Einführung in die Geschichtswissenschaft [3., durchges. Aufl. Reprint 2015] 9783111584867, 9783111211534


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German Pages 126 [152] Year 1959

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Table of contents :
1. Kapitel. Die geschichtlichen . Wissenschaften und die Geschichtswissenschaft
2. Kapitel. Vorläufiges über Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis
3. Kapitel. Das Studium der Geschichte
4. Kapitel. Die Geschichtsquellen und die Hilfs- und Nachbarwissenschaften der Geschichte
5. Kapitel. Quellenkritik: Kritik des Textes und Kritik der Quellenaussagen
6. Kapitel. Das geschichtliche Verstehen und die Sinndeutung der geschichtlichen Vorgänge
7. Kapitel. Aufgaben der historischen Darstellung
Abkürzungen
Literatur
Verzeichnis der in erster Linie lesenswerten Geschichtswerke
Selbstbiographien, Memoiren, Briefwechsel und Gespräche
Verzeichnis vorbildlicher kritischer Untersuchungen
Register
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Einführung in die Geschichtswissenschaft [3., durchges. Aufl. Reprint 2015]
 9783111584867, 9783111211534

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SAMMLUNG

GÖSCHEN

BAND

270

EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTSWISSENSCHAFT von

DR. P A U L K Ï R N Professor an der Universität Frankfurt a. M.

Dritte, durchgesehene Auflage

WALTER DE GRUYTER & CO. •ormale G J . Göecheo'sche Verlagehandlung · J. Guitrntag, "Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J . Trübner · Veit & Comp»

BERLIN

1959

(D Copyright 1959 by Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35. - Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. - Archiv-Nr. 11 02 70. - Satz und Druck: 1/10/14 Walter de Gruyter & Co., 5000/85/58. - Printed in Germany.

Inhalt Seite

1. Kapitel. D i e geschichtlichen . Wissenschaften Geschichtswissenschaft 2. Kapitel. Vorläufiges über geschichtlicher Erkenntnis 3. Kapitel.

Möglichkeit

die 4

und

Grenzen

D a s Studium der Geschichte

4. Kapitel. D i e Geschichtsquellen und Nachbarwissenschaften der Geschichte

20 die

6. Kapitel. D a s geschichtliche Verstehen deutung der geschichtlichen Vorgänge Aufgaben

der historischen

Hilfs-

und 29

5. Kapitel. Quellenkritik: Kritik des Textes der Quellenaussagen

7. Kapitel.

und

und

und

Kritik 53

die Sinn. . . .

Darstellung

.

69 92

Abkürzungen

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Literatur

110

Verzeichnis werke

der

in

erster

Linie

lesenswerten

Geschichts113

Selbstbiographien, Memoiren, Briefwechsel und Gespräche

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Verzeichnis vorbildlicher kritischer Untersuchungen

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Register

.

.

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1. Kapitel

Die geschiditlichen Wissenschaften und die Geschichtswissenschaft O h n e Kenntnis des Vergangenen ist nicht nur die höhere Geisteskultur undenkbar, selbst die Praxis des täglichen Lebens kann ihrer nicht entraten. Wer von den Ereignissen der letztvergangenen Monate und Jahre nichts behalten und aufgeschrieben hätte, könnte nicht einmal eine Steuererklärung abgeben oder seinen Lebenslauf abfassen. Wer gar Ahnenforschung treiben will, muß schon ein gutes Stück in die Vergangenheit zurückgehen. Unter Umständen hat er schon einige Mühe festzustellen, was sich hinter uns fremd gewordenen Berufsbezeichnungen verbirgt. Um die Papiere aufzuspüren, aus denen er die Angaben über seine Vorfahren entnimmt, muß er sich einige Kenntnis der früheren Behördenorganisation und Zivilstandsregisterführung verschaffen. Es wird ihm auch auffallen, d a ß die Schriftzüge von ehemals den heutigen nicht gleichen. Schon eine solche gelegentliche Einkehr bei der Vergangenheit bringt uns Aufgaben nahe, wie sie die Geschichtswissenschaft alle Tage bearbeitet. J e d e Unterweisung in einem Sondçrfach greift auf die Geschichte dieses Faches zurück. Ein Unterricht in Elektrizitätslehre geht nicht vorüber an den Entdeckungen von Galvani, Volta und Franklin. Niemand erörtert die Lehre vom freien Fall, ohne Galilei zu erwähnen, und schon an einer ziemlich frühen Stelle seines Ausbildungsweges begegnet der Schüler in der Geometrie der Gestalt des Pythagoras. Niemand wird ein tüchtiger Offizier, wenn er sich nicht mit dem Verlauf der Schlachten von Leuthen, Leipzig, Königgrätz, Sedan und neueren beschäftigt hat. Selbst die Kenntnis der Schlacht von Cannae kann ihm nicht erspart bleiben. So.kommt es, daß es eine sehr erhebliche Anzahl geschichtlicher Wissenschaften geben müßte, selbst wenn keine

Die geschichtl. Wissenschaften u. d. Geschichtswissenschaft

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allgemeine Geschichtswissenschaft vorhanden wäre. Ja, man kann die Frage aufwerfen, ob dieser überhaupt noch Raum genug übrigbleibe, ob sie nicht angesichts der Vielheit geschichtlicher Facharbeiten am Ende zu entbehren sei. Sie ist es schon darum nicht, weil sie bei ihren Untersuchungen eine andere Blickrichtung innehält als die geschichtlich arbeitenden SpezialWissenschaften. Der heutige Jurist, Bildhauer oder Praktiker des Verkehrslebens fragt: Was hat das Recht, die Bildhauerkunst, das Verkehrswesen für eine Vergangenheit? Der allgemeine Historiker dagegen fragt: Was hatte die Vergangenheit für ein Recht, was für eine Bildhauerkunst, wie sah ihr Verkehrswesen aus? Das Gesamtbild einer bestimmten Zeitperiode würde aus den Bemühungen jener geschichtlichen Gelegenheitsarbeiter nie entstehen, das Verbindende zwischen den Äußerungen des Zeitgeistes auf den verschiedenen Lebensgebieten nicht sichtbar hervortreten. Noch auf einem anderen Wege gelangen wir dahin, die Notwendigkeit einer allgemeinen Geschichtswissenschaft uns klarzumachen. Wir machen nämlich immer wieder die Erfahrung, daß die Angaben über Vergangenes, die wir zusammentragen wollen, nicht so bequem dargeboten werden wie reife Früchte, die man nur vom Baum zu pflücken braucht. Bisweilen widersprechen sie einander, in anderen Fällen scheint eindeutig klar zu sein, wie wir sie zu verstehen haben, aber im Fortgang der Untersuchung zeigt sich, daß die nächstliegende Deutung falsch war. Zwei Beispiele sollen das veranschaulichen. Die Universität Graz erhielt von Papst Sixtus V. eine Bestätigungsurkunde, ausgestellt am 1. Januar 1585. Aber damals war Sixtus noch nicht Papst, sein Vorgänger Gregor XIII., der erst am 10. April 1585 gestorben ist, war noch am Leben. Um die Lösung zu finden, muß man wissen: Die päpstliche Kanzlei begann damals das Jahr nicht wie wir mit dem 1. Januar, sondern erst mit dem darauffolgenden 1. März. Unsere Urkunde ist demnach vom 1. Januar 1586. Während in diesem Falle sich gleich zu Beginn wenigstens herausstellte, daß eine besondere Schwierigkeit vorliegt,

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D i e geschichtl. Wissenschaften u. d: Geschichtswissenschaft

scheint im folgenden auf den ersten Blick alles in bester Ordnung. J e m a n d geht auf die Suche nach den frühesten Spuren von Artillerie in den mittelalterlichen Stadtrechnungen und stößt auf einen Büchsenmeister. D e n hält er für den K o m m a n d e u r oder Ingenieur der Artillerie. In Wirklichkeit ist es ein reitender Bote, der in seiner Büchse die städtischen Briefe befördert. Aus solchen Erfahrungen erwächst die Erkenntnis, daß alle Gelegenheitshistoriker die Hilfe des Berufshistorikers nicht ohne Schaden entbehren können. D i e erforderliche allgemeine Geschichtswissenschaft ist aber mehr als nur eine Helferin in gelegentlich auftretenden Nöten. Sie hat Methoden entwickelt, wie man zu sicherer historischer Erkenntnis gelangen kann, und hat Möglichkeit, Wert und Grenzen solcher Erkenntnis untersucht. D i e s e Seite der Sache soll uns im folgenden beschäftigen. Wir stimmen dabei aus voller Überzeugung jenem Franzosen zu, der einmal äußerte: Nichts ist praktischer als die Theorie. E r meinte damit: D i e Theorie ist dazu da, damit die praktischen Versuche nicht planlos angestellt, sondern den Bedingungen möglichen E r f o l g e s von vornherein angepaßt werden. Bei solchem Bemühen kann uns der G e d a n k e anspornen, daß dem Historiker bei der Arbeitsteilung, die im Volksganzen stattgefunden hat, eine besonders wichtige A u f g a b e zugefallen ist. Durch seine Arbeit müssen die geschichtlichen Vorstellungen der Volksgenossen und die Antriebe für das tätige Leben, die daraus entspringen, tragfähigen G r u n d und feste Richtung erhalten. Denn jeder, m a g er der Geschichtswissenschaft noch so fern stehen, bildet sich eine Meinung vom Ablauf der Volksgeschichte und der Völkergeschichte, von ihren bewegenden Kräften, ihren glücklichen und beklagenswerten Ereignissen. Entweder begnügen sich alle mit ungezügelten Einfällen oder der L a i e vertraut dem Fachmann, dessen Pflicht und zugleich größte F r e u d e es ist, um die beste für Menschen mögliche Erkenntnis des Geschichtsverlaufs zu ringen.· D i e allgemeine Geschichtswissenschaft steht und fällt mit dem Nachweis, daß es eine wissenschaftliche Methode gibt,

Die geschichtl. Wissenschaften u. d. Geschichtswissenschaft

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mit deren Hilfe sichere oder annähernd sichere Kunde über Vergangenes gewonnen werden kann. Das ist so wichtig, d a ß wir im Recht waren, von ihrer Methode zu sprechen, bevor wir ihren Gegenstand erörterten. N u n versuchen wir sie zu definieren, wodurch wir ganz von selbst auf ihren Gegenstand hingelenkt werden. Was verstehen wir unter Geschichte? Willi Hellpach liefert uns den Satz: „Geschichte ist die bewußte Gestaltung menschlichen Gemeinschaftslebens aus schöpferischem Willen" '). D a s läßt aufhorchen, weil es neu und eigenwillig klingt. Denken wir länger darüber nach, so will es uns scheinen, als f ä n d e nicht alles, was zur Geschichte gehört, in dieser Begriffsbestimmung Platz. Auch würden wir eine solche vorziehen, die alle drei Bedeutungen des Wortes Geschichte umfaßte: 1. Geschehen, 2. Darstellung des Geschehens, 3. Wissenschaft vom Geschehen. Ginge es nur um die Wissenschaft, so könnten wir uns Wilhelm Bauer anschließen, der sagt: „Geschichte ist die Wissenschaft, die die Erscheinungen des Lebens zu beschreiben und nachfühlend zu erklären sucht, soweit es sich um Veränderungen handelt, die das Verhältnis des Menschen zu den verschiedenen gesellschaftlichen Gesamtheiten mit sich bringt, indem sie diese vom Standpunkt ihrer Wirkung auf die Folgezeit oder mit Rücksicht auf ihre typischen Eigenschaften auswählt und ihr Hauptaugenmerk auf solche Veränderungen richtet, die in der Zeit und im Raum unwiederholbar sind" 2)· Jedes einzelne Satzglied ist hier wohl überlegt, man glaubt zu fühlen, wie der Verfasser mit Zusätzen hier und Einschränkungen da das Ganze allmählich zustandegebracht hat. Trotzdem wird mancher mehr Gefallen finden an der Formulierung, die Johan Huizinga vorschlägt: „Geschichte ist die geistige Form, in der sich eine Kultur über ihre Vergangenheit Rechenschaft gibt" 3). Hier verdient gerade dies Beifall, d a ß er Ausdrücke von geringerer Schärfe und demgemäß weiterer Fassungskraft gewählt hat. Wenn Geschichte ») D i e W e l t als G e s d i i c h t e , B d . 6 (1940), 250. 2 ) E i n f ü h r u n g in d a s S t u d i u m d e r Geschichte, S. 17. 3 ) W e g e d e r K u l t u r g e s c h i c h t e , 86.

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Die geschichtl. Wissenschaften u. d. Geschichtswissenschaft

eine geistige Form genannt wird, ist angedeutet, daß sie auf Maßstäbe und Gesichtspunkte hin orientiert ist, daß keinesfalls der gesamte Wust des Geschehens überhaupt in sie aufgenommen werden soll. Wird das auswählende und betrachtende Subjekt Kultur genannt, so drückt dies aus, d a ß auch der einzelne Forscher als Glied seines Volkes, als Kind seiner Zeit, ergriffen von überpersönlichen geistigen Mächten sein Werk vollbringt. Wenn endlich die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen als „sich Rechenschaft ablegen" bezeichnet wird, so fällt unter diesen weiten Begriff eine schlichte Aufzeichnung und ein Bericht öffentlicher oder privater Natur ebensogut wie kritisch-wissenschaftliche Untersuchungen. Mit dem Gesagten haben wir uns noch nicht auf eine bestimmte Antwort festgelegt hinsichtlich der Frage, ob die staatliche Seite des Völkerlebens allein oder wenigstens vorwiegend im Mittelpunkt der historischen Arbeit stehen soll oder ob es angemessener ist, Kulturgeschichte zu treiben. Der Streit hierüber hat seit 1888 des öfteren die Geister in Bewegung gesetzt. Nicht zufällig brach er gerade damals aus, als das Zeitalter Bismarcks zu Ende ging. Vorher hatte die noch ungelöste Aufgabe der deutschen Einigung die Vorherrschaft der politischen Geschichte gesichert. So ähnlich wie im Zeitalter Ludwigs XV. Voltaire im Kreise der Schriftsteller eine Lanze dafür brach, die hergebrachte Staatengeschichte durch Kulturgeschichte zu ersetzen, so stritten sich nun in Deutschland die Universitätsprofessoren um das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß die Geschichte als selbständiges Lehrfach der Hochschulen damals noch gar nicht so sehr alt war. Noch zu Kants Zeiten vereinigte in Königsberg ein Professor die zwei Fächer „Eloquenz" und Geschichte so, daß er neben einer Vorlesung über lateinische Rhetorik oder Stilistik und der Erklärung eines römischen Schriftstellers ein Kolleg über die halbe Weltgeschichte las. In seinem Semester die Weltgeschichte bis zu Christi Geburt, im folgenden die ganze seitherige Weltgeschichte in jeweils zwei Wochenstunden vorzutragen, diese Kunst, die

D i e geschichtl. Wissenschaften u. d. Gejchichtswissenschaft

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seither abhanden kam, nannten viele unserer Vorgänger im 17. und 18. Jahrhundert ihr eigen. Die Sonderung der geschichtlichen Lehrstühle für alte, mittlere und neuere Geschichte (wobei nach lobenswerter Tradition zwei Lehrkräfte für mittlere und neuere Geschichte zugleich tätig sind) ist erst um 1900 in Deutschland ganz durchgeführt worden. An allzu vielen Universitäten wird sie noch so gehandhabt, d a ß nicht für jedes Teilgebiet eine ordentliche Professur besteht. Erst recht war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Geographie noch nicht im Besitz eigener Lehrstühle; sie trat zumeist noch 'in Personalunion mit Geschichte auf. Als im Jahre 1888 Dietrich Schäfer in einer Tübinger Antrittsvorlesung über „Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte" für den Vorrang der Geschichte von Staat und Volk eingetreten war, erwiderte ihm Eberhard Gothein in einer Schrift: Die Aufgaben der Kulturgeschichte. Später stellten sich - neben der Mehrzahl der Historiker, die stillschweigend zustimmte - Georg von Below und Hermann Oncken auf Schäfers Seite, während die Kulturgeschichte in Karl Lamprecht, Walter Goetz, Alfons Dopsch und dem Leydener Professor Johan Huizinga ihre Vorkämpfer fand. Solange es sich nur darum handelte, auf welchem Stoff der Hauptnachdruck liegen sollte - wollte doch keiner der Gegner die anders gerichtete Arbeitsweise mit Stumpf und Stiel ausrotten —, regte der Streit zum Nachdenken an, ohne großen Zwiespalt in die Gelehrten welt hineinzutragen. Karl Lamprecht machte aus dem Grenzstreit insofern einen Methodenstreit, als er dazu fortschritt, auf Grund der damals herrschenden Psychologie eine Stufenfolge geistiger Entwicklungsperioden aufzustellen, die, wie er meinte, jede Volkskultur gesetzmäßig durchläuft. Wenn er seinen Gedanken gelegentlich einmal überspitzt vortrug, konnte er sagen, die Griechen, die Deutschen, die Japaner und die Marotse (am oberen Sambesi) hätten eine in allem wesentlichen gleiche Entwicklung durchlaufen. Im Grunde war damit aus dem ursprünglichen GrenzStrçit çin Streit der Weltanschauungen geworden. Als sol-

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chen hat ihn dann Christoph Steding in neuester Zeit noch einmal aufleben lassen '). Indem wir uns das Eingehen auf Lamprechts universale Entwicklungstheorie für später aufsparen, stellen wir einige Sätze zusammen, die das Problem von mehreren Seiten beleuchten. 1. Es sollte höchstens um Vorrang, nicht um Alleinherrschaft der einen oder anderen Geschichtsbehandlung gestritten werden. Man darf auch nie vergessen, daß Staat und Kultur keine Gegensätze sind, vielmehr der Staat in engster Wechselwirkung mit den wesentlichsten Seiten der Kultur steht. 2. Unerträglich wäre eine Verdrängung der politischen Geschichte durch andere Betrachtungsweisen. Praktisch sollte man stets dies im Auge behalten: die Universität hätte, wenn die Historiker die politische Geschichte beiseite setzten, immerhin noch in den Juristen und Volkswirtschaftlern Fachmänner für das Staatliche. Auf der Volksschule aber wie auf den höheren Schulen ist der Geschichtslehrer unzweideutig der zunächst Verantwortliche für die Einführung in das politische Denken. Wollte er sich auf die Kultur- oder, wie man jetzt lieber sagt, auf die Geistesgeschichte beschränken, so fiele die politische Geschichte ganz aus. Für die Geistesgeschichte aber sorgen bereits der Deutschlehrer und die Lehrer der alten und neuen Sprachen ebensogut, wie es der Geschichtslehrer kann. 3. Das Recht und die Pflicht des Historikers, mehr als nur die politische Geschichte darzubieten, wachsen in dem Maße, als er imstande ist, übergreifende Tatbestände und Gesichtspunkte nachzuweisen, die eine Vielzahl von Kulturgebieten durchziehen und Querverbindungen zwischen diesen erkennen lassen. Wer glaubt, beweisen zu können, daß in einem bestimmten Zeitalter äußere und innere Politik, Wirtschaft und soziales Leben, Wissenschaft, Religion und alle Künste ein einheitliches Gepräge getragen haben - etw a ein individualistisches oder ein barockes oder ein von *) Christoph S t e d i n g , D a s R e i c h u n d d i e K r a n k h e i t d e r e u r o p ä i s c h e n K u l t u r . H a m b u r g 1938. D a s Buch ist v o l l s u b j e k t i v e r W i l l k ü r , d a h e r nicht zu e m p f e h l e n ,

D i e geschichtl. Wissenschaften u. d. Geschichtswissenschaft

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der Aufklärung bestimmtes - , der hat die Pflicht und selbstverständlich auch das Recht, dies in Untersuchung und Darstellung zu erhärten. 4. Vor einer Erweiterung des Arbeitsfeldes ins Grenzenlose warnt die Beobachtung, daß gemeinhin die ganz weit gespannten Kulturgeschichten, Universalgeschichten oder wie sie heißen, nur einen verhältnismäßig geringen wissenschaftlichen Wert haben. Die besten kultur- bzw. geistesgeschichtlichen Werke schufen Jakob Burckhardt für die Griechen und für die italienische Renaissance, weil er in der Kunstgeschichte Fachmann und in die Geschichte der Literatur sehr tief eingedrungen war, für das deutsche Mittelalter Albert Hauck als unübertrefflicher Kenner des kirchlichen Lebens (und was war im Mittelalter nicht von der Kirche berührt?), Georg Dehio als Kunsthistoriker und Gustav Freytag als Germanist im Aufspüren feinerer geistiger Regungen geübt. Das 18. Jahrhundert behandelte vortrefflich Hermann Hettner, weil er zwei Fachgebiete, die Kunst- wie die Literaturgeschichte, wirklich beherrschte. Auf der anderen Seite können Ganzheiten nie voll verstanden werden, wenn man nur ein Stück von ihnen darstellt. Zur Hanse gehören nicht bloß ihr Handel und ihre Politik, sondern auch ihre Kunstleistungen. 5. Für die Darstellung der Geschichte muß die Entscheidung, wieviel sie von der nichtstaatlichen Kultur in sich aufnehmen soll, von Fall zu Fall getroffen werden. Zum Verständnis solcher Völker und Zeiten, die uns fern liegen, bedarf es immer eines weiteren Ausholens im Kulturgeschichtlichen. Geschichtswerke über das Altertum haben von jeher diesen Grundsatz befolgt, ein Mann wie Ranke wußte mit feinem Takt Hinweise auf die Zeitkultur gleichsam im Vorübergehen zu geben. Mit Recht hat er auch in seiner Schrift über Serbien und die Türkei im 19. Jahrhundert über das rein Politische weit hinausgegriffen. 6. Wertvolle Geschichtsdarstellungen, die einen bleibenden Platz im deutschen Schrifttum beanspruchen, bedürfen künstlerischer Form. Dazu gehört u. a., daß sie nicht angehäufte Notizen ausschütten, sondern einen geschlossenen

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Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis

Gedankengang vorführen. Auch darin liegt eine Richtschnur, die hilft, eine Auswahl zu treffen zwischen dem, was aufgenommen werden, und dem, was beiseite bleiben soll. 7. Dem Studierenden ist zu raten, daß er die politische Geschichte und die dafür unentbehrliche Verfassungsgeschichte samt den geschichtlichen Hilfswissenschaften in den Vordergrund stelle. Geistergeschichte treibt jeder Historiker noch außerdem in Gestalt seiner philologischen Nebenfächer oder der Kunstgeschichte u. dgl. Ein Studium, das geradewegs auf Kulturgeschichte als ausschließliches Ziel zusteuert, ist nicht ungefährlich. Auch heute noch geht der sicherste Weg zu einer großen Leistung auf diesem Gebiet nicht durch ein universales Universitätsinstitut, in dem alle Teilgebiete der Kultur studiert werden sollen und das sich wie eine Universität im kleinen ausnimmt, sondern durch die Hörsäle bedeutender Fachvertreter mehrerer Fakultäten. 2. Kapitel Vorläufiges über Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis Am besten erforschen kann man den in vielen gleichen Exemplaren vorhandenen Gegenstand und den beliebig oft wiederholbaren Vorgang. Die von der Geschichtswissenschaft behandelten Größen sind strenggenommen alle nur ein einziges Mal vorhanden, nein : vorhanden gewesen, kein historischer Vorgang darf einem zweiten völlig gleich gesetzt werden. (Dementsprechend sind die Teilstrecken der historischen Zeit zwar gleich lang, aber in allem Wesentlichen grundverschieden.) Daher konnte Jakob Burckhardt die Geschichte die unwissenschaftlichste aller Wissenschaften nennen. Am Gegenbild der Naturwissenschaften können wir uns dies am besten klarmachen. Sie haben weithin den Vorteil, eine Unmenge gleicher Exemplare untersuchen zu können.

Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis

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Es gibt nun einmal viel mehr Kaninchen und Meerschweinchen als Staatenbünde und Renaissancen. Die Naturwissenschaft kann experimentieren, die Geschichte nicht. W a s heißt experimentieren? Einen Faktor herausisolieren und somit den Rückschluß aus der Wirkung auf die Ursache zur Gewißheit erheben. Dies ist es, was der Geschichte versagt ist. Da der Vergleich nahe verwandter Stücke den Hauptinhalt der historischen Methode ausmacht, steht sie überall da auf unsicherem Grunde, wo sie über Vergleichsstücke nicht oder nicht in genügender Zahl verfügt. Jene einzige frühlangobardische Urkunde, die abwechselnd als Original und dann wieder als Abschrift erklärt wurde, oder jene Kapelle mit ovalem Grundriß auf der Marienfeste in Würzburg, über deren Entstehungszeit die widersprechendsten Annahmen geäußert wurden, sind solche Dinge, die die Wissenschaft nicht recht bewältigen kann. Gegenüber isolierten Vorgangsreihen ist sie nicht viel besser daran. Daher ist jedem, der die Geschichte eines Volkes im tieferen Sinne verstehen will, zu raten, daß er sich auch mit anderen Volksgeschichten vertraut macht. Dies war vorauszuschicken, um den Leser auf die besonderen Schwierigkeiten des Gegenstandes hinzuweisen. Wir haben schon vom Erklären und Verstehen gesprochen, aber wir müssen uns vorher der Tatsachen bemächtigen, die es zu erklären und zu verstehen gilt. W o sind diese Tatsachen? W i r müssen antworten: Sie sind nicht mehr da. Geschichte ist also die Wissenschaft von einem nicht mehr vorhandenen Gegenstande. W i e kann sie unter solchen Umständen ihren Aussagen Sicherheit verleihen 1. gegen Unwissenheit, 2. gegen Irrtum, 3. gegen Betrug? Gegen die Erkenntnis kann sich kein Mensch sträuben, daß auch die scharfsinnigste Forschung jene Vorgänge nicht mehr ermitteln kann, die sich abspielten, ohne eine Spur zu hinterlassen. Schon die Ahnenforschung bei bürgerlichen

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M ö g l i c h k e i t u n d G r e n z e n geschichtlicher

Erkenntnis

Familien pflegt, wenn sie ein Stück weit in die Vorzeit eingedrungen ist, zu jenen Männern zu kommen, von denen nur zu berichten bleibt, was Geliert jenem Greise nachrühmt: „Er lebte, nahm ein Weib und starb." Noch ein paar Schritte weiter, und sie greift ganz ins Leere. Bei völligem Versagen der Quellen ist die Wissenschaft machtlos. Gefährdet ist sie, wo die Quellen spärlich und nur in äußerst zufälliger Auslese erhalten sind. So wurde noch bis vor kurzer Zeit gelehrt, bis zum Jahre 591 folgten einander eine ganze Anzahl von fränkischen Kriegen gegen die Langobarden. Mit diesem Jahr aber breche die Reihe für 150Jahre ab. Dieser Auffassung hat Robert Holtzmann mit Recht entgegengehalten, nicht die fränkisch-langobardischen Kriege, sondern das große Geschichtswerk des Gregor von Tours breche 591 ab. Da kein gleich vollständiges für die anschließenden Jahrzehnte uns vorliegt, ist es in hohem Grade wahrscheinlich, daß uns über jene Kriege nur die weitere Überlieferung fehlt ')· Gegen Irrtum ist die Geschichte so wenig wie irgendeine andere Wissenschaft, ja wohl noch weniger als viele andere gefeit. Es ist ein offenes Geheimnis, daß eine Anzahl von Behauptungen, die ehemals im Geschichtsunterricht gelehrt wurden, heute als Irrtümer gelten. Wir wissen, daß die sagenhaften Erzählungen aus der römischen Königsze't nicht als beglaubigte Geschichte gelten können, daß Heinrich I. keine Städte gegründet hat, daß das Heilige Römische Reich deutscher Nation nicht im Jahr 962 entstand, daß Luther seine Rede in Worms nicht mit den Worten Schloß: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen." Aber so lange die Bemühungen, den überlieferten Geschichtsstoff immer neuem kritisch zu überprüfen, nicht eingestellt werden - und warum sollten sie das? - , so lange werden zu den Punkten, in denen uns die fortschreitende Wissenschaft zum Umlernen genötigt hat, noch neue hinzukommen, in denen wir ebenfalls umlernen müssen. Robert Holtzmann in „Das Reich", Festschrift für Johannes H a l l e r . Stuttgart 1940. S. 119.

Möglichkeit und G r e n z e n geschichtlicher Erkenntnis

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Noch größer ist die Gefahr, d a ß wir das Opfer von Geschichtsfälschungen werden. Von der ältesten orientalischen Gcschichte bis in unsere Gegenwart zieht sich eine endlose Kette angeblicher Geschichtsquellen, die hergestellt worden sind, um die Nachwelt zu betrügen. Von den in der Humanistenzeit gefälschten und dem Priester Berossos (er lebte im 3. Jahrh. v. Chr. in B a b y l o n ; echt sind einige Fragmente) zugeschriebenen Texten über den sog. Phrygier Dares, der als angeblicher Zeitgenosse den Trojanischen Krieg beschrieb, über die Konstantinische Schenkung und die unter dem Namen des Pseudoisidor bekannten, großenteils falschen Kirchenrechtsquellen, das Privilegium maius (das, angeblich von 1156 datiert, in der Mitte des 14. Jahrh. angefertigt wurde, um die Landesherrschaft der Habsburger zu verstärken) und ungezählte falsche Urkunden für Kirchen und Klöster geht es weiter zum Politischen Testament Peters des Gr. (das ein polnischer Emigrant gefälscht hat) bis zu den vielen neueren Fälschungen, von denen ein gut Teil auf Rechnung gelehrter Eitelkeit kommt. Diese Liste könnte um ein Vielfaches verlängert werden. Ergänzen kann man sie durch den Hinweis auf gefälschte Altertümer. Berühmte Fälle sind die sog. T i a r a des Saitaphernes (eines Königs, der im 2. vorchristlichen Jahrhundert über den wahrscheinlich skythischen Stamm der Saier herrschte). 100 000 Franks hat das Louvremuseum für sie bezahlt. Später stellte sich heraus, d a ß ein aus Odessa stammender Israel Rachumowski sie angefertigt hatte. Für die angeblich zeitgenössische Büste des Renaissancedichters Benivieni zahlte dasselbe Museum 17 000 Franks. Als Zweifel an der Echtheit auftauchten', w u r d e ein Preis von 15 000 Franken für die Lösung der Frage ausgeschrieben. Ihn verdiente sich der Fälscher - ein Florentiner namens Bastianini - , indem er mitteilte, er sei der Hersteller und habe einen T a b a k arbeiter als Modell benutzt. W e r im historischen Fach nicht selber gearbeitet hat und von solchen Dingen hört, kann leicht dem Gedanken R a u m geben, am E n d e sei die ganze überlieferte Weltgeschichte oder große Teile davon ein einziger großer Betrug. J a , wer

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Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis

derartiges nie gedacht und nie ernstlich erwogen hat, ist geistig nicht sehr rege. Es ist für das Bestehen unserer geistigen Welt nicht gleichgültig, ob ein solcher Verdacht der Verfälschung unserer gesamten Geschichte glatt abgewiesen werden kann oder ob wir uns seiner nur mit zweifelhaftem Erfolge erwehren. Noch einmal sei daran erinnert, daß wir von vornherein zugegeben haben, unser Geschichtsbild sei lückenhaft, nicht frei von Irrtümern, und es könnten sich unter den heute als echt geltenden Dokumenten solche befinden, die später einmal als Fälschung erwiesen werden. Ebenso sicher ist auf der anderen Seite, daß das eine oder andere Stück, das im Übereifer von der kritischen Wissenschaft für falsch erklärt wurde, sich im Laufe der Zeit als echt herausstellen wird. Daß aber unsere Gesamtvorstellung vom Geschichtsverlauf nicht von A bis Ζ Dichtung oder Betrug sein kann, läßt sich durch eine Fülle von Tatsachen und Überlegungen erweisen. Zunächst greifen wir aus der großen Zahl von Untersuchungen über falsche Urkunden irgendeine heraus und lesen sie aufmerksam. W i e geht der Verfasser vor? Genau wie jemand, der den Nachweis erbringen wollte, daß ein uns vorliegender Geldschein gefälscht ist. W i e in diesem Falle zu zeigen wäre, daß der zu untersuchende Schein in mehreren - auf den ersten Blick vielleicht kaum ins Auge fallende - Merkmalen abweicht von allen anderen Geldscheinen des gleichen Typus, so wird hier gezeigt, daß die fragliche Urkunde in soundso viel Merkmalen der äußeren Ausstattung und der Textgestaltung von den uns erreichbaren gleichzeitigen Urkunden desselben Ausstellers abweicht. Bei genügender wissenschaftlicher Erfahrung kann man auf die Unechtheit der nicht normgemäßen Urkunde schließen. Wenn wir Glück haben, liegt der Fall so, daß der Fälscher grobe Verstöße begangen hat, aus denen wir sehen, daß er ζ. B. über die Regierungszeit oder den Aufenthaltsort des Urkundenausstellers oder andere wesentliche Tatsachen nicht Bescheid wußte. Vielleicht gelingt auch der

Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis

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Nachweis, d a ß der Fälscher mehrere ihm gut zugängliche (etwa in seinem eigenen Klosterarchiv liegende) echte Urkunden als Muster benutzt hat. Was dort in einem sinnvollen Zusammenhang steht, wirkt in seinem Produkt widersinnig. Derartige Untersuchungen liefern uns ein doppeltes Ergebnis: 1. d a ß das untersuchte Stück eine Fälschung ist, 2. d a ß die herangezogenen Vergleichsstücke echt sind. Auf diesen zweiten Punkt aber kommt für unsere augenblickliche Fragestellung alles an. Wiederholen wir dies mit einer Mehrzahl derartiger Schriften, so gewinnen wir schon ein gewisses Zutrauen zu dem, was die Wissenschaft als gesicherte Geschichtstatsachen betrachtet. Gewaltig verstärkt wird dieses Zutrauen, wenn wir die Querverbindungen der verschiedenen Geschichtsquellen untereinander betrachten oder unser Augenmerk auf die Wege richten, auf denen die einzelnen geschichtlichen Überlieferungen bis zu uns gelangt sind. Um uns hiervon zu überzeugen, wollen wir einmal die Frage aufwerfen, ob die gemeinhin geglaubte Römerherrschaft über das südliche und westliche Deutschland in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung nicht durch falsche Quellen vorgetäuscht worden sein könnte. W e r uns auf griechische und lateinische Historiker hinweist, die von ihr berichten, kann damit die Zweifel noch nicht beseitigen. Wer bürgt dafür, daß sie uns nicht irreführen? Weiter wird man die große Zahl römischer Inschriften aus diesen Gebieten namhaft machen. Auch hier kann sich das Mißtrauen zum Wort melden und sagen: Sind sie auch gewiß echt? Nein, ein gewisser Bruchteil ist nachweislich unecht, aber eben das ist ein günstiger Umstand: er verbürgt die Echtheit der anderen. Weiter haben wir die ganze Fülle der Bodenfunde. Soll man wirklich glauben, sie wären, um uns irrezuführen, erst vergraben worden? Und wäre es selbst der Fall, so kommen doch immer neue gleichartige Funde zutage, auch hilft der Vergleich mit dem, was die vielen römischen Provinzen von Britannien bis nach Spanien, Afrika, dem Balkan, Syrien, Arabien und Ägypten hin an K i r n , Einführung in die Geschichtswissenschaft

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Möglichkeit und G r e n z e n geschichtlicher

Erkenntnis

römischen Altertümern aufzuweisen haben, das Gefundene sichern. Schließlich verbindet sich damit die Eigenart vieler aus der lateinischen Sprache abgeleiteter Ortsnamen wie Köln (Colonia Agrippina) und Trier (Augusta Trevirorum), Vilbel (Villa bella) und Bonames (Bona mansio), die eben nur auf jenem Boden sich finden, den die Quellen zum ehemaligen römischen Herrschaftsgebiet rechnen. Das Vorhandensein zahlreicher Lehnwörter lateinischer Herkunft in unserer Sprache (z. B. schreiben, kaufen, Mauer, Ziegel) liefert zwar keinen zwingenden Schluß auf politische Herrschaft der Römer über Teile des heutigen Deutschland, sondern nur auf nachhaltigen Kultureinfluß, aber wir haben auch keinen Anlaß, die Tatsächlichkeit jener politischen Herrschaft durch weitere Beweise zu erhärten. Ein ähnliches Gedankenexperiment aus der mittelalterlichen Geschichte möge folgen. D i e neuere Geschichte können wir hier beiseite lassen, denn ihr gegenüber ist ja auch so radikaler Zweifel niemals geäußert worden. Wohl aber wurde allen Ernstes die Behauptung gewagt, das, was uns bis heute als gesicherte· Tatsachen der deutschen Geschichte im Mittelalter gilt, sei durch einen iriesigen Betrug, den die Papstkirche im 15. Jahrhundert in Szene gesetzt habe, aufgezeichnet worden l ). Nehmen wir einen Augenblick an, es wäre wirklich so. D i e Werke eines so wichtigen Geschichtsschreibers aus der Frühzeit Friedrich Barbarossas wie des Bischofs Otto von Freising wären eine spätere Fälschung. Was wäre damit behauptet? Damit wäre behauptet, die Fälscher hätten sich die Mühe gemacht, an die 45 Handschriften anzufertigen und äußerlich so auszustatten, daß sie ganz verschiedenen Schreibschulen und verschiedenen Jahrhunderten anzugehören scheinen. Sie hätten es überdies so eingerichtet, daß ein Teil davon wie eine ältere Fassung, ein anderer wie eine von demselben Verfasser später vor*) D i e s e M e i n u n g v e r f o c h t W i l h e l m K a m m e i e r in e i n e r ganzen A n z a h l kurzer Broschüren m i t T i t e l n w i e „ D i e F ä l s c h u n g d e r deutschen G e s c h i c h t e " . Ich h a b e e t w a fünf s o r g f ä l t i g g e l e s e n . Z . Z t . sind s i e mir nicht e r r e i c h b a r , doch e n t s i n n e ich mich mit v o l l e r D e u t l i c h k e i t , d a ß K . so weit g e h t , d i e a l l g e m e i n gültigen L e h r e n von d e r S c h r i f t c n t w i c k l u n g im M i t t e l a l t e r als w e n i g v e r t r a u e n s w ü r d i g zu bezeichnen,

Möglichkeit und Grenzen geschichtlicher Erkenntnis

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genommene Neubearbeitung wirkt. Und endlich hätten sie noch einzelne Handschriften hergestellt, in denen der Text durch Zusätze ergänzt wird, in denen die Weifen verherrlicht werden, und andere, deren Zusätze die Wittelsbacher rühmend hervorheben. Noch nicht genug damit. Wer mit solchen Gedanken spielt und Zweifel äußert gegen die nach Ansicht der Zunftgelehrten in ihren Grundzügen wohlbekannte Entwicklung der Buchschrift im Mittelalter, der muß eigentlich bis zu der absurden Behauptung fortschreiten, daß jene angebliche Fälschergenossenschaft noch Hunderte von juristischen Handschriften und Tausende von Bibelhandschriften angefertigt habe bloß zu dem Zwecke, daß jenes Bild von der Schriftentwicklung, das die geschichtlichen Handschriften bieten, eine scheinbare Stütze erhalte. Wer nämlich die Gesamtfälschung der Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters behaupten wollte, ohne diesen letzten Schritt auch noch zu tun, wäre sofort dadurch zu widerlegen, daß man ihm erwiderte: „Gut. Solange ein Verdacht gegen die historischen Handschriften besteht, ist es ein leichtes, diese vorerst beiseite zu lassen und mit Hilfe der juristischen und der Bibelhandschriften die zeitliche Entwicklung der Schrift in den mittelalterlichen Jahrhunderten einwandfrei klarzulegen. Nach dem Ergebnis beurteilen wir dann die geschichtlichen Handschriften." Damit wäre der unumstößliche Beweis für die äußere Echtheit aller der Textzeugen gegeben, die uns nicht als Abschriften aus späterer Zeit gelten. Denn ein Werk kann nicht im 15. Jahrhundert verfaßt sein, wenn es schon in Handschriften des 12. Jahrhunderts erhalten ist. Daraus geht für jeden Urteilsfähigen hervor, auf wessen Seite die einwandfreie wissenschaftliche Methode ist. Endlich ist noch an eins zu erinnern: Zum Bestand unserer Geschichtsquellen kommen alle Tage neue Stücke hinzu. Fliegerbomben legen im Boden versteckte Gebäudereste bloß. Ein alter Buchdeckel platzt, man findet beschriebene Pergamentblätter, die als Füllmaterial darin stecken, und entziffert sie. Sie bestätigen das Geschichtsbild, das aus anderen Quellen gewonnen ist. Sollen wir annehmen, jene 2*

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Gebäudereste und diese Pergamentzettel seien vor Jahrhunderten von bösartigen Fälschern versteckt worden mit der Berechnung, wir würden sie eines Tages entdecken und dadurch erst recht in ein künstlich angelegtes Lügennetz verstrickt werden? Nein! Mit Recht hat Karl Brandl einmal bemerkt: In der Geschichtswissenschaft hat die Kontrolle durch nachfolgende Funde etwa denselben Wert wie anderwärts das Experiment. So kommen wir zu dem Schluß: Der Gedanke, ob nicht ein Riesenbetrug die Weltgeschichte entstelle, muß einmal gründlich erwogen werden. W e r jedoch nach solcher Prüfung an die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Tatsächlichkeit dieses großen Betruges glaubt, macht sich lächerlich. Wenn einer dies tun will, können wir ihn nicht daran hindern.

3. Kapitel

Das Studium der Geschichte D i e Geschichtswissenschaft ist nicht systematisch aufgebaut, wie ζ. B. die Geometrie. Das hat seine besonderen Nachteile, aber auch wieder Vorzüge. Wer Geometrie lernen oder lehren will, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß erst die Dreieckslehre abgemacht sein muß, bevor das Vier-, Fünf- und η-Eck an die Reihe kommen, daß die Planimetrie der Stereometrie voranzugehen hat. Das verleiht den Lehrgängen und Lehrbüchern eine gewisse Gleichförmigkeit; wer die Schule wechselt, wird anderwärts schnell herausfinden, an welcher Stelle eines fremden Lehrkursus er einzusetzen hat. Ganz anders die Geschichtswissenschaft. Wollte jemand sagen, sie verhalte sich mindestens insofern gleich, als hier doch offenbar der durch die Zeitrechnung vorgeschriebene Gang eingehalten werden müsse, also die Vorgeschichte und die Geschichte des Altertums an den Anfang zu stellen seien, Mittelalter und Neuzeit Fortsetzung und Schluß darzustellen hätten, so daß es sich dann nur noch darum handeln könne, die Hilfs- und Nachbarwissenschaften der Geschichte sinnvoll auf die einzelnen Ab-

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schnitte des Lehrgangs zu verteilen, so wäre zu antworten, daß das keineswegs notwendig und auch kaum durchführbar sei. Derjenige Student, der seine ganze Studienzeit an einer einzigen Universität verbringt, findet schwerlich immer gerade jene Vorlesungen angeboten, die ein solches Hören der ganzen Weltgeschichte in einer Reihe aufeinanderfolgender Semester möglich machten. Er fährt nicht schlechter, wenn er sich an das Dargebotene hält, mag er so auch die Römische Geschichte vor der Griechischen und die Stauferzeit vor der Geschichte der sogenannten Völkerwanderung hören. Daß jemand über alle Zeitabschnitte Vorlesungen hören müsse, wird nicht erwartet. Dem Aufmerksamen wird nicht entgehen, daß die Vorlesung vor dem Buche einiges voraus hat. Sie wird im allgemeinen die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft rascher in sich aufnehmen als ein Buch - der langsame Herstellungsprozeß der Bücher erklärt diesen Unterschied ohne weiteres; sie kann auch besser in schwebende Streitfragen einführen und im Hörer einen mehr persönlichen Eindruck zurücklassen, der fester im Gedächtnis haftet als die Erinnerung an Gelesenes. Wer die Universität wechselt, wird noch stärker durch das zufällige Angebot von Vorlesungen sich bestimmen lassen müssen. Ja, es ist geradezu davor zu warnen, daß man am neuen Orte nur auf die Wichtigkeit der Stoffe sehe, wenn man seinen Stundenplan zusammenstellt. Viel mehr kommt darauf an, auf alle Fälle die führenden Männer zu hören, von denen man sich die größte Förderung versprechen kann, sollte man deswegen auch eine Vorlesung über einen schon früher gehörten Gegenstand in Kauf nehmen müssen. Auch von den Seminarübungen gilt, daß sehr viel auf den Meister und die Methode, sehr wenig auf den Gegenstand ankommt. Kann man sich unter dem angekündigten Thema einer solchen Übung nichts sehr Anziehendes vorstellen, so traue man dem Veranstalter zu, daß er gute Gründe für seine Wahl gehabt haben wird. Ganz falsch aber wäre es, nach dem Vorstehenden anzunehmen, wir wollten die Frage: Wie wird man Historiker? beantworten: Indem man geschichtliche Vorlesungen hört

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Das Studium der Geschichte

und sich ihren Inhalt einprägt. Nein, dazu gehört viel mehr. Das Wichtigste ist, daß man so früh als möglich Fühlung mit den Quellen sucht und sie sein Leben lang aufrechterhält. Stellen wir uns einen Augenblick vor, man hätte uns gefragt: Wie wird man Kunsthistoriker? Wie wird man Kenner der Kunst Albrecht Dürers? Nichts könnte verkehrter sein als der Rat, alles käme auf Vorlesunghören und Bücherlesen an; zuerst müsse man alles Einschlägige lesen, dann sei es an der Zeit, die Werke des Künstlers aufzusuchen. Vielmehr wird fast das umgekehrte Verfahren zu empfehlen sein. Sehen lernen ist die große Aufgabe. Die großen Kunstwerke früh sehen und immer wieder sehen, das stehe im Mittelpunkt. Daneben wohl auch lesen und Kenntnisse aller Art sammeln, aber nicht die Originalwerke ansehen, um die Bücher zu verstehen, sondern die Bücher lesen, um die Originale recht zu erfassen. Die Unbefangenheit des Schauenden wird durch zu frühes Hinhören auf das, was andere gesehen und empfunden haben wollen, zerstört. Gerade sie aber karnn neue wissenschaftliche Erkenntnisse erschließen. Wir gehen ja auch nicht ins Konzert, um festzustellen, ob der Zeitungskritiker Mozart richtig beurteilt hat, sondern um wieder einmal Mozart auf uns wirken zu lassen. Was für den Kunsthistoriker die Originale sind, sind für den Historiker die Quellen. Daher soll den eigentlichen Mittelpunkt des Studiums das Lesen von Quellen und das Erlernen der Methode bilden. Die Methode lernt man am besten durch Besuch von Seminarübungen, Durcharbeiten der dort gestellten Aufgaben und Befolgen der dort gegebenen Anregungen. Auch zum tieferen Eindringen in die Quellen wird man dort Anleitung erhalten. Indessen kann und soll der einzelne für sich ebenfalls Quellen lesen. Und er soll sich dabei den Ratschlag zunutze machen, den einer der erfolgreichsten Quellenleser, Jakob Burckhardt, einst seinen Studenten gab: immer so zu lesen, als gelte es, den vorliegenden Text zum erstenmal für die Wissenschaft auszubeuten, also sich ganz freizumachen von der lähmenden Vorstellung,

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alles, was ein spätgeborener Anfänger daraus entnehmen könne, sei doch sicherlich schon längst von gelehrteren Köpfen beobachtet und ausgewertet. Nein, man soll - nach Burckhardt - immer denken : „Es kann sein, daß im Thukydides z. B . eine Tatsache ersten Ranges liegt, die erst in hundert Jahren jemand bemerken wird" 0· Diese Privatlektüre von Quellen wird zunächst zwar nicht so sehr auf die Gewinnung von Einzelheiten für eine Spezialarbeit ausgehen als auf vollständige Kenntnis größerer Werke, denn eben hierzu können Seminarübungen unmöglich Zeit erübrigen. Diese ausgedehnte Quellenlektüre darf deutsche Übersetzungen der fremdsprachlichen Texte benutzen. Nur muß dann auch eine tüchtige Menge Stoff bewältigt werden. Wer einen Autor auf lateinisch gelesen hätte, kann in der gleichen Zeit bequem zehn in der Übersetzung kennenlernen. Indessen soll damit nicht gesagt sein, die Lektüre der Übersetzung sei gerade so gut wie die Lektüre des Originals. Wohin wir kämen, wenn ein derartiger Grundsatz sich durchsetzte, zeigt folgendes hübsche Beispiel. Ein Neger, George Padmore, schrieb in englischer Sprache ein Buch voller Anklagen über die Behandlung der Neger durch ihre weißen Herren. Unter dem Titel: Afrika unter dem Joch der Weißen erschien eine deutsche Übersetzung davon. Hier steht zu lesen, das Elend der Schwarzen sei noch gesteigert worden durch die Erfindung des Baumwollschnapses im Jahr 1793. D i e geschäftige Phantasie des Lesers stellt sich unter diesem widerlichen Namen leicht einen teuflischen Trank vor. Aber sie geht in die Irre. Im Original steht cotton gin, und das bedeutet die BaumwollEntkörnungsmaschine. Ähnliches Mißgeschick kann jeden Tag passieren, wenn man sich blindlings den Übersetzern anvertraut. Der Historiker muß für das Verständnis der Quellen wie der neueren wissenschaftlichen Literatur gründliche und ausgedehnte Sprachkenntnisse besitzen und sie ständig er!) W e l t g e s c h i c h t l i c h e B e t r a c h t u n g e n . B e r l i n u. S t u t t g a r t 1 9 0 5 . S . 2 0 . Auçh d a i u n m i t t e l b a r V o r a n g e h e n d e und F o l g e n d ? ist sehr I ç s e n s w e r t ,

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weitern. Ohne Latein wäre er ganz Unbrauchbar, nicht nur Altertum und Mittelalter wären ihm verschlossen, selbst den Text des Westfälischen Friedens könnte er nicht ohne fremde Hilfe, die leicht irreführt, verstehen. Dabei sage er sich, daß Griechisch für das Altertum und weite Teile des Mittelalters unentbehrlich ist. Wer dem Englischen und dem Französischen hilflos gegenübersteht, ist auch kein Historiker. Und auch damit ist der Kreis des Wünschenswerten noch längst nicht umschrieben. Unter den Sprachen, zu denen man vom Germanischen oder Romanischen her keinen schweren Zugang hat, sind Niederländisch und Italienisch nebst Spanisch und Portogiesisch für viele geschichtliche Arbeiten notwendig. Wer Rankes große Werke liest und dabei dieAnmerkungen nicht überschlägt, findet darin so viele italienische Sätze, deren Sinn sich teils aus den Mitteilungen in Rankes Text, teils aus dem Lateinischen oder Französischen ohne weiteres ergibt, daß er nicht mehr sehr viel Mühe aufwenden muß, um richtig Italienisch zu lernen. Auf die Notwendigkeit der skandinavischen Sprachen und des Russischen nebst seinen slawischen Verwandten sei noch hingewiesen. Der ideale Historiker muß schon viel in sich aufnehmen. Dem Anfänger ist zu raten, jedenfalls Sprachstudien nachdrücklich zu treiben. Wenn er den Mut hat, über das im allgemeinen Übliche hinauszugehen, wird seine Herkunft und der künftige Wirkungskreis, für den er sich vorbereitet, seine Entschlüsse leiten. Der Holsteiner ζ. B. wird sich auch sprachlich auf die skandinavische Geschichte einstellen, der Ostpreuße oder Schlesier auf die russische und polnische usw. Im Lateinischen, Französischen und Englischen sollte jeder zu Hause sein. Neben der Quellenlektüre, die uns zu einem Exkurs über das Sprachenlernen verführt hat, wird die Lektüre bedeutender GeSchichtswerke einen erheblichen Raum einnehmen müssen. Welche jeweils die bedeutendsten über ein bestimmtes Teilgebiet der Geschichte sind, sagt eine Tabelle im Anhang. Wer sie zu Rate zieht, sichert sich gegen die Gefahr, Mühe auf ein Buch zu verwenden, das Wissenschaft-

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lieh nicht ernst zu nehmen ist. Ebenso wichtig ist zu wissen, wie man lesen soll. Tatsachen aus den Büchern zu lernen, ist nicht der einzige Zweck. M a n lege sich während des Lesens Fragen vor wie diese: W i e gliedert der Verfasser seinen S t o f f ? Ist diese Gliederung neu, und wird sie durch seine Darstellung bestätigt? Welchen Einfluß hat seine Weltanschauung auf Auswahl und Beurteilung des Mitgeteilten? Wie stellt er sich zu seinen Vorgängern? Man lese nicht gleichgültig über geographische Angaben hinweg, sondern benutze ständig den Atlas. D e n Inhalt des Gelesenen wird man oft - wäre die Zeit nicht kostbar, so müßte es heißen immer - in einem kurzen Auszug festhalten. Besonders wichtig ist dies 1. bei klassischen Werken, deren ganzer A u f b a u verstanden sein will und zu deren Grundgedanken man noch öfter zurückkehrt, 2. bei solchen Büchern, die uns nur vorübergehend und unter besonders günstigen Umständen zugänglich sind, so d a ß wir wohl oder übel später mit dem Auszug arbeiten müssen, wo das Werk selbst îinen besseren Dienst täte. Bei Büchern, deren Hauptverdienst in einer schwer übersichtlichen Stoffsammlung besteht, kann man sich die Mühe des vollständigen Exzerpierens sparen, indem man nur das v o m Arbeitsziel Geforderte notiert. So wenig wie das Hören der Vorlesungen muß die geschichtliche Lektüre mit dem grauen Altertum beginnen und mit der jüngsten Gegenwart endigen. Wir möchten ein ganz anderes Verfahren empfehlen. Man erkundige sich so früh wie möglich nach dem Gegenstand, der in den geschichtlichen Übungen des kommenden Semesters behandelt werden soll. O b dies nun die Zeit des Cäsar und Pompcjus oder der Investiturstreit ist oder die Französische Revolution, jedenfalls lese man, tunlichst bevor diese Übungen beginnen, eines der maßgebenden Bücher über den gewählten Stoff. D a s wird sich sehr lohnen. Geschieht es nicht, dann leidet die Mitarbeit im Seminar an dem lästigen Übelstañd, daß der Student immer nur den Punkt sieht, der kritisch untersucht werden soll, und die weitere Umgebung, in der dieser steht und ohne die man ihn nicht recht erfassen kann, ihm fremd bleibt.

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Mit dem Lesen von Geschichtsbüchern ist es nicht getan. Ein tüchtiger Historiker muß sich in weiten Bereichen der Dichtung auskennen. Die Bedeutung der deutschen und der fremden Klassiker versteht sich von selbst. Wer als mittelalterlicher Historiker ernst genommen sein will, wird Dantes Divina Commedia nicht ungelesen lassen. Wer seinen Schülern vom Goldenen Jahrhundert der spanischen Kultur erzählt, wird, wenn er es nicht schon vorher tat, den Don Quixote lesen, damit er von diesem köstlichen Buch nicht zu reden braucht wie der Blinde von der Farbe. Und so wird jeder eine Menge ebenso wichtiger wie erfreulicher Pflichten auf seinem Wege finden. W e r einsieht, daß ihm die Kenntnis der dichterischen Kunstwerke unentbehrlich ist, um die Vergangenheit zu verstehen, wird auch für die Werke der bildenden Kunst aufgeschlossen sein. Auch sie sind ja Geschichtsquellen. Man suche sie so oft als möglich auf, Wozu Reisen und Wanderungen die beste Gelegenheit bieten. Das Reisen und Wandern muß man dem Historiker aus vielen Gründen auf das dringendste empfehlen. Neben den städtischen Sehenswürdigkeiten locken die ländlichen und landschaftlichen. Noch tiefer als die Mehrzahl der aus Büchern gewonnenen Kenntnisse haftet es im Gedächtnis, wenn man einmal auf der Stadtmauer von Nördlingen entlang gegangen ist, im Kreuzgang der St. Viktorskirche in Xanten und in den Ruinen des Kaiserpalastes in Trier verweilt, vom Turm der Petrikirche auf Lübeck herabgesehen hat oder über das Schlachtfeld von Kolin gewandert ist, wenn man den mageren Sandboden der Lüneburger Heide so gut unter seinen Sohlen gespürt hat wie das fette Land der Magdeburger Börde. Mehrere große Historiker sind große Wanderer gewesen. So Ferdinand Gregorovius und vor allem Heinrich von Treitschke, von dem das schöne Wort stammt: „Man muß jeden Winkel Deutschlands durchstöbern, wenn man über deutsche Geschichte schreiben will." Er hat ganz recht: nirgends geht der Historiker leer aus. Aus solchen Reiseeindrücken kommen dann wieder An-

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regungen für Arbeit und Lektüre. Über Kunstwerke, die uns ergriffen haben, möchten wir auch etwas hören oder lesen, und so wird mancher, der Kunstgeschichte nicht schon als Nebenfach betreibt, Lust bekommen, eine Vorlesung aus diesem Gebiet zu hören oder ein einschlägiges Buch zu lesen. Hier wollen wir zwar zureden, aber mit der Einschränkung: Bücher aus Nachbarfächern soll man lesen, aber nur die hervorragenden. Das Mittelmäßige und Unbedeutende würde uns zu viel Zeit kosten; es zu kennen, haben wir ja keine Verpflichtung. Der Leser wünscht nun vielleicht, nachdem so vieles N o t wendige und Wünschenswerte zur Sprache kam, noch klar umrissene Aussagen über das Ziel des Studiums und die Art, wie man sich auf Prüfungen vorbereiten soll. Niemand könnte daran denken, vom Studenten zu verlangen, daß er die Weltgeschichte in ihrem ganzen Umfang quellenmäßig studiert habe, denn dazu würden mehrere Menschenleben nicht ausreichen. Das höchste Ziel, das wir vernünftigerweise dem Studium stecken können, ist, so viel zu lernen, d a ß man grundsätzlich imstande wäre, jeden Punkt der überlieferten Geschichte unabhängig durch eigene Quellenforschung zu erhellen. Das klingt vielleicht anspruchsvoll. Wenn man indessen vom Physiker erwartet, daß er die verschiedensten Aufgaben experimentell lösen könne, so ist es nicht unbillig, vom Historiker derartiges zu verlangen. Zugleich ist damit ausgesprochen, d a ß ein Auswendiglernen großer Stoffmassen nicht gefordert wird. Die beste Vorbereitung auf das Examen ist ein gründliches Studium. D e n Gedächtnisstoff kann man nicht entbehren, aber er ist nicht die Hauptsache. Das, was den Kandidaten im Verlauf seiner Studienzeit am stärksten gefesselt hat und worin er sich durch eigene Arbeit einen Grundstock von Kenntnissen angeeignet hat, wird den Mittelpunkt der Prüfung bilden. Denn es ist altes, sehr berechtigtes Herkommen, d a ß der Student vorwiegend nach den Geschichtsperioden gefragt wird, die er selber als seine Spezialgebiete bezeichnet. Gewöhnlich wird das so gehandhabt, d a ß er einen Zeitabschnitt aus dem Altertum, einen

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aus dem Mittelalter und einen aus der Neuzeit wählt, ζ. B. Perserkriege, Stauferzeit, Absolutismus. Natürlich können auch sachlich bestimmte Teilgebiete ausgesucht werden, wie römisches Heerwesen, städtische Wirtschaftsgeschichte im Mittelalter, Ideenlehre der neueren Revolutionen. Jedenfalls soll der Prüfling Gelegenheit finden, sich über solche Gegenstände auszusprechen, die ihm vertraut sind, wo er über die Quellengrundlage und über bedeutsamere wissenschaftliche Streitfragen Auskunft geben kann. Geht man an die eigentliche Examenvorbereitung heran, so hüte man sich vor einer Überladung des Gedächtnisses mit Namen und Zahlen, die einem bis gestern noch gänzlich fremd waren und nun naturgemäß nicht recht haften wollen, aber desto mehr den Lernenden beunruhigen. Will man sich eine größere Entwicklungsreihe vergegenwärtigen, etwa Wachstum und Zerfall des römischen Weltreiches, die deutschen Königswahlen im Mittelalter oder die deutsch-englischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, so stelle man für jede nicht eine möglichst ausführliche, sondern eine möglichst knappe Tabelle auf und suche sich diese einzuprägen. Für diesen Zweck ist es besser zu versuchen, ob man nicht mit drei oder vier Namen und Zahlen auskommt, die entscheidende Wendepunkte bezeichnen, als 20 oder mehr Tatsachen zusammenzutragen und das Gedächtnis damit zu quälen. Überhaupt hängt viel davon ab, daß man in den letzten Wochen und Tagen nicht nur Arbeit leistet, sondern sich auch Entspannung gönnt. Es soll nicht bewiesen werden, was der Mensch alles leisten kann, wenn er sich vollkommen auf das Auswendiglernen verlegt, sondern es soll sich zeigen, daß der Prüfling über ein gewisses M a ß von Kenntnissen verfügt, vor allem aber imstande ist, in einem Wechselgespräch seine ersten Aussagen zu ergänzen, zu berichtigen, zu weiteren Tatsachen in Beziehung zu setzen und so eine gewisse Fähigkeit zu wissenschaftlicher Gedankenbildung nachzuweisen. Mit den Prüfungen sind zumeist auch sogenannte Klausurarbeiten verbunden. Wer gar den Doktorgrad erwerben

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will, muß bekanntlich eine wissenschaftliche A b h a n d l u n g über einen noch nicht abschließend erörterten Gegenstand ausarbeiten. An beides sollte man nicht ohne Vorbereitung herangehen. Dabei ist nicht an das fachwissenschaftliche Lernen gedacht - davon w a r ja schon genügend die R e d e - , sondern an die Übung im Schreiben. Es mag dahingestellt bleiben, ob die höheren Schulen ihren Zöglingen jenen G r a d von Gewandtheit im schriftlichen Gebrauch der deutschen Sprache anerziehen, der eigentlich gefordert werden müßte. W e n h es der Fall sein sollte, so geht das Erlernte ζ. T . w i e d e r verloren w ä h r e n d der Studienzeit, in der das Aufnehmen die Selbsttätigkeit stark in den Hintergrund drängt. D a r u m empfiehlt es sich, schon in den früheren Semestern sich im Schreiben eines guten Stils zu üben. D a nicht viel Zeit d a f ü r aufgewendet werden kann, nutze man die Lektüre, um sich über die Gründe klarzuwerden, wodurch in einem Fall der Stil gefällig, im andern unerfreulich wirkt. W e r nicht dazu kommt, einen großen Aufsatz zu verfassen, schreibe einen kleinen, und wer auch dazu zu stark beschäftigt ist, überlege sich, welche Disposition einem Stoff, den er genau kennt, am besten angemessen wäre. Blickt er noch gelegentlich in ein W e r k über guten deutschen Stil hinein, so ist schon das Wesentliche erreicht: er hat gelernt, seine Gedanken auf d i e Sprachform zu richten und befindet sich auf einem W e g e , auf dem er - so hoffen wir - beständig fortschreiten kann und wird. 4. K a p i t e l

Die Geschichtsquellen und die Hilfs- und Nadibarwissenschaften der Gesdiidite 1. Die Geschichtsquellen Schon mehrfach w a r von Geschichtsquellen die Rede, ohne d a ß wir erläutert hätten, w a s eigentlich darunter zu verstehen sei. Quellen nennen w i r a l l e Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann. D a ß dabei Texte zu erwähnen sind,

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leuchtet ohne weiteres ein. Bei Gegenständen brauchen wir nur an Steinbeile und Fibeln zu denken,, dann sind wir im Bilde. Warum aber gehören noch Tatsachen dazu? Nun, eine Tatsache, die einen Einblick in die Vergangenheit ermöglicht, ist ζ. B. die heutige Verbreitung der deutschen Sprache über die Welt oder die heutige Verbreitung des niedersächsischen Bauernhauses. Für gewisse geschichtliche Untersuchungen müssen diese Tatsachen mit vielen anderen verglichen und ausgewertet werden, infolgedessen sind sie Geschichtsquellen. Die Einteilung der Geschichtsquellen kann nach vier Gesichtspunkten vorgenommen werden : a) nach dem Ursprung (ob zeitgenössisch oder entfernt; einheimisch oder fremd; unmittelbar oder mittelbar; privat oder öffentlich), b) nach dem Inhalt (Quelle für Geschichte des Krieges, der Rechtspflege, der Verwaltung, der Wirtschaft, der Kunst, der Religion usw.), c) nach dem Zweck (Bericht, Chronik, Urkunde, Brief), d) nach dem Erkenntniswert (Überrest oder Tradition) l ). Zu diesem zuletzt angeführten Gegensatzpaar ist noch etwas zu sagen. Unter Tradition ist alles zu verstehen, was aus der Absicht entspringt, der Mit- oder Nachwelt Kunde von Geschehenem zu übermitteln. Alle übrigen Quellen fallen unter den Begriff Überreste, vom steinzeitlichen Tongefäß bis zum Blüthnerflügel und vom Schulheft eines ABC-Schützen bis zu Goethes Faust. Denn es gibt auch Schriftquellen, die zu den Überresten zählen. Ja, auch das kann uns an dem - von gewissen Forschern bestrittenen Wert dieser Unterscheidung nicht irremachen, daß ein und dasselbe Stück gleichzeitig zur Tradition und zu den Überresten gehören kann. So sind ζ. B. das althochdeutsche Ludwigslied und Goethes Kampagne in Frankreich Tradition, soweit wir sie nach den sachlichen Mitteilungen über die Normannenschlacht bei Saucourt im Jahr 882 bzw. über den Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich 1792 beD i e v e r s c h i e d e n e n E i n t e i l u n g s m ö g l i c h k e i t e n e r ö r t e r t g e n a u Erich K e y s e r , D i e G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t . M ü n c h c n 1931. S. 51 ff. W e r t v o l l auch O t t o S t o l z . Zur Systematik der Geschichtsquellen. M ö c I G . 52 (1938).

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fragen. Richten wir unsere Aufmerksamkeit dagegen ausschließlich auf die Einstellung des Dichters zum Vaterland, zum König, zum Feind, zum Krieg, so sind beide W e r k e für uns Überrest. Um uns von der unendlichen Mannigfaltigkeit der Geschichtsquellen eine annähernde Vorstellung zu verschaffen, zählen wir einiges aus ihrer reichen Fülle auf. D a tritt uns unter den Überresten zu allererst entgegen das Land selbst mit den Resten menschlicher Arbeit, die es umwandelte durch Rodung, durch Anlage von Gräben, Kanälen und Wehrbauten. Aus der heutigen Landschaft die Urlandschaft zu rekonstruieren, ist eine Aufgabe, die im wesentlichen die Naturforscher und Geographen zum Nutzen geschichtlicher Betrachtung leisten. Dann folgen Reste von menschlichen Skeletten, Geräte, Schmuckstücke, W a f fen, Kunstwerke. Diesen konkreten Überresten stehen die abstrakten gegenüber, zu allererst die Sprachen und die sicheren Tatsachen über deren gegenseitige Verwandtschaft. Ihnen schließen sich die Namen von Völkern, Personen, Ortschaften und Fluren an, wobei niemals die heute übliche Form allein betrachtet werden darf, sondern stets die älteste Gestalt ermittelt werden muß ')· Das heutige Dombühl ζ. B. würde einen verlocken zur Deutung Gerichtshügel, wenn nicht die früheren Formen eindeutig ergäben, d a ß Tannbühl = Tannhügel gemeint ist. Das ganze weite Gebiet des Brauchtums haben wir zu den abstrakten Überresten zu rechnen. W i r verlassen nun bewußt diese Einteilung und zählen im folgenden aus den vielen Arten und Typen der schriftlichen Quellen vor allem diejenigen auf, die älteren Kulturstufen angehören und daher dem, der sich noch nicht quellenmäßig mit Geschichte befaßt hat, nicht geläufig sind. Zu den Quellen der alten Geschichte gehören außer den griechischen und römischen Geschichtsschreibern u. a. die Papyri, d. h. die auf zwei Schichten von aufeinander gepreßten Streifen aus dem Stengelmark der Papyrusstaude ' ) Im Vorbeigehen sei auf E d w a r d Schröder, Namenkunde, Göttingen 1938, Verwiesen. Aus diesem Buch kann der Historiker sehr v i e l lernen.

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geschriebenen Texte, und die Ostraka, d. h. die auf Tonscherben aufgezeichneten Notizen. Das Mittelalter hat vor allem Annalen und Chroniken hervorgebracht. Annalen sind von Hause aus formlos aneinandergereihte knappe historische Nachrichten, oft geben sie zu einer Jahreszahl einen einzigen kurzen Satz, ja, manchmal verzichten sie auch darauf und begnügen sich, ganz wie unsere Geschichtstabellen, mit Stichworten. Im Laufe der Zeit wird kein so scharfer Unterschied zwischen Annalen und Chroniken mehr gemacht. Dann tragen auch breit darstellende Werke den Titel Annalen. Chroniken sind Geschichtsbücher, deren Verfasser (im Gegensatz zu den Annalen) ihren Namen nennen und ihren literarischen Ehrgeiz, mögen sie ihn auch hinter herkömmlichen Demutswendungen verstecken, dadurch bekunden, daß sie ihrem Werk einen Widmungsbrief vorausschicken und einen durchdachten Aufbau geben. Neben ihnen treten Biographien auf, die aber selten - wie einst im Altertum - Könige oder sonst hervorragende Männer in weltlichen Stellungen behandeln, vielmehr mit Vorliebe Heilige verherrlichen. Wie zu allen Zeiten spielen Briefe als Geschichtsquellen auch im Mittelalter eine Rolle. Freilich dienen die antiken wie die mittelalterlichen Briefe nicht dem ungehemmten privaten Mitteilungsbedürfnis. Man spürt ihnen an, daß sie nach schulmäßig erlernten Regeln abgefaßt sind, daß auch geistig hochstehende Briefschreiber die Genugtuung darüber, daß sie sich in diesem enggezogenen Rahmen leidlich gewandt bewegen, nicht ganz verleugnen können. Eine große Menge von Quellengattungen steht im Dienst des Rechtslebens. Gerade sie sind verhältnismäßig gut erhalten, denn sie behielten über die Dauer des einzelnen Menschenlebens Gültigkeit, während so vieles andere, was für uns Nachlebende unschätzbar wäre, achtlos der Vernichtung preisgegeben wurde. Die Hunderttausende von mittelalterlichen Urkunden sind eben darum auf uns gekommen, weil sie den Empfängern und ihren Erben Rechte verbrieften, deren Nachweis immer von Zeit zu Zeit notwendig und nur durch Vorzeigen der Originalurkunde oder einer be-

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glaubigten Abschrift erbracht werden konnte. Neben den Originalurkunden spielen eine wichtige Rolle Urkundenregister und Kopialbiicher. Unter jenen verstehen wir Bücher, in die vorwiegend auslaufende Urkunden eines und desselben Ausstellers, unter diesen Bücher, in die in der Regel eingelaufene, für einen und denselben Empfänger bestimmte Urkunden eingetragen sind. In dem Zeitraum, in dem das Ausstellen von privaten Urkunden sehr selten war - es ist das vorwiegend das 10. Jahrhundert - , sind oftmals die Einträge in sogenannten Traditionsbiicher die einzige Beurkundung von Grundstücksübertragungen gewesen. Dazu kommen nun die großen Aufzeichnungen der Volks- und Stammesrecbte, wie sie Westgoten, Burgunder, Ostgoten, Langobarden, salische und ribuarische Franken, Sachsen, Angelsachsen, Friesen, Thüringer, Bayern und Schwaben hinterlassen haben, und die viele Bände füllenden (und doch nur zu einem kleinen Bruchteil gedruckten) Weistümer. Darunter versteht man Aufzeichnungen über Recht, das nicht etwa im Augenblick neu beschlossen wird, vielmehr seit alters her gilt und von den Kundigen von Zeit zu Zeit „gewiesen" wird. Im Worte selbst liegt keine Einschränkung auf einen bestimmten, etwa den bäuerlichen Rechtskreis. In der Tat gibt es Hunderte von sogenannten Reichsweistümern, d. h. Niederschriften über die allerverschiedensten Rechtsverhältnisse, wie sie der König von seiner fürstlichen Umgebung erfragt hat. Aber die überwiegende Masse der Weistümer beschäftigt sich mit den Rechten und Pflichten der Bauern und ihrer Grundherrschaften. Typisch mittelalterlich sind unter den Quellen zur Wirtschaftsgeschichte, denen wir uns hiermit genähert haben, die Aufzeichnungen, die eine Grundherrschaft über die ihr gehörigen Grundstücke und die ihr zustehenden Abgaben und Leistungen unterrichten, im frühen Mittelalter im Westfrankenreich Polytycha, später allgemein Urbare genannt. Urbar bedeutet soviel wie Ertrag. Endlich ist der Totenbücher zu gedenken, in denen zu den einzelnen Kalendertagen die Namen der Insassen und Wohltäter einer geistK i r n , Einführung in die Geschichtswissenschaft

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lichen Anstalt verzeichnet wurden, die jeweils an diesem Tage gestorben waren und im Gebet berücksichtigt oder mit einer Seelenmesse bedacht werden sollten. Verbrüderungsbücher nennen die Namen aller derer, die in eine Gebetsverbrüderung eingetreten sind, wie solche im Mittelalter sich um ein besonders berühmtes Kloster oft weit über die Landesgrenzen hinaus bildeten. An die Spitze der für die frühe Neuzeit typischen Quellen sind die klassischen Erzeugnisse der in Italien sich bildenden Diplomatie zu stellen, die Depeschen und Relationen. Beides sind von Gesandten aufgesetzte Schriftstücke, aber zwischen ihnen besteht ein wesentlicher Unterschied: die Depeschen sind, wie wir es dem Namen entsprechend erwarten, die ursprünglichen Mitteilungen, mit denen der im Ausland lebende Gesandte seinen heimischen Herrscher oder seine vorgesetzte Behörde auf dem laufenden hält. Relationen aber sind kunstvoll ausgearbeitete Gesamtüberblicke über das Kräftespiel der hohen Politik und insbesondere die politische Haltung derjenigen Macht, bei der der Gesandte einige Jahre akkreditiert war. Die berühmtesten Relationen stammen von venezianischen Gesandten und wurden dort nach Rückkehr von dem Gesandtschaftsposten vor dem versammelten Senat vorgelesen. Hingerissen von der Farbenfülle dieser Zeitgemälde und noch mehr von dem reifen Geist kühl-sachlicher politischer Weltbetrachtung, der aus ihnen spricht, hat Leopold von Ranke in seinen ersten epochemachenden Büchern immer neue Aufschlüsse aus diesen Relationen mitgeteilt, die er zunächst in den Bibliotheken von Berlin und Wien, dann aber da, wo sie in unerschöpflicher Fülle zu finden waren, im Archiv zu Venedig aufsuchte ')· Sonstige charakteristische Quellen der neueren Zeit sind schnell aufgezählt. Eine große Rolle spielen natürlich die vielfältigen Verwaltungsakten. Da sind ferner die Rinblattdrucke und Flugschriften, Zeitschriften und Zeitungen. ») V g l . R a n k e , W e r k e Bd. 35/36, S. V I - X I I und B d . 42, 172-175. Neuestens W i l l y Andreas, Staatskunst und Diplomatie der Venetianer im Spiegel ihrer Gesandtschaftsberichte. Leipzig 1943.

D i e geschichtlichen Hilfswissenschaften

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W ä h r e n d bedeutende Selbstbiographien auch schon aus dem Altertum vorliegen und dem Mittelalter keineswegs fehlen, sind die eigentlichen Memoiren handelnder Staatsmänner für die Neuzeit charakteristisch. So bedenklich es wäre, wollte der Historiker ihre Aussagen unkritisch nacherzählen, so erwünscht ist es, d a ß er fleißig in diesen Quellen liest, die dem blassen Stoff geschichtlichen Wissens erst die rechte F a r b e des Lebens verleihen. U m dem angehenden Geschichtsstudenten einige Ratschläge zur Lektüre solcher Memoiren zu geben, ist eine kleine Auswahl von Buchtiteln im Anhang mitgeteilt.

2. Oie geschichtlichen

Hilfswissenschaften

Wenn wir uns an dieser Stelle darauf besinnen, womit wir uns im vorliegenden K a p i t e l beschäftigt haben, so ertappen wir uns dabei, d a ß wir uns mit einer der geschichtlichen Hilfswissenschaften einließen, nämlich mit der Quellenkunde. D a b e i blieben wir aber im allgemeinen. D i e spezielle Quellenkunde, für die hier kein R a u m ist, würde uns die F r a g e beantworten : W e l c h e Quellen gilt es für den oder jenen Zeitabschnitt, für dies oder jenes Sachgebiet heranzuziehen? F ü r diesen Zweck nennen wir kurz die wesentlichsten Hilfsmittel. D i e Quellen zur griechischen und zur römischen G e schichte sind knapp angeführt jeweils vor den einzelnen Abschnitten von Hermann Bengston, Griechische Geschichte von den Anfängen bis in die Römische Kaiserzeit, München 1 9 5 0 und Benedikt Niese, G r u n d r i ß der römischen Geschichte nebst Quellenkunde, neu bearb. von Ernst Hohl, 1 9 2 3 . Für die. deutsche Geschichte des Mittelalters ist das Hauptwerk WilhelmWattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur M i t t e des 13. Jahrhunderts, l . B d . , 7. Aufl., Berlin 1 9 0 4 . F ü r die Merowinger- und Karolingerzeit ist dieser B a n d noch nicht zu entbehren. D a gegen liegt etwa die H ä l f t e dessen, was der 2 . B a n d (6. Aufl. 3*

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D i e Geschichtsquellen

1 8 9 4 ) enthält, in neuer B e a r b e i t u n g , an der v i e l e G e l e h r t e beteiligt sind, v o r : Wattenbach-Holtzmann, Q u e l l e n k u n d e usw. 4 H e f t e seit 1 9 3 8 . K n a p p e r , nützlich besonders für d i e hier noch nicht behandelten Z e i t r ä u m e ist Karl Jacob, Q u e l l e n k u n d e der dt. Geschichte im M i t t e l a l t e r , 3 B d e . , S a m m l u n g G ö s c h e n N r . 2 7 9 , 2 8 0 , 2 8 4 , 5 . A u f l . 1 9 4 9 . 3 . B d . b e a r b . v. F r i t z W e d e n . F ü r die Z e i t nach d e m Sturz der S t a u f e r ist m a ß gebend Ottokar Lorenz, D e u t s c h l a n d s Geschichtsquellen im Mittelalter seit der M i t t e des 1 3 . J a h r h d t s , 2 B d e . , 3. Aufl. 1 8 8 6 f. D a n e b e n auch Max Jansen, Q u e l l e n und H i s t o r i o graphie der dt. G e s c h i c h t e bis 1 5 0 0 , 2. Aufl. v. L . SchmitzKallenberg, 1914. M i n d e r gut ist für d i e Q u e l l e n k u n d e zur neueren G e schichte gesorgt. N u r f o l g e n d e W e r k e bilden rühmliche Ausnahmen: N a c h I n h a l t und M e t h o d e h a b e n noch i m m e r a u ß e r ordentliche B e d e u t u n g die Ausführungen des A l t m e i s t e r s Ranke, denen er den T i t e l g a b : Z u r K r i t i k neuerer G e schichtsschreiber. S i e erschienen 1 8 2 4 als A n h a n g zu seiner Schrift über die germanisch-romanischen V ö l k e r . V i e l e s bringt Gustav Wolf, E i n f ü h r u n g in das Studium der neueren Geschichte, 1 9 1 0 . V o r a l l e m ist das Z e i t a l t e r der R e f o r m a t i o n durch zwei sehr verdienstliche W e r k e erschlossen: Gustav Wolf, Q u e l l e n k u n d e der dt. R e f o r m a t i o n s g e schichte, 3 B ä n d e , G o t h a 1 9 1 7 - 1 9 2 3 ; Franz Schnabel, D e u t s c h l a n d s geschichtliche Q u e l l e n und D a r s t e l l u n g e n der Neuzeit. B d . 1 ( 1 5 0 0 bis 1 5 5 0 ) , Leipzig und Berlin 1 9 3 1 . D a s zuletzt genannte B u c h liest sich spannend. I m Gegensatz hierzu stehen die Bibliographien, d i e nur zum Nachschlagen dienen und für die Q u e l l e n , a b e r auch für die D a r s t e l l u n g e n zur G e s c h i c h t e d i e nötigen B u c h t i t e l verzeichnen : F ü r die W e l t g e s c h i c h t e k ö n n e n d i e n e n :

Paul Herre, Adolf

Hofmeister,

Rudolf

Stübe, Quellen-

k u n d e zur Weltgeschichte. L e i p z i g 1 9 1 0 . Neuerdings h a b e n d i e A m e r i k a n e r G. M. Dutcher,

H.

R,

D i e geschichtlichen Hilfswissenschaften

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Shipman, S. Β. Fay, Α. Η. Shearer und W. Η. Allison ein gutes Hilfsmittel geschaffen in Guide to Historical Literature, N e w York 1937. Günther Franz, Bücherkunde zur Weltgeschichte vom Untergang des Römischen Weltreiches bis zur Gegenwart, München 1956. Am modernsten und daher am bequemsten ist Werner Trillmich, Kleine Bücherkunde zur Geschichtswissenschaft, eingeleitet von Hermann Aubin, Hamburg 1949, und Günther Franz, Bücherkde z. dt. Gesch., München 1951. G u t ausgewählt sind auch die bibliographischen Angaben, die Theodor Lindner seiner zehnbändigen Weltgeschichte (2. Aufl. 1920-21) beigab, obwohl in ihnen naturgemäß die Quellen stark hinter den Darstellungen zurücktreten. Sehr reichliche Buchtitel sind mitgeteilt in allen Bänden der Cambridge Ancient History, Cambridge Medieval History und Cambridge Modern History. Für die deutsche Geschichte besitzen wir eine im ganzen vorzügliche Bibliographie: Dahlmann-Waitz, Quellenkunde zur deutschen Geschichte, 9. Aufl. (in Verbindung mit 53 Gelehrten) herausgegeben von Hermann Haering, Leipzig 1931; abgekürzt D W . Man zitiert die einzelnen darin aufgeführten Titel nicht nach der Seitenzahl, sondern nach der laufenden Nummer. Will man Quellen und Literatur für irgendein Thema der deutschen Geschichte zusammentragen, so wird man zuerst hier suchen. Was da etwa noch fehlt, findet man teils schon beim Lesen der so ermittelten Bücher und Aufsätze, teils indem man daneben noch laufende Bibliographien und Zeitschriften befragt, um damit die Lücke zwischen 1931 (das bis dahin Erschienene verzeichnet der D W ) und heute auszufüllen. Für diesen Zweck sind die wichtigste laufende Bibliographie die Jahresberichte für dt. Geschichte, herausg. von Albert Brackman und Fritz Härtung seit 1927 (darin sind die Neuerscheinungen seit 1925 besprochen). An Zeitschriften wird man heranziehen die

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Historische

Die

Geschichtsquellen

Zeitschrift,

Historische

Vierteljahresschrift

(1938 eingegangen), für das Mittelalter das Deutsche Archiv für Geschichte des Mittelalters (bis 1936 Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichte genannt) und

die Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (in

drei Abteilungen gegliedert: Germanistische, romanistische, kanonistische Abt.). Wichtige Buchbesprechungen - auch über das historische Fach hinaus - bietet die Deutsche Literaturzeitung '). Für die Geschichte unserer westlichen Nachbarn tun etwa denselben Dienst die französische Revue historique und die'English Historical Review. Viel mehr bibliographische Angaben, als der Titel erwarten läßt, bietet die in Löwen erscheinende Revue d'histoire ecclésiastique. In den obengenannten Jahresberichten für dt. Geschichte stehen vielfach auch Beiträge, die den deutschen Leser über die in ungarischer, tschechischer usw. oder einer der skandinavischen Sprachen erschienene Geschichtsliteratur unterrichten. Das Angeführte mag den meisten genügen, den Bedarf des Anfängers schon weit übersteigen. Indes wollen wir doch darauf verweisen, daß in einzelnen Fällen weder die fertigen noch die laufenden Bibliographien den Wissensdurst des Forschers stillen. Tritt nämlich die Notwendigkeit ein, für eine Untersuchung auch die letzten noch ungedruckten Dokumente aufzuspüren, so müssen wir die Literatur über die Archive 2 ) studieren, vor allem aber aus einer schon erworbenen Kenntnis des Gegenstandes heraus ermitteln, wohin wir uns zu wenden haben. Als gutes Beispiel für ein solches Verfahren kann die Abhandlung dienen, in der Paul Kalkoff 1912 darlegte, woher man etwa neue Aufschlüsse über Luthers römischen Prozeß gewinnen könnte 3 ). D a stellte er Fragen wie diese: Welche Gerichtshöfe in Rom waren für Luthers Sache zuständig? Wohin sind deren Akten gekommen? W o ist heute dàs Archiv der obersten !) D i e üblichen Abkürzungen für d i e s e Zeitschriften f i n d e t S. 110. 2) S i e ist D W N r . 5 9 3 - 7 0 1 angeführt. >) P a u l K a l k o f f , Z u Luthers römischen Prozeß. G o t h a 1912.

der

Leser

auf

D i e geschichtlichen

Hilfswissenschaften

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Leitung des Dominikanerordens? Wo finden sich möglicherweise noch Briefe von Personen, die sich mit jenem Prozeß befaßten? Die Hilfswissenschaft der Quellenkunde hat es mit allen Arten von Quellen zu tun, aber es ist natürlich, daß die schriftlichen Quellen in ihr bei weitem den breitesten Raum einnehmen. Das wird dadurch wieder ausgeglichen, daß den gegenständlichen Quellen eigene Hilfswissenschaften zugeordnet sind. Sie werden ausgewertet von der Vorgeschichte, der Archäologie und der Kunstgeschichte. Ohne deren Hilfe kann man solche stumme Quellen nicht zum Reden bringen. Wenn wir derart vornehme Wissensgebiete keck Hilfswissenschaften nennen, brauchen wir wohl das Mißverständnis nicht zu fürchten, wir wollten sie damit als Wissenschaften zweiten Ranges kennzeichnen, die kein Mann von Geschmack zu einem andern Zweck betreiben könne, als eben um eine Vor- und Hilfsarbeit für den Historiker zu erledigen. Vielmehr liegt es so: jedes Fach kann bald selbständig betrieben werden, bald, wenn die Zielsetzung sich geändert hat, als Hilfswissenschaft für ein anderes dienen. So kann ζ. B. jede Art von Philologie als Hilfswissenschaft der Geschichte und umgekehrt diese als Hilfswissenschaft für philologische Studien in Anspruch genommen werden. Spricht man ohne näheren Zusatz von geschichtlichen Hilfswissenschaften, so ist ein ganz bestimmter Kreis von Wissensgebieten gemeint, nämlich: Paläographie, Urkundenlehre, Chronologie, Siegel-, Wappen- und Münzkunde. Es sind diejenigen Disziplinen, die zum unmittelbaren Verständnis geschriebener Quellen erforderlich sind. Die Paläographie ist die Lehre von der Entwicklung unserer abendländischen Schrift. Keiner, dem Gelegenheit geboten wird, sie zu erlernen, sollte das versäumen. Denn es ist nun einmal so, daß ein ganz erheblicher Teil unserer Geschichtsquellen niemals gedruckt werden wird. Zum Verständnis der gedruckten Texte ist die Paläographie aber durchaus nicht unnütz. Ganz im Gegenteil ')· Zur sachgeSchoo oben S. 19 bat uns die Paläographie einen großen Dienst geleistet.

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Die Geschichtsquellen

mäßen Beurteilung solcher Texte, die in alter oder neuer und neuester Zeit durch Lesefehler entstellt wurden, zum Erraten des Richtigen auf Grund einer falsch überlieferten Lesart bedarf es solider paläographischer Kenntnisse. Paläographische Beobachtungen halfen die Königinhofer Handschrift, die angeblich sehr alte tschechische Gedichte enthält, als modernes Machwerk entlarven. Es stellte sich auch heraus, daß zu den Miniaturen Berliner Blau verwendet ist, eine erst 1704 erfundene Farbe. Zugleich hat es einen eigenen Reiz, sich darein zu vertiefen, wie die Buchstaben gesetzmäßigen Stilwandlungen unterworfen wurden, und zu erkennen, inwiefern etwa ein romanisches M einem romanischen Tisch oder Stuhl und ein barockes M einem barocken Tisch oder Stuhl ähnlich sieht. Also selbst der geistesgeschichtlich Interessierte kommt bei der Paläographie auf seine Kosten. Man lernt dieses Fach in Übungen gründlicher und leichter, als wenn man auf Bücher angewiesen ist. Eine gute Übersicht findet man im Handbuch der Bibliothekswissenschaft hg. v. Fritz Milkau, B. 1, 2. Aufl. 1950; auch Berthold Bretholz im Grundriß der Geschichtswissenschaft, 3. Aufl., Leipzig u. Berlin 1926. (Einige kritische Bemerkungen dazu gab der Verfasser dieses Buches 1926 in HV 23.) Das beste Tafelwerk zum Eindringen in paläographische Probleme ist Franz Steffen·:, Lateinische Paläographie, 2. Aufl. 1929. Das umfassenndste Werk, mit dessen Hilfe man die Schriftgeschichte, und zwar die der einzelnen deutschen Landschaften - verdienstvollerweise auch östlich der Elbe studieren kann, sind die von'Anton Chroust herausgegebenen Monumenta plaeographica (fast 700 vorzüglich wiedergegebene Schriftstücke), 3 Serien, München 1899 ff. Für Texte in deutscher Sprache ist maßgebend Erich Petzet und Otto Glauning, Deutsche Schrifttafeln des 9. bis 16. Jahrhunderts, 5 Bde., München 1910 bis 1930. Wichtig ist auch Job. Ficker und Otto Winckelmann, Handschriftenproben des 16. Jahrh. nach Straßburger Originalen, Straßburg 1902. Was die Paläographie für die literarischen Texte leistet,

D i e geschichtlichen Hilfswissenschaften

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erfüllt die Urkundenlehre oder Diplomatile für die Urkunden. Den Ausdruck Urkunde sollte man nicht, wie es vielfach vorkommt, zur Bezeichnung beliebiger Quellen verwenden, sondern ihn ausschließlich solchen Schriftstücken vorbehalten, die zum Abschluß eines Rechtsgeschäfts oder zum Zeugnis über ein solches dienen und mit entsprechenden Beglaubigungsmitteln versehen sind. Die ersten Leistungen auf dem Gebiet der Diplomatik sind von praktisch-juristischen Bedürfnissen hervorgerufen worden, als es galt, die Echtheit oder Unechtheit von Urkunden festzustellen, die in einem Prozesse als Beweismittel vorgebracht wurden. Wenn man weiß, wie hoch der Anteil ganz oder teilweise gefälschter Stücke am Gesamtbestande der heute noch vorhandenen mittelalterlichen Urkunden ist, kann man ermessen, wie lange die Wissenschaft hier dringend notwendige Arbeit zu verrichten hatte, bis die Lage in den Hauptzügen geklärt war. Damit soll indes nicht gesagt sein, daß nicht heutigentages noch mancherlei ungelöste Aufgaben beständen. Inzwischen aber hat die Diplomatik eine Menge von Fragen aufgeworfen und untersucht, die ihr ein weit über die ursprünglich allein gesuchte Entscheidung über echt und unecht hinausreichendes Interesse verleihen und einen bedeutsamen Einblick in Technik und Geist der Staatsverwaltung im Mittelalter gestatten. Das Verfahren, mit dessen Hilfe die Diplomatik nach und nach zu sicheren Ergebnissen gelangte, ist natürlich der Vergleich von möglichst vielen Urkunden, und es läßt sich leicht denken, wie sehr die Ausbreitung und Verbilligung der Photographie fördernd und umwälzend gewirkt hat. Seitdem ist der Forscher nicht mehr darauf angewiesen, außer den Stücken, die etwa ein einziges Archiv beherbergt, mehr oder minder gut gelungene Durchzeichnungen und seine Erinnerungen an auswärts gesehene Originale dem Vergleich zugrunde zu legen. Eine richtig angelegte Untersuchung wird immer zunächst die äußeren Merkmale auszuschöpfen suchen, also Pergament oder Papier (man nennt das den Beschreibstoff), Schrift und Monogramm, Kanzleiyçrmerke, Siegel u. ä. prüfen, Wer anders vorgeht und sich

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Die Geschichtsquellen

vorschnell eine Meinung darüber bildet, ob er zum Inhalt im ganzen oder einzelnen Teilen Zutrauen hat oder nicht, kann bis zu dem G r a d e die Unbefangenheit verlieren, d a ß er äußere Kennzeichen übersieht, die ihn auf eine andere Spur hätten leiten können. Bei den unzähligen Urkunden, die nicht mehr als wirkliche oder angebliche Originale existieren, fallen ja diese Merkmale ganz aus. Aber auch hier gilt, d a ß die sprachliche Form erst untersucht sein muß, bevor man zum Inhalt Stellung nimmt. Sind Entwürfe und Konzepte erhalten, womöglich solche, die eine Reihe von Abänderungen des urspünglichen Textes erkennen lassen, so kann die diplomatische Forschung das vollauf leisten, was ihr als ideales Ziel stets vorschwebt: die Urkunde nicht als etwas Fertiges hinzunehmen, sondern ihren Werdegang Schritt für Schritt zu verfolgen. Was für die Urkunden des Mittelalters gilt, gilt auch für die Akten der Neuzeit. Man sehe sich einmal Bismarcks Entlassungsgesuch an, von dem die erste und die letzte Seite als Faksimale dem 8. Band der (alten) Propyläen-Weltgeschichte (zwischen S. 376 und 377) beigegeben ist. Wie viel mehr sagt ein solches Blatt als ein glatter Abdruck des endgültigen Wortlauts! Hat man erst einen Blick dafür bekommen, was für reiche Aufschlüsse Urkunden und Akten dem Forscher geben, so wird man auch beim Lesen großer Geschichtswerke sich immer von neuem überzeugen, d a ß die urkundliche und aktenmäßige Grundlage eine wesentlich verstärkte Sicherheit bedeutet gegenüber dem, was nur von erzählenden Quellen berichtet wird. An den drei frühesten Hauptwerken Rankes ist folgende Steigerung zu erkennen: Seine Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1534 beruhen auf gedruckten Scriptores ( = erzählenden Quellen), die Geschichte der Päpste auf ungedruckten Relationen. Bei der Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation ging er noch einen Schritt weiter: er schrieb sie großenteils nach den Akten. Auch die Urkundenlehre ist besser im Hochschulunterricht als aus einsamem Bücherstudium zu erlernen. D i e wissenschaftlich besten und lesbarsten Darstellungen verfaßte für die

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Königsurkunden Wilhelm Erben 1907, für die Privaturkunden Oswald Redlich 1911 (beide im H d B M N G ) und für die Papsturkunden Ludwig Schmitz-Kallenberg (2. Aufl. 1913 in MeistGr.). Förderlich sind auch Richard Heubergers Allgemeine Urkundenlehre (1921; ebenfalls in MeistGr.; gedrängte Darstellung auf einem vom Verleger äußerst knapp bemessenen Raum) und der Abschnitt die Lehre von den Privaturkunden von Harold Steinacker in der ersten Auflage desselben Werkes. Das zweibändige Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien von Harry Bresslau (2./3. Aufl. Berlin 1958) ist für Forschungszwecke unentbehrlich, eignet sich aber weniger zur zusammenhängenden Lektüre. D a die Urkunden zumeist besiegelt sind und zum Verständnis der Siegel wiederum die Wappenkunde unentbehrlich ist, sind die Fächer Sphragistik, oder Siegelkunde und Heraldik oder Wappenkunde gewissermaßen nächste Nachbarn der Urkundenlehre. Das Wichtigste über sie erfährt man wiederum aus dem HdB M N G , wo Wilhelm Ewald 1914 die Siegelkunde und Felix Hauptmann die Wappenkunde bearbeitet hat, und aus MeistGr., wo Theodor Ilgen (2. Aufl. 1912) und Erich Gritzner die entsprechenden Abschnitte verfaßten. D e r Heraldik steht wieder die Münzkunde oder Numismatik nahe, die vor allem der Wirtschaftshistoriker nicht entbehren kann. Im H d B M N G ist sie von Arnold Luschin von Ebengreuth und Ferdinand Friedensburg dargestellt. Gute Dienste tut auch das Wörterbuch der Münzkunde von Fr. Frhr. v. Schrötter, Berlin 1930, sowie Arthur Suhle, Die dt. Münzen des Mittelalters, Bin 1936 und Hans Gebhart, Numismatik und Geldgeschichte, Heidelberg 1949. Als Zeitschrift wichtig die Hamburger Beiträge zur Numismatik, hg. v. Walter Hävernick. Noch einmal aber müssen wir insofern zur Diplomatik zurücklenken, als die Zeitrechnungslehre oder Chronologie in engstem Zusammenhang mit den Urkunden stellt. Sie ist für die praktische Arbeit nicht zu entbehren, denn die Zeitangaben in Urkunden (und erzählenden Quellen) sind

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dem Ungeübten keineswegs immer klar verständlich. Darüber hinaus bringt sie den Historiker in Berührung mit naturwissenschaftlichen Tatsachen und Überlegungen, und schließlich hat sie eine hochinteressante geistesgeschichtliche Seite. Ist doch ein Stück des Kampfes der christlichen Religion gegen die antik-heidnische und gegen die germanische aus den Benennungen der Wochentage abzulesen. So darf der Student sich von einer Belehrung über die wesentlichen Tatsachen der Chronologie, die nicht notwendig als trockene Wissenschaft gelten muß, allerhand versprechen. Als kurzen Hinweis darauf, was sie etwa zu bieten hat, seien vier Tatsachen angeführt, die man gemeinhin nicht zu wissen pflegt: 1. Die siebentägige Woche taucht zuerst im ersten Jahrhundert n. Chr. auf. 2. Das Weihnachtsfest wird erst seit rund 350 am 25. Dezember gefeiert. 3. Vor 1680 hat niemand konsequent Jahre v. Chr. Geburt gezählt. 4. In England galt bis 1751 der 25. März als Jahresanfang. Man muß also bis zu diesem Zeitpunkt die von den Quellen überlieferten Tagesdaten vom 1.Januar bis 24.März mit der nächstfolgenden Jahreszahl versehen, um den Einklang mit unserem Kalender herzustellen. (Vgl. oben S. 44 die Bemerkung über die Jahreszählung in Papsturkunden.) Eine lesbare knappe Darstellung der Chronologie lieferte Hermann Grofefend (ein Enkel des Georg Friedrich Grotefend, dem es 1802 gelang, die Keilschrift zu entziffern) in Meisters Grundriß der Geschichtswissenschaft, 2. Aufl. 1912. Die darin enthaltenen Tabellen helfen ebenso wie die in Hans Lietzmann, Zeitrechnung der röm. Kaiserzeit, des Mittelalters und der Neuzeit, Sammlung Göschen Nr. 1085, auch zum Auffinden vieler Daten. W e r vorzugsweise im Mittelalter arbeitet, wird Grotefends Taschenbuch der Zeitrechnung des dt. Mittelalters und der Neuzeit (8. Aufl. Hannover 1941) nicht entbehren können, weil darin die Heiligentage des Kalenders bei weitem eingehen-

Teilgebiete und Nachbarwissenschaften

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der verzeichnet sind. Häufig wird auch dieser sogenannte „kleine Grotefend" nicht ausreichen und des gleichen Verfassers zweibändige Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 1891-98, herangezogen werden müssen; sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß darin die Heiligentage für alle deutschen Diözesen gesondert mitgeteilt werden. Mit Hilfe dieser Übersichten kann man viele sonst unverständliche Zeitangaben klären. Wer ohne vorangehende Beschäftigung mit den Grundlagen der Chronologie einzelne Daten aufschlagen will, findet eine für normale Fälle ausreichende Anleitung dazu im „kleinen Grotefend" S. 124. 3. Teilgebiete

und Nachbarwissenschaften

der

Geschichte

Diejenigen Fächer, die man einigermaßen beherrschen muß, um die schriftlichen und gegenständlichen Geschichtsquellen sachgemäß zu deuten, lassen sich leichter vollständig aufzählen als jene, die in einem Verhältnis gegenseitigen Austausches mit der Geschichtswissenschaft stehen oder eines ihrer zahlreichen Teilgebiete zum Gegenstande haben. Zu der ersten Gruppe rechnen wir vor allem die historische Geographie. An keiner Stelle seiner Arbeit kann der Historiker sie entbehren. Ein vielseitig verwendbares Erzeugnis dieser Wissenschaft sind historische Karten. Solche in einwandfreier Form herzustellen, bedarf mühseliger und zeitraubender Untersuchungen, wie sie ein einzelner Forscher kaum unternehmen kann. Daher ist es sehr zu begrüßen, daß die vielen in den deutschen Ländern bestehenden historischen Kommissionen und Vereine wohl ausnahmslos historische Kartenwerke herausgeben oder vorbereiten. Auch der, der sich darauf beschränken darf, die Früchte solcher Arbeit zu genießen, bedarf dazu umfangreicheren Wissens und größerer Vorsicht, als gemeinhin geglaubt wird. Nehmen wir einmal an, wir hätten eine Karte des mittelalterlichen Königsgutes im Rheinland vor uns und außerhalb des Rheinlandes wären königliche Güter

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Die Geschichtsquellen

nicht eingezeichnet, obwohl die Karte an den Rändern erhebliche Teile der Nachbarlandschaften zeigte. Bedeutet das, daß dort keine Königsgüter vorhanden waren, oder ist grundsätzlich in solchen Fällen alles Nachbarland außerhalb der Provinzgrenze leer gelassen worden? Nun, diese Frage beantwortet sich leicht durch einen Blick auf die übrigen Karten und vielleicht in die Vorbemerkungen zum Atlas. Wollen wir aber weiter aus der Karte das Königsgut für einen bestimmten Termin ablesen, sagen wir für 1152, den Regierungsantritt Barbarossas, so müssen wir wissen: Was verstand der Kartenzeichner unter „mittelalterlich"? Hat er etwa durch beigesetzte Zahlen jedesmal vermerkt, seit wann am genannten Orte Königsgut bezeugt ist, und auch gegebenenfalls, wann einzelne Güter vom König aus der Hand gegeben wurden? Mit anderen Worten: Wir werden meist die wissenschaftlichen Unterlagen ermitteln müssen, die der Kartenzeichner bildlich auszudrücken strebte. Tatsächlich pflegen gute Geschichtsatlanten diese anzuführen. Da eine Karte nur ausnahmsweise Angaben, die auf wohlbegründeter Vermutung beruhen, anders eintragen kann als solche, die völlig sicher überliefert sind, werden wir oft die angeführte Literatur noch selber durcharbeiten müssen. Also bedienen wir uns der modernen historischen Karte nicht wie einer Quelle, sondern wie einer Darstellung und geben nötigenfalls auf deren Quellen zurück. Das ist der Grund, weshalb wir oben (S. 29) zwar die Verbreitung der deutschen Sprache über die Welt und die Verbreitung des niedersächsischen Bauernhauses als Tatsachen von Quellenwert angeführt, uns aber gehütet haben zu sagen: eine Karte, die diese Erscheinungen darstelle, sei für uns Quelle. Das wäre dann der Fall, wenn der auf der Karte dargestellte Tatbestand nicht mehr existierte. So ist ζ. B. eine wertvolle Quelle für die Geschichte Pommerns jene Karte, die die Schweden aufgenommen haben, als sie im Dreißigjährigen Kriege Herren Vorpommerns geworden waren. Den damaligen Stand der Besiedlung kann man aus ihr kennenlernen, in der Landschaft direkt beobachten kann man ihn nicht mehr.

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Nachbarwissenschaften

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Wie leicht man in Irrtümer verfällt, wenn man die Aussagen einer Karte ohne Kenntnis ihres Zustandekommens leichtgläubig verwertet, lehrt folgendes Beispiel: In einem Geschichtsatlas sind die Grenzen der römischen Provinz Rhaetia dargestellt. Jemand sieht das und verkündet frohlockend : sie decken sich auf der Strecke, die ihn interessiert, haarscharf mit denen einer mittelalterlichen Diözese und liefern einen neuen Beweis dafür, daß Grenzen der Römerzeit oft in kirchlichen Grenzen des Mitteltalters weiterleben. Wie peinlich muß es ihm sein, nachträglich zu erfahren, daß der Kartenzeichner jene Übereinstimmung der Grenzen als gesicherte Tatsache vorausgesetzt und eben einfach die Diözesangrenze gezeichnet und Provinzgrenze benannt hat! Es liegt also ein Zirkelschluß von seltener Schönheit vor '). Während die historische Geographie für das Altertum schon seinerzeit von Rudolf Kiepert (1818-1899) vorbildlich gepflegt wurde, sind für Mittelalter und Neuzeit noch keine voll befriedigenden Gesamtdarstellungen vorhanden. Eine vortreffliche Einführung schrieb Rudolf Kötzschke in Meisters Grundriß. In Below u. Meineckes Handbuch hat Konrad Kretschmer 1904 die historische Geographie behandelt, in der „Geschichte der führenden Völker" Hugo Hassinger 1931 über die geographischen Grundlagen der Geschichte geschrieben. Unter den historischen Atlanten ist der von Spruner und Menke noch immer unentbehrlich. Die neueren sind bei Dahlmann-Waitz Nr. 278 ff. aufgezählt. Die gleiche Aufmerksamkeit wie die historische Geographie verdient die Bevölkerungsgeschichte und die mit ihr zusammenhängende Genealogie oder Sippenkunde. Eine Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1913, die die Volkszahl als Faktor und Gradmesser der historischen Entwicklung behandelte, Schloß mit dem Satz: „Erst wenn dieser Weg durchmessen sein wird (d. h. alle noch erreichbaren oder erschließbaren Angaben über Bevölkerungszahlen in histoIhn deckte auf Richard Heuberger in seinem Buche Rätien im Altertum* und Frühmittelalter. B d , 1, Innsbruck 1933, b « . 5 . 99,

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rischer Zeit ausgewertet sind), . . . kann die Geschichte das werden, was sie heute noch nicht ist, wenigstens noch nicht im vollen Sinne des Wortes, was· sie aber werden muß, eine Wissenschaft" *). Das ist stark übertrieben. Aber man muß zugeben, daß wir im Verstehen der ursächlichen Zusammenhänge ein gutes Stück weiterkämen, wenn wir die größtmögliche Klarheit über die Bevölkerungsbewegung in der Vergangenheit besäßen. Vgl. das lehrreiche Buch Bevölkerungsgeschichte Deutschlands von Erich Keyser, Leipzig 1938. (Seither in 2. Auflage erschienen.) Nicht etwa nur als Anleitung, wie man die eigene Familiengeschichte erforschen kann, sondern mehr noch, um gewisse grundlegende Einsichten in die Volksgeschichte zu gewinnen, lohnt sich eine Beschäftigung mit der Genealogie. Wenn man erst einmal versucht hat, die eine oder andere Ahnentafel oder Nachkommenschaftstafel aufzustellen und auf eine Erscheinung wie den Ahnenverlust gestoßen ist und darüber nachgedacht hat, ist man der Lebenswirklichkeit Volk näher gekommen. Eine kurze Darstellung gab Otto Forst-Battaglia in Meisters Grundriß. Wilh. Karl Prinz v. Isenburg veröffentlichte 1934 eine Einführung in die Familienkunde. Tiefer führt in die Probleme ein Friedr. v. Klocke, Die Entwicklung der Genealogie vom Ende des 19. bis z. Mitte des 20. Jhdts., Schellenberg b. Berchtesgaden 1950. Als Tafelwerk zur Genealogie haben sich besonders bewährt die Stammtafeln von H. Grothe, Leipzig 1877, und die Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten des obengenannten Prinzen v. Isenburg, Berlin 1936/37. Als das erste und zugleich wichtigste unter den Teilgebieten der Geschichte ist die Rechts- und Verfassungsgeschichte zu nennen, die Lehre von den Formen und Kräften des staatlichen Lebens in vergangener Zeit. Es ist nicht stark übertrieben, wenn man sagt, sie verleihe der sonst bloß erzählenden Geschichte erst klare Konturen; jene zeigt das Was des Geschehens, diese fügt das Wie hinzu, und ') Karl Beloch in HZ 111 (1913). 337.

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Teilgebiete und Nachbarwissenschaften

damit nähern wir uns auch einigermaßen dem Warum. Diese Rechts- und Verfassungsgeschichte denken wir uns nicht engherzig auf ein Lebensgebiet beschränkt; sie darf und muß vieles aus der Verwaltungs-, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in sich aufnehmen. Aus Büchern allein ist sie schwer zu erlernen. Man höre schon innerhalb der ersten drei Semester eine Vorlesung darüber, die den Anfänger besser durch die unendlichen Klippen von Streitfragen hindurchsteuert und ihm vielleicht auch durch Interpretation besonders wichtiger Quellenstellen Hilfen gibt und zum eigenen Arbeiten auf diesem dornigen Boden anleitet. Zum Lesen kann man - mit dem Vorbehalt, daß knappe Übersichten eher zum Wiederholen als zum ersten Eindringen geeignet sind - folgende Werke empfehlen: Claudius Frhr. v. Schwerin, Grundzüge der dt. Rechtsgeschichte, 4. Aufl. v. Hans Thieme 1950; Hans Fehr, Deutsche RechtSgeschichte, 4. Aufl. 1948, aber auch noch die ältere Übersicht von Andreas Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte, Leipzig 1905. Nur die germanische und die fränkische Zeit behandelt das trotz manchen inzwischen überholten Einzeläußerungen im ganzen vortreffliche Buch von Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 2 Bde, der zweite durch v. Schwerin neu bearbeitet. Das genauere Studium von Einzelfragen wird stets durch Zurückgehen auf die klassische Deutsche Verfassungsgeschichte von Georg Waitz (8 Bde, die ersten 6 davon in neueren Auflagen) gefördert werden. Als vollständigste Zusammenfassung der seitherigen Forschung ist daneben Richard Schröders Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (7.Aufl., Berlin und Leipzig 1932) nicht zu entbehren. Auf die Neuzeit beschränken sich Fritz Hartwigs Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, neu bearbeitet 1950 und Hans Erich Feine, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Tübingen 1937. Die Wirtschaftsgeschichte bleibt, auch wenn man sich von ihrer da und dort beliebten Überschätzung fernhält, ein sehr wichtiges Gebiet. Kein Unbefangener wird in der Wirtschaft die .vorherrschende oder gar allein treibende Kraft der geschichtlichen Bewegungen sehen, aber zu ihren K i r n , E i n f ü h r u n g in d i e Geschichtswissenschaft

4

50

Die

Geschichtsquellen

wichtigen Bedingungen gehört sie ohne Zweifel. Ihre Quellen laden den allgemein Interessierten nur ausnahmsweise zu genußreichem Lesen ein: die Lebensgeschichte jenes Godric aus Norfolk, der als Hausierer begann, seefahrender Kaufmann wurde und als Heiliger 1170 endete '), oder die Lebensbeschreibungen hansischer Kaufleute fesseln durch menschlich interessante Züge. Ein altes Kaufmannsbüchlein wird den meisten Lesern nur durch eine gute Einleitung und reichliche Anmerkungen mundgerecht gemacht werden können, und bändeweise Zollregister zu lesen ist nur Sache des Forschers, der aus dem Stoff etwas gestalten will. D a andererseits auch wesentliche Veränderungen im wirtschaftlichen Gefüge nur ausnahmsweise und bruchstückhaft in den allgemeinen Geschichtsquellen zur Sprache kommen, erhalten die modernen Darstellungen ein erhöhtes Gewicht. Erst in ihnen werden jene Veränderungen uns sichtbar und lebendig. Solche sind : Für die antike Wirtschaftsgeschichte Tenney Frank, An economic Survey of ancient Rome, 4Bde., 1933 bis 1939 (I: Rome and Italy of the Republic; I I : Egypt; I I I : Western Provinces; I V : Eastern Provinces). Nicht ganz so ausführlich ist Michael Rostovtzeff, The social and economic History of the Roman Empire, New York 1924. In einer vom Verfasser überarbeiteten Gestalt ins Deutsche übersetzt von Lothar Wickert. Für das Mittelalter sind die besten Zusammenfassungen Rudolf Kötzschke, Grundzüge der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis zum 17. Jahrhundert, 2. Aufl., 1921 (M. Gr.) und derselbe, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Jena 1924. Sehr wertvoll und gut lesbar sind ferner Walter Stein, Handels- und Verkehrsgeschichte der deutschen Kaiserzeit, Berlin 1922; Aloys Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien, 2 Bde., Leipzig 1900; derselbe, D i e Ravensburger Handelsgesellschaft, 3 Bde., Stuttgart, Berlin 1923; Adolf Schaube, Handelsgeschichte der roma*) V g l . W a l t e r V o g e l , schichtsblätter, 1 9 1 2 .

Ein

seefahrender Kaufmann

um 1100. Hansische

Gq-

Teilgebiete und Nachbarwissenschaften

51

nischen Völker des Mittelmeergebiets bis zum Ende der Kreuzzüge, München und Berlin 1906; Rudolf Häpke, Der deutsche Kaufmann in den Niederlanden, Leipzig 1911; Walter Vogel, Geschichte der deutschen Seeschiffahrt, Bd. 1, Berlin 1915; Hans Haussherr, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Weimar 1954. Schon des öfteren mußten wir, wenn wir von der Ausbildung des Historikers sprachen, der Kunstgeschichte gedenken. Es wäre Zeitverschwendung, wollten wir erst nachweisen, daß die einem Volk und einer Zeit innewohnenden Kräfte ihren feinsten Ausdruck im künstlerischen Schaffen finden, in den bildenden Künsten, aber auch in Dichtung und Musik. So wie also der Kunsthistoriker sich um geschichtliche Allgemeinbildung und Kenntnis der historischen Methode bemühen muß, so der gewöhnliche Historiker um kunstgeschichtliche Bildung. Daher wollen wir hier nur noch ein paar Hauptwerke nennen, aus denen besonders wertvolle Eindrücke zu gewinnen sind. Als Gesamtdarstellung ist Georg Dehio, Geschichte der dt. Kunst, 2. Aufl., 3 Doppelbände; dazu ein vierter von Gustav Pauli nicht übertroffen. Sodann studiere man die Schriften von Heinrich Wölfflin, vor allem Grundbegriffe der Kunstwissenschaft (1915), Die klassische Kunst (behandelt die italienische Renaissance, 1899) und Die Kunst Albrecht Dürers (1905); alle seither in vielen Auflagen. Bedeutsam ist auch Albert Erich Brinckmann, Geist der Nationen (stellt den Beitrag der nationalen Eigenart in der dt., frz. und italienischen Kunst dar), 3. Aufl., Hamburg 1943. Das weite Gebiet der Wissenschaftsgeschichte kann hier natürlich auch nicht andeutend durchmessen werden. Es liegt auf der Hand, daß die dem Historiker zumeist fernerliegende Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik in Zukunft stärkere Beachtung erheischen wird. Von den geisteswissenschaftlichen Fächern liegt uns unser eigenes am nächsten. Wir arbeiten uns in seine Geschichte immer tiefer hinein, indem wir nach und nach das Beste, was an Forschungen und Darstellungen vorliegt, lesen. Die Werke, die ihren Werdegang ganz oder teilweise behan4*

52

Die

Geschichtsquellen

dein, sind S. 112 angeführt. Dort findet sich auch ein Hinweis auf Waetzolds schönes Buch Deutsche Kunsthistoriker, um das verwandte Fächer die Kunstgeschichte zu beneiden Anlaß haben. Zu den besten Werken über Wissenschaftsgeschichte zählt auch ohne Zweifel das Lehrbuch der Geschichte der Philosophie von Wilhelm Windelband, neu bearb. von H. Heimsoeth, Tübingen 1935. Unsere Übersicht über die Teilgebiete der Geschichte bliebe ein Bruchstück, erwähnten wir nicht noch zum Schluß die Religions- und Kirchengeschichte. Im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation vom Geist konfessioneller Einseitigkeit weithin beherrscht, hat die Kirchengeschichte doch eben im Dienst dieses Geistes viel zur Entwicklung der historisch-kritischen Methode beigetragen. Vollends hat sie später, in allen christlichen Ländern, aber nirgends erfolgreicher als in Deutschland gepflegt, hervorragende Werke in großer Zahl hervorgebracht. Für die Geschichte der alten Kirche ist Karl Müllers Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bd. 1 (3. Aufl., Tübingen 1940) durch selbständige Forschung das führende Buch. Daneben besitzen wir in Hans Lietzmanns Geschichte der alten Kirche eine gleichfalls vorzügliche Darstellung, die noch dazu so fesselnd wie ein Roman geschrieben ist. Ein ausgezeichnetes Lehrbuch der Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter verfaßte Hans v. Schubert. Das eigentliche Meisterwerk aber für das Mittelalter ist unfraglich die Kirchengeschichte Deutschlands von Albert Hauck, in fünf Bänden bis ins Zeitalter des Konstanzer Konzils reichend. Es gibt nicht leicht ein geschichtliches Buch, dessen Verfasser mehr Quellen mit größerer Sorgfalt gelesen hätte, es ist voll von originellen Gedanken, und doch tritt der Schriftsteller - darin eben liegt seine Größe überall hinter der Sache zurück. Der beste Gewinn beim Lesen wäre, wenn etwas von jenem idealen Verhältnis zu den Quellen vom Verfasser auf den Leser überginge. Für die Reformationszeit sind mehrere vortreffliche Werke von Heinrich Böhmer zu nennen, vor allem Luther im Lichte

Textkritik

53

der neueren Forschung, 4. Aufl., Leipzig 1918, Der junge Luther, 1925, und seine Biographie des Ignatius von Loyola, die man unter dem Titel: Studien zur Geschichte der Gesellschaft Jesu, I, 1914 findet (Ncudruck 1951 hergegeben von Hans Leube). Noch vieles Gute blieb unerwähnt und muß es bleiben, denn es sollte hier wie bei allen Ratschlägen, die unser Büchlein enthält, nur das Wichtigste in strenger Auswahl genannt werden.

5. Kapitel

Quellenkritik: Kritik des Textes und Kritik der Quellenaussagen W i r wissen nun, was Quellen sind und wie man sie findet. Auch haben wir die Hilfswissenschaften, die zu ihrer Auswertung unentbehrlich sind, flüchtig kennengelernt. Die gegenständlichen Quellen, um die ja Archäologen, Kunsthistoriker u. a. m. sich bemühen, können für den Augenblick beiseite bleiben. W i r fragen nun: W i e ermitteln wir den Quellentext aus den Handschriften? W i e stellen w i r Echtheit und Unechtheit der Quelle im ganzen oder einzelnen Teilen fest? W i e gelangen wir von abgeleiteten Quellen zu den ursprünglichen? Sind erst diese Vorfragen abgemacht, so wenden wir uns zur Hauptfrage: W i e ermitteln wir aus den Quellenausagen die geschichtlichen Vorgänge? 1. Textkritik ') Ein erheblicher Bruchteil der Quellentexte kam nicht in ursprünglicher Gestalt auf uns. Mitunter haben wir nur eine späte Überlieferung - sei es Handschrift oder Druck - , und ein mehr oder weniger bestimmter Verdacht läßt uns vermuten, d a ß die Form nicht ursprünglich sei. Oft haben wir viele Handschriften, die in wesentlichen Punkten so 4 ) Literatur über philologische Textkritik nennt Wilhelm Bauer S. 214 Paul Maas, Textkritik. 2. Aufl. Leipzig 1950.

54

Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

stark voneinander abweichen, daß eine oder mehrere absichtliche Umgestaltungen des Textes vor sich gegangen sein müssen. Dann ist es unsere Aufgabe zu ermitteln, welches die älteste Fassung ist, in welcher Reihenfolge die späteren entstanden, ob diese alle oder teilweise vom ursprünglichen Verfasser herrühren u. dgl. Kleine Abweichungen vom ursprünglichen Text sind bei allen Abschriften etwas Alltägliches, da ja erst der Druck, weil er mechanisch geschieht, die genaue Übereinstimmung aller Exemplare einer Auflage wenigstens als Regelfall ermöglichte. Wo eine Masse alter Handschriften eines und desselben Werkes vorliegt, gilt es, die nähere oder fernere Verwandtschaft jeder einzelnen mit dem erhaltenen oder erschlossenen Urexemplar des Verfassers (der Philologe sagt dafür: dem Archetypus) festzustellen. W i e die Verwandtschaft von Personen kann man auch eine solche Textverwandtschaft im Bilde eines Stammbaums darstellen. Veränderungen, die mit der Urform eines Textes vorgenommen wurden, werden zumeist formale und inhaltliche Bedeutung haben, d. h. eine jüngere Fassung, die formell dadurch gekennzeichnet ist, daß sie durch Zusätze an mehreren Stellen erweitert wurde, läßt etwa eben an diesen Stellen erkennen, daß der Verfasser jeweils aus einer Quelle schöpft, die ihm erst nach Abschluß der älteren Fassung zu Gesicht kam. So können formale und inhaltliche Beobachtungen sich gegenseitig stützen. Der Idealfall wäre, daß man bei einer verhältnismäßig großen Zahl abweichender Textfassungen durch Würdigung aller paläographischen, sprachlichen und inhaltlichen Anhaltspunkte bei jeder Handschrift den Grund finden könnte, warum etwas zugesetzt oder fortgelassen wurde, und auch hinreichend sicher den Zeitpunkt und Urheber der Änderungen bezeichnen könnte. Weil dies bei der Lebensgeschichte des Heiligen Lullus, die Lampert von Hersfeld schrieb, weitgehend zutrifft, wollen wir deren Überlieferungsformen durchsprechen. Dabei schicken wir ganz ehrlich voraus, daß diese Vita

Textkritik

55

des Lullus fast keinen Quellenwert hat. Lullus starb nämlich 786, und Lampert Schrieb fast 300 Jahre später, ohne aus Quellen zu schöpfen, die wir nicht ebenfalls noch besäßen ')· Das Ergebnis einer näheren Untersuchung sieht so aus: Von den acht Handschriften ist eine unter den Augen des Verfassers selbst entstanden: die Handschrift 1 (heute in Maihingen). Überall da, wo die späteren Handschriften Erweiterungen enthalten, sind in dieser Zeichen angebracht; vermutlich sollten sie hinweisen auf Zusätze, die vorläufig auf eingelegte, heute verlorene Blätter geschrieben waren. Handschrift 1 endet mitten in einem Satz. Von ihr hängen fünf weitere ab, die ungefähr gleich lauten, aber den verstümmelten Schlußsatz ganz weglassen: diese nennen wir l a , lb, le, Id, l e ; bis auf l e (in Zwettl) und l d (in Melk) liegen sie alle in München. Den durch Zusätze erweiterten Text - der Stilvergleich ergibt, daß der Verfasser ihn selbst erweiterte - bietet die Handschrift 2a in Trier. Noch eine zweite (2b in Erlangen) bietet diese Textgestalt, ihr fehlen aber am Schluß die Kapitel 19 bis 27. In diesen Abschnitten erhebt Lampert nämlich Vorwürfe gegen Fulda. Nach Ausweis seines übrigen Inhaltes ist aber Codex 2b, eine Sammelhandschrift, zum Gebrauch in Fulda bestimmt gewesen. So erklärt sich die Weglassung am Schluß. Vergegenwärtigen wir uns nun, wieviel sicheres Wissen wir damit gewonnen haben über Dinge, die nicht überliefert, sondern von uns erschlossen sind. W i r kennen den Verfasser, obwohl die Handschriften ihn nicht nennen. Wir dürfen ihm auch die erweiterte Ausgabe zuschreiben; sie ist nicht nur durch die Stilgleichheit gekennzeichnet, Lampert selbst zitiert die Vita Lulli in einem einer späteren Werke eben in der zweiten Fassung 2 ). W i r wissen auch ziemlich genau die Abfassungszeit: zwischen 1063 und 1075. Denn Lampert hat hier eine Schrift des Otloh von St. Emmeram benutzt, die dieser zwischen 1062 und 1066 abfaßte, und Lampert's Selbstzitat stammt wohl 4) V g l . Lamperti H e r s f e l d c n s j s Opera e d . O s w a l d H o l d e r - E g g e r . 1894. U n d dazu W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n . 3. H e f t . S. 459 f, 2 ) s . 347 d e r A u s g a b e von Holdcr-Eggec,

Hannover

56

Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

aus dem Jahre 1076. Endlich haben wir den Grund der Verkürzung in 2b richtig erkannt. Bildlich ist das Abhängigkeitsverhältnis so darzustellen.

A

X

X

Λ

Ia

1 (eigenhändig)

X

2 (eigenhändig)

Λ

1b

Ie

Λ'

1d



2a

2b

So findet es sich in der Ausgabe. Wer nicht auf den ersten Blick den Grund einsieht, weshalb 3 als X bezeichnete verlorene Zwischenglieder darin erscheinen, findet ihn wohl nach einigem Nachdenken: weil sich so am besten die engere Verwandtschaft zwischen zwei Handschriftenpaaren erklärt. Nicht immer geht alles so glatt auf. Aber daraus, d a ß oftmals die Anhaltspunkte fehlen, die uns zu sicheren E r gebnissen hinleiten, kann man der Methode keinen Vorwurf machen. Ganz im Einklang mit dem, was wir oben (S. 46) als den Kern der diplomatischen Methode bezeichnet haben, können wir sagen: D i e Textkritik und die Quellenanalyse müssen darauf hinarbeiten, den Text nicht als fertige Größe hinzunehmen, sondern in seinem Entstehen zu verfolgen '). Und was uns hier erstmalig entgegentrat, werden wir als eine im Mittelalter verbreitete Erscheinung beobachten: d a ß der Autor das gleiche Werk in mehr als einer Fassung bearbeitet hat. Ähnlich wie heute die Mitteilung des Verlegers, eine Auflage sei vergriffen, den Verfasser zwingt, zu überlegen, ob er die neue Auflage erheblich ändern soll, konnte damals der Wunsch angesehener Männer wirken, sich eine Abschrift eines Werkes herstellen zu lassen. Und genau wie heute die seit der ersten I ) W e r dies l i e b e r an e i n e m neuzeitlichen B e i s p i e l versucht, s t u d i e r e d a s W e r d e n des T e x t e s von Bismarcks G e d a n k e n u n d E r i n n e r u n g e n m i t H i l f e d e r içdrichsruher Ausgab?,

Qr

Textkritik

57

Niederschrift erschienene Literatur oft eine Umarbeitung nötig macht, beobachten wir Entsprechendes im Mittelalter. So hat der hennegauische Geschichtsschreiber Jean Froissart in seiner Chronik die großen Schlachten von Crécy (1346) und Maupertuis (1356) zunächst nur nach englischen Gewährsmännern geschildert, während er später auch französische heranzog. Und der höchst originelle Giraldus de Barri aus Wales hat den verschiedenen „Auflagen" seiner Werke auch verschiedene Vorreden beigegeben, in denen er gelegentlich offen ausspricht, welche Rücksichten ihm früher größere Zurückhaltung auferlegten '). Ähnlich klare und einleuchtende Ergebnisse liefert ein Vergleich der drei Handschriftenklassen, in denen uns Rahewins Fortsetzung der Taten Friedrich Barbarossas (Gesta Friderici imperatoris) überliefert ist. Deutlich in die Augen fallende Unterschiede trennen die drei Klassen. D i e Α-Klasse deutet viele Eigennamen nur durch einen Anfangsbuchstaben oder durch Ν an, bringt von Briefen und Urkunden oft nur die ersten Worte. Β und C weichen schon in der Kapiteleinteilung ab. Die B-Handschriften fügen am Schluß einen Anhang über die Jahre 1160 bis ca. 1170 hinzu (in der Ausgabe S. 347 ff.). In C ist der ursprüngliche Text noch stärker überarbeitet als in B. Sind diese Tatsachen richtig erkannt, so darf man mit dem Herausgeber folgern: A ist der ursprüngliche Entwurf des Verfassers. W o Β und C gegen A zusammengehen, haben wir die endgültige, wo A entweder mit Β oder mit C übereinstimmt, die ursprüngliche Lesart vor uns 2 ). Große Not machen dem Historiker die vielen Irrtümer und Lesefehler, die in den Abschriften von Abschriften - das pflegt ja die große Masse unserer Texte zu sein sich einschlichen und dann immer weiter fortpflanzten. So liest man in der Frankengeschichte des Gregor von Tours, Buch, 2 Kapitel 9, wo von den Anfängen des fränkischen Volkes die Rede ist, den Satz J

Vgl. Paul K i m , Aus der Frühzeit des Nationalgefühls. S. 102. ) Siehe die Ausgabe von G . W a i t s und B . v. Simton 1912, be«. X X V I I ff.

58 Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen Nam cum multa de eis Sulpici Alexandri narret historia, non tarnen regem primum eorum Valentinus nominat, sed duces eos habuisse dicit ')·

Denn während von ihnen die Geschichte des Sulpicius Alexander viel erzählt, nennt Valentinus doch nicht ihren ersten König, sondern sagt, sie hätten unter Herzögen gestanden.

Das kann nicht der richtige Text sein, denn es ist sinnlos, auf die Ausführlichkeit eines Geschichtswerkes hinzuweisen und fortzufahren, daß ein anderes die Angabe eines fränkischen Königs unterlasse. Sicherlich war irgendwie ausgedrückt, man vermisse beim Sulpicius Alexander jene Angabe. Während zwei Handschriftenklassen den Fehler aufweisen, lesen die übrigen anstatt Valentinus richtig ullatinus (statt des klassischen ullatenus; im Satzzusammenhang zu übersetzen: [nennt er doch] an keiner Stelle). In anderen Fällen ist das Richtige nicht einfach in einer Anzahl von Handschriften gegeben, sondern muß erraten und durch den Nachweis, daß das Wort oder die Wendung der fraglichen Zeit und womöglich dem Autor geläufig war, gestützt werden. Völlig unzulässig ist es, wenn man eine Textstelle, die einen klaren und vernünftigen Sinn gibt, der überdies durch die Angaben anderer Quellen gestützt wird, gewaltsam ändert und dabei nicht einmal dem Sprachgebrauch Rechnung trägt. Dies ließ sich Karl Bauer zuschulden kommen bei seiner Behandlung der Quellenaussagen über die Hinrichtung der 4500 Sachsen bei Verden im Jahr 782. Dazu berichten nicht weniger als vier Annalenwerke: die ausgelieferten Sachsen wurden enthauptet (decollati sunt). Anstelle des letzten Wortes, erklärt er, müsse delocati gelesen werden und das heiße: sie wurden ausgesiedelt. Nun haben wir aber eine Menge Nachrichten über die von Karl d. Gr. befohlenen Umsiedlungen, die mit abwechselnden Ausdrücken von der Sache reden, aber kein einziges *) Gregorii Turonensis Historia Francorum ed. Arndt S. 72 mit Note c ; Krusdi S, 52 mit Note d. Vgl. H V 27, 684 N . 20.

cd.

Textkritik

59

Mal dehocare verwenden '). Schon hieran scheitert seine auch sonst unhaltbare Auslegung der Stelle. Natürlich wollen wir damit nicht der einseitigen Meinung Vorschub leisten, als hätten die Philologie bei der Verbesserung schlecht überlieferter Stellen das erste und letzte Wort zu sprechen. Mehr als das erste Wort sollte man ihr nicht zugestehen. Dann muß man auch die allgemeine Lebenserfahrung, mitunter auch technische Spezialkenntnisse zur Geltung kommen lassen. Sonst kann es einem gehen wie jenem Gelehrten, der in einem griechischen Papyrus aus Ägypten geschrieben fand, daß Heu geliefert werden soll ττρό; σπορ . . und das verstümmelte letzte Wort ergänzte: ττρό; σποράν = zur Aussaat. Das Richtige sah Ulrich Wilcken: es muß heißen Tp^S σττόρον — im Austausch gegen Getreide. Denn Heu kann nie zur Aussaat benutzt worden sein, selbst nicht im grauesten Altertum 2 ). Der Historiker muß alle Feinheiten moderner Textausgaben verstehen. Dazu gehört nicht viel· weniger als nötig wäre, sie selber herzustellen. Auch wer sich mehr der kulturgeschichtlichen Arbeitsweise zuwendet, kann diese Schulung nicht entbehren und die daraus folgenden Vorsichtsmaßregeln nicht außer acht lassen. Er muß auch allen Spürsinn darauf verwenden festzustellen, wo eine Quelle ältere Schriften wörtlich zitiert bzw. ausschreibt. Es hatte sehr günstige Folgen, daß bereits in den Anfängen der Monumenta Germaniae auf den Vorschlag des Rechtshistorikers Karl Friedrich Eichhorn der Grundsatz angenommen wurde, für solche aus einer Vorlage übernommene Stellen Kleindruck anzuwenden. Solche Kennzeichnung der Stellen, die nicht das geistige Eigentum ihres Verfassers sind, erspart allen, die mit der Ausgabe arbeiten müssen, zeitraubende Umwege, mitunter auch böse Fehlschlüsse. Über nicht erkannte Bibelzitate und die durch das Nichterkennen Bd. von 2) Bd.

Sie sind zusammengestellt bei Georg W a i t z , Deutsche Verfassungsgeschichte. 3. 2. Aufl. S. 140 Ν. 1 u. 1 4 t . Vgl. die gegen Bauer gerichtete Abhandlung Erwin Rundnagel HZ 157 (1938), die auch weitere Literatur anführt. Jahrbuch für Gesetzgebung, V e r w a l t u n g uod Volkswirtschaft im dt. Reich. 45, 2. H e f t . S. 90 N . 5.

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Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

verursachten Mißverständnisse wäre viel zu sagen. So gibt es eine Untersuchung, die ergründen will, ob, der Kampf, den Philipp der Schöne von Frankreich für die Freiheit des weltlichen Staates von päpstlicher Bevormundung führte, sich geistiger W a f f e n bedient habe, die schon der Staufer Friedrich II. zwei Menschenalter früher in seinem ähnlich gerichteten Kampfe verwandte. Ein Hauptbeweis dafür, d a ß dies tatsächlich der Fall sei, soll darin liegen, daß auffallende wörtliche Anklänge der Staatsschreiben Friedrichs und Philipps zu beobachten sind. Es sind bei näherem Zusehen bloß gleiche Bibelzitate, und damit löst sich der scheinbare Beweis in nichts auf 1 ). 2. Kritik der

Quellenaussagen

W i r nehmen an, die Handschriften sind gesichert, der beste erreichbare Text hergestellt, die Echtheit im ganzen steht außer Zweifel. Nun erhebt sich die Frage: W i e hat der Autor seine Kenntnisse erworben? W o schreibt er erhaltene Quellen aus? W o verlorene? W o hat er mündliche Gewährsmänner? W a s stammt aus eigenem Erleben? Damit treiben wir Quellenanalyse. W i e in den bisherigen Ausführungen machen wir uns auch weiterhin diese Sachverhalte am besten an mittelalterlichen Beispielen klar. Hier treten sie am schärfsten hervor. Denn die Quellen zur alten Geschichte müssen doch zum weitaus größten Teil aus mittelalterlichen Handschriften entnommen werden, und in der Neuzeit spielen neben den Akten die erzählenden Quellen mehr eine Nebenrolle, zudem sind seit der Verbreitung des Buchdrucks die Verhältnisse hier viel übersichtlicher. Wer also solche methodischen Kunstgriffe an mittelalterlichem Stoff erlernt hat, wird sie sinngemäß auf jeden andern übertragen können - und vielleicht hie und da die Erfahrung machen, d a ß es keine bessere Vorbereitung für die historisch-kritische Arbeit überhaupt gibt. 4 ) Helene Wieruszowski : Vom Imperium zum nationalen Königtum. München 1933, S. 91. Dazu d i e Kritik des Verfassers in Jahresb. f. dt. Geschichte 9/10, (1933/34, S. 281).

K r i t i k der Q u e l l e n a u s s a g e n

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Gerade die mittelalterlichen Geschichtsschreiber haben vielfach das, was sie in ihren Vorlagen fanden, wörtlich übernommen. Es wäre zu wenig, wenn man sagen wollte: das galt nicht als unerlaubt, die Achtung vor dem Urheberrecht an Schriftwerken war nicht wie bei uns entwickelt. Es kommt geradezu vor, daß ein Schriftsteller sich entschuldigt, weil er außer dem, was er maßgebenden. Autoritäten entnehmen konnte, wagt, auch eigene Gedanken vorzubringen. Beobachten wir wörtliche Entlehnungen, so gilt es zu ermitteln, ob A den Β ausschreibt oder umgekehrt oder ob am Ende beide aus der gleichen (möglicherweise auch aus mehr als einer) Quelle schöpfen. Schon aus diesem Grunde dürfen wir nie unterlassen, die Abfassungszeit jedes einzelnen Werkes - womöglich wieder für die einzelnen Teile, aus denen es besteht - festzustellen. Je genauer wir diese kennen, desto mehr vereinfacht sich die Frage nach den möglichen Abhängigkeiten. Haben wir erkannt, in welcher Weise eine Quelle eine auch uns bekannte Vorlage benutzt - sklavisch abschreibend oder frei gestaltend - , so haben wir einen wertvollen Fingerzeig, wie sie sich solchen Vorlagen gegenüber verhalten mag, die wir nicht mehr besitzen. Das Aufspüren verlorener Quellen ist darum eine unvermeidliche Aufgabe, weil wir versuchen müssen, den zwischen den erhaltenen Quellen bestehenden Zusammenhang zu ermitteln. Überzeugend ist ζ. B. folgender Schluß: Beda erwähnt in seiner Kirchengeschichte zwei Sonnenfinsternisse, die nachweislich nicht in Britannien, wohl aber in den Mittelmeerländern zu beobachten waren. Also hat er eine aus Italien stammende Chronik als Quelle benutzt 1 ). Wo eine Mehrzahl erhaltener Quellen offensichtlich eine einzige verlorene ausschreibt, kann man diese verlorene mit einiger Sicherheit wiederherstellen. Dies leistete Wilhelm v. Giesebrecht 1841 für die Annalen des nordbairischen Klosters Nieder-Alteich. Ein unerwarteter Handschriftenfund von 1867 bestätigte seine Ergebnisse im W i l h . Levison, Aus rheinischer und fränkischer Früh2eit. Düsseldorf 1948. S. 369 f.

62

Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

wesentlichen. Paul Scheffer-Boichorst stellte 1870 die Annalen von Paderborn in ähnlicher Weise wieder her ')· Es ist wohl denkbar, daß ein Laie im Aufwand von so viel Scharfsinn für die Ermittlung verlorener Quellen eine unbegreifliche Zeitverderbnis sieht. Je mehr man dagegen in die Forschung eindringt, desto besser erkennt man: es hängt doch viel davon ab. Wir veranschaulichen das an einem Beispiel. Jeder spricht von der Schlacht im Teutoburger Wald. Woher hat das Gebirge, woher die Schlacht ihren Namen? Das Gebirge ist nicht etwa seit jenen fernen Tagen bis heute von den Anwohnern so genannt worden. Erst im Zeitalter der Romantik ist durch die gelehrte Forschung der Name wieder in Übung gekommen. Und nur eine Quelle aus dem Altertum erwähnt jenen Namen: Tacitus, und zwar da, wo er erzählt, wie Germanicus die Gebeine der in der Varusschlacht Gefallenen bestatten ließ (Annales I 60). Nun schreibt aber Tacitus ca. 116, d. h. mehr als hundert Jahre nach dem Ereignis. Wollten wir uns nicht darum kümmern, wer sein Gewährsmann an dieser Stelle ist, so müßten wir darauf verzichten zu wissen, ob der Name auf einer guten Überlieferung beruht und historisch brauchbar ist. Erst die kritische Durchleuchtung der Grundlagen eines erzählenden Geschichtswerks gestattet die richtige Verwertung seiner Angaben. Nicht selten führt sie zu dem Ergebnis, daß deren Wert erheblich schwankt je nach dem Abschnitt, in dem sie stehen. Bei so großen geschichtlichen Kompilationen wie der römischen Geschichte des Livius würde .das Außerachtlassen der kritischen Grundsätze zu besonders augenfälligen Fehlern führen. Über die mündlichen Gewährsmänner, die einem Berichterstatter Nachrichten zutrugen, kann man nicht immer so sicher urteilen. Immerhin treten sie gelegentlich hervor. So hat Wolfram von den Steinen richtig erkannt, daß man den Bericht über die Bekehrung und Taufe Chlodwigs, den Gregor von Tours bietet, nicht einfach beiseite schieben darf, als hätte er neben einigen Briefen, die dem Ereignis ') Vgl. Wattenbach-Holtzmaan 1, 545 f. und 584 ff.

Kritik der Quellenaussägen

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viel näher stehen, keinerlei Bedeutung. Man merkt ihm noch an, daß er auf Chrotechilde, die Gemahlin des Frankenkönigs, zurückgeht. Diese brachte mehr als dreißig Jahre in Tours zu und starb dort 544, also nur 29 Jahre bevor Gregor sein Bischofsamt in Tours antrat. Überlebende aus ihrer Umgebung werden dem Geschichtsschreiber den Hergang so geschildert haben, wie sie ihn zu erzählen pflegte1)· Als der russische Historiker Jegoroff die Berichte des Helniold von Bosau über die ersten deutschen Siedlungen in Holstein und Mecklenburg überscharf angegriffen hatte, wies Bernhard Schmeidler in seiner treffenden Erwiderung darauf hin, daß der gute Pfarrer von Bosau am Plöner See - das war Helmold nämlich - zwar die Großen der Erde nicht persönlich kannte und daher von ihnen keine Informationen empfing, wohl aber treulich aufzeichnete, was ihm kleine Leute, Bauern, reisige Knechte und Troßbuben, zutrugen 2). Fast in gleichem Maße wie von den benutzten Vorlagen hängt der historische Wert einer Quelle von der literarischen Tradition ab, in der sie steht. Das Stilgesetz einer literarischen Gattung und die Nachahmung bestimmter Vorbilder färben die Mitteilungen so stark, daß wir irregehen, solange diese Tatsache nicht erkannt ist. Wo dieses Nachahmen geradezu in Abschreiben ausartet, handelt es sich um eine Erscheinung, die wir schon mehrfach erwähnten. Sie ist im Mittelalter häufig. So hat ζ. B. Herbord das, was er über des Bischofs Otto von Bamberg Tugenden und Grundsätze mitteilt, fast wörtlich aus Cicero, De offieiis abgeschrieben 3). Ferner hat Rahewin da, wo er Barbarossas Kämpfe in Oberitalien erzählt, ganze Schlachtschilderungen, aber auch eine angebliche Rede des Kaisers über die Disziplin aus dem Jüdischen Krieg des Flavius Josephus herübergenommen ")· An anderen Stellen folgt er nicht einem alten Schriftsteller, sondern mischt kunstvoll 1) M O e J G Ergänzungsband 12 (1933), S. 417 ff. Zeitschrift des Vereins f. Liibcckische Geschichte. B d . 14. Jaffé, Bibliotheca rerum Germanicarum 5, 710 f. Ottonis et R a h e w i n i Gesta Friderici imperatoria e d d . W a i t z et v. Simeon. Hannover 1912, liefert in dea Anmerkungen die Belege, z. B. S. 208. 2)

3)

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Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

die Lesefrüchte aus vielen. Fast noch mehr Aufmerksamkeit erheischen die Fälle, in denen die freiere Nachahmung eines Musters vorliegt (und je mehr wir auf sie achten, desto mehr wird es uns gelingen, hie und da ausgeschriebene Stellen zu entdecken, die noch keiner vor uns gefunden hat). Denn hier bedarf es noch größeren Taktes zu bestimmen, ob die Nachahmung den Erzähler überhaupt und wie weit sie ihn von der Linie eines sachlich genauen Berichtes abzulenken vermochte. Wir erinnern daran, daß die bei mittelalterlichen Geschichtsschreibern mitgeteilten· Reden nicht mehr Zutrauen verdienen als die in antiken Quellen, und zwar aus denselben Gründen, vor allem aber erwähnen wir Einhards Verhältnis zu Sueton. GeU'iß ist, daß Einhard seine Biographie Karls d. Gr. nicht in der Form geschrieben hätte, die er ihr gab, wäre er nicht mit den Kaiserbiographien jenes alten Römers bekannt geworden. Und sicherlich müßten wir zu unserem lebhaften Bedauern eine Reihe anschaulicher Züge aus der Lebensführung des großen Kaisers missen, die zu erwähnen Einhard nicht aus eigenem Antrieb, sondern durch das Beispiel Suetons sich angeregt sah. Daß aber trotz dem formgebenden Vorbilde eine Verzeichnung des Kaisers ins undeutsch Imperatorenhafte nicht stattgefunden.hat, empfindet der unbefangene Leser, und die neuesten wissenschaftlichen Untersuchnungen bestätigen es ihm ')· Während unsere früheren Bemerkungen zur inhaltlichen Quellenkritik der Frage galten: Wieviel konnte der Verfasser von den wahren Hergängen berichten?, müssen wir nun die andere Frage stellen : Wieviel wollte er davon berichten? Nachdem wir uns um seine Sachkenntnis und sein literarisches Können bemüht haben, forschen wir nach dem Zweck seiner Schriftstellerei und seiner Tendenz. Geschichtsquellen mit aufdringlicher Tendenz verraten sich dem Leser schon mit den ersten Zeilen. Gefährlicher werden dem historischen Urteil solche, die ihre Einseitigkeit klug zu verbergen wissen. Und wenn auch diese früher ' ) S. Hellmann in H V 27 (1932). Hans Pyritz DVjschr. 15 (1937).

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K r i t i k der Quellenaussagen

oder später erkannt ist, bleibt doch die Unsicherheit, bis zu welchem Grade die tatsächlichen Mitteilungen tendenziös entstellt sind, sofern nicht auch Quellen aus dem gegnerischen Lager uns zur Verfügung stehen. In der römischen Geschichte würde vielleicht manches anders aussehen, hätten wir ebenso ausführliche Darstellungen aus der Feder von Karthagern, Galliern und Germanen. D a ß wir die Sachsenkriege Karls d. Gr. nur nach fränkischen Berichten zeichnen können, ist ebenfalls nachteilig. Im Grunde kehrt eine ähnliche Unsicherheit auch in den hellbeleuchteten Zeiten reicher Überlieferung wieder, sobald ein einzelnes Ereignis oder ein bestimmter Zug nur von einem einzigen Gewährsmann gemeldet wird. Da wird man als kritische Maßstäbe nur die Möglichkeit und innere Wahrscheinlichkeit des Vorgangs und den „Leumund" des Zeugen verwenden können. Wenn wir Glück haben, findet sich vielleicht in dem beargwöhnten Bericht ein Umstand, an den der Erzähler selbst nicht glaubte, den wir aber auf Grund unseres heutigen Wissens als beste Beglaubigung gelten lassen müssen. Dahin gehört ζ. B.: Herodot will den Phönikern, die Afrika umsegelten, nicht glauben, daß sie die Sonne schließlich zur rechten Hand aufgehen sahen (IV 42) Der normale Fall ist, daß sich Berichte verschiedener Herkunft, Tendenz und Qualität ergänzen, etwa erzählende Werke, aus mehreren Parteilagern, dazu Urkunden, Briefe, geheime und öffentliche diplomatische Schreiben, Gedichte, Zeitungen, Münzen, Bildwerke, darunter etwa Karikaturen usw. Dann müssen wir zuerst Echtheit und Entstehungsgeschichte jeder einzelnen Quelle untersuchen und hierauf deren Aussagen miteinander kombinieren. Das Auftreten von Widersprüchen darf uns dabei nicht verblüffen. Bewegte Zeiten, wie wir sie augenblicklich durchleben, liefern täglich von neuem den Beweis, daß sogar intelligente und wahrheitsliebende Menschen Vorgänge, die sie unter günstigen Umständen mit lebhafter Aufmerksamkeit beobachDieses Beispiel findet sich bei Erslev, Historische Technik, S. 76. K i r n , Einführung in d i e Geschichtswissenschaft

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Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

ten, mit auffallenden Abweichungen, ja starken Widersprüchen zu erzählen pflegen. Wie man praktisch von den Quellenaussagen zu den geschichtlichen Tatsachen vordringt, lernt man am besten in Seminarübungen oder durch zweckmäßig gewählte Lektüre. Was den Anfänger leicht verwirrt, aber auch den wissenschaftlich Gefestigten noch stört und verdrießt, ist die unübersehbare Zahl der mittelmäßigen Untersuchungen, die entweder infolge einer unglücklichen Quellenlage oder - das ist der eigentliche Grund des Mißbehagens infolge nicht einwandfreier Beweisführung im Leser das Gefühl hinterlassen, daß er vielleicht im einzelnen dies und das gelernt hat, aber der These, die das eigentliche Anliegen des Verfassers bildet, nicht zustimmen kann. Muß man viel dergleichen lesen, so kann einem der Verdacht aufsteigen, es gebe am Ende gar keine Methode, um sichere historische Beweise zu führen. Hat doch selbst Goethe einmal geäußert: „ E s geht wirklich ins Komische, wenn man von längst Vergangenem sich mit Gewißheit überzeugen will" (An Zelter 27. 3.1824). Aus der Sackgasse, in die man so gerät, führt der Vorschlag heraus, den wir hier machen wollen. Man lese ohne Rücksicht darauf, ob die Entscheidung der darin aufgeworfenen Frage uns nun eben sehr zu Herzen geht oder nicht, einige Untersuchungen, die methodisch vorzüglich gelungen sind und die Hand eines Meisters verraten. Das wirkt befreiend. Hier schließt jedes Stück der Beweisführung sich lückenlos an das vorangehende, wir folgen mit Freude und Bewunderung und legen das Buch nicht gequält und beunruhigt, sondern froh und bereichert aus der Hand. Es kann auch nichts schaden, wenn wir die Gegenprobe machen und uns die eine oder andere mißlungene Abhandlung vornehmen, der auch der Anfänger unschwer anmerkt, daß sie entweder durch willkürliche Voraussetzungen oder durch logische Verstöße keine haltbaren Ergebnisse erzielt. Krasse Fälle sind ja im Guten wie im Schlechten wesentlich leichter zu beurteilen als Durchschnittsleistungen. Und nach unseren Beobachtungen ist

Kritik der Quellenaussagea

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nicht wenig gewonnen, wenn der Student auf solche Weise lernt, sich ein wenig auf das eigene Urteil in wissenschaftlichen Fragen zu verlassen. Ihn dazu zu erziehen ist der eigentliche Sinn der fachwissenschaftlichen Ausbildung. E s ist aber sehr wohl denkbar, daß er in den ersten Semestern mehr als einmal in arge Zweifel gerät, ob er selber den wissenschaftlichen Anforderungen genügen könne, wenn er vom Katheder wissenschaftliche Arbeiten verurteilen hört, die von namhaften Verfassern herrühren. Vielleicht sagt er sich als kluger Kopf außerdem, daß dasselbe, was an der Universität X als irrig bezeichnet wird, in Y in milderem Lichte erscheint, ja daß der streng urteilende Professor in X vor seinem Kollegen in Y schwerlich tadellos besteht. Derartige, nicht völlig unberechtigte Gedankengänge werden dann die sachgemäße Grenze nicht überschreiten, wenn man sich zunächst einmal davon überzeugt, daß das Urteil der Kenner über Meisterleistungen auf der einen Seite und Pfuschertum auf der anderen doch ziemlich gut übereinstimmt. Im Anhang finden sich Vorschläge für eine solche Lektüre. Um schließlich denen entgegenzukommen, die gern allgemeine Regeln für den Schluß von den Quellenaussagen auf die Wirklichkeit schwarz auf weiß vor sich sehen möchten, führen wir in Anlehnung an unsere Vorgänger einige Grundsätze an. Doch sei vorher noch ausdrücklich darauf verwiesen, daß die im Rahmen hilfswissenschaftlicher, vornehmlich diplomatischer Untersuchungen angewendeten Methoden immer mit in Rechnung gestellt werden müssen, wenn man über den möglichen Sicherheitsgrad historischer Kritik urteilen will. 1. Die abgeleiteten Quellen, deren Vorlagen wir besitzen, zählen nicht mit. Ihre bewußten Abweichungen fallen nur dann ins Gewicht, wenn der Verfasser auch als selbständiger Zeuge gelten kann oder der Grund der von ihm vorgenommenen Veränderung einleuchtet. 2. Für das ganze Verfahren gelten die Regeln des Zeugenverhörs. Man unterscheide dabei zwischen Vorgängen, die jeder Berichterstatter, der guten Willens war, an6*

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Quellenkritik: Kritik des Textes und der Quellenaussagen

nähernd richtig wiedergeben konnte, und verwickeiteren, die schwerlich einer ganz vollständig und treffend darzustellen vermochte. Eine Hauptregel des Zeugenverhörs spricht ein Satz Adolf Rhombergs aus, der sich in Wilhelm Bauers Einführung in das Studium der Geschichte zitiert findet *) : „Wenn zwei oder mehrere zeitgenössische Augen- oder Ohrenzeugen unabhängig voneinander ein und dasselbe Faktum mit mehreren gleichen Details berichten, die zum Faktum nicht in einem notwendigen oder gewöhnlichen, sondern in einem nur zufälligen Zusammenhange stehen, dann müssen die übereinstimmenden Berichte, insoweit sie übereinstimmen, wahr sein, wenn die Tatsache samt den betreffenden Details so klar wahrnehmbar war, daß über dieselbe keine Täuschung möglich wurde." Natürlich gilt auch den historischen wie den gerichtlichen Zeugenaussagen gegenüber, daß das der N a t u r der Sache nach Unmögliche durch solche Aussagen nicht zur Tatsache gestempelt werden kann. Daß Hannibal auf seinem Marsch über die Alpen einen Felsen durch Anwendung von Essig mürbe gemacht habe, was uns Livius bekanntlich glauben machen will (XXI 37), wäre auch dann keine historische Tatsache, wenn es fünf voneinander unabhängige Zeugen erzählten. 3. Man muß streng unterscheiden zwischen miteinander verträglichen Abweichungen und unvereinbaren Widersprüchen der Quellenaussagen. 4. Im allgemeinen wird man sich nicht dazu entschließen, Einzelheiten bald aus diesem, bald aus jenem Bericht in ein neues Ganzes zu verarbeiten, wenn jene Berichte von Grundvoraussetzungen ausgehen, die einander vollkommen widersprechen. Zumal dann nicht, wenn wir die eine Voraussetzung als zutreffend, die andere als verkehrt erweisen können. Ζ. B . : Die Reise einer historischen Persönlichkeit wird von einer Quelle als Seefahrt, von einer *) S. 334 nach A . Rhomberg, D i e E r h e b u n g der Geschichte zum R a n g e einer Wissenschaft (1883) 21.

Begreifen, Erklären, Verstehen

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andern als Landreise geschildert. D a ß es nur eine Seefahrt gewesen sein kann, steht anderweitig fest. Damit fallen alle Einzelangaben, die der Bericht über die Landreise mitteilt. 5. Wie das Zeugenverhör wird auch die Quellenkritik die volle Wirklichkeit der untersuchten Vorgänge nicht mehr ermitteln können, wie die gerichtliche Untersuchung wird auch die historische gelegentlich mit einem non liquet enden. Wie eng die hier gezogenen Schranken sind, wird der am besten ermessen, der bei alledem nicht vergißt, welchen weiten Spielraum das Irrationale in der Geschehenswirklichkeit hat. Man kann auch sagen: Darüber ist sich der Historismus weit klarer als der Pragmatismus. Von diesen weltanschaulichen Hintergründen der historischen Methode reden wir im folgenden Kapitel. 6. Kapitel

Das geschichtliche Verstehen und die Sinndeutung der geschichtlichen Vorgänge 1. Begreifen,

Erklären,

Verstehen

Wahrheiten werden begriffen, ζ. B. der Pythagoreische Lehrsatz. Wirklichkeiten werden erklärt, ζ. B. Blitz und Donner. Dichtungen wie der Faust, Persönlichkeiten (historische wie Cäsar und Napoleon, dichterische wie Medea oder Tasso), Taten wie Luthers Verbrennung der Bannbulle oder Yorks Kapitulation von Tauroggen, geistige Kräfte wie der Geist der deutschen Reformation oder der Geist der Scharen Cromwells - alle diese müssen verstanden werden. In diese Persönlichkeiten und Kräfte kann man sich hineindenken, während sich niemand in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Hypotenusenquadrats oder einer mit positiver Elektrizität geladenen Wolke hineindenken kann. Der Historiker muß gewiß allerlei begreifen und erklären. Aber das dringlichste Anliegen für seine Wissenschaft ist das Verstehen. Das verdeutlicht Erich

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D a s geschichtliche Verstehen

Rothacker mit den Worten: „Wo wir uns . . . genötigt sehen, ein nicht restlos in Begriffe auflösbares und nicht restlos erklärbares Individuallebendiges zu suchen, da glauben wir Versuchen echten Verstehens . . . zu begegnen" ')· Das Verstehen benutzt zwar streckenweise die rationalen Wege des Begreifens und Erklärens, muß aber dann den „Sprung ins Irrationale" tun. Verstehen heißt den Sinnzusammenhang erkennen, der Sein und Tun eines Menschen oder einer Gemeinschaft verbindet. D i e wirren Handlungen eines Geisteskranken entziehen sich dem Verstehen. W i e schon bemerkt, ist das geistige Verfahren dasselbe, ob eine in der geschichtlichen Wirklichkeit gegebene oder eine vom Dichter geschaffene Gestalt verstanden werden soll. Ja, die Gestalten des Dichters erschließen sich uns darum leichter, weil sie von einem Verstehenden geschaffen und auf das Verstehen hin angelegt sind. Wilhelm Dilthey sagt einmal darüber: „Nur der Zusammenhang zwischen Motiv und Handlung ist uns in klarem Bewußtsein gegeben. Daher ist der Charakter des Menschen diesem selbst ein Geheimnis, welches ihm nur seine Handlungsweise teilweise sichtbar macht. Durchsichtigkeit des Zusammenhangs zwischen Charakter, Motiv und Handlung eignet den Gestalten des Dichters, nicht der Anschauung des wirklichen Lebens, und so liegt auch das Ästhetische in der Erscheinung des wirklichen Menschen darin, d a ß über seinen Handlungen noch ein Abglanz der hervorbringenden Seele leuchtender als über denen der anderen Menschen liegt" 2). Für das Verstehen von Personen und ihren Handlungen gilt der Schillersche Vers: „Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben, Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz" 3 ). ' ) L o g i k u. S y s t e m a t i k 124. ) E i n l e i t u n g in d i e G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n 1883, S. 78. 3) D e r Schlüssel, W e r k e (Cotta) 1, 275.

3

Begreifen, Erklären, Verstehen

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Dieses Wechselverhältnis, das jeweils voraussetzt, daß ein vollkommenes Verstehen, sei es der andern, sei es des eigenen Wesens, schon erreicht sei, setzt uns nicht in Erstaunen. Finden wir doch dasselbe Wechselverhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wir treiben Geschichte, um aus der Vergangenheit heraus die Gegenwart zu verstehen. Zugleich aber gilt: Die Vergangenheit bliebe uns ewig unverständlich, stünde uns nicht das Gegenwartserlebnis zur Verfügung, mit dessen Hilfe wir die Spuren ehemaligen Lebens deuten. Eine Eigentümlichkeit aller Versuche des Verstehens ist, daß auch der vorläufige und noch ganz unvollkommene Versuch ein abgeschlossenes Bild zu liefern scheint, nicht vereinzelte Punkte auf einer sonst noch leeren Fläche, sondern einen geschlossenen Umriß. Treten neue Beobachtungen hinzu, so kann es geschehen, daß das frühere Bild ausgelöscht und durch ein neues ersetzt wird. Die Individuen, die wir zu verstehen suchen, vergleichen wir unwillkürlich mit Typen, genau so wie wir unter dem Zwang, den Verlauf eines Flusses (den wir durch eine Zeichnung weit besser veranschaulichten) mit Worten zu beschreiben, Begriffe wie gerade Linie, Halbkreis, rechter Winkel verwenden würden, nicht weil ein Fluß in der Natur in solchen Kurven sich bewegte, sondern weil sie das nächste zur Hand liegende Verständigungsmittel wären. Eduard Spranger hat gezeigt, wie wir zu den einfachsten und für unsern Zweck brauchbarsten Typen gelangen. Er nennt sie Lebensformen '). Der Ausdruck begegnet uns übrigens sehr häufig in Rankes Schriften. Unterscheiden wir sechs große Wertgebiete der Kultur und denken wir uns Menschentypen, deren gesamtes Bestreben jeweils einseitig auf die Werte eines solchen Gebietes gerichtet ist, so erhalten wir sechs Lebensformen: den theoretischen, den ökonomischen, den ästhetischen, den sozialen, den politischen und den religiösen Menschen. Dem ersten ist die Wissenschaft alles ; ihr ordnet er Wirtschaft, Kunst, soziale ' ) Eduard Spranger, Lebensformen. 1914. 7. Aufl., 1930,

72

Das geschichtliche Verstehen

Umgebung, Politik und Religion unter. Der zweite strebt nur nach wirtschaftlichem Gewinn, dem alles andere dienen muß, und entsprechend verhalten sich die übrigen. Das Wesentliche ist nun, daß diese Lebensformen durch die das jeweilige Zeitalter bewegenden Kräfte ihre besondere Prägung erhalten. Der militärische und politische Macht erstrebende Mensch ist immer durch denselben Grundtrieb charakterisiert, aber seine Erscheinung muß sich anders gestalten im Zeitalter Cäsars als im Zeitalter Wallensteins oder Friedrichs d. Gr. Wer der Wissenschaft die höchsten Altäre errichten möchte, erscheint anders in der Zeit des Aristoteles als in der des Leibniz. Dieselben einseitigen Willensrichtungen, die hier am Einzelmenschen verfolgt sind, verwirklichen sich bis zu einem gewissen Grade in ganzen Völkern. Überzüchtung der theoretischen Triebe kann ein Volk der Denker und Dichter (im ungünstigen Sinne) hervorbringen, ein Übermaß des Erwerbssinnes ein Krämervolk. W i e das Individuum ist auch das Volk durch solche Einseitigkeit gefährdet. Man darf freilich nicht vergessen, daß solche Typen der Verständigung noch besser dienen als dem Verständnis. Denn es bleibt richtig, was schon die alten Griechen wußten, daß die Götter alle Dinge mit Eigennamen nennen würden. Der Historiker aber soll das nur einmal Dagewesene mit Ausdrücken beschreiben, die am Alltäglichen gebildet und jedermann verständlich sind. Sonst würde die Sprache aufhören, ein Verständigungsmittel zu sein. Man wird ferner beachten müssen, daß die einzelnen Seiten des Kulturlebens in ganz verschiedenem Grade zeitgebunden sind. An den Wissenschaften läßt sich das besonders leicht erläutern. Es gibt vielleicht solche Wissenschaften, in denen jeder, der sie durch Forschung weiterführen will, genau an dem Punkt ansetzen muß, wo der Vorgänger aufhörte. In anderen besteht die Möglichkeit, an zeitlich sehr weit entfernte Vorgänger anzuknüpfen. Ein Philosoph kann sich an Kant anschließen, aber es kann ebensogut auch Leibniz oder Piaton oder Heraklit sein, dem er das Beste verdankt. Ein Dichter mag Rilke zum

73

Begreifen, Erklären, Verstehen

Vorbild nehmen oder Jean Paul, aber ebenso kann es Dante oder Pindar sein, der ihn begeistert. Daraus ergibt sich, daß Verstehen durchaus etwas anderes ist als das Verfolgen einer Überlieferungskette, in der jedes Glied nur mit dem unmittelbar vorhergehenden und dem unmittelbar folgenden verbunden wäre. Und man kann auch hieran ermessen, daß ein überspannter Entwicklungsbegriff die Tatsachen vergewaltigt, weil er die geistige Freiheit des schöpferischen Menschen verkennt. Auf Jakob Burckhardt geht eine andere Typenbildung zurück. In seiner Griechischen Kulturgeschichte las man zum erstenmal vom hellenischen Menschen in seiner zeitlichen Entwicklung. Nacheinander werden dort behandelt: I. der heroische Mensch; II. Der koloniale und agonale Mensch; III. Der Mensch des 5. Jahrhunderts; IV. Der Mensch des 4. Jahrhunderts ; V. Der hellenistische Mensch. Seitdem haben sich die „Menschen" verzehn-, wenn nicht verhundertfacht. Der staufische, der gotische, der barocke, der nordische, der ostische Mensch ist aufgetaucht, sogar die Einheitslösung des mittelalterlichen Menschen hat Anklang gefunden ')· Sprangers Typenbildung ist ein Erkenntnismittel, Burckhardt prägt eine Form für gewonnene Erkenntnis. Jener sucht die allgemeinen Begriffe soweit zu differenzieren, daß sie geeignet werden, Individuelles zu beschreiben. Dieser verallgemeinert individuelle Beobachtungen so weit, daß der Umriß eines Typus sichtbar wird. Ist man einmal darauf aufmerksam geworden, wie bedeutsam das Verstehen der geschichtlichen Gestalten ist, dann wird man sich gern bei der Lektüre danach umtun, wie verschieden ein und dieselbe Größe von den verschiedenen Historikern verstanden wurde. Man frage etwa: Wie verstand Treitschke Metternich und wie versteht ihn v. Srbik? W i e verstanden Treitschke, Max Lehmann, Meinecke und Gerhard Ritter den Freiherrn vom Stein? In vielen Fällen wird der Versuch des Verstehens darauf hinauslaufen, den in den Quellen zerstreuten, keineswegs ')

Eine

ähnliche

33 mit N. 2,

Aufzählung

gibt

Karl

Heussi,

Krisis

des

Historismus

74

Das geschichtliche Verstehen

von Widersprüchen freien Stoff, der uns gegeben ist, einer einheitlichen Deutung vom Seelischen her zu unterwerfen. Es wird dann darauf ankommen, weder infolge allzu großer Zurückhaltung in unverbundenen Einzelzügen stecken zu bleiben noch um der erwünschten Geschlossenheit des Bildes willen das Gegebene umzubiegen oder wegzudeuten. Als Beispiel sei kurz das Bild Friedrichs des Weisen in der historischen Literatur angeführt. Von diesem Kurfürsten von Sachsen (1486-1525) ist aus den unmittelbaren Quellen schwer ein deutliches Bild zu gewinnen. Privatbriefe, wie er sie an seinen Bruder Johann schrieb, sind leider sehr unergiebig. Sie enthalten manche harmlos unpolitische Bemerkung und enthüllen mehr sein Interesse an Turnierwesen, Jagd und höfischen Vorkommnissen als seine Haltung gegenüber den entscheidenden Fragen der Zeit. Ja, er spricht es mehrfach aus, daß er die wichtigsten Gedanken dem Papier nicht anzuvertrauen wage. Was aus Geschäftsakten und Rechnungsbüchern zu entnehmen ist, bleibt auch zum guten Teil an der Oberfläche, jedenfalls bietet es mehr Belege für sein Interesse an Kunst und Wissenschaft, für seine landesväterliche Fürsorge, für geistliche Anstalten, zumal das Allerheiligenstift in Wittenberg und die dort von ihm gesammelten Reliquien als für seinen Einfluß auf Kaiser und Reich. Von seinen drei Testamenten zeigen ihn zwei als ängstlich korrekten und wahrhaft frommen Katholiken, der sich auf die Verdienste seiner Schutzheiligen gläubig verläßt; aus dem dritten und letzten spricht eine schlichte Frömmigkeit, die Heiligen bleiben unerwähnt. Von den Zeitgenossen schildert ihn der päpstliche Nuntius Aleander als den „sächsischen Fuchs", der rede, als läge ihm nichts ferner als eine Parteinahme für den Erzketzer Luther, während er diesem heimlich auf jede Weise Vorschub leiste. Der Hofgeistliche Georg Spalatin dagegen zeichnet ihn in dem Lebensbild, das er für den Neffen des Kurfürsten schrieb, als vielerfahrenen, vorsichtigen, ja ängstlichen, Krieg und Verwicklungen scheuenden Fürsten. Er erklärt, Friedrich sei Luther gegenüber anfangs

Begreifen, Erklären, Verstehen

75

sehr zurückhaltend gewesen, langsam und allmählich habe er mehr Zutrauen gefaßt und ihn zuletzt „fast wohl leiden" können. An dieses von Spalatin entworfene Charakterbild Schloß sich Ranke im wesentlichen an, als er - gerade auch aus wettinischen Akten gründlich über alle Zeitumstände unterrichtet - in seiner deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation das Wesen dieses Fürsten zeichnete und seine religiösen Anliegen zu umschreiben suchte. Ähnlich verhielt sich 1881 Theodor Kolde. Er machte die Zurückhaltung, die Friedrich Luther gegenüber übte, verständlich durch reichliche Aktenmitteilungen über Friedrichs Interesse am Klosterwesen und dessen Reform und überhaupt seine aktive Teilnahme an allen Versuchen, die katholische Frömmigkeit zu beleben, wie sie die dreißig Regierungsjahre vor Luthers Auftreten ausfüllten. Ganz anders sah und schilderte Paul Kalkoff den sächsischen Kurfürsten. In den zahlreichen Arbeiten, die er veröffentlichte, entwarf er in fortgesetzter Steigerung der zunächst ungewohnten Züge das Bild eines überragenden Politikers, der von früh an mit Luther vollkommen einig, konsequent und energisch die Sache des Reformators durch alle Krisen hindurch rettet. Spalatin, erklärt Kalkoff, habe seinen Herrn nicht verstanden und sei in die entscheidenden Dinge nicht eingeweiht worden. Als darauf der Verfasser des vorliegenden Büchleins, nochmals ungedruckte Quellen heranziehend, diese Frage von neuem aufnahm, ergab sich ihm: Kalkoff hat manche Quellen unzulässig interpretiert. So hat Friedrich ζ. B. niemals weder dem Wortlaut noch dem Sinne nach geschrieben: Luthers Sache ist Gottes Sache. Spalatine Darstellung darf man nicht einfach beiseiteschieben. Sie wird um so mehr das Richtige treffen, als sie ja geschrieben ist in einer Zeit und für Leser, die viel lieber das Gegenteil gehört hätten : nämlich es hätte stets das engste Einvernehmen zwischen Kurfürst und Professor geherrscht. Friedrich hatte zwar politischen Ehrgeiz so gut wie andere - ein neues wichtiges Zeugnis belegt das - , aber er wagte nie einen großen Einsatz. Er hing an den

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Das geschichtliche Verstehen

Reliquien noch bis in seine letzten Lebensjahre - auch dies ist aus einem früher nicht benutzten Schreiben zu entnehmen - und setzte sich doch in seinem Bestreben, Luthers Auslieferung an die Kurie zu verhindern, den größten Gefahren aus. So sind die von Kalkoff gezeichneten Züge die freilich ein viel einheitlicheres Verstehen ermöglicht hätten - wieder weggewischt und der „Mensch mit seinem Widerspruch" wieder zutage gekommen *). Nicht alle Größen und Vorkommnisse, mit denen die Geschichtswissenschaft es zu tun hat, sind geeignet, verstanden zu werden. Große Veränderungen etwa, die nicht im geschlossenen Zusammenhang eines Volkes sich abspielen, sondern aus dem Zusammenwirken von Naturkräften und einer Vielzahl geschichtlicher Faktoren, die ζ. T. sogar gegeneinander gerichtet sein mögen, hervorgehen, können nicht so verstanden werden wie das Handeln eines Staatsmannes oder einer Partei. Doch kann man eine Deutung ihres Sinnes versuchen, nicht als ob eine einzige, ihnen von vornherein innewohnende und sie ausschließlich hervortreibende Kraft entdeckt werden sollte, neben der alle andern als nichtig anzusehen wären, sondern als Vorschlag, das, was sie im weltgeschichtlichen Zusammenhang bedeuten, auf eine knappe Formel zu bringen. Das Wort Sinngebung wird besser vermieden, denn wer wollte so anmaßend sein, der Vergangenheit, die unabänderlich und abgeschlossen hinter uns liegt, einen Sinn zu geben? Es liefe doch höchstens darauf hinaus, ihr einen Sinn unterzuschieben. 2. Mögliche Standpunkte für die Sinndeutung geschichtlichen Vorgänge

der

Auch wer es wollte, könnte nicht auf die Sinndeutung der geschichtlichen Vorgänge verzichten. Der einzelne kann es nicht, denn er richtet sein Handeln so ein, als wäre ihm D i e ältere Literatur bei Paul K i r n , Friedrich der Weise und die Kirche. Leipzig 1926 und D W 10 156. E i n e knappe Skizze Paul K i r n , Friedr. d. W . ist für die Thüringischen Lebensbilder, Bd. 1, niedergeschrieben worden.

Standpunkte für die Sinndeutung

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der Sinn des geschichtlichen Werdens bekannt. Erst recht kann ein Volk nicht darauf verzichten. D i e Wissenschaft kann es ebenfalls nicht. J a , die geschichtliche Bewegung selbst ist immer wieder vorgetrieben worden durch solche Sinndeutung, die geschichtliches Leben erzeugt. Man kann das nicht besser ausdrücken, als es Adolf Harnack gelegentlich getan hat anknüpfend an die preußische Niederlage von Jena 1806: „Alles kam darauf an, wie man damals diese Niederlage deutete, als zufälliges Ereignis oder als notwendiges Geschick oder als verdiente Strafe, als den Anfang des Endes oder als die letzte furchtbare Mahnung an das Vaterland, in einmütiger Kraft sich zu erheben. Die Tatsache selbst ist stumm und brutal; aber der Geist deutet die Tatsache, und je nach dem Ausfall dieser Deutung bildet er eine neue Geschichte" '). Die Möglichkeiten solcher Geschichtsdeutung sind naturgemäß erheblich vielgestaltiger als die Möglichkeiten der Interpretation einer einzelnen Qucllenstelle oder der konkreten Tatsachenforschung. Größere Zusammenhänge bieten so viele Deutungsmöglichkeiten, daß kein Verständiger auf eine Einigung der Gelehrten darüber rechnen oder gar warten wird. Es kann auch nicht fruchtbar darüber gesprochen werden, ohne daß zuvor ein Überblick über die weltanschaulichen Standpunkte gewonnen ist, die man bei solchen Deutungsversuchen einnehmen kann 2 ). a) Der sogenannte

Positivismus

Ein weit verbreiteter Sprachgebrauch bezeichnet diejenigen, die nur gesicherte Tatsachen gelten lassen wollen und am liebsten bei ihnen stehenbleiben, sich also tunlichst jeden Höhenflug ins Reich der Idee versagen, als Positivisten. Verbindet sich diese Haltung mit einer unerfreulichen Enge des Horizontes, so kommt jene Karikatur heraus, auf die die Verse Goethes zielen, der Kopf, ' ) Reden und Aufsätze 1 (1904), 11. 2 ) Über zahlreiche Versuche der Geschichtsdeutung aus neuester Zeit ihre theoretischen Grundlagen orientiert Othmar ÄndertTheoretische schichte, Hist. Zeitschr. 185 (1958).

und Ge-

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Das geschichtliche Verstehen

„Der immerfort an schalem Zeuge klebt, Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!" Diesen Sprachgebrauch sollte man vermeiden, denn er führt irre. Die Väter des Positivismus wollten zwar streng kritisch gewonnene Erkenntnis bieten und sich darauf beschränken, waren aber und wurden zunehmend Dogmatiker und Konstrukteure. Ihr Ziel war: die Gesetze des Geschichtsverlaufs zu finden und danach das Handeln einzurichten. Den Leuten aber, die man heute mißbräuchlich Positivisten nennt, sind „Gesetze" der Geschichte ein Greuel. Also tut man besser, nur Auguste Comte (1798 bis 1857) und die Geschichtsschreiber Hippolyte Taine (1828 bis 1893) und Henry Thomas Buckle (1824-62) sowie deren Gesinnungsgenossen mit dem Namen, den sie selber sich beilegten, als Positivisten, zu bezeichnen. Für die jeder verallgemeinernden Formel mißtrauisch, ja, feindselig gegenüberstehenden Historiker wäre moderne Nominalisten die treffendste Bezeichnung. Denn sie wiederholen dieselbe geistige Haltung, die den nominalistischen Philosophen des Mittelalters eigentümlich war. Doch ist dies Wort nur eingeweihten Kreisen geläufig, und daher reden wir besser von Empiristen. Die Gegner der eigentlichen Positivisten sind die Metaphysiker, die Gegner der Empiristen alle, die das Ziel der Geschichtsdeutung in der Ermittlung von Gesetzen, der Verwirklichung von Werten u. dgl. sehen, denen eben das Geschehen auf etwas hindeutet, das noch wesentlicher ist als der Tatsachenablauf selber, und die die letzte Aufgabe der Geschichtswissenschaft erst da gelöst sehen, wo man sich über die bloße Schilderung des Tatsachenablaufs erhebt. b) Historismus So recht in Mode gekommen ist der Ausdruck Historismus erst nach dem ersten Weltkriege. Bekannt war er schon früher. Die Nachschlagewerke des ausgehenden 19. Jahrhunderts verzeichnen ihn. Der früheste Beleg, der sich bis

Standpunkte für die Sinndeutung

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jetzt fand, ist von 1839 *). Historismus bezeichnet zunächst im Gegensatz zu Naturalismus eine Weltanschauung, die den Menschen, seine Geistesentwicklung und seine Kulturschöpfungen in den Mittelpunkt stellt, nicht die Natur. Wenn eine Zeitschrift sich „die Welt als Geschichte" nennt, bekennt sie sich zum Programm des Historismus. Der Historismus steht ferner im Gegensatz zum Pragmatismus. E r nimmt damit die durch die Romantik vertiefte geistige Bewegung auf, die sich nicht begnügt, geschichtliche Vorgänge aus den Beschlüssen der handelnden Personen zu erklären und die Weltgeschichte als eine Beispielsammlung zu betrachten, die Regeln des Verhaltens bei der Wiederkehr ähnlicher Lagen an die Hand gibt. E r macht Ernst mit der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der geschichtlichen Tatsachen und entwickelt ein Feingefühl für die sozusagen perspektivistischen Unterschiede der Zeitalter. Seine Gegner werfen dem Historismus vor, er relativiere alles, begnüge sich mit dem Zuschauen und lähme die Handlungsfreudigkeit. Ernst Troeltsch spricht einmal von einem „lediglich passiv betrachtenden, geistreich vergleichenden und schließlich stumpfsinnig lernenden Historismus" 2 ). D a ß dies notwendig in seinem Wesen liege, wird niemand beweisen können. Der Historismus verträgt sich schlecht mit dem Kausalmonismus. E r verwendet einen Kausalbegriff, der die quantitative Gleichheit von Ursache und Wirkung bewußt preisgegeben hat. Causa aequat effectum gilt nur für den mechanischen Kausalbegriff; der biologische und der geistig-sittliche Kausalbegriff können diese Gleichsetzung nicht aufrechterhalten 3 ). Ebenso hat er seinen eigenen Zeitbegriff 4 ). Dem naturwissenschaftlichen Zeitbegriff kommt es nur auf die Dauer ') V g l . H Z . 168 ( 1 9 4 3 ) , 4 3 9 . D e r H i s t , und s e i n e P r o b l e m e 7 2 4 . Z u r A b w e h r solcher A n g r i f f e auch d i e n e n , w a s w i r unten S . 00 ü b e r O b j e k t i v i t ä t a u s f ü h r e n . 3 ) M e i n e c k e , S t a a t und P e r s ö n l i c h k e i t , S . 2 8 , 4 ) T r o e l t s ç h , H i s t o r i s m u s 6 4 4 u, 6 5 8 , 2)

kann

80

D a s geschichtliche Verstehen

an. Der Zeitbegriff des Historismus bringt es mit sich, daß kein Jahrhundert dem andern und kein Jahrzehnt dem andern gleich ist. Ganz in seinem Sinne erläuterte Goethe in der Einleitung zu Dichtung und Wahrheit die Aufgabe der Biographie: „Hierzu wird aber ein kaum Erreichbares gefordert, daß nämlich das Individuum sich und sein Jahrhundert kenne, sich, inwiefern es unter allen Umständen dasselbe geblieben, das Jahrhundert, als welches sowohl den Willigen als den Unwilligen mit sich fortreißt, bestimmt und bildet, dergestalt, daß man wohl sagen kann, ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und seine Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein" *). Der alte Positivismus Comtes und seiner Schule hat sich überlebt. Das, was wir Empirismus oder modernen Nominalismus nannten, kann aus achtungswertem Eifer um die Reinerhaltung der Wissenschaft hervorgehen und als Korrektur überschwenglicher Konstruktionen gute Dienste leisten; den geistigen Hunger des die Geschichte enträtselnden Menschen befriedigt es nicht. Wollten wir den Historismus ablehnen, so würden wir damit den geistigen Reichtum, den die historische Arbeit seit Herder und Ranke erschlossen hat, preisgeben, nicht nur einzelne Ergebnisse - solche werden unaufhörlich überholt und durch andere ersetzt - , sondern die ganze Sehschärfe, die in dieser langen Erziehungsarbeit gewonnen wurde. Wir mußten uns hier schon überzeugen und werden fernerhin noch deutlicher erkennen, daß durch bloße Quellenkritik und durch psychologisches Verstehen noch kein geschlossenes Geschichtsbild zustande kommt, daß der Historiker seinen Gegenstand nicht einfach abbildet, sondern - auch wo er sich dessen wenig oder gar nicht bewußt ist - mit Hilfe gewisser vorgegebener Kategorien „erzeugt", wie Kant dies von den Naturwissenschaften einleuchtend bewiesen hat. Es ist daher unumgänglich, daß wir die zur Verknüpfung und Deutung der Tatsachen vom ^ Werke, J u b i l ä u m s a u s g a b e 22, 6,

Standpunkte f ü r die Sinndeutung

81

Historiker verwandten Begriffe untersuchen. Dabei wird es wesentlich darauf ankommen, die weltanschaulichen Grundlagen festzustellen, auf denen sie erwachsen sind. Mit zwei von den nunmehr zu erörternden Grundtypen der Weltanschauung kann sich der Historiker sehr wohl verbinden. Deshalb und weil die Schlagwörter Positivismus und Historismus dem angehenden Historiker auf Schritt und Tritt begegnen, mußte von beiden die Rede sein, bevor wir jene in ihrer Weise erschöpfende Einteilung der Weltanschauungen behandeln.

c) Die drei Grundtypen der

(nach Dilthey)

Weltanschauung

Alle möglichen oder alle in klassischer Ausprägung einmal formulierten Weltanschauungen hier aufzuzählen, verbietet sich aus vielen Gründen. Daher kommt uns der Versuch sehr zustatten, den Wilhelm Dilthey 1911 machte, die verschiedenen Weltanschauungen auf drei Grundtypen zurückzuführen: den Naturalismus, den kämpferischen Idealismus (wofür er dualistischer Idealismus oder Idealismus der Freiheit sagt) und den objektiven Idealismus ')· W a s Naturalismus ist, erklärt sich von selbst: die Weltanschauung, der die Natur letzten Grund des Seienden und höchstc Norm des Sollens bedeutet, die jedes Von-der-Natur-Wegstreben in „höhere Sphären" als Irrtum oder Verirrung ablehnt. Den kämpferischen Idealismus charakterisiert am besten Schillers Vers: „Aus dem Leben heraus sind der Wege zwei dir geöffnet: Zum Ideale führt einer, der andre zum Tod. Siehe, daß du bei Zeit noch frei auf dem ersten entspringest, Ehe die Parze mit Zwang dich auf dem andern entführt" 2 ). Während Schiller diese Form des Idealismus mit jeder Faser seines Daseins verkörpert, kann man Goethe nicht ebenso ausschließlich für den objektiven Idealismus in An1 ) Die Typen der Weltanschauung im Sammelband „Weltanschauung" (Verlag Rei chi) 1911; wiederholt in Gesammelte Werke, Bd. 8 (1931). 2 ) D i e idealische Freiheit. Werke (Cotta) 1, 272.

K i r n * Einführung in die Geschichtswissenschaft

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D a s geschichtliche Verstehen

spruch nehmen. Höchstens in gewissen Abschnitten seines Lebens hatte es ihm die Formel Deus sive natura angetan. Etwa wenn er an Jacobi schreibt: „Dich hat Gott mit der Metaphysik gestraft und dir einen Pfahl ins Fleisch gesetzt, mich dagegen mit der Physik gesegnet, damit es mir im Anschauen seiner Werke wohl werde." 1786 Mai 5. Und auch sein Verhältnis zu Schiller konnte ihm ganz unter diesem Gegensatz erscheinen. So sagte er: „Er predigte das Evangelium der Freiheit, ich wollte die Rechte der Natur nicht verkürzt wissen" ')· In andern Lebensperioden wiederum wimmelt es bei ihm von dualistischen Aussprüchen. Aber auch ungefähr gleichzeitig mit jenem angeführten Briefe an Jacobi, nämlich 1785, bekennt er in den Geheimnissen: „Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit der Mensch sich, der sich überwindet." Immerhin finden sich bei Goethe viele Stellen, die den Standpunkt des objektiven Idealismus ausdrücken. Für diesen ist der Weltprozeß nicht wie für jenen ein tragischer Kampf, in dem das Gute und Edle auch unterliegen könnte, sondern eine zwar nicht kampflose, aber doch unaufhaltsame Entwicklung, die mit Harmonie und Erfüllung alles tüchtigen Strebens enden muß. Das hat uns schon zu der Frage geführt: Wie stellen sich diese drei Grundhaltungen zur Geschichte? Der Naturalismus „erklärt" Ideale und ideale Größen. Er bemüht sich nachzuweisen, daß sie „eigentlich" etwas anderes sind: Abstraktionen aus der Erfahrung, Klugheitsund Nützlichkeitsregeln, Reste vorwissenschaftlicher Weltanschauung, am Ende gar Narkotika und Lebenslügen 2). Seine Nähe zur Naturwissenschaft (älteren Stils) gibt ihm eine Vorliebe für das Aufsuchen von „Gesetzen" der Geschichte. Naturalistisch (oder, wenn man so will, übertrieben morphologisch) ist der Ausspruch Karl Julius BeGoethes W e r k e , J u b i l ä u m s a u s g a b e 39, 32. Rothacker, Logik und Systematik 51. Unsere gesamten Ausführungen über das Geschichtsdenken von diesen drei Standpunkten aus wären ohne Rothackers Arbeiten niçht möglich und schließen sich eng an diese ^n, 2)

Standpunkte für die Sinndeutung

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lochs: „Wir hätten eine klassische Literatur, auch wenn Goethe nie gelebt hätte" ; denn wo das Entwicklungsgesetz alles ist, bleibt kein Raum für den schöpferischen Einzelmenschen. Bedeutender sind die Namen derer, die die eine oder andere Form des Idealismus verkörpern. Als Vertreter des kämpferischen Idealismus kann man noch Fichte und Treitschke, als objektive Idealisten Hegel und Ranke betrachten. Wo der kämpferische Idealist Werte sieht, um die man kämpft, erblickt der objektive Idealist Güter, die im Kosmos existieren. Wo jener eine Ethik des Sollens verkündet, entwickelt dieser eine Ethik des Seins. Ist jenem der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Lüge Inhalt des historischen Geschehens, das Heldentum seine bewegende Kraft, so sind für diesen Entfaltung, Entwicklung, Gleichgewicht und Harmonie die beherrschenden Kategorien. Während jener dem Durchbruch des Neuen, den Revolutionen seine Aufmerksamkeit zuwendet, steht für diesen das organische Werden und Wachsen im Mittelpunkt, alle Katastrophentheorien lehnt er ab und wiederholt den alten Satz Natura non facit saltum, wozu Heinrich Böhmer einmal treffend bemerkte: „Die Natur macht Sprünge, obwohl es ihr die Philosophen ausdrücklich verboten haben." Jener sieht mit dem Helden die Ideen siegen und unterliegen, dieser tröstet sich damit, daß durch die „List der Vernunft" die Kraft, die stets das Böse will, gezwungen werden kann, das Gute zu schaffen. Der Gegensatz zwischen den beiden Formen des Idealismus erstreckt sich auch auf ihre Stellung zum Kausalproblem. So wichtig es für den kämpferischen Idealismus ist, so sehr tritt es für den objektiven Idealismus zurück hinter die Vorstellung, daß die Einzelerscheinung das Ganze ausdrückt. In welchem der drei angedeuteten Lager der einzelne Historiker seinen Platz zu wählen hat, muß er selbst wissen. Uns scheint eine wirklichkeitsnahe Geschichtsauffassung durch den kämpferischen Idealismus am sichersten gewahrt. 6*

Das geschichtliche Verstehen

E r braucht das Irrationale und Lebensfeindliche nicht zu verschweigen, zu leugnen oder als „faule Existenz" fortzudeuten. In diesem Weltbild finden jene zwei Großmächte der Weltgeschichte ihren Platz, deren Außerachtlassen Treitschke der sog. klassischen Schule der Nationalökonomie zum Vorwurf machte: die Dummheit und die Sünde '). Wer einmal Rothackers Ausführungen gelesen hat über den engen Zusammenhang, der zwischen dem weltanschaulichen Standpunkt und der historischen Begriffssprache besteht, wird sich vornehmen, selber künftig sorgfältig darauf zu achten, d a ß er nicht Worte gedankenlos gebraucht, die seiner Gesamthaltung zuwiderlaufen 2). Auf zwei gefährliche Klippen sei besonders hingewiesen. Eine bildet das Wort E i η f 1 u ß. Es ist naturalistisch. W ä r e der Mensch, das Volk, die einen Einfluß erfahren, ein neutrales Gefäß, in das man Beliebiges hineingießen kann, so wäre der Ausdruck gerechtfertigt..Sehen wir aber mit dem Idealismus in dem geschichtlich handelnden Menschen und Volk ein von geistiger Eigenkraft erfülltes Wesen, so befriedigt uns das Wort Einfluß nicht. Unendlich viel besser ist Begegnung. Schön sagt darüber Wolfgang Schadewaldt: „Ich verstehe . . . unter Begegnung ein Zusammentreffen zu guter Stunde, wo wir uns in einer unsagbaren Mischung von Hingabe und Selbstbehauptung im anderen wiederfinden und, indem jenes andere Wesen sich erschließt, uns zugleich in unserem eigensten Selbst erweckt, geläutert und erhoben wissen" 3 ). D i e zweite Klippe ist das W o r t E n t w i c k l u n g . Es eignet sich nur für Größen mit einem inneren Wachstumsgesetz, die eine allmähliche, organisch bedingte Ausformung bis zur vollendeten Gestalt erfahren 4)· So wird man Deutsche Gcschichte 5, 449. 2 ) Wer die hier erhobene Forderung als allzu streng beurteilen möchte, lese nach, wie schon Goethe einem Naturforscher den entsprechenden Fehler vorhielt. Werke (Jubiläumsausgabe) 39, 244. 3 ) Winckelmann und Homer. Leipzig 1941, S. 6. D i e von Erich Brandenburg noch hinzugefügte Bedingung, daß diese Gebilde schließlich verblühen Und absterben, empfinde ich nicht als notwendig. Vgl. dessen Schrift: D e r Begriff der Entwicklung und seine Anwendung auf die Geschichte. Berichte d. Sacht. Akad. Phil. hist. Kl. 93. H e f t 4. Leipzig 1941.

Standpunkte

für d i e S i n n d e u t u n g

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mit Recht von der Entwicklung des gotischen Stils, des Minnesangs oder der athenischen Verfassung reden. Auch da indessen ist es nicht derselbe Entwicklungsbegriff, den wir anwenden, wenn wir die Entwicklung des Schmetterlings aus der Raupe behaupten. Dazu sagt Karl Heussi richtig: „Bildet er (der Historiker) die Reihe a b c d, so haben zwar diese Größen ihre Entsprechung im Gegenüber ( - d. h. im historischen Stoff - ) , sie treten dort aber nicht in dieser Isolierung und in diesem unmittelbaren Anschluß aneinander auf, sondern inmitten unzählbarer anderer Faktoren. Darum ist es ein täuschender Schein, daß die von dem Historiker gedachte Größe b sich unmittelbar aus a, c sich unmittelbar aus b usw. entwickelt habe" '). Darüber aber kann gar kein Zweifel sein, daß eine Unmenge historischer Tatsachenreihen, die nüchtern betrachtet aus Stoß und Gegenstoß bestehen, kaum schiefer bezeichnet werden können, als wenn man sie mit dem Worte Entwicklung zusammenfaßt. Die übrigen Kategorien der historischen Bewegung - zunächst etwa Ablauf, Durchbruch, schöpferische Tat - ähnlich zu besprechen, besteht kein Anlaß 2 ). Wesentlich ist jedoch, sich einzugestehen, daß sie ähnlich wie die von Kant besprochenen Kategorien der transzendentalen Logik nicht aus dem Erfahrungsstoff abgelesen werden, sondern vorgegeben sind und unsere Auffassung erst möglich machen, daß wir also mit Recht auf sie als auf ein Mittel der Sinndeutung der geschichtlichen Tatsachen hinweisen. W i e stark in der Tat der forschende und darstellende Historiker schon mit der Sinndeutung beschäftigt ist, ergibt sich weiter, wenn wir die Auslese ins Auge fassen, die er unter dem Überlieferungsstoff vornimmt. Wer alles Überlieferte mitteilen wollte, wäre kein Historiker. Was kann er bei seiner Auslese ohne Schaden weglassen, was verdient mitgeteilt zu werden? Wegbleiben soll das Unbedeutende, aufgenommen werden das Bedeutende, insofern es entweder an sich groß oder typisch ist und darum an Stelle *) Krisis des Historismus 84. V g l . darübet Heimsoeth, Gesdiichtsphilosophie 594-600.

2)

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Das geschichtliche Verstehen

vieler anderer Elemente stehen kann. W i e aber scheiden wir das Bedeutende vom Unbedeutenden? Dazu bedürfen wir der Sachkenntnis in den einzelnen Lebensgebieten und unterwerfen uns den dort geltenden Wertmaßstäben. Wer eifersüchtig auf die Autonomie seiner Wissenschaft bedacht ist, mag ein solches Zugeständnis nur mit Bedauern machen. Aber ersparen kann man es ihm nicht. W i l l der Historiker in einer Darstellung auch die Namen der großen Mathematiker und Physiker einer Zeit erwähnen, so muß er die von den mathematischen und physikalischen Fachleuten als groß anerkannten nennen, er besitzt keinen anderen Maßstab, den er anwenden könnte. Wer diesem Zwang dadurch ausweichen wollte, daß er sagte, nicht die vollbrachte Leistung, sondern die räumlich und zeitlich fühlbare Wirkung verdiene den Maßstab abzugeben, würde unsern ersten Satz nicht widerlegen, sondern ergänzen. Denn eins besteht sehr gut neben dem andern. Wollten wir aber das gefährliche Zugeständnis machen, der Erfolg entscheide unter allen Umständen über die historische Größe, so würden wir dem von seinen Zeitgenossen verkannten Genie, das erst von Späterlebenden nach Verdienst gewürdigt wurde, die Größe absprechen. Es bleibt also dabei, daß der Historiker bei seiner Auslese Maßstäbe anzuwenden gezwungen ist, die er vorfindet. J e dichter das erhaltene Quellenmaterial ist und je weniger sich darin die überragende Bedeutung einzelner Punkte aufdrängt, desto schwerer gestaltet sich die Entscheidung. Selbst bei geistesgeschichtlichen Themen wird man nicht allein die überzeitliche Bedeutung der Männer und Leistungen berücksichtigen dürfen. Für die Aufklärungsphilosophie in Deutschland ist Christian Wolff zu charakteristisch, als daß er neben dem unendlich überlegenen Leibniz unerwähnt bleiben dürfte, und ähnlich steht in der Aufklärungsliteratur Friedrich Nicolai neben Lessing. Dem gewissenhaften Historiker wird auch gelegentlich der Gedanke aufsteigen, wie viele im stillen vollbrachte Leistungen kühl verschwiegen werden. Pestalozzi hat sich zu ihrem Anwalt gemacht, und Herbert Cysarz

S t a n d p u n k t e für die

Sinndeutung

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schreibt von ihnen: „Es kann gar nicht genug zugunsten jener namenlosen Anständigen getan und gedacht werden, für die die große Geschichte oft so blutwenig übrig zu haben scheint. Sie sind das Salz der Erde, das Öl an den Achsen der Staats- und Kriegsmaschinen und das Rückgrat jedes Volkskörpers. Sie geben den Geschehenskräften Wucht und Weite, eine Tapferkeit ohne Rücksicht auf den Erfolg. Allerwege handeln sie über sich selbst hinaus, bereiten sie den anderen das Feld. In ihrem Tun liegt mehr als etwa nur der beste Dienst, den der Unschöpferische dem Schöpfergeist leisten kann" *)· Damit haben wir die Forderung anerkannt, daß der Historiker gerecht sei. Wir meinen, er muß auch sachlich sein, d. h. nach der viel umstrittenen Objektivität streben. Man drücke sich nicht um die Schwierigkeit mit Hilfe der banalen Behauptung, daß die volle Objektivität nie erreicht werden könne. Es geht ja zunächst darum, ob man sich ihr so weit als möglich nähern soll. Wer dies durch den Hinweis auf die Unmöglichkeit der vollen Verwirklichung abzutun glaubte, gliche einem Schiffskapitän, der sagte: Es ist unmöglich, genau auf der mathematischen Linie des gewählten Kurses quer über den Ozean zu fahren. Also schleudern wir den Kompaß ins Meer und steuern wild darauf los!" Die Unmöglichkeit der buchstäblichen Erfüllung eines Gebots entbindet nicht von der Pflicht der bestmöglichen Erfüllung. Der Forscher soll seinem Auftraggeber, seinem Volk und der wissenschaftlichen Welt so sachlich berichten wie ein örtlicher Truppenführer seinem Vorgesetzten über Stellung, Stärke, Bewaffnung und Kampfkraft der feindlichen Truppe. Der Feldherr darf nicht irregeführt oder angelogen werden. Er will nicht hören, der Feind sei schwach, schlecht bewaffnet und feige, wenn das Gegenteil der Fall ist. Ob er auf Grund der eingegangenen Meldungen vorsichtige oder kühne Entschlüsse faßt, steht bei ihm. Dafür trägt nicht der objektive Berichterstatter die Verantwortung. ') Herbert Cysarz, P a s UnsterbUçhç. 1940, S. M f,

88

Das geschichtliche Verstehen

Man erziehe sich selbst zur Objektivität. Das ist nicht gleichbedeutend mit Standpunktlosigkeit. Der Geograph, der Deutschland glühend liebt, zeichnet es doch im gleichen Maßstab und unter Verwendung derselben Darstellungsmittel auf die Landkarte wie die Nachbarstaaten. Es gibt auch eine Karikatur der Objektivität. Wir alle kennen sie und ihre Gefahren. Sie hat kein Recht, sich auf die eigentlich Großen der Wissenschaft zu berufen. Rankes Objektivität äußert sich im wesentlichen in einem offenen Sinn, der bereit ist, sich an allem zu freuen, was groß und kraftvoll eine bestimmte Form des Lebens verkörpert. Darin ist er dem echten Künstler verwandt. Man kann ihn leicht mißverstehen, wenn man sich allein an das vielberufene Wort aus seiner Englischen Geschichte hält: „Ich wünschte mein Selbst gleichsam auszulöschen, um nur die Dinge reden zu lassen" *)· Schon das „gleichsam" sollte zur Vorsicht mahnen. Schwerlich hätte Ranke diesen starken Ausdruck gewählt, hätte er ihn nicht bewußt oder unbewußt einem Franzosen nachgesprochen, in dessen rhetorischer Sprache er keine so schroffe Bedeutung hat. Augustin Thierry schrieb 1827 in der Vorrede zur.Buchausgabe seiner Lettres sur l'histoire de France: „Ich wollte den demokratischen Charakter der Entstehung der Kommunen aufzeigen und glaubte, es gelinge mir am besten en m'effaçant moimême et en laissant parler les faits." Das bedeutet etwa: indem ich mich mit einer Rolle zweiten Ranges begnüge und bescheiden hinter die Tatsachen zurücktrete. Ranke kannte Thierry persönlich, schätzte seine Bücher und kam öfter auf ihn zu sprechen -). Schließlich hat Ranke selbst aufs deutlichste gesagt, wie er das „mein Selbst gleichsam auslöschen" verstanden wissen wollte. In einem Brief von 1828 heißt es: „Die rechte Freude ist sich vergessen, sich hingeben, sein selber besser bewußt werden in dem Größeren" 3). ' ) Werke 15, 103. 2) W e r k e 51/52. S. 595, Historiographie 448 trifft Varnhagen von Ense um Rankes Leben u. W i r k e n . 3) W e r k e 53/54. S. 210.

53/54, S. 344, 380. Fueter, Geschichte d. neueren nicht ganz das Richtige. R a n k e bat 1827 brieflich den 1. Band von Thierry. Siehe Hans F. Helmolt, 1921. S. 34.

Standpunkte für die Sinndeutung

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So wie der Historiker bei der Auslese einzelne Punkte aus der Umgebung herauslöst, in der sie in den Quellen auftreten, bringt er sie auch in neue Zusammenhänge, in denen die Überlieferung sie nicht zeigt. Auch hier liegen schwierige Probleme der Methode. Der Geschichtsphilosoph muß sich fragen: Ist das nur ein Anordnen im Sinn des pragmatischen Verfahrens? Oder zwingt uns eine im Sinne der Kantischen Philosophie verstandene apriorische Kategorie zu derartiger Verknüpfung? Oder können wir den Anspruch erheben, den wirklichen Zusammenhang, wie er einst obwaltete, denkend wiederherzustellen? '). Ein paar konkrete Beispiele sind vielleicht willkommen. Hat der Brief Theoderichs d. Gr. an Chlodwig, der durch Cassiodor, Variae II 41, überliefert ist, etwas mit jenem Sieg des Frankenkönigs über die Alamannen zu tun, der bei ihm den Entschluß auslöste, Christ zu werden? Wenn es der Fall ist, lassen sich wichtige Folgerungen daraus für den gesamten Vorgang ziehen 2 ). Je weiter der Bogen gespannt wird zwischen zwei gegebenen Punkten, desto mehr Raum bleibt dem Zweifel. Man überlege: Mit welchem Recht haben Max Weber und Ernst Troeltsch einen inneren Zusammenhang zwischen Kalvinismus und Kapitalismus behauptet?" 3 ). Oder gar: Ist es richtig, Wanderungen, von denen Vorgeschichte oder Geschichte melden, mit Klimaschwankungen in Verbindung zu bringen? Läßt sich zeigen, daß periodische Klimaschwankungen gelegentlich ein verstärktes Auftreten der Malaria in den südlichen Ländern und dieses wieder das Scheitern von Römerzügen unserer mittelalterlichen Vorfahren verursachten? 4 ) Alle solchen Verknüpfungen sind Zunächst Arbeitshypothesen. Im günstigen Falle bestätigen sie sich nachträglich *) So ähnlich Troeltsch, Historismus 672. 2 ) Siehe 2. B." A . v a n d e V i j v e r in Revue beige d e philol. et d ' h i s t o i r e 15 (1936) und 16 (1937). 3) D W 9496. 4 ) V g l . Anna Celli-Fraenteel, Zeitgenössische .Berichte über das mittelalterliche K l i m a Roms. Quellen und Studien 2. Gesch. d . Naturwìss. u. Medi2in 4 (1935).

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Das geschichtliche Verstehen

durch Evidenz, d. h. eine ganze Reihe von Erscheinungen treten, wenn man die Hypothese als richtig voraussetzt, in sinnvollen Zusammenhang, und umgekehrt entstehen nirgends dadurch neue Rätsel und Unstimmigkeiten. Schließlich kann die Arbeit des Historikers fortschreiten zur vergleichenden Methode. Der Historiker vergleicht unaufhörlich: Früheres mit Späterem, Individuelles mit Typischem, Wirkliches mit Gedachtem. Aber wer von vergleichender Methode spricht, denkt an etwas anderes. Sie ist der Lieblingsgedanke derjenigen, die die Geschichte den naturwissenschaftlichen Methoden unterwerfen, das Individuelle und Einmalige zugunsten des Allgemeinen zurückdrängen und womöglich Gesetze der Geschichte aufstellen wollen. Daß die Geschichtswissenschaft noch viel mehr vergleichen sollte, als sie bisher tut, ist eine berechtigte Forderung. An wertvollen Ansätzen fehlt es nicht ')· Aber voll ausgeschöpft ist die Tatsache, daß das deutsche und das französische Volk vorwiegend germanische und keltische Bestandteile in sich vereinigen, daß beide im Fränkischen Reich zusammengefaßt waren, bei weitem noch nicht. Eine vergleichende Rechts-, Wirtschafts- und Kunstgeschichte brächte uns wesentlich weiter. Und doch wird es im großen und ganzen bei dem Urteil Otto Hintzes bleiben: „Man kann vergleichen, um ein Allgemeines zu finden, das dem Verglichenen zugrunde liegt, und man kann vergleichen, um den einen der verglichenen Gegenstände in seiner Individualität schärfer zu erfassen . . . Das erstere tut der Soziologe, das zweite der Historiker 2 )." Wer den Ausführungen dieses Abschnitts gefolgt ist, wird mehr als zuvor überzeugt sein, daß schon in der Auslese und Verknüpfung der geschichtlichen Tatsachen so viel Sinndeutung enthalten ist, daß es eine Selbsttäuschung Sehr zu empfehlen ist Heinrich M i t t e i s , Der Staat des hohen M i t t e l a l t e r s , W e i m a r 1942, ferner Franz Steinbach und Franz Petri, Zur Grundlegung der europäischen Einheit durch d i e Franken, Leipzig 1939. 2 ) Zitiert von Fritz Härtung in den Forschungen z. brandenb.-preuß, Gesch. 52 (1940). 223.

S t a n d p u n k t e für die

Sinndeutung

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wäre, wollte man glauben, es stünde in jedermanns Belieben, eine solche Deutung vorzunehmen oder auf sie zu verzichten. Nicht erst bei der historischen Darstellung tritt diese Notwendigkeit auf. Wohl aber macht sie sich hier in verstärktem Maße geltend. Hat der Historiker seine vorbereitende Arbeit abgeschlossen und geht an die Niederschrift, so sieht er den Stoff als ein Ganzes vor sich. Nehmen wir als Beispiel die Geschichte der römischen Republik. E r will nicht einfach mitteilen, welche ganz oder ziemlich gesicherten Tatsachen aus der Zeit zwischen dem 8. Jahrhundert und dem Tode Cäsars in der Überlieferung enthalten sind. Ihn fesselt das Werden von Volk und Staat, das Wachsen des Reichs nach außen und innen, die Rolle der Rassen und völkischen Bestandteile, der Patrizier und Plebejer, der Städter und Bauern, das Wirken der großen Männer. Und nun stellt einer das unter den Gesichtspunkten der Rasse, der andere unter den der inneren oder äußeren Politik oder ihrer sei es offenen, sei es versteckten Wechselwirkung. Wieder ein anderer glaubt in geistesgeschichtlichen Vorgängen (etwa: Rom verliert sich an das Griechentum) oder in wirtschaftlichen Gegebenheiten die einheitliche Linie der Darstellung zu finden. Entsprechendes gilt von der deutschen Kaiserzeit des Mittelalters. Für Wilhelm von Giesebrecht war sie die in romantischer Verklärung strahlende Zeit, in der die Kaiser dem Deutschen Reich die Vormacht im Abendlande erstreiten, dem katholikenfreundlichen Romantiker Johann Friedrich Böhmer der Zeitraum, in dem die „guten" Kaiser im Einvernehmen mit den Päpsten den glänzenden Staat aufrichten, der durch die kirchenfeindlichen Staufer ins unvermeidliche Elend geführt wird. Karl Wilhelm Nitzsch schildert sie verknüpft mit soziálen und wirtschaftlichen Vorgängen, die das Schicksal des Reiches wo nicht bestimmen, so doch begreiflich machen. Hampe entwirft das durch wechselnde politische und geistige Bewegungen, aber ebenso durch führende Persönlichkeiten vorwärtsschreitende Drama des christlichen Abendlandes, in dem tiefere Not-

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Aufgaben der historischen Darstellung

wendigkeit den Aufgang wie den Niedergang des einmalig großen deutschen Reiches der Mitte bestimmt. Von solchen „Aspekten" gehen natürlich auf jede Tätigkeit des Darstellers Wirkungen aus. Auslese, Gruppierung, Periodisierung, Urteil im ganzen und einzelnen hängen davon ab. So kann die Parole nur lauten: nach bestem Wissen und Gewissen und unter scharfer Selbstkritik mit offenen Augen für das hier zutage tretenden Element persönlicher Weltanschauung diese Sinndeutung zu vollziehen. D i e hier schon gestreiften Aufgaben historischer Darstellung sollen im Mittelpunkt des nun folgenden letzten Kapitels stehen. 7. Kapitel

Aufgaben der historischen Darstellung Für die Mehrzahl der Menschen existiert Geschichte nur, soweit sie in darstellenden Büchern Gestalt gewonnen hat, ganz wie Musik den meisten nur zugänglich wird, wenn Künstler sie spielen. D i e Menschen, die sich selbst ihr Wissen aus den Quellen kritisch erarbeiten, dürften noch seltener sein als die, die eine Partitur fast mit dem gleichen Genuß lesen, den ihre Aufführung gewährt. Was über die historischen Darstellungen zu sagen ist, hängt so stark von der literarischen Gattung ab, der eine Schrift angehört, daß die Mehrzahl der Beobachtungen und Ratschläge den Abschnitten über diese einzelnen Gattungen vorbehalten werden muß. Indessen bleiben doch zwei E r fordernisse übrig, die für alle gleichmäßig gelten und daher hier sogleich zur Sprache kommen sollen. Das erste und wichtigste ist dies: Alle Untersuchungen und Darstellungen sollten im reinsten und klarsten Deutsch geschrieben sein. Man wende nicht ein: Was macht es schließlich aus, wenn einmal ein Aufsatz oder eine Dissertation über eine untergeordnete Frage sprachlich mangelhaft ausfällt?

A u f g a b e n d e r historischen D a r s t e l l u n g

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Nein, man stelle sich einen Augenblick vor, all die Dutzende, wenn nicht Hunderte von Büchern und Abhandlungen, die wir durcharbeiten müssen, wenn wir selber forschen, wären Muster von logischer Schärfe und sprachlicher Schönheit. Wären wir dann nicht befreit von der Qual, so viel unklar Gedachtes und schief Ausgedrücktes durchzunehmen, unter der wir mit Recht seufzen? Damit es besser werde, muß jeder einzelne unermüdlich nach der vollkommenen Beherrschung der Sprache streben. Was da alles als lobenswert nachgeahmt oder als tadelnswert vermieden werden soll, kann hier nicht ausgeführt werden. Aber eine entscheidende Tatsache sei erwähnt. Vor beinahe hundert Jahren sprach über sie der Altmeister Jakob Grimm. Er konnte nicht voraussehen, daß seine Mahnung heute ungleich nötiger ist als damals, denn es ist in diesem Punkte seither sehr viel schlimmer geworden, als es zu seiner Zeit war. Er führte aus: „Der Stil des Naturforschers, der immer von Gesetzen, Begriffen, Gattungen und Arten handelt, legt den Ton auf das starre Hauptwort und kann, in seiner Art vollendet, schließlich doch nicht wetteifern mit dem reicheren Stile des Historikers, der sich frei in der Welt des Werdens, der freien Taten umschaut und darum den Ton auf das erregende, Leben spendende Zeitwort legt" '). Der zweite Punkt, der fast ausnahmslos für alle Veröffentlichungen wichtig ist, ist die Periodisierung. Man soll sie nicht überschätzen. Denn kluge Leser erwarten nicht, daß hier Zeitgrenzen genannt würden, wo unter Zerreißung aller bis dahin bestehenden Zusammenhänge auf allen Lebensgebieten etwas Niedagewesenes unvermittelt hervorträte. Sie sind schon im voraus überzeugt, daß nur eine Gliederung sichtbar gemacht werden soll, die den in Wirklichkeit ununterbrochen fließenden Strom der Geschichte zum Zweck der leichteren Verständigung in Abschnitte zerlegt. Es schadet mit anderen Worten hierbei nichts, wenn der Historiker einen Schuß Nominalismus im Blute hat. Vgl. Heinrich v, Treitschke, Bd. 5. S. 427.

Deutsche

Geschichte

im

19. Jahrhundert.

94

Aufgaben der historischen Darstellung

(Vgl. oben S. 78.) Aber genau wie beim natürlichen Fluß diese Abschnitte, die dort gemeinhin Ober-, Mittel- und Unterlauf heißen, geschickt oder ungeschickt gewählt werden können, ist es auch hier. Mißlingt der Versuch, so stiftet er Verwirrung *)· In den Vordergrund drängt sich hier unwillkürlich die Frage: Soll man noch an der althergebrachten Dreiteilung Altertum, Mittelalter, Neuzeit festhalten? Daß man sie bekämpft, ist nicht neu. Ausrotten wird man sie schon darum nicht, weil sie im allgemeinen Sprachgebrauch fest eingewurzelt und - gestehen wir es ehrlich - sehr praktisch ist. In hundert Fällen, wo es auf eine genauere Bezeichnung nicht ankommt, genügt zur Klärung ein Hinweis, der besagt: Jener Gegenstand stammt aus dem Altertum, diese Einrichtung taucht zuerst im Mittelalter auf, einem bestimmten Ausdruck begegnet man nicht vor der frühen Neuzeit. Dabei hat man gegen die Begriffe Altertum und Neuzeit weniger Einwände erhoben als gegen den Begriff Mittelalter und ganz richtig herausgefühlt, daß er die jüngste der drei Bezeichnungen und von Hause aus ein Verlegenheitsbegriff ist, mit dem die leere Strecke zwischen zwei schon viel schärfer in ihrer Eigentümlichkeit erfaßten Größen bezeichnet wurde. Die Humanisten haben zuerst von media tempestas u. dgl. gesprochen. Sie wollen damit die Zeit bezeichnen, die zwischen der von ihnen als ewiges Vorbild gefeierten Antike und ihrer eigenen, eben erst wieder zu jenem Ideal sich zurückfindenden Zeit als öde Strecke barbarischer Unkultur sich ausbreite. Niemand ist mehr versucht, dieses Märchen vom finsteren Mittelalter zu glauben. Und so stimmt man gern Rankes Worten zu, die sich in der Einleitung zum 8. Bande seiner Weltgeschichte finden, daß man nicht mehr vom Mittelalter im Sinne einer tausendjährigen Unterbrechung der allgemeinen Kultur sprechen solle. Damit wollte er offenbar nicht den Gebrauch des Wortes überhaupt, sondern nur den Gebrauch 0 Roderich Schmidt, A e t a t e s mundi, d i e W e l t a l t e r als d . Geschichte. Z K i G 4. Folge 67 (1957).

Gliederungsprinzip

Aufgaben der historischen Darstellung

95

in jenem überholten Sinn verbieten *). D a ß im Namen des Mittelalters selber jene geringe Wertung, die seinem Ursprung anhaftet, nicht angedeutet ist, er vielmehr eine rein äußerlich-formale und völlig unbestreitbare Tatsache bezeichnet, gestattet uns, ihn beizubehalten, wie es die Generationen vor uns auch getan haben 2 ). D i e Periodisierung kann man nicht für jeden Zweck durch eine Anleihe bei Vorgängern beschaffen. Sie muß aus dem Stoff, den wir bearbeiten, erwachsen. In einer Wirtschaftsgeschichte wird man nicht das Konzil von Nicäa und in einer Kirchengeschichte nicht die Erfindung des Schießpulvers als Epochengrenze verwenden. Die verschiedenen Möglichkeiten der zeitlichen Gliederung eines Stoffes machen wir uns klar durch den Vergleich von drei Werken über die Kreuzzüge. Bernhard Kugler bringt in seinem Werk von 1880 elf Kapitel. Das erste heißt: Morgenland und Abendland vor den Kreuzzügen. Von den weiteren sind sechs mit einem der sechs ersten Kreuzzüge überschrieben. Albert von Ruville (1920) machte drei Hauptteile: I. D i e Zeit der Gründungen ( = 1. Kreuzzug). II. D i e Zeit des Strebens nach dem Hinterland ( = 2 . und 3. Kreuzzug). III. D i e Zeit der Beschränkung auf das Vorland ( = 4 . bis 8. Kreuzzug). Sprachlich noch straffer gebaut und elegant in ihrer logischen Zuspitzung ist die - nicht zufällig von einem Romanen erdachte Fassung der Überschriften, die René Grousset (1934-36) seinen drei Bänden gab. Ins Deutsche übersetzt lauten sie: I. D i e Anarchie der Moslems und die Monarchie der Franken. II. Die Monarchie der Franken und die Monarchie der Moslems. Das Gleichgewicht. III. D i e Monarchie der Moslems und die Anarchie der Franken. ') Bekanntlich sind die letzten Bände von Rankes Weltgeschichte und somit auch die besprochene Stelle nach seinem Tode von Alfred D o v e u. a. herausgegeben. Aber daraus, daß die dort folgenden Seiten die Worte Mittelalter und mittelalterlich reichlich verwenden, wird man den oben im Text angedeuteten Schluß trotzdem ziehen dürfen. 3) Man vgl. Alfred Dove. D e r Streit um das Mittelalter. H Z 116 (1916). Rudolf Stadelmann, Grundformen der Mittelalter-Auffassung DVjschr. 9 (1931). Allg. Literatur zur Periodisierung D W 2 9 - 3 3 .

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Aufgaben der historischen Darstellung

Nun wenden wir uns den einzelnen Literaturformen der historischen Wissenschaft zu. (Mit dem historischen Feuilleton und dem historischen Roman haben wir es hier nicht zu tun.) Als Urzelle der historischen Darstellung könnte man das Regest bezeichnen.

1. Das Regest

Unter einem Regest verstehen wir die möglichst knappe, aber doch alles Wesentliche enthaltende Inhaltsangabe einer Urkunde oder eines Briefes. Diese Quellenarten, wo Tausende von Einzelstücken möglicherweise in Dutzenden von Archiven und Hunderten von Büchern zerstreut waren, erschließt am besten eine gedruckte Regestensammlung. Solche gab es schon vor dem Entstehen der modernen kritischen Geschichtswissenschaft, aber erst seit deren Aufkommen sind sie fruchtbringend ausgestaltet worden. Eine moderne Regestensammlung liefert neben den Inhaltsangaben jeweils Mitteilungen über den Fundort und Zustand der handschriftlichen Vorlagen, äußert sich über Schriftbefund, Siegel u. a. Merkmale, über die Echtheit, nennt die Zeugen, reiht die Datierungsangaben in das Itinerar des Ausstellers ein, kurz, sie teilt knapp und übersichtlich die Ergebnisse einer kritischen Untersuchung des Stückes mit. Wer selbst den Versuch macht, Regesten von einigen ihm etwa im Faksimile vorliegenden Urkunden herzustellen und mit schon gedruckten zu vergleichen, wird Gewinn davon haben. Dann wird er auch mit erhöhtem Interesse den Erörterungen folgen, die über die zweckmäßigste Regestentechnik stattgefunden haben. Hinweise darauf finden sich in den Regesta Thuringiae von Otto Dobenecker, Bd. 1, S. X I V , Anm. 5, dazu kommt A. Hessel im A U F 10 (1928). Wer für eigene Forschungszwecke Regesten schreibt, dem sei geraten, zunächst die erste Person, in der seine Urkunden reden, beizubehalten. Will er sie später nach reiflicher Überlegung für den Druck in die dritte Person umschreiben, so sei ihm das nicht verwehrt. Aber die Erfahrung zeigt immer wieder, wieviel Mühe das macht. Mißverständnissen kann man dann vielfach nur dadurch vorbeugen, daß man

97

Die Untersuchung

hinter die mehrdeutigen „er", „ihm", „ihn" in Klammern den Personennamen setzt.

2. Die

Untersuchung

In den meisten Fällen ist die erste größere Arbeit, die ein werdender Gelehrter dem Druck übergibt, seine Dissertation. Daher teilen wir hier die für Zwecke des Hochschulunterrichts aufgestellten Ratschläge für Doktoranden mit.

Ratschläge

für

Doktoranden

1. Eine Dissertation soll eine noch nicht in Angriff genommene oder noch nicht abschließend bearbeitete Frage in methodisch einwandfreier Untersuchung klären. Bei den Ergebnissen ist der Grad der erreichten Sicherheit zu bezeichnen. 2. Beschaffung der Büchertitel, vorbereitende Lektüre, Stoffsammlung, Entwurf der beabsichtigten Niederschrift werden nicht immer so vor sich gehen, daß die eine Aufgabe restlos abgemacht ist, bevor die nächste in Angriff genommen wird. 3. Man sammle gesondert a) Bücher- und Aufsatztitel, b) Einzelstoff, geordnet nach Stichworten, c) Auszüge aus dem Gesamtinhalt bedeutender Werke, geordnet nach Verfassern. 4. Büchertitel notiere man grundsätzlich einmal mit vollem Vornamen, Erscheinungsjahr und allem, was man zum eindeutigen Bestellen von einer Bibliothek braucht. In dieser Form sind sie auch im Literaturverzeichnis der Arbeit anzuführen. Literaturangaben, in denen die Vornamen fehlen oder bloß deren Anfangsbuchstaben mitgeteilt werden, erfüllen ihren Zweck nicht. 5. Man ersinne nicht auf eigene Hand Abkürzungen für Zeitschriftentitel u. dgl., sondern benutze die gebräuchlichen Abkürzungen, wie sie im Dahlmann-Waitz, in den Jahresberichten für deutsche Geschichte usw. stehen. Man K i r n , Einführung in die Gesdiichtwissetudiaft

7

98

Aufgaben der historischen Darstellung

kürze und zitiere schon in den Notizen so, wie es .nachher im Buch geschehen soll. 6. Wenn Quellentexte abgedruckt werden sollen, ist völlig unveränderte Wiedergabe eines Textes mit allen Zufälligkeiten der Orthographie, Interpunktion, der großen oder kleinen Anfangsbuchstaben nicht etwa, wie mancher Laie denkt, das wissenschaftlich beste Verfahren, sondern unzweckmäßig und daher unzulässig. Die Satzzeichen ζ. B. müssen im allgemeinen so gesetzt werden, daß der Sinn und die Gliederung des Quellentextes klar herauskommen. Ist ζ. B. ein Satz so gebaut, daß eine Parenthese ihn unterbricht, so müssen wir diese in runde Klammern setzen, einerlei, ob solche in der Vorlage stehen oder nicht. Was sonst alles zu beachten ist, können wir hier nicht anführen. Es ist aber jedem dringend zu raten, daß er sich genau richte nach den „Grundsätzen für die äußere Textgestaltung bei der Herausgabe von Quellen zur neueren Geschichte, angenommen von der Konferenz landesgeschichtlicher Publikationsinstitute", gedruckt im Bericht über die 17. Versammlung deutscher Historiker in Halle 1930 und in den Forschungen zur brandenb.-preuß. Geschichte 43 (1930). Auch auf mittelalterliche Texte sind diese Grundsätze anwendbar. Sonst nehme man sich die sachlich nächstverwandte Abteilung der Monumenta Germaniae zum Muster. Bruno Meyer, Zur Edition histor. Texte. Schweizer Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft 1 (1951). In Brüssel erschien 1955 eine Instruction pour la publication des textes historiques (auch in niederländ. Sprache) als Werk der Histor. Kommission bei der belgischen Akademie. 7. Man zitiere Bandzahlen mit arabischen Ziffern, Seitenzahlen ebenso, beide durch Komma getrennt. Will man einen oft gedruckten Schriftsteller nach Buch und Kapitel zitieren, so schreibe man Widukind III 1 oder III c. 1. 8. Die gute sprachliche Gestaltung macht man sich leichter, wenn man gleichzeitig mit der Niederschrift hervorragende Schriftsteller liest, wozu nicht nur Dichter, sondern auch Männer wie Hauck und Treitschke gehören. Ebenso

99

D i e Untersuchung

ist es sachlich fördernd, eine Arbeit mit verwandtem Beweisziel als Vorbild für die Untersuchung zu verwenden. 9. Überscharf hat einmal jemand die Anmerkung als „das Aushängeschild der vollendeten Stillosigkeit" bezeichnet. Man trage dieser Kritik Rechnung, indem man die Fußnoten vorwiegend nur benutzt, um auf Belegstellen hinzuweisen und jede länger geratene Anmerkung nachträglich auf ihr Daseinsrecht prüft. Erörterungen, die für den Zusammenhang der ganzen Arbeit wesentlich sind, gehören in den Text, nicht in die Fußnoten. 10. E s ist praktisch, die Anmerkungen zunächst durch die ganze Arbeit oder durch größere Abschnitte fortlaufend zu zählen, auch wenn dies im Druck nicht geschehen soll. Dann hat man an ihnen feste Punkte, mit deren Hilfe man eine gesuchte Stelle in Handschrift, Maschinenschrift, Fahnenkorrektur und umbrochenem Satz gleich gut findet. 11. Der Verbalstil ist bei weitem besser als der Substantivstil (vgl. oben S. 93). Ein Satz mit dem Verbalersatzwort „erfolgen" ist bestimmt mißglückt. 12. Fremdwörter sollten nur, wo sie schwer zu vermeiden sind, angewendet werden. Lesen wir beste Prosa aus alter Zeit, so stören uns die Fremdwörter und verraten, wie stark sich der allgemeine Geschmack - auch derer, die sich kaum Rechenschaft darüber geben - seitdem gewandelt hat. 13. Eine klare Zusammenfassung der Ergebnisse am Schluß erhöht den Wert der Arbeit. 14. Eine gute Arbeit erwähnt das Altbekannte kurz mit wenig Belegen und begründet alles Neue ausführlich. Sie soll nicht bloß Ergebnisse mitteilen, sondern eine volle Beweisführung liefern. Am besten wirkt eine Anordnung des Stoffes, die alles einem einheitlichen Gedankengang einordnet. Zwischenbemerkungen des Verfassers über sein Verfahren sind nicht ganz unstatthaft, aber tunlichst einzuschränken. 15. Man überlege rechtzeitig, welche Teile des gesammelten Stoffes besser in Tabellen, graphischen Darstellungen oder Karten als im Text mitgeteilt werden. 7*

100

Aufgaben der historischen Darstellung

16. Bei jeder Arbeit treten Hemmungen und Schwierigkeiten auf, die dem Anfänger den Gedanken nahelegen, das Thema aufzugeben oder zu ändern. Damit ist noch keineswegs bewiesen, daß sie nicht glücklich durchgeführt werden kann. 17. Es ist erwünscht, daß der Doktorand seinem Professor von Zeit zu Zeit über seine Arbeit berichtet. 18. Man beachte auch, daß die Themen in ihrer ersten Fassung oft nur vorläufig einen Rahmen abstecken. Es ist dann Recht und Pflicht des Bearbeiters, den Schwerpunkt dahin zu verlegen, wo die wesentlichsten Ergebnisse erwartet werden können. 3. Die Biographie

')

Die geschichtlichen Personen, über die es gute Biographien gibt, sind die Lieblinge des Publikums, und die Verfasser solcher Biographien sind die Lieblinge der Verleger. Warum gibt es nicht viel mehr Biographien? Weil es dafür nicht genügt, daß in einem bestimmten Zeitraum bedeutende Männer und Frauen gelebt haben. Es muß auch intimes Quellenmaterial vorhanden sein, mit dessen Hilfe man das Werden der Persönlichkeit verfolgen und ihre Haltung in entscheidenden Augenblicken erkennen kann. In den meisten Fällen sind es Briefe, die solche Aufschlüsse geben, so daß man mit leichter Übertreibung sagen könnte: Wer keine Briefe hinterlassen hat oder sich nicht in Briefen seiner Zeitgenossen spiegelt, eignet sich schwerlich zum Helden einer wissenschaftlichen historischen Biographie. Oft hat die Willkür der Überlieferung Nebenfiguren in das helle Licht gestellt, das wir bei bedeutenderen Männern schmerzlich vermissen. So läßt sich nun einmal nichts daran ändern, daß Cicero der am besten bekannte Römer ist, daß von Bonifatius und vom Erzbischof Hinkmar von Reims eher als von Pippin oder Karl dem Kahlen eine Biographie geschrieben werden kann. Dabei muß man noch J a n Romein, D i e Biographie. Problematik. B e r n 1948.

Entführung

in

ihre

Gcschichte

und

ihre

Die

Biographie

101

in Rechnung stellen, daß der Brief eigentlich erst in der Neuzeit zum rückhaltlosen Ausdruck persönlichen Fühlens geworden ist. Man mustere einmal die vortreffliche Reihe kurzer geschichtlicher Biographien, die Erich Mareks und Karl Alexander v. Müller 1 9 2 2 - 2 3 unter dem Titel Meister der Politik herausgaben. In den meisten Fällen wird die historische Gestalt deutlich, während das persönliche E r leben im Halbdunkel bleiben muß. Meist ist mit großer Kunst der größte Grad von Deutlichkeit erreicht, den die Quellenlage erlaubt. Eine „eigentliche" Biographie von stattlichem Umfang kann aber von den historischen Gestalten der älteren Zeit, die man dort vereinigt findet, nur ausnahmsweise gegeben werden. Beachtung verdient die geschickte Lösung, die Ernst Kroker fand, als er sich die Aufgabe stellte, das Leben der Katharina von Bora zu schildern (3. Aufl., Zwickau 1928). Noch andere Beobachtungen drängen sich beim Lesen von Biographien auf. Das setzt Erich Rothacker mit folgenden Worten auseinander: „Ob eine Biographie so angelegt ist, daß sie mit einer Ahnenreihe, einer Jugendgeschichte oder einem geistesgeschichtlichen Kapitel einsetzt, ist bereits symptomatisch. Solche Anordnungen können zufällig sein, hat sich jedoch der Biograph etwas bei ihnen gedacht, so wirft die erste Maßnahme ein Licht auf die Stellung des Autors zu biologischen Vererbungstheorien oder aber seine konservative Bewertung von Familientraditionen (also überindividuellen Objektivationen des geistigen Lebens); und der Verfasser des jugendgeschichtlichen Ansatzes wird dem „Erlebnis" einen andern Rang Zubilligen als der Leistung und ihrer autonomen Gesetzlichkeit, in deren Fortschritt der Vertreter des letzten Standpunktes seinen Helden einreihen wird" *). Dies wird man sich am besten deutlich machen, indem man neuere historische Biographien mit ihren Vorläufern vergleicht, ζ. B. Gerhard Ritters Friedrich den Großen (1936) mit jiem Reinhold Kosers (7. Aufl., 1925), Ritters ' ) Logik und Systematik 32 £,

102

Aufgaben der historischen Darstellung

Freiherr vom Stein mit dem Max Lehmanns (1902-05), Carl Burckhardts Richelieu (1935) mit dem von WillyAndreas (2. Aufl., 1941) und von Gabriel Hanotaux (1893, 1903).

4. Die Geschichte einer Sache oder eines

Kulturgebiets

Gegenwärtig ist es Mode, die Geschichte des Erdöls oder des Wolframmetalls zu schreiben. Man kann das ernsthaft und mit gutem Ertrag tun. Bahnbrechend war hier der Baltendeutsche Viktor Hehn (1813-1890) mit seinen Büchern Das Salz (1873) und Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa (1870). Beide waren zu ihrer Zeit mit Recht geschätzt, doch ruhen sie auf Voraussetzungen, die sich seither als unhaltbar herausgestellt haben. Seither kamen u. a. hinzu Heinrich Quiring, Geschichte des Goldes, Stuttgart 1948, und R. N. Salaman, The History and Social Influence of the Potatoe, Cambridge 1949, Otto Johannsen, Geschichte des Eisens, 3. Aufl., Düsseldorf 1953, Heinr. Eduard Jacob, 6000 gr. Brot, Hamburg 1954 (in engl. Sprache 1944 erschienen). Natürlich täuschen die meisten derartigen Buchtitel nur vor, daß Steine und Metalle Geschichte machen. Das Wesentliche bleiben immer die Menschen, die sie finden, gewinnen, anwenden und mit ihnen Handel treiben. Dies zeigen mit größerer Offenheit die geschichtlichen Untersuchungen und Darstellungen der menschlichen Tätigkeit, deren es eine unabsehbare Reihe gibt, angefangen von Ackerbau, Handwerk und Handel, Kriegführung, bis hin zu Kunst, Wissenschaft und Religion. Solche Spezialgeschichten schreibt mit Nutzen nur der Spezialist, also ζ. B. die Geschichte der Chemie ein Chemiker.

5. Die

Volksgeschichte

Nichts ist natürlicher, als die Geschichte eines Volkes zum Gegenstand der Geschichtsschreibung zu machen. Die Volksgeschichte schreckt nicht durch die räumliche und zeit-

Die Volksgeschichte

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liehe Unermeßlichkeit, die der Weltgeschichte eigen ist. Im Gegensatz zu dieser hat sie ein gut faßbares, in allen Wandlungen sich doch grundsätzlich gleichbleibendes Subjekt. Wie die Biographie des Einzelmenschen, bietet sie eine Fülle von Möglichkeiten der Behandlung. W i e mannigfaltig sind nicht allein die „Deutschen Geschichten", die wir besitzen. Man kann den Ton auf die Selbstbehauptung in Krieg und Politik legen und damit zu politischem Denken erziehen wie Dietrich Schäfer oder die großen Wendepunkte herausarbeiten wie Johannes Haller. Man kann die Äußerungen der deutschen Seele verfolgen wie Gustav Freytag und Albert Hauck oder dem deutschen Volkskörper größere Aufmerksamkeit zuwenden als es früher geschah. Man kann auch versuchen, wie einst Lamprecht, das Gesetzmäßige in der Entfaltung des deutschen Volkslebens nachzuweisen. Wenn auch heute schwerlich jemand Lamprechts Versuch als geglückt ansehen wird, so sei ihm doch als Verdienst angerechnet, daß er der künstlichen Isolierung zu entgehen suchte, die alle Volksgeschichten bedroht. Denn diese Gefahr darf man nicht zu leicht nehmen. Schon äußerlich erfährt jeder, der eine deutsche Geschichte schreiben will, daß er auf Schritt und Tritt genötigt wird, Ausländisches zu erforschen und in seine Darstellung hereinzuziehen. Thronfolgestreitigkeiten in Spanien und Polen, die inneren Spannungen im Weltreich Karls V. und später in der Monarchie Ludwigs XIV. und Napoleons oder des letzten Zaren sind für die deutsche Geschichte nicht gleichgültig, überallhin reichen die Wurzeln und die Wirkungen dessen, was das deutsche Schicksal ausmacht. Aber nicht hier liegt die Gefahr, die von einer Isolierung droht: solche Fernbeziehungen können dem Forscher ja gar nicht entgehen. Dagegen kann er leicht versäumen, das völkische und staatliche Werden der europäischen Nachbarn in seinem ganzen Aufbau und seiner Linienführung mit dem deutschen zu vergleichen. Und eine solche Unterlassung beraubt ihn des wesentlichsten wissenschaftlichen Erkenntnismittels. Dies ist auch heute noch wie zur Zeit des Aristoteles der Vergleich (vgl. oben S. 13).

104

Aufgaben der historischen Darstellung

6. Das Zeitalter So gut wie man vom Gesamtkörper der Geschichte ein Land oder Volk lostrennen und seine Schicksale für sich darstellen kann, kann man ein Zeitalter als Gegenstand wählen. Auch die Verbindung von Biographie und Zeitbild ist öfter verwirklicht worden; vgl. Karl Justi, Diego Velasquez und sein Jahrhundert, 3. Aufl., 1922/23; Winckelmann, sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen, 3. Aufl., 1923. Doch sind die voll gelungenen Schilderungen eines Zeitalters ziemlich selten. Berühmt geworden sind zwei : Johann Gustav Droysen, Geschichte des Hellenismus (1836-43) und Jakob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien (1853). Beide waren darum epochemachend, weil sie das besprochene Zeitalter zum ersten Male plastisch als ein Ganzes vor den Leser hinstellten. Bis zum heutigen Tage verdankt jeder, der überhaupt einen klaren Begriff von Hellenismus und von Renaissance hat, dies unmittelbar oder mittelbar jenen bahnbrechenden Büchern. Nahe kommt ihnen für die bedeutendste Periode der israelitischen Geschichte die wertvolle Schrift von Bernhard Duhm, Israels Propheten, Tübingen 1916. Rankes Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation hat das Bild dieser Periode gewaltig vertieft, vor allem die Wechselwirkung der politischen und der religiösen Kräfte meisterhaft bloßgelegt, aber den Begriff dieses Zeitalters nicht zum ersten Male geprägt oder deutlich vor Augen gestellt. Das unmittelbar anschließende Zeitalter bezeichnen wir als das der Gegenreformation. Dieses Zeitalter ist das, das zuletzt seinen Namen erhalten hat. Als Ranke seine Geschichte der römischen Päpste schrieb, gab es nur den Begriff der Gegenreformationen, d. h. der gegenreformatorischen Maßnahmen; ihm hatte Johann Stephan Pütter seit 1776 große Verbreitung verschafft. Noch in Rankes später geschriebenem Werk über die Reformation stand ursprüng-

Weltgeschichte

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lieh der Satz: „Auf das Zeitalter der Reformation folgte das der Gegenreformationen" ')· Erst jüngere Auflagen verändern das letzte Wort in Gegenreformation. Allerdings darf man urteilen, d a ß eben Rankes Päpste auch heute noch die großartigste Überschau über die große Bewegung bieten, die wir so bezeichnen. Eine gewisse Vorliebe für das Zeitalter des Barock hat die frühere Geringschätzung abgelöst. Aber eine historische Gesamtdarstellung hat sie noch nicht hervorgebracht. Auch der Aufklärung ist keine bedeutende Gesamtschilderung zuteil geworden. Freilich könnte man sagen, daß sie unter bescheidenerem Titel doch vorhanden ist. Die Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts von H e r m a n n H e t t n e r i s t nämlich in ihren drei Teilen der englischen, französischen und deutschen Literatur jener Zeit gewidmet und sollte der Absicht des Verfassers nach die Aufklärung in Westeuropa und Deutschland darstellen. D a sie sich nicht auf das Literarische beschränkt, sondern ζ. B. auch Philosophie und bildende Kunst heranzieht, ist sie dem gesteckten Ziel ziemlich nahe gekommen.

7.

Weltgeschichte

Die Erde besteht schon seit Millionen von Jahren. Sie ist nur ein winziger Teil der Welt, über deren Umfang und Alter jede Schätzung zwecklos wäre. Angesichts dieser Tatsache ist oft der Begriff Weltgeschichte als Anmaßung verworfen worden. Täte man nicht besser, so meinte man, da nun einmal Astronomen, Geologen, Paläontologen und andere Vertreter der Naturwissenschaften 99 Hundertstel dieses Gesamtverlaufs behandeln, für den winzigen Rest, der noch übrigbleibt, das Wort Weltgeschichte ganz zu vermeiden? Ist sie nicht in Wirklichkeit ein bloßer Anhang zu der wahren Weltgeschichte, nämlich der Weltgeschichte der Natur? ' ) Werke 5, 360. A . E l k a n in H Z 112 (1914) skizziert d i e Geschichte des Begriffs Gegenreformation, zitiert aber den angeführten Satz, a l s ob er schon immer d i e spätere Gestalt gehabt, d. h, von Gegenreformation in d e i Einzahl gesprochen hätte,

106

A u f g a b e n der historischen D a r s t e l l u n g

W i r wollen diesen Einwurf nicht ganz von der Hand weisen. Vielleicht würden wir ihm gehorchen und auf den Ausdruck Weltgeschichte verzichten, wäre dieser nicht längst in Geltung, ohne die falschen Vorstellungen zu wecken, die ihm allerdings anhaften würden, wenn er im Augenblick neu geprägt würde. In Wirklichkeit wird er nirgends für mehr genommen als für eine gängige Bezeichnung der Geschichte jener Völker, deren Schicksale uns im wesentlichen durch schriftliche Überlieferung bekannt sind. Schwerer als dieses erste Hindernis sind andere zu überwinden, die uns an dem Begriff Weltgeschichte und an den Versuchen, Weltgeschichte darzustellen, nicht recht froh werden lassen. Man wendet ein, es könne keine Weltgeschichte geben, weil der Gegenstand, den sie behandeln wolle, nicht existiere. Solange kein Zweifel daran bestand, daß die gesamte Menschheit von einem einzigen Menschenpaar herstamme und ihre früheste Geschichte wie ihre fernste Zukunft als untrügliche Offenbarung wortgetreu uns vor Augen liege, konnte die Frage nach der Einheitlichkeit der Menschenwelt gar nicht aufkommen. Daraus erklärt sich auch zwanglos die höchst erstaunliche Tatsache, daß im christlichen Abendland Weltgeschichte geschrieben wurde, bevor man Volksgeschichte aufzeichnete. Augustin und Orosius lagen über ein Jahrhundert im Grabe, bevor Gregor von Tours seine Frankengeschichte, Isidor von Sevilla seine Gotengeschichte und erst recht, ehe Paulus Diaconus seine Geschichte der Langobarden schrieb. Heute, wo man sich nicht einmal darüber wissenschaftlich einigen könnte, ob es wahrscheinlich sei, daß jene einheitliche Menschheit in fernster Vorzeit Wirklichkeit war oder in spätester Zukunft wirklich werden dürfte, fehlt jene Voraussetzung, ohne die man kein Zutrauen zu einer Weltgeschichte fassen kann. W i e will man einen Gegenstand in seinem Werden beschreiben, dessen Dasein fragwürdig bleiben muß? Und ließen sich auch solche Bedenken zurückstellen, so wäre der Versuch, Weltgeschichte zu schreiben, belastet mit der fast ebenso niederdrückenden Erkenntnis, daß nur ein unendlich weiter und tiefer Geist ihm

Weltgeschichte

107

gewachsen wäre. Denn wer wollte sich zutrauen, alle Räume, Rassen, Völker und Kulturen seit der grauesten Vorzeit bis zum heutigen Tage zu kennen und in der Tiefe ihres Wesens zu verstehen? Wahrhaftig, es erheben sich genug der warnenden Stimmen! Demnach bliebe uns nur der Verzicht? Oder wenn wir uns dazu nicht entschließen können, der halbe Verzicht, indem wir uns etwa die einst von Dietrich Schäfer angeführte Begründung zu eigen machen und sagen: Bis an die Schwelle der Neuzeit kann von einer universalen Wechselwirkung der Völker keine Rede sein, bis dahin fehlt mit der Vorausetzung auch das Bedürfnis einer Weltgeschichte; eine Weltgeschichte der Neuzeit aber ist aus äußeren und inneren Gründen keine unlösbare Aufgabe? Eine schöne Lösung wäre weder der ganze noch der halbe Verzicht. Einen Augenblick mag es lockend erscheinen, daß man auf diese Weise das eigene wissenschaftliche Ansehen allem voranstellt. Schaut man indes näher zu, so wird man entdecken, d a ß das hieße, dieses Ansehen dadurch wahren, daß man sich einer Pflicht entzieht. Denn darüber besteht kein Zweifel, daß ein Hunger nach weltgeschichtlicher Belehrung vorhanden ist. Soll der Fachmann sagen: D a müßt ihr euch an andere Leute wenden, wie käme ich dazu, mich auf so bedenkliche Wege zu begeben? Das wäre so verkehrt, wie wenn ein Bergführer sich von seinen Begleitern eben an dem Punkte verabschieden wollte, wo der gefährliche Anstieg zum Gipfel beginnt. Und wenn uns das Wort Weltgeschichte durch seine Grenzenlosigkeit schreckt, so enthält es in sich zugleich einen Maßbegriff, der uns bei unserem Suchen zu Hilfe kommt. Beim Erleben der eigenen Zeit ergreift uns hie und da ein ähnliches Gefühl wie das, dem Goethe auf dem Schlachtfeld von Valmy am 20. September 1792 in einem bekannten Satz, den er zu den Umstehenden sprach, Ausdruck gab. Wir erleben Weltgeschichte, d. h. wir erleben Vorgänge, deren Auswirkung sich auf Generationen erstrecken wird,-Vorgänge, die nirgends unerwähnt bleiben

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Aufgaben der historischen Darstellung

können, wo man, sei es auch unter Verzicht auf tausend Einzelheiten, die Wandlungen der Welt, in die wir hineingeboren wurden, erzählt. Sollte es nun nicht möglich sein,, indem wir etwa denselben Maßstab, dem solche Erlebnisse entsprechen, auf das Fernvergangene anwenden, die weltgeschichtlich entscheidenden Tatsachen und Bewegungen aus der Fülle derer auszusondern, von denen die Volksgeschichten Kunde geben? Ein solches Verfahren wird eine entfernte Ähnlichkeit haben mit der Uihzeichnung der größten Flüsse und Gebirge, die eine Spezialkarte aufweist, in die Karte eines Erdteils. Ohne Zweifel handelt es sich nur um eine entfernte Ähnlichkeit: denn das Element der Zahl, das jenes Verfahren bis zu einem gewissen Grade mechanisch gestaltet, steckt nicht in den historischen Größen oder ist doch ziemlich nebensächlich für sie. Insofern ist bei der Herstellung einer weltgeschichtlichen Synthese mehr Wagnis als bei dem Entwurf der Karte in verändertem Maßstabe. Doch entspricht dem größeren Wagnis auch das größere Verdienst. So hätten wir uns denn theoretisch einen zwar nicht breiten und bequemen, aber schmalen und kühnen Weg gebahnt, der uns erlaubt, das Ziel einer weltgeschichtlichen Darstellung ins Auge zu fassen. Nun ist es aber hohe Zeit, uns zu besinnen, daß wir uns doch viel sicherer an dem orientieren, was die Meister geleistet haben, als an unseren Gedanken über das, was möglich und wünschenswert ist. So gewiß alle Versuche, Weltgeschichte darzustellen, ob ein Verfasser oder deren viele die Aufgabe bewältigen, berechtigten Einwänden begegnen, so fest sind wir überzeugt, daß ihre kritische Beurteilung an Größe der Gesichtspunkte und Weite des Blicks nicht hinter der Leistung, die es zu beurteilen gilt, zurückbleiben sollte, und wer wollte bestreiten, daß die besten vorliegenden Lösungen uns wesentlich bereichert haben und noch auf lange hin wertvoll bleiben werden? Nicht zufällig, sondern mit innerer Notwendigkeit haben wir uns noch einmal klar machen müssen, daß auch zu wissenschaftlichen Taten Mut gehört. Wir- sind weit ent-

Weltgeschichte

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fernt davon, die farbige und anschauliche Darstellung eines begrenzten historischen Gegenstandes auf Grund der unmittelbaren Quellen niedrig einzuschätzen. Vielmehr sehen wir darin die ursprünglichste und lohnendste Aufgabe, die immer wieder gelöst werden muß und deren Lösung allen Synthesen notwendig vorhergeht. Aber so grundverschieden sind die Probleme, die eine Monographie über einen begrenzten Gegenstand und eine Weltgeschichte aufgeben, denn doch nicht. Wer dies behaupten wollte, hätte keinen Blick für das Wagnis, das hinter jeder bedeutsamen historischen Leistung steht. Eine deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation zu schreiben, war sehr schwer. Ranke scherzte einmal, er komme sich dabei vor „wie die Mutter Natur, als sie den Elefanten machte". Aber es ist ihm gelungen. Ob es möglich sein würde, den griechischen Menschen in seinen zeitlichen Wandlungen wissenschaftlich (oder was nichts wesentlich anderes ist: auf Grund wissenschaftlicher Studien mit künstlerischer Intuition) zu erfassen und darzustellen, war fraglich. Jakob Burckhardt hat bewiesen, daß es geht. Ob etwas dabei herauskäme, wenn jemand die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte verfolgte, konnte man bezweifeln. Bei Friedrich Meinecke kam etwas dabei heraus. Mehr soll ja die Theorie nicht tun, als dem, der sich der Geschichtswissenschaft zuwenden will, die Leistungen der Meister nahebringen und daran Aufgaben und Methoden des Faches erläutern. Wer uns bisher gefolgt ist, von dem hoffen wir, er werde unbeschadet mancher Verschiedenheit in Sehweise und Urteil, wie sie bei Angehörigen verschiedener Generationen unvermeidlich sind, uns grundsätzlich zustimmen, wenn wir zum Schluß das, worauf es ankommt, so umschreiben: Saubere Kleinarbeit lernen, aber nicht darin steckenbleiben; Ausblicke ins Weite suchen, aber nicht glauben, daß sie uns die Sorgfalt im einzelnen ersparen könnten.

110

Abkürzungen

Abkürzungen D i e im folgenden genannten Bücher w e r d e n , w e n n der V e r f a s s e r nur m i t einem W e r k vertreten ist, mit d e m V e r f a s s e r n a m e n , sonst mit verkürztem Titel angeführt. F ü r Zeitschriften sind f o l g e n d e A b k ü r z u n g e n gebraucht: D A . = Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters. DVjschr. = Deutsche Vierteljahresschrift f ü r Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. H V = Historische Vierteljahresschrift. H Z = Historische Zeitschrift. M O e l G = Mitteilungen des österreichischen Instituts f ü r Geschichtsforschung. N A = N e u e s Archiv der Gesellschaft f ü r ä l t e r e deutsche Geschichtskunde. Z S a v R G = Zeitschrift der S a v i g n y s t i f t u n g für Rechtsgeschichte. D W verweist auf d i e 9. A u f l a g e der Q u e l l e n k u n d e der deutschen Geschichte von D a h l m a n n - W a i t z . H d B M N G = Handbuch der mittleren und neueren Geschichte, herausgegeben von Georg von B e l o w und Friedrich Meinecke. M e i s t Gr = G r u n d r i ß der Geschichtswissenschaft, herausgegeben von A l o y s Meister.

Literatur A u s reichem Wissen und mit philosophischer T i e f e erörtert die Grundprobleme d e f historischen Wissenschaft. J o h a n n G u s t a v D r o y s e n , Historik. Vorlesungen über E n z y k l o p ä d i e und M e t h o d o l o g i e der Geschichte, herausgegeben von Rudolf Hübner. München und Berlin 1 9 3 7 . Im A n h a n g dieses W e r kes f i n d e t sich w i e d e r abgedruckt der G r u n d r i ß der Historik, den D r o y s e n den Hörern seiner V o r l e s u n g in die H a n d zu geben pflegte. H i e r g e g e n steht w e i t zurück d a s Lehrbuch d e r historischen M e thode und der Geschichtsphilosophie von E r n s t Bernheim. 6. A u f l . 1908. D i e mit zahlreichen, gut g e w ä h l t e n Beispielen belegten Abschnitte über d i e Technik des historischen Arbeitens behalten ihren W e r t , d i e philosophische H a l t u n g ist nicht ganz b e f r i e d i g e n d . Ähnliche Zwecke v e r f o l g t die m o d e r n e r e E i n f ü h r u n g in d a s Studium der Geschichte von W i l h e l m B a u e r . 2. Aufl. Tübingen 1923.

Literatur

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Sehr zu empfehlen sind: H e r m a n n B e n g t s o n , Einführung in die alte Geschichte. München 1949. 2. Aufl. 1953. H a n s N a b h o l z , Einführung in das Studium der mittelalterlichen und der neueren Geschichte. Zürich 1948. H e i n z Q u i r i n , Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte. Braunschweig 1950. L o u i s H a l p h e n , Introduction à l'histoire. 2 e édition. Paris 1948. Ders., Initiation aux études d'histoire du moyen ge. 3 e édition in Vorbereitung. (Hier vor allem reiche Literaturangaben.) Tiefe Gedanken über ausgewählte Probleme aus diesem Gebiet findet man in den gleich Droysens Buch nicht veraltenden Schriften L e o p o l d v o n R a n k e , Politisches Gespräch. 1836. Werke Bd. 49/50. Auch in Sonderausgaben von Friedr. Meinecke (1924) und Erich Rothacker (1925) erschienen und Jakob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. Berlin und Stuttgart 1905. Nicht entgehen lassen sollte man sich F r i e d r i c h M e i n e c k e , Vom geschichtlichen Sinn und vom Sinn der Geschichte. 3. Aufl. Leipzig 1939. Ders., Aphorismen und Skizzen zur Geschichte. Leipzig 1942. Wichtige Beiträge aus der Feder von Philosophen sind: W i l h e l m D i l t h e y , Gesammelte Schriften. Leipzig 1922 f., besonders Bd. 1 : Einleitung in die Geisteswissenschaften. Bd. 7 : Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Unbeschadet der großen Verdienste Diltheys, der die Methodenlehre der Geschichte wesentlich gefördert hat, scheinen uns für den heutigen Leser, der unmittelbaren Gewinn für seine geschichtliche Fachwissenschaft sucht, ebenso ertragreich die Schriften E r i c h R o t h a c k e r s , vor allem Logik und Systematik der Geisteswissenschafteri. Tübingen 1926. Seine Einleitung in die Geisteswissenschaften, Tübingen 1922, ist eine Untersuchung über den philosophischen Gehalt der Arbeiten der sog. Historischen Schule des 19. Jahrhunderts. Ders., Mensch u. Geschichte. Anthropologie u. Wissenschaftsgesch. 2. Aufl. Bonn 1950. Man vergleiche ferner E r n s t T r o e l t s c h , Der Historismus und seine Probleme. Tübingen 1922. Etwa zu denselben Fragen nimmt Stellung der Historiker O t t o H i n t z e in: Gesammelte Abhandlungen. Bd. 2: Zur Theorie der Geschichte. Leipzig 1942.

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Literatur

Eine neuere Arbeit von philosophischer Seite ist Heinz Heimsoeth, Geschichtsphilosophie. Bonn 1948. K. G. C o l l i n g w o o d , The Idea of History. Oxford 1946. Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft gibt es kein umfassendes und voll befriedigendes Buch. Als Ersatz wird man zunächst die folgenden heranziehen: M o r i t z R i t t e r , Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft an den führenden Werken betrachtet. 1919. D e r Schwerpunkt liegt in der Behandlung der Neuzeit, gegen die Behandlung der antiken und namentlich der mittelalterlichen Geschichtsschreibung ließe sich manches einwenden. K a r l B r a n d i , Geschichte der Geschichtswissenschaft. Bonn 1947. E d u a r d F u e t e r , Geschichte der neueren Historiographie. 3., um einen Nachtrag vermehrte Aufl. München und Berlin 1936 (HdBMNG). Der franzosenbegeisterte Schweizer Fueter wird den nationalen Anliegen der Deutschen und ihrer besten Historiker nicht immer gerecht, seine Urteile sind oft einseitig. Aber man kann aus dem anregenden Buche viel lernen. G e o r g v o n B e l o w , Die deutsche Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen an bis zu unseren Tagen. 2. Aufl. München und Berlin 1924. (HdBMNG.) Ebenfalls einseitig, über der kräftigen Polemik kommt die lebendige Charakterisierung zu kurz. Vgl. Karl Brandi, Ausgewählte Aufsätze (1938), S. 33 f. H e i n r i c h v. S r b i k , Geist und G e s c hichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart. 2 Bde. 1950. Große Geschichtsdenker. Ein Zyklus Tübinger Vorlesungen, hrsg. von R u d o l f S t a d e l m a n n . Tübingen u. Stuttgart 1949. W i l h e l m W a e t z o l d , Deutsche Kunsthistoriker. 2 Bde. Leipzig 1921-24. Den genannten Werken ist auch für den Stoff, den die einzelnen Kapitel behandeln, das Wesentliche zu entnehmen. Daher tragen wir hier nur noch nach Zu Kapitel 1: L i t e r a t u r ü b e r d e n S t r e i t u m d i e Kulturgeschichte. D i e t r i c h S c h ä f e r , Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte. Jena 1888. Ders., Geschichte und Kulturgeschichte. Jena 1891. E b e r h a r d G o t h e i n , Die Aufgaben der Kulturgeschichte. Leipzig 1889. W a l t e r G o e t z , Geschichte und Kulturgeschichte. Archiv f, Kulturgesch. 8 (1910).

Verzeichnis d. in erster Linie lesensw. Geschichtswerke

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Zu Kapitel 3 (S. 29) sowie Kapitel 7 (S. 9 2 ) : Literatur über guten d e u t s c h e n Stil. G u s t a v W u s t m a n n , Sprachdummheiten. 1891. 13. Aufl. 1955. W i l h e l m S c h n e i d e r , Meister des Stils über deutsche Sprach- und Stillehre. 2. Aufl. 1923. O t t o v o n G r e y e r z , Stilkritische Übungen, 1. Bd. 3. Aufl. 1931. 2. Bd. 1929. O s k a r W e i s e , W i e lernt man einen guten deutschen Stil schreiben? 2. Aufl. 1925. Derselbe, Musterstücke deutscher Prosa zur Stilbildung und Belehrung. 8. Aufl. 1 9 2 9 . B r o d e r C h r i s t i a n s e n , D i e Kunst des Schreibens. 7. Aufl. 1930. L u d w i g R e i n e r s , Stilkunst. 2. Aufl. München 1 9 5 0 .

Verzeichnis der in erster Linie lesenswerten Geschichtswerke Aus dem folgenden Verzeichnis soll jeder entnehmen können, welche Bücher von hohem wissenschaftlichen Rang über einzelne geschichtliche Perioden oder Persönlichkeiten vorliegen. D a b e i w u r d e der Nachdruck auf solche W e r k e gelegt, die den H e r g a n g erzählen, nicht schon als bekannt voraussetzén. Daneben sind auch einige Skizzen und Essays aufgenommen und zur Unterscheidung mit einem (*) gekennzeichnet, der also keine besondere Empfehlung bedeutet, weil j a alles empfehlenswert ist. Ältere, sozusagen klassische W e r k e sind bevorzugt. W e r von ihnen aus zum heutigen Stand der Wissenschaft vordringen will, findet Hinweise in j e d e m Handbuch. Verfasser, deren politische Gesamthaltung heute auf starken W i d e r spruch stößt, konnten nicht ganz unerwähnt bleiben. Heinrich v. Treitschke ζ. B. ist als Meister des Wortes, der farbenprächtigen kulturgeschichtlichen Darstellung zu bedeutend, als d a ß man ihn übergehen könnte. Unsere Studenten sollen k l u g e und kritische Leser sein und es immer mehr werden. D a s wird eher erreicht, wenn man sie zu selbständiger Auseinandersetzung auffordert, als wenn man sie w i e die Insassen eines Mädchenpensionats von „gefährlicher" Lektüre künstlich absperrt. D a die zeitliche Reihenfolge uns leitet, sei im Einklang mit dem auf S. 2 1 Gesagten betont, d a ß d i e an die Spitze gestellten W e r k e über altorientalische Geschichte nicht als erster Lesestoff empfohlen werden. W e i t besser scheint es uns, d a ß jemand mit einem Hauptwerk Rankes beginnt und bei d e r althistoK i r n , Einführung in d i e Geschichtswissenschaft

θ

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Verzeichnis d. in erster Linie lesensw. Geschichtswerke

rischen Lektüre Mommsen (wo es ratsam ist, nicht mit Band 1 anzufangen und vor allem den 5 . B a n d gründlich zu studieren), bei der mittelalterlichen Hampe und Hauck bevorzugt. W e r sich von Stoff und Behandlungsweise angezogen fühlt, dem raten wir, sich aus den S. 1 1 2 angegebenen Büchern sowie aus den einschlägigen Artikeln der Allgemeinen Deutschen Biographie und des neueren und kürzeren, von W i l l y Andreas und Wilhelm von Scholz herausgegebenen Sammelwerkes „ D i e großen Deutschen" über den Autor und seinen wissenschaftlichen Ruf zu unterrichten.

A. Nach der Reihenfolge der Zeitalter I.

Altertum

D i e vorgriechische Geschichte des Altertums findet man bei E d u a r d M e y e r , Geschichte des Altertums, und sehr knapp bei M i c h a e l R o s t o v t z e f f , Geschichte der Alten W e l t . Deutsch von H . Schäder. 2 B d e . Wiesbaden 1 9 4 1 . H e l m u t B e r v e , Griechische Geschichte. 2 B d e . 1 9 3 1 - 3 3 . Neuauflage 1 9 5 1 . T h e o d o r M o m m s e n , Römische Geschichte. B d . 1 - 3 und 5 . Erschienen 1 8 5 4 - 5 6 und 8 5 . Seither viele Auflagen. J o h . G u s t a v D r o y s e n , Geschichte Alexanders d. Großen. 1833. Ders., Geschichte des Hellenismus, 2. Aufl. 3 B d e . 1 8 7 7 - 7 8 . M a t t h i a s G e i z e r , Cäsar. München 1 9 4 1 . Ders., Pompejus. München 1 9 4 9 . Joseph B i d e z , L a vie de l'empereur Julien. Paris 1 9 3 0 . Deutsche Ausg. 1 9 4 0 . J a k o b B u r c k h a r d t , D i e Zeit Konstantins d. G r . 1 8 5 3 . J o s e p h V o g t , Konstantin d. G r . und sein Jahrhundert. München 1 9 4 9 . W i l h e l m S c h u b a r t , Justinian u. Theodora. München 1 9 4 3 . II

Mittelalter

E n g e l b e r t M ü h l b a c h e r , Deutsche Geschichte unter den Karolingern. Stuttgart 1 8 9 6 . A l b e r t H a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands. 5 B ä n d e ( 1 - 4 mehrfach aufgelegt). Leipzig 1 8 8 7 - 1 9 2 0 . W i l h e l m v o n G i e s e b r e c h t , Geschichte d. dt. Kaiserzeit. 6 Bde., teilweise neu aufgelegt. 1 8 5 5 - 9 5 . ( D e r wertvollste T e i l ist die Geschichte Barbarossas in B d . 5 und 6.) R o b e r t H o l t z m a n n , Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, München 1 9 4 1 ,

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K a r l H a m p e , Das Hochmittelalter. Berlin 1932 (gekürzt in Bd. 3 der [alten] Propyläen-Weltgeschichte). K a r l H a m p e , Deutsche Kaisergeschichte im Zeitalter der Salier und Staufer. 10. Aufl., bes. von Friedrich Baethgen. Heidelberg 1949. F r i t z K e r n , Die Anfänge der französischen Ausdehnungspolitik bis zum Jahre 1308. Tübingen 1910. D i e t r i c h S c h ä f e r , Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark. Jena 1879. F r i t z R ö r i g , Die europäische Stadt. Berlin 1932 (in Bd. 4 der alten Propyläen-Weltgeschichte). Neu erschienen 1955 in der Kleinen Vandenhoeck Reihe. J o h a n n e s H a l l e r , Das Papsttum. 3 Bde. Stuttgart 1 9 3 4 - 4 5 . • J o h a n n e s H a l l e r , Pius II. (in Reden und Aufsätze zur Geschichte und Politik. 1934). Meisterhafte knappe Darstellung. Wer sich in die Geschichte des 15. Jahrhunderts einarbeiten will, wird das dreibändige Werk von G e o r g V o i g t , Enea Silvio de' Piccolomini als Papst Pius II. und seine Zeit, Berlin 1 8 5 6 - 6 3 , lesen müssen, dessen Darstellung Haller im erwähnten Essay überzeugend korrigiert. Ebenso wird für das 14. und die Frühzeit des 15. Jahrhunderts Hallers Papsttum und Kirchenreform, Bd. 1, Berlin 1903, erheblichen Gewinn bringen, obwohl nicht alles dort Vorgetragene aufrechterhalten werden kann. Aber das gilt ja von allen Geschichtsbüchern, die um Jahrzehnte zurückliegen. Für die seelische Entwicklung des deutschen Menschen im Mittelalter ist noch nicht ersetzt der 1. Band von G u s t a v F r e y t a g , Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 5 Bände seit 1859. Die folgenden vier für die Neuzeit seien ebenso warm empfohlen. W i l l y A n d r e a s , Deutschland vor der Reformation. 5. Aufl. 1948. J o h a n H u i z i n g a , Herbst des Mittelalters. Deutsche Ausgabe München 1924. III.

Neuzeit

Für die Auffassung der neueren Geschichte in ihren verschiedenen zeitlichen und räumlichen Abschnitten waren und sind maßgebend die Werke L e o p o l d v o n R a n k e s . Ohne andere als unwichtig bezeichnen zu wollen, heben wir hervor: 1. *Die großen Mächte. Sämtl. Werke, Bd. 24, auch in mehreren Einzelausgaben. Zuerst 1833 erschienen. Bestes Gesamtbild der großen Linien der neueren europäischen Geschichte. 8*

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2. Seine Geschichte der germanischen und romanischen Völker von 1494 bis 1514, zuerst 1824, jetzt W e r k e Bd. 33/34, bringt die internationalen Verwicklungen jenes Zeitraums in einer sehr lebendigen Darstellung. Sie w a r d a s erste Buch aus Rankes Feder und w u r d e A n l a ß für seine Berufung an die Universität Berlin. 3. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, 3 B d e . 1 8 3 4 - 3 9 , belehrt eindrucksvoll u. a. über die außenpolitischen Bestrebungen der Päpste im Reformationszeitalter, ihre Versuche, sich im Kräftespiel der Großmächte zu behaupten, woraus sich die wechselnde Haltung der Kurie gegenüber Luther, die auf den ersten Blick sehr befremden muß, weitgehend erklärt. Ebenso überzeugend w i r d die große geistige W a n d l u n g in Rom dargestellt, w o die sorglose Diesseitsstimmung eines Renaissancehofes nach und nach von dem düsteren religiösen Pathos der Gegenreformation abgelöst w i r d . Auch aus den späteren Perioden bringt d a s Buch, dessen Horizont gleich dem der römischen Kurie bis zu den entferntesten Räumen der damals bekannten W e l t reicht, markante V o r f ä l l e und Gestalten (ζ. B. Königin Christine von Schweden, die Tochter Gustav Adolfs). 4. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 6 Bde., 1 8 3 9 bis 1847. V g l . dazu oben S. 74 und 94. Sie schuf d i e Grundlage für d i e gleich zu erwähnenden späteren Gesamtdarstellungen. 5. Französische Geschichte, vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert. 5 B d e . 1 8 5 2 - 6 1 . 6. Englische Geschichte, vornehmlich im 17. Jahrhundert. 7 B d e . 1859-68. F ü r alle Perioden der Geschichte, vor allem aber für die Neuzeit, bietet ausgezeichnete knappe W ü r d i g u n g bedeutender Gestalten das bereits S. 1 0 1 erwähnte Sammelwerk „Meister der Politik". Zur Reformationsgeschichte lese man noch: T h e o d o r B r i e g e r , D i e Reformation. Berlin 1914. (Von einem protestantischen Theologen.) J o s e p h L o r t z , D i e Reformation in Deutschland. 2 Bde. Freiburg 1941. (Von einem katholischen Theologen, der sich ehrlich bemüht, die ganze Bewegung nicht nur als boshaften „ A b f a l l " vom rechten Glauben zu bewerten.) H e i n r i c h B ö h m e r , D e r junge Luther. 3. Aufl., besorgt von Heinrich Bornkamm. Leipzig 1939. K a r l B r a n d l , Kaiser Karl V . 2 Bde. München 1937 und 1941. Für die deutsche Geschichte der Folgezeit sind d i e führenden Bücher:

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M o r i t z R i t t e r , Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges. 3 Bde. Stuttgart 1889 bis 1908, und Bernhard Erdmannsdörffer, Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen. 2 Bde. Berlin 1892-93. Daneben lese man vor allem auch die glänzenden Essays * E r i c h M a r e k s , Philipp II. (in dessen Sammlung Männer und Zeiten) und *H e i n r i c h v o n T r e i t s c h k e , Pufendorf (in dessen Historischen und Politischen Aufsätzen. Bd. 4). Das führende Werk über Friedrich d. Gr. stammt von R e i η h o l d K o s e r , Geschichte Friedrich d. Gr. 4. u. 5. Aufl. 4 Bde. Stuttgart und Berlin 1912-14. W i l l y A n d r e a s , Karl August von Weimar. Ein Leben mit Goethe. 1757-1783. Stuttgart 1953. Über die Französische Revolution liegt dem Deutschen am nächsten H e i n r i c h v o n S y b e l , Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1800. 5 Bde. 1853-79. Von den französischen Werken zu ihrer Vorgeschichte verfaßte A l e x i s d e T o c q u e v i l l e das gedankenreichste: L'ancien régime et la révolution. Paris 1856. Die mit politischer Leidenschaft geschriebenen Bücher H i p p o l y t e T a i n e , Les origines de la France contemporaine, 1876-94, 12 Bde., und A l p h o n s e A u l a r d , Histoire politique de la Révolution française, 5. Aufl., Paris 1921, können nicht eben als klassisch empfohlen werden, soviel auch der aus ihnen lernen kann, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht. G e o r g e s L e f è b v r e , La révolution française. 3 éd. Paris 1951. Die beste Biographie Napoleons ist A u g u s t F o u r n i e r , Napoleon I. 3. Aufl. 3 Bde. Wien und Leipzig 1915. Die beste Darstellung seines Wirkens im Rahmen der Zeitgeschichte. G e o r g e s L e f è b v r e , Napoléon. Paris 1935. Lesenswert und anregend M a x L e n z , Napoleon. 4. Aufl. Bielefeld 1924. Über die Befreiungskriege lese man: F r i e d r i c h M e i n e c k e , Das Zeitalter der deutschen Erhebung. 1906. Neue Aufl. 1940.

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G e r h a r d R i t t e r , Stein. Eine politische Biographie. 2 Bde. Stuttgart und Berlin 1931. J o h . G u s t a v D r o y s e n , Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Wartenburg. 1 8 5 1 - 5 2 . Für die deutsche Geschichte im frühen 19. Jahrhundert lese man H e i n r i c h v o n T r e i t s c h k e , Deutsche Geschichtc im 19. Jahrhundert. 5 Bde. 1 8 7 9 - 9 4 . (Reicht bis 1847) und F r a n z S c h n a b e l , Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. 4 Bde. Freiburg 1 9 2 9 - 3 7 sowie H e i n r i c h v o n S r b i k , Metternich. 2 Bde. 1925. Für die Folgezeit haben wir zwei bedeutende, unter sich sehr verschiedene Gesamtdarstellungen: E r i c h B r a n d e n b u r g , Die Reichsgründung. 2. Aufl. 2 Bde. Leipzig 1922-24. E r i c h M a r e k s , Der Aufstieg des Reiches. 2 Bde. Stuttgart und Berlin 1936. Der Gestalt Bismarcks sind gewidmet: E r i c h M a r e k s , Bismarcks Jugend. 1909. 17. Aufl. 1915. E r i c h M a r e k s , Bismarck und die deutsche Revolution, hrsg. von Willy Andreas. 1939. E r i c h M a r e k s , Otto von Bismarck. Ein Lebensbild. 1913. 23. Aufl. 1924. H e r m a n n O n c k e n , Lassalle. 4. Aufl. Stuttgart 1923. G u s t a v M e y e r , Friedrich Engels. 2 Bde. 2. Aufl. 1934. A r t h u r R o s e n b e r g , Die Entstehung der deutschen Republik. Berlin 1929.

B. Zur Geschichte einzelner Völker und , Länder Auch hier sollen nur die hochwertigen und gut lesbaren W e r k e genannt werden. W e r mehr sucht, muß sich an die Bibliographien halten. Von ausländischen Werken sind der bequemeren Erreichbarkeit wegen meist die deutschen Übersetzungen angeführt. Deutsche Länder S i e g m u n d R i e z l e r , Geschichte Bayerns. 8 Bde. 1880 bis 1914. Bd. 2 1927 in 2. Aufl. L e o p o l d V. R a n k e , Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Österreich A l f o n s H u b e r , Geschichte Österreichs. 5 Bde. 1 8 8 5 - 9 5 ; dazu die hervorragenden Fortsetzungsbände 6 u. 7 von O s w a l d R e d l i c h 1921 und 38.

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Schweiz J o h a n n e s D i c r a u e r , Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft. 5 Bde., die ersten in 4. u. 3. Aufl., 1 8 8 7 - 1 9 2 4 ; Bd. 6 hg. v. H. S c h η e i d e r 1931. Hans Nabholz, Leonhard ν. M u r a l t , Rich. F e l l e r und E d g a r B o n j o u r , Geschichte der Schweiz. 2 Bde. Zürich 1932 u. 38. N i e d e r l a n d e und B e l g i e n P e t r u s j o h . B l o k , Geschichte der Niederlande. 6 Bde. 1902 bis 1918. H e n r i P i r e n n e , Histoire de Belgique. 7 Bde., der 1. in 5., die andern in 2 . - 4 . Aufl. 1 9 2 6 - 4 8 . Skandinavien F r . C h r . D a h l m a n n u. D i e t r i c h S c h ä f e r , Geschichte von Dänemark. 5 Bde. 1 8 4 0 - 4 3 u. 1 8 9 3 - 1 9 0 2 . E r i k G. G e i j e r , F. F. C a r l s o n , L u d w . S t a v e n o w , Geschichte Schwedens. 7 Bde. 1 8 3 2 - 1 9 0 8 . I n g v a r A n d e r s o n , Schwedische Geschichte. 1950. Frankreich C h a r l e s S e i g n o b o s , Geschichte der französischen Nation. München. 1947. (Die frz. Ausg. hat 23 Aufl.!). Hervorragend zur französischen Geschichte des späten Mittelalters die Bde. 6 u. 7 der Abt. Moyen ¿ige in G u s t a v e G l o t z , Histoire générale: 6: A. C o v i l l e et R. F a w t i e r , L'Europe occidentale de 1270 à 1380 ( 1 9 4 0 - 4 1 ) . 7 : J. C a l m e t t e et E. D é ρ r e ζ , L'Europe occidentale de la fin du 14 ' siècle aux guerres d'Italie. 1 9 3 7 - 3 9 . England G e o r g e M a c a u l a y T r e v e l y a n , Geschichte Englands. 2 Bde. Deutsche Übersetzung 4. Aufl. München 1949. Von der Oxford History of England, sind 14 Bde. geplant, erst einige erschienen: sie machen einen hervorragenden Eindruck. Italien L u d o M o r i t z H a r t m a n n , Kurzgefaßte Geschichte Italiens von Romulus bis Viktor Emanuel. Gotha 1924. O e r s . , Geschichte Italiens im Mittelalter. 4 Bde. 1 8 9 7 - 1 9 2 3 . (Bd. 1 in 2. Aufl. 1923). L u i g i S a l v a t o r e l l i , Geschichte Italiens. Berlin 1942,

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Verzeichnis d. in erster Linie lesensw. Geschichtswerke

Spanien A n t o n i o B a l l e s t e r o s y B e r e t t a , Geschichte Spaniens. München 1943. R i e h . K o n e t z k e , Geschichte des spanischen und portugiesischen Volkes. Leipzig 1939. Polen O s c a r H a l e c k i , La Pologne de 963 à 1914. Paris 1933. Rußland K a r l S t ä h l i n , Geschichte Rußlands von den Anfängen bis zur Gegenwart. 4 Bde. Stuttgart 1 9 2 3 - 3 9 . W . K l i u t s c h e w s k i j , Geschichte Rußlands. 4 Bde. Stuttgart 1925 ff. O t t o H o e t z s c h , Grundzüge der Geschichte Rußlands. Stuttgart 1949. Südosteuropa C o n s t a n t i n j i r e c e k , Geschichte der Serben. 2 Bde. Gotha 1911-18. (Überragt bei weitem die Werke von Jorga über Rumänien und das Osmanische Reich in derselben Sammlung.) G e o r g S t a d t m ü l l e r , Geschichte Südosteuropas. 1950. Islamische Welt Carl Brockelmann, Geschichte der islamischen Völker und Staaten. 2. Aufl. München 1943. Indien G e o r g e D u n b a r , Geschichte Indiens. München 1939. Ostasien F r i e d r. E r n s t A u g . K r a u s e , Geschichte Ostasiens. 2 Bde. Göttingen 1925. Amerika F. S c h ö n e m a n n u. O. Q u e l l e , Geschichte Nordamerikas (mit Ausschluß Kanadas) und Lateinamerikas. Leipzig 1942. P a u l D a r m s t ä d t e r , D i e Vereinigten Staaten von Amerika. Leipzig 1909. F r i e d r i c h L u c k w a l d t , Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. 2 Bde. 1920. S a m u e l E l i o t M o r i s o n and H e n r y S t e e l e C o rn a g e r , The Growth of the American Republic. 3. ed. 2 Bde. Oxford 1942; auch in dçutsçher Übersetzung.

Selbstbiograph., Memoiren, Briefwechsel u. Gespräche

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Selbstbiographien, Memoiren, Briefwechsel und Gesprädie Verzeichnisse von Selbstbiographien führt D W Nr. 3762 an. Dazu kommt noch E. Stuart Bates, Inside out. Introduction to Autobiographie, Oxford 1936, und Erich Seeberg, Über Memoiren und Biographien, Zschr. f. Kirchengesch. 61 (1942). George Peabody Gooch, Courts and Cabinets, 4. ed. London etc. 1946 führt zu vielen wichtigen Memoirenwerken hin. Um den Leser nicht zu kränken, setzen wir voraus, daß er Goethe, Dichtung und Wahrheit, sowie Bismarck, Gedanken und Erinnerungen (vgl. dazu oben S. 56 Anm. 2) bereits gelesen hat oder ohne unseren Hinweis lesen wird. Aus der Fülle des Vorhandenen schlagen wir zunächst vor: D i e C h r o n i k d e r e r v o n Z i m m e r n , hrsg. von Karl August Barack. 2. Aufl. Freiburg 1882, und von Paul Hermann, Meersburg 1932. T h o m a s u n d F e l i x P l a t t e r , Zur Sittengeschichte des 16. Jhdts., bearb. v. H. Boos. Leipzig 1878. Neue Ausgabe v. A. Hartmann 1944. B a r t h o l o m ä u s S a s t r o w , Herkommen, Geburt und Lauf seines ganzen Lebens, hrsg. v. Mohnicke. Greifswald 1823-24. Leben und Abenteuer des schlesischen Ritters H a n s ν S c h w e i n i c h e n , hrsg. v. Büsching. Leipzig 1823. Mémoires du c a r d i n a l d e R e t z (f 1679). Briefe der Herzogin E l i s a b e t h C h a r l o t t e v o n O r l é a n s , hrsg. ν. H. F. Helmolt. 2 Bde. Leipzig 1908. J o h . G o t t f r i e d S e u m e , Mein Leben. - Ein Spaziergang nach Syrakus. Stuttgart 1813. J o h . C h r i s t i a n v. M a n n l i c h , Lebenserinnerungen, (auch unter dem Titel: Rokoko und Revolution), hrsg. v. Stollreither. Berlin 1910. K a r l H e i n r i c h R i t t e r v. L a n g , Memoiren. Braunschweig 1842. Joachim Nettelbeck, Lebensbeschreibung, hrsg. v. Haken. 3 Bde. 1921-23. F r i e d r i c h v o n G e n t z , · Journal de ce qui m'est arrivé . . . dans le voyage que j'ai fait au quartier-général de S. M. le roi de Prusse le 2 d'octobre 1806 et jours suivants; in Mémoires et lettres inédits du chevalier de Gentz publiés par G. Schlesier. Stuttgart 1841.

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Selbstbiograph., Memoiren, Briefwechsel u. Gespräche

F. A. L u d w i g v. d e r M a r w i t z , Lebensbeschreibung, hrsg. v. F. Meusel. Berlin 1908. G n e i s e n a u . Ein Leben in Briefen, hrsg. v. Karl Griewank. Leipzig 1939. W i l h e l m v. K ü g e l g e n , Jugenderinnerungen eines alten Mannes. 1870. L u d w i g B a m b e r g e r , Erinnerungen, hrsg. v. P. Nathan. Stuttgart 1899. J u l i u s F r ö b e l , Ein Lebenslauf. 2 Bde. Stuttgart 1890/91. K u r d v. S c h l ö z e r , Römische Briefe. - Petersburger Briefe. - Mexikanische Briefe. - (Auswahl in einem Band unter d. Titel: Aus einem köstlichen Leben.) C h r i s t o p h v. T i e d e m a n n , Aus sieben Jahrzehnten. 2 Bde. 1905 und 1909. F e r d . G r a f E c k e b r e c h t v. D ü r c k h e i m - M o n t m a r t i n , Erinnerungen aus alter und neuer Zeit. 2 Bde. 3. Aufl. 1891. C h l o d w i g , F ü r s t z u Η o h e η 1 o h e - S c h i 11 i η g s f ü r s t , Denkwürdigkeiten. 3 Bde. 1 9 0 6 - 0 7 , 31. R o b e r t F r h r . L u c i u s v. B a l l h a u s e n , Bismarck-Erinnerungen. 1920. K a r l S c h u r z , Lebenserinnerungen. 2 Bde. 1906/07. Briefe als 3. Bd. 1909. Auch jene Quellenstücke, die man neuerdings unter dem Titel G e s p r ä c h e zu sammeln pflegt, wenden den Historiker fesseln. W i r führen an: M a r t i n L u t h e r s Tischreden, hrsg. v. Ernst Kroker in d. Weimarer Ausg. d. Werke. L u t h e r im Gespräch. Aufzeichnungen seiner Freunde und Tischgenossen, hrsg. v. Reinhold Buchwald. Kröners Taschenausgabe 160. Empfehlenswerte Auswahl auch im 8. Band der Bonner Ausgabe von Luthers Werken. 1930. G o e t h e s Gespräche von Wolf gang Frhr. v. Biedermann. 2. Aufl. 5 Bde. 1 9 0 9 - 1 1 . Die Gespräche F r i e d r i c h s d e s G r o ß e n , hrsg. v. F. v. Oppeln-Bronikowski und G. B. Volz. Berlin 1925. B i s m a r c k s Gespräche, hrsg. v. Willy Andreas in der Friedrichsruher Ausgabe von B's Werken. Μ o 11 k e s Gespräche, hrsg. ν. Eberhard Kessel. Hamburg 1939

Verzeichnis vorbildlicher kritischer Untersuchungen

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Verzeichnis vorbildlicher kritischer Untersuchungen (vgl. oben S. 66) Im folgenden werden einige kritische Untersuchungen genannt, aus denen der Leser eine Vorstellung gewinnen kann, was historische M e t h o d e ist und in welchem M a ß e sie überzeugend wirkt. E s sollen also nicht elegant geschriebene Überblicke oder geistreiche Glossen zur Weltgeschichte vorgeführt werden, sondern sichere Entwirrung schwieriger T a t b e s t ä n d e . D a b e i soll nicht verschwiegen werden, d a ß nicht immer durch eine einzige Abhandlung ein Problem ganz gelöst wurde. D i e Ergebnisse der einen und anderen Arbeit konnten noch ergänzt werden, andere fanden Widerspruch (jedoch nach unserer Ansicht keinen durchaus berechtigten oder gar durchschlagenden. D i e s gilt insbesondere von den Arbeiten, die Böhmers Schrift über L a n f r a n c zu berichtigen versuchten). Trotzdem können wir sie als Musterbeispiele empfehlen. Vorwiegend sind sie der mittleren Geschichte gewidmet. D e r im allgemeinen erhebliche Quellenreichtum der Neuzeit hat zur F o l g e , daß in ihr d i e Streitfragen häufiger Motive, Ursachen und A u f f a s s u n g als d a s rein Tatsächliche des H e r g a n g s betreffen. Wir sind aber der Meinung, daß jeder zunächst einmal die Fähigkeit der historischen Methode, T a t b e s t ä n d e zu ermitteln, erproben sollte. Motivforschung und D e u tungsmöglichkeiten enthalten der N a t u r der Sache nach ein noch stärkeres, nie auszuschaltendes, subjektives E l e m e n t . Johannes Kromayer, Vergleichende Studien zur G e schichte des griechischen und römischen Heerwesens. Hermes 35 (1900). D i e t r i c h S c h ä f e r , D i e Hinrichtung der 4 5 0 0 Sachsen zu Verden. H Z 78 ( 1 8 9 7 ) . H e i n r i c h B ö h m e r , D i e Fälschungen des Erzbischofs Lanfranc von Canterbury. 1902. R u d o l f v o n H e c k e l , Untersuchungen zu den Registern Innozenz' I I I . Historisches Jahrbuch 40 ( 1 9 2 0 ) . H e r m a n n A u b i n , Z u m Ü b e r g a n g von der Römerzeit zum Mittelalter. Festschrift f. Aloys Schulte. D ü s s e l d o r f 1927. V i k t o r E r n s t , Zur Besiedelung Oberschwabens; in Festschrift für Dietrich Schäfer. 1915. E r i c h F r e i h e r r v o n G u t t e n b e r g , Kirchenzehnten als Siedlungszeugnisse im oberen Maingebiet. Jahrbuch für fränkische Landesforschung 6./7. Erlangen 1941. P a u l S c h e f f e r - B o i c h o r s t , D i e ältere Annalistik der Pisaner. Forschungen z. dt. Gesch. 11 ( 1 8 7 1 ) und G e s a m m e l t e Schriften B d . 2.

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Verzeichnis vorbildlicher kritischer Untersuchungen

F r i t z R ö r i g , D e r M a r k t von Lübeck. Erschienen 1921, überarbeitet in Hansiche Beiträge zur dt. Wirtschaftsgeschichte. Breslau 1928. L e o p o l d v. R a n k e , Eine Verschwörung gegen Venedig im J a h r e 1618. W e r k e 42. H e i n r i c h v. S r b i k , Wallensteins E n d e . Wien 1920. M a x L e n z , D i e Begegnung König Wilhelms mit Kaiser Franz Josef in Gastein am 3. August 1863 in „Staat und Persönlichkeit". Festschrift f ü r Erich Brandenburg. Leipzig 1928. F r i e d r i c h M e i n e c k e , D a s deutsch-englische Bündnisproblem. München 1927. Schon einige der bisher angeführten Schriften sind Bücher, keine Aufsätze. W i r fügen noch zwei weitere an, setzen aber hinzu, d a ß diese an einen A n f ä n g e r wohl zu hohe Anforderungen stellen, einem fertig ausgebildeten Historiker aber einen um so größeren G e n u ß bereiten : G e o r g B ä s e c k e , D e r Vocabularius S. Galli in der angelsächsischen Mission. 1933. A l f r e d S c h u l t z e , Augustin und der Seelteil des germanischen Erbrechts. Leipzig 1928. (Abhandl. d. sächs. Akad. Phil.-Hist. Kl. Bd. 38.) Als G e g e n b e i s p i e l e empfehlen wir mit der Bitte, diese zwei Klassen scharf auseinanderzuhalten: 1. zwei im Ergebnis verfehlte Arbeiten, deren Verfasser ernst zu nehmen sind und sonst besseres Glück hatten: M a x B u c h n e r , D i e Clausula de unetione Pippini, eine Fälschung aus dem Jahr 880. Paderborn 1926. P a u l K a l k o f f , D i e Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karl V. Weimar 1925. Zu beiden muß man die kritischen Gegenschriften lesen. Zu Buchner: Krusch in Z S a v R G 47 (1927) Kan. Abt. und andere, die D W 5 2 8 7 angeführt sind. Zu K a l k o f f : Karl Brandl, D i e Wahl Karls V. Nachr. d. Ges. d. Wiss. z. Göttingen 1925. 2. ein grotesk-komisches Beispiel, das alle Regeln wissenschaftlicher Logik arglos beiseite setzt: F. E. M a η η , D a s Rolandslied als Geschichtsquelle und die E n t stehung der Rolandssäulen 1912. Kurz, aber ausreichend w u r d e diese Leistung abgefertigt von Michael Tangl im N A . 39 (1914), S. 248.

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Register Ahnenforschung 4. 13. 48 Akten 42 Annalen 32 Archive 38 Augustin 106 Auslese 85 Bauer, K . 58 Bauer, W . 68 Beloch, K . J . 47. 82 v. Below, G . 9 . 112 Berossos 15 Bevölkerungsgeschichte 47 Bibliographie 36 f. Biographie 100 ff. Bodenfunde 17. 31 Böhmer 52 f. 83 Böhmer, J . F r . 91 Brandenburg 84 N . 4 Brandl, K . 20 Briefe 32. 100 Buckle, H. T h . 78 Burckhardt, J . 11. 23. 73. 104. 109 Chlodwig 62 ff. 89 Chroniken 32 Chronologie 43 f. Comte, Α. 78. 80 Cysarz 87 Dares 15 Dehio, G . 14 Depeschen 34 Dilthey, W . 70. 81. I l l Dopsch, A . 9 Droysen, J . G . 104. 110 Duhm, Β . 104 Eichhorn, Κ . F r . 59 Einfluß 84 Einhard 64 Entwicklung 84 f. Freytag, G . 11. 115 Friedrich der Weise 74 ff. Froissart, J . 57 Fußnoten 99 (• egenreformation 104 Geographie, historische 45 Geschichte, Definitionen 7 Geschieh tsfälschungen 15 ff.

Giesebrecht, W . v. 61. 91 Giraldus de Barri 57 Goethe 30. 66. 77 f. 80. 82. 107 Goetz, W . 9 Gothein, W . 9 Gregor von Tours 14. 57 f. 63. 106 Gregorovius, F . 26 Grimm, J . 93 Grousset, R. 95

Warcks, E . 101. 117 f. Meinecke, Fr. 109 Memoiren 35. 121 f. Mittelalter 94 f. Müller, Κ . A . v. 101

Haller, J . 103. 115 Harnack, A. v. 77 Hauck, A . 11. 52. 98 Hegel, G . W . 83 Hehn, V . 102 Hellpach, W . 7 Helmold v. Bosau 63 Heraldik 43 Herder 80 Herodot 65 Hettner, H . 11. 105 Hintze, O . 90 Historismus 78 ff. Holtzmann, R . 14 Huizinga 7. 9

Objektivität 87 Oncken, Η . 9 Orosius 106 Ostraka 32 O t t o von Preising 18

Isidor von Sevilla 106 Jahresanfang 5. 44 Jcgoroff, D m . 63 Justi, K . 104 K a l k o f f , P. 38. 75. 124 Kalvinismus 89 Kammeier, W . 18 Ν . 1 Kant 8. 80. 85. 89 Kirchengeschichte 52. 114 Klimaschwankungen 89 Kolde, T h . 75 Kroker, E . 101 Kugler, B . 95 Kulturgeschichte 9 - 1 2 Kunstfälschungen 15 Kunstgeschichte 22. 51 Lampert von Hersfeld 54 ff. Lamprecht, K . 9 f. 103 Lektüre des Studenten 2 1 - 2 4 . 35. 66. 1 1 0 - 1 2 4 Livius 62. 68

Namen von Völkern, Personen, Ortschaften 31 Nitzsch, K . W . 91 Nomi nali smus u. Nominalisten 78. 9 3

Paläographie 18. 39 Papyri 31 Paulus Diaconus 106 Periodisierung 93 f. Peter d. G r . 15 Photographie 41 Positivismus 77 Pragmatismus 79 ' Privilegium maius 15 Prüfungen 27 f. Pseudoisidor 15 Quellen 29 ff. - , verlorene 61 - künde 30 ff. - lesen 22. 35 Querverbindungen zw. den Kulturgebieten 10 ttfthewin 57. 63 Ranke, L . v. 11. 34. 42. 75. 80. 88. 94. 115 f. Redits- und Verfassungsgeschichte 49 Regesten 96 Reisen 26 Relationen 34 Rhomberg, A. 68 Rothacker, E . 70. 82. 84. 101. 111 Ruville, A . v. 95 Schadewaldt, W . 84 Schäfer, D . 9. 103. 107 Scheffer-Boichorst, P. 62. 123

126 Schiller 70. 81 Schmeidler, Β. 63 Seminarübungen 21. 66 Spalatin, G. 74 Sphragistik 43 Sprachkenntnisse 23 Spranger, Ed. 71. 73 Seeding, Chr. 10 Steinen, W. von den 62 Stil, deutscher 28. 84. 93. 113 Sucton 64

Register Tacitus 62 Taine, H . 78 Textkritik 53-60 Thierry, Α . 88 Tradition 30 Treitschke, H. v. 26. 83. 84. 93 Troeltsch, E . 79. 89 Überreste 31 Urkunden 32. 41 Urkunden, falsche 16. 123 f.

Voltaire 8 Vorlesungen 21 Weber, M . 89 Weistiimer 33 Weltgeschichte 105-109 Wilcken, U. 59 Wirtschaftsgeschichte 33. 49 f. Wissenschaftsgeschichte 51 f. Zeit, historische 12. 79 f. Zeitschriften 38. 110

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