenes und für Vorlesungen bestimmtes Buch ist nicht frei von gewissen theoretischen Ansprüchen. Vielleicht kann – jedenfalls hier und da und in einigen Andeutungen – die erste Skizze einer neu zu entwerfenden Disziplin deutlich werden, das entstehende Projekt einer komplexen und fundamentalen Neuordnung eines ganzen Bereiches der theologischen Wissenschaft. Es ist auch nicht auszuschließen, dass sich durch ein solches Buch das Profil einer zum Teil neuen theologischen Methodologie abzuzeichnen beginnt, welche sich konsequent (oder wenigstens so weit wie möglich) die grundlegende Verbindung von Theologie und Anthropologie bewusst macht. Wenn von diesen Seiten so etwas ausgeht, dann bin ich den Studenten in Padua und Rom sehr verbunden und dankbar, weil sie mich in den vergangenen Jahren zu den hiermit vorgelegten Ausführungen angeregt haben. Außerdem sage ich Herrn Prof. Alceste Catella Dank, der mich auf die hier verfolgte Spur gesetzt hat, ohne mir jemals seine Hilfe zu versagen. Das Buch ist eine Art Fortsetzung meiner früheren Studie Teologia fondamentale e liturgia. Il rapporto tra immediatezza e mediazione nella riflessione teologica (Padua 1995), besonders der Kapitel I und II. Die Überprüfung meiner damaligen Absichten hat zu Ergebnissen geführt, die jenen Anfängen nicht immer entsprechen und von daher mitunter kaum wiederzuerkennen sind. Doch der interessierte Leser wird in den Resultaten die Anfänge und in den Anfängen die Resultate entdecken können. Einige Kapitel und Abschnitte greifen hingegen Gedanken auf, die dem Leser schon anderweitig bekannt geworden sein dürften. Hier sollen die verschiedenen Gedankenfäden miteinander verbunden und verwoben werden, so dass sich ein roter Faden und ein Mindestmaß an Struktur erkennen lässt. Auf jeden Fall sind auch diese Teile in den Gesamtentwurf eingefügt, so dass sie in einem neuen, bisher nicht ausreichend reflektierten Kontext stehen. Ich widme diese Arbeit den Mönchen Filippo und Romano. Denn sie waren kaum „vagantes“, sondern vielmehr „superstabili“, was ihren Einsatz für die Sache der Liturgietheologie in den glücklichen letzten Jahren angeht. Ohne ihr ausdauerndes „Mannschaftsspiel“ wäre das vorliegende Ergebnis nicht möglich gewesen. Padua, Abtei S. Giustina, 30. November 1998
Andrea Grillo 11
Vorwort zur deutschen Ausgabe Im Verlaufe der sieben Jahre, die zwischen der ersten italienischen Auflage und der deutschen Übersetzung dieses Buches liegen, hat sich auch mein eigener Forschungsansatz weiterentwickelt, wobei manche Aspekte klarer hervorgetreten sind, die sich hier erst andeuten. Für den deutschen Leser wird es nützlich sein, meinen Gedankenfortschritt bis heute nachvollziehen zu können. Ich möchte darum die Weiterführung meines Konzeptes, das im vorliegenden Band erst in seinen Anfängen greifbar ist, in den folgenden vier Punkten skizzieren. a) Mein ursprünglicher Ansatz geht von der Frage des Verhältnisses von Fundamentaltheologie und Liturgie1 aus und sucht die verborgenen wie die offensichtlichen Verbindungen zwischen dem kultisch-rituellen Geschehen und dem Geschehen von Offenbarung und Glaube aufzuzeigen. Das Ineinander von liturgischen, fundamentaltheologischen, anthropologischen und philosophischen Überlegungen bildet dabei den notwendigen Rahmen der in mancher Hinsicht neuen theologischen Problemformulierung. b) In diesem Kontext hat sich dann im Zusammenhang der historischen und systematischen Studien zur liturgischen Theologie allmählich das in diesem Band vorliegende Theoriemodell entwickelt, das das Verhältnis zwischen Theologie und Ritus nach der Abfolge und dem Schema von Voraussetzung, Verdrängung und Reintegration beschreibt. Dabei ist hinzuzufügen, dass das zweite Modell der Beziehung von Ritus und Theologie noch einmal begrifflich zu differenzieren ist: Anstelle der alleinigen Kategorie der „Verdrängung“ (wie noch in dem hier übersetzt vorliegenden Buch) verwende ich inzwischen lieber das Begriffspaar von „Verdrängung und Überdeterminierung“. Damit scheinen mir die beiden Arten von Flucht aus der Theologie-Ritus-Beziehung deutlicher angesprochen zu sein: Die Flucht der Theologie vor den zeichenhaften Strukturen einerseits und die Flucht der Anthropologie vor jeder relevanten Transzendenzbeziehung andererseits. Mit der theologischen Verdrängung korrespondiert – gewissermaßen als die Kehrseite der Medaille – die anthropologische Überdeterminierung.
1 Teologia fondamentale e liturgia. Il rapporto tra immediatezza e mediazione nella riflessione teologica, Padua 1995.
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c) Drittens ist die so genannte „liturgische Frage“ auf das Verstehen der gesamten Liturgischen Bewegung im 20. Jahrhundert2 als eines klassisch spätmodernen Phänomens angewiesen. Die neue wissenschaftlich-theologische Methodik wurde in diesem Rahmen erarbeitet, um das grundlegende Verhältnis zwischen Glaube und Ritus wieder zu entdecken und zu thematisieren. Dadurch sollten auch die Dialektik von liturgischer Reform und liturgischem Ursprung geklärt und die sterilen Gegensätze zwischen liturgischem Traditionalismus und Fortschritt überwunden werden. Das Ergebnis des historischen Durchgangs ist, dass die Liturgische Bewegung mit der Liturgiereform nicht an ihr Ende gekommen ist, sondern bis heute weitergeht und der Kirche immer wieder die Wichtigkeit der „liturgischen Frage“ einschärft. d) Schließlich wird in einem schmalen Band3 vielleicht der geheime Kern und das letzte Kriterium der gesamten fundamentaltheologischen, systematisch-liturgischen und historisch-methodologischen Entwicklung deutlich, also das komplexe Verhältnis von Liturgischer Bewegung und erster wie zweiter anthropologischer Wende, worauf das vorliegende Buch nur auf den letzten Seiten eingeht. Die Beschäftigung mit dieser Frage, die von der Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend vernachlässigt wurde, gewinnt neu an Bedeutung, damit der Ertrag der Wiederentdeckung der Liturgie in den letzten Jahrzehnten für heute sine ira et studio zu erfassen ist. Mit alledem beschäftigt sich das jetzt übersetzt vorliegende Buch. Es behandelt die Liturgische Bewegung und die Liturgiereform als entscheidende Ereignisse für die Theologie des 20. Jahrhunderts. Damit geht es auch um eine verbesserte theologische Methode, die sich nicht nur auf eine einzelne Disziplin, sondern auf das Ganze der Theologie bezieht. Was dieses ehrgeizige Ziel angeht, fehlt es heute, sieben Jahre später, in der italienischen wie der europäischen Theologie nicht an ähnlichen und somit bestätigenden Versuchen. Diese Übersetzung unterstreicht die vielschichtige Tendenz einer Wiederentdeckung der liturgischen Frage als Herausforderung für die theologische Arbeit. Dass die Initiative zur Übersetzung zudem aus einer evangelischen Fakultät kommt, zeigt die Affinität der Fragestellungen und die Ähnlichkeit der Antworten – nicht nur im Bereich von Liturgie und Sakrament, sondern in der Theologie in Europa überhaupt. Es ist andererseits auch kein Zufall, dass dieses Buch ein großes Interesse an Karl Barth hat, der nicht nur zum Klassiker der protestantischen, sondern auch der katholischen Theologie geworden ist (und das nicht nur im deutschen Sprachraum). Man darf erwarten, 2 La nascita della liturgia nel XX secolo. Saggio sul rapporto tra Movimento Liturgico e (post-) Modernità, Assisi 2003. 3 Il rinnovamento liturgico tra prima e seconda svolta antropologica. Il presupposto rituale nell’epoca del postmoderno, Rom 2004.
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dass der damit gegebene doppelte Perspektivenwechsel auf seine Weise zur Gemeinschaft der Kirchen beitragen kann, welche ein Schlüsselproblem für die Zukunft der christlichen Theologie bleibt. Am Schluss möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen, zuerst an Michael Meyer-Blanck, der sich entschlossen und mit Sorgfalt der Übersetzung angenommen hat; dann an die Freunde von der Waldenserfakultät, mit denen die Zusammenarbeit immer eine große Bereicherung ist und darüber hinaus ein Zeugnis wirklicher Freundschaft; und schließlich an Giancarlo Caronello für sein weises Werk der Vermittlung zwischen unterschiedlichen theologischen und sprachlichen Universen, in aller seiner Berliner Vornehmheit einschließlich der Unterbrechungen durch die inspirierenden und an Schuberts Sinfonien gemahnenden Telefonate zwischen Berlin und Rom. Päpstliches Liturgieinstitut S. Anselmo Rom, 9. November 2005
Andrea Grillo
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Einführung Ursprünglich war der Ritus die Sache selbst, die wirkende Ursache für einen Effekt; später wurde er zu dessen Symbol. C. Pavese1
Während die Liturgie, verstanden als ritueller Kultus vor Gott durch Christus im Geist, in der christlichen Kirche schon immer existierte, ist die explizite theologische Reflexion der Liturgie als kultisch-rituelles Geschehen ein neues, typisch modernes Phänomen. Und noch neuer ist der Gedanke, dass die Liturgie als solche Theologie ist, bzw. dass sie sogar die Theologie ist. In Wirklichkeit hat die Verbindung von Ritus und Theologie immer existiert, und zwar als Voraussetzung christlichen Handelns und Denkens. Doch ist dies in der zurückliegenden Epoche vonseiten der Theologie weitgehend verdrängt worden, bis die Notwendigkeit der Reintegration in das Verständnis des Glaubens selbst bemerkt wurde. Mit dieser Entwicklung werden wir uns in dem folgenden historischen und theoretischen Abriss befassen und dabei feststellen, dass die so genannte „liturgische Theologie“ gerade eine komplexe innere Entwicklung von ursprünglichem Bedingtsein, bewusster Verdrängung und mühsamer Wiederentdeckung erkennen lässt. Die Abfolge dieser drei großen Muster der Beziehung zwischen Theologie und Ritus „gibt zu denken“. Sie führt zu Fragen an das theologische Denken und verlangt Antworten. Die Antworten bewegen sich unvermeidlich im Rahmen moderner und postmoderner Wahrnehmung und erfordern darum notwendig die Preisgabe aller Formen von liturgiewissenschaftlicher Selbstdefinition, die weiterhin einfach mit der Selbstverständlichkeit des Kultisch-Rituellen rechnen oder die Bedeutung des Rituellen für die Grundlegung und die Substanz des Glaubens zurückdrängen wollen. Auf jeden Fall kann unser Theorieansatz nicht auf eine substanzielle historische Reflexion verzichten. Notwendig ist eine Zirkelbewegung zwischen historischer und theoretischer Interpretation, um der zentralen „liturgischen Frage“ Durchschlagskraft zu verleihen. Es geht um die Rolle, die das Liturgische und Sakramentale für die christliche Identität überhaupt einnimmt, warum also Männer und Frauen Christen sein und weiterhin werden können. 1 C. Pavese, Il mestiere di vivere. 1935–1950, Turin 1990, 275 (12. Februar 1944).
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Wenn die Liturgie sich an die Stelle der Theologie zu setzen gedenkt (das ist der Irrtum einer naiven Annahme ritueller Bedingtheit des Glaubens), aber auch wenn die Theologie de facto die Liturgie ersetzt (das ist der entsprechende Irrtum einer ebenso naiven Verdrängung des Rituellen aus dem Glauben), führt das dazu, dass sowohl die Liturgie als auch die Theologie missverstanden werden und damit auf der Verstehenswie auf der Handlungsebene weit von dem entfernt bleiben, was von ihnen verlangt und erwartet wird. Zur Entfaltung unseres Themas schlage ich darum den folgenden Weg ein: a) Nach methodologischen Vorbemerkungen (1. Kapitel) stelle ich zuerst das Theoriemodell unserer Untersuchung vor (2. Kapitel): Die historische Arbeit erfolgt nie ohne Interesse, nie ohne Kompass und Orientierungspunkt. Erforderlich ist eine bestimmte Vorstellung von dem, was man finden möchte. Ein Theoriemodell hat die Funktion einer zu verifizierenden Hypothese. b) In einem zweiten Schritt werde ich das Theoriemodell auf die Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Ritus beziehen und dazu drei große Epochen dieses Verhältnisses unterscheiden (3.–6. Kapitel). c) Danach werde ich die drei interessantesten Vertreter der liturgischen Theologie der europäischen und italienischen Tradition betrachten (7.– 9. Kapitel). d) Der letzte Schritt beschäftigt sich mit der aktuellen Situation. Am Ende des Buches wenden wir uns der gegenwärtigen Theologie und dem heutigen gottesdienstlichen Ritus zu und gehen auf die möglichen Verbindungen und die zunehmend diffusen Strategien und Ansätze ein, um unsere Fragestellung einer genaueren Klärung zuzuführen (10.–12. Kapitel).
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Einleitung Das vorliegende Buch sucht eine solche Art von Liturgietheologie zu umreißen, die zu einer liturgischen Theologie werden kann, zu einer Theologie, die von der Feier des Gottesdienstes als dem „zelebrierten Geheimnis“ ausgeht. Der Begriff „liturgische Theologie“ ist damit im hohen Grade theologisch ambitioniert. Es geht nicht nur um eine Gottesdiensttheologie, um einen speziellen Sektor der Theologie, sondern es geht um die Theologie als Ganze, die von ihrer Feiergestalt her konzipiert werden soll. In dieser Sicht ist der Gottesdienst nicht nur die Quelle der christlichen Erfahrung, sondern auch ein wesentlicher Ausgangspunkt theologischer Erkenntnis. Die italienische liturgietheologische Diskussion, die im Unterschied zu der deutschen (stärker historisch geprägten) mehr fundamentaltheologisch und damit auch im Gespräch mit philosophischen Aspekten argumentiert, wird damit erstmals in deutscher Sprache zugänglich.
1. Liturgische Theologie und Ritus Andrea Grillo (geboren 1961) hat Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie studiert und lehrt am Päpstlichen Liturgieinstitut San Anselmo in Rom sowie am Pastoralliturgischen Institut in Padua. Er ist einer der führenden jüngeren italienischen Liturgietheologen und beschäftigt sich besonders mit der Geschichte und Wirkungsgeschichte der Liturgischen Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert.1 Von daher ergeben sich auch viele Linien zu der deutschen Entwicklung, die im evangelischen wie im katholischen Bereich wesentlich von Romano Guardini und Odo Casel geprägt worden war (dazu s. im vorliegenden Buch das 6. und 7. Kapitel). In Grillos Buch lässt sich beobachten, wie die Impulse von Guardini und Casel in Italien gewirkt haben. Verlief die Diskussion – jedenfalls die 1 Neben den zahlreichen Aufsätzen und Artikeln, die im Literaturverzeichnis genannt sind, erschienen von ihm in den letzten Jahren: La nascita della Liturgia nel XX secolo. Saggio sul rapporto tra Movimento Liturgico e (post-) modernità (= Der liturgische Aufbruch im 20. Jahrhundert. Zum Verhältnis von Liturgischer Bewegung und (Post-)Moderne), Assisi 2003 sowie: Il rinnovamento liturgico tra prima e seconda svolta antropologica. Il presupposto rituale nell’epoca del postmoderno (= Die liturgische Erneuerung zwischen der ersten und der zweiten anthropologischen Wende. Rituelle Voraussetzungen in postmoderner Zeit), Rom 2004. Im Folgenden werden auch die italienischen Literaturtitel in der Regel übersetzt, sofern sich diese nicht von selbst verstehen.
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evangelische – in Deutschland zwischen der Wort-Gottes-Theologie und der Liturgietheologie eher abgrenzend oder nebeneinander her2, so ist einer der immer wieder genannten Autoren bei Grillo kein anderer als Karl Barth. Maßgebliche italienische Liturgietheologen wie Salvatore Marsili (dazu s. im vorliegenden Buch das 8. Kapitel) suchten die Liturgie von einer radikalen christologischen und heilsgeschichtlichen Konzentration her zu verstehen, um die problematischen Seiten in der Mysterientheologie Odo Casels zu vermeiden. Für Marsili sind Liturgie und Sakrament nicht mehr als menschliches Handeln vor Gott zu verstehen, sondern exklusiv als das Handeln des in der Liturgie gegenwärtigen Christus. Die anthropologischen Aspekte, die durch die Liturgische Bewegung und den Ansatz Casels wichtig geworden waren, gerieten nun gänzlich in den Hintergrund, während sie auf der anderen Seite von der Vermittlungstheologie Cipriano Vagagginis wieder aufgenommen wurden (dazu s. im vorliegenden Buch das 9. Kapitel). Nach der Auseinandersetzung mit den wichtigsten lehramtlichen Texten (mit der Enzyklika „Mediator Dei“ von 1947 sowie mit der Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ von 19633) im 10. Kapitel erläutert Grillo ganz am Schluss dieses Kapitels die eigene Sicht „fundamentaler Ausdrucksformen der Liturgie“ (unter den Überschriften „Warum wird gefeiert?“, „Was wird gefeiert?“, „Wie wird gefeiert?“). Er umschreibt hier den Gottesdienst als das „zelebrierte Geheimnis“ und legt damit den Versuch der Integration von theologischen und anthropologischen Sichtweisen vor. Die Alternative zwischen einer am Wort Gottes bzw. an der kirchlichen Tradition orientierten Liturgik einerseits und einer anthropologisch und ritualtheoretisch argumentierenden Liturgik andererseits soll dadurch überwunden werden. In den beiden abschließenden Kapiteln kommt Grillo schließlich noch zur Diskussion gegenwärtiger Ansätze, unter denen die große und umfangreiche Fundamentaltheologie von Pierangelo Sequeri aus der Mailänder theologischen Schule hervorragt.4 Das Grundthema, anhand dessen in dem vorliegenden Buch die Möglichkeit einer liturgischen Theologie thematisiert wird, ist das Verhältnis von Theologie und Ritus. Entscheidend für den eigentümlichen Zugriff Grillos sind in diesem Zusammenhang die Kapitel 2 bis 5. Hier werden 2 Dazu vgl. M. Meyer-Blanck, Liturgie und Liturgik. Der evangelische Gottesdienst aus Quellentexten erklärt, Gütersloh 2001 (ThB 97), besonders 201–212 (zu Götz Harbsmeier, 1910–1979) und 212–232 (zu Peter Brunner, 1900–1981). 3 Zum 40. Jubiläum der Verabschiedung der Konzilskonstitution (am 4. Dezember 1963) gab es zahlreiche Würdigungen, vgl. dazu etwa den gut lesbaren Band: Liturgiereform. Eine bleibende Aufgabe. 40 Jahre Konzilskonstitution über die heilige Liturgie, hg. von Klemens Richter und Thomas Sternberg, Münster 2004. 4 P. Sequeri, Il Dio affidabile. Saggio di teologia fondamentale (= Der treue Gott. Ein fundamentaltheologischer Entwurf), Brescia 1996. Auch dieses monumentale Werk (von 826 Seiten) verdiente eine deutsche Übersetzung.
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für die Einordnung der verschiedenen Ansätze die Weichen gestellt. Grillo geht von einer sehr einfachen, aber höchst folgenreichen Tatsache aus, die im Umfeld der Liturgischen Bewegungen selbst und auch bei deren späterer Rezeption so gut wie vergessen wurde: Der Mensch kann sich die Bedingungen seines eigenen Verhältnisses zum Ritus, zu Liturgie und Gottesdienst nicht aussuchen. Er unterliegt Verstehensbedingungen, derer er sich in der Regel nicht bewusst ist. Er lebt immer schon in einem bestimmten rituellen Horizont und kann sich nicht einfach dafür „entscheiden“, dem Ritus positiv oder kritisch gegenüberzustehen. Darum bestand ein grundlegender hermeneutischer Irrtum bei vielen Vertretern der Liturgischen Bewegung in der Annahme, man könne im 20. Jahrhundert wieder zu dem altkirchlichen oder mittelalterlichen Verständnis von Gottesdienst und Ritus zurückkehren. Die „Rückkehr zu den Vätern“ mag zwar auf der Ebene der Texte und vorgeschriebenen Riten möglich sein. Doch diese erreichen dann in der Regel nicht das Lebensgefühl, das Selbst- und Weltverständnis der Menschen, deren Christusglaube ja in den Riten lebendig sein soll. Die historisierende Hermeneutik, die aus dem Alter von Texten deren Normativität ableitet, geht damit an der Realität vorbei. (Dass dieses irrige Verständnis auch im evangelischen Bereich begegnet, zeigt sich daran, dass hier häufig reformatorische Entscheidungen und Ordnungen allein aufgrund der Entstehungszeit als normativ verstanden werden.5) Ein unkritischer Rückgriff auf Casels Mysterientheologie kommt dabei deutlich an seine Grenzen. Grillo spricht darum kritisch von einer drohenden Restauration durch den unbedachten Rückgriff auf die altkirchliche Theologie. Er insistiert stattdessen darauf, „die radikale Differenz zwischen der spätmodernen und der klassisch-antiken Frage aufzuzeigen, weil sich aus dieser Frage – und nur aus ihr – die Notwendigkeit einer aktuellen liturgischen Theologie ergeben kann, die nicht in eine naive Form von restauratio patristica verfällt.“ (65, Anm. 5)
Man darf also nicht nur die Aussagen und rituellen Ordnungen als solche zu verstehen suchen, sondern muss das leitende Grundverständnis von Glaube und Ritus und damit von Gott und Wirklichkeit in den Blick nehmen. Man muss fragen: Welche Funktion hat der Ritus für das Verständnis des Glaubens? Um diese entscheidende Frage angemessener formulieren zu können, unterscheidet Grillo drei mögliche und historisch belegte Modelle der Zuordnung von Liturgie und Ritual, nämlich das vorausgesetzte, das verdrängte und das in die Theologie reintegrierte Ritual (das Theoriemodell erscheint im Überblick in Kapitel 2 und wird dann in den Kapiteln 3 5 Dazu habe ich mich ausführlich geäußert in: Liturgiewissenschaft und Kirche. Eine ökumenische Verhältnisbestimmung in zehn Thesen, in: M. Meyer-Blanck (Hg.), Liturgiewissenschaft und Kirche. Ökumenische Perspektiven, Rheinbach 2003, 111–138.
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bis 5 ausführlich erläutert). Im 20. Jahrhundert hat man vielfach versucht, zu der rituellen Voraussetzung zurückzukehren, ohne sich den fundamentalen Umwälzungen wirklich zu stellen, wie diese durch die Verdrängung des Rituellen seit der Aufklärungszeit entstanden waren. Man suchte eine Rückkehr zu den alten Formen, weil man die Gründe für deren „Auflösung“6 nicht in gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Veränderungen zu suchen vermochte und stattdessen in eine Hermeneutik des Verfalls abzugleiten drohte. Die Tatsache der „Auflösung“ ist unbestritten und diese wird von Graff auch detailliert beschrieben; es fehlen jedoch die geistesgeschichtlich-soziologischen Deutungskategorien. Das führt dazu, dass die Geschichte der Auflösung mit einem unterschwelligen Vorwurf der willentlichen und damit schuldhaften Preisgabe von Traditionsgut geschrieben wird, anstatt unter der analytischen Frage, warum bestimmte Formen mit der Aufklärung nicht mehr möglich waren und welche in Gegenwart und Zukunft möglich sind. Hier ist anzufügen: Auch die vielfach kritisierte liturgische Restauration in der evangelischen Kirche in Deutschland nach 19457 muss auf diesem Hintergrund rekonstruiert werden. Diese Entwicklung erhält durch Grillos Dreiphasenmodell einen deutlich erweiterten Horizont. Der Grundgedanke des Phasenmodells ist, dass man in die frühere Phase nicht zurückkehren kann, ohne die späteren Einsichten auszublenden. Darum gelingt es nicht, sich in das frühere Ritualverständnis ganz einzufühlen. Es handelt sich stattdessen immer um ein „Als-Ob“. Die spätere, zweite, wissende Naivität ist immer etwas anderes als der ursprüngliche Wirklichkeitszugang. Der altkirchliche und mittelalterliche Mensch, so wird man von Grillo her formulieren müssen, wusste nichts von der „rituellen Voraussetzung“ seines Glaubens, weil er eben darin lebte. Die theoretische Kategorie der Voraussetzung als solche ist das Kennzeichen der denkerischen Distanzierungsmöglichkeit von der Voraussetzung.8 Ebenso aber ist die Zeit der Verdrängung des Ritus aus 6 Dazu vgl. das bekannte Buch von Paul Graff, Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, I. Band: Bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 21937 [1921]; II. Band: Die Zeit der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 1939. 7 „Das Agendenwerk der VELKD und der EKU, das in den Jahren nach 1945 erarbeitet worden ist [. . .], war die umfassendste liturgische Restauration, die es in der Geschichte des evangelischen Gottesdienstes in Deutschland je gegeben hat.“ (Peter Cornehl, Art. „Gottesdienst VIII“, TRE 14 [1985], 54–85: 77). 8 In folgender Weise unterschied Ernst Cassirer die Religion vom Mythos: „Die Religion vollzieht den Schnitt, der dem Mythos als solchem fremd ist: indem sie sich der sinnlichen Bilder und Zeichen bedient, weiß sie sie zugleich als solche, – als Ausdrucksmittel, die, wenn sie einen bestimmten Sinn offenbaren, notwendig zugleich hinter ihm zurückbleiben, die auf diesen Sinn ‚hinweisen‘, ohne ihn jemals vollständig zu erfassen und auszuschöpfen.“ (Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken, Darmstadt 91994 [1964], 286) Analoges wird man auch für das Verhältnis zu Ritus und Kultus vor und nach der Aufklärung sagen können: Seit der Aufklärung erst weiß sich
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der Fundamentaltheologie offensichtlich an ihre Grenzen gekommen. Schon seit längerer Zeit kann man im Gegenteil sagen: „Das Ritual ist in aller Munde. Ritual ist schön.“9 Und auch dabei gilt: Man kann zur Zurückdrängung nicht mehr einfach zurückkehren, weil deren anthropologisches Engagement wiederum noch nichts davon wusste, dass man den Ritus zurückdrängte. Die Verdrängung suchte ja nur nach einem anthropologischen Zugriff, nach einer anthropologischen Zugangsweise, den Glauben für den neuzeitlichen Menschen nachbuchstabieren zu können. Sie war nicht eigentlich „anti-rituell“, sondern suchte nach einem anthropologischen Generalschlüssel10, besonders in der Sakramentenlehre. Dies kann Grillo an der Theorie Karl Rahners (im 4. Kapitel) deutlich aufzeigen. Die Verdrängung des Ritus wird erst im Nachhinein erkennbar. Entsprechend wird man vermuten können, dass auch erst in späterer Zeit zu erkennen sein wird, unter welchen kulturellen, geistigen und theologischen Prämissen das steht, was Grillo aus heutiger Sicht den Versuch der „Reintegration“ des Ritus in die Fundamentaltheologie nennt: Zum kritischen Blick auf die Voraussetzungen des eigenen Bemühens ist der Forscher immer am wenigsten in der Lage. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang, insbesondere im Hinblick auf das unterschiedliche Verständnis der Zuordnung von Wort und Sakrament im evangelischen und im katholischen Bereich, ist das Verhältnis von Wort und Ritus bei Grillo. Einerseits hatten die Vertreter der Liturgischen Bewegung auch in der Evangelischen Kirche die exzeptionelle Bedeutung von Wort und Predigt in der Liturgie eher abgeschwächt. Die Rolle der Predigt war die eines wichtigen, aber keinesfalls unverzichtbaren Bestandteiles der Liturgie.11 Andererseits ist die Rolle des Wortes beim 2. Vatikanischen Konzil durch die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (SC) deutlich gestärkt worden, indem die Notwendigkeit der Predigt in der Messe zur Regel erklärt wurde (SC 52). Dabei wird Christus allerdings nur in den Schriftlesungen, nicht jedoch in der Predigt als anwesend gedacht (SC 7). Gerade der Zusatz, Christus sei anwesend in der Lesung „und bei der Erklärung“, wurde bei der Schlussberatung der Konstitution während des Konzils gestrichen.12
die Liturgie in unserem Sinne als Kultus und Ritus, während sie diese Kategorien vorher nicht in anthropologischer Distanzierung, sondern als in unmittelbarer Weise Gottes Realität repräsentierend verstand. 9 Eberhard Hauschildt, Was ist ein Ritual? Versuch einer Definition und Typologie in konstruktivem Anschluss an die Theorie des Alltags, in: WzM 45 (1993), 24–35: 24. 10 Bei Grillo ist in der Überschrift zu Kapitel 4.3. vom „principio generale“ die Rede. 11 Vgl. dazu: Das Berneuchener Buch. Vom Anspruch des Evangeliums auf die Kirchen der Reformation, hg. von der Berneuchener Konferenz, Hamburg 1926, 104. Der Abschnitt S. 104–116 ist als „Der Kultus“ überschrieben. 12 Die Begründung lautete damals, dass „die Entwicklung dieser Lehre noch nicht ausgereift ist für ein Konzilsdokument“ (Annibale Bugnini, Die Liturgiereform 1948–1975. Zeugnis und Testament, Freiburg 1988, 55; vgl. auch Emil Joseph Lengeling, Zur Neuaus-
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Grillo legt nun Wert darauf, dass der gottesdienstliche Ritus insgesamt – und nicht nur die Eucharistie als herausgehobener Teil der Liturgie – als Quelle und Höhepunkt (culmen et fons, SC 10) angesehen wird (dazu s. Kapitel 10, insbesondere Abschnitt 10.5.). Von Grillos Verständnis des Ritus – als der für den Glauben notwendigen, unhintergehbaren Aktionsform und Gestaltwerdung – ließe sich das Verhältnis von Eucharistie und Predigt noch näher bestimmen, als es hier geschieht: Beide sind zwei deutlich verschiedene und gerade darum für den Glauben notwendige Ritualformen, deren Inhalte nicht von diesen Formen gelöst werden können. Von diesem Ansatz her ist also weder eine (katholische) Überordnung der Eucharistie über die Homilie noch eine (evangelische) Unterordnung des Abendmahls unter die Predigt zu begründen. Aus evangelischer Sicht wird man dann von einem zeichentheoretischen Verständnis her (dazu s. u. unter 3.) auch nicht den „Vollgottesdienst“ (mit Predigt und Abendmahl) zur Regelform erklären können. Denn damit hätte man nicht die „Ritualität“ des Glaubens (so Grillo), sondern eine bestimmte Ritualgestalt zum Prinzip erhoben. Doch zu diesen Punkten äußert sich Grillo nicht eingehend. 2. Theologie und Anthropologie in der Liturgiewissenschaft Das vorliegende Buch ist kein im engen Sinne praktisch-theologisches. Es bietet anderes als die Reflexion von Praxisfragen wie Umgang mit Agenden, Gestaltungsfragen, Berücksichtigung von Gemeindesituationen etc. Fasst man den Begriff der Praktischen Theologie allerdings weiter im Sinne einer Hermeneutik christlicher Praxis13, dann ist das vorliegende Buch sehr wohl ein praktisch-theologisches im Sinne einer praktischen Fundamentaltheologie. Der Begriff der Fundamentaltheologie taucht zwar nicht unmittelbar im Titel von Grillos Buch auf, ist aber dessen geheime Mitte. Die relativ einfach zu verstehende, dann aber in ihren Verästelungen hoch differenzierte These lautet: Die Fundamentaltheologie darf
gabe der Leseordnung für die Eucharistiefeier, in: Dynamik im Wort. Lehre aus der Bibel, Leben aus der Bibel, hg. vom Kath. Bibelwerk, Stuttgart 1983, 385–411: 397). 13 Dazu habe ich mich erstmals ausführlicher geäußert in: Leben, Leib und Liturgie. Die Praktische Theologie Wilhelm Stählins, Berlin/New York 1994, 394–407 sowie in: Zweisprachige Hermeneutik christlicher Praxis. Hilfe zum Reden über Religion – Hilfe zum religiösen Reden, in: G. Lämmlin/S. Scholpp (Hg.), Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Tübingen/Basel 2001, 317–331; Theorie und Praxis der Zeichen. Praktische Theologie als Hermeneutik christlicher Praxis, in: E. Hauschildt/U. Schwab (Hg.), Praktische Theologie für das 21. Jahrhundert, Stuttgart 2002, 121–132; zur evangelisch-katholischen Perspektive vgl. meinen Beitrag: Inszenierung und Zeichen. Pastoralästhetik aus evangelischer Perspektive, in: W. Fürst (Hg.), Pastoralästhetik. Die Kunst der Wahrnehmung und Gestaltung in Glaube und Kirche, Freiburg 2002 (QD 199), 119–129.
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die Grundlagenfragen des Glaubens, die Bedingungen der Möglichkeit des Glaubens nicht nur vom Denken her in den Blick nehmen, sondern auch von der Liturgie, vom Kultus, vom Ritual her. Der Mensch ist ein sinnbildendes Wesen und Sinn bildet sich nicht nur im Denken, sondern im Feiern und Gestalten seines Verhältnisses zu sich selbst, zur Welt und zu Gott. So formuliert Grillo im 10. Kapitel, nach der Darstellung der Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ und mit deutlichen Anklängen an die „Philosophie der symbolischen Formen“ Ernst Cassirers14: „Der Mensch ist sich weder selbst genug, noch ist er sich selbst einsichtig. Weder ist er seinem eigenen Anfang (woher komme ich?) gewachsen noch seinem eigenen Ende (was wird aus mir?). Der Mensch ist darum ein animal symbolicum, ceremoniale, liturgicum – eben weil er nicht in der Lage ist, aus sich selbst heraus er selbst zu sein.“ (198)
Die Liturgiewissenschaft ist derjenige Bereich der Theologie, in dem diese Grundeinsicht nicht übersehen werden kann. Das Denken des Glaubens muss sich auch auf das Denken der Feier des Glaubens beziehen, sonst geht sie am Menschen vorbei. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Berücksichtigung anthropologischer Einsichten in der Liturgiewissenschaft allgemein an Boden gewonnen. Vor allem die siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts haben eine breite Rezeption anthropologischer Fragestellungen, besonders der Kategorien von „Symbol“ und „Ritual“ erbracht.15 Dennoch kommt Andreas Odenthal noch 2002 zu dem Fazit, man bleibe „auf katholischer Seite dem Ritual eher kritisch gegenüber eingestellt“.16 Andrea Grillo kann nun vor dem deutschen Leser die lange und hoch differenzierte Diskussion dieser Zusammenhänge im italienischen und darüber hinaus auch im französischen Sprachraum entfalten. Die Diskussion der anthropologischen Zusammenhänge begann eben nicht erst im Zusammenhang der Rezeption der Humanwissenschaften (wie vor allem der Psychoanalyse in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts). Und auch der in Deutschland von der evangelischen wie der katholischen Liturgischen Bewegung aufgenommene Romano Guardini (dazu s. im vorliegenden Buch das 6. Kapitel), der über die Berneuchener und die Michaelsbruderschaft Wirkung bis in die Agenden der Nachkriegszeit
14 Dazu vgl. die Definition des Menschen als „animal symbolicum“ (statt nur als „animal rationale“) bei Ernst Cassirer, Was ist der Mensch? Versuch einer Philosophie der Kultur, Stuttgart u. a. 1960, 40 [amerik.: An Essay on Man, New York 1944]. 15 Im evangelischen Bereich kann das Buch von Werner Jetter, Symbol und Ritual. Anthropologische Elemente im Gottesdienst, Göttingen 1978 [21986] als Initialzündung gelten; im katholischen Bereich vgl. jetzt den knappen Forschungsüberblick in: Andreas Odenthal, Liturgie als Ritual. Theologische und psychoanalytische Überlegungen zu einer praktisch-theologischen Theorie des Gottesdienstes als Symbolgeschehen, Stuttgart u. a. 2002 [PThHe 60], 31–41. 16 A. Odenthal (s. o. Anm. 15), 32f.
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entfaltete, ist nicht der Anfang von alledem. Der französische Benediktiner Maurice Festugière (1870–1950) hatte schon vor dem 1. Weltkrieg Ansätze zu einer Fundamentalliturgik formuliert, die die Feiergestalt des Glaubens und die Feierpraxis zu einer unhintergehbaren Wirklichkeit für die Grundlagenreflexion dessen, was Glaube ist, erhoben (dazu s. im vorliegenden Buch das 5. Kapitel).17 Grillo führt diese Gedanken weiter, indem er die Modelle der Zuordnung von Anthropologie und Theologie von der Liturgie her kritisch darstellt und neu bestimmt. Er wählt also einen anderen Weg als den Zugang über eine bestimmte Humanwissenschaft, wie dies nach Werner Jetter in den neunziger Jahren Manfred Josuttis mit der Verhaltenswissenschaft18 oder Andreas Odenthal mit der Psychoanalyse durchgeführt hat. Grillos Gesprächspartner ist die philosophisch und theologisch bestimmte italienische Liturgiewissenschaft, die mit dem vorliegenden Buch zugänglich wird. Hier geht es nicht um eine vielfach befürchtete Auflösung der Theologie in Anthropologie, sondern um die anthropologische Hilfestellung, damit die Theologie die Sache des sie bestimmenden Glaubens sich selbst und anderen besser verständlich machen kann. Dabei formuliert Grillo sehr treffend: Wenn die Logik nicht weiterhilft, kann man nicht auf die Hilfe der Anthropologie verzichten. („Dove la logica non può nulla, l’ausilio dell’antropologia non può essere rimandato.“ [Anm. 4])
3. Zeichen und Symbol, Phänomenologie und Semiotik in der Liturgiewissenschaft In den praktisch-theologischen und liturgiewissenschaftlichen Publikationen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren ein gewisser Konsens darüber herausgebildet, dass die Formen und Darstellungsweisen, in denen christlicher Glaube (und Religion überhaupt) begegnen, nicht beliebig sind. Hatte man eine Zeitlang, im Gefolge der Wort-Gottes-Theologie, gemeint, man müsse sich allein an der Sache des Evangeliums unter Absehung von humanwissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren und hatte man dann in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Psychologie, Soziologie und Pädagogik als Bezugswissenschaften der Praktischen Theologie und damit der 17 Festugières Schriften liegen nicht in deutscher Übersetzung vor und werden durch das vorliegende Buch von A. Grillo wenigstens in einer Überblicksdarstellung in deutscher Sprache zugänglich. Zu Festugière vgl. seinerzeit schon R. Guardini, Das Objektive im Gebetsleben. Zu P. M. Festugières „Liturgie catholique“, in: JLW 1 (1921), 117–125. Festugières Fundamentalliturgik war damals von einer scharfen Polemik gegen den Protestantismus geprägt, führte aber dann wegen der Angriffe auch auf einen liturgievergessenen Katholizismus zu starken innerkatholischen Auseinandersetzungen. Evangelische Stellungnahmen sind mir hingegen nicht bekannt. 18 M. Josuttis, Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, Gütersloh 32000 [1993].
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Liturgik (wieder)entdeckt, so wird inzwischen ein dritter Weg jenseits der Alternative von Orientierung an der Systematischen Theologie oder primärer Orientierung an den Human- und Sozialwissenschaften gesucht.19 Grillo legt in seinem Buch immer wieder Wert darauf, dass die Liturgik nicht auf die Frage „Wie wird gefeiert?“ reduziert wird, sondern vielmehr auch die Fragen „Was wird gefeiert?“ und „Warum wird gefeiert?“ stellt (dazu s. besonders Kap. 10.5.). Dem entspricht auch die Diskussion in der deutschen evangelischen Praktischen Theologie und Liturgik: Die gegenwärtigen Bemühungen wollen die Alternative von Sache und Person überwinden und die Sache im Prozess der Vermittlung und Aneignung durch Personen in den Blick nehmen. Für diese neuen Zugangsweisen stehen Ästhetik, Semiotik und Phänomenologie.20 Die Wahrheit des Evangeliums als die wahrgenommene, der Prozess Wahrnehmung und die Form des Wahrzunehmenden werden thematisiert. Die Sache des Evangeliums bzw. der Religion wird da betrachtet, wo sie zum Zeichen wird, indem sie inszeniert und präsentiert wird, um Kommunikation zu eröffnen. In semiotischer Terminologie ist dabei von einem dreistelligen Zeichenbegriff zu sprechen. Ein Zeichen ist kein Gegenstand, der für etwas anderes, fest zu Definierendes steht, sondern ein Zeichen verweist auf etwas Zweites im Hinblick auf eine erneute Auslegung und damit auf etwas Drittes. Zeichen sind geschichtlich offen und begrenzt zugleich. Zeichen enthalten keine Bedeutung, sondern sind in der Lage dazu, Bedeutungsprozesse anzustoßen. Diese grundlegende Einsicht beschreibt Grillo im Zusammenhang der Interpretation der Sakramentenlehre des Thomas von Aquin. Es geht ihm darum, dass Thomas nicht im Sinne einer rein geistigen Bedeutung verstanden wird – so als sei diese Bedeutung von den sakramentalen Zeichengestalten ablösbar: „Das Ursprüngliche und Fundamentale des Sakramentes ist vor allem sein Modus des Bedeutens und nicht seine letztgültige Bedeutung. An diesem Punkt verbirgt sich der Beginn einer verhängnisvollen Entwicklung, bei der die gesamte Sakramentenlehre schließlich nur noch ein Diskurs über Bedeutungen ist, der sich für die Bedeutungsträger nicht interessiert und diese einfach übergeht.“ (93, Anm. 26)
Diese Sichtweise beinhaltet also auch, dass es keine Bedeutung, keinen Glauben, kein Evangelium in „zeichenfreier“ Form gibt. Das Zeichen umfasst in seinen drei Stellen mehrere Dimensionen: Die eigene Materialität (wie das ausgesprochene Predigtwort) erstens, den Verweis auf die zugrunde liegende Ursprungs- und Auslegungsgeschichte des Evangeliums, die gege-
19 Dazu vgl. Ch. Grethlein/M. Meyer-Blanck, Einführung, in: dies., Geschichte der Praktischen Theologie. Dargestellt anhand ihrer Klassiker, Leipzig 1999, 1–65, bes. 56–61. 20 Dazu vgl. M. Meyer-Blanck, Neuere Entwürfe zur Praktischen Theologie, in: ThR 64 (1999), 197–216.
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bene kulturelle Enzyklopädie (den „Code“) zweitens und die Dynamik der Aneignung durch die Interpretation, in der sich der dreistellige Zeichencharakter überhaupt erst erweist, drittens. Ein nicht gehörtes Wort (im buchstäblichen wie im metaphorischen Sinne) ist kein Zeichen, sondern bloßes Geräusch und Schall. Aus der an dieser Stelle nicht ausführlich zu thematisierenden Zeichentheorie21 ergibt sich, dass es Glauben nicht ohne Zeichen gibt, dass aber die Zeichen nicht als bloße Zeichengestalten („Signifikanten“) den Glauben („Signifikate“, „Bedeutung“) enthalten, sondern dass liturgische Zeichen in Kommunikationsprozessen funktionieren, innerhalb derer sie zurück und voraus verweisen. Weil Andrea Grillo von der Rezeption Guardinis ausgeht, folgt er terminologisch stärker der Symboltheorie als der Semiotik. Mögliche Missverständnisse können sich daraus ergeben, dass Grillo sich mehrfach gegen die Kategorie des Zeichens ausspricht. Doch das Engagement, das an verschiedenen Stellen seines Buches zum Ausdruck kommt, richtet sich im Grunde ebenfalls gegen einen zweistellig missverstandenen Zeichenbegriff und ist darum gut von der dreistellig verstandenen Zeichenkategorie her zu verstehen: Zeichen bedeuten, repräsentieren nicht als solche, sondern sie müssen als Zeichenstellen in einem rituellen Prozess der Gestaltung und Aneignung immer wieder neu interpretiert werden: „Liturgie und Sakrament vollziehen einen Statuswechsel vom Zeichen zum Ritus. Das bedeutet vor allem, dass sie von ihrer Definition als ‚Darstellungen‘ befreit werden, um als ‚symbolische Handlungen‘ verstanden zu werden. Damit werden sie nicht mehr primär logisch, sondern vielmehr handlungsbezogen gedacht.“ (236)
Andrea Grillos Buch ist deswegen so interessant und wichtig, weil es weder einer „konservativen“ Interpretation des Gottesdienstes, die sich auf die überlieferten Formen verlässt, noch einer „fortschrittlichen“ Interpretation, die vom „modernen Menschen“ ausgeht, das Wort redet. Ihm geht es vielmehr um eine anthropologisch aufgeklärte Interpretation des Überlieferten, um dadurch gegenwärtigen Menschen den eigenen Glaubensweg durchschaubarer zu machen und so ein bewussteres und gewisseres Beschreiten dieses Weges zu ermöglichen. Der Rückgriff auf die Tradition kann nur modern sein und das heißt, er muss über seinen eigenen Status des Denkens im Kontext der Moderne aufgeklärt sein. Doch der Glaube in der (Post-)Moderne ist nur dann sachlich angemessen, wenn er nicht in ungeschichtlicher Weise die Gegenwart verabsolutiert, sondern um die eigenen Ursprungs- und Interpretationsgeschichte weiß. Allein schon die Tatsache der gesamten Liturgischen Bewegung im
21 Der semiotischen Theorie zufolge wäre das ungehörte Predigtwort damit als Zeichen des Nichtverstehens oder der als unangenehm empfundenen Störung zu beschreiben. Ausführlicher dazu s. mein Buch: Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, Rheinbach 22002 [Hannover 1995].
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20. Jahrhundert ist als ein klassisch spätmodernes Phänomen aufzufassen. Die Moderne wird ihrer selbst ansichtig und greift darum auf die Tradition zurück. Erfolgte dieser Rückgriff in der Liturgischen Bewegung zum großen Teil noch naiv22, so als gäbe es eine direkte Rückkehr zur Tradition, so kann man heute nicht umhin, diesen Rückgriff als etwas historisch Bedingtes, den gesellschaftlichen Umständen Entsprechendes zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass der Weg der Liturgischen Bewegung falsch war. Aber heute ist dieser Weg dennoch anders zu begehen und zu interpretieren: Nicht mehr die direkte Rückkehr zum mit der Tradition gegebenen Ursprung der Liturgie, sondern der Versuch der Neuentdeckung des mit der Tradition ermöglichten Liturgieverständnisses ist das gegenwärtig angemessene Verfahren. Die Liturgik und die liturgische Theologie des 21. Jahrhunderts weiß, was die Liturgische Bewegung des 20. Jahrhunderts von sich selbst noch nicht wusste.23 Diesen Zusammenhang und die zukünftige Aufgabe fasst Grillo prägnant so zusammen: Hätte die liturgische Theologie „nicht den Mut gehabt, sich von der traditionellen Theologie zu trennen, wäre sie gar nicht entstanden. Doch wenn sie in Zukunft nicht den Mut findet, sich mit der traditionellen Theologie neu ins Verhältnis zu setzen, auch um den Preis, diese ganz und gar verändern zu müssen, dann wird sie keinen Weg finden, sie selbst zu bleiben.“ (174f)
4. Hinweise zur Übersetzung Grillos Begriff der „teologia liturgica“ (so schon der Titel) ist aus den genannten Gründen nicht als „Liturgietheologie“ übersetzt worden, sondern wird im programmatischen und ambitionierten Sinne des Autors als „liturgische Theologie“ wiedergegeben. Es geht Grillo um mehr als um die Theologie einer Teildisziplin, sondern vielmehr um die Art und Weise überhaupt, theologisch zu denken. Schwierig wiederzugeben sind die Begriffe „culto“ und „rito“. So kann „culto“ einfach der dem Deutschen entsprechende Begriff für „Gottesdienst“ sein, kann aber auch die anthropologische bzw. anabatische Dimension der Liturgie im Sinne des deutschen Wortes von „Kultus“ bzw. „kultisch“ meinen. Hier wechselt die Übersetzung je nach dem Sinnzusammenhang. Grillo verwendet in der Regel den Begriff „rito“ (= „Ritus“) und nicht das im Italienischen – als Substantiv wie als Adjektiv ebenfalls gebräuchliche – „rituale“ (= „Ritual“, „rituell“), das in der deutschen Literatur vorherrscht. Die Übersetzung folgt Grillos Sprachgebrauch in der Regel durch den deutschen Begriff des „Ritus“. Schwer 22 So lässt sich das Ergebnis meiner Studien zu den Berneuchenern in dem Buch über Wilhelm Stählin (s. o. Anm. 13) etwas verkürzend, aber treffend zusammenfassen. 23 Das betrifft schon die schlichte Tatsache des Wissens darum, dass es sich um „die Liturgische Bewegung“ handelte.
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zu übersetzen ist die Kategorie der „ritualità“ (= „Ritualität“); vielfach habe ich das an diesen Stellen Gemeinte attributiv zu umschreiben gesucht. Ebenfalls schwierig ist der wiederum adjektivisch wie substantivisch begegnende Ausdruck „(il) culto rituale“. Mehrfach habe ich diesen Ausdruck einfach wörtlich übersetzt als „kultisch-rituell“ (bzw. „das Kultisch-Rituelle“). Weil es Grillo um die konkrete und spezifische Zeichengestalt von Liturgie und Sakrament geht und nicht um etwas Allgemeines, habe ich mich bei den (in der deutschen Literatur gleichermaßen begegnenden) Ausdrücken „Sakramentstheologie“ und „Sakramententheologie“ durchgängig für den letzteren entschieden. Der Plural gibt das Verschiedene und Besondere besser wieder. Mit diesem Sprachgebrauch dürfte Grillos Kritik an Begriffsbildungen wie „Grund“- und „Ur“-Sakrament entsprochen sein, wie diese im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit transzendentalen Theorien im Gefolge Karl Rahners vorgetragen wird. Wie in der älteren deutschen Literatur kann der Ausdruck „cristianesimo“ (= „Christentum“) sowohl allgemein die kulturelle Gestalt (im Sinne von „Christentum und Judentum“), als auch den menschlichen Habitus („Christsein“) meinen. Hier habe ich je nach dem Sinnzusammenhang unterschiedlich übersetzt. Zitate aus der deutschen Literatur sind nicht übersetzt, sondern nach dem deutschen Original wiedergegeben. Italienische Literaturtitel in den Fußnoten werden in der Regel übersetzt; eine Ausnahme machen die Titel, deren Sinn sich unmittelbar aus den dem Deutschen analogen Lehnwörtern ergibt. Lateinische Begriffe werden in der Regel nicht übersetzt; eine Ausnahme machen hier längere Zitate, die in unübersetzter Form den Lesefluss beeinträchtigen würden. Die Abkürzungen sowie die Sigla von Zeitschriften und Reihen werden in der Regel nach dem Verzeichnis der TRE24 geboten; sind die Periodika sehr unbekannt, werden sie ausgeschrieben (etwa „Questions liturgiques et paroissales“). Kursivierungen und Anführungszeichen im Original sind immer solche des Autors; sie sind in der Regel übernommen, aber an einigen Stellen dem Sinn der deutschen Übersetzung angepasst. Ganz vereinzelt finden sich im deutschen Text italienische Begriffe in eckigen Klammern, wenn die deutsche Übersetzung stark vom italienischen Wortsinn abweichen muss. Michael Meyer-Blanck
24 Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin/New York 21994.
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1. KAPITEL
Methodische und inhaltliche Vorbemerkungen Unter allen Wissenschaften ist die Theologie die schönste, die den Kopf und das Herz am reichsten bewegende, am nächsten kommend der menschlichen Wirklichkeit und den klarsten Ausblick gebend auf die Wahrheit [. . .]. Aber unter allen Wissenschaften ist die Theologie – auch die schwierigste und gefährlichste, diejenige, bei der man am ehesten in der Verzweiflung, oder, was fast noch schlimmer ist: in Übermut endigen, diejenige, die [. . .] am schlimmsten von allen zu ihrer eigenen Karikatur werden kann. K. Barth1
1.1. Theologische Arbeit zwischen Kulturwissenschaft und Kirchenbezug Wer sich mit Theologie beschäftigt (und erst recht, wer in der theologischen Lehre tätig ist), kann nicht an der Aufgabe einer Grundsatzreflexion vorbeigehen, die sich dem Sinn und den Bedingungen theologischer Kompetenz zuwendet. Der Grund, warum mancher Liturgiker diese Aufgabe wenig schätzt, ist ein im Vergleich zum Dogmatiker, Exegeten, Moraltheologen u. a. mangelhaftes Gespür für deren wissenschaftliche Notwendigkeit, kurz: eine schwach ausgeprägte wissenschaftliche Selbstreflexivität. Doch auch die liturgische Theologie ist in jeder Hinsicht Theologie und Theologie ist eine Wissenschaft, die mit einem eigenen und spezifischen Profil, mit einer besonderen „Autonomie“ zum Kern der universitas studiorum gehört. Es handelt sich um eine eigenständige Disziplin, um ein spezielles und bestimmtes Wissensgebiet im Bereich der Kultur. Schon hier beginnen jedoch die Probleme. Denn unsere heutige Kultur will der Theologie nicht mehr den Charakter einer wissenschaftlichen Disziplin zuerkennen und tendiert dazu, sie an den Rand zu drängen, als habe sie keine Verbindung zu den natürlichen Lebensbedingungen heutiger Männer und Frauen. Wir leben seit einigen Jahrhunderten in einem kulturellen Umfeld, das alles, was etwas mit dem Glauben zu tun hat, in eine diffuse, unbestimmte Peripherie abdrängt: Das Prinzip der 1 K. Barth, Offenbarung, Kirche und Theologie, München 1934 (= Theol. Existenz heute 9), 34.
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„separierten Vernunft“2 ist es, welches die kulturellen Leitlinien bestimmt. Für diese aber sind Wissenschaft und Glaube genauso inkompatibel wie Glauben und Erkennen. Der Glaubende und nicht selten auch der Theologe droht dabei diese Voraussetzungen und diese Logik selbst zu teilen. So befindet er sich genau zwischen dem Unverständnis für einen Diskurs, der die rigiden Gegensätze überwinden will, und der Einrichtung in einer bequemen Nischenexistenz, welche ihm die gegenwärtige Kultur bereitstellt (und wo vielleicht ein laues, aber wenig freiheitliches Lüftchen weht). Gleichwohl handelt es sich dabei um eine notwendige Zwangslage für einen Theologen (wie für jemanden, der mit der Theologie beginnt). Denn wahre Theologie hat es nie ohne Einsamkeit gegeben. Doch diese Einsamkeit in der Kultur ist keine antikulturelle Trägheit, sondern eine Suche nach Zusammenhängen, so dass die Kultur für das Evangelium und die Gnade, aber auch der Inhalt des Evangeliums und das Heilsame der Gnade selbst transparent und zugänglich werden können. Für den Theologen geht es – oftmals gegen alle vordergründigen Selbstverständlichkeiten – darum, die Nichtreduzierbarkeit des Menschen als Mensch, der Geschichte als Geschichte und der Natur als Natur aufzuzeigen. Bei derartigen ihn kennzeichnenden Einsprüchen kann sich der Theologe gar nicht anders als einsam und allein vorkommen. Wer sich nicht in der Lage sieht, diesen Preis zu zahlen, wird auch niemals behaupten können, das notwendige Maß an Freiheit zu besitzen, um einem gewichtigeren Wort Gehör zu verschaffen und ein höheres Subjekt sprechen zu lassen3. Gerade als Wissenschaft dient die Theologie der kirchlichen Gemeinschaft. Dieser weitergehende Gedanke ist die Folge einer Art von Unzufriedenheit. Die Theologie muss gegenüber der Kultur das Bedürfnis verspüren, ein „Das ist doch nicht alles!“ zu sprechen (und bisweilen herauszuschreien). Doch wehe, wenn wir bei der Abgrenzung stehen bleiben und uns hinter der Alternative verschanzen, als wäre hier die Theologie und dort die Kultur, als würde Widerstandshaltung vom Wirklichkeitsbezug dispensieren – ist doch das christliche Leben eine ständige Oszillation zwischen Widerstehen und Wirklichkeitsbezug! Dies wäre eine naive, grundlegend falsche Art und Weise, unserem „Nein!“ Ausdruck zu verleihen. Die Theologie kann nur lebendig sein, wenn sie – als Kultur – dem Rest der Kultur Rechnung trägt und ihr gegenübertritt.
2 Der Begriff der „separierten Vernunft“ wird vor allem von der „Mailänder theologischen Schule“ einer Klärung zugeführt, vgl. besonders G. Colombo (Hg.), L’evidenza e la fede, Mailand 1988. 3 Zu einer sinnvollen Aufnahme des Gegensatzes zwischen Wahrheit und Glaube vgl. E. Severino, Essenza di nichilismo, Mailand 1995 (11982). Eine allgemein verständliche Fassung von Severinos Denkens ist greifbar in: ders., Pensieri sul cristianesimo, Mailand 1995; darauf nimmt zum Teil Bezug E. Salmann, Contro Severino. Incanto e incubo del credere (= „Zauber und Alptraum des Glaubens“), Casale Monferrato 1996.
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Und dennoch wird sie dabei nicht ihren Charakter als Diakonie verlieren. Zwar ist die Theologie wie die Kirche an keinen Ort gebunden, weil sie eine Pilgerin ist wie die Kirche, der sie dient. Und doch ist die Theologie dem kirchlichen Ort verbunden. Ohne Kirche gibt es keine authentische Theologie. Die Verbindung zwischen Wissenschaft und Dienst an der Kirche ist es nun allerdings, welche für die Gegenwartskultur anstößig wirkt. Diese versteht die Verbindung zwischen „wissen“ und „dienen“ als antithetisch und widersprüchlich. Entweder erkennt man frei oder man dient und wird unfrei. Der eigentliche Gegensatz, der das Verstehen blockiert, ist der zwischen Freiheit und Gehorsam, Autonomie und Heteronomie, Gegenwartsbezug und Tradition. Niemand wird bestreiten, dass sich hinter diesen klaren Gegensätzen auch die schwierigen Probleme verstecken, die eine angemessene theologische Selbsterkenntnis bei den Glaubenden (selbst bei den Theologen) verhindern. Aus den Gegensätzen ergibt sich auch das Unverständnis der Bedeutung des Ritus für die christliche Identität und für einen sich seiner selbst bewussten Glauben. Auch der wissenschaftliche Gegenstand des Liturgikers hängt mit diesen Problemen zusammen, die sein subjektives theologisches Bewusstsein belasten. Der christliche Glaube weiß und erfährt jedoch, dass kirchliche Freiheit Gehorsam bedeutet und dass man für die Freiheit und im Rahmen der Freiheit gehorsam ist. In Wirklichkeit ist jede Theologie ohne diesen grundlegenden, wenngleich schwierigen Zusammenhang ohne Fundament! Das bedeutet, dass das Ziel der Theologie und ihres großen Auftrages, Gott in der Verkündigung seines Wortes und in der Annahme dieses Gedenkens im Glauben zu vergegenwärtigen, nichts anderes bedeuten kann als einen ständigen Wechsel zwischen Wagemut und Geduld, zwischen Widerstandshaltung und Wirklichkeitsbezug, zwischen Mut und Demut im Bemühen um den Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft.4 Dennoch ist es das Eigentümliche der Theologie, eine zugleich bescheidene und freie Wissenschaft zu sein, eine kirchliche und heitere Wissenschaft, weil sie radikal gebunden bleibt an die Unübertrefflichkeit, die Befreiung, an das Gericht und an die Gemeinschaft, die von jenem Gott gewollt wird, den die Theologie vergegenwärtigen möchte. 1.2. Theologische Forschung im Rahmen der Kultur Die Aufgabe einer offenen und sachlichen Begegnung von Evangelium und Kultur bzw. von Theologie und Wissenschaft im allgemeinen Sinn ist in der christlichen Kirche inzwischen eine vertraute Angelegenheit. Katholische Theologen bewegen sich dabei im Umfeld von § 62 der 4 Diese erhellende Charakterisierung der wissenschaftlichen Theologie geht zurück auf K. Barth, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 31985 [1962], 45–56.
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Konzilskonstitution „Gaudium et spes“ (GS). Im Zusammenhang einer vertrauensvollen Öffnung zur modernen Welt werden die Theologen in diesem Dokument des 2. Vatikanischen Konzils „veranlasst, immer unter Wahrung der der Theologie eigenen Methoden und Erfordernisse nach einer geeigneteren Weise zu suchen, die Lehre des Glaubens den Menschen ihrer Zeit zu vermitteln. Denn die Glaubenshinterlage selbst, das heißt die Glaubenswahrheit, darf nicht verwechselt werden mit ihrer Aussageweise, auch wenn diese immer den selben Sinn und Inhalt meint.“ (GS 62) In dieser authentischen Weise hat die Theologie ihren Beitrag zu leisten, damit der Glaube kommunikabel wird, wie es heißt: „Quando fides non assentit propter rationem, sed propter amorem eius cui assentit, desiderat habere rationes.“5 Die Freiheit zeigt sich offensichtlich im inneren Bereich des Glaubens der Kirche. Man wird dabei der Aussage zustimmen müssen, dass „die nötige Kühnheit im theologischen Denken keine Früchte tragen und ‚erbauen‘ kann, wenn sie nicht von der Geduld zum langsamen Reifen begleitet ist.“ (IVT 11) Dieser Satz enthält eine tiefe, entscheidende Wahrheit. Der Theologe findet darin zwei Grundorientierungen für sein Arbeiten: Zunächst die Kühnheit, die Fähigkeit zum Fortschreiten, zur Aufmerksamkeit für Neues und zum Denken in großen Zusammenhängen, zur engagierten Wahrnehmung neuer Problemstellungen, so dass den wichtigen Stimmen im Umfeld der Wahrheit Raum gegeben wird. Für diese Kühnheit ist es charakteristisch, dass sie sich in das Denken des Theologen einfügt und als Treue zur Sache Auswirkungen auf die Inhalte und Methoden seiner Arbeit hat. An zweiter Stelle ist die Geduld zu nennen, die Fähigkeit, mit Geduld zu warten und nicht die sofortige Aufnahme der eigenen Arbeiten und Entdeckungen zu verlangen, die Einsicht in die Notwendigkeit weiteren Nachdenkens und Erwägens, damit das Denken eines Einzelnen Ausdruck des Glaubens aller sein kann. In diesem Zusammenhang ist deutlich, dass für jede Theologie auf der Höhe der Zeit die Freiheit der Forschung konstitutiv ist, so dass „bei den Gläubigen, Klerikern wie Laien, die Freiheit des Nachforschens, Denkens und demütigen wie mutigen Äußerns der eigenen Meinung anerkannt ist.“ (GS 62) Darum gilt auch: „Die Freiheit der Forschung, die den Menschen der Wissenschaft als eines ihrer kostbarsten Güter besonders am Herzen liegt, besteht in der Möglichkeit, die Wahrheit als solche anzunehmen, wie sie sich präsentiert, als Er5 „Wenn der Glaube nicht aus Vernunft zustimmt, sondern aus Liebe zu dem, welchem er zustimmt, dann ist er auch darauf aus, vernünftige Gründe zu haben“: Dieses schöne Zitat des heiligen Bonaventura (Prooemium in librum primum Sententiarium, q. 2, ad 6) findet sich in dem Dokument der Glaubenskongregation Istruzione sulla vocazione ecclesiale del teologo (Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen), Bologna 1990, § 7 (künftig abgekürzt als IVT).
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gebnis eines Nachforschens, bei dem sich kein fremdes Element unter die vom Forschungsgegenstand her gegebenen Methoden mischt.“ (IVT 12)
Ohne demütigen Mut und ohne mutige Demut, ohne geduldiges Wagnis und ohne wagemutige Geduld der Theologie, und zwar in ständigem Gegenüber und in kirchlicher Gemeinschaft mit der Autorität des Lehramtes, gäbe es keinen Fortschritt bei der Vertiefung der Einsichten des Glaubens, welche das Lehramt jeweils in den Vordergrund stellen kann (vgl. IVT 12).6 Gewiss riskiert ein ausschließlich wagemutiger und wenig oder gar nicht geduldiger Theologe unvermeidlich den Konflikt mit dem Lehramt. Ein lediglich geduldiger Theologe ohne Mut zum Risiko hingegen wird in der Regel kaum Probleme mit dem Hirtenamt haben – aber nicht, weil er mit ihm ein gemeinsames Grundverständnis teilen würde, sondern schlicht darum, weil er letztlich kein konsequenter Theologe ist. So jemand kann gewiss ein guter Christ sein, ein gläubiger Vertreter, aber er stellt sich nicht rigoros der schwierigen Aufgabe, die ihm der theologische Beruf zuweist. Die unterschiedliche Aufgabe von Theologie und Lehramt macht es dementsprechend ein für alle Male unmöglich, Theologie, jegliche Theologie, die sich wahrhaft katholisch nennen will, einfach als Wiederholung lehramtlicher Aussagen zu konzipieren. Eine entscheidende Einsicht formuliert das genannte Dokument. Nachdem es die bestmögliche Beziehung zwischen Theologie und Lehramt beschrieben hat, präzisiert es: „Selbst wenn sich die Zusammenarbeit unter optimalen Bedingungen entwickelt, sind unterschwellige Spannungen zwischen dem Theologen und dem Lehramt nicht ausgeschlossen. Doch die Bedeutung, die man diesen zumisst und der Geist, mit dem man sich diesen stellt, sind entscheidend: Wenn sich hinter den Spannungen nicht ein Gefühl von Feindschaft und Opposition versteckt, dann können sie zu einem dynamischen Faktor und Impuls werden, der das Lehramt und die Theologen dazu bringt, ihre jeweiligen Aufgaben zu erfüllen, indem sie miteinander in Dialog treten.“ (IVT 25)
Das bedeutet, dass eine gewisse Spannung, eine Spannung, die aus einer durch Geduld gemilderten Kühnheit entspringt, gerade zu normalen Beziehungen zwischen Theologie und Lehramt führt und damit sogar sicherstellt, dass der Dialog von beiden dynamisch ist und gegenseitige Verbesserungen bewirkt. Noch einmal: Das Verkommen der Spannung zu einem unüberwindlichen Riss entsteht durch eine bestimmte Haltung, in der beide Teile unglücklicherweise „ein Gefühl von Feindschaft und Opposition“ an den Tag legen. Der Riss entsteht nicht durch den Gegenstand und die Methode der Arbeit. 6 Auch hier folge ich zum Teil den erhellenden Ausführungen von K. Barth, Einführung in die evangelische Theologie (s. o. Anm. 4), wo es um die Gefahren für die Theologie geht.
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1.3. Der Ernst des theologischen Berufes Wir haben gesehen, dass die Person des Theologen innerhalb der Kultur und der Gemeinschaft der Kirche – zwischen denen kein zwangsläufiger Konflikt besteht – eine fortschreitende Integration beider Perspektiven anstreben muss. Auf diesem Wege jedoch ist man nicht auf Rosen gebettet. Das grundlegende Einvernehmen mit der Kultur wie mit der Gemeinschaft der Kirche kann nicht über die Gefahren und Versuchungen hinwegtäuschen, denen der kirchliche Theologe stets unterliegt. Dies sind keine Gefahren und Versuchungen, denen man entkommt, indem man ein kirchlicher Theologe ist, sondern die gerade denjenigen bedrohen, der in vollem Bewusstsein Theologie betreibt. Das ist das Kreuz bei aller Freude an der Theologie und der Tribut, den eine sorgfältige Reflexion den eigenen Grenzen zollen muss. Damit kommen wir zu den folgenden Charakteristika: a) Einsamkeit: Wer ernsthaft theologisch zu arbeiten beginnt, dem mag eine gewisse Isolation, in der man sich bei der Beschäftigung mit Theologie befindet und die die akademische Theologie insgesamt kennzeichnet, als ein eher zufälliger Umstand vorkommen. In Wahrheit jedoch ist Einsamkeit eine dauerhafte Begleiterscheinung theologischer Reflexion, weil diese um der Antizipation der vollen und völligen Gemeinschaft willen immer einen Schritt zurück tun muss. Das gilt nur vorläufig, aber dafür immer wieder neu, weil sich die Theologie von der unvollkommenen, begrenzten Gemeinschaft ihrer Zeit zu unterscheiden hat. b) Zweifel: Das theologische Denken als solches kennt zwei Arten von Zweifel. Die eine ist mit dem theologischen Beruf selbst verbunden, mit der Aufgabe der Theologie, das Wort Gottes im Hinblick auf die Suche nach der Wahrheit zu befragen. Das „utrum“, das die mittelalterlichen theologischen quaestiones eröffnet und betitelt, erhellt den prinzipiellen Anteil des Fragens bei der Konstitution theologischen Wissens. Gewiss unterliegt die Theologie dadurch dem doppelten Risiko, in einen hoffnungslosen Zweifel zu verfallen, so dass der kritische Geist unwiderruflich und bar aller Zurückhaltung das Gesetz des Handelns diktiert oder auch, sich vor jeglichem Zweifel zu schützen und sich so jeglichen Mutes und Risikos zu enthalten, die notwendig zu jedem echten theologischen Fragen gehören. Doch dies ist noch nicht der wirklich gefährliche Zweifel. Der zweite Typus von Zweifel – deutlich gefährlicher – geht von demselben Faktum aus, aus dem auch der erste professionelle Zweifel des Theologen entsteht. Dabei ist der Theologe durch das Gewicht der Welt oder durch die Schwäche der Gemeinschaft der Kirche gefährdet oder auch durch sein eigenes unausgeglichenes Verhalten. Man kann dem Zweifel nicht nur ausgesetzt sein, weil man geschieden bleibt von der Theologie, mit der man 36
sich beschäftigt, sondern auch, weil man ausschließlich ihr verfallen ist und sich von allem zurückzieht, wovon Welt, Kirche und Bewusstsein der jeweiligen Zeit leben. c) Versuchung: Einsamkeit und Zweifel sind jedoch noch nicht die größte Gefahr, der die Theologie unterliegt. Diese ist vielmehr die Versuchung, die von oben her droht, also die Anfechtung durch Gott. Diese Anfechtung betrifft die Theologie als Menschenwort, das den göttlichen Logos in die eigenen Analogien einfangen will, als Eitelkeit, welche die Sünde der rabies theologorum nährt, als theoretische Selbstisolation von Elend und Leiden in der Welt, als verfehlte kirchliche Praxis, als Verkündigung nur eines Teiles der Wahrheit anstatt der ganzen Wahrheit. Auf dem Hintergrund aller dieser Gefahren der Einsamkeit, der Zweifel und Versuchungen hat es die Theologie nicht leicht, den rechten Weg zu finden. Sie kann alledem nicht entfliehen, weil sie dann vor ihrer ureigensten Aufgabe davonliefe, sich der frohen Botschaft Gottes auszusetzen. Aber sie kann widerstehen und aushalten. Nur so beginnt sie den tiefsten Grund für ihre eigene Bescheidenheit zu verstehen, ohne die eigene uneingeschränkte Freiheit zu vergessen, die zugleich die schmerzhafte Ursache ihrer eigenen Krise ist. Doch ist dabei auch nicht das Segensreiche und Tröstliche zu vergessen, das aus der eigenen Freude kommt. 1.4. Der „Habitus“ des Fragens und Verstehens Wer sich also anschickt, sich als Theologe zu „spezialisieren“ – wobei in der Theologie gerade das Wissen um die eigene Inkompetenz das deutliche Zeichen von Sachverstand ist –, der muss das eben knapp Skizzierte in Rechnung stellen, um es dann mit den Einzelfragen seiner Thematik in angemessener Weise kombinieren zu können. In unserer als fundamental zu charakterisierenden Perspektive müssen sich Mut und Geduld miteinander verbinden, um uns zum Fragen und zum Verstehen angesichts des Mysteriums zu bewegen, das sich in der Liturgie und im Sakrament vergegenwärtigt; zum Fragen und Verstehen angesichts des Schweigens in der Anbetung und des Lobpreises in der Hingabe, angesichts der Notwendigkeit etwas mitzuteilen, das zwar schwierig mitzuteilen, doch schon in sich die höchste Form von Mitteilung ist. Die Aufgabe einer mutigen und geduldigen Theologie, die sich mit der Liturgie beschäftigt, muss darum profunde und anspruchsvolle Fragen an die moderne Welt richten, um in ihr den Gehalt jener zweitausendjährigen Tradition wieder zu finden, die in der Feier des Sakraments immer wieder culmen und fons (Gipfel und Quelle) aller Glaubenserfahrung der Kirche gefunden hat. Dies jedoch muss ohne Hang zur Nostalgie und in einer echten und konsequenten Offenheit geschehen. 37
Verfolgt man derartige Absichten, so benötigt man theoretische Prinzipien, aber auch schlichte Praxisregeln und Einsichten des gesunden Menschenverstandes, ohne die das Theologietreiben als eine schwierige und letztlich vergebliche Mühe dastehen würde. Mir scheint, dass für denjenigen, der sich um die Vertiefung der mit Liturgie und Sakrament verbundenen Theorieprobleme bemüht, eine Art von „vierfach epikureischer Medizin“ indiziert ist, ein kleiner Satz guter Ratschläge, um die Erfüllung der theologischen Aufgabe angenehmer und nützlicher zu gestalten. Das betrifft die Art und Weise, mit der sich der Student (und auch der interessierte Laie) seinen Studien nähert, um diese wirklich effektiv zu machen: a) „Lesen mit Haken“: In Anlehnung an einen Ausdruck des Dichters Giambattista Marino (1569–1625) bringt dieses Motto präzise das Verhältnis des Studenten bzw. Wissenschaftlers zu seinem Text auf den Punkt, mit dem er sich den Text aktiv aneignet und sich so etwas Vergangenes, Wichtiges erschließt, anstatt dieses nur in heutige Kategorien zu pressen. Alles, was wir lesen, muss unser Eigentum werden, und sei es nur aus Respekt vor der angemessenen Zitation der Quelle. b) „Umgang mit dem Feind“: Damit ist der Mut angesprochen, völlig entgegengesetzte Betrachtungsweisen in Erwägung zu ziehen, welche die eigenen Überlegungen negieren oder ihnen widersprechen. Das gilt selbstverständlich für den innerchristlichen wie für den außerchristlichen Kontext. Wer nur eine unklare Kenntnis von den Motiven des Gegenspielers hat, kann den eigenen Sichtweisen kaum ausreichende Überzeugungskraft verleihen. Das wäre für die Theologie sozusagen eine „Sünde wider den Heiligen Geist“ und ein besonders schwerer Mangel. Dem Wunsch nach der „Ausschaltung“ des Gesprächspartners zu widerstehen, das ist die vielleicht schwierigste Aufgabe speziell der theologischen Wissenschaft. c) „Sapere aude“ (Horaz): Das Ausgehen vom Mysterium ist nicht unvereinbar mit dem Gebrauch der Vernunft, auch wenn man fürchtet, dass sich die Ratio zum Rationalismus ausdehnt (dazu vgl. unten zu O. Casel). Trotzdem gehören der Mut zum Wissen und zur systematischen Rekonstruktion von Wissen zu den nötigen Kompetenzen des Theologen. „Etwas“ über die Liturgie und die Sakramente wissen heißt noch nicht, Beruf und Handwerk des Theologen richtig auszuüben. d) „Widerstehen und Aushalten“: Dieses von K. Barth formulierte Widerstandsmotto muss der Theologe stets sehr bewusst in Rechnung stellen. Denn nur nach solchem Widerstehen und Aushalten – bezogen auf sich selbst und die anderen, auf die eigenen Erfolge und Misserfolge – kann die Theologie beginnen, etwas Mögliches und mit Freuden Praktiziertes zu sein.
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1.5. Über das theologische Lesen und Schreiben7 Zunächst gilt es daran zu erinnern, dass es einen theologischen Inhalt nie unabhängig von einem Stil gegeben hat. Das Denken des Glaubens lässt sich nicht in jeder Form entwickeln, darstellen und ausdrücken. Jede große Theologie hat notwendig einen hohen und solennen Stil. Es ist die Größe des Inhalts, die nicht jedweden Stil erträgt: Das entscheidende Wort bedarf einer seiner Bedeutung entsprechenden Ausdrucksweise. Dieser Umstand wird in der Regel von den theologischen Praktikern und nicht selten auch von theologischen Theoretikern vergessen. Der Praktiker ist sich bewusst, dass er sich mit einer Menge von Inhalten auskennen muss. Glaubensartikel, Vorschriften, Dogmen, Gebote, liturgische Regeln – alles, was das theologische Wissen ausmacht, erscheint dann wie eine Unmenge von Daten. Doch das ist eine falsche und erschreckend irrige Ansicht. Kein christlicher Inhalt rettet als solcher. Es ist darum eine wirkliche Irrlehre zu meinen, der Kern des Kerygmas vertrage jede Ausdrucksweise. Wenn die christliche Botschaft in schlechter und billiger Sprache, ohne Artikulation und ohne Seele zum Ausdruck kommt (und gedacht wird), dann ist das nicht nur ein schlecht formuliertes Christentum, sondern der Tod des Christentums und totes Christentum. a) Es gibt jedoch eine Art von Begeisterung für die Theologie, die niemanden unberührt lassen kann, der sich auf den Weg der Entdeckung neuer theologischer Einsichten macht. Die wahre theologische Einsicht ist immer von Staunen und Fesselung durch den Gegenstand begleitet. Wer sich damit zu beschäftigen beginnt, aber niemals einen Schauer im Rücken verspürt hat vor einem bedeutenden Gemälde, bei einem großen Musikereignis oder in einer Kino- oder Opernvorstellung oder nie irgend etwas Ähnliches, zutiefst Berührendes erlebt hat, der nimmt auch nichts wahr, wenn er sich in eine Quaestio in der Summa des Thomas vertieft oder in die unzähligen Fragen, die ein Text von Karl Barth aufwirft oder in das Labyrinth der wundersam in einen Text verwobenen Zitate bei von Balthasar oder in die virtuosen Verschlingungen einer Seite von Rahner – nun, so jemand müsste anfangen nachdenklich zu werden. Vielleicht ist die Theologie nichts für ihn. Doch das ist selten der Fall. Öfter kommt es vor, dass das, was man zurückweist, noch nicht einmal Theologie ist. Dann fühlt man sich nicht von Theologie angeekelt und angeödet, sondern von einer blassen Kopie, durch ein von uns lediglich mit dem Namen Theologie
7 Die Ausführungen dieses Abschnittes 1.5. nehmen bereits veröffentlichte Gedanken in modifizierter Form auf, dazu s. A. Grillo, Un pensiero antico: Il Logos mediato o il paganesimo confutato, in: E. Salmann, Contro Severino (s. o. Anm. 3), 91–185, bes. 157–163.
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„getauftes“ Gekritzel, das wir spontan zurückweisen (sofern uns nicht der letzte Rest an gutem Geschmack und Selbstachtung verlassen hat). Handeln wir so, dann geschieht das vollkommen zu Recht. Dann geschieht es zum Segen. Denn immer, wenn wir eine schlechte Theologie zurückweisen, erweisen wir der Theologie und damit auch dem Glauben einen guten Dienst. b) Wie kann es heute geschehen, dass wir an einen guten theologischen Text geraten? Wie kommt es zu einer derart denkwürdigen Begegnung? Die Erfahrung lehrt uns, dass die Konfrontation mit theologischen Einsichten in der Regel aufgrund von bedrängenden Fragen zustande kommt (und nicht ohne Verletzungen abgeht). Immer geht es um die Notwendigkeit, unsere eigene Begegnung mit der theologischen Theorie zu vermitteln. Doch leider führt das nicht selten zu der Ursünde, dass wir uns von unserem eigenen Inneren losreißen, um sozusagen in theologische Höhen aufzufahren. Mit anderen Worten: Man sollte Kraft darauf verwenden, in den Büchern der großen Theologen die Menschen zu suchen, die sich darin befinden, auch wenn sie das selbst nicht beabsichtigt haben. Leider geschieht es oft, dass Theologie entweder nur ein Durchgangsstadium ist, um die Tätigkeit als Priester, Mönch oder Nonne zu erreichen, oder dass sie nur dazu dient, unhinterfragten „höheren Ordnungen“ zu gehorchen. Oder es handelt sich um die mythische Version dieses Denkens, als ob bestimmte Personen das Ganze einfach aus höherer Warte betrachten könnten, mit einer Art von Überlegenheit (und zugleich mit einem gewissen Grad an Ignoranz). Gesetzt den Fall, dass alle diese Sachzwänge und Vorurteile jenen Reflex theologischer Leidenschaft, der in jedem von uns notwendig existieren muss, nicht endgültig ersticken können, stellt sich sofort ein anderes Problem: Was suchen wir und was können wir in einem wissenschaftlich-theologischen Text finden? Die Antwort lautet zunächst: Das, was wir suchen. Denn wenn man nicht weiß, was man sucht, wird man auch nichts Interessantes finden. Von Platon bis zum heiligen Bernhard sind sich viele dieser eisernen Regel des Fragens bewusst gewesen. Sie gilt für jedes Wissensgebiet einschließlich der Theologie. Wir können nur das finden, was wir zu suchen wissen. Wer sucht, der findet – aber suchen muss man und dabei wissen, was man suchen soll und kann. Thomas oder Barth, Rahner oder von Balthasar, Bultmann oder de Lubac, Luther oder Augustin, Casel oder Guardini lesen bedeutet, sich von ihren Fragen zu Antworten auf unsere Fragen führen zu lassen und die Logik ihrer Antworten zu vergleichen, um sie den Begründungen unserer Antworten gegenüberzustellen. Auf jeden Fall aber gilt, dass wir einen solchen Bezug – denn darum handelt es sich – nur dann herstellen können, wenn wir auf der Höhe des jeweiligen Textes sind. 40
c) Was aber bedeutet „auf der Höhe eines Textes sein“? Es heißt, ihm unter verschiedenen Aspekten etwas abgewinnen können und das Vielschichtige und Provokante darin erfassen. Normalerweise jedoch ist unsere Begegnung mit einem Text einseitig: Wir wollen, dass er uns etwas Bestimmtes sagt – in der Regel genau das, wonach wir suchen. Dieses Bestreben kann jedoch dazu führen, die Vielschichtigkeit möglicher Inhalte des speziellen Textes einzuebnen, indem wir ihn in ein „Ja/Nein“-Schema bringen. Wir suchen bei Thomas oder bei Barth nach etwas Bestimmtem und diese müssen dann ja oder nein dazu sagen. Das ist eine Art von Interview-Logik, die eine Vorrangstellung bei der Kommunikation (bei jeder möglichen Kommunikation) einnehmen möchte. Das aber ist genau die Sichtweise, gegen die sich alle Mühe weiter gehender Überlegungen lohnt. Man sollte theologische Texte nicht mit einem derart eingeschränkten Blick und Verstehen lesen. Jede gute Lektüre antwortet nicht primär auf unsere Fragen, sondern verändert die Art unseres Fragens. Erst dann – aber erst in zweiter Linie und daraus folgend – kann uns auch aufgehen, wie wir unsere Antworten formulieren können. Niemand kann gute Antworten geben, der nicht in der Lage ist, seine Fragen gut zu stellen. Gute Antworten gehen nur aus guten Fragen hervor. Das ist auch der Grund dafür, dass das Genus „Interview“ selbst bei den besten Gesprächspartnern Schiffbruch erleiden kann. d) Alle in den Bibliotheken lagernden Texte sind demnach darauf angewiesen, dass wir sie nicht nur einfach lesen, sondern sie zu befragen wissen. Wenn wir das zu verstehen beginnen, dann verändern sich unsere Absichten bei der Begegnung mit ihnen und wir beginnen etwas von ihnen zu fordern. Im Grunde kann man große Texte (nicht nur theologische) nur dann wertschätzen, wenn man es auch lernt, schlechte Texte geringzuschätzen. Dabei verhält es sich ähnlich wie im Gebiet der Künste: Man muss sich ein Repertoire erarbeiten. Niemand kann eine Musik oder ein Gemälde wirklich würdigen, der nicht Erfahrungen mit anderen Musikstücken und Gemälden gemacht hat. Erfahrung haben bedeutet, andere Musik gehört oder gespielt oder andere Bilder gesehen oder gemalt zu haben. So verhält es sich auch mit der Theologie. Auch hier kann ein Wertmaßstab nur durch ständiges Vergleichen entstehen, wobei der Wertmaßstab auf einmal hilft, etwas Außergewöhnliches wahrzunehmen, so dass sich Erleuchtung, Engagement und Leidenschaft einstellen. Solche Erleuchtung, Engagement und Leidenschaft sind nötig, wenn man sich mit der Theologie und mit der Liturgietheologie befassen will. Man muss sich durch ihre Formtradition in ihr Inneres hineinziehen lassen, um Zugang zu dem Inhalt zu finden, deren Träger sie ist. Auch Stil und Form konstituieren das Vermittlungsgeschehen entscheidend. Sie können nicht übergangen werden, ohne dass man das 41
Plausible wie das Herausfordernde selbst verlieren würde, das die Vermittlung wie den Inhalt betrifft.
1.6. Interdisziplinarität: Bezüge zu anderen Wissenschaften Interdisziplinarität ist inzwischen zu einem wichtigen Ziel effektiver theologischer Bildung geworden, besonders wenn es um Spezialisierungen geht. Die notwendigen Bezüge der Disziplin Einführung in die liturgische Theologie zu den anderen Wissenschaftsbereichen, die die liturgische Praxis beleuchten, können kurz wie folgt aufgelistet und präzisiert werden:8 a) die liturgiegeschichtliche Frage erweist sich, vor allem in paradigmatischer und struktureller Hinsicht, verbunden mit dem Wandel der Kultur und des menschlichen Selbstverständnisses, als eine erste entscheidende Ebene, um ein hinreichend solides Bewusstsein für die Probleme und Perspektiven der christlichen Gottesdienstgestaltung im „Hier und Jetzt“ zu gewinnen, also im Italien der letzten Jahre des 2. Jahrtausends (Brovelli, Catella, Tagliaferri); b) die Kenntnis der verschiedenen Stile liturgischer Reflexion (historisch, theologisch und pastoral) einschließlich einer semiotischen und phänomenologischen Vertiefung ist entscheidend für das Entstehen einer reflektierten Theologie der Liturgie (Bonaccorso, Tagliaferri, Girardi); c) das Verständnis des Phänomens Ritual unter einem streng kulturanthropologischen und religionsphänomenologischen Blickwinkel muss gegeben sein, jedoch verbunden mit philosophischen Fragestellungen und mit einer radikalen Öffnung für die Fragen gegenwärtiger Religiosität als Voraussetzung einer liturgischen Theologie, die nicht in eine Art von gefährlichem, für die Fragen gegenwärtiger Menschen zu wenig sensiblem Apriorismus verfällt (Terrin, Bonaccorso, Tagliaferri); d) ein fundamentales Interesse für die Entwicklung einer Sakramententheologie, die in der Lage ist, ihre Kategorien im Lichte der Erkenntnisse der systematischen Theologie und gegenwärtigen philosophischen Reflexion zu überprüfen, um nicht lediglich das eigene Vokabular zu erneuern, sondern um auch die Wahrheit des Sakraments wirkungsvoll verständlich zu machen (Ubbiali); e) Aufmerksamkeit für ethische Problemstellungen als Anfrage an jede Theorie des christlichen Gottesdienstes, der auch immer in seiner Qualität eines spirituellen Geschehens zu verstehen ist und nicht in Gegensatz zu einem rituellen Geschehen gebracht werden darf (Ces8 Den Autorennamen am Schluss der folgenden Punkte entsprechen in der Bibliographie mehrere Studien, in denen der jeweilige Aspekt zum Tragen kommt, der hier unter dem Gesichtspunkt der Interdisziplinarität hervorgehoben wird.
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con) sowie Aufmerksamkeit für die psychologische und soziologische Problematik (Sovernigo, Marchisio). Zusammen mit vielen anderen Forschungsgebieten, die immer besser den Bezug auf die Feiergestalt als das Entscheidende und Unumgängliche erkennen, tragen diese Punkte zur Entwicklung eines Verständnisses bei, durch das die Überlegungen der folgenden Seiten zur Wirkung gelangen können.
1.7. Zu den Begriffen „Liturgie“ und „liturgische Theologie“ Bevor wir unsere Fragestellung weiter verfolgen, müssen wir kurz die beiden Schlüsselbegriffe klären, mit denen wir es zu tun haben werden, um die Bedeutung, in der wir sie verwenden, sowie die mit ihnen möglicherweise verbundenen Äquivokationen zu erläutern. Wenn wir zunächst den Begriff „Liturgie“ betrachten, können wir uns problemlos der kürzlich vorgetragenen Analyse eines bedeutenden italienischen Liturgiewissenschaftlers anschließen. Wenn wir von der „Liturgie“ sprechen, dann bezieht sich (oder kann sich beziehen) der Terminus „Liturgie“ mindestens auf vier verschiedene Bedeutungen: a) auf das Ursprungsgeschehen, efapax, Jesus Christus den Herrn; b) auf die Feier dieses Geschehens per ritus et preces; c) auf die liturgischen Bücher, ordines, die die Liturgie in ihrem Gegebensein der lex credendi in der lex orandi enthalten; d) auf die Liturgiewissenschaft, die Beschäftigung mit dem sich manifestierenden Ursprungsgeschehen, auf die „Epiphanie“ in den euchologisch-rituellen Inhalten der ordines.9 Eigentlich müsste man diesen Bedeutungen eine fünfte hinzufügen, nämlich e) das Leben, die christliche Existenz im umfassenden und vollständigen Sinne, wie sie sich durch die zum geistlichen Gottesdienst versammelten Körper darstellt.10 Im Lichte dieser notwendigen Präzisierungen haben wir die Perspektive zu klären, die wir in diesem Buch einzunehmen gedenken: Wir beziehen uns explizit auf die Bedeutungen b) und d) als die wichtigsten, an die 9 S. Maggiani, L’incarnazione liturgica e il trascendente teologico. Bilancio conclusivo: per una sintesi, in: A. N. Terrin (Hg.), Liturgia e incarnazione, Padua 1997, 363–389: 364f. 10 Zur Verwendung von Liturgie in dieser Bedeutung vgl. A. M. Triacca, Teologia della liturgia o teologia liturgica? Contributo di P. Salvatore Marsili per una chiafiricazione, in: Rivista Liturgica 80 (1993), 267–289. Zur weiteren Vertiefung dieser Bedeutung von Liturgie vgl. in diesem Buch das 8. Kapitel.
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bei den Ausdrücken „Liturgie“ und „liturgische Theologie“ zu denken ist. Das Spezifikum der Liturgie ist es demzufolge, dass es sich um die rituelle Feiergestalt des Heilsgeschehens, des Paschamysteriums handelt und dass sie darum nicht einfach als dieses Geschehen selbst und auch nicht als die diesem Geschehen gleichförmige Existenz verstanden werden kann. Die Liturgie ist vielmehr als rituelles Handeln, welches das Heilsgeschehen feiert, zu charakterisieren. Insofern ist die Liturgietheologie jene spezielle Theologie, die die rituelle Dimension des liturgischen Handelns als entscheidende Vermittlung des eigenen Gegenstandes betrachtet. Damit ist die Liturgie der Gegenstand der liturgischen Theologie. Wenn der Ritus eine unhintergehbare Dimension dessen ist, was Liturgie bedeutet, ist das Ritualverständnis die wichtigste Komponente der liturgischen Theologie.
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2. KAPITEL
Das Theoriemodell: Voraussetzung, Verdrängung und Reintegration des Ritus in der Theologie Unsere Art, das Erbe einer großen Tradition aufzunehmen, besteht darin, über das zu meditieren, was diese ausschließt und was sie dennoch möglich macht. L.-M. Chauvet1
Die Vorstellung des Theoriemodells, anhand dessen ich ausführen möchte, was mir für eine liturgische Theologie wesentlich zu sein scheint, erfordert einige kurze einführende Präzisierungen. Im Hintergrund steht hierbei eine sehr bedeutsame – und in mancher Hinsicht für unseren zurückzulegenden Weg erhellende – These, die auf das Denken von Aristoteles zurückgeht: „Es ist eine Form von Grobheit, nicht zu unterscheiden zwischen dem, was erwiesen werden kann und dem, was nicht erwiesen werden kann“.2 Ich beziehe mich auf diese Aussage, um zunächst die „wissenschaftliche“ Aufgabe der Theologie geltend zu machen, die eben nicht in dem Anspruch besteht alles zu erweisen, sondern in der schwierigen Aufgabe, nur dasjenige aufzuzeigen, was erwiesen zu werden verdient und erwiesen werden kann. Die Frage nach den „Voraussetzungen der Theologie“ ist andererseits nichts Neues. Die theologischen und anthropologischen Voraussetzungen sind schon seit langem höchst umstritten. Der nahe liegenden Annahme, dass allein Gottes Wort Voraussetzung der Theologie sein kann (K. Barth) steht die andere, ebenfalls nahe liegende Annahme gegenüber, dass Gottes Wort nur laut werden kann, wenn es sich einer gegebenen anthropologischen Struktur bedient, die in der Lage ist, dieses zu hören und darauf zu antworten (K. Rahner). Es stimmt jedoch, dass die Theologie lange Zeit zwar nicht als explizit formuliertes Prinzip, aber doch durch ihre Praxis des Verstehens und Formulierens implizit das befolgt hat, was K. Barth in klaren Worten eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht hat: „Das Begründete muss
1 L.-M. Chauvet, Simbolo e sacramento. Una rilettura sacramentale dell’esistenza cristiana, Turin 1990, 304 (Hervorhebungen A. Grillo). 2 Aristoteles, Metaphysik IV, 1006 a, 6–7.
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unbegründet bleiben“.3 Wenn man von der Voraussetzung der Offenbarung des Wortes Gottes ausgeht und nur innerhalb und jenseits von dieser Voraussetzung arbeitet, ergibt sich daraus ein deutlicher Zugewinn an Authentizität für das theologische Denken. Doch geht man auch das Risiko ein, den Theologen intra muros einzuschließen und ihn der Fähigkeit des wirklichen Zuhörens zu berauben. Gewiss ist der moderne Mensch nicht das Kriterium der Theologie, aber ebenso wenig ist er eine quantité négligeable theologischer Arbeit. Das Selbstverständnis, das sich die (katholische wie protestantische) Theologie in den beiden letzten Jahrhunderten zu Eigen gemacht hat, kommt treffend in der folgenden These von F. D. E. Schleiermacher zum Ausdruck: „Jeder bestimmten Glaubensweise wird sich in dem Maß, als sie sich mehr durch Vorstellungen, als durch symbolische Handlungen mitteilt, [. . .] eine Theologie anbilden“.4 Die mit dieser Sicht verbundene Beschränkung entsteht aus der Illusion, man könnte das, was der Glaube erfährt und mittels symbolischer Handlungen, durch Riten und Mythen zum Ausdruck bringt, gänzlich auf die Ebene von „Vorstellungen“, Konzepten und logischen Darstellungsweisen übertragen. Das Bewusstsein für die Grenze dieser Illusion jedoch, verbunden mit dem neu gewonnenen Wissen, dass nicht nur das Denken das Symbol erhellt, sondern dass auch „das Symbol zu denken gibt“ (Kant–Ricoeur), ermöglicht die Aufnahme jenes bedeutenden Impulses, den die Wiederentdeckung des Ritus für die Neufassung gegenwärtiger Theologie bedeuten kann. In Paraphrase dieses letzten Gedankens können wir sagen: „Der Ritus gibt theologisch zu denken und ist Quelle der Theologie“. Wollen wir dabei einer Empfehlung des Aristoteles treu bleiben und zwischen dem demonstrandum und dem non demonstrandum unterscheiden, dann gilt es heute den entscheidenden Wert des Kultisch-Rituellen wiederzugewinnen, und zwar in seiner Natur eines in der klassischen Theologie „nichtdemonstrierten“ Elementes, das jedoch in der aktuellen Theologie gerade „zu demonstrieren“ ist. Das Unübertreffliche des Ursprünglichen lässt sich nur zurückgewinnen, indem man jegliche strikte Trennung von Erfahrung des Glaubens und symbolischem Ausdruck des Glaubens aufgibt. Ein solcher Neuansatz kann jedoch nicht als bloße Aufgabe eines bestimmten Sektors der Theologie verstanden werden, als gelte es eine Teilwahrheit zu entwickeln. Es muss vielmehr die Bedeutung der gesamten christlichen Theologie in den Blick kommen, um wirklich der Unversehrtheit jenes depositum fidei treu zu bleiben, das der Theologie anvertraut ist und das sie unverkürzt und möglichst allen übermitteln soll. 3 K. Barth, Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann, in: ZZ 3 (1925), 246–280. 4 F.D. E. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Bedarf einleitender Vorlesungen, 21830, § 2 (Reprint Darmstadt 1982, 1).
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2.1. Theologie und Ritus Es ist ein gewiss überraschendes Faktum, dass die wissenschaftliche Theologie erst seit kurzem Interesse für die Beschäftigung mit dem Ritus im Sinne einer eigenen Thematik entwickelt hat und dass die rituelle Dimension des Christentums auch heute noch für die Theologie (selbst für die Liturgietheologie) eine im Wesentlichen verlegen machende Thematik darstellt. Das komplexe Phänomen der Theologisierung des Kultisch-Rituellen im Christentum ist eine der wichtigsten Gegebenheiten der jüngsten Theologiegeschichte und antwortet auf eine Entwicklung, die in mehrfacher Hinsicht für das Ganze der christlichen Theologie von höchstem Interesse ist. Das Entstehen einer liturgischen Bewegung, einer liturgischen Theologie und demzufolge auch einer Liturgiereform ist die reife Frucht der Entwicklung eines Jahrhunderts, in dem sich die Beziehung zwischen der Theorie und der Praxis des Christentums grundlegend verändert hat, jedenfalls was die theologische Reflexion dieser Beziehung angeht. Dies hat zu einer neuen Praxis im Bereich der Pastoral und zu neuen Arbeitsgebieten auf dem Feld theologischen Denkens geführt. Der traditionsbestimmte Mensch, der Leben und Glauben mit Hilfe von Riten spontan erschloss, machte aus dem Ritus keinen Gegenstand grundlegenden theologischen Denkens. Er betrieb die Theologie im Horizont und mit dem Ritus als Ausgangspunkt, aber nicht unter Thematisierung des Ritus. Der ihm folgende Mensch, der den Bruch mit dem Ritus durch die Kluft zwischen Freiheit und Tradition spürte, wie diese mit der Entstehung der modernen Welt gegeben war, hegte den immer stärkeren Wunsch, seinen Glauben jenseits jeder Institution und ritueller Füllung zu verstehen und zum Ausdruck zu bringen. So ist in Gestalt der rationalen Explikation des Glaubens auf die sehr lange Periode der selbstverständlichen Voraussetzung des Ritus in der Theologie die Zeit der Verdrängung des Ritus aus den entscheidenden Bereichen der Theologie gefolgt. Heute – nach dem bewegten 20. Jahrhundert – befinden wir uns höchstwahrscheinlich am Ende dieser zweiten Phase, also am Ende der auf die klare Voraussetzung folgenden Verdrängung und damit am Anfang einer Phase der Reintegration des Ritus in Glauben und Theologie. Der Zusammenhang der selbstverständlichen Voraussetzung (in der „klassischen“ Periode der Theologie) und der Verdrängung (in der Moderne) und der aufgegebenen „Rechtfertigung“ der bleibenden Bedeutung des Ritus als Grundlage des christlichen Glaubens kann damit als folgerichtig (und nicht bloß zufällig) verstanden werden. Gerade weil der christliche Ritus den ursprünglichen religiösen Hintergrund bildete, auf dem die theologische Reflexion unwillkürlich und selbstverständlich erfolgte, wurde die selbstverständliche Voraussetzung später zu der Basis, von der aus man die Voraussetzung bestreiten konnte. Bedeutete das Fehlen des Ritus als Thema der Theologie ursprünglich eine indirekte und implizite 47
Bejahung, so muss dasselbe Fehlen später, mit dem Beginn der Moderne, immer mehr als direkte und explizite Verneinung interpretiert werden. Das Bemühen der letzten Phase – die im Kern mit der Liturgischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte – besteht vor allem darin, den Ritus als die implizite Voraussetzung der klassischen Theologie ans Licht zu bringen, um ihn wieder zum integrativen Bestandteil ihrer Grundlagen zu machen. Mit anderen Worten und unter Bezugnahme auf erhellende Überlegungen von L.-M. Chauvet können wir sagen, dass „unsere Art, das Erbe einer großen Tradition anzunehmen, darin besteht, über das zu meditieren, was sie ausschließt und was sie dennoch möglich macht_“.5 Dieser Satz eröffnet einen Horizont, vor dem ich die Erzählung jener Geschichte ansiedeln möchte, die von der Voraussetzung über die Verdrängung bis zur hoffentlichen Reintegration des Ritus in die Grundlagen des Glaubens führt. Ich werde meine Erzählung durch eine Analyse strukturieren, die die entscheidenden geschichtlichen Wendepunkte sowie den jeweils enthaltenen theoretischen Kern6 beleuchtet. Es handelt sich dabei lediglich um eine bewusste Gliederung der Geschichte des Verhältnisses zwischen dem Kultisch-Rituellen und der Theologie, wie diese sich im Übergang von der traditionalen zur säkularisierten Welt infolge von Krisen wie von großen Entdeckungen vollzogen hat. Im Folgenden wähle ich eine schematisierende Darstellung in der Form einer idealtypischen Abfolge. 2.2. Liturgie und rituelle Erfahrung als eindeutige Voraussetzung der Theologie Etwa 1800 Jahre lang, seit den frühen, noch im Neuen Testament greifbaren Erfahrungen bis zum Anbruch der Moderne als der letzten Epoche, konnte die Theologie die Liturgie (d. h. die individuelle und gemeinsame rituelle Praxis) voraussetzen als einen Horizont des eigenen Diskurses, der jedoch in diesem Diskurs nicht thematisiert wurde. Daraus (wie aus der sich auf diese implizite Grundlage stützenden Theologie) ergab sich jedoch recht bald eine Blickverengung, die problematisch werden konnte. Die Jahrhunderte währende Voraussetzung stützte die glaubende Erfahrung wie die theologische Reflexion als eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Dieses Phänomen ist von großer Wichtigkeit, um zu verstehen, wieso man nach 1800 Jahren Glaubens- und Theologiegeschichte
5 L.-M. Chauvet, Simbolo e sacramento (s. o. Anm. 1), 304. 6 Diese Abfolge entspricht eher einer Ideen- als einer Ereignisgeschichte. Dennoch denke ich, dass es nicht schwer fallen wird, in diesem Zusammenhang bestimmte Ereignisse und konkrete Hintergründe auszumachen. Für die damit angesprochenen Fragestellungen ist es hilfreich, die Arbeit von Gh. Lafont, Histoire théologique de l’Eglise catholique. Itinéraire et formes de la théologie, Paris 1994, bes. 349ff., im Blick zu haben.
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auf einmal den Drang verspürte, eine Fragestellung aufzugreifen, die man lange hatte umgehen können. Es kam jedenfalls – auf der ursprünglich rituellen und kultischen Grundlage – dazu, dass sich allmählich die das Sakrament und den Kultus (im innerlichen wie im äußeren Sinne) betreffenden Denkebenen voneinander trennten.
2.2.1. Die Entstehung einer am Sakrament interessierten Reflexion Das Moment des Liturgisch-Rituellen konnte dabei für die Theologie nur insofern relevant werden, als es sich auf das Sakrament bezog und als ein von Gott zum Menschen hinabsteigendes, heiligendes und offenbarendes Moment verstanden wurde. Nur auf dieser Ebene führten Liturgie und Ritual zu Fragestellungen, die von der Theologie zu bearbeiten waren. Diese Entwicklung hat indirekt ein Verständnis von Theologie als Funktion der Liturgie bestätigt, demzufolge die Theologie ihre Begrifflichkeit lediglich im Hinblick auf die Fragen des Verständnisses kirchlicher Praxis (in diesem Falle: der rituellen Praxis) zu erarbeiten hat.
2.2.2. Zeitbedingte Grenzen der liturgischen Reflexion Dass die Liturgie als solche – verglichen mit den Überlegungen zur Heiligung durch das Sakrament – „nur“ Zeremonie und Rubrik war, muss nicht negativ verstanden werden (als Reduktion des christlichen Glaubens auf bloßen juristisch-äußerlichen Formalismus). Man wird dies vielmehr so verstehen müssen, dass die Theologie es sich damals erlauben konnte, jene Frage außen vor zu lassen, die wir heute um ihrer selbst willen aufzuwerfen haben. Was man damals im Hinblick auf die Liturgie thematisierte, war nur die Form der rituellen Fragen, aber nicht die Notwendigkeit und Bedeutung der Liturgie im Hinblick auf den Glauben. Man beschäftigte sich im Grunde nur mit der Frage, „wie“ man zelebriert, ohne dass man sich fragte, „was“ und „warum“.7 Das Faktum jedoch, dass man die Frage nach dem Was und nach dem Warum nicht stellte, bedeutet nicht, dass man nicht gewusst hätte, was oder warum gefeiert wird. Es zeigt vielmehr, dass man so gut darüber Bescheid wusste, dass man dazu keine Fragen stellen musste8: Alles verstand sich von selbst. 7 Zu diesem Satz vgl. den Aufbau des Handbuches von G. Bonaccorso, Celebrare la salvezza. Lineamenti di liturgia (= Feier der Erlösung. Grundlagen der Liturgie), Padua 1996. Dort wird in Teil 1 die historische Entwicklung der liturgischen Theoriebildung umgekehrt und damit logischerweise zuerst gefragt: „Warum wird gefeiert“? – obwohl diese Frage geschichtlich gesehen die zuletzt gestellte gewesen ist. 8 Die Tatsache, dass man – heute wie früher – eine Frage nicht stellt, bedeutet nicht
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2.2.3. Der kultische Aspekt als Bewegung des Menschen zu Gott Ein zweiter interessanter Zusammenhang stammt aus der Antike und wurde dann ausdrücklich vom scholastischen Denken aufgenommen. Gemeint ist das Grundverständnis des „Kultus“ als Bewegung des Menschen zu Gott, von dem her Liturgie und Ritual jenseits ihrer unmittelbar theologischen Bedeutung verstanden wurden. Wird dieser traditionelle theologische Denkzusammenhang jedoch mit modernen Augen betrachtet, dann unterliegt er sofort den Beschränkungen eines anthropologischen Exklusivismus, welcher der antiken und mittelalterlichen Kultur unbekannt war. Daraus folgt, dass die Aufteilung zwischen dem (absteigenden) sakramentalen und dem (aufsteigenden) kultischen Aspekt, die in der Sicht der Tradition eine der Fragen innerhalb der Summae theologicae gewesen war, auf einmal den Charakter eines unüberwindlichen Gegensatzes angenommen hat, der zu der Entscheidung zwingt, auf welcher Seite man stehen will: entweder bei der Theologie oder bei der Anthropologie. 2.3. Die Verdrängung des Ritus und die Wiederentdeckung seiner theologischen Tragweite Mit der französischen Revolution und der napoleonischen Zeit sowie ein Jahrhundert später mit dem 1. Weltkrieg wurde das bewährte Gleichgewicht der Entwicklung (innerhalb des Modells selbstverständlicher Voraussetzung) zerstört. Das führte zu verschiedenen Reaktionen, die das Ende der unreflektierten, aber wirkungsvollen Verbindung von Theologie und Liturgie bedeuten. Das Nachdenken beschritt von nun an grundsätzlich zwei Wege, um an dem Theologischen der eigenen Arbeit festzuhalten: Entweder eliminierte man den rituellen Bezug durch eine Verrechtlichung und (oder) Spiritualisierung, oder man betrachtete ihn ohne genauere Reflexion als etwas, das nur auf die Ebene des praktischen Zelebrierens gehört. Mit dieser Wendung kommt es zu den ersten Entwicklungen, die die Gebiete der Sakramententheologie und der liturgischen Theologie immer stärker voneinander unterscheiden.
unbedingt, dass man die Antwort nicht kennt: Jene Tatsache ist vielmehr bisweilen schlicht das Zeichen dafür, dass man die Sache nicht als Antwort auf eine Frage kennt! Zu allen Zeiten gibt es eine Ebene, auf der das Leben a-problematisch ist. Kompliziert wird es erst dadurch, dass dieser Bereich von Epoche zu Epoche nicht derselbe bleibt, sondern wechselt. Dazu erinnere man sich an den treffenden Satz aus E. Jüngels Buch: Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 21977, IX: „Dass das Selbstverständliche auch verstanden wird, ist alles andere als selbstverständlich.“
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2.3.1. Verdrängung des Kultisch-Rituellen aus der Theologie Die Verdrängung des Ritus aus der Theorie des Sakraments wurde zunehmend zur wichtigsten Tendenz in der Entwicklung der Sakramentenlehre. Auch indem man die überkommene Theologie der Scholastiker und der Lehrbücher einfach wiederholte, unterlag man dem Irrtum, man könne die fortwährende Geltung einer Voraussetzung annehmen, die mit dem theologischen Denken nicht mehr zusammenpasste: Der Ritus wurde verdeckt, verdrängt und damit wirkungslos.9 Auch die Sakramentenlehre der ersten drei Viertel des 20. Jahrhunderts ist noch wesentlich von diesen charakteristischen Merkmalen bestimmt. Diese Tendenz verkehrt das Axiom der liturgischen Funktionalität in der Theologie im Grunde in ihr Gegenteil und macht damit die Liturgie zu einer bloßen Funktion der Theologie – mit unvermeidlichen Vorurteilen und Hindernissen für die Praxis (und damit auch die Theorie) des Christentums.
2.3.2. Wiederentdeckung der bleibenden theologischen Bedeutung der Liturgie Andererseits hat die Wiederentdeckung von Gottesdienst und Ritual in ihrer grundlegenden anthropologischen und theologischen Bedeutung in demselben Zeitraum die alles verändernde Wiederaufnahme einer alten Tradition (der patristischen und mittelalterlichen monastischen Theologie) befördert. Diese weigerte sich, die Trennung zwischen Liturgie und Theologie zu akzeptieren. Auch wenn sich der liturgische Aufbruch und die liturgische Bewegung mit ihrer Rückkehr zur „Theologie der Väter“ anfänglich durch große Durchschlagskraft auszeichneten, sind sie dennoch bald einer Tendenz zur Schwäche und Naivität verfallen. Sie stellten sich nicht der Aufgabe, das Fundamentale des Ritus für den Glauben zu begründen. Vielmehr meinte man der Verdrängung einfach die Rückkehr zu einer problemlosen Voraussetzung entgegensetzen zu können. Das Bestreben, aus der Liturgie die theologia prima zu machen (Marsili), zeugt von der rekonstruktiven Kraft, aber eben auch von den Grenzen dieses Ansatzes. Gleichwohl hat dieser das unbestrittene Verdienst, erneut auf das Fundamentale von Symbol und Ritual für den Glauben aufmerksam gemacht und diesen meist vergessenen, auf breiter Front unterschätzten Aspekt wieder ins Gespräch gebracht zu haben. 9 In dieser Periode wird man Zeuge einer Aufteilung der Gebiete von Glaube und Vernunft: Die Theologie spricht von den Sakramenten und die Humanwissenschaften von Religion. Während diese Trennung jedoch für die Humanwissenschaften sachbedingt und damit tolerabel ist, entsteht für die Theologie daraus ein immer stärkeres prinzipielles Unverständnis, weil ihr so die unmittelbare religiös-kultische Grundlage zunehmend entzogen wird.
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2.4. Reintegration des Rituellen als Eckdatum der Theologie Die bereits vermerkte Spannung zwischen Sakramententheologie und Liturgie ist nicht identisch mit dem „Alten“ und „Neuen“ von Überlegungen zum Sakrament. Erst recht können die einmal getrennten Erwägungen nicht einfach wieder zu einer Einheit zusammengefügt werden. Vielmehr kann – das hat schon Odo Casel klar gesehen – die Liturgie von der Theologie nicht wirklich verstanden und verständlich gemacht werden, wenn die Liturgie nicht dazu in der Lage ist, das Konzept von Offenbarung und Glaube zu verändern. Sie muss sich auf die grundlegenden Fragen von Explikation und Verständnis des Glaubens auswirken. Um also „Funktion der Liturgie der Kirche“ zu sein, muss die Theologie heute daran arbeiten, die religiöse Erfahrung, die Symbolsprache und das rituelle Handeln in das Fundament des Glaubens zu reintegrieren, weil ursprünglich diese den christlichen Glauben in seiner Entstehung und Entwicklung zum Ausdruck bringen. Dazu ist es jedoch erforderlich, dass die Theologie ihre anthropologische Aufgabe erkennt. Ohne diese wird ihr zunehmend das Fundamentale des Ritus aus dem Blick geraten, weil dieser in ihren Augen marginal oder gar kontraproduktiv zu sein scheint. Doch gerade der Ritus spielt bei der Strukturierung einer vollständigen Erfahrung des christlichen Glaubens die entscheidende Rolle. Als etwas „Vorletztes“ kann der Ritus nicht an die Stelle des „Letzten“ treten. Doch andererseits existiert erst recht kein direkter Weg zum Letzten, der nicht über das „Vorletzte“ führen (bzw. dort Halt machen und von dort weitergehen) muss.
2.5. Grenzen der theoretischen Rekonstruktion Die drei Modelle der Beziehung von Theologie und Ritus (Voraussetzung, Verdrängung, Reintegration des Ritus in die Theologie) dürfen nicht als einander ausschließend verstanden werden, als handelte es sich um die Etappen einer linearen Entwicklung. Man muss vielmehr einige Relativierungen der Konsequenzen einer solchen Rekonstruktion vornehmen: a) Derartige Modelle dürfen nicht im strikt chronologischen Sinne verstanden werden. Sie beschreiben vielmehr eine Typologie des Verhältnisses. Auch wenn sich das Verhältnis historisch in der Abfolge der drei Modelle entwickelt hat, zeigte und zeigt sich oft das Miteinander von mehr als einem Modell oder auch von allen drei Modellen zugleich in derselben Zeit.10 10 Man muss sich klarmachen, dass gerade diese letzte Annahme ein höchst komplexes Problem darstellt – nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch und pastoral. Man denke
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b) Diese erste Einsicht führt auf die Unmöglichkeit einer historisch klaren Abgrenzung der Übergänge. Die Voraussetzung überdauert die Verdrängung und beide setzen sich auch in der Zeit der Reintegration fort. Niemals kann man von einem völligen Übergang von einem Stil zum anderen sprechen. Ein neuer Stil manifestiert sich vielmehr im Kontext einer weitgehend durch den vorherigen Stil gekennzeichneten Praxis. Das führt auch zu dem merkwürdigen Phänomen von „Ausreißern“ nach rechts oder links bei denjenigen, die sich dem einen oder dem anderen Stil anschließen.11 c) Die Schwierigkeit einer sauberen Trennung der verschiedenen Modelle schließt jedoch das Interesse an einer Unterscheidung der drei Stile, mit denen man dem Phänomen des Kultisch-Rituellen im Christentum begegnet, nicht aus, sondern gerade ein. So wäre es ohne eine derartige Analyse nicht nur unmöglich, die Entwicklung der Beziehung zwischen Theologie und Ritus im Laufe der Zeit zu verstehen, sondern auch, eine für heute angemessene Liturgietheologie zu formulieren. Die beschriebene komplexe Überlagerung der Modelle von Voraussetzung, Verdrängung und Integration macht den Theologen wie den Pfarrer aufmerksam für die Gefahr, das falsche Modell auf eine bestimmte historische oder pastorale Situation anzuwenden und trägt damit deutlich zum Verständnis der veritas des gefeierten und zu feiernden Glaubens bei.
2.6. Kontinuität mit dem Programm „Liturgie für die Menschen“ a) Ein Ansatz wie der hier knapp skizzierte steht im Rahmen einer konkreten Wissenschaftstradition: Er hat die Arbeit, welche seit etwa 20 Jahren die wissenschaftlichen Aktivitäten des Pastoralliturgischen Instituts „Santa Giustina“ in Padua kennzeichnet, zur direkten und einflussreichen Voraussetzung. Diese Aktivitäten haben ihren ausgereiften methodologischen Ausdruck in dem Sammelband „Una liturbeispielsweise an ein Kloster, in dem eindeutig die Voraussetzung bestimmend ist. Wenn sich die Liturgie des Klosters nach außen öffnet, dann muss sie sich unvermeidlich auch der Verdrängung und (im günstigsten Falle) auch der Reintegration stellen. Die Reflexion der verschiedenen Stile von Beziehung zwischen Ritus und Theologie erfordert eine mentale, pastorale und spirituelle Beweglichkeit, die für den religiösen wie für den weniger religiösen Menschen alles andere als selbstverständlich ist. 11 Es ist wichtig die Tatsache zu bedenken, dass der Stil der Verdrängung substanziell der ihr vorausgehenden Voraussetzung treu zu bleiben scheint, auch wenn sie den Sinn von deren Annahmen auf den Kopf stellt. Weiterhin scheint die Reintegration gegenüber der Verdrängung zunächst nur durch den unerklärten Willen gekennzeichnet zu sein, Themen wie den Ritus und den Körper wieder ins Spiel zu bringen, welche für den Stil der Verdrängung definitiv als überwunden galten. Doch nicht selten erweist sich ein Fortschritt als Rückschritt und umgekehrt ein Rückschritt als bedeutender, zukunftsweisender Glücksfall.
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gia per l’uomo“12 gefunden. Dort wird unter anderem die wissenschaftliche Grundlagenreflexion einer Pastoralliturgik in einem mutigen und innovativen Miteinander von anthropologischen und theologischen Momenten vorangetrieben. Das Buch zeugt von einem Weg der Selbstdefinition und Identitätssuche13, welcher entschlossen das Herzstück der liturgischen Frage aufgreift, nämlich das Erfordernis, sich als eine von klarer, überzeugender Methodik und wissenschaftlicher Legitimation geprägte Disziplin in den „Streit der Fakultäten“ zu begeben, um so Aufmerksamkeit und Berücksichtigung innerhalb der aktuellen theologischen Debatte zu finden und mit genauer Einsicht und dem nötigen Scharfsinn der Kirche zu dienen. In diesem Sinne sind die für den Fortgang unserer Untersuchung interessanten Impulse aus dem komplexen Zusammenspiel derjenigen Perspektiven zu entwickeln, die von Marsili ins Spiel gebracht, von Sartori weitergeführt und schließlich von Terrin vorangetrieben wurden. Der Konvergenzpunkt dieser drei theoretischen Linien müsste dazu verhelfen, dass sich eine neue Tendenz ausbildet und weiter ausdifferenziert, so dass aus der rituellen Erfahrung das Grunddatum der gesamten, integrativen Fundamentaltheologie wird – und eben nicht nur das Fundament der Liturgietheologie oder Pastoralliturgik. Dabei ist es unbedingt erforderlich zu zeigen, inwiefern auch die Liturgietheologie einen entscheidenden Abschnitt im Rahmen eines größeren Ganzen bildet, das mit der Beziehung zwischen dem rituellen Grunddatum und der theologischen Reflexion (noch einmal: Voraussetzung, Verdrängung und Reintegration) gegeben ist. Mit einer knappen Analyse der Beiträge aus dem genannten Buch kann die weitere Klärung der Perspektiven beginnen, der ich mich jetzt zuwende. b) Salvatore Marsili, der bekannte Altmeister der liturgischen Theologie nicht nur in Italien, bereichert den genannten Band mit einer Art von persönlichem Testament14, mit einer seiner letzten Arbeiten, die er etwa einen Monat vor seinem Tode vortrug und die darum länger nur 12 P. Visentin/A. N. Terrin/R. Cecolin (Hg.), Una liturgia per l’uomo. La liturgia pastorale e i suoi compiti (= Liturgie für die Menschen. Aufgaben einer Pastoralliturgik), Padua 1986. Der Band enthält Beiträge eines zweijährigen Arbeitsprozesses (1982–1984), an dem zahlreiche Experten aus den Bereichen Liturgie, Theologie und Humanwissenschaften beteiligt waren. 13 „Auf der Suche nach Identität“ lautet der Titel des einleitenden Beitrags von P. Visentin (7–13). Zur Erläuterung des liturgiewissenschaftlichen Weges des Pastoralliturgischen Instituts vgl. F. Brovelli, Celebrazione: il mistero si fa esperienza. La maturazione del concetto di liturgia nel cammino del’ ILP (= Die Erfahrbarkeit des Geheimnisses in der Feier: Die Ausprägung des Liturgiekonzeptes des ILP), aaO., 325–342. 14 S. Marsili, La liturgia nel discorso teologico odierno. Per una fondazione della liturgia pastorale: individuazione delle prospettive e degli ambiti specifici (= Die Liturgie im heutigen theologischen Diskurs. Zur Grundlegung der Pastoralliturgik und zur Bestimmung von Perspektiven und Aufgabenfeldern), aaO., 17–47.
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in der Form einer Skizze vorlag. Gleichwohl handelt es sich um einen höchst bedeutungsvollen Beitrag, der zum einen die Theorie, die Marsili in mehr als vierzig Jahren liturgietheologischer Forschung15 erarbeitet hat, im Zusammenhang präsentiert und zugleich den klaren Blick für das Erfordernis zeigt, den eigentlichen Fortschritt der Liturgiewissenschaft im anthropologischen und erfahrungsbezogenen Bereich der Liturgie zu erwarten. Wir haben Marsili damit tatsächlich in seiner letzten Phase (1982/83) vor uns, in der seine Überlegungen zu letzter Konsequenz gelangten und damit auch auf die Mängel und Lücken aufmerksam wurden, die die liturgische Theologie (bzw. seine liturgische Theologie) gerade auf dem Gebiet des Rituellen aufwies. Derselbe Marsili, der die gegenwärtige liturgische Theologie so stark beeinflusst hat, hat es niemals an Gespür für eine radikale Fundierung der liturgischen Reflexion fehlen lassen. Ausgehend von Casel hat er eine systematische Rekonstruktion des Denkens dieses Mönches aus Maria Laach mit eindrücklichen und prägnanten Begriffen vorgelegt, bis hin zur Verwendung des Prädikates theologia prima für die Liturgie. Doch hatte das auch den Nebeneffekt eines unvermeidbaren „Vorverständnisses“ von der theologischen Würde der Liturgie, welche mit einem ebenfalls unvermeidbaren Spannungsverhältnis zum Ritus verbunden war. Auch in seinen letzten Beiträgen, die zwar von grundlegend neuen Einsichten geprägt sind, bleibt es demnach stets bei der Sorge um die Reinheit des theologischen Denkens gegenüber der bloßen rituellen Praxis: „Gerade weil die Liturgie Theologie in symbolisch-ritueller Aktion ist, kann die rituelle Komponente unter der Hand zu einem alles entscheidenden Wert heranwachsen und dabei für sich selbst stehen – mit der Konsequenz, dass die symbolische Sprache an Kraft verliert und die Liturgie gerade kein theologischer Dialog mehr ist, sondern nur noch eine menschliche Aktion, bei der das ‚Wort‘ nicht mehr dem Heilsgeschehen entstammt.“16
Die neue Aufmerksamkeit für die Symboldiskussion, mit der Marsili die früheren Überlegungen anhand der Zeichenkategorie modifiziert, ändert nichts an seiner gleich bleibenden Grundorientierung. Die Liturgie ist nur dann Liturgie, wenn sie als Gottesrede und nicht nur als Menschenrede verstanden wird – der Name, nicht die Sache hat sich verändert. Was die Tatsache angeht, dass die liturgische Theologie eine Art Primat im Gesamtgefüge der theologischen Disziplinen bekommt, so bekräftigt der späte Marsili die eigene Position, indem er klarstellt, dass es sich dann um eine liturgische Theologie handelt, „wenn diese ihr Reden von Gott direkt auf liturgische Kategorien 15 Sein Ansatz ist zusammenhängend greifbar in: S. Marsili, Art. „Teologia liturgica“, in: D. Sartore/A. M. Triacca (Hg.), Nuovo dizionario di liturgia, Mailand 1988, 1508– 1525. 16 S. Marsili (Anm. 14), 22.
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bezieht“17. In den allen ist (vielleicht auf noch höherem Niveau als heute) bereits die heutige Tendenz liturgischer Reflexion zu erkennen, welche sich besonders leidenschaftlich um die Grundsatzfragen müht und – unter Aufnahme der Tradition der Liturgischen Bewegung – unermüdlich einen überzeugenden Bezug zwischen Liturgie, Theologie und Anthropologie aufzuzeigen sucht. Der Liturgiewissenschaftler, der heute den Gedanken Marsilis sorgfältig nachgeht, findet bei ihm ein für die gegenwärtigen Herausforderungen offenes Modell, das er vor seinem Tode nur noch skizzieren konnte, das er jedoch der liturgischen Theologie als entscheidende Aufgabe für die Zukunft (und nicht etwa als ein erledigtes Randproblem) hinterlassen hat.18 c) Der Aufsatz von Luigi Sartori19 zur Grundlegung der Theologie des christlichen Gottesdienstes ist im Bereich der Systematischen Theologie angesiedelt. Er sucht einen Beitrag zur Klärung der interdisziplinären Herausforderungen bei der Formulierung einer modernen Glaubenslehre zu leisten, innerhalb derer man dann auch die Liturgie angemessen als eine Gestalt von Pastoraltheologie verorten kann. Für die Entwicklung einer liturgischen Theorie ergeben sich daraus zwei bedeutende Leitlinien. Als erstes ist der untrennbare Zusammenhang von veritas historica und veritas facienda zu nennen, welcher die Systematik als solche nötigt, den eigenen apriorischen Ansatz im Hinblick auf die aktuellen theologischen Aufgaben kritisch in den Blick zu nehmen, ist doch die Gegenwart von Universalismus und Ökumenismus gekennzeichnet, wie diese früher nahezu undenkbar waren. An zweiter Stelle steht die notwendige interdisziplinäre Begegnung, damit man der Sache, mit der es die theologische Wissenschaft zu tun hat, Rechnung tragen kann bzw. weil diese nur so ihren Dienst erfüllen kann. Innerhalb des Projektes „Liturgie für die Menschen“ zeigt der Impuls von Sartori eine komplexe und integrative Richtung theologischen Denkens auf und ergänzt das Ganze durch Hinzufügung der eigenen Zielbestimmung, mit der eine wechselseitige Integration verschiedener Spezialprobleme in einer übergeordneten Einheit geleistet wird.20 17 Ebd., 43. 18 Zur Wiederaufnahme der Grundsatzfrage von Marsili verweise ich auf S. Maggiani, La teologia liturgica di S. Marsili come „opera aperta“ (= Die liturgische Theologie von S. Marsili als „offenes Kunstwerk“), in: Rivista liturgica 80 (1993), 341–357; R. Tagliaferri, Modelli di comprensione della scienza liturgica (= Modelle zum Verständnis von Liturgiewissenschaft), in: Il mistero celebrato. Per una metodologia dello studio della liturgia (= Das gefeierte Geheimnis. Zu einer Methodologie der liturgischen Arbeit), Rom 1989, 19–105, bes. 48ff; A. M. Triacca, Teologia della liturgia o teologia liturgica? (= Liturgietheologie oder liturgische Theologie?), aaO., 267–289. 19 L. Sartori, Pastorale come progetto interdisciplinare. Premesse di una fondazione (= Die Pastoral als interdisziplinäres Projekt. Voraussetzungen zur Grundlegung), in: Liturgie für die Menschen (Anm. 12), 109–131. 20 Das Thema war von demselben Autor bereits behandelt worden in: L. Sartori, Teologia e liturgia. Rapporti interdisciplinari e metodolodici. Atti della II. Settimana di studio
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d) Die Überlegungen von Aldo Natale Terrin21 verstehen sich selbst als eine prinzipiell anthropologische und damit absichtlich nichttheologische Lesart des christlichen Ritus. Paradoxerweise bietet jedoch genau diese Negation das produktive Potenzial, um an der Frage weiterzuarbeiten, die mir dabei am Herzen liegt: Gerade der kleine Schritt zurück von der Theologie hat für die Theologie die Möglichkeit eröffnet, einen bedeutungsvollen und großen Schritt nach vorne zu wagen. Der Grundansatz von Terrin geht konsequent von einem zentralen Anliegen aus. So wird festgehalten, dass „die Hauptfrage die Suche nach jenem Bedeutungshorizont ist, vor dem sich die Feier ereignet und möglich wird.“22 Die Grundthese nimmt damit ihren Ausgangspunkt bei einer Phänomenologie, die als Öffnung für die Differenz zwischen dem Transzendentalen und dem Kategorialen zu verstehen ist, also zwischen dem theologischen Inhalt des christlichen Ritus und der anthropologisch-transzendentalen Form dieses Inhalts und seiner Möglichkeitsbedingungen. Der Vorteil dieser Distanz zur Theologie besteht präzise darin, dass so das anthropologische Element als Zugangsbedingung für die theologische Bedeutung der Liturgie ins Zentrum des Interesses rückt. Damit werden zwei Frageebenen unterschieden, die es dann wiederum zu einem Ganzen zusammenzuführen gilt: „Die Grundlegung einer Pastoralliturgik ergibt sich nach meiner Vorstellung aus der Zusammenführung von zwei Teilhorizonten zu einem gemeinsamen Ganzen. Der erste ist gegeben durch die Möglichkeitsbedingungen und durch den Bedeutungshorizont im Kontext der Humanwissenschaften, die sich auf den Gehalt religiöser Erfahrung beziehen und mit deren intentionalen Gesetzmäßigkeiten sich die Phänomenologie befasst; der zweite, der mit der Hermeneutik der Feier selbst gegeben ist – und zwar nach Maßgabe der Treue zu einer gegebenen Tradition (derjenigen der Kirche) – ist in der Lage, das in einem einmaligen historischen Moment gegebene Ereignis in authentischer Weise zu reproduzieren, und zwar nicht losgelöst und nicht ohne Berücksichtigung des gesamten Bedeutungshorizontes der religiösen Erfahrung, die es zu ‚zelebrieren‘ gilt.“23
della Associazione Professori di Liturgia – Camaldoli, 4–8 settembre 1973 (= Theologie und Liturgie – interdisziplinäre und methodische Zuordnungen. Dokumentation der 2. Studienwoche der Vereinigung der Liturgik-Professoren in Camaldoli vom 4.–8.9.1973), Bologna 1974, 15–39. Man kann sagen, dass diese zweite Grundannahme von Sartori in enger Verbindung mit der Idee der „Pastoral“ ausgearbeitet wurde, welche ihrerseits von einer deutlich veränderten Aufmerksamkeit im Bereich der italienischen Kirche beeinflusst ist, wo die Debatte auf pastoraltheologischer Ebene seit einiger Zeit ins Stocken geraten ist. 21 Vgl. A. N. Terrin, Per un apporto delle scienze umane alla fondazione della liturgia pastorale (= Zum Beitrag der Humanwissenschaften bei der Grundlegung der Pastoralliturgik), in: Liturgie für die Menschen (Anm. 12), 132–155. 22 Ebd., 136. 23 Ebd., 149f.
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Das Verdienst dieses Theorieansatzes besteht darin, das anthropologische Nachdenken wieder ins Zentrum der liturgietheologischen Reflexion gerückt zu haben, und zwar in einer mutigen Weise, die nicht so sehr philosophisch-anthropologische (noch weniger theologisch-anthropologische), sondern stärker kulturanthropologische Begriffe verwendet. Die Grenze – gewissermaßen der zwangsläufig zu zahlende Preis für das Fruchtbare des Ansatzes – besteht in der Selbstbeschränkung auf die anthropologische Ebene. Denn immer wenn die Anthropologie die Tragweite von theologischen Aussagen zu begrenzen sucht, reagiert die Theologie, indem sie die Anthropologie als ihre große Widersacherin betrachtet, gegen die es sich zu verteidigen und zu wappnen gilt. Damit bleibt es auch bei Terrin bei der Trennung zwischen Theologie und Anthropologie, trotz der Absicht, die Liturgietheologie anthropologisch zu fundieren, und zwar deswegen, weil beider Verhältnis einfach auf den Kopf gestellt wird. Die Übertragung der Fundamentalfragen auf die Anthropologie ist einerseits zu weitgehend und andererseits zu beschränkt, weil es bei einer klaren Bereichsaufteilung zwischen Anthropologie und Theologie bleibt. Mag dies zur Reflexion der eigenen Methodik nötig sein, verhindert es doch gleichzeitig die Lösung der anstehenden Aufgabe der Integration von anthropologischem und theologischem Denken. 2.7. Die Spannung zwischen anthropologischer Grundlegung und theologischen Aussagen Das Projekt „Liturgie für die Menschen“ umfasst also nicht eine, sondern drei Arten der Grundlegung von Pastoralliturgik, die in verschiedenen Zusammenhängen entstanden und an jeweils anderen Entwicklungen orientiert sind. Die theologisch-liturgische Grundlegung, die systematisch-pastorale Grundlegung und die phänomenologisch-anthropologische Grundlegung haben einander das Feld streitig gemacht und doch gemeinsam die nachfolgenden Entwicklungen beeinflusst. Sie markieren positiv das zunehmende Bewusstsein für die entscheidende Funktion des Gottesdienstes im christlichen Leben und Denken überhaupt. Und doch haben alle drei Ansätze ein Profil, mit dem sie unvollständig bleiben und so im Hinblick auf ein neues theologisches Verständnis des Gottesdienstes nicht zufrieden stellen können. Wenn die beiden ersten Ansätze auch die Notwendigkeit einer neuen Art von Beziehung von Anthropologie und Theologie (so vor allem Sartori) in unterschiedlicher Weise herausstellen, so unterliegen sie dennoch weiterhin einer Struktur theologischen Denkens, die den beträchtlichen Schwierigkeiten verhaftet bleibt, die sich bei der Entwicklung einer weiterführenden Integration von Gott und Mensch, Vernunft und Glaube, Natur und Übernatur 58
ergeben. Das bedeutet, dass die theologische Grundlegung des Gottesdienstes dazu gezwungen ist, das menschliche Moment zu verzeichnen und zu verkleinern (um nicht zu sagen: zu entwerten). Andererseits trifft es auch zu, dass der dritte, als anthropologisch zu charakterisierende Ansatz es vorzieht, das Verhältnis eher umzukehren als zu modifizieren. Nach Terrins Ansatz ist das liturgiewissenschaftliche Denken letztlich durch einen anthropologischen Verstehenshorizont legitimiert und betrachtet die Theologie aus großem Abstand und bisweilen sogar mit Misstrauen. Die Hierarchie zwischen Anthropologie und Theologie ist umgedreht. Das Verdachtsmoment bleibt jedoch dasselbe. Die drei Theorieansätze aus dem Institut in Padua haben jedoch trotz der beschriebenen Grenzen ihren wichtigen und originellen Beitrag geleistet. Durch sie wurden neue Horizonte eröffnet, die die heutige Theologie in erkennbarer Weise aufgreift. So muss Marsili nicht nur das Verdienst zuerkannt werden, eine Gesamttheorie des Verhältnisses von Theologie und Liturgie entworfen zu haben, sondern auch, die Bestimmung des Verhältnisses zur Anthropologie als für die Zukunft notwendige Aufgabe begriffen zu haben. Sartori hingegen hat die Gründe für eine übergreifende Theorie bzw. für ein übergreifendes Moment im theologischen Denken überzeugend dargelegt, so dass Spezialisierungen wie konfessionelle Spaltungen überschritten werden und der komplexe Gehalt des christlichen Glaubens für den „ganzen Menschen“ aufscheint. Man wird sagen können, dass erst die theologische Vermittlungsleistung von Sartori24 den theologischen Horizont eröffnet hat, durch den das anthropologisch-theologische Konzept von Terrin denkbar und möglich wurde. Noch entscheidender und charakteristischer für das Institut scheint mir schließlich der Beitrag von Terrin zu sein, weil dieser sich nicht auf die explizit theologische Ebene begeben hat. Terrin konnte den Blickwinkel bei der Annäherung an die Liturgie gerade dadurch verändern, dass er sich radikal auf die anthropologischen Fragen konzentrierte und so die Komplexität der Beziehung zur Theologie aufzeigen konnte. Er scheint vor allem jegliche Form von naivem Einverständnis zwischen der Theologie und einer „ad usum delphini“ aufgefassten Anthropologie entmythologisieren zu wollen – als hätte die Anthropologie einen bloß dienenden Status und als wäre sie ohne langen Atem möglich. Terrin ist es gelungen, den Ernst der anthropologischen Frage für die Liturgik herauszuarbeiten. Daraus ergibt sich der zweite weiterführende Gedanke: Terrin hat auf die Unumgänglichkeit der Anthropologie für die Definition der Funktion des Ritus und der individuellen und gemeinsamen 24 Es würde sich lohnen, über die Funktion von Sartoris Denken, dieses bedeutenden Wegbereiters, etwas länger nachzudenken, allein schon was die vielen (und so sehr verschiedenen) Entwicklungen angeht, die er mit seiner großartigen, freiheitlichen Art, mit seinem Denken wie mit seinem Reden anzustoßen wusste.
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gottesdienstlichen Praxis hingewiesen. Seine beiden wichtigsten Grundannahmen sind die folgenden: – die transzendentale Funktion der Anthropologie für die kategoriale Ebene der Theologie; – das Verständnis der Anthropologie als einer Praxis, also nicht nur als einer Denkbewegung. Es besteht kein Zweifel, dass diese Überlegungen mit ihrem eigenständigen wie einseitigen Profil dazu geeignet sind, völlig neue Horizonte bei der Reflexion der Liturgie und einer entsprechenden Theologie zu eröffnen. Dabei wird besonders deutlich, wie wenig der Gottesdienst auf überkommene theologische Kategorien reduziert werden kann, sondern dass vielmehr die Erarbeitung eines neuen – nicht nur anthropologischen, sondern auch theologischen – Konzeptes vonnöten ist. Trotzdem war es für diesen Ansatz zunächst erforderlich, das Beschreiten theologischer Denkwege zu suspendieren, um zu den genannten wichtigen Einsichten vorzustoßen. Gerade mit der Unterbrechung der Verbindungen zur Theologie hat dieser Ansatz der Theologie einen großen Dienst erweisen können. Gleichwohl können die Verbindungen von Anthropologie und Theologie nicht auf Dauer unterbrochen bleiben. Das ergibt sich schon aus der Glaubwürdigkeit und aus der Stringenz des theologischen Denkens. Darum gilt es künftig unter Zugrundelegung der entstandenen Ansätze ein Konzept von Fundamentaltheologie zu erarbeiten, das die entscheidende Rolle des Kultisch-Rituellen durch eine neue Form des Dialogs mit anthropologischen Einsichten zu integrieren vermag. Die Weiterführung der drei Grundkonzepte, des liturgischen (Marsili), des theologischen (Sartori) und des anthropologischen Konzeptes (Terrin), kann heute nur in einer umfassenden Theorie von Offenbarung und Glaube bestehen, so dass der notwendige Bezug zum gottesdienstlichen Ritus aufgezeigt und dem theologischen Denken von Jesus und über Jesus die angemessene Verstehensgrundlage gegeben werden kann. 2.8. Anthropologische Erläuterung der Beziehung zwischen ritueller Erfahrung und Fundamentaltheologie Die Erarbeitung einer noch vor uns liegenden neuen Grundlegung der Liturgie beginnt mit dem Aufweis dessen, was vor allem anderen charakteristisch ist: Liturgie kann nicht anders begründet werden als aus dem Zentrum der Fundamentaltheologie. Die Fundamentaltheologie aber kann die Liturgie nicht begründen, ohne auf den anthropologischen Vorsprung des Ritus – in seiner Vorordnung vor jegliche Reflexion – Bezug zu nehmen. Solange diese evidente Einsicht nicht zum Durchbruch gekommen ist, so lange dem Ritus nicht seine ganze Tiefe und Ursprüng60
lichkeit für den Glauben zuerkannt wird, so lange wird sich die Liturgie weiter selbst zu begründen versuchen, ohne auf die systematische Theologie zurückzugreifen – während die Systematik weiter an ihrem Desinteresse für die fundamentale Bedeutung des Kultisch-Rituellen festhalten wird. Der Weg zu einer Integration beider Perspektiven beginnt mit der notwendig reziproken Einsicht, mit der die Liturgie es akzeptiert, nicht der Letzthorizont zu sein und die Theologie, dass der Sinn des Christentums überhaupt nicht außerhalb, vor oder jenseits des Ritus zu haben ist. Die neue Aufgabe besteht mithin nicht in einer Entgegensetzung von anthropologischer Begründung und theologischer Ausführung, sondern vielmehr in der Integration der rituellen Erfahrung als einer essenziellen Gegebenheit der Fundamentaltheologie. Damit steht man unversehens vor der Frage, in welchem Sinne die Anthropologie einen Beitrag zur Grundlegung der Theologie leisten kann. Dies ist in der Tat eine heikle Angelegenheit. Es gilt nämlich dabei der Überbrückung der Distanz zwischen theologischer Vermittlung und ritueller Unmittelbarkeit bzw. umgekehrt: zwischen theologischer Unmittelbarkeit und ritueller Vermittlung die entscheidende Bedeutung zuzuerkennen. Denn nur eine Anthropologie im Sinne einer exzellent ausgestatteten und ausgearbeiteten Kulturanthropologie ist dazu in der Lage, der gegenwärtigen Theologie die eigenen Denkvoraussetzungen wieder neu zu erschließen. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, der Theologie ihr „Objekt“ zurückzugeben, sondern vielmehr ihre Voraussetzung, welche es der Theologie erlaubt, auf ihr Objekt und Subjekt zuzugehen bzw. den Zugang zu ihnen zu eröffnen. Mit anderen Worten: Unser grundsätzlich als fremd zu kennzeichnender Blick auf den Ritus ist nicht angemessen, wenn er einfach nur von der Theologie her erfolgt. Es ist vielmehr nötig, dass sich die Theologie als von den Wurzeln her mit der Anthropologie verbunden versteht.25 Der Sinn einer Wiederaufnahme des Kultisch-Rituellen in das Fundament des Glaubens auf dem Wege der anthropologischen Vermittlung eröffnet zugleich bisher ungenutzte Möglichkeiten einer neuen Ausdrucksform von Fundamentaltheologie. Damit erweist sich eine Hermeneutik als nötig, die sich unter Zugrundelegung der Voraussetzung und der Verdrängung des Ritus neue Theorieperspektiven für die Reintegration des Ritus eröffnet. Die Verdrängung muss exakt als das (zugleich interessierte wie naive) Vergessen der rituellen Erfahrung
25 In dieser Hinsicht ist die aktuelle Theologie noch zu einseitig, einfältig und damit naiv. Sie tendiert zur Missachtung ihrer eigenen Voraussetzungen bzw. sucht diese sogar zu verbergen oder zu negieren. Um nicht von der Anthropologie vereinnahmt zu werden, verschließt man sich dieser: „Durch ihre Abweisung der Anthropologie ist sie [sc.: die dialektische Theologie, MMBl] erst recht in die Abhängigkeit anthropologischer Bedingtheit geraten.“ (W. Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 16)
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als nötige (wenn auch nicht ausreichende) Gestalt des Glaubens und der Theologie bestimmt werden. Diese Erfahrung ist jedoch der Horizont, vor dem die Theologie jahrhundertelang entfaltet wurde und der erst in der Spätmoderne in die Krise geriet. Auf diese Verdrängung kann die Reintegration des Ritus in das Fundament des Glaubens antworten. Die eigentliche „liturgische Frage“ kann in unserer Kultur nur im Dialog mit und im Interesse für die Kulturanthropologie zum Durchbruch kommen. Diese neue Betrachtungsweise steht heute keineswegs vereinzelt da. Sie wird vielmehr von unterstützenden Entwicklungen begleitet, die sich in den Aufbrüchen sehr verschiedener theologischer Strömungen und Bereiche finden. Wenn die Hinweise auf dem weiten Feld der Theologie auch noch diffus und eher verstreut sind, untermauern sie jedoch die hier eingenommene Perspektive und unterstützen so die hier verfolgten Absichten.26 2.9. Überleitung zur Entfaltung des Theoriemodells Nach der Skizzierung des Theoriemodells für die Betrachtung des Gottesdienstes als eines „Ritualphänomens“ und der Konfrontation dieses Ansatzes mit den maßgeblichen unmittelbaren Vorgängern gilt es das Modell jetzt mit Beispielen zu verifizieren, die das Ganze plausibel machen. Selbst wenn das Modell nur dazu führt, den eigentlichen Ursprung der „liturgischen Frage“ als etwas für die moderne Theologie Typisches zu erweisen, müssen wir gleichwohl auf das implizite Gegenwärtigsein des Ritus als Voraussetzung der klassischen Theologie achten. In der modernen Sakramententheologie dagegen müssen wir die verdrängte (bzw. gänzlich abwesende) Bedeutung des Ritus und damit das Bedürfnis nach Reintegration des Ritus in die Zusammenhänge glaubender Erfahrung und theologischen Verstehens zur Kenntnis nehmen. Die drei genannten Phasen entsprechen den folgenden Kapiteln 3–5, in denen drei typische Beispiele und Stile des Verhältnisses von Theologie und Ritus begegnen: Augustin und Thomas, K. Rahner und M. Festugière. In dem anschließenden 6. Kapitel geht es dann um weitere typische Theologen der einzelnen Epochen. Damit ergibt sich ein Gesamtbild der entstandenen Grundannahmen, so dass sich der Blick für die weitere Behandlung von wichtigen exemplarischen Vertretern der „liturgischen Theologie“ öffnet und sich schrittweise ein Konzept entwickeln lässt.
26 Hinweise auf die wichtigsten Autoren dieser Denkrichtung finden sich in A. Grillo, L’esperienza rituale come „dato“ della teologia fondamentale. Ermeneutica di una rimozione e prospettive teoriche di reintegrazione (= Rituelle Erfahrung als fundamentaltheologische Gegebenheit. Zur Hermeneutik ihrer Verdrängung und Theorieperspektiven zu ihrer Wiedergewinnung), Padua 1997, 167–224. An dieser Stelle genüge dieser Hinweis; in Kapitel 12 wird der Faden wieder aufgenommen.
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3. KAPITEL
Der Ritus als Voraussetzung: Die „klassische“ Form von Theologie Der ganze rechte Gottesdienst nützt nur den Menschen und nicht Gott. Augustinus1
Liturgie und Ritus stellen zweifellos eine vorzügliche Erscheinungsform der klassischen Theologie dar. Nicht nur die patristische, sondern auch die scholastische und zum großen Teil die tridentinische Theologie sowie die Kontroverstheologie und die Theologie der Lehrbücher können zu dem hier „klassisch“ genannten Konzept gezählt werden. Freilich war die Vorrangstellung der Liturgie in dieser Art von Theologie lediglich eine implizite. Die Liturgie wurde vonseiten der Theologie indirekt, stillschweigend und fraglos vorausgesetzt. Die rituelle Praxis des Christentums und ihr „Warum“ stand nicht in Frage – allenfalls ihr „Wie“ und bisweilen ihr „Was“. Wenn die Theologie ihrer eigenen Reflexion den Ritus als integrativen und notwendigen Teil der christlichen Glaubenserfahrung zugrunde legte, dann ist auch klar, wie entfernt sie von einer Theologie sein würde, welche – viele Jahrhunderte später und nicht aus primär theologischen, sondern aus kulturellen, historischen, politischen und gesellschaftlichen Gründen – beginnen sollte, das Rituelle zu verdrängen, so dass später die Reintegration in das Grundverständnis glaubender Erfahrung und theologischen Denkens erforderlich sein würde. Der genannte Unterschied ist gleichermaßen wichtig wie verborgen. Er fällt nicht unmittelbar auf. Es scheint sich vielmehr alles gegen seine Aufdeckung verschworen zu haben. Wenn wir den antiken, mittelalterlichen und frühmodernen Texten keine gezielte Aufmerksamkeit entgegen bringen, scheinen diese eine völlig andere Sprache zu sprechen als die unsere – obwohl dies eigentlich nicht zutrifft. Oder sie scheinen sich mit völlig anderen Sorgen und Themenstellungen zu befassen als wir (was ebenfalls nicht zutrifft).
1 Augustinus, Vom Gottesstaat, X, 5.
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Vor der Skizzierung des ersten Modells der Beziehung von Ritus und Theologie gilt es sich über die Unterschiedlichkeit der antiken Sicht im Vergleich zur unsrigen klar zu werden. Grundsätzlich kann man sagen, dass sich die Antike wie das Mittelalter und die Frühmoderne nicht jener liturgischen Frage gegenübersah, die für das Aufkommen der liturgischen Bewegung und liturgischen Theologie seit dem 19. Jahrhundert charakteristisch ist.2 Bevor wir mit der Sichtung des liturgischen Denkens von Augustin und Thomas von Aquin beginnen, müssen wir darum kurze Überlegungen zum Begriff der „liturgischen Theologie“ selbst vorausschicken.
3.1. Klassische Theologie und Vorgeschichte der liturgischen Theologie Um die Anfänge oder zumindest die Vorgeschichte der liturgischen Theologie zu bestimmen, könnte man an dieser Stelle eine allgemeine Definition dieser Disziplin verlangen, mit deren Hilfe dann auch die historischen Entstehungsbedingungen zu erheben wären. Doch auch wenn es sich bei unserer Aufgabe um eine rein historische handeln würde (was nicht zutrifft), müssten wir der Einsicht folgen, wonach der Historiker es nicht an einem hermeneutischen Fundament und Prinzip der eigenen Forschung fehlen lassen darf.3 Da es sich bei unserer Aufgabe jedoch um eine eminent theologische handelt, gilt es erst recht hinzuzufügen, dass die historische Hermeneutik ein solches Verständnis von liturgischer Theologie nahe legt, das wiederum selbst zum Kriterium der Untersuchung der historischen Hermeneutik werden kann. Es ist deutlich, dass die Aufgabe des Interpreten an diese Zirkelbewegung gebunden bleibt. Diese verläuft von einem theologischen Verständnis des Gottesdienstes zu einer historischen Erkenntnis, welche dann zu einem teilweise neuen Gottesdienstverständnis führt, so dass es wiederum zu einer neuen kulturellen und historischen Vertiefung kommt. Das rigide Ausgehen von einer allzu eindeutigen Definition liturgischer Theologie oder ein zu eindeutiges Konzept bei der Rekonstruktion von historischen Gegeben2 Eine hilfreiche Klärung der „liturgischen Frage“ als einer typisch modernen Begriffsbildung bietet A. Catella, Dalla costituzione conciliare „Sacrosanctum Concilium“ all’enciclica „Mediator Dei“, in: La „Mediator Dei“ e il centro di Azione Liturgica: 50 anni alla luce del movimento liturgico (= Von der Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ zur Enzyklika „Mediator Dei“, in: „Mediator Dei“ und das Zentrum für Liturgisches Handeln: 50 Jahre im Lichte der Liturgischen Bewegung), Rom 1988, 11–43 (= Ephemerides liturgicae, Sectio pastoralis, Bd. 18). 3 Vgl. F. Brovelli, La liturgia celebrata e vissuta dal popolo di Dio lungo la storia (= Die vom Volke Gottes im Laufe der Geschichte gefeierte und gelebte Liturgie), Pastoralliturgisches Institut Padua, Beiträge aus dem Akademischen Jahr 1982/83 Teil I, 7ff. Reicht es schon für den Historiker nicht aus, die einzelnen liturgisch-kultischen Fakten zu katalogisieren, so gilt das erst recht für den Theologen, der den Gottesdienst einer hermeneutischen Betrachtung unterzieht!
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heiten wäre geradezu eine Form von theologischer und historischer Blindheit. Wenn man demnach – wie von uns mehrfach unterstrichen – von einer liturgischen Theologie nur im Hinblick auf die theologische Entwicklung sprechen kann, die auf die in der Spätmoderne entstandene liturgische Frage antwortete (bzw. zu antworten hatte), dann wird es auch richtig sein, die liturgische Theologie auf die vergangenen eineinhalb Jahrhunderte zu begrenzen, ohne dass man damit das frühere Vorkommen einer tiefgreifenden Beziehung zwischen Theologie und Liturgie absolut ausschließen müsste.4 Von besonderer Bedeutung für unsere Vorgehensweise ist die grundsätzliche Art und Weise, das Verhältnis von Theologie und Liturgie zu betrachten, die ihre Aufmerksamkeit weniger auf das „Wie“ oder das „Was“, sondern auf das „Warum“ und auf das „Ob“ dieses Verhältnisses richtet. Auch wenn sich unsere Untersuchung des notwendigen Blickes auf die Vorgeschichte bewusst bleibt, muss sie einen doppelten Irrweg vermeiden: Verfehlt wäre es, – vorauszusetzen, dass es sich bei der heutigen liturgischen Theologie um eine theologisch und historisch klar definierte Sache handelt, von der ausgehend das zu erforschen wäre, was vor ihr war – eben weil es vor der Spätmoderne de facto gar keine wirksame „liturgische Theologie“ gab; – darauf zu vertrauen, dass bereits die bloße Erweiterung des Blickes in die Vergangenheit positive oder negative Gesichtspunkte für aktuelle Herausforderungen ergibt. Wegen der notwendigen kulturhermeneutischer Überlegungen ist auch die allzu starke Grenzziehung zwischen altkirchlicher und scholastischer Theologie ungeeignet, weil diese nicht die tatsächliche Affinität beider Perioden erkennen lässt.5 4 Auch Catella unterstreicht diese beiden Grundverständnisse von „liturgischer Theologie“ so: „Wenn wir unter dem Begriff ‚liturgische Frage‘ etwas verstehen wie ‚die sich mit der Theologie der Liturgie beschäftigende Frage‘ und zwar in einem streng disziplinbezogenen Sinne, dann müssen wir feststellen, dass die Geschichte einer solchen Theorie relativ kurz ist und eine Problemstellung aufgrund der Moderne darstellt. Wenn wir den Ausdruck jedoch in einem weiteren – aber darum nicht weniger exakten und aussagekräftigen – Sinne verstehen und als die ‚liturgische Frage‘ bzw. als Überlegung zu einer ‚Theologie der Liturgie‘ die Aufgabe jeder christlichen Generation annehmen, über die gottesdienstliche Erfahrung zu reflektieren und das Verhältnis ernst zu nehmen, das zwischen dem Glauben und der Feierpraxis besteht – dann freilich wäre der Weg durch die Geschichte recht lang und komplex.“ (A. Catella [s. o. Anm. 2], 22, Kursivierungen A. Grillo) 5 Dieses Phänomen hat sich bei erneuter Lektüre oft bestätigt und bestätigt sich immer wieder: Die spätmoderne Frage nach der Bedeutung des Kultisch-Rituellen für den Glauben findet bei den Vätern das, was sie nicht bei den großen Scholastikern findet. Tatsächlich aber ist es wesentlich angemessener, die radikale Differenz zwischen der spätmodernen und der klassisch-antiken Frage aufzuzeigen, weil sich aus dieser Frage – und nur aus ihr – die Notwendigkeit einer aktuellen liturgischen Theologie ergeben kann, die nicht in eine naive Form von restauratio patristica verfällt.
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Wir haben stattdessen einen komplizierteren Weg einzuschlagen, der uns – wenigstens in groben Zügen – aufzeigen kann, was theologisch und kulturell passierte, so dass es zu den Herausforderungen kam, die dann ihre Antwort in dem fanden, was wir heute liturgische Theologie nennen. Um diese vorläufig zu definieren, gilt es vor allem zwei Aspekte hervorzuheben: 1. Wir nehmen kein radikales Verständnis von liturgischer Theologie an, wenigstens nicht im Sinne der „einzigen Form vollständiger Repräsentation des Geheimnisses“ oder der theologica prima, wie dies von Salvatore Marsili unter Bezug auf die Arbeiten von Odo Casel formuliert wurde. 2. Wir unterstreichen vielmehr mit dem Ausdruck „liturgische Theologie“ eine Wortbildung in der Art eines Hendiadyoins. In diesem Sinne bestimmen wir die „liturgische Theologie“ vorläufig als die Notwendigkeit, dass sich der Glaube – und die Theologie als dessen reflektierende Gestalt – auf Gottesdienst und Ritual beziehen. Wir können damit feststellen, dass sich die Aufnahme der von der Liturgischen Bewegung in ihren verschiedenen Ausprägungen verfolgten Ziele notwendig auf eine andere Ebene verschiebt. Es handelt sich nicht länger darum, eine Art von Primat der Liturgie gegenüber der Theologie anzunehmen, noch darum, ausschließlich exegetisch von liturgischen Texten auszugehen, und auch nicht darum, aus der Liturgik einen Teil des „theologisch-praktischen“ Arbeitsfeldes zu machen, der neben dem systematischen steht. Es geht vielmehr darum, den fundamentalen Bezugsrahmen zwischen Gottesdienst und Glauben wieder zu entdecken und Liturgie und Ritus wieder auf die Grundsatzfragen von Offenbarung und Glaube zu beziehen.6 Was dieser Ansatz bedeutet und wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gestalt angenommen hat, wird sich aus der Betrachtung ergeben müssen, der wir uns zuwenden. Vor dieser Zeit jedenfalls war die Behauptung der Notwendigkeit des Kultisch-Rituellen für den Glauben etwas, woran niemand dachte. Dies blieb im Hintergrund des Denkens, das sich zwar mit den verschiedensten „Objekten“ des Glaubens beschäftigte, aber nicht mit seinen gottesdienstlichen Voraussetzungen.7 Das wird sich in aller Deutlichkeit zeigen, wenn wir untersuchen, wie Augustin und Thomas von Aquin – um nur die beiden 6 In diesem Zusammenhang können wir auch sagen, dass die liturgische Theologie letztlich die Phase des Übergangs zu einer Theologie bedeutet, die – kurz und knapp gesagt – ausgewogener und bewusster mit der Glaubenserfahrung als ganzer umgeht. 7 Für das Entstehen der modernen liturgischen Theologie – in dem hier benutzten begrenzten Bedeutungsumfang – muss also vor allem der Charakter der Forderung beachtet werden, das Kultische und Rituelle neu ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen. Es ist nicht wichtig, dass diese Forderung später (besonders bei Casel und Marsili) etwas Totalisierendes erhielt. Es geht vielmehr um die Neubestimmung von Offenbarung und Glaube dank der neuen Aufmerksamkeit für Gottesdienst und Ritual.
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herausragenden Vertreter dieser in der Vergangenheit fast einzigen Zugangsweise zu nennen – die Frage des Kultisch-Rituellen behandelten. Beide näherten sich diesem Thema, das einmal zum Aushängeschild der „liturgischen Theologie“ werden sollte, auf jeweils geniale Weise. Doch sie behandelten es geradezu umgekehrt oder mindestens sehr anders als später angesichts der Herausforderungen, die am Ende des 19. Jahrhunderts unaufschiebbare Dringlichkeit annehmen sollten. 3.2. Der Glaube und das Kultisch-Rituelle in der vormodernen Theologie am Beispiel Augustins Um das Moderne der Herausforderungen aufzuzeigen, die zur liturgischen Theologie führen – verstanden als Wiederentdeckung der ursprünglichen Beziehung zwischen Glaube, Gottesdienst und Ritual –, müssen wir uns kurz mit dem ersten der beiden großen „vormodernen“ Gottesdienstverständnisse befassen, um den Unterschied zu der uns heute selbstverständlich erscheinenden Auffassung zu beschreiben. Das bedeutet nicht, die Vergangenheit zu idealisieren (wie das leicht der Fall ist, wenn man sich mit dem Gottesdienst beschäftigt), sondern vielmehr, die Herausforderungen für die gegenwärtigen Überlegungen zur Liturgie zu begreifen, wie sich diese im Vergleich zu der traditionellen Ansicht des Kultisch-Rituellen in aller ihrer Neuartigkeit darstellen.8 Die erste wichtige Spur eines ganz anderen Gottesdienstverständnisses, wie es für die vormoderne Welt charakteristisch ist, findet sich in einem berühmten Text von Augustin, der sich aus christlicher Sicht mit dem Gottesdienst im Allgemeinen und speziell mit dem Verständnis des Opfers beschäftigt (De Civitate Dei X, 4–5).9 Diese Passage ist von grundlegender symbolischer Tragweite, weil sie (wenn auch in dem für die Stelle charakteristischen apologetischen Kontext) eine Einstellung gegenüber dem Opferkult und Opferverständnis deutlich macht, die für uns nicht so leicht verständlich ist, wie das auf den ersten Blick scheinen könnte. Denn von Anfang an wird hier eine im Verhältnis zu der unsrigen entgegengesetzte Perspektive unterstrichen: Das Bemühen richtet sich nicht auf die Herausarbeitung und Klärung von Recht und Notwendigkeit der Beziehung zwischen Gott, Opferkult und Eucharistie, sondern vielmehr (für uns eher fremd) auf die Eingrenzung des Rechtes des Kultischen. Daraus ergibt sich eine Art von „anthropologischer Reduktion“ des Ritus: 8 Wir werden sehen, dass diese Forderung in Wirklichkeit eine Art Antwort auf die Säkularisierung ist, nämlich auf den Beginn eines „nicht religiösen Christentums“, das jedoch bereits insofern in der gesamten dogmatischen Tradition unterschwellig wirksam ist, als diese die Offenbarung lehrhaft und den Glauben intellektualistisch versteht. 9 Augustin, Vom Gottesstaat, X, 4–5. Der deutsche Text im Folgenden nach der Übersetzung von Wilhelm Thimme, Zürich/München 21978 [1955].
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„Wer aber ist so unverständig zu glauben, Gott bedürfte der Opfergaben irgendwofür? [. . .] Gott bedarf danach, so muss man glauben, weder des Viehes sowie sonstiger vergänglicher irdischer Dinge, noch auch selbst der Gerechtigkeit des Menschen, und der ganze rechte Gottesdienst nützt nur dem Menschen, nicht Gott. Denn niemand sagt, er habe dem Quell etwas zugute getan, wenn er trinkt, oder dem Lichte, wenn er sieht.“10
Der Gottesdienst und seine gesamte Ausdrucksgestalt wird damit ausschließlich in seiner signifikativen Funktionalität gesehen. Er hat Wert nur in dem Maße, als er den Bezug auf seine Bedeutung ermöglicht und nicht behindert. Er ist damit ausschließlich Zeichen (Symbol) einer unsichtbaren Bedeutung. So entsteht theologischer Sinn, insoweit das sichtbare Opfer für das unsichtbare Opfer transparent zu werden vermag. „Und wenn von den alten Vätern auch andere, nämlich Tieropfer dargebracht wurden, von denen das Gottesvolk jetzt nur noch liest, ohne sie zu wiederholen, ist das so zu verstehen, dass damit auf etwas hingedeutet werden soll, das in unserm Innern vor sich geht, nämlich darauf, dass wir Gott anhangen und unserem Nächsten auch dazu verhelfen.“11
Damit ist Augustin bei seiner zusammenfassenden Schlussfolgerung: „Das sichtbare Opfer ist also Sakrament, das heißt heiliges Zeichen eines unsichtbaren Opfers.“12
Die berühmte Definition des Sakramentes als „heiliges Zeichen“, die hier auf dem Höhepunkt der Argumentation Augustins begegnet, umreißt den Horizont des Verständnisses von Gottesdienst und Ritus durch den klaren und deutlichen Hinweis auf den Begriff des „spirituellen und unsichtbaren Opfers“. Die gesamte theologische Aufmerksamkeit richtet sich auf das Verständnis des zugrunde liegenden Kultischen auf der Ebene der Klarheit der Begriffe. Die eigentliche rituelle und sakramentale Ebene gilt nur insofern als wertvoll, als sie ein deutlicher Verweis auf Anderes und damit Symbol der Gottes- und Nächstenliebe ist. Damit wird deutlich, wie wenig die Augustinische Theologie einer eigenständigen liturgischen Fragestellung Raum gibt. Dazu kommt es aber nicht aufgrund von mangelnder Sensibilität für die gottesdienstliche Ebene, sondern gerade wegen der eindeutigen und anerkannten Voraussetzung des kultischen Horizontes als des primären Ortes von Theologie. Die Schwäche der Augustinischen Theologie des Gottesdienstes (und damit keine Schwäche als solche, sondern in Bezug auf unsere Herausforderungen!) besteht paradoxerweise in der Tatsache, dass die Liturgie für Augustin eine viel zu klare und in ihrer Realität immer vorausgesetzte Sache ist, die nur noch als Zeichen und Symbol und als Transportmittel für eine tiefere theologische Bedeutung zu erläutern ist. 10 Augustin, Vom Gottesstaat, X, 5. (deutscher Text: s. o. Anm. 9, 471). 11 Ebd., Hervorhebungen A. Grillo. 12 Ebd., Hervorhebungen A. Grillo.
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Die Pointe der Augustinischen Interpretation des christlichen Gottesdienstes – von geopferten Dingen hin zur Gottes- und Nächstenliebe – wird schließlich ganz deutlich am Schluss des Abschnittes, wo die bekannte Formel begegnet: „Das ist das Opfer der Christen: ‚Die vielen ein Leib in Christo!‘ Die Kirche aber feiert es auch in dem den Gläubigen bekannten Sakrament des Altars, wo ihr vor Augen gestellt wird, dass sie in dem, was sie darbringt, selbst dargebracht wird.“13
Gerade die große Tiefe dieser Überlegungen lässt dennoch einen entscheidenden Aspekt der Argumentation im Dunkeln. Augustin kann nur darum in diese Tiefe theologischer Opferhermeneutik vordringen, weil das Opfer und der gottesdienstliche Ritus in ihrer Vorhandenheit und Gegebenheit als Grundlage des Denkens vorausgesetzt, aber in diesem Denken selbst nicht thematisiert werden. Wenn die moderne (protestantische wie katholische) Theologie darum das Beste des Augustinismus wirkungsvoll zur Geltung bringen will, hat sie es sofort mit einem strategischen Missverhältnis zu tun: Greift sie nämlich die kraftvolle theologische Hermeneutik Augustins auf, so vergisst sie dabei die gottesdienstliche und rituelle Unmittelbarkeit, aus der sich jene Hermeneutik entwickeln konnte. Denn das, was Augustin ungesagt lässt, ist und bleibt entscheidend für das richtige Verständnis dessen, was er ausdrücklich sagt. Augustinus tendiert zweifellos zu einem Verständnis von Gottesdienst als etwas Beiläufigem und Zweitrangigem gegenüber der Wichtigkeit der Glaubensinhalte, wobei diese ausdrücklich nicht-sakramental erfahren und erläutert werden sollen.14 Bei Augustin – für dessen durchaus problematische Lesart die modernen und spätmodernen Leser eine besondere Neigung verspüren – stellt sich das typische Problem der liturgischen Theologie (also der notwendigen Bedeutung des Kultisch-Rituellen für Glaube und Theologie) gerade in umgekehrter Form, so dass bei ihm das Kultisch-Rituelle stets von seinem theologischen Sinn überboten wird wie das Sichtbare vom Unsichtbaren und das Zeichen von der Bedeutung. Doch kündigt sich schon bei Augustin das an, was dann bei Thomas von Aquin mit der Verortung der Sakramente und der Liturgie im Bereich der anthropologischen Gegebenheiten seine Systematisierung finden wird: Die gottesdienstliche Ritualität wird im Sinne von Chiffren des Humanum 13 AaO., X, 6 (475), Hervorhebungen A. Grillo. 14 Vgl. L.-M. Chauvet, Le sacrifice comme échange symbolique, in: M. Neusch (Hg.), Le sacrifice dans les religions, Paris 1994, 277–304: 279; sowie M. Neusch, Une conception chrétienne du sacrifice. Le modèle de saint Augustin, aaO., 117–137. Zur Kritik der Voraussetzungen dieser Beiträge vgl. A. Grillo, Differenza e antitesti tra sacrificio spirituale e sacrificio rituale. Modernità, irrilevanza del rito e incomprensione della libertà (= Differenz und Gegensatz von spirituellem und rituellem Opfer. Zum Bedeutungsverlust des Ritus und Unverständnis für die Freiheit in der Moderne), in: S. Ubbiali (Hg.), Il sacrificio: evento e rito (= Das Opfer als Ereignis und Ritus), Padua 1998, 203–243.
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bestimmt. Das entsprach zwar bereits dem antiken und mittelalterlichen Geist. Doch wird das theologische Denken dadurch in der Moderne immer stärker dazu verleitet, ein völlig anderes zu werden. Gerade die Selbstverständlichkeit des anthropologischen Prinzips, an dem die klassische Theologie als ihrem eigenen Gehalt festhält, wird im späteren Modell der „Verdrängung“ zum ausgeschlossenen und beseitigten Element werden, weil durch die Anthropologie die Reinheit der eigenen Theologie möglicherweise unwiderruflich geschädigt wird.
3.3. Der Theorierahmen in Thomas von Aquins „De sacramentis in genere“ Die Überlegungen Augustins zu Gottesdienst, Liturgie und Sakramenten haben noch etwas Ursprüngliches und Unsystematisches. Erst mit der Scholastik und der Synthese des Thomas können wir a) eine Bestätigung der genannten Tendenz und b) erste Anzeichen einer Veränderung wahrnehmen. Wir gehen Schritt für Schritt vor und beginnen mit der Bestätigung. a) Das Verständnis des Sakramentes in genere signi, welches den Abschnitt De sacramentis in genere (= Die Sakramente im Allgemeinen) in Thomas von Aquins Summa Theologiae eröffnet15, ist eine solenne Wiederaufnahme der Darlegungen Augustins, wodurch – wenngleich modifiziert und integriert in die Idee des Sakramentes in genere causae – der Entwurf des Thomas auf der Ebene jener Bedeutungstransparenz angesiedelt ist, welche den eigentlich kultischen und rituellen Aspekt der Liturgie de facto an die zweite Stelle verweist. Liturgie und Ritual bilden gleichwohl den Horizont, den Thomas offensichtlich und selbstverständlich voraussetzt. b) Doch Thomas hält nicht lediglich daran fest, dass das Sakrament zugleich als Kultus und als Heiligung aufzufassen ist. Er widmet sich auch der Frage der Notwendigkeit der Sakramente, auf deren Kern bereits die ursprüngliche Intention Augustins hindrängte, die wir in seinen Überlegungen (wenngleich knapp) kennen gelernt haben. Von einer Notwendigkeit des Sakramentes, des Gottesdienstes und des Opfers kann man schon nach Augustin nur im Hinblick auf den Menschen sprechen. So behandelt auch Thomas die Frage im Zusammenhang einer anthropologischen Interpretation, die für ein neues Gottesdienstverständnis von großem Interesse ist. Thomas greift in dem Passus den moralischen und aufsteigenden Aspekt des Sakramentes auf, wie dieser bei Hugo von St. Viktor begegnet, der den Gottes15 Thomas von Aquin, Summa Theologiae III q. 60; vgl. dazu die deutsche ThomasAusgabe Bd. 29: Die Sakramente. Taufe und Firmung, Salzburg/Leipzig 1935.
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dienst als remedium ad humilitationem, ad eruditionem, ad exercitationem auffasst. In der quaestio über die Notwendigkeit der Sakramente16 nimmt er eine bedeutende anthropologische Öffnung vor,17 indem er als die menschliche Wurzel der Notwendigkeit des Sakramentes dessen Hervorgehen ex conditione humanae naturae, ex statu hominis und ex studio actionis humanae ansieht. Laut Thomas wird die conditio humana durch corporalia et sensibilia in spiritualia et intelligibilia überführt. Der Stand des Menschen ist es, Sünder und als solcher an die körperlichen Dinge gebunden zu sein. Das Heilmittel muss darum wie die Krankheit etwas Körperliches sein. Wenn nämlich dem Menschen das Spirituelle als solches begegnen würde, wäre sein an den Körper gebundener Geist nicht in der Lage, dieses zu erfassen. Schließlich bedarf die Berücksichtigung des menschlichen Handelns der corporalia exercitia in sacramentis, weil so durch eine positive Praxis die negative, von Sünde und Aberglauben geprägte kompensiert wird. Die drei Aspekte der Bedeutung des Sakraments sind aus der berühmten Definition der Sakramente bei Hugo von St. Viktor („remedia ad eruditionen, ad humiliationem, ad exercitationem“) entwickelt. Thomas nimmt die drei Dimensionen am Schluss des zitierten Abschnittes auf: „So wird der Mensch also entsprechend seiner Natur mit der Einsetzung der Sakramente durch das Wahrnehmbare belehrt; er wird demütig gemacht, indem er erkennt, dass er dem Körperlichen unterworfen ist und ihm durch Körperliches Hilfe widerfährt; und er wird durch die heilsame Anteilnahme an den Sakramenten vor körperlichen Schäden bewahrt.“18
Die kreatürlichen und geschichtlichen und damit auch wechselhaften, fehlerhaften und der Übung bedürftigen Bedingungen, die an die Wahrnehmung gebunden und vom Kontingenten bestimmt sind, bilden den Horizont für die Notwendigkeit des Sakramentes. Der metaphysische Ansatz hindert Thomas demnach nicht, auf spezifisch Anthropologisches zurückzugreifen; dies sollte erst später von den liturgischen Aufbrüchen problematisiert werden. Es ist jedoch festzuhalten, dass dieser Aspekt 16 AaO., q. 61, a 1. 17 „Die anthropologische Begründung der Notwendigkeit der Sakramente nach Thomas sollte für uns eine Mahnung sein, diese nicht zu einseitig allein von einer positiven Stiftung durch Christus abhängig zu sehen; eine solche Stiftung ruht ihrerseits selbst wieder auf den Gründen, die Thomas eigens darstellt.“ So formuliert K. Rahner, Einleitende Bemerkungen zur allgemeinen Sakramentenlehre bei Thomas von Aquin, in: Schriften zur Theologie Bd. X, Zürich u. a. 1972, 392–404: 398. 18 Überlegungen zur entscheidenden Bedeutung von quaestio 61 s. bei Gh. Lafont, Structures et méthode dans la ’Somme théologique’ de saint Thomas d’Aquin, Paris 1996, 442ff. sowie A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia. Il rapporto tra immediatezza e mediazione nella riflessione teologica (= Fundamentaltheologie und Liturgie. Das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung in der theologischen Reflexion), Padua 1995, 97–99.
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nicht in Verbindung mit der absteigenden (katabatischen) Seite des Sakramentes (also der Heiligung und Gnade) zu treten vermochte.19 Andererseits ist es für Thomas typisch, dass er zur Erläuterung des Sakramentes weniger eine stringente Argumentation (also von „Zeichen“ und „Sache“ her) verfolgt, sondern vielmehr bei einer Betrachtung bleibt, die auf die geniale Erkenntnis der doppelten Dimension des Sakramentes (als Heiligung und als Kultus) keine gleichgewichtige Behandlung der beiden Aspekte folgen lässt. Wenn es stimmt, dass die Sakramente eine doppelte Funktion erfüllen, als remedium peccati und als cultus divinus,20 so ist jedoch auch richtig, dass das scholastische Erkenntnisinteresse im Gottesdienst kein so dringliches Problem erkennen konnte wie im Verständnis der Heiligung. Weil damals eine klare Grundlage durch die gottesdienstliche Praxis vorausgesetzt war,21 darum lässt uns heute diese an sich geniale Zuordnung – aufgrund der völlig veränderten Bedingungen – dennoch unbefriedigt zurück. In dem Traktat De sacramentis in genere wird der ursprüngliche Ansatz Augustins systematisiert, mit anderen Fragestellungen verbunden und mit Überlegungen zur necessitas erweitert. Dabei konzentrieren sich die Überlegung auf den aufsteigenden (anabatischen) Aspekt von Sakrament und Gottesdienst als die eigentlich religiöse Dimension des Menschen. Andererseits lässt sich jedoch auch beobachten, wie gerade diese Dimension (im Gegenüber zu der absteigenden, heiligenden Dimension des Sakramentes) sowohl für Augustin als auch für Thomas eine kulturelle Voraussetzung darstellte. Die theologische Argumentation musste sich vor allem auf der Ebene der Heiligung bewegen und konnte den Gottesdienst in seiner Objektivität belassen, weil dieser als weit verbreitete Ausdrucksform der Einzelnen und der Gesellschaft ohnehin alle Äußerungen der Menschen durchdrang. Heute jedoch – und zwar seit etwa einhundert Jahren – stellt die liturgische Theologie die radikalen Fragen im Hinblick auf den Kern des Verhältnisses von Offenbarung, Glaube, Gottesdienst und Ritual. Sie betrachtet das Sakrament nicht primär als etwas Heiligendes, sondern als etwas Kultisch-Rituelles. Sie sucht so die Lücke zu füllen, welche die traditionelle Dogmatik (wenn auch ohne besonderes Verschulden) bei der Behandlung der Sakramente gelassen hat, weil die Frage des Glaubens in ihrem Verständnis eine Frage des Signifikates der theologischen 19 Zur Gegenüberstellung dieser beiden Seiten der Sakramentenlehre des Thomas vgl. die erhellenden Bemerkungen von L.-M. Chauvet, Symbol und Sakrament (Kapitel 2, Anm. 1), 13ff. 20 Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, q. 63, a. 6. 21 Nicht zufällig leidet das Verhältnis von religio und oratio als gottesdienstliche Kategorien bei Thomas unter charakteristischen Verengungen. Dazu vgl. auch C. Vagaggini, Il senso teologico della liturgia. Saggio di liturgia teologica generale (= Der theologische Gehalt der Liturgie. Allgemein-theologische Bemerkungen zur Liturgie), Rom 1957, 104–119.
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Theorie war und keine Frage der Signifikanten gottesdienstlicher Praxis. Im Vergleich zu den beiden großen theologischen Entwürfen zu Gottesdienst und Sakrament hat die „liturgische Theologie“ einen anderen Weg eingeschlagen. Sie hat das Bisherige auf den Kopf gestellt, indem sie die gottesdienstlichen Voraussetzungen zur eigentlichen theologischen Problemstellung erklärt hat. Dabei hat sie gewiss auch übertrieben und zugespitzt. Aber sie hat damit wirkliche und neuartige Fragen zutage gefördert. Sie hat das Verhältnis von Theorie und Praxis verändert, Herausforderungen für die dogmatische Tradition formuliert und in diesem Zusammenhang direkte Verbindungslinien zu den patristischen Ursprüngen gefordert. 3.4. Exkurs: Das Aufkommen neuer praktischer und theologischer Herausforderungen Die neue Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis durch die liturgische Theologie hat einen bis heute bemerkenswerten Einfluss auf unsere Betrachtungsweise des Abschnittes De sacramentis in genere gehabt, auch wenn diese noch heute vielfach von traditionellen scholastischen Kategorien bestimmt bleibt. Wer ein wenig mit der christlichen Sakramentenlehre vertraut ist, weiß, dass diese traditionell von der allgemeinen Kategorie des „Zeichens“ ausgeht. Die Sakramente werden in genere signi betrachtet, sie werden in dem Sinne auf Zeichen zurückgeführt, dass sie auf anderes verweisen und etwas Weiteres eröffnen, das für sie konstitutiv ist. Dies ist die übliche Sichtweise, die man (zunächst theoretisch, dann aber auch praktisch) anwendet, wenn man die Kategorie des Zeichens mit den Sakramenten in Verbindung bringt; doch darf nicht vergessen werden, dass es sich dabei nur um einen Teil der Wahrheit und nicht um die ganze Wahrheit handelt. Vielleicht ist dies der wichtigste Teil – aber nicht das Ganze des Sakramentes. Um die heutige Problematik der traditionellen Definition zu verstehen, sei darauf verwiesen, dass auch der Mensch als „von der Art des Tieres“ („in genere animalis“) definiert werden kann, ohne dass es die Art des Tieres ist, die das eigentümlich Menschliche zum Ausdruck bringt. Es ist vielmehr die spezifische Differenz (verstanden als logos, als ratio, „Wort“ oder „Vernunft“), die es uns erlaubt, von seinem Charakter als animal rationale zu sprechen. Genauso wie der Mensch „Tier“ ist, aber eben mit dem Charakter der Vernunft, so ist das Sakrament gewiss auch „Zeichen“, aber mit der Charakteristik der Wirksamkeit als signum efficax. Folgt man der Spur der Tradition, dann dürfte die spezifische Differenz des Sakramentes dadurch gut definiert sein, dass man es als ein Zeichen auffasst, das in seinem Bedeuten Folgen hat (significando causat). Doch in Wirklichkeit ist diese Lösung für uns in der Moderne nur scheinbar schlüssig, weil sie tatsächlich die eigentümliche Spannung zwi73
schen „Verweis auf anderes“ (als Zeichen) einerseits sowie „Ereignis und Selbstmächtigkeit“ von Wirkung und Sache andererseits ungelöst lässt. Die Möglichkeit, dass der Verweis auf das Andere zugleich die Ereignisgestalt der Gnade bedeutet, ist gerade an jene Dimension gebunden, die in der traditionellen dogmatischen Deutung marginal blieb und die erst von der liturgischen Theologie unter der Fragestellung des rituellen Horizontes ausdrücklich thematisiert wurde. Der verbreitete Irrtum bestand darin, den Verweis auf das Andere in intellektualistischer Weise aufzufassen, als handele es sich schlicht um ein sichtbares Wort (verbum visibile). Man muss sich hingegen heute fragen: Für welches Auge kann das Sakrament wirklich verbum visibile sein? Dies gilt ja nur für solche Augen, die von jener Liebe berührt sind, die uns neue Augen gibt (dat novos oculos). Dabei muss hinzugefügt werden, dass jenes Berühren der Augen nicht nur eine Sache der Inhalte, sondern auch der Formen ist. Das Sakrament ist ein solches Zeichen, das aufgrund seiner besonderen Form kommunizieren kann. Seine Form, in welcher die spezifische Differenz zum Zeichen im Allgemeinen liegt, ist die rituelle Form.22 Darüber hinaus wird oft gesagt, dass das logisch Vorausgehende existenziell erst nachfolgt. So geht das Genus zwar für die Logik der Besonderheit der Spezies voraus, aber für das Erleben sind die Einzeldinge erst a posteriori auf das Genus zurückzuführen. Eine Hinführung zum Sakrament als Zeichen muss darum berücksichtigen, dass man zum Sakrament in existenzieller Weise nur hinführen kann, indem man es (zumindest auch) als Ritus versteht und zum Verstehen bringt. Wenn der Ritus der Horizont ist, innerhalb dessen das Sakrament als Zeichen verstanden werden, etwas bedeuten und auf etwas anderes verweisen kann, dann wird auch klar, warum die Erklärung des Sakramentes in der Zeichen-Begrifflichkeit immer wieder an dem Einwand scheitert: Warum dann Zeichen hiervon und nicht davon? Ohne einen symbolischrituellen Horizont wird das Sakrament als arbiträr und konventionell aufgefasst (bzw. als magisch oder juridisch) und damit als lediglich illustrativ und sekundär im Verhältnis zum Eigentlichen des Glaubens und Christseins. Die große Tradition sakramentstheologischen Denkens hatte mit dem „Genus des Zeichens“ den locus classicus der Sakramentsinterpretation gefunden. Doch im Laufe der Zeit hat sich das daran Überzeugende ins Missverständliche verkehrt. Die primäre Interpretation des Sakramentes als 22 Zu dieser Frage vgl. auch A. Grillo, La riscoperta del simbolismo sacramentale. Il rito come „locus classicus“ per la soluzione della controversia ecumenica su „Parola e Sacramento“ (= Die Wiederentdeckung des Symbols und das Sakrament. Der Ritus als Kategorie zur Lösung der ökumenischen Streitfrage von Wort und Sakrament), in: P. Lyons (Hg.), Parola e sacramento. Beiträge des Sakramentstheologischen Symposiums an der Theologischen Fakultät San Anselmo Mai 1995, Rom 1997, 83–139.
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Zeichen hat faktisch – entgegen der ursprünglichen Absicht – zu einem verborgenen, aber gefährlichen Verlust an Zeichenhaftigkeit geführt. Umgekehrt hat gerade die Distanzierung von der strengen, unmittelbar dogmatischen Perspektive (im neueren liturgietheologischen Denken, in dem das Sakrament als Feier des Geheimnisses und als zelebriertes Geheimnis und Ritus wiederentdeckt wird) zu einem Wiedergewinn des sakramentalen Zeichengehaltes geführt. Um in der gegenwärtigen Welt der Tradition treu bleiben zu können, muss sich die theologische Aufmerksamkeit vom Allgemeinen zum Spezifischen und vom Zeichen zum Ritus verlagern, um beim Verstehen und Erklären des Sakramentes an dessen Wirksamkeit und Bedeutung festhalten zu können. Nach der neuen Betrachtungsweise kann das Sakrament nur insofern Zeichen sein, als es ihm gelingt, Ritus zu sein. Seine kommunikative Kraft kann nicht außerhalb des rituellen und zelebrativen Handelns gesehen werden. Aus diesem Grund wird der Begriff Zeichen zunehmend durch den Begriff Symbol ersetzt, weil dieser für das Sakrament präzise den Sinn des rituellen und liturgischen Momentes zum Ausdruck bringen kann. Das Sakrament kann nur „Zeichen“ sein, wenn es von seinem Charakter als „Symbol“ ausgeht. Diese Einsicht konnte sich nur aufgrund eines neuen Verständnisses des Ritus durchsetzen, bei dem der Ritualbegriff von seinem magisch-rubrizistischen Charakter befreit wurde und eine neue anthropologische Vertiefung fand, indem man deutlicher und ernsthafter auf die Einsichten der Humanwissenschaften achtete, die die Theologie des 20. Jahrhunderts geprägt haben. So gelangte man zu einem neuen Verständnis des Symbols, das nicht mehr vom individuellen Urteil (bzw. Irrtum) geprägt ist, sondern wieder auf die patristische und frühscholastische Traditionslinie zurückführt, welche die Brüche zwischen Symbol und Wahrheit sowie zwischen Symbol und Realität zu vermeiden sucht. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass neue Einsichten nicht aufgrund der Abstinenz von traditionellen theologischen Überlegungen, sondern vielmehr aufgrund einer veränderten historisch-kulturellen Perspektive zutage treten. Die traditionelle Theorie konnte den Diskurs zu Ritus und Kultus (als etwas Selbstverständliches und allgemein Berücksichtigtes) voraussetzen und darum das Nachdenken über das Sakrament von seiner Natur als Zeichen her seinen Ausgang nehmen lassen. Die neue Sakramentenlehre muss hingegen in Anlehnung an die liturgische Theologie die rituellen und kulturellen Strukturen des Sakramentalen neu entdecken – gerade um die entscheidende zeichenhafte Dimension des Sakraments nicht zu verlieren. Dank dieser neuen Zugangsweise hat sich allmählich die Einsicht durchgesetzt, dass das sakramentale und liturgische Zeichen nach weitaus komplexeren Regeln funktioniert, als man gewöhnlich annimmt. Es wird im Kontext eines gottesdienstlichen und der Heiligung dienenden Handelns verwendet, in dem sich der Mensch in einer besonderen Relation zu den anderen Menschen und zu Gott weiß. Das liturgische, rituelle 75
und kultische Handeln ist der Kern eines neuen Verständnisses des Sakramentes als Zeichen. Doch das ist nicht alles. Damit ist darüber hinaus auch der Weg gewiesen, um zu einem neuen Selbstverständnis von christlicher Theologie vorzustoßen. Die geschilderte Wende hat auch zur Wiederentdeckung einer einfachen, doch oft vergessenen Tatsache geführt: Das sakramentale Zeichen gerät dann in die Krise, wenn es lediglich die Bestätigung dessen sein möchte, was man schon immer gewusst und gelehrt hat, während sich das „Symbol“ als etwas prinzipiell nicht wiederholbares Neues darstellt, das unser Verstehen und unsere Existenz verändert und neue Horizonte eröffnet. Auch wenn das sakramentale Zeichen immer schon das Unbegreifliche und Neue der Gnade darstellte, hat die Theologie auch heute noch Neues in Bezug auf die zentralen und fundamentalen Glaubensinhalte zu lernen. Auf der Zeichenebene handelt es sich damit um die Regel der liturgischen Kontextualität, also um die rituellen zwischenmenschlichen Beziehungen, die nur dann zum Zeichen von Gottesdienst und Heiligung werden, wenn man die ursprüngliche und konstitutive Dimension nicht vergisst. An die Stelle des Sakramentes in genere signi tritt das Sakrament in genere ritus. Es ist darum unvermeidlich, eine Zirkelstruktur von Zeichen und Ritus zu betonen, insofern sich der Ritus im Zeichen verbirgt, während sich das Zeichen nur im Ritus offenbart. Kurz: Ein neues Verständnis der Bedeutung liturgischer Praxis beim Verständnis des Sakramentes als „Zeichen“ müsste auf diese verschiedenen, vielschichtigen wie problematischen Bezüge achten, die man mit dem folgendermaßen variierten Sprichwort frei zusammenfassen könnte: „Ritus in signo latet, signum in ritu patet“ (= „Der Ritus ist verborgen im Zeichen, das Zeichen wird geöffnet im Ritus“). 3.5. Der Ritus als Voraussetzung der Theologie: „actus animae“ und „usus rerum exteriorum“ bei Thomas von Aquin Wie gezeigt, finden sich bei Thomas viele Spuren einer Voraussetzung des Ritus bei der Bestimmung der Relation von Glaube und sakramentalen Formen. Wenn es stimmt, dass sich die Frage nach der Entwicklung einer liturgischen Theologie ausgehend von dem Ende der selbstverständlichen Verbindung von Kultus, Ritus und Christentum gestellt hat, dann verdeutlichen das im Hinblick auf Thomas zwei Faktoren: Die Verlegung des Gottesdienstes in das Gebiet außerhalb der Sakramentenlehre und das Fehlen einer expliziten Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Sakrament in De sacramentis in genere. Ja, in Thomas’ ganzem System besteht keine Notwendigkeit einer Beziehung zwischen Glauben (als ritus) und Sakrament (als wirksames Zeichen). Das Sakrament setzt den Glauben voraus und der Glaube das Sakrament (auch als Kultus). Dieser enttäuschende Befund (jedenfalls enttäuschend im Hinblick auf unsere heutigen 76
Fragen) weckt jedoch gerade das Interesse und bildet den Anstoß für weitergehende Nachforschungen. a) Aus den genannten Gründen entzieht sich uns heute der Denkansatz des Thomas. Unsere Fragen zum Sakrament sind mit den seinen nur teilweise deckungsgleich. Wenn wir im allgemeinen Teil der Abhandlung zu den Sakramenten in der Summa Theologiae nach der Beziehung von Glaube und Sakramenten suchen, dann sind wir zunächst einigermaßen enttäuscht: In der gesamten Abhandlung findet sich zu dem gesuchten Thema in der Tat nichts. Das, was in unserer Perspektive – das habe ich zu zeigen versucht – das Problem der Beziehung von Glaube und Sakrament darstellt, wird im Zentrum der Argumentation von Thomas nicht einmal bedacht. Nur am Rande können wir bei Thomas etwas Explizites zur Differenz und Komplementarität von Glaube und Sakrament finden. Ansonsten jedoch müssen wir das für unser Thema Wichtige an anderer Stelle suchen. In einem ersten Zugang stoßen wir auf das Gesuchte, wie bereits festgestellt, in quaestio 61 in Teil III, wo die Überschrift „De necessitate sacramentorum“ lautet. Aber auch an anderer Stelle wie etwa in der folgenden quaestio findet sich ein Passus, der explizit dem uns interessierenden Thema gewidmet ist. In diesem Abschnitt bekräftigt Thomas: „Wir werden mit der Kraft des Leidens Christi durch den Glauben und durch die Sakramente verbunden, aber auf verschiedene Weise: Die Verbindung, die der Glaube herstellt, geschieht durch einen Akt der Seele; die Verbindung durch die Sakramente aber geschieht durch den Gebrauch von äußeren Dingen.“23
Der Kontext dieser Feststellungen ist die Frage, ob schon die Sakramente des alten Bundes gnadenhafte Wirkung hatten. Um darauf antworten zu können, dass dies nur insofern der Fall war, als sie eine Art „Glaubensbekenntnis“ waren, unterscheidet Thomas Glaube und Sakrament und ordnet beide verschiedenen Aspekten menschlicher Erfahrung zu. Was unmittelbar unsere Aufmerksamkeit findet, ist die zwischen dem „Akt der Seele“ (actus animae) und dem „Gebrauch von äußern Dingen“ (usus exteriorum rerum) hergestellte Beziehung, die mir für ein neues Ritualverständnis von entscheidender Bedeutung zu sein scheint. Der Ritus ist gekennzeichnet als Gebrauch (usus), gebunden an Wiederholung und Übung und an den Gebrauch äußerer Dinge (res externae) – und damit etwas grundsätzlich Anderes als ein Bewusstseinsakt. Jede Reduktion des Sakramentes auf den Glauben vergisst dieses Andere, das in der Formel des Thomas festgehalten ist. Das führt uns eindeutig zur Frage der Verhältnisbestimmung mit der rituellen Ebene des Sakramentes, also zu dem für uns heute zentralen Problem. 23 Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, q. 62, a. 6; vgl. dazu die deutsche Thomas-Ausgabe Bd. 29: Die Sakramente. Taufe und Firmung, Salzburg/Leipzig 1935, 66.
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Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Sakrament – gegenüber der Frage nach der Relevanz des subjektiven Glaubens (virtus) für die Wirksamkeit des Sakramentes – deutlich verschoben. An dieser Stelle liegt die Wurzel der klassischen Bestimmung, der zufolge der Glaube ein Teil der „Tugenden“ war, so wie dies im scholastischen System ausgeführt und in Teil II–II der Summa des Thomas bekräftigt wurde. Die Bedeutung, die der Glaube nach Thomas im Zusammenhang des Sakramentes gewöhnlich hatte, war diejenige, die ihm als die virtus des Priesters oder des Empfängers des Sakramentes zugemessen wurde. So gesehen handelt es sich übrigens auch um keine neue Frage – als ob nur das nachreformatorische Christentum einer Reduktion des Christentums auf das sola fide erlegen wäre. Die sich schon damals in Richtung auf ein sola fide abzeichnenden Entwicklungen, denen gegenüber das Sakrament hervorzuheben gewesen wäre, wurden von Thomas völlig übersehen. Er legte vielmehr Wert auf das Gegenteil, indem er das Recht der fides im Gegenüber einer Tendenz zum „solo sacramento“ betonte. b) Andere Texte bereichern und bestätigen im Wesentlichen diese Sicht des Thomas. In vielen (durchaus interessanten) Fällen findet sich dieselbe Tendenz der Summa Theologiae wieder, die jedoch im Gegensatz zu den uns interessierenden Fragen steht. Auch das Verhältnis zum Leiden Christi z. B. ist für Thomas durch das Begriffspaar fides und fidei sacramenta gekennzeichnet, wobei die bereits genannte Unterscheidung getroffen wird. Am Schluss der Argumentation in „De modo efficiendi passionis Christi“24 erinnert Thomas beispielsweise daran, dass einem das Leiden Christi nicht „zuteil werden“ (contactum) kann, wenn daraus keine spirituelle Wirkung entsteht. Er zitiert dazu Röm 3,25: „Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut“ und erklärt den Vers, indem er die doppelte Verschränkung von fides und fidei sacramenta bekräftigt. Außerdem betont Thomas im Zusammenhang der Frage nach den Wirkungen des Leidens (nachdem er dieselbe Passage aus dem Römerbrief zitiert hat): „Doch ist der Glaube, durch den wir von der Sünde gereinigt werden, kein formloser Glaube, der auch mit der Sünde existieren kann, sondern er ist ein durch die Liebe geformter Glaube: Das Leiden Christi wird uns darum nicht nur im Hinblick auf den Intellekt, sondern auch im Hinblick auf den Affekt zugeeignet.“25
Damit erweist sich eine integrative Theorie von Affekt und Intellekt als äußerst wichtig. Diese kann auch die Motive hervortreten lassen, die sich (quer dazu) im Denken des Thomas verbergen – selbst wenn 24 AaO., quaestio 48, a. 6, ad 2. 25 AaO., quaestio 49, a. 1, ad 4–5.
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es gerade dort, wo wir dies erwarten würden, an den entsprechenden Hinweisen fehlt. Doch genau dies ist die Konsequenz jener entscheidenden Unterteilung bei der Behandlung der Sakramente (als Heiligung und als Kultus), worauf die gesamte Sakramentenlehre des Thomas basiert.26 Es nimmt nicht Wunder, dass wir die uns interessierenden Aspekte aufgrund des völlig veränderten Fragehorizontes ganz woanders suchen müssen, als das im Entwurf von Thomas geschah. Viele Fragestellungen des Aquinaten sind heute überflüssig geworden, wohingegen zahlreiche der von Thomas für überflüssig gehaltenen Dinge inzwischen entscheidende oder mindestens wichtige Bedeutung bekommen haben. Eine Theologie, die nicht mehr als diese Veränderungen und den neuen Sinn der alten Fragestellungen klar thematisieren würde, hätte bereits ihre Aufgabe hervorragend gelöst. Von diesem Ausgangspunkt her muss die vor uns liegende theologische Arbeit so umschrieben werden: Es geht darum, das Gleichgewicht von Glaube (und zwar nicht nur im Sinne von virtus) und Sakrament (und zwar auch im Sinne von virtus!) neu zu entwerfen. Die Lage der modernen Theologie stellt sich so dar: Auf einen Glauben, der sich von der begrenzten Kategorie der „Tugend“ (virtus) emanzipiert hat, antwortet das Sakrament, indem es neu seine Natur von „religiöser Tugend“ entdeckt. Die doppelte Verschiebung und entscheidende Begriffsverlagerung hilft uns, die Chancen und Grenzen des Bedeutungswandels zu verstehen, von dem wir geprägt sind. Uns gelingt es nicht mehr, dem actus animae und dem usus rerum exteriorum wenigstens dasselbe Maß an Würde zuzuerkennen. Ist diese Analyse zutreffend, dann merken wir noch bei Thomas die große Kraft des vorausgesetzten Ritus. So greift Thomas auf ein starkes Argument zurück, das heute niemand verwenden würde – wohl nicht 26 Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Thomas mehrfach den bereits bei Augustin begegnenden Gedanken wiederholt: Der Gottesdienst dient dem Menschen und nicht Gott. Thomas betont diese Sichtweise, sowohl wenn er von den Sakramenten, als auch wenn er vom Gottesdienst spricht, wie z. B. im Hinblick auf den Gesang (S. Th. II–II, q. 91, a. 2). Diese anthropologische Öffnung ist jedoch mit mehrfachen Einschränkungen verbunden: Wenn der Gottesdienst dem Menschen dient und nicht Gott, dann ist er etwas grundsätzlich Zweideutiges und damit auch Entbehrliches. Diese Verkehrung der anthropologischen Öffnung in eine theologische Selbstbegrenzung müsste einmal genauer untersucht werden. Der Rekurs auf die Tatsache, dass die Sakramente dem Menschen und nicht Gott dienen, hatte für die Menschen der Antike jedenfalls einen völlig anderen Sinn als für uns in der Moderne. Für die Alten hieß es, dass die Sakramente gerade darum nötig waren. Für die moderne Theologie aber bedeutet es, dass sie darum gerade entbehrlich sind! Die völlig gegensätzliche Schlussfolgerung aus derselben Aussage scheint mir vor allem geeignet zu sein, um das Typische der Überlegungen zum Sakrament in der Moderne zu verdeutlichen, in der die Reduktion der Theologie der sieben Sakramente auf die Kirche und auf Christus gerade die Entfernung von der Leiblichkeit des Menschen mit sich bringen wird (dazu s. u. Kapitel 4 zu Rahner).
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einmal im Geheimen. Für wen könnte der Gebrauch von etwas dasselbe Gewicht haben wie eine theologische Erklärung? Doch gerade hier verbirgt sich die Schwäche nicht der theologischen Erklärung, sondern der Voraussetzung jenes Elementes, an dem es uns fehlt. Das ist der Grund dafür, dass die Argumentation des Thomas heute nicht dienlich und hilfreich ist.27 c) Es gibt bei Thomas noch weitere Äußerungen, die ein unmittelbares Licht auf das bisher Ausgeführte werfen: „Was der Mensch als sich selbst Gott im Dienste des göttlichen Kultus darbringt, das dient unmittelbar der Religion, mittelbar aber der Liebe, die der Anfang der Religion ist.“28
Dabei stellt sich die Frage, worauf in diesem Zitat aus der Summa Theologiae der Akzent liegt. Was will uns der Doctor angelicus mit dieser Formel sagen und was können wir ihr entnehmen? Muss man daraus notwendig schließen, dass das wirklich Entscheidende die Vermittlung durch die Liebe ist, weil dies nach dem ersten Eindruck am nächsten liegt? Oder ist diesem Ausdruck zufolge vielmehr von einer unüberbietbaren und sachbedingten Unmittelbarkeit der Religion auszugehen? Will der Satz das Recht des Kultisch-Rituellen als äußerer Bedeutungsträger einschärfen oder den Primat des Kultisch-Spirituellen als seine innere Bedeutung? In Wirklichkeit sind die Dinge gerade deswegen besonders kompliziert, weil sie uns so einfach erscheinen. So empfinden wir bei diesem Dilemma gar keine Verunsicherung mehr, weil wir ein Stadium jenseits, oberhalb und außerhalb dieser Alternative erreicht zu haben scheinen. Gerade das aber ist unser wirkliches Dilemma. Wir sind gar nicht mehr in der Lage, die Spannung zu erkennen, die in der Beziehung von Ritus und Zweck, von äußerer Form und innerem Bewusstsein, von Zeichen und Bedeutung, von Anwesenheit und Abwesenheit, von Begehren und Gabe, Körper und Denken, Mensch und Gott herrscht. Von alledem lassen wir uns nicht mehr verunsichern, weil wir uns auf einer höheren Ebene zu befinden meinen, als könnten wir von höherer Warte, mit Gleichmut und aus der Distanz auf die Dinge sehen, bei denen es sich tatsächlich immer um anstrengende Vermittlungen und um lediglich undeutliche Anschauungsformen handelt. Wir meinen, dass uns das, was wir als Christen und als Menschen sind und sein können, unmittelbar zugänglich ist. Bei der Spannung der genannten Alternativen halten wir uns an das Innere, an die Bedeutung, die Anwesenheit, die Gabe, das Denken und an Gott selbst – und unterschlagen das Äußere, das Zeichen, 27 Wir müssen uns jedoch fragen: Ist die Argumentation deswegen wenig hilfreich, weil an ihr als solcher nicht weiter festgehalten werden kann oder weil wir nicht mehr daran festzuhalten wissen? 28 Thomas von Aquin, Summa Theologiae II–II, q. 82, a. 2, ad 1.
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Abwesenheit, Begehren, Körper und damit letztlich den Menschen. Wir wähnen uns außerhalb der Alternative von innen und außen und unser Dilemma besteht mithin darin, das Dilemma nicht wahrzunehmen. Gerade dieses Dilemma, das sich für uns so bedeutungsschwer darstellt wie es für die klassische Theologie mit Leichtigkeit daherkommt, bezeichnet am deutlichsten den Abstand, der uns von dem Modell des in der Theologie vorausgesetzten Ritus trennt. Doch der durch unsere Analyse gewonnene Vorteil besteht gerade darin, dass wir damit ein Bewusstsein für diesen Abstand entwickelt haben. Die klassische Theologie gelangte zu ihren Einsichten in einer vorausgesetzten und unhintergehbaren Verbindung mit dem Ritus. Als sich aber der kulturelle Bezugsrahmen änderte, glaubte man auf der Höhe dieser Theologie verbleiben zu können und lediglich den Zusammenhang mit dem Kultisch-Rituellen verringern (bzw. aufheben) zu müssen. So lässt sich das kleine Drama der Theologie des letzten Jahrhunderts umschreiben, aus dem wir uns im folgenden Kapitel ein berühmtes Beispiel vornehmen wollen.
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4. KAPITEL
Die Verdrängung des Ritus: Tendenzen in der jüngeren Sakramententheologie1 Gott hat seine Kraft nicht so an die Sakramente gebunden, dass er nicht auch ohne Sakramente die Wirkung der Sakramente mitteilen könnte. Thomas von Aquin2
Wenn das gewiss älteste Modell der Beziehung von Theologie und Ritus in der Gestalt der Voraussetzung daherkam, gilt es nun wahrzunehmen, dass wir uns heute in einem kulturellen und theologischen Umfeld bewegen, das entweder von falschen Voraussetzungen oder von einer impliziten Verdrängung3 gekennzeichnet ist. So lässt sich die Entwicklung der Sakramententheologie des 20. Jahrhunderts umschreiben, in der das richtige Wissen um die Unannehmbarkeit der klassischen (nicht mehr durch entsprechende Erfahrungen unterstützten) Voraussetzung zu einer wahren kopernikanischen Wende (oder auch: anthropologischen Wende) ge-
1 Dieses Kapitel ist die Weiterführung früherer Veröffentlichungen unter dem Titel: A. Grillo, Sacramenta propter angelos? Karl Rahner e un „principio“ della sacramentaria di san Tommaso (= Sakramente für die Engel? Karl Rahner und ein Grundsatz der Sakramentenlehre des heiligen Thomas), in: Ecclesia orans 14 (1997), 391–412. 2 Dieser Passus bildet das Zentrum unserer Überlegungen. Bekanntlich ist der Satz der Summa Theologiae III, q. 64 a. 7 entnommen und wird in signifikanter Weise zugleich Thomas und Karl Rahner zugeschrieben. Der massive Einfluss auf die aktuelle Theologie ist jedoch stärker der gewichtigen Interpretation und Relektüre Rahners als der originalen (jedoch marginal bleibenden) Intention des Thomas geschuldet. 3 Damit ist gemeint, dass es eine falsche Voraussetzung ist, wenn die Theologie weiter vom gottesdienstlichen Ritus als ihrer Basis ausgeht, obwohl der Ritus der Erfahrung nicht mehr in unmittelbarer Form zugänglich ist. In diesem Fall behauptet die Theologie eine Unmittelbarkeit von Erfahrung, die aber vielmehr erst mühsam rekonstruiert werden muss. Um implizite Verdrängung handelt es sich, wenn die Theologie vorgibt, ihren gesamten Diskurs unter Verzicht auf das Rituell-Zelebrative führen zu können und wenn sie sich einbildet, ohne eine Unmittelbarkeit des Rituals, welche ihren Diskurs unterfängt, auskommen zu können. In diesem zweiten Fall gelangt die Theologie durch einen wirkungsvollen Erfahrungsbegriff zu einer im Grunde zu einfachen Lösung. Der doppelte Irrtum ergibt sich damit in beiden Fällen aus einer unzureichenden Verhältnisbestimmung von Theologie und Erfahrung. Im ersten Fall entspricht die Theologie nicht den veränderten Bedingungen von Erfahrung, im zweiten Fall verabsolutiert sie die veränderte Erfahrung als theologisches Prinzip.
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führt hat, welche die Basis für das Modell der „Verdrängung“ ist. Entsprechend versuchte man, eine Sakramententheologie (bzw. eine Theologie überhaupt) unabhängig vom gottesdienstlichen Ritus4 zu konzipieren. Um die Tendenz zu verdeutlichen, aufgrund derer die kultisch-rituellen Überlegungen aus der Theologie verdrängt wurden, möchte ich einen locus classicus untersuchen, der oft zitiert wird, wenn die Gründe jener Wende zur Verdrängung des Ritus aus der Theologie erläutert werden. 4.1. Die Prinzipienfrage – nur ein Problem der Thomas-Interpretation? Das Gewicht des theologischen Prinzips, das ich nun betrachten möchte, steht für einen Kernpunkt der gegenwärtigen theologischen Hermeneutik und ist symptomatisch für die Unsicherheiten, denen sich ein Großteil der Sakramententheologie der letzten Jahrzehnte ausgesetzt sieht. Der Argumentationsgang dieses Kapitels könnte missverständlich sein. Hinter einer anscheinend philologischen Frage – der mehr oder weniger zutreffenden Interpretation von Thomas’ allgemeiner Sakramentenlehre durch Karl Rahner – verbirgt sich in Wirklichkeit eine brisante systematische und theologische Frage, bei der es nicht lediglich um die Sakramente geht, sondern um das Ganze des theologischen Systems und um das damit angesprochene Verhältnis zur Anthropologie. Wenn man sich der Tatsache bewusst bleibt, dass das uns hier beschäftigende Prinzip, das von Rahner auf die mens des Thomas zurückgeführt wird, inzwischen zum gemeinsamen Bezugspunkt der gängigen Sakramentenlehre5 geworden ist, dann merkt man sofort, dass die Diskussion dieses Prinzips (sowohl in philologischer wie in theologischer Hinsicht) erhebliche und für die normale sakramentstheologische Argumentation sogar bedrängende Konsequenzen nach sich zieht; gilt doch, dass dieses Prinzip die Grundlage und den Horizont des gesamten Diskurses bestimmt. Zur Entfaltung der Argumentation gliedere ich meine Ausführungen in sechs kurze Abschnitte:
4 Zur Gesamtproblematik vgl. A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, 90–128 (Kapitel 3). 5 Über die Werke von Rahner hinaus ist an die Sakramentenlehre bei seinen Schülern (von Th. Schneider bis H. Vorgrimler) zu denken. Letzterer z. B. schreibt in unangefochtener Sicherheit: „Die Liturgie (mit den für sie essentiellen Sakramenten) kann nicht als die a priori höhere Form der Realisierung von Kirche gelten. Die große Theologie hat dies stets gewusst: Gott hat seine Gnade nicht an die Sakramente ‚gefesselt‘.“ (H. Vorgrimler, Teologia dei sacramenti, in: Giornale di teologia 212, Brescia 1992, 33). Auch hier fehlt nicht das Thomas-Zitat aus unserer Kapitelüberschrift in einer Anmerkung. Trotzdem kann die Eindeutigkeit, mit der das Prinzip geltend gemacht und einer „großen Theologie“ zugeschrieben wird – welche dies angeblich immer gewusst hat – nicht sämtliche Verdachtsmomente gegenüber dessen Plausibilität aus dem Wege räumen.
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1) Zunächst gilt es die Fragestellung in den Kontext der aktuellen Diskussion der allgemeinen Sakramentenlehre zu stellen, um dann 2) die Ausarbeitung von Rahners theologischem Prinzip (entsprechend dem Eingangszitat) zu rekonstruieren und 3) den Inhalt in der Quelle (der Summa Theologiae) zu überprüfen, 4) die Diskrepanz zwischen ursprünglicher und Rahnerscher Intention zu beurteilen, 5) die möglicherweise guten Gründe für Rahners „Transkription“ zu erwägen und schließlich 6) die Frage auf der Ebene der aktuellen Debatte und im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen wiederaufzunehmen.
4.2. Die Frage der Sakramententheorie Niemand wird bestreiten, dass die Sakramententheologie mindestens seit etwa 1960 eine Phase der Neubesinnung erlebt hat und dass sie sich noch heute im Zustand einer „offenen Baustelle“ befindet. Mit einer Reihe von sehr bedeutenden Schriften ist Rahner zweifellos einer der wichtigsten Wortführer dieser Erneuerung.6 Das Ziel einer Aktualisierung und Neubestimmung der Sakramentenlehre hat durch sein Denken einen Impuls bekommen, der zu einer wenn nicht dauerhaften, so doch mindestens lebendigen und folgenreichen Entwicklung geführt hat.7 6 Aus dem umfänglichen Rahnerschen Werk sei an dieser Stelle nur an das Folgende erinnert: Kirche und Sakramente, Freiburg 21963 (QD 10); Was ist ein Sakrament?, in: Schriften zur Theologie Bd. X, Zürich u. a. 1972, 377–391; Einleitende Bemerkungen zur allgemeinen Sakramentenlehre bei Thomas von Aquin, (ebd., 392–404); Überlegungen zum personalen Vollzug des sakramentalen Geschehens (ebd., 405–429); Theologie und Anthropologie, in: Schriften zur Theologie Bd. VIII, Zürich u. a. 1967, 43–65; Zur Theologie des Symbols, in: Schriften zur Theologie Bd. IV, Zürich u. a. 41967, 275–311. 7 Aus der umfangreichen Literatur zum Thema nenne ich hier nur eine kleine Auswahl der wichtigsten Titel, die oftmals einfach denselben Weg einschlagen: L. Boff, Kleine Sakramentenlehre, Düsseldorf 2003 [141995; 1976]; B. Forte, L’eternità nel tempo. Saggio di antropologia ed etica sacramentale (= Die Ewigkeit in der Zeit. Anthropologie und Ethik der Sakramente), Cinisello Balsamo 1993, 186–272; C. Rocchetta, Sacramentaria fondamentale. Dal „Mysterion“ al „sacramentum“, Bologna 1989; Th. Schneider, Zeichen der Nähe Gottes. Grundriss der Sakramententheologie, Mainz 71998 [1982]. Kritisch zu den damit genannten neuen Ansätzen äußern sich: G. Colombo, Dove va la teologia sacramentaria? (= Wohin geht die Sakramententheologie?), in: La scuola cattolica 102 (1974), 673–717; ders., Per il trattato sull’ eucaristia (I e II parte), in: Teologia 13 (1988), 95–131 und 14 (1989), 105–137 sowie ders., Teologia sacramentaria e teologia fondamentale, in: Teologia 19 (1994), 238–262. Weniger polemisch argumentiert S. Ubbiali, Eucarisita e sacramentalità. Per una teologia del sacramento, in: La scuola cattolica 110 (1982), 540–576; ders., Liturgia e sacramento, in: Rivista liturgia 75 (1988), 297–320; ders., La riflessione teologica sui sacramenti in epoca moderna e contemporanea (= Sakramententheologische Überlegungen in Moderne und Gegenwart), in: Celebrare il mistero di Cristo. Manuale di liturgia I (= Feier des Christusmysteriums. Handbuch der Liturgik I), Rom 1993, 303–336 (= Bibliotheca Ephemerides liturgicae, Subsidiae 73); sowie ders.,
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Heute muss sich die Sakramentenlehre jedoch einer völlig anderen Problematik stellen. Ging es seinerzeit darum, ein selbstverständliches – wenn auch weithin diffuses und kaum verstandenes – Handeln neu zu begründen, befinden wir uns heute in einer geradezu entgegengesetzten Situation. Die heutige Theologie hat wieder zu entdecken, dass wir die theologischen Gehalte, die wir im Gefolge der théologie nouvelle vor allem gedanklich nachzuvollziehen gewohnt sind, jetzt rituell nachvollziehen müssen. Der bekannte italienische Theologe G. Colombo hat kürzlich zu Recht festgestellt, dass die Sakramententheologie der letzten Jahrzehnte zur Reduktion auf die Fundamentaltheologie tendiert hat. Im Zusammenhang dieser Tendenz steht auch Rahners charakteristischer Entwurf. Besonders Rahner hat der Sakramentsdiskussion eine anthropologisch-transzendentale Richtung gegeben, in der das Spezifische des Sakraments als solches nicht mehr zu erkennen ist. Das heißt: Während die Theologie vor Jahrzehnten eine vielschichtige religiöse Praxis voraussetzen konnte, die sie mit den Gehalten von Offenbarung und Glaube zu verbinden hatte, muss die Theologie heute verständlich machen, warum der Glaube an Jesus Christus und das Evangelium auf die praktizierte Religion wie die Sakramente strukturell angewiesen sind. Niemand kann bestreiten, dass Männer wie Rahner, Schillebeechx, De Lubac, Chenu und Congar eine Befreiung aus den Engführungen der damaligen Theologie bedeutet haben. Dennoch muss man fragen, ob die seinerzeit von Rahner vorgeschlagene moderne Lesart der Sakramente auf dem Hintergrund der inzwischen veränderten kulturellen und kirchlichen Bedingungen (also ohne eine ausgeprägte christliche Praxis) nicht eher kontraproduktiv ist – so als könnte man den Glauben heute einfach in jener reflektierenden Form weiterführen, die Rahner der Theologie hinterlassen hat. Darum möchte ich im Folgenden, wenn ich die von Rahner vertretene Interpretation des Ansatzes von Thomas prüfe, mit Nachdruck die Frage stellen: Kann man nicht zu der Einsicht gelangen, dass der Grundansatz des Rahnerschen Sakramentsdenkens von einem allgemeinen Theorierahmen abhängt, der so stark an die damaligen geschichtlich bedingten Herausforderungen gebunden ist, dass es diesen heute zu modifizieren oder sogar in seiner Substanz zu verändern gilt? Um diese Frage zu beantworten, werde ich zeigen, wie Rahner in großer hermeneutischer Freiheit bei Thomas ein vermutetes allgemeines Sakramentsprinzip „ausgrub“, das ihm dann als interpretativer Schlüssel für sein eigenes Denken (und damit auch für Thomas) diente. Es verdient näher untersucht zu werden, ob diese Art der Interpretation theoretisch legitim ist. Il sacramento e l’istituzione divina. Il dibattito teologico sulla verità del sacramento (= Sakrament und göttliche Einsetzung. Zur theologischen Diskussion um die Wahrheit des Sakramentes), in: Rivista liturgia 81 (1994), 118–150.
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4.3. Der Grundansatz von Rahners Sakramententheologie Wenn es stimmt, dass Karl Rahner einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der neuen Sakramententheologie geleistet hat, dann gilt das im Hinblick auf verschiedene Ebenen seines theologischen Werkes. Die Überlegungen zum Realsymbol sowie das von ihm erarbeitete Konzept des Ur- und Grund-Sakramentes und seine Akzentuierung des engen Zusammenhanges von Sakrament und Wort untermauern unter allen seinen luziden Aussagen die Theoriestärke des gesamten Ansatzes. Generationen von Theologen haben von Karl Rahner einen hohen und kohärenten Stil von Theologie gelernt, der philosophisch inspiriert und zugleich fest in der Tradition gegründet ist. Seine Schüler sind ihm auf diesem Weg in Treue gefolgt und haben seine Voraussetzungen wie Lösungen vielfach geteilt. Gerade das von Rahner auf seinem Gebiet erreichte große Ansehen hat jedoch – bei der überwiegenden Mehrheit der ihm folgenden theologischen Entwürfe – zu einer Art von impliziter (bzw. unkritischer) Rezeption seiner Denkweisen geführt.8 Es ist besonders ein Umstand gewesen, der bei vielen Schülern Rahners zu einem einhelligen Interesse an seiner Sakramententheologie geführt hat. Sieht man die Lehrbücher jener Gruppe bereits erwähnter gegenwärtiger Theologen durch, so kann man tatsächlich immer wieder ein offensichtliches und für die aktuelle Sakramententheologie bedeutendes Prinzip finden. Alle diese Autoren zitieren früher oder später jenes Prinzip der Sakramentenlehre, demzufolge Gott seine Gnade nicht an die Sakramente gebunden habe, sondern vielmehr frei sei, deren Wirkung auch ohne sie hervorzubringen. Diese Annahme ist für die jeweiligen Autoren nicht begründungsbedürftig und erscheint normalerweise in Klammern oder in einer Anmerkung mit einer flüchtigen Bezugnahme auf den uns inzwischen gut bekannten Passus bei Thomas. Mit Sicherheit haben aber alle jene Autoren den Gedanken, dass das Thomaszitat den Generalschlüssel für das Verständnis der christlichen Sakramente darstellt, nicht aus dem Text der Summa Theologiae oder aus einem anderen Werk des Aquinaten entwickelt, sondern einfach dadurch, dass sie der Autorität eines berühmten Rahnertextes vertraut haben. Doch mit dem Aufgreifen dieser inzwischen fast selbstverständlichen Idee landen sie bei nichts Anderem als beim Zitieren aus einem Zitat – obwohl so etwas bekanntlich ein notorisch gefährliches Unterfangen ist, selbst wenn der vermittelnde Text (in diesem Fall der Text Rahners) quasi absolutes Vertrauen verdient und als solcher sicher zunächst unverdächtig ist. 8 Mehrfach sind am Ende diejenigen, die seine Einsichten einfach mit besonderer Treue wiederholen wollten, gerade in einer völligen Preisgabe seines Anliegens geendet, weil sie das äußerst hohe Niveau an kritischer Problematisierung vergaßen, auf das Rahner die theologische Argumentation und Begrifflichkeit geführt hat.
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In der Tat beansprucht Rahner in seinem Aufsatz zur allgemeinen Sakramentenlehre des Thomas, der Summa Theologiae jenes Prinzip zu entnehmen, das ihm im Zentrum von Thomas’ Denken die entscheidende Basis bietet, um die traditionelle Sakramentenlehre auf den Kopf zu stellen. Denn genau darin besteht das Herzstück seiner theologischen Theorie des Sakraments. In Rahners Verständnis tritt an die Stelle der Kategorialität und Historizität des Hier und Jetzt des Sakramentes die Transzendentalität und Absolutheit eines Überall der geschenkten Gnade. Die Priorität des Handelns Gottes vor demjenigen des Menschen und der Freiheit Gottes vor der Pflichterfüllung des Menschen ist für die moderne Wahrnehmung anscheinend von einer derartigen Evidenz, dass diese – wie gewohnt stringent vorgehende – Argumentation Rahners eine Fülle von theologischen Arbeiten nach sich zog, die mit ihrer eindeutigen (allzu eindeutigen) Lesart der Thomasstelle indirekt übereinstimmen. Auf jeden Fall kommt damit für fast alle gegenwärtigen Lehrbücher der Sakramententheologie (wie für die meisten Schriften von Rahner selbst) die Bedeutung des Sakramentes im Hinblick auf Gottes Gnade nicht in Betracht. So zögert man nicht, immer wieder das Generalprinzip der Sakramentenlehre des Thomas ins Spiel zu bringen, um mit den typischen Bestrebungen der ersten anthropologischen Wende9 in Übereinstimmung zu gelangen. Die Idee einer neuen allgemeinen Sakramentenlehre und des damit verbundenen neuen Sakramentsverständnisses vom Glauben her muss bei Rahner in den größeren Kontext der Reformulierung der Dogmatik unter Berücksichtigung der Kultur des modernen Menschen gestellt werden.10 9 Unter der „ersten anthropologischen Wende“ verstehe ich die theologische Tendenz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich unmittelbar nach dem Vaticanum II fortsetzte und bei der die Korrelation von Natur und Gnade sowie Anthropologie und Theologie vom Prinzip der Transzendentalität des Subjekts her vorgenommen wurde, wobei eine „anonyme“ und transzendentale Erfahrung den Weg zur kategorialen Bestimmung von Religion garantieren konnte und sollte. Zur allgemeinen Diskussion dieses Ansatzes und zur Notwendigkeit seiner Überwindung durch eine „zweite anthropologische Wende“ vgl. A. Grillo, Liturgia e cultura: una nuova inculturazione della liturgia, in: Credereoggi 17 (1997), 96–106 sowie ders., Il tramonto della antitesi moderna tra cristianesimo e religione (= Das Ende der modernen Antithese zwischen Christentum und Religion), in: Rassegna di teologia 38 (1997), 108–112. Ich nehme das Thema im letzten Kapitel ausführlich wieder auf. 10 Das Unternehmen birgt Risiken in sich und verlangt Mut und Kühnheit. In der Tat riskiert man den Verlust essenzieller Einsichten, wenn man die Konzepte der Vergangenheit hinter sich lässt, um sie durch neue zu ersetzen. Vielleicht ist gerade dies auch bei der großen Rahnerschen „Übersetzung“ der Sakramentenlehre der Fall gewesen, welche sich auf Grund seiner zumindest radikal formulierten Absichten ergeben hat: „Ohne eine Ontologie des transzendentalen Subjekts bleibt eine Theologie der Gnade und damit die Theologie überhaupt in einer vor-theologischen Bildhaftigkeit stecken und kann den Ansatz einer transzendentalen Erfahrung nicht aufweisen, der heute unumgänglich ist, wenn die Theologie der Frage des heutigen Menschen standhalten soll, ob denn nicht die ganze Rede von ‚Vergöttlichung‘, ‚Sohnschaft‘, ‚Einwohnung Gottes‘ usw. Begriffsdichtung und unnachweisbare Mythologie sei.“ (K. Rahner, Theologie und Anthropologie, in: Schriften zur Theologie Bd. VIII, Zürich u. a. 1967, 43–65: 54).
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Es ist kein Zufall, dass Rahner gerade bei der Analyse der quaestiones der Summa Theologiae, in Formulierungen der Artikel zur allgemeinen Sakramentenlehre, jenes Generalprinzip11 findet, das er sozusagen als Banner der eigenen Position aufgreift: „Deus virtutem suam non alligavit sacramentis quin possit sine sacramentis effectum sacramentorum conferre.“ Mit diesem Satz sieht Rahner den eigenen Ansatz und damit die Wendung bestätigt, die die christliche Sakramentenlehre im Vergleich zur traditionellen erneuert, ja geradezu auf den Kopf stellt (auch wenn sie deren Geist treu bleibt). Rahner erklärt seine Berufung auf das Zitat mit folgenden Worten: „Es folgt bei Thomas die Erinnerung an ein Prinzip, das in Theorie und Praxis immer wieder leicht übersehen wird und unbeachtet bleibt: Gott hat seine Macht nicht so an die Sakramente gebunden, dass er die Wirkung der Sakramentsgnade nicht auch ohne Sakramente mitteilen könnte. Man kann nun von da aus die ganze Sakramentstheologie auch in einer gegen die übliche Konzeption umgekehrten Richtung sehen: In den Sakramenten käme danach gerade jene Gnade zur wirksamen Erscheinung in der Dimension der Kirche, die des universalen Heilswillens Gottes wegen überall in der Welt wirksam ist, wo ihr der Mensch nicht ein absolutes Nein entgegensetzt.“12
Bei der Darstellung seiner charakteristischen Theorie zu Gnade und Sakrament unter Rückgriff auf Thomas folgt Rahner jedoch – sozusagen zwischen den Zeilen – einer Annahme, die den aufmerksamen Leser hellhörig werden lässt. Er behauptet nämlich, dass „dieses Prinzip in Theorie und Praxis kontinuierlich übersehen und missachtet wird.“ Das ist eine Wendung, die Interpreten und Schüler des Rahnerschen Denkens hätte zweifeln lassen müssen. Wie ist es möglich, dass ein Prinzip von derartiger Bedeutung für die Sakramentenlehre des Thomas so lange Zeit unbeobachtet hätte bleiben können? Wieso hatte vorher niemand etwas bemerkt? Und wenn es sich tatsächlich um ein Prinzip handelt, das das Denken der gesamten Sakramententheologie umkehren und das „überall und immer“ über das „hier und jetzt“ stellen kann – dann muss man sich zwischen zwei exakt gegensätzlichen Lesarten entscheiden. Entweder handelt es sich um einen unglaublichen Fehlgriff der gesamten theologischen Tradition, die ein klar zu Tage liegendes Prinzip übergangen hat, um eine Sakramentenlehre unter Verneinung und Verrat dieses Prinzips zu bevorzugen, oder es handelt sich bei Rahner um eine zu gewagte Interpretation, die sich aufgrund der einseitigen Beobachtungen der (ersten) anthropologischen Wende ergeben hat. Dann könnte es sich in der Tat so verhalten, dass die moderne Sicht, die von Rahner prophetisch erfasst und kongenial
11 Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, q. 64, a. 7. 12 K. Rahner, Einleitende Bemerkungen zur allgemeinen Sakramentenlehre bei Thomas von Aquin, in: Schriften zur Theologie Bd. X, Zürich u. a. 1972, 392–404: 402.
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verstanden wurde, gerade unfähig dazu geworden ist, den Gehalt der thomistischen Sakramentsauffassung zu begreifen und so eine Form von mens erkennen wollte, die von dem bei Thomas Gemeinten und Begründeten völlig verschieden ist. Sollte es sich so verhalten, stünden wir vor der Entdeckung, dass das von Rahner geltend gemachte Prinzip tatsächlich kein Prinzip des Thomas ist, sondern vielmehr das Kriterium, von dem her Rahner die gesamte Sakramentstradition im Lichte der transzendentalen Ontologie des Subjekts neu verstehen will, so dass der sakramentale Aspekt des Glaubens unweigerlich in die Krise gerät und der positive Gehalt – entgegen jeglicher Absicht des Thomas – der Auflösung anheim fällt. Sollte diese Hypothese an Profil gewinnen, können wir die entscheidende Frage nicht länger zurückhalten: Ist das Thomaszitat wirklich ein Prinzip seiner Sakramententheorie oder etwas Anderes? Diese Frage kann man nur beantworten, wenn man sich dem originalen und gesamten Text der Summa zuwendet, was ich jetzt tun will.
4.4. Die ursprüngliche Formulierung des (vermuteten) Grundansatzes der „Summa Theologiae“ des Thomas Es gilt jetzt die Form, in der Rahner die zitierte Äußerung von Thomas in den eigenen Kontext gestellt hat, mit der ursprünglichen Absicht zu vergleichen, in der Thomas seinen Satz formuliert hatte. Gewiss hat der von Rahner zitierte Text Überzeugungskraft und kann somit leicht zu schnellen Schlüssen führen. So scheint er in der Tat das zu bekräftigen, was Rahner bekräftigen möchte. Dieser Text steht im Kontext von Artikel 7 der quaestio 64 in Teil III der Summa Theologiae. Frage 64 ist dem Thema „Die Ursachen der Sakramente“ bzw. der auctoritas der Sakramente gewidmet und bedenkt, wer die Wirkungen des Sakramentes hervorbringt und wer Diener sein kann. Artikel 7 gehört zu dieser Gesamtproblematik und ist speziell der Frage des Sakramentsdienstes gewidmet, ob die Engel die Sakramente spenden können („utrum angeli possent sacramenta ministrare“).13 Auf die Frage, ob die Engel die Sakramente spenden können, gibt Thomas – aufgrund der anthropologischen Bestimmung der Natur des Sakramentes – die folgende negative Antwort: „Die ganze Kraft der Sakramente wird vom Leiden Christi hergeleitet, welches Christus zukommt, sofern er Mensch ist. Ihnen sind die Menschen der Natur nach gleichförmig, nicht aber die Engel. (Tota virtus sacramentorum 13 Ein erstes überraschendes Moment ergibt sich schon daraus, dass die Formulierung eines Generalprinzips der Sakramentenlehre des Thomas ausgerechnet in diesem Kontext begegnet, ohne dass jemand (einschließlich Rahner selbst) jemals auf diesen Umstand hingewiesen hätte.
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a passione Christi derivatur, quae est Christi secundum quod homo. Cui in natura conformantur homines non autem angeli.)“14
Dieses Prinzip, das die grundlegende Absicht des Artikels via negationis zum Ausdruck bringt – was Rahner mit keinem Wort erwähnt –, wird hier nur der Vollständigkeit halber zitiert. Es war von Thomas schon in der gesamten quaestio 61 (in demselben Teil III der Summa Theologiae) ausgeführt worden, wo es um das Thema „De necessitate sacramentorum“ geht und wo der Anthropologie entscheidender Stellenwert beigemessen wird. Wenn die Bedeutung der Sakramente an ihren strukturellen Zusammenhang mit dem Menschsein und damit an die Sinnlichkeit und Materialität der menschlichen Natur gekoppelt ist, dann ist klar, dass es nur den Menschen zusteht, aktive wie passive Subjekte des sakramentalen Geschehens zu sein – nicht aber den Engeln. Daraus ergibt sich: „Deshalb ist Sakramentenspendung und Sakramentendienst Sache der Menschen und nicht der Engel. (Ad homines pertinet dispensare sacramenta et in eis ministrare, non autem ad angelos.)“15
Bis hier hat Thomas lediglich den Grundansatz und das Strukturprinzip seiner Sakramentenlehre bekräftigt. Gleichwohl empfindet Thomas die Notwendigkeit, im Hinblick auf die Engel genau an jenes Prinzip zu erinnern, das Rahner später auf die Menschen bezieht. Nur darum kommt das Prinzip „Deus virtutem suam non alligavit . . .“ ins Spiel – und es wird aus gutem Grund mit „Sciendum tamen“ eingeführt. Entsprechend formuliert Thomas kurz vorher: „Was die Menschen in weniger erhabener Weise tun, nämlich durch sinnliche Sakramente, die ihrer Natur angepasst sind, das tun die Engel, als höhergestellte Diener auf höhere Weise, nämlich unsichtbar.“ („Illud quod faciunt homines, inferiori modo, scilicet per sacramenta sensibilia, quae sunt proportionata naturae ipsorum, faciunt angeli, tamquam superiores ministri, superiori modo, scilicet invisibiliter.“)16
Damit ist klar, dass Thomas hier nicht die anthropologische Verwurzelung der christlichen Sakramente zur Diskussion stellt – wie das die Rahnersche Hermeneutik glauben machen möchte –, sondern dass er diese vielmehr bestätigt, indem er auf eine Ausnahme hinweist, eben auf die Engel als die nicht menschlichen Subjekte. Diese Ausnahme wird erwähnt, weil in Bezug auf die Engel die Möglichkeit gegeben sein soll, von der menschlichen Verfassung abzuweichen, welche für die wirksame Bedeutung (significare efficace) des Sakraments bestimmend ist. Man muss also den Satz des Thomas über die Freiheit
14 Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, q. 64, a. 7. 15 Ebd. 16 Ebd., ad 1.
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Gottes gegenüber den Sakramenten in einen Verstehensrahmen einbetten, der von der Differenz zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, zwischen erfahrbaren Sakramenten und intelligibler Welt gekennzeichnet ist.17 In diesem Zusammenhang erscheint das wahre Prinzip der Sakramentstheorie des Thomas als etwas völlig Anderes, ja geradezu als Gegenteil des von Rahner Formulierten.18 Kurz: Rahner macht aus der Ausnahme (die Engel betreffend) ein Prinzip, während Thomas mit dieser Ausnahme das entgegengesetzte Prinzip bestätigt. Wird der Satz „Gott hat seine Gnade nicht an die Sakramente gebunden . . .“ nicht als Ausnahme, sondern als Generalprinzip der Sakramentenlehre aufgefasst, dann wird die von Thomas erarbeitete Sicht verzerrt. Das führt zu einer tief greifenden Gewichtsverlagerung nicht nur im Hinblick auf das Verständnis der Dimension des Sakramentalen, sondern auch im Hinblick auf das Verständnis von Natur und Glaube. Zugleich wird damit der Versuch der Integration von Natur und Gnade hinfällig, der mit Sicherheit auf Thomas zurückgeht und auch von Rahner aufgegriffen wurde.19 Wir stehen damit vor einer überraschenden, ja verblüffenden Entdeckung: Der Kontext, in dem Thomas sein vermeintliches Generalprinzip der Sakramentenlehre entwickelt, erweist dieses tatsächlich als eine bloße Ausnahme, die dann zu einem gegensätzlichen (wenn auch nicht widersprüchlichen) Prinzip stilisiert wird.20 17 In einem anderen Kontext greift Thomas auf dasselbe Prinzip zurück, wenn er die Frage eines möglichen Sakramentsdienstes der Engel im Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus diskutiert: „Deus potentiam suam sacramentis non alligavit“ (In librum IV sententiarium, d 5, q. 2, a. 3b). Anders verhält es sich jedoch beim Rückgriff auf dieses Prinzip bei der Frage des Taufbegehrens, wo Thomas auf die Frage, ob jemand ohne Taufe gerettet werden kann, bemerkt, dass dieses geschehen könne „durch den in der Liebe tätigen Glauben, durch den Gott den Menschen innerlich heiligt, da seine Macht nicht an die sichtbaren Sakramente gebunden ist (ex fide per dilectionem operante, per quam Deus interius hominem sanctificat, cuius potentia sacramentis visibilibus non alligatur)“: Summa Theologiae III q. 68, a. 2, Hervorhebungen A. Grillo. Man beachte, dass das Prinzip auch hier ins Spiel kommt, um die Ausnahme im Rahmen der grundsätzlich gegebenen Vermittlung von Äußerlichkeit und Heilswirklichkeit in der Gott-Mensch-Beziehung zu begründen. 18 Richtig gesehen wird die anthropologische Grundlegung der thomistischen Sakramentenlehre bei M.-D. Chenu, Pour une anthropologie sacramentelle, in: La Maison Dieu 119 (1974), 85–100. 19 Auf der Ebene des Sakraments tritt die Schwierigkeit zutage, die Rahner mit dieser Frage hat. Sein Bemühen, bei der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade jede Form von Veräußerlichung zu vermeiden, führt ihn zu einer athematischen und unbestimmten Urerkenntnis, bei der die Totalität der Gnade gleichbedeutend mit der Totalität der Natur ist und die Negation der Natur selbst gleichbedeutend mit der Gnade selbst; und wo weiterhin der „Geist in der Welt“ eine radikal theologische Anthropologie konstituiert (die jedoch nicht wirklich anthropologisch ist, indem sie letztlich nicht mit der Kontingenz von Bedingungen rechnet) – und wo er zugleich eine radikal anthropologische Theologie konstituiert (die jedoch nicht wirklich theologisch ist, weil sie nicht mit einer Gründung außerhalb ihrer selbst rechnet). 20 Der entscheidende Punkt von Rahners Argumentation besteht darin, das genannte Prinzip für allgemein gültig zu erklären, und zwar auch in Bezug auf die Ansichten des
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In seiner Thomasinterpretation hat Rahner also die Ausnahme des Sakramentsverständnisses zur Regel gemacht und so eine Sakramentenlehre befördert, die den für Thomas primären Begründungszusammenhang vergessen lässt: Das Vorhandensein des Sakramentes propter homines und seine Funktion im Sinne der anthropologischen Verwurzelung des Glaubens, so dass sich die Offenbarung dem konkreten Menschen – und nicht einem transzendental stilisierten Menschen – mitteilen kann. Ein Mensch, der schon jenseits von eruditio, humiliatio und exercitatio er selbst ist, der er selbst ist jenseits von sich selbst, der immer schon er selbst ist – ein solcher Mensch endet als Verkörperung der Träume der ersten anthropologischen Wende sowie der Preisgabe einer anthropologischen Fundierung der Sakramente.21 Ein derartig stilisierter Mensch, mit dem man es nach dem (angeblichen) sakramentstheologischen Prinzip Rahners zu tun hätte, wäre in Wirklichkeit ein NichtMensch und nur der Schatten eines Engels. Eine Engel-Sakramentenlehre, eine Theorie propter angelos wäre die unvermeidliche Folge eines solchen Theorieansatzes, der um der Anpassung des Thomas an die moderne Welt willen gezwungen ist, ein so verändertes Bild zu zeichnen, dass nur noch eine Karikatur übrig bleibt.22 4.5. Umkehrung der Perspektiven: Von Thomas von Aquin zu K. Rahner Was hat Rahner daran gehindert, die wirklichen sakramentstheologischen Ansichten des Thomas zu verstehen und positiv zu würdigen? Oder besser, was hat Rahner genötigt, seiner kühnen hermeneutischen Annahme immer weiter zu folgen? Und wieso hat er als einer der Protagonisten der „anthropologischen Wende“ eine der deutlichsten Öffnungen des Thomas zur Anthropologie übersehen, ja vielmehr ins Gegenteil verkehrt?
Thomas im eigentlichen und ursprünglichen Sinne. Der Irrtum ergibt sich aus der Priorität der Freiheit Gottes gegenüber der Materialität des Sakramentes. Eine solche typisch moderne Form von Sakramentsverständnis muss auf lange Sicht zum Relevanzverlust des Sakramentes führen. Um mit dem Prinzip des Thomas nicht in Widerspruch zu geraten, beschränkt sich das von Rahner geltend gemachte Prinzip auf den Gegensatz. Eine Ontologie des transzendentalen Subjekts hat damit grundsätzlich keinen Sensus mehr für die Unumgänglichkeit des sakramentalen Symbols. So droht man jeglichen historisch-kategorialen Bezug zu missachten, sofern sich dieser nicht aus transzendentalen und athematischen Gegebenheiten herleiten lässt. 21 Dazu vgl. Kapitel 2. 22 Die festgestellte Freizügigkeit der Thomasinterpretation Rahners (sowie der klassischen Metaphysik überhaupt) ist den beiden klassischen Rahnerkritikern nicht entgangen, die das Verdienst haben, die tiefsten hermeneutischen Grundprobleme ans Licht gebracht zu haben (auch wenn das mit vielen scharfen und auch kleinlichen Nebentönen verbunden war): B. Lakebrink, Klassische Metaphysik. Eine Auseinandersetzung mit der existentialen Anthropozentrik, Freiburg 1967; C. Fabro, La svolta antropologica di Karl Rahner (= Die anthropologische Wende bei Karl Rahner), Mailand 1974.
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Um den Rahnerschen Theorieansatz und das große Echo in der Theologie der letzten 40 Jahre zu verstehen, gilt es diesen sorgfältig zu reflektieren, um ihn als ein typisches Beispiel für den Stil der Verdrängung des Ritus aus der Begründung des Glaubens und des christlichen Sakramentsgottesdienstes begreifen zu können. Die Gewichtsverschiebung in der von Rahner ausgehenden ThomasLektüre hilft uns dabei, die Entwicklung der Sakramententheologie exemplarisch darzustellen und diese Verschiebung im Kern der jüngsten Sakramentenlehre wieder zu finden. Diese Lehre kann zwar als eine Vertiefung des Glaubens interpretiert werden, die auch für die Sakramentspraxis unmittelbar anregend ist. Dennoch erweist sie sich als unfähig, die anthropologische Fundierung des Sakraments selbst zu bewahren, weil sich diese so ins Transzendentale hinein verflüchtigt.23 In diesem Zusammenhang zeigt die Sakramentenlehre des letzten Jahrhunderts mit ihrer bekannten Neigung, für das Sakrament die Vorsilbe „Ur-“ oder auch „Grund-“ zu verwenden, ihre besonderen Schwierigkeiten. Und auch in diesem Fall geht die Entwicklung auf Rahner zurück. Sie beruht auf denselben theoretischen Voraussetzungen, nämlich auf der Verbindung der erneuerten (neu-)thomistischen Tradition und der von Kant und Heidegger herkommenden transzendentalen Ontologie.24 Auch wenn die Begriffe „Ur-“ und „Grund-Sakrament“ etwas ungemein Erhellendes und Bahnbrechendes, einen neuen Zugang und neuen Stil bedeuten, bleibt bei ihnen gleichwohl eine Art von Unbehagen zurück sowie die deutliche Spur einer heiklen und subtilen Frage, die die gesamte Debatte über das Verhältnis von Glaube und Sakrament in eine ganz bestimmte Richtung zu drängen vermochte. Denn durch das Insistieren auf dem Ursprung („Ur-“) und Fundament („Grund-“) wird das Sakrament nur insofern hervorgehoben, als es auf seine nicht-sichtbare Dimension zurückgeführt (und damit zugleich reduziert) wird.25 Für den Stil moderner Theologie sind die Begriffsbildungen mit „ur-“ und „fundamental-“ die Adjektive, ohne die es am Sakrament nichts Glaubhaftes geben kann. Der modernen Auffassung zufolge verträgt der Glaube nichts Sichtbares. Entsprechend tendiert die Theologie dazu, das Sakrament auf das zu reduzieren, was man nicht sieht und nicht fühlt, da es das 23 Es handelt sich um den typischen Fall der unmerklichen Überführung von etwas Vermittelndem in Unmittelbarkeit, so dass man mit der Zeit die Umstände der Vermittlung nicht mehr zu erfassen vermag. Zum Thema der Vermittlung vgl. A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, bes. 121–128. 24 Vgl. vor allem die genannte (s. o. Anm. 6) „quaestio disputata“ von K. Rahner, Kirche und Sakramente, Freiburg 21963 (QD 10). 25 Es ist klar, dass eine Sakramentenlehre propter homines (wie die des Thomas) zur Wertschätzung des Sichtbaren neigt, während eine Sakramentenlehre, die auf einem ursprünglich propter angelos gedachten Prinzip beruht, das Unsichtbare bevorzugt. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass man dann, wenn vor allem (oder nur) das Unsichtbare zählt, früher oder später ganz ohne Sakramente auszukommen meint.
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Sakrament gerade deswegen gibt, während es jedoch dadurch seine Berechtigung hat, dass es zu dem führt, was man nicht sieht und nicht fühlt und dabei ausgeht von dem, was man sieht und fühlt!26 Das Ursprunghafte und Fundamentale kann nicht in exklusiver Weise zur Rechtfertigung des Sakramentes dienen. Verhielte es sich tatsächlich so, hätte das zugleich den Effekt, dass das Sakrament entleert und überflüssig würde. Zum Glück kann kein „Ur-“ und kein „Grund-“Sakrament die Sakramente erklären. Denn wäre das möglich, würde das zugleich die Entleerung und Reduktion des Sakraments auf den Glauben bedeuten. Noch pointierter gefragt: Handelt es sich noch um Glauben, wenn sich jener Glaube an die Stelle des Sakramentes setzt? „Ursprung“ und „Fundament“ heben die Negation des Gegebenen hervor, während das Sakrament das Positive des Ostergeschehens betont, welches sich materiell und sichtbar hier und jetzt vergegenwärtigt. Anstatt die großen Schwierigkeiten der Religion mit ihrer Positivität zu beheben, verstärken „Ursprung“ und „Fundament“ nur die Unfähigkeit des modernen Menschen, das Christentum als Religion zu denken. Eine Theorie des Verhältnisses von Glaube und Sakrament mithilfe der Begriffe von „Ursprung“ und „Fundament“ ist zwar ein ehrenwerter Versuch, dem großen schwarzen Loch in Bezug auf das Thema „Ritus“ etwas entgegenzusetzen. Doch handelt es sich letztlich um eine Flucht vor dem Ritus, um eine Art von Negation des Problems auf dem Wege der Verdrängung des Beunruhigenden, um eine Berücksichtigung der Geschichte mittels ihrer Negation (das ist eine besonders diffuse Strategie in weiten Teilen der gegenwärtigen Theologie). Eine wirklich fundamentale Annäherung an die Sakramente und ihr Verhältnis zum Glauben dagegen müsste ihre Gesprächspartner heute vor allem folgendermaßen warnen: Wenn die Wortteile „Ur-“ und „Grund-“ im Kontext der Sakramentsdiskussion begegnen, dann muss man – gerade weil es sich um das Herzstück jeder gut gemeinten Fundamentaltheologie handelt – besonders misstrauisch und aufmerksam sein, weil diese Wortteile eben vom Fundament der Sakramente wegführen anstatt zu ihm hinzuführen. Auch wenn der Satz des Thomas über die Freiheit Gottes der Rahnerschen Sakramentstheorie seinen „Segen“ zu geben scheint, so dass 26 Das Ursprüngliche und Fundamentale des Sakramentes ist vor allem sein Modus des Bedeutens und nicht seine letztgültige Bedeutung. An diesem Punkt verbirgt sich der Beginn einer verhängnisvollen Entwicklung, bei der die gesamte Sakramentenlehre schließlich nur noch ein Diskurs über Bedeutungen ist, der sich für die Bedeutungsträger nicht interessiert und diese einfach übergeht. Unbemerkt wurde der thomistische Ansatz der Konzeption des Sakramentes in genere signi, der zeigen will, wie sich das signum vermittelnd mit der res verbindet, in der Moderne transformiert: Nach der gegenwärtigen Wahrnehmung steht das signum als solches für die res. Damit aber sind die Sakramente sozusagen etwas in genere rei geworden.
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sich ein zwangsläufiges Überall und Immer der Gnade ergibt, wird damit der Fehler gefördert, das Lokale und Begrenzte des Menschseins zu übersehen. Um zur Gewissheit der beständigen und einen Präsenz der Gnade zu gelangen (wie man das vom Prinzip der offenkundigen, unthematischen und ständigen Gnade her gewiss möchte), muss man kategorial zu beginnen wissen und in den Grenzen des Menschen vorgehen, eben im Hier und Jetzt einer real stattfindenden Feier. Diese sakramentale Logik, der Thomas seine so sorgfältigen Überlegungen gewidmet hat, lässt sich weder durch ein allgemeines Reden von der „Freiheit Gottes“ noch durch eine transzendentale Ontologie überholen. Daraus würde nämlich lediglich eine unpassende Art von Intellektualismus folgen, der die ganze Welt des Sakramentes wegerklärt.
4.6. Recht und Aporien der Lesart Rahners Es ist deutlich geworden, dass die von Rahner vorgetragene Interpretation des Prinzips von Thomas einige Überraschungen bereithält. Gleichwohl gilt es nun auch das Berechtigte oder zumindest Plausible des Rahnerschen Anliegens zu benennen. Zunächst ist an die tiefe Sehnsucht nach einer Neubegründung der Tradition zu erinnern, wie Rahner ihr – in der Zeit und im Umfeld der Heideggerschen „Kehre“ – mit geradezu prophetischer Durchschlagskraft entsprochen hat, so dass seine davon inspirierten Texte den Leser stets fasziniert zurücklassen, auch wenn er zum kompletten Widerspruch gereizt wird. Bei ihm findet sich in untrüglicher Weise die Kraft eines Denkens und einer Theologie, die – wie Karl Barth es oft sagte – einseitig sein darf und muss, um wahrhaft Theologie sein zu können. Doch dieser allgemeinen Wertschätzung ist nun das spezifische und verzwickte Thema anzuschließen, das mit der Wendung propter angelos gestellt ist. Was bedeutet es, dass Rahner etwas auf die Menschen bezieht, was Thomas im Hinblick auf die Engel formuliert hatte? Gewiss muss man hier den komplexen und vielschichtigen Status der Angelologie überhaupt berücksichtigen. In der Tat ist die Angelologie (wie schon bei Thomas) immer und notwendig eine Art von Lehre, die – gegenüber allen kategorialen Begrenzungen – einen transzendentalen Weg eröffnen kann. An keinem anderen Ort als in der traditionellen Angelologie hat die „reine Spiritualität“ eine kühne und komplexe Entwicklung durchgemacht. Hier finden sich wahre Schätze theologischen wie anthropologischen Denkens.27 27 Vgl. G. Bof, Angeli, in: G. Barbaglio/S. Dianich (Hg.), Nuovo dizionario di teologia, Cinisello Balsamo 1988, 3–14. Zur Relektüre der Grundfragen der Angelologie in Rahners kühnem und faszinierenden Zugriff vgl. ders., Über Engel, in: Schriften zur Theologie Bd. XIII, Zürich u. a. 1978, 381–428.
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Es ist also nicht von vornherein falsch, auf die Angelologie zurückzugreifen, um den Menschen und seine Gottesbeziehung (einschließlich der sakramentalen) zu verstehen. Ein Problem entsteht jedoch, wenn man die Differenz zwischen der reinen Spiritualität und der leiblich bzw. weltlich verfassten Spiritualität überspielt. Dies gilt erst recht im Hinblick auf das Sakrament, weil der Bezug auf das Leibliche und Materielle, auf das Sinnliche und Flüchtige, Zufällige und Begrenzte des Menschen gerade den entscheidenden Unterschied im Vergleich zur „reinen Spiritualität“ der Engel ausmacht. Ein Prinzip, das von Thomas herangezogen wurde, um auch für die Engel und ihre reine Geistigkeit die denkerische Möglichkeit zu schaffen, Diener des Sakramentes zu sein, kann nicht in seiner wirklichen Bedeutung erhalten bleiben, wenn man es leichtfertig dazu verwendet, die gesamte sakramentale Anlage des Menschen zu begründen. Der Unterschied zwischen Thomas und Rahner beim Entwurf eines Verstehensprinzips der christlichen Sakramente spiegelt sich umso deutlicher in der aktuellen Rezeption beider Theorien wider. Der nüchterne Blick auf den Menschen mit seinen Grenzen und seiner materiellen Sinnlichkeit wurde nun unglücklicherweise von einer Zeit bestimmt, in der sich ein rein an der transzendentalen Subjektivität orientierter Stil in der gesamten Theologie durchsetzte. Der nüchterne Blick steht damit vor einem Paradox: Während das klassische und metaphysische Verständnis dazu in der Lage ist, an den menschlichen Kategorien festzuhalten, sieht sich das moderne und transzendentale Verständnis außerstande, die Auflösung aller positiven und passiven Dimensionen der Erfahrung zu verhindern.28
28 In diesem Zusammenhang erstaunt es, dass L.-M. Chauvet immer wieder den „Logozentrismus“ der „Ontotheologie“ des Thomas beklagt (obwohl gerade Thomas das anthropologische Moment des Sakraments zu berücksichtigen weiß), während er im vollen Umfang auf die Rahnersche Theorie zurückgreift (welche das Fundament der Sakramente durch das transzendentale Verständnis auflöst): L.-M. Chauvet, Simbolo e sacramento, Turin 1990, bes. 11–35. Dies beruht vielleicht auf der unklaren Position Chauvets hinsichtlich der zweiten anthropologischen Wende. Zwischen der thomistischen Voraussetzung des Ritus als sakramentalem Fundament und der Rahnerschen Verdrängung des äußeren Rituals des Sakramentes entscheidet Chauvet, sich nicht zu entscheiden, oder richtiger: Er beanstandet zwar den metaphysischen Logozentrismus, aber nicht den transzendentalen. Darüber hinaus ist die Einstellung von Rahner und Chauvet gegenüber Thomas gegensätzlich: Rahner reduziert Thomas, indem er ihn in sein neues transzendentales Konzept zwängt, Chauvet reduziert Thomas, indem er ihn außerhalb seiner neuen symbolischen Betrachtung der Sakramente (und damit in Gegensatz dazu) verortet. Rahner stellt dank Thomas eine ontologisch-transzendentale Symboltheorie auf, Chauvet hingegen eine anthropologischmeontologische Symboltheorie gegen Thomas. Der uns interessierende Thomas selbst bleibt damit substanziell und aktuell diesseits und jenseits beider Lesarten. Rahner und Chauvet sehen sich selbst mehrfach genötigt, dies – wenn auch vorsichtig – zuzugeben.
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4.7. Die Wiedergewinnung einer angemessenen Sichtweise mit Rahner und dem „wahren“ Thomas Wir werden Rahner Recht geben, wenn er anmerkt, dass „Thomas nicht ein Meister ist, der dem Schüler verbietet, anderer Meinung zu sein.“29 Um ihm treu zu bleiben, ist es heute, in unserer Gegenwartskultur notwendig, ihm in der Wahrnehmung des ganzen Menschen zu folgen, um das Notwendige und Wichtige der Sakramente für den christlichen Glauben zu begründen. Das Verhältnis von Theologie und Anthropologie wird im Rahmen dieser Absicht zu einem neuen Stil finden, zum Stil der zweiten anthropologischen Wende, die am Ende nur darin bestehen kann, die diffusen Leitbegriffe der ersten anthropologischen Wende genauer und kritischer zu betrachten. Auch wenn sich der neue Stil auf eine solche geringfügige sprachliche Therapie beschränken würde, ergäbe sich damit ein wirklicher und verdienstvoller Fortschritt im Verständnis der christlichen Sakramentspraxis. Rahner hat uns gelehrt, mit offenen und ernsthaft interessierten Augen auf die Qualität der Anthropologie und der Erfahrung zu achten. Gleichzeitig aber ermutigt er uns, denselben anthropologischen Blick auch für unser theologisches Reden zu verwenden. Für das eine ist er – auch hart – kritisiert worden, während das andere sein großes Verdienst ist und bleibt. Seine Grenze aber liegt darin, dass auch sein Verständnis des Menschen und seiner Erfahrung beschränkt war. Rahner war tatsächlich der Meinung, die Sichtweisen des westlichen Menschen um 1960 seien von einer bisher ungeahnten und in jeder Hinsicht überzeugenden Freiheit gekennzeichnet. So ahnte er nicht, dass sowohl der Niedergang des Heiligen als auch der Vorrang des reflexiven und transzendentalen Bewusstseins im Laufe weniger Jahrzehnte deutlich an ihre Grenzen kommen würden. Auch diese Grenzen wiederum dürfen nicht überbewertet werden. Es handelt sich heute um keine zu diagnostizierende (oder zu erwartende) „anti-anthropologische“ Wende. Vielmehr geht es um eine zweite anthropologische Wende, um eine Vertiefung und Neufassung der früheren Form, Anthropologie und Erfahrung zu denken, indem man auf solche anthropologischen Kategorien zurückgreift, die weniger mit den Fehlern der rationalistischen und aprioristischen Engführungen behaftet sind – wie diese zwar bei Rahner vorherrschen, dank derer er uns aber eine der lebendigsten Theologien des 20. Jahrhunderts geschenkt hat. Ohne diese Engführungen konnte er in seiner Zeit nicht auskommen, doch ist seine Zeit eben nicht mehr die unsrige.
29 K. Rahner, Geist in der Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin, in: Sämtliche Werke Bd. 2, Solothurn u. a. 1996 [1939], 14.
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Die wirkliche Grenze von Rahners Sicht der allgemeinen Sakramentenlehre liegt gerade dort, wo auch ihre große Stärke ist. Indem Rahner beim Verständnis von Natur und Gnade von der Überwindung der Veräußerlichung ausging, postulierte er die Wichtigkeit einer „Erfahrung“ des Übernatürlichen, wobei er zugleich einen bereits theologisch vorbestimmten Begriff von Anthropologie benutzte.30 So gelangte er zu der Annahme einer Theorie, nach der das Veränderliche stets gegen die christliche Wahrheit spricht und niemals zu ihren Gunsten. Der Wunsch nach Überwindung von Veräußerlichungen führt dazu, dass bei ihm jegliche Legitimität des Äußeren und Äußerlichen hinfällig wird. Nichts Äußeres und damit auch nichts Sinnliches, Materielles, Historisches und Zufälliges kann dasjenige wirklich modifizieren, das als solches immer schon, ursprünglich und fundamental gegeben ist. Doch in der Realität stellen die Sakramente ja im Verhältnis zu dem, was der Mensch schon immer ist, etwas wirklich Neues dar. Die Übernahme der schon-immer-Perspektive als anthropologisch-transzendentales Kriterium aus der Kant-Heidegger-Tradition hat Rahner daran gehindert, die Ebene der heiligenden (eben sakramentalen) Gnade zu erfassen, die ein aliud und ein novum gegenüber dem konstituiert, was der Mensch von Beginn an und essenziell ist. Der an sich sinnvolle und notwendige Kampf gegen Veräußerlichungen erweist Rahner keinen guten Dienst bei dem, was er vorhat: Eine wirkliche Verbindung zwischen dem, was der Mensch erfahren kann und dem, was er erfahren sollte, wird so gerade unmöglich gemacht.31 Damit ist deutlich geworden, dass die Grenzen der Rahnerschen Relektüre von Thomas’ Sakramentenlehre leicht auf andere Bereiche seines 30 Ähnlich die Kritik bei H. Verweyen, Teologia e filosofia: fecondo dialogo o conflitto insanabile? (= Theologie und Philosophie – fruchtbarer Dialog oder unheilbarer Konflikt?), in: Teologia 21 (1996), 276–295, bes. 286–290. Etwas allgemeinere Überlegungen zu einer kritischen Rahner-Lektüre finden sich bei B. J. Hilberath/B. Nitsche, Transzendentale Theologie? Beobachtungen zur Rahner-Diskussion der letzten Jahre, in: Theol. Quartalschrift 174 (1994), 304–315 (dort weitere Literatur). 31 Dennoch lassen sich in Rahners Denken viele Ausnahmen von dieser Regel finden. Die überzeugendste ist vielleicht sein glänzender Aufsatz „Zur Theologie des Symbols“ (Schriften zur Theologie Bd. IV, 275–311), in dem das Äußere und Veränderliche eine grundlegende Neubewertung erfährt, obgleich diese auf dem Hintergrund erfolgt, der entschieden von der Voraussetzung einer trinitarischen Ontologie bestimmt ist. Ein weiteres glänzendes Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Aufsatz „Der theologische Begriff der Konkupiszenz“, in: Schriften zur Theologie Bd. 1, Zürich u. a. 71967, 367–414. In diesem Fall wird deutlich, wie das Rahnersche Talent der eigenen Theorie von der übernatürlichen Existenzialität, dem Prinzip der „Einheitlichkeit des Menschen“, überlegen ist. Die Entzweiung, die aufgrund der Konkupiszenz durch den Menschen geht, bedeutet auch ein Beherrschtsein von Äußerem und einen grundsätzlichen Mangel an Selbstbestimmung. Sie ist damit gerade kein lediglich zu bedauernder Umstand: „Diese Entzweiung des Menschen in sich selbst wird ihm wohl oft Anlass zu seinem Verderben, aber – wer weiß – vielleicht noch öfter Anlass zu seinem Heil, weil sie ihn auch daran hindert, restlos böse zu werden“ (AaO., 405, Kursivierungen A. Grillo).
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Denkens zu übertragen sind. Die bedeutendsten Begrenzungen scheinen mir die folgenden zu sein: a) die Theorie des Natur-Gnade-Verhältnisses mit der radikalen Absage an jegliche Veräußerlichung32; b) die Erlösungsvorstellung mit der prekären Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Selbsterlösung und Erlösung von außerhalb des Menschen;33 c) die Idee des Primates einer transzendentalen Ursprungserfahrung im Gegenüber zu einer bestimmten und kategorialen Erfahrung.34 Diese Tendenz geht auf Rahners Beeinflussung als Heidegger-Schüler zurück, die in ihm unbestritten Spuren jener „Philosophie des Neutrums“ (Lévinas) hinterlassen hat, bei der sich das allgemeine Sein – im Gegenüber zum Besonderen – seiner Unmittelbarkeit erfreut.35 Darüber hinaus ist es der alte Intellektualismus, der im modernen Denken in theologischer Gestalt überlebt und damit verhindert, dass wir dem für uns Begrenzten, Zufälligen und dem von unserem selbstbewussten Geist nicht Identifizierten Recht geben und Aufmerksamkeit schenken. Wenn die Gnade als ursprünglicher Besitz des Menschen und als „übernatürliches Existential“ verstanden wird, wie kann man da noch das Andere, uns Entzogene festhalten und das Abgleiten in den Anthropozentrismus vermeiden, mit dem man zwar gute theologische Absichten verfolgen mag, aber zu untheologischen (oder gar antitheologischen) Konsequenzen und Auswirkungen gelangt? 32 Die wichtigsten Studien zu dieser Frage sind auf Italienisch publiziert in dem Buch: K. Rahner, Saggi di antropologia soprannaturale, Rom 1969. Unter ihnen ist besonders an die folgenden Aufsätze zu erinnern: Über das Verhältnis von Natur und Gnade (Schriften zur Theologie Bd. I, 323–345 [1959]); Natur und Gnade (Schriften zur Theologie Bd. IV, 209–236 [1960]) sowie: Zur scholastischen Begrifflichkeit der ungeschaffenen Gnade (Schriften zur Theologie Bd. I, 347–375 [1939]). Dieser letzte Aufsatz zeigt Rahners Theorie in ihrem frühen Stadium und weist darüber hinaus viele Parallelen zu der Dissertation „Geist in der Welt“ von 1939 (s. o. Anm. 29) auf. 33 Die Diskussion zu diesem Aspekt von Rahners Theologie der Erlösung kommt gut zum Ausdruck in: F. Iannone, Karl Rahner: eteroredenzione o autoredenzione (= Fremderlösung oder Selbsterlösung)?; in: Rassegna di teologia 37 (1996), 597–622. 34 Zu dieser wichtigen Theorie für die Grundlagen von Rahners Ansatz, wie er vor allem in seinem „Grundkurs des Glaubens“ (= Sämtliche Werke Bd. 26, Zürich u. a. 1999 [1976]) greifbar ist, habe ich mich geäußert in: A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, bes. 56–66. 35 Die Debatte über die Bedeutung von Heideggers Denken für die Theologie muss zwischen denen, die seine positiven Möglichkeiten betonen, und denen, die die unüberwindlichen Grenzen kritisieren, offen bleiben. Einen guten Eindruck von der Komplexität der Debatte gibt der Bd.: H. Ott/G. Penzo (Hg.), Heidegger e la teologia, Brescia 1995. Noch stärker als bei Heidegger gilt für Rahner, dass die theologischen Impulse der Tradition die Gestalt der puren Reflexion des Menschen annehmen. Rahner beansprucht festzustellen, dass der Mensch nur glauben kann. Dies ist der Versuch, auf ontologischer Ebene jene Gewissheit wiederzugewinnen, die die Tradition nicht lediglich ontologisch, sondern auch theologisch gekannt hat.
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Mit alledem stellt sich ein großes Problem, das hier bewusst in Auseinandersetzung auch mit dem theologischen Denken Rahners beschrieben wurde. Es geht um das Andere und das Äußere als notwendiger Zugangsweg zur Transzendenz (und nicht nur als Gelegenheit für den „Weg zu sich selbst“ oder für die reditio completa subjecti in se ipsum).36 Eine prinzipiell gegebene Offenheit ist nicht zu einer kategorialen Offenheit genötigt, denn im strengen Sinne ist alles Kategoriale gegenüber dem Essentialen eindeutig überflüssig. Die prinzipielle Offenheit zum Transzendentalen kann sich völlig dem Einzelnen und Kategorialen verschließen. Doch ein solcher Ansatz des Verhältnisses von Natur und Gnade führt zum völligen, irreparablen Missverständnis und zur faktischen Entwertung der sakramentalen Struktur der christlich-religiösen Existenz. Mit einer derartigen Struktur kann auch ein „engelhaftes“ Christentum nicht glücklich sein, weil dabei der Primat der unmittelbaren Subjektivität – bei Nichtbeachtung der essenziellen körperlichen und zeichenhaften Vermittlungsformen – den Sinn für den Unterschied zwischen Mensch und Engeln verwischen und so eine Sakramentenlehre für Menschen konstruieren würde, die auf den ursprünglich propter angelos37 gedachten Prinzipien basiert. Es bleibt zu fragen, ob sich nicht Rahner selbst angesichts dieses kontroversen Befundes und angesichts der Bewertung seiner kühnen Entdeckung eines neuen Generalprinzips der Sakramentenlehre des Thomas heute in derselben problematischen Lage sehen würde, die Pascal gegenüber den Texten von Montaigne konstatierte, als er in aller Aufrichtigkeit bekannte: „Alles was ich da sehe, finde ich gar nicht bei Montaigne, sondern bei mir selbst.“ (Ce n’est pas dans Montaigne, mais dans moi, que je trouve tout ce que j’y vois.)38
36 Vgl. M. Purcell, Quasi-formal Causality, or the Other-in-Me: Rahner and Lévinas, in: Gregorianum (78) 1997, 79–93. Weiteres dazu s. in: ders., The Ethical Signification of the Sacraments, in: Gregorianum (79) 1998, 323–343. Eine Gegenüberstellung von Rahner und Lévinas findet sich in der Arbeit von E. Dirscherl, Die Bedeutung der Nähe Gottes. Ein Gespräch mit K. Rahner und E. Lévinas, Würzburg 1996. 37 Auch F. Kerr, La teologia dopo Wittgenstein (Giornale di teologia 215), Brescia 1992, 215, diskutiert den theologischen Ansatz Rahners unter Rückgriff auf die Kategorie „Engel“. Der Rahner gewidmete Paragraph ist mit „Der unvollkommene Engel“ betitelt. Nach der Diskussion der cartesianischen Wurzeln Rahners – mit dem daraus hervorgehenden Primat des Ich und der Subjektivität – beschließt Kerr den Abschnitt in folgender Weise: „Besteht nicht, insoweit die theologischen Entwicklungen interessant erscheinen können, der Ausgangspunkt Rahners eventuell in der Voraussetzung, dass [. . .] der Mensch ein mehr oder weniger unvollkommener Engel ist?“ (30f) In ähnlicher Weise beobachtet C. Fabro (s. o. Anm. 22), dass Rahner „das menschliche Bewusstsein am Muster des Bewusstseins der Engel ausgerichtet hat, um die Texte im Sinne der Identität von Sein und Erkennen lesen zu können.“ (107) 38 B. Pascal, Pensées, Paris 1943, § 64 (ed. Brunschvicg), 67.
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5. KAPITEL
Die Reintegration des Ritus und das Entstehen der liturgischen Theologie1 Auf dem Gebiet der Liturgie begegnet man bemerkenswerten – alten wie neuen – Werken voller Gelehrsamkeit und Frömmigkeit sowie sorgfältigen Lehrbüchern und skrupulösen Kommentaren der Rubriken. Doch noch nie ist der Gegenstand des christlichen Gottesdienstes als ganzer in philosophischer Weise behandelt worden. M. Festugière2
Die Unmöglichkeit der Rückkehr zur Voraussetzung wie das Illusorische der Versuche ihrer Verdrängung haben das theologische Denken tiefer in die wichtigen Fragen hineingeführt. Der Wunsch nach einer Reintegration des Ritus in die Theologie hat dabei einige Vorläufer zu besonderem Engagement und zu einer einseitigen, aber faszinierenden Sichtweise animiert. Als Beispiel unter den großen Vätern der Liturgischen Bewegung wählen wir Maurice Festugière, der unter den weniger bekannten – nicht ohne Grund, wie wir gleich sehen werden – einzig dasteht, der aber auch aus denen hervorragt, die konsequent im Zusammenhang von Ritus und Liturgie nach dem letzten Fundament der christlichen Wahrheit suchen.
1 Der Inhalt dieses Kapitels ist die überarbeitete Fassung meiner bereits unter anderem Titel publizierten Einsichten: A. Grillo, „La cause de la liturgie gagne chaque jour du terrain.“ Modernità, rinascita liturgica e fondamento della fede in Maurice Festugière (= „Die Sache der Liturgie gewinnt täglich an Boden“. Die liturgische Renaissance in der Moderne und der Grund des Glaubens bei M. F.), in: Ecclesia orans 13 (1996), 229–251. Gern erinnere ich mich daran, wie der damalige Schriftleiter der Zeitschrift, der inzwischen verstorbene Pater Adrien Nocent, die besonderen, interessanten Seiten der genialen und außergewöhnlichen Persönlichkeit von M. Festugière, seinem Mitbruder des Klosters Maredsous, zu schildern wusste. 2 M. Festugière, La liturgie catholique. Esquisse d’une synthèse, suivie de quelques développements (= Die katholische Liturgie. Skizzenartiger Überblick mit einigen Erläuterungen), Maredsous 1913, 28, Anm. 1.
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5.1. Die Gestalt und besondere Lebensgeschichte von M. Festugière Mit Maurice Festugière (geb. Bourguignolle/Frankreich 1870, gest. Maredsous/Belgien 1950), dem Benediktinermönch aus dem Klosters Maredsous, begegnen wir einer führenden Gestalt der Liturgischen Bewegung und einer einzigartigen Lebensgeschichte. Auf dem Höhepunkt einer wichtigen Diskussion 1913/14 ist er wenig später, mit dem 1. Weltkrieg, praktisch von der Bildfläche verschwunden, weil er höherer Offizier der französischen Marine wurde. Bei Festugière finden sich nur wenige historische Spuren, die das Aufkommen der Liturgischen Bewegung und einer liturgischen Theologie erkennen lassen.3 Das soll uns jedoch nicht daran hindern, den Versuch einer neuen Lektüre des Werkes dieses originalen Denkers4 zu unternehmen, zumal sein Werk für eine Tendenz des liturgischen Denkens steht, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts noch isoliert blieb und keine schulbildende Wirkung entfalten konnte, aber es verdient, heute von neuem ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden. Unser Interesse an Festugières Denken ist also durch den besonderen Blickwinkel motiviert, mit dem er die Liturgie betrachtet. Auf den ersten Blick allerdings ist er das typische Beispiel einer Theologie der Spiritualität und vor allem ein glühender Verfechter der liturgischen Spiritualität. Als solcher ist er auch bereits gründlich zur Kenntnis genommen worden.5 Doch erst die Arbeiten des letzten Jahrzehnts haben uns ein anderes Bild
3 Die besondere Bedeutung von Festugière wird gewürdigt von B. Neunheuser, Les conceptions liturgiques fondamentales des premiers maîtres du mouvement liturgique: leur caractère traditionnel et leur nouveauté, in: A. M. Triacca/A. Pistoia (Hg.), Liturgie, spiritualité, cultures. Conférences Saint-Serge, 29. Semaine d’études liturgiques (Bibl. Ephemerides liturgicae, Suppl. 29), Rom 1983, 221–230. Außerdem vgl. B. Neunheuser, Movimento liturgico (= Liturgische Bewegung), in: D. Sartore/A. M. Triacca (Hg.), Nuovo dizionario di liturgia, Mailand 1988, 905–918, bes. 911. Auf Festugière bezieht sich auch F. Brovelli, Storia del movimento liturgico nel Novecento (Geschichte der liturgischen Bewegung im 20. Jahrhundert), Padua 1986/87 (Vorlesung am Pastoralliturgischen Institut „Sancta Giustina“). 4 Die wichtigsten Werke von M. Festugière werden künftig nach den folgenden Sigla zitiert: LC = La liturgie catholique. Esquisse d’une synthèse, suivie de quelques développements, Maredsous 1913. QL = Qu’ est-ce que la liturgie? Sa définition – ses fins – sa mission. Un chapitre de théologie et de sociologie surnaturelle, Maredsous/Paris 1914. RT 1 = La liturgie catholique. Données fondamentales et verités à rétablir (= Fundamentale Tatsachen und neu zu entdeckende Wahrheiten), in: Revue Thomiste 22 (1914), 39–64 (1. Teil ohne eigenen Titel). RT 2 = La liturgie catholique. Données fondamentales et verités à rétablir, aaO., 143–178 (2. Teil unter dem Titel: La liturgie devant la conscience moderne et contemporaine = Die Liturgie angesichts des modernen und gegenwärtigen Bewusstseins). RT 3 = La liturgie catholique, aaO., 274–312 (Fortsetzung von Teil 2). 5 Dazu s. F. Brovelli (Anm. 3) und A. Girolimetto, Liturgia e vita spirituale: il dibattito sorto negli anni 1913/14 (= Liturgie und geistliches Leben: Zur Entstehung der Debatte in den Jahren 1913/14), in: F. Brovelli (Hg.), Liturgia: temi e autori. Saggi di studio sul movimento liturgico (Bibl. Ephemerides liturgicae, Suppl. 53), Rom 1990, 211–274.
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von Festugière vermittelt und nahe gebracht, das bisher konsequent ignoriert und verschwiegen worden war. In Wirklichkeit ist er einer der wenigen (wenn nicht der Einzige), der eine – mehr oder weniger geglückte – philosophische Grundlegung der Liturgie vorlegte und der sich gerade in Form des Widerspruchs mit der modernen Welt befasste, indem er sich auf das philosophische und anthropologische Gebiet als Feld der Auseinandersetzung begab. Wenn Festugière einen umfassenden fundamentalen Zugang6 zur Liturgie eröffnet hat (dessen er sich selbst sehr wohl bewusst war, weil er vor der schweren Aufgabe stand, die liturgische Praxis als das für die christliche Identität Entscheidende ganz neu zu bestimmen), dann war ihm dies nur auf Grund einer dreifachen Voraussetzung möglich, die ich im Folgenden aufzeigen möchte. a) Auch Festugière gehört in den Kontext von „Nostalgie“, wie sie die Liturgische Bewegung zum großen Teil (von Guéranger und Beauduin bis Casel) charakterisiert, indem diese zutiefst an der Konfrontation mit der Moderne leidet und mehr oder weniger explizit eine Restauration fordert. Ohne diese deutlich nostalgische Färbung wäre die Entstehung jenes neuen Interesses, das mit dem Begriff „Fundamentalliturgik“ bezeichnet wird, nicht zu verstehen. b) Trotz dieser Begrenzung hatte Festugière die Kraft zur Eröffnung eines Weges, der sich von demjenigen anderer großer Väter der liturgischen Erneuerung unterscheidet. Bahnte Guéranger etwas Neues an durch einen philosophischen und Beauduin durch einen theologischen Zugang, so markiert Festugière die Wende auf philosophisch-anthropologische Weise. Entsprechend sind seine „Quellen“ nicht die Väter oder die Texte in den Sakramentaren, sondern die Lücken des modernen Denkens über die Religion im katholischen wie im evangelischen Bereich. 6 In der Tat sind es die fundamentalen Fragen, die den liturgischen Diskurs von Anfang an bestimmt haben. Es genügt, sich an den von L. Beauduin geschriebenen „Essai de manuel fondamental de liturgie“ zu erinnern (in: Questions liturgiques et paroissales 3 (1912/1913), 56–66; 143–148; 201–209; 271–280), in dem er die Emanzipation der Liturgie von ihrer historisch-archäologischen Betrachtungsweise fordert, auch auf die Gefahr hin, als einseitig oder übertreibend zu gelten: „So lange man ihre theologischen Aspekte nicht sah, blieb die Liturgie ein Gebiet, das den Historikern, Archäologen, Künstlern und Zeremonienmeistern vorbehalten war – mit der Religion stand sie in einer lediglich routinemäßigen Verbindung. Daraus entstand der schlechte Ruf, dem sie anheim fiel. Um einer theologischen Betrachtung willen muss man sich damit abfinden, als einseitig oder übertreibend zu gelten“ (= „Aussi longtemps qu’on n’a pas entrevu son aspect théologique, la liturgie reste un fief réservé aux historiens, aux archéologues, aux artistes, aux maîtres de cérémonies; elle n’a, avec la religion qu’un rapport protocolaire. De là le discrédit où elle est tombée. Pour l’envisager de l’angle théologique, il faut se resigner à paraître exagéré et unilatéral“, aaO. 57, Kursivierungen A. Grillo). Gleichwohl übernimmt die fundamentaltheologische Aufgabe mit Festugière eine klare und theoretisch geprägte Rolle, die zu einer offenen Auseinandersetzung mit der modernen Mentalität fähig ist.
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c) Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern in der Liturgischen Bewegung hat er nicht schulbildend gewirkt. Er öffnete sich den akuten Problemstellungen der Moderne mit seltenem Mut und blieb darum allein, so dass er eigentlich erst heute umfassend verstanden werden kann. Weil Festugière weder Schüler noch Vorläufer hatte, ist die zur Wiederentdeckung der Liturgie führende Bewegung lange Zeit ohne eigene philosophische Reflexion geblieben. Was man bei Festugière verstanden hatte, wurde als antijesuitische Polemik kritisiert, als habe es sich lediglich um einen müßigen Streit über spirituelle Stile gehandelt, oder man hielt ihn für viel weniger wichtig als die anderen bedeutenden Gestalten (wie vor allem Beauduin). In der Tat ist das Theologische nicht das primäre Interesse von Festugière. Im Gegenteil – theologisch bleibt er oft vage und unbefriedigend. Man muss von ihm darum als von einem Philosophen sprechen, der für den christlichen Glauben das Fundament der Liturgie wiederzugewinnen sucht und so auch – wenngleich nur indirekt – der Theologie einen wichtigen Dienst erweist. Darin ist er so einmalig und seiner Zeit voraus gewesen, dass er nicht nur keine Schüler hatte, sondern noch nicht einmal Gesprächspartner. Nach meinem Interpretationsversuch war er paradoxerweise derjenige benediktinische Theologe, der der jesuitischen Denkweise am nächsten kam, indem er sich für die Klärung von Definitionen interessierte, für philosophische Argumentationen sowie für soziologische und psychologische Aspekte im Hinblick auf das „Herz des Katholizismus“, wie er jenes Zentrum nannte, in dem er als Fundament Lehre und Gottesdienst in ihrer engen Verbindung sah. Weil Festugière die Jesuiten auf ihrem eigenen Gebiet, der Ebene der Spiritualität, herausforderte, nahmen sie ihn als ihren Gegner wahr – auch wenn sie stets von der Eleganz des Denkens fasziniert waren. Es wäre jedoch falsch zu meinen, seine philosophischen und rhetorischen Beiträge seien nur eine Art Verzierung für ansonsten identische Gedankengänge wie bei den anderen Hauptvertretern der Liturgischen Bewegung gewesen. Die Differenz liegt vielmehr in der unterschiedlichen Grundeinstellung bei der Annäherung an die Liturgie. Seine Art des Fragens war damals eher unglücklich und könnte gerade darum heute einen besonderen Glücksfall bedeuten. Festugière begriff, dass die Sache der Liturgie nicht überzeugend und wirkungsvoll vorangebracht werden kann, ohne dass man die alltäglichen Überzeugungen und theoretischen Grundlagen der modernen Weltsicht ausdrücklich in Rechnung stellt. Er war darin einmalig, dass er die Herausforderung annahm, einen Dialog mit der Moderne zu führen und diese mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. In vieler Hinsicht erinnert das stark an den eigentümlichen Ignatianischen Denkstil. So gesehen trifft und schlägt er Gegner wie moderne Gesprächspartner – wenn dieser ungewöhnliche Ausdruck erlaubt ist – mit den eigenen Waffen. 104
Doch bei aller dankbaren Anerkennung dieser Verdienste lässt sich nicht übersehen, dass das Faszinierende von Festugières Theorieansatz einen grundsätzlich zwiespältigen Eindruck hinterlässt. So verbinden sich bei ihm große Einsichten und naive Allgemeinplätze. Und doch waren die knappen Hinweise, die sich hier und da in seinen Schriften finden, geeignet, schon damals präzise und umfassend jene Probleme zur Sprache zu bringen, die heute nicht mehr lediglich einen klugen und besonderen Mönch von Maredsous betreffen, sondern das fundamentale Verständnis als solches, das die christliche Theologie mit Hilfe der Liturgie zu gewinnen sucht.
5.2. Das Problem einer „Fundamentalliturgik“ Was meint Festugière 1913 mit dem Ausdruck „liturgie fondamentale“? Zu Beginn charakterisiert er seinen eigenen theoretischen Beitrag zu den Grundsatzfragen so, dass er beabsichtigt, in seinem Werk lediglich „einige fundamentalliturgische Gedanken und Thesen“ (quelques données et thèses de liturgie fondamentale) zu formulieren (QL, 5). Der Grund seiner Wahl hängt mit dem Wunsch zusammen, in der Liturgie weniger einen Gegenstand des Lernens zu sehen als vielmehr die Quelle des geistlichen Lebens: „Il n’est pas question ici du culte comme matière d’érudition, mais bien comme source de vie spirituelle“ (QL, 14). Bis hier sehen wir also die Lesart bestätigt, welche die bisherige Beschäftigung mit Festugière leitete, indem man ihn als Theologen der Spiritualität betrachtete. Doch jetzt geht es um den Versuch, dieses Bild umzukehren und zu verstehen, warum er nur deswegen ein Theologe der liturgischen Spiritualität sein konnte, insofern er ein Theologe der Grundlegung der Liturgie war. Das ergibt sich klar aus dem Kontext und den Intentionen von „La liturgie catholique“, seinem zweifellos bekanntesten Werk, in dem er sich – in einem Stil, den man durchaus als philosophisch anspruchsvoll bezeichnen kann – auf die Perspektive des von der „Revue de Philosophie“ vorgeschlagenen Themas einlässt. Diese hatte ihn gebeten, eine Studie zu verfassen „über die Natur des rituellen Gebetes und der liturgischen Abläufe, über ihre Bedeutung und ihre psychologischen Auswirkungen auf die Versammlungen der katholischen Gläubigen und der Mönche, besonders bei denjenigen, die sich der Kontemplation widmen und so zu einer höheren Stufe von mystischer Anbetung gelangt sind“ („à la nature de la prière rituelle et des fonctions liturgiques, à leur rôle, à leurs effets psychologiques dans les assemblées de fidèles catholiques – chez les moines – et même en particulier chez les contemplatifs parvenues aux degrés supérieurs de l’oraison mystique“).7 7 LC, 5. Die Tendenz der Fragestellung verweist deutlich auf das Interessengebiet Festugières. Ihm geht es um eine Betrachtung, die man ohne Übertreibung als streng theoretische definieren kann.
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Die Themenstellung krankt daran, dass die religiöse Erfahrung zum Zentrum der liturgischen Frage wird. Doch was die Zeitschrift unter ihrem eigenen Blickwinkel interessierte, dürfte etwas durchaus Anderes gewesen sein als das, was wir als die Antwort des Benediktinermönches erwarten können. Er orientiert sich nämlich bei seiner Antwort nicht nur an der Fragestellung. Er geht vielmehr so vor, dass er die Beziehung zwischen dem rituell-kultischen Moment und der religiösen Erfahrung überhaupt einer vertiefenden Betrachtung unterzieht. Damit ist deutlich, dass für Festugière beim Thema der gottesdienstlichen Spiritualität das Ringen um einen theoretischen Ansatz Vorrang hat, so dass die Verbindungen zwischen der religiösen und der liturgisch-rituellen Erfahrung deutlich werden. Es war in diesem Zusammenhang unvermeidlich, dass Festugière die Auseinandersetzung zunächst mit der Welt des Protestantismus zu führen hatte, oder besser: mit dem Kontext, in dem der Protestantismus einschließlich seiner modernen Entwicklungen eine Blütezeit hatte. Bei seiner luziden wie ausgewogenen Analyse konstatiert Festugière, dass der Protestantismus mit der Zeit zu einer Konzeption gelangte, der zufolge es gilt, „den Menschen in unmittelbarer Weise mit Gott zu verbinden, dank der Aufhebung aller Vermittlungsinstanzen, die sich zwischen die beiden Glieder schieben wollen“, und weiter: „dort, wo der Katholik Mittel findet, um zu Gott zu gelangen, sieht der Protestant nichts als Behinderungen für die seelische Erhebung“ (LC, 7). Die beiden entscheidenden Punkte protestantischen Verständnisses von religiöser Erfahrung sind damit – unter direkter Zitation von W. James8 – die folgenden: a) die Notwendigkeit, den Menschen im Hinblick auf seine Gottesbeziehung vom Rekurs auf etwas Vermittelndes zu dispensieren; b) die Annahme einer Scheidung zwischen innerer Religion und rituell verfasster Religion. Festugière beobachtet nicht nur den Einfluss dieses Theorieansatzes im katholischen Bereich, sondern stellt auch die weitergehenden und entscheidenden Wirkungen fest, die diese Denkform in der europäischen Kultur hatte: Die Reformation wurde von der Französischen Revolution vollendet, mit der sich „die allgemeinen Tendenzen des politischen und privaten Verhaltens natürlicherweise auch auf die Frömmigkeit und deren Gewohnheiten übertragen“ (LC, 9). Damit ist klar, dass man laut Festugière zur Bestimmung des liturgischen Problems die Wahrnehmungsformen der modernen Welt wie die religiösen Umformungen durch den Protestantismus in Rechnung stellen muss. Der Durchbruch der modernen Mentalität, die grundlegend von 8 Vgl. LC, 8ff.
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der Idee der Freiheit in ihrer protestantischen Fassung gekennzeichnet ist, markiert und vertieft die Scheidung von innerer und äußerer Religion und trägt damit auch zum leidigen Exil der Liturgie bei.9 Doch schon in den Augen Festugières scheitert das Projekt der Moderne. Denn die Idee der garantierten Einheit und Unmittelbarkeit erleidet Schiffbruch, weil dieses utopische Ideal letztlich auf eine umso stärkere Trennung hinausläuft (RT 2, 154–157). In diesem Zusammenhang beklagt Festugière die geringe Aufmerksamkeit auch auf der katholischen Diskussionsebene. Er selbst richtet sein Augenmerk auf das wichtige Verhältnis von religiöser Erfahrung (geistlichem Leben) und katholischer Liturgie, das in der wissenschaftlichen Arbeit vernachlässigt werde, egal, ob sich diese am Modernismus, am liberalen Protestantismus oder an der katholischen Mystik orientiere, ohne das „religiöse Potenzial“ von Brevier, Missale und Ritus angemessen zu würdigen (LC, 10–11). Dieser Mangel, dieses Fehlen eines speziellen Interesses für die Liturgie ist nun aber gerade der Punkt, an dem ihre Befreiung möglich werden könnte: Die Liturgie macht den Anspruch geltend, fundamentaltheologisch beachtet zu werden, gerade weil sie bisher auf wissenschaftlicher und aszetischer Ebene ignoriert wurde.10 Der besondere Stellenwert der Liturgie im Hinblick auf den Grund religiöser Erfahrung wird dabei von Festugière am Begriff des Handelns festgemacht, jener unhintergehbaren Kategorie jeder religiösen Erfahrung: „Die beiden Momente, mit denen die Liturgie das geistliche Leben wirksam fördert, sind erstens das Verhalten beim Gebetsritus, bei den Feiern, beim Austeilen und Empfangen der Sakramente und Sakramentalien; und zweitens sind es die Konsequenzen, die Früchte und Folgen des Handelns, jene Eindrücke und Fermente, die aufgrund des liturgischen Handelns oder der Meditation liturgischer Themen in der Seele zurückbleiben.“ (LC, 11)
Die theologische Vergessenheit gegenüber dieser inneren Dynamik religiöser Erfahrung ist eine der leidvollen Bedingungen, aufgrund derer Festugière zum Gegenangriff übergehen will. Denn seiner Einschätzung 9 Auch unter den katholischen Gläubigen beginnt man einzuräumen, dass die Protestanten nicht in allem Unrecht haben: „Man spricht in unserer Zeit viel vom Mystischen. Doch wie lässt sich eine Auffassung, die im Schweigen und in der Stille die unmittelbare Verbindung mit Gott sieht und festhält, mit der aktiven Vermehrung von Bildern, Worten und Gesten zu seinem Lobe vereinbaren? Widerspricht die Freiheit als notwendige Bedingung für die Heiligung der Seele nicht einer rituellen Verrechtlichung, die ihr als Auferlegung von Pflichten entgegentritt? Und kann die Spontaneität des geistlichen Lebens die Vormundschaft, ja die Zwangsjacke eines offiziellen Formulars hinnehmen?“ (LC, 9) 10 „Die katholische Liturgie wird für eine Angelegenheit der Erziehung gehalten, oder sie gilt als eine hübsche ‚Blume‘ der Frömmigkeit, als etwas Pittoreskes wie die Kunst und als ein Entspannungsmoment zwischen ‚ernsten‘ Beschäftigungen. Sie steht in dem Ruf, wissenschaftlich wie aszetisch unbekannt und als Gegenstand und Gelegenheit religiöser Erfahrung kaum der Betrachtung wert zu sein.“ (LC, 11)
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zufolge hat die Zeit der Wiederentdeckung der Liturgie bereits begonnen, so dass Anlass zur Hoffnung besteht. Die Zukunft der Liturgie ist vorgezeichnet. Nach Festugières Einschätzung ist die Liturgie „zweifellos eine Eroberin, die nichts daran hindern wird, ihr verlorenes Terrain zurückzugewinnen“ („celle-ci, sans doute, est une conquérante; et rien ne l’empêchera de reprendre son bien“, QL, 8). 5.3 Liturgie und Moderne bei Festugière „Im Protestantismus wird die Liturgie gänzlich ignoriert und missachtet und von den katholischen Religionswissenschaftlern wird sie um den Platz gebracht, der ihr im Gefüge des Katholizismus zukommt, so dass der katholische Erfahrungsbereich von Religion verengt und jenes Lichtes beraubt wird, aufgrund dessen er zum Leuchten gebracht werden sollte.“ (LC, 20)
In der Moderne gerät die Liturgie in die Krise. Von den Protestanten wird sie negiert und von den Katholiken vergessen. Nach Festugière geschieht das aufgrund von historischen Umwälzungen, wie sie die Epochen seit dem Mittelalter kennzeichnen. Die Entwicklung beginnt mit dem 16. Jahrhundert und ist durch einen individualistischen und damit drastisch antikultischen Geist charakterisiert. Genau dieser Prozess ist es, der analysiert und kritisch in Frage gestellt wird, um das Recht einer erneuten Reflexion der Liturgie geltend zu machen. Für Festugière ist es dabei notwendig, den Gehalt „der Liturgie im Hinblick auf das moderne und gegenwärtige Bewusstsein“ (RT 2, 143) zu entfalten. Schon in diesem Zusammenhang zeigt sich das Neue im Vergleich zu den Wiederentdeckungen der Liturgie, die sich dann später finden werden. Festugière erklärt seine theologische Neubewertung der Liturgie mit ganz anderen Motiven, als das später in der so genannten „Vätertheologie“ bei O. Casel11 der Fall sein wird. Aufgrund der genannten Schwierigkeiten charakterisiert Festugière Absicht und Anspruch seines Vorgehens so: „Wir protestieren nicht im Namen einer Methode venerabler Frömmigkeit, sondern im Namen der Wissenschaft vom katholischen Leben, im Namen der spirituellen Biologie des Katholizismus“ (LC, 20, kursiv bei Festugière). Wenn die historische Zugangsweise großes Gewicht auf die neue Aneignung der Ursprünge legt, so muss das keine Repristinierung der Väter und ihrer Theologie bedeuten. Auch hier ist es möglich, den kritischen 11 Zu diesem Thema vgl. L. Bouyer, La vie de la liturgie. Une critique constructive du Mouvement liturgique, Paris 1956. Die Geringschätzung der Ursprünge der Bewegung (gegenüber der Entwicklung in Maria Laach) führt hier dazu, dass die Qualität von Festugière, was das Verständnis der eigentlichen Feiergestalt des Gottesdienstes angeht, unbeachtet bleibt (wenn ich nicht irre, wird er nicht einmal zitiert). Doch das patristische Ideal ist alles in allem zu schwach, wenn es sich nicht auch auf theoretischer und anthropologischer Ebene artikuliert und ausweist und dadurch die Auseinandersetzung mit der Moderne annimmt.
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Dialog mit der Moderne aufzunehmen. Das gilt ebenso, wenn man ihr widerspricht, aber dabei nicht in veraltete Theoriemodelle flüchtet. Genau dieser Punkt ist es, mit dem das Konzept von Festugière steht oder fällt (oder besser: fallen konnte, aber heute wieder aufstehen könnte). Leider jedoch ist der schlechtere Fall eingetreten, weil Festugières Versuch – der für einen bescheidenen und demütigen Menschen wie ihn12 außerordentlich kühne Versuch – nicht rezipiert wurde, jene Begriffe, die zur Negation wie zur Bestätigung der modernen Welt in der Lage sind, in die Sprache der modernen Welt zu übersetzen und dabei den Gottesdienst positiv hervorzuheben. Vielleicht können wir erst heute Festugières Mut verstehen und die verpasste Gelegenheit und sein erzwungenes Schweigen beklagen. Gegen die Tendenz zur Idealisierung einer bestimmten Sprache und ihrer einfachen (nicht selten vereinfachenden) Übertragung in eine ganz andere Zeit propagiert Festugière also die Verhältnisbestimmung von Liturgie und religiöser Erfahrung. Auch bei ihm gibt es eine gewisse Idealisierung der Vergangenheit, welche sich allerdings eher auf das Mittelalter als auf die Väterzeit bezieht. Dafür stehen die begeisterten Hinweise auf verschiedene mittelalterliche Ausdrucksformen im Gottesdienst (LC, 14–19). Es ist aber deutlich, dass er trotz dieser in der liturgischen Bewegung verbreiteten Tendenz das eigene Ziel fest im Auge zu behalten weiß und sich an das hält, worum ihn die philosophische Zeitschrift gebeten hat. So behandelt er die liturgische Frage unter zum Teil bis dato nicht gehörten und gedachten Aspekten. Er diskutiert „die ontologische und theologische Betrachtungsweise“, aber auch die Probleme, die der Liturgie von der „Religionsgeschichte, der Psychologie, der Soziologie, der Ästhetik, der Mystik und der Askese“ gestellt werden (LC, 21). Eine Liturgie, die sich wirklich als „Ort von Theologie“ (QL, 8) verstehen will, muss die Konfrontation mit der Moderne – einschließlich ihrer Fehler – wagen, damit sie fähig wird, zu sprechen, zu überzeugen und – vor allen Dingen – den Kern der eigenen Wahrheit zu erfassen. Für die Konfrontation wählt Festugière einen doppelten Gesprächszusammenhang aus: – Anthropologie und Religionsphänomenologie sowie – Philosophie. Wir wollen uns jetzt auf den ersten Punkt des Gespräches beschränken. Dieser hält einige erfreuliche Überraschungen bereit. Was die religiöse Erfahrung angeht (wobei das Handeln als der eigentliche Hauptpunkt der Liturgie bestimmt wird), liegt Festugière alles 12 „Es handelt sich um einen bescheidenen Menschen und niemand ist unprätentiöser als er“ („C’est un modeste et personne n’a moins de prétention que lui“), heißt es in einem Brief von R. Thibaut an Bremond vom 5. Juni 1913, zit. nach A. Girolimetto (s. o. Anm. 5), 242.
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daran, die notwendige Verbindung von Erfahrung und Inhalt nicht aufzulösen. Nach seiner Ansicht gibt es keinen Zugang zur christlichen Erfahrung unter Umgehung der positiven Glaubensinhalte, die dem Christentum Struktur geben. Erfahrung und Inhalt können also nicht geschieden werden, ohne dass man die Verbindung mit dem fraglichen Gegenstand verliert. Auf diesen Irrweg begeben sich jedoch der liberale Protestantismus und der pantheistische Mystizismus. Das angemessene Bemühen hingegen betont notwendig die „enge Verbindung zwischen Dogma und Frömmigkeit und verankert die Artikel des Glaubens in den Tiefen des Wollens und der Wahrnehmung“ (LC, 22). Aus dieser Betrachtung ergibt sich auch die entschiedene Kritik an jeder Klassifikation von religiösen Inhalten, durch die notwendige Unterscheidungen eingezogen werden. Der Dialog mit den Humanwissenschaften ist also nicht nur dazu in der Lage, ihr Recht für die Beschreibung von Erfahrungen zu ermessen, aufgrund derer der christliche Glaube reift. Dieser Dialog zeigt gleichzeitig auch die Grenzen ihrer Möglichkeit, den Bedeutungsgehalt von Religion und Gottesdienst festzuhalten.13 5.4 Der Streit mit den Jesuiten – ein Konflikt aufgrund von Ähnlichkeiten „Die Zerstörer der Liturgie machen ausgerechnet sie für alle die Fehler verantwortlich, gegen die sie in Wirklichkeit ankämpft.“ (LC, 13) Mit dieser Regel wird der tiefe Gegensatz zwischen Festugière und der Societas Jesu – besonders in Gestalt von J.-J. Navatel – nicht etwa gemildert, sondern noch verschärft. Die Liturgie wird so verstanden, dass ihre Funktion durch reine Äußerlichkeit bedroht und durch Prunk und Renaissancestil in den Ruin getrieben wird: Der Jesuit Navatel, ein Zeitgenosse Festugières, geht davon als der eigentlichen Definition aus (RT 2, 151). Doch gehen wir der Reihe nach vor und beginnen mit einem Blick auf das, woran sich die Polemik entzündet hat. Wir greifen dazu auf den Text zurück, mit dem der Streit begann. Nicht so sehr Festugières Erwägungen zum Primat der „liturgischen Spiritualität“, sondern wohl eher die Bemerkungen zum Hl. Ignatius dürften ursprünglich die zum Teil empörten jesuitischen Reaktionen ausgelöst haben. Es ist darum sinnvoll, diese Sätze ausführlich zu zitieren:
13 „Es war üblich, sogar sehr üblich, a posteriori zu zeigen, dass die religiöse Empfindung auf einen allen Menschen gemeinsamen Grund führt und so das religiöse Problem auf das Gebiet der allgemeinen Psychologie zu überführen, wie dies bei W. James geschah. Es ist schlicht unwissenschaftlich, alle Formen von religiöser Erfahrung auf denselben Verursacher zurückzuführen, wie das James – egal um welche Erscheinungsweise es sich jeweils handelte – versucht hat“ (LC, 23). Die Auseinandersetzung mit den Humanwissenschaften entbindet nicht davon, ihnen gegenüber auch deutlich die Grenzen zu markieren.
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„Der heilige Ignatius lebte in einer stark vom Individualismus geprägten Epoche. Darüber hinaus verstand zu seiner Zeit niemand mehr etwas von den Schätzen des geistlichen Lebens, die die Liturgie der vergangenen Jahrhunderte anzubieten hatte. Sein Werk war schließlich die Bekämpfung der Reformation. Im Hinblick darauf besaß er das, was wir als Zug zur Genialität bezeichnen können, wobei wir es dem Leser überlassen, falls er es möchte, von der Vorsehung zu sprechen. Es gelang ihm, einen Teil aus dem Programm des protestantischen Individualismus aufzugreifen und diesen in der Form einer umso perfekteren römischen Orthodoxie zu adaptieren. Vor allem ging es ihm also darum, den Menschen eine konsequent individualistische Bildung zu verschaffen und sie von den sozialen Bindungen zu lösen, die ihr Handeln behindern könnten. Im Dienste dieser Leitidee waren zwei Neuerungen erforderlich: 1. die Schaffung einer religiösen Ordnung, die – in diesem Fall als allererste – vom Chorgebet dispensiert; 2. die Entwicklung einer Meditationsmethode, die sich vollkommen von den alten und überlieferten Modellen privater Gebetspraxis unterscheidet.“ (LC, 40–41)
Es ist deutlich, dass nach Festugière dieser Neuansatz für die Tatsache verantwortlich ist, dass „die Nachfolger des hl. Ignatius [. . .] ihr geistliches Leben an der Meditation festmachen; deren Gegenstand wiederum ist oft genug ohne jegliche Beziehung zur Liturgie“ (LC, 41). Es liegt auf der Hand, dass ein so direkter Angriff nicht ohne Reaktion des jesuitischen Gegners bleiben konnte. Dies geschah in Gestalt der Intervention von Pater J.-J. Navatel in den „Etudes“.14 Navatel war sich der Tatsache bewusst, nicht lediglich einem einzelnen Benediktiner zu antworten, sondern vielmehr der entscheidenden Stimme einer ganzen Schule.15 Er ergriff darum die Gelegenheit, grundsätzliche Gedanken zu entwickeln, um so den „absurden Annahmen“ zu widersprechen, wie sie den liturgischen Aufbruch bestimmen. Die Perspektive ist diejenige der Verkündigung, welcher Predigt und Ritus im Gottesdienst gegenübergestellt werden. Dazu wird angemerkt, dass „die Liturgie immer nur eine beiläufige und im Allgemeinen sehr sekundäre Rolle bei dem geheimnisvollen Geschehen spielt, das ein blindes Herz für das Licht des Evangeliums öffnet“.16 Die beiläufige Funktion des Gottesdienstes und seine marginale Bedeutung bei der Öffnung des Herzens für das Geheimnis des Evangeliums wird dann mit noch größerer Entschiedenheit bekräftigt, wenn hinzugefügt wird: „In Wirklichkeit ist die Liturgie lediglich der wahrnehmbare und bildliche Ausdruck von Dogma und Glaube. Ihre Wirkung auf die Seelen ergibt sich zunächst mehr oder weniger aus der Frömmigkeit und Anbetung, ferner aus 14 J.-J. Navatel, L’apostolat liturgique et la pieté personelle, in: Etudes 50 (1913), 449–476. 15 „Dieses wichtige Zeugnis [d. h.: LC] kann in Betracht gezogen werden, ohne dass dadurch die Lektüre der anderen Schriften, wie le manifeste de la nouvelle école, unnötig würde.“ 16 AaO., 452.
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dem Empfindungsreichtum derer, die daran teilnehmen. Die Liturgie drückt sich in Riten und Symbolen aus. Muss man nicht die bezeichneten und symbolisierten Inhalte bereits kennen, muss man diese nicht zunächst glauben, um sie zu verstehen und sich ihrem Einfluss auszusetzen? Die Liturgie ist für die Gläubigen nur insofern instruktiv und erbauend, als sie bereits bekannte, praktizierte, gelebte Wahrheiten repräsentiert, abbildet und zum Ausdruck bringt.“17
Besonders diese letzte Äußerung stellt die Reaktionen Navatels in einen Verstehensrahmen, der als explizit lehrhafte Reduktion der Offenbarung und als intellektualistische Reduktion des Glaubens bezeichnet werden muss. Wenn die Symbole und Darstellungsformen des Glaubens nichts anderes sind als Ausdrücke für bereits bekannte, praktizierte und gelebte Wahrheiten, wird die Liturgie zu einem überflüssigen Beiwerk, das dem Glaubensgrund fern steht und fremd ist. Eine Fundamentalliturgie, oder besser, der Einfluss der Liturgie auf das Fundament des Christentums, ist unter dieser Perspektive eine Absurdität. Festugière entgegnet, dass Navatel dieses harsche Urteil über die Liturgie nur deswegen abgeben konnte, weil er eine zutiefst ungeeignete und beschränkte Definition übernahm, die sich mit dem gottesdienstlichen Verfall in Spätmittelalter und Renaissance entwickelt hatte und dann entsprechend der säuberlichen (protestantischen, aber auch Ignatianischen) Trennung von innerer und äußerer Religion ausgearbeitet wurde. Damit aber ist der Ursprung aller modernen Irrtümer gegenüber der Liturgie benannt. Auch L. Beauduin griff umgehend in den Streit ein und verteidigte eindeutig Festugière.18 Auch er insistierte darauf, das Verständnis und die Definition von Liturgie zu modifizieren und diese als Gottesdienst der Kirche aufzufassen und nicht nur als äußeren Ausdruck innerer Gehalte.19
17 AaO., 455, Kursivierung A. Grillo. 18 L. Beauduin, Mise au point nécessaire (= Auf den Punkt gebracht). Réponse au R. P. Navatel, in: Questions liturgiques et paroissales 4 (1913/14), 83–104. Zur Dokumentation von Beauduins Gesprächsbeiträgen (auch zur Arbeit von Girolimetto) vgl. A. Haquin, Dom Lambert Beauduin et le renouveau liturgique (Recherches et synthèses. Histoire, 1), Gembloux 1970, 189–207. 19 In diesem Sinne ist Beauduin jedoch gezwungen, zur Verteidigung Festugières dessen Konzept von Liturgie zu kritisieren. In einem Brief vom 2. Juni 1913 an Festugière selbst bringt er seine Ratlosigkeit folgendermaßen zum Ausdruck: „Ich kann mir noch nicht erklären, warum Sie das Wort ‚extérieur‘ (äußerlich) bei der Definition der Liturgie für notwendig halten“ (zit. von A. Giromiletto [s. o. Anm. 5], 226). In Wirklichkeit beruht das unverzichtbare Recht des Äußerlichen bei Festugière auf theoretischen Annahmen, auf dem, was Guardini die „Objektivität“ nannte und womit notwendig das Element benannt ist, das die Krise der modernen Sicht und die neuen Möglichkeiten der Religionsphänomenologie zur Geltung bringt. Für Beauduin hingegen kann die Lösung auf der rein theologischen Ebene gefunden werden, indem man die Liturgie als „Gottesdienst der Kirche“ definiert, womit dann aus theologischen Gründen die äußere Dimension notwendig gegeben ist. An dieser Stelle liegt der Unterschied beider Theoriemodelle.
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Diese klare und ehrliche Reaktion öffnet tatsächlich den Horizont für zwei grundlegend verschiedene Auffassungen der christlichen Offenbarung – je nachdem, ob der ratio ein entscheidender oder begrenzter Einfluss zukommt. Jesuiten wie Benediktiner werden gleichermaßen auf die Liturgiereform Einfluss nehmen, die einen mit der tiefgründigen Betonung des Primates des Bewusstseins, die anderen mit der Annahme, dass die gottesdienstliche Erfahrung der eigentliche Ort christlicher Bildung ist. Beide beziehen sich auf Erfahrung, aber eben auf eine grundlegend verschiedene Erfahrung.20 Das jesuitische Erfahren vollzieht sich im individuellen und inneren Raum, während das benediktinische primär gemeinschaftlich und außenorientiert ist. Diese Alternative ist eine Art spiegelbildliches Muster bei der Verhältnisbestimmung von Unmittelbarkeit und Vermittlung und bestimmt die Möglichkeit, den Gottesdienst – mehr oder weniger – in seiner fundamentalen Funktion zu verstehen. Bei der Perspektive Navatels scheint mir diese Möglichkeit jedoch ausgeschlossen zu sein. Wenn Navatel eines bestreitet, dann ist es gerade dies: dass der Gottesdienst etwas mit dem Fundament von Offenbarung und Glaube zu tun hat. Wenn Festugière eine Annahme zugrunde legt, dann ist es gerade der Anteil des Gottesdienstes am Fundamentalen. Aus diesem Grund hat der Gegensatz eine so scharfe Ausprägung. Nur scheinbar handelte es sich um eine unterschiedliche Betrachtungsweise von Spiritualität – in Wirklichkeit ging es um divergente Auffassungen bei der Bestimmung dessen, was das Christentum überhaupt ist. Damit erhebt sich die Frage: Welche Erfahrung ist fundamental für das Christentum? In der Gegenüberstellung konnte es so aussehen, als propagiere Navatel eine Erfahrung im Bewusstsein, während Beauduin und Festugière eine zugleich kultische, soziale und symbolische Erfahrung propagierten. Tatsächlich muss jedoch hinzugefügt werden, dass Navatel explizit anmerkt: „Nun haben Theorien in aszetischen Fragen keine große Bedeutung; Erfahrung ist alles.“21 Gerade diese Bemerkung enthält auch den Grund für die scharfe Kritik Navatels. So sucht er die Aszetik grundlegend anders zu bestimmen als die Systematik der Lehrbücher. Der Konflikt hinsichtlich der
20 Der Unterschied des vorausgesetzten Erfahrungsbegriffes führt zu spiegelverkehrten Entsprechungen der beiden Positionen: So bevorzugt die vorrangig äußere Erfahrung der Benediktiner eine innerkirchliche Erfahrung, während die jesuitische Betonung der inneren Erfahrung auf das außerkirchliche Interesse führt. Das wird besonders deutlich, wenn sich Navatel und Beauduin mit dem Verhältnis von Liturgie und Predigt beschäftigen (vgl. L. Beauduin [s. o. Anm. 18], 87–92). Die unterschiedliche Sichtweise beider Autoren liegt auf der Hand: Beauduin unterstreicht das Zusammenwirken von Liturgie und Predigt für die Christen, während Navatel das Problem nicht umsonst im Hinblick auf die Heiden bzw. die Nichtheiden gestellt sieht: Die Predigt ist für alle, die Liturgie ist für diejenigen, die bereits Christen sind. Hier besteht eine nicht weiter reduzierbare Differenz, die das gegenseitige Nichtverstehen bestimmt. 21 J.-J. Navatel (s. o. Anm. 14), 469.
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Spiritualität scheint damit in Wirklichkeit nur die Spitze eines Eisberges gewesen zu sein. Dabei ließ sich über alle Grenzen hinweg eine neue Art theologischen Denkens erkennen – gerade aufgrund dieses Streites. Die Neuentdeckung der Liturgie war nicht nur die vorübergehende Wiederbelebung des Frömmigkeitsstils einer alten (benediktinischen) Ordnung, sondern vielmehr der Wiedergewinn der Bedeutung des Gottesdienstes für den Glauben überhaupt, wie diese von der christlichen Tradition über die Jahrhunderte hinweg bewahrt worden war. Damit wurde aufgrund dieses Streites eine neue Form von Erfahrung denkbar. Gleichwohl sollten bis zu deren offizieller Anerkennung noch etwa 50 Jahre vergehen!
5.5 Entwicklung einer kurzen philosophisch-anthropologischen Argumentation Obwohl die Neuorientierung durch die erheblichen Nachwirkungen des damaligen Streites jahrzehntelang gebremst und blockiert wurde22, kann man sie als eine Vorstufe der aktuellen Entwicklungen bezeichnen, die nicht älter als ein Jahrzehnt zu sein scheint. Festugières Wissen um die Notwendigkeit einer anthropologischen Wende in der Theologie ist von einer bisweilen erstaunlichen Klarheit: „Wenn wir die liturgische Frage primär auf dem theologischem Gebiet ansiedeln, so machen wir auch die Absicht geltend, sie danach auf die Ebene der heutigen Religionsphänomenologie zu übertragen.“ (RT 2, 145)
Es liegt auf der Hand, dass man an einer derartigen Einsicht nicht völlig vorbeigehen konnte. Auch die große Isolation, der Festugière anheim fiel, hinderte einen anderen Theologen wenige Jahre später nicht, jenes Neue, das Festugières Werk für die liturgiewissenschaftliche Reflexion bedeutet, in scharfsinniger Weise aufzugreifen. Romano Guardini ist es, dem wir eine der wirkungsvollsten Aufnahmen des Neuansatzes verdanken. In einer knappen Reaktion auf La liturgie catholique, die er 1921 veröffentlichte, zog Guardini eine faire Zwischenbilanz in der Sache.23 Dabei positionierte er sich gewissermaßen im gleichen Abstand zu beiden Kontrahenten. Doch primär würdigte er die neuen Möglichkeiten positiv, die von Festugière in 22 Mehr als 30 Jahre nach diesen Ereignissen wiesen die Eheleute Maritain noch einmal auf den „großen Schaden“ der von Festugière verbreiteten Ideen hin (J. Maritain/R. Maritain, Vita di preghiera. Liturgia e contemplazione [= Das Leben als Gebet: Liturgie und Kontemplation], Rom 1979, 82, Anm. 3). Indirekt erkennen sie dem Werk des Mönches von Maredsous jedoch eine Vorreiterrolle zu, auch wenn sie ihn kritisch bei seiner antikontemplativen Sichtweise behaften, die nach ihrer Einschätzung „gerade dem Geist der Liturgie zutiefst widerspricht“ (aaO., 83). 23 R. Guardini, Das Objektive im Gebetsleben. Zu P. M. Festugières „Liturgie catholique“, in: JLW 1 (1921), 117–125.
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die liturgische Diskussion eingeführt wurden. Die Wertschätzung von La liturgie catholique beruht auf der grundlegenden Struktur von Guardinis Denken. Es hat zu dieser Zeit bereits seine entscheidende Ausprägung gefunden und wird von einer Studie begleitet, in der Guardini explizit den eigenen Ansatz einer systematischen Methode in der Liturgiewissenschaft24 präsentiert. Der positive Rückgriff auf Festugières Verdienste25 steht also neben der Darstellung des eigenen Systems und hat damit erhebliche Bedeutung für Guardinis Ansichten. Von besonderer Bedeutung ist das Gewicht, das einem unverstellten Blick auf die Liturgie zugemessen wird. Die Liturgie wird als etwas mit der religiösen Erfahrung essenziell Zusammenhängendes verstanden. Sie ist nicht auf marginale und sekundäre Ausdruckformen eines wirklichen Inhaltes zu reduzieren. Genau dies wird nach Guardinis Urteil von Festugière unterstrichen: „In der Liturgie handelt es sich nicht um äußerlich zu erledigende Verrichtungen, sondern um innere Lebensformen im stärksten Sinne des Wortes; um Voraussetzungen und Weisen religiöser Erfahrung. Und zwar ist sie nicht eine beliebige Form, der gegenüber es dem Gläubigen frei stünde, sie zu gebrauchen oder nicht, sondern die maßgebende Weise kirchlicher Religionsausübung.“26
Guardini verbindet mit dem Lob für die unbestrittenen Verdienste jedoch Kritik an der zu einseitigen Entgegensetzung des objektiv-liturgischen und des subjektiv-individuellen Elementes bei Festugière und seinen Gesprächspartnern: „Festugière hat einen Fehler begangen – den übrigens auch seine Gegner nicht vermieden haben: er hat die komplexe Natur des Problems verkannt und aus einem ‚Sowohl-als-auch‘ ein ‚Entweder-oder‘ gemacht.“27
Das „aut-aut“, welches die Positionen auf dem Höhepunkt des Streites von 1913/14 kennzeichnete, ist für Guardinis Theoriebildung sieben Jahre später unbefriedigend. Nach seiner Ansicht kann jetzt nur ein Gleichgewicht des objektiven und des subjektiven Elementes zu einem richtigen Verstehen und richtigen Ansatz von Liturgiewissenschaft führen.28 Es war wohl unvermeidlich, dass die Vergessenheit, der der theo24 R. Guardini, Über die systematische Methode in der Liturgiewissenschaft, in: JLW 1 (1921), 97–108. 25 „In theoretischer Beziehung liegt der Wert der Arbeit [d. h.: LC] einmal darin, dass gezeigt wird, der kirchliche Kult sei keine bloße Sache von Texten und Vorschriften und die Wissenschaft von ihm keine Bücher- und Paragraphenkunde. Es ist vielmehr etwas Lebendiges, und zwar von größter Mannigfaltigkeit und kraftvoller Einheit“ (R. Guardini [s. o. Anm. 23], 118). 26 Ebd. [Bei Grillo folgt hier die italienische Übersetzung des Zitates.] 27 AaO. (s. o. Anm. 23), 123. [Bei Grillo folgt hier die italienische Übersetzung des Zitates.] 28 Zum Thema der „Objektivität“ bei Guardini vgl. G. Busani/R. Tagliaferri, Soggettività
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logische und geistliche Sinn der Liturgie anheim gefallen war, gewisse Übertreibungen und eine Art Schockwirkung erforderlich machte, um das Gleichgewicht des Verstehens wiederherzustellen. Es ist richtig, dass Festugière im Vergleich zu Guardini sehr einseitig urteilte. Dennoch: Hätten wir ohne Festugière einen Guardini gehabt? Hätte Guardini das, was er auf liturgischem Gebiet geschrieben hat, ohne den Stachel im Fleisch schreiben können, den Festugières feinsinnige und tiefgründige Provokation bedeutete? Wenn Guardini zu Recht darauf beharrte, dass es sich bei der liturgischen um eine komplexe Frage handelt, ist es nicht vielleicht das Verdienst von Festugière, dass aus der in einer Hinsicht zu einfachen Lösung (der Identifizierung des Subjekts mit dem Kern des Christentums) eine im entgegengesetzten Sinne einfache Lösung (die liturgisch-objektive Grundlegung) werden konnte? Auch hier sieht im Nachhinein alles anders aus. Was das Gleichgewicht angeht, wird man sagen müssen, dass Guardini damit in der Festugière entgegengesetzten Position verbleibt. Er vermittelt zwischen den Jesuiten und Festugière, indem er eine wirklich zentrale Frage stellt: „Wie weit geht in Dingen der Religionsübung das Recht der persönlichen Selbständigkeit?“29 Die Art der Formulierung lässt keinen Zweifel: Der Punkt einer Vermittlung zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven liegt nicht in der Mitte zwischen den Extremen. Eine längere redaktionelle Randbemerkung zu Guardinis Artikel bezeugt den klaren Dissens in der im Herausgeberkreis des „Jahrbuches“ eröffneten Debatte. Guardini gewinnt dabei so viel an theologischer Glaubwürdigkeit, als er an traditionaler Prophetie und prophetischem Traditionalismus verliert, wie sie durch die Eindringlichkeit und Beharrlichkeit von Festugière hervorgerufen worden waren: Was einer an Systematik gewinnt, verliert er eventuell an Tiefe und was er an Differenzierung verliert, gewinnt er stets an Durchschlagskraft. Erinnert der Vorwurf der Einseitigkeit nicht auch an den Satz von K. Barth, den dieser einige Jahre später über die „notwendige Einseitigkeit jeder guten Theologie“30 formulieren wird? Auf jeden Fall bleibt es bei der Tatsache, dass heute aufgrund von Guardini und aufgrund des späten Casel31 die Öffnung der Liturgik für philosophische und anthropologische Überlegungen wenigstens potenziell für nötig und erforderlich gehalten wird.32 Dass dann trotz dieser beiden ed oggetività nella liturgia. Intuizioni di R. Guardini su una problematica attuale, in: Rivista liturgica 77 (1990), 659–672. 29 R. Guardini, aaO. (s. o. Anm. 23), 123: „Wie weit erstreckt sich das Recht der persönlichen Autonomie im Falle der religiösen Praxis?“ 30 K. Barth, Die dogmatische Prinzipienlehre bei Wilhelm Herrmann, in: ZZ 3 (1925), 246–280, 278: „Eine anständige Theologie ist immer einseitig“ [hier folgt ein Hinweis auf die ins Italienische übersetzte Fassung]. 31 Vgl. vor allem die dichte Studie von O. Casel, Glaube, Gnosis und Mysterium, in: JLW 15 (1941), 155–305. 32 Eine Relektüre von Festugières Denken in diesem Sinne findet sich jetzt bei G.
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Vermittler fast nichts geschehen ist – und zwar letztlich bis heute nicht – das ist ein Problem, das man nicht in direkten Zusammenhang mit Festugière bringen kann. 5.6. Begegnung mit dem philosophischen Denken Wir haben festgestellt, dass Liturgie und Moderne einander nicht nur auf der anthropologischen und phänomenologischen Ebene begegneten, sondern auch im Bereich der theoretischen philosophischen Reflexion im engeren Sinne. Gerade Festugière besaß ein wirkliches philosophisches Talent. Man kann ihn als einen gewandten Erzähler mit Sinn für historische Entwicklungen und für abstrahierende Theoriemodelle charakterisieren. Durch seine Neigungen wusste er theoretische und historische Entwicklungen miteinander zu verbinden sowie kirchliche und kulturphilosophische Gegebenheiten, Ereignisse und Horizonte zusammen zu bedenken. Diese Sichtweise – die sozusagen Hinweise auf ein Stück gibt, auf dessen erste wirkliche Aufführung man nun seit 80 Jahren wartet – ist geeignet, die notwendige Verbindung zu erfassen, die zwischen dem wieder entdeckten Gottesdienst und dem denkerischen Rekurs auf die Tradition besteht: „Die aktuelle katholische Mentalität im Bereich der Liturgie lässt sich nur verstehen, wenn man nach lange zurückliegenden Klärungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts sucht. Die Geschichte des philosophischen Denkens der vergangenen vier Jahrhunderte wiederum lässt sich nicht von der Entwicklung isolieren, welche die protestantischen Prinzipien im selben Zeitraum genommen haben.“ (RT 2, 150)
Weil Festugière auf die komplexen Zusammenhänge zwischen der unverzichtbaren sozialen Dimension des Gottesdienstes und dem jegliche Heteronomie radikal zurückweisenden Denken stieß und an der Utopie einer unabhängigen, vermittelnden Einheit festhielt, machte er sich an die Untersuchung der Hauptetappen des abendländischen Denkens, von Descartes bis Kant, von Rousseau bis Comte, von Leibniz bis zu Durkheim und Spencer33. Dabei ist festzustellen, dass Festugière die verschieBonaccorso, Il sacro nel movimento liturgico (= Das Heilige in der liturgischen Bewegung), in: La scuola cattolica 123 (1995), 593–620, bes. 597f. 33 Damit bekräftigt er die „Verantwortlichkeit“ des modernen Denkens dafür, dass es zu Dualismus und Trennung geführt hat: „Es hatte sich dieses Programm auf die Fahnen geschrieben: Vollkommene Einheit durch die Beseitigung jeglicher Vermittlungsinstanz zwischen der Seele und Gott und durch die Aufhebung der sozialen Grenzen, die durch moralische und juristische Distanzen unter Menschen geschaffen werden. Doch indem man die wahre Natur des Menschen verkannte, schlug die Realität gegen die guten Absichten zurück und wo man Einheit zu erreichen glaubte, brachte man ein Meisterwerk an NichtEinheit zustande.“ (RT 2, 157)
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denen Denker nicht primär nach ihrem Gottesdienstverständnis befragt, sondern vielmehr im Hinblick auf ihr Verständnis von Einheit, die für ihn das wichtigste Charakteristikum jeglichen Denkens und jeglicher religiösen Praxis (besonders der katholischen) darstellt. Das eigentliche theoretische Grundsatzproblem in Festugières Denken bezieht sich auf die mögliche Denkbarkeit des Kultus. Es geht um die Befreiung des Denkens von seiner Unfähigkeit, die Einheit zwischen Subjekt und Objekt zu erfassen und um die Wiedergewinnung eines Vermittlungsraumes, der diese Vereinigung erlaubt. Die radikale Trennung zwischen diesen beiden Instanzen aufgrund des cartesianischen Denkens ist das erste Beispiel für den Einfluss des moderndualistischen Denkens und für die aktuellen Schwierigkeiten, zu einem angemessenen Liturgieverständnis zu kommen. Bei Spinoza hingegen entdeckt Festugière – neben allem Rationalismus und Pantheismus – Spuren eines Denkens, das zur Wiederentdeckung des Gottesdienstes in seiner Bedeutung für die Religion der Menschen hätte führen können. Neben der völligen Reduktion des Gottesdienstes auf die Nächstenliebe, die mit der Klassifizierung der Religion als eines „privaten Rechtes“ (RT 2, 163) zusammenhängt, gibt es bei Spinoza auch eine Spur von Mystizismus und von Leidenschaft für die Einheit, die paradoxerweise gerade die Denkmöglichkeit des christlichen Gottesdienstes fördern könnte. So kommt Spinoza vom entgegengesetzten Ausgangspunkt her zu demselben Ziel – und zwar klarer und besser, als das vom Cartesianismus (mit allen seinen Grenzen) her möglich wäre. Auch Leibniz eröffnet mit seinem „systema theologicum“ der christlichen Liturgie einen gewissen Raum, so dass er Festugière schließlich zu dem Ausruf veranlasst: „Wie viele Katholiken hat es überhaupt vom 15. bis zum 20. Jahrhundert gegeben, die die große Seele unserer Riten wirklich durchdrungen haben?“ (RT 2, 171) Festugière versäumt es auch nicht, den sozialphilosophischen und religionsphilosophischen Ansatz von J.-J. Rousseau genauer zu behandeln. Wenn die Liturgie auch insgesamt in das Gebiet der Herzensreligion verwiesen wird, so wird sie dennoch als integrative öffentliche Angelegenheit verstanden. Grundsätzlich gilt für Rousseau der radikale Dualismus von innen und außen, indem die wahren religiösen Pflichten unabhängig von den menschlichen Institutionen gedacht werden. Diese Theorie bevorzugt die Herrschaft des Gefühls, befördert den Individualismus und Antitraditionalismus und macht den reinen „Ikonoklasten der Liturgie“ (RT 2, 178) zum Verbündeten. In seinem System ist die Liturgie nicht religiös zu denken. Sie wird auf ihre soziale Funktion reduziert. Überraschenderweise gehören für Festugière Rousseau und Kant sehr eng zusammen. Es ist nicht möglich, sich hier genauer mit den ausführlichen Erwägungen zu beschäftigen, welche Voraussetzungen Kant an einem angemessenen Verständnis des christlichen Ritus hinderten (vgl. RT 3, 274–285), zumal der Ton hier oft stark apologetisch ist. Sehr viel interessanter ist die Kritik Festugières an Kants Gebetstheorie, aus der 118
sich nach seiner Sicht einer der meistverbreiteten, diffusen Allgemeinplätze der modernen Mentalität ergibt. Die starke Moralgebundenheit seiner Theorie hindert Kant an der Erfassung eines inneren Widerspruches: Je authentischer das Gebet, desto unartikulierter ist es auch, reduziert auf bloße Andeutungen und Anwandlungen; je weniger authentisch es ist, desto mehr kann es sich um eine geistige und vernehmbare Auseinandersetzung handeln. Festugière belegt dies mit dem Begriff eines „psychologischen Irrtums“, obgleich man vielleicht besser von einem grundlegenden „anthropologischen Irrtum“ sprechen könnte. Ein nicht ausgedrückter Wunsch nämlich ist nicht existent; er könnte allenfalls im tiefsten Innern des Verstehens lokalisiert werden, wobei dann Geist und Körper, Bedeutung und Bedeutungsträger, Fakten und Bewertungen, Geschildertes und Schilderung radikal zu scheiden wären. Das Unartikulierte ist auch unbestimmt und die Suche nach der völligen Reinheit ist und bleibt etwas Zweideutiges. Man gelangt so in der Regel nur zu einer entleerten Totalität. Jeglicher Mystizismus unterliegt diesem Risiko: Er will zum jenseits der Liturgie Liegenden gelangen und kann sich deswegen nicht einmal mehr in überzeugender Weise diesseits von ihr bewegen. Gerade dieser Ansatz führt dazu, dass Kant den sozialen Aspekt des Gebetes sehr viel besser zu verstehen weiß als den individuellen. Der letzte Blick gilt zwei quasi zeitgenössischen Denkern: Comte und Spencer. Der Vater der Soziologie habe das Verdienst der Erkenntnis, dass „die Intelligenz als solche unfähig dazu ist, Verbindungen unter Menschen praktisch zu erkennen“ (RT 3, 303). Bei Comte, so Festugière, gibt die merkwürdige Konvergenz von Positivismus und Katholizismus zu denken und verlangt weiterführende Überlegungen. Jene Art von atheistischer Verdoppelung katholischer liturgischer Strukturen, welche Comte in seinem System wagt, ist für Festugière so etwas wie eine paradoxe „Apologie der katholischen Religion“. Denn Comte „nimmt sorgfältig – nahezu ehrfürchtig – alle psychologischen, soziologischen, moralischen, kultischen und ästhetischen Elemente auf, die ihm geeignet erscheinen, in seine positivistische Synthese überführt zu werden.“ (RT 3, 307)
Als Gegenpol zu dieser seltsamen (und a contrario an den Katholizismus gerichteten) hommage folgt die methodistische und quäkerische Betrachtungsweise bei H. Spencer. Von ihm geht eine unmittelbare Verachtung von Autorität und jeglichem „Hohepriesterlichen“ aus, wie es sich in religiösen Feiern findet. Hier bleibt Gott essenziell der Unerkennbare. Doch ist dies der erste Spencer. Der zweite wird zumindest die soziale und bürgerliche Funktion von institutionalisierten und geregelten religiösen Formen anerkennen. Doch der bürgerliche Fortschritt lässt das menschliche Versöhnungsbedürfnis zurücktreten und die ethische Entwicklung drängt die Bedeutung von rituellen Elementen zurück. Hier identifiziert Festugière die alten Konsequenzen des kantischen Ansatzes 119
und damit das Faktum eines unüberwindlichen Gegensatzes zur Logik des Gottesdienstes. Die Überlegungen Festugières bleiben jedoch in gewisser Weise fragmentarisch. Am Rande der Seite lesen wir: „A suivre“ (RT 3, 312). Doch tatsächlich folgte nichts mehr und Festugière war nach dem Krieg gezwungenermaßen zum Schweigen verurteilt. Seine unermüdliche Suche nach den theoretischen, psychologischen und anthropologischen Wurzeln des in der Moderne raren Interesses für den christlichen Ritus und seine fundamentaltheologische Bedeutung sollte keine Fortsetzung finden, wenigstens nicht, was die Theorieebene angeht. Um eine wirkliche Analogie zu Festugières damaligen Forschungen zu finden, wird man auf eine neue Studie warten müssen, in der – wenngleich mit anderer Akzentsetzung und aus dem Abstand von 80 Jahren – die systematische Auseinandersetzung mit Kant, Hegel, Rosenzweig und den von ihnen entwickelten Gottesdienstverständnissen vorangetrieben und mit den Herausforderungen des Denkens und des christlichen Gottesdienstes in Moderne wie Postmoderne konfrontiert wird.34
5.7. Die Aktualität der offenen Perspektive von 1913 und die aktuellen Defizite Zusammenfassend fällt es schwer, die Gültigkeit der am Beginn des Kapitels zitierten Überlegungen zu bezweifeln, in denen bereits 1913 das philosophische und grundsätzliche Reflexionsdefizit im Hinblick auf den christlichen Gottesdienst deutlich wurde: „Auf dem Gebiet der Liturgie begegnet man bemerkenswerten – alten wie neuen – Werken voller Gelehrsamkeit und Frömmigkeit sowie sorgfältigen Lehrbüchern und skrupulösen Kommentaren der Rubriken. Doch noch nie ist der Gegenstand des christlichen Gottesdienstes als ganzer in philosophischer Weise behandelt worden.“35
Leider ist diese Feststellung auch mehr als 80 Jahre später von nahezu unveränderter Aktualität. Wenn wir diesem ersten Fazit die Meinung des Zeitgenossen L. Beauduin zu Festugières Werk anfügen, wonach „sein Werk die wissenschaftliche Phase der liturgischen Bewegung eröffnet“36, so müssen wir auch hinzusetzen, dass dieser glänzenden Eröffnung keine angemessene oder 34 Vgl. E. Salmann, Andacht. Philosophen vor dem Phänomen der Liturgie, in: Ecclesia orans 7 (1990), 309–333. Eine ähnliche Lesart findet sich bei A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, 156–191 sowie bei S. Rouvillois, Corps et Sagesse (= Leib und Weisheit). Philosophie der Liturgie, Paris 1995. 35 LC, 28, Anm. 1 (Kursivierung A. Grillo). 36 Formuliert von Beauduin in seiner Rezension zu LC in: Questions liturgiques et paroissales 3 (1912/13), 391–394: 391.
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gar ruhmreiche Entwicklung gefolgt ist. Dies gilt zunächst für die Liturgische Bewegung und dann auch für die liturgische Theologie. Man wird schließlich zugeben, dass diese „wissenschaftliche Phase“ ein paradoxes Gesicht behält, weil sie sich einerseits von Anfang an jenseits ihrer eigenen Zeit befand, aber andererseits bald diesseits der ihr gestellten Aufgabe blieb. Offen gestanden fällt es schwer, auch weiter mit der Sicherheit Festugières festzustellen: „Die Liturgie gewinnt täglich an Boden.“37 Die ungelöst gebliebene fundamentaltheologische Aufgabe einer wirksamen „Wiederingebrauchnahme“ des christlichen Gottesdienstes, die in der Verdrängung des Kultus aus den Grundfragen des Glaubens erkennbar wird, macht eine solche Einschätzung schwierig und problematisch. Man spürt den Wahrheitsgehalt der besorgten Einschätzung L. Beauduins, der bereits 1914 die exakte Prognose stellte: „Viele Generationen haben Jahrhunderte darauf verwendet, die traditionelle (liturgische) Frömmigkeit zu verlernen; man wird auch viele Jahrhunderte dafür benötigen, sie wieder neu zu lernen.“38 Dennoch wird uns ein notwendiger Impuls für jede zukünftige Liturgie- und Sakramententheologie im Bewusstsein bleiben, sozusagen als Hinweis auf die drängenden Aufgaben: Ich meine den ernsthaften Klang der schwierigen, für uns Heutige auch etwas disparaten Formel, mit der Maurice Festugière nicht nur die Einleitung seiner „Skizze einer Synthese“ schließt, sondern auch eine knappe Zusammenfassung seines so wertvollen liturgietheologischen Werkes gibt: „Auf ein uns zutiefst am Herzen liegendes Ziel wollen wir nicht verzichten: zu denken geben.“ (LC, 28)
37 Mit diesem Satz beginnt die Einleitung von QL (11) wie von RT 1 (39). 38 [Anm. d. Übers.: Hier ist keine Quelle angegeben; vgl. oben Anm. 6 und 18–20.]
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6. KAPITEL
Überlegungen zu einem neuen Wissenschaftszweig: Liturgische Theologie Was in der liturgischen Haltung steht, was betet, opfert und handelt, ist nicht „die Seele“, nicht „die Innerlichkeit“, sondern „der Mensch“. R. Guardini1
Gegenüber den pseudo-liturgischen Übertreibungen gilt es auch die Freiheit des Geistes zu verteidigen. J. Maritain/R. Maritain2
Der Gang unserer Untersuchung hat uns bisher drei Modelle, Stile, Systeme bzw. Idealtypen der Beziehung zwischen Theologie und Ritus vor Augen geführt. Wir haben zu jedem Modell einige zwar nur ausschnitthafte, aber doch beispielhafte Ausprägungen kennen gelernt. Die Modelle bilden damit den Hintergrund, die Grundlage unserer Überlegungen. Sie können dazu dienen, den Kontext zu erhellen, in dem eine neue Disziplin „liturgische Theologie“ entstehen konnte (und musste). Es ist gewiss nicht sinnvoll, in dieser lediglich den Triumph des letzten Modells, der Reintegration, zu sehen. Wie wir bereits feststellen konnten, treten die drei Theoriemodelle niemals in Reinform in Erscheinung. Das trifft auch auf die liturgische Theologie zu, die zwar primär im Zusammenhang der Reintegration des Ritus entstanden ist und fortlebt, aber von Anfang an deutliche Spuren der Voraussetzung und auch – wir müssen sagen: leider – der Verdrängung in sich trägt. Um den Übergang zur theologischen Theorie der Liturgie im engeren Sinne vorzubereiten, stellen wir uns in diesem Zwischenkapitel der Aufgabe, die schwierigen Anfänge der liturgischen Theologie mit allen unvermeidbaren Missverständnissen sowie den neu eröffneten Perspektiven zu untersuchen.
1 R. Guardini, Liturgie und liturgische Bildung, Mainz/Paderborn 21992 [1923], 28. 2 J. Maritain /R. Maritain, Vita di preghiera. Liturgia e contemplazione, Rom 1979, 136.
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6.1. Liturgische Bewegung, Nostalgie und Theoriefortschritt Die Neuformulierung der liturgischen und sakramentalen Fragestellung begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fand ihren Ausdruck in den ersten Überlegungen dessen, was man dann später die Liturgische Bewegung nennen sollte.3 Wenn dieses Phänomen eine Bedeutung hat, dann die, das seit mehr als einem Jahrhundert deutlich gewordene Interesse an einer Begegnung von Ritus und Liturgie einer neuen Zielbestimmung zuzuführen. Wenn so bei P. Guéranger (1805– 1877) im Wesentlichen noch das rein philologische und nostalgische Interesse vorzuherrschen scheint, wird die Liturgie schon von L. Beauduin (1873–1953) und M. Festugière (1870–1950) einer theoretischen, tiefer gehenden Analyse unterzogen, was einen entscheidenden Schritt zu einer fundamentaltheologischen Betrachtung bedeutet. Es ist bemerkenswert, dass beide Autoren, von denen man bei der eigentlich theologischen Reflexion der Liturgie und einer möglichen liturgischen Theologie in der Regel ausgeht, ihre Arbeiten fast in demselben Jahr im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts publizierten: So erschienen Guérangers „Essai de manuel fondamental de liturgie“ 1912 und „La pieté de l’Eglise“ 1914, während Festugière – wie wir sahen – „La liturgie catholique“ 1913 zum Druck gab. Als Vorläufer der tief greifenden Überlegungen zur Liturgie in den darauf folgenden Jahrzehnten, die später in der von „Sacrosanctum Concilium“ angestoßenen Liturgiereform kulminieren sollten, nahmen die drei Benediktinermönche schon eigenständig vieles von dem voraus, was später zu der Ausarbeitung einer wirkungsvollen liturgischen Theologie4 führte. Das Nachbuchstabieren dieser Versuche und ihrer verschiedenen Zugangsweisen hilft nicht nur dabei, fast alle späteren Themen zu antizipieren, sondern auch, einige bis heute offene Fragen der Liturgietheologie auf den Begriff zu bringen. Da wir uns im letzten Kapitel schon ausführlich mit M. Festugière beschäftigt haben, ist die Aufmerksamkeit jetzt kurz auf die beiden anderen Wegbereiter der neuen Disziplin zu richten.
6.2. Die benediktinische Neubesinnung bei P. Guéranger Die Lebenszeit von Prosper Guéranger (1805–1877) umfasst beinahe das gesamte 19. Jahrhundert. Er ist für die Liturgische Bewegung und die liturgische Theologie so etwas wie ein früher Vorläufer, der sich genau 3 Umfassende Informationen zur kulturellen und theologischen Bedeutung dieses Phänomens s. bei B. Neunheuser, Movimento liturgico, in: D. Sartore/A. M. Triacca, Nuovo dizionario di liturgia, Mailand 1988, 905–918. 4 Vgl. S. Marsili, Liturgia e Teologia liturgica, in: Sartore/Triacca (s. letzte Anm.), 725–742 und 1508–1525.
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auf der Grenze zwischen traditionsverhafteter Forschung und prophetischer Antizipation bewegt, weil er Motive vorwegnimmt, die erst ein Jahrhundert später zu Kernpunkten von Theologie und Liturgiereform werden sollten. Das Urteil über Guéranger bleibt zweideutig. So gilt er bisweilen als Erneuerer der Schätze des Mittelalters und christlicher Nostalgiker, bisweilen als gefährlicher Neuerer und unverbesserlicher Anhänger der Ideen von Lamennais, jenes eigenständigen und originellen Geistes. Auch die scharfen Urteile über seine Person5 können nicht an dem wichtigen Beitrag vorübergehen, den Guéranger durch das Herausstellen der traditionsbezogenen und sozialen Komponente der Liturgie geleistet hat. Auf jeden Fall dürfte feststehen, dass seine Tendenz, die Liturgie in der Tradition und in der Gemeinschaft und Sozialität zu verankern, keine bloße Verweigerung gegenüber Freiheit und Individualität ist – wie dies viele Lesarten glauben machen wollen –, sondern auch (bzw. vor allem) das Ergebnis eines radikalen, wenn auch einseitigen Nachdenkens über die Wahrheit des Christentums. Der tiefe Wunsch, das Christentum nach der französischen Revolution zu begreifen, hatte bei Guéranger nicht nur historisches Interesse geweckt, sondern auch die Offenheit für beachtliche theoretische Überlegungen6, die über den Buchstaben hinaus blicken und Kernpunkte der liturgischen Frage erfassen, wie man sie erst etwa 50 Jahre nach seinem Tod zum Thema machen sollte. In Guérangers Denken ist nicht nur Leidenschaft für die Rekonstruktion des liturgischen Erbes der Vergangenheit lebendig, sondern auch die radikale Frage nach dem Traditionsbegriff selbst, also nach der theologischen Bedeutung der sozialen Dimension, nach dem Verhältnis von Dogmatik und Liturgie7 sowie nach dem Grundverständnis und der Entwicklung des liturgischen Jahres8. Eine Reihe von Beiträgen in jüngster Zeit hat die theoretische Substanz der Arbeiten Guérangers bleibend herausgestellt.9 Das Ergebnis dieser 5 So z. B. bei L. Bouyer, La vie de la liturgie. Une critique constructive du Mouvement liturgique, Paris 1956 und, davon abhängig, S. Marsili, La liturgia: momento storico della salvezza, in: ders. (Hg.), Anamnesis. Introduzione storico teologica alla liturgia, Casale Monferrato 21979, 31–156, bes. 74f. 6 Das zeigt die genaue Rekonstruktion von Guérangers Bildungsgeschichte bei C. Johnson, Dom Guéranger et le renouveau liturgique. Une introduction à son Oeuvre, Paris 1988. 7 AaO., 207–288. 8 Die Fragestellung ist mit interessanten Resultaten vertieft worden von F. Brovelli, Per uno studio de „L’Année Liturgique“ di P. Guéranger. Contributo alla storia del movimento liturgico (= Ephemerides liturgicae, Subsidiae 22), Rom 1981. 9 Hier beziehe ich mich besonders auf A. Catella, Dalla costituzione conciliare „Sacrosanctum Concilium“ all’enciclica „Mediator Dei“, in: La „Mediator Dei“ e il Centro di Azione Liturgica, Rom 1988, 11–43, und auf J.-Y. Hameline, Liturgie, Eglise, Societé. A la naissance du Mouvement Liturgique: Les „Considérations sur la liturgie catholique“ de l’abbé Prosper Guéranger („Mémorial Catholique“ 1830), in: La Maison Dieu 208 (1996),
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Studien ist ferner, dass Guéranger unter dem Einfluss von Lamennais und von De Bonald stand und die Liturgie von daher unter politischen und linguistischen Annahmen zu interpretieren suchte. Er betrachtete die Liturgie als Sprache der Kirche und maß ihrer sozialen und religiösen Vermittlungsleistung eine Bedeutung zu, die ihren Ausdruck findet in der Wiederentdeckung des Prinzips: „Legem credendi statuat lex supplicandi“ (= „Das Gesetz des Opferns bestimmt das Gesetz des Glaubens“), welches „einen Widerspruch klar zum Ausdruck bringt, insofern es dem ‚konsequenten Reformismus‘ Tür und Tor öffnet, wie er schon bei dem Abbé von Solesmes zwischen Texttreue (mit der Tendenz zur Genauigkeit, aber auch zum Archäologischen) und Geisttreue (mit der Tendenz zur Überbewertung des Subjektiven) hin- und herschwankt.“10
Diese Beobachtungen helfen uns zu verstehen, wie das Klima im nachrevolutionären Frankreich von gegensätzlichen Kräften gekennzeichnet war: Vom Bruch mit der Tradition und von der Restauration der zerstörten Tradition. Beide Kräfte führten gemeinsam zur grundsätzlichen Frage nach dem Sinn der Moderne und damit zu einem theologischen Denken, das einen anderen Blick auf die liturgische Feier richtete – mit mehr Sorgfalt und darum auch mit mehr Aufmerksamkeit. Die Kritik am Individualismus und die Entdeckung der gemeinschaftlichen Dimension von Kirche führten Guéranger zur Beschreibung der Liturgie als „Sprache der Kirche“, welche dazu „in der Lage ist, Innerlichkeit und Äußerlichkeit sowie Subjekt und Vermittlung auf neue Weise zu integrieren.“11 Die Neuentdeckung von P. Guérangers integrativem Ansatz ohne Überzeichnungen bleibt einer zukünftigen liturgischen Theologie als Aufgabe gestellt. Bereits die Einsicht aber, dass dieser Mönch aus dem 19. Jahrhundert nicht als bloßer Nostalgiker abgetan werden kann, sondern dass er als Theologe und Historiker mit Substanz, erfüllt von neuen Ideen und vielfältigem Wissen, zu gelten hat, stellt mit Sicherheit einen Gewinn für die Geschichtsschreibung der Liturgischen Bewegung dar.12 So bestätigt sich auch die Tatsache, dass das Entstehen einer liturgischen Frage seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts identisch war mit „der Frage der Bedeutung (oder wiedergewonnenen Bedeutung) der Feierpraxis des modernen Menschen.“13 7–46. Hameline hatte sich mit der Person Guérangers bereits beschäftigt in: ders., Le son de l’Histoire. Chant et musique dans la restauration catholique, in: La Maison Dieu 131 (1977), 5–47. 10 J.-Y. Hameline, Le son de l’Histoire, 17. 11 A. Catella (s. o. Anm. 9), 24. 12 Die Schlussfolgerungen von C. Johnson (s. o. Anm. 6), 349–356 wollen die Bedeutung von Guérangers Denken in seiner ganzen Tragweite neu ins Gedächtnis rufen. 13 A. Catella (s. o. Anm. 9), 25. Insgesamt geht das Interesse für die Liturgie auch bei den am stärksten antimodernen Vätern der Liturgischen Bewegung schlicht von der klaren Entgegensetzung von Ritus und Moderne aus.
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6.3 Die pastoraltheologische Betrachtung bei L. Beauduin Lambert Beauduin (1873–1953) gilt als Initiator einer wirklich eigenständigen theologischen Betrachtung des Gottesdienstes im 20. Jahrhundert. Geboren wurde er 1873 (also vier Jahre vor dem Tod von Guéranger) und war dann aktiv bis 1953, wobei er außerordentliche Wirkung und Initiative zeigte.14 Seine grundlegenden Verdienste für die Entwicklung einer liturgischen Theologie können folgendermaßen zusammengefasst werden: a) er brachte die Liturgische Bewegung im modernen Sinne voran, indem er Kongresse organisierte, Zeitschriften wie „Questions liturgiques et paroissales“ (1910) gründete und so in den ersten fünf Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zur Zentralfigur vielfältiger Initiativen wurde; b) er sorgte für ein Programm und Selbstverständnis der Liturgischen Bewegung und es ist sein Verdienst, dass er beides besonders auf das pastorale Gebiet bezogen hat; c) nachdem er sich lange Zeit mit der Liturgietheologie befasst hatte, entwickelte er später stärkere ekklesiologische Interessen und verband diese mit großer ökumenischer Sensibilität und Offenheit. Beauduin ist ein Vertreter der ersten Generation der liturgischen Erneuerung im 20. Jahrhundert,15 der ein herausgehobenes Interesse für die fundamentalen Fragen zeigte. Dies geht bereits aus den Titeln so mancher programmatischer Artikel hervor, die Beauduin in der von ihm gegründeten Zeitschrift im Jahre 1912 schrieb.16 Der Theoriezugewinn seiner Schriften ist mindestens im Hinblick auf dreierlei Faktoren von Bedeutung, wobei man Positives und Negatives unterscheiden muss: a) er prägt die Definition der Liturgie als „Gottesdienst der Kirche“ mit einer Verbindung des „Genus“ Gottesdienst und der „Spezies“ Kirche, die in den folgenden Jahrzehnten ihren positiven Einfluss geltend machen wird; b) man bleibt gleichwohl unzufrieden wegen der Grenzen seiner ekklesiologischen Konzeption17, die auch seine Wahrnehmung der liturgischen Dimension negativ bestimmen wird; c) er bewahrt sich im Allgemeinen ein Bewusstsein für die Tatsache, dass die Liturgietheologie aufhören muss, lediglich das Spielfeld für Historiker, Archäologen, Ästheten und Zeremonialisten zu sein.18 14 Auch hier beziehe ich mich auf A. Catella (s. o. Anm. 9), 30–32. 15 Vgl. A. Haquin, Dom Lambert Beauduin et le renouveau liturgique, Gembloux 1970. 16 Vgl. L. Beauduin, Essai de manuel fondamental de liturgie, in: Questions liturgiques et paroissales 3 (1912/13), 56–66; 143–148; 201–209; 271–280. 17 Vgl. F. Brovelli, Storia del movimento liturgico nel Novecento, Skript des Pastoralliturgischen Instituts Padua im Akademischen Jahr 1986/87. 18 Vgl. S. Marsili (s. o. Anm. 4), 1515.
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Vielleicht sollte man Beauduin aber noch stärker als Schriftsteller denn als Organisator, Vermittler und Moderator der liturgischen Theologie in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Erinnerung rufen. Nur jemand mit seinen großen Gaben war dazu in der Lage, M. Festugière mit spitzer Feder gegen die Angriffe zu verteidigen, die gegen ihn vorgebracht wurden. Außerdem wusste Beauduin an einem besonderen Realismus festzuhalten. So traf er 1914 eine bis heute nachdenklich machende Feststellung, die leider immer mehr in Vergessenheit gerät: „Viele Generationen haben jahrhundertelang dafür gebraucht, die überlieferte (liturgische) Frömmigkeit zu verlernen; sie werden auch Jahrhunderte brauchen, um sie wieder neu zu lernen.“ Schon aus dieser Beobachtung ergibt sich das primäre Interesse der Überlegungen Beauduins: Es handelt sich um eine ausdrücklich pastorale Sorge. Mit der Diagnose der Krankheiten, die das Leben der Kirche seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts befallen hatten, entdeckte man mit der Bemühung um eine „liturgische Frömmigkeit“19 zugleich das mögliche Heilmittel.
6.4. Grundtheorien des neuen Interesses an der Liturgie Aus den Überlegungen im Umfeld des Denkens von Guéranger und Beauduin ergibt sich in Verbindung mit dem bereits zu Festugière Gesagten, dass die Grundlinien der im Entstehen befindlichen Disziplin in drei verschiedenen Richtungen verlaufen: a) historisch-philologisch (Guéranger); b) pastoraltheologisch (Beauduin); c) philosophisch-anthropologisch (Festugière). Diese besondere Mischung ist eine Art Sprengstoff, der dann bald, und zwar zuerst bei Casel, zur Explosion gelangt. Bei ihm kommen die drei Komponenten der neuen Reflexion über Ritus und christlichen Gottesdienst in einer angemessenen Mischung zur Geltung. Auch bei diesen drei Komponenten – ebenso wie bei den drei oben behandelten Modellen – kann man nicht mit einem reinen Vorkommen rechnen. Das gilt für alle bisher besprochenen und noch zu analysierenden Autoren. Wie wir bereits gesehen haben, ergibt sich vielmehr bei den Interessen der einzelnen Theologen eine deutliche Überlagerung der Perspektiven. So findet sich einerseits ein philosophischer und politischer Zug bei Guéranger, wie andererseits Festugière eine historische Ader hat und Beauduin systematisches Fragen und Vermittlungsleidenschaft mitbringt und wie man eine erkennbar liberale Komponente bei dem Traditionalisten Guéranger 19 Der Titel seines bedeutenden Werkes lautet: L. Beauduin, La pieté de l’Eglise, Leuwen 1914.
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ausmachen kann.20 Wenn wir das in den Anfängen der Liturgischen Bewegung herrschende Niveau und die entsprechende Komplexität in Rechnung stellen, werden wir andererseits auch die großen Krisen ahnen, die diese Bewegung später erleben und durchstehen sollte. Nur so können wir auch Auftreten und Durchschlagskraft der oppositionellen Kräfte verstehen, deren Gegner (und bisher auch Opfer) die Liturgische Bewegung später werden sollte. Wir wenden uns darum jetzt einem der grundlegenden Einsprüche gegen den Geist der Liturgischen Bewegung zu, um danach noch einmal die philosophisch-anthropologischen Fragestellungen aufzugreifen, die diesen Geist ermöglicht und hervorgebracht haben. Die Gegenüberstellungen können uns helfen, die ausgearbeiteten Formulierungen der späteren liturgischen Theologie besser zu verstehen, die wir im folgenden Kapitel behandeln.
6.5. Schwierigkeiten mit dem neuen Weg: J. und R. Maritain Nicht alles, was heute wie Gold glänzt, ist von vornherein als solches und in seinem besonderen Nutzen erkannt und gewürdigt worden. Um den kulturellen Abstand des Kontextes zu verstehen, in dem der Liturgiediskurs vor 40 Jahren stattfand, ist eine besondere Aufmerksamkeit für die Gegner hilfreich. Jacques und Raissa Maritain sind recht verstanden zwar keine Feinde der liturgischen Theologie. Dennoch müssen ihre Argumentationen als objektiv verschlossen und unempfänglich gegenüber der neuen liturgischen Frage gewertet werden. Von daher kann sich auch ein größeres Verständnis für die Ermüdung, für die leidvollen Erfahrungen und die Isolation ergeben, denen die Ideen der Liturgischen Bewegung unterlagen, bevor sie nicht mehr als „extravagant“, „heterodox“, „modernistisch“ und „widersprüchlich“ gegenüber den fundamentalen Prinzipien und Lehren des christlichen Glaubens galten. Ein stärkeres Bewusstsein für diese Zusammenhänge und eine Ahnung von den Schwierigkeiten, die die Vorläufer durchlitten, macht zugleich auf das Herausfordernde jener grundlegenden Fragestellungen aufmerksam, das heute kaum mehr empfunden wird, da das Damalige zum Allgemeinplatz geworden ist. 20 Höchst bemerkenswert ist z. B. die Tatsache, dass das Projekt der Abteigründung von Solesmes ursprünglich im liberal-katholischen Umfeld und zur Abgrenzung gegenüber kirchlichen Ansprüchen stattfand. Entsprechend erklärte Guéranger seine Sicht der Dinge in einem Brief an Montalambert: „Noch einmal: Eine solche Unterstützung lässt sich nur bei organisierten Klerikern finden. Ihre Unabhängigkeit, ihre Sitten, Gebräuche und Traditionen und vor allem ihre Freiheit kann unseren Gegnern etwas entgegensetzen. Darum scheint es sich für mich bei unserer benediktinischen Sache nicht nur um die Gründung eines Klosters zu handeln, sondern um eine katholisch-liberale Oppositionsbewegung, ohne die unsere Kirche zugrunde gehen wird.“ (Guéranger an Montalambert am 27.2.1832, zitiert nach C. Johnson [s. o. Anm. 6], 103, Kursivierungen von A. Grillo.)
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Der Weg, auf dem wir uns den Problemen nähern, ist eine Analyse der Kritik, die am Ende der fünfziger Jahre in Gestalt von Jacques und Raissa Maritain an den liturgischen Erneuerern vorgebracht wurde. Die von dem Ehepaar Maritain eingenommene Perspektive ist die Gegenüberstellung von Liturgie und Kontemplation. Auf diesem Hintergrund kommen viele Annahmen aus der Enzyklika „Mediator Dei“ von 1947 zum Tragen. Sie werden als ein wichtiger Schutzwall gegen die wachsende Flut des neuen liturgischen Geistes verstanden. Die wichtigsten Thesen der interessanten Arbeit seien hier zusammengefasst: 1) Vor allem wird eine deutliche Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Kultus gefordert. Was beim christlichen Gottesdienst wirklich zählt, ist die innere und spirituelle Realität. Der äußere, öffentliche, leibliche und wahrnehmbare Gottesdienst (die Liturgie) hat gegenüber der Kontemplation zurückzustehen, weil diese der Zielpunkt und die Vollendung ist: „Es ist normal, dass diejenigen, die am liturgischen Leben teilnehmen, danach streben, zu der Weise der Kontemplation der Heiligen vorzudringen und damit auch, verschiedene Formen des inneren Gebetes zu praktizieren.“21 2) Daraus ergibt sich fast zwangsläufig die Betonung der Differenz zwischen der Teilhabe der Kirche an den Mysterien Christi und den Ausdrucksformen dieser Teilhabe. Die erstere „steht über demjenigen, das lediglich zum Ausdruck bringt, was im Inneren, in der Seele der Kirche der Heiligen, lebendig ist. [. . .] In der Kontemplation der Kirche kommen die theologischen Tugenden und die geistlichen Gaben unsichtbar im Herzen zur Blüte. Darum ist die Kontemplation der großen Stimme der Liturgie vorgeordnet, weil diese ihre Ausdrucksform ist.“22 3) Damit ergibt sich eine deutliche Form von kirchlicher Identität, bei der die Vereinzelung und Individualität des Gottesverhältnisses alle Aufmerksamkeit für die Ausdruckskräfte der Liturgie schwächt: „Nie ist der Mensch klarer und deutlicher Mitglied der Kirche als dann, wenn er clauso ostio und allein mit Dem, den er liebt, verbunden ist – mit Gott in unaussprechlicher Einheit von Person zu Person, im Einklang mit der Tiefe Gottes.“23 Wer demnach den Primat einer individuellen und kontemplativen Spiritualität betont, wird die Liturgie nicht nur übergehen, sondern auch ein negatives Urteil über sie fällen (dabei erscheint die Liturgie z. B. als Ablenkung von der Einsamkeit der Kontemplation). Die gesamte Sinnlichkeit, Körperlichkeit und liturgische Vielschichtigkeit ist nach dieser Sicht eine echte Gefahr für die christliche Spiritualität. 21 J. Maritain/R. Maritain (s. o. Anm. 2), 86. 22 AaO., 87f. 23 AaO., 89.
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4) Unter strikter Anwendung von thomistischen Kategorien erfolgt dann die Feststellung, dass die Kontemplation von den Gaben des heiligen Geistes herkommt, „Gottesdienst und Liturgie hingegen essentiell von der Tugend der Religion herkommen“24 und darum ihre letzte Wahrheit außerhalb ihrer selbst finden, nämlich in der Kontemplation jedes Einzelnen. Nach detaillierten Ausführungen zur Natur der Kontemplation, deren Quellen deutlich moderne (Garrigou-Lagrange, Th. Merton) oder mittelalterliche (Thomas, Bonaventura, Bernhard), aber keine Autoren aus dem ersten christlichen Jahrtausend sind, wird schließlich eine Reihe von Vorannahmen, die von der Kontemplation wegzuführen drohen und darum als typisch für die Stärken (und Schwächen) der neuen Ideen der liturgischen Theologie gelten, aufgezählt.25 Es handelt sich gewissermaßen um einen Katalog von Störungen und Abwegen, vor denen der Primat der Kontemplation bewahrt werden muss26: a) Falsch ist die Idee, die Kontemplation sei an Techniken und Methoden gebunden, denen sich der Einzelne zwangsläufig unterwerfen müsse und die Liturgie sei demgegenüber eine „gemeinsame Bewegung“, die von selbst und ungezwungen zu Gott hinführt. b) Falsch ist die Idee, die Meditation des Einzelnen führe zu einer Spiritualität, bei der die Seele an sich selbst gebunden bleibt und sich selbst sucht, während man dieser „subjektiven“ Spiritualität eine rein „objektive“ und uneigennützige Spiritualität entgegensetzen müsse, eben die liturgische Spiritualität. c) Falsch ist die Idee, die großen Meister der Kontemplation (wie Theresa von Avila oder Johannes vom Kreuz) hätten einem „introspektiven Zeitalter“ angehört, während die Gegenwart andere Anforderungen stelle, so als ob das liturgietheoretische Bestreben „alles dem Primat von Sozialität und Gemeinschaft unterordnen“ und alle Probleme lösen könnte. d) Falsch ist die Idee, die Kontemplation sei für bestimmte geistliche Gemeinschaften und Erfahrungen reserviert – als könnte es keine „Kontemplation für jedermann“, keine verborgene, aber in der Gottesund Nächstenliebe wirksame Spiritualität geben. 24 AaO., 90. 25 Diese Vorannahmen sind praktisch eine getreue Wiedergabe der tragenden Ideen, die wir schon bei Guéranger und Festugière fanden und die uns entfernt auch bei Guardini, Casel, Marsili und der – im weiten Sinne – von ihnen geprägten Theologie wieder begegnen werden. Die Vorannahmen werden von Maritain/Maritain in zehn kurzen Paragraphen formuliert (116–142). 26 Es ist von gewissem Interesse, dass die Liturgische Bewegung schon 40 Jahre vorher ähnlich harsche Reaktionen hervorgerufen hatte (vgl. dazu Kapitel 5 über die jesuitische Gegnerschaft zu Festugière) und dass aus solchen Reaktionen nicht nur die Rückständigkeit der traditionellen Theologie spricht, sondern auch die Kompromisslosigkeit des liturgischen Ansatzes.
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e) Falsch ist die Idee, das Ziel der Zugehörigkeit zur Kirche sei die Mitgliedschaft in einer liturgischen Gemeinschaft – als wäre es nicht vielmehr das Wichtigste, Mitglied des mystischen Leibes Christi und der Gemeinschaft der Heiligen zu sein. Die „pseudoliturgische Systematisierung“ – so wird das Ursprungsmoment der Liturgischen Bewegung hier bezeichnet – „droht das geistliche Leben dem Menschlichen und Sozialen unterzuordnen, anstatt dieses über sich zu erheben, insoweit es etwas Spirituelles an sich hat.“27 „Im Namen der Liturgie will man sich mit einem bloßen natürlichen Herdeninstinkt zufrieden geben und ausgerechnet im Namen des Corpus mysticum unterwirft man sich einem bloßen esse inter homines“.28 f) Falsch ist die Idee, Gott würde nur die Versammlungen von Menschen lieben, welche zusammen beten und singen und nicht jede einzelne Person in ihrer einmaligen Originalität – wobei das Gebet ja das persönliche Du verwendet, dem es zu folgen gelte. g) Falsch ist die Idee, nur die partizipatorische Messe sei die wirkliche Messe. Entgegen solchen pseudo-liturgischen Anwandlungen sei es opportun, auch das „Recht des Schweigens“ zu verteidigen. „Auch wenn man unter dem Begriff ‚tätige Teilnahme‘ praktisch nur die äußerlich feststellbare Teilnahme versteht, [. . .] ist auch das Zuhören mit Herz und Ohr philosophisch gesehen genauso etwas Aktives wie das Reden.“29 h) Falsch ist die Idee, Spiritualität gebe es nur bei der Teilnahme am gemeinsamen Gottesdienst. Dagegen müsse man die Freiheit der Seelen verteidigen, die mit der Freiheit des Heiligen Geistes zusammenhänge, der da weht, wo er will.30 i) Falsch ist die Idee, die Liturgie beziehe ihre Kraft aus archäologischer Sorgfalt oder aus kommunikativ Neuem, während in Wirklichkeit ihre gleichmäßige Entwicklung für die Wahrheit und Wirkung einstehe. j) Falsch ist es zu guter letzt, dass die authentische christliche Spiritualität nur in der gemeinschaftlichen und beteiligungsorientierten Feier entstehen könne. Dagegen gelte es, die Rechte des Alleinseins zu verteidigen:
27 J. Maritain/R. Maritain (s. o. Anm. 2), 130. 28 Ebd. 29 AaO., 134. 30 Interessant ist die an diese Aussage geknüpfte längere Anmerkung: „Rom war immer wachsam gegenüber jeglicher Versuchung zur Erstarrung der Geister. Man weiß, dass der Geist der Liturgie den Geist evangelischer Freiheit verlangt, wie das für das neue Gesetz gilt. Doch diejenigen, die Liturgie und Pseudo-Liturgismus verwechseln und nur die gemeinschaftliche Form von Frömmigkeit wertschätzen, so dass sie von allen verlangen, in Wort und Gestus mit militärischer Präzision den liturgischen Formen zu gehorchen, und die außerdem die private Frömmigkeit zurückweisen oder in Frage stellen (sogar die Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes außerhalb der Messe), diese – sage ich – legen den Seelen rigide Belastungen auf und beschweren sie mit äußeren Pflichten, die von derselben Art sind wie bei der Beachtung des altes Gesetzes.“ (137)
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„Ist die Möglichkeit, zum geistlichen Leben im Vollsinne zu gelangen, am Ende für eine privilegierte Elite reserviert, die zum liturgischen Dienst gesegnet ist? Immerhin gibt es die Masse der anderen, die von Lebensnotwendigkeiten und Arbeitspflichten daran gehindert sind. Da sind die Menschen mit familiären Pflichten, die Reisenden, Kranken, Analphabeten und Einsamen [. . .]. Das Alleinsein und einsame Leben gilt es gegen den Pseudo-Liturgismus zu verteidigen.“31
Alle diese Fehlannahmen und Vorurteile zeigen, dass das zuerst von Festugière und dann von Guardini gezeichnete Bild voller Kontraste ist. Die eigentliche Intention der Eheleute Maritain ist dabei jedoch nicht, die liturgische Erneuerung pauschal anzugreifen. Es geht ihnen vielmehr darum, jegliche Form von liturgischer Selbstgenügsamkeit aufzuzeigen. Denn die Liturgie dispensiere nicht von der Askese, vom Schweigen, von der Einsamkeit und der Arbeit an der eigenen Individualität und Persönlichkeit. Daraus ergibt sich eine doppelte Wahrnehmung: Auf der einen Seite erkennen wir in den harten Worten der Maritains wieder den langen Einfluss der Verdrängung des Ritus aus dem Fundament des Glaubens. Damit ist die Wahrnehmung des liturgischen Ritus überhaupt radikal gefährdet: Der Wunsch, gänzlich ausgewogen zu urteilen, bedeutet folglich, wenn das Gewicht der einen Seite aus dem Blick geraten ist, nicht mehr die ganze Wahrheit zu sagen; Ausgewogenheit bedeutet in diesem Falle das Verdecken, Verschleiern und Zurückweisen der erforderlichen rituellen Bedeutungskomponente, wie sie von der Kontemplation als solcher nicht erreicht werden kann. Die Auseinandersetzung mit dieser Kritik bringt aber andererseits auch eine Reihe von wirklichen Grenzen der liturgischen Theologie zu Bewusstsein. Es gibt zahlreiche Ungenauigkeiten, Einseitigkeiten und zu einfache Vermutungen, die vielen Kritikpunkten der Maritains objektiv Recht geben. In den Zusammenhang dieser Schwierigkeiten gehört auch die Tatsache, dass es gerade der Modernist Tyrrel war, der am Anfang des 20. Jahrhunderts für die Wiederentdeckung und Neuinterpretation der Formel legem credendi statuat lex orandi verantwortlich war. Erst auf diesem Hintergrund lassen sich auch die bei Casel und Marsili begegnenden anti-systematischen Tendenzen richtig ermessen. Das gilt außerdem für die berühmte, von Balthasar stammende Einordnung der Liturgischen Bewegung in die für die moderne anthropologische Reduktion verantwortliche Erbfolge, die dann sozusagen unmittelbar zu der großen Kantischen Wegscheide zurückführt. Balthasar stellt die Reihe von Kant über Feuerbach bis zu Marx, Ebner, Buber, Ragaz und schließlich noch bis zu Scheler und einigen Formen des christlichen Personalismus auf und fügt dann hinzu:
31 Ebd., 140.
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„In der liturgischen Bewegung spiegelt sich paradoxerweise auch etwas von dieser Denkart ab, da die mit Recht beabsichtigte Mehrbeteiligung des Volkes am Altar sich untergründig wandelt in eine Selbsterfahrung und einen Selbstgenuss des frommen Gemeindebewusstseins – bis in die neue Architektur hinein.“32
6.6. Die Wahrnehmung der neuen liturgischen Frage bei R. Guardini Einer der größten Denker, die nach den Grundlagen der Liturgie gefragt haben, ist gewiss Romano Guardini, der kein Theologe im engeren Sinne war, sondern Philosoph und Theoretiker der Existenz, Spiritualität und Kultur. Gerade ihm haben wir es zu verdanken, dass aus dem zentralen Thema der Liturgischen Bewegung die liturgische Frage entstehen konnte. Außerdem ist er derjenige, auf den wir – mit der besonderen Ausnahme von Festugière, den Guardini selbst schätzte33 – auch das Entstehen des theoretischen Interesses für den Ritus der christlichen Feier im philosophischen und anthropologischen Sinne zurückführen können.34 Guardini vereinte zwei besondere Talente: Sensibilität beim intuitiven Erfassen von Anzeichen epochaler Umbrüche und das konsequente Bemühen, Wirkungen auf ihre eigentlichen Ursachen zurückzuführen. Dies lenkte Guardinis Aufmerksamkeit vor allem auf das Verhältnis von Feier und Moderne. Denn besonders in diesem Zusammenhang ist die liturgische Frage aufzuwerfen und zu diskutieren.35 Das bedeutendste Werk Guardinis, „Vom Geist der Liturgie“36 ist darin besonders erhellend, dass es schon zu Beginn der zwanziger Jahre den Finger in die entscheidende Wunde legt. Gemeint ist die Unfähigkeit des modernen Menschen, den Sinn des Rituellen zu erfassen.37 Über das 32 H. U. v. Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe, Einsiedeln 51985 [1963], 28, Anm. 4. Es ist nicht notwendig zu fragen, bis zu welchem Punkt dieses Umkehrspiel und die Lesart des „untergründig“ wirklich zutreffend ist. Trotzdem ist die Annahme plausibel, dass das liturgische Fragen nach dem objektiven Element seine letzte Motivation in einem romantizistischen, über-subjektiven Moment gehabt haben könnte. 33 Dazu vgl. den bereits im Kapitel 5 erwähnten Aufsatz: R. Guardini, Das Objektive im Gebetsleben. 34 Auf diesen zentralen Punkt bei Guardini verweist der schöne Aufsatz von G. Busani, I compiti del movimento liturgico: la proposta di Romano Guardini (= Die Aufgaben der Liturgischen Bewegung nach der Ansicht von R. Guardini), in: F. Brovelli (Hg.), Liturgia: temi e autori. Saggi di studio sul movimento liturgico, Rom 1990, 83–138. 35 Ein wichtiger, theoretisch vertiefender Beitrag zum Verhältnis von Guardini zur Moderne findet sich in: R. Tagliaferri, La scienza liturgica fondamentale di R. Guardini nel quadro epistemologico attuale, in: ders., La violazione del mondo. Ricerche di epistemologia liturgia (= Die Entweihung der Welt. Forschungen zur liturgischen Epistemologie), Rom 1996, 119–162. 36 R. Guardini, Vom Geist der Liturgie, Freiburg 51961 [1918]. 37 Damit ist in luzider Weise genau die Frage aufgenommen, die wir unter einer fundamentalen Interpretationsperspektive aufgeworfen hatten, um dem Gehalt der liturgischen Theologie Form und Gestalt zu geben.
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normalerweise tief verwurzelte Empfinden des gegenwärtigen Menschen lesen wir darum Wichtiges bei Guardini: Der heutige Mensch „will – zumal wenn er von selbstständiger Sinnesart ist – das Gebet als unmittelbaren Ausdruck seines Seelenzustandes. [. . .] Besonders den heutigen Menschen, der in allem so reizarm ist, was Lebensgestalt angeht, der überall den Erdduft sucht und in allem auf den persönlichen Ton horcht, fröstelt es leicht in diesen kalten Formen.“38
Damit ist das Zentrum der liturgischen Frage schon geschickt angedeutet. Wir können das Problem mit anderen Worten so formulieren: Wie lässt sich dem heutigen Menschen das Entscheidende der Vermittlung durch die Liturgie nahe bringen, ohne die Unmittelbarkeit zu vergessen, auf die auch der Ritus bei der Wirkung auf den Menschen nicht verzichten kann? Die Radikalität dieser Frage verbietet eine zu simple Lösung. Sie verweist vielmehr in ihrer Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung auf das diffizile Geflecht von Fragen, die im Gefolge der Liturgiereform klar zutage getreten sind. Gerade weil die Liturgie nicht nur Vermittlung ist, sondern auch Unmittelbarkeit; gerade weil sie nicht nur Reform ist, sondern auch Neuanfang; nicht nur Ewigkeit, sondern auch Geschichte; nicht nur Theorie, sondern auch Aktion; nicht nur Evidenz, sondern auch Bildung – darum ist auch das anthropologisch-kulturelle Moment zutiefst rehabilitiert. So konnten sich zuerst die Liturgische Bewegung und später die liturgische Theologie ihrer Aufgabe auf einem sowohl wissenschaftlich als auch glaubenspraktisch überzeugenden Niveau annehmen. Was die gemeinschaftliche, objektive, geistliche, körperliche und sinnliche Dimension des liturgischen Ritus angeht, musste Guardini wie kein anderer das Gewicht des Historischen für diese Fragen in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Man beachte die genannte Passage genau, weil sie normalerweise missverstanden wird. In der Regel nämlich wird davon ausgegangen, dass die Anthropologie zeitlose (transzendentale) Strukturen des „menschlichen Seins“ betrachtet und zutage fördert, während die Theologie diese Strukturen kategorial, historisch und zeitlich, im Kontingenten, verortet. Doch gerade umgekehrt ist es richtig: Das Bewusstsein für die anthropologische und rituelle Dimension bewahrt die Liturgiereform vor der Geschichtslosigkeit – aus lauter philologischem Eifer oder aus einem von den Quellen ausgehendem Historismus – und lässt sie die liturgische Frage wirklich auf der Ebene der Bedeutungen und der Möglichkeit des Kult-Aktes heute stellen.39 38 R. Guardini (s. o. Anm. 36), 65f, Kursivierung von A. Grillo. 39 Dazu gehören die prophetischen, von Guardini 1964 geschriebenen Worte, die heute in einem anderen Licht erscheinen und seine Sicht gänzlich bestätigen: „Die liturgische Arbeit, das wissen wir alle, steht an einem wichtigen Punkt. Den Grund zum Künftigen hat das Konzil gelegt [. . .]. Nun aber stellt sich die Frage, wo die Arbeit ansetzen müsse, damit die erkannte Wahrheit zur Wirklichkeit werde. Natürlich wird eine Fülle von rituellen
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Es ist Guardinis Verdienst gewesen, dass er – ebenso vorsichtig wie entschieden – den Weg zu einer Neubesinnung auf das Verhältnis von Liturgie und Heiligem,40 Liturgie und Spiel, Liturgie und Körper gebahnt hat. Ganz allgemein geht es damit um das Verhältnis von Liturgie und religiöser Erfahrung. Dank dieser Verdienste wusste er bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Zusammenspiel von Reform und Neuanfang für die zukünftige Entwicklung der Liturgie zu erfassen. „Guardini hat sich nicht darum gekümmert, das ‚Wie‘ der Feier zu reformieren, um das Subjekt einzubeziehen, sondern ihm war es wichtig, dass durch den Sinn des Feierns zuerst das Subjekt gebildet wird, damit es zu einem jeweils neuen und zu erneuernden ‚Wie‘ befähigt wird.“41
Dieses Urteil führt zum Kern der uns beschäftigenden Fragestellung. Die Problematik wird uns im Folgenden ausführlich beschäftigen, soll aber schon an dieser Stelle folgendermaßen formuliert werden: Bei Guardini hat die Aufmerksamkeit für die liturgische Frage als essenziell für eine grundsätzliche Christentumstheorie den Charakter einer Herausforderung der modernen Weltanschauung angenommen. Dennoch gilt es den Irrtum zu vermeiden, diese Charakteristik beträfe ausschließlich die wenigen, vereinzelten Vertreter der Liturgischen Bewegung. Wie ich vielmehr schon an anderer Stelle42 zeigen konnte und wir auch in den folgenden Kapiteln feststellen werden, gibt es keine wirkliche Liturgiewissenschaft ohne die fundamentaltheologischen Impulse, wie wir sie in Reinform bei Casel und bei Marsili, bei Bonaccorso und bei Sequeri finden werden. Was bei Guardini herauskam, ist damit auch nicht die anthropologische Seite von etwas, das die liturgische Theologie dann auf die theologische Ebene zu bringen hätte, sondern es geht um die notwendige und unumgängliche anthropologische Integration der Theologie überhaupt, weil der liturgische Ursprung der Theologie nicht nur deren „Wie“, sondern auch deren „Was“ betrifft.
und textlichen Fragen dringlich – und wie viel da richtig und auch falsch gemacht werden kann, sagen viele Erfahrungen. Worum es aber vor allem geht, scheint mir etwas anderes zu sein, nämlich die Frage des Kult-Aktes [. . .]. Soll die Intention des Konzils verwirklicht werden, dann ist richtige Unterweisung, aber auch echte Erziehung nötig; Übung, durch die der Akt gelernt wird. [. . .] Hier liegt, wie mir scheint, heute die eigentliche Aufgabe liturgischer Erziehung. Wird sie nicht angefasst, dann helfen Reformen in Ritus und Text nicht viel.“ (R. Guardini, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung. Ein Brief [1964], in: ders., Liturgie und liturgische Bildung [s. o. Anm. 1], 9–17: 9.14, Hervorhebungen A. Grillo.) 40 Scharfsichtige Überlegungen besonders zu dieser Frage finden sich bei G. Bonaccorso, Il sacro nel movimento liturgico, in: La scuola cattolica 123 (1995), 593–620. 41 G. Busani (s. o. Anm. 34), 137. 42 Dazu vgl. das erste Kapitel in: A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, 17–49.
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6.7. Die Schwierigkeit, den Ritus in die Grundfragen des Glaubens zu reintegrieren Bis zum 5. Kapitel haben wir das Theoriemodell entwickelt, mit dem wir die Entstehung und Entwicklung der Liturgischen Bewegung und der liturgischen Theologie betrachten wollen. In diesem 6. Kapitel haben wir die prinzipiellen Möglichkeiten, aber auch die großen Schwierigkeiten genauer in den Blick genommen, wie sie den Übergang von der Voraussetzung über die Verdrängung bis zu einer möglichen Reintegration zu einem komplexen und langwierigen Prozess gemacht haben und noch machen. Die damit neu erreichte Aufmerksamkeit für den Zusammenhang theologischer und kultureller Entwicklungen erlaubt nun eine angemessene Beschäftigung mit den großen Theorien, die drei Väter des liturgietheologischen Denkens in die Theologie des 20. Jahrhundert eingebracht haben. Mit Hilfe des in den ersten Kapiteln erarbeiteten konzeptionellen Rasters können wir uns jetzt Casel, Marsili und Vagaggini mit solchen Fragen nähern, die an deren gesamtes Potenzial heranführen, um zu einem fundamentalen Bezug zwischen Theologie und Liturgie zu kommen.
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7. KAPITEL
Die liturgische Theologie O. Casels: Grundsätze und kritische Einwände Will man die Frage nach der Stellung des Kultmysteriums im Christentum richtig beantworten, so hängt sehr viel von der richtigen Lösung der Frage ab: Was ist das Christentum? O. Casel1
Der folgende Teil unserer Überlegungen berührt sich mit meiner Dissertation, verfolgt aber dennoch eine andere Absicht2: Während es dort vor allem um die Frage des Verhältnisses von liturgischer und fundamentaltheologischer Reflexion ging, richtet sich unser Blick jetzt primär auf die Darstellung der Etappen, die die Disziplin „liturgische Theologie“ plausibel gemacht haben. In diesem und den folgenden Kapiteln befragen wir Casel, Marsili und Vagaggini, um die Entwicklung der von ihnen entworfenen liturgischen Theologie zu erfassen, also Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Zielvorstellungen und zurückgewiesenen Irrtümer. Erste Erwägungen zur Caselschen Theorie von Mysterium und Mystik finden sich in meinem genannten Buch und ich setze diese hier voraus.3 Jetzt ist hingegen zu zeigen, inwiefern Odo Casels Überlegungen zur Liturgie die drei Linien (die historisch-philosophische, pastoraltheologische und anthropologisch-philosophische) aufnimmt, deren Entstehung wir bei P. Guéranger, L. Beauduin und M. Festugière beobachten konnten. Casel hat den Gehalt davon eigenständig interpretiert und dabei zu einer ausgewogenen Zuordnung gefunden, die sich – bei allen Grenzen – nicht in ein einfaches und festes Schema pressen lässt. Darum gilt es im Folgenden die liturgische Theologie Odo Casels in Grundzügen zu skizzieren und sodann zu zeigen, inwiefern die bekanntesten Interpretationsansätze dazu tendieren, sie auf frühere und theologisch ungeeignete Modelle zurückzuführen und damit zu reduzieren. Denn Casel ist weder ein heimlich extrinsischer Theologe (auch wenn es bei ihm nicht an nostalgischen Zügen fehlt), noch vertritt er eine anthropologische Theologie (auch wenn er sensibel für die Moderne ist). Er hat vielmehr mit dem Kultisch1 O. Casel, Das christliche Kultmysterium, Regensburg 21935 [1935], 21. 2 Vgl. A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, Kapitel 1, 17–49. 3 Die Lektüre des Kapitels trägt zum Verstehen des Folgenden wesentlich bei.
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Rituellen eine Dimension neu ins Spiel gebracht, die man früher zwar gekannt, aber nicht mit der nötigen Deutlichkeit thematisiert hatte und die die moderne Theologie sogar allen Ernstes aus ihrem eigenen Fragehorizont zu verbannen drohte – wobei sie sich aber den eigenen Zugang verbaut hätte. Mit diesen Vorbemerkungen ist der lange Weg angedeutet, den unsere Überlegungen jetzt zurückzulegen haben. 7.1. Casels Sicht der Theologie Die wichtigsten Impulse Odo Casels, des Theologen aus Maria Laach, in der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts wurden kürzlich folgendermaßen aufgelistet: a) Sinn für das tiefe Bezogensein von kultischem Sein des Menschen und konkreter Wirklichkeit des christlichen Mysteriums; b) Bestätigung des Primats der Eucharistie als Gipfel der Mysterien, so dass sich auch ein neues Verständnis für die eucharistische Funktion von Symbolik und Sakrament ergibt; c) ein genauer und kontemplativer Blick für die mystische Ausrichtung jeglichen christlichen Gottesdienstes, so dass der Gegensatz zwischen Liturgie und Kontemplation in der Perspektive des Mysteriums aufgehoben ist; d) eine Betrachtung der Liturgiegeschichte unter dem Gegensatz zwischen der antiken (patristischen) und der „germanischen“ Epoche, zwischen Antike und Germanentum.4 In dieser Aufstellung findet sich an erster Stelle genau der Aspekt, der den Streit um die Theologie des Mysteriums am stärksten angeheizt hat: Das Verhältnis zwischen dem kultischen Sein des Menschen und der konkreten Realität des christlichen Mysteriums. Auf dieser Verbindung beruht das Neue der Position Casels, das zwar auch heftige Reaktionen auslöste, aber letztlich die Möglichkeit eines neuen Glaubensverständnisses bot. Die Wurzel des neuen Ansatzes von Casel besteht in dem Verzicht auf eine schlichte apologetische Zuordnung von paganen und christlichen Mysterien.5 Die eigentliche Kontroverse entzündete sich an der Frage, ob man das Verhältnis von paganem und christlichem Kult anders als im antithetischen und apologetischen Sinne bestimmen kann. Casel unterstreicht, dass man den Begriff des „Mysteriums“ auch mit Hilfe der Religionsgeschichte klären muss. Die Wahrheit dieser Annahme 4 Diese Rekonstruktion findet sich bei Gh. Lafont, Permanence et transformation des intuitions de Dom Casel, in: Ecclesia Orans 4 (1987), 261–284, hier: 263f. 5 Hier folge ich den wertvollen Anregungen von E. Ruffini, Orientamenti e contenuti della teologia sacramentaria nella riflessione teologica contemporanea, in: E. Raffini/E. Lodi, „Mysterion“ e „sacramentum“. La sacramentalità negli scritti dei Padri e nei testi liturgici primitivi, Bologna 1987, 15–56, bes. 39ff.
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der Mysterientheologie sucht er auf historischer Ebene anhand der liturgischen und patristischen Texte zu zeigen. Von den Anfängen bis zum Trienter Konzil vermag er diese Mysterienlehre innerhalb des christlichen Glaubens als kontinuierlich vorhanden zu erkennen. Die zentrale These Casels lautet, dass die Mysterien heilvolle Handlungen Gottes sind. Das Mysterium überbietet jede denkbare theoretischabstrakte Belehrung, insofern es Teilhabe am Leben und an Gottes Wahrheit ist. Deshalb kann es sich nicht in einer Lehre erschöpfen. Es sucht sich vielmehr in Symbolen auszudrücken. Die gottesdienstlichen Symbole sind darum notwendige Ausdrucksgestalten der Mysterien. Weil sie nicht nur eine pädagogisch-didaktische Funktion haben, sondern als solche Träger des göttlichen Rettungshandelns sind, darum sind diese Symbole auch selbst Mysterien. Casel beschreibt das Mysterium folglich mit zwei wichtigen und gleichermaßen entscheidenden Charakterzügen: – die christliche Identität ist in einem Realereignis begründet; – dieses ist notwendig an Symbole gebunden. Das bedeutet, dass „die Differenz zwischen dem kultischen und dem realen Geheimnis, welches Christus ist, nur darin besteht, dass das erste die symbolische Repräsentation des zweiten ist; die Differenz betrifft also nur den Modus des Seins, nicht aber die Essenz des Mysteriums selbst.“6 Für Casel sind die Mysterien des Kultes jene „heilige Handlungen, die wir vollziehen, die aber zugleich der Herr (durch den Dienst der Priester der Kirche) an uns vollzieht.“7 Der Möglichkeitshorizont des Gottesdienstes wird also durch die Interaktion zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen konstituiert. Damit führt Casel ein notwendiges Element von Vermittlung ein, das den Übergang zwischen den verschiedenen Ebenen des christlichen Mysteriums innerhalb der Mystik verortet: „Das Christusmysterium, das sich an unserm Herrn in voller, geschichtlicher und wesenhafter Wahrheit vollzog, wird also an uns zunächst in bildlichen, symbolischen Formen vollzogen, die aber nicht rein äußere Bilder sind, sondern von der Wirklichkeit des neuen von Christus uns vermittelten Lebens erfüllt sind. Diese eigentümliche Teilnahme am Leben Christi, die einesteils symbolisch andernteils wirklich ist, nennen die Alten ‚mystisch‘. Es ist ein Mittelding zwischen dem bloßen äußeren Bilde und der reinen Wirklichkeit.“8
Die Möglichkeit, dieses „Mittelding“, diese „Vermittlung zwischen Realität und Abbild“ zu verstehen, ist gerade in der mysterienhaften und 6 Ebd., 42 (Hervorhebungen A. Grillo). 7 O. Casel (s. o. Anm. 1), 30. 8 Ebd., 33. Der Gedanke eines „Mitteldings“ findet sich bereits in Röm 6,5 und wird von Cyrill von Jerusalem aufgenommen, so dass die typoi, homoiomata und Symbole als Schlüssel zur kultischen Wirklichkeit verstanden werden können.
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mystischen Struktur begründet, die es zu entdecken und zu verstehen gilt, um zum Verständnis des Gottesdienstes vorzudringen.
7.2. Theologie und Anthropologie bei Casel In diesem Zusammenhang bezieht sich Casel explizit auf die hellenistischen Mysterien. Er versteht diese als Mittel, durch die das ursprüngliche Handeln der Gottheit von neuem Realität und damit auch Quelle des Heils werden kann. Die Gottesdienstteilnehmer konstituieren in ritueller und symbolischer Form das Ursprungshandeln von neuem. In den heiligen Symbolen, Riten und Worten von Priestern und Gläubigen wird jene Realität wiederum konstituiert. Damit bedeutet das Mysterium das rituelle Gedenken (anamnesis) im Vollsinne, Erneuerung und kultische Repräsentation eines göttlichen Handelns. Darauf beruhen das Leben und die Existenz der Gemeinde. Casel schlägt dazu folgende mögliche Definition vor: „Das Mysterium ist eine heilige kultische Handlung, in der eine Heilstatsache unter dem Ritus Gegenwart wird; indem die Kultgemeinde diesen Ritus vollzieht, nimmt sie an der Heilstat teil und erwirbt sich dadurch das Heil.“9
Gleichwohl versteht er das „Kultgeheimnis“ auch als einen Spezialfall des Kultischen, wozu auch Gebet und Opfer gehören. Das ist für Casel insofern wichtig, als er damit die Kritik zurückweist, er sei einer bloßen Aufnahme der heidnischen Mysterien in das Zentrum des Christentums verfallen. Doch in Wirklichkeit hat die „christliche Kirche [. . .] die heidnischen Mysterien [. . .] immer abgelehnt, hat aber deren Sprache benutzt, um [. . .] den inneren Sinn ihrer Kultriten als Gegenwärtigsetzung und Anteilnahme am Heilswerk Gottes in Christus zu erläutern.“10
Zwischen dem Christusmysterium und dem Kultmysterium besteht allerdings ein grundlegender, entscheidender Unterschied, der aber nicht gegen die Beziehung zwischen beiden spricht: „Das Christusmysterium ist nach den paulinischen Briefen die Christustatsache selbst, d. h. die Offenbarung Gottes in seinem menschgewordenen Sohne, diese Offenbarung, die in dem Opfertod und der Verklärung des Herrn gipfelt. Das Kultmysterium ist demgegenüber die rituelle Darstellung und Wiederhinstellung des Christusmysteriums, wodurch es uns ermöglicht wird, in das Christusmysterium selbst einzutreten. Das Kultmysterium ist also ein Mittel, dass der Christ im Christusmysterium lebt.“11 9 Ebd., 102. 10 O. Casel, Das christliche Kultmysterium, Regensburg 41960 (hg. von Burkhard Neunheuser), 132 (aus einer Beigabe für die französische Übersetzung im Oktober 1943). 11 O. Casel, Das christliche Kultmysterium, Regensburg 41960 (hg. von Burkhard Neunheuser), 134 (Zusatz aus einer Liturgiekonferenz vom 20.11.1944).
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Diese Feststellungen sind für die Entwicklung einer modernen liturgischen Theologie von großer Bedeutung. Sie rehabilitieren die bleibende Bedeutung des Kultisch-Rituellen für das Zentrum des Glaubens und führen damit auch zu einer neuen Form von Rezeption der liturgischsakramentalen Tradition.12 Weiterhin kann man sagen, dass die Aufnahme des Caselschen Neuansatzes – bei aller notwendigen Überwindung der platonischen Reste in seinem Denken – unvermeidlich auf eine Neubestimmung des Verhältnisses von Theologie und Anthropologie hinausläuft. Das bedeutet der Sache nach, dass „das Wesen des Kultaktes die ‚Gegenwart der Heilstatsache‘ ist, und zwar im Sinne eines ‚Memoriales‘ des Heilsgeschehens.“13 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Casel die Form des Kultmysteriums verwendet, um geschichtlich Vergangenes und rituell Gegenwärtiges aufeinander zu beziehen. Daraus ergibt sich das Verständnis des Heils als einer Handlung und nicht nur als eines Bewusstseinsprozesses. Die Beziehung zwischen Transzendenz und Geschichte ist sozusagen rituell vermittelt. Der Gehalt dieser Vermittlung ist zum Gegenstand einer breiten Diskussion geworden, die jetzt kurz zu skizzieren ist.
7.3. Kritik an Casel und Missverständnisse der Mysterientheologie Die Mysterientheologie Odo Casels führte seit ihrer Entstehung zu einer Vielzahl von – oft sehr kritischen – Reaktionen. In einer bedeutenden Zusammenfassung14 werden die fraglichen Positionen angemessen dargestellt. Daraus ergibt sich nicht nur eine Reihe von allgemeinen, Casels Theorie belastenden Grenzen, sondern auch ein anderer wichtiger Zusammenhang: Es ist generell festzustellen, dass die Theorie Casels nicht in ihrer Originalität erfasst wird, sondern stets von traditionellen Modellen des Sakramentsverständnisses her.15 12 Die Grenzen des Caselschen Ausdrucks werden beleuchtet durch die Überlegungen von S. Ubbiali, La teologia sacramentaria e l’azione liturgica, in: Liturgia: itinerari di ricerca, Rom 1996, 243–277, bes. 253f. 13 S. Ubbiali, Il sacramento cristiano, in: Celebrare il mistero di Cristo. Manuale di liturgica II (Ephemerides liturgicae, Subsidia, 88), Rom 1996, 13–28: 23. 14 Vgl. Th. Filthaut, La théologie des mystères. Exposé de la controverse, Paris u. a. 1954. 15 Den vielen offensichtlichen Gegensätzen, über die wir gleich zu sprechen haben, ist auch noch ein untergründiger Gegensatz zu K. Rahner hinzuzufügen; dazu vgl. Th. MaasEwerd, Odo Casel OSB und Karl Rahner SJ: Disput über das Wiener Memorandum „Theologische und Philosophische Zeitfragen im katholischen deutschen Raum.“ Zwei unveröffentlichte Dokumente aus dem Jahre 1943, in: ALW 28 (1986), 193–234. Demgegenüber weist A. Häussling, Odo Casel – noch von Aktualität? Eine Rückschau in eigener Sache aus Anlass des hundertsten Geburtstages des ersten Herausgebers (ALW 28 [1986], 357–387) die Verbindung zwischen dem Caselschen und dem Rahnerschen Denken auf.
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Für Casel ist es aber vor allem wichtig, dass es nicht lediglich um die Wirkung der Sakramentsgnade geht, sondern um das Geschehen des Heils selbst.16 In diesem Grundsatz sieht er nicht nur das am ehesten angemessene, sondern auch das älteste Verständnis, wie es sich seit den ersten Jahrhunderten bis zu Thomas entwickelt habe. Gleichwohl konstatiert er bei Thomas selbst eine gewisse Zwiespältigkeit: „Als ein Zeuge der Tradition lehrt der Heilige Thomas noch die Gegenwart der Heilstaten Christi in den Sakramenten. Doch als Theologe vertritt er bereits die schlichte Gegenwart der Gnade auf dem Weg des rein symbolischen Gedächtnisses des Heilswerkes.“17
Im Streit mit den strengsten Verteidigern thomistischer Einheitlichkeit beim Verständnis der Wirkungen des Sakraments tendiert Casel zur Identifikation von zwei Bedeutungsebenen: Er unterscheidet die (alte und der Mysterientheologie treue) Voraussetzung und die (scholastischen, dialektischen und abstrakten) expliziten Absichten. Er beweist so Verständnis für das komplexe Verhältnis von Theologie und Kultisch-Rituellem und nimmt damit in gewisser Weise die Unterscheidung von Voraussetzung, Verdrängung und Reintegration voraus.
7.3.1. Die Kontroverse mit J.-B. Umberg und H. Prümm Die erste Kontroverse, die Casel beschäftigte, war diejenige von 1926–1930 mit dem Jesuiten J.-B. Umberg. Dieser widersprach der Caselschen Theorie radikal, sowohl hinsichtlich des Erklärungsmusters der Ritualisierung eines vergangenen Ereignisses als auch der Ähnlichkeit der paganen und der christlichen Mysterien. Außerdem bezog er sich auf die Differenz zwischen „ex opere operantis“ und „ex opere operato“ als substanzielle Differenz zwischen zwei Genera von Gottesdienst. Casel reagiert auf die Kritikpunkte mit einer sehr interessanten Beobachtung. Diese bezeugt seine Aufmerksamkeit für das Ineinander von Theologie und Anthropologie im Hinblick auf den Gottesdienst. Zur eigenen Verteidigung erklärt er, inwiefern es dem eigenen Denken darum zu tun ist, „den Gedanken des Mysteriums von der Religionsgeschichte her zu präzisieren.“18 Man bilde sich also nicht ein, dass man die Anthropologie ignorieren könne, um im Vollsinne Theologe zu sein! 16 Von besonderer Bedeutung ist in Casels Perspektive die „nichtreduzierbare Dimension der ‚mysterienhaften Gegenwart‘ gegenüber einer bloßen Wiederholung historischer Ereignisse, gegenüber einer rein ‚psychologischen‘ Erinnerung an das Vergangene, gegenüber einer ‚religiösen‘ Verehrung des Erlösers, gegenüber einem Gefühl für das vermittelte Gnadengeschenk“: S. Ubbiali (s. o. Anm. 13), 23. 17 Th. Filthaut (s. o. Anm. 14), 21. 18 Ebd., 2.
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Der theologische Kontext der dreißiger Jahre zeigt sich durch den von H. Prümm, einem bekannten Theologen der Jesuiten, deutlich markierten Gegensatz. Nach Prümms Einschätzung kann das Mysterium kein Werk oder Handeln Gottes sein, sondern nur eine Wahrheit – das Mysterium ist eine in Gott verborgene und von ihm zur rechten Zeit offenbarte Wahrheit. Insofern liegt das Mysterium auf der Ebene des Denkens und der Lehre. Diese These neigt eindeutig zu einem lehrmäßigen Verständnis der Offenbarung und zu einem intellektualistischen Verständnis des Glaubens. Sie steht damit in erkennbarem Gegensatz zu den Perspektiven Casels, der entsprechend mit zwei grundsätzlichen Argumentationen auf diese Kritik reagiert: a) Prümm zeige ein stark beschränktes Verständnis von Offenbarung und Glaube: So verstanden wäre die Offenbarung nur die Kommunikation einer gemeinsamen Wahrheit, wobei vergessen wäre, dass dem Wort Gottes immer eine Heilswirkung zukommt; der Glaube wäre lediglich eine intellektuelle Form der offenbarten Wahrheit und damit reduziert auf einen zustimmenden Glauben (assensus). Er wäre damit aber nicht Glaube im eigentlichen Sinne, als Leben.19 Prümm stehe im Grunde für die ignorante Reaktion eines traditionellen Ansatzes, der sich trotz der ganz neuen Entdeckung der kultisch-rituellen und mystisch-symbolischen Dimension der Offenbarung dem neuen Blick verschließe und in blindem Zorn reagiere – und dies alles, obwohl die theologische Tradition die neu entdeckten Dimensionen gar nicht bestritten, sondern diese vielmehr bei der theologischen Arbeit vorausgesetzt habe. b) Wenn das Mysterium im lehrmäßigen Sinne verstanden werden müsste, wäre es nichts anderes als die absichtliche Darstellung der göttlichen Heilstaten. (Darum macht Casel bei Prümms Position eine gnostische Gefahr aus.) Das Mysterium erreiche aus Sicht des Menschen diesen immer mittels kultischer Symbole. Es richte sich an sein gesamtes Sein und nicht nur an seine Intelligenz. An diesem Punkt lässt sich eine deutliche Entwicklung innerhalb von Casels Denken feststellen. In „Das christliche Kultmysterium“ steht er jeglicher Art von erfahrungsbezogener Interpretation des Mysteriums noch sehr kritisch gegenüber. In „Glaube, Gnosis und Mysterium“20 hingegen kommt er zu der Feststellung: „‚Mysterion‘ bedeutet ursprünglich gerade nicht eine ‚Lehre‘, sondern eine kultisch-mystische Erfahrung des Göttlichen, die sich rational nicht aussprechen ließ.“21 19 Vgl. E. Ruffini, Orientamenti e contenuti (s. o. Anm. 5), 42f. 20 O. Casel, Glaube, Gnosis und Mysterium, in: JLW 15 (1941), 155–305. Es handelt sich um das letzte große Zeugnis des Caselschen Denkens. 21 Ebd., 275. Damit wird ganz deutlich, wie viel Casel der „Théologie nouvelle“ verdankt
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Es findet sich demnach bei Casel – wenn auch vielleicht nicht ursprünglich, aber doch nach und nach – ein Interesse für die erfahrungsbezogene Relektüre der christlich-religiösen Tradition und nicht nur für die Begründung des christlichen Gottesdienstes im Sinne des historischen Datums. Damit ist also ein bewusst anthropologisch-erfahrungsbezogener Zugang gewählt, der – wenn auch verspätet – den Hintergrund der christlichen Feier des Gottesdienstes darstellt. Wie wir gleich deutlicher erkennen werden, nimmt Söhngen Casels Position in eigener Weise auf, indem er das Mysterium als „Heilstat“ und nicht nur als „Wahrheit“ versteht. Nach Söhngen ist das Mysterium für Casel kein Real-Begriff (mysterium repraesentatum), sondern vielmehr eine symbolische Form, mit der das göttliche Handeln gegenwärtig wird (mysterium repraesentans). Doch in Wirklichkeit ist das Mysterium nach Casels Konzept zur gleichen Zeit „repraesentatum“ und „repraesentans“ und der Kultus ist zur gleichen Zeit Mysterium im Sinne der Wirkung des Christusmysteriums und Mysterium als solches. Die Auffassung Casels vom Mysterium als Realereignis hatte in der damaligen Theologie gerade wegen des lehrbezogenen und intellektualistischen Verständnisses des traditionellen Mysteriumsbegriffes (als einer logischen Wahrheit) so großen Erfolg. Auf der Grundlage des nachtridentinischen Begriffes von „Mysterium“ konnte man dabei die Katechese auf die bloße Belehrung beschränken. Dieser Zusammenhang hat darüber hinaus zu einer Verarmung des Glaubensbegriffes (im Sinne der Zustimmung zu Glaubensaussagen) geführt. Das eigentliche Problem bleibt weiterhin – auch bei einem angemessenen Begriff des „Mysteriums“ – die richtige Verhältnisbestimmung zwischen Transzendenz und Geschichte. Eine plausible Lösung ist die Verwendung von symbolischen Kategorien, wie dies E. Ruffini zu Recht vorschlägt: „In dem Maße, in dem man sich der Bestimmung des Verhältnisses von Geschichte und Transzendenz zuwendet, wie es für das Mysterium mit seiner Beziehung von Symbol und Realität typisch ist (denn das Mysterium ist nicht nur der Ereignispunkt der Transzendenz in der Geschichte, sondern ein historisches Ereignis, das Symbol ist die reale Gegenwart der Transzendenz in der Geschichte), – in demselben Maße gilt es zu erkennen, dass das ‚Sakramentale‘ nicht nur etwas ‚Institutionelles‘, sondern auch etwas ‚Ökonomisches‘ ist.“22
(so auch Benvenuto, s. u.; vgl. ferner die andere Interpretation bei A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Kapitel 1 und 3). 22 E. Ruffini (s. o. Anm. 5), 51.
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7.3.2. Die Diskussion mit G. Söhngen Dennoch sollten die schärfsten Einsprüche gegen Casel nicht von den strengen Verteidigern der scholastischen Orthodoxie (wie von den zitierten Umberg und Prümm) kommen, sondern vielmehr von Autoren mit Positionen, die Casel wesentlich näher standen, wie etwa G. Söhngen. Von Söhngen wusste sich Casel zunehmend getrennt, weil er feststellte, dass die Nähe zu den eigenen Positionen nur eine scheinbare war. In Bezug auf die Unterscheidung zwischen den Wirkungen des Sakraments und der Gegenwart des Erlösungshandelns bei Casel muss man Söhngen exakt die Gegenposition zuschreiben. Casels beharrliche Ablehnung jeglichen subjektiv-individualistischen (also nicht-rituellen) Sakramentsverständnisses betraf bald auch Söhngens Anschauungen. Söhngen formulierte in scheinbarer Übereinstimmung mit Casel: „Wenn die Kirche mit ihrem Hohepriester Christus im Mysterium das Gedächtnis seines Opfertodes realisiert, dann vollzieht sich dieses Heilshandeln hic et nunc, durch das Geschehen, das auf diese Weise von uns und bei uns realisiert ist, im Inneren bzw. durch den lebendig machenden Geist des Herrn.“23
Es gibt jedoch keine echte Übereinstimmung von Casel und Söhngen. Die meisten Aussagen bei Söhngen beziehen sich nämlich nur auf das „Was“ des Mysteriums und nicht auf das „Wie“ seiner Gegenwart. Gerade an dieser Stelle hatte Casel immer wieder das große, unlösbare Problem ausgemacht. Mit Söhngens Einfügung von „im Inneren“ aber wird keine objektive Gegenwart des Heilsgeschehens im Sakrament mehr angenommen, die Realisierung des Sakramentes wird stattdessen in das Innere des Individuums verlegt. Trotz des formalen Festhaltens an dem Begriff „Mysterientheologie“ fällt diese Position auf eine typische Form von Sakramentsverständnis zurück, so dass sie als Frucht der modernen deutschen Mystik gelten kann und so dem antiken, gemeinschaftlichen und kultischen Verständnis von Mystik genau entgegensteht. Es wäre jedoch auch ein Irrtum, wenn man auf der Basis seiner klaren Position bei Casel eine Art von physischer Kausalität als Erklärungsmuster für die Wirksamkeit des Sakramentes feststellen wollte. In Wirklichkeit ist Casel weder für noch gegen diese oder eine andere Position von sakramentaler Kausalität. Seine Absichten liegen vielmehr auf einer anderen Ebene. Gerade darin besteht seine eigene Position, das wirklich und unbestreitbar Neue: Er hat nicht alte Positionen mit neuen Argumenten untermauert, sondern neue Wege eröffnet, indem er neue Fragen stellte, auf die er dann auch neue Antworten zu geben wusste. Mit anderen Worten: Er verstand das Sakrament nicht mehr als Zeichen und/oder als causa, sondern er verstand es als Ritus („in genere ritus“ statt „in genere signi aut/et causae“). 23 Zitiert nach Th. Filthaut (s. o. Anm. 14), 23, Kursivierungen von A. Grillo.
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Der wirkliche Bruch mit der sakramentstheologischen Tradition wird darum nicht von Söhngen, sondern von Casel vollzogen. Denn Casel brachte die Unhintergehbarkeit des rituellen Subjekts als neue Problemstellung ein, welche Söhngen lediglich von Innerlichkeit und Bewusstsein her verstehen konnte.24 Das bei Casel eingegangene Risiko liegt auf der Hand: Seine Position könnte als vollkommen naiv und unreflektiert verstanden werden, als bloßes Vertrauen in das Vergangene und als Nostalgie gegenüber einem goldenen Zeitalter des Glaubens, in dem Kultus und Ritus die Repräsentation des Mysteriums als Heilsgeschehen „hic et nunc“ objektiv garantieren konnten.25 Doch ist vielleicht gerade dieses Risiko der Weg, auf dem man zu einem neuen Verständnis des kultischrituellen Hintergrundes gelangt und auf dem sich der Glaube ereignet? Handelt es sich hier um eine gute Möglichkeit, die Casel bis heute bietet, wenn man sich ihr ohne Vorurteile nähert? Bestimmt nicht gerade seine Stellung als Grenzgänger zwischen der nostalgischen Rückkehr zu längst vergangenen Ursprüngen und der prophetischen Öffnung für Neues die Ernsthaftigkeit seines Ansatzes und die Unmöglichkeit, seine Anschauungen zu Karikaturen zu machen? Selbst wenn wir über Casel dasselbe sagen müssten wie Nietzsche über J.S. Bach („ein großer Mann mit einem rückwärts gewandten Blick“), müssten wir dennoch anerkennen, dass auf Casel keinesfalls Klischees vergangener Zeiten („laudator temporis acti“) zutrifft, so als sei es um der Bewahrung des theologischen Gehaltes der Liturgie willen nötig, allein den überzeitlichen Charakter des Mysteriums zu betonen. Eine solche Einstellung beruht in Wirklichkeit auf der falschen Entgegensetzung von Transzendenz und Geschichte, die schon gelöst zu haben meint, was für Casel die eigentlich zu diskutierende Frage darstellt: Die Frage nach der Vermittlung von Vorstellung und Realität, so dass sich das kultische und rituelle Symbol in einer Mittelstellung befindet, in einer Vermittlungsform, die alleine jene objektive Unmittelbarkeit ermöglicht, welche ansonsten nur eine simple Naivität wäre. Diese unmittelbare Objektivität bildet damit sowohl ein Gegengewicht gegen alles das, was in der Theologie bis heute von der Moderne nachwirkt, als auch eine – nicht bloß reagierende – Möglichkeit, mit der Moderne über die Moderne hinauszugehen und den rituellen und kultischen Hintergrund neu wahrzunehmen, den man in maßloser Arroganz und naiver Vergessenheit von der Frage der heilvollen Begegnung des Menschen mit Gott meinte ausnehmen zu können. 24 Bereits eine schlichte philologische Beobachtung wird feststellen, dass Casel für die Bezeichnung der Art und Weise der Gegenwart des Mysteriums immer wieder Verben wie „vergegenwärtigen“ oder „gegenwärtigsetzen“ verwendet, während Söhngen das Verb „darstellen“ bevorzugt: An die Stelle der Vergegenwärtigung (ripresentazione) tritt immer stärker die Darstellung (rappresentazione) und damit eine typische Aktivität des Subjekts und des Bewusstseins. 25 Dazu vgl. A. Schilson, Theologie als Sakramententheologie. Die Mysterientheologie O. Casels, Mainz/Tübingen 21987.
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7.3.3. Aktuelle Stellungnahmen Nicht nur in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts hatte man es schwer, die Theologie Casels zu verstehen. Auch in der gegenwärtigen Theologie gibt es stark vergröbernde Lesarten von Casels Absichten. Diese verdienen eine sorgfältige Prüfung, um so zu einem besseren Verständnis der Mysterientheologie zu gelangen. Die erste neuere Lesart der Caselschen Theologie, der wir unsere Aufmerksamkeit widmen wollen, ist diejenige von Giuseppe Angelini.26 Er unterzieht Casels Grundansatz einer strengen Kritik und zeigt seine Grenzen für ein liturgiewissenschaftlich angemessenes Vorgehen auf. Angelini meint, dass Casels Denken zwangsläufig zu zwei problematischen Tendenzen führt: – zu einer grundlegenden Unterscheidung zwischen „dem Heilsgeschehen in seiner essentiellen Identität und der Form seiner geschichtlichen Gegenwart“27; – zu der Konsequenz, dass „die Caselsche Theologie keinerlei praktische Liturgietheologie zu begründen vermag, sondern lediglich die archäologische Rückkehr zu der Liturgie, die in den ersten christlichen Generationen fixiert wurde (man weiß nicht wie und spricht dann von der Vorsehung).“28 Der von Angelini formulierte Generalangriff richtet sich gegen den Extrinsezismus und gegen die Folgenlosigkeit bei der Beantwortung praktisch-theologischer Fragen. Doch bedürfen gerade diese beiden Punkte genaueren Nachdenkens, weil Angelinis Kritik auch erkennen lässt, mit welch begrenzter Wahrnehmung Casel in der Regel gelesen wird. An erster Stelle steht die Erkenntnis, dass sich Casel – trotz des romantischen und nostalgischen Vorverständnisses, wovon schon die Rede war – gerade gegen jeglichen Extrinsezismus ausgesprochen hat. Sein Ansatz zielt vielmehr darauf, die Sakramentslehre erstmals unter Berücksichtigung der Ebenen von Ritus und Feiergestalt zu reformulieren. Der „praktisch-theologische“ Blickwinkel hingegen lässt die fundamentaltheologische Bedeutung des Caselschen Ansatzes erneut außer Acht.29 26 Vgl. G. Angelini, Il movimento liturgico: rilettura critica di istanze, orientamenti e problemi (= Die Liturgische Bewegung: Eine kritische Bilanz zu ihren Zielen, Hintergründen und Problemen), in: La Riforma liturgica: tra passato e futuro (Studi di liturgia. Nuova serie, 13), Casale Monferrato 1985, 11–29. 27 Ebd., 19. 28 Ebd., 20. 29 Der Umstand, dass Casel den Ritus nicht zum Thema gemacht hat, ist in Wirklichkeit eher das Ergebnis späterer und eigenständiger Interpretationen seines Werkes (bes. von Marsili, dazu s. u.) als eine Tatsache. Außerdem fällt auf, dass Angelini nicht Casel selbst zitiert, sondern immer nur dessen Interpreten. Damit ist der Umstand, dass man von Casel her exakt das Gegenteil sagen kann (wie wir gleich bei E. Benvenuto sehen werden) ein
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Ich komme zu einem anderen Einwand. Wie wir gesehen haben, mildert Casel die Schärfe des Gegensatzes zwischen den heidnischen Kulten und dem Neuartigen des christlichen Kultus, wie dieses von der apologetischen Tradition seit der Antike immer wieder betont worden war: „Casel durchbrach diese Vorgabe, indem er die hellenistischen Mysterien als ‚Vorbereitung des Christusmysteriums‘ und die christliche Liturgie als deren ideale und göttliche Vollendung präsentierte. Auch wenn diese These eine gewisse Auseinandersetzung auslöste, ist anzunehmen, dass man die revolutionäre und antizipatorische Tragweite für das spekulativ-theologische Paradigma, das die großen Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte bestimmen sollte, nicht deutlich wahrnahm.“30
Nach Benvenutos Interpretation, die derjenigen Angelinis geradezu entgegengesetzt ist, ist Casel der Begründer einer Tradition, die um der Wiederentdeckung der liturgischen und sakramentalen Bedeutung willen das anthropologische Moment stark machte: „Damit (bzw. mit Casel) hob in der Tat eine Entwicklung an, mit der man die Kategorien ‚Neuartigkeit‘, ‚Bruch‘, ‚Skandalon‘ und ‚Originalität‘ hintanstellte, um stattdessen die Beziehung zwischen dem Christusglauben und den gemeinsamen humanen und religiösen Werten zum Ausdruck zu bringen, und zwar mit Begriffen wie ‚Vertiefung‘, ‚Bewusstmachung‘, ‚Erkenntnis‘, ‚Erfüllung‘, ‚Antizipation‘, ‚Fülle‘, etc.“31
Benvenuto zufolge musste Casel, um die paganen Mysterien dem christlichen Gottesdienst nach dem Muster von Antizipation und Erfüllung an die Seite stellen zu können, den Begriff des Mysteriums sehr weit ausdehnen, um ihn so zu einer notwendigen anthropo-theologischen Dimension werden zu lassen. Was also nach Angelini das Versäumnis Casels war – das Vergessen der rituell-anthropologischen Dimension als Thema der Liturgietheologie –, ist umgekehrt für Benvenuto gerade der eigentliche Fehler des Laacher Theologen: „Anders gesagt: Um im liturgischen Geschehen ein absolutes anthropologisches Fundament und theologisches Ziel erkennen zu können, schlägt Casel vor, dieses Geschehen nicht mehr lediglich für ein wirksames, göttliches Zeichen zu halten, das zwar von Gott bestimmt, aber von dem eigenen Zweck zu unterscheiden ist (so wie man eben etwas in der Funktion des Mittels zu verstehen hat). Er will es vielmehr als aktuelles Ereigniswerden des Zweckes selbst verstehen. Daraus folgt, dass das gefeierte Mysterium die eigene Re-
Zeichen dafür, dass man seine Position nicht auf einen schlichten Extrinsezismus und nicht auf eine unvermittelbare Trennung von Formen des Kultus und Formen des Bewusstseins reduzieren kann. 30 E. Benvenuto, Problemi aperti su grazia e sacramenti, in: Bailamme 9 (1991), 7–36: 24. 31 Ebd.
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ferenz schon enthält, welche selbst und ursprünglich Mysterium und damit von derselben Substanz ist.“32
Nach Benvenuto ist Casel für die Transformation der Liturgie vom Mittel zum Zweck verantwortlich, wodurch sich seiner Einschätzung nach eine unglückliche Verallgemeinerung des Sakramentsbegriffes ergibt.33 Damit habe Casel die ekklesiozentrische Reduktion der modernen Sakramentslehre begründet.34 Gleichwohl ist Benvenutos These gezwungen, die Unterschiede Casels gegenüber Rahner und Schillebeeckx zu verwischen und überzieht dadurch die zunächst einleuchtenden Annahmen. Dennoch bleibt die These bedeutungsvoll, weil sie – wenn auch vom entgegengesetzten Ausgangspunkt her – die Relevanz des kultusbezogenen Caselschen Ansatzes und dessen anthropologische Öffnung in vollem Maße zu würdigen weiß.
32 Ebd., 26. 33 „Casel hatte dieses mächtige spekulative Gebäude zu Ehren des Mysteriums in einem besonderen historisch-kulturellen Kontext errichtet: Es war das Deutschland der dreißiger Jahre, geprägt von den sakral aufgeheizten rassischen Gefühlen, wie sie durch die neuheidnische Blut- und Boden-Faszination ausgelöst wurden und wie sie sich in ähnlichen Ansätzen auf ein höchstes Prinzip und einen bestimmten Schlüsselbegriff (den ‚Ausnahmezustand‘ bei C. Schmitt, die ‚Libido‘ bei S. Freud, das ‚Dasein‘ bei Heidegger) stützten; hinzu kam die schwüle wie schwerfällige Atmosphäre in der Kirche Pius’ XI. Der dieser Situation entsprechende Ansatz Casels verdient Bewunderung: Für die Christenheit und die mit dem Abhalten zeitgemäßer Gottesdienste wie der Pflege eines großen Erbes an Symbolen und Mysterien betraute Kirche hatte er den entscheidenden Begriff gefunden, auf den sich alles aufbauen ließ: eben den Begriff des Mysteriums.“ (Ebd.) 34 „Das sakramentale Geheimnis der liturgischen Feier kann als tätiges Heilshandeln Gottes verstanden werden, als Ereigniswerden der Heilsökonomie, so dass die Wirksamkeit des sakramentalen Zeichens garantiert ist. Daraus ergeben sich die folgenden vier Linien: 1) eine maximale Erweiterung des Mysteriumsbegriffes, so dass dieser zum ausschließlichen Exponenten der Gott-Mensch-Beziehung (bzw. der Beziehung zwischen Transzendenz und Geschichte) wird; 2) die Zurückführung der Aktivität des Geistes und der Gnade auf einen einzigen, bereits in der Schöpfung enthaltenen Akt, der darum im Laufe der Menschheitsgeschichte (und jeglicher menschlichen Geschichte) gegenwärtig ist: gerade dieser eine Akt ist die Begegnung von Geschichte und Transzendenz; daraus ergibt sich die Erhebung des Menschen über sich selbst hinaus, die in jenem ‚leben, weben und sein in Gott‘ besteht und sich erschöpft [. . .]; 3) die Aufmerksamkeit für das Verhältnis von Geschichte und Transzendenz, die für das Mysterium ebenso typisch ist wie das Verhältnis von Symbol und Realität; 4) der Rekurs auf ein recht einfaches, aber wichtiges Theorem, das wir ‚Transitivitätstheorem des wirksamen Zeichens‘ nennen können und das man etwa so auf den Punkt bringen könnte: ‚Wenn X das wirksame Zeichen von A ist und Y das wirksame Zeichen von X, dann ist auch Y das wirksame Zeichen von A – nicht mehr und nicht weniger!‘ Damit ist der entscheidende Punkt erreicht: Mit diesen vier Linien kann die neue Sakramententheologie ungehindert zu ihrem zusammenfassenden Ergebnis kommen: Im Sakrament erkennt sie nicht primär oder lediglich das wirksame Zeichen der von Christus eingesetzten Gnade, sondern auch und vielmehr das hermeneutische Prinzip und den Schlüssel für die Lektüre der gesamten christlichen Wirklichkeit, ja für die Interpretation des Christusgeschehens, der Kirche und der gesamten Heilsökonomie.“ (Ebd., 27).
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7.4. Die Rekonstruktion von Casels Denken bei S. Marsili Die Bewertung des Denkens von O. Casel ist zugleich die beste Überleitung zum Denken Salvatore Marsilis. Gerade durch die Rekonstruktion, welche Marsili anhand von Casels Theorie vorlegt, lässt sich auch am besten die Entwicklung und Entstehung der liturgischen Theologie als Disziplin verstehen. Denn nur die Radikalisierung und Erweiterung von Casels Denken einschließlich eines selektiven Vorgehens in bestimmten Dingen ist die Voraussetzung für die Entstehung einer spezifisch liturgischen Theologie überhaupt. Die Schwierigkeit dieses Überganges – mit allen Licht- und Schattenseiten – mahnt uns zu genauer Aufmerksamkeit: Es geht hier um etwas wirklich Neues – es fragt sich nur, zu welchem Preis. Ganz allgemein ist zunächst zu bemerken, dass das Denken Salvatore Marsilis aus der Systematisierung der Überlegungen Casels entsteht. Dabei ist die Rekonstruktion für uns von großem Interesse, weil diese im Hinblick auf das Zentrum des eigenen Denkens entwickelt wird. Besonders signifikant sind die sechs Punkte, mit denen Marsili das Caselsche Denken in seiner Einleitung zu dem Buch „Il mistero del culto cristiano“35 zusammenfasst. Bei dieser (einseitigen und wenig ausgewogenen) Rezeption Casels zeigt sich so manches von den Chancen und Grenzen der neu entstehenden Disziplin. Dabei verändert sich das Verhältnis zwischen dem Begriff der Liturgie und dem des Kultus grundlegend. Das hängt mit der zunehmenden Trennung der theologischen und der anthropologischen Linie zusammen und ist die unvermeidliche Konsequenz der Barthianischen Wende in der Theologie Marsilis. Wir wollen genauer zu verstehen suchen, was bei dieser anti-rituellen Überarbeitung von Casels Überlegungen geschah, so dass schließlich zwar die Grenzen der Mysterientheologie überschritten wurden, aber auch die Suche nach einem neuen Theologie-Anthropologie-Modell zum Erliegen kam, wie es aus Casels Konzept – wenn auch in eigentümlicher Weise – hervorgegangen war. Marsili hatte verschiedene Gelegenheiten, die Caselsche Theorie zur Darstellung zu bringen. Wir greifen hier auf die besonders bedeutende Abhandlung zurück, die der italienischen Übersetzung „Il mistero del culto cristiano“ vorangestellt ist. Hier zeigt sich vor allem die einseitige Veränderung des bei Casel gegebenen Gleichgewichtes zwischen den (nur scheinbar) antithetischen Bestimmungen des Mysteriums als eines göttlichen und eines menschlichen Handelns. Während die Ausgewogenheit bei Casel noch die zentrale Bedeutung von Ritus und Kultus garantierte, kommt es bei Marsili zu einer absichtlichen Verschiebung der Gewichte. 35 Vgl. das Vorwort von S. Marsili in: O. Casel, Il mistero del culto cristiano, Rom 1985, 1–11 sowie ders., Art. „Liturgia e teologia liturgica“, in: Nuovo dizionario di liturgia, Mailand 1988, 1508–1525: 1516–1518.
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Denn er weist das Verständnis des Begriffes „Liturgie“ nicht nur im Kontext der Kategorie des „Ritus“, sondern auch im Kontext der Kategorie „Kultus“ klar zurück. Ein seriöser Begriff von Liturgie als Theologie muss laut Marsili das Vorverständnis der Liturgie als Kultus und Ritus hinter sich lassen. Bei diesem werde nämlich „[Liturgie] immer und prinzipiell ein Geschehen von unten nach oben sein (wie das eben bei dem allgemeinen Begriff von Kultus der Fall ist), so dass es um ein Handeln des Menschen gegenüber Gott geht. Es muss aber ganz im Gegensatz dazu klar sein, dass die Liturgie notwendig und vor allem als ein Handeln Gottes für den Menschen zu verstehen ist und damit als ein sich von oben nach unten vollziehendes Handeln.“36
Unter der Prämisse einer derartigen Wahrnehmung, die die Theologizität der Liturgie nur unter der Bedingung gelten lässt, dass diese sich von allem Rituellen und Kultischen emanzipiert, ergibt sich eine Casel-Lektüre, die lediglich einige seiner Thesen mit Entschiedenheit unterstreicht und andere übergeht und so insgesamt Casels Position im Dienste neuer Interessen verändert. Die These, mit der die Darstellung der Position Casels anhebt, ist von daher in jeder Hinsicht exemplarisch: „Für Casel bewegt sich die Liturgie nicht auf der Ebene menschlichen Handelns, sondern sie ist die göttliche Tat, die aus dem verherrlichten Menschsein Christi hervorgeht.“37
Die Entgegensetzung von Gottes- und Menschenhandeln, die lediglich von der vermittelnden, instrumentellen Funktion der humanitas Christi gemildert ist, liest in Casel eine Antithetik hinein, die für ihn niemals charakteristisch war. Es war Casel vielmehr gelungen, der theologischen Reflexion neue Möglichkeiten zu eröffnen, indem er die beiden Dimensionen des Kultischen (bzw. Rituellen) und der Heiligung zusammenhielt, statt sie zu trennen. Gerade so war es ihm gelungen, aus der heilsökonomischen Dimension der christlichen Offenbarung wichtige Kriterien für das Verständnis des liturgischen Geschehens zu gewinnen. Demgegenüber wird das von Casel eingehaltene Gleichgewicht in Marsilis Interpretation zu einer Art von liturgischem Absolutismus (oder auch „Panliturgismus“) und zeigt die problematischen Konsequenzen seines Denkens. So gelangt Marsili am Ende (beim sechsten Punkt) seiner Caselinterpretation zu einer radikalen Schlussfolgerung:
36 S. Marsili, Vorwort (s. vorige Anm.), 4. An dieser Stelle muss der starke Gegensatz zwischen dieser Feststellung und der Position Casels selbst vermerkt werden. Casel nämlich hat immer – wie wir gesehen haben – die kultische Dimension des Menschen im Hinblick auf die theologische Bedeutsamkeit des liturgischen Verstehens unterstrichen. Dazu s. u. und ferner (stärker systematisch) S. Marsili, La liturgia: momento storico della salvezza, in: ders. (Hg.), Anamnesis, Monferrato 21979, 31–156, bes. 103ff, wo es um das Thema „Ritual und Liturgie“ geht und wo das oben Beschriebene noch etwas deutlicher wird. 37 S. Marsili, Vorwort (s. o. Anm. 35), 7.
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„Die Liturgie hat keinen bloß spirituellen Charakter, den man auf einer nur vergleichenden Ebene erfassen könnte, als könnte man in ihr eine Art von besserem und reinerem Ausdruck des Gebetes sehen oder eine vollkommenere Verwirklichung der christlichen Gemeinde. Im Christentum hat die Liturgie vielmehr – gerade weil sie die Fortsetzung des Christusmysteriums in gottesdienstlicher Form ist – einen absoluten Charakter, der sich aus ihrer ureigensten Sphäre ergibt. Die Liturgie nämlich ist das einzige Mittel, durch das sich die tätige Anwesenheit des Herrn vollzieht, welche wiederum das Element darstellt, das den Leib Christi, die Kirche, erbaut.“38
Paradoxerweise ist es gerade dieser absolute Charakter, der bei Marsili dazu dient, bei der liturgischen Dimension vom Rituellen und Kultischen abzusehen, wenn es denn stimmt, dass die Entdeckung des eigentlich theologischen Gehaltes die säuberliche Trennung zwischen dem Kultus im Allgemeinen und der Liturgie im Speziellen erfordert. Die Casel-Lektüre Marsilis endet jedenfalls in gewisser Hinsicht mit einem paradoxen Dementi. Indem der Schüler den Meister darstellt, verändert er ihn völlig. Im Zuge dieser Veränderung kühlt das Interesse für die anthropologische Dimension ganz ab und macht einem theologischen Absolutismus Platz, der das besondere Charakteristikum von Marsilis Denken ist.
38 Ebd., 9.
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8. KAPITEL
„Reine Theologie“: Die Radikalisierung bei S. Marsili Die liturgische Theologie ist die ‚theologia prima‘ [. . .]. Sie schließt eine andere Theologie als menschliches Denken Gottes nicht aus, kann aber niemals durch diese ersetzt werden. S. Marsili1
Die Brücke, die uns von Casel schon in das Zentrum von Marsilis Denken geführt hat, eröffnet nicht nur Verstehenswege für das Denken des Lehrers, sondern auch des Schülers. Aus unserer Perspektive der Suche nach einem Konzept, das heute den Namen liturgische Theologie verdient, erscheint Marsilis Ansatz als Radikalisierung und als Zuspitzung der Theologie Casels. Es handelt sich zwar in gewisser Hinsicht um eine sinnvolle Weiterentwicklung, aber andererseits auch um einen Rückschritt gegenüber Casel, der sich um eine wirkliche Reintegration von Ritus und Kultus in das Innere der Theologie bemüht hatte. Ein erhellendes Beispiel für die völlig veränderte Akzentsetzung in Marsilis liturgietheologischen Überlegungen sind seine liturgietheoretischen Ausführungen bei der Behandlung der Sakramente. Hier gelangt Marsili zu einer sehr eigentümlichen Schlussfolgerung: „Die Sakramentstheologie wird ihre Beweggründe künftig allein von Christus empfangen müssen – und zwar nicht nur von ihm als dem Begründer (in einem mehr oder weniger juristischen Sinne), sondern von Christus als dem personalen Mysterium und Sakrament. So wird sie zu den verschiedenen Sakramenten als Teilverwirklichungen dieses einen vordringen und die Liturgie in ihrer Gesamtheit erfassen, welche – wie die Sakramente – nicht länger als menschliches Handeln gegenüber Gott, sondern als Handeln Christi im Menschen verstanden werden wird. Denn die Sakramente stehen dafür, dass die Liturgie die aktive Gegenwart Christi im Mysterium des Gottesdienstes ist.“2
1 S. Marsili, Liturgia e Teologia liturgica, in: Nuovo dizionario di liturgia, Cinisello Balsamo 1988, 1508–1525: 1522. 2 S. Marsili, Vorwort (s. o. Anm. 35 zu Kapitel 7), 11.
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In diesem Entwurf einer Sakramentenlehre handelt es sich eindeutig um die Suche nach einem heilsökonomischen Ansatz als theologische Rechtfertigung des Sakramentes. Trotz des Bemühens, den Wert kultisch-ritueller Bezüge gegenüber schulmäßigen Verkürzungen wieder zu entdecken, bekräftigt er jedoch lediglich die Irrelevanz des menschlichen Handelns gegenüber dem göttlichen. Damit ist deutlich, dass bei Marsili die Betonung „der Antinomie von Religion und Glauben auch die Antinomie von Ritus und Zeichen bestätigt. Die Liturgie ist keine Tätigkeit, durch die sich die Menschen in Verbindung mit Gott bringen, sondern sie ist ein Handeln, durch das Gott in Christus in Kontakt mit den Menschen kommt.“3 Das Bemühen, die Liturgie zu retten, basiert demnach auf der Voraussetzung, sie säuberlich von jedem wirklich kultisch-rituellen Verständnis zu scheiden. Im Gegenteil: Konsequent weitergedacht ist die Liturgie für Marsili gar nicht mehr in genere ritus zu verstehen. Marsilis Absicht, das Anliegen Casels zu bewahren, aber dabei jegliche Spur von Mysterientheologie zu tilgen, führt zu einer völligen Suspendierung der anthropologischen und philosophischen Fragen, die am Anfang jeder wirklichen Liturgietheologie stehen. Man wird sagen können, dass stattdessen die Absicht, vom heilsgeschichtlichen Standpunkt her ein profiliertes Liturgieverständnis zu gewinnen, bei Marsili die anthropologischen und religionsphilosophischen Überlegungen zum Ritus an die Seite drängt, wenn nicht völlig ignoriert. Das Gleichgewicht, das vor Casel und noch bei Casel selbst eine vorläufige Gestalt gefunden hatte, wird jetzt dem notwendigen theologischen Neuaufbruch bzw. der neuen vor- oder nachkonziliaren Zeit geopfert. Bei Marsilis Versuch eines neuen Verständnisses von christlicher Liturgie unter absichtlicher Missachtung des kultischen, rituellen und religiösen Kontextes finden sich jedoch mehrere Ungereimtheiten, die jetzt der Prüfung zu unterziehen sind: – die Rolle der Erfahrung, die – ganz im Unterschied zu Casels Vorschlägen – reduziert und gegenüber den ihr innewohnenden Möglichkeiten entwertet wird; – die Forderung nach der Bestimmung der liturgischen Theologie als theologia prima; – die starke Frontstellung im Gegenüber zur dogmatischen Theologie; – die Tendenz zur Entgegensetzung von Gottes- und Menschenhandeln, die zu einem tiefen Unverständnis gegenüber dem Ritus führt. Diese theologische Konzentration ist mithin nicht in der Lage, den anthropologischen Gehalt von Gottesdienst und Ritus zu erfassen. Dies findet seinen exemplarischen Ausdruck in den Überlegungen, die Marsili der Vorgeschichte des Begriffes „Liturgie“ widmet. Wir wollen uns mit dieser Vorgeschichte befassen und werden feststellen, dass die philologische Zu3 G. Angelini, La celebrazione eucaristica: approccio teologico-pratico, in: Eucaristia e rito, Bergamo 1982, 159–176: 169.
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gangsweise gerade den Sinn des christlichen Rituals und sein anthropologisch-rituelles Spezifikum außer Acht lässt. Das Problem der heilsgeschichtlichen Fassung von Marsilis neuem Liturgieverständnis eröffnet ein weites Themenfeld, das dazu animiert (bzw. animieren sollte), sich erneut dem Verhältnis von Geschichte und gottesdienstlichem Ritual zuzuwenden. Doch tatsächlich wird gerade dieser Fragenkreis von Marsili nur sehr am Rande bearbeitet, und zwar aus folgenden Gründen: – die Qualifizierung der Liturgie als „heilsgeschichtliches Geschehen“ hat zwar einen hohen emotiven Stellenwert. Sie bleibt aber mit Mängeln behaftet, wenn die Formulierung einer Definition abgelehnt wird und so die Frage des Geschichtsverständnisses im Verhältnis zur Freiheit des Subjekts und der Gemeinschaft ebenso im Unklaren verbleibt wie die Beziehung zu Ritus und Mythos, die für den Gottesdienst vor allem konstitutiv sind;4 – wenn Marsilis Schwierigkeiten mit dem Ritus nur verständlich sind, weil man den Gottesdienst damit auch unter Verwendung von typisch säkularisierten Kategorien neu zu begründen suchte, so tendiert Marsilis Verabsolutierung der via liturgica im Dienste eines neuen Christentumsverständnisses dazu, bei bereits überholten Kategorien stehen zu bleiben. Marsilis Wiedergewinnung der Liturgie beruht auf der Antithese von Glaube und Religion und folgt einseitig dem Primat des Glaubens gegenüber jeglicher Reflexion von Religion, selbst wenn im Begriff des Glaubens alle erfahrungsbezogenen Merkmale berücksichtigt werden, die eigentlich traditionell in den Bereich von Religion gehören. Um die inneren Widersprüche von Marsilis Position aufzuklären, ist es sinnvoll, seinen Ansatz der sorgfältigen expositio und seine Grundlegung einer möglichen liturgischen Theologie in groben Zügen zu überprüfen. 8.1. Das Konzept des heilsgeschichtlichen Verständnisses der Liturgie Eine umfassende Darlegung der Theorie Marsilis zur Liturgie kann seinen zahlreichen Schriften5 leicht entnommen werden. Darin wird das Thema anhand der folgenden Einzelthemen abgehandelt: 4 So ist es auch unmöglich, die Feier des Gedenkens mit dem bloßen Rekurs auf die Bedeutung geschichtlichen Gedenkens überhaupt zu erklären, weil zwischen Geschichte und Feier sehr viel komplexere Verflechtungen bestehen als die einfache logische Deduktion. Das heißt: Wenn die Logik nicht weiterhilft, kann man nicht auf die Hilfe der Anthropologie verzichten. 5 Dazu vgl. besonders S. Marsili, La liturgia: momento storico della salvezza, in: ders. (Hg.), Anamnesis. Introduzione storico-teologica alla liturgia, Casale Monferrato 21979, 31–156. Die Darstellung folgt diesem Text Marsilis.
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a) historisch-philologische Untersuchungen zum Begriff „Liturgie“; b) vorsichtige Annäherung an eine Liturgietheologie; c) Analyse der Liturgietheologie des 2. Vatikanums; d) Gesamtkonzept zur Liturgie als Gottesdienst der Kirche; e) Behandlung des Gegensatzes von Liturgie und Nicht-Liturgie. Bei der Prüfung der Licht- und Schattenseiten in Marsilis liturgischer Theologie anhand dieser fünf Schlüsselthemen können wir schematisch vorgehen, um Möglichkeiten und Grenzen systematisch aufzuzeigen. Als Schlüssel der Interpretation greifen wir auf jene theologische Konzentration zurück, die dazu dient, jeglichen Bezug auf anthropologische Fragen als irrelevant (bzw. gefährlich) auszuklammern.
8.1.1. Das nicht-rituelle Liturgieverständnis Ein sehr wichtiger philologischer Arbeitsschritt ist für Marsili die Rekonstruktion der antiken (zivilen, religiös-kultischen, biblischen, besonders neutestamentlichen) Verwendung des Begriffes leitourgÿa. Diese lässt sich folgendermaßen charakterisieren: 1) Ziviler Sprachgebrauch: Im klassischen Griechisch bedeutet Liturgie „öffentlicher Dienst“, während im Hellenismus die „obligatorisch abzuleistende Arbeit“ gemeint ist, bis das Wort schließlich zum Synonym für „Dienst“ überhaupt wird und dabei den Bezug zur Öffentlichkeit verliert, der die eigentliche etymologische Wurzel des Wortes bildet (leit von leó™/laó™= Volk + o«rgÿa, von ôrgon = Handlung, Werk). 2) Religiöser und kultischer Sprachgebrauch: Der Begriff bezeichnet den Dienst, der den Göttern von dazu bestimmten Personen zu leisten ist. Auch in diesem Fall kommt es zu einem Verschwinden des öffentlichen Aspektes des Begriffes zugunsten einer eher diffusen Füllung im Zusammenhang der Mysterientheologie. 3) Biblischer Gebrauch (Altes Testament): ca. 170 Belege in der Septuaginta (als Übersetzungen der hebräischen Begriffe trP [scheret] und hdbä [abodah]), welche sich aber nur als termini technici auf den Jahwe von den Priestern und Leviten dargebrachten Kultus beziehen. Die beiden Verben hingegen, die den Jahwe vom Volk zugedachten Gottesdienst meinen, werden niemals mit leitourgÿa bzw. deren Derivaten übersetzt, sondern stets mit latreÿa oder douleÿa. Das heißt für Marsili, dass diese Unterscheidung eine gravierende Zäsur zwischen dem priesterlichen Gottesdienst und dem Gottesdienst des Volkes bedeutet. Die Zäsur besteht damit auch zwischen dem, was Marsili von Beginn an „Ritus“ und dem, was er „Kultus“ nennt. Nur die Priester und Leviten haben für die Übersetzer der Septuaginta das wirkliche und spezifische Recht zur Abhaltung des Gottesdienstes. Ein allgemeines 156
und undifferenziertes Verständnis von Gottesdienst wäre gegenüber den hebräischen Wurzeln in Wirklichkeit nichts als Unkenntnis. 4) Neutestamentlicher Gebrauch: Hier finden sich 15 Belege. Dabei gibt es vier verschiedene Bedeutungen von „Liturgie“ und ihren Derivaten im Neuen Testament: a) profaner Gebrauch im Sinne von „Dienst“: Röm 13,6; Röm 15,27; Phil 2,25.30; 2 Kor 9,12; Hebr 1,7.14; b) priesterlich-ritueller Gebrauch: Luk 1,23 – der einzige Beleg in den Evangelien; Hebr 8,2.6; Hebr 9,21; Hebr 10,11; c) Verwendung im Sinne des „geistlichen Gottesdienstes“: In Röm 15,16 ist Paulus im metaphorischen Sinne ein Diener und Priester des Evangeliums; in Phil 2,17 findet sich eine Metaphorisierung traditioneller priesterlicher Opfersprache; d) im Sinne des christlichen Gottesdienstes: „Als sie aber dem Herrn dienten (leitourgo‹ntwn) und fasteten, sprach der heilige Geist . . .“ (Apg 13,2). Die zuletzt zitierte Stelle ist der einzige Fall, in dem die christliche gottesdienstliche Feier „Liturgie“ genannt wird. Wie wir gesehen haben, hängt das mit der Tatsache zusammen, dass der Begriff leitourgia historisch einer plötzlichen Verflachung im Sinne von „Äußerlichkeit des levitischen Kultes“ unterlag, wie diese schon von der prophetischen Kritik als Aufkündigung des Bundes und Bedrohung des wahren Glaubens in Israel gebrandmarkt worden war. Und gerade der geistliche Gottesdienst im nicht-tempelbezogenen und nicht-priesterlichen Sinne wurde zum Interpretament für den Tod Christi wie den Tod des Stefanus. Es gilt also zur Kenntnis zu nehmen, dass der Liturgie gerade vom Neuen Testament her schärfster Protest entgegengebracht wird. In diesem Sinne betont Marsili mit Entschiedenheit, dass die Christen – entgegen der jüdischen Fehlentwicklung und der paganen Praxis – „den Gott darzubringenden Kultus in den Bereich der inneren Heiligkeit verlegten.“6
8.1.2. Zum historischen Verständnis des liturgischen Aufbruchs Auf dieser Textbasis entsteht nach Marsili im Christentum eine neue Gottesdiensttheologie, die sich im Sinne einer spirituellen, jeglicher Form von Ritualismus abholden Sichtweise entwickelt.7 Und dennoch – so fügt 6 Ebd., 49. 7 Dabei ist zu fragen, ob es wirklich nur die Alternative von geistlichem Gottesdienst und Ritualismus gibt. Geht es nicht vielmehr darum, das Recht einer Theologie des Kultus nicht nur vom Bezug auf das Leben her einzuräumen, sondern vielmehr von jener Lebensvoraussetzung und Lebensverheißung her, die der Gottesdienst bedeutet, insofern er – gerade als Gottesdienst – auf ein rituelles Verfasstsein nicht verzichten kann? Doch Marsili sieht
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Marsili umgehend hinzu – bedeutet das nicht, dass der geistliche Gottesdienst keine eigene rituelle Ordnung haben dürfte. Dennoch fragt man sich, wie Marsili diese beiden Annahmen zusammenhalten kann: – der christliche Gottesdienst ist geistlicher Gottesdienst; – der christliche Gottesdienst ist ritueller Gottesdienst, zumal diese beiden Annahmen unter den gegenwärtigen Wahrnehmungsbedingungen als Gegensätze angesehen werden. An diesem Punkt stoßen wir auf das erste große Verdienst Marsilis, nämlich auf den Gedanken, dass der Begriff des „geistlichen Gottesdienstes“ nicht notwendig zu einer ethischen Reduktion des Christentums führen muss, sondern vielmehr in spezifischer Weise auf der Ebene auch des Kultisch-Rituellen zu verbleiben hat. Und doch muss man fragen, warum die christlichen Riten keine Liturgie im Sinne des Alten Testaments sein sollen. Marsilis Antwort auf diese Frage lautet, dass es sich jetzt um Sakramente und Mysterien handelt, also um etwas völlig Neues auf dem Gebiet der Religion, das nicht einfach auf das kultische Genus zurückgeführt werden kann. Ihre Bestimmung, den Menschen zu heiligen, hat den Sinn, dass dieser nun selbst Opfer, Altar und Tempel und damit Ort und Vollzug des Kultus wird. Entgegen dieser Auffassung, die im Christentum seit frühester Zeit bezeugt und noch bei Augustin klar zu erkennen ist, beginnt laut Marsili jedoch eine lange Geschichte des Verfalls8 die summarisch und schematisch so dargestellt werden kann: a) Veräußerlichung, Verrechtlichung, Fixierung auf die Frage der Gültigkeit: Man kommt schnell dazu, den eigentlichen Opfercharakter zuungunsten des heilsgeschichtlichen Sinnes herauszustellen; die Feierlichkeit und die juridische Dimension sind wichtiger als die Spontaneität des Geistes; und obwohl man sich dafür entscheidet, anstelle der Tempel Basiliken zu errichten, gelangt man schnell zu einer Sakralisierung von Orten und Gegenständen (wie z. B. dem Altar), so
sich zur Rehabilitierung des Kultus nur insofern in der Lage, als der Kultus nicht Ritus ist. Doch damit entleert er ihn im Kern und reduziert ihn auf das Leben, auf den Glauben oder die Offenbarung. Zur Wiedergewinnung des Bezuges von Kultus und Ritus vgl. A. Grillo, Differenza e antitesi tra sacrificio spirituale e sacrificio rituale, in: S. Ubbiali (Hg.), Il sacrificio: evento e rito, Padua 1998, 203–243. 8 Die Abwege werden hier als bloße Erinnerung an die von Marsili entwickelten und durch die Forschungen von F. Brovelli und R. Tagliaferri vertieften Vorstellungen einfach aufgelistet. Sie haben den Charakter von epistemologischen Paradigmen bei der Betrachtung der verschiedenen Epochen des christlichen Gottesdienstes. Zu dieser Art der Weiterführung von Marsilis Vorgehensweise vgl. vor allem R. Tagliaferri, Le epistemologie soggiacenti al concetto di liturgia in alcune epoche storiche (= Liturgieverständnisse und entsprechende Epistemologien in einigen historischen Epochen), in: ders., La violazione del mondo (= Entweihung der Welt). Ricerche di epistemologia liturgica, Rom 1996, 79–118.
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dass Marsili zu der Feststellung kommt, dass der Vorhang im Tempel dadurch erneut geschlossen wird. b) Mittelalter: Die üblichen Liturgieverständnisse (jedenfalls auf der theoretischen Ebene) sind von der Konzentration auf das Gleichnishafte [allegorismo] und auf die Andachtsübungen [devozionalismo] geprägt. Der Unterschied zwischen dem Klerus und den Gläubigen wird stark betont und auf die Dimension des „juristisch Gültigen“ des Ritus fällt ungeheures Gewicht; es kommt zu einem bloß äußerlichen Verständnis der Messe mit den bekannten Phänomenen der Stillmesse bzw. der missa bi-tri-quadrifaciata u. a. c) Mit der Reformation und dem Trienter Konzil kommt es zu zwei Entwicklungen, so dass wir den Verlust des Gleichgewichtes zwischen Materialität und Aberglaube feststellen müssen. Mit der Reformation wird die Liturgie in der Geschichte „beerdigt“, denn es bleiben nur Predigt, Meditation und persönliches Gebet. Aber auch das Tridentinum verfehlt ein theologisches Liturgieverständnis und verbleibt beim Äußerlichen, Klerikalen und Anschaubaren. Erst etwas später kommt mit Muratori zu Bewusstsein, dass „auch das zum heiligen Dienst vereinigte Volk das Opfer vollzieht.“9 Selbst das Lehramt bleibt vor dem Konzil in reduktiven Sichtweisen gefangen, obwohl es aufmerksam für die neue Aufgabe ist, ein kultisches Verständnis zurückzugewinnen. Insofern kann man von den Mängeln in „Mediator Dei“ (1947) sprechen. Die verschiedenen Elemente lassen sich dabei folgendermaßen darstellen: – positiv ist zu vermerken, dass das Dokument die Liturgie in einer offenen theologischen Perspektive in den Blick nimmt und diese als Ausübung des Priestertums Christi versteht und sie als „öffentlichen Kultus des mystischen Leibes Christi“ definiert; – negativ hingegen ist festzustellen, dass das Dokument von der Natur des Gottesdienstes eine allgemeine, abstrakte und metaphysische Vorstellung hat und darum nur ein sehr geringes Verständnis für die Verbindung zwischen Liturgie und Heilsgeschichte aufbringt. Auch weiterhin bleibt die Liturgie eine Angelegenheit von Priester und Klerus, während die Teilhabe der Gläubigen trotz des Öffentlichkeitscharakters der Liturgie nicht für ein notwendiges Element gehalten wird.
9 Dazu vgl. die treffliche Studie von A. M. Calapaj Burlini, Devozioni e „regolata divozione“ nell’opera di Lodovico Antonio Muratori. Contributo alla storia della liturgia (Ephemerides liturgicae, Subsidia 92), Rom 1997.
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8.1.3 Zur Interpretation des 2. Vatikanums Von besonderem Interesse ist die Art und Weise, in der Marsili das grundlegend Neue in der Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ bewertet. Er versteht diese als die Überwindung von zwei voreingenommenen Sichtweisen, die für die Starrheit des rituellen Ausdrucks verantwortlich sind, nämlich: – Liturgie als Sache der Tradition – Liturgie als Sache der juridischen Beurteilung. Das 2. Vatikanum lässt beide Positionen durch eine wichtige doppelte Grundannahme hinter sich: a) Die Auffassung der Liturgie als bloße Sache der Tradition kann überwunden werden, indem man sie in den Kontext der Heilsgeschichte stellt. Wenn man vom Verständnis der historia salutis ausgeht, kann der Augenblick der Feier wieder als Geschehen und Offenbarwerden des stets einen Mysteriums verstanden werden. b) Die Auffassung der Liturgie als statisch-juridische Sache kann überwunden werden, wenn man wieder auf ihr Wesen als das Handeln Christi sieht. Bei dieser sakramentalen Interpretation findet das Christusmysterium seine Fortsetzung im Mysterium des Gottesdienstes. Damit durchläuft Marsilis Gedankengang folgende Schritte: – – – –
Liturgie Liturgie Liturgie Liturgie
und Heilsgeschichte als Gegenwart und Handeln Christi als Geschehen des Paschamysteriums und Sakramentscharakter.
8.1.4. Die Liturgie zwischen Kultus und sakramentaler Offenbarung Es lohnt sich, hier sogleich den Überlegungen zu folgen, die Marsili zum Verhältnis von Liturgie und Sakramentscharakter anstellt.10 Da die Liturgie „Feier des Christusmysteriums“ ist, sind Klärungen auf zwei verschiedenen Ebenen angezeigt: a) bezüglich des Verhältnisses von Heiliger Schrift und Liturgie b) bezüglich des Verhältnisses von Ritus und Liturgie. a) Nicht nur die Liturgie ist der Ort, an dem die Schrift in sehr feierlicher Weise gelesen und proklamiert wird. Theologisch gesprochen ist auch die Schrift eine essenzielle Komponente der kultisch-liturgischen Form. Das heißt, „wenn die Heilige Schrift auf der einen Seite die dauerhafte 10 Vgl. vor allem S. Marsili (s. o. Anm. 5), 100–105.
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Verkündigung des göttlichen Heilsplanes ist, dann ist die Liturgie dessen rituelles Geschehen.“11 Dabei ist zu unterstreichen, dass Marsili mehrfach nachdrücklich bekräftigt, dass der Unterschied zwischen Schrift und Liturgie ein Unterschied zwischen Verkündigung und verwirklichender Realisierung ist – wobei gleichwohl gerade diese Ebene des Rituals vergessen werden kann, auf der sich jene Verwirklichung vollzieht. Tatsächlich finden sich auch äußerst zweifelhafte Formulierungen wie die folgende: „Die christliche Liturgie verhält sich zur Heiligen Schrift, wie sich die Christuswirklichkeit zu seinem Verkündigtwerden verhält.“12
Es fällt Marsili nicht schwer, bei der Kommentierung dieses Satzes gewissermaßen zu vergessen, dass die Unterscheidung zwischen Verkündigung und Realisierung des Heils nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn der rituelle Charakter der kultischen Realisierung sein Gewicht behält. Nicht zufällig bezieht Marsili in seiner ganzen Emphase, mit der er die Alternative von Schrift und Liturgie betont, die Unterscheidung zwischen dem Ereignis des Heils und dessen ritueller Feiergestalt ein. Die Heilige Schrift findet für Marsili in der Liturgie ihre natürliche und konkrete Interpretation auf der heilsgeschichtlichen Ebene und nicht in intellektuellen Höhenflügen. Dass der Übergang vom liturgischen Aspekt zum heilsgeschichtlichen dabei auf einer Art von Ritualvergessenheit beruht, wird sich im folgenden Abschnitt bestätigen. b) Wie wir bereits gesehen haben, ist Marsilis Art des Ritualverständnisses von dem Prinzip geleitet, nicht das vom Menschen begründete und gesuchte Gottesverhältnis in den Vordergrund zu stellen, sondern dieses Verhältnis umzukehren und dem Verhältnis Gottes zum Menschen den Vorrang zu geben. Mit dieser Umkehrung definiert Marsili den Ritus genau vom traditionellen Sakramentsbegriff her, indem er das Sakrament als Zeichen versteht. Verglichen mit den am Anfang unserer Überlegungen beschriebenen Herausforderungen erscheint dies jedoch mehr als ein Rückschritt denn als Fortschritt. Denn zur Bekräftigung des neuen Liturgieverständnisses zieht sich Marsili gerade auf eine Art Verteidigungsposition zurück, die nichts anderes ist als die traditionelle Sakramentenlehre, die ja gerade – wie wir am Anfang dieses Buches gesehen haben – der Grund für die negative Entwicklung gewesen ist, auf die die liturgietheologischen Versuche reagieren wollten. 11 Ebd., 101 (kursiv im Original). Die Bekräftigung dieser Interpretation des Verhältnisses von Schrift und Liturgie findet sich auch in: ders., La liturgia nel discorso teologico odierno. Per una fondazione della liturgia pastorale: individuazione delle prospettive degli ambiti specifici, in: P. Visentin/A. N. Terrin/R. Cecolin (Hg.), Una liturgia per l’uomo, Padua 1986, 17–47: 38. 12 S. Marsili (s. o. Anm. 5), 102 (Kursivierung A. Grillo).
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Man kann somit festhalten, dass für Marsili die Menschheit Christi das eigentlich bedeutende Zeichen, die Wirklichkeit des Heils darstellt, während die liturgischen Zeichen deren Übertragung auf die rituelle Ebene sind.13 Der Gegensatz zwischen einem Verständnis der Liturgie als einem Ritengefüge, das im Kontext des Genus Kultus zu verstehen ist, und einer Interpretation als „Herrschaft der Zeichen“, die vom Christusmysterium abhängen, könnte deutlicher nicht sein. Marsili rehabilitiert also die Liturgie nur dadurch, dass er sie von ihrer Natur als Kultus und Ritus befreit und sie zu einem gänzlich theologisch determinierten Zeichen werden lässt. Die Frage jedoch, warum das rituelle Moment eine so große Bedeutung für die Art und die Form liturgischer Präsentation und Darstellung hat, bleibt auf diese Weise im Bereich des Nebensächlichen und Überflüssigen. Das Schweigen Marsilis an diesem Punkt verdient genauere Aufmerksamkeit, auch wenn es ihn tatsächlich nicht daran gehindert hat, zu Beobachtungen von großer Tragweite zu kommen. Trotz der genannten Schwächen hat Marsili viele gute Impulse für ein neues Gottesdienstverständnis gegeben.
8.1.5. Liturgie und Kirche Wie wir sahen, verwiesen Marsilis Analysen zum Begriff leitourgÿa bereits in den siebziger Jahren darauf, dass mit dem unangemessenen und formalistischen Liturgieverständnis der Verlust der ursprünglichen Kategorie des „Volkes Gottes“ zusammenhing. Dies betrifft vor allem das Gewicht, das der hierarchischen Struktur innerhalb der Kirche beigemessen wird. Marsili nimmt dabei eine doppelte Verhältnisbestimmung vor: – zwischen dem gemeinsamem Priestertum und dem hierarchischem Priestertum; und daraus folgend – zwischen dem geistlichen Opfer und dem Opfer „im eigentlichen Sinne“. In beiden Fragen bezieht Marsili eine radikal innovative Position und verweist dabei auf die notwendige Rückkehr zur ursprünglichen Vergeistigung von Gottesdienst und Priestertum im Neuen Testament, ohne der allzu verständlichen Faszination von Objektivität und Exteriorität zu erliegen. Immer dann, wenn Christus an die Stelle des Menschen tritt (und diesen von seinem eigenen Opfer erhebt), entsteht die fundamentale Frage nach dem richtigen Verstehen des eigentlichen Sinnes des geistlichen Opfers. 13 Um welche fundamentale Differenz zwischen dem Menschsein Christi und den liturgischen Zeichen es sich handelt, erfährt man aus Marsilis Abhandlung leider nicht.
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Gleichwohl sind auch diese ekklesiologisch eher offenen Schlussfolgerungen teilweise Ergebnis eines Unverständnisses für die rituelle Dimension, worauf wir bereits gestoßen waren. Darum müssen wir uns jetzt dieser ungelösten Problemstellung des theologischen Denkens von Marsili zuwenden.
8.2. Das ungeklärte Verhältnis von Gottesdienst und Ritus Die Überlegungen zu den Stärken und Schwächen von Marsilis liturgischer Theologie haben sich noch nicht zu einem konsistenten Bild seines Denkens geformt. Aus dem Spektrum repräsentativer Meinungen ragen in letzter Zeit einige Beiträge hervor.14 Im Folgenden analysieren wir daraus die Hauptgedanken, um die jüngsten Bilanzierungen und Beurteilungen Marsilis vor Augen zu haben. Wir gliedern die Beiträge entsprechend ihrem Grad stärkerer bzw. schwächerer Distanzierung.
8.2.1. Ritualvergessenheit Roberto Tagliaferri nimmt einige Kritikpunkte an Marsilis liturgischer Theologie auf, die bereits von Angelini, wenn auch teilweise im gegenteiligen Sinne, vorgebracht worden waren. Dabei stellt Tagliaferri in aller Deutlichkeit fest, dass Marsili den Ritus vergessen, ja absichtlich aus dem Zentrum der liturgischen Theologie verdrängt hat: „Marsili dringt nicht zu der Einsicht vor, dass sich die Wahrheit der Liturgie im Ritus vollzieht. Dieser Mangel bleibt in seinem Konzept von Liturgiewissenschaft ein ungelöstes Problem. Einerseits unterstreicht er die Notwendigkeit des Ritus: ‚Der Ritus gehört notwendig in den Begriff von Liturgie‘; andererseits muss er den Ritus der allgemeinen Sakramentalität der Offenbarung opfern (vielleicht um das spezifisch Christliche zu bewahren). So wird zwar angemerkt, dass das Paschamysterium ‚eine besondere Dimension‘ der Liturgie ausmacht, also eine symbolisch-rituelle; dann aber bemüht er sich sogleich um die Korrektur des Gedankens und streicht die christliche Ritualität von der Liste der anderen Ritualtraditionen.“15
Diese Kritik ähnelt meinen Einsprüchen im letzten Abschnitt. Sie kann in der folgenden zugespitzten Weise verstanden werden: 14 Ich beziehe mich hier auf S. Maggiani, La teologia liturgica di S. Marsili come „opera aperta“, in: Rivista liturgica 80 (1993), 341–357; R. Tagliaferri, Modelli di comprensione della scienza liturgica, in: Il Mistero celebrato (Ephemerides liturgicae, Subsidia 49), Rom 1989 (s. o. Anm. 8), 19–105 (jetzt auch in: ders., La violazione del mondo, 11–78); A. M. Triacca, Teologia della liturgia o teologia liturgica? In: Rivista liturgica 80 (1993), 267–289. 15 R. Tagliaferri (s. o. Anm. 14), 48.
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– Wenn es auf der einen Seite stimmt, dass sich die Wahrheit der Liturgie im Ritus vollzieht, kann dies zu der Ansicht führen, dass der Ritus sowohl die Bedeutung der Liturgie ausmacht als auch ihr Bedeutungsträger ist. Damit käme jedoch das eigentlich theologische Moment zu wenig zum Tragen, auf das die Liturgie nicht verzichten kann. Wenn es eine Theologie des Ritus geben soll, dann muss diese ihren Weg im Ritus und durch den Ritus über den Ritus hinaus finden. – Andererseits verweist die Tatsache, dass die Wahrheit im Ritus ins Spiel kommt, gerade auf jenes spezifische Charakteristikum, nach dem die Liturgie theologisch nicht verstanden werden kann, wenn sie nicht auch als Ritus gesehen wird. Die Alternative könnte also auch zu dem Schluss führen, dass Tagliaferris zugespitzte Betrachtung zwar einen wirklichen Mangel von Marsilis Ansatz herausstellt, doch dabei selbst Gefahr läuft, die spezifisch theologische Seite einer möglichen liturgischen Theologie wenigstens partiell zu verfehlen. Tagliaferris Überlegungen werden nicht ohne Grund zum Begriff der Liturgiewissenschaft angestellt und tendieren zur Trennung von Liturgie und Theologie: Der Ritus erscheint als das Transzendentale, das zur Vermittlung des kategorial Christlichen in der Lage ist. Anders als für Marsili kann (darf) für Tagliaferri der rituelle Bedeutungsträger nicht christologisch gelesen werden. Dieser kann nämlich nur dann richtig funktionieren, wenn er in seiner transzendentalen Spezifizität verbleibt, die jedem möglichen christlichen Inhalt vorausgeht. Erst auf der Bedeutungsebene lässt sich der rituelle Signifikant mit einer bestimmten theologischen Bedeutung verbinden. Insgesamt geht Tagliaferri zu Marsili auf Distanz, was das Verhältnis zur Ritualität angeht. Doch grundsätzlich bestätigt er dessen Tendenz zur Überbewertung der Liturgietheorie gegenüber der übrigen Theologie. Denn um den transzendental-anthropologisch-rituellen Diskurs säuberlich vom kategorisch-theologisch-christlichen Diskurs zu trennen, gelangt Tagliaferri zum Primat des transzendental-rituellen Mittels gegenüber allen anderen Mitteln. So habe tatsächlich nur der Ritus mit seiner Klarheit und Freiheit eine strukturelle Affinität zur Botschaft von Liebe und Gnade, wie sie im Christentum verkündigt wird. Dank dieser Analogie lässt sich an dem Primat festhalten, der jedoch mit der klaren Scheidung von Transzendentalität und Kategorialität verloren gehen würde. Tagliaferri hat also das Verdienst, eine spezifische Schwäche bei Marsili aufgezeigt und damit die Aufmerksamkeit auf das rituelle Defizit gelenkt zu haben, welches die liturgische Theologie von ihm auf breiter Front übernommen hat.
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8.2.2. Die Theologie Marsilis als „offenes Kunstwerk“ Silvano Maggiani hingegen erkennt in Marsilis theologisch-liturgischen Überlegungen etwas vom Charakter des „offenen Kunstwerkes“, einer noch nicht vollendeten Schöpfung, von etwas, das strukturell zur Weiterführung durch den Autor selbst und auch durch die Interpreten, die seinem Ansatz folgen, drängt. Dennoch ist unschwer festzustellen, dass der Versuch der Aufnahme von Marsilis Denken das Plausible der Offenheits-Hypothese gerade dadurch zeigen möchte, dass der Begriff des „geistlichen Gottesdienstes“, den wir bereits bei Marsili als bestimmend ausmachen konnten, zum Interpretationskriterium wird. Der „Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit ist das Siegel der Methode“16: Vor allem dieser Aspekt ist es, der die Offenheit bestimmt. Auf der Basis dieser Annahme gibt Maggiani der von Tagliaferri geäußerten Kritik (bei aller Zustimmung zu deren Gehalt und Schärfe) eine treffende Wendung ad bonam partem. In der unklaren Mehrdeutigkeit Marsilis, was die Rolle des Ritus in der Liturgie betrifft, sieht er weniger eine Sackgasse für die Forschung als vielmehr die offene Stelle im Werk Marsilis.17 Für Maggiani gilt, dass Marsili „die Diskussionen zur Ritualität und Sprache des Rituals noch nicht aufgenommen hat, weil er diese noch in altertümlicher Weise auf die rubrizistische Ordnung bezieht und nicht auf den strukturbildenden Menschen im Gegenüber zu der ihn bestimmenden Wirklichkeit. Darum bleibt Marsili zögerlich, wobei ich den Begriff ‚offen‘ bevorzuge, weil dieser dem Ernst und der Integrität von Marsilis Denken entspricht.“18
Marsili war, wenn auch unter Schwierigkeiten, in der Lage, von seinem ursprünglichen und im Grunde nie überwundenen Ansatz Abstand zu nehmen und das eigene Urteil in Sachen Liturgie und Ritual wenigstens teilweise zu modifizieren. Dazu gehört der Versuch eines seiner letzten wissenschaftlichen Beiträge, das Verstehen der christlichen Liturgie in Richtung eines anthropologisch-transzendentalen Ansatzes voranzutreiben. Im Rahmen dieser Arbeit begegnet bei Marsili zum ersten Mal die Unterscheidung von Zeichen und Symbol, wobei das Symbolische neu als der einzige Weg erscheint, auf dem ein angemessenes Sakramentsverständnis zu erreichen ist.19 Diese für Marsili absolut neuartige Betrachtungsweise beweist die große Offenheit, die sein Denken prägt. So hat er – wenn auch erst am Ende seines Denkweges – die Notwendigkeit von Kurskorrekturen erkannt. 16 S. Maggiani (s. o. Anm. 14), 347. 17 Ebd., 351. 18 Ebd., 351f. 19 Vgl. S. Marsili, Il simbolismo dell’iniziazione cristiana alla luce della teologia liturgica, in: G. Farnedi (Hg.), I simboli dell’iniziazione cristiana (Studia Anselmiana, 87, Analecta liturgica 7), Rom 1983, 259–280.
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8.2.3. Die erweiterte Bedeutung der Liturgie In ganz anderer Richtung hat sich dagegen Achille Maria Triacca geäußert. Er sieht Marsilis Entwicklung konsequent in Richtung eines stark erweiterten Liturgieverständnisses verlaufen. Triacca, in so mancher Hinsicht der überzeugteste Fortführer von Marsilis Denken, ist jedoch nicht besonders sensibel für die tiefen Wandlungen, die Marsilis letzte Überlegungen kennzeichnen. Triacca fasst Marsilis Denken mit einer Aufstellung zusammen, die er dem Artikel „Teologia liturgica“ im „Nuovo dizionario di liturgia“ entnimmt: a) Die liturgische Theologie besteht nicht darin, sich der theologischen Inhalte von Formeln und Riten zu bedienen; b) der liturgischen Theologie geht es um Überlegungen zu Gott in seiner Offenbarung und sie nimmt dazu ihren Ausgang bei der sakramentalen Verfasstheit der Offenbarung; c) die liturgische Theologie schließt Theologie als menschliche Reflexion über Gott zwar nicht aus, kann aber von dieser keinesfalls ersetzt werden. Trotz alledem kann das Werk Marsilis nach Triaccas Urteil als unvollendetes Werk bezeichnet werden, das einer Reihe von Modifikationen bedarf. Wir werden sehen, dass diese Hinweise ganz andere sind als diejenigen, die wir in teilweiser Übereinstimmung bei Tagliaferri und Maggiani finden konnten. Weil die Theologie für ihn immer eine dienende Funktion gegenüber den liturgischen Quellen erfüllt hat und weil sie im Dienste jener Wahrheit steht, die im liturgischen Handeln gefeiert wird, kommt er zu dem Schluss, dass das liturgische Handeln nicht die gesamte liturgische Realität ausschöpfen kann: „So ist die Liturgie das gefeierte Geheimnis als ein Handeln für das glaubende Leben, doch ebenso das Leben des Glaubenden, soweit dieses in ein Handeln mündet, damit sich das Geheimnis ereignet.“20
Ausgehend von dieser Definition lässt sich gut verstehen, warum es sich hier um eine zweite kritische Lesart handelt, die sich mit einer wichtigen Aussage von Marsili in Verbindung bringen lässt. Während die erste kritische Lesart, mit der wir uns eingehend beschäftigt haben, den grundlegenden Mangel Marsilis gerade darin sah, dass er das Verhältnis von Liturgie und Ritus nicht ausreichend thematisiert hat und von daher gerade seinen zentralen Begriff des „geistlichen Gottesdienstes“ in Frage stellte, empfindet die zweite Lesart nicht nur keine Notwendigkeit einer anthropologisch-symbolischen Integration von Marsilis Denken, sondern 20 A. M. Triacca, Teologia della liturgia o teologia liturgica, in: Rivista liturgica 80 (1993), 267–289: 288.
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befürwortet stattdessen die umfassende Ausweitung des Gegenstandsbereiches der Liturgie, so dass darunter nicht mehr nur das Ereignis des gefeierten Geheimnisses verstanden wird, sondern dieses Geheimnis selbst wie das Leben. Jene auch von Marsili mehrfach empfundene Tendenz, die ihn aus der liturgischen Theologie eine theologia prima machen ließ, wird hier also radikal zu Ende gedacht. Für Triacca verdient die Liturgie nicht nur den Vorzug gegenüber allem anderen außerhalb von ihr, sondern sie „ist“ buchstäblich alles das und absorbiert damit die Totalität kirchlicher Ausdrucksformen.21 Auf dem Hintergrund dieser im Wesentlichen von Marsili herkommenden Betrachtungsweise lässt sich die Liturgie damit in dreifacher Weise verstehen: – Liturgie und Handeln: Die Theologie ist als Dienerin der Wahrheit und für die Wahrheit zu sehen, aber auch als Zeugnis für praktische und lebendige Inhalte; – Liturgie und Leben: Die Theologie ist die Leuchtkraft der Wahrheit, denn sie übersetzt sich in das gottesdienstliche Handeln und in die Glaubenspraxis; – Liturgie und Geheimnis: Die Theologie gilt als ekstatisch und mystisch, indem sie die Kontemplation des Geheimnisses ist. Das liturgische Handeln ist damit ein Ineinander von lex orandi, lex credendi und lex vivendi. Die Kirche als ganze ist damit in das Innere der Liturgie eingeschlossen (und darin verschlossen). Die unklare „Definition“ (im etymologischen Sinne als Umreißen der Grenzen), welche Marsili für das Verständnis der neuen Disziplin offen gelassen hatte, hat zu diesen Konsequenzen geführt.
8.2.4. Marsilis Weiterführung des eigenen Ansatzes Wie bereits angedeutet, ist Marsilis letzte Schaffensphase (1982/83) gesondert zu betrachten, weil er darin den eigenen liturgietheologischen Ansatz modifiziert (bzw. präzisiert) und sich den Impulsen aus Anthropologie und Symboltheorie öffnet. Dabei lässt sich zunächst beobachten, dass die neuen Einflüsse – soweit sie ernsthaft rezipiert werden – weder zu einer wirklichen Modifikation der theologischen Konzeption führen noch die aufgewiesenen Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. 21 Wie sich diese Ansicht mit „Sacrosanctum Concilium 9“ vereinbaren lässt (worin sich die Ansicht findet, dass die „Liturgie nicht das gesamte Handeln der Kirche erschöpft“), ist eine schwierige Frage, die hier nur der Aufmerksamkeit des Lesers empfohlen werden kann.
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Auch in diesen letzten, von einigen wirklich neuen Einsichten gekennzeichneten Beiträgen bleibt Marsilis Sorge stets die Reinheit der theologischen Reflexion im Hinblick auf die bloße rituelle Praxis: „Gerade aufgrund der Tatsache, dass die Liturgie eine Theologie in symbolisch-ritueller Form ist, kann es geschehen, dass die rituelle Komponente zum entscheidenden Wert wird, der für sich selbst steht. Das aber hat die Konsequenz, dass die ‚symbolische Sprache‘ kraftlos wird und die Liturgie ihre Wahrheit verliert, da sie in diesem Fall kein theologischer Dialog mehr ist, sondern nur noch ein menschliches Handeln, bei dem das ‚Wort‘ nicht mehr in seinem wirklichen Gehalt als Ereignis des Heils erfasst wird.“22
Es ist deutlich, dass auch in diesem Fall – trotz der neuen Aufmerksamkeit für den Symboldiskurs, der den früheren Ansatz unter dem Zeichenbegriff modifiziert (dazu s. o.) – der Fokus der Betrachtung derselbe bleibt: Liturgie ist die Liturgie nur dann, wenn sie als Reden Gottes und nicht als Reden des Menschen verstanden wird. Verändert hat sich wirklich nur das nomen und nicht die res. Und auch im Hinblick darauf, dass der liturgischen Theologie eine Art von Primat im Gefüge der theologischen Disziplinen zukommt, bleibt der späte Marsili seiner eigenen Position treu und stellt klar, dass die Theologie dann liturgisch ist, wenn sie „das eigene Reden von Gott mit Hilfe von liturgischen Kategorien entwirft.“23 Interessant ist in diesem Zusammenhang die knappe Aufstellung von Kategorien, die Marsili vorschlägt: – die Sakramentalität der Offenbarung; – die Präsenz der Gesamtheit der Offenbarung im Christus-Sakrament, das immer von neuem lebendig wird; – der ökonomische Aspekt der Offenbarung, verstanden im Sinne der Heilsgeschichte; – die Präsenz des Christusmysteriums im liturgischen Geschehen; – das Wort Gottes in seiner Aktualisierung. Im Gegenüber zu einer liturgischen Theologie solchen Zuschnitts tendiert der gesamte Rest der Theologie dann unvermeidlich zu einer nachgeordneten Theologie, der die Aufgabe zukommt, das von der Liturgie in ihrer unersetzbaren symbolischen Sprache zum Ausdruck Gebrachte in eine der jeweiligen Kultur angemessene Sprache zu übertragen. Mit einem derartigen Ausgehen von der Nicht-Aktualität liturgischer Theologie macht sich Marsili letztlich das zu Eigen, was er eigentlich stets zurückgewiesen hatte, nämlich die Notwendigkeit von Unterscheidungen zwischen
22 S. Marsili (s. o. Anm. 11), 22. 23 Ebd., 43.
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– Geschichte und Heilsgeschichte – Gestalt und Gehalt (Signifikant und Signifikat) – Ritueller und geschichtlicher Gegenwart. Das Ausgehen von diesen Unterscheidungen als Grundlage pastoraler und theologischer Arbeit bedeutet im Grunde die Übernahme jener Sicht, die es der Theologie vor etwa einem Jahrhundert ermöglichte, eine liturgische Frage zu formulieren. Die Unmöglichkeit, einfach weiter die Identität des so Unterschiedenen anzunehmen, und der Blick auf die Rolle, die dem Ritus für eine Lösung zukommen könnte, führt zu der Perspektive, die sich Marsili am Ende seines Lebenswerkes und Lebenslaufes erschlossen hat. Alles das ist jedoch kaum mehr als auf der Ebene des Entwurfes geblieben, so dass den nachfolgenden Generationen die Aufgabe der Weiterentwicklung bleibt.
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9. KAPITEL
Eine theologische Sicht des Gottesdienstes: Die vermittelnde Position C. Vagagginis Die Liturgie gibt der Theologie etwas, das die übrigen Offenbarungsquellen allein nicht zu geben vermögen. C. Vagaggini1
Im Vergleich mit den Autoren, die wir bisher befragt haben, kommt Cipriano Vagaggini zu einem völlig anderen Resultat, was die Frage nach dem theologischen Sinn der Liturgie angeht.2 Bereits früher hatten wir herausgestellt, dass Vagagginis grundlegendes Bemühen der Frage galt, wie man die Liturgie in das Gesamtensemble der Theologie überhaupt integrieren kann. Darin manifestiert sich ein grundlegend systematisches Interesse3, das im Kontext der anderen Ansätze eines neu entstehenden liturgischen Denkens die große Ausnahme darstellt, weil sich diese in der Regel distanziert gegenüber den systematisch-theologischen Fragen verhalten (bzw. in Widerspruch zu ihnen treten). Mit dieser besonderen Charakteristik betritt Vagaggini einen alternativen Weg, mit dem er nicht etwa eine liturgische Theologie vorschlägt, sondern vielmehr eine theologische Liturgie. Er schreibt dazu: „Es ist klar, dass die theologische Vertiefung der Liturgie die grundlegende Voraussetzung für eine geistliche Vertiefung und für einen dauerhaften pastoralen Erfolg darstellt. Denn nur eine theologische Liturgie, welche die liturgische Realität im Lichte ihrer letzten Prinzipien bedenkt, also im Rahmen einer allgemeinen Weltsicht, wie diese mit der Offenbarung gegeben ist und durch die Theologie als ganze zum Thema gemacht wird, nur diese dringt zum Kern des liturgischen Denkens vor und ergibt die solide Basis für eine liturgische Spiritualität wie für eine liturgische Pastoral. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint mir darum die konsequente Entwicklung einer theologischen Liturgie vordringlich zu sein. Es bleibt zu wünschen, denke ich, dass sich noch mehr Theologen mit der Liturgie beschäftigen, als dies bisher geschieht. 1 C. Vagaggini, Liturgia e pensiero teologico recente. Inaugurazione del Pontificio Istituto Liturgico (= Die Liturgie und das jüngste theologische Denken. Zur Eröffnung des Päpstlichen Liturgieinstituts), Rom 1961, 75. 2 So lautet auch der Titel des Hauptwerkes: C. Vagaggini, Il senso teologico della liturgia, Rom 1957. 3 Vgl. A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, Kapitel 1, 39–44.
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Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies, wenn es in nennenswertem Umfang Wirklichkeit würde, einen großen Gewinn nicht nur für die Liturgie und liturgische Bewegung, sondern auch für die Theologie selbst bedeuten würde.“4
Wie aus dem Zitat deutlich wird, sind die Linien, mit denen Vagaggini seine Überlegungen umreißt, grundlegend von drei verschiedenen Interessen gekennzeichnet: a) es geht um den aszetischen Aspekt der Liturgie, die als Ferment des geistlichen Lebens verstanden wird; b) es geht um die pastorale Ausrichtung, die die Liturgie mit dem Volk der Christen und dieses mit der Liturgie ins Verhältnis setzen soll; c) es geht um das im strengen Sinne theologische Profil, das die Klärung der liturgischen Zusammenhänge auf der Basis einer systematischtheologischen Konzeption zum Ziel hat. Das eigentliche theologische Moment hat also gegenüber den drei genannten den Stellenwert einer Voraussetzung. Dieses Charakteristikum bestimmt von den ersten Seiten an den Stil, mit dem Vagaggini die Liturgie betrachtet. Er definiert die Liturgie „auf dem allgemeinen Fundament der Offenbarung als heilige Geschichte.“5 Auch Vagaggini grenzt also die Liturgie gegenüber anderen Offenbarungsverständnissen klar ab: Weder eine metaphysische noch eine moralische Offenbarungskonzeption ist für ein Liturgiekonzept zufrieden stellend, sondern lediglich das Verständnis der Offenbarung als Geschichte, für deren Zentrum Vagaggini die folgende Definition der Liturgie gibt: „Die Liturgie ist eine Form sui generis, durch die sich von Pfingsten bis zur Parusie die heilige Geschichte, das Christusmysterium und das Mysterium der Kirche, vollendet.“6
Dies impliziert für Vagaggini gleichwohl ein komplexes Geschichtsverständnis als Angelpunkt der eigenen Liturgieinterpretation. Und trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten könnte man sie in Kontinuität mit (oder besser: als Voraussetzung) der Betonung des Heilsgeschichtlichen sehen, die den theologischen Stil von Marsili bestimmt. Indessen ist auch festzustellen, dass es Vagaggini mit seinen klassischen Argumenten gelingt, das Geschichtliche zu integrieren, ohne das Verständnis der Liturgie als Kultus aus dem Auge zu verlieren. Wir hatten gesehen, wie Marsili die christliche Liturgie an diesen Punkt aus der begrifflichen Gefangenschaft befreien wollte, indem er das Verständnis im Kontext des Genus Kultus zu bestreiten suchte. Vagaggini hingegen 4 C. Vagaggini (s. o. Anm. 2), 12. 5 Ebd., 17ff. 6 Ebd., 50.
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verzichtet nicht nur auf eine derartige Zurückweisung, sondern untermauert den Aspekt des Kultus sorgfältig, um gerade so das Wichtigste und Eigentümliche des christlichen Gottesdienstes aufzuzeigen. Im Prinzip bestreitet Vagaggini den klassischen Methodenkanon der Liturgiewissenschaft nicht, nimmt ihn jedoch auf, um die Schwierigkeiten und Widersprüche darin zu überwinden. Er lässt sich auf den traditionell abgesteckten Rahmen ein, um innerhalb dessen vorzugehen.7
9.1. Zu Genealogie und Schicksal der liturgischen Theologie Als einen Text, der für die genauere Bewertung von Vagagginis Stellungnahme zur liturgischen Frage von besonderem Interesse sein dürfte, ziehen wir den Vortrag bei der Eröffnung des Päpstlichen Liturgieinstituts am 9. Dezember 1961 heran, der von Cipriano Vagaggini als dem damaligen Dekan der Theologischen Fakultät gehalten wurde.8 Das weite Feld, das er in diesem Referat abschreitet, wird mit der Frage danach eröffnet, wie eigentlich das neue Interesse an der Liturgie entstanden ist. Für Vagaggini beruht der eigentliche qualitative Sprung auf einem Ereignis außerhalb der Theologie im engeren Sinne: Es ist das Jahr 1918, mit dem man eine Interessenverlagerung feststellen kann, die den Erfahrungen des 1. Weltkrieges geschuldet ist. Diese Erfahrungen markieren den wirklichen und eigentlichen Beginn der Liturgischen Bewegung, während man davor nur von einer Vorgeschichte sprechen kann. Vagaggini beschreibt dies in der folgenden Passage: „Nach 1918 begann sich ein Wechsel abzuzeichnen. Wodurch wurde dieser hervorgerufen? Durch historische Studien? Oder durch theologische, biblische, patristische? Oder wurde er von den Herausforderungen der Begegnung mit dem Leben und Denken der Moderne provoziert oder durch den in der Philosophie aufkommenden Existenzialismus? Nein! Der primäre Impuls war eine eminent geistliche und pastorale Herausforderung [. . .]. Was heißt das? Am Anfang von allem steht die tragische Erfahrung, die Europa mit dem Ersten Weltkrieg gemacht hat.“9
Mit dieser Erfahrung und der unabweisbaren Notwendigkeit einer konkreten Theologie, eines Kontaktes mit dem wirklichen Leben, verstärkt durch das Misstrauen gegen jede Form von Abstraktheit und bloßer Begrifflichkeit, entstanden die ersten Gegenentwürfe zur schulmäßigen Theologie. Mit derselben Erfahrung und als Folge davon begannen sich 7 In diesem Zusammenhang exemplarisch ist die Behandlung des Verhältnisses von Zeichen, opus operatum, Heiligung und Gottesdienst, mit der Vagaggini sein Hauptwerk beginnt. Zur Vermeidung von Äquivokationen könnte es hilfreich sein, sich die Unterschiede seiner Herangehensweise im Gegenüber zu Marsili klar zu machen. 8 C. Vagaggini, s. o. Anm. 1. 9 Ebd., 24f.
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verschiedene Bezüge zwischen Liturgie und zeitgenössischen theologischen Strömungen abzuzeichnen. Zu nennen sind hier etwa die Lebenstheologie, die kerygmatische Theologie, die neue Bibelexegese, Ekklesiologie sowie die Spiritualität. Doch ist Vagagginis Tendenz einer neuen Interpretation der Spannung zwischen Liturgie und Theologie deutlich zu erkennen in dem Bemühen, die Liturgik als integralen Bestandteil der theologischen Enzyklopädie neu zu definieren. Dies wird von ihm mehrfach so zum Ausdruck gebracht: „Wenn ein qualitativ vertiefter Kontakt zwischen Liturgie und Theologie zu einer Bereicherung statt zu einer Regression im theologischen Denken führen soll, dann muss sich dieses Vorgehen auf der Basis eines Realismus in der Frage des Bewusstseins sowie im Rahmen der methodischen Prinzipien und philosophisch-theologischen Anschauungen des Hl. Thomas bewähren.“10
Es liegt auf der Hand, dass ein derartig globaler Ansatz nicht dazu geeignet ist, das Neue der liturgischen Frage in vollem Maße aufzunehmen. Diese Frage droht so vielmehr auf einen traditionellen Verstehenshorizont reduziert zu werden, so dass von neuem die Voraussetzung des Rituellen für den Glauben als apriorisch herausgestellt wird, ohne dass die veränderten Erfahrungsbedingungen berücksichtigt werden, um deren Aufnahme sich ja die Liturgische Bewegung gerade bemüht hatte. Aus diesem Ansatz folgt auch die Vorstellung, die Liturgie müsse einfach in die verschiedenen theologischen Bereiche eingefügt werden, gewissermaßen zur Integration der anderen Erkenntnisquellen. Doch diese objektiven Grenzen von Vagagginis Betrachtung tun seiner Fähigkeit keinerlei Abbruch, das qualitativ Neue zu erkennen, das die theologische Wende gegenüber der traditionellen dogmatischen Methode bedeutet: a) Zunächst führt der Impuls, der mit der Liturgischen Bewegung für die Theologie insgesamt gegeben wird, bei Vagaggini zu dem folgenden erhellenden, geradezu prophetischen Urteil: „Der Einfluss einer innerkirchlichen Bewegung wie der liturgischen nötigt die Theologie zu einer Vertiefung ihrer selbst, so dass sich eine Erweiterung der scholastisch-nachtridentinischen Theologie ergibt sowie die Integration und das bessere Gleichgewicht all der Aspekte erreicht wird, mit denen die Offenbarung in den Quellen zum Ausdruck kommt.“11
Damit wird deutlich, dass es sich nicht nur um die Konservierung eines traditionellen Modells handelt, sondern um eine Ergänzung und Weiterführung.
10 Ebd., 40. 11 Ebd., 68.
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b) Zur Bestätigung dieser Sicht lässt sich eine weitere Analyse Vagagginis anführen: „Der große Einfluss des liturgischen Denkens auf die jüngste theologische Entwicklung ist eine Tatsache. Was ist der entscheidende Grund dafür? Ich meine so antworten zu können: Der Grund ist, dass die Liturgie der Theologie etwas gibt, das die übrigen Offenbarungsquellen allein nicht zu geben vermögen. Was heißt das? Gemeint ist die konkrete Realisierung der Tatsachen, wie sie vom Lehramt vertreten und von Bibel und Vätern proklamiert werden, in den heiligen Riten und in der Form eines wirklichen und aktuellen Dramas für jeden, der daran teilnimmt. Die volle Bedeutung von alledem kann darum nicht im Zusammenhang erfasst werden, ohne dass man sich auf die Riten oder besser: auf ihre lebendige Feiergestalt bezieht.“12
c) Dennoch fällt Vagaggini erneut in eine forma mentis zurück, die im Vergleich zu den voranstehenden Feststellungen als sehr begrenzt erscheint. Vagaggini resümiert: „Den Beitrag der Liturgie zum jüngsten theologischen Denken kann man in der folgenden allgemeinen methodischen Regel zusammenfassen: Man hat von einem Dogma keine integrale Vorstellung, wenn diese nicht auch die Perspektive der Verifikation in der Liturgie umfasst.“13
Gerade diese Selbstbegrenzung hinsichtlich des Einflusses der Liturgie auf die Theologie hat Salvatore Marsili gehindert, Vagagginis Ansatz als wirkliche liturgische Theologie zu begreifen und hat ihn dazu gebracht, diese lediglich als theologische Liturgie zu definieren. Das grundlegend Widersprüchliche, das wir bei der Bewertung von Vagagginis Rolle für die Entstehung und Entwicklung der liturgischen Theologie bereits feststellen konnten, hat ihn dennoch nicht daran gehindert, sich dem modernen Denken zu stellen und die systematische Auseinandersetzung damit zu suchen. Vagaggini bemühte sich – gerade am Schluss des bereits zitierten Aufsatzes – um einen Ausgleich. So wollte er die Forschung vorantreiben und ihr mit seinem Ansatz eine andere Richtung geben: „Das wird ein Schritt voran in das theologische Gebiet sein, hin zu einem angemessenen Gleichgewicht zwischen Metaphysik und Leben, zwischen Abstraktem und Konkretem. Darin nämlich besteht im Grunde die legitime wie quälende Sorge des modernen Denkens.“14
Vagagginis sozusagen spontaner Ruf nach Ausgleich hat das große Verdienst, eine paradoxe Bedingung der liturgischen Theologie einst und jetzt – wenn vielleicht auch nur implizit – erfasst zu haben: Hätte diese Disziplin nicht den Mut gehabt, sich von der traditionellen Theologie
12 Ebd., 75, Kursivierungen A. Grillo. 13 Ebd., 76. 14 Ebd.
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zu trennen, wäre sie gar nicht entstanden. Doch wenn sie in Zukunft nicht den Mut findet, sich mit der traditionellen Theologie neu ins Verhältnis zu setzen, auch um den Preis, diese ganz und gar verändern zu müssen, dann wird sie keinen Weg finden, sie selbst zu bleiben. 9.2. Die Konstanten im Verhältnis von Gott, Mensch und Liturgie Wir wollen jetzt kurz, aber eingehend der Durchführung von Vagagginis besonderem Ansatz folgen, mit dem er den theologischen Gehalt der Liturgie klarzumachen sucht. Vagaggini listet eine Reihe von sechs Konstanten und Zusammenhängen auf, die für das Verhältnis von Gott und Geschöpf bestimmend sind.15 Die Punkte beinhalten zugleich eine vertiefte Wahrnehmung der angemessenen theologischen Bedeutung der Liturgie sowie die Fortsetzung der Gegenüberstellung von Christentum und Geist der Moderne. Hinter einer inzwischen deutlich überwundenen Sprachform verbergen sich bis heute gravierende Problemstellungen für den theologischen Diskurs. 1) Das Gesetz der Objektivität. Damit ist eine Form latenter Antimodernität gemeint, insofern die Liturgie grundlegend dem Subjekt – als Quintessenz der Moderne – entgegen steht: „Was kann für einen Idealisten – sei er Kantianer, Gentilianer oder Crocianer, für einen Vitalisten und Willenstheoretiker wie Bergson oder für einen Existentialisten wie Jaspers, Heidegger oder Sartre dies bedeuten: sich mit der Wirklichkeit des im Opfer gegenwärtigen Christus verbinden, unter der Gestalt von wahrnehmbaren und symbolischen Dingen [. . .]? Nach idealistischer Anschauung kann alles das, wenn es noch einen Sinn und Wert hat, diesen nur im Sinne von äußeren, groben, rohen Impulsen für das Denken und Lehren bzw. für Gefühl und Willen haben, eben als bloße Anstöße für die eigene Freiheit und innere Erfahrung. Doch damit sind wir meilenweit entfernt vom Objektivismus der Liturgie, in der die Verbindung mit Christus unvergleichlich mehr bedeutet als die bloße Verbindung von Denken und Fühlen.“16
Auch um sich von den übertriebenen Akzentuierungen von Objektivität zu distanzieren, die in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu vielen Auseinandersetzungen geführt hatten17, unterstreicht Vagaggini eindrücklich die spezifischen objektiven Merkmale der Liturgie, die als solche nicht auf innere Vorgänge reduzierbar sind. 2) Die christologisch-trinitarische Dialektik des Heils. Damit ist gemeint, dass die neutestamentliche Rede von der Trinität auf die wirkliche
15 Es geht um die Seiten 151–349 des Hauptwerkes (s. o. Anm. 2). 16 Ebd., 153, Kursivierungen A. Grillo. [Anmerkung des Übersetzers: Zu Beginn des Zitates sind die wichtigen italienischen Philosophen Giovanni Gentile (1875–1944) und Benedetto Croce (1866–1952) angesprochen.] 17 Ebd., 154.
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Unterscheidung der Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist sowie auf ihre Bedeutung in der heilvollen Geschichte Gottes mit der Welt und der Welt mit Gott Wert legt. Die in der Liturgie vorherrschende Formulierung lautet: „A Patre, per Filium eius, Iesum Christum, in Spiritu sancto, ad Patrem“ mit den Formen „a“, „per“, „in“ und „ad“. Daraus folgt, dass „man sagen kann, dass mit der Liturgie kein Kultus eines vereinzelten Gottes existiert.“18 Hier werden Beispiele aus Gebeten, Doxologien und den einzelnen Sakramenten herangezogen, um diesen Zusammenhang in seiner ganzen Bedeutung aufzuzeigen. 3) Das Gesetz des einzigen Liturgen und der einzigen Liturgie als weitergehende Entfaltung der christologisch-trinitarischen Dialektik. Vagaggini will damit nichts weiter als das „Per Christum Dominum nostrum“ erläutern, wie es in der Liturgie begegnet. Was meint diese Formel? Sie beinhaltet im Wesentlichen drei verschiedene Dinge: – Christus ist der einzige Liturg und Christus gehört die einzige Liturgie, so wie es im Hebräerbrief steht; – seine Liturgie ist die Heiligung und das Lob vor dem Vater auf Erden, vor allem auf Golgatha: „Du bist fürwahr der da opfert und das Opfer, der da heiligt und geheiligt ist“, wie es in der byzantinischen Basiliusliturgie heißt; – Christus ist der einzige, universelle Priester des Vaters. „In der liturgischen Realität vollendet sich das aktuelle priesterliche Handeln Christi, das mit der Inkarnation begann, auf Golgatha und setzt sich fort bis hin zum Vater. Es wird zu einer Realität, die uns wirklich und gegenwärtig übertragen wird. Die Zeit ist damit aufgehoben und unterbrochen.“19
An dieser Stelle ist bei Vagaggini übrigens eine deutliche Naivität zu erkennen: Er polemisiert in grober Weise gegen den Protestantismus und schreibt Kierkegaard „psychologische Irrtümer“ zu. Damit ist jedoch das Schema von Vagagginis Vorgehen deutlich geworden: Er geht von einem dogmatischen Verständnis bestimmter Inhalte des christlichen Glaubens aus und bezieht diese auf die Liturgie, um zu zeigen, wie diese in entscheidender Weise jene zu bereichern vermag. 4) Das Gesetz des in der Gemeinschaft geschehenden Heils. Damit rückt das kommunitäre und soziale Menschenbild als Grundbedingung für das Verständnis liturgischer Ritualität in den Vordergrund. Anzumerken ist hierbei auch der stark vormoderne Charakter des Ansatzes, der von tiefer Nostalgie für vergangene Zeiten erfüllt ist. Klar und deutlich fällt auch die antiprotestantische Polemik aus, die viele schon bei Festugière und Casel begegnende Ideen aufnimmt20: Für die Pro18 Ebd., 169. 19 Ebd., 208. 20 „Die alte Kirche war weit entfernt von der grundlegenden Voraussetzung jeglicher
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testanten erschöpfe sich das Sakrament im Grunde in dem, was auch die Predigt ist. Der Verlust des Gemeinschaftscharakters des liturgischen Ausdrucks im Mittelalter und in der Moderne führe zu der protestantischen Tendenz (d. h. Fehlentwicklung) einer grundsätzlichen Selbstgenügsamkeit des Einzelnen gegenüber allen Anderen und auch in seinem Gegenüber zu Gott. Für den im Jahre 1957 schreibenden Vagaggini ging es hauptsächlich um die Frage, „wie man das Volk zur aktiven Teilhabe an der Messe als einem gemeinsamen Handeln der gesamten, hierarchisch strukturierten und differenzierten Gemeinschaft der Kirche zurückführen kann. Es ist klar, dass der gegenwärtige Zustand der Messe vom Rituellen und Rubrizistischen her der heutigen Generation, die durchtränkt ist von Individualismus und Psychologismus, Schwierigkeiten macht. Es fällt ihr schwer, die eigene religiöse Wahrnehmung im Rahmen der zutiefst gemeinschaftlichen Natur der Messe zu entwickeln, welche diese trotz allem weiterhin bewahrt.“21
5) Das Gesetz der Inkarnation. Dieses umfasst zwei Aspekte. Es zeigt, wie Gott dem Menschen das göttliche Leben vermittelt und wie sich daraus die Erhebung des menschlichen Lebens zu einer Form von göttlichem Sein und Handeln ergibt. Diese Erhebung des Menschen ist jedoch keine bloß kognitive und affektive, sondern eine ontologische. Damit kommt der Aspekt der liturgischen Objektivität zum Tragen. Bevor das Christsein ein System von Lehren, bevor es eine Ethik oder eine psychologische Erfahrung ist, ist es ein Geschehen, ein Widerfahrnis. Das richtet sich genau gegen das, was Vagaggini „den anti-liturgischen Geist des Protestantismus“ nennt. Er stellt dabei heraus, dass sich Katholizismus und Protestantismus im Verständnis der Inkarnation fundamental unterscheiden: „In der tiefsten Psychologie eines jeden Protestantismus, der logisch mit sich selbst im Reinen ist, liegt tatsächlich ein radikales Unverständnis für das Gesetz der Inkarnation. Denn der Protestantismus weist die Annahme radikal zurück, dass etwas zwischen der individuellen Seele und Gott sei: Es gibt nichts menschlich Intermediäres, von dem die Seele mit ihrer Gottesbeziehung in essenzieller Weise abhängig wäre. Das aber ist so, als ob das Menschsein in Christus nicht zum Gottmenschen geworden wäre, zu einem entscheidenden Intermedium in Kraft der Inkarnation, ohne das aber nach Gottes Willen nach dem Fall Adams kein Individuum auskommen konnte, auskommen kann und auskommen wird.“22
6) Das Gesetz der kosmischen Einheit und Ganzheitlichkeit des Heils. In der Ordnung der Dinge nach Gottes Willen ist der Mensch in der Ganzheit protestantischen Logik – jener der essenziellen Selbstgenügsamkeit jedes Individuums gegenüber allen anderen Individuen in ihrer jeweiligen Gottesbeziehung“ (ebd., 224). 21 Ebd., 226. 22 Ebd., 236.
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seiner physischen, psychischen, geistlichen, individuellen und sozialen Verfassung zusammen mit der außermenschlichen Schöpfung und der Welt der Engel in einer organischen Einheit zu einem letzten Ziel bestimmt: dem Reich Gottes. Daraus ergibt sich die Zurückweisung jeglichen Denkens, das die Materie als solche für etwas Schlechtes hält. Für das katholische Denken ist der Körper nicht Feind, sondern Instrument. Jede radikale Form von christlicher Askese, die über das zeichenhafte Verständnis hinausgeht, verfällt dem Irrtum. Das Sichtbare, Körperliche und Materielle wird vielmehr von jeder dualistischen Sicht des Wirklichen befreit, welche auch das Christentum anzunehmen versucht sein könnte. Am Ende dieses Durchganges ist unschwer festzustellen, dass sich Vagagginis Überlegungen durch verschiedene Merkmale auszeichnen, die zu Recht als apologetisch bezeichnet werden können. In Wahrheit ist sein Denken damit eine Art von Reformulierung der Liturgie, um diese von so mancher Spur des modernen Denkens zu befreien. Die Neuentdeckung der mens liturgica erweist sich als hervorragend geeignet, um ein neues Verständnis des Christentums, entsprechend seinen grundlegenden Gesetzen, zu erreichen und dabei sogar einige der grundlegenden theologischen Begrifflichkeiten zu „verjüngen“.
9.3. Liturgie und Bewusstsein „per connaturalitatem“ Was die Diskussion der Caselschen Theologie angeht, distanziert sich Vagaggini entschieden vom Ansatz der Mysterientheologie. Gleichwohl korrigiert er auch einen metaphysischen oder moralischen Zugang zur Liturgie. Dabei bringt er das Wissen um das naturanaloge Bewusstsein ins Spiel, um geeignete Verbindungen von Glaube und Liturgie aufzuzeigen: „Worum handelt es sich bei diesem naturanalogen Bewusstsein? Es ist eine Art von Bewusstsein, bei dem der Erkennende das Objekt genau und formgebunden wahrnimmt, und zwar unter dem Aspekt der konformen oder nichtkonformen Relationen, die dieses und die eigene Natur im Konkreten hic et nunc miteinander verbinden. [. . .] Der heilige Thomas benennt dieses mit einer zwar unterschiedlichen, aber im Grunde einheitlichen Terminologie, z. B.: durch Naturanalogie, durch Verbindung, durch Affinität, durch eine bestimmte Vereinigung der Seele mit Gott, ohne Worte, affektiv und erfahrungsbezogen, einfaches und absolutes Bewusstsein, durch die natürliche Anlage, wie beim Schmecken und Mitempfinden (vgl. Summa Theologiae II–II, q. 2, a. 9, ad 3).“23
Was in der Mysterientheologie noch als zu große Konzession an die moderne Intuition wie an den modernen Anti-Intellektualismus erschei23 Ebd., 419.
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nen konnte, wird hier wiederentdeckt und mit Begriffen zum Ausdruck gebracht, die als traditionsbezogener Einspruch gerade gegen den Primat des Begriffes ins Spiel gebracht werden. Um keinem gefährlichen Aktualismus zu verfallen, muss das jeweilig aktuelle intuitive Bewusstsein in der Lage sein, die starren Fesseln des Begriffes hinter sich zu lassen. Eben dies geschieht in Verbindung zur Offenbarung und per connaturalitatem: „Die Verbindung zu diesem Gegenstand ist aus sich selbst heraus zweifelsfrei und gänzlich sicher, aber weder mit Begriffen zu analysieren oder zu erklären noch anderen direkt auf dem Wege der Vernunft mitzuteilen (wie etwa der Lehrer dem Schüler einen geometrischen Lehrsatz erklären kann). Bei jenem naturanalogen Bewusstsein und bei dem entsprechenden speziellen Typus von Urteil (‚ist wahr‘, ‚ist glaubhaft‘, ‚ist schön‘, ‚ist gut‘ u. a.) nämlich kommt ein gänzlich nicht-begriffliches, streng personales und nicht übertragbares Element ins Spiel: die Reaktion der eigenen Natur angesichts dieses Gegenstandes. Nur wer sich in der entsprechenden Lage befindet, wird dieselbe Erfahrung machen und in derselben Weise urteilen können.“24
Man bemerkt sofort – wenn auch unter anderem Vorzeichen – dieselben Herausforderungen, auf die auch Casels (und später Marsilis) Überlegungen zu reagieren suchten. Auch bei Vagaggini geht es um die Wiederentdeckung der Erschließungskraft von Kultus und Liturgie, und zwar auch um den Preis der Veränderung von Einsichten aus Glaube und Offenbarung. Bei Casel wurde die Offenbarung als solche in einschneidender Weise modifiziert; in diesem Falle hingegen handelt es sich um eine Art von Annäherung sui generis, die als möglich und auch als nötig legitimiert werden soll. Darum kann formuliert werden, dass „das naturanaloge Bewusstsein (den Glaubensakt) nur auf einem streng personalen und nicht auf begrifflichem Wege begründen kann.“25
Die Bedeutung der beiden Aspekte – Personalität und Nicht-Begrifflichkeit – führt auch Vagaggini an den Rand des Vorwurfes eines Anti-Intellektualismus. Es wird jedoch klar, dass er mit seinem Grundansatz nicht dazu neigt, die kultische Sichtweise zu übertreiben, sondern diese vielmehr in ein umfassendes Offenbarungsverständnis zu integrieren. Damit muss an dieser Stelle jedenfalls festgehalten werden: Die neue Wahrnehmung der Dinge hat Vagaggini dazu geführt, den Begriff der Offenbarung im Ganzen neu zu fassen – und nicht etwa nur deren liturgische Repräsentation. Der Zugang per connaturalitatem kann damit zwar nicht als etwas Konstitutives für ein gänzlich neues Konzept von Offenbarung gesehen werden, wohl aber als Umschreibung einer möglichen personalen, nicht-begrifflichen Annäherung an die Offenbarung:
24 Ebd., 420f. 25 Ebd., 421.
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„Das Erkennen durch Naturanalogie ist gänzlich abhängig von der am Glaubenden handelnden Gnade und nicht von seiner scharfsinnigen Intelligenz oder von seinen theoretischen Einsichten irgendwelcher Art. Gott ist souverän und frei im Austeilen seiner Gnade und gibt sie nur denen, die sich dafür moralisch vorbereitet haben. Das heißt, dass das natürliche Erkennen in seiner Häufigkeit und Intensität, was den Menschen angeht, von der Heiligkeit seines Lebens abhängt: von seiner Demut, vom Kampf gegen sich selbst, von Glaube, Nächstenliebe und Gebet . . . An dieser Stelle fängt man an, die Bedeutung der Liturgie für jene Erkenntnis auf dem Wege der Naturanalogie zu begreifen. Es ist klar, dass das liturgische Leben des Gläubigen für Gott die Gelegenheit sein kann und sehr häufig auch ist, dem Einzelnen jene höhere Erkenntnis durch Naturanalogie zu geben, die die Wahrheit eines jeden Geschaffenen umgreift.“26
Vagaggini nimmt damit in traditioneller Form und spezieller Erkenntnisweise den gesamten Ertrag neuer Einsichten auf, die die Liturgische Bewegung besonders unter Rückgriff auf den Gegensatz von Begriff und Symbol, Wissen und Leben, Theorie und Praxis, Dogmatik und Pastoral gewonnen hatte.
9.4. Weiterführung der Kritik von Marsili an Vagaggini Als Marsili seinen eigenen Ansatz von liturgischer Theologie angemessen zu formulieren hatte, musste er dabei auch auf Vagaggini eingehen.27 Er zieht dazu dessen Buch „Il senso teologico della liturgia“ heran, in dem es um den Ausgleich der deduktiven Methode der Theologie und der induktiven Methode der Liturgik geht, um letztere von einer reduktiven und prä-theologischen Ausrichtung zu befreien. Die Hauptthese jedoch besteht in der Herausarbeitung der empirisch-historischen Gegebenheiten im Hinblick auf die Inhalte des Glaubens. Für Marsili bleibt die induktive Methode im Rahmen des alten Liturgiekonzeptes als locus theologicus gefangen. Dabei behält die Liturgie – auch wenn die induktive Methode als solche sehr raffiniert vorgeht – ihren vorbereitenden und integrativen Charakter für die Theologie. Gewiss bewegt man sich mit Vagaggini in der Liturgie nicht mehr auf der Ebene der bloßen Unterstützung von Thesen. Vielmehr sieht man sich der Tatsache des gelebten Glaubens gegenüber, der als solcher ursprünglich die Theologie integriert. „Man kann also nicht sagen, dass die liturgischen Gegebenheiten damit aufhören würden, der Theologie zu dienen – insofern sich diese nämlich weiterhin von der Liturgie unterscheidet. Der Grundgedanke, auch wenn er nicht so 26 Ebd., 422. 27 Eine geeignete Quelle dafür ist der im Folgenden zu untersuchende Text: S. Marsili, Liturgia e teologia. Proposta teoretica, in: Rivista liturgia 59 (1972), 455–473.
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formuliert wird, bleibt immer der eine: Es existiert lediglich die Theologie, und zu dieser sollen verschiedene Beiträge – in diesem Falle liturgische – geleistet werden.“28
Im Unterschied zu diesem Vorgehen, das noch zu stark an die Thesen in der traditionellen dogmatischen Theologie erinnert, wobei der – gemäß Schrift, Vätern oder Tradition – aufgestellten These die Zusätze folgten, muss für Marsili das Paschamysterium ins Zentrum gestellt werden. Schon im Rahmen seiner Kritik an Vagagginis Theorie legt Marsili darum eine Skizze der eigenen Theorie vor. Das Christusmysterium und die Geschichte der Erlösung begegnet in zwei Zeiten: a) als Offenbarung des Wortes; b) als Aktualisierung des Wortes. Die Aktualisierung des Wortes begegnet ihrerseits wiederum in zweifacher Hinsicht: – Christus, das Sakrament des Vaters im Geiste; – die Kirche, das Sakrament Christi mittels der Sakramente. Damit ist für Marsili das einzige und einheitliche Gebiet der Theologie gegeben: – mit der biblischen Theologie: Hierbei geht es um die Beschäftigung mit dem Wort in der Zeit der Offenbarung und in der ersten Zeit seiner Aktualisierung (Christus als Sakrament des Vaters im Geiste); – mit der liturgischen Theologie: In ihr geht es um die zweite Zeit der Aktualisierung (die Kirche als Sakrament Christi mittels der Sakramente). „Die ‚liturgische Theologie‘ ist die Theologie von Gottes Gegenwart und Handeln in der Geschichte der Erlösung des Menschen; [. . .] dies ist die Theologie einer konkreten Realität, die von Gottes Gegenwart und Handeln geprägt ist – und zwar in einer anthropologischen Dimension. Denn bei diesem Handeln und dieser Gegenwart handelt es sich um kein Zeichen am Himmel, sondern um die Gegenwart Christi in der Inkarnation, in der Menschlichkeit und in den Menschen.“29 Es wird deutlich, dass sich auch in dieser ersten Version von Marsilis Theorie keine Spur eines Bezuges auf das Rituelle findet. Im Zusammenhang der indirekten Auseinandersetzung mit einem streng dogmatischen Vorgehen, das Vagaggini gewiss nicht ablehnt, fügt Marsili sogar noch in drastischer Form das Folgende hinzu: 28 Ebd., 463. 29 Ebd., 469.
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„Es gibt mithin keine Theologie als abstrakte Wahrheit – so wie jene, die uns im Laufe der Jahrhunderte unvermeidlich zu einer Theologie des Todes Gottes geführt hat.“30
Marsilis radikale Schlussfolgerung lautet: „Es gilt die These, dass die dogmatische Theologie der Ausdruck menschlicher Überlegungen ist bzw. Ausdruck der Kultur, die über Gott in menschlicher Form nachdenkt. Die liturgische Theologie hingegen lebt nicht von Begriffen, sondern von einer Tatsache, von einem Geschehen und von etwas Realem, das existiert und das Christus heißt.“31
Aus alledem ergibt sich eine entschiedene Distanzierung von Vagagginis theologischem Verständnis, das noch zu stark an eine metaphysische Systematik gebunden war und darum radikal zurückzuweisen ist. Marsilis Schlussfolgerung besteht in drei Punkten: 1) die Liturgie ist keine reduzierte Theologie, die sich einer autonomen Theologie lediglich begleitend an die Seite stellt; 2) eine wahre Theologie, die – wie sich das für sie gehört! – dem Christusmysterium und der Heilsgeschichte den Primat einräumen möchte, kann nur eine liturgische Theologie sein; 3) die wahre theologische Wissenschaft besteht aus zwei Komponenten: – aus dem sich offenbarenden Wort (biblische Theologie), – aus dem sich ereignenden Wort (liturgische Theologie), und nicht etwa, wie allgemein angenommen wird: – aus dem historischen und induktiven Moment (worauf man die Liturgie in der Regel reduziert); – aus dem ontologischen und deduktiven Moment.32 Die kurze Analyse von Marsilis Fazit zu Vagagginis Theologie soll den Abschnitt, der dem Denken Vagagginis gewidmet war, beschließen. Wir haben Widersprüche in seinem Verständnis der Funktion von Liturgie im Ganzen der Theologie feststellen müssen; doch wir fanden auch bei seinem Kritiker Marsili jene Einseitigkeiten wieder, die wir bereits im letzten Kapitel erkennen konnten. Die objektive Grenze bei Vagaggini – das Festhalten an einem Primat des Deduktiven im Gegenüber zum Induktiven und Liturgischen – kann durch die einfache Umkehr der Perspektiven, wie dies Marsili vorschlägt, nicht wirklich überschritten werden. Marsilis „theologica prima“ gibt nicht genug her, um einer eingehenden theologischen Analyse standzuhalten. Doch sie besitzt genügend – wenn nicht sogar zu viel – Substanz, um jene so wichtige liturgische Frage zu unterstreichen, für deren Bearbeitung die von Vagaggini entworfene Theologie trotz allem selbst nicht die Kraft hatte. 30 Ebd. 31 Ebd., 470. 32 Vgl. Ebd., 472f.
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Das so unterschiedliche Talent der beiden wichtigsten Autoren auf dem Gebiet der liturgischen Theologie führt direkt in unsere Zeit und auf die Fragen, bei denen die liturgische Disziplin im Gegenüber zu den anderen Theologien und ohne Selbstgenügsamkeit (ohne sterile splendid isolation) den Platz finden muss, auf dem sie stehen und agieren kann. Eine völlig andere Theologie, die in Absetzung von der traditionellen Theologie konzipiert wird, könnte Gefahr laufen, sich selbst zu verlieren, indem sie zu stark auf ihr Anderssein vertraut (obwohl sie ohne dieses wiederum nicht hätte entstehen können). Dieses einfache Problem, das oft als gar nicht existent oder als unlösbar erscheint, steht heute demjenigen vor Augen, der sich um die Liturgie bemüht. Es fordert ihn damit heraus, nach einer plausiblen Lösung zu suchen.
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10. KAPITEL
Der christliche Gottesdienst als zelebriertes Geheimnis So ist das liturgische Problem, im rechten Rahmen gesehen, eines der dringlichsten unserer geistlichen wie kulturellen Zukunft. R. Guardini1
Der große Strom theologischer Reflexion, den wir bis hier verfolgt haben, mündet schließlich – maßgeblich mit dem 2. Vatikanischen Konzil – in eine liturgische Theologie, die nicht mehr nur von lebendiger theologischer Arbeit getragen ist, sondern vonseiten des kirchlichen Lehramtes aufgenommen und angeeignet wird. Die Ideen und theoretischen Impulse sowie die neuen Herausforderungen durch die zeitgenössische Welt, wie sie sich mit der liturgischen Bewegung in langsamer Vorbereitung einer neuen theologischen Konzeption entwickelt hatten, indem die Rolle des Kultisch-Rituellen neu verstanden wurde, finden ihren bedeutenden und maßgeblichen Ausdruck zunächst in der Enzyklika „Mediator Dei“ (MD) und dann vor allem in dem Ansatz, der für die erste Konzilskonstitution des 2. Vatikanums „Sacrosanctum Concilium“ (SC) leitend ist. Um die gegenwärtigen Möglichkeiten einer soliden Liturgietheologie in den Blick zu bekommen, nehmen wir als Ausgangspunkt eine kurze Analyse der Grundannahmen, die in diesen Dokumenten und während der Vorgeschichte zur Sprache kamen (Kap. 10). Darauf folgt eine Reihe weiterer Überlegungen als eine Art kritischer Rückblick auf SC, verbunden mit einer genaueren Verhältnisbestimmung von liturgischer Theologie und systematischer Theologie. Damit lassen sich auch mögliche Entwicklungen aufzeigen, die das in SC über die systematische Grundlegung hinaus Beabsichtigte und Vorweggenommene in Zukunft bereichern und vertiefen können (Kap. 11). Schließlich formulieren wir einen Ansatz von „Interrelation“ der verschiedenen theologischen Disziplinen, der gewiss nicht den einzigen, aber doch möglichen Hintergrund bildet, um ein angemesseneres Verständnis des Kultisch-Rituellen im Kontext gegenwärtiger Theologie zu entwickeln (Kap. 12). 1 R. Guardini, Liturgie und liturgische Bildung, Mainz/Paderborn 21992 [1996], 27.
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10.1. Das neue Liturgieverständnis Der Gedanke, dass die liturgische Theologie die Theologie der christlichen rituellen Feierpraxis ist, kam erst allmählich im Laufe der komplexen Entstehung der Liturgischen Bewegung auf. Wie wir gesehen haben, gipfelten die historisch-philologischen (P. Guéranger), pastoraltheologischen (L. Beauduin) und philosophisch-anthropologischen Vorüberlegungen in den beiden systematischen Konzeptionen von O. Casel (mit der so genannten Mysterientheologie auf der stärker theologischen Ebene) und von R. Guardini (auf der primär philosophischen und kulturellen Ebene und mit der Absicht, dem wahren „Geist der Liturgie“ erneut Stimme zu verleihen). Die beiden wichtigsten lehramtlichen Dokumente sind das Echo dieser Entwicklungen auf der Theorieebene und nehmen die theologischen Tendenzen in gewisser Hinsicht auf. Vor allem die Enzyklika „Mediator Dei“ von Pius XII. von 1947 leitete eine bedeutende Wende ein. Sie definierte die Liturgie als die „Ausübung des Priestertums Christi“, dessen Subjekte Christus und die Kirche sind, also der mystische Leib in seiner Einheit von Haupt und Gliedern. Diese nicht scholastische, sondern biblische und patristische Definition wurde dann von der Konzilskonstitution „Sacrosanctum Concilium“ des 2. Vatikanums (SC) in substanzieller Weise aufgenommen. Damit wird der Primat der biblischen und patristischen Perspektive bei der Neuentdeckung der theologischen Funktion der liturgischen Feier ausdrücklich bekräftigt. Das besondere Verdienst der Konstitution liegt jedoch darin, dass sie das Schwergewicht auf das Paschamysterium legt – auf jenes zugleich theologische und liturgische Moment, aus dem sich das theologische Gewicht der Liturgie ergibt: „In der Liturgie [. . .] ‚vollzieht sich‘ nämlich ‚das Werk unserer Erlösung‘“ (SC 2). Betrachten wir diese kurze Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungen, die die Möglichkeit eines neuen Verständnisses des Ritus für die Grundlagen des Glaubens eröffnet haben, erkennen wir auch die Lichtund Schattenseiten, die damit verbunden und nur schwer auseinander zu halten sind: a) Die neue Rolle, die der rituellen Praxis im Rahmen der theologischen Theoriebildung zukommt, hat deren Bedeutung für das Fundament des theologischen und glaubenden Denkens ans Licht gebracht und zur Überwindung der intellektualistischen Sicht des Glaubens wie der begriffsorientierten Sicht der Offenbarung geführt, die für die Verdrängung des Ritus aus dem Bereich der Grundsatzfragen verantwortlich gewesen waren. Möglich war das nur durch die scharfe Entgegensetzung von Theologie und Anthropologie und durch den Rückgriff auf Betrachtungsweisen, wie sie den Stil der Verdrängung charakterisiert hatten. Dies haben wir im Bereich der Sakramententheologie 185
gesehen (s. o. Kap. 4). Für die Entwicklung einer liturgischen Theologie ist entschieden darauf zu achten, dass „das Verständnis des liturgischen Geschehens eine sorgfältige Beachtung der rituellen Dimension erfordert und nicht auf dem Wege eines bloßen Bezuges auf ein allgemeines Prinzip der ‚Inkarnation‘ oder der ‚geschichtlichen Sichtbarkeit der Gnade‘ zu erreichen ist.“2 b) Die Freiheit des Denkens, die es der Liturgischen Bewegung erlaubte, die Untrennbarkeit von Christologie und Soteriologie, von Ereignis und Feier der Erlösung zu erkennen, musste einen hohen Preis zahlen (wenngleich sie von einer Einseitigkeit motiviert war, die stets das Kennzeichen einer authentischen Theologie ist). Dies führte jedenfalls zu „modernistischen“ (von Balthasar, J. und R. Maritain) und „barthianschen“ (Angelini) Lesarten der Liturgischen Bewegung. Abgesehen von wenigen Ausnahmen hat sich die Wiederentdeckung des Ritus stets mit traditionalistischen Ansätzen oder mit einer „Rückkehr zu den Vätern“ und damit auch mit ausdrücklich nostalgischen Aspekten (wie z. B. bei Casel) verbunden. c) Diese Tendenzen führen dann im Raum der Kirche insgesamt zu einem erneuerten Interesse für den Ritus. Daraus ergibt sich einerseits die Notwendigkeit einer Angleichung der Riten an die neuen Herausforderungen der Kirche in der Moderne. Das ist das Prinzip des aggiornamento, das sich im Programm der rituellen Reformen niederschlägt. Das rituelle Interesse bestimmt aber auch ein anderes, ebenfalls in der Begrifflichkeit eines „aggiornamento“ zu fassendes Interesse: Dieses ist weniger an der Reform der Riten orientiert, sondern daran, den Sinn der vorhandenen Riten zu erfassen und diesen allen Christen zugänglich zu machen. Damit ist die nötige rituelle Initiation gemeint, die sich aus der neuen theologischen Aufmerksamkeit für den Ritus ergibt. Beide Tendenzen bezeichnen weit mehr als nur den Gegensatz von Fortschrittlichkeit und Traditionalismus. Es handelt sich vielmehr um wichtige Anhaltspunkte, um das allgemeinere Phänomen der Reintegration des Ritus in den christlichen Glauben und in die christliche Theologie zu erfassen. 10.2. Die Liturgietheologie in „Mediator Dei“ und „Sacrosanctum Concilium“ Es ist zu beachten, dass der Gedanke, dass die Liturgietheologie die Theologie der christlichen Feierpraxis ist, nicht direkt aus SC entnommen werden kann. Es bedarf darum besonderer Genauigkeit, um eine zu freie Interpretationen dieses maßgeblichen Dokumentes zu vermeiden. Tat2 G. Angelini, Il Movimento liturgico, in: La Riforma liturgica: tra passato e futuro, Casale Monferrato 1985, 11–29: 26.
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sächlich findet sich darin weder eine ausgeführte Definition der Liturgie noch eine umfassende Sicht dessen, was wir unter „liturgischer Theologie“ verstehen. Dieser Umstand ist von erheblicher Tragweite, zumal er die Konstitution in eine signifikante Distanz zu dem Vorgängerdokument „Mediator Dei“ bringt.3 Vom Stil her dominieren die Beschreibung und biblische Nacherzählung, derer man sich ausdrücklich wieder bedienen möchte. Um eine neue Bedeutung von Liturgie und Sakrament denken zu können, verzichtet man auf eine logisch-argumentative Struktur und greift stattdessen auf eine biblisch-narrative zurück. Diese Tendenz fehlt bereits in MD nicht völlig, kommt aber erst in SC entscheidend zum Durchbruch.
10.2.1. „Mediator Dei“, die erste Liturgieenzyklika Mit der für jede wirkliche Entwicklung typischen Paradoxie, in der sich das Neue sehr oft sub contrario specie zeigt, schien auch diese Enzyklika vielen zunächst vor allem eine Begrenzung und Zurückdrängung von Ideen der Liturgiker zu bedeuten, obwohl sie mit der Zeit zu einem Meilenstein der offiziellen Aufnahme von Gedanken der Liturgischen Bewegung werden sollte. Richtiger ist jedoch die Feststellung, dass die Enzyklika, auch wenn sie sehr viel Unterschiedliches enthält, dadurch bedeutsam wird, dass sie die liturgische Frage ins Zentrum der Aufmerksamkeit der gesamten Kirche rückt. Sie hat damit die Qualität eines „pastoraltheologischen Instrumentes zur Wiedergewinnung der Bedeutung der liturgischen Praxis, die für das Ideal und die Fortentwicklung der Kirche unverzichtbar ist, um die ‚Moderne‘ in christlichem Sinne zu ‚re-formieren‘ bzw. zu ‚in-formieren‘.“4 Trotz allen Gepäcks an traditionellem Wissen über den Gottesdienst und trotz des Verbleibens im Kontext des Modells der Voraussetzung des Ritus für die Grundlegung des Glaubens eröffnet die Enzyklika die Möglichkeit des radikalen Fragens nach Liturgie und Ritual und markiert damit den Übergang von der Frage nach dem „Wie“ der liturgischen Feier zu der Frage nach ihrem „Warum“. Die Enzyklika ist sich bewusst, dass sie sich auf vermintem Gelände bewegen muss. Die Liturgische Bewegung hatte das Liturgieverständnis alles andere als einfach und linear werden lassen und so zu starken Abgrenzungen innerhalb der Kirche geführt. MD möchte darum auf einen Mittelweg zurückführen und zu den reformerischen Auswüchsen wie zu der konservativen Unbeweglichkeit gleichermaßen auf Distanz gehen. MD ermahnt darum: 3 Vgl. S. Marsili, Liturgia, in: D. Sartore/A. M. Triacca (Hg.), Nuovo dizionario di liturgia, Mailand 1988, 725–742. 4 A. Catella, Dalla constituzione conciliare „Sacrosanctum Concilium“ all’ enciclia „Mediator Dei“, in: La „Mediator Dei“ e il Centro di Azione Liturgica, Rom 1998, 11–43: 34.
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„Es sollen jedoch die Trägen und Lässigen nur nicht meinen, Wir wären mit ihnen zufrieden, weil Wir die Irrenden tadeln und die Allzukühnen zügeln, noch sollen die Unklugen es für sich als Lob deuten, wenn Wir die Nachlässigen und Säumigen zurechtweisen.“ (MD 10)
Auch noch mehr als 50 Jahre nach ihrer Promulgation kann die Enzyklika wichtige Interpretationsperspektiven bieten.5 Schließlich ist nicht zu vergessen, dass schon MD – wie später in umfangreicherer und systematischerer Form SC – der Beginn und innere Anstoß für die Reform der liturgischen Riten gewesen ist. Dies gilt besonders für das Herz des liturgischen Jahres mit der Revision der Ostervigil (1951) und der Heiligen Woche (1955).
10.2.2. Die Struktur von „Mediator Dei“ Es ist deutlich, dass die Licht- und Schattenseiten der Liturgischen Bewegung in dem neuen lehramtlichen Dokument vor allem im II. und III. Kapitel stärkere Aufnahme fanden, während das I. Kapitel noch eher an eine nicht-liturgische Perspektive gebunden blieb. Diese Differenz können wir anhand der Struktur der Enzyklika leicht erkennen. In ihren drei Teilen6 finden sich die besonders heiklen Begriffsbestimmungen im ersten Teil konzentriert. Sie greifen dabei ausführlich auf die traditionellen scholastischen Bestimmungen zurück. Dies gilt im Hinblick auf Themen wie „Gottesdienst“ und „Gebet“ und auf das Verhältnis von „Innen“ und „Außen“, wobei das Theoriemodell des für die Grundlegung des Glaubens vorausgesetzten Ritus zum Tragen kommt. Dies hindert uns jedoch nicht an der Feststellung, dass sich auch in diesem Teil eine bedeutende Öffnung für neue Wahrnehmungen findet, die durchaus von Bewusstsein für die liturgische Frage zeugt. Exemplarisch für die grundlegend andere Orientierung, die dann SC im Vergleich zu MD bieten wird, ist die Einordnung der Thematik von culmen et fons (Gipfel und Quelle). MD schreibt dieses Attribut nur im zweiten Teil der Enzyklika der Eucharistie zu, während es sich im ersten Kapitel der Konzilskonstitution auf die Liturgie bezieht. Dieses Grundprinzip, auf dessen Ausführung wir weiter unten eingehen, gibt deutlich 5 Vgl. z. B. M. Sodi, Cinquant’anni dalla „Mediator Dei“. Una rilettura in prospettiva pedagogico-pastorale, in: Ecclesia orans 14 (1997), 413–437. 6 Die Enzyklika hat die folgende Struktur: I. Die Liturgie im Allgemeinen / II. Die Eucharistische Liturgie / III. Stundengebet, Kirchenjahr und Heiligenfeste / IV. Anweisungen für die Seelsorge. Von Bedeutung ist vor allem die Gliederung von Teil I: (a) Grundlagen der Liturgie, (b) Wesen der Liturgie: Fortsetzung des hohepriesterlichen Wirkens Jesu Christi, (c) Eigenschaften der Liturgie: ihr Doppelcharakter als äußerer Kultvollzug und innere Kulthandlung, (d) Wirksamkeit der Liturgie als opus operatum und opus operantis, (e) Liturgische und private Frömmigkeit, (f) Liturgie und Hierarchie, (g) Entwicklung der Liturgie.
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zu erkennen, dass man der Perspektive des symbolisch-rituellen Handelns mehr Aufmerksamkeit schenkt. Dies gilt sicher schon für MD, wenngleich sich darin auch eine Reihe von deutlichen Abgrenzungen findet, die man für nötig hielt, um die Kontinuität der pastoralen, geistlichen und kirchlichen Tradition nicht zu gefährden. Derartige Bemühungen finden sich auch noch in SC, wobei sie dort auf einige Hinweise beschränkt sind, die zwar von Bedeutung, aber nicht mehr von dem Gewicht und der Durchschlagskraft sind wie in MD. Auch gegenwärtig wird MD aus dieser Perspektive gesehen und auch diejenigen, die sich gegen Konzessionen gegenüber dem neuen liturgischen Geist sträubten, mussten die wichtigen Öffnungen erkennen, die das päpstliche Dokument für die Gemeinschaft der Kirche bedeutete.7 Dies gilt, obwohl man sich der Vorbereitung des großen Aufbruchs nur schrittweise näherte. Dieser sollte dann aber im Laufe von 15 Jahren zur Reformulierung und Weiterführung der Fragestellungen von SC führen.
10.2.3. „Sacrosanctum Concilium“ als Eröffnung neuer Horizonte Eine kürzlich vorgelegte Bewertung der Konzilskonstitution zur Liturgie hat eine Reihe wichtiger Punkte zur Einordnung des komplexen Profils von SC und des nachfolgenden Rezeptionsprozesses herausgestellt.8 Im Hinblick auf den ersten Punkt lassen sich in SC vier Linien hervorheben: a) SC stellt keine theologischen Spekulationen über die „Natur“ der Liturgie an; b) SC enthält vor allem Überlegungen zum Inhalt des Feierhandelns, um daraus – mit Hilfe des von der Liturgischen Bewegung wieder entdeckten patristischen und liturgischen Erbes – den Geheimnischarakter abzuleiten: Die Theologie von SC ist eine Theologie des liturgischen Mysteriums und seiner Feier; c) die Kernpunkte dieser Lehre kommen in zwei verschiedenen Ausdrucksformen zur Sprache: – in einem eher knappen, thetischen und definitorischen Stil, der die Liturgie in den Rahmen der Heilsökonomie stellt; daraus ergibt sich die Unüberbietbarkeit des liturgischen Geschehens als aktuelles Sich-Ereignen der von Christus im Paschamysterium vollbrachten Erlösung; 7 Zu einer Reihe von interessanten Bewertungen der Enzyklika aus gegenwärtiger Sicht vgl. A. Catella (s. o. Anm. 4), 39–43. 8 Ich beziehe mich hier im weitesten Sinne auf A. Catella (s. o. Anm. 4), 15–17; vgl. auch ders., Interpretare „Sacrosanctum Concilium“: genesi – mentalità – redazione, in: Liturgia: itinerari di ricerca. Scienza liturgica e discipline teologiche in dialogo, Rom 1997, 15–64.
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– in einem eher deskriptiven Stil zum liturgischen Geschehen; dabei wird die „communio-Ekklesiologie“ als grundlegende hermeneutische Kategorie aufgenommen, und zwar mit den Beschreibungen als „heiliges Volk“, das sich am Tag des Herrn um das Wort Gottes versammelt bzw. als „priesterliches Volk“, das gerufen ist, das Opfer Christi zu spenden und teilzuhaben am österlichen Mahl; d) SC verwendet – meistens implizit – ein Wort- und Sakramentsverständnis, das die Reziprozität beider voraussetzt. Im Hinblick auf den zweiten Punkt ist es besonders wichtig, die die Rezeption von SC bestimmende Sequenz von „verstehen – partizipieren – feiern“ zu berücksichtigen. a) Eine erste Aufgabe besteht darin, dem Volk das „Verstehen“ der Liturgie zu ermöglichen, was einen gewissen Primat der Ratio nach sich zieht; b) die quasi natürliche Folge dieses Verstehens ist die aktive Teilhabe, die einen Primat des Praktischen bedeutet; c) das teilweise Verfehlen dieser beiden Zielvorstellungen hat zu einer besonderen Aufmerksamkeit und Wachsamkeit für solche rituellen Formen von Teilhabe geführt, bei denen man dann vom „Feiern“ spricht, wenn das Verstehen zwar notwendig ist, aber durch eine besondere Form von „Handeln“ und „Sein“ zustande kommt, wie sie vom Ritus definiert wird. SC hat demnach – wenn auch implizit – ein langsam wachsendes Bewusstsein für die Unumgänglichkeit ritualtheoretischer Überlegungen hervorgebracht, wie es für eine angemessene Rezeption nötig ist: „die Eigentümlichkeit des liturgischen Handelns (actio liturgica, actio sacra) ist es, ein symbolisch-rituelles Handeln zu sein. Der rituelle Kern kann nicht umgangen werden, sondern muss als fundamental gelten.“9
10.2.4. Die Struktur von „Sacrosanctum Concilium“ Eine vertiefte Einsicht in die Orientierungen von SC verlangt auch die Klärung der Struktur dieser Konstitution, die sich substanziell von dem Aufbau unterscheidet, der 15 Jahre zuvor MD gekennzeichnet hatte. SC ist in sieben Kapitel unterteilt10 und konzentriert die grundsätzlichen 9 A. Catella (s. o. Anm. 4), 18. Vgl. zu diesem Thema auch die Arbeiten in: A. Catella / R. Tagliaferri, Le domande e le intenzionalità cui risponde l’impianto di „Sacrosanctum Concilium“ (= Fragestellungen und Absichten, auf die die Abfassung von SC antwortet), in: Rivista liturgica 77 (1990), 129–143; R. Tagliaferri, Quale modello di pastorale liturgica emerge dal Concilio? (= Welches Modell von Liturgiepastoral folgt aus dem Konzil?), in: Rivista liturgica 79 (1992), 25–38. 10 Die Kapitelüberschriften sind die folgenden:
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Überlegungen auf den ersten Paragraphen des ersten Kapitels, so dass es sich lohnt, dabei etwas zu verweilen. Die Gedankenentwicklung innerhalb der ersten dreizehn Abschnitte führt zu den wichtigsten Passagen für die Grundlegung der liturgischen Theologie in den Punkten 5–13. Die interessantesten narrativen Gedanken können folgendermaßen wiedergegeben werden: a) Gott, der die Rettung aller will, hat in der Fülle der Zeit den Sohn gesandt und dieser hat im Paschamysterium die Erlösung des Menschen und die Verherrlichung Gottes vollbracht. Aus der Seite des entschlafenen Jesus ist das wunderbare Sakrament der Kirche hervorgegangen (SC 5). b) Wie der Vater Christus gesandt hat, so hat dieser die Apostel gesandt – nicht nur um zu predigen, sondern auch, um etwas zu vollziehen, nämlich das Heilswerk, das sie verkündigten, und zwar mittels des Opfers und der Sakramente. Seit Beginn der ersten Gemeinde fehlten diese beiden Momente Wort und Sakrament niemals. c) Aus diesem Grund ist Christus in seiner Kirche beständig anwesend, vor allem im liturgischen Handeln. In folgender Weise ist er anwesend: – im Messopfer (in der Person des Liturgen und in den eucharistischen Gaben); – in den Sakramenten; – in seinem Wort; – im Gebet und Lob der Kirche. Damit verbindet er sich mit der Kirche, die ihren Herrn bittet und durch ihn den Vater in Ewigkeit (SC 7). An dieser Stelle findet sich eine Definition von Liturgie, die das bisher Ausgeführte zusammenfasst: „Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr sowohl die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt, als auch vom mystischen Leib Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen.“ (SC 7)
1. Allgemeine Grundsätze zur Erneuerung und Förderung der heiligen Liturgie 2. Das heilige Geheimnis der Eucharistie 3. Die übrigen Sakramente und Sakramentalien 4. Das Stundengebet 5. Das liturgische Jahr 6. Die Kirchenmusik 7. Die sakrale Kunst; liturgisches Gerät und Gewand. Wichtig ist außerdem die Unterteilung des 1. Kapitels, die besonders detailliert ausfällt und nach einer Einleitung so vorgeht: / I. Das Wesen der Heiligen Liturgie und ihre Bedeutung für das Leben der Kirche / II. Liturgische Ausbildung und tätige Teilnahme / III. Die Erneuerung der heiligen Liturgie / IV. Förderung des liturgischen Lebens in Bistum und Pfarrei / V. Förderung der pastoral-liturgischen Bewegung.
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d) Nach einem Paragraphen, der dem Verhältnis von irdischem und himmlischem Gottesdienst gewidmet ist (SC 8), folgen zwei Schlüsselparagraphen von SC: – In SC 9 wird festgestellt: „In der heiligen Liturgie erschöpft sich nicht das ganze Tun der Kirche.“ Was ist dabei für SC nicht Liturgie? Vor der Liturgie stehen Glaube und Umkehr (was vor allem für die nicht Glaubenden gilt) und auch das Halten dessen, was Christus geboten hat, die Erfüllung der Werke der Barmherzigkeit, Frömmigkeit und Mission. – In SC 10 (das an SC 9 mit „attamen – nichtsdestoweniger“ anschließt, um die Spannung zwischen den beiden Paragraphen zum Ausdruck zu bringen) wird die inzwischen so berühmt gewordene Begriffsbildung von culmen et fons eingeführt: „Dennoch ist die Liturgie der Gipfel, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der alle ihre Kraft strömt. Denn die apostolische Arbeit ist darauf hingeordnet, dass alle, die durch Glauben und Taufe Kinder Gottes geworden sind, sich versammeln, inmitten der Kirche Gott loben, am Opfer teilnehmen und das Herrenmahl genießen. [. . .] Aus der Liturgie, besonders aus der Eucharistie, fließt uns wie aus einer Quelle die Gnade zu; in höchstem Maß werden in Christus die Heiligung der Menschen und die Verherrlichung Gottes verwirklicht, auf die alles Tun der Kirche als auf sein Ziel hinstrebt.“ (SC 10)
Welche Probleme mit diesem Bild von Einordnung der Liturgie verbunden sind, werden wir noch sehen. e) Eine Reihe von Paragraphen (SC 11–13) definiert die Liturgie im Hinblick auf drei bestimmende Wirklichkeiten: – die Wirkung der Liturgie ist darauf angewiesen, dass die Gläubigen die richtige geistige Einstellung haben und ihren Verstand am Wort ausrichten, so dass sie in bewusster, aktiver und fruchtbarer Weise an der Feier teilnehmen; – das geistliche Leben beschränkt sich nicht auf die Teilnahme an der heiligen Liturgie: die Dimension des persönlichen Gebetes und auch die Dimension des Lebens als persönliche Hingabe an Gott finden sich nicht nur in der Liturgie, sondern auch neben ihr und außerhalb von ihr; – auch die geistlichen Übungen leisten einen Beitrag zu dieser Dimension, weil sie in passender Weise auf die Liturgie abgestimmt sind. Im Sinne einer kritischen Würdigung können wir festhalten, dass anders als in MD hier eine Theorie des Gottesdienstes fehlt: Dafür aber wird von der Wirksamkeit von Gottesdienst und Liturgie als „Handeln Christi und der Kirche“ erzählt. Das sich in der Zeit vor dem Konzil langsam vertiefende Ritualverständnis rechtfertigt die Annahme der folgenden Feststellung: 192
„Zusammenfassend kann der große Gewinn an Reflexion, der ‚kritisch‘ auf SC zurückfällt, so formuliert werden: ‚die Liturgie ist das Handeln der Kirche, in dem sich Christus vergegenwärtigt. Dieses Handeln erfolgt in der Gestalt rituellen Handelns, in Analogie zu jenem, das auch in den Humanwissenschaften beschrieben wird.‘“11
10.3. Grenzen eines narrativen Liturgieverständnisses Die Konzilskonstitution SC hat einen entscheidenden Beitrag für das neu entstehende Interesse geliefert, die Momente von Feier und Ritual im christlichen Leben aufmerksamer und gewissenhafter zu berücksichtigen. Dieses Verdienst hat jedoch recht schnell – wie es das Schicksal mit sich bringen kann – an die eigenen Grenzen geführt. Damit ist gemeint, dass gerade das von SC ausgehende leitende Interesse erkennen musste, dass auch SC zu einer umfassenden Begründung von Liturgietheologie nicht ausreichte, um den Minderwertigkeitskomplex gegenüber den anderen theologischen Disziplinen zu überwinden. Insgesamt wurde mit der Zeit immer klarer, dass eine bloß historisch-philologische oder narrative Legitimation der Liturgie für die Auseinandersetzungen mit den Herausforderungen der Zeit nicht ausreicht. Es gab den Versuch, aus der Liturgie (bzw. aufgrund der Liturgie) eine (oder auch die) Theologie als eine solche zu konzipieren, die nur als „gedachte Liturgie“ (Kasper) zu begreifen ist oder als liturgia pensata, als eine von der Liturgie ausgehende Reflexion, die nicht einfach in Form der meditatio der lectio divina erfolgt, sondern auch mittels nötiger fundamentaltheologischer und transzendentaler Überlegungen über die Möglichkeitsbedingungen des christlichen Gottesdienstes. Gegenüber dieser Aufgabe erweist sich SC als eine nur grundlegende Vorarbeit: Die Entscheidung, die eigentlich fundamentalen Abschnitte der Enzyklika (MD) in einer Form weiterzuführen, die sich – wie wir sahen – vor allem an biblischen und patristischen Modellen orientiert, anstatt sorgfältig systematisch und theoretisch vorzugehen, hat zu der neuen Frage nach liturgietheoretischen Überlegungen geführt. Gewiss war der biblischpatristische Ansatz in jener Zeit zwar nicht unumgänglich, aber vielleicht doch notwendig. Gleichwohl ist sicher: So sehr dieser Ansatz den Stil der liturgischen Theologie in der Folgezeit entscheidend bestimmt hat, so sehr hat sich aber auch ein theologisches Vorgehen als nötig erwiesen, das die Bilder durch Begriffe ersetzt. Wenn die Konzilskonstitution die Liturgie sicherlich durch einen narrativen Ausdruck a posteriori erläutern kann, so kann eine bewusste liturgische Theologie nicht auf die apriorischen Überlegungen im eigentlichen Sinne verzichten.12 11 A. Catella (s. o. Anm. 4), 20. 12 Die Bewertung Marsilis (La liturgia: momento storico della salvezza, in: ders. [Hg.],
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Dieser Herausforderung einer explizit theoretischen theologischen Arbeit im Hinblick auf die Liturgie hat sich Giuseppe Angelini mit Engagement gestellt. Er hat dabei die wichtigsten Argumente und Zusammenhänge beschrieben. Angelinis Überlegungen können in vier Punkte gegliedert werden.13 1. SC konnte gegenüber den anderen Konzilskonstitutionen einen Vorteil für sich verbuchen: Sie hatte das gesamte (eher weltliche) Reflexionspotenzial der Liturgischen Bewegung im Rücken. Dennoch hat sich dieser Zeitbezug bald eher in einen Nachteil verwandelt, weil SC die positiven reflexiven Entwicklungen (vor allem die Öffnung zur Welt mit Gaudium et Spes), die nach dem Konzil Verständnis, Vertiefung und Aufnahme fanden, nicht angemessen zur Geltung bringen konnte. 2. Bei der Wahl des literarischen Genus hat sich SC für einen bestimmten Weg (den biblisch-patristischen) entschieden, obwohl dieser als solcher nicht die erforderliche Präzision erreichen kann, wie sie – bei allem Recht der kirchlichen Überlieferung – für die Fundamentaltheologie und Systematik erforderlich ist. So wird etwa der Begriff „Sakrament“ in den Abschnitten 5 und 6 in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet. Dabei „vermischen sich das in der Inkarnation Realität gewordene Sakrament und das Sakrament im liturgischen Sinne.“14 Doch gilt es im Zusammenhang einer liturgischen Theologie zu erkennen, dass „das Verständnis des Phänomens Liturgie die genaue Berücksichtigung der rituellen Bedeutungszusammenhänge erfordert und nicht einfach durch den Bezug auf ein allgemeines Prinzip von ‚Inkarnation‘ bzw. ‚Sichtbarkeit der Gnade in der Geschichte‘ zu erreichen ist.“15 3. Die dritte Beobachtung betrifft die Unterscheidung von unveränderlichen und veränderlichen Teilen. Indem auf diese Weise nötige Veränderungen ermöglicht werden sollen, damit die Riten und Texte das in ihnen enthaltene Geheimnis besser zum Ausdruck bringen können, erweist sich der Ansatz gerade an jene patristisch-scholastische Methode gebunden, die eigentlich überwunden werden soll.16 Dennoch Anamnesis, Casale Monferrato 21979, 31–156) leidet daran, dass sie aus dem von SC gewählten Ansatz das entscheidende Kriterium der neuen theologischen Disziplin macht: „Das 2. Vatikanum mündet in eine Liturgietheologie und geht dabei nicht von apriorischen Überlegungen aus, sondern lässt sich bei der Wahrnehmung und Interpretation der Liturgie von einem ‚pastoralen‘ Zugang leiten, so dass man nicht fehlgeht, wenn man im Hinblick auf das Konzil von einer ‚Theologie der liturgischen Feier‘ spricht.“ (Kursivierungen A. Grillo) In Wirklichkeit hat aber auch eine Theologie der Feier ein apriorisches Moment nötig. Daraus ergibt sich die Aufgabe einer postkonziliaren Liturgietheologie. 13 Es handelt sich um den bereits zitierten Aufsatz von Angelini (s. o. Anm. 2), bes. 24–29. 14 Ebd., 25. 15 Ebd., 26. 16 An dieser Stelle lässt sich jedoch beobachten, dass Angelinis Kritik trotz aller Akribie wenig beweist, weil sie – wenn auch im entgegengesetzten Sinne – bei einem typisch spekulativen Irrtum landet. Angelini meint nämlich, dass „sich das Unveränderbare in der
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stellen die Kriterien für solche Veränderungen die Verhältnisbestimmung zu den verschiedenen (diachronen wie synchronen) Kulturen in Rechnung. Gleichwohl bleibt das Verhältnis von christlichem und religionsgeschichtlichem Ritual wiederum lediglich angedeutet. 4. Das Thema des geistlichen Gottesdienstes und des universellen Priestertums, das in den anderen Konzilsdokumenten breiten Raum einnimmt, findet in SC keine explizite Verbindung mit dem eigentlichen liturgischen und eucharistischen Opfer. Auch hier verbleibt SC auf einer Ebene von Eindeutigkeit, obwohl die Zusammenhänge für uns heute alles andere als eindeutig sind. Im Gegenteil: Wir stoßen hier auf einen der schwierigsten Aspekte bei der Erarbeitung einer bewussten liturgischen Theologie, nämlich auf die Relation von Liturgie im eigentlichen und spezifischen Sinne und Leben als dem weiteren Bereich einer möglichen christlichen Spiritualität. Gerade bei dieser Frage lohnt die Analyse dessen, was SC zu jener (äußerst glücklichen) Formel sagt, die die Liturgie als culmen et fons bezeichnet. Dahinter verbirgt sich eine bedeutende Verhältnisbestimmung von Liturgie und christlichem Leben überhaupt.
10.4. Exemplarische Vertiefung: „culmen et fons“ und Äquivalenzbegriffe Der narrative Stil von SC führt, wie wir sahen, zu mehreren Neuerungen und eröffnet der liturgietheologischen Reflexion ein weites Betätigungsund Argumentationsfeld. Typisch dafür ist die Frage nach dem richtigen Verständnis der Metaphorik von culmen et fons im Hinblick auf die Liturgie. Man hat betont, dass diese auf einige Einschränkungen angewiesen bleibt, um gefährliche „panliturgische“ Schlussfolgerungen zu vermeiden. Eine erste Überlegung gilt der Feststellung, dass „Liturgie als culmen et fons“ bedeutet, dass die Liturgie am Anfang wie am Ziel steht, dass sie den Zielpunkt, aber auch den Ausgangspunkt bildet. „Culmen“ meint, dass die Liturgie den Höhepunkt darstellt, dass sie sich am Gipfelpunkt der Höhen des christlichen Lebens befindet. Es gibt jedoch keinen Gipfel ohne Gebirge. „Fons“ bedeutet, dass der gesamte Strom des christlichen Lebens, des Glaubens und der Spiritualität vertrocknet, wenn ihm nichts aus der Liturgie zufließt. Doch unter welchen Bedingungen kann die Liturgie wirklich zu Liturgie nicht primär auf der Ebene der materialen rituellen Formen findet, sondern auf der Ebene des grundlegenden Geschehens oder des Komplexes der grundlegenden Ereignisse, auf die die Feier sich jeweils zu beziehen hat“ (26). Obwohl Angelini gerade Marsili für dessen Entfernung vom Ritus kritisiert hat, gelangt er selbst auch zu einer Abtrennung und Ausblendung des Ritus im Hinblick auf das Grundsätzliche. Eine Liturgietheologie kann es aber nur dann geben, wenn sie einen Weg findet, grundsätzliche Zusammenhänge von der Art und Weise des Rituellen her zu erfassen.
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einer solchen Quelle werden? Auf jeden Fall gilt das nicht automatisch. Wie wir gesehen haben, sind eine angemessene Teilhabe, aber auch Glaube und Umkehr vonnöten. Es ist deutlich, dass auch diese Überlegungen auf der Ebene des Metaphorischen verbleiben (ebenso wie die Konzilsformulierung). Ohne die nötige begriffliche Genauigkeit und Strenge läuft man Gefahr, das spezifisch Liturgische nicht zu erfassen und bei dem stehen zu bleiben, was bereits der Fall (bzw. nicht der Fall) ist. Es ist auch daran zu erinnern, dass der Ausdruck während der Konzilsdebatten mehrfach kritisiert wurde, um sich schließlich doch durchzusetzen.17 Während der Diskussion erhob sich Protest gegen die Formulierung. Die Kritik sollte sich dann jedoch in SC 9 wiederfinden, also in dem Abschnitt, der dem Ausdruck culmen et fons in SC 10 vorausgeht und – wie wir gesehen haben – dessen Tragweite begrenzt. Von Bedeutung ist außerdem, dass ein weiterer maßgeblicher Text jenes Bild verwendet, wobei es jedoch auf die Eucharistie und nicht auf die Liturgie bezogen wird. In § 897 des Codex Iuris Canonici von 1983 heißt es: „Das eucharistische Opfer [. . .] ist Gipfel und Quelle des gesamten Gottesdienstes und des christlichen Lebens, denn es bezeichnet und bewirkt die Einheit des Volkes Gottes und vollendet den Bau des Leibes Christi.“ Zweifellos handelt es sich in diesem Fall um einen ganz anderen Zusammenhang. Wie schon in MD steht hier im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit nicht die Liturgie, sondern ein Teil, ihr vornehmster Teil, die Eucharistie, die den Gipfel und die Quelle des christlichen Lebens, aber auch des Gottesdienstes selbst darstellt. Es ist also nicht mehr die Liturgie, die Anfangs- und Zielpunkt des gesamten kirchlichen Lebens ist. Diese Rolle kommt vielmehr der Eucharistie zu, gerade auch im Gegenüber zu Liturgie und Gottesdienst überhaupt! Die Wiederaufnahme der Konzeption, die wir bereits – in einem völlig anderen theologischen Zusammenhang – in MD gefunden hatten, zeugt von der unterschiedlichen Entwicklung und Begründung der liturgischen Theorie innerhalb der Kirche. Auf jeden Fall hat die eigentliche theologisch-liturgische Arbeit die Aufgabe, eine Sprache zu entwickeln, die der Tiefenstruktur und den zu erfassenden äußeren Phänomenen entspricht. Im Sinne der damit gestellten Aufgabe wollen wir im Folgenden einen eigenen bescheidenen Beitrag leisten und als Zusammenfassung eine integrative Betrachtung des christlichen Feierns als eines theologisch relevanten Geschehens vorstellen.
17 Ich beziehe mich hier auf A. Catella/R. Tagliaferri (s. o. Anm. 9), vor allem 131.
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10.5 Fundamentale Ausdrucksformen der Liturgie Der Gottesdienst als Ritual (der äußere Gottesdienst) ist mehr als die bloße protestatio fidei, oder besser: Er hat nicht bloß jene reduktive Bedeutung, auf die wir den theoretischen Ausdruck protestatio fidei in der Moderne zu reduzieren pflegen. Das Geschehen des Glaubens ist nämlich ein Geschehen, das nicht nur ganz durch die Vermittlung durch Christus geprägt ist. Für dieses Geschehen gilt auch, dass die anthropologischen Vermittlungsbemühungen durch die christologische Vermittlung keineswegs außer Kraft gesetzt sind. Der Bezug auf die Menschheit Christi behält darum etwas Menschliches. Die Treue zu Christus und das Gedenken Christi, ja das Leben in Christus überhaupt ist für den Christen nur unter der Voraussetzung zugänglich, dass er in jener Kirche lebt, die im liturgischen Ritus besteht: im Hören des Wortes, in der Feier des Sakramentes, dem Stundengebet und der gegliederten Zeit im Kirchenjahr.18 Gerade diese Bedingungen von Raum und Zeit, das Wahrnehmbare und das Äußere, stellen die Ebene dar, für die die liturgische Theologie die Augen öffnen will, gerade auch im Hinblick auf die Bedingungen, unter denen die heutige Theologie die Denkvoraussetzungen ihrer eigenen Arbeit berücksichtigt. Hatte sich die herkömmliche Sakramententheologie auf die Ebene des unbedingt Notwendigen konzentriert, insofern es um die Heiligung des Menschen durch Gott ging, kommt jetzt einem theologischen Denken entscheidende Bedeutung zu, das nicht mehr von dem „Wo“, „Wann“ und „Wie“ absehen kann, um vom Wahrheitsgehalt der christlichen Feier sprechen zu können. Denn der christliche Glaube ist nicht primär eine Form von Wissen oder ein Katalog von Pflichten, sondern eine Form des Sehens. Glauben an Christus haben und die Erfahrung machen, dass Christus in uns lebt und wir in ihm, das bedeutet, voller Überraschung zu sehen, dass man sich in einer Relation vorfindet, eben in der entscheidenden Beziehung mit dem Herrn Jesus, der sich selbst unserem Blick als reine Relation offenbart – zu uns und zum Vater, zu den Menschen und zu Gott. Diese Wahrheiten sind jedoch nicht von selbst einsichtig. Sie müssen im christlichen Leben immer wieder neu klar werden und von neuem gehört werden, so dass sie in aller Strahlkraft zum Leuchten kommen als das, was die christliche Identität zutiefst charakterisiert und auszeichnet. Sie müssen sich in aller Widersprüchlichkeit der Geschichte hören und sehen, begreifen und berühren lassen können – eben als der Sinn jenes geschichtlichen Existierens. Der liturgische Ritus ist in diesem Zu18 Vgl. A. Grillo, Dal Cristo mediatore unico alle mediazioni ecclesiali. Il concetto di „mediazione“ nel rapporto tra fondamento e culto (= Der alleinige Mittler Christus und die Vermittlungen der Kirche. Der Begriff „mediazione“ als grundlegende und als gottesdienstliche Kategorie), in: Rivista liturgica 83 (1996), 9–28.
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sammenhang jene Unterbrechung, jenes Aussetzen des normalen christlichen Lebens, wodurch sich die Kirche wie der einzelne Christ zu ihrem Fundament und zu ihrer Wurzel zurückbringen lassen, zu dem (außergewöhnlichen) Erleben der Wahrheit der Gnade und Liebe.19 Daraus ergeben sich unmittelbar die drei grundlegenden Fragen, warum gefeiert wird, was gefeiert wird und wie gefeiert wird.
10.5.1. Warum wird gefeiert? Der Mensch ist sich weder selbst genug, noch ist er sich selbst einsichtig. Weder ist er seinem eigenen Anfang (woher komme ich?) gewachsen noch seinem eigenen Ende (was wird aus mir?). Der Mensch ist darum ein animal symbolicum, ceremoniale, liturgicum – eben weil er nicht in der Lage ist, aus sich selbst heraus er selbst zu sein. Sobald der Mensch aus dem Wesen dessen, was er ist, sprechen und leben will, kann er sich nicht verschließen, sondern er wird sich öffnen für die Relationen zum Nächsten und zu Gott. Diese Öffnung kann sich aber nicht nur auf Erfahrung beziehen, sondern muss auch die Ebene des Ausdrucks berücksichtigen. Es kann keine wirkliche christliche Erfahrung geben, die nicht – im strukturellen und nicht nur im beiläufigen Sinne – von der Feier des Glaubens als ihrem eigenen Ausdruck ausgeht. Nur eine sehr naive Vorstellung vom Menschen könnte meinen, unsere Erfahrungen seien unabhängig davon, wie diese zum Ausdruck kommen. Nur der Mensch spricht und denkt, aber der isolierte Mensch kann weder sprechen noch denken. Der Mensch denkt nur, insofern er spricht, und er spricht nur gemeinsam und in Gemeinschaft mit anderen.20 So wie der sprachliche Ausdruck entscheidend ist, um der denkenden Erfahrung des Bewusstseins Gestalt zu geben, ebenso ist auch der symbolisch-rituelle Ausdruck der liturgischen Feier die Grundbedingung, um der Erfahrung des glaubenden Bewusstseins Struktur zu verleihen. Dieser Ausdruck benutzt die symbolische Sprache und die liturgischen Handlungen, um der religiösen Erfahrung im Vollsinne eine Struktur zu geben. Der Mensch feiert darum Liturgien, weil er darauf angewiesen ist, der Wahrheit seiner eigenen Existenz Ausdruck zu verleihen, und weil er dies nur tun kann mit Worten, die von der Wahrheit des Handelns sprechen. Das aber trifft für die Symbole und Rituale zu, in denen aufscheint, dass 19 Vgl. E. Jüngel, Der evangelisch verstandene Gottesdienst, in: ders., Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III, München 1990, 283–310. 20 Vgl. dazu A. Grillo, Per una genealogia della libertà. Il mistico nel secondo Wittgenstein e il ruolo della teologia in una filosofia della mistica, in: A. Molinaro/E. Salmann (Hg.), Filosofia e mistica. Itinerari di un progetto di ricerca (Studia Anselmiana 125), Rom 1997, 89–127.
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allein die Liebe glaubhaft ist und dass sich diese Liebe im Kreuz Christi ein für alle Mal offenbart hat. Ohne Erfahrung gibt es keinen authentischen Glauben, aber es gibt auch keine authentische Erfahrung ohne ihren symbolisch-rituellen Ausdruck.
10.5.2. Was wird gefeiert? Die zweite Frage beschäftigt sich nicht nur mit dem Objekt der Feier, sondern notwendigerweise auch mit seinem Subjekt. Was gefeiert wird, können wir nicht wahrhaft verstehen, wenn wir uns nicht fragen, wer in Wirklichkeit hier feiert. Das führt uns zu zweierlei Schlussfolgerungen. Zunächst gilt es festzuhalten, dass jede liturgische Feier das Paschamysterium des Leidens, Sterbens und Auferstehens des Herrn Jesus Christus in den Mittelpunkt stellt. Doch dieses Objekt (das „Was“ der Feier) bleibt unverständlich, wenn es von der christlichen Gemeinde getrennt wird, die aus dem Mysterium hervorgeht und darum das Subjekt der Feier ist. Auf der anderen Seite werden wir dann feststellen, dass sich beide Aspekte schließlich auch vertauschen lassen, so dass man formulieren kann: Wenn der Herr Jesus wahrhaft im Mittelpunkt der Feier steht, dann kann nur er ihr wirkliches Subjekt sein, derjenige, der von Anfang an wie auch heute – hier und jetzt – opfert, lobt, Gnade bewirkt und für die Menschen eintritt. Demgegenüber ist die Gemeinde nichts anderes als das Objekt der Feier. Das Paschamysterium und die christliche Gemeinde sind damit in jeder liturgischen Feier zugleich deren Subjekt wie deren Objekt. Jedes Mal, wenn wir feiern, feiern wir im selben Moment den Herrn Christus und uns selbst, weil wir die Erben jener Erlösung sind, die der Heilige Geist uns mitgeteilt hat und auf die wir mit dem Glauben geantwortet haben.21
10.5.3. Wie wird gefeiert? Der Begriff „feiern“ enthält bereits einen Teil der Antwort auf diese dritte Frage: Man feiert mit anderen, insofern das Feiern ein öffentliches Handeln der sich versammelnden Gemeinde bedeutet. Das heißt nicht, dass damit die personale und individuelle Dimension der Feier außer Acht bleibt (die Innerlichkeit, Frömmigkeit und individuelle Spiritualität der Feier). Doch wenn eine Feier authentisch ist, dann übersteigt und verändert sie jegliche Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit des Einzelnen und stellt ihn in eine Relation (in eine gemeinschaftliche und 21 Vgl. G. Bonaccorso, Celebrare la salvezza. Lineamenti di liturgia, Padua 1996.
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religiöse mit dem Nächsten und mit Gott), innerhalb derer allein er sich selbst verstehen kann. Er entdeckt voller Staunen, dass er sich nur verstehen kann, wenn er sich nicht selbst verstehen kann, sondern nur, insofern er sich in Relation weiß, coram Deo, in Christus. Die Gemeinsamkeit der Liebe wird in der Gemeinschaft, in Raum und Zeit gefeiert. Besondere Orte und bestimmte Zeiten sind notwendige Bedingungen der liturgischen Feier. Darum sind sie auch dazu fähig, allen Raum und alle Zeit der christlichen Gemeinde und des einzelnen Glaubenden zu verwandeln. Die liturgische Feier ist nicht unmittelbar zugänglich, so dass man nicht unvermittelt oder nach eigenem Gutdünken Zugang zum christlichen Gottesdienst findet. Die Vorstellung, alle könnten eine Feier sofort verstehen, ist zutiefst naiv. Das Feiern erfordert eine Initiation, umsichtige Schrittfolgen, Schwellen und die nötigen eigenen Veränderungen, um „erhobenen Hauptes“ an einer Feier teilnehmen zu können. Das aber ist deswegen wichtig, weil das Feiern auf alle Christen angewiesen ist und nicht nur auf einige (ordinierte Amtsträger).
10.5.4. Der Vorrang der Gabe vor der Aufgabe Der Christ bezeugt in der Welt einen Sinn (die Liebe), den er als Geschenk erhalten hat und seinerseits weiter schenken kann. Die liturgischen Riten haben den Sinn, den Vorrang der Gabe vor der Aufgabe durch symbolisches Reden und rituelles Handeln als religiöse Erfahrung zu bewahren. Jene Unterbrechung, die die Feier für das Leben bedeutet, ermöglicht die Wahrnehmung der Differenz zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen, ohne diese einander entgegenzusetzen. Wenn die Christen in der Liturgie den anwesenden Christus treffen und sich vor allem von ihm treffen lassen, können sie einen qualitativen Sprung erfahren, bei dem mehrfache Transformationen stattfinden. Die Liturgie verlangt, dass diese Erfahrungen nicht lediglich mental, willentlich und theoretisch, sondern auch körperlich, handelnd und praktisch gemacht werden. Das bedeutet einen Weg a) von der Gesetzes- und Pflichtenlogik zu einer Logik des Geschenkes; b) von der Logik des Einzelnen zu einer Logik der Gemeinschaft; c) von der Opposition zwischen Freiheit und Autorität zu ihrer Verbindung. Der Ritus ist jene besondere Weise des befreienden Gedenkens des Anderen, die von dem versklavenden Gedenken seiner selbst befreit, jenes Entdecken der eigenen Wurzeln im Anderen, das es dem Menschen erlaubt, seine eigenen Wurzeln zu haben und eben diese als empfangene 200
und weiter zu verschenkende Gabe erkennen zu können. Die Feier kann helfen, sich selbst zu vergessen, wenn es ihr gelingt, in neuer und überraschender Weise das immer wieder Neue des Lebens aus der Gnade, der Vergebung und der durch den Herrn Jesus ermöglichten Liebe zu verkündigen. Dieses Sich-Selbst-Vergessen aber ist alles andere als eine Art von Entlassung oder Entpflichtung, sondern vielmehr Grundlage und entscheidende Bedingung der Sendung und Verpflichtung der Christen. 10.6. Entwicklungsperspektiven Nachdem wir die Grundlinien der theologischen Überlegungen zur Liturgie skizziert und die wichtigsten Inhalte dargestellt haben, müssen wir jetzt entsprechend der zu Beginn des Buches formulierten Aufgabe die künftigen Entwicklungen der Disziplin in den Blick nehmen, einschließlich des Verhältnisses zu den Humanwissenschaften und zu den übrigen theologischen Fächern. Im nächsten Kapitel besprechen wir dazu zwei grundlegend neue und für das erwachte Interesse am Ritus wichtige Werke. Im Schlusskapitel skizzieren wir dann eine Verhältnisbestimmung zwischen der liturgischen Theologie und den anderen theologischen Disziplinen.
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11. KAPITEL
Neue Zugänge zur fundamentalen Bedeutung der Liturgie1 Die Fundamentaltheologie lebt vom actus liturgicus. G. Ruggieri2
11.1. Einleitung: Die Werke von G. Bonaccorso und P. Sequeri Die Konzentration der Theologie auf die rituelle Dimension des Glaubens ist inzwischen nicht mehr die alleinige Domäne der liturgischen Theologie im engeren Sinne. Seit einigen Jahren ist vielmehr eine zunehmende Aufmerksamkeit der Fundamentaltheologie für die Themen Liturgie und Ritual festzustellen. Umgekehrt wird diese Entwicklung von einer veränderten Vorgehensweise der liturgischen Theologie selbst begleitet, weil sich diese immer stärker solchen Themen und Inhalten zuwendet, die traditionell in das Gebiet der Fundamentaltheologie gehörten. In diesem Zusammenhang möchte ich im Folgenden zwei besonders wichtige Werke vorstellen, die nicht nur die Rezeption der neuen ritualtheoretischen Problematik verstärkt, sondern diese zugleich in der theologischen Grundsatzreflexion verankert haben. Genau dies ist in den jüngsten Arbeiten von Pier Angelo Sequeri und Giorgio Bonaccorso geleistet worden.3 Ich möchte eine genaue Analyse der Anlage und Konzeption beider Werke vorlegen. Dadurch lässt sich das Potenzial erfassen, das für ein angemessenes und weiterführendes Verständnis von Ritual und Feier nötig ist und das diese nicht nur als Teile des christlichen Lebens und Denkens ansieht, sondern als fundamentaltheologisch unverzichtbares Element der Reflexion über die Bedingungen des Glaubens. Damit lässt sich zum einen eine Nähe zu den Themen und Gedanken markieren, die wir bisher entwickelt haben, zum anderen aber auch die 1 In diesem Kapitel nehme ich grundlegende Gedanken auf aus: A. Grillo, La fede, il rito e il fondamento. Due recenti contributi per una riscoperta del ruolo „fondamentale“ della liturgia, in: Rivista liturgia 84 (1997), 477–498. 2 G. Ruggieri, Teologia fondamentale e liturgia, in: Liturgia: itinerari di ricerca. Scienza liturgica e discipline teologiche in dialogo, Rom 1996, 231–244: 243. 3 P. Sequeri, Il Dio affidabile (= Der treue Gott). Saggio di teologia fondamentale, Brescia 1996; G. Bonaccorso, Celebrare la salvezza. Lineamenti di liturgia, Padua 1996.
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Verschiedenheit der Zugänge beim Thema Liturgie. Auf diese Weise wird das Spektrum der Möglichkeiten angereichert und die Weiterführung der Forschung angemahnt.
11.2. Ein neuartiger Versuch der Korrelation von Glaube und Ritual (Sequeri) Sequeris Buch ist zunächst darum von großer Bedeutung, weil es die Gestalt einer fundamentaltheologischen Abhandlung aufweist. Da das Buch als eine Abhandlung de fide konzipiert ist, greift es in zentraler Weise auf die strukturelle Bedeutung von Liturgie und Ritual für die genaue Erfassung und Auslegung der Struktur des christlichen Glaubens zurück. Es handelt sich um ein wahres opus magnum, mit einer reichhaltigen Gliederung und von einer Dichte und Tiefe, wie sie nur schwer zu erreichen sind. Das Buch beeindruckt durch die vielen und durchgängigen Bezüge auf die Gegebenheiten von Ritual und Feier. Ich möchte die Arbeit gerade von diesem Profil her betrachten und dabei alle Gedanken sichten und auswerten, die die entscheidende Verbindung von Fundamentaltheologie und sakramentalem Ritus in der Liturgie erfassen. Damit treffe ich eine problemorientierte Auswahl des Textes im Hinblick auf jene Teile, in denen besonders prägnant der fundierende und essenzielle Wert des Ritus für das Verständnis und die theoretische Formulierung des christlichen Glaubens erwogen wird.4
11.2.1. Das Werk und seine grundsätzliche Anlage Bevor ich mich den Abschnitten widme, in denen der Beziehung von Glaube und Ritus nachgegangen wird, gilt es kurz auf die allgemeine Struktur des Bandes einzugehen, um dem Leser in dem kunstvollen Bau, den Sequeris Fundamentaltheologie darstellt, eine Orientierungsmöglichkeit zu geben. Wenn Fundamentaltheologie die besondere Art von theologischem Denken ist, „bei dem ‚Glaube‘ und ‚Offenbarung‘ – insofern diese als schlichte Voraussetzungen für das spezifisch Christliche und 4 Die entsprechenden Passagen und markanten Stellen lassen sich ziemlich leicht herauslösen, auch wenn sich diese Punkte und Einsichten woanders wiederholen und damit durchgängig sind. Das bedeutet, dass die gesamte Lektüre des Textes zwar nicht zu ersetzen ist, dass sich aber gleichwohl ein Querschnitt nahe legt, aus dem sich die neue Rolle, die in dieser (und vielleicht nur in dieser) Fundamentaltheologie Gottesdienst und Ritual zugeschrieben wird, klar ergibt. Die zahlreichen Zitate, auf die ich mich im Folgenden beziehe, sollen auch eine Art von Gesprächsangebot sein, denn die vielen nützlichen Erwägungen, die uns Sequeri anbietet, verdienen gehört, bedacht und diskutiert zu werden. Gerade die Liturgiker sollten über die Entwicklung im Fach Fundamentaltheologie erfreut sein, weil das theologische Nachdenken insgesamt von hier seinen Anfang nimmt.
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Religiöse gelten – explizit zum Thema werden, und zwar als universal erkennbare, feststellbare und für die historische Wahrheitserfahrung zugängliche Erscheinungen“5, dann bedeutet das, dass diese Disziplin die Aufgabe hat, das als unmittelbar (als Voraussetzung) Geltende zu vermitteln mit demjenigen Diskurs, in welchem die Theologie üblicherweise das von ihr Vorausgesetzte expliziert, ohne dieses selbst zum Thema zu machen. Um die damit gestellte Aufgabe der „Vermittlung des vorausgesetzten Unmittelbaren“ in Angriff zu nehmen, legt Sequeri sein Werk als eine neue und bisher fehlende Abhandlung de fide an und gliedert diese in drei grundlegende Teile: a) Hermeneutik (Phänomenologie) des christologischen Prinzips von Offenbarung und Glaube: Das grundlegende Geschehen, Phänomenologie und Theologie der „memoria Jesu“;6 b) Explikation der mit dem Offenbarungsgeschehen gegebenen Ursprungs- und Universalstruktur des Glaubens im Sinne einer Theorie des glaubenden Bewusstseins. Dieser Teil ist in zwei Abschnitte gegliedert: Der erlösende Glaube: Theologie und Dogmatik des „actus/affectus fidei“7 sowie Glaube und Vertrauen: Theorie des glaubenden Bewusstseins;8 c) die Reihe der Glaubenden als kirchliche, institutionelle und durch den erlösenden Glauben vermittelte Gestalt. Der bezeugte Glaube: Die kirchliche Gestalt des erlösenden Glaubens.9 Dem auf diese Weise gegliederten Text geht eine lange und gewichtige Einleitung voraus, die den Ansatz des Werkes erläutert und auf dem historisch-systematischen Horizont des Verhältnisses von Glaube und Vernunft beschreibt, wie es in den letzten Jahrzehnten vor allem von der Mailänder theologischen Schule erarbeitet wurde; d) methodologisch-historische Einleitung: Apologetische und theologische Vernunft.10 Die Diskussion aller Einzelschritte dieses faszinierenden Denkweges11 überschreitet insgesamt die begrenzte Perspektive unserer Untersuchung. 5 P. Sequeri, Il Dio affabile (s. o. Anm. 3), 15. 6 Ebd., 159–240 (§§ 18–23). 7 Ebd., 243–315 (§§ 24–30). 8 Ebd., 317–554 (§§ 31–45). 9 Ebd., 557–770 (§§ 46–59). 10 Ebd., 21–155 (§§ 1–17). 11 Bei seiner abenteuerlichen Reise wird der Leser freundlich in prächtige Räumlichkeiten geleitet, die ursprünglich sind sowie bisweilen überraschend und fast immer aufnahmebereit, weil dort vielfältige Sprachen gesprochen werden – seien diese streng akademisch, umgangssprachlich und vertraut, formalisiert oder frei und spontan; das geht bis zu kleinen Zimmern, die dann oft noch „Dependancen“ haben (Seiten mit Fußnoten, die ausgedehnt sind wie ein Ballsaal) – so stellt sich alles als ein reiches und anregendes Szenario dar.
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Auf der allgemeinen Ebene möchte ich nur wenige charakteristische Merkmale des Buches nennen, die auf die Rolle des Rituals führen und dessen Bedeutung in den Vordergrund stellen. Der entscheidende, Sequeri leitende Anspruch besteht darin, die anthropologische Grundlegung des Glaubens zu fördern und voranzubringen, damit endlich die Trennung von Glaube und Vernunft überwunden werden kann. Dieser säkulare Irrweg hat die Fundamentaltheologie in der Tat gehindert, die ureigenste theologische Aufgabe richtig zu erfüllen. Die notwendige Vertiefung aber kann nur erfolgen durch „die Herausarbeitung der anthropologischen Struktur des glaubenden Bewusstseins“12 als der vornehmsten Weise eines theologischen Zuganges zu Offenbarung und Glaube. Die damit gestellte Aufgabe, die auch von aktuellen philosophischen Problemstellungen entscheidend beeinflusst ist, verlangt von der Theologie einiges an Mut, weil sie sich auch für die „Fundamentalebene und die Struktur des eigenen Ursprungs“13 zu interessieren und damit auf eine radikale Kritik eines modernen Allgemeinplatzes zu konzentrieren hat: Gemeint ist die immer weiter tradierte Annahme, es bestehe eine ursprüngliche, unüberwindliche Trennung von kritischer Vernunft und glaubendem Bewusstsein. Die Unfähigkeit, Tiefenstrukturen des Wissens zu erfassen, wird darum auf den modernen Bruch bei der Wahrheitssuche zurückgeführt. Man meint, die Wahrheitssuche könne nur von der kritischen Vernunft – insofern und nur insofern diese frei vom Glauben ist – garantiert werden: „Die zunehmenden Spaltungen haben die fundamentalen Verbindungen des ursprünglichen Wissens, durch die dieses mit dem affektiven, ethischen, symbolischen und rituellen Wissen des Bewusstseins verbunden ist, in der Moderne immer mehr gekappt.“14
Angesichts dieser Herausforderungen kann sich die Theologie nicht auf ihr eigenes Gebiet zurückziehen, sondern muss sich insgesamt der Anstrengung begrifflicher Klärung unterziehen. Die beiden letzten Feststellungen führen unmittelbar auf das Thema Ritual, mit dem die notwendige Neukonzeption der Fundamentaltheologie möglich wird.
11.2.2. Das Fundamentale des rituellen Bezugs Die Notwendigkeit, die Trennung von Vernunft und Glaube zu überwinden, bedeutet für Sequeri, für die „theologische Reformulierung des christlichen Gegenstandsbereiches“15 aufmerksam zu sein. Diese Aufgabe 12 13 14 15
Ebd., 114. Ebd., 133. Ebd., 135. Ebd.
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bezieht sogleich die rituelle Ebene der Fragestellung ein. Dabei ragen vor allem die Paragraphen 15–17 mit der Einleitung heraus, unter ihnen besonders § 15, der der „Reformulierung des Gegenstandes des Lehrstücks ‚de fide‘“ gewidmet ist, wo sich die Fragen der theologischen Integrität des Glaubens und der Überwindung der Antithese von Glaube und Religion stellen. Was die erste Frage betrifft, befindet sich der Ritus in guter Gesellschaft mit anderen Kennzeichen eines umfassenden Glaubensbewusstseins, die die Moderne faktisch aus ihrem Gesichtsfeld verdrängt hat. Von solchen vergessenen Elementen lassen sich aufzählen: „Die originäre ethische und affektive Qualität des Glaubensbewusstseins, die innere Verbindung von Freiheit und Wissen, das Wechselspiel von Wertschätzung und Selbstlosigkeit, das mit der Offenbarung und dem Zeugnis für die Wahrheit notwendig gegeben ist [. . .]: Die Einsicht in die Wirkung dieser Relationen entsteht jeweils durch die Symbolkraft von bezeugenden Ritualen, die zu (symbolischer) Evidenz führt.“16
Diese erste wichtige Neubestimmung des Rituals (die in struktureller Verbindung mit den Eigentümlichkeiten des Glaubens gesehen wird) dringt unmittelbar zu einem entscheidenden theoretischen Kernpunkt vor. Sequeri fügt hinzu, ihm gehe es tatsächlich um die „theoretische Entfaltung und kritische Interpretation des Glaubens nach seinem christlichen Begriff, ohne die Trennung oder alternative Bestimmung gegenüber der Wirkung der Religion, wie diese in der christlichen Praxis realisiert ist.“17
Diese Feststellung bringt sogleich den Ritualbezug ins Spiel, damit der neue Ansatz „de fide“ gerade nicht in Gegensatz zu einem Ansatz „de religione“ gerät. Daraus ergibt sich: „Die rituelle Feier des heiligen Mysteriums konstituiert, vergegenwärtigt und festigt die kognitiven und die praktischen Bedingungen der etwas verheißenden Gottesbeziehung. Dabei ist auch an das Hören auf das Wort, das zur Weisheit führt, und an die Erfahrung von Nähe, die Beziehungen ermöglicht, zu denken. Gewiss ist Religion auch mehr als das. Aber sicher ist Religion nie ohne das alles. Wie immer man den christlichen Glauben interpretieren will – er bildet sich auf jeden Fall in einer innigen Beziehung zu diesen grundlegenden Gegebenheiten. Die Entstehung von Glauben, wie dieser von seinem Ursprung her strukturiert und historisch bestimmt ist, vollzieht sich immer in Bezug auf die rituelle Dimension, die das heilige Geheimnis hervorruft.“18
Mit der konstitutiven Beziehung von Glaube und Ritual erreicht Sequeri den Theoriehorizont des gesamten Buches:
16 Ebd., 137. 17 Ebd., 140. 18 Ebd., 140f.
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„Der Theoriehorizont dieses Buches, das sich an der phänomenologischen Einzigartigkeit des Ursprungsdatums orientiert, verschreibt sich gänzlich der inneren Bewegung von Symbol und Ritual. Darin nämlich ist sowohl das Prinzip der Verbindung als auch das des Bruches enthalten. Gerade dies kennzeichnet das Verhältnis von religiösem Glauben und universeller Erfahrung.“19
Doch damit nicht genug: Der Fortgang der Untersuchung erreicht eine ungewöhnliche Nähe zu den jüngsten Diskussionen, wie sie im Zusammenhang der liturgischen Fragen entstanden sind: „Im Ritus erlangt der Glaube Klarheit über sein eigenes Fundament und kehrt gleichzeitig immer wieder zu seiner vertikalen Ausrichtung zurück. [. . .] Denn gerade mit dieser Stufe von Sinnerfahrung, an diesem ‚geometrischen Punkt‘ von Glaubensbewusstsein, wie es mit der rituellen Genese (als ‚Geburt‘ und ‚Wiedergeburt‘) gegeben ist, bildet sich auch die anthropologische und theologische Begründungsstruktur jeder weiteren Reflexion.“20
Damit zeigt sich das Unersetzbare und Ursprüngliche des Rituals, das auf der fundamentaltheologischen Ebene der Vermittlung des – am Anfang allen Christentums stehenden – Glaubens gewonnen wird. Die Fundamentaltheologie dient so der reflexiven Vermittlung jener unvermittelten Voraussetzung des christlichen Glaubens, welche der Ritus ist. Die Entgegensetzung von Glaube und Religion hingegen interpretiert das Ritual nicht, sondern lehnt es ab. Die Überwindung der naiven Opposition von Glaube und Religion dagegen eröffnet der Glaubenslehre eine vielversprechende Begegnung mit der eigenen religiösen und rituellen Natur und führt zu der notwendigen Aufgabe einer zeitgenössischen Fundamentaltheologie. Denn „eine Theologie oder Glaubenslehre, die nicht fähig ist, ihren eigenen Gehalt im inneren Zusammenhang mit anthropologischen und darum theologischen (rituellen und mystischen) Bestimmungen von Religion zu identifizieren und so Wahrheit geltend zu machen, bleibt beim Verstehen hinter ihrem eigenen Gegenstand zurück.“21
Die Konsequenzen dieser Überlegungen machen sich unmittelbar auf der Ebene des Theologie-Anthropologie-Verhältnisses bemerkbar.22 Es lässt sich festhalten, dass den Humanwissenschaften mit diesen Beobachtungen neue Verantwortung zuwächst, weil sie die erste Ebene der fundamentaltheologischen Arbeit darstellen: „Ein solches Vorgehen [. . .] bringt die innere Notwendigkeit mit sich, die grundlegenden theologischen Klärungen in Verbindung mit einem anthropologischen Konzept von allgemeiner Gültigkeit vorzunehmen. Der Charakter 19 20 21 22
Ebd., 141. Ebd. Ebd., 142. Vgl. ebd., 148ff.
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dieser Verbindung besteht darin, dass die unableitbare Einzigartigkeit des christlichen Glaubensprinzips, wie es effektiv gegeben ist, nur durch die Explikation der anthropologischen Strukturen erkannt und verstanden werden kann, also durch einen universalen Zugriff, der damit korreliert und korrespondiert.“23
Die Beziehung von Theologie und Anthropologie, die in Bezug auf die konstitutive symbolisch-rituelle Struktur des Erlösungsglaubens gedacht ist, wird damit nicht auf extrinsische Art und Weise vorgestellt (als ob es sich um eine Brücke zwischen den beiden unterschiedlichen Prinzipien von Glaube und Kultur handeln würde), noch handelt es sich um eine Entwicklung von etwas auf religiöser Ebene, das dann die Theologie einfach bestimmen könnte. Es geht vielmehr um das Recht der symbolisch-rituellen Struktur von Religion, an dem Fundament theologischer Einzigartigkeit zu partizipieren und um die „theologische Notwendigkeit, die Wirksamkeit gerade der condition humaine in Rechnung zu stellen.“24 Die Einsicht, dass die Begegnung mit der Anthropologie unumgänglich ist, erfordert auch die Begegnung mit solchen Humanwissenschaften, die vom Ziel der eigenen Arbeit wegzuführen scheinen (jedenfalls sofern sie nicht durch eine Reintegration vonseiten der Theologie gestützt werden). Die Theologie muss die Humanwissenschaften für die eigenen Aufgaben fruchtbar machen: „Der Rekurs auf Fremdwissenschaften (Natur- und Humanwissenschaften), die ihrem Selbstverständnis nach von dem, worauf Menschen ihr Vertrauen setzen, nichts wissen und nichts wissen wollen, führt auf Abwege – wenn der Rekurs isoliert und ohne Hintergrund erfolgt. Dann ist man bei völlig anderen Fragen und schlägt die Zeit tot. Vielleicht jedoch hält ein solcher Rekurs durchaus wichtige Fragen sub contrario oder in munere alieno wach. Durch die selbstverschuldete Ablösung von Philosophie und Theologie verlieren diese jedoch ihren Wert.“25
Und dennoch: Es besteht die Gefahr, diese Wissenschaften zu vernachlässigen (und sie dem eigenen grund- und hintergrundlosen Vorgehen zu überlassen). Doch in Wirklichkeit ist es undenkbar, dass die heutige Theologie ihre Grundlagen ohne anthropologische Kompetenz bestimmt. Denn nur diese – notwendige, wenn auch nicht ausreichende – Kompetenz ist dazu in der Lage, jene Grundlagen plausibel und einsichtig werden zu lassen, an denen es ihr selbst mangelt. Nur sie sichert den Bezug auf die „‚fruchtbaren Niederungen von Erfahrung‘ des Menschen, ohne die dieser – buchstäblich – ‚seine eigene Zeit‘ verlieren würde.“26
23 24 25 26
208
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
148 (Kursivierung A. Grillo). 149. 151. 153.
So weit die in Sequeris Einleitung formulierten Gedankenschritte, die von der Notwendigkeit der Wiedergewinnung eines integralen glaubenden Bewusstseins (1) über die Überwindung des Gegensatzes von Glaube und Religion (2) und die Einsicht in die zentrale Bedeutung des Rituals (3) bis zur richtigen Neubestimmung des Verhältnisses von Theologie und Anthropologie (4) reichen.
11.2.3. Die Unmöglichkeit einer Entgegensetzung von Glaube und Heiligem Nach der Skizzierung des Programms wird dieses entfaltet. In § 4327 (der als Schlüsselparagraph in dem Teil über den Erlösungsglauben fungiert, insofern eine sehr enge Verbindung von Glaube und Heiligem gilt), wird die Bedeutung des Rituals gerade daran festgemacht, dass die Differenz von Gott und Mensch, die das glaubende Bewusstsein in sich selbst erkennt, im Denken zu beachten ist. Damit ist jene Erfahrung des Heiligen gegeben, die als „Bedingung der Möglichkeit von Offenbarung“ fungiert. So sind die folgenden klaren Worte zu verstehen: „Nur vermittelt über die Empfindung des Heiligen, die als unüberwindliche Differenz und unauflösliche Einheit gewusst und gelebt wird, vollzieht sich die Aufnahme des Kerygma, der Verkündigung, der notitia Dei.“28
Die Struktur dieser Erfahrung besteht also in einer Vermittlung, die den Zugang zur Differenz ermöglicht. Doch diese Struktur des Heiligen stößt auch an Grenzen: „die Einheit von Dasein und Sein ist reine Vermittlung, die Differenz ist etwas gänzlich Unvermitteltes.“29 Die symbolische Zirkularität, die durch die Erfahrung des Heiligen zum Tragen kommt, zerbricht durch das historische Ereignis, das zum Sinnprinzip wird: „Einheit und Differenz werden nicht mehr so verstanden, dass alles bzw. jede Sache Symbol des Alles und Nichts wäre. Der unableitbare Ursprung ist nicht derselbe wie der sich wiederholende Anfang.“30
Daraus ergibt sich eine Art von Generalprinzip für die richtige Verhältnisbestimmung von christlichem Glauben und heiligem Ritus: Die Wahrnehmung des Heiligen entscheidet nicht über den Inhalt, der vermittelt wird, aber sie kann auch nicht durch ihren Inhalt ersetzt werden. Es ist vielmehr die Form, mittels derer sich die neue, unerhörte Möglichkeit dieser Form selbst zu erkennen gibt. In dieser Sicht können die Sakra27 Ebd., 506–521, bes. der Teilparagraph 43.1: La differenza istituita nel simbolo in esercizio nella „notitia Dei“: il rito sacro (507–512). (= Die durch den Symbolgebrauch gesetzte Differenz in der „notitia Dei“). 28 Ebd., 506. 29 Ebd., 507. 30 Ebd.
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mente nur insofern Zeichen (also Träger eines Sinnes oder Bezuges auf ein historisches Geschehen) sein, als sie Riten, also Orte der Erfahrung des Heiligen, sind. Doch sie sind umgekehrt nur insofern Orte der Erfahrung des Heiligen (Rituale), als es ihnen gelingt, Vermittlungen eines Sinnbezuges (also Zeichen) zu sein. Die unhintergehbare Verbindung von Ritus und Zeichen, von Wiederholung und Neuwerden, von Wort und Entscheidung, gewinnt durch die Struktur des Rituals Gestalt und „die Vermittlung des Heiligen wirkt sich durch eine bestimmte Veränderung aus, welche von der Sinnordnung herrührt, die mit dem zur Entscheidung rufenden Wort zutage tritt.“31 In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die jüngste theologische Tradition insgesamt wenig zu der Aufgabe einer genaueren Reflexion des Verhältnisses von religiöser Vermittlung und christlichem Glauben beitragen konnte, weil sie sich darauf eingelassen hat, das Problem in der Begrifflichkeit eines Vernunft-Glaube-Gegensatzes zu formulieren: „Der Mangel an theoretischer Durchdringung des religiösen Vermittlungsgeschehens, wie es den Gewinn von glaubender Unmittelbarkeit ermöglicht, hat auch die theologische Vernunft dazu gebracht, das Thema der theologischen Differenz in der Begrifflichkeit der separierten Vernunft zu diskutieren.“32
Nur innerhalb der unhintergehbaren Korrelation von christlichem Glaubensbewusstsein und ursprünglicher Bewusstseinsstruktur lässt sich in überzeugender Weise vom Fundament des Glaubens sprechen, wie sich dieses in einem dritten Moment, in der Figur des bezeugenden Glaubens, darstellt. Doch bevor wir zu dem Abschnitt über das Sakrament als Ritual kommen, mit dem das Buch endet, müssen wir noch auf das interessante 11. Kapitel (§§ 46–49) eingehen. Dieses markiert einen deutlichen Wendepunkt, weil hier die Frage der Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung bei der Konstitution des Glaubensansatzes ausführlich diskutiert wird. Dabei handelt es sich um eine fruchtbare Dialektik, die es dem Ritus erlaubt, im Zentrum der Fundamentaltheologie eine tragende Funktion zu übernehmen. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass künftige Entwicklungen ohne derartige Bemühungen auf theoretischer Ebene undenkbar oder folgenlos wären. In der Tat gilt es auf das Ineinander von Unmittelbarkeit und Vermittlung zu achten, weil nur dieses die komplexe Beziehung erhellen kann, durch die der Christ an die Kirche gebunden ist: „Der bezeugende Glaube – als jene Vermittlung, die in erster Linie etwas Unvermitteltes ist – führt auf die personale Beziehung zum Herrn, die unvermittelt ist, aber auf den zweiten Blick den Vermittlungscharakter des Zeugnisses bestätigt.“33 31 Ebd., 508. 32 Ebd., 509. 33 Ebd., 567.
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11.2.4. Unmittelbarkeit und Vermittlung des Glaubens Vermittlungsinstanzen des gründenden Geschehens sind die Heilige Schrift (als Wort) und die Tradition (als die Reihe der Apostel und die Ritualität der Sakramente). Ich verzichte hier darauf, mich auf Sequeris Überlegungen in all ihrer Komplexität zu beziehen und beschränke mich auf wenige Bemerkungen zu seinen Reflexionen über die zentrale Bedeutung des Ritus für die Grundlegung des Glaubens, die sich in diesem zusammenfassenden Teil finden. Die §§ 58 und 59 sind explizit in den Zusammenhang des bezeugenden Glaubens und des (positiven wie vermittelnden) Ausdrucks des christlichen Glaubens gestellt. Sie beschließen das Buch unter dem Titel: „Die apostolische, sakramentale und rituelle Ordnung des bezeugenden Glaubens: Homousie und Eucharistie“. Bei meiner Darstellung gehe ich von den Entwicklungen aus, die Liturgik und Sakramentenlehre mit der neuen Frage nach dem Symbolischen in der Theologie genommen haben – wobei allerdings auf Seiten der zünftigen Dogmatik leider eine Art diffusen Desinteresses festzustellen ist: „Was die Fundamentaltheologie angeht, so scheinen sich nur sehr schwache Spuren einer systematischen Berücksichtigung der sakramentalen Dimension zu finden.“34
Sequeri ist sich der Tatsache bewusst, dass sein Weg durch ein in mancher Hinsicht neues und unerforschtes Gebiet theologischer Arbeit führt – geht es doch um die unerwartete Wiederkehr des Interesses für die symbolisch-rituelle Dimension des Christentums, welche die nachkonziliare Theologie insgesamt überwunden und übertroffen zu haben glaubte. Diese Theologie hatte ihren eucharistischen (und damit auch den rituellen) Horizont verloren, obwohl der „geistliche Gottesdienst“ ja nur durch diesen verständlich wird: „Das Christentum kann weder den Ritus des Heiligen noch den religiösen Kultus abschaffen – und zwar weder in der Praxis noch in der Theorie [. . .]. Es ist völlig undenkbar, ein anderes Verständnis der an rituelle und gottesdienstliche Praxis gebundenen Sprache geltend zu machen und eine Abkehr von der ursprünglichen Verbindung mit dem Leitbild des Heiligen vorzunehmen und zu einer von Alternativen geprägten, Ritual und Gottesdienst ausschließenden Terminologie zu greifen.“35
Es geht also um das komplexe Phänomen eines ganz anderen Traditionsverständnisses, das von einer typisch modernen Wahrnehmung ausgeht und so gerade die rituelle Ebene von ihrem Bedeutungshorizont ausschließt, obwohl diese eine der Grundbedingungen des christlichen Glaubens ist. Mit anderen Worten: Für Sequeri stellt das Ritual den Verste34 Ebd., 739. 35 Ebd., 743.
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hensrahmen dar, ohne den kein Weg in das Zentrum der christlichen Inhalte führt. Die Inhalte wiederum ermöglichen es, das, was das Ritual abstrakt kommuniziert, mit Gehalt zu füllen: „Die Formalstruktur der Ritualität und ihre Weise, das Symbolische in Kraft zu setzen, ist gerade durch die typische, hier evozierte Darstellungsweise des Fundamentalen gekennzeichnet. Dazu gehört die besondere Qualifizierung der Existenz, die damit absichtsvoll verbunden wird. Insofern verdichtet das Ritual die emotionale, bewusste, interaktive und praktische Vielfalt des alltäglichen Lebens und bringt dieses in eine erkennbare Sinnstruktur.“36
Was den sakramentalen Organismus auszeichnet, ist gerade, dass in ihm geschichtliche Existenz und Sinnstruktur aufeinander bezogen werden. Darum ist es insgesamt nötig, dass die Fundamentaltheologie das Recht des Ritualbezuges bedenkt, damit dieser als Topos für die Grundlegung des christlichen Glaubens erkannt werden kann. Es gilt jedoch hinzuzufügen, dass „das sachliche Recht der Ritualstruktur, die ‚im‘ und ausgehend ‚vom‘ christlichen Sakrament im Hinblick auf die Ursprungsstruktur des bezeugenden Glaubens Gestalt gewinnt zum einen [. . .] und ihre legitime Integration mit der fundamentaltheologischen Aufgabe zum anderen nicht in komplementären oder einander ergänzenden Kategorien zu fassen sind.“37
Daraus ergibt sich die entscheidende Bedeutung der Liturgie für eine Theorie christlicher Existenz und Identität, wobei diese Bedeutung umso wirksamer zu werden vermag, je mehr der ursprüngliche Begriff von „Liturgie“ präzisiert und begrenzt wird: „Die Liturgie ist nicht die Kirche: Aber sie ist die symbolische Evidenz der Kirche, die auf ihren Anfang und auf ihre Bestimmung zurückgeführt wird.“38
Gerade mit dieser speziell symbolischen Dimension entsteht die Notwendigkeit, zwei gleichermaßen wichtige Anforderungen zu kombinieren. Denn bei der Formulierung einer christlichen Ritualtheorie ist große Umsicht nötig, damit angemessen anthropologisch und theologisch vorgegangen und ein Begriff des „heiligen Rituals“ ins Zentrum der Fundamentaltheologie gestellt wird, der auch das rituelle Fundament des christlichen Glaubens integrativ zum Ausdruck bringt: „Die rituelle Verfasstheit des bezeugenden Glaubens ergibt sich jedenfalls aus einem immer wieder gefährdeten und instabilen Gleichgewicht. Die Erschließungskraft und Energie des Glaubens führen auf die stets unverfügbare und maßgebliche Wurzel seines Ursprungs, womit das Thema des Gedenkens als der geometrische Punkt jeglicher Tradition angesprochen ist. Die Wirkungsweise des Symbolischen ist darüber hinaus von Natur aus intersubjektiv und 36 Ebd., 757. 37 Ebd., 761. 38 Ebd., 762.
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kommunitär, weil das Symbolische nicht bloß Konvention oder Instrument sein kann. Das Symbolische verlangt zudem eine konsensuelle Wirkungsweise, damit es nicht in einer unentzifferbaren und der Sinnbildung unzugänglichen Vieldeutigkeit zu Tage tritt und sich darin verliert. Ebenso kann man das Symbolische nur durch den Gebrauch würdigen, durch ein Verhältnis, das sich – durch das hermeneutische Wagnis eines praktischen Konsenses – an der dabei entstehenden Energie und an der so möglichen Veränderung ausrichtet. Das liturgische Ritual ist genau die Form eines solchen Gebrauches: In diesem, gerade in diesem erreicht das Symbolische Tiefe. Es setzt tief verwurzelte Kräfte und Wünsche frei, deren Energie vom Bewusstsein und vom Willen her entweder Struktur gewinnen oder der Destruktion anheim fallen kann. Die Orientierung der rituellen Performanz christlicher Symbolik ist darum eine Angelegenheit besonderer Sorgfalt und eines ‚kunstvollen Handwerks‘.“39
Im Verhältnis zu den beiden anderen Bezugnahmen auf Fundamentalereignisse (d. h. die Schrift und die Beziehungen) ist das heilige Ritual „der Ort höchster Relativierung aller Worte und aller Beziehungen.“40 „Mit anderen Worten: Das christliche Ritual bewahrt mit seiner Form die Transzendenz Gottes auf einem anderen Wege.“41
Wenige Zeilen später endet dann Sequeris umfangreiches Buch. Dabei überrascht die Tatsache, dass das Werk mit dem Verhältnis von Glaube und Sakrament schließt, also mit dem Thema, das auch im Zentrum der Theorie und im konzeptionellen Teil der Einleitung stand, nachdem die Spaltung von Glaube und Vernunft beklagt und dieser die Reintegration des Ritus in die Grundlagen des Glaubens als Heilmittel entgegengehalten wurde. Bei Licht besehen ist dies nichts anderes als eine (post-)moderne Wiederaufnahme der klassischen Struktur einer theologischen Abhandlung, die mit de Deo beginnt (hier in Form einer christologischen Phänomenologie) und mit de sacramentis (also mit dem vom Denken ergriffenen Ritus) endet – und eben alles das sub specie fidei. Wie man diese Zusammenhänge auch im Einzelnen interpretieren will: Auf jeden Fall schärft uns Sequeris Theorieansatz ein, dass die Beschäftigung mit dem glaubenden Bewusstsein aus theologischen Gründen darauf angewiesen ist, die substanzielle Verbindung mit einer rituell akzentuierten Anthropologie zu beachten. Damit ist für die Fundamentaltheologie ein qualitativer Sprung von höchster Bedeutung gegeben, eine gänzliche Neubestimmung des Christentums, die für die liturgiewissenschaftliche Arbeit wichtig, ja kaum zu überschätzen sein dürfte.
39 Ebd., 764f. 40 Ebd., 766. 41 Ebd., 768.
213
11.2.5. Grenzen der Untersuchung Auch wer der Richtung, die Sequeri bei der Verhältnisbestimmung von Glaube und Ritual einschlägt, mit Begeisterung folgt, wird sich mit den noch offen bleibenden Fragen befassen. So ist man angesichts der zentralen Bedeutung des Bewusstseins, welche den Gang der Untersuchung leitet, ebenso ratlos wie gegenüber der Art und Weise, in der Sequeri dem eigentlich anthropologischen Thema Raum gibt: Es ist nach seinen Worten zwar absolut entscheidend, tritt aber im Text faktisch nicht in Erscheinung (allenfalls selten und versteckt in den Fußnoten). Man muss darum die Frage stellen, was eigentlich der Begriff der Anthropologie bedeuten soll. Versteht man Anthropologie als eine Weltsicht, als eine interpretative Annäherung oder als Sinnbegabung, dann impliziert dies die Annahme einer solchen Anthropologie, die von der separierten Vernunft ausgeht, so dass aus dem Bewusstsein und der Wahrnehmung ein privilegierter Ort wird, von dem aus man die Welt (auch diejenige der Religion) betrachten kann. Demgegenüber dürfte ein Verständnis der Anthropologie im Sinne von Kulturanthropologie weiter führen als die Begrenzung auf ein selbstbezügliches System, das das Neue für die Glaubenslehre durch die Auseinandersetzung mit dem Ritual nicht wirklich erfassen kann. Gewiss sind Sequeri diese neuen Herausforderungen insgesamt nicht fremd. Er ist vielmehr derjenige Theologe, der dieser Notwendigkeit konsequent und deutlich Ausdruck zu geben vermochte. Gleichwohl wird die Anthropologie von ihm weiterhin theoretisch aufgefasst, also im Rahmen eines Konzeptes, das sie weiterhin für eine gefährliche Art von Fremdwissenschaft hält. Sequeri weiß durchaus in der Begrifflichkeit zu reden, die er von Turner, von Girard und von LéviStrauss gelernt hat. Er hat sie in die eigene Sprache übernommen und verwendet sie für seine mutigen hermeneutischen Versuche. Doch er integriert sie nicht als notwendige Prinzipien einer inneren und grundsätzlichen Kritik des leitenden Begriffes des „Bewusstseins“. Vielleicht ist die Verankerung im Glaubensbewusstsein für Sequeri die Möglichkeit, traditionellen christlichen Sinnbeständen noch weiter Raum zu geben (vielleicht ein letztes Bollwerk gegen Angriffe, denen der Glaube von außen – aber auch und vielleicht noch gefährlicher – von innen her ausgesetzt ist). Dennoch ist zu fragen, ob die Spannung zwischen Bewusstsein und Ritual, als Beispiel für das in der Moderne völlig Überzogene (das Bewusstsein) und das völlig Vernachlässigte (das Ritual), nicht gerade zu einer unüberwindlichen Spannung innerhalb des Systems führt, so dass schließlich der treue Gott entschwindet und sich in gefährlicher Weise in eine bloße Treue in göttlicher Form verwandelt. Gleichwohl beabsichtigt Sequeri eine theologische Rekonstruktion der christlichen Inhalte und strebt dazu die Besinnung auf das an, was für ein neues Gespräch über Offenbarung und Glaube fundamental ist. Mit 214
anderen Worten: Er möchte die Elemente wieder in das Fundament des Glaubens integrieren, die die moderne Kultur abgewiesen oder in Bezug auf dieses Fundament marginalisiert hatte. Dabei erschließt sich ihm (unter anderem) die Bedeutung des Ritus für die Verhältnisbestimmung von Bewusstsein und Wahrheit und die Fähigkeit des Bewusstseins, ein Prinzip zu erkennen, das nicht auf es selbst zurückgeführt werden kann. Diese Nicht-Reduzierbarkeit, die Sequeri meiner Einschätzung nach nur unter großen Schwierigkeiten anzuerkennen bereit ist, scheint mir jedenfalls unverzichtbar zu sein, damit das Ritual auch weiterhin die „Garantie für die Transzendenz Gottes auf einem anderen Weg“ bleiben kann. Dabei ist zu fragen: Auf einem anderen Weg in Bezug worauf, wenn nicht auf das Bewusstsein? Auf jeden Fall ist positiv zu vermerken, dass Sequeri in der Ursprungsstruktur der Beziehung von Bewusstsein und Wahrheit nach der Existenz solcher Strukturen sucht, die nicht auf das abstrakte Verstehen zurückzuführen sind (wobei das Thema nicht das Bewusstsein ist). Die Verhältnisbestimmung von Glaube und Ritual (bzw. von Glaube und Sakramenten) verlangt eine Art von Einheits-Verständnis, das zugleich die Differenz und Andersheit der verschiedenen Momente festhält. In einer allgemeinen Glaubenstheorie ist darum der Rekurs auf die symbolischrituelle Struktur – als konstitutives Moment des Glaubens selbst – notwendig. Die theologische Vermittlung kann nicht über die Erkenntnis hinweggehen, dass das Sakrament qua Struktur eine Form von Unmittelbarkeit darstellt, auch wenn diese mit der Logik des glaubenden Bewusstseins verbunden wird (ohne sie wiederum darauf zu reduzieren).42 Zusammengefasst: Wenn Sequeri Ritual und Sinn bzw. rituelle Wiederholung und existenzielle Entscheidung korreliert, scheint er dem Ritus noch wenig zuzutrauen. Tatsächlich hat er so grundsätzliche Fragen gestellt, die neue und bisher nicht existierende Ausdrücke und Kategorien verlangen. Typisch ist dafür die etwas schillernde Weise, in der sich Sequeri dem Verhältnis von Glaube und Religion nähert (wenn auch meine wenigen und einseitigen Zitate das nur begrenzt zeigen können). Bezeichnend ist die Tatsache, dass alle Offenheit Sequeris schließlich wieder auf das „eigentlich Christliche“, gewissermaßen zu Ungunsten der Anthropologie, zurückgreifen muss, auch wenn das alles in einer überzeugenden Weise vorgebracht wird. Die Grenze, angesichts derer Sequeri ein Wunder vollbringen möchte, ist ihm selbst nicht ganz fremd. Das liegt jedoch nicht an ihm selbst, sondern vielmehr an dem objektiven Mangel an Kategorien. Die Begriffsstrukturen der Anthropologie sind so 42 Dieser wichtige Zusammenhang führt auch auf eine bedeutende Neubestimmung durch die – inzwischen schon traditionell gewordene – Mailänder Schule: Die Überwindung der Scheidung von Glaube und Vernunft ist ein langer Prozess, der auf die anthropologische Bedeutung der Strukturen rekurrieren muss, welche theologische Plausibilität vermitteln können (gerade insofern sie selbst unvermittelt sind!).
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abstrakt, dass sie sich nur schwer in Verbindung mit Themen, Inhalten und konkreten Ereignissen denken lassen. Die Sprache der Religion hat sich in den letzten 200 Jahren so sehr als von der Theologie emanzipiert verstanden, dass es ihr heute schwer fällt, die nötige Zuständigkeit für den theologischen Diskurs zu begründen.43 Die genannten Schwierigkeiten werden auch durch die Bezeichnung des Rituals als „Wiederholung des Glaubensvollzugs“ deutlich. Das könnte so scheinen (was gewiss nicht zutrifft), als wollte Sequeri die Möglichkeiten des Rituals der Rechtfertigung durch den Glaubensakt unterordnen. Denn das wäre eine bloße Wiederholung eines Innen-AußenVerhältnisses von Theologie und Anthropologie, bei dem die Theologie bereits weiß, was der Glaubensakt ist, bevor dieser rituell begangen wird. Die oben zitierten Passagen zeigen jedoch, dass Sequeri gerade nicht so argumentieren wollte, sondern etwas völlig anderes beabsichtigte, das er aber nur im Rahmen der gegebenen sprachlichen Grenzen zum Ausdruck bringen konnte. Wie schon Wittgenstein kämpft Sequeri gegen die Begrenzungen der Gefangenschaft in der Sprache, um ein kleines Stück an rechter Theologie zu erreichen, wie es die Sprache – bei einer Dehnung bis an ihre Grenzen – ihm und uns zu denken erlaubt. 11.3. Das Konzept einer „durchdachten Liturgie“ (Bonaccorso) Das Werk von Bonaccorso bewegt sich auf einer anderen theoretischen Ebene und ist vor allem als ein Handbuch konzipiert, das die wichtigsten Resultate, zu denen die nachkonziliare Liturgietheologie gelangt ist, allgemeinverständlich darstellen möchte. Es verzichtet darum schon in der grafischen Gestaltung auf den wissenschaftlichen Anstrich (wie auf einen Anmerkungsapparat). Und doch lässt das Buch in beeindruckender Klarheit etwas von den Ansätzen erkennen, die als Impulse für den zunehmenden Dialog zwischen Fundamentaltheologie und christlicher Liturgie- und Ritualtheorie Beachtung verdienen. Auch wenn das Buch im Gegenüber zu Sequeri einen völlig anderen Charakter hat, nimmt es in anderer Weise ebenfalls das Thema des intellectus fidei auf und beleuchtet dieses in neuer und anregender Weise. Auch in diesem Fall skizziere ich zunächst den Aufbau des Textes und fahre dann mit einer kurzen Analyse der Themen fort, die herausragen und für die Weiterentwicklung einer Fundamentaltheologie mit dem Ritus als integralem Bestandteil des Glaubens hilfreich sind. 43 Ironischerweise rächt sich damit die separierte Vernunft gerade an dem, der sie klar hinter sich lassen möchte. Doch es verhält sich eben so und es gibt keine Alternative. Ein anderer als dieser risikoreiche Weg steht nicht offen. Immerhin ist er von der noblen Absicht gekennzeichnet, die Sprache künftig daran zu hindern, die Inhalte von Glaube oder Religion im Voraus zu bestimmen!
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11.3.1. Geometrische Struktur und Leidenschaft für Proportionen Was bei Bonaccorsos Buch unmittelbar ins Auge fällt, ist die eigentümliche Struktur der Kategorien, die konsequent geometrisch und damit in der Regel triadisch ist. Das Werk ist nach drei Fragestellungen gegliedert (warum gefeiert wird;44 was gefeiert wird;45 wie gefeiert wird46), und jede wiederum enthält drei verschiedene Elemente: – die Frage, warum der eigene Glaube gefeiert wird, teilt sich in drei Kapitel, die sich mit der religiösen Erfahrung, der symbolischen Sprache und dem rituellen Handeln befassen; – die Frage, was gefeiert wird, umfasst ebenfalls drei Kapitel: das zelebrierte Geheimnis, die feiernde Gemeinschaft und die liturgischen Feiern; – in drei Kapiteln wird die Frage entfaltet, wie gefeiert wird: die liturgische Zeit, der liturgische Raum und das liturgische Handeln. Dabei ist aber festzustellen, dass der Sinn für Geometrisches nicht ohne Sinn für die sachlichen Feinheiten, sondern das deutliche Zeichen dafür ist. Das heißt, dass es sich in diesem Falle um eine umfassende Neubestimmung der begrifflichen Struktur einer Liturgietheorie handelt. Bonaccorso geht es gerade im Rahmen dieses an ein breiteres Publikum gerichteten Textes darum, etwas zu denken zu geben. Mit dieser eher seltenen Absicht konzentriert und erneuert er die Bemühungen um die Wiederentdeckung der Liturgie durch die Theologie. Damit ergibt sich zwingend der folgende Schluss: „wenn die Liturgie derart von innen her mit dem Glauben der Kirche verbunden ist, dann gilt das in ähnlich innerer Weise auch für die Reflexion des Glaubens, also für die Theologie.“47
Doch zur Beschreibung der Verbindung von Liturgie und Theologie wählt Bonaccorso nicht den kürzesten Weg. Er lässt sich nicht ungeduldig zu einem Kurzschluss zwischen Ritual und Theologie verleiten, als könnte man schlicht und einfach das erstere in den Kontext der zweiten einfügen. Er ist sich vielmehr der Tatsache bewusst, dass für jegliche plausible Theorie die anthropologische Vermittlung des christlichen Gottesdienstes ein notwendiger Schritt ist und dass gerade so, durch die anthropologische Vermittlung, für die Theologie jene Unmittelbarkeit konstituiert wird, die der intellectus fidei dann als Teil des eigenen Grundes zu erkennen berechtigt und verpflichtet ist. Damit ergibt sich der m. E. bedeutendste Ertrag des Buches, das gerade durch seinen originär anthropologischen Zugriff ein vorzügliches theologisches Werk ist. Es schämt 44 45 46 47
G. Bonaccorso (s. o. Anm. 3), 9–56. Ebd., 57–182. Ebd., 183–234. Ebd., 5.
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sich nicht des Menschen – und darum schämt es sich nicht des Evangeliums.
11.3.2. Das fundamentale Interesse an der Liturgie Die Kategorienstruktur der Annäherung über die Liturgie hat für Bonaccorso demnach gegenüber dem unmittelbar Theologischen den Charakter des Externen. Sie geht von einer Verbindung zwischen dem Anthropologisch-Religiösen und dem Theologisch-Konfessorischen aus und möchte miteinander verbinden und ins Gespräch bringen, was normalerweise (aus der Sicht der bei Sequeri „separiert“ genannten Vernunft) als prinzipieller Gegensatz gilt. Die neue „Evidenz“, die Bonaccorso an den Anfang der liturgischen Theologie (und darüber hinaus jedes theologischen Diskurses) gestellt sehen möchte, besteht in der Struktur von Unmittelbarkeit, die dem Menschen die Wahrnehmung der christlichen Offenbarung ermöglicht. Es handelt sich um die Bedingung der Möglichkeit jeder Fähigkeit zum Gehorchen (potentia odoedientialis), die schon früher von Rahners transzendentaler Theorie beschrieben worden war, nur dass jetzt Überlegungen zur religiösen Phänomenologie und Anthropologie hinzu kommen. Die Fähigkeit des Menschen, sich dem Heiligen zu öffnen, ist der Horizont von Offenbarung und Glaube: „So wie sich das Heilige nicht anders als in Symbol und Ritual zur Geltung bringen kann, so kann auch der christliche Glaube nicht ohne die liturgische Feier zur Wirkung kommen. [. . .] Die Kirche feiert, weil sie glaubt. Doch ebenso glaubt sie auch, weil sie feiert.“48
Sequeri würde niemals mit solcher Unbekümmertheit davon sprechen, dass die Kirche „glaubt, weil sie feiert“! Doch Bonaccorso erreicht gerade durch die Unbekümmertheit eine Problemebene, die um so tiefer reicht, als sie Allgemeinplätze wie hohe Theoriebildungen ignoriert und vermeidet. Beide Ansätze weisen gleichermaßen – eher intuitiv – die Vorstellung zurück, es gebe zwischen Erfahrung und Sprache ein Einbahnstraßenverhältnis, als würde etwas Gelebtes und Gedachtes einfach danach ausgedrückt und ausagiert. Damit würde man – was auch weitgehend geschieht – von der Zweitrangigkeit des Expressiven und Aktiven gegenüber dem Willentlichen und Gedachten ausgehen. In Wirklichkeit verhalten sich die Dinge jedoch gerade anders, so dass die liturgisch-rituelle Feier für eine neue Fundamentaltheologie entscheidend ist. Es gibt keine Erfahrung ohne eine Sprache, die sie vermitteln kann, denn Erfahrungen macht man gerade nur dann, wenn man sie sprachlich ausdrücken kann. Die Erfahrung ist nicht einfach etwas Unmittelbares, das uns den Weg zu dessen sprachlicher Vermittlung zu gehen erlaubt, sondern auch die Spra48 Ebd., 20.
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che selbst ist etwas Unmittelbares, das uns eine vermittelte Erfahrung erschließt. Das gilt eindeutig auch für die religiöse Erfahrung, bei der der Bezug auf das gründende Geschehen (das Heilige) nicht in einer vermeintlich bezeichnenden und objektiven Sprache erfolgen kann, sondern nur in einer symbolischen Sprache: „Die Feier ist der Ort der Begegnung der religiösen Erfahrung, die sich aus dem gründenden Ereignis ergibt, und der symbolischen Sprache, die dieses Ereignis erschließt und seinen Sinn im Verlaufe der Geschichte wach hält.“49
Doch die religiöse Erfahrung bedarf der symbolischen Sprache wie des rituellen Handelns, eben einer speziellen Form von Praxis, mit rituellem Charakter. Die Dynamik des Heiligen entfaltet sich sowohl in ihrem Getrenntsein von als auch in ihrem Bezogensein auf das normale Leben. Das rituelle Handeln ist für das alltägliche Leben ein Moment der Krise und der Erneuerung. So wird es in der Feier explizit-effektiv gesagt wie getan: „Die Feier ist die Begegnung zwischen der religiösen Erfahrung, die eine Unterbrechung des normalen Lebens bedeutet, und dem rituellen Handeln, das diese Unterbrechung durch einen Trennungsprozess nachbildet. [. . .] Der Glaube existiert in der Form der Feier oder er existiert überhaupt nicht.“50
Wenn die Liturgie „nicht einfach eine Gelegenheit ist, den Glauben auszudrücken, sondern ein für seine Existenz unverzichtbarer Ort“51, wenn sie nicht nur fidei protestatio ist, dann ist die Notwendigkeit theoretischer Anstrengung deutlich, um den Glauben in der Weise zu beschreiben, dass er außerhalb seines Feierkontextes gar nicht existieren kann. Man wird darum sagen müssen, dass das Verhältnis von Glaube und Liturgie ein äußerst komplexes ist: „Der Glaube des Menschen ist die letzte Tat des Wortes Gottes und die Feier des Glaubens ist der Zielpunkt von Gottes Offenbarung. Das Wort Gottes bildet sich im Glauben mittels jener liturgischen Feier, in der die glaubende Gemeinschaft die Schrift liest und auf sie hört.“52
Die Feier ist demnach ein theologischer Ort im qualifizierten, unersetzbaren Sinne, weil hier die Beziehung zwischen Christentum und religiöser Erfahrung wie zwischen symbolischer Sprache und rituellem Handeln strukturell gegeben ist, so dass die elementaren Bedingungen für die Kommunikation des Heilsgeschehens und seine Weitervermittlung gewährleistet sind:
49 50 51 52
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
28. 44. 54. 87.
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„Die liturgische Feier konstituiert einen fundamentalen wie fundierenden ‚theologischen Ort‘ für das Glaubensbewusstsein der Kirche. Die rechte theologische Reflexion kann sich also mit anderen Worten nicht davon dispensieren, die Feiergestalt zu den eigenen Grundlagen zu zählen.“53
Es ist damit deutlich, dass Bonaccorso anders als Sequeri genau die umgekehrte Problematik beschäftigt. Entdeckte Sequeri den Ritus wieder, weil er vom Denken des Fundamentalen ausging, gelangt Bonaccorso an das Fundament, indem er von der Liturgie ausgeht. Man erkennt sofort, wie fruchtbar eine solche Pendelbewegung für die Entwicklung eines überzeugenderen und wirksameren theologischen Denkens ist. Die Reziprozität beider Ansätze führt in der Tat zu einer faszinierenden Affinität der Perspektiven. Es zeigt sich, dass die Reintegration von Ritual und Fundament für beide ein nicht nur wünschenswertes, sondern auch bereits angemessen verfolgtes Ziel darstellt.
11.3.3. Die theoretische Qualität des Ansatzes Es sind noch einige Bemerkungen zu der besonderen Art der Begriffsverwendung des Buches hinzuzufügen. Wenn auch für ein breiteres Publikum geschrieben, ist es doch besonders aufmerksam für Reflexionen, die den Leser zur begrifflichen Präzisierung nötigen. Es ist eines der wenigen Bücher auf dem Gebiet der Liturgik, die kontinuierlich „zu denken geben“ und damit implizit die vermerkte Affinität zur fundamentaltheologischen Arbeit erkennen lassen. Beispielhaft für diese begriffliche Mühe erscheint mir vor allem ein Abschnitt aus dem zweiten Teil, der die einzelnen Sakramente und Modalitäten (Raum, Zeit, Handeln) der Feier der christlichen Liturgie beschreibt. Als erstes Beispiel dafür verweise ich auf die originelle Behandlung der Eucharistie. Hier wird unter Infragestellung von einigen Allgemeinplätzen der jüngsten Sakramentenlehre mit Konsequenz die Voraussetzung der Untrennbarkeit von sacrum und sanctum entwickelt: „Es mag so scheinen, dass das Christentum das Opfer (sacrificium) von der Ebene des rituellen Handelns auf diejenige eines historischen Ereignisses transferiert. Genau betrachtet ist die Frage jedoch sehr viel komplexer. [. . .] Das Opfer ist sowohl Ereignis als auch Ritus, sowohl Geschichte als auch Feier, und in beiden Fällen ist es Zeichen der Gemeinschaft mit Gott.“54
Eine andere typische Stelle für diese Weise, der Liturgie nachzudenken, ist der schöne Beginn des der liturgischen Zeit55 gewidmeten Kapitels. 53 Ebd., 88f. 54 Ebd., 131f. 55 Vgl. ebd., 187–204.
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Die Behandlung der beiden üblichen liturgischen Themen dieses Bereiches (Stundengebet und liturgisches Jahr) beginnt mit einer allgemeinen Theorie der Zeit in der Liturgie von großer Kraft und begrifflichem Scharfsinn: „Für beide bildet das Verhältnis von Zeit und Liturgie den Ausgangspunkt. Ohne den Bezug auf die Zeit kann die Liturgie nicht verstanden werden. Betrachten wir die Sache unter dem Gesichtspunkt des christlichen Feierns, können wir zwei Aspekte des Zeit-Liturgie-Verhältnisses unterscheiden: Die Liturgie geschieht ‚in‘ der Zeit (die Liturgie hängt von der Zeit ab) und sie ist ‚eine‘ Zeit (die Zeit hängt von der Liturgie ab).“56
Typisch für die Ratio von Bonaccorsos Vorgehen ist diese Aufstellung allgemeiner und abstrakter formaler Modelle, die gleichwohl von phänomenologischen und anthropologischen Beobachtungen ausgehen. Das historische Ganze der liturgischen Tradition wird dann mit dem theoretischen Blick dieser Begriffspaare gelesen, wobei die Polarität der Begriffspaare in der Regel in ein tertium mündet, das die erreichte neue Ebene von Ritual und Feier darstellt. Was etwa die Zeit anbetrifft, so heben sich die lineare Zeit der Heilsgeschichte und die zirkuläre Zeit des Rituals gemeinsam auf in der unbestimmten Zeit des rituellen Ereignisses oder der Synthese von Ereignis und Ritus, wie dies im Hier und Jetzt der Feiergeschichte geschieht. Denn dabei kommt es zum „Aufgehen der heilsgeschichtlichen Ereignisse (wie sie in der Bibel berichtet werden) und der Rituale (wie sie in den liturgischen Texten beschrieben werden) im Ritualereignis der sich hier und jetzt vollziehenden Feier.“57
Die Maßeinheit der liturgischen Zeit ist der Sonntag, heißt es, und damit lässt sich die rhythmisierte Zeit dann folgendermaßen sehr schön beschreiben: „Der wöchentliche Rhythmus des Sonntags bestimmt die Zeit: das betrifft a) den begrenzten Zeitrhythmus zwischen den Wochen, wie er heute mit dem täglichen Gebet der Tagzeiten zusammenfällt, und b) den weiteren Zeitrhythmus über die Woche hinaus, wie er heute mit dem liturgischen Jahr zusammenfällt.“58
Die Strenge der logischen Entwicklung verbindet sich mit dem Bemühen, das spezifisch Anthropologische jeder Situation zu erfassen und damit die existenziellen Bedingungen, auf deren Hintergrund eine theologische Theorie der christlichen Zeit zu entwerfen ist: „Die Haltung des Betens ist eine Art und Weise, die Zeit zu begehen, eine Form, jene Bedeutung zu erschließen, die sich hinter der Alltagsrealität verbirgt als die ‚Heiligkeit‘ dieser Realität.“59 56 Ebd., 187. 57 Ebd., 192. 58 Ebd., 193.
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Weiter wird im Zusammenhang der Überlegungen zum Begriff „liturgischer Raum“ die bereits formulierte Polarität wieder aufgenommen und unterstrichen, dass der Mensch nicht darauf beschränkt ist, einen Raum zu haben, sondern dass er auch Raum schafft: „Die Liturgie ‚hat‘ zunächst einen Raum. Vor allem aber ‚ist‘ sie ein spezifischer Raum, der zur Seinsweise der Feier gehört.“60
Ähnlich prägnant und treffend wird dann eine überzeugende Analogie von liturgischer Zeit und liturgischem Raum im Hinblick auf das jeweilige Zentrum aufgezeigt: „Der Altar ist also für den liturgischen Raum das, was für die liturgische Zeit die Woche ist: [. . .] er ist das Zentrum des Tempels (wie der Sonntag das Zentrum des liturgischen Jahres ist). Er ist weiter das primäre räumliche Symbol des eucharistischen Sakraments (wie der Sonntag das primäre zeitliche Symbol des eucharistischen Sakraments ist).“61
Insgesamt bestätigt auch diese besondere Art des Vorgehens, die liturgische Realität auszuloten, in ihrer zugleich sehr genauen und freien, abstrakten wie lockeren Art, die fundamentaltheologische Herausforderung, der die liturgische Arbeit unterliegt. Diesem ersten methodischen Aspekt müssen wir jedoch sofort einen anderen, vielleicht noch wichtigeren hinzufügen. Damit ist die Tatsache gemeint, dass die grundlegende Struktur von Bonaccorsos Werk nicht weniger bedeutet als die Umkehr der Prioritäten, nach denen die Liturgie traditionell behandelt wird. In der Regel begannen die Überlegungen zur Liturgie mit dem „Wie“ (mit einer Analyse der Riten), dann folgte das „Was“ (ihr theologischer Gehalt), um schließlich das „Warum“ zu entfalten (mit anthropologischen und philosophischen Überlegungen zum Ritus). Bonaccorsos Buch stößt diese Ordnung um, indem er mit dem „Warum“ beginnt, dann zum „Was“ kommt und mit dem „Wie“ endet. Gewiss ist er nicht der Erste, der so vorgeht, vielleicht aber ist er der Erste, der das Ganze mit der nötigen Konsequenz durchgeführt hat, ohne zwischen Grundlegung und Entfaltung Zensuren verteilen (was sich allzu oft bei der anthropologischen „Runderneuerung“ von theologischen Begriffen negativ auswirkt). Bonaccorso ist sich völlig bewusst, dass es sich nicht darum handeln kann, theologisch bereits geklärte Begriffe in die heutige Kultur zu übersetzen, sondern vielmehr darum, die den Menschen (und damit auch den Theologen) von heute gemeinsame Kultur zu verwenden, um das Verhältnis von Glaube, Kultus und Ritual in seinem Gehalt radikaler und tiefer verstehen zu können. Gerade darum ist es ihm gelungen, die Liturgie in eigenständiger Weise zu denken, weil
59 Ebd., 195. 60 Ebd., 205. 61 Ebd., 212.
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er die von ihr gestellten Bedingungen akzeptiert hat: Sie kann eben nicht in erster Linie gedacht, sondern sie muss getan, nämlich rituell getan werden. Es ist ein großes Verdienst des Denkens, wenn es den Weg der Selbstbeschränkung geht und etwas als unterschieden von sich selbst erkennt. Gerade eine solche Arbeit, die sich nicht in der bloßen Übersetzung erschöpft, sondern systematische Reflexionen über die ursprüngliche Einheit von Glaube und Kultur bzw. von Glaube und Kultus anstellt, ohne in irgendeine Nostalgie zu verfallen, ist für mich eine Form von Nachdenken über den Glauben, die ich nicht anders als ein fundamentaltheologisches Arbeiten zu bezeichnen weiß. 11.4. Verheißungsvolle neue Perspektiven Auch wenn Sequeri und Bonaccorso entgegengesetzte Ausgangspunkte wählen, heben sich beide vom gegenwärtigen theologischen Umfeld dadurch ab, dass sie sowohl die Scylla systematischer Selbstgenügsamkeit als auch die Charybdis eines Primats der Liturgie vermeiden. Beide schlagen vielmehr den hindernisreichen, aber gebotenen Weg ein, Wissensformen miteinander ins Gespräch zu bringen, die ursprünglich mit verschiedenen Methoden und divergierenden Perspektiven konzipiert wurden, die aber heute darin konvergieren, die Vernunft des Glaubens ohne einschränkende Vorurteile und ohne magische Formeln zum Ausdruck zu bringen. Beide zeigen singuläre Konvergenz von theologischem Auftrag und anthropologischem Vorgehen, so dass sie die traditionelle Opposition von Glaube und Religion weitgehend hinter sich lassen. Der Erkenntniszuwachs, den wir bei aller Vorläufigkeit aus dem weiten Feld heutiger theologischer Arbeit hervortreten sehen konnten, gibt dem Studium der Liturgie die Würde einer weder isolierten noch marginalen Disziplin zurück, so dass dieses weder an einem Überlegenheits- noch an einem Unterlegenheitskomplex leidet, sondern sich dazu aufgefordert weiß, grundlegend an der Erarbeitung eines überzeugenden Denkens des Glaubens mitzuwirken. Nicht zufällig wusste dieser fruchtbare Austausch einen neuen Forschungszusammenhang hervorzubringen, der heutzutage die liturgische Theologie und die Fundamentaltheologie in einer gemeinsamen Annäherung heranzieht und miteinander verbindet. Unter diesen Umständen kann ich nur wiederholen, was M. Festugière schon 1913 sagte, nämlich dass „die Sache der Liturgie jeden Tag an Boden gewinnt.“ Es ist jedoch klar, dass der intellectus fidei heute genötigt ist, sich primär um die Reintegration des Ritus in die Grundlagenprobleme christlich-religiöser Erfahrung zu kümmern, die unter der Thematik von Offenbarung und Glaube behandelt werden. Für die künftige Theologie ist damit ein wirklicher intellectus fidei nicht mehr ohne einen profunden intellectus ritus möglich. Das scheint 223
mir die Konsequenz aus dieser kurzen Untersuchung zu sein. Die von uns analysierten Texte leisten bei der Aufgabe einer rituellen Einsicht im Dienste des Glaubens einen wichtigen Beitrag. Aufgrund der sprachlichen und kategorialen Grenzen, für die die liturgische Theologie und die Fundamentaltheologie zugleich die Verantwortung tragen, wie sie auch deren Opfer sind, können wir uns heute nur bescheiden, aber hinreichend bemühen, zu einer Bedeutung vorzustoßen, die diesen so sorgfältigen Überlegungen und Studien entspricht.
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12. KAPITEL
Neue Ansätze zum Verhältnis von Theologie und liturgischem Ritus Der christliche Ritus [. . .] wahrt durch seine Form die Transzendenz Gottes auf eine andere Weise. P. Sequeri1
Am Ende des Weges gilt es den Ertrag der hinter uns liegenden Etappen zu sichern. Wir konnten die Ursprünge und die weitere Entwicklung eines neuen Interesses für die Liturgie ausmachen. Zunächst stießen wir auf das Moderne der liturgischen Frage und wurden dann Zeugen der Herausbildung einer selbstständigen Disziplin, der liturgischen Theologie, die heute Klärungen an zwei Fronten nötig hat: a) erstens geht es um das Verhältnis zu den Humanwissenschaften; b) zweitens geht es um das Verhältnis zu den anderen theologischen Disziplinen. Die jetzige Phase – die wir damit als die dritte Phase der Liturgischen Bewegung bezeichnen können – erfordert einerseits eine konsequent theologische Methode, die dem Geist der ersten Zeugen treu zu bleiben weiß; sie erfordert aber auch ein immer breiteres Bündnis mit der gesamten wissenschaftlichen Theologie. Dialog mit der Kultur und Dialog mit der Theologie sind heute die Leitlinien, unter denen die liturgische Frage in der postmodernen Welt in neuer Weise gestellt werden kann.
12.1. Zwischenbilanz der aktuellen liturgischen Theologie Ein aufmerksamer Beobachter der zurückliegenden Entwicklungen in der liturgischen Theologie hat vor einigen Jahren das folgende beachtenswerte Urteil gefällt: „Um die liturgische Theologie wissenschaftlich zu begründen und zu legitimieren, ist vor allem ein vertiefter Blick auf die Bedingungen der Möglichkeit erforderlich, unter denen sich das Paschamysterium in der Ritualität vollzie1 P. Sequeri, Il Dio affabile, Brescia 1996, 768.
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hen kann. Es gilt die Gründe dafür wahrzunehmen, dass wir nicht ohne rituelle Vermittlung auskommen, wenn wir Zugang zum Mysterium finden wollen. Das ist die Aufgabe, die wir als die fundamentalliturgische bezeichnen können. Die Behandlung der Liturgie im Allgemeinen muss also eine allgemeine Behandlung der Sakramente einschließen.“2
Diese Bilanz gegenwärtiger liturgietheologischer Theoriebildung hat einen deutlichen Vorteil: Sie erkennt die zentrale Vermittlerrolle des Ritus für das Verständnis des Gottesdienstes. Dabei kommen de facto recht verschiedene Neuansätze zur Geltung. Diese sind zwar noch ein wenig unbestimmt, aber auch offen für neue Wahrnehmungen und interessante Perspektiven: a) Die anthropologische Dimension der liturgischen Frage wird aufgegriffen. Dabei wird generell ein doppeltes Moment von liturgiewissenschaftlicher Kompetenz angenommen, nämlich das anthropologische Moment (die Fundamentalliturgik) und das theologische Moment (die spezielle Liturgik); b) es wird eine „Fundamentalliturgik“ vorgeschlagen und damit eine radikale Verschränkung von Liturgie und Fundament angenommen, auch wenn dies durch ein sektorielles Denken wieder eingeschränkt und auf die Frage verzichtet wird, wie sich das liturgische Fundament und das Fundament überhaupt zueinander verhalten; c) diese Überlegungen werden der traditionellen Thematik „de sacramentis in genere“ übergeordnet; dadurch wird auf die wichtige Aufgabe der Verbindung mit der Sakramentenlehre verwiesen, womit sich die liturgietheologische Reflexion beschäftigen sollte; d) die Behandlung des eigentlich Theologischen wird auf die spezielle Liturgik, auf den Bereich des Positiven und des Spekulativen beschränkt. Es handelt sich also um eine Mittelposition, die sowohl den „Panliturgismus“ als auch die ausschließlich anthropologische Position zurückweist. Die letztere wird dabei von einer Konzeption abgelöst, die einen genau abgegrenzten Bereich für die anthropologische Ritualforschung kennt. Die Überlegungen zum epistemologischen Status der liturgischen Theologie nehmen einige der Bestrebungen auf, die seit den achtziger Jahren in einer Art liturgietheologischer Kohärenz vorgebracht wurden. Trotzdem bleibt das Profil der liturgischen Theologie bei dieser Rezeption zwiespältig. Der Riss zwischen dem anthropologischen und dem theologischen Moment3 – darauf haben wir mehrfach hingewiesen – läuft 2 M. Augé, La teologia liturgica, in: G. Lorizio/N. Galantino (Hg.), Metodologia teologica. Avviamento allo studio e alla ricerca pluridisciplinari, Cinisello Balsamo 1994, 240–251: 245. 3 Vgl. P. Fernandez, Liturgia y teologia: una cuestión metodológica, in: Ecclesia orans 6 (1989), 261–283.
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auf derart scharfe Profilierungen hinaus, dass die Hoffnung auf ein mögliches Miteinander schwindet. Wir kommen noch einmal auf die einzelnen angesprochenen Punkte zurück, versuchen diese einer Klärung näher zu bringen und leiten dann zu abschließenden Betrachtungen über. 1) Die lange Phase, in der das anthropologische Moment des liturgischen Bedeutungshorizontes zu Bewusstsein kam, darf nicht mit der Trennung der anthropologischen und der theologischen Ebene enden. Es kann sich dabei im Gegenteil nur um eine Vorstufe handeln, um eine vorläufige Zuordnung, die später einer Sicht von Sakrament und Liturgie weicht, bei der die fundamentale Einheit von Anthropologie und Theologie erkennbar wird. Das Verhältnis von Anthropologie und Theologie ist das eigentliche Thema bei der Berücksichtigung anthropologischer Faktoren im Hinblick auf das Liturgieverständnis. Eine völlige Scheidung zwischen dem Anthropologischen und Theologischen, zwischen (anthropologischer) Transzendentalität und (theologischer) Kategorialität nähme den Bemühungen um eine liturgische Theologie praktisch ihre Wirkung, weil man so immun gegenüber den anthropologischen Einsichten wäre und in einem Verständnis, das sich den anthropologischen Einsichten und Reflexionen nicht wirklich öffnet, ängstlich gefangen bliebe. Methodisch ist darum bei der Aufgabenbeschreibung der liturgischen Theologie die folgende Zielvorstellung hilfreich: „Zu einem ‚Verständnis des Sinnhorizontes‘ des christlichen Kulthandelns vordringen bedeutet: Eine Theologie der ‚christlichen Feierpraxis‘ kann nicht auf die wissenschaftliche Thematisierung der ‚rituellen Praxis‘ verzichten – und zwar gerade aufgrund des darin enthaltenen Fundamentalen nicht; sie kann nicht die Frage vernachlässigen, ‚warum‘ das Feiern in Ritualen notwendig ist, um in Kontakt mit Gott zu kommen; sie muss das ‚Paradox‘ auflösen, nach dem Jesus zwar den Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit gebietet, aber seine Gabe und sein Testament dennoch in ein Ritual bringen ‚muss‘, um es den Seinen anzuvertrauen.“4
2) Die Idee einer Fundamentalliturgik ist ein deutliches Kennzeichen für die zunehmende Auseinandersetzung mit der Moderne in allen theologischen Disziplinen: Nach einer fundamentalen Systematik und fundamentalen Moraltheologie kommt es nun auch zu einer Fundamentalliturgik.5 Doch diese Entwicklung verlangt ebenfalls fundamentale Reflexionen. Die Tatsache, dass jede Disziplin ein eigenes und besonderes Fundament ausbildet, stellt für die Theologie auch ein Problem 4 A. Catella, Introduzione generale, in: Celebrare il mistero di Cristo, Rom 1993, 13–18: 17. 5 Bedenkenswerte Überlegungen zur „Fundamentalisierung“ der Theologie im Allgemeinen (und der Sakramentenlehre und Liturgik im Besonderen) finden sich auch bei G. Colombo, Teologia sacramentaria e teologia fondamentale, in: Teologia 19 (1994), 238–262.
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dar. Eine Liturgik, die sich selbst, unabhängig von einer allgemeinen Fundamentaltheologie, begründen wollte, würde sich letztlich zur Selbstisolation verurteilen.6 Das Fundamentale der Liturgik muss vielmehr zusammen mit einer allgemeinen Fundamentaltheologie bestimmt werden können. Das führt dann eindeutig zu einer Veränderung des traditionellen Stils in der Fundamentaltheologie, die von der Logik des Sakraments und des Symbols herkömmlicherweise gleichermaßen entfernt war. 3) Dass die Fundamentalliturgik den Gegenstandsbereich der allgemeinen Sakramentenlehre („de sacramentis in genere“) zu ersetzen habe, ist dabei aber keine zwingende Schlussfolgerung. Sicher gibt es manche Notwendigkeit für eine radikale Revision auch der allgemeinen Sakramentenlehre. Das kann aber nicht automatisch zur Ersetzung der eigentlichen sakramentstheologischen Zuständigkeiten führen. Damit scheint mir weiterhin eine Position gerechtfertigt zu sein, derzufolge – obwohl der Name der neuen Disziplin ja liturgische Theologie lautet – eine Aufgabenteilung zwischen Liturgik und Sakramentenlehre anzunehmen7 und die Grenze im Lichte der neuen modernen wie postmodernen Bedingungen der Kultur neu zu bestimmen ist. Bei dieser in jeder Hinsicht legitimen Verteidigung des Rechtes der Sakramentenlehre gegenüber der Liturgik hält sich bisweilen die Vorstellung, dass das spekulative Moment der Sakramentenlehre und das praktische der Liturgik zuzuschreiben ist. Es gilt jedoch die Einsicht im Blick zu behalten, dass die Wiederentdeckung des rituellen und kultischen Moments der Sakramente gerade einer Betrachtung widerspricht, die das Spekulative allein in der Sakramentenlehre und das Praktische allein in der Liturgik sieht, wobei de facto die entscheidende Krise überspielt wird, die das Sakrament für jede rein apriorische Rekonstruktion der Theologie bedeutet.8 4) Schließlich leidet auch die Unterteilung in fundamentalliturgische und übrige liturgische Fragen unter dem allgemeinen Riss zwischen Transzendentalität und Kategorialität. Das führt letztlich zu einer Isolierung des Anthropologischen vom Theologischen und trägt zu einer wirksamen Öffnung der Theologie für die Logik von Ritus und Gottesdienst wenig bei. Auch aufgrund dieser Bilanz ergibt sich für die von uns definierte dritte Phase der liturgischen Bewegung eine doppelte Aufgabe, die der heutigen liturgischen Theologie zur Lösung aufgegeben ist. Die Frage bezieht sich also auf zwei Bereiche: 6 Zur vertiefenden Einführung in diese Fragestellung vgl. A. Grillo, Teologia fondamentale e liturgia, Padua 1995, 1–16. 7 Vgl. S. Ubbiali, Liturgia e sacramento, in: Rivista liturgica 75 (1988), 297–320. 8 Noch Ubbiali liegt m. E. voll auf einer Linie mit der rekonstruktiven Bedeutung bei der Wiederentdeckung des rituellen Aspektes in der Beziehung von Liturgie und Sakrament.
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a) der erste umfasst das Verhältnis von liturgischer Theologie und Humanwissenschaften, um zu einer angemesseneren Bestimmung des Rituals als Thema der liturgischen Theologie zu kommen; b) der zweite hingegen beschäftigt sich mit dem Verhältnis der liturgischen Theologie zu den anderen theologischen Disziplinen und thematisiert die Auseinandersetzungen, die die liturgische Theologie mit der wissenschaftlichen Theologie im Allgemeinen zu führen hat. Der Klärung dieser beiden Fragestellungen von heute und morgen sind die letzten Schritte des von uns noch zurückzulegenden Weges gewidmet.
12.2. Die Bedeutung des Ritus für das Verständnis von Gottesdienst und Glaube In der neuen liturgietheologischen Phase ist, wie wir mehrfach sehen konnten, die Auseinandersetzung mit der Anthropologie und mit der verbleibenden Theologie gefordert. Der Ritus hat dabei jedoch immer mehr zum eigentlichen Thema des Liturgietheologen zu werden. Das Unverständnis für den Ritus muss für das Schlüsselproblem bei der modernen Wiederentdeckung der Liturgie gehalten werden. So oft diese Einsicht auch im akademischen oder praktischen Zusammenhang wiederholt wurde, ist sie dennoch im aktuellen theologischen Bewusstsein bisher nicht zum Durchbruch gekommen. Was das Thema des Ritus angeht, sind die Reaktionen leicht skeptisch oder übertrieben kritisch. Wenn man vom Ritual spricht, hört der Gesprächspartner „Ritualismus“, „Zeremonie“, „Formalität ohne Leben“, „reine Äußerlichkeit“. Es lohnt darum die Mühe, auf einige dieser negativen Sichtweisen einzugehen, um erst dann zu den Motiven zu kommen, die zu einer Reintegration des Ritus in das Fundament des Glaubens führen können.
12.2.1. Der Ritus als Verlust von theologischer Reinheit Im Folgenden möchte ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige exemplarische und maßgebliche Zeugnisse anführen für jenes „unselige Bewusstsein“, das das theologische Denken in den letzten Jahrzehnten von den rituellen Bezügen ferngehalten hat. Faktisch ist die Theologie von einer Aufteilung der Zuständigkeiten ausgegangen: In das Gebiet der Anthropologie fielen die rituellen Strukturen, wobei diese jedoch ihrer Bedeutung beraubt wurden (d. h. sie wurden als bloße Form menschlicher Selbstinterpretation und nicht mehrperspektivisch betrachtet); der Theologie kam der Inhalt des Glaubens ohne Reflexion auf die gegebenen Strukturen zu. Dadurch hat die Theologie unter der Hand immer stärker die Perspektive der ihr entgegengesetzten Anthropologie übernommen. 229
Die Theologie drohte damit (und droht weiterhin) auf anthropologische Sichtweisen zurückzugreifen, um die eigenen Riten zu reflektieren und die Zuständigkeit (bzw. Inspiration) nur insofern zu beanspruchen, als sie über die Riten hinausgeht. Im Grunde erscheint es so, als sei der Anthropologie der große Coup gelungen, der Theologie – für deren Gegenstandsbereich! – die eigenen Kategorien aufzuerlegen. Es scheint, als hätte die Theologie zum großen Teil auf letztlich ungeeignete Begriffsbildungen zurückgegriffen, um den Ausgangspunkt ihres eigenen Redens festzulegen. Man hoffte das Nachdenken über die christliche Liturgie dadurch wieder zu beleben, dass man die Frage nach dem Ritus durch die Frage nach dem Ereignis ersetzte und eine Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Erlösung traf und die Frage nach dem liturgischen Akt auf das Ereignis und seinen Gehalt konzentrierte.9 Diese Tendenz findet sich heute selbst in Entwürfen von großem Engagement und tiefer Gelehrsamkeit. Auch dort wird bei der Interpretation der Sakramente und des christlichen Ritus vielfach eine Antithese zwischen Anthropologie und Theologie vorausgesetzt, die einen zutiefst ratlos macht. Als Beleg mögen einige neue Gesprächsbeiträge dienen, die zwar nach Umfang und Haltung verschieden, aber in der Abweisung jeder eigentlichen anthropologischen Reflexion vergleichbar sind, weil sie diese als Abfall von der theologischen Arbeit betrachten. In einem ersten Fall insistiert G. Colombo10 auf der Ursprünglichkeit der ekklesiologischen und eucharistischen Grundlegung, womit eine 9 Eine deutliche Absage an diese Tendenz ist durch Casels Mysterientheologie gegeben. Zu ihren wichtigsten Verdiensten gehört, dass sie mit dem Begriff des „Kultmysteriums“ die Untrennbarkeit von Ereignis und Ritual, von objektiver und subjektiver Erlösung, von Realisierung und Feier des Mysteriums bekräftigt hat. 10 Es geht um die von G. Colombo verfasste Einleitung zu G. Moioli, Il quarto sacramento. Note introduttive, Mailand 1996, IX–XLIV. Dort findet sich ein Einteilungsschema, nach dem sich in der aktuellen Sakramentenlehre drei verschiedene Formen erkennen lassen: (a) die ekklesiologische und christologische, ursprünglich auf Rahner bezogene Erneuerung; (b) die Ablösung von der ekklesiologischen Betrachtung, verbunden mit einer konsequenten anthropologischen Wende, die durch die Herausforderung bedingt ist, „dem Sakrament eine unmittelbare Einsicht zuzuschreiben und dieses von seiner einseitig ekklesialen Identität zu befreien, um es in eine allgemeinere Ritual- und Symbolkonzeption einzufügen“ (XXII); (c) die Radikalisierung dieser Tendenz, die mit der Befreiung von jeglicher metaphysischen, übergeordneten Bestimmung verbunden ist und die als Zeichen der postmodernen Wende der Sakramententheologie gelten kann (und als deren wichtigster Urheber Chauvet anzusehen ist). Der Vorwurf gegenüber dieser Denkweise, sie „löse die Sakramentenlehre in Anthropologie auf“, vermag das rituelle Element nur unter der verfälschenden Perspektive plötzlicher anthropologischer Vereinnahmung im 19. Jahrhundert zu begreifen. So heißt es etwa: „Die Idee, die allgemeine Sakramentsforschung [. . .] direkt in die Anthropologie zu verlagern und von der Ekklesiologie und Eucharistie zu ‚dislozieren‘, als wären diese irrelevant bzw. nicht von unmittelbarer Wichtigkeit, bleibt ungehörig und abwegig. Was die Art des Vorgehens angeht, ist zwar ein deutlicher Rückgang dieser einseitigen Tendenz, die Sakramentenlehre in die Fundamentaltheologie aufzulösen, zu erkennen; umso radikaler aber ist der pseudomoderne Gestus, der reichlich naiv die Erneuerung der theologischen Forschung mehr im Zentrum der Kultur als in der kritischen Treue zu Offenbarung und
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anthropologische Grundlegung der Sakramentenlehre unmöglich sei. Diese Unmöglichkeit ergibt sich für ihn gerade aus der Abhängigkeit des anthropologisch-apologetischen Ansatzes vom theologischen. Doch damit übersieht Colombo den eigentlichen Sinn des Bezuges auf den Ritus, wie ihn die jüngste Theologie erfasst hatte. Kurioserweise kann er die Gleichung „Ritus = Mensch“ aufstellen. Das ist jedoch eine inakzeptable Sichtweise und Symptom einer in den eigenen Vorurteilen gefangenen Theologie.11 Dass der Ritus lediglich eine Ausdrucksform des Menschen ist und Christologie und Ekklesiologie durch ihn entleert werden, ist das Urteil eines Denkens, das de facto nur schlechte antitheologische Traditionen bekräftigt. Man übernimmt die Sichtweise des Gegners, um sich unangreifbar zu machen, und endet bei einer Selbstdemontage. Das große Verdienst der zweiten anthropologischen Wende ist es hingegen, dass man hier – ganz anders als während der anthropologischen Wende der sechziger Jahre – verstanden hat, dass das Thema des Ritus dem modernen anthropologischen Bewusstsein äußerst fern liegt und provokativ ist. Obwohl Colombo dies richtig sieht, indem er den fundamentalen Wandel der Sakramentenlehre erfasst, verfehlt er den entscheidenden Punkt, wenn er den Sakramenten treu bleiben und darum von ihrer rituellen Natur nichts wissen will. Indem er Anthropologie und Theologie gegeneinander ausspielt, bleibt er letztlich in eben jener Falle gefangen, vor der er die anderen warnen will. Diese letzten Äußerungen von Colombo ähneln in mancher Hinsicht dem, was wir bereits bei S. Marsili12 finden konnten. Die Überwindung solcher liturgischer und sakramentstheologischer Widerständen, die sehr breit und tief verwurzelt sind, findet sich in den Werken von Sequeri und Bonaccorso und darüber hinaus schon in den Grundannahmen von Festugière, Guardini und Casel. Damit ist ein großes Spektrum von Möglichkeiten gegeben.
christlicher Tradition sucht.“ (XLIII) So gelingt es nicht, das Abgleiten in die naive Ansicht zu vermeiden, man könne sich in kritischer Treue zur Offenbarung verhalten und dabei eine Position außerhalb aller Kultur beziehen – als redeten Kirche und Eucharistie vor jeglicher rituellen Feier des Sakraments zu uns – und nicht vielmehr durch diese und in dieser! 11 Dass es sich beim Ritus gerade um etwas handelt, das nicht einfach auf den Menschen reduzierbar ist – dies ist die große, mit der neuen Theologie gegebene Entdeckung, durch die die Anthropologie in einem ganz neuen Licht erscheinen kann, nämlich als jene Disziplin, die der Theologie die Verbindung mit dem Differenten und der Andersheit lebendig zu erhalten erlaubt. 12 S.o. Kapitel 8.
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12.2.2. Der Ritus als Datum theologischen Denkens Wie sich die Schwierigkeiten mit dem Ritus nicht nur bei Nicht-Liturgikern finden, so plädieren auch nicht nur die Liturgiker im engen Sinne für die Rehabilitierung des Ritus und seiner Funktion. Die fundamentalen Reflexionen zum Ritus, die erst in den letzten Jahrzehnten begannen und wie gesehen in den Werken von Sequeri und Bonaccorso einen Höhepunkt an Theologizität und Aktualität fanden, haben ständige und starke Aufmerksamkeit gefunden. Schon mehrfach haben wir von der Wiederentdeckung des Feierns13 bei den aufmerksameren Liturgiewissenschaftlern gesprochen. Große Aufmerksamkeit für den Ritus gab es aber auch im systematischen und moraltheologischen Bereich. Die dort gemachten Feststellungen zeigen ein neues Interesse und klareres Bewusstsein für das Fundamentale des Ritualbezuges im Hinblick auf das Verständnis des christlichen Glaubens. Das gilt zum Beispiel für G. Angelini: „Der bleibende Graben zwischen der kulturanthropologischen (bzw. psychosozialen, psychoanalytischen u. a.) Beschäftigung mit dem Ritus und der theologisch-liturgiewissenschaftlichen Forschung dazu stellt meines Erachtens eine der größten Fehlentwicklungen für die letztere dar. Der Graben kann nur unter der Bedingung überwunden werden, dass die Theologie selbst eigentliche philosophische Überlegungen zum Ritual in sich aufnimmt.“14
Sollte der Leser von der erstaunlichen Ähnlichkeit dieses Konzeptes der grundlegenden Verbindung von Theologie und Anthropologie überrascht sein, genügt der Hinweis, dass auch Sergio Ubbiali eine Relektüre der Sakramentstradition vorschlägt, die die neue Relevanz des Ritus für das Verständnis von Gestalt und Funktion des Sakramentes berücksichtigt: „Die Beschreibung der Natur des Sakramentes auf der Ebene des Ritus bedeutet keinesfalls den Abschied von der theologischen und christologischen Lektüre des Sakramentes. Der theologische Gesichtspunkt ist vielmehr objektiv mit der Beschreibung und Interpretation des anthropologischen Momentes verbunden. Von daher ist der Ausgangspunkt kraft der Tatsache gegeben, dass sich die Bejahung durch Gott mit dem Glauben identifiziert und dass dieser einen eminenten Freiheitscharakter besitzt.“15
13 Vgl. A. Catella, Dalla costituzione conciliare „Sacrosanctum Concilium“ all’enciclica „Mediator Dei“, in: La „Mediator Dei“ e il Centro di Azione Liturgica, Rom 1998, 11–43 sowie S. Maggiani, Art. „Rito/riti“, in: D. Sartore/A. M. Triacca (Hg.), Nuovo dizionario di liturgia, Mailand 1988, 1223–1232. Zu dieser Frage haben F. Brovelli, G. Bonaccorso und R. Tagliaferri viel gearbeitet. 14 G. Angelini, Teologia della predicazione: quando l’omelia ha assolto il suo compito (= Theologie der Predigt: Zur Lösung der homiletischen Aufgabe): A. Catella (Hg.), L’omelila: un messagio a rischio (= Die Homilie und die Gefährdung ihrer Botschaft), Padua 1996, 149–171: 158f. 15 S. Ubbiali, Il simbolo rituale e il pensiero critico: Per una teoria del segno sacramentale, in: A. N. Terrin (Hg.), Liturgia e incarnazione, Padua 1997, 251–284: 277.
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Das Durchgängige der zusammengestellten Hinweise und die große Konvergenz mit dem hier Ausgeführten können uns nicht unbeeindruckt lassen. Auf den verschiedenen Gebieten theologischer Arbeit finden sich gewisse gemeinsame Zielvorstellungen, die sich immer stärker im Bereich der rituellen und liturgischen Erfahrung bewegen.16
12.3. Die neuesten Entwicklungen im Fach Liturgik Neben den Stimmen, die die zentrale Kategorie des Ritus auf unterschiedlichem Hintergrund hervorheben wollen, um zu einem umfassenden Verständnis der liturgisch-sakramentalen Dimension des christlichen Glaubens zu gelangen, sind auch neue Arbeitsbereiche im Entstehen, denen es um die spezifisch theologische Natur der Liturgie geht. Die Grenzverschiebungen der Disziplin hängen mit den Tendenzen zusammen, die wir im Zusammenhang der hier präsentierten Beiträge aufzeigen konnten. Die Wiederentdeckung des Ritus führt zu seiner Reintegration in die Grundlagenreflexionen des Glaubens und damit auch zu einer substanziellen Neubesinnung auf das Verhältnis zur übrigen Theologie. Im Folgenden seien einige der wichtigsten Stimmen genannt, die für dieses Neue stehen: a) Die Verwendung besonderer phänomenologischer und semiotischer Methoden kennzeichnet ein neues Interesse für Zeichen und Symbol, wobei der Bezug auf den Ritus zu einem tragenden Element wird, um dem liturgischen Handeln Sinn zu verleihen;17 b) die linguistische Analyse des Performativen erlaubt ein neues Verständnis der christlichen Sakramente, bei dem Theologie und Humanwissenschaften gemeinsam vorgehen – ohne Entgegensetzung, sondern mit wachsendem Bewusstsein für den Ritus als „Begegnungsformen der Freiheit“18; c) die Überlegungen zur Wirksamkeit der Sakramente können zu einer Neubestimmung von Ausdrucksweisen führen, die von der Tradition z. T. überzogen wurden (wie z. B. das ex opere operato), so dass diese für das gegenwärtige Denken und Handeln neu zugänglich werden, wie etwa durch kulturanthropologische Überlegungen und durch den Begriff der „rituellen performance“;19 16 Zu diesem Thema vgl. die verschiedenen Beiträge in dem Band: Liturgia: itinerari di ricerca. 17 Vgl. G. Bonaccorso, Introduzione allo studio della liturgia, Padua 1990, vor allem den zweiten Teil. 18 Vgl. L. Girardi, „Conferma le parole della nostra fede.“ Il linguaggio della celebrazione, Rom 1998. 19 Vgl. A. Dal Maso, L’efficacia dei sacramenti e la „performance“ rituale. Ripensare l’ „ex opere operato“ a partire dall’antropologia culturale (= Die Wirkung der Sakramente
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d) die philosophischen Überlegungen zur Liturgie schließlich haben ihren besonderen Ausdruck in dem Versuch einer komplexen Neubestimmung gefunden, der eine hohe Sensibilität für das Modell von Vernunft und Erfahrung aufweist, wie es mit dem rituellen Handeln gegeben ist und aus diesem hervorgeht.20 Die angezeigten und in den allerletzten Jahren erschienenen Werke bestätigen deutlich die Tendenz einer immer stärkeren Durchdringung von Anthropologie und Theologie, um die Aufgabe eines intellectus fidei voranzutreiben, die der liturgischen Theologie gestellt und für sie besonders charakteristisch ist.
12.4. Erste und zweite anthropologische Wende Die neue Aufmerksamkeit der am weitesten reichenden Studien findet sich auch in den pastoralliturgischen Bemühungen wieder, die die Notwendigkeit einer zweiten anthropologischen Wende markieren. Gewiss ist es im 20. Jahrhundert zu einer anthropologischen Wende der Theologie gekommen, die in der katholischen Theologie zu einer neuen Besinnung auf die Bedeutung des Menschseins geführt hat. Der große Ertrag der Arbeit mehrerer Theologengenerationen war jedoch von der Notwendigkeit bestimmt, das traditionelle theologische Erbe neu zu fassen, weil man sich dem Menschen in seinen modernen kulturanthropologischen Dimensionen gegenübersah. Als Gesprächspartner dieser Theologie fungierte mehr die Philosophie, weniger der Mensch als solcher, und zwar in der Regel mehr die Philosophie des 18. und 19. als die des 20. Jahrhunderts. Dies verband sich mit einem anthropologischen Selbstverständnis, das sich stärker an den Wahrnehmungen der Kirchenväter als am Selbstverständnis der Gegenwart orientierte. Die neue Öffnung wurde durch die Vertiefung in die ersten Jahrhunderte der Kirche und das Mittelalter ermöglicht; erst daraus ergab sich dann die Herausforderung der Interpretation (statt der Verdammung) des zeitgenössischen Menschen.21 und die rituelle „performance“. Zur Neubestimmung des „ex opere operato“ in kulturanthropologischer Sicht), Padua 1999. 20 Vgl. S. Rouvillois, Corps et Sagesse (= Körper und Weisheit). Liturgiephilosophie, Paris 1995. Eine erste Bewertung des Textes und seiner Verbindungen mit dem aktuellen theologischen Kontext findet sich in: A. Grillo/J.-P. Lombart, Per una filosofia della liturgia. Intorno ad un recente libro di Samuel Rouvillois, in: Ecclesia orans 15 (1998), 115–124. 21 Einleuchtend erscheint mir die kleine, von Sequeri skizzierte Geschichte der ersten anthropologischen Wende zu sein (P. Sequeri, Il Dio affidabile, Brescia 1996, 93ff), in der er darauf hinweist, dass das Interesse für den Menschen viel stärker mit den „religiösen Fragen der separierten Vernunft und nicht mit der anthropologischen Vertiefung des Offenbarungsglaubens“ zusammenhängt (94).
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Diese anthropologische Wende war zwar nur die erste, aber sie war ein wirklicher Segen. Und doch ist sie aus heutiger Sicht völlig unzureichend, weil sie das Problem in der Regel nur umkehrte, anstatt es zu lösen. Zwar hat sie dem traditionellen Weg einen neuen Weg gegenübergestellt, doch sind die Voraussetzungen des einen wie des anderen außerhalb ihres Blickwinkels geblieben. Das ergibt sich insgesamt aus der Geschichte der Liturgiereformen, insofern das traditionelle Verständnis das rituelle Moment als Grundlage der eigenen Überlegungen voraussetzte, während das neue Verständnis zur Abweisung dieser Voraussetzung tendierte, um den modernen Menschen ernsthaft als Gesprächspartner in Betracht ziehen zu können. Die Gelegenheit für eine Wiedergewinnung der Voraussetzung (nach den Epochen der Voraussetzung und deren Zurückweisung) ist heute mit der zweiten anthropologischen Wende gegeben, die das Denken wieder so erweitert, dass sich der Graben zwischen dem Primat des Anthropologischen und dem Primat des Theologischen schließen kann. Die zweite Wende führt auch zu der Einsicht in die wirkliche Relevanz von Gegenstand und Methodik der so genannten „Humanwissenschaften“ für die Selbstkonstitution der theologischen Arbeit wie für deren Fundament; wobei die Humanwissenschaften paradoxerweise heute nicht so sehr zur Aufwertung als vielmehr zur Kritik und Dekonstruktion jenes Bildes vom modernen Menschen beitragen, von dem die erste anthropologische Wende so deutlich ausgegangen war. Die Theologie greift also in neuer Weise auf die Anthropologie (nicht nur auf die philosophische oder theologische, sondern auf die Kulturanthropologie) zurück, um den Ausgangspunkt ihres eigenen Hörens und Redens zu definieren. In liturgischer Perspektive bedeutet das, dass die Verortung des Sakramentes vor allem im Kontext des Ritus zeigt, dass sich gerade hier (wenn auch nicht nur hier) eine bedeutende Relation von Gott und Mensch findet. Der damit identifizierte Zusammenhang wird den Ansatz nicht im anthropozentrischen Sinne verfälschen, sondern vielmehr zu einem neuen theologischen Gleichgewicht führen können. Die zweite anthropologische Wende bedeutet die Überwindung des Gegensatzes zwischen einer Theologie ohne Voraussetzungen und einer Theologie mit Voraussetzungen. Es ergibt sich damit eine Topologie, eine Art von Neuverortung des Theologischen, und zwar nach dessen Ortlosigkeit in der Moderne. Dabei handelt es sich um eine Neudefinition des theologischen Denkens und Arbeitens von der Religion und von der Erfahrung des Heiligen her, die weder auf das rein anthropologische noch auf das rein theologische Moment reduziert werden kann. Insgesamt stellt diese Wende damit nicht mehr vor die Wahl zwischen den Alternativen von Anthropologie oder Theologie. Es soll vielmehr das Unmögliche der Alternative von Theozentrismus und Anthropozentrismus deutlich werden. Damit ist der Hintergrund benannt, der – solange er vergessen wurde – zu den Querelen zwischen beiden Betrachtungsweisen führte, 235
so dass als antithetisch erschien, was im Hinblick auf die religiöse und rituelle Erfahrung korreliert. Das Bewusstsein für die Komplexität des Verhältnisses von Liturgie und Theologie eröffnet heute für die zweite anthropologische Wende ein viel versprechendes Arbeitsfeld und lässt zugleich das Projekt der Liturgiereform und die Schwierigkeiten ihrer Rezeption verstehen. Unter dem Blickwinkel der zweiten Wende erscheint damit die Idee einer Ritenreform paradoxerweise als eine zu traditionelle Lösung, weil damit eine Eindeutigkeit des Ritus (mit dem man sich nur in Bezug auf die Inhalte beschäftigt) vorausgesetzt wird, während man sich gerade mit dessen prinzipieller Uneindeutigkeit beschäftigen sollte. Liturgie und Sakrament vollziehen einen Statuswechsel vom Zeichen zum Ritus. Das bedeutet vor allem, dass sie von ihrer Definition als „Darstellungen“ befreit werden, um als „symbolische Handlungen“ verstanden zu werden. Damit werden sie nicht mehr primär logisch, sondern vielmehr handlungsbezogen gedacht.
12.5. Zur Verhältnisbestimmung von Liturgietheologie, Sakramententheologie und Fundamentaltheologie Der Versuch einer Theologie des christlichen Ritus, in der bekräftigt wird, dass der Ritus nicht auf etwas anderes außerhalb seiner selbst reduziert werden kann, und die Ablehnung der einfachen Reduktion des Ritus auf ein Zeichen erfolgen notwendigerweise zusammen.22 Um dieses wichtige Ergebnis des von uns zurückgelegten theoretischen Weges festzuhalten, gilt es einige Grundannahmen wieder aufzunehmen, die das von der modernen liturgischen Theologie eröffnete Neue charakterisieren. Wenn wir das Moderne herausgestellt haben, also den typisch modernen Hintergrund, dann geschah das, um auch die ursprüngliche Radikalität der liturgischen Theologie deutlich werden zu lassen. Diese versteht sich ja als eine komplexe Relektüre des Glaubens mit starken grundsätzlichen Konnotationen. Die scharfe Polemik, die die liturgische Theologie bei der Konfrontation mit der traditionellen Sakramententheologie kennzeichnete, hat von Anfang an nicht nur zur Reintegration des Ritus in die Grundfragen geführt, sondern auch zu einer Neubestimmung jener Fundamentalfragen selbst. Die Entdeckung der anthropologischen Ebene als notwendig für die Formulierung des christlichen Glaubens hat es der Disziplin außerdem ermöglicht, das praktische Moment als zutiefst theoretisches wiederzugewinnen! Dazu war es erforderlich, Theologie und Anthropologie ebenso zu versöhnen (ohne sie einander anzupassen) wie 22 Die Notwendigkeit, diese Intransitivität als rituelle Dimension festzuhalten, ergibt sich sehr klar aus der Arbeit von A. N. Terrin, Il rito: per necessità e per gioco, in: ders. (Hg.), Liturgia e incarnazione, Padua 1997, 45–74.
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Theorie und Praxis (unter Anwendung eines komplexen Verständnisses beider). Damit wird es der gegenwärtigen Theologie unmöglich, einfach weiter in der klassischen Art und Weise vorzugehen: von Gott über die liturgisch-sakramentalen Riten bis hin zu den „letzten Dingen“. Stattdessen muss es für die postmoderne Theologie möglich sein, bei den liturgischen Riten zu beginnen. Eben dies ist es, womit die liturgische Theologie auf ihre Weise begonnen hat. Die Entstehung dieses zelebrativen und rituellen Profils beschränkt sich aber nicht darauf, eine neue Disziplin zu begründen (eben die Liturgietheologie). Sie bringt vielmehr das Gesamtgefüge der theologischen Wissenschaft in Bewegung. Gerade der rituelle Aufbruch im Kontext eines neuen Verhältnisses zur Anthropologie belebt auch ein neu zu bestimmendes Miteinander der theologischen Disziplinen. Wenn der rituellen Wiederholung und der feiernden Praxis Raum gegeben wird, dann bleibt der Rest der Theologie nicht einfach auf dem bisherigen Stand. Die verschiedenen Möglichkeiten des neuen Verständnisses lassen sich mit den Begriffen eines (dialektischen) Verhältnisses von Vermittlung und Unmittelbarkeit formulieren. In dem neuen Modell von Verhältnisbestimmung müssen die verschiedenen, aber reziproken Kompetenzen von (mindestens) drei theologischen Disziplinen Berücksichtigung finden. Damit kommen wir zu einem der wichtigsten Ergebnisse, das die jüngste liturgische und sakramentstheologische Theorie durch die eigenen Forschungen erbracht und zugleich ansatzweise auf sich selbst bezogen hat: Gemeint ist die Bereichsüberschneidung der verschiedenen Disziplinen im Dienste einer umfassenden und vielschichtigen Klärung der Sakramentsrealität. Der interdisziplinäre Ansatz impliziert die Gliederung in die folgenden theologischen Disziplinen: a) Die Liturgietheologie/Liturgiewissenschaft, für die der Blick auf das Ereignis der Offenbarung konstitutiv ist, aber eben sub specie celebrationis, unter dem Gesichtspunkt von Ritualität und Symbol als Formen der Gegenwart und Geschichte des Mysteriums. Die Liturgietheologie neigt dazu, die sakramentale Unmittelbarkeit über die theologische Vermittlung zu stellen. Sie achtet auf das sakramentale Zeichen theologischer Bedeutung im Kontext des feiernden symbolischen Handelns. Sie geht von der Unhintergehbarkeit des Rituals als eines essenziellen Mediums der Botschaft des Evangeliums aus. b) Die Sakramententheologie hingegen konzentriert sich in der Regel darauf, die theologische Bedeutung des sakramentalen Ereignisses zu erfassen und hat von daher auch eine historische und lehramtliche Rechtfertigung. Ihr Gegenstand ist demnach die theologische Vermittlung der sakramentalen Unmittelbarkeit. Sie achtet auf die Bedeutung des sakramentalen Zeichens und entfaltet darum das im Ritus intuitiv und symbolisch Gegebene diskursiv und begrifflich. 237
c) Die allgemeine Fundamentaltheologie, der die Aufgabe zukommt, eine Synthese dieser beiden – nur zum Teil gegensätzlichen – Denkweisen vorzunehmen. Sie hat ihren Platz demnach bei der Vermittlung der Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Sie beschäftigt sich weniger mit einem Teilbereich aus den beiden zuvor genannten Disziplinen, denn für ihre Arbeit ist die Bemühung um eine Zusammenführung der verschiedenen Disziplinen konstitutiv: Ihr Spezifikum besteht gerade darin, das Spezifische der Einzeldisziplinen hinter sich zu lassen. Wegen dieser besonderen Aufgabe kann die Fundamentaltheologie nicht durch Arbeitsweisen ersetzt werden, die außerhalb von ihr liegen. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, die Dialektik zu verschärfen. Damit kann sie weit mehr als nur die eigenen Fragestellungen bereichern. Sie gibt auch den beiden Disziplinen, die sie zu koordinieren hat, verschiedene Impulse: – der Liturgiewissenschaft kann sie neben der dort üblichen die entgegengesetzte Perspektive eröffnen: neben die sakramentale Unmittelbarkeit bei der theologischen Vermittlung tritt dann die sakramentale Vermittlung der theologischen Unmittelbarkeit; – der Sakramententheologie kann sie den entgegengesetzten Zugang im Vergleich zu bisher Gewohntem erschließen: neben die theologische Vermittlung sakramentaler Unmittelbarkeit tritt dann die theologische Unmittelbarkeit mit Hilfe der sakramentalen Vermittlung. Aus alledem geht deutlich hervor, dass der Rückgriff auf die Fundamentaltheologie nicht im Sinne einer neuen „absoluten Kompetenz“ – gegenüber der Relativität der beiden traditionellen, mit dem Sakrament beschäftigten Disziplinen – verstanden werden darf. Es gibt keine „ersten Theologien“, erst recht nicht auf der Ebene des Fundamentalen. Das Ziel einer Fundamentaltheologie, die sich mit der Klärung des Sakramentsverständnisses beschäftigt, ist es vielmehr, diejenigen Grundannahmen, um die Liturgietheologie und Sakramententheologie weiterhin ringen, zu einem Ausgleich zu bringen und dabei Prinzipalität und Primat abzulehnen, weil so etwas keiner der beiden Disziplinen zukommt – noch einer anderen „theologia prima“. Jede Art von disziplinärem Absolutismus kann nur dann Sinn haben, wenn eine Disziplin im Entstehen begriffen ist. Nur in diesem Fall hat sie den Mut (und darf ihn auch haben), einseitig zu sein. Wenn sich diese Unausgeglichenheit aber fortsetzt und zu einem Schulmerkmal wird, dann drohen sich auch die großen Aufbrüche im Nachhinein selbst zu disqualifizieren. Nur Meister und Wegbereiter können sich Einseitigkeiten erlauben, während den Schülern die Bemühung um den Ausgleich geziemt. Die Fundamentaltheologie kann zu diesem Ausgleich einen Beitrag leisten, weil sie als „theologia secunda“ fähig ist, den unvermeidli238
chen Konflikt zwischen den gegensätzlichen Perspektiven der Liturgiewissenschaft (die vom sakramentalen Ritus ihren Ausgang nimmt) und der Sakramententheologie (deren Zielpunkt der sakramentale Ritus ist) zu moderieren. 12.6. Schlussbemerkungen Das uns Gegebene ist auch der Kern der Gabe, des uns Geschenkten. Das Unmittelbare, am Anfang Stehende kann als solches erst am Ende, als das letzte Ergebnis von Vermittlungsbemühungen erkannt werden.23 Erst auf dem Höhepunkt (culmen) wird auch der Ausgangspunkt, die Quelle (fons) erkennbar. Wenn die Fundamentaltheologie erkennt, dass sie der originären Untrennbarkeit des Unmittelbaren und Ursprünglichen verpflichtet bleibt und wenn sich die Liturgie als etwas Gegebenes befragen lässt, das gegeben ist, insofern es eine Gabe und als solche etwas vom unmittelbaren Ursprung Verschiedenes ist, dann bedeutet das: Bei der Dialektik von Vermittlung und Unmittelbarkeit gibt es keine definitive Vermittlung, weder auf theologischer noch auf liturgischer Ebene. Andererseits ergibt sich erst aus der Verbindung beider Disziplinen und ihrer Entwicklung ein Bewusstsein dieser Unabschließbarkeit. Erst eine durch die Liturgie gestützte Theologie und eine durch die Theologie gestützte Liturgie werden wirklich etwas von jener tröstlichen und heilsamen Differenz der Gnade verstehen können. An dieser Stelle geht es darum, dass Gott der Charakter des nicht Antizipierbaren zukommt. Die Liturgie beansprucht nur dadurch den Status des Gegebenen, weil sie so das Bewusstsein für die Nicht-Antizipierbarkeit Gottes wachzuhalten sucht, jenes Gottes, der nur insofern gesucht werden kann, als er bereits gefunden ist und gefunden nur, indem er gesucht wird, und der sich suchen und finden – aber eben nicht antizipieren lässt.24 Die Fundamentaltheologie, daran muss noch einmal erinnert werden, ist das Kind einer Zeit, die vom Primat des Denkens vor dem Handeln ausging. Sie ist das Kennzeichen einer Gemeinsamkeit, die im Wollen möglich ist, weil sie im Handeln unmöglich ist. Inzwischen hat die Fundamentaltheologie gelernt, dass ihre Arbeit von Anfang an durch dieses Unvermögen gekennzeichnet ist. Nur begriffliche Stringenz und radikales Bemühen können dazu führen, dass die Notwendigkeit einer deutlichen Veränderung wahrgenommen und der Gottesdienst wieder zur Fundamentalfrage wird, damit dann auch – dank der Anthropologie – wieder das Recht des Handelns berücksichtigt wird.
23 Vgl. L.-M. Chauvet, Simbolo e sacramento, Turin 1990, 61ff. 24 Dazu vgl. das Zitat des hl. Bernhard in: M. Blondel, L’azione: saggio di una critica della vita e di una scienza della prassi, Mailand 1993, 454.
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Die mögliche Versöhnung von Fundamentaltheologie und Liturgik bringt auch eine tiefe kulturelle Veränderung mit sich. In diesem Zusammenhang wird der Hinweis von M. Blondel auf die Demonstrierbarkeit des Supranaturalen aktuell: „Wie wir davon keine Rechenschaft vor dem Forum der Vernunft ablegen können, so können wir auch nicht bestreiten, womit wir keine Erfahrung gemacht haben. Und wenn wir Erfahrungen damit gemacht haben, dann finden wir in diesen nur die positiven Gesichtspunkte, um das Supranaturale zu bestätigen. Die Erziehung ist darum fähig, dieses – dank gehorsamer Praxis – als Erfahrungswirklichkeit zu kommunizieren.“25
Wir werden jedoch auf das Einmalige und Zugespitzte dieser Argumentation achten: Angesichts der Sackgassen des rein Intellektuellen überwindet die Erfahrung den toten Punkt und antizipiert das, was die Vernunft dann bestätigt. Trotzdem ist diese Erfahrung als solche nichts völlig Unbestimmtes; sie ist keine rein transzendentale, sondern vielmehr eine bestimmte Erfahrung, die unter den Begriffen von wortgetreuer und gehorsamer Praxis zu verstehen ist, als eine rituelle Handlung, bei der dem Tun Priorität zukommt. Damit wird das Prinzip „fac et videbis“ (handle und du wirst sehen) Prinzip und Voraussetzung aller christlichen Apologetik. Es ist jedoch deutlich, dass eine solche Wissenschaft der Praxis, die im Sakramentalen kulminiert, dem Rahnerschen Weg eine ähnliche, gleichwohl andere Perspektive an die Seite stellt. Der transzendentalen Erfahrung wird die rituelle Erfahrung als eine alternative und doch damit verbundene an die Seite gestellt. Nur in diesem Sinne und mit diesen wichtigen Konsequenzen kann die Tatsache Geltung erlangen, dass es keine Fundamentaltheologie gibt ohne das mit der rituellen Erfahrung Gegebene. Das bedeutet, dass es keine Offenbarung ohne und außerhalb der Persistenz des Subjektes gibt, das mit dem Auftreten der Offenbarung nicht verschwindet (Rahner). Dennoch bleibt diese Subjektpersistenz nicht einfach athematisch und vage. Sie muss vielmehr zu einer spielerischen Notwendigkeit werden und zu dem notwendigen Spiel des christlichen Ritus Zugang finden können. Am Schluss unserer Überlegungen erscheint mir darum die folgende Hypothese angemessen: Die wahrhaftig gegebene Herausforderung, eine liturgische Theologie zu formulieren, entwickelt sich heute zu einer größeren und anderen Aufgabe, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Es herrscht die Einsicht, dass die notwendige Suche nach einem kultischen und rituellen Fundament des christlichen Glaubens nicht nur Aufgabe eines einzelnen Sektors der Theologie sein kann, sondern das Ganze der Theologie betrifft und die gezielte Aufmerksamkeit der Fundamentaltheologie erfordert. Der Ertrag der liturgischen Theologie ist damit 25 Ebd., 603.
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eine Modifikation der theologischen Aufgaben im Hinblick auf die Grundlagen, bei deren Bearbeitung die fundamentale Rolle von Gottesdienst und Ritual zum Tragen kommen muss. Damit hebt sich die liturgische Theologie selbst auf in ein neues Selbstverständnis der Theologie und ihres Fundamentes, bei dem die gottesdienstliche Ritualität in theoretischer und praktischer Hinsicht angemessene Berücksichtigung verlangt. Das gilt theoretisch, weil es um die Erweiterung des grundlegenden Theorieinstrumentariums geht, und praktisch, weil es um die unhintergehbare Positivität geht, die den Kern des Fundamentes betrifft und so die reinen Theoriekonstrukte immer wieder zur Disposition stellt. Daraus ergeben sich drei Beobachtungen, mit denen wir unseren Gedankengang beenden: a) Die Frucht der ersten anthropologischen Wende war die erneuerte Sensibilität für den Menschen als Mittelpunkt auch im Hinblick auf die Gestaltung der Liturgie. Darum konnte die Neuinterpretation präzise in der Formel „Eine Liturgie für den Menschen“ zum Ausdruck gebracht werden. Doch die neue Ausrichtung der Beziehung von Theologie und Anthropologie, die ich die „zweite anthropologische Wende“ genannt habe, muss uns zu einem noch grundsätzlicheren und tiefer gehenden Denken bringen, das in der reziproken Formulierung „ein Mensch für die Liturgie“ zum Ausdruck kommt. Der menschlichen Konstante muss die liturgische und rituelle Konstante an die Seite gestellt werden. Handelt es sich vielleicht zu guter Letzt um eine Rückkehr des Barthschen Denkens? Oder stoßen wir hier auf eine echte Bedrohung des reinen theologischen Denkens? Es ist klar, dass die Rolle der Anthropologie heute nicht in erster Linie darin bestehen kann, die Theologie zu ersetzen oder zu bedrohen, sondern darin, das Recht einer konstitutiv an das Kultisch-Rituelle gebundenen Theologie zu begreifen, einer Theologie, die den Ritus bei der eigenen Grundlegung weder einfach voraussetzen kann noch übergehen darf, sondern ihn vielmehr von neuem zu integrieren hat. b) Anstelle der säuberlichen Trennung zwischen dem Transzendentalen und dem Kategorialen, wodurch die erste Phase der Begründung von Pastoralliturgik gekennzeichnet war, ist es heute erforderlich, das grundlegende Moment und das explizite theologische Moment nicht zu trennen, weil ein solches Vorgehen zwar das liturgische Selbstverständnis fördern mag, zugleich aber die explizit theologische Seite schwächt. Kategorialität und Transzendentalität müssen verbunden bleiben, so dass die anthropologischen Kategorien zum integralen Bestandteil der Theologie werden. Der Trennung von Transzendentalität und Kategorialität ist sinnvollerweise die Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung an die Seite zu stellen, damit das Verhältnis von Erfahrung und Reflexion im vollen Sinne erhalten bleibt. c) Der Status der liturgischen Theologie wird also gerade dadurch präzisiert und gestärkt, dass diese ihre Aufgabe erfüllt, indem sie zu einem 241
unverzichtbaren Gesprächspartner des theologischen Denkens wird. Sie muss für ein Gleichgewicht sorgen, damit die Theologie in Verbindung mit der rituellen Erfahrung denkt und aus der Isolation herauskommt, in die sie hineingeraten konnte und in der sie nicht weiter verharren darf. Nur so wird man die Theologie insgesamt dazu bewegen, eine Glaubenslehre abzulehnen, die beim Verständnis von Offenbarung und Glaube ohne die Bedeutung der rituellen Erfahrung des Heilsereignisses auszukommen meint. Damit wird die liturgische Theologie zum entscheidenden Organ eines neuen Grundverständnisses des Glaubens. Sie will keine andere Systematik sein, aber sie will der Systematik helfen, eine andere zu werden – nichts völlig anderes also, wohl aber etwas anderes als bisher. Es geht für die Theologie darum, authentischer sie selbst zu sein, um in noch besserer Weise ihrem Gegenstand zu dienen und noch deutlicher ihrem einen und lebendigen Herrn die Stimme zu leihen.
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